Einführung in das Werk Friedrich Schillers 3534224981, 9783534224982

Friedrich Schiller und sein Werk haben in letzter Zeit wieder an Aktualität gewonnen. Seine Dramen sind auf allen Bühnen

133 95 2MB

German Pages [152] Year 2010

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität
1. Der Klassiker heute
2. Theaterinszenierungen und Lektüren
II. Forschungsbericht
1. Interpretationen vom 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik
2. Aneignungen und Exilforschung in der Zeit des Nationalsozialismus
3. Perspektiven seit 1945
4. Entideologisierungen seit den 1970er Jahren
5. Interdisziplinäre Neuinterpretationen der Gegenwart
III. Der Autor in seiner Zeit
1. Schiller in seinem Umfeld
2. Die Entwicklungsphasen des Werks
IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks
1. Ästhetik und Poetik
2. Zentrale Themen
3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile
V. Einzelanalysen
1. Die Räuber
2. Kabale und Liebe
3. Don Karlos
4. Die Kraniche des Ibykus
5. Der Spaziergang (bzw. Elegie)
6. Wallenstein
7. Wilhelm Tell
VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte
1. Die Schiller-Rezeption bis zu Goethes Tod 1832
2. Schiller als deutscher Nationaldichter im 19. Jahrhundert
3. Nach der Jahrhundertwende und in der Weimarer Republik
4. Der Klassiker im Nationalsozialismus
5. Nach 1945: Schiller in der Bundesrepublik und in der DDR
6. Von der Wiedervereinigung bis heute
Zeittafel
Kommentierte Bibliografie
Personenregister
Begriffsregister
Back Cover
Recommend Papers

Einführung in das Werk Friedrich Schillers
 3534224981, 9783534224982

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal

Andreas Englhart

Einführung in das Werk Friedrich Schillers

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2010 by WGB (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Mechthilde Vahsen, Düsseldorf Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-22498-2

Inhalt I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität . . . . . . . . . . . . . 1. Der Klassiker heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Theaterinszenierungen und Lektüren . . . . . . . . . . . . . . II. Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interpretationen vom 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aneignungen und Exilforschung in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Perspektiven seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entideologisierungen seit den 1970er Jahren . . . . . 5. Interdisziplinäre Neuinterpretationen der Gegenwart

7 7 9

. . . . .

12

. . . . .

12

. . . .

. . . .

14 15 17 19

III. Der Autor in seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schiller in seinem Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklungsphasen des Werks . . . . . . . . . . . . . .

21 21 31

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks . . . 1. Ästhetik und Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zentrale Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

34 34 50 65

V. Einzelanalysen . . . . . . . . . . 1. Die Räuber . . . . . . . . . . 2. Kabale und Liebe . . . . . . . 3. Don Karlos . . . . . . . . . . 4. Die Kraniche des Ibykus . . . 5. Der Spaziergang (bzw. Elegie) 6. Wallenstein . . . . . . . . . . 7. Wilhelm Tell . . . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

. . . . . . . .

73 73 78 85 92 96 102 109

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte . . . . . . . . . . . 1. Die Schiller-Rezeption bis zu Goethes Tod 1832 . . . . . . 2. Schiller als deutscher Nationaldichter im 19. Jahrhundert . 3. Nach der Jahrhundertwende und in der Weimarer Republik 4. Der Klassiker im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . 5. Nach 1945: Schiller in der Bundesrepublik und in der DDR 6. Von der Wiedervereinigung bis heute . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

117 117 121 123 127 129 132

Zeittafel . . . . . . . . . . Kommentierte Bibliografie . Personenregister . . . . . . Begriffsregister . . . . . . .

. . . .

. . . .

135 138 147 150

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität 1. Der Klassiker heute Seit einiger Zeit interessiert man sich wieder mehr für das Werk und die Person von Friedrich Schiller. Als Klassiker, Dichter der Freiheit und Vertreter des Idealismus bekommt seine Stimme in einer Zeit, in der die Postmoderne in die Jahre kommt, mehr Gewicht. Bemerkt wird, dass sein populäres Bild weit weniger Ambivalenzen und Entwicklungsstadien sehen lässt als – bei genauerer Betrachtung – sein Werk. Das Interesse an Schiller war stets gemischt, sein Status als Klassiker schwankte zwischen Ent- und Reaktualisierung. Auch das Theater, insbesondere das deutschsprachige Regietheater, trug bis vor Kurzem nicht unbedingt dazu bei, Schiller zugänglicher zu machen. Er ist vom 19. Jahrhundert bis heute einer der meistaufgeführten Dramatiker und gerade die umstrittenen Inszenierungen bezeugen die anhaltende Aktualität. Auch die Jubiläen 2005 und 2009 steigerten die Aufmerksamkeit für den oft einseitig angeeigneten Autor. Man registriert, dass sein in vielen Fällen erneut idealisierter Idealismus, seine Zitier- und ideologische Verwendungsfähigkeit, das Pathos und das Erhabene nicht nur seine Vieldeutigkeit und Dialektik, sondern auch sein immenses Interesse an den avancierten Diskursen seiner Zeit, u. a. an Naturwissenschaft, Politik, Medizin, Philosophie, Anthropologie, Psychologie, Ästhetik und Recht, überdeckt hatten. Übersehen wurde zudem oft die kritische, wenn nicht gar subversive Einstellung des exemplarischen Intellektuellen der ,Sattelzeit‘ gegenüber den Verhältnissen seiner Epoche. Auf seine Bedeutung für die ,anthropologische Wende‘ am Beginn der Moderne und eine erstaunlich pessimistische, gar realistische Weltsicht des Idealisten wurde man erst in letzter Zeit aufmerksam. Heiner Müller brachte die Verharmlosung des Dichters auf den Punkt: „Die Verwandlung von Sprengsätzen in TEEKANNENSPRÜCHE ist die Leistung der deutschen Misere in der Philologie.“ (Müller 1990, 103). Dementsprechend werden in dieser Einführung Schillers Werk, Rezeption und die Forschung über ihn möglichst umfassend in den Blick genommen, sodass sich eine Vielzahl an Zugängen eröffnet. Verfolgt wird ein multiperspektivischer Ansatz, der dem komplexen Phänomen durch die Vorstellung und Diskussion der wichtigsten methodischen Ansätze und historischen Sichtweisen begegnet. Ausgangspunkt sind der Autor und dessen Werk in ihrer heutigen Präsenz, Aktualität, Lebendigkeit und Relevanz. Angesprochen werden Schillers Status als Klassiker, die Inszenierung seiner Stücke im Gegenwartstheater und die aktuelle Lektüre sowie Interpretationen seiner Texte, insbesondere im schulischen und universitären Kontext. Da Schiller immer auch ein bevorzugtes Objekt wissenschaftlicher Forschung war, wobei diese oft nicht ohne ideologischen Hintergrund und spezifisches Interesse funktionierte, wird die Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts referiert. Der Bogen reicht von der Verehrung Schillers im Kontext der Nationenbildung über die Aneignungen

Umfassender Blick auf das Werk

Schiller in seiner heutigen Präsenz

8

I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität

Wiederentdeckungen Schillers

Schiller und die Neuen Medien

Theorie und ästhetische Praxis

Pathos und Historisierung der Postmoderne

des Autors durch den Nationalsozialismus und die Exilforschung, die verschiedenen, systembedingten Wege zu Schiller nach 1945 zwischen werkimmanenter Interpretation und marxistischer Perspektive bis hin zu den Entideologisierungen und interdisziplinären Neuinterpretationen der Gegenwart. Die Schillerverehrung in Deutschland im 19. und zum Teil auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist kaum mehr zu verstehen, zumal Schiller spätestens in den 1960er Jahren seine Position als vorbildlicher Dichter verlor. Dass er seit einiger Zeit stetig, aber nachhaltig wiederentdeckt wird, hat auch etwas mit dem momentan zu beobachtenden „Ethical turn“ zu tun. Bis heute wird unterschätzt, dass Schiller eigentlich ein Autor der Zerrissenheit und der inneren wie äußeren Opposition zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters war. Insbesondere seine Standpunkte in den Fragen zu Religion und Politik sind keineswegs eindeutig zu bestimmen, seine Ansichten zu diesen Themen bleiben bei genauerem Hinsehen widersprüchlich. Lange erschien der Dichter auch unzeitgemäß, weil er als Identifikationsfigur für die nationale Einigung Deutschlands fungierte und von verschiedenen Seiten in Dienst genommen wurde, was immer mit einem vereinfachten und damit verfälschten Schillerbild einherging. Ein weiterer Grund für seine heute wieder zunehmende Aktualität ist der oft zitierte Bezug seiner ästhetischen Theorie zur Ästhetik der Neuen Medien. Ausgehend von Johan Huizingas Überlegungen gilt der „homo ludens“ als wichtige Basis in der Entwicklung der Kultur. Das Spiel mit seinen Regeln wird zu einer Grundlage für die gegenwärtige Beobachtung, dass sich Schillers Utopie in der heutigen Medien- und Inszenierungsgesellschaft weitgehend verwirklicht zu haben scheint, obwohl er selbst seine Utopie im strengen Sinn so nicht einrichten wollte. Zudem ist eine mehr oder weniger auffällige Strukturäquivalenz von Schillers ästhetischer Theorie zu den medialen Spezifizitäten des Computerspiels festzustellen. In den vor allem im angelsächsischen Bereich reüssierenden Games Studies gelten Schillers theoretische Positionen als unverzichtbare Voraussetzung, wenn es um die Analyse der Dramaturgie des Computerspiels geht. Attraktiv ist Schiller, weil es ihm wie sonst fast keinem Schriftsteller gelingt, Theorie und ästhetische Praxis auf annähernd gleichem Niveau zu halten. Man interessiert sich für seine Ästhetik, weil die Ästhetik die Leitphilosophie der Postmoderne war und man in der heutigen gesellschaftlichen Praxis eine durchgehende Ästhetisierung der Umwelt feststellen kann. Zunehmend scheint die Gegenwartskultur den Regeln eines Spiels zu folgen, insbesondere was die ästhetischen Oberflächen als Auswirkungen der allgemeinen Medialisierung und der wachsenden Herrschaft des Internets betrifft. Ästhetik und Kunst werden für das menschliche Zusammenleben immer wichtiger. Hierzu sind Schillers Überlegungen, vor allem in den Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen, auch heute noch wegweisend. Das Spiel bekommt eine anthropologische Dimension, es macht den Menschen zum Menschen. In der postindustriellen Kultur der Gegenwart mit ihrer Abhängigkeit von Kreativität ist das Spiel aufgrund seiner Möglichkeiten besonders relevant. Zugleich scheint Schillers Pathos im Sinn einer Historisierung der Postmoderne wieder ein mehr oder weniger akzeptiertes mediales Mittel zu sein, obwohl oder gerade weil es – durch den rhetorischen Stil der Nationalsozia-

2. Theaterinszenierungen und Lektüren

listen diskreditiert – seit den 1960er Jahren das grundlegende Problem in der Interpretation Schillers war. Daher konzentrierte man sich seit Ende der 1960er Jahre im Theater weniger auf das gute, sondern mehr auf das authentische Sprechen (Meyer-Kalkus 1989). Ausgehend vom Schiller’schen Pathos im engeren Sinn, dem Pathetisch-Erhabenen in der Überwindung des Leidens, bemerkt man jedoch mit einem Blick in die populären Medien, dass dies etwa im Film durchaus akzeptiert wird (Schmitt 2009). Auch das avancierte Theater der Gegenwart hat neuerdings keine Berührungsängste mehr gegenüber dem Pathos. Mit der Historisierung der Postmoderne und der damit verbundenen Renaissance Schillers könnte auch die Frage nach dem Erbe Friedrich Nietzsches verbunden werden. Wie bekannt, war der Dichter für den Philosophen der „Moraltrompeter von Säckingen“. Weshalb polemisierte Nietzsche derart gegen Schiller, der doch ebenfalls als Psychologe der Menschennatur mit der menschlichen Fehlbarkeit und den Trieben rechnete? Die Differenz scheint nicht in der anthropologischen Diagnose, sondern vielmehr in der Therapie zu liegen. Während Nietzsche die Kluft zwischen Ideal und Realität durch die unbedingte Hinwendung zum Leben tilgen wollte, suchte Schiller sein Heil im Idealismus. Beides bildet die Grundlage der Moderne und unserer heutigen Vorstellungswelt. Während Nietzsche in den letzten Jahren der Unübersichtlichkeit viel zitiert wurde, weil das Leben neben der Ästhetik das Einzige war, was blieb, wären Schillers Modernität und Aktualität in einer Zeit, die wieder mit der Möglichkeit von Haltungen und Grenzen rechnet, neu zu entdecken. Leibniz’ Formel von der besten aller möglichen Welten wollte die Aufklärung nicht akzeptieren, aber sie hat sich auch nicht darüber lustig gemacht, sondern als utopische, jedoch zu verwirklichende Vorstellung akzeptiert. Für Schiller war die beste aller möglichen Welten eine Aufgabe für mehr als ein Jahrhundert, weil er den Menschen und das krumme Holz, aus dem dieser gemacht ist, kannte. Schiller war nicht naiv, aber er rechnete mit der Verbesserungsfähigkeit des Menschen, in dieser Hinsicht war er nie aktueller als heutzutage.

Schiller und Nietzsche

2. Theaterinszenierungen und Lektüren Aktuell bleibt Schiller in den Inszenierungen des Regietheaters, etwa in der Produktion des Wallenstein durch Rimini Protokoll oder durch postdramatische Inszenierungen der Räuber von Nicolas Stemann. Trotz oder gerade wegen der Abkehr von Schiller als führendem Autor in den 1960er Jahren beginnt das Regietheater der Gegenwart mit einer prominenten Schilleraufführung, mit den Räubern, inszeniert von Peter Zadek 1966 auf der Bühne des Bremer Theaters mit dem prägnanten Pop-Art-Bühnenbild von Wilfried Minks. Diese Inszenierung markierte im deutschsprachigen Raum den Eingang in die Zeit der Popästhetik und zugleich in die der Postmoderne, in der nach Leslie Fiedler die Grenzen zwischen E- und U-Kultur programmatisch durchlässig oder vor dem Hintergrund einer nun herrschenden Popular Culture zum Verschwinden gebracht wurden (Popular Culture, 34). Auch Schiller war zu Lebzeiten, zumindest in seiner ersten Schaffensperiode, Teil einer Popular Culture, die mehr oder weniger subversiv gegen die herrschende

Inszenierungen des Regietheaters

9

10

I. Der Autor Schiller: Präsenz und Aktualität

Inszenierungen des Klassikers

Popästhetische und postdramatische Einflüsse

Die ewige Frage nach der Werktreue

Kultur des Adels gerichtet war. Dies änderte sich in Weimar, vor allem in der Zusammenarbeit mit Goethe, dennoch verlor Schiller nie seine Lust auf das formal und inhaltlich Neue sowie seinen Mut zum Experiment. Dass er schnell zum Klassiker und zum führenden deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts avancierte, hat vielleicht auch etwas mit einem grundlegenden Missverständnis und durchaus beabsichtigten Fehlinterpretationen seiner Werke und Person zu tun. Schullektüre und aktuelle Bühneninszenierungen stützen sich zu einem großen Teil auf einen Kanon an überlieferten Theatertexten, von denen einige heute als Klassiker bezeichnet werden. Mit dem Begriff der Klassik – auf einen Zeitraum kultureller Höchstleistung bezogen – assoziiert man einen so konstruierten wie normativen Gehalt. An sich scheint der Wortgebrauch des Begriffs Klassik vage und diffus zu sein. Dies liegt an der historischen und inhaltlichen Bedeutungsvielfalt und letztlich daran, dass er nicht ein Begriff der ästhetischen Produktion, sondern der Wirkung, Rezeption und Erfahrung ist (Erken 2003). Dass die Klassiker in der heutigen Zeit wieder wichtiger zu werden scheinen, liegt nicht zuletzt auch an den zunehmenden Diskussionen über die Historisierung der Postmoderne, welche den erkenntnistheoretischen Skeptizismus der Moderne durch einen ontologischen Skeptizismus ersetzte. Die dialektische Reaktion ist die aktuelle Diskussion eines Kanons, die auch die Frage nach den Klassikern wieder auf die Tagesordnung bringt. Generell werden auch heute noch Klassikerinszenierungen gerne gegen die Einfälle des Regietheaters in Schutz genommen, obwohl die Toleranz seit den 1960er Jahren sukzessive größer geworden ist. Noch um 1970 war das Verhältnis von Regietheater und Klassiker „nur als Gegensatz denkbar und in mehrfacher Hinsicht ein Ärgernis“ (Erken 2003, 309). Mit Peter Zadeks Maß für Maß und Peter Steins Inszenierung des Torquato Tasso, neben Zadeks Räubern ebenfalls in Bremen, öffnete sich das deutsche Theater der Klassiker popästhetischen und postdramatischen Einflüssen. Das Regietheater galt zur damaligen Zeit als Leitbegriff der Progressiven, während sich die Konservativen unter dem Banner der Werktreue um die Klassiker scharten. Diese gaben für die „modernen ,Regiebarbaren‘“ (Erken 2003, 309) ein dankbares Ziel ab, im avancierten Theater machte man sich an das ,Umfunktionieren‘ der Klassiker. Der Streit um das Regietheater ging mitten durch das Publikum, brach jedoch auch unter den Theatermachern selbst aus. Heute, 35 Jahre später, ist das Regietheater kein Anlass mehr zur Hysterie. Allerdings hält die Diskussion an und verstärkt sich in der letzten Zeit wieder. Unlängst hat sich sogar Peter Zadek kritisch gegenüber dem Theater der jüngeren Generation geäußert, deren „Konzepttheater“ sei „so eins zu eins und plump und stilisiert“, er sähe nur noch den „Einfall“, dem sich alles unterzuordnen habe und er vermisse die „Geschichtenerzähler“. Das, „was eigentlich der Sinn von Theater ist, nämlich über den Menschen etwas zu erzählen, das finde [er] nicht mehr“ (Zadek 2005). Diese Aussage ist schon deshalb bemerkenswert, weil Zadek einer der Begründer des deutschen Regietheaters im engeren Sinn ist. Mit seiner Schillerinterpretation, in der nicht nur theatralisierte Signale der Pop Art vorherrschten, sondern das Verhaltensrepertoire der Figuren aus dem populären Hollywoodfilm und den Comics übernommen wurde,

2. Theaterinszenierungen und Lektüren

stellte er die Kategorie der Werktreue infrage, verdeutlichte er doch, dass Schillers Stück zu seiner Zeit populär und nicht ohne erfolgssuchende Trivialitäten war – es sorgte ja nicht von ungefähr bei seiner Uraufführung 1782 in Mannheim für einen riesigen Theaterskandal. Heute polemisiert Zadek dezidiert nicht gegen das Regietheater, sondern gegen das von ihm so genannte „stilisierte Theater“. Regietheater, wie er es seit seiner Bremer Zeit in den 1960er Jahren gemacht hatte, sei für ihn „zwar ausgefallen, aber ganz realistisch“ gewesen (Zadek 2005). Am Gegensatz zwischen „stilisiertem“ und „realistischem“ Theater entzündet sich auch die Frage nach dem Politischen des Theaters. Der Verdacht besteht, dass das Regietheater paradoxerweise vielleicht wieder den Weg zurück zum apolitischen Theater der 1950er Jahre geht, in dem Gustaf Gründgens die Historisierung seiner Klassiker verweigerte und gesellschaftliche Faktoren vernachlässigte, während er das geistig Wesentliche in der „Überformung, Abstraktion und Stilisierung“ (Erken 2002, 322 f.) suchte. Mit Schiller hat das Theater die Aufgabe als moralische Anstalt zugewiesen bekommen, auch wenn die Überlieferung den Begriff der Moral, bei Schiller mit der Vernunft verbunden, verengte. Die Frage lautet bereits seit einiger Zeit, ob das Theater der Gegenwart seine historische und gesellschaftspolitische Relevanz in einer globalisierten Medienwelt noch für sich behaupten kann. Oder anders gesagt: Hat nicht das Fernsehen die Funktion des Theaters als moralische Anstalt, als bürgerliches Identitätsmedium, beinahe in Gänze übernommen? Und gelingt es dem Theatertext noch, wie es Schiller in seiner Vorrede zu den Räubern als Anspruch formulierte, dass es ein „Vorteil der dramatischen Methode“ sei, die „Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen“ (NA 3, 5)? Figuren im Theater, aber auch in Erzählungen und Romanen scheinen heute wieder eine Identifikation zu erlauben, obwohl sie der bewussten Dezision nicht entkommen; das Mit-Leiden und die Erkenntnis von Ähnlichkeiten bleiben möglich, da die Lebenswelten der Figuren bekannt erscheinen, wiewohl sie verfremdet werden. Die Anwesenheit der Figuren wird glaubhaft dargestellt, während ihre De-Konstruktion nicht generell verhindert wird, zum neu entdeckten Anthropologischen gesellt sich das konventionell (Neo-)Strukturelle, obgleich dies in den Hintergrund getreten ist. Die Substanz der Figuren bleibt glaubhaft, während ihre Konstruiertheit nicht geleugnet wird. Sie halten die Waage zwischen fremd und vertraut, zwischen Stereotyp und Andersartigkeit. In der Anerkennung des Anderen geht es auch wieder um Aufklärung. Man nimmt sich heraus, so Lukas Bärfuss, der die Absurdität des Daseins und die Suche nach Transzendenz in seinem bekannten Stück Der Bus thematisiert, wie einstmals Schiller das Theater wieder als moralische Anstalt zu verstehen. „Mein Anspruch ist nicht ohne Pathos. Der Zuschauer soll den Appell spüren: Ändere dein Leben! Ich will, dass das Theater wieder Fragen stellt. Wozu dient Freiheit? Wie gehen wir miteinander um?“ Und was den Dialog betrifft, meint er: „Der Mensch ist keine Insel. Wir können uns nicht selbst erlösen oder auch nur für uns selbst das Glück finden. Das gelingt nur durch das Du.“ (Bärfuß 2005) Insofern wäre Schiller auch als gegenwärtig hochaktueller Vertreter einer neuen Aufklärung zu interpretieren, zu lesen und aufzuführen.

Das Theater als moralische Anstalt

11

II. Forschungsbericht Schiller war immer ein bevorzugtes Objekt literatur- und theaterwissenschaftlicher Forschung, wobei diese oft nicht ohne spezifisches Interesse und ideologischen Hintergrund funktionierte. Daher soll im Folgenden der Forschungsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute ein besonderes Augenmerk gelten, der Bogen reicht von Schillers Verehrung im Kontext der Nationenbildung über die Aneignungen des Autors durch den Nationalsozialismus und die Exilforschung, die verschiedenen, systembedingten Wege zu Schiller nach 1945 zwischen werkimmanenter Interpretation und marxistischer Perspektive bis hin zu den Entideologisierungen und interdisziplinären Neuinterpretationen der Gegenwart. Einleitend muss festgestellt werden, dass ein Forschungsbericht zum Werk und zur Person Schillers per se ein unmögliches Unterfangen ist. Denn zu Schiller ist bereits so viel erschienen, dass ein Forscherleben nicht ausreichen würde, um alle Publikationen zu lesen. Insofern kann im Folgenden nur ein notgedrungen grober Überblick über die wichtigsten Tendenzen geboten und keineswegs ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.

1. Interpretationen vom 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik Beginn der Schiller-Forschung

Vom Positivismus zur Hermeneutik

Bereits Wilhelm von Humboldt, ein Zeitgenosse Schillers, versuchte in Über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung (1830) dessen Werk umfassend zu interpretieren. Insofern stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Beginn der Schiller-Forschung. Helmut Koopmann ist der Ansicht, dass die ,ernsthafte‘ Schiller-Forschung erst relativ spät, Ende des 19. Jahrhunderts, ihren Anfang nahm. Als erste historisch-kritische Edition gelten Schillers sämtliche Schriften, herausgegeben zwischen 1867 und 1876 von Karl Goedeke. Was die Methode betrifft, so ging man positivistisch-biografisch vor und näherte sich dem untersuchten Objekt aus der Perspektive der Verehrung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die positivistische Richtung immer mehr von der Hermeneutik abgelöst. Insbesondere Wilhelm Dilthey, der Schleiermachers Ansatz aufgriff, vertrat eine an dem Verstehen, dem Erlebnis und dem Leben orientierte Methode der Geisteswissenschaften. Dennoch beschäftigte man sich noch längere Zeit, eigentlich bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, positivistisch mit Schillers Werk und Leben (Oellers 1976, XXXII). Diltheys einflussreiches Werk Das Erlebnis und die Dichtung (1905) demonstrierte die Methode des einfühlenden Verstehens nur mit Goethe, Novalis und Hölderlin (Albert 1998, 773 f.). Zudem dauerte es dann noch etwa zwanzig Jahre, bis sich Diltheys methodischer Ansatz in der Literaturwissenschaft durchsetzte, auch in der Schiller-Forschung reüs-

1. Interpretationen vom 19. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik

sierte der geistesgeschichtliche Ansatz nicht, bevor der Erste Weltkrieg begonnen hatte. Wichtig für die Analyse und Interpretation von Schillers Werk waren die entsprechenden Materialien und deren Sicherung. Diesbezüglich verzeichnete man einen Quantensprung, als im Jahr 1889 das 1885 eingerichtete Goethearchiv in Weimar zum Goethe- und Schillerarchiv ausgebaut wurde, sodass die Forschung nun gut auf zahlreiches Material, insbesondere Schillers ausgiebigen Schriftverkehr, zurückgreifen konnte. Darüber hinaus fand sich 1895 auf der Grundlage des „Marbacher Schillervereins“ der „Schwäbische Schillerverein“ zusammen, der 1948 zur „Deutschen Schillergesellschaft“ wurde und in dem man viel wichtiges Forschungsmaterial zentral archivierte. Hierzu wurde 1903 das Schillermuseum in Marbach errichtet. Dazu kamen die zwischen 1897 und 1942 veröffentlichten Rechenschaftsberichte des Vereins und vor allem die seit 1957 herausgegebenen Jahrbücher der „Deutschen Schillergesellschaft“ (Oellers 1976, XXXIII f.). Für das Schillerjahr zum 100. Todestag wurde 1904 und 1905 eine neue kritische Ausgabe, die von Eduard von der Hellen verantwortete Säkularausgabe in 16 Bänden, veröffentlicht. Zunehmend suchte man nach dem „Ideengehalt“ eines Stücks, zum Beispiel in Don Karlos, welches das Image des Idealisten Schiller besonders befördert hat, deshalb war man um 1900 sehr bemüht, etwa die „Idee der allgemeinen Menschenliebe und Menschenfreundschaft“ (Koopmann 1998, 828 f.) darin zu eruieren. Vor dem Hintergrund des aufkommenden Neuidealismus’ forderte man sogenannte Schiller-Persönlichkeiten gegen den negativen Zeitgeist (Oellers 1976, XXXVIII). Fritz Strich eröffnete die Zeit der geistesgeschichtlichen SchillerForschung, dabei ging es um „Gehalte“ auf Kosten von Inhalten, man interessierte sich mehr für Formen als für Stoffe, das „zeitenthobene Dasein“ eines Werks schob sich vor die Produktion und Rezeption innerhalb eines historischen Kontextes. Wichtig wurden das ,Verstehen‘, die Intuition und das Sicheinfühlen, das heute in den Kulturwissenschaften über die Neulektüre der Phänomenologie wiederentdeckt wird. Oellers geht in diesem Zusammenhang zu Recht davon aus, dass die Zuspitzung auf die Erlebnis-Kategorie in den 1920er und 1930er Jahren die Schiller-Forschung in eine Sackgasse führte, obwohl es ihr trotzdem in Einzelfällen gelungen ist, als geistesgeschichtliche Methode brauchbare Ergebnisse vorzulegen (Oellers 1976, XLII f.). Die Grundlage der Geistesgeschichte waren vor allem die Phänomenologie und der Neukantianismus; für die Schiller-Forschung bedeutete dies eine Konzentration auf ethische, erkenntnistheoretische und ästhetische, letztlich also philosophische Fragen. Aufgrund der traditionellen geistesgeschichtlichen Perspektiven beschäftigte man sich gerne mit Untersuchungen wie der nach dem Verhältnis von Realismus zu Idealismus im Wallenstein. Die willkürliche Abkehr der Literaturwissenschaft von historischen Kontexten, die Verabsolutierung von Dichterpersönlichkeiten, denen man sich durch Einfühlung annäherte, die damit verbundene Hinwendung zum Mystischen und damit zum Unkritisierbaren entschärften nicht nur radikal die politische Kritik von Schiller im Dienst der Freiheit, sondern machte ihn im Zug einer allgemeinen Ästhetisierung der Politik den Nationalsozialisten dienstbar.

Schillerarchiv und -gesellschaft

Ideengehalte und Verstehen

Phänomenologie und Einfühlung

13

14

II. Forschungsbericht

2. Aneignungen und Exilforschung in der Zeit des Nationalsozialismus Weimarer Republik

Unterschiedliche Interpretationen nach 1933

Aneignungen durch das NS-System

Schon in der Weimarer Republik, also vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurde zum einen von den Schiller-Interpreten so viel Achtung gegenüber Schillers Texten abverlangt, dass Claudia Albert von Unterwerfung als Haltung spricht, zum anderen wurden diese zur Projektionsfläche beliebiger Ideen und Ideologien, sodass die Interpretationsarbeit kaum mehr etwas mit den Texten zu tun hatte. Nach 1933 setzte sich daher zunächst ein bereits begonnener Trend der Schiller-Interpretation fort (Albert 1998, 788). Dabei kann man, wie die neuere Forschung zu den Kulturwissenschaften im Dritten Reich feststellt, nicht von einer absolut gleichgerichteten Interpretationspraxis ausgehen. Insbesondere der Streit zwischen Gerhard Fricke, der für eine penible Interpretation eintrat, die das Verhältnis zwischen Religion und Dichtung betonte, und Herbert Cysarz mit seiner Aneignung Schillers im expressionistischen, ekstatischen Stil spiegelte den generellen Konflikt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten und Abteilungen im nationalsozialistischen Universitätssystem, der durchaus politisch erwünscht war, auch im Sinn einer Machterhaltung von oben (Albert 1998, 790). Leider boten die ästhetischen Offenheiten der Klassiker, die man auch als Qualitätsmerkmal deuten konnte, Möglichkeiten, den Freiheitsdichter für eine Diktatur in den Dienst zu nehmen. So erkannte Ernst Bertram 1934 in Schiller den „Führermenschen“ und empfahl ihn als „überdauernde Vorgestalt“, in ihr bündele sich der Anspruch „starker Ordnung“, „staatlicher Zucht“ und „metaphysisch-sittlicher Freiheit“. Neben Josef Nadler als weiteren Vertreter einer NS-affinen Neudeutung unter völkischen Gesichtspunkten drängte sich Heinz Kindermann in den Vordergrund, der erst Germanist war und dann die Theaterwissenschaft in Wien begründete (Englhart 2008); er sah, wie er am 10. November 1934 im Völkischen Beobachter schrieb, in Schiller den „Dichter der heldischen Lebensform“. 1934 veröffentlichte Cysarz sein Buch Schiller, das methodisch der geistesgeschichtlichen Literaturwissenschaft zuzuzählen ist. Darüber hinaus fällt der expressionistische Stil Cysarz’ auf: „An der Drei-Länder-Ecke von Kunst, Philosophie und Religion ragt einer der kühnsten Leuchttürme, die die christliche Menschheit erblickt hat. Nie haben flammendere Garben ins Tiefste des Menschen hinein, ins Fernste des Weltalls hinaus geleuchtet.“ Bei Schiller gehe es „nicht nur um Dichtung als Dichtwerk; hier gilt es die Grenzen der Dichtung, ihr Sakrament, ihr Schicksal“ zu beachten (Oellers 1976, XLVII). Weimar war für Cysarz der „größte Herd jenes ästhetischen Staats, den dann Richard Wagner und Stefan George suchen“, dort wurde die „Kunst zur Mutter der Kultur, wie dies nachmals am lautesten Nietzsche fordert“, es ging „um das Größte: um Sein oder Nichtsein des Menschen im Weltall“. Schon 1927 erschien Frickes Der religiöse Sinn der Klassik Schillers, worin der Idealismus in seinem besonderen Verhältnis zum Christentum erörtert wurde, sodass die Verbindung in der „Polarität von Sollen und Sein“ zutage trat, eine Interpretation entgegen der Intention Schillers, diese Polarität durch die Ästhetik aufzuheben (Zeller 1983, 32 ff.). Schiller und Kleist als politische Dichter folgte 1934, Fricke schreibt aus „nationalsozialistische[r] Überzeugung heraus“:

3. Perspektiven seit 1945

die „Wirklichkeit und die Werte, aus denen und für die wir leben, sind weithin andere als die des deutschen Humanismus und Idealismus, die Goethezeit ist für uns endgültig Geschichte geworden“. So würden Schillers Dramen dessen „reine Gesinnung“ aufzeigen, was sie jedoch von der „Wirklichkeit menschlichen und völkischen Lebens“ abtrenne. Hermann Pongs untersuchte Schiller auf der Grundlage einer „existenziellen Literaturwissenschaft“ auf dessen „innere Urbilder“ in der Verbindung der Freiheit zu dem „existenziellen Untergrund“, wobei dessen „Volksbindung“ wichtig sei (Albert 1998, 791). Benno von Wiese, der sich von Pongs und Cysarz distanzierte, orientierte sich 1938 in seinem Werk über Schiller an den Begriffspolaritäten Politik und Tragödie sowie Realität und Idealität. Diesen Ansatz konnte er als Hochschullehrer ohne große Schwierigkeiten nach 1945 weiter verfolgen, während Pongs und Cysarz zwangsemeritiert wurden (Ruppelt 1979, 59 ff.). Noch während des Krieges begann man 1943 mit der Nationalausgabe der Werke Schillers im Auftrag des Goethe- und Schillerarchivs, des Schiller-Nationalmuseums und der Deutschen Akademie. Verantwortlich für dieses in dieser Zeit eigentlich unwahrscheinliche Projekt waren Julius Petersen und Gerhard Fricke. Norbert Oellers zufolge stand im NS-Staat keineswegs Schiller im Zentrum der literaturwissenschaftlichen Forschung. Was die Dramatik betraf, so war Kleist der wichtigere, und in der Lyrik rangierte Schiller hinter Hölderlin. Auf den Bühnen hingegen wurde zumindest am Anfang des Dritten Reichs Schiller immer noch häufiger als Kleist und Goethe gespielt. Diese Popularität schützte die Stücke, etwa den Wilhelm Tell, nicht davor, zensiert oder gar verboten zu werden. Die Exilforschung zu Schiller versuchte, dessen demokratische und revolutionäre Seiten gegen Hitler anzubringen. Georg Lukács’ Schillers Theorie der modernen Literatur aus dem Jahr 1935 verfolgte eine die Widersprüche nicht unterschlagende Interpretation (Albert 1998, 782 f.). Im Exil betonte man generell Schillers revolutionäre und komplexe Seite, während die im Land verbliebenen Schiller-Forscher die Texte eher einseitig interpretierten, wenn nicht gar ideologiekonform lasen. Dokumentiert sind jedoch Publikumsreaktionen in den deutschen Theatern, die als subversiv gedeutet werden konnten, etwa Applaus zu einer Szene aus Don Karlos, in der Posa seine berühmte Forderung nach Gedankenfreiheit stellt (Ruppelt 1979, 46 ff.).

Kriegsjahre

Exilforschung

3. Perspektiven seit 1945 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war man ziemlich enttäuscht über die geistesgeschichtliche Methode, obwohl deren Vorstellungen noch durchaus virulent waren, wenn man etwa immer noch die Frage nach dem Realisten oder Idealisten Wallenstein diskutierte. Karl S. Guthke gelang dann so etwas wie eine Befreiung: „Nicht den reinen Realisten und reinen Idealisten stellt Schiller gegenüber, sondern zwei Gestalten, die, je verschieden, zugleich an beide Seinsbereiche grenzen und beide an dieser Doppelstellung tragisch scheitern.“ (Guthke 1958, 110 f.) Man konnte nun eine dezidierte Gegenreaktion registrieren, indem man sich möglichst auf das Werk konzentrierte, um jede Ideologie und Weltanschauung zu ver-

Konzentration auf das Werk

15

16

II. Forschungsbericht

meiden, man strebte nach größtmöglicher Objektivität. Obwohl die Schiller-Forschung sich nun vorgeblich allein dem Werk zuwandte, hielt dieses mit seinen ästhetischen, philosophischen und historisch-zeitgebundenen Inhalten im Sinn eines kaum zu bändigenden Eigenlebens dagegen. Von Wiese bemerkte in seinem Werk Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, das 1948 veröffentlicht wurde: „Die übersinnliche, im Geistigen gründende menschliche Person, die Freiheit zum Erhabenen, gerät in einen schrecklichen Kampf mit den als Geschichte anbrandenden irdischen Mächten, die sie niederziehen, verstricken und versklaven wollen, so daß ihr am Ende nur der tragische und zugleich heilige Schritt des Opfers bleibt: Zeugnis für die transzendierende ewige Kraft des Menschen in einer vom Bösen verschlungenen, irdischen Welt.“ (Oellers 1976, LII)

Marxistische Interpretationen

Forcierte Einheitlichkeit im Werk

Nationalausgabe

Neuentdeckung des Historikers

Hier wurde die Wiederentdeckung des Dichters der geistigen, wenn auch nicht unbedingt der politischen Freiheit deutlich. Marxistische Interpretationen fand man im westlichen Teil Deutschlands in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum, dagegen im östlichen um so mehr: In DDR-Interpretationen des Don Karlos ging es um die Frage nach Posas Willen im Sinn eines Kampfes für den Fortschritt der Menschheit. In der DDR interessierte man sich besonders für den Wilhelm Tell, den man – auch in Überbeanspruchung einer vereinseitigenden Lesart – mit der Französischen Revolution in Verbindung brachte, obgleich dieses Stück mitnichten ein direktes Bekenntnis Schillers zur Französischen Revolution war. Überhaupt muss, wenn man die Forschungsgeschichte von Schillers Tod bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts insbesondere für die Dramatik rekapituliert, festgestellt werden, dass insgesamt durch die Fokussierung auf den Ideengehalt der Dramen eine Einheitlichkeit im Werk gesucht und dementsprechend auch gefunden wurde, die vom Autor so niemals intendiert war. Anders gesagt: Schillers Dramatik wollte nie die Einheitlichkeit erzwingen, welche die Interpretierenden gern als Ergebnis präsentierten und was letztlich auch durch die Untersuchungsthese des deutschen Idealismus befördert wurde. Natürlich verwies man in den Fünfzigerjahren oft, hauptsächlich was die Dramatik betraf, auf die „existenzielle Problematik“ und interessierte sich für soziologische und psychologische Interpretationen (Koopmann 1998, 825 und 829 f.). Eine Besonderheit stellte die Weiterführung der Nationalausgabe Schillers Werke durch Benno von Wiese und Lieselotte Blumenthal dar, denn sie war in der Zeit der größten politischen und mentalen Differenzen zwischen der BRD und der DDR das einzige Editionsprojekt, das beide deutsche Staaten gemeinsam durchführten. Wichtig wurden sowohl im westlichen wie auch im östlichen Teil die Jubiläen nach Kriegsende: Schillers 150. Todestag 1959 und sein 200. Geburtstag im gleichen Jahr. Hier war Norbert Oellers zufolge das wichtigste Buch von Benno von Wiese, Friedrich Schiller (1959), es kam einer Revolution gleich, auch weil es auf den früheren „Götzendienst mit Schiller“ (Oellers 1976, V) verwies, wobei Dichtung, Philosophie und Geschichtsschreibung in einen überzeugenden Zusammenhang gesetzt wurden. Überhaupt war es Benno von Wiese zu verdanken, dass Schillers historische Werke zum einen mehr be-

4. Entideologisierungen seit den 1970er Jahren

achtet, zum anderen in eine kenntnisreiche Beziehung zur Dramatik und Philosophie gesetzt wurden. Bisher hatte Schiller als schlechter Historiker gegolten. Gerhard Storz gab 1959 sein Werk Der Dichter Friedrich Schiller heraus. Auch darin wurden die Widersprüche in Schillers Werk übergangen, der Autor setzte den Fokus dezidiert auf den Dichter und abstrahierte ihn aus dem gesellschaftspolitischen und konkret historischen Bereich, indem er ihn in die Sphäre der schönen Kunst hob. Allgemein konzentrierte man sich in der Analyse auf werkimmanente Methoden und beachtete Formen und Strukturen. Mittels existenzialistischer Rhetorik entkam man der konkreten historischen Verortung (Albert 1998, 785). Gern wurde der Aspekt der Freiheit in Schillers Werk betont und mit den Freiheitsrechten des Westens kurzgeschlossen. Die Nachkriegsperiode endete 1967 mit Emil Staigers Überblickswerk Friedrich Schiller. Staiger argumentierte noch, kurz vor dem Aufstieg des Strukturalismus, existenzialistisch: „Schiller wohnt in der Fremde des Lebens. Die Götter leihen ihm kein Pfand, und nicht im Wechselspiel von Geben und zartem Empfangen leuchtet er auf, sondern in der Geduld und Würde verschwiegenen Leidens und in heroischem Kampf.“ (Staiger 1967, 9) Für Koopmann war dies eine verspätet auf den wissenschaftlichen Markt kommende Darstellung, die weder geografisch noch an einzelnen Werken orientiert vorging, sondern alle Erörterungen an die Frage knüpfte, „wie sich, so Staiger, die höchste Freiheit mit der gültigsten Dichtung vereinigen lasse“ (Staiger 1967, 9). Daran schloss sich dann die Forschung von Oellers an. In der Frühzeit der Schiller-Forschung ist die Lyrik kaum untersucht worden, vielmehr standen die Balladen beziehungsweise die geflügelten Worte, die kursierten, im Vordergrund. Erst von Wieses Buch hat Schillers Lyrik in ihrer ganzen Bandbreite zugänglich gemacht. Den Durchbruch in deren überfälliger Neuinterpretation initiierte Hans Mayer 1960 mit seiner Untersuchung Schillers Gedichte und die Traditionen deutscher Lyrik, überhaupt sind relevante Untersuchungen zu Schillers Lyrik erst seit Mitte der 1960er Jahre veröffentlicht worden (Koopmann 1998, 819 ff.).

Existenzialismus

Neue Aufmerksamkeit für die Lyrik

4. Entideologisierungen seit den 1970er Jahren Danach war die Zeit der wichtigen Schiller-Biografien und der geistesgeschichtlichen Methode vorüber, geistesgeschichtlich-existenzielle Deutungen wurden von dezidiert politischen abgelöst. Trotz aller Verdienste fehlten diesen mentalitätsgeschichtliche oder diskursanalytische Zugänge. Insgesamt gesehen löste nun eine Vielzahl an Sammelbänden die Monografie ab, vielleicht auch deshalb, weil in einer Monografie der heutige, zunehmend multiperspektivische Ansatz kaum möglich war. Koopmann spricht zwar von keinem tiefen Einschnitt in der historischen Schiller-Forschung, aber es bildeten sich Tendenzen heraus, welche die nächsten Jahre prägten. Dies geschah zunächst quantitativ, denn nun nahm die Schiller-Forschung einen Aufschwung, den man als Interpretationsindustrie bezeichnen könnte. Das kann keineswegs nur negativ bewertet werden, denn sie vergrößerte auch die Bandbreite an Perspektiven, ein Methodenpluralismus verdrängte die

Politische Deutungen

Interpretationsindustrie und Methodenpluralismus

17

18

II. Forschungsbericht

Rezeptionsforschung und Neopositivismus

Von der Buchbindersynthese zu thematischen Einheiten

Gesellschaftspolitische Position Schillers

Strukturen und Marxismus

aufgezwungene Einheit und künstliche Eindeutigkeit bisheriger Interpretationen. Erst in dieser Multiperspektivität wurde man der Vieldeutigkeit der Schiller’schen Werke gerecht, es konnte nun von einer Entideologisierung oder gar postmodernen Vielfalt gesprochen werden. Diese Vielfalt korrelierte gut mit der Rezeptionsforschung beziehungsweise mit der Verlagerung von werkimmanenten und die Einheit des Werkes in den Vordergrund stellenden Interpretationsprojekten hin zur Aufmerksamkeit für den Interpretationsakt und die Wahrnehmung des Rezipienten. Sie war automatisch mit größerer Offenheit und Interpretationstoleranz gegenüber dem Werk verbunden (von Umberto Eco bis Wolfgang Iser). Um nicht ganz einen wissenschaftlichen Rahmen zu entbehren, hielt gleichzeitig ein gewisser Neopositivismus Einzug, wichtig wurden die Fakten und das durch historische Quellen Belegbare, auch Einflüsse des US-amerikanischen „close reading“ nahmen zu. Insofern erstaunt es nicht, dass man sich zu Beginn der 1970er Jahre kaum mit umfassenderen Zusammenhängen beschäftigte, ganz praktisch gesehen tendierte die Schiller-Forschung zum Teil zur „Buchbindersynthese“, also zur Integration mehrerer, auch divergenter Aufsätze in Sammelbänden. Erst in den 1980er und 1990er Jahren ging es wieder mehr um thematische Einheiten, die sich um damit verbundene Tagungen gruppierten (Koopmann 1998, 845). Der große neue Interpretationstrend der 1970er Jahre folgte der Zeit nach 1968 und versuchte, Schillers gesellschaftspolitische Positionen zu bestimmen. Bekannt wurde Dieter Borchmeyers Tragödie und Öffentlichkeit. Schillers Dramaturgie im Zusammenhang mit seiner ästhetisch-politischen Theorie und der rhetorischen Tradition (1973), wichtig war die Frage nach der Beziehung zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen. Wenig bis gar nicht interessiert war man an den Medien, an der Bühne oder dem Theater bzw. den performativen Künsten, überhaupt der Anthropologie in der Schauspielkunst. Mit der Fokussierung auf das Gesellschaftspolitische wurde Schillers Lyrik vernachlässigt. Im Mittelpunkt der Deutungen und Analysen stand die Dramatik, denn diese Gattung ließ sich am besten mit gesellschaftspolitischen Erörterungen verbinden, man untersuchte Die Räuber, Kabale und Liebe, Don Karlos und Wallenstein. Dass dabei Klassenkonflikte, insbesondere zwischen Bürgertum und Adel, im Vordergrund standen, verwundert nicht. Die meisten Diskussionen hat es um Wallenstein gegeben, gerade weil das Handeln oder Nichthandeln Wallensteins nach Interpretation verlangte, vor allem auf der Grundlage der Frage nach dem Wirken und Wesen der Geschichte respektive der Geschichte als „Sinn- und Handlungszusammenhang“ und der ästhetischen Reflexion dieser Frage in der Dramatik. Koopmann zufolge galt sowohl für den Wallenstein als auch für den Don Karlos, dass die entscheidenden Diskussionen und Neuinterpretationen erst in den 1970er Jahren begannen (Koopmann 1998, 832, 851 ff. und 874 f.). Dass gerade Wilhelm Tell ausgiebig auf gesellschaftspolitische und geschichtsphilosophische Bezüge hin untersucht wurde, passt in diese Entwicklung. Neu war auch, dass man sich nun mehr für Schillers Erzählungen interessierte, die bis dahin in der Forschung kaum beachtet worden waren. Gerade die Untersuchungen von Strukturen nahmen in den 1970er Jahren zu. Was

5. Interdisziplinäre Neuinterpretationen der Gegenwart

Schillers ästhetische Philosophie betrifft, so ging es auch hier um die politischen Bezüge und Motive. Generell konnten die Interpretationen in dieser Zeit auch in Westdeutschland marxistische Perspektiven einnehmen, gerne wurde Schillers Fokussierung auf die Ästhetik als Flucht aus der unerträglichen politischen Wirklichkeit gedeutet.

5. Interdisziplinäre Neuinterpretationen der Gegenwart Auffällig ist, dass sich nach einer gewissen Zeit der Abstinenz wieder der Mut verstärkte, größere, oft an der Biografie orientierte Gesamtdarstellungen zu Schiller zu schreiben. Die Fähigkeit oder die Entschlossenheit zur Zusammenschau schienen wiederzukehren, etwa in Guthkes Schillers Dramen. Idealismus und Skepsis, bei Oellers, Safranski und vor allem bei Alt. Borchmeyer schrieb sogar über die Weimarer Klassik. Porträt einer Epoche (1994). Die Arbeiten von Schings, Segebrecht, Scherpe, Hinderer, Mattenklott und Turk setzten Maßstäbe. Mit dem Paradigma der Kulturwissenschaften, der Diskursanalyse und der Performativität ging es vermehrt um den Körper und die Physiognomie (Koopmann 1998, 896), vor allem unter der Neuperspektivierung der Gender Studies. Insbesondere die Anthropologie wurde als innovativer Interpretationskontext wichtig, motiviert vom Aufstieg der historischen Anthropologie, die mit der Verbreitung von Michel Foucaults Diskursanalyse zur Leitphilosophie wurde. Zudem kam Schiller in den Blick der Dekonstruktion, etwa in Paul de Mans Kant and Schiller (1993). Bestimmend wurden in diesem Kontext u. a. Wolfgang Riedels ,Der Spaziergang‘. Ästhetik der Landschaft und Geschichtsphilosophie der Natur bei Schiller (1989) und Ulrich Tschierskes Vernunftkritik und ästhetische Subjektivität. Studien zur Anthropologie Friedrich Schillers (1988). Im Mittelpunkt dieser neuen Perspektive stand Riedels Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der Philosophischen Briefe (1985) und Peter Utz’ Auge, Ohr und Herz. Schillers Dramaturgie der Sinne. Der New Historicism löste unter der Führung Steven Greenblatts den New Criticism ab. Die Gender-Frage wurde immer wichtiger, vor allem die Geschlechterverhältnisse traten in den Vordergrund, etwa bei Karen Beyer: Schön wie ein Gott und männlich wie ein Held. Zur Rolle des weiblichen Geschlechtscharakters für die Konstituierung des männlichen Aufklärungshelden in den frühen Dramen Schillers (Stuttgart 1993). Riedel stellte die zeitgenössische Psychologie in den Mittelpunkt und Schings deckte den Einfluss der Illuminaten auf in Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten (1996), letzteres im Kontext einer Entdeckung der dunklen, unwissenschaftlichen, wenn man so will esoterischen Seite der Aufklärung, etwa der Theosophie, des Aberglaubens und des Mesmerismus. Auch die Theaterwissenschaft entdeckte Schiller, besonders unter dem neuen Paradigma der Performativität und Postdramatik, so in Hans-Thies Lehmanns Die Räuberbrüder, die Meute, das Subjekt Schiller postdramatisch besehen (Lehmann, 79 f.). Mit dem Übergang von der Kultur- zur Mediengeschichte geht es im Moment zunehmend um die Medien Schillers, so

Neue Gesamtdarstellungen

Diskursanalyse und Performativität

Anthropologie und Dekonstruktion

New Historicism und Gender Studies

Postdramatik und Mediengeschichte

19

20

II. Forschungsbericht

Schiller als Wegbereiter der Moderne

schrieben etwa Friedrich A. Kittler Dichter – Mutter – Kind (1991) und Niels Werber Technologien der Macht. System- und medientheoretische Überlegungen zu Schillers Dramatik. In der Schiller-Forschung der letzten Zeit wird der Klassiker immer öfter nicht nur als Zeitgenosse des Beginns der Moderne, sondern als deren Wegbereiter verstanden, vornehmlich was sein Geschichtsverständnis, seine Psychologie, seine Ästhetik und seine Theorie des Spiels betrifft. Momentan scheint Schiller auch in der neuen Wertedebatte eine immer größere Rolle zu spielen.

III. Der Autor in seiner Zeit 1. Schiller in seinem Umfeld Das mediale Umfeld (Theater und literarischer Markt) Oft wird vergessen, dass der Aufstieg eines Schriftstellers von den Medien abhängt, die auf der einen Seite seine Werke vermitteln und auf der anderen sein Bild in der Öffentlichkeit prägen. Letzteres reicht von den Rezensionen für die verschiedenen Zielgruppen bis zu trivialeren Geschichten über den und Bildern vom Autor. Für Schiller war in seiner Zeit primär der Aufstieg des Theaters als bürgerliches Medium relevant. Hinzu trat der sich aufgrund der zunehmenden Alphabetisierung einer breiten bürgerlichen Schicht ausweitende Buchmarkt. Gerade für Schiller trifft es besonders zu, dass er mit wachsender Erfahrung relativ geschickt mit ähnlichen oder abgeänderten Produkten, etwa seinen Dramen, sowohl die Bühnen als auch den Buchmarkt bediente, sodass sich zielgruppenspezifische Synergieeffekte einstellten. Nicht zu vergessen sind neben seinen Dramen, Balladen und Gedichten auch seine Versuche, mit Romanen wie Der Geisterseher Geld zu verdienen, sowie mit wissenschaftlichen und historischen Publikationen einen guten Ruf zu erlangen, der wiederum eine Position an der Universität und in der Gesellschaft einbrachte. Alle diese Medien funktionierten vor allem auf der Grundlage der zunehmenden Bedeutung von bürgerlichen Mentalitäten, Wertvorstellungen und Identitätszuweisungen. Die Möglichkeit, in diesem Medienmarkt so viel Geld zu verdienen, dass man davon leben konnte, war zu Schillers Zeiten relativ neu, er kann demnach als Pionier des freischaffenden Publizisten und Intellektuellen der modernen Gesellschaft angesehen werden. Schillers Karriere begann mit den Räubern, einem fulminanten Erstlingserfolg. Dieser ging vom Mannheimer Nationaltheater aus, das noch gar nicht so alt am 1. September 1778 gegründet worden war und mit dem Freiherrn Wolfgang Heribert von Dalberg einen durchsetzungsfähigen und einflussreichen Intendanten hatte. Überhaupt kam auf dieser Bühne vieles glücklich zusammen, denn Dalberg konnte gleich zu Beginn Schauspieler auf höchstem Niveau engagieren, da der Herzog von Gotha sein Hoftheater nicht mehr weiterführte. Vor allem die Verpflichtung August Wilhelm Ifflands, den wohl besten Schauspieler seiner Zeit im deutschsprachigen Raum, war ein Glücksfall, er spielte in Schillers Die Räuber, das am 13. Januar 1782 uraufgeführt wurde, den Intriganten Franz. Ohne ihn hätte das Stück keinen solchen Erfolg gehabt und Schillers Karriere wäre vielleicht schnell zu Ende gewesen. Nachdem das neue Ensemble am 7. Oktober 1779 begann, wurde das Mannheimer Nationaltheater in kürzester Zeit zu einer der führenden Bühnen Deutschlands. Die Fähigkeit Dalbergs zeigte sich gerade in dem Wagnis, das höchst skandalöse Stück eines sehr jungen, noch unbekannten Autors auf die Bühne zu bringen. Noch zu seinem Stück

Das bürgerliche Medium Theater

Alphabetisierung und Buchmarkt

Früher Erfolg mit den Räubern

22

III. Der Autor in seiner Zeit

Weimar und das Berliner Nationaltheater

Schiller neben Kotzebue auf den Bühnen

Anthropologie und Psychologie

Don Karlos wurde Schiller von Dalberg motiviert, so wie Schiller seine ganze Schaffenszeit hindurch immer wieder von der Bühne zur Arbeit angeregt wurde. Was die spätere Zeit betrifft, ist neben vielen anderen Theatern vor allem die Weimarer Bühne, die unter Goethes Leitung durchaus als Experimentalbühne der Klassik bezeichnet werden kann, das Zentrum von Schillers Produktion. Seit Kurzem wird in der Forschung vermehrt erkannt, dass die Aufmerksamkeit für das Weimarer Theater den Blick auf die zur damaligen Zeit tonangebende Bühne, nämlich das Berliner Nationaltheater, um 1800 wiederum unter der Intendanz von Iffland, verstellt hat (vgl. Gerlach 2007, 2009). Nun hat sich Schiller aber auch in Berlin behaupten können, obwohl der Spielplan des Nationaltheaters nicht vorwiegend diejenigen Stücke bot, die wir heute als klassische verstehen. Dennoch ist er keineswegs selten gespielt worden. Immerhin bemühte sich Iffland vor dem Hintergrund seiner Professionalisierung des Spielplans, nicht nur alle neuen Stücke Schillers – von den Piccolomini bis zu Wilhelm Tell – aufzuführen, sondern auch der Klassik auf seiner Berliner Bühne mehr Raum zu geben. Nicht mit Goethes Übersetzung von Voltaires Mahomet 1799 wäre demnach der Beginn der Klassik anzusetzen, sondern mit exemplarischen Berliner Inszenierungen Ifflands. Denn die Bühne kam als idealer Bereich, insbesondere für die Verstragödie, schon zuvor durch Iffland programmatisch zu ihrem Recht. Während Lessing noch die bürgerfernen, zu großen Helden und die Dramaturgie der französischen Klassiker Corneille und Racine von der Bühne verbannt sehen wollte, inszenierte man auf Ifflands Bühne wieder Stücke in Versen. So kam es, dass Schiller in Berlin nach Kotzebue der meistaufgeführte Dramatiker wurde. Dabei sparte man nicht mit theatralen Mitteln. Besonders bekannt wurde die Aufführung der Jungfrau von Orleans 1803. Inszenierungen von Schillers Stücken initiierten das Ausstattungstheater des 19. Jahrhunderts mit. Im Weimarer Spielplan dominierten ebenfalls hauptsächlich Kotzebue sowie Iffland und damit die Dramaturgie des dialoglastigen bürgerlichen Rührstücks, von dem sich Goethe und Schiller in ihrer klassischen Phase programmatisch abwandten. Gerade das Theater blieb bis zuletzt der Gradmesser von Schillers Popularität. Als er im April 1804 nach Berlin reiste, sah er am Berliner Nationaltheater seine Braut von Messina, das grandiose Ausstattungstheater der Jungfrau von Orleans und den dritten Teil des Wallenstein. Bei seiner Ankunft wurde Schiller vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Diskurse, Mentalitäten, Menschenbilder und Schauspielstile Was Schillers Bezug zur Bühne und die Zeichnung seiner Figuren vor allem in seinen frühen Dramen anbelangt, so muss von vornherein beachtet werden, dass sich der Autor während seines Studiums intensiv mit anthropologischen und psychologischen Fragestellungen beschäftigt hatte. Diese hatte Schiller unter anderem auch in seiner Dissertation behandelt, sie waren generell in dieser Zeit die Grundlage einer Diskussion über die Natürlichkeit des Schauspielstils. Wenn Schiller forderte: „Man trete auf die Bühne selbst und gebe acht, wie sich die Geschöpfe der Fantasie im Spieler verkörpern. Es sind diesem zwei Dinge schwer

1. Schiller in seinem Umfeld

aber nothwendig. Einmal muß er sich selbst und die horchende Menge vergessen, um in der Rolle zu leben; dann muß er wiederum sich selbst und den Zuschauer gegenwärtig denken, auf den Geschmack des letztern reflektiren, und die Natur mässigen“ (NA 20, 83), dann will er, so in seiner Rede Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (1784) den „Tiermenschen“ mit seinen älteren und drängenderen „Bedürfnissen“ vom „Bedürfnis des Geistes“ trennen (NA 20, 88). Denn was die Dauer des physischen Lebens erhält, wird stets die primäre Aufmerksamkeit des Menschen in Anspruch nehmen. Was die Menschheit innerhalb ihres Wesens veredelt, wird indes sein höchstes Augenmerk sein. Zur Physiognomie des Anderen bemerkte Schiller in Über das Pathetische (1793): „Wir nennen eine Gesichtsbildung gemein, wenn sie die Intelligenz im Menschen durch gar nichts kenntlich macht, wir nennen sie sprechend, wenn der Geist die Züge bestimmte, und edel, wenn ein reiner Geist die Züge bestimmte.“ (NA 20, 201) Deshalb ging es Schiller schon in seinem ersten Drama um die Wahrheit über den Menschen, um Menschenbilder und letztlich um Schauspielstile. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob nicht Franz Moor deshalb ein Bösewicht ist, weil er sich in einen hässlichen Körper gezwungen fühlt, somit wären sein Aussehen und die Reaktion seiner Umwelt ursächlich schuld an seiner Rache an den Anderen, sie wäre Rache, weil die Natur ihn so schlecht behandelte. Schiller übte sich darin, so Rüdiger Safranski, „die literarische Form als Experimentalanordnung zu nutzen, um herauszubekommen, wie das Körperschicksal die Seele formt und in welchen Grenzen umgekehrt die Seele den Körper regieren kann“ (Safranski 2007, 76). Noch wichtiger war Schiller die Darstellung des Menschen auf der Bühne bzw. im Theater, in welchem dem meinungsbildenden Parkett die Rolle des panoptischen Beobachters zukam. Die Aufmerksamkeit für die Bühne intensivierte sich, auch aufgrund des Einflusses von Denis Diderot und der damit verbundenen Verstärkung der ,vierten Wand‘ zwischen Zuschauerraum und Bühne. Für den Spieler auf der Bühne konnte es, so Schiller, unangenehm werden, wenn er sich bewusst wurde, dass „vielleicht tausend und mehr Augen an jeder seiner Gebärden“ hingen, wenn also der „unglückliche Gedanke: „Man beobachtet mich!“, zu stark wurde (NA 20, 84). Dann würde der Schauspieler wie ein Nachtwandler auf der Dachspitze, der bei einem plötzlichen, aufweckenden Zuruf in die Tiefe stürzt, dermaßen erschrecken, dass nicht nur die „natürliche Grazie der Stellung“ in einer Beugung entarte, sondern dass auch des Publikums „Sympathie“ in einem Gelächter „verpuffte“ (NA 20, 84). Edward Gordon Craigs spätere avantgardistische Forderung nach der Über-Marionette fand schon mit Beginn der Moderne und der damit verbundenen zunehmenden Beobachtung des Anderen ihren frühen Grund. Schillers Produktionsbedingungen Zu den Produktionsbedingungen gehören innere und äußere. Innere Produktionsbedingungen ergeben sich unter anderem aus dem individuellen Ehrgeiz, den Schiller in der Tat in erhöhtem Maß besessen hat. Dies wird auch im oft gesuchten oder durchdachten direkten, nicht unfreundlich ge-

Physis und Physiognomie

Darstellung und Anmut

Innere Produktionsbedingungen

23

24

III. Der Autor in seiner Zeit

Äußere Produktionsbedingungen

Theater und Verleger

Schuldenkarriere Schillers

meinten Vergleich mit Goethe deutlich, den Schiller vor allem später als Freund sehr schätzte. Schiller selbst sah sich, im Gegensatz zu dem von ihm bewunderten Genie, nicht von der Natur begünstigt. So schrieb er im März 1789 an Christian Gottfried Körner: „Dieser Mensch, dieser Göthe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muß ich biss auf diese Minute noch kämpfen.“ (NA 25, 222) Schiller verließ sich auf seinen Fleiß, dieser sei, so in einem Brief an Körner, die „Hauptsache“, sie gebe nicht nur die „Mitte des Lebens“, sondern zudem seinen „alleinigen Werth“. Dazu gehörte auch, dass Schiller seine Tätigkeit plante und das Geplante abarbeitete. So fand man nach seinem Tod eine seit 1797 geführte Liste der noch zu schreibenden Dramen mit sage und schreibe 32 Titeln. Zu den äußeren Produktionsmitteln zählt primär das familiäre Umfeld, das sich Schiller geschickt so einrichtete, dass es seine Produktion optimal unterstützte. Vielleicht hat er sogar seine Ehefrau auf seine späteren Bedürfnisse hin ausgesucht. Ganz sicher verhielt er sich geschickt in der Wahl seiner Publikationsmedien und dem Aufbau seines Netzwerkes. Früh suchte er den Kontakt zu den führenden Theatern in Mannheim, Weimar und Berlin sowie die Zusammenarbeit mit potenten Verlegern, vornehmlich mit Johann Friedrich Cotta von Cottendorf. Immer bedacht werden musste, dass es zu Schillers Zeiten zwar schon ein Urheberrecht gab, denn 1794 wurde in Preußen durch das „Allgemeine Landrecht“, das sich an englischen Vorgaben orientierte, so etwas wie Urheberschaft aus juristischer Sicht benannt und fixiert. In der Praxis griff diese neue juristische Regelung kaum. Schiller musste daher immer mit Raubdrucken seiner Werke rechnen. Zu Anfang machte er mit dem Verleger Schwan, was die Räuber betrifft, ein einmaliges Honorar aus, sodass es ihn letztlich vom Finanziellen her nicht kümmern musste, ob er nachgedruckt wurde. Im Gegenteil: Raubdrucke erweiterten nur seinen Ruhm, wenn sie nicht gerade den Sinn verfälschten oder voller Fehler waren. Laut Georg J. Göschen wären von Don Karlos innerhalb von zehn Jahren 1.500 Stück offiziell verkauft worden, auf dieser Grundlage war mit schätzungsweise 20.000 illegalen Nachdrucken zu rechnen (von Wilpert 2009, 48 f. und 74 ff.). Insofern war Schillers Zusammenarbeit mit seinem späteren Verleger Cotta ein persönlicher Glücksfall. Denn die Verträge mit diesem boten nicht nur ein einmaliges Honorar für die Veröffentlichung, sondern versprachen für weitere Auflagen zusätzliche Einnahmen. Darüber hinaus antwortete Schiller geschickt auf die widrigen Umstände der Zeit – ähnlich wie heutige Künstler – mit einer produktiven Mischkalkulation. Denn er forcierte die Theateraufführungen, die im Zweifel gar nicht so viele Tantiemen einbrachten, zumal er seine Dramen auch schon vor der Uraufführung in Druck gab und die Theater allein für die Inszenierung noch nicht veröffentlichter Dramentexte Geld zahlten. Die Bühnen verbreiteten seinen Ruhm, während die gedruckten Exemplare, die Cotta verlegte, für seine Einnahmen sehr wichtig waren. Auffallend an Schillers Leben ist, dass er zu Beginn seiner Karriere über längere Zeit hinweg viele Schulden hatte (Engelmann 2009). Dies lag auch daran, dass er erst lernen musste, mit Geld umzugehen und für seinen Un-

1. Schiller in seinem Umfeld

terhalt zu sorgen. Da Schiller acht Jahre lang in der Karlsschule freie Unterkunft und Verpflegung bekam, war er in Geldangelegenheiten unerfahren. Seinen ersten Beruf als Regimentsarzt begann er mit dem äußerst niedrigen Jahresgehalt von 216 Gulden. Damit finanzierte er den Druck seines Stücks Die Räuber und seine Anthologie auf das Jahr 1782. Da Schiller zunächst keinen Verleger fand, der sein Räuber-Manuskript drucken wollte, musste er sich eine beachtliche Summe leihen, die eine Veröffentlichung erst ermöglichte. Die dadurch entstandenen Schulden setzten ihm noch jahrelang zu. Der junge Autor arbeitete auch als redigierender Mitarbeiter etwa ab Mai 1781 bei den Nachrichten zum Nutzen und Vergnügen, die beim Verlag C. G. Mäntler in Stuttgart erschienen, um sich etwas hinzuzuverdienen. Er soll nach seiner Flucht aus Stuttgart 400 Gulden Schulden zurückgelassen haben. Das Gehalt am Mannheimer Theater 1783 waren 300 Gulden. Henriette von Wolzogen hinterließ Schiller Hunderte von Gulden. Zum Glück beglich Körner Schillers Schulden in Mannheim, als dieser nach Dresden zog. Ab 1791 bekam Schiller ein dänisches Stipendium, drei Jahre lang 1.000 Taler vom Herzog Christian von Schleswig-Holstein-Augustenburg und vom Minister Graf Ernst von Schimmelmann. Als Professor in Jena bezog er als Gehalt nur Hörergeld für privatim anberaumte Kollegs. Herzog Carl August zahlte ihm ab 1790 200, ab 1799 400 und ab 1804 800 Taler. Zu diesen Einkommen muss noch der häusliche Zuschuss der Schwiegermutter, also der Mutter von Charlotte, von 150 Taler pro Jahr gezählt werden. Wie sah die Rechnung im Haushalt aus? 1796 hat Schiller 1.400 Taler Kosten, 1802 1.525 Taler, 1804 2.000 Taler. Wenn man als Einnahmen 500–600 Taler ansetzt, dann musste Schiller pro Jahr mindestens 1.000 Taler zusätzlich verdienen. Dazu dienten Anthologien, Kalender, die Herausgeberschaft von periodischen Publikationen und nicht zuletzt seine historischen Schriften, die Schiller insbesondere in der Erwartung schrieb, höhere Honorare zu bekommen. Man kann seinen Satz zumindest zu Anfang seiner Karriere, „Ich muß von der Schriftstellerei leben, also auf das sehen, was einträgt“, nicht ernst genug nehmen (NA 25, 5). Vom Verleger Cotta erhielt Schiller in den Jahren zwischen 1795 und 1805 insgesamt 32.000 Gulden. Diese Summe verdiente, zum Vergleich, ein Hofmarschall. Insgesamt gesehen gelang es ihm, jährlich auf ungefähr 1.640 Taler zu kommen und als Schriftsteller das Einkommen eines wohlhabenden Bürgers zu erzielen. Noch 1787 hatte Schiller seine Schulden nicht völlig reduziert, wiewohl er Geld für die gedruckte Ausgabe des Don Karlos und für die Hamburger Bühnenfassung erhalten hatte. Daher schreibt er weiter an seinem von ihm ungeliebten Roman Der Geisterseher. Insbesondere der ältere Schiller war ein Spätaufsteher. Er stand erst zwischen 12 und 14 Uhr auf und arbeitete gerne abends oder nachts, um ungestört zu sein. Mittel wurden eingenommen, die ihn wach hielten und das Gefühl der Leistungssteigerung hervorriefen, darunter Alkohol, Tabak, Schnupftabak und Kaffee. Er soll auch zu Opiaten gegriffen haben, die ihm als Arzt nicht unbekannt waren. Zumindest schrieb er im Januar 1788 an Ludwig Ferdinand Huber, sein Leben wäre eine „fatale fortgesetzte Kette von Spannung und Ermattung, Opiumschlummer und Champagnerrausch“ (NA 25, 8). Bekannt wurde das eher harmlose Stimulanzmittel des faulen Apfels, über den Goethe an Eckermann berichtete:

Einnahmen des Dichters

Produktionsprozess und Tagesablauf

25

26

III. Der Autor in seiner Zeit

„Ich besuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hause fand und seine Frau mir sagte, daß er bald zurückkommen würde, so setzte ich mich an seinen Arbeitstisch, um mir Dieses und Jenes zu notieren. Ich hatte aber nicht lange gesessen, als ich von einem heimlichen Übelbefinden mich überschlichen fühlte, welches sich nach und nach steigerte, so daß ich endlich einer Ohnmacht nahe war. Ich wußte anfänglich nicht, welcher Ursache ich diesen elenden, mir ganz ungewöhnlichen Zustand zuschreiben sollte, bis ich endlich bemerkte, daß aus einer Schieblade neben mir ein sehr fataler Geruch strömte. Als ich sie öffnete, fand ich zu meinem Erstaunen, daß sie voll fauler Äpfel war. Ich trat sogleich an ein Fenster und schöpfte frische Luft, worauf ich mich denn augenblicklich wieder hergestellt fühlte. Indes war seine Frau wieder hereingetreten, die mir sagte, daß die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem dieser Geruch Schiller wohltue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.“ (Goethe 1999, 632)

Selbstausbeuterische Arbeit

Lange Vorüberlegungen

Großer Materialaufwand

Schiller bevorzugte Musik aus dem Nebenzimmer, etwa Klaviermusik, die seine Frau Charlotte spielte, und er hatte, wie Henriette von Wolzogen berichtete, in seinem Arbeitszimmer karminrote Gardinen, deren „rötlicher Schimmer belebend auf seine produktive Stimmung“ wirkte. Generell ging er bis an seine physischen und psychischen Grenzen und darüber hinaus. Vielleicht hätte er länger gelebt, wenn er es in seiner Arbeitssucht nicht so übertrieben hätte. Erst um 1800 hat er, weil ihm dies die Freunde und Ärzte zurieten, die Nachtarbeit etwas reduziert. Dennoch benötigte er die nächtliche Ruhe und die Freiheit von sozialen Kontakten, um etwas aus sich herausgehen zu können. Immerhin soll er beim Schreiben nicht nur mit sich selbst gesprochen, sondern sich selbst vorlesend, deklamierend, gestikulierend und zuweilen auch schreiend Luft gemacht haben. Da Schiller seinen Produktionsprozess offenlegte, kommentierte und auch gerne Rat in den verschiedenen Stufen des Fortgeschrittenseins einer Produktion einholte, wissen wir heute gut darüber Bescheid. Noch auf der Hohen Karlsschule musste sich Schiller freilich oft tarnen, damit seine pflichtvergessenen Schreibübungen nicht auffielen. Er meldete sich absichtlich krank, um im Akademiespital ungestört arbeiten zu können. Abends im Schlafsaal tarnte Schiller sein Unternehmen mit vorgeblichem Lernstoff in der Hand, unter dem die eigentlichen Arbeitsmittel versteckt wurden. Bevor er etwas schriftlich niederlegte, hatte er dies lange in seinen Gedanken hin- und herbedacht. In dieser Zeit war er, wie Streicher berichtet, „wie durch einen Krampf ganz in sich zurückgezogen und für die Außenwelt gar nicht vorhanden“. Dabei sollte alles „erschöpft, alles zu Ende gebracht werden. Daher beschäftigten sich seine Gedanken so lange mit einem Plane“. Dasjenige, so Johann G. Gruber, was er „darzustellen sich vorgenommen hatte, arbeitete er völlig im Kopfe aus, ehe er eine Zeile niederschrieb. Fertig war ihm ein Werk, welches sein völliges Dasein in seinem Geiste hatte“ (NA 42, 330). Schiller deckte sich im Vorfeld gern mit viel Material ein und studierte dieses akribisch. So war er für seinen Wilhelm Tell, zu dem ihn Goethe nach einer Reise in die Schweiz anregte, niemals im Land der Eidgenossen,

1. Schiller in seinem Umfeld

aber er entnahm alles Historien, Reisebeschreibungen und Bildern und richtete in seinem Kopf eine imaginäre Schweiz ein. Erst nachdem er sich also über das Thema samt Umfeld bis ins Detail informiert hatte und so etwas wie eine innere Landschaft entstanden war, so berichtete Goethe, „setzte er sich über die Arbeit, und […] buchstäblich genommen, stand er nicht eher vom Platze auf, bis“ der Tell „fertig war“ (Goethe 1971, 175). Schiller hatte durchaus, wenn er sich nicht seinem Schaffensrausch hingab, Krisen und depressive Verstimmungen, auch was seine Berufswahl betraf. Denn er hätte ja auch Arzt werden können und so ein mehr oder weniger gesichertes Einkommen gehabt. Zudem hätte er sich dann keine Gedanken über den Sinn seiner Tätigkeit machen müssen. Das hat, so Safranski, auch mit der Angst des Kreativen zu tun, dass die ,creatio ex nihilo‘ zwar auf der einen Seite etwas Bewundernswertes ist, auf der anderen Seite aber auf das ständige Funktionieren der Einbildungskraft angewiesen bleibt (Safranski 2007). Insofern nahm Schiller die Fakten für seine oft historisch grundierten Werke durchaus dankbar zur Kenntnis, auch wenn er sie dann aus ästhetischen Gründen der poetischen Struktur nachordnete. In Jena angekommen, immerhin an einer Universität, die einen geringen Etat hatte und wenig zahlen konnte, war Schiller nicht mehr so sehr auf das Geld der Universität angewiesen, denn er verdiente nun durchaus bemerkenswerte Honorare als Schriftsteller. 1784 schlug er in einem Entwurf vor, gegen eine „jährliche Gratifikation von 50 Dukaten“ eine Dramaturgie des Mannheimer Nationaltheaters zu liefern:

Krisen und depressive Verstimmungen

Bessere finanzielle Verhältnisse

„Den Herausgeber dieses Werkes in die Verfassung zu setzen, daß er es mit dem ganzen Maß seiner Kräfte und freiem unbefangenen Kunstgefühl vollenden könne, wird erfordert, daß er, durch eine anständige Vergütung von Seiten des Theaters unterstützt, nicht nötig habe, von dem Eigennutz eines Verlegers und den Zufällen des Buchhandels abzuhängen.“ (NA 22, 313 f.) Dahlberg ließ sich von Schiller einen Plan vorlegen, aber die geforderte Summe war ihm zu hoch, sodass daraus nichts wurde. Schiller lernte, dass er besser arbeitete, wenn er dem Theater als praktische Produktionsstätte fern blieb, wiewohl diese ihn immer wieder zu neuen Werken motivierte. Dies mag zur Ablehnung des Angebots von Schröder geführt haben, ans Hamburger Theater zu kommen. Auch Schillers Werben um seine spätere Frau Charlotte verzögerte sich planmäßig, weil man der Mutter eine Aussicht auf besser gestellte Verhältnisse Schillers geben wollte. Um 1789 hatte er zwar so etwas wie eine solide Position erreicht und als Professor Hörergeld zu erwarten, zudem erhielt er die Zusage des Herzogs, er bekäme zweihundert Taler. Auch hoffte Schiller auf eine Mainzer Professur über die Vermittlung von Karl von Dalberg, dem Koadjutor von Mainz und Bruder des Intendanten des Mannheimer Theaters. Immerhin gelang es Schiller, einen sehr gut dotierten Vertrag mit Göschen für einen Beitrag zu dessen „Historischem Kalender für Damen“ abzuschließen, für den er 400 Taler bekommen sollte. Aus diesem Beitrag ging Die Geschichte des 30jährigen Kriegs hervor. Obwohl er ab Beginn des Jahres 1791 ständig mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen hatte, änderte

Erste solide Position und Heirat

27

28

III. Der Autor in seiner Zeit

Schlechter Gesundheitszustand

Mühsamer, aber strategisch geplanter Aufstieg

sich just in dieser Zeit Schillers angespannte finanzielle Lage. Er bekam 3.000 Taler von ihm unbekannten dänischen Verehrern. Hinderlich war sein schlechter Gesundheitszustand, denn man musste mit Krankheiten rechnen, die heute kaum mehr vorstellbar sind. So war etwa die Malaria, an der Schiller 1783 erkrankte, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Mitteleuropa virulent, in Norddeutschland hieß sie Marschenfieber, das erst durch Insektizide und die Trockenlegung von Sümpfen ausgerottet werden konnte. Neben den Honoraren war es möglich, als Theaterdichter direkt am Theater verpflichtet zu werden. Schiller gelang es zum 1. September 1783, als ihn die Schulden sehr drückten, für ein Jahr von Dalberg in Mannheim angestellt zu werden. Der Lohn betrug 300 Gulden plus Einnahmen jeweils eines Abends an der Theaterkasse. Dabei hatte er nicht nur drei Stücke zu liefern, nämlich den Fiesko, die Luise Miller und noch ein weiteres, sondern er hatte auch im Theaterausschuss mitzuwirken, was das Lesen und Beurteilen von Stücken und die Unterstützung bei der Erstellung des Spielplans mit sich brachte. Aufstieg und Etablierung des Autors Der Aufstieg und die Etablierung Schillers waren zwar durchaus stetig, entbehrten jedoch keineswegs größerer und kleinerer Rückschritte und waren ein ständiger Kampf, den Schiller auch so empfunden hat. Er ging zum einen durchaus taktisch und strategisch vor, hatte aber auch oft einfach Glück. Bekannt wurde er im jungen Alter von 22 Jahren 1782, und zwar mit einem veritablen Theaterskandal, mit der Uraufführung seines ersten Dramas Die Räuber in Mannheim. Oft zitiert wird der Bericht der Publikumsreaktionen: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung bricht.“ (Grawe 2009, 146)

Flucht und erste Anstellung am Theater

Nun wäre vielleicht zu erwarten gewesen, dass mit dem nachfolgenden künstlerischen Ruhm und der plötzlichen Bekanntheit in Deutschland eine entsprechende Position verbunden gewesen wäre. Nichts dergleichen stellte sich ein, ganz im Gegenteil, Schiller musste feststellen, dass Herzog Carl Eugen weiterhin nicht bereit war, seinem Regimentsarzt größere Freiheiten zuzugestehen. So verbüßte der Autor sogar eine zweiwöchige Haftstrafe, weil er es gewagt hatte, ohne Genehmigung einer Aufführung seines Stückes in Mannheim beizuwohnen. Insofern war Schiller gezwungen, im September 1782 Stuttgart heimlich zu verlassen. Auf der Reise begleitete ihn sein Musikerfreund Andreas Streicher, der auch mit Geld aushalf. 1783 wurde Schiller in Mannheim zwar Theaterdichter, aber seine weiteren Stücke, die Verschwörung des Fiesko zu Genua und Kabale und Liebe, waren keineswegs ein ähnlicher Erfolg wie Die Räuber. Darüber hinaus gelang es ihm nicht, von den Schauspielern akzeptiert zu werden. Diese brachten sogar eine Komödie auf die Bühne, deren Hauptfigur Schiller verdächtig ähnlich war. Auch mit dem Mannheimer Ver-

1. Schiller in seinem Umfeld

leger Gottfried Friedrich Schwan funktionierte die Geschäftsbeziehung nicht optimal. Im August 1784 wurde Schillers Vertrag am Theater entgegen seinen Erwartungen nicht verlängert. Immerhin gelang es ihm, nachdem er am 26. Dezember 1784 vor dem Hof in Darmstadt aus dem ersten Akt seines Don Karlos gelesen hatte, von dem dort zu Besuch weilenden Herzog Carl August von Weimar den Titel eines Herzoglich Weimarischen Rats zu erhalten, der allerdings nur ein Ehrentitel ohne Position und Einkommen war. In der sich ankündigenden Krise kamen ihm unerwartet vier Verehrer zu Hilfe, Christian Gottfried Körner und dessen Verlobte Minna Stock sowie deren Schwester Dora mit ihrem Freund Ludwig Ferdinand Huber. 1785 reiste Schiller zu ihnen nach Dresden, zwei Jahre bleibt er dort. Erst danach siedelte er nach Weimar, während Goethe noch in Italien weilte, aber er erhielt Hilfe von Herder und Wieland. In Weimar traf Schiller am 21. Juni 1787 ein, er kannte dort nur den Herzog, der als Offizier in den Niederlanden weilte, und Charlotte von Kalb, die ihm in Mannheim nahe war und die zu dieser Zeit in Weimar wohnte und ihn dort empfing. Obwohl sie noch nicht befreundet waren, initiierte Goethe, der Schiller zu dieser Zeit mehr als Historiker und weniger als Dichter achtete, zum Jahreswechsel 1788/89 Schillers Berufung auf ein Extraordinariat für Philosophie in Jena. Seine Antrittsvorlesung, später veröffentlicht unter dem Titel Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, hielt Schiller am 26. Mai 1789 vor etwa 500 Hörern. Herzog Georg von Meiningen verlieh am 2. Januar 1790 an Schiller den von ihm erbetenen Titel des Herzoglich Meininger Hofrates. Später wird Schiller die Nobilitierung als „von Schiller“ durch das Adelsdiplom vom 7. September 1802 erlangen. Wichtig war dies vor allem für seine Frau Charlotte, geborene von Lengefeld, die nun wieder zum Hof Zutritt hatte, auch den Kindern kamen entsprechende Privilegien zu. Schiller selbst, der als Hofrat nichts gewann, soll, wie er am 27. November 1802 an Cotta schreibt, „die Sache ziemlich gleichgültig“ gewesen sein (NA 31, 176). Insofern verwundert es nicht, dass die Nobilitierung durch die Schwester seiner Frau, Caroline von Wolzogen und einige weitere Damen der Weimarer Gesellschaft beim Herzog Carl August angeregt worden war. Schiller erreichte jedoch erst in der Anerkennung durch Goethe und mit der Zusammenarbeit beider den Gipfelpunkt seines Aufstiegs, sowohl was seinen künstlerischen als auch was seinen gesellschaftlichen Rang betraf. Wie hoch Schiller kurz vor seinem Tod eingeschätzt wurde, zeigt zum einen das Angebot des Berliner Hofes, nach Berlin zu ziehen und für den Hof zu arbeiten, selbstverständlich für ein höheres Gehalt, worauf Schiller verzichtete. Zum anderen sein Bild in der allgemeinen Öffentlichkeit, exemplarisch ist die oft erzählte Anekdote über seine Ankunft in Berlin: Bevor Schiller und seine Begleitung das Stadttor durchqueren durften, mussten sie im Wagen so lange warten, bis der Torwächter einige Gedichte Schillers auswendig vorgetragen hatte. Schiller und Goethe in Weimar Im Allgemeinen wird das Jahr 1794 als Beginn der Freundschaft und fruchtbaren Zusammenarbeit mit Goethe angesehen. Eigentlich trafen sich beide

Titel als Weimarerischer Rat

Extraordinariat in Jena

Hofrat und Nobilitierung

Zusammenarbeit mit Goethe Der berühmte Dichter

Idealist und Realist

29

30

III. Der Autor in seiner Zeit

Gemeinsame Lektüren und Pläne

Die Horen

Beginn der Freundschaft

Die Xenien

schon im September 1788, vermittelt durch Charlotte von Lengefeld, in Rudolstadt das erste Mal persönlich, wobei Schiller den Eindruck hatte, dass beider Vorstellungsarten wesentlich verschieden seien. Erst ein halbes Jahrzehnt später gelang es dem ,Idealisten‘ Schiller, ein tiefes und inhaltsreiches Gespräch mit dem ,Realisten‘ Goethe zu führen. Obwohl sie charakterlich auf den ersten Blick gar nicht so sehr zusammenpassten, war die erst spät im Leben Schillers stattfindende Begegnung und dann intensive Zusammenarbeit in Weimar, welche die letzten zehn Lebensjahre Schillers ausfüllte, bestimmend für das Bild, das man sich später von der Weimarer Zeit und dem Leben und Arbeiten der beiden Klassiker machte. Zusammen besprach man Lektüren und Projekte, etwa den Wallenstein oder Wilhelm Meisters Lehrjahre, plante die Theaterinszenierungen und die Arbeit an den Publikationen wie den Horen und den Propyläen. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Kommunikation zwischen Goethe und Schiller machten Briefe aus, von denen knapp über 1.000 bekannt sind, gerade wenn es darum ging, Ideen auszutauschen. Es gab auch Zeiten, in denen man sich beinahe täglich persönlich traf, Goethe erinnerte sich später, man habe sich „vom Jahre 1797 bis 1805 wöchentlich zwei- bis dreimal“ besucht. Der erste Brief von Schiller an Goethe datiert vom 13. Juni 1794, in dem er Goethe als Mitarbeiter für sein von Cotta verlegtes Projekt der Monatsschrift Die Horen gewinnen wollte, was ihm auch gelang, denn Goethe sagte schnell und ohne Umschweife zu. Leider deutete sich schon im ersten Jahr an, dass der Absatz der Horen nicht ganz so groß war, wie es sich Herausgeber und Verleger erhofften. Obwohl die Zeitschrift nur drei Jahre lang erschien, wurden Schiller und Goethe durch die Zusammenarbeit an den Horen zu den Freunden, welche die Weimarer Klassik begründeten und in Zukunft darstellten. Am 20. Juli 1794 kamen sie zu einer persönlichen Besprechung zusammen, um die Inhalte wie die Ästhetik der neuen Zeitung zu diskutieren. Schiller hörte einen Vortrag Goethes über Botanik vor der Jenaer Naturforschenden Gesellschaft, man erörterte sogleich, ob die Metamorphose der Pflanze eine Idee oder etwas Handfest-Konkretes wäre. Mit dem Beginn der Freundschaft beendete Schiller seine theoretische Phase und verließ die „philosophische Bude“. Die Zusammenarbeit mit Goethe führte ihn weg von der ästhetischen Theorie zur Dichtung, er fing wieder an, Gedichte zu verfassen, so 1795 das auf die Freundschaft anspielende Das Ideal und das Leben. Die gemeinsame Arbeit an den Xenien (von Ammon 2005; Schwarzbauer 1992) war so eng, dass heute schwer auseinanderzuhalten ist, welches Epigramm von wem stammt, obwohl beide Autoren durchaus einen unterschiedlichen Stil pflegten. Auch in der Arbeit am Wallenstein, die von Goethe gefordert und so gefördert wurde, informierte man sich gegenseitig, allein 100 Briefe gingen für dieses Projekt zwischen Schiller und Goethe hin und her. Nach dem Erfolg des Wallenstein verlegte sich Schiller in erster Linie auf das Dramatische. Mit der Beteiligung Goethes gelang es dem Herzog, Schiller von Jena nach Weimar zu locken. Goethe half sogar bei der Auswahl des neuen Domizils in der Windischengasse, von dem man 1802 in das Haus an der Weimarer Esplanade zog.

2. Die Entwicklungsphasen des Werks

Der Freund war nun auch der Theaterleiter, der Schiller mit Stücken beauftragte, Stoffe wie etwa den Tell lieferte, korrigierte, notfalls zur Eile antrieb und mit dem Rollenbesetzungen sowie dramatische Einrichtungen der Szene diskutiert werden konnten. Nach Schillers Tod wurde Goethe nicht müde, die außerordentliche Freundschaft zu betonen, die beide verband. Dennoch war ihm vor allem der junge Schiller zu Anfang nicht ganz geheuer. Am 18. Januar 1825 bemerkte Goethe Eckermann gegenüber, „Schillers Talent war recht fürs Theater geschaffen“, es wäre jedoch ungewöhnlich gewesen, dass ihm „noch von den Räubern her ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen wollte“. Letztlich wäre er ein „wunderlicher, großer Mensch“ gewesen. (Goethe 1999, 143)

Der Theaterleiter und sein Autor

2. Die Entwicklungsphasen des Werks Das Frühwerk bis zur Entlassung vom Theater 1785 Obwohl aus germanistischer Sicht gern der Buchmarkt in den Vordergrund gestellt wird, entwickelte sich das Werk von Friedrich Schiller entlang seinen Lebensstationen, die sich immer mehr oder weniger in der Nähe von wichtigen Theatern befanden. Von einigen Frühschriften und den Dissertationsschriften Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, Über die Freiheit und Moralität des Menschen und Über den Unterschied der entzündlichen und faulen Fieber abgesehen, arbeitete Schiller an seinem Theatertext Die Räuber, den er bereits vor dem Verfassen der akademischen Qualifikationsschriften in eine erste Form brachte. Er schrieb auch schon Gedichte, unter anderem die bekannt gewordenen Oden an Laura (1781). Die Räuber werden mit dem Sturm und Drang und damit mit der Opposition gegen Ideen der Aufklärung in Verbindung gebracht, vor allem in der Figur Karl spiegelt sich der auf das Ich bezogene Drang nach Freiheit und Größe, die Dramaturgie orientiert sich offensichtlich an Shakespeare. Aufgrund des breiten Erfolgs motivierte der Intendant des Mannheimer Theaters Dalberg Schiller dazu, den Stoff des Fieskos zu dramatisieren. Dem folgten bis zu seinem Tod meist mehr oder weniger Angebote und Anregungen, gewisse Stoffe für die Bühne zu schreiben. Bekannt geworden ist Schiller unzweifelhaft durch das Theater, obwohl er durchaus Ambitionen hatte, auch als Lyriker geachtet zu werden. Hierzu veröffentlichte er seine Anthologie auf das Jahr 1782, wobei er sich noch erkennbar an Schubart und Klopstock orientierte. Schillers zweites Stück ereilte das typische Schicksal des zweiten Werkes, der Fiesko war eine Enttäuschung und wurde in Mannheim bereits nach drei Aufführungen abgesetzt. Sein drittes Stück Kabale und Liebe, dezidiert in der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels geschrieben mit der Absicht, höchstes Mitleid zu erregen, wurde hingegen vom Publikum gut aufgenommen. Mitte der 1780er Jahre probierte Schiller dann Verschiedenes aus, er arbeitete am Don Karlos, schrieb Gedichte wie An die Freude (1786) und die Erzählung Verbrecher aus Infamie (1786), die später den Titel Der Verbrecher aus verlorener Ehre (1792) bekam. 1784 hielt er seinen berühmten, für die Kultur des Deutschen Theaters höchst wichtigen Vortrag Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet.

Dissertationen, frühe Gedichte und die ersten Dramen

31

32

III. Der Autor in seiner Zeit

Historische Schriften

Theoretische Phase

1785–1796 Mittlere Jahre und theoretische Periode Durch die Arbeit am Don Karlos kam Schiller immer mehr mit der Geschichte und der Geschichtsschreibung in Berührung, sodass sein Interesse hierfür immens wuchs. Insbesondere die hundert Jahre zwischen 1550 und 1650, die Zeit des Don Karlos, des Befreiungskampfes der Niederlande gegen die Spanier, der Maria Stuart und des Wallenstein, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des mit Shakespeares Stücken für Schiller relevanten Elisabethanischen Zeitalters waren sein Spezialgebiet. Im Vergleich mit Freunden, etwa mit Körner, sah sich der ausgebildete Mediziner Schiller im Hintertreffen, was sein historisches und philosophisches Wissen betraf. Dies motivierte ihn dazu, eine neue Richtung einzuschlagen. Er schrieb an Ludwig Ferdinand Huber, einen Leipziger Freund: „Mein Herz ist zusammengezogen, und die Lichter meiner Phantasie sind ausgelöscht. Sonderbar, fast jedes Erwachen und jedes Niederlegen nähert mich einer Revolution einem Entschluße um einen Schritt mehr, den ich beinahe als ausgemacht vorhersehe. Ich bedarf einer Krisis – die Natur bereitet eine Zerstörung, um neu zu gebären.“ (NA 24, 51) 1787 erschien dann das dramatische Gedicht Don Karlos. Zudem schrieb er in Weimar stetig an seiner historischen Abhandlung Abfall der Niederlande, die 1788 veröffentlicht wurde, sodass die Zeit zwischen 1787 und 1792 als die Periode seiner Geschichtsstudien betrachtet werden kann. 1788 wendete sich Schiller der Antike zu, er las unter anderem Goethes Iphigenie. Auch mit den Klassikern der griechischen Antike, unter anderem mit Homer, Sophokles und Euripides, beschäftigte er sich in dieser Zeit, die Kenntnisse flossen in sein Gedicht Die Götter Griechenlands (1788) ein. Um sein Einkommen aufzubessern, schrieb er von 1787 bis 1789, wenn auch widerwillig und letztlich das Unternehmen nicht zu Ende bringend, an dem Roman Der Geisterseher. 1789 trat er seine Universitätsstelle als unbesoldeter Professor an und ließ seine Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? noch im gleichen Jahr drucken. Die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges wurde als weitere bedeutende historische Schrift 1792 abgeschlossen. Bereits in seinem Gedicht Die Künstler wies Schiller darauf hin, dass sich die zeitgemäße Entfremdung in der Freiheit auf einer höheren Ebene wieder durch eine Steigerung des ästhetischen Sinns ausgleichen lasse. 1791 las Schiller intensiv Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft und die Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens von Karl Leonhard Reinhold, der in Jena lehrte und als Vorreiter des Idealismus sowie als Popularisator von Kant galt. Die Lektüre intensivierte sich 1792 und wurde durch das Studium von Kants Kritik der Urteilskraft ergänzt, sie ging u. a. auch in die Verfassung des Dialogs Kallias oder über die Schönheit ein, sodass erste Ergebnisse der Kantstudien der poetischen Arbeit Schillers direkt zugute kamen. Ab 1793 verfasste Schiller seine berühmten Briefe über die objektiven Gesetze der Schönheit, die er an den Herzog richtete. Sie wurden 1795 in der Zeitschrift Die Horen unter dem Titel Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen veröffentlicht. Die Horen waren eine literarische Monatszeitschrift, die ab 1795 von Cotta herausgegeben wurde, deren Reichweite aber schon im ersten Jahr nicht groß war und deren Erscheinen 1798 wieder eingestellt wurde. Die Theorie, die Schiller in

2. Die Entwicklungsphasen des Werks

den Briefen vorstellte, war als denkbare Alternative zur Entwicklung der Französischen Revolution gedacht, denn Schiller wollte am Ideal der Vernunft durchaus festhalten, zu diesem sollte der Mensch jedoch erst erzogen werden. 1793 erschienen auch die ästhetischen Abhandlungen Über Anmut und Würde und Über das Erhabene, 1795 dann Über das Naive. 1796 bis zu Schillers Tod 1805 1796 schrieben Goethe und Schiller ihre bekannten Epigramme, die Xenien, die sie im von Schiller herausgegebenen Musenalmanach veröffentlichten. Währenddessen arbeitete Schiller weiter an seinem Wallenstein. Im Jahr 1797, das man heute als sein „Balladenjahr“ bezeichnet, erschienen im Musenalmanach seine berühmten Balladen Der Taucher, Der Ring des Polykrates und Die Kraniche des Ibykus, begleitet von der theoretischen Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung. 1798 wurde mit dem Prolog Wallensteins Lager das Weimarer Theater eröffnet. Kurz darauf erschienen Die Piccolomini und Wallensteins Tod, danach wollte sich Schiller, wie er 1799 an Körner berichtete, „für die nächsten 6 Jahre ganz ausschließend an das dramatische halten“ (NA 30, 80). Von den Romantikern belächelt, konnte man um 1800 das Lied von der Glocke lesen. Der Jenaer Kreis um Schlegel kritisierte zudem, wie auch Herder und Wieland, das Stück mit dem größten inhaltlichen Bezug zur Shakespeare-Zeit, Maria Stuart. Überhaupt war Schiller nun, was die Dramatik betraf, höchst produktiv; 1801 stellte er Die Jungfrau von Orleans fertig, 1802 Die Braut von Messina. Bis 1804 arbeitete er noch an seinem höchst erfolgreichen Wilhelm Tell, dessen Idee und Anregung von Goethe ausgingen. Das Trauerspiel Demetrius konnte Schiller nicht mehr vollenden.

Zusammenarbeit mit Goethe, Balladenjahr, späte Dramen

33

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks 1. Ästhetik und Poetik Theoretische Schriften, Kommentare, Selbstrezensionen

Poetik und Schriften zum Theater

Psychologische und anthropologische Perspektive

Theater als „moralische Anstalt“

Schiller formulierte seine Ansichten über Ästhetik und Poetik vor allem in seinen zahlreichen theoretischen Schriften, aber auch in seinen Kommentaren und Selbstrezensionen zu seinen eigenen Werken sowie in Briefen an verschiedene Empfänger. Im Folgenden soll es insbesondere um Ueber die tragische Kunst (1791), Ueber das Pathetische (1793), Ueber Anmuth und Würde (1793), Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) und Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795) gehen, wobei die Vielzahl an anderen ästhetischen wie poetischen Schriften berücksichtigt wird. Zweifelsohne bestehen Differenzen zwischen dem theoretischen Anspruch und dem tatsächlichen Ausdruck in Schillers Werk, vor allem zwischen den verschiedenen zeitlichen Entwicklungsphasen des Autors, die sich in seinem Werk abbilden. Schillers frühe Überlegungen waren noch stark von seiner philosophischen und naturwissenschaftlichen Ausbildung bestimmt. Er war bemüht, seinen Werken theoretische Reflexionen beizugeben, etwa in der Selbstrezension zu Die Räuber, den Vorreden zu Die Räuber, Fiesko und Don Karlos und in den Briefen über Don Karlos. In diesen bietet er eine oft erstaunlich offene Poetik, vornehmlich was die Figurenzeichnung, die Handlungsentwicklung und ganz besonders die intendierte Wirkung auf das Publikum betrifft. Auffällig ist seine psychologische und anthropologische Argumentationslinie, denn Schiller verfolgt ein pragmatisches, am Erfolg orientiertes Programm. Es findet seine theoretische Vertiefung in seinen beiden Beiträgen zur dramatischen Kunst, in Ueber das gegenwärtige teutsche Theater (1782) und in der bis heute einflussreichen Rede Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784). Diese Schriften legitimierten den Sinn und Zweck des Theaters und wandten sich hierbei insbesondere gegen die Verdächtigungen der Unmoral und der Unnützlichkeit, die das populäre Medium schon seit seinen Anfängen begleiteten und die in der Aufklärung an Intensität zunahmen. Die wirkungsvollste Kritik formulierte Jean-Jacques Rousseau, vor allem in seinem Brief an d’Alembert über die Schauspiele (1758). Gegen diesen Vorwurf, der nicht nur vom einflussreichen französischen Philosophen kam, sondern dem Theater als beliebtem Medium der Aufklärung und des aufsteigenden Bürgertums schon aufgrund seiner Gegenwartsgebundenheit und damit potenziellen Unkontrollierbarkeit anhaftete, machte Schiller geltend, dass das Theater als moralische wie auch als öffentliche Anstalt ein weitgehend unbeeinflussbarer Spiegel des menschlichen Lebens sein solle. Auf der Bühne wären eben nicht allein unterhaltende Fiktionen oder unrealistische Handlungen und nur der Sensation dienende Figuren

1. Ästhetik und Poetik

oder gar Typen zu sehen. Vielmehr sollten im Theater in erster Linie „Menschen mit dem Menschen bekannt“ gemacht werden, indem man diese auf der Bühne in typischen „Gemählden“ ohne Maske, Schminke oder sonstige, der alten Zeit und dem Adel zugehörigen, verbergenden Oberflächen, aber mitsamt ihren Lastern und Tugenden sehen könne (NA 20, 97). Damit kamen die Oper als Vergnügen des Adels auf der einen und das reine, oft ärmliche Unterhaltungstheater der unteren Schichten mitsamt seinen dem Erfolg des Augenblicks geschuldeten Improvisationen auf der anderen Seite als Medium des sich emanzipierenden Bürgertums nicht infrage. Idealerweise würde der Zuschauer im Theater Menschenkenntnis erwerben, die über die oberflächliche Deutung des Anderen als Zeichenträger hinausgeht. Das Theater führe in die Kunst der Charakterdeutung ein, man bekäme einen unfehlbaren „Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele“ (NA 20, 95). Das gelte jedoch nicht nur für den Charakter des Anderen, sondern auch für die eigene Haltung und den richtigen Weg im bürgerlichen Leben. Der Zuschauer könne, so Schiller, praktische Weisheit im Sinn einer Moral einüben. Zudem gewöhne sich der Zuschauer daran, mit den im Leben unausbleiblichen Verhängnissen, Niederlagen und Leiden umzugehen, er würde stoischer, behielte eher Mut, Fassung, Herz und Klugheit. Er entwickle eine neue, ihn als Menschen und Persönlichkeit im Ganzen auf eine höhere Ebene hebende Einstellung zur Welt. Sie spielt in Schillers späterer Vorstellung des Erhabenen eine wichtige Rolle. Die Gerichtsbarkeit der Bühne, die in seiner Ballade Die Kraniche des Ibykus zum zentralen Thema werden wird, beruht auf der medialen Spezifizität des Theaters, zum einen mit einem analytischen Blick die Seele des dargestellten Menschen zu erfassen, und zum anderen über die Einfühlung, Empathie und Identifikation weit mehr als jedes weltliche Gesetz, dem es an Menschlichkeit überlegen ist, auf die Zuschauer zu wirken. Das Publikum lernt somit zugleich den Menschen kennen, die Tugend lieben und das Laster hassen. Die Schaubühne nimmt für Schiller demnach ihren Platz gleichberechtigt neben der Religion und dem Recht ein. Von nicht zu überschätzendem Einfluss war Schillers im März 1791 begonnene, jahrelange Kant-Lektüre, der ab dem Frühjahr 1793 eine intensive Auseinandersetzung mit dessen Ästhetik folgte. Goethe zufolge rückt die Kant’sche Philosophie das Subjekt generell zu sehr ins Zentrum, indem „sie es einzuengen scheint“. Dennoch oder gerade deshalb habe Schiller die Kant’schen Schriften mit „Freude in sich aufgenommen“, sie entwickelten das „Außerordentliche“, das die Natur „in sein Wesen gelegt“. Überhaupt blieb Schiller für seinen Dichterfreund im „höchsten Gefühl“ der „Freiheit und Selbstbestimmung“ sehr undankbar gegen die „große Mutter“ der Natur, die Schiller doch mit außerordentlichen Begabungen ausstattete (Goethe 1971, 153). Der Königsberger Philosoph, der um 1800 als veritabler Modephilosoph galt, legte das Fundament zu Schillers Überlegungen zur Tragödie. Nach sorgfältigen Studien der Kant’schen Texte, vor allem der Kritik der Urteilskraft, setzte sich Schiller jedoch selbstbewusst von diesem ab und entwickelte dessen Ansätze an vielen Stellen entscheidend weiter. Schiller müsse daher, so Hegel, hoch angerechnet werden, Kants Subjektivität und Abstraktion des Denkens überwunden und versucht zu haben, über dessen Philoso-

Menschenkenntnis im Theater erwerben

Stoizismus einüben

Gerichtsbarkeit der Bühne

Der starke Einfluss Kants und Goethes Kritik

Weiterentwicklung der Kant’schen Ästhetik

35

36

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Theorie des Erhabenen

Leiden und Mitleiden im Theater

Ästhetik und ästhetische Beurteilung

Menschliche Freiheit im Ästhetischen

phie hinausgehend, die „Einheit und Versöhnung denkend als das Wahre zu fassen und künstlerisch zu verwirklichen“. Dabei hätte Schiller als das Wesen der Kunst die Einheit des Allgemeinen und Besonderen, der Freiheit und Notwendigkeit sowie der Geistigkeit und des Natürlichen erfasst und damit die Einheit „als Idee selbst“ zum Prinzip seiner Erkenntnis und des Daseins insgesamt befördert (Hegel 1965, 69). Wichtig wird für Schiller vornehmlich Kants Theorie des Erhabenen. Die Macht des Sittengesetzes solle sich daran zeigen, dass der Mensch seiner keineswegs immer freundlichen Umwelt, dem nicht generell vernünftigen Diesseits und der nicht durchweg friedlichen Natur das „höchste Bewußtseyn“ seiner „moralischen Natur“ entgegensetze. Dieses könne gar oft nur in einem „gewaltsamen Zustand“ und „im Kampfe“ aufrechterhalten werden. Überhaupt dürfe man nicht verschweigen, dass im Leben das „höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz“ begleitet sei (NA 20, 139 f.). Das besondere Vergnügen im Theater stelle sich dann ein, wenn die Zuschauer, die sich in die dargestellten Menschen und in die Handlung auf der Bühne einfühlen, besonders herausgefordert und betroffen werden; wenn infolge dessen das Leiden des Helden, mit welchem der Zuschauer fühlt, und zugleich das dem Subjekt eigene moralische Bewusstsein in der Überwindung des Leidens groß sind. Die Tragödie habe dementsprechend durch den Schmerz zu ergötzen, denn sie beweist im Umkehrschluss die moralische Größe des Individuums und letztlich die Außerordentlichkeit des Menschen als Gattungswesen (NA 20, 140 f.). Nun muss zwischen der Ästhetik der Lehre von der Schönheit und der sinnlichen Wahrnehmung sowie der Poetik als der Lehre von der Dichtkunst unterschieden werden. Der Inhalt der Ästhetik, ihr Wert und Nutzen besteht für Schiller darin, dass sie die Natur des menschlichen Vermögens untersucht, das in der Beurteilung des Schönen wirksam ist. Die Aufgabe der Ästhetik sei es, die Grenzen des Geschmacks „genau und richtig zu zeichnen“. Keineswegs stehe das Vermögen im Vordergrund, Künstler zu lehren, wie man Kunst produziert, weit mehr gehe es um die Fähigkeit, Kunst zu beurteilen. Die Ästhetik könne keine „objektive Geschmacksregel“ vorgeben, sondern nur ein „empirisches Kriterium“ des Schönen vermitteln, indem der Mensch das, worin „alle Zeitalter übereingekommen sind“, zu Rate zieht und genau betrachtet. Die ästhetische Beurteilung nehme keine Rücksicht auf objektive Zweckmäßigkeit oder Regelmäßigkeit, sie interessiere sich allein für die ästhetische Erscheinung. Folglich könne so etwas wie „ein Zweck und eine Regel“ niemals erscheinen. Kants Menschenbild beinhaltet die Fähigkeit der Gattung, ohne Regel und Zweck urteilen zu können. Für ihn ist im Ästhetischen die Freiheit des Menschen am Werk, infolgedessen lässt gerade das ästhetische Urteil den Menschen frei und erhebt ihn über die allgemeine Natur, weil dieser sich bereits durch das „bloße Vermögen, absolut zu wollen, schon durch die bloße Anlage zur Moralität gegen die Sinnlichkeit in augenblicklichem Vorteil“ befindet. Allein durch die menschliche Potenzialität, sich „vom Zwange der Natur loszusagen“ (NA 20, 260), werde dem Freiheitsbedürfnis des Menschen Rechnung getragen. Interessant ist, dass Schiller mit seinem Begriff der menschlichen Freiheit weitestgehend im Rahmen der Tradition der christlichen Theologie bleibt.

1. Ästhetik und Poetik

Eine ähnliche potenzielle Souveränität des menschlichen Geistes und seiner Moralität besteht für die Einrichtung der Dramaturgie. Wenn sie ihren Stoff der Vergangenheit entnimmt, erfüllt sie die Funktion der Erinnerung. Schiller rückt das Poetische im Vergleich zum Historischen als Faktisches in den Vordergrund, so wie Aristoteles in seiner Poetik die Tragödie über die Geschichtsschreibung gestellt hat. Nicht die historische, sondern die poetische Wahrheit ist es, „auf welche alle ästhetische Wirkung sich gründet“ (NA 20, 218). Die Dichtkunst mache das Vergangene sinnlich gegenwärtig, daher zwinge sie auch den epischen Dichter, das Geschehene zu vergegenwärtigen, nur dürfe der „Charakter des Vergangenseins“ dabei keineswegs „verwischt“ werden. Für Schiller lässt die Dichtkunst alles „Gegenwärtige vergangen“ erscheinen, zugleich rückt sie „alles Nahe“ durch „Idealität“ in die Ferne. Die individuell auf den Menschen zukommende Wirklichkeit soll, wie er am 26. Dezember 1797 an Goethe schrieb, von ihm entfernt gehalten werden, um dem „Gemüth eine poetische Freiheit gegen den Stoff zu verschaffen“ (NA 29, 177). Die Distanzierung durch Idealität trägt noch Kants Ideen in sich und beeinflusst entscheidend die Form von Schillers Werk. Sie begründet nicht nur seine in den historischen, sondern auch in den politischen Raum erweiterte Ästhetik. Nach seinem Verständnis wäre das Ästhetische in dem Fall „Ernst und Spiel zugleich, wobei der Ernst im Gehalte und das Spiel in der Form gegründet ist“, so in einem Brief vom 17. August 1797 an Goethe (NA 29, 119). In der Form kommt dementsprechend zunehmend das rein Menschliche zum Ausdruck. Demnach leistet etwa der Rhythmus als Form bei einem dramatischen Text eine ästhetisch ansprechende Vereinheitlichung, indem er alle Teile des Dramas – so die Figuren, Charaktere und Situationen – nach „einem Gesetz behandelt“ und sie, „trotz ihres inneren Unterschiedes, in einer Form ausführt“. Der Rhythmus zwingt sowohl den Dichter auf der Seite der Produktion wie auch den Leser bzw. Zuschauer auf der Seite der Rezeption dazu, von allem „noch so Charakteristisch-Verschiedenen“ etwas „Allgemeines, rein Menschliches zu verlangen“. Für Schiller soll sich in dem „Geschlechtsbegriff des Poetischen“ alles vereinigen, hierfür eignet sich der Rhythmus sowohl zum „Repräsentanten“ wie auch zum „Werkzeug“, da er alles „unter seinem Gesetze“ begreift (NA 29, 160). Schiller denkt weit in die Zukunft der Kunst hinein. Nicht von ungefähr erkennt man Strukturen der Ästhetik der Avantgarde, wenn Schiller postuliert, der Rhythmus als Form bilde die „Atmosphäre für die poetische Schöpfung“. Das „Gröbere“ bliebe dabei außen vor, es fände so etwas wie eine Veredelung statt, denn allein das „Geistige“ könne von diesem „dünnen Element“ getragen werden (An Goethe, Jena, 24. November 1797) (NA 29, 160 f.). Diese Freiheit zur menschlichen Formgebung als anthropologische Konstante kreiert dann die Verbindung zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen. In seinem Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) bezeichnet es Schiller als die Aufgabe des Dichters, das Ideale zu individualisieren und das Individuelle zu idealisieren (NA 20, 497 ff.). Im Akt des ästhetischen Urteils wie auch der Produktion als Formgebung scheint die anthropologische Bedingung der Freiheit des Menschen auf.

Poetik und Dramaturgie

Idealität und Dichtkunst

Form und Rhythmus

37

38

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks Schönheit in der Regelmäßigkeit

Idealismus und Platonismus

Der Einfluss von Aristoteles’ Poetik

Idee und Form der Tragödie bei Aristoteles

Wie verhält es sich hierbei mit dem Objekt, dessen Schönheit beurteilt werden soll? Schiller geht diesbezüglich davon aus, dass die „Beobachtung der Regelmäßigkeit nicht allen Objekten natürlich“ sei. Bei denjenigen, die nicht oder kaum regelmäßig seien, wäre die „Naturfreiheit“ gehemmt. Regelmäßigkeit kann für Schiller demnach nicht per se als allgemeiner Grundbegriff der Schönheit angesehenen werden, selbstverständlich jedoch die Freiheit, verstanden als die „durch die Natur eines Dinges selbstbestimmte Beschaffenheit“ (NA 20, 494). Obwohl der Aspekt der Freiheit im Mittelpunkt seiner Ästhetik und Poetik steht, muss Käte Hamburgers These ernst genommen werden, dass die abendländische Tradition des Platonismus, also eines objektiven Idealismus, bei Schiller niemals ganz vom kritischen subjektiven Idealismus Kants verdrängt wurde (Hamburger 1960). Neben der Welt der sinnlich erfahrbaren Dinge existiert folglich eine andere, mehr oder weniger jenseitige Welt, welche die Erfahrung übersteigt und allein dem vernünftigen Denken zugänglich ist. Nur die vernünftig erkennbare Welt, das Reich der Ideen, ist die höhere, ,wahre‘ Wirklichkeit. Platon ging davon aus, dass die Seele in der Welt über ein ursprüngliches Wissen vom Wahren, Guten und Schönen verfüge. Der Mensch sei allein durch dieses Wissen in der Lage, konkrete Verhältnisse, Objekte und Wirklichkeiten als wahr, gut und schön zu beurteilen. Die Seele entstamme dem Bereich, dem die Ideen angehörten, und sie verbinde sich in der Welt mit der materiellen Wirklichkeit. Schillers Überlegungen zur Ästhetik haben genuine Auswirkungen auf seine Vorstellungen von einer zeitgemäßen Poetik. In seinen Räubern interessiert er sich noch primär für das Charakteristische der vereinzelten Figur. Shakespeares Dramaturgie ist das erklärte Vorbild, der Gegner sind die Anhänger der Regelpoetik der französischen Klassik. Zu Beginn seiner Weimarer Periode, um 1795, argumentiert Schiller differenzierter: Aristoteles werde zwar kaum mehr gelesen, sein Einfluss auf die Wissenschaft und folglich sein Ruhm wären dennoch ewig, sogar dann, wenn man seinen Namen vergessen würde. Man könne, trotz aller Kritik, Aristoteles’ Poetik, von der wir heute annehmen, dass sie eine Vorlesungsmitschrift und weniger ein ausgefeiltes, durchgehend gut begründetes, zur Veröffentlichung freigegebenes Werk ist, durchaus mit Gewinn rezipieren. Zwar werde man, wenn „man eine Philosophie über die Dichtkunst, so wie sie jetzt einem neuern Ästhetiker mit Recht zugemutet werden kann“, bei Aristoteles sucht, enttäuscht werden. Auch werde man sich über Aristoteles’ „rhapsodistische Manier“ und über die „seltsame DurcheinanderWerfung der allgemeinen und der allerpartikularsten Regeln, der logischen, prosodischen, rhetorischen und poetischen Sätze“ amüsieren (NA 29, 73). Der Vorzug der Poetik sei jedoch, wie Schiller am 5. Mai 1797 an Goethe schrieb, dass Aristoteles mutmaßlich noch alle oder doch viele der Tragödien der klassischen Zeit, von denen heute die meisten als verloren gelten müssen, im Original lesen konnte. Insofern könne man „bei dieser Gelegenheit alle Elemente, aus welchem ein Dichterwerk zusammengesetzt wird“, sehr gut rekapitulieren (NA 29, 73). Aristoteles hatte also einen direkten Zugang zur Tragödie, der auf „empirischen Gründen“ beruhe, das gäbe seinem Urteil eine Basis, an der gemessen neuere Poetiken deutlich weniger legitimiert wären. Infolgedessen gehe Aristoteles beinahe nirgends „von dem Be-

1. Ästhetik und Poetik

griff, immer nur von dem Faktum der Kunst und des Dichters und der Repräsentation“ aus (NA 29, 73). Seine Poetik ist weniger normativ und mehr deskriptiv, als in der Rezeptionsgeschichte angenommen wurde. Immerhin wäre Aristoteles in der Lage gewesen, seine Urteile generell als echte Kunstgesetze zu formulieren. Spannend wird es, wenn Schiller in Aristoteles den Platoniker hineinliest. Man hätte diese Urteile als echte Kunstgesetze dem „glücklichen Zufall zu danken“, dass es „damals Kunstwerke gab, die durch das Factum eine Idee realisierten oder ihre Gattung in einem individuellen Falle vorstellig machten“ (NA 29, 73). Wenn man die Tradition der abendländischen Dramatik weiterverfolge, dann wäre jedoch Shakespeare und keineswegs die französische Tragödie der legitime Erbe der Strukturvorgaben der antiken Tragödie: Shakespeare, so viel er gegen Aristoteles auch „wirklich sündigt“, wäre wohl weit besser mit dem griechischen Philosophen „ausgekommen seyn als die ganze französische Tragödie“ (NA 29, 72). Vor allem mit der immer stärkeren Betonung der (autonomen) Form in seiner klassischen Zeit wurde für Schiller relevant, dass Aristoteles in der Tragödie das Hauptgewicht auf die Verknüpfung der Begebenheiten, also auf die kausale Handlung legt und dezidiert nicht auf die Figuren und deren Charaktere. Schillers eigene Forderung nach einer Distanz vom HistorischFaktischen sah er bereits in der Poetik vorformuliert. Der Dichter freut sich über den Verstandesmenschen, der Poesie und Geschichte miteinander vergleicht und „jener eine größere Wahrheit als dieser zugesteht“ (NA 29, 74). Die Freiheit zur Formgebung verbindet dementsprechend den Menschen der Antike mit dem der Gegenwart Schillers, wobei bemerkenswert ist, wie der Dichter in seiner Interpretation von Aristoteles’ Poetik hier nicht nur annähernd 2.000 Jahre abendländische Kulturgeschichte überbrückt, sondern zugleich das Empirische ins Platonische transponiert. Ueber das Pathetische (1793) Zentral für Schillers Ästhetik ist das Pathetische, das er 1793 in den Mittelpunkt einer eigenen Abhandlung stellte. Für den Dichter ist die Darstellung des Leidens als reines Leiden in keinem Fall Zweck, sondern vielmehr Mittel der Kunst. Es gehe somit nicht um das Leiden an sich, sondern um die Darstellung des „Uebersinnlichen“. Die tragische Kunst bewerkstelligt dies, indem sie dem Zuschauer „die moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustand des Affekts“ versinnlicht. Es sei die Aufgabe der Dramaturgie, den Widerstand gegen die Affekte, gegen die „Gewalt der Gefühle“, in Szene zu setzen. Denn gerade dieser performative Widerstand mache das freie Prinzip im Menschen erst wirklich sichtbar (NA 20, 196). Der Widerstand wird umso deutlicher, je stärker der Angriff ist. Soll sich die menschliche Intelligenz als eine „von der Natur unabhängige Kraft“ erweisen, so müsse die Natur von den Eindrücken und Gewalten der Umwelt bis zu den menschlichen Trieben „ihre ganze Macht erst vor unsern Augen“ bewiesen haben (NA 20, 196). Die Figur muss stellvertretend für den Menschen, konkret für den Zuschauer, als „Sinnenwesen“ tief und heftig leiden. Auf der Bühne muss Pathos zu sehen sein, damit das „Vernunftwesen“ im inneren Kommunikationssystem des Bühnengeschehens wie auch im Zuschauerraum „seine Unabhängigkeit kund thun und sich handelnd darstellen könne“ (NA 20, 196). Eine Inszenierung der reinen Passion, sowohl der „wollüstigen“ als

Die Freiheit der dramatischen Formgebung

Pathos und Passion

Leiden und Freiheit im Widerstand

39

40

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Abgrenzung des Menschen vom Tier

Darstellungen des Leidens als Bühnenpraxis

Selbstständiger Geist im Leiden

auch „peinlichen“, ohne Darstellung der „übersinnlichen Widerspiegelungskraft“, wäre „gemein“. Erst die Freiheit des Menschen zum Widerstehen und Aushalten wie auch deren Performanz in der Darstellung wäre „edel“. Die Tradition des Christentums und speziell dessen Anleihen in der Philosophie der Stoiker in der Vorstellungswelt des Dichters ist offensichtlich. „Gemein“ und „edel“ sind für Schiller diejenigen Begriffe, die überall dort, wo sie im Dramatischen angewendet werden, eine Beziehung auf den Anteil oder Nichtanteil der „übersinnlichen Natur des Menschen“ an einer dramatischen Handlung offenlegen. Nichts sei edel, als was „aus der Vernunft quillt“, und alles sei gemein, was die „Sinnlichkeit für sich hervorbringt“ (NA 20, 201). In dieser Begriffsdefinition ist eine anthropologische Abgrenzung des Menschen vom Tier mit angesprochen. Je entscheidender und gewaltsamer sich der „Affekt in dem Gebiet der Tierheit“ äußert, ohne zugleich „im Gebiet der Menschheit dieselbe Macht“ behaupten zu können, umso mehr zeichnet sich der Mensch vor dem Hintergrund der Natur ab, desto „glorreicher offenbart sich die moralische Selbstständigkeit des Menschen“ und desto „pathetischer ist die Darstellung und desto erhabener das Pathos“ (NA 20, 205). Damit korreliert Schiller Moral, Freiheit, Pathos und das Erhabene positiv und erstellt ein Koordinatensystem, mithilfe dessen der Mensch fast graduell differenziert bestimmt werden kann. Hierbei wird unter dem „Gebiet der Thierheit“ das gesamte System derjenigen Erscheinungen am Menschen verstanden, die unter der „blinden Gewalt des Naturtriebes“ stehen und „ohne Voraussetzung einer Freyheit des Willens“ durchweg erklärbar sind. Unter das „Gebiet der Menschheit“ subsummiert der Dichter diejenigen, die ihre „Gesetze von der Freyheit empfangen“ (NA 20, 205). Für Schiller gilt für die Bühnenpraxis, dass es keineswegs auf die reine Darstellung des situativen Leidens ankommt. Eine klagende und weinende Figur wird nur wenig rühren, denn „Klagen und Tränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Tierheit auf“. Viel stärker würde der Zuschauer hingegen ergriffen, wenn er den „verbissene[n] stumme[n] Schmerz“ einer Figur sieht, die „bei der Natur keine Hülfe“ findet, sondern zu etwas, das „über alle Natur hinausliegt“, ihre Zuflucht nehmen müsse. Genau in dieser „Hinweisung auf das Uebersinnliche“ – man kann es auch das ganz Andere nennen – liegen das Pathos und die „tragische Kraft“ (NA 20, 205). In diesem Sinn kämpfe der Mensch gegen die Umwelt, die Existenz oder konkret gegen das Objekt, welches „ihn leiden macht“, mithilfe seines „Verstandes und seiner Muskelkräfte“. Während die Korporalmotorik und die Arbeit des Körpers – auch hier wieder aus einer theologischen Perspektive gedeutet – gerade nach der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies die Überlebensbedingungen der menschlichen, leidvollen Existenz sind, besitzt der Mensch gegen die individuelle Erfahrung des Leidens selbst keine anderen Waffen als die Ideen der Vernunft. Und genau diese „Ideen der Vernunft“, die man eigentlich nur negativ und indirekt inszenieren oder spielen kann, müssen in der „Darstellung vorkommen“ oder durch das Bühnenspiel „erweckt werden, wo Pathos statt finden soll“ (NA 20, 202). Schiller fordert dementsprechend, dass bei allem Pathos der Sinn durch Leiden und der Geist durch Freiheit interessiert sein müssen. Fehlt es in einer pathetischen Darstellung an einem Ausdruck der leidenden Natur, dann besäße diese keinerlei ästhetische Kraft, die Herzen der Zuschauer

1. Ästhetik und Poetik

würden nicht angesprochen. Würde man bei ihr den „Ausdruck der ethischen Anlage“ vermissen, so könne sie bei aller „sinnlichen Kraft“ nicht pathetisch sein und würde unvermeidlich die Empfindung der Rezipienten empören. So gilt für die Anlage jeder Figur in einer tragischen Handlung, dass aus aller „Freyheit des Gemüths“ stets der leidende Mensch, aus „allem Leiden der Menschheit“ durchgehend der „selbstständige oder der Selbstständigkeit fähige Geist“ durchscheinen solle (NA 20, 211). Daher könne sich, was für die Ästhetik der Präsenz der Bühne keineswegs einfach ist, die Selbstständigkeit des Geistes im Zustand des Leidens auf zweierlei Art und Weise zeigen. Dies schlägt sich auch in zwei verschiedenen Figurenkonzeptionen in der dramatischen Form nieder: zum einen negativ, wenn der „ethische Mensch“ von dem „physischen Menschen“ das „Gesetz nicht empfängt“ und dem „Zustand keine Kausalität für die Gesinnung“ gestattet wird. In diesem Fall spräche man vom Erhabenen der Fassung, die Figur zeige sich im Extremfall als Stoiker, als vom Schicksal unabhängiger Charakter. Zum anderen positiv, wenn der „ethische Mensch“ dem „physischen Menschen“ das Gesetz gibt und die „Gesinnung für den Zustand Kausalität“ erhält (NA 20, 211). Dann präge sich das Erhabene der Handlung im Dramatischen aus. Das Leiden eines Menschen habe so auf seine moralische Integrität nicht nur keinerlei Einfluss, sondern sei umgekehrt das Werk seines moralischen Charakters. Das Erhabene der Handlung einer Figur könne auf zweierlei Weise gegeben sein: Zum einen mittelbar und nach dem Gesetz der Freiheit, wenn zum Beispiel jemand zur Erfüllung einer Pflicht das Leiden selbst wählt, zum anderen unmittelbar, wenn eine Figur eine übertretene Pflicht moralisch büßt. Wobei natürlich im Fall der freiwilligen Wahl des Leidens eine „moralisch große Person“ bzw. ein solcher Charakter sichtbar wird. Im anderen Fall der moralischen Buße reicht für die Figur die Bestimmung zu einem moralischen Charakter (NA 20, 212). Um die leidenden Figuren und das Erhabene der Handlung deutlich zu machen, käme es keineswegs, wie man etwa in den Stücken Maria Stuart oder Wallenstein beobachten kann, auf die historische Genauigkeit der Wiedergabe nach den Quellen an. In der Tat verlöre das „Wohlgefallen“ an idealischen Charakteren nichts aufgrund der Erinnerung, dass diese poetische Fiktionen sind. Denn letztlich sei es, wie oben bereits ausgeführt, die poetische und nicht die historische Wahrheit, auf welche sich für Schiller die gesamte ästhetische Wirkung gründet (NA 20, 218). Von Aristoteles’ Überlegungen leitet Schiller die Dignität poetischer Wahrheit her. Diese bilde sich nicht daraus, dass etwas „wirklich geschehen“ ist, sondern darin, dass es glaubwürdig, nachvollziehbar und kausal logisch „geschehen könnte“. Poetische Wahrheit entfalte sich infolgedessen aus der „innern Möglichkeit der Sache“, die ästhetische Kraft müsse bereits in der „vorgestellten Möglichkeit“ liegen. Das Poetische sei daher sogar bei wirklichen Ereignissen und in den Handlungen historischer Personen nicht deren faktische Existenz, sondern das „durch die Existenz kund gewordene Vermögen“ (NA 20, 218). In diesem Sinn übernimmt Schiller Aristoteles’ Entelechie-Gedanken. Gegen Ende seines Aufsatzes kommt Schiller darauf zu sprechen, dass die ästhetische Kraft, wodurch uns das Erhabene der Gesinnung und der Hand-

Erhabenes in der Figurenkonzeption

Das Erhabene der Handlung

Poetische über historische Wahrheit

Poetische Wahrheit und Entelechie

Einbildungskraft vor Vernunft

41

42

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Die Freiheit der konkreten Figur

Kants Warnung vor der Einbildungskraft

Das Erhabene und Schillers Menschenbild

Freiheit gegenüber der Natur

lung ergreift, keineswegs auf dem Interesse der Vernunft, dass „Recht gehandelt werde“, sondern auf dem „Interesse der Einbildungskraft“, dass „recht Handeln möglich“ sei, basiert (NA 20, 220). In der mittels der Einbildungskraft offen gehaltenen Möglichkeit liegt wiederum die menschliche Freiheit begründet. Diese Möglichkeit als erhöhte Potenzialität des Daseins, als Freiheit der Wahl, sich auch anders zu entscheiden, verdankt der Mensch seiner einzigartigen Einbildungskraft. Die Einbildungskraft ist eine grundlegende Eigenschaft für das Spiel des Menschen. Überhaupt sieht Schiller in jeder wirkungsvollen Äußerung von Freiheit und Willenskraft die Einbildungskraft am Werk, wo nur „irgend der Dichter diese antrifft“, dort habe er einen „zweckmäßigen Gegenstand für seine Darstellung“ zur Verfügung. Das kann durchaus ein Antagonist wie Franz Moor oder eine zumindest nicht eindeutig zu bewertende Figur wie Königin Elisabeth sein. Auch ein lasterhafter oder mit moralischen Fehlern behafteter Charakter beginnt den Dichter, Leser oder Zuschauer zu interessieren, sobald dieser Glück und Leben einsetzen muss, um „seinen schlimmen Willen durchzusetzen“. Denn im Zweifel kündigen Laster, die „von Willensstärke zeugen“, eine „größere Anlage zur wahrhaft moralischen Freyheit“ an als Tugenden. Sie zeugen von existenzieller Menschlichkeit, denn immerhin würde es den „consequenten Bösewicht“ nur einen „einzigen Sieg über sich selbst“ kosten, um seinen Charakter und sein Verhalten vom Bösen zum Guten zu wenden (NA 20, 220 f.). Diese stete Möglichkeit, sich auch anders entscheiden zu können, erzeugt eine dramatische Spannung und erhöht die Aufmerksamkeit für das Bühnengeschehen. Schiller geht, was die Freiheit der Einbildungskraft betrifft, weit über Kant hinaus, der ihr eher misstraute. Für den Königsberger Philosophen war der Bereich jenseits der Vernunft das stets offene und einladende Einfallstor für Aberglauben und Scharlatanerie. Eine große Einbildungskraft als Grundbedingung des Möglichen und der entsprechende Wille zur Durchsetzung des Denkbaren als reine Möglichkeit wären keine ungefährliche Mischung, man erinnere sich nur an den zeitgenössichen Mesmerismus, die Alchemie, die Gall’sche Schädelkunde und die Theosophie. Letztlich kommt es Schiller also auf das Erhabene an, wie er es in seiner 1793 erschienenen Abhandlung Vom Erhabenen (Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen) zum Ausdruck bringt. Für ihn ist dasjenige Objekt erhaben, bei dessen Vorstellung die sinnliche Natur des Menschen ihre Schranken, die vernünftige Natur des Menschen jedoch ihre „Ueberlegenheit, ihre Freyheit von Schranken“ fühlt. Erhaben nennt er dementsprechend dasjenige, gegen das Menschen „physisch den Kürzern ziehen“, während es ihnen zugleich gelingt, sich „moralisch, d. i. durch Ideen“, darüber zu erheben. Damit rekurriert Schiller auf ein dualistisches Menschenbild, denn als Sinnenwesen ist der Mensch abhängig, als Vernunftwesen jedoch frei (NA 20, 171). Umso mehr gilt dies für den Dichter selbst und das Ästhetische, dessen gewagter Einsatz in die Zukunft weist. Ueber Anmuth und Würde (1793) Vor dem Hintergrund seiner Vorstellungen zur Tragödie und zum Erhabenen sind Anmut und Würde für Schiller Erscheinungsformen der Freiheit des Menschen, oder, konkreter, der Freiheit gegenüber der Natur und den Trie-

1. Ästhetik und Poetik

ben, in denen sich die Natur in der Performanz der individuellen Handlung zum Ausdruck bringt. Auch diese Abhandlung ist das direkte Resultat der Ergebnisse aus dem Studium von Kants Schriften. Schiller beabsichtigte, Kants Überlegungen zur Schönheit aus dessen Kritik der Urteilskraft weiterzuentwickeln. Die rein logische Herleitung der Schönheit bei Kant konnte er gut nachvollziehen. Sie schien ihm notwendig, aber nicht ausreichend, um das Ästhetische in seiner unbestrittenen, aber weiterhin unverstandenen Wirkung erklären zu können. Für Kant ist das Schöne bekanntlich dasjenige, was ohne Zuhilfenahme von Begriffen als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird. Dabei wäre Schönheit als Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes anzunehmen, soweit diese ohne Vorstellung eines Zwecks am Gegenstand wahrgenommen werde. Schiller vermisste in dieser prägnanten Definition die entscheidende Dimension des Schönen, die für ihn eben nicht in der Zweckmäßigkeit aufging, sondern vielmehr auf die Vollkommenheit zielte. Bereits im ersten Kalliasbrief bemerkte Schiller, dass die Schönheit allein die „Form einer Form“ wäre. Dabei müsse dasjenige, was man den Stoff der schönen Form nennt, ein „geformter Stoff“ sein. Die Vollkommenheit wäre die Form eines Stoffes. Die Schönheit hingegen wäre die Form dieser Vollkommenheit (NA 26, 176). Kant und Schiller unterschieden sich darin, wie sie jeweils mit der Frage nach dem Verhältnis von Sinnlichkeit und Sittlichkeit umgingen. Während Kant annahm, dass das Schöne höchstens das Symbol des sittlich Guten sein könne, war für Schiller im Schönen das sittlich Gute enthalten. Bekannt ist seine These, dass Schönheit nichts anderes als die Freiheit in der Erscheinung wäre (NA 26, 183). Er differenziert dabei zwischen einer statischen und einer beweglichen Schönheit. Die statische wäre die von ihm sogenannte architektonische Schönheit des Menschen, die er eher als sinnlichen Ausdruck eines Vernunftsbegriffs (NA 20, 261) versteht. Sie könne einem menschlichen Körper von Natur aus gegeben sein. Hier bemüht Schiller den Vergleich mit dem Tier auf anthropologischer Basis. Auch die äußere Erscheinung des Tieres offenbare das Innere, es spräche aber „bloß die Natur, nie die Freyheit“. In der Gestalt und den architektonischen Zügen des Tieres kündige die Natur ihren Zweck an, während in den mimischen Zügen des Tieres das „erwachte oder gestillte Bedürfniß“ sichtbar werde. Die Individualität des tierischen Daseins wäre allein die besondere Vor- oder Darstellung eines allgemeinen Naturbegriffs (NA 20, 271 f.). Für den Menschen gelte weit mehr. Am Menschen ist die menschliche Bildung, die sich in der Kulturgeschichte als Entwicklungsgeschichte ausprägte, bemerkenswert. Hierbei wäre die Aufmerksamkeit auf diejenigen äußeren Erscheinungen des Menschen zu richten, die dem inneren menschlichen, moralischen Empfindungszustand entsprechen. Diese Beziehung zwischen äußerer Erscheinung und innerem Charakter ist ein Thema und Untersuchungsgebiet der Anthropologie, Physiognomik und Schauspieltheorie in dieser Zeit, in der auf den Bühnen der künstliche Schauspielstil des Barock immer mehr durch den natürlichen abgelöst wurde und in der Öffentlichkeit eine bürgerliche Natürlichkeit die als unnatürlich empfundenen Umgangsformen des Adels verdrängte.

Vollkommenheit als Form eines Stoffes

Das Verhältnis von Sinnlichkeit und Sittlichkeit

Statische und bewegliche Schönheit

Die Form des Tieres und des Menschen

43

44

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks Physiognomik und Pathognomik

Grazie als Freiheit in der Erscheinung

Würde als erhabene Gesinnung

Natürliche Anmut und Würde

Auf der Grundlage einer allgemeinen Physiognomik und Anthropologie differenziert Schiller zwischen der permanenten und der sich im individuellen Verhalten verändernden Gestalt. Die permanente Gestalt weise die „architektonischen Züge“ des Menschen auf, in denen „bloß die Natur, wie beym Thier und allen organischen Wesen, ihre Absicht“ vorstelle. Als Verhalten des Menschen ergäbe sich demgegenüber eine performative Gestalt, die Georg Christoph Lichtenberg als Teil der Pathognomik versteht. Sie setzt sich im Gegensatz zu der von Lavater vertretenen Physiognomik nicht mit den unveränderbaren, auf den Charakter des Individuums deutenden Formen des menschlichen Körpers auseinander. Von außen betrachtet könne man den Menschen vom Tier deutlich unterscheiden, denn bei dem Tier und der Pflanze gibt die Natur nicht bloß die Bestimmung an, sondern „führt sie auch allein aus“. Dem Menschen hingegen gibt die Natur zwar die Bestimmung vor, aber – und dies ist entscheidend – die Natur „überläßt ihm selbst die Erfüllung“ der Bestimmung. Und genau diese Freiheit oder auch, wenn man so will, der Zwang zur Erfüllung macht den Menschen zum Menschen (NA 20, 272). Damit vertritt Schiller eine deutlich andere Meinung als der Physiognomiker Lavater, der von einem kaum veränderbaren Charakter des Menschen ausgeht. Die bewegliche Schönheit ist demnach allein dem moralischen Menschen eigen. Sie ist als Freiheit in der Erscheinung diejenige, der man das Attribut der Anmut oder auch der Grazie zueignen kann. Die Person oder das „freye Principium im Menschen“ solle es als Aufgabe betrachten, das „Spiel der Erscheinungen zu bestimmen“ (NA 20, 263). Insofern ist wichtig, was unter „freyem Principium im Menschen“ verstanden wird. Erstmal darf nicht allein die Natur determinierend sein, zudem hat, was im Wort „bestimmen“ zum Ausdruck gebracht wird, ein dezidierter Wille vorhanden zu sein, der, und dies ist ausschlaggebend, eine moralische Grundlage haben muss. Dabei ist für Schiller die Anmut der Ausdruck einer schönen Seele, wobei in dieser „Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmoniren“ (NA 20, 288). Das Ästhetische stehe mit dem Ethischen in Einklang. Die Würde ist für Schiller der Ausdruck einer erhabenen Gesinnung (NA 20, 289). Die menschlichen Triebe, die dem Körper geschuldete Natur und das Sinnliche müssten dementsprechend gegenüber der Vernunft, der Sittlichkeit und dem moralischen Vermögen des Einzelnen zurückstehen. Letztlich läuft es auch bei Schiller auf die im Abendland bekannte Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft des Menschen hinaus. Erst sie garantiert Geistesfreiheit und Würde ist der entsprechende Ausdruck in der Erscheinung. Im idealen Fall sind für Schiller Anmut und Würde in einer Person vereint (NA 20, 300). Sie dürfen keineswegs, wie in den künstlichen öffentlichen Auftritten des Adels, nur gespielt oder vorgetäuscht werden. Zwar stünden Anmut und Würde in einem zu hohen Wert, um die Eitelkeit und Torheit vieler Zeitgenossen nicht zur Nachahmung anzuhalten. Aber man könne sie nur dann wirklich gut zum Ausdruck bringen, wenn man den Gesinnungen, deren Ausdruck sie sind, auch innerlich Raum gebe. Alles andere wäre nur oberflächlich und entbehre der inneren Wahrheit. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Schauspieltheorie kommt Schiller zum Ergebnis, dass eine solche oberflächliche Nachahmung von Anmut und Würde nur „Nachäf-

1. Ästhetik und Poetik

fung“ sei, sie würde sich als solche durch Übertreibung in der Performanz verraten und lächerlich oder wie eine Karikatur wirken. Man sähe statt Anmut Ziererei und statt Würde steife Feierlichkeit und Gravität (NA 20, 306 ff.). Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) Wenn man so etwas wie ein ästhetisches Hauptwerk von Schiller angeben müsste, dann käme nur Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen aus dem Jahr 1795 infrage. In dieser Schrift ging es um nichts weniger als um die Totalität des menschlichen Charakters. Dieser könne sich nur in einer Gemeinschaft der Einzelnen entfalten, die mit diesem Charakter auch harmoniere. Er könne allein bei dem „Volke“ gefunden werden, das „fähig und würdig“ sei, den „Staat der Noth mit dem Staat der Freyheit“ zu vertauschen (NA 20, 318). In dieser Gemeinschaft wäre jeder Charakter immer auch abhängig von der Totalität bzw. dem Niveau des Charakters des Anderen. Die ästhetische Erziehung des Menschen entwirft demnach zugleich eine gesellschaftliche Utopie, die ihren Fluchtpunkt im Subjekt hat, das wiederum die bestmögliche Ordnung der Gemeinschaft spiegelt. Die utopische Vorstellung sympathisiert mit den Ideen der Französischen Revolution, während sie zugleich deren historischen Verlauf, insbesondere die chaotischen und gewaltsamen Folgen, völlig ablehnt. Um die Pariser Fehlentwicklung zu vermeiden, müssten die Menschen bereits im Vorfeld als Personen auf das den revolutionären Ideen entsprechende Niveau gebracht werden. Sie müssten also als Charaktere überhaupt erst in der Lage sein, den tatsächlichen Ansprüchen und der hohen Moralität, welche die Ideen vorgeben, gerecht zu werden. Hierzu könne, und das ist das bemerkenswerte Hauptargument in Schillers Utopie, die Ästhetik die entscheidende Erziehungshilfe leisten. Es herrschte in den Nationen jedoch weiterhin auf dem untersten Niveau, also bei den Ärmeren und Ausgestoßenen, Verwilderung. Auf den höheren Stufen, etwa im Adel, im führenden Klerus und im gehobenen Bürgertum, registriere man darüber hinaus nichts als Erschlaffung. Beide „zwey Aeussersten des menschlichen Verfalls“ würden bedauerlicherweise die Gegenwart prägen (NA 20, 319). In den „niedern und zahlreichern Klassen“ bemerke man rohe und gesetzlose Triebe, die sich „nach aufgelöstem Band der bürgerlichen Ordnung“ entfesseln, um, wie man in Paris beobachten könne, mit höchster Aggression und Gewalt zu ihrer „thierischen Befriedigung“ zu streben. Die zivilisierten Klassen wären aber auch nicht besser, ganz im Gegenteil geben sie den „noch widrigern Anblick der Schlaffheit“ und einer „Depravation des Charakters“, die umso mehr empöre, weil die Kultur selbst ihre Ursache sei (NA 20, 319 f.). Die gegenwärtige Situation sei unerträglich, helfen könne allein eine ästhetische Erziehung, die sich am Vorbild der griechischen Antike orientiere. In ihr verbinde sich die Natur mit allen Reizen der Kunst und mit aller Würde der Weisheit (NA 20, 320 f.). An diesem Niveau gemessen, könne die Utopie nicht in unmittelbarer Zukunft verwirklicht werden. Die Aufgabe benötige wohl mehr als ein Jahrhundert der Anstrengung, denn der zeitgenössische durchschnittliche Charakter müsse sich erst von seiner tiefen Entwürdigung aufrichten, sich gänzlich der „blinden Gewalt der Natur“

Schillers wichtigstes ästhetisches Werk

Schillers gesellschaftliche Utopie

Die Ästhetik als Erziehungshilfe

Herrschaft der Triebe und Erschlaffung

45

46

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Eine Aufgabe für die Künstler

Stofftrieb und Formtrieb

Materie und Intelligenz

entziehen und zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückfinden (NA 20, 328 f.). Die Lösung dieser Aufgabe traute Schiller den Philosophen nicht mehr zu, eine theoretische, sich an der reinen Philosophie orientierende Kultur wäre nicht mehr fähig, die individuellen Charaktere zu veredeln. Hingegen hätten nun die Künstler die verantwortungsvolle Mission zu erfüllen, in der Gemeinschaft segensreich zu wirken, wenn es ihnen gelänge, sich von den alltäglichen niederen Trieben fernzuhalten. Wie schützt sich der Künstler vor den Verderbnissen seiner Zeit? Indem er unabhängig bleibt und aus dem Grunde des Möglichen mit dem Notwendigen das Ideal erzeuge. Dieses Ideal präge er „in Täuschung und Wahrheit“, in den Spielen seiner Einbildungskraft wie in den „Ernst seiner Thaten“ in allen sinnlichen und geistigen Formen aus (NA 20, 334). Auf der unumgänglichen Basis dieses Ideals gelte es nun, die Menschen ästhetisch zu erziehen. Hierbei müsse man beim Menschen von zwei Trieben ausgehen, das „Nothwendige in uns zur Wirklichkeit“ zu bringen und das „Wirkliche ausser uns dem Gesetz der Nothwendigkeit zu unterwerfen“ (NA 20, 344). Dies wären der Stofftrieb als sinnlicher Trieb sowie der Formtrieb als geistiger Trieb. Der Stofftrieb hat seinen Grund im physischen Dasein und in der sinnlichen Natur des Menschen. Er ist damit beschäftigt, den Menschen in die Schranken der Zeit zu setzen und zur Materie zu machen. Der Formtrieb hingegen hat seinen Ursprung im „absoluten Daseyn des Menschen“ bzw. in seiner vernünftigen Natur. Er will den Menschen in Freiheit führen sowie „Harmonie in die Verschiedenheit seines Erscheinens“ bringen (NA 20, 345). Hier scheint der Platonismus als objektiver Idealismus durch, gerade in der Dichotomie zwischen Zeit und Materie einerseits und Vernunft bzw. Absolutheit andererseits, obwohl sich Schiller vordergründig auf Kants subjektiven, kritischen Idealismus stützt. Im Diesseits bleibt der Mensch dem steten Wandel unterworfen, im Jenseits wird man seine wahren, unveränderlichen geistigen Züge erkennen. Der Mensch sei immer eine Person, die nicht ist, sondern „erst wird“, Schiller betont das Werden auf Kosten des Seins. Der Mensch ist also nicht selbstverständlich und voraussetzungslos eine Person, sondern eine Person, die sich „in einem bestimmten Zustand befindet“. Der Zustand des Menschen aber, sein bestimmtes Dasein, entsteht in der Zeit, heute würden wir sagen, in einem performativen Akt. Infolgedessen muss der Mensch einen Anfang und ein Ende setzen und eine Handlung konstruieren, obgleich die „reine Intelligenz“ in ihm ewig sei (NA 20, 342). Darauf aufbauend unterscheidet Schiller grundlegend: Nur indem der Mensch sich „verändert, e x i s t i e r t er“. Und allein indem er „unveränderlich bleibt, existiert e r“. Der Mensch, „vorgestellt in seiner Vollendung“, wäre demnach die „beharrliche Einheit, die in den Fluthen der Veränderung ewig dieselbe bleibt“ (NA 20, 343). Ausgehend von dieser generellen Bestimmung der Existenz des Menschen wäre die Aufgabe des Künstlers, der Materie der Existenz die Unveränderlichkeit der reinen Intelligenz entgegenzusetzen, sodass die Form den Stoff bewältigt. Das Geheimnis des wahren Künstlers besteht darin, dass er den Stoff durch die Form „vertilgt“. Stoff wird mit Materie, Sinnlichkeit und Realität im Diesseits assoziiert. Der Formtrieb erlaube es, dass sich das niemals wechselnde Ich in

1. Ästhetik und Poetik

der Veränderung seines diesseitigen, materiellen Zustandes als mit sich und in sich identisch zu identifizieren vermag. Nur aufgrund des Formtriebs könne man einen Gegenstand, welcher – allgemein ausgedrückt – Gestalt heißt, besitzen. Insofern ergäbe sich aus der Kombination von Stofftrieb und Formtrieb die „lebende Gestalt“, wobei die Kombination als Akt im Kontext des Ästhetischen als Spieltrieb bezeichnet wird (NA 20, 355). Daraus leitete Schiller dann seine berühmte anthropologische Bestimmung des Menschen ab: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Der ganze Mensch ist Resultat des Spiels, im Spiel erfährt der Mensch in der Anschauung der Schönheit eine vollständige Anschauung seiner Menschheit. Das utopische Ziel der ästhetischen Erziehung wäre auf allgemeiner Ebene der ästhetische Staat. Schiller zweifelte aber durchaus am schnellen Erfolg, ein „Staat des schönen Scheins“ existiere nicht wirklich oder nur „dem Bedürfnis“ nach „in jeder fein gestimmten Seele“ (NA 20, 412). In der Tradition von Augustinus’ Trennung zwischen weltlicher Herrschaft und Gottesstaat könne man den idealen ästhetischen Staat in der Tat „wie die reine Kirche“ sowie die „reine Republik“ allein in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln finden. Darin bestimmt bereits die eigene schöne Natur das individuelle Verhalten und der Mensch hat es in ihnen weder nötig, die Freiheit des Anderen zu kränken, um die eigene Freiheit zu behaupten, noch seine Würde zu vergessen, um auf seine Anmut aufmerksam zu machen (NA 20, 412). Bis zum Eintritt in die Idealität der Neuen Zeit, ein Geschichtsmodell, das nicht von ungefähr an die christliche Erwartung der Wiederkehr Christi erinnert, befinde sich der Mensch bestenfalls in einem Übergangszustand. Dieser wäre idealerweise ein freier, ästhetischer Zustand, in dem der Mensch nicht mehr der nur passiven, leidenden Bestimmung unterworfen ist, aber trotzdem noch nicht den Ansprüchen der reinen Selbsttätigkeit der Vernunft genügen kann. In diesem Übergangszustand, der sich auch als Vertreibung aus dem Paradies konstituiert und in dem der Mensch folglich zugleich leidend und tätig determiniert ist, ist das Spiel als utopiezeugende Kombination von Stoff- und Formtrieb möglich und erwünscht. Die Schönheit würde sich aus dem Sinnlichen, folglich der „Tierheit“ des Menschen, und zugleich dem Bereich der Ideen ausprägen, in der menschlichen Existenz herrsche der ästhetische Schein. Dieser bzw. die Form, der Geschmack und die Kunst dürfen dabei nicht mit moralischem Schein, also mit Heuchelei und Lüge, verwechselt werden. Der ästhetische Schein wäre der Garant eines die Idealität pflegenden „hortus conclusus“ mitten in dem „fruchtbaren Reich der Kräfte“ und mitten in dem „heiligen Reich der Gesetze“. Hier baue der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem „dritten fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins“ (NA 20, 410), worin er den Menschen befreit und die Hoffnung auf einen ästhetischen Staat der Zukunft trägt. Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795) Eine ganz persönliche Herausforderung war nach dem intensiven Studium Kants die Begegnung und Zusammenarbeit mit Goethe, der dem Solipsismus in der Konzentration auf das Subjekt kritisch gegenüberstand. Goethe plädierte für einen viel unmittelbareren Zugang zur Natur. Die anhaltenden,

Anthropologische Bestimmung des Menschen

Idealer ästhetischer Staat der Zukunft

Goethes Zugang zur Natur

47

48

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Moderne Spekulation und Subjektivierung

Naiver und sentimentalischer Dichter

Realisten und Idealisten

aber für beider Arbeit fruchtbaren Diskussionen schlugen sich in der ästhetischen Reflexion Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795) nieder. Die Bezeichnung ,naive Dichtung‘ sollte eher für Goethes Werke angemessen sein, zumal „jedes wahre Genie“ naiv sein müsse, sonst wäre es keines (NA 20, 424). Schiller leitet die naive Dichtung als Begriff und ihm mehr oder weniger fremdes Phänomen aus der griechischen Antike her. Griechische Naivität als Erfahrung kam der Erinnerung an die schöne Natur gleich, welche die alten Griechen erfahren und kultiviert hatten. In ihr konnte das Volk unter seinem glücklichen Himmel inmitten freier Natur leben, sodass seine „Vorstellungsart“, seine „Empfindungsweise“ und seine „Sitten“ in der „einfältigen Natur“ lagen und seine Dichtungen der treue Abdruck derselben waren (NA 20, 429). Moderne Spekulation als zeitgenössische Subjektivierung, das „sentimentalische Interesse“, mit dem die „Neueren an Naturszenen und an Naturcharaktere hangen“, bewirkten jedoch (NA 20, 429 f.), dass die ursprüngliche Natur aus der Menschheit verschwunden war. Man könnte sie allein außerhalb der zivilisierten und kultivierten Welt, in der unbeseelten Welt bzw. in deren Wahrheit wieder antreffen, was dem Wanderer als lyrisches Ich im Gedicht Der Spaziergang abseits jeder Zivilisation und Kultur gelingt. Bei den Griechen hingegen artete die Kultur nicht so weit aus, dass „die Natur darüber verlassen“ worden ist. Insofern ergab sich für Schiller eine Dialektik des Verlustes und des Wiedergewinns: „So wie nach und nach die Natur anfing, aus dem menschlichen Leben als Erfahrung und als das (handelnde und empfindende) Subjekt zu verschwinden, so sehen wir sie in der Dichterwelt als Idee und als Gegenstand aufgehen.“ (NA 20, 431) Ganz allgemein, aber gewiss mit besonderem Blick auf den Vergleich der verschiedenen Dichternaturen, die ihn und Goethe charakterlich auszeichneten, war für Schiller der Dichter entweder Natur oder Suchender nach der Natur. Jenes mache den naiven und alten, dieses den sentimentalischen, modernen Dichter aus (NA 20, 436). Diese Opposition sei als Unterschied der Manier zu verstehen. Denn man hätte auch zu Schillers Lebzeiten „naive Dichtungen in allen Klassen“ registrieren können, wenngleich diese dann in „nicht mehr ganz reiner Art“. Schon unter den antiken Künstlern hätte es keineswegs an sentimentalischen Dichtern gefehlt. Zu Schillers Lebzeiten hätte man gar häufig beide Gattungen vereinigt registrieren können, etwa in Goethes Leiden des jungen Werther (NA 20, 438). Der naive Dichter folge der einfachen Natur und Empfindung und beschränke sich auf die Nachahmung der Wirklichkeit (NA 20, 440). Hingegen wären unter deutschsprachigen Dichtern Haller, Kleist und Klopstock anzuführen, deren Dichtung sentimentalisch wäre, denn sie rührten durch Ideen und keineswegs durch die sinnliche Wahrheit (NA 20, 452). Die Gegenüberstellung des naiven und sentimentalischen Charakters lässt sich in die Opposition von Realisten und Idealisten überführen. Ließe man außen vor, dass beide Charaktere „poetisches haben“, dann wäre dem naiven Charakter ein nüchterner Beobachtungsgeist und ein unerschütterlicher Glauben an das gleichförmige Zeugnis der Sinne gegeben, also an das, was vor allem Augen und Ohren direkt wahrnehmen. Dabei unterwerfe sich der naive Charakter der Notwendigkeit der Natur. Dem sentimentalischen Charakter ist hingegen ein unruhiger Spekulationsgeist eigen, der auf das Unbe-

1. Ästhetik und Poetik

dingte in allen Erkenntnissen dringt. Dem entspricht im Praktischen ein moralischer Rigorismus, der auf dem Unbedingten im Willen und in den Handlungen besteht (NA 20, 492). Insofern lässt sich der Realist durch die Notwendigkeit der Natur, der Idealist durch die Notwendigkeit der Vernunft leiten. Der Idealist beziehe seine Erkenntnisse und Motive aus sich selbst und aus der Vernunft. Das hat Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten des einzelnen Menschen. Denn während die Natur in ihren einzelnen Wirkungen immer abhängig mache und den Freiheitskreis beenge, erlaube erst die Vernunft dem Menschen weitreichende Selbstständigkeit und Vollendung der jeweiligen Handlung. Die Vernunft schöpfe so alles aus sich selbst, „was durch sie geschieht, geschieht nur um ihretwillen“. Damit wären jeder auf die Vernunft gründende Begriff und jeder menschliche Entschluss eine absolute Größe – eine philosophische Perspektive, die den Idealismus fundiert (NA 20, 493). Schiller erkennt zweifelsohne das Problem, das der reine Idealist mit der Wirklichkeit und damit in seiner poetischen Produktion hat. Denn der Idealist könne seine Erkenntnis bis zur absoluten Wahrheit gebracht haben, dennoch könne es sein, dass seine konkreten Kenntnisse dadurch nicht viel gefördert worden sind. Das habe damit zu tun, dass im Leben des Menschen und im Kosmos zwar letztendlich alles unter notwendigen und allgemeinen Gesetzen steht, im Einzelnen aber, in einzelnen Situationen des Lebens und speziell in der Natur, läuft alles „nach zufälligen und besondern Regeln“ ab (NA 20, 494 f.). Insofern kann der Idealist als spekulativer Geist zwar sehr viel mit seinem Wissen umfassen, aber vielleicht begreift er eben deswegen wenig und verliert erst recht oft an Einsicht, was er an Übersicht gewinnt (vgl. NA 20, 495). Das Streben des reinen Idealisten geht Schiller daher viel zu sehr über das sinnliche Leben und über die aktuelle Gegenwart hinaus. Er wolle „für das ganze nur, für die Ewigkeit“ säen und pflanzen. Der Idealist vergisst somit, dass „das Ganze nur der vollendete Kreis des Individuellen“ und dass „die Ewigkeit nur eine Summe von Augenblicken“ ist (NA 20, 499). Der Realist hingegen würde für sich allein den Kreis des Menschen niemals über die engen Grenzen der Welt, die ihm seine Sinne vermittelt, hinaus erweitern können. Damit isoliere der Realist den menschlichen Geist von der Möglichkeit seiner selbstständigen Größe und Freiheit. Insgesamt gesehen läge die Wunschvorstellung in der Annäherung des Realisten an den Idealisten und umgekehrt. Zukünftig wäre eine Aufhebung der Differenz zwischen Realisten und Idealisten anzustreben, was vielleicht eine nicht unmittelbar zu verwirklichende Utopie sei, aber dennoch, bis auf einen Restbestand an sentimentalischer Reflexion, durchaus zu leisten wäre. Schiller weist mit seiner letzten philosophischen Schrift bereits weit in die Moderne, welche die ständige Kluft zwischen radikaler Subjektivierung und ausgeprägter Annäherung an das Empirische zu bewältigen hat. Während es in der Schrift durchgehend den Anschein hatte, dass Schiller das Naive mehr bewunderte, scheint am Ende das Sentimentalische, also seine ästhetische Perspektive auf die Welt, die Oberhand zu gewinnen. Auch was die persönliche Beziehung zu Goethe betraf, so bemerkte Schiller einen gewissen Vorteil des Idealisten, denn der Realist könne den Idealisten eigent-

Notwendigkeit der Natur und Autonomie der Vernunft

Kritik des reinen Idealisten

Der Idealist verfehlt das konkrete Leben

Kritik des reinen Realisten

Schillers Wunschvorstellung

49

50

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

lich niemals wirklich begreifen. Umgekehrt habe der Idealist aber kaum Probleme, in das Sentimentalische das Naive zu integrieren.

2. Zentrale Themen Der Historiker Schiller

„Philosophischer Kopf“ und Geschichtsinterpretation

Geschichtsschreibung als Dichtung

Geschichte(n) und Utopien Bemerkenswert ist, dass Schiller kein gelernter Historiker war, obwohl er historische Schriften geschrieben und an der Universität Jena Geschichte gelehrt hat. 1788 veröffentlichte er einen Band über das historische Umfeld des Don Karlos, weitere fünf sollten folgen. Die Frage nach der Geschichte steht selbstverständlich in den beiden zentralen historischen Werken Schillers, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung und Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, verfasst zwischen 1791 und 1793, im Vordergrund. Im Dezember 1788 erhielt er die Nachricht, er könne Ostern 1789 die Stelle einer außerordentlichen Professur für Philosophie in Jena besetzen, deren spezielle Aufgabe die Lehre der Geschichte sein würde. Seine Antrittsvorlesung, später veröffentlicht unter dem Titel Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, hielt er am 26. Mai 1789 in Jena vor etwa 500 Hörern. Schon nach wenigen Vorlesungen zog sich Schiller, der streng zwischen dem üblichen universitären Betrieb und seiner Person, zwischen dem „Brotgelehrten“ und dem philosophischen Kopf, unterschied (NA 17, 360), vom eigentlichen Lehrbetrieb gänzlich zurück, um sich auf das Schreiben und Herausgeben zu konzentrieren. Der „philosophische Kopf“ bestimmte auch seine Vorstellung von Geschichtsschreibung. Die Geschichte sei zwar „willkürlich, voll Lücken und sehr oft unfruchtbar“, aber eben „das Willkürliche in ihr könnte einen philosophischen Geist reizen, sie zu beherrschen, das Leere und Unfruchtbare einen schöpferischen Kopf herausfordern, sie zu befruchten und auf dieses Gerippe Nerven und Muskeln zu tragen“ (NA 25, 2). Insofern wäre die Geschichte „überhaupt nur ein Magazin“ für Schillers Fantasie und die Gegenstände müssten sich gefallen lassen, was sie unter seinen Händen würden (vgl. NA 25, 154). Die Vorlesungen beruhten kaum, wie es damals noch üblich war, auf persönlicher Quelleninterpretation, sondern vielmehr auf Geschichtspublikationen, deren Interpretationen zudem auf Schillers Ansichten zugeschnitten wurden. Ein Historiker musste für Schiller, wenn er über die Entwicklungsstufe eines Brotgelehrten hinausgelangen wollte, in der Lage sein, Texte, Quellen und Material aus der Vergangenheit, die oft fragmentiert waren, zu ordnen und in die richtige Reihenfolge zu bringen. Darüber hinaus wäre es unumgänglich, das Fehlende, soweit es notwendig ist, zu ergänzen. Denn letztendlich sollte Geschichte als „einsichtiges System“ zum Vorschein kommen. Insofern sollte die Methode des Dichters als Vorbild dienen, der gewöhnlich einen Stoff in die wirkungsvollste Form bringt. Der Geschichtsschreiber soll wie der „Dichter und Historienmaler genetisch und dramatisch zu Werke gehen; er muß die produktive Einbildungskraft des Lesers im Spiel zu setzen wissen und bei der strengsten Wahrheit ihr den Genuß einer

2. Zentrale Themen

ganz freien Dichtung verschaffen“ (NA 28, 8). Wilhelm von Humboldt erinnerte sich, wie Schiller davon gesprochen hätte, dass man „seine historischen Aufsätze zu dichterisch gefunden und schloß: „Und doch muß der Geschichtsschreiber ganz wie der Dichter verfahren. Wenn er den Stoff in sich aufgenommen hat, muß er ihn wieder ganz neu aus sich schaffen“ (W. v. Humboldt 1954, 412). Schiller scherte sich nicht so sehr um das „Vetorecht der Quellen“ (Koselleck 1989) und trat für eine Geschichtstheorie ein, die heutigen postmodernen Ansätzen wie Hayden Whites Metahistory ähneln. Anfänglich bemerkte man bei ihm einen gewissen Geschichtsoptimismus. Kants Geschichtsaufsatz Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht gab die Richtung vor. Auch wenn der Mensch „aus so krummen Holze“ gezimmert ist, dass „nichts ganz Gerades gezimmert werden kann“, wird ihm die Aufgabe gestellt, in der Selbstbestimmung die Idee eines Plans der weltbürgerlichen Absicht als Ermutigung zu verstehen, eine Verbesserung der Staatsform anzustreben. Diese Idee führte Schiller noch in seiner Schrift Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? weiter. Freilich stellte er die einfache Annahme einer eindeutigen Idee oder eines Plans der Geschichte in Frage: „Eine Erscheinung nach der andern fängt an, sich dem blinden Ongefähr, der gesetzlosen Freyheit zu entziehen und sich einem übereinstimmenden Ganzen (das freylich nur in seiner Vorstellung vorhanden ist) als ein passendes Glied abzureyhen.“ Es fällt ihm schwer,

Kein Vetorecht der Quellen

„wieder unter die blinde Herrschaft der Nothwendigkeit zu geben, was unter dem geliehenen Lichte des Verstandes angefangen hatte eine so heitre Gestalt zu gewinnen. Er nimmt also diese Harmonie aus sich selbst heraus, und verpflanzt sie ausser sich in die Ordnung der Dinge d. i. er bringt einen vernünftigen Zweck in den Gang der Welt, und ein teleologisches Prinzip in die Weltgeschichte“. (NA 17, 374) Naiv war der Glaube an den Fortschritt bei Schiller folglich nie, aber er plädierte deutlich für humane Werte und optimistisch für einen Fortschrittsgedanken und einen Naturplan. Was sich hier auf die Richtung der Freiheit bezog, wich kurze Zeit später aufgrund der Erfahrung der Französischen Revolution einer grundlegenden Desillusionierung. 1797 schien für den Verstand dann „mehr der tolle Zufall als ein weiser Plan zu regieren“, historisch gesehen sei die Welt „im Grunde nichts anderes als der Konflikt der Naturkräfte untereinander selbst und mit der Freiheit des Menschen, und den Erfolg dieses Kampfes berichtet uns die Geschichte“. Der Realität der Folgen der Französischen Revolution ausweichend, entwickelte Schiller utopische Gedanken über den Menschen, etwa in seiner Ästhetischen Erziehung, die auch Hegel zu seiner Geschichtstheorie mit motivierten und in der „Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung“ harmonieren sollten (NA 20, 288). Diese Vorstellungen fanden ihren Antagonisten in der Eigenwilligkeit des Faktischen. Für Schiller regelte letztlich die „unsichtbare Hand“, die seinem Ansatz einer Verwirklichung der Freiheit in der Geschichte entgegenstand: „Der Mensch verarbeitet, glättet und bildet den rohen Stein, den die Zeiten herbeitragen; ihm gehört der Augenblick und der Punkt, aber die Weltgeschichte rollt der Zufall“ (NA 20, 281). Mit der Philosophie des Erhabenen ergibt sich auch die richtige Haltung des

Geschichtsutopie und Ästhetik

51

52

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Menschen in der Geschichte. Obwohl dieser niemals Herr der Geschichte sein könne, sollte man so handeln, als ob es die Freiheit zum moralischen und richtigen Handeln gäbe. Immerhin gelänge es hin und wieder, in einer Art selbst erfüllenden Prophezeiung Freiheit und Menschlichkeit zu verwirklichen, auch wenn schreckliche Widerstände nicht ausblieben. Die Paradoxie ist evident, in Schillers Geschichtsphilosophie registriert man zu Beginn der Moderne demnach bereits Strukturmerkmale des Absurden.

Früher Pietismus und Skeptizismus

Theater und Religion

Freiheit und Moralität

Religionen, Säkularisate und Heilserwartungen Schillers ursprüngliches Berufsziel war die Theologie. Will man sein Verhältnis zur Religion aus seinen Texten deduzieren, ist es keineswegs einfach zu ermitteln. Zum einen, weil es natürlich Entwicklungen durchgemacht hat, zum anderen, weil dabei geklärt werden muss, was man unter Religion versteht. Bekannt ist Schillers Aussage: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, / Die du mir nennst! – Und warum keine? Aus Religion“ (NA 2, I, 320). Nun steht außer Frage, dass das Werk Schillers, gerade was den Idealismus betrifft, der christlichen Tradition und insbesondere dem Neoplatonismus sowie der Theologie des Augustinus viel verdankt und durchgehend eine monotheistische Gottesvorstellung vorherrscht. Dennoch findet man an vielen Stellen – man denke etwa an das Ende von Don Karlos – Kritik an der Amtskirche und den institutionalisierten Religionen. Schiller neigte während seiner frühen Jugendzeit dem damals modischen Pietismus zu, fing dann noch an der Karlsschule zu zweifeln an und wurde immer mehr zum Skeptizisten, während er sich mit zunehmendem Alter wieder dem Glauben zuwandte, wobei über Letzteres in der Forschung anhaltend kontrovers diskutiert wird. Für das Theater hatte Schiller, vornehmlich in seiner Schaubühnen-Rede, eine besondere Stellung im Verhältnis zur Religion vorgesehen. Immerhin wäre die Bühne besser als die Religion in der Lage, Bilder des Lasters und der Tugend sinnlich, affektiv und zugleich moralisch prägnant und damit wirksam in die Köpfe der Zuschauer zu bringen. Für einen Protestanten wie Schiller war diese Wirkung an und für sich beeindruckend, war er doch Bilder aus der Kirche kaum gewohnt. Die Bühne hingegen, auf der „lebendige Gegenwart ist, in der Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Thorheit und Weißheit in tausend Gemählden faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen“ (NA 20, 91), wäre medientechnisch und wirkungsästhetisch gegenüber der Religion im Vorteil. Darüber hinaus hatte Schiller die Religion in Verdacht, nicht immer segensreich zu wirken, wenn es um die ideale Humanität ging. Religion fehle Toleranz im Allgemeinen und in Bezug auf andere Glaubensbekenntnisse und Vorstellungen im Besonderen. Schiller ging es um den Bereich, der von Gesetzen und festgeschriebenen moralischen Grundsätzen kaum mehr berührt, geschweige denn beherrscht wurde. Er unterschied zwischen dem einfachen Volk, für das schon Moses einen „Nationalgott“ schuf, der für die „helleren Köpfe“ (NA 2, I, 321) – zumal im Zeitalter der Aufklärung – nicht notwendig sei. Kant gab auch hier die Richtung vor. Schiller ging aber über diesen hinaus und forderte, dass idealerweise über den Weg der Vernunft individuelle Gotteserkenntnis möglich sein müsste. Erst die Vertreibung aus dem Paradies und die Erbsünde ermöglichten menschliches Pathos, das, auch wenn es etwas zynisch klingt,

2. Zentrale Themen

nicht nur die zentrale Wirkungskomponente der Tragödie, sondern auch die Existenzgrundlage des Dramatikers darstellt. Mit der Übertretung von Gottes Gebot, keine Frucht vom Baum der Erkenntnis zu essen, verliert der Menschen seine Unschuld, gewinnt dafür aber seine ihn als Gattung definierende Freiheit. Die Unterscheidungskompetenz zwischen Gut und Böse ist die Grundbedingung von Moralität, die damit einhergehende Vernunft vermittelt zwischen theologischem und anthropologischem Horizont. Die Schlange im Baum der Erkenntnis als Symbol des Bösen ist die Versuchung der Freiheit, die den Menschen erst ermöglicht. Dem Menschen ist somit in der Geschichte die Aufgabe mitgegeben, aus eigenem Willen, vernünftig und ohne Zwang der Kirche oder des Staates frei zu entscheiden. Die Kant’sche Forderung, sich mit der Aufklärung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien, konvergiert bei Schiller mit der Freiheit des Christen zum guten oder bösen Handeln. Schiller unterminierte die Autorität der Institution der Kirche und band das Menschsein sowie die menschliche Autonomie an die Vernunft. Insofern ist seine Vorstellungswelt zum Teil ein Säkularisat der protestantischen Theologie mit leicht pietistischen und theosophischen, wenn man so will auch gnostischen Zügen. Idealität wäre ein Ziel der Moralität, wobei menschliche Natur mit dem Vernunftgesetz in Einklang kommen müsste. Dies wäre jedoch ein Programm für selbstbewusste Eliten. Schwächere müssten sich, in Abstufungen und individuell differenziert, weiterhin mehr oder weniger zum einen auf die Religion, zum anderen auf den ästhetischen Geschmack stützen, weil der Mensch als Naturwesen fehlbar ist. Der Mensch nähere sich der Gottheit dadurch, dass er aus innerer Neigung die Vorgaben der göttlichen Vernunft erfülle. Hierbei könne die Religion nur bis zu einem gewissen Maße hilfreich sein, denn sie verlange Unterwerfung, welche die wirkliche Autonomie, die Freiheit und damit auch die Selbstbestimmung des Menschen verhindere, was die wahre Annäherung durch die Vernunft an Gott erschwere. Hilfreicher als die Religion wäre die Kunst, weil sie eher die eigenständige Vollendung als ästhetische Erziehung der Menschen ermögliche. Schiller propagierte eine Idee der Selbstherrschaft, die ihn in grundsätzliche Opposition zu den institutionalisierten Religionen brachte. Dennoch bewertete er den christlichen Glauben höher als den jüdischen und den muslimischen, denn das Christentum neige trotz allem Dogmatismus zumindest tendenziell mehr zur freien Entfaltung, es wäre die einzige ästhetische Religion. Politik, Macht und Gesellschaft Schillers Verhältnis zur Politik war zum einen ein sehr stark zeitgebundenes, zum anderen ein durchaus originelles und in komplexer Weise eigenständiges. Da er sich schon an der Hohen Karlsschule von einem überstarken Herrscher unterdrückt fühlte, suchte er die Konfrontation eher in der indirekten, aber subversiven Anspielung. Später war überwiegend das Verhältnis zwischen dem Individuum, der Gesellschaft und den jeweiligen Machthabern das Grundthema seiner Stücke. Auch auf der Bühne entzog er sich der Zensur durch die Verlagerung des Ortes und der Zeit. Die Idee des Fortschritts und einer entsprechenden Veränderung der Gesellschaftsform verlor ihren optimistischen Charme mit dem zentralen Ereignis der Französi-

Kirche und Vernunft

Von der Karlsschule bis Paris

53

54

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Materialismus und Idealismus

Utopie und Wirklichkeit

Ästhetische Bildung

schen Revolution, mit dem sich vor allem der ältere Schiller ständig auseinandersetzte. Kritisch verbunden war er den einschlägig bekannten Philosophien und Vorstellungswelten, insbesondere dem französischen Liberalismus. Schiller, der gut Französisch konnte und sich ständig in erreichbaren fremdsprachigen Publikationen informierte, blieb bei aller anfänglichen Sympathie für die Ereignisse in Paris wählerisch in Bezug auf die Ideen, die er aus Frankreich übernahm. So folgte er den Radikalismen des Sensualismus und Materialismus keineswegs, seine religiösen, ethischen und vor allem ästhetischen Kontexte waren ihm weiterhin wichtiger. Obwohl oder gerade weil Schiller durch sein Studium der Medizin mit dem erstarkenden Materialismus in der Wissenschaft seiner Zeit in Berührung kam, argumentierte er vergleichsweise allgemein, abstrakt und transzendent, um sich gegenüber der Macht des Faktischen die Freiheit für den Fortschritt zu erhalten. Es gelang ihm mehr oder weniger, die Bereiche des Materiellen und Ideellen nicht direkt zu verbinden, aber in einem überzeugenden, wenn auch spannungsgeladenen Gleichgewicht zu halten. Von vornherein präsentierte sich Schiller auffallend antinomisch, wenn man etwa die Räuber, Fiesko, Kabale und Liebe oder den Don Karlos als Maßstab nimmt. Dabei kollidierte die Utopie der Humanität, wie etwa in Don Karlos, dramatisch mit der Wirklichkeit. Dass der Idealist Posa seine Ideale verrät, blieb auf politischer Ebene bis heute ein Skandal und die Ursache anhaltender Diskussionen wie szenischer Deutungsversuche, auch im zeitgenössischen Regietheater. Dies und anderes führte Schiller immer mehr zu der Einsicht, die negativen Züge der Wirklichkeit seien nicht allein das Resultat von geschichtlichen und strukturellen Gegebenheiten, sondern vor allem das Ergebnis der menschlichen Natur. Dem Menschen gelinge es eben nie ganz, ewige, vernünftige und sittliche Ideen in die gesellschaftspolitische Wirklichkeit zu überführen. Ideal und Wirklichkeit der Vernunft gingen keineswegs in eins, wie Schiller besonders am politischen Großexperiment der Französischen Revolution beobachten konnte. Übrig bliebe allein der ästhetische Weg, nämlich das Schöne und die Kunst für die Politik in Anspruch zu nehmen. Im Bereich des Spielerisch-Ästhetischen kämen idealerweise, so die durchaus utopische Vorstellung, Herz und Geist, Triebgefühl und Vernunft zu einem gelungenen, positiv wirksamen Ausgleich. Kunst hätte dementsprechend zwei Aufgaben: zum einen, etwa was die Inszenierung des Menschen in konfliktreichen Situationen auf der Bühne betrifft, die menschliche Natur darzustellen, der es immer wieder gelingt, die sittlichen Ideen zu konterkarieren. Politisch wäre in dieser Hinsicht die Aufklärung der Zuschauer über ihre eigene Menschennatur. Zum anderen soll Kunst die Entfremdung des Menschen durch intuitiv-spielerisches Bewusstsein aufheben, was Schiller in den Ästhetischen Briefen erläuterte. Diese Programmschrift einer ästhetischen Bildung im politischen Sinn wurde in den späteren Dramen nicht direkt umgesetzt, viel mehr interessierte sich Schiller für die Psychologie und damit die Konflikte der Menschen untereinander. Keineswegs reiche es aus, wie der Blick nach Paris zeige, die Gesellschaft durch eine Revolution bzw. einen Umsturz von unten oder von oben neu zu begründen. Stattdessen – und dies würde mutmaßlich ein langwieriges Programm sein – ging es Schiller aufgrund der

2. Zentrale Themen

Kenntnis der Seele und der materiellen Natur des Menschen darum, den Charakter von innen heraus entscheidend zu verbessern. Wichtige Anstöße empfing Schiller erst durch die Ästhetik des Sturm und Drang, später durch Kants aufklärerisches Programm. Am Ende seines Lebens war Wilhelm Tell die vorbildhafte Figur für Schillers politische Hoffnungen, denn sie handelt nicht aus Eigennutz und nicht im Dienst eines revolutionären Programms, sondern mehr oder weniger intuitiv in der Verteidigung der eigenen Rechte und der eigenen Familie. Die Idee der Freiheit bleibt nicht abstrakt, sondern sie verbindet sich mit dem Gefühl und der Empathie, auch aufseiten des Publikums. Zugleich entwickelt sich Tell von einem naiven zu einem sentimentalischen Charakter und nimmt zum Wohl aller die individuelle Schuld der Gewalttat auf sich. Eine freie Gesellschaft kann sich demnach nur aufgrund der Taten der betroffenen Einzelnen und mitnichten durch eine Ideologie entwickeln. Ästhetische und politische Freiheit(en) sowie Tyrannei „Durch alle Werke Schillers“ gehe „die Idee von Freiheit“, so Goethe zu Eckermann am 18. Januar 1827. Bereits die Erfahrungen der Zeit an der Hohen Karlsschule prägten Schiller so sehr, dass für ihn die Frage nach der Freiheit eine zentrale wurde. Natürlich war er auch ein Kind seiner Zeit und diese machte die Frage nach der Freiheit mit dem Zentrum Frankreich bzw. Paris zur wichtigsten auf der politischen Ebene. Zudem sind Schillers früheste Werke, vor allem seine Räuber, noch stark von der Ästhetik des Sturm und Drang beeinflusst, sodass der Kern der Freiheit im Subjekt umgehend mit der traditionellen Ordnung in Konflikt kommen musste. Die Opposition zwischen Subjekt und gesellschaftspolitischer Ordnung machte Schiller als grundlegende Spannung auch in seinen weiteren Dramen fruchtbar. Dies war keineswegs originell, der Dichter bestand jedoch auf einer letztlich nicht ganz auflösbaren Antinomie zwischen ästhetischer und politischer Freiheit. Beschäftigt haben ihn die Frage nach der psychologischen Freiheit als Gattungswesen Mensch, dessen Abhängigkeiten vom Triebleben und dessen einzigartige und ihn vom Tier unterscheidende Fähigkeit in der Tradition des Neoplatonismus, mittels Ideen Souveränität über den Körper und die materielle Umwelt zu erlangen. Dabei kämen die Freiheiten im individuellen Akt der Konzentration auf die innere Freiheit der Ideen vornehmlich im Ästhetischen zum Tragen. Goethe registrierte bei seinem Freund eine deutliche Entwicklung, die Idee von Freiheit „nahm eine andere Gestalt an, sowie Schiller in seiner Kultur weiter ging und selber ein anderer wurde“. In dessen Jugend war es, so Goethe zu Eckermann, „die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtung überging; in seinem spätern Leben die ideelle. […] Daß nun diese physische Freiheit Schillern in seiner Jugend so viel zu schaffen machte, lag zwar teils in der Natur seines Geistes, größern Teils aber schrieb es sich von dem Drucke her, den er in der Militärschule hatte leiden müssen. […] Dann aber in seinem reiferen Leben, wo er der physischen Freiheit genug hatte, ging er zur ideellen über, und ich möchte fast sagen, daß diese Idee ihn getötet hat; denn er machte dadurch Anforde-

Idee der Freiheit und Empathie

Die Idee von Freiheit

Ästhetik und innere Freiheit

55

56

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

rungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren.“ (Goethe 1999, 212 f.) In dieser Aussage zeigen sich zum einen die Differenzen zwischen dem Naiven und dem Sentimentalen bei Goethe und Schiller, aber auch die Zurückhaltung des Mediziners zugunsten des Autors und Philosophen Schiller, wobei christliche Traditionen zusammen mit der Kant’schen Aufklärungsphilosophie eine nicht zu unterschätzende Grundlage bildeten. Freilich hat Schiller diese in seinem Sinn weiterentwickelt, indem er dem Ästhetischen, wie er es vor allem in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen erläuterte, eine zentrale Rolle zuwies. In der Rezeptionsgeschichte wurde diese, auch aufgrund seiner erkennbaren Abscheu vor den politischen Grausamkeiten der Französischen Revolution, so weit betont, dass erst in jüngster Zeit wiederentdeckt wird, inwieweit er deutlich politischer war, als man bisher angenommen hatte. Für Schiller bekam Politik eine Chance in einer Veränderung durch die Ästhetik, die primär eine politische für ihn war.

Väter und Söhne

Familienpolitik und romantische Liebe

Familie(n) und Generationenkonflikte Es wird oft übersehen, dass Schiller nicht sehr alt geworden ist und die familiären wie politischen Konstellationen meist aus der Perspektive des eher Jüngeren in den Blick nahm. Hierbei interagierte die familiäre Welt sehr eng mit der traditionellen Gesellschaft und Politik. Generationenkonflikte, vor allem Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Söhnen sowie zwischen Brüdern waren meist – mehr oder weniger offensichtlich – politische Konflikte. Schiller gelang es vorzüglich, in seinen Dramaturgien die Differenzen zwischen den individuellen Figuren und den Anforderungen durch das politische System herauszuarbeiten. Zwar ist ein Biografismus oft problematisch, aber dass Schiller ein höchst schwieriges Verhältnis zu seinem Übervater, dem Württembergischen Herrscher Karl Eugen, hatte, ist unbestritten. Bereits in der frühen Prägung des Autors bildeten also Familie und Politik eine explosive Schnittmenge. Dies drückt sich vor allem in seinen früheren Stücken Die Räuber, Kabale und Liebe und ganz besonders im Don Karlos aus. In den Räubern ist der Vater faktisch machtlos beziehungsweise den verschiedenen Strategien seiner Söhne relativ arg- und wehrlos ausgeliefert, sodass hier der Bruderkonflikt im Vordergrund steht. Wenn man jedoch Schillers besondere Aufmerksamkeit für die Psychologie und damit die Lebensgeschichte seiner Figuren heranzieht, dann bemerkt man die Bedeutung des Vaters, resultierend aus seiner Macht über den längeren Zeitraum der Vorgeschichte. Die Geschichte des Bruderkonflikts hat als Wiederkehr der biblischen Geschichte von Kain und Abel ihren Fluchtpunkt in der Beziehung zum Vater, Franz’ Intrigen und Karls revolutionäre Umtriebe wirken politisch, sind aber privat motiviert. Das Familienoberhaupt als Zentrum der Familie ist grundsätzlich ein Ausdruck der Zeit, der sich im bürgerlichen Trauerspiel bemerkbar machte. Mit Kabale und Liebe, das sich an dessen Struktur orientierte, wurde dies offensichtlich. Obwohl bereits Schillers drittes Stück, darf man nicht vergessen, dass er bei der Veröffentlichung erst 25 Jahre alt war, entsprechend den Vorstellungen der Zeit somit gerade erst volljährig wurde. Die Sympathien des Autors lagen bei den Jüngeren, vor

2. Zentrale Themen

allem bei der Figur des Ferdinand, der sich unsterblich in ein etwa 16 Jahre junges bürgerliches Mädchen verliebt und sich von den Forderungen des „realistischen“, etwa 50 Jahre alten Vaters, der für das traditionelle System des Hofes steht, zu befreien sucht. Die nicht nur private Funktion des Vaters zeigt sich im dramatischen Muster des Konflikts um den richtigen Ehepartner, das schon in der Commedia dell’Arte reüssierte. Politisch war zudem der Hintergrund, nämlich der Übergang von einer an der Familie orientierten Heiratspolitik zur romantischen Liebe als Grundlage einer zukünftigen Eheschließung, in der die individuelle Wahl des Liebes- und Lebenspartners im Vordergrund stand. In der Liebe setzte sich zunehmend eine bürgerliche Mentalität durch, der es weniger um die Familie als vielmehr um das bürgerliche Individuum und dessen Leistungsfähigkeit ging. Damit waren starke Generationenkonflikte vorprogrammiert, denn eine individuelle Wahl des Ehepartners durch die jungen Liebenden schmälerte die Macht des Familienvaters und im übertragenen Sinn die Macht des politischen Herrschers. Dies wird insbesondere in Don Karlos zum Thema, wenn Schiller bezeichnenderweise den in der historischen Realität etwa 40jährigen Philipp II. zu einem weit älteren Herrscher macht, um den Generationenkonflikt deutlicher herauszustellen. In den späteren Stücken, etwa in Wallenstein oder Wilhelm Tell, wurde der Generationenkonflikt zum Thema der Nebenhandlung, Schiller kam nun selbst in das Alter, in dem er die Vaterrolle einzunehmen hatte. Geschlechterverhältnisse Was die Geschlechterverhältnisse betrifft, so war Schiller keineswegs ein Revolutionär. Zum einen rekurrierte er auf innovative Tendenzen, die das bürgerliche Trauerspiel und Zeitschriften, überhaupt der bürgerliche Geschmack samt entsprechender Vorstellungswelt, vorgaben. Dabei deutete sich die zukünftige Dominanz des romantischen Liebeskonzepts an, was mit der Entmachtung der adeligen Familienpolitik einherging. Dennoch blieb Schiller in seinem Frauenbild auffallend der Tradition und der konventionellen gesellschaftlichen Norm verpflichtet. Soweit man den Quellen glauben kann, hatte er gegen moralische Vorgaben nicht einmal insgeheim verstoßen, von einer Doppelmoral kann man bei ihm nicht reden. Auf der anderen Seite konnte diese Rigorosität durchaus unangenehme Züge annehmen, insbesondere wenn es um nicht standesgemäße Beziehungen ging, für die er in Kabale und Liebe noch einige Sympathien hatte. Bekannt ist seine lange durchgehaltene, demonstrative Missachtung von Christiane Vulpius, die er sogar bei familiären Besuchen prinzipiell übersah. Was die Geschlechterverhältnisse auf anthropologischer Ebene betrifft, so verhindert die idealistische Sicht keineswegs, dass Schiller Frauen und Männer auf grundsätzlich verschiedenen Ebenen einordnete. Die Differenz war dermaßen groß, dass man heute von einem starken Essenzialismus seinerseits sprechen muss: Die Frau habe „immer einen stärkeren Einfluß auf das Herz und die Denkart des Mannes als er auf das ihrige“, sie wäre „von der Natur dazu geeignet, ihn entweder durch Schmeicheleien oder auch durch unsichtbare Gewalt auf den Punkt hinzuleiten, auf welchem sie ihn haben will. Hat sie aber einen gebildeten Verstand und ein für

Heiratspolitik und Generationskonflikte

Schiller als Traditionalist

Frauen und Männer auf verschiedenen Stufen

57

58

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Sittlichkeit fühlendes Herz, so wird es ihr leicht werden, von beiden einen für die Tugend des Mannes wohltätigen Gebrauch zu machen. Durch ihren Geist der Liebe, der Ordnung, der Reinlichkeit, durch ihren gefälligen Umgang fesselt sie den Mann an sein Haus und entfernt ihn dadurch von den gefährlichsten Feinden seiner nützlichen Tätigkeit. Durch sie erhält sein Eifer, in den verschiedensten Verhältnissen seines bürgerlichen Lebens aufgelegte Pflichten zu erfüllen, Dauer, Kraft und Leben. Durch tausend Kleinigkeiten erheitert sie ihn, erhält ihn beim Guten, stärkt ihn zu Taten“ (NA 25, 325 f.).

Aufgaben und Räume der Frauen

Die Funktion der Frau läge in der tatkräftigen Unterstützung der Aktivitäten des Mannes. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Wörter „von der Natur“, die den Unterschied zwischen Frau und Mann unabänderlich festschreiben. Die Sphäre der Frau war die des Hauses. Indem „die Frau erhält, bewahrt und zweckmäßig verteilt, was des Mannes Fleiß erwirbt, wird sie Schöpferin des häuslichen Wohlstandes. Und durch diesen erhält sie nicht allein die Ehre des Mannes, sondern erspart ihm auch diejenigen Demütigungen, sowie die tausendfachen Krümmungen des Geistes und Körpers, welchen das peinigende Gefühl des Mangels und der Dürftigkeit auch den edelsten Mann unterwirft“ (NA 25, 327).

Weibliche Anmut

Schiller hatte also ganz klare Vorstellung von der Aufgabe einer Frau in einer Ehe, sie habe das eigene Haus nicht nur materiell, sondern auch seelisch zu verschönern. In Wilhelm Tell meint Rudenz zu seiner zukünftigen Ehefrau Bertha: „Da seh ich dich, die Krone aller Frauen, / In weiblich reizender Geschäftigkeit, / In meinem Haus den Himmel mir erbauen / Und, wie der Frühling seine Blumen streut, / Mit schöner Anmuth mir das Leben schmücken, / Und alles rings beleben und beglücken!“ (NA 10, 203) Während der Mann erhaben zu sein hat, soll das Ziel der weiblichen Erscheinung die Anmut sein. Im Einklang mit den zeitgenössischen Mentalitäten ist die Gleichsetzung der Frau mit mehr oder weniger unmündigen Kindern, die letztlich eine starke Führung benötigen. So heißt es im Gedicht Dido: „Veränderlich / Ist Frauensinn, und nimmer gleicht er sich“. Zudem könne man Frauen aufgrund ihrer mentalen und charakterlichen Unstetigkeit nicht trauen. Schiller schreibt am 15. November 1789 an Charlotte von Lengefeld und an ihre Schwester: „Ich weiß, wie von Männern gewöhnlich über Frauenzimmer geurteilt wird – desto boshafter, je mehr einer Gelegenheit gehabt hat, das Geschlecht zu studieren.“ (NA 25, 330 f.) Und kurz zuvor, am 3. Januar 1789, nur an Caroline von Beulwitz: „Frauenzimmer“ haben „ein rachsüchtiges Gemüth. Sie wollen verlaßen, aber nicht verlaßen werden, und wenn man ihnen den Rücken gekehrt hat, so kommen sie nachher auf kein Rufen mehr zurück. Wenn dieß aber nicht so wäre, so rächen sie sich schon durch ihre Abwesenheit genug.“ (NA 25, 177)

2. Zentrale Themen

Nun muss man Schiller gerechterweise zugestehen, dass sich positive und negative Bemerkungen über Frauen in etwa die Waage hielten, er konnte auch sehr freundlich über Frauen urteilen. Gegenüber Charlotte von Lengefeld lobte er, es käme ihm vor, dass „die Frauenzimmer geschaffen sind, die liebe heitre Sonne auf dieser Menschenwelt nachzuahmen, und ihr eigenes und unser Leben durch milde Sonnenblicke zu erheitern. Wir stürmen und regnen und schneyen und machen Wind, Ihr Geschlecht soll die Wolken zerstreuen, die wir auf Gottes Erde zusammen getrieben haben, den Schnee schmelzen, und die Welt durch ihren Glanz wieder verjüngen. Sie wißen was für große Dinge ich von der Sonne halte; das Gleichniß ist also das Schönste, was ich von Ihrem Geschlechter nur habe sagen können, und ich hab es auf Unkosten des meinigen gethan!“ (NA 25, 339) In diesem Lob, das in der Tat mit seinen unübersehbaren Anspielungen auf die Sonne als Bild der Aufklärung hoch ansetzt, ist jedoch der Hinweis enthalten, wie Frauen dem Mann durch ihre Schönheit, ihre Anmut und ihr heiteres Gemüt zu Diensten sein sollen. Diese Differenz der Geschlechter schrieb sich bei Schiller auch, wie er am 25. Dezember 1795 an Wilhelm von Humboldt bemerkte, in seine ästhetische Theorie ein. Wenn man „ihre spezifischen Unterschiede“ angebe, wie er es „bei beiden Dichtungsarten tun wollte, so wird man den Mann immer durch einen höhern Gehalt und eine unvollkommenere Form, die Frau durch einen niedrigeren Gehalt aber eine vollkommenere Form unterscheiden“ (NA 28, 145). Er bestätigt auf idealistischer Grundlage die klassischen Stereotype der geschlechterspezifischen Attraktivitäten und des unterschiedlichen Geistesvermögens, sogar in der Jungfrau von Orleans, in der immerhin eine Frau vorne steht, liest man: Das „höchste aber / Von allen Gütern ist der Frauen Schönheit. / Der Frauen Treue gilt noch höhern Preis, / Doch auf dem Markte wird sie nicht gesehn“ (NA 9, 242). Für den Gebrauch schöner Formen gilt Ähnliches: „Der Geschmack verbessert – oder verbirgt – den natürlichen Geistesunterschied beider Geschlechter, er nährt und schmückt den weiblichen Geist mit den Produkten des männlichen und läßt das reizende Geschlecht empfinden, wo es nicht gedacht, und genießen, wo es nicht gearbeitet hat“ (NA 26, 183). Zusammenfassend kann man sagen, dass Schillers Idealismus, was die Geschlechterverhältnisse anbelangt, einem sehr groben Schema folgte. Immerhin spricht er von der Möglichkeit, über die Ausbildung eines guten Geschmacks die sogenannten ,natürlichen Geschlechterdifferenzen‘ reduzieren zu können. Hier wäre vielleicht, mit etwas Fantasie, eine durchaus gewagte Übertragung der damaligen Vorstellungswelt in die heutige möglich und ein erster Ansatz gegeben, den Schiller’schen Idealismus als Grundlage der geistigen Freiheit in den von Judith Butler propagierten performativen Akt zu transponieren. Die moralische Freiheit über den Körper wäre dann auch eine Möglichkeit, die Metaphysik der Substanz subversiv zu unterlaufen. Dem steht der weiterhin widerständige, die Geschlechterdifferenz auf natürlicher Grundlage erhaltende Körper entgegen, dessen Wirkung für Schiller zwar reduziert, jedoch niemals völlig beseitigt werden kann.

Geschlechterdifferenz und Stereotyp

59

60

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Dialog und soziale Masken

Bühnenspiel als soziales Experiment

Anthropologisches Interesse

Beziehungen und soziale Kontakte Wenn es für das Drama überhaupt ein Gattungsmerkmal gibt, dann ist es der Dialog. Und in der Aufführung des Theaters ist es der Dialog zwischen Figuren, die auf der Bühne in ihrer äußerlichen Erscheinung wirksam werden. Die anthropologischen Diskurse der Zeit und die bürgerlichen Mentalitäten fordern für die Darstellung einen natürlichen Schauspielstil. Die Zuschauer können aus der äußeren Erscheinung und dem Dialog auf den jeweiligen Charakter der Figuren, auf deren Gestimmtheit und insgesamt auf die dramatische Situation schließen. Beziehungen und soziale Kontakte werden als natürliche vorgespielt. Schiller greift gerne auf die Möglichkeit des Spiels der sozialen Masken zurück, wobei vor dem Hintergrund der bürgerlichen Verurteilung der adeligen Kultur als unehrliche der Antagonist generell eher derjenige ist, der intrigierend die vorhandenen sozialen Beziehungen ausnutzt. In diesem Sinne agieren Franz in den Räubern, die Höflinge in Kabale und Liebe und die Kaisertreuen in Wallensteins Tod. Auch in Don Karlos weckt wie in früheren Stücken die Verschwörung das Interesse der Zuschauer. In der „Vorrede“ zu seinem Fiesko will Schiller „von der erfindrischen Intrigue Situationen für die Menschheit“ entlehnen (NA 4, 10). In den verschiedenen dramatischen Situationen als Ausprägung der sozialen Beziehungen ging es ihm folglich darum, im Dialog, im Habitus und in der Proxemik der Figuren allgemein die sozialen Beziehungen des Menschen darzustellen. Kontakte und Interaktionen auf der Bühne sind somit ein soziales Experiment mit anthropologischem Hintergrund, sie präsentieren das weite Feld zwischen Idealismus und Kalkül, Individualismus und Idealität, Loyalität und Verrat sowie Intrige und Mitleid. In der Begegnung und Beziehung wird der Mensch an sich sichtbar. Paradigmatisch wäre Don Karlos, in dem Karlos durch seinen Freund Posa getäuscht wird, wobei grundsätzlich infrage steht, inwieweit dabei Idealismus oder Kalkül bzw. Individualismus und Idealität die größere Rolle spielen. Mit Kant gesehen tendiert jeder Mensch zum Bösen, besitzt jedoch die Anlage zum Guten, als Figur auf der Bühne hat er die Wahl zur Intrige oder zur Moralität. Soziale Beziehungen, auch die Freundschaften, stehen bei Schiller grundsätzlich unter Verdacht; jeder Mensch muss erst beweisen, dass er in der dramatischen Situation souverän und im positiven Sinn frei bleiben kann. Aus der Spannung, wie sich die meist leidende Figur verhalten wird, resultiert für den Dramatiker der höchste Gewinn für die Dramaturgie, während er zugleich die philosophische, psychologische und anthropologische Reflexion nicht vernachlässigt. Verbrechen und Ordnung Die Frage nach dem Verbrechen interessierte Schiller eigentlich von Beginn seiner publizistischen Tätigkeit an. Sie hing durchgehend mit seinen anthropologischen Überlegungen zusammen. Schon in den Räubern benutzte Schiller das Verbrechen, um auf gesellschaftlicher Ebene die herrschende Ordnung, auf individueller Ebene die Psychologie und auf dramaturgischer Ebene den für ein Publikum wirkungsvollen Konflikt in den Vordergrund zu spielen. Verbrecher sind für den Autor spannende Figuren, weil sie den Menschen als negatives Spiegelbild seiner selbst interessieren. Sie sind keineswegs unverständliche Fremde, sondern laden zur Identifikation ein. Da-

2. Zentrale Themen

her sind bei Schiller die Verbrecher und Antagonisten niemals nur böse oder schlecht. Für ihn als Psychologen gilt: Verbrecher, „denen das Gesetz als Idealen moralischer Häßlichkeit die Menschheit abgerissen hat, erheben wir auch schon einen geringern Grad von Bosheit zur Tugend, so wie wir im Gegenteil all unsern Witz aufbieten, im Glanz eines Heiligen Flecken zu entdecken. Kraft eines ewigen Hangs, alles in dem Kreis unserer Sympathie zu versammeln, ziehen wir Teufel zu uns empor und Engel herunter“ (NA 22, 117). Generell richtete Schiller seine Aufmerksamkeit vor allem auf mächtige Verbrecher, so wie ihn grundsätzlich die herausragenden Persönlichkeiten gereizt haben. Somit ist für das Verbrechen auch der Held und nicht allein der Antagonist anfällig, man denke nur an Karl Moor oder Wilhelm Tell. Die Figurenkonstellation folgt keineswegs einem einfachen Schwarz-WeißSchema. Das Böse als Wertung des Verbrechens ist nicht eindeutig zuzuordnen, Schiller lässt dem Verbrecher durchaus Sympathien zukommen: „Rousseau rühmte es an dem Plutarch, daß er erhabene Verbrecher zum Vorwurf seiner Schilderung wählte. Wenigstens dünkt es mich, solche bedürfen notwendig einer ebenso großen Dosis von Geisteskraft als die erhabene Tugendhafte, und die Empfindung des Abscheus vertrage sich nicht selten mit Anteil und Bewunderung“ (NA 22, 117). Aufgrund seiner dezidierten Absicht, das Publikum zu beeindrucken, verwundert es nicht, dass in Schillers Stücken der Mord auffallend oft Teil der Handlung ist, man denke über Die Räuber hinaus an Fiesko, Die Braut von Messina, Wallenstein und Wilhelm Tell, nicht zu vergessen die Ballade Die Kraniche des Ibykus. In die Erzählung Der Geisterseher sind Strukturen der Kriminalgeschichte eingezogen, wobei hier mehr der Betrug und die Hochstapelei thematisiert werden. Viel ausgefeilter erörtert die Frage nach dem Verhältnis von Menschenbild und Verbrechen die Erzählung Der Verbrecher aus Infamie 1786, ab 1792 dann Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Der Stoff geht auf einen Bericht von Schillers Lehrer Jakob Friedrich von Abel zurück, dessen Vater an der Aufklärung des Falles beteiligt war. Schiller interessierte die auch heute nicht geklärte Frage, weshalb ein Mensch zum Verbrecher wird. In der Erzählung Der Verbrecher aus verlorener Ehre ist die Hauptfigur ähnlich wie Franz in den Räubern physiognomisch benachteiligt, sodass er vom kleinen Wilddieb zum Anführer einer Räuberbande wird. Die Vorgeschichte einer Figur war Schiller als Dramatiker wie als Wissenschaftler immer wichtig, sie lieferte die psychologische und soziologische Begründung der Tat. So fasziniert der Autor von großen Verbrechern in seinen Stücken war, die tatsächlichen „Untaten“ im Gefolge der Französischen Revolution, die „der Rechtschaffene kaum eher für möglich halten darf, als bis er die Erfahrung davon gemacht hat“ (NA 22, 120), erschreckten ihn sehr. In seinen späteren Stücken nahm er das Verbrechen als Thema keineswegs völlig zurück, stärkte jedoch den Aspekt der Ordnung und damit den der Legitimation einer verbrecherischen Tat. In Wallensteins Tod meint Wallenstein zur Gräfin Terzky: „Jede Untat / Trägt ihren eignen Rache-Engel schon, / Die böse Hoffnung, unter ihrem Herzen.“ (NA 8, 202) Und im Wilhelm Tell gibt sich Schiller jede erdenkliche Mühe, Tells Attentat zu legitimieren, indem er es als erlaubtes Mittel zur Rettung der Familie und zur Erhaltung der alten Ordnung darstellt.

Die Figur des Verbrechers

Ursachen des Verbrechens

61

62

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Seele, Charakter und Einfühlung

Schiller als Psychologe par excellence

Bewusstsein und Geschichte

Psychologie Schiller spricht von den „geheimsten Operationen“ (NA 3, 5), bei denen im Drama die Seele ertappt werden sollte. Dazu gehörte aufseiten des Publikums eine gewisse Empfindsamkeit, ein Bewusstsein für eine gesteigerte Subjektivität vor dem Hintergrund der umgebenden Kollektivität sowie die Annahme, dass das sichtbare Äußere, d. h. die Physiognomie, der Habitus und das Verhalten, dem Charakter und der Seele der vom Schauspieler weitgehend im natürlichen Schauspielstil dargestellten Figur entspricht. Was sich auf der Bühne zeigt, ist somit Ziel einer emphatischen Einfühlung, die mit dem Aufstieg des bürgerlichen Trauerspiels für die deutsche Bühne erst entdeckt werden musste. Gerade der bürgerliche Autor solle ganz besonders dazu befähigt sein, das Innenleben seiner bürgerlichen Figuren adäquat wiederzugeben. In der Vorrede zu seinem Fiesko meinte Schiller dazu: „Mein Verhältnis mit der bürgerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter als mit dem Kabinett, und vielleicht ist eben diese politische Schwäche zu einer poetischen Tugend geworden“ (NA 4, 8). Darüber hinaus interessierte sich Schiller sehr für die Psychologie der Macht, über die er vor allem in seinen Briefen über Don Karlos geschrieben hat. Es geht allerdings nicht nur in seinen frühen Dramen, sondern durchgängig in seinem Gesamtwerk um die Psychologie des Subjekts und dessen semiotischen und atmosphärischen Ausdruck in der Dramaturgie. Hierbei blieb Schillers Augenmerk grundsätzlich – und hier war er schon sehr modern – pragmatisch unentschieden, ob die Psychologie des Subjekts mehr dessen korporaler Materialität oder mehr den Erfahrungen und der sozialen Umwelt geschuldet war. Diese Frage beschäftigte ihn schon im Studium und in seinen wissenschaftlichen Abschlussarbeiten. In der Lyrik gelang Schiller, etwa im Spaziergang, eine höchst genaue, fast phänomenologische Beschreibung des menschlichen Innenlebens zwischen Erinnerung, Einbildungskraft, aktuellem Bewusstsein und der kulturellen wie symbolischen Ordnung. Umgekehrt ließe sich aus der Seele bzw. dem Charakter, der durchaus erkennbar ist, das Verhalten des Menschen wie auch der Bühnenfigur oder des lyrischen Ichs vorhersagen. So meint in Wallensteins Tod Wallenstein zu Illo und dem Grafen Terzky: „Hab ich des Menschen Kern erst untersucht, / So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.“ (NA 8, 214) Wenn man die Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten definiert, dann war Schiller von seiner Ausbildung her, von seinem durchgehenden Interesse und in seinen Werken stets ein Psychologe. Körper-Diskurse und Anthropologie Schiller bekam auf der Karlsschule eine philosophische und eine medizinische Ausbildung auf einem damals außerordentlich hohen Niveau. Unter anderem las er Adam Fergusons Naturgeschichte des Menschen, welche die anthropologische Grundlage für sein Denken bildete. Der Mensch solle ein Tier sein, das sich von anderen „durch einen schwächeren Instinkt und ein helleres Bewußtsein“ unterscheide. Jedoch stelle der „Selbsterhaltungstrieb sowie die Notwendigkeit von Austausch und Kampf mit der Natur“ den Menschen „den übrigen Lebewesen gleich. Beim Menschen hat der Selbstbehauptungstrieb seine natürliche Bewußtseinsanlage entfaltet. Er wird erfinderisch, ein werkzeugschaffendes Tier, das sich selbst und die Natur um-

2. Zentrale Themen

gestaltet und dabei seine Kultur hervorbringt. Er lernt, den natürlichen Selbsterhaltungstrieb in geselligen Formen zu bändigen und zu verfeinern“. Da der Mensch nicht „instinktgeleitet in der Wiederholung von Lebensvollzügen kreist, hat er Geschichte und macht sie. Die Geschichte, die ihn hervorbringt, und die Geschichte, die er hervorbringt, das zusammen ergibt die Naturgeschichte des Menschen“ (NA 20, 54). Ferguson sieht den Menschen als Künstler sowohl seiner eigenen Gestalt als seines Schicksals und dieser ist bestimmt, von der frühesten Zeit seiner Existenz an zu erfinden und Entwürfe zu machen. Dabei wäre der Mensch nur in der Gruppe zu verstehen, sein Verhalten ist allein in der Beziehung zu anderen Individuen zu erklären. Er identifiziert sich mit seiner Gruppe und setzt sich zugleich von Fremden ab. Daran orientierte sich der junge Schiller in seiner Dissertation Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen: „So zwang der Körper den Geist auf die Erscheinungen um ihn her zu achten, so machte er ihm die Welt interessant und wichtig, weil er ihm sie unentbehrlich machte. Der Drang einer innern thätigen Natur, verbunden mit der Dürftigkeit der mütterlichen Gegend. Lehrte unsere Stammväter kühner denken und erfand ihnen ein Hauß.“ (NA 20, 54) Dieses Haus musste verteidigt werden, sodass galt: „Hier wiederum neue Produkten, neue Gefahren, neue Bedürfnisse, neue Anstrengungen des Geistes. Die Kollision der thierischen Triebe stößt Horden wider Horden, schmidet das rohe Erz zum Schwerdt, zeugt Abentheurer, Helden und Despoten. Städte werden bevestiget, Staaten errichtet, mit den Staaten entstehen bürgerliche Pflichten und Rechte, Künste, Ziffern, Gesezbücher, schlaue Priester – und Götter.“ (NA 20, 54) Schiller setzte hier eine Kulturgeschichte der steten Höherentwicklung in der Dialektik zwischen Individuum und Gruppe sowie Eigenem und Fremdem in Szene, die weitestgehend dem Diskurs der Zeit entsprach und in poetischer und ausgefeilter Form dann etwa im Gedicht Der Spaziergang zu lesen war. In diesem Zusammenhang verwundert bei Schiller die Antinomie im Sinn von zwei sich eigentlich ausschließenden anthropologischen Modellen kaum. Zum einen findet man in seinen Werken die Vorstellung von der Ganzheit des Menschen, die der Begründung des psychosomatischen Zusammenhangs zwischen der geistigen und tierischen Natur des Menschen zugrunde liegt. Diese erörterte Schiller bereits in seiner dritten Dissertationsschrift, sie wird einmal die Basis seiner Theorie des Schönen werden. Zum anderen bildet sich Schillers Überzeugung, der Geist, d. h., der Bereich des Moralischen im Sinn von Ideellem, habe sich vom Körperlichen und Sinnlichen möglichst unabhängig zu halten. Später wird dies die Grundlage seiner Theorie des Erhabenen werden: „Erhaben nennen wir ein Objekt, bey dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Ueberlegenheit, ihre Freyheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den Kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d. i. durch Ideen erheben.“ (NA 20, 171) Dennoch trifft die These von Schiller als körperlosem Autor, die immer wieder in der Forschung vertreten wird, nur bedingt zu. Selbstverständlich waren Schiller im Zweifel seine Einbildungskraft und sein Geist wichtiger als sein Körper, zumal schon über den jungen Schiller

Individuum und Gruppe

Tierische und geistige Natur

Körper und Materie

63

64

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Eigene Kultur und das Fremde

Theater als anthropologisches Medium

berichtet wurde, seine körperliche Erscheinung tendiere eher zur komischen Figur. Darüber hinaus kämpfte er in der zweiten Hälfte seines Lebens ständig mit seinem von Krankheiten gezeichneten Körper, sodass die Ideen sowohl in der individuellen Wertung wie auch in der schriftstellerischen Praxis durchgehend über der materiellen Wirklichkeit standen. Im Wallenstein heißt es: „Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit, / Leicht beieinander wohnen die Gedanken, / Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen, / Wo eines Platz nimmt, muß das andre rücken, / Wer nicht vertrieben sein will, muß vertreiben / Da herrscht der Streit, und nur die Stärke siegt.“ (NA 8, 207) In seiner Schaubühnen-Rede trennt Schiller den Tiermenschen mit seinen älteren und drängenderen Trieben und Affekten vom Bedürfnis des Geistes, denn „was die Dauer des physischen Lebens erhält“, wird immer des Menschen „erstes Augenmerk“ sein, und was die „Menschheit innerhalb ihres Wesens veredelt, sein höchstes“ (NA 20, 88). Später verweist Schiller in seiner Jenaer Antrittsvorlesung auf die Entdeckungen, welche die Europäer in fernen, exotischen Regionen gemacht hätten. Diese gäben ein ebenso „lehrreiches als unterhaltendes Schauspiel“, sie zeigten Völkerschaften, die „wie Kinder verschiednen Alters um einen Erwachsenen herumstehen, und durch ihr Beyspiel ihm in Erinnerung bringen, was er selbst vormals gewesen, und wovon er ausgegangen ist“ (NA 17, 364). Gegen Rousseaus Vorstellung des edlen Wilden, die auch Georg Foster auf seiner Reise mit James Cook nicht bestätigen konnte, beurteilte Schiller das Bild, das die fremden „Völkerschaften“ boten, dezidiert als beschämend. Erst mit seiner kulturellen Höherentwicklung, innerhalb einer Tendenz zur Veredlung, wenn die „Zwangspflichten von dem Menschen ablassen, übernehmen ihn die Sitten. Den keine Strafe schreckt und kein Gewissen zügelt, halten jetzt die Gesetze des Anstands und der Ehre in Schranken“ (NA 17, 366). Eine ähnliche Hierarchisierung nahm die Anthropologie der damaligen Zeit vor. Das Theater kann am Ende des 18. Jahrhunderts als ausgezeichnetes anthropologisches Medium bezeichnet werden, Schiller sieht dessen Aufgabe insbesondere darin, den Menschen mit dem Menschen bekannt zu machen und die inneren Beweggründe aufzudecken, nach welchen der Mensch handelt. In Über die ästhetische Erziehung des Menschen heißt es dazu: „Je mehr Kraft und Tiefe die Persönlichkeit, je mehr Freyheit die Vernunft gewinnt, desto mehr Welt begreift der Mensch, desto mehr Form schafft er ausser sich. Seine Kultur wird also darinn bestehen: erstlich: dem empfangenden Vermögen die vielfältigsten Berührungen mit der Welt zu verschaffen, und auf seiten des Gefühls die Passivität aufs höchste zu treiben: zweytens dem bestimmenden Vermögen die höchste Unabhängigkeit von dem empfangenden zu erwerben, und auf Seiten der Vernunft die Aktivität aufs höchste zu treiben. Wo beyde Eigenschaften sich vereinigen, da wird der Mensch mit der höchsten Fülle von Daseyn die höchste Selbstständigkeit und Freyheit verbinden.“ (NA 20, 349) Insofern geht die durchaus noch vom Materialismus des 18. Jahrhunderts bestimmte frühe Anthropologie Schillers in seinem Spätwerk in die Ästhetisierung des Lebens, der Umwelt und der Gesellschaft über. Sie distanziert sich vornehmlich vom Körper, der als widerständiges Element weiterhin vor-

3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile

handen ist, und zielt so auf der Grundlage eines individual-utopischen Ansatzes auf eine zukünftige gesellschaftspolitische Weiter- und Höherentwicklung, die letztlich auch den Menschen und dessen eigenes Bild betrifft und Schillers spezielle Anthropologie bezeichnet.

3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile Über die oft umstrittene Frage nach der Gattung hat sich Schiller in der Zusammenarbeit mit Goethe eigene Gedanken gemacht. Goethe veröffentlichte 1826 die Abhandlung Über epische und dramatische Dichtung unter beider Namen, obwohl kaum mehr geklärt werden kann, wer für welche Ideen verantwortlich war. Grundsätzlich würde der Epiker die „Begebenheit als vollkommen vergangen“ vortragen, während der Dramatiker „sie als vollkommen gegenwärtig“ darstelle (Goethe VI, 206). Hierbei würden „vorwärtsschreitende“ Motive, welche die Handlung fördern, eher vom Drama, „rückwärtsschreitende“ Motive, welche die Handlung von ihrem Ziel entfernen, fast ausschließlich vom epischen Gedicht geboten werden. Dies hat Auswirkungen auf die gattungsspezifischen Inhalte: Das epische Gedicht stellt die besonders „persönlich beschränkte Tätigkeit“, die Tragödie hingegen „persönlich beschränktes Leiden“ vor. Das epische Gedicht zeigt den „außer sich wirkenden Menschen“ in Schlachten, auf Reisen bzw. in „jeder Art von Unternehmung“, die eine „gewisse sinnliche Breite“ fordert, die Tragödie hingegen präsentiert „den nach innen geführten Menschen“, daher entfaltet sich die Handlung der Tragödie auf nur wenig Raum. In seiner Abhandlung Über die tragische Kunst (1792) beschäftigt sich Schiller eingehender mit der Tragödie. Primär ist sie, und hier folgt er Aristoteles, Nachahmung einer Handlung. Der Begriff der Nachahmung unterscheide dabei die Tragödie von den anderen Gattungen der Dichtkunst, die erzählen oder beschreiben. In ihr wird das, was sich ereignet, im Augenblick bzw. in der Ereignishaftigkeit des Geschehens als gegenwärtig und ohne weitere vermittelnde Instanz den Sinnen dargeboten und mithilfe der Einbildungskraft evoziert. Im Roman bzw. in der einfachen Erzählung rückt die Handlung, auch formal, in die Ferne, zwischen den Rezipienten und die handelnden Personen wird der Erzähler eingeschoben. Dies hat Folgen für die Wirkung, denn das geografisch Entfernte wie das historisch Vergangene schwächen den direkten Eindruck und den hervorgerufenen Affekt, während das Gegenwärtige der Tragödie ihn verstärkt. Für Schiller gilt daher: „Alle erzählende Formen machen das Gegenwärtige zum Vergangenen; alle dramatische machen das Vergangene gegenwärtig“ (NA 20, 165). Dies hat mutmaßlich Folgen für Schillers Vorliebe für das Drama und für seine Wahl der Stoffe aus der Vergangenheit. Von der Lyrik differenziert sich die Tragödie als Nachahmung einer Reihe von Begebenheiten bzw. einer Handlung nicht durch die Nachahmung, sondern durch das, was nachgeahmt wird. In der Lyrik werden „gewisse Zustände des Gemüts poetisch“ nachgeahmt, in der Tragödie darüber hinaus nicht allein die „Empfindungen und Affekte“ der dargestellten Figuren, sondern die „Begebenheiten, aus denen sie entsprangen und auf deren Veran-

Epische und dramatische Dichtung

Handlung in der Tragödie und in der Erzählung

65

66

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Rhapsode und Mime

Lyriker Schiller

lassung sie sich äussern“ (NA 20, 165). Die Tragödie legt also weit mehr Wert auf die Situation und die auf die Handlung bezogene Kausalität. Was die Performanz der Inszenierung betrifft, so unterschieden Goethe und Schiller programmatisch zwischen dem Rhapsoden und dem Mimen. Der Rhapsode soll in „ruhiger Besonnenheit das Geschehene“ übersehen, er wird „nach Belieben rückwärts und vorwärts greifen und wandeln, man wird ihn überall folgen, denn er hat es nur mit Einbildungskraft zu tun, die sich ihre Bilder selbst hervorbringt, und der es auf einem gewissen Grad gleichgültig ist, was für welche sie aufruft“ (Goethe VI, 206). Daher erscheint der Rhapsode in seinem Gedicht nicht selbst, sondern am besten wäre es, er würde während des Vortrags hinter einem Vorhang stehen. Der Mime hingegen spielt immer sichtbar. Indem sich Goethe und Schiller an dieser Stelle ausgiebig mit dem Mimen beschäftigen, weisen sie darauf hin, dass eine Tragödie immer auch als aufgeführte vorgesehen ist. Damit unterliegt die Tragödie in der Vermittlung durch den Mimen den medialen Gesetzen des Theaters. Wichtig sind demzufolge die Transitorik des Theaters, die Präsenz des Bühnengeschehens und des Schauspielers sowie dessen Korporalität als Teil der Ereignishaftigkeit des Theaters. Der Mime stellt sich als ein bestimmtes Individuum dar, er will, dass das Publikum an seinem Schicksal und dem seiner nächsten Umgebung teilnimmt, dass es die „Leiden seiner Seele und seines Körpers mitfühle, seine Verlegenheiten teile und sich selbst über ihn vergesse“. Gefordert sind Einfühlung und Empathie, der Zuschauer muss „in einer steten sinnlichen Anstrengung bleiben, er darf sich nicht zum Nachdenken erheben, er muß leidenschaftlich folgen, seine Phantasie ist ganz zum Schweigen gebracht, man darf keine Ansprüche an sie machen, und selbst was erzählt wird, muß gleichsam darstellend vor die Augen gebracht werden“ (Goethe VI, 208). Nun wissen wir nicht genau, wie viel von diesen Aussagen wirklich von Schiller stammt, zumal Goethe dem Theater näher stand. Doch auch Schiller hat von Anfang an seine Dramen meist für die konkrete Aufführung geschrieben, insofern hat er die Inszenierung als Transformation eines dramatischen Textes in einen theatralen wohl immer mitbedacht. Dafür spricht auch, dass er sich oft sehr viele Gedanken über die Wirkung auf das Theaterpublikum gemacht hat. War Schiller nun in der Hauptsache nur an der Tragödie interessiert? Hamburger hat die Frage erörtert, ob und inwieweit sich der Dichter selbst als Lyriker begriffen hat. Da Schiller sich auf den Begriff des Allgemeinen hin orientierte, ihn infolgedessen das Individuelle nicht sonderlich interessierte, wäre ihm auch die auf das Individuum bezogene Lyrik weniger wichtig gewesen. In diesem Sinn existiert nach Hamburger keine originäre Schiller’sche Lyriktheorie, die Lyrik habe als Gattung in seiner Betrachtungsweise wenig Raum (Hamburger 1960). Dies bestätigt eine Aussage Schillers im Februar 1789 Körner gegenüber: „Das lyrische Fach, das Du mir anweisest, sehe ich eher für ein Exilium, als für eine eroberte Provinz an.“ (NA 25, 211) Generell gilt Schiller nicht als begabter Lyriker, dennoch sollte nicht das traditionelle Vorurteil der Gedankenlyrik wiederholt werden, seine Gedichte vor allem der 1790er Jahre würden durch ihre ausgeprägte Musikalität und artistische Eleganz durchaus überzeugen, auch wenn gewisse Klischees unübersehbar seien. Schiller selbst betonte die Performanz und den Rhythmus, wenn es ihm um das Gedicht ging: „Ich glaube, es ist nicht immer

3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile

die lebhafte Vorstellung seines Stoffes, sondern oft nur ein Bedürfniß nach Stoff, ein unbestimmter Drang, nach Ergießung strebende Gefühle, was Werke der Begeisterung erzeugt. Das Musikalische eines Gedichts schwebt mir weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze es zu machen, als der klare Begriff vom Innhalt, über den ich oft kaum mit mir einig bin.“ (NA 26, 142) Dieser Stil konvergierte in seinen späteren Dramen mit der Betonung des Rhythmus’ und der Form. Was seine dramatische Produktion angeht, so ist es schwierig, einen eindeutigen dramatischen Stil festzustellen. Wenn man es auf einen allgemeinen Nenner bringen möchte, dann wäre der Stil für Schiller die gelungene Synthese von Form und Stoff. Übertreibungen in Richtung Form haben eine gewisse Manier zur Folge, nach der nur Stoff zur reinen Nachahmung tendiere. Er unterscheidet sich diesbezüglich kaum von Goethe, der in Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil (1789) die These formuliert, Stil sei gleich weit entfernt von der bloßen Nachahmung und der Manier, er sei weder Objektivismus noch Subjektivismus, sondern Formung, die im Medium subjektiver Empfänglichkeit und Kunstfertigkeit das Wesen der Dinge erfasst und gestaltet. Eine solche Festlegung wäre nicht korrekt, wenn die gesamte Bandbreite von Schillers Schaffen in den Blick genommen wird. Charlotte Schiller schreibt 1803 in einem Brief an Frau von Stein: „Mir ist immer wunderbar, wie schnell es Schillern gelingt, neue Formen anzunehmen, keines seiner Stücke gleicht dem vorigen.“ (NA 10, 356) Eher überzeugt die These, dass Schiller in fast jedem seiner Dramen einen neuen Stil ausprobiert. In dieser Hinsicht ist es kaum möglich, aus der Fülle seines dramatischen Werkes so etwas wie einen gemeinsamen Stil zu deduzieren. Ganz im Gegenteil scheint der Stil jedes einzelnen Dramentextes sowohl auf die Bedingungen und Umstände der Produktion und damit des Autors in seiner jeweiligen Lebensphase als auch auf den individuell umgesetzten Stoff und auf Diskurse und Mentalitäten der einzelnen Entstehungszeit hinzudeuten (vgl. Ritzer 1998, 240 ff.). Der Stil der Räuber resultiert erstens aus dem fast noch jugendlichen Alter des Debütanten Schiller, zweitens aus dem literarischen und theatralen Umfeld des Sturm und Drang und drittens aus der beengenden, aber dennoch sehr guten Erziehung an der Hohen Karlsschule, insbesondere den dortigen medizinischen, anthropologischen und philosophischen Studien. Daher demonstrieren Die Räuber das besondere Interesse der Zeit für das Menschenbild und für die Anthropologie des Anderen (Fischer-Lichte/Schönert 1998; Ritzer 1998, 241 f.). Das Theater richtete sich, im Gegensatz zur aristotelischen Forderung des Primats der Handlung, hauptsächlich am Charakter der Figuren aus. Die Performanz und die äußere Erscheinung der Figuren orientierte sich an der Psychologie nach der Natur und wies auf die Seele des Anderen hin, „die Thätigkeiten des Körpers“ entsprachen den „Thätigkeiten des Geistes“ (NA 20, 57), so Schiller in seiner Dissertation. Damit ist vor allem das Verhältnis von ideeller und materieller Welt angesprochen. Die Psychologie der Figuren nimmt einen äußerst breiten Raum ein, die Zuschauer konnten „die Seele bei ihren geheimsten Operationen“ ertappen (NA 3, 5). Der Dialog spitzt sich in den Monologen von Karl und Franz zu, Schiller nahm sich ganz offensichtlich Shakespeares Dramaturgie zum Vorbild. Be-

Dramatischer Stil

Stilvielfalt und innovative Formen

Stil der Räuber

67

68

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Zwischen Formalismus und Orientierung an der Natur

Dramaturgie des bürgerlichen Trauerspiels

Produktionsästhetik des Don Karlos

sonders beeindruckten ihn die Figuren der Intriganten Jago in Othello und Richard III., auch die des Marinelli in Lessings Emilia Galotti. Mit Shakespeare orientierte man sich an der Natur und nicht an der Tradition der (pseudo-)aristotelischen drei Einheiten, wie sie insbesondere von Charles Batteux gelehrt wurden. Ähnliches gilt für die Charakterisierung der Figuren durch ihre Sprache. Hierbei griff Schiller auf die Möglichkeit zurück, die jeweiligen Figuren und Situationen, in denen sie sich befinden, zu charakterisieren. In Ueber das gegenwärtige teutsche Theater von 1782 präsentierte sich Schiller als Autor der Mitte zwischen den Polen Formalismus und Unterordnung unter die Natur, welche die Handlung eher fragmentiert. Insofern kann man ihn nicht länger als Stürmer und Dränger bezeichnen. Schon mit seinem nächsten Stück Die Verschwörung des Fiesko zu Genua distanzierte er sich von einem zu sehr der Natur verpflichteten Dramenaufbau, obwohl keineswegs eine Dramaturgie gesucht wurde, die dem Ideal des französischen Klassizismus entsprach. Was seine Figuren betraf, interessierte sich Schiller dennoch weiterhin für den auffallenden Typus unter den Menschen, dessen prägnante äußere Erscheinung, Verhalten und Psychologie. Im Vergleich zu den Räubern ist Fiesko konventioneller gebaut, wenn man von den Ortswechseln mitten im Akt absieht. Auch die Sprache der Figuren betont nicht natürliche Individualitäten, erreicht aber fast durchgehend eine ähnlich hohe poetische Qualität. Mit Kabale und Liebe wendet sich Schiller der durch George Lillos London Merchant (1731) begründeten Form des bürgerlichen Trauerspiels zu. Er verlässt – dezidiert mit der Absicht, etwas anderes zu versuchen – den Bereich der „hohen Tragödie“ (NA 23, 155) und präsentiert eine bürgerliche Familie, einen ängstlichen Vater und eine verliebte junge Tochter sowie einen Konflikt zwischen bürgerlicher und adeliger Sphäre. Die Bezüge zu Lessings Emilia Galotti in der Intrigendramaturgie sind evident. Ziel ist es, mit Lessing gesprochen, Furcht und Mitleid zu erregen, man bietet dem bürgerlichen Publikum Figuren, mit denen es sich identifizieren kann, intendiert ist die Wirkung der Rührung. Um diese zu gewährleisten, verzichtet Schiller nicht auf Typisierungen, von der verliebten Tochter über den Intriganten mit dem sprechenden Namen Wurm und den eitel-lächerlichen Adeligen mit dem bezeichnenden Namen Kalb bis zur adeligen Mätresse, die im Hintergrund die Fäden zieht. Der Typisierung entspricht eine starke Konfliktstruktur, die Fronten sind klar gezogen. Der Gattung entsprechend bleibt es aber bei einer, wie es Schiller ausdrückt, „zerstreuende[n] Mannichfaltigkeit“ der Dramaturgie (NA 23, 74), ihm ging es darum, dass „komisches mit tragischem, Laune mit Schreken wechselt, und, ob schon die Entwiklung tragisch genug ist, doch einige lustige Karaktere und Situationen hervorragen“ (NA 23, 77). In seiner Dramaturgie bildet Don Karlos den Prozess der Produktion indirekt ab. Schiller deutete dies in seinem Kommentar an, er beobachtete, dass er sich „während einer weitläuftigen poetischen Arbeit“ veränderte, da er noch „im Fortschreiten“ und „am Ende eines solchen Produkts anders als bei deßen Anfang“ gewesen sei (NA 22, 137; Ritzer 1998, 248 ff.). Im ersten Versuch, das Drama zu schreiben, wurden über die Zeichen der äußeren Erscheinung die Psychologie und der Seelenzustand des titelgeben-

3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile

den Helden, der initiale Liebeskonflikt, von dem Karlos am Anfang mit voller Wucht getroffen wird, in den Vordergrund gestellt, während die Sprache schon auf eine andere Dramaturgie wies. In der späteren Version von 1787 wurde Karlos’ unvernünftige Liebe in den Hintergrund gedrängt und Teil einer politisch motivierten Interessenlage. Was am Anfang ein Gemälde der Leidenschaft gewesen ist, die noch entfernt an Kabale und Liebe erinnerte, wird der tragische „Kampf“ mit der „Leidenschaft“ (NA 22, 168), in dem die vorherige Nebenfigur Posa die Hauptrolle zugewiesen bekommt. Schiller transponierte die frühere Prosafassung des Don Karlos in freie Jamben und damit in diejenige Versform, die auch seine weiteren Dramen bestimmen wird. Letztlich orientierte er sich dabei an Wielands Briefen an einen jungen Dichter (1782/84). Er kündigte Dalberg seine Freude darüber an, dass der Vers seinem Karlos „sehr viel Glanz und Würde geben“ würde. Dieses für Schiller neue Verfahren zum Erhalt von Würde im Sinn eines Übergangs von den Empfindungen Liebe und Freundschaft zur Idee verhinderte nicht, dass es immer noch auf die menschliche Natur, also auf das praktische Gefühl (NA 22, 172) und eine illusionsfördernde Wahrscheinlichkeit (NA 22, 164) in psychologischer wie historischer Hinsicht ankam. Letztlich stand für den Dichter jedoch die Kunst der Darstellung im Mittelpunkt, die eine „Uebertretung der Wahrscheinlichkeit“ (NA 24, 123) erlauben würde. Dies bewirkte eine Interessenverlagerung von Shakespeare zur Poetik des französischen Klassizismus, wichtig wurden nun „Würde und Glanz“ der „hohen Tragödie“ (NA 23, 155). Die Dramaturgie des Don Karlos schien für den Wallenstein nicht mehr geeignet, Schiller distanzierte sich von seinen früheren Vorlieben: „Was ich je im Dramatischen zur Welt gebracht, ist nicht sehr geschickt mir Muth zu machen, und ein Machwerk wie der Karlos eckelte mich nunmehr an, wie sehr gern ich es auch jener Epoche meines Geistes zu verzeyen geneigt bin.“ Um 1794 betrat er eine völlig neue, ihm „ganz unbekannte wenigstens unversuchte Bahn, denn im Poetischen habe ich seit 3, 4 Jahren einen völlig neuen Menschen angezogen“ (NA 27, 45). Nach der intensiven Lektüre Kants revidierte Schiller nach Ritzer (1998, 252 ff.) seine Konzeption des Dramas auf mehrfache Weise: Erstens rückte die ästhetische Erfahrung an die Stelle der Unmittelbarkeit der Wirkung; es ging also nicht mehr um die direkte Identifikation des Zuschauers durch den Effekt der Rührung, Schiller kam es nun auf etwas Höheres im Sinn einer partiellen Absenz des Gemüts von der Sinnlichkeit an. Zweitens war damit eine neue Ästhetik der Tragödie verbunden. Zweck der Tragödie war für Schillers weitere Produktionen nicht mehr die Rührung oder die Bewunderung des Helden. Von Bedeutung war nun der innere Prozess, in dem sich das Erlebnis von Sympathie und die Reflexion insgesamt zu einer geistig-sittlichen Selbstbesinnung zusammenfanden. Um dies zu erreichen, sollte die Grundlage eine Dialektik von Pathos sein, im Sinn eines affektiv-identifikatorischen Zustands und einer Erhebung, verstanden als Distanz zur Sinnlichkeit. Als Ausgangspunkt dieser ästhetischen Erfahrung fungierte drittens der Kunstcharakter des dramatischen Textes, nun verstanden als „ideale“ Tragödie. Der Gegenstand, also der Stoff als Ausgangspunkt des Dramatischen, rückte in den Hintergrund und

Poetik des französischen Klassizismus

Ästhetische Erfahrung und ideale Tragödie

69

70

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Klassische Dramaturgie und Ästhetik

Vers, Rhythmus und Charaktere in einer Form

Gegen den Naturalismus der Zeit

die Gestaltung, die „tragische Form“ (NA 20, 169), ins Zentrum. Daraus ergab sich eine entscheidende Umorientierung für die Dramaturgie. Nicht mehr die von Anthropologie, Physiognomie und Psychologie grundierte starke Anbindung am dramatischen Helden bzw. Protagonisten, sondern die Handlung, verstanden als „teleologische Verknüpfung“ (NA 20, 157), hielt den dramatischen Text zusammen. Dies bedeutete keineswegs eine starke Determinierung des Helden als bedingungslose Anpassung an eine zentrale Handlung. Er musste sich als ein vom Schicksal unabhängiger Charakter erweisen und beweisen, um der Idealität der Handlung zu entsprechen. Dies sorgte viertens dafür, dass die Orientierung der Dramaturgie an der Natur, die noch für Schillers vorklassische Phase relevant war, ausfiel. Das Drama war ein Kunstwerk, das sich allein an eigenen poetischen Gesetzen orientierte, die sich keineswegs an der Wirklichkeit ausrichteten. Die im Prinzip schon von Aristoteles geforderte Geschlossenheit und Einheit der Handlung und der Gesamtdramaturgie sollte in ihrer ideell-ästhetischen Gesetzmäßigkeit die „erhabene Ordnung“ des Geistigen widerspiegeln (NA 20, 157). In der nun klassischen Dramaturgie lief die Handlung auf ein Ziel zu, die Figuren und die Sprache reflektierten das Allgemeine, der Aufbau neigte zur Symmetrie. Dies galt auch und gerade für die Dramatisierung eines historischen Stoffes, für die Geschichte als Materialsammlung und somit als „unpoetischen Stoff“ (NA 29, 17). Aus diesem Grund musste das Drama Wallenstein durch eine „glückliche Form bewerkstelligt werden“ (NA 29, 17), eine kunstreiche Führung der Handlung (NA 29, 17) bedingte so erst „Zweck und Form“ und unterstellte der Geschichte durch die Kunst einen vernünftigen Zweck sowie ein teleologisches, originär aristotelisches Prinzip (vgl. NA 17, 374; Ritzer 1998, 253 f.). Das, was Schiller um die Jahrhundertwende ablehnte, konnte dem Begriff des „Naturalismus“ subsumiert werden. Für diesen stand, was die Dramatik betrifft, der Name August von Kotzebue. Vor allem der Vers war es, der für alle Zuschauer erkennbar das dramatische Geschehen auf der Bühne vom Naturalismus wegrückte, der Idealisierung der Handlung hatte auch auf sprachlicher Ebene eine entsprechende Ästhetisierung zu folgen. Damit wurden die Individualität und der subjektive Charakter der einzelnen Figuren zurückgenommen und eine stilistische Homogenität garantiert (vgl. Graham 1974, 269 ff.). Der Rhythmus behandelte „alle Charactere und alle Situationen nach Einem Gesetz“, alle Figuren wurden „trotz ihres innern Unterschiedes in Einer Form“ ausgeführt. Das produktions- wie wirkungsästhetische Ziel war, von allem noch so „charakteristisch = verschiedenem etwas Allgemeines, rein menschliches zu verlangen“ (NA 29, 160). Dies war eine durchaus ungewohnte Forderung im Theater der Zeit, auch in Weimar. Es darf nicht übersehen werden, dass sogar unter Goethes Leitung das Weimarer Theater vor allem Stücke von Iffland und Kotzebue im Spielplan hatte. Auch während der Hochzeit der Weimarer Klassik wollte das Publikum ein gewisses Maß an Naturalismus auf der Bühne sehen, da kein normaler Mensch, so dachten auch damals die Zuschauer, sich in Versen artikuliere. Das Natürliche war mit einem adäquaten Inszenierungsund Schauspielstil verbunden, den Goethe während eines Besuches im Leipziger Theater 1800 folgendermaßen kommentierte:

3. Gattungen, Schreibweisen und Inszenierungsstile

„Der Naturalism und ein loses, überdachtes Betragen, im Ganzen wie im Einzelnen, kann nicht weiter gehen. Von Kunst und Anstand keine Spur. Eine Wiener Dame sagte sehr treffend: die Schauspieler täten auch nicht im geringsten als wenn Zuschauer gegenwärtig wären. Bei der Rezitation und Deklamation der meisten bemerkt man nicht die geringste Absicht verstanden zu werden. Des Rückenwendens, nach dem Grunde Sprechens ist kein Ende, so gehts mit der sogenannten Natur fort.“ (Goethe 1999, 270) Schiller war, und da war er sich mit Goethe einig, unnachgiebig, wenn es um den Vers, also um eine durch Reim und Rhythmus gehobene Sprache ging, gerade weil diese besondere Sprache die Illusion von Wirklichkeit störte und die Künstlichkeit des Inszenierten betonte. Insofern ließ sich Schiller nicht mehr von Diderots Forderung einer vierten Wand leiten, sondern legte Wert auf die illusionsbrechende Ausstellung des Theatralen im Inszenierten. In Goethes Regeln für Schauspieler heißt es: „Der Schauspieler lasse kein Schnupftuch auf dem Theater sehen noch weniger schnaube er die Nase, noch weniger spucke er aus; es ist schrecklich innerhalb eines Kunstproduktes an diese Natürlichkeiten erinnert zu werden.“ Daher sollten die Schauspieler auch nicht „aus mißverstandner Natürlichkeit unter einander spielen, als wenn kein Dritter dabei wäre“ (Goethe 1998, 858). Das Gewohnte im Sinn einer Abbildung des Wirklichen sollte, etwa mittels des Verses, ungewohnt sein. Verlangt wurde vom Autor wie vom Zuschauer eine gewisse Disziplin, die indirekt auf eine höhere Bedeutung des Inszenierten im Sinn einer Kunstwahrheit verwies. Da war es zur Oper gar nicht mehr weit, in der man glücklicherweise, so Schiller, „jene servile Naturnachahmung“ (NA 31, 144) vermied. Die Mittel der Oper waren im Theater auf einmal sehr willkommen, so erklärt sich die ganz spezielle Dramaturgie von Schillers Braut von Messina. Theatergeschichtlich war die Erfindung der Oper um 1600 eigentlich einer missglückten Rekonstruktion der antiken Tragödie zu verdanken. Daher erstaunt es nicht, wenn Schiller in der Braut den antiken Chor wiederbeleben wollte: „Die Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt – und wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die die Tragödie um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Welt rein abzuschließen und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren.“ (NA 31, 146) Noch zu seinem Wallenstein bemerkte Schiller zu Goethe: „Seitdem ich meine prosaische Sprache in eine poetische-rhythmische verwandle, befinde ich mich unter einer ganz andern Gerichtsbarkeit als vorher, selbst viele Motive, die in der prosaischen Ausführung recht gut am Platz zu stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen; sie waren bloß gut für den gewöhnlichen Hausverstand, dessen Organ Prosa zu sein scheint.“ (NA 28, 214) Überhaupt solle man jetzt „wirklich alles, was sich über das gemeine erheben muss“, in Versen verfassen, denn „das Platte kommt nirgends so ins

Künstlichkeit der Inszenierung

Kunstwahrheit und Oper

71

72

IV. Gattungen, Formen und Aspekte seines Werks

Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird“ (NA 28, 214). Dies bedeutete jedoch mitnichten, dass man in Weimar die frühe Begeisterung für Shakespeare und die einst vehemente Ablehnung der französischen Tragödiendramaturgie völlig vergessen hätte. Man war sicher gegen einen dem Leben zu ähnlichen Naturalismus, genauso wenig wollte man der Unnatürlichkeit der klassischen französischen Tragödie folgen, welche die Betonung der Form deutlich übertrieb. Dass Schiller sich in seinem letzten Stück nicht nur inhaltlich wieder dem „Volk“ zuwandte, sollte vielleicht eine neue Richtung andeuten.

V. Einzelanalysen 1. Die Räuber Dass Die Räuber in den Einzelanalysen an erster Stelle stehen, ist kein Zufall. Sie sind nicht nur Schillers erstes fertiggestelltes Drama, sondern sie begründen auch den Ruhm des noch erstaunlich jungen Dichters. Wann genau er mit der Abfassung begonnen hat, ist nicht bekannt, genannt wird der nicht unerhebliche Zeitraum von 1773 bis Ende 1779, als er noch Schüler war. Wie Shakespeare und viele andere berühmte Dramatiker schuf er seinen Text, den er 1780 abschloss, nicht einfach aus dem Nichts, sondern benutzte stoffliche Vorlagen. In diesem Fall war es vor allem die Erzählung Zur Geschichte des menschlichen Herzens von Christian Friedrich Daniel Schubart, die dieser 1775 im Schwäbischen Magazin von gelehrten Sachen auf das Jahr 1775 veröffentlicht hatte. Wenn man bedenkt, dass Schiller im Gegensatz zu Goethe, der aus begütertem Haus stammte und auf Honorare seiner literarischen Produktionen nicht so sehr angewiesen war, die erste Zeit seines Schaffens unter ständigen Schulden litt, dann versteht man den unbedingten Willen des Autors, sich in der literarischen Welt möglichst in kurzer Zeit einen Namen zu machen. Als er keinen Verleger fand, gab er das Drama sogar auf eigene Kosten in den Druck. Die Druckbogen ließ er in Mannheim dem Stuttgarter Buchhändler Christian Friedrich Schwan zukommen, der das Stück aufgrund der „Unzumutbarkeit des Stoffes“ ablehnte. Daraufhin änderte Schiller noch einmal den Text und ließ ihn Mitte Juni 1781 ohne Angabe seiner Autorschaft im Selbstverlag in einer Auflage von 800 Stück für 12 Groschen pro Band und mit den absichtlich falschen Druckorten Leipzig und Frankfurt veröffentlichen. Nachdem Schiller dieses Druckexemplar abermals Schwan nach Mannheim geschickt hatte, fand das Drama eine viel freundlichere Aufnahme. Schon während des Drucks tauschte Schiller einiges von dem Text aus, darunter die Vorrede, die heute als Unterdrückte Vorrede bekannt ist. Diese Fassung wurde dem Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters von Dalberg von Schwan empfohlen. Wie zu erwarten, verlangte der Theatermann Dalberg von Schiller einige Veränderungen am Text, um diesen auf die Bühne bringen zu können, die der junge Autor im August und September 1781 auch vornahm. Auf der Bühne selbst, die Schillers Ruhm begründete, sahen die Zuschauer eine nochmals von Dalberg persönlich veränderte Textfassung. Heute ist die Wirkung einer Theateraufführung zu Schillers Zeiten kaum mehr vorstellbar. Präsenz, Visualität und die ständige Möglichkeit zur Improvisation machten jede Inszenierung zum potenziellen Albtraum der Zensoren. Wollte Dalberg seine Stellung behalten, war er zu einer gewissen Vorsicht und damit Selbstzensur gezwungen. Zugleich suchte ein Theater, das sich vom Durchschnitt abheben wollte, durchaus kleine Tabubrüche. Dalberg handelte daher mit Schiller einen Kompromiss aus. Die Räuber wurden gegeben, aber die Zu-

Vorlagen und früher Ruhm

Ehrgeiz und erste Veröffentlichungen

Einrichtung für die Bühne

74

V. Einzelanalysen

Der provozierte Skandal

schauer wähnten die Handlung nicht, wie ursprünglich vorgesehen, im Siebenjährigen Krieg 1756–1763, sondern im weiter zurückliegenden, weniger heiklen 16. Jahrhundert. Zudem wurde Amalie nicht von ihrem Geliebten Karl getötet, sondern brachte sich am Ende selbst um, was wiederum den Charakter der Hauptfigur in ihren negativen Zügen etwas zurücknahm. Die Uraufführung der Räuber in Mannheim am 13. Januar 1782 um fünf Uhr nachmittags war ein außerordentlicher Erfolg. Schiller hatte den Skandal ganz bewusst provoziert. Nicht unerheblich war der Beitrag der Schauspieler. Den Franz Moor spielte immerhin August Wilhelm Iffland, der wohl begabteste deutsche Schauspieler seiner Generation, die Rolle des Karl Moor übernahm der hoch talentierte Johann Michael Boeck. Der Intrigant Franz war eine ideale Partie für Iffland, Schauspieler und Rolle wurden zu einer perfekten Einheit, wie Böttiger berichtet: „Mit grausend aufwärts gekehrtem, anfänglich glühend funkelndem, dann versteinert starrendem Blick, mit gehobener, da unbeweglich eingewurzelter Stellung, wobey die Rechte hoch vorwärtsstrebende Hand Trutz, die linke krampfhaft gegen die Brust gesenkte Schutz anzukündigen schien, rief er: ,Rächet denn droben über den Sternen einer?‘ Nun eine Pause. – Leises, furchtsames, angsterpreßtes: ,Nein!‘ – Neue Pause. – Der gefürchtete Donnerschlag schmettert nicht herab. – Dem Gottesläugner wächst der frevende Muht. – ,Nein!‘ brüllt er zum zweyten Mal knirschend, mit geballter Faust gegen den Himmel, und mit hörbar aufstampfendem Fuße.“ (Rudloff-Hille, 29)

Verschiedene Fassungen

Selbstbesprechung des Autors

Psychologie des Verbrechers

Der noch in seiner entschärften Version provokante aufgeführte Text führte im Zuschauerraum zu einer allgemeinen ungewohnten Erregung. Im Januar 1782 erschien zeitgleich mit der Uraufführung eine vom Autor geänderte Version der zuvor veröffentlichten Buchfassung. Darüber hinaus erstellte Schiller ab Ende 1783 noch eine dritte Fassung, eine für die Mannheimer Bühne verbesserte Auflage, die einige Änderungen Dalbergs, aber auch ganz neue Textzeilen enthielt. Interessant ist, dass zum längerfristigen Bühnenerfolg vor allem diejenige Textfassung beigetragen hat, die von Karl Martin Plümicke 1783 für die Berliner Bühne erstellt wurde. Dass Schiller möglichst wenig dem Zufall überlassen wollte, nicht nur was die Aufführung, sondern auch was die Rezeption betrifft, beweisen die Selbstbesprechungen des Autors im Wirttembergischen Repertorium, eine zu seiner Zeit ungewöhnliche Form des Selbstmarketings. Provokant war natürlich die Handlung, waren der Konflikt, aber vor allem die Figuren, die sowohl im Negativen wie im Positiven und in der Aufteilung in Protagonisten (Karl) und Antagonisten (Franz) in ihrem Charakter nicht ganz so eindeutig gezeichnet wurden, wie man es gewohnt war. Das Ziel des 22-jährigen Schiller war, mithilfe der dramatischen Methode die Seele „bey ihren verstohlensten Operationen“ zu ertappen, da „sie uns ihre Welt gleichsam gegenwärtig stellt, und uns die Leidenschaften und geheimsten Bewegungen des Herzens in eigenen Aeusserungen der Personen schildert“. Insofern sei das Drama in der Lage, den „ganzen Menschen“ zu analysieren (NA 3, 243). Für Schiller war Karl Moor „nicht Dieb, aber Mörder. Nicht Schurke, aber Ungeheuer“ (NA 22, 120). Als Figur war Karl dem Leben, wie es der philosophisch und medizinisch ausgebildete Schiller zu-

1. Die Räuber

mindest theoretisch erfasst hatte, und der Literatur entnommen worden: „Dieser seltene Mensch“ dankt „seine Grundzüge dem Plutarch und Cervantes, die durch den eigenen Geist des Dichters nach Shakespearscher Manier in einem neuen, wahren und harmonischen Charakter unter sich amalgamiert sind.“ (NA 22, 120) Hinzufügen sollte man noch, was die Gesamtdramaturgie betraf, das Vorbild des Götz von Berlichingen von Goethe, sodass mit aller Vorsicht ein Einfluss der Dramen des Sturm und Drang angenommen werden kann. Obwohl sich Schiller später von seinem Frühwerk distanzieren und für sein mangelhaftes Wissen die lebensfernen Verhältnisse an der Hohen Karlsschule verantwortlich machen wird, er aus diesen Gründen noch „unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal“ gewesen sei, sind die Charaktere in den Räubern keineswegs unkomplex angelegt worden. Schiller kritisierte, sein „Pinsel“ musste notwendigerweise die „mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen“, schon aufgrund seiner Unerfahrenheit musste er „ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um das Beispiel einer Geburt zu verewigen, die der naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte“ (NA 22, 94). In seiner Selbstbesprechung begründet Schiller die strategische Wahl der Räuber unter der Führung Karl Moors als stücktragende Figuren. Zudem erläutert er die Zeichnung des zentralen Antagonisten Franz Moor als „schleichender Teufel“ (NA 22, 118). Er deutet an, dass dessen Natur und Sozialisation ursächlich für seine Motive zur Intrige sind. Franz wird innerhalb des Bruderzwistes, dessen dramatische Struktur Schiller aus Friedrich Maximilian Klingers Zwillinge (1776) und dem Julius von Talent (1774) von Johann Anton Leisewitz übernehmen konnte, schon deshalb unattraktiver als Karl vorgestellt, weil er als Zweitgeborener nicht dieselben Rechte und günstigen Zukunftsaussichten wie sein Bruder besitzt. Er neidet dem Älteren sein von Geburt an garantiert besseres Leben, das er eigentlich selbst führen will. Aus einer legal kaum optimierbaren Position strebt er an die Macht im Haus und versucht, sich das väterliche Erbe und die des Bruders so standesgemäße wie attraktive Geliebte Amalie anzueignen. Da er dies auf rechtmäßigem Weg nicht erreichen kann, setzt er eine Intrige gegen Karl ins Werk. Hierzu täuscht er seinen Vater Maximilian, indem er ihm selbst gefälschte Briefe zukommen lässt. Aus diesen muss der Graf von Karls vermeintlich unmoralischem und verbrecherischem Leben erfahren. Daraufhin enterbt der Graf seinen Sohn, als Reaktion darauf gründet dieser wiederum eine Bande von Räubern und wird deren Hauptmann. Während Franz von vornherein, noch vor der Exposition des Dramas, ein Motiv für seine unmoralischen Handlungen besitzt, wird Karl erst vor den Augen des Publikums zum Räuber. Für beide Verbrechertypen gelte, so Schiller, dass sie als von der Welt Ausgestoßene eine besondere Bühnenpräsenz besäßen und ein Drama populär machten. Dabei ergäbe sich ein Widerspruch zwischen der Kategorisierung „böse“ im Sinn einer Essenz oder Wesenheit, die aus christlich-theologischer Sicht Ausdruck der Erbsünde sei, und der aus der dramatischen Situation sowie der vorausgehenden Handlung resultierenden Zuneigung zum Verbrechen. Schiller stellt daher in seinen Räubern die Frage nach der Freiheit oder der Determination des Menschen. Wie in Shakespeares Richard III. eröffnen die Monologe von Franz, deren Sinn hauptsächlich in der

Komplexe Charaktere

Motive des Verbrechers, Bruderzwist

Freiheit oder Determination

75

76

V. Einzelanalysen

Attraktion des Verbrechers

Hässlichkeit und Charakter

Physiognomik und Figurenzeichnung

Psychologie und Anthropologie

Physiognomisches Vorurteil

Information der Zuschauer liegt, dem Publikum die Begründung für dessen schlechten Charakter. Die aus damaliger Sicht durchaus unfeinen dramatischen Elemente des Stücks wie auch die charakterlichen Dispositionen der Figuren dienten dem jungen Schiller als wohlüberlegte Mittel zur Erhöhung der Attraktion des Bühnengeschehens. Denn er erkannte früh, dass die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit gerne den „so äußerst unmoralische[n] Jaunerhorden“ schenkten, schon aufgrund des eigentümlichen „Korpus“, den die moralisch Andersartigen der „bürgerlichen Gesellschaft gegenüber formieren“. Deren „Beschränkungen“, „Gebrechen“ und „Gefahren“, „alles lockt“ die Zuschauer „näher zu ihnen“ (NA 22, 118 f.). Freilich differenzierte Schiller zwischen den verschiedenen Charakteren der Brüder. Franz stellt in seiner auffallend hässlichen Erscheinung schon so weit eine Negativfigur dar, dass hier die Imagination des Dramatikers die „luxurierenste Phantasie des Karikaturisten“ übertrifft (NA 22, 121). Der von Geburt an Benachteiligte beklagt sein verunstaltetes Gesicht und seine unattraktive körperliche Erscheinung: „Ich habe grosse Rechte, über die Natur ungehalten zu seyn […]. Warum gerade mir die Lappländers Nase? Gerade mir dieses Mohrenmaul? diese Hottentotten Augen? Wirklich, ich glaube, [die Natur] hat von allen Menschensorten das Scheußliche auf einen Haufen geworffen, und mich daraus gebacken. Mord und Tod!“ (NA 3, 18) Damit war für die Zuschauer visuell ohne Umstände bezeichnet, wer der Böse und der Antagonist war. Die Gleichsetzung von Hässlichkeit, schlechtem Charakter und der Physiognomie des außereuropäischen Fremden war zur Zeit des jungen Schiller kein Zufall, die physiognomisch ausgezeichnete positive Gegenfigur ist Karl, „schön vor allen Jünglingen“, mit „lange[m] Gänsehals“ und „schwarzen, Feuerwerfenden Augen“ (NA 3, 73 und 90). Von der äußeren Erscheinung der ,dramatis personae‘ wird in diesem und in den folgenden Stücken Schillers auf den inneren Charakter geschlossen. Der Dichter hatte sich, auch hier seinem Lehrer Abel folgend, wissenschaftlich mit der Physiognomik beschäftigt, obwohl er die Meinungen und Thesen des berühmtesten Physiognomikers der damaligen Zeit, Johann Christoph Lavater, nicht durchgehend teilte. Neben der Physiognomik ging es Schiller, wie oben bereits erörtert, vor allem um die Anthropologie und die Psychologie des Menschen, die ihn schon während seiner Studienzeit beschäftigten. Insofern sind die Gestalten des Intriganten Franz und des gefallenen Räuberhauptmanns Karl zum einen in ihrer übertriebenen, dramatischen Typisierung gelungene Theaterfiguren und Funktionsträger einer auf den höchstmöglichen Effekt ausgerichteten Dramaturgie. Zum anderen kommunizieren sie Schillers wissenschaftliches Wissen, der seine elitäre Schulbildung direkt in die Räuber einfließen ließ. Insbesondere die Frage nach dem Verbrechen und dem Laster im Leben des Menschen interessierten ihn sehr. Im Vorwort von 1782 schrieb Schiller: „Diese unmoralische Karaktere“ mussten „von gewissen Seiten glänzen, ja oft von Seiten des Geistes gewinnen, was sie von Seiten des Herzens verlieren“ (NA 3, 7). Der nicht gerade bescheiden argumentierende Jungautor behauptete sogar, einen solchen „überlegenden Schurken“ wie den Franz auf die Bühne zu stellen

1. Die Räuber

bzw. „ihn zum Gegenstand der bildenden Kunst zu machen“, hätte mehr gewagt, „als das Ansehen Shakespeares, des größten Menschenmalers, der einen Jago und Richard erschuf, entschuldigen; mehr gewagt, als die unglückseligste Plastik der Natur verantworten kann“ (NA 22, 121). Die übertriebene Physiognomie des Intriganten Franz sollte sich auf der Bühne mit dem im Zuschauer evozierten Interesse für das antibürgerlich Außergewöhnliche vereinigen. Dabei war die Wirkung der Figur so durchschlagend, dass es kein Wunder war, wenn einige Jahre später in einigen Trivialstücken wie dem berüchtigten, weil antisemitischen Der Verkehr von Karl Borromäus Alexander Sessa zu physiognomischen Vorurteilen gegriffen wurde, um Aufmerksamkeit für die Dramen und ihre Inszenierungen zu wecken. Nun erscheint die Handlung der Räuber auch für heutige Rezipienten keineswegs harmlos, vielmehr außerordentlich grausam, wenn nicht gar an manchen Stellen trivial. Ihr Erfolg schuf eine der Grundlagen für die Trivialdramatik eines Iffland, Kotzebue oder einer Charlotte Birch-Pfeiffer, die, was die auf die direkte Wirkung bezogenen dramatischen Mittel betraf, vom jungen Schiller einiges lernen konnten. Er lässt in keiner Szene eine Gelegenheit aus, mit aufsehenerregenden Handlungsfolgen und überraschenden, eher unwahrscheinlichen Wendungen die Blicke der Zuschauer auf die Bühne zu lenken. Damit widerspricht er der aristotelischen Forderung nach der Wahrscheinlichkeit der Handlung. Überhaupt wendet er sich gegen dessen höchst einflussreiche Poetik, mit der er sich erst in seinen späteren Werken anfreunden wird. Der handelnde Franz ist seinem Vorbild Richard III. durchaus ebenbürtig, wenn nicht sogar an Bosheit und Lust am Verbrechen überlegen. An Shakespeare orientiert sich auch die Gesamtdramaturgie, indem sie keineswegs der klassizistischen Doktrin der strengen Einheiten von Handlung, Zeit und Ort folgt. Schiller schreibt über sein „unregelmäßiges Stück“ in der Vorrede, er könne die „Fülle ineinandergedrungener Realitäten […] unmöglich in die allzuenge Pallisaden des Aristoteles und Batteux einkeilen“ (NA 3, 5). Hiermit bezieht er sich auf die theaterhistorisch wirksame Fehlinterpretation der Poetik, denn Aristoteles hatte im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung im 18. Jahrhundert keineswegs eine strikte Einhaltung aller drei Einheiten gefordert. Vor dem Hintergrund der Shakespeare’schen Dramaturgie werden in den Räubern die Handlungsorte wie in Goethes Götz von Berlichingen vergleichsweise oft, schnell und abrupt gewechselt. Somit stand jede Inszenierung des Stücks vor dem Problem, in einem aus heutiger Sicht uncharakteristischen Bühnenbild und mithilfe einer aus der Perspektive des Ideals der höchstmöglichen Natürlichkeit noch nicht so weit entwickelten Schauspielkunst die vielen Schauplätze und dramatischen Situationen auf der Bühne so darzustellen, dass die Zuschauer der Handlung gut folgen konnten. Dabei war die Einbildungskraft der Zuschauer aufs Höchste gefordert, was neben dem skandalös erscheinenden Thema und der gewagten Figurenzeichnung ebenfalls zum prägnanten Eindruck des inszenierten Dramas beigetragen haben mag. Es war für Schillers weitere Schriftstellerkarriere sicher ein Glücksfall, dass für die Uraufführung der Räuber der zu seiner Zeit talentierteste deutschsprachige Schauspieler Iffland die Rolle des Intriganten Franz

Grausame, gar triviale Handlung

Shakespeares unregelmäßige Dramaturgie

Wechsel der Handlungsorte

77

78

V. Einzelanalysen

Individuelle oder politische Freiheit

Erschütterung der alten Ordnung

übernahm. Dies umso mehr, als die Handlungsorte der Räuber als Hinweise auf das Innere der jeweils handelnden Figuren fungieren. Franz intrigiert in seiner Sphäre, somit erfolgreich im Hof der Macht, womit sich eine versteckte Kritik am Adel andeutet. Karl hingegen tritt bis auf wenige Ausnahmen, etwa als unerkannter Besucher im Schloss, in der Natur auf, er bleibt ein Fremder im Raum der herrschenden Verstellung und Unmoral. Auch die Behandlung der Zeit in den Räubern folgt nicht den klassizistischen Regeln, sondern die Handlung soll sich, wie Schiller schreibt, über einen Zeitraum von „ohngefähr zwei Jahre[n]“ erstrecken (NA 3, 3). Wie verhält es sich nun mit der Frage nach der Freiheit, gerade in Bezug auf den Sturm und Drang, der gegen die Vorstellungswelt der Aufklärung opponierte? Oder anders gesagt: Wie und wodurch soll sich die Freiheit, welche die Brüder Franz und Karl jeweils für sich in einer je individuellen Art und Weise suchen, legitimieren und ausprägen? Geht es bei den Räubern um politische Freiheit, also um eine Revolution des Einzelnen gegen die Tyrannei eines Systems? In seinem Frühwerk scheint Schiller eher über den individuellen Freiheitsbegriff als über den politischen zu reflektieren. Im Zentrum steht die Frage nach der Unbeschränktheit der eigenen Person. Dabei hat der Autor diese Frage, die eigentlich das Ich oder Selbst betrifft und dessen Größe meint, auf die Figuren Franz und Karl verteilt. Franz sucht seine Freiheit in der Macht und dem Begehren der Frau, darüber hinaus im Reichtum. Man ist versucht, ihn für den alleinigen schlechten Charakter im Stück zu halten. Aber auch Karl geht es primär um die größtmögliche, unbeschränkte Freiheit seines unbeherrschbaren Charakters, um die Durchsetzung seines Willens. Insofern ist es konsequent, dass Schiller dem Drama keine prägnante Dichotomie zwischen einem guten Protagonisten und einem bösen Antagonisten zugrunde gelegt hat, obwohl er mehr Sympathien auf Karl versammeln will. Aber auch Franz ist nicht völlig unsympathisch gezeichnet, kann man sich doch mit ihm durchaus ein Stück weit identifizieren. Am Ende verlieren beide Brüder. Franz erlangt nur kurz die Macht, um dann völlig zu stürzen. Karl geht seinen Weg der Freiheit als den der Unbesonnenheit so weit, dass er letztlich erkennen muss, den Weg des Verbrechers gegangen zu sein. Für ihn wird es ebenfalls kein Zurück in das bürgerliche, normale Leben mehr geben. Die Handlung basiert auf der Grundlage der Kritik und Auflösung der patriarchalischen Ordnung. Letztere wird vom alten Grafen Maximilian Moor repräsentiert, dessen Schwäche auffällig ist. Inwieweit dies auf die Schwäche des alten Systems verweist, kann diskutiert werden. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob die mangelnde Autorität des Vaters bereits auf die Krise des Ständestaates und die zukünftige Revolution deutet. Sicher kann man von einer mangelnden Orientierung der Jüngeren durch die Älteren und der dramatischen Erschütterung der alten Ordnung sprechen.

2. Kabale und Liebe Ein weiteres Erfolgsstück

Kabale und Liebe, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen, ist Schillers drittes Drama. Es wird vermutet, dass er es im Oktober oder November 1782 begonnen hat. Wie die Räuber wurde es ein Erfolg, der für den weite-

2. Kabale und Liebe

ren Aufstieg des Dichters wichtig war. Denn das zweite Stück, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua, ein auch heute selten aufgeführtes, komplexes Drama, enttäuschte das Publikum sehr. Aber man glaubte am Mannheimer Theater weiterhin an die Zugkraft von Schillers Dramen, immerhin war die Wirkung der Räuber bei den Zuschauern und in der Öffentlichkeit außerordentlich. Daher begann man im direkten Anschluss an die letzte Aufführung des unpopulären Fieskos sogleich, Schillers nächstes Stück einzustudieren. Wie zu erwarten, sollte Iffland wieder die Rolle des Intriganten, den Sekretär Wurm, spielen. Während der Proben hieß das Stück noch Luise Millerin, was auch der Tradition der Gattung entsprach, man denke nur an Lessings Emilia Galotti oder Johann Gottlob Benjamin Pfeils Lucie Woodvil. Iffland hatte jedoch Bedenken, ihm schien der Name der Hauptfigur zu unspannend, er schlug Kabale und Liebe vor, einen Titel, der die wichtigsten Motive und Strukturen prägnant auf den Punkt brachte. In Mannheim fand dann aber am 15. April 1784 nicht die eigentliche Uraufführung des Stücks statt, sondern zwei Tage zuvor in Frankfurt in einer szenischen Einrichtung von Gustav Wilhelm Friedrich Großmann. Schiller hatte das Stück in seiner zweiten Fassung bereits im März 1784 veröffentlicht. Die erste Fassung, die zwischen Dezember 1782 und Februar 1783 im Bauerbach entstand, überarbeitete er im darauf folgenden Jahr. Auf der Bühne sah man eine Überarbeitung dieser zweiten Fassung. Die Premiere von Kabale und Liebe am Mannheimer Nationaltheater kam zur Erleichterung des Autors, der Schauspieler und der Theaterleitung gut an. Streicher, der mit Schiller in einer Loge saß, berichtete über die Reaktionen des Publikums und des Dichters, der sich „gegen das Publikum“ verbeugte: In „der edlen, stolzen Haltung, zeigte sich das Bewußtseyn sich selbst genug gethan zu haben, sowie die Zufriedenheit darüber daß seine Verdienste anerkannt und mit Auszeichnungen beehrt würden“ (Streichers Schiller-Biografie 1974, 104 f.). Dennoch wurde Schillers Vertrag, der nur bis September 1784 lief, entgegen den Erwartungen des Autors von Dalberg nicht verlängert. Die Gründe dafür waren wohl zum einen die Angst der Intendanz vor Problemen mit der Obrigkeit, da Schillers Stücke nicht unpolitisch waren und gerade Kabale und Liebe inhaltlich brisant erschien. Zum anderen hatte Schiller in seinem persönlichen Verhältnis zu den Schauspielern ein ähnliches Sympathieproblem wie schon Lessing am Hamburger Nationaltheater fünfzehn Jahre zuvor. Die erfahrenen Bühnenakteure konnten mit den selbstbewussten Vorstellungen und Zielen des jungen Intellektuellen wenig anfangen. Und der theaterunerfahrene Schiller kümmerte sich viel zu wenig um die Eitelkeiten und Ängste der Schauspieler. Obwohl es sich bereits um sein drittes Stück handelte, darf man nicht vergessen, dass Schiller zu dieser Zeit erst 25 Jahre alt war. Daher verwundert es kaum, wenn die Weltsicht des männlichen, jungen Protagonisten Ferdinand dominiert, der sich nicht nur unsterblich in ein etwa 16 Jahre junges bürgerliches Mädchen verliebt, sondern sich zudem gegen den „realistischen“, etwa 50 Jahre alten Vater, der für das traditionelle System des Hofes steht, auflehnt. Schon in der einführenden Szene des ersten Aktes werden die Zuschauer direkt und weitgehend ohne Umschweife mit dem zentralen Konflikt des Dramas bekannt gemacht. Der Vater der ursprünglich titelge-

Proben, Umbenennungen und Überarbeitungen

Politisch brisanter Inhalt

Generations- und Liebeskonflikt

79

80

V. Einzelanalysen

Intrigendramaturgie

Traditionelle Dramaturgie

benden Heldin, der schönen Luise Miller, beklagt im ersten Satz: „Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind.“ (NA 5, 8) Überhaupt ist die ganze Dramaturgie im Vergleich zu den Räubern und vor allem zum Fiesko viel stringenter aufgebaut, alles kommt direkt und rasch auf den Punkt und die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird nicht aus der Hand gegeben. Der zentrale Konflikt ist nicht so sehr die Liebe, sondern vor allem die von den jungen Liebenden angestrebte Verbindung, die zwar zur damaligen Zeit imaginiert, jedoch nicht verwirklicht werden konnte. Denn das Konzept der Liebe als freie Wahl des zukünftigen Ehepartners konnte man dem zeitgenössischen Lesestoff, insbesondere den Romanen, bereits entnehmen, aber noch waren alle Familiendiskurse auf das Weiterbestehen der Familie im eigenen Stand ausgerichtet. Ferdinand, der nicht nur von hohem Adel, sondern auch der Sohn des mächtigen Präsidenten von Walter, ein höherer Hofbeamter am „Hof eines deutschen Fürsten“, ist, plant eine ehrbare Zukunft mit Luise Miller, Tochter des bürgerlichen Stadtmusikanten Miller. Diese Liebe wagt es, die traditionellen Grenzen des Standes zu überschreiten, wobei es Ferdinand keineswegs primär um ein erotisches Abenteuer geht, sondern um die Absicht, sich gegen alle Konventionen zu verheiraten. Als wäre dieser Konflikt nicht schon allein Stück tragend, baut der Autor mehrere Intrigen in die Dramaturgie ein, deren Ursachen und Motive während des Fortlaufs der Handlung sukzessive ans Licht kommen. Der Standpunkt des Vaters wird schon in der ersten Szene deutlich. Er befürchtet für sich, seine Familie und seine Tochter handfeste Schwierigkeiten und zweifellos einen katastrophalen Ansehensverlust. Letzterer verschärft sich durch die Zugehörigkeit der Geliebten zur bürgerlichen Welt, sodass von vornherein nicht nur die Probleme der Figuren behandelt, sondern zwei Lebenswelten und die damit verbundenen moralischen Vorstellungen in den jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen auf der Bühne reflektiert werden. Dem bürgerlichen Vater ist eigentlich der Fürst selbst in strikter Opposition entgegengesetzt. Über dessen Existenz und vor allem politische, gesellschaftliche sowie individuelle Untaten und Amoralitäten wird nur in den Dialogen berichtet. Der Fürst scheint nicht die Rolle des amoralischen Antagonisten zu besetzen, diese wird auf mehrere Gegner der jungen Liebe verteilt. So gelingt es Schiller, bekannte moralische Verfehlungen der Fürsten anzusprechen und zugleich geschickt davon abzulenken. Die Vorstellung des Publikums wird in die gewünschte kritische Richtung gelenkt, während sich der Autor der konkreten Verantwortung so weit wie möglich entzieht. Der Dichotomie in der Figurenkonstellation entspricht die auffallend symmetrische Dramaturgie, wie sie sich zum einen in der willkürlichen Abwechslung der Handlungsorte, zum anderen in den Figurenkonstellationen samt deren Milieus darstellt. Lothar Pikulik vertritt die Ansicht, dass sich Schiller formal dem eher traditionsbewussten Dalberg angepasst hat. Das Selbstbewusstsein des Autors wird an diesem ersten Tiefpunkt seiner noch jungen Karriere nicht allzu groß gewesen sein. Mit diesem Stück schwenkt Schiller wieder in die aristotelische bzw. klassizistische Traditionslinie ein. Inhaltlich folgt er jedoch weiterhin seiner revoltierenden Motivation. Dies

2. Kabale und Liebe

hat eine Spannung zwischen innerem Gehalt, also zwischen der Kritik an der Konvention, und der äußeren Form, also der Bestätigung derselben, zur Folge (Pikulik 2004, 101). Die Opposition im Inhaltlichen besteht zwischen dem bürgerlichen Haushalt und dem Hof, somit dem Haus Millers einerseits und den Gemächern der Lady Milford wie den Räumen des Präsidenten andererseits. Als vom Zuschauer mutmaßlich imaginierter ,Stellvertreter‘ des Fürsten agiert Präsident von Walter, dessen Wahrnehmung und Erfahrungswelt durch einen hart erkämpften Aufstieg einschließlich der obligatorischen Leichen im Keller geprägt sind. Er steht paradigmatisch für das System, die angepasste Wahrnehmung und das typische Verhalten in seiner Stellung, insgesamt also für die amoralischen Taten und die überkommene Welt des Adels im Ganzen. Der Präsident hat für seinen Sohn eine ähnliche Laufbahn geplant, zudem will er das Leben seines Sohnes, insbesondere seine Heirat, auch für seine persönliche Stellung am Hof nutzbringend verwerten. Ohne seinen Sohn darüber in Kenntnis zu setzen, leitet der Präsident eine Heirat mit der Mätresse, oder wie es bei Schiller heißt, der Favoritin des Fürsten, Lady Milford, in die Wege. Den Konflikt von Anfang an verschärfend, agiert zudem der Intrigant mit dem sprechenden Namen Wurm, der Sekretär des Präsidenten. Bemerkenswert ist, dass sich der Sekretär im Laufe des Stücks wie der denkbar schlimmste Adelige verhält, obwohl er dem Bürgertum entstammt. Er ist das besonders prägnante Beispiel für einen Bürger, der sich durch die Sitten der adeligen Sphäre falsch beeinflussen lässt. Wie schon in den Räubern spiegelt das Aussehen des Antagonisten den Charakter wider, Wurm wird physiognomisch gezeichnet. Als „Federnfuchser“ ist er ein „konfiszierter widriger Kerl“, als „hätt ihn irgendein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert – Die kleinen tükischen Mausaugen – die Haare brandroth – das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stük Arbeit meinen Schlingel da angefaßt, und in irgend eine Eke geworfen hätte“ (NA 5, 18). Die roten Haare sind bezeichnend, tierphysiognomische Anspielungen – „Mausaugen“ – fehlen nicht. Schiller gibt sich darüber hinaus sehr viel Mühe, jede einzelne Figur über die Sprache zu charakterisieren. Das reicht vom kalten, zynischen Ton des Präsidenten über Ferdinands Schwärmereien bis zur betont einfachen Sprache Millers und der erkennbaren Bemühtheit seiner Frau, ihren Aufstiegswillen auch im Dialog zum Ausdruck zu bringen. Nicht zu vergessen die Affektiertheit und Lächerlichkeit der Darstellung des Hofmarschalls, der ebenfalls mit einem tierphysiognomischen Namen, von Kalb, versehen wurde. Zudem spart Schiller nicht mit charakterisierendem Nebentext. Wurm, die interessanteste Figur im Stück und wieder eine ideale Rolle für den Charakterdarsteller Iffland, hat schon aufgrund seiner subalternen Position, vor allem aber wegen seines unvorteilhaften Äußeren schlechte Karten im Leben. Wie Franz Moor glaubt er, sich nur über die Intrige dasjenige verschaffen zu können, was ihm die Natur vorenthält, nämlich die schöne Luise. Um sie wirbt er beim Vater, was diese als Zeichen seines schlechten und schwachen Charakters wertet, denn ein anständiger Mensch hätte sie direkt gefragt. Dieses Unverständnis über Wurms feigen Charakter zeigt den Beginn der sich andeutenden neuen Vorstellung der romantischen Liebe, in der die Frau ihren zukünftigen Ehepartner frei wählen darf. Doch

Physiognomische Zeichnung

81

82

V. Einzelanalysen

Handlungsautomatismus und Determination der Figuren

Psychologische Charakterprofile

Wurm kann, und dies ist von Anbeginn klar, eine so schöne und tugendhafte Frau nur durch Hinterlist in seinen Besitz bringen. Da Luises Mutter dem Sekretär indiskret die Liebe von Ferdinand zu ihrer Tochter andeutet, nimmt die tragische Handlung ihren Lauf. Wurm reagiert sofort und bringt den Präsidenten dazu, die Heirat Ferdinands mit Lady Milford öffentlich zu machen, indem er die Geschwätzigkeit des Hofmarschalls von Kalb ausnutzt. Es wird ein Automatismus in Gang gesetzt, der die Figuren weitestgehend ihrer Handlungsspielräume, die von vornherein mentalitäts- und systembedingt äußerst eng sind, beraubt. Nach kürzester Zeit kann keiner der Beteiligten ohne großen Ansehensverlust seine fatalen Entscheidungen zurücknehmen. Die angekündigte Hochzeit muss, um dem traditionellen System und dessen Regeln zu entsprechen, durchgeführt werden. Entgegen der Erwartung des mächtigen Präsidenten weigert sich sein Sohn kategorisch, den gleichen erfolgreichen, aber unmoralischen und fremdbestimmten Weg wie er zu gehen. Schiller gelingt es sehr gut, den Generationskonflikt mit dem Standeskonflikt und dem sich abzeichnenden Aufstieg der bürgerlichen Moral und Vorstellungswelt in eins zu setzen. Einer der interessanten dramaturgischen Kniffe besteht darin, dass Schiller erst nach einiger Zeit aufdeckt, wer der größte Intrigant unter allen Figuren ist, wer die Tragödienhandlung direkt in die Katastrophe treibt. Es ist Lady Milford, die jedoch keineswegs im wahren Inneren so verdorben ist wie alle annehmen, obwohl sie wie der Präsident höchst geschickt ihre gehobene Stellung am Hof erkämpft und dabei viele Leichen im Keller angesammelt hat. Immerhin hat sie in ihrer einflussreichen Position beim Fürsten viel Gutes bewirkt, weil sie geschickt dessen Untaten abmildert. Darüber hinaus liebt sie Ferdinand wirklich, nicht zuletzt aufgrund seines anständigen Charakters, und wünscht sich nichts mehr als eine bürgerliche Heirat. Eine anständige Beziehung soll paradoxerweise mit unanständigen Mitteln eingerichtet werden. Um ihr Ziel zu erreichen, hat Lady Milford alle getäuscht, indem sie ihr Umfeld glauben ließ, ihre Heirat mit Ferdinand diene allein dazu, die Verbindung mit dem Herzog, der sich demnächst standesgemäß vermählt, weiterhin aufrechterhalten zu können. Dies wäre auch im Sinn des Präsidenten gewesen, der so seinen Einfluss auf den Herzog erhalten hätte. Nachdem Lady Milford dem geliebten Ferdinand ihre verwerflichen Handlungen gebeichtet hat und dieser zwar von ihrem wahren Charakter gerührt ist, ihr aber jede Zusage einer Heirat wegen seiner Liebe zu Luise strikt verweigert, muss sie erkennen, dass sie nicht nur schuldig geworden ist, sondern auch scheitern wird. Sie wird ihre vorteilhafte Stellung aufgeben, ihr Vermögen verteilen und wieder als arme Adelige nach England zurückkehren. Die von ihr angestoßene Intrige führt der Sekretär Wurm, die tragische Handlung weiter auf die verbrecherische, unmoralische Seite lenkend, mithilfe eines diabolischen Plans weiter. Er bringt den Präsidenten dazu, den Vater gefangen zu nehmen, und eröffnet der verzweifelten Luise den einzigen Weg: Sie müsse einen von ihm diktierten Liebesbrief an den Hofmarschall von Kalb schreiben, indem sie sich als geheime Geliebte des Hofmarschalls offenbart. Währenddessen zieht der Präsident den Hofmarschall mit der Drohung des Statusverlustes auf seine Seite, damit dieser die Intrigen stützenden, falschen Behauptungen gegenüber Ferdinand bestätigt. Der Plan ist deshalb so ge-

2. Kabale und Liebe

schickt, weil der zu allem entschlossene Ferdinand nur so zum Verzicht auf Luise gedrängt werden kann. Dabei wird ausgenutzt, dass Ferdinand zur Eifersucht neigt; charakterliche Eigenheiten und Schwächen und damit das psychologische Profil der jeweiligen Figuren spielen eine große Rolle in Schillers Dramaturgie. Zugleich droht man Luise mit dem größten Schaden für ihren Vater, wenn sie die Intrige gegenüber Ferdinand nicht ebenfalls aufrechterhält. So geht Ferdinand in die Falle. Er liest den falschen Brief und glaubt, dass er von Luise betrogen wurde, zumal dies von der erpressten Luise selbst und dem Hofmarschall bestätigt wird. Unglücklicherweise reagiert er auch hier anders, als es sich die Intriganten vorgestellt hatten. Er beschließt, sich und Luise zu vergiften. Im Todeskampf eröffnet Luise ihrem Geliebten den wahren Sachverhalt, sodass dem ebenfalls sterbenden Ferdinand nur übrig bleibt, seinem Vater zu vergeben. Da der Präsident versucht, seinem Sekretär Wurm die alleinige Verantwortung zuzuschieben, will sich dieser mit der Offenlegung aller Schandtaten des Präsidenten rächen. Zwar wird er abgeführt, aber der Präsident erkennt seine Schuld und die Ausweglosigkeit, in die er sich manövriert hat, und übergibt sich als Gefangener der Gerichtsbarkeit. Im Vergleich zu den Räubern wird der politische Hintergrund der Dramaturgie von Kabale und Liebe deutlicher. Insofern ist die These, dass Dalberg auch aufgrund der politischen Brisanz auf eine Vertragsverlängerung von Schiller verzichtete, kaum zu widerlegen. Das Stück besitzt einen stark appellativen Charakter, es hält mit seiner Kritik an den herrschenden Zuständen nicht zurück. Hierbei wird auf der innertheatralen Ebene mit anklagenden Dialogpartien genauso gearbeitet wie im außertheatralen Kommunikationssystem mit eher typenhaft übertriebenen Charakteren. Für jeden erkennbar ging es Schiller weniger um die Liebesgeschichte, obwohl er diese geschickt zur Identifikation mit den Protagonisten nutzte. Er kritisierte die Fürstenwillkür, am auffallendsten in den Schilderungen sexueller Übergriffe des Adels auf Bürgerstöchter und der Verschickung der Landessöhne als Söldner im Dienst der englischen Krone. Letzteres war auf der Bühne so gefährlich, dass die Szene der Lady Milford mit dem Kammerdiener oft gestrichen werden musste. Tatsächlich war diese höchst verwerfliche Praxis keine Erfindung Schillers. Nicht nur der Landgraf von Hessen, sondern auch Herzog Carl August von Weimar erzielten mit dem Verkauf von Soldaten ihren Gewinn, selbst Goethe war als Vorsitzender der Kriegskommission in Weimar in dieses unmoralische Geschäft mit einbezogen. Hinzu kam die überdeutliche Kritik am traditionellen System der Stände, das an den schon zu Schillers Zeit nicht mehr zeitgemäßen Standesregeln festhielt. Die alten Strukturen verhinderten die natürliche Zuneigung der Herzen, sodass es unweigerlich zur Katastrophe kommen musste. Der Charakter der im Adelssystem und am absolutistischen Hof sozialisierten Menschen ist verdorben, er ist gekennzeichnet durch Verstellung, Intrigen, individuelle Nutzenmaximierung und Liebesunterdrückung. Er steht in diametralem Gegensatz zum bürgerlichen, der Ehrlichkeit, der Moral und dem Herzen folgenden Charakter. Diese Dichotomie zeigt sich im äußeren Erscheinungsbild der Figuren, auch in diesem Stück folgt Schiller seinem Lehrer Abel und, bei aller Kritik an dessen Physiognomik, den Thesen Lavaters. Der tragische Konflikt hat dementsprechend seine systemische Begrün-

Kritik an den politischen Verhältnissen

Bürgerliche und adelige Moral

83

84

V. Einzelanalysen

Tradition des bürgerlichen Trauerspiels

Empfindsamkeit und romantische Liebe

Freiheit und Moderne

dung im Standesunterschied und seinen psychologischen Grund in den Motiven, die in den verschiedenen Sphären mit unterschiedlichen Mitteln verfolgt werden: bürgerliche Motive, etwa bei Luise und ihrem Vater, aber auch bei Ferdinand und sogar bei der geläuterten Lady Milford, kontrastieren mit den Motiven und Lebenszielen der Höflinge, somit auch der Lady Milford, des Präsidenten, indirekt des Fürsten, des Sekretärs Wurm, und in einer leichten Infektion durch das Unmoralische, die vor allem in der Indiskretion zutage tritt, auch in der Mutter, eine ähnlich durch Adelsglanz verführbare Figur wie die Mutter in Lessings Emilia Galotti. Schillers Drama übernimmt Züge aus der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels, dessen Dramaturgie, seit Lessings Miss Sara Sampson von 1755 bekannt und einflussreich, die Folie bildet, auf der sich die Bühnenhandlung von Kabale und Liebe konkretisiert. Nicht zufällig ähnelt Wurm dem Intriganten Marinelli aus Lessings Trauerspiel. Während Emilia Galottis Vater die Tochter ermordet, um sie vor der Schande der moralischen Verfehlung zu bewahren, bleibt der Vater in Schillers Trauerspiel bis zuletzt eine zurückhaltende Figur. Ferdinand, der Adelige mit dem bürgerlichen Herzen, verschuldet aufgrund seiner Charakterschwäche der Eifersucht, die ihn angreifbar macht, den Tod der Geliebten, wobei die Lösung des Konflikts und die Auflösung der Handlung auf das Jenseitige zielen, am Ende wird der „Richter der Welt“ angesprochen. Schiller gelingt es, die psychologischen Mechanismen aufzuzeigen, die dazu führen, dass ein Mensch von seinem tugendhaften Weg abkommt. Er zeigt, wie schnell man vom Guten ins absolut Böse verführt oder dirigiert werden kann. Für dieses soziale und psychologische Experiment stützt er sich auf die Dramaturgie des bürgerlichen Trauerspiels, auf die tragische Liebesgeschichte, die Intrige, das Missverständnis und den Mord, letztlich auf den Konflikt, der sich aus dem Standesunterschied ergibt. Schiller entwickelt ihn mit dem Rückgriff auf ältere Handlungsschemata – wie etwa Shakespeares Romeo und Julia, Richard III. oder Othello – in seinem erfolgreichen Stück Kabale und Liebe weiter. Nun ist die Struktur der unmöglichen Liebe von der Antike bis heute die am häufigsten benutzte, wenn Dramaturgien der Liebe im Vordergrund stehen. Schillers Stück dokumentiert den Wandel von der Herrschaft der Familie zur Herrschaft des Individuums, wenn es um die Liebe als Ursache und Fundament der Liebesbeziehung, Heirat und Familiengründung geht. Dass der gestresste bürgerliche Vater den Lesekonsum der Tochter beklagt, liegt am Konzept der romantischen Liebe, das grundsätzlich im Roman lange vor seiner tatsächlichen Verwirklichung seine Verbreitung findet. Auch der adelige Vater kann gegen die romantische Liebe als Vorstellung vor dem Hintergrund der Empfindsamkeit wenig ausrichten. Die Väter scheinen die Macht in Liebesangelegenheiten über ihre Kinder bereits weitgehend verloren zu haben. Dass die Liebe letztendlich scheitert, liegt keineswegs an ihnen, sondern an den immer noch unterschiedlichen Freiheitsräumen in den verschiedenen Ständen. Während die bürgerliche Tochter vorsichtig bleibt, scheitert der junge Adelige an seiner ungebremsten Hybris. Die wahre Ursache der tragischen Handlung liegt jedoch in der Freiheit des zukünftig modernen Menschen begründet, die allein von der Natur begrenzt wird. Wenn diese den Menschen unvorteilhaft ausstattet, bleibt kein anderer Trost übrig als

3. Don Karlos

der Hass auf die anderen und die Kabale, die der Liebe als Schatten eng verbunden ist. Wurm ist daher der wahre moderne Held, seine Situation wird später das Thema Kafkas sein.

3. Don Karlos Aus der Sicht der heutigen Mediengeschichtsschreibung muss zwischen den verschiedenen Versionen des Stücks unterschieden werden, zumal Don Karlos seinen Autor im Vergleich zu allen anderen Stücken am intensivsten und längsten, nämlich im gesamten Zeitraum der Jahre 1782 bis 1787, beschäftigt hat. Zum einen hat sich Schiller schon in Stuttgart, kurz vor seiner Flucht und auf Anregung von Dalberg, mit dem Stoff befasst, zum anderen war für die spätere Abfassung des Theatertextes wichtig, dass Schiller nicht mehr direkt auf die praktischen Anforderungen der Bühne Rücksicht nehmen musste, da sein Vertrag mit dem Mannheimer Theater im September 1784 nicht verlängert wurde. Eine Folge davon war, dass sich Schiller für seinen Don Karlos einen deutlich längeren Text zugestand. Dieser könne kein Theaterstück werden, da er sich die Freiheit zur Grenzüberschreitung genommen habe und somit auch nicht nach gewohnten formalen Maßstäben beurteilt werden könne: „Die dramatische Einkleidung ist von einem weit allgemeineren Umfang als die theatralische Dichtkunst, und man würde der Poesie eine große Provinz entziehen, wenn man den handelnden Dialog auf die Geseze der Schaubühne einschränken wollte.“ (NA 6, 495) Der Gewinn für die Poesie zeigte sich unter anderem in der Verdoppelung der Textlänge und im erstmaligen Gebrauch des sogenannten klassischen Versmaßes, des Blankverses bzw. fünfhebigen Jambus’. Während ein damaliges Stück für die Bühne zwischen 2.000 und 3.000 Verse aufwies, kommt der Text des Don Karlos von 1787 auf 6.282. Schon in der damaligen Zeit stellte der Vers für Schauspieler eine durchaus gewichtige Hürde dar, er war in der Theaterpraxis nicht gerade beliebt. Zu diesem größeren Umfang und der zusätzlichen Mühe, die der Gebrauch des Versmaßes für Schiller bedeutete, hat auch die wirtschaftlich günstigere Situation des Autors in Dresden beigetragen. Schiller hatte nun mehr Zeit und stand nicht unter dem Druck, zu einem festgelegten Termin für die Bühne zu liefern. Im Allgemeinen ist dieses Stück in fünf Akten nicht so einfach zu verstehen, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Schiller selbst weist darauf hin, dass zur Ermittlung der „Hauptidee des Stückes“ mehr „ruhiges Nachdenken erfordert wird, als sich mit der Eilfertigkeit verträgt, womit man gewohnt ist, dergleichen Schriften zu durchlaufen“ (NA 22, 167). Begonnen hat er mit der eigentlichen Niederschrift noch im Sommer 1784. Am 7. Juni 1784 kündigt er Dalberg „ein Familiengemählde in einem fürstlichen Hauße“ an (NA 23, 144), was in dieser in sich fast widersprüchlichen Kombination die Wende in Schillers poetischen und dramaturgischen Vorstellungen andeutet. Dass das Stück in Blankversen verfasst wurde, ist kein Zufall, Schiller orientierte sich dabei an Shakespeare. Ein Drama solle in Versen geschrieben sein, sonst wäre es „kein vollkommenes, und kann für die Ehre der Nation gegen das Ausland nicht konkurrieren. – Nicht, als ob ich auf das leztere Anspruch machte, sondern weil ich die Wahrheit jenes Aus-

Poetische Freiheit und Überlänge

Orientierung an Shakespeare

85

86

V. Einzelanalysen

Historische Quellen

Lese- und Bühnenfassung

spruchs überzeugend erkannte, habe ich diesen Karlos in Jamben entworfen“ (NA 6, 345). Auf der Handlungsebene ging Schiller von Shakespeares Hamlet aus, Bezüge zu dessen Othello fallen ebenfalls auf, etwa durch ein dramaturgisch relevantes Requisit wie das Schnupftuch von Karlos. Ähnlich wie Hamlet erlebt Karlos den Raum und das Milieu des Herrscherhauses als leer und unfruchtbar, ihm begegnet nichts, was sein Herz befriedigen könnte. Mit dem Rückgriff auf Shakespeares Dramaturgie waren eine Figurenzeichnung und eine Sprache verbunden, die noch Ähnlichkeiten mit den Helden des Sturm und Drang aufwiesen, jedoch bereits in einer gewissen Zurückgenommenheit auf die klassische Weimarer Ästhetik zugingen. Man bemerkt bereits eine Abkehr des Dichters von der bürgerlichen Ästhetik und Dramaturgie und eine Hinwendung zur klassischen, an der Antike orientierten Dichtungslehre, indem nun Personen bzw. Helden gesucht werden, die eine Fallhöhe mit sich bringen – die Ständeklausel wird daher wieder, zumindest zum Teil, in Kraft gesetzt. Darüber hinaus stützte sich Schiller auf mehrere Quellen, die den historischen Don Karlos zum Gegenstand hatten und die Überarbeitung durch den Dramatiker verdient hätten, weil sie den Stoff nicht nur in einen größeren historischen, sondern vor allem auch globalen Kontext stellten. Eine Quelle war Abbé de Saint-Réals Histoire de Dom Karlos, fils de Philippe II. Roy d’Espagne (1672). Damit entschied sich der Dichter nicht für eine historische Quelle im engeren Sinn, sondern für eine historische Novelle, in der der Marquis von Posa bereits als fiktive Figur auftritt und die historisch nicht belegbare, aber mögliche Liebeszuneigung zwischen Karlos und seiner jungen Stiefmutter geschildert wird. In diesem Sinn ist die Handlung, wie es Aristoteles in seiner Poetik fordert, wahrscheinlich. Diese Bevorzugung der poetischen vor der historischen Wahrheit begründet und verteidigt Schiller später in Über die tragische Kunst aus dem Jahr 1792 auf theoretischer Ebene. Der Leser würde sich selbst und dem Dichter nützen, wenn er, so Schiller, „vor Lesung dieser Fragmente die Geschichte des Don Karlos“ vom Abbé S. Réal nur „flüchtig durchblättern will“ (NA 6, 346). Hier deutet sich schon an, dass das Stück ohne geeigneten Interpretationskontext gar nicht so leicht zu deuten ist. Man kann vereinfacht von zwei verschiedenen Fassungen des Don Karlos sprechen, eine für die Leserinnen und Leser, eine für die Bühne. Diejenige für die Leser erschien früher, und zwar nicht als Ganzes, sondern in Teilen in der Thalia als Vorabdruck zwischen 1785 und 1787. Schiller erklärte die Veröffentlichung in „Bruchstücken“ damit, dass es sein Wunsch sei, „Wahrheit darüber zu hören, eh er sie wirklich vollendet“ (NA 6, 343). Er ließ also Teile seines Stücks vom Publikum überprüfen, bevor er es dem wirkungsvolleren Medium der Bühne übergab. Zudem machte er sich vermehrt Gedanken darüber, was die Nachwelt denken würde, welche „verdammt ohne Beklagten, ohne Sachwalter, ohne Zeugen. Das Werk lebt, und sein Schöpfer ist nicht mehr“ (NA 6, 344). In den Sommermonaten 1787 wurde dann das gesamte Stück unter dem Titel Don Karlos. Infant von Spanien von Göschen veröffentlicht. Für die Bühne wurde es von Schiller überarbeitet. Der Text sei, wie er dem Hamburger Intendanten Friedrich Ludwig Schröder am 12. Oktober 1786 schrieb, „einer theatralischen Ausführung fähig“, daher wäre er nun „gegenwärtig schon beschäftigt“, ihm „diese Gestalt zu geben“

3. Don Karlos

(NA 24, 63). Die Bühnenfassung war erwartungsgemäß gekürzt, aber stets etwas zu lang, immerhin zählte man nun 3.943 Verse. Daher wurde der Text, der von Schiller im Juni 1787 nach Hamburg gesandt und dort am 29. August 1787 mit Erfolg aufgeführt wurde, abermals um einige Verse reduziert. Übrigens hat der Autor das Stück 1802 ein weiteres Mal überarbeitet, zudem hat er 1801 eine Fassung veröffentlicht, in der 800 Verse gestrichen wurden, und die wiederum die Grundlage der Ausgabe letzter Hand der Theatersammlung von 1805 war. Weshalb ist die Erläuterung der verschiedenen Versionen so relevant? Weil in der Geschichte der späteren Aufführungen des Don Karlos auf verschiedene Textfassungen zurückgegriffen wurde und die jeweilige Auswahl zeigt, welche Handlung und welche Konflikte, an denen das Stück reich ist, in der jeweiligen Inszenierung im Vordergrund stehen sollten. Zudem liefert ein Blick auf den Produktionsprozess eine Erklärung dafür, weshalb die Dramaturgie so unausgewogen wirkt. Schiller gesteht in seinen Briefen über Don Karlos ein, dass das Stück nicht wie aus einem Guss erscheint, dass es vielmehr in mindestens zwei Teile zerfällt, in den ersten, der sich mehr Don Karlos, und in den zweiten, der sich mehr Posa zuwendet. Dafür sei die lange Arbeitszeit am Stück verantwortlich, der Hauptfehler sei, dass er sich „zu lange mit dem Stücke getragen“ habe, ein „dramatisches Werk aber kann und soll nur die Blüte eines einzigen Sommers sein“ (NA 22, 139). Es hat sich während der Zeit, in der Schiller das Stück ausarbeitete, „welches mancher Unterbrechungen wegen eine ziemlich lange Zeit war“, in ihm „selbst vieles verändert“ (NA 22, 138). Die Differenz in Schillers Innenleben reflektiert sich in der Dramaturgie und in dem eigenartigen Antagonismus der beiden Hauptfiguren. Der Bruch in der Dramaturgie zeigt auch die Problematik der Männerfreundschaft. Für Schiller war sie jedenfalls keine leidenschaftliche Verbindung. Zwar baut das Verhältnis des Marquis Posa zu Don Karlos auf einer Reminiszenz ihrer frühen akademischen Jahre – man ahnt eine einstmalige „Harmonie der Gefühle, eine gleiche Liebhaberei für das Große und Schöne, ein gleicher Enthusiasmus für Wahrheit, Freiheit und Tugend“, die sie „damals aneinander geknüpft“ hatte (NA 6, 342). Nun treffen sie wieder aufeinander, ihre alte Übereinstimmung finden sie jedoch nicht mehr. Das Missverständnis ist bereits in der etwas autistischen Projektion des Idealisten Posa angelegt:

Produktionsprozess und Dramaturgie

Marquis Posa und Don Karlos

„Da es Karlos ist, der dieses Ideal von Menschenglück wirklich machen soll, so trägt er es auf ihn über, so faßt er zuletzt beides in einem Gefühl unzertrennlich zusammen. In Karlos allein schaut er seine feurig geliebte Menschheit itzt an; sein Freund ist der Brennpunkt, in welchem alle seine Vorstellungen von jenem zusammengesetzten Ganzen sich sammeln.“ (NA 6, 343) Zudem ist Karlos nun der Sohn des regierenden Königs, gegen das System der Rangordnungen am Hof ist es kaum möglich, von Freundschaft zu sprechen, die auf Gleichheit fußt. Die Zweiteilung der Dramaturgie weist auf die beiden dominierenden Motive: „Was wäre also die so genannte Einheit des Stückes, wenn es Liebe nicht sein soll und Freundschaft nie sein konnte? Von jener handeln die drei

Liebe oder Freundschaft?

87

88

V. Einzelanalysen

Politische Opposition gegen den Despotismus

Der Historiker als Psychologe

ersten Akte, von dieser die zwei übrigen.“ (NA 22, 161) Die Tragik des Stücks ergibt sich demnach aus einem fundamentalen Missverstehen, das seine Ursache in der Unhintergehbarkeit der herrschenden politischen Struktur hat. Letztlich kann weder die Liebe noch die Freundschaft die herrschenden Verhältnisse am Hof überwinden, so wie auf dramaturgischer Ebene „keine von beiden“ das „Ganze“ beschäftigt, die „Freundschaft opfert sich auf, und die Liebe wird aufgeopfert“ (NA 22, 162). Zwar ist man sich einig über die Notwendigkeit eines „enthusiastische[n] Entwurfs, den glücklichsten Zustand hervorzubringen, der der menschlichen Gesellschaft erreichbar ist“. Aber dieser Entwurf ist für den Psychologen Schiller im „Konflikt mit der Leidenschaft“ (NA 22, 164). Die beiden Freunde vertreten Sinn und Sinnlichkeit als Bedingung der menschlichen Existenz. Im Vordergrund der Handlung steht ab der Mitte des Stücks Posas Versuch, sein Ziel zu erreichen. Dieses Ziel hat seinen Grund in einer höchst politischen, despotenfeindlichen Haltung Schillers, die uns heute noch so interessiert, dass seine Stücke weiterhin aktuell bleiben. In seiner Einleitung zu Abfall der Vereinigten Niederlande gegen die spanische Regierung (1788) erörtert er den für ihn selbst unwahrscheinlichen, aber sehr begrüßten Kampf um die niederländische Freiheit. Beruhigend sei der Gedanke, dass gegen die „trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt“ doch etwas getan werde und dass deren „berechnetsten Plane an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden“ (NA 17, 10). Für diese Freiheit tritt in Don Karlos Posa ein, für sie steht als „Denkmal bürgerlicher Stärke“, als Beispiel dafür, was „Menschen wagen dürfen für die gute Sache“, die „Geschichte jenes denkwürdigen Aufruhrs, der die vereinigten Niederlande auf immer von der spanischen Krone trennte“ (NA 17, 10). Damit markiert Schiller auf der einen Seite die nicht so kohärenten Motivationen und Legitimationen allen Handelns der Protagonisten, also Karlos’ und vor allem Posas, um auf der anderen Seite verschiedene Facetten der Antagonisten, insbesondere des spanischen Herrschers und der Inquisition, zu beleuchten. Der Historiker Schiller schildert Philipp II. als mächtigsten Souverän seiner Zeit, dessen „gefürchtete Uebermacht ganz Europa zu verschlingen droht“ (NA 17, 11). Der Vollstrecker dieses gefürchteten Menschen ist in der Geschichte wie im Stück der Herzog von Alba, der 1567 nicht als „staatskluge[r] Mittler“, sondern als „Henker“ (NA 17, 12) in die Niederlande geschickt wurde, um die dortigen Aufstände niederzuschlagen. Um diesen Befehl zu verstehen, müsse man, so Schiller, einen „flüchtigen Blick“ in die Seele Philipps II. werfen, um dort den „Schlüssel zu seinem politischen Leben“ zu finden, der Historiker wird zum spekulierenden Psychologen: „Freude und Wohlwollen fehlten in diesem Gemüthe. Jene versagten ihm sein Blut und seine frühen finstern Kinderjahre; dieses konnten Menschen ihm nicht geben, denen das süßeste und mächtigste Band an die Gesellschaft mangelte.“ (NA 17, 54) Die frühe Prägung und außerordentliche Stellung des absolutistischen Herrschers der bedeutendsten Macht der Welt prägen den negativen Charakter: „Zwei Begriffe, sein Ich, und, was über diesem Ich war, füllten seinen dürftigen Geist aus, Egoismus und Religion sind der Inhalt und die Ueberschrift seines ganzen Lebens.“ (NA 17, 54) Und gerade die Kombination der Identitäten bzw. Rollen „König und Christ“ machen ihn so gefährlich, „Mensch für Menschen“ wie Karlos und

3. Don Karlos

Posa, „war er niemals, weil er von seinem Selbst nur aufwärts, nie abwärts stieg. Sein Glaube war grausam und finster, denn seine Gottheit war ein schreckliches Wesen“ (NA 17, 54). Für diese grausame Gottheit steht im Stück die spanische Inquisition, die an der geistigen Spitze der Hierarchie des Repressionsapparates steht. Verkörpert wird sie in den bedeutenden Nebenfiguren des Beichtvaters des Königs, Domingo, dessen Name auf den die Inquisition tragenden Dominikanerorden anspielt, und des Großinquisitors, der sich am Ende als eigentlicher Machthaber, als graue Eminenz des Systems, erweist. Der Orden ist für Schiller ein Ort der negativen Charakterbildung, in ihm wirken Mönche als „Abart des menschlichen Namens, die die heiligen Triebe der Natur abgeschworen, dienstbaren Kreaturen“ des Papstes (NA 17, 57). Vor allem die spanische Inquisition sei besonders grausam und repressiv, weil sie im langen Kampf der Reconquista ihre „neue Eroberung vor jedem Rückfalle“ in die alten Glaubenspraktiken bewahren müsse:

Spanische Inquisition und Atmosphäre des Stücks

„Wollte die Kirche einen vollständigen Sieg“ feiern, „so mußte sie den Grund selbst unterwühlen, auf welchen der alte Glaube gebaut war; sie mußte die ganze Form des sittlichen Karakters zerschlagen, an die er aufs innigste geheftet schien. In den verborgensten Tiefen der Seele mußte sie seine geheime Wurzeln ablösen, alle seine Spuren im Kreise des häuslichen Lebens und in der Bürgerwelt auslöschen.“ (NA 17, 58) Diese Aufgabe der Inquisition bedingt nicht nur die sie verkörpernden Charaktere des Beichtvaters Domingo und des Großinquisitors, sondern zugleich die gesamte Atmosphäre des spanischen Hofs, also des Stücks. Die Handlungen aller Figuren stehen unter dem Bann der „unnatürlichen Gerichtsbarkeit“ der spanischen Inquisition, die sich mit ihren „Werkzeugen“ des „Schreckens“ und der „Schande“ bis in das „Gebiet der geheimsten Gedanken“ ausdehnt. Schiller projiziert die spanische Inquisition als Negativbild seiner Vorstellung von der Schaubühne als moralische Anstalt, wie er sie in seinem berühmten Vortrag von 1784 präsentierte: „Wohin es seine Horcher nicht bringen konnte, versicherte es sich der Gewissen durch Furcht, ein dunkler Glaube an seine Allgegenwärtigkeit fesselte die Freiheit des Willens, selbst in den Tiefen der Seele.“ (NA 17, 59) Vor diesem düsteren Hintergrund ist der Ruf nach Gedankenfreiheit nicht nur politisch, sondern auch religionskritisch zu verstehen. Posa steht folglich auch für die Kritik an der Gegenreformation: „Die große Glaubensrevolution durch Luther und Calvin brachte die Nothwendigkeit wieder zurück“, die der Inquisition ihre erste Entstehung verdankte. Nun ging es nicht mehr um Spanien, sondern um das „Bedürfniß der ganzen katholischen Christenheit. Alle Inquisitionen in Portugal, in Italien, Deutschland und Frankreich nahmen die Form der spanischen an; […] Wohin sie ihren Fuß setzte, folgte ihr die Verwüstung; aber so, wie in Spanien, hat sie in keiner anderen Weltgegend gewüthet“ (NA 17, 60). Damit steht der Madrider Hof unter Philipp II. als zentraler Ort der Inquisition, der Gegenreformation und des Absolutismus gegen den Gedanken der Freiheit, der Bürgerrechte und der Aufklärung, verkörpert in Posa und in den mentalen Landkarten verzeichnet in den Niederlanden.

Die Inquisition als negative moralische Anstalt

89

90

V. Einzelanalysen Bürgerliche Liebe als Ursache der Tragödie

Idealer und menschlicher Charakter

Der Intellektuelle im Zentrum der Macht

Konfrontation von Ideal und Realität

Karlos wäre in dieser Konstellation der Vertreter einer bürgerlich-ständischen Ordnung, auch gerade in seiner Hoffnung auf eine Liebe, die nicht der Familienpolitik der Herrscherhäuser, sondern der individuellen Neigung folgt. Dass eine rücksichtslose Liebe zum Verhängnis werden kann, wird auch in der Figur und Intrige der Prinzessin Eboli zum Thema, die vom Menschenkenner Posa nicht als von Natur aus, sondern „aus Eigennutz der Liebe“ als tugendhaft bezeichnet wird (NA 7,1, 474). Somit fehlt ihr im Gegensatz zur Königin die angeborene Anmut, die gebotene Zurückhaltung und die kluge Einsicht in die Situation. Weil Eboli Karlos liebt und den Blick für die Realität verliert, löst sie eine unkontrollierbare Handlungsfolge aus, die zur Katastrophe der Tragödie führt, auch wenn sie diese am Ende noch durch eine uneigennützige Tat verhindern will, indem sie sich der Königin offenbart. In Posas Gestalt kommt die innere Opposition von idealem Charakter und einem Selbst zum dramatischen Ausdruck, dessen Gesinnungen und Handlungen aus „sehr menschlichen Trieben fließen und in der Verkettung äußerlicher Umstände gegründet sind“ (NA 22, 139). Wenn man genau hinsehe, dann würde man auf „einige Blößen“ an Posa aufmerksam werden, die „gar sehr menschlich sind“ (NA 22, 139). Diese Schwächen machen den Charakter natürlicher, auch wenn an der Figur des Posa kritisiert wurde, sie wäre in der Herrschaftszeit Philipps II. in dieser Form nicht möglich gewesen, so hätte keiner gedacht und noch weniger gehandelt. Und schon gar nicht wäre eine solche „idealische Schwärmerei“ mit „solcher Konsequenz realisiert, nicht von solcher Energie im Handeln begleitet“ worden (NA 22, 140). Dagegen argumentiert Schiller, gerade die Opposition zwischen spätmittelalterlicher Zeit und neuen Ideen mache die Figur erst interessant, denn „die schönsten Träume von Freiheit werden ja im Keller geträumt“ (NA 22, 141). Als Protestant hat sich Schiller nicht zufälligerweise einen katholischen Herrscher als starken Antagonisten ausgesucht. Zeit und Ort der Handlung sind als diejenigen, „worin stärker als je von Menschenrechten und Gewissensfreiheit die Rede war“, optimal gewählt. Denn „die vorhergehende Reformation hatte diese Ideen zuerst in Umlauf gebracht, und die flandrischen Unruhen erhielten sie in Übung“ (NA 22, 141). Dem Makrokosmos des spanischen Reichs entspricht der Mikrokosmos des Hofes, in dem Posa als Außenseiter eine besonders katalysatorische Wirkung entfaltet. Seine Unabhängigkeit als Malteserritter schenkte ihm im Vorfeld die „glückliche Muße“, seine „spekulative Schwärmerei zur Reife zu brüten“ (NA 22, 141). Posa ist somit ein Intellektueller, aber kein „Brotgelehrter“, sondern ein Held, wie ihn die Tragödie seit der Antike vorschreibt. „Begeisternde Wahrheiten und eine seelenerhebende Philosophie“ müssten in seiner „Heldenseele zu etwas ganz anderm werden als in dem Gehirn eines Schulgelehrten oder in dem abgenutzten Herzen eines weichlichen Weltmannes“ (NA 22, 141). Um Posa, der das Menschengeschlecht mehr liebt als seinen Freund Karlos, angemessen beurteilen zu können, muss man in Betracht ziehen, dass er viel gereist ist und viel erlebt hat. Seine ganze Erfahrung und sein Wissen haben sich zu Idealen verdichtet, die er nun, da sich ihm mit der Nähe zur Macht eine günstige Gelegenheit zu ergeben scheint, an den wirkenden Kräften der ganzen Gattung prüfen will. Mit seinem Drama eröffnet Schiller das Experiment, das denkbare und handlungsmotivierende Ideal mit der Realität der menschlichen Beziehun-

3. Don Karlos

gen zu konfrontieren. Dies führt zum Missverständnis der Freunde, denn für Posa gilt, dass sich mit dem Einsetzen des Dramas ein vorübergehender jugendlicher Affekt bereits in eine allumfassende unendliche Menschenliebe geweitet hat. Posa soll als Abgeordneter der ganzen Menschheit jedoch kein Schwärmer oder Romantiker sein, der unbestimmte Drang zu wirken ist in ein zielbewusstes, taktisches und strategisches Handeln transformiert worden. Das Zentrum der Macht ist das Feld, auf dem er, ein begabter Psychologe und Menschenkenner mit Zügen des klassischen Intriganten, seine Ideale zu realisieren hofft, hier will er seine „gesammelten Schätze in Anwendung bringen“. (NA 22, 147) Zudem ergibt sich eine einzigartige Konstellation. Don Karlos sieht in ihm den wahren Freund, eine Reminiszenz an die Radikalisierung der Empfindsamkeit in der Jugendrevolte des Sturm und Drang, deren Ausläufer Schiller noch miterlebt hat. Insofern könnte man Karlos als jüngeres Ich des Autors deuten. Zudem ist die politische Lage besonders günstig, „Flanderns Zustand bietet sich ihm dar. Alles findet er hier zu einer Revolution zubereitet“ (NA 22, 147). Für sein Ideal der republikanischen Freiheit ist nun der ideale Moment gekommen und der empfänglichste Boden gefunden. Im ersten Teil des Stücks sieht Posa in Karlos als zukünftigem König das Werkzeug, um seine hohen Entwürfe zu verwirklichen. Aber sein realistischer Blick zeigt ihm schnell, dass Karlos nicht der erwartete Heldencharakter, sondern nur ein hoffnungslos Liebender ist, dessen Leidenschaft Kräfte kostet und Leben in Gefahr bringen kann. Posa ist von vornherein nicht der alte Freund, den Karlos in ihm sieht, vielmehr agiert er als Hofmann und Weltbürger. Wäre er ein wirklicher, empfindsamer Freund, dann wäre ihm Karlos’ Sicherheit das Wichtigste und er würde ihm die gefährliche Leidenschaft ausreden. Als Sachwalter Flanderns handelt Posa aber im Auftrag einer höheren Idee. Er muss versuchen, Karlos’ Schwermut zu vertreiben, damit dieser nicht nur an sich selbst, sondern auch an das Leiden anderer denken kann. Hierzu versucht er, die Leidenschaft des Prinzen für die Königin mit der politischen Idee zu verknüpfen, indem er die Königin zur Mitwirkung bewegt. Letztere wird am Ende die einzige Figur bleiben, die durchweg positive Charaktereigenschaften sehen lässt, sie steht für das Rousseau’sche Ideal der Nähe zur Natur und die Abneigung gegen die Hofetikette, sie hat ein Herz für die Nöte Anderer und ist bemüht, eine gute Mutter und eine im bürgerlichen Sinn anständige Ehefrau zu sein. Sie wandelt in „angeborner stiller Glorie“ mit „festem Heldenschritte“ die „schmale Mittelbahn des Schicklichen“, so Posa. (NA 22, 160) Damit kann Elisabeth als Verkörperung der „schönen Seele“ gelten, die aus sich selbst heraus, sozusagen unbewusst, tugendhaft ist, ein Thema, das Schiller 1793 in Über Anmut und Würde behandelt hat (NA 7,1, 475). Posas Charakter neigt hingegen zur Intrige und zur strategischen Manipulation, im höheren Interesse für die Menschheit opfert er unbekümmert individuelle Schicksale. Die Königin dient Posa allein dazu, Karlos’ Leidenschaft auf Flanderns Schicksal umzulenken. Während er erkennen muss, dass seine Intrige nicht funktioniert, ändert er sofort pragmatisch seine Strategie, als sich ihm unerwartet eine neue Möglichkeit eröffnet. Der unnahbare Herrscher Philipp II. ist humaner als zuvor angenommen, er wird eifersüchtig und offenbart eine charakterliche Schwäche, die Schil-

Strategie und höhere Idee

Die Menschlichkeit des Herrschers

91

92

V. Einzelanalysen

Psychologie der Macht

Herrschaft des Systems

ler bereits in Kabale und Liebe für dramaturgische Zwecke eingesetzt hat. Als Posa diese Unsicherheit bemerkt, lässt er die Möglichkeit, mit Karlos als zukünftigem Herrscher an sein Ziel zu kommen, sofort fallen und sucht den direkten Weg über den amtierenden Machthaber. Nur lässt sich dieser nicht so leicht manipulieren und täuschen wie sein verliebter Sohn. Als erfahrener Politiker und guter Psychologe erkennt er schnell die wahren Motive Posas: „Für einen Knaben stirbt / Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme / Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug / Der ganzen Menschheit.“ (NA 7,1, 629) Letztlich siegt das System, das alle beherrscht. Auch Philipp II. ist nicht der wirkliche, unumschränkte Herrscher in seinem Reich, er muss sogar, gegen die „mächt’ge Stimme“ der Natur (NA 7,1, 640), seinen eigenen Sohn opfern. Die Tragödie geht für alle Beteiligten bis auf den Inquisitor, der das System verkörpert, schlecht aus. Posa kommt ums Leben, Karlos wird der Inquisition ausgeliefert, die Königin ist diskreditiert und Philipp II. hat ebenfalls nicht gewonnen. Weshalb gelangt Posa mit seinem hohen Anliegen nicht an sein Ziel? Warum zeigt uns Schiller das Scheitern des Idealisten? Posa ist – anders als Karlos, Elisabeth und Philipp II. – keine historische Figur, Schiller hätte also einen ganz anderen Stoff als Vorlage wählen können, die ausgesuchte Handlung war somit nicht alternativlos. Aus der Perspektive einer Psychologie der Macht erörtert Schiller in seinen Briefen über Don Karlos die Beziehung des Idealismus zu den Phänomenen der Herrschaft und der Macht. Insbesondere interessiert ihn die Frage, ob und inwieweit die Aktionen Posas – auch vor dem Hintergrund von Posas Illuminatentum – nicht vom Idealismus direkt in die Diktatur des aufklärerischen Willens führen. Schiller nimmt einen Gedanken vorweg, den später Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung zur philosophischen These erweitern werden: „Es ist diese: daß die moralischen Motive, welche von einem zu erreichenden Ideale von Vortrefflichkeit hergenommen sind, nicht natürlich im Menschenherzen liegen und eben darum, weil sie erst durch Kunst in dasselbe hineingebracht worden, nicht immer wohltätig wirken.“ (NA 22, 171) Posa muss scheitern, da seine Ideale als Abstraktionen das Mitleid mit dem Anderen völlig aussetzen. Letztlich siegt das System, weil Posa die konkreten Menschen vergisst, in deren Namen er vorgeblich handelt. Schiller resümiert, dass man „sich in moralischen Dingen nicht ohne Gefahr von dem natürlichen praktischen Gefühl entfernt, um sich zu allgemeinen Abstraktionen zu erheben“. Der Mensch solle sich „weit sicherer den Eingebungen seines Herzens oder dem schon gegenwärtigen und individuellen Gefühle von Recht und Unrecht“ anvertrauen als „der gefährlichen Leitung universeller Vernunftsideen, die er sich künstlich erschaffen hat“ (NA 22, 170). Es ist erstaunlich, wie früh Schiller bereits die Psychologien der Macht, die Gefahren der Ideologie und die totalitären Systeme der Moderne vorhergesehen hat.

4. Die Kraniche des Ibykus Mit Goethe im Balladenjahr

Die Kraniche des Ibykus gelten als Schillers schönste Ballade. Wie später den Wilhelm Tell hat Goethe den Stoff an Schiller weitergereicht. Erschie-

4. Die Kraniche des Ibykus

nen im Musenalmanach für das Jahr 1798, war sie, wie einige andere darin enthaltene, eine Produktion aus dem vorigen Jahr. Im sogenannten Balladenjahr 1797 erörterten Schiller und Goethe Motive und Stoffe, die für die Ballade – ein erzählendes, mehrstrophiges Gedicht – geeignet erschienen. Neben den Kranichen beendete Schiller den Ring des Polykrates und den Taucher, Goethe Der Gott und die Bajadere sowie Die Braut von Corinth. Letztlich mag es den richtigen Bearbeiter getroffen haben, denn Goethe schrieb seinem Freund generell eine höhere Begabung für die Ballade zu, am 20. Juli 1797 bestätigte er in einem Brief an Körner, dass sie sich beide „jetzt im Balladenwesen und Unwesen herumtreiben, die seinigen sind ihm, wie Sie schon wissen, sehr geglückt: Ich wünsche, daß die meinigen einigermaßen daneben stehen dürfen: er ist zu dieser Dichtart in jedem Sinn mehr berufen, als ich“ (Goethe 1998, 370). Gerade für den Effekt suchenden Dramatiker und klugen Psychologen Schiller ist die Balladenhandlung, die allgemein auf einen pointierten Schluss hinzielt und sich in diesem Fall konkret um ein grausames Verbrechen und dessen Aufklärung dreht, eine ideale Grundlage. Grundsätzlich muss für eine Ballade nicht unbedingt ein bestimmter Stoff gewählt werden, dieser sollte aber der antiken oder mittelalterlichen Welt entstammen. Die Kraniche des Ibykus ist eine Ballade mit einem bewusst ausgewählten griechischen Stoff, die Bezüge zum Gedicht der Aufklärung nach Haller aufweist. Schiller gelang es, so in einem Brief an Goethe vom 14. September 1797, seinem Anspruch an die ästhetische Kunst wie den „Poeten und Künstler: daß er sich über das Wirkliche erhebt, und daß er innerhalb des Sinnlichen stehen bleibt“ (NA 29, 131), gerecht zu werden, wobei er sich bei Goethe für die Nachhilfe zur empirischen Anschauung, speziell der Kraniche als Naturphänomen, bedankte. Er habe erfahren, wie er am 30. August 1797 berichtet, was „eine lebendige Erkenntniß und Erfahrung doch beim Erfinden so viel thut“, ihm seien nun mal die „Kraniche nur aus wenigen Gleichnißen zu denen sie Gelegenheit gaben, bekannt und dieser Mangel einer lebendigen Anschauung“ wären der Grund, dass er den schönen Gebrauch übersehe, der sich von diesem „Naturphaenomen“ machen ließe (NA 29, 123). Gerade mit den Kranichen des Ibykus hat sich Schiller auffallend lang beschäftigt, wobei Goethe kommentierte und kritisierte. Sie gaben viel Anlass zu freundschaftlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen. Um sich der Richtigkeit des Stoffes auch von philologischer Seite zu versichern, bemühte man Karl August Böttiger, dem Schiller eine frühe Version mit der Frage zukommen ließ, ob an keiner Stelle gegen altgriechische Gebräuche verstoßen werde. Die Ballade, die Schiller zwischen dem 11. und 16. August 1797 verfasst hat, integriert Züge der Dramatik, der Epik sowie der Lyrik und bietet darüber hinaus die Freiheit, den Stoff sowohl ernsthaft als auch ironisch oder gar humoristisch darzubieten. Die Elemente aller drei Gattungen sind deutlich erkennbar, der Bezug zur Lyrik zeigt sich in der Form der 23 Strophen zu je acht Versen, zwei Paar- und zwei Kreuzreimen mit dem Metrum des vierhebigen Jambus, einem streng einheitlichen Metrum; das Epische wird durch das epische Präteritum deutlich, durch das historische Präsens, die erzählte Handlung und den allwissenden Er-Erzähler, während sich das Dra-

Balladenhandlung und -stoff

Ästhetische Form und empirische Anschauung

Züge der Dramatik, der Epik sowie der Lyrik

93

94

V. Einzelanalysen

Ibykos als historische Figur

Die Ermordung des Dichters

Neuer Fokus auf das Publikum

matische bzw. Theatrale in dialogischen Passagen, inhaltlich im Auftritt der Erinnyen und zudem in der wörtlichen Rede, dem dramatischen Präsens und den Hinweisen auf die Dramatik im Text, wie „Die Szene wird zum Tribunal“, zum Ausdruck bringt. Schiller stellt eine historische Figur in den Mittelpunkt seiner Ballade, den Dichter Ibykos, der um 530 v. Chr. lebte, zum Kreis der sogenannten neun lyrischen Dichter der Antike gehörte und für seine erotischen Lieder bekannt wurde, sodass man annehmen kann, dass sich der Autor nicht unbedingt in der Hauptfigur der Geschichte gespiegelt sah. Erzählt wird in Schillers Ballade, wie der Dichter Ibykus allein aus Rhegium nach Korinth zum Kampf der Wagen und Gesänge wandert. Fast schon an seinem Ziel angekommen, „schon winkt auf hohem Bergesrücken / Akrokorinth des Wandrers Blicken“, erreicht er Poseidons Fichtenhain, in den er eintritt. Aber er ist nicht einsam, denn Schwärme von Kranichen begleiten ihn, die kurzzeitig fast zu selbstständigen Nebenfiguren werden. In der ersten Dialogzeile begrüßt Ibykus die „befreundte[ten] Scharen“, die ihm schon „zur See Begleiter waren“ (NA 1, 385). Traditionellerweise deutet er ihre Anwesenheit als gutes Zeichen, zumal sie dasselbe Los des Reisenden teilen und wie er nach einer geeigneten Unterkunft suchen. Durch die Begleitung der Vögel aufgemuntert, beschleunigt er seine Schritte und kommt in die „Waldes Mitte“, als ihm plötzlich „auf gedrangem Steg“ zwei Mörder seinen Weg versperren (NA 1, 385). Hier befindet sich der erste zentrale Wendepunkt der Geschichte, der den von Aristoteles in seiner Poetik geforderten Anfang und damit die Exposition zum Abschluss bringt. Insgesamt zeigt sich auch in der traditionellen Aufteilung in drei zentrale Teile die dramatische, wenn nicht sogar theatrale Dramaturgie der Ballade. Ibykus versucht sich zu wehren, hat als schwacher Dichter jedoch keine Chance, er ruft um Hilfe, aber es hört ihn niemand. Im Moment seines Sterbens bemerkt er die Kraniche, ruft sie an und spielt ihnen die Rolle der Zeugen des Verbrechens zu: „Von euch, ihr Kraniche dort oben! / wenn keine andre Stimme spricht, / sei meines Mordes Klag erhoben!“ Einige Zeit später wird sein nackter Leichnam gefunden, entstellt von Wunden (NA 1, 386). Daraufhin wechselt die Szene abrupt von totaler Einsamkeit zum Auftritt der Masse und zu lauter Geschäftigkeit. Dies könnte man als Übergang der Wahrnehmungsfokussierung von der Bühne, auf der soeben der Held ermordet wurde, in den Zuschauerraum, in dem das Volk zum Mitspieler wird, deuten. Mit der Erinnerung an den Beginn der abendländischen Theaterkultur in Athens Dionysos-Theater erfährt man auch wieder die kultische und politische Funktion dieses Mediums, das noch einen zentralen Platz in der Gemeinschaft behaupten konnte. Auf einmal „hörens alle Gäste, / versammelt bei Poseidons Feste, ganz Griechenland ergreift der Schmerz“, und das Volk ruft nach Rache „zu sühnen mit des Mörders Blut“. Jedoch sind in der Masse die Mörder kaum zu identifizieren, nicht einmal ein Motiv ist erkennbar: „Sinds Räuber, die ihn feig erschlagen! / Tats neidisch ein verborgner Feind?“ (NA 1, 386 f.) Könnte es sein, dass die Mörder frech mit der aufgebrachten Menge, die sich zum Theater begibt, wandern? Lästern sie damit gegen die Götter? Im Folgenden eröffnet Schiller eine immer theatralischer anmutende Szene. Das, was sich einsam im Wald ereignete, wird zum Bühnengeschehen. Der Leser der Ballade wird zum Publikum, das nun für das

4. Die Kraniche des Ibykus

Volk Athens als Gemeinschaft in den Rängen des Theaters steht. Und diese Gemeinschaft wird zum Zuschauer des Mordes: „Denn Bank an Bank gedränget sitzen, / es brechen fast der Bühne Stützen, / herbeigeströmt von fern und nah, / der Griechen Völker wartend da“ (NA 1, 387). Offensichtlich ist Schiller darum bemüht, den Leser nicht mehr als stillen Beobachter eines Mordes, sondern als Teilnehmer eines gemeinschaftlichen Theaterereignisses, das bald zum Tribunal wird, in die Pflicht zu nehmen. Damit erweitert sich die Rolle des Zeugen zu dem des Richters im Kontext einer das Recht mitvertretenden Gemeinschaft. Wie in den Dionysien in Athen ist die Herkunft der Zuschauer nicht auf den lokalen Ort der Stadt beschränkt. Man sieht unter den Zuschauern alle möglichen „Völker“, die „gastlich hier zusammenkamen“, von „Theseus’ Stadt, von Aulis’ Strand, / von Phokis, vom Spartanerland, / von Asiens entlegner Küste, / von allen Inseln kamen sie“ (NA 1, 387). Der Chor, den Schiller hier auftreten lässt, ist ein deutlicher Hinweis auf das Theater. Denn dieses entstand, wie Schiller bei Aristoteles nachlesen konnte, aus dem Chorgesang, die Zuschauer lauschen dementsprechend „des Chores grauser Melodie, / der streng und ernst, nach alter Sitte, / mit langsam abgemeßnem Schritte, / hervortritt aus dem Hintergrund, / umwandelnd des Theaters Rund“. Der Theaterchor wird zum Chor der Erinnyen, zu den Rachegeistern, wie man sie aus der griechischen Tragödientrilogie der Orestie von Aischylos kennt: „So schreiten keine irdschen Weiber, / die zeugete kein sterblich Haus!“ (NA 1, 387 f.) Schiller soll hierfür Wilhelm von Humboldts Übersetzung des Chors aus dem dritten Teil der Orestie herangezogen haben. Den Erinnyen wird in ihrem Auftritt relativ viel Raum gegeben. Sie werden, weit mehr als Ibykus, der in seiner äußeren Erscheinung nur angedeutet wird, von ihrer Kleidung – ein „schwarzer Mantel“ – über ihren Körper, ihre „entfleischten“ Hände und blutlosen Wangen bis hin zu ihrer Physiognomie vergleichsweise genau skizziert, insbesondere ihre Häupter sind eindrucksvoll und bezeichnend, denn „wo die Haare lieblich flattern, / um Menschenstirnen freundlich wehn, / da sieht man Schlangen hier und Nattern / die giftgeschwollnen Bäuche blähn“. Ihre performative Darstellung – „Und schauerlich gedreht im Kreise, beginnen sie des Hymnus’ Weise“ – zielt dahin, die Sünder in Bann zu schlagen, dabei schallt „besinnungraubend“ ihr Gesang (NA 1, 388). Letztlich geht es um das Gewissen der Verbrecher, die sich den Erinnyen stellen müssen, so wie es die Rachegeister in ihrem Gesang andeuten: „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle / bewahrt die kindlich reine Seele! / Ihm dürfen wir nicht rächend nahn.“ Die Sünder würden wie der Muttermörder Orest in Aischylos’ Tragödie von den Erinnyen „ohn Ermatten“ und „fort und fort bis zu den Schatten“ bis in den Tod gejagt, versöhnen kann sie „keine Reu“, sie geben sie „auch dort nicht frei“. Nachdem die Erinnyen und zugleich der Chor im Theater wieder hinausgezogen sind, befinden sich die Zuschauer in einem Zwischenzustand, „zwischen Trug und Wahrheit“ schwebend (NA 1, 388 f.). Hier beschreibt Schiller den Zwischenzustand des Rite de passage, die Phase der Liminalität, die dem Theater als Ritus eigen ist, in dem so etwas wie eine existenzielle kognitive Dissonanz zur Bewältigung der Konflikte und zur Entscheidung, zum folgenreichen Handeln zwingt. Entscheidend für das weitere Handeln ist die

Die Zuschauer als Richter

Chor der Erinnyen

Das Gewissen der Mörder

95

96

V. Einzelanalysen

Aufdeckung der Tat

Die Bühne als Tribunal

„furchtbarn Macht, / die richtend im Verborgnen wacht, / die unerforschlich, unergründet / des Schicksals dunkeln Knäuel flicht, / dem tiefen Herzen sich verkündet, / doch fliehet vor dem Sonnenlicht“. Das unergründliche Schicksal wird durch die unerwartete Ankunft der Kraniche dargestellt, die den zweiten zentralen Wendepunkt bestimmt und die Aufklärung der Tat einleitet (NA 1, 389). Ob die böse Tat unerkannt bleibt oder aufgedeckt wird, hängt von zufälligen Ereignissen ab. Man hört plötzlich auf den höchsten Stufen des Theaters rufen: „Sieh da! Sieh da, Timotheus, / die Kraniche des Ibykus!“ Woher kann ein Unbeteiligter wissen, dass dies die Kraniche des Ibykus sind, da während des Mordes neben dem Opfer nur die Täter vor Ort waren? Das vorüberziehende Kranichheer provoziert die Schuldigen und der Name „rührt jede Brust mit neuem Grame“. Die Rachegeister, die das Gewissen der Schuldigen quälen, haben ihr Ziel erreicht, sie werden von den grauenhaften Erinnyen zu den Segen spendenden Eumeniden, den in der Orestie von Athena besänftigten, die Polis nun unterstützenden Wesen. Einer der Mörder verrät sich selbst, weil er durch das Schauspiel der Erinnyen, durch die Verkörperungen des eigenen schlechten Gewissens, ausgelöst durch die plötzliche Erscheinung der Kraniche und vor Schreck die Kontrolle über sich verliert: „Doch dem war kaum das Wort entfahren, / Möcht er’s im Busen gern bewahren; / Umsonst, der schreckensbleiche Mund / Macht schnell die Schuldbewußten kund.“ (NA 1, 390) So werden die Schuldigen im Theater als Tribunal der Gemeinschaft entlarvt, man schleppt sie vor den Richter und sie gestehen die Tat. Vier Bedingungen müssen demnach erfüllt sein, damit letztlich das Gute siegt: Erstens hat das unergründliche Schicksal, für das in der Ballade die Kraniche stehen, ein geeignetes Umfeld zu schaffen. Zweitens muss das Theater (oder ein anderes Medium) den Fall vergegenwärtigen und innerhalb der ihm eigenen Phase der Liminalität eine Handlung provozieren. Drittens müssen die Erinnyen bzw. das Bewusstsein der Schuld vom Theater (oder den anderen Medien) evoziert werden, um dann viertens den Schuldigen über eine mangelnde Kontrolle des von ihm unbewusst Verdrängten zum Schuldeingeständnis zu motivieren. Das Theater spielt für die Aufklärung und Vermeidung des Bösen somit eine wichtige Rolle. Hierbei verbindet sich im zufälligen, aber richtigen Moment die Wucht des schlechten Gewissens analog einer plötzlichen Katharsis mit dem Ideal des Wissens um das richtige Handeln. Neben den juristischen und polizeilichen Institutionen ist das Theater besonders in der Lage, bis in die Herzen der Menschen zu dringen. Der Einfluss auf das Gewissen reicht, wie es Schiller bereits in seinem Vortrag Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet behauptet hat, viel weiter als jede weltliche Gewalt.

5. Der Spaziergang (bzw. Elegie) Das gelungene philosophische Gedicht

Die Elegie, in der ersten Fassung 1795 im Oktoberheft der Horen erschienen als eines seiner berühmtesten philosophischen Gedichte, galt Schiller als Verwirklichung der Intentionen seiner philosophischen Lyrik (Riedel 1989, 18). Nach einer Jahre andauernden Beschäftigung mit der Philosophie

5. Der Spaziergang (bzw. Elegie)

wandte er sich unter anderem mit diesem Gedicht wieder der Lyrik zu. So berichtete er im September 1795 an Körner, dass ihm die Elegie viel Freude mache und er sie unter allen seinen lyrischen Texten für diejenige halte, welche die „meiste poetische Bewegung“ aufweise und dabei dennoch nach „strenger Zweckmäßigkeit“ fortschreite (NA 28, 60). Überhaupt war er mit seinem Werk ganz zufrieden. So berichtete er im November 1795 an Wilhelm von Humboldt, sein eigenes Talent als Dichter hätte sich in diesem Gedicht erweitert, denn noch in keinem anderen wäre „der Gedanke selbst so poetisch gewesen und geblieben, in keinem hat das Gemüth so sehr als Eine Kraft gewirkt“ (NA 28, 115). Hier deutet sich das Spannungsverhältnis zwischen Schillers ,philosophischer‘ Lyrik und seinen ästhetischen Schriften an, das im positiven Sinne fruchtbar wurde. Er war zwar angetan von dem Ergebnis der ersten Fassung, dachte aber sogleich an weitere Überarbeitungen und wollte noch alle ihm „mögliche Sorgfalt an die Vollendung desselben“ wenden (NA 28, 115). Nachdem Schiller das Gedicht 1799 umarbeitete und um 16 Verse kürzte, änderte er auch den Titel in Der Spaziergang. Diese Version erschien 1800 in seiner Gedichtsammlung. Nicht nur dem Verfasser schien der Text überaus gelungen zu sein. So lobte Wilhelm von Humboldt am 23. November 1795, dieses Werk sei unter allen seinen Gedichten ohne Ausnahme dasjenige, das ihn am meisten anziehe und sein Inneres am lebendigsten und höchsten bewege. Das eigentliche poetische Verdienst wäre, dass fast in keinem anderen Gedicht Schillers „Stoff und Form so mit einander amalgamirt“ seien und „alles so durchaus als das freie Werk der Phantasie“ erschiene (NA 35, 392). Schon mit dem Titel Elegie der ersten Fassung spielt Schiller auf eine Gedichtart in Distichen mit meist klagendem, wehmütigem Inhalt an, die er von Klopstock her gut kannte. Sie nahm weniger die ursprünglich griechische Elegie, sondern mehr die römische zum Vorbild. Darin wird ein durchaus tragischer Grundton angeschlagen. Die historische, kulturelle und technische Entwicklung von der Antike bis zum Beginn der Moderne ist dabei der Grund zur Klage, es geht demnach um einen verloren gegangenen idealen Zustand, obwohl Schiller am Ende des Gedichts einen positiven Aufschwung als Möglichkeit am Horizont erscheinen lässt. Er verließ sich absichtlich auf eine antike Metrik, die vor allem durch Ovids Ars amatoria überliefert war. Oft zitiert in diesem Zusammenhang wurde Schillers Distichon zum Thema Distichon, eine Strophe aus zwei verschiedenen Versen, häufig aus einem Hexameter und einem Pentameter bestehend: „Im Hexameter steigt des Springquells silberne Säule, / Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab“ (NA 1, 285). Dieser Merkvers stammt aus Goethes und Schillers epigrammatischen Xenien, welche die Form des Distichons aufgriffen, Goethe benutzte sie auch für seine Römischen Elegien. Die Strophen werden dabei so klein gehalten, dass sie der Beweglichkeit intelligenter Gedanken, schneller Assoziationen und ständig wechselnder Imaginationen gut entsprechen. Die erste Ebene des Gedichts lässt eine Wanderung erkennen, wobei Versmaß und Performanz im Rhythmus der Sukzession eine beeindruckende Einheit darstellen, man glaubt beim Lesen den Schwung des Gehens zu spüren. Betrachtet man die Struktur des Gedichtes als Gesamtheit, fällt eine mehr oder weniger klare Zweiteilung auf: Der Weg des Wanderers – wobei der Wanderer dem Leser als lyrisches und sprechendes Ich begegnet – führt

Die Elegie als traditionelle Dichtart

Durch die Natur und die Geschichte

97

98

V. Einzelanalysen

Eintritt in die Natur

Flucht aus der Zivilisation

Aktualisierung des Topos „locus amoenus“

in den Versen 1–68 erst durch die Natur, dann folgt ein imaginärer Durchlauf durch die Geschichte (Verse 69–172) (Riedel 1989, 95). Wichtig war Schiller – den man mit aller gebotenen Vorsicht als lyrisches Ich imaginieren kann – vor allem die Bewegung, die auf der formalen Ebene durch den Rhythmus und die Metrik, durch die Hexameter und Pentameter, zum Ausdruck gebracht wird (Jeziorkowski 1996, 157 ff.). Der Spaziergang führt durch die Geschichte des Menschengeschlechts, der Schiller bereits in seiner zweiten medizinischen Abschlussarbeit, der Dissertation Versuch über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen ein eigenes Kapitel gewidmet hat. In das Gedicht einleitend, begrüßt ein imaginierter Wanderer, der den Kontakt zwischen Dichter und Leser herstellt, die Natur in der konkreten Gestalt des Berges „mit dem rötlich strahlenden Gipfel“, der Sonne, die „ihn so lieblich bescheint“, des Himmels und der Landschaft. Schiller gibt also annähernd ein ganzes Panorama der Natur, er stellt den Ort der Handlung und die Bühne der Darstellung vor. Das wäre nach Riedel (1989, 35) als poetisches Bild einer idealischen Landschaft zu interpretieren, gemäß dem Schiller’schen Diktum, in keinem Fall das wirkliche, sondern stets das „idealische oder kunstmäßig ausgewählte aus einem wirklichen Gegenstand“ hervorzuheben (NA 25, 167). Damit ist kein empirisch konkreter Ort des Naturgemäldes angesprochen, sondern die Komposition und Idealisierung des Gedichts. Die Hinwendung zur dargestellten, wenn nicht inszenierten Landschaft ist zugleich die Flucht aus dem gewohnten Raum und dem engen Gespräch als Ausweis der zivilisatorischen Sozialität. Die imaginierte Flucht aus dem Gefängnis mit „durstigem Blick“ kann auch auf Schillers schlechten Gesundheitszustand hinweisen, der im Gegensatz zu Goethe keine derartigen gewagten Touren ins Gebirge wagen konnte. Nachdem er in das Naturpanorama eingetreten ist, richtet sich die Aufmerksamkeit des Wanderers auf die Elemente, auf die Luft, das „energische“ Licht und die auf „blühender Au“ erglänzenden „wechselnden Farben“ (NA 1, 260). Er gliedert und differenziert die Naturszene, die nach Riedel (1989, 35) eine Aktualisierung des durch bildkünstlerische und literarische Tradition feststehenden Topos des „locus amoenus“ darstellt. Um zu vermeiden, dass die Differenzierung als „reizender Streit“ die Anmut vertreibt, fügen sich die Elemente wieder zu einem ästhetisch wirksamen Ganzen, frei empfängt ihn die Wiese mit „weithin verbreitetem Teppich“, durch ihr „freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad“. In dieses Naturpanorama, in dem in einem bildhermeneutischen Sinn dialogisch zwischen dem Einzelnen und dem Gesamten vermittelt wird – eine Dialektik von Besonderem und Allgemeinem, die auch seine ästhetische Theorie prägt –, integriert Schiller nun die Tiere als das, was sich aus sich selbst heraus bewegt und deshalb lebt, es „summt die geschäftige Bien’“, es wiegt der Schmetterling. Zur Wahrnehmung der Bewegung kommt das Spüren hinzu, die Sinne registrieren die Helligkeit und die Wärme, „glühend“ trifft der „Sonne Pfeil“, er wechselt vom Visuellen zum Auditiven, der „Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft“ (NA 1, 260). An diesem Punkt bemerkt der Leser langsam, dass nicht die Natur, sondern vielmehr der Mensch sich bewegt, der nun in den Wald eindringt. Es wird plötzlich kalt und dunkel, zugleich geht es empor und der

5. Der Spaziergang (bzw. Elegie)

neue Raum mutet geheimnisvoll an. Schiller steigert an dieser Stelle die Spannung, denn der Wanderer bleibt in des „Waldes Geheimnis“ orientierungslos, ihn begleitet nur die Ahnung von dem Licht und der Befreiung in der Höhe. Seine Darstellung des Natureingangs hat Schiller am traditionellen Ideal der schönen Landschaft orientiert. Mittels der Stilisierung auf ein Allgemeines wollte Schiller den tatsächlich beobachtbaren, menschlichen Erlebnisbereich der Assoziationen auf den Leser hin ausrichten. Die im „locus amoenus“ vergegenwärtigte Idee der schönen Natur garantiert die von einer konkreten Realität abstrahierte Vorstellung, die, auf dieses Gedicht übertragen, dem Leser eine kohärente Wirkung vermittelt. Plötzlich steht der Wanderer auf einer gewissen Höhe und genießt wieder Licht und Übersicht. „Unabsehbar“ erstreckt sich vor seinen Blicken die Ferne. Er sieht aber auch nach unten, tief „an des Berges Fuß“, der „jählings unter“ ihm abstürzt, ihn schwindelt und der Eindruck des Unendlichen überwältigt ihn: „Endlos unter mir seh’ ich den Äther, über mir endlos, / Blicke mit Schwindeln hinauf, blicke mit Schaudern hinab.“ (NA 1, 261) Die existenzielle Situation des Menschen spiegelt sich im Erhabenen. Der Überwältigung kann er mit seinem Denk- und Kultur,gerüst‘ entgegenwirken, zwischen der „ewigen Höh und der ewigen Tiefe“ führt ein „geländerter Steig“ den Wanderer sicher weiter. Unzweifelhaft habe man es mit einem Bild der erhabenen Natur zu tun, so Riedel. Doch Deutungen wie die von Johannes Anderegg (1964) und Stenzel (1975), die den Blick in die Ferne und nach unten als Schlüsselszene begreifen und davon ausgehend die Ästhetik des Erhabenen der Gesamtkonzeption des Gedichts zugrunde legen, lehnt er ab. Die Schiller’sche, an Kant orientierte Vorstellung des Erhabenen wäre eine zu geringe Basis für eine umfassende Interpretation. Die bietet sich zwar an, weil sie den Menschen als physisches Wesen in der Konfrontation mit der Natur bzw. dem Schicksal sich auf dasjenige besinnen lässt, was im Menschen als Überlegenheit seines intelligiblen Selbst nicht Natur ist. Hierbei gelänge dem Menschen die Vernichtung der nur scheinbaren, da physischen Erhabenheit der Natur, was wiederum der Grund für sein Vergnügen an erhabenen Gegenständen wäre. Diese Vorstellung des Erhabenen träfe jedoch auf das Gedicht nicht ganz zu, da der Wanderer im Spaziergang keineswegs so weit reflektieren muss, dass er sich am Ende mit seinem vernünftigen Selbstbewusstsein über die physische Natur erheben kann. Denn gerade das Geländer sichert den Wanderer – von einer Steigerung vom Schönen zum Erhabenen kann kaum die Rede sein, letztlich geht es Schiller um ein vollständiges Bild der Natur als ästhetisches Objekt. „Locus amoenus“ und der von Stenzel sogenannte „locus sublimis“ wären eigentlich aufeinander bezogene Gegenbilder, die zusammen das poetische Gemälde einer idealen Landschaft ergeben würden, sodass im Übergang vom Schönen zum Erhabenen die ästhetische Totalität der Natur zur Darstellung bzw. das Wesen der ästhetischen Landschaft insgesamt zum Ausdruck kommt. Schiller fügt bei seinem Aufstieg des lyrischen Ichs drei landschaftliche Zonen übereinander, den „locus amoenus“, die dunkle Zone des Waldes und das unwirtliche, kaum Vegetation aufweisende Hochgebirge. Riedel weist auf einen weiteren interessanten Aspekt hin. Mit dem Satz „Unabsehbar er-

Ideal der schönen Landschaft

„Locus amoenus“ und „locus sublimis“

99

100

V. Einzelanalysen

Vom Naturpanorama zur Kulturgeschichte

Vom „Goldenen Zeitalter“ an

Entwicklung von Politik und Gesellschaft

gießt sich vor meinen Blicken die Ferne“ deutet sich für das Gedicht eine ähnliche Struktur wie für die Gemälde Lorrains als Beispiele einer klassischen Landschaft in der Kunst an. Der entscheidende Unterschied wäre nur, dass beim Bild der Betrachter über den schönen Vordergrund zeitgleich in die unendliche Ferne sieht, während bei Schiller der amoene und sublime Aspekt nacheinander dargestellt werden. Schiller verweist auf die generelle mediale Differenz zwischen Malerei und Dichtung, wie er sie in der Tradition von Lessings Laokoon in seiner Matthison-Rezension angesprochen hat. Auf seinem weiteren Weg in der Höhe ändert sich fast unmerklich die Betrachtungsweise des lyrischen Ichs. Der Wanderer ist nicht mehr ängstlich und nimmt die Kultur in der Natur wahr, das Naturpanorama geht in eine Kulturhistorie über. Man verfolgt eine Geschichte der Entwicklung der menschlichen Kultur seit dem verlorenen Paradies: „Jene Linien, sieh! die des Landmanns Eigentum scheiden, / In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt. / Freundliche Schrift des Gesetzes, des Menschenerhaltenden Gottes, / Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand.“ Über das eherne Zeitalter wird direkt auf das „Goldene Zeitalter“ Bezug genommen, in dem der Mensch noch nachbarlich mit dem Acker zusammenwohnte (NA 1, 261). Noch ist die Trennung zwischen Kultur und Natur nicht vollzogen: „Glückliches Volk der Gefilde! Noch nicht zur Freiheit erwachet, / Teilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz. / Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf.“ Der Wanderer sieht jedoch das gerade noch haltende Band zwischen Kultur und Natur reißen, der „liebliche Anblick“ verschwindet und „ein fremder / Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur! / Spröde sondert sich ab, was kaum noch liebend sich mischte“. Die Ordnung bildet sich über die Ähnlichkeit der phänomenal erscheinenden Umwelt neu, es entstehen die Stände und die Adelsgesellschaft, „Regel wird alles, und alles wird Wahl und alles Bedeutung“ (NA 1, 262). Die Zeichen trennen sich vom Bezeichneten und die Kultur zwingt zur Wahl und Entscheidung. Politische Herrschaft gründet sich auf der „türmenden Stadt“. Aus der Gemeinschaft bildet sich die Gesellschaft, der Mensch rückt zusammen, es wird enger zwischen den Individuen. Dialektisch gesehen sind Kriege die Folge der Sozialisation, der Zusammenhalt im Inneren gründet auf der Abgrenzung vom Außen. Es bilden sich der Andere und das Fremde, der Ahnenkult, die Gesetze und das Vaterland, für das nun ein „einziges Herz“ schlägt. Die Staatsreligion bezieht als neues Zentrum der Gemeinschaft die Tempel, das Reich vergrößert sich und weitet sich aus: „Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit, / Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst.“ Eroberungszüge folgen, sie bringen Prosperität, gehen aber nicht nur gut aus, der Staat erhält sich aus dem Blut seiner Bürger, die sich für ihn opfern: „Eurer Taten Verdienst meldet der rührende Stein: ,Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest / Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl‘.“ (NA 1, 263) Schiller zitiert hier das bei Herodot zu lesende Epigramm auf die dreihundert standhaften Spartaner, die sich um 480 v. Chr. allein am Pass der Thermopylen gegen die Perser stellten.

5. Der Spaziergang (bzw. Elegie)

Der militärisch gefestigte Staat ist nun, auf dieser Kulturstufe, die Grundlage des Gewerbes und des Raubbaus an der Natur: „Munter entbrennt, des Eigentums froh, das freie Gewerbe, […] Zischend fliegt in den Baum die Axt, es erseufzt die Dryade“ (NA 1, 263). Der Handel erblüht, sogar mit Afrika und Arabien, die Märkte werden internationaler, und, „von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust“ sowie die Wissenschaften, die „das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern“ suchen. Das Wissen wird durch Schrift und Medien tradiert, „Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken, / Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt“. Der Mensch durchdringt in der Aufklärung den Nebel des Nichtwissens und des Aberglaubens, es „zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes, / Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht“ (NA 1, 264). Mit der Furcht befreit sich der Mensch auch von der Scham, „Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde, Von der heil’gen Natur ringen sie lüstern sich los“. Die Schreckensherrschaft der Französischen Revolution hat es „einer Tigerin gleich“ an den Tag gebracht, die Kultur des Menschen schlägt dialektisch in ihre dunkle Seite um, die Freiheit wird zur tierischen Gewalt. Daneben treibt der Mensch entwurzelt und orientierungslos, alles ist in Bewegung, „bleibend ist nichts mehr“. Das Gespräch wird Lüge, es verschwinden die Verantwortung, der Glaube und die Liebe, es herrschen Verrat, Lästerei und Betrug. Dieser elende Zustand wird so lange andauern, bis sich die Menschheit besinnt und in der „Asche der Stadt“ die „verlorne Natur“ sucht (NA 1, 264). Plötzlich wacht der Spaziergänger wie aus einem Albtraum auf, er findet sich nach seinem Aufstieg in die Zivilisation, die dialektisch in die Zerstörung des Menschlichen wie auch der Grundlagen der Natur umschlägt, in der wilden Natur wieder, weit und breit ist keine Spur von Kultur und Zivilisation zu sehen: „Wild ist es hier und schauerlich öd. Im einsamen Luftraum.“ Geht es nun doch um die Auseinandersetzung des lyrischen Ichs mit der erhabenen Natur? Dies könnte man annehmen, wenn das Gedicht an dieser Stelle enden würde. Doch die weiteren Zeilen zeigen, dass es in der Erfahrung der wilden Natur keineswegs auf eine Erhebung über die Natur bzw. auf eine Wendung ins intelligible Ich ankommt. Ganz im Gegenteil: Der Wanderer flieht aus seinem Zimmer, also aus der geregelten Kultur, das er als Gefängnis empfindet, in die wilde Natur, um dort eine Zuflucht bzw. einen utopischen Raum in der Freiheit zu suchen, der seit der Antike verloren zu sein scheint (NA 1, 265). Das Telos des Gedichts ist der Anfang, Schiller wolle insgesamt eine ,geschlossene‘ Konstruktion vorstellen, die literaturhistorisch zwischen Aufklärung und Romantik zu verorten wäre (Riedel 1989, 99). Für Riedel sind die für die Interpretation dieses Gedichts wichtigen Elemente aus Schillers Ästhetik keineswegs in den Aufsätzen Vom Erhabenen und Ueber das Erhabene, sondern vielmehr in Ueber das Naive zu finden. Die Natur müsse deutlich positiver konnotiert sein, sie biete dem Wanderer eine Rückkehr nach vorn ins Ideal, das in der Tradition des „Goldenen Zeitalters“ zu suchen wäre. Das lyrische Ich erkennt den Wechsel der Kulturen vor dem Hintergrund der Ewigkeit der Natur: „Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig / Wiederholter Gestalt wälzen die Taten sich um. / Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne / Ehrst du, fromme Natur,

Wirtschaftliche Entwicklung und Wissenschaft

Wilde Natur als Zuflucht

Der naive und der sentimentalische Blick

101

102

V. Einzelanalysen

Natur als Erinnerung an das zukünftige Paradies

züchtig das alte Gesetz.“ Damit wäre der Aufstieg auf den Berg Teil eines aufklärerischen Bildungsprozesses, in dem die Erkenntnis der Kultur, der Geschichte und der Natur mit der Selbstreflexion des bürgerlichen Individuums zusammenwirkt (NA 1, 266). Hier schließt sich der Kreis, der Wanderer erahnt im Erlebnis der unwandelbaren Natur die Antike, sie fungiert als Vorschein des zukünftig Idealen: „Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.“ Am Ende erreicht der Wanderer sein Ziel, seine sentimentalische Sehnsucht versöhnt sich mit der naiven Haltung zur Natur. Nach der Erfahrung des Zusammenbruchs der alten Ordnungen und dem Schrecken der Französischen Revolution geht es um die Zukunft der Menschheit jenseits des gewöhnlichen, diesseitigen und gewalttätigen Chaos. Die Natur wäre für den zu Beginn der Moderne bereits entfremdeten Menschen und für den sentimentalischen Betrachter eine Erinnerung an das „Goldene Zeitalter“, an das ursprüngliche Paradies. Diese Erinnerung initiiert die Vorstellung einer besseren Zukunft und gibt Hoffnung.

6. Wallenstein

Aufdeckung der historischen Wirklichkeit

Das dramatische Gedicht Wallenstein besteht aus dem einaktigen Vorspiel Wallensteins Lager, dem fünfaktigen Schauspiel Die Piccolomini und der fünfaktigen Tragödie Wallensteins Tod. Deren Uraufführungen kurz vor der Jahrhundertwende leiteten das moderne und bewegte 19. Jahrhundert ein. Sie wurden sowohl vom Publikum als auch von der Kulturkritik meist sehr gut aufgenommen und sicherten endgültig Schillers außerordentliche Stellung in der geistigen Welt wie auf der gesellschaftlichen Ebene. Schiller schrieb die Teile in mehreren Etappen und unter ständigem Zeitdruck. Nach der Weimarer Inszenierung von Wallensteins Lager am 12. Oktober 1798 aus Anlass der Wiedereröffnung des Weimarer Hoftheaters, das von Nicolaus Friedrich Thouret neu gestaltet worden war, kosteten Die Piccolomini Schiller noch weitere drei Monate Arbeit. Auch dieses Schauspiel, das gegen den dominierenden Hintergrund des Krieges eine Liebesgeschichte in den Mittelpunkt stellt, ist für ein wichtiges Ereignis geschrieben und erwartet worden, nämlich für den Geburtstag der Herzogin Luise am 30. Januar 1799. Für die Tragödie als Abschluss der Trilogie benötigte der Autor weitere zwei Monate Zeit, die Uraufführung fand in Weimar am 20. April 1799 statt. Insgesamt gesehen war Wallenstein, was nicht unterschätzt werden darf, auch auf anderen deutschen Bühnen ein beeindruckender Erfolg. Insbesondere die bedeutenden Inszenierungen der Piccolomini am 18. Februar 1799 und von Wallensteins Tod am 17. Mai 1799 im Berliner Nationaltheater unter der Intendanz von Iffland, der den Octavio spielte, markierten den nun erreichten Höhepunkt von Schillers Karriere. Auch in gedruckter Form reüssierte die Wallenstein-Trilogie, denn nachdem sie im Sommer 1803 von Cotta veröffentlicht wurde, bekam sie wohlwollende und vor allem ungewöhnlich viele Kritiken. Schiller hat mit Wallenstein eine deutlich erkennbare Wende in der Dramaturgie vollzogen. Im Prolog wird angedeutet, dass die Muse „das düstre Bild / Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst“ hinüberspiele (NA 8, 6). Dabei stellt sich die Frage, was unter Wahrheit verstanden werden soll, zu-

6. Wallenstein

mal vor dem Hintergrund der einflussreichen Kant’schen Philosophie. Für Schiller war die dramatische Kunst besonders befähigt, die historische Wirklichkeit aufzudecken. Ganz unzweifelhaft resultierte der Stoff, der Wallensteins theatraler Dramaturgie zugrunde liegt, aus Schillers Vorbereitungen und Lektüren der Quellen zu seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Jahren 1790 und 1791. Belegt ist seine Absicht durch ein Schreiben an Körner vom 25. Mai 1792, er wäre „jetzt voller Ungeduld, etwas Poetisches vor die Hand zu nehmen, besonders jückt mir die Feder nach dem Wallenstein“ (NA 26, 141). 1793 skizzierte er einige Szenen in Ludwigsburg. Aufgehalten durch seine theoretischen Studien, insbesondere die Lektüre von Kants Kritik der Urteilskraft, und die Arbeit an Über die ästhetische Erziehung des Menschen, ging aber noch einige Zeit ins Land, bevor er den Stoff des Heerführers aus dem Dreißigjährigen Krieg wieder aufnehmen konnte. Bekannt ist Schillers Bemerkung zu Goethe im Dezember 1795, es sei nun „hohe Zeit“, dass er „für eine Weile die philosophische Bude schließe. Das Herz schmachtet nach einem betastlichen Objekt“ (NA 28, 132). Da er aber vom Musen-Almanach für das Jahr 1796 und den Horen in Anspruch genommen wurde, dauerte es bis Mitte folgenden Jahres, bis er sich dem Entwurf des dramatischen Gedichts wieder zuwenden konnte. Zwar bemerkte er am 21. März 1796 in einem Brief an Wilhelm von Humboldt, er sei „jetzt wirklich und in allem Ernst“ bei seinem Wallenstein und hätte „die letzten 5 Tage dazu angewandt, die Ideen zu revidieren“, die er „in verschiedenen Perioden darüber niederschrieb“ (NA 28, 203). Doch am 22. Oktober 1796 notierte er in seinen Kalender: „An den Wallenstein gegangen“. Bis Schiller zur endgültigen Entscheidung gelangte, wurde Vieles erwogen und verworfen, geplant und verschoben. Denn den Wallenstein wirklich anzugehen und zu vollenden, mache ihm, wie er am 4. September 1794 bekannte, „ordentlich angst und bange“, vor allem, weil ihn nun, so am 21. März 1796 an Körner, ein „Machwerk wie der Karlos“ anekele (NA 27, 38) und er von seiner „alten Art und Kunst“ freilich „wenig dabey brauchen“ könne (NA 28, 209). Die Entstehungsgeschichte ist somit ein Drama eigener Art, die, gerade was den kreativen Produktionsprozess betrifft, lehrreiche Züge aufweist. Sie kann als knappe Chronologie in der Nationalausgabe (NA 8, 399–407) und in Thomas Manns Erzählung Schwere Stunde nachverfolgt werden. Trotz der positiven Resonanz von allen Seiten schrieb Schiller am 13. Mai 1801 an Körner, er hätte bei seiner „jetzigen Klarheit“ über sich selbst und „über die Kunst“, die er „treibe“, den „Wallenstein nicht gewählt“ (NA 31, 35). Von der Sprache her wurde das Stück eigentlich als Prosatext begonnen, vielleicht um eine realistischere Dramatik zu schaffen. Anfang November 1797 wurde der Text neu in Jamben verfasst, um aus dem Dramentext eine „vollkommene Tragödie“ zu machen (NA 29, 157). Zur Vollkommenheit müsse die „prosaische Sprache in eine poetische = rhythmische“ verwandelt werden, seit er dies beherzige, befände er sich unter einer „ganz andren Gerichtsbarkeit als vorher“ (NA 29, 159). Dabei wäre alles das, was sich über das „Gemeine erheben muß, in Versen wenigstens anfänglich [zu] concipieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird“ (NA 29, 159). Wichtig wäre insbesondere der Rhythmus, er

Die vollkommene Tragödie

103

104

V. Einzelanalysen

„leistet bei einer dramatischen Production noch dieses große und bedeutende, daß er, indem er alle Charactere und alle Situationen nach Einem Gesetz behandelt, und sie, trotz ihres innern Unterschiedes in Einer Form ausführt, der dadurch den Dichter und seinen Lesern nöthiget, von allem noch so characteristisch = verschiedenem etwas allgemeines, ein menschliches zu verlangen.“ (NA 29, 159)

Zentraler Charakter ohne ideale Ziele

Distanz zum Helden

In diesem Sinne ist schon Wallensteins Lager meist, was das Metrum betrifft, in altdeutschen Knittelversen verfasst. In der Form ist dies ein Hinweis auf die dargestellten historischen Zeiten, in denen die Dichter des 16. Jahrhunderts wie etwa Hans Sachs diese Verse benutzten, um das Volk im Publikum anzusprechen. Der vorgebliche Kern des Stücks bleibt bei allen formalen Experimenten Wallensteins übergroßer Charakter, obwohl – auch motiviert durch Schillers Aristoteles-Lektüre 1797 – die Handlung im Vordergrund steht. An ihm, seiner Geschichte und vor allem seinen Entscheidungen in bestimmten Situationen führt der Autor ein anthropologisches und psychologisches dramatisches Experiment durch, das ihm die Seele eines berühmten Heerführers eröffnen soll. Es geht also im Gegensatz zu seinen früheren Helden, die einer gewissen sympathetischen Idealisierung unterworfen waren, um einen an der Realität scheiternden Machtmenschen. Dem Zuschauer werden durch die Figur keine nachvollziehbaren idealen Ziele vermittelt. Der Idealismus und die Freiheit im Erhabenen sollen nicht in Wallenstein, sondern im Autor und im Zuschauer zur Wirkung kommen, wenn sie Wallensteins Schicksal beobachten und reflektieren. In seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges beschreibt ihn Schiller als „durch Ehrgeiz emporgehoben, durch Ehrsucht gestürzt, bey allen seinen Mängeln noch groß und bewundernswerth, unübertrefflich, wenn er Maß gehalten hätte“. Ihm fehlten die „sanfteren Tugenden des Menschen, die den Helden zieren, und dem Herrscher Liebe erwerben“ (NA 18, 328). Insofern ist der Charakter des Protagonisten seines dramatischen Gedichts ein ganz anderer als etwa der des Marquis von Posa. Man kann fast behaupten, dass er den Antagonisten, in Don Karlos noch Philipp II., zum Helden der Tragödie gemacht hat. Dabei konnte sich Schiller als Autor zwar für den Stoff, jedoch niemals für den Helden erwärmen. Eine ähnliche Distanz zu Wallenstein sah Schiller auch für die Zuschauer vor, denen das Bühnengeschehen als Geschichtstragödie als zu bewältigende Aufgabe vorgesetzt wird (vgl. Reinhart 1976). Wallensteins physiognomische Erscheinung in der Handlung, wie sie von Schiller beschrieben wurde, konnte auch kaum zu einem Sympathieträger im Drama werden. Daher ist es konsequent, wenn Wallenstein „nichts Edles“ besitzt, „in keinem einzelnen Lebensakt groß“ erscheint und „wenig Würde und dergleichen“ zeigt. Trotzdem hoffte Schiller, auf einem „realistischem Wege“ einen „dramatisch großen Character“ in Wallenstein aufzustellen, der ein „ächtes Lebensprincip“ in sich trägt. Vor allem hätte er „wie in Posa und Karlos die fehlende Wahrheit durch schöne Idealität zu ersetzen“ versucht. Durch die bloße Wahrheit sollte im Wallenstein „für die fehlende Idealitaet (die sentimentalische nemlich)“ entschädigt werden. Dem Zuschauer käme die Aufgabe zu, das „Furchtbare“ auf der Bühne zu rezipie-

6. Wallenstein

ren und letztlich erhaben zu finden. So gesehen fand die aristotelische Katharsis bei Schiller eine ganz neue Ausprägung, die zugleich eine im Vergleich zur griechischen Antike veränderte Vorstellung von Schicksal enthält. Für den Dramatiker wäre eine Figur durch deren Entscheidung mit der Handlung verbunden, was sich in diesem Drama besonders gut demonstrieren lasse. Wie und was Wallenstein entscheidet oder nicht entscheidet, zeigt dessen Charakter als historische wie auch als dramatische Figur. Dass Wallenstein zunächst wie Hamlet nicht und dann verspätet handelt, macht ihn für Schiller zum Teil einer Tragödie, die im Spannungsverhältnis zur tatsächlichen Geschichte steht. Wallenstein scheitert nicht daran, dass eine Idee sich grundsätzlich nicht verwirklichen lässt, sondern am historischen Schicksal. Vor allem aber scheitert er an dem berühmten Ignorieren dessen, was sich als Sachlage neu ergeben hat und von ihm eine adäquate Reaktion und Anpassung erfordern würde. Das Problem mit der Figur des Wallenstein, die bis zuletzt offen bleibt und ihre Ausdeutbarkeit verweigert, ist nicht, dass ihre Entscheidungen moralisch verwerflich wären und auch von seiner wohlwollenden Umgebung kaum mitgetragen werden könnten, sondern dass sie rein pragmatisch begründet sind und eigentlich einen realistischen Blick auf die sich ständig ändernde Lage und Machtkonstellation voraussetzten. Tragisch ist, dass sich Wallenstein nicht wie etwa der Idealist Posa „in sich selbst einhüllen, und sich über die Materie erheben“ kann (NA 28, 204). Insofern hat er seinem Schicksal kaum etwas entgegenzusetzen, er ist bereits eine moderne Figur, wenn man von seinem Glauben an die Astrologie absieht. Relevant sind hauptsächlich die Frage der Macht, die Verhältnisse bzw. das historische und dramatische Schicksal und somit die existenzialistische Situation. Wobei die Frage bleibt, wie groß Wallensteins Fehler als ein persönlicher einzuschätzen wäre. Zwei Jahre vor der Fertigstellung, im November 1796, meinte Schiller zu Goethe: „Das eigentliche Schicksal thut noch zu wenig, und der eigne Fehler des Helden noch zu viel zu seinem Unglück“ (NA 29, 15). Bei der Beantwortung dieser Frage hängt viel davon ab, welche Erkenntnisqualitäten, d. h. welche potenziellen Möglichkeiten zur richtigen Einschätzung der Lage bei Wallenstein überhaupt vorhanden sind. Wichtig für die Dramaturgie ist dabei das besondere Verhältnis zwischen der Entscheidung der Hauptfigur Wallenstein und den Motiven für diese auf der Folie seines Glaubens an die Astrologie, der historisch verbürgt ist, und seiner tatsächlichen Erkenntnisfähigkeit und -möglichkeit. Das astrologische Wissen war zu Schillers aufgeklärten Zeiten nicht mehr selbstverständlich, es ermöglichte dem Autor die Diskussion der Freiheit oder Determination des Menschen vor dem Hintergrund einer Umwelt, deren Konsistenz aus vielen Perspektiven ambivalent oder uneindeutig erschien. Man weiß, dass er zum Verständnis dieses Aspektes Agrippa von Nettesheims De occulta philosophia (1531) und Leone Ebreos Dialoghi d’amore (1535) gelesen hat. Vordergründig kann angenommen werden, dass Wallenstein einem fundamentalen Irrtum unterliegt, weil ihn der Aberglaube blind macht. Dieser Aberglaube erscheint einem aufgeklärten Intellektuellen nach dem Erscheinen der Enzyklopädie weit weniger plausibel als zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Aber ganz unabhängig davon, wie naiv

Wallensteins Entscheidung

Tragödie der realistischen Fehleinschätzung

Astrologie und Schicksal in der Moderne

105

106

V. Einzelanalysen

Die ausbleibende Versöhnung im Drama

dieser Glaube an die Astrologie für ein zeitgenössisches Publikum erschien, nichts führt um die Tatsache herum, dass ein so erfahrener Heerführer und Politiker wie Wallenstein kein Sensorium hinsichtlich seiner Abhängigkeit von der aktuellen politischen sowie kriegstaktischen und -strategischen Situation und der auf das Kräfteverhältnis der Macht bezogenen Konstellation mehr besitzt. Er glaubt sich abhängig vom Stand der Sterne, dort sieht er sein Los eingeschrieben, obgleich für alle die Wirklichkeit als unergründliches Schicksal herrscht. Diese auffällige Ignoranz und vor allem Wallensteins logisches Scheitern weisen das Stück als modernes aus, obwohl es sich auf den Beginn der Neuzeit bezieht. Spätestens in der Moderne ist das Schicksal des Einzelnen nicht erkennbar jenseitig vorgezeichnet, sondern von den individuellen Interessen, der jeweiligen politischen Lage und damit vom steten Wandel der Konstellationen in der Welt abhängig (vgl. NA 29, 17). Im Grunde ginge es im Wallenstein um eine „Staatsaction“, diese hätte „in Rücksicht auf den poetischen Gebrauch, alle Unarten an sich, die eine politische Handlung noch haben kann“. Dies wären ein „unsichtbares abstractes Objekt, kleine und viele Mittel, zerstreute Handlungen, einen furchtsamen Schritt, eine (für den Vorteil des Poeten) viel zu kalte trockene Zweckmäßigkeit ohne doch diese bis zur Vollendung und dadurch zu einer politischen Größe zu treiben“. Mit diesem kalten Blick und den historischen Tatsachen als Grundlage kann „am Ende“ der „Entwurf doch nur durch Ungeschicklichkeit“ misslingen (NA 29, 15). Im dramatischen Text ging es Schiller folglich um eine realistische Zeichnung. Dies hatte Auswirkungen auf das Verständnis von Tragik und Tragödie. Hegel reagierte 1800 auf eine Lektüre des Wallenstein „unmittelbar“ mit einem traurigen „Verstummen über den Fall eines mächtigen Menschen, unter einem schweigenden und tauben Schicksal“, ihm erschien die Handlung „nicht tragisch, sondern entsetzlich“, statt einer dialektischen Entwicklung von Handlung und Geschichte ist am Ende „alles aus, das Reich des Nichts, des Todes hat den Sieg behalten; es endigt nicht als eine Theodicee“ (Hegel 1958, 457). Heiner Müller knüpft an diese Interpretation an und legt den realistischen, letztlich kalten und modernen Blick Schillers frei: „Hegel kritisiert an Schillers WALLENSTEIN das Ausbleiben der Versöhnung, den Mangel an HÖHERER VERNÜNFTIGKEIT. Das Stück ist realistisch: der Gang der Handlung schleift den Triumphbogen der Theodizee, den der glücklichere Shakespeare noch als Bauelement seines Theaters subversiv gebrauchen konnte, sein Humor steckt im Detail, Schillers im ganzen. Hinter WALLENSTEIN taucht der Schatten Napoleons auf, des letzten Protagonisten der Macht im Sprung aus der Geschichte in die Politik, die Tragödie nicht mehr im Gepäck hat, der Anlauf ist die Revolution.“ (Müller 1990, 103)

Das Drama als realistische Zeichnung

Schiller näherte sich dem Naiven und entfernte sich vom Sentimentalischen: „Es ist erstaunlich, wieviel realistisches schon die zunehmenden Jahre mit sich bringen, wieviel der anhaltendere Umgang mit Göthen und das Studium der Alten, die ich erst nach dem Karlos habe kennen lernen, bey

6. Wallenstein

mir nach und nach entwickelt hat. Daß ich auf dem Wege den ich nun einschlage, in Göthens Gebiet gerahte und mich mit ihm werde messen müssen ist freilich wahr, auch ist es ausgemacht, daß ich hierinn neben ihm verlieren werde. Weil mir aber auch etwas übrig bleibt, was Mein ist und Er nie erreichen kann, so wird sein Vorzug mir und meinem Produkt keinen Schaden thun, und ich hoffe, daß die Rechnung sich ziemlich heben soll.“ (NA 28, 205) Diese realistische Zeichnung ist dem Zuschauer als Aufgabe zur Bewältigung gegeben, was seine moralische Freiheit einfordert und für die außertheatrale Existenz einübt. Nun erkannte Schiller das Problem, das eine zu realistische, historisch genaue Charakterzeichnung der Hauptfigur mit sich bringt, nämlich eine bemerkbare und störende „Trockenheit der Manier“ (NA 29, 18). Dieser sollte mit „poetische[r] Liberalität“ (NA 29, 141) entgegengewirkt werden, Schiller ging daran, das Realistische zu idealisieren. Dies sollte jedoch nicht mehr wie im Don Karlos durch die Idealisierung zentraler Charaktere, sondern durch die der dramatischen Handlung geleistet werden, also durch eine symbolische Aufwertung der dramatischen Details, die konsequente Versform und die reine Fiktionalität des Liebespaares bzw. des idealistischen Charakters des jungen Piccolomini, dessen Schicksal dann auch erwartungsgemäß im Publikum die meisten Tränen hervorbrachte. Am 9. November 1798 begründete Schiller, weshalb er die Szenen des Liebespaares Max und Thekla als wichtige Nebenhandlung als letztes in Angriff nahm. Sie seien als „poetisch-wichtigste[r]“, bis dahin „immer aufgespahrte[r] Theil des Wallensteins“ der „Liebe gewidmet“ und „seiner freymenschlichen Natur nach von dem geschäftigen Wesen der übrigen Staatsaction völlig“ getrennt, „ja demselben, dem Geist nach, entgegengesetzt“ (NA 30, 2). Hier artikulieren sich die nachwirkende Empfindsamkeit und das sich ausbildende romantische Liebesideal, das dem Nichts des realistischen modernen Blicks zum einen aus theaterpraktischen Erwägungen, zum anderen aber auch aus menschlichen Gründen entgegengesetzt wird. Freilich waren dem Autor die starken Wirkungen von idealistisch geprägten Liebesszenen bekannt. Was er „nun am meisten zu fürchten habe ist, daß das überwiegende menschliche Interesse dieser großen Episode an der schon feststehenden ausgeführten Handlung leicht etwas verrücken möchte, denn ihrer Natur nach gebührt ihr die Herrschaft und jemehr mir die Ausführung derselben gelingen sollte, desto mehr möchte die übrige Handlung dabey ins Gedränge kommen.“ (NA 30, 3) Und als erfahrener Theaterautor wusste er, was von der Bühne aus das Publikum in Wirklichkeit anspricht, es sei „weit schwerer ein Interesse für das Gefühl als eins für den Verstand aufzugeben“ (NA 30, 3). Dennoch wollte Schiller auf die Liebesszenen nicht verzichten. Insofern wären Deutungen des Wallenstein als modernes Endspiel vor allem durch die fiktive, aber nichtsdestotrotz für den Autor notwendige Liebe Grenzen gesetzt. Heiner Müllers allein an der Figur des Wallenstein festgestellte „letzte Ironie“ – „der Sieger verliert den favorisierten Absatzmarkt, die Familie“ – übersieht, dass die bürgerliche Liebe und damit die Konzentration der gesellschaftlichen Ordnung auf die bürgerliche Ehe und deren Vorbedingung, die individuelle Liebeszuneigung, ihre Hochzeit erst

Das Realistische idealisieren

Die Idealität des Liebespaares als Gegengewicht

107

108

V. Einzelanalysen

Panoramatischer Blick und dramatische Handlung

Poesie und Geschichte

vor sich haben. Eine moderne Vorstellungswelt ist demnach von der Utopie einer stabilen Liebe und Ehe vorerst nicht zu trennen, gerade Schiller meinte es mit der Liebe und der Ehe durchaus ernst. Denn die Liebe solle sich in der Geschichte „nicht sowohl durch Handlung als vielmehr durch ihr ruhiges Bestehen auf sich und ihre Freiheit von allen Zwecken der übrigen Handlung“, welche „ein unruhiges planvolles Streben nach einem Zwecke ist“, opponieren und „dadurch einen gewißen menschlichen Kreis“ vollenden (NA 29, 166). An diesem Punkt überschneidet sich die christliche Grundlage der Schiller’schen Vorstellungswelt vor dem Hintergrund des Ideals der bürgerlichen Liebe mit der Freiheit und utopischen Öffnung seiner Idealität. Eines der größten Probleme für Schiller, wenn man seine Arbeit mit der am frühen Werk Kabale und Liebe, einer Dramaturgie des bürgerlichen Trauerspiels, vergleicht, ist die Notwendigkeit des panoramatischen Blicks (Dolf Sternberger). Zumal Schiller nicht einfach Szenen erfinden konnte, sondern sich bei ihrer Einrichtung wenigstens an die wichtigsten historischen Fakten, soweit sie zu seiner Zeit bekannt waren, halten musste. Insofern wäre auf Aristoteles zu verweisen, für den die Wahrscheinlichkeit des Dramas über der tatsächlich sich ereignenden Geschichte rangiert. Diese sich eröffnende Diskrepanz zwischen der Wahrscheinlichkeit der ästhetisch ansprechenden Handlung und dem wirklichen, oft aber wenig wahrscheinlichen Geschehen wurde zum Problem des Dichters, wenn er beides, Poesie und Geschichte, in einem so breiten Überblick in einer dramatischen Handlung zusammenführen muss. In diesem Sinn geht es im Wallenstein auch speziell darum, einen Kriegsalltag auf die Bühne zu bringen, dessen Komplexität, Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit kaum in eine dramatische Handlung zu fügen ist. Schiller löste dies geschickt mit seinem ersten Teil Wallensteins Lager, heute würde man so etwas im Medium Film einen „Establishing Shot“ nennen. In einer zeitgenössischen Inszenierung könnte man der Anweisung Heiner Müllers folgen: „Der Text von WALLENSTEINS LAGER sollte, im Idealfall, vom Publikum gelesen werden, mit dem Blick in den Spiegel der Bühne, die das Menschenmaterial präsentiert, mit dem die Schlachten geschlagen werden, das mit den Schlachten geschlagen wird. Folklore ist Arbeit am Genocid, der Idealfall utopisch, warum.“ (Müller 1990, 103) Doch die Problematik für die dramatische Form bestand für Schiller weiterhin, denn tatsächlich ist das Handeln der Figuren bzw. ihre Motivation ohne den weiten Blick auf das Geschehen nicht zu verstehen: „Die Base, worauf Wallenstein seine Unternehmung gründet, ist die Armee, mithin für mich eine unendliche Fläche, die ich nicht vors Auge und nur mit unsäglicher Kunst vor die Phantasie bringen kann: ich kann also, das Object worauf er ruht, nicht zeigen, und eben so wenig das, wodurch er fällt; das ist ebenfalls die Stimmung der Armee, der Hof, der Kaiser.“ (NA 29, 17) Nun schlug sich Schiller mit einem Problem herum, das schon das älteste überlieferte Theaterstück, Die Perser, mutmaßlich für dessen Autor Aischylos mit sich brachte. Das Undarstellbare, also die Kriegsszenen, wurden mithilfe des Botenberichts erzählt, was über weite Strecken der Theatergeschichte zur Konvention wurde. Schiller löste die Aufgabe durch die exorbitante Länge der Trilogie. Dass das Ganze nun so einen außerordentlichen Umfang bekam, belastete ihn selbst, er rechnete mit einigen Schwierig-

7. Wilhelm Tell

keiten. So klagte er am 28. November 1796 in einem Brief an Körner: „Ich brüte noch immer ernstlich über dem Wallenstein, aber noch immer liegt das unglückselige Werk formlos und endlos vor mir da.“ (NA 29, 16) Desgleichen schrieb er an Goethe am selben Tag: „Mit dem Wallenstein geht es zwar jetzt noch sehr langsam, weil ich noch immer das meiste mit dem rohen Stoff zu thun habe. […] In Rücksicht auf den Geist, in welchem ich arbeite, werden Sie wahrscheinlich mit mir zufrieden seyn. Es will mir ganz gut gelingen, meinen Stoff ausser mir zu halten und nur den Gegenstand zu geben. Beynahe möchte ich sagen, das Sujet interessiert mich gar nicht, und ich habe nie eine solche Kälte für meinen Gegenstand mit einer solchen Wärme für die Arbeit in mir vereinigt.“ (NA 29, 15) Die Trilogie, die sich ergab, war somit eine konsequente wie notwendige dramaturgische Entscheidung, die aus dem zu bewältigenden Stoff, der dramatischen Methode und Schillers Ziel resultierte. Ein weiteres dramatisches Mittel, um die vielfältige, komplexe historische Realität in die dramatische Form zu bekommen, war die Zuhilfenahme der Technik des analytischen Dramas. Dabei holte er sich Unterstützung bei Aristoteles’ Poetik, was bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass der junge Schiller ihn noch, etwa in der Vorrede zu seinen Räubern, zugunsten Shakespeares abgelehnt hatte, er nannte die Poetik „Regelkram“ (NA 3, 5). Dies war allerdings der Blick auf Aristoteles in der strengen und verfälschenden Interpretation der französischen Klassik. Im Herbst 1797 las Schiller sein Werk nun genauer und plante davon angeregt den Wallenstein als analytisches Drama, ähnlich dem König Ödipus von Sophokles. Wallenstein strebt auf der direkten Handlungsebene nach Freiheit und Macht, aber er bemerkt erst deutlich später als der Zuschauer, wie sich in der fortschreitenden Geschichte die Umwelt zu einer drohenden, ihn dann auch vernichtenden Gewalt entwickelt. Dabei wird zunehmend aufgedeckt, wie diese Umwelt beschaffen ist, die machtvoll aus den vielfältigen Verstrickungen, Taten, Vorgeschichten und Machtkonstellationen in die dramatische Gegenwart hineinwirkt. Die Tragik liegt wie bei Ödipus darin, dass Wallenstein seine Verstrickung nicht erkennt und ins Unglück läuft. Die Hybris des Helden spielt jedoch vor einem gänzlich veränderten vorstellungsweltlichen wie politischen Hintergrund. Die antiken Götter fallen als metaphysisches Prinzip völlig aus, übrig bleiben die Geschichte und der verlorene Mensch, für den Georg Büchner einige Zeit später die adäquate dramatische Form finden wird. Schiller bestand jedoch weiterhin – was oft übersehen wird – auf dem Widerstand der bürgerlichen Liebe gegen das Streben nach einem Zweck bzw. gegen die kalte, trockene Zweckmäßigkeit. Die Liebe sollte sich allein auf sich selbst konzentrieren und sich von allen Zwängen der Handlung sowie der Geschichte befreien.

Technik des analytischen Dramas

7. Wilhelm Tell Bevor das Stück entstand, war es länger im Gespräch. Schon Jahre vor seiner Veröffentlichung verbreitete man, Schiller arbeite an einem Drama über

Dramatisierung eines Mythos

109

110

V. Einzelanalysen

Sieg über die widrigen Umstände

Mythos und historische Wahrheit

Wilhelm Tell, sodass er letztendlich darauf reagieren musste. Er habe nun, so liest man in einem Brief an Goethe vom 16. März 1802, „so oft das falsche Gerücht hören müssen“, als ob er einen „Wilhelm Tell bearbeitete“, dass er „endlich auf diesen Gegenstand aufmerksam worden bin, und das Chronicon Helveticum von Tschudi studierte“. Dies habe ihn „so sehr angezogen“, dass er nun „in allem Ernst einen Wilhelm Tell zu bearbeiten gedenke“. Er erhoffe sich ein Schauspiel, „womit wir Ehre einlegen wollen“ (NA 31, 116). Schiller hat auch hier einen Stoff aus der Geschichte genommen, jedoch handelt es sich um einen Mythos, von dem man heute weiß, dass er in seinen Grundzügen nicht im strengen Sinn historisch wahr ist. Er spielte aber in vielen Köpfen, insbesondere in denen der Schweizer, als historische Begebenheit eine große Rolle, zumal hinter der groben Handlungsstruktur das tatsächlich historische Ereignis des Freiheitskampfes der Schweizer gegen die Herrschaft der Habsburger aufscheint. Dieser war so erfolgreich, dass sich die Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden, nachdem der deutsche König Rudolf I. 1291 gestorben war, zum „Ewigen Bund“ zusammenfinden konnten, zu dem ihnen Heinrich VII. 1308 nach der Ermordung Albrechts I. von Österreich sogenannte Freibriefe verlieh. Das Stück unterschied sich in einem Punkt sehr deutlich von Schillers jüngsten Dramen, der Wallenstein-Trilogie, der Maria Stuart und der Jungfrau von Orleans. Denn in ihm unterliegt der Mensch nicht der Geschichte, sondern triumphiert am Ende über die Umstände. Dem selbstbewussten, gar eigensinnigen Protagonisten Tell gelingt es nach einigem Zögern, die Tyrannei zu beseitigen. Erst seine Tat ermöglicht ein besseres Gemeinwesen, in dem Fall das Ursprungsland der Schweiz, freilich auf der Grundlage eines bereits bestehenden Bündnisses der Eidgenossen, die im Drama als bedeutende Nebenfiguren vorkommen. Die Tragödie erlebt daher nur der Antagonist Geßler. Wichtig war Schiller, dass sich Freiheitskampf und Menschlichkeit nicht ausschließen, dementsprechend kommentierte er in Versen: „Doch wenn ein Volk, das fromm die Heerden weidet, / Sich selbst genug, nicht fremden Guts begehrt, / Den Zwang abwirft, den es unwürdig leidet, / Doch selbst im Zorn die Menschlichkeit noch ehrt, / Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet, / – Das ist unsterblich und des Liedes werth.“ (NA 2, I, 179) Das negative historische Beispiel dafür war die Französische Revolution, der im Freiheitskampf die Menschlichkeit abhanden kam. Schiller hatte generell Sympathien für deren Ideen, jedoch nicht für die historische Konkretisierung. Was die Figuren, aber vor allem den Ort und die Zeit der Handlung betrifft, so ist als Besonderheit dieses Dramas zu betonen, dass in der Konstruktion Mythos und historische Wahrheit ineinandergreifen. Denn die Schweiz pflegt auch heute noch einen Gründungsmythos, der sich in seinen wichtigsten Erzählstrukturen mit der Handlung von Schillers Drama partiell deckt. Das Land der Eidgenossen soll fast am selben Ort, auf dem Rütli, und ungefähr zu derselben Zeit, Ende des 13. Jahrhunderts, gegründet worden sein. Der Schwur auf dem Rütli und die Figur des Tell sind wohl keine historischen Tatsachen im engeren Sinn. Auch der Antagonist, der Reichsvogt Geßler, ist nicht direkt eine historisch nachweisbare Figur, obwohl es zur Zeit der Gründung der Schweiz in der Gegend um den Vierwaldstättersee

7. Wilhelm Tell

eine Familie Geßler gegeben haben soll, zudem herrschten dort auch Vögte mit diesem Namen. Weiterhin ist bemerkenswert, dass Schiller als Ausländer die wohl bekannteste Version des Schweizer Gründungsmythos geschaffen hat. Und nicht zuletzt muss angemerkt werden, dass Schiller selbst nie in der Schweiz und in den Hochalpen gewesen ist. Er soll von Goethe zur Arbeit an diesem Stoff angeregt worden sein. Auf die Sage des Wilhelm Tell war dieser während seiner dritten Reise in die Schweiz 1797 aufmerksam geworden. Jedoch wird diese direkte und alleinige Kausalität, was Motiv und Entstehungsanlass für Schiller betrifft, heute angezweifelt. Es wird dagegen argumentiert, Schiller habe sich schon seit Ende der 1780er Jahre mit der Schweizer Geschichte befasst, dazu existiert ein Brief an Charlotte von Lengefeld vom 26. März 1789. Die Meinung, dass der Stoff oder die Idee von Goethe stammen, rührt von dessen Aussage im Gespräch mit Eckermann am 6. Mai 1827 her, er hätte sich bereits Gedanken zum Charakter der Figuren gemacht:

Stoff von Goethe

„Den Tell dachte ich mir als einen urkräftigen, in sich selbst zufriedenen, kindlich-unbewußten Heldenmenschen, der als Lastträger die Kantone durchwandert, überall gekannt und geliebt ist, überall hülfreich, übrigens ruhig sein Gewerbe treibend, für Weib und Kinder sorgend, und sich nicht kümmernd, wer Herr oder Knecht sei.“ „Den Geßler dachte ich mir dagegen zwar als einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes tut, wenn es ihm Spaß macht, und gelegentlich Schlechtes tut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das Volk und dessen Wohl und Wehe so völlig gleichgültige Dinge sind, als ob sie gar nicht existierten.“ (Goethe 1999, 613 f.) Eigentlich wollte Goethe den Stoff selbst in einem epischen Text verarbeiten, er schreibt am 14. Oktober 1797 an Schiller: „Ich bin fast überzeugt, daß die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabey, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten, daß das Mährchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte, anstatt daß man sonst um etwas zu leisten die Geschichte zur Fabel machen muß.“ (NA 37, I, 159) Letztendlich ließ Goethe das Projekt dann fallen und gab den Stoff später an Schiller weiter. Dieser sammelte daraufhin Werke zur Schweizer Geschichte und richtete sich in seinem Arbeitsraum eine imaginäre Schweiz ein. Er hatte sich zur Vorbereitung vielfältiges Material, Textkarten und sonstige informative Schriften beschafft und diese in seiner Schreibstube so verteilt, dass ihm seine Imagination die Orientierung in der unbekannten Landschaft erlaubte. Als Quellen benutzte er unter anderem Aegidius von Tschudis Chronicon Helveticum (1734), Johannes von Müllers Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft (1786), Johann Conrad Faesis Genaue und vollständige Staats- und Erdbeschreibung der ganzen Helvetischen Eidgenoßenschaft (1768) und Johann Jakob Scheuchzers Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands (1706–1708). Nachdem sich Schiller im Sommer 1802 akribisch mit dem historischen und geografischen Hintergrund des Mythos beschäftigt hatte, ging er daran, erste Handlungsstränge zu skizzieren. Das war kein leichtes Unterfangen,

Materialiensammlung und imaginäre Schweiz

111

112

V. Einzelanalysen

wie er im September 1802 an Körner schrieb, er bezeichnete es gar als „eine verteufelte Aufgabe“: „Wenn ich auch von allen Erwartungen die das Publicum und das Zeitalter gerade zu diesem Stoff mitbringt, wie billig abstrahiere, so bleibt mir doch eine sehr hohe politische Foderung zu erfüllen, weil hier ein ganzes, local = bedingtes, Volk, ein ganzes und entferntes Zeitalter und, was die Hauptsache ist, ein ganz örtliches ja beinah individuelles und einziges Phänomen, mit dem Charakter der höchsten Nothwendigkeit und Wahrheit, soll zur Anschauung gebracht werden“ (NA 31, 160).

Panorama und Illusion der Natur

Wie gewohnt ging es Schiller natürlich auch um die Wirkung beim Publikum. Im September 1803 kündigte er Körner an, dass das, was er im „Kopf habe“, ein „mächtiges Ding werden und die Bühnen von Deutschland erschüttern“ solle (NA 32, 68). Um diese Wirkung zu erzielen, verließ sich Schiller auf die medialen Mittel des Panoramas, das zu dieser Zeit seinen Siegeszug antrat. Im Nebentext, der den malerischen Handlungsort beschreibt, heißt es dementsprechend: „Erste Szene. Hohes Felsenufer des Vierwaldstättersees, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg zieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.“

Tell als zeitgenössische Figur

Interessant ist hierbei, gerade aus medienhistorischer Sicht, die intendierte, annähernd totale Illusionierung als Kombination von Sehen und Hören, die das zeitgenössische Theater noch gar nicht leisten konnte. Zudem fällt eine dezidierte Tendenz zum Charakteristischen auf, die das Symbolische abzulösen scheint. Dieses Charakteristische drückt sich weiter in der Gestaltung der Sprache der Eidgenossen aus, Schiller bemühte sogar ein Lexikon der Schweizer Sprache. So entstanden Dialogpassagen wie folgende: „Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.“ (NA 10, 133) Dem in der Umsetzung sicher Schwierigkeiten bereitenden Naturtableau korrespondiert eine vergleichsweise hohe Anzahl von Figuren, genannt sind mehr als vierzig Namen, von denen bis zu dreißig zum Beispiel in der Szene auf dem Rütli zur gleichen Zeit auf der Bühne stehen. Warum war Wilhelm Tell schon vor der Veröffentlichung von Schillers Stück eine höchst interessante Figur? Zum einen wurde die helvetische Republik 1798 mithilfe Frankreichs gegründet. Dies ging nicht sehr friedlich vor sich und in dem jungen Staat kam es zu Konflikten, sodass Napoleon 1803 neue Kantone bilden musste. Zum anderen, weil der Tell-Mythos generell zu den wichtigsten Erzählungen der Revolution in Frankreich gehörte. In Paris galt Tell als Kämpfer der Freiheit, er wurde zum Schutzpatron, ihm wurde ein Denkmal errichtet, es wurden Straßen nach ihm benannt, man widmete ihm sogar einen eigenen Namenstag am 29. November. Im August 1793 wurde vom Nationalkonvent dekretiert, dass in den Theatern von Paris

7. Wilhelm Tell

Wilhelm-Tell-Stücke auf die Bühne kommen sollten. Mit der Aufnahme des Tell-Mythos zeigt sich erneut, wie geschickt Schiller gewisse Themen, die gerade in der Luft lagen, für sich und die Wirkung der Bühne zu nutzen verstand. In einem Brief an Wilhelm von Wolzogen deutet er im Oktober 1803 an, er sei „leidlich fleißig und arbeite an den Wilhelm Tell, womit ich den Leuten den Kopf wieder warm zu machen denke. Sie sind auf solche Volksgegenstände ganz verteufelt erpicht, und jetzt besonders ist von der schweizerischen Freiheit desto mehr die Rede, weil sie aus der Welt verschwunden ist“ (NA 32, 81). Nun ist diese Aussage natürlich zu interpretieren, aber dass hier von der Möglichkeit einer positiv zu wertenden Revolution gesprochen wird, ist evident. Und dass damit die Folgen der Französischen Revolution, insbesondere die Herrschaft Napoleons, kritisiert werden, ist ebenfalls offensichtlich. Vor diesem Hintergrund fallen die feinen Differenzierungen auf, die Schiller vornimmt. Immerhin forcierte der Dichter eine revolutionäre Intention, obwohl er sich von Kants Meinung distanzierte, dass in gewissen Zwangslagen und unter gewaltträchtigen Umständen der Aufstand möglich oder gar geboten scheint. Dennoch wäre für Schiller in der Form und Performanz des Aufstands nicht alles erlaubt gewesen. Politische, rechtliche und moralische Grenzen wären einzuhalten und sollten festlegen, wie ein Aufstand abzulaufen hätte. Man kann diese Grenzen dem Wilhelm Tell entnehmen: Zum einen wäre dies die weitgehende Gewaltfreiheit, wie sie bei der Versammlung der Verschwörer auf dem Rütli angesprochen wird. Dabei würde diese Gewaltfreiheit ihre Grenzen wiederum darin finden, dass das Eigene in Gefahr gerät. Wenn es also um das Land und die eigene Familie geht, dann ist im Extremfall auch der Tyrannenmord legitimiert. Die Figur Stauffacher bemerkt hierzu: „Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr / Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben – / Der Güter höchstes dürfen wir vertheid’ gen / gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land, / Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!“ (NA 10, 185). Und wenn Gewalt ausgeübt werden muss, dann nur, weil dies die Notwendigkeit, die eigene Familie zu schützen, geradezu aufzwingt. Damit weder von der Zensur noch von den Zuschauern irgendetwas missverstanden wurde, erfand Schiller für das Ende des Schauspiels eine Gegenfigur zu Tell, den Königsmörder Parricida. Dieser verletzt im Gegensatz zum Helden das Gebot der Menschlichkeit, weil er sich mit seinem Mord aus reinem Eigennutz gegen die eigene Familie wendet. Was die gesellschaftlichen und politischen Folgen des Tyrannenmords durch Tell am Landvogt betrifft, drängt sich am Ende die Frage auf, ob die dargestellte Schweizer Revolution reaktionär bzw. konservativ ist oder ob sie in die Zukunft weist. Denn zum einen bemühen die Verschwörer auf dem Rütli die Erinnerung an die ideale Vergangenheit, zum anderen geht es bereits um eine neue, freie Gesellschaft, einen gewaltfreien Ort der Humanität auf der Grundlage von sozialer Gleichheit. Immerhin soll diese gesellschaftliche Neuorientierung vorerst ohne die Hilfe des alten Adels erreicht werden, auch wenn dieser sich den neuen Mächten fügt, sodass die Revolution ihr Ziel fast gewaltlos erreicht. Schon vor dem Ende des Stücks erkennt der alte Vertreter des Adels Attinghaus die Ankunft der neuen Zeit: „Der Adel steigt von seinen alten Burgen, / Und schwört den Städten seinen Bür-

Gewaltfreiheit und moralische Grenzen

Ideale Vergangenheit und zukünftige freie Gesellschaft

113

114

V. Einzelanalysen

gereid“ (NA 10, 277). Was sich alter Adel noch vorstellt, wird sein Neffe Ulrich von Rudenz, der im Stück eine entscheidende Wandlung durchmacht, verwirklichen: „Und frei erklär’ ich alle meine Knechte.“ (NA 10, 277) In diesem Sinn betont Stauffacher: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last – greift er / Hinauf getrosten Muthes in den Himmel, / Und holt herunter seine ewgen Rechte, / Die droben handeln unveräuserlich / Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst – / Der alte Urzustand der Natur kehrt wieder, / wo Mensch dem Menschen gegenüber steht –“ (NA 10, 185).

Volksstück und Freiheitsdrama

Nach Alt steht diese Aussage Stauffachers für einen wichtigen Übergang von der Lehre der Souveränität des Leviathan nach Thomas Hobbes, in der der Untertan im Staat allein die Funktion als Teil eines Gesamtkörpers, nämlich des Leviathan, einnimmt, zur in der Zeit einflussreichsten und für die Französische Revolution essenziellen politischen Philosophie Jean-Jacques Rousseaus in seinem Contrat social, der dem Bürger entscheidende Mitspracherechte einräumt (Alt 2004, II, 573 f.). Schiller konnte den Wilhelm Tell am 19. Februar 1804 beenden. Er schickte das Stück an Goethe und nahm auch noch einige Veränderungen bis zur Aufführung vor. Es wurde am 17. März 1804 am Weimarer Theater in fünf Stunden uraufgeführt. Der Autor freute sich, dass der Tell auf dem Theater „einen größern Effect“ als seine „andern Stücke“ gemacht habe, und er fühlte, dass er „nach und nach des theatralischen mächtig werde“ (NA 32, 123). Am 4. Juli 1804 wurde das Stück in Berlin gegeben, am 25. September 1804 sah man es in Hamburg auf der Bühne, insgesamt las man meist positive Kritiken. Auch als gedruckte Version war das Stück vergleichsweise erfolgreich, Cotta veröffentlichte es zur Herbstmesse 1804 in 7.000 Stück, dem folgte eine weitere Auflage in kürzester Zeit von 3.000 Stück. Interessant ist Schillers Bemerkung in einem Schreiben an Iffland vom 12. Juli 1803, in dem er den dramatischen Text „als ein Volksstück“, das „Herz und Sinne interessiren“ solle, ankündigt (NA 32, 53). Natürlich ist Wilhelm Tell kein Volksstück im heutigen Sinn, wie wir es von Ödön von Horváth, Marieluise Fleißer, Martin Sperr und Franz Xaver Kroetz kennen. Immerhin steht das Volk aber im Vordergrund, wird als handelndes Subjekt in Szene gesetzt und zudem im Publikum angesprochen, indem Schiller im Zweifel klassizistische Ansprüche der direkten Wirkung opfert. Viel wird im Stück, mit dem sich Schiller nach der Jungfrau von Orleans ein weiteres Mal dem Experiment des forcierten Klassizismus’ verweigert, auch im wahrsten Sinn des Wortes erzählt, es hat epische Züge und ist gut verständlich, auch spart es nicht mit Liedeinlagen. Auffallend sind die vielen Verse, die man heute als geflügelte Worte kennt, oft ohne sich daran zu erinnern, dass sie aus dem Wilhelm Tell stammen. Nun ist das Stück nicht nur ein Volksstück, sondern auch ein Freiheitsdrama, das immer dann besondere Aufmerksamkeit genoss, wenn es galt, sich einer Herrschaft zu erwehren, sei es die der Franzosen zwischen 1806 und 1813 oder die der Nationalsozialisten. Daher kam es in vielen Aufführungen nicht ohne Striche auf die Bühne. Der alte Klassiker konnte auch in der späteren Zeit durchaus Respekt einflößen.

7. Wilhelm Tell

Immerhin verbat Martin Bormann im Auftrag von Hitler im Juni 1941 den Intendanten und Schulrektoren, das Stück auf die Bühne zu bringen oder im Unterricht zu behandeln. Ob das Stück wirklich revolutionär ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Denn Tells etwas abgehobene Position bietet sich zur breiten, wenn nicht beliebigen Identifikation an, sogar Hitler spiegelte sich gerne in der Person des Volkshelden. Letztlich handelt Tell als Einzelperson, er nimmt persönlich Rache, für ihn ist der Starke „am mächtigsten allein“ (NA 10, 151). Schiller eröffnet eine dramatisch spannende, aber auch inhaltlich relevante Differenz zwischen dem Helden und dem politisch aktiven Volk, die sein Misstrauen in politisches Handeln durch das Volk als Masse zum Ausdruck bringt und das Volk als revolutionären Akteur in die zweite Reihe versetzt. Freilich spielt das Volk, auch wenn es in die Nebenhandlung gedrängt wird, eine tragende Rolle, es bildet den Hintergrund, der vielleicht auch aus theaterpraktischen und -strategischen Gründen von Schiller so unauffällig und doch wirkungsmächtig angelegt wurde. Immerhin wird in der Rütli-Szene das Recht auf Widerstand aus der Vorstellung einer natürlichen Freiheit des Menschen deduziert, der „Güter höchstes“ dürfen für Stauffacher die Schweizer im wahrsten Sinn des Wortes „vertheid’gen / Gegen Gewalt“. Das Blut, und dies ist besonders bezeichnend, vergießt nicht das aufständische Volk. Sogar die Erstürmungen der Burgen scheinen, im auffälligen Gegensatz zur Erstürmung der Bastille, ohne Gewalt abgelaufen zu sein. Und der Adel verzichtet auf seine Privilegien, Freiheit und Gerechtigkeit stellen sich von selbst ein, nachdem allein Tell, der hier einer Erlöserfigur ähnelt, Gewalt anwenden und so das Opfer der Schuld auf sich nehmen musste. Ein oft übersehenes Thema ist die von Rousseau beeinflusste Kritik an der zeitgenössischen Kultur. Tell klärt seinen Sohn Walter über die Differenz zwischen Kultur und Natur auf. Die Bewohner des flacheren Landes würden zwar in einem hochkultivierten, wohlgeordneten Land leben, das „Korn wächst dort in langen, schönen Auen, / Und wie ein Garten ist das Land zu schauen“ (NA 10, 206 f.), aber man könne dort nicht wohnen, denn man hätte die Freiheit verloren und der Nachbar dürfe „nicht den Nachbarn trauen“ (NA 10, 208). Insofern sollte man es doch vorziehen, „die Gletscherberge / Im Rücken [zu] haben“ und nicht „die bösen Menschen“ (NA 10, 208). Hier spricht Schiller die moralisch wie anthropologisch begründete Grenzlinie an, um die es im Schauspiel geht. Der Mensch habe sich aus der intelligiblen Selbstbestimmung heraus gegen jegliches physisches Interesse zu wenden, er solle die Freiheit im politischen Raum durchaus anstreben, doch dies dürfe nicht aus Eigennutz geschehen. Schillers Dramaturgie macht deutlich, dass Tell gezwungen ist, Geßler zu töten, um zu verhindern, dass er selbst wie auch seine Frau und seine Kinder zu Schaden kommen. Dass damit ebenso dem Umsturz gegen die Habsburger Vorschub geleistet wurde, ist aus dramaturgischer Sicht fast zweitrangig. Tell handelt direkt und als Antwort auf eine böse Tat, er agiert, im Gegensatz zu den Intrigen, Taktiken und Strategien der kulturell geprägten Menschen des flachen Landes, nicht direkt politisch. In der Impulsivität der Handlung ist die Ehrlichkeit begründet. Damit argumentiert Schiller gegen die Alleinherrschaft der kalten und berechnenden Vernunft, die intelligible Selbstbestimmung darf nicht gegen die moralische

Ein Revolutionsstück?

Zeitgenössische Kulturkritik

Selbstbestimmung und moralische Freiheit

115

116

V. Einzelanalysen

Dramatische Wirkung und Spannungsaufbau

Moralische Freiheit ohne Massenhysterie

Freiheit in Stellung gebracht werden. Dies schließt notwendigerweise auch die persönliche moralische Freiheit gegenüber jedem politisch gut begründeten strategischen Unternehmen ein. Stauffachers Aufforderung zur politischen Aktion: „So kann das Vaterland auf Euch nicht zählen, / Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?“ (NA 10, 151), beantwortet Tell ausweichend. Seinen Freunden hilft er gern: „Der Tell holt ein verlorens Lamm vom Abgrund, / Und sollte seinen Freunden sich entziehen?“ Doch an politischen Überlegungen und revolutionären Planungen beteiligt er sich nicht: „Doch was ihr tut, laßt mich aus eurem Rat, / Ich kann nicht lange prüfen oder wählen, / Bedürft ihr meiner zu bestimmter Tat, / Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen“ (NA 10, 151 f.). Der Hauptfigur gelingt es somit, sich nicht vereinnahmen zu lassen, denn sie ahnt, dass jede Strategie auch Teil der Kultur ist, die, so ideal sie erscheinen mag, dem Eigennutz in der gewaltsamen Tat Vorschub leistet. Zugleich denkt Schiller wie üblich an die dramatische Wirkung auf das Publikum, die Verzögerung der immer mehr ersehnten Tat erhöht die Spannung, der Antagonist Geßler bekommt ein noch stärker negativ gezeichnetes Profil. Zudem kann sich Tell von einem naiven zu einem sentimentalischen, die Tat reflektierenden Charakter entwickeln. Damit erklärt sich auch der etwas unlogische Apfelschuss, der sich schon aus moralischen Gründen nicht gegen das eigene Kind, sondern sogleich gegen Geßler hätte richten sollen. Die Konzentration auf den Tell bedeutet, dass dieser als Charakter mit einer ausgeprägten moralischen Freiheit vom Volk abgehoben wird. Stauffacher, Fürst und Melchthal als im Freiheitsmythos eigentlich dominierende Aufständische werden zu Nebenfiguren. Mit der Absonderung des Tell wird den Zuschauern eine Figur auf der Bühne angeboten, in deren moralischer Freiheit sie sich wiedererkennen sollen, ohne der Verführung der Massenhysterie zu erliegen. Die Revolution als öffentliche Sache geht also idealerweise vom Einzelnen aus, der seine Taten im Extremfall zu legitimieren, zu reflektieren, zu verantworten und letztlich auch als individuelle Schuld zu tragen hat.

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte 1. Die Schiller-Rezeption bis zu Goethes Tod 1832 Die Rezeption Schillers muss als eine mediale in den Blick genommen werden, vor allem vollzieht sie sich in den Medien Theater, Literatur und Zeitschrift bzw. Journal mit ihren jeweiligen medialen Spezifizitäten. Im Theater begann Schillers Rezeptionsgeschichte fulminant 1782 mit der Inszenierung der Räuber am Mannheimer Theater unter der Intendanz von Dalberg. Zwar kursierte das Stück bereits zuvor in Literatenkreisen, doch erst durch diesen veritablen Theaterskandal wurde Schiller schlagartig so bekannt, dass es ihm von seiner frühen Stellung als, wie wir heute sagen würden, Jungautor, bis zu seinem Tod gelang, seine Bekanntheit zu halten, wenn nicht gar entscheidend zu steigern. Hierbei folgte der ersten Aufmerksamkeit eine zunehmende Qualitätsbeständigkeit in der Breite, die in der späteren Rezeption mit einer vermehrten Klassizität verbunden wurde. Ermuntert durch seine frühen Erfolge, sich von den ihn erdrückenden Zuständen in Stuttgart unter der harten Regentschaft von Herzog Karl Eugen und dem von ihm ungeliebten Beruf loszusagen, sowie seine persönliche wie auch berufliche Freiheit zu finden, ging Schiller das immense Risiko der Existenz eines freien Schriftstellers bewusst ein, obwohl er dann unter seinen ständigen Finanznöten zu leiden hatte. Zwei Vorgehensweisen bestimmten Schillers Strategie im Umgang mit dem Theater. Zum einen schrieb er direkt für die Bühne, zum anderen erschienen seine Theatertexte erst in Buchform, um dann aufgeführt zu werden. Beide Veröffentlichungsformen blieben durchgehend nicht ohne Resonanz in der Öffentlichkeit, die man einmal mehr, einmal weniger als Erfolg bezeichnen konnte. Die Grundlage für die Existenz und Anerkennung Schillers als Schriftsteller war überhaupt erst die in der bürgerlichen Sphäre entstehende Öffentlichkeit (Habermas 1988), die insbesondere durch das bürgerliche Theater und den Buchmarkt hergestellt wurde und zu der Schiller mit seinen Publikationen und seiner Tätigkeit als Herausgeber entscheidend beigetragen hat (Schiewe 2004). Gerade die Nationaltheater, wovon es zu Schillers Zeiten schon einige gab, fungierten als Zentralmedien einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Überhaupt sah man das Theater bereits vor der Französischen Revolution als Artikulationsmedium bürgerlicher Selbstverständigung, sie konnten in Deutschland jedoch keineswegs als durchsetzungsfähiges Instrument bezeichnet werden (Wertheimer 1983). Das politische Emanzipationsbestreben sollte mit Humanität, Toleranz und Moral ausgeglichen werden, wobei Schillers Texte höchst hilfreich waren, zumal der Autor trotz aller subversiven Ansätze und Konflikte seine frühen Stücke gesellschaftskonform enden lässt. Das bürgerliche Theater bevorzugte „mittlere Charaktere“ auf der Bühne, mit denen sich die Zuschauer identifizieren konnten. Zudem sollte das Spiel natürlich und so realitätsnah wirken. Dabei ging es in der dargestellten Handlung um große Gefühle, die Mitleid erzeugten und

Frühe Erfolge

Bürgerliches Theater und Öffentlichkeit

118

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Schillers Bild in der Öffentlichkeit

Der Autor der führenden Bühnen

Exklusivität, Anspruch und Zitierbarkeit

beim Zuschauer Großmut evozierten. Bei Schiller kam im Thematischen die direkte und indirekte Forderung nach Freiheit und in der Sprache die fordernde Rhetorik hinzu, die Größe zu artikulieren in der Lage war, einen stark appellativen Charakter hatte und eine Diskussion fast erzwang. In der Dramaturgie war es eine auf Spannung zielende Struktur, nahe an der Kriminalkolportage, oder wie es Thomas Mann in seiner Schillerrede nannte, ein „höheres Indianerspiel“ (Erken 2003, 314). Schillers Bekanntheit verdichtete sich durch die verschiedenen Veröffentlichungsmedien zu einem Gesamtbild, das der Autor bewusst und strategisch zu steuern suchte, was ihm, alles in allem betrachtet, durchaus gelang. Er blieb im Gespräch, ob gerade etwas auf der Bühne zu sehen war, er eine Zeitschrift herausgab, eine geschichtliche Abhandlung oder einen Roman schrieb oder eine Vorlesung hielt. Bekannt ist, dass er, obwohl nicht eben rhetorisch begabt, für seine Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? als Professor für Philosophie in Jena in einen größeren Hörsaal überwechseln musste, weil ihn eine unerwartete Menge an Hörern erwartete. Diese Begeisterung bezog sich jedoch auf sein Bild in der Öffentlichkeit und nicht auf seine Leistungen als Vorlesender, wie der anhaltende Rückgang der Hörerzahl bewies. Da Schiller dies wohl schnell erkannte und sich zudem nicht als „Brotgelehrter“ verstand, war er kaum mehr an der Lehre interessiert und konzentrierte sich auf seine Publikationen, um sich dann weitgehend von der Universität zurückzuziehen. Selbstverständlich waren die Medien jeweils einzeln nach Maßgabe ihrer Spezifizität zu bedienen. Schiller wechselte zwischen den gesuchten Kontakten zu Verlegern und zu Theaterleitern wie Goethe und Iffland geschickt hin und her. Der Autor kalkulierte dabei die Breitenwirkung durchaus mit ein und spekulierte darauf, dass bei einem ersten Erfolg eines Stücks auf einer Bühne dieses auf anderen Bühnen nachgespielt oder neu inszeniert wurde. Dass Schiller dabei fast ausschließlich für die wichtigsten Bühnen arbeitete, für das Mannheimer, Weimarer und Berliner Theater, wird in der Forschung oft kaum beachtet. Inner- und außerhalb des Theaters spielte er eine prominente Rolle in der deutschsprachigen Öffentlichkeit, die sich unter anderem in seiner hervorgehobenen Rolle im Spielplan des Berliner Nationaltheaters, der führenden Bühne im deutschsprachigen Raum um 1800, zeigte. Iffland war dort 1796 Intendant geworden und brachte neben vielen Lustspielen und Rührstücken Schillers Tragödien in prunkvollen Inszenierungen auf die Bühne. Natürlich wurde Schiller, auch als Resultat der Zusammenarbeit mit Goethe, vor allem in Weimar inszeniert, wobei dieses Hoftheater als Institution eher klein war, sein Ruf hingegen weit bedeutender. Seine späteren Stücke sind dort uraufgeführt oder kurz nach der Uraufführung nachgespielt worden, und zwar mit fast durchgehend großem Erfolg. So kulminierte das Renommee des Autors mit der Reputation der Bühne. Schillers Wirkung war in dieser Zeit bereits höher, als es die Aufführungspraxis seiner Stücke allein vermuten lassen würde. Eigentlich wurde er sogar auf der Weimarer Bühne vergleichsweise selten inszeniert. Wirklich erfolgreich waren laut Aufführungs- und Besucherstatistik Ifflands oder Kotzebues Rührstücke. Doch Schillers Bedeutung offenbarte sich keineswegs in der Breite der Bühnenrezeption, sondern in der Exklusivität der zeitlichen und örtlichen Einrichtung der Aufführung seiner Stücke sowie deren Funktion als ästheti-

1. Die Schiller-Rezeption bis zu Goethes Tod 1832

sches Vorbild bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. So beruft sich Friedrich Theodor Vischer zum Beispiel in den 1840er Jahren auf die Idealität Schillers, um Johann Nestroys anstößige, aber populäre Improvisationen und sprachliche Obszönitäten im Theater an der Wien zu verurteilen. Die ideale Aufladung der Schiller’schen Stücke trägt den Keim für die besondere Popularität des Autors im 19. Jahrhundert in sich, die sie zum einen von der seriösen Kulturkritik bezieht, die um ein ständig bedrohtes Niveau der Bühne besorgt war. Zum anderen spricht Ute Gerhard von einer besonderen Rezipierbarkeit der Schiller’schen Texte. Sie zitiert den Weimarer Gymnasialdirektor Böttiger, der sich von der ersten Aufführung der Piccolomini 1799 anregen lässt: „Einige hundert Verse heraus müssen bald Denksprüche im Munde der Gebildeten unserer Nation werden“ (Gerhard 1998, 758 ff.). Und so geschieht es auch tatsächlich. Vermutet wird – hier argumentiert Gerhard mit einer Aussage Ludwig Tiecks aus dem Jahr 1827 –, dass Schillers Dramen durch seine eigentümlichen Strukturen „ganz in Rede, Gesinnung und Situation“ verwandelt würden und in der Theatralität des Alltags eine wichtige Funktion für die individuelle wie auch nationale Identität erfüllten. Die in Schillers Dramen vorkommenden „Monologe, Schilderungen und lyrischen Ergüsse“ sollten zur „isolierten Deklamation“ anregen und würden zu den „berühmten Stellen“, die nun „jeder auswendig weiß“. Gerhard spricht in diesem Zusammenhang treffend von der „pragmatischen Applikation von Literatur“. Darunter versteht sie eine Form von Rezeption, die nicht der üblichen des Lesens gleichkommt, sondern sie widersetzt sich „einer grundlegenden Regel von Kunst und Literatur überhaupt, nämlich der Orientierung an der Kategorie des Werkes, seiner Einheit und Ganzheit“ (Gerhard 1998, 759). Somit sei für die Rezeption des Schiller’schen Werks ein Verfahren charakteristisch, „das die Texte in ihre Bestandteile auflöst, fragmentiert und einzelne Verse in außerliterarischen Bereichen zitiert und benutzt“ (Gerhard 1998, 759). Damit verbunden sei nach Oellers eine „Trivialisierung und Verzerrung“ aufgrund der blinden „Begeisterung des Volkes, das die Sentenzen wie Lebensregeln im Munde führte“ (Oellers 1967, 72 und 307). Gerhard vertritt die These, dass eine solche Bewertung nicht allein vom Literarischen als Rezeptionszentrum ausgeht. Sie schlägt hingegen vor, neben der „Geschichte der literarischen, philologischen und philosophischen Interpretationen“ die „gesamtgesellschaftlichen Rezeptionsvorgänge“ nicht außer Acht zu lassen (Gerhard 1998, 760). Vor diesem Hintergrund soll es sogar frühzeitig etwa durch Leipziger Studenten zur Gründung von Räuberbanden gekommen sein, inspiriert durch Schillers Räuber. Im Vergleich dazu war jedoch das „Verfahren der Applikation“ deutlich wirkungsvoller, verwiesen wird auf die bereits ein Jahr nach Schillers Tod in Leipzig veröffentlichte Sammlung Schiller’s Aphorismen, Sentenzen und Maximen, über Natur, Kunst, Welt und Menschen, der Herausgeber blieb anonym. Was die Zeit nach 1805 bis zum Tod Goethes 1832 betrifft, so gibt uns insbesondere Oellers’ Geschichte seiner Wirkung Auskunft. Wichtig ist zu erwähnen, dass Schillers Bild 1813 genauso wenig homogen war wie 1850 oder 1900 oder in der unmittelbaren Gegenwart (Oellers 1967, 3). In der ersten Zeit seiner Wirkungsgeschichte wurde Schiller die Bezeichnung „Klassiker“ sowohl zu- als auch abgesprochen. Immerhin war er so bekannt,

Unmittelbar nach Schillers Tod

119

120

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Zwischen Wanderbühnen und Nationaltheater

dass sein Tod in den verschiedenen Blättern einige Nachrichten nach sich zog, wobei es aber nur ein Bruchteil der Periodika gewesen ist, der seinen Tod anzeigte. Schillers Popularität ging folglich weder gegen Null noch hatte sein Tod die ganze Nation erschüttern können. Berichtet wurde in verschiedenen Publikationen über seine Bestattung, die aufgrund der Abwesenheit des Herzogs nur eine „vorläufige“ gewesen war, was in einigen Berichten kritisch kommentiert wurde und im Folgenden immer wieder zu Diskussionen führte, ob man, etwa bei der Pflege von Schillers Begräbnisstätte in Weimar, nicht zu sorglos mit dem Erbe des Dichters umginge. Schon kurz nach seinem Tod und über die Jahre hinaus sollte sich erweisen, so Oellers, wie „uneinheitlich die Geschichte der Nachwirkungen Schillers“ verlief. So klagte etwa 1805 ein preußischer Offizier, dass „der größte Mann in Deutschland gestorben“ wäre, und an einigen Theatern fanden Totenfeiern statt. Andere konnten ihre Freude über Schillers Tod nicht verhehlen. So hat etwa Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg schon deshalb seinen Tod mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, weil durch Schiller die Einführung der Versdramen befördert wurde, die dem Theater seiner Meinung nach Schaden zugefügt hätten (Oellers 1967, 36). Auch in den Nachrufen las man, was die Bewertungen von Leben und Werk des Dichters betrifft, Widersprüchliches. So lobte etwa Friedrich Bouterweck die Exzellenz der Dichtung sowie die Tiefe des Menschen- und Geschichtsbildes bei Schiller, während er seine philosophischen Schriften für nicht sehr bedeutend hielt. Schiller ist zwar in der Breite durchaus populär gewesen, zumal seine Sentenzen sehr bekannt waren. Er wurde aber auf den Bühnen nicht so oft aufgeführt, wie man bei seiner Popularität hätte vermuten können. Auch wenn er wohl der meistgespielte klassische Autor gewesen ist, wobei er nach den 1820er Jahren von Shakespeare überholt wurde, gewannen letztlich auch nach seinem Tod unterhaltsamere Autoren, also Kotzebue, Iffland, von Weißenthurn, Castelli oder Birch-Pfeiffer, die Oberhand. Beliebt war Schiller als Anlass für die Demonstration der Möglichkeiten des opulenten Ausstattungstheaters, etwa des Berliner Nationaltheaters oder auch des Wiener Theaters an der Wien (Bayerdörfer/Englhart 2003), berühmt wurde Ifflands Inszenierung der Jungfrau von Orleans im September 1801. Was die Theaterlandschaft außerhalb der wenigen Höhenkammtheater betraf, so wurde Schiller in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr von Wandertruppen sowie Saisonbühnen und seltener von den National- und Hoftheatern gespielt. Wie kaum anders zu erwarten, war das populärste Stück Die Räuber, meist kam es als triviale Räuberpistole beziehungsweise, wie es 1830 angekündigt wurde, als „ein großes romantisches Spektakelstück mit Gefechten und Tableaux“ auf die Bühne (Erken 2003, 314). Dies änderte sich erst um 1848 entscheidend, als die Idee eines Nationaltheaters wieder einen politischen Kern bekam und hierfür auch geeignete dramatische Literatur gesucht wurde, die man nun der gerade erst konstituierten deutschen „Klassik“ entnahm. Dabei werden die bis dahin von der Kulturkritik als Opposition vorgestellten Weimarer Goethe und Schiller zu einem neuen, einheitlichen Modell der Weimarer Klassik im klassischen Jahrzehnt 1795 bis 1805 zusammengefügt, indem ihre tatsächliche Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gerückt und ihre Hinwendung zur Antike als klassizistische Prägung gewürdigt wurde (Erken 2003, 314).

2. Schiller als deutscher Nationaldichter im 19. Jahrhundert

Was die Lyrik betraf, so gab es in den Jahren nach des Dichters Tod mehr Schiller-Kopisten als im Dramatischen. Bemerkenswert ist vor allem, dass viel mehr Parodien als Nachahmungen der Schiller’schen Lyrik auf den Markt kamen. Schon kurz nach seinem Tod wurden die Schiller-Schriften von Gruber und Oemler veröffentlicht, wobei die von Gruber, erschienen im Juli 1805 in Leipzig, schlecht recherchiert und voller Fehler war. Darüber hinaus las man in Periodika biografische Mitteilungen über Schiller und Schiller-Biografien in Sammelwerken sowie Monografien. Aufgrund des Mangels an umfangreichen Darstellungen seines Lebens kursierten Anekdoten, die das Unterhaltungsbedürfnis der Leser stillten und die öffentlichen Blätter füllten, doch die erschienenen biografischen Nachrichten waren zum großen Teil spekulativ und mehr oder weniger gut erfunden. Erst die von Christian Gottfried Körner und Caroline von Wolzogen verfasste Biografie Schillers Leben. Verfasst aus Erinnerungen der Familie, seinen eigenen Briefen und den Nachrichten seines Freundes Körner (1830) schuf Abhilfe, sie war fast 20 Jahre lang die einzige zuverlässige Gesamtdarstellung von Schillers Leben. In der Folgezeit wurden Schiller-Monografien immer wichtiger. Ab Mitte der 1820er Jahre registrierte man einen Wandel des SchillerBildes, gefordert wurde etwa, jedes Jahr am 9. Mai ein Schillerfest zu veranstalten (Oellers 1967, 265). Zur Verbesserung des Gesamtbildes trug auch die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller (1828/1829) bei.

Lyrik, frühe Parodien und Monografien

2. Schiller als deutscher Nationaldichter im 19. Jahrhundert Kaum zu überschätzen ist die Rolle, die Schiller im 19. Jahrhundert in Deutschland spielte. Claudia Albert vertritt die These, dass Schiller die „Leerstelle eines Führers der demokratischen Bewegung“ einnahm und noch nach der Reichseinigung 1871 „von oben“ als Mythos weiterwirkte (Albert 1998, 773). Man ging sogar so weit, Bismarck als „real-idealistischen Künstler“, als gelungene Verbindung von Goethes Realismus und Schillers Idealismus zu betrachten. Im Umkreis von 1848 wurde Schiller die Rolle eines zeitgemäßen Stichwortgebers für das demokratische Modell sowie die nationale Programmatik zugewiesen (Erken 2003, 315). Während in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in der Rezeption und Reflexion Schillers eine Zeit der Stagnation herrschte, belebte sich um 1830 die Diskussion aus politisch und religiös engagierter Perspektive und durch eher neutrale Interpretationen von Schillers Leben und Werk (vgl. Carbe 2005, 35 ff.). Seine Gedichte wurden von Valentin Schmidt und Max Wilhelm Götzinger erläutert. Die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Schiller und Goethe, die Goethe selbst 1828/1829 verantwortete, erhöhte die öffentliche Aufmerksamkeit immens, wobei dadurch Vergleiche zwischen beiden Dichtern provoziert wurden. Ausschlaggebend waren zudem Wilhelm von Humboldts Vorerinnerungen, er bemerkte, dass Schillers „Dichtergenie […] auf das engste an das Denken in allen seinen Tiefen und Höhen geknüpft“ war. In den 1830er und 1840er Jahren wurde Schiller verständlicherweise von den zeitkritischen Bewegungen in Anspruch genommen, man las ihn vor al-

Demokraten und Nationalisten

121

122

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Schillerfeste und -verehrung

lem in seiner Beziehung zu politischen Ereignissen. In Schillers Rezeptionsgeschichte soll es Oellers zufolge ansonsten nie mehr vorgekommen sein, dass sein Bild so durchschlagend von einer „gleichsam kanalisierten, ganz und gar und literarischen Begeisterung geprägt worden ist“ wie in den Jahren, die zwischen der Juli- und der Februarrevolution 1830 und 1848 lagen (Oellers 1967, 270). Ein Höhepunkt war das Stuttgarter Schillerfest 1839, bei dem das Denkmal Bertel Thorvaldsens vorgestellt wurde. Insbesondere die Geburtstage Schillers waren Anlass, dem Dichter mitreißende Festreden zu widmen. Sein Bild erhob sich langsam über die Alltagskritik und wurde zur Institution. Schiller wurde zum einen zur Projektionsfigur für nationale Ideen, hierzu trugen vornehmlich die Schillerfeiern bei (vgl. Albert 1994, 228 ff.). Zum anderen wurde sein Werk nun auch auf höherem Niveau interpretiert und kritisch gedeutet. Das wichtigste Datum der Schillerverehrung, wenn nicht -begeisterung im 19. Jahrhundert beinhaltete den Reigen der Feste zu seinem 100. Geburtstag 1859. Der Dichter wurde hierbei für den Kampf um nationale Einheit in Anspruch genommen. Heinrich Laube, ein ehemaliges Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und Direktor des Wiener Burgtheaters, ließ den Dichter hochleben: „Er hat eine Schar von Gestalten erschaffen, welche Lieblinge und Vorbilder geworden sind für Jung und Alt, Reich und Arm. Er hat die Frauen verherrlicht im Sinne unserer germanischen Vorfahren als die Hüterinnen der reinsten Tugend, als die Gefährtinnen des Mannes in den höchsten Fragen des Lebens. Er hat den Sinn geweckt und genährt für alle die Güter, welche jedem Menschen im Innersten der Seele ruhen, den Sinn für Selbstständigkeit, den Sinn für das Erhabene […]. Dem Dichter des deutschen Volkes ein tausendfaches Hoch!“ (Erken 2003, 315)

Ausstattungstheater und Historismus

Die Ereignisse von 1859 bewiesen, dass sich „Schiller zur politischen Inanspruchnahme sehr gut“ eignete, vor allem im direkten Vergleich zu Goethefesten (Oellers 1976, XXXIV). Was das Theater der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betraf, so hat es im Gegensatz zu den Aufführungen der Stücke von Shakespeare, die schon im Elisabethanischen Zeitalter auf leerer Bühne gespielt wurden, seine ganz praktischen Inszenierungsprobleme mit Schillers Dramen. Die keineswegs immer professionellen, stabilen Theaterbühnen mitsamt ihrem Starunwesen und den mehr oder weniger ökonomischen Zwängen waren seinen Anforderungen kaum gewachsen. Gerade das, was Schillers Stücke im Ausstattungstheater so glänzen ließ, ging diesen ab, wenn Regie und Bühnenbild nicht in der Lage waren, den Vorgaben, die oft im Nebentext formuliert wurden, gerecht zu werden. Was die notwendigen Mittel betraf, konnte das Wiener Vorstadttheater unter der Intendanz von Carl Carl (Pseudonym für Karl Andreas von Bernbrunn) durchaus die notwendige Opulenz sicherstellen, als wirkungsmächtiges Massenmedium gelang es ihm meist, die „Schaulust im vollen Maße zu befriedigen“. Carl schreckte, so die zeitgenössische Kritik, nicht einmal davor zurück, „sogar Schiller seinen Plänen dienstbar zu machen und dessen ,Räuber‘, wie er ankündigte, ,in ganz neuer Gestalt‘ bei Ausstellung eines ,lebendigen Theaters‘ aufzuführen“. Dieses

3. Nach der Jahrhundertwende und in der Weimarer Republik

lebendige Theater war eine Überraschung, die „alles früher geleistete übertrifft“. Carl hat das Stück „bei Aufstellung eines lebendigen Theaters, das heißt mit mehreren Gärten und Waldpartien aus natürlichen Bäumen bestehend gegeben […]. Außerdem, daß nicht EINE gemalte Dekoration vorkommt. Im Gegenteil, daß sogar eine Waldschenke erscheint, welche so natürlich ist, daß darin nicht einmal der gewöhnliche Haushund (ein grober Bullenbeißer an der Kette) vergessen ist, zeigen sich noch Gärten mit illuminierten, freistehenden Alleen, französischen Bogengewinden mit Statuen und Springbrunnen, welche letztere den Wasserstrahl über 14 Fuß in die Höhe treiben“ (vgl. Bayerdörfer/Englhart 2003, 50). Diese Bühnenbildtechnik war somit keineswegs mehr das von oben von Soffitten und nach hinten von Prospekten abgeschlossene Kulissensystem. Was sich schon bei Karl Friedrich Schinkel, der 1818 zu Schillers Jungfrau von Orleans und 1819 zu Die Braut von Messina den Bühnenbildentwurf anfertigte, im Zuge einer Zunahme an Wirklichkeitstreue andeutete, wobei auch dort schon plastische Elemente vermehrt zum Einsatz kamen, wird bei Carl vor dem Hintergrund eines wachsenden Interesses an Landschaftsdarstellungen weiter ,naturalisiert‘. Mit „mehrern Gärten“ und „Waldpartien“ wird über einen fast panoramatischen Blick in die Natur ein annähernd ,naturalistischer‘ Eindruck erzeugt. Aber erst die Reformbühne der Meininger, die ein ernsthaftes Ensemblespiel anstrebte, oder die hochstehende Theaterkultur des Wiener Burgtheaters konnten das Niveau der idealen bildungsbürgerlichen Forderungen halbwegs sicherstellen. Immerhin kam der Geschichtsdramatiker Schiller der Suche nach Wirklichkeit und der Akribie des Historismus entgegen. Somit erstaunt es nicht, dass das Berliner Deutsche Theater als paradigmatische Gründung eines Nationaltheaters jeweils drei Intendanzen mit Schillers Kabale und Liebe eröffnete (Erken 2003, 316). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste der Idealismus insgesamt immer mehr dem Positivismus, Biologismus und Materialismus sowie der Evolutionstheorie weichen. Insofern konnte Schiller für die Naturalisten als moderne Theaterästhetik nicht mehr maßgeblich sein. Es ging nun auf den ästhetisch führenden Bühnen, vor allem der Großstädte wie Berlin und München, um die natürliche Determination des Menschen, welche die Freiheit des Menschen im Schiller’schen Sinn bestenfalls als Illusion zuließ. Darüber hinaus setzte ab 1880 so etwas wie eine Schiller-Demontage in Zeitschriften und Manifesten ein (Albert 1998, 773). Zudem ging der intensive philologische Blick auf seine Werke auf Kosten seiner überhöhten Position.

Naturalismus und Positivismus

3. Nach der Jahrhundertwende und in der Weimarer Republik Die zentralen Daten waren nach der Jahrhundertwende Schillers 100. Todestag 1905 und sein 150. Geburtstag 1909. Im Gegensatz zur allgemeinen Begeisterung bei den 1859 stattfindenden Schillerfeiern war man zu den Jubiläumsfeierlichkeiten um 1905 schon etwas distanzierter und kühler, die

Die Herrschaft der Patrioten

123

124

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Politik hielt sich zurück, das Geschehen fand nicht mehr auf der Straße statt und die historisch-kritischen Ausgaben ersetzten die Flugblätter, die vor fünfzig Jahren noch herumgereicht worden waren (Albert 1998, 773). Aus dem Enthusiasmus der Nationalliberalen war das Geschrei der Patrioten geworden. So schrieb ein Wiener Journalist zum Todestag: „Um ihn zu ehren, der über den allgemeinen menschlichen Idealen nicht auf das Vaterland vergaß. Der uns zurief: ,Ans Vaterland, ans theure, schließ’ dich an!‘, der als Toter noch die Geister so mächtig entflammte, daß die Begeisterung seiner 100. Geburtstagsfeier den Ausgangspunkt der nationalen Wiedergeburt bezeichnet. – Ja, Schiller war es, der nicht in letzter Linie mitbauen half an Deutschlands Einheit, indem er den deutschen Namen wieder zu Ehren brachte; und wenn Richard Wagner sagen konnte: „Zerging’ in Dunst, das Heil’ge Röm’sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil’ge deutsche Kunst“ – so sagen wir: Ohne die deutsche Kunst wäre Deutschlands Einheit überhaupt nicht zustande gekommen. […] Wir wollen in Ehrfurcht die Knie beugen vor ihm, dem Schutzgeist des deutschen Volkes, und wollen Schiller auf den Schild erheben mit dem Rufe: Schiller, sei unser Führer, unser König!“ (Erken 2003, 315)

Arbeiterbewegung und Klassenkampf

Die traditionelle Kulturstaatsidee wurde zur Grundlage einer nationalstrategischen Dichtung. Weniger Schillers Menschenbild, der Idealismus und die Forderung nach Freiheit, sondern vielmehr das Abstraktum der „Ehre“ für den „deutschen Namen“ war nun für die Werke und die Autorfiktion namens Schiller die Interpretationsgrundlage (Erken 2003, 315). Der Dichter sollte „die reinste Verkörperung deutschen Wesens“ sein (Oellers 1976, XXXIV). Die Arbeiterbewegung war in der Rezeption Schillers gespalten. Für die einen galten Schillers Werke als gesellschaftspolitisch rückständig, für die anderen war er idealistisch-revolutionär. Franz Mehring, der Begründer der Volksbühne und Verfasser des Buches Schiller. Ein Lebensbild für deutsche Arbeiter (1905), bestimmte Schillers Position im „proletarischen Klassenkampf der Gegenwart“ und deutete dessen Idealismus als „die verzweifelte Flucht vor der rauen Härte des wirklichen Lebens in die Gefilde der Kunst“. Dennoch oder gerade deshalb vertrat er die These, dass die Arbeiterklasse den humanen Auftrag der deutschen Klassik zu verwirklichen habe. In diesem Sinn gäbe der Naturalismus ein zu negatives Bild des Arbeiters, naturalistische „Wirklichkeit“ auf dem Theater ließe sich wohl am eindruckvollsten im äußerlichen Elend der Großstadtbehausungen und in dem moralischen Verfall der Außenseiter, meist Alkoholiker, Huren, Kranke und Geistesgestörte, zeigen. Mehring mokierte sich nicht nur über das mangelnde „sozialistische, parteipolitische Engagement der Naturalisten“, sondern kritisierte u. a. den Dramatiker Henrik Ibsen, weil bei ihm „das Schicksalsdenken die Sozialanalyse völlig verdrängt habe“. Bemängelt wurden ganz generell die „geilen Halluzinationen, in denen die ,reine Volkspädagogik‘ der ,naturalistischen Dichter‘ den Arbeiter stets nur im Bordell und in der Schnapskneipe sieht“, man nahm Anstoß an der „Sorte von Naturalismus“, „die den arbeitenden und kämpfenden Proletarier nicht kennen will, sondern nur den verkommenden Lumpenproletarier schildert“ (Mehring 1905, zit. n. Oellers 1976, XXXIV). Aus dieser Position betrachtet konnte Schillers

3. Nach der Jahrhundertwende und in der Weimarer Republik

Idealismus wieder ganz revolutionär wirken. Ferdinand Lasalle forderte bereits 1863, dass Schiller für die Arbeiterschaft wieder als Vorbild fungieren sollte (Erken 2003, 316). Dagegen waren in der organisierten Arbeiterschaft Stimmen zu hören, dass Schillers revolutionäres Potenzial vom Bürgertum im Anschluss an den Aufstieg der Bourgeoisie von dieser verraten wurde. Nachdem das Bürgertum sich von der Herrschaft des Adels so weit wie möglich emanzipiert hatte, vergaß man die Not der nun untersten Schicht der Arbeiterschaft. Innerhalb der Arbeiterbewegung war man unterschiedlicher Meinung darüber, ob Schiller zu seiner Zeit oder danach ein revolutionäres Potenzial bieten konnte oder ob der Idealismus nicht eine besondere Form des Eskapismus im negativen oder im positiven Sinn wäre. Für Kurt Eisner bot letzterer einen Raum, aus dem schon zu Schillers Lebzeiten gegen die gesellschaftspolitische Realität hätte interveniert werden können, Schillers Idealismus war für ihn, bevor er politisch domestiziert wurde, revolutionär und potenziell wirkungsvoll gewesen (Albert 1998, 774). Man konnte aber auch der Ansicht sein, dass der „ästhetische Staat“ Schillers nicht zur Freiheit, sondern nur zum Traum der Freiheit führe, zumal, so Clara Zetkin, dessen Werk nichts zum „Verständnis der Klassengegensätze und Klassenkämpfe und ihrer geschichtlichen Rolle“ beitrug (vgl. Erken 2003, 317). In der Euphorie der ersten Jahre des Ersten Weltkriegs spielte Schiller eine vergleichsweise kleine Rolle, wenn man ihn mit Hölderlin vergleicht, obwohl er mehr als Goethe zum Begleiter der Soldaten wurde (Carbe 2005, 87). Überhaupt wurde diese Zeit vom Modephilosophen Nietzsche geprägt, der den Klassiker bekanntermaßen als „Moraltrompeter von Säckingen“ diffamiert hatte und mit seiner Philosophie per se gegen den Idealismus stand. Eine Antwort auf diesen Vorwurf der Spießigkeit Schillers war, den Dichter aus seinem historischen Kontext zu nehmen und ihn zu monumentalisieren. So könne man, wie Herbert Eulenberg 1910 schrieb, Schiller als Vorbild für Helden nehmen, die „mit der Geduld eines christlichen Märtyrers die geistige Überlegenheit eines Stoikers im Ertragen des Lebens und Leidens“ zusammenbrachten (zit. n. Oellers 1976, 256). Letztlich ging es in dieser unruhigen Zeit auch um die Frage, inwieweit Schillers Texte und Ästhetik für die jeweiligen politischen Perspektiven in den Auseinandersetzungen nutzbar waren, also angeeignet werden konnten (Albert 1998, 774 f.). Grundsätzlich war die politische und ästhetische Avantgarde der Weimarer Republik mehr am Zeitstück, mehr an der aktuellen Realität, und weniger an den Klassikern interessiert. Dasjenige, was heute das Regietheater an Aktualitätsfunktion mit sich bringt, war damals noch nicht so ausgeprägt, wenn man von Leopold Jessners Inszenierung des Wilhelm Tell (1919) am Staatstheater und Erwin Piscators bekannter Inszenierung der Räuber (1926) absieht. Nicht zu vergessen wäre in diesem Kontext Max Reinhardt, der 1905 mit der Übernahme des Berliner Deutschen Theaters das bedeutendste Bühnenimperium Europas aufzubauen begann. Mit ihm ist die lebendige Wiederkehr der Klassiker verbunden, er befreite die Schauspielkunst vom Rollenfach-Klischee, entrümpelte die Bühne vom Fundus, führte die Scheinwerferbeleuchtung ein und zentrierte die ästhetische Verantwortung beim Regisseur, der nun als Künstler neues Ansehen gewann. Dies schuf ganz neue Herausforderungen und ästhetische Ergebnisse auf einem völlig unbekannten Niveau, gerade was die Inszenierung von Klassikern wie Schiller

Erster Weltkrieg

Weimarer Republik und der Aufstieg des Regisseurs

125

126

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Neue politische Deutungen

betraf. Nicht mehr die Literatur dominierte im Theater, sondern das von einem Regisseur verantwortete, kollektiv produzierte ästhetische Theaterkunstwerk. Insofern leitete Max Reinhardt eine Entwicklung ein, die der Emanzipation des Regietheaters im politischen Theater der Weimarer Republik vorarbeitete. Mit und ohne Schiller tendierte das Politische im Theater nun schnell ins Extreme. Zum einen nimmt etwa Max Kommerell in seiner Schrift Der Dichter als Führer (1928) Schiller als einen „von Aufruhrkräften Besessenen“ in Anspruch, er enthistorisiert ihn gründlich – der Dichter wurde zum Denkmal – und bereitet den Boden für eine heldische Schillergestalt, die 1934 von den Nationalsozialisten leicht funktionalisiert werden konnte (Albert 1998, 776). Auf der anderen Seite stellten kritische Intellektuelle wie Bertolt Brecht frech die Frage nach dem eigentlichen Nutzen von Schillers Werk. Ähnlich wie für Piscator sind auch für Brecht die Klassiker „im Krieg gestorben“, er dachte sich einen zeitaktuellen Don Karlos mit einer erneuerten Figur des Posa: „Versuchen, einen neuen Charakter für die Mission des Posa im „Don Karlos“ zu erfinden! Etwa einen unheilbaren Magister, breit, bucklig, schwerfällig, mit bleichem, gedunsenem Gesicht, der vor dem Spiegel steht und, wie eine Spinne Fäden, idealistische Gebilde aus seiner Brust hervorzieht. Voll tiefer Verachtung für die Menschen, nicht ohne Diplomatie, feig im Physischen, kühn im Geistigen, schwerfällig, aber in längerer Rede entzündbar, mit einer Neigung zu schönen Worten und Paradoxen, verführerisch für die Jugend, etwas unmännlich und mit wunden Stellen (auch zwischen den Beinen eine solche!).“ (Oellers 1976, XLVI) Für Brecht war Schiller aufgrund seiner ideologischen Missbrauchbarkeit diskreditiert, seine Ästhetik zur kulinarischen Delikatesse verkommen, sodass der Wert der Klassiker allein in ihrer Funktion als „Material“ zu bestimmen wäre. Dabei kann ein Materialwert für einen dialektischen Materialisten durchaus von Interesse sein, zumal jedes Stück aus der Perspektive der Regie als „Material“ bezeichnet werden kann (Erken 2003, 319), eine theatrale moderne Tradition, die von Brecht bis zur Postdramatik Heiner Müllers reicht. Um 1919 inszenierte Leopold Jessner, der neue Intendant des Berliner Schauspielhauses (des ehemaligen Hoftheaters), das nun zum republikanischen Staatstheater wurde, einen skandalerzeugenden Wilhelm Tell. Natürlich kamen auch die Räuber wieder zu revolutionären Ehren, etwa in der Inszenierung von Karl-Heinz Martin 1921 am Berliner Großen Schauspielhaus, in welcher der expressionistische Schauspielstil dem Schiller’schen Freiheitspathos kongenial zuarbeitete. Im selben Jahr begann zudem die Mode einer auf das Kostüm bezogenen radikalen Aktualisierung der Klassiker. Erich Ziegel präsentierte auf der Bühne der Hamburger Kammerspiele die Räuber in modernen Kleidern, Franz Moor trat als ostelbischer Junker auf. Solche modisch-modernen Versuche rechneten für Günther Rühle allein mit dem Effekt, da sie nur die Außenseite einer Inszenierung veränderten (Rühle 2007, 500). Eine zeitgemäße, aber politischere Umdeutung präsentierte Erwin Piscator in seiner Einrichtung der Räuber 1926 am Preußischen Staatstheater mit Paul Bildt als Spiegelberg in der Maske von Trotzki.

4. Der Klassiker im Nationalsozialismus

Spiegelberg wird in Piscators Deutung zum „systematischen Revolutionär aus Gesinnung“, der so gegen Karl Moor als „Revolutionär aus privatem Sentiment“ (Erken 2003, 219) opponiert. Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Kritikerstimme unter vielen, Bernhard Diebold in der Frankfurter Zeitung: „Ein Spiegelbergdrama ist nicht aus Schiller abzuleiten, sondern muß – sagen wir von Brecht – neu gedichtet werden.“ Albert vertritt die These, dass sich aus der heutigen Sicht mit ihrer „Sensibilität für die strukturelle Gleichheit nationalistischer und sozialistischer Denkweisen“ Schillers Rezeption sowohl im Umfeld der Arbeiterbewegung als auch innerhalb der nationalen Rechten auf „unhintergehbare völkische“ Kräfte beruft (Albert 1998, 778 ff.). Und für Günther Erken stehen Versuche des Regietheaters der Weimarer Republik, Schiller für gegenwärtige politische Hoffnungen sprechen zu lassen, freilich auch der politischen Opposition frei. Wenn Piscator Spiegelberg in Trotzki-Maske auftreten lässt, dann inszenieren Antisemiten Spiegelberg als „pfiffigen Juden“, und den Wilhelm Tell kann man während der Ruhrbesetzung als Aufforderung, die Franzosen aus dem Land zu werfen, in Szene setzen (Erken 2003, 319).

4. Der Klassiker im Nationalsozialismus Klassiker wie Schiller auf der Bühne im Dritten Reich sind aus heutiger Sicht ambivalent zu bewerten. Zum einen konnten sie subversiv wirken, zum anderen staats- und regimeunterstützend sein. Schillers 175. Geburtstag am 10. November 1934, einen Tag nach dem 9. November als wichtigstem Feiertag der „Bewegung“, wurde von den Nationalsozialisten sogleich für ihre Zwecke instrumentalisiert (vgl. Ruppelt 1979, 33 ff.). Es war der Versuch, mit Schiller dem kursierenden Image der ungebildeten Aufsteiger zu entkommen und sich dem Bildungsbürgertum als Partei zu präsentieren, die für deren Vorstellungswelt offen war. Auch die mittlerweile aus der Mode gekommenen Schillerfeiern des 19. Jahrhunderts wurden wiederbelebt, ihre Theatralität harmonierte gut mit den politischen Inszenierungen. Die Feier im Weimarer Nationaltheater, zu der Hitler bezeichnenderweise nicht in Uniform, sondern im Frack erschien, eignete sich den Klassiker an. Josef Goebbels wagte es sogar, die Bewegung des Nationalsozialismus mit Schillers Freiheitsgedanken zu vergleichen: „Hätte Schiller in dieser Zeit gelebt, er wäre zweifellos der große dichterische Vorkämpfer unserer Revolution geworden.“ Insgesamt gesehen war das Verhältnis zwischen der Schiller-Rezeption und der Kulturpolitik der Nationalsozialisten bis zum Beginn der 1940er Jahre weitgehend störungsfrei und ungetrübt, obwohl die Nationalsozialisten sich nicht auf breiter Front und durchgehend für den Klassiker erwärmen konnten. Zumal sie für das Theater immer noch nach dem originär nationalsozialistischen Stück suchten, was letztendlich vergeblich war, da alle ideologisch akzeptierbaren neuen Dramentexte für die Bühne nicht taugten. So griff man weiterhin auf die Klassiker zurück, um den Theatern ihr Niveau zu erhalten, das ohnehin infrage stand, da viele begabte Dramatiker, Regisseure, Schauspieler und Bühnenbildner gezwungen oder freiwillig das Land verließen. Obwohl die Klassiker viel zum Einsatz kamen, ver-

Zwischen Subversion und Affirmation

127

128

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Die Popularität Schillers im NS-System

Schiller ohne Widerstandspotenzial

misste man bei Schiller wie bei Goethe und Shakespeare letztlich das völkische Element. Auf den Bühnen war Schiller jedoch durchaus populär, zumindest in den ersten Jahren des Dritten Reichs (Ruppelt 1979, 103 ff.). In der Spielzeit 1934/35, im Jahr von Schillers 175. Geburtstag, war er auf den deutschen Bühnen der meistaufgeführte Autor. Verglichen mit der heutigen Situation ist dies bemerkenswert, denn gegenwärtig führt Shakespeare die Liste der meistgespielten Dramatiker an. Schiller kam immerhin auf zehn Prozent des gesamten gespielten Repertoires. Am häufigsten wurde interessanterweise Wilhelm Tell gespielt, ein für eine Diktatur potenziell gefährliches Stück. Natürlich wurde versucht, klassische Dramen im Sinn des dichotomischen Freund-Feind-Bildes umzudeuten, was gerade bei Schiller eine entscheidende Reduktion der Komplexität seiner Figuren bedeutete. Figuren wurden zu Ideologen, Feinden oder Vertretern von Weltanschauungen. Die Helden offenbarten gern einen extrem kämpferischen, soldatischen Geist. Die „deutschen Jünglinge“ Ferdinand und Max Piccolomini provozierten in ihrer Maßlosigkeit eine „germanische Urtragik“; Karl Moor, Fiesko, Wallenstein und Tell, zuweilen sogar König Philipp und Demetrius, wurden Führergestalten (Erken 2003, 320). Schillers Figuren sind jedoch so komplex, dass es nicht gelang, sie völlig auf die Linie der Partei zu zwingen, letztendlich behielten sie ihr Eigenleben und schlugen auch prompt zurück. Vor allem Wilhelm Tell sank, abhängig vom zeitgeschichtlichen Kontext, in der Gunst der Nationalsozialisten. Während man in den 1930er Jahren Tell als volksrevolutionäre Figur noch mit Adolf Hitler gleichsetzte, wurde 1941, unter der Atmosphäre des Krieges, der Beschluss gefasst, dass Wilhelm Tell nicht mehr aufzuführen und an den Schulen zu lesen sei. Man bekam plötzlich Angst vor dem Attentäter Tell. Schiller war insgesamt gesehen dennoch weiterhin populär, dem Tell folgten in der Aufführungshäufigkeit Kabale und Liebe und Maria Stuart. Außerhalb des Schillerjahres, etwa 1935/36, kam der Dichter auf immerhin vier Prozent aller aufgeführten Stücke und wurde auch in diesem Jahr öfter gespielt als Shakespeare, Kleist, Goethe und Hebbel. Seiner Popularität auf dem Theater entsprach jedoch keineswegs diejenige in der literaturwissenschaftlichen Forschung, hier waren Kleists Dramen und Hölderlins Lyrik wichtiger. Auf den Bühnen hielt das Interesse für die Klassiker an, für die Spielzeit 1941/42 registrierte man sogar ein besonderes Hoch an Schüleraufführungen, vor allem Kabale und Liebe und Maria Stuart wurden oft gegeben. Erst in der Spielzeit 1942/43 überholte Goethe, mutmaßlich das erste Mal seit Schillers Tod, diesen in der Anzahl der Gesamtaufführungen, wobei das nicht nur am zunehmenden Misstrauen gegenüber dem Dichter der Freiheit, sondern auch an einem wachsenden Interesse für Goethe lag. Für Schiller galt wie für alle anderen Klassiker, dass sie als dramatische und als theatrale Texte kaum Widerstandspotenzial aufwiesen, wenngleich sie schnell zurückschlagen und sich gegen das herrschende System wenden konnten. Das berühmte Zitat aus Wilhelm Tell, „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht“, konnte so oder so gelesen werden, je nachdem, mit welcher Seite man das herrschende System identifizierte. Die Freiheit der Interpretation erhöhte sich aufgrund der Offenheit und partiellen Uneindeutigkeit der Schiller’schen Texte selbst. Natürlich betonten die deutschen Emigranten

5. Nach 1945: Schiller in der Bundesrepublik und in der DDR

andere Seiten in Schillers Texten. So eindeutig, wie man annehmen könnte, waren die Fronten in der Deutung aber nicht. Schillers frühe Sympathie für die Französische Revolution sah man etwa keineswegs als systemgefährdend an, verstand sich der Nationalsozialismus doch als revolutionäre politische Bewegung. Und Schillers ästhetische Erziehung deuteten die Nationalsozialisten als Kunst der Selbstdisziplin. Zudem darf nicht übersehen werden, inwieweit in ihrem System das Ästhetische die Politik abgelöst hatte. Überhaupt muss infrage gestellt werden – was übrigens auch für die heutige Zeit noch gilt –, ob das Schiller-Bild, das in der Zeit des Nationalsozialismus propagiert wurde, von dem größten Teil der Bevölkerung mit Texten in einen kritischen Zusammenhang hätte gebracht werden können, da nur wenige über eine genügende Textkenntnis verfügten.

5. Nach 1945: Schiller in der Bundesrepublik und in der DDR Nach Kriegsende wurden die Klassiker, vor allem Goethe und Schiller, gegen das Gefühl der Sinnleere eingesetzt. Im Theater blieb Schiller auch nach 1945 eine wichtige Stütze des Spielplans, bis Mitte der 1960er Jahre war er neben Shakespeare der meistgespielte Autor (Piedmont 1990, 63). Goethe, dessen 200. Todestag 1949 begangen wurde, galt jedoch zunächst als kosmopolitischer und wurde als Garant für eine neue kulturelle Identität der Deutschen im abendländischen Geist schnell funktionalisiert. Schiller rückte erst wieder 1955 und 1959 in beiden deutschen Staaten in den Mittelpunkt. Die Zeit der monumentalistischen Deutung des Klassikers war noch nicht vorbei. Im Osten wurden bei Schiller passende Sentenzen für die antifaschistisch-demokratische Neuausrichtung gesucht, im Westen für den demokratischen Geist, wobei man sich gegenseitig den Missbrauch des Klassikers vorwarf. In der DDR begriff man, so der Kulturminister Johannes R. Becher, „unseren Schiller“ als „Dichter der Freiheit“, im fortschrittlichen Sozialismus der DDR würde man die deutsche Tragödie abschließen und damit auch Schillers Tragik beenden. Aus westlicher Sicht war dies eine verengende Aneignung des komplexen Schiller’schen Lebenswerks und Werdegangs. Hier verfolgte man eher die Ablösung des Dichters vom politischen Alltagsgeschäft und in diesem Sinn auch eine Distanzierung von den nationalsozialistischen Vereinnahmungen. Diese glaubte man in der DDR ohnehin nicht vornehmen zu müssen, weil man sich dort als originär antifaschistischer Staat ohne dunkle Traditionslasten sah (Albert 1998, 784 f.). Das Theaterleben nach 1945 knüpfte an Traditionen an, die nicht durch den Nationalismus kompromittiert erschienen. Bis weit in die 1950er Jahre hinein begegneten einem in den wichtigsten Schillerinszenierungen die altbekannten Namen wie Jürgen Fehling, Joana Maria Gorvin, Elisabeth Flickenschildt, Käthe Dorsch, Werner Krauss, Ernst Deutsch, Walter Franck, Gustav Rudolf Sellner und nicht zuletzt Gustaf Gründgens. Der ehemalige Generalintendant des Preußischen Staatstheaters übernahm 1951 in seiner Düsseldorfer Eröffnungsinszenierung der Räuber erstaunlich viele Züge seiner letzten Berliner Inszenierung von 1944, wobei er auch in seiner Rolle

Der Klassiker in Ost und West

Das Theater nach 1945

129

130

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

Wahres Menschentum und wiederentdeckter Humanismus

Aktualisierungen des Klassikers

des Franz Moor verblüffend seiner Mephisto-Darstellung glich. Nicht nur er, auch andere durch ihre mehr oder weniger aktive Mitarbeit in der NS-Zeit belastete Theatermacher wie Karl-Heinz Stroux oder Heinz Hilpert verteidigten sich und verweigerten sich der unangenehmen Erinnerung mit dem Hinweis auf das Konzept der Werktreue. Schon im 19. Jahrhundert ein Schutz gegen die Zensur, in den 1930er Jahren ein zumindest behaupteter gegen die Eingriffe des diktatorischen Systems, wurde Werktreue nun zum Argument der Nichtverantwortung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Haltung den Klassikern gegenüber bedeutete ein nicht geringes Maß an Enthistorisierung und Entpolitisierung (Erken 2003, 322). Unmittelbar nach Kriegsende begann das Theater relativ schnell wieder zu spielen, man eröffnete das Deutsche Theater in Berlin am 26. Juni 1945 mit der Inszenierung von Friedrich Schillers Der Parasit, eine Übersetzung eines Stücks von Louis-Benoît Picard aus dem Französischen aus dem Jahr 1803. Als Übernahme aus der Spielzeit des Staatstheaters 1943/44 wurde die Inszenierung von der sowjetischen Administration schnell abgesetzt, u. a. wegen des Schlusses, in dem es heißt: „Das Gespinst der Lüge umstrickt den Besten; der Redliche kann nicht durchdringen; die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent; der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“ (Glaser 1997, 116) Schillers Texte waren somit durchaus weiterhin widerständig, wenn es um totalitäre Ansprüche ging. Generell waren sie aber hochwillkommen, da man sich mit ihrer Hilfe in den Jahren nach 1945 in idealistischer Tradition auf den antiken und Weimarer Humanismus stützen konnte. Die mit den Klassikern verbundene moralische Wiederaufrüstung nach dem Krieg stand im Zeichen von Schillers philosophischer Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen, da sich das Politische, von dem man nun genug hatte, dem Kulturellen unterordnen sollte. Es ging um das Vorbild wahren Menschentums und das Vorbild großer Humanisten (Hermand 1989, 69). Ein prägnantes Datum wurde im westlichen wie im östlichen Teil Deutschlands Schillers 150. Todestag. Thomas Mann hielt sowohl bei der Schiller-Gedenkfeier 1955 in Stuttgart als auch ein paar Tage später in Weimar fast dieselbe Rede. Beide Vorträge galten als Glanzpunkte der Feiern in beiden deutschen Staaten. Dass die Rede in beiden Systemen gehalten werden konnte, deutete auf ein unscharfes Bild von Schillers Werk und Person hin. Deutlich ironischer thematisierte Friedrich Dürrenmatt 1959 in Mannheim in einer Rede sein Verhältnis zu dem Dichter, das er als gute Arbeitsbeziehung charakterisierte. Zum 200. Todestag Schillers 1959 konstatierte Walter Muschg dann ein „kühles Verhältnis“ zum Klassiker, die neuen turbulenten Zeiten kündigten sich bereits an. Doch vor den kulturellrevolutionären Zeiten der 1960er Jahre ereignete sich ein Theaterskandal, laut Hermann Glaser der heftigste der ersten Nachkriegszeit (Glaser 1997, 121). In der Rezeption und Kritik der Fritz-Kortner-Inszenierung von Schillers Don Karlos 1950 im Hebbel-Theater Berlin empörte man sich über die Ausstattung und den Spielraum, der die Szene hinter die Kulissen des spanischen Palastes versetzte und mit diesem Kunstgriff die Intrige besonders betonte. Auch die Kostüme schienen mit ihren aktuellen Bezügen übertrieben. Don Karlos sah man im Overall eines Arbeiters, Alba posierte im Lederan-

5. Nach 1945: Schiller in der Bundesrepublik und in der DDR

zug wie ein Panzerkommandant, der König sah keineswegs mehr wie ein König aus und der Inquisitor wurde in der Tradition des König Ubu zur grotesken Herrscherfigur. Das Publikum vermisste seinen pathetisch-idealistischen Schiller, Rhetorik, Gestik, Mimik und Bühnenraum verweigerten alle gewohnten traditionellen Muster. Ziel war eine radikale Entmythologisierung des Klassikers, der sich als zwingende Tradition des deutschen Theaters herausgebildet hatte. Hierzu waren Kortner alle Theatermittel recht. Der Regisseur war ständig auf der Suche nach dem Kern jeder Hauptfigur. Von ihm aus legte er die Figur und die Handlung aus und bestimmte den Weg der Gesamtdramaturgie sowie sein Inszenierungskonzept (Critchfield 2008, 142). Als Regisseur und nicht mehr als berühmter Schauspieler, der er noch in der Weimarer Republik war, blieb Kortner – ähnlich wie Piscator und partiell auch Brecht – der ungeliebte ,Remigrant‘. Mit Piscator war er fast allein zuständig für die Neuentdeckung des historischen Abstands jeder Klassikerinszenierung zur Weimarer Klassik und zu der geschichtlichen Bedeutung von Rezeptionsstufen. Der hermeneutische Blick Kortners be- und hinterfragte schon im Probenprozess Text, Figuren, Dramaturgie und Situationen bis ins Detail; erkundet wurde, welche Substanz herauszuarbeiten war, um das Ergebnis dann in der Aufführung zu präsentieren und auf seine Konkretheit überprüfen zu lassen. Dieses oft rücksichtslose Vorgehen gegen Textund Aufführungstraditionen, die längst veraltete Stereotypen herausgebildet hatten, die Kortner überwinden wollte, irritierte die Zuschauer und Kritiker immens. Obwohl seine innovative Probenarbeit und Ästhetik von einem nicht zu überschätzenden Einfluss auf das damals fortschrittliche Theater war, gelang es Kortner nie, eine Intendanz eines deutschen Theaters zu bekommen. Auch Piscator hatte es nicht leicht. Für seine Inszenierung der Räuber, die 1957 das Kleine Haus in Mannheim eröffnete, richtete Piscator eine Aufmerksamkeit erregende Raumbühne ein, die den hierarchisierenden Guckkastenblick unterminierte und den atmosphärischen Zugang zu Schiller erneuerte. Sowohl Kortner als auch Piscator sind in ihren avancierten, je auf ihre Weise realistischen Inszenierungen im Endergebnis vergleichbar: Das Pathos wurde zugunsten der Vernunft zurückgedrängt, das Schweigen ersetzte oft die Rhetorik und das affektive Gebaren der Figuren wurde räumlichen Widerständen ausgesetzt. Besonders betont wurden die Inhalte und die gesellschaftspolitischen Kontexte der Dramen Schillers. An den Universitäten, so Jost Hermand, war die überwiegende Mehrzahl der Lehrveranstaltungen unter der Akzentuierung existenzieller und geisteswissenschaftlicher, oft auch religiöser Gesichtspunkte der großen historischen Tradition verpflichtet. Diesbezüglich änderte sich im Vergleich zur Universität im NS-Staat vorerst wenig, zumal das Lehrpersonal noch annähernd dasselbe war. Ähnliches galt für die von Heinz Otto Burger 1952 herausgegebenen Annalen der deutschen Literatur. Die ,führenden‘ Germanisten dieser Zeit wie Benno von Wiese (Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, 1948, Eduard Mörike, 1950, Friedrich Schiller, 1959), Erich Trunz (Hamburger Goethe-Ausgabe, 1948–1960), Friedrich Sengle (Wieland, 1949) oder Emil Staiger (Goethe, 1952–1959) richteten ihren Blick ebenfalls auf die ,bedeutende‘ Tradition und überließen die Literatur und das Theater der Gegenwart den Journalisten (Hermand 1989, 488). Die Rezeption Schillers zog sich etwas aus der allgemeinen Öffentlichkeit zurück und ver-

Pflege der Tradition an den Universitäten

131

132

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

1960er Jahre, Strukturalismus und Popästhetik

ließ sich umso mehr auf die Überlieferungsinstitutionen Universität, Schule und Theater. Dies zeigte sich unter anderem darin, dass die großen Schillerjahre 1955 und 1959, vor allem im Vergleich zu 1905/1909 und noch viel mehr zur allgemeinen öffentlichen Begeisterung um 1859, weitgehend auf den gelehrten Bereich beschränkt blieben. Noch im Übergang von den 1950er zu den 1960er Jahren betonte man bei Bildungsklassikern wie Schiller, Goethe oder Shakespeare durchgehend das Zeitlos-Höhere, dabei vermied man tunlichst jeden gesellschaftlichen oder historischen Bezug (Hermand 1989, 292). In der Spielzeit 1965/66 begann das Regietheater im engeren Sinn mit zwei radikalen Tabubrüchen in der Tradition der Schillerinszenierungen. Der Piscator-Schüler Hansgünther Heyme inszenierte in Wiesbaden Wilhelm Tell, wobei er mit Piscators Gerüsten und Gitterrosten die Szene zu einem Tribunal umfunktionierte, das die deutsche Vergangenheit verurteilte. Dabei verkehrte er dramaturgisch völlig die Fronten und Verhältnisse, der revolutionäre Aufbruch der Schweizer wurde zur faschistischen Revolution, die Verschwörer auf dem Rütli gehörten augenscheinlich der SA an, Tell war ein Asozialer und das Attentat auf Geßler das Signal und der Auftakt für eine Orgie der anarchistischen Gewalt. Peter Zadek inszenierte in Bremen die Räuber in einem Bühnenbild von Wilfried Minks, das der Ästhetik der Pop Art angeglichen war. Regieanweisungen wurden nun genau befolgt, ihre Übertragung in das populäre Verhaltensmuster von Western-, Horrorfilm und Comic-Figuren betonte den trivial-theatralen Zug in Schillers Stücken. Damit stand der Dichter für einen Aufbruch Pate, der den Existenzialismus zugunsten des Strukturalismus und den klassischen Ernst zugunsten der Popästhetik ablöste. Nicht zuletzt gelang es einer neuen Generation von Theatermachern, die noch im Nationalsozialismus aufgestiegenen Intendanten von ihren Machtpositionen zu verdrängen und eine neue Theaterästhetik durchzusetzen, die erst Regietheater und später, vor dem Hintergrund der postmodernen Vorstellungswelt der 1980er Jahre, Postdramatik genannt wurde. Für die unmittelbare Gegenwart konstatiert Erken, dass sich das Regietheater in der Inszenierung Schillers immer ausschließlicher entweder für den Aufklärer und politischen Denker einerseits oder den Theatraliker sowie populären Effektdramatiker andererseits interessierte (Erken 2003, 324). Beides kulminiert in der Ästhetik der Präsenz des dekonstruktivistischen Theaters der Gegenwart.

6. Von der Wiedervereinigung bis heute Regie- und Regisseurtheater der letzten Jahre

Im Theater bleibt Schiller weiterhin aktuell. Insbesondere die Inszenierungen des Regietheaters auf der einen Seite und – eher vereinzelt – traditionelle Inszenierungen wie die von Peter Stein oder regionaler Theater auf der anderen Seite dominierten die letzten Jahre. Stein hat nach seinem großen Projekt der Inszenierung des ganzen Faust den ganzen Wallenstein mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle text- und nicht, wie so oft kolportiert wird, werkgetreu auf die Bühne gebracht. Dem stehen vielfältige Inszenierungen Schillers, die wir als post- oder nicht mehr dramatische Inszenierungen begreifen würden, gegenüber (Lehmann, Poschmann). Das Regietheater

6. Von der Wiedervereinigung bis heute

wandelte sich in den Jahren nach der Wiedervereinigung zum viel kritisierten Regisseurtheater. Leander Haußmann setzte mit seiner Inszenierung des Fiesko Maßstäbe in der Annäherung an das Medium Film. Dass er später eine beachtete Verfilmung von Kabale und Liebe vorlegte, verwundert nicht. Währenddessen machte Frank Castorf mit seinen Schilleradaptionen wie Die Räuber (1990) und Wilhelm Tell (1991) die Dekonstruktion von Klassikern in Deutschland für das allgemeine Publikum zugänglich oder zumindest erträglich. Beachtung fand auch die Inszenierung der Räuber von András Fricsay 1989 im Prinzregententheater München. In jüngster Zeit stellte Elfriede Jelinek anhand einer Überschreibung der Maria Stuart die Jahre der bleiernen Zeit, der RAF und der alten Bundesrepublik zur Diskussion und wies mit ihrem Theatertext Ulrike Maria Stuart (2006) die Tradition der Klassiker als Palimpsest aus. Für diesen Theatertext suchten Jossi Wieler und Nicolas Stemann die adäquate Bühnenästhetik, sodass Schillers Texte den Anschluss an aktuelle Zeitströmungen weder auf dramatischer noch auf theatraler Ebene verlieren. Die breite Rezeption blieb weiterhin von der Schullektüre bestimmt, Schüler und Lehrer bildeten eine verlässliche Zuschauerquelle für Inszenierungen der Werke Schillers, der Klassiker erfreute sich eines soliden Publikumszuspruchs und fehlte daher kaum im Spielplan der Schauspieltheater. Die Schüler, die das Parkett füllten, konnten jedoch kaum mehr nachvollziehen, welche Skandale Schillerinszenierungen 1782 am Mannheimer Theater, 1926 auf der Piscatorbühne in Berlin oder noch 1990 bei Castorf hervorriefen. Allein der schulische Kontext setzte den Klassiker mit Langeweile gleich. Dies scheint sich im Moment jedoch zu ändern, Schiller wird zunehmend spannend in Szene gesetzt oder interpretiert. In der Literaturwissenschaft interessiert man sich vermehrt für Anthropologie, Körper und Medien sowie für die Diskursgeschichte, sodass sich kreative Perspektiven auf den ,alten‘ Klassiker eröffnen und diesen in neuem Licht erscheinen lassen. Dies macht sich auch auf der Seite des Populären bemerkbar, der an Schiller interessierte Bürger kann sich entweder an die anspruchsvolle zweibändige Schillerbiografie von Peter-André Alt (2000) wagen oder sich an Rüdiger Safranskis Publikationen Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus (2007) und Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft (2009) erfreuen, die den Zwischenbereich bzw. die Schnittmenge zwischen Wissenschaft und allgemein verständlichem Sachbuch besetzen. Safranski gelingt das seltene Kunststück, sowohl von den Lesern mit wenig oder gar keinem Vorwissen rezipiert als auch von Journalisten geachtet, gut rezensiert und sogar von Wissenschaftlern zitiert wie auch in deren Seminarapparate aufgenommen zu werden. In der jüngsten Zeit setzten Rimini Protokoll mit ihrer innovativen Form des Dokumentartheaters Maßstäbe, für die Internationalen Schillertage Mannheim boten sie eine Uraufführung, oder besser gesagt, eine Performance unter dem Titel Wallenstein, die vom Drama allein die allergröbste Struktur übernommen hat. Übrig blieb ein Diskurs über die Themen des Stücks, über Macht, Treue, Verrat und Idealismus. Auf der Bühne agierten keine professionellen Schauspieler, sondern Laien, sogenannte Experten des Alltags. Ein veritabler Politiker übernahm die Rolle des Wallenstein, ein echter Soldat spielte einen Soldaten, eine Astrologin den Hofastrologen etc. Mit

Aktuelle Interpretationen

Inszenierungen zwischen Dekonstruktion und neuer Tradition

133

134

VI. Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte

ihren Recherchen im Alltag führen Rimini Protokoll die Problematik und politische Brisanz des Stücks in den inszenierten Alltag zurück, dem diese einst mithilfe der dichterischen Imagination entnommen wurden. Damit reagiert der Idealismus Schillers auf den Konstruktivismus der postmodernen Vorstellungswelt, während zugleich das Dokumentarische seinen in der letzten Zeit verloren gegangenen Referenten sucht. Auch die absichtlich dilettantische Inszenierung von Schillers Kabale und Liebe durch Armin Petras ließ aufmerken, indem sie jeden falschen Idealismus entlarvte und hohles Pathos der Lächerlichkeit preisgab. Konventioneller, aber auf seine eigene Art interessant war Wilhelm Tell 200 Jahre nach der Weimarer Uraufführung zum ersten Mal am Originalschauplatz, 2004 auf dem Rütli am Vierwaldstättersee, eine Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar unter der Intendanz des Schweizers Stephan Märki. Hier deutete sich eine wieder traditionelle Lesart an, die zunehmend ihre Anhänger findet und Teil einer Historisierung der Postmoderne ist. Unlängst unterzog Nicolas Stemann die Räuber im Hamburger Thaliatheater einer radikalen Dekonstruktion. In Stemanns Inszenierung aus dem Jahr 2008 als wohl momentan aktuellster und avanciertester theatraler Form werden die beiden Brüder Karl und Franz, bei Schiller noch Antagonisten, zu einer Person, die von vier Schauspielern verkörpert wird. Der klassische Text wird immer wieder auf seinen kreativen Ursprung im Schreib- und Probenprozess, der Phäno- auf den Genotext zurückverwiesen, indem die Schauspieler ihre Schwierigkeiten mit dem Text haben und spielen, womit ein ständiger Bruch zwischen Schauspielerkörper und überliefertem Klassikertext offensichtlich wird. Den Schlusspunkt setzt nicht der Räuber Karl, sondern die selbstbewusst gewordene Frau Amalie. Am Ende der Rezeptionsgeschichte wandert der revolutionäre Impuls von Schillers Dramatik in die Aufdeckung der Struktur und die Performanz der Form.

Zeittafel 1759

1764 1765 1766 1767 1772 1773

1774 1775 1776 1777 1779 1780

1781

1782

Johann Christoph Friedrich Schiller wird am 10. November während des Siebenjährigen Krieges in Marbach am Neckar geboren Sein Vater ist Johann Caspar Schiller, erst Feldscher, dann Werbeoffizier und zuletzt Intendant der Hofgärtnerei des Herzogs Seine Mutter ist Elisabeth Dorothea, geb. Kodweiß, die Tochter eines Wirts Umzug nach Lorch nahe Schwäbisch Gmünd Besuch der Dorfschule in Lorch Erster Unterricht in Latein bei Pfarrer Philipp Ulrich Moser Umzug in die Residenzstadt Ludwigsburg Besuch der Ludwigsburger Lateinschule Abschluss der Schule Schillers Wunsch, Theologie zu studieren, wird vom Herzog abgelehnt Er wird in die Herzögliche Militärakademie eingezogen, die später in Hohe Karlsschule unbenannt wird Schiller studiert Jurisprudenz Die Militärakademie bezieht ihr neues Domizil in Stuttgart Schiller wechselt zum Medizinstudium Veröffentlichung des Gedichts Der Abend im Schwäbischen Magazin Schiller beginnt noch an der Hohen Karlsschule mit den Räubern Ablehnung der Dissertationsschrift Philosophie der Physiologie Schiller schließt die Akademie ab, nachdem auch die zweite Schrift zurückgewiesen, die dritte mit dem Thema Über den großen Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen jedoch akzeptiert wurde Stelle als Regimentsarzt beim Grenadierregiment Augé in Stuttgart Abschluss der Arbeit an den Räubern Die Räuber werden im Selbstverlag veröffentlicht Heribert von Dalberg, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, bestellt eine Bühnenfassung Erfolgreiche Uraufführung der Räuber Erster Gedichtband Anthologie auf das Jahr 1782 erscheint im Selbstverlag Heimliche Reise nach Mannheim, Haftstrafe wegen unerlaubter Auslandsreise Flucht mit dem Freund Andreas Streicher von Stuttgart nach Mannheim, dann weiter nach Bauerbach südlich von Meiningen, dort Unterkunft bei Henriette von Wolzogen Arbeit an Fiesko und Entwurf der Luise Millerin

136

Zeittafel

1783

1784

1785 1786

1787

1788 1789

1790 1791

1792 1793

1794 1795

1796

1797 1798

Veröffentlichung und Uraufführung des Fiesko Anstellung als Theaterdichter in Mannheim Schwere Krankheit Antrittsrede Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? zur Aufnahme in die Kurfürstliche Deutsche Gesellschaft in Mannheim Aufführung des Fiesko mit wenig, von Kabale und Liebe mit viel Erfolg Ernennung zum Weimarischen Rat durch Herzog Karl August Keine Verlängerung seines Vertrags als Theaterdichter Reise zu Körner nach Leipzig und weiter nach Dresden Arbeit an Don Karlos Historische Studien und Beginn mit der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande Der Verbrecher aus verlorener Ehre Philosophische Briefe Schiller lebt erst in Weimar, danach in Rudolstadt Er schreibt den unvollendet gebliebenen Roman Der Geisterseher Uraufführung des Don Karlos in Hamburg Schiller begegnet Goethe und wird Professor in Jena Die Götter Griechenlands Beginn der Französischen Revolution Verlobung mit Charlotte von Lengefeld Umzug nach Jena Verleihung des Titels eines Hofrats Heirat mit Charlotte von Lengefeld Schwere Erkrankung Stipendium für drei Jahre von Prinz Friedrich Christian von Augustenburg Beginn des Kant-Studiums Die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Über Anmut und Würde, Über das Erhabene, Über die ästhetische Erziehung des Menschen Arbeit am Wallenstein Das erste Kind Carl Friedrich Ludwig kommt zur Welt Vertrag mit Johann Friedrich Cotta Beginn der Freundschaft mit Goethe Herausgabe der Horen Über naive und sentimentalische Dichtung Aufgrund zahlreicher Angriffe auf die Horen mit Goethe Verfassung der Xenien Der Musenalmanach für das Jahr 1797 erscheint bei Cotta Schillers Vater stirbt, sein zweiter Sohn Ernst Friedrich Wilhelm wird geboren Balladenjahr Schillers und Goethes, Der Taucher, Die Kraniche des Ibykus u. a. Wallensteins Lager auf der Weimarer Bühne Die Horen werden eingestellt

Zeittafel

1799

1800 1801 1802

1803 1804

1805

Uraufführung der Piccolomini und von Wallensteins Tod Beginn der Arbeit an Maria Stuart Umzug nach Weimar Schillers erste Tochter Karoline Henriette Luise wird geboren Erfolgreiche Uraufführung der Maria Stuart Arbeit an der Jungfrau von Orleans Uraufführung der Jungfrau von Orleans Erste Versuche mit dem Wilhelm Tell Umzug in ein größeres Haus an der Esplanade in Weimar Erhebung in den Adelsstand Uraufführung der Braut von Messina Reise nach Berlin Fertigstellung und Uraufführung des Wilhelm Tell Geburt der zweiten Tochter Emilie Henriette Luise Entwurf des Demetrius Schiller stirbt am 9. Mai in Weimar

137

Kommentierte Bibliografie 1. Texte und Werkausgaben Schillers Werke. Nationalausgabe (= NA). Hg. v. Julius Petersen und Gerhard Fricke (ab 1943), hg. v. Julius Petersen und Hermann Schneider (ab 1948), hg. v. Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese (ab 1961), hg. v. Norbert Oellers und Siegfried Seidel (ab 1980), hg. v. Norbert Oellers (ab 1992). Weimar 1943 ff. Friedrich Schiller. Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. v. Otto Dann, Heinz Gerd Ingenkamp, Rolf-Peter Janz, Gerhard Kluge, Herbert Kraft, Georg Kurscheidt, Matthias Luserke, Norbert Oellers, Mirjam Springer und Frithjof Stock. Frankfurt/M. 1988 ff. Friedrich Schiller, Johann Wolfgang v. Goethe: Ihre Briefe sind meine einzige Unterhaltung. Briefwechsel in den Jahren 1794 bis 1805. 2 Bände. Hg. v. Manfred Beetz. München 1990. (= Johann Wolfgang v. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Hg. v. Karl Richter. Bd. 8.1: Briefe, Bd. 8.2: Kommentar). Friedrich Schiller. Gedichte. Hg. v. Norbert Oellers. Stuttgart 1999. Friedrich Schiller. Vom Pathetischen und Erhabenen. Schriften zur Dramentheorie. Hg. v. Klaus Berghahn. Stuttgart 1999. Friedrich Schiller. Sämtliche Werke in 5 Bänden. Auf der Grundlage der Textedition von Herbert G. Göpfert. Hg. v. Peter-André Alt, Albert Meier und Wolfgang Riedel. München 2004. Friedrich Schiller. Sämtliche Gedichte und Balladen. Hg. v. Hans-Georg Kurscheidt. Frankfurt/M. 2004. Friedrich Schiller. Sämtliche Werke in zehn Bänden. Hg. v. Hans-Günther Thalheim mit Peter Fix, Jochen Golz, Waltraud Hagen, Matthias Oehme, Regine Otto, Barthold Pelzer. Berlin 2005. Engelmann, Christine (Hg.): „Gnädigster Herr, ich habe Familie“. Schillers Bitt- und Bettelbriefe. München 2009. Johann Wolfgang Goethe. Werke in sechs Bänden. Bd. 6: Ästhetische Schriften u. a. Frankfurt/M. 1998. Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Bd. 20: Ästhetische Schriften 1771–1805. Hg. v. Friedmar Apel. Frankfurt/M. 1998. Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Bd. 31: Johann Wolfgang Goethe mit Schiller. Hg. v. Volker C. Dörr und Norbert Oellers. Frankfurt/M. 1998.

Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Bd. 39: Johann Peter Eckermann. Gespräche mit Goethe. Hg. v. Christoph Michel unter Mitwirkung von Hans Grüters. Frankfurt/M. 1999. Wilhelm von Humboldt. Briefe. Hg. v. Wilhelm Rößle. München 1954.

2. Forschungsliteratur Albert, Claudia (Hg.): Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus. Schiller. Hölderlin. Kleist. Stuttgart 1994. [Wichtig für das Verständnis der Schiller-Rezeption in der Zeit des Nationalsozialismus.] Dies.: Schiller im 20. Jahrhundert. In: Schiller-Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart 1998, S. 771–794. Alt, Peter-André: Schiller. Leben – Werk – Zeit. 2 Bde. München 2000. [Derzeit die umfangreichste und informativste Biografie über Schiller. Besondere Betonung der zeitgenössischen Diskurse, insbesondere der Wissenschaftsgeschichte.] Ders.: „Arbeit für mehr als ein Jahrhundert“. Schillers Verständnis von Ästhetik und Politik in der Periode der Französischen Revolution (1790–1800). In: JDSG 46 (2002), S. 102–133. Ders./Kosenina, Alexander/Reinhardt, Hartmut/Riedel, Wolfgang (Hgg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Würzburg 2002, S. 215–237. Ders.: Friedrich Schiller. München 2004. [Das Kondensat der umfangreichen Biografie des Autors.] Ders.: Klassische Endspiele. Das Theater Goethes und Schillers. München 2008. [Aktuelle, den Stand der Forschung reflektierende Interpretationen der klassischen Dramen.] Altenburg, Detlef: Zur dramatischen Funktion der Musik in Schillers „Wilhelm Tell“. In: Resonanzen. Hg. v. Sabine Doering, Waltraud Maierhofer und Peter Philipp Riedl. Würzburg 2000, S. 171–189. Ammon, Frieder von: Ungastliche Gaben. Die „Xenien“ Goethes und Schillers und ihre literarische Rezeption von 1796 bis in die Gegenwart. Tübingen 2005. Assmann, Jan: Das verschleierte Bild zu Sais. Schillers Ballade und ihre griechischen und ägyptischen Hintergründe. Stuttgart 1999. [Alternative Perspektive eines Ägyptologen.] Aurnhammer, Achim/Manger, Klaus/Strack, Friedrich

Kommentierte Bibliografie (Hgg.): Schiller und die höfische Welt. Tübingen 1990. [Sammelband, der die Abhängigkeit Schillers vom höfischen System erörtert.] Bärfuss, Lukas: Theater als moralische Anstalt. In: chrismon 10 (2005), S. 39. Barner, Wilfried/Lämmert, Eberhard/Oellers, Norbert (Hgg.): Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik. Stuttgart 1984. [Informative Aufsätze zur Zusammenarbeit Goethes und Schillers.] Baur, Eva Gesine: Mein Geschöpf musst Du sein. Das Leben der Charlotte von Schiller. Hamburg 2004. [Eine kompetente Biografie der Ehefrau Schillers.] Bayerdörfer, Hans-Peter/Englhart, Andreas: Ausstattungstheater und mise en scène im frühen 19. Jahrhundert. In: Exotica. Konsum und Inszenierung des Fremden im 19. Jahrhundert. Hg. v. Hans-Peter Bayerdörfer und Eckhart Hellmuth. Münster 2003, S. 45–79. Bergen, Ingeborg: Biblische Thematik und Sprache im Werk des jungen Schiller. Einflüsse des Pietismus. Mainz 1967. Berghahn, Klaus L.: Formen der Dialogführung in Schillers klassischen Dramen. Ein Beitrag zur Poetik des Dramas. Münster 1970. [Eine der wenigen überzeugenden Untersuchungen über den Dialog im Drama.] Ders.: Das „Pathetisch-Erhabene“. Schillers Dramentheorie. In: Deutsche Dramentheorien. Hg. von Reinhold Grimm. Bd. 1. Wiesbaden 1980, S. 214–244. Ders.: Schiller. Ansichten eines Idealisten. Frankfurt/M. 1986. [Vielzitierte Studie, die den Idealismus Schillers in seinen verschiedenen Facetten beleuchtet.] Berief, Renate: Selbstentfremdung als Problem bei Rousseau und Schiller. Idstein 1991. Bernauer, Joachim: „Schöne Welt, wo bist du?“ Über das Verhältnis von Lyrik und Poetik bei Schiller. Berlin 1995. Bernhardt, Oliver: „Eines Freundes Freund zu seyn“. Friedrich Schiller. Eine Biographie. Münster 2002. [Eine kurze, aber informative Einführung in Leben und Werk des Autors für Einsteiger.] Beyer, Karen: „Schön wie ein Gott und männlich wie ein Held“. Zur Rolle des weiblichen Geschlechtscharakters für die Konstituierung des männlichen Aufklärungshelden in den frühen Dramen Schillers. Stuttgart 1993. [Wichtige Arbeit aus der Sicht der Gender Studies.] Bienert, Michael: Schiller in Berlin oder Das rege Leben einer großen Stadt. Marbach 2004. Blanz, Stefan/Wertheimer, Jürgen (Hgg.): Das Ende des Stegreifspiels – die Geburt des Nationaltheaters: ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Dramas. München 1983.

Bloch, Peter André: Schiller und die klassische französische Tragödie. Düsseldorf 1968. Bolten, Jürgen (Hg.): Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung. Frankfurt/M. 1984. Ders.: Friedrich Schiller. Poesie, Reflexion und gesellschaftliche Selbstdeutung. München 1985. Borchmeyer, Dieter: Tragödie und Öffentlichkeit. Schillers Dramaturgie in Zusammenhang mit seiner politisch-ästhetischen Theorie und der rhetorischen Tradition. München 1973. [Wichtig vor dem Hintergrund der Entdeckung des politischen Kontextes als Öffentlichkeit.] Ders.: Rhetorische und ästhetische Revolutionskritik: Edmund Burke und Schiller. In: Karl Richter und Jörg Schönert: Klassik und Moderne. Die Weimarer Klassik als historisches Ereignis und Herausforderung im literaturhistorischen Prozess. Stuttgart 1983, S. 56–79. Ders.: Macht und Melancholie. Schillers Wallenstein. Frankfurt/M. 1988. [Weitreichende Erörterung von Wallensteins politischen Entscheidungsspielräumen.] Ders.: Kritik der Aufklärung im Geiste der Aufklärung: Friedrich Schiller. In: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. Jochen Schmidt. Darmstadt 1989, S. 361–376. Ders.: Weimarer Klassik. Porträt einer Epoche. Weinheim 1994. Brandstetter, Gabriele/Neumann, Gerhard (Hgg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800. Würzburg 2004. Brandt, Helmut (Hg.): Friedrich Schiller. Angebot und Diskurs. Zugänge – Dichtung – Zeitgenossenschaft. Berlin 1987. Burschell, Friedrich: Schiller. Reinbek bei Hamburg 1982. Carbe, Monika: Schiller. Vom Wandel eines Dichterbildes. Darmstadt 2005. Cassirer, Ernst: Idee und Gestalt. Goethe – Schiller – Hölderlin – Kleist. Darmstadt 1971. Ders.: Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte. In: Gesammelte Werke. Hg. v. dems. Bd. 7. Darmstadt 2001. Cersowsky, Peter: Schillers Volksstück: Wilhelm Tell. In: Würzburger Schiller-Vorträge 2005. Hg. v. Jörg Robert. Würzburger Ringvorlesung Bd. 5. Würzburg 2007, S. 93–110. Chiarini, Paolo/Hinderer, Walter (Hgg.): Schiller und die Antike. Würzburg 2008. [Sammlung von erhellenden Aufsätzen zum Thema.] Critchfield, Richard D.: From Shakespeare to Frisch: The Provocative Fritz Kortner. Heidelberg 2008. Damm, Sigrid: Das Leben des Friedrich Schiller.

139

140

Kommentierte Bibliografie Frankfurt/M. 2004. [Zitatenlastige, aber gut lesbare Biografie.] Dann, Otto/Oellers, Norbert/Osterkamp, Ernst (Hgg.): Schiller als Historiker. Stuttgart 1995. [Beleuchtet kompetent das Verhältnis des Historikers zum Dramatiker.] Darsow, Götz-Lothar: Friedrich Schiller. Stuttgart 2000. [Keine Einführung, sondern eine Forschungsarbeit, die von einer dreifachen Prägung Schillers ausgeht: Mediziner, lebensbedrohend Erkrankter und freier Schriftsteller.] De Man, Paul: Kant und Schiller. In: Ders.: Aesthetic Ideology. Minnesota 1997, S. 129–162. Demmer, Sybille: Von der Kunst über Religion zur Kunst-Religion. Zu Schillers Gedicht „Die Götter Griechenlands“. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 3: Klassik und Romantik. Hg. v. Wulf Segebrecht. Stuttgart 1984, S. 33–47. Dieckmann, Friedrich: Freiheit ist nur in dem Reich der Träume. Schillers Jahrhundertwende. Frankfurt/M. 2009. [Detailreiche Schilderung der Arbeitsjahre um die Jahrhundertwende.] Diwald, Hellmut: Friedrich Schiller. Wallenstein. Frankfurt/M. 1972. Dod, Elmar: Die Vernünftigkeit der Imagination in Aufklärung und Romantik. Eine komparatistische Studie zu Schillers und Shelleys ästhetischen Theorien in ihrem europäischen Kontext. Tübingen 1985. Dörr, Volker C.: Friedrich Schiller. Frankfurt/M. 2005. [Eine Basisbiografie für einen schnellen Überblick.] Dyck, Martin: Die Gedichte Schillers. Figuren der Dynamik des Bildes. Bern 1967. Ebert, Udo: Friedrich Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ im Lichte des Strafrechts. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 108 (1996), S. 467–493. Englhart, Andreas: Theaterwissenschaft und Nationalsozialismus. In: Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus. Ein Handbuch. Hg. v. Jürgen Elvert und Jürgen Nielsen-Sikora. Stuttgart 2008, S. 863–898. Ensslin, Felix (Hg.): Spieltrieb. Was bringt die Klassik auf die Bühne? Schillers Ästhetik heute. Berlin 2005. [Zeitgemäße Beiträge zur Frage nach der Aktualität des Klassikers auf der Bühne.] Erken, Günther: Regietheater und Klassiker. In: Ders.: Theaterflimmern. Über die Kunst der Bühne. Sankt Augustin 2003, S. 309–327. [Kompetente Erörterung des Problems mit direktem Bezug zur Inszenierungsgeschichte.] Fähnrich, Hermann: Schillers Musikalität und Musikanschauung. Hildesheim 1977. Falk, Horst: Der Leitgedanke von der Vollkommenheit der Natur in Schillers klassischem Werk. Frankfurt/M. 1980.

Fambach, Oscar (Hg.): Schiller und sein Kreis in der Kritik ihrer Zeit. Die wesentlichen Rezensionen aus der periodischen Literatur bis zu Schillers Tod, begleitet von Schillers und seiner Freunde Äußerungen zu deren Gehalt. Berlin 1957. Feger, Hans: Die Entdeckung der modernen Tragödie. Wallenstein – Die Entscheidung. In: Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. Hg. v. Hans Feger. Heidelberg 2006, S. 249–286. [Originelle Erschließung des Idealisten als Realist.] Fischer, Kuno: Schiller als Philosoph. Heidelberg 1891. Fischer-Lichte, Erika/Schönert, Jörg (Hgg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von Körper – Musik – Sprache. Göttingen 1999. Foi, Maria Carolina: Recht, Macht und Legitimation in Schillers Dramen. Am Beispiel von Maria Stuart. Schiller und der Weg in die Moderne. Hg. v. Walter Hinderer. Würzburg 2006, S. 227–242. Frank, Manfred: ,Unendliche Annäherung‘. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik. Frankfurt/M. 1997. Frick, Werner: Trilogie der Kühnheit: Die Jungfrau von Orleans, Die Braut von Messina, Wilhelm Tell. In: Schiller. Werk-Interpretationen. Hg. v. Günter Sasse. Heidelberg 2005, S. 137–174. Füssel, Stephan: Schiller und seine Verleger. Frankfurt/M. 2005. [Prosaischer Blick auf die reale Schriftstellerexistenz.] Fuhrmann, Helmut: Zur poetischen und philosophischen Anthropologie Schillers. Würzburg 2001. Gellhaus, Axel/Oellers, Norbert (Hgg.): Schiller. Bilder und Texte zu seinem Leben. Köln 1999. [Spannende Bilddokumente.] Gerhard, Ute: Schiller als „Religion“. Literarische Signaturen des 19. Jahrhunderts. München 1994. [Unverzichtbare Diskussion der Rezeption Schillers im 19. Jahrhundert.] Dies.: Schiller im 19. Jahrhundert. In: Schiller-Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart 1998, S. 758–772. [Sehr gute Zusammenfassung des Buches von Ute Gerhard.] Gerlach, Klaus (Hg.): Eine Experimentalpolitik. Texte zum Berliner Nationaltheater. Hannover 2007. Ders./Sternke, René (Hgg.): Der gesellschaftliche Wandel um 1800 und das Berliner Nationaltheater. Berlin 2009. [Erhellt das kaum beachtete Verhältnis von Weimarer und Berliner Theater.] Geyersbach, Viola/Tezky, Christina (Hgg.): Schillers Wohnhaus in Weimar. München 1999. Glaser, Hermann: Deutsche Kultur 1945–2000. München 1997. Glück, Alfons: Schillers Wallenstein. München 1976. Golz, Jochen: „Glückliches Ereigniß“. In: „Glückli-

Kommentierte Bibliografie ches Ereigniß“. Die Begegnung zwischen Goethe und Schiller bei der Tagung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena am 20. Juli 1794. Hg. v. der Deutschen Schillergesellschaft. Marbach 1995, S. 3–9. Ders.: Der Publikationsfreund Schiller und sein Autor Goethe. Ein Blick in die Werkstatt der „Venezianischen Epigramme“. In: Literarische Zusammenarbeit. Hg. v. Bodo Plachta. Tübingen 2001, S. 121–130. Graham, Ilse: Schiller, ein Meister der tragischen Form. Die Theorie in der Praxis. Darmstadt 1974. Grawe, Christian (Hg.): Erläuterungen und Dokumente zu Friedrich Schiller: Die Räuber. Stuttgart 2009. Grimm, Reinhold/Hermann, Jost (Hgg.): Die KlassikLegende. Frankfurt/M. 1971. Gross, Michael: Ästhetik und Öffentlichkeit. Die Publizistik der Weimarer Klassik. Hildesheim 1994. Guthke, Karl S.: Schillers Dramen. Idealismus und Skepsis. Tübingen 1994. [Fundierte Interpretationen, die das widersprüchliche Verhältnis von Idealismus und psychologischer Menschenkenntnis betonen.] Ders.: Das deutsche bürgerliche Trauerspiel. Stuttgart 1994. Ders.: Schiller und das Theater der Grausamkeit. In: Euphorion 99 (2005), S. 7–50. Habermas, Jürgen: Exkurs zu Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. In: Ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt/M. 1988, S. 59–64. Hamburger, Käte: Zum Problem des Idealismus bei Schiller. In: JDSG 4 (1960), S. 60–71. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Über Wallenstein (1800). In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. v. Hermann Glockner. Bd. 20: Vermischte Schriften aus der Berliner Zeit. Stuttgart 1958, S. 456–458. Heinz, Jutta: Spazierengehen, Wandern, Bleiben – Kulturkonzepte bei Schiller und Goethe. In: Goethe und die Weltkultur. Hg. v. Klaus Manger. Heidelberg 2003, S. 311–330. Henrich, Dieter: Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 11 (1957), S. 527–547. Ders.: Selbstverhältnisse. Gedanken und Auslegungen zu den Grundlagen der klassischen deutschen Philosophie. Stuttgart 1982. Ders.: Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795). Stuttgart 1991. Hermand, Jost: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945–1965. Frankfurt/ M. 1989.

Heuer, Fritz: Darstellung der Freiheit – Schillers transzendentale Frage nach der Kunst. Köln 1970. Hinderer, Walter: Freiheit und Gesellschaft beim jungen Schiller. In: Hinck, Walter (Hg.): Sturm und Drang. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch. Kronberg/Ts. 1978, S. 230–256. Ders.: Der Mensch in der Geschichte. Ein Versuch über Schillers Wallenstein. Königstein/Ts. 1980. Ders.: Interpretationen. Schillers Dramen. Stuttgart 1992. Ders. (Hg.): Codierungen von Liebe in der Kunstperiode. Würzburg 1997. [Vielzitiertes Werk zum Diskurs der Liebe in der Literatur.] Ders.: Von der Idee des Menschen. Über Friedrich Schiller. Würzburg 1998. Ders.: Friedrich Schiller und die empirische Seelenlehre. Bemerkungen über die Funktion des Traumes und das „System der dunklen Ideen“. In: JDSG 47 (2003), S. 187–213. Ders. (Hg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006. [Anregender Sammelband, der Schiller an den Anfang einer Ästhetik der Moderne setzt.] Ders.: Der Geschlechterdiskurs im 18. Jahrhundert und die Frauengestalten in Schillers Dramen. In: Ders.: Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006, S. 261–285. Ders.: Schiller und kein Ende: Metamorphosen und kreative Aneignungen. Würzburg 2009. Hofmann, Michael: Friedrich Schiller: Die Räuber. Interpretation. München 1996. Ders.: Schillers „Die Räuber“ und die Pathogenese moderner Subjektivität. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Sonderheft 1996. Klassik, modern. Für Norbert Oellers zum 60. Geburtstag, S. 3–15. Ders.: Schiller. Epoche – Werk – Wirkung. München 2003. [Solides, empfehlenswertes Arbeitsbuch, das weniger auf die Theater- und Medienseite eingeht.] Homann, Renate: Erhabenes und Satirisches. Zur Grundlegung einer Theorie ästhetischer Literatur bei Kant und Schiller. München 1977. Hucke, Karl-Heinz: Jene „Scheu vor dem Mercantilischen“. Schillers „Arbeits- und Finanzplan“. Tübingen 1984. Immer, Nikolas: Heitere Kunst am Antritt des neuen Jahrtausends? In: JDSG 48 (2004), S. 399–403. Ders.: „Maria Stuart“ und der „Graf von Essex“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 78 (2004), H. 4, S. 550–571. Ders.: Die schuldig-unschuldigen Königinnen. Zur kontrastiven Gestaltung von Maria und Elisabeth in Schillers Maria Stuart. In: Euphorion 99 (2005), S. 129–152.

141

142

Kommentierte Bibliografie Janz, Rolf-Peter: Autonomie und soziale Funktion der Kunst. Studien zur Ästhetik von Schiller und Novalis. Stuttgart 1973. Ders.: Schillers Kabale und Liebe als bürgerliches Trauerspiel. In: JDSG 20 (1976), S. 208–228. Ders.: Schillers politisches Theater: Don Karlos und Wallenstein. In: Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. Hg. v. Hans Feger. Heidelberg 2006, S. 287–304. Ders.: Affektmodellierung nach antiken Vorbildern? Schillers Wallenstein. In: Schiller und die Antike. Hg. v. Paolo Chiarini und Walter Hinderer. Würzburg 2008, S. 195–205. Jeziorkowski, Klaus: Der Textweg. In: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller. Hg. v. Norbert Oellers. Stuttgart 1996, S. 157–178. Jolles, Matthijs: Dichtkunst und Lebenskunst: Studien zum Problem der Sprache bei Friedrich Schiller. Bonn 1980. Kaiser, Gerhard: Von Arkadien nach Elysium. Schiller-Studien. Göttingen 1978. Karthaus, Ulrich: Friedrich Schiller. In: Genie und Geld. Vom Auskommen deutscher Schriftsteller. Hg. v. Karl Corino. Nördlingen 1987. Ders.: Schiller und die Französische Revolution. In: JDSG 33 (1989), S. 210–239. Kittler, Friedrich A.: Dichter – Mutter – Kind. München 1991. Ders.: Die Laterna magica der Literatur: Schiller und Hoffmanns Medienstrategien. In: Athenäum 4 (1994), S. 219–237. [Eigenwillige Interpretation auf der Grundlage von Medien- und Systemtheorie.] Klauss, Jochen: Genie und Geld. Goethes Finanzen. Düsseldorf 2009. Klein, Manfred: Über Anmut und Würde – Schillers Abrechnung mit der Philosophie Immanuel Kants. München 2009. [Beleuchtet erhellend das Verhältnis von Schiller zu Kant.] Kluckert, Ehrenfried: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit“: Ein Tag im Leben des Friedrich Schiller. Freiburg 2009. Knobloch, Hans-Jörg/Koopmann, Helmut (Hgg.): Schiller heute. Tübingen 1996. Körner, Josef: Romantiker und Klassiker. Die Brüder Schlegel in ihren Beziehungen zu Schiller und Goethe. Darmstadt 1971. Kommerell, Max: Schiller als Psychologe (1939). In: Ders.: Geist und Buchstabe der Dichtung. Goethe, Schiller, Kleist, Hölderlin. Frankfurt/M. 1962, S. 175–242. Kondylis, Panajotis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart 1981. Koopmann, Helmut: Der Dichter als Kunstrichter. Zu Schillers Rezensionsstrategie. In: JDSG 20 (1976), S. 229–246.

Ders.: Denken in Bildern. Zu Schillers philosophischem Stil. In: JDSG 30 (1986), S. 219–250. Ders.: Der junge Schiller. In: Literatur im deutschen Südwesten. Hg. v. Bernhard Zeller und Walter Scheffeler. Stuttgart 1987, S. 72–81. Ders.: Schiller. Eine Einführung. München 1988. Ders.: Freiheitssonne und Revolutionsgewitter. Reflexe der Französischen Revolution im literarischen Deutschland zwischen 1789 und 1840. Tübingen 1989. Ders.: Poetischer Rückruf. In: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller. Hg. v. Norbert Oellers. Stuttgart 1996, S. 70–83. Ders.: Forschungsgeschichte. In: Schiller-Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart 1998, S. 809–932. Ders. (Hg.): Schiller-Handbuch. Stuttgart 2009. [Oft benutztes Standardwerk, versammelt sehr dicht geschriebene, detailreiche und kompetente Beiträge zu vielen Aspekten von Schillers Texten.] Koschorke, Albrecht: Schillers Jungfrau von Orleans und die Geschlechterpolitik der Französischen Revolution. In: Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Hg. von Walter Hinderer. Würzburg 2006, S. 243–259. Koselleck, Reinhart: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt/M. 1989. Kraft, Herbert (Hg.): Andreas Streichers Schiller-Biografie. Mannheim 1974. Ders.: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978. Kühn, Dieter: Schillers Schreibtisch in Buchenwald. Frankfurt/M. 2005. [Zum kulturgeschichtlich bezeichnenden Verhältnis von Weimar und Buchenwald.] Kühnlenz, Fritz: Schiller in Thüringen. Stätten seines Lebens und Wirkens. Rudolfstadt 1976. Lahnstein, Peter: Schillers Leben. München 1981. Lashgari, Mahafarid: Schiller’s Gender Theory as seen through his Classical Discourse. Los Angeles 1995. Lee, Kyeonghi: Weiblichkeitskonzeptionen und Frauengestalten im theoretischen und literarischen Werk Friedrich Schillers. Diss. Philipps-Universität Marburg 2003. http://archiv.ub.uni-marburg.de/ diss/z2004/0071/. Lehmann, Hans-Thies: Die Räuberbrüder, die Meute, das Subjekt. Schiller postdramatisch besehen. In: Ortrud Gutjahr (Hg.): Die Räuber. Würzburg 2009, S. 79–96. Leibfried, Erwin: Schillers Notizen zum heutigen Verständnis seiner Dramen. Frankfurt/M. 1985. Liewerscheidt, Dieter: Die Dramen des jungen Schiller. München 1982. Lindner, Jutta: Schillers Dramen. Bauprinzip und Wirkungsstrategie. Bonn 1989.

Kommentierte Bibliografie Lühr, Rosemarie/Zeilfelder, Susanne (Hgg.): SchillerWörterbuch in 5 Bänden. Berlin 2005 ff. Lukács, Georg: Goethe und seine Zeit. Berlin 1950. Luserke, Matthias: Leidenschaften ad usum logicorum: Ketten, Krebs und Sklavensinn (Schiller und Kant). In: Ders.: Die Bändigung der wilden Seele. Literatur und Leidenschaft in der Aufklärung. Stuttgart 1995, S. 319–338. Luserke-Jaqui, Matthias: Über die literaturgeschichtlichen Ursprünge des ,Klassikers Schiller‘. In: Deutsche Klassik. Epochen – Autoren – Werke. Hg. v. Rolf Selbmann. Darmstadt 2005, S. 35–59. Ders. (Hg.): Schiller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2005. [Informationsreiche Sammlung von mehrseitigen Interpretationen der Schiller’schen Werke.] Ders.: Friedrich Schiller. Tübingen 2005. [Ein interessanter Werkkommentar, der fast ausschließlich aus Textanalysen besteht.] Ders. (Hg.): Friedrich Schiller. Dramen. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2009. Manger, Klaus: Schillers Marina – Tyrannin aus Lust. In: Schiller und die höfische Welt. Hg. v. Achim Aurnhammer, Klaus Manger und Friedrich Strack. Tübingen 1990, S. 447–459. Ders.: Schillers gebrauchter Barock. In: Europäische Barock-Rezeption. Teil 1. Hg. v. Klaus Garber. Wiesbaden 1991, Bd. 2, S. 419–434. Ders.: Die „Sternenstunde“ von Schillers „Wallenstein“. In: „Glückliches Ereigniß“. Die Begegnung zwischen Goethe und Schiller bei der Tagung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena am 20. Juli 1794. Hg. v. Weimarer Schillerverein und der Deutschen Schillergesellschaft. Weimar 1995, S. 55–63. Ders.: Schillers „Don Karlos“ – ein Universalhistoriendrama. In: Friedrich Schiller. „Don Carlos“. Théâtre, psychologie et politique. Hg. v. Christine Maillard. Strasbourg 1998, S. 41–54. Ders.: Artikel: Schiller. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 30. Berlin 1999, S. 122–129. Ders.: Der „Bauerbacher Entwurf“ zum „Don Karlos“. In: Die „ganze moralische Welt“ und die Despotie des Ideals. Zu Schillers „Don Karlos“. Hg. v. Weimarer Schillerverein und der Deutschen Schillergesellschaft. Marbach 2000, S. 3–12. Ders./Willems, Gottfried (Hgg.): Schiller im Gespräch der Wissenschaften. Heidelberg 2005. [Neue Interpretationsansätze aus dezidiert interdisziplinärer Sicht.] Mann, Golo: Schiller als Historiker. In: JDSG 4 (1960), S. 98–109. Mann, Thomas: Versuch über Schiller. In: Essays. Band VI. Hg. v. Hermann Kurzke und Stephan Stachorski. Frankfurt/M. 1997, S. 290–371. [Berühmt

gewordene, kulturgeschichtlich wichtige Perspektive eines Schriftstellers.] Mansouri, Rachid Jai: Die Darstellung der Frau in Schillers Dramen. Frankfurt/M. 1988. [Eine der ganz wenigen Abhandlungen zu diesem wichtigen Thema.] Mattenklott, Gert/Scherpe, Klaus Rüdiger: Literatur der bürgerlichen Emanzipation im 18. Jahrhundert, Kronberg/Ts. 1973. Matuschek, Stefan: Coincidentia oppositorum und transzendentale Muße. Spiel als ästhetische Autonomie bei Kant und Schiller. In: Ders.: Literarische Spieltheorie. Heidelberg 1998, S. 183–214. Mayer, Hans: Versuche über Schiller. Frankfurt/M. 1987. Merseburger, Peter: Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht. München 1998. Meyer-Kalkus, Reinhart: Pathos. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter. Band 7. Darmstadt 1989, S. 193–199. Michelsen, Peter: Der Bruch mit der Vater-Welt. Studien zu Schillers Räubern. Heidelberg 1979. Middell, Eike: Friedrich Schiller. Leben und Werk. Leipzig 1980. Müller, Heiner: Zu Wallenstein. In: Heiner Müller Material. Texte und Kommentare. Hg. v. Frank Hörnigk. Leipzig 1990, S. 102–104. Müller-Seidel, Walter/Riedel, Walter (Hgg.): Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde. Würzburg 2003. [Aufschlussreicher Sammelband, der Schings’ These von 1996 zum Thema auf breiter Ebene weiter diskutiert.] Ders.: Friedrich Schiller und die Politik. „Nicht das Große, nur das Menschliche geschehe“. München 2009. [Vertritt die aktuelle These, dass Schiller deutlich politischer war als bisher angenommen.] Nalbandyan, Anna: Schillers Geschichtsauffassung und ihre Entwicklung in seinem klassischen Werk. Hamburg 2008. Neubauer, John: The Freedom of the Machine. On Mechanism, Materialism, and the Young Schiller. In: Eighteenth-Century Studies 15 (1981/82), S. 275–290. Neumayr, Anton: Dichter und ihre Leiden. Rousseau, Schiller, Strindberg und Trakl im Brennpunkt der Medizin. Wien 2000. Noetzel, Willfried: Friedrich Schillers Philosophie der Lebenskunst. Zur ästhetischen Erziehung als einem Projekt der Moderne. London 2006. Noltenius, Rainer: Dichterfeiern in Deutschland. Rezeptionsgeschichte als Sozialgeschichte am Beispiel der Schiller- und Freiligrath-Feiern. München 1984. Oellers, Norbert: Schiller. Geschichte seiner Wirkung bis zu Goethes Tod 1805–1832. Bonn 1967.

143

144

Kommentierte Bibliografie [Unverzichtbares Standardwerk zur Rezeptionsgeschichte Schillers.] Ders. (Hg.): Schiller – Zeitgenosse aller Epochen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland. Teil I: 1782–1859. Frankfurt 1970. [Zentrale Sammlung von Texten zur Wirkungsgeschichte.] Ders. (Hg.): Schiller – Zeitgenosse aller Epochen. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Schillers in Deutschland. Teil II: 1860–1966. Frankfurt/M. 1976. Ders.: Das verlorene Schöne in bewahrender Klage. Zu Schillers „Nänie“. In: Gedichte und Interpretationen. Hg. v. Wulf Segebrecht. Band 3: Klassik und Romantik. Stuttgart 1984, S. 182–195. Ders.: Friedrich Schiller. Zur Modernität eines Klassikers. Frankfurt/M. 1996. [Arbeitet den realistischen und desillusionierten Blick Schillers heraus.] Ders. (Hg.): Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller. Stuttgart 1996. Ders./Steegers, Robert: Treffpunkt Weimar. Literatur und Leben zur Zeit Goethes. Stuttgart 1999. Ders.: Schiller. Stuttgart 2005. [Gute, konventionelle Einführung.] Oesterle, Günter: Friedrich Schiller: Die Braut von Messina. Radikaler Formrückgriff angesichts eines modernen kulturellen Synkretismus oder fatale Folgen kleiner Geheimnisse. In: Schiller und die Antike. Hg. v. Paolo Chiarini und Walter Hinderer. Würzburg 2008, S. 167–175. Osterkamp, Ernst: Das Schöne in Mnemosynes Schoß. In: Interpretationen. Gedichte von Friedrich Schiller. Hg. v. Norbert Oellers. Stuttgart 1996, S. 282–297. Ders.: Friedrich Schiller als Historiker. In: Friedrich Schiller. Goethes großer Freund. Texte zur gegenwärtigen Einschätzung des Dichters. Halle 2002, S. 38–63. Pailer, Gaby: Charlotte Schiller. Leben und Schreiben im klassischen Weimar. Darmstadt 2009. Petrus, Klaus: Schiller über das Erhabene. In: Zeitschrift für philosophische Erforschung 47 (1993), S. 23–40. Pfotenhauer, Helmut: Genealogie der Identität. Schillers späte dramatische Fragmente. In: Ders.: Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik. Tübingen 1991, S. 179–199. Piedmont, Ferdinand (Hg.): Schiller spielen: Stimmen der Theaterkritik 1946–1985. Darmstadt 1990. Pikulik, Lothar: Der Dramatiker als Psychologe. Figur und Zuschauer in Schillers Dramen und Dramentheorie. Paderborn 2004. [Sehr überzeugende Untersuchung über Schiller als dramatischer Psychologe.] Ders.: Schiller und das Theater: Über die Entwick-

lung der Schaubühne zur theatralen Kunstform. Hildesheim 2007. [Eine der wenigen Schiller-Deutungen, die seine Nähe zum Theater nicht vernachlässigen.] Pillau, Helmut: Die fortgedachte Dissonanz. Hegels Tragödientheorie und Schillers Tragödie. München 1981. Pilling, Claudia/Schilling, Diana/Springer, Mirjam: Friedrich Schiller. Reinbek bei Hamburg 2002. [Typische Rowohlt-Monografie, aber durchaus interessante Deutungen.] Port, Ulrich: „Künste des Affekts“. Die Aporien des Pathetischerhabenen und die Bildrhetorik in Schillers Maria Stuart. In: JDSG 46 (2002), S. 134–159. Pott, Hans-Georg: Schiller und Hölderlin. Studien zur Ästhetik und Poetik. Frankfurt/M. 2002. Prader, Florian: Schiller und Sophokles. Zürich 1954. Prüfer, Thomas: Die Bildung der Geschichte. Friedrich Schiller und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft. Köln 2002. [Detaillierte Darstellung der historischen Konzepte Schillers vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Geschichtsschreibung.] Rainer, Ulrike: Schillers Prosa. Poetologie und Praxis. Berlin 1988. Reinhart, Hartmut: Schillers Wallenstein und Aristoteles. In: JDSG 20 (1976), S. 278–337. Riedel, Wolfgang: Die Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideengeschichte der medizinischen SchriftenundderPhilosophischenBriefe.Würzburg 1985. [ZentralesWerkzur Anthropologie Schillers.] Ders.: Der Spaziergang. Ästhetik der Landschaft und Geschichtsphilosophie der Natur bei Schiller. Würzburg 1989. [Das vielzitierte Standardwerk zu Schillers „Spaziergang“.] Ders.: Influxus physicus und Seelenstärke. Empirische Psychologie und moralische Erzählung in der deutschen Spätaufklärung und bei Jacob Friedrich Abel. In: Anthropologie und Literatur um 1800. Hg. v. Jürgen Barkhoff und Eda Sagarra. München 1992, S. 24–53. Ders.: „Weltgeschichte ein erhabenes Object“. Zur Modernität von Schillers Geschichtsdenken. In: Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Hg. v. Peter-André Alt, Wolfgang Riedel, Alexander Kosenina und Hartmut Reinhardt. Würzburg 2002, S. 193–214. Ders.: Aufklärung und Macht. Schiller, Abel und die Illuminaten. In: Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde. Hg. v. Walter Müller-Seidel und Wolfgang Riedel. Würzburg 2003, S. 107–125. Ders.: Die Freiheit und der Tod. Grenzphänomene idealistischer Theoriebildung beim späten Schiller. In: Friedrich Schiller. Der unterschätzte Theoreti-

Kommentierte Bibliografie ker. Hg. v. Georg Bollenbeck und Lothar Ehrlich. Köln 2007. Ders.: Die anthropologische Wende. Schillers Modernität. In: Würzburger Schiller-Vorträge 2005. Hg. v. Jörg Robert. Würzburg 2007, S. 1–24. [Wichtige Abhandlung, die Schillers Modernität in den Vordergrund stellt.] Ders.: Theorie der Übertragung. Empirische Psychologie und Ästhetik der schönen Natur bei Schiller. In: Kunst und Wissen. Beziehungen zwischen Ästhetik und Erkenntnistheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Astrid Bauereisen, Stefan Pabst und Achim Vesper. Würzburg 2009, S. 121–138. Ritzer, Monika: Schillers dramatischer Stil. In: Schiller-Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart 1998, S. 240–269. Robert, Jörg: Selbstbetrug und Selbstbewusstsein. Demetrius oder das Spiel der Identität(en). In: Würzburger Schiller-Vorträge 2005. Hg. v. dems. Würzburg 2007, S. 113–141. Rühle, Günther: Theater in Deutschland 1887–1945. Frankfurt/M. 2007. Rüsen, Jörn: Bürgerliche Identität zwischen Geschichtsbewußtsein und Utopie. Friedrich Schiller. In: Schiller. Vorträge aus Anlass seines 225. Geburtstages. Hg. v. Dirk Grathoff und Erwin Leibfried. Frankfurt/M. 1991, S. 178–193. Ruppelt, Georg: Schiller im nationalsozialistischen Deutschland. Der Versuch einer Gleichschaltung. Stuttgart 1979. [Unverzichtbar, wenn es um die Inszenierungen und Lektüren Schillers im NS-System geht.] Safranski, Rüdiger: Schiller als Philosoph – Eine Anthologie. Berlin 2005. Ders.: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. München 2007. [Umfangreiche und vor allem sehr gut lesbare Biografie, lebendig geschrieben, mit gelegentlichen Exkursen zu Werk, Ästhetik, Zeitgenossen etc.] Ders.: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft. München 2009. [Die angenehmste Lektüre zur literaturhistorisch wichtigsten Freundschaft im deutschsprachigen Raum.] Sandkaulen, Birgit: Die „schöne Seele“ und der „gute Ton“. Zum Theorieprofil von Schillers ästhetischem Staat. In: DVLG 76 (2002), H. 1, S. 74–85. Sautermeister, Gert: Idyllik und Dramatik im Werk Friedrich Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen. Stuttgart 1971. Scherpe, Klaus Rüdiger: Die Räuber. In: Walter Hinderer (Hg.): Schillers Dramen – Neue Interpretationen. Stuttgart 1987, S. 161–211. Scherr, Johannes: Schillerundseine Zeit.Leipzig1860. Schiewe, Jürgen: Öffentlichkeit. Entstehung und Wandel in Deutschland. Paderborn 2004.

Schings, Hans-Jürgen: Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch. Poetik des Mitleids von Lessing bis Büchner. München 1980. Ders.: Das Haupt der Gorgone. Tragische Analysis und Politik in Schillers Wallenstein. In: Das Subjekt der Dichtung. Festschrift für Gerhard Kaiser. Hg. v. Gerhard Buhr, Friedrich A. Kittler und Horst Turk. Würzburg 1990, S. 283–307. Ders.: Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten. Tübingen 1996. [Einflussreiches Buch, das die Verbindung der Figur mit dem Geheimbund thematisiert.] Schläpfer, Bruno: Schillers Freiheitsbegriffe. Bern 1984. Schmidt, Georg: Friedrich Schillers „Deutsche Größe“ und der nationale Universalismus. In: Tradition und Umbruch. Geschichte zwischen Wissenschaft, Kultur und Politik. Hg. v. Werner Greiling und Hans-Werner Hahn. Jena 2002, S. 11–32. Ders.: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert. München 2009. Schmitt, Christian: Kinopathos. Große Gefühle im Gegenwartsfilm. Berlin 2009. Schneider, Sabine: Die schwierige Sprache des Schönen. Moritz’ und Schillers Semiotik der Sinnlichkeit. Würzburg 1998. Schöne, Albrecht: Schillers Schädel. München 2002. [Mit Vergnügen lesbare Darstellung einer kuriosen wie wissenschaftshistorisch aufschlussreichen Begebenheit nach Schillers Tod.] Schröder, Bianca: Schillers Erweiterung der Ästhetik Kants. Hamburg 2002. Schröder, Gert: Schillers Theorie ästhetischer Bildung zwischen neukantianischer Vereinnahmung und ideologiekritischer Verurteilung. Frankfurt/M. 1998. Schuller, Marianne: Körper. Fieber. Feuer. Medizinischer Diskurs und literarische Figur beim jungen Schiller. In: Physiognomie und Pathognomie. Zur literarischen Darstellung von Individualität. Hg. v. Wolfram Groddeck und Ulrich Stadler. Berlin 1994, S. 153–168. Schulz, Günter: Schillers „Horen“. Politik und Erziehung. Analyse einer deutschen Zeitschrift. Heidelberg 1960. Schwarzbauer, Franz: „Die Xenien“. Studien zur Vorgeschichte der Weimarer Klassik. Stuttgart und Weimar 1992. Schwinge, Ernst-Richard: Schillers Tragikkonzept und die Tragödie der Griechen. In: JDSG 47 (2003), S. 123–140. Ders.: Schiller und die griechische Tragödie. In: Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. Hg. v. Hans Feger. Heidelberg 2006, S. 203–247.

145

146

Kommentierte Bibliografie Seeba, Hinrich C.: Das wirkende Wort in Schillers Balladen. In: JDSG 14 (1970), S. 275–322. Segebrecht, Wulf: Was Schillers Glocke geschlagen hat. München 2005. Seifert, Siegfried: Goethe/Schiller und die „nivellirenden Naturen“. Literarische Diskurse im „klassischen Weimar“. In: Das Schöne und das Triviale. Hg. v. Gert Theile. München 2003, S. 79–92. Shape, Lesley: Friedrich Schiller: Drama, Thought and Politics. Cambridge 1991. Söhn, Gerhart: Die Schwestern von Lengefeld. In: Ders.: Frauen der Aufklärung und Romantik. Düsseldorf 1998, S. 112–122. Soerensen, Bernt Algot: Schillers Jugenddrama und das familiale Wertsystem seiner Zeit. Odense 1985. Springer, Mirjam: „Legierungen aus Zinn und Blei“. Schillers dramatische Fragmente. Frankfurt/M. 2000. Staiger, Emil: Friedrich Schiller. Zürich 1967. [Standardwerk der Generation vor 1968.] Steinhagen, Harald: Der junge Schiller zwischen Marquis de Sade und Kant. Aufklärung und Idealismus. In: DVjs 56 (1982), S. 135–157. Sternberger, Dolf: Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Hamburg 1938. Storz, Gerhard: Der Dichter Friedrich Schiller. Stuttgart 1959. Szondi, Peter: Das Naive ist das Sentimentalische. Zur Begriffsdialektik in Schillers Abhandlung (1972). In: Ders.: Schriften II. Hg. v. Jean Bollack. Frankfurt/M. 1978, S. 59–105. Torra-Mattenklott, Caroline: Metaphorologie der Rührung. Ästhetische Theorie und Mechanik im 18. Jahrhundert. München 2002. Tschierske, Ulrich: Vernunftkritik und ästhetische Subjektivität. Studien zur Anthropologie Friedrich Schillers. Tübingen 1988. Turk, Horst (Hg.): Theater und Drama: theoretische Konzepte von Corneille bis Dürrenmatt. Tübingen 1992. Ueding, Gert: Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition. Tübingen 1971. Ders.: Friedrich Schiller. München 1990. [Fundierte Einführung, in der die Rhetorik im Mittelpunkt steht.] Uhland, Robert: Geschichte der Hohen Karlsschule in Stuttgart. Stuttgart 1953. Utz, Peter: Auge, Ohr und Herz. Schillers Dramaturgie der Sinne. Auge oder Ohr? – Die Spaltung der Sinne im Jahrhundert der Aufklärung. In: JDSG 29 (1985), S. 62–97. [Deutet Schillers Dramaturgie vor dem Hintergrund der Sinnesvorstellung des 18. Jahrhunderts.]

Wagner, Karlheinz: Herzog Karl Eugen von Württemberg. Modernisierer zwischen Absolutismus und Aufklärung. Stuttgart 2001. Wais, Karin: Die Schiller-Chronik. Frankfurt/M. 2005. [Nützliche Chronik, die Leben und Werk übersichtlich präsentiert.] Wenzel, Stefanie: Das Motiv der feindlichen Brüder im Drama des Sturm und Drang. Frankfurt/M. 1993. Werber, Niels: Technologien der Macht. System- und medientheoretische Überlegungen zu Schillers Dramatik. In: JDSG 40 (1996), S. 210–243. [Schiller aus medienwissenschaftlicher Sicht.] Ders.: Schillers Spieler und Schurken. Tübingen 2005. Wiese, Benno von: Friedrich Schiller. Stuttgart 1959. [Überblicksarbeit, die in ihrer Zeit den Maßstab setzte.] Willems, Gottfried: „Daß ich Ideen habe ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe“. Goethes Jenaer Gespräche mit Schiller und sein aufklärerischer Naturbegriff. Erlangen 1994. Wilpert, Gero von: Schiller-Chronik. Sein Leben und Schaffen. Stuttgart 2000. Ders.: Schiller. Die 101 wichtigsten Fragen. München 2009. Wirth, Andreas: Das schwierige Schöne. Zu Schillers Ästhetik. Auch eine Interpretation der Abhandlung Über Matthissons Gedichte (1794). Bonn 1975. Wittkowski, Wolfgang (Hg.): Friedrich Schiller. Kunst, Humanität und Politik in der späten Aufklärung. Tübingen 1982. Wölfel, Kurt: Friedrich Schiller. München 2004. Wolzogen, Caroline von: Schillers Leben, verfasst aus Erinnerungen der Familie, seinen eigenen Briefen und den Nachrichten seines Freundes Körner. 2 Teile. Stuttgart 1830. Wychgram, Jakob: Schiller. Dem deutschen Volke dargestellt. Leipzig 1922. Zadek, Peter: Interview. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 196, 26.8.2005, S. 15. Zelle, Carsten: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche. Stuttgart 1995. Zeller, Bernhard (Hg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945. Stuttgart 1983. [Hilfreiche Sammlung an Material zum Thema.] Ders./Scheffler, Walter (Hgg.): Schiller. Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt/M. 1977. Ziegler-Happ, Gabi: Das Spiel des Stils: Interpretation von Goethes Stilbegriff vor dem Hintergrund von Schillers Spieltheorie. Frankfurt/M. 1989. Ziolkowski, Theodore: The Classical German Elegy. 1795–1850. Princeton 1980. Zymner, Rüdiger: Friedrich Schiller: Dramen. Berlin 2002. [Solide Einführung in Schillers Dramen.]

Personenregister Abel, Jacob Friedrich von 61, 76, 83 Adorno, Theodor W. 92 Aischylos 95, 108 Albert, Claudia 14, 121, 127 Alt, Peter-André 19, 114 Anderegg, Johannes Mathias 99 Aristoteles 37–39, 41, 65, 70, 77, 86, 94 f., 104, 108 f. Augustinus 47, 52 Bärfuss, Lukas 11 Batteux, Charles 68, 77 Becher, Johannes R. 129 Bertram, Ernst 14 Beyer, Karen 19 Bildt, Paul 126 f. Birch-Pfeiffer, Charlotte 77, 120 Bismarck, Otto von 121 Blumenthal, Lieselotte 16 Boeck, Johann Michael 74 Böttiger, Karl August 93 Borchmeyer, Dieter 18 f. Bouterweck, Friedrich Ludewig 120 Brandauer, Klaus Maria 132 Brecht, Bert 126 f., 131 Burger, Heinz Otto 131 Butler, Judith 59 Carl Carl 122 Carl August, Herzog von Sachsen-WeimarEisenach 25, 29, 83 Carl Eugen, Herzog von Württemberg 28, 56, 117 Castelli, Ignaz Franz 120 Castorf, Frank 133 Cervantes, Miguel de 75 Cook, James 64 Corneille, Pierre 22 Cotta, Johann Friedrich 24 f., 27, 29 f., 32, 102, 114 Cysarz, Herbert 14 f. Dalberg, Wolfgang Heribert von 21 f., 27 f., 31, 69, 73 f., 79 f., 83, 85, 117 Deutsch, Ernst 129 Diderot, Denis 23, 71 Diebold, Bernhard Ludwig 127 Dilthey, Wilhelm 12 Dorsch, Käthe 129 Dürrenmatt, Friedrich 130

Ebreo, Leone 105 Eckermann, Johann Peter 25, 31, 55 f., 111 Eco, Umberto 18 Eisner, Kurt 125 Erken, Günther 127, 132 Eulenberg, Herbert 125 Euripides 32 Faesis, Johann Conrad 111 Fehling, Jürgen 129 Ferguson, Adam 62 f. Fleißer, Marieluise 114 Flickenschildt, Elisabeth 129 Forster, Johan Georg Adam 64 Foucault, Michel 19 Franck, Walter 129 Fricke, Gerhard 14 f. Fricsay, András 133 Friedrich II., Landgraf von Hessen-Kassel 83 Friedrich Christian II., Herzog von SchleswigHolstein 25 Gall, Franz Joseph 42 Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen 29 George, Stefan 14 Gerhard, Ute 119 Glaser, Hermann 130 Goedeke, Karl Friedrich Ludwig 12 Göschen, Georg Joachim 24 Goethe, Johann Wolfgang von 10, 12, 15, 22, 24–27, 29–33, 35, 37 f., 47–49, 51, 55 f., 65–67, 73, 75, 77, 83, 92 f., 97 f., 103, 105, 109–111, 114, 117–122, 125, 128 f., 131–133 Götzinger, Max Wilhelm 121 Gorvin, Joana Maria 129 Greenblatt, Stephen 19 Großmann, Gustav Wilhelm Friedrich 79 Gruber, Johann Gottfried 21, 121 Gründgens, Gustaf 11, 129 Guthke, Karl Siegfried 15, 19 Haller, Albrecht von 48, 93 Hamburger, Käte 38, 66 Haußmann, Leander 133 Hebbel, Christian Friedrich 128 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 35, 51, 106 Hellen, Eduard von der 13 Herder, Johann Gottfried 29, 33

148

Personenregister Hermand, Jost 131 Herodot 100 Heyme, Hansgünther 132 Hilpert, Heinz 130 Hinderer, Walter 19 Hobbes, Thomas 114 Hölderlin, Friedrich 12, 15, 125, 128 Homer 32, 97 Horkheimer, Max 92 Horváth, Ödön von 114 Huber, Ludwig Ferdinand 25, 29, 32 Humboldt, Wilhelm von 12, 51, 59, 95, 97, 103, 121 Ibsen, Henrik 124 Ibykos 94 Iffland, August Wilhelm 21 f., 70, 74, 77, 79, 81, 102, 114, 118, 120 Iser, Wolfgang 18 Jelinek, Elfriede 133 Jessner, Leopold 125 f.

Man, Paul de 19 Märki, Stephan 134 Martin, Karl Heinz 126 Mattenklott, Gert 19 Mayer, Hans 17 Mehring, Franz 124 Minks, Wilfried 9, 132 Moses 52 Müller, Heiner 7, 106–108, 126 Müller, Johannes von 111 Muschg, Walter 130 Nadler, Josef 14 Napoleon Bonaparte 106, 112 Nestroy, Johann 119 Nettesheim, Agrippa von 105 Nietzsche, Friedrich 9, 14, 125 Novalis 12 Oellers, Norbert 12 f., 15–17, 19, 119 f., 122 Oemler, Christian Wilhelm 121 Ovid 97

Kafka, Franz 85 Kalb, Charlotte von 29 Kant, Immanuel 32, 35–38, 42 f., 46 f., 51–53, 55 f., 60, 69, 99, 103, 113 Kindermann, Heinz 14 Kittler, Friedrich A. 20 Kleist, Heinrich von 15, 48, 128 Klinger, Friedrich Maximilian 75 Klopstock, Friedrich Gottlieb 31, 48, 97 Kommerell, Max 126 Koopmann, Helmut 12, 17 f. Körner, Christian Gottfried 24 f., 29, 32 f., 66, 93, 97, 103, 109, 112, 121 Kortner, Fritz 130 f. Kotzebue, August von 22, 70, 77, 118, 120 Krauss, Werner 129 Kroetz, Franz Xaver 114

Petersen, Julius 15 Petras, Armin 134 Pfeil, Johann Gottlob Benjamin 79 Phillipp II., König von Spanien 57, 88 Picard, Louis-Benoît 130 Piscator, Erwin 125–127, 131–133 Platon 38 f., 46 Plümicke, Karl Martin 74 Plutarch 61, 75 Pongs, Hermann 15

Lasalle, Ferdinand 125 Laube, Heinrich 122 Lavater, Johann Caspar 44, 76, 83 Leisewitz, Johann Anton 75 Lengefeld, Caroline von 58 Lengefeld, Charlotte von 58 f., 111 Lessing, Gotthold Ephraim 68, 79, 84, 100 Lillo, George 68 Lorrain, Claude 100 Luise, Herzogin von Sachsen-Gotha-Altenburg 102 Lukács, Georg 15 Luther, Martin 89

Safranski, Rüdiger 19, 23, 27, 133 Sessa, Karl Borromäeus Alexander 77 Scherpe, Klaus R. 19 Scheuchzer, Johann Jakob 111 Schlegel, August Wilhelm von 33 Schleiermacher, Friedrich 12 Schiller, Charlotte von 25–27, 29 f., 58 f., 67, 111 Schimmelmann, Ernst Heinrich von 25 Schings, Hans Jürgen 19 Schinkel, Karl Friedrich 123 Schmidt, Friedrich Wilhelm Valentin 121 Schröder, Friedrich Ludwig 86, 120 Schubart, Christian Friedrich Daniel 31, 73 Schwan, Christian Friedrich 24, 29, 73

Mann, Thomas 103, 118, 130

Racine, Jean 22 Reinhardt, Max 125 f. Riedel, Wolfgang 19, 96, 98 f., 101 Rimini Protokoll 9, 133 f. Rousseau, Jean-Jacques 34, 61, 64, 91, 114 f. Rühle, Günther 126

Personenregister Segebrecht, Wulf 19 Sellner, Gustav Rudolf 129 Sengle, Friedrich 131 Shakespeare, William 31–33, 38 f., 68 f., 72 f., 75, 77, 84–86, 106, 109, 120, 122, 128 f., 132 Sophokles 32, 109 Sperr, Martin 114 Staiger, Emil 17, 131 Stein, Charlotte von 67 Stein, Peter 10, 132 Stemann, Nicolas 9, 133 f. Stenzel, Jürgen 99 Sternberger, Dolf 108 Stock, Minna 29 Storz, Gerhard 17 Streicher, Andreas Johann 26, 28, 79 Strich, Fritz 13 Stroux, Karl-Heinz 130 Thorvalsen, Bertel 122 Thouret, Nikolaus Friedrich von 102 Tieck, Ludwig Johann 119 Trotzki, Leo 126 f. Trunz, Erich 131

Tschierske, Ulrich 19 Tschudi, Aegidius 110 Turk, Horst 19 Utz, Peter 19 Vischer, Friedrich Theodor 119 Voltaire 22 Vulpius, Christiane 57 Wagner, Richard 14, 124 Weißenthurn, Johanna Franul von 120 Werber, Niels 20 White, Hayden 51 Wieland, Christian Martin 29, 33, 69 Wieler, Jossi 133 Wiese, Benno von 15–17, 131 Wolzogen, Caroline von 29, 121 Wolzogen, Henriette von 25 f. Wolzogen, Wilhelm von 113 Zadek, Peter 9–11, 132 Zetkin, Clara 125 Ziegel, Erich 126

149

Begriffsregister Aberglauben 19, 42, 101 Adel 10, 18, 29, 35, 43–45, 57, 60, 63, 68, 78, 80–84, 100, 112–115 Affekt 39 f., 52, 64 f., 69, 91 Analyse 8, 13, 17 f., 73 ff. Anmut 23, 33 f., 42, 44 f., 47, 58 f., 90 f., 94, 98 Anthropologie 7, 18 f., 22, 42–44, 64 f., 67, 74, 76, 133 Antike 32 f., 39, 45, 48, 71, 84, 86, 90, 93 f., 97, 101 f., 105, 109, 120, 130 Antiker Chor 71 Antike Tragödie 39, 71 Ästhetik 7–9, 14, 19 f., 30, 34 ff., 86, 99, 101, 123, 125 f., 131–133 Ästhetische Bildung 47, 54 Ästhetische Erziehung 8, 32, 34, 45, 53, 64, 129 f. Ästhetische Theorie 59, 98 Aufführung 9, 11, 22, 24, 28, 31, 60, 66, 73 f., 77, 79, 87, 102, 114, 118 f., 122, 128, 131, 133 f. Aufklärung 9, 11, 19, 31, 34, 52–56, 59, 78, 89, 92 f., 96, 101 f. Ausstattung 22, 120, 122, 130 Avantgarde 37, 125 Ballade 17, 21, 33, 35, 61, 92–94, 96 Berlin 22, 24, 29, 74, 102, 114, 118, 120, 123, 125 f., 129 f., 133 Berliner Nationaltheater 22, 102, 118, 120 Bildung 43, 47, 54, 102, 132 Biografie 17, 19, 121, 133 Brotgelehrter 90, 118 Bruderkonflikt 56 Buchmarkt 21, 27, 31, 117 Bürgerliches Medium 21 Bürgertum 18, 34 f., 45, 81, 125, 127 Chor 71, 95 Christentum 14, 40, 53 Darstellung 23, 39 f., 60, 69, 81, 95, 99, 130 Dekonstruktion 19, 133 f. Dialog 11, 22, 32, 60, 68, 80 f., 85, 94 Dichtung 12, 17, 30, 47 ff., 55, 65 ff., 86, 100, 120, 124 Diktatur 14, 92, 128 Diskursanalyse 19 Dramatik 15 f., 18, 33

Dramaturgie 8, 18, 22, 27, 31, 37 ff., 56, 60, 68 f., 70 f., 76, 80, 87, 108 f., 115, 118 Dreißigjähriger Krieg 27, 32, 50, 102–105 Dresden 25, 29, 85 Einbildungskraft 27, 41, 46, 62 f., 65 f. Einfühlung 13, 35, 62, 66 Empfindsamkeit 62, 84, 91, 107 Entfremdung 32, 54 Entscheidung 82, 95, 103–105 Episches 37, 65, 93, 111, 114 Erbsünde 52, 75 Erhabenes 7, 9, 16, 33, 35 f., 40 ff., 51, 61, 63, 70, 99, 101, 104, 122 Erinnyen 94 ff. Erlebnis 12, 69, 99, 102 Ethik 8, 41, 44, 54 Experiment 3, 22 f., 55, 84, 90, 104 Familienpolitik 56 f., 90 Form 23, 34–49, 59, 63 f., 67, 93, 104, 109, 134 Formtrieb 46 f. Fortschritt 16, 51, 53 f., 129, 131 Frankfurt 73, 79 Französische Klassik 22, 38, 109 Französische Revolution 16, 33, 45, 51, 53 f., 56, 61, 101 f., 110, 112, 114, 117 Frauenbild 57 Freiheit 11, 14 f., 17, 31 f., 35 ff., 52, 55 ff., 75 ff., 84 ff., 101 ff., 110 ff., 123, 125 ff. Freundschaft 29 ff., 60, 69, 87 ff. Fürstengewalt 88 Gattung 18, 34 ff., 93 Gedankenfreiheit 15, 89 Gedicht 30 ff., 65 ff., 92 ff. Gegenreformation 89 Gegenwartstheater 7, 9, 11, 131 Geist 23, 37, 40 f., 44, 49, 54 f., 58, 63 f., 67, 70, 76, 107, 109 Geistesgeschichte 13 f., 15, 17 Generationenkonflikt 56 ff. Genie 24, 48 Geschichte 18, 27, 29, 32, 39, 50 ff., 70, 97 f., 108 ff. Geschichtsphilosophie 52 Geschichtsschreibung 16, 32, 37, 50 Geschlechterverhältnisse 19 Geschmack 23, 36, 47, 53, 57, 59

Begriffsregister Gesellschaft 8, 16, 18, 21, 29, 30, 45, 53 ff., 76, 80, 88, 100, 107, 113, 117, 119, 124 f., 131 f. Goldenes Zeitalter 100 ff. Grazie 23, 44 Griechenland 32, 94

Kulturgeschichte 19, 39, 43, 63, 100 f. Kulturwissenschaft 13 f., 19 Kunst 8, 14, 17, 27, 34 ff., 54, 65, 67, 69–71, 77, 85 f., 92 f., 100, 102 f., 108, 119, 124 Kunstwerk 39, 70, 126

Hamburg 25, 27, 79, 86 f., 114, 120, 126, 134 Heirat 27, 57, 80 ff. Held 22, 36, 61, 63, 69 f., 85 f., 90 f., 94, 104 f., 109, 111, 115, 128 Herausgeber 25, 27, 30, 117 Hermeneutik 12 Herrscher 53, 56 f., 86, 88, 90 ff., 104 Herz 32, 35, 40, 54, 57 f., 61 f., 74, 76, 83 f., 86, 90, 92, 96, 100, 103, 114 Historiker 16 f., 29, 50 ff., 88 Hof 29, 57, 78 ff., 88 ff. Hoftheater 21, 102, 118, 120, 126 Hohe Karlsschule 25 f., 52 f., 55, 62, 67, 75 Honorar 24 f., 27 f., 73 Humanität 52, 54, 113, 117 Hybris 84, 109

Lächerlichkeit 81, 134 Laster 35, 42, 52, 76 Leiden 9, 17, 35 f., 39–41, 47, 60, 65 f., 125 Leidenschaft 69, 74, 87 f., 91 Liebe 56 ff., 69, 78 ff., 87 ff., 100–102, 107–109 Literaturwissenschaft 12 ff., 128, 133 Lyrik 15, 17 f., 31, 62, 65 ff., 93, 96 f., 121, 128

Ideal 9, 33, 46, 54, 90 f., 102, 108 Idealismus 7, 9, 13–17, 29 f., 32, 38, 46, 48–50, 52, 54, 59 f., 87, 92, 104 f., 107, 121, 123 Idee 13 f., 30, 33, 36, 38 ff., 42, 45, 47 ff., 51, 54 f., 63 f., 69, 91 f., 99, 105 Ideengehalt 13, 16 Identifikation 11, 35, 60, 69, 83, 115 Ideologie 14 f., 55, 92 Illuminaten 19, 92 Inquisition 88 f., 92 Inszenierung 7 f., 9 ff., 30, 39, 54, 65 ff., 71, 77, 87, 108, 117 ff. Intellektueller 7, 21, 79, 90, 105, 126 Intendant 21 f., 27, 31, 73, 79, 102, 118, 122 f., 126 Intrige 56, 60, 68, 75, 80–84, 90 f., 115, 130 Jena 25, 27, 29 f., 32 f., 50 f., 64, 118 Kalender 25, 27, 103 Katastrophe 82 f., 90 Katharsis 96, 105 Kirche 47, 52 f., 89 Klassiker 7 ff., 22, 114, 119, 125 f., 127 ff., 129 ff. Konflikt 51, 54–58, 60, 68 f., 74, 79–84, 87 f., 95, 112, 117 Körper 19, 23, 40, 53 f., 55, 58 f., 62 ff., 95, 101, 133 Krieg 15 f., 27, 32, 50, 71, 74, 78, 100–108, 125 f., 128–130 Künstler 24, 28 f., 32, 36, 46, 48, 63, 93, 121, 125 Kultur 8, 14, 31, 45 f., 48, 55, 60, 63 f., 87, 99–102, 115 f., 129

Macht 14, 36, 39 f., 53–57, 62, 75, 78, 84, 88–94, 104–109, 114, 128, 132 f. Manier 38, 48, 67, 75, 107 Mannheim 11, 21, 24 f., 27–31, 73 f., 79, 85, 117 f., 130 f., 133 Material 13, 26, 50, 70, 111, 126 Materialismus 54, 64, 123 Medizin 7, 32, 54, 56, 62, 67, 74, 98 Mensch 8–11, 14 f., 22 ff., 31 ff., 40–64, 74, 81, 84, 88, 90, 99, 104 f., 110, 114 f., 130 Menschennatur 9, 31, 98, 107, 123 Menschheit 14, 16, 40, 87, 91 f., 100 f. Mentalität 17, 21–24, 57 f., 60, 67, 82 Methodenpluralismus 17 Mitleid 31, 36, 60, 68, 92, 117 Moderne 7, 9 f., 20 f., 48 f., 52, 84 f., 92, 97, 102, 105–108, 123, 126 Moral 31, 36 f., 45, 52 f., 60, 80 Moralische Anstalt 11, 31, 34, 89, 96 Mord 61, 76, 84, 94–96, 110 ff. Musenalmanach 33, 93 Nachahmung 44, 58, 64, 67, 71, 121 Nacht 25 f., 101 Nationalausgabe 15 f., 103 Nationalsozialismus 8, 12, 14 ff., 127 ff., 132 Natürlichkeit 22, 43, 71 f., 77 Natur 19, 23 f., 31 f., 35 f., 38 ff., 47 ff., 62 ff., 71, 76, 78, 81, 84, 89 ff., 97 ff., 123 Naturalismus 70, 72, 123 f. Naturwissenschaft 7, 34 Neoplatonismus 52, 55 Niederlande 29, 32, 50, 88 f. NS-Staat 15, 131 Öffentlichkeit 18, 21, 29, 43, 79, 117 f., 131 Oper 35, 71 Panorama 98, 100, 108, 112, 123 Pathetisch-Erhabenes 9, 23, 34, 39 ff., 131 Pathognomik 44

151

152

Begriffsregister Pathos 7–11, 39 ff., 69, 126, 131, 134 Performativität 19, 39–45, 59, 66 f., 95, 97, 113, 133 f. Persönlichkeit 13 f., 35, 61, 64 Pflicht 26, 41, 44, 51, 57 f., 63 f., 95 Phänomenologie 13 Physiognomie 19, 23, 62, 70, 76 f., 81, 95, 104 Physiognomik 43 f., 61, 76, 81, 83 Poesie 39, 85, 108, 111 Poetik 34 ff., 77, 94, 109 Politik 7 f., 13, 15, 53–56, 90, 92, 100, 106, 124, 129, 133 Popästhetik 9 f., 132 Postdramatik 19, 126, 132 Postmoderne 7–10, 18, 51, 132, 134 Präsenz 41, 66, 73, 75, 132 Probe 79, 131, 134 Produktionsprozess 25, 87, 103 Protestant 52 f., 90 Psychologie 7, 19 f., 22, 54, 56, 60, 62 ff., 68 f., 74, 76, 92 Publikum 10, 22 f., 28, 31, 34 f., 55, 60–62, 66, 68, 70, 75 f., 79 f., 86, 94, 102, 107 f., 131 Rache 23, 61, 95 f., 115 Realismus 13, 121 Realität 9, 15, 46, 51, 57, 90, 99, 104, 109, 125 Regelpoetik 38 Regietheater 7, 9 ff., 54, 125 ff., 132 Religion 8, 14, 35, 52 ff., 88, 100 Revolution 15 f., 32, 45, 51, 54–57, 61, 78, 91, 101, 106, 112–117, 122, 125–127, 134 Rezension 21, 34, 100 Rhythmus 37, 66 f., 70 f., 97 f., 103 Rolle 23, 31, 74, 77, 79, 81, 94, 125, 132 f. Roman 21, 25, 32, 65, 84, 118 Romantiker 33, 91 Rührstück 22, 68 f., 118 Schaubühne 23, 31, 34 f., 52, 64, 85, 89, 96 Schauspieler 21, 23, 28, 66, 71, 74, 77, 79, 85, 131, 133 f. Schauspielstil 22 ff., 43, 60, 62, 70, 126 Schicksal 23 f., 31, 41, 63, 66, 70, 75, 91, 96, 99, 105–107, 124 Schöne Seele 44 Schönheit 32, 36, 38, 43 f., 47, 59 Schuld 53, 55, 83, 95 f., 116 Schulden 24 f., 28, 73 Schweiz 26 f., 110 ff., 134 Seele 11, 23, 35, 38, 44, 47, 55, 62, 66–69, 74, 76, 88–91, 95, 104, 122 Selbstrezension 34 Selbstverlag 73 Sentimentalische Dichtung 33 f., 37, 47 ff., 101, 106

Sentimentalischer Charakter 55, 116 Siebenjähriger Krieg 74 Sinnenwesen 39, 42 Sinnlichkeit 36, 40, 43 f., 46, 51, 69, 88 Sittengesetz 36 Spiel 8, 20, 37, 42, 46 f., 50, 54 Spielplan 22, 28, 70, 118, 129 Spieltrieb 47 Sprache 68–71, 81, 86, 103, 112, 118 Ständeklausel 86 Standesunterschied 84 Stil 22 ff., 30, 43, 60, 62, 65 ff. Stofftrieb 46 ff. Stoiker 40 f., 125 Strukturalismus 17, 132 Sturm und Drang 31, 55, 67, 75, 78, 86, 91 Subjektivität 35, 62 Subordination 75 Symmetrie 70 Tabubruch 73, 132 Theaterdichter 28 Theaterskandal 11, 28, 117, 130 Theaterwissenschaft 12, 14, 19 Theologie 36, 52 f. Theoretische Periode 32 ff. Theosophie 19, 42 Tragödie 15 f., 18, 35–39, 42, 53, 65 f., 68 f., 71 f., 82, 90, 92, 95, 102–106, 110, 118, 129 Trauerspiel 31, 33, 56 f., 62, 78, 84, 108 Trieb 9, 39, 44–47, 54 f., 63 f., 90 Tugend 35, 42, 52, 58, 61 f., 87, 90 f., 104, 122 Universität 14, 21, 27, 32, 50, 118, 131 f. Utopie 8, 45, 47, 49, 50 ff., 108 Vater 56 f., 61, 68, 75 Verantwortung 46, 80, 83, 101, 125, 130 Verbrecher 31, 60, 74–76, 82, 95 Verleger 24–30, 73, 118 Vernunft 11, 32 f., 39–54, 64, 92, 101, 115, 131 Verrat 60, 101, 133 Wahrscheinlichkeit 69, 77, 108 Weimar 10, 19, 24, 29 f., 32, 38, 70, 83, 86, 120, 130 Weimarer Bühne 22, 33, 70, 72, 102, 114, 118, 127, 134 Werktreue 10 f., 130 Zensur 53, 73, 113, 130 Zufall 39, 51, 101 Zuschauer 23, 28, 35–37, 39 f., 42, 52, 54, 60, 66 f., 69–71, 73, 76 f., 79 f., 94 f., 104, 107, 112, 117