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German Pages [142] Year 2014
Johanna Rahner
Einführung in die katholische Dogmatik 2. Auflage
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., aktualisierte Auflage 2014 i 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-26408-7 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73835-9 eBook (epub): 978-3-534-73836-6
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. ALLGEMEINE DOGMATIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Was ist eigentlich ,Dogmatik‘? . . . . . . 1. Einführen – wozu, wohin? . . . . . . . a) Eine erste Definition . . . . . . . . . b) Zur Methode katholischer Dogmatik c) Quellen der Dogmatik . . . . . . . d) Dogmatik – eine Wissenschaft? . . . e) Grundaufgaben der Dogmatik . . . 2. Dogmatik, Fundamentaltheologie oder ,systematische Theologie‘? . . . . . . .
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II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie . 1. Was ist ein ,Dogma‘? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eine mögliche Definition . . . . . . . . . . . . b) Entstehungs- und Problemgeschichte . . . . . . c) Dogma heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmenhermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . a) Richtig auslegen, aber wie? . . . . . . . . . . . b) Hermeneutische Grundregeln . . . . . . . . . 3. Dogmatik als Denkformanalyse . . . . . . . . . .
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III. Dogmatische Prinzipienlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist ,Glaube‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichts Genaues wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Was und wie ,glaubt‘ der Glaube? . . . . . . . . . . . . . c) Ist Glaube vernünftig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Glauben und Bekennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wie ,denkt‘ der Glaube? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rede und Antwort stehen – eine Aufgabe für jede und jeden? b) Glauben und Denken: Eine wechselvolle Beziehungsgeschichte . . . . . . . . . c) Eine aktuelle Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft als Aufgabe der Dogmatik . . . . . . . . . . . . . 3. Wie verantwortet sich Glaube? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Glaube und Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Glaube und Autorität: Das Erste Vatikanische Konzil . . . . c) Zwischen den Konzilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Glaube als Zustimmung: Das Zweite Vatikanische Konzil . 4. Wie ,wahr‘ ist Glaube? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nur ein Sprachproblem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Philosophische Wahrheitstheorien . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
c) Theologisches Wahrheitsverständnis und die philosophischen Wahrheitstheorien . . . . . . . . . . d) Bewahrheitung des Glaubens als Verantwortbarkeit theologischer Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen einer Sprachlehre des Glaubens . . . . . . . . . a) Grammatik – Semantik – Pragmatik des Glaubens . . . . . b) ,Wort Gottes‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eine Kriteriologie der Glaubenssprache . . . . . . . . . . . 2. Grundprinzip christlicher Glaubenssprache: Gotteswort in Menschenwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Pragmatik einer Glaubenssprache unter dem Maßstab des Bilderverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die anthropologische Grundregel christlicher Glaubenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundzüge einer Hermeneutik christlicher Glaubenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die inkarnatorische Dynamik christlicher Glaubenssprache . a) Jesus Christus – das Sprachereignis Gottes . . . . . . . . . b) Von der Frohbotschaft zum Evangelium . . . . . . . . . . 4. Die Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung christlicher Glaubenssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die hermeneutische Grundproblematik . . . . . . . . . . b) Zugangsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Von der Menschwerdung zur Schriftwerdung . . . . . . . d) Wie ,wahr‘ ist die Schrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Schrift als Medium der Erinnerung . . . . . . . . . . . 5. Einheit und Vielfalt der Sprachformen des Glaubens . . . . . 6. Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft . . . . . a) Kirche als ,creatura Evangelii‘ . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hören, Verkündigen und der Dienst am Wort . . . . . . . c) Kirche und Heilige Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wie bleibt ,Kirche‘ in der Wahrheit? . . . . . . . . . . . . . . a) Von der ,Apostolischen Tradition‘ zur Überlieferungsgemeinschaft ,Kirche‘ . . . . . . . . . . . . b) Zum Verhältnis von Schrift und Tradition . . . . . . . . . . c) Lebendige Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wer sagt, was in der Kirche gilt? . . . . . . . . . . . . . . . . a) Modelle des Miteinanders . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Lehramt der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kirchliches Lehramt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Jenseits von ,unfehlbar‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. SPEZIELLE DOGMATIK . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Traktatstruktur der Dogmatik . . . . . . . a) Entstehung und Systematik . . . . . . . . . b) Gegenwärtige Tendenzen und Neuansätze .
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Inhalt
2. Trinitätstheologie als Ausgangspunkt und Ziel aller christlichen Gottesrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Moderne Fraglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wer ist ,Gott‘? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Christologie: Gott mit uns . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das ,nervöse Zentrum‘ der Trinitätstheologie . . . . . 3. Schöpfung und Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sein aus Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollendung in Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kirche und Sakramente: Zeichen und Mittel des Heils . . a) Kirche: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit . . . . . b) Kirchenbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die eine Kirche Christi und die vielen Kirchen . . . . . d) Kirche und Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sakramente: Zeichen des Heils und Feiern der Erlösung 5. Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ende und Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eine Hoffnung, die Gründe nennt . . . . . . . . . . . . . a) Leib, Seele, Unsterblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . b) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fegfeuer/Läuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Himmel und Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort Von Karl Barth soll der Satz stammen, dass man eine Einführung in die Dogmatik erst am Ende eines Forscherlebens schreiben kann und sollte. Die hier vorgelegte Einführung hat sich nicht an diesen Ratschlag gehalten. Das liegt u. a. daran, dass sie ihr Ziel nicht darin sucht, die katholische Dogmatik schlechthin vor- und darzustellen, sondern nur eine erste Orientierung in, ein einleitendes Vertrautwerden mit und eine Grundlegung von Methode und Themen katholischer Dogmatik bieten möchte. Sie versucht also erste Schneisen ins Dickicht der Dogmatik zu schlagen, die gerade Studienanfängern der Theologie und interessierten Laien hilfreich sein können. Obgleich sie ihre konfessionelle Prägung nicht ablegen kann, versteht sich die hier vorgelegte Einführung dennoch als eine ökumenisch sensible Hinführung zu jenem Ringen um ein verbindliches Verstehen unseres Glaubens, das jenseits aller Konfessionsgrenzen Anliegen und Ziel der Dogmatik zu sein hat. Auch dieses Buch ist nicht ohne vielfältige Mithilfe und Unterstützung entstanden. Den Anregungen des Lektors der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Herrn Dr. Bernd Villhauer, ist die Idee der Gestaltung dieses Projekts zu verdanken. Ohne die zahlreichen Anregungen, den regen Gedankenaustausch und die konstruktive Kritik meines Mitarbeiters Erik Müller-Zähringer wäre das Buch in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen. Während die Mühe der Manuskripterstellung in den bewährten Händen meiner Sekretärin, Frau Margit Müller, lag, haben Frau Dipl. theol. Maria Theresia Zeidler, MA, sowie Herr cand. theol. Florian Kleeberg, Herr cand. theol. Christian Henkel und Frau cand. theol. Elisabeth Preiß die Last des Korrekturlesens und der Registererstellung auf sich genommen. Gewidmet sei dieser Band den Studierenden der (nun ruhenden) Katholisch-theologischen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, die die Entstehung dieser Einführung ganz lebendig und praktisch begleitet haben. Bamberg, am Fest des Hl. Hieronymus 2007 Johanna Rahner
Vorwort zur zweiten Auflage Dass nach sechs Jahren eine ,Einführung‘ im Bereich der katholischen Dogmatik in die zweite Auflage geht, bescheinigt ihr ein wenig die erhoffte Wirkung: Sie ist nützlich für die Praxis und wird ge- und benutzt. Mit Blick auf diese Nützlichkeit und Nutzbarkeit wurde die Konzeption als Ganze beibehalten, aber einige kurze Passagen bearbeitet bzw. ergänzt, sowie die entdeckten Fehler beseitigt. Das erneute Korrekturlesen lag diesmal in den bewährten Händen von Frau stud. theol. Franziska Luksch. Gewidmet sei die 2. Auflage den Studierenden des Instituts für katholische Theologie an der Universität Kassel. Sie sind stets eine Herausforderung und nötigen zum Nachdenken darüber, worauf es beim Theologietreiben wirklich ankommt. Kassel, am Fest des seligen Johannes XXIII. Johanna Rahner
A. Allgemeine Dogmatik I. Was ist eigentlich ,Dogmatik‘? 1. Einführen – wozu, wohin? Ein international bekannter Verlag für Reiseführer bewirbt seine Bücher mit dem Slogan: ,Man sieht nur, was man kennt!‘ Dieses Motto kann mit guten Gründen auch über einer Einführung in die katholische Dogmatik stehen. Wozu dient die vorliegende Einführung? Sie führt in die Sitten und Gepflogenheiten der Disziplin, d. h. in Methodik und Themen ein. Sie sondiert das Gelände, noch bevor allzu viele touristische Details – also all das, was Monographien zu Einzelthemen und Traktaten der Dogmatik in Fülle liefern –, den Blick für die Grundlagen und Grundfragen verstellen. Diese Sondierungen beinhalten jene Vor- und Einführungsfragen, die Prolegomena zur Dogmatik, und jene methodischen Grundlagen, die in jeder einzelnen Spezialvorlesung der Dogmatik vorausgesetzt sind bzw. sich dort mitunter bis in Einzelprobleme hinein auswirken. Wie gelingt es einer Einführung nun, mehr als staubtrockene Theorie zu sein? Am besten dadurch, dass sie ihre Aufgabe sowohl als Suche nach den Grundprinzipien als auch als Klärung der Grundfragen der Dogmatik angeht. Eine Einführung ist also so etwas wie eine Prinzipien- und Sprachlehre der Dogmatik. Welches sind aber nun die Grundpfeiler, die Grundprinzipien der Dogmatik? Und wo hinein wird eingeführt? Die zentrale Frage lautet: Was ist eigentlich Dogmatik?
a) Eine erste Definition (vgl. [3] 1) Dogmatik ist eine an der Übersetzung der traditionellen Glaubensinhalte orientierte Disziplin, die ausgehend von den primären und sekundären Quellen des Glaubens und im Horizont eines modernen Welt- und Selbstverständnisses des Menschen zu einem verbindlichen Verständnis des Glaubens kommt. Sie arbeitet dabei unter wissenschaftlichem Anspruch und mit den ihrer Wissenschaftlichkeit entsprechenden Kriterien und Methoden.
Eine erste Aufgabe der Dogmatik ist es, den christlichen Glauben zu verstehen. Ihr Thema sind also nicht einfach nur die Dogmen – also das, was irgendwann einmal offiziell als Glaubensinhalt festgelegt wurde und in einem bestimmten Wortlaut definiert wurde (s. II) – , sondern der christliche Glaube als ganzer. Der christliche Glaube steht freilich nicht als Glaubensvollzug, Glaubenspraxis oder Glaubensverkündigung im Mittelpunkt des Interesses der Dogmatik. Es geht um die intellektuelle Annäherung an den
Prolegomena
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I. Was ist eigentlich ,Dogmatik‘?
den Glauben rational verantworten verbindliches Verstehen
Glauben und den rational vernünftigen Umgang mit dem Glauben. Dieses ,Verstehen‘ ist kein allgemeines Verstehen, sondern ein verbindliches Verstehen. Was bedeutet das? Christlicher Glaube hat den Anspruch, Offenbarung, Tat Gottes zu sein ([5]). Nicht irgendwelche verpflichtenden kirchlichen Instanzen, wie Papst, Bischöfe etc., machen die Verbindlichkeit des Glaubens aus, sondern der Glaube selbst fordert von seinem Ursprung her Geltung, Anerkennung, Verbindlichkeit (s. III.1) (vgl. [3] 4), die eine persönliche und eigenständige Antwort des Menschen erfordern. Eine verbindliche Auslegung des Glaubens hat daher dafür zu sorgen, dass diese Herausforderung auch in angemessener Weise ankommt. Eine verbindliche Auslegung des Glaubens beschäftigt sich daher nicht nur mit dem Vergangenen, sondern soll den Glauben hier und jetzt zur Entscheidung vorlegen ([3] 5).
b) Zur Methode katholischer Dogmatik
Der Mensch als Hörer des Wortes
transzendentale Anthropologie
Der Mensch ist kein Objekt, das übernatürlich ergehende Offenbarungswahrheiten Gottes einfach zu empfangen und zu glauben hat, sondern er ist das ,Du‘ Gottes, das durch die Ansprache von Gott als ,Hörer/Hörerin des Wortes‘ zur Antwort herausgefordert ist. Dieser in der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts vollzogene Perspektivenwechsel hin zum Offenbarungsmodell der Selbstmitteilung Gottes (s. III.4) führt zu einem veränderten Selbstverständnis wie zu einer methodischen Revision der Dogmatik als theologische Kerndisziplin. Die Dogmatik hat nun die Aufgabe, über das Wort, den Glauben, seine Inhalte und über das Vorverständnis auf Seiten der Hörenden und über die Bedingungen und Möglichkeiten des Zum-Glauben-Kommens und Glauben-Könnens nachzudenken. Sie ist daher die Auslegungswissenschaft (Hermeneutik) des Glaubens für die moderne Zeit. Zugleich hat sie die theologische Analyse aktueller menschlicher Existenz zu leisten ([2] 217). Über den christlichen Glauben nachzudenken, bedeutet auch über den Menschen als Hörer dieser Botschaft nachzudenken, nach den Vorbedingungen und nach den Vorfragen für den Glauben auf Seiten des Menschen zu fragen, also eine transzendentale Anthropologie zu betreiben. Das bedeutet, „dass man eben bei jedem dogmatischen Gegenstand nach den notwendigen Bedingungen seiner Erkenntnis im theologischen Subjekt mitfragt; nachweist, dass es solche apriorischen Bedingungen gibt; zeigt, dass sie selbst schon über den Gegenstand, die Weise, die Methode und die Grenzen seiner Erkenntnis etwas implizieren und aussagen“ ([9] 44). Immanuel Kants (1724–1804) ,kopernikanische Wende‘ der Erkenntnistheorie (vgl. Kritik der reinen Vernunft B XVI–XVII) hält Einzug in die Dogmatik (Wende zur Anthropologie). Diese Methode in der Dogmatik anzuwenden, bedeutet über den Zusammenhang zwischen den dogmatischen Aussagen und der menschlichen Erfahrung und Existenz nachzudenken. Dies gilt nicht nur für die Gestalt und den Inhalt des Glaubens hier und jetzt, sondern auch für jede Phase der geschichtlichen Entwicklung des Glaubens. Damit ist auch die Idee einer menschlichen Geschichte der Glaubensentwicklung, einer Dogmengeschichte und Dogmenhermeneutik zu verbinden (vgl. u. II.1–3), die nicht nur rückblickend,
1. Einführen – wozu, wohin?
sondern auch zukünftig zu einem dynamischen Verständnis des Glaubens führt. Eine transzendental arbeitende, anthropologisch orientierte Dogmatik sucht nach der Bedingung der Möglichkeit des Glaubens, der Beziehung zu, ja einer Hinordnung auf Gott. Im Sinne Karl Rahners (1904–1984) ist es gerade die besondere Aufgabe einer Grundlegung der Dogmatik, dass sie diese anthropozentrische Dimension der ganzen Theologie herausarbeitet, methodisch beschreibt und zugleich zeigt, inwiefern daher die Inhalte des christlichen Glaubens vertrauens- und glaubwürdig sind. Eine Gefahr dieses Ansatzes, so der Vorwurf, besteht darin, dass man den Glauben als äußere Tat Gottes am Menschen nicht mehr plausibel machen kann. Ist Theo-logie, Rede von Gott, nicht einfach nur noch der Spiegel menschlicher Bedürfnisse? Ist Glaube mehr als die Projektion menschlicher Sehnsüchte? ,Modernismus‘ wird daher am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur abwertenden Bezeichnung für jene Theologen, die diese Neuorientierung der Dogmatik versuchen. Das Grundproblem einer Dogmatik, die sich der transzendentalen Methode verpflichtet hat, liegt also in der richtigen Verhältnisbestimmung zwischen den anthropologischen Vorbedingungen, den Apriori des Glaubens, also den Vorgaben und Anknüpfungspunkten, die es innerhalb der menschlichen Existenz zu entdecken gilt, und dem kontingenten Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes, das den Glauben begründet.
Modernismus
c) Quellen der Dogmatik Dogmatik erhebt das verbindliche Verständnis des christlichen Glaubens aus dessen primären und sekundären Quellen. Das ist zunächst einmal die Heilige Schrift, die Ur-kunde unseres Glaubens. Sie ist der maßgebliche, durch nichts anderes zu bestimmende Maßstab (norma normans non normata) ([1] 47). Ihr zur Seite tritt das, was wir als die ,apostolische Tradition‘ bezeichnen. Das ist zunächst jener ,Akt‘ der ersten Generationen von Christinnen und Christen, der uns Bestand und Kriteriologie dessen überliefert, was Heilige Schrift sein und bleiben soll (Kanonbildung; vgl. IV.6.c). Zugleich sind es jene ersten Kurzformeln oder Kernsätze des christlichen Glaubens, wie sie in den alten Bekenntnisformeln, Glaubensregeln und Glaubenbekenntnissen der ersten Konzilien festgehalten wurden (vgl. II). Zu dieser grundlegenden, normativen Gestalt der Bezeugung christlichen Glaubens kommen die nachgeordneten Quellen, die so genannten „normierten Normen“ (norma normata) hinzu. Darunter versteht man die (zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten durchaus) unterschiedlichen Gestalten und Formen des einen, umfassenden Bekenntnis- und Überlieferungsprozesses des Glaubens durch die Gesamtkirche: den Glaubenssinn der Gläubigen (sensus fidelium); die übereinstimmende amtliche Verkündigung des Glaubens, das magisterium ordinarium der Bischöfe, das ordentliche Lehramt; das außerordentliche Lehramt – magisterium extraordinarium (seine Organe sind die Konzilien und Synoden bzw. das Bischofskollegium mit dem Papst sowie das päpstliche Lehramt in seinen außerordentlichen Formen); sowie die Theologie als Konsens der Kirchenväter und der späteren Theologengenerationen ([3] 6).
norma normans non normata
norma normata
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I. Was ist eigentlich ,Dogmatik‘?
Vorgeordnete, d.h. normierende Normen (norma normans)
x x
Die Heilige Schrift Die ‚apostolische Tradition’ (Kanon; Kurzformeln des Glaubens; Glaubensbekenntnisse)
Nachgeordnete, d.h. normierte Normen (norma normata)
x x x x
Sensus fidelium Magisterium ordinarium Magisterum extraordinarium unanimis consensus patrum et theologorum
All diese Quellen besitzen ihre je eigene Entstehungs- und Wachstumsgeschichte (vgl. II; IV.6–8). Gerade diese Geschichtlichkeit jeder Quelle der Dogmatik bedingt eine ausgefaltete Methodenlehre und Kriteriologie (vgl. [12] 41–44). Darum erhebt die Dogmatik das verbindliche Verständnis des Glaubens aus den Quellen entsprechend den theologischen Kriterien.
d) Dogmatik – eine Wissenschaft?
Wissenschaft
System
Kann der Umgang mit Glaubensdingen überhaupt etwas mit Wissenschaftlichkeit zu tun haben? Ist die Dogmatik durch den Inhalt des Glaubens nicht derart ,gebunden‘, dass es gar keine ,freie‘ wissenschaftliche Forschung geben kann? ([6]) Eine Wissenschaft beschäftigt sich gemäß eines modernen Wissenschaftsbegriffs, der von den Naturwissenschaften geprägt ist, mit Dingen, die man messen und mit denen man experimentieren kann – kurz: die man selber machen kann. Kann angesichts eines solchen Selbstverständnisses von Dogmatik überhaupt von Wissenschaft gesprochen werden? Zu einer Wissenschaft gehört es, dass sie ihr Wissen methodisch abgesichert erwirbt, es kohärent und widerspruchsfrei in Lehrsätzen und einem Denksystem/Paradigma systematisiert und in bestimmten, kritisch nachvollziehbaren und begründeten, d. h. intersubjektiv kommunizierbaren Aussagen formuliert (Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, in: ders., Werke, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 5, Darmstadt 1966, 11–135, 11). Eine Wissenschaft entwickelt dazu eine rationale Methode, die der kritischen Analyse des Erreichten wie der Erweiterung des Kenntnisstandes und damit des eigenen wissenschaftlichen Systems dient. Dieses System ist daher kein in sich feststehender Block, sondern es beinhaltet immer eine Entwicklung. Für die Dogmatik als Wissenschaft gilt nun, dass ihre Voraussetzung, der Glaube, das Resultat von Gottes Offenbarung, also Tat Gottes, ist. Ihr Inhalt ist ihr daher selbst entzogen; sie kann ihn nicht einfach ,machen‘. Darum hatte schon Thomas von Aquin (1225–1274) den Wissenschaftscharakter der Theologie dadurch festhalten wollen, dass er sie zu jenen Wissenschaften zählte, die ihre Grundlagen nicht eigengesetzlich ableiten, sondern von einer höheren (übergeordneten) Wissenschaft (hier: von den durch Gott geoffenbarten Glaubenssätzen) übernehmen (Summa Theologiae I 1,2 resp.). Richtig ist, dass die Dogmatik ihren Inhalt nicht empirisch zwingend demonstrieren kann. Quelle ihres Wissens und der ihr aufgetragenen Glaubensverantwortung ist nicht der Glaube ,an sich‘, sondern es ist der Glaube und
1. Einführen – wozu, wohin?
seine Inhalte, wie ihn die eben bereits genannten Glaubens- und Bezeugungsinstanzen formuliert, weitergegeben, gelebt und praktiziert haben ([4] 77). Die Arbeitsprinzipien und Methoden der Dogmatik als Wissenschaft ergeben sich daher aus der Kriteriologie und Methodik, die diesen Gegenständen und Inhalten angemessen sind: Textauslegung, Geschichtsschreibung, Interpretation, Reflexion, philosophische Analyse und Spekulation, aber auch politisch-soziologisches Instrumentar, Gesellschaftsanalyse, humanwissenschaftliche Erkenntnisse, mentalitätsgeschichtliche Analysen, Archäologie etc.
Methodenvielfalt
e) Grundaufgaben der Dogmatik Die Dogmatik hat eine kritische Funktion, weil sie analysiert, was Voraussetzung für die historische Möglichkeit des Glaubens und was transzendentale Voraussetzung des Glaubens ist. Ihre Aufgabe besteht darin, wechselseitig eins durch das andere zu erhellen und zu erklären. Dadurch zeigt sie, dass der christliche Glaube vernunftgemäß und glaubwürdig ist. Eine Einführung in diese Aufgabenstellung hat folgende Bereiche zu klären: Was sind die anthropologischen Voraussetzungen von Theologie, die die Dogmatik zu berücksichtigen hat? Wie verhalten sich Glaube und menschliches Denken zueinander? Von welcher Verbindlichkeit, welcher Gewissheit kann man in Glaubensdingen eigentlich sprechen? Kann der Mensch so etwas wie ,die Wahrheit‘ erkennen, verstehen, gar prüfen und plausibel machen? Wie spricht der Mensch von Glaubensdingen? Ist das, was der Glaube behauptet, für unser heutiges Leben relevant? Inwieweit kann Glaube etwas aussagen, was relevant ist und damit wichtig für unsere Lebenswirklichkeit? Oder anders gefragt: Inwieweit kann Glaubenssprache heute noch etwas aussagen, was für die menschliche Existenz wahr ist (s. III.4 und IV.1/2)? Die Dogmatik hat eine hermeneutische Funktion, weil sie den bleibenden Sinn der Glaubensaussagen in ihrer biblischen und systematischen Gestalt herausarbeitet und deutet, ausgehend von dem Selbst-Verständnis des Menschen, dem Verständnis seiner Beziehungen und seines Verhältnisses zur Welt in den verschiedenen Epochen der Glaubensgeschichte bis heute. Von einem heutigen Blickpunkt aus müssen die je unterschiedlichen Perspektiven und Vorgehensweisen der Epochen erfasst, bestimmt und in ihren Konsequenzen für eine heutige Sicht der Dinge beschrieben werden. Als zentrale Fragestellungen legen sich hier nahe: Welchen Status und welche Bedeutung haben die Erzähltraditionen der Heiligen Schrift als der zentralen Gründungsurkunde des christlichen Glaubens? Wie wird Glaube weitergegeben? Wie gestaltet sich Glaube und seine Überlieferung in einer Gemeinschaft von Glaubenden über die Jahrhunderte hinweg? Welche verbindlichen Methoden ergeben sich für den Umgang mit dieser Überlieferungsgeschichte? Wie gelingt es angesichts zahlreicher Umwege der Überlieferungsgeschichte, zu behaupten, dass Glaube dennoch bei der Wahrheit geblieben sei?
kritische Funktion
hermeneutische Funktion
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I. Was ist eigentlich ,Dogmatik‘?
2. Dogmatik, Fundamentaltheologie oder ,systematische Theologie‘? „Die Theologie ist wie ein großer, zugebundener Sack. Die Fundamentaltheologie nimmt diesen Sack in die Hand, interessiert sich aber gar nicht für seinen Inhalt, sondern nur für den Absender und für die richtige Art und Weise den Sack zu öffnen. Ihn wirklich zu öffnen, daran denkt sie nicht. Dazu reicht sie ihn an die Dogmatik weiter. Diese packt den Inhalt aus und interessiert sich ihrerseits nicht mehr für den Sack, für den Absender, und für die Art und Weise, wie man den Sack öffnen konnte.“ ([7] 449)
Apologetik
fundamentaltheologische Methode
In dieser klassischen Unterscheidung findet die Fundamentaltheologie ihre Aufgabe darin, glaubwürdig und damit verpflichtend zu verteidigen, dass Gott sich den Menschen offenbart, dass er dies in Jesus Christus getan hat und dass diese Offenbarung Gottes der Kirche – insbesondere der römischkatholischen – und ihrem Lehramt zur Bewahrung und Verkündigung anvertraut ist. Daher bezeichnet man Fundamentaltheologie bis ins letzte Jahrhundert hinein als ,Apologetik‘, d. h. als ,Verteidigung‘ des christlichen Glaubens auf allen ,Angriffsfronten‘ ([10] bes. 457–461). Die Aufgabe der Dogmatik ist dagegen, die einzelnen Inhalte des Glaubens zu entfalten, aufzuzeigen, dass sie tatsächlich in den ,Offenbarungsquellen‘ und Lehrverkündigungen der Kirche enthalten sind, ihre Zusammenhänge zu verdeutlichen. Da Glaubwürdigkeit und Glaubensverpflichtung im Vorfeld schon durch die Fundamentaltheologie aufgewiesen sind, hat es die Dogmatik nicht mehr nötig, bei jedem ihrer Einzelinhalte noch einmal nach Glaubwürdigkeit etc. zu fragen. Diese Unterscheidung von Dogmatik und Fundamentaltheologie erhält ihr eigentliches Gewicht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Angriffe von außen gegen eine sich immer mehr verhärtende und nach außen hin abschottende katholische Theologie zunehmen. Unter der Voraussetzung des veränderten Offenbarungsverständnisses nach dem Zweite Vatikanum ist aber deutlich, dass ein Nachdenken über die Bedingungen der Möglichkeit einer angemessenen Rede von Gott und Mensch nicht mehr an eine theologische Spezialdisziplin (die Fundamentaltheologie) pauschal zu delegieren ist, sondern dass dies in die dogmatische Aussage mit hinein gehört, d. h. genuiner Bestandteil der Aufgabenstellung der Dogmatik selbst ist. Zugleich ist der methodisch neutrale Standort des Argumentierens der Fundamentaltheologie verloren gegangen, denn die für die klassische Apologetik entscheidende Differenzierung von ,Sack‘ und ,Inhalt‘ – Ergangensein (,dass‘) und Inhalt (,was‘) der Offenbarung – ist durch das neue Offenbarungsparadigma methodisch eingezogen worden. Fundamentaltheologie und Dogmatik durchdringen sich heute sowohl was ihre Inhalte als auch was ihre Methode angeht (vgl. [8] 22 f.). Die Entwicklung beider Disziplinen führt letztendlich dazu, dass die Fundamentaltheologie zur methodischen Leitwissenschaft der systematischen Theologie geworden ist. Ihre Aufgabe geht in eins mit der Grundreflexion aller Theologie auf die theologischen und anthropologischen Grundlagen ihres Theologietreibens. Dies ist so selbstverständlich geworden, dass auch
2. Dogmatik, Fundamentaltheologie oder ,systematische Theologie‘?
die Dogmatik ohne solche Fragestellungen nicht mehr vorstellbar ist ([4] 34). Fundamentaltheologische Grundfragen und Methoden sind zu Grundfragen und Methoden der Dogmatik geworden. Und so ist es vielleicht heute eher eine Frage der Schwerpunktsetzung wie der Arbeitsteilung, der Verteilung bestimmter Themen in die einzelnen Disziplinen, die die Zweiteilung in Dogmatik und Fundamentaltheologie sinnvoll erscheinen lässt.
17
II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie Welche Arbeitsweisen entwickelt nun die katholische Dogmatik unter diesen Vorgaben und was sind ihre konkreten Themen und Objekte?
1. Was ist ein ,Dogma‘? a) Eine mögliche Definition „Mit göttlichem und katholischem Glauben ist ferner all das zu glauben, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche – sei es in feierlicher Entscheidung oder kraft ihres gewöhnlichen und allgemeinen Lehramtes – als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird.“ (Erstes Vatikanum, Dogmatische Konstitution Dei Filius DH 3011)
Definition
Ein Dogma besteht nach diesen Vorgaben aus mindestens zwei Komponenten: der göttlichen Offenbarung und der kirchlichen Vorlage in verbindlicher Weise ([17] 25 f.). Man könnte also wie folgt definieren: „Ein Dogma ist 1. seinem Inhalt nach eine Offenbarungswahrheit, 2. seiner Form nach ein Lehrsatz, 3. seiner objektiven Gültigkeit nach eine unfehlbare Glaubensaussage, 4. seinem subjektiven Geltungsanspruch nach eine jeden Gläubigen der Kirche im Gewissen verpflichtende Richtschnur und 5. seinem Werdegang nach eine im Lauf der Geschichte durch die Kirche vorgenommene Feststellung.“ ([19] 129). Freilich rekurriert diese Definition auf ein Verständnis von ,Dogma‘, wie es sich erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hat ([16]).
b) Entstehungs- und Problemgeschichte
paratheke/depositum
Irenäus von Lyon Vinzenz von Lerin
Der griechische Begriff ,dógma‘ bedeutet 1. Meinung oder philosophische Lehre; 2. Befehl, Beschluss, Erlass. Beide Bedeutungen sind in den christlichen Sprachgebrauch eingegangen. Die Theologen der frühen Kirche verwenden ihn, um die christliche Theologie und ihre ,Lehren‘ der heidnischen Philosophie gegenüberzustellen. Dennoch bleibt gerade in der griechisch sprechenden Kirche des Ostens das Bewusstsein wach, dass das Sprechen von christlichen Überzeugungen (dógmata) immer auch Gebets- und Verkündigungscharakter hat. Bereits Irenäus von Lyon (135–220) vergleicht nun die Kirche mit einem „reichen Vorratsraum“, „in dem die Apostel alles, was zur Wahrheit gehört, in größter Vollständigkeit zusammengetragen haben“ ([15] 323). Schnell etabliert sich daher der Begriff der paratheke, des depositum als Umschreibung des überkommenen Glaubensgutes. Vinzenz von Lerin ({ vor 450) setzt in seinem Werk ,Commonitorium‘ daher das ,alte Dogma‘ der Kirche den Neuerungen der Irrlehrer (novatores – Neuerer) entgegen ([15] 324).
1. Was ist ein ,Dogma‘?
„Das Depositum ist nicht etwas, was Menschen sich ausgedacht, sondern was sie (von Gott) empfangen haben, nicht was sie sich zurecht gemacht, sondern was ihnen (von Gott) anvertraut ist, eine Sache also nicht menschlichen Witzes, sondern der (überkommenen) Lehre, nicht privaten, beliebigen Gebrauchs, sondern öffentliche, d. h. alle verpflichtende Überlieferung, eine Sache, nicht von dir hervorgebracht, sondern dir zugeführt, wo du nicht Urheber, sondern Hüter bist, nicht Lehrer, sondern Schüler, nicht Führer, sondern Jünger. Es gilt, das dir anvertraute Talent des katholischen Glaubens unverletzt und unversehrt zu bewahren.“ Vinzenz v. Lerin, Commonitorium (434)
Authentische Bewahrung der Überlieferung ist aber keine Weitergabe erstarrter Formeln, sondern ein lebendiger Vorgang der geistinspirierten Aktualisierung des ,depositum‘ ([15] 362 f.). Dafür spielt jedoch weder in der Alten Kirche noch im Mittelalter der Begriff ,Dogma‘ eine zentrale Rolle. Das liegt zum einen daran, dass sich in der Anfangszeit des Christentums Zuschreibungen wie Häresie (griech. hairesis ,Wahl, Präferenz, Entscheidung‘; aber auch ,Meinung, Ansicht, Schule, Partei‘) und Orthodoxie, also Irrlehre und echter Glaube, erst abklären müssen. Der Häretiker unterscheidet sich zwar vom Schismatiker dadurch, dass er sich nicht nur einfach von den anderen abspaltet, sondern dass er falsch über Gott denkt (vgl. Augustinus, f. et symb 21), doch nicht jedes Andersdenken ist sofort häretisch. Es gibt auch eine legitime Diversivität in der Diskussion offener Lehrfragen. Zur konkreten Abgrenzung bedarf es daher immer eines längeren Diskussions- und Reflexionsprozesses ([15] 376 f.). Erst angesichts der Vehemenz der Auseinandersetzungen im vierten und fünften Jahrhundert äußert sich das Glaubensbewusstsein der Kirche dann mit einer präzisen Terminologie und einer differenzierten Kriteriologie, die zu einer konkreten Formulierung von zu Beginn durchaus vielfältigen Kurzformeln des Glaubens als Ausdruck der Glaubensregeln (regula fidei) führt und in die Glaubensbekenntnisse (symbola) mündet (s. III.1.a). Davon zu unterscheiden sind die konziliaren Definitionen. Sie dienen der dogmatisch prägnanten Abwehr der Irrlehren. Verbunden mit den zumeist gleichzeitig formulierten Verurteilungen (anathema) stellen sie die notwendig gewordene verbale Grenzziehung zur Irrlehre dar. Die Auseinandersetzung zwischen Orthodoxie und Häresie stilisiert sich nun häufig auch als ,Hang‘ zur Zersplitterung, sodass sich die Orthodoxie als rechtgläubige ,Einheit des Glaubens‘ präsentiert und ein grundlegendes ,sentire cum ecclesia‘ (ein Denken und Fühlen mit der Kirche) als Kennzeichen reklamiert. Freilich ist diese Einheit nicht einfach mit Einfalt zu verwechseln ([15] 391). Der Begriff der symphonia ist der für die Verbindung von Einheit und Vielfalt von den Kirchenvätern geprägte Ausdruck. Die Theologen des Anfangs differenzieren hier zwischen der notwendigen Einheit in grundlegenden Glaubenswahrheiten und den divergierenden Lehrmeinungen im Bereich der noch offenen Fragen. Diese Offenheit reicht weit hinein ins Mittelalter, wenngleich nun verstärkt um Konkretisierungen und Präzisierungen in der kirchlichen Lehre gerungen wird. So benutzen die mittelalterlichen Theologen zur Umschreibung des Grundbestands des Glaubens den Begriff der articuli fidei (Glaubensartikel), der ,Gelenke‘, Glieder, des Glaubensbekenntnisses. Für die mittelalterlichen
Orthodoxie/Häresie
regula fidei
symphonia
articuli fidei
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II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie
antiquitas – universitas – consensio
Theologen gibt es eigentlich keine Glaubenssätze außerhalb der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse. Erst mit der Reformation und dem Trienter Konzil beginnt sich der Begriff dogmatisch durchzusetzen. Als ,dogmatisch‘ wird nach dem Trienter Konzil all das bezeichnet, was der katholischen Seite als Traditionsbeweis gegen die Reformatoren dienen kann. Hierbei kommt die Definition Vinzenz von Lerins zu besonderen Ehren, samt den von ihm entwickelten Kriterien – nämlich: allgemeine Verbreitung (universitas), Alter (antiquitas), und Übereinstimmung aller (consensio: quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est – ,was überall, immer und von allen geglaubt wurde‘). So füllt sich der Begriff Dogma schrittweise mit dem, was seit dem 19. Jahrhundert damit verbunden wird: fixierte, abgrenzende und allgemein juristisch verbindliche Inhalte und Lehrsätze der katholischen Lehrtradition; die Dogmatik entwickelt sich als selbstständige theologische Disziplin. Zwei Einwände begegnen diesem Verständnis von ,Dogma‘ unmittelbar. Zum einen vernachlässigt es die von den Reformatoren geforderte kriteriologische Priorität der Heiligen Schrift. Das Wort Gottes ist Quelle und Norm, zu befragende Instanz und Richter in Streitfragen des Glaubens; der Kirche ist dieses Wort gegeben, aber nicht frei verfügbar. Zum andern ignoriert es den von der Aufklärung etablierten ,inneren Maßstab‘ des Glaubens. Das objektiv zu Glaubende verliert seine Verbindlichkeit gegenüber der subjektiven, persönlichen Aneignung und Praxis sich selbst bewusster Religiosität. Eine positive Auseinandersetzung hinsichtlich beider Anliegen findet erst auf dem Zweiten Vatikanum statt. Dabei bedingen sich zwei grundlegende Neubzw. Wiederentdeckungen des Konzils gegenseitig: die ,Aufdeckung‘ der Geschichtlichkeit von Kirche und Glaube und das personale Verständnis von Offenbarung. Darum signalisiert das Konzil den Übergang „von einer mehr statischen Sicht der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einer mehr dynamischen und geschichtlichen Sicht“ ([18] 52). Nicht ohne Grund setzt die Debatte um Dogmen und Unfehlbarkeit nach dem Konzil genau an diesem Punkt ein (s. IV.8).
c) Dogma heute äußere Gestalt des Dogmas
Geltungsanspruch
Christliche Gottesrede bedient sich immer menschlicher Sprachfähigkeit und Sprachmöglichkeit (s. IV.1/2). Das trifft so auch für die äußere Gestalt eines Dogmas zu. Mit ihm versucht die Überlieferungsgemeinschaft Kirche ein verbindliches und als zutreffend verstandenes und vor allem in Streitfragen grenzziehend wirkendes Zeugnis für die Wahrheit abzulegen. Doch sind Dogmen die ,Gestalt- und Sprachwerdung‘ einer Erfahrung, die nie in einem einzelnen Satz zur Sprache gebracht werden kann (vgl. [1] 26; [20] 114). Das Dogma hat einen diese Erfahrung schützenden, bewahrenden und sichernden Charakter. Es ist definitorisch rekapitulierend ausgerichtet und besitzt für seine, durch gemeinsame Zustimmung (Konsens) der Kirche zustande gekommene, sprachliche Definition einen verbindlichen Geltungsanspruch seines Inhalts. In dieser Gestalt ist es eine bedingte Ausdrucksform, was seine Sprache, den Verstehenshorizont, die Situation und das leitende Denkmodell betrifft ([1] 32–38). Notwendige Strukturelemente sind dabei:
1. Was ist ein ,Dogma‘?
(1) Ein Dogma ist ein Satz, der wahr zu sein beansprucht und der als wahrer Satz bezeugt wird. Wie jede menschliche Gottesrede ist auch ein Dogma eine analoge Rede. Es besteht bei jeder Ähnlichkeit, jedem Zutreffen eine je größere Unähnlichkeit, ein Nicht-Zutreffen. Angesichts der Dynamik der metaphorischen Rede wird deutlich, dass ein Dogma wie jede Gottesrede Verweischarakter hat. Es ist in Anspruch genommen von einer gemachten Gotteserfahrung, partizipiert daran, verweist aber zugleich über sich selbst hinaus auf den, der hinter dieser Gottesrede steht. Jeder Versuch, die metaphorische Rede in einen Aussagesatz verwandeln zu wollen, nimmt ihre Grunddynamik nicht wahr! (2) Auch ein Dogma ist kein objektiver Satz, sondern eine Glaubenswahrheit. Es ist rückerinnernd an die Erfahrung und hineingeordnet in das, was man umfassend als Heilswahrheit bezeichnet. Es interpretiert die Heilige Schrift, wie andere Glaubensaussagen, in eine bestimmte Situation hinein, ist zugleich aber auf zukünftige Entwicklung, insbesondere die eschatologische Heilsverheißung Gottes hin offen. (3) Ein Dogma ist die Glaubensaussage der Kirche. Es ist ein Erkennungszeichen des rechten Glaubens. Es hat seinen Sitz in diesem Leben der Kirche, in ihrer Kommunikation, Verkündigung, Katechese, aber auch Apologetik. Als menschliches Wort der menschlichen Überlieferungsgemeinschaft Kirche partizipiert ein Dogma auch an der Tatsache, dass Kirche heilig und sündig zugleich und stets der Reinigung bedürftig ist.
Eine kritische Interpretation und Reflexion ist die angemessene Methode des Umgangs mit Dogmen. So bringt Walter Kasper (*1933) die entscheidenden Konsequenzen als ,Möglichkeitsbedingungen unfehlbarer Entscheidungen‘ auf den Punkt: Ernstnehmen der Geschichtlichkeit der Sprache bei bleibender Beibehaltung und Berücksichtigung des unbedingten und bestimmten Gehalts der christlichen Botschaft, dem eine unbedingte und bestimmte Gestalt – die dogmatische Redeweise – als eine objektive Vermittlungsgestalt, ein Realsymbol der sich in ihr auslegenden und vergegenwärtigenden Treue-Wahrheit Gottes entspricht. ,Unfehlbarkeit‘ und ,Dogma‘ sind relationale Begriffe, „in dem Sinn, in dem Realsymbole relational sind. Sie haben ihren Sinn darin, etwas anderes zu vergegenwärtigen und dadurch über sich selbst hinauszuweisen“ ([18] 66 f.). Gerade aufgrund dieser geschichtlichen Sicht etabliert sich notwendig ein vielfältiges Instrumentarium zum Umgang mit der in verschiedenster Hinsicht ,geschichtlichen Relationalität‘ kirchlicher Lehre ([18] 70).
wahrer Satz
Glaubenswahrheit
Glaubensaussage der Kirche
Instrumentar zur Auslegung
2. Dogmenhermeneutik a) Richtig auslegen, aber wie? Die im Folgenden zu formulierenden Auslegungsregeln, die sich aus der eben skizzierten inneren Dialektik von Form und Inhalt des Dogmas ergeben, erfordern zunächst konkrete Definitionen und Abgrenzungen ([21] 268–281): Das, was wir heute ,Dogma‘ nennen, hat zunächst seinen Ursprung in der Gestalt einer liturgischen Bekenntnisformel. Dabei ist zu beachten, dass das Dogma eine
liturgische Sprache
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II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie
Krisenmaßnahme
Grenze Resümee
Kontextualität
menschliches Wort – Wahrheit Gottes
Bekenntnis- oder Lehrformel ist, mit der die Kirche in einer durch neue Denkanstöße und Fragen kritisch gewordenen Situation des Glaubensbewusstseins die Grenzen dessen absteckt, was innerhalb der Kirche vertreten werden kann.
Der Glaube schafft sich ,Schlagworte‘, und sein Bekenntnis hat primär einen liturgischen ,Sitz im Leben‘. Während ein Glaubensbekenntnis ein Erkennungszeichen nach innen und Bekenntniszeichen nach außen hin ist, soll die Lehrformulierung die Glaubenslehre und ihre theologische Interpretation schützen und abgrenzen. Sie hat letztlich ,konfessionsbildenden‘ Charakter. Sie ist eine negativ abgrenzende ,Krisenmaßnahme‘ der Kirche. Das Dogma ist, positiv betrachtet, das Resümee einer neuen Erfahrung der Kirche im Umgang mit der zum Verstehen aufgegebenen Heilsbotschaft zu einer bestimmten geschichtlichen Stunde, und hat darum unmittelbar verpflichtende Bedeutung für den persönlichen Glauben für die Dauer dieser geschichtlichen Stunde.
Ein Dogma ist eine nachträgliche Definition. Während am Anfang der Versuch steht, den Glauben in neuer ,Sprache‘ zu verkündigen, kommt am Ende der Zeitpunkt, diese Versuche auf den richtigen, verbindlichen sprachlichen ,Nenner‘ zu bringen. Dieses Vorgehen bindet sich an eine konkrete, unmittelbare, zeitbedingte Erfahrung der Kirche zu einer konkreten Stunde und an einem konkreten Ort (Ort-/Horizont- und Zeitbedingtheit). Mittelbare Bedeutung behält jedes Dogma, weil es den verbindlichen Weg des Glaubens zeigt. Auch abgesehen von der geschichtlichen Bedingtheit jeder dogmatischen Formel ist kein menschliches Wort je imstande, die Fülle der Wahrheit Gottes anders als nur gebrochen wiederzugeben.
Jeder menschliche Satz über Gott muss notwendig hinter der vollen Wahrheit Gottes zurückbleiben. Er ,leidet unter der Differenz von Aussage und Aussageabsicht‘ und ist nicht einfach und bruchlos von einem Sprachhorizont in den anderen übersetzbar ([1] 32 f.). So entscheidet bei einem Glaubenssatz weniger seine ,theoretische‘ Richtigkeit als sein wirklicher Gebrauch. Die entscheidende Frage ist nicht die theoretische Frage nach der Irrtumsfähigkeit eines Dogmas, sondern die praktische Frage, was denn zu tun ist, wenn ein Dogma das nicht (mehr) leistet, was es leisten soll. Dogmengeschichte
Die Dogmengeschichte ist kein Prozess kontinuierlich fortschreitender, immer vollkommenerer Formulierung der Glaubenswahrheit. Die Einheit der Dogmengeschichte gründet nicht in einem sich gleich bleibenden, zeit- und geschichtsüberlegenen, alles zusammenfassenden ,Supersatz‘, sondern in der Bindung des Lebens an einen, in Christus an uns handelnden Gott, in welchen Formeln sich diese Bindung auch immer ausdrücken mag.
Die Entwicklungsgeschichte der Dogmen ist kein ständiger Fortschritt, weil sie eher durch neue Situationen, durch neue Zeiten, neue Orte erzwungen sind und sehr häufig einfach mit dem, was vorher war, brechen. Sie zeigen je
2. Dogmenhermeneutik
eigene Akzente, die sich aus der Stunde selbst und den je eigenen Verstehensbedingungen ergeben. Die Dogmengeschichte ist zu verstehen als ein gewundener Weg mit mancherlei Umwegen, aber auch als Summe der Wegweiser, die den Weg unseres Glaubens für ein je begrenztes Teilstück kennzeichnen und damit richtungsweisend sind. Einheit und Kontinuität der Dogmengeschichte sind keine theoretisch nachrechenbare Sache. Man kann ihre Entwicklungslinien nie theoretisch bestimmen oder vorhersagen, weil sie zu sehr vom lebendigen Glaubensvollzug und von den lebendigen Erfahrungen des Glaubens mitbestimmt sind.
Wegweiser
b) Hermeneutische Grundregeln Aus den genannten Abgrenzungen lassen sich nun grundlegende Auslegungskriterien ableiten ([16] 732–743; [5]), die den Weg zwischen Verbindlichkeit und Bedingtheit weisen.
(1) Dogmen sind keine Grund- oder Ausgangssätze theologischer Arbeit, sondern sie sind so etwas wie eine ,Wasserwaage‘, die nachträglich an das Ergebnis theologischer Überlegungen anzulegen ist. (2) Ein Dogma ist anzunehmen als verbindliches Zeugnis der Geschichte unseres Glaubens. Wir Heutigen haben Solidarität aufzubringen mit den Menschen, die uns in geschichtlich vergangenen Zeiten mit dem Versuch vorangegangen sind, um das Verständnis des Handelns Gottes an uns und unsere Hingabe an Gott zu ringen. D. h. ein Dogma verpflichtet uns durch den gemeinsamen Versuch unseren Glauben im Wandel der zeitgeschichtlichen Situationen zur Sprache zu bringen. (3) Im Umgang mit dem überlieferten Dogma ist unsere eigene Situation nicht als Störung zu betrachten, sondern als Aufgabe anzunehmen. Jeder Christ hat also an der Formulierung heutiger Glaubenserfahrung mitzuarbeiten, denn schließlich geht es um unseren Glauben in unserer Zeit. (4) Der ursprüngliche Ort des Dogmas im liturgischen Bekenntnis stellt die Aufgabe, gerade heute darauf zu achten, dass die theologische und zuletzt dogmatische Formulierung in einer unserem Denken angepassten Bekenntnissprache geschieht. (5) Der Erkenntniswert der Form des Dogmas hängt davon ab, wie sehr es dazu beiträgt, die ,Wahrheit‘ des in Jesus Christus geschehenen Handelns Gottes an uns erkennbare Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Dogma ist daran zu messen, ob und wie es auch heute noch zum Glauben führt. Gerade weil es geschichtlich bedingte Sätze sind, die zum Glauben zu bringen versuchen, muss ihre Sprache daran gemessen werden, wie sehr dies ihnen auch heute noch gelingt. (6) Bei der Verkündung eines neuen Dogmas (oder der Einschärfung eines alten) ist die allgemeine Zustimmung zu dem, ,was die Kirche glaubt‘, selbstverständlich aufgrund der Rückbindung des persönlichen Glaubens an die Gemeinschaft der vor mir schon Glaubenden. Die persönliche Integration des (neuen) Dogmas in den gläubigen Lebensvollzug ist aber ebenso unerzwingbar wie der Glaube selbst. (7) Dabei ist die Forderung nie aufzugeben, dass die Lehrverkündigung des kirchlichen Amtes auch wirklich ein Resümee der Glaubenserfahrung der ganzen Kirche zur Sprache bringt und so hat man sich dafür einzusetzen, dass in der Kirche Verfahrensweisen entwickelt werden, die diese Resümeefunktion gewährleisten, soweit menschliche Schwachheit und Beschränktheit das nur irgendwie zulassen (s. IV.8).
Auslegungskriterien
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II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie
3. Dogmatik als Denkformanalyse
Sitz im Leben
Denkform
christologischer Maßstab
Kirchliches Zeugnis geschieht immer für eine bestimmte Zeit, an einem bestimmten Ort für eine bestimmte Gruppe von Menschen, hat einen konkreten ,Sitz im Leben‘, weil die Botschaft es wert ist, gerade hier und jetzt diesen Menschen gesagt zu werden ([14] 167). Neue Situationen der Überlieferungsgeschichte ergeben neue Fragen und neue Antworten, neue Einsichten setzen sich durch; und erst in diesem ganzen Spektrum der Entwicklung kommt die Vielfalt und Breite der Wahrheit durch. Nicht die Wahrheit wächst, aber die Erkenntnis. Das bedeutet aber, dass die geschichtlichen Etappen unserer Glaubensüberlieferung für uns heute noch relevant sind und für unsere heutige Vergegenwärtigung und Bezeugung nicht einfach ausgeklammert werden dürfen ([14] 167). Weil Glaubensüberlieferung in Bekenntnis und praktischem Lebenszeugnis vergegenwärtigt wird, muss sie je neu angeeignet werden. Aneignung ist die je eigene, neue Interpretation der schon interpretierten Glaubenswahrheit, zugleich wandert in diese Aneignung immer das je aktuelle Denken des Menschen ein. Aneignung ist daher die Vermittlung von gegenwärtigem Bewusstsein und überlieferter Glaubenswahrheit. Die Überlieferung unseres Glaubens bedeutet immer schon ,Kontinuität im Wandel‘. Überlieferung ist lebendige Auslegung in stets neue, andere Lebenswelten hinein. Jede Zeit und Kultur hat dabei ihre besonderen Denkarten und Denkformen. Denkformen sind bestimmte Verstehenshorizonte einer Zeit. Sie spiegeln ein bestimmtes Selbstverständnis, ein Vorverständnis, das bestimmte Weisen des Denkens, Erkennens und Sprechens im Voraus festlegt. Bestimmte begegnende Inhalte werden aus diesem Vorverständnis heraus erkannt, verstanden und angeeignet. Zugleich kann Neues, das kennen gelernt wird, das eigene Verständnis, die Denkform verändern. Die ,Wahrheit‘ des Glaubens wird in verschiedensten Denkformen überliefert, darin verstanden und zur Aneignung ausgelegt. Aneignung bedeutet Übersetzung in die je eigene Denkform und Lebenswelt. Fragen treten ins Blickfeld, die vorher noch nicht an der Tagesordnung waren. Gefundene Antworten müssen stets gerade im Horizont der jeweiligen Denkform verstanden werden. Nur so wird klar, was sie aussagen wollten und was sie aussagen konnten. D. h. man versteht heute nur richtig, wenn die frühere Denkform verstanden ist. So gelingt es, über die je verschiedenen Denkformen und ihre gegenseitige Verbindung so etwas wie die Identität der Glaubenswahrheit zu entdecken. Maßstab hierfür kann nur die in Jesus von Nazaret selbst Ereignis gewordene Offenbarung Gottes sein. D. h. jede in der Glaubensgeschichte wirksam gewordene Überlieferung muss sich am Grundgeschehen selber messen lassen. Dies kann freilich nur durch die bereits angedeutete Methode der Analyse der je eigenen Denkform geschehen, die ja gerade die je eigene Vergegenwärtigung und Aneignung und die vorgegebene Glaubenswahrheit selbst miteinander ins Spiel bringt. Man muss die Denkform danach befragen, „ob und in welchem Maße sie überhaupt den wesentlichen Inhalt der Geschichte Jesu zum Ausdruck zu bringen vermochte“ ([14] 173). Weil aber christliche Wahrheit zugleich immer auch unser menschliches Verstehen, unsere Vernunft beansprucht, ist gerade die Instanz der Vernunft herausgefordert, ihre
3. Dogmatik als Denkformanalyse
eigenen Kriterien wie z. B. theoretische Möglichkeit und ,anthropologische‘ Relevanz mit einzubringen. Gläubigem Handeln fällt dabei die Rolle zu, zu zeigen, ob auf diese Wahrheit des Glaubens in der Wirklichkeit auch ,gesetzt‘ worden ist, ob greifbar und erkennbar wurde, dass hier Wahres von Gott und Wahres über den Menschen gesagt worden ist. D. h. in der Glaubenspraxis lässt sich eine Kontinuität erfahren, die die Echtheit, dessen, was da gesagt wird, verbürgt ([14] 176). Eine die Wahrheit und die Praxis wirklich vermittelnde Aneignung geschieht dort, wo Menschen sich in diesen Überlieferungsprozess hineingestellt haben und hineinstellen, damit sie als Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft diese Wahrheit der Freiheitsgeschichte Gottes mit den Menschen im eigenen Leben vergegenwärtigen. Das geschieht, indem sie sich in ihrer Lebenspraxis von diesem Heilswillen Gottes wirklich beanspruchen lassen, die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe darzustellen und so die Bestimmung der Menschen zeichenhaft zu realisieren ([14] 178). Dem Primat der Praxis muss dadurch Rechnung getragen werden, dass Überlieferung nicht nur auf ihre ausgesagten ,Sätze‘ hin überprüft wird, sondern auch auf die Praxis hin. Daraus sind nun abschließend einige methodische Leitlinien zu formulieren: (1) Die vorgeprägten Formeln, überlieferten Redewendungen, überkommenen Leitsätze etc. mit ihrer häufig komplizierten und spannungsreichen Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte, die uns in unserer Beschäftigung mit unserer Glaubenstradition begegnen, müssen verstanden werden als geschichtliche Abwandlung eines Grundverständnisses. (2) Dogmatische Aussagen werden dann richtig verstanden, wenn man sie in ihre Auslegungs- und Traditionsgeschichte hineinstellt und dort verortet. Häufig ergibt sich dabei trotz gleicher oder ähnlicher Wortwahl ein sehr unterschiedliches Verständnis. (3) Solchermaßen auf ihre Grundbegriffe durchleuchtete Aussagen sind leichter in ihre Problemgeschichte einzuordnen. Die dogmatische Aussage ist daher nie fix und unmittelbar einsichtig, sondern verweist sofort auf ihren Entstehungsort und erlangt von daher ihre Bedeutung. (4) Eine solche Analyse hat insbesondere auf die Entstehungszusammenhänge Rücksicht zu nehmen. Die ,Sprechsituation‘ vor Ort ist von zentraler Bedeutung. So macht es eben einen Unterschied, ob eine Aussage als Kampfwort, zur Abgrenzung, als Kompromiss oder als Versöhnungswort gemeint ist. (5) Dogmatische Aussagen verweisen zugleich auf die hinter ihnen stehende Gemeinschaft (Kirche, Gruppe etc.). Durch eine Analyse des allgemeinen Verständnisses einer Aussage wird auch dieser soziologische ,Ort‘ näher bestimmt. (6) Ein Blick auf solche ,Ortsbestimmungen‘ macht deutlich, wie unterschiedlich Sprache der Theologie und Alltagssprache sein können. Dieses Gefälle ist zu berücksichtigen. Das verhindert auch die Dominanz nur eines ,Sprachspiels‘ oder nur einer bestimmten Schultradition. (7) Die Analyse von Ort und ,Sprachspiel‘ öffnet zugleich den Blick auf die Geschichtlichkeit der Aussage. So ist eine dogmatische Aussage konstant und flexibel zugleich. So kann sich der Blick durch die Offenlegung der ursprünglichen Bedeutungsvielfalt von einer verengten Sicht hin auf einen weiteren Sinngehalt bzw. auf eine Erneuerung scheinbar ,verbrauchter‘ Aussagen öffnen.
Welche Leitlinien folgen daraus für die Aufgabenbeschreibung der Dogmatik?
Praxis
Leitlinien
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II. Themen und Arbeitsweisen dogmatischer Theologie
Bergungsunternehmen für Glaubenssätze
Zeugengemeinschaft
vernünftige Verantwortung
Zeichen der Zeit
1) Dogmatik ist hermeneutische Theologie Dogmatik hat auf jeder Ebene der Glaubensüberlieferung die Grundreflexion auf die sie tragende Sprache, Sprachfähigkeit und Sprachmöglichkeit und die sich daraus ergebende Aussagefähigkeit zu leisten. Sie ist ein „Bergungsunternehmen für die Glaubenssätze“; sie bewahrt sie, indem sie sie „interpretierend ergänzt und in Treue zum Inhalt neu formuliert“ ([1] 36). Sie artikuliert die formale Perspektive des Glaubens inhaltlich rational und im Dialog mit den anderen humanwissenschaftlichen und theologischen Disziplinen; im Dialog von Kirche und Kirchen, Kirche und Religionen, Kultur, Öffentlichkeit, Wissenschaft. Sie leistet diese Aufgabe im Bereich der Grundlagenreflexion und im Bereich der einzelnen Inhalte/Traktate, sei das nun die Gotteslehre, die Schöpfungslehre, die Anthropologie, die Gnadenlehre, die Christologie, die Eschatologie oder die Ekklesiologie (s. B). 2) Dogmatik ist gekennzeichnet durch ihre Kirchlichkeit Die geschichtlich ergangene Botschaft der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus von Nazaret kann heutigen Menschen nur über die Kette der Zeugen, über ihr persönliches Lebenszeugnis zukommen. Also ist jeder und jede im persönlichen Glauben durch und durch auf die Gemeinschaft der Glaubenden angewiesen. Die Kirche selbst ist daher ,Zeichen‘ (,Ort‘) und ,Werkzeug‘ (,Instrument‘) des Heilswillens Gottes (vgl. Lumen gentium Art. 1). Theologie ist nur innerhalb dieser Lebens- und Zeugengemeinschaft möglich und nur im Gefolge der lebendigen ,Überlieferung‘ (traditio) dieser Gemeinschaft sinnvoll (vgl. dazu auch IV.7). ,Kirchlichkeit‘ der Theologie bezeichnet diese Eingebundenheit in diesen lebendigen Überlieferungsprozess, in dem sich allein das Ursprungsgeschehen angemessen auszulegen und zu vergegenwärtigen vermag. 3) Dogmatik ist gekennzeichnet durch ihre Wissenschaftlichkeit Dogmatik ist an die Gemeinschaft der Glaubenden gebunden, weil und insofern diese die ,Wahrheit‘ der Selbstoffenbarung Gottes greifbar macht. Die ,Wahrheit‘ des Glaubens fordert den Verstand heraus. Dogmatik hat der redlichen Verantwortung des Glaubens vor der Vernunft zu dienen (s. III.5). Das genau macht ihre Wissenschaftlichkeit aus. Christlicher Glaube spricht an zentraler Stelle davon, dass die Freiheit des Menschen als sein eigentliches Kennzeichen und die Bedingung der Möglichkeit einer Offenbarung Gottes ist. Diese Freiheit sichtbar zu machen und als Leitmotiv jeglicher Rede von Gott zur Sprache zu bringen, ist darum die zentrale Grundaufgabe der Dogmatik als Grunddisziplin der Theologie. Darin zeigt sich ihre Verpflichtung auf den Menschen. So heißt das vierte Grundprinzip auch: 4) Dogmatik ist an der Lebenspraxis der Menschen orientiert Theologie als Ganze hat die ,Zeichen der Zeit‘ zu erkennen und zu deuten und sie ist offen gegenüber den Problemen der Zeit. Das ist das pastorale Grundkonzept des Zweiten Vatikanums. Theologie geschieht nicht im luftleeren Raum, ist kein theoretisches Spiel, sondern hat konkrete Folgen in Welt und Gesellschaft. Der Praxisbezug ist demnach das entscheidende Kriterium von Theologie. Der Dogmatik ist daher auch die konkrete Verhältnisbestimmung von überlieferter Glaubensüberzeugung und Reflexion der Praxis als Aufgabe gestellt.
III. Dogmatische Prinzipienlehre Mit welchen Grundannahmen und nach welchen Grundprinzipien arbeitet nun die katholische Dogmatik? Welche Konsequenzen hat ihre wissenschaftliche Selbstbindung? Für die ,Wahrheit‘ des Glaubens? Für die Verantwortung seiner Inhalte? Für das Wissen? Was haben Glauben und Wissen miteinander zu tun? Wie verhalten sich also Glauben und Denken? Weder nach der einen noch der anderen Seite ist die Verhältnisbestimmung dabei eindeutig.
1. Was ist ,Glaube‘? a) Nichts Genaues wissen? „Folgt man unbesehen dem alltäglichen Gebrauch, so beruht ,Glauben‘ auf Vermutungen, bietet keine wirkliche Gewißheit, höchstens Anhaltspunkte, erscheint als eine Vorform, eine Ersatzform von ,Wissen‘“ ([47] 17). Ein solcher Sprachgebrauch rekurriert auf die Analyse Thomas’ von Aquin. Thomas differenziert die Zugangsweisen des menschlichen Verstandes zu Sachgegenständen in folgender Weise: offensichtlich objektiv wissenschaftlich beweisbar
Verstand
Sache
Meinung subjektiv Glaube
Immanuel Kant übernimmt diese Unterscheidung in der dreigliedrigen Formel von Meinen, Wissen, Glauben (vgl. Kritik der reinen Vernunft B 865). Es gibt also innerhalb des Verstandes Erkenntnisse, die nicht einfachhin ,objektiv‘, d. h. unabhängig vom verstehenden und sie erfassenden Menschen sind, sondern die eine Beteiligung des erfassenden Menschen nicht nur hinsichtlich der Erkenntnis selbst, sondern auch hinsichtlich ihrer Begründbarkeit voraussetzen. Auf dieser Ebene des ,Wissens‘ geht es auch um eine Stellungnahme zu sich selbst ([47] 21). So können nun ,Glaube‘ und ,Wissen‘ in einer
Glaube und Wissen
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
recht einprägsamen Unterscheidung auseinander gehalten werden, ohne den ,Glauben‘ zugleich zu degradieren ([47] 22).
b) Was und wie ,glaubt‘ der Glaube? (vgl. zum Folgenden [44] 54–67; [36] 89–97).
hebr.: sich festmachen griech.: vertrauen auf
lat.: jemandem und etwas glauben
In der Hebräischen Bibel bedeutet ,Glauben‘ in der am häufigsten zur Umschreibung verwendeten Wurzel ,aman‘ ,sich festmachen‘, ,vertrauen‘, ,bergen‘, ,auf etwas bauen‘, ,feststehen‘; im theologischen Sprachgebrauch dann: ,auf JHWH setzen‘; ,Gott vertrauen‘, ,mit Gott und durch ihn leben‘ ([48] 100). Ähnlich bestimmt sich auch die neutestamentliche Vokabel für ,Glaube‘ (pistis) als ,Zustimmung‘, ,Vertrauen auf‘. Sie umschreibt ein ,personal-existentielles Vertrauensverhältnis‘, das einen konkreten Grund besitzt: Jesus Christus ([34] 49–65, bes. 59 f.). ,Glauben‘ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht etwas glauben (aliquid credere), sondern immer ,jemandem glauben‘ (alicui credere) oder auch ,an jemanden glauben‘ (aliquem credere). Es geht um eine ,bejahende Einstellung‘ zu jemandem. Glaube ist ein am ,Du‘ orientiertes Geschehen. Es ist eine zutiefst den Menschen in seinem Person- und Subjektsein herausfordernder Akt: ,Fides facit personam‘ – der Glaube schafft die Person, so bringt das Martin Luther (1483–1546) auf den Punkt (Zirkulardisputation De veste nuptali (1537) WA 39/I 264–333, hier 282, 16). So ist christlicher Glaube letztlich nichts anderes, als „die auf die Person Jesus Christus sich beziehende und sich gründende bejahende Stellung-Nahme zum Dasein in der Welt, die sich als Hoffnung nach dem Sinn des Ganzen ausstreckt“ ([47] 24). Darum ist Glaube keine spezielle Art des Wissens oder ein defizienter Modus des Erkennens, „sondern die Beziehung von Wissen und Erkennen auf die Geschichte Gottes in Jesus Christus und die in dieser Geschichte wirkende Macht des Erbarmens“ ([48] 113).
c) Ist Glaube vernünftig?
fides qua – fides quae
Ein solcher Glaube hat immer etwas mit Denken zu tun. Warum? Zum Ersten: Christlicher Glaube muss sich nach seiner Begründung befragen lassen, weil er daran festhält, dass sich Gott in Jesus von Nazaret letztgültig und ein für alle Mal geoffenbart hat ([51] 27 f.). Das bedeutet aber zugleich, dass es gerade der Glaube selbst sein muss, der die Einsicht des vernünftigen Denkens sucht. Zum Zweiten: So sehr der Glaubensakt selbst ohne den eben skizzierten individuellen Vertrauensakt nie zustande kommen kann, so sehr ist Glaube nie nur Vertrauensglaube. Von seinen biblischen Anfängen an ist er immer auch mit konkreten Inhalten verbunden. Israel erfährt und bekennt, wer dieser Gott ist und wie er ist. Eine ähnliche Pointierung liegt auch dem Glaubensbegriff des Neuen Testaments zugrunde. Glaube wird hier auf die konkreten Erfahrungen mit Jesus von Nazaret zugespitzt. Glaube heißt hier ,Sichvertrauensvoll-Festmachen‘ an Gott, wie er sich in Jesus von Nazaret gezeigt hat ([32] 50). Man versucht daher schon früh, diesen Glauben in bestimmten Sätzen, Formeln, Bekenntnissen auszudrücken. Sie sollen freilich nichts anderes aussagen, als das, was in der Begegnung mit Jesus selbst erfahren worden ist. Christlicher Glaube hat demnach sowohl personale wie auch inhaltliche Züge. Die innere Haltung meines Glaubens, der Vertrauensakt, mit dem ich
1. Was ist ,Glaube‘?
glaube (lat. fides, qua creditur), ist immer schon auf das, was ich glaube, auf den Inhalt meines Glaubens (lat. fides, quae creditur) hingeordnet und damit untrennbar verbunden ([43] 295). Glaubensinhalte, -sätze sind immer nur Ansätze, Wegweiser, ,Ortsangaben‘ für die Wahrheit, die mein Glaube in Gott gefunden hat, und an der dieser Glaube sich festmacht. Glaube muss sprachlich fassbar werden, wenn er ausgesprochen, verkündigt und so auch verstanden werden will, denn nur so kann er auch ,dingfest‘ gemacht werden. Glauben umfasst daher immer auch das Verstehen. Martin Buber (1878–1965) formuliert diesen zentralen Zusammenhang in einfachen Worten: „Personale Ganzheit (des Glaubens) […] kann aber nur zustande kommen, wenn auch die gesamte Denkfunktion, ohne beeinträchtigt zu werden, in sie eingeht und in ihr wirken darf, als ihr eingeordnet und von ihr bestimmt. Es geht hier freilich nicht an, an Stelle der Ganzheit das ,Gefühl‘ zu setzen. Gefühl ist eben nicht ,alles‘, es ist im besten Fall ein Anzeiger dafür, dass das Sein des Menschen im Begriff ist, sich zur Ganzheit zusammenzuschließen; in andern Fällen ist es eine Illusion des Ganzwerdens ohne seinen Vollzug“ ([23] 6). Glaube ohne Verstand kann zur Illusion werden, weil er sich letztlich weigert, über sich selbst nachzudenken und Rede und Antwort zu stehen. Diese Verpflichtung – Rede und Antwort zu stehen für den Glauben – ist unverzichtbares Grundprinzip katholischer Dogmatik.
verstehen
verantworten
d) Glauben und Bekennen a) Ich glaube – wir glauben So sehr Glaube der persönliche, selbst verantwortete, innerste Entscheidungsakt des Menschen ist, sein persönliches Wollen, seine Gewissensentscheidung, die durch nichts zu ersetzen ist, so deutlich ist dieser Glaube auch durch andere bestimmt. Das ,ich glaube‘ bedeutet auch ,ich stimme ein in den Glauben derer, die mich selbst zum Glauben geführt haben, die mich darin angeleitet haben, die mir den Glauben weitergegeben haben‘. Christlicher Glaube ist nie nur Privatsache; er trägt immer einen öffentlichen Bekenntnisakt in sich, der sich als Bekenntnis in und zur Gemeinschaft der Glaubenden artikuliert. Gerade die Glaubensbekenntnisse der Kirche haben von Anfang an diese Funktion. Glaubensbekenntnis (confessio fidei) ist zunächst einmal Kult-, d. h. Taufbekenntnis ([33] 41). Recht schnell werden Glaubensbekenntnisse aber auch zu Erkennungszeichen für die einzelnen christlichen Gruppen (daher auch das griechische Wort ,symbolum‘ – ,Zeichen‘ als Ausdruck für das Glaubensbekenntnis), denn als Bekenntnis zur Aufnahme in die Gemeinschaft ist dieses Bekenntnis auch ein ,Ja‘ zu dieser Gemeinschaft selbst. Aus dem Erkennungszeichen entwickelt sich dann ebenso schnell die Funktion des Glaubensbekenntnisses als Grundbestand dessen, was den Glauben dieser Gemeinschaften kennzeichnet, d. h. das Glaubensbekenntnis wird zum Zeichen der Gruppenidentität nach innen und nach außen, zum Erkenntniszeichen (indicium, signum). Hinzu kommt die inhaltliche Funktionalisierung des Glaubensbekenntnisses als kurze Zusammenfassung dessen, was den Glauben des Christen, d. h. seine Verbindung zu Gott und seine Bindung an Gott, ausmacht. Der Text wird zum Verweistext auf den Glauben selbst. So ist der Text des Glaubensbekenntnisses nicht immer ein umfassender und
confessio – Bekenntnis symbolum
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
Kurzformeln
Geschichtlichkeit
notwendig vollständiger, sondern er drückt den Versuch aus, die Grunddimension des Glaubens selbst in wenige prägnante, aber dennoch zutreffende Worte (Kurzformeln) zu fassen, den Glauben in seiner Grunddimension zu konzentrieren. Dabei kennzeichnet es die meisten der zentralen ,alten‘ Glaubensbekenntnisse, dass sie mit einem ,Wir glauben/Wir bekennen‘ beginnen. Keiner kann für sich alleine glauben. Jeder ist ein Glied in der großen Kette der Glaubenden. Deshalb gilt: ,Ein Christ ist kein Christ‘ (Tertullian [um 150–220]). „Jeder ist auf die Gemeinschaft der Glaubenden angewiesen“ ([25] 44; [33] 33). Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden ist damit zuallererst als Gemeinschaft der Zeugen bestimmt. Dieses Zeuge-Sein ist ihr eigentliches und grundlegendes Kennzeichen. Das Dasein von Kirche besteht in ihrer Funktion. Alles andere, was wir von ,Kirche‘ aussagen können, ist dieser Grundfunktion zugeordnet. D. h. aber auch, dass man nicht an die Kirche glaubt, sondern in und mit ihr. Man glaubt die Kirche als Ort des Glaubens und als Gemeinschaft der Glaubenden ([32] 95). b) Glaube zwischen ,Geschichtlichkeit‘ und ,Wahrheit‘ Christlicher Glaube ist notwendig geschichtlicher Glaube, weil er sich daran festmacht, dass Gott selbst sich einmal in der (Lebens-)Geschichte eines Menschen vollständig und unüberbietbar gezeigt hat, dass er sich in die menschliche Geschichte hinein ,inkarniert‘. So ist christlicher Glaube auch immer ein dialogisches Geschehen mit und in der Geschichte. Gott handelt in der Geschichte und die Antwort des Menschen darauf ist sein vertrauender Glaube, der sich geschichtlich entwickelt und vermittelt. Glaube ist selbst geschehene und geschehende Geschichte. Das Zeugnis des Glaubens versucht, weiterzugeben, sichtbar zu machen, Antworten zu geben, tiefer einzudringen in das Geschehen, eine neue Begegnung mit diesem Geschehen zu ermöglichen. Erst im Laufe dieser Zeugnisgeschichte kann und wird sich das ursprüngliche Geschehen, die ,Wahrheit‘ in all ihren Möglichkeiten ausdrücken. Und erst dort, wo sie sich entfalten darf, kann sie auch zur neuen Begegnung führen: zur wirklichen Inanspruchnahme und Verpflichtung durch das Geschehen, d. h. aber auch zu lebendigem Glauben, zur Nachfolge, zur Annahme dessen, was da von Gott erzählt wird.
2. Wie ,denkt‘ der Glaube? Glaube und Vernunft
a) Rede und Antwort stehen – eine Aufgabe für jede und jeden? „Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religion; er beruht auf Erkenntnis. […] Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden und nicht mehr ihr Gegenspieler.“ Joseph Ratzinger, Der angezweifelte Wahrheitsanspruch (FAZ Nr. 6 vom 8.1.2000, BuZ I).
,Glaube‘, wie wir ihn heute verstehen, versucht zwei Dinge miteinander zu verbinden: das Sich-uns-Mitteilen Gottes und die menschliche Antwort da-
2. Wie ,denkt‘ der Glaube?
rauf. Diese ,Antwort‘ reicht von der Suche nach einer inneren Offenheit des Menschen für ein solches Sich-Mitteilen-Wollen Gottes bis zum Versuch, dieses zu begreifen und im eigenen Leben nachzuvollziehen. Ein Kernpunkt christlichen Glaubens ist daher stets das Nachdenken über die Verkündigungsmöglichkeiten der christlichen Botschaft. Soll die Botschaft ankommen, muss sie auch verstanden werden. Zugleich ist ihr Inhalt alles andere als ,plausibel‘, denn die innerste Wahrheit Gottes steht auch in Spannung zu dem, was der Mensch für wahr hält. Darum ringen schon im Neuen Testament zwei ,Modelle‘ miteinander um die richtige Verhältnisbestimmung von Glauben und Denken ([38] 22–35). Das eine stammt von dem ,Anpassungskünstler‘ des Urchristentums schlechthin: Paulus. Er, der um des Evangeliums willen den Juden ein Jude, den Heiden ein Heide, ja am liebsten allen alles werden will (vgl. 1Kor 9,20–22), setzt hier auf Konfrontation, d. h. auf den grundsätzlichen Widerspruch der Botschaft vom Kreuz zur Welt (vgl. 1Kor 1,18–25). Ein anderer biblischer Schriftsteller ist da welt-optimistischer: ,Im Anfang war das Wort‘ (Joh 1,1) – mit diesem schlichten Satz stellt Johannes seine Botschaft in den gesamten Horizont des damaligen Denkens hinein. Denn Wort (logos) ist auch der Leitbegriff der Philosophen seiner Zeit. Unter das Niveau dieses zeitgenössischen Denkens darf die Christusbotschaft nicht sinken, sondern hier muss sie ,Rede und Antwort stehen‘. Diese Grundbewegung christlichen Glaubens umschreibt der Verfasser des Ersten Petrusbriefes mit prägnanten Worten: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch den vernünftigen Grund einfordert über die Hoffnung in euch“ (1Petr 3,15).
Zunächst geht es im 1Petr nicht einfach um eine Verteidigung des Glaubens, sondern um die Verantwortung christlicher Hoffnung. Glaube selbst ist ja nie nur das Für-wahr-Halten bestimmter Glaubenssätze, sondern eine ganzheitlich-personale Grundbewegung, die auf ein ebenso bestimmtes Sich-Zeigen Gottes antwortet ([50] 49). Dieser ganzheitlich-personale Vollzug des Glaubens ist aber wesentlich durch die Bewegung der Hoffnung geprägt! Doch ist nach 1Petr 3,15 nicht einfach nach der Hoffnung, sondern nach dem Grund – ja sogar dem vernünftigen Grund – dieser Hoffnung gefragt. Weil christliche Hoffnung einen Grund besitzt, kann der Glaubende darüber Rechenschaft ablegen. Doch vor jeglicher ,Absicherung‘ von Glaubensinhalten müssen wir fragen: ,Wie ansteckend ist unsere Hoffnung (noch)?‘ Diese Hoffnung hat Vorrang vor der Frage ,Wie sicher ist das, was im Katechismus/im Glaubensbekenntnis steht‘ ([26] Einleitung). 1Petr 3,15 mutet nun dieses Rede-und-Antwort-Stehen jedem Christen und jeder Christin zu. Glaube soll daraufhin befragt werden, ob er der stärksten Kritik standzuhalten vermag. Doch die hier angemahnte Bereitschaft meint nicht einfach ,infotainment‘, sondern es geht hier um eine Situation, in der solches Antworten auf Nachfrage auch die Möglichkeit beinhaltet, dass man für seinen Glauben den Kopf hinhalten muss. Welches ist aber nun die angemessene Instanz, vor der eine solche Verantwortung des Glaubens zu geschehen hat? Gibt es eine ,objektive‘ Instanz vor der auch ,Glaubenswahr-
Zwei Modelle Paulus
Johannes
1Petr 3,15
Hoffnung
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
heiten‘ sich bewähren müssen, oder widerspricht eine solche Vorgabe nicht der Grundüberzeugung, dass Glaubensgegenstände nur im Innern des durch die Offenbarung erleuchteten Glaubens erkannt und angemessen beurteilt werden können? Hier stehen wir vor einer grundlegenden Anfrage an Theologie und Glaube überhaupt, die auch die Dogmatik zutiefst bewegt: der näheren Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie.
b) Glauben und Denken: Eine wechselvolle Beziehungsgeschichte
Apologie des Glaubens
Glaube ist Erkenntnis
Gnosis
a) Zwischen Vernunftskepsis und der Unverzichtbarkeit theologischen Denkens Die früheste nachbiblische Weise der 1Petr 3,15 geforderten Rechenschaftsabgabe findet sich in den Arbeiten jener frühchristlichen Theologen, die sich selbst als ,Apologeten‘, d. h. als Verteidiger des christlichen Glaubens vor der heidnischen Umwelt verstanden haben und sich mit dem von dort geäußerten Vorwurf eines ,vernunftlosen Glaubens‘ auseinandersetzen. In seiner wohl fiktiv an den römischen Kaiser selbst gerichteten ,Verteidigungsrede‘ (Apologie) wählt Justin der Märtyrer (um 100–165), der in der griechischen Philosophie wohl bewanderte Theologe, den allen gottesfürchtigen und vernunftbegabten Menschen von Gott gegebenen ,Logos‘, d. h. die eigenständige Kraft menschlicher Vernunft als Instanz. Antike Philosophie als Lehre menschlicher Vernunft begreift sich immer auch als Theologie, denn die heidnischen Philosophen und christlichen Theologen sind sich darin einig, dass dort, wo sie ,Wahres‘ sagen, sie nicht aus sich selbst heraus reden, sondern aus jener allen Menschen gleichermaßen zuteil gewordenen ,göttlichen‘ Gabe heraus. Augustinus (354–430) wird später diesen Faden aufnehmen und die Philosophie als Liebe zur Weisheit (amor sapientiae) mit dem gläubigen Streben nach Einsicht (intellectus fidei) gleichsetzen: „Der wahre Philosoph ist ein Liebhaber Gottes“ (Augustinus, civ. 8,1). Darum benennt die Frage, ob Gott sich in der Ursprungsgabe menschlicher Vernunft oder im geschichtlichen Kommen des menschgewordenen ,Logos‘, d. h. in Jesus Christus selbst offenbart hat, allenfalls einen quantitativen, aber keinen qualitativen Unterschied. Genau dies ist auch die Voraussetzung für Clemens von Alexandrien (um 150–215), Glaube und Glaubensakt in den Kategorien der zeitgenössischen Erkenntnistheorie zu erläutern ([27] 6). Glaube ohne Erkenntnis ist nicht denkbar; ja die wahre Erkenntnis vollendet den Glauben (Clemens von Alexandrien, Str. 7,57,3). Glaube selbst fordert das engagierte Erkennen-Wollen und die Mühe der denkerischen Durchdringung, denn sie allein gibt dem Glauben die notwendige Festigkeit. Dieser Ansatz blieb indes nicht ohne Widerspruch. Die antignostischen Theologen des zweiten und dritten Jahrhunderts wenden sich gegen eine allzu exzessive theologische Gedankenarbeit, die den Glauben in mythische Spekulationen aufzulösen beginnt und einer intellektuellen, über Erkenntnis (Gnosis) verfügenden Elite vorbehalten wissen wollte. „,Quid ergo Athenis et Hierosolymis? Quid academiae et ecclesiae? Quid haereticis et Christianis‘ – ,Was also haben Athen und Jerusalem miteinander zu schaffen? Was die Akademie mit der Kirche? Die Häretiker mit den Christen‘“ bringt Tertullian diese Position skeptisch auf den Punkt (De praesc 7,9–12). Den Ver-
2. Wie ,denkt‘ der Glaube?
nunftskeptikern ist die Philosophie eine ,Erfindung des Teufels‘ (vgl. die Sammlung der Vorwürfe der Vernunftskeptiker bei Clemens von Alexandrien [Str. 1,80,5]; oder Platon als ,Gewürzkrämer sämtlicher Ketzer‘ [Tertullian, an. 23,5]). Das Ideal der Schlichtheit, ja Einfalt des ,einfachen Glaubens‘ (simplicitas fidei) wird daher gegen allzu hochfliegende Ambitionen des Denkens in Anschlag gebracht. Aber schlichter Glaube immunisiert keineswegs gegen Irrlehren. Er kann sogar zum ,Einfallstor‘ der ,Häresie‘ werden ([15] 27). So vermag erst der reflektierte Glaube zwischen ,wahr‘ und ,falsch‘ zu unterscheiden. Daher muss sich die Möglichkeit eines legitimen Forschens und Fragens, Philosophierens und Spekulierens in der jungen Kirche entwickeln. Gerade die Begegnung und Konfrontation des christlichen Glaubens mit der geistigen Kultur der Antike stellt dabei den Glauben vor die entscheidende Herausforderung, denn die Kritik der nichtchristlichen Umwelt nötigt das christliche Denken zur intellektuellen Durchdringung des eigenen Glaubens. Eine der großen theologischen Schulen der Antike, die alexandrinische Schule, geht diesen Weg in paradigmatischer Weise. So ist es neben Clemens einer ihrer größten Theologen, Origenes (185–254), der „erstmals umfassend und eingehend die innere Plausibilität und Kohärenz des christlichen Glaubens reflektierte“ ([15] 31). Er bestimmt zur Aufgabe des wissenschaftlich gebildeten Glaubenden, nach Gründen für die christliche Lehre zu suchen (vgl. Cels 4,9), und stellt sich selbst dieser intellektuellen Herausforderung. Er kann daher als der ,Begründer der wissenschaftlichen Theologie‘ ([15] 33) oder als der ,erste Dogmatiker‘ ([4] 17) bezeichnet werden. Augustinus darf sicher in gewisser Weise als das westliche ,Pendant‘ zu Origenes verstanden werden, wenngleich seine Einstellung zu Glauben und Denken eine zutiefst dialektische ist. Doch auch für ihn führt der Weg vom Glauben zum Denken, denn „Glaube bedeutet nicht Ersatz des Denkens, sondern eine spezifische Form des Denkens, […] ist ein Denken mit willentlicher Zustimmung’ [praed. sanct. 5]“ ([15] 35). Darum schließt Augustinus kategorisch aus, dass der Glaube den Verzicht auf eine vernunftgemäße Erklärung oder auf entsprechendes Forschen erfordern würde (vgl. ep. 120,3). Zugleich ist er aber davon überzeugt, dass die in der Sünde verfangene Vernunft des Menschen unfähig ist, irgendetwas „zum Glauben oder gar zur Erschließung von dessen Bedeutung […] beizutragen“ ([22] 61). Die so zwischen Glauben und Denken waltende Dialektik fasst er in die viel zitierte Formel: Intellige ut credas – crede, ut intelligas (verstehe, um zu glauben – glaube, um zu verstehen; Sermo 43,79). Trotz aller Skepsis ist indes auch bei Augustinus deutlich, dass es um das Verstehen-Wollen des Glaubens selbst geht (vgl. praed. sanct. 2,5). Doch wird dabei die Stellung der Vernunft im Glaubensvollzug konkret bestimmt. Sie ist in ihre Schranken gewiesen, gewinnt aber zugleich eine unaufgebbare Bedeutung für das Erfassen, Durchdringen und Verstehen des Glaubens selbst. Das Bekenntnis Augustinus’ zum intellectus fidei bleibt geprägt durch ein großes Vertrauen in die Fähigkeiten der durch den Glauben erleuchteten menschlichen Vernunft und die Überzeugung ihrer wechselseitigen Bezogenheit ([15] 38). Glaube ist für die frühe Kirche unter diesen denkerischen Vorgaben daher weder purer Fideismus, noch blinder Dezisionismus, sondern bleibt an die Frage nach der Vernünftigkeit des Glaubens und damit an die Frage nach der Wahrheit
simplicitas fidei
Origenes, der erste Dogmatiker
Augustinus: intellige ut credas – credas ut intelligas
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
gebunden. Damit macht sich der christliche Glaube die Grundoption der griechischen Philosophie für den Logos, die Vernunft, gegen den Mythos zu eigen.
Anselm: fides quaerens intellectum
Thomas: ancilla theologiae
b) Die mittelalterliche Unterscheidung Lange Zeit bleibt diese Verhältnisbestimmung zwischen Vernunft und Glaube die für die christliche Theologie verbindliche. Erst im Verlauf des 11. Jahrhunderts beginnt sich die philosophische Methode gegenüber der theologischen Wissenschaft in ihrer Selbstständigkeit zu emanzipieren. Das hat seine Gründe wohl auch in der immer stärker werdenden Wertschätzung von Bildung und des damit verbundenen Eigenstands und Einführungscharakters der ,sieben freien Künste‘ an den als Bildungsinstitutionen nun aufblühenden städtischen ,Kathedralschulen‘. Theologen und Philosophen bearbeiten mit den ,Waffen‘ der Vernunft das Terrain der Theologie. Im Verlauf der weiteren Entwicklung mag auch die Wiederentdeckung antiker Philosophen (besonders des Aristoteles) und ihrer Werke – häufig gerade durch die Vermittlung nichtchristlicher Wissenschaftler wie des jüdischen Philosophen Maimonides (1138–1204) und des islamischen Philosophen Averroes (Ibn Rushd) (1126–1198) – einen deutlichen Einfluss auf die nun neu zu bestimmende Situation genommen haben. Wie verhält sich eine glaubensneutrale Methode der Philosophie zu den Glaubensinhalten? Wie bestimmt sich das ,Glaubenswissen‘ zu einem aufstrebenden, vortheologischen ,Weltwissen‘? Das Mittelalter gibt darauf zwei unterschiedliche Antworten. Der Ansatz Anselms von Canterbury (um 1033–1109) ist noch fest verbunden mit der christlichen Tradition der Apologeten. So betont er, dass alle menschliche Vernunft zwar ihren eigenen Anteil an der göttlichen Vernunft als Gabe erhalten hat, diese Gabe aber immer und überall durch die Sünde ihr natürliches Licht verdunkelt und sie so stets der Aufhellung durch das Glaubenslicht bedarf. Genau in diesem Spannungsfeld von realer Angeschlagenheit und potentieller Befähigung bewegen sich seine weiteren Überlegungen. Anselm nimmt die Beeinträchtigung und Abhängigkeit menschlicher Erkenntnis radikal ernst und schreibt zugleich der gewissermaßen durch Gott selbst wiederhergestellten Vernunft eine wirklich allumfassende Befähigung zu ([38] 30). Sie vermag so, das Geglaubte bis auf seinen letzten Grund hin zu durchdenken, zu erfassen, es argumentativ einsichtig zu machen: fides quaerens intellectum – der Glaube fragt nach vernünftiger Einsicht. Die Gottgegebenheit solcher Fähigkeit ist für Anselm die notwendige und unersetzbare Voraussetzung. Wirklich selbstständiges Denken des Menschen wird nur dann möglich, wenn Gott die verzerrende Maskerade menschlicher Sünde durchbricht und so dem Menschen ermöglicht, zu seinem eigenen Selbst vorzustoßen. Es ist ein menschliches Tun, das sich gerade durch die Gnadeninitiative Gottes dazu befreit und im Stande weiß, auf die für alle Menschen verständliche Ebene, den Boden menschlicher Vernunft zurückzufinden und von dorther den eigenen Standort des Glaubens zu bedenken. In der abendländischen Theologiegeschichte einflussreicher und durchsetzungsfähiger erweist sich aber die theologische Neuorientierung durch Thomas von Aquin. Ein wichtiger Grund dafür ist die im 13. Jahrhundert deutlich
2. Wie ,denkt‘ der Glaube?
veränderte geschichtliche Konstellation, insbesondere die Prägung der philosophischen und theologischen Strömungen dieser Zeit durch einen umfassenden Austausch der drei großen Offenbarungsreligionen. Dieses weit reichende Gespräch verbindet sich mit der Wiederentdeckung der Werke eines der bekanntesten antiken griechischen Philosophen, Aristoteles, und erhält von dort her seine eigentliche Dynamik ([11] 203 f.). Philosophie ist innerhalb einer solchen Konzeption nicht mehr der ,institutionalisierte Freiraum weltlicher Wissenschaft‘, sondern wird zur dienenden Grundlagenwissenschaft, zur ,Magd‘ der Theologie. Und das hat Folgen für das Selbstverständnis der Theologie. Denn als Verhältnis bietet sich hier eine Konzeption auf zwei Stockwerken an. Da gibt es eine erste, allen vernunftbegabten Menschen jeglichen Glaubens zugängliche philosophische Ebene ,natürlicher Erkenntnis‘ und eine zweite nur dem je eigenen Glaubenswissen und damit der geoffenbarten Wahrheit allein zugängliche Ebene ,übernatürlicher Offenbarungswahrheiten‘. So entsteht – eng damit verbunden – der Begriff einer ,natürlichen Theologie‘ (theologia naturalis), d. h. einer philosophischen Grundlegung von Theologie. Zunächst wirkt diese ,Lösung‘ des Problems konziliant und elegant. Gleichwohl hat sie ihren Preis. Denn das eigentliche Glaubenswissen ist allein durch den Akt einer übernatürlichen Offenbarung Gottes dem Menschen zugänglich. Das Wesentliche wird zur übernatürlichen Zusatzinformation ([38] 29); gerät in den ,Geruch der Überflüssigkeit‘ ([22] 65). So ergibt sich daraus die in der Wirkungsgeschichte des Ansatzes fatale Problematik, wie Menschen die Wahrheit des Glaubens je einsichtig werden kann. Thomas hatte eine Antwort darauf gefunden: Gott selbst legitimiert die Wahrheit seiner Offenbarung durch ,äußere Zeichen‘. Wer nach Verstehen oder gar nach begründeter Rechenschaft sucht, wird auf Wunder und Weissagungen verwiesen. Doch gerade dadurch bleibt die Frage nach einer wirklichen Vermittlung ohne Antwort. Der Gegenstand des Glaubens übersteigt die menschliche Vernunft notwendig (Summa Theologiae III, q.43 a.1). Die Problembereiche neuzeitlicher Offenbarungs- und Religionskritik treten hier bereits offen zutage: Göttliche Offenbarung droht zum festgeschnürten, die Vernunft des Menschen grundsätzlich übersteigenden ,Paket‘ göttlicher Wahrheiten zu werden ([50] 222). Zugleich bleibt im Geschehen dieser Offenbarung die Frage völlig unbeantwortet, wie der Mensch selbst ein Verhältnis zu dieser Wahrheit gewinnen kann. Daneben etabliert sich ein vom Glauben völlig autonomer Eigenstand menschlicher Vernunft und isoliert schrittweise Glaube/Offenbarung und Denken/Vernunft voneinander. c) Das Aufbrechen der neuzeitlichen Problematik Innerhalb der Wirkungsgeschichte verschärfen sich die angedeuteten Problembereiche dieses Ansatzes, da sich die Positionen in ihren Extremen immer deutlicher zuspitzen. Bei Thomas war das Verhältnis von Glaube und Vernunft noch einfach das einer übernatürlichen bzw. natürlichen Gabe Gottes an den Menschen. Daraus entwickelt sich zum einen die Idee einer rationalen Gotteserkenntnis als gegenreformatorisch radikalisierte, katholische Gegenposition zum lutherischen ,sola fide‘, samt ihren gnadentheologischen Konsequenzen. Zum anderen verstärkt sich im Laufe der Geschichte die
übernatürliche Offenbarungswahrheiten theologia naturalis
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
Offenbarungspositivismus
Religionskritik
anthropologische Wende
Gefahr einer ,doppelten Wahrheit‘ in der Spielart eines ,offenbarungstheologischen Absolutismus‘ bzw. ,Offenbarungspositivismus‘. Diese Positionen erklären sich als apologetische Opposition gegenüber den neuzeitlichen Anfragen des Empirismus, Historismus und Rationalismus. Der offenbarungstheologische Absolutismus droht dabei die fehlende Begründungsevidenz mit dem strengen Verweis auf die absolute Vollmacht Gottes zu übertünchen; der Offenbarungspositivismus fordert für das durch die Tradition Vorgegebene und Gesetzte allein um seines Gegebenseins willen Annahme und Glaube, verwechselt also (autoritative) Setzung mit Geltung. Schnell hat man innerhalb eines solchen ,Systems‘ Gedeih und Verderb des Menschen nicht mehr daran festgemacht, ob er vom Glauben innerlich überzeugt ist, sondern ob er dem autoritativ Vorgelegten gehorcht oder nicht. Eine solche Engführung entfacht Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts eine grundlegende Kritik, denn solche Einstellung tritt in Konflikt mit den aufklärerischen Grundideen von Autonomie, Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis. Ergebnis dieses schwelenden Konflikts ist letztlich ein schrittweiser Relevanzverlust des Glaubens selbst. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wendet sich das Blatt theologischer Reflexion (s. I.1.c). Zum einen öffnet sich Theologie der Frage nach der Vermittlung von menschlicher Vernunft und Glauben. Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit der Offenbarung Gottes beantworten sich auch und gerade als Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit für den Menschen selbst (Maurice Blondel). Man kann den Fragehorizont nach einer Hinordnung des Menschen auf Offenbarung nicht mehr mit dem Hinweis auf Gottes Offenbarungsvollmacht abtun, sondern muss den Grund für ein solches ErkennenKönnen geschehener Offenbarung benennen: Jedem Gehorchen-Müssen des Menschen auf Offenbarung muss ein Horchen- und damit Hören-Können des Menschen notwendig vorausgehen. Offenbarung Gottes kann nur ankommen, wo sie auf ein so auf sie gerichtetes ,Ohr‘ des Menschen trifft (Karl Rahner). Offenbarung ist personale, dialogische Begegnung, ein umfassendes, in Raum und Zeit geschehendes und auf das Heil des Menschen selbst ausgerichtetes Geschehen, das auch dem Denken des Menschen erschließbar ist.
c) Eine aktuelle Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft als Aufgabe der Dogmatik Eine auch heute stimmige Verhältnisbestimmung von Glauben und Denken wird ihren Ausgangspunkt beim Glauben selbst nehmen. Methodisch ist dabei stets eine dem Glauben gegenüber eigenständige Vernünftigkeit des Menschen im Auge zu behalten, gerade weil durch das Offenbarungsgeschehen selbst die Vernunft in ihre, von der Schöpfung her gewollte, Eigenständigkeit hinein befreit wird, und so ein wirkliches Gespräch Gottes mit dem Menschen ermöglicht wird. Die sich hier für eine vernünftige Glaubensverantwortung für die Dogmatik stellende Aufgabe ist eine doppelte: Zum einen geht es darum, die Mitte, den tragenden Grund, das Fundament des Christentums zu erfassen und auf den Begriff zu bringen, zum anderen diesen so bestimmten Sachverhalt im Horizont der vernünftig-autonomen Frage des Menschen nach sich selbst
2. Wie ,denkt‘ der Glaube?
einzubringen. Gerade weil Glaube als Freisetzung von Vernunft deutlich wird, ergibt sich daraus die Möglichkeit und die Notwendigkeit, jene vom Glauben befreite Vernunft auch bei allen Themen des Glaubens zur Geltung zu bringen. Indem aber gerade diese Vernunft ihre Hinordnung auf Offenbarung nachdenkend wirklich erfasst, ergeben sich daraus Kriterien, die den Glauben selbst in seiner Mitte näher zu bestimmen vermögen. Die Rede von Gott und die Rede vom Menschen gehören für die Dogmatik unlösbar zusammen (s. I.b). Denn heilsbedeutsam kann nur sein, was dem Menschen seinem Wesen nach eben als ,Hörer des Wortes‘ als Möglichkeit gegeben ist. „Die Heilsbedeutsamkeit eines Gegenstandes der Theologie, die ein notwendiges Moment jedes theologischen Gegenstandes ist, lässt sich nur erfragen, indem auch nach der Heilsempfänglichkeit des Menschen für diesen Gegenstand gefragt wird“ ([9] 52). Dabei sind der Glaube und damit die Dogmatik als Hermeneutik dieses Glaubens mit zwei modernen Herausforderungen konfrontiert. a) Glaube heute – ein Angebot ohne Nachfrage? So gehört es heute wohl zu den Grundbedingungen der christlichen Gottesrede, dass ihr niemand zuhört. Man steht mit einem Angebot da, für das keine Nachfrage besteht. Gibt es überhaupt noch Fragen, auf die der christliche Glaube eine Antwort hat? Oder werden die Probleme, sofern sie überhaupt gespürt und zugelassen werden, nicht eher in jeder anderen Sprache als der des Glaubens artikuliert und ohne seine Hilfe erledigt? Sensiblere Theologen leiden darunter und kennen vor allem den „Widerwillen, den sie erregen, wenn sie bei ,den anderen‘ ständig Schwächen ausschnüffeln, Ängste mobilisieren, ihnen Schuldgefühle und ihr Unglücklichsein einreden, immer wieder auf Krankheit und Tod rekurrieren, kurz: ihnen das Leben erst verdächtig und ,madig‘ machen müssen, um ihnen sodann die Erlösungsbotschaft verabreichen zu können“ ([41] 19 f.). Dieser Grundsituation widerspricht nun auch nicht das Aufkommen einer Art ,neuer Religiosität‘. Denn die christliche Antwort auf die Gottesfrage erscheint heute als ein ,Sinnangebot‘ unter vielen, und Religion wird zur ganz persönlichen Angelegenheit der Auswahl. Man kennt keine Sanktionen, Befürchtungen oder Ängste mehr, die einen religiös werden lassen oder die mit dem Glauben verbunden sind. Freilich hat der dann auch keine Konsequenzen mehr. Man hat allenfalls die Qual der Wahl ([24] 417). Zumeist verständigt man sich in kleinen überschaubaren Gruppen auf das, was man als Gemeinschaft unter ,Gott‘ und als ,Glaube‘ verstehen will und wie man seine Religiosität praktiziert. Ein damit zu verbindender Anspruch auf eine allgemeine Wahrheit kommt gar nicht in den Sinn. Da es auf dieser Ebene keine wahre oder falsche Antwort auf die Gottesfrage gibt – wer wollte das entscheiden –, soll jeder nach seiner Façon selig werden. Die Schattenseite dieses ,Spiels mit Religiosität und Glaube‘ ist nicht erst seit dem 11. September 2001 deutlich geworden: Wo die Lösung von Konflikten zwischen unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen nur zum beliebigen Austausch verschiedenster ,Meinungen‘ wird, droht die Frage nach der Wahrheit zur bloßen Machtfrage zu werden. Das sollte skeptisch machen. Angesichts der zunehmend politischen Relevanz genügt es nicht, Glaubensüberzeugungen zur bloßen Privatsache zu erklären und als Geschmacks-
Sinnangebot
Wahrheitsfrage
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
problem oder Meinungsfrage zu behandeln ([53] 124; [52] 43–46). Hier hat eine heutige Auslegung des Glaubens eine andere Aufgabe. Sie muss von sich selbst und von den anderen einfordern, über die sie selbst tragenden Überzeugungen auch intellektuell Rechenschaft abzulegen. Freilich ist die aktuelle gesellschaftliche Wahrnehmung der Aufgabe von Religion und Glaube eine andere. Eine der wenigen Schnittstellen zwischen christlicher Botschaft und säkularer Lebenswelt scheint noch das Feld der Humanität zu sein ([41] 33). Nun wird sicher im sozialen Engagement auch vieles von dem sichtbar, was entscheidend christlich ist, aber die christliche Antwort auf die Gottesfrage vollendet sich nicht darin. Eine Verkürzung der Bedeutung von Religion auf die Humanitätsfrage verdeckt eher die eigentliche Identität der christlichen Gottesrede.
das unterscheidend Christliche
Pathologien von Glaube und Vernunft
b) Das Identitäts-Relevanz-Dilemma Das hier sich abzeichnende Problem lässt sich am einfachsten vielleicht mit der Frage umschreiben, ob sich christliches Engagement für die Menschen und allgemein menschliche Solidarität unterscheiden dürfen. Zumindest verspürt jeder solidarisch Handelnde eine gewisse Verlegenheit, wenn er/sie sich über das ,unterscheidend Christliche‘ seiner Handlungsweise äußern soll. Zugleich sieht man sich mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Orientierung des Glaubens an der Frage nach dem Menschen drohe zu einem indirekten Ausverkauf des eigentlich ,Christlichen‘ zu werden. Nimmt die Dogmatik diese Problematik kritisch in den Blick, sieht sie sich mit dem Phänomen konfrontiert, dass je ausschließlicher die christliche Identität des Glaubens herausgestellt wird, seine Relevanz fraglicher wird und umgekehrt. So stößt „das Bündnis mit den sozial- und gesellschaftskritischen Kräften auch auf die Identitätsfrage […]. Denn wo eine Theologie nurmehr die soziale und politische Orthopraxie als Kriterium ihrer Verifikation gelten läßt, droht die Möglichkeit eines eigenen kreativ-kritischen Beitrags in der Assimilation unterzugehen“ ([41] 35). Dogmatik hat demgegenüber die ,Wahrheitsfrage‘ an alles Handeln zu stellen. Sie tut dies, gerade weil die Wirklichkeit humaner, sozial und politisch verantworteter Praxis der entscheidende Maßstab des Glaubens ist. Dogmatik hat hier eben unaufgebbare Gründe der Humanität zu benennen, damit humanes Engagement nicht zur Frage von Lust und Laune wird ([41] 37). Sie hat dabei zeitnah und zeitkritisch zugleich zu sein. So ist ein heute angemessenes Verhältnis von Glauben und Denken, von Glaube und säkularer Vernunft als beidseitige ,Anknüpfung im Widerspruch‘ zu definieren. Denn es gibt Pathologien im Glauben (unsere eigene Glaubens- und eigene Theologiegeschichte ist voll davon), und sie werden in berechtigter Weise von der Vernunft und von der kritischen Rationalität der Moderne aufgedeckt. Aber es gibt auch Pathologien, blinde Flecke im modernen Denken, und als deren Konsequenz viele Humanismen, die ohne rechte Begründung sind und deren Verpflichtung zu Fragen der Lust und Laune oder gar des Geldes degradiert zu werden drohen. Erst wenn beidseitig die Pathologien überwunden sind, kann man von einer ,notwendigen Korrelation von Denken und Glaube, Vernunft und Religion‘ sprechen, die heute an der Zeit ist ([28] 56) und zum Grundprinzip einer intellektuellen Durchdringung des Glaubens als Aufgabe der Dogmatik unaufgebbar gehört.
2. Wie ,denkt‘ der Glaube?
3. Wie verantwortet sich Glaube? a) Glaube und Gewissheit a) Glaube und Wissen Diese Frage nach Gewissheit und Wissen ist so etwas wie ein Spiegel dessen, was bereits konkret in der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft dargestellt wurde. Glaube hat den Anspruch ,wahr‘ zu sein und damit auch eine verantwortbare Gewissheit auszudrücken. Mit der Aufklärung hat sich freilich die Idee einer ,Richterfunktion‘ menschlichen Denkens dem Glauben gegenüber etabliert. Glaube gilt als etwas, dessen Daseinsberechtigung erst erwiesen werden muss. Erklärbar ist eine solche Absolutsetzung indes nur aus jenem Milieu heraus, das eine Theologie im Gefolge des Zweistockwerkdenkens nach Thomas selbst erzeugt hat. Zu häufig und zu vehement hat Theologie danach in fremde Bereiche hinein zu regieren versucht. Die daraus entstehenden Konflikte waren so programmiert, dass deren Entscheidung zum eigenen Schaden ausgefallen ist (vgl. Galilei, Darwin, Freud, Marx etc.). Die Frage nach der Gewissheit und damit auch die nach der Wahrheit des Glaubens haben nun aber nichts mit jener Wissenskultur zu tun, die die Naturwissenschaften pflegen und heutzutage als einzig mögliche plausibel machen wollen. Denn Glaube impliziert eine andere Art von Wissen und Gewissheit, die aber damit nicht von vornherein schon ein minderwertige, und damit gar ungewisse oder falsche ist. b) Glaube ist ,unbedingte‘ Überzeugung Glauben ist eine Überzeugung. Was aber sind Überzeugungen? Überzeugungen sind einerseits „dem Glauben ähnlich, weil sie ihre Kraft nicht dadurch entfalten, dass sie auf die Feststellung des Bestehens jenes Sachverhaltes, der im Fokus des Ausdrucks ,Überzeugung‘ steht, angewiesen sind. Überzeugungen prägen Einstellungen, bilden die Grundlagen unseres Urteilens und enthalten den Rahmen unseres Erfahrens“ ([45] 76 f.). Überzeugungen sind aber andererseits auch dem Wissen ähnlich, weil ihnen eine Gewissheit zukommt, die dadurch ausgezeichnet ist, „dass eine Person […] an den in Rede stehenden Sachverhalten festhalten wird und die Geltung der diese Sachverhalte ausdrückenden Aussagen nicht ohne weiteres zur Disposition stellen kann, ohne dadurch ebenso ihre Identität wie ihr Weltbild zur Disposition zu stellen“ ([45] 76 f.). Greifen wir auf zwei zentrale Motive zurück, die sich in jener epochalen Wende der Erkenntnistheorie festmachen, die wir mit dem Namen Immanuel Kant verbinden. In den Idealen der reinen Vernunft treffen wir auf Denkformen, die jedem Denken vorausgesetzt sind, weil sie, wenn man nachdenkt, als Bedingungen des Nachdenkens selbst gleich mitgedacht werden müssen (vgl. Kritik der reinen Vernunft B 265–287). Solche Denkformen bezeichnet Kant als postulatorisch, d. h. denknotwendig. Es sind ,Abschlussgedanken der Vernunft‘: Ich – Welt – Gott. „Diese Ideale der Vernunft sind formal um der Einheit unseres Denkens willen notwendig. Material drücken sie sich in unseren Überzeugungen und als Überzeugungen aus.“ ([45] 78).
Richterfunktion des Denkens
Überzeugung
Postulate
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
religiöse Überzeugungen
Gewissheit
Diesen Status hat bei Kant nun auch die Idee des Absoluten, des Unbedingten, Gottes. D. h., diese Ideale des Denkens sind dann auch bei ihm der Ort des Religiösen. Im Denken dieses Unbedingten lernt sich der denkende Mensch in seinem Eigenstand, Selbststand eben als unabhängiges, autonomes Ich kennen, und zugleich als etwas, was in diesem Selbststand von anderem abhängig, auf anderes ausgerichtet, von anderem bedingt, also heteronom, ist. Religion ist für Kant der Versuch, sich mit diesem Unbedingten in ein Verhältnis zu setzen. Man kann nun diese Versuche des Sich-inBeziehung-Setzens daher auch als religiöse Überzeugungen bezeichnen. „Es handelt sich um Überzeugungen, die […] auf eine letzte Einheit ausgreifen, in der die Rede von Ich und von Welt in eine Vermittlung miteinander geführt werden können, weil mit der Bezugnahme auf Gott von einem Grund die Rede ist, der Ich und Welt prägt, aus sich entlässt und aufeinander bezieht“ ([45] 79). Freilich nicht jeder Mensch lässt sie in das, was sein Leben, seine Existenz trägt, auch einfließen. Aber deswegen sind religiöse Überzeugungen nicht einfach zu ignorieren oder gar unvernünftig. Dennoch stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der vernünftigen Verantwortbarkeit religiöser Überzeugungen. Wie ,gewiss‘ können religiöse Überzeugungen eigentlich sein und wie können sie begründet und verantwortet werden? Weder kann diese Gewissheit eine objektive Gewissheit sein, denn damit würde man selbstwidersprüchlich Glauben in Wissen aufheben. Noch kann die Gewissheit des Glaubens eine rein subjektive Gewissheit sein; ein solcher Glaube wäre wissensblind und damit zu keiner Rechenschaftsabgabe fähig. Er wäre Privatangelegenheit im engsten Sinn. Auch auf die dritte Möglichkeit einer allein von außen kommenden Gewissheit kann der Glaube nicht bauen. Hier wäre dann Glaube etwas von außen Aufgezwungenes. Das wäre wiederum ein Selbstwiderspruch. Gibt es denn dann überhaupt eine Möglichkeit, wie der Glaube zu einer angemessenen Gewissheit kommen kann und wie ist sie zu beschreiben? Von besonderer Bedeutung für die Verantwortungs- und Gewissheitsproblematik sind die beiden letzten Konzilien, das Erste und das Zweite Vatikanische Konzil. Im Prinzip haben wir es dabei mit zwei bis heute miteinander ringenden, unsere Einstellung zu Glaube, Glaubensverantwortung, Gewissheit und Wissen prägenden Modellen zu tun.
b) Glaube und Autorität: Das Erste Vatikanische Konzil
Aufklärung
a) Zum zeitgeschichtlichen Horizont des Ersten Vatikanums Was hat Glaube mit Autonomie, mit Freiheit und mit dem sich selbst und die Welt erkennen wollenden Menschen zu tun? Diese Anfragen im Gefolge der Aufklärung werden in der idealistischen Philosophie des 19. Jh. fortgeführt und zugespitzt. Sie führen in den Anfragen an Religion und Glauben, die vor diesem Hintergrund zum Beispiel durch Ludwig Feuerbach (1804–1872), Karl Marx (1818–1883), Friedrich Nietzsche (1844–1900) oder Sigmund Freud (1856–1939) gestellt wurden, zu einer prinzipiellen Infragestellung von Religion ([39] 257–287). Kirche und Theologie reagieren nun auf diese Infragestellung in einer für diese Zeit eher erstaunlichen Art und Weise. Denn seit Anfang des 19. Jahr-
3. Wie verantwortet sich Glaube?
hunderts ist die katholische Theologie – seien es die Theologen oder sei es das Lehramt – von einem ausgeprägten Vernunftoptimismus gekennzeichnet ([40] 26–34). Daher rekurriert man auf den denkenden Menschen als handelndes und verantwortliches Subjekt und versucht auf dieser Ebene allenfalls dem Wildwuchs der philosophischen Gegenentwürfe entgegenzutreten. Die Enzyklika Mirari vos (1832; DH 2730–32) nimmt daher die Thesen gängiger Philosophien dort aufs Korn, wo diese all zu tief ins Gefilde der Theologie Einfluss zu nehmen versuchen. Manches in dieser Enzyklika klingt für heutige Ohren skandalös, z. B. die Zurückweisung demokratischer Grundprinzipien, die mit dem Etikett Indifferentialismus versehen werden. Gegenüber den Aussagen einer aufklärerischen Vernunftreligion in ihrer rationalistischen oder semirationalistischen Variante, wie sie sich auch bis zum Idealismus wieder findet, setzt das Lehramt auf die These: Gott kann man nur durch Gott erkennen. Freilich grenzt man sich zugleich gegen das andere Extrem ab: Das schlussfolgernde Denken hat Erschließungscharakter für den Glauben, kann durchaus mit Gewissheit die Existenz und Vollkommenheit Gottes erkennen, wenngleich auch Glaube nicht bewiesen werden kann. Denn die Offenbarung bleibt der Vernunft übergeordnet, da die Vernunft durch Adams Schuld eine gedrückte Vernunft ist. Sie ist vom Glauben selbst erst zu befreien, so betont daher die Enzyklika Qui pluribus aus dem Jahre 1846 ([55] 266–270). Man verweigert sich wiederum jeder Form des Rationalismus (DH 2778), aber die grundlegende Vernunftskepsis insbesondere französischer Traditionalisten wird ebenso zurückgewiesen wie der Glaubensautomatismus und Autoritätsglaube der Fideisten. Gegen diese Ansätze wird die Leit- und Erschließungsfunktion der Vernunft stark gemacht. Denn es kann keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen Glaube und Vernunft geben, weil beide der einen unveränderlichen Wahrheit Gottes entspringen (DH 2776). b) Der erkenntnistheoretische Horizont Sucht man nun nach einer verbindlichen Gemeinsamkeit aller Ansätze, so wird hier die Wirksamkeit des Thomismus deutlich. Sein Modell (Neuthomismus; Neuscholastik) erweist sich als vorzüglich dazu geeignet, die kritischen Anfragen des 19. Jahrhunderts zu bewältigen. Wenn es Gott gibt, ist er etwas, was jenseits der Natur des Menschen, ihr ,zusätzlich‘ ist, hierin sind sich Atheisten und Theisten einig. Und auch die erkenntnistheoretische Vorgabe dieser Überzeugung klingt plausibel: Erkennen ist Wissen aufgrund eines unmittelbaren Gewahrwerdens. Für den Menschen gibt es nur eine bestimmte Ebene, für die er qua Mensch geeignet ist. Alles, was darüber hinausgeht, muss ihm notwendig rätselhaft bleiben. Eine höhere Macht könnte ihm dieses Geheimnis zwar eröffnen, aber verstehen könnte er es trotzdem nicht. Die Gewissheit, die er hier erlangt, ist eine Gewissheit auf die Autorität eines Anderen, eines Höheren hin. Es ist eine autoritative Gewissheit. Solche Gewissheiten sind aber nur durch gehorsame Akzeptanz anzueignen. Ihre Inhalte sind ,wahr‘ ohne eigene innere Überzeugung, ja im Notfall muss diese dem durch die Autorität eines Höheren verbindlich Gesetzten unterworfen werden.
Vernunftoptimismus
Neuthomismus
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
c) Die Entscheidungen des Konzils „Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, dass Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiss erkannt werden kann; ,das Unsichtbare an ihm wird nämlich seit der Erschaffung der Welt durch das, was gemacht ist, mit der Vernunft geschaut‘ (Röm 1,20); jedoch hat es seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem anderen, und zwar übernatürlichen Wege sich selbst und die ewigen Ratschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren, wie der Apostel sagt: ,Oftmals und auf vielfache Weise hat Gott einst zu den Vätern in den Propheten gesprochen: zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns gesprochen in seinem Sohn‘ (Hebr 1,1 f.).“ Dogmatische Konstitution Dei Filius (DH 3004)
Fideismus
Immanentismus
Das Erste Vatikanum verbleibt auf der bereits sichtbar gewordenen Linie. Man verteidigt die notwendige innere Vernünftigkeit der Glaubensentscheidung gegen den Fideismus, und zugleich argumentiert man gegen einen impliziten, weil allzu rationalistisch argumentierenden Atheismus in Gestalt einer ,Vernunftreligion‘. Die Vernünftigkeit des Glaubens ergibt sich auf der einen Seite dadurch, dass Gott als Grund und Ziel aller Dinge mit dem natürlichen Licht der Vernunft aus den geschaffenen Dingen erkannt werden kann (DH 3004). Zum andern aber auch dadurch, dass die Göttlichkeit der Offenbarung der Vernunft aus ganz eigenen Kriterien der Offenbarung heraus, eben nur ,von oben her‘ einleuchten kann (DH 3005). Die natürliche Möglichkeit der Erkenntnis ist auf Gott hingeordnet, freilich ist sie nicht für alle Menschen gleichermaßen gangbar. Darum hat Gott den verlässlicheren Weg eröffnet, auf dem er dem natürlichen Vermögen des Menschen zu Hilfe kommt: seine Offenbarung (DH 3004). Diese Position wird ergänzt durch den Gedanken einer absoluten Notwendigkeit der Offenbarung, die im göttlichen Heilsratschluss selber begründet wird (DH 3004 u. 3005) und Wahrheiten offenbart, die von der Vernunft selbst nicht erreicht werden können (DH 3020). Das Erste Vatikanum vertritt hier also eine explizite und exklusive Zweistockwerktheologie. Obgleich die inneren Hilfen, die Weisheit und sittliche Vortrefflichkeit der Offenbarung in der Theologie (DH 3005) als Glaubwürdigkeitsmerkmale benannt und eingefordert werden, reagiert das Konzil abweisend auf die Idee eines Immanentismus und betont die Notwendigkeit der äußeren Merkmale (DH 3009). Offenbarung wird verstanden als äußerlich bleibendes Informationsgeschehen. Glaube ist eine Angelegenheit des menschlichen Intellekts. Dennoch steht eine Einsicht in die innere Vernünftigkeit des Geoffenbarten außerhalb des Relevanten. Das Geoffenbarte ist wahr, weil die Autorität Gottes nicht zu täuschen vermag (DH 3008), und dieser Autorität gebührt nun absoluter Gehorsam, die Unterwerfung des Willens und der Vernunft. Glaube ist so etwas wie eine Pflichterfüllung Gott gegenüber ([3] 179). Das Verstehen der Offenbarung ist daher vorrangig nicht mehr Sache einer durch den Glauben entfalteten Vernunft, sondern Vorrecht des an der göttlichen Autorität partizipierenden Lehramts (wenngleich es sich dabei der Mithilfe der menschlichen Vernunft versichert [DH 3020]). So ist all das zu glauben, was die Kirche in den verschiedenen Formen als geoffenbart vorlegt (DH 3011); sie ist die Lehrerin des Glaubens schlechthin (DH 3013). Freilich kann und
3. Wie verantwortet sich Glaube?
will das Konzil keinen Gegensatz zwischen Geglaubtem und menschlicher Vernunft für möglich halten, weil beide von dem einen Gott geschaffen sind und so einander nicht widersprechen können (DH 3017). d) Wirkungsgeschichte Der Glaube der Kirche des 19. Jh. ist Autoritätsglaube, so sagt es einer der bekanntesten deutschen katholischen Theologen des 19. Jahrhunderts, Matthias Scheeben (1835–1888). Dieser Aussage entspricht vollkommen die bereits skizzierte, erkenntnistheoretische Position des Konzils. Dass dieses ,Erbe‘ des Konzils auch zur Last werden kann, zeigt die nachkonziliare Entwicklung. Hier werden die Spannungen zu Gegensätzen. So wird das im Konzil wohl austarierte Verhältnis zu einem grundsätzlichen Gegensatz zwischen Offenbarung und Vernunft, Autorität und Wissen der Welt, Glaube und Freiheit, Demokratie, Gewissen etc. Daneben verstärkt sich der Versuch der Schulapologetik, Wunder und Weissagungen als Glaubwürdigkeitsbeweise unabhängig vom Inhalt der Offenbarung zu fixieren. Der Konflikt mit der sich langsam entwickelnden historisch kritischen Exegese ist hier schon vorprogrammiert. Nur an zwei Punkten unterläuft das Konzil diese Tendenz. Indem es nämlich zum einen die Kirche selbst als Zeichen, als moralisches Wunder, als Glaubwürdigkeitselement betont (vgl. DH 3012–14); freilich bleibt dieser personal-existentielle Ansatz aufgrund der hier nur im Äußerlichen verbleibenden Sicht auf die Kirche, nämlich auf Autorität und Lehramt, ohne weitere Wirkung. Und indem das Konzil zum anderen der geschöpflichen Vernunft eine grundsätzlich vorhandene Befähigung zur Gotteserkenntnis zuerkennt, wenngleich es gegenüber der zeitgenössischen Wissenschaft von bleibender Skepsis geprägt bleibt. Konsequenz aller Vorgaben ist aber die Fixierung eines instruktionstheoretisch ausgerichteten Offenbarungsmodells. Die Offenbarung Gottes ist, trotz des Begriffs ,Selbstoffenbarung‘, eine Mitteilung von Wahrheiten, die nun als objektive ,Lehren‘, als ,anvertrautes Glaubensgut‘, von der Kirche unverletzt zu bewahren und treu auszulegen sind. Sie werden von der Kirche dem einzelnen Gläubigen als zu glauben vorgelegt und fordern die gläubige Unterwerfung ein, um den Menschen zum Heil zu führen. Der kognitive Aspekt von Offenbarung tritt in den Vordergrund: Glaube ist ein Fürwahrhalten geoffenbarter Mitteilungen. Man glaubt, wenn man (mitunter sogar satzhaft) weiß, was Gott um des Heils des Menschen willen angeordnet haben möchte. Wie ein Gesetzbuch enthalten die Glaubenssätze, die Dogmen, das, was der absolute Gesetzgeber gewollt hat. Dieses juridische Denkmodell bietet sich geradezu an, wenn man gegen die modernen Angriffe das Recht des Glaubens verteidigen will ([55] 300–306). Denn es ist plausibel und anschlussfähig, weil auch die säkulare Welt das Phänomen des Rechtspositivismus kennt: Ein Gesetz gilt, weil es gilt, weil es die zuständige Autorität so festgelegt hat. Die Stärke des Modells – unmittelbare nicht hinterfragbare und verbindliche Festlegungen zu schaffen – ist zugleich seine Schwäche. Indem Offenbarung als äußere eindeutige Kundgabe des göttlichen Willens verstanden wird, an den sich der Mensch wie an andere Gesetze zu halten hat, verschafft das Verhaltenssicherheit, ja gewährt eine fast absolute Gewiss-
Schulapologetik
instruktionstheoretisches Offenbarungsmodell
juridisches Denkmodell
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
Autoritätsglaube
heit. Doch muss nun, um absolute Sicherheit zu haben, alles zweifelsfrei und eindeutig sein. Eine fundamentalistisch begründete Systemangst setzt ein. Ihr kann nur durch entsprechende, autoritäre Gewährleistungsstrukturen Abhilfe verschafft werden. Ein solches Offenbarungsverständnis droht zu einer Gottesvorstellung zu führen, die unter dem Niveau eines normalen menschlichen Verhaltens liegt. Gottes absolute Autorität ist die entscheidende Vertragsgrundlage. Dort, wo Autorität derart äußerlich abgesichert wird, kommt freilich immer Willkür ins Spiel. Weil das positiv gesetzte Recht eben nicht aus Vernunfteinsicht, sondern aus purem Gehorsam akzeptiert wird. Gott, der absolute Gesetzgeber, will es so, und damit gilt es. Die Glaubensgewissheit des Einzelnen ist eine hochgradig abhängige Glaubensgewissheit. Weder ist eine solche Gewissheit eine existentielle, noch bindet sie das eigene moralische Gewissen durch eine persönliche Entscheidung, noch beruht ein solcher Glaube wirklich auf einem inneren Überzeugtsein. Der Konflikt mit sämtlichen Grundprinzipien der Neuzeit und Moderne ist vorprogrammiert.
c) Zwischen den Konzilien
John Henry Newman – Maurice Blondel
Nouvelle théologie
Gerade die Frage, wie sich denn die äußeren Zeichen von Offenbarung zu den inneren Hilfen des Heiligen Geistes, die ja auch zum Glauben notwendig waren, verhielten, eröffnete nachkonziliar eine Möglichkeit mit dem Ersten Vatikanum deutlich über dieses selbst hinaus zu denken und so dieses Konzil theologisch fortzuschreiben. So macht man diese Frage der inneren Überzeugungskriterien an Jesus Christus selbst fest. In der nachkonziliaren Apologetik wird Jesus Christus zum überzeugenden Zeichen schlechthin, zum Träger der Heiligkeit und Sittlichkeit, als Überbietung all dessen, was bisher gewesen ist und was dem Menschen allein möglich ist. Jesus Christus wird zum religiösen Ideal, das in seiner göttlichen Menschlichkeit zugleich zum adäquaten Ansprechpartner des Menschen wird. Doch diese Suche bleibt nicht unwidersprochen. War man nicht schon dabei, die Bedürfnishaftigkeit des menschlichen Daseins als Grund von Offenbarung anzunehmen? Kommt es dabei nicht zur unzulässigen Vermischung von übernatürlicher und natürlicher Ordnung? Kann das, was im Menschen ist, in ihm spricht, nicht allzu leicht als das Wort verstanden werden, das dann Offenbarung subjektiv verkürzt und nur nach den eigenen Bedürfnissen auslegt? Mit all diesen Fragen sind die Grundprobleme der weiteren Entwicklung bereits vorgestellt und zugleich die Probleme dieser Entwicklung benannt. Dabei kann man vier Grundströmungen benennen ([34] 173–196; [50] 231–246). (1) Die theologische Grundsatzreflexion, wie sie sich z. B. mit den Namen John Henry Newman (1801–1890) oder Maurice Blondel (1861–1949) verbindet. Beide kann man als Vordenker der Anliegen der ,anthropologischen Wende‘ (s. I.1.b) bezeichnen. (2) Die in der Modernismuskrise aufbrechenden, aber vom Lehramt schnell wieder gestoppten Neuansätze. Dazu zählen exegetische, ekklesiologische und liturgietheologische Arbeiten, die insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg geleistet werden, ebenso wie die in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts sich zu Wort meldende Bewegung der Nouvelle théologie, die dann das Anliegen der anthropologischen Wen-
3. Wie verantwortet sich Glaube?
de explizit formuliert. (3) Die aufgrund der Verkürzung des Glaubensverständnisses auf das Fürwahrhalten bestimmter Sätze und die allein autoritative Legitimierung des Glaubens besonders vehement empfundenen Erschütterungen dieser Gewissheit durch eine Fülle von realem Wissenszuwachs, also Erkenntnisfortschritten in der Exegese, der Archäologie, der theologischen Quellenkunde etc. Allesamt stellen sie eine methodische und methodologische Infragestellung des Glaubens als einer satzhaft zu verstehenden Wahrheit dar. (4) Die Versuche, den Glauben aus dem fatalen Spiel eines allein auf Autorität hin Sich-Vergewissern-Könnens herauszunehmen und zu einer neueren personalen existentiellen Fundierung von Glaubensgewissheit zu führen. Mit diesen Versuchen treten dann all jene Elemente in den Mittelpunkt, die mit dem Stichwort anthropologische Wende bereits ganz zu Beginn näher beschrieben wurden.
d) Glaube als Zustimmung: Das Zweite Vatikanische Konzil Am besten wird der durch das Konzil vollzogene Perspektivenwechsel sichtbar, wenn man die Texte der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum und die des Ersten Vatikanums im Vergleich betrachtet, denn der Umschwung, wie er sich in den Texten abzeichnet, lässt sich gerade daran messen, dass sich das Zweite Vatikanum als ,in den Spuren‘ des Vorgängerkonzils ,wandelnd‘ versteht. „Gottes Wort voll Ehrfurcht hörend und voll Zuversicht verkündigend, folgt die Heilige Synode den Worten des heiligen Johannes: ,Wir künden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschien. Was wir gesehen und gehört haben, künden wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft habt mit uns und unsere Gemeinschaft sei mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus‘ (1 Jo 1, 2–3). Darum will die Synode in Nachfolge des Trienter und des Ersten Vatikanischen Konzils die echte Lehre über die göttliche Offenbarung und deren Weitergabe vorlegen, damit die ganze Welt im Hören auf die Botschaft des Heiles glaubt, im Glauben hofft und in der Hoffnung liebt.“ Dogmatische Konstitution Dei Verbum, Art. 1 (DH 4201)
Das Zweite Vatikanum bestimmt gleich zu Beginn die Ausgangsposition neu, indem es auf den Ursprungszusammenhang zurückverweist: ,Dei Verbum religiose audiens …‘ – ,Das Wort Gottes ehrfürchtig hörend …‘ Die Kirche selbst ist zunächst einmal eine in Ehrfurcht hörende, bevor sie überhaupt eine lehrende und überliefernde sein kann. Diesem neuen Ansatzpunkt entspricht nun auch ein unterschiedliches Verständnis dessen, was als Weise der Gottesoffenbarung verstanden wird. Ist das Erste Vatikanum noch ganz von der Denkweise in ,Stockwerken‘ und einem intellektualistischen Glaubensverständnis geprägt, gewinnt Dei Verbum eine eher kommunikativ-personalistische Sicht. Hier offenbart Gott nicht die ,ewigen Ratschlüsse seines Willens‘, sondern Gott hat sich willentlich dazu entschieden, sich selbst dem Menschen zu offenbaren; dem Menschen im Sohn Zugang zum Vater zu gewähren. Gott redet die Menschen an und er sucht die Begegnung mit ihnen. Der Mensch ist nicht mehr Befehls-, d. h. Offenbarungsempfänger, sondern Freund Gottes, Gesprächspartner (vgl. DV 1 und 2; DH 4201/4202); er ist das dialogische Wesen, das Hörer des Wortes Gottes ist und so zur
Offenbarung als Dialog
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
Selbstoffenbarung Gottes
Gemeinschaft mit ihm berufen. Die Kommunikation von Gott und Mensch hat eine Geschichte: Schöpfung; Abraham; Propheten; Jesus Christus. Offenbarung ist ein heilsgeschichtlich konstituiertes Begegnungsgeschehen. Kommunikationsmittel sind Taten und Worte. Dei Verbum nimmt nun ganze Textpassagen auf, um sie in einem neuen Zusammenhang wiederzugeben und damit eine ganz eigene Intention zu unterstreichen. Trotz weitgehender Textzitate wird die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus als Kommunikationsgeschehen zwischen dem Menschen und Gott in den Mittelpunkt gestellt (DV 4 und 6; DH 4204/06). Betont das Erste Vatikanum noch die Unterwerfung unter den göttlichen Willen, den Glaubensgehorsam als Pflicht, kennzeichnet Dei Verbum den menschlichen Glauben als freie Tat des Menschen, mit der er sich Gott anvertraut, sich ihm ganz hingibt und daher sich auch mit ganzem Verstand und ganzem Willen Gott unterordnen will (DV 5; DH 4205). Glaube ist Beziehung, lebendiges Miteinander von Mensch und Gott. Glaube ist die ganzheitliche, vertrauensvoll zu vollziehende ,Antwort‘ auf die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus von Nazaret. „Dem offenbarenden Gott ist der ,Gehorsam des Glaubens‘ (Röm 16, 26; vgl. Röm 1, 5; 2 Kor 10, 5–6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit, indem er sich ,dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwirft‘ [DH 3008] und seiner Offenbarung willig zustimmt. Dieser Glaube kann nicht vollzogen werden ohne die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes und ohne den inneren Beistand des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und Gott zuwenden, die Augen des Verstandes öffnen und ,es jedem leicht machen muß, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben‘ [DH 3010]. Dieser Geist vervollkommnet den Glauben ständig durch seine Gaben, um das Verständnis der Offenbarung mehr und mehr zu vertiefen.“ Dogmatische Konstitution Dei Verbum Art. 5 (DH 4205)
kommunikationstheoretisches Offenbarungsmodell
Christozentrik
Zeugnis
Das Konzil entfaltet so ein kommunikationstheoretisches Modell von Offenbarung. Es wird biblisch begründet und erfährt darin eine christologische Konzentration. Jesus Christus ist Tat wie Inhalt dieser Selbstmitteilung Gottes in Person ([50] 276 f. ; [34] 197–204). Der Hinweis auf ,äußere LegitimationsZeichen‘ der Offenbarung und die Autoritäts- und Vermittlungsinstanz Kirche wird zurückgedrängt (vgl. bes. DV 4 mit seinen Vorlagen; [50] 275 f.). Stattdessen rückt die gnadenhafte, persönliche Zuwendung Gottes im Heiligen Geist, der die Herzen der Menschen wendet und zu Gott bewegt, in unmittelbare Nähe zum Glaubensakt selbst. Dei Verbum spricht daher von dem einen Heilswerk Christi, das letztlich ganz von seiner Person her zu verstehen ist: sein ganzes Leben, sein Tun (Worte, Werke, Zeichen, Wunder); vor allem aber sein Tod und – nur von daher zu verstehen – seine ,herrliche Auferstehung‘. Er ist es auch, der den Geist sendet. Und das alles hat seine eindeutige Zielvorgabe, denn er bekräftigt nicht sich selbst, sondern er bekräftigt dadurch das ,Mit-uns-Sein‘ Gottes, das Dasein Gottes zum Heil des Menschen, zu seiner Befreiung von der Sünde und seiner Berufung zum ewigen Leben. Ein kommunikationstheoretisches Offenbarungsverständnis und ein ihm entsprechendes dialogisches Glaubensverständnis erfordern ganz neue Strukturen der Vergewisserung. Seine Gewissheit und damit seine Bewahrheitung können nur in einem personalen Akt des Zeugnisses geschehen, das
3. Wie verantwortet sich Glaube?
im Prinzip zwei Ausrichtungen in sich birgt. Man kann sie am besten mit den Stichworten Authentizität und Freiheit umschreiben und dabei zwei Grundbewegungen rekonstruieren. Ein Geprägtsein vom Ereignis, das einen gepackt hat und das man nun bezeugen will; und ein absolutes Engagement für die Leute, denen man dieses Gepacktsein und seinen Inhalt so vermitteln will, dass es auch sie packt. Ein solcher Glaube hat durchaus etwas mit Wissen zu tun, freilich mit einem Wissen, das mir durch ein Du, ein Gegenüber zugänglich wird. Das so ,Erkannte‘ kann sich zwar ausdrücken in Sätzen, die Überzeugungen formulieren. Der entscheidende Akt ist freilich ein Akt der Anerkennung, der freien Zustimmung. Glaube und Glaubensgewissheit sind ein Geschehen von Freiheit ([54] 238). Dieser Akt der Anerkennung ist aber kein blinder Akt des Vertrauens. Denn Vertrauen kann sich bewähren, kann immer auch Gründe für die Vertrauenswürdigkeit benennen – sei dies auch erst im Nachhinein. Diese ,Bewährung‘ kann auf verschiedenen Ebenen geschehen: Bezüglich der Geschichte, des Ergangenseins der Botschaft, bezüglich des Inhalts, der Idee, die sich hinter der Botschaft verbirgt, und bezüglich der Frage, was diese Botschaft mit mir zu tun hat, der Vernehmbarkeit der Botschaft. Die einem solchen Glauben entsprechende Gewissheit kann indes nicht neutral vermittelt werden, gar auf Autorität hin erzeugt werden; sie muss mir plausibel gemacht, mir bezeugt werden durch eine glaubwürdige Person. Eine Offenbarung, die so grundlegend personal bestimmt ist, kann nicht auf eine rein formale Weise überliefert werden. Auch der Vorgang der Überlieferung ist ein lebendiger, vielstimmiger und personaler (s. IV.6). Gehen wir nun von der persönlichen Gestalt des Bezeugens, des Bewahrheitens aus, verweist das theologische Wahrheitsverständnis auf eine vertiefte Grunddimension von Wahrheit. Der Wahrheitsgehalt des Glaubens ist vom persönlichen Akt der Bewahrheitung nicht ablösbar. Dies unterscheidet das theologische Wahrheitsverständnis zwar von anderen, trennt es aber nicht, sondern stellt nur eine eigene, aber legitime Schwerpunktsetzung dar.
Anerkennung
4. Wie ,wahr‘ ist Glaube? [35] a) Nur ein Sprachproblem? ,Was ist Wahrheit?‘ – die alte Pilatusfrage (vgl. Joh 18,38) scheint in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen zu sein. Dabei schließt die aktuelle Skepsis nicht aus, dass es Wahrheit gibt, sondern stellt die Frage, wie man sie gegebenenfalls erkennen, angemessen aussagen oder gar für sich reklamieren kann. Umgangssprachlich kommt das Wörtchen ,wahr‘ uns häufiger über die Lippen, sodass entgegen der aktuellen Skepsis fast eine intuitive Vertrautheit mit dem damit Gemeinten vorausgesetzt werden kann. „Von etwas, das ist, zu sagen, dass es nicht ist, oder von etwas, das nicht ist, zu sagen, dass es ist, ist falsch, während von etwas, das ist, zu sagen, dass es ist, oder von etwas, das nicht ist, dass es nicht ist, wahr ist.“ Aristoteles, Metaphysik D 1011b 26 f.
Wahrheit und Sprache
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
Diese Grunddefinition weist bereits darauf hin, dass es sich bei der Frage nach der Wahrheit auch und gerade um eine Frage nach dem sprachlichen Ausdruck dieser Wahrheit handelt: „Wahrsein will offenkundig eine Übereinstimmung – man kann auch sagen: Entsprechung – zwischen Satz und Sache bzw. genauer: zwischen dem durch den Satz formulierten Sachverhalt und der Sache zum Ausdruck bringen“ ([38] 36). Die Frage nach der Wahrheit ist also ein metasprachliches Phänomen ([45] 107). Die Verwendung von ,wahr‘ wirkt dabei – allein als bestätigende Feststellung verstanden – redundant; im Rahmen einer Diskursanalyse macht sie aber deutlich, dass die „Entfaltung seines Gehaltes […] das In-die-Pflicht-Genommensein einer sagenden und erkennenden Person in einem Diskurs“ thematisiert ([45] 114). Der eigentliche Gehalt eines als ,wahr‘ etikettierten Aussagesatzes besteht aber nun in der durch ihn begründeten Aussage, dass mit ihm eine Tatsachenbehauptung aufgestellt ist. Damit sind wir beim eigentlichen Gehalt der Wahrheitsfrage angelangt: Inwieweit beinhaltet ein solcher Satz einen Tatsachengehalt und wie ist der damit verbundene Anspruch zu legitimieren?
b) Philosophische Wahrheitstheorien Es ist nun nicht so, dass allein Theologie und Glaube darüber nachdenken und vor allem Rechenschaft darüber ablegen müssten, was man denn unter Wahrheit verstehen kann und wie mit Wahrheit umzugehen ist. Auch die Philosophie hat damit zu handeln, und auch sie tut sich schwer mit der Frage nach der Wahrheit und hat daher im Verlauf der Philosophiegeschichte verschiedene Wahrheitstheorien entwickelt, von denen hier die drei wichtigsten vorgestellt werden.
Korrespondenz
a) Das Abbild- oder Korrespondenzmodell Wenn wir sagen, etwas ist wahr, so will dieses Wahrsein offenkundig eine Übereinstimmung – man könnte auch sagen Entsprechung – zwischen Satz (der Wahrheit aussagt) und Sache (die im Satz ausgesagt wird) herstellen. Das ist die Grundlage des so genannten Korrespondenz- oder Entsprechungsmodell von Wahrheit. Dieses Modell wurde von zahlreichen großen Denkern der Theologie- und Philosophiegeschichte vertreten. Von Thomas von Aquin stammt z. B. die kurze Kerndefinition dieser Wahrheitstheorie: Wahrheit ist eine adaequatio rei et intellectus; Wahrheit ist eine Entsprechung von Sache und Intellekt/Begreifen.
„Ich antworte, es sei zu sagen, dass die Wahrheit in der Übereinstimmung von Verstand und Sache besteht […]. Wenn daher die Sachen Maß und Richtschnur des Verstandes sind, besteht Wahrheit darin, dass sich der Verstand der Sache angleicht, wie das bei uns der Fall ist; aufgrund dessen nämlich, dass die Sache ist oder nicht ist, wird unsere Meinung und unsere Rede wahr oder falsch. Wenn aber der Verstand Richtschnur und Maß der Dinge ist, besteht die Wahrheit darin, dass die Dinge sich dem Verstand angleichen; so sagt man, der Künstler verfertige ein wahres Kunstwerk, wenn es der Kunstauffassung entspricht.“ Thomas von Aquin, Summa theologiae I,q.21 a.2
4. Wie ,wahr‘ ist Glaube?
,Entsprechung‘ bedeutet in der Definition des Thomas, dass der zu erkennende Gegenstand im Intellekt repräsentiert, vergegenwärtigt wird. Solch vergegenwärtigendes ,Erkennen‘ im Intellekt bedarf eines aktiven Geschehens, nämlich eines Handelns des erkennenden Intellekts selbst. Erkennen ist ein aktives Rekonstruieren. Nun stellt sich die Frage, woher kommt das Bild des Erkannten im Intellekt, ohne dass eine Identifikation, ein Erkennen gar nicht möglich ist? Und was gibt mir den Maßstab in die Hand, ein richtiges Bild von einem falschen Bild, eine angemessene Entsprechung von einer unangemessenen Entsprechung also einer Nichtentsprechung zu unterscheiden? Je länger man über dieses Problem nachdenkt, desto deutlicher wird: Wir geraten schon mit dieser einfachen schlichten Definition von Entsprechung in einen unüberwindlich scheinenden Denkzirkel (Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 116). Die so einleuchtende Definition zerfließt unter der Hand. Was als wahr so einfach zu identifizieren gewesen ist, wird fraglich. Ohne das erkennende Subjekt, den Menschen, mit zu berücksichtigen, ist die Korrespondenztheorie der Wahrheit nicht sinnvoll. Freilich kann man die Korrespondenztheorie der Wahrheit auch auf andere Weise zuspitzen, indem man nämlich den Wirklichkeitsbezug des Gesprochenen zum alleinigen Kriterium aufwertet. Der Versuch des amerikanischen Logikers Alfred Tarski (1901–1983) gilt dabei als klassisch: „Ein Satz ist genau dann wahr, wenn der Sachverhalt besteht, den er ausdrückt“ ([49] 268). Aus der Korrespondenztheorie ist unter der Hand eine semantische Theorie, eine Sprachtheorie der Wahrheit geworden. Ihren eigentlichen Gehalt erhält sie dort, wo der semantische Ausdruck auf den damit verbundenen Geltungsanspruch hin durchdacht wird ([42] 1658 f.). Spätestens hier erweist es sich, dass die Korrespondenztheorie der Wahrheit ohne Blick auf alternative Theorien nicht vollständig zu beschreiben ist, die nun ihrerseits die Bindung der Wahrheit einer Aussage an das menschliche Fürwahrhalten in den Vordergrund stellen (epistemische Wahrheitstheorien) ([46] 336). b) Alternative 1: Die Kohärenztheorie der Wahrheit Dieses Modell macht Wahrheit – kurz und sehr vereinfacht gesagt – daran fest, dass die Sätze einer Theorie oder eines Diskurses immer irgendwie zusammenpassen müssen (daher,Kohärenz‘ – Zusammenhang), dass sie also miteinander vereinbar sind. „Die Wissenschaft als ein System von Aussagen steht jeweils zur Diskussion. […] Jede neue Aussage wird mit der Gesamtheit der vorhandenen, bereits miteinander in Einklang gebrachten Aussagen konfrontiert. Richtig heißt eine Aussage dann, wenn man sie eingliedern kann. Was man nicht eingliedern kann, wird als unrichtig abgelehnt. Statt die neue Aussage abzulehnen, kann man auch, wozu man sich im allgemeinen schwer entschließt, das ganze bisherige Aussagensystem abändern, bis sich die neue Aussage eingliedern lässt.“ Otto Neurath, Soziologie im Physikalismus. In: Erkenntnis (2) 1931, S. 403
Daraus folgen auf sehr einfache Weise zwei Wahrheitskriterien: (a) Wenn zwei zu ein und derselben Theorie gehörige Aussagen einander widersprechen, muss mindestens eine davon falsch sein (Kriterium der Nichtwidersprüchlichkeit). (b) Wahr ist dabei die Aussage, die sich mit den unaufgebba-
Kohärenz
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
ren Teilen und der größeren Zahl wichtiger Teile einer Theorie vereinbaren lässt. Wahr ist also dasjenige, was die Mehrheit der anderen These mit sich selbst als vereinbar erklären kann (Kriterium der mehrheitlichen Bewährung innerhalb eines Systems). Doch auch diese Wahrheitstheorie bleibt nicht ohne Probleme. Der Gedanke der Kohärenz greift nur innerhalb eines gleichförmigen Theoriesystems. Systemübergreifend kann nicht festgestellt werden, ob etwas wahr ist oder nicht. Denn verschiedene Aussagen setzen unterschiedliche Systeme voraus, die als solche nicht kommunikabel sind. Ein zweites Problem: Wahr ist im Prinzip das, was immer schon wahr war. Neuerungen haben dagegen immer die Mehrheit der Aussagen gegen sich. Wie kann in einer solchen Konzeption von Wahrheit je etwas Neues als wahr erkannt werden? Es scheint so, als ob die Kohärenztheorie der Wahrheit allein nicht ausreicht.
Konsens
c) Alternative 2: Die Konsenstheorie von Wahrheit Der Grundgedanke der Konsenstheorie der Wahrheit ist einfach: Die Wahrheitsfrage ist auch eine Geltungsfrage. „Wahrheit nennen wir den Geltungsanspruch, den wir mit konstativen Sprechakten verbinden. Eine Aussage ist wahr, wenn der Geltungsanspruch der Sprechakte, mit denen wir, unter Verwendung von Sätzen, jene Aussagen behaupten, berechtigt ist.“ [29] 133
Meine Erkenntnis ist nicht unabhängig davon, dass auch andere erkennen und entsprechende Geltungsansprüche erheben. Wahrheitsfragen entstehen daraus erst dann, wenn es zu Konflikten zwischen solchen Geltungsansprüchen kommt. Dann stehen im Diskurs – d. h. in einem Reden über die Geltungskriterien – die Aussagen über Tatsachen zur Diskussion und man versucht einen Konsens herzustellen. Wahr ist, worüber auf diese Weise ein berechtigter Konsens erzielt wird. Denn darüber, „ob Sachverhalte der Fall oder nicht der Fall sind, entscheidet nicht die Evidenz von Erfahrungen, sondern der Gang von Argumentationen“ ([29] 133). Für Jürgen Habermas (*1929) fungiert diese konsensuelle Wahrheitstheorie als das entscheidende Legitimationsverfahren in pluralistischen Gesellschaften. Darum kann der Konsens keine ,zufällig zustande gekommene Übereinstimmung‘ sein, wenn er normativen Charakter haben soll, „deshalb ist ,diskursive Einlösung‘ ein normativer Begriff; die Übereinstimmung, zu der wir in Diskursen gelangen können, ist allein ein begründeter Konsens“ ([29] 160). Darum steht und fällt die Konsenstheorie mit ihren Voraussetzungen ([38] 44). Die Voraussetzungen für die Stimmigkeit und Funktionsfähigkeit dieser Wahrheitstheorie sind sehr anspruchsvoll; die Bedingungen, denen ein gelingender Diskurs unterliegt, sind schwerwiegend, ja gleichen einem kaum einlösbaren Ideal. Ihr kritisches Potential ist daher sehr hoch. „Was die freie Zustimmung der Betroffenen erhält, hat als wahr zu gelten. Daraus folgt freilich, dass Wahrheit und Geltung unmittelbar in eins gesetzt sind. Wie problematisch dies ist, leuchtet spontan ein“ ([38] 44). So sind auch hier die Erblasten einer solchen Wahrheitstheorie offensichtlich. Nicht nur ist die Vorstel-
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lung einer offenen Diskursgemeinschaft mit den genannten Kriterien eher ein Ideal, das in der Realität nicht zu finden ist, es ergeben sich auch andere Problemfelder. 1. Wahrheit ist in einer solchen Konzeption das, was sich durchsetzt und darum gilt. Das heißt Wahrheit und Geltung werden in eins gesetzt. Freilich: Auch mehrheitlich erzeugte und abgestimmte Dinge können prinzipiell unwahr sein. 2. Woher nehmen wir die Bewertungskriterien, um ein Urteil zu fällen, das wir dann in den Diskurs einbringen, sodass sich ein Konsens überhaupt bilden kann? Von einem vorhergehenden Konsens? Das ist möglich, nur ergibt sich von hierher ein intellektueller Zirkel. Woher kommt denn dann Wahrheit, wenn wir es mit einem unendlichen Regress verschiedener Konsensbildungen zu tun haben? d) Welche Wahrheit? Man braucht nun die philosophisch entwickelten Wahrheitstheorien nicht in ihrer offensichtlichen Gegensätzlichkeit stehen zu lassen. Eher ist es so, dass die verschiedenen Theorietypen miteinander so zu verzahnen sind, dass sie sich gegenseitig regulieren und ergänzen. Die Kohärenztheorie stellt dabei den Anspruch der inneren Stimmigkeit auf und benennt darin ein zentrales Kriterium von Wahrheit. Freilich bedarf es der Korrespondenztheorie für eine Definition dessen, was stimmig, was richtig ist, um Stimmigkeit und Richtigkeit wiederum festzustellen und so die Beziehung von ,ist‘ und ,sagen, was ist‘ im Gleichgewicht zu behalten. In ähnlicher Weise gilt dies für die Konsenstheorie. Auch hier stellt die Korrespondenztheorie die Frage der prinzipiellen Richtigkeit und Wahrheit, über die eine Mehrheit nicht bestimmen kann. Im Prinzip bringt also gerade die Korrespondenztheorie der Wahrheit die intuitive Bindung an die Sache und damit ein Moment der Unbedingtheit mit ins Spiel. Meinen und Sprechen von Wahrheit müssen von der gemeinten, ausgesprochenen Sache unterschieden und kritisch an ihr geprüft werden. Die Korrespondenztheorie legt dieses ,Eigenrecht‘ der Sache offen. Eine solche Tatsachenüberprüfung ist indes im Fall von sich wirklich widerstreitenden Ansprüchen auf Gesolltes oder Normatives nicht denkbar. Hier ist kein ,Sprung‘ aus dem Diskurs möglich. Allein der Rekurs auf die im Diskurs selbst vorausgesetzten Größen von Anerkennungswürdigkeit und Gerechtigkeit können als Sicherungskriterien gelten. Dazu bedarf aber die Konsenstheorie letztlich der Ergänzung durch die anderen Wahrheitstheorien: „Denn wäre das bislang Bedachte die einzige Weise von Wahrheit, dann wäre nicht möglich, dass uns etwas wirklich in Bann schlägt. ,In Bann geschlagen werden‘ heißt aber nichts anderes als: einen Geltungsanspruch verspüren“ ([38] 46). e) Wahrheit und Verantwortung Während die bisher ins Auge gefassten Theorien von Wahrheit ein von anderem in Anspruch Genommensein eher ausblenden, ist das mit dem Verständnis einer Wahrheit, die wirklich in Bann schlägt, etwas ganz anderes. Hier spüren wir deutlich, dass es noch eine ganz andere Qualität von Wahrheit gibt, als das, was als übereinstimmend erkannt wird, oder auf das wir uns einigen oder was irgendwie in unser selbst gemachtes System passt. Immanuel Kant gibt auch hier den entscheidenden Hinweis.
Wahrheit, die in den Bann schlägt
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III. Dogmatische Prinzipienlehre
„Setzet, dass jemand von seiner wollüstigen Neigung vorgiebt, sie sei, wenn ihm der beliebte Gegenstand und die Gelegenheit dazu vorkämen, für ihn ganz unwiderstehlich: ob, wenn ein Galgen vor dem Hause, da er diese Gelegenheit trifft, aufgerichtet wäre, um ihn sogleich nach genossener Wollust daran zu knüpfen, er alsdann nicht seine Neigung bezwingen würde. Man darf nicht lange rathen, was er antworten würde. Fragt ihn aber, ob, wenn sein Fürst ihm unter Androhung derselben unverzögerten Todesstrafe zumuthete, ein falsches Zeugniß wider einen ehrlichen Mann, den er gerne unter scheinbaren Vorwänden verderben möchte, abzulegen, ob er da, so groß auch seine Liebe zum Leben sein mag, sie wohl zu überwinden für möglich halte. Ob er es thun würde, oder nicht, wird er vielleicht sich nicht getrauen zu versichern; dass es ihm aber möglich sei, muss er ohne Bedenken einräumen. Er urtheilt also, dass er etwas kann, darum weil er sich bewußt ist, dass er es soll, und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre.“ Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft § 6; Akad.-Ausg. V,30 Anspruch der praktischen Vernunft
Authentizität und Freiheit
Der hier sichtbar werdende unbedingte Wahrheitsanspruch der ,praktischen Vernunft‘ ist ganz konkret und herausfordernd, spricht für sich, ist keine Frage der Bequemlichkeit, Nützlichkeit oder Strategie. Diese Art von Wahrheit kann nicht durch Argumente oder Urteile nahe gebracht, sie kann nur personal bewahrheitet, kann nur bezeugt werden. Ein Zeugnis verlangt in seiner Bewahrheitung ein offenes Fragen und Antworten, eine offene Rechenschaftslegung. Ein Zeugnis ist diskursfähig. Die Güte eines Zeugnisses misst sich daher an der Authentizität ebenso wie an dem Raum, den es dem anderen in seiner Andersheit gibt. Also dem Raum, den es lässt, um wirklich zu überzeugen, und nicht zu überreden oder zu überrumpeln. Authentizität und Freiheit sind daher die entscheidenden Stichworte für die Bewahrheitung und Weitergabe einer Wahrheit, die absolute Geltung in Anspruch nimmt und sie kann allein darin wahr, d. h. wirklich werden. Was lernen wir daraus für unseren theologischen Wahrheitsbegriff und die Frage von seiner Bewahrheitung? Kann Theologie mit den in der Philosophie entwickelten Wahrheitstheorien überhaupt etwas anfangen, oder geht sie einen ganz anderen Weg, sucht sich eine andere Theorie, einen anderen Begriff von Wahrheit aus? Wozu benutzt Theologie den Wahrheitsbegriff?
c) Theologisches Wahrheitsverständnis und die philosophischen Wahrheitstheorien
hebr.: Treue; Beständigkeit
Während nun ein Großteil der philosophischen Wahrheitstheorien ein abstraktes, formales, unpersonales Verständnis von Wahrheit und Wahrsein in den Mittelpunkt stellt, denkt die Bibel anders. Die biblische Rede von Wahrheit und das biblische Verständnis von Wahrsein machen sich zunächst am hebräischen Wort ,aemaet‘ – Beständigkeit, Treue, fest verwurzelt sein – fest. Hier ist nicht von irgendeinem abstrakten ewigen Wesensstand als Grundform von Wahrheit die Rede, sondern von der Wahrheit, die dadurch entsteht, dass Gott seiner Schöpfung treu ist, sie in ihrem Bestand erhält. Eine solche ,Wahrheit‘ ,ist‘ nicht, sie ,geschieht‘. Das Neue Testament spitzt diese Dimension personal zu: Jesus Christus ist die Wahrheit schlechthin. Die Bibel versteht Wahrheit als einen Beziehungsbegriff. Wird dieses Wahrheitsverständnis dann aber nicht grundlegend missverstanden, wenn es mit dem
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philosophischen, d. h. abstrakt-metaphysischen Wahrheitsverständnis griechischer Herkunft zusammengebracht wird? Denn Wahrheit wird dort als a-letheia, als Un-Verborgenheit, verstanden, ist etwas, was offen zutage tritt, etwas, was ,Sache‘ ist, einen objektiven Gehalt hat. Von besonderer Relevanz im griechisch-philosophischen Verständnis von Wahrheit ist nun aber die Unterscheidung von Sein und Schein. Mit dieser Deutung des philosophischen Wahrheitsbegriffs ergibt sich eine unvermutete Nähe zum theologischen bzw. biblischen Wahrheitsverständnis. Denn bei beiden geht es schließlich darum, worauf Verlass ist. Formal gesehen wird also der Wahrheitsbegriff auf beiden Seiten gleich verwendet: Es soll eine Übereinstimmung mit einer beständigen und unvergänglichen Wirklichkeit ausgedrückt werden. Die beiden Wahrheitsbegriffe unterscheiden sich also nicht darin, wie etwas als wahr bezeichnet wird, sondern darin, was als die entscheidende Wirklichkeit verstanden wird. Freilich auch dieser Unterschied darf nicht absolut gesetzt werden. Er darf nicht so gedeutet werden, als hätten wir es auf der einen Seite nur mit einer abstrakten Sachwahrheit und auf der anderen Seite mit einer personalen Vertrauenswahrheit zu tun. Auch die Bibel spricht darüber hinaus von Wahrheit im Sinne einer Antwort auf die Frage, was ,Sache‘ ist. Hier wird eben nicht ein biblisch theologischer Begriff durch eine abstrakt von außen kommende Wahrheitsfrage überfremdet, sondern es wird nur ein in ihm und seinem personalen Verständnis von Beziehungswahrheit bereits zugrunde liegendes Potential aufgedeckt und konsequent zu Ende gedacht. Ihre Berechtigung hat die philosophisch metaphysische Reflexion auf Wahrheit daher auf der Ebene, wo es um die Reflexion von Glaubensaussagen geht. Solche Aussagen ersetzen die Glaubenstradition nicht, sondern sie explizieren und stützen sie ab. Auf diese Weise kann, ja muss der Wahrheitsanspruch der Glaubensüberlieferung, den diese immer in sich trägt, auch denkerisch begründet werden und damit für den Glaubensinhalt auch diskursiv Rede und Antwort gestanden werden. Walter Kasper (*1933) hat nun auf die Relevanz und damit die innere Verbindung aller drei gängigen philosophischen Wahrheitstheorien im Bereich der Bewahrheitungsaufgabe des Glaubens aufmerksam gemacht. Das theologische Wahrheitsverständnis stellt sich letztlich als ein Spiegelbild zum philosophischen Diskurs über Wahrheit dar. Denn auch theologische Wahrheit ist „zunächst […] im consensus der Sprach- und Glaubensgemeinschaft Kirche vorgegeben“ ([31] 46). Dieser Konsens der Kirche ist für die Theologie „Ausgangspunkt und bleibende Norm, ohne die sie letztlich sprach- und kommunikationslos bliebe“ [31] 46). Von dieser Konsenswahrheit aus der Autorität der Kirche unterscheidet Kasper jedoch „die Autorität der Wahrheit, die Gott selbst ist. Gott ist die eigentliche ,Sache‘ der Theologie, ohne welche diese grundlos und im doppelten Sinn des Wortes gegenstandslos wird“ ([31] 46). Theologisches Wahrheitsverständnis nimmt hier also sowohl die Konsens- als auch die Korrespondenztheorie von Wahrheit auf und setzt sie um. Daneben steht innerhalb der Wahrheitsbezogenheit des Glaubens nach Kaspers Auffassung auch die Kohärenztheorie der Wahrheit mit der Korrespondenztheorie in einer unaufgebbaren Verbindung. Denn indem die Theologie „die vielen geschichtlich überlieferten Wahrheiten in ihrer Entsprechung […] zur einen Wahrheit Gottes auslegt bzw. sie als Explikation der
griech.: Unverborgenheit
theologische Wahrheit
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Hierarchie der Wahrheiten
einen Wahrheit Gottes versteht, begreift sie diese zugleich in ihrem inneren Zusammenhang, und nur insofern die einzelne Glaubensaussage im Zusammenhang aller anderen verstanden wird, leuchtet die innere Stimmigkeit des Glaubens auf, wird seine innere Wahrheit ,plausibel‘“ ([31] 47). Es entwickelt sich ein System von Bewahrheitungen einzelner überlieferter Aussagen, die letztlich im Hinweise auf den nexus mysteriorum und die hierarchia veritatum ihren Ausdruck finden. Kann nun aber die Theologie ihren Anspruch auf Wahrheit gerade in einer Zeit vertreten, die nach allem sucht, nur nicht nach letzten Gründen, nach letzten Wahrheiten? So haben wir es heute mit einem zunehmend geschichtlich orientierten Wahrheitsverständnis zu tun, in dem ,Wahrheit‘ entweder nur noch als an subjektive Überzeugung, Vollzüge oder Gewissheiten gebunden verstanden wird oder durch gesellschaftliche Prozesse legitimiert wird. Beide Lösungen oder besser ,Auf-lösungen‘ der Wahrheitsfrage, die autoritative wie die kommunikative, sind Scheinlösungen. Demgegenüber muss Kasper für die Theologie an einem Prinzip von Wahrheit festhalten, das eben wirklich unbedingten Charakter hat, das nicht nur dann wahr ist, wenn es einleuchtet ([30] 27 f.). Im Wahrheitsbegriff der Theologie geht es um eine Wahrheit, die jenseits geschichtlicher oder subjektiver Bedingungen den Boden für eine unbedingte Wahrheit bildet, die bekanntlich Gott selbst ist. Nur auf diese Weise vermag die Theologie jenen Anspruch plausibel zu machen und auch nach außen hin zu vertreten, der der Universalität der eigenen Glaubensüberzeugung entspricht.
d) Bewahrheitung des Glaubens als Verantwortbarkeit theologischer Wahrheit transzendentale Methode
Die geeignete Methode der Bewahrheitung als Verantwortung des Glaubens ist nichts anderes als die bereits zu Beginn erwähnte transzendentale Methode der Dogmatik. Sie stellt die einzig angemessene Möglichkeit einer solchen Verantwortung nach der Aufklärung dar. Sie allein kann – ohne den Verdacht einer fremden Bestimmung des Menschen zu erwecken – aufzeigen, dass der in Geschichte und Gesellschaft existierende Mensch das für die unbedingte Wahrheit ansprechbare Wesen ist. Nur über eine solche Methode kann die unbedingte Wahrheit des Glaubens heute angemessen bewahrheitet, verantwortet werden. Auch eine transzendentale Methode arbeitet sich an dieser in Geschichte sich ereignenden und damit selbst Geschichte gewordenen Wahrheit ab ([30] 33). Die theologische Wahrheit ist daher immer eine geschichtliche Wahrheit und muss als solche verantwortet werden ([31] 48 f.). Die Bewahrheitung des Glaubens und die Verantwortung der damit verbundenen Überzeugungen kommen aus der Bindung an Geschichte nicht heraus. Doch trotz ihrer bleibenden Geschichtlichkeit ist die theologische Wahrheit nicht einfach eine selbstgemachte, konstruierte und damit relativistische ([30] 34). Christliche Theologie geht davon aus, dass sich gerade in der Geschichtlichkeit des je eigen formulierten und bezeugten Glaubenswortes Gott selbst aussagt, er selbst begegnet, er selbst sichtbar wird (s. IV.2). Das bleibt das unaufgebbare Korrespondenzkriterium theologischer Wahrheit. Daher hat die in Geschichte erkennbare Wahrheit ihren Bestand und ihre
4. Wie ,wahr‘ ist Glaube?
über die Zeiten hinweg wirksame Wahrhaftigkeit. Damit verbindet sich aber das Problem, eine konkrete geschichtliche Form von Wahrheit stets neu zu beschreiben und von anderer geschichtlicher Wahrheit unterscheiden zu müssen. Daher ist es notwendig, Kriterien für diese ,Wahrheit in Geschichte‘ zu entwickeln. Das stellt zum einen die Frage, wie man überhaupt angemessen von Gott sprechen kann. Zum anderen ist damit aber noch einmal die Frage nach dem Status menschlicher Vernunft, der eigenen Wahrheitsfähigkeit menschlichen Erkennens und ihrem Verhältnis zur Glaubens- und Wahrheitstradition der Kirche gestellt (s. IV). In der konkreten Durchführung darf aber die zentrale Frage nicht aus den Augen verloren werden, die sich aus der zu Beginn geleisteten Verhältnisbestimmung von Glaube und Denken ergibt. Sie kann letztlich so formuliert werden: Stellt man die Frage nach der Normativität, der ,Wahrheit‘ des Glaubens, dann ist sie letztlich daran zu entscheiden, ob und wie die Vernunft selbst dazu fähig ist, Wahrheitskriterien zu benennen. Ihre Wahrheitsbefähigung entscheidet sich angesichts der historischen wie tradierten Gestalt, in der Glaube heute auf uns zu kommt, an ihrer Befähigung, „sich in der Gestalt historisch-kritischer Exegese und methodisch autonom argumentierender Philosophie über die Gründe Rechenschaft zu geben, die es ihr erlauben, Jesus als den Christus zu glauben“ ([37] 156).
Verantwortung vor der autonomen und der historischen Vernunft
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens 1. Grundlagen einer Sprachlehre des Glaubens Sprechen über Gott
Jede Theologie ist schon vom Wort her – theo-legein – Reden, Sprechen über Gott. Dogmatik nennt daher als eines ihrer Hauptthemen die Frage nach der Triftigkeit/der Stimmigkeit von Glaubenssprache; sei es in der Frage der Relevanz hier und heute; sei es im Umgang damit, dass ihre Quellen immer sprachliche Quellen sind, ja dass die Quelle des Glaubens ein Buch, die Heilige Schrift, ist; sei es in der Verkündigung als Bewährung des Glaubens hier und jetzt. Dabei geht es letztlich um die Frage, wie menschliche Sprache überhaupt Zutreffendes über Gott aussagen, wie in ihr ,Wahres‘ bzw. ,Wahrheit‘ zur Sprache gebracht werden kann. Die These, dass es in der Dogmatik um die Aufgabe eines verbindlichen Verstehens des Glaubens geht (s. I.1), setzt voraus, dass dieses je unterschiedliche zur Sprachebringen des Glaubens über die Jahrhunderte hinweg angemessen zu strukturieren und zu systematisieren ist. Wenn es also um den Glauben und seine Identität geht, muss man, wenn die Überlegungen auch wissenschaftlich tragfähig sein sollen, über die Gestalt der Sprache des Glaubens Auskunft geben können. Dogmatik hat daher immer die Aufgabe, über die Sprache des Glaubens kritisch zu reflektieren, eine ,Sprachlehre des Glaubens‘ zu erarbeiten.
a) Grammatik – Semantik – Pragmatik des Glaubens Grammatik – Semantik – Pragmatik
Menschliches Sprechen hat mehrere Dimensionen. Wir haben es mit der Grammatik der Sprache zu tun, also mit der Frage, wie und wann bestimmte grammatische Formen entwickelt und benutzt werden. Wir haben es mit der Semantik der Sprache zu tun, also der Frage, in welcher Beziehung das Zeichen oder Wort zum Bezeichnenden steht. Und schließlich haben wir es mit der Pragmatik von Sprache zu tun. Sprache ,wirkt‘. Sie kann aufdecken, aber auch verbergen, kann die Wahrheit sagen, aber auch lügen. Sprache ,bewirkt‘ etwas zwischen den Sprechenden und den Hörenden. Glaubenssprache erweist sich beim näheren Hinsehen als autonome, aber nicht autarke Art von Sprache ([3] 33). Sie ist keine Geheimsprache, hat aber ein Spezifikum, in der Art und Weise, wie sie sich selbst begründet. Glaubenssprache versteht sich als eine nicht durch sich selbst ermächtigte Sprache; denn Glaube ist immer ,Antwort‘. Glaubenssprache ist daher ein Sprechen in zweiter Kategorie. Der Mensch ist nicht zuerst der Sprechende, sondern er ist der von Gott Angesprochene. Erst so kommt er dazu, selbst zu sprechen; eine eigene Sprache des Glaubens zu entwickeln ([3] 44). Er ist der Herausgeforderte, der Gerufene. Er ist der Hörer und der durch das Gehörte nun zum eigenen Sprechen Ermächtigte. Er ist Sprechender, Handelnder an zweiter Stelle. Gott spricht immer als Erster.
1. Grundlagen einer Sprachlehre des Glaubens
b) ,Wort Gottes‘? Das ,Wort Gottes‘ ist nicht wie andere Wörter, und Gott ,spricht‘ nicht in dem Sinne, wie wir selbst von ,sprechen‘ sprechen. Wir übertragen einen sprachlichen Sinn – ,Wort‘; ,sprechen‘ – auf einen anderen Sachverhalt, sodass der Ausdruck irgendwie passt und auch nicht passt, trifft und doch nicht trifft; kurz: wir formulieren eine Analogie. Was ist aber die Voraussetzung dafür, dass die Aussagen wie ,Wort Gottes‘ und ,Gott spricht‘ nicht einfach Unsinn oder pure Äquivokation (zwei Dinge – ein Begriff; klassisches Beispiel: Schloss) ist? Inwieweit ,trifft‘ menschliches Sprechen über Gott das/ den Gemeinte(n)? Beide Aussagen sind zunächst einmal Anthropomorphismen (eine vermenschlichte Rede von Gott), aber es ist eine anthropomorphe Rede, die von Anfang an weiß, dass sie eben nur bildhaft, analog und eben auf menschlicher Weise von Gott reden kann. Daher ist der Ausdruck ,Wort Gottes‘ oder ,Gott spricht‘ die Formel für ein sehr vielschichtiges Geschehen. Gott teilt sich in der Natur qua Schöpfung mit, aber er teilt sich auch in der Geschichte qua Heilsgeschichte mit. Gerade in seiner christologischen Spitze wird im Innersten deutlich, was der Satz ,Gott spricht‘ bedeutet: Es ist die Tatsache, dass sich Gott in seiner eigensten Wirklichkeit zum innersten Wesen, Sinn, Mittelpunkt des Menschen selbst macht ([98] 601). Auch bei einer Sprachlehre des Glaubens stehen wir wieder mitten in dem, was wir zu Beginn als heutige Methode der Dogmatik bezeichnet haben: die notwendige Hinwendung zur Anthropologie. Wie entwickelt die Dogmatik vor diesem Hintergrund nun aber die Kriteriologie für eine angemessene Glaubenssprache?
Analogie
c) Eine Kriteriologie der Glaubenssprache a) Gottesrede ist immer eine Rede in Bildern Gottesrede ist so vielfältig wie die Gottes-Erfahrungen der Menschen, die in und mit Bildern ihr Glaubenszeugnis über das ablegen, was sie mit diesem Gott erfahren, erlebt haben. Ihre Gottesbilder sind dort, wo sie ,treffen‘, eben keine Bilder, die die Menschen nach ihren Wünschen und ihren Projektionen angefertigt haben, sondern es sind Wortbilder und Gottesreden, die sich ,eingestellt haben‘, die geprägt sind von der Beziehung, dem Geschehen zwischen Gott und Menschen ([114]). Welchen Sinn sollen sie haben und von woher kommt dieser Sinn? Aus der gemachten Erfahrung der befreienden Begegnung mit Gott oder aus einer Rede von Gott, die nur als theologisch überformtes Mittel allzumenschlichen Zwecken, wie Macht, Herrschaft, Selbstimmunisierung, Identitätsgewinn o. ä. dient ([113] 5)? b) Einerseits – andererseits Das Sprechen über Gott und Bilder gehören in unauflösbarer Weise zusammen. Dort, wo Religion und Theologie sich von ihrer Sprach- und Bildkompetenz verabschieden, dort berauben sie sich ihrer eigenen lebensweltlichen Basis. Zugleich haben Bilder aber eine bleibende ,Kehrseite‘. Sie stehen immer in Gefahr ,Projektionen‘ zu sein, d. h. all das, was erfahren und daher bebildert wird, auf das ,Menschenmaß‘ zu reduzieren. Zu einer ,Theologie
Bilder
Projektionsverdacht
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
der Gottesbilder‘ und damit einer ,Sprachlehre‘ des Glaubens gehört also immer auch eine kritische Reflexion. Eine selbstkritische Theologie hat zuzugestehen, „dass sich in den Gottes-Bildern der Bibel und der sich anschließenden Glaubensüberlieferungen nicht nur Gottes Wirklichkeit widerspiegelt, sondern ebenso sehr, wenn nicht noch mehr die Wirklichkeit des Menschen, die konkrete gesellschaftlich-politische Situation, seelische oder gesellschaftliche Konflikte, handfeste Interessen und erschütternde Umbrüche, Aufbrüche und die Verarbeitung von Enttäuschungen“ ([113] 5). Die Geschichte des Sprechens über Gott war und ist immer auch eine ,Missbrauchsgeschichte‘. Daher hat die Dogmatik als kritische Reflexionsinstanz der Glaubenssprache die Aufgabe, immer wieder ihr eigenes Denken und Sprechen in Bildern, ihre eigene Gottesrede kritisch zu reflektieren. Sie beschreibt, entfaltet und lotet die Bilder aus, in denen sich christlicher Glaube zur Sprache bringt, sich unsere Welt erschließt und verständlich macht. Sie unterwirft sie dabei dem Kriterium der kritisch-denkerischen Verantwortung. Bei einer kritischen Verantwortung kann es nicht darum gehen, die ,projektionsverdächtigen‘ Teile solcher Bilder einfach herauszufiltern, um einen ,gereinigten‘ Rest echter Gottesbilder und ,treffender‘ Glaubenssprache daraus zu destillieren, sondern das Ziel muss sein, die Augen für die Missbräuchlichkeit der Bilder wie die Mangelhaftigkeit von Sprache offen zu halten und dennoch auf ihren positiven Ertrag nicht einfach zu verzichten ([113] 5). Welche Unterscheidungskriterien gibt es nun zwischen ,echten‘ und ,falschen‘ Gottesbildern, zwischen einer Glaubenssprache, die die ,Sache‘ angemessenen trifft oder die sie verfehlt? c) Das Bilderverbot als Maßstab negative Theologie
1) Der notwendige Schuss negativer Theologie Das kritische Potential des biblischen Bilderverbots gründet in seinem Gehalt an negativer Theologie. Allzu nahe liegenden Identifikationen ,So ist Gott!‘ wird ein deutliches ,Nein, so nicht, sondern ganz anders‘ entgegengesetzt. Einer allzu sicheren und festlegenden Glaubenssprache wird ein Stachel der Unzulänglichkeit und Fraglichkeit eingepflanzt. ,Negative Theologie‘ erklärt den kritischen Blick zum Prinzip. Sie hält dabei aber an der biblischen Grundüberzeugung fest, dass Gott in menschlichen Worten und Erfahrungen wirklich an- und aussprechbar ist, weil die biblische Überlieferung keine prinzipielle Trennung zwischen Welt- und Gotteserkenntnis kennt. Menschliche Sprache ist wie die Welt als Ganze durchaus ,gottfähig‘. Demgegenüber wird ein absoluter Gegensatz von Gott und Welt (Dualismus) im Judentum und noch deutlicher im Christentum von Anfang an als Häresie, als Irrlehre bezeichnet ([112] 158). Dabei war es für Israel nicht einfach, diese bleibende Spannung von positiver Anknüpfung und kritischem Widerspruch zur Welt aufrecht zu erhalten. Denn in den polytheistisch oder kosmotheistisch geprägten Kulturen des Alten Orients gibt es geradezu eine ,notwendige Nicht-Unterscheidung von Gott und Welt‘, also eine quasi ,natürliche Sicht- und Erkennbarkeit‘ des Göttlichen ([57] 62). Alles ist göttlich. Die Götterwelt und die Welt der Menschen sind nicht zu trennen, das Weltliche und das Göttliche bilden ein
1. Grundlagen einer Sprachlehre des Glaubens
ungebrochenes Kontinuum ([58] 245–282). Die Repräsentationsmöglichkeiten des Göttlichen in der Welt sind nahezu uneingeschränkt; mit allen Missbrauchsmöglichkeiten, die diese naht- und spannungslose Beziehung von Welt und Gott zur Folge hat. Genau an diesem Punkt setzt die Kritik des biblischen Bilderverbotes an. 2) Eine Frage der Unterscheidung Die Kritik des Bilderverbots entwickelt anhand des spannungsvollen Miteinanders von Gott und Welt einen Maßstab für das Göttliche in der Welt und sein angemessenes Zur-Sprache-Bringen. Man hat zu entscheiden, welches Sprechen des Glaubens Antwort auf eine gemachte Gotteserfahrung, und welches unangemessene, weil missbrauchbare oder gar bereits missbrauchte Projektion ist ([112] 158). Gott liefert sich nicht der Welt aus, darf aber trotzdem als der geglaubt werden, der in der Welt handelnd anwesend ist, und dessen Dasein und Handeln auch angemessen zur Sprache kommen kann. Glaubenssprache und damit Gottesbilder unter der Regel des Bilderverbots bilden daher „nicht einfach ab; […] beschreiben nicht einfach, was der Fall ist. Sie provozieren dazu, die Wirklichkeit Gottes mit der Lebenswelt des Menschen, der sich ihnen aussetzt, zusammenzubringen und zusammenzuhalten und sich vorzustellen, wie diese Welt sich verändert, wenn sie zum Ort der Gegenwart Gottes (seiner ,Gnade‘) wird“ ([113] 8). D. h. Glaubenssprache im Duktus des Bilderverbots setzt sich nicht einfach über die Wirklichkeit der Welt hinweg, sondern sie versucht die Wirklichkeit quasi mit den ,Augen Gottes‘ wahrzunehmen ([113] 8 f.). Dort aber, wo die Welt im Horizont Gottes erfahren wird, wird die Unterscheidung von Welt und Gott erst recht vollzogen. Denn die Welt kommt in ihrer ungeschminkten Weltlichkeit zum Vorschein. Das Bilderverbot verbietet es daher, sich das Göttliche als welthaft vorzustellen, als Übersteigerung dessen, was in der Welt schon als groß gilt. Man kann darin sogar die ,Urversuchung‘ jeglicher Gottesrede sehen: Das weltlich Größte für Gott zu halten, Gott vergleichbar zu machen und das, was in der Welt dominiert, als Ort der Gottespräsenz, der Gottesrepräsentanz auszugeben. Gegen beide Versuchungen wehrt sich das Bilderverbot. Das Göttliche ist nicht unter die Herrschaft meines Erkennens, meines Definierens, meiner Sprache, unter die ,Macht der Welt‘ zu bringen. Durch das Bilderverbot wird diese Bewegung geradezu umgekehrt. Das Ergriffensein durch Gott ermöglicht, ja erzwingt den Perspektivenwechsel. Alles zu Selbstverständliche, zu weltlich Eindeutige wird aufgebrochen. Alle entworfenen Bilder werden zerbrochen, weil das von Gott Erfahrene alle selbst gemachten Bilder, alle mitgebrachten Zuordnungen und Definitionen aufbricht und umwendet. Glaubenssprache unter dem Korrektiv des Bilderverbotes bringt daher einen ganz anderen Prozess der Identifikation und Repräsentation in Gang. Es ist ein Prozess, „der das auf Gott angewandte Bild von Gott her neu zu verstehen lehrt“ ([113] 8 f.). Die falschen Bilder, die ,Götzen‘, werden nicht einfach gestürzt, sondern die Frage nach dem Gottesbild, das diese Andersheit wahrt, wird zur Wahrheitsfrage ([112] 158). Die Wahrheit dieses einen Gottes gegen die anderen Götter und Götzen der Welt ist eine befreiende Wahrheit. Wer sie einebnet,
Bilderverbot
Unterscheidung
Perspektivenwechsel
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
kann leicht einer Immunisierungsstrategie erliegen, die allein der Legitimierung dessen dient, was in der Welt ,Sache‘ ist ([112] 160; 164). Dagegen verlangt Wahrheit ,Geltung des Richtigen‘ und bildet so die Gegeninstanz zu dem, ,was Sache ist‘, und zu dem, ,wie alles am besten funktioniert‘ ([112] 163). Mit dem biblischen Bilderverbot verbindet sich daher so etwas wie eine immanente Aufklärung über Gott und über die Welt.
Transzendenz
Kultur des Anderen
Ex 3,14
3) Jenseits der Bemächtigung Die Unterscheidung von Gott und Welt, jene Transzendenz, jenes AndersSein Gottes, das das Bilderverbot einfordert, bedeutet nun aber nicht einfach eine ,Negation‘, d. h. Abwertung des Weltlich-Menschlichen, sondern das biblische Bilderverbot macht auf die Gebrochenheit jedes menschlichen Darstellungsversuchs, jeder menschlichen Glaubenssprache aufmerksam. Die Unterscheidung betont die Unzulänglichkeit jedes menschlichen Sprechens von Gott und widerspricht damit einer allzu einfachen Identifikation ([112] 170 f.). Gerade weil der Gott des Exodus Grund wie Abgrund jedes menschlichen Gottesbilds und jeder menschlichen Gottesrede ist, sperrt sich das biblische Verständnis von Gott gegen jegliche Möglichkeit menschlicher Vereinnahmung. Damit wird aber die innere Spannung zu einer allzu natürlichen Evidenz des Göttlichen und seiner Repräsentation in der Welt deutlich: Die Transzendenz des biblischen Gottes wehrt sich dagegen, von irgendwelchen ,funktionalistischen Ideologien und den von ihnen legitimierten Realitäten‘ vereinnahmt zu werden ([112] 170); und sie steht in bleibender Spannung zu einer allzu definitorischen Glaubenssprache. Mit einem solchen Gott lassen sich keine Definitionen ,festklopfen‘. Ein solcher Gott widerspricht eigentlich jedem kirchlichen Vereinnahmungs- und Definitionsversuch. Dort, wo dieser Gott in der Welt sichtbar und wirksam wird, erweist er sich als der ganz Andere. Diese ,Kultur des ganz Anderen‘ gilt es auch in der Dogmatik zu kultivieren. Das geschieht dadurch, dass durch das Bilderverbot noch einmal explizit die Prioritäten der Gottesrede zurechtgerückt werden. Glaubenssprache unter dem Regulativ des Bilderverbotes hält den Menschen davon ab, „Gott zum Instrument seines eigenen Willens zu machen“ ([88] 834), und setzt sich der Andersheit Gottes aus. Das begründet sich letztlich im biblischen Gottesverständnis selbst ([88] 839). Deshalb ist der Gottesname Ex 3,14 der entscheidende Verweis auf einen Gott, der sich in einer ganz einzigartigen Weise als der Anwesende zeigt, einfach als der: Ich-binder-ich-bin-Da. Sprachlich ist dieser Gottesname eine Leerstelle, ein Name über allen, ja jenseits aller Namen und Benennungen. Dennoch schweigt die Sprache des Glaubens nicht einfach, und die Bibel belässt es nicht bei dieser ,Leerstelle‘, sondern ergänzt dieses pure ,Ich-bin-da‘ durch die konkreten Erfahrungen des Handelns des ,Ich-bin-da-für-Euch‘ und macht ihn dadurch ansprechbar ([22] 20 f.). Grundlage und bleibender Maßstab für dieses ,Füreuch‘ ist die Befreiungserfahrung des Exodus ([87] 347). Dieser Maßstab muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, und sei es dadurch, dass das Bilderverbot die Anfragbarkeit jeder ,Füllung‘ der Leerstelle stets vor Augen hält. Das christliche Bekenntnis zur Inkarnation bewegt sich in der Spur der gleichen Logik: Gott wird selbst der ganz Andere, Gott wird Mensch. Gott macht sich vollständig abhängig von dem ganz anderen seiner
1. Grundlagen einer Sprachlehre des Glaubens
selbst, von dem, „was sich zutiefst von ihm als Gott abhängig weiß“ ([86] 48). Das gilt auch und gerade für den christlichen ,Ernstfall‘ des Erscheinens des Absoluten in der Welt: den Gekreuzigten. Dieses Bild Gottes im Angesicht des Gekreuzigten erweist sich resistent gegenüber jeglichen Bemächtigungsversuchen. Diesen Gott hat man nicht einfach, aber er gibt sich einem in die Hand, wenn man sich auf seine Liebe einlässt. Er befreit von den falschen Mächten und Gewalten wie von falschen Gottesbildern und Definitionsversuchen. Diesem Gott scheint tatsächlich allein eine negative Theologie angemessen. Denn eine solche ,negative Theologie‘ „hält das Voraus Gottes zu seiner Offenbarung und deren Unableitbarkeit fest und bezeugt die Unbegreiflichkeit des Greifbarwerdens Gottes“; sie reinigt „den Gottesbegriff […] wie auch die Rede von Gott und der Gottesbeziehung des Menschen im theologischen und pastoralen Bereich vor Bagatellisierungen oder Instrumentalisierungen bewahrt“ ([67] 502 f.). Gottesrede und Glaubenssprache im Gefolge des biblischen Gottesglaubens sind daher notwendig ,unbefriedigend und ungesättigt‘; denn der biblische Gottesglaube ist und bleibt „die Religion der nicht aufgehenden Rechnungen“ ([88] 842).
2. Grundprinzip christlicher Glaubenssprache: Gotteswort in Menschenwort ([82] 71–76) a) Zur Pragmatik einer Glaubenssprache unter dem Maßstab des Bilderverbots Bei allen Vorbehalten, die im Rekurs auf das biblische Bilderverbot und seine Kriteriologie zu formulieren sind und stets zu bedenken bleiben, ist es die Konsequenz der theologisch notwendigen ,Wende zur Anthropologie‘, dass Gott zum Menschen nicht in irgendeiner ,übernatürlichen‘, ,von oben‘ kommenden Weise spricht, sondern mitten aus der Welt, in ganz eigenen menschlichen Erfahrungen. Gott enthüllt sich, indem er sich in den Menschen hineinhüllt – so hat dieses Paradox einmal Hans Urs von Balthasar (1905–1988) auf den Punkt gebracht. Und weil das so ist, bleibt dem ,Sprechen Gottes‘, dem ,Wort Gottes‘ nichts Menschliches fremd. Es ist existentiell, personal, politisch, kulturell, ja, wie Jesus von Nazaret zeigt, in allen Fasern zutiefst menschlich. Gott bedient sich des Menschen und seiner Fähigkeiten, um sich selbst mitzuteilen. Wo der Mensch in der Mitte seiner Existenz getroffen und herausgefordert ist, wird er zum Sprachrohr dessen, was ihn getroffen hat, was mit ihm passiert ist. Das ,Gott spricht‘ ist also als Gotteserfahrung von der sie aussprechenden und artikulierenden Selbsterfahrung des Menschen wohl zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Christliche Glaubenssprache muss daher nicht künstlich differenzieren zwischen Wort Gottes und menschlichem Sprechen, wie es z. B. sowohl eine fundamentalistische wie eine relativistische Bibelauslegung tun ([91] 45 f.). Gott schafft es, auf menschliche Weise mit uns ins Gespräch zu kommen und trotzdem oder gerade darin, seine Wahrheit auszusagen. Ist damit aber nicht dem menschlichen Subjektivismus Tür und Tor geöffnet? Hier ist die Unterscheidung der Geister gefragt.
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens jenseits der Bemächtigung
Auch das ,Gotteswort in Menschenwort‘ kennt auf der Basis des Bilderverbots Kriterien für seine Richtigkeit. Gerade weil nicht Semantik oder Grammatik die christliche Glaubenssprache unterscheiden, wohl aber die Pragmatik, ist jene Beziehung, die zwischen dem Sprechenden und dem Hörenden, dem Gesagten und dem zur Sprache Gebrachten erzeugt wird, zentral für diese Kriteriologie. Gott selbst ,spricht‘ und bleibt zugleich derjenige, der noch einmal von seinem Wort zu unterscheiden ist. Gott geht nicht in dem auf, wie er sich hier und jetzt geschichtlich zeigt. Er benutzt Geschichte, Welt und Menschen, um sich selbst mitzuteilen, ist aber nicht über die Geschichte und das Weltliche so greifbar, dass man ihn daran festhalten, gar ihn manipulieren könnte. Er benutzt die Welt als sein Organ, ermächtigt sie aber nicht; er beherrscht sie, lässt sich aber nicht von ihr beherrschen. So können wir die pragmatischen Konsequenzen des Bilderverbots wohl am besten umschreiben. Was ist aber angesichts dieses in der Welt erscheinenden, nicht aber in ihr aufgehenden Gottes die angemessene Reaktion des Menschen? Wozu ist er ,ermächtigt‘? Die ergehende göttliche Anrede kann nicht ohne Antwort bleiben. Die Erkenntnis, dass Gott zu mir gesprochen hat, erfordert die menschliche Zustimmung zu diesem Sprechen, und sie kann letztlich nur darin bestehen, nun selbst das Wort zu ergreifen.
b) Die anthropologische Grundregel christlicher Glaubenssprache Gottes Wort – Menschenwort
Die theologische Rede vom ,Wort Gottes‘ hatten wir als analoge Rede identifiziert. Sie ist ein Bild dafür, dass Gott der primäre und souverän Handelnde in der Beziehung von Gott und Mensch ist. Indes darf diese Anrede Gottes dem Menschen nicht fremd bleiben. Der Offenbarungsbegriff des Zweiten Vatikanums lehrt nicht nur die Dialoghaftigkeit der Selbstoffenbarung Gottes, sondern auch ihre anthropologische Grundstruktur und Mitte. Daher ist der Gottesrede auch nichts Menschliches fremd. Letztlich haben wir das Wort Gottes immer nur im Menschenwort, nicht daneben, nicht davor, nicht darüber, sondern eben mittendrin. So gilt für alle Inhalte und Epochen der Gottesrede, dass sie eine Rede in Bildern ist und bleibt. Was uns für die Bibel und ihre Art des Erzählens offensichtlich und schnell einsichtig erscheint, ist vielleicht für die nachbiblischen Epochen weniger offensichtlich. Denn die Texte der frühchristlichen Konzilien wirken eindeutig formuliert und definitorisch festgelegt. Doch auch diese dogmatischen Definitionen sind Sprachbilder, selbst wenn sie der Sprache der Philosophie entnommen sind und Dinge auf den ,Punkt‘ zu bringen versuchen. Man kann daher nicht so tun, als ob theologische Begriffe alle Bildhaftigkeit überwinden und nur definitorisch aussagen, wie es sich mit einer Sache eben so und nicht anders verhält. Theologische Begriffe sind immer aus Bildern hervorgegangen; und gerade dieser Bildhaftigkeit verdanken sie, dass sie Dinge so zur Sprache bringen, dass diese auch verstanden werden können. Freilich ist dieses Verstehen eine Aufgabe, der man sich immer wieder neu stellen muss. Die darin erfahrbare Differenz zwischen dem damals Gemeinten und dem heute Verstehbaren (oder eben nicht mehr Verstehbaren), begründet die Disziplin der Dogmenhermeneutik und damit die hermeneutische Grundaufgabe der Dogmatik. Dabei hat sie besonders zu
2. Gotteswort in Menschenwort
berücksichtigen, dass Glaubenssprache keine Insel der Seligen ist, auf der ewig-gleiche Wahrheiten verkündet werden, sondern immer mit der Welt zu tun hat, in der sie gesprochen wird.
c) Grundzüge einer Hermeneutik christlicher Glaubenssprache Wie lässt sich angesichts dieser Vorgaben aber nun überhaupt noch von Gott sprechen, wie lässt sich Glaube angemessen zur Sprache bringen? Es müsste eine Sprache sein, die die Widerständigkeit des Bilderverbots in sich trägt und es dennoch wagt, verstehbare Aussagen zu machen, bei denen einem klar wird, aufgeht, was eigentlich Sache ist, ohne sie zu definieren. Hans Weder (*1946) und Jürgen Werbick (*1946) haben in diesem Zusammenhang die metaphorische Sprache als die geeignete Sprachform des Glaubens bezeichnet ([111] 155–285; [55] 411–424; [117]). a) Glaube und Metapher Wir sind es gewohnt, metaphorische Sprache als uneigentliche Sprache zu bezeichnen. Metaphorische Sprache ist uneindeutig, bei ihr verschwimmen die Konturen der Aussage. Dagegen sagt eine definitorische Aussage, wie man konkret an die Sache heran kommt. Erst an Aussagesätze kann die Wahrheitsfrage gestellt werden. Wenn es um die Wahrhaftigkeit einer Sache/Aussage geht, ist alles andere Unfug. Stimmt diese Alternative? Ein solches Verständnis verkürzt Wahrheit auf eine verifikationsfähige Wirklichkeit. Angewandt auf das Phänomen ,Sprache‘ wäre das einzige Ziel, Sprache zu einer größtmöglichen Eindeutigkeit zu führen. Jede Aussage müsste zu einer univoken, d. h. sofort und eindeutig verstehbaren Aussage gemacht werden, die das Ausgesagte möglichst definitionsgemäß aussagt. Sprache würde hier nur noch instrumental, aber nicht mehr kreativ gebraucht. Eine solche Auffassung von Sprache verkürzt Sprache auf die eine Dimension des festlegbaren Definitorischen, des Abbildens. Doch angesichts eines Gedichts stellt sich nicht die Frage, ob auch der Fall ist, was dort ausgesagt wird. Dennoch ist es ,wahr‘, weil es für die Hörenden eine Bedeutung und damit eine Wahrheit auf einer ganz anderen Ebene gewinnt. Der Mensch wird einbezogen in das Gesagte, sowohl der Sprechende als auch der Hörende. Eine solche Sprache hat Anredefunktion. Wo Sprache auf Wirkung aus ist, kann diese Wirkung gerade dadurch erreicht werden, dass sie nicht eine definitorische, sondern eben eine bildhafte Form benutzt. So kann bildhafte metaphorische Rede um der Sache Willen und damit um der Wahrheit der Sache Willen notwendig sein. Sie ist dann wahrhaftiger als eine definitorische Aussage. Eine Metapher spricht dabei Ähnlichkeiten aus, ohne zugleich darauf festlegbar zu sein, sie provoziert, fordert heraus, mutet zu. Sie wirft permanent die Frage auf, wie die beiden Dinge, die durch sie in einem Satz zusammen gepackt sind, wirklich zueinander passen sollen. Eine geglückte Metapher provoziert ein aktives Reagieren auf die Sprache (kein passives Konsumieren). Der Zuhörende selbst ist herausgefordert, sich ein Bild über das Ausgesagte zu machen. Wo starke Metaphern benutzt werden, rufen sie ganz bewusst Widerspruch hervor. Ihre Zumutung muss verstanden werden, muss bearbeitet werden; die Widersprüchlichkeit muss durchdacht werden, damit
Metapher
Anredefunktion
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Kreativität
Metapher und Kritik
Metapher und Begriff
die Metapher wirken, und so sogar Wirklichkeit schaffen kann. Sie wird dort Wirklichkeit, wo der, der sie hört, sie durcharbeitet, mit vollzieht, ihre provozierende Entsprechung auch mit verantwortet. Dazu aber ist persönliches Engagement, Verständnis, Interpretation und Interesse von Nöten, bis dann klar wird: Die Metapher nötigt zur Umkehr der eigenen Sichtweise. Die metaphorische Sprache führt weg von der Definition eines Aussagesatzes hin zur Anschaulichkeit eines Bildes. Sie spielt mit Assoziationen und eröffnet verschiedene Möglichkeiten des Verständnisses. Ziel einer solchen Sprache ist es nicht, auf ein bestimmtes Bild festgelegt, also eben wieder als Aussagesatz missverstanden zu werden, sondern durch gezielte Benutzung und Verfremdung des Anschaulichen, des Bildes, die Anschaulichkeit aufzubrechen und mit dem Bild das eigentlich jenseits jedes Bildes Stehende deutlich werden zu lassen. Metaphern geben zu verstehen, aber sie geben so zu verstehen, dass sie das zu Verstehende als bloß über das sichtbare Anschauliche hinausreichend erweisen. Eine Metapher hat daher immer einen Überschuss an Wirklichkeit über das je verwendete Bild hinaus. Man kann sich an dem Bild, das eine Metapher hervorruft, nicht einfach festhalten. Eine Metapher verweigert eben das wörtliche Verstehen, sie ist nie selbstverständlich. b) Metapher, Kritik und Begriff Die Macht der Metapher steckt in ihrer Fähigkeit, anschaulich zu machen und zugleich diese Anschaulichkeit offen zu halten auf Anderes hin. Man kann sich der Anschaulichkeit einer Metapher nicht einfach bemächtigen, sie ist eben keine definitorische Festlegung. Eine festgelegte Metapher wird zum Trugbild, zum Idol. Hier wird die provozierend verstandene Ähnlichkeit als festlegende Aussage missverstanden, und genau hier erhebt sich noch einmal das unaufgebbare Veto des biblischen Bilderverbots. Darüber hinaus plädiert das Bilderverbot aber auch für eine kritische Analyse der Sprache und ihrer Bilder. Seine Maßstäblichkeit beruht auch und gerade darin, die Unterscheidung von ,wahr‘ und ,falsch‘ in Anschlag zu bringen und eine Kriteriologie anzumahnen. Ein Plädoyer für die Metaphorik der Glaubenssprache entbindet daher nicht von der Verpflichtung, um diese notwendige Kriteriologie und damit auch um den ,Begriff‘ als Maßstab von Sprache zu ringen. Es gibt kein sich störungsfrei abschirmendes Einrichten in einer Metapher, es gibt nur die Möglichkeit, sich auf den Weg zu machen, auf den die Metapher verweist. Sie will je neu danach fragen lassen, was hier wirklich zur Sprache kommen soll. Die in der Metapher zur Sprache gebrachte Erfahrung und begriffliche Durchdringung stehen daher in einem fundamentalen Zusammenhang. Die Erfahrung selbst drängt nach dem Verstehen. Metapher und Begriff sind daher keine Gegensätze, sondern sie ,bedingen‘ sich gegenseitig. Beide in ihrer dialektischen Spannung zu halten, ist die eigentliche Grundaufgabe der Dogmatik. c) Der notwendig metaphorische Charakter der Glaubenssprache Zutreffend von Gott sprechen können die Menschen nur, weil Gott sich selbst zur Sprache bringen will, indem er die Menschen so anspricht, dass sie ihm mit und durch ihre eigene Sprache antworten. Freilich eine solche ,Ansprache‘ traut dem menschlichen Sprechen auch die theologische
2. Gotteswort in Menschenwort
Sprach- und damit Wahrheitsfähigkeit zu. Das Neue Testament spricht vom menschgewordenen Wort Gottes, einem Wort, das den Menschen von Gott erzählt und dazu herausfordert, selbst zu sagen, ob man das, was als Aussage zugemutet wird, wirklich hören, verstehen und annehmen will. Diese Gestalt des menschgewordenen Wortes traut freilich seinen Zuhörern zu, sie zu verstehen und sich auf den Weg zu machen. Jesus Christus ist die ,Grundmetapher‘ Gottes, mit allem, was an Anstößigkeit, Provokation, Infragestellung und Bilderverbot dazugehört. Verstanden werden kann auch diese Metapher nur, wenn man sich auf das in ihr Ausgesagte einlässt. Daher ist authentische Glaubenssprache nie Aussagesprache, Definition oder gar Festlegung, sondern sie will zu denken geben, will vermitteln, was uns unbedingt angeht; will herausfordern und andere auf den Weg bringen. Gerade darum ist die metaphorische Sprache mit all ihren Eigenschaften die Sprachgestalt der Religion und des Glaubens schlechthin. Sie provoziert zur Übersetzung dessen, was Zeugen bezeugen wollen und ruft dazu heraus, die Übersetzung in das eigene Lebenszeugnis zu überführen, dort Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Nachfolge der Spur des Zeugnisgebens provoziert dazu, ein je neues eigenes Lied anzustimmen. Nachfolge provoziert immer neue Gestalten der Glaubenssprache. Die Aufgabe der Dogmatik ist es dabei, diese Gestalten der Glaubenssprache auf die Dynamik der in ihr verwendeten Bilder hin zu untersuchen, diese Dynamik zu beschreiben und in ihren Grundzügen auch zu systematisieren. Die eigentliche Herausforderung der Glaubenssprache kommt dabei zumeist von den Bildern und Bildgestalten, die gerade nicht in Definitionen, Begriffen eingeholt werden können, sondern die immer über die allzu gängigen Formeln und Festlegungen hinausreichen und über die dennoch Rechenschaft abgelegt werden muss. Glaubenssprache, die sich dieser bleibenden Dynamik ausliefert, widersteht daher einfachen Festlegungen. Sie lässt sich nicht in Denkschablonen pressen. Sie ist dort angemessen, wo sie herausfordert, wo sie zu denken gibt, wo sie deutlich macht, dass Glaube eine persönliche Herausforderung ist und daher seine Sprache eine grundlegende persönliche existentielle Dimension hat.
menschgewordenes Wort
Nachfolge im Zeugnis
dynamische Glaubenssprache
3. Die inkarnatorische Dynamik christlicher Glaubenssprache a) Jesus Christus – das Sprachereignis Gottes Angesichts der notwendigen Bedeutung negativer Theologie erweist sich die metaphorische Rede als die einzige Sprachform, die inhaltlich wie formal einer Glaubenssprache unter dem Bilderverbot überhaupt angemessen ist, denn das entscheidende Kennzeichen der Glaubenssprache als metaphorische Rede ist ihre existentielle Dimension. Glaubenssprache ist gerade als metaphorische Rede ein Dialog von Zusage und Aussage, Anrede und Eigenrede. Angewandt auf die biblische Tradition – und mit ihr haben wir es ja in der Dogmatik als Erstes zu tun, wenn wir uns dem Phänomen Glaubenssprache nähern – könnte man formulieren: „Die Bibel ist ein hochkomplexes
Sprachereignis
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Netzwerk geglückter Metaphern, das unendlich viel zu entdecken gibt und dadurch den Leser bzw. Hörer seinerseits zu beglückter Gottrede ermutigt und anleitet. Aus der substantiellen Metaphorik der ganzen Bibel erklärt sich ihr durchgehender und unbedingter Anredecharakter“ ([85] 90). Die Schrift entwickelt dabei eine ganz eigene Dynamik zur Auslegung, die im Christusereignis selbst begründet ist.
Jesus Christus – Grundmetapher
Verkündigung Jesu
historische Rückfrage nach Jesus
a) ,Jesus Christus‘ als Grundmetapher Das, was wir zentral als das Christusereignis bezeichnen, ist in seiner innersten Struktur ein metaphorisches Sprachereignis des Glaubens ([74] 76). Es ist ein Kommunikationsereignis sowohl auf der Ebene seines Sich-Ereignens als auch seiner Verkündigung; in der Verkündigung Jesu (Genitivus subiectivus) mit dem das anbrechende Gottesreich verkündigenden Jesus im Mittelpunkt wie auch in der Verkündigung Jesu (Genitivus obiectivus) mit dem verkündigten Jesus als dem Christus. Mit dem Satz ,Jesus ist der Christus‘ ist die Grundaussage des Neuen Testaments metaphorisch auf den Punkt gebracht. Es ist das Ineinssetzen von scheinbar Unvereinbarem: Hier Mensch (Jesus), da Gott (der Christus Gottes). Diese Aussage ist eine Provokation. Sie ruft aufgrund der scheinbaren Unvereinbarkeit beider Seiten die Frage nach einer angemessenen Verhältnisbestimmung hervor und provoziert dadurch immer neue Formen der Umschreibung dieser Metapher. Dies bewegt die ganze neutestamentliche Überlieferung und darüber hinaus. b) Auf der Suche nach einer angemessenen Hermeneutik Der verkündigende Jesus ist ein Sprachereignis, das die Verkündigung Jesu herausfordert. Diese Herausforderung besteht darin, eine Erzählkultur hervorzubringen, die nichts anderes versucht, als das Ereignis dieser Person immer wieder neu in Sprache, in Geschichten zu fassen. Sie erzählt von ihr, um etwas von dem, was durch ihn, mit ihm und in ihm erfahren worden ist, an andere weiter zu geben. Die neutestamentlichen Schriften sind daher Bekenntnisschriften; d. h. sie sind verfasst von einer Gemeinschaft von Glaubenden, die das Fundament ihres Glaubens, d. h. das, was in, durch und mit Jesus von Nazaret geschehen war, in seiner Bedeutung festhalten wollten, als Maßstab, Orientierung und werbendes Glaubenszeugnis für ihre und alle folgenden Generationen. Wenn es nun aber tatsächlich wahr ist, dass unser Glaube mit dieser Bindung an das historische Ereignis ,Jesus von Nazaret‘ steht und fällt, dann müssen wir auch heute noch von ihm authentische Nachricht erhalten, sonst hängt unser eigener Glaube in der Luft. Darin liegt das bleibende Recht einer historischen Rückfrage nach Jesus. Die Frage nach der leibhaften Geschichte Jesu bleibt daher notwendiger Bestandteil des christlichen Glaubens, weil sie (1) die Frage nach dem Ausgangspunkt, dem Ursprungsereignis des Glaubens, nämlich Jesus Christus, stellt; weil sie (2) nicht einen zeitlosen Mythos der Erlösung jenseits menschlicher Geschichte in den Mittelpunkt stellt, sondern die reale, unableitbare und unverfügbare Geschichte dieses einen Menschen: Jesus von Nazaret; weil sie (3) diese Menschheit und Menschlichkeit Jesu zu Recht als allein angemessenen Ort des Sichtbarwerdens Gottes gegen eine idealistische oder gnostische Auflösung verteidigt; weil sie (4) darin
3. Inkarnatorische Dynamik christlicher Glaubenssprache
auch die Vielgestaltigkeit der Wirkungen dieses Ereignis erfassen kann ([81] 141 f.). Interessanterweise ist diese Bindung an Geschichte nun keine ,moderne‘ Idee der Dogmatik, sondern gerade um dieser Aufgabe willen entdeckt die junge Kirche selbst ein neues Medium ihrer Glaubensverkündigung: die Evangelienschreibung.
b) Von der Frohbotschaft zum Evangelium Evangelium im engeren Sinne ist Frohbotschaft, Freudenbotschaft. Also so etwas wie die ,good breaking news‘ der Antike. Paulus benutzt das Wort noch in diesem absoluten Sinn. Freilich ist schon bei Markus eine Bedeutungsverschiebung zu beobachten. Er kennt zwar noch die absolute Bedeutung des Begriffs Evangelium als ,Frohbotschaft‘ des Sich-Ereignens Gottes in Jesus von Nazaret. Doch diese Botschaft hat bereits eine christologische Spitze. So erstaunt es nicht, dass Markus selbst ein Evangelium schreibt, das er unter diesen Titel stellt: ,Anfang des Evangeliums Jesu Christi des Sohnes Gottes‘ (vgl. Mk 1,1). Bezeichnete ,Evangelium‘ ursprünglich das Christusgeschehen als Tat der Liebe Gottes, so erhält es hier nun den Sinn ,Evangelienbuch‘ (Buch, in welchem das ,Evangelium‘ enthalten ist). Markus gilt dabei als der ,Erfinder‘ dieser literarischen Gattung. Diese ,Erfindung‘ ist nun nicht nur im technischen Sinne kennzeichnend für das urchristliche Schrifttum, sondern sie birgt auch grundlegende hermeneutische Einsichten in sich ([111] 305). Denn aus dem Zusammenhang von Mk 1,1 und Mk 1,14 (,Kehrt um und glaubt an das Evangelium‘) wird klar, dass dieses Evangelienbuch über Jesus Christus in einem unauflöslichen Zusammenhang steht mit der von Jesus selbst verkündigten Frohbotschaft ([111] 307). Jesus verkündet das Evangelium Gottes, er sagt die Frohbotschaft, das gute Wort Gottes zu. Aber es ist nicht nur das, was er sagt, sondern es ist auch das, was er ist, was er tut. „Das ganze Dasein des irdischen Jesus ist geprägt dadurch, dass es die heilsame Nähe Gottes vollzieht, dadurch, dass es die Gottesherrschaft in die Nähe des Menschen versetzt“ ([111] 307). Das Evangelium, wie es Markus verkündigt und bezeugt, ist der Spiegel dessen, was in Jesu eigenem Tun und Wirken als handelnde Liebe Gottes sichtbar geworden ist. „Der einstige Verkündiger des Evangeliums von Gott ist jetzt so in dieses selbst eingegangen, dass er zu dessen einzigem Inhalt geworden ist. Der Wechsel zeigt an, dass aus der theologischen Selbstaussage Jesu die explizite Christologie der nachösterlichen Gemeinde geworden ist“ ([111] 308). Der Verkündiger selbst wird zum Inhalt der Verkündigung. So ist das Markusevangelium letztlich ein Evangelium des Evangeliums. Dabei ist nun aber die Richtung der Erzählbewegung von besonderer Bedeutung. Angesichts der Nähe Gottes in den Taten und Worten Jesu spekuliert Markus diesen Menschen Jesus von Nazaret nicht ,in den Himmel hinauf‘, sondern er schreibt ein Evangelium, eine ganz irdische, ja in manchen Dingen zu irdische Geschichte. „Um seine explizite Christologie zur Sprache zu bringen, muss [Markus] vom Menschen Jesus erzählen. Deshalb verhandelt er unter dem Titel ,Evangelium von Jesus Christus‘ das, was über Jesus von Nazaret zu sagen ist. Mehr noch: Das von Jesus verkündigte und ,dargestellte‘ Evangelium Gottes ist der Anfang, der maßgebliche Ursprung des Evange-
Evangelium
Verkündiger und Verkündigung
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Biographie
Mythos
liums von Jesus Christus. Es ist die Leistung dieses Evangelisten, den himmlischen Christus entschieden an den irdischen Jesus zurückzubinden“ ([111] 308). Dieses Miteinander – des himmlischen Christus und des irdischen Jesus – führt eben zur literarischen Gattung des Evangeliums. Es ist eine originelle ,Kreation‘ des Christentums. Denn ein Evangelium ist dabei weder ein Mythos noch eine Biographie. Während nämlich eine Biographie „vom Lebenslauf eines Menschen im Zusammenhang berichtet, lässt das Evangelium Gott Ereignis werden im Detail, in der einzelnen Geschichte […]. Das Evangelium enthält insofern biographische Züge, als die einzelnen Schritte des Menschen Jesus dem Schritt Gottes zu den Menschen die Konkretheit verleihen, ohne die der Schritt Gottes nicht auskommt“ ([111] 308 f.). Ein Mythos würde dagegen eine prinzipiell himmlische Perspektive präferieren. Dabei kann der Himmel die Erde dann und wann berühren, aber es bleibt immer nur eine flüchtige und punktuelle Berührung. Das Markusevangelium nun ist aber eine literarische Gattung, in der „der Himmlische nicht bloß flüchtig die Erde [berührt], er geht vielmehr so sehr ins Irdische ein, dass er selbst den Tod schmecken muss“ ([111] 309). Christliche Gottesrede ist also eine Gottesrede, die an diese Erinnerung, diese menschliche Geschichte gebunden bleibt. Die Evidenz christlicher Glaubenssprache als Geschichte, die erinnernd erzählt wird, hängt davon ab, dass immer wieder neu erzählt werden muss, damit die Geschichte eben nicht vergessen wird. Das Evangelium stellt sich der Dynamik des in ihm und durch ihn Erzählten, es lässt sich davon in Dienst nehmen; es versucht Raum zu schaffen für die Wirkung des in ihm Erzählten. Darum fallen die Evangelienerzählungen „nicht unter die Kategorie ,wahr, aber nicht in Wirklichkeit geschehen‘ (auch wenn einige darunter sind, die nicht wirklich geschehen sind, sie sind keine Exempel (auch wenn sie sich dafür verwenden lassen), auch keine Urerzählungen, keine Mythen (auch wenn sie unsere Existenz erhellen), sondern geben Auskunft über die Bedeutung einer historischen Person, über jemanden mit einem Namen und einem Schicksal. Das Leben und der Tod dieser einen, mit Namen erwähnten Person, ist der einzige Grund, warum die Evangelisten mit ihrer Erzählung begonnen haben. […] Christen wären närrisch, wenn sie sich hinsichtlich seiner historischen Wirklichkeit auf ein Arrangement einließen, sie würden sich selbst verlieren. Der historische Jesus ist der Ast, auf dem sie sitzen und den sägt man niemals selbst ab“ ([79] 134). Hatten wir den Ausdruck ,Jesus (ist der) Christus‘ als die Grundmetapher neutestamentlicher Gottesrede bezeichnet, so können wir nun die Gattung Evangelium als die ihr angemessene Erzählform bezeichnen. So nimmt jedes der biblischen Evangelien die innere Dynamik auf die konkrete Lebensgeschichte Jesu hin in die eigene Weise des Erzählens auf, um in dieser eigenen Weise die einzelnen Elemente des in ihnen Erzählten, der erzählten Geschichte eigens zu inszenieren und sich so an diese Bewegung des Ursprungs zu binden. Sie übernehmen dabei jene Dynamik des Zusammenkommens von Himmel und Erde, die im Kern der Verkündigung Jesu selbst sichtbar ist: der Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft, wie sie die Gleichnisrede Jesu in eine bebilderte Sprache umsetzt. Die Botschaft Jesu vom angebrochenen Gottesreich ist die gleichnishafte Rede von der Menschwerdung Gottes, die Inszenierung der Metapher ,Jesus ist der Christus‘. Die-
3. Inkarnatorische Dynamik christlicher Glaubenssprache
ser durchgängige personale Aspekt ist ein Hinweis auf die inkarnatorische Grunddimension der Gottesreichbotschaft. Die explizite Rede von der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazaret kann nur das zur Sprache bringen, was in der Verkündigung Jesu, der selbst das eigentliche Ereignis des Gottesreiches ist, bereits als Realität erfahren worden ist.
inkarnatorische Grunddimension
4. Die Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung christlicher Glaubenssprache a) Die hermeneutische Grundproblematik Ist es nun nicht gerade die sich aus dem bisher Gesagten ergebende und durch nichts aufzulösende Aporie aller ,Nachgeborenen‘, dass wir mit der Bibel eine Glaubensurkunde besitzen, die – im Nachhinein geschrieben – nur das überliefert hat, was den Menschen, die sie geschrieben haben, wichtig geworden und der Weitergabe wert war, weil es sie gepackt hatte? Zu allem Überfluss taten sie das auch noch auf keine andere Weise, als in menschlichen Worten, mit den Mitteln menschlicher Erzählweise und zeitgeschichtlich bedingter Erzählkultur; allein mit dem euphorischen Blick und der begeistert werbenden Sprache, die jeden bestimmt, dessen Herz übervoll ist von dem, was ihn selbst bewegt und was er anderen weitergeben möchte. Geschichte, Bekenntnis und Verkündigung sind bei den Erzählungen der Bibel kaum mehr voneinander zu trennen. Bis heute hat die exegetische Wissenschaft aber ein ausgefeiltes Instrumentarium und eine differenzierte Methode, um genau das zu tun, doch kommt sie dabei über vorsichtig formulierte Wahrscheinlichkeitsurteile nicht hinaus. Daneben ist die mit viel Wissenschaftlichkeit gewonnene Kriteriologie über die sie von Anfang an kennzeichnenden Kinderkrankheiten nie hinweggekommen, weil sie der Verkündigung der Gemeinde zunächst mit einer impliziten Hermeneutik des Verdachts begegnet. Zugleich offenbart eine solche Hermeneutik des Verdachts auch so etwas wie den inneren Beweggrund der historischen Rückfrage als Ganzer: Man muss den historischen Jesus von seiner in kirchlichen Interessen begründeten Überfrachtung befreien, um so den reinen, authentischen Jesus als Kriterium gegen genau diese Überfrachtung ins Feld führen zu können. Denn dort, wo die Überlieferungsgemeinschaft ,Kirche‘ in ihrer realen Erscheinungsweise fraglich wird, bedarf es einer neuen Versicherung im Schritt zurück hinter diese Überlieferungsgemeinschaft. Wird man mit dieser ,Hermeneutik des Verdachts‘ aber dem eigentlichen Charakter der biblischen Schriften theologisch gerecht? Will man diese Aporie verstehen, muss man sich wohl den Weg näher ansehen, den die historisch-kritische Schriftauslegung bis heute gegangen ist.
b) Zugangsweisen a) Harmonie des Anfangs? Christliche Schriftauslegung kennt bis zur Neuzeit zwei unaufgebbare Grundprinzipien: 1) Die Heilige Schrift ist eine Einheit, wobei sich ihre Teile gegenseitig interpretieren und die Hebräische Bibel aus der Perspektive des
Hermeneutik des Verdachts
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
sensus spiritualis
Literalsinn – Typologie – Allegorie – Tropologie – Anagogie
Neuen Testamentes zu lesen ist. 2) Die Schrift ist in dem Geiste auszulegen, in dem sie geschrieben wurde. Die Schriftauslegung der frühen Kirche lässt sich daher als ein zutiefst geistiges, weil vom Heiligen Geist selbst geleitetes und geleistetes Geschehen beschreiben (vgl. Gregor von Nyssa [um 335–394], Eun. 3,5,13). Zur angemessenen Auslegung bedarf der Ausleger genau dieses Geistes. Erst diese doppelte ,Inspiriertheit‘ von Entstehung und Interpretation der Schrift macht ihren Wert als Quelle und Maßstab der Glaubensreflexion aus ([15] 100). Die patristische Auslegung der Schrift ist aber keine „unverbindlich-erbauliche Meditation über die Schrift“, sondern die Väter verbinden mit ihrer Auslegung die Erfassung des ,geistigen Schriftsinns‘ (sensus spiritualis), d. h. der „tiefste[n] Intention der göttlichen Offenbarung im Schriftwort“ ([15] 103; [108] 492). Die Frage der aktuellen Relevanz ist dominierend. Um der Aktualisierung willen entwickeln die Väter ein ganzes Methodenrepertoire, das die Wahrheit des Wortes Gottes für das Heute sichtbar und erfahrbar machen soll. So entsteht die christliche Hermeneutik des mehrfachen Schriftsinns, die bis ins Mittelalter die entscheidende Zugangs- und Auslegungsweise darstellt, ja dort sogar erst ihre eigentliche Blütezeit erfährt: „Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quod tendas anagogia – Der Buchstabe lehrt das Geschehene; was zu glauben ist, die Allegorie; der moralische (Sinn), was zu tun ist; wohin zu streben ist, die Anagogie“ ([64] 17). Gerade das Bekenntnis zur Geschichtlichkeit göttlicher Offenbarung begründet die bleibende Priorität des wörtlichen = Literal-Sinns, der das Geschehene vorlegt, vor aller anderen Auslegung ([64] 17 f.). Die typologische Auslegung deutet demgegenüber geschichtlich-heilsgeschichtliche Texte als Vorbild (typos); sei es als das ehedem ,Verheißene‘, das dann neutestamentlich in Erfüllung geht; sei es als paradigmatisches Abbild der Geschichte Gottes mit dem Menschen. Als Allegorie übersteigt die Auslegung die heilsgeschichtlichen Relationen, um die Texte als gleichnishaften Verweis auf eine höhere, geistige, göttliche Wahrheit zu deuten, während die tropologische Auslegung auf den ,moralischen Sinn‘ der Schrift als Handlungsanweisung vom Geschehenen zum Tun ausgerichtet ist. Die vierte und letzte Auslegungsweise eröffnet den Blick auf die Hoffnungsperspektive als Grunddimension der Schrift: ,anagogia aedificat spem‘ (die Anagogie begründet die Hoffnung). Letztlich dient alles der Vergegenwärtigung der in ihr verborgenen ,Wahrheit‘ des lebendig machenden Wortes Gottes. Diese Voraussetzung übernimmt die frühchristliche Exegese von der zeitgenössischen Philosophie. Dabei werden die Texte im Licht einer vorgegebenen, bekannten ,Wahrheit‘ gelesen ([15] 118) und von diesem Wissen aus interpretiert. Das ist aber auch die entscheidende Gefährdung des mehrfachen Schriftsinns, dass nämlich nicht der Text ausgelegt wird, sondern dass man ,den Sinn‘ in ihn hineinliest. Dem Streit darum versucht man mit Regeln beizukommen (vgl. Johannes Chrysostomos (um 349–407), In Jer 5,3). Kenntnisse der biblischen Sprachen sind ebenso Voraussetzung wie die Beachtung von Kontext, Anlass und Aussageintention und die Idee der Einheit der Bibel. Bei einer angemessenen Auslegung ist den Quellen nicht Gewalt anzutun, sondern ihre vorgegebene Gestalt ist zu respektieren und sie sind aus ihrer eigenen Logik heraus zu interpretieren ([15] 123). Der Literalsinn bleibt das inne-
4. Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung
re Korrektiv jeder Auslegung, die dogmatisch argumentieren will (vgl. Thomas von Aquin: ,cum omnes sensus fundentur super unum, scilicet litteralem‘ (Summa Theologiae I q. 1 a. 10, ad 1: ,Jeder Sinn [der Heiligen Schrift] gründet auf dem wörtlichen‘ […] Nur „der Wortsinn kann zur Grundlage [theologischer] Argumentation genommen werden, nicht aber etwa der allegorische […] das tut der Heiligen Schrift in keiner Weise Eintrag, weil unter dem geistigen Sinn keine einzige glaubensnotwendige Wahrheit enthalten ist, die nicht anderswo in der Heiligen Schrift im Wortsinn klar und deutlich überliefert würde“; vgl. [108] 495). Zur patristischen wie der ihr folgenden mittelalterlichen Schriftauslegung gehört auch die Einsicht, dass die Schrift mit und in der Kirche zu lesen ist. Gerade für jene Väter, die in den Kampf mit gnostischen und anderen Irrlehrern verstrickt sind, ist die Kirchlichkeit der Auslegung das entscheidende Kriterium ([15] 173). Allein die Treue zur Kirche gewährleistet, dass man dem biblischen Wort selbst treu geblieben ist ([15] 175), denn das Glaubensbewusstsein der frühen Kirche hat sich in der Kanonbildung artikuliert ([15] 110). Daher sind auch alle Glaubenssätze und -bekenntnisse an diesem Maßstab zu orientieren und können dann selbst zum Maßstab der Rechtmäßigkeit einer Auslegung der Schrift werden (Orientierung an der Glaubensregel [regula fidei] bzw. dem Glaubensbekenntnis). Die Gemeinschaft der Kirche ist für die Väter die ,zeitübergreifende Erkenntnisgemeinschaft‘, die ein richtiges Verständnis der Schrift gewährleistet ([15] 110). Und daher werden die Schrift als Quelle und Grund des Glaubens und die ihr angemessene Auslegung erst dort fraglich, wo ,Kirche‘ als authentische Überlieferungsgestalt dieses Glaubens für den einzelnen bereits kritisch hinterfragt wird. b) Zeitalter der Kritik Um den eigentlichen Ausgangspunkt einer historischen Kritik der biblischen Schriften korrekt zu beschreiben, ist es notwendig, hinter die historischen Anfänge im Zeitalter der Aufklärung zurückzugehen. Zwei Ereignisse sind hier prägend. Während des Großen Abendländischen Schismas (1378–1415) gerät das, was zuvor Garant einer durch rechtmäßige Überlieferung, ordentliche Lehre und sakramentale Vermittlung geschaffenen Nähe zu Jesus Christus gewesen war, in den Strudel machtstrategischer Infragestellung und politischer Ideologisierung. Die im 14. Jahrhundert grassierenden Pestepidemien schaffen zudem ein geistiges Milieu, in dem angesichts des allerorts erfahrenen unerklärlichen Leidens und Sterbens nicht nur die Güte der Schöpfung fraglich wird, sondern Gott selbst die Rolle eines Willkürherrschers zugeschrieben wird. Die Welt des wohlgeordneten mittelalterlichen Kosmos zerbricht, die Gewissheit des Glaubens ist in ihren Grundfesten erschüttert. Wenn die gewohnte Welt ins Schwimmen gerät, ist es an der Zeit, aus eigener Kraft festen Boden unter den Füßen zu gewinnen ([62]). Diese doppelte geistig-geistliche Infragestellung trifft nun fast zeitgleich (ja bewirkt sie vielleicht sogar selbst) auf eine Bewegung der intensiven Rückbesinnung von Kultur und Gesellschaft auf ihre eigenen Quellen. Die Renaissance und, mit ihr untrennbar verbunden, der neuzeitliche Humanismus erheben mit ihrem Schlachtruf ,Zurück zu den Quellen‘ auch den Anspruch auf eine geistige Erneuerung in unsicheren Zeiten. Die Schnittmenge beider
kirchliche Schriftauslegung
Kritik
Das Große Abendländische Schisma
Pest
Renaissance Humanismus
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Reformation
historisch-kritische Methode
Fragmentenstreit
führt innerhalb von Theologie und Glaube zu einer im Letzten explosiven Mischung. Die Reformatoren nehmen die Grundströmungen ihrer Zeit auf und versuchen Antworten zu geben. Individuelle Glaubensgewissheit ist nicht mehr durch objektivierende kirchliche Strukturen oder verifikatorische liturgische Praktiken zu leisten. So antwortet Martin Luther auf die existentielle Not zu Recht mit einer Individualisierung und Subjektivierung des Glaubens. Vom Humanismus übernimmt er die strikte existentiell-humane Perspektive, von der Renaissance das Zurück zur Heiligen Schrift als der entscheidenden ,Quelle‘ des Glaubens. Mentalitätsgeschichtlich betrachtet ist die Reformation aber allenfalls ein retardierendes Moment. Denn dadurch, dass sich im 17. Jahrhundert die christlichen Konfessionen aufgrund des je eigenen Anspruchs auf die Wahrheit des Glaubens nun selbst zerfleischen, beschleunigen sie nur noch den geistigen Impuls, sich in einer nun endgültig fragwürdig gewordenen Welt im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der eigenen Vernunft einen eigenen Standort zu suchen. Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften und ihrer Methodik, die technische und merkantile Differenzierung spätmittelalterlicher wie frühneuzeitlicher Gesellschaften, die Neuorganisation der politisch aufstrebenden Nationalstaaten – all das sind eindeutige Hinweise auf den grundlegenden Perspektivenwechsel. Analyse – den Dingen auf den Grund kommen wollen; wissen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält – und Synthese – sich seinen eigenen Reim darauf zu machen; selbst Modelle zu entwickeln, wie die Welt funktioniert – sind die nun entscheidenden Methoden des Umgangs mit der Welt. Und diese Methoden machen auch nicht vor der innersten Mitte des Glaubens halt ([20] 31). Die einsetzende historische Kritik der ,Heiligen‘ Schrift verweist auf jenen Bruch, der eben dort zum Tragen kommt, „wo die Vergangenheit nicht mehr ,bewohnt‘, d. h. nicht mehr vom kollektiven Gedächtnis lebender Gruppen in Anspruch genommen wird“ ([56] 44). Die neuzeitliche Hochschätzung der Methode führt dazu, dass allgemeine Nachvollziehbarkeit und Vernünftigkeit zu den entscheidenden Kriterien der Bibelauslegung werden und damit der historische Zugang zur biblischen Überlieferung und ein sich immer weiter differenzierender methodischer Umgang (Text-, Literar-, Quellen-, Kompositions- und Redaktionskritik; Überlieferungs- und Traditionskritik) bedeutsam wird ([20] 79). Recht schnell beargwöhnt der neue, ,aufgeklärte‘ Blick die Bibel als Produkt kirchlichideologischer Überfremdung und erkennt in ihr nicht mehr die authentische ,Glaubensquelle‘ ([108] 493 f.). Eine „,vernünftige‘, d. h. methodisch vollzogene und mit historischem Bewusstsein durchgeführte Untersuchung der biblischen Schriften lässt eine Vielfalt von Fragen aufkommen, die deren für selbstverständlich gehaltene Glaubwürdigkeit untergräbt“ ([20] 31). So beginnt diese erste Phase der ,historischen Rückfrage‘ mit einem Paukenschlag: den ,Wolfenbüttler Fragmenten eines Ungenannten‘, die kein geringerer als Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) in den Jahren 1774–1778 veröffentlicht. Der Ungenannte ist Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), ein Hamburger Professor für orientalische Sprachen. Ganz in der Manier des modernen, aufgeklärten Deismus nimmt er in seiner Abhandlung ,Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger‘ die biblischen Überlieferungen historisch und vor allem kritisch unter die Lupe. Sein Urteil ist vernichtend. Die Reli-
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gion Jesu ist eine ganz andere als das, was die Jünger und die späteren biblischen Autoren daraus gemacht haben. Aus dem einfachen Rabbi, der an seinen überzogenen politischen Ambitionen scheiterte, wird aus egoistischen Gründen die supranaturale Erlösergestalt, deren Wahrheitsanspruch durch einen obskuren (wohl auf dem Diebstahl des Leichnams) beruhenden Auferstehungsglauben legitimiert wird. Allenfalls die Art und Weise, wie das bibelkritische Argumentationsrepertoire untermauert wird, ist dabei neu: Angesichts einer methodisch objektiven Prüfung und Analyse bleibt nicht allzu viel übrig von der Glaubwürdigkeit der biblischen Schriften und des dort Geschriebenen. Im nun einsetzenden Fragmentenstreit prallen die Argumente der Kritiker und ihrer Gegner unversöhnt aufeinander. ,Wahr ist, was war‘ (verum quia factum) – so brachte Francis Bacon (1561–1626) bereits den jetzt vom Großteil der Disputanten auf beiden Seiten unhinterfragten Grundsatz des Disputs auf den Punkt. Doch allenfalls historische Gewissheiten taugen nicht dazu, dogmatisiert zu werden. Unter diesem ,Maßstab‘ kann der Wahrheitsgehalt der biblischen Überlieferung immer nur den Kürzeren ziehen. War dieser Versuch vom Ziel geleitet, durch die aufklärerische Kritik an der Bibel und ihrem historisierend-historischen Interesse hindurch, den Zugang zur Schrift als glaubens- und lebenstragende Instanz weiterhin zu gewährleisten und sie als Ur-Kunde des Glaubens zu verteidigen, so führt er aber zu dem entgegengesetzten Ergebnis: Die biblischen Schriften taugen nicht als historische Quellen, als die sie vorzugsweise in den Blick genommen werden, sondern sind allenfalls als religiöse Bekenntnisse zu verstehen, die im Dienste von Verkündigung und Mission der ersten christlichen Gemeinden stehen. In diese Linie lässt sich wohl auch der Ansatz von David Friedrich Strauss (1808–1874) stellen, der nun in der ,mythenbildenden Gläubigkeit‘ der ersten christlichen Gemeinden den Ansatzpunkt für eine Glaubensbegründung anhand des biblischen Zeugnisses sucht. Denn die Wahrheit dieser Geschichten beruht nicht auf ihrer Historizität, sondern auf der Idee der Gottmenschheit, die hier in mythologisch-verkleideter Form erscheint. Dieser mythische Christus bedarf des historischen Jesus nicht. Das Unternehmen einer historisch-kritischen Fundierung des Glaubens durch den aufgeklärten Protestantismus endet in der von Albert Schweitzer (1875–1965) so prägnant auf den Punkt gebrachten Aporie: „Nicht nur die Epochen fanden sich in [Jesus] wieder: jeder einzelne schuf ihn nach seiner [eigenen] Persönlichkeit. Es gibt kein persönlicheres historisches Unternehmen, als ein Leben-Jesu zu schreiben“ ([106] 48). „Wer leugnet es – ich nicht – dass die Nachrichten von jenen Wundern und Weissagungen eben so zuverlässig sind, als nur immer historische Wahrheiten sein können? – aber nun: wenn sie nur eben so zuverlässig sind, warum macht man sie bei dem Gebrauche auf einmal unendlich zuverlässiger? […] Wenn keine historische Wahrheit demonstrieret werden kann: so kann auch nichts durch historische Wahrheiten demonstrieret werden. Das ist: zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden. […] aber nun mit jener historischen Wahrheit in eine ganz andere Klasse von Wahrheiten herüber springen, und von mir verlangen, dass ich alle meine metaphysischen und moralischen Begriffe darnach umbilden soll […] wenn das nicht eine
die Christusmythe
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
metábasis eís allò génos ist; so weiß ich nicht, was Aristoteles sonst unter dieser Benennung verstanden. […] Das, das ist der garstige breite Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe.“ G. E. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777)
der garstige breite Graben
Glaube im Sprung
Dialektische Theologie
Kerygma
Dagegen hatte Lessing bereits auf dem Höhepunkt des Fragmentenstreits ausdrücklich festzuhalten versucht: Die durch historische Vergewisserung erreichbare Gewissheit ist eine ganz andere als die, die der Glaube voraussetzt. Denn Glaube ist kein hypothetischer Versuch, er erfordert absolutes Engagement. Historische Gewissheiten können daher nie und nimmer Grund für den Glauben und das von ihm geforderte Engagement sein. Zwischen beiden Gewissheiten herrscht ein nicht zu überwindender ,garstiger breiter Graben‘. Sören Kierkegaard (1813–1855) wird später dieses Bild Lessings aufgreifen und daraus ableiten: Menschen gelangen nicht durch Argumentieren und Begründen zum Glauben; Glaube gründet sich in der Konfrontation mit der paradoxen Wahrheit, dass Gott selbst Mensch geworden ist. Glaube ist daher zu jeder Zeit und für jede Generation der Glaubenden, damals zur Zeit der Entstehung der biblischen Schriften wie heute, ein Wagnis, ein ,Sprung‘ in die ungesicherte Existenz hinein. Während die katholische Theologie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert jenseits der hermeneutisch relevanten Fragestellungen die Schrift zur Lieferantin von formalen dicta probantia (Beweis für die systematische Lehrmeinung) und so jegliche Exegese zur ,Magd‘ der Dogmatik ,abwertet‘ ([108] 496), machen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im evangelischen Bereich die Dialektische Theologie und ihre Vertreter das kierkegaardsche Verständnis für eine veränderte Zugangsweise zur Bibel zu eigen. Historische Kritik und Begründung erreichen nie das, was die Bibel theologisch ausmacht: die zum Glauben führende ,Anrede‘, das heilvolle ,Wort Gottes‘ zu sein. Dem Schrift gewordenen Wort Gottes ist nicht mehr argumentativ zu begegnen, sein Autoritätsanspruch ist historisch weder begründbar noch hinterfragbar. Nicht der Jesus der Geschichte, sondern der Christus des Glaubens der ersten Gemeinden ist daher die entscheidende Zugangsgröße der späteren Generationen. Sie sind nicht historisch auszuwerten, sondern als das zu interpretieren, was sie sein wollen: Verkündigung (kerygma). Für das Kerygma der urchristlichen Gemeinden kann nicht mehr als der bloße ,Anlass‘, das schlichte ,Dass‘ des Gekommenseins Jesu vorausgesetzt und ,rekonstruiert‘ werden (Rudolf Bultmann (1884–1976); vgl. [63] 47). Daher ist nicht das Seziermesser des Historikers gefragt, sondern der gläubige Nachvollzug des Theologen, nur so ist Glaube als individuell zu verantwortender ,Akt‘ des persönlichen Engagements gewährleistet. Wenn aber neben dem Kerygma der Gemeinde nur das schlichte ,Dass‘ bleibt, woher und wie begründet sich dann das ,Was‘ unseres Glaubens? Wenn hier keine sachliche Kontinuität plausibel zu machen ist, hängt der Glaube selbst in der Luft. Wer schützt ihn davor, zum fideistischen ,Hirngespinst‘, ja Aberglaube zu werden? Bei der radikalen Reduktion, die Bultmann vorschlägt, kann man nicht stehen bleiben. Mit seinem programmatischen Aufsatz ,Das Problem des historischen Jesus‘ läutet daher ein Bultmannschüler, Ernst Käsemann (1906–1998), 1953
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die zweite Phase der Rückfrage ein. Man versucht nun – im Gegensatz zur ersten Phase – keine vollständige ,Biographie‘ Jesu von Nazaret zu (re-)konstruieren, sondern arbeitet an einem Kontinuitätsnachweis für den christlichen Glauben ([76]). Nicht die historische Begründung des Glaubens ist das Ziel (hier ist das Scheitern der ersten Phase noch zu präsent), sondern die Rekonstruktion von Sachkriterien, um die Treue der Überlieferung an ihrem historischen Ursprung zu demonstrieren. Durch das Medium der urchristlichen Botschaft erhalten wir Zugang zu Jesus. Doch auch diese zweite Phase bleibt hinter ihren methodischen Erwartungen zurück. Die erarbeiteten Kriterien taugen nur bedingt zu dem, was sie leisten sollen. Mitunter sind sie vorurteilsbeladen (Antijudaismus) oder aporetisch (Hermeneutik des Verdachts).
c) Von der Menschwerdung zur Schriftwerdung a) Menschwerdung Das christliche Bekenntnis hat von Beginn an zwei Seiten: die leibhafte Geschichte Jesu bis zu seinem Tod und das Bekenntnis zu seiner bleibenden Bedeutung für uns, dessen erster formelhafter Ausdruck das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus bildet. Die biblische Überlieferung ist Zeugnis, kein Bericht. Ein Zeugnis ist kein möglichst objektives, neutrales Bild über ein Geschehen, sondern es ist ein Versuch, der die Wirklichkeit und die Wichtigkeit eines vergangenen, aber anspruchsvollen Geschehens als auch gegenwärtig wirksam zeigen soll ([109] 119–146, bes. 131–134). Die bezeugte Wirklichkeit soll hier und jetzt anwesend werden. Ziel des Zeugnisses ist festzuhalten, dass das Leben und das Sterben Jesu auf Gott übertragbar geworden sind. Dieses Sich-Ereignen Gottes in der Welt ermöglicht und erfordert die Bildung neuer ,theologischer‘ Sprachbilder: ,Jesus ist der Christus‘ oder ,Jesus ist Gott in Person‘; ,das Wort/der logos Gottes ist in Jesus v. Nazaret Mensch geworden‘. Der für die weitere Verkündigung fundamentale Charakter dieses sprachlichen Vorgangs rechtfertigt es, die Aussage von der ,Menschwerdung‘ als die theologische Kernmetapher, das theologische Grundgleichnis und damit die Grundkategorie der Glaubenssprache schlechthin zu bezeichnen. Dabei unterläuft diese inkarnatorische Spitze der Verkündigung Jesu von vornherein die falsche Alternative Gotteswort oder Menschenwort. Diese ,inkarnatorische Dynamik‘ verbindet die neutestamentlichen Schriftsteller untereinander, egal ob sie nun einen Brief oder ein Evangelium schreiben, und sie verbindet die Verkündigung der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments. Die aller Schriftwerdung gemeinsame Grundbewegung kann dabei folgendermaßen beschrieben werden: Der eigentliche Grund der Schriftwerdung ist die Überzeugung, dass Gottes Selbstzusage an die Menschen sich auch und gerade in seiner sprachschöpferischen Fähigkeit erweist. Man versteht sich selbst hier und jetzt aus dem vergangenen Geschehen heraus und versucht dies auch für die Zukunft wirksam werden zu lassen. Es ist ein neues und ganz anderes Zur-Sprache-Bringen der eigenen Welterfahrung, ja ein Zerbrechenlassen dieser Erfahrung aufgrund der alles wendenden neuen Erfahrung Gottes. „Das Unvorstellbare muss am Vorstellbaren zur Sprache kommen“ ([55] 420). Hier drückt sich aus, „was es bedeutet, den
inkarnatorische Dynamik
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Freiheit des eigenen Wortes
Zeugnis
Spuren des unvorstellbaren Gottes in dieser Welt zu folgen“ ([55] 421). Und diese Spuren nehmen Gestalt an in der Art und Weise, wie erzählt wird. Der evangelische Theologe Ernst Fuchs (1903–1983) hat die Entstehungsgeschichte des Neuen Testaments daher einmal so umschrieben: Das Ereignis der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazaret befähigt die Menschen, die es mit ihm zu tun bekommen, dazu, in ganz eigener Weise eine ganz eigene Sprache zum Ausdruck dieser Erfahrungen zu entwickeln. Sie werden ,zur Freiheit des eigenen Wortes befreit‘ ([70] 23). Die neutestamentlichen Schriften sind so gesehen so etwas wie die erste Konsequenz dessen, was als inkarnatorische Grundstruktur des ganzen christlichen Glaubens zu bezeichnen wäre. Ohne diese Bindung an das leibhaftige Zeugnis derer, die die Erfahrung mit Jesus von Nazaret zu einer je eigenen theologischen Perspektive der Rede über dieses Ereignis geführt hat und die dabei das Ereignis wie die eigene Verwandlung zum Ausdruck zu bringen versuchen, ohne diese erste Spur der Inkarnation, bleibt das Inkarnationsereignis selbst sprachlos und in diesem Sinne ,fleischlos‘. Ohne diese neue Sprache der zur Freiheit des Wortes Befreiten kämen wir Heutigen nicht mehr an das heran, was diese Bewegung der Freiheit zum Wort in Gang gesetzt hat. b) Schriftwerdung Die Dynamik des Sich-Ereignens Gottes in Jesus von Nazaret erweist sich also auch und gerade als Sprachereignis. Der Mensch wird durch dieses Ereignis im wahrsten Sinn des Wortes beim Wort genommen und zu einem anderen gemacht. Das führt uns wiederum zu einem ganz anderen Thema: Zum Wahrheitsverständnis der Theologie. Inwieweit sind die biblischen Schriften ,wahr‘? Es führt, so formulierte es einmal der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig (1886–1929), der Weg von Wahrheiten vom Schlag des ,zwei mal zwei gleich vier‘, „in denen die Menschen leicht übereinstimmen, ohne einen anderen Aufwand als ein bisschen Gehirnschmalz – beim kleinen Einmaleins etwas weniger, bei der Relativitätstheorie etwas mehr –, […] über die Wahrheiten, die sich der Mensch etwas kosten lässt, hin zu denen, die er nicht anders bewähren kann als mit dem Opfer seines Lebens, […] schließlich zu denen, deren Wahrheit erst der Lebenseinsatz aller Geschlechter bewähren kann“ ([105] 396). Man beachte den feinen Unterschied zwischen den genannten Wahrheiten und die unterschiedliche Art und Weise ihrer Bewährung und Weitergabe. Das gilt auch und gerade für die Wahrheit des Christentums und seine Überlieferung, denn damit ist eigentlich schon vorgegeben, auf welche Art und Weise dieses Sprachereignis allein weiter zu geben ist: inkarnatorisch als individuelles Zeugnis. Ein wahrhafter Zeuge legt so Zeugnis dafür ab, dass durch dieses Zeugnis das Geschehen selbst wieder und wieder in Kraft gesetzt wird. Er setzt seine eigene Freiheit dazu ein, das Befreiungsgeschehen durch jenes einmalige ursprüngliche Handeln wieder neu in Geltung zu setzen und dieses Handeln hier und jetzt spürbar und wirksam werden zu lassen. Seine ,leibhaftige Vermittlung‘ wird zur entscheidenden Perspektive. Je anspruchsvoller und überzeugender, manchmal auch befremdender dabei das Zeugnis des anderen war, desto mehr fordert es heraus ([109] 133 f.). Wollen wir die biblischen Schriften selbst als ein solches ,Zeugnis‘ verstehen, sind die Kernpunkte für
4. Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung
einen angemessenen Zugang daher: (1) Will ich neutestamentliche Schriften in ihrem Zeugnischarakter wahrnehmen, so muss ich zunächst einmal ihre je eigene Individualität, ihr ,Profil‘ suchen. Es wird gerade wichtig, warum ein Markus so ganz anders schreibt als ein Lukas und Johannes anders erzählt als Matthäus. Die eigene persönliche Perspektive ist wichtig, das, was jeder Einzelne im Unterschied zum Anderen sagt. Denn jeder dieser Zeugen weiß sich zu seinem je eigenen Zeugnis berufen. Mit diesem Zeugnis setzt er alles daran, die Wahrheit ans Licht zu bringen, die ihn selbst ,getroffen‘ hat, die ihn selbst bewegt. Methodisch muss uns gerade die je eigene Gestalt, in der ein biblischer Autor das Geschehen überliefert, besonders interessieren. (2) Hierfür bleibt dieser Zugang unbedingt an die historisch-kritische Methode verwiesen. Freilich wird sie nicht verstanden als ,Vivisektion‘ des Evangeliums. Denn ein „zerschnittener Text ergibt einen zerschnittenen Jesus“, den man dann allenfalls durch eine eigene Schnipselkollage ersetzen könnte ([79] 89). Sondern es gilt, methodisch abgesichert, die biblischen Schreiber sozusagen ,beim Wort‘ zu nehmen. Die Wahrheit des biblischen Zeugnisses liegt in ihm selbst begründet und bindet kritisch den Ausleger. Dazu legen gerade die historische Methode und Kritik, samt ihrer aktuellen Weiterentwicklungen (z. B. linguistische Methoden; soziologische und sozialgeschichtliche Zugangsweisen), das unverzichtbare Fundament, gerade weil sie auf die wissenschaftliche Überprüfbarkeit und den methodischen Nachvollzug ihrer Ergebnisse setzen, um das je eigene Zeugnis des biblischen Schriftstellers als bedeutsame religiöse Erfahrung so auch zur Geltung zu bringen. Denn nur in dieser Perspektivität vermag sich das Ereignis Jesu selbst wirklich angemessen Raum zu schaffen und nicht in einem von dieser ,Schale‘ befreiten historischen ,Kern‘. Die biblischen Schriften sind daher wahrzunehmen als ein multiperspektivisches Sprachgeschehen einer pluralen Sprachgemeinschaft, in dem die sie bewegende Wahrheit, die religiöse Erfahrung, zur Sprache kommt.
Perspektivität
d) Wie ,wahr‘ ist die Schrift? Woran macht sich nun aber dieser ,Wahrheitsgehalt‘ der Heiligen Schrift fest? Wie und wodurch bringt sich die Schrift als norma normans non normata auch innerhalb der katholischen Dogmatik zur Geltung? Die frühe Kirche umschreibt die Antwort auf die Frage nach der Bedeutsamkeit der Schrift mit dem Verweis auf den Heiligen Geist (s. IV.1.b) und damit ihre Inspiriertheit. Sie bringt dadurch die Meinung zum Ausdruck, dass die Schrift Wahres und Wichtiges von Gott selbst zu sagen hat, eben ,Gott-haltig‘ ist ([60] 90). a) Heilige Schrift und Heiliger Geist: Zur Frage der ,Inspiration‘ der Schrift Die Vorstellung, dass bestimmte Menschen unter göttlichem Beistand, ,Anhauch‘ (lat. inspiratio), bestimmte Worte sprechen, Botschaften verkünden, Schriften verfassen, ist ein allgemein verbreitetes Phänomen in verschiedensten Kulturen und Religionen. Dennoch ist das christliche Inspirationsverständnis, das auf dem jüdischen aufbaut, ein besonderes. Bereits das Schriftverständnis der Hebräischen Bibel beruht auf der Überzeugung, dass die je neue Verkündigung und Bezeugung der Heilstaten Gottes ihre Heilswirksamkeit bis in die Gegenwart und Zukunft hinein entwickeln ([82]
Inspiration
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Verbalsinspiration – Realinspiration – Personalinspiration
76–78). Die neutestamentlichen Schriftsteller benutzen dieses ,Verheißungspotential‘, um ihre ,Erfüllung‘ in Jesus von Nazaret zu verdeutlichen ([82] 79 f.). Spätestens von da an hat der Text der Hebräischen Bibel für die jungen Christen eine besondere Bedeutung, ist für die junge Kirche der Anlass, über die ,Geistgewirktheit‘ der Schrift nachzudenken. Diese Idee bietet zugleich die Möglichkeit, auch das Zeugnis der neutestamentlichen Schriftsteller als inneren Maßstab des christlichen Lebens hier und jetzt anzuerkennen. Man unterscheidet dabei traditionell drei Modelle: die Inspiriertheit des konkreten Wortlautes (Verbalinspiration); die Inspiriertheit des gemeinten Inhalts (Realinspiration) oder die Inspiriertheit des Verfassers (Personalinspiration). Eine streng und sehr formal verstandene Verbalinspiration, wie sie z. B. noch in der Altprotestantischen Orthodoxie des 17. und 18. Jahrhunderts vertreten wurde, geht davon aus, dass der biblische Schriftsteller nur ,materiales‘ Werkzeug ist, mit dem Gott Ideen und Worte ausgedrückt hat. Das bedeutet aber zugleich, dass streng genommen alles, d. h. auch Schreib- und Grammatikfehler, auf Gott selbst zurückzuführen und damit ,inspiriert‘ sind. Die Bibelkritik der Aufklärung hat eine solche Vorstellung der Inspiriertheit und damit Irrtumslosigkeit der Schrift in das Reich der mythischen Spekulationen verwiesen. Entlastet man freilich aber die Idee der Verbalinspiration von einem Inspirationsautomatismus und der absoluten Gleichsetzung von Schrifttext und Wort Gottes, so kann sie die Bedeutung des realen Textes deutlich machen. Er ist ,inspiriert‘ gerade auch in der Form, in der er spricht. Der Text, die Worte selbst tragen den Geist. Dagegen würde die Vorstellung einer Realinspiration betonen, dass nicht jedes einzelne Wort als inspiriert gelten muss. Die Wahrheit selbst ist den Schriftstellern nicht einfach eingegeben, sondern die Inspiration bewahrheitet sozusagen im Nachhinein das Geschriebene, indem sie es als authentisch bestätigt. Demgegenüber versteht die Personalinspiration die Funktion der biblischen Schriftsteller als wirkliche Gestalter des ihnen von Gott eingegebenen Gedankens. Deshalb kommt es hier gerade auf ihre Aussageintention an. b) Lehramtliche Festlegungen
Modernismuskrise
Divino afflante spiritu (1943)
1) Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil Das Trienter Konzil wie auch das Erste Vatikanum gehen von der mehr oder minder differenzierten Vorstellung einer Verbalinspiration aus (vgl. DH 1501; DH 3006). Freilich wird die Idee einer strengen Verbalinspiration dort problematisch, wo sie mit der Idee einer ebenso streng zu verstehenden Irrtumslosigkeit verbunden wird. Dass ein solches Verständnis innerhalb der Schriftauslegung zu kaum lösbaren Konflikten führen muss, zeigt die Modernismuskrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese auch ideologisch bestimmte Auseinandersetzung um die historischkritische Exegese in der katholischen Kirche führt in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts zu einem völlig verhärteten und absurden Konflikt zwischen kirchlichem Lehramt und katholischen Exegeten und Theologen (Dekret Lamentabili [1907]; DH 3401–3466; und verschiedene ,Antworten‘ der päpstlichen Bibelkommission aus dieser Zeit). Erste ,Entspannungssignale‘ sind zu Beginn der 40er Jahre zu erkennen, und so stellt die Bibelenzyklika Pius‘ XII. Divino afflante spiritu (1943) ein epochales Ereignis dar. Hier
4. Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung
erkennt zum ersten Mal das höchste Lehramt der katholischen Kirche die historisch-kritische Exegese an. Anders als noch seine Vorgänger Leo XIII. (Enzyklika Providentissimus Deus 1893) und Benedikt XV. (Enzyklika Spiritus Paraclitus 1920) betont Pius XII. den theologischen Wert der historisch-kritischen Exegese. Sie hat nicht mehr nur der Abwehr von Angriffen von außen zu dienen, sondern stellt einen eigenen positiven Wert für den Glauben dar, denn sie dient der tieferen Erkenntnis des ,echten Sinns der Heiligen Bücher‘ (vgl. DH 3826) und damit der theologischen Wahrheitssuche ([92] 276). Mit Sorgfalt soll es der Auslegung daher um den echten Sinn des Bibeltextes gehen, sie soll erkennen und bestimmen, welcher der wörtliche Sinn der biblischen Worte (vgl. DH 3826) ist. Mit Nachdruck betont die Enzyklika dabei die Wichtigkeit der Sprachkenntnisse, Zeit- und Kulturgeschichte, Archäologie etc. (DH 3826) und verteidigt zugleich die spirituelle Bedeutung dieser Art der Schriftauslegung (DH 3827). Denn gerade die historisch-kritische Schriftauslegung ist zu einer theologischen Erschließung des Bibeltextes fähig (DH 3828). Durch den biblischen Autor spricht Gott selbst (DH 3830). Dies zu verstehen und zu erkennen soll der Exeget befähigt werden, und darin ist er frei in seiner Arbeit, dem wissenschaftlichen Ethos seiner Arbeit verpflichtet (DH 3831). Auf diesen Ausführungen kann nun das Zweite Vatikanum aufbauen. 2) ,Die Wahrheit um unseres Heiles willen‘: Dei Verbum Art. 11 und 12 Auch das Zweite Vatikanum vertritt eine explizite Inspirationslehre, aber keinesfalls ist sie nur einem der drei genannten Typen zuzuordnen. Das Element einer personalen Inspiration ist deutlich: „Zur Abfassung der Heiligen Bücher aber hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten dazu dienen sollten, all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – selbst wollte, als wahre Verfasser schriftlich zu überliefern“ (DH 4215). Zugleich wird aber ein Verständnis von Inspiration mit eingebracht, das seinerseits die Aufmerksamkeit des Auslegers auf das lenkt, was die biblischen Schriftsteller zu sagen haben. Aus der Identität von Aussageabsicht des Verfassers und Inspiriertheit des Gesagten (DH 4216) „ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (DH 4216). Nicht ,Irrtumslosigkeit‘, sondern ,Wahrheit‘ ist das Ziel der Inspirationslehre des Konzils; dieser Inhalt macht die Schrift zur ,Heiligen‘ Schrift ([82] 85). Wofür der biblische Schriftsteller in seiner eigenen zeitbedingten Sprache Zeugnis ablegt, ist das, was Gott durch dieses Zeugnis ausgesagt haben will. Dieses Zeugnis ist durch nichts zu ersetzen. Es angemessen zu erfassen, ist die zentrale Aufgabe des Auslegers ([82] 86 f.). Diese ,Wahrheit‘ der Schrift ist das ganzheitliche Ziel der Selbstoffenbarung Gottes ([61] 171–176). Artikel 12 (DH 4217 f.) benennt zunächst schlaglichtartig einzelne Methoden: die Bedingungen von Kultur und Zeit, literarische Gattungen, DenkSprach-, Erzählformen. Dabei ist aber auch der Status der Schrift als Ganzer ebenso zu berücksichtigen wie die Verstehens-, Auslegungs- und Glaubenstradition der Kirche selbst. Die heute verstärkt spürbare Crux ist die offen gebliebene Verhältnisbestimmung beider Aussagenkomplexe, die ihrerseits Einfluss auf Aufgabenstellung, Rollenverteilung und theologischen Status der
Aussageabsicht und Inspiration
Wahrheit statt Irrtumslosigkeit
Die Eigenart des biblischen Schriftstellers
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens Doppelter Schriftsinn?
Exegese als theologische Wissenschaft
Wächteramt der Exegese
Regula suprema
Exegese hat ([72] 553 ff.; dagegen [83] 29). Sind in DV 12 tatsächlich zwei zu unterscheidende Zugangs-/Auslegungsweisen der Schrift ins Auge gefasst, die methodisch zu differenzieren und auf eine historische und eine theologische Ebene zu verteilen wären? Artikel 12 ist jedoch eher so zu verstehen, dass die historisch-kritische Exegese sie im Rahmen des ihr eigenen Instrumentariums wie der ihr eigenen Wissenschaftlichkeit zu erfüllen vermag ([83] 23). Sie gelingt letztlich dort, wo ihr Augenmerk auf die theologische Leistung und Eigenart der biblischen Schriftsteller fällt ([108] 501 f.; 514 f.). Diese Eigenart aufzudecken und im Diskurs mit anderen Auslegungsformen nachdrücklich zur Sprache zu bringen, ist und bleibt die eigentlich theologische Aufgabe der Exegese ([108] 506 f.). Wo diese theologische Aufgabe der Exegese festgehalten und als eigenständiger theologischer Beitrag zur Geltung gebracht wird, verliert auch die so fruchtlose Alternative ,Exegese vs. Dogmatik‘ – ,Historie vs. Kerygma‘ ([103] 525) an Plausibilität. Denn ein solcher Ansatz sorgt dafür, dass die Ergebnisse historischer Kritik nicht in die Kuriositätensammlung eines historischen Relativismus abgeschoben werden können, sondern sich dadurch auszeichnen, dass sie das Sprechen Gottes auf menschliche Weise in seinem inkarnatorischen Gewicht ernst nehmen (vgl. DV 13 [DH 4220]; [90] 114 f.; [102] 47) und darin ,der Wahrheit um unseres Heiles willen‘ auf die Spur kommen. Die Auslegungskompetenz der Kirche ist, obgleich ihr ein letztes Urteil über eine verbindliche Schriftauslegung zusteht ([6]), keine Aufgabe jenseits dieser Auslegung oder unabhängig von ihr, sondern Exegese und kirchliches Verständnis sind aufeinander verwiesen, ja der Exeget arbeitet darauf hin, dass das Urteil der Kirche reife‘ (vgl. DH 4219; [90] 146). Das Konzil führt das bisher eher spannungsvolle Verhältnis von Schriftauslegung und Lehramt (vgl. Konzil zu Trient [DH 1507]; und Erstes Vatikanum [DH 3007]) über in ein sich gegenseitig bereicherndes Miteinander. Hermann Joseph Pottmeyer (*1934) spricht sogar von einem ,Wächteramt‘ der Exegese ([95] 138). In den Festlegungen des Konzils werden die beiden hermeneutischen Grundprinzipien der Schriftwerdung konsequent zu Ende gedacht. Die biblischen Schriften sind durch die Dynamik des von ihnen Bezeugten so ergriffen, dass ihr Zeugnis als ,wahres Zeugnis‘ wahr- und angenommen worden ist. Das bedeutet aber, dass es kein Gegeneinander von menschlicher Verfasserschaft und Inspiriertheit durch Gott geben kann. Die ,Wahrheit‘ Gottes schafft sich durch die Schriften selbst den Durchbruch. So bedingen sich Kanon und Inspiriertheit, d. h. Maßstäblichkeit und Wahrheit der Schrift, gegenseitig (s. IV.7). Daher muss aber eine Schriftauslegung, die zu der ,Wahrheit‘ Gottes vordringen will, sich gerade an das halten, was die biblischen Schriftsteller je eigenständig zu Wort bringen wollen. In der Vielfalt ihrer situativen Auslegung, der Zeitgebundenheit und der Adressatenbestimmtheit bürgen die biblischen Schriften für die ,Wahrheit‘ des einen ,Evangeliums‘. Darin gründet sich die Funktion der Heiligen Schrift als norma normans non normata auch innerhalb der katholischen Theologie (vgl. Dei Verbum 21 [DH 4228]: regula suprema [höchste Richtschnur]). Ihren Gehalt theologisch verbindlich zu ermitteln, ist Aufgabe der Exegese. Diesen Gehalt im Diskurs mit den anderen Quellen des Glaubens zur Geltung zu bringen
4. Bibel als paradigmatische Gestaltwerdung
und so der Verantwortung des Glaubens gegenüber der historischen Vernunft gerecht zu werden, ist die Aufgabe der Dogmatik ([108] 508–512).
e) Die Schrift als Medium der Erinnerung (vgl. [19] 39 ff.) Jedes individuelle Erleben artikuliert sich „immer nur mit Hilfe vorgegebener, kulturell geprägter Ausdrucksformen. Diese zur Verfügung stehenden kulturellen Deutungsangebote sind – das ist für den Zusammenhang der biblischen Schriften von großer Bedeutung – ihrerseits ,Sedimente früherer Artikulationsleistungen‘“ ([20] 40). Religiöse Erfahrungen werden gerade dadurch verarbeitet, indem sie sich verschriftlichen. Diese Texte sind daher auch Medien des kulturellen Gedächtnisses ([56]). Israel tritt mit der Schriftwerdung der Hebräischen Bibel in den Strom dieser kulturellen Gedächtnisbildung ein, bricht aber zugleich dessen innere Dynamik auf. Die Gedächtnishandlung weist von sich her in den wirksamen Strom des überzeitlichen Heilshandelns Gottes ein und qualifiziert daher die Gegenwart als von diesem damals Geschehenen mit betroffen, verändert, beeinflusst. Als Vergegenwärtigung wird diese Erinnerung zur ,gefährlichen Erinnerung‘. Sie bringt dabei eine Vielfalt von Ausdruckgestalten hervor, die sie stets auch selbstkritisch hinterfragt (s. IV.1 b und c). Auch dort, wo die Sprache des Mythos benutzt wird (z. B. Schöpfungserzählungen; Exodusgeschichte), bleibt der Drang zur Selbstaufklärung und Entmythologisierung dominierend. Die prophetische Literatur betreibt keine Ideologisierung oder Theologisierung von Geschichte, sondern hält durch ihren sozialethischen wie inkarnatorischen Impuls die Bindung der Heilsgeschichte an die konkrete Geschichte der Menschen fest. Gottes Handeln ist biblisch gesehen kein Konkurrenzunternehmen zum Handeln des Menschen, denn Gott ,handelt‘, wo sein Wille geschieht, und der geschieht nur mit dem Menschen, nicht über ihn hinweg. Dabei sind die Menschen aber nie Gottes Marionetten, sondern sie sind und bleiben in Anspruch genommene, aber freie Mitsubjekte seines Handelns. Gottes Handeln liegt der menschlichen Geschichte als ihr innerer Sinn, ihre Grundsignatur zugrunde. Es ist nicht aber einfach ihre heilvolle Grundausrichtung, sondern ihre ,Grundherausforderung‘. Die weisheitlich-poetischen Texte der Spätschriften der Hebräischen Bibel spielen diese grundlegend existentiell-menschliche Bindung auf ihre je eigene Weise durch. Menschliche Lebenswirklichkeit auch in ihren letzten mitunter atheistisch anmutenden Herausforderungen (vom Stachel der Theodizee bei Hiob bis zum desillusionierten Agnostizismus Kohelets [78]; [84]) und die Wirkung und Wirklichkeit Gottes sind nicht zu trennen. Bereits in der Hebräischen Bibel stellt sich die anthropologische Frage der Moderne in unabweisbarer Direktheit und Dringlichkeit. Im Neuen Testament werden all diese Fragen und die Erfahrungen letztlich nur personalisiert und damit individualisiert und konkretisiert. Dabei nimmt es nur die Spuren auf, die die Schriften der Hebräischen Bibel theologisch bereits grundgelegt haben ([20] 64 f.). Sie bedienen sich dabei einer breiten Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten und entwickeln zugleich ein ganzes ,Ausdrucksuniversum‘ ([20] 64 f.). „Der Einbruch von Transzendenz kann nicht eingleisig verarbeitet werden. […] Dieser multi-perspektivische Zugang deutet an, dass die Ausdrucksformen religiöser Erfahrung notwendigerweise plural verfasst sein müssen“
Medien des kulturellen Gedächtnisses
Multiperspektivität
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
([20] 66). Wie kann nun über die Zeit hinweg dieser notwendige Plural und die Einheit zugleich bewahrt und adäquat je neu übersetzt und interpretiert werden? Damit stellt sich die Frage nach der Überlieferungsgemeinschaft, der Kirche und ihren Ausdrucksformen.
5. Einheit und Vielfalt der Sprachformen des Glaubens
Gebet – Doxologie – Lehre – Zeugnis
Die Vielfalt der Ausdrucksgestalten spiegelt sich in der Vielfalt der Formen der Glaubenssprache. Würde man auch nur eine Form außer Acht lassen, würde der Glaube selbst verkümmern. Um diese Formen angemessen zu verstehen, ist immer ihre je unterschiedliche Ausrichtung zu berücksichtigen. Diese Ausrichtung ist von der Form selbst nicht zu lösen; ihre Inhalte sind nicht einfach beliebig untereinander austauschbar. Was als Gebet sinnvoll ist, kann als Lehre missverständlich, wenn nicht gar falsch werden. Was seinen Ort im Zeugnis eines Menschen hat, kann nicht ohne Weiteres als Doxologie, also als lobpreisende Anrede Gottes, gesagt werden. Aussagen werden in ihrem Grundduktus stark verändert, wenn sie ursprünglich als Gebet oder Doxologie verfasst, nun in der Form einer Lehre vergegenständlicht werden. Aus dem Reden zu Gott wird ein Reden über Gott. Ähnliches gilt für das Zeugnis. Während sowohl das Zeugnis als auch das Gebet durch die situative Verortung geprägt sind, gerät die Lehre in Gefahr, ihre situative Verortetheit nicht mehr zur Geltung zu bringen. Der eigene Standort wird scheinbar verobjektiviert. Nicht die konkrete Erfahrung steht mehr im Mittelpunkt, sondern eine distanzierte, theoretisch analysierende Verhältnisbestimmung. In einer entsprechenden Gefahr kann auch die Doxologie stehen. Insbesondere dort, wo ihr liturgischer Charakter, ihr lobpreisender und kultischer Charakter nicht mehr verstanden wird und daher ihre Aussagen den Status einer objektiven Wahrheit oder einer Lehre gewinnen. Doxologische Aussagen sind immer letzte Aussagen, also das Äußerste, was sich der Mensch abzuringen vermag, wenn er nicht einfach vor der Größe Gottes verstummen will. Als objektive Lehraussagen missverstanden werden Doxologien zu Grenzdefinitionen. Der größten Gefährdung unterliegt sicher die Sprachform der Lehre, denn sie gilt manchmal als einzig mögliche Sprachform des Glaubens. Dort, wo Glaube aber nur noch als Lehre oder als die Sammlung von Lehrsätzen verstanden wird, geht man an persönlichen Elementen und Phänomenen des Glaubens vorbei. Aber auch das andere Extrem ist gefährlich: Beherrscht zum Beispiel die Aussage des persönlichen freien Gebets und die Erfahrung der Gebetserhörung das Bewusstsein der Glaubenden und damit die Glaubenssprache, dann steht Glaube in der Gefahr, nur noch als Beschreibung von religiösen Erfahrungen und Verzückungszuständen verstanden zu werden. Wo aber die Doxologie zur beherrschenden Form des Glaubens wird, dort wird die Glaubenssprache abstrakt, und die anthropologische Fragestellung kommt überhaupt nicht mehr in den Blick. Glaubenssprache wird dann zur redundanten Wiederholung übernatürlicher Wahrheiten zur je höheren Ehre Gottes. Wird aber das Zeugnis allein zur dominierenden Grundform, dann kommt nur das je meinige, je unser Hier und Jetzt in den Blick. Nur das, was Hier und Jetzt zutrifft, ist wirklich stimmig und geltend. Die Glaubenssprache
5. Einheit und Vielfalt der Sprachformen des Glaubens
muss immer ein Hier und Jetzt treffen, sonst taugt sie nichts. Hier ist die Gefahr groß, dass Glaube nur noch sagt, was ankommt, was marktgerecht ist, was Bedürfnisse befriedigt. Eine Anknüpfung im Widerspruch ist in einer solchen Situation kaum mehr denkbar. Glaube löst sich in die punktuelle Gewissheit und je persönliche Aneignung und den je persönlichen Vollzug auf. Die Möglichkeit von Wahrheit jenseits eines konkreten Ichs, eines konkreten Kontextes und einer konkreten Situation kann überhaupt nicht mehr in den Blick kommen. Es gibt nur die je meinige Wahrheit hier und jetzt; dafür objektiv Rede und Antwort zu stehen, ist nicht mehr möglich. Es bleibt das Plädoyer für eine Vielfalt der Formen der Glaubenssprache. Dieses Formenspektrum ist darüber hinaus durch den Hinweis zu erweitern, dass hier aufgrund einer hermeneutischen Vorentscheidung allein die sich sprachlich-begrifflich artikulierenden Ausdrucksformen des Glaubens im Mittelpunkt stehen. Die Vielfalt der Überlieferungsmedien und damit Ausdrucksgestalten wäre noch größer, wenn wir auch andere Formen, wie sie im Rahmen von Kunst, Musik, Architektur und vor allem Liturgie entwickelt wurden, in den Blick genommen hätten. Die Regeln des Betens und des Glaubens (lex orandi – lex credendi) sind aufeinander verwiesen. Die Liturgie, gerade der nonverbale Ritus, kann zur eigenständigen ,Quelle‘ authentischer Glaubenssprache werden, der dogmatisch relevant ist. So ist deutlich, dass ,Sprache des Glaubens‘ nicht auf textliche Äußerungen reduziert werden kann, sondern dass es sich dabei um ein Geflecht von sprachlich-begrifflicher und sinnlicher Vermittlung auf anderer Weise handelt. Da sich Dogmatik auf die sprachlichen Vermittlungsgestalten zu konzentrieren hat, ist die Beschränkung darauf legitim, denn gerade durch Sprache wird nun einmal über die Zeiten hinweg die religiöse Erfahrung bevorzugt ausgedrückt und artikuliert. Dogmatik sollte sich aber ihrer eingeschränkten Perspektive stets bewusst bleiben. Für all diese Formen der ,Sprache des Glaubens‘ gilt indes das hermeneutische Grundprinzip: Angemessen sind sie nur dort zu verstehen, wo deutlich wird, welchen ,Sitz im Leben‘ sie haben, welche Funktion sie erfüllen sollen, und welchen situativen und persönlichen Kontext sie reflektieren. Und auch in diesen eher theoretisch-methodisch anmutenden Voraussetzungen spiegelt sich das wider, was wir als Grundvoraussetzung der Glaubenssprache überhaupt definiert hatten. Es ist immer Gottes Wort im Menschenwort. Eine treffende und damit zutreffende Gottesrede ist daher die, die deutlich macht, dass sie von ihrem Ursprung her unverfügbar, das heißt zunächst von einem ganz anderen angesprochen ist. Sie macht ebenso deutlich, dass sie nicht selbst über dieses Angesprochen-Sein verfügt, sondern immer selbst das in Anspruch Genommene ist. Das provoziert natürlich sofort die Frage nach der Glaubens- und Verkündigungsgemeinschaft, der diese Glaubenssprache zum Lebenselixier geworden ist.
6. Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft a) Kirche als ,creatura Evangelii‘ Die Überlieferungsgemeinschaft ,Kirche‘ wird in ihrer Sprachfähigkeit, in ihrer Freiheit zum eigenen, überliefernden und erzählenden Wort konstitu-
Vielfalt der Formen
lex orandi – lex credendi
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens creatura Evangelii
iert durch das ,Wort Gottes‘ selbst, d. h. durch das Christusereignis; sie ist ,creatura Evangelii‘ (Geschöpf des Evangeliums). Die Kriteriologie jedes kirchlichen ,Überlieferns‘ ist dabei gebunden an die Grenzkriterien, die aus dem biblischen Bilderverbot zu eruieren sind. Jeder naive und jeder der Selbstbemächtigung dienende Repräsentationsversuch ist daher durch den Gehalt an negativer Theologie grundsätzlich in Frage gestellt ([116] 301). Nichts an und in der Kirche und in ihrer Verkündigung hat von sich aus die Macht Gottes. Wo Kirche handelt, kann sie nur „auf die Treue des Gottes hoffen – äußerstenfalls: ihrer im Glauben gewiß sein“; denn nur er ist es, „der in den zeichenhaften Handlungen der Kirche unfehlbar damit anfängt, die Glaubenden zu der ihm eigenen Weise der Präsenz unter ihnen zu bekehren“ ([116] 301 f.). Jedes kirchliche Abbilden-Dürfen muss daher von einem bleibenden Ungenügen durchdrungen bleiben ([116] 302). Jedem Repräsentationsversuch bleibt Gott nicht nur immer voraus, sondern das zuvorkommende Ereignis seiner Liebe bleibt fester Maßstab jeglicher Verkündigung. Ihm kommt Kirche allenfalls tastend und fragend nahe und sie ist Kreatur/ Geschöpf, nicht aber Herrin dieses Ereignisses. Die Gebrochenheit der eigenen Existenz wahrzunehmen, wäre heute vielleicht ein Weg um den anderen, vielfältigen Gebrochenheiten der Welt so nahe zu kommen, dass man wieder eine Sprache zu sprechen beginnt, die verstanden wird und so für das, was man zu sagen hat, auch Resonanz findet.
b) Hören, Verkündigen und der Dienst am Wort Dienst am Wort
Amt
Eine formale erste Vorgabe des kirchlichen Überlieferns und Verkündigens ist, dass es in der Kirche wie in jeder Sprachgemeinschaft Sprechende und Hörende gibt. Die Urkirche bezeichnet diejenigen als Apostel und Propheten, auf deren Botschaft sich Gemeinde quasi als Fundament gründet. Dieses ,Sich-Gründen‘ ist aber kein rein passives Geschehen, sondern Zustimmen, Verkündigen, Bekennen sind höchst aktive Kommunikationshandlungen der ersten Gemeinden. Hinzu kommen erste praktisch-prägnante Verdichtungen des Feierns und Lobpreisens (Sakramente) und des Handelns aus dem Glauben heraus. In ihnen erkennt und vollzieht die entstehende christliche Gemeinde das, was sie in ihrem innersten Wesen ausmacht und trägt ([3] 82). Aus dieser kommunikativen Grunddynamik entwickelt die entstehende Kirche die ganze Vielfalt der Glaubenssprache (s. IV.5). Ihre Kommunikationsstrukturen bleiben dabei in der Frühzeit so vielfältig, wie das von jenem individuellen Geschehen des je eigenen Zur-Sprache-gebracht-Werdens zu erwarten ist. Im Verlauf der Zeit beginnt sich die vielfältige Grunddynamik an zentralen Knotenpunkten zu strukturieren ([3] 83 f.). Indem sich gerade das Amt als eigenständige Größe herausbildet, wird dadurch ein Mittel/Dienst in der Kirche geschaffen, der die Gemeinschaft der Kirche auf das ihr stets vorgeordnete biblische Zeugnis und auch auf die als verbindliche Form dieses ,Wortes‘ verstandene Lehre verpflichtet. In dieser steten Verweisfunktion stellt das Amt ein spezifisches strukturelles Element im umfassenden Vorgang der Überlieferung und Bezeugung dar (s. IV.7.a). Es ist ein Element in einem Netz von anderen Elementen, die die Kirche als ,apostolische‘ Kirche ausweist. Freilich ist es kein nebensächliches oder gar ihr fremdes Element. Das Zeugnis als legitime Auswirkung des als Sprach-
6. Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft
ereignis verstandenen Christusereignisses bedingt so etwas wie einen Dienst des Wortes, einen Dienst an diesem Zeugnis. Für ,Kirche‘, die sich als Ereignis aus dem Ereignis Jesus Christus heraus versteht, ist solch ein Dienst am Wort als ein Dienst am selbst wieder Sprache gewordenen Sprachereignis ,Kirche‘ im eigentlichen Sinne konstitutiv.
c) Kirche und Heilige Schrift Neben der Konturierung dieses konstitutiven Dienstes am Wort finden wir zu gleicher Zeit eine zweite Bewegung, die Herausbildung eines abgegrenzten Textkorpus der anerkannten und damit verbindlich gewordenen Zeugnisse des Glaubens, des Kanons der Heiligen Schrift. Beides spiegelt die gleiche Grundbewegung wider: den Identitätsgewinn durch den Blick zurück, die Vergegenwärtigung des Früheren gegen die Häresien der Gnosis und die antijudaistische Schriftauswahl des Markion (um 85–160). a) Am Anfang war die ,Überlieferung‘ Biblische Schriften sind Zeugnisse zur Vergegenwärtigung des Christusereignisses (s. IV.3/4). Wie ist diese Vergegenwärtigung konkret zu verstehen? Ein erster Zugang liefert uns der Sprachgebrauch der Heiligen Schrift selbst (vgl. dazu und zum Folgenden [50] 51–56). Wollen wir das Christusgeschehen, wie es uns das Neue Testament berichtet, unter ein Wort zusammenfassen, so ist dies wohl das Wort ,Hingabe‘ (parádosis/traditio). ,Hingabe‘ umschreibt zunächst die Selbstauslieferung Jesu an die Menschen. Sie umschreibt das ,Dasein-für-andere‘, das sein ganzes Tun, Handeln und Sprechen bestimmt, das auch in seiner äußersten und extremsten Form in seinem Tod sichtbar wird. ,Hingabe‘ ist das Grundelement, das Jesus trägt. In diesem letzten und extremsten Akt der Selbstauslieferung Jesu, seinem Tod am Kreuz, wird auch und gerade die Selbstauslieferung Gottes erkennbar (vgl. IV.2.b). Hier liefert sich Gott in unüberbietbarer Weise den Menschen aus, gerade weil der Vater den Sohn der Gewalt der Menschen ausliefert, um diese Gewalt noch einmal im Akt der liebenden Hingabe zum Heil für die Menschen zu wenden. Dies kann nur dadurch geschehen, weil die Auslieferung des Sohnes durch den Vater in die äußerste, bodenlose Verlassenheit noch einmal das Dasein Gottes ,für…‘, ,für uns‘, ,für das Heil der Welt‘ sichtbar macht. So bedeutet in paradoxer Weise dieses Geschehen der äußersten Auslieferung Jesu an die Gewalt der Menschen die Aufhebung dieser Gewalt. Menschliche Gewalt versucht in ihrer äußersten Perversion den Gerechten, eben weil er ,gerecht‘ ist und dadurch ihre ,Kreise‘ stört, durch Verrat (traditio) und Mord aus der Welt zu schaffen und läuft gerade dadurch ins Leere, weil sie die Macht der Hingabe, der Liebe unterschätzt hat. Wer dies aber erkennt, versteht und nachvollzieht, der wird in die innere Bewegung dieses dreifachen Geschehens hinein genommen. Er wird von diesem Geschehen getroffen, in Bann geschlagen, in Anspruch genommen, wird zum Zeugen dieses Geschehens. Das bedeutet ,traditio‘ im eigentlichen Sinn des Wortes. Hier treffen sich die christologische Grundbewegung und die ihr zugeordnete Bewegung der Zeugengemeinschaft. Hier gewinnt christlicher Glauben seine entscheidende Einsicht und seinen entscheidenden Grund, der seine ,Wahrhaftigkeit‘ bezeugt; und hier gewinnt kirchliche
parádosis/traditio
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
,Überlieferung‘ ihren inneren Maßstab, der sie als lebendig machende Überlieferung kennzeichnet. Die christologische Grundbewegung wohnt jeder Art von Vergegenwärtigung inne.
Kanon
Normativität der Urkirche und Normativität der Schrift
Rezeptionsgemeinschaft
b) Schriftwerdung als ,traditio‘: Die Schrift als Kanon Diese Bewegung ist nun ganz und gar der Heiligen Schrift eigen, weil diese nichts anderes sein will als die Verkündigung des sie selbst erst in Gang setzenden Ursprungsgeschehens. Und diese Bewegung muss jeder Überlieferung/Tradition der Kirche selbst eigen sein, weil auch diese nichts anderes sein kann und soll, als wahrhafte, lebendige Vergegenwärtigung des Ursprungsgeschehens. Jede spätere Überlieferung trägt diesen Maßstab in sich und verweist dabei bindend auf die erste ,Versprachlichung‘ dieses Maßstabes: die Heilige Schrift. Schrift und Tradition sind auf dieser Ebene also keine Gegensätze, sondern zwei Elemente einer Grundbewegung. Auch die Heilige Schrift ist in diesem Sinn ,Tradition‘, die aber ihrerseits Anlass und Ausgangspunkt für jeden folgenden Akt der Überlieferung sein will (vgl. [15] 60). Wodurch gewährleistet sich nun aber die Maßstäblichkeit der Schrift gegenüber allen anderen Überlieferungsbewegungen? Hier erhält die bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Karl Rahner in Angriff genommene Neuorientierung der innerkatholischen Diskussion um die Schriftinspiration eine aktualisierte Bedeutung. Gott selbst ist ,Urheber‘ des Kanons der Schrift, insofern er „die Urkirche als normative Größe der folgenden Zeiten […] will und diese Kirche als Norm so objektivieren will, wie dies einer solchen Größe entspricht: durch schriftliche Zeugnisse“ ([97] 723). Diese funktional-kriteriologische Grunddimension der Urkirche findet ihre besondere Bedeutung dort, „wo die messende und maßgebende Kirche und nicht nur die am Maße gemessene und daran sich messende Kirche wird, […] die Fähigkeit des sich selbst messenden Selbstbesitzes notwendig ihren einmaligen Kulminationspunkt“ hat ([99] 54). Die Urkirche ist „der bleibende Grund und die bleibende Norm für alles Kommende“ ([99] 53) und die Schrift die ,Selbstdarstellung‘ ihres Glaubens ([99] 56). „Damit aber hat die Schrift von vornherein – ,ursprünglich‘ – auch diejenige Funktion, die wir im Allgemeinen der Urkirche gegenüber der nachfolgenden Kirche zugewiesen haben: sie selbst ist nicht bloß die zeitlich erste Phase, sondern der bleibende Ursprung und der Kanon, das Richtmaß der nachfolgenden Kirche“ ([99] 54). Ein solcher Blick auf die Kanonbildung erhält eine rezeptionsgeschichtliche Schärfe und verdeutlicht die Relevanz der tradierenden Glaubensgemeinschaft gerade in ihrer Eigenschaft als Rezeptionsgemeinschaft. Die Schrift erhält Offenbarungscharakter, weil sie „als Lebensvollzug der Glaubensgemeinschaft entsteht und in dieser Glaubensgemeinschaft (produktiv) rezipiert wird“ ([65] 48). Für die Späteren sind Inspiration, Rezeption, Kanonbildung nur noch als ,Wirkung der Schrift‘ (in Lebensvollzug der Glaubensgemeinschaft oder Schriftensammlung) erkennbar. Kirche und Kanon sind letztlich nicht mehr trennbare Größen; wenngleich sie nach der Bildung des Kanons in ihrer Deutung und Bedeutung wohl zu unterscheiden sind. Die Kanonbildung ,bändigt‘ die Varianzmöglichkeiten der Überlieferung und erstellt zugleich einen verbindlichen Maßstab für alle weiteren Arten des vergegenwärtigenden Erinnerns. Mit der Kanonisierung ist so etwas wie ein
6. Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft
offensichtlicher epochaler Einschnitt verbunden. War bisher die Überlieferungsgemeinschaft angesprochenes und damit selbst abhängiges, aber dennoch aktives ,Subjekt‘ der Überlieferung, gerät sie nun auch in die Rolle eines vom Kanon her zu beurteilenden und in ihrem Tun auch beurteilten ,Objekts‘. Freilich ist sie ein ,Objekt‘, das durch die gemeinschaftliche ,Textpflege‘, sei es durch Auslegung oder Interpretation der Texte, sei es durch deren liturgische feierliche Inszenierung, an der stetigen Aktualisierung und Vergegenwärtigung dieses Maßstabs als lebendigem Akt der Überlieferung selbst beteiligt ist. Der Kanon selbst bleibt dabei die normierende Norm, die die Kirche und ihre Überlieferung normiert. Der alte konfessionelle Konflikt erweist sich angesichts dieser Grunddimension als Scheingefecht. Denn gerade diese lebendige ,traditio‘ der Schrift ist der innerste Kern des reformatorischen sola-scriptura-Prinzips. Ihr gegenüber eine ,scriptura-in-communione-traditionis‘ etablieren zu wollen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Die hierbei gemeinte ,traditio‘ will doch nichts anderes bedeuten und umfassen als den kriteriologischen Kern allen Überlieferungsgeschehens, wie er aus dem in der Schrift überlieferten Christusereignis selbst bestimmt wird. So ist es die bleibende Herausforderung katholischer Dogmatik: „auch den Instanzcharakter des Wortes selbst wieder deutlich zu sichern und nicht bloß den des Zeugen, d. h. des Amtes. Denn es kann kein Zweifel sein, dass die Verselbständigung und Isolierung der Zeugenbindung des Wortes unter Außerachtlassung der gleichzeitigen Wortbindung des Zeugen selbst keine geringere Häresie wäre als die Selbständigsetzung des Wortes, die der (beinahe notwendig zu nennende) geschichtliche Gegenschlag gegen das Übergewicht des Amtes vor dem Wort in der spätmittelalterlichen Kirche war“ ([100] 178). c) Kriterien der Kanonbildung Während die Hebräische Bibel drei große Überlieferungs- und Sammlungsbewegungen kennt, die chronologisch aufeinander folgen und sich auch in der Dreiteilung des Tenach widerspiegeln (Thora – Propheten – Schriften), gestaltet sich die Kanonbildung des Neuen Testaments komplexer. Sie folgt einem primär inhaltlich fixierten Kriterienkatalog ([3] 93–95). Maßgeblich sind der Anfang und die Grundorientierung dessen, was nun am Glauben der Kirche ([82] 89 f.) weiter zu tradieren ist. Dabei lassen sich drei Gruppen von Kriterien unterscheiden. Die erste Gruppe stellt die Frage der ,Herkunft‘ in den Mittelpunkt. Bindende Norm ist hierbei, dass die Schriften ,apostolischer Art‘ sein müssen. Dies bedeutet, dass sie in die ,Gründungsphase der Kirche‘ hinein gehören und den ,apostolischen Glauben‘ bezeugen sollen. „Man könnte, statt von Apostolizität, auch von Urkirchlichkeit sprechen“ ([3] 93). Aus diesem Prinzip der Herkünftigkeit im Sinne der ,Apostolizität‘ der Schriften ergeben sich folgende Kriterien: „1. Das Alter einer Schrift: Dieses Kriterium meint nicht nur die zeitliche Nähe zum Anfang. Es wird bei vielen Kirchenvätern im Sinne von Ursprünglichkeit verstanden und abgehoben von Neuerung durch häretische Schriften. 2. Geschichtliche Treue einer Schrift: Es wird bei Erörterungen der Kanonizität neutestamentlicher Schriften betont, sie dürften keine Fabeleien oder Mythen enthalten, sondern müssten die Botschaft Jesu und der Apostel in Wahrheit darstellen. Es geht also um eine nüchterne Erzählung der Heils-
norma normans
Tenach
Herkunft
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Zweck
kirchliche Anerkennung
geschichte. 3. Die Übereinstimmung mit dem canon veritatis bzw. der regula fidei und den übrigen kanonischen Schriften“ ([3] 94). Dabei ist die regula fidei noch nicht als Glaubensbekenntnis der späteren Zeit zu verstehen, sondern als noch relativ unabgegrenzte Sammlung von Formulierungen des ,Glaubensbewusstseins‘ der Kirche ([3] 94). Die zweite Gruppe von Kriterien begründet sich im Blick auf den Zweck der Schriften: „Diese Zweckbestimmung der Schriften ist die Erbauung der Gemeinden und der einzelnen Gläubigen. […] Die apostolische Predigt wie die Verkündigung des Glaubens haben ihren Sinn in der Auferbauung der Kirche. Dies muss folglich auch in den Schriften zur Geltung kommen, die als kanonische anerkannt werden sollen“ ([3] 94). Dieser inhaltlich konkretisierten ,Funktionalität‘ entspringen drei weitere Kriterien: „1. Katholizität einer Schrift: Damit eine Schrift als kanonische anerkannt werden kann, muss sie für die ganze Kirche von Belang sein. Sie darf sich nicht an irgendeine abgesonderte Gruppe, an ein Konventikel wenden. […] Beim Streit um die Kanonizität wird auf die gesamthafte, kirchliche Bedeutung auch dieser Schriften hingewiesen. 2. Sehr eng hängt damit als zweites Kriterium die Verständlichkeit einer Schrift zusammen: abgelehnt werden sogenannte esoterische, nur wenigen verständliche Reden bzw. Schriften. […] 3. Es wird schließlich auf den geistlichen Inhalt einer Schrift hingewiesen“ ([3] 94 f.). Eine dritte Gruppe von Kriterien ergibt sich aus der Maßstäblichkeit der faktischen kirchlichen Anerkennung der in Frage stehenden Schriften, also der ,Autorität‘ der kirchlichen Praxis. Auch hier zeichnen sich wiederum drei Einzelkriterien ab. „1. Die Rezeption einer Schrift, d. h. ihre Anerkennung und Wertschätzung durch eine Reihe von Gemeinden, […]. Die Rezeption durch andere Gemeinden bildet einen Vergewisserungsgrund dafür, dass die bereits genannten Kriterien erfüllt sind. […] 2. Rezeption manifestiert sich vor allem in liturgischer Lesung. […] In der Liturgie werden nur Schriften zugelassen, die den vorauf gehenden äußeren und inneren Kriterien entsprechen und die infolgedessen als kanonische Zeugnisse des Wortes Gottes gelten. 3. Kirchenamtliche Entscheidungen bilden ein letztes, vergewisserndes Kriterium. Sie haben im Grunde den Umfang des Kanons nicht mehr modifiziert, sondern bestätigt“ ([3] 95 f.). Die Schriften der Bibel werden so als die vielfältigen Bezeugungen des einen Geschehens verstanden, in dem Gott sein endgültiges Wort den Menschen mitgeteilt hat. Sie gilt es, zu bewahren und auszulegen, weil sie schlechthin maßgeblich sind, weil die Kirche des Anfangs sich diese Schriften selbst als bleibenden Maßstab ihrer selbst, ihrer Überlieferung, ja der für alle Zeit verbindlichen ,Hinterlassenschaft des Glaubens‘ gegenüber gesetzt hat ([3] 95). Viele von den hier im Anschluss an Peter Hünermann genannten Kriterien muten uns angesichts des heutigen Kenntnisstandes vielleicht willkürlich oder zufällig an. Und damit ist auch manche Entscheidung pro oder contra eine bestimmte Schrift aus heutiger Sicht vielleicht mehr als fraglich ([118] 105 f.). Indes lassen sich einige Grundprinzipien aus dem Akt der Kanonbildung selbst ablesen: (1) Es ist wesentlich für den Kanon, dass er nicht aus einer Schrift sondern einem Bündel von Schriften besteht. Die Glaubenshinterlassenschaft spiegelt sich im
6. Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft
Spektrum dieser Schriften; Pluralität ist daher ein wichtiges hermeneutisches Grundprinzip des Kanons. Damit wehrt sich die kanonisierende Kirche gegen die Absolutsetzung einer einzigen bestimmten Ausdrucksgestalt und bekennt sich dazu, dass jede dieser einzelnen Ausdrucksformen eine zutreffende, aber eben auch keine ausschließliche oder gar vollständige Ausdrucksform ist. (2) Die Kanonbildung ist als Gesamtbewegung der Suche der Kirche nach einer Bindung an ihre Anfänge zu verstehen. Im Kanon selbst stellt sich die Kirche diese Sammlung von Heiligen Schriften als authentisches Zeugnis, als Maßstab der eigenen Verkündigung und der eigenen Gestalt gegenüber. Der Kanon bildet die maßgebliche Gestalt für alle weitere kirchliche Überlieferung. (3) Die Kanonbildung ist vom Vorgang her ein Konsensereignis, das aber ein diesem Konsens voraus liegendes Wahrheitskriterium benennt: Die Authentizität der Rückerinnerung an das Ursprungsereignis. Das Christusereignis selbst liefert das entscheidende Kriterium der Konsensbildung und fundiert, lenkt und trägt die Konsensbildung. Es ist die maßgebliche Deutungsperspektive des Kanons.
7. Wie bleibt ,Kirche‘ in der Wahrheit? a) Von der ,Apostolischen Tradition‘ zur Überlieferungsgemeinschaft ,Kirche‘ a) Was ist ,Tradition‘? „Tradition […] ist im allgemeinen Verständnis ein kultursoziologischer Begriff, durch den angezeigt wird, dass die Gegebenheiten der Vergangenheit in der Gegenwart für bedeutungsvoll und gültig erachtet werden. […] In theologischer Terminologie ist Tradition ein Wort, das die Identität, Kontinuität und Entfaltung der Offenbarungsbotschaft durch die Geschichte hin bis heute (und für die Zukunft) anzeigt. Insoweit damit gesagt ist, dass das Verständnis der Selbstmitteilung Gottes gültige Gestalt in der Kirche auch der Vergangenheit gefunden hat, ist die Überlieferung eine Bezeugungsinstanz des Glaubens, die verbindlich aussagt, was zu Inhalt und Bedeutung einer Glaubensaussage oder einer christlichen Lebensweisung zu rechnen ist. Der Garant dafür ist ebenso wie bei der Heiligen Schrift der pfingstliche Heilige Geist.“ [60] 102
Der Begriff ,Tradition‘ kennt im Rahmen seines theologischen Gebrauchs mehrere Bedeutungsebenen: So besteht ein Unterschied bezüglich der Herkunft und damit der Wertigkeit zwischen jenen Elementen der Glaubensüberlieferung, „die zu bewahren ist, sofern es sich eben um Gottes Wort handelt […] (traditio divino-apostolica)“ ([60] 102) und der „kirchliche[n] Ausgestaltung und Vermittlung der verbindlichen Offenbarungsinhalte“ (traditiones)“ (ebd.). Des Weiteren kann man unterscheiden zwischen dem Geschehen der Weitergabe: traditio activa (aktive Überlieferung) und dem Inhalt des Weitergegebenen ,im Einzelnen‘ (tradendum) oder insgesamt (depositum fidei) (traditio obiectiva) und dem, der diese Weitergabe leistet, dem Tradenten und seiner traditio subiectiva ([60] 102 f.). Die Grundregeln und Grunddimensionen des Begriffs sind also recht übersichtlich, spannend wird eine angemessene Verhältnisbestimmung der einzelnen Punkte. Hier gibt es innerhalb der Theologiegeschichte durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen und Schwerpunktsetzungen.
Tradition
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Identität und Kontinuität
Gnosis
Norm der Vergangenheit
successio apostolica
b) Der lebendige Anfang: ,Auf dem Fundament der Apostel und Propheten‘ Schon die neutestamentlichen Schriftsteller benutzen das Prinzip der Überlieferung auf je eigene Art und Weise. Sie verstehen sich als Teil der lebendigen Wirkungsgeschichte des Christusgeschehens selbst (vgl. Lk 1,1–4; Apg 1,1; Joh 20,30; 21,25). Andere Teile des Neuen Testaments denken über die Überlieferungsgemeinschaft selbst und ihre Organe nach, sind wiederum je eigene Versuche, das Ursprungsgeschehen für eine neue Zeit und einen neuen Raum lebendig werden zu lassen (vgl. die echten Paulusbriefe; z. B. 1 Kor 15,3) oder sie denken implizit über Art und Weise der Überlieferung, ihre Kontinuität und ihre Verbindlichkeit nach (vgl. z. B. die Apostelgeschichte; die pseudepigraphischen Paulusbriefe [Deutero-Paulinen und Pastoralbriefe] und die katholischen Briefe). In der spätneutestamentlichen und in der nachbiblischen Zeit ist der Begriff ,Überlieferung‘ im Sinne von ,paratheke‘ (Hinterlassenschaft des Glaubens) bereits mit der Idee verbunden, dass eine ,wahre‘, ,echte‘ Tradition gegen eine missbrauchende, falsche Auslegung des Ursprungsereignisses zu verteidigen ist. ,Tradition‘ wird zu einem Begriff der Identitätsfindung und -setzung. Denn Ende des zweiten Jahrhunderts sieht sich die Kirche mit der wohl entscheidenden Herausforderung der patristischen Epoche konfrontiert: der Irrlehre der Gnosis. Die Frage der Kontinuität wird für die Kirche zur Frage ihrer Identität“ ([15] 48). Für Irenäus von Lyon ({ 220), einem der Theologen, dem die Auseinandersetzung mit der Gnosis zur Lebensaufgabe wird, besteht die entscheidende ,Überlieferung‘ der Kirche im Wesentlichen darin, die christologisch-christozentrische Mitte des Heilsplanes Gottes als Kern der apostolischen Verkündigung aufzunehmen und weiterzutragen. Der Glaube der Gnostiker aber gründet sich auf die eigene höhere Erkenntnis, die je neu durch unmittelbare Offenbarung und visionär mystische Erleuchtung empfangen wird. Demgegenüber rekurrieren Theologen wie Irenäus auf die Bindung des kirchlichen Glaubens an das Zeugnis der Apostel; allein diese ,Norm der Vergangenheit‘, das ,Festhalten an der Lehre der Apostel‘ (vgl. Apg 2,42) gewährleistet den Kontakt zum Ursprung. Mit dem Tod des letzten Apostels endet die Offenbarung, und mit dem Ende der Offenbarung ist nun zugleich das „Prinzip der apostolischen Autorität und Überlieferung gegeben“ ([15] 51). Als ,apostolische Tradition‘ gilt nun „jene Überlieferung, die in dem, was die Apostel im Auftrag Christi erstmalig verkündeten, ihren Ursprung [und Maßstab!] hatte“ ([15] 54). Damit wird das ,Apostolische‘ zum Synonym für das Ursprüngliche, das Echte und das Rechtgläubige. c) Die ,successio apostolica‘ In einer Zeit, in der durch zahlreiche innerkirchliche Häresien und Irrlehren das Aufrechterhalten der Norm des Evangeliums inhaltlich immer fraglicher wird, greift nun die junge Kirche auf jene institutionelle Säule zurück, die ihr als äußeres Zeichen der inneren Kontinuität zu ihren eigenen Ursprüngen einzig möglich erscheint: die formale Kontinuität der Dienste und Ämter der Gemeinden, die durch die Apostel selbst gegründet sind (vgl. Tertullian, praescr 21,4–5). So ist es kaum verwunderlich, dass wiederum Irenäus – mit Rückgriff auf eine bereits von Hegesipp im zweiten Jahrhundert entwickelte Idee (vgl. Eusebius (um 260–339) Hist ecc III 11; 32,1.2; IV 8,1; 22,1–3) – sich zur Vergewisserung der Idee eines Legitimitätserweises der Amtsträger
7. Wie bleibt ,Kirche‘ in der Wahrheit?
in der successio apostolica im Sinne einer apostolischen Amtssukzession bedient (Adv haer III 3,3; 4,3). Die Praktikabilität dieses Modells erscheint überzeugend: Der fast statisch anmutende Besitz des wahren Evangeliums und der reinen Lehre wird durch die Sicherungsfunktion des kirchlichen Amtes gewährleistet. Für Irenäus ist diese Sukzession der Amtsträger zunächst tatsächlich äußerlich sichtbares Zeichen für die notwendige Kontinuität der Gemeinden in Lehre, Glauben, Struktur, Besitz und Auslegung der Schriften (vgl. Adv haer III 24,1; 38,1; IV 33,8; 53,2). Doch versteht er sie nicht in dem Sinne, dass dies alles nur durch den formalen äußerlichen Vorgang der Handauflegung in jedem ordinierten Bischof garantiert wird. Denn für ihn ist ebenso wie für Tertullian (vgl. praescr 27–34, bes. 28,3) der formale Aufweis der Zeugenkette notwendig begleitet von einem konkret-geschichtlichem Nachweis der bestehenden Lehreinheit der Bischöfe im gegenwärtigen Nebeneinander wie im historischen Nacheinander. Der Sukzessionsgedanke hat also nicht nur eine ,vertikale‘, sondern auch eine ,horizontale‘ Dimension ([15] 71). Diese ,Einheit der Verkündigung‘ ist aber konkret inhaltlich zu bestimmen ([110] 225). So ist die wahre Verkündigung gerade an ihren konkreten und praktischen Auswirkungen zu erkennen. Sie zeigt sich in Konfliktsituationen, z. B. dem Osterfeststreit (vgl. Eusebius Hist Ecc V, 24, 10 ff.) in der Bewahrung der Einheit und des Friedens über einer einseitigen Entscheidung theologischer Differenzen (regula veritatis et pacis). Erst wenn diese Kriterien erfüllt sind, erweist sich die formale Sukzession als wirksames Ausdruckszeichen und Werkzeug für das, worauf sie verweisen soll: die Apostolizität der Kirche als Ganze, ihr Bleiben in der Wahrheit. Schon bei Irenäus geht es also beim Begriff der apostolischen Sukzession weniger um die Problematik einer historisch-formalen Nachfolge, denn um die einer sachlich-inhaltlichen Näherbestimmung, die gerade im Feststellen der Übereinstimmung und im Wahren der Einheit ihre Kriterien benennt. Diese bewährt sich zum einen in der steten Konfrontation der Kirche mit ihrem Ursprung, d. h. insbesondere mit dem ursprünglichen und grundlegenden Zeugnis der Schrift. Das Amt ist dabei notwendiger und unaufgebbarer zeichenhafter Ausdruck jener Grundbewegung, die man als gemeinschaftliches, sich auch je unterschiedlich artikulierendes Bemühen um eine ,traditio apostolica‘ in der Gemeinschaft der Kirchen (communio ecclesiarum) verstehen kann. Gerade das Bischofsamt hat sich dabei im Laufe der Zeit als authentisches Zeichen etabliert, das sowohl vor der lokalen Selbstzufriedenheit der einzelnen Ortskirche wie vor der Platonisierung eines Kirchen- und Traditionsverständnisses in rein universalkirchlicher Perspektive bewahrt. Die Übereinstimmung der Gemeinden und die Gemeinschaft im Glauben und damit der ,Öffentlichkeitscharakter‘ im Sinne von Zugänglichkeit und Nachprüfbarkeit sind daher nicht nur für Irenäus (vgl. Adv haer 3,3,1 und 3; Tertullian, praescr 32,1 f.) die entscheidenden Belege der wahren successio und somit das ,Kriterium‘ ihrer Gültigkeit auch und gerade als Zeichen des Bleibens in der ,apostolischen Tradition‘ ([15] 68; [104] 254). Ein weiteres zentrales Element in der Zeit der Anfänge der Kirche neben diesem amtlichen Zeichen ist – wie bereits erläutert – die Tatsache, dass die Christengemeinden beginnen, sich die von ihnen zusammengetragenen und ,geprüften‘ Schriften als ,heilige‘ Schriften und ihre Sammlung als ,Kanon‘
Zeugenkette
Einheit der Lehre
communio ecclesiarum
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
gegenüber zu stellen. Freilich verstehen die Gemeinden die Schriften und ihre gängige Auslegung als das eine Zeugnis der Kirche. Doch wie verhalten sich die beiden Kriterien konkret zueinander? Ein Blick in die Theologiegeschichte zeigt dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen.
b) Zum Verhältnis von Schrift und Tradition
Suffizienz der Schrift
Tradition – Traditionen
a) Geschriebene und ungeschriebene Überlieferungen Als programmatische Grundlage aller weiteren Entwicklung in der frühen Kirche kann der Satz Basilius‘ des Großen (329–379) gelten: „Unter den Lehren und Definitionen, die die Kirche bewahrt, haben wir die einen aus der schriftlichen Unterweisung empfangen, die anderen haben wir aus der Tradition der Apostel auf dem Weg der Mysterien. Beide haben für den Glauben die gleiche Bedeutung“ (De spiritu sancto 66). Freilich sind mit den ,Mysterien‘ keine ,Geheimlehren‘ gemeint, wie sie die Häretiker erhalten zu haben behaupten, sondern die liturgisch-sakramentale, spirituelle oder disziplinarische Praxis der Kirche ([15] 89 f.). Die entbehrt freilich nicht einer objektiven Kriteriologie. Zum einen entscheiden nicht Gewohnheit und Herkunft, sondern Wahrheit und Vernunft dort, wo über die kirchliche Praxis gestritten wird. Gegen die ,Wahrheit‘ gerichtete ,Bräuche‘ sind zu reformieren und zu überwinden, denn „unser Herr Jesus Christus hat sich die Wahrheit und nicht die Gewohnheit genannt“ (Tertullian, virg vel 1,1 f.). Zum anderen sind die Väter durchaus von der ,Suffizienz‘ (Hinlänglichkeit) der Schrift für den Aufweis der heilsnotwendigen Glaubenswahrheiten überzeugt und billigen ihr kriteriologischen Status zu (vgl. z. B. Irenäus, Adv Haer 3,11,8; Tertullian, adv Prax 29; Cyrill v. Jerusalem, cat 4,17; auch Basilius, fid 1–2; Gregor v. Nyssa, anim et re 3,64), ja betonen die Maßgeblichkeit der Schrift in mitunter sogar exklusiver Weise (vgl. z. B. Johannes Chrysostomos, in 2 Cor 13,4; Augustinus, b. vid. 1,1; Origenes, comm. In Rom 3,2; Hieronymus, in Mt 23,35 f.; in Hag 1,11). Die exklusive Autorität der Schrift wird insbesondere gegen philosophische Argumente und fragwürdige Quellen der Häretiker in Anschlag gebracht; gegenüber den nicht-biblischen Elementen der kirchlichen Praxis erhält die ,Suffizienz‘ der Schrift eher positiven Charakter: Sie enthält all „diejenigen Wahrheiten, die jeder Einzelne ausdrücklich glauben muss“ ([15] 93; vgl. Origenes, hom in Lev. 5,9; Augustinus, doctr. chr. 2,9,14; vgl. IV.4.c). Doch woher weiß man, was die Schrift enthält und wie sie richtig zu verstehen ist? Dabei ist die lebendige Gestalt der Kirche (traditio) ein zentrales Kriterium (s. VI.4.b). ,Tradition‘ im Sinne der Väter ist keine eine inhaltlich-materiale Vervollständigung oder Ergänzung der Schrift, sondern „die lebendige, geistgeleitete Weiterführung des in der apostolischen Verkündigung grundgelegten und von ihr normierten Gesamtverständnisses des Glaubens im Leben der Kirche“ ([15] 96), also etwas, das die Heilige Schrift und die lebendige Praxis umfasst. Erst das Mittelalter, näherhin Thomas von Aquin und die scholastische Theologie, unterscheiden hier genauer; im späten Mittelalter sichtet man ,Tradition‘ kritisch und grenzt nun mündliche ,Traditionen‘ von der ,wahren Überlieferung‘, wie sie in der Heiligen Schrift enthalten ist, ab. ,Traditionen‘ werden für manche Theologen gar zum Inbegriff des Abweichens von der Lehre Christi. Ekklesiologisch fatal werden diese Zuspitzungen dort, wo die
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Bewegung des Humanismus ihr Programm unter das Motto ,zurück zu den Quellen‘ stellt, und dies von der Reformation in die Tat umgesetzt wird: „Was für den Glaube und das Heil des Menschen notwendig ist, kann dem Wortlaut der Schrift vollständig und unzweideutig entnommen werden“ ([36] 109). Was man heute in der katholischen Dogmatik als Problem ,des rechten Verständnisses von Tradition‘ und des ,rechten Verhältnisses von Schrift und Tradition‘ umschreibt, ist letztlich weniger eine Frage des Inhalts, als der Legitimation ([118] 103) und nimmt seinen Ausgangspunkt in den Auseinandersetzungen vor, in und im Gefolge der Reformationszeit. Seine lehramtliche Spiegelung findet dieser Konflikt in den Entscheidungen des Trienter Konzils. b) Die katholische Antwort auf die Herausforderungen durch die Reformation Es ist das eine Evangelium, das ,von Christus verkündet‘, ,über die Apostel weitergegeben‘ wurde und als Glaubenswahrheit und praktische Anweisung ,in den heiligen Büchern‘ und in ,ungeschriebenen Überlieferungen‘ enthalten ist, so definiert das Konzil von Trient (DH 1501). Diese Überlieferungen sind als ,apostolische‘, d. h. auf die Apostel in der Kette der Zeugen zurückzuführende, gekennzeichnet. Und beides nimmt die Kirche mit ,dem gleichen Gefühl der Dankbarkeit und der gleichen Ehrfurcht‘ (ebd.) an. Die Formulierungen des Konzils sind relativ offen gehalten. Und dennoch wird klar, dass – gerade als Entgegensetzung zu den Reformatoren – die ,Traditionen‘ als materiales Element, d. h. als inhaltliches Mehr zur Schrift verstanden werden können und ihre ,modal‘-funktionale Zuordnung zur Schrift nicht näher bestimmt ist ([118] 104). So wird das altkirchlich dynamische Spannungsverhältnis von Schrift und Tradition harmonisiert, bevor die Unterschiede, Zuordnungen und Abhängigkeiten geklärt sind. Auf eine nähere Verhältnisbestimmung wird verzichtet. Was sind nun aber ,ungeschriebene Überlieferungen‘? Müsste man nicht alles aufzählen, damit eindeutig ist, was man unter dem Begriff versteht, und vor allem: was nicht darunter zu verstehen ist? All das wird, wie ein Blick in die Konzilsakten zeigt, auf dem Konzil diskutiert, gelangt aber nicht in den Definitionstext ([71]). Das Trienter Konzil beschränkt sich darauf, festzulegen, warum es ,Tradition(en)‘ gibt und dass sie mit ,Ehrfurcht‘ anzunehmen sind, nicht aber, worin sie näher bestehen. Verteidigt Trient damit eine Zwei-Quellen-Theorie der Offenbarung? In der aktuellen Analyse des Textes wird häufig betont, dass der Konzilstext die Begriffe Schrift und Tradition mit einem schlichten ,und‘ (,et…et‘) verbindet. Das spricht tatsächlich für ein offeneres Verständnis der Beziehung ([77] 348). Unter ,tradition(es)‘ wird nun ausschließlich die durch die successio apostolica legitimierte und als unverfälschte Weitergabe bestätigte ,apostolische Tradition‘ verstanden. Auf eine Benennung von Kriterien dieser legitimen, unverfälschten Tradition verzichtet das Tridentinum. Aber gerade das ,et…et‘ macht „den Weg frei, gegen die spätmittelalterlichen Auffassungen am altkirchlichen Verständnis festzuhalten, wonach Schrift und Tradition(en) zwei Formen der einen Paradosis bzw. des einen Evangeliums sind“ ([77] 349). Freilich führt das Konzil mit der Formel ,sine scriptae traditionibus‘ (ungeschriebene Überlieferungen) in bewusster Abgrenzung zum exklusiv
sola scriptura
ungeschriebene Überlieferungen
Zwei-Quellen-Theorie der Offenbarung
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
Autoritätsprinzip
verstandenen, reformatorischen ,sola scriptura‘ eine Kategorie ein, ohne sich zu einer Kriteriologie durchzuringen, auf die es indes Luther und den anderen Reformatoren mit der Betonung des ,sola scriptura‘ gerade angekommen war. Die ,Lösung‘ dieses Problems findet erst das Zweite Vatikanum (s. IV.7.c). Wie in vielen anderen Bereichen werden in der Wirkungsgeschichte des Trienter Konzils die noch offenen bzw. willentlich offen gelassenen Formulierungen in den wachsenden Auseinandersetzungen mit den gegnerischen Positionen zu ,Extremformeln‘, die die konfessionellen Gegensätze verfestigen. Diese Versuche sind dabei von dem pastoralen Anliegen geprägt, in der Praxis den Gläubigen die Unterschiede deutlicher vor Augen zu führen: Überlieferung(en) – und dazu zählt fast alles, was im Leben und in der Liturgie der römisch-katholischen Kirche gefunden werden konnte – werden zur ,Waffe‘ gegen die Protestanten und ihr sola-scriptura-Prinzip ([92] 279), ,Tradition(en)‘ werden – verbunden mit dem Begriff der Unveränderlichkeit – so zum Synonym von ,Verfestigung‘ und verlieren die innere Dynamik, die sie in Trient noch gehabt hatten. Sie werden nur noch in ihrer doktrinären, festlegenden Form wahrgenommen. So wird der eigentliche ,Wendepunkt‘ des Konzils erst danach offensichtlich. Denn das eigentlich ,Neue‘ „bestand […] darin, dass nunmehr die aktive Funktion des Lehramts wesentlich deutlicher als in der älteren Tradition herausgestellt wurde“ ([77] 350); kurz: Das „Autoritätsprinzip [tritt] weithin an die Stelle des Traditionsprinzips“ ([77] 351). Dieses autoritätszentrierte Konzept ist nun aber ein explizit neuzeitliches Phänomen (s. III.b.) c) Festlegungen durch das Erste Vatikanum Einen definitorischen Höhepunkt erreicht das gegenreformatorisch forcierte Traditionsverständnis auf dem Ersten Vatikanum: ,Traditionen‘ sind nun identisch mit dem festen katholischen Glaubenssystem und seinen Lehren, über deren Richtigkeit, Wortlaut und Inhalt letztlich nur das höchste Lehramt verbindlich und unfehlbar zu entscheiden hat (vgl. DH 3011). In der Praxis ergibt sich in der Folge ein eher starrer und unhistorischer Begriff von ,Tradition‘. Diese Tendenz fällt nun in eine Zeit, in der gerade die aufstrebende Geschichtswissenschaft auch in der katholischen Theologie wirksam wird und den Blick auf die ,Geschichtlichkeit‘ der Heiligen Schrift selbst und der ,katholischen Traditionen‘ lenkt. Es kommt zu dem, was man heute als ,Modernismusstreit‘ bezeichnet (s. I.1.b). Diese Auseinandersetzung zu Beginn des 20. Jahrhunderts lähmt die Kirche über Jahrzehnte hinweg mit fatalen Folgen. Der Weg aus dieser Verengung führt letztlich – und das zeigen die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts – über die Rückbesinnung auf das, was ,Tradition‘ wirklich sein soll und sein kann. Die wahre Überlieferungsgestalt der Kirche wird zum kritischen Maßstab gegenüber einer historisch verengten Sicht. d) Rückbesinnung: Das Zweite Vatikanische Konzil Auf diesem Konzil beginnt man daher neu über die Kirche nachzudenken, gerade weil man sich der vielfältigen und offenen Tradition der Kirche von ihren Anfängen her bewusst wird. Man erkennt Neues, indem man darüber nachdenkt, woher man kommt. Tradition wird wiederentdeckt als der auf Zukunft hin offene, aktive und lebendige ,Prozess‘ von Kirche.
7. Wie bleibt ,Kirche‘ in der Wahrheit?
1) Tradition und Traditionen Schon vor dem Konzil war die Diskussion um den Stellenwert und die Wichtigkeit von ,Tradition‘ aufgekommen. In der dogmengeschichtlichen Bearbeitung der Trienter Konzilsdokumente kam in den Blick, dass ein rein materiales Verständnis der Tradition, verstanden gar als inhaltliches ,Mehr‘ zur Schrift, dem Wortlaut wie der Intention dieses Konzils widersprach. Die Heilige Schrift ist inhaltlich vollständig und damit von der Tradition als Ergänzung unabhängig, freilich ist sie auf die Tradition verwiesen als ihre je aktuelle, neue Auslegung, als die Vergegenwärtigung des inhaltlich Gemeinten. Das ist eine funktionale Bestimmung der Tradition. In Dei Verbum Art. 8 (DH 4209) wird ,Tradition‘ – im Singular! – zunächst in ihrem Rückbezug auf die Heilige Schrift eingeführt. „Während Trient den Begriff der Überlieferung nur im Plural – als Überlieferungen – kannte, kennt ihn das Vaticanum II […] nur im Singular: die Traditio. […] Das Vaticanum II findet seinen Ansatz in einem abstrakten Reflexionsbegriff“ ([103] 518). Tradition ist der Schrift als gnoseologisches, d. h. erkenntnisleitendes Element zugeordnet. Die ,Apostolische Überlieferung‘ – das sind zunächst einmal die inspirierten Bücher. Einzig ,selbstständiger‘ Akt ist die Kundgabe des ,Kanon‘ ([92] 284). Die strikte Bindung der Kirche an das unverrückbare Gotteswort ist bereits deutlich geworden (DV 7). „So sind auch Schrift und Tradition nicht selbst das Evangelium, sondern ,gleichsam ein Spiegel, in dem die Kirche Gott, von dem sie alles empfängt, auf ihrer irdischen Pilgerschaft anschaut‘ (Dei Verbum Art. 7)“ ([77] 357). Darum legt DV 8 nachdrücklich Wert auf die Festlegung, dass nicht die Offenbarung wächst, sondern die Tradition fortschreitet, indem die Einsicht in das Geoffenbarte zunimmt. Tradition ist darum stets tieferes Verständnis, unaufhörliche Wirksamkeit der Schrift, ist das lebendige Gespräch mit der Schrift, ist die lebendige Stimme des Evangeliums für und durch die Kirche. Mit ,Tradition‘ „ist zunächst schlicht die vielschichtig-eine Gegenwart des die Zeiten durchschreitenden Christusmysteriums gemeint; sie besagt das Ganze der Gegenwart des Christlichen in dieser Welt […]. Sie hat ihren Ort nicht nur in den ausdrücklich tradierten Bekundungen kirchlicher Lehre, sondern in dem Ungesagten und oft auch Unsagbaren des ganzen Dienstes der christlichen Gottesverehrung und des Lebensvollzuges der Kirche. So wird von da aus schließlich als zusammenfassende Formel für Tradition die Aussage formuliert: sie sei die ,Perpetuierung‘, die beständige Fortsetzung und Vergegenwärtigung alles dessen, was die Kirche ist, alles dessen, was sie glaubt. Tradition wird mit dem Sein und mit dem Glauben der Kirche identifiziert und so definiert“ ([103] 519). Tradition hat also ganz im Gegensatz zu dem im allgemeinen Sprachgebrauch damit Assoziierten ein lebendig-dynamisches Grundelement. Zugleich betont das Konzil das personale Element der Tradition. Freilich fehlt das kritische Element. Denn nicht alles, „was in der Kirche existiert, muss deshalb schon auch legitime Tradition sein, bzw. nicht jede Tradition, die sich in der Kirche bildet, ist wirklich Vollzug und Gegenwärtighaltung des Christusgeheimnisses, sondern neben der legitimen gibt es auch die entstellende Tradition“ ([103] 519). Bei einer derart engen Bindung, wie dies DV 8 (und später auch DV 9 und 10) vorführt, entfällt das kritische Potential der Schrift. D. h., das „traditionskritische Moment [wird] so gut wie völlig übergangen. [Das Konzil] hat sich damit einer wichtigen Chance des öku-
Funktionale Bestimmung der Tradition
Tradition als Reflexionsbegriff
Tradition als dynamischer Begriff
fehlendes Kritikpotential
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
menischen Gesprächs begeben; in der Tat wäre die Herausarbeitung einer positiven Möglichkeit und Notwendigkeit innerkirchlicher Traditionskritik ökumenisch fruchtbarer gewesen als der durchaus fiktiv zu nennende Streit um die quantitative Vollständigkeit der Schrift“ ([103] 520). Dennoch ist deutlich, dass Dei Verbum trotz des formalen Mit- und Nebeneinanders von Schrift und Tradition keine Zwei-Quellen-Theorie vertritt. So sagt DV 9 nur von der Schrift selbst, sie sei ,Wort Gottes‘. Tradition aber ist die ,Weitergabe des Wortes Gottes‘ (DH 4212). „Die Tradition wird […] nur funktional beschrieben, von dem her, was sie tut: Sie vermittelt Wort Gottes, ,ist‘ es aber nicht. Kommt schon auf diese Weise der Vorrang der Schrift zum Vorschein, so zeigt er sich noch einmal bei der näheren Charakterisierung des Vorgangs der Überlieferung, deren Auftrag das ,Bewahren, Auslegen und Verbreiten‘ ist; sie ist nicht produktiv, sondern ,konservativ‘, dienend einem Vorgegebenen zugeordnet“ ([103] 525). Freilich birgt die jetzige Form des Textes die Möglichkeit einer Missdeutung, da Schrift und Tradition nun als ,zwei Flüsse aus einer Quelle‘ bezeichnet werden, die ,mit dem gleichen Gefühl der Dankbarkeit und gleicher Ehrfurcht‘ anzunehmen sind. Hier greift man auf die bewährte Formel aus Trient zurück, ohne sich dabei bewusst zu machen, dass man in der Verhältnisbestimmung beider bereits über die Vorgaben des Trienter Konzils hinaus- (oder dahinter zurück-)gegangen ist. So etabliert man ein zwar katholisches sola-scriptura-Prinzip (verbunden mit einem ,totum in traditione‘), verdeckt aber die offen gebliebene Problematik einer kritischen Verhältnisbestimmung beider.
Lehramt
prästabilierte Harmonie
2) Das Lehramt Dei Verbum Art. 10 (DH 4213 f.) bestimmt nun Schrift und Tradition als ,die eine Hinterlassenschaft des Wortes Gottes‘. Eine solche Formulierung, die Schrift und Tradition wieder nebeneinander stellt, trägt nun doch ein eher ,materiales‘ Verständnis von Tradition ein. In einer solchen Konzeption gerät das Lehramt der Kirche in eine seltsam ,oppositionelle‘ Stellung im Gegenüber zu beiden Quellen und wirkt quasi isoliert von dem eigentlichen Geschehen der lebendigen und lebendig machenden Überlieferung der Kirche als Ganze. Das für das evangelische sola-scriptura-Prinzip notwendige kritische Gegenüber zur Kirche und damit die richterliche Funktion der Heiligen Schrift „scheint nun aber durch die Betonung des unlöslichen Ineinanders von Schrift und Überlieferung bzw. (nach Art. 10) von Schrift, Überlieferung und Lehramt noch vollständiger ausgeschaltet als bei einer mehr mechanischen Konzeption, die immerhin den Unterschied der einzelnen Größen wahrt. So kam es zu dem paradoxen Ergebnis, dass heute gerade jene Formulierungen unseres Textes, die aus dem Versuch einer möglichst weitgehenden Aufnahme der reformatorischen Anliegen hervorwuchsen, auf den stärksten Widerspruch reformatorischer Theologen stoßen und die gefährlichste Entfernung von Sinn und Meinung des reformatorischen Sola scriptura erscheinen“ ([103] 524). Anstelle einer kritischen Verhältnisbestimmung steht die These einer ,prästabilierten Harmonie‘ zwischen Schrift, Tradition und Lehramt ([92] 286). Diese offene Problematik erweist sich trotz der in DV 21 betonten Funktion der Heiligen Schrift als norma normans non normata und dem in DV 10 betonten Dienstcharakter des Lehramtes – ,non supra verbum est, sed eidem ministrat … pie audit‘ (,Das Lehramt ist nicht
7. Wie bleibt ,Kirche‘ in der Wahrheit?
über dem Wort Gottes sondern dient ihm‘) – als die ,bedauernswerte Lücke‘ des Konzils ([103] 525).
c) Lebendige Überlieferung Das Konzil vertritt ein gegenüber den Vorgängerkonzilien offeneres Verständnis von ,Tradition‘ und ihrem Verhältnis zur Schrift, das zwar nicht jede Formulierung des Konzils prägt, aber durch die Bewegung der Rückbesinnung auf die Anfänge der Kirche auf eine neue Grundlegung abzielt. Es ist aber auch offensichtlich, dass in der konkreten Durchführung zwei miteinander nur spannungsvoll in Beziehung zu setzende Modelle von Tradition recht unvermittelt nebeneinander zu stehen kommen. Wie ist beides nun in Beziehung zu setzen? (1) Der Weg von einem Verständnis von Offenbarung als ,feststehender Lehre‘ hin zu einem Verständnis als Geschehen der Selbstmitteilung Gottes in Jesus von Nazaret ist auch für die adäquate Bedeutung von ,Tradition‘ auf dem Konzil Richtung weisend. Nicht mehr einzelne Lehrsätze, sondern der Vorgang der Selbstoffenbarung Gottes selbst ist das zu Überliefernde und damit die eigentliche Grundbewegung von ,Tradition‘. (2) Das Konzil bestimmt explizit die allen gemeinsame Lebenspraxis der Nachfolge als die ,Tradition‘! Auch hier ist damit das funktionale Element das eigentliche, nicht ein material-inhaltliches. (3) Nicht mehr nur Lehramt, Hierarchie, Bischöfe, sondern alle Gläubigen sind Subjekte dieser Überlieferung (vgl. Dei Verbum Art. 10–12). Das Lehramt ist ein wichtiges, weil kritisches Element innerhalb dieses Überlieferungsvorgangs. Das Lehramt befindet sich inmitten dieser Bewegung der einen ,traditio‘ der ganzen Kirche. Die Kriteriologie wie die Bedingungen seiner speziellen Aufgabe werden in Lumen Gentium Art. 25 grundgelegt (vgl. IV.8.c). (4) ,Tradition‘ verliert den Beigeschmack von ,Restauration‘ und ,Althergebrachtem‘. Es ist ein dynamisches Element zur Rückbesinnung, Erneuerung, Aktualisierung und Vergegenwärtigung ganz in dem Sinn, wie die frühe Kirche diesen Vorgang verstanden hat. (5) Das Konzil betont gerade um des umfassenden Vorgangs der Vergegenwärtigung willen die enge Verbindung von Schrift und Tradition und damit die gegenseitige Verwiesenheit beider. Es bekennt sich damit aber auch zur Notwendigkeit eines ständigen Prozesses der ,internen Klärung‘ und Prüfung ([22] 166 f.), für die es selbst Kriterien und Wege entwickelt (s. IV.8).
Kirche als Sprach- und Überlieferungsgemeinschaft bleibt kritisch an ihren Ursprung gebunden. Das zu Tradierende, kriteriologisch greifbar in seinem Schrift gewordenen ,Maßstab‘, bestimmt das, was und wie Kirche sein soll. Die Dynamik des zu Tradierenden treibt die Kirche voran. Schrift und Tradition funktionieren nicht ohne einander; der überlieferungsgeschichtliche Zusammenhang ist ein zweiseitiger. Tradition ist das Element, das Kirche auf Zukunft hin lenkt und öffnet. Tradition ist solchermaßen zu einem hermeneutischen, d. h. einem Auslegungsbegriff geworden. ,Tradition‘ ist das funktionale Prinzip der Vergegenwärtigung der Selbstmitteilung Gottes im Christusereignis durch den Heiligen Geist im Leben der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche in seinem dreifachen Vollzug: Liturgie – Zeugnis – Dienst an
Lebendige Überlieferung
Subjekte der Überlieferung
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens leiturgia – martyria – diakonia
der Welt (leiturgia – martyria – diakonia). Tradition bestimmt die Gegenwart, weil sie sie von der Vergangenheit her auf die Zukunft hin öffnet. Weil Tradition der Lebensvollzug von Kirche als Ganzer ist, ist sie immer Aufgabe aller Elemente von Kirche. Mit diesen Optionen öffnet sich die nachreformatorische Sicht der katholischen Kirche hin auf eine wirklich ökumenische Perspektive. Die ökumenischen Gespräche des 20. Jahrhunderts haben daher in diesem Punkt beträchtliche Fortschritte gebracht, indem sie nicht nur Entstehen und Werden der Schrift, sondern auch den Begriff der Tradition präziser zu umschreiben versuchten ([89]).
8. Wer sagt, was in der Kirche gilt? Dieser Komplex erweist sich als ein von verschiedensten historischen Entwicklungen abhängiges Geflecht unterschiedlicher Elemente. Daher kommt es auf die angemessene Verhältnisbestimmung dieser Elemente an.
a) Modelle des Miteinanders
Communio
Interaktion
Auf dem Hintergrund des im Zweiten Vatikanum deutlich gewordenen Perspektivenwechsels wird einsichtig, dass einfache Aufteilung der Kirche in einen prinzipiell hörenden und einen prinzipiell lehrenden Teil nicht dem Selbstverständnis der katholischen Kirche entspricht, wenngleich es in manchen Phasen der theologiegeschichtlichen Entwicklung als ein geeignetes Modell empfunden wurde ([60] 133 f.; 174–177). Demgegenüber hat das Zweite Vatikanum ein ganz anderes Modell von Kirche entwickelt: das Communio-Modell. Damit erfindet das Konzil aber Kirche nicht einfach neu, sondern es besinnt sich auf eine in der eigenen Theologiegeschichte auffindbare breite Tradition des differenzierten Miteinanders verschiedenster Grundelemente des einen Volkes Gottes, das nun als Ganzes für die Bezeugung und Überlieferung des Glaubens Verantwortung trägt. Es rezipiert und interpretiert dabei auch die Beschlüsse der vorangegangenen Konzilien. Die Lehre des Ersten Vatikanums, z. B. bezüglich des päpstlichen Lehramts und seiner Kompetenzen, kann man nicht angemessen verstehen, ohne ihre Rezeption auf dem Zweiten Vatikanum mit zu berücksichtigen. Das Modell der Kirche als Communio setzt die Interaktion der verschiedenen Instanzen der Überlieferung und Bezeugung voraus; sie sind stets in Beziehung zueinander zu sehen und in dieser Beziehung zugleich eigenständig. Ihre Eigenheit ist durch verschiedene Zeitsignaturen wie unterschiedliche Kompetenzen gekennzeichnet. Heilige Schrift und apostolische Überlieferungen sind Größen der Vergangenheit. Für die drei aktuellen Bezeugungsinstanzen gilt ein Interaktionsmodell. Das Lehramt hat zwar im Ernstfall die juristische Letztentscheidungsbefugnis; die anderen Instanzen haben demgegenüber nur eine argumentative Autorität. Zur authentischen Artikulation benutzen die verschiedenen Instanzen also unterschiedliche Methoden. Freilich bleibt die unaufgebbare Voraussetzung: Alle Instanzen sind einander zugeordnet und müssen daher kooperieren. Ihre unterschiedlichen Funktionen sind nicht aufeinander reduzierbar und daher bleibend verbindlich.
8. Wer sagt, was in der Kirche gilt?
b) Das Lehramt der Theologie a) Die Theologie der Väter Eine klassische Ausformung der intellektuellen Arbeit an der eigenen Glaubensüberlieferung findet im Denken, Spekulieren, Analysieren, dem Wirken und Schreiben der ersten Theologengenerationen in der christlichen Antike statt. Diese Theologie der Väter kann als Versuch beschrieben werden, die biblische Überlieferung und ihre narrative Erzählkultur in einen anderen Kulturraum und in eine andere philosophisch-argumentative Denkweise zu übertragen. Die Theologie (korrekter: Theologien) der Väter ([15] 278–82) ist der erste Kristallisationspunkt einer neuen Gestaltwerdung des Glaubens, die sich aus den Quellen biblischer Überlieferung (apostolische Verkündigung, Heilige Schrift und älteste Bekenntnisformeln) speist, aber auch Denkelemente und Formen der philosophisch-heidnischen Umwelt aufnimmt, um sie als Sprach- und Denkmodell der eigenen Glaubenswelt in Dienst zu nehmen. Sie verändert dadurch das Aufgenommene und sie verändert auch die Gestalt des eigenen Glaubens. Vieles von den Überlegungen der Väter wandert in spätere Lehrentscheidungen ein bzw. bereitet diese vor (besonders die christologischen Konzilien des vierten bis siebten Jahrhunderts; [15] 263–272). So gilt die schriftstellerische Tätigkeit der Väter, insbesondere dort, wo ihre Ergebnisse – sei es in diachroner oder in synchroner Sicht – übereinstimmen (consensus patrum), als authentische Auslegung des Glaubens, d. h. die Väter gelten als Autoritäten im Glauben, an denen sich die Gläubigen zu allen anderen Epochen orientieren können ([15] 283–290). Dabei ist ihr entscheidendes Handlungsorgan das Konzil. b) Die Konzilien Sein historisches Vorbild hat das Konzil im jüdischen Synhedrium, also der Versammlung der Hohenpriester und bekannter Schriftgelehrter, die in Streitfragen entscheiden sollen. Die Verfahrensweise ist durch Elemente des römischen Rechts und anderer Rechtsquellen angereichert. Aber es gibt keine von Anfang an verbindliche Verfahrensweise. Wer oder was ein Konzil ist, wie Entscheidungen fallen etc.; all das regelt sich, indem man etwas tut. Erst am Übergang der christlichen Antike zum Mittelalter und im Mittelalter selbst entwickelt sich eine theologische und vor allem kirchenrechtliche Reflexion darüber, was nun ein Konzil ist, wer daran teilnimmt und wer entscheidet. Demgegenüber hat das Konzil eine mehr oder minder konstante Funktion: Es ist ein Handlungsorgan der Gemeinschaft der Kirche, das insbesondere in Streitfragen bzw. zu einer Zeit, wo neue Anfragen auftreten, notwendig ist. Es ist ein Medium der Konsensbildung ([15] 291 f.). Zunächst dienen daher Synoden und Konzilien dazu, verbindliche Absprachen zwischen den einzelnen, durchaus sehr selbstständigen Teilen der Kirche zu treffen. Hier werden auch Probleme und Streitigkeiten geregelt, die in der einzelnen Ortskirche nicht gelöst werden können (regulierende Funktion). Mitunter sind die Probleme aber so tief greifend bzw. herausfordernd, dass sich eine Versammlung auch auf theologisches Neuland wagen muss. Der auf der Versammlung gefundene Konsens (synchron und auch diachron auszuweisen und an der Heiligen Schrift zu messen) wird zu einer für alle verbindlichen neuen Glau-
consensus patrum
Konzil
regulierend
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens definierend
universitas
antiquitas
auctoritas
romanitas
bensregel (definierende Funktion). Die Wirksamkeit der Entscheidung hängt gerade auch von der anschließenden Rezeption ab, die den gefundenen Konsens bewährt ([15] 310 f.). Bis zur karolingischen Zeit gibt es eine Fülle von Formen, in denen Konzilien abgehalten wurden ([3] 121). Sie hängen von den kulturellen Gepflogenheiten jener Gebiete ab, in denen sie stattfinden. Nachdem das Christentum religio licita und später Staatsreligion wird, ist die Teilnahme, Ein- und Mitwirkung der staatlichen Autorität (des Kaisers) selbstverständlich. Das gilt insbesondere für die frühen Konzilien der christlichen Antike. Sie finden im Bannkreis der Hauptstadt Ostroms, Konstantinopel, statt; und so versammeln sich auf ihnen zumeist die Bischöfe der östlichen Reichsteile. Der Westteil des Reiches ist häufig ,nur‘ durch römische Legaten vertreten. Mitunter ist die Versammlung sogar ganz bewusst als Lokalsynode durchgeführt worden (vgl. Konzil von Konstantinopel 381), deren Entscheidungen aber dann durch die allgemeine Rezeption universal verbindlichen Charakter erhält. Bei der Rezeption von Konzilsbeschlüssen spielen insbesondere die fünf großen Bischofssitze der Antike (Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem, Alexandrien, Rom) eine zentrale Rolle. Zunächst gilt die Einberufung eines Konzils als besonderes Ereignis. Das erste ökumenische Konzil 325 in Nizäa war die Ausnahme und sollte es bleiben. Erst in den Jahrzehnten danach bildet sich so etwas wie eine Idee der Wiederholung und damit eine erste ,Theologie des Konzils‘ aus. Für Augustinus (354–430) ist dabei wichtig, dass die Versammlung den Konsens der gesamten Kirche repräsentiert (universitas) und durch ihre Beschlüsse den Glauben ,festigt‘, indem sie die Wahrheit feststellt und bekräftigt, die ansonsten aber durch vernünftige Argumente abgesichert wird. Vinzenz von Lerin ({ vor 450) betont dagegen die Wichtigkeit des diachronen Konsenses, also die Übereinstimmung mit der Lehrtradition (verbunden mit der Idee einer gewissen Unveränderlichkeit des Glaubensinhalts auch in seiner äußeren Form) (antiquitas); wichtig ist daher weniger die Diskussion auf dem Konzil als seine schriftlichen Beschlüsse. Sie sind die konkrete Norm zum rechten Verständnis und der rechten Auslegung der Heiligen Schrift. Papst Damasus (305–384) vertritt den beiden Theologen gegenüber eher eine formalrechtliche Position. Die Verbindlichkeit einer Versammlung hängt von der rechtlichen Qualität ihrer Teilnehmer und von der anschließenden Akzeptanz durch die entsprechenden Autoritäten ab. Was eine Versammlung einmal als Recht verabschiedet hat und was dann anschließend akzeptiert wurde, bleibt verbindliches Recht (auctoritas). Einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Konzilstheologie vollzieht Papst Leo der Große ({ 461). Er hebt neben der Autorität der versammelten Bischöfe die Autorität des Papstes hervor. Die Versammlung der Bischöfe repräsentiert den gegenwärtigen Konsens, der Papst den diachronen Konsens der Kirche. Beides ist für eine verbindliche Entscheidung wichtig. Seine Nachfolger nehmen diese Grundidee auf und Papst Gelasius ({ 496) entfaltet daraus eine verbindliche Definition. Ein gültiges Konzil ist dann gegeben, wenn seine Lehre mit Schrift und Tradition übereinstimmt, die Bestimmungen des kirchlichen Rechts beachtet werden, die Rezeption durch die Gesamtkirche (z. B. die nichtanwesenden Bischöfe und das Volk) erfolgt und sie durch den apostolischen Stuhl (romanitas) bestätigt wird. Eine solchermaßen zustande gekommene Konzilsentscheidung ist
8. Wer sagt, was in der Kirche gilt?
nicht revidierbar, damit ist aber „die Möglichkeit einer weiteren Vertiefung, sprachlichen Präzisierung und Ausfaltung der Glaubenslehre“ nicht ausgeschlossen ([15] 322). c) Die ,cathedra‘ der Theologen Neben dieser quasi kirchenamtlich offiziellen Linie der Wirksamkeit der Theologie, hier insbesondere der Theologie der Väter, bildet sich freilich auch eine andere Wirkungsgeschichte aus: die wissenschaftliche Theologie. Dem Konsens jener ersten Riege der Theologen, der alten Väter und den Konzilsentscheidungen tritt daher die Überlieferungsinstanz der wissenschaftlichen Theologie zur Seite. Mit dem Aufbrechen des Kulturkreises der klassischen Antike ist auch eine veränderte intellektuelle Aneignung des Glaubens notwendig. Begreifen, Verstehen, Erklären wird nun zum Kerngeschäft der Theologie überhaupt (und ist es bis heute). Gerade dem intellektuellen Verständnis des Glaubens kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Theologie und Glaube ,professionalisieren‘ sich; sie werden ,verwissenschaftlicht‘ (s. III.3.b). Kein anderer als Thomas von Aquin spricht selbstbewusst von der zweifachen cathedra, dem zweifachen Lehramt der Kirche: dem der Bischöfe und dem der Theologen; ein Selbstbewusstsein, das heute kaum mehr vorstellbar erscheint ([92] 288 f.). Dennoch bleibt die intellektuelle Aufgabe der Theologie bis heute für den Glauben unverzichtbar. Die konkrete Form und Methode der intellektuellen Durchdringung kann durchaus unterschiedlich sein. Spätestens seit der Wiederentdeckung des Aristoteles in der Hochscholastik wird seine Philosophie zur methodischen Leitkultur, mit all den positiven aber auch negativen Konsequenzen, die so eine jeweils dominierende Philosophie hat. Freilich dient sie stets dazu, die intellektuelle Redlichkeit und vernünftige Auslegung des Glaubens zu belegen (s. III.2.b).
wissenschaftliche Theologie
das Lehramt der Theologie
c) Kirchliches Lehramt Die Verhältnisbestimmung der einzelnen Überlieferungsinstanzen und ihr Miteinander sind die heißen Eisen der theologischen Diskussion und die offene Flanke der nachkonziliaren Theologie. Das lässt sich nirgendwo deutlicher machen als in der Frage nach dem Status des Lehramts der Kirche und seiner Entscheidungs- bzw. Letztentscheidungskompetenz. a) Wieso ,unfehlbar‘? Unverkennbar spielt in die Frage nach der Unfehlbarkeit jene Gewissheitsproblematik mit hinein, die sich nach dem Zweiten Vatikanum notwendig anders zu stellen hat als in den Jahrhunderten katholischer Lehrentwicklung zuvor. Denn eine Antwort auf die Frage nach den Dogmen als ,infalliblen Lehrentscheidungen‘ ist angesichts eines nicht mehr adäquat synthetisierbaren Pluralismus der Kulturen, Philosophien und Theologien ([53] 104 f.) nicht nur schwieriger, sondern zunehmend unwahrscheinlicher geworden. Dies stellt aber die Relevanz der christlichen Wahrheit als Ganze infrage, denn ohne „eine zureichende Antwort auf die Frage nach der Begründbarkeit von letztgültigen Verbindlichkeiten hängt auch der Glaube an das ,Ein-für-allemal‘ der Offenbarung Jesu Christi […] in der Luft“ ([53] 124). Vor dem Frage-
Letztentscheidungskompetenz
101
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
zwischen Pluralismus und Fundamentalismus
Ultramontanismus extreme Infallibilisten
horizont der unbedingten ,Wahrheit‘ des christlichen Glaubens (s. III.4) stellt das Dogma von 1870 einen gültigen Versuch dar, „dem Primat des bloßen Meinens nicht das letzte Wort zu lassen. Jeden theologischen Frontalangriff gegen jene Formulierungen, der nicht von einem besseren Vorschlag zur Fundierung von Letztgültigkeitsannahmen, zumindest des Unbedingtheitscharakters christlicher Offenbarung, ausgeht, muss man aber wegen des verhängnisvollen Wechselspiels von Pluralismus und Fundamentalismus als für den Fortschritt in Kirche und Gesellschaft gefährlich bezeichnen“ ([53] 124 f.). Dieses Verhängnis kennzeichnet aber nicht nur das postmoderne ,Spiel‘ des binnenkatholischen ,Kräftemessens‘, seine Wurzeln reichen tiefer. Letztlich sind das Erste Vatikanische Konzil und seine Beschlüsse selbst ein Symptom dieser Grundproblematik. Bekanntlich ringen dort bis zum Ende drei Strömungen miteinander um Begründung, angemessenes Verständnis und adäquate Umsetzung des Unfehlbarkeitsgedankens. Da findet sich zum einen die Minderheitenposition des ,Ultramontanismus‘, deren Anhänger man am besten als ,extreme Infallibilisten‘ bezeichnen könnte. In Anlehnung an die Arbeiten de Maistres wünschen sie die Idee der römisch-katholischen Kirche als absolute Monarchie auch formal durch die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes durchzusetzen. Ihr gegenüber steht eine ebenfalls als Konzilsminderheit zu bezeichnende Gruppe, die „der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit teils kritisch, teils ablehnend gegenüber[steht]“ ([94] 71). Die Konzilsmehrheit wird indes durch eine wenig profilierte dritte Gruppe repräsentiert, die – je länger, je deutlicher – zwar auf eine Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit drängt, aber auch die Einwände der eher ablehnenden Konzilsminderheit zu berücksichtigen wünscht. Das Anliegen der skeptischen Konzilsminderheit wird in den Diskussionen der Konzilsaula positiv aufgenommen und ist stets präsent, gelangt aber am Ende nicht in den verabschiedeten Text. So ist dieser Text ohne die in den Diskussionen der Konzilsaula grundgelegten ,Verstehenshilfen‘ nicht adäquat auslegbar. Dennoch wirkt die von Hans Küng (*1928) als Lehre des Konzils ausgegebene maximalistische Deutung, obgleich durch dogmenhermeneutische wie dogmenhistorische Untersuchungen eindeutig zurückzuweisen, bis heute nach. b) Das Dogma „Wenn der Römische Bischof ,ex cathedra‘ spricht, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen kraft seiner höchsten Apostolischen Autorität entscheidet, dass eine Glaubens- oder Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist, dann besitzt er mittels des ihm im seligen Petrus verheißenen Beistands jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definition der Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte; und daher sind solche Definitionen des Römischen Bischofs aus sich, nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.“ Dogmatische Konstitution ,Pastor aeternus‘ (DH 3074)
Bedingungen der Unfehlbarkeit
Das Konzil lehrt hierin keine ,absolute Unfehlbarkeit‘ des Papstes, eine solche kommt allein Gott selbst zu; die päpstliche hat konkrete Grenzen und
8. Wer sagt, was in der Kirche gilt?
Bedingungen: (1) hinsichtlich des Subjekts; (2) hinsichtlich des Objekts; (3) hinsichtlich des Aktes. (1) ,Unfehlbarkeit‘ ist „eine Vollmacht in der Kirche und für die Kirche, nicht aber gegenüber der Kirche, als ob der Papst selbst dabei aus ihr herausgenommen wäre“ ([93] 100). Der dafür verheißene Beistand ist ein rein ,negativer‘: „Er schützt den Papst davor, etwas definitiv verpflichtend zu lehren, was der göttlichen Wahrheit zuwider liefe“ ([80] 211). Die Notwendigkeit von Konsultationen und die Rückbindung der päpstlichen Entscheidungen an die Gemeinschaft der Kirche/Bischöfe – also seine ,Vergewisserungspflicht‘ – werden nicht in der Entscheidung selbst, wohl aber im Rahmen einer ,historischen Vorbemerkung‘ festgehalten (vgl. DH 3069). Ergänzend dazu trägt zum tieferen Verständnis der Definition die Erklärung des Konzils bei, dass die Päpste keine neuen Offenbarungen empfangen, sondern ihnen der Beistand des Heiligen Geistes dazu verheißen ist, den apostolischen Glauben treu zu bewahren (vgl. DH 3070). In der konkreten Formulierung des Dogmas hingegen ist das ,Drohgespenst des Gallikanismus‘ federführend ([94] 86 f.). Die Formel „sollte nachweislich die Vorstellung ausschließen, die päpstlichen Kathedralentscheidungen bedürften zum Zwecke ihrer Inkraftsetzung einer nachträglichen Ratifikation durch die Kirche bzw. durch ein die Kirche repräsentierendes Gremium“ ([93] 100). Abgewehrt wird dabei nicht der vorausgehende oder gleichzeitige Konsens der Kirche, sondern nur eine irgendwie geartete nachträgliche, rechtliche Zustimmung, die das Verfahren selbst wieder in seiner formalen Verbindlichkeit in Frage stellen würde ([68] 224 f.). Freilich bleibt es auf dem Konzil bei dieser moralischen Verpflichtung des Papstes, die aber unter Umständen den Papst stärker einfordern könnte als eine formal rechtliche Festlegung. (2) „Nur bei der Definition einer Glaubens- und Sittenlehre. Er kann also nur definieren, was zur apostolischen Tradition und zum gemeinsamen Glauben der Kirche gehört“ ([94] 82). Deswegen legt das Konzil vor der Definition auch fest: „Den Nachfolgern des Petrus wurde der Heilige Geist nämlich nicht verheißen, damit sie durch seine Offenbarung eine neue Lehre ans Licht brächten, sondern damit sie mit seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung bzw. die Hinterlassenschaft des Glaubens heilig bewahrten und getreu auslegten“ (DH 3070). Der Papst ist in seinen Entscheidungen also in das Gesamt der Kirche eingebunden und auf die Heilige Schrift und die sie auslegende Tradition zurückverwiesen. Der ,normale‘ Ort solcher Entscheidungen ist daher das Konzil ([94] 92). (3) „Bei Ex-cathedra-Entscheidungen muss der Papst ausdrücklich seine Absicht erklären, dass er ein endgültiges Urteil fällen will und die betreffende Lehre von der Gesamtkirche festzuhalten ist“ ([92] 83). Dabei wird deutlich, dass mit ,Unfehlbarkeit‘ keine persönliche ,Eigenschaft‘ des Papstes umschrieben wird, sondern dass damit die Amtshandlungen des Papstes qualifiziert werden. Vom Definitionstext her wird dies dadurch deutlich, dass hier nicht pauschal von jener ,Unfehlbarkeit‘ die Rede ist, mit der Christus seine Kirche ausgestattet wissen wollte, sondern „die gesamtkirchliche lehramtliche Unfehlbarkeit“ ([107] 109 f.). Die päpstliche Unfehlbarkeit ist an eine konkrete Aufgabe gebunden, ist eine funktionale, d. h. in seiner Funktion und eben nur darin zukommenden ,Eigenschaft‘.
Vergewisserungspflicht
antigallikanische Formel
Glaube der Kirche
ex cathedra
Lehramtliche Unfehlbarkeit
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
päpstliche Grenzziehungen
c) Zur Wirkungsgeschichte des Ersten Vatikanischen Konzils Obgleich sich bei der Definition der Unfehlbarkeit päpstlicher Akte weder die extremen Befürworter noch die Gegner durchsetzen, vermeidet man auf dem Konzil eine nähere Festlegung der Konsequenzen aus dieser rein funktionalen und juridisch eingeschränkten Bestimmung, sodass diese in der Wirkungsgeschichte des Konzils fast notwendig zum eigentlichen Problem werden ([66] 171). Dadurch kommt es zu einer Ausweitung des Unfehlbarkeitsverständnisses, sodass man Unfehlbarkeit zunehmend als ,Eigenschaft‘, ,Attribut‘ des Papstes selbst versteht und so auch auf das ordentliche Lehramt des Papstes ausdehnte. De facto wird auf diese Weise dem päpstlichen Lehramt – entgegen der vom Konzil explizit vorgetragenen Einschränkungen – die gleiche Qualität der ,traditio activa‘ zugeschrieben wie der ,traditio activa‘ der Apostel und damit des Glaubensdepositums und so die Einordnung des päpstlichen Lehramts in das Gesamt der Kirche – repräsentiert durch die Communio der Bischöfe – trotz entsprechender Grenzziehungen durch Pius IX. (vgl. DH 3116) nicht mehr adäquat wahrgenommen ([66] 171). Erst vor diesem Hintergrund wird deutlich, wieso die im Prinzip ,alte‘ Lehre von der Kollegialität der Bischöfe, wie der Bezug der Unfehlbarkeit auf die Gesamtkirche als die ,Wende‘ des Zweiten Vatikanums in der Unfehlbarkeitsdebatte erscheinen konnte. Die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums bricht das Monopol der maximalistischen Interpretation des Unfehlbarkeitsdogmas und zeigt so deutlich eine Ergänzungsbedürftigkeit der Beschlüsse des Ersten Vatikanums hinsichtlich der ekklesialen Gesamtdimension ([66] 159).
d) Die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils Als entscheidende Dokumente des Konzils sind die Offenbarungskonstitution Dei Verbum und die Kirchenkonstitution Lumen gentium zu nennen. Nicht zu unterschätzen ist indes auch die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die eine neue Verhältnisbestimmung von Kirche und Welt wagt. Hier muss sich die Kirche nicht mehr gegen feindliche Strömungen ,da draußen‘ abgrenzen, was notwendig zu einer verschiedenen Verhältnisbestimmung und zu einem veränderten Selbstverständnis führt.
Kollegialität
a) Der Bischof von Rom und die Gemeinschaft der Bischöfe Das veränderte Offenbarungsverständnis des Konzils führt zu einer veränderten Beziehung der Überlieferungs- und Bezeugungsinstanzen. Deutlich wird diese Einbindung im dritten Kapitel der Kirchenkonstitution, das am direktesten und häufigsten auf das Vorgängerkonzil Bezug nimmt. Inhaltlich bietet das Konzil auf den ersten Blick wenig Neues. Das Wenige konzentriert sich – unterbrochen durch einen ebenso als ,Novum‘ zu bezeichnenden Einschub über das ordentliche Lehramt des Papstes und seiner Verbindlichkeit – auf die Lehre von der Kollegialität der Bischöfe und ihrem kollegial verfassten Lehramt (vgl. LG 25,1 f.; DH 4149). Erst in diesem Rahmen findet die Übernahme des Unfehlbarkeitsdogmas ihren Ort. Das wirkt bestimmend für die Gesamtintention des Textes: Die Verbindung des Papstes mit dem Bischofskollegium wird unterstrichen und so werden seine unfehlbaren Akte – als ,Haupt des Kollegiums‘ – in die ,gleichfalls‘ unfehlbare Lehrautorität des
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Bischofskollegiums und damit der Gesamtkirche, die sie repräsentieren, eingebunden (vgl. LG 25,3 f.). Der kollegiale Charakter der Vollmacht und die wechselseitige Gemeinschaftspflicht werden somit betont ([92] 253). Dadurch werden die Bedeutung des ,ex sese‘, wie die 1870/71 nur besprochenen, nicht aber festgeschriebenen Bedingungen „in das Gesamtverständnis der Kirche und der ihr verheißenen Infallibilität“ integriert ([69] 495). Der Gehalt der Formel ,ex sese‘ wird durch die nachfolgenden Erklärungen und Erläuterungen (vgl. LG 25,3) präzisiert und in dem Sinne ,relativiert‘, dass er in Beziehung zu den anderen Überlieferungs- und Bezeugungsinstanzen gesetzt wird ([94] 113 f.). b) Das Lehramt und der sensus fidelium Diese engere Einbindung der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramts betont schlussendlich auch die These von der Teilhabe aller an dem einen Prophetenamt Christi in LG 12 (DH 4130 f.; [92] 185). Hier wird aus einer bisher eher im Hypothetischen verbleibenden, ,passiven‘ Unfehlbarkeit der Kirche als Ganze ein aktives Medium der Glaubensüberlieferung. Der Begriff des sensus fidelium (Glaubenssinn der Gläubigen) und – mit ihm eng verbunden – des Rezeptionsgedankens tragen dem Rechnung ([92] 183). Das hat freilich nur Sinn in einem kirchlichen Gefüge, das nicht von vornherein in eine hörend-gehorchende und eine lehrend-leitende Kirche aufgespaltet ist ([73] 346 f.). Daher betont das Zweite Vatikanum die „Gleichheit aller Glieder und Gruppen der Kirche in Bezug auf das Heil und die Gliedschaft in der Kirche“ ([73] 350) und die prospektive Bedeutung der alle umfassenden Konsensbildung: „Was nicht rezipiert wird, wird nicht wirksam, sondern bleibt wirkungslos und somit unwirklich“ ([101] (2. Aufl.) 150). So etabliert sich der Glaubenssinn als eigene Bezeugungsinstanz und als aktive Eigenschaft der ganzen Kirche ([59] 102 f.). Dabei ist die Reziprozität des Verhältnisses von besonderer Bedeutung. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man den engen Rahmen der Kirchenkonstitution verlässt und in andere Dokumente des Konzils blickt. Insbesondere Dei Verbum bietet mit dem neu reflektierten Glaubensbegriff, aber auch mit dem Rekurs auf die Gemeinschaft der Kirche als umfassende Überlieferungsgemeinschaft des Glaubens die Möglichkeit eines vertieften Blicks.
sensus fidelium Rezeption
e) Jenseits von ,unfehlbar‘ Der erste Schritt zum richtigen Verständnis des mit ,unfehlbar‘ Gemeinten ist wohl eine nähere Abgrenzung des Begriffs: Nicht ,ohne Fehl und Tadel‘ ist damit gemeint, sondern Irrtumslosigkeit im Sinne von Unbeirrbarkeit ([96] 2) durch die Untrüglichkeit der Treue Gottes, die ihr eigentlicher Grund und ihr eigentliches Ziel ist ([75] 7). Die Kirche als ganze kann sich in diesem Glauben nicht täuschen ([75] 15), sondern erkennt, lebt, weiß und zeigt, worum es wirklich geht. Daher geht es bei dem Begriff ,Unfehlbarkeit‘ nicht um eine Eigenschaft bestimmter Personen oder um Kriterien für einen bestimmten Inhalt, sondern die Unbeirrbarkeit des Glaubens kommt zunächst einmal der Kirche in all ihren Gliedern zu. Wir müssen uns daher der mit dem Begriff der ,Unfehlbarkeit‘ verbundenen Frage nach der Wahrheit und Gewissheit unseres Glaubens stellen. Gott
Unbeirrbarkeit als Untrüglichkeit Gottes
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens
kommuniale Wahrheit
hat sich in Jesus von Nazaret so gezeigt, wie er ist. Das ist unsere christliche Grundüberzeugung. Und für diese Grundüberzeugung gilt es einzustehen. Wir dürfen, ja müssen sie auch nach außen hin vermitteln können. Diese Vermittlung wird zwar – so sehr sie sich auch nur um ihre Wahrhaftigkeit bemühen kann – diese Wahrheit immer nur teilweise, bruchstückhaft sichtbar machen können, weil das Zeugnis selbst – neben seinem Anteil an Wahrheit – immer auch Begrenztheit, Zeitbedingtheit, eben Geschichtlichkeit aufweist, weil es Lebenszeugnis ist. Freilich kann und muss sich das Zeugnis selbst gerade an seinem inneren Maßstab der Wahrheit Gottes messen lassen, daran nämlich, dass es dem Zum-Glauben-Kommen durch die Konfrontation mit der überzeugenden Wahrheit Gottes dient. Dann und nur dann überliefert es auch die Wahrheit. Wer das von vornherein ausschließt, leugnet nicht nur die Möglichkeit eines echten Zeugnis-Gebens, sondern die inkarnatorische Grunddimension des Glaubens selbst. Für die Gemeinschaft der Zeugen bedeutet das, alles zu tun, damit wirklich deutlich wird, dass jeder, der sich darauf einlässt, keinem Irrtum hinterherläuft. ,Unfehlbarkeit‘ bedeutet also letztlich nichts anderes als Gewissheit über die Wahrheit. Freilich ,bleiben‘ wir in dieser Wahrheit, nicht weil wir es wollen, sondern weil Gott es will. Dabei haben wir unsere Kräfte dafür einzusetzen, dass die Sprache unseres Glaubens verständlich, unser Zeugnis glaubwürdig und unsere Lebenspraxis überzeugend bleibt. Nur die Wahrheit Gottes selbst ist unfehlbar; Kirche kann nur immer wieder versuchen, diese Wahrheit Gottes angemessen und sichtbar vorzuleben. Dabei muss sich die Kirche selbst gerade auch an den anthropologischen Vorgaben ausrichten, wenn sie die Wahrheit aussagen möchte. In einer kommunal strukturierten Kirche stehen alle Bezeugungsinstanzen kraft ihrer Eigenständigkeit und Eigenverantwortung in je singulärem Dienst an der der ganzen Glaubensgemeinschaft zukommenden Aufgabe der Verkündigung und Vermittlung. Die Wahrheit des Glaubens kann daher nicht so verstanden werden, dass sie von einer wahrheitsprivilegierten Instanz allein getragen werden könnte. Sie ist vielmehr nur in kommunikativen Prozessen ermittelbar, die dem normativen Anspruch der Gleichberechtigung aller kompetent Teilnehmenden genügen müssen ([55] 818; [115] 399). „Der Stil der Kommunikation in der Kirche und des Umgangs miteinander ist […] alles andere als beliebig. Der Maßstab dafür ist der Umgang Gottes mit uns, der das Kommen des Reiches damit beginnt, daß er uns wie Freunde anredet und wie mit Freunden mit uns verkehrt, um uns in seine Gemeinschaft einzuladen (DV 2)“ ([94] 133 f.). Unbeirrbarkeit ist damit letztlich ein dynamischer und kommunialer mit verschiedenen, je unterschiedlich wirksam werdenden, synchron und diachron verteilten Instanzen, aber kein rein definitorischer oder gar exklusiver Begriff. Das bedeutet aber: „Nicht zuerst der Papst ist unfehlbar, sondern die Kirche kann im Glauben nicht irren. […] Es kann keine gültige lehramtliche Verkündigung geben, die sich um das Glaubensbewußtsein der Gläubigen nicht kümmert“ ([92] 185).
B. Spezielle Dogmatik 1. Zur Traktatstruktur der Dogmatik a) Entstehung und Systematik Die Dogmatik entwickelt sich als Fachdisziplin wohl auch in bewusster Weiterführung und mitunter Abgrenzung aus der scholastischen Methode. Jene hatte einen logisch-dialektischen Aufbau: Die Quaestio (Frage) mit ihrem formalisierten Argumentationsgang (Fragestellung [quaestio]; Ausgangsposition [videtur quod] mit Gründen; Antithese [sed contra] mit Gegengründen [respondeo dicendum]; Widerlegung der Ausgangsposition) und dem Exitusreditus-Schema ihrer systematischen Grundstruktur (Teil I: von Gott, seinem Sein; der himmlischen Ordnung; Teil IIa: Bewegung des Menschen zu Gott; allgemein: Tugenden, Gesetz, Gnade; Teil IIb: speziell: Tugenden etc,; Teil III: Leben, Leiden, Wirken Jesu Christi, bis hin zu Kirche und Sakramenten). An ihre Stelle tritt im 17. Jahrhundert die argumentativ-erklärende thetische Darstellung mit den Schritten: These, Meinungen (opiniones), Autoritätsbeweise (probationes), theologische Begründung (ratio theologica), Problemlösungsvorschläge, Anwendung (in Bezug auf Lebenswandel und Frömmigkeit). Ende des 18. Jahrhunderts wird die Darstellung insbesondere durch den Gedanken eines alle Bereiche umfassenden theologischen ,Systems‘ beeinflusst, der die Inhalte nach Gegenstand und Methode strukturiert und thematisch erweitert. Im 19. Jahrhundert wird dagegen die Disziplin durch die ,Renaissance‘ der thomistisch-neuscholastischen Methode zu einer insbesondere am Zusammentragen von Beweisstellen (dicta probantia) aus Schrift und Tradition orientierten ,Belegwissenschaft‘ satzhafter, lehramtlich approbierter Glaubensaussagen (s. II.1; III.3) formalisiert. Erst im 20. Jahrhundert kommt es zu einer veränderten Grundlegung und Zielsetzung der Disziplin, die nun neben den Ergebnissen der historisch-kritischen Schriftauslegung und Theologie- und Dogmengeschichte gerade auch den Gegenwartsbezug und die existentielle Relevanzfrage in den Mittelpunkt stellt (s. I) und sich durch eine heilsgeschichtlich orientierte Methode auszeichnet. Die Dogmatik ist „zugleich und in einem und unauflösbar Essenz- und Existenztheologie. Sie hat nach Gott zu fragen, der als Gott existiert, aber sie stellt diese Frage zugleich unter dem Horizont seines geschichtlichen Heilshandelns“, d. h. der existentiellen wie konkret geschichtlich sich vollziehenden Gotteserfahrung ([1] 87). Die Aufgabe der Dogmatik ist daher eine positiv-darstellende wie inhaltlich-kritische, da sie auch das geschichtliche Werden der Glaubenslehre sowie die besonderen Problemkonstellationen der Gegenwart einbeziehen muss. Als spezifisch katholische Dogmatik achtet sie nicht auf den Schriftbezug, sondern auch auf die in der Geschichte entfalteten kirchlichnormativen Auslegungen ([13] 290). Die Einteilung des Stoffs der Dogmatik in Traktate orientiert sich traditio-
scholastische Methode
Essenz- und Existenztheologie
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1. Zur Traktatstruktur der Dogmatik heilsgeschichtliche Perspektive
nell an der heilsgeschichtlichen Perspektive des apostolischen Glaubensbekenntnisses: Gotteslehre, Schöpfungslehre, Theologische Anthropologie, Christologie, Soteriologie, Pneumatologie, Ekklesiologie, Sakramententheologie, Gnadenlehre, Mariologie und Eschatologie; ergänzt durch die Theologische Prinzipien- und Erkenntnislehre. Diese Einteilung ist – sieht man einmal von speziell konfessionell geprägten Themenbereichen wie der Mariologie ab – überkonfessionell ([13] 290; [1] 90–93).
b) Gegenwärtige Tendenzen und Neuansätze ([133]) Vielfalt dogmatischer Ansätze
Aktuelle Gestalt und Thematik der Dogmatik finden sich durch die die spezifisch europäisch-abendländische Tradition kritisch in den Blick nehmenden kontextuellen Theologien nichteuropäischer Kulturkreise in Frage gestellt. Ebenso stellen die pluralistische Religionstheologie wie die feministisch orientierten Theologien eine besondere Herausforderung dar. Die Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln aller christlichen Theologie hilft dabei ebenso, frühere Einseitigkeiten aufzubrechen, wie der Fortschritt des ökumenischen Dialogs eine konfessionelle Fixierung der Dogmatik von innen her unterläuft. Aufgrund der genannten Umstrukturierung und Neuorientierung der katholischen Dogmatik als Disziplin seit Mitte des 20. Jahrhunderts ergibt sich heutzutage eine relative Vielfalt dogmatischer Ansätze, Methoden und Schwerpunktsetzungen. Darin spiegelt sich letztlich die Vielstimmigkeit eines zeitgenössischen religiösen wie weltanschaulichen Pluralismus, der nicht ohne Einfluss auf das Selbstverständnis und die Typologie der Dogmatik als theologischer Disziplin bleibt ([12] 54–60). Die Aufarbeitung der aktuellen geistigen Situation zwingt zur Auseinandersetzung mit den Phänomenen Säkularismus und Aufklärung, während eine Multiperspektivität die zeitgenössische Grundsignatur darstellt, die insbesondere in der Gestaltung der Einzeltraktate, aber auch in der Grundorientierung der Dogmatik als Ganze sichtbar wird. Sie ist u. a. bedingt durch die Inanspruchnahme verschiedenster der Dogmatik zur Verfügung stehender Hilfswissenschaften, seien dies die zeitgenössischen philosophischen Ansätze (vom transzendentaltheologischen Ansatz bis hin zur phänomenologisch oder korrelativ-existentiell-hermeneutisch arbeitenden Theologie), seien es Natur- und Humanwissenschaften als Diskussionspartner, seien es soziologische oder politische Denkmodelle. Das betont jene ,Außenorientierung‘, die die Dogmatik in der postmodernen Moderne grundlegend und unaufgebbar kennzeichnet. Hierbei werden mitunter die traditionelle Aufteilung der Traktate kritisch hinterfragt und Neukonstellationen der Themen und Inhalte versucht.
2. Trinitätstheologie als Ausgangspunkt und Ziel aller christlichen Gottesrede a) Moderne Fraglichkeit „Die Rede von Gott stammt allemal aus der Rede zu Gott, die Theologie aus der Sprache der Gebete“ (Johann Baptist Metz [*1928]) ([84] 79). Dass der
Moderne Fraglichkeit
eigentliche Ort jeder Theologie die Doxologie, also die lobpreisende Anrede Gottes ist, ist über weite Strecken der Theologie mitunter vergessen worden. Sich wieder darauf zu besinnen, bedeutet auch, auf die bleibende Unzulänglichkeit aller Gottesrede aufmerksam zu machen (s. IV.1), die am Ende allenfalls im stammelnden Versuch einer Anrede enden kann, wenn sie angesichts der Unbeschreibbarkeit wie Unbegreiflichkeit Gottes nicht völlig verstummen will ([125] 32). Es verweist auf die bleibende Bestreitbarkeit jeder Prädikation, die zwar verantwortet werden muss, im letzten Grund aber nicht ,bewiesen‘ werden kann (s. III.2/3). Und es verweist auf jenen notwendig personalen Zug jeder Gottesrede, die den Lobpreis nicht ohne Blick auf den Lobpreisenden stehen lassen kann, sondern ihn mit hinein nimmt in das, was er sagt ([135] 26 f.). Ferner wird bewusst, dass jeder Versuch der Gottesrede seinen Ursprung nicht in sich selbst hat, sondern ,Antwort‘ auf eine gemachte ,Erfahrung‘ ist; sie ist daher immer ein ,Nach-Denken‘ über diesen Gott ([135] 37).
doxologische Grundorientierung
Bestreitbarkeit
b) Wer ist ,Gott‘? Blickt man auf die biblische Überlieferung, so unterscheidet sich Israel im Repertoire der Gottesprädikate zunächst wenig von den es umgebenden Kulturen. Gibt es dennoch so etwas wie eine Grundsignatur des biblischen Gottesverständnisses? Die Geschichte der Gotteserfahrung Israels beginnt interessanter Weise nicht mit der Schöpfung, sondern mit dem Exodus, der Erfahrung der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten. Diese Befreiungserfahrung konstituiert die ganz eigene Gotteserfahrung Israels. Es ist die Erfahrung eines Gottes, der die Wege der Menschen lenkt, für die er engagiert ist; ein Gott, der freie Menschen will. Wie wird nun dieses Verhältnis ,Gott und die Götter‘ näher bestimmt? Die Betonung dieser Einzigartigkeit Gottes und des Verhältnisses zu ihm, nicht die Einzahl – ein Gott gegen die vielen Götter (Monotheismus/Polytheismus) – steht im eigentlichen Zentrum. Diese Einzigartigkeit Gottes ist keine numerische Größe, sondern sie drückt eine Beziehung aus. Israel formt daher seinen Gottesglauben nicht abstrakt-spekulativ (wie z. B. die Philosophen Griechenlands), sondern konkret und erfahrungsbezogen. Die Besonderheit dieses Gottes ist, dass er eine Beziehung mit ihm und zu ihm ermöglicht. Er setzt sich selbst in Beziehung zu den Menschen; eine freie Beziehung, die Freiheit/Befreiung schafft. Dieser Gott handelt nicht, weil er verehrt sein will; er braucht den Menschen nicht um seiner Ehre willen. Er handelt, weil er es so will, in Liebe so will. Und die Beziehung zu ihm ist daher eine ,geschenkte Freiheit‘ des Menschen. So bleibt die Theologiegeschichte Israels der Spannung verhaftet, einen Gott zu bekennen, von dessen Dasein in der Welt, seinem Handeln, seiner Geschichtsmächtigkeit man überzeugt ist, und auf den man sich auch hoffnungsvoll verlässt. Ebenso ist aber seine Anwesenheit nicht einfach selbstverständlich; sie ist nicht erzwingbar, nicht einfach vorauszusetzen, ja mitunter wird gerade Gottes Abwesenheit leidvoll erfahren. Der Gott Israels ist daher nicht einfach ,transzendent‘, ewig, jenseitig, wie dies ein philosophischer Gottesbegriff nahe legen würde. Er ist hier und jetzt in seiner Schöpfung da, weil er als tätiger Gott, als handelnder, in der Geschichte wirksamer Gott erfahren wird, weil
Gotteserfahrung – Befreiungserfahrung
Geschichtsmächtigkeit
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2. Trinitätslehre als Ausgangspunkt und Ziel christlicher Dogmatik
Theodizee
er ein kommunikativ handelnder und seinen Heilswillen durchsetzender Gott ist. Die ,Rückseite‘ dieser ,Erfahrung‘ ist die unabweisbare, nagende ,Warum-Frage‘ angesichts der umso dramatischer erlebten Gottferne in Leid und Not (Theodizee). Diese Gotteserfahrung sprengt alle bisherigen Gottesbilder, zwingt zu neuen Bildern, zu Umdeutungen, zu Neuinterpretationen und gibt der biblischen Gottesvorstellung eine Signatur, die sich deutlich von anderen unterscheidet (s. IV.1.b).
c) Christologie: Gott mit uns
Präsenz Gottes in der Welt
Begriffe – Titel – Namen
Wie entsteht die Trinitätstheologie? Durch die Erfahrungen, die Menschen mit einem, der war wie sie, nämlich Jesus von Nazaret, gemacht haben ([132] 7–58). Niemals wären die ersten Christinnen und Christen auf die Idee gekommen, dass ein Nachdenken über diesen Jesus ihren Glauben an den einen Gott in Frage stellen würde. Freilich ist klar: Dieser Gott ist ein einzigartiger Gott (ganz auf dem Hintergrund der Gotteserfahrung Israels), eben weil Jesus von Nazaret etwas mit ihm zu tun hat (das Neue). Die erfahrene Heilsgeschichte ist der Ausgangspunkt aller trinitarischen Überlegungen. Damit wird deutlich: Dem christlichen Trinitätsglauben geht es zunächst um nichts anderes, als die für Israel so zentrale ,Einzigartigkeit‘ Gottes nun in Bezug auf diesen Jesus von Nazaret festzuhalten. Es geht um die Frage, wie denn der letzte, transzendente Urgrund allen Seins, die Quelle des Heils, die Zukunft der Welt seiner Schöpfung bleibend nahe sein, ja auf eine unüberbietbare Weise nahe kommen kann. Es ist die Frage der bleibenden Präsenz Gottes in der Welt und wie man sie christologisch präzisiert angemessen ausdrückt. Die Anfänge der Christologie sind daher durch ein Ringen mit der Sprache, ein Sich-Abarbeiten an Begriffen gekennzeichnet, verbunden mit einem intensiven Nachdenken über Übersetzung und Interpretation von Begriffen und Motiven. Die verwendeten ,Namen‘ und Titel haben dabei immer eine doppelte Funktion. Sie wollen beschreiben, wer dieser Jesus Christus ist und wer er für die Glaubenden, für uns ist. Sie haben eine christologische und eine soteriologische Funktion. Die Sprachvielfalt des Neuen Testaments ist dabei keine Verlegenheit, sondern sie spiegelt die dahinter stehende Herausforderung, das irgendwie angemessen zu beschreiben, was wichtig ist. Ohne den Rückgriff auf ein bestehendes Begriffs- und Motivrepertoire, das die Umgebung und die eigene Glaubenstradition bereitstellt, kann kein neutestamentlicher Schriftsteller überhaupt etwas aussagen. Daher prägt gerade der jüdische Glaubenshorizont die neutestamentliche Sprache und ihre Begriffe. Er ist der entscheidende Verstehenshorizont des Neuen Testaments. Das gilt auch für jene Motive und Begriffe die ,fortgeschrieben‘ werden. Sie werden innerhalb der gewohnten Glaubenstradition vorgefunden und für das Neue, das sie ausdrücken sollen, uminterpretiert, ergänzt und erweitert. Der Deute- und Bedeutungshorizont verschiebt sich, weil er am realen ,Ereignis‘ Jesus Christus Maß nimmt. Von ihm aus müssen die Titel und Begriffe interpretiert werden und nicht umgekehrt. Selbst diese Ergänzungen und Verschiebungen bleiben von der jüdischen Glaubenstradition inspiriert. Kaum eine Interpretation geschieht im Gegensatz dazu; und kaum eine Interpretation kann die Tiefe dieser Tradition wirklich erschöpfend darstellen. Die
Christologie: Gott mit uns
jüdischen Wurzeln sind manchmal sogar tiefer, als es die neutestamentlichen Autoren in ihrem Bewusstsein der Abgrenzung selbst wahrnehmen wollen. a) Christologische Denkbewegungen Man kann dabei den ersten Versuchen zwei Denkbewegungen und -modelle zuordnen, die die weitere Entwicklung mitprägen. Die erste Idee der Erhöhung oder Erwählung wahrt die Kontinuität zum jüdischen Glaubenshorizont und seiner theologischen Tradition. In eher judenchristlich geprägten Gemeinden stellt man sich das Verhältnis bzw. die Beziehung Gott – Jesus eher ethisch, willensgemäß vor. Man begreift Jesus als den einzigartigen, ganz mit Gottes Geist begabten, messianischen ,Sohn‘. Was ihn darin kennzeichnet, seine ,Annahme‘ (,Adoptionschristologie‘), ist an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden (z. B. bei der Geburt oder in der Taufe). Das Modell ist dazu geeignet, die menschliche Person Jesu in vollem Umfang zu gewährleisten. Die Idee einer übernatürlichen Geburt, gar eines Seins in der göttlichen Sphäre vor der Geburt (Präexistenz) oder einer substantiellen Göttlichkeit werden abgelehnt. Jesus wird zum ,Sohn Gottes‘ durch die Geistverleihung. Er erfüllt das Gesetz Gottes durch seinen Gehorsam bis zum Tod am Kreuz. Als Prophet ist er ein zu gottähnlicher Würde erhobener Mensch (Aufstiegs= Aszendenzchristologie). Die Frage ist: Kann er je die Sphäre Gottes erreichen und uns so wirklich etwas von Gott, ja Gott selbst sichtbar machen? Das zweite Interpretationsmodell dreht die Denkbewegung um. Die Einheit von Vater und Sohn ist eine substantielle, immer schon vorhandene. Mit der Menschwerdung (Inkarnation) nimmt der von Ewigkeit her mit Gott, dem Vater, lebende Sohn ein menschliches Wesen an (Abstiegs- = Deszendenzchristologie), geht ein in die Menschheit. Die Gefahr dieses Modells steckt darin, inwieweit die Menschlichkeit Jesu Christi überhaupt noch ernst genommen werden kann. Ist sie Realität oder nur eine ,Episode‘ – oder gar nur Schein (Gefahr: Doketismus). Der göttliche ,Sohn‘ droht, die Menschheit Jesu zu verschlingen; sie wird uninteressant, ja theologisch irrelevant. b) Von der Christologie zur Trinitätslehre Die Frage einer angemessenen Neuformulierung des biblisch-christlichen Glaubens in nachneutestamentlicher Zeit ist keine rein akademische Aufgabe, sondern sie hat zentrale missionarische Gründe. Es geht dabei konkret darum, die Heilsbotschaft, die allen Menschen gilt, auch allen Menschen der damals bekannten Welt verständlich zu machen. Es geht um die Frage des Heils, und darum müssen die Fragen ,Wer ist Gott?‘ und ,Wer ist Jesus Christus?‘ beantwortet werden. Und sie müssen so beantwortet werden, dass sie im zeitgenössischen Verstehenshorizont verstanden werden können. Das kann man einmal so tun, dass man schlicht beschreibt, was mit und in Jesus geschehen ist. Das Apostolische Glaubenbekenntnis beschreitet diesen ,narrativen‘ Weg (funktionelle Christologie). Die zeitgenössische Philosophie stellt dagegen vermehrt Fragen nach der inneren Bedeutung, dem Sinn, dem philosophischen Gehalt des mit dem Geschehenen Gemeinten (ontologische oder Wesenschristologie). Damit beginnt ein langwieriger, z. T. schwieriger und komplexer Verstehens-, Übersetzungs- und Deutungsprozess, der die Christinnen und Christen über 500 Jahre beschäftigen wird und dessen Deutungsversuche bis heute anhalten ([1] 58–66).
Denkmodelle: Aszendenz – Deszendenz
funktionelle Christologie – Wesenschristologie
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2. Trinitätslehre als Ausgangspunkt und Ziel christlicher Dogmatik Subordinatianismus – Modalismus
Nizäa (325)
Dabei wird zunächst die Frage behandelt, wie sich die Aussage, der Mensch Jesus sei Gott, zum Monotheismus verhält. Die einen versuchen, den Eingottglauben zu wahren, indem sie Jesus Gott, dem Vater, unterordnen und nicht wirklich Gott sein lassen (Subordinatianismus); die anderen, indem sie keinen Unterschied mehr zulassen wollen zwischen dem Gott, dem Vater Jesu und ihm selbst (Modalismus). Die dritte Gruppe sucht einen Mittelweg und versucht durch Anleihen an philosophische Denkmodelle eine Bewegung von Gott in Jesus Christus auf die Welt denkbar werden zu lassen: Jesus Christus ist das fleischgewordene Schöpfungswort Gottes (Logos); er ist der ,Sohn‘, vor aller Ewigkeit gezeugt und in der Zeit Mensch geworden. Alle spekulativen Denkmodelle sind so lange tolerierbar, wie sie die Grundaussagen und die theologische Dynamik der biblischen Geschichten bewahren. Was passiert aber, wenn die innere Substanz des biblisch Geglaubten gefährdet ist? In diesen theologischen ,Notstandssituationen‘ muss die Gemeinschaft der Glaubenden, repräsentiert durch die dazu Befähigten und die, die Verantwortung tragen, für Klarheit sorgen. Das ist die große Zeit der altkirchlichen Konzilsversammlungen und ihrer Entscheidungen, Festlegungen und Abgrenzungen. c) Lehramtliche Grenzziehungen Angesichts der vielfältigen Missverständnisse und zahlreicher ungeklärter Sprachprobleme legt das Konzil von Nizäa 325 die erste Grenzziehung in Sachen Trinitätstheologie fest: „Jesus von Nazaret ist Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt und nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“ Diese Formel ist bis heute im Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis enthalten. Hintergrund dieser Grenzziehung ist die Fehldeutung des arianischen Subordinatianismus (nur der Vater ist ganz und gar Gott; der Sohn wird allenfalls als erhabenstes Geschöpf des Vaters verstanden [Arius von Alexandrien (280–336)] bzw. des Adoptianismus. Der problematische Hintergrund dieses Missverständnisses ist eine absolut gesetzte griechische Philosophie. Gott kann nur als der absolute Ursprung, der unbewegte Beweger verstanden werden. Er kann nicht in diese Welt hinein kommen, vielmehr bedarf er eines Mittlerwesens, eines ihm untergeordneten Abbildes, denn Gott selbst bleibt der für die Menschen unerreichbare ganz Andere. Der Logos/das Wort/der Sohn ist nicht Gott. Er gehört zwar nahe an die göttliche Sphäre, ist aber nicht Gott, allenfalls ein erhabenes Geschöpf und damit Vorbild aller Geschöpfe. Aber er bleibt Mensch, ist vielleicht noch durch eine besondere göttliche Kraft ausgezeichnet, oder wird von Gott zur Vollkommenheit adoptiert. Ähnliches gilt für den Heiligen Geist. Auch er ist nicht Gott, sondern vom Vater ganz und gar abhängig. Dagegen versucht das Konzil, die biblischen Inhalte und Grundüberzeugungen festzuhalten: Gott ist bleibend seiner Welt verbunden; in Jesus Christus bekommen wir es wirklich mit Gott und nicht einem untergeordneten ,Dienstboten‘ zu tun. Gott ist fähig, als Mensch in diese unsere Welt einzugehen und so Heil und Erlösung zu bringen. Die Formulierungen des Konzils sind den konkreten Herausforderungen zu verdanken und nur auf diesem Hintergrund zu verstehen. In abstrakten Formeln wird die Essenz des biblischen Monotheismus festgehalten in Abgrenzung von einem starren, unbiblischen, philosophischen Korsett, das die zentralen Grunddimensionen der
Christologie: Gott mit uns
biblischen Gottesvorstellung nicht mehr wahrnehmen kann. Ziel ist dabei ein offener Monotheismus ([1] 60). Eine ähnliche Auseinandersetzung wird einige Jahrzehnte später in der Frage nach dem Heiligen Geist notwendig. Auch hier sind es konkrete Fehldeutungen (die sogenannten Pneumatomachen leugnen die Göttlichkeit des Heiligen Geistes), gegen die das Konzil von Konstantinopel 381 dann festhält: „Wir glauben … an den Hl. Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater (und dem Sohn) hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten.“ Man verzichtet hier auf philosophische Begriffe und konzentriert sich eher auf die liturgischen Gepflogenheiten (,…angebetet und verherrlicht‘). Die für den christlichen Glauben noch zentralere Frage – ,Wer ist Jesus Christus?‘ – bleibt aber fast ein weiteres Jahrhundert ohne konkrete Festlegung. Zur Klärung bedienen sich die Theologen wieder verschiedenster Denkmodelle, die die zeitgenössische Philosophie als Denkmöglichkeiten bereitstellt. Ist er ein Wesen mit einem menschlichen Leib und einer göttlichen Seele; einer menschlichen Natur und einem göttlichen Geist? Durch den Dualismus der griechischen Anthropologie geraten solche Modelle immer in Gefahr, die menschliche ,Seite‘, die menschliche Natur Jesu zu vernachlässigen. Ist diese Menschheit Jesu nicht nur eine nebensächliche Hülle; ist der menschliche Leib gar nur ein Scheinleib des Göttlichen (Doketismus)? Droht nicht das göttliche Element das menschliche ,aufzusaugen‘, irrelevant zu machen (Monophysitismus)? Apollinaris von Laodizäa (310–390) geht sogar noch weiter: Kennen wir aus der Natur nicht Mischwesen wie ein Maultier oder Maulesel? Können wir uns diesen Jesus Christus nicht auch als Mischwesen aus göttlichen und menschlichen Elementen vorstellen? Die entscheidenden Grundsätze der erfolgenden Grenzziehungen sind: (1) Das wahre Menschsein dieses Jesus muss festgehalten werden. Denn ist er nicht wahrhaft Mensch, wie können wir Menschen dann durch ihn erlöst sein? (2) Er muss aber auch wahrhaft mit Gott zu tun haben, Gott sein, sonst ist es nicht das göttliche Heil, das er uns bringt; dann sind wir ebenfalls nicht wirklich geheilt, erlöst, befreit. Und je deutlicher und nachdrücklicher man auf all diese Fragen mit einem expliziten ,Ja, er gehört auf die Seite Gottes‘, ,Ja, er kommt selbst aus dem göttlichen Sein heraus‘, ja, er ist der ,Sohn‘, umso deutlicher muss die Theologie schon wieder gegensteuern: Ja, so ist es, aber Jesus ist als dieser ,Sohn‘ auch und gerade ein Mensch. Er begegnet uns als Mensch unter Menschen und macht dennoch Gott sicht- und erfahrbar. So bewegt sich die Theologie in dieser Zeit auf einem schmalen Grat: Wie kann Gott als Gott auf wahrhaft menschliche Weise sichtbar und erfahrbar werden, Mensch sein? Die eine Gruppe von Theologen (antiochenische Schule) will beides wohl unterschieden wissen, damit die Gefahr ausgeräumt ist, dass man die Menschlichkeit nicht ernst genug nimmt. Wird aus der Unterscheidung aber eine strikte Trennung, dann kann nicht mehr plausibel gemacht werden, dass Gott wirklich Mensch geworden, wirklich in unsere Welt gekommen ist. Eine andere Theologengruppe (alexandrinische Schule) betont die Verbundenheit von Göttlichkeit und Menschlichkeit, damit Gott wirklich als in unsere Welt hineingekommen geglaubt werden kann und so das Heil Gottes wirklich zu uns gekommen ist. Wird aber der Einheitsgedanke zu stark, droht die Gefahr, dass die Göttlichkeit die Menschlichkeit aufsaugt.
Konstantinopel (381)
Doketismus – Monophysitismus
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2. Trinitätslehre als Ausgangspunkt und Ziel christlicher Dogmatik Chalcedon (451)
Konstantinopel II und III (553; 680/81)
Die im Jahr 451 n. Chr. in Chalcedon erfolgende Konzilsentscheidung ist daher von kaum zu überbietender Ausgewogenheit (ein Sowohl-als-auch: wahrer Mensch und wahrer Gott) und zugleich von einer gewissen Vorsicht geprägt. Wie immer bei dogmatischen Festlegungen dient sie zunächst dazu, die zeitgenössischen Probleme in zeitgenössischer Sprache zu lösen und die notwendigen Grenzziehungen deutlich werden zu lassen. Zugleich wird keines der theologisch stimmigen Modelle allein ins Recht gesetzt. Die konziliaren Definitionen sind eigentlich Nicht-Definitionen: Un-Worte (ungetrennt und ungeteilt, unvermischt und unverwandelt). Die Grenze ist gezogen, der Inhalt aber nicht ein für allemal festgelegt. Jede neue Epoche wird daher darum ringen müssen, wie sie diese Worte füllt. Christologie und damit Trinitätstheologie haben ein offenes Ende. Und so wird in der Folge (zweites und drittes Konzil von Konstantinopel 553 bzw. 680/81 n. Chr.) die Formel von Chalcedon auch nur noch verdeutlicht, auf einige Zusatzprobleme hin konkretisiert, ohne dass aber je eine endgültige ,Füllung‘ und Erklärung gegeben würde.
d) Das ,nervöse Zentrum‘ der Trinitätstheologie ([135] 562–568) Gott und Welt
Versuchen wir die Grundentscheidungen der altkirchlichen Festlegungen auf ihren bleibenden Gehalt zu durchleuchten, fällt eines ins Auge: Das ,nervöse Zentrum‘ des Trinitätsglaubens liegt nicht in den konkreten Sprachregelungen. Hier zeigt sich eher die Bedingtheit der konziliaren Definitionen (z. B. heutige Missverständlichkeit des altkirchlich verwendeten Personenbegriffs; [122]). Es liegt viel eher in der Erfahrung der besonderen Gottesnähe in Jesus von Nazaret und der Gottesgegenwart in seinem Heiligen Geist. Darin identifiziert sich für die Christinnen und Christen Gott selbst. Mit dieser Überzeugung geraten die Christinnen und Christen der ersten Generationen in Konflikt mit einem philosophisch ausgeklügelten Gottesbegriff und seinen Prädikaten: Absolutheit, Allmacht, Transzendenz, Vollkommenheit etc. (mittlerer und Neu-Platonismus). Gegen den philosophischen Mainstream bringt man zur Geltung, dass Gott in dieser Welt, in all ihren Unvollkommenheiten und Begrenztheiten tatsächlich gegenwärtig werden kann. Gottes Vollkommenheit hindert nicht daran, sich auf diese Welt einzulassen, daran Anteil zu nehmen, mit dem Menschen in Beziehung zu treten. Damit ist dieser Jesus von Nazaret eben nicht nur ein vorbildhafter Mensch, nicht nur ein menschlicher Vermittler, sondern in ihm und durch ihn eröffnet Gott selbst dem Menschen die Möglichkeit der neuen Gemeinschaft mit sich. Durch diesen Jesus von Nazaret kommt man mit Gott in Kontakt. Das bedeutet aber nun nicht, dass sich in diesem Jesus Gott- und Menschsein vermischen. Gottes Vollkommenheit in ihm ist so zu verstehen, dass sie dazu fähig ist, das andere ihrer selbst, das Menschsein Jesu, vollkommen zu erhalten, und gerade darin vollkommen sichtbar zu werden. In ähnlicher Weise gilt dies für das Nachdenken über die bleibende Anwesenheit Gottes in jedem Menschen, der sich durch Gottes Leidenschaft für die Welt hat ,begeistern‘ lassen. Gottes Geist ist nicht das bleibend Andere Gottes, sondern Dasein in uns und für uns. Sein Geist wirkt aber nicht über unsere Freiheit hinweg, sondern nur zusammen mit ihr und durch sie. Das Festhalten an der Göttlichkeit dieser Erfahrung hält die Überzeugung auf-
Das ,nervöse Zentrum‘ der Trinitätstheologie ([135] 562–568)
recht: Die Welt und alle Menschen sind der potentielle Ort der Anwesenheit Gottes.
3. Schöpfung und Erlösung a) Sein aus Gott a) Schöpfung als Beziehung Israel lernt die Motive der Urgeschichte (Gen 1–11), soweit sie nicht bereits zu seinem eigenen Erzählgut gehören, durch den engen Kontakt mit den es umgebenden Hochkulturen kennen. Der Glaube Israels an seinen so geschichtsmächtig wirkenden Gott sieht sich geradezu dazu herausgefordert, die ganze Welt, alles was da lebt – ob Mensch, Tier oder Pflanze – als ,Schöpfung‘ eben dieses Gottes zu beschreiben. Die biblischen Schöpfungsgeschichten beabsichtigen keine ,naturwissenschaftliche‘ Erklärung der Welt, sie zielen auf den theologischen Gehalt des Erzählten. Es ist eine menschliche ,Selbstinterpretation‘, die auf die Fragen antworten soll: Wer bin ich? Was ist der Ursprung und das Ziel meiner Existenz? Warum gibt es überhaupt so etwas wie diese Welt? Wer ist Gott für mich? Und in welchem Verhältnis steht er zu mir, zur Welt? Dabei unterliegt Israel der besonderen Problematik, dass es (im Gegensatz zu den es umgebenden Kulturen) den menschenfreundlichen Schöpfergott des Anfangs und den vernichtenden Gott der Sintflut in eins denken muss. Hatten die anderen Völker dieses Thema noch dramatisch in der Erzählung des Streites oder Kampfes zweier oder mehrerer göttlicher Prinzipien auszudrücken versucht – so z. B. das mesopotamische AtramhasisEpos oder der babylonische Enuma-elisch-Mythos (beide um 1100 v. Chr.) –, muss sich dieses Drama nunmehr in Gott selbst widerspiegeln. Die Ausgestaltung der Schöpfungsgeschichten lässt keinen Zweifel daran: Der einzig handelnde und damit der souveräne Schöpfer der Welt ist Gott; er schafft alles, was ist, allein durch sein schöpferisches Wort. Kein Götterkampf; kein Ringen mit einem widergöttlichen Gegenprinzip – allein Gott handelt und schafft die Welt aus dem Nichts (creatio ex nihilo), weil er es will. Und er allein garantiert ihren Bestand (Gen 9,11 ff.), weil er die Beziehung mit ihr schafft und aufrecht erhält. Die sich in der Sintfluterzählung andeutende Problematik der Herkunft des Bösen und der Verantwortung dafür (Theodizee) ist der bleibende Stachel der biblischen Schöpfungstheologie. b) Was ist der Mensch? Im Mittelpunkt einer biblisch orientierten Anthropologie (griech. anthropos – der Mensch) stehen die Begriffe: Herkünftigkeit und Geschöpflichkeit des Menschen. Dafür entwickeln die biblischen Schöpfungserzählungen zwei Bilder: Der Mensch ist Geschöpf des Wortes Gottes (von Gott in seine Existenz gerufen; bzw. vom gleichen Erdboden gemacht, wie alles andere und damit auch vergänglich wie alles andere) und er ist als Bild/Ebenbild Gottes geschaffen (Gen 1,27 f. bzw. er ist derjenige, dem die Erde anvertraut ist [dominium terrae] und der, der allem seinen Namen gibt, dessen ,Herr‘ er ist [Gen 2,20]). Sein Geschaffensein drückt eine bleibende Bindung aus, sein Ebenbildsein seine bleibende Würde. Eine biblisch inspirierte Anthropologie
Schöpfungstheologie keine Naturwissenschaft
creatio ex nihilo
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3. Schöpfung und Erlösung Geschöpf und Partner
Erkenntnis – Vollendung oder Sünde?
hat immer ein doppeltes Bezugsfeld: Der Mensch ist Geschöpf und zur Freiheit berufener Mit-Handelnder/Mit-Gestalter/Mit-Schöpfer zugleich. Es macht seine Besonderheit aus, der freie Partner Gottes zu sein, darin ist aber auch der Hinweis auf seine Aufgabe und Verpflichtung enthalten. Gottesebenbildlichkeit ist daher ein dynamischer Begriff. Der Mensch ist das freie Gegenüber Gottes auf der Erde. Er allein ist für Gott ansprechbar, ihm gegenüber geöffnet, zu einem Dialog mit ihm fähig. Er ist das einzige Wesen, das Gott erkennen und anerkennen kann ([134] bes. 71–100). Vom Aufbau der biblischen Urgeschichten her wird deutlich, dass es die zweite Schöpfungserzählung nicht bei der Frage der Erschaffung des Menschen, seiner Würde und Beauftragung belässt, sondern die Frage weiter bearbeitet, wie denn der Mensch sein Wesen, seine Gottesebenbildlichkeit dynamisch entwickelt. Gen 2,4b ff. schildert die ,paradiesischen‘ Zustände. Der Mensch als Mann und Frau, gleichberechtigt, nackt, ohne Scham voreinander und in Harmonie mit der Natur. Es ist ein durch und durch ,unschuldiger‘ Zustand in fast kindlicher Vertrautheit. Doch so richtig ,erwachsen‘ wirkt der Mensch noch nicht! Daher geht es zunächst um die Vollendung der Schöpfung des Menschen. Der Mensch wird zu einem Wissenden; zu jemandem, der seine geschenkte Freiheit einsetzen kann. Die Erkenntnis von Gut und Böse ist daher zunächst einmal eine neutrale Erkenntnis, keine Sünde. Aber es ist eine Erkenntnis, die nicht ohne Folgen ist! Die Erkenntnis von Gut und Böse ist in sich also keine moralisch schlechte Erkenntnis, sondern man könnte sagen: Eigentlich gehört sie zum Menschsein dazu. Warum dann nicht von Anfang an? Weil sie eine fatale ,Begabung‘ ist, denn es handelt sich um eine für den Menschen gefährliche Erkenntnis. Nicht um des (Ess-)Verbots, sondern um der für den Menschen unabsehbaren Folgen willen, warnt Gott den Menschen. Will der Mensch die Erkenntnis, so wird er auch ihre Folgen tragen müssen. Er darf es wollen, weil er ein von Gott frei geschaffenes Geschöpf ist und weil Gott diesen Baum ins Paradies gestellt hat. Du bist frei, aber deine Freiheit sollte eine Grenze haben, die gut für dich ist. Vertrau mir, oder aber: trage die Folgen. Weder der Mensch noch seine Tat sind in sich böse verurteilt, obwohl die Konsequenzen fatal sind und zum Bösen führen. Gekonnt werden diese Folgen in der biblischen Geschichte ,ausgemalt‘ ([131] 263–279): Nacktheit: Ausgeliefertsein an die Natur; keine Harmonie mehr zwischen Mensch und Natur, sondern Bedrohung, Feindschaft, Gefährdetheit. Die paradieslose Zeit deutet sich schon an: Mühsal und Kampf um das tägliche Brot. Geschlechterhierarchie: Scham als Kennzeichen eines gestörten Geschlechterverhältnisses. Die Folgen der Erkenntnis für die Frau sind noch schlimmer als für den Mann (Unterordnung; Beherrschtwerden). Doch vom Kontext her ist klar: So soll es von Gottes Plan her eigentlich nicht sein, sondern das sind die schlechten Folgen, vor denen Gott gewarnt hatte. Angst vor Gott: Sich verbergen, Misstrauen, Flüchten vor dem rufenden Gott: Wo bist du, Adam? Ich fürchte mich, weil ich nackt bin. Der Mensch meint, dass damit auch Gott, wie die Natur, zu seinem Gegner, seinem Konkurrenten geworden ist. Was nun kommt, ist nichts anderes als der göttliche Versuch der ,Schadensbegrenzung‘ angesichts dessen, was nun notwendig folgt: Ausgeliefertsein, Kampf ums Überleben, Mühsal des Lebens von Geburt bis Tod, ja Leiden am Tod, sobald man sich der Endlichkeit wirklich bewusst wird. Doch Gott lässt
Sein aus Gott
den Menschen nicht unbehütet gehen. Er macht ihm einen geeigneten Schutz als ,Faustpfand‘ des Heils für das, was nun in den Höhen und Tiefen der Geschichte der Menschen folgen wird. Diese ,Entlassung‘ aus dem Paradies ist also nicht notwendig der Beginn und die Urgestalt des Bösen (Ursünde) schlechthin, so wie es die Theologiegeschichte seit Augustinus immer wieder gedeutet hat ([123] 279–295). Die Geschichte erzählt die Vollendung des Menschen als freies und erkennendes Wesen; freilich mit allen Folgen, die diese Erkenntnis hat. Der Verfasser der folgenden Kapitel blickt dabei ebenso realistisch wie pessimistisch auf den Menschen. Denn er lässt keinen Zweifel daran: Sobald der Mensch weiß, was gut und was böse ist, tut er das Böse. Warum? Die Lehre von der ,Erbsünde‘ (unüberwindbare Verstrickung des Menschen in das Böse und die Sünde; DH 223; 1512; 1521; 1523) versucht diese Frage zu beantworten, obgleich sie niemand wirklich beantworten kann. Aber dass es so ist, dazu genügt ein offener Blick in die Menschheitsgeschichte. Der Mensch ist der bleibend durch das Böse Gefährdete und unlösbar darin Verstrickte. Die theologische Essenz des damit Gemeinten lässt sich aber auch positiver formulieren, denn Gen 3,21 gibt den Blick frei darauf, dass der Mensch zugleich derjenige ist, der bleibend auf das von Gott geschenkte Heil ausgerichtet und angewiesen ist.
Ur- oder Erbsünde?
der bleibend gefährdete Mensch
b) Vollendung in Gott a) Neuzeitliches Schwinden der Gewissheiten Nirgendwo wird die Krise der christlichen Gottesvorstellung in der Neuzeit greifbarer als in der Frage nach der Erlösung des Menschen (Soteriologie; Lehre vom Heil – griech.: soteria). Wo das Verständnis von Erlösung (Erlösung wovon? Wozu?) fraglich wird, wird Gott selbst fraglich. Die über lange Jahrhunderte hinweg mit klarem Katechismuswissen eingeimpfte, traditionelle Antwort des christlichen Glaubens auf diese Frage erscheint einfach und logisch: Erlösung ist Versöhnung mit dem durch die Sünde des Menschen ,entehrten‘ Gott durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi (Anselm von Canterbury (1033–1109), ,Cur deus homo‘). Im Rahmen der Lebenswelt des mittelalterlichen Lehenssystems ist der Entwurf plausibel: Die Garantie eines friedlichen, allen zur Gerechtigkeit verhelfenden Zusammenlebens beruht auf der wechselseitigen Verpflichtung von Lehnsherr und Vasall. Jeder Angriff auf die ,Ehre‘ des Lehnsherrn gefährdet die Grundstruktur des Zusammenlebens, ist ein Angriff auf diese Struktur selbst. Es geht hier nicht um eine persönliche Beleidigung des Lehnsherrn, sondern um einen Angriff auf den Gemeinschaftsfrieden. Analog versteht Anselm die Verbindung von Mensch und Gott von der Schöpfungsordnung her. Nicht Gott in seiner Person ist durch die ,Sünde‘ des Menschen ,beleidigt‘, sondern die Schöpfungsordnung selbst ist von Grund auf gestört. Das, was das von Gott so gewollte Heil und Gelingen des Menschen ausmacht, ist zerstört, ins Ungleichgewicht gebracht, muss irgendwie bereinigt werden, damit Menschsein und Miteinander-Menschsein überhaupt wieder gelingen kann. Diese Störung bedarf notwendig der Beseitigung (Bestrafung des Sünders) oder der Genugtuung (Satisfaktion). Freilich, das Modell befremdet in heutiger Zeit und es wirft Fragen auf: Ist dieser Gott nicht ein grausamer, weil Opfer fordernder und in gewisser Weise sogar ,unberechenbarer‘ Gott?
Erlösung wovon?
stellvertretender Sühnetod
Satisfaktion
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3. Schöpfung und Erlösung
Nominalismus
Erlösung als Erziehung
théosis
Ein solcher Gott wird vor dem Hintergrund konkreter menschlicher Krisenerfahrungen (Leid, Not, Tod) fast notwendig zum ,Unsicherheitsfaktor‘. Gott hätte auch eine ganz andere Schöpfung schaffen können – so lautet ein Grunddiktum Wilhelm von Ockhams (1285–1349). Ein solcher, weder aus der Güte seiner Schöpfung, noch aus bestimmten ,Realitäten‘ der Welt überhaupt ohne Zweifel erfahrbare Gott entgleitet der menschlichen Sehnsucht nach Beziehung. Seine Ungebundenheit droht in Unberechenbarkeit, seine Freiheit in Willkür abzudriften (Nominalismus). Diese ,Ablösung‘ Gottes von einer einsichtigen Ordnung der Vernunft setzt eine Selbstbehauptung in Gang, die sich gegen diesen Willkürherrscher auflehnt und auf die menschliche Vernunft pocht. Der Nominalismus erweist sich als die eigentliche Quelle des neuzeitlichen Autonomiegedankens. Im Rahmen der theologiegeschichtlichen Entwicklung wirken Reformation und katholische Reform allenfalls noch als ein retardierendes Moment. Die Wende zum neuzeitlichen Subjekt ist unaufhaltsam vollzogen. So atmet Luthers christozentrische Rechtfertigungstheologie in der Exklusivität des ,allein aus Gnade‘, ,allein durch Christus‘, ,allein im Glauben‘ (sola gratia, solus Christus, sola fide) zwar immer noch Reste des nominalistischen Gottesverständnisses, jenes ,verborgenen Gottes‘ (deus absconditus), vor dessen verurteilendem Verwerfungswillen nur der Glaube an das in Christus offenbar gewordene Heil rettet. Aber gerade die Christozentrik schenkt der existentiell erfahrenen Beziehungsnot des Menschen die notwendige und einzig mögliche Gewissheit, die zu einem nun individuell ausgerichteten und bestimmten Gottesverhältnis vonnöten ist. Für die Philosophie der Aufklärung kann nun Gottes heilvolle Zuwendung, seine ,Offenbarung‘ „dem Menschengeschlecht nichts [geben] worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihnen die wichtigsten dieser Dinge nur früher“ (Gotthold Ephraim Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts § 4). Erlösung kann nur noch verstanden werden als pädagogisches Erziehungsprogramm Gottes und Jesus Christus als der beste aller Erzieher. Käme nicht der typisch aufklärerische Impuls von Autonomie und menschlicher Selbstvergewisserung hinzu, fühlte man sich zurückversetzt in das Erlösungsdenken der griechischen Väter. Sie verstanden Erlösung primär nicht als Versöhnung, sondern als Erziehung (paideia). Erlösung bedeutet neue Lehre, neues Beispiel, neue Weisung durch Christus. Durch sein Vorbild, seine erzieherische Tätigkeit bringt Christus Erkenntnis, öffnet den Weg zu Nachahmung und zur Gemeinschaft mit ihm, befreit so den Menschen aus Finsternis, Irrtum, Tod und führt ihn der Vollendung, der Vergöttlichung (théosis) zu. Die Aufklärung freilich lässt die altkirchlich-platonische Verhältnisbestimmung des göttlichen ,Erziehungsprogramms‘ hinter sich. Offenbaren kann der göttliche Erzieher allenfalls Vernunftwahrheiten, die dem Menschen an sich schon einsichtig sind. Erlösung kann dann aber kein exklusives Handeln Gottes am Menschen mehr sein, sondern allenfalls die Aufdeckung menschlicher Möglichkeiten. Der Mensch muss sie selbst erlangen, soll sie für ihn bedeutsam sein. Nicht auf die Heilsinitiative Gottes kommt es an, sondern allein darauf, was der Mensch tun kann und soll: den Auszug aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit und Unfreiheit selbst zu wagen. Eine derartige ,Rationalisierung‘ von Gott, Heil und Erlösung und die
Vollendung in Gott
Beschränkung seines Handels auf das, was unserer Vernunft angemessen ist, lässt es nur noch als kleinen Schritt erscheinen, bis eine solche Rede vom Handeln Gottes als ,Projektion‘, als ,Mystifizierung‘ der je eigenen Selbstbestimmung, dem inneren Hang zur Selbstverwirklichung entlarvt und so die Theologie zur Anthropologie reduziert ist (Ludwig Feuerbach (1804–1872)). Mit diesem Gedanken indes auch die Idee Gottes selbst explizit zu verabschieden, bleibt einem noch radikaleren Denker, nämlich Friedrich Nietzsche (1844–1900) vorbehalten. Nietzsches Absage an den christlichen Erlösungsgedanken nimmt zielsicher und nicht ohne Häme die immanenten Schwächen der traditionellen Erlösungslehre aufs Korn. Unerbittlich deckt er die des mittelalterlichen Erbes einer christlichen Versöhnungsmathematik auf: Ein Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welch schauderhaftes Heidentum!“ (Nietzsche, Der Antichrist, Versuch einer Kritik des Christentums, Aph. 41; KSA Bd. 6, 214). Eine solche Vorstellung von Erlösung steht gegen das Leben selbst; sie ,vergiftet‘ das Leben. Demgegenüber kann wahre Erlösung nur noch einen Sinn haben: Erlösung von den Erlösern (Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, Sommer 1880, KSA 9, 188). Kann angesichts solch abgründiger Kritik das Christentum überhaupt noch von Erlösung sprechen, ohne in die von Nietzsche so treffend analysierte Falle der Abwertung des Menschen und des Lebens zu gehen? Muss man den Menschen das Leben erst mies machen, um von Heil und Erlösung sprechen zu können? b) Erlösung und Menschwerdung Statt Kreuz und Passion Krippe und Weihnachtsfest, statt Versöhnung durch den Kreuzestod das Kommen Gottes in die Welt, und an die Stelle eines am Tod orientierten Gotteskonzepts tritt ein an der Geburt festgemachtes – so könnte man die heute gängige Variante des Christentums in unseren Breiten beschreiben ([128]). Zugespitzt auf die Frage der Erlösung lautet die entscheidende Pointe: Kein Schmerzensmann steht am Pfahl, um sich zu opfern – Ein Kind wird geboren, die Welt zu retten. Die zeitgenössische Form der Frage nach Erlösung orientiert sich am Gedanken der Menschwerdung Gottes. Dieses ,Weihnachts-Christentum‘ denkt vom Anfang, von der Geburt, vom Leben her, nicht vom Tod, es denkt auch an ein Leben diesseits des Himmels. Diese Vorstellung einer der Welt verbundenen Gestalt von Erlösung und Heil hat nicht nur die breite Tradition der biblischen Überlieferung hinter sich, sie nimmt auch die inkarnatorische Grunddimension der neutestamentlichen Erlösungsvorstellungen auf. Der Mensch ist eben nicht nur ein sterblicher Mensch; er ist auch ein Herkünftiger. Er ist das Lebewesen, das um das Geschenk seines Anfangs weiß, das sein Leben gestaltet, das dabei immer wieder umkehren und von Neuem beginnen kann. Und darum ist Heil und Erlösung in der Bibel immer auch Neubeginn, Neuschöpfung, Erneuerung, Wiedergeburt; eben: als Leben aus der Erfahrung des Erlöstseins heraus bestimmt. Gott ist Mensch geworden, lautet die entscheidende Heilsmetapher. Eine Theologie der Menschwerdung beruht auf der Wahrheit, dass sich das Göttliche im Menschlichen zeigt, dass dieses Leben hier und jetzt eine göttliche Würde hat. Das geschieht, ohne dabei die vorhandenen Runzeln und Makel einfach wegzuwischen. Aber diese haben eben nicht das letzte Wort,
Erlösung von den Erlösern
Weihnachtschristentum
Menschwerdung als Erlösungsmetapher
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3. Schöpfung und Erlösung
sondern bergen die Möglichkeit eines geschenkten Neuanfangs. Gott selbst wird zum Vorbild wie zur Hebamme wahren menschlichen Lebens. So hat man allen Grund, gerade Weihnachten als Fest zu feiern. So sehr diese Vorstellung dem aktuellen Lebensgefühl entspricht, darf sie sich dennoch fragen lassen: Ist das nun mehr als eine modern-postmoderne ,Wellness-Variante‘ von Religion, die sich nur allzu gerne davon verabschiedet, Sünde und Schuld ernst zu nehmen? Sie ist es, wenn sie die im Inkarnationsbekenntnis gründende Sehnsucht nach Vollendung in einer noch unvollendeten Welt ernst nimmt. Sie ist es, wenn sie die Hoffnung auf Frieden in einer friedlosen Zeit und den Glauben an Gerechtigkeit auch angesichts erfahrener Ungerechtigkeit nicht nur als die Orte benennt, wo für heutige Menschen Gott, seine Transzendenz, erfahrbar werden kann, sondern auch als Orte, an denen der Mensch heute noch nach Heil sucht, weil er die eigene Heillosigkeit deutlich verspürt. Genau dort erweist sich der Mensch nämlich als erlösungsbedürftig und vollendungsfähig zugleich. Damit lässt sich ein neuer, positiver Blick auf die Idee von Erlösung und Gnade gewinnen. Sie nimmt die menschliche Erlösungsbedürftigkeit, theologisch: den Sündenzusammenhang, als Erfahrungshorizont ernst, bestimmt ihn aber im Rekurs auf den ,Vater‘ der Gnadenlehre, Paulus (vgl. Röm 5), letztlich von der sich in Christus ereignet habenden Fülle des Heils und der darin begründeten Verheißung her. Von der Größe der Gabe (Gnade) ist auf die Not (Sünde) zurückzuschließen und nicht umgekehrt. Vom Geschenk der Inkarnation begründet eine solche Soteriologie der Menschwerdung nach dem Vorbild der östlichen Kirchenväter das im Menschen als Gnadengabe Gottes innewohnende Potential der Vergöttlichung. Indem sie das Fest des ,Anfangs‘ als Geschenk des lebendigen Neu-Anfangen-Könnens in den Mittelpunkt stellt, kann sie der existentiell-dialogischen Deutung der Gnade als Rechtfertigung durch Martin Luther ebenso gerecht werden wie jener ,urkatholischen‘ Gestalt der Frage nach dem Heil, nämlich der Problematik des Verhältnisses von Natur und Gnade (Gott als Ursprung und Ziel des Menschen).
4. Kirche und Sakramente: Zeichen und Mittel des Heils a) Kirche: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Zeichen und Werkzeug
Kirche soll also das Sakrament Gottes, d. h. das für alle sichtbare und wirksame Zeichen seiner liebenden Zuwendung zu den Menschen und bleibenden Gegenwart in der Welt sein. Ihre ,Sakramentalität‘ ist nun nicht Ausdruck ihrer Autonomie, sondern Ausdruck ihrer Bezogenheit auf Gott (vgl. Lumen Gentium Art.1). Das betont zum einen die – wenigstens anfanghafte/ursprüngliche/anfängliche – Sichtbarkeit (Zeichen) wie auch zum andern den Handlungscharakter dieses Seins von Kirche (Werkzeug). An beidem ist sie auch zu messen. Kirche ist Hinweiszeichen der Selbstoffenbarung Gottes, aber eben in der Zwiespältigkeit allzu menschlicher Leidenschaften, die das Medium Kirche oft weit mehr bestimmen als Gottes Heilswille. Verheißene Fülle und reale Gebrochenheit – das ist Kirche. Von Kirche darf, ja muss immer auch das Bekenntnis abgelegt werden: Sie bezeugt – authentisch oder auch entstellend – den Heiligen Geist. Er ist immer bei ihr, ja in ihr, auch
Kirche: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
wenn sie sich ihm entgegenstellt, ihm zu widerstehen versucht. Gerade dieses Wehen des Geistes darf der Aufmerksamkeit des Glaubens nicht entgehen. Eine angemessene Ekklesiologie ist daher immer eine Ekklesiologie des Trotz-Alledem. Gerade diese Zwiespältigkeit von Kirche ruft geradezu nach Bildern, um der inneren Spannung der Existenz von Kirche zwischen Sein und Sollen überhaupt angemessen Ausdruck zu verleihen.
b) Kirchenbilder a) Leib Christi Die Metapher ,Leib Christi‘ ist ein zentrales Bild für Kirche, weil sie ihre christologisch-soteriologische Grundlegung deutlich macht. Der Begriff ist – abgesehen von seinem eher impliziten Gebrauch im Rahmen der neutestamentlichen Abendmahlstexte und damit der Eucharistietradition der frühchristlichen Gemeinden – eine Eigenschöpfung des Paulus. Blickt man auf die paulinischen Tauftexte, so wirft sich sehr schnell die Frage nach der Relevanz und dem Stellenwert von Kirche innerhalb dieser Konzeption auf. Die Kirche wird durch die Hineinnahme von Menschen in den Leib Christi, in den in Christus ,besiegten Tod‘ konstituiert. So offensichtlich die Kirche Bedingung für das Zustandekommen dieser Hineinnahme zu sein scheint: Paulus sieht sie eher als deren Ergebnis. Die paulinische Logik heißt aber nicht: ohne Kirche keine Taufe, sondern: ohne Taufe keine Kirche ([127] 170). Dabei ist die Gemeinde ein Leib in Christus, d. h. eine gegliederte, aber stets aufeinander bezogene Vielheit, deren Einheit im todverschlingenden Tod Christi gründet. Das bedeutet aber, dass für Paulus eine ekklesiologische Leib-Christi-Aussage keine einfache Wesensaussage von Kirche, sondern eine Funktionsaussage ist ([127] 177). Lumen Gentium Art. 7 und 8 verstehen es, die Vorteile dieser Metapher vorzuführen. Traditionelle Elemente werden aufgenommen und positiv ausgedeutet: Verschiedenheit der Glieder und der Aufgaben; die Schicksalsgemeinschaft des Leibes Christi, die sich an allen Gliedern ereignen muss; die Sichtbarkeit dieses Leibes Christi, dessen geistliche und dessen gesellschaftliche Dimension eben nicht auseinander gerissen werden dürfen, sondern ,eine einzige komplexe Wirklichkeit‘ bilden, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst (Lumen Gentium 8) ([115] 278). b) Volk Gottes Durch die nicht gebannte Möglichkeit, die Volk-Gottes-Metapher im Sinne einer ,Substitutionstheorie‘ misszuverstehen (das neue Volk Gottes, die Kirche, ersetzt das alte Volk, Israel), wirkt diese Metapher für die Kirche des 20. Jahrhunderts und als ekklesiologische Zentralmetapher des Zweiten Vatikanums zutiefst zwiespältig. Indes lassen sich ihre Vorteile nicht von der Hand weisen: Sie beschreibt die Kirche als ein alle umfassendes Ereignis. Sie ist als ökumenisches Signal zu werten; durch die heilsgeschichtliche Perspektive tritt der Charakter von Kirche als pilgerndes Gottesvolk und damit ihre noch ausstehende Vollendung hervor. Indem sich Kirche nun in den Volk-GottesGedanken einreiht, nutzt sie lange brachliegende Möglichkeiten, positiv ihre Herkünftigkeit aus Israel wie die bleibende Heilsgemeinschaft mit dem Volk des Gottesbundes explizit auszusprechen.
funktionale Bestimmung
pilgerndes Gottesvolk
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4. Kirche und Sakramente
Einheit und Vielfalt
komplexe Realität
c) Kirche als Communio Neben der Neubesinnung auf den Volk-Gottes-Begriff ist im Zweiten Vatikanum der Begriff der Gemeinschaft (communio/koinonia) prägend. Weder communio noch koinonia beschreiben einen im neuzeitlichen Sinne ,freien Zusammenschluss‘, ein Sichzusammentun zuvor Selbstständiger, sondern ein Herausgerufen- (ekklesia), Versammelt- (congregatio) und Zusammengefügtwerden (communio) durch den lebendigen, bleibenden Grund dieser Communio: den lebendigen Gott selbst. Kirche kann, darf und soll Gottes Beziehungsmacht und seinen Beziehungswillen bezeugen. D. h. auch die Gemeinschaft der Kirche ist keine autonome Eigenwirklichkeit, sondern sie hat sich zu begründen aus Gottes eigener Selbstmitteilung und hat sich daran zu messen, ob und wie in ihrer Gemeinschaft dieses göttliche Grundprinzip erkenn- und erfahrbar wird. Communio lässt nun sofort an das Gemeinsame, Geschwisterliche derer denken, die durch gemeinsame Teilhabe aus dem ihnen Geschenkten zum wechselseitigen Dienen befähigt und herausgefordert sind. Die katholische Tradition versteht darunter aber auch die hierarchische Prägung der communio. Beide Elemente sind innerhalb einer communio-Ekklesiologie stets gegenwärtig, und so dreht sich die aktuelle Diskussion gerade darum, diese beiden Bestandteile in ihrem Verhältnis zueinander und ihrer Wertigkeit gegeneinander näher zu bestimmen. Das Zweite Vatikanum ist gekennzeichnet durch den Versuch, eine ausgewogene und immer wieder neu auszutarierende Balance zwischen Einheitlichkeit und Eigenständigkeit, zwischen Einmütigkeit und Vielstimmigkeit, zwischen einheitsstiftendem Petrusdienst und synodaler Gemeinschaft, zwischen der Vorgegebenheit der Glaubenswahrheit als kritischer Instanz gegenwärtiger Glaubenskommunikation und eigenverantwortlicher Partizipation aller Glieder der kirchlichen Communio am Kommunikationsgeschehen Kirche zu finden. d) Kirche als Institution ([124]181–187; 388–401) Wie verträgt sich das Ideal einer Nachfolge- und Zeugnisgemeinschaft mit einer hierarchisch strukturierten, in ihren Ämtern und Grundvollzügen festgelegten ,Institution‘? Eine gewisse Spannung zwischen Institution und Charisma prägt die Kirche von ihren Anfängen an. Doch nie versteht Kirche ihre strukturellen Vorgaben, ihre Funktionen, Dienste, Ämter etc., ohne darin auch die Wirkung des Geistes zu beanspruchen. Daher betont das Zweite Vatikanum, dass die Kirche eine realitas complexa aus strukturellen und geistlichen Elementen ist (Lumen Gentium 8,1). Auf die Kirche angewandt, verbindet sich also mit dem Begriff ,Institution‘ die vorgegebene geschichtliche und gesellschaftliche Gestalt von Kirche mit ihrer bestimmten Leitungsstruktur, ihrer Organisation. Sie institutionalisiert aber zugleich ihre als Lebensordnung verstandenen Riten und Vollzüge, Regeln und Gesetze. Institutionen haben daher immer auch eine für den Menschen wichtige Funktion: Sie entlasten. Durch die vorgegebenen Verhaltensmuster muss der oder die Einzelne nicht immer neu eigene Verhaltensweisen entwickeln. Die Institution Kirche hilft ihren Gliedern dazu, ohne dauernde subjektive Selbstüberforderung leben zu können. Neben dieser eher soziologischen Ableitung versteht sich die Kirche aber auch als ,Einsetzung‘ – ,institutio‘ Jesu Christi. Dieses theologische Selbstver-
Kirchenbilder
ständnis zeigt sich vor allem an den Punkten, wo die Grundvollzüge – als da sind: Verkündigung und Lehre (Martyria), liturgisch-sakramentales Tun (Leiturgia); Dienst an den Notleidenden dieser Erde (Diakonia) und gemeinschaftliche Lebensordnung (Koinonia) – von Kirche institutionalisiert werden, d. h. eine objektive, allgemein verbindliche und repräsentative Form annehmen, die an eine amtliche, auf Jesus Christus zurückgeführte Kompetenz des Dienstamts gebunden ist. In all diesen institutionalisierten Vollzügen tritt Kirche in relativer Eigenständigkeit und Vorgegebenheit den einzelnen Gläubigen gegenüber; hier ,objektiviert‘ sie sich in einer die einzelnen übersteigenden Form, sodass mit Recht gesagt werden kann: Die Kirche handelt hier; sie verkündet das Wort, sie feiert Gottesdienste, sie lehrt und betet, sie dient den Menschen, sie erlässt Gesetze und Weisungen usw. Das Institutionelle der Kirche bleibt dabei an ihre Grundfunktion gebunden und kann allein von dorther seine Begründung erfahren. Kirche als Institution hat sich stets daraufhin zu überprüfen, ob und wie sie ihrem Zeugnis- und Verkündigungsauftrag gerecht wird, weil sie nur in diesem Auftrag, in dieser Sendung ihre eigentliche Identität er- und behält.
c) Die eine Kirche Christi und die vielen Kirchen Das Zweite Vatikanum hat mit einem methodischen ,Dreischritt‘ das Verhältnis zwischen dem ,Mysterium‘ der Kirche, d. h. der einen Kirche Jesu Christi, und der katholischen Kirche wie den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu bestimmen versucht. Zuerst geht es um die Glaubenswirklichkeit der einen Kirche Jesu Christi, dann erst ist nach ihrer konkreten Gestaltwerdung zu fragen und dabei kommen dann die verschiedenen Konfessionen in den Blick. Auf dem Konzil geschieht das in der berühmten Passage Lumen Gentium Nr. 8,2: Die Kirche Jesu Christi „ist verwirklicht [subsistit] in der katholischen Kirche […]. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“. Damit verbinden sich zwei Aussagen: (1) das Selbstbekenntnis der katholischen Kirche: Die Kirche Jesu Christi verwirklicht sich in ihr; und (2) das Bekenntnis: Außerhalb des Raumes und der Gestalt der verfassten katholischen Kirche gibt es wirklich ,Kirche‘ nicht nur einzelne ekklesiale Elemente. Ihnen wird im Ökumenismusdekret dann jene Heilsmedialität von ,Kirche‘ zugesprochen, derer sich der Heilige Geist selbst bedient (vgl. Unitas redintegratio 3,3 mit 14 ff.; 19 ff.).
subsistit in
d) Kirche und Welt Das Verständnis des ,da draußen‘ bildet die entscheidende Wasserscheide im Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche in der Moderne. Die Kirchenbilder des 19. Jahrhunderts artikulieren die sie prägende Welt- und Kirchenerfahrung u. a. im defensiven Sinnbild der Arche. Das stets neu zu festigende und zu verteidigende Selbstverständnis der Kirche lebt von einer kritischen Distanznahme zum ,Draußen‘. Das Zweite Vatikanum verändert dieses Bestimmungsverhältnis von Kirche und Welt (vgl. bes. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes 1). Das Grundkennzeichen des Verhältnisses von Kirche und Welt ist nun der Dialog. Unverkennbar ist dabei der Optimismus, im
Kirche und Welt im Dialog
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4. Kirche und Sakramente
inkarnatorische Beziehung
gemeinsamen Handeln die Welt zum Besseren verändern zu können. Wie die Kirche ist auch die Welt dort möglicher Ort des Heils Gottes, wo sie sein ,Werkzeug‘ ist; und die Welt ist – vielleicht auf den ersten Blick noch eindeutiger als die Kirche selbst – zugleich eine stets der Umkehr und Reinigung bedürftige. Das ist alles andere als ein naiver Blick auf die Welt. Doch auch als sündige Welt steht sie der Kirche nicht einfach diametral gegenüber. Beide sind unterwegs. So verbietet sich der Gedanke einer ,weltlosen Kirche‘ ebenso wie der einer ,kirchen-, d. h. heillosen Welt‘. Die im Konzil entwickelte Verhältnisbestimmung erlaubt keine dualistische Trennung, sondern nur eine ,inkarnatorische‘ Beziehung: D. h. Kirche hat eine Sendung zur und für die Welt, weil Gott sie sendet und sie in dieser Sendung trägt. Es gibt keine Kirche ohne Welt, weil sie von dieser Welt ist, obgleich sie nicht in ihr aufgeht.
e) Sakramente: Zeichen des Heils und Feiern der Erlösung Sucht man nach ,Orten‘, an denen die christliche Vorstellung von Erlösung und Heil, die Wirklichkeit der gnadenvollen Zuwendung Gottes, das christliche Leben und die christliche Identität von Kirche sich unverwechselbar zeigen, dann stößt man recht schnell auf die Feier der Sakramente. Hier geschieht nach christlicher Überzeugung Heil und Erlösung als Christusbegegnung der Gläubigen ganz konkret in den zeichenhaften und geistgewirkten Grundvollzügen der Kirche.
Kult
Symbol
a) Ein Begriff mit Geschichte Sacramentum (lat.) und mysterion (griech.) haben zunächst ein sehr breites Bedeutungsspektrum, das sich im Verlauf der Kirchen- und Theologiegeschichte verändert und auch auf bestimmte Bedeutungen eingeschränkt wird. In der heidnischen Umwelt der frühen Kirche werden Inhalt des Kultes und auch das Kultgeschehen selbst ,mysterion‘ genannt. In der neutestamentlichen Verwendung ist hingegen die Konzentration des Begriffs auf das Christusereignis zentral. Im zweiten Jahrhundert verschmelzen in der westlichen Theologie die Begriffe und eine engere Bindung an den kultischen Bereich wird sichtbar. Der Wortstamm meint den Raum des Heiligen, das zu Weihende, und beinhaltet Elemente, die juristischen wie kultisch-sakralen Charakter haben. Daraus ergibt sich eine relative Offenheit dessen, was unter diesem Begriff verstanden wird. Dennoch zielen ein Drittel der Stellen, an denen der Begriff verwendet wird, auf kultische Vollzüge, besonders Taufe oder Eucharistie. Die östlichen, griechischen Väter rekurrieren auf den Vorstellungshorizont des Symbols: Mensch und Welt werden in einer Weise gedeutet, dass eine Wirklichkeit Symbol einer anderen, höheren Wirklichkeit ist, aber nicht Symbol bloß in dem Sinne, dass wir eine Ähnlichkeit sehen und eine Beziehung herstellen, sondern Symbol in dem Sinne, dass die höhere Wirklichkeit sich selbst in der niederen wirklich ausdrückt, in ihr tatsächlich gegenwärtig ist. Den Hintergrund dieses Verstehenshorizontes bildet das platonische Urbild-Abbild-Denken: Das Urbild zeigt sich im Abbild, ist, wenn auch seinsschwächer, im Abbild präsent. Am plausibelsten ist diese Vorstellung innerhalb des Eucharistieverständnisses: Die Eucharistie ist die vergegenwärtigende Erinnerung; in ihr wird die
Sakramente: Zeichen des Heils, Feiern der Erlösung
ganze Heilsgeschichte präsent, die ganze Geschichte Jesu, sein Leben, Handeln, Tun, seine Hingabe, sein Tod und das Bekenntnis zu seiner Auferstehung, Erhöhung, Himmelfahrt. Jesus Christus wird als Handelnder gegenwärtig; das ist das, was in der weiteren Theologiegeschichte als Aktual-Präsenz bezeichnet wird. Er wird in seinem Heilswerk, in seiner Hingabe in den Tod gegenwärtig, durch die er handelt – das wird in der späteren Theologiegeschichte als reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi (Real-Präsenz) verstanden. Für das Sakramentsverständnis der westlichen Theologen wird Augustinus prägend: Seine Sakramententheologie geht aus von der Unterscheidung von ,Sache‘ (res) und ,Zeichen‘ (signum). Sachen im eigentlichen Sinne sind jene Dinge, die für sich selbst stehen, wie Holz, Tier und dergleichen. Zeichen dagegen verweisen immer auf etwas anderes. Daneben gibt es aber auch Sachen, die in sich existieren und zugleich Zeichen für andere Sachen sind. Innerhalb der Zeichen sind die ,natürlichen Zeichen‘ von den ,gegebenen Zeichen‘ zu unterscheiden. ,Natürliche Zeichen‘ lassen absichtslos eine Sache erkennen, wie z. B. Rauch auf ein Feuer hinweist. ,Gegebene Zeichen‘ dagegen, wie z. B. ein bewusstes Nicken mit dem Kopf, eine gezielte Handbewegung oder ein militärisches Fahnenzeichen werden absichtlich gesetzt, um etwas zur Kenntnis zu bringen. Man hat die Bedeutung dieses Zeichens untereinander vereinbart. Hierzu gehört vor allem das ausdeutende Wort. So sind ,Sakramente‘ für Augustinus ,gegebene Zeichen‘ oder ,heilige Zeichen‘, weil sie auf eine heilige Wirklichkeit verweisen. Im sichtbaren Zeichen werden die Glaubenden mit der unsichtbaren Wirklichkeit konfrontiert, werden in sie mit hinein genommen. Freilich bedarf das Zeichen der Ausdeutung, des ausdeutenden Wortes. Es hat für Augustinus einen solchen Vorrang, dass er alle anderen Zeichen ,sozusagen sichtbare Worte‘ nennen kann. Und so definiert er: „Accedit verbum ad elementum et fit sacramentum“ („Es tritt das Wort zum Element und es wird Sakrament“; in Johannem, 80,3). Die Vorstellung des Augustinus zu Wort und Zeichen werden z. B. später Thomas von Aquin und andere scholastische Theologen aufgreifen: Von Aristoteles her übernehmen sie zusätzlich die Unterscheidung zwischen ,Materie‘ (hylé) und ,Form/Gestalt‘ (morphé) einer Sache und übertragen das auf ihren Sakramentsbegriff. Die sakramentale ,Materie‘ ist nun entweder das sichtbare Element (Taufe: Wasser; Eucharistie: Brot und Wein) oder die sinnenfällige, zeichenhafte Handlung (Buße: Schuldbekenntnis; Firmung: Handauflegung/Salbung). Die sakramentale ,Form‘ hingegen besteht in den Worten, die der Spender zur Vereindeutigung des Elementes bzw. der Handlung ausspricht. Während aber Augustinus gerade Wert auf die Unterscheidung von Wort und Element legt, betont Thomas die innere Einheit beider: Aus Worten und Dingen wird das eine Sakrament, wie aus Form und Materie. Der nicht genau festgelegte Sakramentsbegriff führt in der Frühscholastik zu sehr unterschiedlichen Vorstellungen über die Anzahl der Sakramente. Erst mit den systematisierenden Überlegungen der Frühscholastik wird deren Zahl dann auf sieben festgelegt (ca. Mitte des 12. Jahrhunderts; lehramtlich verbindlich: Zweites Konzil von Lyon 1274). Wie wirkt nun ein Sakrament? Thomas von Aquin findet die entscheidene Formel zur Umschreibung dessen, dass das Sakrament nicht nur Bedingung
Sache und Zeichen
Wort und Element
Anzahl der Sakramente
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4. Kirche und Sakramente
wirksame Zeichen
ex opere operato
character indelebilis
Theozentrik Christozentrik Glaube
für die Gnade ist, die dann (irgendwann?) später hinzukommt oder irgendwie vertraglich daran festgebunden ist, sondern wirklich Gnade vermittelt, weil es deren Ursache ist: Sakramente sind Werkzeuge (causa instrumentalis) in der Hand Gottes. Gott selbst bleibt das eigentliche Subjekt des Gnadenhandelns (Prinzipal- bzw. Hauptursache). Damit bewirken die Sakramente, was sie bezeichnen; im ,äußeren‘ Zeichen ereignet sich die ,innere‘ Gnade. Von diesen Überlegungen legt sich nun ein Gedanke nahe, der innerhalb der mittelalterlichen Theologie zum zentralen Punkt der Sakramentenlehre wird, und das Sakramentenverständnis der katholischen Kirche bis heute prägt. Es ist dies die Überlegung, dass die Wirksamkeit des Sakramentes nicht im persönlichen Glauben des Spenders oder des Empfängers, sondern im Handeln Gottes begründet liegt. Die Scholastik drückt dies mit der Formel ex opere operato (kraft des vollzogenen Ritus) im Gegensatz zu ex opere operantis (aus der Kraft des das Sakrament Vollziehenden; ,Werk des Wirkenden‘) aus. Dadurch erhält das Sakrament eine gewisse Objektivität: Vor jedem subjektiven Faktor – Glaube oder Offenheit des das Sakrament vollziehenden Menschen – ist Gottes Gnade bereits verlässlich da. Ein weiteres, damit verbundenes Element wird in den Überlegungen der scholastischen Theologen wichtig. Bereits Augustinus hatte zwischen dem ,äußeren Zeichen‘ und der ,inneren Wirkung‘ unterschieden. Um den Entwicklungs- und Wirkungscharakter nun deutlich zu machen, führt die scholastische Theologie den Begriff des unauslöschlichen Merkmals (character indelebilis) ein. Der Charakter ist unauslöschlich, unzerstörbar, weil Gottes Treue zum Menschen unzerstörbar ist. Die endgültigen lehramtlichen Festlegungen und der Abschluss mittelalterlicher Sakramententheologie erfolgen auf dem Konzil von Florenz (1438–1445) im ,Dekret für die Armenier‘ (DH 1310–1328). Die Einsprüche und Widerstände der Reformatoren gegen das katholische Sakramentsverständnis sind eigentlich nur auf dem Hintergrund der missbräuchlichen Praxis der Sakramentsfeier zu verstehen. Sie verdunkelte die katholische Lehre selbst, sodass jene kaum mehr im Bewusstsein der Menschen auffindbar war; magisch anmutende Berührungspraktiken, der Ablasshandel und vieles andere ließen die Lehre von der Wirklichkeit der Sakramente ,ex opere operato‘ in einem anderen Licht erscheinen, als es bei ihrer Entstehung intendiert gewesen war. Aus dem Sakrament, das einmal ,sichtbares Wort‘ (Augustinus) gewesen, ist ein bloß rituelles Wort geworden. Dagegen besinnen sich die Reformatoren auf zentrale Elemente des sakramentalen Geschehens und versuchen diese wieder radikal in den Mittelpunkt zu stellen: Gottes Handeln; christologisches Zentrum; gläubiger (Mit-) Vollzug; Schriftzeugnis (d. h. für die Sakramente: Rückführung auf Jesus Christus). Gegen die zunehmende Ritualisierung betonen sie das Wort Gottes als die heilswirksame Anrede schlechthin ([91] 34); gegen eine Quantifizierbarkeit der Gnade, wie sie besonders der Ablasshandel nahe legte, setzten sie die Alleinwirksamkeit Gottes, der am Menschen alles in allem wirkt, und dem der Mensch zu seiner Entsühnung und Rechtfertigung nichts als zu glauben hat; gegen einen Heilsautomatismus etablieren sie einen Heilspersonalismus, der den einzelnen Menschen in direkter Verbindung zu Gott stellt und dessen einziger Mittler Jesus Christus ist. Folgen davon sind eine zunehmende Skepsis gegenüber dem nicht biblischen Begriff des ,sacramen-
Sakramente: Zeichen des Heils, Feiern der Erlösung
tum‘ als Begriff für eine liturgische Handlung (stattdessen verwendet man Begriffe wie Zeichen, Ritus, Zeremonie) sowie eine Beschränkung der Zahl der Sakramente auf drei bzw. zwei: Taufe, Eucharistie, Buße. Die Antwort des Trienter Konzils ist zunächst eine rein apologetische. Dabei fällt auf, wie unterschiedliche Sprachgewohnheiten Missverständnisse und Differenzen hervorrufen, die theologisch so nicht vorhanden sind. Für beide Seiten ist z. B. diese ,Einsetzung‘ der Sakramente ein wichtiges Thema. Dabei ist das mittelalterliche (von der katholischen Seite bevorzugte) Verständnis viel weiter als das moderne (und von den Reformatoren direkt aufgenommene) Verständnis, das nach konkreten biblischen Einsetzungsakten und -worten als Beleg und Beauftragung sucht. Das mittelalterliche Verständnis versucht eine Verortung im umfassenden Heilswerk Christi, das man von seinen Auswirkungen – Geistsendung, Aussendung der Apostel, Entstehen der Kirche etc. – nicht trennen möchte. Einsetzung Christi und Handeln des Heiligen Geistes in der Kirche werden nicht als Gegensätze verstanden; der reformatorisch-exklusive Rekurs auf das biblische Fundament wird als Einengung verstanden. Hinsichtlich der konkreten rituellen Praxis unterliegt man aber nun katholischerseits einer gewissen Verengung, die erst im 20. Jahrhundert aufgrund einer veränderten kirchlich-liturgischen Praxis wieder aufgesprengt wird. Ein erneuertes Verständnis von Liturgie (Liturgische Bewegung) führt langsam aber stetig zu einer veränderten Sicht des Feiercharakters und damit auch des Vollzugs und der theologischen Basis der Sakramente. Das Zweite Vatikanum greift dieses Anliegen in seiner Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium auf. b) Heil und Erlösung als sakramentale Wirklichkeit Sakramentales Denken fußt auf der Überzeugung, dass Gott sich auf diese Welt einlässt, dass er sich in ihrer Geschichte engagiert, um darin Heil zu wirken. Und darum ist es ein zentraler theologischer Denkfehler, der häufig hinter der Kritik an einem sakramental orientierten Denken steckt, dass man meint, Sakramente bewerkstelligten erst eine ,Nähe‘ Gottes. Aber Gott verhält sich eben nicht abwartend neutral, distanziert, sodass ihn das Sakrament dazu bewegen müsste, jetzt ,gnädig‘ zu sein. Gott bedarf keiner jeweils neuen Motivierung, keiner Intensitätssteigerung. Vielmehr ist die Änderung auf Seiten der Menschen notwendig, denen von ihrer Konstitution her Gottes Nähe, Gottes Selbstmitteilungswille, das Heilsgeschehen in Jesus Christus nie gleich gegenwärtig, gleich intensiv nahe sind. In den sakramentalen Symbolhandlungen – aber nicht nur in ihnen – bewirkt Gottes Geist die ,Öffnung‘ der Schranken, die Menschen gegen Gottes Gegenwart errichten. Zu diesem Vorgang gehört die Fähigkeit der Symbolhandlung, dasjenige nach außen hin bekunden, veranschaulichen zu können, was in ihr von innen her auf Aktualisierung drängt. In ihrem sakramentalen Handeln wirkt die Kirche nun selbst als dieses Zeichen und Werkzeug, indem sie der Vergegenwärtigung des eigentlichen Heilszeichens Gottes – Jesus Christus (das Ursakrament) – dient. Die Verwirklichung ihrer Werkzeug- und Zeichenfunktion, ihres Sakramentscharakters geschieht in ihren Grundvollzügen: Zeugnis, geschwisterlicher Dienst und Liturgie. Diese sakramentale Grundstruktur verwirklicht die Kirche in
Liturgische Bewegung
Nähe Gottes
Ursakrament Christus
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4. Kirche und Sakramente
Grundsakrament Kirche
Realsymbol
Wortgeschehen Feiern der Kirche
Wende- und Knotenpunkte des Lebens
die verschiedenen Situationen des menschlichen Lebens hinein, so sind die Einzelsakramente Vollzüge, Aktualisierungen oder Ausfaltungen des Grundsakraments Kirche. Das sakramentale Handeln der Kirche muss also eingefügt werden in den umfassenden Prozess des Heilshandelns Gottes an der Welt und den Menschen. Es ist die Grundbewegung Gottes auf die Menschen zu, die das sakramentale Handeln trägt. Die Kirche ist nichts anderes als die Dienerin dieser Bewegung, und die Sakramente sind die konstitutiven Handlungsprinzipien ihres Dienstes. Den drei traditionellen Grundelemente des Sakraments – äußeres Zeichen (Handlung und Wort), innere Gnade, Einsetzung durch Christus – werden in der modernen Sakramententheologie drei Dimensionen beiseite gestellt: das Zeichen/Real-Symbol; das wirklichkeitsschaffende Wort und die Feier. Dabei ist der Glaube der Einzelnen wie der Gemeinschaft nicht als Anfang, sondern als Antwort auf die Initiative Gottes zu verstehen. Hier schimmert etwas von der Richtigkeit auch des scholastischen Verständnisses durch: Das Sakrament ist deswegen ,Ursache‘ der Gnade, weil und insofern es ihr Zeichen ist. Die Gnade Gottes selbst schafft sich ihren Ausdruck, ihren Raum, ihre geschichtliche Greifbarkeit, ihren leibhaftigen Ausdruck. Sie schafft sich ihr Symbol selbst. Das Symbol verwirklicht das Bezeichnete. Das ist mit dem Begriff des Real-Symbols gemeint. Die Neubesinnung gegenwärtiger Sakramententheologie hat auch Impulse aus den Anfragen der Reformatoren aufgenommen. Sie knüpft an die augustinischen Überlegungen zur Wertigkeit des Wortes an. Diesen wirksamen Zusagecharakter des Wortes hat seit dem Zweiten Vatikanum auch die katholische Seite wiederentdeckt. Sakramentales Feiern und Handeln ist auch Neuvollzug, Erinnerung, Miterleben des christologisch Vorgegebenen und Vorgelebten. In diesem Sinn kann das Sakrament auch als wirklichkeitsschaffendes und -veränderndes Wort verstanden werden. Es ist persönlich treffendes, innerlich wandelndes, Beziehung stiftendes aber auch rechtlich wirksames Wort. Deshalb kann das Sakrament sowohl – in Anlehnung an Augustinus – als sichtbares Wort als auch – so würde es die ostkirchliche Tradition nahe legen – als ein durch das Wort eindeutig gemachtes Bildgeschehen verstanden werden. Sakramente sind Feiern der Kirche. In ihnen konstituiert sich Gemeinschaft: als Zusammenkunft im Namen Christi, als vergegenwärtigende Erinnerungsgemeinschaft und die Zukunft antizipierende Hoffnungsgemeinschaft, als das Evangelium verkündende und das neue Leben zeichenhaft darstellende Volk Gottes. Aber Kirche feiert sich nicht selbst, sondern die Geschichte, der sie sich verdankt, und die Hoffnung, welche sie bewegt. D. h. Kirche begeht, wovon sie lebt. Die Rückerinnerung an den weiten Sakramentsbegriff der frühen Kirche, wie die Besinnung auf zentrale menschliche Gegebenheiten, die das Verständnis von Sakramenten anthropologisch vertieft haben, lassen Sakramente als lebens- und glaubensgeschichtliche Achsen christlicher Existenz in den Vordergrund treten. Sakramente ritualisieren besondere, identitäts- und lebensrelevante Grunderfahrungen und machen sie als Weg in der Nachfolge Christi sichtbar: Ein Leben entscheidet sich wesentlich daran, ob sein Anfang als Verheißung erfahren wurde (Taufe), ob es mit der Nahrung für den Leib auch immer neu Nahrung fand für wahrhaft menschliche Lebendigkeit
Sakramente: Zeichen des Heils, Feiern der Erlösung
(Eucharistie), ob trotz aller Schuldverfallenheit Hoffnung bleibt auf ein menschenwürdiges Leben aus der Liebe (Buße), ob der Heranwachsende zu einer ,fruchtbaren‘, seine Lebenserfahrungen und Zukunftshoffnungen integrierenden Lebensform (Ich-Identität) und Zugang zum ,Geist‘ einer ihn solidarisch mittragenden Gruppe findet, die ihn als bedeutsames Mitglied anerkennt (Firmung), ob er sich einem Partner öffnen und die schöpferische Mitsorge für ihn und die gemeinsamen Nachkommen bzw. für das ,innere‘ Wachstum seiner Mitmenschen in Glaube, Hoffnung und Liebe übernehmen kann (Sakramente der Ehe und der Weihe), ob der reif gewordene Mensch dem Tod als einem endgültigen Abbruch oder als dem unergründlichen Geheimnis einer neuen Schöpfung entgegengeht (Krankensalbung). Sakramente gewinnen den Charakter von Zusagen innerhalb des erfahrenen Lebenswegs bzw. an den entscheidenden Lebenswenden. So kennzeichnen gerade die Sakramente Sinnlinien, aber auch Wende- und Knotenpunkte innerhalb der christlichen Existenz ([115] 164). Sakramente sind daher auch Feiern und Erlebnisse von Kontrasterfahrungen. Hier werden die Handlungs- und Herrschaftsabläufe der Welt bewusst und vollmächtig aufgebrochen für das und durch das von Gott her Kommende. Sakramente machen die Spannung, ja den Widerspruch feierbar, zwischen dem, was ist und wie es ist und dem, wie es von Gott her sein soll oder werden wird. Sie nehmen die Mitfeiernden hinein in Gottes Heilszukunft, die in den sakramentalen Zeichen die heillose Gegenwart schon aufzusprengen beginnt. Kirche hält, indem sie die Sakramente feiert, den Platz für dieses verändernde Wirken Gottes ,institutionell‘ offen. Damit wird das Sakrament zu dem, was es werden soll: zum Instrument der befreienden Begegnung, der aufbrechenden Hoffnung und der Quelle neuen Lebens.
5. Eschatologie a) Ende und Anfang Wenn man die Sprachregelungen einmal aufnimmt, die bei der Frage nach dem Ende (griech. ta eschata – die letzten [Dinge]) eine Rolle spielen, so ergibt sich eine bunte Mischung von Bildern und Begriffen, die mitunter schwer aufeinander zu beziehen sind. Woher kommen sie, was bedeuten sie? a) Biblische Vorbilder Wiederum ist es die Frage, wer Gott ist und wie er ist, die Israel dazu bewegt, über seine Zukunftshoffnungen nachzudenken. Gott ist die entscheidende Zukunftshoffnung für den Menschen. Erst wenn Gott sich alle anderen Mächte unterwirft, ja selbst den Tod besiegt, ist seine Herrschaft vollständig offenbar. Das Neue Testament übernimmt diese Dimension, indem es die Hoffnung in der bereits offenbar gewordenen Liebe Gottes begründet und daraus auch die Zuversicht nimmt, dass wir aus dieser Liebe Gottes nicht mehr herauszufallen vermögen. Das Johannesevangelium beschreibt diesen ,Zustand‘ mit dem Begriff des ,Leben-in-Fülle-Habens‘. Gott ist uns in einer fast unbegreiflichen Weise nahe gekommen, ist sichtbar geworden, hat sich uns in Jesu Leben und Sterben, in seiner sich hingebenden Liebe ausgeliefert. Für
Kontrasterfahrungen
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5. Eschatologie
Hoffnung und Erfahrung
hermeneutische Grundregeln
alle, die wahrgenommen haben, was in diesem Leben und Sterben geschehen ist, ist klar geworden, dass ein solches Leben nicht im Tod bleiben konnte, weil Gott eben so ist, wie er sich gezeigt hat: ein treuer, sich zuwendender, liebender Gott. Es ist dieselbe Erfahrung von Treue und Liebe, durch die wir sagen können, dass Jesus sein Leben in Gott vollendet hat, und die gerade darin auch begründet, dass sich unser Leben in Gott vollenden wird. Deshalb hat es christliche Eschatologie als Zukunftshoffnung nicht mit irgendwelchen ,apokalyptischen Ereignissen oder Zuständen‘ zu tun, sondern spricht von Erfahrungen, die glaubende Menschen mit Jesus Christus gemacht haben. Daher ist christliche Zukunftshoffnung keine ,Warteschleife‘ für den kommenden Äon, sondern das überzeugte und begründete Tätigwerden auf Zukunft hin. Dass die absolute Erfüllung noch aussteht, zeigt, dass die Hoffnung sich nicht zufrieden gibt mit nur partieller Erfüllung. Sie lässt sich nicht zurückschneiden auf das Maß des je heute und Menschen überhaupt Erreichbaren. Sie setzt auf einen Gott, der das endgültige und totale Heil für den Einzelnen und die ganze Menschheit schaffen wird. Damit verschiebt sich der apokalyptische Vorstellungshorizont grundlegend. Christliche Zukunftshoffnung hat eine doppelte Zeitsignatur – die der Zukunft und die der Gegenwart. Die Gegenwart: Die Gottesherrschaft beginnt hier und jetzt, das Ende berührt die Geschichte. Es durchdringt die Geschichte und bringt sie zu ihrer Fülle, ihrer Vollendung. Dieses Endziel ist jedem Menschen ganz nah. Denn der Herr kommt ständig. Die Zukunft: Jedem von uns erscheint der Herr, indem er uns enthüllt, wer wir sind, vor allem aber indem er seine ewige Liebe zu uns enthüllt und uns in die Ewigkeit seines Lebens hinein nimmt. Die persönliche, subjektive Geschichte eines jeden, eingeflochten in das Gewebe interpersonaler und sozialer Beziehungen, steht am Ende vor dem Herrn. Der Augenblick des Todes in seiner persönlichen und sozialen Dimension wird damit zu jenem Augenblick, da ein Mensch ein für allemal des unverschleierten Geheimnisses Christi in seiner ganzen Transparenz gewärtig wird. In dem Augenblick, da ein jeder stirbt, steht das Geheimnis Christi als Endziel, Fülle, letzter Sieg über die Geschichte der Menschen da. b) Zur Hermeneutik eschatologischer Aussagen Wenn christliche Eschatologie keine wie immer geartete Vorschau auf spätere Ereignisse ist, was ist sie dann? Sie ist der Vorblick/Ausblick des Menschen aus seiner jetzigen Situation heraus auf seine endgültige Vollendung. Der Glaube beschreibt seine Hoffnung aus der Situation heraus, die er hier und jetzt als grundlegend für seine Existenz sieht. Welche Konsequenzen muss ich für mich, für mein zukünftiges Schicksal ziehen, wenn ich mich hier und jetzt in meinem Glauben als von Gott zum Heil, zum Glück berufener Mensch verstehe? Daraus ergeben sich einige Grundregeln zur Auslegung (Hermeneutik) eschatologischer Aussagen: (1) Eschatologische Bilder sind sinnvoll, weil sie Ausdruck der menschlichen Gottesbeziehung sind. Glaube braucht Bilder, um sich auszudrücken. Das gilt auch für die Zukunftshoffnung.
Ende und Anfang
(2) Jegliches Bild muss aber als Bild erkannt und durchschaut werden. Dabei ist es notwendig, gerade auf eine allzu menschliche Missbrauchsgeschichte solcher Bilder zu achten und jedes Bild zu überprüfen. (3) Positive wie negative Bilder sind Provokationen, die zur Klärung der eigenen Gottesbeziehung herausfordern. Die Bilder der Eschatologie sind letztlich bildhafter Ausdruck für die menschliche Gottesbeziehung, für die heilvolle und für die durch Sünde und Schuld zerstörte. Sie sind Bilder für das menschliche Selbstverständnis im Angesicht der Wahrheit Gottes. (4) Eschatologischen Bildern wohnt eine innere Dialektik inne (Himmel – Hölle). Im Rahmen der Gottesbeziehung wird der Mensch so sichtbar als von Gott geliebter, behüteter oder als von Gott getrennter Mensch. Auch Bilder von Himmel und Hölle sind also keine Zukunftsvisionen, sondern ein inneres Moment des menschlichen Selbstverständnisses hier und jetzt. (5) Deswegen sind eschatologische Bilder objektivierte Inszenierungen dessen, wie ein Mensch sich selbst gegenüber Gott, seiner Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit etc. versteht.
Diese Aufgabenbeschreibung beruht letztlich auf der theologischen Einsicht, dass die Eschatologie keine Zusatzinformation zu sonstigen theologischen oder anthropologischen Aussagen christlicher Dogmatik ist, sondern die Übersetzung dessen, was theologisch, anthropologisch und christologisch Sache ist, in den Modus der Vollendung hinein. Was jetzt gilt, wird unter der Perspektive der Vollendung, des Gesamtziels, des Sinn des Ganzen beschrieben.
Spiegel der gegenwärtigen Gottesbeziehung
6. Eine Hoffnung, die Gründe nennt a) Leib, Seele, Unsterblichkeit Die prägende Idee christlicher Jenseitshoffnung ist der griechischen Philosophie entnommen: die Idee der Unsterblichkeit der Seele; also der Trennung von Leib und Seele im individuellen Tod. Die Hebräische Bibel und das Neue Testament legen in keiner Phase ihrer Entwicklung das Verständnis einer vom Leib zu trennenden oder getrennten Seele nahe. Sie vertreten eine ganzheitliche Sicht des Menschen. Ursprünglich bedeutet in der Hebräischen Bibel das ,Warten‘ auf die Auferstehung nicht das Warten eines separierten Teils des Menschen, sondern das Warten des ganzen Menschen. Erst unter dem Einfluss der zweiteiligen griechischen Anthropologie wird innerhalb der christlichen Theologie daraus die Konzeption einer ,anima separata‘, einer Seele, die nach dem Tod vom Leib getrennt, sich bereits der Seligkeit bei Gott erfreuen kann und ,nur noch‘ zur Steigerung der eigenen Seligkeit auf die Auferstehung des Leibes am Ende aller Zeiten wartet. Neben diesem Leib-Seele-Dualismus entsteht daher daraus die Vorstellung einer zeitlichen Differenz zwischen Vollendung der Seele und des Leibes. Eine christliche Theologie kann nur kritische Anleihen bei diesen philosophischen Ideen machen. Sie kann und darf die Seele nicht ohne explizite Beziehung zum Leib, zu Geschichte und Welt sehen. Andererseits muss christliche Eschatologie die rettende Vollendung des ganzen Menschen, also auch des Körpers, der Materie, die einmal ,Leib‘ war, in den Blick neh-
Unsterblichkeit der Seele
Leib-Seele-Einheit
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men können; zumindest insoweit, als die Seele – angesichts der zeitlebens gegebenen Einheit mit dem Leib – mit dem Tod nicht einfach als vom gestorbenen Menschen ,ohne Rest‘ ablösbarer geschichtsfreier Teil verstanden werden kann. Folglich muss trotz völliger Hinfälligkeit der körperlichen Materie nicht einfach ein ,körperfreier‘ Leib als kontinuitätsbildendes Element konstruiert werden. Nimmt man die gegenseitige ,Prägung‘ von Leib und Seele, wie sie sich Thomas von Aquin vorgestellt hat, wirklich ernst, hat der Leib Spuren in ihr hinterlassen. Seele wäre dann der wirklich todüberdauernde Repräsentant des Menschen einschließlich seiner unverwechselbaren Geschichtlichkeit und Weltbezogenheit. Auf die Einführung eines den Leibbegriff überfordernden, weil spiritualisierten Leibverständnisses wird also verzichtet, gleichzeitig aber die Seele auch und gerade als ,Sitz‘ dieser Leiblichkeit, die den Tod überdauert, angesehen. Damit bietet sich ein kontinuitätsbildendes Element an, wie es – angesichts des heutigen Wissens über Stoff- und Energiewechselvorgänge – Materie als solche heute nicht mehr zu leisten vermag: Seele wäre so etwas wie die immaterielle ,Matrize‘ eines durchaus materiellen geschichtlichen, weltbezogenen, sozial verbundenen ,Prägestocks‘, nämlich des Leibes; würde also sowohl Geschichte wie Welt in sich bewahren können. Die Vollendung stofflicher Materialität, die vom Menschen her gesehen immer nur eine zeitweilige menschliche Materialität ist, muss nicht der individuellen Vollendung zugeschrieben werden, sondern kann und darf dann dem ,Ende aller Zeit‘ und damit der hier explizit verheißenen ,Vollendung der ganzen Schöpfung‘ überlassen werden.
b) Gericht
Selbstgericht
ausrichtende Gottesbegegnung
In der christologischen und damit personalisierten Zuspitzung des Gerichtsmotivs im Neuen Testament wird deutlich, dass das Gericht kein von außen über den Menschen verhängtes Fremdurteil ist, sondern in letzter Konsequenz ,Selbstgericht‘. Freilich ist dieses Selbstgericht kein Resultat menschlicher Kraft und Leistung. Der Mensch wäre gänzlich überfordert, sich selbst das Urteil über sein Leben zusprechen zu müssen. Es ist viel mehr nur mit Gott und durch Gott möglich. Man spricht so vom Selbstgericht vor dem Angesicht Gottes. Dieses bedeutet nun keine rein passive Anwesenheit Gottes in der Rolle eines bloßen Zuhörers oder Zuschauers, der unbeteiligt das Selbstgericht des Menschen nur ,registriert‘. Die biblische Überlieferung spricht vom aktiven Durchsetzen der Gerechtigkeit Gottes. Das bedeutet, dass das Gericht in der aktiven Begegnung mit Gott begründet ist. Das Selbstgericht ist ein personales und damit dialogisches Geschehen, es ist ein Miteinander von Gott und Mensch. Dabei legt gerade die Gerechtigkeit Gottes das offen, was am Menschen ungerecht, böse, sündig ist. Gottes Gerechtigkeit schafft Klarheit. Der Mensch begegnet dieser Gerechtigkeit Gottes und erkennt in ihr und durch sie seine Ungerechtigkeit, seine Taten des Bösen und Unterlassungen des Guten. Die Gerechtigkeit Gottes wird zum Maßstab zur Grundausrichtung seines Lebens. Diese Gerechtigkeit Gottes ist nun keine abstrakte Gerechtigkeit; Jesus Christus selbst und sein Tun, sein Handeln, sein Verhalten, ist die Gerechtigkeit Gottes, angesichts derer unsere Ungerechtigkeit offenbar wird. Ange-
Gericht
sichts der liebenden Zuwendung der Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus enthüllt sich die Wahrheit über uns. Erst in dieser Begegnung erkennt der Mensch sich selbst und die wahren Konsequenzen seiner Taten. Diese Erkenntnis kann für den Menschen ambivalent sein, denn sie ist beides, bedrückend wie befreiend, belastend wie entlastend, beurteilend wie freisprechend. Angesichts dieser Doppelheit spricht die Bibel von der Doppelperspektive von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes.
c) Fegfeuer/Läuterung „Die Lehre vom Fegfeuer hatte es schon immer schwer mit der überschießenden Phantasie“ (Karl Lehmann) [126]. Man löst dabei den Gedanken der Läuterung ab vom Gedanken der richtend-ausrichtenden Begegnung mit Gott und Jesus Christus; man verräumlicht und verzeitlicht das personale Geschehen; man deutet die Symbole und Bilder (namentlich das vom Feuer) wie objektive Beschreibungen, als ginge es um einen geographisch lokalisierbaren Ort, um richterlich festgesetzte Haftstrafen und um physikalisch messbare Temperaturen. So erscheint das Läuterungsgeschehen schließlich wie eine riesige Folteranstalt, ein kosmisches Konzentrationslager, in dem jammernde, klagende und seufzende Kreaturen bestraft werden. Demgegenüber ist das Lehramt sehr zurückhaltend. In den konziliaren Unionsversuchen mit den Kirchen des Ostens (Zweites Konzil von Lyon 1274, DH 865; Konzil zu Florenz 1439, DH 1304) – wo die gemeinte Sache als solche umstritten war und daher lehramtlich entschieden wurde – wird der Begriff des Feuers nicht als verbindlich erklärt. Dagegen werden zur Umschreibung der gemeinten Sache Bilder und Motive aus dem Reinigungsbzw. Läuterungsgeschehen entnommen (purgari, poenae purgatoriae oder cartharteriae – ,reinigen‘ bzw. ,reinigende Strafen‘); nur selten schwingt eine räumliche Vorstellung (z. B. als Reinigungsort) mit. Auch das Konzil zu Trient (Dekret über den Reinigungsort vom 3. 12. 1563, DH 1820) formuliert gegen die Reformatoren nur: Es gibt einen Reinigungsort, und die dort befindlichen Seelen erfahren durch die Fürbitte der Gläubigen eine Hilfe. Es bleibt also folgende Essenz: Der Mensch erkennt im Gericht, wer er wirklich ist. Es ist nicht ein Urteil, das dem Menschen in völliger Fremdheit von außen zugesprochen wird. Die Stimme des Gewissens offenbart ihren konkreten Namen und ein Antlitz. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott im Gericht ist der Ort der Vollendung. Dieses Gericht ist immer schon die von uns Menschen nicht herstellbare Einheit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit: Es kommt an den Tag, was der Mensch im Licht des gerechten Gottes aus seiner Freiheit gemacht hat. Vor diesem Maßstab allein könnte keiner bestehen. Darum ist die Begegnung im Gericht auch die Vollendung der Erlösung und der Mitteilung von Vergebung und Barmherzigkeit. Nur in diesem Kontext ist sinnvoll von ,Fegfeuer‘ die Rede. Denn bereits die biblische Tradition kennt das Bild des prüfenden und verzehrenden Feuers Gottes; als Erfahrung des sündigen Menschen mit der Heiligkeit Gottes. Elemente dieser ,Konfrontation‘ gibt es bereits in unserem irdischen Leben, und dieses Moment erhält einen gesteigerten Stellenwert in der Stunde der letzten Vollendung: Wenn der Mensch im Tod vor die Heiligkeit Gottes gestellt wird und ihm der Glanz seiner Gerechtigkeit und Liebe auf-
eschatologische Fantasie
lehramtliche Zurückhaltung
Läuterung
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Gemeinschaftsaspekt
geht, dann werden seine Unfertigkeit und seine Sündhaftigkeit voll offenbar. Der richtende, d. h. aber auch der liebende Blick Gottes prüft, was das Werk des Einzelnen taugt. Seine Liebe brennt mich aus, seine Liebe reißt meine Vorbehalte, Hindernisse, Verkrustungen weg; ,läutert‘ mich. Gott reinigt uns, Gott brennt uns aus, aber er kommt zum Ziel – und so kommen wir zum Ziel. Im Gegensatz zu den anderen eschatologischen Bildern betont das Fegfeuer den kommunialen Aspekt des Gerichtsgeschehens dadurch, dass es das Gebet für die Verstorbenen als praktizierte Solidarität, als zentrales Element hervorhebt.
d) Himmel und Hölle doppelter Ausgang?
Apokatastasis
Aus den theologischen Überlegungen der frühen Kirche stammen zwei Konzepte, die bis heute die unterschiedlichen Optionen christlicher Jenseitsvorstellungen prägen. a) Origenes (185–254) Origenes greift auf die Grundidee des universalen Heilswillens Gottes zurück und entwickelt daraus eine umfassende eschatologische Theorie. Damit will er den eigentlichen, den tieferen Gehalt der apokalyptisch-eschatologischen Bilder erheben und diese für das Alltagsleben des Christen fruchtbar machen. Eschatologische Aussagen haben immer eine zukünftige und eine gegenwärtige Relevanz. Origenes akzeptiert dabei die Traditionen der Eschatologie der Kirche, aber an einigen Punkten geht er eigene Wege und setzt bewusst Kontrapunkte. Das gilt insbesondere für die Vorstellung des doppelten Ausgangs des Gerichts und der damit verbundenen Vorstellung einer ewigen Hölle. Dabei ist sich Origenes durchaus bewusst, dass eine Infragestellung der Ewigkeit der Strafen wegen der ungeheueren ethischen Implikationen etwas Heikles ist. Freilich auch die Strafen müssen die Eigenschaft eines Heilsmittels haben, sonst sind sie theologisch unsinnig. Die Idee einer ,ewigen Strafe‘ ist also theologisch fraglich. Hölle ist die ernste und grundlegende Infragestellung der Gemeinschaft von Mensch und Gott. Hölle das ist das endgültige Nein, die endgültige Verweigerung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott. Ist ein Mensch zu so etwas überhaupt fähig? – So die Frage des Origenes. Seine Antwort lautet: Die Entscheidung des Menschen für oder gegen Gott ist ein Prozess, der ein Leben lang anhält und auch im Tode nicht aufhört. Es kann keine endgültige Verweigerung geben. Und weil dieser Lernprozess alles und jeden mit einschließt, ist es ein universaler Lernprozess der ganzen Schöpfung. Ausgangspunkt für diese Gedanken ist die Gottesvorstellung. Bei Origenes setzt Gott, der die Liebe ist, seinen umfassenden Liebeswillen dazu ein, dass er in befreiender, läuternder, alles Negative aufhebender, heiligender Aktion alles Übel und alles Böse, das der Freiheit seiner Geschöpfe entspringt, reinigt und so schließlich alle für die universale Gemeinschaft des Lebens (den Himmel) zurückgewinnen kann. Damit verbindet sich bei Origenes die Hoffnung, dass wirklich alle Menschen schließlich gerettet werden können. Diese Idee eines universalen Heils ist unabdingbar, wenn Christus wirklich alles in allem sein soll, wie Paulus in 1Kor 15,24–28 schreibt. Origenes verwendet den Ausdruck Apokatastasis – Wiederherstellung, Allversöhnung. Die Voll-
Himmel und Hölle
endung der Schöpfung, so wie sie einmal sein sollte, ist das allumfassende Ziel aller eschatologischen Spekulationen. In diesem Rahmen versucht Origenes, sowohl der theologischen Aussage von der Güte und Barmherzigkeit Gottes wie der menschlichen Freiheit gerecht zu werden. Diese Theologie des Origenes hat schon viele antike christliche Autoren zum Widerspruch gereizt. Die Kontroversen fordern letztlich im Jahr 543 einen lehramtlichen Schiedsspruch heraus. Als notwendige Gewissheit werden die Sätze des Origenes, die eine Apokatastasis nahe legen, als häretisch verurteilt. Als Hoffnung freilich, also als äußerster Horizont christlicher Eschatologie, bleiben sie eine legitime theologische Denkmöglichkeit. b) Augustinus (354–430) Den entscheidenden Gegenentwurf zu einer ,allzu mitleidigen Theologie‘, die eine ewige Strafe und damit ein endgültiges Verlorengehen Einzelner ablehnt, liefert Augustinus. Er ist geprägt durch ein eher pessimistisches Szenario. Auch bei Augustinus ist Gott die Liebe. Gerade diese Liebe Gottes hat notwendig zwei Seiten, eine erwählende und eine verwerfende, seine Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit. Diese Spannung liegt in Gott selbst begründet und ist nicht auflösbar. Konsequenz dieser innergöttlichen Spannung ist also ein Dualismus der Zukunftserwartung: Hoffnung und Heil für die einen, die Erwählten, die wenigen, und Erwartung des Unheils und der Verdammnis für die meisten anderen (massa damnata). Um der Gottheit Gottes und der Freiheit des Menschen willen muss Augustinus auf diesem ,doppelten Ausgang‘ des Gerichts bestehen. Sie ist Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes und nimmt die Freiheit des Menschen und seine Entscheidung für die Sünde ernst. Interessanterweise zeigt die Geschichte der Eschatologie, dass das Modell des Augustinus über lange Phasen hinweg das dominierende und prägende geblieben ist, während der Entwurf des Origenes bald an den Rand der Rechtgläubigkeit geriet und nur in wenigen, eher erbaulichen Teilen volksfrommer oder spiritueller Theologie einen Ort zum Überleben gefunden hat. c) Wirkungsgeschichte Blickt man auf die theologiegeschichtliche Entwicklung, so besteht kein Zweifel daran, dass sich in der Idee der ,Hölle‘ die unausrottbare, menschliche Sehnsucht nach letzter Gerechtigkeit mit einer Menge anderer Bedürfnisse und Erwartungen vermischt hat: Die Höllenvisionen der Tradition verraten uns viel über das menschliche Herz und das menschliche Unbewusste, sagen uns letztlich aber wenig über das Geheimnis des christlichen Gottes. Demgegenüber ist jeder Übersetzungsarbeit an den eschatologischen Bildern mit Karl Rahner ins Stammbuch zu schreiben: Äußerster Horizont der ,Rede von den letzten Dingen‘ ist die Gottesfrage des Menschen selbst ([129] 414–429; [130]). Wie Menschen vom Menschen und seiner Zukunft denken, hängt immer davon ab, wie sie von ihrem Gott denken. Ist die Hölle der ,Preis der Freiheit‘ des Menschen? Doch wer und wie wäre dieser Gott angesichts der Möglichkeit einer ewigen Hölle, angesichts der Möglichkeit, dass auch nur eines seiner Geschöpfe auf ewig getrennt von ihm wäre? Liebt er die einen wirklich mehr als die anderen? Müsste man
massa damnata
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Ernst der menschlichen Selbstverweigerung
leergelittene Hölle
daher nicht die Dualität des Ausgangs des Gerichts – Himmel oder Hölle – in Gott selbst hineintragen? Gerade im Rekurs auf das innere Zentrum des Christusgeschehens gelingt es Hans Urs von Balthasar gegenüber den traditionellen dualistischen Alternativen, eine dritte Option, den Gedanken an eine leer gehoffte Hölle – der Hölle als ,unmögliche Möglichkeit‘ –, zu etablieren ([119]; [120]). Von zentraler Bedeutung ist dabei der sich im Verlassenheitsschrei des Gekreuzigten veranschaulichende ,Abstieg‘ Christi in die Gottverlassenheit, der Höllenabstieg Christi – wie das die kirchliche Tradition ins Bild bringt. Er ist, so die Deutung von Balthasars, die Solidarisierung Gottes „mit den von Gott weg Verlorenen […]. In diese Endgültigkeit (des Todes) steigt der tote Sohn ab, keineswegs mehr handelnd, sondern vom Kreuz her jeder Macht und eigenen Initiative entblößt […]. Er ist (aus einer letzten Liebe aber) tot mit ihnen zusammen. Und damit stört er die vom Sünder angestrebte absolute Einsamkeit: der Sünder, der von Gott weg ,verdammt‘ sein will, findet in seiner Einsamkeit Gott wieder“ ([121] 408). Hierin eröffnet sich für von Balthasar die Möglichkeit der Hoffnung, dass der ,Ernst der göttlichen Liebe‘ letztlich nicht vor dem ,Ernst der menschlichen Selbstverweigerung‘ (Hölle als Möglichkeit der Freiheit des Menschen [Karl Rahner]) kapitulieren wird. Gott ,knackt‘ die Selbstverschlossenheit des Sünders nicht gewalttätig auf, sondern er unterläuft ihren Rückzug in die Einsamkeit. Gott folgt ihm in Christus bis hin in die selbst gewählte Einsamkeit der Hölle hinein. Der rein auf sich selbst Bezogene, der Sünder, kann nicht umhin, einen noch Ohnmächtigeren ,neben‘ sich wahrzunehmen, der ihm die Absolutheit der Einsamkeit streitig macht, Gemeinschaft mit ihm auch noch in der Hölle sucht. So zeigt sich die wahre Macht Gottes nicht in der Einkerkerung und Vernichtung des Gegners, sondern in seiner freien Gewinnung (Johannes B. Brantschen [*1935]). Wer ,ja‘ sagt zur entschiedenen Liebe Gottes zum Menschen, der hat Anteil an ihrer ,Ewigkeit‘; das Nein-Sagen des Menschen spielt sich dagegen auf der unabschließbaren Unendlichkeit des Menschen selbst ab. Er kann zu jedem ,Ja‘ Gottes ,Nein‘ sagen, aber er kann dies nicht tun, ohne erkennen zu müssen, dass dieses ,Nein‘ bereits durch ein viel umfassenderes ,Ja‘ umfangen ist. Der Mensch kann nicht zur Bekehrung gezwungen werden, freilich kommt er nicht daran vorbei, Gott die Freiheit seiner Geduld, den freien Willen seines ewigen, sogar ,leidvollen‘ Warten-Wollens zuzugestehen, wie es durch den Gekreuzigten selbst sichtbar geworden ist. Von daher wagt es von Balthasar, von der ,leergelittenen Hölle‘ zu sprechen. Wir können selbst noch an diesem Punkt von einer möglichen ,Umkehr‘, d. h. von einer freiheitlichen Entscheidung des Menschen im Angesicht der Hölle sprechen. Und diese Entscheidung hat einen Grund. Sie findet an jenem Abgrund statt, der die Freiheit des Menschen angesichts der wirklich äußersten Konsequenz der Liebe Gottes (in Gestalt des das Reich des Todes hinabgestiegenen Christus‘) ein letztes und endgültiges Mal herausfordert. Denn kein Mensch wird des Himmels fähig, bevor er sich von Gott in Christus nicht gerade an diesen untersten Ort des Leidens Christi, in die ,Hölle‘ als möglichen oder realen ,Abgrund der eigenen Existenz‘, hat führen lassen.
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IV. Dogmatik als Sprachlehre des Glaubens [56] Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen, München 21997 [57] Assmann, Jan: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003 [58] Assmann, Jan: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998 [59] Beinert, Wolfgang: Der Glaubenssinn der Gläubigen in Theologie- und Dogmengeschichte – Ein Überblick, in: Wiederkehr, Dietrich (Hg.): Glaubenssinn des Gottesvolkes – Konkurrent oder Partner des Lehramts, QD 151, Freiburg 1994, 66–131 [60] Beinert, Wolfgang: Kann man dem Glauben trauen? Grundlagen theologischer Erkenntnis, Regensburg 2004 [61] Blum, Georg G.: Offenbarung und Überlieferung. Die dogmatische Konstitution Dei Verbum des II. Vaticanums im Lichte altkirchlicher und moderner Theologie, Göttingen 1971 [62] Blumenberg, Hans: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1988 [63] Bultmann, Rudolf: Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung [1941), in: ders.: Kerygma und Mythos I, 15–53 [64] Dohmen, Christoph: Vom vielfachen Schriftsinn Möglichkeiten und Grenzen neuerer Zugänge zu biblischen Texten, in: ders. u. a. (Hg.): Neue Formen der Schriftauslegung?, QD 140, Feiburg 1992, 13–74 [65] Dohmen, Christoph/Oeming, Manfred: Biblischer Kanon warum und wozu? Eine Kanontheologie, QD 137, Freiburg u. a. 1992 [66] Dulles, Avery: Lehramt und Unfehlbarkeit, HFTh 4, 153–178
Literatur [67] Faber, Eva-Maria: Negative Theologie heute. Zur kritischen Aufnahme und Weiterführung einer theologischen Tradition in neuerer systematischer Theologie, ThPh 74 (1999) 481–503 [68] Fries, Heinrich: Das mißverständliche Wort, in: Zum Problem Unfehlbarkeit – Antworten auf die Anfrage von Hans Küng, hrsg. v. K. Rahner, QD Bd. 54, Freiburg 1971, 216–232 [69] Fries, Heinrich: ,Ex sese, non ex consensu ecclesiae‘, in: Volk Gottes, Festschrift für J. Höfer, hrsg. v. R. Bäumer (u. a.), Freiburg 1967, 480–500 [70] Fuchs, Ernst: Einleitung, in: ders.: Glaube und Erfahrung. Gesammelte Aufsätze Bd. III, Tübingen 2 1965, 1–31 [71] Geiselmann, Josef R.: Die Heilige Schrift und die Tradition. Zu den Kontroversen über das Verhältnis der Heiligen Schrift zu den nichtgeschriebenen Traditionen, Freiburg 1962 [72] Grillmeier, Alois: Kommentar zu Kapitel 1 und 2 der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium, LThK Erg.bd. 1, Freiburg 1966, 156–207 [73] Grillmeier, Alois: Konzil und Rezeption – Methodische Bemerkungen zu einem Thema der ökumenischen Diskussion der Gegenwart, ThPh 45 (1970] 321–352 [74] Hoffmann, Veronika: Alles nur Bilder? Zum Verständnis metaphorischer Rede von Gott, in: Kleymann, Siegfried (u. a.) (Hg.): Die neue Lust für Gott zu streiten, Freiburg 2006, 68–79 [75] Hünermann, Peter: Die Geschichtlichkeit kirchlichen Lehrens und die Unfehlbarkeit des Glaubens, Köln 2000 [76] Käsemann, Ernst: Das Problem des historischen Jesus, in: ders.: Exegetische Versuche und Besinnungen Bd. I, Göttingen 61970, 187–214 [77] Kasper, Walter: Das Verhältnis von Schrift und Tradition – Eine pneumatologische Perspektive, in: Verbindliches Zeugnis Bd. I, 335–370 [78] Kreiner, Arnim: Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizeeargumente, Freiburg 32006 [79] Kuitert, Harry M.: Kein zweiter Gott. Jesus und das Ende des kirchlichen Dogmas, Düsseldorf 2004 [80] Laurentin, Rene: Das Petrus-Fundament in der gegenwärtigen Unsicherheit, Conc 9 (1973) 209–218 [81] Lehmann, Karl: Die Frage nach Jesus von Nazaret, HFTh 2, 122–144 [82] Limbeck, Meinrad: Die Heilige Schrift, in: HFTh 4, 68–99 [83] Lohfink, Norbert: Der weiße Fleck in Dei Verbum, Artikel 12, TThZ 101 (1992) 20–35 [84] Metz, Johann B.: Gotteskrise. Versuch zur ,geis-
tigen Situation der Zeit‘, in: ders (u. a.) (Hg.): Diagnosen zur Zeit, Düsseldorf 1994, 76–92 [85] Müller, Klaus: Homiletik. Ein Handbuch für kritische Zeiten, Regensburg 1994 [86] Müller, Klaus: Konstrukt ,Religion‘. Religionsphilosophischer Vorschlag zur Behebung eines religionstheologischen Defekts, in: Der Aufgang der Wahrheit, Festschrift für C. Huber, hrsg. v. J. Quitterer (u. a.), Zagreb 2001, 31–51 [87] Müller, Klaus: Monotheismus unter Generalverdacht, rhs 10 (2002) 339–350 [88] Nordhofen, Eduard: Die Zukunft des Monotheismus, in: Nach Gott fragen. Über das Religiöse, Sonderheft ,Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken‘, hrsg. v. K. H. Bohrer [u. a.], Berlin 1999, 828–846 [89] Pannenberg, Wolfhart/Schneider, Theodor: Verbindliches Zeugnis, 3 Bde., Freiburg Göttingen 1992–98 [90] Päpstliche Bibelkommission: Die Interpretation der Bibel in der Kirche, VAS 115, Bonn 1993 [91] Pesch, Otto Hermann: Das Wort Gottes als objektives Prinzip der theologischen Erkenntnis, HFTh 4, 27–50 [92] Pesch, Otto Hermann: Das Zweite Vatikanische Konzil, Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Nachgeschichte, Würzburg 2001 [93] Pesch, Otto Hermann: Die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes – Unerledigte Probleme und zukünftige Perspektiven, in: Hans Küng – Neue Horizonte des Glaubens und Denkens, hrsg. v. H. Häring (u. a.) München 1993, 88–128 [94] Pottmeyer, Hermann J.: Die Rolle des Papsttums im Dritten Jahrtausend, QD 179, Freiburg (u. a.) 1999 [95] Pottmeyer, Hermann J.: Normen, Kriterien und Strukturen der Überlieferung, HFTh 4, 124–152 [96] Pottmeyer, Hermann J.: Unfehlbarkeit, Antwort des Glaubens, Bd. 35, Freiburg 1984 [97] Rahner, Karl: Art. Schriftinspiration, HbthG I, München 1962, 715–725, [98] Rahner, Karl: Immanente und transzendente Vollendung der Welt, in: ders.: Schriften zur Theologie Bd. VIII, Einsiedeln 1967, 593–609 [99] Rahner, Karl: Über die Schriftinspiration, QD 1, Freiburg (u. a.) 1958 [100] Ratzinger, Joseph: Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, Cath 17 (1963) 165–179 [101] Ratzinger, Joseph: Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1969; 2 1977 [102] Ratzinger, Joseph: Ein Versuch zur Frage des Traditionsbegriffs, in: Rahner, Karl/Ratzinger, Joseph: Offenbarung und Überlieferung, QD 25, Freiburg (u. a.) 1965, 25–69
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Literatur [103] Ratzinger, Joseph: Kommentar zu Kap. 1 und 2 der Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung ,Dei Verbum‘, LThK Erg.bd. 2, Freiburg 1966, 504–528 [104] Remmers, J.: Apostolische Sukzession der ganzen Kirche, Conc 4 (1968) 251–258 [105] Rosenzweig, Franz: Das neue Denken, in: Kleinere Schriften, hg. v. E. Rosenzweig, Berlin 1937, 373–398 [106] Schweitzer, Albert: Geschichte der Leben-JesuForschung. Von Reimarus bis Wrede, TB, Hamburg 91984 [107] Seybold, Michael: Unfehlbarkeit des Papstes – Unfehlbarkeit der Kirche, in: Denzler, Georg (Hg.): Das Papsttum in der Diskussion, Regensburg 1974, 102–122 [108] Söding, Thomas: Exegetische und systematische Theologie im Dialog über den Schriftsinn, ThPh 80 (2005) 490–516 [109] Verweyen, Hansjürgen: Botschaft eines Toten?, Regensburg 1997 [110] Vogt, Hans, J.: Zum Bischofsamt in der frühen Kirche, ThQ 162 (1982), 221–236 [111] Weder, Hans: Neutestamentliche Hermeneutik, Zürich 21989 [112] Werbick, Jürgen: Absolutistischer Eingottglaube? Befreiender Polytheismus?, in: Söding, Thomas (Hg.): Ist der Glaube Feind der Freiheit? Freiburg (u. a.) 2003, 142–175 [113] Werbick, Jürgen: Auf der Spur der Bilder, BiKi 54 (1999) 2–9 [114] Werbick, Jürgen: Bilder sind Wege. Eine Gotteslehre, München 1992 [115] Werbick, Jürgen: Kirche – Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg 1994 [116] Werbick, Jürgen: Repräsentation – eine theologische Schlüsselkategorie?, in: Rainer, Michael J. (u. a.) (Hg.): Bilderverbot, JPTh 2, Münster 1997, 295–302 [117] Werbick, Jürgen: Trugbilder oder Suchbilder? Ein Versuch über die Schwierigkeit, das biblische Bilderverbot theologisch zu befolgen, in: JBTh 14 (1999) 3–27 [118] Wiederkehr, Dietrich: Das Prinzip der Überlieferung, in: HFTh 4, 100–123
B. Spezielle Dogmatik [119] Balthasar, Hans Urs von: Kleiner Diskurs über die Hölle. Apokatastasis, Freiburg 31999 [120] Balthasar, Hans Urs von: Was dürfen wir hoffen? Trier 21989 [121] Balthasar, Hans Urs von: Theodramatik, Bd. IV, Das Endspiel, Einsiedeln 1983
[122] Essen, Georg: Die Freiheit Jesu. Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personenphilosophie, Regensburg 2001 [123] Kehl, Medard: ,Und Gott sah, dass es gut war‘. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg 2006 [124] Kehl, Medard: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1992 [125] Kreiner, Armin: Das wahre Antlitz Gottes oder was wir meinen wenn wir Gott sagen, Freiburg (u. a.) 2006 [126] Lehmann, Karl: Was bleibt vom Fegfeuer, IkaZ (Communio) 9 (1980) 236–243 [127] Mirbach, Sabine: ,Ihr aber seid Leib Christi‘. Zur Aktualität des Leib-Christi-Gedankens für eine heutige Pastoral, Regensburg1998 [128] Morgenroth, Matthias: Weihnachts-Christentum. Moderner Religiösität auf der Spur, Gütersloh 2002 [129] Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens, Freiburg 1976 [130] Rahner, Karl: Theologische Prinzipien der Hermeneutik Eschatologischer Aussagen, in: ders.: Schriften zur Theologie Bd. 4, Einsiedeln (u. a.) 1960, 401–428 [131] Simonis, Walter: Über Gott und die Welt. Gottes- und Schöpfungslehre, Düsseldorf 2004 [132] Stubenrauch, Bertram: Dreifaltigkeit, Regensburg 2002 [133] Theologien der Gegenwart. Eine Einführung, Darmstadt 2006 [134] Wenzel, Knut: Sakramentales Selbst. Der Mensch als Zeichen des Heils, Freiburg (u. a.) 2003 [135] Werbick, Jürgen: Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre, Freiburg (u. a.) 2007
Grundlegende und einführende Literatur a) Wichtige Quellen Denzinger, Heinrich/Hünermann, Peter: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch – Deutsch, Freiburg 40 2004 Deutsche Bischofskonferenz (Hg.): Katholischer Erwachsenenkatechismus, 2 Bde., Freiburg 2006 Katechismus der Katholischen Kirche, München u. a. 1993
b) Hinführungen zu Glaube und Christentum Kasper, Walter: Einführung in den Glauben, Mainz 4 1975
Literatur Kehl, Medard: Hinführung zum christlichen Glauben, Regensburg 1995 Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens, Freiburg 1976 Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.: Einführung in das Christentum, München 1968 (viele Neuauflagen!) Schneider, Theodor: Was wir glauben. Eine Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, Düsseldorf 51998 Theißen, Gerd: Glaubensätze. Ein kritischer Katechismus, Gütersloh 2012
c) Einführungen in die Fundamentaltheologie, Dogmatiken & Dogmengeschichten, Hand- und Lehrbücher Andresen, Christian (Hg.): Handbuch der Dogmenund Theologiegeschichte. 3 Bde., Göttingen 1980 ff. Axt-Piscalar, Christine: Was ist Theologie. Klassische Entwürfe von Paulus bis zur Gegenwart, Tübingen 2013 Beinert, Wolfgang (Hg.): Glaubenszugänge. 3 Bde., Paderborn 1994 ff. Beinert, Wolfgang (u.a.), Neues Lexikon für katholische Dogmatik, 6. völlig neubearbeitete Auflage, Freiburg (u.a.) 2012 Böttigheimer, Lehrbuch der Fundamentaltheologie, Freiburg (u.a.) 2009 Eicher, Peter (Hg.): Neue Summe der Theologie. 3 Bde., Freiburg i. Br. 1988 f. Feiner, Johannes – Löhrer, Magnus (Hg.): Mysterium Salutis. Grundriss heilsgeschichtlicher Dogmatik, 5 Bde. u. 1 Erg.bd., Einsiedeln 1965 ff. Hofmann, Peter: Katholische Dogmatik, Paderborn 2008 Müller, Gerhard L.: Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg – Basel – Wien 1995 Müller, Klaus: Glauben, Fragen, Denken. Bd. I–III, Münster 2006–2010 Pesch, Otto Hermann, Katholische Dogmatik in ökumenischer Perspektive, 3. Bde, Mainz 2008/2010 Schneider, Theodor (Hg.): Handbuch der Dogmatik. 2 Bde., Düsseldorf 1992 Stock, Alex: Poetische Dogmatik. Christologie: 4 Bde., 1995 ff. Gotteslehre: bislang 2 Bde., 2004 ff. Stosch, Klaus von: Offenbarung, Paderborn 2010
d) Einführende und grundlegende Literatur zu einzelnen Traktaten a) Gotteslehre; Trinitätstheologie; Christologie Annen, Franz (Hg.): Gottesbilder. Herausforderungen und Geheimnis, Regensburg 2002 Benk, Andreas: Gott ist nicht gut und nicht gerecht. Zum Gottesbild der Gegenwart. Ostfildern 2008
Danz, Christian: Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013 Drecoll, Volker Henning: Trinität, Tübingen 2011 Dünzl, Franz: Kleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche, Freiburg 2006 Greshake, Gisbert: Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie, Freiburg 42004 Greshake, Gisbert: Kleine Hinführung zum Glauben an den drei-einen Gott, Freiburg 2005 Hilberath, Bernd J.: Pneumatologie, Düsseldorf 1994 Hoping, Helmut: Einführung in die Christologie, Darmstadt 2004 Hoping, Helmut; Tück, Jan Heiner (Hrsg.): Streitfall Christologie. Vergewisserungen nach der Shoah. Freiburg i. Br. [u.a.] 2005 Kasper, Walter: Jesus der Christus, Mainz 1974 Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982 Klausnitzer, Wolfgang: Jesus von Nazaret. Lehrer – Messias – Gottessohn, Regensburg 2001 Kraus, Georg: Gott als Wirklichkeit, Lehrbuch zur Gotteslehre, Frankfurt 1994 Kraus Georg: Jesus Christus – Heilsmittler, Frankfurt 2005 Kreiner, Armin: Das wahre Antlitz Gottes oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Freiburg 2006 Kreiner, Armin: Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizeeargumente, Freiburg 32006 Kühn, Ulrich: Christologie, Göttingen 2003 Menke, Karl-Heinz: Jesus ist Gott der Sohn. Denkformen und Brennpunkte der Christologie. Regensburg 2008 Nitsche, Bernhard: Christologie. UTB 2012 Ruhstorfer, Karlheinz: Gotteslehre. (Gegenwärtig Glauben Denken, Bd. 1), Paderborn 2007 Ruhstorfer, Karlheinz: Gotteslehre. (Gegenwärtig Glauben Denken, Bd. 2), Paderborn 2010 Schütz, Christian: Einführung in die Pneumatologie, Darmstadt 1985 Sander, Hans-Joachim: Einführung in die Gotteslehre, Darmstadt 2006 Stubenrauch, Bertram: Dreifaltigkeit, Regensburg 2002 Welker, Michael: Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen/Vluyn 1992 Werbick, Jürgen: Bilder sind Wege. Eine Gotteslehre, München 1992 Werbick, Jürgen: Gott verbindlich. Eine Gotteslehre, Freiburg 2006
b) Schöpfungslehre, Theologische Anthropologie Dirscherl, Erwin: Grundriss theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen, Regensburg 2006 Ganoczy, Alexandre: Schöpfungslehre, Düsseldorf 2 1987
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Literatur Gruber, Franz: Das entzauberte Geschöpf. Konturen des christlichen Menschenbildes, Regensburg 2003 Kehl, Medard, u. a.: Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg 2006 Pannenberg, Wolfhart: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983 Pröpper, Thomas, Theologische Anthropologie, 2 Bde., Freiburg (u.a.) 2011 Schobert, Wolfgang: Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006 Simonis, Walter: Über Gott und die Welt. Gottes- und Schöpfungslehre, Düsseldorf 2004 Stosch, Klaus von: Theodizee. Paderborn 2013
c) Soteriologie, Gnadenlehre Faber, Eva-Maria: Du neigst dich mir zu und machst mich groß. Zur Theologie der Gnade und Rechtfertigung, Regensburg 2005 Greshake, Gisbert: Gnade – Geschenk der Freiheit. Eine Hinführung, Mainz 2004 Jüngel, Eberhard: Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Göttingen 32005 Menke, Karl-Heinz: Das Kriterium des Christseins. Grundriss der Gnadenlehre, Regensburg 2003 Pröpper, Thomas: Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, München 2 1988 Roth, Ulli: Gnadenlehre. (Gegenwärtig Glauben Denken, Bd. 8), Paderborn 2013 Sattler, Dorothea: Erlösung? Lehrbuch der Soteriologie, Freiburg (u.a.) 2011 Werbick, Jürgen: Gnade, Paderborn 2013. (UTB) Werbick, Jürgen: Soteriologie, Düsseldorf 1990 d) Ekklesiologie und Sakramententheologie Albrecht, Christian: Kirche. Tübingen 2011 Boff, Leonardo: Kleine Sakramentenlehre, Düsseldorf 10 1989 Demel, Sabine, Zur Verantwortung berufen, Freiburg (u.a.) 2009 Faber, Eva-Maria: Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt 2002 Kehl, Medard: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1992 Koch, Günter: Sakramentale Symbole, Regensburg 2001 Koch, Günter: Sakramente – Hilfen zum Leben, Regensburg 2001 Kraus, Georg: Die Kirche – Gemeinschaft des Heils: Ekklesiologie im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, Regensburg 2012
Miggelbrink, Ralf: Einführung in die Lehre von der Kirche, Darmstadt 2003 Neuner, Peter: Die heilige Kirche der sündigen Christen, Regensburg 2002 Nocke, Franz-Josef: Sakramententheologie, Düsseldorf 1997 Pesch, Otto Hermann: Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Nachgeschichte, Würzburg 2001 Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.: Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1969 Ritter, Werner H.: Erlösung ohne Opfer?, Göttingen 2003 Schneider, Theodor: Zeichen der Nähe Gottes. Grundriss der Sakramententheologie, Mainz 51987 Simonis, Walter: Die Kirche Christi. Ekklesiologie, Düsseldorf 2005 Simonis, Walter: Lebenszeichen der Kirche. Sakramentenlehre, Düsseldorf 2006 Wenzel, Knut: Kleine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, Freiburg 2005
e) Eschatologie Balthasar, Hans Urs von: Kleiner Diskurs über die Hölle. Apokatastasis, Freiburg 31999 Balthasar, Hans Urs von: Was dürfen wir hoffen?, Trier 2 1989 Greshake, Gisbert/Lohfink, Gerhard: Naherwartung – Auferstehung – Unsterblichkeit. Untersuchungen zur christlichen Eschatologie, Freiburg 1978, 82–120; 156–184 Jüngel, Eberhart: Tod, Stuttgart 1971 Kehl, Medard: Eschatologie, Würzburg 1986 Kehl, Medard: Und was kommt nach dem Ende. Von Weltuntergang und Vollendung, Wiedergeburt und Auferstehung, Freiburg 22000 Mühling, Markus: Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Göttingen 2007 Nocke, Franz-Josef: Eschatologie, Düsseldorf 31988 Pemsel-Maier, Sabine: Himmel – Hölle – Fegefeuer, Stuttgart 2001 Rahner, Johanna: Einführung in die christliche Eschatologie, Freiburg (u.a.) 2010 Rahner, Karl: Zur Theologie des Todes, Freiburg 1959 Ratzinger, Joseph: Eschatologie. Tod und ewiges Leben, Regensburg 61990 Valentin, Joachim: Eschatologie. (Gegenwärtig Glauben Denken, Bd. 11), Paderborn 2013 Vorgrimler, Herbert: Geschichte der Hölle, München 2 1994
Register Ablass/Ablasshandel 126 Alexandrinische Theologie/Schule 33, 113 Amt/Amtsträger 84, 87 f., 90 f., 102 f., 105, 123 Analogie/analoge Rede 21, 57, 62 Anselm v. Canterbury 34, 117 Anthropologie 12–16, 57, 62, 81 f., 113, 115 Anthropologische Wende 12, 45, 61 Antiochenische Theologie/Schule 113 Apokatastasis 134 Apollinaris v. Laodizäa 113 Apologetik 16, 32–36, 44 Aristoteles 34 f., 47, 74, 101, 125 Arius 112 Atheismus 41 f., 81 Aufklärung 30, 36, 39–41, 54, 78, 118 Augustinus 32 f., 100, 125 f., 128, 135 Authentizität 47, 52, 89 Autonomie 35 f., 40, 118, 120, 122 Averroes (Ibn Rushd) 34 Bacon, F. 73 Balthasar, H. U. v. 61, 136 Basilius d. Gr. 92 Benedikt XVI./Ratzinger, J. 30 Bibel 13 f., 52 f., 58–81, 87 f., 109 f., 115 f., 129, 131 f. Bilderverbot 58–65, 84 Blondel, M. 36, 44 Brantschen, J. 136 Buber, M. 29 Bultmann, R. 74 Christologie 67, 85 f., 110–114, 121, 126, 132 Clemens v. Alexandrien 32 f. Communio 91, 98, 104, 122 Cyrill v. Jerusalem 92 Damasus 100 Denkform 24, 39 Dialektische Theologie 74 Dialog 36, 45 f., 62, 108, 116, 123 Dogma 11, 18–23, 43, 101 f. Dogmengeschichte 12, 22 f., 107 Dogmenhermeneutik 15, 21–26, 37, 102 Doketismus 111, 113 Doxologie 82, 109 Erbsünde 117 Erinnerung 25, 68, 81, 124, 128
Erkenntnis 12, 23 f., 30–39, 41–43, 71, 116–118 Erlösung 112 f., 115–120, 124, 127, 133 Eucharistie 121, 124 f., 127–129 Eusebius 90 f. Evangelium 67 f., 80, 83 f., 90 f., 93, 128 f. Exegese 43, 45, 55, 70, 74, 78–80 Fegfeuer 133 f. Feuerbach, L. 40, 119 Fideismus 33, 42 Freiheit 25 f., 46 f., 52, 109, 116–118, 133–136 Freud, S. 39 f. Fuchs, E. 76 Fundamentaltheologie 16 f. Galilei, G. 39 Gallikanismus 103 Gebet 18, 82 f., 108, 123, 134 Gehorsam 36, 41 f., 44, 46, 111 Gelasius 100 Gericht 132–136 Geschichtlichkeit 14, 20–26, 54 f., 70, 94, 106 f. Gewissheit 27, 39–47, 71–74, 83 f., 105 f., 117 f. Glaubensbekenntnis 19 f., 22, 29–31, 88, 108, 112 Glaubenssprache 15, 56–69, 75, 82–84 Glaubenssinn 13, 105 Glaubwürdigkeit 13–16, 42 f., 47, 72 f., 106 Gnadenlehre 26, 108 Gnosis 32, 66, 71, 85, 90 Gregor v. Nyssa 70, 92 Habermas, J. 50 Häresie 19, 32 f., 58, 92 Hegesipp 90 Hermeneutik siehe Schrifthermeneutik Hieronymus 92 Hoffnung 31, 45, 70, 128–131, 134–136 Hölle 134–136 Immanentismus 42 Inkarnation 60, 76, 111, 120 Inspiration 19, 70, 77–80, 86, 95 Irenäus v. Lyon 18, 90–92 Jesus Christus/Jesus v. Nazaret 23 f., 44–46, 65–68, 73–75, 110–114, 118, 121 f., 132–134 Johannes Chrysostomos 70, 92 Justin d. Märtyrer 32
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Register Kanon 71, 80, 85–89, 91, 95 Kant, I. 12, 14, 27, 39 f., 49, 51 f. Käsemann, E. 74 Kasper, W. 21, 53 f. Kerygma 74, 80 Kierkegaard, S. 74 Kirche 83–106, 120–124 Kohärenz/Kohärenztheorie 14, 33, 49–51, 53 Kommunikation 21, 45 f., 53 f., 66, 84, 106 Konsens 13, 20, 50 f., 89, 99 f., 105 Konzil 99–101, 112–114, 125 f., 133 Korrespondenz/Korrespondenztheorie 48 f., 51, 53 f. Küng, H. 102 Lehramt 97–103 Leo d. Gr. 100 Lessing, G. E. 74, 118 Luther, M. 28, 72, 94, 118, 120 Maimonides 34 Markion 85 Marx, K. 39 f. Metapher 63–66, 68, 75, 119, 121 Metz, J. B. 108 Modalismus 112 Modernismus/Modernismuskrise 13, 44, 78, 94 Monophysitismus 113 Monotheismus 109, 112 f. Naturwissenscha ft 14, 39, 72, 115 negative Theologie 58, 61, 65, 84 Neuscholastik 41, 107 Neuthomismus 41, 107 Newman, J. H. 44 Nietzsche, F. 40, 119 Nominalismus 118 Nouvelle théologie 44 Offenbarungsmodell 12, 43 Offenbarungspositivismus 36 Ökumene 95 f., 98, 108, 121 Ökumenismusdekret 123 Origenes 33, 92, 134 f. Orthodoxie 19, 78 Papst 12 f., 102–104 Platon 33, 91, 114, 118, 124 Pottmeyer, H. J. 80 Pneumatomachen 113 Praxis 11, 25 f., 38, 92, 97, 126 f. Projektion 13, 57–59, 119 Rahner, K. 13, 36, 86, 135 f. Rationalismus 36, 41 Rechtfertigung 118, 120, 126
Reich Gottes/Gottesreich 66, 68 Reimarus, H. S. 72 Religionskritik 35 Rosenzweig, F. 76 Rückfrage nach Jesus/historische Rückfrage 66, 69, 72, 75 Sakramente 71, 84, 107 f., 120–129 Scheeben, M. 43 Schöpfung 36, 57, 112, 115–119, 132, 134 f. Schrifthermeneutik 61 f., 66–82, 130 f. Schriftsinn 70 Schulapologetik 43 Schweitzer, A. 73 Seele 113, 131–133 Selbstoffenbarung 13, 43, 46, 62, 97, 120 sola scriptura 87, 94, 96 Soteriologie 117, 120 Strauss, D. F. 73 Subordinatianismus 112 successio apostolica 90–93 Sühne/Sühnetod 117, 126 Tarski, A. 49 Taufe 111, 121, 124 f., 127 f. Tertullian 30, 32 f., 90–92 Theodizee 81, 110, 115 Thomas v. Aquin 14, 27, 34 f., 48 f., 71, 92, 101, 132 Tradition 85–87, 89–99 Traditionalismus/Traditionalisten 41 Transzendentale Theologie/Methode 13, 54, 108 Trient 20, 78, 93–96, 127, 133 Trinität 108–115 Überlieferung siehe Tradition Ultramontanismus 102 Unfehlbarkeit 20 f., 101–106 Vatikanum I 18, 40–44, 94, 104 Vatikanum II 45–47, 79–81, 94–97, 104 f. Verkündigung 13, 16, 31, 56, 66 f., 74 Versöhnung 25, 117–119, 134 Vinzenz v. Lerin 18–20, 100 Wahrheit 47–56, 63, 73–74, 77–81, 89, 106 Weder, H. 63 Werbick, J. 63 Wilhelm v. Ockham 118 Wissen/Wissenschaftlichkeit 26–28, 33–35, 39 f., 80, 101 Wort Gottes 20, 57, 61 f., 65, 74, 96 f. Zeugnis 23 f., 52, 65 f., 75–80, 84–92, 106, 122 f. Zustimmung 20, 23, 28, 45–47, 62, 102 f.