Einführung in die Rechtswissenschaft: Grundfragen, Grundgedanken und Zusammenhänge [Reprint 2020 ed.] 9783112316405, 9783112305287


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DANK
INHALTSVERZEICHNIS
Zur Einführung
ERSTER TEIL. ALLGEMEINE GRUNDFRAGEN
Kapitel I: Das Recht als Sein
Kapitel II: Das Recht als Sollen
Kapitel III: Die Grenzen des Rechtes
Kapitel IV: Recht und Gesellschaft
ZWEITER TEIL. GRUNDGEDANKEN UND PROBLEME DER HAUPTRECHTSGEBIETE
Kapitel I: Das Rechtssystem
Kapitel II: Privatrecht
Kapitel III: Gerichtsverfassung und Prozeß
Kapitel IV: Strafrecht
Kapitel V : Vom Staate
Kapitel VI: Völkerrecht
Zur Literatur
I. Personenregister
II. Sachregister
III. Abkürzungen und Gesetzgebungsdaten
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Einführung in die Rechtswissenschaft: Grundfragen, Grundgedanken und Zusammenhänge [Reprint 2020 ed.]
 9783112316405, 9783112305287

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REHFELDT • EINFÜHRUNG

Lehrbücher und Grundrisse der Rechtswissenschaft

Neunter Band

Berlin 1962

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer * Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Einführung in die

Rechtswissenschaft Grundfragen, Grundgedanken und Zusammenhänge

von

Dr. Bernhard Rehfeldt ord. Professor an der Universität Köln

Berlin 1962

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Göschen*sehe Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlags* buchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Archiv-Nr. 2305 62 3 Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 30 Alle Rechte, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten.

DANK sage ich allen Kollegen, die mir in liebenswürdigem Gespräche Anregungen gegeben, vor allem denen, die Teile meines Manuskripts gelesen haben. Nicht minder aber gilt mein Dank der Assistentin des Kriminalwissenschaftlichen Instituts Dr. B r i g i t t e S c h m i d t h a l s , d i e mich durch klugen Widerspruch gefördert, wie meinem Assistenten, Dr. D i e t e r S t r a u c h , der mich besonders bei der Korrektur und bei der Anfertigung der Register unterstützt hat. Köln, im März 1962 Bernhard Rehfeldt

INHALTSVERZEICHNIS

Seite

Zur Einführung

i

ERSTER TEIL. ALLGEMEINE

GRUNDFRAGEN

Kapitel I: Das Recht als Sein

§ i

Der Mensch und die Normen

7

§ 2 Gewohnheit und Sitte

11

§ 3 Sitte und Recht

13

§ 4 Recht und Gesetz

16

§ 5 Herrschaftsordnung und Staat

19

§ 6 Die Gesetzgebung

24

§ 7 Sitte, Sittlichkeit und Gesetz

27

§ 8 Von der Notwendigkeit der Gesetze und der Justiz

32

§ 9 Normenhunger und Rezeptionen

35

§ 10 Die Definition des Rechtes

39

Kapitel II: Das Recht als Sollen

§ 11 Sein und Sollen

43

§ 12 Die Willensfreiheit

45

VIII

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 13 Das Gefüge der Rechtsnormen

52

§ 14 Rechtssubjekt und subjektives Recht

56

§ 15 Recht und Anspruch

61

§ 16 Anspruch und Eigentum

66

§ 1 7 Der Besitz und das Problem des subjektiven Rechtes . . . . 70 § 18 Das Problem der juristischen Person und die Realität der Verbände 76

Kapitel III: Die Grenzen des Rechtes § 19 Recht und Sittlichkeit

88

§ 20 Von der Gerechtigkeit

92

§21 Waage und Gleichheit

94

§ 22 Die Relativität des positiven Rechtes

98

§ 23 Naturrecht und Ethik

101

§ 24 Von den allgemeinsten Prinzipien des Rechtes und der Ethik . 1 1 1 § 25 Die Grenzen der Prinzipien

115

§ 26 Die Rechtsidee und die Natur der Sache

117

§ 27 Der Sinn des Gesetzes

125

Kapitel IV: Recht und Gesellschaft § 28 Geltung und Geltungsgrund des positiven Rechtes

129

§ 29 Das Problem des Gewohnheitsrechtes

135

§ 30 Fortsetzung: Rechtsprechung als Rechtsschöpfung § 31

Kodifiziertes Recht und Case Law

§ 32 Das geltende Recht in der sozialen Wirklichkeit

. . . .

140 147 156

Inhaltsverzeichnis ZWEITERTEIL. PROBLEME DER

GRUNDGEDANKEN

IX UND

HAUPTRECHTSGEBIETE

Kapitel I: Das Rechtssystem Seite

§ 3 3 Einleitung : Die Institutionen § 34 Die Einteilung des Rechts

167 170

Kapitel II: Privatrecht § 35 Vorbemerkung

179

§ 36 Schuldrecht und Sachenrecht

179

§ 37 Der Vertrag

191

§ 38 Fortsetzung: Der Vertrag im Massenverkehr

196

§ 39 Rechtsschein, Veranlassung und Publizität

206

§ 40 Die Schadenshaftung

213

§ 41 Fortsetzung: Die Gefährdungshaftung

224

§42 Fortsetzung: Verschulden und Rechtswidrigkeit

229

Kapitel III: Gerichtsverfassung und Prozeß § 43 Allgemeines

235

§ 44 Ist Prozeßrecht nötig ? (Die Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit) 237 § 45 Die Zwecke des Prozeßrechts

241

§ 46 Volksgericht und Juristengericht

246

X

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 47 § 48 § 49 § 50

Aktenprozeß und mündliche Verhandlung Parteiherrschaft und Richterprozeß Verhandlungsmaxime und Wahrheitsfindung Deutsche und englische Justiz

254 261 269 275

Kapitel IV: Strafrecht

§ 51 Allgemeines § 52 Privatstrafe und öffentliche Strafe § 53 Die Funktion der Rache

282 285 294

§ 54 Der Zweck der öffentlichen Strafe §55 Fortsetzung: Das kalifornische System

302 312

Kapitel V : Vom Staate

§ 56 Vorbemerkungen

320

§57 Was ist der Staat? § 58 Staat und Volk § 59 Der Staat und die Freiheit A. Die Freiheit

322 332 337 337

B. Der Grundvertrag

338

C. D. E. F.

348 350 353 354

Die Die Die Die

Grundrechte Gewaltentrennung Volkssouveränität Konkurrenz der Freiheiten

Inhaltsverzeichnis

XI

Kapitel VI: Völkerrecht Seite

§ 60 Wesen und Geltungsgrund des Völkerrechts

356

§ 61 Vom Welt-Staatenbund zum Welt-Bundesstaat

367

§ 62 „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" 369

Zur Literatur

I. P e r s o n e n r e g i s t e r II. S a c h r e g i s t e r III. A b k ü r z u n g e n und Gesetzgebungsdaten

375

383 387 400

Zur Einführung I. Ein gewöhnlicher Irrtum des Anfängers ist der, das Recht bestehe aus Paragraphen und alle Rechtsfragen könnten aus dem Gesetz beantwortet, alle Entscheidungen aus ihm abgelesen werden. Kenne er also den Gesetzestext, so wisse er, was er zu wissen habe, und eben dies sei die Rechtswissenschaft. Der Jurist sei also ein Mensch, der viele Paragraphen kenne; je mehr von ihnen er kenne, um so besser sei er. Aber am 1. April 1953 traten gemäß Art. 1171 des Bonner Grundgesetzes (GG) alle Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) außer Kraft, die mit dem Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht übereinstimmten. Das waren bedeutende Teile des Familienrechts, und da der Bundestag mit seiner Arbeit nicht fertig wurde, dauerte es bis zum 1. Juli 1958, ehe neue Paragraphen an ihre Stelle traten. In der Zwischenzeit ging indes nicht nur das Familienleben weiter, auch die Tätigkeit der Richter in Familiensachen. Das Fehlen der Paragraphen hatte sie bloß schwieriger gemacht. Als am 1. Januar 1900 das BGB in Kraft trat, hatte es in weiten Teilen Deutschlands auf dem Gebiete des allgemeinen Privatrechts überhaupt noch keine Paragraphen gegeben. Dort hatte man auf Grund des das römische Recht zusammenfassenden Gesetzbuches eines byzantinischen Kaisers vom Jahre 534 judiziert, das nicht aus Paragraphen in unserem Sinne, vielmehr aus kurzgefaßten Fallentscheidungen nebst juristischen Erläuterungen bestand und das auch kein Gesetzblatt eines deutschen Landes je als Gesetz verkündet hatte. An die Stelle einer anderthalbtausendjährigen Rechtsquelle trat nun also eine nagelneue. Das Ereignis wurde von den Juristen gebührend gefeiert und diskutiert, die Presse berichtete darüber. Aber das Leben änderte sich nicht, die Tätigkeit der Ge1 R e h f e l d t , Einführung

2

Einführung

richte mehr formal als inhaltlich. Es waren nicht allzu viele Sachen, die i. J. 1900 praktisch anders zu entscheiden waren als im Jahr zuvor. Viel mehr Fälle sind es, die i. J. 1960 anders entschieden worden sind, als man sie etwa 1910 entschieden haben würde, auch wo der Text des BGB (wie durchweg überall mit Ausnahme des Familienrechts) ganz unverändert geblieben ist. Wie aber war das möglich, wo das Gesetz dasselbe war ? Muß man es da nicht 1910 —oder 1960 — falsch gelesen haben ? Hätte denn dieselbe Entscheidung, die 1910 richtig war, i. J. 1960, auf Grund desselben Gesetzes erlassen, falsch gewesen sein können? In England und USA gibt es überhaupt kein BGB. Die Gesetze (statutes) spielen dort eine untergeordnete Rolle, und auch von jenem byzantinischen Juristenkaiser hat man dort nichts wissen wollen. Die Richter entscheiden auf Grund der Entscheidungen ihrer Vorgänger. Diese Vorentscheidungen (Präjudizien, precedents) sind keine Gesetze; kein Paragraph erklärt sie für verbindlich, und dennoch gelten sie. Was heißt dann aber „gelten" ? Und wie kann man es gar begreifen, daß jene angloamerikanischen Richter, ganz ohne BGB und Code civil, gut 85% der Fälle im Ergebnis nicht anders entscheiden als ihre kontinentalen Kollegen? II. Wer aber, weil deutsches Recht studierend, meinen sollte, die Römer nebst Engländern und Amerikanern gingen ihn nichts an, wird gleichwohl in den Übungen verwundert merken, wie oft ihn das Gesetz im Stiche läßt. Selten wird ihm dort ein Fall begegnen, der aus dem Gesetzestext allein zu lösen ist. Jeden Fall hat er nach dem Gesetz zu behandeln, dessen Text neben ihm liegt, und wird es gerade dann zu schätzen lernen, wenn er darin vergeblich weitersucht. So lernt er, das Gesetz beherrschen, um durch das Gesetz über das Gesetz hinauszukommen. Und nur auf diesem Wege lernt er es; Paragraphen zu memorieren nutzt ihm nichts. In der Praxis wird er dann erleben, wie der Gesetzestext unter den Vorentscheidungen der Rechtsprechung, der Judikatur, verschwindet. Er schlage einen beliebigen größeren Kommentar, zumal zum BGB auf, und er kann es sehen. Auf Gebieten vollends, auf denen der Gesetzgeber sich zurückgehalten und nur „General-

Einführung

3

klauseln" gegeben hat (im Recht des unlauteren Wettbewerbs z.B.), herrschen die Präjudizien praktisch auch bei uns nicht anders, als in England überhaupt. III. Wonach entscheidet aber dann der Richter, wenn der Gesetzestext ihm unmittelbar nicht weiterhilft? — Vielleicht ergibt sich ein nicht unmittelbar zum Ausdruck gekommener Sinn des Gesetzes aus seinem Zweck (wie Sinn und Zweck zusammengehören und in dem englischen Worte meaning auch zusammenfließen) ? Vielleicht ist der Grundgedanke des Gesetzes an anderer Stelle in einer ähnlichen Vorschrift ausgedrückt, die deshalb analog verwendbar ist ? Oder folgt vielleicht, umgekehrt, gerade daraus, daß jener Gedanke, obwohl an anderer Stelle ausgesprochen, an dieser Stelle fehlt, daß er hier fehlen soll und also nicht anwendbar ist (Umkehrschluß, argumentum e contrario) ? Das hängt wiederum vom Zwecke des Gesetzes ab (teleologische Auslegung), nicht zuletzt aber auch davon, ob jener Gedanke zu den G r u n d g e d a n k e n des Rechts gehört oder ihnen doch nahesteht; denn dann durfte vom Gesetzgeber erwartet werden, daß er es s a g t e , nicht aber bloß schwieg, wenn er ihn im Einzelfalle ausschließen wollte. Wo aber auch solche Auslegung nicht weiterhilft oder gar kein Gesetz vorhanden ist, da bleiben n u r diese Grundgedanken übrig. IV. Wie aber erkennt der Richter den Gesetzeszweck und wie die Grundgedanken ? Welche sind es und welchen Rang haben sie untereinander und im Verhältnis zum Gesetz? Ergeben sie sich aus dem Gesetz, oder beruht es selbst auf ihnen ? Worauf beruht dann aber ihre eigene Legitimation ? Gelten sie an sich selbst und sind sie von Natur? Von kosmischer? Von menschlicher? Kann einem Gesetz die Eigenschaft abgehen, Recht zu sein, weil es einem von ihnen widerspricht ? Und was ist Recht ? Wenn aber die Existenz des Rechts nicht von Gesetzen abhängt: welche Zwecke können dann Gesetze haben ? An wen wenden sie sich ? Was können sie bewirken ? — Die Grundgedanken des Rechts haben uns zu seinen G r u n d f r a g e n geführt. V. Hiermit nun haben wir die R e c h t s w i s s e n s c h a f t vor uns und gefunden, daß sie aus Gesetzeskunde, Methodologie und Grundi»

4

Einführung

lagenforschung besteht. Erst die Vereinigung dieser drei Elemente macht sie zur Wissenschaft: G e s e t z e s k u n d e für sich allein (und wie der Anfänger sie sich zu denken pflegt) wäre sinn- und zwecklos, überdies auch Stumpfsinn. R e c h t s m e t h o d o l o g i e wäre ohne die Gesetze Form ohne Stoff; ohne ihn, den „Rechtsstoff", wäre sie kaum begreiflich, allenfalls geistvoll, aber zwecklos, l'art fiour l'art. Die R e c h t s g r u n d l a g e n f o r s c h u n g endlich, nach Herkunft, Wesen und Voraussetzungen dieses Rechtsstoffes —- nebst der Methode seiner Anwendung — fragend, hat ihn also ebenfalls zum Gegenstand. Wie die Methodologie seiner Handhabung, dient sie seiner Erkenntnis. Ohne Beziehung auf ihn wäre sie Geschichte, Soziologie und Philosophie. Erst ihre Beteiligung am Ganzen erhebt es zur Rechtswissenschaft: Gesetze, methodisch angewendet, wären bloß Rechtstechnik. Bloße Rechtstechnik kann aber nicht bestehen: um sinnvoll arbeiten zu können, sieht sie sich, wir sahen es, zur Frage nach ihren eigenen Voraussetzungen genötigt. So wird sie zur Rechtswissenschaft. Die Kunst, Massen zu bewegen, Wasser zu leiten, Kraft zu gewinnen, Wärme zu erzeugen, Schiffe zu bauen, kurz: die Technik {techne = Kunst!) führte spekulative Köpfe zur Physik. Diese, die Naturwissenschaft (ph$sis = Natur!), machte aus ihr, was sie heute ist. VI. Im Rechtsunterricht erlebt der Student Rechtsstoff und Methodik von vornherein als Einheit: in den Vorlesungen werden ihm die Vorschriften systematisch und in ihren Zusammenhängen dargeboten, ihre Auslegung und ihre Ergänzung nach ihrem Sinn und Zweck. In den Übungen lernt er sie anzuwenden; auch hier erlernt er also Stoff und Methode zugleich. Daß letztere eine selbständige Materie ist, kommt ihm meist erst später zum Bewußtsein. Erst dann ist er reif, zu einer Methodologie zu greifen, und sollte das auch tun. Einiges davon erfährt er indes auch hier (besonders in den §§ 13, 21, 26, 27, 31).

Die Grundlagen treten ihm in selbständigen Vorlesungen entgegen: als Rechtsgeschichte, Allgemeine Staatslehre, Rechtsphilosophie. Meist hört er sie pflichtgemäß, findet aber oft, daß der Ertrag für ihn gering ist. Der Zusammenhang dieser Gegenstände mit

Einführung

5

dem geltenden Recht, auf daß es ihm ja ankommen muß, bleibt ihm zu oft verborgen. So wird ihm das Recht zur Technik; zu seinen Grundfragen ist er nie hinabgestiegen. Er gleicht dann dem „Elektriker", der von Physik nichts weiß: das Routinemäßige vermag er bieder zu erledigen, was darüber hinausgeht, wird ihn ratlos machen. Seiner Rechtskenntnis fehlt, was sie zur Wissenschaft erheben würde. VII. Indem der Verfasser Grundfragen und Grundgedanken des Rechtes zum Gegenstande dieses Buches macht, glaubt er deshalb, am besten in die Rechtswissenschaft einführen zu können. Er hat sich bemüht, Zusammenhänge sichtbar zu machen und zu verbinden, was sonst getrennt behandelt wird. Er hofft damit, dem Anfänger das Verständnis der Lehrgegenstände von Anbeginn erleichtern, dem Fortgeschrittenen die Augen für „Querverbindungen" öffnen zu können und seine Einsicht zu vertiefen. Juristische Fachkenntnisse setzt die Lektüre des Buches nicht voraus. Dem Anfänger wird aber empfohlen, Textausgaben des BGB, HGB, StGB, der ZPO sowie des Grundgesetzes dabei zur Hand zu haben und die zitierten Bestimmungen nachzuschlagen. Nachschlagend erlernt er sie! Er wird auch gut daran tun, sich schon im 1. Semester einen „Schönfelder" (Deutsche Gesetze; Verlag Beck; die gebräuchliche Gesetzsammlung mit auswechselbaren Blättern) anzuschaffen; die genannten meistbenutzten Gesetze, der bequemeren Handhabung wegen, aber außerdem in Einzeltexten. Dieses Grundhandwerkzeuges bedarf er für sein Studium ohnehin. Mit seinem Gebrauche kann er sich nicht früh genug vertraut machen. Wie kann er über das Handwerk hinauskommen, wenn er es nicht beherrschen lernt ?

ERSTER

TEIL

ALLGEMEINE GRUNDFRAGEN KAPITEL I

Das Recht als Sein Der Mensch und die Normen I. Das Recht gehört dem Bereiche der zwischenmenschlichen Beziehungen an. Es besteht aus Normen, die für das Verhalten von Menschen zueinander gelten. Ohne Normen, also Verhaltensregeln, können Menschen nicht zusammenleben. Ohne sie wäre das Verhalten jedes für den anderen unvorhersehbar. Handelt jemand in bestimmten Lagen nicht, wie man in solchen Lagen zu handeln pflegt, gemäß der von ihm übernommenen Aufgabe und der ihm von den anderen eingeräumten Stellung, vor allem aber gemäß seinem gegebenen Wort, so ist er für die anderen „unberechenbar", unzuverlässig und damit unbrauchbar zur Zusammenarbeit. Der Unzuverlässige schließt sich von selber aus. Eine Menschengruppe, in der auf niemanden Verlaß wäre, in der also keine Nonnen wirksam wären, auf deren Innehaltung man vertrauen dürfte, könnte nicht zusammenhalten. Der Mensch ist aber auf das Zusammenleben mit seinesgleichen angewiesen. Nur in Gemeinschaft ist er lebensfähig, nur in Gemeinschaft Mensch. II. Die Regeln für das Zusammenleben in seinen Gemeinschaften sind ihm indes nicht fertig angeboren. Er muß sie selber bilden. Eben dadurch unterscheidet er sich von den gesellig lebenden Tieren, insbesondere von den sogenannten staatenbildenden

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Das Recht als Sein

I n s e k t e n . Diesen, wie allen Tieren, sind bestimmte, wenig variable Verhaltensweisen mitgegeben. Streng fixierte und spezialisierte Instinkte lenken das gesamte Verhalten jedes Tieres, zu seiner Umwelt wie zu seinesgleichen. Auf Grund angeborener spezialisierter Triebe baut die Biene ihre sechsseitigen Wabenzellen, millimetergenau und in drei Größenklassen — Königinnen, Drohnen, Arbeiterinnen gehen aus ihnen hervor —, füttert sie die Larven — mit Spezialnahrung je nach deren Geschlecht — tötet sie die Drohnen nach der Schwarmzeit, füttert sie die Königin, sammelt sie den Winterhonig. Der Puppenhülle als Arbeiterin entschlüpft, kann sie dies alles und tut sie dies alles; sie kann nicht anders und nichts anderes. Drohnen und Königinnen können es nicht; sie können nur anderes und wiederum nicht anders. Kein Tier gestaltet sein Verhalten. Die Biene kann ihren „Staat" nicht ändern. Seine Struktur ist ihr mit der ihren, also artspezifisch vorgegeben. Dem Menschen aber ist nur die Geselligkeit als solche angeboren, als die Fähigkeit u n d Nötigung zur Gemeinschaftsbildung, eine bestimmte Gemeinschafts/om nicht. Denn der Mensch ist instinktarm und wenig spezialisiert, „nicht festgestellt", d a f ü r aber fast schrankenlos anpassungsfähig. I n eine Umwelt versetzt, auf die sein Instinktschema nicht paßt, geht das Tier zugrunde. Der Mensch kann seine Umwelt umgestalten: Urwald, Sumpf und Wüste in Kulturland, Heide in Forst verwandeln. Ebenso jedoch kann er sein eigenes Verhalten ändern, auch gegenüber seinesgleichen. Damit verändert er aber notwendig die S t r u k t u r der Gemeinschaften, in denen er lebt. Welcher Gestaltungen seines Daseins u n d seines Zusammenlebens der Mensch fähig gewesen ist, lehren Ethnologie u n d Geschichte. Welcher er noch fähig sein wird, kann nur die Zuk u n f t lehren. I I I . Indessen gibt die Unfixiertheit, die Variabilität seines Verhaltens dem Menschen doch nur deshalb einen solchen Vorsprung, weil er in anderem Maße, vor allem aber in anderer Art zu l e r n e n vermag. Auch das Tier kann lernen: Wenige Pirschgänge genügen der Katze, um sich in einer neuen Örtlichkeit zurecht zu finden. Schnell lernt sie Futternapf und Essenszeit kennen. Bald hat sie „die Uhr im Kopf" und „weiß", daß man ihr die Tür öffnet, wenn sie sich davorsetzt.

§ 1. Der Mensch und die Normen

9

Eine oder zwei gute oder böse Erfahrungen mit den Menschen ihrer Umgebung genügen ihr, um sich jedem gegenüber „richtig" zu verhalten. Und noch über Jahresfrist hat sie es nicht vergessen. — Aber jede Katze muß ihre Erfahrungen selber machen. Sie sterben mit ihr, und ihre Jungen fangen wieder von vorne an. Nur das Individium vermag beim Tier zu lernen, nicht die Gattung. Der Mensch allein t r a d i e r t sein Wissen: In unseren heutigen Produktionsmethoden stecken alle technischen Erfahrungen, die unsere Vorfahren mit ihren Werkzeugen u n d Arbeitsweisen, von der Steinzeit her, gemacht haben, dazu solche von Babyloniern, Ägyptern, Griechen, Römern u n d Chinesen. Kulturgut ist kumulierbar, u n d der winzige Zufallsfortschritt, den ein Einzelner ertastet hat, kann, auf Nachfahren tradiert, durch deren Weiterarbeit gewaltige Wirkungen erzeugen. Aber nicht nur technische Erfahrungen werden tradiert, auch soziale: Vorstellungen, Anschauungen, Wertungen u n d Verhaltensweisen. Von der Wiege an beobachtet das Kind seine Pfleger u n d beginnt ihnen nachzuahmen. F r ü h beginnen sie ihm deutlich zu machen, was es zu lassen u n d was es zu t u n h a t . U n d immer mehr wächst dann der junge Mensch in seine erwachsene Umwelt hinein, übernimmt ihr Dichten u n d Trachten u n d lernt, wie m a n sich in allen typischen Situationen zu verhalten pflegt. Damit übernimmt er ihre N o r m e n . Das Verhalten des Tieres beruht allein auf seinen angeborenen Instinkten u n d den individuellen Erfahrungen seines kurzen Lebens, das des Menschen auf der E r f a h r u n g aller seiner Vorfahren, also auf Tradition. Nur in diesem Sinne hat der Mensch „ererbte" Abneigungen und Zuneigungen, Wertungen, Vorstellungen und Verhaltensweisen gegenüber seinen Mitmenschen. Sogar sein sexuelles Verhalten ist in hohem Maße traditionsgeformt. Es ergibt sich also, daß die Tradition beim Menschen in gewissem Sinne den I n s t i n k t e r s e t z t . Sie leitet ihn ähnlich, wie das Tier durch seine Instinkte getragen und geleitet wird. Sie stabilisiert sein Verhalten — zu seinem Heile, wenn die Verhältnisse stabil bleiben, zu seinem Unheil, wenn sie sich plötzlich ändern. Doch vermag der Mensch solchem Unheil leichter zu entgehen und sich schneller anzupassen. Denn er hat, zumal in der Jugend und in hervorragenden

10

Das Recht als Sein

Einzelnen, selbst gegenüber seinen stärksten Traditionen, eine ihm eigentümliche Freiheit. Er kann auf Erstarrungen mit Revolutionen antworten und abwerfen, was Unsinn geworden ist; eine Fähigkeit, die dem Tiere seinen Instinkten gegenüber, selbst wenn sie es zum Tode führen, fehlt. Die Anpassung einer Tierart an Veränderungen ihrer Lebensbedingungen kann sich immer nur durch die Selektion spontaner Mutationen ihrer Erbmasse vollziehen, deren das Individium nicht Herr ist. IV. Das wichtigste Medium des Tradierens aber ist die S p r a c h e , und ihre Bedeutung für das Menschsein ist wohl kaum zu überschätzen. Angeboren ist dem Menschen dabei nur die Fähigkeit zu sprechen, Sprache zu bilden. Jede konkrete Sprache ist ganz Tradition. Man pflegt eine solche als langue jener Fähigkeit als parole gegenüberzustellen. Jeder Mensch erlernt in seinen ersten Lebensjahren jede beliebige Sprache, die seine Umgebung spricht: der kleine Suaheli Englisch, der kleine Deutsche Japanisch — wenn er in Japan aufwächst. Ohne sprechende Umgebung aber gäbe er nur Laute von sich, keine Sprache. Der wißbegierige Kaiser Friedrich II. (1212—50) ließ in Sizilien Waisenkinder mit der besonderen Anweisung aufziehen, daß niemand mit ihnen sprechen dürfe, um herauszufinden, welche Sprache sich so von selbst bei ihnen einstellen werde und ob vielleicht Hebräisch die Ursprache der Menschheit sei. Doch alle diese Kinder starben1). Und vielleicht war das kein Zufall: Denn obwohl dem Menschen keine fertige Sprache, keine langue als solche angeboren ist, kann man doch fast sagen, daß sie es ist, die ihn recht eigentlich zum Menschen macht. Die Zeichensprache vermittelt dem Taubstummen mehr, als nur ein Verständigungsmittel: sie lehrt ihn d e n k e n . Denn ohne Sprache gäbe es kein begriffliches Denken. Begriffliches Denken ist ein stummes Sprechen, und Begriffsbildung und Wortbildung gehen Hand in Hand. Ohne sie und ohne die Sprache also bliebe nur die anschauliche Erfassung von Sachverhalten übrig, womit das spezifisch Menschliche unserem Denken fehlen würde. !) Mon. Germ. SS. X X X I I p. 360. — Vgl. auch H e r o d o t , Historiae L. II, 2 betr. den Pharao Psammetich.

§ 2. Gewohnheit und Sitte

11

Ihrer Funktion nach ist die Sprache indes vor allem Verständigungsmittel u n d setzt damit Gemeinschaft voraus. Nur ein g e s e l l i g lebendes Wesen kann also Sprache haben, folglich aber auch begrifflich denken. Woraus sich wiederum ergibt, daß es den Menschen ohne Gemeinschaft u n d somit ohne Normen gar nicht würde geben können. V. Zusammenfassend müssen wir also feststellen, daß Menschent u m und begriffliches Denken, begriffliches Denken u n d Sprache, Sprache u n d Gemeinschaft, Gemeinschaft u n d tradierte Verhaltensnormen einander wechselseitig bedingen. Fiele eines dieser Glieder aus, so fielen alle, und keines von ihnen kann ohne diese seine Bedingtheit durch alle anderen eigentlich verstanden werden. Folglich auch nicht das R e c h t , als ein Komplex tradierter Verhaltensnormen. A r i s t o t e l e s (384—322 v. Chr.), von dem diese Anschauungsweise ausgeht, nennt zu Eingang seiner Staatslehre (noXmKd Sp. 1253 a) den Menschen ein staatsbildendes Wesen (Zcpov ttoXitiköv, zöon politikön), das als solches nur im Staate seine Erfüllung finde. Und mehr als alle Bienen und Herdentiere sei er es, weil er Sprache habe (Xöyov Ixei, wobei Logos zugleich Sprache und Denken bedeutet). Die Natur aber tue nichts umsonst, und all dies gehöre zur Ganzheit Mensch, ohne die das einzelne an ihm so wenig sein könne, wie der einzelne Mensch ohne Staat (Polis), weshalb dieser von Natur (als Entelechie unserer Gattung nämlich) früher sei, als jeder von uns ("rrpÖTEpov Sf) Tri