Einführung in die soziologische Theorie [2. Aufl. Reprint 2014] 9783486784442, 9783486224771

Bewährte, einführende Lehrbuchdarstellung der soziologischen Theorie. Aus dem Inhalt: Einleitung. Funktionalismus. Symbo

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German Pages 159 [164] Year 1994

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Table of contents :
1. Kapitel: Einleitung
1.1. Zum Thema des Buches
1.2. Der Gegenstandsbereich der Soziologie
1.3. Vorteile des gegenwärtigen Standes der soziologischen Theorie
1.4. Konsequenzen für die Auswahl
2. Kapitel: Funktionalismus
2.1. Die Stellung des Funktionalismus innerhalb der Soziologie
2.1.1. Entstehung und Verbreitung des Funktionalismus
2.1.2. Wissenschaftssoziologische Hintergründe des Funktionalismus
2.2. Grundbegriffe
2.2.1. Die Fragestellung von Parsons
2.2.2. Parsons’ Handlungstheorie
2.2.3. Parsons’ Systemtheorie
2.2.4. Das allgemeine Handlungssystem
2.2.4.1. Die Struktur des Handlungssystems
2.2.4.2. Funktionen des Handlungssystems
2.2.5. Integration über Normen
2.2.5.1. Integration auf der Handlungsebene - Internalisierung
2.2.5.2. Integration auf Systemebene - Institutionalisierung
2.3. Gesellschaft
2.3.1. Gesellschaft als System
2.3.2. Evolutionstheorie
2.4. Sozialpsychologie
2.4.1. Rollentheorie
2.4.2. Sozialisation
2.5. Methode und Empirie
2.6. Kritik
3. Kapitel: Symbolischer Interaktionismus
3.1. Die Theorie des Symbolischen Interaktionismus
3.2. Grundlegende Annahmen der Theorie des Symbolischen Interaktionismus
3.4. Rollentheorie
3.5. Methode und Empirie
3.6. Kritik
4. Kapitel: Historische Soziologie
4.1. Zum Stand historischer Gesellschaftstheorien
4.1.1. Varianten historischer Soziologie
4.1.2. Max Weber
4.1.2.1. Historische Untersuchungen von Max Weber
4.1.2.2. Max Webers Beitrag zur Soziologischen Theorie
4.1.2.3. Kritik an Max Weber
4.1.3. Zusammenfassung: Aufgabenstellung einer historischen Soziologie
4.2. Marxistische Theorie
4.2.1. Entstehung und Verbreitung der marxistischen Theorie
4.2.2. Grundbegriffe
4.2.2.1. Methodologische Voraussetzungen
4.2.2.2. Materialistische Gesellschaftsanalyse
4.2.2.3. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse
4.2.3. Gesellschaft
4.2.3.1. Ökonomische Verhältnisse als Steuerungsmechanismen des Kapitalismus
4.2.3.2. Modell und tatsächlicher Verlauf des Kapitalismus
4.2.3.3. Klassentheorie
4.2.3.4. Staat
4.2.3.5. Ideologie
4.2.4. Sozialpsychologie
4.2.5. Methode und Empirie
4.2.6. Kritik
5. Kapitel: Das Vergleichen von Theorien
5.1. Poppers Falsifikationsprinzip
5.2. Neuere Positionen der Wissenschaftstheorie
5.3. Methodologie der Forschungsprogramme
5.4. Theorievergleich in der Soziologie
Bibliographische Hinweise
Literaturverzeichnis
Sach- und Personenverzeichnis
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Einführung in die soziologische Theorie [2. Aufl. Reprint 2014]
 9783486784442, 9783486224771

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Einführung indie soziologische Theorie Von

Dr. Friedrich Eberle und

Dr. Herlinde Maindok

Zweite Auflage

R Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Eberle, Friedrich: E i n f ü h r u n g in die soziologische Theorie / von Friedrich Eberle und Herlinde Maindok. - 2. A u f l . - München ;Wien : O l d e n b o u r g , 1994 ISBN 3 - 4 8 6 - 2 2 4 7 7 - 8 N E : M a i n d o k , Herlinde:

© 1994 R. O l d e n b o u r g Verlag G m b H , München Das Werk außerhalb lässig und filmungen

einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede V e r w e r t u n g der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages u n z u s t r a f b a r . Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ü b e r s e t z u n g e n , Mikroveru n d die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen S y s t e m e n .

Gesamtherstellung: R. O l d e n b o u r g Graphische Betriebe G m b H , München

ISBN 3-486-22477-8

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel: Einleitung

1

1.1. 1.2. 1.3. 1.4.

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Zum Thema des Buches Der Gegenstandsbereich der Soziologie Vorteile des gegenwärtigen Standes der soziologischen Theorie . . . . Konsequenzen für die Auswahl

2. Kapitel: Funktionalismus

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2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.4.1. 2.2.4.2. 2.2.5. 2.2.5.1. 2.2.5.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.5. 2.6.

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Die Stellung des Funktionalismus innerhalb der Soziologie Entstehung und Verbreitung des Funktionalismus Wissenschaftssoziologische Hintergründe des Funktionalismus . . . . Grundbegriffe Die Fragestellung von Parsons Parsons'Handlungstheorie Parsons' Systemtheorie Das allgemeine Handlungssystem Die Struktur des Handlungssystems Funktionen des Handlungssystems Integration über Normen Integration auf der Handlungsebene - Internalisierung Integration auf Systemebene - Institutionalisierung Gesellschaft Gesellschaft als System Evolutionstheorie Sozialpsychologie Rollentheorie Sozialisation Methode und Empirie Kritik

3. Kapitel: Symbolischer Interaktionismus

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3.1. 3.2.

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3.4. 3.5. 3.6.

Die Theorie des Symbolischen Interaktionismus Grundlegende Annahmen der Theorie des Symbolischen Interaktionismus Rollentheorie Methode und Empirie Kritik

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4. Kapitel: Historische Soziologie

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4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.2. 4.1.2.3. 4.1.3.

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Zum Stand historischer Gesellschaftstheorien Varianten historischer Soziologie Max Weber Historische Untersuchungen von Max Weber Max Webers Beitrag zur Soziologischen Theorie Kritik an Max Weber Zusammenfassung: Aufgabenstellung einer historischen Soziologie ..

Inhaltsverzeichnis 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.2.1. 4.2.2.2. 4.2.2.3. 4.2.3. 4.2.3.1. 4.2.3.2. 4.2.3.3. 4.2.3.4. 4.2.3.5. 4.2.4. 4.2.5. 4.2.6.

Marxistische Theorie Entstehung und Verbreitung der marxistischen Theorie Grundbegriffe Methodologische Voraussetzungen Materialistische Gesellschaftsanalyse Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse Gesellschaft Ökonomische Verhältnisse als Steuerungsmechanismen des Kapitalismus Modell und tatsächlicher Verlauf des Kapitalismus Klassentheorie Staat Ideologie Sozialpsychologie Methode und Empirie Kritik

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5. Kapitel: Das Vergleichen von Theorien

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5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

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Poppers Falsifikationsprinzip Neuere Positionen der Wissenschaftstheorie Methodologie der Forschungsprogramme Theorievergleich in der Soziologie

Bibliographische Hinweise Literaturverzeichnis Sach- und Personenverzeichnis

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1. Kapitel Einleitung

1.1. Zum Thema des Buches In gewisser Weise ist jeder Mensch ein soziologischer Theoretiker. Als ein Individuum, das in gesellschaftlichen Zusammenhängen lebt, braucht er Vorstellungen und ein verläßliches Wissen darüber, wie die Abläufe, in die sein Handeln eingebettet ist, funktionieren. So hat er z.B. sehr genaue Vorstellungen darüber, was die Wahl seiner Kleidung bei einem Vorstellungsgespräch bewirkt. Er weiß, daß ein unordentliches Äußeres in den seltensten Fällen zum gewünschten Ergebnis, d. h. einer Einstellung führen wird. Allgemeiner: Jedes Individuum hat bestimmte Vorstellungen über die Erwartungen, die ihm von Handlungspartnern angetragen werden. Es geht davon aus, daß in unserer Gesellschaft bestimmte ,Spielregeln' gelten. Ein weiteres Wissen besteht darin, abschätzen zu können, in welcher Relation der Einsatz von Mitteln zu bestimmten Zwecken steht, was überhaupt an Zwecken jeweils verfolgt werden kann. Schließlich geht in jede Handlung die Vorstellung ein, daß all dieses Wissen über die Gesellschaft nicht nur für eine einmalige Situation gilt, Gesellschaft also in einem gewissen Umfang berechenbar ist. Der Gegenstandsbereich von theoretischen Vorstellungen, die alltäglichem Handeln zugrunde liegen, und soziologischer Theorie ist gleich. Beide beziehen sich auf die Handlungen von Individuen in Gesellschaft und auf das, was durch die Handlungen der einzelnen als Ergebnis hergestellt wird. Somit gehört natürlich auch zum Gegenstandsbereich soziologischer Theorie, von welchen Vorstellungen Individuen sich im Alltag leiten lassen. Einer der Unterschiede zwischen Alltagstheorien und soziologischen Theorien besteht jedoch darin, zu welchem Zweck sie jeweils gebildet werden. Das Individuum im Alltag ist daran interessiert, daß seine Vorstellungen und sein Wissen über Gesellschaft ihm problemlose Handlungsfolgen ermöglicht. Wird dieser Zweck erfüllt, braucht die vorausgesetzte Alltagstheorie nicht mehr Gegenstand von weiteren Überlegungen zu sein. Soziologische Theoriebildung wird mit anderen Absichten verfolgt. Dies führt zu anderen Methoden und Beurteilungskriterien. So geht es in der Soziologie nicht darum, wie praktikabel sich Annahmen über soziale Situationen in einem bestimmten Fall erweisen, sondern warum sie es sind und darüber hinaus um die Frage, ob die Annahmen empirisch überprüfbar und logisch konsistent sind. Zudem hat soziologische Theorie nicht nur einen bestimmten aktuellen Handlungsbereich im Blick, sondern will im allgemeinen alle Felder sozialen Handelns abdecken. Die dadurch bedingte soziologische Betrachtungsweise hat zur Folge, daß Zusammenhänge zum Thema gemacht und gesehen werden, die für das Alltagshandeln zwar zu vernachlässigen sind, gleichwohl aber ihre Bedeutung zum Verständnis von Gesellschaft haben: Bestimmte Menschen handeln im Alltag nach der Devise: ,Jeder ist seines Glückes Schmied', was sich manchmal als zutreffend erweisen mag. Die Soziologie hingegen kann bei einer solchen Annahme nicht stehenbleiben, sondern verweist ζ. B. auf Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft, schulischen und beruflichen Bildungschancen.

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1. Kap.: Einleitung

Da die Soziologie sich aus einer anderen Perspektive dem Gegenstandsbereich nähert, verlangt dies eine Art der Begriffsbildung, die sich von der Alltagssprache unterscheidet. Sie ist stärker auf abstrakte Zusammenhänge abgestellt, nicht mit dem deckungsgleich, was das Individuum in seinem Alltag darunter versteht, wie z.B. der Begriff des, grenzerhaltenden Systems' in der unten dargestellten Theorie von Parsons. Mit,grenzerhaltendem System' wird auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht, der zwar im Alltag in dieser Weise nie bewußt gehalten wird, dennoch eine reale Entsprechung hat. Im übrigen ist es verwunderlich, daß die Soziologie mit besonderer Heftigkeit immer wieder angegriffen wird, ist doch ihre Fachsprache nicht weniger abstrakt und unverständlich als die anderer Disziplinen, In der Medizin z.B. ist ein erfolgreich absolvierter Kursus über ,medizinische Terminologie' Bestandteil der Ausbildung. Aufgabe dieses Kursus ist es, die Studenten das medizinische Vokabular, losgelöst von jeglichen Inhalten, erlernen zu lassen. Desgleichen werden Begriffe aus der Ökonomie, wie ζ. Β. ,Lombardsatz' oder ,Diskontsatz' selbstverständlich sogar von Massenmedien gebraucht, obwohl diese Begriffe auch einigen Abstand zur Umgangssprache aufweisen. Im übrigen ist noch auf ein interessantes Phänomen in diesem Zusammenhang hinzuweisen: Die Verständnisprobleme gegenüber Sozialwissenschaften sind im allgemeinen dann nicht mehr vorhanden, wenn soziologische Untersuchungen Ergebnisse vorlegen, die nicht in Einklang mit verschiedenen politischen Interessenlagen zu bringen sind (Bergmann 1982: 410f.). 1.2. Der Gegenstandsbereich der Soziologie Obwohl das Vorhandensein einer Fachwissenschaft namens Soziologie heute weitgehend undiskutierte Tatsache ist, ist die Frage nach den spezifischen Eigentümlichkeiten der Soziologie nicht überholt. Soziologie untersucht Phänomene, die Produkt menschlicher Handlungen sind. Dies setzt zweierlei voraus: 1. Sie nennt einen bestimmten Gegenstandsbereich ihr eigen. 2. Sie benutzt bestimmte Methoden und Vorgehensweisen, die spezifisch soziologisch sind. Um beide Punkte an einem Beispiel zu erläutern: So läßt sich für jedes Rollenhandeln zeigen, daß es offensichtlich sozial hervorgerufen wird, d. h. nicht durch individuelle Eigenschaften einzelner Personen, sondern durch Sachverhalte, die durch das menschliche Zusammenleben entstehen. Ζ. B. entspringt das Verhalten eines Bankkunden nicht seinen eigenen - privaten - Überlegungen, sondern er übernimmt Handlungsweisen - die soziale Rolle des Bankkunden - , die unabhängig von seinen ganz persönlichen Vorstellungen schon gesellschaftlich vorhanden sind. Eine Erklärung seines Verhaltens in einer Bank wird nicht seine invidiuellen, psychologischen Eigenschaften heranziehen, sondern auf die Institution Bank abstellen und darauf, daß diese von den darin Agierenden ein bestimmtes Handeln erforderlich macht, soll das ganze funktionsfähig sein. Gleichwohl ist diese Antwort für das spezifisch soziologische Denken und seinen Gegenstandsbereich unbefriedigend. Hier soll nun eine Unterscheidung eingeführt werden, die aus der Wissenschaftstheorie stammt und die es erlaubt, die Frage zu beantworten. Gemeint ist der Begriff der Reduktion, allgemein im Sinne von etwas zurückführen auf ein anderes. Man unterscheidet weiter theoretische Reduktion, methodologische Reduktion und ontologische Reduktion.

1. K a p . : Einleitung

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Unter theoretischer Reduktion versteht man den Versuch, die Aussagen, die sich mit einer Theorie machen lassen, zurückzuführen auf eine andere Theorie. Gelingt dies im vollen Umfange, hat man die eine Theorie auf die andere reduziert'. Ein Beispiel wäre, alle Aussagen der Theorie der Institutionen zurückzuführen auf die Rollentheorie. Unter methodologischer Reduktion versteht man den Versuch, die Methodologie einer Wissenschaft auf die Vorgehensweise einer anderen Wissenschaft zu reduzieren. Ein Beispiel wäre, die soziologische Vorgehensweise auf die der Psychologie zurückzuführen, was zur Folge hätte, daß es keine eigenständige soziologische Methodologie gäbe. Unter ontologischer Reduktion schließlich versteht man den Versuch, die Eigenschaften eines Gegenstandsbereichs zurückzuführen auf einen oder mehrere andere (Ontologie: die Lehre vom Sein). Ein Beispiel wäre die These, daß es soziale Phänomene überhaupt nicht gäbe, sondern nur individuelle. Eine gelungene Reduktion bedeutet damit zugleich, daß der betreffende reduzierte Sachverhalt keine eigenständige Bedeutung besitzt und damit allenfalls ein Kürzel für etwas anderes ist. Gelänge es z.B., das Phänomen ,Staat' gänzlich auf das Handeln der Beteiligten zurückzuführen, wäre es nicht mehr gerechtfertigt, Aussagen zu machen, die sich auf das Phänomen Staat beziehen, wie etwa: damit ein Staat funktionsfähig ist, bedarf es eines auf Geld beruhenden Steuersystems. Eine solche Aussage wäre deshalb illegitim, weil - wenn Staat nichts anderes ist als ein bestimmtes Handeln von Individuen - es auch keine Funktionen geben kann, die ihm zukommen. Es wäre allenfalls berechtigt, weiter von dem Begriff Gebrauch zu machen, weil er eingeführt ist und eine bestimmte Klasse von Phänomenen beschreibt. Mit dem Begriff der Reduktion kann man genauer angeben, weshalb in den grundlegenden Fragen der Soziologie große Unterschiede bestehen. Es geht dabei sowohl um die Charakteristika der Kollektivphänomene (Gesellschaft, Staat u. a.), die den Gegenstandsbereich der Soziologie ausmachen sollen, als auch um die angemessene Methode der Erklärung. a) Eine soziologische Richtung geht davon aus, daß Kollektivphänomene in der Tat spezifische Eigenschaften aufweisen, die nur ihnen zukommen. Zwar wird nicht bestritten, daß sie allein aus dem Handeln der Individuen hervorgegangen sind, diese bilden aber durch ihr Handeln Sachverhalte, wie etwa Institutionen, deren Funktionieren und vorhandene Eigenschaften mehr sind als eine Summe der einzelnen Handlungen. Erfordernisse der Institution Staat sind deshalb bestimmte Anforderungen, die für seine Funktion erforderlich sind und die unabhängig sind von den Erwartungen und Bedürfnissen der einzelnen Individuen. Im ontologischen Sinne besitzen soziale Sachverhalte Eigenschaften, die nicht auf andere zurückgeführt werden können. Die gleiche Autonomie, was den Gegenstandsbereich der Soziologie anbelangt, gilt auch für die Methode der Erklärung. Bedingt durch die Autonomie des Gegenstandsbereichs ist es auch nicht möglich, von vorhandenen Methoden, etwa aus der Psychologie entlehnten, Gebrauch zu machen. Eine Erklärung soziologisch bedeutsamer Sachverhalte kann nicht von dem oder den Individuen ausgehen, sondern ist gebunden an die Kollektivphänomene. b) Eine andere Richtung in der Soziologie argumentiert genau umgekehrt. Für sie gibt

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1. Kap.: Einleitung

es im eigentlichen Sinne keine Kollektivgebilde. Der gesamte Gegenstandsbereich der Soziologie besteht danach aus dem Handeln von Individuen, und ihr Zusammenwirken bringt keine prinzipiell neuen Eigenschaften hervor. Deshalb ist es ζ. B. unsinnig, von besonderen Eigenschaften zu sprechen, die kollektiven Gebilden zukommen. Da der Staat nichts anderes ist als das Handeln der Individuen, ist es gänzlich unangebracht, Formulierungen zu gebrauchen wie: „die Funktionsfahigkeit des Staates erfordere" oder: „der Staat handelt". Entsprechend der ontologischen Reduktion von Kollektivphänomenen fordert diese Richtung in der Soziologie eine Methode der Erklärung, die von den einzelnen Individuen ihren Ausgangspunkt nimmt. Nur dann, wenn es gelingt, einen Sachverhalt unter Zurückführen auf das Handeln der daran Beteiligten zu erklären, kann von einer erfolgreichen soziologischen Untersuchung gesprochen werden. c) Eine dritte soziologische Richtung hält diese Problemstellung insgesamt fiir unzureichend. Die Frage, ob Gesellschaft ein von den Akteuren unabhängiges Dasein habe oder nicht, stellt für diese Richtung keine methodische Frage dar, sondern ein Problem, das empirisch geklärt werden muß. Entscheidend dafür ist die reale Verfassung einer Gesellschaft. Inwieweit das bewußte Handeln von Individuen den gesellschaftlichen Verlauf gestalten kann oder nicht, ist für jede Gesellschaft empirisch zu ermitteln. So wird es ζ. B. in einer Gesellschaft, in welcher die einzelnen Akteure gezielt Einfluß auf Prozesse nehmen können, nicht sehr sinnvoll sein, G e sellschaft' als ein Kollektivphänomen zu deuten, das mit eigenen Zielen und Bedürfnissen ausgestattet ist. Die drei Richtungen in der Soziologie sollen nun durch Zitate aus den Werken von Emile Dürkheim (Regeln der soziologischen Methode 1976), Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft 1976) und Karl Marx (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie 1953) illustriert werden. Inhaltlich weisen sie auf die drei Hauptrichtungen der heutigen Soziologie: Systemtheorie, Handlungstheorie, marxistische Theorie. a) Emile Dürkheim schreibt in seinen Regeln der soziologischen Methode im Abschnitt „Was ist ein soziologischer Tatbestand?": „Hier liegt ... eine Klasse von Tatbeständen von sehr speziellem Charakter vor: sie bestehen in besonderen Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die außerhalb der Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft deren sie sich ihnen aufdrängen. Mit organischen Erscheinungen sind sie nicht zu verwechseln, denn sie bestehen aus Vorstellungen und Handlungen, ebenso wenig mit psychischen Erscheinungen, deren Existenz sich im Bewußtsein des Einzelnen erschöpft. Sie stellen also eine neue Gattung dar und man kann ihnen mit Recht die Bezeichnung,sozial' vorbehalten." (Dürkheim 1976: 107) b) Max Weber formuliert in dem einleitenden Abschnitt zu ,Wirtschaft und Gesellschaft': ... Soziologie ... soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will ... Für die verstehende Deutung des Handelns durch die Soziologie sind ... diese Gebilde (Staat, Aktiengesellschaft,...) lediglich Abläufe und Zusammenhänge spezifischen Handelns einzelner Menschen, da diese allein für uns verständliche Träger von sinnhaft orientiertem Handeln sind ... Wenn sie von „Staat" ... oder von ähnlichen „Gebilden" spricht, so meint sie (die Soziologie,...) d a m i t . . .

1. Kap.: Einleitung

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lediglich einen bestimmt gearteten Ablauf tatsächlichen, oder als möglich konstruierten sozialen Handelns Einzelner . . . " (Weber 1976: S. 1; S. 6f.) c) Die dritte Sichtweise schließlich, die auf eine radikale Historisierung der beiden vorangegangenen Positionen hinausläuft, geht auf Karl Marx zurück: „Sosehr nun das Ganze dieser Bewegung (der gesellschaftlchen Zirkulation) als gesellschaftlicher Prozeß erscheint, und sosehr die einzelnen Momente dieser Bewegung vom bewußten Willen und besonderen Zwecken der Individuen ausgehen, sosehr erscheint die Totalität des Prozesses als ein objektiver Zusammenhang, der naturwüchsig entsteht; zwar aus dem Aufeinanderwirken der bewußten Individuen hervorgeht, aber weder in ihrem Bewußtsein liegt, noch als Ganzes unter sie subsumiert wird. Ihr eigenes Aufeinanderstoßen produziert ihnen eine über ihnen stehende, fremde gesellschaftliche Macht; ihre Wechselwirkung als von ihnen unabhängigen Prozeß und Gewalt." (Marx 1953: 111)

1.3. Vorteile des gegenwärtigen Standes der soziologischen Theorie Es ist sicherlich erst einmal zuzugestehen, d a ß die Tatsache, d a ß mehrere Richtungen in der gegenwärtigen Soziologie vorhanden sind, ein Einarbeiten in die soziologische Theorie nicht einfacher macht. Das hat zum einen schlicht arbeitsökonomische Gründe. Es bereitet dem Anfänger größere Schwierigkeiten, sich mit mehreren Ansätzen beschäftigen zu müssen als nur mit einem, der ihm als verbindlich für ein Fach geschildert wird. Darüber hinaus folgt für den Lernenden auch, daß er in die Lage versetzt werden muß, verschiedene Richtungen gegeneinander abzuwägen. N u r wenn ihm dies gelingt, ist er auch in der Lage, das erworbene Wissen zu verwenden und sich ein eigenes Urteil über die unterschiedlichen Richtungen zu bilden. Unabhängig von solchen Fragen der Arbeitsökonomie liefert dieser Zustand der Soziologie auch die Gründe für eine verbreitete Ablehnung bzw. für Vorurteile gegenüber der Soziologie. Denn, so die naheliegende Überlegung, was soll man von einer Wissenschaft halten, die sich schon in grundlegenden Fragen nicht einig ist? Stellt man weiterhin Vergleiche mit anderen Wissenschaften an, auch mit Sozialwissenschaften wie der Ökonomie, folgt daraus auch des öfteren die Ansicht, d a ß die Soziologie daran gemessen noch völlig unterentwickelt sei und ihre eigentlich wissenschaftliche Existenz noch gar nicht begonnen habe. Das Bild, das dieser Einschätzung der Soziologie zugrundeliegt, ist die Vorstellung von Wissenschaft, die erst dann gegeben sei, wenn das Stadium gesicherter Erkenntnis vorhanden ist. Dies gilt dann als erreicht, wenn im Rahmen eines Faches die weit überwiegende Anzahl der darin tätigen Wissenschaftler über den betreffenden Gegenstandsbereich, über die zu benutzende Theorie sowie über die anzuwendenden Methoden Einigkeit erzielt habe. Es soll hier überhaupt nicht entschieden werden, ob dieses Bild, das ursprünglich aus den Naturwissenschaften gewonnen wurde, auch für die Soziologie zur Gänze als Leitfaden brauchbar ist. Einige Soziologen zumindest bestreiten dies. F ü r sie sind die Differenzen in der Soziologie mehr oder weniger unabänderlich und hängen mit dem Gegenstandsbereich der Soziologie zusammen. Andere hingegen sind der Ansicht, daß in nicht allzu ferner Z u k u n f t auch in der Soziologie ein solch einheitlicher Bezugsrahmen bestehen wird. U n d wenn dies nicht der Fall sein sollte, so läge das nicht in der N a t u r der Sache, sondern daran, daß ein Teil der Soziologen

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1. Kap.: Einleitung

eben eine falsche Vorstellung über den wissenschaftlichen Charakter der Soziologie habe. Nun beschäftigen wir uns hier nicht mit Zukunftsfragen eines Faches, sondern mit seiner Gegenwart. Und hier sind wir der Ansicht, daß man dieser Gegenwart durchaus positive Aspekte abgewinnen kann. Die Gefahr bei einer Wissenschaft, die jenen eben skizzierten abgeschlossenen Charakter besitzt, liegt nämlich darin, daß diese Geschlossenheit auch auf Kosten zutreffender Einsichten gehen kann. Andere Ansichten, die sich im Widerspruch zur herrschenden Lehrmeinung befinden, werden nicht mehr ausführlich diskutiert, d. h. als Herausforderung angenommen, vielmehr werden sie als unbedeutende Randerscheinungen angesehen, mit denen zu beschäftigen es sich nicht weiter lohne. In einer solchen Situation entpuppt sich aber die Geschlossenheit eines Faches nicht nur als unangemessen, indem sie andere Ansichten nicht mehr zur Geltung kommen läßt, sie ist auch eine fiktive. Fiktiv deshalb, weil diese Geschlossenheit nicht auf rationaler Argumentation beruht, sondern darauf, daß andere Ansichten mehr oder weniger ignoriert werden. Deutlich ist eine solche Situation z.B. in der heutigen Ökonomie. Sie wird beherrscht durch ein mehr oder weniger einheitliches Konzept, wovon man sich leicht durch die überwiegende Zahl der Lehrbücher überzeugen kann. Vertraut man diesen, so gibt es zwar Differenzen, diese betreffen aber nur Teilgebiete und nicht die Vorgehensweise als solche, da der technische Apparat allgemein akzeptiert ist. Gleichwohl liegen begründete Untersuchungen vor, die der Volkswirtschaftslehre vorwerfen, entscheidende Fragen wie etwa die empirische Erklärungskraft ihrer Modelle nicht hinreichend zu erörtern. Die Folge davon ist nun nach Ansicht der Kritiker, daß eine immer anspruchsvoller formulierte ökonomische Theorie immer weniger empirischen Gehalt besitze. Dadurch aber, daß, wie es überwiegend der Fall ist, eine offene Diskussion mit den Kritikern nicht geführt wird, wird dem, der sich für dieses Fach interessiert, eine fiktive Geschlossenheit und Wissenschaftlichkeit präsentiert, die er mangels Kenntnis anderer Ansichten erst einmal übernehmen muß. Der Vorteil der Soziologie liegt nun darin, daß der Student dieses Faches in aller Regel schon von Anfang an mit einer relativ offenen Situation vertraut gemacht wird, die ihn auf die unterschiedlichen Möglichkeiten der Sichtweise von Gesellschaft aufmerksam macht. Vertieft er sich in die einzelnen Richtungen, so wird er in der Regel sehen, daß die Kontroversen, um die es dabei geht, durchaus ihren sachlichen Gehalt haben und deshalb auch nicht als überholt anzusehen sind. Die wesentlichen Unterschiede in der Soziologie sind demnach nicht auf einen Mangel an Einsicht zurückzuführen, sondern können argumentativ vertreten werden. Daraus folgt natürlich nicht, daß diese Unterschiede niemals behoben werden können, wie einige Autoren annehmen. Es ist schwer zu sehen, weshalb das Verhältnis zwischen handlungstheoretischer, systemtheoretischer und historischer Soziologie nicht geklärt werden sollte. Nur sind wir der Meinung, daß eine solche Theorie, die allen begründeten Aspekten der Sozialstruktur Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, heute noch nicht vorhanden ist. Eine solche Sichtweise soziologischer Theorie setzt voraus, daß die einzelnen Ansätze weder in ihrem Nebeneinander noch durch eine fiktive Integration dargestellt werden. Beides sind Gefahren einer Einführung in die Soziologie, die u. E. dem Studenten wenig hilfreich ist. Eine Einführung in die soziologische Theorie, die sich darauf beschränkte, die unterschiedlichen Richtungen der heutigen Soziologie

1. Kap.: Einleitung

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schlicht nebeneinander darzustellen, wäre nur unzureichend in der Lage, dieses Nebeneinander dem Leser als sinnvoll zu vermitteln. Solche Einführungen mögen dann sinnvoll sein, wenn es darum geht, gleichsam in Form eines Nachschlagewerks die unterschiedlichen Richtungen der Soziologie kurz darzustellen. Was aber in einer solchen Einführung offen bleiben muß, ist die spezifische Berechtigung der jeweiligen Ansätze und die Kriterien ihrer Auswahl. Nach der Lektüre eines solchen Werkes liegt es nahe, Soziologie als ein disparates Sammelsurium, bestehend aus unterschiedlichen Begriffen und Methoden, anzusehen. Es gibt auch die Situation des Faches nur ungenügend wieder, denn in der Realität stehen die Ansätze in der Regel nicht völlig beziehungslos nebeneinander, sondern in einem gemeinsamen Zusammenhang. Die andere Alternative erscheint uns ebenso problematisch. Sie liefe darauf hinaus, einen bestimmten Ansatz oder eine bestimmte Richtung der Soziologie dergestalt zu bevorzugen, daß eine Einführung in die soziologische Theorie gleich wäre mit einer Einführung in diese betreffende Theorie. Angesichts der gegenwärtigen Lage wäre eine solche Option aus dem Grunde problematisch, weil damit die These verbunden sein müßte, daß der ausgewählte Ansatz im großen und ganzen richtig sei bzw. richtiger als die anderen konkurrierenden. Berücksichtigt man die jüngeren Kontroversen in der Soziologie, scheint dies eine Vermutung zu sein, die nicht gerechtfertigt ist. Es wäre in dieser Situation schwer zu vermitteln, weshalb dieser Ansatz ausgesucht wurde und kein anderer. Allenfalls könnte im Falle des soziologischen Funktionalismus argumentiert werden, man beschränke sich in einer Einführung auf diesen, weil er wohl der verbreitetste sei. Obschon diese Aussage wohl akzeptiert werden kann, kann dies allerdings noch nicht heißen, daß es aus diesem Grunde berechtigt sei, sich auf ihn zu beschränken. Eine solche Argumentation verwechselt soziale Bedeutung mit kognitiver Bedeutung - was gerade in der Wissenschaft durchaus einen Unterschied ausmacht bzw. ausmachen sollte. Es braucht auch im Falle des soziologischen Funktionalismus nicht bestritten zu werden, daß dieser Ansatz gegenüber anderen weiter entwickelt ist, was die Begrifflichkeit und die Verbindung einzelner Teilbereiche der Soziologie anbelangt. Gleichwohl folgt auch hieraus nicht, daß er faktisch als repräsentativ für soziologisches Denken stünde. Angesichts der vielfältigen Kritik an diesem Ansatz, sowohl was seine Theorie als auch die Ergebnisse betrifft, die mit ihr erzielt worden sind, ist dies schwer zu rechtfertigen. Eine Lösung dieses Dilemmas, vor dem jede Einführung in die soziologische Theorie steht, sehen wir darin, das Problem der Auswahl zu koppeln an ein zentrales sachliches Problem gesellschaftlicher Wirklichkeit. Damit ist gemeint, daß es sinnvoll erscheint, weder beliebige soziologische Theorien aneinanderzureihen noch nach einem sicher zu rechtfertigendem Kriterium eine bestimmte Theorie auszuwählen, vielmehr soziologische Theorien danach auszuwählen, inwieweit sie einen wesentlichen Aspekt des Gegenstandsbereiches betonen. Wie schon deutlich wurde, ist ein zentrales Problem soziologischer Theorie, inwieweit Gesellschaft als ein Produkt bewußten Handelns der Individuen verstanden wird oder aber ob umgekehrt gesellschaftliche Sachverhalte gegenüber den Handlungsmöglichkeiten der Individuen bestimmend sind. Mit dieser Frage hängt auch zusammen, in welcher Weise diese Sachverhalte historisch variabel sind oder aber unabhängig von jeder sozialen Dynamik. Orientiert man nun die Auswahl soziologischer Theorien an diesen Problemen, so wird sowohl das Aneinanderreihen beliebiger Ansätze als auch das Darstellen nur eines Ansatzes vermieden. Mit diesem hier vorgeschlage-

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1. Kap.: Einleitung

nen Kriterium der Auswahl ist es möglich, zwei berechtigte Erwartungen an eine Einführung zu erfüllen. Einmal wird der Leser in die Lage versetzt, heute wesentliche Ansätze in ihren Grundzügen kennenzulernen und damit selbständig die Literatur der jeweiligen Richtungen später zu erarbeiten. Zugleich wird der Eindruck der Beliebigkeit der vorgestellten Richtungen dadurch vermieden, daß gezeigt wird, in welcher Weise die verschiedenen Richtungen ein reales Problem der Soziologie in unterschiedlicher Weise erörtern. Es kann damit gezeigt werden, daß die heute vorhandenen unterschiedlichen Richtungen in der Soziologie nicht zufällig sind oder sich anderen nicht nachvollziehbaren Ursachen verdanken, was bei einer Beschäftigung mit der Soziologie in der Regel zu Schwierigkeiten führt. Indem die Auswahl sich an diesen wesentlichen Problemen orientiert, wird zugleich auch die Relativität der einzelnen Sichtweisen nachvollziehbar. Es wäre ein Mißverständnis, aus dieser im nächsten Abschnitt konkretisierten Auswahl zu schließen, daß die hier geschilderte Situation des Faches stets den gleichen Grad an Heterogenität aufweisen wird und daß insofern nur eine relativistische Sichtweise einzelner Theorien möglich ist. Wir halten es nicht für ausgeschlossen, daß die weitere Entwicklung der Soziologie zu einer Theorie führen kann, die den verschiedenen, von den einzelnen Theorien betonten Aspekten Gerechtigkeit widerfahren läßt und damit diesen Zustand der Parzellirung überflüssig macht. Hinweise auf die Probleme, die dabei zu lösen sind, werden in dem letzten Abschnitt behandelt, der die Fragen eines Theorienvergleichs behandelt. Gleichwohl sind wir der Meinung, daß zumindest heute von den unterschiedlichen Ansätzen auszugehen ist und daß eine Einführung in die soziologische Theorie dem Rechnung tragen muß.

1.4. Konsequenzen für die Auswahl Als Thema der soziologischen Theorie lassen sich drei unterscheidbare Ansätze ausmachen: einen akteurzentrierten, der die Bildung gesellschaftlicher Sachverhalte durch das bewußte Handeln der Individuen hervorhebt, einen systemorientierten, der die relative Stabilität sozialer Interaktionen betont, und schließlich einen, der von der historischen Bedingtheit gesellschaftlicher Sachverhalte ausgeht. In ihrem Erklärungsanspruch überschneiden sich die Ansätze: unabhängig von der grundlegenden Sichtweise der Sozialstruktur erheben alle drei Vorgehensweisen den Anspruch, alle wesentlichen Sachverhalte zu erklären. Sowohl eine handlungstheoretische Soziologie als auch die Systemtheorie und der marxistische Ansatz beanspruchen für sich, daß sie den von den jeweils anderen betonten Aspekt auch erklären. So ist die Handlungstheorie der Meinung, auch Phänomene relativer Stabilität zu erklären, wie umgekehrt die Systemtheorie behauptet, eine zureichende Handlungstheorie zu haben. Gleiches gilt für die marxistische Soziologie: auch hier wird davon ausgegangen, sowohl eine Theorie des Handelns als auch eine Theorie sozialer Systeme anzubieten. Daraus folgt, daß hier konkurrierende Ansätze vorliegen. Jede Richtung beansprucht für sich, ausgehend von ihren je unterschiedlichen Annahmen, das gleiche zu erklären. Insofern läßt sich nicht von einem etwaigen Unterordnungsverhältnis der einzelnen Theorien zueinander sprechen, etwa in dem Sinne, daß die Hand-

1. Kap.: Einleitung

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lungstheorie sich in die Systemtheorie integrieren lasse, da sie nur einen Teilbereich der Gesellschaft erörtere. Es ist schon daraufhingewiesen worden, daß die hier vorgelegte klar geschnittene Unterscheidung des Zugangs zur soziologischen Theorie sich nicht in der gleichen Deutlichkeit auf die vorhandenen theoretischen Ansätze abbilden läßt. Nicht nur ist jeweils mehr als ein Ansatz für die verschiedenen Möglichkeiten vorhanden, sondern es lassen sich auch Versuche ausmachen, jenseits dieser Kontroversen zu stehen oder aber eine Soziologie zu vertreten, die gänzlich andere Absichten hat und gar nicht den Anspruch erhebt, eine wie auch immer gedachte umfassende soziologische Theorie zu entwickeln. So hat die in den letzten Jahren verstärkte Rezeptien des Soziologen M a x Weber zum Ziel, anhand seines Werkes eine Soziologie zu entwerfen, die sowohl historisch orientiert ist als auch das Verhältnis von Handeln und Sozialstruktur befriedigender erfaßt, als dies bisher der Fall ist. Ein anderes Beispiel ist die Ethnomethodologie, die eine gänzlich andere Vorstellung von einer soziologischen Theorie hat als die anderen Richtungen und - bislang zumindest sich wenig mit der Beziehung zwischen Handeln und gesellschaftlichem Zusammenhang beschäftigt hat. Die hier vorgenommene Strukturierung möglicher Zugänge zur soziologischen Theorie wird deshalb nicht umhin können, eine Auswahl heute vertretener Theorien zu treffen. Für diese Auswahl sind zwei Kriterien bestimmend gewesen: einmal, daß die betreffende theoretische Richtung präzise eine der drei Sichtweisen wiedergibt, und zum anderen, daß der Ansatz in der heutigen Soziologie eine gewisse Bedeutung hat, so daß die Beschäftigung mit ihm zugleich ein Zurechtfinden in der heutigen theoretischen Soziologie erlaubt. U m mögliche Mißverständnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen, sei hier noch auf zwei Einwände eingegangen: Es könnte die Auffassung vertreten werden, daß den von uns ausgewählten Theorien nicht die Bedeutung innerhalb der Soziologie zukomme, die wir ihnen zuschreiben. Dieses Argument würde unsere Auswahl deshalb nicht treffen, weil wir an bestimmten sachlichen Positionen interessiert sind, die nicht zu verwechseln sind mit ihrer mengenmäßigen Verbreitung innerhalb der Soziologie. Zweitens könnte gegen unsere Auswahl eingewandt werden, daß die aktuellen Themenstellungen innerhalb der Soziologie sich nicht mehr auf diese drei von uns ausgewählten Richtungen beschränken ließen. Dem wäre entgegen zu halten, daß die gegenwärtigen Positionen und Kontroversen in der Soziologie, auch wenn sie über den von uns gewählten Rahmen hinausgehen mögen, immer noch von der Problemstellung geprägt sind, die dem A u f b a u dieses Buches zugrunde liegt. Aus dem Vorangegangenen folgt auch der A u f b a u des Buches. Im folgenden Kapitel wird die Systemtheorie von Talcott Parsons dargelegt. Sie steht exemplarisch f ü r eine Theorie, die von der bestimmenden K r a f t sozialer Prozesse ihren Ausgangspunkt nimmt. In Kapitel 3 wird die Theorie des symbolischen Interaktionismus vorgestellt, die als ein alternativer Entwurf zu Parsons verstanden werden kann. In ihrem Zentrum steht das aktive, gestaltende Individuum. Kapitel 4 befaßt sich mit einer Variante der historischen Soziologie, nämlich der Theorie von Karl Marx. Den Abschluß bilden einige wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die Hinweise enthalten, welche Probleme sich aus der Theorienvielfalt in der Soziologie ergeben und wie damit umgegangen werden kann.

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2. Kapitel Funktionalismus Der soziologische Funktionalismus analysiert gesellschaftliche Strukturen, d. h. die Beschaffenheit von gesellschaftlichen Tatbeständen, die relativ unabhängig von den Absichten und Handlungen einzelner Individuen existieren. Er zielt darauf ab, ein systematisches Konzept sozialer Tatbestände zu entwickeln, zu klären, welche Bedeutung, welche Funktion sie für den Bestand von Gesellschaften haben, und wie das Verhältnis von derartigen gesellschaftlich vorgegebenen Bedingungen zu aktiven Handlungsleistungen vorzustellen ist.

2.1. Die Stellung des Funktionalismus in der Soziologie 2.1.1. Entstehung und Verbreitung des Funktionalismus In der frühen Völkerkunde wurden die aus dem Studium fremder Kulturen gewonnenen Einzelergebnisse vielfach zu einem Konglomerat beziehungsloser Fakten aufgehäuft. Aus der Sicht amerikanischer und europäischer Forscher erschienen die Lebensweisen in Stammesgesellschaften oft irrational und exotisch-unverständlich. B. Malinowski (1944) und Radcliffe-Brown (1935) entwickelten demgegenüber eine Betrachtungs- und Untersuchungsweise, die das Grundmuster der sozialen Beziehungsgeflechte in jeder Kultur analysiert und jede Institution, bzw. alle Gebräuche einer Kultur daraufhin betrachtet, welche Bedeutung sie für deren Weiterbestand haben. Die rituellen Tänze der Hopi-Indianer ζ. B., mit denen sie alljährlich den für ihre Ernte notwendigen Regen heraufbeschwören wollen, sind isoliert gesehen nach unserer Sichtweise der Dinge, wie eigentlich auch nach den Erfahrungswerten der Hopi, ein untaugliches Mittel zur Erreichung dieses Zweckes. Wird hingegen untersucht, welche Funktion den Regentänzen im Beziehungsgefüge der Hopi-Kultur zukommt, erweisen sie sich als ein bedeutsames Mittel, um den sozialen Zusammenhalt dieser Gesellschaft zu festigen. Seit den 40er Jahren wurde in den USA versucht, den funktionalistischen Ansatz speziell für die Soziologie fruchtbar zu machen. R. K. Merton und T. Parsons, beide mit den Schriften der Anthropologen vertraut, Parsons sogar zeitweilig ein Schüler Malinowskis an der London School of Economics, bemühten sich, die funktionalistische Denkweise als systematische soziologische Theorie zu erarbeiten. Während Merton den Ansatz für Teilbereiche der Soziologie, wie ζ. B. der Soziologie abweichenden Verhaltens und Wissenschaftssoziologie umsetzte, verfolgte Parsons das Ziel, auf dieser Grundlage eine allgemeine soziologische Theorie auszuarbeiten, die einen umfassenden Rahmen für die verschiedensten soziologischen Spezialgebiete abgeben sollte. In den 50er und frühen 60er Jahren galt der soziologische Funktionalismus, wie er von Parsons, Merton und ihren Mitarbeitern vertreten wurde, als .Standard American Sociology'. Dies besagt, daß er weitgehend das Bild der Fachwissenschaft, wie sie sich in Zeitschriften und Lehrbüchern darstellte, bestimmte. Andere Ansätze waren entweder ins Abseits gedrängt worden, bzw. wurden als ergänzende Konzepte zur ,Standard American Sociology' betrachtet. So verstand sich der Funktionalismus ζ. B. nicht in Opposition zu vielen Vertretern des symbolischen Interaktionismus. Es fand vielmehr sogar Kooperation zwischen Angehörigen die-

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ser verschiedenen Richtungen statt, die sich auch in gemeinsamen Publikationen niederschlug. In der westdeutschen Soziologie begann die Rezeption des soziologischen Funktionalismus Ende der 50er Jahre. Nach einer anfangs vergleichsweise wenig bemerkten Auseinandersetzung mit Parsons Theorie mehrten sich ab Mitte der 60er Jahre die Arbeiten, die sich eindeutig von Parsons abgrenzten. Seit Beginn der 70er Jahre ist die Auseinandersetzung der westdeutschen Soziologie mit Parsons in mehrfacher Hinsicht verändert. Erstens wurden in der fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit den Soziologen mehr Beachtung geschenkt, die sich positiv auf den funktionalistischen Ansatz beziehen, seine grundlegenden Prämissen akzeptieren und die versuchen, ihn in speziellen Aspekten weiter zu entwickeln. Zu diesem Kreis westdeutscher Soziologen gehört z.B. N. Luhmann. Er sieht im Funktionalismus einen Bruch mit europäischen Denkweisen, versucht aber dennoch eine Verbindung zwischen Funktionalismus und Traditionen innerhalb der europäischen Sozialwissenschaft und Philosophie herzustellen. Zweitens bekamen Auseinandersetzungen zwischen Funktionalisten und Soziologen, die sich ausdrücklich anderen Richtungen zugehörig fühlen, eine andere Akzentuierung: der Funktionalismus blieb dabei zwar weiterhin nicht von schwerwiegenden Kritiken verschont, doch wurde er auch daraufhin untersucht, ob er nicht auch für andere theoretische Orientierungen Ansatzpunkte bieten könne, die dort produktiv verarbeitet werden könnten. Im Folgenden werden wir uns auf die Theorie von Parsons konzentrieren. Für die Beschränkung auf Parsons sprechen mehrere Gründe: 1. Seine Theorie ist der gemeinsame Ansatzpunkt, auf welchen sich verschiedene Spielarten des Funktionalismus beziehen. 2. Parsons Theorie ist systematisch weitestreichend, da sie den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie abdecken soll und nicht lediglich einzelne Teilbereiche. 3. Im Vergleich zu anderen Varianten enthält sie die größte Vielfalt an Themenstellungen, wie ζ. B. Rollen-, Organisations-, Sozialisationstheorie, eine Theorie gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer Schichtung. 2.1.2. Wissenschaftssoziologische Hintergründe des Funktionalismus Mit Sicherheit ist die heutige Bedeutung des Funktionalismus in der Soziologie eine andere als zu der Zeit, da er als ,Standard American Sociology' wahrgenommen und Soziologie weitgehend mit Funktionalismus gleichgesetzt wurde. Die kontinuierliche Arbeit an konkurrierenden Theorieprogrammen in den USA hat dort das Bild einer beherrschenden Position des Funktionalismus bröckeln lassen, während er international - wenn auch vielfach in abgewandelter Form - Anhänger gewinnen konnte. Dennoch müssen Erklärungen gefunden werden, die seine überragende Bedeutung in der amerikanischen Soziologie der 50er und frühen 60er Jahre plausibel machen, wie auch die Tatsache, daß er immer noch, wenn auch mit verändertem Gewicht in der Soziologie, als wichtige Position fortexistiert. Dies um so mehr, da gegen diesen Ansatz insgesamt, wie viele seiner Teilbereiche, fundierte und berechtigte Kritik vorgebracht worden ist. Es stellt sich also die Frage, wieso eine Theorie weiterhin Bedeutung für eine Fachwissenschaft haben kann gegen die nahezu jeder denkbare Einwand vorgebracht worden ist? Und wieso ist sie nicht durch alternative Konzepte ihrer Kritiker verdrängt worden?

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Zur Beantwortung dieser Fragen sind zweierlei Betrachtungsweisen des Funktionalismus notwendig: Erstens stellt er ein kognitives System dar, d. h. eine Menge von Hypothesen und inhaltlichen Aussagen, die nach wissenschaftlichen Standards zu bewerten sind. Als kognitives System wäre der Funktionalismus also zu überprüfen auf seine Erklärungskraft, seine Methodik und auch daraufhin, in welchem Umfang er Forschungsperspektiven eröffnet. Zweitens ist jede Theorie aber auch unter sozialen Aspekten zu untersuchen. Es muß nämlich davon ausgegangen werden, daß eine Theorie sich weder von alleine entwickelt, noch aus sich heraus verbreitet. Hierzu sind jeweils Aktivitäten von Individuen notwendig. Eine Theorie als soziales System zu verstehen, bedeutet demnach, die Handlungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu berücksichtigen, die sie Wissenschaftlern eröffnet. ad 1.: Einer der Gründe für die Überlebensfahigkeit des Funktionalismus ergibt sich aus der Qualität, die er als kognitives System aufweist. Gerade in der von Parsons angelegten Version weist er einen Grad an Komplexität und Differenziertheit auf was den Gegenstandsbereich der Soziologie betrifft, zu dem gar keine konkurrenzfähige Alternative existiert. Der gegen den Funktionalismus durchaus zu recht erhobene Vorwurf, verschiedene Sichtweisen des Funktionalismus, wie auch die gesellschaftspolitische Praxis seiner Vertreter, sei zu konservativ ausgerichtet, erschöpfte sein Alternativangebot sehr lange in dem Vorschlag, Soziologen mögen sich in ihrer Praxis von anderen politischen und moralischen Prinzipien leiten lassen. Was aber darüber hinaus als notwendiges fachliches Instrumentarium zu empfehlen sei, wie ein alternativer theoretischer Bezugsrahmen auszusehen habe, blieb offen (Gouldner 1970). Die ebenfalls berechtigten Einwände gegen den Funktionsiismus, die sich mehr auf seine methodologischen Voraussetzungen bezogen, wie ζ. B., daß er seinen Gegenstandsbereich nicht hinreichend historisch betrachtet, waren so formuliert, daß aus ihnen ebenfalls keine praktikablen Konsequenzen gezogen werden konnten. D. h. eine Alternative, die den gleichen Umfang an Themenbereichen wie der Funktionalismus anzubieten hätte, wie auch darüber hinaus dessen Schwachstellen hätte überwinden können, wurde auch dort nicht angeboten. Wo der Funktionalismus in Teilaspekten der Kritik unterzogen wurde, deuteten sich Alternativen auf der Ebene von Theorien mittlerer Reichweite an. Diese aber waren wiederum nicht in der Lage, sich systematisch auf ein umfassenderes Konzept zu beziehen, in welchem sie sich behaupten konnten. ad 2.: Ein zweiter Grund für die Beständigkeit des Funktionalismus ist wissenschaftspolitischer Art. Merton und Parsons, wie auch ihre Mitarbeiter und Anhänger, verstanden ihre Arbeit an der soziologischen Theorie nicht nur als Selbstzweck, d. h. Ziel ihrer Bemühungen war nicht allein die Ausformulierung eines in sich geschlossenen kognitiven Systems. Sie sollte darüber hinaus auch einen Beitrag zu einer weiterführenden Professionalisierung der Soziologie leisten. So gesehen ist soziologische Theorie erstens ein Mittel, über das eine fachwissenschaftliche Identität hergestellt wird, die dem Soziologen hilft, seine Position gegenüber Nachbarwissenschaften wie Psychologie, Ökonomie und Philosophie abzugrenzen. Zweitens gibt sie für

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den, der im Bereich angewandter Soziologie oder empirischer Forschung arbeitet, Problemsichten und Fragestellungen vor. D. h. sie entwickelt systematisch Perspektiven, von denen her Wirklichkeit auf das hin wahrgenommen werden kann, was als soziologisch bedeutsam gilt. Drittens bietet der Bezug auf eine gemeinsame Theorie mit gemeinsamen Sprachregelungen die Möglichkeit, Forschungsergebnisse unterschiedlichster soziologischer Spezialgebiete aufeinander zu beziehen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muß eine Theorie selbst wieder eine bestimmte Beschaffenheit aufweisen. Parsons faßte es dahingehend zusammen, daß er schrieb ,a good theory has to fit the facts'. Die bedeutet, daß sie in einer Weise angeboten wird, die einen instrumentellen Umgang mit ihr erlaubt. Eine Theorie darf demnach nicht so angelegt sein, daß sie beständig zu einer Problematisierung ihrer eigenen Prämissen auffordert. Bestimmte ungelöste Probleme der Theorie selbst müssen vielmehr pragmatich ausgeblendet werden. Nur mit diesem neuen Theorieverständnis hätten die Funktionalisten noch immer nicht das in der Praxis der soziologischen Fachwissenschaft erreicht, was sie beabsichtigten und auch durchgesetzt haben. Parallel zur eigentlichen Arbeit an ihrer Theorie war es notwendig, eine Öffentlichkeit herzustellen, vor der sie ihre Absichten darstellen konnten, um sich Einflußkanäle zu schaffen, über welche sie ihre Absichten auch durchsetzen konnten. Dies wiederum gelangte ihnen durch vielfaltige wissenschaftspolitische Aktivitäten in Gremien, wie ζ. B. dem amerikanischen Soziologenverband, redaktioneller Tätigkeit in Fachzeitschriften, der Herausgabe von Lehrbüchern und ähnlichem mehr. Damit hatten die Vertreter des Funktionalismus nicht nur Möglichkeiten eröffnet, ihrem eigenen Ansatz zur Durchsetzung zu verhelfen, sondern zugleich auch die Kontrolle über mögliche Alternativen. Eine dritte Ursache für die starke Stellung des Funktionalismus in der amerikanischen Soziologie war schließlich, daß er bestimmten politischen Interessen gelegen kam. Damit ist einmal angesprochen, daß von Seiten staatlicher Wissenschaftsfinanzierung bereits in den 30er Jahren und dann wieder am Ende des 2. Weltkrieges ein Vorbehalt gegenüber den Sozialwissenschaften erkennbar war, die sich als Faktensammler hervortaten, aber keine geschlossenen Konzepte anboten, in denen soziale Probleme analysierbar schienen. Hier bot sich wieder der Funktionalismus mit seinem Ziel einer umfassenden Gesellschaftstheorie als vielversprechendes Programm an. Wie weiter unten an der Evolutionstheorie des Funktionalismus deutlich werden wird, bot er darüber hinaus auch eine theoretische Legitimation des amerikanischen Gesellschaftssystems.

2.2. Grundbegriffe 2.2.1. Die Fragestellung von Parsons Die Ausgangsfrage, die Parsons mit seiner Theorie klären möchte, und die sein gesamtes Werk durchzieht, heißt:, Wie ist gesellschaftliche Ordnung möglich?' Von einigen seiner Kritiker wird ihm bereits - etwas voreilig - in der Formulierung dieser Frage, eine konservative Orientierung unterstellt. Was Parsons damit zur Diskussion stellt ist vielmehr eine der Grundfragen der Soziologie, wie sie in ähnlicher Weise auch den Arbeiten des symbolischen Interaktionismus, oder auch älteren sozialphilosophischen Richtungen zu Grunde liegt. Was mit dieser Frage ange-

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sprochen wird, ist nämlich die durchaus nicht selbstverständliche Tatsache, daß sich empirisch über einen längeren Zeitverlauf gesellschaftliche Zusammenhänge beobachten lassen, obwohl jedes der Individuen, die diesen Gesellschaften angehören, in der Lage ist, eigene Ziele und Interessen zu verfolgen. Anders gewendet könnte auch gefragt werden: , Wieso findet nicht ein beständiger Kampf aller gegen alle statt, herrscht zwischen den Individuen nicht ständig ein Zustand völliger Anarchie, wenn davon ausgegangen werden kann, daß jedem an der Realisierung seiner eigenen Interessen gelegen ist und eine Gemeinsamkeit nicht Folge von physischem Zwang ist?' In vorbürgerlichen Gesellschaften wurde gesellschaftliche Integration über eine von Gott gewollte Ordnung begründet. Diese schrieb jedem vor, welchen Platz er in der Gesellschaft einzunehmen habe. Parsons, als Soziologe, kann sich mit derartigen methaphysischen Lösungen nicht zufrieden geben. Er sucht vielmehr nach einer Erklärung, die sich aus den Eigenarten menschlichen Handelns und der Beschaffenheit gesellschaftlicher Tatbestände ergibt. Ein weiterer Weg, den Parsons zu vermeiden sucht, sind reduktionistische Erklärungen verschiedenster Art. D.h., Theorien, die gesellschaftlichen Zusammenhang ausschließlich über psychologische oder bio-physiologische Eigenarten des Menschen und seiner Verhaltensweisen ableiten. Eine der prominentesten Richtungen seiner Zeit, gegen die er sich damit wendet, ist der Behaviorismus. Von diesem wird der Mensch als Verhaltensorganismus betrachtet, der auf bestimmte Reize (Stimuli) in einer relativ gleichförmigen Art und Weise reagiert. Dem Verhaltensbegriff des ursprünglichen Behaviorismus, der menschliche Aktivität als Reiz-Reaktions-Ablauf sieht, stellt Parsons den Begriff des Handelns gegenüber. Damit beharrt er auf einem Verständnis menschlicher Aktivitäten, das sich von denen anderer Lebewesen unterscheidet: menschliches Handeln ist einerseits von Denkvorgängen, rationalen Kalkülen begleitet und andererseits von einer inneren Bereitschaft, Motivation getragen. Auf diesem allgemeinen Vorverständnis aufbauend stellt Parsons nochmals in spezieller Weise die Frage nach gesellschaftlicher Ordnung. Um das Zustandekommen gesellschaftlicher Integration über Eigenarten menschlichen Handelns und über die Beschaffenheit und Wirksamkeit sozialer Tatbestände zu erklären, ergeben sich verschiedene Aspekte, die analytisch jeweils getrennt zu behandeln sind, da sie auch empirisch unterschiedliche Probleme beinhalten. (Vgl. Abb. 1) Eine Ebene, auf der sich die Frage nach gesellschaftlicher Ordnung stellt, bezieht sich auf die Integration der Beziehungen zwischen Individuen. Anders ausgedrückt handelt es sich dabei um die Voraussetzungen, die soziale Interaktion ermöglichen: Wodurch wird eine gemeinsame Verständigungsbasis zwischen verschiedenen Individuen hergestellt? Wie läßt sich erklären, daß bei einem Zusammentreffen von Individuen mit je eigenen Zielvorstellungen es in der Regel dennoch zu einer Einigung über eine gemeinsame Handlungslinie kommt? Ein anderer Aspekt beschäftigt sich mit der Integration von individuellen Motiven und gesellschaftlichen Strukturen: Wie kommt es, daß Individuen in vergleichsweise hoher Übereinstimmung mit gesellschaftlich vorgegebenen strukturellen Bedingungen handeln, wenn sie von ihren Möglichkeiten her in der Lage sind, Ziele und Interessen zu entwickeln, die nicht mit gesellschaftlichen Strukturen übereinstimmen müssen? Um ein Beispiel zu nehmen: Wie kommt es eigentlich, daß in unserer Gesellschaft Menschen sich der vorgegebenen Form der Arbeitsorganisation an-

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passen, da weder davon ausgegangen werden kann, daß dies immer ihren Bedürfnissen entspricht noch ein naturgegebener Zustand ist, da historisch schließlich auch andere Formen der Arbeitsorganisation bekannt sind? Ein dritter Aspekt betrifft die Integration gesellschaftlicher Strukturen. Das Bankensystem und das Bildungssystem in unserer Gesellschaft sind ζ. B. beides Einrichtungen, die in der Tat nur dann existieren, wenn Menschen vorhanden und bereit sind, nach den dort geltenden Regeln zu handeln, die aber auch relativ unabhängig davon existieren, welche konkreten Personen das nun jeweils im Einzelfall sind. Banken- und Bildungssystem sind beides zentrale Einrichtungen unserer Gesellschaft und stehen damit in einem Zusammenhang, eben dem, der durch die Gesellschaft vorgegeben wird. Wie kommt es aber, daß beide, da sie doch relativ unabhängig voneinander existieren, dennoch jede auf ihre Art, dazu beitragen, daß der Bestand unserer Gesellschaft gewährleistet ist. Jedes dieser Systeme verfolgt äußerst unterschiedliche Zielvorstellungen und ist auch deutlich voneinander unterscheidbar. Wie erklärt sich dann, daß sie beide gleichermaßen funktional auf das Ziel,Gesellschaftsbestand' hin bezogen sind. Zunächst erscheint das Problem, um das es hier geht, dem zuerst genannten, den Interaktionsbeziehungen zwischen Individuen ähnlich. Auch dort ging es schließlich darum, daß Einheiten, in jenem Fall individuelle Akteure, jeweils unterschiedliche Ziele und Absichten haben, und dennoch zu integrierten Beziehungen fähig sind. Der Unterschied im Fall sozialer Systeme besteht aber darin, daß es sich dabei nicht um Subjekte handelt, d. h. Einheiten, in deren Aktivitäten rationale Kalküle und Motivationen wirksam werden. Individuum - Individuum (Interaktion) Individuum - Struktur (Internalisierung) Struktur - Struktur (Institutionalisierung) Abb. 1 Gesellschaftliche Integration

2.2.2. Parsons' Handlungstheorie In der Arbeit ,The Structure of Social Action', die 1937 erstmals erschien, legt Parsons seine theoretische Ausgangsposition dar. Dabei handelt es sich allerdings noch nicht um die Formulierung einer systematischen Theorie, sondern eher um eine grundlegende theoretische Klärung. Worauf eine soziologische Theorie aufbauen muß, so Parsons in ,The Structure of Social Action', ist weder der Mensch als biologischer Organismus, noch als Persönlichkeit im psychologischen Sinne und es sind auch nicht soziale Strukturen, die relativ losgelöst von Personen betrachtet werden. Elementarer Ansatzpunkt soziologischer Analyse ist vielmehr der einzelne Handlungsakt (,unit act') mit seinen allgemeinen Charakteristika. Im Mittelpunkt von Parsons Überlegungen steht damnach der zielorientierte Akteur, d. h. ein Individuum, das bestimmte Absichten verfolgt und zur Erreichung und Durchsetzung dieser Absichten Aktivitäten entwickeln muß. Da es um allgemeingültige Aussagen über Handlungsprozesse geht, interessieren weder die konkrete Person des Akteurs, noch ihre speziellen Absichten, sondern ausschließlich die Frage, welche generellen Muster sich für den Ablauf von Handlungsprozessen isolieren lassen. Ein Charakteristikum von Handlungsprozessen ist, daß sie in einer Situation stattfinden. Damit wird angesprochen, daß der Vorgang, während dessen

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ein Akteur Aktivitäten entwickelt, um seine Absichten zu verwirklichen, unter bestimmten Rahmenbedinungen abläuft. Für das gewählte Ziel des Akteurs, wie auch für die Art und Weise wie er dieses durchsetzen möchte, erweisen diese Rahmenbedingungen sich als Grenzen und als Hilfsmittel. Die Situationsbestandteile, welche Rahmenbedingungen für das Handeln eines Akteurs abstecken, sind soziale Objekte, nichtsoziale Objekte und Normen. Zur Klasse der nicht-sozialen Objekte gehören alle Bedingungen biologischer, physikalischer und ähnlicher Art, die dem Menschen als Naturgesetze begegnen und die er nicht beliebig außer Kraft setzen kann. Als soziale Objekte versteht Parsons andere Individuen, die dem Akteur in einer Handlungssituation gegenüber treten. Diese können sowohl einzelne Personen sein wie auch Gruppen oder Kollektive. Der systematische Unterschied zwischen natürlichen Rahmenbedingungen und der Klasse der sozialen Objekte besteht darin, daß letztere, wie der Akteur selbst, Ziele verfolgen, auf die hin sie handeln. Während die nicht-sozialen Objekte als,stumme' Rahmenbedingungen die Situation strukturieren, sind die sozialen Objekte Partner in einem Kommunikations- und Interaktionsprozeß. Normen schließlich sind der Ausdruck für gesellschaftliche Wertvorstellungen, die der Akteur erlernt hat und die in die Ausgestaltung sozialer Strukturbedingungen eingeflossen sind. Auch mit ihnen kann die handelnde Person nicht beliebig umgehen, da über ihre Bedeutung ein breiter Konsens besteht und ihre Befolgung über Sanktionen abgesichert ist. So kann ζ. B. niemand in einem Supermarkt mit Knöpfen bezahlen, auch wenn er Knöpfe als Zahlungsmittel verstanden wissen will. Desgleichen kann - zumindest in einigen Ländern - niemand seine Kinder vom Schulbesuch ausschließen, weil er andere Vorstellungen von Bildung und Ausbildung vertritt, als sie in diesen Ländern gelten. Da Parsons gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Zustandekommen gesellschaftlicher Ordnung erklären will, muß er an dieser Stelle begründen, wieso nicht jeder Akteur beliebige und zufallige Entscheidungen trifft, sondern die Entscheidungen der einzelnen in einem gemeinsamen Orientierungsrahmen zusammenfinden. Parsons Antwort: gesellschaftliche Integration wird dadurch hergestellt, daß Individuen in ihren Orientierungsweisen gesellschaftliche Wertvorstellungen und Normen aufnehmen. Eine genauere Erklärung oder Begründung, wie es dazu kommt, daß gesellschaftlich anerkannte Normen handlungsleitend wirken, spart Parsons, zumindest in seinen früheren Schriften, aus. Die Beweisführung seiner Position basiert auf theoretischen Erwägungen. In seiner Arbeit 'The Structure of Social Action' legt er nämlich dar, daß die Soziologen Max Weber und Emile Dürkheim und auch die Ökonomen Marshall und Pareto unabhängig voneinander in der Auseinandersetzung mit derartigen Fragestellungen zu einer Lösung in dieser Richtung kommen. Für eine empirische Wissenschaft, und als solche versteht auch Parsons die Soziologie, ist diese Art der Erklärung allerdings nicht ausreichend. Parsons These von der normativen Integration könnte daher lediglich als Hypothese Berechtigung haben, die er im nachhinein überprüfen müßte. Er hingegen nimmt die These, daß gesellschaftlicher Zusammenhang über die Wirksamkeit von Normen hergestellt wird, als Prämisse, auf der er seine gesamte spätere Theoriekonstruktion aufbaut. Solange Parsons offen läßt, was Individuen dazu veranlaßt, sich an Normen zu orientieren, wäre eine naheliegende Annahme, daß sie einem sozialen Zwang folgen. Neben metaphysischen und biologischen Erklärungen hatte er aber auch in

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seinen Vorüberlegungen Zwang als Organisationsprinzip für gesellschaftlichen Zusammenhang ausgeschlossen. Um dies zu bekräftigen, weist er in Verbindung mit seiner These der normativen Integration nochmals darauf hin: Normen werden nicht automatisch im Handeln von Individuen befolgt, sondern setzen eine innere Energie (effort) des Akteurs voraus. Die Realisierung von Normen verlangt also gezielte Aktivitäten von Seiten der Individuen. Auch für seine Systemtheorie behauptet Parsons, daß er diese Position, die er in seinen handlungstheoretischen Schriften entwickelt hat, nicht aufgibt. Die Mehrzahl seiner Kritiker vertritt eine gegenteilige Auffassung. In den nächsten Abschnittten, in denen Parsons Systemtheorie dargestellt wird, ist zu zeigen, wie er in seinen späteren Arbeiten die Frage nach gesellschaftlicher Integration behandelt.

2.2.3. Parsons' Systemtheorie Parsons versteht seine Systemtheorie als ein theoretisches System. Mit dieser Kennzeichnung legt er dar, welchen Zusammenhang er zwischen seiner Theorie und der Wirklichkeit unterstellt. Auf der Grundlage eines theoretischen Systems sind noch keine präzisen Voraussagen über Entwicklungen und das Eintreffen von Ereignissen in der Wirklichkeit möglich. Dennoch beansprucht es mehr als eine Sammlung von Grundbegriffen. Zwischen den verschiedenen Begriffen eines theoretischen Systems werden nämlich Beziehungen hergestellt. Die Begriffe und die zwischen ihnen hergestellten Beziehungen sollen dem entsprechen, was auch die zentralen Elemente der Realität und deren Verhältnis zueinander sind. Wenn die Systemtheorie ζ. B. Aussagen darüber enthält, in welcher Weise soziale Teilsysteme zu einem Sozialgefüge integriert werden, sind diese Aussagen nicht nur als theoretische Konstruktionen sondern auch als Aussagen über die Beschaffenheit sozialer Realität zu verstehen. In seiner Systemtheorie versucht Parsons zweierlei Ansprüchen gerecht zu werden. Unter methodologischen Gesichtspunkten bemüht er sich, die Elemente und ihre Verknüpfungen, die für gesellschaftliche Realität von zentraler Bedeutung sind, zu isolieren und in einem Modell systematisch aufzubereiten. Gleichzeitig verfolgt er aber auch seine inhaltliche Fragestellung, wie gesellschaftliche Integration möglich sei, weiter. Bereits in seiner Handlungstheorie hatte Parsons das Spektrum der Antworten darauf eingegrenzt: Das Zustandekommen gesellschaftlicher Ordnung oder Integration läßt sich nur über Eigenschaften sozialen Handelns erklären. Zusamengefaßt bedeutet dies, daß Parsons sich in der Formulierung seiner Systemtheorie die Auflage macht, die wesentlichen Gesichtspunkte der Realität so zu abstrahieren, daß sich eine soziologische Antwort auf die Frage nach gesellschaftlicher Ordnung geben läßt. Im Verlauf seiner Studien hatte Parsons auch die moderne Biologie kennengelernt. Der dort entwickelten Systemanalyse bedient er sich als Raster, das er an Gesellschaft anlegt, um die wesentlichen Elemente und deren Beziehungen zueinander aus der Vielfalt der Empire zu isolieren. Auf der Grundlage dieses Verfahrens wird alles, was zum Gegenstand theoretischer Analyse gemacht wird unter dem Gesichtspunkt seiner Systemeigenschaften aus der Realität heraus gelöst. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob es sich um eine komplexe Gesellschaft, einen gesellschaftlichen Teilbereich, oder um das Tun eines

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Individuums handelt. Als System betrachtet, weist jedes Phänomen bestimmte Merkmale auf: 1. Eine Unterscheidung zwischen ,innen' und ,außen' ist möglich. Jedes System verfügt somit über Grenzen, die es von seiner Umwelt abtrennen. Es wird damit zu einer Einheit, die sich analytisch gesondert von ihrer Umwelt untersuchen läßt, sei es ein biologisches Kreislaufsystem, ein Gesellschaftssystem oder eine Person. Was die Binnenstruktur eines Systems ausmacht, seinen Bestand gegenüber Elementen der Umwelt abgrenzt, sind Ziele auf die hin es ausgerichtet ist und Prinzipien der internen Integration, Muster, nach denen es eine ,innere Ordnung' herstellt. 2. Systeme bestehen nicht in einem Vakuum, sondern in einer Umwelt und sind auch nicht gegen ihre Umwelt abgeschüttet sondern oifen. Es finden also beständige Austauschbeziehungen zwischen Systemen und ihrer Umwelt statt. Die von der Umwelt in das System eingehenden Impulse müssen von diesem so verarbeitet werden, daß es sie in seine bestehende Struktur integriert, um seine Identität zu wahren: Ein Mensch, der ζ. B. seinen Arbeitsplatz wechselt, oder von der Schule zur Universität kommt, hat neue Erfahrungen zu verarbeiten, wird aber möglichst darum bemüht sein, dies so zu tun, das er gleichzeitig noch als die Person erkennbar ist, die er auch vorher war. Dieser Vorgang wird in der Systemanalyse als ein Prozeß der Ausdifferenzierung systeminterner Strukturmuster bezeichnet. Im genannten Beispiel findet eine Ausdifferenzierung dahingehend statt, daß die betreifende Person ihr bereits bestehendes Repertoire an sozialen Rollen so erweitert oder ausdifferenziert, daß sie eine zusätzliche Rolle herausbildet, die ihr ein angemessenes Handeln für den Bereich erlaubt, in dem sie sich neuerdings befindet. 3. Ein weiterer Aspekt, der sich mit den Austauschbeziehungen zwischen Systemen und ihrer Umwelt ergibt, ist der Austausch von Produkten zwischen diesen. Das System ist auf Leistungen, bzw. die Unterstützung seiner Umwelt angewiesen, um selbst überlebensfahig zu bleiben. Die Umwelt wiederum erwartet für die Leistungen, welche sie einzelnen Systemen zur Verfügung stellt, Gegenleistungen. Über längere Zeiträume hinweg wandelt sich die Art der wechselseitigen Ansprüche und damit auch die zu erbringenden Leistungen. Um diesen nachzukommen, müssen Systeme bemüht sein, ihre Anpassungskapazität (adaptive capacity) gegenüber externen Anforderungen zu steigern: Die Deutsche Universität beispielsweise verstand sich lange Zeit als eine Einrichtung, die eine gehobene Allgemeinbildung vermittelt. Da dieser Zweck auch gesellschaftlich hoch gewertet wurde, erhielt sie finanzielle Zusendungen. Inzwischen wird die Finanzierung von Universitäten weitgehend davon abhängig gemacht, daß dort auch Wissen und Fertigkeiten für bestimmte Berufe vermittelt werden. Diesen Anforderungen versuchten die Universitäten sich ζ. B. durch die Einrichtung berufsorientierter Studiengänge anzupassen. Mit der Systmanalyse sind nun die allgemeinsten Regeln angegeben worden, nach denen Phänomene der gesellschaftlichen Wirklichkeit für eine theoretische Analyse isoliert werden. Für sein weiteres Vorgehen führt Parsons das Begriffspaar Struktur und Funktion ein. Mit dem Systembegriff einher geht die Annahme, daß jedes System sich als Einheit gegenüber seiner Umwelt abgrenzen läßt, d. h. innerhalb seiner Grenzen eine Identität entwickelt hat, die es auch von seiner Umwelt unterscheidbar macht. Auf dem Weg der strukturellen Analyse soll nun ermittelt werden, wie die innere Struktur eines Systems beschaffen ist, welches die besonderen Grundzüge eines Systems sind. Struktur bezeichnet die Elemente eines Systems, die relativ stabil sind und die

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Grundlage der Prozesse sind, die in ihm ablaufen und somit auch für eine gewisse Gleichförmigkeit der Prozesse eines Systems sorgen. Es sind all die Elemente eines Systems, die als vergleichweise konstant angenommen werden können. Auch schon im Systembegriff angelegt, nämlich in der Annahme, daß Systeme Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt eingehen können, ist die Vorstellung einer Zeitdimension. Um diesen Aspekt fassen zu können wird zusätzlich zu der eher statischen Betrachtungsweise der strukturellen Analyse über die funktionale Analyse noch ein dynamischer Zugang zum Gegenstandsbereich geschaffen. Die funktionalen Kategorien „müssen direkt mit den strukturellen Kategorie verknüpft sein, d. h. sie müssen Prozesse beschreiben, welche diese bestimmten Strukturen erhalten, bzw. abbauen und die Beziehungen des Systems zu seiner Umwelt vermittelt". (Parsons 1964: 37). Aus der Perspektive eines Systems gesehen, sind alle Prozesse, die in ihm ablaufen oder in die es eingebunden ist, dahingehend von Wichtigkeit, wie sie sich auf seinen Bestand auswirken, ob sie seinem inneren Gleichgewicht dienen oder Strukturveränderungen zur Folge haben. Die funktionale Analyse untersucht also, welche Funktionen für ein System bestandsnotwendig sind, bzw. welche Funktion bestimmte Ereignisse für seinen Bestand haben, d. h. wie sie sich auf ihn auswirken. Mit der Systemanalyse und den Begriffen Struktur und Funktion hat Parsons zweierlei vorbereitet: Er hat erstens ein Raster entwickelt, nach dessen Regeln für seine theoretische Analyse von der empirischen Wirklichkeit abstrahiert wird. Zweitens hat er Aspekte angegeben, auf die hin der so abstrahierte Gegenstand untersucht wird. Beide Methoden, die Systemanalyse, wie auch die strukturellfunktionale Betrachtungsweise sind nun Verfahren, die er aus anderen Fachwissenschaften entlehnt hat. Um auf diesem Weg nicht selbst wieder einem Reduktionismus zu verfallen, um nicht durch die Übernahme von Methoden, die von der Biologie bzw. Anthropologie entwickelt wurden, seine soziologische Fragestellung selbst wieder biologisch oder anthropologisch zu beantworten, stellt er eine weitere Vorüberlegung an: Empirischer Gegenstand der Biologie ist der lebende Organismus und für die Anthropologie der Mensch als Wesen, das zu kulturellen Leistungen fähig ist. Somit haben auch beide Wissenschaften einen Ausgangspunkt für ihre theoretische Analyse, der sich von dem der Soziologie unterscheidet. Gegenstand Parsons Analyse und Theorie sind Menschen, die sozial handeln, d. h. miteinander in Interaktion treten, wie auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen innerhalb derer gehandelt wird. Als elementare Einheit auf die seine Theorie aufbaut, wählt er daher auch nicht ζ. B. ein biologisches System, sondern das Handlungssystem. Eine weitere Quelle, aus welcher Parsons wesentliche Anregungen zur Konstruktion seiner Systemtheorie bezieht, ist die Ökonomie. Bereits ,The Structure of Social Action' enthält Anregungen, die er bei Pareto und Marshall gewonnen hat. Seine weitere Beschäftigung mit der Wirtschaftswissenschaft bringt ihn auf den Gedanken, „daß die grundlegende Klassifikation der Produktionsfaktoren und der Einkommensverteilung aus Boden, Arbeit und Kapital mit der Marshallschen Ergänzung durch den vierten Faktor, den er als Organisation' bezeichnete, sowohl als Klassifikation des Inputs bzw. des Outputs in der Wirtschaft als auch als soziales System angesehen werden könnte, das mit Hilfe des ,four-function' Paradigmas analysiert werden kann." (Parsons 1975: 25)

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2.2.4. Das allgemeine Handlungssystem In seiner frühen Arbeit ,The Structure of Social Action' (vgl. S. 15f.) hatte Parsons zunächst deskriptiv dargestellt, was er als elementare Einheit soziologischer Analyse versteht: Der einzelne Handlungsakt (unit act), in welchem ein Akteur unter Aufwendung von Energie, im Rahmen einer Situation und sich an gesellschaftlichen Normen orientierend, auf ein Ziel hin handelt. An diesem Bild knüpft Parsons auch in seinen späteren Arbeiten ,The Social System' (1951) und,Toward a General Theory of Action' (1951) an, in denen er seinen systemtheoretischen Ansatz begründet. Was das Abstraktionsniveau seiner Analyse betrifft, bekräftigt Parsons hier nochmals, daß es ihm um generalisierbare Aussagen über soziales Handeln geht. Dies macht eine Betrachtungsweise notwendig, die von den empirischen Besonderheiten einzelner Handlungsakte absieht und nur noch deren gemeinsamen Grundzüge hervorhebt. Handeln soll also unabhängig davon untersucht werden, welches besondere Ziel verfolgt wird, sei es das Ziel, einen Bekannten freundlich zu grüßen oder eine Regierung zu stürzen. Ebenso soll die Analyse unabhängig davon zutreffen, auf welcher Ebene gesellschaftlicher Komplexität gehandelt wird. Für das Spiel einer Mutter mit ihrem Kind wie auch für Auseinandersetzungen zwischen Regierungsvertretern und Repräsentanten der Wirtschaft, die über eine Gesetzesvorlage verhandeln, müssen die Grundzüge herausgearbeitet werden, die beiden Handlungsakten gemeinsam sind. Die zweite Absicht, die Parsons mit seiner erneuten Auseinandersetzung des Handlungsaktes verfolgt, läuft darauf hinaus, den Gegenstandsbereich der Soziologie systematisch zu fassen. Wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt, beabsichtigt er ja, seine theoretischen Abstraktionen nach den Regeln der Systemanalyse vorzunehmen. Was er zunächst als Handlungsakt beschrieben hat, muß er also nun als generalisiertes Handlungssystem konstruieren. 2.2.4.1. Die Struktur des Handlungssystems Die strukturelle Analyse legt fest, welches die inneren Elemente sind, aus denen sich ein Handlungssystem zusammensetzt oder anders ausgedrückt, welches Strukturmuster ein Handlungssystem aufweist. Aus der Beschreibung des Handlungsaktes wählt Parsons die Elemente aus, die im Sinne einer statischen Betrachtung als relativ konstant angenommen werden können. (Vgl. Abb. 2) Ausgangspunkt dabei war der Aktor, der eine Absicht verfolgt und sich zu diesem Zweck mit der Situation auseinandersetzt, in welcher er sich befindet, um sodann eine angemessene Handlungsstrategie zu entwickeln. Dies setzt voraus, daß es sich bei dem Aktor um eine Person handelt, die über Erfahrungen und Lernprozesse eine Identität entwickelt hat, die sie von anderen Personen unterscheidbar macht. ,Identität' meint in diesem Zusammenhang, daß das Individuum über eine Bedürfnisstruktur verfügt, die sein Handeln veranlaßt und auch strukturiert. Diesen Aspekt des Handlungsaktes definiert Parsons in seiner Systemtheorie zum Persönlichkeitssystem, „als ein organisiertes System von Handlungsorientierungen und motivationen eines individuellen Aktors" (Parsons 1973: 98). In der Handlungssituation trifft der Aktor auf nicht-soziale Objekte. Diese können entweder natürliche Gegebenheiten der Umwelt sein, wie aber auch der eigene biologische Organismus des Aktors und die seiner Handlungspartner. Ihnen ist

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gemeinsam, daß der Aktor sie als Rahmenbedingungen berücksichtigen muß. Er kann sie nicht seinen Bedürfnissen entsprechend abwandeln, kann auch keine Kompromisse mit ihnen abschließen, da sie im Unterschied zu sozialen Objekten nicht in Interaktion und Kommunikation mit ihm treten können. Diese naturgegebene Basis menschlichen Handelns nennt Parsons das Organismussystem. Neben den nicht-sozialen Objekten trifft der Aktor in der Handlungssituation auch auf soziale Objekte. Um seine Handlungsziele durchsetzen zu können, muß er sich mit anderen Personen über deren Ziele und Absichten verständigen. Er tritt mit ihnen in Kommunikation und Interaktion, es wird ein System wechselseitiger Erwartungen gebildet, das die Handlungen zwischen den verschiedenen Personen strukturiert. Diesen Aspekt des Handlungsaktes definiert Parsons als Sozialsystem. Das Sozialsystem ist dabei allerdings nicht so zu verstehen, daß es sich in einer Vielzahl von Personen erschöpft. „Das Sozialsystem besteht natürlich aus den Beziehungen zwischen Individuen, aber als System ist es eher um die Probleme organisiert, die der sozialen Interaktion einer Mehrzahl individueller Aktoren entsammen". (Parsons 1973: 98) Einen letzten Aspekt, den Parsons seiner Beschreibung des Handlungsaktes entnimmt und systemtheoretisch wendet, ist seine These, daß Akteure ihr Handeln an Normen orientieren. Diese Normen, so bereits oben, sind nicht subjektive und zufallige Vorstellungen des einzelnen Aktors, sondern entsprechen gesellschaftlich anerkannten Wertvorstellungen. In diesem Sinne formen gesellschaftliche Wertvorstellungen den einzelnen Handlungsakt, auch wenn sie nicht über Zwang von außen herangetragen werden, sondern aus Motiven des Aktors heraus realisiert werden. Werte und Normen, die für Handeln von Bedeutung werden, lassen sich wiederum analytisch gesondert behandeln, nämlich als Kultursystem. In Anlehnung an philosophische Traditionen versteht Parsons das Kultursystem als eine ,letzte Realität'. Weiter unten im Abschnitt zu Parsons Konzept über Geschichte wird diese Idee weiter ausgeführt werden. Hier soll zunächst der Hinweis genügen, daß Parsons mit seiner Vorstellung des Kultursystems verbindet, daß in der Geschichte und damit auch im menschlichen Handeln ein Prinzip wirksam ist, daß sich relativ unabhängig von menschlichen Zielen und Absichten durchsetzt. Wenn Parsons nun diesen Aspekt in seine systemtheoretische Analyse einbezieht, verläßt er seinen handlungstheoretischen Standpunkt. Das Organismussystem hatte Parsons als die natürliche Basis verstanden, auf deren Grundlage menschliches Handeln überhaupt erst zustande kommen kann. Es ist damit eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt von Handeln sprechen zu können (wären wir nicht alle Lebewesen im biologischen Sinne, wären wir keine Menschen, bzw. Mensch zu sein, würde etwas anderes bedeuten und hätte nicht die Formen des Handelns zur Folge, die hier zur Debatte steht) und zugleich eine Rahmenbedingung für Handeln, d. h. es kann nicht ein absichtsvolles Ergebnis von Handlungen sein. Anders das Persönlichkeits- und Sozialsystem. Von diesen Systemen zu sprechen gibt nach Parsons nur dann Sinn, wenn ein, bzw. mehrere Individuen die Absichten verfolgen, zum Ausgangspunkt der Betrachtung gemacht werden, da Persönlichkeits- wie auch Sozialsystem immer nur als ein Ergebnis der aktiven Leistungen von Individuen zu verstehen sind. Das Kultursystem hingegen ist kein Produkt menschlichen Handelns, sondern verdankt seine Existenz einer ,letzten Realität'. Während die Beschaffenheit des Organismussystems auf das Wirken von Naturgesetzen zurück-

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geführt werden kann, bleibt offen, aus welchen Wirkungsfaktoren das Kultursystem hervorgebracht wird. Die vier Subsysteme oder Teilaspekte die Parsons für seine strukturelle Analyse entwickelt, sind für empirische Handlungssysteme natürlich nicht in dieser eindeutig isolierten Form zu beobachten. Nehmen wir nochmals den oben beschriebenen Handlungsakt als Ausgangspunkt, muß natürlich davon ausgegangen werden, daß schon in der Person des Akteurs die Komponenten aller vier analytisch getrennten Subsysteme enthalten sind: Als Lebewesen ist der Akteur selbst Bestandteil des Organismussystems, als Individuum mit einer Identität, die ihn von anderen unterscheidet, muß er als Persönlichkeitssystem betrachtet werden, als Interaktionspartner der sozialen Objekten begegnet, sind in ihm Komponenten des Sozialsystems verkörpert und da er sich in seinen Handeln von gesellschaftlichen Normen leiten läßt, ist sein Handeln auch unter Gesichtspunkten des Kultursystems zu betrachten. Neben dieser Vermischung der verschiedenen Aspekte, die für empirische Handlungssysteme festzustellen ist, betont Parsons schließlich auch in seinem systemtheoretischen Konzept, daß Systeme sich nicht gegenüber ihrer Umwelt abschotten, sondern offen gegenüber der Umwelt sind. Wenn also empirisch, wie auch von Parsons eigenen theoretischen Prämissen her davon ausgegangen werden muß, daß eine starke Verflechtung zwischen diesen Teilbereichen existiert, stellt sich die Frage, was denn der Sinn dieser Abgrenzung von Organismus, Persönlichkeits-, Sozial- und Kultursystem ist. Die Antwort gibt Parsons mit seinen Grundsätzen, die er für die Systemanalyse entwickelt hat: Was Systeme gegenüber ihrer Umwelt unterscheidbar macht, sind die Prinzipien ihrer internen Integration, die Aufgaben, die sie zu lösen haben, um ihre ,innere Ordnung' herzustellen, um überhaupt ihren Bestand als Systeme aufrechterhalten zu können. Das Integrationsproblem des Kultursystems besteht demnach darin, verschiedene Wertvorstellungen in einen logischen Zusammenhang zu stellen. Es darf keine Werte enthalten, die zueinander in Widerspruch stehen, da Werte und Nonnen sich schließlich in Handlungsorientierungen umsetzen und Handeln strukturieren sollen. Während das Kultursystem Anforderungen von Rationalität erfüllen muß, hat das Sozialsystem Probleme zu bewältigen, die sich aus der Interaktion von Einzelpersonen ergeben. Dem Persönlichkeitssystem stellt sich die Aufgabe, eine Identität auszubilden, die den Akteur gegenüber seine Umwelt handlungsfähig macht. Innerhalb des Organismussystems schließlich sind Verteilungsprobleme zu bewältigen. Ressourcen müssen erworben, beschaffen bzw. produziert werden, damit überhaupt eine materielle Grundlage für Leben und damit auch für soziales Handeln gegeben ist. Handlungsakt zielorientierter Aktor nicht-soziale Objekte soziale Objekte Normen Abb. 2

Handlungssystem Persönlichkeitssystem (Identität) Organismussystem (konditionale Erfordernisse) Sozialsystem (Interaktion) Kultursystem (Werte/Symbole)

Übergang vom Handlungsakt zum Handlungssystem

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2.2.4.2. Funktionen des Handlungssystems Um sich gegenüber den Anforderungen ihrer Umwelt behaupten zu können, müssen Systeme interne Leistungsbereiche ausdifferenzieren, von denen diese Anforderungen bewältigt werden. In seiner statischen Analyse hat Parsons mit Organismus, Persönlichkeits-, Sozial- und Kultursystem die strukturellen Teilbereiche eines jeden Handlungssystems herausgearbeitet, die für dessen Weiterbestand als Handlungssystem erforderlich sind. Wenn vom Bestand eines Systems, bzw. vom Überleben eines Systems in einer Umwelt gesprochen wird, ist allerdings nicht ein Zustand gemeint, der sich einmal einpendelt und dann kontinuierlich weiterbesteht. Der Bestand eines Systems ist vielmehr von einem fortwährenden Prozeß abhängig, in welchem in einer zeitlichen Perpektive die Spannungen überbrückt werden, die sich aus den Unterschieden zwischen innerer Beschaffenheit eines Systems und äußeren Anforderungen ergeben. Im dynamischen Teil seiner Systemtheorie konstruiert Parsons die Art der Prozesse innerhalb eines Systems und den Ablauf der Prozesse zwischen einem System und seiner Umwelt. Er sucht hier nach unterscheidbaren Funktionen, die jedes Handlungssystem im Interesse seines Überlebens erfüllen muß. Über die Funktion der Zielerreichung oder G-Funktion (Goal-Attainment) und über die Funktion der Anpassung oder Α-Funktion (Adaptation) öffent sich ein System zu seiner Umwelt, und verarbeitet die Anforderungen, die von der Umwelt ausgehen. Die G-Funktion besagt, daß ein System in seinen Leistungskatalog zwar Anforderungen der Umwelt aufnimmt, gleichzeitig aber seine ursprüngliche Wertstruktur oder Identität aufrechterhält. Ζ. B. für Universitäten haben sich im Laufe der Zeit die Anforderungen gewandelt, die von der Gesellschaft an sie gestellt werden. Universitäten können sich heute nicht mehr als Einrichtungen verstehen, in denen ausschließlich nach innerwissenschaftlichen Gesichtspunkten Forschung betrieben und akademische Bildung vermittelt wird. Sie haben auch den Auftrag, Studenten für Berufe zu qualifizieren. Dieser Anforderung kann die Universität sich nicht entziehen, da sie andernfalls von der Gesellschaft keine Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt bekäme, die für ihren Bestand erforderlich sind. Andererseits versucht die Universität aber auch das weiterhin aufrechtzuerhalten, was ihr Ziel ist, nämlich in Forschung und Lehre auf wissenschaftlicher Grundlage zu arbeiten. Auch in ihrer berufsqualifizierenden Ausbildung werden Universitäten daher versuchen, wissenschaftliche Standards zu berücksichtigen und sich damit ζ. B. von Schulen oder Lehrwerkstätten abgrenzen. Die Anpassungs- oder Α-Funktion ergibt sich daraus, daß der Bestand von Systemen von konditionalen Erfordernissen abhängig ist. Eine Universität braucht finanzielle und sachliche Mittel um überhaupt arbeitsfähig zu sein. In Anlehnung an ökonomische Vorstellungen faßt Parsons unter der Α-Funktion die Prozesse in einem System, über welche die Beschaffung und Allokation der notwendigen Ressourchen vorgenommen wird. Kriterium für die Verteilung und Umverteilung von Mitteln ist dabei das, was als G-Funktion des Systems definiert ist. In Universitäten muß demnach eine Mittelverteilung erreicht werden, die sowohl berufsorientierte Studiengänge, wie weiterführende wissenschaftliche Qualifikation und Forschung zuläßt. Während die G- und Α-Funktion in unmittelbarem Zusammenhang mit dem externen Anforderungsdruck an Systeme gesehen werden, ergeben sich die beiden

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folgenden Funktionen eher aus der inneren Beschaffenheit von Systemen, wie Parsons sie versteht. Eine seiner Thesen war ja, daß individuelle Handlungen über Normen integriert, d. h. in einen geordneten Zusammenhang gestellt werden. Diesen Aspekt greift er hier mit der Funktion der Strukturerhaltung oder L-Funktion wieder auf. (Pattern Maintenance/Latency). Bereits in der strukturellen Betrachtung wurde betont, daß Normen nur dann individuelle Handlungen integrieren können, wenn diese Normen ein in sich widerspruchsfreies Muster darstellen. Gleichzeitig müssen Normen so definiert sein, daß sie auch Orientierungen für spezielle Handlungsanforderungen anbieten. Sie können also nicht integrierend wirken, wenn sie zu unbestimmt und vage definiert sind. Mit der L-Funktion ist also eine Leistung angesprochen, die diesen Anforderungen nachkommen muß, der Bereinigung eines Normenmusters von Widersprüchen und ihrer Präzisierung oder Spezifizierung für konkrete Handlungssituationen. Um bei dem Beispiel der Universität zu bleiben: Was zunächst als allgemeiner Standard gefaßt wird und eine Unterscheidung zwischen Wissenschaft und nicht-wissenschaftlichen Bereichen und Aktivitäten zuläßt, muß so erweitert werden, daß er auch noch auf die unterschiedlichen Handlungsbereiche zutrifft, für die er gelten soll. Es bedarf eines so weit gefaßten Begriffes von Wissenschaft, der als Maßstab und Bewertungskriterium für wissenschaftliche Forschung, die Ausbildung von Wissenschaftlern und wissenschaftlich fundierte Berufsausbildung anwendbar ist. Eine weitere Anforderung, die sich aus der inneren Beschaffenheit von Handlungssystemen ergibt, verlangt, daß Systeme einen Zusammenhang und Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Elementen herstellen, die in ihnen enthalten sind. Die Funktion der Integration oder I-Funktion besagt, daß Teilbereiche eines Systems, die unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, einander so zugeordnet werden, daß sie innerhalb gemeinsamer Rahmenbedingungen miteinander auskommen. In der Universität etwa stellen Studenten und wissenschaftliches Personal Gruppen mit äußerst unterschiedlichen Interessen dar. Von einer Integration dieser verschiedenen Gruppen ist dann zu sprechen, wenn die Handlungen der einzelnen so aufeinander abgestimmt sind, daß die Universität als Ganze funktionsfähig ist, d.h. Forschung, Lehre und Ausbildung gleichermaßen erfolgreich stattfinden. Wie schon den Strukturkomponenten des Handlungssystems spricht Parsons auch den funktionalen Erfordernissen, denen sie nachkommen müssen, eine generelle Bedeutung zu. Gleichgültig, um welches Handlungssystem es sich empirisch handelt, eine Universität, ein einzelner Handlungsakt oder eine ganze Gesellschaft, müssen diese vier funktionalen Grunderfordernisse erfüllt werden. Dementsprechend sind sie nach Parsons Verständnis auch in jeder soziologischen Analyse zu berücksichtigen. In einem nächsten Schritt nimmt Parsons eine Zuordnung von strukturellen Komponenten und funktionalen Erfordernissen vor. Dabei geht er von der Überlegung aus, daß die strukturelle Beschaffenheit eines jeden Systems die Voraussetzung dazu schafft, eine der funktionalen Leistungen in besonderer Weise erfüllen zu können: Dem Organismussystem ordnet er die Α-Funktion zu. Das Persönlichkeitssystem, das als der Bereich der persönlichen Identität eines Akteurs verstanden wird, auf deren Basis er seine Handlungsstrategien entwickelt, wird mit der G-Funktion in Verbindung gebracht. Das soziale System, um die Probleme gelagert, die sich aus den Interaktionen zwischen Individuen ergeben wird mit der I-Funktion verbun-

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den. Das Kultursystem schließlich bekommt die L-Funktion zugeschrieben. Das sogenannte AGIL-Schema das Parsons somit aus der strukturellen- und funktionalen Analyse eines Handlungssystems gewinnt, ist seine Basis, auf der er anschließend sein eigentliches Gesellschaftsmodell aufbaut (Vgl. Abb. 3) L

I

Kultursystem

Sozialsystem

Organismussystem

Persönlichkeitssystem

A Abb. 3

G AGIL-Schema

Im AGIL-Schema behauptet Parsons, daß jedes Handlungssystem vier Teilbereiche unterschiedlicher Qualität enthält, denen je eine der Funktionen, die für den Bestand von Handlungssystemen erforderlich sind, zugeordnet ist. Dabei bleibt zunächst offen, auf welchem Wege eine Integration dieser verschiedenen Komponenten innerhalb eines Handlungssystems erreicht wird. Da jedes dieser vier Subsysteme relativ autonom ist, könnte es logisch denkbar sein, daß sich eines dieser Subsysteme verselbständigt und die übrigen dominiert. Das Handlungssystem wäre dadurch insgesamt in seinem Gleichgewicht gestört und in seinem Bestand bedroht. Als Lösung bietet Parsons hierzu eine Analogie zu kybernetischen Regelsystemen an: Unterschiedliche Teilbereiche eines Systems sind einander hierarchisch zugeordnet. Ihre Rangfolge ergibt sich aus dem Umfang des Informationsgehaltes, den sie aufweisen. Der Faktor mit dem höchsten Informationsgehalt weist den höchsten Grad an Steuerungskapazität auf und steht damit an der Spitze der Hierarchie. Auf das AGIL-Schema angewandt bedeutet dies, daß das Kultursystem, als System von Symbolen den höchsten Informationsgehalt besitzt. Ihm folgt das Sozialsystem, in dem diese Symbole kommuniziert werden und Interaktionen strukturieren und das Persönlichkeitssystem, in welchem sie zu Handlungsorientierungen verarbeitet werden. Auf der untersten Stufe der Steuerungshierarchie befindet sich das Organismussystem. Informationsgehalt Kultursystem Sozialsystem Persönlichkeitssystem Organismussystem Energie Abb. 4

Steuerungshierarchie in Handlungssystemen

L I G A

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2.2.5. Integration über Normen Parsons Ausgangsfrage war, wie gesellschaftliche Integration zu erklären sei. Mit dem AGIL-Schema hat er zunächst eine Konstruktion vorgelegt, die den Gegenstandsbereich, für welchen diese Erklärung gelten soll, systematisiert und in der die Faktoren benannt werden, auf deren Basis eine solche Erklärung aufgebaut werden kann. Bereits in der deskriptiven Behandlung dieser Fragestellung hatte er sich für die These entschieden, daß gesellschaftlicher Zusammenhalt über die Wirksamkeit von Normen zustande kommt. Parsons nächste Aufgabe ist es nun, seine Fragestellung und seine Erklärung so zu fassen, daß sie auf der Grundlage des AGIL-Schemas behandelt werden kann. Wie schon oben dargestellt, enthält das allgemeine Handlungssystem zwei konditionale Komponenten. Das Organismus- und das Kultursystem stellen für jeden Handlungsakt zwar Rahmenbedingungen oder Mittel dar, die im Handeln berücksichtigt werden müssen, sie können jedoch nicht durch die Absichten handelnder Individuen beeinflußt oder verändert werden. Persönlichkeits- und Sozialsystem hingegen, sind immer das Ergebnis aktiver Leistungen von Individuen: Weder eine persönliche Identität, die sich in Handlungen umsetzt, noch Interaktionen zwischen Individuen vollziehen sich automatisch. Wenn Parsons nun diese Seite der aktiven Leistungen von Individuen behauptet und gleichzeitig davon ausgeht, daß Integration über die Wirksamkeit von Normen hergestellt wird, muß er den Prozeß nachweisen, über welchen Normen als Handlungsorientierungen aufgenommen werden. Anders ausgedrückt bedeutet dies, gesellschaftliche Integration auf der Handlungsebene zu erklären. Auf der Handlungsebene muß also plausibel gemacht werden, von welchen Voraussetzungen es abhängt, daß in einer Gesellschaft soziale Integration erreicht wird, d. h. Normen und Wertvorstellungen von allen Gesellschaftsmitgliedern gleichermaßen anerkannt. Zu den konditionalen Rahmenbedingungen menschlichen Handelns gehören nach Parsons auch gesellschaftliche Strukturen. Im Unterschied zu natürlichen Bedingungen, wie sie als Gegenstand verschiedener Naturwissenschaften behandelt werden, sind dies Elemente, die immer nur über Individuen realisiert werden können. Da sie aber gleichzeitig eine relative Eigendynamik gegenüber einzelnen Gesellschaftsmitgliedern haben, müssen sie von den Prozessen auf der Handlungsebene abgegrenzt werden. Gesellschaftliche Integration auf der Strukturebene zu erklären bedeutet, Bedingungen anzugeben, die für den Zusammenhalt gesellschaftlicher Teilbereiche, bzw. die Systemintegration erforderlich sind. Da Parsons seine These der gesellschaftlichen Integration über Normen auch für die Strukturebene behauptet, muß er also aufzeigen, in welcher Weise Wertvorstellungen und Normen in Gesellschaftsstrukturen umgesetzt werden. 2.2.5.1. Integration auf der Handlungsebene - Internalisierung In seiner Handlungstheorie hatte Parsons dargestellt, was auf Seiten eines Akteurs abläuft, der ein Ziel verfolgt: der Akteur befindet sich in einer Situation, auf die hin er eine Handlungsstrategie entwickeln muß, um seine Absichten durchsetzen zu können. Eine solche Handlungsstrategie oder -Orientierung stellt sich weder automatisch ein, noch folgt der Akteur dabei einem inneren Instinkt. Aufgabe des Akteurs ist es vielmehr Entscheidungen zu treffen, unter verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu wählen, welche er realisieren will und welche er unterläßt. Die Energie, welche diesen Entscheidungsprozeß trägt, nennt Parsons die Motivation

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des Akteurs. Die Motivation eines Individuums ist schließlich ausschlaggebend dafür, welche Handlungsorientierung es entwickelt und von welche Art von Handeln seine Absichten sich umsetzen. Gleichzeitig war Parsons davon ausgegangen, daß Individuen in ihrem Handeln gesellschaftliche Normen befolgen. Dies bedeutet, daß jede Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten im Einklang mit gesellschaftlichen Normen getroffen wird. Die Wahlmöglichkeiten des Akteurs in einer Handlungssituation reduziert Parsons auf fünf Orientierungsalternativen (pattern variables). Seine Einstellung zur Situation bestimmt der Handelnde als affektiv oder affektiv neutral und als spezifisch oder diffus. Die Eigenschaften der Objekte in der Situation, in der er sich befindet, beurteilt er als universelle oder partikulare und als zugeschriebene oder durch Leistung erworbene. Am Beispiel des Arztberufes illustriert Parsons die Bedeutung dieser Orientierungsalternativen: Die Einstellung des Arztes zu seinem Beruf und seinen Patienten ist affektiv neutral, nicht von Mitleid oder ähnlichen gefühlsmäßigen Gründen getragen, sondern von der gefühlsneutralen Tatsache, daß er über entsprechende Qualifikationen verfügt. Sie ist spezifisch, d. h., er bezieht sich auf seinen Patienten nur insoweit er ärztliche Hilfe braucht, aber er versteht sich nicht umfassend verantwortlich für dessen Lebensgestaltung. Die Pflicht zur Ausübung seiner Tätigkeit ist universell, besteht gegenüber allen Kranken, die zu ihm kommen. Er darf seine Berufsausübung nicht auf eine Gruppe von Menschen ζ. B. bestimmter sozialer Herkunft oder Hautfarbe beschränken. Schließlich ist der Beruf des Arztes etwas, was erworbene Qualifikationen voraussetzt, einen bestimmten Ausbildungsgang und entsprechende formale Nachweise. Das Recht zur Berufsausübung ergibt sich nicht aus Eigenschaften, die ihm ζ. B. qua Geburt oder sozialer Herkunft zugeschrieben werden.

Damit das Handeln von Individuen sich auch ausdauernd und zuverlässig im Einklang mit gesellschaftlichen Normen bewegt, muß die Auswahl zwischen diesen Orientierungsalternativen auf verschiedenen Ebenen stattfinden: kognitiv (verstandesmäßig), kathektisch (gefühlsmäßig) und evaluativ (von Wert- und Moralvorstellungen getragen). Internalisierung bezeichnet Parsons den Prozeß, in dessen Verlauf gesellschaftliche Normen zu einem Bestandteil individueller Motivation werden. Von einer Internalisierung von Normen zu sprechen, bedeutet also auch davon auszugehen, daß es sich bei gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht nur um Dinge handelt, auf die ein Individuum als äußere Rahmenbedingungen seines Handelns trifft, sondern, daß sie ein Teil seiner eigenen Bedürfnisstruktur, seiner Identität, geworden sind. Die Internalisierung von Normen vollzieht sich während der Sozialisation oder Erziehung eines Individuums. Wie Parsons diesen Vorgang versteht, wird weiter unten (S. 39ff.) dargestellt. Hier sei nur noch einmal daran erinnert, daß er - entsprechend seinem AGIL-Schema-Normen letztlich im Kultursystem lokalisiert. Da das Kultursystem sich Veränderungen durch menschliches Handeln entzieht hat er mit seiner These der Internalisierung eine theoretische Erklärung für die handlungssteuernde Wirkung von Normen und auch dafür, daß in den Handlungen aller Individuen die gleichen Normen befolgt werden, dadurch also auch die Integration von Einzelhandlungen ermöglicht wird.

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2.2.5.2. Integration auf Systemebene - Institutionalisierung Das Thema Integration auf der Handlungsebene beschäftigt sich damit, in welcher Weise gesellschaftliche Normen zu Bestandteilen der Motivation einzelner Akteure werden und damit einen Zusammenhang zwischen einzelnen Handlungen herstellen. Thema der Systemintegration ist es, in welcher Weise Normen in Regeln umgesetzt werden, die für einzelne Strukturbereiche gelten. Regeln, die innerhalb eines Systems gelten, steuern die Prozesse, die in den Grenzen dieses Systems ablaufen. Davon, wie der Ablauf systeminterner Prozesse organisiert ist, hängt wiederum seine Bestands- oder ,Überlebensfähigkeit' gegenüber seiner Umwelt ab. Als Anforderungen an Systeme, die sich daraus ergeben, daß sie gegenüber der Umwelt offen sind, hatte Parsons im AGIL-Schema die Funktionen der Anpassung und der Zielerreichung bezeichnet: gesellschaftliche Subsysteme müssen sich demnach sowohl auf die Regeln einlassen, die in ihrer Umwelt gelten, wie aber auch ihre Identität als eigenständigen Bereich gegenüber dieser Umwelt aufrecht erhalten. Da Parsons These der normativen Integration von Gesellschaft auch für die Strukturebene gilt, bedeutet dies, daß gesellschaftliche Teilbereiche einerseits sich den Normen und Werten anpassen müssen, die im Kultursystem als verbindlich definiert sind. Andererseits müssen diese Normen und Werte für jedes Subsystem auf dessen spezielle Zielfunktion hin definiert werden. Nimmt man ζ. B. die Norm der Gleichheit als allgemeine gesellschaftliche Wertvorstellung, bekommt sie einem jeweils anderen Akzent im politischen, ökonomischen oder familiären Bereich. Auf der Handlungsebene hatte Parsons als Voraussetzung für gesellschaftliche Integration angegeben, daß Akteure eine Motivation entwickeln, die sich konform zu gesellschaftlichen Normen verhält. Voraussetzung für gesellschaftliche Integration auf der Strukturebene hingegen ist, daß Normen in Systemen als verbindliche Regeln verankert sind. Den Prozeß, über welchen diese Voraussetzung geschaffen wird, nennt Parsons Institutionalisierung. Nach Parsons Konzeption haben Kultursysteme und gesellschaftliche Strukturen eine Gemeinsamkeit: sie existieren zwar relativ unabhängig von einzelnen Individuen und müssen vom Akteur als Rahmenbedingungen seiner Handlungsmöglichkeiten behandelt werden. Gleichzeitig werden sie aber erst über menschliches Handeln aktualisiert. Wenn sich ζ. B. niemand nach den Regeln verhält, die für ein Bankensystem gelten, existiert kein Bankensystem. Aus dieser Perspektive gesehen, bedeutet eine Institutionalisierung von Normen, daß für verschiedene Handlungsbereiche Vorschriften festgelegt werden, die von Akteuren zu befolgen sind. Ein erster Schritt im Verlauf der Institutionalisierung von Normen war bereits oben angedeutet: Werte, die gesellschaftlich anerkannt sind, Bestandteile des Kultursystems sind, verlangen eine Spezialisierung für einzelne Handlungsbereiche. Die globale Wertvorstellung Gleichheit ζ. B. muß je nach Subsystem, in welchem sie institutionalisiert werden soll, auf die spezielle Bedingungen hin definiert werden, die dort vorherrschen. Für den politischen Bereich etwa muß der Gleichheitsgrundsatz für die Staatsbürgerrolle spezialisiert werden, die u. a. besagt, daß jeder unabhängig von seinem Beruf, seinem Einkommen etc. an Wahlen teilnehmen darf. Im Bereich der Ökonomie hingegen bedeutet Gleichheit, daß Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sich als Vertragspartner gegenüberstehen, von denen jeder einklagbare Rechte hat. Zweitens bedürfen Normen im Verlauf ihrer Institutionalisierung einer Systema-

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tisierung. Eine zunächst möglicherweise diffuse Summe von Regeln muß zu einem in sich logisch konsistenten Regelsystem entwickelt werden. Bleiben wir bei dem Beispiel, daß der Gleichheitsgrundsatz im Bereich des Politischen verankert werden soll: Damit werden Wertvorstellungen ausgeschlossen, die ζ. B. den Erwerb von Ämtern an Verwandtschaftsbeziehungen binden. Eine Regel etwa, die besagt, daß stets nur ein Sohn des Bundeskanzlers dieses Amt später übernehmen darf, würde sich nicht damit vereinbaren lassen, daß jeder das gleiche Recht hat, für ein solches Amt zu kandidieren. Drittens verlangt Institutionalisierung, daß Normen so gefaßt werden, daß sie einerseits Systemerfordernisse abdecken, wie auch andererseits konkrete Handlungsweisungen an Akteure vermitteln. Dies geschieht über die Definition von Rollen-Positionen. Während auf der Handlungsebene eine Verknüpfung vor Normen und Handeln über die Motivation von Akteuren hergestellt wird, findet auf der Systemebene die Verknüpfung von Normen und Handeln über Rollen-Positionen statt. Bleiben wir weiterhin beim Beispiel der Institutionalisierung des Gleichheitsgrundsatzes im Bereich des Politischen: Wenn ein politisches System stabil sein soll, kann Gleichheit nicht bedeuten, daß jeder und in jedem Fall in gleicher Weise handeln kann. Die Vorstellung, daß jeder gleichermaßen Gesetze erlassen und abändern könnte, über staatliche Machtmittel verfügt, in außenpolitische Beziehungen eingreift etc. braucht nicht weiter ausgemalt zu werden. Um ein Chaos, wie es sich daraus einstellen würde, zu vermeiden, ist es für ein System erforderlich, daß es seine innere Struktur differenziert. Bezogen auf das System und seine Bestandserfordernisse bedeutet dies, daß unterschiedliche Positionen eingerichtet werden, auf deren Basis zwar jeweils verschiedene Tätigkeiten vollbracht werden, die aber alle gleichermaßen notwendig für die Funktion des Systems sind. So sind für unser bestehendes politisches System die Position des Staatsbürgers, des politischen Beamten, des Politikers etc. Handlungsbereiche, die gleichermaßen erforderlich sind, damit es seiner Funktion als politischem System nachkommen kann. Gleichzeitig aber beinhaltet jede dieser Positionen unterschiedliche Aufgaben, die dort zu erfüllen sind und statt ihre Inhaber mit verschiedenartigen Rechten und Pflichten aus. Aus der Sicht des Akteurs werden diese Positionen zu Rollen. D.h., es sind Bündel von Erwartungen, die an einen Akteur gestellt werden, wenn er in diesem Bereich handelt. Die Differenzierung von Normen innerhalb eines Systems in unterschiedliche Rollen-Positionen ist zum einen ein Erfordernis, das sich aus der Funktionsweise von gesellschaftlichen Teilbereichen ergibt. Zum anderen wird sie notwendig, um den Individuen, die in diesen Teilbereichen handeln, konkrete Orientierungen zu vermitteln. So gesehen, gerät die Bedeutung von Normen zunächst einmal in den Hintergrund, da die Differenzierung von Rollen-Positionen von pragmatischen Gesichtspunkten getragen ist. Der Bezug von Rollen-Positionen zu Normen wird allerdings dadurch wieder hergestellt, daß Rollen-Positionen über geltende Normen begründet werden müssen. Die Ausstattung politischer Ämter mit unterschiedlicher Machtbefugnis ζ. B. verlangt sine Legitimation, d.h. für unterschiedliche Verteilung von Macht ist nachzuweisen, daß sie für die Aufrechterhaltung des Gleichheitsgrundsatzes notwendig ist. Parsons geht davon aus, daß im Regelfall gesellschaftliche Normen durch Internalisierung Bestandteil der Motivation von Individuen sind. Da auch die Ausgestal-

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tung von Rollen-Positionen nach Maßgabe gesellschaftlicher Normen geschieht, besteht nach Parsons ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen Rollenanforderungen und den Absichten von Akteuren. Um aber Stabilität und Bestand von Systemen noch fester abzusichern, führt Parsons als viertes Erfordernis von Institutionalisierungsprozessen an, daß Systeme über Sanktionen die Befolgung ihrer Regeln durchsetzen können. Sanktionen umfassen dabei sowohl Formen der Belohnung für die Befolgung von Regeln, wie auch Formen der Bestrafung bei ihrer Verletzung

2.3. Gesellschaft 2.3.1. Gesellschaft als System Gesellschaft als System zu verstehen, bedeutet zunächst, sie im Sinne der Systemanalyse zu behandeln, nämlich als umweltoffen, mit der Umwelt in Austauschbeziehungen stehend etc. (vgl. oben, S.18). Gesellschaft als Handlungssystem verstanden, bedeutet darüber hinaus, daß auch die Analyse von Gesellschaft in dem Rahmen stattfindet, den Parsons mit dem AGIL-Schema geschaffen hat. Von den strukturellen Komponenten, die jedes allgemeine Handlungssystem aufweist, hat Gesellschaft primär den Charakter eines Sozialsystems. Sie ist kein Naturzusammenhang, daher nicht als Organismussystem zu verstehen, sie ist mehr als eine Summe von Individuen, was ihre Reduktion auf die Komponente des Persönlichkeitssystems ausschließt und Gesellschaft kann auch nicht als reiner Kommunikationszusammenhang verstanden werden, was eine Betrachtung als Kultursystem nahelegen würde. Strukturell zeichnet sich Gesellschaft dadurch aus, daß sie eine Vielzahl unterschiedlichster Elemente umfaßt, die sie integrativ verbinden muß. Die Besonderheit von Gesellschaft gegenüber anderen Sozialsystemen besteht darin, daß sie das höchste Maß an Selbstgenügsamkeit aufweist. .Selbstgenügsamkeit' ist eine Eigenschaft, welche die Art der Austauschbeziehungen beschreibt, die eine Gesellschaft mit ihrer Umwelt unterhält. Im Vergleich zu anderen Sozialsystemen kann Gesellschaft auf besonders vielfältige Anforderungen der Umwelt reagieren. Dies wiederum verdankt sie erstens ihrer hohen internen Differenzierung, der Tatsache, daß sie auf äußere Anforderungen mit vielen verschiedenartigen Mitteln reagieren kann. Zweitens wird ihre Selbstgenügsamkeit dadurch sichergestellt, daß sie die verschiedenen ausdifferenzierten Komponenten in ihrem Inneren integrativ verbunden hat und sich in einem Zustand stabilen Gleichgewichts befindet. In seiner Betrachtung von Gesellschaft als System versucht Parsons erstens ihre interne Differenzierung schematisch darzustellen. Zweitens versucht er die Leistungen der differenzierten Komponenten aufzuzeigen, die Bedingung für den Gleichgewichtszustand von Gesellschaft und ihre Stabilität als System sind. Drittens entwickelt er, über welche Prozesse der Zusammenhalt zwischen qualitativ unterschiedlichen Teilbereichen in einer Gesellschaft hergestellt wird. In seiner Erklärung zu diesem Vorgang geht Parsons davon aus, daß auch Teilbereiche von Gesellschaft oder Subsysteme in Austauschbeziehungen zu ihrer Umwelt stehen. Was Umwelt eines Subsystems ist, nämlich andere Subsysteme, stellt sich dabei aus der Perspektive des Gesellschaftssystems auch als ein Bereich dar, der innerhalb ihrer eigenen Grenzen liegt. Das Subsystem Ökonomie in einer Gesellschaft ist demnach ein Teil der Umwelt des Subsystems Politik der gleichen Gesellschaft. Da aber jeder dieser

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Teilbereiche intern nach einem anderen Regelsystem organisiert ist, muß ein Verfahren hergestellt werden, das zwischen den beiden einen Austausch möglich macht, sie quasi einen gemeinsamen Nenner finden läßt. In Analogie zur Rolle des Geldes im Wirtschaftsprozeß entwickelt Parsons zu diesem Zweck das Konzept der generalisierten

Medien.

Die im AGIL-Schema ausgeführte Α-Funktion wird in einer Gesellschaft vom Subsystem Wirtschaft (economy) übernommen. Seine Leistung besteht darin, Einkommen - oder allgemeiner ausgedrückt: Reichtum - herzustellen, eine notwendige Bedingung zur Erreichung von Zielen des Gesellschaftssystems. „Reichtum in diesem Zusammenhang ist die generalisierte Fähigkeit, über Güter und Dienstleistungen zu verfügen. Es ist dabei gleichgültig, ob sie als Mittel oder als Zweck in sich Verwendung finden, ebenso wie sie jedem Ziel oder jedem Interesse auf beliebigen gesellschaftlichen Ebenen dienen". (Parsons/Smelser 1969: 49) Das generalisierte Medium, über welches das Wirtschaftssystem seine Austauschbeziehungen abwickelt, ist Geld (money). Dem G-Subsystem entspricht in einer Gesellschaft der Bereich, in welchem politische Funktionen ausgeübt werden. Politik (polity) ist dabei nicht gleichzusetzen mit staatlicher Organisation: „Das politische System einer Gesellschaft setzt sich aus den Verfahrensweisen zusammen, über welche die wesentlichsten Bestandteile des gesamten Systems auf eine von dessen fundamentale Funktionen hin organisiert werden. Eine solche fundamentale Funktion ist insbesondere wirksames kollektives Handeln zur Erreichung der Ziele der Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang bedeutet,Zielerreichung', daß befriedigende Beziehungen zwischen einer Gemeinschaft und Objekten ihrer Umwelt hergestellt werden.,Umwelt' schließt dabei beides ein, andere Gemeinschaften und Aspekte von Persönlichkeitssystemen wie ζ. B. Staatsbürger'. So gesehen muß eine Gesellschaft' in einem ihrer wichtigsten Aspekte als Gemeinschaft gefaßt werden, aber sie ist auch gleichermaßen aus einer Vielzahl von Sub-Gemeinschaften zusammengesetzt, von denen viele nicht nur Teile dieser Gesellschaft, sondern auch anderer Gesellschaften sind. In dieser Betrachtungsweise ist eine Gemeinschaft keine empirische angebbare ,Gruppe', sondern der Ausdruck bezieht sich auf Gruppen im Sinne einer Vielzahl von systematisch miteinander verbundenen Personen. Maßgebend an dieser Vielzahl von Personen sind ihre Interessen und ihre Fähigkeiten zu wirkungsvollem kollektivem Handeln. Der politische Prozeß ist demnach also ein Prozeß, durch den die dafür notwendige Organisation hergestellt und funktionsfähig gehalten wird, durch den Handlungsziele festgelegt und die für deren Realisierung notwendigen Ressourcen mobilisiert werden." (Parsons 1969: 354f.) Die Leistung der Politik besteht darin, Kapazität zur Mobilisierung gesellschaftlicher Ressourcen herzustellen, die zur Erreichung kollektiver Ziele eingesetzt werden kann. Macht (power) ist das Medium, über welches die Politik ihre Austauschprozesse vermittelt. Macht im hier verwendeten Sinne ist nicht als Ausübung willkürlichen Zwangs gemeint. Da Macht dem Medium Geld entsprechend konstruiert ist, hat sie eher den Charakter einer kündbaren Obligation: „Wenn Macht als generalisiertes Medium in einem komplexen System wirken soll, d. h., die Funktion von Macht darin besteht, Ressourcen für kollektives Handeln zu mobilisieren, muß sie ,legitimiert' sein. Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies, daß in bestimmter Hinsicht eine Folgebereitschaft... nicht über die

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Ausübung von Zwang zustandekommt, sondern wahlfrei bleibt." (Parsons 1969, S. 367) Macht als generalisiertes Medium ist daher sowohl von Zwang wie auch von Einfluß zu unterscheiden. „Macht bedeutet,... Entscheidungen treffen und durchsetzen zu können, welche für die betroffene Gesamtheit und ihre Mitglieder bindend sind, wobei die Mitglieder nur insoweit gebunden sind, als sich aufgrund ihrer Stellung Pflichten aus diesen Entscheidungen für sie ergeben." (Parsons 1971: 28) In seinem systemtheoretischen Gesellschaftskonzept ordnet Parsons der AFunktion die Ökonomie und der G-Funktion die Politik zu. Diese beiden Subsysteme sind im Rahmen des AGIL-Schemas noch die anschaulichsten gesellschaftlichen Teilbereiche, da sie in etwa dem entsprechen, was unter Wirtschaft, bzw. Staat, Parlament und weiteren politischen Institutionen verstanden wird. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, daß die verschiedenen Subsysteme und Einheiten der sozialen Wirklichkeit nicht gleichgesetzt werden dürfen. Unter Politik und Ökonomie werden von Parsons in erster Linie Handlungsbereiche verstanden, die bestimmte Leistungen oder Funktionen erfüllen. Die Zusammenfassung von gesellschaftlichen Teilbereichen unter dem Gesichtspunkt der Funktion sozialer Handlungen wird in der Konstruktion des I- und des L-Subsystems noch deutlicher. Dem I-Subsystem gehören Kollektive wie z.B. Familien und Verbände an und dem LSubsystem Normen und Wertsysteme, wie ζ. B. das Recht oder die Wissenschaft. Beide lassen sich aber noch weitaus weniger als Ökonomie und Politik mit Bereichen der sozialen Wirklichkeit gleichsetzen. Da Gesellschaft eine besondere Art von Sozialsystem ist, wird die I-Funktion des allgemeinen Handlungssystems zu ihrem bedeutsamsten Leistungsbereich. Das Produkt dieses Subsystems, der gesellschaftlichen Gemeinschaft (societal community) ist die Herstellung dessen, was weiter oben, (s. S. 26ff.) mit Internalisierung und Institutionalisierung bezeichnet wurde: „Unserer Ansicht nach besteht die primäre Funktion dieses integrativen Subsystems darin, die Loyalitätspflichten sowohl der Mitgliedschaft als ganzer als auch seitens verschiedener Kategorien differenziert nach Stellung und Rollen in der Gesellschaft gegenüber der gesellschaftlichen Gesamtheit zu bestimmen ... Loyalität ist die Bereitschaft, auf,angemessen gerechtfertigte' Appelle im Namen des Kollektivs oder des öffentlichen' Interesses oder Bedarfs zu reagieren. Das normative Problem ist die Definition von Fällen, in denen eine derartige Reaktion Pflicht ist." (Parsons 1971: 22) Anders ausgedrückt besteht die Aufgabe des /-Subsystems darin, den Individuen in der Gesellschaft Orientierungsweisen vorzugeben, die ihre Handlungen in den Rahmen des kulturellen Wertesystems einpassen. Dies verlangt erstens, daß die nur sehr allgemein gefaßten Wertvorstellungen des Kultursystems in spezielle Normen übersetzt werden (vgl. oben, S.28f)· Erst danach kann, zweitens, die eigentliche Institutionalisierung der Normen erfolgen, ihre Verankerung in Status-Rollen oder Rollen-Positionen. Dieser Vorgang ist notwendig, um den Individuen überhaupt eindeutige Bezugspunkte, die mit entsprechenden normativen Anforderungen ausgestattet sind, vorzugeben. Der differenzierteste Ausdruck dieser Rollen-Positionen im I-Subsystem ist die gesellschaftliche Schichtungsskala, „... die Skala der akzeptierten - und soweit Werte und Normen integriert sind, legitimierten - Geltung von Untergesamtheiten, Stellungen und Rollen, sowie von Personen als Mitgliedern der gesellschaftlichen Gemeinschaft. (Parsons 1971: 24) Mit diesen Annahmen wird erklärt, welche Leistungen das Subsystem der gesell-

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schaftlichen Gemeinschaft erbringen muß, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, daß im Handeln von Indivduen Normen befolgt werden können. Ein weiterer Aspekt der Integrationsfunktion besteht aber auch darin, die Handelnden auf diese Normen zu verpflichten. Bereits im Zusammenhang mit dem allgemeinen Handlungssystem wurde dargelegt, daß mit der Institutionalisierung von Normen auch ihre Absicherung über Sanktionsmöglichkeiten einhergeht (vgl. S. 30). Da Parsons Erklärungen ablehnt, nach denen gesellschaftliche Integration über Zwang zustande kommt, muß er aber weitere Annahmen heranziehen. Der Einsatz von Sanktionsmitteln kann nur ein Extremfall sein. Die Regel ist vielmehr, daß die Verpflichtung der Akteure auf Normen über die Erzeugung und Sicherung ihrer Loyalität hergestellt wird. Um eine entsprechende Leistung des integrativen Subsystems annehmen zu können, bedient sich Parsons wiederum der Konstruktion eines Mediums. Das Medium, über welches das Subsystem gesellschaftliche Gemeinschaft Austauschbeziehungen strukturiert, ist Einfluß (influence). „Einfluß ist eine Verfahrensweise, über die durch intentionales (wenngleich nicht notwendig rationales) Handeln Wirkungen in Verhaltensweisen und Meinungen anderer hervorgebracht werden sollen. Durch diese Wirkung kann, aber muß nicht, ein Meinungswechsel herbeigeführt werden oder ein möglicher Wandel verhindert werden." (Parsons 1969:406) Einfluß als Medium ist inhaltsleer, ebenso wie die Medien Geld und Macht. Es bezeichnet nur die generelle Kapazität, Loyalität zu erzeugen. Aber auch diese Annahme liefert nur eine Erklärung für die Möglichkeit des Zustandekommens von Loyalität. Daß sie auch realisiert wird, setzt bestimmte Bedingungen in den Persönlichkeitssystemen voraus, die Parsons mit seiner These der Internalisierung (vgl. oben, S. 26 f.) und ausführlicher noch in seiner Sozialpsychologie (vgl. unten S. 39ff.) entwickelt. Im Zusammenhang mit seine Analyse von Gesellschaft als System löst er dieses Problem lediglich dadurch, daß er wiederum mit seinem Konzept der Steuerungshierarchie argumentiert. Danach ist dem integrativen Subsystem ein System kultureller Werte vorausgesetzt. Die Werte, auf welche die Individuen sich in der Befolgung von Normen des I-Subsystems beziehen sind, so gesehen, dort gar kein Thema mehr. Werden Normen zur Diskussion gestellt, dann nur insoweit, ob sie für den sozialen Zusammenhang funktional sind. Über die Legitimität der ihnen zugrunde liegenden Werte ist schon vorab entschieden. Die Festlegung auf das allgemeine gesellschaftliche Wertmuster geschieht im Treuhänder-Subsystem (fiduciary subsystem). Ihm kommt die L-Funktion zu, die Aufgabe, das Kulturmuster selbst aufrecht zu erhalten. Es muß Sorge dafür tragen, daß die obersten gesellschaftlichen Werte - die moralischer, ästhetischer und kognitiver Art sein können - , erstens ein in sich stimmiges Muster bilden und zweitens in Prozessen sozialen Handelns befolgt werden: „Wenn in diesem Zusammenhang davon gesprochen wird, daß ein geschlossenes Wertesystem aufrechterhalten werden soll, geht es dabei nicht nur darum, daß in einer betimmten Situation eine falsche oder richtige Entscheidung getroffen werden kann. Viel wichtiger ist die Aufrechterhaltung vollständiger Zustimmung zu dem Wertmuster, und das über ein Spektrum unterschiedlicher aktueller und potentieller Entscheidungen hinweg, in unterschiedlichen Situationen, die unterschiedliche Folgen haben und unterschiedliche Grade der Gewißheit, mit der diese Folgen vorab eingeschätzt werden können." (Parsons 1969: 444f.)

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Das Medium, über welches das Treuhändersubsystem seine Austauschbeziehungen strukturiert, sind Wertverpflichtungen (value-commitments). Sie stellen eine Kapazität dar, „die Verpflichtungen mobilisiert, die auf Grund der von Ego und Alter gemeinsam anerkannten Werte wahrscheinlich moralisch bindend sind." (Parsons 1969: 449) Die Wirksamkeit von Wertverpflichtungen setzt voraus, daß nicht nur - wie im Fall der Befolgung von Normen - äußere Gründe für die Befolgung gegeben sein müssen (ζ. B. Angst vor Strafe, Hoffnung auf Anerkennung), sondern daß diese Werte als legitim anerkannt werden, von den Handelnden internalisiert sind: „Im Gegensatz zu Loyalitäten gegenüber Gesamtheiten ist die Wertverpflichtung durch größere Unabhängigkeit von Kostenüberlegungen, relativen Vor- oder Nachteilen sowie bei der Erfüllung von Pflichten von sozialen und umweltlichen Anforderungen gekennzeichnet. Die Verletzung einer Verpflichtung ist als illegitim definiert: die Erfüllung ist Ehren- oder Gewissenssache, welche nicht ohne Unehre und/oder Schuld verletzt werden kann." (Parsons 1971: 25)

2.3.2. Evolutionstheorie Im Begriff der .Evolution' ist bereits die Vorstellung von Geschichte als einer Entwicklung von niederen zu höheren Stufen enthalten. Ein solches Verständnis ergibt sich aus den allgemeinen theoretischen Prämissen zur Beschaffenheit von Systemen: Parsons grundlegende Prämisse besagt, daß alle Arten von Lebewesen sich durch die Eigenschaft auszeichnen, in ihrer Entwicklung und in ihren Prozessen darauf hin ausgerichtet zu sein, ihre Anpassungskapazität erhöhen. Dies ist wiederum eine Vorbedingung, um die Überlebens- und Bestandsfähigkeit gegenüber den Umweltbelastungen zu sichern. Parsons unterstellt diese Prämisse für einzelne Zellen, wie auch für komplexere lebende Systeme und damit auch für Gesellschaften. Die Erhöhung der Anpassungskapazität von Lebewesen oder Systemen wird über eine Ausdifferenzierung ihrer inneren Struktur hergestellt. D.h. es bilden sich in den Grenzen einzelner Systeme neue und zusätzliche Leistungsbereiche heraus, die besser, da spezialisiert, die vielfältigen Anforderungen der Umwelt bearbeiten können. Für die Entwicklung von Sozialsystemen bedeutet dieser Prozeß der Ausdifferenzierung ζ. B., daß traditionelle Familienverbände, - die ökonomische Funktionen ebenso abdeckten wie solche der Ausbildung, sozialen Sicherung, der Regulierung emotionaler Prozesse - sich auflösen. Die Funktionen der Familie schrumpfen auf den emotionalen Bereich zusammen, auf die Funktion der Fortpflanzung und die soziale Sicherung im Kindheitsalter. Die ehemals von der Familie erbrachten andern Leistungen werden von sozialen Subsystemen ausgeübt, die neu entstehen und sich auf diese eine Leistung hin spezialisieren. So ζ. B. Institutionen, die für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen verantwortlich sind und den Haushalten über das Einkommen, das sie ihnen zufließen lassen, die Reproduktion ermöglichen. Im Unterschied zu biologischen Systemen, bei denen Ausdifferenzierung ein formaler Vorgang ist, etwa im Sinne von Zellteilung, macht Parsons für evolutionäre Vorgänge in Sozialsystemen noch Zusatzannahmen. Mit der formalen Differenzierung einher geht eine Differenzierung bestimmter Wertmuster. Bzw. die Differenzierung von Wertmustern wird von ihm sogar als Voraussetzung zur Steigerang der Anpassungskapazität einzelner Handlungssysteme angenommen. Auf das gerade

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angerissene Beispiel bezogen, den Wandel von Familienstrukturen, bedeutet das, daß ehe ein Individuum bereit und in der Lage ist, eine Verhaltensweise zu entwickeln, die seine Reproduktion außerhalb der Familie ermöglicht, es erst über entsprechende Handlungsorieniertungen verfügen muß. Während seine traditionelle Lebenssituation durch Merkmale festgeschrieben war, die qua Geburt festgelegt waren (ascription), muß es nun eine Leistungsorientiertung aufbauen (achievement) und lernen, daß Leistung Voraussetzung für seine soziale Stellung ist. D. h. Leistung als Wertmuster muß zunächst einmal einen höheren und zentraleren Stellenwert einnehmen, als dies in traditionellen Gesellschaften der Fall war. Parallel zur Herausbildung derartiger Orientierungsweise nimmt Parsons auch noch die Herausbildung sogenannter evolutionärer Universalien an. Damit sind historische Errungenschaften von sozialen Gemeinwesen verstanden, die quasi als Stützpfeiler fungieren, die ein gewisses Maß an Ausdifferenzierung von Orientierungsweisen tragen. Konkret gesprochen versteht Parsons darunter beispielhaft Schriftsprache, ein formalisiertes Rechtssystem, Geld und Märkte. Eine Gesellschaft, die nicht im Laufe ihrer Evolution derartige Mechanismen hervorbringt und das gilt für alle Gesellschaften, also universell - , wird eine bestimmte Stufe von gesellschaftlicher Entwicklung nicht überschreiten können, selbst wenn sie über ein entsprechend ausdifferenziertes Wertmuster verfügt. Eine Kultur z.B., die Recht und Unrecht nicht mehr der persönlichen Auslegung durch eine Autoritätsperson überläßt, kann dieses Prinzip nur auf der Basis eines formalisierten Rechtssystems durchsetzen. Evolution von sozialen Systemen bedeutet nach Parsons in diesem Sinne, daß sich die Regeln und Prinzipien unserer westlichen Form von Rationalität als oberste Handlungsorientierung durchsetzen. Um entsprechend wirksam zu werden, verlangt dies auch eine Spezialisierung dieser Werte als Normen für verschiedenste Handlungsbereiche. Dies wiederum sieht er dann gegeben, wenn alle Handlungen auf der Basis der von ihm klassifizierten Orientierungsalternativen (ascription vs. achievement, affectivity vs. affectiv neutrality, specifity vs. diffuseness, particularism vs. universalism) angeleitet werden. So gesehen bedeutet Evolution bei Parsons auch insbesondere ein Vorgang der Rationalisierung. Damit hat Parsons bereits die rein formale Bestimmung eines Ziels evolutionärer Prozesse, die Steigerung der Anpassungskapazität von Systemen, verlassen. Rationalisierung als Tendenz gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse hat damitinhaltliche Konsequenzen für die Ausgestaltung von Gesellschaftssystemen: Im ökonomischen Bereich bedeutet dies die Herausbildung von Geld und Märkten. Im politischen Bereich sind damit die Ausbildung demokratischer Institutionen und eines verbindlichen Rechtssystems angesprochen. Entscheidend aber zur Institutionalisierung von Rationalität trägt die Entwicklung von Technik und Wissenschaft bei, deren Ergebnisse als Grundlage zur Ausgestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche anerkannt werden. Das Ziel gesellschaftlicher Evolution aus Sicht der Individuen umschreibt Parsons mit dem schwerfälligen Begriff des institutionalisierten Individualismus (institutionalized individualism). Dies bedeutet die Herausbildung eines Institutionengefüges, das jedem einzelnen ein höchstes Maß an Freiheit und den höchsten Grad an Befriedigung seiner Bedürfnisse gewährleistet: den Abbau sozialer und natürlicher Zwänge, die Eindämmung persönlicher Willkür, die Möglichkeit, in den Genuß vieler und verschiedener Wirtschaftsgüter zu kommen, an politischen Prozessen zu

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partizipieren und über Bildung und Ausbildung am gesellschaftlich erreichten Stand von Wissen teilzuhaben. Parsons versteht sein Evolutionskonzept nicht als Sozialutopie, nicht als Traum von einem goldenen Zeitalter. Unter theoretischen Gesichtspunkten, d. h. in diesem Fall nach dem Grad ihrer internen Ausdifferenzierung bezeichnet Parsons die modernen Gesellschaften als einen diesem Konzept entsprechenden Typus. Die empirische Entsprechung zu diesem Typus sieht er in den USA und einigen Länden Westeuropas. Für eine soziologische Analyse der USA oder Gesellschaften des gleichen Typs läßt sich in der Tat mit dem Modell der strukturellen Differenzierung und der Ausbildung unterschiedlicher Funktionsbreiche arbeiten, wie sie im AGIL-Schema dargestellt sind. Nun bestreitet aber auch Parsons nicht, daß weder die USA noch andere Nationen vollständig rational gestaltet und individuelle Freiheitsmöglichkeiten dort im höchsten Maße institutionell abgesichert sind. Methodisch gesehen bedeutet dies, daß auch für Fälle, in welchen mit dem AGIL-Schema operiert werden kann, noch Veränderungen anzunehmen sind, d.h. sozialer Wandel erklärt werden muß. Gleichzeitig laufen Parsons evolutionstheoretische Prämissen aber darauf hinaus, daß mit einer Gesellschaftsorganisation, die dem Muster des AGILSchemas entspricht, ein Zielzustand erreicht ist, der nicht mehr überschritten werden kann. Diese wiedersprüchliche Anforderung löst Parsons dadurch, daß er sozialen Wandel nicht mehr als strukturelle Veränderung, sondern nur noch als einen graduellen Vorgang behandelt. Lassen sich in ,modernen Gesellschaften' Formen sozialer Ungleichheit feststellen oder treten dort politische oder ökonomische Krisen auf, sind dies alles keine Ereignisse, von welchen die Struktur dieser Gesellschaften selbst bedroht oder in Frage gestellt wird. Sie sind vielmehr als Anlässe zu verstehen, die bestehende Struktur weiter auszudifferenzieren und das ihr zugrunde liegende Normensystem durch die Einführung weiterer institutioneller Regelungen fester zu verankern: Modernisierung ist ein Prozeß, der sich erstens sehr langsam vollzieht. Zweitens verläuft er weder national noch international in allen sozialen Bereichen synchron ab. Spannungen, die entstehen, resultieren aus solchen Ungleichheiten. Den Faschismus in Deutschland erklärt Parsons ζ. Β. darüber, daß die Ausbildung demokratischer Institutionen nicht mit der Geschwindigkeit der industriellen Revolution schrittgehalten hat. Ähnlich sieht er auch die Diskriminierung und Benachteiligung von Farbigen in den USA nicht als Ergebnis der Grundstruktur dieser Gesellschaft. Sie sind vielmehr u. a. Ausdruck dafür, daß demokratische Institutionen noch nicht hinreichend stabil sind, und das Bildungssystem noch nicht genügend ausdifferenziert ist, um vollständige Chancengleichheit zu gewährleisten. Begründet über seine Evolutionstheorie verkörpert die Form der Gesellschaftsorganisation, die Gegenstand seines Konzepts ist, den Zielzustand, der von Gesellschaftsentwicklung überhaupt erreicht werden soll. Andere Formen klassifiziert er entsprechend als .Abweichungen', die sich zwangsläufig dem Muster der,modernen Gesellschaft' anpassen müssen, oder als Schritte im Verlauf des Evolutionsprozesses, die quasi ,Tastversuche' darstellen. Finden letztere keinen Anschluß an die Modernisierung, haben sie keine Überlebenschancen. Als Beispiel für einen solchen gelungenen Übergang nennt er Japan, das sich nach westlichem Vorbild verändert hat. Evolutionsprozesse setzen Kräfte oder Energien voraus, von denen sie getragen

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werden. Für gesellschaftliche Evolution hält Parsons es für verfehlt, von der Wirkung eines einzelnen Faktors (prime-mover) auszugehen. An historischen Beispielen kann er aufzeigen, daß die Entstehung moderner Gesellschaften jeweils an das Zusammenspiel und Zusammenwirken unterschiedlichster Faktoren geknüpft ist. Ihre Entwicklung allein aus ökonomischen Bedingungen erklären zu wollen, hält er für ebenso unzureichend, wie Erklärungen, die sich ausschließlich auf ideologische, ökologische, geographische oder andere isoliert betrachtete Bedingungen beziehen. Wenn auch gesellschaftliche Entwicklung von unterschiedlichsten Kräften getragen wird, so wird doch die Richtung gesellschaftlicher Evolution, das Ziel auf welches sie hinführt nur von einem Element gesteuert: Wie schon für die Funktionsweise von modernen Gesellschaften, nimmt Parsons auch für gesellschaftliche Evolution das Kultursystem als die Instanz an, der ein Primat gegenüber anderen Komponenten zukommt. Im Zusammenhang mit seiner Evolutionstheorie bekräftigt er daher auch nochmals sein Konzept des Kultursystems. Das Kultursystem existiert unabhängig von menschlichen Absichten und menschlichem Handeln. Dennoch - zumindest in einer sehr langfristigen Perspektive gesehen - wirkt es integrativ auf menschliches Handeln und auf die Ausgestaltung der sozialen Rahmenbedingungen von Handeln, d. h. auf die Organisation von Gesellschaften. Kulturellen Symbolen und Normen schreibt er damit eine Rolle zu, die denen der Chromosomen in der Biologie vergleichbar sind. Chromosomen, aufgrund ihres hohen Informationsgehaltes, steuern die Entwicklung von Leben. Der genetische Code, den sie enthalten, legt bereits vor der Entstehung von Leben die Beschaffenheit eines Lebewesens fest. Ob es zur Entstehung eines Lebewesens kommt, ist aber, unabhängig von den Chromosomen, von einer Vielzahl zusätzlicher Bedingungen abhängig. In Analogie dazu enthalten Kultursysteme Informationen über soziale Organisationsformen. Deren Realisierung geschieht aber nicht aus ihnen selbst heraus, sondern bedingt menschliches Handeln. Folgt man Parsons Evolutionstheorie, machen Menschen nur insoweit ihre eigene Geschichte, als sie jeweils mehr oder weniger vollkommen das realisieren, was als Möglichkeit in einem überhistorischen Prinzip angelegt ist.

2.4. Sozialpsychologie Parsons sozialpsychologische Schriften sind in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausarbeitung seiner Systemtheorie entstanden. Diese zeitliche Verbindung hat auch inhaltliche Konsequenzen. In der Formulierung der Systemtheorie wird schließlich der Rahmen vorgezeichnet, in welchem soziales Handeln stattfindet. Gleichzeitig hält Parsons aber auch am Konzept des Akteurs seiner Handlungstheorie fest, dem Individuum, das aus eigener Kraft und Absicht entscheidet, zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten wählen kann. Parsons nimmt beide Aspekte in seine Sozialpsychologie auf, entscheidet sie aber zu Gunsten seiner systemtheoretischen Annahmen: Er begründet die Konzeption eines Akteurs, der bewußt und aus eigenem Antrieb in Konformität mit Systemerfordernissen handelt. Für jede Art menschlichen Handelns unterstellt Parsons Systemeigenschaften. Zwei Annahmen aus seiner Systemtheorie werden daher auch zur Grundlage seiner Rollen- und Sozialisationstheorie: 1. Systeme streben immer einen Zustand des

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Gleichgewichts an und 2. Vorgänge in Systemen laufen nicht zufällig ab, sondern weisen jeweils eine bestimmte Ordnung oder ein bestimmtes Muster auf. Übertragen in seine Sozialpsychologie besagt die Gleichgewichtsthese, daß Verhaltenssysteme ihr inneres Gleichgewicht entlang einer Linie von Lust-Unlust Erfahrungen definieren. In den Beziehungen zur Umwelt versuchen sie Unlust zu vermeiden und Gratifikationen zu maximieren. Dies ist nun allerdings nicht im Sinne eines einfachen Lustprinzips, analog einem Reiz-Reaktionsschema zu verstehen, sondern als ein Vorgang, der gleichermaßen von kognitiven und emotionalen Prozessen getragen wird. Die zweite These, die sich auf die Strukturierung von Systemen bezieht hat zur Folge, daß Parsons jede Interaktion als ein System wechselseitiger Erwartungen betrachtet: Interaktionen sind Vorgänge, in welchen zwei oder mehr Individuen sich wechselseitig aufeinander beziehen. Jeder der Beteiligten versucht dabei - wie schon in der Lust-Unlust Annahme festgelegt - , negative Reaktionen zu vermeiden und Gratifikationen zu maximieren. Dies verlangt, daß die Handlungspartner ihre Erwartungen aneinander anpassen. Im Verlauf des Interaktionsprozesses können an den Reaktionen des Gegenübers, dessen Beurteilung der eigenen Erwartungen herausgefunden werden. 2.4.1. Rollentheorie Auch mit der Rollentheorie wird Parsons Leitmotiv wieder aufgegriffen, die Frage, wie gesellschaftliche Ordnung oder Integration hergestellt wird. Da soziales Handeln immer Rollenhandeln ist, führt eben dieses Rollenspiel dazu, daß eine Integration der Handlungen zwischen den Akteuren hergestellt wird, wie auch eine Integration zwischen Einzelhandlungen und Systemerfordernissen. Aus der Sicht des Systems stellen Rollen nichts anderes dar als Positionen, d. h. Bündel von Aufgaben, die erfüllt werden müssen, um Bestand und Funktionen des Systems aufrechtzuerhalten. Die Definition dieser Aufgaben ist aus den Werten abgeleitet, die in den gesellschaftlichen Subsystemen institutionalisiert sind. Aus Sicht der Individuen in Sozialsystemen stellen diese Positionen und die mit ihnen verbundenen Aufgaben Erwartungen dar, die an die Akteure herangetragen werden und aufweiche sie mit entsprechenden Handlungsweisen antworten müssen. Im Rahmen der Systemtheorie treten die Akteure nur als Rollenspieler in Erscheinung, bewegen sich also schon immer in einem Rahmen, der über Normen vorstrukturiert ist. Dennoch kann Parsons Argumente anführen, die Rollenhandeln nicht zu einem Resultat von Reflexen oder Zwang einengen, sondern immer noch von einer aktiven Leistung der Individuen abhängig machen. Zum einen setzen Rollenanforderungen sich nicht unmittelbar und automatisch in Handlungen um. Rollenspiel als eine Form sozialen Handelns geht damit einher, daß ein System wechselseitiger Erwartungen aufgebaut wird. So setzt selbst das Bemühen um Konformität Kommunikationsprozesse voraus. Mit Hilfe ihres gemeinsamen Symbolsystems interpretieren die Handlungspartner ihre wechselseitigen Erwartungen und entwickeln eine entsprechende Handlungsstrategie. Diese Leistung setzt jeweils ein bestimmtes Maß an innerer Bereitschaft, eine Motivation des Akteurs voraus. Zweitens bestehen im Rollenhandeln Spielräume (looseness). Weder ist jeder Moment menschlichen Lebens in normativen Regeln und damit in Rollen erfaßbar,

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noch können Rollen, die auf bestimmte Situationen zugeschnitten sind, Vorschriften enthalten, die jedes einzelne Detail regeln. Auch für solche Ermessensfragen' werden dem Akteur wiederum Interpretationen und Entscheidungen abverlangt. Wo immer Freiräume bestehen, die von Individuen selbst zu gestalten sind, ist es schon allein aus logischen Gründen möglich, daß dies unter Gesichtspunkten geschieht, die sich nicht mit vorgegebenen Normen decken. Bereits in der Beurteilung dieser Möglichkeit zieht Parsons sich wieder auf Systemerfordemisse zurück, die er theoretisch unterstellt: Handlungsweisen, die sich nicht konform zu geltenden Normen verhalten, werden nicht etwa im Sinne produktiver Veränderungsmöglichkeiten verstanden (allenfalls für Berufe wie ζ. B. die des Wissenschaftlers und des Modeschöpfers erkennt er die Entdeckung von ,Neuem' als funktionale Leistung an), sondern als Abweichungen. Abweichungen enthalten immer schon eine Gefährdung für den Systembestand. Damit Abweichungen allenfalls als Ausnahmen oder Grenzfalle berücksichtigt zu werden brauchen, entwickelt Parsons mit seiner Sozialisationstheorie eine Konzeption, die eine konforme Persönlichkeitsstruktur zur Regel macht. Seine Annahmen über Erziehung und Lernprozesse lassen das Bild eines Akteurs zu, der zwar bewußt und kreativ Freiräume ausfüllen kann, dies aber immer nach Regeln sozialer Angemessenheit. 2.4.2. Sozialisation Bezogen auf Individuen handelt es sich dabei um einen Vorgang, in welchem die Handlungsfähigkeit und Motivationsstruktur eines Menschen durch das Wirken verschiedener Sozialisationsmechanismen geformt wird. Unter Systemaspekten gesehen sorgen während dieses Prozesses Kontrollmechanismen für die Ausbildung von Orientierungsweisen und Motivationen, die konforme Handlungsweisen hervorbringen. Der Vorgang der Sozialisation wird zeitlich nicht mit der Kindheit abgeschlossen. Sicher ist die Phase der frühkindlichen oder primären Sozialisation von besonderer Bedeutung, da dort die Handlungsfähigkeit eines Individuum grundlegend gestaltet wird. Aber auch die sekundäre Sozialisation durch Ausbildung, Beruf, Medien etc. trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei und ist für die Erfüllung bzw. Nichterfüllung von Systemerfordernissen verantwortlich. Das allgemeine Muster, nach welchem Sozialisationsprozesse ablaufen und die Mechanismen, die dort wirksam werden, sind für alle ihre Phasen die gleichen. Die Triebstruktur des Neugeborenen sorgt dafür, daß es seine Wünsche nach Nahrung, Wärme und Liebe lautstark zur Geltung bringen kann. Von dieser biologisch gegebenen Fähigkeit bis zu einem Vorgang, der als zielorientiertes Handeln gilt, müssen allerdings etliche Lernprozesse vollzogen werden: • Regulierung der Triebstruktur: Nicht jedes Gefühl des Unwohlseins wird unmittelbar ausgedrückt und sofortige Abhilfe verlangt. • Differenzierung der Bezugspersonen: In unserer Kultur bedeutet das im allgemeinen, daß zunächst Vater und Mutter als Personen wahrgenommen werden, die in unterschiedlicher Weise auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. • Differenzierung von Situationen: Dieser Vorgang geht sozusagen aus dem Umgang mit den Bezugspersonen hervor. Das Kind lernt dabei nicht nur zwischen seinen Bezugspersonen zu differenzieren, sondern lernt auch, daß diese verschie-

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denen Personen weder selbst, noch in ihren Erwartungen an das Kind immer gleichförmig handeln. Die Entwicklungsschritte in den ersten Lebensjahren stehen noch in einem sehr engen Zusammenhang mit der körperlichen Entwicklung des Kindes. In welcher Art und Weise aber sich seine Differenzierungsleistungen ausprägen, wird durch die Sozialisationsmechanismen beeinflußt, die in diesem Prozeß wirksam sind. Ein Mechanismus ist das Verhältnis von Belohnung und Strafe, welches das Kind erfahrt. Da es Gefühle der Unlust zu vermeiden sucht, wird es seine Verhaltensweisen je nachdem verstärken oder unterlassen, wie seine Bezugspersonen darauf reagieren. Imitation ist ein weiterer Mechanismus, durch welchen nicht nur die allgemeine Handlungsfähigkeit vergrößert, sondern auch Orientierungen übernommen werden. Da Imitation eigentlich ein ,verkürzter' Lernprozeß ist, können Verhaltensmuster, die über diesen Weg erworben wurden, unstabil sein. Ebenso wie die Beziehung zum ,Modell' kann auch die von ihm übernommene Handlungsweise aufgegeben werden. Wirksamer und dauerhafter werden Orientierungen über den Mechanismus der Identifikation erworben. Diese, aus der Psychoanalyse von Freud übernommene Vorstellung, beinhaltet eine starke gefühlsmäßige Bindung an die entsprechende Bezugsperson. Sie ist nicht lediglich Modell für möglicherweise nur kurzfristig und oberflächlich übernommene Verhaltensweisen, sondern Vorbild. Ihre Normen und Orientierungsweisen werden als erstrebenswert angesehen und zu einem Bestandteil der eigenen Bedürfnis- und Motivationsstruktur gemacht. Über den Mechanismus der Identifikation wirken somit die Normen der zum Vorbild genommenen Bezugspersonen als Kontrollinstanz in der Bedürfnisstruktur eines Individuums. D.h., daß selbst bei Abwesenheit des Vorbildes und über dessen Tod hinaus die entsprechenden Normen als Maßstab für eigene Handlungen wirksam sein können. Parsons nimmt an, daß auch der Sozialisationsprozeß in einem Rahmen abläuft, der Systemeigenschaften aufweist. Daher kann er über die gleichen Annahmen erklärt werden, die sozialer Interaktion generell zu Grunde liegen. Da Parsons davon ausgeht, daß Interaktionen sich als ein System wechselseitiger Erwartungen beschreiben lassen, kann er auch jede Form von Interaktion als Rollenspiel auffassen. Das Merkmal von Rollenspiel ist schließlich, daß Individuen ihr Handeln an Erwartungen ausrichten, die an sie herangetragen werden, und daß sie ihrerseits mit Erwartungen an ihre Handlungspartner herantreten. In der Tat setzt Parsons theoretisch auch Interaktion mit Rollenspiel gleich und da er Sozialisation auch als eine besondere Form der Interaktion versteht, erfüllt auch Sozialisation die Bedingungen von Rollenspiel. Das Rollenspiel in der frühkindlichen Sozialisation ist zunächst ein eher einseitiger Vorgang. Die Differenzierungsfahigkeit, die das Rollenspiel verlangt, soll schließlich dort gerade erworben werden. Während der Säugling oder das Kleinkind in ,Interaktionen' zunächst Triebimpulse zum Ausdruck bringt, wird von Seiten der Bezugspersonen jeweils im Sinne von Rollen darauf Bezug genommen. Erstens verhalten sie sich selbst im Sinne von Rollen, die ihnen zugeschrieben werden und die sie sich selbst zuschreiben, nämlich als Mutter, Vater etc. und darüber hinaus als Mitglieder einer bestimmten Kultur. Zweitens schreiben sie auch ihrem Kind eine Rolle zu, indem sie versuchen, seine Äußerungen zu interpretieren, ihm bestimmte Erwartungen unterstellen, auf welche sie ihrem Selbstverständnis, d. h. ihrer Rolle entsprechend eingehen.

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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Kind im Verlauf des Sozialisationsprozesses in mehrfacher Hinsicht lernt. Es erwirbt Grundvoraussetzungen zum Handeln, die Fähigkeit nämlich, sich im Rahmen eines Systems wechselseitiger Erwartungen auf andere Personen zu beziehen. Dies bedeutet auch, die anderen und sich selbst rollenmäßig zu definieren. Da Rollen auch immer normative Elemente beinhalten, erwirbt es mit seiner Interaktionsfahigkeit auch immer bestimmte Wert- und Moralvorstellungen. Die von Parsons unterstellte Wirkungsweise der Sozialisationsmechanismen ist darüber hinaus so angelegt, daß das Kind die von seiner Umgebung praktizierten Normen übernimmt. Damit werden auch wesentliche Voraussetzungen zur Internalisierung von Normen geschaffen: In der Sozialisation vollzieht das Kind Lernprozesse, die zur Ausbildung von Handlungsfähigkeit beitragen. Da diese Prozesse in der Auseinandersetzung mit Personen ablaufen, zu denen emotionale Bindungen bestehen, werden auch die Normen der Bezugspersonen in die Motivations- und Bedürfnisstruktur des Lernenden aufgenommen. Das Individuum organisiert seine Sozialisationserfahrungen entlang einer Linie von Lust-Unlust Erlebnissen. Bezogen auf Systemerfordernisse werden Handlungsweisen und die sie tragenden Orientierungen entlang einer Linie von Konformität und Abweichung beurteilt. Bei dieser Betrachtungsweise steht nicht im Vordergrund, inwieweit sich eine Handlung mit der Bedürfnisstruktur eines Individuums deckt, sondern in welcher Weise sie sich auf institutionalisierte Werte bezieht. Um Konformität sicherzustellen, reicht es nicht aus, daß während des Sozialisationsprozesses gesellschaftliche Werte vermittelt werden. Die Situationen, in die sich ein Individuum im Verlauf eines Lebens begibt und begeben muß, sind zu vielfaltig, als daß es auf alle eindeutig vorbereitet werden könnte. Im Prozeß der Sozialisation müssen folglich auch Kontrollmechanismen in der Motivationsstruktur wirksam und verankert werden, damit Konformität auch in Spannungssituationen garantiert ist. Eine Quelle von Spannungen ist die Bedürfnisstruktur des Akteurs selbst. Trotz kultureller Formung und Normierung der primären Triebe bleiben Impulse, die nicht in diesen Rahmen passen. Damit der Akteur ihnen nicht nachgibt und Handlungsweisen praktiziert, die von institutionalisierten Normen abweichen und somit den Bestand des Sozialsystems in Frage stellen und gefährden, werden Möglichkeiten der Abwehr verlangt. Abwehr meint die Fähigkeit, den entsprechenden Impuls soweit zu unterdrücken, daß er nicht handlungsrelevant wird und gleichzeitig aber auch das psychische Gleichgewicht aufrecht erhält. Eine Form der Abwehr entsteht mit der bereits oben angesprochenen Identifikation. Durch diesen Mechanismus ist es möglich, ,unzivilisierte' Impulse zurückzuhalten, da sonst dem erstrebenswerten Vorbild zuwider gehandelt würde. Sobald das Kind erfährt, daß es nicht all seine Wünsche durchsetzen kann, da es sonst die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Personen verliert, die es liebt und von denen es abhängig ist, wird dieser Mechanismus herausgebildet. Die Notwendigkeit von Kontrollmechanismen ergibt sich aber auch aus äußeren Anlässen. In der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt erlebt das Kind, selbst wenn es sich konform verhält, Enttäuschungen und Zurückweisungen. Um darauf nicht mit abweichendem Verhalten zu reagieren, muß es über psychische Anpassungsfähigkeit (adjustment) verfügen. Wie schon die Formen der Abwehr konstruiert Parsons auch diesen Mechanismus in Anlehnung an die Psychoanalyse. Die Herausbildung psychischer Anpassungsfähigkeit wird mit dem Bild des oedipalen

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Konfliktes illustriert: In einer bestimmten Phase seiner Entwicklung liebt das Kind den gegengeschlechtlichen Elternteil. Seine damit verbundenen Wünsche werden nicht realisiert. Im Idealfall endet dieser Konflikt damit, daß das Kind trotz dieser Enttäuschung seine Zuneigung zu allen Beteiligten aufrechterhalten kann. Ebenso braucht es seine Liebeswünsche nicht gänzlich aufzugeben, sondern überträgt sie zu einem späteren Zeitpunkt auf eine andere Person. Auch wenn im Rahmen familiärer Beziehungen nicht alle möglichen Rollenkonstellationen vorweg genommen werden, denen ein Mensch im Laufe seines Lebens begegnet, wird doch das Grundmuster jeden Rollenspiels erlernt. Da die Bezugspersonen des Kindes dort auch als Vermittler der Kultur auftreten, deren Mitglieder sie sind, stellen sie innerhalb des Verwandtschaftssystems auch dar, was gesellschaftlichen Normen entsprechend als angemessen gilt. Das Kind erlebt seine Eltern schließlich nicht nur in ihrer Elternrolle, sondern wird sie zumindest ausschnittweise auch als Personen erleben, die in Sozialbeziehungen außerhalb des Familiensystems eingebunden sind, wie ζ. B. im Beruf, in politischen und kulturellen Organisationen.

2.5. Methode und Empirie Parsons betrachtete sich selbst als einen .unheilbaren Theoretiker'. Schwerpunkt seiner Arbeit war immer die Ausarbeitung einer soziologischen Theorie. In seinen Schriften betont er zwar mehrfach die Bedeutung von empirischer Forschung und den Methoden der Sozialforschung, ohne jedoch selbst an einer Weiterentwicklung der Soziologie in diesen Bereichen unmittelbar tätig zu sein. Die einzige abgeschlossene empirische Forschungsarbeit von Parsons in Zusammenarbeit mit G.M. Platt, ist eine Studie über das akademische System in den Vereinigten Staaten. In einer Pilot-Studie hat er über eine schriftliche Befragung, die Auswertung von Statistiken und über Sekundäranalysen Material für diese Untersuchung zusammengetragen, die dabei aufgetretenen Methodenprobleme erläutert und die Ergebnisse der Erhebung dargestellt. Eine ausführliche Interpretation dieser Untersuchungsergebnisse und ihre Einbeziehung in seie Theorie hat er mit G.M. Platt und M. J. Smelser in „The American University" dargelegt. Daß Parsons überhaupt die Universität, oder allgemeiner gesagt, den Bereich der gehobenen Bildung, den akademischen Komplex, zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, ergibt sich aus seinen Annahmen über gesellschaftliche Evolution·. gesellschaftliche Entwicklung beinhaltet für ihn die Differenzierung und Institutionalisierung kognitiver Rationalität. D. h. zunehmend mehr Bereiche sozialen Handelns werden auf der Basis systematisch erworbenen Wissens organisiert und einzelne Handlungen wie auch Erwartungen, die an Individuen herangetragen werden, müssen unter Bezug auf systematische Wissensbestände begründet werden. Die Universität oder der akademische Komplex ist der gesellschaftliche Bereich, der auf die Herstellung und Verbreitung von systematischem Wissen spezialisiert ist und bietet sich aus dieser Perspektive als Ausgangspunkt für eine Analyse gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse an. Der weitere Gang der Analyse ergibt sich aus den Prämissen von Parsons strukturell-funktionaler Systemtheorie: Die besondere Spezialisierung des akademischen Komplexes, - die Produktion von Wissen, das Handlungsweisen strukturiert-

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ordnet es dem gesellschaftlichen Subsystem zu, welches die Funktion der Strukturbewahrung (L-Funktion) zur Aufgabe hat. In diesem Sinne ist der akademische Komplex im Kultursystem verankert. In seinem Modell des allgemeinen Handlungssystems (vgl. S. 21 f.) hat Parsons die Formulierung von Werten als die wesentliche Leistung des Kultursystems angenommen. Um über die Grenzen des Kultusystems hinaus in der Gesellschaft wirksam werden zu können, müssen sie dort einerseits so allgemein formuliert werden, daß sie Verbindlichkeit für alle übrigen gesellschaftlichen Subsysteme bekommen können. Andererseits müssen sie aber auch im Hinblick auf die verschiedenen Subsysteme, die sie steuern sollen spezialisiert werden. Für das Beispiel der Universität bedeutet dies, der Begriff der Wissenschaftlichkeit darf nicht so eng gefaßt werden, daß nur reine Grundlagenforschung diesen Begriff verdient, sondern auch andere Bereiche, die sich nicht ständig strenger methodischer Überprüfungs- und Begründungsverfahren unterwerfen. Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit muß auch solche Bereiche einschließen, die sich in einer allgemeineren Form auf systematisches Wissen beziehen. Wie diese Aufgabe zu lösen ist, Wertverallgemeinerung, die zu einer Spezialisierung von Werten führt, hat Parsons ebenfalls in seiner strukturell-funktionalen Theorie entwickelt. Um die Austauschbeziehungen mit seiner Umwelt zu stabilisieren, muß in dem entsprechenden Subsystem eine interne Differenzierung stattfinden. (Vgl. S. 280 In der oben angesprochenen Pilot-Studie, wie auch in der darauf basierenden theoretischen Analyse „The American University", stellen Parsons und Platt diesen internen Differenzierungsprozeß des akademischen Komplexes dar. Dabei können sie nicht nur nachweisen, daß sich relativ eindeutig abgrenzbare Subsysteme mit je speziellen Funktionen herausgebildet haben. Sie stellen auch fest, daß für die Mitglieder dieser verschiedenen Teilbereiche entsprechende Rollenmuster vorhanden sind und sie stellen unterschiedliche Mechanismen fest, von denen Prozesse in diesen Subsystemen reguliert werden: 1. Als Zentrum des akademischen Komplexes und auch der Universität identifizieren sie den Bereich der Grundlagenforschung und der Ausbildung von Wissenschaftlern. Indem dort Wissenschaft bewahrt, weiterentwickelt und weitergegeben wird, kommt diesem Bereich innerhalb des akademischen Systems die Funktion der Strukturbewahrung (L-Funktion) zu. Der dort vorherrschende Bewertungsmaßstab ist kognitiver Art, während moralische, evaluative und kathektische Gesichtspunkte (vgl. S. 27) nicht zum Tragen kommen. Die Rolle des Wissenschaftlers ist eine über Leistung erworbene, nicht durch Geburt zugeschriebene. Seine Lehr- und Forschungstätigkeit basiert insofern auf einer unpersönlichen Grundlage, da er nicht - wie ζ. B. der Lehrstuhlinhaber in der klassischen deutschen Universität - seine speziellen Sonderinteressen zum Gegenstand seiner Lehr- und Forschungstätigkeit macht, sondern sich auf Interessen, Theorien und Methoden seines Faches und seines Departments bezieht. Seine Kompetenzen sind spezifisch auf sein Fachgebiet bezogen. Die Rolle als Wissenschaftler allein qualifiziert ihren Inhaber in keiner Weise höher und räumt ihm außerhalb des Wissenschaftsbereiches keine Sonderbefugnisse oder Privilegien gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern ein. Schließlich enthält die Rolle des Wissenschaftlers auch noch einen universalistischen Aspekt: er ist auf die Veröffent-

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lichung seiner Arbeitsergebnisse verpflichtet und zur Kommunikation mit seinen Fachkollegen. (Zu diesem Abschnitt vgl. nochmals S. 27) Die für den Bereich der Grundlagenforschung und der Ausbildung von Wissenschaftlern charakteristischen Mechanismen sind der akademische Status und die Institution der akademischen Freiheit. Beide Einrichtungen sind erforderlich, um diesen Bereich funktionsfähig zu halten, d. h. eine Weiterentwicklung von Wissenschaft zu ermöglichen: Ähnlich dem Geld in Marktprozessen kommt dem akademischen Status die Funktion zu, wissenschaftliche Ergebnisse produktiv auszutauschen. Dem Inhaber eines akademischen Status oder Titels wird unterstellt, daß seine Arbeiten vertrauenswürdig, d. h. den Maßstäben wissenschaftlichen Vorgehens entsprechend gewonnen und überprüft worden sind. Nur auf dieser Vertrauensbasis ist es möglich, auf Ergebnissen von Fachkollegen aufzubauen, ohne diese selbst erst noch einer Überprüfung zu unterziehen. Das Prinzip der akademischen Freiheit besagt, daß im Zentrum des Wissenschaftsbereiches keinerlei Einschränkungen aus moralischen Vorbehalten, politischen Kalkülen oder sonstigen außerwissenschaftlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden dürfen. Für jeden anderen gesellschaftlichen Bereich - und selbst für die übrigen Subsysteme des akademischen Komplexes - wäre eine solche Offenheit bestandsgefahrdend. Für den Kernbereich der Universität ist diese Autonomie ein Funktionserfordernis. Außer pragmatischen Begründungen ziehen Parsons/Platt hier auch theoretisch Argumente unter Bezug auf Parsons Konzept der Steuerungshierarchie (vgl. oben, S. 25) heran: Im allgemeinen Handlungssystem kommt dem Kultursystem die höchste Position in der Steuerungshierarchie zu, da es Werte zu seinem Inhalt hat und somit den höchsten Informationsgehalt aufweist. Da der gesamte akademische Komplex ohnehin im kulturellen Subsystem des Gesellschaftssystems angesiedelt ist und der Bereich von Grundlagenforschung und Ausbildung von Wissenschaftlern dort wiederum der L-Funktion zugeordnet ist, darf dieser Bereich nur seinen eigenen Regeln folgen und nicht von außen gesteuert werden. 2. Die Α-Funktion innerhalb des akademischen Komplexes wird von den undergraduate-colleges wahrgenommen. Obgleich institutionell in die Universitäten eingegliedert, wird dort weder eine wissenschaftliche noch eine berufliche Qualifikation vermittelt. Die Autoren betonen die sozialisatorische Bedeutung dieser Einrichtung. Auf einem Niveau höherer Bildung werden den Studenten dort generalistische Orientierungen vermittelt, die sie zu einer fundierteren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gefähigen. Während im Kernbereich des akademischen Komplexes die Norm kognitiver Rationalität Priorität hat, wird hier gerade auch die affektive Seite der Mitglieder berücksichtigt: Die Studenten befinden sich zu einem Zeitpunkt in diesen Colleges, indem sie biographisch gerade den Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen erleben. Die Erziehung in dieser Situation soll ihnen dazu verhelfen, die allgemeinen kognitiven Grundlagen, aber auch die Motivationsbasis zu erwerben, die ihnen von der Welt der Erwachsenen abverlangt werden. Daß dieser Bereich der Α-Funktion des akademischen Komplexes zugeordnet wird, von daher auch in Austauschbeziehung mit dem Wirtschaftsbereich des Gesellschaftssystems gesehen wird, ergibt sich aus dem Produkt, das in den untergraduate colleges erzeugt wird: eine allgemeine Erhöhung der Handlungsfähigkeit der

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Individuen, welche insbesondere das Wirtschaftssystem zur Erfüllung seiner Funktionen als Ressource nutzen muß. (Vgl. oben, S.31) 3. Zur Seite der Zielerreichung (G-Funktion) des akademischen Komplexes siedeln die Autoren die Ausbildung zu professionalisierten Berufen an (training for applied professions). Professionen, wie z.B. die des Anwalts, Arztes, Lehers etc. basieren zwar auf einer wissenschaftlichen Grundlage, erfordern aber gegenüber den Qualifikationsprozessen von Wissenschaftlern im Bereich der Grundlagenforschung eine Spezialisierung und Anwendungsorientierung auf Berufsfelder hin. Die hier maßgeblichen Kriterien sind in erster Linie solche berufspraktischen Zielsetzungen. 4. Die im Kultursystem vorhandenen Werte sind zu allgemein, um für soziales Handeln bedeutsam zu werden. Dies trifft auch auf die Idee der kognitiven Rationalität zu, welche im Zentrum des akademischen Komplexes verankert ist. Um den mit dieser Vorstellung verbundenen Vernunftbegriff und die damit verknüpfte Bedeutung, die wissenschaftlichem Wissen und wissenschaftlichen Verfahren für unser Gesellschaftssystem unterstellt wird, auch außerhalb des akademischen Bereiches Wirksamkeit zu verleihen, muß sie quasi für Alltagssituationen übersetzt werden. Diese Aufgabe, die Entwicklung von Situationsdeutungen, Weltbildern oder Ideologien, ordnen Parsons/Platt dem Subsystem des akademischen Komplexes zu, der in erster Linie Integrationsleistungen zu vollbringen hat (I-Funktion). Diese Aufgabe wird über die Rolle des Intellektuellen wahrgenommen. Als Personengruppe sind sie nicht so eindeutig zu identifizieren wie ζ. B. die Angehörigen der verschiedenen Professionen. Teilweise üben sie Berufe innerhalb der Universität oder im höheren Bildungsbereich aus, aber auch bestimmte Schriftsteller, Journalisten, Politiker und Künstler gehören ihnen an. Das Gemeinsame und charakteristische der Intellektuellen besteht in ihrer vermittelnden Funktion zwischen Kulturund Sozialsystem: Ihre Bemühung um eine Ausgestaltung kultureller Symbolsysteme. Dies geschieht aber nicht alleine unter kognitiven Gesichtspunkten. Ihre Leistung besteht auch und gerade darin, die kognitiven Elemente unserer Kultur in Zusammenhang mit Legitimationsbedürfnissen, moralischen und affektiven Erfordernissen zu bringen. Da die Leistung der Intellektuellen, theoretisch gesehen, die gleichen Merkmale aufweist wie die des Sozialsystems im Rahmen des allgemeinen Handlungssystems, findet ihre Zuordnung zur I-Funktion statt: Allgemeine Werte erfahren eine Spezialisierung zu Normen, die - durch Institutionalisierung - Handlungsbereiche sachlich strukturieren. Gleichzeitig regulieren sie die Motivationsstruktur von Individuen und sichern dadurch deren Bereitschaft, in den entsprechenden vorgegebenen Rollenmustern zu handeln. Parsons und Platt haben in ihrer Studie über die amerikanische Universität Ergebnisse gewonnen, die ihnen ihren theoretischen Interpretationsrahmen plausibel erscheinen lassen. Für Parsons bedeutet dies zugleich auch eine Bestätigung seiner allgemeinen Hypothese über soziale Evolution und Systemdifferenzierung. Ereignisse, die von Parsons, Platt und Semlser festgestellt werden, die sich mit dem Bild der Analyse nicht unbedingt decken, interpretieren sie im gleichen theoretischen Rahmen in einer Weise, die diesen selbst nicht in Frage stellt: - Wie in anderen Ländern wurde auch in den USA Ende der 60er Jahre - gerade zum Zeitpunkt der Untersuchung - der Universitätsbetrieb und das vorherrschende

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Wissenschaftsverständnis durch die Studentenbewegung in Frage gestellt. Die Autoren deuten dies so, daß der von ihnen festgestellte Differenzierungsprozeß noch nicht seinen Abschluß gefunden hat. So ist ζ. B. auf seiten der Grundlagenforschung und der Ausbildung von Wissenschaftlern die Norm kognitiver Rationalität nicht eindeutig genug institutionalisiert. Dies hatte zur Folge, daß in diesem Bereich plötzlich moralische, politische und andere Kriterien aus angrenzenden Subsystemen des akademischen Komplexes thematisiert wurden. Die Studentenbewegung selbst wird u. a. als Konsequenz davon wahrgenommen, daß ζ. B. der sozialisatorische Charakter der undergraduate Erziehung zu wenig berücksichtigt wurde. D.h. in diesem Bereich wurden wiederum Normen kognitiver Rationalität überbetont und die affektive Seite zu wenig berücksichtigt. - In einer ähnlichen Weise interpretieren Parsons und Platt auch eine umfassendere gesellschaftliche Entwicklung, die bei uns in den letzten Jahren unter den Stichworten,Sinnkrise' oder,Wertverlust' behandelt wird. Wie hier ist auch in den USA seit einigen Jahren zu beobachten, daß Gruppen sich den Leistungs- und Rationalitätsnormen unserer Gesellschaft gegenüber skeptisch verhalten, eine kritische bis feindliche Einstellung gegenüber Wissenschaft erkennbar wird. Analog zum studentischen Protest wird dies darauf zurückgeführt, daß mit der Ausdifferenzierung des akademischen Komplexes in den letzten Jahrzehnten auch außerhalb des universitären Bereichs eine Inflation kognitiv rationaler Werte und Normen stattfand. Nach diesem zu einseitigen Versuch einer Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche setze nun eine Deflation ein, über welche dann aber eine Balance hergestellt würde. So sehr Parsons sich selbst als Theoretiker verstand und sich nur am Rande mit empirischer Forschung beschäftigte, besagt dies nicht, daß sein Ansatz nicht als Rahmen für Forschungsarbeiten tauglich wäre. In den Vereinigten Staaten, aber auch darüber hinaus wurde sein Konzept vielfach - wenn auch teils in mehr oder weniger abgewandelter Form - als Grundlage für Forschungsarbeiten herangezogen. Es würde hier zu weit führen, auch nur das Spektrum der Themen aufzulisten, das in diesem Rahmen untersucht wurde.

2.6. Kritik Seit dem Erscheinen von Parsons Arbeiten zur Systemtheorie findet eine breite kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk statt, die bis in die Gegenwart hineinreicht. Das Spektrum der Kritik ist so umfassend, daß nahezu jeder denkbare Einwand gegen diese Theorie vorgetragen wurde. Die schwere Lesbarkeit von Parsons Arbeiten wurde ebenso verhandelt wie seine politische Einstellung, einzelne begriffliche Konstruktionen seiner Theorie (z.B. Orientierungsalternativen), Teilbereiche seines Werkes (ζ. B. Rollen- und Organisationssoziologie) aber auch umfassendere metatheoretische und methodologische Fragen. Während in der früheren Diskussion um Parsons eher Skepsis und Ablehnung gegenüber seiner Systemtheorie zum Ausdruck gekommen ist, mehren sich in den letzten Jahren insbesondere in der Bundesrepublik Veröffentlichungen, die sich - trotz aller Einwände positiv auf den Funktionalismus beziehen und ihre kritischen Stellungnahmen als einen Beitrag zur Weiterentwicklung dieses Ansatzes sehen.

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Wir wollen und auf drei Schwerpunkte dieser Debatte beschränken: 1. Das Verhältnis von logischen und empirischen Annahmen bei Parsons: Dabei geht es um die Frage, in welcher Beziehung die theoretischen Konstruktionen von Parsons zur gesellschaftlichen Wirklichkeit stehen. 2. Das Verhältnis von Handlungs- und Systemtheorie: Es wird Parsons' Behauptung diskutiert, er habe handlungs- und systemtheoretische Fragestellungen in einem Theoriekonzept miteinander verbunden. 3. Das Verhältnis von allgemeiner Gesellschaftstheorie und Geschichte: Parsons hat eine Theorie entwickelt, die nach seiner Ansicht für jeden Gesellschaftstypus als Bezugsrahmen fruchtbar ist. In diesem Zusammenhang wird 1. gefragt, ob der Allgemeinheitsanspruch seiner Theorie berechtigt ist und 2. inwieweit mit diesem Ansatz gesellschaftliche Entwicklung noch gefaßt werden kann. ad 1.: Wie oben (S. 17) referiert, erhebt Parsons den Anspruch sowohl ein Begriffssystem zur Klassifikation sozialer Realität wie auch Aussagen über die Beziehungen einzelner sozialer Faktoren und ihre funktionalen Gesetzmäßigkeiten erstellt zu haben. Sein Konzept wird auch nicht als eine soziologische Theorie neben diversen anderen verstanden sondern als Instrumentarium zur Organisation soziologischen Wissens schlechthin. Seinem eigenen Anspruch gemäß will Parsons damit einen formalen Rahmen zur Verfügung stellen, der auf theoretischen und methodologischen Überlegungen beruht. Um diesen formalen Charakter zu wahren, dürften inhaltliche Aussagen oder normative Annahmen über den Gegenstandsbereich, die Gesellschaft, nicht in diesem Bezugsrahmen enthalten sein, bzw. müßten als solche deutlich gemacht werden. Faktisch aber ist es bei Parsons so, daß die Grenze zwischen theoretischen Prämissen und inhaltlichen Aussagen des öfteren unscharf wird. Parsons behauptet ζ. B., daß Gesellschaften und die in Gesellschaften handelnden Individuen einer Tendenz zur Integration folgen. Gleichwohl muß er aber auch empirisch existierende Formen der Desintegration erklären können, wie ζ. B. Alkoholismus, Kriminalität. Würde er seine Integrationsthese wirklich als Hypothese behandeln, müßte er sie selbst einer Überprüfung unterziehen und möglicherweise verwerfen. Diesen Weg wählt er aber nicht, da für ihn diese Integrationsthese nicht nur die Bedeutung einer theoretischen Annahme hat, sondern auch als grundlegende Aussage über Sozialsysteme genommen wird. Erklärungen zu Formen von Desintegration in der Realität dürfen die von ihm formulierte Integrationsthese folglich nicht in Frage stellen. Alkoholismus, Drogenkonsum, Kriminalität und ähnliche Erscheinungen werden von Parsons daher als Abweichungen interpretiert, die ihre Ursachen in der Biographie oder bestimmten Eigenschaften der Individuen haben. Für Sozialsysteme kann die Integrationsthese damit weiterhin aufrechterhalten werden, da die Ursache von Desintegrationserscheinungen aus dem Sozialsystem herausgenommen und in das Persönlichkeitssystem hineinverlagert ist. Aber auch für empirische Ereignisse, die sich nicht mehr über Persönlichkeitssysteme erklären lassen, hat Parsons Interpretationen, die seine Integrationsthese verschonen: Treten Formen abweichenden Verhaltens in einer Gesellschaft in großer Häufigkeit auf, bleibt eine Erklärung, die sich auf das Individuum beschränkt auch theoretisch unbefriedigend. In solchen Fällen argumentiert Parsons damit, daß die mangelnde Ausdifferenzierung der funktionalen Subsysteme einer Gesellschaft es den Persönlichkeitssystemen schwer mache, gesellschaftliche Anforderungen angemessen - d. h. im Sinne eines Handelns, das auf Systemerfordernisse bezo-

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gen ist - zu verarbeiten. Aber selbst das Auftreten solcher Strukturprobleme hat für Parsons nicht zur Folge, daß die generellen Tendenzen zur Integration infrage gestellt wird. Er sieht darin vielmehr ein zeitliches Problem. Den Faschismus in Deutschland erklärt er in diesem Sinne dadurch, daß in Deutschland sich das ökonomische System ungleich schneller und umfassender ausdifferenziert habe als das politische System. Die Individuen wären aufgrund der ökonomischen Entwicklungen nicht nur in ihren traditionellen Wertorientierungen verunsichert gewesen, sondern hätten, mangels politischer Ausdifferenzierung, keine alternativen Wertmuster vorgefunden. Ähnlich auch Parsons Erklärungen, angesichts der Rassendiskriminierungen in den USA, die sich nun nicht mit den von ihm für eine moderne Gesellschaft postulierten Zuständen vereinbaren lassen: sie habe ihre Ursache in einer unzureichenden Ausdifferenzierung des Bildungssystems. Aus mangelnder Bildung und Aufklärung resultierten einerseits Vorurteile gegenüber Menschen anderer Rassen, andererseits sei der geringere Bildungs- und Ausbildungsstand der Farbigen Ursache ihrer Unterprivilegierung auf dem Arbeitsmarkt und führe wegen des geringeren Einkommens zu einer generellen Benachteiligung.

Der Eiwand gegen Parsons, er trenne nicht zwischen theoretischen und normativen Annahmen oder anders ausgedrückt, er behandele Hypothesen wie Tatsachen, wird mit beiden Beispielen illustriert. - Problematisch ist dabei nicht unbedingt, daß eine Hypothese trotz widersprechender empirischer Tatbestände aufrechterhalten wird. Kritisch wird dieses Vorgehen erst dadurch, daß in einer Art und Weise argumentiert wird, welche die Hypothese gegen empirische Ereignisse immunisiert. Es wird auf bestimmte Prozesse gesellschaftlicher Ausdifferenzierung in der Zukunft verwiesen und damit auf Fakten, die hier und jetzt nicht überprüfbar sind, des weiteren werden auch keine Kriterien zur Einschränkung des Gültigkeitsbereichs der Hypothese entwickelt. Überspitzt gesagt könnte durchaus eine Situation auftreten, in welcher empirisch ein Zustand vollständiger gesellschaftlicher Desintegration herrscht, der klassische Krieg aller gegen alle. Mit dem Verweis auf Ausdifferenzierungsprozesse in der Zukunft könnte die Hypothese weiterhin aufrechterhalten werden. Dieses Vorgehen von Parsons ist in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft: 1. werden Erfordernisse empirischer Wissenschaft außer acht gelassen, das Postulat ihrer Überprüfbarkeit nämlich. 2. Indem Hypothesen über einen Gegenstandsbereich nicht mehr als theoretische Konstruktionen verstanden werden, sondern als Tatsachenaussagen über den Gegenstandsbereich, werden Erkenntnismöglichkeiten abgeschnitten. Selbst in Fällen, in welchen die Konzeption des Gegenstandsbereiches durch die Realität erheblich in Frage gestellt wird, braucht Parsons nicht von seiner Konzeption abzuweichen. Mit dem Beharren auf einmal gesetzte Hypothesen schließt er alle anderen möglichen Hypothesen über den Gegenstandsbereich aus. 3. Gerade in den Sozialwissenschaften besteht die Gefahr, daß sie ideologisch benutzt werden, bzw. als Legitimation zur Absicherungen politischer Praktiken. Dies um so stärker, wenn theoretische Annahmen und normative Behauptungen vermischt werden. An Parsons Evolutionstheorie läßt sich dies besonders deutlich belegen Parsons identifiziert die USA mit dem, was seinem Konzept moderner Gesellschaften am nächsten kommt. Sein Konzept moderner Gesellschaften ist zugleich aber in eine Geschichtsphilosophie eingebunden, welche mit Wertungen durchsetzt ist. Demnach werden moderne Gesellschaften an die oberste Stelle der Bewertungsskala von Gesellschafter überhaupt gesetzt. Einmal aus eher formalen Gesichtspunkten, als die stabilsten und anpassungsfähigsten Gesellschaften. Zum anderen aber auch als die wünschenswertesten, da sie ein Maximum individueller

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Freiheiten garantieren würden. Hiermit wird einmal der Vorbild-Charakter der USA gegenüber anderen Gesellschaften scheinbar wissenschaftlich begründet. Dieser ethnozentristische Standpunkt - so wird eine Wissenschaft bezeichnet, welche ihre Ursprungskultur gegenüber allen fremden Kulturen zur einzig vernünftigen erklärt - schließt eine Gesellschaftstheorie nicht nur gegenüber Erkenntnissen ab, die aus einer offenen Einstellung gegenüber dem Fremden entstehen könnten. Darüber hinaus kann eine solche Wissenschaft auch im Sinne wissenschaftsexterner Interessen, d. h. politischer und ökonomischer Interessen benutzt werden, um Strategien hinsichtlich der Zerstörung fremder Kulturen und deren Umgestaltung nach den eigenen Maßstäben zu rechtfertigen. Diese Tendenz der Theorie von Parsons wird noch dadurch verstärkt, daß im Rahmen seines Evolutionskonzeptes als Ziel aller Entwicklungsstufen von sozialen Systemen überhaupt die modernen Gesellschaften angesiedelt sind. In politische Praxis umgesetzt bedeutet dies, daß eine Intervention in die Verfassung fremder Kulturen nach Gesichtspunkten der USA nicht nur legitim ist, sondern sogar wünschenswert ist. Steht eine Gesellschaft vom Typus der USA am Ende der Entwicklung von Sozialsystemen, würde eine entsprechende Umgestaltung anderer Typen von Gesellschaft doch nur bedeuten, daß der Logik und Vernunft der Geschichte genüge getan wird. ad 2.: Während Parsons noch in seinen letzten Arbeiten darauf beharrt, daß seine Systemtheorie ein handlungstheoretisches Fundament aufweist, ist dies von seinen Kritikern mit ausführlichen Argumenten bestritten worden. Von verschiedenen Autoren ist an Parsons Schriften belegt worden, daß seine Handlungstheorie eine Einschränkung durch die Systemtheorie erfahrt. Insbesondere beim Ubergang von der Betrachtung des Aktors (unit act) zu seiner Rollentheorie läßt sich in Parsons Theoriekonzept ein Bruch mit seiner Handlungstheorie nachweisen, an deren Stellen sein Denken in Systemkategorien tritt. Der Bruch, von dem Parsons Kritiker reden, läßt sich genauer lokalisieren: Sobald er systemtheoretisch argumentiert, geht Parsons vom Bild eines ,übersozialisierten Individuums' aus. D. h. eines Typus von Persönlichkeit, der ganz in Wertvorstellungen und Vorschriften aufgeht, die ihm im Verlauf seiner Erziehung vorgegeben worden sind. Sein Menschenbild entspricht dem Muster von Personen, die sich völlig den an sie herangetragenen Erfordernisse anpassen, d. h. genau die gegenteiligen Eigenschaften zu persönlicher Autonomie und Individualisierung erkennen lassen. Dieser Schritt aber führt ihn von seiner ursprünglichen handlungstheoretischen Position fort. Sinn von Versuchen, eine Gesellschaftstheorie handlungstheoretisch zu fassen ist es aber davon auszugehen, daß Individuen die Produzenten soziale Tatbestände sind, d. h. ihre soziale Organisation entsprechend ihren Absichten gestalten. Dazu aber muß von autonomen Individuen ausgegangen werden, da nur ein solcher Persönlichkeitstypus über die Fähigkeiten verfügt, die zu aktiver Lebensgestaltung erforderlich sind. Nach Auffassung derer, die einen Bruch zwischen Handlungs- und Systemtheorie sehen besteht offensichtlich ein unvermeidbares Dilemma: entweder wird konsequent an der Vorstellung eines autonomen Individuums festgehalten oder das Terrain der Handlungstheorie verlassen und somit ein Argumentationsbruch vollzogen. Da Parsons trotz aller Vorhaltungen immer auf seiner Synthese von Handlungs- und Systemtheorie beharrt, kann das doch nur bedeuten, daß er bereits in seiner Handlungstheorie von einem Bild des Akteurs ausgeht, das sich von dem seiner Kritiker unterscheidet. Ohne diese Idee ausführlich zu entwickeln, spricht er in seinen späte-

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ren Arbeiten mehrfach über,institutionalisierten Individualismus'. Das beinhaltet eine Vorstellung des Individuums, welche von ihrer Definition her schon so angelegt ist, daß Sie die Handlungsmöglichkeiten des Akteurs enger faßt als dies mit der klassischen Idee eines autonomen Individuums verstanden wird. Nach Parsons würde die Autonomie des Individuums also erst dort anfangen, wo es die Vorentscheidungen des institutionalisierten Gefüges von Normen und Werten angenommen hat. Wenn so zwar die logische Konsistenz seines theoretischen Konzeptes gewahrt bleibt, stellen sich aber nun andere Fragen an Parsons Absichten: Wenn er bereits in seiner Handlungstheorie von einem Bild eines durch institutionalisierte Vorgaben in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkten Individuums ausgeht, wieso dann überhaupt noch eine Handlungstheorie? Wieso unternimmt Parsons überhaupt die Mühe, eine Handlungstheorie zu entwickeln, wenn sich letztendlich herausstellt, daß menschliches Handeln durch Systemeigenschaften und Systemerfordernissen determiniert ist? Der Sinn von Handlungstheorien ist es ja gerade, jeder Art von Reduktionismus und Determinismus vorzubeugen und soziale Tatbestände durch Soziales, d. h. durch Eigenschaften menschlichen Handelns zu erklären. In diesem Zusammenhang wäre zu erwarten, daß Parsons erläutert, was eigentlich die Qualität von Systemen ausmacht, in welchem Zusammenhang sie mit menschlichem Handeln stehen. Gerade hier aber bleibt Parsons zurückhaltend. In seinen Anmerkungen zu Prozessen der Systembildung und den Eigenschaften und Erfordernissen von Systemen verweist er auf Analogien aus der Biologie und der Kybernetik. Dabei bleibt offen, bzw. der Phantasie des Lesers überlassen, ob es sich bei all den Aspekten, die sich mit der Systemvorstellung verbinden, um Faktoren handelt, die eine quasi natürliche Eigenschaft von Lebenstätigkeit ist. Parsons Systemkonzept würde damit eine spezielle Variante von biologischem Determinismus. Ebenso könnte es sich dabei auch um eine Art von logischem Plan des Lebens oder der Menschheitsgeschichte handeln, die der menschlichen Geschichte vorgelagert ist. Damit wäre der Bereich der Metaphysik angesprochen, den Parsons ja ebenfalls ablehnt. Schließlich, und das würde eigentlich seinem Anspruch, eine handlungstheoretisch fundierte Systemtheorie zu entwickeln, am nächsten kommen, könnte es sich bei diesen Systemerfordernissen in der Tat um Dinge handeln, die durch menschliches Handeln und menschliches Zusammenleben hervorgebracht worden sind. Hier aber müßte eine Erklärung folgen, die verständlich macht, warum derartige Produkte menschlichen Tuns den Menschen plötzlich als ein scheinbar unabänderlicher Zwang entgegenstehen. Für die Ausgangsfrage, wie Parsons den Übergang von seiner Handlungs- zur Systemtheorie gelöst hat, läßt sich aus all dem nur folgern, daß hier viel Raum für Spekulationen ist, aber keine eindeutigen Antworten gegeben werden können. Daher bietet auch Parsons Konzept noch keine endgültige Lösung für das Spannungsverhältnis zwischen individuellem Handeln und gesellschaftlichen Strukturen an. Und das insbesondere, weil bei ihm das, was die zentralen strukturellen Komponenten sind, denen absichtsvoll handelnde Individuen gegenüberstehen, nämlich Systemeigenschaften, weil diese Systemeigenschaften zu unbestimmt bleiben. Parsons Übergang von der Handlungs- zur Systemtheorie war hier bislang nur unter dem Gesichtspunkt logischer Konsistenz diskutiert worden und der Frage, inwieweit handlungs- und systemtheoretische Ansprüche sich in seinem Konzept

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vereinbaren lassen. Eine andere Frage seiner Kritiker ist, inwieweit das von ihm entworfene Bild des Akteurs der Empirie angemessen ist. Ebenso muß auch gefragt werden, inwieweit sich das Bild der strukturellen Komponenten mit empirischen Beobachtungen deckt. Muß angesichts sozialer Wirklichkeit das Bild eines autonomen Akteurs gänzlich aufgeben und erweisen sich die Bedingungen der Sozialstruktur wirklich als unabänderliche Tatsachen und Voraussetzungen für unser Handeln? ad 3.1.: Beansprucht jemand wie Parsons, eine allgemeine Gesellschaftstheorie entwickelt zu haben, setzt er sich zum einen der Diskussion aus, ob ein solches Vorhaben für die Sozialwissenschaften überhaupt sinnvoll und möglich ist. Zum anderen muß er in der Wahl seiner Hypothese und der Begriffsbildung diesen Allgemeinheitsanspruch auch durchhalten. D.h. die zentralen Komponenten seiner Theorie dürfen nicht lediglich Verallgemeinerungen sein, die am Beispiel eines bestimmten Typus von Gesellschaft gewonnen wurden. Was Sinn und Möglichkeit einer allgemeinen Gesellschaftstheorie anbelangt wird gestritten, seit es Sozialwissenschaften gibt. Die Befürworter einer solchen Richtung orientieren sich dabei am Theorie- und Methodenverständnis der Naturwissenschaften. Ihr durchaus berechtigtes Anliegen besteht darin, die Sozialwissenschaften zu exakten Wissenschaften und damit zu einem prognosefahigen Instrument zu machen. Von Gegnern dieser Auffassung wird auf die grundsätzlich andere Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches von Natur- und Sozialwissenschaften verwiesen. Im Unterschied zur Natur, in der Prozesse wesentlich gleichförmig ablaufen, handeln Menschen nach Absichten, die sie abändern und durchsetzen können. Über soziale Vorgänge lassen sich nach diesem Verständnis keine für alle Zeiten gültigen Generalisierungen auffinden, die mehr als Trivialitäten beinhalten. Es deckt sich wohl kein Bild unmittelbar mit der Realität, welches Individuen einseitig als autonom oder angepaßt entwirft. Ebenso ist jeder Schematismus verfehlt, der soziale Strukturen ausschließlich als flexibel oder starr versteht. Als gangbaren Weg für theoretische Aussagen, die auch soziale Realität angemessen erfassen, bietet es sich daher an, den Geltungsbereich der jeweiligen Hypothesen zu spezifizieren. D.h. insbesondere anzugeben unter welchen konkreten historischen Konstellationen eine bestimmte Theorie Gültigkeit beansprucht. Es wäre ja durchaus denkbar, daß Parsons Konzept von Akteuren und Sozialstruktur, z.B. die Zustände in den USA und Westeuropa in der Mitte des 19. Jahrhunderts angemessen beschreibt, für die Zeiträume davor und danach aber und für andere Kulturen unzutreffend ist. Genau diese historische Spezifizierung aber nimmt Parsons nicht vor. Von seinen Kritikern ist ihm entgegengehalten worden, daß er ein bestimmtes Menschenbild und eine bestimmte Verfassung von Gesellschaft generalisiere, seine Konzeptionen von daher um so leichter wegen ihres mangelnden Realitätsgehaltes ad absurdum geführt werden könnten. Mit Parsons wäre diesem Vorwurf noch entgegen zu halten, daß er doch eine historische Spezifizierung vornimmt. Sein Gesellschaftskonzept entspricht nämlich einem Stadium gesellschaftlicher Entwicklung wie es seinem Evolutionskonzept entsprechend von den modernen Gesellschaften verkörpert wird. Als empirisches Beispiel für sein Gesellschaftsmodell zieht er die USA heran. Aber auch hier kann man Parsons den Vorwurf nicht ersparen, daß er insgesamt unpräzise verfahrt: einmal beansprucht er Aussagen über Handeln und Sozialsyste-

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me schlechthin zu machen. Er zielt also auf generalisierende Aussagen, die eher einen formalen und theoretischen Stellwert haben. Ζ. B. wenn es ihm darum geht, über die Einführung seiner vier Orientierungsalternativen (vgl. S. 27) zu erklären, welche grundsätzlicher Entscheidungen von einem Individuum in jedem Handlungsakt vorgenommen werden. Zum anderen aber, in der inhaltlichen Ausführung der Alternativpaare beschreibt Parsons Entscheidungskriterien, wie sie für bestimmte Gesellschaften der Gegenwart charakteristisch sind. Sein Anspruch, eine generalisierende Aussage zu machen, wird somit wieder inhaltlich eingeschränkt. Da Parsons aber weiterhin darauf besteht, allgemeingültige Aussagen über Eigenschaften menschlichen Handelns vorzunehmen, setzt er sich dem folgenden Vorwurf aus: er nimmt historisch besondere Merkmale und Ausprägungen menschlichen Handelns, die er in Gesellschaften der Gegenwart feststellt und generalisiert sie. Dieses Vorgehen läßt sich bei Parsons durchgehend verfolgen. Natürlich trifft er eine Unterscheidung zwischen modernen und prä-modernen Gesellschaften, für die er auch jeweils unterschiedliche Strukturmuster und Funktionsprinzipien feststellt. Letztlich aber verfahrt er so, daß zur Beschreibung, Erklärung und Beurteilung aller Typen von Gesellschaften der Rahmen benutzt wird, der sich mit dem Typus der modernen Gesellschaften deckt. Ob es sich nun um feudale Gesellschaften des europäischen Mittelalters handelt oder um die Sowjetunion, sie werden alle in den Begriffen von Parsons Systemtheorie verarbeitet. Dabei läßt sich feststellen, daß diese nicht-modernen Gesellschaften den einen oder anderen Funktionsbereich noch nicht hinreichend ausdifferenziert haben. Alle Spannungen in diesen Gesellschaften lassen sich dementsprechend als Bestandsprobleme interpretieren, die sich aus der mangelnden internen Ausdifferenzierung ergeben, die ihrerseits wiederum dafür verantwortlich ist, daß diese Gesellschaften nicht hinreichend und flexibel genug auf Umweltanforderungen reagieren können. Mit diesem Vorgehen schließt Parsons die Frage aus, inwieweit nicht andere Gesellschaften, sei es die Sowjetunion oder ein feudales Reich, nach Rationalitätskriterien organisiert sind und von diesen gesteuert werden, die mit denen der modernen Gesellschaften nicht vergleichbar sind. Wie schon bei den Orientierungsalternativen wählt er auch hier im Bereich der Rationalitätsprinzipien die Gesellschaften steuern den Weg, von dem, was für einige Gesellschaften charakteristisch sein mag darauf zu schließen, was für Gesellschaft insgesamt charakteristisch ist. Zusammengefaßt: Parsons verfolgt die durchaus problematische Strategie, eine allgemeine Gesellschaftstheorie zu entwickeln. Dabei bleibt es nicht lediglich bei einer Absichtserklärung. Er handhabt seine Theorie auch i. d. Sinne, indem er sie als Analyserahmen für alle Formen sozialer Organisation nutzt. Gleichzeitig gelingt es ihm aber auch nicht seinen Anspruch durchzuhalten. Seine Generalisierungen beruhen auf Verallgemeinerungen, die er - ohne sie auf ihren historischen Ursprung zurückzuführen aus der Analyse einer bestimmten Gesellschaft gewinnt. ad 3.2. Inwieweit eine Theorie gesellschaftliche Entwicklung fassen kann, entscheidet sich mit den Erklärungen, die sie für endogene Wandlungsprozesse anbietet. Bei Veränderungen, die von außen in eine Gesellschaft hereingetragen werden wie ζ. B. in die antike Welt durch die Römer oder in die Dritte Welt durch die Europäer und die Vereinigten Staaten, handelt es sich um vergleichsweise eindeutige Vorgän-

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ge. Die Übergänge vom Mittelalter über die Renaissance zur Moderne in Westeuropa lassen sich hingegen nicht erschöpfend über externe Einflüsse erklären. Für den Ablauf endogener Wandlungsprozesse muß ein Subjekt, ein Motor, eine Kraft angegeben werden, wodurch derartige Vorgänge hervorgerufen und getragen werden. Parsons Äußerungen zu diesem Thema ergeben sich aus der vorangegangenen Darstellung seiner Theorie: gesellschaftliche Entwicklung - als Evolutionsprozeß verstanden - wird durch oberste Werte gesteuert. Daß diese Annahme problematisch ist und nicht ganz widerspruchsfrei zu anderen Hypothesen von Parsons, braucht hier nicht mehr im einzelnen dargelegt werden. So verstößt er z.B. auch hier wieder gegen seine Ausgangsüberlegung, daß Soziales nur über Eigenschaften sozialen Handelns erklärt werden kann, da diese obersten Werte schon jeder konkreten Gesellschaft und damit allen sozialen Handlungen vorausgesetzt werden. Erstaunlich ist, wie wenig in Parsons sonst recht ausführlichem und umfangreichen Werk zu diesem Aspekt zu finden ist. Polemisch könnte man sagen, daß er es versäumt hat, seine Metaphysik auszuführen.

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3. Kapitel Symbolischer Interaktionismus 3.1. Die Theorie des Symbolischen Interaktionismus In der Einleitung haben wir eine Typisierung vorgenommen, der sich die gegenwärtigen soziologischen Theorien zuordnen lassen. Der symbolische Interaktionismus (SI) entspricht nach diesem Schema dem Typus, der in seiner Konstruktion bei der Person des handelnden Akteurs anknüpft. Der symbolische Interaktionismus geht vom Bild eines aktiven, bewußt handelnden Individuums aus, das durch seine Handlungen gestaltend.auf seine soziale Umwelt einwirkt. Diese Grundannahme wird in das Theorienkonzept des Interaktionismus übersetzt, indem dort eben nicht gesellschaftliche Strukturen, sondern die Individuen zum Ausgangspunkt einer soziologischen Analyse gemacht werden. Es wird also von einer bestimmten Beurteilung des Individuums und einer Bewertung seiner Handlungsmöglichkeiten ausgegangen, nämlich einer Vorstellung persönlicher Autonomie und der Durchsetzbarkeit individueller Absichten. Allerdings wird derjenige, der sich etwas näher mit dem SI beschäftigt, relativ schnell mit einem interessanten Phänomen konfrontiert, das vielleicht am besten anhand einiger Zitate von Interaktionisten aus den letzten 20 Jahren dargestellt werden soll. „Wegen ihrer verschiedenen Ursprünge kann die interaktionistische Theorie keine volle Übereinstimmung hinsichtlich der Konzepte, Prämissen und Vorschläge unter allen jenen beanspruchen, die sich selbst als ihre Anhänger bezeichnen." (Rose 1962: 3). Zwei andere Autoren formulieren, „daß die Betrachtungsweise des symbolischen Interaktionismus ... nicht so sehr die Gestalt einer spezifischen, nachprüfbaren Theorie hatte wie die einer allgemeinen Orientierung oder eines Menschenbildes." (Lindesmith, Strauss 1974:33) Schließlich soll hier noch Krappmann angeführt werden: „Ohne Zweifel ist der derzeitige Entwicklungsstand des Interaktionismus noch unbefriedigend: Es mangelt ihm an begrifflicher Systematik. Das methodische Vorgehen ist ofr unreflektiert. Seine kausalgenetischen Erklärungsmodelle sind noch weithin unzulänglich. Empirische Belege aufgrund kontrollierter Meßverfahren sind bislang nur vergleichsweise spärlich vorhanden." (Krappmann 1972:21) Der SI als Theorie befindet sich gegenwärtig noch in einem Entwicklungsstadium, er ist „keine einheitliche oder umfassende Theorie". (Johnson 1981: 293). Warum das so ist, wird ersichtlich, berücksichtigt man seine jüngste Vergangenheit. In den fünfziger wie in den sechziger Jahren wurde er nicht nur, gemessen am soziologischen Funktionalismus, von einer Minderheit vertreten, sondern auch im wesentlichen als eine Theorie angesehen, die nur ein Teilgebiet des gesamten Spektrums soziologischer Theorie abdeckte. Er wurde nahezu ausschließlich als Sozialpsychologie verstanden. In diesem Sinn interpretierte man ihn hauptsächlich als Sozialisationstheorie und als Rollentheorie. Es war zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur Herbert Blumer, der den Anspruch vertrat, daß der SI darüber hinaus auch ein Theorieprogramm enthalte, das vor allen Dingen dem Funktionalismus in allen Bereichen eine diesem entgegengesetzte Alternative zu bieten habe. Erst seit ungefähr 15 Jahren hat die Zahl der Autoren zugenommen, die, ähnlich wie Blumer, den Interaktionismus als allgemeine soziologische Theorie begreifen. Seit diesem Zeitpunkt erschienen auch Arbeiten, die sich bis dahin von dem SI

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vernachlässigten Themen zuwenden. Zu nennen sind etwa Arbeiten der politischen Soziologie oder Analysen der Sozialstruktur. Nicht zu übersehen ist hierbei freilich immer noch, daß der SI nicht in der Lage ist, ein auch nur annähernd so konturiertes Theorieprogramm vorzulegen wie der soziologische Funktionalismus. Dies hat mehrere Ursachen. 1. Für die Entwicklung soziologischer Theorien sind zuerst einmal bestimmte Ressourcen erforderlich: hauptsächlich sind dies Stellen an Universitäten. Bedingt durch die Tatsache, daß der SI im Gegensatz zu den Funktionalisten nur relativ wenige Hochschullehrstellen aufzuweisen hatte, war er schon aus diesem Grunde nicht in der Lage, ein ausgeprägtes und differenziertes Programm einzulösen. Zudem waren die Inhaber dieser Stellen überwiegend mit eng umgrenzten Problemen beschäftigt und veröffentlichten nur in Ausnahmefällen Arbeiten, die thematisch allgemeiner gehalten waren. 2. Wohl mit bedingt durch ihren Status als Minderheit hatten diese allgemeineren Statements hauptsächlich polemischen und programmatischen Charakter. In jenen Arbeiten wurde erst einmal die gegenwärtige Soziologie überblickartig referiert, anschließend kritisiert, und danach wurden einige recht allgemein gehaltene Vorschläge entwickelt. Dieser Stil der Argumentation läßt sich besonders an den Veröffentlichungen Blumers verdeutlichen. Selbst in seinen jüngeren Arbeiten überwiegt noch das Programmatische und Kritische gegenüber dem konstruktiven Teil. Das führt natürlich dazu, daß ein Kumulieren von Ergebnissen nicht möglich ist. Ein solches setzt voraus, daß das programmatische Stadium hinter sich gelassen wurde, und man nun beginnt, die Theorie auszuarbeiten. Dieser intellektuelle Stil prägt auch die Lehrbücher des SI. Nicht nur, daß es wenige davon gibt, sie enthalten auch einen hohen Anteil an nicht systematischer Darlegung der Theorie. Stattdessen erfahrt man ausführlich die Schilderung der Autoren, die dem SI wesentliche Impulse gegeben haben. Die Rückbeziehung auf die Geschichte hat einerseits zwar den Vorteil, daß der Leser informiert wird, aus welchen Strömungen der SI entstanden ist, sie hat aber zugleich den nicht zu übersehenden Nachteil, daß der Leser eines solchen Werkes nur unzureichend über die Theorie selbst informiert wird. 3. Ein weiterer Grund für die Unterentwicklung der Theorie des SI ist, daß, pointiert gesprochen, jeder Autor, der dem SI zugerechnet wird, andere Akzente setzt. Dies nicht allein in dem Sinne, daß die Autoren unterschiedliche Schwerpunkte haben, sondern auch in Fragen von grundlegender Bedeutung für die Theorie uneins sind. Das Spektrum reicht von Vertretern, die die herrschende Soziologie in Gänze ablehnen, und zwar sowohl von den Prinzipien, nach denen Theorien beurteilt werden, über theoretische Annahmen selbst bis hin zu Forschungsfragen. Andere wiederum sind weit weniger radikal und unterscheiden sich von der herrschenden Soziologie nur in der Frage materialer Theorie, nicht aber in anderen Bereichen. 4. Schließlich, und das klang schon in 3. an, lehnen einige Interaktionisten überhaupt das Modell von Theoriebildung als Zielvorstellung ab. Für sie umfaßt die Theorie des SI schon von der Programmatik her wenig mehr als einige allgemeine grundlegende Prinzipien und forschungsmäßige Hinweise. Nur so sei es möglich, argumentieren sie, daß der Zugang zur Realität nicht verzerrt wird und damit das letztendliche Ziel des SI, nämlich in Erfahrung zu bringen, was in der sozialen Realität eigentlich vorgehe, ungeschmälert erreicht würde. Ein Mehr an Theorie würde dem nur entgegenstehen.

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Für die nun folgende Darlegung des SI hat dies Konsequenzen. Wir gehen davon aus, daß in einem einführenden Lehrbuch der Leser sich hauptsächlich über die grundlegenden Prinzipien einer Theorie informieren will und nur am Rande, wie diese Theorie entstanden ist und welche inneren Streitigkeiten stattfinden. Es soll sich deshalb an der Variante des SI orientiert werden, wie sie Herbert Blumer vertritt, dem wohl bedeutendsten Interaktionisten überhaupt - er war es auch, der den Begriff symbolischer Interaktionismus' geprägt hat (vgl. Blumer 1938:152ff.). Für diejenigen Bereiche, die durch sein Werk nicht abgedeckt sind, sollen Autoren herangezogen werden, die seinen Ideen am nächsten stehen. Dies gilt vor allem Dingen für das Verhältnis zwischen Blumer und George Herbert Mead. In der Literatur ist häufig zu lesen, daß Mead der eigentliche Begründer der Theorie des SI ist, und besonders Blumer sieht dies so. In den letzten Jahren ist diese Sichtweise auf Kritik gestoßen, zum Teil mit plausiblen Argumenten, so daß nicht länger Mead umstandslos mit dem Interaktionismus identifiziert werden kann. 3.2. Grundlegende Annahmen der Theorie des Symbolischen Interaktionismus Herbert Blumer hat einmal formuliert, daß der SI „letztlich auf drei einfachen Prämissen (beruht)" (Blumer 1973:81). Die erste besagt, daß Individuen entsprechend der Bedeutung, die eine Umwelt für sie hat, handeln, die zweite, daß diese Bedeutung sich aus der sozialen Interaktion ergibt, und die dritte schließlich lautet, daß diese Bedeutung erst anhand eines interpretativen Prozesses handlungswirksam wird. Diese drei Annahmen, die vielleicht bei der ersten Lektüre durchaus harmlos und unstrittig erscheinen mögen, verlieren jenen Charakter freilich schnell, wenn man sie ausführlich darstellt und ihre Folgen erläutert. Um mit der ersten Annahme zu beginnen. Damit ist zuallererst der simple Tatbestand gemeint, daß Individuen in ihrem Handeln nicht einer Umwelt an sich gegenüberstehen, sondern, um handeln zu können, ihr erst einmal eine Bedeutung zuschreiben müssen. So ist ζ. B. ein Hörsaal für mich nicht hinreichend beschreibbar durch die Aussage ,mehr oder weniger großer Raum mit mehr oder weniger verschiedenen Individuen'. Eine noch so ausführliche Beschreibung der Phänomene an sich ermöglicht es mir noch nicht zu handeln. Denn aufgrund einer solchen Darstellung kann nicht entschieden werden, ob in diesem Raum statt einer Vorlesung nicht eventuell eine Trauerfeier1) stattfindet. Und um dies zu entscheiden, muß ich wissen, welche Bedeutung der von mir so beschriebene Raum eigentlich hat, um entsprechend handeln zu können. Denn einen Raum als Hörsaal zu identifizieren, ist ungleich mehr und etwas gänzlich anderes als die Aussage ,Raum mit Individuen'. Anders als bei dieser beinhaltet die Aussage ,dies ist eine Vorlesung' zugleich auch bestimmte Verhaltenserwartungen und Verhaltensanforderungen. Etwa jene, daß

') Man könnte nun argumentieren, daß man gerade anhand der Kleidung sehr wohl zwischen einer Trauerfeier und einer Vorlesung unterscheiden kann. Allein die Farbe der Kleidung sei ein deutliches Indiz: das überwiegende Antreffen von Schwarz weise nur in den seltensten Fällen auf eine Vorlesung hin, wohl aber auf ein trauriges Ereignis. Dieser Einwand berücksichtigt freilich nicht, daß er von einer Annahme ausgeht, die nicht aus der Farbe an sich hervorgeht, daß nämlich in unseren Breiten die Farbe Schwarz mit die Bedeutung von feierlich hat.

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man sich auf vorhandene Sitzgelegenheiten setzt, daß man gegenüber der Rolle des Dozenten die des Zuhörers einnimmt, mehr oder weniger aufmerksam seinen Ausführungen folgt oder zumindest versucht, den Anschein zu erwecken, man täte dies, sich nicht allzu laut mit seinem Nachbarn unterhält, womöglich sich Notizen macht usw. Selbst derjenige, der mit diesen Anforderungen nicht einverstanden sein sollte - ζ. B. warum eigentlich jemand partout die Möglichkeit hat, eine Stunde lang ohne Unterbrechung anderen Leuten etwas zu erzählen, schließlich gibt es ja Bücher, und seine Meinung auch noch in der Veranstaltung kundgibt - , handelt auf dem Hintergrund des Wissens, was eine landläufige ,Vorlesung' ist. Seine Kritik daran ist ja überhaupt nur verstehbar, weil er dieses Wissen hat. Mit dem Beispiel wurde auf einen Tatbestand aufmerksam gemacht, der sich leitmotivisch durch den gesamten SI zieht. Daß nämlich soziale Situationen immer interpretiert werden müssen, ausserdem nahezu immer mehrere Möglichkeiten des Verhaltens eröffnen und daß die verschiedenen Arten des Sichverhaltens abhängig sich von den unterschiedlichen Deutungen eben dieser Situation. So ist ja die Situation in dem Hörsaal für alle .objektiv' gleich, nicht aber die Deutung derselben durch die Anwesenden. Ein eindeutiges Entsprechungsverhältnis zwischen Umwelt und Verhalten besteht demnach nicht. Die Umwelt muß interpretiert werden, weil der Mensch nicht in einer natürlichen, sondern in einer symbolischen Umwelt lebt, wie es ein anderer Interaktionist, A. Rose, einmal formuliert hat. Damit ist folgendes gemeint: Natürliche Umwelt ist jene, die sich daraus ergibt, wenn man von ihr, wie wir sie wahrnehmen, abstrahiert und zu einer ,Umwelt an sich' gelangt. Die natürliche Umwelt ist für Individuen nicht erfahrbar, sondern nur durch Gedankenexperimente rekonstruierbar. Um dies an einem einfachen Beispiel zu erläutern: Ein Wald etwa erscheint möglicherweise als Paradebeispiel einer .natürlichen' Umwelt. Nun ist bei näherer Betrachtung genau dies nicht der Fall, denn der gleiche Wald wird ζ. B. von einem Waldarbeiter ganz anderes wahrgenommen als von einem Fotografen oder von einem Unternehmer, der einen neuen Standort sucht, oder von einem Umweltschützer. Was der Wald an sich ist, kann nur dadurch rekonstruiert werden, indem wir uns überlegen, daß irgendetwas Objektives unseren Vorstellungen zugrunde liegt, d. h. unsere Vorstellung von Wald nicht allein Produkt unserer Phantasie ist, sondern eine reale, von unserem Erkennen unabhängige Existenz hat. Auch eine »objektive' Beschreibung, sagen wir eines Landvermessers, beschreibt diesen nämlichen Wald unter ganz bestimmten Gesichtspunkten. Sehr schön kommt diese unterschiedliche Perspektive zum Ausdruck, wenn man liest, was ein deutscher Bildungsbürger Mitte des vergangenen Jahrhunderts über seine Reise nach Italien schrieb: „Wie erklärt es sich aber daß die eingebornen für dasjenige was uns so wichtig scheint, für die himmelanstrebenden, prachtvoll glühenden spizen ihres gebirge entweder keine namen haben, oder wenigstens keine übereinstimmenden? Die Sache ist einfach, sie betrachten das gebirg mit andern äugen als wir. Durch Saussure, Ebel und einige andre ist es sitte geworden, die Alpen-kette mit wißenschaftlicher und künstlerischer theilnahme zu betrachten, ihren bau zu erforschen, durch Schilderungen, gemälde, panoramen sie aller weit nahe zu rücken. Da spielen freilich die hohen spizen eine hauptrolle: das Finster-aarhorn und die Jungfrau ziehen die äugen des natur-enthusiasten unwiderstehlich an, der geograph ist entzückt beim namen des S. Gotthards, von dem nach vier himmelsgegenden vier stolze ströme fließen, vier hohe gebirgsketten auslaufen; beim gedanken an den Mont-blanc und Monte-rosa, die mit ihren 14,000' hohen spizen den stolz der alten weit machen, und

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die wendepuncte sind für den wunderbaren lauf des Alpen-gebirgs, die gelenke seines riesenleibs! Aber wie anders der eingeborne! Innerhalb enger grenzen zieht der jäger mit bergstock und büchse den gemsen nach, der hirte treibt zur alp am fuß der gletscher, der säumer sucht mit seinen maulthieren den bequemsten, sichersten pfad über die rauhen joche. Das ist der anfang der bekanntschaft mit den Alpen gewesen. Eine karte sehen diese menschen nie; das wißenschaftliche bedürfnis der Zusammenstellung haben sie nicht; puncte zu benennen, wohin kein beruf sie lockt, ist für sie ohne werth; wenn je namen entstehen, erhalten sie keine weitverbreitete geltung."(Schott 1842: 222f) Zusammenfassend folgt daraus, daß jede noch so vermeintliche natürliche Umwelt für Individuen - und damit kommen wir zum nächsten Begriff - symbolisch vermittelt ist. Ein Symbol ist, ganz allgemein gesprochen, ein Zeichen für etwas anderes, sei dieses Zeichen nun ein Wort, eine Abkürzung, ein Bild usw. ,Wald' ζ. B. ist ein Wort mit vier Buchstaben und besteht, im Gegensatz zum gemeinten, d. h. zu dem, was es symbolisiert, nicht aus Holz. Ein humorvoller Maler, Rene Magritte, hat diese Eigenschaft von Symbolen bildlich dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er auf eine Leinwand eine Pfeife malte und darunter schrieb: „Dies ist keine Pfeife", womit er zweifellos recht hatte. Eine weitere Eigenschaft von Symbolen ist, daß sie bestimmte Anwendungsregeln haben müssen, d. h. zumindest in Umrissen festgelegt sein muß, wann sie verwendbar sind. Ζ. B. daß ,Wald' irgendwie Bäume voraussetzt und nicht auf eine Wüste angewandt werden darf. An beiden Eigenschaften von Symbolen wird ihre Bedeutung für das menschliche Zusammenleben offenkundig. Nur mittels Symbolen ist eine Verständigung möglich, die über eine reine Gestensprache hinausreicht, d.h. eine Sprache, die auf das gemeinte direkt verweist. Eine solche Gestensprache hat nämlich den entscheidenden Nachteil, daß das, worüber gerade gesprochen wird, auch tatsächlich vorhanden sein muß. Im Gegensatz dazu ist es möglich, eine Verständigung durch Symbole auch dann zu führen, wenn das, worauf sich die benutzten Symbole beziehen, nicht vorhanden ist. So kann man sich über das Gefühl ,Zorn' auch dann unterhalten, wenn keiner der Anwesenden zornig ist. Jedes normal sozialisierte Individuum einer Gesellschaft hat eine hinreichende Kenntnis von Symbolen, um sich mit anderen problemlos verständigen zu können. Eine reine Gestensprache wäre im alltäglichen Handeln außerordentlich riskant. Nicht nur, daß ein Gutteil der Gesten, etwa bestimmte Handbewegungen, durchaus symbolische Bedeutung haben, auch anscheinend eindeutige Gesten, wie das Zeigen auf einen Gegenstand, sind nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Ein Interaktionist wird vermutlich argumentieren, daß eben jene scheinbar eindeutige Geste je nach Situation etwas gänzlich Unterschiedliches bedeutet und daß insofern die Geste schon symbolischen Charakter haben kann bzw. hat. Der SI vertritt die These, daß die gesamte Wahrnehmung symbolisch vermittelt ist. Selbst wenn man den Bereich der Sprache außer acht läßt und an sog. vorsprachliche Wahrnehmungen wie Schmerz denkt, ist diese Empfindung unlösbar mit Symbolisierung verbunden. So wird ein Fakir das Liegen auf einem Nagelbrett sicherlich etwas anders empfinden als ein Schreibtischarbeiter, ganz zu schweigen von einem Masochisten... Nun sind Symbole nicht allein abstrakte Zuordnungen von Worten oder Bildern zu Gegenständen oder Ideen, sondern zugleich auch bestimmte Einstellungen zu diesen, wenn nicht gar Handlungsweisen. Um ein altbekanntes Beispiel des SI zu

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nehmen. Das Wort Stuhl dient nicht nur als Identifikationsmerkmal, sondern beinhaltet auch bestimmte Handlungsweisen, die mit diesem Gegenstand in Verbindung gebracht werden, wie ζ. B. Gelegenheit zum Sitzen. Oder bei dem vorhin gebrachten Beispiel der unterschiedlichen Wahrnehmung eines Waldes: die je verschiedenen Bedeutungen des Symbols Wald bedeuten bestimmte Handlungsweisen gegenüber diesem Wald. Das gilt nicht nur bei Symbolen für physikalische Objekte, sondern auch für geistige Gebilde wie Religion. Das Kreuz ζ. B. ist nicht nur ein Symbol christlichen Glaubens, sondern enthält zugleich auch in bestimmten Ländern die Aufforderung, sich zu bekreuzigen, wenn man seiner ansichtig wird. Insofern hat Rose völlig zu recht vom Symbol als „noch nicht entfaltetes Handeln" gesprochen. Damit beruht die erste Prämisse des Interaktionismus, daß Individuen gegenüber ihrer Umwelt aufgrund der Bedeutung, die diese für sie hat, handeln, auf der Tatsache; daß diese Umwelt durch Symbole erfahren wird. Daher ist menschliches Handeln auch nur untersuchbar, wenn dem Deutungsprozeß ein zentraler Stellenwert zugewiesen wird. Nur wenn dieser in Erfahrung gebracht wird, erschließt sich die Bedeutung einer Handlung. Eine noch so genaue Beschreibung der äußeren Phänomene ist nicht in der Lage, eine Handlung zu erschließen, da hierbei die Komponente des Deutungsprozesses nicht beachtet wird. Daß Individuen auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, wird vielleicht nirgendwo deutlicher als in Darstellungen, die das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen zum Thema haben. Solche Beispiele entkräften auch den Einwand, der Interaktionismus sei trivial. Es wird nämlich dabei darauf aufmerksam gemacht, von welchen Voraussetzungen wir in der alltäglichen Routine ausgehen (müssen), um überhaupt handeln zu können. Diese Kompetenzen sind für uns etwas normales, und weil das so ist, pflegen wir uns auch keine langwierigen Gedanken darüber zu machen. Das folgende Beispiel aus der anthropologischen Forschung wird zeigen, welchen Schwierigkeiten wir ausgesetzt sind, wenn wir für uns alltägliche Handlungen in einer fremden Kultur durchführen, dabei aber unsere Handlungen und die Interpretation der Situation auf Grundlage der Bedeutungen unserer Kultur vornehmen: „Da Navajos bei Begegnungen mit Fremden scheu und zurückhaltend sind, ist es grundsätzlich der Anglo-Amerikaner, der bei der Begrüßung die Initiative ergreift. Er geht auf den Indianer zu, streckt ihm seine Hand entgegen und sagt so etwas Ähnliches wie: „Hallo, ich heiße Stuart Udall, und wie heißen Sie?" Falls er zufällig den Namen dessen kennt, den er begrüßt, sagt er vielleicht: „Hallo, Mr. Begay, wie geht's?" Mit diesen Worten ist in der Regel ein warmes Händeschütteln verbunden, wobei der weiße Amerikaner zutraulich die Hand des Navajos ergreift und diese wie einen Pumpenschwengel auf und nieder bewegt. Die Reaktion des Navajos besteht im allgemeinen darin, daß auch er die Hand ausstreckt und höflich lächelt. Wie werden die beiden Akteure nach einer solchen Begrüßung das Verhalten ihres Gegenübers interpretieren? Der Amerikaner wird das Gefühl haben, daß der Navajo nicht wirklich freundlich war, weil dieser nicht nach seiner Hand gegriffen und sie ausgiebig geschüttelt hat. Statt dessen gab er sich dem Amerikaner wie ein „toter Fisch", wie ein solches Verhalten von Weißen häufig metaphorisch ausgedrückt wird. Demnach wird das Lächeln im Gesicht des Navajo als gezwungen interpretiert. Eine solche Begegnung bewirkt beim Navajo eine ziemliche Verwirrung, und oft - zumindest bei den ersten derartigen Begrüßungen - sind seine Gefühle verletzt. Erstens ist der Fremde schnurstracks auf ihn zugegangen, hat ihm gerade ins Gesicht geblickt und ihm dann

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auch noch auf höchst unhöfliche Weise die Hand geschüttelt. Wenn ein Navajo einen Stammesgenossen grüßt, so nähert er sich ihm indirekt, sieht ihm niemals unmittelbar in die Augen und drückt vorsichtig seine Handfläche gegen die des anderen. Wer auf einen anderen geradewegs zugeht, ihm frank und frei ins Gesicht blickt und in grober Weise seine Hand packt, der bezeugt damit in ihren Augen seine Geringschätzung oder Mißachtung, sein Gefühl der Überlegenheit und seinen Wunsch, das Verhalten anderer zu beherrschen. Auf diese Weise hat der Anglo-Amerikaner sein Gegenüber verletzt, ohne sich dessen wirklich bewußt zu sein, aber die Mißverständnisse bei dieser Begegnung gehen noch viel weiter. Der Navajo wird mit seinem Namen angesprochen oder darum gebeten, diesen zu nennen. Bei den Navajos gilt es als Gipfel der Unhöflichkeit, andere mit ihrem Namen anzureden. Bei der Anrede werden stets Verwandtschaftsbezeichnungen verwendet, selbst unter „Nicht-Verwandten", während der Eigenname in Gegenwart eines anderen niemals ausgesprochen wird. Um dieses Verhaltensmuster den Kindern beizubringen und zu verstärken, erzählen die Navajos ihren Kindern, wenn sie ihren Namen häufig sprächen, würden sie ihre Stimme, und wenn sie ihn häufig hörten, so würden sie ihr Gehör verlieren. Aber der Anglo-Amerikaner erregt auch noch auf andere Weise den Argwohn des Indianers im Hinblick auf seine Absichten, indem er fragt: „Wie geht es Ihnen?" Bei den Navajos wird nur ein Hexer solche Fragen stellen, weil er herausbringen möchte, ob sein Zauber gewirkt hat. Falls allgemein bekannt ist, daß jemand krank oder verletzt war und sich auf dem Weg der Genesung befindet, mag es angebracht sein, eine derartige Frage zu stellen, um der betreffenden Person die Möglichkeit zu geben, über ihre Gesundung zu sprechen. Aber niemand würde einem Menschen gegenüber eine solche Frage äußern, der sich offensichtlich bei bester Gesundheit befindet. Navajos grüßen einander mit der Formel „Yä'at'eeh", was soviel bedeutet wie „es ist gut". Auffallig ist dabei das Indirekte dieses Grußes." (Witherspoon 1981:103f.) Aus der ersten Prämisse folgt nur, daß Individuen aufgrund der Bedeutung, die Sachverhalte für sie haben, handeln. Es wird nicht erklärt, wie diese Bedeutung zustandekommt. Hier setzt die zweite Prämisse ein. Sie versucht, den Ursprung der Bedeutung zu erklären. Das geschieht einmal in kritischer Abgrenzung von der These, daß die Bedeutung eine feststehende Eigenschaft der Objekte sei. Für unser Beispiel des Waldes heißt dies etwa, daß die Bedeutung, die einem Wald zugeschrieben wird - unabhängig davon, welche sie auch immer sei - , dem Wald als solchem zukomme, d. h. unabhängig von Bewertungsprozessen der Individuen. Mag das Beispiel unmittelbar einleuchten, so sind doch die Folgen der Aussage, daß die Bedeutung von Sachverhalten nicht eine Eigenschaft ihrer selbst sei, für die Erklärung sozialer Tatbestände erheblich. Dies belegt eine ausführliche Diskussion im Rahmen der Theorien abweichenden Verhaltens, sei es nun im Bereich der Kriminalität oder bei Geisteskrankheiten. Überlieferte Theorien sind der Ansicht, daß, um bei der Geisteskrankheit zu bleiben, jene nicht nur biologisch bedingt, sondern auch an bestimmten Verhaltensweisen erkennbar sei. Innerhalb gewisser mehr oder weniger festumrissener Merkmale, die einen Individuum zukommen oder nicht, könne entschieden werden, ob es geisteskrank sei oder nicht. Nun kann dagegen eingewandt werden, daß die gleichen Merkmale, die in unserer Gesellschaft mit dem Prädikat geisteskrank' versehen werden, in anderen Gesellschaften ganz anders bewertet werden, etwa bei Stammesgesellschaften. Die gleiche Abhängigkeit des Etikettieren von Geisteskrankheiten von Erwartungen zeigt ein Versuch in äußerst drastischer Weise: Eine Forschergruppe wies einiige keineswegs als geisteskrank aufgefallene Mitarbeiter mit der Diagnose .klassischer' Geisteskrankheiten, ζ. B. Schizophenie, in eine Anstalt ein. Ihre Aufgabe in diesem Experiment war, sich völlig normal zu verhalten, d. h. nicht anders als sonst auch. Es ging somit nicht um Simulanten,

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deren Kennzeichen es ja ist, daß sie Symptome produzieren, die nach herrschender Auffassung als Indikator für ein bestimmtes Krankheitsbild gelten. Diese f o r m a len Irren' fielen, und das war die Pointe des Experiments, der Anstaltsleitung überhaupt nicht als normal, d. h. als Fremdkörper auf. Selbst,normales' Verhalten, wie etwa die Tatsache, daß die Mitarbeiter sich Notizen machten, die später ausgewertet werden sollten, wurde als besonders akutes Symptom gedeutet (Rosenbaum 1973).

Interaktionistische Autoren sehen darin einen Beleg, daß Geisteskrankheit etwas ist, das gemacht wird, und nicht etwas, was einem gestimmten Verhalten als solchem zukommt oder nicht. Dieses Produzieren kann selbst soweit gehen, daß nicht nur Verhaltensweisen anders gedeutet werden wie in dem eben geschilderten Fall, sondern auch Verhaltensweisen gleichsam erzeugt werden, die zu einem bestimmten Krankheitsbild gehören oder als Rechtfertigung für einen Anstaltsaufenthalt angeführt werden. So wird einerseits mangelnde Selbständigkeit und verringertes Sprachvermögen als Grund für einen Heimaufenthalt angeführt, zugleich aber ist die Ordnung der meisten Anstalten so, daß diese Verhaltensweisen überhaupt erst hervorgerufen werden. Das geschieht etwa dadurch, daß den Insassen sowohl Geld als auch persönliche Gegenstände weitgehend entzogen werden. Das Sprachvermögen wird etwa dadurch reduziert, daß das Pflegepersonal sie so behandelt, wie man normalerweise Kinder behandelt, etwa durch Duzen u.ä. Der Patient, der sich gegenüber diesen Normen abweichend verhält, d. h. sich wie ein normaler Erwachsener benimmt, wird als besonders widerspenstig eingestuft und muß mit entsprechenden ,Strafen' rechnen. Diese .Karriere' des Geisteskranken beginnt in der Regel schon mit dem Aufnahmegespräch, das vor einer stationären Einweisung stattfindet. Hier werden systematisch die Symptome von seiten des aufnehmenden Arztes so bewertet, daß dem entsprechenden Etikett Genüge getan wird. Die Einordnung wird vom Patienten um so bereitwilliger übernommen, je größer der Unterschied zwischen seinem Status und dem des Arztes ist. In diesem Statusunterschied kommt ein Machtgefälle zum Ausdruck, da die Gesprächsführung wie überhaupt die gesamte Situation in den Händen des Arztes liegt. Ein anderes Beispiel für die unterschiedliche Bewertung gleicher Eigenschaften bringt eine Studie über Jugendkriminalität. Hier ging es um die Beschädigung von Autos im Zusammenhang mit Alkoholkonsum von Jugendlichen. Das gleiche Verhalten wurde nun je nach sozialer Schicht gänzlich unterschiedlich gedeutet. Wurde es bei Jugendlichen aus der Oberschicht als jugendlicher Überschwang apostrophiert, so bei jenen der Unterschicht als Anzeichen krimineller Veranlagung, und entsprechend wurde auch mit beiden Gruppen verfahren. Bei den einen erfolgte Anklage, während sie bei den anderen unterblieb. A n beiden Beispielen wird nochmals deutlich, daß Eigenschaften nicht Personen oder Dingen an sich zugehören, daß sie nicht unabhängig von Interpretationsleistungen existieren. Vor allem im ersten Fall zeigt sich, daß Eigenschaften von Personen, die zumindest teilweise auch biologische Komponenten enthalten - wie nämlich Geisteskrankheit - , von der sozialen Umwelt dieser Personen geschaffen werden. Das Verhalten der Forscher wird im Rahmen der Situation, in der sie handeln, interpretiert und beurteilt, nämlich als Ausdruck kranken Verhaltens in einer Nervenklinik. Dabei wird von ihren ,wirklichen' Motiven und Eigenschaften abstrahiert.

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Das Beispiel der Jugendkriminalität macht darüber hinaus nochmals sichtbar, daß Eigenschaften nicht nur sozial erzeugt, sondern auch im Rahmen sozialer Interaktionen abgewandelt oder alternativ interpretiert werden. Dies geht sogar soweit, daß Motive und Absichten von Handelnden, in diesem Fall bestimmte Verhaltensweisen von Jugendlichen, gänzlich unabhängig von deren Absichten und Motiven beurteilt werden. Vielmehr wird ihnen, je nach sozialer Gruppenzugehörigkeit, entsprechendes unterstellt. Die beiden ersten Prämissen enthalten noch keine Aussagen über den einzelnen Handelnden. Sie beziehen sich nur auf notwendige Deutungsprozesse, die getätigt werden müssen, damit eine Handlung überhaupt Zustandekommen kann (Prämisse 1), sowie auf die soziale Bedingtheit jener Deutungen (Prämisse 2). Eine Frage bleibt damit unbeantwortet, nämlich wie der Einzelne den Deutungsprozeß vollzieht und wie er mit vorgefundenen Deutungen umgeht. Es könnte ja durchaus sein, daß er in seinem Handeln Prämisse 1 und 2 dadurch zur Geltung bringt, daß er Bedeutungen unbewußt in Handeln umsetzt. So könnte man im Rahmen unserer Beispiele argumentieren, daß der Definitionsprozeß, der dem Etikett Geisteskrankheit' vorausgeht, etwas ist, was die Betreffenden, die es aussprechen, gleichsam automatisch vollziehen. Die dritte Prämisse des Interaktionismus besagt nun, daß genau dies nicht der Fall ist. Damit bestehende Deutungen im Handeln von dem Einzelnen aktualisiert werden, bedarf es zuvor, so der feststehende Begriff, einer Interpretation eben dieser Deutungen. D.h. der Handlungsprozeß ist, betrachtet man ihn vom Individuum aus, zweistufig. Auf der 1. Stufe findet der Einzelne unabhängig von ihm bestehende gesellschaftliche Deutungen vor. Auf der 2. Stufe muß er diese bestehenden Deutungen interpretieren. Er muß, bevor er handelt, Situationen so definieren, daß sie für ihn handhabbar sind. Diese Definition der Situation, wie der Fachausdruck dafür lautet, ist nach interaktionistischer Ansicht ein aktiver Prozeß, der nicht durch die Umstände eindeutig vorgegeben ist. Der Handelnde hat demnach immer die Freiheit bzw. muß sie haben, unterschiedlich auf eine Situation zu reagieren. Welche Art er wählt, hängt davon ab, wie er die Situation definiert. Warum dies so ist, vermag mit einfachen Überlegungen verdeutlicht zu werden. Um das eingangs zitierte Beispiel des Studenten in einem Hörsaal wieder aufzugreifen. Wir hatten darin erwähnt, daß, um überhaupt handeln zu können, eine Situation definiert werden muß, in unserem Beispiel als Hörsaal. Nehmen wir an, dieser Prozeß der Situationsdeutung und das darauf folgende Handeln wäre ein Vorgang, der ohne bewußtes Zutun der Studenten verläuft. In diesem Fall müßte der Student nicht nur im Lauf seiner Erziehung allgemeine Verhaltensregeln, wie man sich in Hörsälen benimmt, erworben haben, sondern darüber hinaus höchst präzise Anweisungen, wie er sich in dieser konkreten Veranstaltung bei diesem Hochschullehrer in diesem Fach usw. zu verhalten hat. Dies würde bedeuten, daß er ein Repertoire an Verhaltensweisen für alle je möglichen Situation haben müßte. Nun spricht einiges gegen diese Annahme. Einmal die schlichte Tatsache, daß dadurch das Gedächtnis überstrapaziert würde, da die Anzahl möglicher Situationen unendlich ist. Neben der Kenntnis über mögliche Situationen müßten wir auch noch das Verhalten der anderen, denen wir in diesen Situationen begegnen, vollständig antizipieren. Den Prämissen des Interaktionismus folgend ist das eine logische Unmöglichkeit. Denn wenn ich meine Situationsdefinition nur in Abhängigkeit von den anderen Teilnehmern einer Interaktion vornehmen kann, weiß ich ja nie im vorhinein, mit welchen

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Zielen und Absichten mir in einer bestimmten Situation die Handlungspartner gegenüberstehen werden. Die hier angesprochenen Probleme entstehen im Verlauf zunehmender Entwicklung umso mehr, je differenzierter eine Gesellschaft wird, oder, rollentheoretisch gesprochen, je vielfältiger und unterschiedlicher die für das Funktionieren einer Gesellschaft notwendigen Rollen sind. In früheren Gesellschaften waren die dort vorkommenden Handlungsmuster geringer, die Beziehungen der Individuen zueinander überschaubarer, da die Interaktionsbeziehungen auch vergleichsweise häufiger auf persönlichen Beziehungen basierten. Selbst wenn man angesichts dieses unlösbaren Informationsproblems versuchen würde, ein Handlungsschema zu entwickeln, mit dem man konsequent operiert passiere was da wolle - , würde man in realen Situationen scheitern. Wenn jeder mit einer vorgefertigten Definition in die Situation hineinkommt, wären Interaktionsprozesse mit anderen nur sehr schwer nachvollziehbar und könnten wohl auch nur in Ausnahmesituationen nach diesem Muster stattfinden. Ein Beispiel für diese Ausnahme wären stark schematisierte Interaktionsformen, wie etwa Begrüßungszeremoniells beim Militär. In solchen Situationen gehen die Teilnehmer mit schon vorgefertigten Situationsdefinitionen und damit gekoppelten Handlungsverläufen aufeinander zu. Anders jedoch bei alltäglichen Situationen. In diesen werden Situationsdefinitionen nicht unabhängig voneinander getätigt, sondern in gewisser Weise ausgehandelt, und es wird entsprechend gehandelt. Dies deshalb, weil es immer riskant ist, Definitionen in einer Situation anzuwenden, ohne sich zu vergewissern, ob die anderen sie auch teilen. Das hängt damit zusammen, um zum nächsten Argument zu kommen, daß soziale Situationen in der Regel nicht die Eindeutigkeit haben, die es erlauben würde, eine vorgefaßte Definition der Situation umstandslos anzuwenden. Dabei ist nicht entscheidend, daß das Ausmaß dieser Mehrdeutigkeit sehr groß ist. Man könnte sogar die Meinung vertreten, daß eine zu große Mehrdeutigkeit von Situationen nur unter großen Schwierigkeiten von den Interaktionspartnern, die sich in dieser Situation befinden, gehandhabt werden kann, da hier wohl aller Voraussicht nach es sehr schwer sein wird, eine gemeinsame Verständigungsbasis zu finden. Es genügt deshalb, daß nur in einigen Bereichen einer Situation eine leichte Mehrdeutigkeit besteht.

3.3. Gesellschaft Allgemeines Kennzeichen des SI bei der Analyse von Gesellschaften ist ein doppelt reduktiver Zug: einmal bezogen auf den Gegenstandsbereich, d. h. in der Definition dessen, was Gesellschaft heißt, und zum anderen in der Erklärungstheorie, d. h. wie ein so definierter Gegenstandsbereich zu untersuchen ist. Beide Elemente hängen eng miteinander zusammen. Wer wissenschaftlich etwas untersuchen will, benötigt zuvor ein ungefähres Bild dessen, was er untersuchen will, und zugleich muß er eine Vorstellung davon haben, wie er vorgehen will. Die Definition des Begriffs Gesellschaft ist beim SI etwas unscharf. Uneingestandenermaßen sind im SI zwei Aussagen über Gesellschaft angelegt, nämlich sowohl die Aussage, Gesellschaft bestehe aus Personen, wie auch diejenige, Gesellschaft bestehe aus Handlung. Die erste Aussage, d. h. jene, daß Gesellschaft aus Individuen besteht, kommt jenem reduktiven Zug, der dem SI eigen ist, noch am nächsten.

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Für den SI ist somit Gesellschaft' kein von ihren Mitgliedern unabhängiges Wesen. Damit wird gleichzeitig ausgeschlossen, daß Begriffe wie .soziale Struktur' oder .soziales System' ein von den sie bildenden Personen losgelöstes Dasein mit eigenen Bedürfnissen und Eigenschaften führen. Andererseits ist bei dieser Definition des Gegenstandsbereiches die Gefahr nicht zu übersehen, daß Gesellschaft nicht mehr ist als eine Ansammlung einzelner Individuen, was mit Sicherheit nicht in Einklang zu bringen ist mit den sonstigen Vorstellungen des Interaktionismus. Die zweite Definition, daß Gesellschaften aus Handlungen bestehen, vermeidet jenen Eindruck, daß sie aus voneinander losgelösten Individuen gebildet werden. Handlungen beinhalten nämlich - gerade in der Theorie des SI - , daß die einzelnen Akteure aufeinander verwiesen sind, denn Handeln bedeutet immer die Orientierung am anderen in dem Sinne, daß erfolgreiche Interaktionen die Komplementarität von Erwartungen voraussetzen. Die Gefahr dieser zweiten Definition ist freilich, daß ich, wenn ich vom Handeln ausgehe, dieses Handeln faktisch losgelöst von den Individuen, die da handeln, betrachte. Unter der Hand kann dies dazu führen, daß im weiteren Verlauf der Analyse Handlungszusammenhänge ein Eigenleben führen, mit eigenen Bedürfnissen und Problemen ausgestattet sind. Wissenschaftlich ist wohl die zweite Definition die befriedigendere, da hier zum Ausdruck gebracht wird, daß Akteure miteinander handeln und, indem sie das tun, das Handeln gleichsam die Verbindung zwischen ihnen hervorruft. Gleichwohl sollte berücksichtigt werden, daß das Ziel des SI stets sein wird, soziale Phänomene mit dem Handeln von Individuen zu verknüpfen und damit jeglichen Anschein einer von den Akteuren losgelösten Existenz vermieden werden soll. Oder, wie Blumer es formuliert: „Ein Grundprinzip des symbolischen Interaktionismus lautet, daß jeglicher empirisch orientierte Entwurf einer menschlichen Gesellschaft, wie er auch immer abgeleitet wurde, vom Beginn bis zum Ende die Tatsache berücksichtigen muß, daß menschliche Gesellschaft aus Personen besteht, die sich an Handlungen beteiligen." (Blumer 1973:86) Hier klingt zwar schon an, wie der SI Gesellschaft erklären will, wissenschaftslogisch ist aber keineswegs vorentschieden, wie eine Erklärungstheorie auszusehen habe. Man könnte ja durchaus der Meinung sein, daß in der Frage der Definition des Gegenstandsbereiches der SI durchaus recht habe, aber eine Erklärungstheorie sehen müsse, daß in dem gemeinsamen Handeln von Akteuren Verhältnisse entstehen, die nicht durch deren Absicht erklärt werden können. Demgegenüber behauptet der SI, daß auch die Erklärungstheorie von dem einzelnen auszugehen habe und in diesem Sinne ein soziales Phänomen dadurch zu erklären sei, daß es auf die Absichten von einzelnen Individuen zurückzuführen ist. Beziehen sich die beiden eben skizzierten allgemeinen Prinzipien auf Gesellschaften schlechthin und machen keine Aussagen, zumindest keine offenkundigen, über bestimmte Eigenschaften jener Gesellschaften, so bedarf es doch noch einer weiteren Annahme, um die Prinzipien des SI sinnvoll vertreten zu können. Diese letzte Annahme ergibt sich daraus, daß bei einer Gesellschaft, in der jegliches Verhalten eindeutig durch den Einfluß der Umwelt determiniert wird, eine Analyse mit dem Instrumentarium des SI wenig einleuchtend wäre. In einem solchen Falle wäre ja das Verhalten, indem es eindeutig determiniert ist, Ergebnis aller möglichen anderen Faktoren, nur nicht der Absichten und des Handelns von Individuen. Es geht in diesem Zusammenhang gewiß nicht darum, ob ein solches Modell überhaupt realistisch ist - wir werden gleich sehen, daß der Interaktionismus ein-

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leuchtende Argumente vorträgt, die dagegen sprechen, daß zumindest hochdifferenzierte Gesellschaften jemals einem solchen Modell ähnlich sein könnten. Es geht vielmehr darum, darauf aufmerksam zu machen, daß hinter jeder soziologischen Theorie nicht nur ein bestimmtes Menschenbild, sondern auch ein bestimmtes Gesellschaftsbild steht. Oftmals wird nicht ausdrücklich gesagt, um welche es sich nun in beiden Fällen handelt. Dies hat den Nachteil, daß sie unter der Hand und nicht ausdrücklich als Annahmen eingeführt werden. Indem das geschieht, bleiben sie einer rationalen Diskussion entzogen, und die Theorie wirkt, als sei sie unabhängig von allen empirischen Voraussetzungen. Das Gesellschaftsbild des SI ist, zumindest der Richtung nach, eindeutig: Die gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich auch immer im einzelnen darstellen mögen, sind stets so geartet, daß der einzelne die Möglichkeit hat, gestaltend auf sie einzuwirken. Besteht in dieser Aussage Konsens zwischen den einzelnen Autoren, die dem SI zuzurechnen sind, so ist unklar, wieweit sie Geltung beanspruchen kann. Damit ist gemeint, ob sie gültig ist für jede Gesellschaft, die bislang existiert hat, und auch für jeden Teilbereich einer einzelnen Gesellschaft. So lassen sich Formulierungen finden, die die eben gebrachte These für traditionale Gesellschaften oder aber für Teilbereiche bestehender Gesellschaften, wie ζ. B. stark formalisierte Zusammenhänge, ausschließen. Die Argumente, die nach Meinung von Autoren des SI gegen ein deterministisches Gesellschaftsbild sprechen, sind folgende (vgl. Rose 1967; Blumer 1973): 1. Die Regeln, die das Rollenverhalten definieren, sind meist so allgemein, daß der einzelne überhaupt nicht umhin kommt, sie zu konkretisieren. Die Form dieses Konkretisierungsprozesses ist nur soweit bestimmt, als die Toleranzgrenzen der Rollen nicht überschritten werden dürfen. 2. Die Kombination der verschiedenen Rollen ist nur in einem gewissen Umfang festgelegt, womit selbst dann, wenn die einzelnen Rollen vorgegeben sind, dem einzelnen eine mehr oder minder große Wahlfreiheit überlassen bleibt. Man kann selbst soweit gehen, daß diese Wahlfreiheit, d. h. das Zusammenstellen verschiedener Rollen, überhaupt erst die Möglichkeit von Individuierungsprozessen eröffnet. So ist ζ. B. mit der Wahl eines bestimmten Berufes noch nicht vorentschieden, ob ich Mitglied einer politischen Partei werde. 3. Die Kultur, vor allem in differenzierten Gesellschaften, enthält in sich stets Bereiche, die Handlungen nach verschiedenen Bewertungsmaßstäben normieren. Dies kann bis zu ausgeprägten Subkulturen führen, in denen ganze Bündel von Verhaltensweisen anders geregelt werden. In der BRD dürften einige Gruppen der Ausländer solchen Subkulturen zuzuordnen sein ebenso wie ein Teil der Jugendlichen. Indem einzelne zwischen diesen beiden Bereichen hin und her pendeln, werden sie mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert. „Das bedeutet nicht nur, daß der einzelne die Wahl zwischen den beiden an ihn gerichteten widersprüchlichen Verhaltenserwartungen hat, oder daß er eine Synthese zwischen ihnen finden kann, sondern auch, daß er innerhalb der kulturell bestimmten Grenzen ein einigermaßen neues Verhaltensmuster ausprägen kann, das ihm durch die Variation der vorhandenen Muster nahegelegt wird". (Rose 1967: 275) 4. Einige soziale Rollen sind so gestaltet, daß sie als Teil ihrer Anforderungen einen Zwang zur Rollenvariation in sich tragen. Um hierfür ein Beispiel zu geben. In heutigen Gesellschaften wird der Wissenschaftler geradezu als derjenige defi-

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niert, der kreativ ist. Ausgehend von diesem Bild hat der Wissenschaftslogiker Popper etwa das Prädikat ,Wissenschaftler' denjenigen vorenthalten, die nur tagtäglich Routineforschung treiben. Nun könnte man aus dem Vorangegangenen schließen, daß der Interaktionismus einfach der Meinung ist, menschliche Freiheitsgrade seien deshalb vorhanden, weil stets ein bestimmter Teil der Gesellschaft nicht nach starren Regeln abläuft. Das würde darauf hinauslaufen, daß jene Bereiche, die weitgehend aus wiederkehrenden Handlungsvollzügen bestehen, nicht mit den Mitteln des Interaktionismus untersucht werden könnten. Blumer hat versucht, diesem möglichen Einwand dadurch zu begegnen, indem er darauf verwies, daß auch in solchen Fällen das Individuum einen besonderen Stellenwert habe. Diese routinisierten Handlungsvollzüge bedürfen nämlich ebenfalls stets der Aktualisierung, und damit ist stets aufs neue die Interpretation der entsprechenden Normen durch den Akteur notwendig. Deshalb besteht nach Blumer in dieser Frage kein Unterschied, ob nun Handlungen sich innerhalb mehr oder weniger streng defonierter Normen vollziehen, wie etwa Arbeitsvollzüge, und jenen, die weniger stark reglementiert sind. In beiden Fällen bedarf es seitens des Individuums der entsprechenden Motivation, um überhaupt zu handeln, sowie eines immer wiederkehrenden Interpretationsprozesses, der jeweils dem Handeln vorgeschaltet sein muß. Und daher muß auch stets damit gerechnet werden, daß nicht nur in nicht formalisierten Bezügen, sondern ganz allgemein neue Handlungen erfolgen. Gegenüber diesen grundlegenden Annahmen bei der Analyse von Gesellschaften steht freilich eine differenzierte Ausarbeitung noch aus. Obwohl gerade in den letzten Jahren zahlreiche Arbeiten zu makrosoziologischen Themen erschienen sind (vgl. als Überblick Maines 1977), hat sich ein einheitliches Konzept noch nicht herauskristallisiert. So besteht innerhalb des SI weiterhin ein empfindlicher Mangel an makrosoziologischer Theorie im allgemeinen und an Gesellschaftstheorie im besonderen. Gegenwärtig überwiegen programmatische Skizzen sowie kritische Arbeiten. Eine Ausnahme in diesem Zusammenhang ist das Konzept der,negotiated order'. Es scheint der erfolgversprechendste Ansatz für die Analyse gesellschaftlicher Regelmäßigkeiten zu sein, den der SI aufzuweisen hat (Hall 1972; Maines 1977). Eingeführt wurde dieser Begriff 1963 von Strauss und anderen im Rahmen einer Untersuchung über Krankenhausorganisation (Strauss u.a. 1963; Strauss 1978). Darin wurde festgestellt, daß die von der traditionellen Soziologie als Struktur einer Abteilung bezeichnete Form in Wirklichkeit weitgehend eine ausgehandelte Ordnung (negotiated order) ist. Die beteiligten Ärzte und das Pflegepersonal hatten zwar gemeinsame Randbedingungen, und es herrschte auch Einigkeit in den letzten Zielen ihrer Tätigkeit, nämlich Kranke gesund zu entlassen. Alles, was darüber hinaus ging, war jedoch weitgehend abhängig von dem Aushandeln der verschiedenen beteiligten Gruppen. Dieser Begriff wurde also ursprünglich im Rahmen der Analyse innerorganisatorischen Handelns eingeführt. Er fand danach aber auch Verwendung bei der Rollenanalyse (vgl. den nächsten Abschnitt) sowie im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Untersuchungen. Die Verwendung des Konzepts der ,negotiated order' bei Analysen der Sozialstruktur hat mehrere Gründe. Einmal ist nicht zu übersehen, daß der traditionelle SI gerade in diesen Bereichen Defizite hatte, die auch seine Anhänger nicht bestritten haben, Phänomene wie Konflikte oder Machtungleich-

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heiten auf gesellschaftlicher Ebene waren mit seinem Instrumentarium nur schwer zu untersuchen. Allenfalls programmatische Aussagen, die als Leitfaden empirischer Untersuchungen dienen konnten, wurden angeboten. Die Rezeption der Theorie der negotiated order' überrascht deshalb nicht. Sie ist bislang relativ gut ausformuliert, ohne zugleich auf das Spezifische der Methode des SI zu verzichten. Indem sie das Aushandeln von gesellschaftlicher Ordnung hervorhebt, ist es zugleich antideterministisch, weil dies nur dann einen Sinn hat, wenn ein solches Aushandeln überhaupt möglich ist. Für Strauss ist das Aushandeln konstitutiver Bestandteil gesellschaftlicher Ordnung. In nahezu jeglicher sozialen Situation treffen sich Individuen, Gruppen, Organisationen usw., die sich über etwas uneinig oder im Unklaren sind, was sie nötigt, sich Einigkeit oder Klarheit zu verschaffen. Die Klärung verläuft u. a. über ein mehr oder weniger langanhaltendes Aushandeln. Dabei ist es unwichtig, wie lange dieser Prozeß dauert. Er kann ζ. B. flüchtig sein bis hin zu einem langwierigen Aushandeln von Verträgen zwischen Staaten. Gleichfalls unwichtig ist die Tatsache, ob den Beteiligten überhaupt bewußt ist, daß sie an einem solchen Vorgang teilnehmen. Strauss geht es hierbei nicht allein darum hervorzuheben, daß in der sozialen Wirklichkeit sehr vieles ausgehandelt wird. Es würde sich nicht lohnen, darüber viel Aufhebens zu machen, da dies in nahezu jeder umfassenderen Untersuchung über einen Aspekt der sozialen Wirklichkeit zum Ausdruck kommt. Ihm geht es vielmehr darum, diesen empirischen Vorgang auf theoretischer Ebene darzustellen, d. h. Kategorien zu schaffen, mit denen ein solcher Vorgang analysiert werden kann, so daß er in Untersuchungen den ihm angemessenen Stellenwert erhält. Bei der Analyse werden drei Dimensionen unterschieden: struktureller Kontext, Verhandlungskontext und die handelnden Akteure. Zwischen diesen drei Elementen besteht in der Realität ein unterschiedlicher Zusammenhang, und auch Rückwirkungen aufeinander sind möglich. Das gilt vor allen Dingen für die Akteure und den Verhandlungskontext. Der strukturelle Kontext wird bestimmt durch jene Faktoren, die im weitesten Sinne die Rahmenbedingungen abgeben, innerhalb derer Verhandlungen ablaufen. Sie sind von den jeweiligen Verhandlungssituationen abhängig und gelten mithin auch nur für diese. Jede Verhandlungssituation hat demnach ihren eigenen, von anderen mehr oder weniger unterschiedenen strukturellen Kontext. Obwohl Strauss die Unterteilung nicht macht, lassen sich die Elemente des strukturellen Kontextes zwanglos anhand der Blumerschen Unterscheidung zwischen physikalischen, sozialen und kulturellen Objekten beschrieben, wobei je nach Situation das Gewicht der Bedeutung der Elemente dieses Bereichs unterschiedlich sein wird. Um das Gesagte am Beispiel einer Tarifverhandlung zu verdeutlichen. Von Seiten der Gewerkschaft zählen zu den strukturellen Komponenten im physikalischen Bereich das Ausmaß des Tarifgebietes, die Zahl der Betriebe u. ä. Zu den sozialen Komponenten gehören der gewerkschaftliche Organisationsgrad, rechtliche Aspekte, sofern sie für das Tarifwesen von Bedeutung sind, die rechtliche Struktur der Unternehmensseite, deren Organisationsgrad usw. Kulturell wäre die vorhandene oder fehlende Streikbereitschaft ihrer Mitglieder, die Einstellung der Gegenseite zur Aussperrung u. ä. Diese Komponenten sind zwar für sich genommen unabhängig voneinander, sie bilden aber einen Zusammenhang bezogen auf den Verhandlungsprozeß, hier die

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Tarifverhandlung. Sie sind auch für die Beteiligten nur sehr schwer änderbar und bilden für ihr Handeln mehr oder weniger ein Datum, das sie hinnehmen müssen. Sowohl Unternehmer wie auch Gewerkschaften müssen im Einklang mit dem Rechtssystem handeln, und eine Gewerkschaft kann auch nicht kurzfristig ihren Organisationsgrad ändern. Zugleich wird mit dieser Komponente eine spezifische Machtverteilung vorgegeben, aus der zwar die Parteien ihr Bestes machen können, aber an der Tatsache als solche in einer gegebenen Tarifverhandlung werden sie schwerlich etwas ändern können. Der Verhandlungskontext ist jener, der definiert wird durch die wechselseitige Sichtweise der Akteure voneinander. Sie bestimmt den eigentlichen Verlauf der Verhandlung. Sie besteht einmal in der Sichtweise der eigenen Rolle sowie in der Definition der Situation. Der strukturelle Kontext wird hierbei interpretiert, und je nachdem, wie diese Interpretation erfolgt, ist der Verhandlungskontext ein anderer. Wir haben es hier mit dem schon erwähnten Gedanken des Interaktionismus zu tun, daß soziale Zusammenhänge nur dann handlungswirksam werden, wenn sie von den darin sich befindenden Akteuren gedeutet werden. Dieser subjektive Gesichtspunkt muß demnach - und ist es in der Regel - nicht identisch sein mit der Wirklichkeit, wie sie sich etwa für einen Sozialwissenschaftler darstellen mag. Diese Sichtweise wird natürlich auch von den vergangenen Erfahrungen geprägt sein, womit ein weiterer Faktor in die Erklärung des Verhandlungskontextes eingeführt wird. Um bei unserer Tarifverhandlung zu bleiben. Einmal angenommen, der strukturelle Kontext wäre hinreichend durch eine Wissenschaftlergruppe beschrieben worden. Sie hätten all jene Faktoren angeführt, die als objektive Daten für eine Tarifverhandlung von Bedeutung sind. Die Tarifparteien deuten nun diese objektiven Daten, um Tarifverhandlungen führen zu können, d. h. um bestimmte Handlungen zu tätigen, von denen sie der Meinung sind, daß sie zu dem gewünschten Ergebnis führen. Zuerst einmal wird von Seiten der Gewerkschaft für die Interpretation des strukturellen Kontextes von Bedeutung sein, welches Selbstverständnis sie von gewerkschaftlicher Politik haben. Und je nachdem, wie dieses ausschaut, werden sie u. U. eher zu einem Konflikt, sprich: zu einem Streik, oder eher zu einem Kompromiß geneigt sein. Dieses Selbstverständnis wird die Bewertung aller Komponenten des strukturellen Kontextes beeinflussen. Pointiert gesprochen werden damit die objektiv gleichen Daten im Extremfall nur so weit wahrgenommen, wie sie ihr Selbstverständnis und das daraus folgende Handeln unterstützen. Eine kompromißbereite Gewerkschaft wird ζ. B. auf die Konjunkturlage verweisen und behaupten, daß, da sie schlecht sei, die Gewerkschaft sich in ihren Lohnforderungen mäßigen muß. Eine konfliktbereite Gewerkschaft demgegenüber würde gegebenenfalls daraufhinweisen, daß damit zwar etwas über die Konjunktur insgesamt ausgesagt werde, nicht aber für die in Frage kommende Branche. Diese sei im Gegensatz zur allgemeinen Lage eine florierende. Eine solche Abhängigkeit der Sichtweise von dem eigenen Selbstverständnis ließe sich auch für alle anderen Faktoren in mehr oder weniger hohem Maße nachweisen. Zum Verhandlungskontext gehört ebenfalls das Bild, das ich von meinem Verhandlungspartner habe und er umgekehrt von mir. Strauss und Glaser haben in einem Aufsatz eine Typologie von solchen möglichen gegenseitigen Sichtweisen entworfen (Glaser, Strauss 1964). 1. Wenn beide Parteien sich über ihre wahren Absichten im klaren sind und auch wissen, daß der andere das weiß.

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2. Wenn einer der beiden sich nicht im klaren darüber ist, welche Absichten der andere hat, oder keine Kenntnis hat, wie der andere seine Absichten einschätzt. 3. Wie 2. mit dem Unterschied, daß er zu beiden Möglichkeiten Vermutungen anstellt und gemäß diesen Vermutungen handelt. 4. Beide wissen zwar über die Absichten der anderen Bescheid, handeln aber so, als ob sie es nicht wüßten. Obwohl diese Typologie im Rahmen von Interaktionen zwischen zwei Individuen entworfen wurde, kann sie auch hier angewandt werden. So kann man sich ζ. B. oftmals nicht des Eindrucks erwehren, daß Tarifverhandlungen nach einem Ritual ablaufen, das zwar den Beteiligten längst bekannt ist, gleichwohl aber aus Legitimationsgründen weiterhin aufrecht erhalten wird. Wie auch immer, es ist bei Interaktionen sehr wichtig, daß zu ihrer Untersuchung die Frage beantwortet werden muß, wie die jeweiligen Partner den anderen einschätzen und welche Motive sie ihm zuschreiben.

3.4. Rollentheorie Der vielleicht entwickeltste Teil des SI ist derjenige, der sich im weitesten Sinne mit der Rollentheorie beschäftigt. Die Rollentheorie hat das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zum Gegenstand. Ihre Aufgabe ist es demnach zu zeigen, wie individuelle Verhaltensweisen im gesellschaftlichen Zusammenhang entstehen und wie umgekehrt Gesellschaft durch individuelle Verhaltensweisen geprägt wird. So formuliert liegt es nahe, daß in der Soziologie diese Theorie in zwei Varianten zu finden ist. Einmal jene, die von der Vorherrschaft gesellschaftlicher Zusammenhänge ausgeht, und eine andere, in der Gesellschaft gebildet wird durch das bewußte Handeln von Individuen. Wie nicht anders zu erwarten, vertritt die Rollentheorie des SI letzteren Standpunkt, d. h. sie versucht, eine Theorie zu entwerfen, wonach der einzelne in seinem Handeln nicht durch gesellschaftliche Tatbestände festgelegt oder determiniert ist. Wenn hier eingangs davon gesprochen wurde, daß die Rollentheorie der wohl entwickeltste Teil des SI sei, so ist damit mehreres gemeint. Einmal die unbestreitbare Tatsache, daß in weiten Bereichen interaktionistischen Schrifttums Probleme erörtert werden, die mikrosoziologischer Natur sind, und nur relativ wenige, die sich auf eine gesamtgesellschaftliche Analyse beziehen. Wesentlicher ist aber, daß der SI, gerade da er sich auf dieses Thema konzentriert hat, Kategorien entwickelt hat, die es erlauben, auch in theoretischer Hinsicht davon zu sprechen, daß jener Teil des SI der differenzierteste ist. Wie im folgenden ersichtlich werden wird, gibt es innerhalb des SI ein recht kohärentes System von Aussagen zur Rollentheorie. Bei den Überlegungen sind zwei Argumentationsebenen zu unterscheiden: eine materiale und eine theoretische. Auf der materialen Ebene werden Aussagen gemacht über die Eigenschaften sozialer Prozesse und die Anforderungen, die sich daraus für Akteure ergeben. Auf theoretischer Ebene wird versucht, den Ablauf dieser Prozesse zu erklären. Die soziale Situation ist meist so geartet, daß Akteure, um handeln zu können, eine gewisse Eigenleistung an den Tag legen müssen. Soziale Normen, die das Handeln regeln, sind entweder mehr oder weniger widersprüchlich oder zu allgemein, um in einer konkreten Situation unmittelbar eindeutige Handlungsweisen zu liefern. Insofern bleibt dem Handelnden oftmals nichts anderes übrig, als sich selbst-

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ständig ein eigenes Bild der Situation zu machen. Und indem er zu dieser Eigenleistung gleichsam gezwungen wird, hat das auch zur Folge, daß Individuen nicht als Anhängsel sozialer Vorgänge gesehen werden können. Um diesen Gedanken etwas paradox zu formulieren: Nach der Theorie des SI bedarf es, damit soziale Prozesse überhaupt funktionsfähig sind, Individuen, deren Handeln durch diese sozialen Prozesse nicht determiniert wird. Diese relative Unabhängigkeit bedeutet für die Individuen, daß sie zwar mit bestimmten Normen umgehen müssen, aber die Art, des Umgangs aus diesen Normen selbst nicht folgt. Umgekehrt wäre ein soziales Gefüge - um nicht das Wort System zu gebrauchen, das im SI verpönt ist - nur in seltenen Fällen funktionsfähig, wenn seine charakteristischen Normen das Verhalten zur Gänze bestimmen würden. Dann nämlich wäre die Interaktion zu schwerfallig, um sich an eine ständig verändernde Umwelt hinreichend flexibel anzupassen. Damit sind bestimmte Anforderungen seitens der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegeben, die von dem Individuum bestimmte Fähigkeiten verlangen, um mit ihnen umgehen zu können. Diese dafür notwendige Fähigkeiten zu untersuchen, ist die Aufgabe der Rollen theorie. Sie dient der Analyse jener Elemente, die ein Individuum entwickeln muß, soll es sozial kompetent handeln. Oder anders formuliert: die Bedingungen, die gegeben sein müssen, soll das Individuum am sozialen Prozeß als anerkannter Interaktionspartner teilhaben können, werden in der Rollentheorie dargelegt. In der Form der Argumentation ist die Rollentheorie des SI demnach soziologisch und nicht psychologisch: sie geht von den gesellschaftlichen Problemen aus, die eine bestimmte Qualifikation des Individuums verlangen, und nicht umgekehrt. Schon im Akt der Rollenübernahme bedarf es des gestaltenden Eingriffs seitens der Handelnden. Nach Maßgabe des SI ist demnach die Rollenübernahme nicht ein passiver Prozeß, sondern eine je bestimmte Mischung aus Anpassung und aktiver Rollengestaltung. In einem klassischen Aufsatz zu diesem Thema hat Turner die Unterscheidung zwischen sole-taking1, und sole-making' eingeführt, wobei ersteres die passive Übernahme bezeichnet und letzteres die aktive gestaltende Komponente. Insofern folgt aus dem SI eine andere Ansicht des Prozesses der Rollenübernahme als die, die der Begriff der Rolle, wie er in der Alltagssprache gebraucht wird, wohl nahelegt. Die Redewendungen ,in eine Rolle schlüpfen', ,eine bestimmte Rolle spielen' u.ä. legen ja den Schwerpunkt auf die Übernahme von Anforderungen an Verhaltensweisen, die unabhängig von dem einzelnen bestehen. Und je besser eine solche Übernahme erfolgt, desto besser,spielt' er sie auch. Hierbei wird übersehen, daß gerade ein erfolgreiches Rollenhandeln zumeist einen Interpretations- und damit Gestaltungsprozeß zur Voraussetzung hat. Um hier kurz den Argumentationsgang des SI zu skizzieren. In der Regel geht in die Definition einer Rolle jene einer anderen ein, die mithin komplementär ist. Die Rolle des Lehrers setzt ζ. B. die des Schülers voraus, des Vaters die des Kindes, des Käufers die des Verkäufers usw. Die komplementären Rollen können mehrere sein und sind es zumeist auch. So ist beim Lehrer nicht nur die Rolle des Schülers zu nennen, sondern ζ. B. auch die seiner Kollegen und die der Schulaufsichtsbehörde, beim Verkäufer neben dem Kunden gegebenenfalls sein Vorgesetzter und ebenfalls seine Kollegen. D. h. daß im konkreten Rollenhandeln die einzelnen wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Um zu handeln, muß ich nicht nur wissen, wie der andere handelt, sondern auch vorhersehen, wie der andere meint, daß ich handeln

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werde. Für den anderen gilt dies natürlich analog. Nur wenn beides einigermaßen kongruent ist, ist eine Interaktion möglich. Der Soziologe nennt diese Bedingungen, die bei einer gelingenden Interaktion zwischen Alter und Ego gegeben sein müssen, die Komplementarität von Erwartungen. Der Punkt ist nun, daß ich in einer Interaktion genau dieses, d. h. sowohl das Verhalten des anderen als auch dessen Erwartung an mich, nur vermuten kann, keineswegs mir aber völlig sicher sein kann. So weiß ich zwar, wenn auch nicht immer, welche Rollen momentan zur Diskussion stehen, aber nicht, welches Verständnis der andere von ihnen in dieser Situation, in der ich micht befinde, nun auch tatsächlich hat. Gleiches gilt für den anderen. Wir müssen deshalb, ob wir wollen oder nicht, bildlich gesprochen aufeinander zugehen und die entsprechenden Signale austauschen, anhand derer wir beurteilen können, welches jeweilige Verständnis bei dem anderen vorliegt. Indem die eine Rolle durch die andere mitdefiniert wird, beeinflußt sie auch die Definition der anderen. Damit ist das Ergebnis einer anfanglichen Rollenübernahme das wechselseitige Anpassen der Erwartungen und somit ein durchaus aktiver und unter Umständen auch riskanter Prozeß. Um das eben Gesagte an dem schon eingeführten Beispiel des Hörsaals zu erläutern: Sowohl die Studenten wie auch der Dozent wissen im großen und ganzen, wie sie sich zu verhalten haben, und vor allen Dingen, wie sie sich nicht zu verhalten haben. So kann man davon ausgehen, daß der Dozent in einer Veranstaltung, die dem betrieblichen Rechnungswesen gewidmet ist, nicht die ganze Vorlesung damit bestreitet, ein Lied von Walther von der Vogelweide, wie subtil auch immer, zu interpretieren. Oder die Studenten können auch relativ sicher sein, daß der Dozent nicht aus heiterem Himmel einen von ihnen herausgreift, ihn kurz anbrüllt und hochroten Kopfes des Saales verweist. Umgekehrt vermag der Dozent begründet davon auszugehen, daß, da Frieden auf dem Campus herrscht, ihm niemand eine faule Tomate aus dem Hinterhalt an den Kopf schleudert. Gleichfalls wird er mit einiger Wahrscheinlichkeit ausschließen können, daß Studenten mit einem Kasten Bier in die Vorlesung kommen und mitteilen, sie wollten diesen in der nächsten Zeit an Ort und Stelle leeren. Nun ist es sicherlich schon einiges Wissen, das ein einigermaßen sicheres Verhalten in dieser Situation ermöglicht. Keineswegs gibt dieses Wissen aber dem einzelnen konkrete Verhaltensanweisungen. So ist unbekannt, ob der Dozent in der Veranstaltung gegebenenfalls Fragen zuläßt oder nicht. Gleichfalls muß man erst herausbekommen, wie er sich zu Meinungen und Ansichten verhält, die zu den seinen gänzlich konträr sind. Die Palette möglicher Reaktionen reicht immerhin von einem Zornausbruch mit hochrotem Kopf über ernsthaftes Eingehen bis hin zur gänzlichen Übernahme des ehedem von ihm kritisierten Standpunkts. Der Dozent umgekehrt vermag nicht zu wissen, ob nun in seiner Vorlesung überhaupt hinreichend motivierte Leute anwesend sind, die, wenn er Fragen stellt, auch bereitwillig antworten. Ebensowenig weiß er, wenn die Studenten schweigen, wie er dies verstehen soll und wie er auf Kritik reagieren soll. Ob er ζ. B. die Kritik pauschal zurückweisen oder aber auf sie eingehen soll. Er weiß aus Erfahrung, daß beides seine Tücken hat. Bereitwilliges Eingehen auf Kritik kann von Studenten als Schwäche ausgelegt werden, während pauschales Verneinen umgekehrt die Schwierigkeit mit sich bringt, daß es auf die Studenten oftmals ausgesprochen demotivierend wirkt. Und je nachdem, wie verschieden der Dozent die Studenten in ihren möglichen Reaktionen interpretiert und umgekehrt, wird er seine Rolle anders auffassen. Hinzu kommt die Interpretation der wechselseitigen Erwartungen, so ζ. B. ob die Stu-

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denten der Meinung sind, daß der betreffende Dozent von ihnen Beteiligung erwartet oder nicht. Zu Beginn der Vorlesung wird deshalb ein wechselseitiges Abtasten stattfinden, dessen Ergebnis, zumindest im Regelfall, das konkrete Rollenhandeln sein wird. Die Studenten werden dann wissen, wie sie sich in den eben angesprochenen Fällen zu verhalten haben und wie der Dozent reagieren wird. Für den Dozenten trifft dies gleichfalls zu. Er weiß nicht nur, wie er sich verhalten soll und wie die Studenten sich verhalten, sondern zugleich auch, was die Studenten von ihm erwarten. In dieser Konkretisierung der Rollen der Studenten und des Dozenten hat demnach eine Auswahl unter möglichen Rollengestaltungen stattgefunden. Die abstrakte Rollenvorgabe ,Dozent und Studenten in einer Vorlesung' enthält sehr viele Möglichkeiten unterschiedlichster Verhaltensweisen, deren gemeinsames Kennzeichen ist, daß sie als Ausprägung der jeweils gleichen Rollen gelten können. Die in dieser Veranstaltung stattfindende Konkretisierung bedeutet demnach nichts anderes als eine Anwendung dieser abstrakten Definitionsvorgaben auf eine konkrete Situation. Und in diesem Beispiel wurde deutlich, daß ein ,role-taking' nur in Form eines ,rolemaking' erfolgen kann. Der SI verwendet für diesen Prozeß des ,role-making' auch den Begriff des Aushandelns. Damit wird auf folgendes hingewiesen: In dem Moment, in dem zwei oder mehr Individuen eine Rollenvorgabe handhabbar machen müssen, kann das zugleich auch als Verhandlung über das nun gültige Verhalten angesehen und beschrieben werden. Denn die daran Beteiligten, zumal wenn sie unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie die komplementäre Rolle zu spielen sei und damit auch ihre eigene, müssen einen mehr oder weniger langwierigen Verhandlungsprozeß tätigen, soll eine Interaktion überhaupt stattfinden. Dabei spielen natürlich auch Machtrelationen eine wesentliche Rolle. Individuen verfügen unter Umständen nicht nur über unterschiedliche Fähigkeiten, sondern haben auch unterschiedliche Machtmittel zur Verfügung. Dieser Verhandlungsprozeß wird demnach höchst verschiedenen Folgen haben, je nachdem, mit welchen Machtmitteln die jeweiligen Rollenvorstellungen durchgesetzt werden können. Bei der Untersuchung dieser Machtasymmetrien sind zwei Ursprünge zu unterscheiden. Einmal kann sie darin begründet sein, daß der eine in der Interaktion, aus welchen Gründen auch immer, für die betreffende Situation Fähigkeiten hat, die denen des anderen überlegen sind. Zum anderen ist die unterschiedliche Ausstattung möglicherweise institutionell bedingt, d. h. nicht an der betreffenden Person liegt es, sondern z.B. an ihrem Amt. In diesem Sinne ist das Rollenhandeln eines Polizisten mit wesentlich stärkeren Durchsetzungsfahigkeiten ausgestattet als das eines normalen Autofahrers. Um das eben Gesagte an der Hörsaalsituation zu verdeutlichen. Bei diesem Beispiel ist offen gelassen worden, wer sich in seiner Rollenvorstellung durchsetzt und aufgrund welcher Voraussetzungen ihm das gelingt. Der Hinweis, daß im Laufe der Vorlesung die jeweiligen Rollenvorgaben konkretisiert wurden, sagte nichts darüber aus, in welchem Maße die beiden Parteien daran beteiligt waren. Nicht zu übersehen ist, daß der Dozent unabhängig von persönlichen Eigenschaften über zwei Sanktionsmittel verfügt, die die Studenten nicht besitzen. Das Drastischste ist dabei das sogenannte Hausrecht. Es verhilft dem Dozenten dazu, einen oder mehrere Studenten durch die Universitätsleitung schlichtweg des Saales verweisen zu lassen. Und wenn der Student auf die Aufforderung, den Saal zu verlassen, nicht

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reagiert, kann der Dozent unter Umständen auch die Polizei rufen. Damit ist er in der Lage, den betreffenden Studenten von dem Aushandeln der Rollendefinition auszuschließen. Ein weniger drastisches Mittel, jedoch gegebenenfalls genauso wirksam, wenn auch in der Regel nicht ganz so auffallend, ist die Tatsache, daß der Dozent über die Zensuren verfügt. Das gilt zumindest für Veranstaltungen, in denen eine benotete Prüfung erfolgt. Auch hier ist er in der Lage, Einfluß auf die Rollenausgestaltung zu nehmen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß dieses Mittel weniger dazu dient, Konformität im Verhalten zu erzeugen, sondern subtil eingesetzt werden kann, wenn es darum geht, die betreffenden Inhalte durchzusetzen. Mit diesem Mittel ist es ihm möglich, diese verbindlich zu machen, ohne daß die Studenten dabei etwas aushandeln können. Hinzu kommt in der Regel noch die größere Erfahrung seitens des Dozenten. Er ist nicht nur an Jahren älter und hat, aktiv oder passiv, an mehr Vorlesungen teilgenommen als der Student, sondern verfügt auch in der Regel über größere Kenntnisse und ist eloquenter als dieser. Das gereicht ihm insofern zum Vorteil, als er in einer gegebenen Situation in der Lage ist, seine Vorstellungen wesentlich effektiver zu vermitteln. Demgegenüber ist es offensichtlich, daß sich die Studenten in einer wesentlich schwächeren Position befinden. Als Machtmittel verfügen sie nur über das Mittel des Boykotts, und dies ist in aller Regel aus verschiedenen Gründen nicht sehr effektiv. Nun sagt die Asymmetrie der Machtpositionen natürlich noch nichts darüber aus, ob diese auch tatsächlich gezielt für die Durchsetzung der jeweiligen Vorstellungen eingesetzt wird. Meist ist das nicht der Fall. Es wird nur in seltenen Konfliktfallen dazu führen, daß eine der beiden Parteien zu diesem Mittel greift, und dies überwiegend dann, wenn die ,normalen' Mittel nicht zum gewünschten Ergebnis führen und es zu einer Eskalation kommt. Üblicherweise geschieht das Aushandeln von Rollendefinitionen weit weniger dramatisch. Häufig ist den Beteiligten wenig bewußt, was sie bewirken. In der Vorlesung ζ. B. verläuft dies zumeist in der ersten Sitzung, wo ein wechselseitiges Abtasten stattfindet, und danach geht man zur Tagesordnung über. In dieser Zeit erfahren die Teilnehmer, was sie von ihrem Dozenten erwarten können und was nicht. Gleiches gilt für den Dozenten. Selbst wenn Konflikte auftauchen, werden sie großteils in Diskussionen gelöst, die das Spektrum der zugelassenen Argumente nicht verlassen. Die Kompetenz des ,role-making' ist das Produkt äußerst langwieriger Sozialisationsprozesse. Ein adäquater Umgang mit sozialen Rollen setzt nämlich voraus, daß ein Individuum soziale Normen nicht nur erkennen kann, es muß sie auch, wie dargestellt, gestalten können. Dieser Gestaltungsprozeß setzt seinerseits voraus, daß das Individuum in der Lage ist, seine persönliche Sichtweise der Dinge vorzutragen, was wiederum zur Vorbedingung hat, daß es überhaupt eine persönliche Sichtweise entwickelt. Die Rollentheorie des SI faßt diese Problemlage mit der Unterscheidung von persönlicher und sozialer Identität. Mittels der sozialen Identität ist der einzelne in der Lage, sich in seinem Handeln den in einer Situation bestehenden sozialen Normen anzupassen. Diese Fähigkeit ist erforderlich, da es ansonsten dem Individuum überhaupt nicht möglich wäre, an einer sozialen Interaktion teilzunehmen. Man kann das auch so ausdrücken, daß die soziale Identität es erlaubt, eine Rolle so zu

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spielen, daß der Betreffende in einer sozialen Situation vom gewünschten Verhalten nicht abweicht. Die ideale Vorstellung einer sozialen Identität ist die vollständige Anpassung an die jeweils vorgegebenen Normen. Ein Individuum wird demnach ein hohes Maß an sozialer Identität haben, wenn es in der Lage ist, in den unterschiedlichsten Bereichen seines Rollenhandelns die jeweiligen Rollenerwartungen vollständig zu übernehmen. Dies erfordert auf jeden Fall ein hohes Maß an Flexibilität, und zwar in zweierlei Hinsicht: Es muß einmal die Fähigkeit haben, die verschiedenen Regeln, die in den Situationen vorhanden sind, überhaupt zu erkennen. Sie ist u. U. schwieriger zu erlangen, als dies auf den ersten Blick erscheint. Oftmals erschließen sich die herrschenden Regeln nur nach längerem Aufenthalt, da es nicht ausreicht, die offen geäußerten Verhaltensvorgaben zu kennen, sondern auch die mehr oder weniger inoffiziellen. Die zweite besteht darin, das einmal Erkannte auch tatsächlich in Handeln umzusetzen. Bedenkt man, wie groß die Unterschiede von Verhaltensanforderungen in sozialen Situationen sein können, wird man verstehen, welch große Anstrengung im Erziehungsprozeß darauf verwandt wird, daß man lernt, ,sich nicht daneben zu benehmen', was ja die umgangssprachliche Formulierung für einen Mangel an sozialer Identität in einer gegebenen Situation ist. Man bedenke allein die unterschiedlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Ausfüllung der Berufsrolle. So hat etwa ein Wartungstechniker in einem Unternehmen mit dezentralisierter Datenverarbeitungsanlage die Aufgabe, die Anlage regelmäßig zu kontrollieren. Die Aufgabe erfordert nicht nur technische Kompetenz, sondern auch eine entsprechende soziale Fähigkeit. Dies vor allem dann, wenn in einzelnen Abteilungen ein sehr unterschiedliches ,Klima' herrscht. Mit ,Klima' drückt sich eine Summe von Einzelkomponenten aus, die von der Kleiderordnung bis hin zu gesellschaftspolitischen Ansichten reichen kann. Pointiert gesprochen ist die eine Abteilung in Kleidung und Verhalten leger und in ihren politischen Ansichten das, was man als liberal bezeichnen würde, währenddessen eine andere Abteilung den extremen Gegentypus darstellt. Eine mögliche Variante ist nun, daß der Wartungstechniker sich eben diesen Klimata jeweils vollständig anpaßt. Gleichzeitig darf er diese wechselnden Anpassungsleistungen nicht offenkundig machen, sondern muß sie unauffällig vollziehen. Wenn auch vielleicht karikierend, kann dies dazu führen, daß man im vorhinein erkennen kann, welche Abteilung er nun besuchen wird, so wenn er die Frankfurter Rundschau gegen die FAZ austauscht oder seine Jeans gegen die graue Flanellhose. Eine solche Strategie wird dazu führen, daß er in den einzelnen Abteilungen - soweit es sich mit seiner Aufgabe vereinbaren läßt - als einer der ihren angesehen wird. Indem er sich den dortigen Gepflogenheiten anpaßt, ist seine soziale Identität in hohem Maße in den betreffenden Gruppen akzeptiert. Eine solche Verhaltensweise, konsequent zu Ende gedacht, führt dazu, daß er, indem er zur Gänze die vorgegebenen Normen übernimmt, seine Eigenständigkeit als Person aufgibt. Die Tatsache, daß er noch etwas anderes ist, als er jeweils darstellt, taucht als Problem überhaupt nicht auf. Er wird damit austauschbar, da jeder, der sich in der gegebenen Situation anpaßt, das gleiche Handeln an den Tag legen würde, zudem wäre seine Biographie durch ein abruptes Wechseln von Situation zu Situation gekennzeichnet. Seine Persönlichkeit' wäre durchaus eigentümlich und ließe sich am ehesten mit einem Bild vergleichen, das jemand einst als Kritik an dem Soziologen Goffmann gebrauchte, nämlich das einer Holdinggesell-

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schaft. Eine solche Unternehmensverfassung bedeutet nämlich, daß die unterschiedlichen Bereiche als einzige Gemeinsamkeit den gleichen Besitzer haben. Nun wird man fragen können, warum es eigentlich nicht genügt, eine soziale Identität zu haben, d. h. warum bedarf es noch zusätzlich einer persönlichen? Es mag zwar der Fall sein, daß eine solche Person nicht unbedingt unseren moralischen Anforderungen genügt, schließlich ähnelt sie ja einem Opportunisten, aber zynisch könnte man ja sagen, es funktioniere. Der SI will nun genau an diesem Punkt nachweisen, daß die Entwicklung einer persönlichen Identität nicht aus moralischen Gründen notwendig ist, sondern aufgrund sozialer Ursachen, d. h. ihr Argument läuft darauf hinaus, daß ein Individuum, das nur aus einer Ansammlung sozialer Identitäten besteht, überhaupt nicht erfolgreich handeln kann. Folgende Überlegungen mögen die Notwendigkeit einer persönlichen Identität verdeutlichen. Einmal angenommen, die jeweiligen Abteilungen würden zusammentreffen und sich über den Wartungstechniker unterhalten. Dabei würde sich nach einiger Zeit herausstellen, daß er sich in den einzelnen Abteilungen durchaus unterschiedlich verhält und Meinungen äußert, die sich vollständig widersprechen. Mit der Folge natürlich, daß ihm von nun an in den einzelnen Abteilungen eine gehörige Portion Mißtrauen entgegengebracht wird. Und indem das so ist, wird er auch nicht mehr - im gewohnten Maße zumindest - seine soziale Identität aufrechterhalten können. Er wird von nun an als ein Fremdkörper empfunden werden. Dies ist sicherlich ein drastisches Beispiel, und man mag mit Recht einwenden, daß hierbei eine extreme Konstellation vorhanden war. Selbst wenn sich die Abteilungen nicht austauschen, wird es jedoch schwierig sein, bruchlos immer ein und dieselbe soziale Identität zu behaupten. Außer in flüchtigen Interaktionen wird man vermuten können, daß nicht selten eine Situation irgendwann aufhört, homogen zu sein. Es dürfte häufig der Fall sein, daß, wenn mehrere Leute zusammentreffen, sich widersprechende Einstellungen und Handlungen ergeben. Dann wird der einzelne nicht umhin können, sich auf eine gewisse Art zu verhalten. Und wenn jemand dabei die Strategie der ständigen Anpassung verfolgt, wird er mit Sicherheit über längere Zeit hinweg unangenehm auffallen und damit seine soziale Identität in dieser Gruppe aufs Spiel setzen. Wie dieses Beispiel zeigt, kann allein die Fähigkeit, eine soziale Identität zu entwickeln, bzw. für je verschiedene Situationen unterschiedliche soziale Identitäten, für ein gelungenes Rollenspiel im Sinne des symbolischen Interaktionismus nicht ausreichen. Damit der Rollenspieler mehr wird als eine Holdinggesellschaft, also Inhaber verschiedener Rollen, muß er offensichtlich über eine Eigenschaft verfügen, die über die Fähigkeit hinausgeht, situationsgebunden auf bestimmte Anforderungen zu reagieren. Anders ausgedrückt setzt Rollenspiel auch voraus, daß der Handelnde eine Eigenschaft besitzt, die in den verschiedenen sozialen Identitäten erkennbar wird. Dieser Aspekt des Rollenhandelns, um den es hier geht, wird von den Interaktionisten als persönliche Identität bezeichnet. Während soziale Identität die Bedeutung hat, soziale Anforderungen zu akzeptieren, ,zu sein wie alle anderen', meint persönliche Identität, sozialen Anforderungen in einer Art zu begegnen, die höchst individuell ist, d.h., ,zu sein wie kein anderer.' Der Unterschied dieser beiden Identitäten besteht darin, daß der Akteur in beiden Fällen verschiedene Bezugspunkte zum Maßstab der Ausgestaltung seiner Handlung nimmt. Im Fall der sozialen Identität ist es sein Gegenüber, im Fall der persönlichen Identität ist es seine eigene Person.

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Um im Rollenhandeln diese beiden Aspekte zu berücksichtigen, wird dem Individuum im Grunde genommen ein ständiger Balanceakt abverlangt. Was ihn dazu befähigt, dieses Spannungsverhältnis auszugestalten, wird von den Interaktionisten als Ich-Identität bezeichnet. Einerseits wird Ich-Identität für erfolgreiches Rollenhandeln vorausgesetzt. Es ist nämlich die Fähigkeit, die eigene Person mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Absichten von der sozialen Umwelt abzugrenzen, aber auch die persönliche Identität nicht bruchlos, ohne jegliche Anpassung in Interaktionsbeziehungen durchzusetzen. Ohne Ich-Identität würde Interaktion entweder zu einem reinen Anpassungsvorgang, in dem Individuen anonym auftreten und damit als Individuen untergehen, oder aber zu einer andauernden Folge von Unverständnis. Obgleich Ich-Identität daher jedem Rollenhandeln vorausgesetzt wird, ist sie andererseits auch eine Fähigkeit, die in Prozessen des Rollenhandelns erlernt wird. Erst in der Konfrontation mit Anforderungen, die von außen an das Individuum herangetragen werden, kann es sich selbst als eine Person erfahren, die nicht dekkungsgleich mit allen anderen ist. Je vielfältiger die an ein Individuum gestellten Anforderungen sind, je mehr soziale Identitäten es ausgestalten muß, um so deutlicher und genauer wird es sich als eigene Person kennenlernen. Dies hat zur Folge, daß der Erwerb der Ich-Identität nie abgeschlossen ist und die Stärke der IchIdentität mit der Anzahl sozialer Kontakte und Bezugsgruppen steigt. Ist ein Individuum mit Ich-Identität ausgestattet und läßt sie in Interaktionen wirksam werden, verfügt es - wiederum aus einem anderen Blickwinkel gesehen auch über eine bestimmte Fähigkeit im Umgang mit Rollen: Es erkennt Rollen als Rollen, d. h. als Anforderungen, in denen es nicht aufgeht, sondern die von außen herangetragen werden und die es in einem bestimmten Rahmen beantworten muß. Diese Fähigkeit, sich im Rollenspiel als jemand zu erkennen, der dort eine Balance zwischen Anforderungen und der eigenen Persönlichkeit herstellt, wird von den Interaktionisten als Rollendistanz umschrieben. Rollendistanz sagt nichts über die eigentliche Handlung eines Individuums aus. Es wird damit nicht angedeutet, daß ein Individuum ζ. B. in seinem Handeln zwar Anforderungen nachkommt, sich davon aber innerlich distanziert oder gar generell die mit einer Rolle verbundenen Anforderungen ablehnt. Es ist eher ein Moment im Vorgang des Rollenspiels, das der eigentlichen Handlung vorausgeht, indem der Akteur sein Verhältnis gegenüber bestimmten Anforderungen abklärt. Das schließt natürlich nicht aus, daß es dann im aktuellen Rollenspiel dazu kommen kann, daß zynisch oder ironisch auf das Rollenspiel eingegangen wird bzw. die Spielregeln verletzt oder gesprengt werden. Gerade wenn Ich-Identität und Rollendistanz in Interaktionen geübt werden, ist es theoretisch und auch empirisch zwingend, daß in vielen Handlungssituationen die Interessen und Bedürfnisse der Partner nicht voll befriedigt werden können. Damit das Rollenspiel nicht zusammenbricht oder die Erfahrungen aus Rollenhandeln nicht zu Resignation oder Rückzug der Beteiligten führen, muß auch die .Möglichkeit der Enttäuschung' berücksichtigt werden. Mit einer weiteren Konstruktion, dem Begriff der Ambiguitätstoleranz, wird von den Interaktionisten auf dieses Problem eingegangen. Ambiguitätstoleranz meint die Fähigkeit, ,die Möglichkeit der Enttäuschung' vorherzusehen und dennoch das Risiko des Rollenhandelns einzugehen. Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, soziales Handeln fortzusetzen, auch wenn von den eigenen Interessen zugunsten gemeinsamer Kompromisse Abstriche gemacht werden müssen.

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3.5. Methode und Empirie Will man die Aussagen des SI in Sachen Methoden und Methodologie verstehen, bedarf es zuvor der Darlegung der Ziele von empirischer Forschung in den Augen seiner Vertreter. Mehr als bei anderen Richtungen der Soziologie ist die Methodendiskussion sehr stark mit dieser Frage gekoppelt. Im Grunde genommen ergibt sich die Präferenz für bestimmte Methoden innerhalb des SI aus den Zielen von Sozialwissenschaft, die von diesen Autoren formuliert werden. In weiten Bereichen wird Wissenschaft gleichgesetzt mit Kausalanalyse, und als ihr Ziel wird das Aufstellen von Gesetzen über diese angenommenen Kausalrelationen verstanden. Nicht so beim SI. Aus dem vorangegangenen ergibt sich, daß es wegen der Eigentümlichkeiten des sozialen Feldes solche Gesetze nur in Grenzfallen geben kann. Am deutlichsten werden die Gründe für diese Sichtweise, wenn man sich die Argumentation vergegenwärtigt, die Blumer gegen die Variablenanalyse vorgebracht hat. Mit Variablenanalyse ist dabei jene weit verbreitete Praxis in den Sozialwissenschaften gemeint, Phänomene dadurch zu erklären, daß man sie zurückführt auf ein Bündel von Sachverhalten, die als ihre Ursache angesehen werden. Um ein Beispiel aus der Wahlsoziologie zu bringen. Eine Variablenanalyse einer Wahlentscheidung wird diese dadurch erklären, daß der oder die Betreifende eine bestimmte Ausprägung folgender Merkmale hat: Klasse/Schicht, Beruf, Bildung, Stadt/Land, Kirchgänger/Nichtkirchgänger, um für die BRD nur die wichtigsten zu nennen. Wenn dies auch nicht ausdrücklich gesagt wird, liegt diesem Modell dennoch die Annahme zugrunde, daß das Individuum in seinen Entscheidungen nicht frei ist, sondern bestimmt wird durch jene Faktoren. Gegenüber diesem Modell trägt Blumer nun folgende Einwände vor: Die Annahme, daß jene Variablen zu einem bestimmten Wahlverhalten führen, ist verkürzt. Sie berücksichtigt nicht, daß, damit diese Faktoren Verhaltensfolgen haben, sie zuvor interpretiert werden müssen. Ζ. B. sagt die Häufigkeit eines Kirchbesuches noch nichts darüber aus, wie der Kirchgang von dem Betreffenden aufgefaßt wird. So wird es sich beim Wahlverhalten sehr anders auswirken, ob die Ethik der Bergpredigt nicht von dieser Welt ist und somit nur zur Erbauung dient oder aber unmittelbar Anwendung finden soll bei politischen Entscheidungen. Obwohl deshalb bei beiden die Variable ,Kirchbesuch' die gleiche Ausprägung haben wird, wird doch das daraus folgende Verhalten recht unterschiedlich sein. Allenfalls mag die Variablenanalyse über kurze Zeiträume aus pragmatischen Gründen gerechtfertigt sein, etwa wenn eine bestimmte Anzahl von Variablen in der Lage ist, zutreffende Prognosen zu machen. Darin sieht jedoch Blumer keinen Einwand gegenüber seiner Kritik. Das sei nur deshalb möglich, weil die Interpretationen, die die Akteure von den betreffenden Faktoren haben, stabil seien. Dies ändere aber nichts daran, daß die Interpretation berücksichtigt werden müsse, da ansonsten die Gefahr bestehe, daß, wenn die Interpretation sich ändere, eine Prognose sich als fehlerhaft erweist. Neben dieser grundlegenden Kritik trägt Blumer noch drei weitere Einwände vor, die sich mit der gegenwärtigen Praxis der empirischen Sozialforschung auseinandersetzen, soweit sie sich in Form von Variablenanalyse darstellt (Blumer 1978). 1. In der bestehenden Forschung ist unklar, welche theoretisch begründeten Regeln die Auswahl der betreffenden Variablen leiten. Um dies an dem Wahlbeispiel zu erläutern: In der gegenwärtigen Forschung werden die Faktoren nach pragmati-

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sehen Kriterien bestimmt, d. h. es werden solche Faktoren angeführt, mit denen sich das Wahlverhalten am zutreffendsten prognostizieren läßt. Theoretische Erwägungen, die darüber hinausgehen, sind kaum anzutreffen. 2. Die Zuordnung methodologischer Konstrukte der Soziologie, wie etwa Einstellung zu einzelnen Variablen, mit denen diese erfaßt werden soll, ist nicht geklärt. 3. Der spezifische Zusammenhang, der zwischen den einzelnen Variablen besteht, wird nicht genügend berücksichtigt, und damit sind Variablenstudien nur sehr beschränkt von einem Zusammenhang auf den anderen übertragbar. So ist ζ. B. in der Wahlforschung zwar in Amerika die Variable Hautfarbe durchaus erklärungskräftig, nicht aber in Gesellschaften, die ethnisch homogen sind bzw. in denen aus den verschiedenen Hautfarben keine sozialen Folgen gezogen werden. Für Blumer haben alle diese Mängel die gemeinsame Wurzel, daß die herrschende Methodologie seiner Meinung nach nicht von der sozialen Wirklichkeit ihren Ausgangspunkt nimmt, sondern umgekehrt die Konzepte und Methoden losgelöst von der Wirklichkeit entworfen werden. Diese Sichtweise hat nicht nur Folgen für die Methoden, sondern auch für das Ziel der Wissenschaft. Die soziale Realität läßt es als sehr unwahrscheinlich erscheinen, daß in nennenswertem Maße eine Kausalanalyse sinnvoll ist. Die Kritik an der Variablenanalyse ist ja nichts anderes als eine Kritik an der Kausalanalyse. Jene setzt voraus, soll sie sinnvoll angewandt werden, daß es allgemeingültige Regelmäßigkeiten gibt und daß entsprechende Gesetze gefunden werden können, die eine ebensolche Geltung beanspruchen können. Das Fallgesetz ζ. B. galt sowohl vor 100 Jahren als auch auf den Südseeinseln. Indem der SI die Interpretationsleistung der Akteure als das entscheidende Merkmal des Sozialen ansieht, hat er zugleich auch gesagt, daß es soziale Gesetzmäßigkeiten nur in Ausnahmefallen oder auf einer hohen Abstraktionsstufe geben kann. Damit ist die Kritik an der herrschenden Sozialforschung keine nur pragmatische, sondern eine prinzipielle. Pointiert ausgedrückt: sie sucht etwas, was es überhaupt nicht geben kann, nümlich universell gültige Gesetzmäßigkeiten. Demgegenüber kommt es darauf an, eben jene Regelsysteme, die die Akteure bei ihrem Handeln leiten, zu erfahren. Es bedarf der Analyse, wie die Individuen ihre Welt sehen. Das Erklärungsmodell, das diesem Ziel zugrunde liegt, lautet demnach nicht, ein bestimmtes Ereignis mit einem allgemeinen Gesetz zu verbinden, das auf bestimmte Randbedingungen angewandt wird. Handeln zu erklären bedeutet vielmehr, die Gründe ausfindig zu machen, die den Betreffenden dabei geleitet haben. Die Methoden sind entsprechend dieser Programmatik qualitative und, wenn überhaupt, nur ergänzend standardisierte. In der Sozialforschung bezeichnen diese Begriffe Typen von Methoden, wobei die einen (qualitative) dem zu untersuchenden Objekt bzw. Individuum offen sind, währenddessen die anderen (standardisierte) die Möglichkeiten von Antworten schon vorentscheiden und nur innerhalb dieses Rahmens Antworten überhaupt möglich sind. Entsprechend diesem Programm umfaßt Methodologie im SI mehr, als dies normalerweise der Fall ist. In den gängigen Lehrbüchern beschränkt sich die Methodologie auf die Darlegung von Forschungstechniken einerseits und statistischen Verfahrensweisen der Auswertung andererseits, wobei Fragen der Anwendung dieser Techniken nur in recht allgemeiner Weise abgehandelt werden, was u. a. dazu führt, daß es ausgesprochene Methodenspezialisten gibt, die sich nur am Rande mit inhaltlichen Problemen beschäftigen.In Extremfallen kommt ein ausgesprochenes Umkehrverhältnis zustande: Wurden ursprünglich Methoden der Datenerhebung

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und Verfahrensweisen der Auswertung entwickelt, um mehr über die soziale Wirklichkeit zu erfahren, so hat man oftmals den Eindruck, daß umgekehrt die Empirie dazu dient, die Eleganz der Methoden zu illustrieren. Beim SI hingegen ist die Erörterung der Methoden nur insoweit sinnvoll, als sie dazu beiträgt, eine bestimmte Frage besser oder überhaupt beantwortbar zu machen. Methodologie ist demnach ein nicht herauslösbarer Teil eines komplexen Zusammenhangs, der von der ursprünglichen Formulierung eines Problems über dessen Umsetzung zu einem konkreten Forschungsleitfaden bis hin zur Erstellung des Abschlußberichtes reicht. Wobei der Einsatz von Methodologie einerseits dazu dient, den Zugang zur Wirklichkeit zu finden, und andererseits die Aufgabe hat, jenen Bereich systematisch zu untersuchen. Im Vordergrund steht aufjeden Fall ein Entsprechungsverhältnis von Gegenstand und Methode. Die Betonung dieses an sich selbstverständlichen Sachverhalts gewinnt eine besondere Bedeutung, wenn man sich die überlieferte Praxis von empirischer Sozialforschung vor Augen führt. Einmal angenommen, ein Betrieb weist eine hohe Abwesenheitsrate auf, und die Betriebsleitung beauftragt ein Institut mit der Analyse der Ursachen. Das Institut geht hierbei folgendermaßen vor: In einer Vorlaufphase werden Untersuchungen, die bislang zu diesem Thema vorliegen, sowie die entsprechenden Theorien untersucht. Dann wird ein vorläufiger Fragebogen erstellt, und eine ausgewählte Gruppe aus diesem Betrieb wird befragt. Danach werden die Interviews ausgewertet und gegebenenfalls in ihrem Aufbau, Länge, Verständlichkeit der Fragen usw. verändert. Mit diesem so neu gewonnenen, überarbeiteten Interviewleitfaden wird nun abermals in den Betrieb gegangen und eine Vollerhebung oder eine Stichprobe durchgeführt. Damit ist die sogenannte Erhebungsphase abgeschlossen, und es beginnt die Auswertung. Nach der Ansicht des SI leidet eine solche Verfahrensweise entscheidend daran, daß die Forscher sich nicht zuallererst eine persönliche Kenntnis des Betriebes und seiner Probleme verschafft haben. Gerade für Forscher, die im Regelfall aus anderen sozialen Schichten kommen und wiederum in anderen sozialen Schichten leben, sei es ein unerläßliches Muß, sich aus erster Hand über das Feld zu informieren, ob nun im vorliegenden Fall oder bei abweichendem Verhalten, bei Jugendlichen usw. In unserem Beispiel wäre das etwa dadurch möglich gewesen, daß die Forscher mehrere Wochen in dem Betrieb gearbeitet hätten oder aber sich zumindest in informellen Gesprächen ausgiebig mit den dort Beschäftigten unterhalten hätten. Ein solches Vorgehen sei deshalb unerläßlich, um eine unmittelbare Kenntnis des zu untersuchenden Betriebes zu erfahren, eine Kenntnis, die zwar durch ausgiebige Lektüre ergänzt werden könne, nicht aber ersetzt. Nur so könne man ζ. B. in Erfahrung bringen, wie die Betriebsleitung von den dort Arbeitenden wahrgenommen werde, welche Spannungen und Konflikte in der Belegschaft vorhanden sind, ob der Betriebsrat als der Repräsentant aller Arbeitenden angesehen wird, in welchem Zustand die Maschinen sind, Fragen der Arbeitsorganisation, wie das Kantinenessen ausschaut usw. Und zwar müsse die Kenntnis dieser Sachverhalte am Anfang stehen, da je nachdem, wie der Betrieb sich in dieser Hinsicht darstellt, die Fragen und der Schwerpunkt anders gestellt werden müssen. Dies gilt aber nicht nur für die Fragen, sondern auch für die Beurteilung der gegebenen Antworten. Wenn ζ. B. als Grund für häufige Abwesenheit die Schwere der Arbeit genannt wird, so vermag jemand nur dann zutreffende Schlüsse daraus zu ziehen, wenn er weiß, was der Betreffende mit,Schwere der Arbeit' meint. Schließlich ist eine solche Kenntnis aus

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erster Hand notwendig, um zu entscheiden, in welcher Situation und in welchem Raum die Gespräche stattfinden sollen. So ist ζ. B. ein Gespräch in Räumen der Geschäftsleitung dann möglicherweise verzerrend, wenn diese Räume in ihrem Aussehen als sehr fremd empfunden werden und darüber hinaus der Wissenschaftler automatisch als der Geschäftsleitung zugehörig definiert wird. Daraus folgt nicht nur, daß methodologische Erwägungen nur im Rahmen von konkreten Bezügen zu erfolgen haben, sondern auch einiges über die Organisation dieses Forschungsvorhabens. So etwa, daß eine Trennung zwischen denjenigen, die erheben, und denjenigen, die auswerten, einigermaßen problematisch ist. Eine solche Trennung führt nämlich dazu, daß der Zusammenhang der einzelnen Antworten, wie er im Betrieb bestand, zwar bei jenen, die erhoben haben, aber nicht bei jenen, die auswerten, vorhanden ist. Insofern muß zumindest ein enger Kontakt zwischen beiden Gruppen gewährleistet sein. Im Idealfall sollten alle Beteiligten eines Forschungsprojektes alle Arbeitsschritte einmal selbst durchgeführt haben. Einige Vertreter des SI gehen sogar soweit, daß diejenigen, die in einem Projekt mitarbeiten, bzw. der einzelne, der empirische Forschung betreibt, alle Arbeitsschritte selbstständig durchführen (vgl. Glaser 1978). D.h. sowohl der Entwurf als auch die Operationalisierung sowie die Durchführung und Auswertung bis hin zum Abschlußbericht sollen möglichst von einer Person geleistet werden. Nur so seien Verzerrungen auszuschließen, die sich daraus ergeben, daß in einzelnen Phasen Leute beschäftigt werden, die an den vorangegangenen nicht teilgenommen haben. Innerhalb des SI überwiegt die Ansicht, daß der Einsatz von jeweils nur einer Methode angesichts der Komplexität des Sozialen nur zu ungenügenden und wenig gültigen Ergebnissen führe. Insbesondere Denzin argumentiert zugunsten des Einsatzes mehrerer Methoden anhand wissenschaftslogischer Überlegungen. So sei zwar bekannt, daß jedes Instrument der empirischen Sozialforschung - ζ. B. Interview, teilnehmende Beobachtung - mit Fehlerquellen behaftet sei. Beim Interview führe etwa der sogenannte Interviewereffekt zu Verzerrungen. Das Unbefriedigende daran sei allerdings weniger, daß ein solcher Fehler vorhanden sei, sondern daß man nicht sein genaues Ausmaß festlegen könne. Dies liege daran, daß für die einzelnen Erhebungstechniken noch keine Fehlertheorie vorhanden sei, mittels derer man angeben könne, mit welchem Ausmaß an Fehlern die so gewonnenen Ergebnisse behaftet seien. Deshalb sei es wünschenswert, mehrere Methoden einzusetzen. Es spreche nämlich einiges dafür, daß sich die einzelnen Fehlerquellen nicht addieren, sondern neutralisieren. Dieser von Denzin als Triangulation bezeichnete Einsatz von verschiedenen Methoden erlaube zudem, daß die einzelnen erhobenen Daten sich wechselseitig erhellen und damit interpretieren (vgl. Denzin 1970). Von den im Interaktionismus bevorzugten Methoden liegen Interview und teilnehmende Beobachtung weit an der Spitze, was ja auch von der Theorie her zu erwarten war - und zwar das offene Interview, während die teilnehmende Beobachtung in natürlichen Situationen stattfindet. Der Ausdruck .offenes Interview' bezieht sich, wie auch das Gegenteil, das geschlossene Interview, auf die Antwortvorgaben. Die vorformulierten Fragen des offenen Interviews enthalten keine solchen Vorgaben, so daß der Befragte ,frei' antworten kann. Wenn etwa nach der Einstellung gegenüber den USA gefragt wird, als Antwortvorgaben aber nur die Kategorien ,stark antiamerikanisch - schwach antiamerikanisch - neutral - schwach proamerikanisch - stark proamerikanisch' bestehen, kann nicht festgestellt werden, daß der Befragte in seiner Einstellung etwa differenziert zwischen Amerika bzw. den

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USA allgemein und der Politik der gegenwärtigen Regierung. An diesem Beispiel wird deutlich, in welchem Maße Antwortvorgaben schon bestimmte Ergebnisse verformen (was bei politischen Auftraggebern, gekoppelt mit flexiblen Forschungsinstituten, ja durchaus ein beabsichtigtes Ergebnis sein kann). Hier wird bereits erkennbar, welche Vorteile ein offenes Interview hat. Es erlaubt nämlich dem Befragten, auf seine ganz eigene Weise zu antworten. Die Offenheit in der Antwortvorgabe ist freilich nur eine Variante dieser Interviewform, die noch am stärksten standardisiert ist. Andere reichen von einer lockeren Form der Fragen, in denen nur grob die Fragenfolge festgelegt ist, bis hin zum völlig unstrukturierten Interview, bei dem nur das Thema, das erfragt werden soll, festgelegt ist. Mit diesem Interviewtypus meinen Vertreter des SI eine adäquate Form gefunden zu haben, mit der ihr theoretisches Postulat methodisch umgesetzt werden kann. Im Gegensatz zum geschlossenen erlaubt das offene Interview die Erfassung von Ansichten und Meinungen der Betroffenen, und zwar in unverfälschter Form. Es bildet methodisch die Sinnhaftigkeit und die interpretative Leistung der Akteure entsprechend der Alltagssituation ab. Dies deshalb, weil das offene Interview, wenn auch zumeist nur tendenziell, eine normale sprachliche Interaktion wiedergibt. Insofern kann der Befragte seinen normalen Denkprozeß stärker artikulieren, als das im standardisierten Interview der Fall ist. Indem er seine Sprache verwenden und über die Bedeutung seiner Antwort Auskunft geben kann, ist diese Methode gut geeignet, die Symbolwelten des Akteurs in Erfahrung zu bringen. Dies aus mehreren Gründen. Einmal hat jede soziale Gruppe und ζ. T. auch jeder einzelne eine ganz bestimmte Sprache, die mehr oder weniger stark von der der anderen abweicht. So haben ζ. B. Begriffe wie Staat, Religion, Gewerkschaft usw. in den verschiedenen Gruppen der Bevölkerung eine unterschiedliche Bedeutung. Die Unterschiede liegen nicht darin, daß etwa die einen Gewerkschaften als etwas positives betrachten, währenddessen die anderen ihnen ablehnend gegenüberstehen, vielmehr ist schon das, was unter Gewerkschaften verstanden wird, verschieden. Indem aber der Interviewer gegebenenfalls nachfragen kann, welche Vorstellungen der Betreffende von einer Sache hat, kann auch konkret der Aspekt der Bedeutungsungleichheit einzelner Worte berücksichtigt werden. In abgewandelter Form gilt dies auch für den Befragten selbst. Er kann gegebenenfalls die Frage stellen „Wie meinen Sie das?" oder „Was soll ich darunter verstehen?" und dann eine korrekte Antwort geben, da er nun weiß, wovon er spricht. Dieses ,nun wissen, wovon man spricht' ist ein Problem von Interviews, das entgegen dem ersten Anschein gar nicht so unbedeutend ist. Normalerweise taucht das Problem bei standardisierten Interviews nur in geringem Maße auf, da sie allenfalls die Rubrik ,keine Meinung' vorsehen und aus Erfahrung bekannt ist, daß selbst dann, wenn Leute über eine gewisse Sache keine Meinung haben, sie gleichwohl dies nicht gerne eingestehen und deshalb eine x-beliebige Meinung angeben. Ähnliches gilt bei Wissensfragen. So ist vor nicht allzu langer Zeit in der Presse berichtet worden, daß ein Meinungsforschungsinstitut Leute befragt hat, ob sie einen Minister eines gewissen Bundeslandes kennen, der überhaupt nicht existierte, und siehe da, durchaus nicht wenige Personen gaben vor, daß der betreffende Herr ihnen bekannt war. In einem korrekt durchgeführten offenen Interview, zumindest würde der SI so argumentieren, wäre so etwas nicht möglich gewesen, da hier im Laufe eines Gespräches deutlich geworden wäre, was der Befragte nun wirklich weiß und wozu er tatsächlich eine Meinung hat. Wie schon angedeutet, entspricht diese Interviewform noch am ehesten der All-

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tagssituation und ist in diesem Sinne nicht künstlich. Gleichwohl wird niemand leugnen wollen, daß immer noch ein beträchtlicher Rest an nicht alltäglichen Situationen übrig bleibt. Das hat u. a. zur Folge, daß man nicht weiß, ob das Wissen, das mittels Befragung gewonnen wird, nun auch tatsächlich dem entspricht, was unabhängig von der Befragung ist. Auch deshalb ziehen Interaktionisten noch eine andere Methode der Datenerhebung vor, die wesentlich näher an bzw. identisch mit einer natürlichen Situation ist, nämlich die teilnehmende Beobachtung. Sie ist dann identisch, wenn es sich um eine sogenannte verdeckte Beobachtung handelt. In diesem Fall wissen diejenigen, die beobachtet werden, nichts davon, daß ein Forscher unter ihnen weilt. Das ist der Unterschied zur offenen teilnehmenden Beobachtung, hier ist im vorhinein bekannt, welche Aufgabe der Betreffende hat. Die teilnehmende Beobachtung ermöglicht etwas, was auch das beste Interview nicht erreichen kann. Indem die natürliche Situation gewahrt bleibt, wird das Risiko ausgeschaltet, daß allein aus verbalen Äußerungen falsche Vermutungen über tatsächliches Verhalten getroffen werden. Denn die Prämisse des Interviews ist ja in der Regel, daß mehr oder weniger direkte Schlüsse auf das tatsächliche Verhalten gezogen werden können. Zumeist interessiert man sich ja nicht allein für sprachliche Akte um ihrer selbst willen, sondern um die Auswirkungen der geäußerten Ansichten auf ein bestimmtes Verhalten. So interessieren einen Fabrikanten von Babyseife, der ein Marktforschungsinstitut damit beauftragt, die Ansichten junger Mütter über eine solche Seife zu ergründen, ja nicht diese Ansichten an sich. Sie interessieren ihn deshalb, damit er gegebenenfalls seine Werbung daran orientieren kann. Kommt etwa heraus, daß Mütter eine solche Seife dann vorziehen, wenn diese nach Frühling duftet, kann er den ,Frühlingsduft' seines Produkts in der Werbung gebührend herausstellen. Teilnehmende Beobachtung erlaubt es nun, sprachliche Äußerungen und Handeln im Zusammenhang zu sehen. Damit ist es schon vom Ansatz her möglich, den Zusammenhang von Sprache und Tun zu berücksichtigen. Zudem werden bestimmte Handlungsabläufe ebenso wie die Bedeutung von Normen durch aktive Teilnahme verständlich. So erschließt sich etwa das Phänomen des Akkordunterbietens durch eine Person in einer Gruppe und die darauf einsetzende Reaktion dieser Gruppe am besten durch teilnehmende Beobachtung. Nehmen wir einmal an, eine Arbeitsgruppe würde ein gewisses Arbeitspensum in einem bestimmten Zeitraum erledigen müssen und würde für diese Leistung einen bestimmten Lohn erhalten. Nun kommt ein neuer Kollege hinzu und stellt nach kurzer Zeit der Einarbeitung fest, daß im gleichen Zeitraum eine höhere Stückzahl erreicht werden kann und er damit auch mehr Geld verdienen kann. Die anderen versuchen, das mit allen Mitteln zu verhindern. Diese Interdependenz von Handlung und Reaktion läßt sich nur schwer und umständlich mittels Interview erfassen, demgegenüber deutlich durch teilnehmende Beobachtung. Durch Teilhabe an der Arbeitsgruppe wird nämlich das Rationale der Reaktion erkennbar. Ein erfahrener Arbeiter weiß nämlich, daß in dem Moment, in dem die Akkordleistung über einen längeren Zeitraum beträchtlich überboten wird, der Lohn entsprechend angepaßt wird, d. h. der Normallohn nun für die erhöhte Stückzahl bemessen wird. Sie würden also im Endeffekt dadurch, daß sie freiwillig die Vorgabezeiten unterbieten, nach und nach dafür sorgen, daß die Arbeitsleistung, die sie erbringen müssen, sich erhöht. Insofern ist es ein schlichter Akt des Selbstschutzes, wenn sie jemanden daran hindern, freiwillig nur um des kurzfristigen Vorteils willen die Akkordleistung zu steigern. Schließlich

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ist nur durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar, auf welche Weise die Arbeitsgruppe ihr entsprechendes Leistungsniveau festlegt. In diesem Beispiel ist ein weiterer Aspekt, der für die teilnehmende Beobachtung spricht, unausgesprochen deutlich geworden. Einmal ist diese Methode immer dann vorteilhaft einzusetzen, wenn soziale Gruppen untersucht werden soll. Zum anderen, wenn Bereiche untersucht werden, die dem Sozialwissenschaftler von seiner Sozialisation her fremd sind. Das Verhalten in Gruppen erzeugt nämlich stets auch eigene Normierungen und eigene Sprachen, die nur auf dem Hintergrund der Beobachtung erkennbar werden. Das andere Argument für die teilnehmende Beobachtung ist bereits angesprochen worden und läuft auf die schlichte Erkenntnis hinaus, daß derjenige, der sich gezielt über etwas informieren will, das am besten dadurch tun kann, daß er über kürzere oder längere Zeit, je nach Fremdheit, sich mit der zu untersuchenden Situation vertraut macht. Die empirischen Studien, die die Methodologie des SI anwenden, sind vom Zuschnitt her zumeist relativ klein. Nicht wenige sind ausgesprochene Fallstudien, und in der Regel umfassen sie nicht mehr als einige Dutzend Personen. Es sind Untersuchungen, die ohne großen Aufwand an materiellen Ressourcen auskommen und die bewußt auf den Anspruch der statistischen Repräsentativität ihrer Ergebnisse verzichten. Sie machen auch kaum Gebrauch von statistischen Methoden, weder bei der Auswahl der Untersuchungseinheiten noch bei der Auswertung der Ergebnisse. Als Beispiel für eine solche Studie soll hier Howard Beckers Aufsatz „ Wie man Marihuana-Benutzer wird' dienen. Er erschien zwar schon 1953, ist aber sowohl vom Typus als auch von den theoretischen Aussagen her noch heute von Interesse und gilt als eine der klassischen Untersuchungen über ,Außenseiter' - so übrigens auch der Titel des ein Jahrzehnt später erschienenen Buches, in dem dieser Aufsatz in einem größeren Kontext abgedruckt wurde. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Kritik an den meisten Erklärungen des Gebrauchs von Marihuana. In der Regel wurde angenommen, eine bestimmte Eigenschaft führe dazu, daß ein Individuum ein solches Verhalten zeige. Die damit zugrundegelegte Abfolge von Motiv und Verhalten sei aber genau umgekehrt. „Nicht abweichende Motive führen zu abweichendem Verhalten, sondern genau umgekehrt: das abweichende Verhalten erzeugt mit der Zeit die abweichende Motivation. Undeutliche Impulse und Wünsche - in den meisten Fällen wahrscheinlich Neugier auf die vom Rauschmittel hervorgerufene Art der Erfahrung - werden mittels sozialer Interpretationen einer in sich mehrdeutigen körperlichen Erfahrung in endgültige Verhaltensmuster umgewandelt. Marihuana-Gebrauch ist eine Funktion der jeweils individuellen Vorstellung von Marihuana und der möglichen Verwendungsweise des Marihuanas. Die Vorstellung von Marihuana durchläuft mit zunehmender Rauschgift-Erfahrung des Individuums eine Entwicklung". (Becker 1981: 36f) Die von ihm kritisierten Theorien haben zudem „Schwierigkeiten damit, die in jeder Studie... auftauchende, zahlenmäßig erhebliche Gruppe von Benutzern zu berücksichtigen, welche die Eigenschaft oder die Eigenschaften nicht besitzen, die als ursächlich für das Verhalten angesehen werden. Zweitens haben psychologische Theorien Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung der großen Unterschiedlichkeit im Verhalten des Individuums gegenüber dem Rauschmittel, die im Laufe der Zeit zu beobachten ist." (Becker 1981: 38 f).

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Beckers Hauptaugenmerk liegt darauf, wie jemand Marihuana-Benutzer wird, und nicht, warum er es wird. Ihn interessiert die Abfolge der Einzelschritte, die jemand tätigen muß, der nie zuvor Marihuana geraucht hat, um zu einem regelmäßigen Konsumenten zu werden. Die Methode, diese Regelhaftigkeit zu analysieren, nennt er „analytische Induktion". Sie erfordert, daß jeder Marihuana-Raucher sich entsprechend dieser Regel verhält, andernfalls muß die angenommene Regel korrigiert werden. Sein Vorgehen beschreibt er so: „Um meine Hypothese über die Entstehung des Marihuana-Gebrauchs zum Vergnügen entwickeln und prüfen zu können, habe ich fünfzig Interviews mit Marihuana-Benutzern geführt. Ich war zu der Zeit, als ich diese Untersuchung durchführte, professioneller Jazz- und Unterhaltungsmusiker, und die ersten Interviews habe ich mit Leuten geführt, die ich im Musikgeschäft getroffen habe. Ich bat sie, mich mit anderen Benutzern in Kontakt zu bringen, die bereit wären, mit mir über ihre Erfahrungen zu sprechen. Kollegen, die an einer Untersuchung über Benutzer von Opiaten arbeiteten, machten mir einige Interviews zugänglich, die außer Material über opiumhaltige Drogen noch genügend Material über den Gebrauch von Marihuana enthielten, um meine Hypothese auf ihre Richtigkeit hin prüfen zu können. Zwar ist die Hälfte der Interviews mit Musikern geführt worden, doch die andere Hälfte bezieht noch eine große Auswahl von anderen Menschen ein, darunter Arbeiter, Ingenieure und Leute aus akademischen Berufen. Natürlich handelt es sich bei der Auswahl nicht um eine „Stichprobe" in irgendeinem Sinne; es wäre nicht möglich, eine Stichprobe zu erheben, da niemand die Gesamtheit kennt, aus der sie erhoben werden könnte." (Becker 1981: 39 f) Becker gelangt zu einem mehrstufigen Modell des Marihuana-Gebrauchs, d. h. er unterscheidet Stadien, die jeder nacheinander durchlaufen muß, um zum regelmäßigen Benutzer zu werden. Zuallererst bedarf er der richtigen ,Rauchtechnik'. „Der erste Schritt in der Folge von Ereignissen, die eintreten müssen, wenn der Mensch Drogenbenutzer werden will, besteht darin, daß er lernen muß, die richtige Rauchtechnik anzuwenden, damit sein Gebrauch der Droge Wirkungen hervorruft, in deren Verlauf seine Vorstellung von der Droge sich ändern kann." (Becker 1981: 41) In der zweiten Etappe muß er bestimmte körperliche Symptome erkennen und sie dem Marihuana-Gebrauch zuordnen, d. h. er muß einen kausalen Zusammenhang herstellen zwischen dem Rauchen von Marihuana und einer bestimmten körperlichen Befindlichkeit. Becker bringt Auszüge aus seinen Interviews, die belegen, daß das für einen Neuling nicht einfach ist und ein Neuling oft geraume Zeit braucht, das zu erkennen. Übrigens wird nirgendwo deutlicher als hier, daß der regelmäßige Gebrauch von Marihuana innerhalb einer sozialen Gruppe erfolgt. Hier lernt er sowohl die Technik wie auch das Erkennen und die Zuordnung der Symptome. „Nur wenn der Neuling fähig wird, in diesem Sinne „high" zu werden, setzt er den Marihuana-Gebrauch zum Vergnügen fort. In jedem Fall, in dem der Gebrauch fortgesetzt wird, hat der Benutzer die notwendigen Vorstellungen erworben, mit deren Hilfe er sich selbst gegenüber die Tatsache zum Ausdruck bringen kann, daß er aufgrund der Droge neue Empfindungen erfährt. Das bedeutet, daß es zur Fortsetzung des Drogengebrauchs notwendig ist, nicht nur das Rauschmittel so zu benutzen, daß es Wirkungen hervorruft, sondern auch zu lernen, diese Wirkungen wahrzunehmen, wenn sie eintreten. Auf diese Weise erhält Marihuana für den Benutzer die Bedeutung eines Objekts, das er zum Vergnügen benutzen kann." (Bekker 1981: 45)

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Erst in der dritten und letzten Etappe stabilisiert sich der Marihuana-Gebrauch. „Ein weiterer Schritt ist notwendig, wenn der Benutzer, der inzwischen gelernt hat, „high" zu werden, mit dem Drogengebrauch fortfahren soll. Er muß die Wirkungen genießen lernen, die er gerade zu erfahren gelernt hat. Von Marihuana hervorgerufene Empfindungen sind nicht automatisch oder notwendig angenehm. Der Geschmack für solche Erfahrungen wird sozial erworben, nicht anders als der für Austern und Martini trocken erworbene Geschmack. Der Drogenbenutzer fühlt sich schwindlig, durstig; seine Kopfhaut spannt sich; er verschätzt Zeit und Entfernung. Ist das vergnüglich? Er ist nicht sicher. Wenn er den Marihuana-Gebrauch fortsetzen will, muß er sich dafür entscheiden, daß es vergnüglich ist. Sonst wird das High-Sein für ihn eine zwar durchaus reale, aber unerfreuliche Erfahrung sein, die er lieber vermeiden möchte. Die Wirkungen des Rauschmittels, zum erstenmal erfahren, können physisch unangenehm oder zumindest zwiespältig sein." (Becker 1981: 46 f) 3.6. Kritik Auch der symbolische Interaktionismus weist ein Problem auf, das er mit anderen soziologischen Ansätzen teilt, nämlich seine mangelnde Konturiertheit. Es sind verschiedene Ausprägungen festzustellen, die alles andere als einheitlich sind. Die Tatsache, daß er kein eindeutig begrifflich ausdefiniertes Konzept darstellt, hat Konsequenzen für die kritische Auseinandersetzung. Insofern wird jede Kritik darauf achten müssen, welche Variante des SI sie meint und ob sie den SI als Theorieprogramm trifft. Der mögliche Einwand gegenüber Blumer, daß er in der Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge allzusehr den flexiblen Charakter betont und demgegenüber den systemischen Aspekt vernachlässigt, wird hinsichtlich der Theorie G. H. Meads relativiert werden müssen. Ähnliches trifft auf Vorbehalte gegenüber interaktionistischen Rollenkonzepten zu. Ein denkbarer Einwand könnte besagen, daß Interpretationsleistungen und Vorgänge der Symbolbildung dort gegenüber der Verflechtung von Rollenhandlungen in sozialen Systemen überbetont werden. Auch dies trifft nicht auf alle Beiträge des Interaktionismus zu, da von einzelnen Autoren der Zusammenhang zwischen Rollenhandeln und Systembedingungen thematisiert wird. Schließlich ist bei einer kritischen Auseinandersetzung mit dem SI zu berücksichtigen, daß die Ansprüche einzelner Autoren recht unterschiedlich sind. Während die Mehrzahl heute den gesamten Bereich soziologischer Theorie mit ihr abdecken will, verstehen andere sie lediglich als eine Sozialpsychologie. Gegenüber letzteren wird ζ. B. jeder Einwand, der auf Mängel im staatstheoretischen Bereich abzielt, ins Leere laufen. Wenn wir hier Einwände gegenüber dem Interaktionismus referieren, dann beschränken wir uns auf eine Auseinandersetzung mit der Variante, die sich als umfassendes Theorienprogramm versteht und wie sie auch zuvor dargestellt wurde. 1. Ganz allgemein läßt sich gegenüber der Theorie des symbolischen Interaktionismus einwenden, daß ihr theoretischer Entwurf sehr ungleichmäßig ist; während in einigen Bereichen differenzierte Theoreme vorliegen, so in der Rollentheorie, ist dies in anderen, wie etwa in der politischen Soziologie, nicht der Fall. Ebenso festzustellen ist, daß die Zuordnung theoretischer Begriffe zu empirischen Sachver-

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halten noch wenig geklärt ist, d. h. eine befriedigende Operationalisierung ihrer Begriffe noch aussteht. Damit geht einher, daß die empirische Überprüfung der Theorie noch nicht weit fortgeschritten ist. Diese Feststellung ist aber nicht nur von Kritikern des Interaktionismus vermerkt worden, sondern auch von dessen Vertretern, die gerade im Bereich dieser Mängel ihrer Theorie Ansatzpunkte zur Weiterarbeit sehen. Der Vorwurf, der SI sei unzureichend ausformuliert, zielt darauf ab, daß bestimmte Elemente, die im Rahmen einer soziologischen Theorie geklärt werden müßten, ausgespart bleiben oder allenfalls in sehr allgemeiner Form gefaßt werden. Um ζ. B. die Beschaffenheit und Funktionsweise des politischen Systems einer Gesellschaft theoretisch zu fassen, müßten Annahmen getroffen werden über Zusammenhänge verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche, ihre Funktionsweise etc. das Thema Parsons' mithin. In diesem Zusammenhang bietet der Interaktionismus nuteinige generelle Grundannahmen an, wie ζ. B. die, daß Kultur und Gesellschaft etwas ist, das relativ unabhängig von Einzelhandlungen existiert, daß diese Rahmenbedingungen als negotiated order' zu verstehen sind, ohne aber diese Annahmen detailliert zu entwickeln. Die mangelnde Operationalisierbarkeit des Interaktionismus führt dazu, daß die in dieser Theorie ausformulierten Annahmen kaum empirisch überprüfbar sind. Der Begriff der Rollendistanz etwa ist nicht so gefaßt, daß er problemlos in empirische Forschung umgesetzt werden könnte. Es bleibt unklar, welche Einzelelemente eine Handlung aufweisen muß, damit sie noch die Eigenschaften der Distanz hat. ,Rollendistanz' als ein Konzept des Interaktionismus wird mit Hilfe theoretischer Plausibilitätsannahmen begründet und an Fallbeispielen erläutert, nicht aber systematisch und überprüfbar eingeführt. Auch die empirischen Untersuchungen des symbolischen Interaktionismus warten kaum mit Verfahrensweisen auf, die dies und ähnliche Konzepte ihrer Theorie wirklich untersuchen (vgl. Krzeminski 1979). Diese beiden Einwände gegenüber dem Interaktionismus - seine unvollständige Ausarbeitung wie auch seine mangelnde Operationalisierbarkeit - können beide nur bedingt Anlaß sein, ihn gänzlich zu verwerfen. Legt man nämlich strengere Maßstäbe an Ausarbeitung und Operationalisierbarkeit, so gilt der eine oder andere Vorwurf für alle gegenwärtig vorliegenden soziologischen Theorien. Es bestehen nur graduelle Unterschiede zwischen den verschiedenen Richtungen. Durch diesen allgemeinen Zustand werden beide Einwände gegenüber dem Interaktionismus zwar nicht entkräftet, aber relativiert. 2. Ein weiterer Schwerpunkt der Kritik befaßt sich mit den grundlegenden Elementen des SI, wie sie in dieser Theorie gleichsam allgegenwärtig sind, nämlich mit den inhaltlichen Annahmen über Gesellschaft. Sie sind grundsätzlicher Art insofern, als sie einerseits Vermutungen über die zentralen Grundmuster empirisch vorfindbarer Gesellschaften zum Ausdruck bringen und andererseits Vorentscheidungen für die Theoriekonstruktion treffen. In diesem Zusammenhang steht erstens der Einwand, daß die Theorie des symbolischen Interaktionismus ahistorisch sei. Damit ist gemeint, daß seine Aussagen über die Beschaffenheit menschlichen Handelns, den gesellschaftlichen Rahmen und das Verhältnis beider zueinander nicht historisch relativiert werden. Es wird kaum thematisiert, ob sie nicht nur für eine bestimmte historische Epoche angemessen sind und sich damit für andere Epochen ausschließen. Ebenso bleibt ausgespart, ob nicht ein bestimmtes soziales Verhältnis, das hier zu einer zentralen Annahme

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der Theorie gemacht wird, sich eindeutig angebbaren historischen Voraussetzungen verdankt. Alle Begriffe und Annahmen des Interaktionismus scheinen davon auszugehen, daß Interaktionen jeweils Beziehungen zwischen gleichen und gleichberechtigt ausgestatteten Individuen seien. .Negotiated order' ζ. Β. impliziert, daß die Handlungspartner hinsichtlich ihrer Fähigkeiten der Symbolbildung wie auch ihrer Möglichkeit, auf das Ergebnis des Interaktionsvorganges Einfluß zu nehmen, prinzipiell gleichberechtigt sind. Dies ist eine Konstruktion bürgerlich verfaßter Gesellschaften, in denen qua Verfassung jedem zumindest in einem formal-rechtlichen Sinne gleiche Rechte und Pflichten eingeräumt werden. In einer Feudalgesellschaft hingegen, in denen der Feudalherr seine Leibeigenen nach Maßgabe persönlicher Willkür behandeln kann, dürfte ein solches Konzept mehr als unangebracht sein. Wie dieses kleine Beispiel zeigt, haben die Annahmen und begrifflichen Konstruktionen des symbolischen Interaktionismus eindeutig angebbare sozialstrukturelle Voraussetzungen. Dies würden seine Vertreter auch nicht abstreiten. Sie versäumen aber, die Geltung ihrer Konzepte auf diese Voraussetzungen hin zu relativieren. Wenn dem Interaktionismus entgegengehalten wird, er sei ahistorisch, ist damit gemeint, daß er historisch zu relativierende Annahmen als allgemein gültige über Handeln und Gesellschaft vorstellt. Ein weiterer Einwand in diesem Zusammenhang ist, daß der Interaktionismus zu wenig und vor allem nicht systematisch auf die sozialen Zwänge eingeht, in die der Akteur mit seinen Handlungen eingebettet ist. Ganz allgemein werden im symbolischen Interaktionismus die Situationsdefinition und die damit einhergehenden Interaktionsmöglichkeiten der Individuen als von diesen gestaltbar und veränderbar eingeführt. Situationen werden so konzipiert, daß sie den Verlauf individueller Handlungen nicht determinieren. Damit setzt sich der Interaktionismus dem Vorwurf aus, daß er strukturelle Ungleichheiten im Sinne von Machtasymmetrien, Einkommensdisparitäten, unterschiedlichen Bildungschancen etc. vernachlässigt. Auch die grundsätzliche Idee, daß soziale Situationen von Individuen gestaltbar und abänderbar sind, muß darauf verweisen, daß dies immer nur innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen möglich ist. Werden innerhalb soziologischer Theorie Konzepte wie das der negotiated order' verwendet, wird also an einem Bild des Handelnden festgehalten, der aktiv gestalten kann, so muß auch auf den Spielraum dieser Gestaltungsfahigkeit hingewiesen werden. Anders gewendet bedeutet dies, daß Prozesse des Aushandelns immer in einem Rahmen ablaufen, der bereits vorhanden ist und selbst nur bedingt zur Disposition steht. Im Verlauf von Tarifverhandlungen ζ. B. stehen in der Tat das Ausmaß der Lohnerhöhung, Regelungen zur Arbeitszeit etc. der Verhandlung offen. Nicht thematisiert wird aber der soziale und rechtliche Rahmen, in dem die Tarifverhandlungen überhaupt ihren Stellenwert erhalten. D. h. bestimmte Eigentumsverhältnisse, Grundsätze des Arbeits- und Koalitionsrechts usw., die ja auch eine soziale Rahmenordnung darstellen, bleiben ein Gegenstand, der akzeptiert, über den aber nicht verhandelt wird. Ein weiterer grundlegender Einwand gegenüber dem Interaktionismus lautet, ob mit einem Konzept sinnhaften Handelns Gesellschaft überhaupt hinreichend analysiert werden kann. D. h. ob mit der Konzentration auf die Leistungen der Symbolbildung und Interpretation in Interaktionsbeziehungen nicht strukturelle gesellschaftliche Voraussetzungen ausgeblendet werden, die ebenfalls den Ablauf von

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Interaktionen bestimmen. Hinter diesem Einwand steht die Überlegung, daß es zwar berechtigt ist, davon auszugehen, daß Akteure sinnhaft handeln. Andererseits drückt sich darin die Vermutung aus, daß durch sinnhafte Handlungen von Akteuren Bedingungen erzeugt werden, die eine eigene Dynamik gegenüber den Zielen und Handlungsabsichten von Individuen aufweisen. Diese Eigendynamik sozialer Rahmenbedingungen kann nicht hinreichend über ein Konzept sinnhaften Handelns erklärt werden. Wenn auch nicht im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit dem symbolischen Interaktionismus, ist diese Problemstellung folgendermaßen formuliert worden: „Das Problem ist einfach, auch wenn es abstrakt ist: wenn das Bewußtsein durch Rahmenbedingungen determiniert wird und wenn Rahmenbedingungen nicht dadurch determiniert sind, was Menschen beabsichtigen, sondern durch die unvorhergesehenen Folgen, die durch menschliche Interaktionen hervorgebracht werden - wobei diese Interaktion zwar absichtsvoll, aber in ihren Absichten durchaus nicht übereinstimmend sind - , wie kann dann das Bewußtsein überhaupt ein angemessener Führer zum Verstehen der sozialen Welt sein?" (Binder 1971: 19) Die drei eben referierten Einwände gegenüber dem Interaktionismus, er sei unhistorisch, vernachlässige Machtasymmetrien und beschränke sich in seiner Konzeption auf die Analyse sinnhaften Handelns, was für eine Gesellschaftstheorie unzureichend sei, sind durchaus gravierend gegenüber einer soziologischen Theorie. Zugleich wird aber ein Gutteil dieser Vorwürfe auch von Interaktionisten selbst als Mangel ihrer Theorie verstanden. Im Gegensatz zu ihren Kritikern argumentieren sie jedoch, daß diese Kritiken nur den gegenwärtigen Entwicklungsstand des Interaktionismus treffen, nicht aber seine prinzipiellen Möglichkeiten. Dabei muß natürlich offen bleiben, ob nicht langfristig - wenn von interaktionistischer Seite diese Leerstellen des eigenen Ansatzes bearbeitet werden - die Theorie an ihre Grenzen stößt. Sucht sie etwa nach Lösungen für die Analyse struktureller Ungleichheiten, könnte dies zur Folge haben, daß sie bei anderen soziologischen Theorien Anleihen machen muß, die dazu führen, daß faktisch das gegenwärtige Theorieprogramm aufgegeben wird. 3. Von den in diesem Buch vorgestellten Theorien ist der Interaktionismus diejenige, die sich nicht nur am intensivsten mit Methodenfragen beschäftigt. Er erhebt auch den Anspruch, mit einem Methodeninstrumentarium empirische Forschung zu betreiben, das auf sein Theoriekonzept zugeschnitten ist. Von Seiten der Kritiker wird darauf verwiesen, daß die Methoden und Forschungs verfahren nicht geeignet seien, gültige und vergleichbare Ergebnisse hervorzubringen. Sie seien lediglich dazu angebracht, Studien von Einzelfallen hervorzubringen, aus denen aber keine generalisierenden Aussagen gewonnen werden könnten, oder aber sie seien in der Vorlaufphase empirischer Studien einsetzbar. Im Interview ζ. B. kommt gegenüber standardisierten Befragungsformen der,Interviewereffekt'' wesentlich stärker zum Tragen bzw. ist weniger kontrollierbar. Da der Interviewer sich nicht wie bei den standardisierten Methoden als .Instrument' versteht, sondern als Individuum in einer Interaktionsbeziehung, provoziert er auch stärkere Reaktionen von Seiten des Befragten, die sich auf ihn als Person beziehen. Eine der sich daraus ergebenden Folgen ist, daß die Vergleichbarkeit von Interviews erschwert wird. Des weiteren ergibt sich daraus, daß nach Meinung der Kritiker nicht eindeutig genug unterschieden werden kann zwischen Einstellung, Meinung und Verhaltensstil des Befragten einerseits und dessen Reaktionen auf den

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Interviewer andererseits. Dies wiederum stellt die Aussagekraft der Ergebnisse in Frage. Ähnlich die Vorbehalte gegenüber der teilnehmenden Beobachtung, wie sie bei Interaktionisten anzutreffen sind. Das Fehlen eines formalen Beobachtungskonzeptes hat ebenfalls zur Folge, daß die Untersuchungsergebnisse kaum standardisierbar und vergleichbar sind. Darüber hinaus werde durch die offene Beobachtungsweise die Grenze zwischen der Rolle des Forschers und der des Erforschten verwischt. Dies wiederum birgt auf der einen Seite die Gefahr in sich, daß der Wissenschaftler sich von seinem Rollenverständnis als Wissenschaftler entfernt und somit Denk- und Wahrnehmungsschemata der von ihm zu untersuchenden Gruppe zu seinen eigenen macht. Zum anderen führe das dazu, daß die ,normale' Beziehungsstruktur der Gruppe durch das Auftreten einer weiteren Person, die eben nicht nur beobachtet, sondern auch an Gruppenprozessen teilnimmt, die Gruppenstruktur selbst verändert. Auch diese Kritik würden methodenbewußte Interaktionisten akzeptieren. Sie sehen in ihren Erhebungsverfahren aber einige Vorteile gegenüber einer stärker standardisierten Sozialforschung: Bei formalisierten Befragungs- und Beobachtungsverfahren tritt der bereits zitierte ,Interviewereffekt' mit den entsprechenden Folgen gleichfalls auf. Deswegen halten Interaktionisten es für vielversprechender, dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der, Verzerrung' von Forschungsergebnissen zu sehen, sondern als ein Moment, das charakteristisch für Sozialforschung ist und das stets bewußt gehalten und berücksichtigt werden muß. Als entscheidenden Vorteil ihrer Art des Forschens betrachten sie aber die Möglichkeit, durch ihre,offenen' Verfahrensweisen zu Ergebnissen zu gelangen, die dem Untersuchungsbereich angemessener sind. Sie nehmen die mangelnde Standardisierung in Kauf, da Standardisierung ja auch bedeutet, daß dem Untersuchungsgegenstand von ,außen', d. h. von Seiten der Sozialforschung ein Rahmen aufgedrängt wird, der möglicherweise nach akademischen Kriterien stimmig ist, nicht aber der Rationalität und Sinnhaftigkeit des Untersuchten entspricht.

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4. Kapitel: Historische Soziologie 4.1. Zum Stand historischer Gesellschaftstheorien Keine soziologische Theorie würde heute ernsthaft von sich behaupten, daß sie unhistorisch sei, bzw. daß sie nicht berücksichtige, daß ihr Gegenstand, die Gesellschaft, historischen Wandlungen unterliegt. Wenn wir hier dennoch ein Kapitel der historischen Soziologie widmen, die wir gegenüber den zuvor behandelten Ansätzen abgrenzen, muß deshalb zunächst dargelegt werden, in welchen verschiedenen Varianten das Etikett .historisch' im Zusammenhang mit soziologischer Theorie verwandt wird und für welches Verständnis von historischer Soziologie wir uns hier entscheiden. 4.1.1. Varianten historischer Soziologie Sehr häufig wird ein Vorgehen als historische Soziologie bezeichnet, in welchem historische Ereignisse und geschichtliches Material zur Illustration soziologischer Thesen und Theorien herangezogen werden. In diesem Sinne finden sich ζ. B. in einer soziologischen Abhandlung zur Familie historische Passagen. Dort wird unter anderem referiert, in welchen regionalen und räumlichen Verhältnissen Familien früherer Jahrhunderte lebten, welche Personen zu einer Familie gehörten und in welchen Arten von Beziehungen sie zueinander standen. Was derartiges geschichtliches Material erläutert, ist eigentlich nur die Tatsache, daß soziale Organisationsformen früherer Generationen offensichtlich anders beschaffen waren als die der Gegenwart, und sie vermitteln ein plastisches Bild dieser traditionellen Organisationsformen. Eine andere Variante des Bemühens von Soziologie mit geschichtlichen Tatbeständen umzugehen findet sich in dem Versuch, Thesen und Theoriestücke, die im Zusammenhang mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft entwickelt wurden, auf frühere Gesellschaften anzuwenden. Würde man ζ. B. die Beziehung eines Feudalherren zu seinem leibeigenen Knecht in Begriffen der Rollentheorie erläutern, läge ein derartiger Versuch vor. Wichtig erscheint uns hier die Frage, inwieweit diese beiden Verfahren für sich in Anspruch nehmen können, historische Soziologie zu repräsentieren. Beiden ist gemeinsam, daß sie geschichtliche Fakten als illustrative Ausschmückung verwende oder allenfalls sehr locker mit der eigentlichen soziologischen Theorie in einen Zusammenhang bringen. Im letzteren Fall, - der Verwendung von soziologischen Begriffen, die zur Analyse von Gesellschaften der Gegenwart entwickelt wurden, auf frühere Gesellschaften - findet allenfalls eine Anwendung von soziologischen Begriffen auf historisches Material statt, aber das entsprechende Material wird nicht in einem theoretischen Rahmen gefaßt, der als historisch bezeichnet werden könnte. Ein weiterer Einwand gegen ein solches Vorgehen ergibt sich daraus, daß mit der Übertragung von Begriffen auch immer weitere Annahmen einhergehen, die mit diesem Begriff verbunden sind. Rollenkonzepte ζ. B. beinhalten etwa auch Vorstellungen über Rollendistanz, d. h. ein gewisses Maß an Freiwilligkeit, das Rollenspiel voraussetzt. So gut sich damit Interaktionsbeziehungen in Gesellschaften der Gegenwart beschreiben lassen, bleibt es doch fragwürdig, inwieweit in Feudalgesell-

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Schäften Strukturbedingungen wie Sozialcharaktere im Rahmen einer solchen Sichtweise erfaßt werden können. Was während der beiden letzten Jahrzehnte als eine Spielart historischer Soziologie entstanden ist und auch gegenwärtig von Soziologen noch mit dem Stichwort historische Soziologie in Verbindung gebracht wird, sind die Evolutionstheorien. Bereits im Kapitel über die Theorie von Parsons haben wir sein Konzept von Evolutionstheorie dargestellt (vgl. oben, S. 34ff.). Gegenüber dem illustrativen Umgang mit historischem Material oder dem Gebrauch soziologischer Begriffe zur Analyse der unterschiedlichsten Gesellschaften liegt hier im Evolutionskonzept von Parsons in der Tat ein Ansatz vor, der als historische Soziologie ernst zu nehmen ist. Entscheidend dafür ist, daß hier ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen geschichtlichen Fakten und theoretischem Rahmen hergestellt wird. So wird ζ. B. die Prämisse von der Tendenz sozialer Systeme zur Ausdifferenzierung sowohl als Angelpunkt zur empirischen Analyse gegenwärtiger Gesellschaften angenommen, wie sie auch als das treibende Prinzip gesellschaftlicher Entwicklung überhaupt dargestellt wird. Kennzeichnend für diesen Typus von Evolutionstheorie ist ihr historisch universeller Geltungsanspruch, d. h. ihre Prämissen über die Beschaffenheit sozialer Systeme, wie über die Muster sozialen Handelns werden für jede Phase menschlicher Geschichte angenommen. Damit aber setzt sich Evolutionstheorie wieder kritischen Einwänden aus, der Überlegung nämlich, daß eine Theorie von Gesellschaft nicht einen Allgemeinheitsgrad erreichen kann, der für alle historischen Konstellationen gleich angemessen ist. In diesem Sinne verliert auch eine Evolutionstheorie, wie wir sie hier von Parsons kennengelernt haben, ihren Anspruch, eine historische Gesellschaftstheorie zu verkörpern. Von R. Bendix ist diese Kritik an Evolutionstheorien genauer ausgeführt worden. In vergleichenden Studien über die Entwicklung Westeuropas, Amerikas und Japans hat er nachweisen können, daß die konkreten geschichtlichen Vorgänge im Verlauf der Entwicklung dieser Gesellschaften so unterschiedlich sind, daß nicht nur das von Parsons angenommene Konzept nicht auf alle anzuwenden ist, sondern daß für gesellschaftliche Entwicklung offensichtlich gar kein einheitliches Verlaufsmuster angenommen werden kann. Als Alternative bietet sich für Bendix die vergleichende Analyse gesellschaftlicher Entwicklung an. Auf der Basis der Nachzeichnung ζ. B. der Nationenbildung verschiedener Gesellschaften sieht er die Möglichkeit, verschiedene Entwicklungsverläufe herauszufiltern und allenfalls sehr zögernd generalisierbare Aussagen zu gewinnen. Stellt man Parsons und Bendix alternativ gegenüber, hat man offensichtlich die Wahl zwischen einer unzutreffenden Theorie oder einem weitgehenden Verzicht auf Theorie, in welchem sich historische Soziologie in der Sammlung geschichtlicher Details verliert. Will man dennoch an einer historischen Soziologie festhalten, muß an eine entsprechende Theorie offenbar der Anspruch gestellt werden, daß sie dieses Dilemma löst. D. h. eine historisch verfahrende soziologische Theorie muß einen Rahmen anbieten, der weder so allgemein ist, daß er nur noch Trivialitäten enthält, noch in seinem Generalisierungsanspruch soweit geht, daß er geschichtlichen Prozessen unrichtige Konzepte überstülpt. Was sich in diesem Sinne als Lösung anbieten könnte, wären Theorien, die ihren Erklärungsanspruch jeweils nur auf bestimmte historische Epochen beschränken.

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Nachdem in den 50er Jahren Fragen einer Historisierung soziologischer Theorie vernachlässigt wurden, geriet das Thema ab Anfang der 60er Jahre zu einem Brennpunkt innerhalb soziologischer Diskussionen. Gerade auch auf den Vorwurf hin, der Strukturfunktionalismus könne sozialen Wandel nicht fassen, sahen Parsons und seine Anhänger sich veranlaßt, ihr Evolutionskonzept zu entwickeln. Historische Soziologie wurde dann in den 60er Jahren durch Evolutionstheorie verkörpert, wurde aber gleichzeitig auch mit Vorbehalten aufgenommen, wie sie ζ. B. in der eben referierten Kritik von Bendix enthalten sind. 4.1.2. Max Weber In diesem Zusammenhang wendete die soziologische Diskussion sich in den letzten Jahren den Arbeiten von Max Weber und Karl Marx zu, in deren Werk man Ansatzpunkte für eine historische Soziologie entdeckte, die auch in der Lage wäre, die Schwierigkeiten strukturfunktionalistischer Evolutionskonzepte zu überwinden. Weber wie auch Marx waren ständig Bezugspunkte sozialwissenschaftlicher Arbeiten, da beide nicht nur ein umfangreiches Werk hinterließen, sondern sich auch mit einer ganzen Palette von Fragestellungen befaßten, die nach wie vor Mittelpunkt sozialwissenschaftlicher Kontroversen sind. Die Rückbesinnung auf ihre Historisierung sozialwissenschaftlicher Theorie hingegen erfolgte insbesondere seit der Auseinandersetzung mit Evolutionstheorien. 4.1.2.1. Historische Untersuchungen von Max Weber Die Themen, die Max Weber (1864-1920) behandelt hat, sind so breit gestreut wie bei kaum einem anderen Soziologen. Sein Werk umfaßt Studien wie auch theoretische Ansätze zur Bürokratie, Religion, Musik, Wissenschaftssoziologie, Methodologie und vielem anderem mehr. Sein gesamtes Werk war von der Absicht getragen, ein besseres Verständnis der Gegenwart, d. h. der kapitalistischen Gesellschaft seiner Zeit zu finden. Aus diesem Interesse entstammten seine Studien zu sozialen Teilbereichen wie auch seine historischen Arbeiten. Kennzeichnend für die Gegenwart hielt Weber die Phänomene der Bürokratie, den Prozeß der kapitalistischen Industrialisierung und die Ergebnisse, die er hervorgebracht hatte, und die Entwicklung einer formellen, aber konsequent in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen entwickelten Rationalität. Was seinen speziellen Beitrag zu einer Historisierung soziologischer Theorie anbelangt, lassen sich bei ihm werksgeschichtlich unterschiedliche Entwicklungsstadien festmachen. Sein bekanntestes, auch über den Kreis der Soziologie hinaus bekanntes Werk ist die Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1906). Ausgangspunkt dieser Studie ist die Frage, aufgrund welcher Ursachen und Konstellationen sich die Form des industriellen Kapitalismus nur in Westeuropa herausgebildet hat und nicht in anderen Kulturzentren. Unter dem „Geist des Kapitalismus" verstand Weber eine Handlungsorientierung, die von der Absicht des Erwerbs materieller Güter dominiert wird, wobei dieser Gütererwerb aber nicht - und das ist das Entscheidende - von einer schlichten Gier nach Mehr und der Absicht, Reichtümer zu horten, gekennzeichnet ist. Der Erwerb selbst wird nach rationalen geplanten Kalkülen organisiert und geschieht um seiner selbst willen. Im Studium historischer Quellen stellt Weber fest, daß ökonomische Bedingungen, regionale und sonstige Umweltbedingungen die Entstehung einer solchen Handlungsorientierung weder ausreichend noch befriedigend erklären können.

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Auch Kulturen außerhalb Westeuropas hatten, was ihre ökonomischen Voraussetzungen anbelangte, teilweise ähnliches herausgebildet. Entscheidend erschien Weber der Faktor Religion. In einem Vergleich katholischer und protestantischer Regionen wurde außerdem ersichtlich, daß die kapitalistische Art des Erwerbstriebes insbesondere in protestantischen Gegenden ausgebildet war. Aus der protestantischen Form innerweltlicher Askese, d.h. der Vorstellung, nur ein gottgefälliges Leben eröffne nach dem Tod einen Platz im Himmelreich, entwickelte sich nach Weber diese Form des Wirtschaftens. Denn ein gottgefälliges Leben wurde, insbesondere von Calvinisten, damit gleichgesetzt, daß zu Lebzeiten vom einzelnen Individuum möglichst viel geleistet wurde, was sich letztlich im Besitz von Reichtum niederschlug. Der asketische Zug des Protestantismus verbot aber gleichzeitig den unmittelbaren Genuß des erworbenen Reichtums und schrieb statt dessen seine produktive Weiterverwendung vor. Wenn Max Weber die protestantische Ethik für die Entstehung der kapitalistischen Form des Wirtschaftens verantwortlich macht, darf daraus allerdings nicht vereinfachend der Schluß gezogen werden, daß er diese Ethik als die einzige und ausschließliche Ursache für die Entstehung des Kapitalismus begreift. Er entwickelt kein monokausales Erklärungsmodell. Gleichzeitig aber ordnet er die Bedeutung dieser Ethik auch nicht beliebig ein, sieht sie auch nicht als gleich bedeutsamen oder unbedeutsamen Faktor zwischen diversen anderen Faktoren. Die protestantische Ethik gewinnt für ihn in der Analyse des Kapitalismus schon einen herausragenden Stellenwert. Über den speziellen Fall des Protestantismus und des Kapitalismus hinaus hat Weber mit dieser Studie auch die Position vertreten, daß Normen erstens Faktoren sind, die einen eigenen Stellenwert und eine eigene Logik haben. Sie sind in ihrer Entstehung nicht auf andere Elemente reduzierbar. Zweitens gewinnen Normen im Geschichtsverlauf eine eigenständige kausale Bedeutung. In der „Protestantischen Ethik" ist Weber von seinem Selbstverständnis her wie auch von seinem methodischen Zugang zu der Thematik noch als Kulturhistoriker zu verstehen. Er bereitet historisches Material auf, um Züge der Gegenwart, nämlich die typische kapitalistische Rationalität, besser verstehen zu können. Dabei geht er aber auch über die Position eines Kulturhistorikers hinaus, da er das Material nicht lediglich archivierend behandelt, sondern es zum besseren Verständnis sozialer Muster der Gegenwart nimmt. Ein soziologischer Theoretiker ist er aber dennoch nicht, da das Material wie auch die gesellschaftlichen Organisationsformen, die er darin zu erkennen glaubt, nicht in einen begrifflichen Zusammenhang gestellt werden. 4.1.2.2. Max Webers Beitrag zur soziologischen Theorie Um 1910, in Aufsätzen, die sich mit verschiedenen Aspekten soziologischer Theorie befassen, versucht er seine materialen Annahmen auch theoretisch aufzubereiten. Wesentlich ist der von ihm in methodologischen Absichten eingeführte Begriff des „Idealtypus". Bereits in der protestantischen Ethik spricht er diesen Begriff aus, aber erst in diesen späteren Arbeiten verwendet er das Konstruktionsprinzip, das dieser Begriff beinhaltet, um Grundlagen für eine soziologische Theorie zu schaffen. „Idealtypus" meint bei Weber einen Begriff, der unter Abstraktion verschiedener Aspekte der Wirklichkeit vom Wissenschaftler gewonnen wurde. Mit ihm werden

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soziale Phänomene unter den Aspekten behandelt und klassifiziert, die der Wissenschaftler für wesentlich betrachtet. In diesem Sinne kann eine idealtypische Begriffskonstruktion weder wahr noch falsch sein. Ebenso ist für ihre Berechtigung nicht ausschlaggebend, ob der idealtypisch definierte Begriff einer „Stadt" z.B. Züge aufweist, die in der Wirklichkeit je auf eine bestimmte Stadt zutrafen. „Protestantische Ethik", idealtypisch gebraucht, läßt sich demnach ebenfalls unabhängig davon verwenden, ob je ein Individuum die damit gemeinte strenge Form formaler Rationalität verkörpert hat und sich konsequent von einem Prinzip innerweltlicher Askese hat leiten lassen. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß durch eine solche Art der Begriffsbildung ein Instrument gewonnen ist, das sinnvolle Forschung ermöglicht, da die Gesichtspunkte, nach denen ein Gegenstand idealtypisch definiert wird, zugleich auch richtungsweisend für Fragestellungen des Forschers sind. Die Konstruktion von idealtypischen Begriffen allein ist aber noch keine ausreichende Grundlage für eine soziologische Theorie. Jede Art von Sozial- oder Geisteswissenschaften und Kulturwissenschaften operiert mit Begriffen, in denen gewisse Abstraktionen vorgenommen werden. Die Wendung zur soziologischen Theorie verlangt vielmehr, daß in die Aspekte, die zur Konstruktion der Begriffe eingehen, auch zentrale soziologische Tatbestände miteingehen. So bezeichnet Weber mit seinem Idealtypus der „Bürokratie" nicht lediglich ein bestimmtes historisches oder kulturelles Phänomen. Er skizziert damit auch einen soziologischen Tatbestand, da in die Konstruktion dieses Begriffes auch Aussagen über die Beschaffenheit von Interaktionsstrukturen eingehen, Annahmen über die Beschaffenheit sozialen Verhaltens, Formen sozialer Normierung und ähnliches mehr: „A. Eine hierarchische Autoritätsstruktur wird dann als vorhanden angesehen, wenn die Organisation drei oder mehr Autoritätsebenen besitzt... B. Von einem spezialisierten Verwaltungsstab wird gesprochen, wenn bestimmte Positionsinhaber in der Organisation ausschließlich zu Tätigkeiten herangezogen werden, die keine körperliche Arbeit darstellen... C. Eine Differenzierung der Belohnungen (sei es nach Art oder Höhe) gemäß der Position gilt als gegeben, wenn dies in den Unterlagen erwähnt wird. D. Von einer Organisation wird gesagt, daß sie spezifisch zielorientiert ist, wenn sie sich - im Falle der hier verwendeten Stichprobe - ausschließlich damit beschäftigt, Sachgüter herzustellen. E. Eine Leistungsorientierung wird als vorhanden angesehen, wenn die Höhe der den Mitgliedern zukommenden Belohnung in irgendeiner Weise von der Quantität oder der Qualität der getanen Arbeit abhängt. F. Eine segmentäre Teilnahme wird als vorhanden angesehen, wenn die Teilnahme auf irgendeiner Art von begrenzter gegenseitiger Übereinkunft basiert. G. Von kompensatorischen Belohnungen ist die Rede, wenn Mitglieder höherer Autorität den Mitgliedern geringerer Autorität als Gegenwert für ihre Mitwirkung Belohnungen zuteilen." (Udy 1971: 64)

Die Bildung einzelner idealtypischer Begriffe verstand Weber als Etappe auf dem Weg zu einem Bezugsrahmen, der auf eben diesen begrifflichen Konstruktionen aufbauen sollte. Von Weber selbst wurden in dieser Absicht idealtypische Begriffe sinnhaften Handelns, verschiedener Formen der Vergesellschaftung, der Legitimation politischer Herrschaft unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen und Schichten vorgelegt. Dieses Bemühen entspricht der Vorstellung, daß sich alle soziologisch wesentlichen Bereiche durch idealtypische Begriffskonstruktionen abdecken und mit Hilfe dieser Begriffe analysieren und erklären lassen.

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Im Vergleich zu evolutionstheoretischen Konzeptionen bietet das Webersche Vorgehen in der Tat weiterführende Perspektiven. Seine Problemsichten und seine Begrifflichkeit versuchen nämlich, deren Generalisierungsanspruch zu vermeiden. In diesem Sinne gehen erstens in all seine gesellschaftstheoretischen Arbeiten Fragestellungen ein, die sich ihm aus der Verfassung der gegenwärtigen Gesellschaft ergeben. So untersucht er ζ. B. das Phänomen der Bürokratisierung, den Rationalisierungsprozeß und das damit verbundene Entstehen einer neuen Form der Vergesellschaftung. Zweitens wird seine Begrifflichkeit an Problemen und Erfahrungen der Gegenwart entwickelt. Entsprechend dieser Sichtweise Webers müssen sich für ihn auch die Themenstellungen und die theoretischen Kategorien wandeln, wenn gesellschaftliche Bedingungen sich verändern: „Der Gedankenapparat, welchen die Vergangenheit... entwickelt hat, steht in steter Auseinandersetzung mit dem, was wir an neuer Erkenntnis aus der Wirklichkeit gewinnen können und wollen. In diesem Kampf vollzieht sich der Fortschritt kulturwissenschaftlicher Arbeit. Ihr Ergebnis ist ein steter Umbildungsprozeß jener Begriffe, in denen wir die Wirklichkeit zu erfassen suchen. Die Geschichte der Wissenschaften vom sozialen Leben ist und bleibt daher ein steter Wechsel zwischen dem Versuch, durch Begriffsbildung Tatsachen gedanklich zu ordnen,... und der Neubildung von Begriffen auf der so veränderten Grundlage. Nicht etwa das Fehlerhafte des Versuchs, Begriffssysteme überhaupt zu bilden drückt sich darin aus,... sondern der Umstand kommt darin zum Ausdruck, daß in den Wissenschaften von der menschlichen Kultur die Bildung des Begriffs von der Stellung der Probleme abhängt und daß diese letztere wandelbar ist mit der Kultur selbst." (Weber 1904: 570 4.1.2.3. Kritik an Max Weber Trotz aller Vorteile, die Webers Konzept bietet, haben Kritiker mit Recht darauf hingewiesen, daß auch hier der Anspruch einer historischen Soziologie nicht bruchlos eingelöst ist. Das grundlegende Dilemma, dem Weber ausgesetzt war und das er nicht hinreichend lösen konnte, war das Spannungsverhältnis zwischen der Analyse historisch besonderer Konstellationen und der Bildung systematischer, generalisierbarer Begriffe und theoretischer Prämissen. Auf dem Weg der Bildung systematischer Begriffe ist Weber nämlich ebenfalls dazu gekommen, historisch bestimmte Phänomene unzulässig zu verallgemeinern. Gegen sein Konzept der Idealtypen, soweit es von ihm entwickelt wurde, kann deshalb nämlich mit Recht der gleiche Einwand vorgebracht werden, der auch gegen Evolutionstheorien vorgetragen wird. D. h. auch seine idealtypischen Begriffe können - sobald sie verallgemeinert werden - durch den Verweis auf historisches Material als unrichtig nachgewiesen werden. Des weiteren kann seinem Verfahren entgegengehalten werden, daß er Probleme der Gegenwart unzulässig für jeden Typus von Gesellschaft verallgemeinert. Ein detaillierter Nachweis dieser Probleme, die sich in Webers Arbeiten ergeben, ist am Beispiel seines idealtypischen Begriffs der Stadt dargelegt worden und seiner Begriffe der Typen von Legitimation. Weber wird von Parsons wie auch von R. Bendix als Autor zitiert, der die jeweils eigene Position unterstützt und bekräftigt, obwohl wir ja oben referiert hatten, daß gerade Parsons und Bendix theoretische Ansätze vertreten, die nicht miteinander vereinbar sind. Wenn sie dennoch scheinbar einen gemeinsamen Bezugspunkt bei Weber finden können, so nur deshalb, da bei Weber beide Pole des Spannungsver-

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hältnisses zwischen kulturwissenschaftlicher Geschichtsschreibung und unhistorisch Begriffsbildung enthalten sind. Parsons kann sich auf Webers These der Rationalisierung und der „Entzauberung der Welt" beziehen, die er selbst als das Grundmuster angibt, nach welchem Prozesse gesellschaftlicher Evolution ablaufen. Bendix hingegen kann sich auf Webers historische Studien beziehen, in denen er die Unterschiede und Besonderheiten in der gesellschaftlichen Entwicklung verschiedener Kulturen und Nationen herausarbeitet. 4.1.3. Zusammenfassung: Aufgabenstellung einer historischen Soziologie Die bislang vorgestellten Beispiele für eine historische Soziologie belegen, daß keiner dieser Ansätze eine befriedigende Lösung für die Probleme bietet, die sich mit dem Bedürfnis nach einem solchen Typus von Theorie verbinden. Aber gerade in der Auseinandersetzung mit den vorliegenden Versuchen sind die Komponenten, die ein solcher Ansatz enthalten und berücksichtigen müßte, noch einmal erkennbarer geworden. Im Unterschied zu den hier bislang vorgestellten Ansätzen soziologischer Theoriebildung, wie dem symbolischen Interaktionismus und der Systemtheorie, hätte eine historische Theorie die folgenden zentralen Elemente zu enthalten: 1. Ein wesentliches Merkmal einer solchen Theorie besteht darin, daß sie bewußt von Problemen der Gesellschaft der Gegenwart ausgeht. Damit ist nicht gemeint, daß sie sich wesentlich auf soziale Detailprobleme bezieht, sondern daß sie an grundlegenden, aber zunächst nur für die Gesellschaft der Gegenwart charakteristischer sozialen Mustern ansetzt. 2. Der Begriffsapparat einer solchen Theorie muß in erster Linie so beschaffen sein, daß er einen Rahmen für die Gegenwart zur Verfügung stellt. D. h. die einzelnen Kategorien dürfen nicht beanspruchen, mit den sozialen Tatsachen, die sie für diese Gesellschaft benennen, auch Aussagen über Gesellschaften schlechthin zu machen. 3. Das Kernstück einer historischen soziologischen Theorie besteht darin, die Beziehung von Handeln und Struktur in einer Form zu fassen, die den Zugang zu einer systematischen wie zu einer historisch spezifischen Behandlung dieses Verhältnisses gleichfalls zuläßt. Wie bereits in der Einleitung (vgl. S.3ff) ausgeführt, stellt dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Handeln von Akteuren und der Beschaffenheit und Wirkungsweise sozialer Rahmenbedingungen die wesentlichste Komponente, die in einer Gesellschaftstheorie überhaupt enthalten sein muß, dar. Die theoretische Konzeption dieser Beziehung im Rahmen einer historischen Gesellschaftstheorie würde verlangen, daß sie diese Beziehung als den Spannungsbereich erkennt, von welchem Gesellschaft überhaupt strukturiert wird. Des weiteren aber müßte dieses für alle Gesellschaften gültige und in jeder historischen Epoche vorfindbare Spannungsverhältnis hinreichend variabel konzipiert sein, um geschichtlich unterschiedliche Formen der Ausprägung aufnehmen zu können. Eine der wenigen theoretischen Richtungen, in welcher die Historisierung von Gesellschaftstheorie in dieser Weise diskutiert worden ist und von der auch entsprechende Arbeiten vorliegen, ist die marxistische Tradition. Aus diesem Grunde wählen wir hier den Marxismus als die Variante historischer Soziologie aus, die wir ausführlich darstellen und behandeln. Denn unabhängig davon, was im Zusammenhang mit dieser Theorie an Lösungen angeboten wird und was sie selbst auch

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wiederum an Schwierigkeiten und Defiziten aufweist, handelt es sich dabei doch um das Beispiel, in welchem die uns interessierenden Fragestellungen am deutlichsten und ausführlichsten behandelt wurden.

4.2. Marxistische Theorie 4.2.1. Entstehung und Verbreitung der marxistischen Theorie Gegenüber den bisher vorgestellten Theorierichtungen weist der Marxismus grundlegende Unterschiede auf. Eine der wesentlichen Differenzen ergibt sich daraus, daß die marxistische Theorie im Zusammenhang mit einer praktisch-politischen Strömung entstanden ist. Karl Marx (1818-1883), der Begründer dieser Theorietradition, verstand sich nicht ausschließlich als Wissenschaftler, sondern darüber hinaus auch als jemand, der die Gesellschaft seiner Zeit revolutionär umgestalten wollte. Dieser Praxisbezug der Theorie von Marx muß berücksichtigt werden, um das Marxsche Werk zu verstehen und seinen Stellenwert gegenüber den Arbeiten seiner Zeitgenossen abgrenzen zu können. Am deutlichsten wird die praxisbezogene Orientierung von Marx in seiner berühmten 11. Feuerbachthese ausgedrückt: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern". Dieser Praxisbezug setzt sich bis in die marxistische Theorie der Gegenwart fort. Auch heute finden wir Vertreter des Marxismus, deren theoretische Arbeiten nicht so sehr auf akademische Zusammenhänge bezogen sind, sondern auf soziale Bewegungen und politische Gruppierungen. Aber auch dort, wo der Marxismus sich als eine Theorie neben anderen im akademischen Bereich angesiedelt hat, grenzt er sich durch ein Theorieverständnis ab, das nur im Zusammenhang mit seinem traditionellen Praxisbezug zu verstehen ist. Die Theorie von Marx ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern ist zugleich auch das Ergebnis konkreter gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen und baut auf theoretischen Traditionen auf. Gerade Marx war sich dieser Einbindung seiner Ideen in die Strömungen seiner Zeit sehr bewußt. Es würde hier aber zu weit führen, die Entstehungsgeschichte seines Werkes aus der Philosophie und der Ökonomie wie auch aus sozial-politischen Strömungen seiner Zeit nachzuzeichnen. Aus dem besonderen Praxisbezug dieser Theorie folgt, daß ihr Anspruchsniveau im Vergleich zu anderen soziologischen Theorien verschieden ausfallt: In der Zeitdimension grenzt Marx den Geltungsanspruch seiner Theorie ein. Er formuliert keine zeitlose Gesellschaftstheorie, sondern die Theorie einer historisch besonderen Gesellschaft, des Kapitalismus. Damit aber erweitert er den Wirkungsbereich, den er für Theorie beansprucht. Bzw. er erweitert auch den Wirkungsbereich, den er mit der Rolle des Theoretikers verbindet, nämlich um eine explizit politische Dimension. Über den Geltungsanspruch Marxscher Theorie wie auch über den Wirkungsbereich, den sie beansprucht oder beanspruchen sollte, wird heute durchaus kontrovers diskutiert. Auch in Debatten unter Sozialwissenschaftlern, die sich auf die Position von Marx beziehen, wird auf dieser Basis eine allgemeine Gesellschaftstheorie durchaus für möglich gehalten. Was das von ihm entwickelte Theorie-Praxis-Verhältnis für die Gegenwart überhaupt bedeuten könnte, ob es für die heutige wissenschaftliche Praxis überhaupt angemessen ist, erscheint bislang ungeklärt.

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Damit ist ein leidiges Problem der Beschäftigung mit dem Marxismus angesprochen. Eine halbwegs intensive Auseinandersetzung genügt, um die Rede von „dem Marxismus" zu zerstören. Man sieht sich konfrontiert mit allen möglichen Varianten. Gleichwohl behauptet jede dieser Richtungen, sie beziehe sich auf den »wahren' Marx. Das kann zur Konsequenz haben - und hat es meist -, daß der Maßstab korrekter Interpretation vermengt wird mit dem Maßstab wissenschaftlicher Gültigkeit. Was für Außenstehende befremdend erscheint, der wechselseitige Vorwurf von Marxisten, sie hätten die Prämissen des Marxismus aufgegeben, - oder noch schlimmer, sie seien Vulgärmarxisten (wobei der Eindruck sich nicht vermeiden läßt, daß der Vulgärmarxismus immer der des anderen ist) - mit einem Wort, eine ausgesprochen fruchtbare Atmosphäre zur kumulativen Entwicklung von Theorie. Unstrittig ist aber, daß Marx trotz dieser unterschiedlichen Akzente gegenüber klassischer akademischer Wissenschaft die Bereiche politisch-praktischer und wissenschaflich-theoretischer Argumentation nie verwischt hat. Seine Maßstäbe und Beurteilungskriterien für wissenschaftliche Tätigkeit waren stets wissenschaftsimmanent: intersubjektive Überprüfbarkeit. Das bedeutet auch, daß eine These oder ein Theorem nicht dann für ihn richtig war, wenn es sich mit seinen politischen Ambitionen verträgt, sondern wenn es Kriterien der Logik, der empirischen Plausibilität usw. genügt. Aus dem Selbstverständnis der marxistischen Theorie erklärt sich auch ihre zwiespältige Stellung im Wissenschaftsbetrieb. Ihrem eigenen Anspruch gemäß entwickelte sie sich im Rahmen politischer Bewegungen und Organisationen und nicht im akademischen Bereich. Marxistisch orientierte Theoretiker wurden nur sehr zögernd in Universitäten und Forschungseinrichtungen aufgenommen. Für Tempo und Umfang dieser Entwicklung lassen sich nationale Verschiedenheiten feststellen. Diese stehen wohl wiederum im Zusammenhang mit unterschiedlichen politischen Kulturen und politischen Bewegungen einzelner Länder. In Frankreich und Italien waren ζ. B. schon in den 50er und 60er Jahren Marxisten an den Hochschulen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit anzutreffen. In der Bundesrepublik Deutschland setzte eine solche Entwicklung erst seit Ende der 60er Jahre ein. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte es zu den Ausnahmen, daß Marxisten an den Hochschulen vertreten waren. Die Zahl der Lehrstühle, die von ihnen besetzt waren, läßt sich an den Fingern einer Hand abzählen. Sie waren im wesentlichen in Frankfurt und Marburg. In Marburg lehrte seit 1951 der Politikwissenschaftler und Jurist Wolfgang Abendroth. In Frankfurt gab es das wiedereröffnete Institut für Sozialforschung mit seinen Direktoren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Die beiden prominentesten Vertreter der sogenannten Frankfurter Schule hatten jeweils auch einen Lehrstuhl an der dortigen Universität inne. Allerdings wäre es ein Mißverständnis, daraus zu schließen, daß der Marxismus während der 50er und 60er Jahre aus akademischen Diskussionen ausgeblendet war. Den meisten Arbeiten haftete freilich der Geburtsfehler an, daß sie als Beitrag zum kalten Krieg gedacht waren. D.h. das Werk von Marx diente weniger zum besseren Verständnis der sozialen Wirklichkeit denn als eine Variante des „Totalitarismus", der für nahezu alle Übel verantwortlich war. Sie galten dem wissenschaftlichen Nachweis, daß, wie es ein Plakat der CDU in schlichter Weise ausdrückte, „alle Wege des Marxismus nach Moskau führen". Diesem geistigen Bürgerkrieg konnten nur wenige Arbeiten über die Marxsche Theorie entgehen. Der eigentliche Beginn des Marxismus als soziologische Theorie in der BRD ist deshalb gegen Ende

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der 60er Jahre anzusiedeln. Erst seitdem hat sich die marxistische Sozialwissenschaft im akademischen Bereich institutionalisiert, d. h. Vertreter dieser Theorie erhielten auch Professuren. Will man die Bedeutung des marxistischen Ansatzes in der heutigen Soziologie abschätzen, müssen für die einzelnen Sachgebiete der Soziologie unterschiedliche Aussagen gemacht werden: So ist ζ. B. für den Bereich der Industriesoziologie eine häufigere Orientierung an marxistischer Theorie festzustellen, als etwa im Bereich der empirischen Methoden oder im Bereich der Familiensoziologie. Für den engeren Bereich der soziologischen Theorie sieht die Entwicklung folgendermaßen aus: Während ab Mitte der 60er bis Anfang der 70er Jahre der Stellenwert marxistischer Theorie deutlich ansteigt, ist für den Zeitraum danach ein ebenso deutliches Absinken zu verzeichnen. Dies heißt allerdings nicht, daß dem Marxismus innerhalb der Soziologie keine Bedeutung mehr zukommt. Dies ist eher so zu verstehen, daß sie nicht beständig als abgegrenzte Theorie thematisiert wird, sondern, daß sie - wie auch andere soziologische Richtungen - einen Bezugsrahmen darstellt, innerhalb dessen nach wie vor aktuelle und ungelöste Problemstellungen behandelt werden.

4.2.2. Grundbegriffe 4.2.2.1. Methodologische Voraussetzungen „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn Wesen und Erscheinung zusammenfielen." Dieser Satz, in welchem das Wissenschaftsverständnis von Marx programmatisch zusammengefaßt ist, enthält Begriffe, die für den heutigen Leser zum einen ungewohnt sind und zum anderen auch mit theoriegeschichtlichen Vorurteilen belastet sind. Er legt die Deutung nahe, als seien Erscheinungen' gegenüber dem ,Wesen ' weniger wichtig, oder als stelle das,Wesen' von Phänomenen eine andere und höhere Art Wirklichkeit dar als die,Erscheinungen'. Beides hieße Marx mißverstehen. Bei der Analyse von Gesellschaft steht der Wissenschaftler zunächst einmal vor einer Summe empirischer Phänomene, die er in seinem Alltag, wie auch in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wahrnimmt. Diese Phänomene sind zwar als jeweilige Einzelelemente beschreibbar. Welchen Voraussetzungen sie sich verdanken, in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen und welche Entwicklungen möglicherweise für sie prognostizierbar sind, ergibt sich allerdings weder aus ihrer einzelnen Wahrnehmung noch aus ihrer Beschreibung. So verstanden sind mit, Wesen' keine methaphysischen Spekulationen angesprochen, sondern Aussagen über den Zusammenhang empirischer Phänomene, die über eine reine Deskription dieser Phänomene hinausgehen. Bei der Untersuchung von ,Wesen' und ,Erscheinung' handelt es sich keinesfalls um Versuche eine wie auch immer geartete metaphysische, empirisch nicht feststellbare Beschaffenheit von Dingen zu benennen. Im Grunde genommen ist mit dieser Unterscheidung lediglich ein Analyseverfahren angesprochen, daß auch in der modernen Sozialwissenschaft seine Berechtigung hat: „Die Unterscheidungen des gesunden Menschenverstandes', von denen die Alltagsbetrachtung der Natur und des sozialen Lebens ausgeht, sind unter Umständen eher Hindernisse als Grundlagen des wissenschaftlichen Fortschritts. Gerade das, was ,klar zu Tage liegt', was offenbar' der Fall ist und jedermann plausibel erscheint, wird durch die Entwicklung

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einer Wissenschaft, die die betreffenden Erscheinungen analysiert, nicht selten völlig beiseite geräumt und als .optische' oder andere Täuschung entlarvt, während andererseits Verbindungen zwischen Phänomenen auftauchen und sich als bedeutsam erweisen, die man vorher für unwahrscheinlich und im höchsten Maße unplausibel gehalten hätte. Die Wissenschaft spottet oft jeder commensense-Unterscheidung. Sie bringt Erscheinungen unter einen Hut, die für die alltägliche Oberflächenbetrachtung nichts miteinander zu tun haben..." (H. Albert 1967: 481 f) Wenn der Zusammenhang sozialer Phänomene sich nicht unmittelbar aus ihrer Beobachtung ergibt, muß der Wissenschaftler ein Instrumentarium entwickeln, mit welchem er diesen Zusammenhang konstruiert. Dies verlangt aufseiten des Wissenschaftlers, daß er von der unmittelbar wahrnehmbaren Beschaffenheit sozialer Phänomene abstrahiert. Er wählt somit auch einen anderen Weg als das Systematisieren und Klassifizieren von Empirie. Er bemüht sich vielmehr um,Erklärungen'', in welchen sowohl gesellschaftliche Tatsachen erhoben und beobachtet werden als auch Aussagen über Zusammenhänge mittels Abstraktionsverfahren gewonnen werden. In dieser Weise geht Marx in seiner Gesellschaftsanalyse vor. Sie beruht auf bestimmten Grundannahmen über Gesellschaft, die er als Tatsachenbeschreibung darstellt. Wie die Faktoren seiner Grundannahmen miteinander verknüpft sind, versucht er mittels theoretischer Abstraktion zu klären. Die Grundannahmen bei Marx enthalten das gleiche Spektrum theoretischer Prämissen über Gesellschaft wie Funktionalismus und Interaktionismus: 1. Gesellschaft wird von Individuen erzeugt. - In dieser Argumentation deckt er sich mit der Position der Interaktionisten. - D. h. Gesellschaft und soziale Phänomene werden nicht als Tatsachen behandelt, die losgelöst und unabhängig von Individuen existieren. Das Erklären sozialer Phänomene bedeutet in diesem Sinne immer auch ihr Zurückführen auf das Handeln von Individuen. 2. Individuen treten nie voraussetzungslos einander gegenüber. Sie begegnen sich jeweils in sozialen Zusammenhängen, die unabhängig von konkreten Einzelpersonen existieren. D.h. am Schalter einer Bank treffen zwar die Personen X und Y aufeinander, aber sie stehen sich als Bankkassierer X und Kunde Y gegenüber. Sie handeln als Rollenspieler in einem vorgegebenen Rahmen. Anders als Parsons und die Interaktionisten entscheidet sich Marx für keine dieser Prämissen, um darauf eine Erklärung über das Zustandekommen gesellschaftlicher Integration aufzubauen. Dies deshalb, da er die Möglichkeit einer allgemeinen Gesellschaftstheorie, die gleichermaßen für verschiedene historische Gesellschaftsformen anwendbar ist, verwirft. Wenn keine allgemeine Gesellschaftstheorie möglich ist, verbietet es sich auch, Eigenschaften von Individuen als anthropologische Konstanten zu behandeln. Welcher Art die Handlungsfähigkeit von Akteuren ist und in welchem Umfang sie dazu beiträgt, gesellschaftliche Prozesse absichtsvoll zu gestalten, ist auch eine Frage struktureller Bedingungen. Die individuelle Handlungsfähigkeit von Akteuren kann also sinnvoll nicht isoliert beurteilt werden, sondern nur im Zusammenhang mit den Handlungsmöglichkeiten, die ein gegebener sozialer Rahmen zuläßt. Diese Vorüberlegungen verlangen Annahmen über soziales Handeln im Geschichtsverlauf. Als empirische Generalisierung über den bisherigen Verlauf von Geschichte führt Marx an, daß sie nicht das Ergebnis planvoller Absichten der Akteure ist. D. h. mit einem Begriff, den er sehr häufig in diesem Zusammenhang verwendet - , daß

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Geschichte einen »naturwüchsigen' Charakter hat. Für vorkapitalistische Gesellschaften bedeutet dies zum einen, daß in ihnen die natürlichen Zwänge so dominant waren, daß über die Absicht der reinen Überlebenssicherung kaum Raum und Realisierungsmöglichkeit für Zielorientierungen bestanden. Ernteausfalle, Epidemien etc. beeinflußten tiefgreifend die Entwicklung sozialer Verbände. Zum anderen waren sie metaphysischen oder theologischen Weltbildern verhaftet, in deren Rahmen sie Geschichte gar nicht als etwas interpretieren konnten, was von Individuen gestaltet werden könnte. Ihrem Selbstverständnis nach entzog sich der Geschichtsverlauf überhaupt dem willentlichen Einfluß. Mit dem Entstehen des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft schienen diese beiden Hemmnisse eigentlich überwunden: Errungenschaften von Technik und Wissenschaft, ein erheblicher Anstieg der Arbeitsproduktivität hätten eine Emanzipation des Verlaufs gesellschaftlicher Entwicklung von natürlichen Bedingungen ermöglichen müssen. Das mit der Renaissance entstandene und sich bis in die Zeit der Aufklärung fortsetzende wachsende Selbstbewußtsein der Individuen das natürlich nur in wenigen sozialen Gruppen stattfand - , überhaupt die Entstehung eines Selbstbewußtseins als Individuum, Vertrauen in die eigene Vernunft hatten auf der Ebene der Selbstinterpretation der Akteure genau die Voraussetzungen geschaffen, die eine aktive Gestaltung sozialer Prozesse bedarf. Und gerade Marx hat diese Leistungen des Kapitalismus besonders hervorgehoben: „Erst sie (die Bourgeoisie) hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen... Die Bourgeoisie... reißt... alle... Nationen in die Zivilisation... Sie hat enorme Städte geschaffen... und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kollossalere Produktivkräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen." (Marx 1848: 465 ff.) Trotz dieser Voraussetzungen verlief die konkrete Entwicklung des Kapitalismus gänzlich anders. Trotz Entfaltung der Produktionskräfte trat eine Verelendung breiter Bevölkerungsgruppen ein: Die Lohnarbeiter wurden nicht nur über einen extrem langen Arbeitstag bei minimaler Entlohnung ausgebeutet, sondern in ihrer gesamten sozialen Existenz depraviert. Familiäre Bindungen wurden auseinandergerissen, in den Städten bildeten sich katastrophale Wohnsituationen, Kinderarbeit wurde intensiviert. Die Entfaltung von Qualifikationen und kulturellen Fähigkeiten war weder am Arbeitsplatz möglich, noch außerhalb der Arbeitssituation. Nun wird man diesen Aspekt der Entwicklung des Kapitalismus keiner Person oder keiner Personengruppe als geplante Absicht unterstellen können. Und auch Marx hat keine derartige Erklärung dieser Zustände gewählt. Wie dann aber, wenn sich in einer Gesellschaft, die planvollem und absichtsvollem Handeln gegenüber scheinbar offen ist, lassen sich diese ungewollten Folgen erklären? Für gesellschaftliche Integration im Kapitalismus zog Marx den Schluß: Die Individuen handeln zwar planvoll und rational, gleichwohl ist die Koordination der einzelnen Aktivitäten aber durch die Struktur der Gesellschaft in einen Zusammenhang gestellt, aus welchem sich Folgen ihrer Handlungen ergeben, die sie weder wollen, noch beeinflussen können. Der erste Teil dieser Überlegung, daß die Koordination von Einzelhandlungen nicht von den Akteuren selbst, sondern über einen sozialen Mechanismus herge-

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stellt wird, ist eine Problemlage, die sich bei Parsons wie auch bei Marx findet. Beiden geht es in diesem Zusammenhang um das Problem gesellschaftlicher Ordnung, d. h. die Frage, wie ist Gesellschaft möglich bzw. wie ist Vergesellschaftung, ein Vorgang, in welchem individuelle Handlungen integriert werden, möglich. Die Lösungsvorschläge, die Marx und Parsons zu dieser Fragestellung anbieten, weisen frappierende Ähnlichkeiten auf. Beide weisen nämlich daraufhin, daß die Vorstellung, Individuen führten eine Existenz als Einzelne, schon vom Denkansatz her unzutreffend ist. Eine konsequent individualistische Vorstellung von Akteuren ist lediglich als gedankliches Konstrukt möglich. In der Realität sind Individuen und ihre Handlungen nicht von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu trennen, in welchen sie angesiedelt sind. Was in Parsons Konzeption als institutionalisierter Individualismus' verstanden wird, drückt Marx aus seiner Sicht folgendermaßen aus: „Jeder verfolgt sein Privatinteresse und nur sein Privatinteresse; und dient dadurch, ohne es zu wollen und zu wissen, den Privatinteressen aller, den allgemeinen Interessen. Der Witz besteht nicht darin, daß, indem jeder sein Privatinteresse verfolgt, die Gesamtheit der Privatinteressen, also das allgemeine Interesse erreicht wird. Vielmehr könnte aus dieser abstrakten Phrase gefolgert werden, daß jeder wechselseitig die Geltendmachung des Interesses der andern hemmt, und statt einer allgemeinen Affirmation, vielmehr eine allgemeine Negation aus diesem bellum omnium contra onmes resultiert. Die Pointe liegt vielmehr darin, daß das Privatinteresse selbst schon ein gesellschaftliches bestimmtes Interesse ist und nur innerhalb der von der Gesellschaft gesetzten Bedingungen und mit den von ihr gegebnen Mitteln erreicht werden kann; also an die Reproduktion dieser Bedingungen und Mittel gebunden ist. Es ist das Interesse der Privaten; aber dessen Inhalt, wie Form und Mittel der Verwirklichung, durch von allen unabhängige gesellschaftliche Bedingungen gegeben." (K. Marx 1953: 74) Dies ist im Kern Marx' Begründung für die Wahl eines strukturtheoretischen Ansatzes zur Analyse der kapitalistischen Gesellschaft. Eine handlungstheoretische Perspektive könnte gerade den Zusammenhang, der diese Gesellschaft überindividuell integriert, gar nicht mehr erfassen. Der Analyse dieser Strukturkomponenten, ihrem Verhältnis zueinander und dem Zusammenhang, der zwischen diesen Strukturen und dem Handeln der Individuen besteht, ist dementsprechend das Hauptinteresse von Marx in seiner Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus gewidmet. 4.2.2. Materialistische Gesellschaftsanalyse Das hier dargestellte Verhältnis von Handeln und Strukturen, die relative Verselbstständigung und die Eigendynamik von Strukturen behauptet Marx zunächst einmal für die von ihm analysierte kapitalistische Gesellschaft. Die Existenz von Handeln und Strukturen als Komponenten von gesellschaftlichen Prozessen nimmt er zwar generell auch für nichtkapitalistische Gesellschaften an, sagt jedoch gleichzeitig, daß ihr Verhältnis zueinander nicht in der gleichen Weise ausgeprägt sein muß wie im Kapitalismus. Gerade ihr Auseinanderklaffen in der kapitalistischen Gesellschaft führt Marx auch als eine der Ursachen an, die es dem Individuum im Alltag nahezu unmöglich machen, die Bedingungen und Möglichkeiten seines Tuns abschätzen zu können. Dabei ist nicht ein schlichtes Informationsdefizit gemeint, das durch die Aneignung von Fakten und Wissen überwunden werden könnte. Vielmehr ergibt sich für die Beziehung von Individuum und Gesellschaft ein grundsätz-

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licher Widerspruch: Die Individuen bewegen sich in einem sozialen Rahmen, der letztlich ein Produkt menschlicher Handlungen ist. Innerhalb dieses Rahmens scheint aber keine Möglichkeit mehr zu bestehen, auf ihn selbst zielgerichtet einzuwirken. Was sich des weiteren aus diesem Zusammenhang ergibt, ist der Stellenwert, welcher dem Historischen Materialismus in Marx' Theorie zukommt. Wenn er von Materialismus spricht, ist damit eine Aussage über die Beschaffenheit des Gegenstandsbereiches enthalten, die zugleich eine methodische Komponente hat: Eine Analyse von Gesellschaft muß stets daran anknüpfen, in welcher Weise Individuen sich zu natürlich gegebenen Rahmenbedingungen verhalten. Dies meint zunächst die Art und Weise, in welcher sie die Voraussetzungen für ihr biologisches Überleben regulieren. Aus der Marxschen These, daß Individuen sich nie voraussetzungslos zueinander verhalten, sondern jeweils als Mitglieder sozialer Verbände, folgt zwangsläufig, daß ihre gemeinsame Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt nie eine ausschließlich technische Angelegenheit ist, sondern stets auch im Rahmen sozialer Beziehungen organisiert ist und prägend auf diese zurückwirkt. Dieser Hinweis gilt für jede Gesellschaft, ohne daß daraus folgt, es sei für gesellschaftliche Prozesse grundsätzlich ein Primat der Ökonomie anzunehmen. Anders bei einer zweiten Bedeutung von Materialismus, die bei Marx anzutreffen ist. Hierbei handelt es sich um eine Aussage, die auf die kapitalistische Gesellschaft zugeschnitten ist. Die These nämlich, daß die Regeln, von denen strukturelle Bedingungen im Kapitalismus gesteuert werden, durchaus in ökonomischen Gesetzmäßigkeiten begründet sind. Das Handeln von Individuen, bzw. die Folgen ihrer Handlungen, die im Rahmen struktureller Bedingungen interpretiert werden, sind ebenfalls auf die Wirksamkeit ökonomischer Mechanismen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang verbindet sich mit .Materialismus' nicht nur eine Aussage über den Gegenstandsbereich und die methodische Vorgehensweise für seine Analyse, sondern auch eine Aussage über ein Kausalverhältnis. Um sein Konzept des historischen Materialismus vielleicht noch einmal an einem der bekanntesten Theoreme von Marx zu erläutern, sei hier auf das von ihm konzipierte Verhältnis von Basis und Überbau eingegangen. Mit der Unterscheidung zwischen Basis und Überbau will Marx daraufhinweisen, daß Ideen und Vorstellungen von Individuen, damit auch ihre Absichten und Ziele, die sich in Handlungsorientierungen umsetzen, nicht aus sich heraus zu verstehen sind. Es gibt also keine Heimat des reinen Geistes, sondern Ideen sind immer nur aus dem Zusammenhang heraus zu begreifen, aus dem sie entstehen, nämlich bestimmten materiellen, d. h. natürlichen und sozialen Rahmenbedingungen. Mit dieser These ist aber noch nichts darüber ausgesagt, in welchem kausalen Zusammenhang möglicherweise Basis und Überbau stehen. Selbst ein symbolischer Interaktionist oder ein Funktionalist im Sinne Parsons könnte deshalb das oben Gesagte unterstützen. Anders aber, nimmt man die Annahmen hinzu, die Marx seiner Analyse der kapitalistischen Gesellschaft zugrunde legt, daß hier für eine besondere historische Konstellation nämlich in der Tat ökonomischen Bedingungen kausale Bedeutung zukommt. Bislang haben wir über Elemente einer materialistischen Theorie gesprochen, ohne im einzelnen darzulegen, in welcher Weise ,Materialismus' gefaßt werden könnte. Um ihn zunächst negativ abzugrenzen: Der Begriff Materialismus bezieht

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sich nicht auf Phänomene, die im engeren Sinne der Naturwissenschaft sinnlich greifbar und wahrnehmbar sind. Er sollte also nicht mit dem gleichgesetzt werden, was umgangssprachlich unter ,materiell' verstanden wird. Positiv gewendet verbindet sich mit,Materialismus' die Analyse von gesellschaftlichen Relationen. Wie bereits weiter oben erläutert, handelt es sich dabei um Tatbestände, die deshalb empirisch sind, da jedes soziale Handeln in sie eingebettet ist. Zugleich aber sind sie nicht im Sinne einer gegenständlichen Umwelt für das handelnde Individuum zu verstehen. Es besteht kein Gegensatz zwischen Individuum und materiellen Bedingungen. Vielmehr handelt es sich dabei gerade um Faktoren, die selbst durch menschliches Handeln hergestellt worden sind und deren Existenz unmittelbar abhängig von Handlungen ist. Wie an anderer Stelle über soziale Strukturen gesagt wurde, gilt auch für materielle Bedingungen, daß sie zwar eine relative Eigenständigkeit gegenüber konkreten einzelnen Akteuren haben, daß sie aber nur dann bestehen, wenn sie durch menschliches Handeln aktualisiert werden. In dieser allgemeinen Fassung würde sich der Begriff der materiellen Bedingungen auf alle Formen sozialer Strukturen beziehen und würde z.B. auch religiöse Organisationen umfassen. Dies wäre allerdings ein Mißverständnis der Absichten von Marx, da er mit materiellen Bedingungen' den Bereich sozialer Strukturen kennzeichnen will, der prägend für die charakteristischen gesellschaftlichen Organisationsmuster ist. Für die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft setzt er daher den Bereich der,materiellen Bedingungen' mit dem Aspekt ökonomischer Strukturen und ökonomischen Handelns gleich. 4.2.2.3. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse Als Instrumentarium, mit welchem Marx versucht, seinen materialistischen Anspruch mit der Strukturanalyse des Kapitalismus zu verbinden, dienen ihm die Begriffe Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse. Diese Unterscheidung ist eine analytische, d. h. ein begriffliches Instrument des Wissenschaftlers. Sie hat zwar ein Entsprechungsverhältnis in der Wirklichkeit, doch kann dort diese Unterscheidung nicht so eindeutig vollzogen werden. Produktivkräfte im weitesten Sinne meinen die Mittel, die zur Bearbeitung und Umformung natürlicher Ressourcen eingesetzt werden. Das bedeutet Werkzeuge, Maschinerie, berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, Produktionswissen und Formen der Arbeitsorganisation und auch Wissenschaft, deren Ergebnisse in Form systematisch gewonnenen Wissen bzw. Technologien ebenfalls zur Erstellung von Gütern und Dienstleistungen angewandt werden. Gerade die Gestaltung des Arbeitsprozesses in der kapitalistischen Gesellschaft ist von Technologien und der wissenschaftlichen Gestaltung von Maschinerie abhängig. Im Unterschied zu vorhergehenden Gesellschaftsformen findet sich mit dem Kapitalismus das erste Mal eine Situation, in welcher Wissenschaft systematisch als Mittel für Produktionsprozesse eingesetzt wird. Mit Marx ausgedrückt, wird Wissenschaft im Kapitalismus zur Produktivkraft. Auf wissenschaftlicher Grundlage werden dabei nicht nur Produktionstechnologien entwickelt. Auch soziale Faktoren, die in Arbeitsprozessen wirksam sind, wie z.B. Arbeitsmotivation, Leistungsbereitschaft etc. werden über den Einsatz wissenschaftlicher Analysen und Erkenntnisse zu regulieren versucht. Demgegenüber bezeichnen Produktionsverhältnisse die Art gesellschaftlicher Eigentumsverhältnisse. Dies meint die Regeln, nach denen über die Organisation des

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Produktionsprozesses, die Verwendung und Verteilung von Produktionsergebnissen entschieden wird. Schließlich gehören dazu noch die Regeln, nach welchen den Individuen in der Gesellschaft nicht nur ihr Platz im Rahmen der Arbeitsteilung in einem eher funktional-technischen Sinne zugewiesen wird, sondern auch ihre Zuordnung zu einer bestimmten sozialen Klasse. Für den weiteren Aufbau der Marxschen Theorie ist diese Unterscheidung folgenreich: Er kann nun Soziales durch Soziales erklären, indem er eine deutliche Trennung macht zwischen Phänomenen und Ursachen, die im Gesellschaftlichen liegen (Produktionsverhältnisse) und naturgegebenen bzw. technischen Faktoren (Produktivkräfte), deren Bedeutung sich erst über ihre Interpretation im gesellschaftlichen Kontext, den Produktionsverhältnissen, erschließt. Damit vermeidet er vom Ansatz her einen technologischen Determinismus, der im Sinne einer Sachzwanghypothese behauptet, Soziales würde durch technologische Faktoren zureichend erklärt werden. Wie sich das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im einzelnen darstellt, muß für jede historische Gesellschaft gesondert behandelt werden. Es lassen sich darüber keine Generalisierungen anstellen. Entsprechend konzentriert sich die Theorie von Marx auf die kapitalistische Gesellschaft. Auch die Entstehung historisch unterschiedlicher Gesellschaftsformen verdankt sich jeweils historisch einmaligen Konstellationen und kann nicht verallgemeinert werden. Im Unterschied zu Evolutionstheoretikern konstruiert Marx keine Geschichtsphilosophie im Sinne eines zielgerichteten Verlaufsmodells. Gerade dieser Aspekt der Marxschen Gesellschaftstheorie wird aber oft von Marxisten wie auch Kritikern der Marxismus umgedeutet. „In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden." (MEW 13: 9) Sätze wie dieser legen in der Tat das Mißverständnis nahe, Marx habe einen unilinearen Evolutionismus vertreten, er sei von der Idee ausgegangen, im Verlauf historischer Entwicklung verwirkliche sich zunehmend ein bestimmtes Vernunftprinzip. Dem ist entgegenzuhalten, daß Marx diese Klassifikation im Nachhinein vornimmt, aus der Perspektive und nach Maßstäben beurteilt, die er als Wissenschaftler anlegt. Er will lediglich daraufhinweisen, daß sich für bestimmte theoretische Absichten verschiedene Stufen von Produktivkraftentwicklung im Verlauf von Geschichte konstruieren lassen. Zum zweiten behauptet er mit dieser Aussage nicht, daß die Menschheitsgeschichte sukzessive diese Stadien durchlaufen muß, die er im nachhinein konstruiert. Letzteres wird insbesondere deutlich in einer Debatte, die er mit russischen Volkstümlern (einer politischen Gruppierung in Rußland, die sich insbesondere als Vertreter der Bauern verstand) führte: Den russischen Revolutionären ging es um die Frage, ob Rußland, damals ein halb-feudales Agrarland, unmittelbar den Schritt zum Sozialismus vollziehen könnte oder erst das Stadium eines industriellen Kapitalismus durchlaufen müsse. Marx vertrat die Auffassung, der Übergang zum Sozialismus könne unmittelbar stattfinden, das von ihm vorliegende Phasenmodell sei lediglich als Instrument zu einer theoretischen Analyse zu verstehen, nicht aber als Strategie zu Fragen realen sozialen Wandels.

Warum in Westeuropa der Kapitalismus entstanden ist, beschäftigt Marx in seinen Arbeiten nicht systematisch - im Unterschied zu etlichen anderen Sozialwissenschaftlern und Historikern. Er kann diese Frage auch deshalb vernachlässigen, da aus den Entstehungsbedingungen des Kapitalismus sich keine Aussagen über die

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Funktionsweise und Dynamik innerhalb des entwickelten Kapitalismus machen lassen. Letzteres aber ist das Thema von Marx. 4.2.3. Gesellschaft Mit den vorausgegangenen Bemerkungen wird bereits der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen Marx seine Theorie des Kapitalismus entwickelt. 1. Sein Anspruch, eine historisch-materialistische Theorie zu konstruieren, drückt sich darin aus, daß er auch für die kapitalistische Gesellschaft eine besondere Verfassung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen benennen muß, durch welche sie sich gegenüber anderen Gesellschaften unterscheidet. 2. Sein Hypothese, daß gerade für die kapitalistische Gesellschaft ökonomische Tatbestände strukturbestimmend seien, ihre Dynamik steuern, begründet er über seine ökonomische Analyse im engeren Sinne. 3. Da Marx aufgrund seiner historisch-materialistischen Position keine allgemeine Gesellschaftstheorie formulieren kann, muß er die Struktur- und Handlungsebene im Kapitalismus in einen Zusammenhang zu den Faktoren stellen, welche die Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft bestimmen. Zu diesem Zweck versucht er, den Verlauf des Kapitalismus wie auch Prozesse der Klassenbildung auf dessen grundlegende ökonomische Bedingungen zu beziehen. Im gleichen Zusammenhang steht seine Analyse des Staates, handelt es sich doch hierbei um eine Instanz, die einen Ausgleich zwischen strukturellen Anforderungen und den kollektiv organisierten Absichten von Akteuren herzustellen versucht. 4. Schließlich muß Marx in seiner Analyse auch sein Theorie-Praxis- Verständnis dahingehend einlösen, daß er seine eigene Tätigkeit oder Rolle innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, nämlich seine theoretische Kritik in ihren Auswirkungen und ihrer Bedeutung begründen kann. In diesem Sinne versteht sich seine Analyse der Rolle von Ideologie und Wissenschaft im Kapitalismus. 4.2.3.1. ökonomische Verhältnisse als Steuerungsmechanismen des Kapitalismus Daß eine Gesellschaft von der Struktur des Kapitalismus überhaupt funktionsfähig ist, setzt voraus: 1. Privateigentum an Produktionsmitteln, wodurch überhaupt erst, sozialstrukturell und rechtlich, die Voraussetzung gegeben ist, daß die Lohnarbeiter ihre Arbeitskraft verkaufen und die Eigentümer sich den von den Lohnarbeitern produzierten Mehrwert aneignen können. 2. Einen Überschuß an Produktion, der über den unmittelbar notwendigen Konsum hinausgeht. 3. Die Bereitschaft und Möglichkeit, diesen Überschuß zu reinvestieren, ihn also im Bereich der Produktion zu lassen, ihn weder im Handel einzusetzen, noch zum Sparen, noch ihn unmittelbar zu konsumieren. 4. Die Entstehung der freien Lohnarbeit, d. h. einer Bevölkerungsklasse, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen ist und auch nicht durch Leibeigenschafts- oder ähnliche persönliche Zwangsverhältnisse daran gehindert wird. Was nach Marx die Dynamik kapitalistischer Entwicklung bestimmt und steuert, ist ein ökonomisches Verhältnis. Kurz zusammengefaßt besagt es, daß im Kapitalismus einerseits gesellschaftlich produziert wird, andererseits aber der Produktionsprozeß wie auch die Verwendung seiner Ergebnisse privater Verfügung unterstellt ist. Was verbirgt sich hinter dieser Formel? Gesellschaftliche Produktion meint den Tatbestand, daß auf der Basis bestehender Produktionstechnologien arbeitsteilig produziert wird. Niemand kann alle Gü-

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ter seines Bedarfs selbst herstellen, sondern muß sich mit seiner Arbeit und in seinem Konsum auf Gesellschaft beziehen. Von gesellschaftlicher Produktion kann aber nur insoweit die Rede sein, als jeder in diesen Zusammenhang eingebunden ist. Trotz dieser gesellschaftlichen Arbeitsteilung besteht aber private Verfiigung - zusätzlich zum privaten Eigentum an Produktionsmitteln - in dem Sinne, daß niemand im vorhinein sagen kann, welche Güter in welcher Menge er bezogen auf die Gesamtbedürfnisse der Gesellschaft zu produzieren hat. Eine Koordination dieser privaten, d. h. individuell vollführten Produktionstätigkeiten, findet erst im Nachhinein statt. Marx beginnt seine Analyse der kapitalistischen Produktion mit der Analyse der Ware und ihrer Betrachtung unter zweierlei Aspekten, als Gebrauchswert und als Tauschwert. Gebrauchswert muß eine Ware sein, um überhaupt einen Verbraucher finden zu können, der bereit ist, diese Ware zu erwerben. D. h. eine Ware muß in jedem Fall einem gesellschaftlichen Bedürfnis entgegenkommen, sachlich so beschaffen sein, daß sie einen Abnehmer findet. Die zweite Seite einer Ware ist, daß sie als Tauschwert behandelt werden kann. Dies meint, daß im Kapitalismus die Waren mit der Absicht, einen Gewinn zu erzielen, produziert und getauscht werden. Und zweitens beinhaltet die Behandlung von Waren als Tauschwert, daß sie mengenmäßig in eine quantitative Beziehung zueinander gestellt werden können. Neben der Herstellung des Gebrauchswertes einer Ware muß im Verlauf des Produktionsprozesses den Gütern olfensichtlich etwas zugeführt worden sein, was ihnen als konkreten Gebrauchswerten nicht ansehbar ist. Dabei handelt es sich nicht um etwas, was mit den Eigenschaften als konkreten Gebrauchswerten zusammenhängt, sondern mit ihrer Eigenschaft als Ware. Das gemeinsame von Waren ist, daß sie das Produkt menschlicher Arbeit schlechthin sind, oder wie Marx es ausdrückt, das Ergebnis abstrakter Arbeit. Werden Waren als Tauschwerte miteinander in Beziehung gesetzt, werden sie nach der Menge der in ihnen enthaltenen Arbeit bewertet. Aus einem solchen Austauschprozeß selbst läßt sich allerdings noch nicht erklären, woher die Gewinne der Tauschpartner kommen. Die unsinnige These, daß einer der anderen übervorteile, kann ja nicht zutreffen, da schließlich jeder der Beteiligten einen Gewinn aus der Transaktion zieht. Marx geht nun davon aus, daß die Entstehung von Gewinnen sich darüber erhellen läßt, wenn die Analyse vom Tauschprozeß zurück zum Produktionsprozeß verlagert wird. Denn dort vollzieht sich schließlich der Vorgang, in welchem menschliche Arbeit in Güter umgesetzt wird, d. h. den Waren hinzugefügt wird, was sie im Austausch als ein mehr oder weniger an Tauschwert aufweisen. Daß Güter im Produktionsprozeß eine Vergrößerung ihres Wertes oder Tauschwertes erfahren, hängt wiederum mit bestimmten Eigenschaften menschlicher Arbeit im Kapitalismus zusammen. Wie alle Güter wird im Kapitalismus nämlich auch die Ware Arbeitskraft als Gebrauchs- und Tauschwert behandelt. Ihr Gebrauchswert besteht darin, daß sie - je nach Bildungs- und Ausbildungsgrad bestimmte Leistungen erbringen kann, Gegenstände in einer speziellen Art umgestaltet, umformt, fertigstellt etc. Daß Arbeit auch einen Tauschwert hat, ist etwas, was historisch erst in der kapitalistischen Gesellschaft wirksam wird. Aufgrund der Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln sind die Arbeiter gezwungen, ihre Arbeitskraft auf dem Markt dem Kapital zur Verfügung zu stellen, sie als Ware gegen Lohn auszu-

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tauschen. Von Seiten des Kapitals wird die Arbeitskraft für den Preis gekauft, der für ihre Reproduktion notwendig ist. D. h. zu der Lohnsumme, welche der Arbeiter benötigt, um sich und seine Familie aufgegebenem kulturellen Niveau am Leben zu halten. Da aber der Unternehmer die .Nutzung' der Arbeitskraft gekauft hat, ist er in der Lage, mehr an Stunden für sich arbeiten zu lassen, als die Reproduktion der Arbeitskraft selbst kostet. Dieser über den Wert ihrer eigenen Reproduktion hinausgehende Wert, den sie zusätzlich schafft, den von ihr produzierten neuen Wert oder Mehrwert, kann der Unternehmer sich aber aufgrund vertraglich festgelegter Kaufbedingungen aneignen. Da der Kapitalist unter Konkurrenzbedingungen produziert, ist ihm die Verwendung dieses Mehrwerts bereits vorgeschrieben. Um seine Marktposition zu sichern, ist er gezwungen, den Mehrwert wiederum gewinnbringend einzusetzen, ihn überhaupt erst als Kapital zu verwenden. Durch die gleichen Konkurrenzbedingungen wird er gezwungen - wie auch seine Mitkonkurrenten - daß er seine Rentabilität, d. h. seine Profitbedingungen und damit Marktchancen beständig verbessern muß. Hinsichtlich des Einzelkapitals folgt damit zwangsläufig daß es sich entweder auf erweiterter Stufenleiter reproduziert, d. h. daß die Summe Kapital, die zur Herstellung von Waren investiert wird, beständig zunimmt oder daß es aus dem Markt verdrängt wird. Gesellschaftlich gesehen führt dies zu einer ähnlichen Entwicklung: Der Reproduktion des Kapitalverhältnisses auf erweiterter Stufenleiter. Das meint nicht nur eine Zunahme der in dem Prozeß einer Volkswirtschaft umlaufenden Wertsumme, sondern auch, daß der Expansionszwang des Kapitals dazu führt, daß zunehmend mehr Bereiche der Produktion im Sinne kapitalistischer Bedingungen organisiert werden. Dieser Zwang zu erhöhter Rentabilität ist nur ein anderer Ausdruck dafür, daß im Produktionsprozeß versucht werden muß, die Ware stets konstengünstiger herzustellen als der Konkurrent. Als wesentliches Mittel dienen dazu technische Innovationen, die einen Rationalisierungseffekt haben. Dies führt dazu, daß das Kapital, das in Maschinen angelegt wird - Marx nennt dieses zusammen mit den Rohstoffen das konstante Kapital im Unterschied zu dem variablen Kapital der Lohnkosten - , nicht nur absolut ständig wächst, sondern auch relativ. In diesem ökonomischen Vorgang zeigt sich die Abhängigkeit der Wirkungsweise der Produktivkräfte von der Art der Produktionsverhältnisse. Im Bereich der Produktivkräfte fand der Vorgang der Industrialisierung statt bzw. er setzt sich noch bis in die Gegenwart in allen Arbeitsbereichen fort. Industrialisierung meint dabei, nach Marx, zum einen den Übergang vom Werkzeuggebrauch zum Einsatz von Maschinerie.

Des weiteren meint er damit eine Rationalisierung von Arbeitsabläufen und Arbeitsvollzügen, die sich darin niederschlägt, daß die einzelne Arbeitstätigkeit in ihre elementaren Bestandteile zerlegt wird, Arbeitsteilung großen Stils erst möglich wird. Damit einher geht das, was Marx als die Entstehung der großen Industrie bezeichnet, die organisatorische Zusammenfassung von Maschinerie und Einzelarbeiten in großen Produktionsstätten. Eine solche Form der Arbeitsorganisation über einen längeren Zeitverlauf beobachtet, wird beständig durch produktivitätssteigernde Rationalisierungsmaßnahmen perfektioniert. Dies bezieht sich zum einen auf den zunehmend effektiver gestalteten Einsatz der menschlichen Arbeitstätigkeiten und zum anderen auf beständige technologische Neuerungen, durch welche die Organisation des arbeitsteilig zerlegten Prozesses immer enger durch vorhandene Maschinerie in ihrem Ablauf

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bestimmt wird. Dies führt soweit, daß selbst Tätigkeiten, von denen man es sich zuvor kaum hat vorstellen können, auf Maschinen bzw. Automaten übertragen werden. D.h. ζ. B., in der Automobilproduktion werden Transport der Zwischenprodukte oder Punktschweißen von Automaten übernommen. In der chemischen Industrie wird die Kontrolle des Materialflusses teilweise automatisch durchgeführt. Nun folgt aus der Arbeitswertlehre, von Marx, daß allein Arbeitskraft Mehrwert erzeugt. Kapital im Sinne von Rohstoffen, Maschinerie und ähnlichem, das konstante Kapital, erzeugt im Produktionsprozeß keinen neuen Wert. In dem Umfang, in welchem Maschinerie zur Herstellung eines Gutes zerschlissen worden ist, Rohstoffe verbraucht worden sind, etc. ist ihr Wertbestandteil auf das Produkt übergegangen. Der Einsatz konstanten Kapitals führt damit in der Tat zur Herstellung neuer Güter, aber nicht zur Schaffung neuer Werte. Das ein Gut später im Tausch einen Gewinn für seinen Besitzer abwirft, ist allein das Ergebnis das Verausgabung menschlicher Arbeitskraft zur Herstellung des Produktes. Die Verzinsung des Kapitals oder sein Profit, wie Marx es ausdrückt, ist daher immer abhängig von dem Verhältnis, in welchem konstantes und variables Kapital zueinander stehen. Daraus läßt sich erkennen, daß die Rate des Profits in dem Ausmaß variiert, in welchem sich der Anteil von konstantem gegenüber variablem Kapital ändert. Mit einer Zunahme des konstanten Kapitals und genau das ist als langfristiger Trend im Kapitalismus angelegt, sinkt auch die Profitrate. Daraus folgt, daß aus rein endogenen ökonomischen Gründen der Kapitalismus sich im Zeitverlauf selbst auflöst: Ein Anwachsen des konstanten gegenüber dem variablen Kapital läßt die Profitrate langsam gegen 0 fallen und eine Produktion, die sich nicht an der Profitrate orientiert, ist ökonomisch betrachtet keine kapitalistische Produktion mehr. Bereits im ökonomischen Modell von Marx wird deutlich, daß es weit über ein rein ökonomisches Modell hinausgeht. Indem der Profit in Abhängigkeit zur Mehrwertproduktion gesetzt wird, berührt nämlich jede Strategie, die der Mehrwertproduktion dienen soll, die Interessen der Lohnarbeiter. Eine Steigerung der Mehrwertproduktion kann nämlich nur dann erfolgen, wenn entweder das Entgelt für verausgabte menschliche Arbeitskraft verknappt, d. h. der Lohn gekürzt wird oder eben die Nutzung der Arbeitskraft intensiviert wird. Beide Möglichkeiten verweisen auf den grundlegenden Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit, der in diesem Modell mit enthalten ist (vgl. ausführlicher unten, S. 111 ff). Soweit in verzweifelter Kürze das Marxsche Modell, zu dessen methodologischen Status hier noch einige Anmerkungen vorgetragen werden müssen: Dieses Modell beruht auf einer rigorosen Abstraktion und ist deshalb auch keineswegs hinreichend zur Erklärung empirischer Prozesse. Gerade was sein Theorem vom Fall der Profitrate anbelangt, reduziert Marx seine Analyse ausschließlich unter Abstraktion aller sonstigen Gegebenheiten auf die zentrale Beziehung, die für Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung im Kapitalismus ausschlaggebend ist. In der Wirklichkeit setzt sich diese Tendenz unter Rahmenbedingungen durch, die als entgegenwirkende Ursachen diesen Prozeß teils hemmen, modifizieren oder ihn gar in sein Gegenteil verkehren können. Der Sinn eines solchen radikalen Abstraktionsverfahrens, die Beschränkung auf eine rein logische Analyse liegt darin, daß damit ein Bezugspunkt geschaffen ist, auf den hin vielfaltige Phänomene der Wirklichkeit bezogen und interpretiert werden können.

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4.2.3.2. Modell und tatsächlicher Verlauf des Kapitalismus Mit dem Thema der Profitrate hängt ein leidiges Problem der Theorie von Marx bzw. der seiner Nachfolger zusammen. Dabei geht es um die Frage, ob Marx eine ökonomische Zusammenbruchstheorie vertreten habe oder nicht. Hätte er dies getan, wäre nicht einzusehen, weshalb er dann auch eine politische Theorie vertreten hat, die auf revolutionäres Handeln besonderes Gewicht legt. Ohne daß diese Aspekte hier auch nur annähernd zureichend erörtert werden können, sei dazu noch einiges gesagt. Marx selbst hat in einem Abschnitt des 3. Bandes,Kapital' recht ausführlich die von ihm sogenannten entgegenwirkenden Ursachen, die den Fall der Profitrate verhindern, aufgelistet. Das zentrale Argument dabei ist, daß im Zuge der technischen Entwicklung, die den Anteil des konstanten Kapitals ja steigen läßt, zugleich auch die Produktivität erhöht wird, und zwar ebenfalls in der Produktion der Lohngüter, d. h. jener Güter, die zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendig sind. Das hat zur Folge, daß immer weniger Arbeitskraft dafür aufgewandt werden muß, d. h. die Reproduktion der Ware Arbeitskraft immer weniger Zeit beansprucht. Da die Mehrwertrate als Anteil der zusätzlichen Arbeit über die notwendige hinaus definiert wird, folgt daraus, daß im Zuge der Produktivitätssteigerung zugleich auch die Mehrwertrate sich erhöht und damit der Fall der Profitrate aufgehalten wird. Wenn auch unausgesprochen, finden sich im Marxschen Werk noch zahlreiche andere Hinweise, die gegen eine geradlinige ökonomische Zusammenbruchstheorie sprechen. Diese Hinweise lassen sich am besten im Rahmen der Unterscheidung von Systemproblemen und Handlungsfolgen erläutern. Während Parsons diese Unterscheidung primär unter methodischen Aspekten betrachtet, liegen ihr bei Marx darüber hinaus auch Annahmen über die Beschaffenheit empirischer Gesellschaften zugrunde. Wie in unserer Skizze der Werttheorie ersichtlich wurde, taucht dort der Akteur nicht als Person auf, die absichtsvoll Ziele verfolgt, sondern als jemand, der sich im Rahmen vorgegebener Zwänge bewegt. Diese Betrachtungsweise wählt Marx deshalb, weil für ihn im Kapitalismus gesellschaftliche Entwicklung im weiten Maße unabhängig von bewußten Absichten der in ihm lebenden Individuen verläuft. Seine These über die Beschaffenheit des kapitalistischen Systems läuft darauf hinaus, daß die strukturellen Gegebenheiten dieses Systems so sind, daß es sich längerfristig nicht reproduzieren kann. Völlig unberührt davon ist die Frage, in welcher Weise handelnde Individuen in diesen Prozeß eingreifen, und in welcher Weise sie auch unter Strukturbedingungen des Kapitalismus verändernd in diesen Prozeß eingreifen. Im Unterschied zu Parsons hat Marx dadurch mit der Einführung einer strukturellen Betrachtungsweise seine handlungstheoretische Perspektive nicht generell ausgeschlossen. Auf Handlungs- wie auf Systemebene führt Marx also Ursachen auf, die dem Fall der Profitrate entgegengesetzt sind. Während die Komponenten auf Systemebene zumindest methodologisch vergleichsweise überschaubar abgehandelt werden können, verlangen die entgegenwirkenden Ursachen auf Handlungsebene eine diffizilere methodologische Betrachtung. Sie verbinden sich nämlich nicht nur mit Annahmen über das Handeln von Individuen, sondern auch mit Thesen über Prozesse von Kollektiven, über Funktionsweisen des Staates und über Entstehung und Wirksamkeit von Ideologien. Auf Strukturebene unterstellt Marxens These vom Fall der Profitrate, daß kapitalistische Ökonomie unter Bedingungen völliger Konkurrenz abläuft. Monopol-

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bzw. Oligopolbildung sind dabei nicht berücksichtigt, staatliche Interventionen ausgeklammert, zunftmäßige-, berufsständige und rechtliche Einschränkungen, die modifizierend auf die Aktivitäten von Einzelkapitalen wirken können, desgleichen. Darüber hinaus wäre auf Strukturebene für eine empirische Analyse auch zu berücksichtigen, welche historischen Voraussetzungen eine Nation aufzuweisen hat, wie ζ. B. ihre Handelsbeziehungen, ihre Traditionen, vorhandene Rohstoffe. Während dieser Zustand schon für eine Analyse auf Systemebene zum Problem wird, verschärft er sich nochmals für die handlungstheoretische Analyse. Denn gerade dabei treten wieder Problemstellungen auf, die eng an politisch-strategische Fragen gebunden sind, wie ζ. B. die Rolle gewerkschaftlicher Politik und die Entstehung von Klassen. Gegenwirkende Elemente auf der Handlungsebene sind teilweise schon angesprochen worden, wie z.B. die Entwicklung von Klassen, das politische Bewußtsein ihrer Mitglieder, politische Organisationsformen der Arbeiterklasse wie Gewerkschaften usw. Als weitere Faktoren lassen sich deskriptiv noch nennen kollektive Lernprozesse, die sich aus Erfahrungen der Parteibildung, der Auseinandersetzungen mit Vertretern des Kapitals, aber auch aus Wandlungen der Situation im Produktions- und Reproduktionsbereich ergeben. Olfensichtlich nimmt Marx an, daß auch diese modifizierenden Faktoren die Grundstruktur des Kapitalismus, wie sie in seiner Wertanalyse dargestellt sind, nicht ändern, sondern allenfalls eben nur modifizieren. D.h., daß trotz des Auftretens und Wirkens solcher Faktoren seine allgemeinen Aussagen ihre Gültigkeit beibehalten. Es ist deshalb von besonderem Interesse, in welcher Weise Marx seine handlungstheoretische Analyse vornimmt, da sie so beschaffen sein muß, daß sie methodisch in Einklang mit seiner systemtheoretischen Perspektive bleibt. Wenn man so will, ist das im vorhergehenden Abschnitt skizzierte ökonomische Modell von Marx gleichsam das Gerippe seiner Gesellschaftstheorie. Es enthält die grundlegenden Annahmen, die seiner Meinung nach die Entwicklung des Kapitalismus erklären. Es macht die stillschweigende Annahme, daß alle gesellschaftlichen Bereiche zumindest insoweit von der Ökonomie abhängen, als sie das ökonomische Modell nicht außer Kraft setzen. Folgerichtig versucht Marx in den mehr soziologischen Passagen seiner Theorie zu zeigen, in welchem Maße und vor allen Dingen auch wie sie von der ökonomischen Sphäre abhängig sind. Exemplarisch soll das im folgenden an drei zentralen Bestandteilen seiner Theorie gezeigt werden: 1. seiner Klassentheorie 2. seiner Staatstheorie und 3. seiner Ideologienlehre. 4.2.3.3. Klassentheorie Am Klassenbegriff von Marx wird deutlich, welchen Zusammenhang er zwischen System- und Handlungsebene konstruiert: Bereits auf der Strukturebene werden Merkmale angegeben, die zur Identifikation von Klassen dienen und die keine subjektiven Eigenschaften von Individuen sind. Grundlegendes Merkmal ist die Stellung des Akteurs im Produktionsprozeß, d. h. ob er eine Position einnimmt, in welcher er seine Arbeitskraft gegen Kapital tauscht und Mehrwert produziert wie der Lohnarbeiter oder ob er über Produktionsmittel verfügt, sich die Arbeitskraft und den von ihr produzierten Mehrwert aneignen kann, wie der Kapitalist. Da sich,

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wie Marx in seiner Wertanalyse darlegt, das Kapitalverhältnis beständig reproduziert, werden die Akteure auf ihren Positionen jeweils festgeschrieben. Dies gilt nicht nur für eine statische Betrachtung, sondern auch für eine dynamische Analyse, der kapitalistischen Entwicklung im Zeitverlauf. Auch hier nimmt Marx, im Sinne einer theoretischen Analyse, aus methodischen Gründen zwei eindeutig identifizierbare Klassen an. Diese Annahme trifft selbstverständlich auch nur unter der Bedingung zu, daß der Kapitalismus in seiner idealtypischen Form existent wäre, entspricht aber nicht mit empirischen Gegebenheiten. In seiner Analyse Frankreichs Mitte des 19. Jahrhunderts oder auch der Entwicklung der deutschen Staaten der gleichen Zeit weist er daraufhin, daß neben diesen beiden Klassen noch einige andere Klassengruppierungen existieren, die vorkapitalistischen Gesellschaftsformen entstammen, wie der Adel, Kleinbauern, etc. Wie deren Weiterexistenz sich gestaltet, wird mit Beginn des Kapitalismus selbstverständlich auch durch dessen Entwicklungsmuster bestimmt. Sie nehmen daher eine völlig andere Stellung ein, als in den Gesellschaftsgefügen, in welchen sie ursprünglich entstanden waren. Ihre weitere Bedeutung ist daran gekoppelt, in welcher Weise sie erstens Koalitionen mit der Klasse des Kapitals oder den Lohnarbeitern eingehen, bzw. in welche Position sie aufgrund der ökonomischen Entwicklung gezwungen werden. Auch für die genuin kapitalistischen Klassen nimmt Marx insbesondere auf Seiten des Kapitals ebenfalls weitere Fraktionierungen an, wie ζ. B. das Handelskapital, die Kapitale verschiedener Gewerbebereiche oder auch soziale Gruppen, wie etwa die Beamten, die sich aus allgemeinen Bedürfnissen der Kapitalverwertung ableiten lassen (ζ. B. Herstellung einer Infrastruktur zur Produktion). Aber selbst diese Differenzierungen der Klassenstruktur widersprechen nicht der Marxschen Vorstellung einer Polarisierung der Klassen in Lohnarbeit und Kapital. Von der Position her, die ihnen strukturell zugeschrieben wird, lassen sie sich jeweils noch grob einerseits der Klasse der ausgebeuteten Lohnarbeiter, bzw. andererseits der Klasse des Kapitals, die mittelbar oder unmittelbar den kapitalistischen Verwertungsprozeß vorantreibt, zuordnen. Klassen in dieser strukturtheoretischen Betrachtungsweise, erklären noch bei weitem nicht, wie Klassen als handlungsfähige Kollektive zu verstehen sind. Denn für Klassen gilt, wie für alle Strukturkomponenten, daß sie empirisch nur dann realisiert werden, wenn sie durch individuelle Handlungen getragen werden. Dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Zum einen setzt Klassenhandeln voraus, daß die Mitglieder einer Klasse als einzelne Akteure eine Motivations- und Bedürfnisstruktur entwickeln und in einem bestimmten Sinne handeln. Zum zweiten ist damit der Aspekt angesprochen, in welchem vereinzelte Individuen eine einheitliche Perspektive gewinnen, d. h. im Sinne von Parsons sich als Kollektive organisieren. Handlungsorientierungen von Individuen entwickeln sich nicht losgelöst von den jeweiligen Erfahrungen mit und in einer Gesellschaft. Insoweit werden Handlungsorientierungen durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen vorgegeben. Bezogen auf den einzelnen Lohnarbeiter im Kapitalismus besagt dies, daß er die Ausbeutung, Abhängigkeit und Unsicherheit, die er im Kapitalismus erlebt, zunächst als sein individuelles Schicksal wahrnimmt. Diese individuelle Perspektive ergibt sich für ihn deshalb, weil er als einzelner auf dem Arbeitsmarkt auftritt. Und als einzelner erlebt er zunächst auch seine Situation am Arbeitsplatz und die Unsicherheit dieses Arbeitsplatzes. In diesem Sinne nimmt er die gesellschaftlichen Voraus-

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Setzungen des Kapitalismus als eine unabänderliche Bedingung wahr, in deren Rahmen er die für sich selbst vorteilhafteste Position zu verfolgen versucht. Gleichzeitig ist es aber auch nicht durchgehend so, daß von Seiten des Lohnarbeiters gesellschaftliche Erfahrungen in dieser individualistischen Weise erlebt und verarbeitet werden. Gerade das hohe Maß an Vergesellschaftung im Kapitalismus bindet den einzelnen Lohnarbeiter in kollektive Situationen ein: Arbeitsprozesse sind in großen Produktionsstätten organisiert, die sozialen Folgen der kapitalistischen Dynamik wirken sich auf die Lebenssituationen aller Lohnarbeiter aus; ihre Familiensituation wie auch ihre umfassendere kulturelle Situation wird in grundlegend gleicher Weise durch die kapitalistische Entwicklung verändert. Eine Situation, die kollektiv erlebt wird, braucht allerdings nicht zwangsläufig in kollektive Handlungen umgesetzt zu werden. Daß dies im Kapitalismus auf Seiten der Lohnarbeiterklasse dennoch geschieht, ist nach Marx ebenfalls im Verlaufsmuster der kapitalistischen Entwicklung angelegt: Da zwischen Kapital und Lohnarbeit ein nicht überbrückbarer Interessenwiderspruch hinsichtlich des Preises, der für Arbeitskraft gezahlt wird - was für die eine Seite Kosten, ist für die andere Lohn und damit Grundlage des Überlebens - , besteht, muß zwischen diesen beiden Klassen eine beständige Auseinandersetzung stattfinden, die sich zunächst an der Lohnsumme festmacht, darüber hinaus aber auch Themen wie Arbeitszeit, Arbeitsplatzsituation etc. umfaßt. Diese Konflikte individuell lösen zu wollen, wäre für den einzelnen Lohnarbeiter unmöglich. Als Konsequenz daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit zu kollektiven Organisationsformen, in diesem Fall der Organisierung in Gewerkschaften. Damit aber werden die Erfahrungen, die der einzelne mit der kapitalistischen Gesellschaft macht, auf eine andere Stufe übertragen: Was aus der Perspektive des vereinzelten Individuums nur situativ erfahren wurde, die individuelle Ausbeutung, der Konflikt mit dem Kapital, wird jetzt eher in seinem gesellschaftlichen Zusammenhang deutlich: als eine strukturelle Polarisierung in zwei Klassen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Positionen zwangsläufig unüberbrückbare Interessen verfolgen. Der einzelne fühlt sich dabei aber dem Kapital weniger hilflos ausgeliefert, da er über gewerkschaftliche Politik und gewerkschaftliche Kämpfe erfahrt, daß er zwar nicht als einzelner aber als Mitglied einer Klasse dem Kapital durchaus aktiv und fordernd gegenübertreten kann. Zugleich aber wird für die Lohnarbeiter in den gewerkschaftlichen Kämpfen erkennbar, daß die Organisierung ihrer Interessen in Gewerkschaften alleine zu keiner grundlegenden Verbesserung ihrer kollektiven Situation führen kann. Die Kampfperspektive der Gewerkschaften konzentriert sich auf den ökonomischen Bereich. Da, wie bereits dargestellt, der ökonomische Bereich im Kapitalismus der ist, der strukturbildend auf den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhang wirkt, muß nach Marx eine Strategie, die auf eine grundlegende Umwälzung dieser gesellschaftlichen Verhältnisse abzielt, eine Perspektive wählen, die auch den außerökonomischen Bereich mitberücksichtigt. Das kann aber nicht mehr von Gewerkschaften, d. h. von ihrem Selbstverständnis und ihren Zieldefinitionen her, bewerkstelligt werden. Dazu bedarf es explizit politischer Organisationsformen, der Partei. Der Lern- und Bewußtwerdungsprozeß der Klasse der Lohnarbeiter ist einerseits daran geknüpft, welche kollektiven Kampferfahrungen sie machen, d. h. inwieweit sie sich aus vorgegebenen Rahmenbedingungen herauslösen und als bewußte Akteure begreifen. Gleichzeitig aber vertritt Marx auch die These, daß im Verlauf der

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kapitalistischen Entwicklung die zyklisch auftretenden Krisen sich zunehmend verschärfen, die Konsequenzen für die Lebens- und Arbeitssituation der Lohnarbeiter immer gravierender werden. Dem Lohnarbeiter, als Individuum wie als Mitglied des Kollektivs, würde damit das Elend seiner Lage, die der Kapitalismus erzeugt, immer deutlicher. Damit entwickelt sich als Kampfperspektive zunehmend stärker die Vorstellung einer radikalen gesellschaftlichen Umwandlung, eine revolutionäre Perspektive. Nicht nur wird revolutionäre Umgestaltung als Ziel verstanden. In den vorhergehenden ökonomischen und politischen Kämpfen hat die Arbeiterklasse auch bereits Organisations- und Kampfformen erprobt, die eine Voraussetzung zur Realisierung dieses Ziels sind. Die knappe Darstellung theoretischer Positionen, in der nur noch holzschnittartig wesentliche Elemente zusammengefaßt werden können, gerät immer etwas unvollständig. Dies trifft auch für die hier dargestellte Position von Marx zur Klassenbildung zu. Welche wesentlichen Modifikationen zu seinen Grundthesen noch mitberücksichtigt werden müssen, sei hier deswegen dargestellt: 1. Der Prozeß der Klassenbildung verläuft nach Marx in der Tat nach dem oben referierten Muster. Aber er verläuft nicht geradlinig. D. h. in der Realität werden die Lern- und Organisationsprozesse des Proletariats vielfach unterbrochen. Sei es, daß es in Resignation verfällt und seine Kampfmöglichkeiten und Perspektiven verliert: sei es, daß es zu Strategien greift, mit welchen es sich eigene Handlungsmöglichkeiten abschneidet; oder sei es, daß seine politische Bewegung gewaltsam von Seiten des Kapitals bzw. des Staates zerschlagen wird (Sozialistengesetze, Faschismus). 2. Eng verknüpft mit diesem ersten Punkt sind jeweils vorliegende nationale Besonderheiten, die den Verlauf von Klassenbildung prägen. Das England des 19. Jahrhunderts verfügt in der damaligen Zeit über die am weitesten in ihrer Organisierung fortgeschrittene Arbeiterschaft. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dieser Zeit ist dies auf eine Vielzahl typischer nationaler Faktoren zurückzuführen: England hatte bereits im 17. Jahrhundert durch eine Revolution den Status des Königshauses beschränkt und ein parlamentarisches System eingeführt. Der Industrialisierungsprozeß hatte in England nicht nur seinen Anfang genommen, sondern war dort auch am weitesten fortgeschritten. Die Entstehung des Kapitalismus war in England ein Prozeß, der sich über mehrere Jahrhunderte vollzog. Bevor die eigentliche Industrialisierung dort einsetzte, und damit auch die Entstehung des Proletariats begann, bildete sich bereits eine bürgerliche Klasse heraus. Da diese Klasse nicht schon im Prozeß ihrer Entstehung sich Ansprüchen des Proletariats konfrontiert sah, hatte sie Zeit, ihre eigene Position gegenüber dem Adel zu festigen. Das Proletariat fand sich damit einem politisch und ökonomisch bereits starkem und selbstbewußten Gegner gegenüber. Ganz anders die Situation in Deutschland zur Zeit der industriellen Revolution gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der gesellschaftliche Umwälzungsprozeß lief wesentlich schneller ab, was für die gerade entstehende bürgerliche Klasse einen Kampf an zwei Fronten bedeutete. Einerseits hatte es sich gegenüber dem preußischen Junkertum, Adel und Militär zu behaupten andererseits war es auch mit der gleichzeitig entstehenden Arbeiterbewegung konfrontiert. Gerade aus seiner vergleichsweise schwachen Position heraus reagierte das deutsche Bürgertum unverhältnismäßig stark gegenüber seinem schwächeren Gegner, dem Proletariat. Dessen Organisationsformen wurden unmittelbar Zwang und Gewalt entgegengesetzt. So wurden z.B. in den Sozialistengesetzen von 1878-1890 alle Formen politischer Betätigung verboten, die sich außerhalb des parlamentarischen Rahmens abspielten. 3. Im Marxschen Konzept der Klassenbildung wird ein direkter Zusammenhang zwischen Bewußtseinsbildung und sozialstrukturellen Erfahrungen hergestellt. Das bedeutet, daß das Proletariat als Klasse nicht allein die Absicht haben muß, die bestehende Gesellschaft radikal zu ändern, sondern auch die Einsicht, daß seine Situation als

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Klasse nur über eine gesellschaftliche Revolution grundlegend verbessert werden kann. Diese Einsicht wiederum ist daran geknüpft, daß die Lohnarbeiter ihre Ausbeutung auch materiell erfahren.

Soweit wird die Bewußtseinsbildung von Lohnarbeitern, die mit dem Prozeß der Klassenbildung einhergeht, zunächst nur in ihrer Abhängigkeit von äußeren Faktoren gesehen. Wenn dies auch bei Marx methodisch einen anderen Status einnimmt, als bei den Interaktionisten, sieht er auch, daß Individuen ihre Umwelt symbolisch interpretieren und erst dann Handeln können, wenn sie über symbolische Deutungen verfügen. Berücksichtigt man diesen Aspekt, kann Bewußtseinsbildung nicht als quasi Reflex auf soziale Erfahrungen verstanden werden. Aus dieser These ergeben sich für das Konzept der Klassenbildung von Marx unter Umständen zwei entscheidende Modifikationen: erstens wird damit berücksichtigt, daß in die Deutung der kapitalistischen Gesellschaft und die dort gewonnenen Erfahrungen nicht nur und ausschließlich die aktuellen Komponenten einbezogen und wirksam werden. Vielmehr spielen in die Ausdeutung der aktuellen Situation auch noch symbolische Traditionen und Erfahrungen hinein, die in vorkapitalistischen Stadien eine Rolle spielten. Wie sich historisch gezeigt hat oder auch noch in Ländern der Dritten Welt gegenwärtig sichtbar wird, dauert es unter Umständen Jahrzehnte, bis Lohnarbeiter Deutungsmuster entwickeln, die ihrer objektiven Situation als industriellen Lohnarbeitern angemessen ist. Zum zweiten bilden Symbolsysteme einen relativ autonomen Bereich gegenüber materiellen Bindungen. Prozesse der Verarbeitung von Erfahrungen, die Organisation von sozialen Phänomenen in Symbolsystemen, folgen Regeln und Gesichtspunkten, die nicht unmittelbar aus der materiellen Realität mitgeliefert werden. Diese Eigenschaft von Bewußtseinsprozessen und Symbolsystemen macht es überhaupt erst möglich, daß Erfahrungen überliefert werden können, daß über gemeinsame Erfahrungen und Wissensbestände kontrovers diskutiert werden kann. Daraus ergibt sich aber auch, daß die Deutungen gesellschaftlicher Erfahrungen nicht bei allen Individuen die gleichen sind. Auch dann nicht, wenn der Bereich objektiver Strukturen, der ihre Erfahrungen prägt, ein gemeinsamer ist, wie ζ. B. im Fall der Arbeiterklasse. Ebenso wie schon im Bereich der Interpretation von Wirklichkeit treten erst recht kontroverse Positionen auf, wenn es darum geht, eine angemessene Handlungsstrategie zu entwickeln. Hierzu gibt es in der Geschichte der Arbeiterbewegung hinreichend viele Beispiele. 4.2.3.4. Staat Parsons siedelt den Bereich der Ökonomie auf der untersten Ebene der Steuerungshierarchie an. Der Bereich des Politischen kann daher durchaus regulierende Funktionen auf die Ökonomie ausüben. (Vgl. S. 30ff) Bei Marx findet sich was das Verhältnis von Staat und Ökonomie anbelangt, eine gänzlich andere Betrachtungsweise. In seiner Wertanalyse legte er dar, in welcher Weise eine ökonomische Relation strukturprägend auf die gesamte Gesellschaft wirkt. Dies bezieht auch den Staat in eine Abhängigkeit von ökonomischen Bedingungen. Da für Marx das von ihm ermittelte Strukturmuster der kapitalistischen Gesellschaft nicht als Gesellschaftskonzept für jedwede Form von Gesellschaft generalisiert wird, muß er auch für den Staat, bzw. für das Verhältnis von Politik und Ökonomie jeweils historisch besondere annehmen. So grundsätzlich Parsons und Marx sich in diesen Dimensionen unterscheiden, weisen sie dennoch eine Gemein-

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samkeit auf, indem sie nämlich eine relative Autonomie einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche unterstellen. Parsons geht davon aus, daß der Politikbereich zwar über kulturelle Wertmuster gesteuert wird, zugleich aber doch in seiner inneren Struktur nach anderen Regeln funktioniert als das kulturelle, das soziale und das ökonomische System. Ähnlich sieht auch Marx, daß der Staat insofern von der Ökonomie determiniert wird, als er seine eigene Existenz an die Aufrechterhaltung des kapitlistischen Verwertungszusammenhanges koppeln muß. Diese Determinierung läßt sich aber nicht angemessen über den Hinweis erklären, daß die gleichen Personen oder Personengruppen, die im Besitz ökonomischer Macht sind, auch politische Macht ausüben. Selbst wenn in bestimmten historischen Konstellationen solche personellen Verflechtungen stattfinden, muß für die Steuerung der Politik durch die Ökonomie von unpersönlichen Mechanismen ausgegangen werden. In diesem Sinne wird die Determinierung auch nicht unmittelbar geplant und absichtsvoll hergestellt. Und gerade diese relative Unabhängigkeit ist Grundbedingung dafür, daß Politikprozesse auch nach anderen als ökonomischen Rationalitätskriterien ablaufen. Für das Verhältnis von Determinierung des Staates durch die Ökonomie und seiner relativen Autonomie stellt Marx unterschiedliche Varianten, fest die ihrerseits durch die ökonomische Entwicklung, d. h. den Grad an Prosperität oder Krise und an den Stand der Klassenauseinandersetzung gebunden sind. Implizit entwickelt er diese Konzepte im Zusammenhang mit der Analyse verschiedener Nationen. England, Deutschland und Frankreich seiner Zeit wiesen nämlich nicht nur je unterschiedliche Stufen industriell-kapitalistischer Entwicklung auf und gänzlich verschiedene Formen, in welchen das Proletariat seine Interessen organisierte. Sie wiesen auch für die Art und Weise, in welcher der politisch-staaliche Bereich funktionierte, verschiedene Organisationsformen auf. Unabhängig von diesen verschiedenen Formen, in welchen Politik organisiert ist, schafft staatliche Organisation immer Voraussetzungen, damit eine gegebene kapitalistische Gesellschaft sich ökonomisch reproduzieren kann. Dies gilt sowohl für den ökonomischen Bereich im engeren Sinne. Daß allgemeine infrastrukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, auf welche jedes einzelne Kapital zwar angewiesen ist, deren Erstellung für das Einzelkapital aber zu aufwendig und unrentabel ist. Bestandteil dieser infrastrukturellen Voraussetzungen sind nicht nur Dinge der Art, wie die Erschließung regionaler Gebiete für industrielle Produktionsstätten und die Herstellung von Transportmöglichkeiten. Dazu gehören ebenso die öffentliche Finanzierung von Wissenschaft und technischer Entwicklung, die Bereitstellung allgemeiner Qualifikationen durch ein allgemeines und verbindliches Schulsystem. Darüber hinaus reicht diese, die Kapitalverwertung sichernde Funktion auch in rechtliche und soziale Bereiche. Um die Tauschbeziehungen kalkulierbarer zu gestalten, müssen ihre Bedingungen verbindlich rechtlich geregelt werden. Regelungen über Eigentum, Kauf- und Arbeitsverträge und - wenn auch erst erheblich später fixiert - das Koalitionsrecht gehören dazu. Die Funktionen der sozialen Sicherung, die von staatlicher Seite ausgeübt werden müssen, betreffen einmal im weitesten Sinne die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dazu gehört die Einhaltung und Aufrechterhaltung individueller Eigentumsrechte, die körperliche Unversehrtheit der Bürger. Zum anderen obliegt dem Staat auch - was eigentlich mit diesen ersteren Aufgaben eng verknüpft ist - die Sicherung des sozialen Friedens. Da sozialer Frieden zugleich auch immer mit Auf-

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rechterhaltung bestehender Eigentumsverhältnisse gedacht werden muß, ist der Staat insbesondere dort zum Eingreifen gezwungen, wo es sich um Streiks oder Aufstände handelt, welche die kapitalistische Gesellschaftsordnung in Frage stellen oder auch nur in ihrer Funktionsfahigkeit beeinträchtigen. Historisch läßt sich das insbesondere für die Entstehungsgeschichte von ökonomischen und politischen Organisationsformen der Arbeiterklasse beobachten. In Deutschland, England, Frankreich und den USA wurden derartige Ansätze der Arbeiter über Jahrzehnte hinweg kriminalisiert und mit unmittelbarer Gewalt zu zerschlagen versucht. Das sogenannte Koalitionsrecht, d. h. die Regelung, daß die Kontrahenten im Arbeitsprozeß sich kollektiv organisieren dürfen und versuchen dürfen, ihre Interessen entsprechend durchzusetzen, war eine der umkämpften Forderungen der Arbeiterbewegung. 4.2.3.5. Ideologie Die kürzeste Umschreibung für das, was Marx mit Ideologie' meint, lautet: Die unbegriffene Verselbständigung sozialer Ideen gegenüber ihrem materiellen Substrat. Damit wird die Auifassung vertreten, daß nicht jede Idee ideologisch ist. Auch für den Kapitalismus stellt Marx fest, daß dort Vorstellungen, Theorien und ähnliches mehr entwickelt werden, in denen die intellektuelle oder bewußtseinsmäßige Verarbeitung der Wirklichkeit sich dem annähert, was die objektive Beschaffenheit der Wirklichkeit ausmacht. Sobald dies der Fall ist, hört für Marx Denken auf, ideologisch zu sein. Um .Ideologie' etwas ausführlicher zu erläutern ist es angebracht, über die Funktion zu sprechen, die Marx ideologischem Denken und Ideologien für den Kapitalismus zuschreibt. Dort nun kommt diesen Denk- und Bewußtseinsformen die Bedeutung zu, alle Fragestellungen gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft auszuschließen, die ihre Existenz und Berechtigung in Frage stellen könnten. Anders ausgedrückt werden Theorien - seien es wissenschaftliche oder Alltagstheorien dann zur Ideologie, sobald sie sich funktional für den Bestand einer bestimmten Gesellschaft erweisen. D. h. solange sie über ihre Sichtweisen die Weiterexistenz der Gesellschaft nicht gefährden, sondern legitimieren. Um an einem Beispiel zu illustrieren, was in diesem Sinne als Ideologie zu verstehen ist, nehmen wir eine in unserer Gesellschaft verbreitete Vorstellung: Die Redeweise, daß jeder seines Glückes Schmied sei, besagt, daß jeder die gleichen Chancen hat, durch Leistung, Intelligenz und ähnliche individuelle Eigenschaften, sozial aufsteigen zu können. Die Vorstellung also, in unserer Gesellschaft stehe der Zugang zu verschiedenen sozialen Positionen gleichermaßen offen, im Sinne der Geltung von Freiheits- und Gleichheitsgrundsätzen. Offenbar stimmt das Prinzip der Chancengleichheit mit vielfaltigen individuellen Erfahrungen überein. In der Tat ist es in unserer Gesellschaft ja so, daß ζ. B. allgemeines Wahlrecht existiert, daß der Zugang zu Bildungseinrichtungen, nicht auf einzelne soziale Gruppen beschränkt ist, wir kennen das Prinzip der Gewerbefreiheit, wie überhaupt eine Reihe von vertraglich festgelegten Rechten für den ökonomischen Bereich, die ebenfalls allgemeine Gültigkeit haben und nicht auf einzelne Gruppen beschränkt sind. Was aber, wenn all diese Fakten zutreffen, macht nun eine Vorstellung wie die der Chancengleichheit zur Ideologie? Nach Marx gewinnt die Bedeutung, die sozialen Phänomenen zukommt, je nach

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Perspektive aus welcher sie beurteilt werden, ein unterschiedliches Gewicht. Wie einige Seiten zuvor erläutert, stellen sich soziale Fakten grundsätzlich unterschiedlich dar, je nachdem, ob sie aus der Perspektive der Zirkulation oder der Perspektive der Produktionssphäre analysiert werden. Im Bereich der Zirkulation treten sich erstens Individuen einander gegenüber, d. h. es werden Erfahrungen gemacht, die zunächst als unmittelbar an persönliche Eigenschaften gebunden erlebt werden und nicht als Ausdruck einer kollektiven Situation. Darüber hinaus wird der Bereich der Zirkulationssphäre durch Tauschbeziehungen konstituiert. Diese Tauschbeziehungen sind in der Tat so beschaffen, daß sich zum einen formal gleiche Vertragspartner einander gegenüberstehen, die, ebenso formal betrachtet, Äquivalente tauschen. Der Tausch von Arbeitskraft gegen Kapital setzt voraus, daß beide Tauschpartner frei sind, keine persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse wie etwa in der Sklaverei oder im Feudalismus bestehen. Formal betrachtet ist es eine freie Entscheidung des einzelnen Lohnarbeiters, ob er einen Arbeitsvertrag eingeht. Auch der damit verbundene Austausch von Waren, nämlich Arbeitskraft gegen Lohnsumme enthält keinen Akt der Willkür, sondern beruht formal auf dem Preis für die Arbeit, welchen die beiden Vertragspartner aushandeln. Eine andere Bedeutung kommt allerdings der individuellen Freiheit der Tauschpartner und diesem Akt des Äquivalententausches zu, wenn die Analyse nicht im Bereich der Zirkulation endet, sondern übergeht in den Bereich der Produktion. Dort nämlich wird zum einen bereits die Situation begründet und auch beständig reproduziert, die zu einer Klassentrennung von Eigentümern über Produktionsmittel gegenüber denen führt, die lediglich ihre Arbeitskraft anbieten können. Der freiheitliche Status des Lohnarbeiters erfahrt damit in der Produktion eine Einengung, in welcher mit Freiheit nicht mehr die Vorstellung verbunden werden kann, daß er aufgrund eigener Interessen und Zielvorstellungen diese Beziehung eingeht. Vielmehr handelt er aus einem materiellen Zwang heraus. Da er nämlich auch ,frei' von Produktionsmitteln ist, ist seine ökonomische Überlebenssicherung abhängig vom Eintritt in ein Lohnarbeitsverhältnis. Des weiteren verliert auch der scheinbare Äquivalententausch zwischen Lohnarbeiter und Kapitalisten seine Gleichheit, verfolgt man die Konsequenzen dieses Tauschs im Produktionsbereich: Was der Kapitalist dem Arbeiter entlohnt hat, ist die Nutzung seiner Arbeitskraft für eine bestimmte Stundenzahl. Mit dem Lohn zahlt er wohlgemerkt einen Preis für den Gebrauch der Arbeitskraft, der in etwa dem enstpricht, was sie an Reproduktionskosten verlangt. Davon unterschiedlich aber wäre ein Preis für die Summe der Werte, die während der Nutzung der Arbeitskraft hergestellt wird. Diese Summe liegt nämlich über dem, was den Preis der Arbeitskraft ausmacht, faktisch, so war bereits referiert worden, eignet sich der Kapitalist den Mehrwert an, den der Lohnarbeiter über das hinaus produziert, was seine Lohnkosten sind. Dabei handelt es sich nicht um einen widerrechtlichen Willkürakt des Kapitalisten; der Lohnarbeiter ist in der Tat nicht vom Kapitalisten dazu gegen seinen Willen gedrängt worden. Nur wäre es unangemessen, angesichts dieser strukturellen Bedingungen von Ungleichheit, diese formelle Freiheit und Gleichheit für bare Münze zu nehmen. Eine solche Betrachtung von Ideologie macht auch deutlich, daß Ideologie oder ideologisches Denken keine vorsätzliche Verzerrung von Wirklichkeit bedeutet. Sie ist vielmehr eine Systematisierung von Alltagserfahrungen, die aber bei dem unmittelbar Wahrgenommenen stehen bleibt, nicht versucht, den strukturellen Zusam-

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menhang von Gesellschaft zu verstehen und darin die Einzelphänomene zu interpretieren. Ein Denken hingegen, daß über ideologische Vorstellungen hinausgeht, wäre damit jeder Versuch, die historischen Voraussetzungen, die Entstehungsbedingungen einer gegebenen sozialen Situation zu verstehen, und sie von daher auch als etwas durch menschliches Tun Wandelbares begreift. Die Auflösung und der Abbau von Ideologien ist daher auch ein Aspekt des weiter oben dargestellten Prozesses der Klassenbildung des Proletariats. Dort findet nämlich genau eine Entwicklung statt, in welcher soziale Erfahrungen nicht mehr als individuelle erlebt werden, sondern in der die Möglichkeit und die Notwendigkeit zur kollektiven Umwandlung von Gesellschaft sich herausbildet. Daß gerade das Proletariat über einen ideologischen Vorstellungen verhafteten Bewußtseinszustand hinauswachsen kann, liegt nach Marx nicht nur daran, daß es die Schattenseiten des Kapitalismus so stark erlebt, daß es gleichsam zu einer rückhaltlosen Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft getrieben wird. Es ergibt sich für das Proletariat, aufgrund seiner objektiven Position als Eigentumslose und Ausgebeutete auch keinerlei Interesse, unter welchem sie einen Weiterbestand des Kapitalismus wünschen könnten und seine Existenz zu legitimieren brauchten. In diesem Zusammenhang von Bewußtseinsbildung und der Überwindung ideologischen Denkens siedelt Marx seine eigene Tätigkeit als Theoretiker und Kritiker der kapitalistischen Gesellschaft an. Seiner theoretischen Arbeit kommt eine mehrfache Bedeutung zu: zum einen will er mit der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und dessen Theoretikern die Notwendigkeit und die Möglichkeit zur Überwindung dieser Gesellschaft darstellen. Seine Arbeiten verstehen sich also als radikale Kritik. Zum zweiten will er positives Wissen über den Kapitalismus gewinnen, daß tiefer gehende und genauere Kenntnisse über die Beschaffenheit dieser Gesellschaft enthält als Theorien, die ideologischen Vorurteilen verhaftet sind. Drittens schließlich und hier verbinden sich seine beiden anderen Absichten, wollte Marx mit seiner Theorie der kapitalistischen Gesellschaft zugleich auch strategisches Wissen zu deren praktisch-politischer Überwindung schaffen. Seine Theorie war von ihm nicht nur als kritisches Aufklärungswissen bzw. als Ideologiekritik verstanden, sondern sollte auch als Handlungsanleitung brauchbar sein. 4.2.4. Sozialpsychologie Die Marxsche Position zu diesem Thema soll hier über eine kurze zusammenfassende Darstellung des gleichen Komplexes bei den symbolischen Interaktionisten und der Systemtheorie von Parsons eingeführt werden: Diese beiden Richtungen gehen davon aus, daß menschliches Handeln über Nonnen reguliert wird. D.h., daß in der Formulierung wie auch in der Durchführung der Ziele von Akteuren auf erlernte Wertvorstellungen Bezug genommen wird. Die Differenz zwischen diesen beiden Richtungen macht sich daran fest, für wie stark der gesellschaftliche Konsens über Normen angenommen wird, bzw. wie starr oder wie flexibel das Individuum in seinen Handlungsorientierungen die gesellschaftlich vorgegebenen Normen handhabt. Trennlinie zwischen Interaktionismus und Systemtheorie bilden mithin einerseits Annahmen über strukturelle Bedingungen von Gesellschaft, nämlich inwieweit Gesellschaft durch die Individuen gestaltbar ist oder nicht. Zum anderen bestehen

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polare Vorstellungen über Handlungsvoraussetzungen auf seiten der Individuen. Zum einen die Annahme, nahezu jeder A k t des Handelns, der sich an Normen orientiert, sei kreativ, von Individuen gedeutet, interpretiert auf der Basis ihrer Vorerfahrungen und entsprechend der Situation modifiziert. Andererseits wird von einem Individuum ausgegangen, das derartige Spielräume gar nicht bewältigen könnte und für welches eine Identität von internalisierten und institutionalisierten Normen unterstellt wird. Wenn auch in einer völlig anderen Begrifflichkeit als die moderne Soziologie und Sozialpsychologie, geht auch Marx auf das Verhältnis von menschlichem Handeln und der Wirksamkeit von Normen ein. Auch er unterstellt, daß in Handlungsorientierungen von Akteuren Normen wirksam werden. Anders hätte er bestimmte Phänomene - gerade im Zusammenhang mit Klassenbildung und der Entstehung von Klassenbewußtsein (vgl. S. 111 ff) - gar nicht erklären können. Darüber hinaus aber ist die A r t und Weise, in welcher Marx diese Frage behandelt und wie er den Zusammenhang von Handeln und Normen konzipiert, ein gänzlich anderer. Ausgangspunkt für Marxens Konzeption ist sein Gesellschaftsbegriff, d. h., seine Theorie der Sozialstruktur. W i e schon oben (vgl. S. 102ff) dargelegt, konzentriert sich Marx in seiner Gesellschaftstheorie auf die Analyse des Kapitalismus. Seine Aussagen über Handeln und Normen sind daher auch auf diese Gesellschaft zugeschnitten. Auch die Analyse des Kapitalismus von Marx geht davon aus, daß diese Gesellschaft nur über das Handeln von Individuen realisiert wird, die in ihrem Handeln Normen befolgen. Dabei ist es aber innerhalb eines vergleichsweise weiten Spielraumes gleichgültig, welche Normen dies sind, die von den Individuen bewußt befolgt werden. Indem die Aktivitäten des Einzelnen in einem Zusammenhang eingebettet sind, der zur Reproduktion des Kapitalismus beiträgt, nehmen seine Handlungen unabhängig von seinem subjektiven Wissen und Bewußtsein - diese Funktion ein. Entscheidend sind mithin die Handlungen der Akteure und nicht ihre bewußten Zielorientierungen. Dies sei an einem Beispiel erläutert: „ E i n Arbeiter an der Stanzmaschine, dessen Arbeit wir beobachteten, war 45 Jahre alt. Vor zwanzig Jahren hatte er den väterlichen Bauernhof in Ostpreußen übernommen, war am Ende des Krieges geflohen und nun seit drei Jahren an fünf verschiedenen Arbeitsplätzen im Werk, seit einem Jahr an der Stanze tätig. Er wohnte in zwei Zimmern zur Untermiete auf einem Dorf, beteiligte sich dort in seiner Freizeit an der Landarbeit und mußte täglich eine Stunde mit dem Bus zum Werk fahren. Sein Sohn wollte auf eine Landwirtschaftsschule gehen. Der 20jährige einheimische Arbeiter, der ihn zur Nachtschicht ablöste, hatte seine Schlosserlehre abgebrochen, um schneller Geld zu verdienen, und wohnte, um unabhängig zu sein, im Ledigenheim des Werkes. Die Arbeitsvollzüge beider Arbeiter an der Stanze waren kaum zu unterscheiden. Aber befanden sich beide in der gleichen oder auch nur einer ähnlichen Situation? Die Verschiedenartigkeit der individuellen Vorbedingungen war außerordentlich groß. Das, was sie taten, erschien beiden sicherlich in einem ganz verschiedenen Licht. Die technischen und sozialen Bedingtheiten der Arbeit waren ihnen daher subjektiv wahrscheinlich anders „gegeben", und die eigenen Verrichtungen spielten eine andere Rolle in ihrem Bewußtsein". (Popitz u.a. 1964: 32)

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Das hier Angesprochene kann im weiteren nochmals verdeutlicht werden, wenn man auf die Unterscheidung von Akteur und Situation zurückgreift, wie sie in den hier bereits besprochenen soziologischen Theorien vorgenommen wird. Diese Unterscheidung impliziert, daß der Akteur, bevor er handelt, seine Situation interpretieren muß. Insofern läßt sich auch sagen, daß soziales Handeln der Interpretation von Normen folgt und ausschließlich und allein über Normen integriert wird. - Für diesen Aspekt ist es zunächst gleichgültig, ob der Akteur diese Normen aktiv gestaltet, wie im Modell der Interaktionisten oder ob er sie seinen internalisierten Wertmustern folgend, weitgehend passiv übernimmt. - Wichtig an diesem Modell ist hier, daß Normierung gegenüber der Situation einen eigenen Stellenwert erhält. Natürlich sind Situationen einerseits objektiv vorhanden, unabhängig von den Sichtweisen und Zielen der in dieser Situation existierenden Individuen. In Situationen sind auch normative Komponenten enthalten, nämlich kulturelle Anforderungen an Akteure. Ob nun eine entsprechende Situation auch realisiert wird und damit auch die in ihr enthaltenen Normen zum Tragen kommen, ist allerdings abhängig von den in der Situation handelnden Individuen. Die Umsetzung der objektiv vorgegebenen Bedingungen verlangt nämlich, daß die Individuen die Situation sowohl im Sinne der dort geltenden Normen interpretieren als auch, daß sie sich von dieser Interpretation in ihrem Handeln leiten lassen. In diesem Sinne und solange eine Analyse bei dem Modell Akteur-Situation stehenbleibt, wäre jede Argumentation dogmatisch, die davon ausgeht, daß Situationen objektive Komponenten enthalten, die sich gegenüber den Zielorientierungen und den Handlungen der Akteure unmittelbar durchsetzen. Der Verdienst dieses engen Rahmens von Akteur und Situation besteht darin, auf die normative Komponente von Handeln aufmerksam zu machen. Ein entscheidender Nachteil kommt ihm aber gegenüber der Marxschen Konzeption zu: Die Situation, in welcher der individuelle Akteur sich befindet, die er deutet und in welcher er handelt, wird nicht in ihrem umfassenderen Zusammenhang gesehen. Theoretisch wird hier im Prinzip die gleiche Perspektive eingenommen wie vom Akteur im Alltagshandeln, nämlich die der individuellen Situation, die aus ihrem sozialen Kontext herausgenommen ist. Dabei muß natürlich auch unberücksichtigt bleiben, in welcher Weise dieser umfassende Zusammenhang beschaffen ist, wie er seinerseits auf die individuelle Situation des Akteurs zurückwirkt und diese schon vordefiniert bevor der Akteur überhaupt die Möglichkeit hat, seine Situation zu deuten. Diese gesellschaftstheoretischen und methodologischen Prämissen von Marx prägen seine Auseinandersetzung mit der Analyse individuellen Handelns im Kapitalismus. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind daher nicht die Zielorientierung und die Absichten eines Akteurs, sondern theoretische Annahmen über Verhaltensanforderungen, die - von der strukturellen Verfassung der kapitalistischen Gesellschaft ausgehend - an die Individuen gestellt werden. Anders ausgedrückt: Marx beginnt nicht mit der Frage, welche Ziele verfolgen die Akteure in ihren Handlungen, sondern mit der Überlegung, welche objektiven Verhaltensanforderungen müssen an Akteure in der kapitalistischen Gesellschaft gestellt werden, damit ihr Handeln dem entspricht, was die Funktionserfordernisse dieses Systems verlangen? Das Vorgehen von Marx, bei der Untersuchung der sozialen Phänomene nicht vom Bewußtsein der Individuen auszugehen, läßt zunächst keine Aussagen darüber zu, was jene subjektiv meinen und denken, und wovon sie sich in ihrem Handeln leiten lassen. Was Marx über die Analyse objektiver Strukturen an Verhaltensanforderungen ermittelt, bezeichnet er auch nicht als persönliche Eigenschaften, sondern als die von,Charaktermasken'. Damit ist im Grunde genommen eine idealtypische Konstruktion gemeint, die konkrete persönliche Züge und Motive nicht berücksichtigt. Methodologisch ist dies auch nicht erforderlich, da für die Funktion von Charaktermasken persönliche Varianten ihres Tuns unerheblich sind, solange nur generell im Sinne der Erfordernisse gehandelt wird, die der kapitalistische Verwertungsprozeß an sie stellt. In seiner Klassenanalyse war Marx davon ausgegangen, daß aufgrund objektiver Erfordernisse für den Kapitalismus von zwei Klassen ausgegangen werden muß, da

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zwei Gruppen in dieser Gesellschaft hervorgebracht werden, die unvereinbare Interessen entwickeln. Ähnlich wie dieser Zusammenhang von Klassenzugehörigkeit und Interessenlage, den Marx entwickelt, idealtypisch ist, - d. h. über die objektiven Voraussetzungen der kapitalistischen Entwicklungsdynamik begründet - so auch der Begriff der Charaktermasken. Parallel dazu wäre zunächst auch anzunehmen, daß Marx von zwei Gruppen von Charaktermasken ausgeht, d. h. den beiden unvereinbaren Klassen der kapitalistischen Gesellschaft nicht nur objektive Interessenlagen zuordnet, sondern auch objektive Verhaltensanforderungen. Faktisch macht er dies aber nur für die Klasse der Kapitalisten, führt nur ihre Rolle als Charaktermaske aus. Der systematische Grund dafür findet sich selbst wiederum in den objektiven Rahmenbedingungen, welche diese Gruppen hervorbringen: Der Kapitalist ist auf ein bestimmtes Verhaltensmuster festgelegt, nämlich im Sinne der Verwertung des Kapitals zu verfahren - es sei denn, er verliert seine Position als Kapitalist. Die Position der Lohnarbeiterklasse hingegen enthält eine dynamische Perspektive. Für das Proletariat ergeben sich aus den Bedingungen der Kapitalverwertung Verhaltensmuster wie die Orientierung an persönlichen Interessen und Konkurrenz gegenüber anderen Bewerbern auf dem Arbeitsmarkt. Im Zusammenhang mit seiner Entwicklung zu einer Klasse mit ökonomischen und politischen Zielen stellen sich allerdings grundsätzlich andere Anforderungen wie ζ. B. Solidarität und kollektives Handeln. Auch diese Anforderungen ergeben sich einerseits aus objektiven Strukturbedingungen des Kapitalismus. Andererseits stellen Sie aber auch eine Situation her, in welcher der Reproduktionsprozeß des Kapitals gerade nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Verhaltensanforderungen, die sich mit dem Kapitalismus herausgebildet haben - und dies gilt nun für die Seite der Lohnarbeiter, wie für die der Kapitalisten wird uns heute eigentlich nur dann als besonderer Sozialcharakter deutlich, wenn sie mit vorkapitalistischen Traditionen konfrontiert werden. Hierbei handelt es sich einmal um Verhaltensmuster, die klassenunabhängig und eine allgemeine Folge aus den Entwicklungsprozessen der bürgerlichen Gesellschaft und der Industrialisierung sind. Dazu gehören ein verändertes Zeitgefühl, das sich nicht mehr an Naturbedingungen ausrichtet, wie ζ. B. Jahreszeiten, Tageszeiten, etc. sondern ,Zeit' als etwas behandelt, das exakt meßbar und kontrollierbar und genau unterteilbar ist. In diesem Zusammenhang bildeten sich historisch neue Formen der Zuverlässigkeit heraus, wie ζ. B. die Pünktlichkeit. Dieser Komplex an Verhaltensmustern, der sich noch über weit mehr Details erläutern ließe, läßt sich unter dem Stichwort Rationalität' zusammenfassen. Es war nämlich ein Prozeß der Herausbildung unserer westlichen Form von Rationalität, deren Inhalt letztlich Berechenbarkeit, Kalkulierbarkeit und ein bestimmtes Fortschrittsprinzip ausmachen. Wenngleich die Durchsetzung des Rationalitätsprinzips ein Vorgang war und auch noch bis in die Gegenwart hineinreicht - der alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen erfaßte, erfuhr er doch unterschiedliche Ausprägungen innerhalb der einzelnen Klassen. Als spezifische Anforderungen an die Aktivitäten des Kapitalisten lassen sich ausmachen: Das Interesse an seinem Produkt konzentriert sich auf dessen Seite als Tauschwert, der Gebrauchswert wird nur noch insoweit interessant, als die Ware absetzbar sein muß; für den gesamten Bereich seiner Aktivitäten als Kapitalist muß sich eine Zielorientierung herstellen, die darauf gerichtet ist, Gleichförmigkeit und

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Kalkulierbarkeit herzustellen - dies trifft natürlich auch für die Rahmenbedingungen zu, unter denen er handelt, wie ζ. B. die Entwicklung eines kalkulierbaren Zinsund Kreditsystems. Dies bedeutet, daß er sich von .rationalen' Erwägungen leiten lassen muß, wobei rational auf die Bedeutung eines Denkens in Kosten-ErtragRelationen eingeschränkt ist. Ferner muß er andere Kriterien für den Umgang mit seinem Reichtum bzw. mit dem von ihm erwirtschafteten Gewinn entwickeln. Er kann ihn weder gänzlich konsumieren noch ihn sparen, sondern muß ihn - zumindest in einem bestimmten Anteil - jeweils wieder dem Reproduktionsprozeß als Investition zufließen lassen. Die Klasse der Lohnarbeiter muß im Kapitalismus damit umgehen lernen, daß die einzige und ausschließliche Grundlage ihrer Existenz ihre Arbeitskraft ist, die sie gegen Lohn verkaufen können. Sie haben keine sonstigen Möglichkeiten der sozialen Absicherung wie ζ. B. traditionelle Familienverbände oder feudale Herrschaftsverhältnisse es geboten haben. Für den eigentlichen Produktionsprozeß werden ihnen Verhaltensanforderungen abverlangt, die es dem Kapital ermöglichen, den Lohnarbeiter als Faktor Arbeit zu handhaben. D. h. er muß Disziplin, Pünktlichkeit, Genauigkeit, Sorgfalt, Geschwindigkeit, Gehorsam ausbilden, damit er für das Unternehmen ebenso kalkulierbar wird wie das konstante Kapital. Vergleicht man den Begriff der Charaktermaske von Marx mit dem Rollenbegriff der modernen Soziologie, ergibt sich ein wesentlicher Unterschied: Alle Varianten des Rollenbegriffs gehen davon aus, daß Rollen normative Gebilde sind. - Ob man sie nun sozialen Positionen zuschreibt, die unabhängig von individuellen Absichten existieren, oder aber sie als Ergebnis der Interpretationsleistungen von Akteuren betrachtet, ändert nichts an ihrem normativen Charakter. - In Rollen werden jeweils wechselseitige Erwartungen vom Interaktionspartner systematisiert. Rollen, so läßt sich daher sagen, sind das Produkt von Interaktionen und werden im Verlauf von Interaktionen interpretiert und entsprechend gehandhabt. Anders im Begriff der Charaktermaske: Weder sind die Anforderungen an Kapitalist oder Lohnarbeiter aus Erwartungen entstanden, die sich in Interaktionen herausgebildet haben. Es sind vielmehr funktionale Erfordernisse, die sich aus einem gesellschaftlichen Zusammenhang ergeben. Noch lassen diese Anforderungen sich im Verlauf von Interaktionsbeziehungen abwandeln oder neu aushandeln.

Wenn die Verhaltensanforderungen an Kapitalist und Lohnarbeiter weder personell festmachbare Erwartungen sind, noch sich auf bewußte Ziele und Absichten der Akteure zurückführen lassen, diesen sogar entgegengesetzt sein können, wie kommt es dann eigentlich, daß die Individuen in ihrem Handeln diese Anforderungen nicht gravierend verletzen? Für die historische Herausbildung dieser Verhaltensanforderungen verweist Marx auf der Seite des Proletariats auf die Ausübung von unmittelbarem Zwang und direkter Gewalt. Im weiteren Verlauf hingegen braucht physische Druck gar nicht mehr ausgeübt werden, da sich inzwischen ein „stummer Zwang der Verhältnisse" hergestellt hat, aus welchem der einzelne keinen Ausweg findet. Zwang wird hier also nicht mehr personell ausgeübt, ist auch nicht mehr Ergebnis persönlicher Willkür, sondern ein Resultat der Wirkungsmechanismen des Marktes. Der Kapitalist auf der einen Seite hat die Alternative sich entweder als Kapitalist zu verhalten oder eben selbst die Position der Lohnarbeiter einzunehmen bzw. bei Verfügung über genügend Mittel sich dem Wirtschaftsprozeß zu entziehen. Der Lohnarbeiter ist einfach über die Notwendigkeit, Arbeitslohn für seinen Lebensunterhalt zu erwerben dazu gezwungen, seine Arbeitskraft gegen Kapital auszutau-

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sehen, und folglich auch die Bedingungen zu akzeptieren, die vom Kapitalverwertungsprozeß an ihn gestellt werden. So eindeutig die objektiven Verhaltensanforderungen an Kapitalisten und Lohnarbeiter sind, so wenig läßt sich daraus folgern, in welcher Weise sie von konkreten Individuen verarbeitet werden. D. h. welche Selbstinterpretationen, Situationsdeutungen, Motive und Absichten sich auf Seiten der Menschen herausbilden, von denen sie befolgt werden. Dazu gibt es auf seiten des Kapitals wie der Lohnarbeiter unterschiedlichste Formen: wie bei Henry Ford mit patriarchalischen Motiven verbunden, mit einem Aufbauenthusiasmus wie in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik oder ob es aus völlig anderen traditionellen Zusammenhängen gespeist, wie ζ. B. in Japan. In jedem dieser Beispiele, mögen sie sich noch so verschiedenartig auf das subjektive Befinden der Beteiligten auswirken, führen sie dazu, daß die Beteiligten sich jeweils im Sinne der vorgegebenen Anforderungen verhalten. Auch wenn sich für die Akteure des kapitalistischen Verwertungsprozesses eindeutige Verhaltensanforderungen objektiv vorzeichnen lassen, besagt dies noch lange nicht, daß dies für jede mögliche Situation zutrifft. Nicht nur, daß im konkreten Alltag auch nach diesem Konzept Freiräume existieren, die unbestimmt oder diffus sind, darüber hinaus bestehen auch Bereiche, die mit widersprüchlichen Anforderungselementen verknüpft sind. Für den unmittelbaren Produktionsprozeß ζ. B. ergeben sich Widersprüche, wenn gleichzeitig Schnelligkeit und dazu aber auch Genauigkeit verlangt werden. Ebenso bestehen Spannungen zwischen Anforderungen im Produktions- und Konsumbereich. Ζ. B. in der Arbeitssituation der Zwang zu einer vergleichsweise asketischen Moral gegenüber einem eher lustbetonten Verhalten im Konsumbereich. In diesen Bereichen, die nicht festgeschrieben sind oder widersprüchlich organisiert, erst dort findet sich ein Raum, in welchem Prozesse des Aushandelns stattfinden, wie sie auch von der Rollentheorie des Interaktionismus grundsätzlich angenommen werden. Hierzu gäbe es auch gar keine andere Möglichkeit. Aber auch in diesen Situationen, so von der Position der Marxschen Theorie her, ist die Entstehung derartiger Verhandlungsräume und -abläufe nicht normativ zu erklären. D. h. der Eintritt in Prozesse des Aushandels und die Tatsache, daß Orientierungspunkte für Handeln scheinbar zur Disposition gestellt werden, ist kein Vorgang, der aus Eigenschaften sozialer Interaktion hervorgegangen ist. Die Ursachen sind in der Beschaffenheit der objektiven Rahmenbedingungen zu suchen. Das Ergebnis solcher Verhandlungsprozesse ist allerdings normativ. In ihm kommen die Kompromisse zum Ausdruck, die in den Auseinandersetzungen zwischen Interessen von Lohnarbeit und Kapital ausgehandelt wurden. 4.2.5. Methode und Empirie Marxistische Theorie ist unmittelbar auf Empirie angewiesen. Dies ist ersichtlich aus dem Begriffspaar „Forschung und Darstellung", das schon bei Marx aber auch bei Wissenschaftlern, die sich auf seinen Ansatz beziehen, einen zentralen Stellenwert hat. Die Differenz, die mit diesem Begriffspaar angesprochen ist, kann über ein anderes, bereits zu Beginn dieses Kapitels erläutertes Spannungsverhältnis in der Marxschen Konzeption erläutert werden, über das von Wesen und Erscheinung. Grob läßt sich sagen, daß im Prozeß der Forschung all die Aspekte sinnlich wahrnehmbarer Erscheinungsformen sozialer Phänomene erfaßt werden sollen.

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Dabei sind natürlich auch Wahrnehmungsformen angesprochen, die über ein schlichtes alltägliches Sehen, Hören etc. hinausgehen. Bestandteil des Forschungsprozesses ist es auch, Aspekte der Erscheinungsweisen sozialer Phänomene über den Einsatz bestimmter Techniken und Methoden der Sozialforschung zu ermitteln. Insgesamt aber beinhaltet der Forschungsprozeß die Auseinandersetzung mit sozialen Objekten auf der Erscheinungsebene, wobei sie deskriptiv und summarisch erfaßt werden. Dabei aber, so bereits weiter oben, wird natürlich nichts über den Stellenwert dieser einzelnen Objekte im Verhältnis zu anderen sozialen Tatbeständen ausgesagt. Sollen empirische Fakten einen Sinn erhalten und nicht nur Materialsammlung bleiben, wird ihre Interpretation in einem umfassenderen Rahmen notwendig. D. h. die Bedeutung eines einzelnen Ereignisses oder Objekts in einem umfassenderen Zusammenhang, die Beziehungen dieser Faktoren zueinander etc. müssen über den Bezug auf eine Theorie erläutert werden. Anders ausgedrückt: was den Zusammenhang empirischer Phänomene ausmacht, das Grundmuster, welches sie ordnet, oder wie Marx es nennt, „ihr Wesen" muß erkannt und die Annahmen über dieses Wesen theoretisch gefaßt werden. Im Verhältnis von Theorie und Empirie, wie es vom Marxismus vertreten wird, besteht ein unmittelbares Wechselverhältnis: ohne Theorie bleibt Empirie eine sinnlose Materialsammlung. Ohne Empirie bleibt Theorie Spekulation. Empirie stellt den Bezug von Theorie zur Wirklichkeit her. Und Theorie versucht den Zusammenhang zwischen empirischen Einzelphänomenen oder Erscheinungsformen zu konstruieren. Um diesen Zusammenhang von Theorie und Empirie am Beispiel des Marxschen Werkes zu illustrieren: Die Sichtung empirischen Materials, wie ζ. B. die ökonomische Entwicklung seiner Zeit, die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur etc. war selbst von Fragestellungen geprägt, die Marx auch von anderen Theoretikern seiner Zeit übernommen hatte. Die Sammlung empirischen Materials wurde von ihm soweit betrieben, bis er hinreichend Material zur Stützung seiner theoretischen Hypothesen hatte, um aufgrund der Materialbasis die Zusammenhänge erkennen zu können, die den Kapitalismus seiner Zeit prägten. Ob Marx überhaupt mit einer speziellen Methodologie gearbeitet hat, wie eine Methodologie beschaffen sein müßte, die den theoretischen Prämissen einer marxistischen Soziologie genügt, wird noch immer kontrovers diskutiert. Erschwerend kommt hinzu, daß die marxistische Methodendiskussion im allgemeinen auf einer Metaebene geführt wurde, d. h. ihr allgemeiner erkenntnistheoretischer Status wurde erörtert, wie ζ. B. ihr Theorie-Praxis Verhältnis. Eine Methodendiskussion im engeren Sinne, die sich mit Fragen von Forschungspraxis befaßt, wurde in den Hintergrund gedrängt. Faktisch führte das dazu, daß die Weiterführung marxistischer Theorie weitgehend über eine Interpretation des Werkes von Marx vonstatten ging. Ist alleine schon dies für eine Theorie, die von einem solch engen Zusammenhang von Theorie und Empirie ausging, erstaunlich und bedauerlich genug, wird sie noch einmal dadurch verschärft, daß viele ihrer Vertreter bereits in ihren Interpretationen der Marxschen Arbeiten ein Stück empirischer Analyse zu leisten glaubten. In Bemerkungen wie der folgenden wird das Dilemma deutlich: „Wenn Marx-Philologie betrieben wird, sollte die Auslegung seines Werkes nicht zugleich als empirische Untersuchung der herrschenden Verhältnisse fingiert werden". (Ritsert 1973: 4)

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In diesem Abschnitt geht es freilich nur um einen eingegrenzten Sinn von Forschungsprozeß. Er wird hier nur insoweit erörtert, als es um Methoden der Datenerhebung bzw. ihren Zusammenhang mit der Marxschen Theorie geht. Was die Erhebungsmethoden einer marxistischen Soziologie anbelangt, gibt es keinerlei Instrumentarium, das aus dem theoretischen Konzept selbst entwickelt wurde. Damit wurde von Seiten marxistischer Soziologen ebenso wie von ihren funktionalistischen Kollegen verfahren: man bediente sich vorhandener Forschungs- und Erhebungsinstrumentarien, ohne sich ausführlicher damit zu beschäftigen, welche Auswirkungen sie auf die Aussagefähigkeit der Ergebnisse hätten. Erst seit Ende der 60er Jahre wurden all diese Probleme von Forschern, die marxistischen Traditionen nahestehen, verstärkt in Diskussionen aufgegriffen. Dabei besteht weitgehend Einstimmigkeit darüber, daß aus theoretischen wie auch methodologischen Erwägungen die herkömmlichen standardisierten Verfahren der Sozialforschung nicht ausreichend sind. Allerding wäre es zu voreilig, daraus den Schluß ziehen zu wollen, daß diese Kritik an der Standardsozialforschung zugleich auch zu einer marxistischen Sozialforschung mit ausgearbeiteten alternativen Instrumenten führen würde. Gegenwärtig ist es so, daß man sich einerseits durchaus noch der traditionellen Verfahren bedient und gerade aufgrund eigener Forschungserfahrungen ihre Grenzen ausmachen kann. Zum anderen finden sich verschiedene alternative Forschungsverfahren im Zustand der Erprobung. Für einen Überblick über die empirische Forschung, die nun tatsächlich von Seiten marxistischer Soziologie betrieben wurde, muß noch einmal daran erinnert werden, daß der Marxismus eine Kombination aus Struktur- und Handlungstheorie enthält. Entsprechend dem empirischen Objektbereich dieser beiden Theorierichtungen lassen sich auch grundlegend unterschiedliche Methodologien ausmachen. Für den Bereich marxistischer Theorie, der stärker die handlungstheoretisch orientierten Aspekte behandelt, besteht eine fragmentarische und bislang nie systematisch entwickelte Tradition qualitativer Sozialforschung, die weitgehend an Methoden des Interaktionismus und ähnlicher Richtungen anknüpft. Die Erhebungsinstrumente, die von dieser Richtung erprobt werden, sind insbesondere offene Interviews, narrative Interviews, Formen der Gruppendiskussion, teilnehmende Beobachtung. Das Gemeinsame dieser Methoden als Forschungsinstrumente ist, daß sie im Vergleich zu anderen Verfahren der Sozialforschung die Forschungssituation selbst relativ wenig strukturieren. Für den Beforschten ist von daher nicht viel Anlaß gegeben, seine Handlungs- und Darstellungsweisen gegenüber seinem normalen Alltag zu modifizieren. Gleichzeitig wird methodologisch unterstellt, daß der Beforschte nicht nur relativ unverzerrt agiert und redet, sondern auch durch Anreize der Forschungssituation ungleich mehr an Informationen über sich und seine Alltagserfahrungen und -deutung produziert, als dies unter anderen Bedingungen der Fall wäre. Für die Sozialforschung eine optimale Situation: das Forschungsobjekt erscheint sowohl möglichst wahrheitsgetreu wie auch möglichst umfassend in seiner Darstellung. Die Wahl dieser Verfahren ergibt sich aber nicht nur aus forschungspragmatischen Erwägungen, sondern wird aus bestimmten Problemen der Marxschen Theorie selbst nahegelegt: W i e schon oben in der Darstellung der Marxschen Position deutlich, unterstellt Marx keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen struktu-

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rellen Prozessen der kapitalistischen Gesellschaft und Prozessen der Bewußtseinsbildung. Auch Marx ging also nicht davon aus, daß Akteure, die objektiv die Position eines Lohnarbeiters einnehmen, sich auch zwangsläufig als Ausgebeutete interpretieren und quasi automatisch revolutionäre Organisationsformen entwickeln. Wie sich im Verlauf der späteren Marxinterpretation und auch aufgrund historischer Ereignisse herausstellte, scheinen Bewußtseinsprozesse gegenüber objektiven Prozessen gesellschaftlicher Entwicklung weitaus unabhängig. Im Deutschland der Jahre 1929-1932 z.B., der Zeit schwerster ökonomischer Krisen und hoher Arbeitslosigkeit, einer Situation, die nach marxschen Gesichtspunkten alle Kriterien einer revolutionären Situation erfüllte, setzte in der Lohnarbeiterschaft keine revolutionäre Bewegung ein, die von entsprechenden Vorstellungen getragen wurde. Im faschistischen Programm wurde vielmehr deutlich, in welcher Weise in der Situationsinterpretation die eigentlichen Probleme verzerrt wahrgenommen wurden. Statt daß eine Analyse der Krise an ökonomischen Bedingungen angesetzt hätte, wurde sie durch einen irrationalen Minderheitenhaß ersetzt. Gerade diese Erfahrung, in welcher die relative Autonomie von Bewußtseinsprozessen gegenüber sozialstrukturellen Abläufen besonders drastisch sichtbar wurde, machte für Marxisten Bewußtseinsphänomene zu einem bedeutsamen Thema: Wie werden objektive Erfahrungen bewußtseinsmäßig verarbeitet? Nach welchen Regeln laufen überhaupt Bewußtseins- und Deutungsprozesse ab? D. h. im Grunde genommen ging es im Bereich der Forschung von Bewußtseinsphänomenen darum, prozeßhafte Phänomene zu erfassen. Genau dafür aber sind die oben angesprochenen qualitativen Verfahren aufschlußreich, da sie im Unterschied zu ihren standardisierten Varianten die Darstellung des Beforschten nicht zerlegen, sondern ihm eben den Raum lassen, einzelne Äußerungen so darzustellen, daß der Rahmen, in welchen sie von Seiten des Akteurs gestellt werden, selbst noch deutlich wird. Wie bereits oben dargestellt, kann nicht davon die Rede sein, daß Marx eine ausgearbeitete Sozialpsychologie vorgelegt hätte. Seine Auseinandersetzungen mit dieser Thematik brachen vielmehr an mehreren Stellen ab, die inzwischen sowohl von der modernen Soziologie ζ. B. interaktionistischer Richtung aufgegriffen wurde, wie aber auch von Autoren, die sich auf die Tradition von Marx beziehen. Eine Frage, die Marx nicht mit einer ausgefeilten theoretischen Konstruktion beantwortete, war, nach welchen Prinzipien Bewußtseinsprozesse verlaufen und über welche Mechanismen sich objektive sozialstrukturelle Erfahrungen in Deutungsmuster umsetzen. In diesem Zusammenhang wurde seit den 20er Jahren von marxistischer Seite die Freudsche Psychoanalyse aufgearbeitet, wie auch weitere Richtungen von Psychologie und Sozialpsychologie. Theorien des Sozialisationsprozesses und Forschungen im Bereich der Sozialisation haben diesen Strang weiter verfolgt, auch unter Berücksichtigung möglicher klassenspezifischer Erziehungsstile. Die Bestimmung gesellschaftlicher Klassen wurde von Marx nach ausschließlich objektiven Gesichtspunkten vorgenommen, d. h. nach der Stellung der Akteure im Produktionsprozeß. Nicht nur, daß bei ihm offen blieb, in welcher Weise sich diese objektiven Merkmale in subjektives Bewußtsein umsetzen. Theoretisch ungeklärt ließ er auch die Tatsache, warum die objektive Zugehörigkeit zu einer Klasse sich in durchaus unterschiedlichen empirischen Erfahrungen niederschlagen kann. D. h. trotz gemeinsamer Zugehörigkeit zur Klasse der Lohnarbeiter können die Art der Erfahrung am Arbeitsplatz, der materiellen Chancen im Berufsleben wie auch im

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Reproduktionsbereich ausgesprochen unterschiedliche Erfahrungswelten konstituieren. Wie sich diese unterschiedlichen konkreten Ausgestaltungen der objektiven Klassensituation im Bewußtsein der Betroffenen niederschlagen, haben eine Reihe von Studien zu ermitteln versucht. Ausgangspunkt dabei waren einmal verschiedene Erfahrungsformen von Technik in der Arbeitssituation, verschiedene Erfahrungen am Arbeitsplatz hinsichtlich beruflicher Qualifikation, den Anforderungen und Belastungen am Arbeitsplatz und dem Grad der Autonomie, den der einzelne hat. Über diese Untersuchung von Arbeitssituationen im engeren Sinne hinaus sind Studien angelegt, die eher die potentiellen Arbeitsmarkterfahrungen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen haben, wie ζ. B. eine Fraktionierung der Lohnarbeiter in qualifizierte Facharbeiter, die innerbetrieblich der Stammbelegschaft zuzuordnen sind und von daher vergleichsweise krisensicherer gegenüber ihren minderqualifizierten Kollegen der Randbelegschaft. Eine weitere Gruppe schließlich, die sich mit dem Zusammenhang von objektiver Klassensituation und ihrer bewußtseinsmäßigen Verarbeitung beschäftigt, sind Studien über soziale Gruppen, die traditionell nicht mit der Klasse der Lohnarbeiter identifiziert wurden: Wissenschaftler, Ingenieure, Angestellte u. ä. Gruppen erfüllen zunehmend mehr die Kriterien, die Marx mit der Klasse der Lohnarbeiter verband. Ihr traditionelles Selbstverständnis, konkrete Berufserfahrung etc. sind allerdings völlig anderer Art. Über entsprechende Studien soll ermittelt werden, inwieweit sich hier nicht auch ein neues Bewußtsein herausgebildet wird. In dem Bereich marxistischer Soziologie, der sich mit Systemaspekten, d.h. Problemen des Kapitalverwertungsprozesses beschäftigt, gibt es grundsätzlich verschiedene Methoden der empirischen Forschung: Diese lassen sich in der allgemeinsten Form zunächst in historische Studien und empirische Gegenwartsanalysen unterscheiden. Dabei gilt für beide Bereiche, daß hier nicht mit einem methodischen Instrumentarixml gearbeitet wird, welches sich von dem der modernen empirischen Sozialforschung bzw. Geschichtswissenschaft unterscheidet. Eine Differenz hingegen ist festzustellen bei der Formulierung von Fragestellungen und entsprechend in der Auswahl und Interpretation des Materials. Während also hinsichtlich der Methodologie keine nennenswerten Unterschiede zwischen marxistischer Sozialforschung und moderner Soziologie festzustellen sind, besteht eine erhebliche Differenz im theoretischen Rahmen, der entsprechende Fragestellungen strukturiert, die Auswahl von Materialien begründet und schließlich die Interpretation der Ergebnisse organisiert. Darüber hinaus spezifiziert der theoretische Bezugsrahmen auch den Objektbereich der Forschung. Im Bereich historischer Studien etwa bedeutet eine Spezifizierung des Objektbereiches, daß von einem marxistischen Ansatz herkommend nur unter äußerst eingegrenzten Bedingungen eine historische Analyse im Sinne einer Biographie ,großer Männer' durchgeführt wird. Geschichte wird als Geschichte von Klassenkämpfen interpretiert, d.h. als kollektiver Prozeß, der nicht über das Auftreten einzelner Individuen und deren Absichten zu erklären ist. So stellt ,Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte' von Marx nicht Bonaparte selbst in den Mittelpunkt seiner Studie, sondern räumt ihm nur insoweit eine Bedeutung ein, da er in Koalition mit den verschiedensten Klassen der französischen Gesellschaft und deren Interessenlagen seine eigenen politischen Absichten ausführt. Typischerweise aber beziehen sich historische Studien marxistischer Autoren auf

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die Entwicklung und auf die Herausbildung sozialer Gruppen. Da Zentrum historischer Forschung aber nicht bedeutende historische Persönlichkeiten sind, sondern soziale Kollektive, findet auch die Arbeit anhand von Sekundär- oder Quellenmaterialien statt, die eine traditionelle Geschichtsschreibung relativ lange vernachlässigt hat. Die interessierenden Ereignisse der Studien, wie Kriege, die Entwicklung von Städten etc. werden in einen systematischen Zusammenhang gebracht mit zentralen theoretischen Annahmen. D.h. z.B., daß im Fall der Analyse von Kriegen dieses Ereignis in Zusammenhang mit imperialistischen Aktivitäten einzelner Nationen gestellt wird. Die imperialistische Politik einzelner Staaten interessiert ihrerseits wiederum als zwangsläufiges Ergebnis der entsprechenden nationalen kapitalistischen Entwicklung und deren ökonomischen Erfordernissen. Auch bei Analysen der Sozialstruktur lassen sich Unterschiede dieser Art zwischen allgemeinen soziologischen Studien und solchen, die von einem expliziten marxistischen Vorverständnis geprägt sind, feststellen. Marxistische Analysen zur Sozialstruktur räumen objektiven Daten grundsätzlich einen größeren Stellenwert ein als Daten, die Ausdruck von Einstellungen und Meinungen sind. Innerhalb dieser objektiven Daten wiederum werden insbesondere solche differenziert und ausführlich behandelt, die verschiedene Aspekte sozialer Ungleichheit (wie ζ. B. Einkommen, Bildung) indizieren. Dazumuß auch Material erhoben und ausgewertet werden, daß von der offiziellen Statistik eher vernachlässigt wird. Dies verweist aber auch auf eine Schwierigkeit des Anspruchs derartiger Studien: Da auch marxistische Analysen der Sozialstruktur weitgehend auf die Ergebnisse amtlicher Statistiken und Erhebungen angewiesen sind, liegt ein weiter Bereich interessierender Daten gar nicht als auswertbares Material vor. 4.2.6. Kritik Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, daß die marxistische Theorie sich erheblich von den beiden anderen hier vorgestellten theoretischen Orientierungen unterscheidet. Dies trifft auch auf die Art und Weise zu, in welcher eine kritische Auseinandersetzung mit ihr geführt worden ist. Das besondere Theorie-Praxis Verhältnis der Marxschen Theorie ist auch hier wieder Ausgangspunkt zu Besonderheiten, da es dazu führt, daß im Werk von Marx oftmals politische und wissenschaftliche Aussagen miteinander verknüpft sind. Und obgleich sich eine Trennung von Marx als .Wissenschaftler' und als .Politiker' nur schwer ziehen läßt, ist es doch möglich beide Bereiche getrennt voneinander zu behandeln. Bei genauerer Betrachtung nämlich gebraucht Marx für seine wissenschaftliche Arbeit andere Bewertungskriterien als für Äußerungen in politischer Absicht und in politischen Zusammenhängen. Dies ist von Anhängern wie von Kritikern des Marxismus oft übersehen worden, und um so stärker, je mehr der Marxismus zur Theorie einer bedeutenden politischen Bewegung wurde: Hobsbawm belegt in einem interessanten Aufsatz, daß Marx von seinen Zeitgenossen zunächst als Ökonom verstanden und kritisiert wurde. Die kritische Auseinandersetzung mit ihm unterschied sich anfangs nicht von Diskussionen, wie sie auch mit anderen Wissenschaftlern geführt wurden. Erst nachdem Marx stärker unter politischen Gesichtspunkten wahrgenommen wurde, schienen seine wissenschaftlichen Arbeiten und Argumentationen per se ketzerisch und einer wissenschaftlichen Diskussion kaum mehr würdig. Wie schon in der Darstellung der Theorie von Marx wollen wir uns auch in der

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Kritik seines Werkes auf die wissenschaftliche Seite, enger noch auf die sozialwissenschaftliche Seite beschränken. Die Schwierigkeit, die sich hier ergibt, ist das Alter dieser Theorie: „Marx Werk, obgleich es umfangreich ist, ist in seinem Gegenstand eingegrenzt; es ist . technisch unmöglich, mehr als eine endliche Anzahl an Kritiken ihm gegenüber vorzubringen, und die meisten davon sind bereits lange Zeit zuvor vorgetragen worden". (Hobsbawm 1976: 239) Auf diesem Hintergrund wollen wir erst gar nicht versuchen, eine Chronologie der kritischen Auseinandersetzung mit Marx zu zeichnen, sondern uns auf einige Schwerpunkte, die sich über Jahrzehnte hin herauskristallisiert haben, beschränken: 1. empirische Prognosen 1.1. Lohnentwicklung 1.2. Profitentwicklung 1.3. Krisen 1.4. Revolution 2. theoretische Probleme 2.1. Klassentheorie 2.2. Bewußtseinsbildung 2.3. Staatstheorie Ein großer Teil der Einwände gegen die Theorie von Marx läßt sich darauf zurückführen, daß die Kritiker oftmals nur eine unzureichende Kenntnis des Marxschen Werkes besitzen. Gegenüber dieser Kritik wird völlig zu recht eingewandt, daß eine entsprechend sorgfaltige Lektüre der Arbeiten von Marx sie gegenstandslos macht. Auf der anderen Seite enthält eine solche Zurückweisung auch die Gefahr, daß die marxistische Theorie gegen jede Art, auch berechtigter Einwände, immunisiert wird. Gerade wenn der Marxismus auch als sozialwissenschaftliche Theorie bedeutsam bleiben soll, darf sie nicht so präsentiert werden, daß sie von vornherein vorgibt, allen Kritiken aus dem Weg gehen zu können. Zu 1. In seinen theoretischen Analysen hat Marx auch mehrfach Aussagen über Entwicklungstendenzen des Kapitalismus dargelegt. Obgleich diese Prognosen sehr vage gehalten sind, ständig auch durch Überlegungen zu gegenläufigen Tendenzen eingeschränkt werden, läßt sich doch feststellen, daß die Realität unserer Gesellschaften in verschiedenen dieser Aspekte eine durchaus andere Entwicklung eingeschlagen hat. Im Zusammenhang mit der Lohnentwicklung nahm Marx - wenn auch keine absolute Verelendung - keine nennenswerte Steigerung des Lebensstandards der Lohnabhängigen an. Vor allem für die westeuropäischen Länder ist nun seit dem 2. Weltkrieg ein gegenläufiger Trend festzustellen. Eine Lohnsteigerung läßt sich nicht übersehen. Marxisten haben zu Recht daraufhingewiesen, daß das, was Marx mit Verelendung meinte, nicht alleine eine Funktion der Lohnhöhe sein könnte. Auch allgemeine kulturelle Bedingungen, die psychische Verfassung der einzelnen Individuen usw. seien dabei mit zu berücksichtigen. Gleichwohl nahm Marx den Lohn als Basis dafür, welche Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten Individuen zugestanden werden. Marx unterstellte für die Profitentwicklung- wenn auch modifiziert durch etliche entgegenwirkende Ursachen - einen leichten aber beständigen Rückgang. Im Gegensatz zu Trends der Lohnentwicklung stellt sich hier eine empirische Überprü-

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fung ausgesprochen schwierig dar. Die Begriffe der Marxschen Ökonomie bezeichnen andere Größen und Relationen als die, welche von der amtlichen Statistik erhoben oder im betrieblichen Rechnungswesen festgehalten werden. Die wenigen Studien, die sich ausführlich mit diesem Problem auseinandergesetzt haben, sind aber eher zu dem Ergebnis gekommen, daß von einem Fallen der Profitrate keine Rede sein kann. Für den Verlauf des Kapitalismus nahm Marx an, daß die entsprechenden Gesellschaften in regelmäßigen Abständen von ökonomischen Krisen heimgesucht werden, die sich von mal zu mal verschärfen. Betrachtet man die Entwicklung der Profitrate als „Seismograph des Kapitalismus" (E. Mandel), scheint der Kapitalismus ökonomisch durchaus funktionsfähig zu sein. Zumindest seit dem 2. Weltkrieg gab es in den kapitalistisch verfaßten Ländern keine bestandsbedrohenden ökonomischen Krisen mehr. Damit hebt sich auch die Marxsche These auf, daß der Kapitalismus aus endogenen Gründen zusammenbrechen und sich auflösen könnte. Wobei hier nochmals daran erinnert werden soll (vgl. S. 110) daß unter Marxisten heftig umstritten ist, ob Marx definitiv eine Zusammenbruchstheorie vertreten hat. Gänzlich anders als bei Marx prognostiziert, blieben in den entwickelten kapitalistischen Ländern Revolutionen aus. Entgegen seiner Annahmen waren die Revolutionen, die stattfanden (Sowjetunion, China), in Ländern, in denen sich eine kapitalistische Entwicklung gerade in der Phase ihrer Durchsetzung befand. Die Länder selbst waren aber eher agrarisch als industrialisiert. Obgleich die Prognosen von Marx nicht in dieser Form eingetreten sind, behalten zwei Aspekte seiner Prognosen ihren Stellenwert: Zum einen waren die Entwicklungstrends, die Marx angab, zu seiner Zeit plausibel und naheliegend. Die Probleme, die Marx beschrieb, die endogenen Schwächen und Bestandsprobleme des Kapitalismus, sind in der Verfassung kapitalistischer Gesellschaften mitangelegt. Sie hätten wohl auch eine Entwicklung in die Richtung genommen, die Marx als Trends vorzeichnet, wären sie sich selbst überlassen worden. Faktisch aber ist für die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften zu berücksichtigen, daß dort im Laufe der Zeit Umgangsformen und Verfahrensweisen gefunden worden sind, um diese Probleme in ihren Wirkungen einzuschränken und überschaubar zu halten. Es hat sich mithin eine ganze Palette der Faktoren herausgebildet, die Marx unter dem Stichwort der entgegenwirkenden Ursachen' andeutet. Pointiert läßt sich sogar sagen, daß gerade der Kampf gegen den Kapitalismus, wie er in den frühen Gewerkschaften oder den anfangs entstandenen Arbeiterparteien geführt wurde, solche Sicherungs- und Stabilisierungsmaßnahmen auf den Plan gerufen hat. So wurde ζ. B. die Verelendung der Arbeiter durch gewerkschaftliche Kämpfe gebremst. Die Krisen und ihre Auswirkungen wurden durch entsprechende Maßnahmen sowohl zur Seite der Lohnabhängigen hin, wie auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten durch Sozialgesetzgebung, staatliche Interventionen etc. entschärft. Zum andern bezeichnen die Probleme, die Marx zum Ausgangspunkt seiner Prognose macht, Tatbestände, die auch für die Gegenwart einige Aktualität aufweisen. Krisen, Lohnentwicklung etc. sah Marx ja in den Rahmenbedingungen der kapitalistischen Gesellschaft verankert. Die Analyse verschiedener Probleme seiner Zeit, wie Elend und Armut der Lohnarbeiter gewann erst dadurch an Schärfe, daß sie diese verschiedenen Symptome auf den strukturellen Zusammenhang zurückführte, der sie hervorbrachte. Und auch wenn soziale Probleme und ökonomische Krisen sich gegenwärtig in einem sehr veränderten Erscheinungsbild präsentieren und

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auch vergleichsweise abgemildert sind, bleibt wiederum offen, innerhalb welches Bezugsrahmens sie sinnvoll interpretiert und gewichtet werden können. Zu 2. Eine strikte Trennung zwischen emprischen Aussagen und Theoriekonzept ist in den Sozialwissenschaften und insbesondere bei Marx kaum möglich. Auch die im folgenden behandelten Aspekte seiner Theorie sind mit empirischen Aussagen verbunden bzw. machen Annahmen über gesellschaftliche Wirklichkeit und deren Entwicklung. Was uns aber im weiteren besonders interessiert, sind weniger Überlegungen zur empirischen Angemessenheit der Marxschen Theorie, sondern dazu, welche Probleme sich innerhalb seiner theoretischen Konstruktionen ergeben. Mit seiner Klassentheorie entwickelt Marx ein Konzept mit welchen er versucht, nach objektiven Kriterien die gesellschaftliche Stellung von Individuen zu bestimmen. Entscheidendes Merkmal der Zuordnung ist die Stellung im Produktionsprozeß, d. h. eine Position, in welcher entweder Arbeitskraft gegen Kapital getauscht oder der produzierte Mehrwert angeeignet wird. Dieses Modell nimmt zwangsläufig eine Polarisierung der Gesellschaft in zwei Klassen an, in Lohnarbeiter und Kapitalisten, wenngleich auch in historisch-empirischen Studien von Marx offensichtlich eine sehr viel feinere Differenzierung von Klassenstrukturen vorgenommen wird. Der grundlegende Einwand gegen dieses Modell betrifft die Bestimmung unterschiedlicher sozialer Gruppen über nur einen zentralen Faktor, die Stellung von Individuen im Produktionsprozeß. Mit dieser Einengung wird sowohl eine Schwierigkeit für die Analyse moderner Sozialstrukturen gesehen, wie auch für die Analyse gesellschaftlicher Subkulturen. Es wird darauf hingewiesen, daß in modernen Gesellschaften nicht nur funktional spezifizierte Subsysteme sich herausbilden, sondern auch unterschiedliche Dimensionen der Bewertung sozialer Leistungen, die nicht aufeinander zurückführbar sind. Was darunter zu verstehen ist, kann an soziologischen Schichtungsmodellen abgelesen werden. Die Zuordnung von Individuen anhand objektiver Kriterien zu Positionen innerhalb der Sozialstruktur wird dort unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten vorgenommen. Einkommenshöhe Ausbildungsstand, Beruf, religiöse und politische Zugehörigkeit usw. werden als sachlich voneinander unabhängige Merkmale angenommen, die erst gemeinsam eine Zuordnung ermöglichen. D. h. ζ. B., daß jemand trotz geringeren Einkommens eher der Oberschicht zugeordnet werden kann als ein Besserverdienender, nämlich dann, wenn er über einen höher bewerteten Bildungsstand verfügt. Ein weiteres eng damit zusammenhängendes Problem besteht darin, daß die Marxsche Theorie auf Grundlage ihrer Prämissen nur schwer erklären kann, wieso die Individuen, die nach ihrer Stellung im Produktionsprozeß der Klasse der Lohnarbeiter zuzuordnen sind, nicht alle auch ein annähernd gleiches Bewußtsein aufweisen. Marx ging ja von der Annahme aus, daß je drastischer die Erfahrungen mit dem Kapitalismus, das Bewußtsein der Lohnarbeiter sich um so revolutionärer zuspitzt. Implizit besagt dieses Argument, daß die Einsicht in die Struktur des Kapitalismus und damit die Absicht, diese Gesellschaftsform revolutionär aufzuheben, mit der Entfaltung des Kapitalismus zunimmt. Historisch-empirisch ließ sich eine solche Tendenz nicht feststellen. Trotz aller Konzepte marxistischer Theoretiker, welche diese Entwicklung zu erklären versuchten (Arbeiteraristokratie, Reformismus etc.), kamen marxistische Aussagen über Bewußtseinsentwicklung und reale gesellschaftliche Entwicklung nicht in Einklang: Schon F. Engels mußte feststellen, daß gerade vergleichsweise hoch qualifizierte Arbeiter, die auch über politi-

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sehe Bildung verfügten, keine derartigen revolutionären Perspektiven entwickelten. Ebenso formierte sich auch in der Zeit der Depression in den 20er/30er Jahren keine starke, revolutionär ausgerichtete Arbeiterbewegung. Nach dem 2. Weltkrieg nahm die Situation der industriellen Lohnarbeiter im zentralen Westeuropa und in den USA sogar eine solche Wendung, daß auch von Marxisten gefragt wurde, ob es überhaupt noch ein Proletariat gebe. Angesichts dieser Situation sahen sich verschiedene Sozialwissenschaftler veranlaßt, über groß angelegte Forschungsprojekte zu ermitteln, welche Art gesellschaftlich-politischen Bewußtseins eigentlich die Arbeiterschaft aufweist, ob es so etwas wie ein proletarisches Bewußtsein' im Vergleich zum Bewußtsein anderer Bevölkerungsgruppen gebe und ähnliches mehr. Die Industriesoziologie der Bundesrepublik Deutschland, aber auch Englands und Frankreichs hat dazu eine Vielzahl von Beiträgen geleistet, auf die hier nur beispielhaft eingegangen werden kann. In einer Studie über das „Gesellschaftsbild des Arbeiters" fanden Popitz/Bahrdt (1957) heraus, daß gegenüber anderen sozialen Schichten die Industriearbeiter sich in der Tat noch durch ein sogenanntes ,dichotomes Gesellschaftsbild" auszeichneten. Damit ist eine Sichtweise gemeint, die von einem ,oben' und,unten' ausgeht, wobei der Industriearbeiter selbst sich der Gruppe ,unten' zuordnet, ohne die Perspektive eines Aufstiegs nach ,oben'. Bei der differenzierten Analyse dieses dichotomen Gesellschaftsbildes wird allerdings deutlich, daß es nicht dem entspricht, was im Marxschen Sinne unter proletarischem oder gar revolutionärem Bewußtsein verstanden wird. Ende der 60er Jahre erschien die Studie „Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein" von Kern/Schumann. In einer vergleichenden Erhebung an Arbeitsplätzen verschiedener Branchen und verschiedenen technischen Entwicklungsstandes wurde unter anderem der Zusammenhang zwischen gesellschaftspolitischem Bewußtsein und den unmittelbaren Erfahrungen am Arbeitsplatz untersucht. Ein Ergebnis dieser Studie war, daß das jeweilige Selbstverständnis des Industriearbeiters bei weitem nicht hinreichend über dessen objektive Situation als Lohnarbeiter - im Sinne der Theorie von Marx verstanden - zu erklären ist. Weitere Faktoren, die seine Ansichten prägen, sind ζ. B. der Grad an Autonomie oder Fremdbestimmtheit am Arbeitsplatz, die am Arbeitsplatz verlangte berufliche Qualifikation, der Umfang des Kontaktes mit anderen am Arbeitsplatz und anderes mehr. Mit anderen Worten bestimmt sich das Bewußtsein von Industriearbeitern auch über Faktoren, die von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz durchaus verschieden sein können. Daß bei Marx die Beziehung zwischen sozialen Erfahrungen und Bewußtseinsentwicklung nicht zutreffend dargestellt wurde, haben wir zunächst empirisch dargelegt. Daß es überhaupt zu einer solchen Kluft zwischen Marxens Annahmen und gesellschaftlicher Wirklichkeit kommt, ist, wie Kritiker vermuten, in bestimmten theoretischen Konstruktionen von Marx angelegt. Was von Marx nicht ausreichend in sein theoretisches Konzept eingearbeitet wurde, ist der Bereich von Faktoren, der für soziale Prozesse bedeutsam ist, der sich als ,Bereich des Ideellen", ,Bewußtseinsphänomene' der subjektive Faktor' oder auch die Dimension der ,Deutungsprozesse und -muster' umschreiben läßt. Diese Kritik an Marx ist nicht nur eine der ältesten an seiner Theorie, sondern sie wurde auch von den unterschiedlichsten Richtungen an ihn herangetragen, wie ζ. B. von Max Weber und Parsons. Wie oben dargestellt, sieht Marx den Staat der kapitalistischen Gesellschaft als Klassenstaat an (vgl. S. 115f). D.h. er unterstellt für die Funktionsweise des Staates

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und die Spielräume staatlicher Politik eine Abhängigkeit von Erfordernissen des Prozesses der Kapitalverwertung. In der Nachfolge von Marx besteht unter seinen Anhängern zwar Uneinigkeit darüber, ob diese Koppelung an die Ökonomie als eine strukturelle Angelegenheit zu verstehen ist, oder als eine Sache, die von den Motivationen und Interessen der Individuen im Bereich der Politik abhängt. Je nachdem, welche Alternative die zutreffendere ist, müßte für den Bereich der Politik auch ein mehr oder weniger großer Freiheitsspielraum angenommen werden. Beiden Positionen ist aber dennoch gemeinsam, daß sie von einer Dominanz der Ökonomie gegenübe der Politik ausgehen und die Rede von Klassenstaat daher auch ihre Berechtigung hat. Genau diese Grundannahme ist aber Ausgangspunkt für verschiedene kritische Stellungnahmen gegenüber der marxistischen Staatstheorie. Mit Verweis auf staatliche Maßnahmen und politische Prozesse, wie sie insbesondere seit dem 2. Weltkrieg zu beobachten sind, wird versucht, diese Position ad absurdum zu führen. Gegenwärtig - so die Kritiker - würde vielmehr eine Form staatlicher Politik betrieben, die sich an Zielvorstellungen wie ζ. B. sozialer Sicherung, Chancengleichheit und ähnlichen Werten orientiert. Kennzeichnend sei für das politische Systefn heute eine Ausrichtung an globalen gesellschaftspolitischen Interessen, durch welche gerade Entwicklungen ausgeglichen werden sollen, die durch das Spiel der freien Kräfte auf dem Markt - solange diese sich selbst überlassen bleiben - eine allgemeine Prosperität gefährden könnten. Die Aktivitäten und Merkmale, die mit der Vorstellung vom Sozialstaat verknüpft werden und die scheinbar auf eine Überwindung des Klassenstaates hinweisen, sind in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen festzustellen. In der Gesetzgebung verankerte Rechte bieten zum einen im Bereich der Produktionssphäre erweiterte Bestimmungen zum Schutz und zur Sicherung des einzelnen Lohnabhängigen, wie aber auch der kollektiven Organisation der Arbeiter (Betriebsverfassung, Arbeitsschutz, Mitbestimmung etc.). Ein weiterer Aspekt auf den in diesem Zusammenhang oft verwiesen wird, bezieht sich auf Maßnahmen zur Einkommensumverteilung und Vermögensbildung. Über Steuerprogression und steuerbegünstigte Sparmaßnahmen für abhängig Beschäftigte der unteren Einkommensgruppen wird hier in bescheidenem Umfang versucht, die Ungleichheiten in der Einkommensverteilung ex post zu korrigieren. Einen ähnlichen Versuch, soziale Ungleichheiten zu ebnen, stellen Maßnahmen der sozialen Sicherung dar, wie Kranken-, Renten-, Arbeitslosenversicherung, Wohnungsgeld, Sozialfürsorge etc. Gegen die Marxsche These einer Polarisierung der Gesellschaft in zwei Klassen, die für das einzelne Individuum auch jeweils eine lebensgeschichtliche Festschreibung seiner Situation bedeutet, werden Bemühungen entgegengehalten, die zu einer allgemeinen Chancengleichheit beitragen sollen. So wird insbesondere in Reformund Umorganisationsmaßnahmen im Bildungsbereich ein Ansatzpunkt gesehen, der für den einzelnen Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. Hinter dieser Strategie steht auch die Ansicht, daß der persönliche Status eines Individuums wesentlich mitentschieden wird durch seinen Bildungs- und Ausbildungsgrad, der in formalen Abschlüssen dokumentiert ist. In diesem Sinne wurde der Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen zu einem allgemeinen Recht erhoben, das keinen sozialen Einschränkungen unterliegt, sondern ausschließlich formalen Leistungsnachweisen. Die Finanzierung des öffentlichen Bildungswesens wird vom Staat übernommen, so

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daß der Besuch von Schulen und Hochschulen kostenlos auch den niedrigeren Einkommensgruppen zugänglicher wird. All diese Entwicklungen decken sich in der Tat nicht bruchlos mit dem ursprünglichen Bild eines Klassenstaates. Gleichwohl ist aber zu berücksichtigen, daß trotz dieser Maßnahmen prinzipielle Chancen verschiedener sozialer Gruppen sich nicht zwanglos angleichen. So läßt sich in der Vermögensverteilung keine strukturelle Veränderung feststellen. Ähnliches gilt für den Bildungsbereich. Auch dort ist nach wie vor ein höherer Anteil an Angehörigen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht anzutreffen, je höher in der Hierarchie eine Bildungseinrichtung angesiedelt ist. Es wäre auf jeden Fall vorschnell, einen Sozialstaat oder eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft für bare Münze zu nehmen, solange soziale Ungleichheit im gegenwärtigen Umfang vorhanden ist und der Klassenstaat nach wie vor noch durch politische Maßnahmen durchschimmert.

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5. Kapitel: Das Vergleichen von Theorien Üblicherweise werden wissenschaftstheoretische Überlegungen in Lehrbüchern an den Anfang gestellt. Wir haben den umgekehrten Weg gewählt. Dies hat zunächst einmal pragmatische Gründe. Wissenschaftstheorie behandelt überwiegend - unter formalen Gesichtspunkten - Regeln, an welchen sich die Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen und damit auch die Tauglichkeit wissenschaftlicher Theoriebildung orientieren soll. Um diese Regeln nicht zu abstrakt und inhaltsleer zu präsentieren, schien es uns sinnvoll, zunächst einmal das Material, d. h. verschiedene soziologische Theorien vorzustellen, mit welchem eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung stattfinden kann. Ein weiterer Grund für diese Reihenfolge ergibt sich aus Einwänden, die in den letzten Jahren gegen wissenschaftstheoretische Überlegungen vorgetragen wurden. Um aber hier nicht zu abstrakt bleiben zu müssen, soll zunächst - ehe dieses Argument ausführlicher erläutert wird - dargestellt werden, welches traditionell das Selbstverständnis der Wissenschaftstheorie ist und welche Kritik dagegen vorgetragen worden ist, bzw. welche alternativen Vorstellungen zur Wissenschaftstheorie diskutiert werden.

5.1. Poppers Falsifikationsprinzip Wissenschaftstheorie ging traditionell von der Absicht aus, für die Praxis des Wissenschaftlers Orientierungsregeln zu entwickeln. D.h. Wissenschaftstheorie versuchte, den logischen Ablauf von Forschungsprozessen zu klären, das Ziel zu definieren, auf welches hin Forschung angelegt war, und Kriterien zu entwickeln, anhand derer die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung beuretilt werden können. Welche Bedeutung der Wissenschaftstheorie oder anders ausgedrückt, methodologischen Regeln in den Sozialwissenschaften im Sinne dieses Selbstverständnisses zukommt, faßt Opp zusammen: „Methodologie... versucht, die Arbeit des Sozialwissenschaftlers einer Kritik zu unterziehen und Vorschläge für eine verbesserte sozialwissenschaftliche Praxis zu machen." (1970:12) Mit dieser Aufgabenstellung grenzt Wissenschaftstheorie sich zum einen gegenüber empirischen Wissenschaften ab. D.h. sie hat keinen eigenen materiellen Gegenstandsbereich. Zum anderen grenzt sie sich auch ab gegenüber Wissenschaften wie ζ. B. der Mathematik oder der formalen Logik, die ebenfalls ohne Gegenstandsbereich sind, aber in einer Weise, daß sie von anderen Disziplinen als Instrumente genutzt werden können. D.h. sie können zwar für empirische Wissenschaften einen nützlichen oder notwendigen Beitrag leisten, gehen ihrem Anspruch nach aber nicht über diese Instrumentalisierung hinaus. Sie erlegen den Disziplinen, die sich ihrer bedienen, keinerlei Vorschriften auf, die über formale Regeln hinausgehen. Anders demgegenüber die Wissenschaftstheorie. Neben den formalen Vorschriften versucht sie, auch explizit normative Gesichtspunkte in die verschiedenen Disziplinen hineinzutragen. Was damit gemeint ist, sei hier an der zentralen Idee des kritischen Rationalismus, am Falsifikationsprinzip von K. Popper erläutert. Poppers Methodologie ist im Bereich der Sozialwissenschaften die prominenteste. Daß sie diesen Rang erhielt, lag gerade

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daran, daß hier ein Regelsystem vorgestellt wurde, das scheinbar realistische und praktikable Vorschriften für den Ablauf von Wissenschaftsprozessen anbot. Nach Poppers Theorie besteht die Aufgabe wissenschaftlicher Forschung darin, erklärungsfähige Theorien zu erstellen. Das bedeutet eine systematische Erfassung empirischer Phänomene, die über deren schlichte Beschreibung hinaus in der Lage ist, den Zusammenhang zwischen Phänomenen zu erklären, das Auftreten bestimmter Ereignisse zu prognostizieren. Eine solche Theorie kann sich nur solange als wissenschaftliche behaupten, als sie erstens überhaupt in der Lage ist, empirisch überprüft zu werden, oder, im Sinne Poppers ausgedrückt, sie muß falsifizierbar sein. Zweitens kann sie nur solange Gültigkeit haben, wie sie bestätigt wird. Mit ihrer Falsifikation, d. h. in dem Moment, in welchem sie widerlegt wird, darf sie nicht länger gebraucht werden. Über diesen Weg, die Konstruktion erklärungsfahiger Theorien und deren Ablösung durch Prozesse der Falsifikation bzw. der ständigen Überprüfung nähert Wissenschaft sich ihrem eigentlichen Ziel, der Wahrheit. Wahrheit bzw. die Annäherung an Wahrheit wird damit zum obersten Ziel von Wissenschaft erklärt, und hieraus werden alle Einzelnormen abgeleitet, die zur Beurteilung der Qualität wissenschaftlicher Arbeit dienen. Daß Poppers Methodologie lange ungeteilt zugestimmt wurde, liegt daran, daß seine Vorschläge zumindest auf den ersten Blick sehr überzeugend wirken. Insbesondere mit seinem Vorschlag der Falsifikation hat er einen Weg zur Überprüfung von Theorien vorgeschlagen, der in der Tat dem Anspruch auf Verifikation von Theorien überlegen ist. So enthält Poppers Arbeit „Logik der Forschung" die Begründung dafür, daß eine endgültige Verifikation rein logisch ausgeschlossen ist. Aussagen wie die, daß alle Schwäne weiß sind, lassen sich nie endgültig bestätigen, weil ja kein Mensch alle existierenden und erst recht nicht die zukünftigen Schwäne sehen wird und von daher auch nie wissen kann, ob seine Aussage wahr ist. Realistischer ist daher das Falsifikationsprinzip, nach welchem der gleiche Satz solange als wahr gilt, als noch kein andersfarbiger Schwangesehen wurde, und der Satz mit dem Auftreten eines andersfarbigen Schwans falsch wird und verworfen werden muß. Was aber würden nun Poppers Methodologie und sein Falsifikationsprinzip bedeuten, wenn man es auf soziologische Theorie anwendet? Was dort an Annahmen formuliert wird, die in diesem Sinne überprüft werden müßten, erweist sich zunächst als erheblich komplexer als eine Aussage über die Farbe von Schwänen. Nehmen wir zunächst einmal die These von Parsons, daß soziales Handeln durch Normen integriert wird. Während im Fall der Schwäne durch schlichtes Sehen, ohne die Zuhilfenahme von Zusatzhypothesen oder Forschungsinstrumenten die Aussage bestätigt bzw. falsifiziert werden kann, erfordert dies im Fall der normativen Integration eine gewisse Aufbereitung, um diese These überhaupt überprüfbar zu machen. Aber auch abgesehen davon verlangt die Überprüfung der Integrationsthese eine genaue Definition dessen, was mit normativer Integration überhaupt gemeint ist. Während eine Definition der Farbe Weiß durch einen Hinweis auf das Farbenspektrum erledigt werden kann, stellt es sich im Fall sozialer Phänomene erheblich komplizierter dar. Definieren wir,normative Integration' einmal dahingehend, daß eine bestimmte Population sich einig über bestimmte Werte und Normen ist und auch im Sinne dieser Werte und Normen handelt. Eine genauere Ausführung der angesprochenen Population ist vergleichsweise unproblematisch, da sie sich zahlenmäßig und regional einigermaßen eingrenzen läßt. Schwieriger wird es wiederum zu bestimmen,

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wann normative Integration vorliegt, bzw. wann sie als widerlegt gelten kann. Phänomene wie die Einstellung gegenüber Werten und die Orientierungsmuster von Individuen lassen sich kaum zureichend auflisten, geschweige denn skalenmäßig erfassen. Eine eindeutige Grenzbestimmung für die Existenz bzw. Nichtexistenz normativer Integration setzt jeweils eine Reihe von Interpretationen voraus. Ob ζ. B. alle Mitglieder ihre Vorlieben hinsichtlich der Farbe von Autos teilen, Gardinen an den Fenstern für notwendig halten, eine bestimmte Partei wählen, Ansichten über Privateigentum haben, soziale Positionen mit bestimmten Bewertungen verbinden, das sind alles Dinge, die normative Orientierungen enthalten, wobei aber noch gar nichts darüber ausgesagt ist, in welchem Umfang sie maßgebend sind und wie sie im einzelnen gewichtet werden müssen, damit von gesellschaftlicher Integration die Rede sein kann. Offenbar meint normative Integration nicht, daß alle Normen gleichermaßen geteilt werden, sondern nur die, die in einer besonderen Weise für das Funktionieren von sozialen Kollektiven wichtig und notwendig sind. Auch bei Parsons wird in diesem Sinne eine Hierarchie der Bedeutung einzelner Werte und Normen mit einer bestimmten Gewichtung zueinander angenommen, ohne daß er sie inhaltlich ausführen würde. An oberster Stelle würde nach seiner Konzeption aber all das stehen, was grundsätzlich und strukturbestimmend für den Bestand des Kultursystems und damit für Gesellschaft ist. Hier schließt sich aber gleich die nächste Frage an: Welche Werte sind eigentlich konstitutiv für eine Gesellschaft? Obgleich diese Frage auch beantwortet werden kann, da sie logisch plausibel ist, stellen sich ihrer Lösung wiederum empirische Probleme entgegen. In der Soziologie wie auch im Alltag gibt es schließlich keine eindeutigen und zweifelsfreien Aussagen über das, was höchste und für das Funktionieren von Gesellschaft wichtigste Werte sind. Derartige Entscheidungen sind vielmehr Ausdruck von ethisch-moralischen Erwägungen, von bestimmten gesellschaftspolitischen Orientierungen. Ausgangsfrage war ja, wie mit der Aussage, daß Gesellschaft über Normen integriert wird, im Sinne von Poppers Falsifikationsprinzip verfahren werden kann. Bislang haben wir zu zeigen versucht, daß zu diesem Zweck die These zunächst einmal präzisiert und eine Reihe von Zusatzannahmen entwickelt werden müßten, um eine solche Aussage überhaupt einem Prüfungsverfahren unterwerfen zu können. Ein solches Verfahren haben wir hier nur knapp angedeutet. Es ließe sich seitenweise fortsetzen, ohne hier überhaupt sagen zu können, zu welchem Ende es führt. Es sei hier unterstellt, die These der normativen Integration ließe sich soweit operationalisieren, daß sie mit dem Falsifikationsprinzip bearbeitet werden könnte. Bis zu diesem Schritt, der abgeschlossenen Operationalisierung der Integrationsthese, haben wir eigentlich nur festgelegt, welches gesellschaftlich bedeutsame Werte sind. Offen bleibt dabei, mit welchen Mitteln, an welchen Orten ich feststellen kann, ob diese von mir ermittelten Werte sich auch mit den Normen decken, die im sozialen Handeln der Individuen befolgt werden. Dazu steht mit nämlich eine ganze Palette von Möglichkeiten offen: ich kann die Individuen beobachten und/oder befragen und das Beobachtete bzw. Gehörte interpretieren; ich kann Dokumente studieren, Zeitungsartikel, Gegenwartsliteratur und davon ausgehen, daß die Wertvorstellungen, die dort geäußert werden, verallgemeinerbar für die gesamte Population sind. Da ich mich für die Werte interessiere, die für das tatsächliche Handeln orientierungsweisend sind, werde ich mich für eine Methodenkombina-

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tion entscheiden, die in hohem Maße das darstellt, was tatsächlich in den Köpfen der Individuen vorgeht. Aus Gründen der Zeit und der Seitenzahl, die für dieses Lehrbuch zur Verfügung steht, brechen wir hier wiederum ab. Die übrigen Arbeitsschritte fassen wir im Zeitraffertempo zusammen: Wir haben uns für eine bestimmte Erhebungsmethode entschieden, mit ihrer Hilfe die gewünschten Daten ermittelt, die Daten aufbereitet und ausgewertet. Die Probleme, die durch das Falsifikationsprinzip hervorgerufen werden, sind noch immer nicht zu Ende. Stellen wir uns vor, wir erhalten ein Ergebnis, welches unserer Ausgangshypothese, daß soziales Handeln über Normen integriert wird, widerspricht. Was folgt nun?

5.2. Neuere Positionen der Wissenschaftstheorie Für die Wissenschaftstheorie von Popper wäre die Situation eindeutig, die Ausgangshypothese müßte verworfen werden. Aber genau diese unmittelbare Koppelung von einem logischen Tatbestand - Falsifikation - mit daraus direkt folgenden Handlungsanweisungen - Verwerfen der Theorie - ist in den letzten Jahren zunehmend als problematisch angesehen worden. T. Kuhn hat insbesondere an Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte nachgewiesen, daß ein solches Vorgehen überhaupt nicht dem entspricht, was in der ,Normalwissenschaft', d. h. dem Alltag wissenschaftlicher Forschung stattfindet. Daß dort durchaus mit Theorien auch produktiv weitergearbeitet werden kann, von denen die Wissenschaftler wissen, daß sie falsifiziert sind. Ein anderer Wissenschaftstheoretiker, I. Lakatos, hat vorgeschlagen, das Falsifikationsprinzip liberaler zu fassen. Die Widerlegung einer bestimmten Theorie sollte noch nicht dazu führen, diese gänzlich zu verwerfen, da eine Theorie nie isoliert als Instrument wissenschaftlicher Praxis verwendet wird, sondern im allgemeinen im Rahmen eines Forschungsprogramms steht. D.h. im Zusammenhang mit bestimmten Methoden, allgemeinen Erkenntniszielen und eine Kombination von Einzeltheorien enthält. Die radikalste Position in dieser Kontroverse schließlich vertrat Feyerabend. Da sich empirisch erwiesen hat, daß wissenschaftlicher Fortschritt zustande kommt, ohne daß die Tätigkeit des Wissenschaftlers strengen methodologischen Regeln folgt, bzw. verschiedenste Arten von Regeln zu wissenschaftlichem Fortschritt führen können, vertritt er einen völligen Methodenverzicht. Seine Antimethode lautet .anything goes ', nichts solle definitiv reguliert werden. Versuchen wir, uns mit den Überlegungen, die hier aus der wissenschaftstheoretischen Diskussion referiert wurden, erneut mit unserem Beispiel auseinanderzusetzen: Die These der normativen Integration wurde falsifiziert. Aus dieser Falsifikation geht nicht hervor, was ihre Ursache ist. Die angewandten Erhebungs-, Kodierungs-, Auswertungs- und Interpretationsverfahren müßten einer erneuten Überprüfung unterzogen werden. Stellen wir uns vor, in einem längeren Arbeitsprozeß zeigt sich, daß alle Arbeitsschritte gültig und zuverlässig durchgeführt wurden. Quelle des Fehlers, d. h. die Ursache dafür, daß die ursprüngliche Aussage sich als falsch erwies, liegt in der Tat an dieser Aussage selbst, d. h. wir waren von einer Theorie ausgegangen, die wir im Verlauf ihrer Überprüfung widerlegen mußten. Zieht man die Überlegungen von Kuhn, Lakatos und Feyerabend in Betracht, ergibt sich hier aus der Tatsache der Falsifikation noch keinerlei Konsequenz dafür,

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in welcher Weise ich mit meiner These der normativen Integration zu verfahren habe. Bevor nach Konsequenzen gesucht wird, muß zunächst einmal präzisiert werden, in welchem Umfang meine Theorie falsifiziert worden ist. Es kann ja durchaus sein, daß wir im Verlauf der Operationalisierung unserer Theorie Indikatoren mit aufgenommen haben, die sich im Nachhinein doch als unwesentlich erweisen, aber zu einem insgesamt verzerrten Ergebnis führen. So haben wir vielleicht als eine gesellschaftlich bedeutsame Komponente von normativer Integration die Einstellung gegenüber der traditionellen Institution der Ehe angesehen. In unserer Auswertung mußten wir feststellen, daß in diesem Bereich die früheren Nonnvorstellungen relativ aufgelöst sind. Von unserer ursprünglichen Ausformulierung der Fragestellung her würde dies mit dazu beitragen, daß unsere Prämisse falsifiziert wird. Wenn wir aber die Einstellung gegenüber der traditionellen Ehe als gar nicht konstitutiv für gesellschaftlichen Zusammenhalt bewerten würden, hätte sich unsere These von der normativen Integration bestätigt. Ähnliches gilt, wenn wir ζ. B. im nachhinein feststellen, daß wir den Spielraum für Abweichungen in der Einstellung gegenüber institutionalisierten Normen zu eng gefaßt haben. Auch dort würde unsere Theorie im nachhinein gerettet, indem wir sie ein wenig modifizieren.

5.3. Methodologie der Forschungsprogramme Wie diese Beispiele zeigen, ist die Falsifikation einer Theorie bzw. überhaupt der Vorgang ihrer Überprüfung ein Prozeß, der nicht zu einem Zeitpunkt definitiv stattfindet und abgeschlossen ist, sondern sich in einem längeren Zeitverlauf vollzieht. Wenn ich ζ. B. heute eine Theorie falsifiziere, weiß ich nicht, welche Möglichkeiten mir morgen zur Verfügung stehen, um eventuell Ergebnisse zu ermitteln und Erkenntnisse zu gewinnen, die meine Theorie und ihre Implikationen in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen. Anders ausgedrückt bedeutet das, daß die zwangsläufige Verwerfung einer Theorie aufgrund ihrer Falsifikation voreilig und riskant ist. Daraus folgt, daß man als Beurteilungsmaßstab von wissenschaftlicher Arbeit nicht punktuelle Theorien heranziehen sollte, sondern Forschungsprogramme, d.h. Instrumente, die von den Forschungsmöglichkeiten her, die sie bieten, umfassender sind und auch von der Zeitperspektive her, in welcher sie sich erproben lassen, länger dauernd. Lakatos hat in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Heuristik von Forschungsprogrammen eingeführt. Positive Heuristik meint hierbei die Regeln, nach welchen eine Theorie weiterentwickelt werden soll, die Forschungsfragen, auf welche sie angewandt werden soll, und die Instrumente, mit welchen in ihrem Sinne gearbeitet wird. Damit ist eigentlich eine Binsenweisheit ausgedrückt, nämlich die Tatsache, daß keine Theorie alles fassen und berücksichtigen kann und sich jede Theorie eben selbst vergegenwärtigen und deutlich machen muß, welchen Geltungsbereich sie eigentlich hat, welches die Grenzen ihrer Erklärungs- und Forschungsmöglichkeiten sind. Für die Parsonssche Systemtheorie etwa liegt an positiver Heuristik vor, daß sie sich mit sozialen Phänomenen hinsichtlich ihrer normativen Bedeutung auseinandersetzt und nicht ζ. B. unter dem Gesichtspunkt von Machtasymmetrien. Letzte-

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res, soziale Phänomene unter dem Aspekt von Machtasymmetrien betrachtet, wäre ein Beispiel von,negativer Heuristik', nämlich eine definitive Ausgrenzung dessen, was nicht zum Geltungs- und Erklärungsanspruch einer Theorie gehört. Schließlich enthält ein solches Forschungsprogramm auch einen sogenannten ,harten Kern', d. h. die grundsätzlichen Prinzipien des betreffenden Forschungsprogramms. Diese grundsätzlichen Prinzipien werden durch eine Reihe möglicher Zusatzannahmen ergänzt. Diese sind aber auch wiederum definiert und eingegrenzt, damit nicht eine Situation eintritt, in welcher nahezu jede Theorie bestehen bleiben kann, da sie über beliebig viele ceteris paribus-Annahmen modifizierbar ist. Der Sinn dieser Unterscheidung liegt in den pragmatischen Folgen, die eine Falsifikation hat. Da die Vermutung besteht, daß die Zusatzannahmen aus den Grundannahmen abgeleitet sind und aus den Grundannahmen sich beliebig viele dieser Zusatzhypothesen ableiten lassen, würde man sich gegebenenfalls vorschnell aufgrund einer Falsifikation der Grundannahmen der potentiellen Möglichkeiten dieser Theorie entledigen. Anders bei den sogenannten Zusatzannahmen. Hier ist es gerechtfertigt, sie fallen zu lassen, wenn sie falsifiziert worden sind. Die Sache wird allerdings noch komplizierter, wenn man bedenkt, daß Theorien nicht im luftleeren Raum existieren, sondern in konkreten sozialen Situationen, d. h. in Arbeitssituationen von Wissenschaftlern. Dort spielt es nämlich eine große Rolle, welche Konsequenzen ich aus der Falsifikation meiner Theorie ziehe. Ich werde mich durchaus unterschiedlich verhalten, wenn ich eine Theorie falsifiziert habe und keine konkurrierende oder alternative Theorie existiert, bzw. keine Theorie, die zumindest in ähnlichem Umfang entwickelt und ausformuliert ist wie die, welche ich gerade überprüft habe. Völlig anders hingegen, wenn ich ohnehin einige theoretische Alternativen zur Verfügung habe. In diesem Fall wird der Wissenschaftler sich ähnlich wie der Schreiner verhalten, der gegebenenfalls auf eine Säge mit nur wenigen Zähnen zurückgreifen würde, als daß er angesichts der beschädigten Säge seine Arbeit gänzlich einstellt.

5.4. Theorievergleich in der Soziologie Für die soziologische Theorie besteht nun eine Situation, in welcher - um im Bild zu bleiben - verschiedene Sägen zur Verfügung stehen, von denen keine alle Zacken aufweist, wenn auch an je unterschiedlichen Stellen einige fehlen. Diese Situation hat dazu geführt, daß in den letzten Jahren ein ,Theorievergleich' stattfand. In diesem Begriff kommt schon zum Ausdruck, daß Theorien nicht für sich alleingenommen untersucht werden, wie dies ja vom traditionellen Falsifikationsprinzip nahegelegt wird, sondern eben im Vergleich. Damit wird in der Wissenschaftspraxis - jedenfalls der Soziologie - ein Beurteilungsverfahren von Theorien gewählt, in welchem nicht von absoluten Maßstäben ausgegangen wird, sondern jeweils die Güte und Leistungsfähigkeit einer Theorie in Relation zu anderen Möglichkeiten behandelt wird. Im Rahmen dieser Debatte hat man versucht, eine Methodologie des Theorievergleichs zu entwickeln, die nicht im vorhinein eine bestimmte Variante soziologischer Theoriebildung favorisiert. Es ist ja wohl einleichtend, daß jede Theorie, wenn auch zumeist implizit, ihre eigenen Evaluierungskriterien entwickelt hat. D.h. Regeln, nach denen das Verwerfen bzw. Akzeptieren von Sätzen ebenso festgelegt ist wie die

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Strategien zu deren Weiterentwicklung. Nur, und das ist in diesem Zusammenhang das Entscheidende, da diese Regeln von der jeweils eigenen Theorie ausgehen, bringen sie, wenn sie auf andere angewandt werden, diese anderen automatisch in Nachteil. Ein Autor hat in diesem Zusammenhang das Problem so formuliert, daß erst einmal eine Methodologie entwickelt werden muß, die keine vorhandenen Theorien im vorhinein favorisiert und in diesem Sinne die Möglichkeit eines nichtrestriktiven Theorievergleichs eröffnet (Seyfarth 1978). Eine solche Methodologie hätte demnach etwa folgende Fragen zu behandeln: • • • • • • •

Wie sehen Theorien ihren jeweiligen Gegenstandsbereich? Welche Grundannahmen machen sie über den Akteur? Welche Grundannahmen machen sie über das gesellschaftliche Zusammenleben? Wie stehen sie zur historischen Relativierung ihrer Ergebnisse? Was für einen Theoriebegriff haben sie? Was verstehen sie als Ziel von Wissenschaft? Nach welchen Kriterien sind sie bereit, ihre Aussagen zu revidieren und anders mehr. Freilich kann man nicht behaupten, daß dieses Programm einer Methodologie des Theorievergleichs großen Anklang gefunden hat. Es scheint vielmehr so, daß außer einem zahlenmäßig kleinen Kreis von Spezialisten sich die meisten Vertreter des Faches relativ gleichgültig gegenüber methodischen Fragen im allgemeinen und schon gar gegenüber dem Vergleich von Theorien zeigen. Von daher kennzeichnet die Lage der Soziologie, soweit es soziologische Theorie betrifft, ein mehr oder weniger emsiges Weiterentwickeln der jeweils eigenen Theorie, ohne daß man sich besonders über die Entwicklung in Nachbars Garten kümmert. Aus diesem sicher nicht allzu optimistischen Bild der gegenwärtigen Lage soziologischer Theorie braucht nicht der Schluß gezogen werden, den ζ. B. Feyerabend nahelegt, daß die Auswahl von Theorie und der Umgang mit Theorie beliebig sein könnte. Dieser Weg würde nämlich dazu führen, daß - nachdem methodologische Kriterien für den Umgang mit Theorie gänzlich aufgegeben worden sind - sich wissenschaftliche Entwicklung nicht mehr nach rationalen Faktoren vollziehen würde. D. h. die Theorie würde sich schließlich durchsetzen, die nicht unbedingt den höheren Grad an Plausibilität und Forschungsmöglichkeiten bietet, sondern deren Vertreter es verstehen, sich auf dem Markt durchzusetzen und die größere Anhängerschaft zu finden. (Vgl. oben S. 7) Will man Beliebigkeit vermeiden, hat aber andererseits keine methodologischen Regeln zur Verfügung, die Anweisungen für den Umgang mit dieser Situation liefern, muß man zunächst untersuchen, was aus den Theorien selbst an Gesichtspunkten für ein Vergleichsverfahren entnommen werden kann. Alle Theorien, die wir hier vorgestellt haben, haben einen definierten und abgrenzbaren Gegenstandsbereich: Der symbolische Interaktionismus konzentriert sich auf die Handlungsfähigkeit von Akteuren und ihre Interaktionen, der Funktionalismus bezieht sich auf Eigenschaften von Systemen, die marxistische Theorie hebt die historische Wandelbarkeit von Handeln und System hervor. Nun handelt es sich bei den verschiedenen Gegenständen um jeweils konstitutive Faktoren von Gesellschaft. D.h. keine der Theorien widmet sich Scheinproblemen, keine der Theorien und der Objekte, die sie thematisieren, können als sinnlos vernachlässigt werden. Angesichts dieser Situation liegt es eigentlich nahe, ein Konglomerat aus diesen verschiedenen Theorien zu entwickeln, in welchem sozusagen die verschiede-

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nen Gegenstandsbereiche zusammengefaßt werden. Wieso dieses Verfahren sich ausschließt, haben wir schon in der Einleitung behandelt (vgl. S. 5ff).Bezogen auf soziologische Grundbegriffe haben wir gesagt, daß zwischen verschiedenen Richtungen der Soziologie eine begriffliche Gleichheit besteht. Diese Gleichheit ist aber nur formal, da die Begriffsbildung von teils konträren Grundannahmen ausgeht. Wollte man ζ. B. Interaktionismus und Funktionalismus verbinden, um mit einer Theorie den Akteur und auch soziale Strukturen abzudecken, ergäbe sich wieder das gleiche Problem: Der Akteur, so wie der Interaktionismus ihn konzipiert, ist aktiv, und ihm werden Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten gegenüber seiner Umwelt unterstellt. Die sozialen Strukturen, wie sie im Modell des Funktionalismus entworfen werden, haben eine hohe Eigendynamik, d. h. für Akteure im Sinne der Interaktionisten haben sie keinen Raum. Dennoch bleibt aber die Notwendigkeit bestehen, daß langfristig eine soziologische Theorie entwickelt wird, welche alle diese Themen in einem Bezugsrahmen vereinbart. Gegenwärtig läßt sich jedoch nicht entscheiden, welche der vorhandenen soziologischen Theorien von ihren logischen Voraussetzungen her überhaupt in der Lage ist, die Themen der jeweils anderen Theorien in ihren Bezugsrahmen zu integrieren. Leistet der Funktionalismus es, im Rahmen seiner Prämissen einen aktiv gestaltetenden Akteur zu integrieren wie auch seinen Gegenstandsbereich zu historisieren? Oder verfügt ζ. B. die marxistische Theorie von ihren methodologischen Voraussetzungen her über Möglichkeiten, die Beziehung von Handeln und Struktur zu präzisieren? Hierbei geht es nicht nur um Fragen der geschickten Kombination von Einzelobjekten soziologischer Theorie, die in einen in sich logischen Zusammenhang gestellt werden sollen. Vielmehr werden damit auch zentrale Grundannahmen der einzelnen Theorien in Frage gestellt. Greift etwa die marxistische Theorie ein Akteurmodell auf und versucht, es in ihren Kontext einzugliedern, setzt sie sich damit nämlich der Gefahr aus, ihre Basisprämisse in Frage zu stellen. Die im Marxismus vertretene Position, daß die kapitalistische Gesellschaft über den ,stummen Zwang der Verhältnisse' reguliert wird, läßt innerhalb dieses Systems keinen Raum für ein betont aktives Individuum. Dabei handelt es sich aber um keine gänzliche Unvereinbarkeit, sondern eher um eine Frage der Gewichtung. Die Erweiterung des Objektbereiches einer Theorie um Aspekte, die sie bislang ausgespart hat, betrifft nicht nur ihre generelle logische Vereinbarkeit. Es ist auch die Frage, inwieweit durch eine solche Verknüpfung die ursprüngliche Identität beibehalten oder gravierend verändert wird. Eine solche Überprüfung des Gegenstandsbereiches der einzelnen soziologischen Theorien ist nur eine von vielen Aufgaben, die sich heute an den Umgang mit soziologischer Theorie knüpfen. Oben (S. 142) hatten wir weitere Fragenkomplexe referiert, die ebenfalls einer Bearbeitung bedürfen. Ihre Lösung ist allerdings weder Aufgabe eines Lehrbuches, noch soll es den Leser in erster Linie zu einem solchen Vorgehen anregen. Bereits einleitend hatten wir ja gesagt, daß dieses Lehrbuch dem Leser Instrumentarien vermitteln soll, mit denen er umgehen kann. Trotz all dieser Problematisierungen ist dieses Versprechen nicht in Vergessenheit geraten. Wir haben die verschiedenen soziologischen Theorien referiert, ihre Leistungsfähigkeit, aber auch ihre kritischen Aspekte hervorgehoben. In diesem Kapitel nun haben wir Überlegungen darüber angestellt, wie mit einer Situation umzugehen sei, in welcher man eine Palette verschiedenartiger Theorien angeboten bekommt, nach

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welchen Regeln man sich in dieser Vielfalt orientieren soll. Die Wissenschaftstheorie - so versuchten wir zu zeigen - bietet erstens generell nur wenige hilfreiche Anhaltspunkte für die Wissenschaftspraxis. Insbesondere angesichts einer Situation wie der der Soziologie, die durch das Nebeneinander zahlreicher Theorien gekennzeichnet ist, finden sich kaum handhabbare Regeln. Unsere angedeuteten Vorschläge für den Umgang mit der theoretischen Vielfalt in der Soziologie kann natürlich nur an Soziologen adressiert sein, die sich speziell mit diesen Dingen beschäftigen. Unser Vorschlag für den Leser dieses Lehrbuches, d. h. für Interessenten an Soziologie, die sich erst mit dem Fach vertraut machen oder auch Soziologie eher als Nebenfach betreiben, muß wesentlich pragmatischer aussehen. Wie ja schon in der Darstellung der verschiedenen Theorien deutlich wurde, ist jede auf einen bestimmten Bereich gesellschaftstheoretischer Problemstellungen zugeschnitten und hat ihren entsprechenden Bereich ausführlich und differenziert bearbeitet. Sucht man im Zusammenhang mit sozialwissenschaftlichen Fragestellungen nach einem Orientierungsrahmen, sollte man sich bei der Auswahl davon leiten lassen, welche der Theorien die entsprechende Problemstellung am ausführlichsten behandelt. So wäre es ζ. B. für eine Analyse formaler Organisationsstrukturen vermutlich nicht ausreichend, mit einem Konzept symbolischer Interaktion arbeiten zu wollen, wie es auch für die Analyse von personellen Beziehungen in Organisationen nicht sinnvoll wäre, auch diese noch über das AGIL-Schema zu analysieren. Neben dieser Auswahl je nach Gegenstandsbereich bietet sich natürlich auch die Kombination der verschiedensten Ansätze für komplexe Probleme an. Natürlich hat dieses Verfahren genau das zur Folge, was wir oben als Gefahr betont hatten, daß nämlich Aussagen gemacht werden, die auf zum Teil wiedersprüchlichen Grundannahmen aufgebaut sind. Gegenwärtig läßt sich dieses Problem im Umgang mit soziologischer Theorie nicht umgehen. Indem wir hier die verschiedenen soziologischen Theorien dargestellt haben, die - zumindest in der gegenwärtigen Situation noch - nur gemeinsam den Gegenstandsbereich einer Gesellschaftstheorie abdecken, hat man jedoch einerseits ein ausreichendes heuristisches Instrumentarium. Andererseits ist man sich aber auch bewußt, welche Implikationen die Anwendung des einen oder anderen Theoriekonzeptes beinhaltet.

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Bibliographische Hinweise Die folgenden Titel sollen dem interessierten Leser einige Anhaltspunkte geben, wo er sich eingehender über die Themen dieser Einführung informieren kann. Der Aufbau der Bibliographie entspricht der Gliederung des Buches. Zunächst wollen wir auf wichtige Originaltexte verweisen. Zweitens stellen wir wichtige Sekundärtexte vor, die sich für eine weitergehende Einführung in die verschiedenen Themen eignen. Dabei ziehen wir Arbeiten, die allgemeiner angelegt sind, gegenüber solchen vor, die nur begrenzte Themenbereiche behandeln. Schließlich wollen wir drittens auch auf Bücher und Aufsätze aufmerksam machen, die selbst umfangreiche Bibliographien enthalten. Soweit es möglich war, haben wir deutschsprachige Texte ausgewählt. Allerdings liegen wichtige Arbeiten von Parsons und der Symbolischen Interaktionisten nicht in deutschen Übersetzungen vor. Ähnliches gilt für die Sekundärliteratur. Daher ist es für jeden notwendig, der sich intensiver mit soziologischer Theorie befassen will, zumindest englischsprachige Texte zu lesen. Allgemeine Informationen über Neuerscheinungen in der soziologischen Literatur enthalten folgende Zeitschriften: - „Soziologische Revue", eine Zeitschrift, die sich ausschließlich der Besprechung deutschsprachiger Neuerscheinungen widmet. - „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie", die neben Aufsätzen auch jeweils Besprechungen deutscher und internationaler sozialwissenschaftlicher Veröffentlichungen enthält. Eine umfassende Bibliographie bereits vorliegender Literatur: - Bette, K.-H., M. Herfurth, G. Lüschen, Bibliographie zur deutschen Soziologie 1945-1977, Göttingen 1980 Stichwortartige Überblicke enthalten folgende Lexika: - Bernsdorf, W., Wörterbuch der Soziologie, 3 Bde., Frankfurt 1972 - König, R., Hg., Soziologie, Frankfurt 1979 Schließlich sei noch genannt: - Heidtmann, F., Wie finde ich soziologische Literatur?, Berlin 1976. Zu Kapitel 1: Einen Überblick über die zahlreichen Einführungen in die Soziologie vermittelt: - Würth, G., Neuere soziologische Einführungen. Ein Literaturbericht, in: Das Argument, 22, 1980, H. 123 Exemplarisch seien noch folgende Titel genannt: - Berger, R u. B., Wir und die Gesellschaft. Eine Einführung in die Soziologie entwickelt an der Alltagserfahrung, Reinbek bei Hamburg 1976 - Scheuch, E., Th. Kutsch, Grundbegriffe der Soziologie, Bd. 1, Grundlegende und elementare Phänomene, Stuttgart 1975. Stellt Grundbegriffe wie Rolle, Sozialisation, Institution auf der Basis der strukturell-funktionalen Theorie von Parsons dar.

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Bibliographische Hinweise

- Arbeitsgruppe Soziologie, Denkweisen und Grundbegriffe der Soziologie, Frankfurt 1981. Ausgehend von der Alltagserfahrung wird in zahlreiche soziologische Theorien eingeführt. - Bellebaum, Α., Soziologische Grundbegriffe, Stuttgart 1980 - Matthes, J., Einführung in das Studium der Soziologie, Reinbek bei Hamburg 1973 Zu dem in der Einleitung angesprochenen Problem des Verhältnisses von soziologischer Theorie und Alltagserfahrung vgl. aus unterschiedlicher Perspektive: - Schütz, Α., Wissenschaftliche Interpretation und Alltagsverständnis menschlichen Handelns, in: ders., Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Den Haag 1971 - Becker, W., Soziale Techniken und sozialphilosophische Aufklärung, in: Soziologie, 1981, H . l - Kosik, K., Dialektik des Konkreten, Frankfurt 1971 Zu Abschnitt 1.2.: Zu dem Begriff der „Reduktion" vgl.: - Stichwort „Reduktion" in: Handbuch wissenschaftstheoretischer Grundbegriffe, 3 Bde., J. Speck, Hg., Stuttgart. Knappe Einführung mit Literaturhinweisen. Über die aktuelle Debatte in der Soziologie informiert: - Eberlein, G., H.-J. von Kondratowitz, Hg., Psychologie statt Soziologie? Zur Reduzierbarkeit sozialer Strukturen auf Verhalten, Frankfurt, New York 1977 Zu Abschnitt 1.3. und 1.4.: Über die in diesen Abschnitten zugrundegelegte Situation der Soziologie der BRD vgl.: - Lüschen, G., Hg., Deutsche Soziologie seit 1945. Entwicklungsrichtungen und Praxisbezug, Sonderheft 21 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1979 - Sahner, H., Theorie und Forschung. Zur paradigmatischen Struktur der westdeutschen Soziologie und zu ihrem Einfluß auf die Forschung, Opladen 1982 Zu Kapitel 2: Originaltexte - The Structure of Social Action (1937), New York, London 1968. In dieser Arbeit legt Parsons dar, daß verschiedene sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Theoretiker gleichermaßen zu Ergebnissen kommen, die für seine These der normativen Integration sprechen. - The Social System (1951), Glencoe, III. 1964. Hier entwickelt Parsons seine systemtheoretischen Überlegungen zur Analyse von Handlungen und damit auch zur systemtheoretischen Gesellschaftsanalyse. - Parsons, Τ., Smelser, N.J.: Economy and Society (1956). New York 1965. In Fortführung der Systemtheorie wird hier das AGIL-Schema eingeführt.

Bibliographische Hinweise

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- Das System moderner Gesellschaften (1971), München 1972. Stellt den Zusammenhang von System- und Evolutionstheorie her. - Die Entstehung der Theorie des sozialen Systems: Ein Bericht zur Person (1970), in: T.Parsons/E. Shils/P.F. Lazarsfeld, Soziologie autobiographisch. Stuttgart 1975. Eine Autobiographie zur Werks- und Lebensgeschichte von Parsons. - Action Theory and the Human Condition, New York, London 1978. Enthält die letzten Aufsätze des Autors und eine umfassende Bibliographie seiner Arbeiten. In deutscher Übersetzung liegen folgende Aufsatzsammlungen von T. Parsons vor: - Parsons, Τ., Sozial'struktur und Persönlichkeit, Frankfurt 1968. Eine Zusammenstellung verschiedener sozialpsychologischer Arbeiten von Parsons. - Rüschemeyer, D., Hg., Soziologische Theorie (1954), Darmstadt, Neuwied 1964. Die Aufsätze dieses Bandes sind zwischen 1939 und 1954 entstanden, während der nächste spätere Arbeiten von Parsons vorstellt. Beiden Sammelbänden ist von ihren Herausgebern ein Einleitungskapitel vorangestellt, das die Problemstellungen von Parsons Theorie erläutert bzw. eine Zusammenfassung seiner Theorie und Theorieentwicklung gibt. - Jensen, St., Hg., Zur Theorie sozialer Systeme, Opladen 1976. Programmatische Aufsätze von Parsons über die Bedeutung und die Aufgaben soziologischer Theorie: - Systematische Theorie in der Soziologie. Gegenwärtiger Stand und Ausblick (1945), in: D. Rüschemeyer, Hg., Soziologische Theorie. Darmstadt, Neuwied 1964 - The Prospects of Sociological Theory, in: American Sociological Review 15.1.1950 - Die jüngsten Entwicklungen in der strukturell-funktionalen Theorie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1964 Einführungen in die soziologische Systemtheorie: Als allgemeine Einführungen, die zugleich auch einen Überblick über Parsons' Theorie bieten, eignen sich die oben erwähnte Arbeit von Parsons „Die Entstehung der Theorie des sozialen Systems" sowie die Einleitungen von Rüschemeyer und Jensen zu den bereits genannten Sammelbänden. - Jensen, St., Talcott Parsons: Eine Einführung, Stuttgart 1980 - Messelken, K., Einführung in die Systemtheorie. Die Gesellschaftstheorie Talcott Parsons'. Darmstadt. Für 1984 angekündigt. - Münch, R., Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung in Grundbegriffe, Grundannahmen und logische Struktur, Opladen 1976 Zur jüngeren Diskussion um Parsons in der westdeutschen Soziologie: - Zeitschrift für Soziologie. Schwerpunktheft: Talcott Parsons (1902-1979), Jahrg. 9, Heft 1, 1980 - Schluchter, W., Hg., Verhalten, Handeln und System. Talcott Parsons' Beitrag zur Entwicklung der Sozialwissenschaft, Frankfurt 1980. Die Aufsätze des Sammelbandes sowie der Zeitschrift beschäftigen sich mit verschiedenen speziellen Aspekten von Parsons' Theorie. Ihr Verständnis setzt nicht

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Bibliographische Hinweise

nur eine gründliche Kenntnis der Arbeiten von Parsons, sondern auch soziologischer Theorie insgesamt voraus. Kritik an Parsons Theorie Auch hier müssen wir uns auf einige wenige Hinweise beschränken. Die ausführlichste und umfassendste Auseinandersetzung mit Parsons findet sich in: - Gouldner, A.W., Die westliche Soziologie in der Krise, Reinbek bei Hamburg 1979 Eine brillante Kritik an Parsons' hat Habermas geschrieben: - Habermas, J., Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt 1981, S. 297ff Auf die wissenschaftstheoretischen Grundlagen bezieht sich: - Nagel, E., Der sozialwissenschaftliche Funktionalismus, in: Giesen, Β.,Μ. Schmidt,Hg., Theorie, Handeln, Geschichte, Hamburg 1975. Mit dem Bruch im Übergang von der Handlungs- zur Systemtheorie beschäftigen sich: - Clemenz, M., Soziologische Reflexion und sozialwissenschaftliche Methode. Frankfurt 1970 - Brandenburg, A.G., Systemzwang und Autonomie. Gesellschaft und Persönlichkeit bei Talcott Parsons, Düsseldorf 1971 Parsons' Rollentheorie kritisieren: - Krappmann, L., Neuere Rollenkonzepte als Erklärungsmöglichkeit für Sozialisationsprozesse, in: Seminar: Kommunikation, Interaktion, Identität, Frankfurt 1976, S. 307-331. - Habermas, J., Stichworte zur Theorie der Sozialisation, in: ders., Kultur und Technik, Frankfurt 1973 Parsons Modernisierungstheorie und seine Beiträge zum Problem sozialen Wandels: - Lockwood, D., Soziale Integration und Systemintegration, in: Zapf, W.,Hg., Theorien sozialen Wandels, Köln, Berlin 1970 - Guessous, M., Probleme der Instabilität sozialer Systeme, in: Tjaden, K.-H., unter Mitarbeit von A.Hebel, Hg., Soziale Systeme, Neuwied,Berlin 1971 Der mangelnde historische Gehalt von Parsons Theorie: - Bergmann, J.E., Die Theorie des sozialen Systems von T. Parsons, Frankfurt 1967 - Moore, B., Strategie in der Sozialwissenschaft, in: ders., Zur Geschichte der politischen Gewalt, Frankfurt 1966 Zu Kapitel 3: Es wurde bereits mehrfach im Text erwähnt, daß die Theorie des symbolischen Interaktionismus recht unterschiedliche Strömungen beinhaltet. Es sollen deshalb hauptsächlich solche Beiträge genannt werden, die der hier dargestellten Richtung zuzurechnen sind.

Bibliographische Hinweise

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Originaltexte - Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, Hg., Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, 2. Bde., Reinbek bei Hamburg 1973 Der Sammelband enthält grundlegende Texte symbolischer Interaktionisten und verwandter Autoren. Die klassischen Sammelbände sind: - Rose, Α., Hg., Human Behavior and Social Processes, London 1962 - Shibutani, T., Hg., Human Nature and Collective Behavior, New Brunswick, N.J. 1973 - Manis, J., B. Meitzer, Hg., Symbolic Interaction, Boston 1972 Die wesentlichen Aufsätze Blumers sind enthalten in: - Blumer, H„ Symbolic Interaction, Englewood Cliffs, N.J. 1969 Knappe Zusammenfassungen bieten: - Rose, Α., Systematische Zusammenfassung der Theorie der symbolischen Interaktion, in: Hartmann, H., Hg., Moderne amerikanische Soziologie, Stuttgart 1967 - Steinert, H., Das Handlungsmodell des symbolischen Interaktionismus, in: Lenk, H., Handlungstheorien interdisziplinär, Bd. 4, München 1977. Folgende Arbeiten informieren über die anderen Strömungen innerhalb des SI bzw. über solche, die als verwandt angesehen werden: - Meitzer, B., J. Petras, L. Reynolds, Symbolic Interactionism, London, Boston 1975, S. 53-82 - Denzin, N.K., Symbolic Interactionism and Ethnomethodology und - Zimmerman, D., D. Wieder, Ethnomethodology and the Problem of Order: Comment on Denzin, beide in: Douglas, J., Understanding Everyday Life, London 1973 - Gonos, G., „Situation" versus „Frame". The „Interactionist" and the „Structuralist" Analysis of Everyday Life, in: American Sociological Review 42/1977 George Herbert Mead gilt als der Vorläufer des SI, daher zwei Hinweise: - Mead, G.H., Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt 1968 - Joas, H., Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von G.H. Mead, Frankfurt 1980. Die Arbeit von Joas liefert eine solide Einführung in das Werk Meads, die bisher umfangreichste Zusammenstellung seiner Schriften sowie eine gute Auswahl an Sekundärliteratur. In den letzten Jahren ist die Frage aufgeworfen worden, ob Blumers Variante des SI sich im Einklang mit dem Werk Meads befinde. Diese Debatte ist auch deshalb lehrreich, weil in ihr grundlegende sachliche Probleme des SI aufgeworfen werden. - McPhail, C., C. Rexroat, Mead vs. Blumer: the divergent methodological perspectives of social behaviorism and symbolic interactionism, in: American Sociological Review, 44, 1979 - Blumer, Η., Mead and Blumer: the convergent methodological perspectives of social behaviorism and symbolic interactionism, in: American Sociological Review, 45, 1980 - McPhail, C., C. Rexroat, Ex cathedra Blumer or ex libris Mead?, in: American Sociological Review, 45, 1980 - Lewis, D., R. Smith, American Sociology and Pragmatism. Mead, Chicago Sociology and Symbolic Interaction, Chicago 1982

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Bibliographische Hinweise

Gesamtdarstellungen der Theorie des SI - Helle, H., Verstehende Soziologie und Theorie der Symbolischen Interaktion, Stuttgart 1977 - Meitzer, B., J. Petras, L. Reynolds, Symbolic Interactionism, London 1975. Knappe, sehr lesbare umfassende Gesamtdarstellung. - Skidmore, W., Theoretical Thinking in Sociology, London 1975, S. 198-248 - Stryker, S., Symbolic Interactionism, London 1980 Wichtige Bereiche der Theorie des SI - Krappmann, L., Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart 1972. Umfassende und heute noch nicht überholte Arbeit über die Rollentheorie des SI mit weiterführender Literatur. - McCall, G., J. Simmons, Identität und Interaktion. Untersuchungen über zwischenmenschliche Beziehungen im Alltagsleben, Düsseldorf 1974 - Lindesmith, Α., A. Strauss, Symbolische Bedingungen der Sozialisation, 2 Bde., Düsseldorf 1974. Breiter angelegt, als der Titel nahelegt, und kann als die umfassendste Darstellung der Sozialpsychologie des SI angesehen werden. Zu makrosoziologischen Themen liegen wenige - und nur englische - Titel vor: - Maines, D., Social organization and social structure in symbolic interactionist thought, in: Annual Review of Sociology 3/1977. Der Aufsatz enthält zugleich umfangreiche Literaturhinweise. - Strauss, Α., Negotiations. Varieties, contexts, processes and social order, San Francisco 1978 - Hall, R, A Symbolic Interactionist Analysis of Politics, in: A. Effrat, Hg., Perspectives in Political Sociology, Indianapolis 1972 Ein weiterer Bereich, in dem der SI stark vertreten ist, ist die Theorie abweichenden Verhaltens: - Keckeisen, W., Die gesellschaftliche Definition abweichenden Verhaltens, München 1974 - Sack, F., Probleme der Kriminalsoziologie, in: R. König, Hg., Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 12, Stuttgart 1978. Mit umfangreicher Bibliographie. Folgende Bücher informieren über die Methodologie des 5/bzw. qualitativ orientierte Ansätze generell: -

Denzin, N.K., The Research Act, Chicago 1970 Hopf, Ch., E. Weingarten, Hg., Qualitative Sozialforschung, Stuttgart 1979 Cicourel, Α., Methode und Messung in der Soziologie, Frankfurt 1970 Schwartz, Η., J. Jacobs, Qualitative Sociology, New York, London 1979

Eine ausführliche Darlegung der Ansichten Blumers zu methodologischen Fragen enthält: - Blumer, H., Critiques of Research in the Social Sciences. With a New Introduction by the Author, New Brunswick, New Jersey 1979.

Bibliographische Hinweise

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Kritische Arbeiteil zum SI - Die bereits genannte Arbeit von Meitzer, Petras und Reynolds enthält in ihrem dritten Teil eine knappe Zusammenfassung der wesentlichen Kritiken und entsprechende Literaturhinweise. - Lichtman, R., Symbolic interactionism and social reality: Some Marxist queries, in: Berkeley Journal of Sociology 15/1970 - Lindner, C., Kritik des symbolischen Interaktionismus, in: Soziale Welt, 30,1979 - Kanter, R., Symbolic Interactionism and Politics in Systemic Perspectives, in: Effrat, Α., Hg., Perspectives in Political Sociology, Indianapolis 1972 - Albrecht, G., Die,Erklärung' von Devianz durch die,Theorie' des symbolischen Interaktionismus - Neue Perspektiven und alte Fehler, in: Albrecht, G., H. Daheim, F. Sack, Hg., Soziologie, Opladen 1973

Zu Kapitel 4: Über das Verhältnis von Soziologie und Geschichte informieren: - Wehler, H.-U., Hg., Geschichte und Soziologie, Köln 1972 - Lutz, P.Ch., Hg., Soziologie und Sozialgeschichte. Sonderheft 16 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1972 Als kommentierte Bibliographie geeignet: - Wehler, H.-U., Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1975, S. 11-33 Zum Verhältnis von Geschichte und Soziologie bei Max Weber sindfolgende seiner Werke empfehlenswert'. - Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Auflage, 3 Bde., Tübingen 1976 - Weber, M., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 3 Bde., Tübingen 1972, 1971, 1972 - Weber, M., Gesammelte Werke zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1968 Als erste Einführung in Weber: - Weiß, J., Max Webers Grundlegung der Soziologie, München 1975 - Bendix, R., Max Weber. Das Werk, München 1964 - Bader, M., u.a., Einführung in die Gesellschaftstheorie, Frankfurt 1980 Folgende Bibliographie enthält eine umfassende Auflistung der Sekundärliteratur zu Max Weber: - Seyfarth, C., G. Schmidt, Max Weber Bibliographie, Stuttgart 1982 Zu Abschnitt 4.2.: Die bislang vollständigste Sammlung der Werke von Marx und Engels - über 40 Bände - enthält folgende Ausgabe: - Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Berlin (DDR) 1956ff (MEW) Als erste Beschäftigung mit Marx eignen sich: - Karl Marx, Philosophisch-ökonomische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband 2

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Bibliographische Hinweise

- Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, I. Band, in: MEW 3 - Karl Marx, Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, in: MEW 8 - Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, in: MEW 16 Das Marxsche Hauptwerk, Das Kapital, ist in den Bänden 23 bis 25 enthalten. Eine gute Studienausgabe ist: - Karl Marx, Friedrich Engels, Studienausgabe in 4 Bänden, Frankfurt 1976 Zur Zeit entsteht eine kritische Gesamtausgabe aller Schriften von Marx und Engels: - Karl Marx, Friedrich Engels, Gesamtausgabe, Berlin (DDR) 1972 ff Über die umfangreiche Geschichte des Marxismus informiert: - Fetcher, I., Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten, Darmstadt 1967 - Vranicki, P., Geschichte des Marxismus, 2 Bde., Frankfurt 1972-1974 - Kolakowski, L., Die Hauptströmungen des Marxismus, 3 Bde., München, Zürich 1977 Zu den verschiedenen Richtungen des gegenwärtigen Marxismus: - Honneth, Α., U. Jaeggi, Hg., Theorien des Historischen Materialismus, Frankfurt 1977

Einführende Gesamtdarstellungen der Theorie von Marx - Bader, M., u.a., Einführung in die Gesellschaftstheorie, Frankfurt 1980 - Korsch, K., Karl Marx, Reinbek bei Hamburg 1981 (zuerst 1938). - Aron, R., Hauptströmungen des soziologischen Denkens, Köln 1971, S. 131-200 - Euchner, W., Karl Marx, München 1982 Eine ausführliche Bibliographie deutschsprachiger Arbeiten zu Marx und dem Marxismus enthält: - Oermüller, W., Hg., Weiterentwicklung des Marxismus, Darmstadt 1977.

Literatur zu speziellen Themen der Theorie von Marx In welcher Weise Marx mit historischem Material umgeht und wie er versucht, eine historische sozialwissenschaftliche Theorie zu entwickeln, erläutern: - Hobsbawm, E.J., Karl Marx' Beitrag zur Geschichtsschreibung, in: Η. M. Baumgartner, J. Rüsen, Hg., Seminar: Geschichte und Theorie, Frankfurt 1976 - Bollhagen, P., Soziologie und Geschichte, Berlin (DDR) 1966 - Fleischer, H., Marxismus und Geschichte, Frankfurt 1972 Zum gleichen Thema finden sich unter Schwerpunkt III. ,Strukturaler Marxismus als Geschichtstheorie' einige Aufsätze in dem Band - Jaeggi, U., A. Honneth, Hg., Theorien des Historischen Materialismus, Frankfurt 1977

Bibliographische Hinweise

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Zur Methode seiner Theoriekonstruktion, d. h. auch zur Erläuterung seiner impliziten wissenschaftlichen

Grundposition:

- Hahn, E., Historischer Materialismus und marxistische Soziologie, Berlin (DDR) 1968 - Reichelt, H., Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffes bei Marx, Frankfurt 1970 - Ritsert, J., Probleme politisch-ökonomischer Theoriebildung, Frankfurt 1973 - Zeleny, J., Die Wissenschaftslogik und ,Das Kapital', Frankfurt 1962

Ökonomie Als umfassende Darstellung mit einer ausführlichen Bibliographie: - Kühne, K., Ökonomie und Marxismus, Neuwied, Berlin 1972 Ebenfalls als Einführung zu empfehlen, aber weitaus knapper und komprimierter: - Sweezy, R, Theorie der kapitalistischen Entwicklung, Frankfurt 1972. - Bader, V., J. Berger, M. Krätke, Krise und Kapitalismus bei Marx, Frankfurt 1975

Staatstheorie Eine übersichtliche Zusammenstellung von Marx-Texten zu diesem Thema wie erläuternde und kommentierende Einleitungskapitel der Herausgeber enthält: - Hennig, E., J.Hirsch, u.a., Hg., Karl Marx/Friedrich Engels. Staatstheorie, Frankfurt 1974 Die Staatstheorie von Marx und deren Weiterführung und Abwandlung durch Theoretiker in der Tradition des Marxismus bis hin in die Gegenwart wird dargestellt von - Röhrich, W., Marx und die materialistische Staatstheorie, Darmstadt 1980 Von zentraler Bedeutung für die Marxsche Staatstheorie ist seine Bonapartismustheorie. Sie wird sorgfältig untersucht von: - Wippermann, W, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983

Klassentheorie Eine nach wie vor empfehlenswerte Einführung in die marxistische Klassentheorie, die neben der Darstellung seiner Position auch eine Beziehung zur aktuellen Verfassung der Sozialstruktur herstellt, findet sich bei: - Mauke, M., Die Klassentheorie von Marx und Engels, Frankfurt 1970

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Bibliographische Hinweise

Ideologie Als klassischer Text zum Thema das entsprechende Kapitel in: - Barth, H., Wahrheit und Ideologie, Stuttgart, Erlenbach 1961 Eine Aufsatzauswahl von Vertretern verschiedener Richtungen zu diesem Problem und eine ausführliche Bibliographie enthält der Sammelband - Lenk, K., Hg., Ideologie, Frankfurt 1984

Kritik Bedingt durch das Alter der Theorie von Marx findet sich erstens, gerade was die kritische Auseinandersetzung mit seiner Arbeit anbelangt, eine kaum überschaubare Anzahl von Literatur. Zweitens kann man sagen, daß die zentralen Kritikpunkte an seiner Theorie bereits um die Jahrhundertwende formuliert waren. Bei späteren Veröffentlichungen zu dieser Rubrik handelt es sich im wesentlichen um Reformulierungen und Erweiterungen von Positionen, die bereits bei den folgenden beiden .Klassikern' zu finden sind: - Bernstein, E., Die Voraussetzungen des Sozialismus, Reinbek bei Hamburg 1969 (Erstausgabe 1899) Während Bernstein eher Gesichtspunkte anspricht, die soziologisch bedeutungsvoll sind, bezieht sich die nächste Arbeit auf die Ökonomie von Marx: - Bortkiewicz, L. v., Wertrechnung und Preisrechnung im Marxschen System, Gießen 1976 (Erstausgabe 1906/07) Als neuere Arbeiten zu diesem Thema seien genannt: - Becker, W., Kritik der Marxschen Wertlehre, Hamburg 1972 - Münch, R., Gesellschaftstheorie und Ideologiekritik, Hamburg 1973, S. 47-104.

Zu Kapitel 5: Folgende Sammelbände enthalten klassische Texte zur Wissenschaftslehre: - Topitsch, E., Hg., Logik der Sozialwissenschaften, Köln, Berlin 1968 - Albert, H., Hg., Theorie und Realität, Tübingen 1972 - Acham, K., Hg., Methodologische Probleme der Sozialwissenschaften, Darmstadt 1978 Alle drei Bände enthalten ausführliche Literaturhinweise. Thomas S. Kuhn hat in zahlreichen Arbeiten für eine grundlegende Verschiebung innerhalb der Sichtweise der Wissenschaftstheorie gesorgt, indem er stärker die faktische Entwicklung der Wissenschaften in die Analyse einbezog. - Kuhn, T.S., Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1967 - Kuhn, T.S., Die Entstehung des Neuen, Frankfurt 1978 Über die daran anschließende Debatte informiert: - Lakatos, I., A. Musgrave, Hg., Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig 1974 - Radnitzky, G., G. Andersson, Hg., Fortschritt und Rationalität, Tübingen 1980

Bibliographische Hinweise

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Jüngst hat Paul Feyerabend die Abschaffung jeglicher wissenschaftslogischer Normen verlangt, da sie allesamt den Erkenntnisfortschritt hinderten. - Feyerabend, P., Wider dem Methodenzwang, Frankfurt 1976 Über die daran anschließende Diskussion informiert: - Duerr, H. P., Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends, 2 Bde., Frankfurt 1980, 1981 Über die Probleme des Theorievergleichs in der Soziologie: - Hondrich, K., J. Matthes, Hg., Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften, Darmstadt, Neuwied 1978 - Lepsius, R.M., Hg., Zwischenbilanz der Soziologie. Verhandlungen des 17. Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1976, Teil II, Zum Theorienvergleich in der Soziologie - Bolte, Κ. M., Materialien aus der soziologischen Forschung. Verhandlungen des 18. Deutschen Soziologentages, München 1978, Teil 6, Themenbereich Theorienvergleich

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Literaturverzeichnis Albert, Η., 1967: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Neuwied, Berlin Becker, H., 1981: Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens, Frankfurt Bergmann, J., 1982: Industriesoziologie - eine unpraktische Wissenschaft?, in: Soziale Welt, 33 Binder, L., 1971: Crisis of Political Development, in: ders. u.a., Crisis and Sequences in Political Development, Princeton, New Jersey Blumer, H., 1938: Social Psychology, in: Schmidt, E.P., Hg., Man and Society, New York Blumer, H., 1973: Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus, in: AG Bielefelder Soziologen, Hg., Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek bei Hamburg Blumer, H., 1978: Die soziologische Analyse und die,Variable', in: Acham, K., Hg., Methodologische Probleme der Sozialwissenschaften, Darmstadt Denzin, N.K., 1970: The Research Act, Chicago Dürkheim, E., 1976: Regeln der soziologischen Methode, Neuwied, Berlin Gewirth, Α., 1978: Können sozialwissenschaftliche Gesetze durch Menschen geändert werden?, in: Acham, K., Hg., Methodologische Probleme der Sozialwissenschaften, Darmstadt Glaser, B.G., 1978: Theoretical Sensitivity, San Francisco Gouldner, Α., 1970: Die westliche Soziologie in der Krise, Reinbek bei Hamburg 1979 Hall, P., 1972: A Symbolic Interactionist Analysis of Politics, in: Effrat, Α., Hg., Perspectives in Political Sociology, Indianapolis Hobsbawm, E., 1976: Labouring Men, London Johnson, D., 1981: Sociological Theory, New York Krappmann, L., 1972: Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart Krzeminski, /., 1979: Interactionists Interpretation of the Theory of G.H. Mead, in: The Polish Sociological Bulletin, No. 2 Lindesmith, Α., A. Strauss, 1974: Symbolische Bedingungen der Sozialisation, Düsseldorf Maines, D., 1977: Social Organization and Social Structure in Symbolic Interactionist Thought, in: Annual Review of Sociology, 3 Malinowski, Β., 1944: Α Scientific Theory of Culture and Other Essays, Oxford 1960 MEW, Marx-Engels Werke, Berlin (DDR) 1956ff Marx, K., 1844: Ökonomisch-Philosphische Manuskripte aus dem Jahre 1844, in: MEW Ergänzungsband 1 Marx, K., 1845: Thesen über Feuerbach, in: MEW 3 Marx, K., 1848: Manifest der kommunistischen Partei, in: MEW 4 Marx, K., 1852: Der 18. Brumaire,in: MEW 8 Marx, K., 1857/58: Grundrisse der politischen Ökonomie, Berlin (DDR) 1953 Marx, K., 1887: Das Kapital, Bd. 1 - 3 , in: MEW 23-25 Opp, K.-D., 1970: Methodologie der Sozialwissenschaften, Einführung in Probleme ihrer Theoriebildung, Reinbek bei Hamburg Parsons, Τ., 1937: The Structure of Social Action, New York, London 1968 Parsons, T„ u.a., 1951: Toward a General Theory of Action, New York 1962 Parsons, T., 1951: The Social System., New York, London 1968 Parsons, T., 1964: Soziologische Theorie, Neuwied, Berlin Parsons, Τ., 1969: Politics and Social Structure, New York Parsons, T., 1971: The System of Modern Societies, Englewood Cliffs, N.J. Parsons, T., G.M.Piatt, 1973: The American University, Cambridge, Mass. Parsons, T., 1973: Einige grundlegende Kategorien einer Handlungstheorie, in: Mühlfeld, C., M. Schmidt, Soziologische Theorie, Hamburg Parsons, Τ., 1975: Die Entstehung der Theorie des sozialen Systems: Ein Bericht zur Person, in: ders., E. Shils, P. Lazarsfeld, Soziologie - autobiographisch, Stuttgart Popitz, H., u.a., 1957: Technik und Industriearbeit, Tübingen Popitz, H., 1964: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters, Tübingen Popper, K.. 1976: Logik der Forschung, Tübingen

Literaturverzeichnis

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Sach- und Personenverzeichnis Abweichenses Verhalten 83 ff Abweichung 36, 41, 47 f Adorno, Th.W. 98 Äquivalententausch 118 f affektiv vs. affektiv neutral s. Orientierungsalternativen Α-Funktion s. Funktionen AGIL-Schema 24f, 25, 30-34, 36 Akteur 15-17, 20f Ambuigitätstoleranz 76 Anpassung s. Funktionen Anpassungskapazität 18,35 Arbeitskraft 107f, 111 Ausdifferenzierung s. Differenzierung Austauschbeziehungen 18, 43 Basis und Überbau 103 Becker, H. 83ff Behaviorismus 14 Bendix, R. 91, 95 Bewußtsein 127f, 132f Blumer, H. 56ff, 64ff, 77ff, 85 Definition der Situation 62 f Differenzierung 18, 29, 30-34, 34-37, 4 3 45, 47 f, 52 Dürkheim, E. 4, 16 Evaluativ 27, 43 evolutionäre Uni versahen 35 Evolution s. Evolutionstheorie Evolutionstheorie 34-37, 42, 45, 48, 90ff, 95 Falsifikation 136 ff Feyerabend, P. 139f, 142 Forschungsprogramm 140f Frankfurter Schule 98 Funktion 18, 19 Funktionen 23-25; Anpassung (A-Funktion) 23-25, 31 f, 44; Integration (IFunktion) 22, 24f, 32f, 45; Strukturerhaltung (L-Funktion) 24-25, 33 f, 43 f; Zielerreichung (G-Funktion) 23-25, 31, 45 Funktionalismus 10-53 Gebrauchswert 107 generalisierte Medien 31-34 Gesellschaftsbild des symbolischen Interaktionismus 65 f Gesellschaft als System 30-34

gesellschaftliche Gemeinschaft (societal Community) s. Subsysteme gesellschaftliche Integration 13-15, 17, 26, 38, 101 f gesellschaftliche Ordnung s. gesellschaftliche Integration gesellschaftliche Produktion 106f G-Funktion s. Funktionen Handlungsakt (unit act) 15-17, 20 Handlungsebene 26f, llOf Handlungssystem 19, 30 Handlungssystem, allgemeines 20-25, 26, 44 Handlungssystem, generalisiertes s. Handlungssystem, allgemeines Handlungstheorie 15-17, 37, 47, 49ff Historische Soziologie 90-135 Horkheimer, M. 98 Ich-Identität 76 Idealtypus 93 f, 95 Identität, persönliche und soziale 73 ff Ideologie 117-119 I-Funktion s. Funktionen institutionalisierter Individualismus 35, 50 Institutionalisierung 28-30, 32f Integration s. Funktionen Internalisierung 26f, 32, .41 Interview 80ff, 88f Kathektisch 27, 43 Klassen s. Klassentheorie Klassenbewußtsein 120 Klassentheorie 111-115, 132 kognitiv 27 Komplementarität von Erwartungen 71 ff Kuhn, T.S. 139ff Kultursystem s. Subsysteme Lakatos, J. 139f L-Funktion s. Funktionen Luhmann, Ν. 11 Marshall, A. 16, 19 Marx, K. 4f, 97-135 Marxistische Theorie 97-135 Materialismus 102-104 Mead, G.H. 56, 85 Merton, R.K. 10, 12 Mehrwert 108, 111 moderne Gesellschaften 36, 51 f Motivation 15, 26f, 38, 45

Sach- und Personenverzeichnis Negotiated order 66 ff normative Integration 16f, 26-30, 137ff Normen 16f,.20, 21, 39, 41, 45, 93, 119f Objekte, nicht-soziale 16, 20 f Objekte, soziale 16, 21 f Ökonomie 103, 115f, 131 Organismussystem s. Subsysteme Orientierungsalternativen (pattern-variables) 27, 35, 43 ff Pareto, V. 16, 19 Parsons, Τ. 10-53, 91, 95f, 100, HO, 115, 133, 137, 140 Persönlichkeitssystem s. Subsysteme Platt, G.M. 42 Politik (polity) s. Subsysteme Popper, K. 136ff Position 38 Praxisbezug 97f, 129 Produktion, gesellschaftliche 106f Produktivkräfte 104-106 Produktionsverhältnisse 104-106 Produktionsprozeß 107 Profit 109, 130f Profitrate 109, llOf protestantische Ethik 92 f Rationalisierung s. Rationalität Rationalität 35, 42, 45f, 93 Reduktion 2 ff, 63 f Reduktionismus 14, 19, 50 role-making vs. role-taking 70 ff Rolle 123f Rollendistanz 76 Rollen-Positionen 29, 32 Rollentheorie - Parsons: 37, 38f - symbolischer Interaktionismus 69ff Rollenübernahme 70 ff Rose, A. 57, 65f Sanktionen 30 Selbstgenügsamkeit 30 Situation 15-17 Smelser, N.J. 42 Sozialisation 27, 37f, 39-42 Sozialsystem s. Subsysteme Spezialisierung 28, 45 spezifisch vs. diffus s. Orientierungsalternativen Staat 1115-117, 133f Standard American Sociology 10f Status-Rollen s. Rollen-Positionen Steuerungshierarchie 25, 26, 44 Strauss, A. 66ff

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Struktur 10, 15, 18f Strukturanalyse 18f, 20-22 Strukturebene 26, 28f, llOf Strukturerhaltung s. Funktionen Strukturfunktionalismus s. Funktionalismus Strukturtheorie s. Systemtheorie Subsysteme 22, 30-34 - des allg. Handlungssystems: Organismus 21, 23-25, 30-34; Persönlichkeit 20, 2122, 23-25, 30-33; Sozialsystem 21 f, 2325, 32f; Kultur 21f, 30, 33f, 37, 43f, 45; - von Gesellschaft: Wirtschaft 31, 32, 44; Politik 31 f; gesellschaftliche Gemeinschaft 32 f; Treuhänder Subsystem 33 ff Symbol 58 f Symbolischer Interaktionismus (SI) 96, 100, 119f, 126f System, akademisches 42-46 System, kognitives 12 System, soziales 12 System, theoretisches 17 Systematisierung v. Werten und Normen 28f Systemebene s. Strukturebene Systemeigenschaften 17f, 37 f, 40 System wechselseitiger Erwartungen 38,40f Systemtheorie 17-20, 42-46, 47, 49 ff, 96, 119f Tauschprozeß 107 Tauschwert 107f teilnehmende Beobachtung 80 ff, 89 Theorievergleich 141 ff Treuhänder-Subsystem (fiduciary subsystem) s. Subsysteme Turner, R. 70 Universell vs. praktikular (universalism vs. particularism) s. Orientierungsalternativen Umwelt 18f, 22, 23 Variablenanalyse 77 f Vergesellschaftung s. gesellschaftliche Integration Weber, M. 4f, 9, 16, 92-96, 133 Wertanalyse 112 Werte/Wertemuster/Wertvorstellungen 21, 34, 43, 45f, 48 f, 49f, 119 Wesen und Erscheinung 99 f, 124f Wirtschaft (economy) s. Subsysteme Zielerreichung s. Funktionen zugeschriebene vs. durch Leistung erworbene Eigenschaften (ascription vs. achievement) s. Orientierungsalternativen Zusammenbruchstheorie 110