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German Pages 160 [159] Year 2010
Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal
Nine R. Miedema
Einführung in das „Nibelungenlied“
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-21914-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71527-5 eBook (epub): 978-3-534-71528-2
Inhalt I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wozu eine weitere Einführung zum „Nibelungenlied“? 2. Kurzfassung des „Nibelungenliedes“ . . . . . . . . . 3. Epoche und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung . . . 5. Das „Nibelungenlied“: Werkform 35 II. Das Ende als Ausgangspunkt – ffventiure 39
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren . 1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1) . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5) . . 3. Brünhilds Empfang in Worms (ffventiure 10) . . . . . . . 4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20) . . . . . 6. Die Ankunft der Burgunden in Etzels Reich (ffventiure 28) 7. Die Durchführung von Kriemhilds Racheplänen (ffventiuren 31 und 37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kommentierte Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personen- und Figurenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ortsregister
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Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Konkordanz der Strophenzahlen bei Schulze/Grosse 2010 und Bartsch/de Boor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte . . . . 1. Mittelalterliche Rezeptionsgeschichte . . . . . . 2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ seit 1945 4. Das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht . . . . Danksagung
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I. Einleitung 1. Wozu eine weitere Einführung zum „Nibelungenlied“? Die Frage erscheint berechtigt – als Antwort reicht es nicht aus, auf das Verlagsprogramm der WBG zu verweisen, das den ,wichtigsten‘ Texten, Autoren, Epochen und Gattungen der deutschen Literatur eine eigene Reihe von Einführungsbänden widmet, in deren Rahmen seit 2007 auch mittelalterliche Werke und Autoren besprochen werden. Offensichtlich ist, dass das „Nibelungenlied“ in den deutschsprachigen Ländern als wichtig angesehen wird: Groß war beispielsweise die Aufregung, als im Jahr 2003 die Stiftsbibliothek in Zwettl (Österreich) der Presse den Fund neuer Handschriftenfragmente meldete, von denen es zunächst hieß, sie seien Reste einer neuen Handschrift des „Nibelungenliedes“ aus dem 12. Jahrhundert. Das allgemeine Interesse erlosch schlagartig, als deutlich wurde, dass es sich stattdessen um Fragmente eines Codex des 13. Jahrhunderts handelte, der den Artusroman „Erec“ von Hartmann von Aue enthielt. Einem breiten Publikum war offensichtlich schwer zu vermitteln, dass die neuen Bruchstücke des „Erec“ für die Forschung sehr viel mehr Gewicht besaßen als die Auffindung von Resten einer eventuellen 38. Handschrift des „Nibelungenliedes“. Die Sensation des Fundes in Zwettl liegt darin, dass es vom „Erec“ insgesamt lediglich sehr wenige Textzeugen gibt, von denen der einzig vollständige nicht aus dem 12. oder 13., sondern aus dem 16. Jahrhundert stammt; unklar ist, ob in dieser relativ jungen Handschrift eine dem um 1200 entstandenen Original nahestehende Fassung überliefert ist oder eher eine Bearbeitung des Textes, die dem Geschmack des 16. Jahrhunderts angepasst wurde. Die neu aufgefundenen Bruchstücke weichen stark von dieser späten Überlieferung ab, so dass sie ein völlig neues Licht auf die Rezeption und Adaptation höfischer, französischer Literatur in deutscher Sprache werfen (vgl. Springeth u. a. 2005). All dies hätte eine 38. Handschrift des in verschiedenen Codices des 13. Jahrhunderts überlieferten „Nibelungenliedes“ kaum leisten können. Für die germanistische Mediävistik sind die Zwettler Fragmente deswegen von kaum zu überschätzendem Wert, während sie sich für das Interesse der Öffentlichkeit als eine Eintagsfliege erwiesen: Das „Nibelungenlied“ ist offensichtlich fest im kulturellen Gedächtnis der Deutschen verankert, deutlich fester als die deutschsprachige Artusepik französischen Ursprungs wie der „Erec“. Diese These findet ihre Bestätigung darin, dass unter den mittelalterlichen Texten insbesondere das „Nibelungenlied“ in den letzten Jahrzehnten weiterhin auf die verschiedensten Arten und Weisen popularisiert wird. Nibelungenromane und -comics, Museen wie in Worms und Xanten sowie Umsetzungen auf der Bühne und im Film rufen den Stoff auf ihre medial je eigene Weise immer wieder in Erinnerung, wodurch (oder: weil) das
Bedeutung des „Nibelungenliedes“
kulturelles Gedächtnis
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I. Einleitung
Kanon
literarische Qualität
Inhalt der Einführung
Hervorhebung Kriemhilds
„Nibelungenlied“ auch heute noch Züge eines ,Nationalepos‘ haben mag. Dass die drei Haupthandschriften des „Nibelungenliedes“ im Jahr 2009 von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt wurden, unterstreicht jedoch gerade auch ihre Bedeutung auf übernationaler Ebene. In der germanistischen Mediävistik ist die Fokussierung auf die angeblich wichtigsten Texte, auf die ,Höhenkammliteratur‘, nicht unumstritten: Kritische Stimmen bemängeln, dass die Einschränkung auf die so genannt wichtigsten Werke der Epoche, deren Festlegung teils bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht und seitdem kaum revidiert wurde, den Blick auf einen Kanon von kaum repräsentativen literarischen Zeugnissen einschränke. Tatsächlich hat sich spätestens seit Beginn der Arbeit an der zweiten Auflage des umfassendsten Nachschlagewerks zur mittelalterlichen Literatur, des „Verfasserlexikons“ („Die deutsche Literatur des Mittelalters“ 1987–2009), in der Forschung ein erweiterter Literaturbegriff durchgesetzt, der der Tatsache gerecht wird, dass für ein angemessenes Verständnis mittelalterlicher Literatur und Kultur der Einbezug aller, auch für weniger gelungen erachteten literarischen Zeugnisse sowie auch von Sachtexten unabdingbar ist. Forschungsgeschichtlich betrachtet ist somit eine Einschränkung des Interesses auf eine Auswahl angeblich kanonischer Texte nicht unproblematisch, sie sollte stets von der Lektüre anderer schriftlicher Zeugnisse der mittelalterlichen Kultur begleitet werden. Es gilt dennoch, dass die literarische Qualität des „Nibelungenliedes“ auch heute noch unbestritten und eine Auseinandersetzung mit dem Text lohnenswert ist. Schon dies rechtfertigt trotz aller Bedenken die erneute monographische Behandlung des „Nibelungenliedes“ in einer Reihe, die insbesondere interessierten Laien einen Einstieg in ausgewählte Werke des Mittelalters ermöglichen soll. Es sei aber zumindest kurz auf die Frage eingegangen, was eine neue Einführung im vorgegebenen Rahmen über die bereits im Buchhandel erhältlichen Einführungen hinaus leisten kann (vgl. die Bände von Heinzle 1987/1994, Hoffmann/Weber 61992, Haymes 1999, Ehrismann 22002, Ehrismann 2005, Schulze 2006, J.-D. Müller 3 2009). Einige Kapitel des vorliegenden Bandes bieten eine Einführung zu traditionellen Themenbereichen: zum Inhalt des „Nibelungenliedes“ (Kapitel I.2), zu seiner zeitlichen Kontextualisierung (Kapitel I.3), zur Form und Überlieferung (Kapitel I.4–I.5), zur Rezeption (Kapitel IV.1–IV.3). Dieser Teil der Untersuchungen erhebt stoffbedingt nicht den Anspruch einer besonderen Originalität und weicht inhaltlich nicht wesentlich von bereits publizierten Einführungsbänden ab. In anderen Teilen dieser Einführung (Kapitel II–III) kommt jedoch der Figur der Kriemhild zentrale Bedeutung zu. Gewählt wurde diese Herangehensweise nicht nur aus dem offensichtlichen Grund, dass Kriemhild zu den wichtigsten handlungsbestimmenden Figuren im gesamten „Nibelungenlied“ gehört (vgl. z. B. Young 2007, 239): Sie fungiert als Verbindungsglied zwischen dem sagengeschichtlich ursprünglich wohl selbstständigen Teil I des Liedes und dessen Fortsetzung in Teil II (ffventiuren 1–19 und 20–39; der Begriff âventiure heißt im „Nibelungenlied“ „Erzählabschnitt[.]“, Ehrismann 1995, 26). Den ebenfalls in beiden Teilen auftretenden Burgunden (den drei königlichen Brüdern Gunther, Gernot und Giselher sowie
1. Wozu eine weitere Einführung zum „Nibelungenlied“?
auch Hagen von Tronje) kommt, nachdem sich Kriemhild auf Etzels Werbung eingelassen hat, lediglich eine reaktive Rolle zu. In einer der Handschriften ist der Text entsprechend mit Daz i t daz Bu˚ch Chreimhilden überschrieben (D, 14. Jahrhundert; zu den Handschriften s. S. 28 f.), in einer anderen mit Das Puech von Chrimhildin von Burgundien (d, frühes 16. Jahrhundert: Inhaltsverzeichnis) bzw. Ditz Puech Hey et Chrimhilt (d: Textanfang auf fol. 95ra). Auch die „Nibelungenklage“, eine zeitgenössische Fortsetzung des „Nibelungenliedes“, die in nahezu allen vollständigen Handschriften dem „Nibelungenlied“ unmittelbar folgt, verweist einleitend zunächst auf Kriemhild („Nibelungenklage“ *B, v. 34), bevor auf Siegfried eingegangen wird (ebd., v. 35, in der Formulierung diu nam sider einen man, die Kriemhild auffällig aktiv auftreten lässt). Hierdurch wird verständlich, dass Kriemhild auch im Mittelalter selbst, trotz der verschiedenen sonstigen Erzählstränge im Text, für einige Rezipienten die maßgebliche Rolle im Text erfüllte. Die Faszination für diese Figur, die durchaus auch abschreckende Züge hat, könnte damit zusammenhängen, dass Kriemhild zu den ersten literarischen Figuren in mittelalterlichen Texten gehört, denen Individualität zugeschrieben werden kann (vgl. Haug 1987/2005, 25; zur Frage nach der Individualität der Figuren mittelalterlicher Werke s. allgemein Gerok-Reiter 2006). Anhand der Figur Kriemhild hat sich nicht zuletzt deswegen in den letzten Jahrzehnten eine lebhafte Diskussion über Aspekte der Genderforschung ergeben (s. z. B. Frakes 1994, Bennewitz 1995, 1996, 2003, Tennant 1999, Schausten 1999, Jönsson 2001, Lienert 2003, Starkey 2003, Frank 2004, Scheuble 2005, Renz 2006, „Women and Medieval Epic“ 2007, „10. Pöchlarner Heldenliedgespräch“ 2010). Anhand der Figur Kriemhild soll ein historisches Lesen des Textes demonstriert werden, das den Handlungsspielräumen literarischer Figuren in der Zeit um 1200 gerecht wird. Bahnbrechend für diese Herangehensweise ist die Studie von J.-D. Müller 1998, die in vielerlei Hinsicht ein Korrektiv zu früheren Lektüren des „Nibelungenliedes“ bietet. Obwohl mit einer Distanz von 800 Jahren kein Text vollständig in seinem Entstehungskontext platziert werden kann, soll zumindest versucht werden, ihn als historisch entstanden und historisch nachvollziehbar zu interpretieren. Zu diesem Zweck wird in Kapitel II–III der vorliegenden Untersuchung ein close reading vorgenommen, das ohne den Originaltext zur Kenntnis genommen werden kann, für welches es allerdings sinnvoll sein dürfte, eine Textausgabe des „Nibelungenliedes“ zur Hand zu haben. Die Interpretation bleibt sehr nah am Text, während gleichzeitig dort, wo dies nötig erscheint, auf intertextuelle Bezüge oder auch außertextliche Gegebenheiten hingewiesen wird. Die Deutung einzelner Passagen wird mithilfe von Textstellen belegt, die ggf. auch Querverweise innerhalb des Werkes herstellen. Wichtiger war bei der Festlegung auf die besondere Berücksichtigung der Figur Kriemhild jedoch, dass die Struktur des „Nibelungenliedes“ in stärkerem Maße von ihr geprägt ist, als dies bisher in der Forschung beschrieben wurde. Nicht zufälligerweise führt auf der Makroebene die ffventiure 1 zunächst Kriemhild ein, bevor sich erst die ffventiure 2 dem wichtigsten männlichen Protagonisten, Siegfried, zuwendet (J.-D. Müller 1998, 99), und nicht zufälligerweise wird ihr in der letzten ffventiure ebenfalls ein prominenter Platz eingeräumt. Auch auf Mikroebene, speziell im Bereich der Fi-
historisches Lesen
strukturelle Elemente
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I. Einleitung
Redeszenen
Deutschunterricht
Forschungsliteratur
gurenrede, lassen sich solche Klammerstrukturen erkennen: Kriemhilds erste direkte Rede in ffventiure 1 kreist, ohne dass sie sich dessen bewusst ist, um Siegfried (B 13), während sich Siegfrieds erste direkte Rede in ffventiure 3 auf Kriemhild bezieht (Strophen B 46–47) – Siegfrieds letzte Rede ist ebenfalls Kriemhild gewidmet (B 991–994), während sie selbst in ihrem letzten Redebeitrag auf Siegfried zurückverweist (B 2369). Eine Konzentration auf Kriemhild erlaubt somit eine Analyse des Textes, die seine vom mittelalterlichen Autor bewusst angelegten Strukturen deutlicher hervortreten lässt als eine Lesart, die die Handlungsstränge aller unterschiedlichen Figuren gleichzeitig zu verfolgen versucht. Die vorliegenden Untersuchungen sind außerdem geleitet von einer besonderen Auseinandersetzung mit den Redeszenen. Bereits Göppert 1944 vermerkte, dass alle wichtigen Handlungsschritte des „Nibelungenliedes“ in dialogischer Form stattfinden oder vorbereitet werden; seitdem wurden etwa in Beiträgen von Weydt 1980, Sonderegger 1981, Weigand 1988, Mertens 1996, Tennant 1999, Ehrismann 2000, Robertshaw 2000, S. Müller 2002, Hasebrink 2003, Miedema 2006, Weydt 2007 und Neuendorff/Raitaniemi [im Druck] einzelne Aspekte der Dialoge im „Nibelungenlied“ vertieft. Es fehlt jedoch eine Untersuchung, die die Prinzipien der historischen Dialoganalyse berücksichtigt (vgl. Kilian 2005) und die Redeszenen im gesamten „Nibelungenlied“ kritisch betrachtet. Der vorliegende Einführungsband kann eine solche umfassende Analyse zwar nicht leisten, er will jedoch durch seine spezielle Perspektive auf die Figurenrede zu vertiefenden Untersuchungen anregen. Eine weitere Besonderheit dieser Einführung ist, dass sie sich in einem eigenen Kapitel (Kapitel IV.4) der Verwendung des „Nibelungenliedes“ im Deutschunterricht der Sekundarstufe I und II widmet. Eine jede Einführung, die sich zum Ziel setzt, einen Klassiker der Weltliteratur vorzustellen, muss sich dem Problem der angemessenen Verarbeitung einer kaum noch überschaubaren Fülle von Sekundärliteratur stellen. Eine zusammenfassende Darstellung der Forschungsgeschichte zum „Nibelungenlied“ würde den Rahmen der Einführung sprengen. Es wird deswegen im Folgenden an geeigneter Stelle jeweils einzeln auf die wichtigste Forschungsliteratur hingewiesen, wobei in keinerlei Form Vollständigkeit erreicht oder auch nur angestrebt wird. Für die Belege wird nach Möglichkeit ein Vertreter der jüngsten Forschungsliteratur zitiert, es sei denn, es kann auf ,Klassiker‘ der Interpretation des „Nibelungenliedes“ verwiesen werden, die alle nachfolgenden Deutungen beeinflusst haben. Nicht alle in der Forschung zurzeit aktuellen Diskurse können angesprochen werden; die kommentierte Bibliographie am Ende der Einführung gibt weitere Hinweise zur Forschungsliteratur. Die zitierten Forschungsbeiträge werden außerdem kaum im Ganzen gewürdigt; wenn aus ihnen zitiert wird, werden Passagen übernommen, die Anlass für die Ausführungen gegeben haben, ohne dass damit den Aussagen der gesamten Publikationen zugestimmt würde. Sollten einzelne Gedankengänge im Folgenden nicht mit Literaturangaben versehen sein, obwohl sie bereits von anderen publiziert wurden, so möge dies entschuldigt werden; es ist der Tatsache geschuldet, dass eine kontinuierliche Lektüre des Textes dieser Einführung kaum möglich wäre, wenn jeder Halbsatz um Hinweise auf Sekundärliteratur erweitert würde.
2. Kurzfassung des „Nibelungenliedes“
Im Laufe des nachfolgenden Textes wird nicht nur auf gedruckte Sekundärliteratur verwiesen, sondern auch auf Internetseiten. Dabei gilt der Stand vom September 2010. Zwar können solche Verweise ihre Aktualität bereits bei der Drucklegung dieses Buches eingebüßt haben, es erschien dennoch aufgrund der wachsenden Bedeutung des Internets sowohl in der alltäglichen Informationsbeschaffung als auch in der Forschung wichtig, das neue Medium dort, wo es die Printmedien sinnvoll ergänzt, als Quelle zu verwenden. Bevor sich die Darstellung im Folgenden einzelnen ffventiuren des „Nibelungenliedes“ zuwendet, wird eine Kurzfassung des gesamten Handlungsverlaufs nach der Handschrift B geboten, damit nachvollziehbar wird, inwiefern die nachfolgenden Kapitel selektieren bzw. welche Erzählbereiche sie raffen oder auslassen. Unvermeidlich ist, dass eine solche Kurzfassung gleichzeitig bereits eine Interpretation des Werkes ist. Und obwohl die „Nibelungenklage“ in der mittelalterlichen Überlieferung dem „Nibelungenlied“ nahezu immer unmittelbar folgt und somit die Wahrnehmung des Textes geprägt haben dürfte (Henkel 1999), sei die Kurzfassung nur auf das „Nibelungenlied“ bezogen: Beide Texte werden als separate, wenn auch eng aufeinander bezogene Werke eigenen Wertes gesehen (anders Schiewer 2009, 451).
Internet
2. Kurzfassung des „Nibelungenliedes“ In der ersten ffventiure wird Kriemhild als höfische Königstochter vorgestellt, die unter dem Schutz ihrer drei Brüder steht, der burgundischen Könige von Worms, Gunther, Gernot und Giselher. Ihre Eltern sind Ute und Dankrat. Dem Burgundenhof sind u. a. Hagen von Tronje, Dankwart, Ortwin und Volker verbunden. Inmitten dieser höfischen Welt hat Kriemhild einen Traum, in dem sie einen Falken abrichtet, den zwei Adler töten. Ute deutet diesen Traum als Schicksal, welches Kriemhilds Geliebten treffen wird. Kriemhild meint diesem Leid dadurch entkommen zu können, dass sie auf die Liebe verzichten will (ffventiure 1: Strophen B 1–17). Am Hof in Xanten genießt der Königssohn Siegfried eine höfische Erziehung, die ihm seine Eltern Siegmund und Sieglind zu Teil werden lassen. Siegfried wird im Rahmen eines großen höfischen Festes, der so genannten Schwertleite, zum Ritter geschlagen (ffventiure 2: Strophen B 18–41). In der ffventiure 3 (Strophen B 42–136) werden beide Handlungsstränge miteinander verbunden. Siegfried hört von der wunderschönen, alle Werber abweisenden Königstochter Kriemhild. Am Hof zu Xanten rät man ihm, sich eine ihm standesgemäße Frau zu suchen; Siegfried entscheidet sich, um Kriemhild zu werben. Siegmund äußert Bedenken, da Gunther und insbesondere dessen Gefolgsmann Hagen nicht zu unterschätzen seien. Siegfried lässt sich jedoch von seinem Vorhaben nicht abbringen und reist mit einer kleinen Gruppe von Männern nach Worms. Bei seiner Ankunft sind sich die Burgunden unsicher, wen sie vor sich haben. Hagen erzählt, dass es wohl Siegfried sei. Dieser habe den Schatz der beiden Königssöhne Schilbung und Nibelung erlangt, den so genannten Nibelungenhort. Er verfüge außerdem über das Schwert Balmung sowie über eine Tarnkappe. Er habe
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I. Einleitung
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ffventiure 8
einen Drachen getötet und sei nach einem Bad in dessen Blut unverwundbar geworden. Die burgundischen Könige beschließen, Siegfried freundlich zu empfangen, doch dieser fordert Gunther unvermittelt zu einem Kampf um dessen Land heraus. Nach einer längeren Unterredung, in der sich insbesondere Gernot für eine friedliche Lösung des Konfliktes einsetzt, gelingt es den Burgunden, Siegfried von seinem kämpferischen Vorhaben abzubringen. Siegfried bleibt als Gast am Burgundenhof, doch sieht er Kriemhild während eines ganzen Jahres kein einziges Mal. Plötzlich wird Gunther von den Königen der Sachsen und Dänen, Liudeger und Liudegast, der Krieg erklärt. Siegfried bietet Gunther seine Hilfe an und erringt den Sieg über die Übermacht der Feinde. Boten berichten Kriemhild über den Krieg. Im Anschluss daran will Siegfried den Burgundenhof verlassen, doch Gunther bittet ihn zu bleiben. In der Hoffnung, Kriemhild zu sehen, bleibt Siegfried in Worms (ffventiure 4: Strophen B 137–262). Schließlich darf Siegfried Kriemhild beim Siegesfest sehen. Er wird vor dem gesamten Hof durch den Gruß und Kuss Kriemhilds für seine Hilfeleistung im Krieg ausgezeichnet. Das Verhältnis zwischen Siegfried und Kriemhild ist von gegenseitiger minne gekennzeichnet. Siegfried will dennoch nach Ende des Festes erneut den Burgundenhof verlassen, doch nun bittet ihn Giselher zu bleiben. Siegfried bleibt um Kriemhilds willen in Worms, die er nun täglich sehen darf. Gunther beschließt, dass er heiraten will (ffventiure 5: Strophen B 263–323). Die ffventiure 6 (Strophen B 324–386) wird mit der Kunde von der überaus schönen Königin Brünhild auf Schloss Îsenstein (B 380.3) eingeleitet. Sie ist allein dadurch zu erwerben, dass man sie in drei Kampfspielen (Speerwurf, Steinwurf und Weitsprung) besiegt. Als Gunther von Brünhild erfährt, will er um sie werben. Doch Siegfried rät Gunther davon ab. Gunther bittet Siegfried um seine Hilfe, und dieser sagt sie ihm zu, wenn er als Gegenleistung dafür Kriemhild zur Frau bekomme. Gunther ist damit einverstanden und bekräftigt sein Versprechen mit einem Eid. Siegfried nimmt die Tarnkappe mit; sie macht ihn nicht nur unsichtbar, sondern verleiht ihm außerdem die Kraft von zwölf Männern. Nur Gunther, Siegfried, Hagen und Dankwart fahren zu Brünhild. Noch auf dem Schiff verlangt Siegfried ohne nähere Begründung, dass alle ihn vor Brünhild als einen Lehnsmann Gunthers bezeichnen. Auch vor Brünhild leugnet Siegfried seinen wahren Rang, zunächst nonverbal: Er führt Gunthers Pferd vom Schiff und hält Gunther den Steigbügel (so genannter Stratordienst). Obwohl die Damen dies von der Burg aus beobachtet haben, meint Brünhild zunächst, Siegfried wolle um sie werben, und begrüßt ihn zuerst. Siegfried klärt sie darüber auf, dass es vielmehr Gunther ist, der um sie wirbt. Siegfried, unsichtbar unter der Tarnkappe, steht bei den Kampfspielen neben Gunther, welcher lediglich so tut, als ob er kämpfe. So wird Brünhild besiegt. Obwohl sie wütend ist über ihre Niederlage, akzeptiert sie Gunther als ihren Ehemann. Bevor sie ihr Land verlassen will, versammelt sie alle ihre Verwandten und Lehnsleute um sich, um diesen davon zu berichten. Hagen vermutet darin eine Falle, woraufhin Siegfried anbietet, zur Verstärkung seine eigenen Krieger nach Îsenstein zu holen (ffventiure 7: Strophen B 387–479). Siegfried reist unbemerkt zu den Nibelungen und kämpft gegen einen Riesen sowie gegen den Zwerg Alberich; beide bewachen den Hort. Er for-
2. Kurzfassung des „Nibelungenliedes“
dert 1000 seiner Krieger auf, ihm zu folgen. Bei Siegfrieds Rückkehr verschenken Dankwart und Hagen Brünhilds Gold, Brünhild sichert sich nur mit Mühe einen kleinen eigenen Anteil. Sie entscheidet, dass der Bruder ihrer Mutter als ihr Nachfolger herrschen soll. Sie weigert sich, bereits während der Fahrt nach Worms das Bett mit Gunther zu teilen (ffventiure 8: Strophen B 480–525). Nach neun Tagen Reise rät Hagen Gunther, dass dieser Siegfried nach Worms vorausschicken solle, um ihre Ankunft anzukündigen. Siegfried erklärt sich schließlich dazu bereit und verkündet am Wormser Hof den glücklichen Ausgang der Brautwerbung (ffventiure 9: Strophen B 526–575). Brünhild wird von den Verwandten Gunthers gebührend empfangen. Siegfried erinnert Gunther an dessen Versprechen, dass er Kriemhild zur Frau bekommen werde, wenn seine Hilfeleistungen bei der Werbung um Brünhild erfolgreich abgeschlossen seien. Gunther bittet sofort Kriemhild zu sich, und sie stimmt zu, Siegfried zum Mann zu nehmen. Brünhild wird Zeugin dieser Vermählung und ist empört darüber, denn sie kann nicht verstehen, wie Gunther seine Schwester unter ihrem Stand verheiraten könne: Sie glaubt ja, Siegfried sei nur ein Lehnsmann Gunthers. Trotz Gunthers Versicherungen, dass Siegfried ein mächtiger König sei, bleibt Brünhild betrübt über Kriemhilds Schicksal. In der Hochzeitsnacht verweigert sie sich Gunther erneut, da er ihr nicht erzählen will, was wirklich geschehen sei. Sie bindet ihm Füße und Hände und hängt ihn an einem Haken an der Wand auf. So zwingt sie ihn, ihr zu versprechen, sie nicht mehr zu berühren. Am nächsten Tag bemerkt Siegfried Gunthers Unmut, fragt ihn nach dessen Ursachen und bietet Gunther, nachdem dieser ihm alles erzählt hat, Hilfe an. Siegfried bezwingt Brünhild in der zweiten Brautnacht mithilfe der Tarnkappe. Dann überlässt er Gunther das Bett, nimmt aber einen Ring und einen Gürtel Brünhilds mit sich. Er weicht Kriemhilds Fragen aus, wird ihr aber später, zurückgekehrt in sein eigenes Reich, Ring und Gürtel geben. Gunther entjungfert Brünhild und raubt ihr damit ihre übernatürlichen Kräfte (ffventiure 10: Strophen B 576–686). Die 11. ffventiure (Strophen B 687–720) skizziert, dass Siegfried mit Kriemhild in sein Land zurückkehrt. Kriemhild fordert bei ihrem Abschied aus Worms Land als ihr Erbe ein, was ihr die Brüder zugestehen; Siegfried aber lehnt dies ab, da er selbst über große Reichtümer verfüge. Kriemhild möchte daraufhin unter den Gefolgsleuten an erster Stelle Hagen und Ortwin mitnehmen, Hagen aber weigert sich. Kriemhild folgen letztlich 500 statt der ursprünglich versprochenen 3000 burgundischen Männer. Siegfried wird in Xanten freudig empfangen und herrscht fortan als gerechter Herrscher über sein Land. Kriemhild bekommt einen Sohn, der auf den Namen Gunther getauft wird. Auch Brünhild schenkt Gunther einen Sohn, der Siegfried genannt wird. Doch Brünhild lässt die unbefriedigende Auskunft Gunthers über den Stand Siegfrieds keine Ruhe. Sie gibt vor, sie wolle Kriemhild und Siegfried gerne wiedersehen, und bittet Gunther, diese nach Worms einzuladen. Siegfried nimmt die von Boten überbrachte Einladung an. Im Land der Burgunden beginnen die Vorbereitungen zum Fest (ffventiure 12: Strophen B 721–774). Kriemhild und Siegfried bereiten sich auf die Reise vor; ihr Sohn Gunther bleibt in Xanten, Siegmund aber begleitet sie. Sie erreichen Worms, wo sie
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I. Einleitung
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gut empfangen werden. Bis zum elften Tag des Festes ist man sich wohl gesonnen (ffventiure 13: Strophen B 775–810). Dann bricht ein Streit zwischen den Königinnen aus. Kriemhild sagt zu Brünhild, es sollten Siegfried alle Reiche untertan sein. Brünhild meint, dies könne nie geschehen, solange Gunther lebe. Daraufhin bekräftigt Kriemhild die Ebenbürtigkeit von Siegfried und Gunther. Dagegen hat jedoch Brünhild einzuwenden, dass Siegfried ihr selbst bei seiner Ankunft in ihrem Land versichert habe, ein Gefolgsmann Gunthers zu sein; sie halte ihn deswegen für untergeben (eigen, B 818.3). Kriemhild ist empört über diese Aussage und fordert Brünhild heraus, indem sie in aller Öffentlichkeit vor ihr die Kirche betreten will. Vor dem Münster bezeichnet Brünhild Kriemhild dann öffentlich als eigen (B 835.4) und verbietet ihr, die Kirche vor der Königin zu betreten. Kriemhild nennt Brünhild daraufhin die Nebenfrau eines (angeblichen) Vasallen, Siegfrieds (mannes kebse, B 836.4). Nach der Messe fordert Brünhild Beweise für diese ungeheure Behauptung, und Kriemhild zeigt als ,Beweis‘ dafür, dass Siegfried als erster das Bett mit Brünhild geteilt habe, die Gegenstände (Ring und Gürtel), die Siegfried in der zweiten Brautnacht mitgenommen hatte. Brünhild lässt daraufhin Gunther rufen. Nachdem sie ihm berichtet hat, Kriemhild behaupte, dass Siegfried sie (Brünhild) zur Nebenfrau degradiert habe, wird auch Siegfried hinzu gerufen. Er soll schwören, sich nie dessen gerühmt zu haben, dass Brünhild seine Nebenfrau sei. Siegfried ist bereit zu schwören, dass er nie dergleichen gesagt habe. Damit ist die Angelegenheit für Gunther und Siegfried bereinigt, doch ist die Kränkung der Königin nicht für alle Untertanen beigelegt. Vor allem Hagen von Tronje will sich dafür rächen und bedrängt Gunther, Siegfried zu töten. Dieser stimmt dem schließlich zu, da Hagen bereits einen Plan ausgedacht hat, wie Siegfried zu töten sei (ffventiure 14: Strophen B 811–873). In ffventiure 15 (Strophen B 874–912) wird ein erneuter Angriff der Dänen und Sachsen vorgetäuscht, und Siegfried erklärt sich sofort zur Hilfeleistung bereit. Hagen verabschiedet sich von Kriemhild. Sie verrät unter mehrfachem Verweis auf die Verwandtschaftstreue, die Hagen ihr schuldig sei, dass Siegfried eine Stelle am Körper habe, an der er verwundbar sei: Beim Bad im Drachenblut sei Siegfried ein Lindenblatt zwischen die Schulterblätter gefallen. Kriemhild markiert diese Stelle mit einem Seidenkreuz auf Siegfrieds Gewand, damit Hagen Siegfried schützen könne. Man fingiert, dass der Krieg abgesagt wird, und beruft stattdessen eine Jagd ein. Siegfried will mit auf die Jagd reiten und verabschiedet sich von Kriemhild. Diese ahnt Böses, wagt aber nicht zu erzählen, was sie Hagen gesagt hat. Gernot und Giselher nehmen nicht an der Jagd teil. Die Jäger, insbesondere Siegfried, erlegen viele Tiere, wonach ein Festmahl stattfindet. Hagen hat dafür gesorgt, dass es nichts zu trinken gibt, und als Siegfried darüber klagt, berichtet Hagen von einer Quelle, die ganz in der Nähe sei. Hagen schlägt ein Wettrennen zur Quelle vor. Erwartungsgemäß erreicht Siegfried diese zuerst, doch wartet er, bis Gunther nachkommt, und lässt ihm den Vortritt. Als sich Siegfried anschließend über die Quelle beugt, um zu trinken, stößt Hagen von hinten einen Speer in die von Kriemhild markierte Stelle. Siegfried stirbt, nachdem er die Mörder beschimpft und um Schutz für Kriemhild gebeten hat. Einige der herbeieilenden burgundischen Gefolgsleute schlagen vor, man solle in Worms behaupten, dass Wegelagerer
2. Kurzfassung des „Nibelungenliedes“
Siegfried getötet hätten, Hagen aber ist es gleichgültig, ob die Wahrheit bekannt wird oder nicht (ffventiure 16: Strophen B 913–998). Hagen lässt den Leichnam Siegfrieds vor Kriemhilds Kammer legen, Gefolgsleute finden ihn bei Tagesanbruch. Kriemhild beschuldigt Brünhild, die den Mord vorgeschlagen habe, und Hagen, sowie später auch Gunther. Siegmund will sofortige Rache, aber Kriemhild bittet ihn zu warten, bis sich eine bessere Gelegenheit ergebe. Kriemhilds Verdacht wird bestätigt durch die Bahrprobe, denn als Hagen in die Nähe von Siegfrieds Leichnam tritt, fangen dessen Wunden wieder an zu bluten. Gunther leugnet dennoch, dass er oder Hagen etwas mit dem Tod Siegfrieds zu tun hätten. Siegfried wird schließlich in Worms begraben (ffventiure 17: Strophen B 999–1069). Siegmund bietet Kriemhild an, mit ihm nach Xanten zurückzukehren. Sie lehnt dies ab, da Giselher, Gernot und Ute sie bitten zu bleiben. Siegmund ist dies nicht verständlich; er reitet ohne Kriemhild zurück nach Xanten. Kriemhild versinkt in tiefe Trauer um Siegfried. Brünhild empfindet kein Mitleid für sie (ffventiure 18: Strophen B 1070–1097). Kriemhild lebt dreieinhalb Jahre in großer Trauer und frommer Zurückgezogenheit. Sie sieht während dieser Zeit weder Gunther noch Hagen. Doch Hagen denkt über die Vorteile einer Versöhnung zwischen Gunther und Kriemhild nach; dabei hat er vor allem den Nibelungenhort im Sinn, dessen Besitzerin nun Kriemhild ist. Es kommt zu einer Versöhnung zwischen Gunther und Kriemhild, von der jedoch Hagen ausgeschlossen bleibt. Kriemhild benutzt den Hort dazu, fremde Krieger an sich zu binden. Hagen befürchtet, dass sie so zu viel Macht gewinnen könnte und schlägt vor, ihr den Schatz zu rauben. Er bietet sich an, die Schuld dafür auf sich zu nehmen, da Gunther sich sträubt, denn er hatte bei der Versöhnung mit Kriemhild geschworen, ihr nie wieder Leid zuzufügen. Hagen nimmt den Schlüssel zur Schatzkammer an sich. Gernot schlägt vor, den Hort im Rhein zu versenken. Die Könige reiten aus und geben Hagen somit die Möglichkeit, den Schatz im Fluss zu versenken. Nach der Rückkehr der Könige verurteilen diese Hagens Tat. Er entweicht ihnen so lange, bis er ihr Wohlwollen wiedererlangt hat. Zuvor haben die Königsbrüder und Hagen unter Eid geschworen, den Ort des Schatzes nicht preiszugeben, solange einer von ihnen noch lebt. Kriemhild verbleibt 13 Jahre lang am Hof zu Worms, ohne Siegfried vergessen zu können (ffventiure 19: Strophen B 1098–1139). Mit der 20. ffventiure beginnt ein neuer Erzählstrang. Der verwitwete Hunnenkönig Etzel sucht eine neue Ehefrau. Man rät ihm, um Kriemhild zu werben. Zunächst ist Etzel skeptisch, da er kein Christ ist; seine Gefolgsleute wenden aber ein, Etzels guter Ruf und sein Reichtum könnten Kriemhild umstimmen. Markgraf Rüdiger von Bechelaren (Pöchlarn) wird an den Hof zu Worms gesandt, um in Etzels Namen um Kriemhild zu werben. Rüdiger wird sehr herzlich von den Burgunden empfangen und teilt ihnen anschließend den Grund seines Besuchs mit. Gunther berät sich mit seinen Gefolgsleuten. Außer Hagen befürworten alle die neue Verbindung; Gunther sieht darin, anders als Hagen, keine Gefahr. Kriemhild aber lehnt die Werbung zunächst vehement ab. Sie empfängt Rüdiger aus Höflichkeit, lässt sich jedoch von ihm zunächst nicht überzeugen. Sie berichtet ihrer Mutter und Giselher, dass ihre einzige Pflicht das Weinen sei. Sie wolle keinen Anders-
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gläubigen heiraten. In einem zweiten Gespräch bittet Rüdiger sie nochmals, Etzels Werbung nachzugeben. Sie lässt sich umstimmen, nachdem Rüdiger ihr unter vier Augen verspricht, er wolle sie für all das entschädigen, was ihr jemals angetan worden sei. Kriemhild verlangt daraufhin das Treueversprechen von Rüdiger, dass er ihr Leid rächen werde, was auch immer ihr angetan werde. Rüdiger leistet diesen Eid, und damit willigt Kriemhild in die Hochzeit ein. Hagen will ihr die Reste des Nibelungenhortes abnehmen; Gernot verteilt das Gold. Rüdiger weist darauf hin, dass Kriemhild den Hort nicht brauchen werde, da Etzel reicher sei als alle anderen Fürsten (ffventiure 20: Strophen B 1140–1286). Mit einem prächtigen Gefolge zieht Kriemhild in das Hunnenland. Sie besuchen unterwegs Bischof Pilgrim in Passau, einen Verwandten Kriemhilds, und kehren bei Rüdigers Ehefrau Gotelind ein, die sie sehr liebevoll empfängt (ffventiure 21: Strophen B 1287–1332). In Tulln trifft Kriemhild auf Etzel; sie heiratet ihn zu Pfingsten in Wien. Das Fest dauert 17 Tage, und Kriemhild macht sich ihre Untertanen durch ihre Schönheit und Freigebigkeit gewogen. Trotzdem ist Kriemhilds Trauer um Siegfried nicht vorbei, und auch während der Hochzeitsfeierlichkeiten muss sie an die Zeit denken, in der er noch lebte. Sie bricht in Tränen aus, was sie jedoch vor den Anwesenden verbergen kann. Sie findet sich auf Etzelnburc (B 1376.1) schnell in die Position der Königin des Hunnenlands ein (ffventiure 22: Strophen B 1333–1383). Nach sieben Jahren bekommt Kriemhild einen zweiten Sohn, den man auf den Namen Ortlieb tauft. Insgesamt lebt sie 13 Jahre in Etzels Land. Immer noch trauert sie heimlich um Siegfried. Es wird außerdem angegeben, sie werfe es Hagen und Gunther vor, dass sie mit einem Ungläubigen verheiratet sei. Sie fasst den Entschluss, ihre Macht zu nutzen, um sich zu rächen, und bittet Etzel, ihre Verwandten einzuladen. Etzel, der keine böse Absicht ahnt, willigt ein. Heimlich bittet Kriemhild die Boten, die die Einladung überbringen, sie sollten darauf hinweisen, dass Hagen am besten dazu geeignet sei, ihre Verwandten in das Hunnenland zu führen. Damit will sie gewährleisten, dass Hagen nicht in Worms zurückbleibt (ffventiure 23: Strophen B 1384–1418). Die Boten werden von den Burgundenkönigen empfangen. Diese beraten sich, ob sie die Einladung annehmen. Nur Hagen ist gegen die Reise. Er befürchtet Kriemhilds Rache, während Gunther an die Versöhnung erinnert und Hagen vorschlägt, dieser könne allein in Worms zurückbleiben. Der Küchenmeister Rumold bittet die Könige ebenfalls, in Worms zu bleiben, doch man hört auch auf seinen Rat nicht und beschließt, ins Hunnenland zu ziehen. Hagen sorgt dafür, dass alle in Waffen reisen. Die Boten berichten in Etzels Land darüber, dass die Burgunden die Einladung angenommen haben. Kriemhild täuscht Freude darüber vor, dass sie Hagen wiedersehen wird (ffventiure 24: Strophen B 1419–1502). Königin Ute warnt zu Anfang der ffventiure 25 (Strophen B 1503–1582) ihre Söhne vor der Reise. Hagen weist die Warnung ab, da Gernot ihm unterstellt, er würde aus Feigheit lieber in Worms bleiben. Brünhild verabschiedet sich von Gunther, der Rumold seinen Sohn und das Land anvertraut. Als die Burgunden die Donau erreichen, sucht Hagen eine Stelle, an der ein Überqueren möglich ist. Dabei trifft er auf weissagende Frauen (me-
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rewîb, B 1532.1), die ihm raten umzukehren. Eine von ihnen sagt Hagen voraus, dass sonst allein der Kaplan des Königs die Rückreise antreten werde. Sie weist Hagen zu einem Fährmann, der die Burgunden jedoch nicht an das andere Ufer bringen will; so kommt es zu einem Kampf, in dem Hagen den Fährmann erschlägt. Hagen lenkt das Boot zu den Burgunden. Als Gunther nach der Ursache für das Blut im Boot fragt, leugnet Hagen den Mord. Bei der Überfahrt wirft er den Kaplan über Bord, in der Hoffnung, dieser ertrinke. Der Geistliche kann eigentlich nicht schwimmen, rettet sich aber dennoch an das Ufer. Damit erfüllt sich, obwohl sich Hagen bemüht hat, die Sache anders ausgehen zu lassen, ein Teil der Prophezeiung der Meerfrauen: Der Kaplan kehrt nach Worms zurück. Hagen warnt alle Burgunden, nachdem sie übergesetzt haben. Er erzählt ihnen, warum er den Kaplan gerne (B 1586.4) ertränkt hätte, und berichtet über die Weissagung der Meerfrauen. Er sagt außerdem, dass er sich durch das Erschlagen des Fährmanns Feinde gemacht habe. Es folgen tatsächlich Überfälle auf den Tross, gegen die sie sich aber wehren können. Schließlich erreichen sie Passau und werden von Bischof Pilgrim empfangen. An der Grenze zu Etzels Land treffen sie auf einen Wächter, der sie warnt, da man nicht vergessen habe, dass Hagen Siegfried erschlagen hat. Er führt die Burgunden zu Rüdiger (ffventiure 26: Strophen B 1583–1646). Rüdiger freut sich über die Ankunft der Burgunden. Auch Rüdigers Frau Gotelind und ihre Tochter sind beim Empfang der Gäste anwesend. Die Tochter wird mit Giselher verlobt. Rüdiger schwört den Burgunden seine Treue. Bevor die Burgunden einige Tage später weiter zu Etzel reisen, werden sie reichlich von Rüdiger und Gotelind beschenkt: Gunther erhält eine Rüstung, Gernot ein Schwert, Hagen einen Schild. Boten reiten vor und berichten Etzel und Kriemhild, dass die Burgunden bald eintreffen werden. Beide freuen sich, aber aus unterschiedlichen Gründen (ffventiure 27: Strophen B 1647–1714). Schließlich erreichen die Burgunden Etzels Burg. Sie werden von Dietrich von Bern und Hildebrand begrüßt. Diese warnen die Burgunden erneut und erzählen ihnen, dass Kriemhild noch immer den Tod Siegfrieds beweine. Doch die Burgunden reiten weiter an den Hof, wo sie von Kriemhild empfangen werden. Diese küsst nur Giselher. Bereits hier gibt es eine erste Auseinandersetzung zwischen Kriemhild und Hagen. Kriemhild fragt Hagen, was er ihr aus Worms mitgebracht habe, damit er ihr willkommen sei, und als er sie daraufhin verspottet, fragt sie ihn direkt, wo der Nibelungenhort versteckt sei. Hagen gibt den Ort nicht preis. Daraufhin versucht Kriemhild, die Gäste zu entwaffnen, indem sie ihnen sagt, Waffen seien in der Burg nicht erlaubt. Dieser Versuch misslingt allerdings, da die Burgunden bereits durch Dietrich gewarnt worden sind. Etzel freut sich, Hagen, den er aus seiner Jugend kennt, wiederzusehen (ffventiure 28: Strophen B 1715–1754). Die Spannung zwischen Kriemhild und Hagen hält weiterhin an. Hagen setzt sich zusammen mit Volker auf eine Bank direkt vor dem Saal Kriemhilds. Sie erblickt Hagen vom Fenster aus und beginnt zu weinen. Auf die Fragen der Hunnen hin fordert sie, man solle sich für ihr Leid an Hagen rächen. Sie begibt sich mit einem bewaffneten Trupp der Hunnen auf den Hof. Hagen will nicht aufstehen, um Kriemhild gebührend zu begrüßen.
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Stattdessen legt er ein Schwert über sein Knie, das Kriemhild als Siegfrieds Schwert Balmung erkennt. Hagen gesteht ein, dass er Siegfried getötet hat, fügt aber hinzu, Siegfried habe damit gesühnt, dass Kriemhild Brünhild beleidigt habe. Die Hunnen wagen nicht, Hagen anzugreifen. Nach diesem Vorfall werden die Burgunden friedlich von König Etzel empfangen, der sich aufrichtig freut, dass sie seiner Einladung gefolgt sind (ffventiure 29: Strophen B 1755–1814). In ffventiure 30 (Strophen B 1815–1845) wird beschrieben, dass Hagen und Volker in der Nacht Wache am Schlafsaal der Burgunden halten. Sie tun dies zu Recht, da Kriemhild einen Überfall auf die Schlafenden geplant hatte, der jedoch nicht ausgeführt wird, da die Hunnen den Angriff nicht wagen, als sie Hagen und Volker sehen. Am nächsten Morgen gehen alle, auf Hagens Rat hin schwer bewaffnet, zur Messe. Etzel wundert sich über die Bewaffnung, Hagen aber behauptet, dass die Burgunden bei jedem Fest drei Tage lang in voller Rüstung aufträten; Kriemhild kann dies nicht leugnen, ohne dass Etzel von ihren Racheplänen erfährt. Nach dem Kirchgang findet ein Turnier statt, bei dem Ausschreitungen drohen, daher ziehen Rüdiger und Dietrich ihre Männer zurück. In Anwesenheit von Etzel und Kriemhild erschlägt Volker einen Hunnen. Etzel tut dies als einen Unfall ab und kann so die hitzige Situation entschärfen. Kriemhild bittet Dietrich um Hilfe bei ihrer Rache an den Burgunden, doch dieser lehnt das, wie Hildebrand, entschieden ab. Blödelin, Etzels Bruder, ist dagegen bereit, Kriemhild zu helfen. Er zieht seine Truppen zusammen, während Kriemhild mit Etzel und den Gästen aus Burgund zum Festmahl geht. Auch der Sohn Kriemhilds und Etzels, Ortlieb, nimmt auf Kriemhilds Initiative am Mahl teil. Hagen kränkt Etzel mit negativen Aussagen über Ortlieb (ffventiure 31: Strophen B 1846–1917). Blödelin überfällt mit seiner Truppe die wehrlosen Knappen der Burgunden. Dankwart erschlägt Blödelin. Dankwart überlebt als einziger den Kampf, kann fliehen und gelangt zur Königstafel (ffventiure 32: Strophen B 1918–1947). Als Hagen den blutüberströmten Dankwart sieht und dieser ihm vom Tod der 9000 Knappen berichtet, schlägt er Ortlieb den Kopf ab. In rasendem Zorn tötet er außerdem den Erzieher des Kindes und schlägt einem Spielmann die Hand ab. Die burgundischen Könige können Hagen nicht mehr aufhalten. Es folgt ein heftiger Kampf zwischen den Burgunden und den Hunnen. Mit der Hilfe Dietrichs können Kriemhild und Etzel dem Kampfgeschehen entkommen. Alle anderen Hunnen im Saal werden von den Burgunden getötet (ffventiure 33: Strophen B 1948–2005). Die Burgunden werfen 7000 Tote aus dem Saal. Vom Saal aus verspottet Hagen Etzel, der daraufhin in den Kampf eingreifen will. Er wird aber von Kriemhild und seinen Männern davon abgehalten. Kriemhild verspricht demjenigen, der Hagen tötet, große Schätze. Auch Volker verspottet die Hunnen (ffventiure 34: Strophen B 2006–2024). Der Markgraf Iring von Dänemark, der auf der Seite der Hunnen kämpft, tritt allein gegen Hagen an. Er kann Hagen nicht besiegen und greift daraufhin ohne Erfolg nacheinander Volker, Gunther, Gernot und Giselher an. Giselher betäubt ihn mit einem Schlag auf dem Helm. Als Iring zu sich kommt, nutzt er den Moment, in dem alle denken, dass er gestorben sei, greift Hagen erneut
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an und verletzt ihn leicht. Er flüchtet aus dem Saal und wird von den Hunnen sehr gelobt. Iring versucht erneut, Hagen zu besiegen, und wird nunmehr von Hagen getötet. Es finden weitere Einzelkämpfe statt, in denen die Burgunden siegen (ffventiure 35: Strophen B 2025–2077). Gegen Abend folgt ein erneuter Angriff der Hunnen. Nach diesem wollen die Burgunden über einen Waffenstillstand verhandeln. Dieser wird ihnen allerdings nicht gewährt, da Etzel nach dem Mord an seinem Sohn nicht mehr zu Friedensverhandlungen bereit ist. Kriemhild fordert die Auslieferung Hagens, auf diese Forderung gehen die Burgunden aber nicht ein. Die Burgunden werden, nachdem die Verhandlungen gescheitert sind, wieder in den Saal getrieben, und Kriemhild befiehlt, die Halle anzuzünden. Die Burgunden schützen sich mit ihren Schilden vor dem Feuer; 600 Burgunden überleben so die Nacht. Am nächsten Morgen gehen die Kämpfe weiter (ffventiure 36: Strophen B 2078–2131). Rüdiger versucht mit Dietrichs Hilfe, zwischen den Fronten zu vermitteln. Hier erinnert ihn Kriemhild an sein Treueversprechen, und auch Etzel fordert ihn auf, ihm seinen Waffendienst zu leisten. Aufgrund seiner Treue zu den Burgunden hätte er diesen Befehl gern verweigert. Rüdiger entscheidet sich, seinem Lehenseid zu folgen und gegen die Burgunden zu kämpfen. Die Burgunden sind erschrocken durch Rüdigers Vorhaben, sie können ihn jedoch nicht mehr umstimmen. Hagen teilt Rüdiger mit, dass er seinen Schild verloren habe, und bittet Rüdiger um dessen Schild. Rüdiger gewährt ihm diese für ihn sehr gefährliche Bitte und zeigt damit seine Großmut. Hagen und Volker schwören, Rüdiger im Kampf nicht gegenüberzutreten. Rüdiger und Gernot töten sich im Kampf gegenseitig; auch alle Männer Rüdigers sterben (ffventiure 37: Strophen B 2132–2231). Rüdigers Tod löst laute Klagen aus. Man teilt Dietrich mit, dass Rüdiger gefallen sei. Hildebrand bittet um den Leichnam Rüdigers. Diese Bitte wird nicht gewährt, was ein hitziges Wortgefecht nach sich zieht und zum Kampf zwischen Dietrichs Gefolgschaft und den Burgunden führt. Hildebrand tötet Volker, Helfrich tötet Dankwart, Giselher und Wolfhart töten sich gegenseitig. Hildebrand wird von Hagen verwundet und flieht aus dem Saal. Er ist der einzige Überlebende von Dietrichs Mannen und berichtet Dietrich, was geschehen ist. Von den Burgunden überleben nur Gunther und Hagen (ffventiure 38: Strophen B 2232–2320). Dietrich und Hildebrand gehen zum Saal. Dietrich bietet zunächst an, Gunther und Hagen vor den Hunnen zu beschützen, falls sie sich ihm als Geisel ergeben. Doch Hagen lehnt dies ab, was einen Streit mit Hildebrand auslöst. Infolgedessen kommt es zum Kampf zwischen Dietrich und Hagen, in dem Hagen bezwungen und gefesselt werden kann. Gleiches geschieht Gunther. Beide werden an Kriemhild ausgeliefert. Es kommt zu einer letzten Auseinandersetzung zwischen Kriemhild und Hagen. Kriemhild will, dass dieser ihr zurückgebe, was er ihr genommen habe. Hagen bezieht dies nicht auf Siegfried, sondern auf den Nibelungenhort; er antwortet, dass er ihr dessen Versteck, solange noch einer seiner Herren lebe, nicht sagen dürfe. Daraufhin lässt Kriemhild Gunther enthaupten und trägt dessen Kopf vor Hagen. Dieser weigert sich nun weiterhin, Kriemhild den Ort des Schatzes preiszugeben. Sie nimmt Siegfrieds Schwert und schlägt ihm damit den Kopf ab. Der beste Held ist nun von einer Frau erschlagen worden, was für
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Hildebrand unerträglich ist, der Kriemhild daraufhin tötet. In großer Trauer um Verwandte und Gefolgsleute bleiben Dietrich, Hildebrand und Etzel zurück (ffventiure 39: Strophen B 2321–2376).
3. Epoche und Literatur Mittelhochdeutsche Klassik
Heldenepik, höfische Epik
Antikenroman, Spielmannsepik
Die deutsche Sprache und Literatur wurden seit der karolingischen Periode im späten 8., im 9. und im frühen 10. Jahrhundert schriftfähig, worauf im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert eine Phase folgte, in der ihnen relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nach zaghaften Neuanfängen im späten 11. und frühen 12. Jahrhundert konnte das Deutsche in der Zeit um 1200 nunmehr endgültig seine Position als literaturfähige Sprache etablieren (Haubrichs 21995, Vollmann-Profe 21994, Johnson 1999). In diese „Blütezeit“ der so genannten Mittelhochdeutschen Klassik (ca. 1150–1220) ist auch das „Nibelungenlied“ einzuordnen. In dieser literaturgeschichtlich höchst einflussreichen, aber relativ kurzen Zeitspanne werden im deutschen Sprachraum mehrere erzählende Texte verschriftlicht oder verfasst, die unterschiedliche Teilgattungen der Epik repräsentieren und um die Aufmerksamkeit des Publikums werben, wobei sie offensichtlich in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Die deutschsprachige Heldenepik bezieht sich auf einen Stoffkreis, der germanischen Ursprungs ist und wohl weder lateinische noch französische Vermittlungsformen kennt (s. einführend Millet 2008), während die höfische Epik in Deutschland, vertreten insbesondere durch die Artusepik, auf französischen Vorlagen basiert und neue Normen und Ideale eines höfischen Miteinanders formuliert (Mertens 1998). In den Werken der drei großen Autoren der mittelalterlichen hochhöfischen Epik, Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg, sehen auch bereits die Autoren des 13. Jahrhunderts die wichtigsten Vorreiter und Vorbilder für eine neue literarische Tradition, von der auch das (dem Stoff nach der Heldenepik zuzuordnende) „Nibelungenlied“ nicht unbeeinflusst blieb. Neben der Heldenepik und der höfischen Epik etablieren sich um 1200 auch andere Stofftraditionen in deutscher Sprache. Der Antikenroman, vertreten insbesondere durch Heinrich von Veldeke mit seinem „Eneasroman“, hatte bereits vor der Artusepik erste Impulse für das neue Selbstbewusstsein der Autoren deutscher Erzähltexte gegeben; Veldeke wird von den Autoren der Artusepik explizit als Vorbild genannt. In verschiedenen Trojaromanen, etwa Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg, findet die mittelalterliche Adaptation antiker Stoffe Nachahmer bzw. Fortsetzer, die ein großes Publikum begeisterten, wie sich anhand der hohen Anzahl von Handschriften dieser Texte nachweisen lässt (Lienert 2001). Schmaler überliefert ist die relativ kleine Textgruppe der so genannten „Spielmannsepen“ (Schröder 2 1967; zur Problematik der fehlenden Geschlossenheit dieser epischen Teilgattung s. Brandt 2005). Die „Spielmannsepik“ wird von den Autoren der höfischen Epik offensichtlich kaum zur Kenntnis genommen, auch wenn sie umgekehrt selbst durchaus von der höfischen Epik beeinflusst wurde. Neben diesen großepischen Teilgattungen widmet sich gerade das 13. Jahrhundert verstärkt der Kleinepik (Grubmüller 2006; Ehrismann [im Druck]).
3. Epoche und Literatur
Nicht nur im Bereich der Epik kennt die Zeit um 1200 eine beeindruckende Fülle und Vielseitigkeit von Texten und Gattungen: Es sei zumindest kurz daran erinnert, dass zeitgleich die Lyrik eine Blütezeit erlebt. Neben dem Minnesang (Schweikle 21995, Herchert 2010) gewinnt die Sangspruchdichtung an Bedeutung (Tervooren 22001), während gleichzeitig in der dritten mittelalterlichen lyrischen Teilgattung, dem Leich (s. Apfelböck 1991, Kreibich 2000), hochkomplexe Formen geschaffen werden. All dies darf als Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins deutscher Dichter interpretiert werden, gerade in Auseinandersetzung mit der französischen Hofkultur, die zwar wichtige Impulse für die Entstehung der deutschen höfischen Kultur gab, gleichzeitig aber eine Emanzipation der deutschen Literatur veranlasste – teils in bewusstem Rückgriff auf die französische (und lateinische), teils in selbstbewusster Absetzung von ihr. Die Zuordnung des „Nibelungenliedes“ zur Heldenepik, die aufgrund des Stoffes erfolgt, wird von der Strophenform des Textes bestätigt (s. dazu S. 35–38). Gleichzeitig ist es jedoch problematisch, das „Nibelungenlied“ als einen typischen Vertreter der Heldenepik zu bezeichnen. Denn charakteristisch ist für diesen Text, dass er bezüglich seiner Form wie auch im Hinblick auf seinen Inhalt einerseits literarische Gestaltungs- und Interpretationsmuster benutzt, die der Heldenepik verpflichtet sind, andererseits aber auch solche, die der höfischen Erzähltradition entstammen. Dies führt textintern zu auffälligen Spannungen, etwa in der Figurencharakterisierung: Die Stilisierung Siegfrieds zu einem wohlerzogenen, das höfische Ritual der Schwertleite erlebenden jungen Adligen z. B. (vgl. die Strophen B 21–40 der ffventiure 2) ist schwer mit dem Bild des nach heldenepischem Muster herausfordernden Recken in ffventiure 3 (B 104–108) vereinbar oder auch mit der Darstellung des heroisch gegen Drachen, Riesen und Zwerge kämpfenden Helden, der dabei zudem jeden Zug des in der Artusepik bevorzugten höfisch-diplomatischen Vermittlers vermissen lässt (vgl. die Strophen B 84–99 und 484–502: In B 89–94 wird beschrieben, dass Siegfried ohne erkennbaren Anlass die Könige Schilbung und Nibelung erschlägt, obwohl diese ihn um Hilfe bei der Teilung des Schatzes gebeten hatten; vgl. J.-D. Müller 1998, 132 f.). Jeder Versuch, solche Brüche im Text durch intuitiv psychologisierende Deutungen glätten zu wollen, die von neuzeitlichen Kohärenzmodellen ausgehen und über die gelegentlichen psychologisierenden Hinweise im Text selbst (J.-D. Müller 1998, 201–248) hinausgehen, verkennt die Eigenart des „Nibelungenliedes“. In diesem Text, und dies hebt ihn von allen anderen mittelalterlichen Großepen ab, bleibt ein deutlich spürbares Spannungsfeld von heroischen und höfischen Deutungsmustern und Handlungsnormen vorhanden. Dieses Spannungsfeld, das verstärkt wird durch die Brüche, die sich aus den divergierenden Stoffgeschichten des ersten und zweiten Teils des Werkes ergeben, gilt es zu benennen, als disharmonisch zu ertragen und zu analysieren, wenn man den Text nicht mit Gewalt einer vereindeutigenden und damit simplifizierenden Interpretation unterwerfen will (vgl. J.-D. Müller 1998, 13; ein Musterbeispiel für eine solche fälschlich psychologisierende und harmonisierende Deutung, das zeigt, dass diese Forschungsposition leider nicht von allen Wissenschaftlern rezipiert wird, ist die moderne Darstellung des „Nibelungenliedes“ „erzählt von Kriem-
Lyrik
„Nibelungenlied“: Heldenepik und höfische Epik
Interpretierbarkeit des „Nibelungenliedes“
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I. Einleitung
hild“ von Waligora 2008; auch Gephart 2005, 18 lässt der „Phantasie des [modernen] Lesers“ und einer tiefenpsychologischen Deutung der Figuren unangemessen großen Freiraum). Dabei ist das Unbehagen an den genannten Brüchen im Text kein ausschließlich neuzeitliches: Bereits die mittelalterlichen Fassungen des „Nibelungenliedes“ weisen Differenzen in der Interpretation und Ausgestaltung einzelner Figuren auf, insbesondere der Kriemhild (vgl. S. 51, 59, 107, 112, 117) – und die parallel entstandene „Nibelungenklage“ stülpt dem Werk ein Interpretationsangebot über, das kaum vom Ursprungstext getragen wird. Es wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen, dass der Autor des „Nibelungenliedes“ nicht auf eine schnelle und eindeutige Interpretation hin dichtete, sondern die Rezipienten durch Mehrfachperspektiven auf die Geschehnisse zu eigenen Deutungen des Textes anregen wollte. Im Einzelnen sind Brüche, gelegentlich auch Fehler im Text zu erkennen (so stickt Kriemhild das Kreuz, das Siegfrieds verwundbare Stelle markiert, auf ein Gewand, das Siegfried zur Jagd nicht mehr trägt, Hagen tritt jedoch so nahe an Siegfried heran, bis er das Zeichen sehen kann, B 977.4, und schießt dann den Speer durch daz kriuze, B 978.2). Einzelne zentrale Interpretationsfragen, wie die Hortforderung (S. 48 f.), sind auch heute noch umstritten. In der Forschung vertreten deswegen einige Wissenschaftler die Meinung, dem Autor sei die Aufgabe nicht gelungen, aus den mündlichen Sagen „einen l i t e r a r i s c h e n Text zu konstituieren, sie mittels der Erzähltechniken, Erzählmodelle, Deutungsmuster, die in der literarischen Tradition ausgebildet waren, in diese einzuformen“ (Heinzle 1987/1994, 64; Hervorhebung bei Heinzle). Eine genaue Betrachtung der wichtigsten narrativen Gestaltungsmöglichkeiten, hier: die Untersuchung der Struktur des Werkes und der Gestaltung der Dialoge, zeigt, dass eine sinnvolle und durchdachte Erzählweise angesetzt werden darf, die bisher längst nicht in jedem Detail aufgedeckt worden ist. Die dem „Nibelungenlied“ eigene literarische Ästhetik kann damit genauer und angemessener beschrieben werden. Solche „Strategien der Sinnunterstellung“ (Heinzle 1995, 85) mögen erlaubt sein, um das Werk trotz seiner „Unvollkommenheit“ (ebd.) würdigen zu können und die in den einzelnen Szenen jeweils gültigen „Spielregeln“ (J.-D. Müller 1998) zu verstehen.
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung Anonymität der Heldenepik
Im „Nibelungenlied“ wird, anders als dies in der ungefähr zeitgleich verschriftlichten Artusepik üblich ist, kein Autor genannt. Für die Heldenepik ist dies keine Seltenheit: Auch für das „Eckenlied“, die Dietrichepen (wie etwa „Biterolf und Dietleib“, „Ortnit“ oder die „Virginal“) und noch für die „Kudrun“ fehlen Hinweise auf die Autoren der Werke. Anders als bei sonstigen Texten des Mittelalters wurde das „Nibelungenlied“ nicht nachträglich einem Autor zugeschrieben: Es gibt keine einzige mittelalterliche oder frühneuzeitliche Handschrift des Textes, die einen Autornamen nennt. Die mittelalterlichen Rezipienten selbst respektierten somit die offensichtlich gattungsbedingte Anonymität des „Nibelungenliedes“. Erst die Forschung des 19. Jahrhunderts begann eine Reihe verschiedenster Spekulationen über
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
den Autor, die von Walther von der Vogelweide über Konrad von Würzburg bis zu einer Niedernburger Nonne und einem jüdischen Gelehrten reichten (eine Zusammenfassung der Hypothesen findet sich bei Schulze 2006, 23–32; zur Nonne s. zuletzt Lösel-Wieland-Engelmann 1983, zum jüdischen Gelehrten Kreis 2002). Sicher ist, dass eine solide Bildung die Voraussetzung für die Erschaffung des „Nibelungenliedes“ war (vgl. Knapp 1987/ 2005, Ehrismann 2005, 9, 12 f.). Bumke 1996 vertrat als erster den Ansatz, dass in einer Art ,Nibelungenwerkstatt‘ gleichzeitig mehrere Redaktoren am Werk waren, die auch für die „Nibelungenklage“ verantwortlich zeichneten. Nach Haferland sind die Hauptfassungen beider Texte in einem Zeitfenster entstanden, das „sicher nicht viel mehr, möglicherweise aber auch weniger als zwei Jahrzehnte“ umfasste (Haferland 2006, 197). Wolfger von Erla, Bischof von Passau von 1191–1204, könnte der Auftraggeber oder Mäzen der Verschriftlichung des „Nibelungenliedes“ gewesen sein. Dafür sprechen drei Indizien: Erstens zeigt der Text gute geographische Kenntnisse im Raum um Passau. Zweitens ist Wolfger als Gönner Walthers von der Vogelweide belegt („Der achthundertjährige Pelzrock“ 22006), so dass ihm ein Interesse an volkssprachlicher weltlicher Literatur unterstellt werden darf. Drittens tritt die literarische Figur eines Bischofs Pilgrim von Passau im „Nibelungenlied“ an mehreren Stellen in Erscheinung (vgl. die Strophen B 1293–1296, 1424–1425, 1492, 1624–1627); dieser Bischof könnte als Spiegelbild des Auftraggebers bzw. Gönners in das Werk aufgenommen worden sein. Die Zuschreibung des „Nibelungenliedes“ an Wolfger als Auftraggeber oder Mäzen ist eine bisher nicht verifizierte, aber annehmbare Hypothese (Bumke 1999, 14). Im „Nibelungenlied“, wie es um 1200 verschriftlicht wurde, werden verschiedene Stoffkreise zusammengefügt, die Erinnerungen an historische Begebenheiten bewahren (s. dazu Schulze 2006, 60–81 mit weiterführender Literatur). Der ostgermanische Stamm der Burgunden war aller Wahrscheinlichkeit nach seit Anfang des 5. Jahrhunderts am Rhein angesiedelt, wie aus schriftlichen Quellen hervorgeht, etwa den „Leges Burgundionum“ (vor 516 entstanden). Der dort genannte König Gundahariu[s] dürfte für König Gunther im „Nibelungenlied“ Pate gestanden haben, und im Verwandten des Gundaharius, Gislahariu[s], erkennt man den im „Nibelungenlied“ genannten Bruder Gunthers, Giselher („Leges Burgundionum“ 1892, 43). Die Burgunden wurden im Jahr 436 oder 437 vom römischen Feldherrn Aetius besiegt, der zeitweise die Unterstützung hunnischer Truppen hatte; dies wird etwa in der im 5. Jahrhundert entstandenen „Chronica Gallica“ beschrieben („Chronica Gallica“ 1892, 660). Die schriftlichen Quellen verweisen somit eindeutig auf die Präsenz der Burgunden im Gebiet am Rhein, jedoch ist die Deutung der archäologischen Funde aus dieser Zeit umstritten (s. zuletzt Ghosh 2007 und den Sammelband „Die Burgunder“ 2008). Erst später im 5. Jahrhundert verlagerte sich das Herrschaftsgebiet der Burgunden in das Gebiet des heutigen Frankreich. Auch für den Etzel des „Nibelungenliedes“ gibt es eine historische Vorlage: Der Hunnenkönig Attila, dessen Name sich in Deutschland durch die Zweite Lautverschiebung und den Umlaut zu Etzel veränderte, führte die Hunnen bis zu seinem Tod im Jahr 453 an, er war allerdings wohl nicht an Aetius’ Kriegszug gegen die Burgunden beteiligt. Auch er wird in der „Chro-
Wolfger von Erla als Mäzen?
historisches Substrat: die Burgunden
Hunnen
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24
I. Einleitung
Theoderich
Brünhild
Chronologie historischer Ereignisse
nica Gallica“ genannt, zusammen mit seinem Bruder Bleda („Chronica Gallica“ 1892, 660), der im „Nibelungenlied“ als Blœdelîn (B 1348.4 u. ö.) bezeichnet wird. Die Figur Dietrichs von Bern (= Verona), die nicht nur im „Nibelungenlied“, sondern auch in verschiedenen weiteren heldenepischen Texten auftritt, wird mit Theoderich dem Großen in Verbindung gebracht. Dieser war in den Jahren 493–526 König der Ostgoten, er lebte somit deutlich später als die genannten Burgundenkönige und Attila/Etzel. Auch im Fall der Königin Brünhild des „Nibelungenliedes“ darf ein historisches Substrat angenommen werden, da im späten 6. Jahrhundert eine westgotische Königin namens Brunichild lebte, die in Familienstreitigkeiten verwickelt war. Durch die Brünhild des „Nibelungenliedes“ wird damit an eine weitere historische Person erinnert (J.-D. Müller 32009, 23, spricht von der „Anlagerung[.] weiterer historischer Komplexe“), die keinesfalls gleichzeitig mit den anderen im Text genannten Fürsten gelebt hat. Der Text blendet auf diese Art und Weise verschiedene historische Schichten zu einem Erzählkontinuum zusammen, in dem weniger die einzelnen Fakten von Bedeutung sind als vielmehr die Deutung der Geschichte als Folge allgemeinmenschlicher Gefühle wie Hybris, Habsucht, Liebe und Rache. Bereits im Hochmittelalter wird gelegentlich darauf hingewiesen, dass die genannten historisch nachweisbaren Fürsten keine Zeitgenossen waren, es sich somit in den Erzähltexten eher um literarische Figuren als um historische Personen handelt. So führt etwa die um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene „Kaiserchronik“ aus (Schulze 2006, 75 verweist auf die Passage, die hier vollständig zitiert sei, s. „Deutsche Chroniken“ 1892, 337): Swer nû welle bewæren, daz Dieterîch Ezzelen sæhe, der haize daz buoch vur tragen. do der chunic Ezzel ze Ovene wart begraben, 14180 dar nâch stuont iz vur wâr driu unde fierzech jâr, daz Dieterîch wart geborn. ze Chriechen wart er rezogen, dâ er daz swert umbe bant, 14185 ze Rôme wart er gesant, ze Vulkân wart er begraben. hie meget ir der luge wol ain ende haben. (Wer nun behaupten wollte, dass Dietrich Etzel je gesehen hätte, der soll das Buch herbeibringen, [in dem das steht]. Als König Etzel zu Ovene begraben wurde, dauerte es wahrhaftig 43 Jahre, bevor Dietrich geboren wurde. Dieser wurde in Griechenland erzogen, wo er das Schwert nahm; er wurde nach Rom geschickt und in Vulkân begraben. Darin sollt ihr das Ende dieser Lüge [dass nämlich Dietrich und Etzel zur gleichen Zeit gelebt hätten] erkennen. Vgl. dazu den Stellenkommentar von Schröder: „Indem der chronist hier gegen die chronologische zusammenrückung des Theoderich mit Attila, wie sie dem volksepos geläufig ist, protestiert, will er zugleich für seine eigene wirre darstellung den glauben an eine schriftliche vorlage erwecken“.)
Die „Kaiserchronik“ entstand, bevor das „Nibelungenlied“ verschriftlicht wurde. Sie verweist auf allgemein kursierende Fehlannahmen über die
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
Chronologie der Ereignisse im 5. und 6. Jahrhundert, wie sie möglicherweise in mündlich tradierten Vorformen des „Nibelungenliedes“ erzählt wurden. Ein solches Zeugnis ruft in Erinnerung, dass die verschiedenen sozialen Kreise und Bildungsschichten im Mittelalter über durchaus unterschiedliche Wissensbestände verfügten. Sie erachteten es außerdem offensichtlich für unterschiedlich wichtig, ob historische Chronologien eingehalten wurden oder nicht. Die Erzählliteratur jedenfalls setzt sich offenbar mit einiger Leichtigkeit über die Grenzen der historischen Plausibilität hinweg. Die Stoffe der beiden Teile des „Nibelungenliedes“, die Geschichten um die Ermordung Siegfrieds und um die Rache Kriemhilds, dürften im Mittelalter mündlich weit verbreitet gewesen sein. Die Tatsache, dass bereits im 8. und 9. Jahrhundert in verschiedenen Adelsfamilien Namen aus dem Nibelungenstoff überliefert sind, gibt einen Hinweis auf die Bekanntheit des Stoffes weit vor seiner Verschriftlichung (Störmer 1987). In bildlicher Form verweisen außerdem im Nordwesten Europas Zeugnisse wie der Stein von Ramsundsberg in Schweden (erste Hälfte des 11. Jahrhunderts) auf Siegfrieds Kampf mit dem Drachen (s. „Uns ist in alten Mären“ 2003, 61 f.) und beweisen somit, dass es jenseits einer ausformulierten schriftlichen Fassung noch andere Formen der Tradierung des Stoffes gegeben hat. Jedoch dauerte es in Deutschland bis um 1200, in den skandinavischen Ländern bis in das 13. Jahrhundert, bevor der Stoff das für volkssprachliches Erzählgut noch relativ neue Medium des schriftlichen Codex, der Pergamenthandschrift, erreichte. Seine Verschriftlichung führte in Deutschland von Anfang an zu einer relativ weit verbreiteten und einheitlichen Textform, die jedoch sehr deutlich von anderen Traditionen wie der nordischen „Edda“-Überlieferung abweicht. Charakteristisch ist, dass das deutsche „Nibelungenlied“ ausblendet, dass sich Brünhild und Siegfried bereits gekannt hätten, bevor Siegfried um Kriemhild wirbt, wodurch Siegfrieds Liebe zu Kriemhild stärker dem höfischen Ideal der ,jungfräulich‘-treuen Vorbestimmtheit eines Paares füreinander angeglichen werden konnte. Auch andere mythische Elemente des Nibelungenstoffes, insbesondere der Siegfried-Figur (Stech 1993, 25 f.), werden im „Nibelungenlied“ entweder als bekannt vorausgesetzt, als irrelevant ausgelassen oder bewusst verändert. Siegfried etwa wächst im höfischen Milieu auf und nicht bei einem Schmied, wie in der „Thidrekssaga“; entsprechend ist im „Nibelungenlied“ das Schwert Balmung nicht von Siegfried selbst geschmiedet worden, sondern ein Geschenk der Könige Nibelung und Schilbung, also Bestandteil des Nibelungenhortes. Auffällig ist die Art und Weise, wie diejenigen heroisch-mythischen Details zu Siegfrieds Leben, die für den Handlungsverlauf unverzichtbar sind (seine Unverwundbarkeit und die Tarnkappe), vom Autor des „Nibelungenliedes“ auf die Ebene des Vorwissens der Figuren verlagert werden (Mertens 1996, J.-D. Müller 1998, 125–136): Nicht im Erzählerbericht, sondern aus Hagens Mund erfährt man in der Welt des „Nibelungenliedes“ von Siegfrieds Bad im Drachenblut (B 98), und erst in den Strophen B 896–899 wird Kriemhild die Erzählung über das Lindenblatt, das Siegfrieds verwundbare Stelle verursacht hatte, in den Mund gelegt (Young 2007, 234 f. spricht davon, dass Hagens Worte diese heroische Seite Siegfrieds erst generierten, jedoch ist Hagen allenfalls der erste, der auf den Aspekt des Heroischen zu sprechen kommt). Die Ent-Mythisierung des Stof-
andere Fassungen des Nibelungenstoffes
Ent-Mythisierung
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I. Einleitung
handschriftliche Varianz
fes wird in der „Nibelungenklage“ noch stärker vorangetrieben, indem hier weder von der Unverwundbarkeit Siegfrieds, noch von seinem Gebrauch der Tarnkappe die Rede ist. Die Formulierung, dass die deutsche Texttradition des „Nibelungenliedes“ „relativ […] einheitlich“ sei, wurde bewusst gewählt, da auch die deutschsprachigen Handschriften untereinander gewisse Differenzen aufweisen, so dass die Bezeichnung des „Nibelungenliedes“ als eines ,unfesten‘ Textes berechtigt ist. Die drei wichtigsten Handschriften wurden mit den Siglen A, B und C versehen: – A: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 34; – B: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Ms. 857; – C: Karlsruhe (früher Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek), Ms. Donaueschingen 63.
*A, *B oder *C als ,Original‘?
*A
Diese drei Handschriften repräsentieren Fassungen, die (als Abstrakta, zur Unterscheidung von den einzelnen konkreten Handschriften) mit einem Asterisk gekennzeichnet werden: Die gesamte Überlieferung des „Nibelungenliedes“ kann in die Fassungen *A, *B und *C unterteilt werden, alle Handschriften enthalten somit jeweils einen Text, der entweder der Handschrift A, B oder C sehr nahesteht. Das Erzählgerüst ist auf der Makroebene in allen drei Fassungen identisch, so dass vermutet werden darf, dass sie in großer Nähe zueinander entstanden sind (s. S. 23). Dennoch weichen die drei Fassungen in verschiedenen Aspekten auf der Meso- und Mikroebene deutlich voneinander ab, wie sich bereits bei der Zahl ihrer Strophen zeigt: Fassung *A enthält 2316 Strophen, *B 2376 und *C 2439 (gezählt nach den Haupthandschriften A, B und C; s. Batts 1971). Dies ist nicht etwa die Folge eines linearen Erweiterungs- oder Kürzungsprozesses: Gegenüber der Handschrift B etwa enthält C zwar 96 zusätzliche Strophen, es sind umgekehrt allerdings auch in B 33 Strophen überliefert, die in C fehlen. Dies hängt damit zusammen, dass die drei Handschriften bzw. Fassungen inhaltliche Abweichungen aufweisen: Bedeutsam erscheint insbesondere, dass die Fassung *C gegenüber *A und *B eine Umakzentuierung der Hauptfiguren vornimmt, die das Hinzudichten weiterer Einzelheiten notwendig machte (Näheres dazu in Kapitel II und III). In der Forschung war lange Zeit umstritten, welche der drei Fassungen als ,das‘ Original des Textes zu gelten habe. Keine der erhaltenen Handschriften ist datiert, für eine zeitliche Einordnung der Codices ist man somit auf weiche kodikologische (= buchtechnische, -geschichtliche) Kriterien wie auf die vergleichende Untersuchung der Schrift und des Buchschmucks angewiesen, anhand derer heute als gesichert gilt, dass die Handschrift C älter ist als die Handschriften A und B. Dass die Altersbestimmung dieser Handschriften keine unumstößlich exakten Daten liefern kann, ist jedoch für die Überlegungen zum Alter der Fassungen nicht von wesentlichem Gewicht: Alle Hauptcodices weisen bestimmte Leitfehler auf, die als Indizien dafür verstanden werden dürfen, dass sie ihrerseits ältere Handschriften kopierten. Eine (relativ gesehen) jüngere Handschrift kann auf diese Weise durchaus eine ältere Vorlage, eine ältere Fassung vertreten. Der berühmte Philologe Karl Lachmann, der für die mittelalterlichen Texte die Methode der Textkritik entwickelte, ging von einer Theorie aus,
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
der zufolge der verschriftlichten Fassung des „Nibelungenliedes“ eine Reihe von 20 einzelnen, zunächst mündlich überlieferten Liedern zugrunde lag. Er betrachtete aufgrund dessen die Fassung *A als die ursprüngliche. Nach eigenen Aussagen strebte er in seiner Edition „nach dem ältesten [Text], der zu erreichen war“; „was willkühr des schreibers, was allzu barbarisch war, muste hinweg geschafft werden“ (Lachmann 1826, VII). Dabei verfuhr Lachmann relativ rigoros mit dem in der Handschrift A enthaltenen Material: Da er davon ausging, dass A die ursprünglichen Lieder bereits in stark verderbter Form enthielte, markierte er in einer Neuauflage seiner Ausgabe (1841, 51878) gut 720 der 2316 in A enthaltenen Strophen durch Kursivdruck als (vermeintliche) Zusätze. Für die Fassung *C sprach sich dagegen insbesondere Holtzmann 1857 aus (vgl. auch Zarncke 1856, der den Text nach der Handschrift C edierte; zum „Nibelungenstreit“, den die Frage nach der ältesten Fassung auslöste, s. Kolk 1990). Ausschlaggebend war für diese These, dass die Fassung *C den Stoff widerspruchsfreier wiedergibt als *B und insbesondere *A. Es erscheint allerdings eher glaubhaft, dass ein in sich widersprüchlicher Stoff nachträglich geglättet wird, als dass umgekehrt ein in Bezug auf den Erzählverlauf einwandfreier Text nachträglich unter Verunklärung der Handlungslogik nacherzählt würde. Vor allem Bartsch 1865 vertrat deswegen die These, die Fassung *B sei die älteste. In der Forschung der letzten Jahrzehnte hat sich ein gewisser Konsens gebildet, dass die Fassung *C eine sehr zeitnahe redaktionelle Überarbeitung von *A/*B sein dürfte, die Unstimmigkeiten und Motivationsdefizite, wie sie die Fassungen *A/*B aufweisen, beseitigt bzw. entschärft (Heinzle 2003, 195). Unumstritten ist diese These allerdings auch heute nicht (vgl. Breuer 2006). Problematisch ist, dass sich Bartsch in seiner 1870 erstmalig erschienenen Edition, die in späteren Auflagen von de Boor ergänzt und korrigiert wurde, nicht ausschließlich an die Handschrift B hielt: Er erweiterte diese anhand der Fassungen *A und *C. Die berühmte ,erste‘ Strophe des „Nibelungenliedes“ etwa (Uns ist in alten maeren wunders vil geseit […], C 1.1) ist zwar in den Codices A und C enthalten, nicht aber in der Handschrift B. Die so genannte Bartsch/de Boor-Fassung bildete die Grundlage für die zweisprachigen Ausgaben sowohl von Brackert 22008 als auch von Grosse 1997 (zur Kritik an Brackerts zwar gut lesbarer, aber wenig textnaher Übersetzung s. Hoffmann 2004). Die lange Zeit meistrezipierte Fassung des „Nibelungenliedes“ war somit keine reine Wiedergabe einer der Großfassungen *A, *B oder *C, sondern eine Mischform aus ihnen. Zwar lagen bereits einsprachige Editionen anhand der wichtigsten einzelnen Handschriften des „Nibelungenliedes“ vor (S. 30); erst die Neuausgabe von Schulze/Grosse 2010 setzt dem aus editionsphilologischer Perspektive höchst unbefriedigenden Zustand, dass alle gängigen zweisprachigen Ausgaben eine Mischfassung wiedergaben, nunmehr ein Ende, da sie strikt nach der Handschrift B ediert. Heute sind insgesamt noch 34 vollständig oder fragmentarisch erhaltene Handschriften des „Nibelungenliedes“ bekannt. Eine wissenschaftlich fundierte und ständig aktualisierte Zusammenstellung findet sich unter http:// www.handschriftencensus.de („Gesamtverzeichnis Autoren/Werke“, in der alphabetischen Liste unter „N“ für das „Nibelungenlied“ bzw. unter „K“ für
*C
*B
Neuedition
Gesamtüberlieferung
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I. Einleitung
die [Nibelungen-]„Klage“; vgl. auch Klein 2003). Es lässt sich zurzeit die folgende Liste erarbeiten, wobei die Siglen mit Großbuchstaben auf frühe Pergamenthandschriften verweisen, diejenigen mit Kleinbuchstaben jedoch auf späte Pergament- bzw. Papierhandschriften (zur Verteilung der Codices auf die Fassungen s. S. 34): A: B:
C:
D: E: F:
H: J (I): K:
L:
M: N:
O: Q:
München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 34; St. Gallen, Stiftsbibliothek, Ms. 857; Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 1021; Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. K 2037 (diese Teile bilden zusammen eine Handschrift, wobei das Berliner Fragment lediglich fünf, das Karlsruher lediglich ein Blatt umfasst, der St. Galler Codex dagegen 318); Karlsruhe, Landesbibliothek (früher Donaueschingen, Fürstlich Fürstenbergische Hofbibliothek), Ms. Donaueschingen 63 („Hohenems-Laßbergische Handschrift“); München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 31; Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fragm. 44 (Fragment); Alba Julia / Karlsburg, Bibliotheca Bátthyáneum, Cod. R III 70, Vorderspiegel [verschollen] (Fragment; es blieb kein beschriebenes Pergament erhalten, sondern lediglich ein so genannter Leimabklatsch, d. h. dass im Leim auf dem Vorderspiegel des Codex Reste der Tinte eines Blattes einer „Nibelungenlied“-Handschrift festgeklebt sind, die spiegelbildlich den Text einiger Strophen erkennbar machen); Privatbesitz [verschollen] (Fragment); Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 474; Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 587, 814 und 923 Nr. 13; Dülmen, Herzog von Croy’sche Verwaltung, Hausarchiv Nr. 54; Koblenz, Landeshauptarchiv, Best. 701 Nr. 759,60 (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind); Krakau, Biblioteka Jagiellon´ska, Berol. Ms. germ. quart. 635; Mainz, Martinus-Bibliothek, Fragm. aus Ink. 712 und Fragm. germ. 1; Mainz, Gutenberg-Museum, StB-Ink. 1634 (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind; im Gutenberg-Museum hat sich kein Blatt der Handschrift erhalten, sondern lediglich ein Leimabklatsch, vgl. die Angaben zur Handschrift F); Linz, Landesmuseum, Ms. 122 (Fragment); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 2841a und Hs. 4365a; Würzburg, Universitätsbibliothek, Dt. Fragm. 2 (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind); Krakau, Biblioteka Jagiellon´ska, Berol. Ms. germ. quart. 792 (Fragment); Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 511; München, Staatsarchiv, Fragmente-Sammlung A II 1; Rosenheim, Stadtarchiv, Hs-g 1 (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind);
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
R: S:
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 22066 (Fragment); Prag, Nationalbibliothek, Cod. XXIV.C.2 / Fragm. germ. 2; Prag, Nationalmuseum, Cod. I E a 1 und Cod. I E a 2 (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind); T: London, British Library, Ms. Egerton 2323a (Fragment); U: Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 42567; Brixen, Provinzbibliothek der Südtiroler Kapuziner, ohne Signatur (Fragmente einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in verschiedene Bibliotheken gekommen sind); V: Vorau, Stiftsbibliothek, Fragm. aus Cod. 138 (Fragment); W: Melk, Stiftsbibliothek, Fragm. germ. 6 (Fragment); X: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 14281 (Fragment); Y: Trient, Stadtbibliothek, Cod. 3035 (Fragment); Z: Klagenfurt, Universitätsbibliothek, Perg.-Hs. 46 (Fragment); a: Genf-Cologny, Bibliotheca Bodmeriana, Cod. Bodm. 117 („Maihinger Handschrift“); b: Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 855 („Hundeshagensche Handschrift“); c: Wien, Hofbibliothek, Cod. Q 4793 [verschollen]; d: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. ser. nov. 2663 („Ambraser Heldenbuch“); g: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 844 (Fragment); h: Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 681; i: Krakau, Biblioteka Jagiellon´ska, Berol. Ms. germ. quart. 669 (Fragment); k: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 15478 („Piaristenhandschrift“, „Lienhart Scheubels Heldenbuch“); l: Basel, Universitätsbibliothek, Cod. N I 1 Nr. 99a (Fragment); m: Darmstadt, Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 3249 („Darmstädter ffventiurenverzeichnis“) (Fragment: Es handelt sich um ein Blatt aus dem Inhaltsverzeichnis einer Handschrift, auf dem die Überschriften der ersten 28 ffventiuren mit den dazugehörigen Blattangaben vermerkt sind. Der Codex dürfte das vollständige „Nibelungenlied“ und wohl auch die „Nibelungenklage“ enthalten haben, es blieb aber nur das Inhaltsverzeichnis erhalten, und dies auch nur unvollständig); n: Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 856; Darmstadt, Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 4257 und Hs. 4314 (Teile einer Handschrift, die erst nach dem Mittelalter in unterschiedliche Bibliotheken gekommen sind). Hinzu kommen drei fragmentarisch überlieferte Handschriften der „Nibelungenklage“, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch das „Nibelungenlied“ enthielten, so dass sich die Anzahl der Handschriften auf 37 erhöht: AA: Amberg, Staatsarchiv, Handschriften-Fragmente 74 (Fragment); G: Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 64 (Fragment); P: Krakau, Biblioteka Jagiellon´ska, Berol. Ms. germ. quart. 1895 Nr. 8 (Fragment).
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I. Einleitung Faksimilia
Gedruckte Vollfaksimilia in Schwarz-Weiß wurden von Laistner 1886, „Das ,Nibelungenlied‘ und die ,Klage‘“ 1962, Engels 1968 und Schröder 1969 erstellt (nach den Handschriften A, B, C und erneut C), während von der vollständigen Handschrift B ein digitales Farbfaksimile auf CD-Rom vorliegt („Sankt Galler Nibelungenhandschrift“ 2003). Das „Ambraser Heldenbuch“ (d) wurde von Unterkircher 1973 faksimiliert (teils in Farbe). Farbabbildungen einzelner Seiten aus vielen der genannten Handschriften finden sich im Katalog „Uns ist in alten Mären“ 2003, 190–208. Darüber hinaus druckten Koennecke 1901, Batts 1971, 823–897 und „Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos“ 2003 ausgewählte Seiten aus den Handschriften in Schwarz-Weiß ab. Ehrismann 1977 veröffentlichte des Weiteren SchwarzWeiß-Faksimiles der vollständigen ffventiuren 1 und 30 aus allen damals bekannten Codices. Teilfaksimilia von B finden sich bei „Das ,Nibelungenlied‘ und die ,Klage‘“ 1962, Schirok 1989 und 2000; Hornung 1968 und Ruggenthaler 2001 haben Teilfaksimilia der Handschrift b publiziert. Darüber hinaus geben die folgenden Internetseiten Seiten aus den Handschriften wieder: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0003/bsb00035316/images/ [Vollfaksimile von A] http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/12Jh/ Nibelungen/nib_a_00.html [einige Seiten aus A] http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/12Jh/ Nibelungen/nib_b_00.html [einige Seiten aus B] http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/nib/uebersicht.html [Vollfaksimile von C] http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/12Jh/ Nibelungen/nib_c_00.html [einige Seiten aus C] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_fragm_44.jpg [eine Seite des Fragments E, zugänglich über http://www.handschriftencensus.de] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_mgf_474.jpg [eine Seite aus J (I), zugänglich über http://www.handschriftencensus.de] http://www.dbnl.org/tekst/_vad004vade01_01/ _vad004vade01_01_0001.htm [am Ende des Artikels Abbildung aller Seiten des Fragments T] http://www.ksbm.oeaw.ac.at/melk/nl/bild1.htm [Abbildung aller Seiten des Fragments W] http://www.e-codices.unifr.ch/de/db/0117 [Vollfaksimile von a] http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg844 [Vollfaksimile von g]
Editionen
Gedruckte Editionen nach einzelnen Handschriften finden sich bei Lachmann 1826/1841/1878 (Handschrift A), Zarncke 1856 (C), Holtzmann 1857 (C), Hennig 1977 (C), von Keller 1879 (k), Vorderstemann 2000 (n), Reichert 2005 (B), Schulze 2005 (C), Springeth 2007 (k), Schulze 2008 (C) und Ritter 22009 (b).
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
Textabdrucke der Fragmente T und m enthält Batts 1971, 797–800, der außerdem auf Editionen der anderen Fragmente verweist. Hinzugekommen sind die Editionen von W bei Glassner 1998 (mit Abbildung), von AA bei Klein 2002 (mit Abbildung), von L bei Klein 2004 (mit Abbildung) sowie des „Klage“-Teils von K (Fragment in Koblenz) bei Brommer 2006 (mit Abbildung). Im Internet sind darüber hinaus folgende Editionen greifbar: http://germanistik.univie.ac.at/links-texts/textkorpora/ [diplomatische (d. h. den Handschriften genau entsprechende) Editionen der Handschriften A, B, C, d und n von Hermann Reichert] http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/12Jh/ Nibelungen/nib_intr.html [diplomatische Editionen der Handschriften A, B und C] Sicher ist, dass es große Verluste gegeben haben muss, z. B. durch Brände oder sonstige Zerstörungen. Bei mittelalterlichen Texten kommen generell auf einen heute noch erhaltenen Codex mehrere verloren gegangene (zu den in der Forschung geäußerten Vermutungen über die Zahlenverhältnisse, die weit differieren, s. Becker 1977, 220 f.). Nicht nur durch Unfälle ist die Zahl der erhaltenen Codices reduziert worden; auch die Tatsache, dass im 16.–18. Jahrhundert insbesondere die mittelalterlichen Pergamenthandschriften nicht immer als Träger wertvoller Schriften gesehen wurden, sondern als reines Rohmaterial, dürfte zu weiteren Verlusten geführt haben. Die Fragmente F, G, K, L, S und V etwa waren ursprünglich Bestandteil vollständiger Codices, deren Blätter jedoch in späterer Zeit zerschnitten und für die Herstellung von Einbänden anderer, jüngerer Bücher verwendet wurden. Es haben sich damit durch Zufall zumindest Fragmente dieser Handschriften erhalten, deren Wiederauffinden ebenfalls von vielen Zufällen abhängig war. Die letzten Fragmente wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt (Klein 2002, Brommer 2006); es wird in den nächsten Jahrzehnten mit einiger Wahrscheinlichkeit weitere solcher Funde geben. In Bezug auf die Datierung der Textzeugen fällt ihre weite Streuung auf: Die ältesten Handschriften stammen noch aus nächster Nähe zur vermuteten Entstehungszeit des „Nibelungenliedes“ (Anfang des 13. Jahrhunderts), die jüngsten aus dem frühen 16. Jahrhundert. Im Einzelnen verteilen sich die Codices wie folgt:
verloren gegangene Handschriften
Datierung der Handschriften
– 16 Handschriften entstanden im 13. Jahrhundert oder um 1300. Es handelt sich dabei um A, B, C, E, F, G (um 1300), J (um 1300), K (um 1300), M (um 1300), O, R (um 1300), S, T (Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden), W, X und Z. – Zwölf weitere Codices wurden im 14. Jahrhundert niedergeschrieben: D, H, L, N, P, Q, U, V, Y, l, m und AA. – Aus dem 15. Jahrhundert stammen acht Handschriften, nämlich a, b, c, g (nach Angaben auf http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg844 stammt diese Handschrift vielmehr aus dem 16. Jahrhundert), h, i, k und n. – Im 16. Jahrhundert wurde nur noch eine Handschrift des „Nibelungenliedes“ hergestellt (d). Da nicht bekannt ist, wie viele Handschriften verloren gegangen sind, geben die erhaltenen Codices keine völlige Klarheit über die Überlieferungsdichte
keine Drucküberlieferung
31
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I. Einleitung
Überlieferung im Spätmittelalter
illustrierte Handschriften: Hundeshagen
Illustration in der Piaristenhandschrift
des Textes in den einzelnen Jahrhunderten. Es ist allerdings wichtig festzuhalten, dass das „Nibelungenlied“, anders als einige der Artusepen (wie Wolframs „Parzival“, vgl. Becker 1977, 243–259), im 15. und 16. Jahrhundert nicht zum Druck gelangt. Da das ausschlaggebende Auswahlkriterium für die Umsetzung eines handschriftlich überlieferten Textes in eine Druckfassung im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ein erwarteter hoher Absatz gewesen sein dürfte, ist das Fehlen von Druckauflagen des „Nibelungenliedes“ ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Text im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit auf kein größeres Interesse mehr stieß. Betrachtet man die beiden jüngsten Handschriften, k und d, so zeigt sich, dass sich im Spätmittelalter zwei unterschiedliche Formen des Umgangs mit dem Text nachweisen lassen. Die Piaristenhandschrift (k) greift erheblich in den Text ein, und zwar nicht nur im Bereich der Metrik, sondern auch mit Bezug auf die Schilderung der Kampfszenen, der Liebeshandlung und des kirchlich-religiösen Lebens (Springeth 2007, 11). Der jüngste Codex des „Nibelungenliedes“ dagegen, das „Ambraser Heldenbuch“ (d), das von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegeben und in den Jahren 1504–1517 niedergeschrieben und illuminiert wurde, darf als ein Beispiel für eine rückwärtsgewandte Art der Überlieferung betrachtet werden, bei der das alte Erzählgut in möglichst unveränderter Form konserviert werden sollte. Der Umgang mit dem Text im „Ambraser Heldenbuch“ ist ein Indiz dafür, dass das Interesse am „Nibelungenlied“ in dieser Zeit gelegentlich eher antiquarischer als aktueller bzw. aktualisierender Natur war. Im „Ambraser Heldenbuch“ erscheint das „Nibelungenlied“ im Kontext verschiedener anderer Werke der hochmittelalterlichen Erzählkultur (teils höfische Epik, teils Heldenepik, teils Kleinepik), die zum Zeitpunkt der Produktion des Codex immerhin drei Jahrhunderte zurück lag. Hans Ried, der Schreiber des „Ambraser Heldenbuchs“, hatte offensichtlich Schwierigkeiten, zuverlässige Vorlagen zu beschaffen: Er ließ bei seiner Abschrift des „Nibelungenliedes“ den Raum für die ffventiuren 30, 32–34 und 37–39 frei, trug diese jedoch nicht ein. Die einzige Handschrift des „Nibelungenliedes“, die einen Zyklus von Illustrationen enthält, ist der (nach einem seiner Vorbesitzer benannte) Hundeshagensche Codex (b), der etwa 1437–1440 geschrieben wurde und in dem 37 Illustrationen erhalten blieben (s. die Faksimiles der Bildseiten bei Hornung 1968 und Ruggenthaler 2001; ein Vollfaksimile der Handschrift fehlt, vgl. aber die Edition des Textes, S. 30). Auffällig ist, dass die in der gleichen Handschrift unmittelbar nachfolgende „Nibelungenklage“ dagegen überhaupt nicht illustriert wurde. Auch wenn sich über die künstlerische Qualität der eher einfachen, kolorierten Federzeichnungen in der Hundeshagenschen Handschrift streiten lässt, ist sie ein einmaliges Zeugnis für eine mittelalterliche Interpretation des „Nibelungenliedes“ in Bildern. In den nachfolgenden Kapiteln wird deswegen an jeweils geeigneten Stellen das Text-Bild-Verhältnis in diesem spätmittelalterlichen Codex in die Überlegungen zur Textinterpretation einbezogen. Vorweggeschickt sei, dass eine ungewöhnliche Auswahl von Szenen illustriert wird (Janz 1998): Dargestellt werden weniger die großen Kampfszenen, sondern vor allem Gesprächssituationen. Ein weiterer Codex, die Wiener Piaristenhandschrift (k), enthält eine einzige Abbildung, die die Ermordung Siegfrieds darstellt (s. z. B. die Farbabbil-
4. Das „Nibelungenlied“: Autor und Überlieferung
dung auf dem Umschlag von Springeth 2007). Siegfried wird hier von einer männlichen Gestalt der Speer in den Rücken gestoßen, während zwei weitere mit Speeren ausgestattete Männer anwesend sind. Eine dieser zusätzlichen Figuren wendet sich vom Geschehen ab, die zweite schaut den Siegfried Tötenden an. Die Interpretation in „Kinder der Nibelungen“ 2007, 10, es werde hier in „demonstrative[r] Ambivalenz“ die „unverstellte, unschuldige Lust an der Gewalt“ einer „Jungenbande“ dargestellt, ist völlig anachronistisch, wie der Vergleich mit dem Stil anderer zeitgenössischer Bilder zeigt. Auch die Assoziation des Brunnens mit einem Taufbecken (ebd.) ist höchst zweifelhaft. Wie in der Hundeshagenschen Handschrift (Hornung 1968, Abb. 14), in der eine gekrönte Figur (wohl Gunther als derjenige, in dessen Auftrag Hagen letztlich handelt) Siegfried mit Pfeil und Bogen erschießt, erlauben sich die bildlichen Darstellungen Erweiterungen gegenüber dem erzählten Text, ohne jedoch das Entsetzen über den Tod Siegfrieds zu relativieren. Die Handschrift B gibt in der Anfangsminiatur (abgebildet etwa in „Uns ist in alten Mären“ 2003, 21) eine männliche Gestalt wieder, die von Heinzle (ebd.) als der „Autor“ des Textes interpretiert wird, obwohl das „Nibelungenlied“ anonym überliefert wird (Schiewer 2009, 444). Young 2007, 231 sieht in dieser Figur, differenzierter, „a reciter without a book, […] enclosed within the written word“, der gleichzeitig paradoxerweise in seiner Geste buchstäblich das Wort ergreife. – Das „Ambraser Heldenbuch“ (d) enthält dagegen zwar einige Illustrationen, das „Nibelungenlied“ (fol. 95r–131r) wurde hier aber lediglich mit dekorativen Randleisten mit Blumen- und Tiermotiven versehen. Die nachfolgende „Nibelungenklage“ (fol. 131v–139v) weist eine solche Aussschmückung nur für die erste Seite auf (fol. 131v). In Bezug auf die geographische Verbreitung des Textes, für deren Rekonstruktion nicht der heutige Bibliotheksort, sondern die Schreibsprache und andere kodikologische Indizien ausschlaggebend sind, fällt auf, dass die meisten Handschriften aus dem süddeutschen Raum stammen; dies könnte ein weiteres Indiz für den Entstehungsraum des Textes sein (vgl. S. 23). Fragment T zeigt, dass das Werk gelegentlich auch in den Niederlanden rezipiert wurde, allerdings nicht gerade häufig (Eickmans [im Druck]). Ein Ausstrahlen des Stoffes jenseits des Gebietes, das heute Deutschland, die Niederlande und Skandinavien umfasst, ist nicht sicher nachweisbar. Die Kirche Santa Maria la Real in Sangüesa (Spanien) wurde im 12. Jahrhundert mit einem Tympanon mit Steinmetzarbeiten ausgeschmückt, die u. a. Siegfried darstellen könnten, der den Drachen tötet (Heinzle 2006); gelegentlich wird jedoch angezweifelt, dass hier tatsächlich Siegfried gemeint sei (Millet 2005). – Die Handschrift S enthält nach Angaben des Handschriftencensus im Internet möglicherweise eine tschechische Paraphrase der ersten Strophe des „Nibelungenliedes“, die noch aus dem 13. Jahrhundert stammen könnte, jedoch ist nicht geklärt, ob diese Interpretation der Strophe zutreffend ist. Es sei betont, dass die in der germanistischen Forschung geführte Diskussion über die vermeintlich wichtigste Fassung des „Nibelungenliedes“ im Mittelalter selbst unter deutlich anderer Akzentsetzung stattfand als heute: Die Mehrzahl der erhaltenen Handschriften, auch derjenigen des 13. Jahrhunderts, folgt der heute zumeist als sekundär bezeichneten Fassung *C.
Miniatur in B
geographische Verbreitung
Verbreitung der Fassungen
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I. Einleitung
Verhältnis von *A, *B und *C
Nach Heinzle 2003 sind die Codices wie nachfolgend beschrieben zu Fassungen zu gruppieren. Da sich deutliche Differenzen zur Zusammenstellung bei Ehrismann 22002, 40–42 ergeben, ist allerdings zu vermuten, dass das letzte Wort in Bezug auf die Einteilung der Handschriften in Fassungen noch nicht geschrieben ist. Die Fassung *A ist nach Heinzle 2003 in den vier Handschriften A, L, M und g überliefert, die Fassung *B liegt nur in B vor. Dagegen sind neun Codices der Fassung *C zuzuordnen: C, E, F, G (Zuordnung aufgrund des Textes der „Klage“), R, U, X, Z und a. Heinzle beschreibt darüber hinaus verschiedene Mischformen, die wenig später als die Fassungen *A, *B und *C entstanden sind und Elemente aus *B und *C kombinieren: Die Fassung *Db besteht aus den sieben Codices D, N, P [Zuordnung aufgrund der „Klage“], S, V, AA [Zuordnung aufgrund der „Klage“] und b. Von ihr lässt sich eine Gruppe weiterer Handschriften unterscheiden, die man als *J/*d bezeichnet (zum Verhältnis von *C, *J und *d s. zuletzt Heinzle 2003, Haferland 2006 und Heinzle 2008). Sie umfasst die zwölf Codices H, J, K, O, W, Q, Y, c, d, h, i und l. Singulär überlieferte Varianten, die alle bereits ediert wurden, liefern die Handschriften T (Batts 1971), k (Springeth 2007), m (Batts 1971) und n (Vorderstemann 2000). Es zeigt sich so sehr deutlich, dass die Texte und Fassungen im Mittelalter keine festen Größen waren, sondern ständigen Eingriffen unterlagen. Die editorische und interpretatorische Aufarbeitung der Fassungen *J/*d und *Db ist als ein Forschungsdesiderat zu bezeichnen: Einige aufgrund ihrer Verbreitung im Mittelalter als sehr wichtig einzustufende Fassungen werden in der Forschung kaum wahrgenommen. Der „Germanistik“ zufolge sind in nächster Zeit immerhin Editionen von J und d zu erwarten (http:// dtm.bbaw.de/forschung/dtm/uebersicht). Die vorliegende Einführung geht von der Annahme aus, dass die Fassungen *A/*B und *C „Stadien oder Textzustände im Prozeß der Verschriftlichung des Nibelungenstoffs“ repräsentieren (Heinzle 2003, 195), wobei *C die Tendenzen der Anpassung des Textes an die Eigenheiten des schriftliterarischen (statt mündlichen) Erzählens stärker fortsetzt als *A/*B. Das „Nibelungenlied“ wird im Folgenden nach einer zweisprachigen Ausgabe zitiert, allerdings nicht nach der Bartsch/de Boor-Fassung, wie sie von Grosse 1997 und Brackert 22008 verwendet wurde, sondern nach der neuen Ausgabe von Schulze/Grosse 2010, die eine Wiedergabe der Handschrift B bietet. Im Vergleich zu den Ausgaben von Grosse und Brackert wurde die Schreibung des mittelalterlichen Textes von Schulze/Grosse 2010 deutlich weniger normalisiert; die mittelhochdeutschen Zitate in der vorliegenden Einführung weisen deswegen Differenzen in der Graphie auf, die der uneinheitlichen Schreibung der Handschrift B geschuldet sind. Die von Schulze/Grosse 2010 verwendeten Kursivierungen und Klammern, die diejenigen Stellen markieren, an denen in den Text von B eingegriffen wurde, werden im Folgenden nicht übernommen. Es sei darauf hingewiesen, dass die ffventiurenEinteilung, die Schulze/Grosse 2010 bieten, in der Handschrift B lediglich durch Großbuchstaben zu Anfang der jeweiligen Strophen und nicht durch Überschriften markiert ist, anders als in *C. Die Fassungen *B und *C setzen die Anfänge der ffventiuren teils leicht unterschiedlich (Wachinger 1960, 73–78); es wird hier die Einteilung nach B beibehalten.
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform
Da im Folgenden nach Schulze/Grosse 2010 zitiert wird, stimmen die Stellennachweise nicht mit den Ausgaben von Brackert und Grosse überein. Statt jeweils mehrere Nummern für jeden einzelnen Beleg zu verwenden, erschien es sinnvoller, in einer Konkordanz auf die Unterschiede in der Strophennummerierung hinzuweisen (S. 160). Die Kompatibilität dieser Einführung mit den gängigsten älteren zweisprachigen Ausgaben des „Nibelungenliedes“ bleibt so gewährleistet. Für die Handschrift C wird nach der Ausgabe von Schulze 2008 zitiert (vgl. außerdem Hennig 1977 und Schulze 2005). Handschrift A wird nach Batts 1971 wiedergegeben, k nach Springeth 2007. Die Übersetzung von B folgt Schulze/Grosse 2010, für C wird Schulze 2008 zitiert. Die Übersetzungen von Strophen aus anderen Handschriften sind von meiner Hand. Bei Textpassagen aus dem „Nibelungenlied“, von denen angenommen wurde, dass sie ohne Übersetzung verständlich sind, werden gelegentlich einzelne Wörter mit einer Erklärung versehen; solche Worterklärungen können von den sonst zitierten Übersetzungen abweichen. Neben den genannten wissenschaftlichen Ausgaben des „Nibelungenliedes“ wird außerdem eine Vielzahl weiterer, zumeist sehr freier Nacherzählungen rezipiert, die den Text nicht selten nach modernem Geschmack kürzen oder erweitern (so wird z. B. die Jugendgeschichte Siegfrieds, etwa sein Kampf mit dem Drachen, in der Regel ausführlich dargestellt; vgl. für ausgewählte Beispiele S. 128–133). Durch die weite Verbreitung dieser Nacherzählungen beruhen die heutigen Kenntnisse über das „Nibelungenlied“ in einer großen Gruppe von Rezipienten keinesfalls auf den mittelalterlichen Fassungen. Dies sollte bewusst bleiben, wenn von der Bedeutung des „Nibelungenliedes“ für die heutige Zeit gesprochen wird: Statt diffuse Vorstellungen vom Nibelungenstoff weiterzutradieren, wäre anzustreben, den Text in seinen um 1200 verschriftlichten Formen auch einem breiteren, nichtwissenschaftlichen Publikum ins Gedächtnis zu rufen. Es liegt hier durchaus eine Aufgabe für die Fachwissenschaft, die sich bisher (mit Ausnahme von Ehrismann 2007) wenig darum bemüht hat, einsprachige neuhochdeutsche Nacherzählungen auf den Markt zu bringen, die den Text gleichzeitig originalgetreu und für Leser ohne besondere Vorkenntnisse verständlich wiedergeben.
Textgrundlage
Nacherzählungen
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform Das „Nibelungenlied“ ist in Strophen gedichtet: Eine Einheit mit festem Metrik- und Reimschema, die im vorliegenden Fall aus vier paarweise gereimten Langversen (aabb) besteht, wird in immer identischer Form wiederholt. Dabei sind im „Nibelungenlied“ (anders als etwa in der „Spielmannsepik“) unreine Reime selten, insbesondere dann, wenn man akzeptiert, dass lange und kurze Vokale gelegentlich in Reimverbindung auftreten (z. B. kan – gân in B 15.3–4). Das Ende der relativ kurzen Nibelungenstrophe fällt in der Regel mit syntaktischen Einschnitten zusammen, so dass ein Satz jeweils mit dem letzten Vers einer Strophe endet; die gelegentlichen Ausnahmen respektieren zu-
Nibelungenstrophe
Enjambement
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I. Einleitung
Melodie?
meist die Grenzen von Haupt- und Nebensätzen bzw. Appositionen, wie sie nach modernen syntaktischen Analysen gesetzt würden. In den folgenden Strophen ist nach moderner Satzanalyse Strophenenjambement festzustellen (d. h., dass ein Satz die Strophengrenze überschreitet), das mit der Trennung zwischen Haupt- und Nebensatz oder Apposition übereinstimmt: B 28–29, 46–47, 221–222, 229–230, 267–268, 398–399, 475–476, 569–570, 699–700, 704–705, 743–744, 747–748, 817–818, 829–830, 979–980, 993–994, 1101–1102, 1108–1109, 1172–1173, 1191–1192, 1248–1249, 1250–1251, 1290–1291, 1297–1298, 1329–1330, 1342–1343, 1438–1439, 1445–1446, 1655–1656, 1678–1679, 1703–1704, 1719–1720, 1729–1730, 1747–1748, 1858–1859, 2135–2136, 2140–2141, 2144–2145, 2315–2316. Dass dabei allerdings die Festlegung der Satzgrenzen durchaus interpretationswürdig ist, zeigt etwa der Vergleich zwischen B 2086–2087 bei Schulze/Grosse 2010, wo Hauptsätze angesetzt werden, und Grosse 1997, wo die entsprechenden Strophen B 2089–2090 als durch Enjambement verbunden wiedergegeben werden. Dies hängt damit zusammen, dass das mittelalterliche Arsenal von Interpunktionsmöglichkeiten weniger differenziert ist als das moderne: Während man heute aus Punkt, Komma, Semikolon, Ausrufe- und Fragezeichen, Gedankenstrich, Klammer usw. wählen kann, kennen die mittelalterlichen Handschriften in der Regel nur Punkt, Hochpunkt und ggf. Virgel (Schrägstrich). Da sie auch zwischen Haupt- und Nebensätzen Punkte setzen, sind die Grenzen zwischen den Haupt- und Nebensätzen anhand der mittelalterlichen Handschriften nicht immer eindeutig zu ziehen, ihre Festlegung beruht auf den Entscheidungen der modernen Herausgeber der Texte. Echtes Strophenenjambement ist im „Nibelungenlied“ selten (vgl. B 92–93, 168–169, 185–186, 260–261, 484–485, 488–489, 672–673, 691–692, 694–695, 825–826, 881–882, 1353–1354, 1360–1361, 1424–1425, 1561–1562, 1591–1592, 1799–1800, 2130–2131, 2281–2282). In den hier genannten Fällen sind immerhin jeweils die Satzgliedgrenzen eingehalten. Auch wenn das Strophenenjambement gelegentlich mit einer besonderen Bewegtheit der betreffenden Szene zusammenfällt (so etwa in B 817–818, 825–826), zeigt die Liste, dass Enjambement im „Nibelungenlied“ kein konsequent zu diesem Zweck eingesetztes Stilmittel ist. Strophische Dichtung gilt als sangbar. Denkbar ist, dass das „Nibelungenlied“ im Mittelalter nicht vorgelesen, sondern vorgesungen wurde. Es gab möglicherweise ebenso eine spezielle Nibelungen-Melodie, wie es für den heldenepischen Stoff um Hildebrand einen Hildebrandston gab (Ton = Melodie); die Melodie der Nibelungenstrophe ist allerdings nicht erhalten geblieben. Eberhard Kummer 1999 und Knud Seckel 2008 verwenden in ihren Tonaufnahmen die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts überlieferte Melodie der jüngeren Hildebrandstrophe (Springeth 2007, 26), um einen Eindruck von der möglichen gesungenen Form des „Nibelungenliedes“ zu vermitteln. Das Verfahren erscheint in gewissem Sinne berechtigt, da immerhin bereits die Handschrift k (15. Jahrhundert) die Metrik der Nibelungenstrophe der Hildebrandstrophe anpasste (s. dazu Springeth 2007, 11, 26–28; zur Funktion des Dichtens in Strophen im Spätmittelalter s. Kornrumpf 1984). Auch wenn die Aufführungsformen Kummers und Seckels keinen Anspruch auf Authentizität erheben können, vermitteln sie dennoch einen Eindruck da-
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform
von, wie anders im Mittelalter literarische Texte rezipiert wurden als heutzutage: Es hat zwar auch im Mittelalter Rezipienten gegeben, die den Text lesend zur Kenntnis nahmen, viele werden ihn aber in mündlicher, vielleicht tatsächlich in von Musik begleiteter Form kennen gelernt haben (s. dazu zuletzt Springeth/Müller 2006). Die beiden Hälften jedes Langverses der Nibelungenstrophe (die erste Hälfte wird der Anvers genannt, die zweite der Abvers) weisen je drei oder vier Takte auf, wobei jeder Takt eine Hebung (d. h. eine betonte Silbe) enthalten muss. Der letzte Abvers des letzten Langverses enthält eine Hebung mehr, so dass das Ende der Strophe jeweils deutlich hörbar ist. Die Hebungen fallen in der Regel mit der natürlichen Betonung der Silben zusammen, es gibt jedoch bei mehrsilbigen Wörtern auch so genannte Nebenhebungen: Ist ein Wort wie meisterschaft auf zwei Takte aufgeteilt, so trägt die Silbe meis die Haupthebung, schaft jedoch eine Nebenhebung; die Silbe ter wird in diesem Fall als eine so genannte Senkung aufgefasst, d. h. als eine unbetonte Silbe (méisterschàft). Recht häufig ist nachweisbar, dass ein Takt nur aus einer Hebung besteht, ohne dass eine Senkung folgt (so genannte beschwerte Hebung). Im „Nibelungenlied“ ist die Zahl der Senkungen relativ frei. Möglicherweise war das Ideal eine regelmäßige Alternation von Hebungen und Senkungen; die Ausgaben glätten den Wortlaut der Handschriften häufig, um diesem vermuteten Ideal näher zu kommen. Dies wird im Vergleich der Bartsch/de Boor-Fassung (nach Grosse 1997) und der Neuedition der Handschrift B (Schulze/Grosse 2010) deutlich: B 29.4
ze einen sunewenden,
Bartsch/de Boor 31.4 ze einen sunewenden,
Metrik der Langverse
dâ sîn sun Sîvrid wol riters namen gewan. dâ sîn sun wol riters namen gewan.
Bartsch/de Boor kürzen den Namen Sîvrid aus dem Abvers, da dieser sonst Überlänge besäße. B 530.2 er sprach: „sît wir heim nâhen in mîniu lant, […]“ Bartsch/de Boor 533.2 er sprach: „sît wir nâhen heim in mîniu lant, […]“ in älteren Auflagen: er sprach: „sît daz wir nâhen heim in mîniu lant, […]“ Bartsch/de Boor stellen die Wörter im An- und Abvers um und fügen in den älteren Auflagen daz ein, um eine regelmäßigere Metrik herzustellen.
Es zeigt sich so, dass die mittelalterliche Überlieferung, die eine größere Nähe zur Aufführungspraxis aufweisen dürfte als die modernen Editionen, oft relativ frei mit der rhythmischen Gestaltung der Strophen und Verse verfuhr. In der Handschrift A sind darüber hinaus die Zäsuren (Sprechpausen) in den Langversen oft nicht gekennzeichnet (Eegholm 1936, 44–46), was dem Vortragenden weitere Freiheiten bei der Verteilung des Wortmaterials auf An- und Abvers erlaubte. Die vier Langverse der Nibelungenstrophe weisen jeweils in der Mitte eine Zäsur auf, wie Arno Schmidt in seinem 1960 erschienenen Roman „KAFF“ auf ironische Weise erkennbar, ja geradezu hörbar macht: Vers e A 3.3 (in B und C nicht enthalten) lautet im Original ane mazen schone so was ir edel lip (maßlos schön war ihr edler Körper). Die hier nur druckgrae phisch durch Leerzeichen gekennzeichnete Zäsur liegt zwischen schone
Zäsur innerhalb der Langverse
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I. Einleitung
Zäsurreim
und so; bei Schmidt wird diese Zäsur wie ein Taktschlag durch bumms wiedergegeben, so dass der Vers als ffne mâßn schoene bumms : so waß irr eddel Lieb zitiert wird (Schmidt 1960/2005, 132; auf die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks bumms im Kontext des vorliegenden Satzes braucht hier kaum eigens hingewiesen zu werden). In der berühmten ,ersten‘ Strophe (die nur in A und C überliefert ist, in B aber fehlt) weisen die Halbverse Binnen- bzw. Zäsurreim auf (s. außerdem zur syntaktischen Komplexität der Strophe C 1 Ehrismann 2005, 11): C1
Uns ist in alten maeren wunders vil geseit: von heleden lobebaeren, von grozer arebeit, von freude und hochgeciten, von weinen unde klagen, von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen.
(In alten Sagen wird uns viel Wunderbares erzählt: von berühmten Helden, von großer Mühsal, von Freude und Festen, von Weinen und Klagen, vom Kampf tapferer Recken – von all dem könnt ihr jetzt Erstaunliches hören.)
Mündlichkeit / Schriftlichkeit
Formelhaftigkeit?
Diese formale Gestaltung bildet jedoch im „Nibelungenlied“ in B eine Ausnahme: Sie ist hier nur in sehr wenigen Strophen für alle vier Verse überliefert (z. B. B 15), auch wenn einige weitere Strophen in zwei Versen Binnenreim aufweisen (etwa B 16). C erweitert die Anzahl der Strophen mit Zäsurreim in allen vier Versen, ohne dies konsequent durchzuführen (vgl. etwa C 16, 43, 102, 332 u. ö.). Es ist in C kein Prinzip erkennbar, nach dem dieses Reimschema eingesetzt wurde: Die Strophen mit Zäsurreim sind nicht etwa von besonderem inhaltlichem Gewicht. Die Strophenform könnte die für mündliche Dichtung generell häufigere Art des Dichtens gewesen sein (Wolf 1995, 272). Sie dominiert in der deutschsprachigen Heldenepik und ist für die schriftlich konzipierte höfische Epik in deutscher Sprache die Ausnahme, da diese metrisch identische, fortlaufende Reimpaarverse verwendet. Lediglich der „Titurel“ Wolframs von Eschenbach und dessen Fortsetzung, der „Jüngere Titurel“, bedienen sich für erzählende, höfische Texte der Strophenform. Umstritten ist jedoch, ob die Strophenform des „Nibelungenliedes“ tatsächlich eine besondere Nähe zu originär mündlichen Formen des Erzählens aufweist, insbesondere deswegen, weil sich das „Nibelungenlied“ in allen Hauptfassungen als sehr stark von den Modalitäten schriftlichen Erzählens beeinflusst zeigt (J.-D. Müller 1998, 25–38). Dies wird vor allem daran erkennbar, dass der für das mündliche Erzählen sonst wohl charakteristische Gebrauch von Formeln im „Nibelungenlied“ kaum nachweisbar ist (anders noch Stech 1993, 64 sowie „Uns ist in alten Mären“ 2003, 25, wo von „monotoner Stereotypie“ die Rede ist; vgl. Haferland 2006, J.-D. Müller 3 2009, 57–59). Zwar mögen sich einige formelhafte Ausdrücke nachweisen lassen – Wachinger 1960, 154–164 listet z. B. elf vorausdeutende Formeln auf, die auch außerhalb des „Nibelungenliedes“ überliefert sind, und J.-D. Müller 1998, 107 spricht von der „Ez wuochs- [und] der was-gesezzen-Formel“ (vgl. im „Nibelungenlied“ die Strophen B 1, 18 und 324). Es ist sonst im Text jedoch ein offensichtliches Bemühen um eine variationsreiche Ausdrucksweise nachweisbar, so dass sich, anders als für orales Erzählen behauptet, im Text keine charakteristischen und immer wieder wiederholten Formeln herausbilden, z. B. zur Beschreibung einzelner Figuren. Dies sei
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform
am Beispiel der Bezeichnungen für die Kontrahenten Kriemhild und Hagen etwas näher ausgeführt. Wortkonkordanzen wie diejenigen von Bäuml/ Fallone 1976 und Reichert 2006 erleichtern die Untersuchung solcher Stilmittel. Kriemhild wird in Erzählerrede mithilfe einer Vielzahl wertender Epitheta (= Bezeichnungen) beschrieben. Auf ihren Status als adlige Königstochter und Königin verweisen etwa: – das Substantiv künegin: Kriemhilt diu kunegîn (B 359.3, 903.4). An vielen weiteren Stellen, die hier nicht einzeln aufgeführt werden, wird die Kurzform diu kuneginne verwendet. Oft wird dies mit Adjektiven wie edel, hÞr [= hoch, vornehm, erhaben] oder rîch [= mächtig] ergänzt: diu/di(e) edel(e)(n) küneginne (B 917.3, 1029.2, 1250.2, 1324.2, 1769.2, 1783.4, 1992.2); diu/ein kuneginne hÞr (B 131.3, 1346.1, 1766.2; wiederholt von Siegfried, B 331.3); der rîchen kuneginne lîp (B 47.4: Figurenrede Siegfrieds). Eine Kombination mehrerer Adjektive und deren Steigerung durch vil ist möglich: di edeln kuneginne hÞr (B 1286.4), vil edeliu künegîn (B 551.2, Anrede durch Siegfried). – das Substantiv magedîn bzw. meit [= Jungfrau], das insbesondere das jugendliche Alter einer adligen Dame betont (Kriemhilt daz megedîn, B 585.1). Es wird zumeist mit zusätzlichen Adjektiven verwendet, die durch vil gesteigert werden können: ein vil edel magedîn, / daz in allen landen niht schœners mohte sîn (B 1.1–2); ein schœniu meit / […] ze wunsche wolgetân (B 42.2–3); diu (vil) schœne magt (B 290.2; wiederholt von Siegfried, B 533.2); daz schœne magedîn (B 373.4; wiederholt von Siegfried, B 386.2, und Gunther, B 532.2); di (schœnen) maget loblich (B 303.2, 620.4); di maget (vil) edele (B 278.4, 610.1; auch B 134.2 in Gedankenrede Siegfrieds); di vil wætlichen [= schöne] meit (B 56.4, Figurenrede Siegfrieds; ähnlich die Hunnen, B 1143.4); diu wunneclichiu meit (B 354.4); ein/diu minnecliche meit (B 130.2, 282.3, 303.3); di (vil) hÞrlichen meit (B 48.4, 121.4, 360.4, wiederholt von Siegmund, B 52.4, und Gunther, B 532.3). Die gleiche Funktion übernimmt das Substantiv juncfrouwe (B 353.1, 356.1, 579.4, 626.2); die schœnen juncfrouwen nennt Siegfried sie (B 47.1). Vgl. außerdem die Ausdrücke daz kuneges kint (B 349.1) und daz minnecliche kint (B 613.3). – das häufig verwendete Substantiv vrouwe: (diu) frou Kriemhilden (B 301.4, 317.4, 372.4, 584.1, 611.2, 693.1, 775.2, 784.2, 796.3, 816.1, 824.1, 832.4, 844.1, 874.4, 1001.4, 1002.2, 1003.4, 1052.2, 1082.1, 1088.4, 1097.4, 1106.4, 1113.2, 1140.4, 1282.4, 1308.1, 1352.4, 1386.2, 1744.1, 1821.4, 2018.1, 2083.2); vgl. Kriemhilt diu vrouwe (B 1406.4, 1713.1). Diese Bezeichnungen werden wiederholt von Brünhild (B 721.2), Hagen (B 1269.1, 1478.1, 1725.4), den Hunnen (B 1363.3), Giselher (B 1449.4) und Dietrich (B 1723.2). Dementsprechend benutzen Siegfried, Rüdiger und Hagen als Anrede an sie mîn frou Kriemhilt (B 302.4, 1275.2, 1739.1), Etzel vil liebiu vrouwe mîn (B 1401.1, 1404.4). Auch hier können zur Variation zusätzlich die Adjektive edel, schœn und hÞr verwendet werden: diu edel vrouwe (B 1036.2, 1239.2, 1397.3); diu vil schœne vrouwe (B 712.3); diu vrouwe hÞre (B 1074.4). Teilweise werden die Hinweise auf den Status Kriemhilds mit Charaktereigenschaften bzw. Verhaltensweisen verbunden: diu vrouwe milt (B 1009.1).
Formeln für Kriemhild? Standesbezeichnungen
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I. Einleitung
– die Adjektive edel und rîch: diu/di(e) edel(e)(n) (Kriemhilt) (B 45.4, 843.1, 1098.1, 1380.3; wiederholt von Hagen, B 1209.2) / Kriemhilt diu edele (B 548.4); Kriemhilt diu rîche (B 1980.1). Kriemhild als Ehefrau
An anderen Stellen wird ihr Status speziell als Gattin Siegfrieds bzw. Etzels hervorgehoben: – (des herren) Sîfrides wîp (B 828.1, 868.3, 917.4, 1023.1, 1063.1, 1130.4; vgl. B 991.4, Figurenrede Siegfrieds: vrou Kriemhilt mîn wîp), des starken Sîvrides wîp (B 351,4), des küenen Sîfrides wîp (B 1102.4; ähnlich nennt sie Hagen des küenen recken wîp, B 872.4); des recken wîp (B 1155.1), des ed(e)len küniges wîp (B 829.3, 2021.1; wiederholt von Ute, B 1452.3); daz Etzeln wîp (B 1322.3, 1394.4, 1746.1, 2100.4, 2108.1, 2163.2, 2362.3, wiederholt von Dietrich, B 1727.3, und Blödelin, B 1907.3), des künec/kunec Etzeln wîp (B 1358.4, 1513.4, 1914.4, wiederholt von Hagen, B 1458.4, 1779.4, Gunther, B 1516.4, den Hunnen, B 1791.4, Volker, B 1883.4, Dankwart, B 1921.4, einem der Burgunden, B 2129.4, und Rüdiger, B 2175.4), sîn schœne wîp (B 1418.3, 1857.1), des küneges wîp (B 1444.1, 1762.3, 1856.3, 2225.1), sîn wîp (B 2077.1, 2231.3). – ein schœne wîp (B 1.3; wiederholt von Ute in B 14.3); daz (vil) hÞrliche wîp (B 1067.3, 1397.4); daz (vil) edel wîp (B 891.1, 893.1, 1021.1, 2160.1, 2366.1, 2374.2; wiederholt von den Hunnen, B 1143.3).
Kriemhilds Schönheit
Besonders häufig ist die Hervorhebung von Kriemhilds Äußerem, die auch bereits in einigen bisherigen Beispielen vorkam. Trotz der im Mittelalter weit verbreiteten Vorstellung der so genannten Kalokagathie, d. h. der im Idealfall untrennbaren Verbindung von schönem Äußeren und gutem Inneren, scheinen bei der Figur Kriemhild insbesondere die äußerlichen Vorzüge eine Rolle zu spielen. Es wird ein differenziertes Wortfeld von Verweisen auf ihre Schönheit eingesetzt: – Häufig findet sich das Adjektiv schœn in Kombination mit Kriemhilds Eigennamen, wobei dies jedoch durch die vor- oder nachgestellte Position des Adjektivs und durch die Steigerungspartikel vil variiert wird: diu/die/ der (vil) schœne(n) (Kriemhilt) (B 258.1, 260.2, 297.2, 299.4, 321.4, 345.3, 351.4, 565.1, 613.4, 711.4, 750.4, 812.3, 818.4, 836.1, 1261.4, 1293.4, 1371.4, 1759.4; wiederholt von Siegfried, B 331.3, Gunther, B 332.4, Siegmund, B 1015.2, Alberich, B 1116.4) / Kriemhilt diu (vil) schœne (B 223.2, 581.3, 700.3, 820.4, 1002.2, 1734.1; wiederholt von Siegmund, B 701.2; vgl. auch die Äußerungen der Hunnen, B 1146–1147, 1155, 1348, und Giselhers Anrede, B 2098.1). – Andere Epitheta benutzen ebenfalls schœn(e) als Adjektiv oder Substantiv: Diu ir unmâzen [= maßlose] schœne was vil wîten [= weit] kunt [= bekannt] (B 43.1–3, vgl. B 322.1); daz vil schœne kint (B 301.1); si was ein schœne kint (B 579.3); diu schœne was genuoc (B 796.3); Gunthers swester schœne (B 256.4, auch in Gunthers Worten, B 535.1), der man sô grôzer schœne vor allen juncfrouwen jach [= zusprach] (B 270.4); ein schœne kint (B 579.3); ir schœnen lîp (B 922.2; wiederholt von Brünhild, B 768.2, Rüdiger, B 1251.3, und Gotelind, B 1310.2), der schœnen Kriemhilden lîp (B 829.4). Schön bleibt Kriemhild auch in der Zeit, in der sie um Siegfried trauert: di schœnen vreudelôsen (B 1006.2). Sie selbst vermerkt
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform
dagegen in diesem Zusammenhang über sich: wart mîn lîp ie schône, des bin ich âne getân (B 1242.4: „Bin ich jemals schön gewesen, so bin ich es längst nicht mehr“). – Auch andere Adjektive verweisen auf Kriemhilds ungewöhnliche Schönheit: Es ist die Rede von Utes tohter wolgetân (B 273.3), einer vrouwen wolgetân (B 680.4), der wolgetânen (B 1334.4); vgl. ir vil wunneclicher lîp (B 1067.4); di/diu minnecliche(n) (B 136.3, 240.1, 279.1, 279.4, 553.2, 558.1). Gunther spricht sie mit swester vil gemeit [= schön] an (B 609.1). Eher auf innerliche Eigenschaften beziehen sich die folgenden bewertenden Hinweise: – diu/der (vil) guote(n) (B 12.2, 16.2), diu getriuwe (B 1256.1). – diu tugentrîche (B 554.3), daz tugentrîche wîp (B 922.1). – diu jâmerhafte (B 1011.1), diu jâmers rîche (B 1028.1, 1215.1), daz jâmerhafte wîp (B 1038.4; wiederholt von Kriemhild über sich selbst, B 1256.3); ir trûric lîp (B 1260.3); Kriemhilt diu hÞre und vil trûrec gemuot (B 1222.1); diu klagende vrouwe (B 1279.1). – Kriemhilt diu arme (B 1050.1; wiederholt von Kriemhild über sich selbst, B 1053.4, 1075.2, 1109.2, 1215.3, 1261.1 [ich armiu kunegîn], 2146.4 [mir armem wîbe]); diu gotes arme (B 1077.4: „die gottverlassene Frau“).
Kriemhilds innere Eigenschaften
Es lohnt sich darüber hinaus der Blick auf die Bezeichnungen, die intradiegetische Figuren für Kriemhild verwenden (auch hierfür wurden oben bereits einzelne Beispiele genannt, die hier nicht wiederholt werden): – Siegfried bezieht sich auf sie mithilfe der folgenden, eher affektiven Bezeichnungen: diu liebe wine [= Gattin] mîn (B 691.4), di holden triutinne [= Ehefrau] mîn (B 993.4). – Volker bezeichnet sie als ein edel wîp und edelen lîp (B 1777.3, 2227.2), Dankwart als diu edele Kriemhilt (B 1927.4). – In der Anrede wird häufig ihr Status betont: (vil) edeliu kuneginne (B 225.2, 551.2, 1981.2, 2352.2, 2365.2), edeliu kuneginne hÞr (B 235.4), edel wîp (B 2147.1). Auch Hagen verweist in seinen stark variierenden Anreden auf ihren Status: Vrouwe (B 894.1), mîn liebiu vrouwe (B 892.2), vil liebiu vrouwe mîn (B 902.1), mîn vrou Kriemhilt (B 1739.1; dies ist eine Anredeformel, die auch außerhalb des „Nibelungenliedes“ sehr häufig überliefert ist, s. Wis 1994, die von Hagen aber im Sinne der Scheinhöflichkeit verwendet wird, s. J.-D. Müller 1998, 416), kuneginne rîch (B 1788.1; so auch die Anrede der hunnischen Boten, B 1236.1; ähnlich Rüdiger in B 1272.1 und Dietrich in B 1898.2). Dietrich spricht sie als vil edels fürsten wîp an (B 1899.1). Vergleichbar sind außerdem die Anreden durch Volker, Iring und Dietrich: vil edel(es) küneges wîp (B 2227.1, 2361.1), vil hÞrlich wîp (B 2064.1). – Ute wählt als Anrede für Kriemhild einen Verweis auf die Verwandtschaft: liebez kint (B 1243.2). Von solchen familienbezogenen Anreden gibt es weitere (s. etwa vil liebiu swester mîn, B 1075.3, aus Giselhers Mund, ähnlich B 2098.1, vgl. B 1443.4, 1727.4). Sie werden hier außer Betracht gelassen, da sie zu sehr auf die Verbindung zweier spezifischer Figuren bezogen sind, um im gesamten Text formelhafte Qualitäten entwickeln zu können.
Charakterisierung Kriemhilds durch andere Figuren
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42
I. Einleitung
Selten sind negative Charakterisierungen Kriemhilds durch andere intradiegetische Figuren überliefert: – Brünhild bezeichnet sie nach dem Streit der Königinnen als daz wortræze [= wortwilde] wîp (B 842.3). – Auch Hagen findet überwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) negative Charakterisierungen für sie: Sie sei vil lancræche [= hartnäckig in Bezug auf die Rachepläne] (B 1458.4); später spricht er von der argen Kriemhilden muot (B 1469.4, 1850.4). – Als vâlandinne [= Teufelin] bezeichnen sie schließlich Dietrich in B 1745.4 und Hagen in B 2368.4, beide in direkter Anrede an sie (vgl. außerdem Volker in B 2227.3: tiuvellichen, allerdings abgeschwächt durch Konjunktiv). Formeln für Hagen? der grimme Hagen?
grimme bei anderen Figuren
„Hagen von Tronje“
Für Hagen finden sich in Erzählerrede die folgenden Epitheta: – [D]er grimme Hagen, eine Bezeichnung, die heute häufig geradezu als Chiffre für Hagen verwendet wird, kommt im „Nibelungenlied“ in Erzählerrede nur selten vor (B 990.1, 1037.4, 1278.1, 1497.4, 2345.1, 2365.1). Einige Male wird formuliert, Hagen handle in/mit grimm(ig)em muote oder grimmeclichen (B 436.2, 979.2, 1540.1, 1559.1), einmal wird Dietrich die Einschätzung zugeschrieben, Hagen sei grimmes muotes (B 2346.2), und einmal findet sich Hagen der grimme (B 2019.4). An anderer Stelle werden Hagen und Iring gleichzeitig als di zwÞne grimme küene man (B 2035.4) bezeichnet, einmal handeln Volker und Hagen zusammen grimmec (B 1856.4), und einmal gibt Hagen selbst an, er habe dem Fährmann gegenüber grimme gehandelt (B 1602.4). [G]rimme gemuot (B 411.4) nennen Hagen die Gefolgsleute Brünhilds, de[n] grimme[n] Hagene die Hunnen (B 1497.4, ähnlich B 1750.3, 1751.1, 1795.3). Iring charakterisiert Hagen als griulich (B 2031.4), Wolfhart ihn als einen, der in sînem herzen einen grimmigen muot trage (B 2298.4). Darüber hinaus nennen ihn die Gefolgsleute Brünhilds aber relativierend griulich, / unt doch mit schœnem lîbe (B 411.1–2), und auch der Erzähler vermerkt an einer Stelle relativierend, [s]wi grimme Hagen wære und swi herte gemuot, / jâ erbarmte im diu gâbe (B 2195.1–2). – Im Übrigen werden viele weitere Figuren grimmec oder grimme genannt: so die Wormser allgemein (B 114.1), Gunther (B 140.4), Siegfried und Liudegast (B 183.4), Liudeger (B 205.4), Alberich (B 492.1), Siegfried (B 869.3: grimme starc, Figurenrede Gunthers), Volker (B 1756.3), Gelfrat (B 1544.1), der Fährmann (B 1552.4, 1556.4, 1557.4), Iring (B 2047.4), Wolfhart (B 2246.1), Dankwart (B 1947.2, 2277.1) und Hildebrand (B 2283.4). Darüber hinaus kommt insgesamt in Kämpfen und in Verbindung mit dem Tod das Adjektiv grimm/grimmec bzw. das Adverb grimme/ grimmeclichen häufiger vor (B 185.1, 190.1, 487.4, 491.1, 1417.4, 1595.1, 1605.4, 1612.3, 1926.4, 1929.1, 1958.4, 1997.3 [Figurenrede Etzels], 2033.4, 2061.4, 2068.4, 2209.1, 2209.4, 2269.1, 2290.2 [Figurenrede Giselhers], 2292.1, 2295.1, 2322.2). Auch Kriemhild handelt einmal in einem grimmem muote (B 1764.2, ähnlich B 1845.3) bzw. wird als grimme oder grimmeclichen handelnd bezeichnet (B 1862.1, 2362.3). – Deutlich häufiger ist seine neutrale Charakterisierung durch den Erzähler und durch intradiegetische Figuren als von/ûzer Tron(e)ge Hag(e)ne (B 7.1,
5. Das „Nibelungenlied“: Werkform
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97.3, 149.1, 344.1, 404.3, 422.1, 517.1, 526.2, 595.1, 793.1, 860.4, 888.3, 900.1, 964.1, 966.1, 969.2, 998.1, 1137.1, 1180.1, 1186.1, 1393.4 [Gedankenrede Kriemhilds], 1416.2 [Figurenrede Kriemhilds], 1417.2, 1472.1, 1510.1, 1523.1, 1596.1, 1601.1, 1615.2, 1628.4, 1717.1, 1734.4, 1748.2, 1765.1 [Figurenrede Kriemhilds], 1808.1, 1977.1, 2022.1 [Figurenrede Kriemhilds], 2051.3, 2100.2 [Figurenrede Kriemhilds], 2111.1, 2116.1, 2248.2 [Figurenrede Hildebrands], 2253.1, 2286.1, 2323.1), einige Male in der Variante Hagen(e) von Tronege (B 170.4, 695.1, 879.2, 1428.4, 1604.3 [Figurenrede Gelfrats], 1729.4, 1755.2, 1768.2 [Figurenrede Kriemhilds], 1961.2 [Figurenrede Werbels], 2349.2). Auch die Bezeichnung Hagen(e) der degen [= Held], die die kriegerischen Qualitäten Hagens betont, ist einige Male nachweibar (B 52.1 [Figurenrede Siegmunds], 971.1, 1634.2, 1825.1, 2020.1, 2058.1, 2078.1, 2344.1); vergleichbar ist der degen küene unt balt (B 466.4), von Tronege der degen (B 1461.1) und der recke Hagene (B 2061.4). Ebenfalls auf die heroische Heldenrolle bezogen ist der Ausdruck der helt von Tronege (B 436.2, 1104.1, 1175.1, 1580.1, 2219.1, 2303.2, 2366.4). Die Formulierung Hagen der helt guot (B 1958.1) findet sich auffälligerweise genau in dem Moment, als er eine seiner umstrittensten Taten ausführt: Er tötet hier Etzels Sohn Ortlieb. Unklar bleibt, ob dies als eine bewusste Parallele zu Kriemhilds geheucheltem Lob aufzufassen ist: Hagenen bin ich wæge. der ist ein helt vil guot (B 1499.3). Die Charakterisierung Hagens durch den Erzähler mithilfe von wertenden Adjektiven bezieht sich in der Regel auf die Kraft und den Mut Hagens. Analog zur Schönheit Kriemhilds wird hier eine größere Menge bedeutungsverwandter Wörter eingesetzt: der starke Hag(e)ne (B 119.1, 436.1, 1528.4, 1575.3); Hagen der starke (B 1978.2); der snelle Hagene (B 1177.1); Hagen(e) der küene / der küene Hagen(e) (B 232.3, 1178.4, 1540.1, 1606.3, 1745.3 [Figurenrede Dietrichs], 1781.4, 1803.4, 1819.2, 1854.3, 2036.1, 2302.3); Hagen der küene helt (B 1826.4); (Hagen,) der (vil) küene man (B 1763.3, 1773.1, ähnlich B 1783.1, 2349.3); de[r] küene[.] Tronegære[.] (B 2372.4, Figurenrede Hildebrands). Schwankend zwischen positiver und negativer Würdigung ist die Bezeichnung der übermuote/übermüete Hagene (B 1546.1, 1780.1, 2032.4; ähnlich B 52.2 [Figurenrede Siegmunds], 1759.2, 1768.3 [Figurenrede Kriemhilds], 2006.3, 2056.3 [Figurenrede Irings], 2105.4 [Figurenrede Kriemhilds]; vgl. B 1000.1: Von grôzer übermüete müget ir hœren sagen). Auffällig ist, dass Hagens Dienstverhältnis zu Gunther trotz der wichtigen Funktion, die die Vasallentreue für die Figur Hagen spielt, keine formelhaften Züge annimmt: Der Ausdruck (des künec) Guntheres man ist relativ selten überliefert (B 405.4, 519.3, 981.4, 1560.4, 1609.4, 1648.4 [Figurenrede Rüdigers], 1755.3, 1768.2 [Figurenrede Kriemhilds], 1906.4 [Figurenrede Blödelins], 1939.3 [Figurenrede der Hunnen], 2060.4, 2303.3; vgl. B 873.1). Anders dagegen die Hagens hohen Status betonende Angabe (der) her(re) Hagene (B 1581.4, 2049.1; sonst auch in der Anrede, d. h. in Figurenrede häufig). Bei sonstigen bewertenden Umschreibungen der Figur wird entweder Hagens Treuebruch hervorgehoben (der vil ungetriuwe man, B 908.4; vgl. B 912.4, 913.2, 968.4), oder aber Hagen wird ein helflicher trôst genannt
Hagens Heldentum
Hagens Mut und Kraft
negative Wertung Hagens
Hagens Status
sonstige Charakterisierungen Hagens
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I. Einleitung
(B 1523.2), Dietrich wiederholt dies in seiner Angabe, Hagen sei der trôst der Nibelunge (B 1723.4). – Auf Hagens schönes Aussehen (vgl. B 1731) beziehen sich die Bezeichnungen der degene gemeit [= schön] (B 1782.4) und de[r] vil zierliche[.] degen (B 2346.4; vgl. B 411.1–2). Charakterisierung Hagens durch andere Figuren
In Figurenrede finden sich darüber hinaus für Hagen folgende weitere Charakterisierungen: – Kriemhild bezeichnet ihn als den leidege[n] Hagene[n] (B 1257.4). – Gunther, Giselher und Volker sprechen ihn als (mîn) friunt (her) Hagene an (B 527.3, 1205.2, 1460.2, 1770.1, 1771.1, 1976.2, 2030.1), Kriemhild als [v]il lieber vriunt (Hagene) (B 890.1, 898.1). Vgl. B 1754.2: Für Etzel ist Hagen sîn[.] friunt von Tronege. Als recke Hagene spricht Dietrich ihn an (B 2343.1), als her Hagene (B 1784.1, 2113.1 u. ö.) sowohl Kriemhild als auch verschiedene weitere Figuren, als edel ritter Hagene eines der merewîb (B 1532.2). – Hildebrand nennt Hagen schließlich einen tiufel (B 2308.4).
Varianz statt Formelhaftigkeit
Die Zusammenstellung zeigt, dass sich der Autor des „Nibelungenliedes“ gerade bei den Figurencharakterisierungen deutlich stärker um Variation als um formelhafte Wiederholung bemüht (J.-D. Müller 32009, 58), obwohl dieser Bereich in den Untersuchungen zur oral poetry als für Formeln besonders anfällig betrachtet wird, da sich durch Formeln Figuren einprägsam memorieren lassen. Die Epitheta prägen keine festen Muster aus; auch die am häufigsten verwendeten stehen in keinem solchen zahlenmäßigen Verhältnis zu den insgesamt 2376 Strophen des Textes, dass sie beim Zuhören auffielen. Sie wechseln nicht figurenabhängig, sondern bei jeder Figur situationsbedingt, wobei sich gerade an ihnen, wie oben beschrieben (S. 21 f.), weniger eine ,Charakterentwicklung‘ der Figuren ablesen lässt als vielmehr eine situativ wechselnde Einzelcharakterisierung. Dass dem „Nibelungenlied“ dennoch immer wieder Formelhaftigkeit nachgesagt wird, liegt darin begründet, dass insbesondere Bäuml/Fallone 1976 für das „Nibelungenlied“ diejenigen syntaktisch identischen Muster als formelhaft hervorheben, die halbversfüllend sind. Die Formelhaftigkeit solcher Halbverse reduziert sich auf das Muster Artikel – Adjektiv – Substantiv – Verb und ist so allgemein, dass sie kaum Aussagekraft besitzt, wenn hier nicht regelmäßig die gleiche Lexik verwendet wird; dies ist aber, wie gezeigt, nicht bzw. nicht stärker als in der zeitgenössischen Reimpaardichtung der Fall (anders J.-D. Müller 32009, 58, 80). Als Formeln im engeren Sinn verblieben im „Nibelungenlied“ lediglich Muster wie Dô sprach + Subjekt für einen Halb- oder Vollvers, und tatsächlich finden sich z. B. in den Strophen B 1398–1403 und 1538–1541 kürzere Reihen von nach diesem Muster aufgebauten Strophen, die eine gewisse Gleichförmigkeit besitzen. Diese sehr unspezifischen ,Formeln‘ (vgl. Curschmann 1979, 91 und, mit komparatistischem Schwerpunkt, Ziyatdinova 2008) fallen jedoch mit dem Muster zusammen, welches auch in der Reimpaardichtung für inquitFormeln verwendet wird (d. h. für die Ankündigung der Figurenrede nach dem Muster „Er sagte …“) – und die Reimpaardichtung wird gerade nicht mit Mündlichkeit verbunden.
II. Das Ende als Ausgangspunkt – ffventiure 39 B 2376 Ine kan iu niht bescheiden, waz sider dâ geschach, wan ritter und vrouwen weinen man dâ sach, dar zuo di edeln knehte, ir lieben friunde tôt. dâ hât daz mære ein ende. diz ist der Nibelunge nôt. (Ich kann Euch nicht berichten, was dort noch geschehen ist, nur, dass man Ritter, Damen und auch die edlen Knappen den Tod ihrer lieben Freunde beweinen sah. Hier hat die Geschichte ein Ende. Dies ist ,Der Nibelungen Not‘.)
Der Blick auf die letzte Strophe des „Nibelungenliedes“ ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Erstens artikuliert sich hier ein letztes Mal ein Ich: Ine ist die kontrahierte Form des Personalpronomens ich und der Negationspartikel ne. Dieses heterodiegetische (aus einer Distanz erzählende, sich nicht auf der gleichen Ebene wie die sonstigen Figuren bewegende) Ich fingiert jedoch Hilflosigkeit: Es verfüge angeblich über keine Kenntnisse bezüglich des weiteren Verlaufs der Geschichte (Young 2007, 251 f.) – abgesehen von der Gewissheit, dass die höfische Gesellschaft (im Hunnenland? in Burgund?) den Tod ihrer geliebten Verwandten und Verbündeten beklagt habe. Ein Erzähler, der seine Erzählkompetenz am Schluss der Geschichte selbst in Frage stellt: Sicherlich kommt der Bescheidenheitstopos in mittelalterlichen Pro- und Epilogen sehr häufig vor, an dieser Stelle wird er jedoch in gesteigerter Form zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig demonstriert der Ich-Erzähler aber noch einmal sein rhetorisches und stilistisches Können, indem er insbesondere den ersten Satz der Strophe B 2376 hochkomplex gestaltet: Dieser Satz enthält (im von bescheiden abhängigen Nebensatz, der durch wan eingeleitet wird) eine dem so genannten accusativus cum infinitivo ähnliche Konstruktion (Paul u. a. 2007, § S 34,2). Die AcI-Konstruktion besteht aus Subjekt (man) – Prädikat mit Wahrnehmungsverb (sach) – Akkusativobjekt (ritter und vrouwen) und Infinitiv (weinen); sie bildet als Nebensatz zweiten Grades das Objekt des Nebensatzes ersten Grades. Das Akkusativobjekt in dieser Konstruktion wird jedoch in zwei voneinander getrennte Bestandteile aufgespalten (ritter und vrouwen; dar zuo di edeln knehte), die vom Infinitiv, Subjekt und Prädikat des Nebensatzes ersten Grades unterbrochen werden (weinen [Infinitiv] man [Subjekt] dâ [Adverbialbestimmung] sach [Prädikat]). Danach wird ein weiteres Objekt nachgeschoben (ir lieben friunde tôt: tôt ist ein Substantiv im Akkusativ, ir lieben friunde eine Genitivbestimmung dazu), und zwar bei einem sonst in der Regel intransitiv verwendeten Verb (weinen; vgl. dessen intransitive Verwendung in B 840, 853, 1516 u. ö.). Erst der zweite Halbvers des dritten Verses dieser Strophe lässt erkennen, dass weinen nicht als „weinen“, sondern als „beweinen“ zu übersetzen ist; erst hier wird die Bedeutung der verschiedenen Akkusativobjekte im Satz verständlich. Es ist fraglich, ob eine solche Konstruktion einem mündlich erzählenden Dichter leicht gelungen wäre, sie scheint eher das Produkt schriftliterarischen Schaffens. Eine hohe literarische Bildung, die sich an antiken Vorbildern schulte, ist die Voraussetzung für die Produk-
die Schlussstrophe: Ich-Erzähler fingiert Hilflosigkeit
Ich-Erzähler: stilistische Kompetenz
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II. Das Ende als Ausgangspunkt
„Der Nibelungen Not“
Varianz von A, B und C
tion eines solchen Textes (S. 23); sie soll offensichtlich in der letzten Strophe noch einmal in aller Deutlichkeit demonstriert werden. Zweitens sind inhaltliche Aspekte der Schlussstrophe bedeutsam: Der letzte Vers in B benennt das Ende des mære und bezeichnet es als der Nibelunge nôt. Dieses Resümé lässt bewusst offen, wer mit den „Nibelungen“ gemeint ist. Im Laufe des Textes scheint die Bezeichnung „Nibelungen“ von König Nibelung und dessen Söhnen (B 85, 89) auf (einen Teil von?) Siegfrieds Gefolge (B 482, 577), schließlich aber auf die Burgunden übertragen zu werden (vgl. B 1523, 1712, 1723, 1734 u. ö.), was zur These geführt hat, dass der Besitzer des Nibelungenhortes jeweils den Namen übernimmt. In B 2376 könnten somit alle diejenigen gemeint sein, die im Laufe der Erzählung mit dem Hort in Berührung gekommen sind. Die Zusammenfassung der Ereignisse als deren nôt, als allerletztes Wort des Textes, das auch kurz zuvor in den Versen B 2372.3 und 2375.2 erscheint (vgl. Young 2007, 229), prägt die Wahrnehmung des Werkes als Ganzes. Anhand der letzten Strophe kann drittens ein Blick auf die Unterschiede zwischen den Handschriften A, B und C geworfen werden. A entspricht hier weitgehend B; C enthält jedoch zwei statt dieser einen Strophe: C 2439 Ine chan iuch niht bescheiden, waz sider da geschach, wan christen unde heiden weinen man do sach. wibe unde knehte und manige schoene meit, die heten nach ir friunden diu aller grozisten leit. C 2440 Ine sage iu nu niht mere von der grozen not, die da erslagen waren, die lazen ligen tot, wie ir dinch an geviengen sit der Hunen diet. hie hat daz maere ein ende. daz ist der Nibelunge liet. (Ich kann euch nicht berichten, was später dort geschah, nur daß man Christen und Heiden weinen sah. Frauen, Knappen und viele schöne Mädchen trauerten unermeßlich um ihre Verwandten und Freunde. Nun erzähle ich euch nicht weiter von dem furchtbaren Untergang der Burgunden und auch nicht, wie es den Hunnen danach erging; die Erschlagenen sollen dem Tod überlassen bleiben. – Hier ist die Geschichte zu Ende. Das ist das Nibelungenlied.)
Die Handschrift C bricht somit die gerade analysierte, komplexe syntaktische Struktur der letzten Strophe in B auf: Obwohl sich über die Interpunktion bei Schulze 2008 diskutieren lässt (es könnte nach sach in C 2439.2 auch ein Komma gesetzt werden), fehlt das Objekt von weinen (C 2439.2). Der nicht eingebettete, sondern erst am Schluss erfolgende Relativsatz die heten […] (C 2439.4) ist eine Konstruktion, die ein leichteres Hör- oder Leseverständnis ermöglicht als die verschachtelte Satzkonstruktion in B 2376. Inhaltlich fällt außerdem die Doppelformel christen unde heiden (C 2439.2) auf, die ritter und vrouwen (B 2376.2) ersetzt. Obwohl in beiden Fällen eine Umschreibung für ,alle‘ versucht wird, wird die Akzentsetzung hier verschoben: Verbleibt B an dieser Stelle im Rahmen des Höfisch-Ständischen, das durch das nachgeschobene dar zuo di edeln knehte (B 2376.3) konsequent beibehalten wird, so betont C die Differenzen zwischen den Christen und den Andersgläubigen, die auch an anderer Stelle in C eine stärkere Rolle spielen als in B (s. z. B. die Zusatzstrophen C 1284, 1961, 2351). Dabei wird in Kauf genommen, dass das nachgeschobene wibe unde knehte und manige schoene meit (C 2439.3) einer völlig anderen
II. Das Ende als Ausgangspunkt
Kategorisierung für ,alle‘ folgt, die zudem diffus bleibt, da insbesondere die Semantik von wibe hier unklar bleibt: Geht es um eine ständische Differenzierung (Zusammenstellung der niedrigeren Stände, ohne dass der Adel genannt würde?), um Altersunterschiede (wibe vs. meit) oder um Geschlechter (wibe und meit vs. knehte)? Man kann in solchen Abweichungen Hinweise auf eine geringere literarische Qualität der in C enthaltenen Textfassung sehen, trotz deren stärkerer Anpassung an schriftliterarische Traditionen. Der Verweis auf der Hunen diet (C 2440.3) könnte als der Versuch interpretiert werden, eine Überleitung zur nachfolgenden „Nibelungenklage“ herzustellen: Durch diese Angabe wird in Erinnerung gerufen, dass die Hunnen und ihre Verbündeten die einzigen Überlebenden der Kämpfe sind, so dass nur diese die Rückführung der Geschichte nach Burgund, wie sie in der „Klage“ vorgenommen wird, initiieren können. Durch hie hat daz maere ein ende (C 2440.4) weist C eine stärkere Rahmung der Geschichte auf, da hier Sprachmaterial der ersten Strophe wiederholt wird (Uns ist in alten maeren […], C 1.1). Da B eine nahezu identische Formulierung wählt wie C (dâ hât daz mære ein ende, B 2376.4), muss wohl angenommen werden, dass die Strophe C 1 diese rahmenden Verweise nachträglich hinzufügt. Das letzte Wort ist in C nicht nôt, sondern liet, wodurch der Akzent weniger auf das Leid gelegt wird, das die Rezipienten von B affektiv berühren soll, bzw. auf den Kampf, sondern vielmehr auf die Form oder Gattung des Werkes hingewiesen wird (d. h. auch auf seine Literarizität, die allerdings nicht automatisch mit literarischer Qualität gleichzusetzen ist). Betrachtet man nicht nur die letzte Strophe, sondern die vollständige letzte ffventiure des „Nibelungenliedes“, so zeigt sich, dass alle wesentlichen Elemente hier noch einmal vorkommen, so dass eine Darstellung der letzten ffventiure gut als Einleitung in die Analyse des gesamten Werks dienen kann. Die ffventiure 39 erwähnt alle wichtigen Figuren außer Brünhild: Gunther (namentlich angesprochen in B 2326, implizit bereits in Hagens uns in B 2323.2), Hagen (B 2323 u. ö.), Kriemhild (B 2350 u. ö.) und Siegfried (implizit durch das Schwert Balmung, B 2344 u. ö., explizit in B 2369). Von den Burgunden leben nur noch Hagen und Gunther; auf der Seite Etzels und Kriemhilds übernehmen Dietrich und Hildebrand die letzten Versuche, die Burgunden zu besiegen. Bedeutsam ist, dass Hagen hier, in einem seiner letzten Dialoge, zur Sprache bringt, dass Dietrichs Darstellung der jüngsten Ereignisse nicht mit seiner eigenen Interpretation übereinstimmt. Denn als Dietrich Gunther und Hagen vorgeworfen hat, dass die beiden nicht nur den Tod Rüdigers von Bechelaren, sondern auch den Tod aller Mannen Dietrichs ohne Not und Anlass verursacht hätten, reagiert Hagen mit dem Hinweis, „Jâne sîn wir niht sô schuldic […]. / mich dunket, daz diu mære [= die Geschehnisse] iu niht rehte sîn geseit [= gesagt]“ (B 2330.4). Dietrichs unmittelbare Antwort auf Hagens Angabe, er glaube, Dietrich sei die Geschichte nicht richtig erzählt worden, lautet dagegen: „Waz sol ich gelouben mÞre? mir seitz [= sagte es] Hildebrant […]“ (B 2331.1). In diesem Dialog wird auf diese Weise thematisiert, dass eine objektive Beschreibung irgendwelcher Ereignisse nicht möglich ist, dass jede Darstellung der Geschehnisse bereits eine subjektive Interpretation impliziert, und dass die intradiegetischen Figuren für das, was sie gelouben sollen,
nôt-/liet-Fassung
die letzte ffventiure
divergierende Wahrnehmungen
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II. Das Ende als Ausgangspunkt
divergierende Interpretationen
Kriemhild und Hagen
die ,Hortfrage‘
auf Gewährsmänner angewiesen sind (Dietrich verweist ja auf Hildebrand als möglicherweise zuverlässigere Quelle). So wird hier, zum Abschluss der Geschichte, erkennbar, dass es im „Nibelungenlied“ nicht die eine Wahrheit, den einen Schuldigen gibt, sondern dass die Figuren jeweils ihre eigene Sicht auf die Wahrheit und auf die Schuldfrage entwickeln. Das Thema des prekär gewordenen Erzählens sowohl der Figuren als auch des Erzählers und das Problem der möglichen unterschiedlichen Deutungen, die die Ereignisse erlauben, durchziehen wie ein roter Faden die letzte ffventiure (Young 2007, 250 spricht von einem „desire to thematize the production of narrative“, ohne auf die hier genannte Stelle einzugehen). Auf diese Weise wird die stilisiert hilflose Geste des Erzählers in der Schlussstrophe vorbereitet, er wisse nicht, wie die Geschichte weitergegangen sei. Die Figurenperspektiven können im „Nibelungenlied“ im Sinne der Dialogizität stark differieren, und der Erzähler nimmt nicht jedes Mal eine eindeutige Wertung vor. Gerade dies sorgt einerseits dafür, dass die Interpretationen einzelner Szenen und Figuren damals wie heute weit differieren können; andererseits wird durch diesen Blick auf die Ungreifbarkeit der erzählten Wahrheit verständlich, warum sich der Erzähler gerade in der Schlussstrophe als eine letztlich doch unzuverlässige Instanz geriert. – Hagen thematisiert wenig später außerdem, dass immerhin jedes Handeln der Protagonisten das Erzählen über sie beeinflussen wird, so dass das Erzählen, trotz der unterschiedlichen Perspektiven auf die Ereignisse, gleichzeitig nicht beliebig ist: „von uns zimt daz mære niht wol ze sagene, / daz sich iu ergæben zwÞne alsô küene man […]“ (B 2338.2–3: „es passt nicht zu uns, wenn man sagt, zwei so tapfere Männer hätten sich Euch ergeben“). Fingiert wird hier eine gewisse Unabhängigkeit der Figuren vom Erzähler, sie haben (so die Fiktion) immerhin die Möglichkeit, durch ihr Verhalten die Art und Weise zu beeinflussen, wie über sie erzählt werden wird (zu dieser „[a]ntizipierte[n] Sagenerinnerung“ bzw. „Selbstmonumentalisierung“ s. J.-D. Müller 1998, 253–257, die Zitate 253 und 257). Die letzte ffventiure zeigt außerdem die beiden Kontrahenten, Kriemhild und Hagen, noch einmal in einer direkten dialogischen Konfrontation; bestätigt wird damit die Wichtigkeit der Figurenrede im „Nibelungenlied“. Hagen ist ab Strophe B 2366 der letzte Überlebende der Burgunden, und es hat den Anschein, dass der Erzähler Hagen so agieren lässt, als ob er diese Konstellation bewusst herbeiführt. Die von den Kämpfen übermüdeten Burgunden sind zuvor von Dietrich gefangen genommen worden, zuerst Hagen (B 2349), dann Gunther (B 2358). Dietrich trägt Kriemhild nachdrücklich auf, die Gefangenen ihrem Status als Geiseln entsprechend mit Anstand zu behandeln (B 2352, 2361; vgl. Schmidt-Wiegand 1982, 385), wodurch implizit der Verdacht mit ausgesprochen wird, dass sie sich (trotz ihrer Versicherung, Si jach [= sagte], si tæt iz gerne, B 2362.1) anders verhalten wird. Und tatsächlich handelt Kriemhild im Folgenden völlig eigenmächtig, ohne Rücksprache mit Etzel und ohne den Gefangenen den ihnen zustehenden Schutz zu bieten. In dieser Eigenmächtigkeit, in diesem „anarchische[n] Potential“, zeigen Hagen und Kriemhild sehr deutliche Parallelen (vgl. Gerok-Reiter 2006, 68, 86). Kriemhild wendet sich zuerst an Hagen, nicht an Gunther, und zeigt damit, wen sie für den Tod ihres Mannes Siegfried verantwortlich macht. Sie fragt, ob Hagen ihr nicht zurückgeben wolle, was er ihr genommen habe
II. Das Ende als Ausgangspunkt
(B 2364.3–4: „welt [= wollt] ir mir geben wider, daz ir mir habt genomen, / sô muget [= könnt] ir wol lebende heim zen Burgonden komen“). „Kann damit denn wirklich gemeint sein, daß Kriemhild, deren ganzes Streben nur der Verwirklichung ihrer Rache gegolten hatte, jetzt den Todfeind aufgrund eines Tauschgeschäftes so kurz vor dem ersehnten Ziel verschonen würde?“ (Bernreuther 1994, 109; zum Komplex der Rache vgl. umfassend Möbius 1993). Insbesondere Heinzle 1987/1994, 67 u. ö. formulierte Unbehagen an dieser Deutung. Kriemhilds ,Hortfrage‘ ist jedoch mehrdeutig (J.-D. Müller 1998, 147–151 spricht von „kalkulierter Unbestimmtheit“, ebd., 147): Sie könnte sich, wie in B 1738 und wohl auch B 1736, nur auf den Hort beziehen, es scheint aber mit dem Nibelungenschatz gleichzeitig auch immer die Erinnerung an Siegfried verbunden zu sein (vgl. B 1123). Interpretiert man die Frage als Ausdruck von Kriemhilds exzessiver Treue zu Siegfried (Bernreuther 1994, 110), die als Kennzeichen heroischer Exorbitanz verstanden werden kann (zu dieser Kategorie s. zuletzt J.-D. Müller 32009, 27), so ist sie eine Fortsetzung der Forderung nach Blutrache bzw. Fehde (Schmidt-Wiegand 1982, 381), die bereits seit B 1009 den Text durchzieht. Hagen dagegen vereindeutigt den Bezug, indem er Siegfried nicht erwähnt, sondern angibt, er dürfe (wie tatsächlich in B 1137 angesprochen) den Verbleib des Nibelungenhortes keinem preisgeben, solange die anderen in dieses Geheimnis Eingeweihten, die burgundischen Könige, noch lebten: „[…] jâ hân ich des gesworn, / daz ich den hort iht [= nicht] zeige, di wîle daz si leben, / deheiner [= irgendeiner] mîner herren, sô sol ich in niemene geben“ (B 2365.2–4). Von der Handlungslogik her argumentierend, scheint er dabei die nachfolgende Reaktion Kriemhilds und somit auch den Tod seines Fürsten, zu dem er die Treue bisher gehalten hatte, als kalkuliertes Risiko in Kauf zu nehmen: Kriemhild vereindeutigt die Interpretation von Hagens doppeldeutigen Worten als Aufforderung, Gunther zu enthaupten (B 2366, vgl. J.-D. Müller 1998, 149 f.; schwingt das Motiv mit, dass sie nunmehr weiß, dass auch Gunther am Hortraub beteiligt war?). So wird ausgerechnet der treueste Vasall paradoxerweise zum Verursacher des Todes seines Herrn, was als die „letzte Konsequenz der exzessiv beanspruchten Verhaltensnorm [Vasallen-]triuwe“ interpretiert werden kann (Bernreuther 1994, 110; wie Hagens aus triuwe erwachsende Ratschläge immer negativere Folgen haben, die die Idealität des Vasallen Hagen als „allzu bequemer Mythos der modernen Rezeption“ erscheinen lassen mögen, beschreibt Gerok-Reiter 2006, 63–75, Zitat 75). Nur C motiviert Hagens Verhalten in einer Zusatzstrophe mit dem Hinweis auf seine Befürchtung, es könne Gunther sonst überleben, wodurch sich Hagen einer sterche[n] untriwe schuldig mache (C 2428.2); dies ist schwer mit dem Verhältnis Hagens zu Gunther in Einklang zu bringen, wie es in den vorhergehenden ffventiuren skizziert worden ist, und gehört zu den offensichtlich späteren Zusätzen (J.-D. Müller 1998, 150). Kriemhild tritt mit dem abgeschlagenen Kopf ihres Bruders vor Hagen (B 2366), um ihm zu demonstrieren, dass er nicht mehr an den besagten Eid gebunden sei. Die Hundeshagensche Handschrift beschließt den Text des „Nibelungenliedes“ mit genau diesem grausamen Kulminationspunkt (Hornung 1968, Abb. 37): Kriemhild hält in dieser Miniatur Gunthers Kopf in der rechten Hand, das Schwert Balmung in der linken. Rechts von Kriem-
triuwe
Miniatur Hundeshagen
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II. Das Ende als Ausgangspunkt
Verabsolutierung der triuwe
Hagens Tod
Verabsolutierung der triuwe
hild und Hagen steht Hildebrand, der sein Schwert aus der Scheide zieht. Die Abbildung verweist somit gleichzeitig auf Gunthers bereits zurückliegende Enthauptung, auf den gerade stattfindenden Dialog Kriemhilds mit Hagen sowie auf Hagens und Kriemhilds wenig später erfolgenden Tod (s. u.). Etzel und Dietrich bleiben im Bild der Hundeshagenschen Handschrift außerhalb der Betrachtung. Hagen weigert sich trotz Gunthers Tod weiterhin, das Versteck des Hortes preiszugeben (B 2367–2369; unklar ist, inwiefern dies die „epische Nutzlosigkeit des Eidmotivs“ demonstriere, Heinzle 1987/1994, 68, vgl. J.-D. Müller 1998, 363). Diese Verweigerung mutet wie ein Kommentar zu Kriemhilds mehrfachen Brüchen der Verschwiegenheitsbündnisse an (vgl. Robles 2005, 374; s. S. 84 f., 90 f.). Sie zeigt, dass sowohl Hagen als auch Kriemhild die Möglichkeit eines Neubeginns ablehnen. Ihre parallelen, „ins Extrem gesteigerte[n] triuwe-Haltung[en] verurteilen jede denkbare Rechtslösung des Konflikts zum Scheitern“ (Bernreuther 1994, 111). Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Kriemhilds triuwe, anders als Hagens, „aus dem Geflecht gewöhnlicher triuwe-Bindungen heraus[fällt]“ (J.-D. Müller 1998, 165): Da sie sich auf Siegfried konzentriert, auch über dessen Tod hinaus, somit von Siegfrieds tatsächlicher gesellschaftlicher Stellung unabhängig ist, „pervertiert diese im Wortsinne a-soziale triuwe zur Ungeheuerlichkeit“ (ebd.), wird also negativer gewertet als Hagens Verabsolutierung der Vasallentreue. Hagens Überlegenheit über Kriemhild in dieser letzten Auseinandersetzung ist allerdings nur von kurzer Dauer. Kriemhild, die im gesamten „Nibelungenlied“ in Dialogen Hagen gegenüber machtlos geblieben ist (vgl. S. 90, 107 f., 109 f.), reagiert auf Hagens höhnische Worte, indem sie ihn eigenhändig enthauptet (B 2370; „sado-masochistische[.]“ Züge Hagens, wie von Gephart 2005, 186 beschrieben, dürften hier kaum intendiert sein). Kriemhild verwendet Siegfrieds Schwert Balmung, den einzigen Teil des Nibelungenhortes, den Hagen für sich behalten hatte und der in ffventiure 39 wieder in Kriemhilds Besitz wechselt, so dass Hagen unfreiwillig doch noch eine gewisse Form der Rückgabe des Hortes ermöglicht (vgl. Wolf 1995, 421 zur „kompositorische[n] Bedeutung“ des Schwertes; s. auch J.-D. Müller 1998, 150 f.). Kriemhilds letzte Worte („[…] sô wil ich doch behalten daz Sîfrides swert. / daz truoc mîn holder [= geliebter] vriedel [= Mann], dô ich in jungest [= das letzte Mal] sach [= sah], / an dem mir herzeleide von iuwern schulden geschach“, B 2369.2–4) erinnern noch einmal an Siegfried, an ihre letzte Begegnung mit ihm (B 922), wie sich auch ihre ersten Worte im „Nibelungenlied“ (B 13) auf ihn bezogen hatten. Sie behält zwar Hagen gegenüber das letzte Wort, es sind aber Worte der Machtlosigkeit. Ob diese Machtlosigkeit aufzufassen ist als Ausdruck der Frustration über den „systematic refusal by a patriarchal society to allow her will and her desire, since female, to achieve satisfaction“ (Frakes 1994, 94), oder ob sie nicht doch eher, jenseits von den hier angesprochenen genderrelatierten Verhältnissen, der spezifischen Figurenkonstellation Hagen – Kriemhild geschuldet ist, sei dahingestellt. Die konsequent eingehaltene triuwe Kriemhilds wie auch Hagens mündet sowohl im Tod der ,Objekte‘ der triuwe als auch in beider eigenem Tod. Dass diese Parallelität zwischen Kriemhild und Hagen, die im zweiten Teil die Parallelität zwischen Kriemhild und Siegfried teilweise überlagert, keine beliebige Interpretation ist, bestätigen die Untersuchungen zur Dialogge-
II. Das Ende als Ausgangspunkt
staltung, die Weydt 2007 veröffentlichte: Er beschreibt diesen letzten Dialog zwischen Kriemhild und Hagen als eine Kulmination der unterschwelligen Kooperation zwischen den beiden Kontrahenten. Auch wenn sie sich feindlich gegenüberstehen, wollen beide die Konfrontation und arbeiten beide im Sinne der Gesprächsanalyse gemeinsam auf dieses Ziel hin, sie kooperieren somit unterschwellig miteinander. Dass diese Kooperation „libidinöse[.]“ Züge hätte (Gephart 2005, 141), gibt der Text allerdings nicht vor. Die „Grenzüberschreitung[.]“, die Kriemhild dadurch begeht, dass sie als Frau ein Schwert in die Hand nimmt (Schulze 2004, 105), veranlasst Hildebrand seinerseits dazu, sie zu töten. Auffällig ist, dass die Beurteilungen sowohl der textinternen Figuren als auch des heterodiegetischen Erzählers am Ende des Werkes darin übereinzustimmen scheinen, dass Hildebrands Tötung Kriemhilds, die drastisch als ze stucken houwen beschrieben wird, eine berechtigte Strafe dafür sei, dass Kriemhild Hagen eigenhändig getötet habe (vgl. B 2374.2; Jönsson 2001, 204). J.-D. Müller 1998, 168 gibt an, das Zerstückeln sei als Strafe für Verräter üblich gewesen, Schulze 2004, 116 verweist darauf, dass durch das Zerstückeln „nach alter apotropäischer Vorstellung“ „die gefürchtete Rache einer möglichen Wiedergängerin“ gebannt werde; wer hier „bänkelsängerische[.]“ Komik erkennen will („Kinder der Nibelungen“ 2007, 24, Klaus Heinrich), verkennt den ernsten Ton der letzten Strophen. Auffällig ist allerdings, dass das Zerstückeltwerden nur Männern vorbehalten war (Frank 2004, 197). In Kriemhilds Todesart spiegelt sich damit gerade ihre Überschreitung der genderspezifischen Grenzen. Dabei mildert C die mangelnde Sympathie für Kriemhild auf der Seite des Erzählers immerhin geringfügig ab (vgl. C 2436 mit B 2373). Die Hundeshagensche Handschrift fügt dagegen nach B 2373 zwei schwankhafte Zusatzstrophen ein (ediert bei Batts 1971, 723), in denen beschrieben wird, wie Kriemhilds Körper von Hildebrand so schnell zertrennt wird, dass sie dies zunächst nicht bemerkt. Erst dadurch, dass Hildebrand ihr einen Ring vor die Füße wirft und sie sich bückt, um diesen aufzuheben, zerfällt sie in zwei Teile. Dass Kriemhild hier der Lächerlichkeit preisgegeben wird, verstärkt die Konfrontation von Hildebrand und Kriemhild (J.-D. Müller 1998, 100). Die unterschiedliche Bewertung insbesondere der Kriemhild-Figur setzt, so zeigen diese letzten Strophen des „Nibelungenliedes“, bereits während der Überlieferung des Primärtextes ein. Alle Fassungen stimmen trotz dieser Unterschiede darin überein, dass der Tod Hagens, nicht derjenige Kriemhilds beklagt wird (B 2371, vgl. auch C 2434) – und zwar von Kriemhilds eigenem Ehemann Etzel (J.-D. Müller 1998, 192), der zwar lange nicht geahnt hatte, was Kriemhild im Schilde führte, insbesondere aber nach dem Tod seines Sohnes Ortlieb (B 1958) ihre Forderung nach Rache unterstützt hatte. So mündet der Text in einer Demonstration der „Solidargemeinschaft“ der Männer (Schulze 2004, 115), die kein Mitleid mit Kriemhild mehr erlaubt. Wie führt der Text den Rezipienten, bis nicht nur nahezu alle Protagonisten vernichtet sind, sondern der Erzähler auch sein Verständnis und seine Sympathie für die wichtigste weibliche Figur aufgegeben hat, die in den letzten ffventiuren zunehmend isoliert erscheint? Das nachfolgende Kapitel III zeichnet einzelne Stationen der Erzählung nach und versucht dabei, Strukturen und Motivparallelen, aber auch Brüche erkennbar zu machen.
Kriemhilds Tod
Varianz in den Handschriften
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren 1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1) B1
Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn, daz in allen landen niht schœners mohte sîn, Kriemhilt geheizen; si wart ein schœne wîp. dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.
(Es wuchs im Burgundenland ein junges Edelfräulein heran, so schön wie keine andere auf der Welt, Kriemhild hieß sie. Später wurde sie eine schöne Frau. Ihretwegen mussten viele Ritter ihr Leben verlieren.) Kriemhild
Adel
höfisches Umfeld
Es ist die weibliche Hauptfigur Kriemhild, der sich die erste ffventiure widmet. Die Metrik in Vers B 1.3 bekräftigt ihre herausgehobene Rolle: Die erste Silbe ihres Namens füllt einen ganzen Takt (beschwerte Hebung): Kríem-hìlt. Parallel wird zu Anfang der zweiten ffventiure Siegfrieds Name bei seiner ersten Erwähnung mit beschwerter Hebung versehen (B 19.1: Sî-vrìt). Kriemhild wird durch die Bezeichnung als vil edel [!] magedîn (B 1.1) in eine adlig-höfisch organisierte Welt eingebettet, wobei Adel und Sittsamkeit eng miteinander verbunden sind (Ehrismann 1995, 61). Sie lebt in Burgonden (B 1.1; vgl. B 3.3), in Worms (B 4.1). Verwiesen wird damit nicht auf das mittelalterliche Herzogtum Burgund oder das Königreich Burgund im Gebiet des heutigen Frankreich, sondern auf das Herrschaftsgebiet des ostgermanischen Stammes der Burgunden, welcher im 5. Jahrhundert wohl am Rhein angesiedelt war (S. 23). Damit wird auf den historischen Kern der Sage verwiesen, unklar bleibt aber, ob dieses historische Substrat für das Publikum im 12./13. Jahrhundert noch erschließbar war. Dargestellt wird, dass Kriemhild in Obhut dreier kunege edel und rîch (B 2.1) aufwächst: Gunther, Gernot und Giselher, von arde hôhe erborn (B 3.1, „aus hochadligem Geschlecht“; wiederum verweisen zumindest die Namen Gunther und Giselher auf den historischen Kern der Sage). Kriemhild ist die Schwester dieser drei Fürsten (B 2.4), von denen Gunther als erster genannt wird. Er ist im „Nibelungenlied“ der politisch verantwortliche der drei Brüder, somit wohl der älteste; Giselher wird des Öfteren als daz kint (z. B. B 265.1 und noch B 2118.1, 2223.1) oder als der junge charakterisiert (B 2.3, 544.1 u. ö., noch B 2168.1), so dass er der jüngste der Brüder sein dürfte. Im Sinne der Bestätigung der adligen Genealogie Kriemhilds werden außerdem die Eltern der vier Geschwister genannt (Dankrat und Ute: B 5). Es folgt der Hinweis auf di besten recken (B 6.3) am Hof: Hagen, Dankwart, Ortwin, Gere, Eckewart, Volker, Rumold, Sindold und Hunold (B 7–9; zur Binnendifferenzierung dieser neun Helden und ihrer Ämter s. Ehrismann 22002, 66 f.). Nicht alle diese Figuren spielen in den nachfolgenden ffventiuren eine entscheidende Rolle; es kam an dieser Stelle wohl mehr darauf an, eine stattliche Anzahl von Gefolgsleuten aufzuführen, als
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
auf deren eventuell wichtige Rolle im Text vorzuverweisen. Anders zu werten ist dagegen die Nennung Etzels (B 3.4; in k in die erste Strophe vorverlegt): Der an dieser Stelle inhaltlich nicht näher spezifizierte Hinweis auf die wunder, die die Burgunden in Etzels Land vollführen werden, verweist bereits hier auf den zweiten Teil des Textes vor. Auch wenn die eher der Sphäre des Heroischen zugehörigen Bezeichnungen recken (= Helden; B 2.2, 3.2) und degen (= Helden; B 2.3) die Könige als nicht nur höfisch, sondern auch als heroisch tapfer charakterisieren: Die ihnen dienende ritterschaft (B 4.2, 10.2) sowie der Verweis auf des hoves krefte (B 10.1) und seine vröuden (B 10.3) positioniert das Geschehen erneut im höfischen Zusammenhang, wie er um 1200 insbesondere in den Artusepen in idealisierter Form dargestellt wurde. Der Text verliert jedoch kein Wort über Kriemhilds eventuelle höfische Bildung: Anders als etwa Isolde in Gottfrieds „Tristan“ (um 1210 entstanden), die Fremdsprachen lernt und Musikunterricht genießt (Gottfried von Straßburg, „Tristan“, v. 7962–8035), erfährt man über Kriemhilds Bildung nicht das Geringste. Es wird lediglich, deutlich später, die sechste ffventiure darauf verweisen, dass sie bestimmte Handarbeiten selbst ausführt (B 360.4). Ob sich das mittelalterliche Publikum vorgestellt haben mag, dass Kriemhild lesen und schreiben konnte, wie etwa die Königstochter Lavinia im wohl vor 1190 entstandenen „Eneasroman“ Heinrichs von Veldeke (s. dort v. 286,19–39), bleibt unklar, da Botschaften im „Nibelungenlied“ zumeist mündlich übermittelt werden (vgl. allenfalls B 1418). Neben dieser Betonung hochadliger Herkunft (wenn auch nicht: höfischer Bildung) fällt die Hervorhebung der Schönheit Kriemhilds auf (vgl. S. 40 f.). Bereits die erste Strophe bedient sich des Unsagbarkeitstopos und des literarischen Stilmittels der Hyperbel (der Übertreibung): Kriemhild ist so schön, daz in allen landen niht schœners mohte [= konnte] sîn (B 1.2). So wie die Königsbrüder mit kraft unmâzen küene sind (B 3.2), so ist Kriemhild unmâzen schön (B 43.1, 47.2, 322.1). Dieses Motiv wird später auch für Brünhild verwendet, die kuneginne […] uber sÞ (B 324.1), die ebenfalls als unmâzen schœne bezeichnet wird (B 324.3), wonach allerdings unmittelbar die bedeutungsvolle Ergänzung vil michel [= groß] was ir kraft folgt (B 324.3; vgl. Schulze 2004, 108, Frank 2004, 65). Die erste Charakterisierung der weiblichen Protagonisten durch den Erzähler parallelisiert somit beider Schönheit, während gleichzeitig sofort auf die Differenzen zwischen den beiden Frauen hingewiesen wird. Dass die so genannte Kalokagathie im Fall beider Figuren gestört ist, das schöne Äußere somit nicht dauerhaft mit positiven inneren Werten verbunden sein muss, wird für Kriemhild nicht gleich einführend ausgesprochen – anders als für Brünhild, deren kraft sicherlich nicht zu den für Frauen üblichen höfischen Tugenden gehört (vgl. Schausten 1999, 36; Frank 2004, 66 und Strohschneider 1997/2005, 50 sehen dadurch die traditionelle literarische Rolle von Braut und Brautvater in einer Figur vereint). Augenfällig wird, dass sich die weiblichen und die männlichen Protagonisten im „Nibelungenlied“ in ihrer ersten Darstellung, die die Wahrnehmung der Figuren maßgeblich steuert, über die Themenbereiche hohen Adels sowie ungewöhnlicher körperlicher Kraft und Schönheit konturieren. Klinger 2010, 74 spricht allerdings zu Recht von der „raumzeitliche[n] Insularität“, die dem weiblichen Heroentum Brünhilds zugeschrieben wird.
Kriemhilds Schönheit
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren Störungen höfischer Idealität
Vorausdeutungen
Falkentraum
In diese Textur einer höfisch-idealen Welt in Worms, die heroische Elemente harmonisch zu inkorporieren scheint, werden jedoch von Beginn an Dissonanzen eingewoben. Dies geschieht dadurch, dass bereits in der ersten Strophe vom Erzähler zukünftiges Leid angekündigt wird (Prolepse; vgl. Wachinger 1960, 5): Kriemhild wart [= wurde] ein schœne wîp (B 1.3), sie wuchs somit zu einer schönen (Ehe-)Frau heran; deswegen (dar umbe) aber muosen degene vil verliesen den lîp (B 1.4). Bereits die erste Strophe bildet eine Klammer zwischen erstem und zweitem Teil des „Nibelungenliedes“: Vom Anfang an wird auf das Ende verwiesen und wird somit der ursächliche Zusammenhang zwischen Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache betont (vgl. Stech 1993, 69). Durch die kausale Verbindung von weiblicher Schönheit und dem Tod der Helden (Scheuble 2005, 113–115) klingt im Sinne intertextueller literarischer Verweise das Motiv der Helena an, die aufgrund ihrer Schönheit von Paris geraubt wurde, wodurch der trojanische Krieg ausgelöst wurde (Heinzle 1987/1994, 74–76). Im Sinne mittelalterlicher religiöser Motive erkennt man außerdem einen Anklang an die Adam ins Verderben führende Eva (Schulze 2004, 107 f.). Solche negativen Vorausdeutungen sind in der ersten ffventiure des „Nibelungenliedes“ häufig zu finden (B 1.4, 4.4, 12.3–4, 17.4). Einerseits mögen sie die Rezipienten dazu anregen, antizipierend aktiv zu werden und rückblickend „Zusammenhang […] herzustellen“ (Stech 1993, 63), andererseits erscheint gerade auch wichtig, dass ein Rezipient solche Vorausdeutungen ohne die Hilfe des Erzählers kaum verstehen kann. Es zeigt sich hier kaum die „äußere Grenze epischer Unbestimmtheit“ (ebd., 64); die Vorausdeutungen sind vielmehr ein spannungssteigerndes Mittel, das gleichzeitig die Erzählerpräsenz und -autorität, sein souveränes Überblicken der Geschehnisse hervorhebt. Diese Souveränität, die sich gleich in der ersten Strophe von B manifestiert (und ähnlich auch in A 1 und C 1 vorhanden ist), kontrastiert scharf mit dem Erzählerduktus der letzten Strophe des „Nibelungenliedes“, die auf S. 45 beschrieben wurde. Bereits die Strophe B 4 zeigt, dass nicht allein Kriemhild den Untergang der vielen degene verursachen wird: Hier wird ausgesagt, si [= die Burgunden] ersturben [= starben] sît [= später] jæmerliche von zweier [!] edelen frouwen nît (B 4.4). Neben Kriemhild (B 1.4) wird also eine zweite Frau Unheil anrichten (Schulze 2004, 107); da Brünhilds Name hier nicht genannt wird, kann der Vorverweis erst durch die weitere Lektüre des Textes (oder beim weiteren Zuhören) entschlüsselt werden. Darüber hinaus wird die aktive Rolle der beiden Fürstinnen im Geschehen durch den Hinweis auf ihren nît (= Neid, Hass, Missgunst; B 4.4) stärker betont als noch in der ersten Strophe. War in B 1 die Interpretation noch möglich, dass Kriemhild (wie Helena) nur als weitgehend passives Objekt des Begehrens der Männer fungieren würde, so lässt B 4 keinen Zweifel mehr daran, dass sie nicht nur Anlass für den Tod der degene sein wird, sondern diesen selbst aktiv verursachen wird. Dadurch, dass angegeben wird, die Helden würden jæmerliche sterben (B 4.4), deutet sich an, dass die Sympathie mit der KriemhildFigur, die der Erzähler anfänglich zeigt, nicht von Dauer sein wird. Einen weiteren Hinweis auf Dissonanzen in der höfischen Welt gibt die Tatsache, dass sich Kriemhild zunächst dem höfischen Ideal der minne verweigert (vgl. zu den Unterschieden der Auffassungen von Ehe-minne in
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
Minnesang und Epik Achauer 1967, insbesondere 101 f., 108–121, Stech 1993, 144–168; J.-D. Müller, 1998, 409: „Höfischer Frauendienst bleibt ein Fremdkörper im Heldenepos“). Dies wird im ersten Gespräch erkennbar, das das „Nibelungenlied“ in direkter Rede wiedergibt. Der Dialog entwickelt sich zwischen Kriemhild und ihrer Mutter Ute und wird ausgelöst durch einen Traum Kriemhilds. Denn [i]n disen hôhen Þren (B 11.1) träumt sie, dass ein von ihr abgerichteter Falke von zwei Adlern getötet wird. Dieser Traum verstört Kriemhild in starkem Maße – angegeben wird sogar, es hätte ihr nichts Schlimmeres geschehen können (ir enkunde in dirre werlde leider nimmer geschehen, B 11.4). Der Anklang an das Falkenlied des Kürenbergers (vgl. „Des Minnesangs Frühling“ 1988, 25) ist eindeutig, das Motiv wird im „Nibelungenlied“ jedoch noch gesteigert: Im KürenbergerLied muss die weibliche Sprecherin lediglich mit ansehen, wie der Falke entfliegt („[…] er huop sich ûf vil hôhe und vlouc in anderiu lant. / Sît [= später] sach [sah] ich den valken schône vliegen“), während er im „Nibelungenlied“ eines gewaltsamen Todes stirbt (im Übrigen wird Utes eigener, ebenfalls prophetischer Traum in der 25. ffventiure, B 1506, das Motiv erneut steigern, indem Ute träumt, dass alle Vögel im Lande gestorben seien). Der Erzähler im „Nibelungenlied“ berichtet, dass Kriemhild Ute ihren Traum erzählt (B 12.1); die erste im Text dargestellte Sprechhandlung Kriemhilds wird somit im indirekten Redebericht durch den Erzähler dargestellt, die erste intradiegetische Figur, der der Erzähler die direkte Rede zuteilt, ist Kriemhilds Mutter Ute. Ute kann in ihrer Antwort keine positive Traumdeutung anbieten (sine [= sie] kundes [= konnte es] niht bescheiden baz [= besser], B 12.2), und sie verkündet ihre unheilvolle Interpretation des Traumes in sehr direkter Weise, ohne beschönigende Floskeln, sogar ohne eine affektive Anrede der Tochter: „der valke, den du ziuhest, daz ist ein edel man. / in enwelle got behüeten, du muost in schiere vloren hân“ (B 12.3–4). Mit dem Falken werde auf Kriemhilds künftigen Ehemann verwiesen, den sie, wenn Gott ihn nicht schützen wolle, bald verlieren werde. Wenn auch verschlüsselt, verweist Utes Deutung des Traum damit proleptisch auf das Ende des ersten Teils des „Nibelungenliedes“, auf Siegfrieds Tod (zur Symbolik des Falken als eines höfischen Jagdvogels und zu seiner Deutung an dieser Stelle s. Frakes 1984, 181–183, zur Vorausdeutung Wachinger 1960, 5, 33, 42). In dieser Prolepse bleibt der zweite Teil des Textes ausgeblendet, auch wenn er durch die enge Verzahnung von erstem und zweitem Teil indirekt mit angesprochen wird. Kriemhild weist daraufhin den Gedanken an die minne weit von sich (stilistisch auffällig ist das Spiel mit den Leitwörtern man(ne), minne und (n)immer, das in Strophe B 14 in Utes Antwort fortgeführt wird): B 13
„Waz saget ir mir von manne, vil liebiu muoter mîn? âne recken minne, sô wil ich immer sîn. sus schœn ich wil belîben unz an mînen tôt, daz ich von mannes minne sol gewinnen nimmer nôt.“
(„Was redet Ihr mir von einem Mann, liebste Mutter? Auf die Liebe eines Recken will ich immer verzichten. Ich will so schön bis an meinen Tod bleiben, so dass ich von der Liebe eines Mannes niemals Leid erfahren werde.“)
minne-Verweigerung
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
liebe und leit
Sprachlich setzt der Text mit dem ersten in direkter Rede wiedergegebenen Dialogbeitrag Kriemhilds wichtige Akzente: Ihre rhetorische Frage (Waz saget ir mir von manne, B 13.1) verzichtet trotz der affektiven Anrede (vil liebiu muoter mîn, B 13.1) auf jegliche höfliche Indirektheit (vgl. Haferland/ Paul 1996), und auch die restliche Strophe ist von einem sehr bestimmten, geradezu autoritativen Ton geprägt: Vgl. das zweimalige ich wil, B 13.2, 13.3, und in B 15.1 spricht Kriemhild ihre Mutter mit „Di rede lât [= lasst] belîben“ im unmittelbaren Imperativ an. Insofern ist nicht nachvollziehbar, dass sich Kriemhild vor dem Streit der Königinnen angeblich „in Gesprächen eher passiv“ verhalte, wie von Nolte 2004, 43 behauptet. Kriemhilds im Sinne der Sprechakttheorie kommissive Äußerung, das Versprechen, sich bis zu ihrem Tod (B 13.3) von der Liebe fern zu halten, wird wirkungslos bleiben – dies wissen die textexternen Rezipienten bereits seit der ersten Strophe (si wart ein schœne wîp [= (Ehe-)Frau], B 1.3). Das Ereignis des Traums dient (sieht man von Kriemhilds Absage an die minne ab) weniger den textinternen Figuren als Anlass zum Handeln, es bietet vielmehr eine „Metapher, dank deren Auslegung der Hörer vorweg überblickt, was ihm erst noch erzählt werden soll“ (J.-D. Müller 1998, 109; vgl. Wachinger 1960, 33). Die Vorverweise auf das furchterregende Ende werden nicht nur autoritativ vom Erzähler vorgenommen, sondern auch auf die Ebene der Prophezeiungen durch die Figuren selbst verlagert. Dass diese den Prophezeiungen topisch wenig Beachtung schenken (Wachinger 1960, 49 f.), verstärkt das Wissen, das den Erzähler und die textexternen Rezipienten zu Verbündeten macht. Kriemhild führt weiterhin aus, sie wolle sus schœn (B 13.3) ohne die Liebe eines Mannes leben, da die Liebe ohnehin nur zu Leid führe: „[…] ez ist an manegen [= manchen] wîben vil dicke [= oft] worden schîn [= erkennbar], / wie liebe mit leide ze jungest [= zuletzt] lônen kan [= wird]. / ich sol si mîden [= vermeiden] beide, sône kan mir nimmer missegân“ (B 15.2–4). Zum Ausdruck gebracht wird damit eines der zentralen Probleme, um die die Geschlechterkonstellation im „Nibelungenlied“ kreist (vgl. Lienert 2003): Den Frauen wird (zeittypisch) eine eher passive Rolle zugeschrieben, ihre Bedeutung konstituiert sich nicht zuletzt durch ihre Väter, Brüder und Ehemänner (Frank 2004, 5). Auch dann, wenn sie ihr Schicksal selbst bestimmen wollen und in einigen Bereichen tatsächlich bestimmen zu können scheinen, werden ihre Geschicke letztlich doch durch das Handeln der Männer gelenkt, wie später auch bei Kriemhild und sogar bei der auf den ersten Blick sehr autonom handelnden isländischen Königin Brünhild deutlich wird. Sie, die wîp, auf die Kriemhild hier Bezug nimmt, sind letztlich Zuschauerinnen, die dem leide, das durch ihre liebe entsteht, aktiv nichts entgegensetzen, ihm nicht entkommen können. Das liebe/leitMotiv wird schließlich in der letzten ffventiure in Strophe B 2375 wieder aufgegriffen und bildet so eine Wortklammer. Der jungen Königstochter Kriemhild werden damit aber in den Strophen B 13 und 15 gleichzeitig Worte in den Mund gelegt, die fast altklug anmuten: Von wie vielen wîben, die die Liebe unglücklich gemacht habe, will sie Kenntnis haben? Soll man in diesen Versen tatsächlich die „Problematisierung ehelicher Missstände“ erkennen, die „womöglich […] ein realhistorisches Phänomen des Hochmittelalters“ spiegle, wie Jönsson 2001, 59 und
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
61 vorschlägt? Betrachtet man das literarische Umfeld um 1200, so drängt sich vielmehr die Vermutung auf, dass der Streit zwischen der Königstochter Lavinia und ihrer Mutter aus dem „Eneasroman“ als literarisches Vorbild gedient haben könnte: Auch in jenem Text will die Tochter aus Unkenntnis über die minne lieber ganz auf sie verzichten als sich in die Gefahr zu begeben, aufgrund der minne leiden zu müssen (Heinrich von Veldeke, „Eneasroman“, v. 260,7–266,18). Kriemhilds Mutter wird in diesem Dialog der Versuch zugewiesen, ihre Tochter durch die Darstellung einer Gegenposition auf andere Gedanken zu bringen („Nu versprich [= widersprich] ez niht ze sÞre“, sprach aber ir muoter dô. / „soltu immer herzenliche zer werlde werden vrô, / daz geschiht von mannes minne […]“, B 14.1–3). Utes Redebeitrag ist in einem sehr milden Ton verfasst. Sie verweist hier nicht mehr auf ihre eigene negative Prophezeiung zurück, womit diese indirekt als unwesentlich abgewertet wird, und bezieht sich ausschließlich auf die Liebe im idealisierten, emotionalen Sinn. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund der Überlegung deutlich, der „Eneasroman“ könnte als Vorlage gedient haben: Dort durchkreuzt Lavinias Sturheit die konkreten politischen Pläne der Königin, so dass diese mit großem Nachdruck auf Lavinia einredet und schließlich mit einigem Zorn reagiert, als sich ihre Tochter unbelehrbar zeigt. Kriemhild wird in diesem Gespräch zwar, wie Lavinia, als ihrer Mutter überlegen dargestellt, und zwar in dem Sinne, dass sie die Meinung ihrer Mutter nicht gelten lässt, bis die Mutter ihr nicht mehr widerspricht; der Dialog selbst ist aber weniger pointiert als Streitgespräch konzipiert als derjenige im „Eneasroman“. Er zeigt die junge Kriemhild nicht gerade als eine folgsame Tochter, auch wenn ihre Auseinandersetzung mit der Mutter nicht so weit auf die Spitze getrieben wird, dass die Mutter, wie die Königin im „Eneasroman“, in zorne das Zimmer verlässt (Heinrich von Veldeke, „Eneasroman“, v. 266,15). Bedeutsam erscheint, dass Ute erneut die Schönheit ihrer Tochter thematisiert, und zwar in nahezu identischer Formulierung wie der Erzähler in B 1.3: „[…] du wirst ein schœne wîp […]“ (B 14.3). Die körperliche Schönheit Kriemhilds werde nicht unbemerkt bleiben, ihre Schönheit prädestiniere sie geradezu zur Ehefrau eines rehte guoten ritters lîp (B 14.4). Die Bedeutung der Schönheit Kriemhilds wird somit nicht nur auf der Erzählerebene, sondern auch im textinternen Gespräch zwischen den Figuren bewusst gemacht. Die erste ffventiure in B zeichnet Kriemhild damit als eine auffällig schöne adlige junge Dame, die zwar mit der minne-Thematik vertraut ist, sich aber (topisch) gegen ihre Mutter und gegen die minne auflehnt, wobei sie eine sehr ,selbstbewusste‘ Haltung aufweist. Die ,trotzige‘ Haltung Kriemhilds sollte aufgrund der genannten literarischen Vorbilder nicht als Versuch einer psychologisierenden Charakterskizze missverstanden werden, sondern eher als Topos, als intertextuelles Zitat. Dies wird insbesondere dadurch erkennbar, dass nur noch zu Anfang der ffventiure 3 kurz auf Kriemhilds Absage an die minne Bezug genommen wird (B 44), das Motiv aber sonst keine Rolle mehr spielt – es fehlt nicht nur jeglicher Hinweis seitens der Figuren darauf, dass Kriemhild sich bei ihrer Begegnung mit Siegfried über ihre „Eheunlust“ (Jönsson 2001, 58) hinwegsetzen würde, auch der Erzähler selbst erinnert nicht mehr daran (Wachinger 1960, 42).
Intertextualität
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren Ambivalenz der Kriemhild-Figur
Kriemhild als „Antiheldin“
Varianz in den Handschriften
A, B, C
Am Ende der ersten ffventiure wird Kriemhild vom Erzähler zunächst resümierend als diu vil guote bezeichnet (B 16.1), während die letzte Strophe aber erneut negative Vorausdeutungen enthält und in diesem Rahmen ein entscheidendes Stichwort nennt: Kriemhilds Rache (wi sÞre si daz rach [= rächte] / an ir næhsten mâgen [= Verwandten], B 17.2–3). Die ffventiure endet somit in Bezug auf die Figur Kriemhild mit ausgesprochen ambivalenten Hinweisen. Insofern ist unrichtig, dass Kriemhild „[b]is zur Hochzeit mit Siegfried […] die Rolle einer strahlenden Repräsentantin höfischer Ordnung, einer Braut ohne jede Eigenwilligkeit“ spiele, wie von Klinger 2010, 79, Anm. 32 behauptet. Millet 2007, 60 hat darauf hingewiesen, dass Kriemhild in Zeugnissen außerhalb des „Nibelungenliedes“ (die allerdings zum Teil erst in zeitlicher Nachfolge zu diesem Text entstanden sind) überwiegend als eine negative Figur, als „Antiheldin“ charakterisiert wird: Die Rezeption der Figur gibt deutliche Hinweise darauf, dass Kriemhild im 12. und 13. Jahrhundert in der Regel als „geradezu sprichwörtliche Chiffre[.] für gnadenlosen Verrat und mörderischen Kampf“ stand, als „Bezeichnung für eine als ausgesprochen bösartig angesehene Frau“ (ebd., 61; allgemeiner auch Seitter, 1990; Layher 2009 verweist ebenfalls auf die Ambiguität der Figur Kriemhild im 12./13. Jahrhundert). Sollte dieses negative Bild der Figur bereits vor der Verschriftlichung des „Nibelungenliedes“ dominant gewesen sein, so kann die zumindest teilweise positive Darstellung Kriemhilds in der ersten ffventiure als eine Provokation des Publikums gesehen werden, das damit aufgefordert würde, seine bisherigen Vorstellungen von Kriemhild zu revidieren. Gleichzeitig könnte Kriemhilds wenig folgsamer Ton im Dialog mit Ute als ein Verweis auf die negativen Deutungen interpretiert werden, als Vorverweis auf den zweiten Teil des Textes, der die negative Darstellung Kriemhilds (wie sie die Strophe B 17 vorwegnimmt) wieder aufgreift und schließlich dominieren lässt. Wie detailliert allerdings die Kenntnisse waren, die das Publikum um 1200 von der mündlich tradierten Nibelungensage hatte, und welche Aspekte der einzelnen Figuren dort besonders bekannt waren, lässt sich nicht mehr ermitteln. In den adlig-höfischen Kreisen, für die die schriftlichen Fassungen des „Nibelungenliedes“ gedacht sein dürften, erhält der intertextuelle Verweis auf die zeitgenössische höfische Literatur in der ffventiure 1, durch den die Einbettung des heldenepischen Stoffes in höfisch-literarische Traditionen betont wird, möglicherweise eine ebenso hohe Wertigkeit wie der Hinweis auf die Rache. J.-D. Müller 1998, 99 f. weist auf die „[b]esondere Varianz“ (ebd., 99) hin, die gerade die erste ffventiure in den Handschriften A, B und C auszeichnet. Diese Varianz sei hier beispielhaft etwas ausführlicher besprochen und danach aus Raumgründen auf jeweils die wichtigsten Aspekte reduziert; der Leittext für die vorliegende Einführung bleibt die Handschrift B. Dass A und C den Text mit einer ,Programmstrophe‘ eröffnen (Uns ist in alten maeren wunders vil geseit […], C 1), wurde oben (S. 38) bereits angesprochen. Diese Handschriften eröffnen den Text mit dem Hinweis auf heleden und recken (C 1.2, 1.4), ohne auf die weiblichen Figuren hinzuweisen, so dass hier erst in der zweiten Strophe von Kriemhild die Rede ist. In C wird außerdem (wie in A) die Tendenz, von Anfang an auf das negative Ende der Geschichte zu verweisen, noch verstärkt, indem in der dortigen
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
ersten Strophe in Antithese zu freude und hochgeciten (C 1.3) auf groze[.] arebeit (C 1.2; = Mühe, Mühsal) sowie auf weinen unde klagen (C 1.3) vorverwiesen wird, während die nachfolgende Strophe außerdem die für B 1.4 zitierte Prolepse beibehält (C 2.4: darumbe muosin degene vil verliesen den lip). Des Weiteren enthält A eine Zusatzstrophe nach derjenigen, die in B die erste ist: A3
o
Der minnechlichen meide trvten wol gezam o o in mvte kvner recken. niemen was ir gram. e ane mazen schone so was ir edel lip. v der ivnchfrowen tugende zierten anderiv wip.
(Es stand der schönen Jungfrau zu, im Herzen tapferer Helden geliebt zu werden. Niemand war ihr böse. Maßlos schön war ihr edler Körper. Die Tugenden der Jungfrau ehrten zugleich auch alle anderen Frauen.)
In A wird somit bereits in der dritten Strophe auf die maßlose Schönheit Kriemhilds hingewiesen. Explizit, und anders als in B und C, wird hier außerdem ausgesagt, dass die minnechliche[.] Kriemhild mit Recht von vielen o kvne[n] recken, ja von allen geliebt wurde (A 3.2). In A wird Kriemhild somit (in Reaktion auf ein unterstelltes bzw. antizipiertes Sagenwissen des Publikums?) noch deutlich positiver dargestellt als in B und C. In k dagegen ist weitgehend der Strophenbestand von C überliefert, der allerdings um die eben zitierte Strophe A 3 ergänzt wird (Springeth 2007, 49–52, 369–388). Dabei lassen sich in dieser Strophe eine Reihe von Texteingriffen nachweisen: k3
Sie was gar wunder schone die kunigin lobesam Jr dint czwelff kuniges krone alls irem adell czam Vnd manig edler furste der was jr vndertan Kein schoner weib auff erden das leben nie gewan.
(Sie war unglaublich schön, die lobenswerte Königin. Zwölf Könige dienten ihr, wie es ihrem Adel zustand, und mancher edle Fürst war ihr untertan. Es wurde nie eine schönere Frau auf Erden geboren.)
Stärker als in A wird hier die Herrschaft der kunigin Kriemhild betont: Erscheint sie in A, B und C zu Anfang der ersten ffventiure lediglich als die noch sehr junge und selbst nicht aktive Vertreterin eines herrscherlichen Geschlechtes, so schreibt k ihr (und nicht Gunther) bereits unmittelbar zu Anfang der Erzählung die Macht über zwölf Könige und viele sonstige Fürsten zu. In k 7 wird als Vater Kriemhilds und ihrer Brüder Gibich (k 7.1) genannt, ein burgundischer Name, der sich auch in der nordischen Sagentradition findet sowie später im „Rosengarten zu Worms“ (Springeth 2007, 377). k 8 sagt außerdem explizit, dass Gunther der älteste der Brüder ist. Auffällig ist auch die Umstrukturierung der Angaben zur Gefolgschaft der Burgunden in k 9–11: Es werden teilweise andere Namen genannt, und die Fürsten dienen zum Teil Kriemhild statt Gunther (k 9.4). Utes Traumdeutung ist um eine Zusatzstrophe erweitert (k 15), welche die Bedeutung des Traumes für alle Burgunden hervorhebt, als „Vorhersage des kollektiven Dramas“ (Springeth 2007, 384): „[…] Der selb kumpt umb sein leben vnd bringt vns all [!] in not […]“ (k 15.1). Utes Dialogbeitrag benutzt im Übri-
k
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
J, d
Miniatur Hundeshagen
Siegfried
Adel und Schönheit
gen, anders als A, B und C, die affektive Anrede „vil libste tochter mein“ (k 14.4, in Analogie zu k 13.1). Wichtig beim Vergleich der verschiedenen Fassungen des „Nibelungenliedes“ ist darüber hinaus, dass die Handschriften J und d, die den Text insgesamt in gekürzter Form überliefern (S. 34), die Strophen B 14–15 auslassen, so dass der intertextuelle Verweis auf Veldekes „Eneasroman“ hier weniger deutlich zu Tage tritt. J und d kürzen den Text außerdem im Bereich der Darstellung des Wormser Hofes (B 5–10). Hierdurch entfällt die Präsentation der einzelnen Akteure am Wormser Hof und erhält die höfische Idealität deutlich weniger Gewicht, obwohl sie in B gerade die „Fallhöhe des Geschehens“ markiert (J.-D. Müller 1998, 99). Die Hundeshagensche Handschrift versieht die erste ffventiure mit einer Zeichnung, die den Falkentraum zum Inhalt hat (Hornung 1968, Abb. 1). Das Bild zeigt einen zum Betrachter hin geöffneten Innenraum. Mittig wird ein weiterer Innenraum geöffnet, rechts sowie im zweiten Innenraum wird der Blick auf eine Landschaft außerhalb des Gebäudes freigegeben. Im Bett, das von links hinten in Richtung des Betrachters in den Innenraum ragt, ruht mit geschlossenen Augen die schlafende Kriemhild, die eine Krone als identifizierendes Zeichen trägt. Ungefähr in der Mitte des Bildes, über dem Fußende des Bettes, wird der Falkentraum dargestellt, als ob er im Schlafzimmer selbst stattfände: Zwei graue Vögel greifen einen braunen an. Es wird keine optische Trennung von Wirklichkeit und Traum vorgenommen, wodurch die Unmittelbarkeit bzw. Realität des Traumes erhöht zu werden scheint. Gleichzeitig erläutert Ute den Traum bereits, wie der Redegestus ihrer rechten Hand nahelegt. Sie steht im Bild rechts und ist ebenfalls durch eine Krone als Fürstin gekennzeichnet. Im Erzählverlauf getrennte Handlungsschritte (Traum, Erzählung des Traumes und Traumdeutung) werden so zu einem Bild zusammengefasst. Kriemhilds Reaktion auf die Traumdeutung, ihre ablehnende Haltung der minne gegenüber, wird übersprungen und scheint damit als unwesentlich charakterisiert zu werden, wie der weitere Handlungsverlauf des „Nibelungenliedes“ ja auch bestätigt. Wie der Text legt auch das Bild für die erste ffventiure einen starken Akzent auf die weibliche Hauptfigur Kriemhild und enthält gleichzeitig den proleptischen Verweis auf Siegfried und dessen Ende in der 16. ffventiure. Um den sorgfältigen Aufbau des „Nibelungenliedes“ besser nachvollziehbar zu machen, sei die in der ersten ffventiure dominante höfische Komponente, die gleichwohl Heroisches nicht ausschließt, kurz mit der Darstellung Siegfrieds in der ffventiure 2 und 3 verglichen (vgl. Bernreuther 1994, 13–15). Auch Siegfried, der Königssohn aus Xanten (zur Rolle Xantens im „Nibelungenlied“ s. Runde 2003), wird vom Erzähler bei seiner ersten expliziten Erwähnung gleichzeitig als von adliger Herkunft (eins vil edelen kuneges kint, B 18.1) und als schön eingeführt (B 20.2: wi schœne was sîn lîp [= Körper]). Schönheit ist nicht nur Teil des „weiblichen Genderentwurfs“ (Jönsson 2001, 55, ähnlich Lienert 2003, 5), sondern ebenso des männlichen. „Parallelität bedeutet Komplementarität“, so dass Kriemhild und Siegfried durch ihre Schönheit „als zusammengehörig gekennzeichnet“ werden (J.-D. Müller 1998, 110). Von Gunther wird dagegen erst in B 2366.2 gesagt, dass er einen vil schœnen lîp habe, und zwar erst in dem Moment, als Kriemhild
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
ihn töten lässt. Es ist also im Text keine ähnliche Parallele zwischen ihm und der maßlos schönen (B 324.3) Brünhild vorhanden. Der Körper des männlichen Helden zeichnet sich nicht nur durch Schönheit, sondern auch durch Kraft aus (B 19.1: der snelle degen guot; B 19.2: ellenthafte[r] [= tapferer] muot; B 19.3: sînes lîbes sterke). Diese Korrelation ist aus (jüngerer) höfischer Perspektive geschlechtsspezifisch, womit Brünhild (vgl. S. 53) eine Transgressionsfigur wäre; im (älteren) Bereich des Heroischen können die Geschlechterdifferenzen dagegen aufgehoben werden (Schausten 1999, 45; Bennewitz 2003, 12 sieht die monologische Maskulinität im „Nibelungenlied“ weitgehend aufgehoben, so dass hier von „Heldinnen-Epik“ gesprochen werden dürfe). Siegfried wird in der zweiten ffventiure jedoch, trotz dieser heroischen Leitwörter, mit einigem Nachdruck als höfisch sozialisierter Held skizziert. Dies zeigt die Verwendung von höfischen Leitwörtern (Ehrismann 1995) wie Þre, zuht, tugende und huote, die in wenigen Strophen mehrfach vorkommen: waz Þren an im wüehse (B 20.3); [m]an zôch [= erzog] in mit dem vlîze [= Aufwand], als im daz wol gezam [= zustand] (B 21.1); waz tugende er an sich nam! (B 21.2); [v]il selten âne huote man rîten lie daz kint (B 23.1: „Niemals ließ man den Jungen ohne Aufsicht ausreiten“); sîn pflâgen ouch di wîsen, den Þre was bekant (B 23.3: „Ihn unterrichteten auch erfahrene Lehrer, die den Sinn der höfischen Erziehung kannten“; vgl. auch die Angaben in B 27.3, 31.4 und 35.4). Das Wortfeld des Höfischen wird gekennzeichnet von Lehnwörtern aus dem Französischen, die im „Nibelungenlied“ immer dann eingesetzt werden, wenn höfische repräsentative Akte beschrieben werden, wie Feste und Turniere: In der zweiten ffventiure werden bei der Darstellung der Schwertleite etwa die Wörter bûhurt (B 32.2: Reiterschauspiel, aus frz. bouhourt, behart) und trunzûne (B 33.3: Speersplitter, aus frz. trons, trunçun) verwendet. Die Betonung der vreude (vgl. B 30.4) und der hôchgemuoten Stimmung (B 32.4) der Teilnehmer des Festes verweist ebenfalls in diesen höfischen Bereich. Darüber hinaus entspringt die Darstellung der Schwertleite der höfischen Sphäre, insbesondere durch die verschwenderische Großzügigkeit, milte, B 39.4, des Königspaares (s. J.-D. Müller 1998, 348; dass diese, wie von Gephart 2005, 19 behauptet, Ausdruck „mütterliche[r] Zuneigung“ wäre, gibt der Text nicht vor). Anlässlich dieser hôchgezîte (B 25.2, 26.3, 27.1, 38.1, 40.1; der Begriff bedeutet allgemein „Fest“, nicht nur „Hochzeit“ im Sinne der Verehelichung) finden sich zum ersten Mal im „Nibelungenlied“ so genannte Schneiderstrophen, die in einiger Ausführlichkeit auf die äußere Pracht der Kleidung eingehen (B 28–29). Solche Strophen, die in der Forschungsliteratur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch als ästhetisch minderwertig und als Zugeständnis an ein prunksüchtiges mittelalterliches Publikum gesehen wurden (so z. B. von Lachmann, vgl. J.-D. Müller 1974, 85) und die man aus diesem Blickwinkel vielleicht eher im Zusammenhang mit der schönen Kriemhild in ffventiure 1 erwartet hätte, werden seit einigen Jahrzehnten als Zeugnis einer Kultur der symbolischen Kommunikation ernst genommen, die auf die Visualisierung adliger Repräsentationsansprüche zielte (Raudszus 1985, Baratowa/Miedema 2007; vgl. die in Münster herausgegebene Buchreihe „Symbolische Kommunikation und gesellschaft-
Höfisches und Heroisches
,Schneiderstrophen‘
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
descriptiones
Brautwerbung
liche Wertesysteme“). Sie inszenieren in für die höfische Kultur charakteristischer Weise, für alle sichtbar, die charismatischen Körper der Herrschenden (Schausten 1999, 29, 45 zum Körper als Text; ob die Kleider grundsätzlich Ausdruck der emotiven „Fürsorgeimpulse“ der Frauen sind, Gephart 2005, 22, sei dahingestellt). Ihr Einsatz im Rahmen der zweiten ffventiure ist wohlplatziert: Erst hier geht es um das höfische Zeremoniell, das in der ersten ffventiure noch keine entscheidende Rolle spielte, da Kriemhild hier im behüteten Innenraum der Burg zu Worms dargestellt wurde (vgl. außerdem Wis 1983, 259 zur These, die Schneiderstrophen hätten insbesondere die Funktion, „das bevorstehende Unheil besonders eindrucksvoll anzukündigen“). Die „Schneiderstrophen“ demonstrieren darüber hinaus jedoch im Sinne der mittelalterlichen Rhetorik und Poetik die Qualität der Dichtung und damit die Kunstfertigkeit des Autors: Als Qualitätsmerkmal für literarische Werke gilt nach mittelalterlicher Auffassung weniger die Originalität des Stoffes als vielmehr dessen variierend ausschmückende Ausgestaltung. Die so genannte amplificatio bzw. dilatatio (wörtlich: Erweiterung) eines Stoffes oder einzelner Bestandteile des Stoffes galt den Autoren des Mittelalters als eine Möglichkeit, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen (Worstbrock 1985). Gerade die ausschmückende Beschreibung von Kleidung, Rüstung oder sonstigen Gegenständen (oder auch Tieren) erfolgte deswegen an für das Werk jeweils bedeutsamen Stellen. Die Ausführlichkeit einer descriptio (d. h. einer rhetorisch vollendeten Beschreibung) kann somit immer auch ein Hinweis auf die Bedeutung der entsprechenden Passage für die Gesamtinterpretation und die Poetik des Textes sein. Indem die Handlung während der Dauer der descriptio zum Stillstand kommt, wird die Gelegenheit gegeben, die Szene, in die die Beschreibung eingebettet ist, als solche zu reflektieren. Gleichzeitig hat die Ausdehnung einer descriptio selbstverständlich auch eine spannungssteigernde Funktion. Im vorliegenden Fall dürfte entscheidend sein, dass dem sonst als heroischer Held bekannten Siegfried ein adlig-höfisches Umfeld zugedichtet wird, welches das Publikum aus anderen Ausformungen des Stoffes so nicht kannte. Vergleichbar wird Siegfrieds Kleidung in aller Exotik kurz vor seinem Tod in ffventiure 16 erneut sehr ausführlich beschrieben (B 948–953, vgl. J.-D. Müller 1998, 284) – ein Moment des Verharrens bei der überragenden Bedeutung dieser Figur, die in ihrer als „symbolische Kommunikation“ zu verstehenden Aufmachung Ausdruck findet, bevor sie von den ,Adlern‘ getötet wird, auf die der Falkentraum in der ersten ffventiure verwiesen hatte. Der Anfang der nachfolgenden, dritten ffventiure verwendet ebenfalls gehäuft höfische Leitwörter, insbesondere das Wort minne (B 44.1, 45.1, 46.2, 47.4, 50.2). Das keineswegs spezifisch höfische Erzählmuster der Brautwerbung (vgl. das Wort werben in B 44.1, 45.2, 46.3, 48.4, 50.3, 52.4, 55.1, 57.1) verläuft jedoch parallel zu dieser Höfisierungstendenz, ist mit ihr verflochten, wie die gleichzeitige Verwendung von minne und werben (nicht: dienen!) innerhalb einzelner Strophen zeigt (B 44, 45, 46, 50), und wird von ihr nur teilweise überlagert (J.-D. Müller 1998, 400). Bei der Beratung Siegfrieds mit seinem Vater und bei der Ausstattung Siegfrieds und seiner Mannen wird auf ein heroisches Sprachregister zurückgegriffen, welches etwa Begriffe aus dem Wortfeld der positiven Bezeichnung für Männer wie
1. Kriemhilds Jugend (ffventiure 1)
degene (B 49.4, 57.4), recken (B 55.3, 56.2, 60.2, 62.3, 68.1), wîgande[.] (B 59.4) bzw. helde (B 60.3, 65.4, 70.4) umfasst; deutlich seltener wird hier dagegen der eher höfisch konnotierte Begriff riter verwendet (B 61.3, 64.1, 71.2). Die Dominanz des Heroischen gegenüber dem Höfischen kurz vor Siegfrieds Aufbruch nach Worms lässt sich an der ausführlichen Beschreibung der Waffen ablesen (B 64, 70–71): Im Rahmen der Artusepik ist eine solch starke Betonung der Qualität der Waffen der Helden unüblich. Es klingen hier erneut antike Erzählmuster an (vgl. die Waffen des Achill in Vergils „Aeneis“, Buch VIII, v. 617–731; diese Beschreibung beruht ihrerseits auf Homer, der allerdings im Mittelalter nicht rezipiert wurde, vgl. jedoch im „Eneasroman“ Veldekes v. 158,40–162,38). Kriemhilds Schönheit ist ausschlaggebend für Siegfrieds Werbung. Dies zeigt sich bereits in der ersten Strophe der dritten ffventiure, die den herren Siegfried (B 42.1) auf die textintern mündlich verbreiteten mære (B 42.2: die Gerüchte) über die schœn[e] meit / […] in Burgonden (B 42.2–3) aufmerksam werden lässt. Erneut greift diese Strophe proleptisch auf das zu erwartende Geschehen vor, wobei Positives und Negatives vermischt werden, wie bei Kriemhild in B 17: von der er sît vil vreuden und ouch arbeit [= Mühsal] gewan (B 42.4; nur in C 44.4 wird damit einprägsames Wortmaterial aus C 1.2–3 aufgegriffen, A 45.4 weicht von A 1.2–3 ab). Auch Siegfried selbst wird in seinem Gespräch mit den Eltern die sicher bewusste Wiederholung des Leitbegriffs schœne in den Mund gelegt: „sô wil ich Kriemhilden nemen, // die schœnen juncfrouwen von Burgonden lant, / durch ir unmâzen schœne […]“ (B 46.4–47.2). Gespiegelt wird dadurch die Betonung von Kriemhilds Äußerem in der ersten ffventiure. – War Hagen in Burgund nur einer unter vielen, die in den Strophen B 7–9 genannt wurden, so kennt man am Hof Siegfrieds nur Hagen (Stech 1993, 71–73). Der Blick wird damit kaum zufällig auf den späteren Kontrahenten Siegfrieds und Kriemhilds gelenkt, der hier bereits als gefährlich eingestuft wird (B 52). Parallelität und Kontrastivität zwischen den ffventiuren 1 und 3 wird außerdem dadurch aufgebaut, dass Kriemhild in ihrer ersten direkten Rede, ohne dies zu wissen, von Siegfried spricht (B 13), während Siegfried in seiner ersten direkten Rede auf Kriemhild Bezug nimmt (B 46). Kriemhild lehnt den Gedanken an die Liebe in der ersten ffventiure ab, Siegfried dagegen bejaht ihn in der dritten ffventiure, und die aktive Rolle Siegfrieds („sô wil ich Kriemhilden nemen“, B 46.4) zeigt, wie bereits in Königin Utes vorsichtig formulierter Antwort angedeutet (B 14), dass die dritte ffventiure diesbezüglich eine Korrektur an Kriemhilds Zukunftsentwurf vornimmt. Denn durch den Entschluss Siegfrieds ist die Verbindung zwischen ihm und Kriemhild ein sicheres zukünftiges Ereignis geworden, dem sich Kriemhild nicht wird entziehen können – Kriemhilds Entschluss erweist sich als wirkungslos. Damit wird gleichzeitig Siegfrieds Tod, durch seinen eigenen Entschluss, zu einem sicheren zukünftigen Ereignis, auch wenn das Wissen über diese zuletzt genannte Tatsache nur im Kreis der Frauen zirkuliert und damit Siegfried vorenthalten bleibt. Eine Parallelisierung zwischen Siegfried und Kriemhild, die darauf hinweist, dass sie schicksalhaft füreinander bestimmt sind, stellen weiterhin die Dialoge mit ihren jeweiligen Eltern dar, in denen sie sich wenig folgsam ver-
Siegfried und Kriemhild
Parallelen und Kontraste
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Siegfrieds Ankunft in Worms
halten und ihren eigenen Willen durchsetzen (Kriemhild zumindest verbal; Siegfried, den die Eltern Siegmund und Sieglind in den Strophen B 48–61 zunächst von der Werbung um Kriemhild abzuhalten versuchen, nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat). In Worms jedoch scheint Siegfrieds Verhalten zunächst nur vom Gedanken geprägt, seinen Status als Heros zu festigen; die Modelle charismatischer, instabiler (Siegfried) und traditionaler, stabiler (Gunther) Herrschaft treffen aufeinander (J.-D. Müller 1974, 95 f.). Siegfrieds Aufforderung an die burgundischen Könige Gunther, Gernot und Giselher, ihm ihr Land zu überlassen, benutzt Motive der so genannten Reizrede (Bax 1981, Jones 2007), auf die einzelne Gefolgsleute Gunthers im gleichen Sinne antworten (B 114–115, 119). Erst das explizite Redeverbot, das Gernot Hagen und Ortwin auferlegt (B 121), womit das heroische Reizen unterbrochen und eine höfisch-diplomatische Lösung des Konfliktes vorgeschlagen wird (vgl. J.-D. Müller 1974, 96 f. zu den Landfriedensbewegungen, die Pate für diese Konfliktlösungen gestanden haben könnten), unterbricht die in der Heldenepik unaufhaltsame Eigendynamik der sich ständig steigernden Reizreden, die notwendigerweise zum Kampf führen (Miedema 2006). Erst dann heißt es, Siegfried gedâhte […] an di hÞrlichen meit (B 121.4; vgl. J.-D. Müller 1974, 90). Young 2007, 239 gibt an, dass ab hier eine zweite, höfische Seite Siegfrieds durch Kriemhild gestaltet werde, jedoch ist zu bedenken, dass diese Seite nicht erst durch Kriemhilds Blick erkennbar oder erschaffen wird, sondern bereits in der gesamten ffventiure 2 beschrieben wurde. Die dritte ffventiure endet schließlich ohne jegliche heroischen Töne mit dem Verweis auf Siegfrieds höfisches minne-Anliegen. Er habe ûf hôhe minne sîne sinne gewant (B 129.4), er trüge in sîme sinne ein minnecliche meit, obwohl er sie noch nie gesach (B 130.2–3). In einer Gedankenrede äußert er Zweifel, dass er seine aus der Ferne Angebetete je von Angesicht zu Angesicht sehen werde: B 134 Er gedâht ouch manege zîte: „wi sol daz geschehen, daz ich di maget edele mit ougen muge sehen, di ich von herzen minne und lange hân getân? diu ist mir noch vil vremde. des muoz ich trûric stân.“ (Er dachte auch sehr oft: „Wie soll es denn geschehen, dass ich das adlige Fräulein einmal sehen kann, die ich jetzt und schon lange Zeit von Herzen liebe? Die kenne ich immer noch nicht. Deshalb muss ich traurig sein“.)
Handlungsstillstand
Als Stilmittel ist dieser Einsatz der Gedankenrede, der die Zweifel des Helden verbalisiert, hochmodern (Miedema 2008, 144–146). „Die Werbung kommt weder zum Ziel, noch wird sie abgewiesen“ (J.-D. Müller 1998, 110). Obwohl es mindestens ein Jahr dauert (B 136; Ehrismann 1998, 21 verweist auf die Parallele zur Zeitangabe im Falkenlied), bevor Siegfried Kriemhild sehen darf, werden Kriemhild, anders als Lavinia in Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“, nicht die topischen Symptome der minne-Krankheit zugeschrieben. Es fehlen Hinweise auf heftige Stimmungswechsel, auf Schlaf- und Appetitlosigkeit und darauf, dass die Liebe an äußerlichen Zeichen erkennbar sei (Heinrich von Veldeke, „Eneasroman“, v. 267,28–268.7). Verhalten wird zu Ende der dritten ffventiure immerhin darauf hingewiesen, dass Kriemhild im in heinliche vil dicke güetlichen
2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5)
sprach (B 130.4: „unter ihren Vertrauten sehr oft freundlich von ihm sprach“). Sie beobachtet ihn heimlich durch diu venster (B 131.3), so dass in ihrem Fall, wie bei Lavinia („Eneasroman“, v. 267,8–11, 267,19–25), wenn auch weniger explizit, der Gedanke verbalisiert wird, dass die Liebe das Herz durch das Auge erreicht (unzutreffend ist somit der folgende Hinweis von Frank 2004, 118: „Sîfrit sieht, Kriemhilt wird gesehen. Sein Blick ist ein wesentlicher Schritt in der Besitzergreifung Kriemhilts und markiert deren Status als Objekt“).
2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5) Siegfrieds Hilfe für Gunther im Kampf gegen die Dänen und Sachsen (ffventiure 4) führt zum überwältigenden Sieg der Burgunden, obwohl Hagen angesichts der kurzen Frist, die den Burgunden zum Zusammenrufen ihrer Truppen verblieben war, zunächst große Besorgnis geäußert hatte (B 149.3: „[…] wir mugen uns niht besenden in sô kurzen tagen“: „Wir können in so kurzer Zeit unsere Streitmacht nicht aufbieten“). Im scharfen Kontrast dazu steht Siegfrieds Zuversicht, der bei Gunthers erster Erwähnung der befürchteten Probleme sofort Siegessicherheit vermittelt: Er werde die Feinde, und wenn ihrer 30.000 wären, besiegen, auch wenn ihm nur 1000 Mann zur Verfügung stünden („[…] Swenne [= Auch wenn] iuwer starken vîende zir [= zu ihrer] helfe möhten hân / drîzec tûsent degene, sô wold ich si bestân [= besiegen], / und het ich niuwan tûsent […]“, B 158.1–3). Nach dem (durch Siegfrieds Hilfe) für die Burgunden erfolgreichen Ende des Krieges werden Boten nach Worms geschickt, von denen Kriemhild heimlich einen zu sich ruft (man hiez der boten einen für Kriemhilde gân. / daz geschach vil tougen [= heimlich], B 222.2–3). Das Motiv der geheim gehaltenen Liebe Kriemhilds zu Siegfried, von der die Öffentlichkeit nicht erfahren darf, wird hier fortgesetzt. Insbesondere in der fünften ffventiure findet sich eine auffällige Häufung des Wortes minne und der von diesem Substantiv abgeleiteten Adjektive, Adverbien und Verben (B 279.1, 279.4, 280.2, 282.3, 283.2, 284.1, 289.4, 291.2, 292.2, 300.3, 301.4, 322.3; vgl. Achauer 1967 zu den verschiedenen Konnotationen des Begriffs minne, die sich in dieser ffventiure zu einer idealisierten Form der inneren Verbundenheit verdichten). Kriemhild erscheint im Gespräch mit dem Boten in der Rolle derjenigen, die sich zwar generell nach allen am Krieg Beteiligten erkundigt, dabei aber offensichtlich insbesondere an einem Einzelnen interessiert ist: „[…] Wie schiet ûz dem strîte mîn bruoder GÞrnôt / und ander mîne friuwenden [= Verwandte]? ist uns iht [= etwa] maneger tôt? / oder wer tet dâ daz beste? […]“ (B 224.1–3). Erst die letzte dieser drei Fragen bezieht sich offensichtlich auf Siegfried, die ersten beiden können als konventionswahrend interpretiert werden. Diese Deutung wird durch den einzigen Erzählerkommentar bestätigt, der in die lange Rede des Boten (B 224–238) eingefügt und sicher nicht zufällig platziert ist. Er schildert Kriemhilds Reaktion auf den mittleren Teil des Berichts, in dem der Bote skizziert, dass speziell Siegfried
Kampf gegen Dänen und Sachsen
Kriemhilds minne
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
das Siegesfest
Inszenierung des Festes
„den aller hoehsten [strît = Kampf], der inder [= je] dâ geschach“ (B 234.1), geleistet habe und für die Gefangennahme der beiden feindlichen Könige verantwortlich sei: ir kunden disiu mære nimmer lieber sîn (B 236.4: „Keine Nachrichten hätten Kriemhild lieber sein können“). Auch die physische Reaktion Kriemhilds nach dem Ende des Botenberichts, ihr Erröten, wird an erster Stelle mit Siegfried und erst in zweiter Instanz mit den anderen Helden in Verbindung gebracht: Ir schœnez antlütze, daz wart rôsenrôt, / dô mit liebe was gescheiden ûz der grôzen nôt / der wætliche [= schöne, tapfere] recke, Sîvrit, der junge man. / si freute ouch sich ir friuwende [= über ihre Verwandten] (B 239.1–4; vgl. später B 561). Es ist dies eine der wenigen Stellen im ersten Teil des Textes, an der Einblick in Kriemhilds Gefühle für Siegfried geboten wird, während Siegfrieds Reaktion auf Kriemhild relativ ausführlich beschrieben wird (Young 2007, 239). Anlässlich des Sieges planen die Burgunden ein großes Fest, und erneut durchziehen die Begriffe hôchgezît und vreude wie Leitmotive die Szene (s. B 255.3, 260.3, 263.2, 264.3, 266.3, 267.4, 269.3, 271.2, 307.1; 267.4, 268.2, 268.4, 272.1, 285.3, 293.3, 304.1). Das Fest soll sechs Wochen nach Ende des Krieges stattfinden (B 255), damit sich die Verwundeten vorher erholen können. Unvermittelt wird angegeben, dass Siegfried Gunther um urloup bittet (vgl. B 256.1: um die Erlaubnis, sich vom König entfernen zu dürfen), dass er somit vorhat, Worms zu verlassen. Nur der Gedanke an Gunthers Schwester, so führt der Text wiederholt aus (B 256.4, 258), habe Siegfried hiervon abgehalten. Warum Siegfried ausgerechnet kurz vor dem Fest den Rückzug antreten wollen sollte, wird nicht begründet. Wie die Feste des König Artus in der zeitgenössischen höfischen Artusepik findet auch das Siegesfest im „Nibelungenlied“ in den Pfingsttagen statt (B 269). Man beschließt, zur Feier des Sieges und zur Erhöhung der Festfreude die Damen zur Schau zu stellen (in Ortwins Worten: „welt [= wollt] ir mit vollen Þren zer hôchgezîte sîn, / sô sult ir lâzen schouwen diu wunneclichen kint […]“, B 271.2–3, unter denen er Kriemhild besonders hervorhebt: „[…] lâzet iuwer swester für iuwer geste gân“, B 272.3). Dass dies nicht zuletzt als Dank an Siegfried verstanden werden soll, wird kurz vorher in Strophe B 270 deutlich, in der der Erzähler ausführt, Gunther habe bemerkt, wi rehte herzenliche der helt von Niderland / sîne [= Gunthers] swester trûte [= liebte], swi [= obwohl] er si niene [= nie] gesach (B 270.2–3). Es sei daran erinnert, dass Siegfried dem Text des „Nibelungenliedes“ zufolge in Worms sein eigentliches Anliegen bisher kein einziges Mal angesprochen hat, trotz seiner Ankündigung in Xanten in ffventiure 3, er reite nur aus, um Kriemhild zu gewinnen (B 46, 57, 62). Eine solche Funktionalisierung weiblicher Schönheit, weiblicher Körper, als „Ornament[e] im Rahmen des höfischen Festzeremoniells“ (Bennewitz 1996, 228), mag heute manchem befremdlich erscheinen, sie findet sich jedoch (als Topos?) in vielen mittelalterlichen literarischen Texten wieder. Im „Nibelungenlied“ wird mit großem Aufwand inszeniert, dass Kriemhild die an sie gestellten Erwartungen bezüglich der symbolischen bzw. nonverbalen Kommunikation und der Körperinszenierung vollauf erfüllt. Die von Gunther entbotenen Damen bemühen sich um guot gewant (B 274.1) und edele[.] wæte (B 274.2) mit schönen borten (B 274.3) sowie um Schmuck (bouge, B 274.3: „Armreifen“). Ute führt mindestens 100 schöne Damen
2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5)
mit sich, di truogen rîchiu kleit (B 277.3), und auch Kriemhild tritt mit ansehnlichem Gefolge auf (ouch gie dâ nâch ir [= Utes] tohter vil manec wætlichiu [= schöne] meit, B 277.4). Die ganze Szene unterwirft sich dem männlichen Blick: Beschrieben wird die Unruhe der gesamten recke[n] (B 275.1) und helden (B 278.2), die wie elektrisiert sind durch die Voraussicht, diejenige(n) sehen zu dürfen, di si nie heten bekant (B 275.4), und die sich drängeln, die Damen (insbesondere Kriemhild) zu erblicken (B 278.2–4; vgl. die Angabe, dass Kriemhild von kamerære[n] geschützt werde, B 282.1). Die Strophe B 279 führt schließlich Kriemhild und Siegfried erstmalig zusammen, aber nur für einen kurzen Moment und vermittelt über Siegfrieds Perspektive (fraglich bleibt, ob Kriemhild ihn überhaupt wahrnimmt): B 279 Nu gie diu minnecliche, alsô der morgenrôt tuot ûz den trüeben wolken. dâ schiet von maneger nôt, der si dâ truog in herzen und lange het getân. er sach di minneclichen nu vil hÞrlichen stân. (Nun erschien die Liebliche wie das Morgenrot, wenn es aus den trüben Wolken hervortritt. Da löste sich Siegfried von großer Liebesqual, der Kriemhild in seinem Herzen trug und schon lange getragen hatte. Er sah jetzt das liebenswerte Mädchen wunderschön dastehen.)
Bereits der Anblick der Schönheit Kriemhilds lässt Siegfried, der sie schon so lange truog in herzen, seine nôt vergessen. Nach diesem Bild der überwältigenden Schönheit der Kriemhild, die zunächst aktiv in Erscheinung tritt (Nu gie diu minnecliche), dann aber in paralleler Formulierung zum Objekt der Blicke Siegfrieds wird (er sach di minneclichen), überbietet der Erzähler seine Zusammenführung des tapfersten aller Helden und der schönsten aller Frauen (vgl. B 351.4). Wiederholend und steigernd führt er das Motiv der Schönheit der Kleidung und der exponierten Frau selbst sowie auch den Naturvergleich fort, indem er aber gleichzeitig Siegfrieds Blick um den der anderen Zuschauer erweitert und die exklusive Zweisamkeit des Paares wieder auflöst:
Kriemhilds Wirkung
B 280 Jâ lûhte ir von ir wæte vil manec edel stein. ir rôsenrôtiu varwe vil minneclichen schein. ob iemen wunschen solde, der kunde niht gejehen, daz er ze dirre werelde het iht schœners gesehen. B 281 Sam der liehte mâne vor den sternen stât, der schîn sô lûterliche ab den wolken gât, dem stuont si nu gelîche vor maneger frouwen guot. des wart dâ wol gehœhet den zieren helden der muot. (Von ihrem Gewand glitzerten zahlreiche Edelsteine. Ihre rosenrote Haut leuchtete liebreizend. Wenn jemand sich hätte etwas wünschen dürfen, so hätte er nicht behaupten können, auf der Welt jemals etwas Schöneres gesehen zu haben. Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, dessen Schein so klar aus den Wolken tritt, genauso stand sie vor den vielen vorzüglichen Damen. Dadurch wurden den trefflichen Helden die Gedanken beflügelt.)
Die Verallgemeinerung der überwältigenden Wirkung Kriemhilds beginnt mit iemen in B 280.3: Niemand hätte, auch wenn er seine eigenen Wün-
Kriemhilds Schönheit
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
sche erfüllt sähe, sagen können, dass er jemals auf der Welt etwas Schöneres gesehen hätte (dass schœners syntaktisch gesehen Neutrum ist, könnte als weiterer Beleg dafür gedeutet werden, dass Kriemhild in dieser Szene vom Blick der männlichen Betrachter zum Objekt gemacht wird, da in den vorhergehenden und nachfolgenden Strophen jeweils feminine Formen für die Verweise auf Kriemhild verwendet werden: B 279.1 diu minnecliche, B 279.3 si, B 279.4 di minneclichen, B 280.1 ir, B 280.2 ir, B 281.3 si). Die Vergleiche zu den Himmelskörpern dürften Anklänge an Motive des Minnesangs sein, während sie gleichzeitig in der Marienverehrung üblich sind. Unabhängig von der Herkunft solcher Topoi für die weibliche Vollkommenheit schreiben sie Kriemhilds Körper etwas Überirdisches ein. Adlige Exklusivität, die Idee des charismatischen Körpers der Mitglieder einer Herrscherdynastie, vermischt sich mit Vorstellungen des himmlischen Glanzes der Heiligkeit, der auf diejenigen helden, die mit ihm konfrontiert werden, ausstrahlt und sie beglückt. Erneut (vgl. S. 64: Strophe B 134) hebt der Text Siegfried durch eine Gedankenrede aus der Menge der Helden heraus, die sich um Kriemhild drängeln: B 283 Er dâht in sînem muote: „wi kunde daz ergân, daz ich dich minnen solde? daz ist ein tumber wân. sol aber ich dich vremeden, sô wære ich sanfter tôt.“ er wart von den gedanken vil dicke bleich und rôt. (Er dachte bei sich: „Wie könnte ich nur Deine Liebe gewinnen? Das ist vermutlich eine törichte Hoffnung. Wenn ich Dir aber fernbleiben soll, dann wäre ich lieber tot.“ Bei diesen Gedanken wurde er in raschem Wechsel blass und rot.) Siegfrieds minne
Galt Siegfrieds erste Gedankenrede noch der Frage, ob er Kriemhild je zu Gesicht bekommen werde, so findet sich hier in paralleler Formulierung eine Steigerung, indem Siegfried innerlich die Sorge äußert, ob er je die minne mit Kriemhild teilen werde (zu weiteren wörtlichen Parallelen zwischen den beiden Szenen s. Achauer 1967, 92). Während die erste Gedankenrede mit dem Verweis auf Siegfrieds trûric-Sein endet, der fast resignative Züge zu tragen scheint, wird hier eine Intensivierung der Gefühle Siegfrieds angedeutet: Dass der Tod besser zu ertragen sei als die Trennung von der Geliebten, gehört zu den Topoi des Minnesangs. Achauer 1967, 79, 89, 93 spricht von einer „minnesangliche[n] Einkleidung“ der Szene und von einer „minnesangliche[n] Stilisierung“, betont allerdings: „Der Dichter kannte den zeitgenössischen Minnesang, und er benutzte seine stilistischen Mittel, um die Werbung Siegfrieds als etwas Außerordentliches darzustellen; gleichzeitig aber hatte er nur das eine Ziel im Auge: eine erfüllte Liebe zu zeigen, eine Liebe, die nur in der Ehe sich verwirklichen konnte“ (ebd., 94). Siegfrieds Erröten verbindet ihn jetzt mit Kriemhild, die dieses Symptom bereits früher aufwies (s. S. 66). Im jähen Wechsel werden so der höfischminnende und der heroisch-kämpferische Siegfried dargestellt. Der topisch in der Anwesenheit der angebeteten Dame verstummende und verunsicherte Held wird daraufhin in ähnlicher Weise zum Objekt der Blicke der Hofgesellschaft, die in dieser Szene keine heroische Kraft, sondern nur Schönheit wahrnimmt:
2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5) B 284 Dô stuont sô minnecliche daz Sigmundes kint, sam er entworfen wære an ein permint von guotes meisters listen. alsô man im jach, daz man helt deheinen nie sô schœnen gesach. (Da stand nun Siegmunds Sohn so liebenswert, wie von der Kunst eines guten Meisters auf Pergament gemalt. Es hieß ja auch von ihm, dass man noch nie einen so schönen Helden gesehen habe.)
Bild-schön erscheint Siegfried: Augenfällig sind hier, nicht nur für die textexternen Rezipienten, sondern offensichtlich auch für die textinterne Hofgesellschaft, die Parallelen zwischen den beiden Protagonisten. Nicht nur Frauen werden „unverblümt zu Objekten männlichen Blicks“ gemacht (Lienert 2003, 6), sondern auch Männer. Der Gedanke, dass Siegfried Kriemhild im Sinne der minne-Thematik dient, durchzieht ab hier die fünfte und die nachfolgenden ffventiuren. Siegfried dient aber stellvertretend für sie auch ihren Verwandten, den burgundischen Königen, was im Rahmen der minne-Thematik höchst ungewöhnlich ist (so bereits J.-D. Müller 1974, 100; s. J.-D. Müller 1998, 401, 406). Schon zu Ende der ffventiure 3 wurde darauf hingewiesen, dass die hôhe minne (B 129.4) Siegfried dazu führe, in Worms alles das zu machen, [s]wes [= was auch immer] man ie begunde [= anfing] (B 130.1). Gernot spricht Gunther gegenüber jetzt explizit von Siegfrieds dienest (B 286.2), für den dieser belohnt werden solle, und zwar dadurch, dass ihm Kriemhilds Gruß zuteil werde: Gemeint ist das aufwändig inszenierte höfische Ritual der öffentlichen Begrüßung, das eine für alle sichtbare Würdigung und Huldigung des Begrüßten bedeutet. Hat Siegfried Kriemhild in den vorhergehenden Strophen wenigstens sehen dürfen, so wird hier die Möglichkeit unmittelbarer körperlicher Nähe eröffnet, die außerdem exklusiv Siegfried vorbehalten sein soll, so dass dieser für alle erkennbar aus der drängelnden Menge hervorgehoben wird. Gernot führt aus, dass Dienst Gegendienst bedinge („der iu sînen dienest sô güetlichen bôt, / […] dem sult ir tuon alsam [= das Gleiche]“, B 286.2–3; vgl. B 158.4). Dass die burgundischen Könige durchaus aus Eigennutz handeln, da ihr Gegendienst an Siegfried diesen noch stärker an das Königshaus binden werde, man somit in Zukunft weitere Hilfen von ihm erwarten dürfe, wird von Gernot unmittelbar anschließend in aller Direktheit ausgesprochen: „[…] des hab wir immer frumen [= Nutzen] […]. / dâ mit wir haben gewunnen den vil zierlichen [= lobenswerten] degen“ (B 287.2–4). Es hat „den Anschein, als bewahre und behüte man Kriemhild als wichtigen Spielstein im machtpolitischen Spiel, um entsprechend zeitgenössischer realhistorischer Gegebenheiten durch ihre Verheiratung bestmögliche triuwe-Bindungen zu erzielen“ (Jönsson 2001, 79; Gephart 2005, 45 f. schreibt Gunther die Rolle der Zähmung des Falken zu, über den Kriemhild geträumt hatte, wobei Gepharts Ausführungen zum „ödipalen“ Verhältnis zwischen Gunther und Siegfried, ebd., 60, nicht weiter kommentiert seien). Auch der Erzähler merkt an, ez engediente [!] noch nie recke nâch einer kuneginne baz (B 294.4: „Noch niemals hat ein Recke eine Königin gewandter umworben“), und er lässt den besiegten König der Dänen, Liudegast, richtig beobachten, nur wegen des Grußes und des Kusses der Kriem-
Siegfrieds dienest
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
hild sei so mancher verwundet worden (B 296.2): Siegfried ist, wie in der ffventiure 4 für einige Zeit in den Hintergrund getreten war, nur um Kriemhilds willen nach Worms gekommen, seine Hilfe im Krieg gegen die Dänen und Sachsen war lediglich Mittel zum Zweck und damit keineswegs „uneigennützig[.]“ (Beyschlag 1952/1965, 211). Ähnlich findet sich in Siegfrieds Figurenrede wenig später mehrfach das Motiv des Dienens den Brüdern gegenüber, welches nur Ausdruck der minne zu Kriemhild sei: B 302 „Ich sol in immer dienen“, alsô sprach der degen, „und enwil mîn houbet nimmer Þ gelegen, ich enwerbe nâch ir willen, sol ich mîn leben hân. daz ist nâch iuwern hulden, mîn frou Kriemhilt, getân“. („Ich werde ihnen [= den Königsbrüdern] immer helfen“, antwortete der Ritter, „und mich, solange ich lebe, nicht eher zur Ruhe legen, bis ich ihre [= der Königsbrüder] Wünsche erfüllt habe. Dies geschieht, liebe Frau Kriemhild, um Eurer [= Kriemhilds] Zuneigung willen“.) Siegfrieds „Selbstentäußerung“
liebe und leit
der Gruß
Siegfried helfe Gunther „[…] niht sô verre [= sehr] durch [= um] die liebe dîn [= Gunthers], / sô durch dîne swester […]. / ich wil daz gerne dienen, daz [= auf dass] si werde mîn wîp“ (B 386.1–4: ffventiure 6; zu dieser „Selbstentäußerung“ s. Haustein 1993, 381). Auch in der neunten ffventiure wird angegeben, dass sich die Burgunden inzwischen darauf verlassen, Siegfried werde Gunther aufgrund seiner Liebe zu Kriemhild helfen (es geht hier um die Übernahme des Botendienstes; man vergleiche Hagens kühl kalkulierende und offensichtlich durchaus berechtigte Äußerung, Siegfried werde diese Aufgabe auch nach anfänglicher Weigerung dann übernehmen, wenn er vriuntlichen und durch iuwer [= Gunthers] swester willen darum gebeten werde, B 529.4). „Was Sîvrit als Minnedienst versteht, ordnet ihn de facto dem Herrschaftsverband, und zwar Schritt für Schritt, ein“ (J.-D. Müller 1974, 101; vgl. J.-D. Müller 1998, 406). Mit dem Dienstgedanken des Minnesangs verwandt ist außerdem die topische (bzw. sprichwörtliche, Mieder 2009, 6 f.) Liebe/Leid-Thematik, die Kriemhild bereits in ffventiure 1, Strophe B 15 verbalisiert hatte (S. 56) und die hier erneut ausgesprochen, dabei aber variiert wird: Während Siegfried Kriemhild zusammen mit den anderen Helden betrachtet, empfindet er lieb und leit (B 282.4), als er aber erfährt, dass er von Kriemhild begrüßt werden soll, dô truog er ime herzen lieb âne [= ohne] leit (B 289.2). Die ungetrübte Freude, die Freude bzw. Liebe ohne Leid, ist im „Nibelungenlied“ möglich, aber sie ist nie von langer Dauer. Beim öffentlichen Grußritual wird Kriemhilds ,Jungfräulichkeit‘ in Bezug auf diese Formen höfischer Kommunikation betont („[…] diu nie gegrüezte recken, diu sol in grüezen pflegen“, B 287.3). Der Perspektivwechsel in Strophe B 290 verdeutlicht die enge Verbindung zwischen den beiden Protagonisten bei ihrer ersten physischen Begegnung: Dô si [!] den hôchgemuoten vor ir [!] stÞnde sach, / dô erzunde sich sîn [!] varwe (B 290.1–2: „Als sie den frohgestimmten Mann vor sich stehen sah, begann er zu glühen“, wörtlich: entbrannte seine Farbe, Siegfried errötet somit). Es wird eine Mischung aus öffentlichen, stark formalisierten Bestandteilen des Grußes als eines Friedensrituals und Anzeichen heimlicher individueller Zuneigung formuliert: Nach außen sichtbar sind nur die ritualisierten Bestandteile der
2. Kriemhilds erste Begegnung mit Siegfried (ffventiure 5)
Begegnung des Helden und der Königstochter, aber der Erzähler fingiert, er wisse zwar nicht, ob sich die beiden durch heimliche Zeichen wie Händedruck verständigt hätten, könne sich aber nicht vorstellen, dass sie dies unterlassen hätten (Wart iht dâ friuwentliche getwungen wîziu hant / von herzenlieber minne, daz ist mir niht bekant. / doch enkan ich niht gelouben, daz ez wurde lân, B 292.1–3). Die öffentliche Auszeichnung durch den Gruß erweckt „Neid, Lust und sexuelle Phantasie bei anderen Männern“ (Jönsson 2001, 53) bzw. „handfestes Begehren“ (Gephart 2005, 49; s. B 294.1–3). Es folgt der Kuss Kriemhilds, dessen Wirkung auf Siegfried, nicht aber auf Kriemhild beschrieben wird (B 295.4: im wart in al der werlde nie sô liebe getân), und der Liudegast, wie bereits beschrieben (S. 69 f. zu B 296), zur Erkenntnis führt, Siegfried habe Gunther im Krieg nur um Kriemhilds willen unterstützt. Für den anschließenden Gang in die Kirche werden die Männer von den Frauen getrennt, was Siegfried wieder in die Menge der Helden aufgehen lässt. Erneut ist Kriemhild das Objekt, die ougenweide (B 298.4), für viele anwesende recken (B 298.4). Siegfrieds Ungeduld während der Messe (B 299) wird damit begründet, dass er sich nunmehr der gegenseitigen minne sicher zu sein scheint: er mohte sînen sælden des immer sagen danc, / daz im diu was sô wæge, di er in herzen truoc (B 299.2–3: „Er konnte seinem glücklichen Geschick nicht dankbar genug dafür sein, dass ihm die Dame, die er in seinem Herzen trug, so zugetan war“). Nach der Fern-minne, dem ersten Blickkontakt und der ersten Berührung ist hiermit, noch innerhalb der fünften ffventiure, als nächste Steigerungsstufe der minne das sichere Bewusstsein gegenseitiger Gefühle erreicht. Nach Kriemhilds Dankesworten, die sie nach der Messe (in eigener Initiative?) an ihn richtet (B 301), formuliert Siegfried eine Liebeserklärung, die textintern ohne eine Antwort Kriemhilds bleibt (B 302) – sie wurde im Rahmen der Auseinandersetzung über den Dienstgedanken bereits zitiert (S. 70). Mit Siegfrieds Angabe, „[…] daz ist nâch iuwern hulden, mîn frou Kriemhilt, getân“ (B 302.4), wird ein weiterer Kernbegriff der minne-Thematik eingesetzt, derjenige der huld der Dame (vgl. B 292.4, wo von Kriemhilds holde[m] willen die Rede ist, und B 299.4, wo formuliert wird, Siegfried sei Kriemhild holt […] genuoc). Die Miniatur der Hundeshagenschen Handschrift, die die fünfte ffventiure begleitet (Hornung 1968, Abb. 3), stellt die offizielle Begegnung von Siegfried und Kriemhild im Freien dar und übergeht somit den ,intimeren‘ Moment nach der Messe. In der Mitte des Bildes gehen, umgeben von weiteren Festgängern, links zwei festlich gekleidete Damen (ohne Krone) auf einen ebenso reich gekleideten, ihnen (von rechts) zugewandten barhäuptigen Mann zu, der ein Schwert umgegürtet hat und die Hände der hinteren der beiden Damen ergreift. Es dürfte sich bei dieser um Kriemhild handeln, während die vordere Dame Ute darstellen könnte. Zwölf Tage lang dürfen Kriemhild und Siegfried sich täglich sehen (B 303) – auch dies wird als dienst beschrieben (B 303.4; zu ergänzen ist wohl: als Dienst seitens der burgundischen Könige). Dass Siegfried trotz der Zuversicht, die er noch in der dritten ffventiure ausstrahlte, trotz der offensichtlichen Zuneigung Kriemhilds und trotz der Dienstbereitschaft Gunthers und seiner Brüder meint, nicht erreichen zu können, was er wollte, bleibt ein
Siegfrieds Liebeserklärung
Miniatur Hundeshagen
Handlungsstillstand
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
überraschender Erzählerkommentar (er trûwete niht erwerben, des er dâ hete muot, B 318.2; Grosse übersetzt, „Er hatte sich bisher nicht getraut, das zu erreichen, was er gewollt hatte“, jedoch ist auch eine Übersetzung mit einfachem Präteritum denkbar: „Er traute sich nicht, das zu erreichen, was er wollte“). Möglicherweise wurde hier weniger psychologische Nachvollziehbarkeit gesucht als vielmehr eine Möglichkeit, die Mühen zu betonen, die Siegfried auf sich nehmen muss, um sein Ziel zu verwirklichen. Auf Einladung von Giselher (B 319) und wegen Kriemhilds unmâzen schœne (B 322.1) bleibt er weiterhin in Worms, gequält von der Liebe zu ihr (in twang ir minne. diu gab im dicke [= oft] nôt, B 322.3), und ohne dass die Handlung durch seine Initiative eine Fortführung findet. Auf diese Weise kommt die Erzählung in der fünften ffventiure zu einem gewissen Stillstand: Siegfried und Kriemhild sind zwar zusammengeführt worden, aber der bisherige dienst Siegfrieds scheint keine ausreichende Begründung für eine Ehe der beiden darzustellen. Dann aber entscheidet sich Gunther in der letzten Strophe der fünften ffventiure (B 323), eine Ehefrau zu suchen.
3. Brünhilds Empfang in Worms (ffventiure 10) Gunther wirbt um Brünhild
Die sechste ffventiure benennt die Fürstin, die Gunther zur Gattin gewinnen möchte: die unmâzen schœne (B 324.3) kuneginne uber sÞ (B 324.1), Brünhild (B 327.2). Der skizzierte Stillstand erscheint dadurch ,von hinten motiviert‘ als ein logischer Kunstgriff: Siegfrieds Hilfe bei der Reise in Brünhilds Land ist im Gegensatz zur Lage bei der Kriegserklärung der Dänen und Sachsen unabdingbar, da nur Siegfried über die Tarnkappe verfügt. Gegen die Dänen und Sachsen hätten die Burgunden trotz ihrer Truppenschwäche siegen können; bei der Brautwerbung um Brünhild scheint allen Beteiligten klar zu sein, dass Gunther ohne Siegfrieds Hilfe chancenlos ist. So wird eine Situation geschaffen, die Siegfried der Handlungslogik nach in die Lage versetzt, die Vermählung mit Kriemhild als lôn für seinen dienst einzufordern: „gîstu [= gibst du] mir dîne swester, sô wil ich ez tuon, / di schœnen Kriemhilde, ein kuneginne hÞr. / sô ger [= verlange] ich deheines [= keinen] lônes nâch mînen arbeiten [= Anstrengungen] mÞr“ (B 331.2–4). Des swuoren si dô eide (B 333.1): Gunther kann, als Vormund seiner Schwester, über ihre Vermählung entscheiden, ohne sie gefragt zu haben (dass Hagen hier Siegfrieds Handeln steuere, wie Young 2007, 242 f. ausführt, überzeugt angesichts der ausschlaggebenden Rolle Gunthers nicht restlos). Ob Kriemhild von Gunther „verschachert“ würde, wodurch sie ein „Opfer“ der Männer sei (Lienert 2003, 13), bleibt fraglich. Es ist nicht genderspezifisch, wie Verwandte verheiratet werden, auch über Giselhers Hochzeit mit Rüdigers Tochter wird verhandelt, ohne dass Giselher um seine Meinung gebeten wird (B 1671–1683); dabei geht die Initiative zur Vermählung nicht von Giselher aus, sondern beruht auf einem Vorschlag Hagens, es wird somit nicht nur Rüdigers Tochter „verschenkt“ (ebd., 16). Textintern bestätigen (gerade) die Frauen dennoch, dass es eine Hierarchie zwischen Frauen und Männern gibt, vgl. Kriemhilds Angabe, es solle Gunther nicht sorgende biten (B 354.1), sondern gebieten mit hÞrlichen siten
3. Brünhilds Empfang in Worms (ffventiure 10)
(B 354.2; s. auch S. 75 und 89 zu B 610 und B 891). Dies mag ein Reflex davon sein, dass die literarische Produktion im Hochmittelalter überwiegend in Händen von Männern lag, die bewusst oder unbewusst mit ihren Texten Idealvorstellungen transportierten (vgl. Lienert 2003, 10: der männliche Erzähler sei „an der Gewalt gegen Frauen beteiligt“). Welche Handlungsspielräume Fürstinnen im realen Leben allerdings entwickeln konnten, trotz der eindeutigen geschlechtsspezifischen Hierarchie, zeigt Fößel 2000. Sîvrit, der muose füeren di kappen mit im dan (B 334.1): Der Text gibt nicht eindeutig an, ob es Siegfrieds eigene Initiative ist, die Tarnkappe mitzunehmen, oder ob ihn Gunther oder auch Hagen hierzu auffordern, die ja Kenntnis davon haben, dass Siegfried die Tarnkappe besitzt (B 95). Suggeriert wird, dass sich Gunther für die Reise in Brünhilds Land ohne Planung, die über die Frage nach der Anzahl der Begleiter (B 337) und nach deren angemessener Kleidung hinausgeht (B 341), auf Siegfried verlässt; erst auffällig spät kommt z. B. seine Frage danach, wer bei der Fahrt in das den Burgunden offensichtlich unbekannte Land Brünhilds der schiffmeister sein solle (B 375.4). Dass Siegfried Brünhild persönlich kenne oder gar eine Liebesbeziehung mit ihr gehabt habe, wie in der „Edda“ beschrieben, wird im „Nibelungenlied“ so sorgsam nicht erwähnt, dass man wohl annehmen muss, der Autor wollte die seinem Publikum eventuell bekannte Sage auch in diesem Punkt neu schreiben (vgl. S. 58, 62). Im Zusammenhang mit der angemessenen Ausstattung der Helden spielt Kriemhild kurz eine Rolle: Sie ist diejenige, an die sich Gunther (auf Hagens Ratschlag hin, B 344) mit der Bitte um Herstellung repräsentativer Kleidung wendet, und so kann ein letztes Treffen zwischen Gunther, Siegfried und Kriemhild inszeniert werden (B 345–358), bevor die Burgunden aufbrechen. Das Treffen erlaubt den Hinweis auf die beidseitige Verbundenheit Siegfrieds und Kriemhilds: er truoc si ime herzen. si was im sô der lîp (B 351.3). Die unmittelbar anschließende Prolepse verweist (als einzige in dieser ffventiure) nur auf die positiven Folgen von Gunthers Brautwerbung für das Protagonistenpaar: sît wart diu schœne Kriemhilt des starken Sîvrides wîp (B 351.4). Die Ausführlichkeit der descriptio der Kleidung unterstreicht auch hier die Bedeutung der Szene. Sie hat Folgen für den Auftritt Gunthers und Siegfrieds in Brünhilds Land: In dieser Szene wird die Basis dafür gelegt, dass beide in weißer Kleidung auftreten können (B 397), so dass optisch zunächst kein Unterschied zwischen dem Werber und seinem angeblichen Vasallen gemacht werden kann. Ob dies allerdings tatsächlich unmittelbar Kriemhilds aktiver „Kleidungsregie“ geschuldet ist (Gerok-Reiter 2006, 70), bleibt zweifelhaft: Es wird beschrieben, dass alle am Werbungszug Beteiligten die Auswahl zwischen zwölf Gewändern bekommen (B 358), es ist somit denkbar, dass sich Gunther und Siegfried eigenständig für die weiße Farbe entscheiden. Beim anschließenden Abschied werden Kriemhild mehr Sorgen um Gunther als um Siegfried zugeschrieben (B 369–373), was einerseits der Situation und dem dargestellten Kräfteverhältnis der beiden durchaus angemessen ist, andererseits in Anbetracht der Tatsache, dass auch Siegfried in Gefahr ist, etwas unlogisch erscheint. Siegfried besteht für Gunther den Kampf gegen Brünhild erfolgreich (ffventiure 7). Als allerdings Brünhild daraufhin ihre Gefolgsleute zusam-
Betrug durch Tarnkappe
,Schneiderstrophen‘
erster Sieg über Brünhild
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Siegfried dient Kriemhild
Brünhilds Ankunft in Worms
menruft, entsteht eine für die Burgunden bedrohliche Situation. Siegfried reist daraufhin ins Land der Nibelungen, um Verstärkung für Gunther zu holen (ffventiure 8). Bereits erwähnt wurde (S. 70), dass Siegfried in der neunten ffventiure nur deswegen dazu bereit ist, als Bote nach Worms voraus zu reiten, weil Hagen Gunther rät, Siegfried anzubieten, dass er zu diesem Zweck auch Kriemhild besuchen dürfe (B 532, 529; dass Hagen Siegfried hier als Gefahr für Brünhilds Jungfräulichkeit betrachtet, wie von Strohschneider 1997/2005, 54 angegeben, gibt der Text nicht vor). Siegfried wird in Worms im Gespräch mit Giselher die Äußerung zugeschrieben, „swaz ich ir [!] dienen kan, / daz sol vil willeclichen mit triuwen sîn getân […]“ (B 545.1–2); es ist dies eine der wenigen Stellen, an denen Siegfried vom Dienstgedanken mit Bezug auf Kriemhild spricht, ohne gleichzeitig zu verbalisieren, dass er sich auch den Königen gegenüber zum dienen verpflichte. Charakteristisch für seine minne zu Kriemhild ist, dass er aus ihrer Hand Geschenke annimmt, obwohl sie selbst äußert, dass er dies aufgrund seines Standes und seines Ansehens als eine Beleidigung auffassen könnte (B 553.2–4). Siegfried vermerkt daraufhin, „[o]p ich nu eine hete“, sprach er, „drîzec lant, / sô enpfienge ich doch gerne gâb ûz iuwer hant“ (B 554.1–2: „,Wenn ich auch dreißig Länder für mich allein besäße‘, sagte er, ,so würde ich doch gern ein Geschenk aus Eurer Hand empfangen‘“; vgl. J.-D. Müller 1974, 103, J.-D. Müller 1998, 413). Die wertvollen Schmuckstücke, die Kriemhild ihm gibt, reicht er sofort ihrem ingesinde (B 555.4) weiter; was heute als unhöflich empfunden würde, ist hier offensichtlich als Würdigung der Geste des Schenkens gemeint und gleichzeitig als Beweis vorbildlicher milte (J.-D. Müller 1998, 413). Erneut erfüllt Kriemhild alle repräsentativen Forderungen, die an sie gestellt werden: Mit großem Gefolge (B 569–570) und in aufwändigster Kleidung (B 571–575) bereitet sie sich darauf vor, Brünhild in Worms zu empfangen. Die zehnte ffventiure widmet sich zunächst diesem Ereignis. Mit vollkommenem höfischem Prunk wird der grôze[.] antpfang[.] gestaltet (B 580.3): Es werden zum Schmuck des Tages mehr Damen zusammengebracht, als man sonst je bei der Ankunft eines Königs und einer Königin gesehen habe (B 580), es finden Turniere statt, wie der Erzähler mit begeisterten Ausrufen beschreibt (B 581–582), und die schönste Frau des burgundischen Hofes küsst und begrüßt die fremde Fürstin aufs Höfischste ([m]it vil grôzen zühten, durch zuht bzw. gezogenliche, B 584.1, 584.4 und 585.1). Dabei erfüllt auch Siegfried die von ihm inzwischen erwartete Rolle: Er dient Kriemhild, indem er sie vom Burgtor weiterbegleitet (vgl. B 579.3). Die demonstrative Herzlichkeit der Gesten und ihre Dauer werden hyperbolisch betont (B 586, 588). Sie fungieren, anders als bei der ersten Begegnung von Siegfried und Kriemhild, nicht als Hinweis auf die Affekte der beiden Fürstinnen, sondern vielmehr als Demonstration des vollkommenen höfischen Protokolls. Der von der Öffentlichkeit vorgenommene Vergleich der beiden jungen Fürstinnen (die auch hier als Neutrum schœnes zusammengefasst werden, B 589.2; vgl. S. 68) zeigt keine einhellige Meinung darüber, wer von den Damen die schönste sei. Immerhin geben aber di wîsen, di heten iz baz [= besser] gesehen (B 590.3), Kriemhild den Vorzug (J.-D. Müller 1998, 276).
3. Brünhilds Empfang in Worms (ffventiure 10)
Bevor die festliche Mahlzeit anfangen kann, erinnert Siegfried Gunther an seine eide (B 605.3). Gunther teilt Kriemhild mit, „[…] ich swuor dir einen recken […]“ (B 609.3), und bittet um ihre Einwilligung in die Ehe mit dem hier noch nicht namentlich genannten Helden (zur Vermischung von Munt- und Konsensehe s. zuletzt Frank 2004, 122 f.). Der Erzähler lässt Kriemhild ihre Folgsamkeit betonen (vgl. S. 72 f. zu B 354):
Siegfried heiratet Kriemhild
B 610 Dô sprach diu maget vil edele: „vil lieber bruoder mîn, ir sult mich niht flÞgen. jâ wil ich immer sîn, swi ir mir gebietet, daz sol sîn getân. ich wil in loben gerne, den ir mir, herre, gebet ze man.“ (Da antwortete die edle junge Frau: „Mein lieber Bruder, Ihr braucht mich nicht flehentlich zu bitten. Ja, ich will immer so handeln, wie Ihr es mir gebiete[t], das soll geschehen. Ich will ihn gern annehmen [wörtlich: mich ihm geloben], den Ihr mir, Herr, zum Mann gebt.“)
Dass die beiden Protagonisten (anders als vielleicht die burgundischen Königsbrüder) die Ehe nicht nur als eine politische Verbindung sehen, zeigt sich im Erröten Siegfrieds (B 611.1) und in der schame Kriemhilds (vgl. B 612.1) – topische Elemente affektiver minne-Reaktionen, die bei den Begegnungen zwischen Gunther und Brünhild fehlen: Brünhild errötet nach ihrer Niederlage im Zorn, nicht in Liebe (B 463.3). Erneut wird die vollendete Harmonie des Festes durch höfische Begriffe wie bûhurt (B 581.1, 595.2, 597.1), zuht (B 584.1, 584.4, 585.1), tjost (B 593.2), vreude (B 597.3, 600.4) und das dienen der Damen durch die Ritter (B 579.3, 596.3, 599.5, 614.3) hervorgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt in der zehnten ffventiure hat der Erzähler seine Darstellung der Hochzeit kein einziges Mal durch negativ beladene Prolepsen unterbrochen. Beim Hochzeitsmahl findet dieses festliche Idealbild jedoch abrupt eine Störung. Als Brünhild Kriemhild bei Siegfried sieht, weint sie: ir vielen heize trehene uber liehtiu wange dan (B 615.4). Gunthers wenig konkrete Antworten auf ihre Frage, warum die Königstochter Kriemhild dazu erniedrigt werde, mit dem angeblichen eigenholden Siegfried verheiratet zu werden (B 617.3), führen nicht zu einer Änderung in Brünhilds Verhalten: Swaz ir der kunic sagete, si hete trüeben muot (B 621.1; J.-D. Müller 1998, 92 spricht von einer „Überdehnung der ständischen Distanz“, vgl. zum Begriff des eigenholden jedoch Schulze 1997/2005). Brünhilds öffentliche Demonstration dieses trüeben muotes, die scharf mit dem bisher beschriebenen hôhen muot der burgundischen Hofgesellschaft kontrastiert (vgl. B 599.2, 599.4), sollte nicht nur als Äußerung von Brünhilds Affekten verstanden werden: Sie ist die öffentliche Anklage eines Missstandes, auf die allerdings textintern niemand mit Nachdruck reagiert (Küsters 1991, J.-D. Müller 1998, 208–212, Suerbaum 2003, Miedema [im Druck]; vgl. parallel zum Lächeln und Lachen Starkey 2003). Gunther missachtet sowohl Brünhilds Appell an die Gerechtigkeit als auch ihre Angabe, „[…] ich hete gerne fluht […]“ (B 619.2). Die erneuten Turniere nach dem Festmahl würde er nur deswegen gerne beenden, weil er sich vorstellt, er læge sanfter der schœnen vrouwen bî (B 622.1). Das Desaster von Gunthers erster Brautnacht, das in den Strophen B 627.2–640 ausführlichst beschrieben wird, bildet einen schmerzhaften
Brünhilds Tränen
Tränen als Anklage
zweiter Sieg über Brünhild
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Kontrast zur wortkargen Skizze der erfüllten Ehe-minne, die der Erzähler in Bezug auf Siegfried und Kriemhild gibt (B 626–627.1). Es lässt sich ein rasanter Wechsel zwischen nach außen demonstrierter Harmonie und im Heimlichen ausgefochtenem Machtkampf beobachten: – – – –
B 626: erste Brautnacht Siegfrieds; B 627–640: erste Brautnacht Gunthers; B 641–644: Krönung; B 645–653: Gespräch zwischen Gunther, der sein trûren (vgl. B 644.4) nach der ersten Brautnacht nicht verhehlen kann, und Siegfried; – B 654–659: Fest und Mahlzeit; – B 660–681: zweite Brautnacht Gunthers mit Siegfrieds Unterstützung, mit der expliziten Angabe, dass erst Gunther Brünhild entjungfert (vgl. B 652–653, 664, 674, 678–679; dies gegen Frakes 1994, 117 f. und Schopphoff 2009, 199); – B 682–686: Fortsetzung und Ende des 14 Tage dauernden Festes.
Miniatur Hundeshagen
Spannungen zwischen Kriemhild und Siegfried
So findet die ffventiure 10, folgt man der Sympathielenkung durch den Erzähler und den der Figur Gunthers unterstellten Absichten, ein vorläufig positives Ende: Brünhild ist bezwungen, die Machtverhältnisse sind geklärt. [E]z enwart nie geste mÞre baz gepflegen. / sô endete sich diu hôchzît. daz wolde Gunther der degen (B 686.3–4: „Es sind niemals zuvor Gäste besser behandelt worden. So endete das Fest, wie Gunther, der Ritter, es wollte“). Blickt man zum Abschluss der Ausführungen zur zehnten ffventiure auf das Bild, das die Hundeshagensche Handschrift diesem Erzählabschnitt beigibt (Hornung 1968, Abb. 8), so zeigt sich, dass hier die erste Begegnung von Kriemhild und Brünhild im Freien dargestellt ist. Vor einem Hafen bzw. einem Gewässer mit drei Booten und einer Stadtmauer sind zwei aufeinander zu schreitende, festlich gekleidete Paare dargestellt. Beide Damen tragen Kronen, die sie mit der jeweils linken Hand anfassen, während sie sich die rechte reichen. Die Geste des Berührens der Krone dürfte nicht als „grüßend“ zu interpretieren sein (Hornung 1968, 36), sondern vielmehr als eine Reminiszenz an Strophe B 584, in der es heißt, beim Begrüßungskuss hätten die beiden Damen ihre schapel (= Kopfschmuck) zurechtrücken müssen (das gleiche Motiv findet sich im „Nibelungenlied“ auch in B 1348 und scheint die besondere Bewegung, mit der man sich begrüßt, zum Ausdruck zu bringen). Hinter den Fürstinnen sind die (nicht gekrönten) Ehemänner erkennbar, hinter denen weitere männliche und weibliche Figuren stehen. Da sich die linke Gruppe vom Schiff auf die Stadt zu bewegt, dürfte sie Gunther und Brünhild darstellen, während die rechte Siegfried und Kriemhild abbildet. Gunthers Konflikt mit Brünhild und Siegfrieds erneuter Betrug werden im Bild ausgelassen; auch hier fokussieren die Abbildungen weniger auf die Kampfszenen als auf Gesprächsszenen und höfisches Zeremoniell. Querverweise auf der Ebene der Bilder werden dadurch geschaffen, dass die erste Begegnung Siegfrieds und Kriemhilds (S. 71) auf ähnliche Art und Weise dargestellt wird wie die erste Begegnung Brünhilds und Kriemhilds. Bevor auf den Streit der Königinnen eingegangen wird (Kapitel III.4), sei kurz skizziert, wie der Text zu diesem zentralen Ereignis überleitet. In ffventiure 11 ergibt sich beim Abschied Kriemhilds und Siegfrieds zum ersten
3. Brünhilds Empfang in Worms (ffventiure 10)
Mal ein Dissens zwischen den beiden Protagonisten, obwohl Siegfried angegeben hat, Kriemhild sei ihm lieber danne der lîp (B 649.3: „lieber, als ich mir selbst bin“). Es ist wichtig festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen Kriemhild und Siegfried keinesfalls „vollkommen“ ist, wie Schröder 1960/ 1961, 58 behauptet (s. Frakes 1994, 68–73 zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten dieser Szene; Sieber 2010 erfasst sie, wie J.-D. Müller 1998, 141, mit dem Begriff der Latenz, der latenten Konfliktsituation). Kriemhild fordert in B 688 ihren Erbanteil (in ihren Worten lant, B 688.3, und degene, B 693.2), welcher ihr von ihren Brüdern auch ohne Widerstände zugestanden wird (B 689–690, 694). Skizziert wird aber, dass Siegfried dies nicht gutheißt (B 688.4: leit was ez Sîfride, dô erz [= er es] an Kriemhilt ervant); er weist das Angebot der Königsbrüder, lant anzunehmen, explizit und stellvertretend für Kriemhild ab (B 691–692). Störmer-Caysa 1999, 99 sieht hierin ein öffentliches Dementieren der Fiktion von Siegfrieds Dienstbarkeit: „Jetzt ist er der Mächtigere, der eine große Gabe ausschlagen kann“. Kriemhilds darauf folgender Versuch, degene auszuwählen, scheitert dagegen zunächst an Hagens Widerstand: Ihn und Ortwin wählt Kriemhild als erste Gefolgsmänner aus, aber Hagen verweist zornig (vgl. B 695.3) auf die site der Tronjer (B 696.2), die sich nicht von ihrem König weitergeben ließen (B 695–969; fehlt in C). Daz liezen si belîben (B 697.1), Kriemhilds Versuch, explizit performative Sprechakte durchzuführen, scheitert (Tennant 1999, 278); statt der von Gernot versprochenen 3000 Männer folgen Kriemhild, ohne dass dies näher kommentiert wird, letztlich nur 500 (vgl. B 694.3, 697.3). Kriemhild verlässt ihre Heimat auch in Bezug auf ihre weibliche Gefolgschaft deutlich schlechter ausgestattet als Brünhild (Frakes 1994, 73; vgl. B 522 mit B 697.3); „die Geschlechterhierarchie siegt über die soziale“ (Frank 2004, 125). Die erzählte Zeit stark raffend, werden die nachfolgenden zehn Jahre der Herrschaft Siegfrieds (B 712, 717–720), die Geburt und Erziehung seines Sohnes Gunther (B 712–713), die uneingeschränkte Herrschaft Kriemhilds seit Sieglinds Tod (B 714) sowie die Geburt von Gunthers Sohn Siegfried und dessen Erziehung (B 715–716) nur kurz umrissen, bevor die Erzählung mit der zwölften ffventiure eine neue Episode einleitet. Entscheidend ist, dass Brünhild gleich zu Anfang der ffventiure 12 (B 721–722) zugeschrieben wird, es beschäftige sie alle zîte (B 721.1) der Gedanke daran, dass sich Kriemhild trotz ihrer Heirat mit einem eigen stolz verhalte (B 721.3; vgl. B 617.3, S. 75). Ihr Vorschlag, Siegfried und Kriemhild einzuladen, da ein herre doch über seine man verfügen könne (B 725.1–2), erfolgt aus dem (gegenüber Gunther verschwiegenen) Grund, die bereits in B 615–621 erörterten und nicht annähernd befriedigend geklärten Unklarheiten zu beseitigen, d. h. Evidenz zu schaffen (Strohschneider 1997/2005, 65). Gunther belächelt ihre Fehldeutung des Standesverhältnisses (B 725.3), der Logik der Verschwiegenheitsbündnisse entsprechend kann er Kriemhild aber erneut nicht über die genauen Verhältnisse aufklären. Inwiefern Kriemhild antizipieren könnte, dass die Frage nach dem Rang der Ehemänner zur Sprache kommen könnte, wird im Text nicht beschrieben. Es fehlt ein Hinweis darauf, ob Kriemhild gewusst hätte, warum Brünhild in ffventiure 10 öffentlich geweint hat. Es wird aber auch nicht erklärt, warum Kriemhild die Beweisstücke für Siegfrieds Anwesenheit bei Brünhild
Brünhilds Einladung
Ring und Gürtel
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
in der zweiten Brautnacht in einem der vielen soumschrîne (B 776.1, vgl. B 803.2: „Reisetruhen“) nach Worms mitnimmt, die das Paar ihrem hohen Stand entsprechend nach der Annahme der Einladung in der 13. ffventiure einpacken lässt (J.-D. Müller 1998, 274). Der Erzähler durchsetzt die Darstellung der Reise nach Worms und die ausführlich beschriebene festliche Ankunft dort mit auffällig häufigen Vorausdeutungen auf die nachfolgenden blutigen Ereignisse (B 776.4, 777.4, 778.2–4, 809.2, 809.4, 810.4). Dadurch wird von vornherein deutlich, dass die Szene der zweiten offiziellen Begrüßung der beiden Königinnen unter anderen Vorzeichen steht als die erste (vgl. B 789–791 mit B 583–588).
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15) Streit der Königinnen
Prämissen: Täuschung
Der Streit der Königinnen gehört zu den berühmtesten Szenen des „Nibelungenliedes“. Er ist mit großer Sorgfalt komponiert (Frank 2004, 43 spricht von einer „Inszenierung verschiedener Positionen“) und beweist, dass die mittelalterlichen Autoren um 1200 bereits ein genaues Gespür für kommunikatives Handeln entwickelt hatten. Auffällig ist, dass A, B, C und J kaum Unterschiede in der Darstellung des Streites aufweisen. Es gibt verschiedene Prämissen für die Entstehung des Streites. Brünhild ist im Text dreimal betrogen worden: – Ihr wird verbal wie auch nonverbal vorgespielt, Siegfried sei Gunthers man (Standeslüge, unterstrichen durch Strator- bzw. Steigbügeldienst) (B 394–421). – Sie wird beim Zweikampf getäuscht, als Gunther um ihre Hand anhält, in Wirklichkeit aber Siegfried gegen sie antritt und siegt (B 450–464). Brünhild weiß selbstverständlich in beiden Fällen nichts vom Betrug der Männer. Auch sonst ist der Kreis der Mitwissenden klein: Er umfasst nur Gunther, Hagen, Dankwart und Siegfried. – Brünhild ist außerdem in der zweiten Brautnacht in Worms betrogen worden, nach ihrer Hochzeit mit Gunther (B 658–677). Der Kreis der Mitwissenden ist hier noch stärker reduziert und umfasst zunächst nur Gunther und Siegfried.
Verschwiegenheitsbündnisse
Brünhilds Kenntnisstand
Alle drei Täuschungen verlangen absolute Verschwiegenheit, und zwar aus existenziellen Gründen: Wenn die Wahrheit ans Licht käme, würde die Position König Gunthers derart geschwächt, dass die Herrschaft der Burgunden in Worms nicht länger sicher wäre. Für den neuhochdeutschen Begriff Verschwiegenheitsbündnisse, der den Kern des skizzierten Phänomens trifft, hat das Mittelhochdeutsche noch keinen Ausdruck; aber unausgesprochen scheint den Betroffenen bewusst zu sein, dass das Verschweigen der Geschehnisse oberstes Gebot ist. Brünhild geht damit von folgendem Kenntnisstand aus: – Siegfried ist Gunthers Vasall, Gunther ist Siegfried standesmäßig überlegen.
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
– Gunther ist Brünhilds rechtmäßiger Ehemann, da er (gegen den ersten Augenschein) über ausreichend Kraft verfügt, sie zu besiegen. Dies hat er sogar zweimal demonstriert, auch wenn seine zwischenzeitliche Schwäche in der ersten Brautnacht für Brünhild unerklärt bleiben muss. Kriemhild hat in gewissen Bereichen einen Wissensvorsprung, der sich mit demjenigen der Textrezipienten deckt. Kriemhild weiß, wie die Rezipienten,
Kriemhilds Kenntnisstand
– dass Siegfried nicht Gunthers Vasall ist, dass beide sich also (mindestens) ebenbürtig sind; – dass Siegfried Gunther in der zweiten Brautnacht geholfen hat. Wie Siegfried Gunther geholfen hat, wissen die Textrezipienten genauer als Kriemhild. Der zuletzt genannte Punkt ist besonders wichtig, da sich gerade hier die sehr sorgfältige Komposition des „Nibelungenliedes“ auf den Streit der Königinnen hin offenbart. Der Konfliktdialog kann nur deswegen entstehen, weil Brünhild und Kriemhild von einem unterschiedlichen Wissensstand ausgehen, den sie beide für die Wahrheit halten. Diese (in sich kohärenten) Wissensstände erwerben sie (narratologisch betrachtet) teilweise in Dialogen, die das „Nibelungenlied“ wörtlich wiedergibt: Der Dialog mit der Standeslüge etwa, sowohl die Vorabsprachen darüber zwischen Siegfried, Gunther, Hagen und Dankwart (B 383–385) als auch das Verhalten der Männer in Brünhilds Land (B 418–421), ist vollständig in direkter Rede wiedergegeben, hier gibt es deswegen keine Zweifel an der erzählten Wahrheit. Die Rezipienten des „Nibelungenliedes“ wissen mit dem Erzähler, dass Brünhild in Bezug auf den Status Siegfrieds betrogen worden ist. Anders aber sieht es in Bezug auf die zweite Brautnacht aus. Der Erzähler signalisiert sehr eindeutig Hilflosigkeit über Siegfrieds Verhalten in und nach der zweiten Brautnacht; s. Young 2007, 245 f., 251. Er skizziert, wie Siegfried Brünhilds Ring und Gürtel stiehlt: B 676 Sîfrit stuont dannen. ligen lie er di meit, sam er von im ziehen wolde vil gar sîniu kleit. er zôch ir ab ir hende ein guldîn vingerlîn, daz si des nie wart innen, diu edle kunegîn. B 677 Dar zuo nam er ir gürtel, ine weiz, ob er daz tæte
daz was ein borte guot. durch sînen hôhen muot.
(Siegfried trat beiseite. Er ließ die junge Frau liegen und tat so, als ob er sich ausziehen wollte. Er zog ihr vom Finger einen goldenen Ring ab, ohne dass die edle Königin dies bemerkte. Außerdem nahm er ihren Gürtel, eine vorzügliche Borte. Ich weiß nicht, ob er das in seiner höfischen Hochgestimmtheit getan hat.)
Gemeint sind im „Nibelungenlied“, trotz der möglichen metaphorischen Bedeutungen von Ring und Gürtel, die Frakes 1994, 123–126 und Schopphoff 2009, 199 f. überstrapazieren, offensichtlich ausschließlich die konkreten Gegenstände. Dass es der Gürtel sei, der Brünhild ihre übermenschlichen Kräfte verleihe (Ehrismann 2005, 17, 29), ist am Text nicht belegbar, verwiesen wird vielmehr darauf, dass sie ihre Kraft aufgrund der Entjungfe-
Kenntnisstand der Rezipienten
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Siegfried gibt Geheimnisse preis
rung durch Gunther verliert (B 678–679; vgl. z. B. M. E. Müller 1995, 151, Lienert 2003, 10). Durch den Begriff des hôhen muotes, der im „Nibelungenlied“ neben dem des übermuotes verwendet wird, wird wohl auf die antike Hybris als Charakteristikum der Helden verwiesen, weniger auf die superbia christlicher Prägung – die eben zitierte Übersetzung „höfische[.] Hochgestimmtheit“ erfasst nicht die wichtigsten semantischen Merkmale dieses Begriffs (Ehrismann 2005, 42; vgl. auch J.-D. Müller 1998, 237–242, Nolte 2004, 86–91). Siegfried überschreitet mit dem Raub von Ring und Gürtel die Grenzen der selbstlosen Stellvertretung: Er handelt auch hier aus Eigeninteresse (Witthöft 2005) und „narzisstische[m]“ Antrieb (Gephart 2005, 75), ohne dass allerdings gesagt würde, dass er durch Gunthers Wunsch, er solle Brünhild nicht entjungern, „insgeheim gekränkt[.]“ sei (Gephart 2005, 74). Später gibt Siegfried diese Gegenstände seiner Frau, wobei sich der Erzähler in Bezug auf die Folgen dieser Handlung sicher gibt: er gab ez sînem wîbe, daz wart im sider [= später] leit (B 677.3). Unmittelbar nach seiner Rückkehr in der zweiten Brautnacht weicht Siegfried Kriemhilds Fragen aus (B 681.1: Er understuont ir vrâge, der si hete gedâht). Lange Zeit hält er Ring und Gürtel verborgen: er hal si sît vil lange, daz er ir hete brâht, / unz daz si under krône in sînem lande gie (B 681.2–3: „Noch sehr lange Zeit, bis sie die Krone in seinem Lande trug, enthielt er ihr vor, was er für sie mitgebracht hatte“). Dadurch, dass Siegfried nach seiner und Kriemhilds Krönung die Gegenstände offensichtlich weitergibt, bricht er das Verschwiegenheitsbündnis in Bezug auf die zweite Brautnacht; er ist es also, der als Erster eines der drei existenziell wichtigen Geheimnisse verrät (dies als „nahezu infantil[.]“ oder als Ausdruck eines „exhibitionistische[n] Selbstanspruch[s]“ zu bezeichnen, wie Gephart 2005, 75, 80, ist als Anachronismus zu werten). Was aber sagt Siegfried zu diesen Gegenständen, als er sie seiner Frau übergibt? Nach Auskunft des Textes dauert es mindestens Wochen, eventuell sogar zehn Jahre, bevor Kriemhild gekrönt wird (B 683, 705, 711–713), er kann Ring und Gürtel somit kaum wortlos weitergegeben haben (anders J.-D. Müller 1998, 273 f.). Ausgerechnet dieser Dialog zwischen Siegfried und Kriemhild aber wird im „Nibelungenlied“ nicht ausformuliert (zu dieser „epic silence“ s. Ehrismann 1998, 22). Wachinger 1960, 11 f. weist darauf hin, dass dies die einzigen Stellen im „Nibelungenlied“ sind, an denen „ein späteres Geschehen“ erzählt wird, „das aber später an der ihm ,chronologisch‘ zukommenden Stelle nicht eigens erwähnt wird“ (ebd., 11). Dies verdient insbesondere auf der Ebene der Erzähltheorie, narratologisch gesehen also, Aufmerksamkeit: Indem der Erzähler souverän (und nicht aus einer „Zwangslage“ heraus, Wachinger 1960, 12) dosiert, inwiefern Szenen ausformuliert werden, vermeidet er die Eindeutigkeit und damit auch die Trivialität vieler Nacherzählungen des „Nibelungenliedes“. Im Original werden die Rezipienten dazu aufgefordert, ihre eigene lückenhafte Wahrnehmung des ,Falles‘ der zweiten Brautnacht mit dessen defizienter Wahrnehmung durch die Protagonisten abzugleichen und so eine eigene Interpretation des Textes zu finden; nicht zuletzt darin liegt die literarische Qualität des mittelalterlichen Textes gegenüber vielen modernen Nacherzählungen. Dies fällt etwa im Vergleich zur Nacherzählung von Franz Fühmann auf, in der es
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
vereinfachend heißt: „Später schenkte er Kriemhild Gürtel und Ring. Das war, da er ihr von Brünhild erzählte, damit kein Geheimnis zwischen ihnen sei“ (Fühmann 1971/2005, 53; Lodemann 32002, 595–597 gestaltet diese Szene in direkter Rede aus). Schaut man auf die Forschungsliteratur zum Thema, so überzeugt die Deutung der Szene von Schnyder 2003 in keiner Weise: Sie gibt (unter Verweis auf Haustein 1993) an, es brauche „keine expliziten Worte, die den Vorgang erklären“, denn „in dem gegebenen Kontext“ sei „die Zeichenhaftigkeit dieses Geschenks eindeutig“ (Schnyder 2003, 382; ähnlich J.-D. Müller 1998, 273). Ihre Interpretation geht von einer Art wortlosen Idealität einer nahezu romantischen Beziehung zwischen Kriemhild und Siegfried aus. Da aber mindestens Wochen vergehen, bevor Siegfried Kriemhild (weit entfernt von Gunther und Brünhild) die Gegenstände weiterreicht, dürften deren Herkunft und Bedeutung in diesem neuen Kontext kaum ohne Worte verständlich sein. Eine generelle wortlose Verständigung zwischen Kriemhild und Siegfried wird außerdem von im Text selbst skizzierten anderen Begebenheiten widerlegt: Offensichtlich hat Siegfried Kriemhild ja nicht über den Betrug beim Wettkampf aufgeklärt, sonst hätte Kriemhild diese Kenntnisse wohl ebenfalls im Streit der Königinnen weitergegeben; und Kriemhild weiß außerdem offensichtlich nichts von der Standeslüge, sonst hätte sie Brünhilds Angabe, sie habe Siegfried doch selbst sagen hören, dass er Gunther untergeben sei, sofort als Lüge entlarvt. Es geht im „Nibelungenlied“ nicht ausschließlich um die Loyalität der Männer gegen die Frauen: Dadurch, dass Siegfried Kriemhild zumindest teilweise in die Geheimnisse um die zweite Brautnacht einweiht, wird eine Loyalität der Frauen untereinander unmöglich (anders Schausten 1999, 48, die argumentiert, dass umgekehrt die „mangelnde Solidarität“ unter den Frauen Anlass für die Krisen sei). Der Streit selbst gliedert sich in mehrere Phasen. Die erste Phase findet im mehr oder weniger privaten Rahmen statt: Kriemhild und Brünhild schauen den Kampfspielen der Männer zu, vermutlich in Gesellschaft ihrer jeweiligen Gefolgschaft, jedoch ohne dass im Text auf Zuhörer hingewiesen wird. In der Hundeshagenschen Handschrift sind zu Anfang der ffventiure 14 auf fol. 51v die beiden Königinnen ohne Gefolge links in einem zum Betrachter hin geöffneten Innenraum abgebildet (s. Hornung 1968, Abb. 12). Der Raum gibt durch Fenster links und mittig sowie durch eine Tür rechts den Blick auf eine Landschaft frei. Beide (gekrönten) Frauen sitzen, sind einander zugewandt und werden im Gespräch abgebildet, wie ihre Redegesten andeuten. Die rechts von ihnen dargestellte männliche Figur, die in die Richtung des Betrachters schaut (ohne diesen direkt anzuschauen) und nicht auf die beiden Fürstinnen, scheint Siegfried darzustellen. Sie ist damit als die Figur, über die gesprochen wird, zu interpretieren, nicht als ein tatsächlich anwesender Protagonist – ähnlich wie der Falke und die Adler im Bild zur ffventiure 1 auf fol. 3r nicht im Raum anwesend, sondern lediglich imaginiert sind (S. 60). Die linke der beiden Damen schaut in die Richtung der männlichen Figur. Nimmt man an, dass hier der Beginn des Streites dargestellt sein soll, so könnte hier Kriemhild gemeint sein, aber diese Interpretation ist keineswegs zwingend.
Was weiß Kriemhild über Ring und Gürtel?
der Streit: Phase I
Miniatur Hundeshagen
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren Gesprächseröffnung
Brünhilds Reaktion
Brünhilds Kenntnisstand
Der initiale Sprechakt im Streit wird Kriemhild zugeschrieben, ohne dass ein unmittelbarer Anlass gegeben zu sein scheint, und ist von einer Mehrdeutigkeit, die kaum zufällig sein kann. „[I]ch hân einen man, / daz elliu [= alle] disiu rîche ze sînen handen solden stân [= stehen]“ (B 812.3–4) – welche Illokution, d. h. welche Intention ist mit dieser Äußerung verbunden? In der Forschung ist manchmal von einer „harmlos impulsive[n] Äußerung ihrer Freude“ die Rede (Schröder 1960/1961, 70), womit Kriemhild die Intention unterstellt wird, im Sinne der höfischen (Ehe-)minne lediglich ihre Bewunderung für Siegfried zum Ausdruck zu bringen, ohne dass sie damit ein Konkurrenzverhältnis zu Brünhild heraufbeschwören wollen würde. Es findet sich aber auch die Charakterisierung dieses Gesprächsbeitrags als gezielte Äußerung eines „herausfordernde[n] Anspruches“ (so bereits Beyschlag 1952/1965, 197, Anm. 2; s. insbesondere Störmer-Caysa 1999, 104, die annimmt, dass Kriemhild hier glaubt, im Sinne von Siegfrieds Überlegenheitsansprüchen zu handeln). Damit wird Kriemhilds Hinweis dahingehend verstanden, dass sie einen Herrschaftsanspruch äußert und Brünhild zu einem Eingeständnis ihrer ständischen Unterlegenheit zwingen will (der Begriff, Kriemhild wolle sich „emanzipieren“, Frank 2004, 129 ist anachronistisch). Beide Deutungen sind vom schriftlichen Text her argumentierend möglich. Beim mündlichen Erzählen bzw. beim Vortrag des Textes allerdings musste sich der Vortragende in seiner Intonation für eine der beiden Interpretationen entscheiden. Durch ihre Antwort wird Brünhild jedenfalls so dargestellt, als ob sie die Chance erkennt, eine Antwort auf die Standesfrage zu finden. Ihr Ton entbehrt nicht einer gewissen Schärfe oder ist zumindest von einiger Direktheit („wi kunde daz gesîn? […]“, B 813.1: „Wie könnte das sein?“). Die Angabe, dass Siegfried allenfalls dann alle Länder untertan sein könnten, wenn außer Kriemhild und Siegfried keiner mehr lebe (B 813.2–4), hat sogar potenziell durchaus beleidigende Züge, denn sie impliziert, dass es nicht reiche, wenn nur Gunther sterbe, sondern dass jeder andere Siegfried überlegen sei. Kriemhild fasst Brünhilds Äußerung jedoch nicht als Beleidigung auf, sondern preist Siegfried erneut, wobei sie nunmehr, ebenso wie der Erzähler bei der ersten Begegnung Siegfrieds und Kriemhilds, die Metaphorik der Himmelskörper aufgreift („nu sihestu, wi er stât, / wi rehte hÞrliche er vor den recken gât, / alsam der liehte mâne [= Mond] vor den sternen tuot! […]“, B 814,1–3; vgl. S. 67). Brünhild lässt sich nicht auf diese Ebene des Vergleichs der Männer im Sinne der minne-Metaphorik ein, sondern beharrt auf Gunthers ständischer Überlegenheit, der vor allen künegen stehen müsse (B 815.4). Interessant ist, dass Kriemhild daraufhin insoweit einlenkt, als sie Siegfried als Gunthers genôz [= Ebenbürtiger] bezeichnet (B 816.4); es könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass sie mit ihrer ersten Äußerung keine konkreten Ansprüche bezüglich der Rangfolge der beiden Männer stellen wollte. Brünhild nimmt allerdings das Angebot, die beiden Fürsten als gleichrangig zu bezeichnen, nicht an. Sie beruft sich auf das Verhältnis zwischen ihnen, mit dem sie bei der Brautwerbung konfrontiert war: „[…] ich hôrte si jehen [= sagen] beide, dô ich si aller Þrste sach, // […] dâ jach [= sagte] des selbe Sîfrit, er wære sküneges man […]“ (B 817.3–818.2). Brünhilds nachfolgender Hinweis, „[…] des hân ich in für eigen […]“ (B 818.3), wird von
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
Grosse mit „[d]eshalb halte ich ihn für einen Leibeigenen“ übersetzt, besser aber wäre „deshalb halte ich ihn für unfrei“ (vgl. Schulze 1997/2005, 97). Kriemhild antwortet: „[…] Wi heten sô geworben di edelen bruoder mîn, / daz ich eigenmannes wine solde sîn? […]“ (B 819.1–2: „Wieso hätten meine edlen Brüder haben wollen, dass ich die Geliebte eines Leibeigenen werden sollte?“). Sie verhält sich hier verbal noch mit einiger Höflichkeit, indem sie Brünhild vil friuntliche [= freundlich; aber auch: mit Verweis auf ihre verwandtschaftliche Beziehung] bittet, solche Reden mit güetlichen sitten zu unterlassen (B 819.3–4). Brünhild geht erneut nicht auf dieses deeskalierende Angebot ein (Frank 2004, 52), sondern beharrt auf der Untergebenheit Siegfrieds: Warum solle sie darauf verzichten, dass Siegfried und seine Gefolgschaft Gunther und ihr dienestlich […] undertân seien (B 820.3)? Erst jetzt wird angegeben, Kriemhilt diu vil schœne vil sÞre zürnen began (B 820.4): Im Zorn verbittet sie sich, dass Brünhild irgendwelche dienste einfordert (B 821.2), und kehrt zurück zu ihrem ursprünglichen Standpunkt: Siegfried sei Gunther überlegen (B 821.2–3). Auf Kriemhilds Hinweis, es sei doch merkwürdig, dass Siegfried, wenn er schon eigen sei (B 822.1), noch nie den entsprechenden zins bezahlt habe (B 822.3), hat Brünhild keine Antwort – Gunther hat ihr ja genau diese Frage nicht beantworten können und wollen (B 721, 724–725). Sie fordert Kriemhild deswegen heraus, man solle es in aller Öffentlichkeit darauf ankommen lassen, welcher der beiden Damen man die höchsten Þren zuspreche (B 823.3; für eine Umstellung dieser und der nachfolgenden Strophen, wie von Ohlenroth 2007 vorgeschlagen, liegt kein zwingender Anlass vor). [D]i vrouwen wurden beide vil sÞre zornec gemuot (B 823.4), kommentiert der Erzähler. Der Zorn, die ira, ist eines der sieben Hauptlaster, und obwohl er im heroischen Kampf toleriert und als furor respektiert werden kann (Ridder 2003; vgl. J.-D. Müller 1998, 203–208; problematisch ist die „sozio-biologische[.]“ Interpretation bei Gephart 2005, 24–38, das Zitat 25), ist er unter Damen und in einem höfischen Kontext keine positive Eigenschaft. Kriemhild nimmt die Herausforderung an: Sie will am gleichen Tag noch die Kirche, als öffentlichen Raum, der als Rahmen der Herrschaftslegitimierung und -sakralisierung dient, vor Brünhild betreten, anders als offenbar bis dahin geschehen. Der affektgeladene Dialog kulminiert in Kriemhilds strophenübergreifende Wiederholung der Beleidigung, die mit der syntaktisch redundanten Formulierung diu [!] eigene diu [!] dîn auffällig gegen die Wohlgeformtheit der sonstigen Sätze verstößt: „[…] du solt noch hînte kiesen, wi diu eigene diu dîn // ze hove gÞ vor recken in Burgonden lant […]“ (B 825.4–826.1: „Du sollst noch heute sehen, wie die Frau Deines Leibeigenen vor den Recken im Burgundenland am Hof auftreten wird“; Schulze 1997/2005, 98 übersetzt stattdessen „deine unfreie Dienerin“). Dass es längst nicht mehr um die Rangfolge der beiden Fürsten geht, sondern um einen Rangstreit der beiden Damen selbst, die ihre Bedeutung in derjenigen der Ehemänner gespiegelt sehen (Frank 2004, 53), zeigt die gehäufte Verwendung der Personalpronomina ich und du statt er. Eingeleitet wurde dies bereits in B 820.2, wo Brünhild davon spricht, dass sie nicht auf die Dienste der Gefolgschaft Siegfrieds verzichten möchte. Fortgesetzt wird diese Auseinandersetzung in dichter Folge in B 821.1, 822.1, 822.3, 823.1,
Kriemhilds Kenntnisstand
der Rangstreit
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
der Streit: Phase II
der Kebsenvorwurf
Kriemhild gibt Geheimnisse preis
823.2, 823.3, 824.2, 824.4, 825.1; sie kulminiert in Kriemhilds Angaben, „[…] dâ mit [= mit dem Vorwurf, Siegfried sei Gunthers eigen] wil ich [!] selbe niht bescholten sîn […]“ (B 825.3) und „[…] ich [!] wil selbe tiuwerer [= angesehener] wesen, danne iemen habe bekant / deheine [= irgendeine] kuneginne […]“ (B 826.2–3). Nicht nur zorn wird den beiden Fürstinnen zugeschrieben, der Erzähler vermerkt jetzt außerdem, dô huop sich under den vrouwen des grôzen nîdes genuoc (B 826.4), womit er, wie in B 4.4 (S. 54), die invidia (ein weiteres Hauptlaster) nennt. Für die zweite Phase des Streits hat Kriemhild somit die Öffentlichkeit am Kirchplatz gewählt. Sie bereitet sich sorgfältig auf diesen Akt symbolischer Kommunikation vor: Nur für Kriemhild wird beschrieben, wie sie ihrem Gefolge aufträgt, sich prächtig zu kleiden (B 828–830, 833–834), um für alle sichtbar ihre eigene Höherwertigkeit zu inszenieren. Nie habe man so kostbare Gewänder gesehen (B 834). Die Missstimmung zwischen den beiden Fürstinnen fällt den Zuschauenden bereits im Vorfeld auf (B 831; Frank 2004, 55). Brünhild scheint, ohne dass dies explizit ausgesprochen wird, auf die Macht des Wortes zu vertrauen und nicht auf die Macht der Symbole (vgl. Strohschneider 1997/2005, 60 zur früheren Szene bei der Brautwerbung in Brünhilds Land, in der dies ebenfalls gilt): In Bezug auf Brünhild fehlt jeder Hinweis auf eine Inszenierung der Kleidersymbolik (dies im Kontrast zur ffventiure 6; vgl. Schausten 1999, 39, Frank 2004, 56). Mit deutlich negativer Wertung seitens des Erzählers wird Brünhilds Verhalten eingeleitet (sie handle vil übelliche, B 835.3). Sie benutzt auch hier die übertreibende Degradierung eigen, um das Verhältnis zwischen sich und Kriemhild zu charakterisieren: „jâ sol vor küniges wîbe nimmer eigendiu gegân“ (B 835.4). Kriemhild reagiert erneut vom zorn geleitet: Dô sprach diu schœne Kriemhilt, zornec was ir muot: / „kundestu [= könntest du] noch geswîgen [= schweigen], daz wære dir guot […]“ (B 836.1–2). Unmittelbar anschließend wechselt sie überraschend die Ebene, auf der argumentiert wird: „[…] du hâst geschendet selbe den dînen schœnen lîp. / wi mohte [= konnte] mannes kebse [= Geliebte, Nebenfrau] werden immer [= je] küniges wîp?“ (B 836.3–4). War bisher vom Status der Männer die Rede, der allerdings einen unmittelbaren Einfluss auf die Position der Frauen hat, so bringt Kriemhild nunmehr das Argument ein, dass Brünhild ihr als Frau, als kebse Siegfrieds, unterlegen sei. Sie, die ihren eigenen Körper durch teure Gewänder als symbolischen Körper ausstaffiert und damit gleichzeitig verhüllt hat, bezieht sich auf den physischen Körper Brünhilds, stellt ihn zur Schau und schändet ihn mit Worten (als „Waffen der Frauen“ nach Mecklenburg 2010, 98), so wie Brünhilds Körper (angeblich) von Siegfried mit Taten geschändet worden sei. Kriemhild wiederholt ihren Hinweis, Brünhild solle lieber schweigen (B 836.2), wenige Strophen weiter in ähnlicher Form: „[…] du mohtes wol gedaget hân, und wære dir Þre liep […]“ (B 846.2: „Du hättest besser geschwiegen, wenn Dir Dein Ansehen lieb gewesen wäre“). Man schaut auch hier einem planenden, die Dialogbeiträge aufeinander zu komponierenden Autor zu: Es gehört zu den Momenten bitterster dramatischer Ironie, dass es ausgerechnet Kriemhild ist, die Brünhild gleich zweimal sagt, diese solle lieber schweigen – gerade in dem Moment, als Kriemhild selbst kurz davor
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
ist, die prekären, die burgundische Welt bis dahin schützenden Verschwiegenheitsbündnisse zu missachten und eines der existenziell wichtigen Geheimnisse preiszugeben. B 837 „Wen hâstu hie verkebset?“ sprach dô des küniges wîp. „daz tuon ich“, sprach Kriemhilt, „den dînen schœnen lîp, den minnet Þrste Sîfrit, der mîn vil lieber man. jâne was ez niht mîn bruoder, der dir den magetuom angewan. […]“ („Wen hast Du hier Nebenfrau genannt?“ fragte da die Frau des Königs [= Brünhild]. „Ja“, antwortete Kriemhild, „ich meine Deinen schönen Körper. Den hat zuerst Siegfried, mein lieber Mann, besessen. Es war nämlich nicht mein Bruder, der Dir die Unschuld genommen hat.“)
Der vom Erzähler wiedergegebenen Wahrheit entspricht dieser kebsen-Vorwurf nicht: Im Rahmen der 10. ffventiure ist eindeutig darauf hingewiesen worden, dass Brünhild ihre Kraft erst verliert, als Gunther (und nicht Siegfried) sie entjungfert (S. 76). Es bleibt textintern unklar, ob Siegfried Kriemhild gegenüber tatsächlich behauptet hat, er habe mit Brünhild geschlafen. Wahrscheinlicher ist vor dem Hintergrund des späteren Eides Siegfrieds (S. 87), dass Kriemhild die lückenhaften Informationen, über die sie verfügte, selbst ergänzt hat; von einer „Lügerei der zwei zänkischen Königinnen“ (Haug 1987/2005, 19) kann somit nicht die Rede sein. Wie für die ffventiure 39 dargestellt (S. 47 f.), reflektiert der Text das prekär gewordene Erzählen: Wenn das Preisgeben bestimmter Informationen lebensbedrohliche Konsequenzen haben kann, ist es umso wichtiger, dass aufgrund der nur bruchstückhaften Informationen keine falschen Schlüsse gezogen werden. Jedenfalls bricht Kriemhild mit ihren (wenn auch falschen) Anschuldigungen das Verschwiegenheitsbündnis der Männer, in das Siegfried sie leichtsinnigerweise zumindest teilweise eingeweiht hatte. Ein Unrechtsbewusstsein wird ihr dabei nicht zugeschrieben, sie scheint nicht zu bedenken, welche Folgen die öffentliche Bekanntgabe der Geheimnisse der zweiten Brautnacht haben könnte: Als Brünhild angibt, sie werde die ungeheure Beschuldigung Gunther mitteilen (B 838.4), reagiert Kriemhild selbstsicher mit „Waz mac mir daz gewerren? […]“ (B 839.1: „Was kann das mich angehen?“; vgl. die wörtliche Parallele zu Siegfrieds Äußerung in B 53.1, als er sich entscheidet, um Kriemhild zu werben). Erneut weint Brünhild öffentlich, und erneut reagiert niemand auf diese Anklage (es ist ihr Weinen wohl auch hier nicht nur „a spontaneous reaction“, Starkey 2003, 164). Mittels einer Gedankenrede erfährt man, dass Brünhild Kriemhild zu näheren Erläuterungen zwingen will. Ihre Überlegungen verlagern sich jetzt wieder vom wortræze[n] wîp Kriemhild (B 842.3: „wortwilde Frau“) auf Siegfried: „[…] hât er sich es gerüemet, ez gÞt an Sîfrides lîp“ (B 842.4: „Wenn Siegfried damit geprahlt hat, dann geht es ihm ans Leben“). Bei dieser und den folgenden Formulierungen scheint es weniger bedeutsam zu sein, was in der zweiten Brautnacht wirklich geschah, entscheidender ist, dass es in der Öffentlichkeit keine Gerüchte darüber geben soll. Die Ebene des öffentlichen Sprechens über (angebliche) Geschehnisse wird wichtiger als die Geschehnisse selbst (vgl. Frakes 1994, 119 f., Bernreuther 1994, 41 f.). So findet nach dem Kirchgang die dritte Phase des Streites statt.
divergierende Wahrnehmungen
Brünhilds Tränen
der Streit: Phase III
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren B 843 Nu kom diu edele Kriemhilt mit manigem küenem man. dô sprach diu vrouwe Brünhilt: „ir sult noch stille stân. ir jâhet mîn ze kebesen. daz sult ir mich lâzen sehen. mir ist von iuwern sprüchen, daz wizzet, leide geschehen.“ B 844 Dô sprach diu vrouwe Kriemhilt: „ir mohtet mich lâzen gân. ich erziuge ez mit dem golde, daz ich an der hende hân. daz brâhte mir mîn vriedel, dô er Þrste bî iu lac.“ ni gelebte Brünhilt deheinen leidern tac. B 845 Si sprach: „diz golt vil edele, daz wart mir verstoln und ist mich harte lange vil üble vor verholn. ich kum es an ein ende, wer mir ez hât genomen.“ di vrouwen wâren beide in grôz ungemüete komen. B 846 Dô sprach aber Kriemhilt: „ine wils niht wesen diep. du mohtes wol gedaget hân, und wære dir Þre liep. ich erziugez mit dem gürtel, den ich hie umbe hân, daz ich niht liuge. jâ wart mîn Sîfrit dîn man.“ (Nun kam die edle Kriemhild mit großem Gefolge. Da sagte Brünhild, die Herrin: „Haltet noch einen Augenblick an. Ihr habt mich Nebenfrau genannt: Das müsst Ihr beweisen. Euer Gerede, das wisst Ihr, hat mich schwer beleidigt.“ Da antwortete Kriemhild, die Herrin: „Ihr tätet besser daran, mich weitergehen zu lassen. Ich beweise es mit dem Gold, das ich an der Hand trage. Mein lieber Mann hat es mir mitgebracht, nachdem er als Erster bei Euch gelegen hatte.“ Niemals erlebte Brünhild einen leidvolleren Tag. Sie sagte: „Dieser kostbare Ring ist mir gestohlen und lange Zeit auf üble Weise vorenthalten worden. Ich bekomme heraus, wer mir ihn weggenommen hat.“ Beide Damen hatten sich in große Aufregung hineingesteigert. Da sagte Kriemhild erneut: „Ich will nicht als Dieb beschuldigt werden. Du hättest besser geschwiegen, wenn Dir Dein Ansehen lieb gewesen wäre. Ich bezeuge mit dem Gürtel, den ich hier trage, dass ich nicht lüge. Ja, mein Siegfried wurde Dein Mann.“) Brünhild fordert Beweise
Die dritte Phase bezieht sich ausschließlich auf die Auseinandersetzung über die angebliche Entjungferung Brünhilds durch Siegfried, auf den Status der Fürstinnen selbst also; die Standeslüge tritt in den Hintergrund. Brünhild fordert Beweise ein, und diese werden ihr gegeben – dass es sich um falsche Beweise handelt, kann Brünhild ihrerseits nicht beweisen. Kriemhild erzählt nicht die Wahrheit, als sie angibt, Siegfried hätte ihr Ring und Gürtel unmittelbar nach der zweiten Brautnacht gegeben (B 844.3; s. S. 80). Es sei außerdem daran erinnert, dass der Text nicht ausspricht, wie es sein kann, dass Kriemhild Ring und Gürtel mit nach Worms genommen hat (S. 77 f.): Hat sie antizipiert, dass das Thema der Rangfolge der Männer zur Sprache kommen könnte? Oder führt sie die Gegenstände immer mit sich? Jeder Versuch, diesen Aspekt zu verstehen, ergänzt die Leerstellen im Text auf eine Art und Weise, die dem modernen Bedürfnis nach psychologischer Schlüssigkeit der Charaktere entspricht, dem Text jedoch nicht gerecht wird. Dem Erzähler (und dem Publikum) des mittelalterlichen „Nibelungenliedes“ reicht es zu wissen, dass Kriemhild grundsätzlich über Ring und Gürtel verfügt, wo und wie diese aufbewahrt werden, wird im Text als irrelevant markiert. Der Ausdruck „[…] jâ wart mîn Sîfrit dîn man“ (B 846.4) lässt Kriemhild die Doppeldeutigkeit des Wortes man (Vasall, wie in B 818.2, oder eben Geliebter: Frakes 1994, 119) hämisch und geradezu genüsslich einsetzen.
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
Dass Siegfried eine außereheliche Beziehung gehabt hätte, wäre (genderspezifisch) offenbar unproblematisch und würde Kriemhilds Ehre nicht antasten (Ehrismann 2005, 53 f.). Kriemhilds Beweisgegenstände bestätigen für die Zeugen eine Deutung der Geschehnisse, die vom Erzähler selbst ausdrücklich dementiert worden ist. Brünhild hat dennoch keine Möglichkeit, sich gegen die ungeheuren Vorwürfe zur Wehr zu setzen: Der Schein spricht gegen sie (J.-D. Müller 1998, 274 f.). Während die Standesprobleme ggf. durch eine Gegenüberstellung seitens der Könige geklärt werden könnten, gibt es beim Kebsenvorwurf keine eindeutigen Beweise. Der Text spricht nicht aus, ob Brünhild selbst durch Ring und Gürtel etwas bestätigt sieht, was sie bereits seit der ersten Brautnacht beschäftigt haben könnte: Der damals plötzlich so schwache Gunther schien in der zweiten Brautnacht erneut zu Kräften gekommen zu sein – zu Kräften, von denen Brünhild wissen dürfte, dass sie sonst nur Siegfried besitzt. Wäre sich Brünhild ihrer Sache sicher, dann hätte sie weiter argumentiert; so aber scheinen Kriemhilds falsche Anschuldigungen Brünhilds Befürchtungen zu bestätigen. Auf jeden Fall lässt der Erzähler Brünhild ihre Argumentation an dieser Stelle beenden und die Beurteilungskompetenz auf andere verlagern: Brünhild ruft als Richter und Zeugen Gunther und Siegfried herbei (B 848). Erneut flicht der Erzähler dramatische Ironie ein, indem er Siegfried äußern lässt, „Man sol vrouwen ziehen“, sprach Sîfrit der degen, / „daz si üppecliche sprüche lâzen under wegen […]“ (B 859.1–2). Frauen muss demnach, so Siegfried, beigebracht werden, nichts Überflüssiges oder Leichtfertiges zu reden. Ähnlich wie Kriemhild Worte in den Mund gelegt werden, deren Tragweite bzw. deren Übertragbarkeit auf sie selbst sie nicht begreift (S. 84 f.), wird auch Siegfried hier eine Aussage zugeschrieben, die auf ihn selbst angewandt werden kann. Denn ohne dass Siegfried seiner Ehefrau Informationen über Ring und Gürtel weitergegeben hätte, ohne Siegfrieds eigene üppecliche sprüche also, wäre es nicht zur Katastrophe gekommen. Demnach gilt zwar, dass die beiden Damen von ihren Ehemännern in dieser Szene „einvernehmlich domestiziert“ werden (Frank 2004, 62), die „Machtlosigkeit“, die Frank damit verbunden sieht, ist aber nur temporär. Insofern mag zwar gelten, dass Siegfried im „Nibelungenlied“ Gunther gegenüber keinen „Verschwiegenheitseid[.]“ geschworen hat (Bernreuther 1994, 43), so dass formal kein Eidbruch vorliegt; es wäre dennoch von existenzieller Wichtigkeit gewesen, die Zahl derjenigen, die über die Täuschungen Brünhilds Bescheid wissen, möglichst gering zu halten. Die großartige Szene nach Siegfrieds halbherziger Formulierung des Eides, er habe nicht damit angegeben, Brünhild als Erster besessen zu haben, wird in nur einem Vers skizziert: [D]ô sâhen zuo zeinander di guoten ritter gemeit (B 858.4; vgl. Beyschlag 1952/1965, 200). Das Gefolge reagiert mit Schweigen, vielleicht mit schweigendem Entsetzen, mit einem Verstummen vor den Vorwürfen und vor den wenig überzeugenden Reaktionen zur Entkräftung dieser Vorwürfe. Auch Brünhild reagiert wortlos. Erneut ist ihre Machtlosigkeit demonstrierende öffentliche Betrübnis, die offenkundige Missstimmung am Hof, eine Aufforderung zum Handeln: dô trûret alsô sÞre der Brünhilde lîp, / daz ez barmen muose den Guntheres man (B 860.2–3). Störmer-Caysa 1999, 104 f. argumentiert, dass Kriemhild, von
falsche Beweise, starke Wirkung
Siegfrieds Eid
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Hagen schwört Rache
Gunthers Mitschuld
Miniatur Hundeshagen
Täuschung Siegfrieds und Kriemhilds
Siegfried öffentlich gedemütigt, da er nicht zulässt, dass sie ihre (in Kriemhilds Sicht gemeinsamen) Herrschaftsansprüche durchsetzt, an dieser Stelle den Entschluss fasst, Siegfried ermorden zu lassen; der Text selbst spricht dies nicht aus. Es ist, nach den verschiedenen Situationen, in denen Brünhilds Tränen ohne Wirkung blieben, jetzt Hagen, der noch in der gleichen Strophe herbeitritt und nach dem Grund für Brünhilds Trauer fragt. Er fasst die Beleidigung nicht nur als eine persönliche, sondern als eine politische auf und schwört Brünhild, dass Siegfried für ihre Tränen werde büßen müssen (B 861.2; vgl. Suerbaum 2003, 29 f.). Ob Hagen Kenntnisse über die wahren Ereignisse in der zweiten Brautnacht hat, ist irrelevant: Im Mittelpunkt steht die öffentliche Erniedrigung Brünhilds, deren Sühne durch Siegfrieds Eid nicht von allen Gefolgsleuten akzeptiert worden ist. Gunther zeigt sich allerdings zunächst unempfindlich gegenüber dem Vorwurf Hagens, man solle am Burgundenhof keine gouche großziehen (B 864.1; = Kuckucke, die ihre Eier in fremden Nestern legen bzw. die Zieheltern verdrängen, Grosses Übersetzung „Narren“ trifft den Kern des Problems nicht). In dem Moment aber, als Hagen ihm sagt, bereits einen Plan erdacht zu haben, wie Siegfried heimlich getötet werden könne, signalisiert seine Rückfrage, „wi mac daz ergân?“ (B 871.1: „Wie kann das geschehen?“), seine Bereitschaft zur Einwilligung. Erst wenn der einzige Fremde stirbt, der über die Täuschung sowohl bei der Brautwerbung als auch in der zweiten Brautnacht Bescheid weiß, ist die Gefahr gebannt, dass andere Näheres darüber erfahren können, warum Siegfried potenziell ein gouch ist, der Gunther verdrängen könnte. Resümierend verweist der Erzähler auf die Schuld Gunthers, indem er angibt, [d]er künic gevolgete ubele Hagenen, sînem man (B 873.1). Gleichzeitig weitet er diese Schuld auf nicht näher spezifizierte ritter ûzerkorn aus (B 873.3), mit denen Hagen und Gunther gemeint sein können, eventuell aber auch die restlichen Burgunden; und schließlich wiederholt der Erzähler am Ende der ffventiure 14, dass die Ursache für die folgenden Morde im Verhalten der Frauen gesehen werden muss (von zweier vrouwen bâgen wart vil manic helt verlorn, B 873.4: „Vom Streit zweier Damen mussten viele Helden sterben“; vgl. B 4.4). Es sei allerdings nicht verschwiegen, dass er die ffventiure 15 mit dem Hinweis beginnt, von luge erwuohsen vroun Kriemhilde diu aller grôzesten leit (B 874.4: „Aus dieser Lüge erwuchs nun der Herrin Kriemhild der bitterste Schmerz“): In diesem Teil des „Nibelungenliedes“ wird mit einigem Nachdruck auf die Schuld Gunthers und Hagens verwiesen. Hagen lässt inszenieren, dass die Burgunden erneut von Liudeger und Liudegast angegriffen werden. Die ffventiure 15 ist in der Hundeshagenschen Handschrift auf fol. 56v mit einer Szene versehen (Hornung 1968, Abb. 13), die auf diese Kriegserklärung fokussiert: Eine Gruppe von Personen schaut einer fürstlichen Figur zu, die einen Brief liest. Kriemhilds Verrat der verwundbaren Stelle Siegfrieds, eine für den Handlungsverlauf eminent wichtige Passage (s. u.), wird somit im Bild nicht wiedergegeben. Gunther spielt das Spiel mit und täuscht trûren vor (vgl. B 880; zur Frage, ob dies als Ausdruck des positiv bewerteten list im mittelalterlichen Sinne zu bewerten sei oder als moralisch verwerflich s. Ehrismann 2005, 59 f.). Erwartungsgemäß bittet Siegfried darum, erfahren zu dürfen, welche Sorgen
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
der König habe, und bietet seine Hilfe an. Mehrfach wird die Falschheit des Verhaltens Gunthers betont (B 874.4, 884.2, 884.3). Besonders Hagen wird hier aber eine verräterische Rolle zugeschrieben. Er ist es, der die Gelegenheit zum Gespräch mit Kriemhild herbeiführt (B 888), ohne dass dabei im Übrigen eindeutig ist, ob Hagen bereits weiß, dass Siegfried an irgendeiner Stelle verwundbar ist (vgl. Quast 2002, 288 f., Anm. 5, Young 2007, 246). Jedoch liegt die Initiative für Kriemhilds erneuten Bruch der Verschwiegenheitsbündnisse bei ihr selbst. Im letzten Vers der Strophe B 898 drückt die an syntaktisch ungewöhnlicher Stelle eingeschobene inquit-Formel möglicherweise eine besondere Bewegtheit Kriemhilds aus (vgl. Hundsnurscher 2007, 115): „[…] des wil ich hôhes muotes“, sprach diu küneginne, „sîn. […]“ (B 889.4: „,Deshalb [aufgrund der Tapferkeit Siegfrieds] will ich stolz und zuversichtlich sein‘, sagte die Königin“). Die Strophen B 890–891 lassen sie daraufhin in auffälliger Weise das Eingeständnis ihrer Schuld verbalisieren: B 890 „[…] Vil lieber vriunt Hagene, gedenket ane daz, daz ich iu gerne diene und noch nie wart gehaz. des lâzet mich geniezen an mînem liebem man, ern sol des niht engelten, hab ich Brünhilde iht getân. B 891 Daz hât mich sît gerouwen“, sprach daz edel wîp, „ouch hât er dar umbe zerblouwen mînen lîp, daz ich iz ie geredete, daz beswæret ir den muot. daz hât vil wol errochen der helt küene und guot.“ („Hagen, lieber Freund, denkt daran, dass ich Euch gern einen Gefallen tue und noch nie feindlich begegnet bin. Davon lasst mich jetzt für meinen geliebten Mann einen Vorteil haben, er soll nicht dafür büßen, wenn ich Brünhild etwas angetan habe. All das hat mir inzwischen sehr leid getan“, sagte die edle Frau. „Auch hat Siegfried mich deshalb verprügelt, dass ich jemals geredet und Brünhild tief beleidigt habe. Das hat der tapfere, gute Held sehr streng bestraft.“)
Siegfried solle also nicht dafür büßen, wenn Kriemhild Brünhild irgendetwas angetan habe (B 890.3–4). Auch die Angabe [d]az hât mich sît gerouwen (B 891.1) verweist auf Kriemhilds Schuld, da die Bestrafung, die von Kriemhild als selbstverständlich skizziert und damit legitimiert wird (Scheuble 2005, 142), ja ein Vergehen voraussetzt, sie setzt voraus, dass Brünhild Leid zugefügt worden ist. Ähnlich ist in B 891.4 von Rache die Rede, deren Berechtigung von Kriemhild nicht angefochten wird. Die syntaktische Konstruktion in B 891 ist doppeldeutig: Es könnte nach muot in B 891.3 statt eines Punktes ein Komma gesetzt werden, wodurch die Apokoinu-Konstruktion besser zur Geltung käme. Als „Apokoinu-Konstruktionen“ bezeichnet man Sätze, bei denen einzelne Satzglieder syntaktisch sowohl einem vorhergehenden als einem nachfolgenden Satz zugeordnet werden können (Paul u. a. 2007, § S 233). Im vorliegenden Fall etwa kann daz ich iz ie geredete, daz beswæret ir den muot (B 891.3) syntaktisch sowohl mit dar umbe in B 891.2 verbunden werden als auch mit daz hât vil wol errochen […] (B 891.4). Der Zusammenhang zwischen Kriemhilds für Brünhild beleidigenden Worten, Siegfrieds Bestrafung dafür und Kriemhilds Furcht, dass diese ,Rache‘ nicht ausreichend sein könnte, wird durch die Apokoinu-Konstruktion auch in syntaktischer Hinsicht zum Aus-
Kriemhild bekennt Schuld
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Hagen täuscht Kriemhild
Verrat der verwundbaren Stelle
druck gebracht. Wie bei der skizzierten komplexen Satzstruktur der letzten Strophe des „Nibelungenliedes“ (S. 45 f.) zeigt sich auch hier der hohe literarische Anspruch, den der Text erhebt. Dass Kriemhild kurz davor ist, erneut etwas zu sagen, was einer anderen Figur, in diesem Fall Siegfried, den muot beswæren wird, erhöht die Spannung in dieser Szene. Hagen suggeriert im vorliegenden Dialog, Kriemhilds Worte in B 890.2 sowie Siegfrieds Dienst an Gunther spiegelnd (S. 69 f.; vgl. Quast 2002, 291 f.), er sei bereit, Siegfried zu dienen (vgl. B 892.3). Dass seine Äußerung, „[…] wand ich es niemen baz engan“ (B 892.4: „denn ich kenne keinen, für den ich es lieber täte“), eine Lüge ist, wird an dieser Stelle vom Erzähler nicht ausgesprochen: Dieser enthält sich bis zum Ende des Dialogs kommentierender Bemerkungen zu Hagens Verstellung (vgl. erst B 903.3 mit dem Hinweis auf Hagens meinræte: „hinterlistigen Verrat“). Es erscheint durch die Dialogführung glaubhaft, dass sich Kriemhild von Hagen täuschen lässt und damit die Fundamente der Herrschaft unterminiert (Quast 2002, 287): Mehrfach fordert sie seine (Verwandtschafts-)Treue ein (B 890.2, 895.1–2, 898.1–2, 898.4), und ebenso oft bestätigt Hagen seine angebliche Verbundenheit mit ihr (B 892.2–4, 894.4, 900.3, 902.1). Nach ihrem vorsichtigen Hinweis auf Siegfrieds übermuot (B 893.3), der ihn das Leben kosten könne, muss Hagens Frage, ob man ihn denn an irgendeiner Stelle versnîden könne (B 894.2), aus Kriemhilds Perspektive unverfänglich erscheinen bzw. als ein Ausdruck der besonderen Fürsorge des Mannes, der ihr und Siegfried angeblich dienen will. Der Aufwand an Hinweisen auf triuwe, genâde und Verwandtschaft, mit dem Kriemhild den Verrat der verwundbaren Stelle dennoch einkleidet, charakterisiert sie als eine Figur, die einerseits leichtsinnigerweise Hagens Täuschung erlegen ist, während ihr andererseits offenbar die Selbstwahrnehmung zugeschrieben werden soll, behutsam, ja geradezu übervorsichtig vorzugehen (vgl. die von Kriemhild verwendeten Begriffe vriunde: B 889.2, 889.3, 890.1, 898.1; mâc [= Verwandter]: B 895.1; triuwe: B 895.2, 898.2; dienen: B 890.2; genâde: B 898.1, 898.4). Störmer-Caysa 1999, 105 f. sieht in diesem Dialog die Bestätigung dafür, dass Kriemhild Siegfried aus Wut darüber, dass er ihre Herrschaftsansprüche nicht unterstützt hat, ermorden lassen will, jedoch spricht der Aufbau des Dialogs nicht dafür, dass der Text so gelesen werden sollte. Im Übrigen wissen die Rezipienten des Textes erneut (wie bei den Geheimnissen der zweiten Brautnacht, S. 80 f.) nicht, wie Kriemhild zu ihren Informationen kommt: Im Text ist an keiner Stelle ausformuliert, wann, warum und wie Siegfried ihr erzählt, wo das Lindenblatt an seiner Haut klebte, ebenso wenig, wie eine Dialogszene ausformuliert wird, in der Siegfried Ring und Gürtel kommentiert. Auch hier ist es jedoch zuerst Siegfried, der im Vertrauen auf Verschwiegenheit Geheimnisse preisgegeben hat. Kriemhild benennt Siegfrieds verwundbare Stelle erst, nachdem sie Siegfried in Hagens Schutz gestellt hat (B 895), ohne dass Hagen diese Rolle ablehnt. Der Erzähler sichert zu Ende des Dialogs aber durch die zweifache Verwendung des Verbes wænen (B 900.4, 902.2: „glauben, meinen“), dass Kriemhilds Wahrnehmung von Hagens Absichten defizient ist. [D]ô was dâ mit verrâten der Kriemhilde man (B 902.3) – da dieser Hinweis hier platziert ist, nach Kriemhilds Bruch der existenziell notwendigen Verschwiegenheit zwischen ihr und Siegfried, kann kein Zweifel darüber bestehen, dass
4. Missachtung von Verschwiegenheitsbündnissen (ffventiuren 14 und 15)
Kriemhild selbst erst Siegfrieds Ermordung ermöglicht (vgl. ähnlich auch bereits B 895.4). Dass sie Siegfrieds Tod bewusst plant, wie von Störmer-Caysa 1999, 105 f. angenommen, widerspräche der Betonung von Kriemhilds triuwe zu Siegfried. Die Erzählersympathie liegt bei Kriemhild, wie die mehrfache eindeutige Verurteilung Hagens sichtbar werden lässt (B 903, 908, 912; 913). „Sobald Hagen Sivrits verwundbare Stelle kennt, ist Sivrits eigenes Wissen seiner Verwundbarkeit irrelevant geworden“ (Robles 2005, 370); erweitert werden müsste aber, dass Siegfrieds eigenes Wissen bereits irrelevant geworden ist, als er Kriemhild von der verwundbaren Stelle erzählt. Der Erzähler unterlässt es allerdings auch hier nicht, auf die vielfachen Verstrickungen hinzuweisen: Auch Gunther wird in die Beschuldigung der untriuwe einbezogen (so z. B. in B 913), und wenig später heißt es darüber hinaus, obwohl B 861 Anderes hatte vermuten lassen, daz het gerâten Brünhilt (B 914.4). Erneut scheinen die Schuldzuweisungen seitens des Erzählers weniger auf eindeutige moralische Urteile angelegt als vielmehr zu einer Diskussion über die Verantwortung und Schuld aller Figuren anregen zu wollen. „Das Entscheidende ist […], daß im Nibelungenlied ein Erzähler auftritt, der mit seinen Kommentaren die Vieldeutigkeit des Erzählten nochmals erhöht“ (Stech 1993, 68). Kriemhild hat in der ffventiure 14 die nur Gunther, Siegfried und ihr bekannten Geheimnisse der zweiten Brautnacht verraten, so weit sie sie zu kennen glaubte. Sie verrät in der ffventiure 15 das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit, über das sie, und zwar (neben Siegfried) nur sie, sehr genau Bescheid weiß. Dass sie in Bezug auf die zweite Brautnacht falsch gehandelt hat, gesteht sie im Dialog mit Hagen selbst ein (B 891). In Bezug auf Siegfrieds Verwundbarkeit fehlt an dieser Stelle dagegen eine solche unmittelbare Verbalisierung ihres Fehlverhaltens (vgl. aber B 1108; im Übrigen wirft sich Siegfried, als er stirbt, nicht vor, Kriemhild in das Geheimnis eingeweiht zu haben). Zwar beschreibt der Erzähler, dass Kriemhild, nachdem der angebliche Krieg plötzlich abgesagt wird, an das zurückdenkt, was sie Hagen erzählt hat (B 917). Entscheidend ist hier aber, dass angegeben wird, sine torst ir niht gesagen (B 917.1: „sie wagte nicht, davon zu sprechen“): Kriemhild traut sich nicht, Siegfried unmittelbar zu erzählen, dass es nunmehr zumindest einen weiteren Burgunden gibt, der von Siegfrieds Unverwundbarkeit weiß. Warum Kriemhild Siegfried nicht warnt, wird im Text nicht ausgesprochen. Spekuliert werden kann in psychologischer Deutung, dass sie sich vor einer erneuten Bestrafung fürchtet (Quast 2002, 294 f., Lienert 2003, 15); oder in stoffgeschichtlicher Interpretation, dass sie Siegfrieds Tod bewusst in Kauf nimmt, um Erbansprüche auf Burgund für ihren Sohn zu schützen, der wegen des Kebsen-Vorwurfs legitimere Ansprüche erheben könne als Brünhilds Sohn (Störmer-Caysa 1999, 105; es wäre dann das Verb „wagen“ an dieser Stelle erklärungsbedürftig); oder in handlungslogischer Deutung, dass, wenn sie Siegfried warnen würde, die Geschichte nicht so verlaufen könnte, wie sie verlaufen muss – all dies sind mehr oder weniger plausible Erklärungsversuche, die den Rezipienten als Interpretationsleistung abverlangt werden, ohne dass Eindeutigkeit erreicht werden kann. Kriemhild berichtet Siegfried von zwei Träumen: Im einen habe sie gesehen, wie durch das Jagen zweier Wildschweine Blumen rot gefärbt würden (B 918), im anderen seien zwei Berge auf Siegfried heruntergestürzt (B 921).
Kriemhild gibt Geheimnisse preis
Kriemhild warnt Siegfried
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Siegfrieds Tod
Während im ersten Traum nicht gesagt wird, wessen Blut die Blumen färbt, konkretisiert der zweite, dass speziell Siegfried zu Schaden kommen werde. In der Forschungsliteratur wird der Bericht über die Träume zumeist als eine Erinnerung an tatsächliche Träume Kriemhilds interpretiert, deren Bedeutung sie jetzt erst verstehe (z. B. Wachinger 1960, 35 f.). Es erscheint jedoch ebenso annehmbar, dass Kriemhild, da sie nicht wagt, Siegfried unmittelbar zu warnen, die Träume erfindet, um ihm zumindest implizit deutlich zu machen, dass ihm Gefahr droht (Young 2007, 247). Die zunehmende Vereindeutigung wäre dann als bewusste Steigerung der Konkretisierung der Warnung zu verstehen, die dennoch von Siegfried nicht erkannt wird. Denn Siegfried spricht trotz Kriemhilds Hinweise sein volles Vertrauen in die Burgunden aus: „[…] ine weiz hie niht der liute, di mir iht hazzes tragen […]“ (B 920.2: „Ich kenne hier keinen Menschen, der mir auch nur etwas Hass entgegenbringt“). Kontrastiert werden auf diese Art und Weise Kriemhilds Vorahnung, die auf dem Bewusstsein beruht, dass sie besser geschwiegen hätte, und Siegfrieds Ahnungslosigkeit, die auf der Unkenntnis des Bruchs des Verschwiegenheitsbündnisses beruht. Ein Schuldbewusstsein in Bezug auf die Täuschung Brünhilds artikuliert Siegfried jedenfalls nicht. Der Text schreibt Siegfried zu, dass ihm das Ausmaß seiner Fehleinschätzung erst bewusst wird, nachdem ihn Hagen bereits tödlich getroffen hat. Siegfried beschimpft Hagen und Gunther zunächst als zagen (B 986.1: „Feiglinge“) und erinnert daran, dass er ihnen immer gedient habe und treu gewesen sei (B 986.2–3). Er verweist darauf, dass die Schmach, das laster dieses Mordes (B 987.4), die Verwandten der Burgunden bis in spätere Generationen belasten werde (B 986–987). Erst nachdem die anderen Burgunden herbeigeeilt sind (B 988), beklagt Gunther Siegfrieds Tod (B 989), so dass unklar bleibt, ob Gunther tatsächlich „entsetzt“ ist über Hagens Tat (Gerok-Reiter 2006, 71; ähnlich Gephart 2005, 90). Vor diesen Zeugen wiederholt Siegfried seine Anschuldigung („ez ist âne [= ohne] nôt, / daz der nâch schaden weinet, der in hât getân [= verursacht] […]“, B 989.2–3). Hagen rühmt sich seiner Tat („[…] wol mich, deich sîner hÞrschaft ze râte hân getân“, B 990.4: „Ich bin froh, dass ich seine Herrschaft beendet habe“), und erneut bezieht sich Siegfried in seiner Antwort unmittelbar auf diese Aussage („Ir müget iuch lîhte rüemen“, B 991.1: „Ihr könnt Euch leicht damit brüsten“). Sein letzter, ausführlicher Redebeitrag, der unbeantwortet bleibt, bezieht sich insgesamt auf Kriemhild (B 991, 993–994) und den gemeinsamen Sohn Gunther (B 992), die Siegfried beide unter den Schutz der Burgunden stellt, obwohl diese seine mâge (B 992.3: Verwandten) den Mord auf dem Gewissen haben. Die vom Blut durchnässten Blumen (B 995.1) zeigen, dass Kriemhilds Träumen, ob von ihr erfunden oder nicht, nachträglich prophetischer Charakter zugeschrieben wird (vgl. B 918.3; zur Spiegelung der Farben Weiß und Rot bei Kriemhild und Siegfried s. Küsters 1991, 62, Gephart 2005, 96 f.).
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20) Facetten der Kriemhild-Figur
Das „Nibelungenlied“ hat bisher verschiedene Facetten der Protagonistin Kriemhild gezeigt: die der gegen ihre Mutter bzw. gegen die Liebe rebellie-
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20)
renden Tochter; die der minne-Dame, die in der Liebe zu Siegfried ihre Bestimmung gefunden zu haben scheint; die der Fürstin, die ihren Erbanteil einfordert, dabei allerdings von ihrem Ehemann (sowie auch von Hagen) zurechtgewiesen wird; die der unbedacht lebensbedrohliche Geheimnisse Preisgebenden; die der ihren Zorn nicht zügelnden Selbstgerechten. Die verwendeten Bilder scheinen teils aus den germanischen Versionen des Stoffes übernommen zu sein, sie werden allerdings überlagert durch jüngere Schichten (wie etwa die minne-Darstellung). Der Tod Siegfrieds fügt den verschiedenen Kriemhild-Bildern weitere, teils erneut widersprüchliche hinzu. Einerseits ist bereits in ffventiure 17 die Deutung Kriemhilds als eine die Blutrache für ihren Mann kühl planende Frau vorhanden: Der Beginn dieser ffventiure kündigt die Erzählung von eislicher [= schrecklicher] râche an (B 1000.2), und eine gewisse Kaltblütigkeit oder zumindest eine große Selbstbeherrschung wird Kriemhild insbesondere in der Szene zugeschrieben, in der sie ihren Schwiegervater Siegmund und dessen Mannen dazu aufruft, keine blinden Racheaktionen gegen die allzu zahlreichen Gegner zu unternehmen. Man solle öffentlich mit ihr klagen (d. h. auch: anklagen, Küsters 1991, Miedema [im Druck]; vgl. B 1011.4, 1014.4, 1017.2, 1019.1, 1033.2, 1034.1, 1042.2, 1044.4, 1048.3, 1061.4, 1064.2), ansonsten aber warten, bis die Gelegenheit günstiger sei (B 1028–1031). Andererseits zeigt sie die gleiche ffventiure als die maßlos (B 1063) um ihren Mann trauernde Witwe, die, um Siegfrieds Seelenheil bemüht, fromm betet und Messen stiftet (B 1001, 1037, 1045, 1050–1067). Die ffventiure 17 weist eine starke Häufung von Begriffen aus dem Bereich der Kirche und der Seelsorge auf, die im Rahmen des „Nibelungenliedes“ zum größten Teil nur in dieser ffventiure vorkommen (vgl. münster, B 1002.1, 1004.1, 1036.2, 1037.1, 1045.2, 1049.1, 1059.2, 1061.3; klôster, B 1058.2; kirchof, B 1059.2; glocken, B 1037.1; pfaffen, B 1037.2, 1054.2, 1062.4; münche, B 1054.2; messe, B 1045.2, 1051.3, 1059.1; mettîne, B 1001.3; tagezîte, B 1056.1; sÞle, B 1049.3, 1050.4, 1057.4, 1060.3; opfer, B 1049.3, 1051.2, 1056.3, 1057.2). Die ffventiure 17 erzählt, dass Kriemhild, wie Siegmund (B 1013), sofort ahnt, wer das erlegte tier (B 999.3), der tote ritter (B 1004.3) ist, den Hagen vor die Tür von Kriemhilds Kemenate gelegt hat. Nach Auskunft von Ehrismann 2005, 68 „brandmarkt“ die Positionierung der Leiche „die Königin […] nach zeitgenössischem Brauch als Schuldige“. Der Erzähler berichtet, dass Kriemhild zunächst an Hagens Frage denkt und bereits durch diesen Gedanken in Ohnmacht fällt (B 1005–1006); nachdem sie wieder zu sich gekommen ist, schreit sie vor jâmer laut auf (B 1006.3) und lässt die Frage ihrer Gefolgsleute, „waz, ob ez ist ein gast [= Fremder]?“ (B 1007.1) gar nicht erst gelten. Die Hundeshagensche Handschrift lässt Kriemhild in der Abbildung zu ffventiure 17 (Hornung 1968, Abb. 15), nicht ganz in Übereinstimmung mit dem Text, mit entsetzten Gebärden den Leichnam Siegfrieds entdecken. Von links nähert sich eine Gruppe männlicher Personen; die Person, die sich rechts vom Geschehen abzuwenden scheint, könnte Hagen darstellen, jedoch ist seine Körperhaltung nicht eindeutig. In dichter Folge schreiben Kriemhild und der Erzähler in der ffventiure 17 erneut unterschiedlichen Figuren Schuld zu:
Kriemhild findet Siegfrieds Leiche
Miniatur Hundeshagen
Schuldzuweisungen
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
– „[…] ez hât gerâten Brünhilt [!], daz ez hât Hagen [!] getân“ (B 1007.4), äußert Kriemhild unmittelbar, nachdem ihr deutlich geworden ist, dass Siegfried ermordet worden ist (vgl. B 914.4). Wenig später droht sie, wenn sie wüsste, wer ihn getötet habe, würde sie dessen Tod veranlassen (B 1009.4), womit impliziert ist, dass sie sich nicht sicher ist, wer der Schuldige sei. Siegmund gegenüber wiederholt sie, sie wisse nicht, wer für den Mord verantwortlich sei (es ist also nicht so, dass sie adressatenbezogen nur Siegmund gegenüber „behauptet“, dies nicht zu wissen, s. StörmerCaysa 1999, 107), würde diesem aber nie wieder holt werden wollen (B 1021.2): Seine Verwandten würden, wie sie hier auf die späteren Geschehnisse vorverweisend äußert, um ihretwillen weinende sîn (B 1021.4). – Nachdem Gunther erneut (angebliche?) Trauer um Siegfried äußert (B 1038, vgl. B 989), Kriemhild ihm vorhält, es wäre ohne sein Mitwissen nichts geschehen (B 1039), und Gunther dies erneut leugnet (B 1040), findet die so genannte Bahrprobe statt: Man führt die Verdächtigen an die Bahre, auf der der Tote liegt, und dessen Wunden fangen erneut an zu bluten, als Zeichen dafür, dass der Mörder am Leichnam steht – der Erzähler kommentiert, dâ von man di schulde dâ ze Hagene [!] gesach (B 1041.4). „Man“ sieht Hagen somit als den Schuldigen: Die Formulierung lässt offen, ob diese Interpretation der Geschehnisse die richtige ist (vgl. S. 88). Erneut leugnet Gunther, und nunmehr gibt Kriemhild an, „[…] Gunther und Hagene [!], jâ habt ir iz getân“ (B 1043.3). Kriemhild erweitert die Zuweisung der Schuld somit von Beginn an vom offensichtlich für die Durchführung der Tat verantwortlichen Hagen auf die im Hintergrund für die Tat Verantwortlichen, Brünhild (B 1007.4) und Gunther (B 1043.3). – Als Erzählerkommentar findet sich in ffventiure 17 außerdem folgender Hinweis, der die obigen Ausführungen bestätigt: dâ het gerochen [= gerächt] Hagene [!] harte Brünhilde [!] zorn (B 1010.4). – Zu Ende der 16. ffventiure hat Hagen explizit angegeben, es sei ihm gleichgültig, ob Kriemhild, „[…] diu sô hât betrüebet den Brünhilde muot […]“ (B 998.3), erfahre, dass er Siegfried getötet habe. Im Rahmen der Auseinandersetzungen in der 17. ffventiure werden Hagen keine weiteren direkten Reden zu seiner Tat zugeschrieben, es ist Gunther, der vor Zeugen sowohl Hagens als auch seine eigene Betroffenheit leugnet (B 1038, 1042); allerdings vermerkt die Strophe B 1040.1 für das Kollektiv der Anwesenden, [s]i [!] buten vaste ir lougen: „Sie leugneten hartnäckig“. – In Kriemhilds Äußerung, „[…] daz wolde got“, sprach Kriemhilt, „und wær iz mir selber getân“ (B 1039.4), liegt einerseits der topische Wunsch vor, lieber selbst zu sterben, als den Geliebten zu verlieren. Im Licht der Schuldfrage lässt sich andererseits diskutieren, inwiefern dies als ein Schuldeingeständnis seitens Kriemhild zu verstehen ist: In Bezug auf den Verrat der verwundbaren Stelle ist ihr immerhin vom Erzähler das Bewusstsein zugeschrieben worden, dass sie falsch gehandelt hat (B 890–891, S. 89). Auffälligerweise fokussiert aber die 17. ffventiure, wenn es nicht um Hagens, Gunthers und Brünhilds Rolle beim Verrat Siegfrieds geht, insgesamt ausschließlich auf Kriemhilds Schuld am Streit und lässt damit die Schuldfrage in Bezug auf den davor liegenden Betrug Brünhilds durch die Männer ganz außer Betracht. Auf das Ende der 16. ffventiure zurückblickend, fragt sich, ob sich der Hinweis, dône moht niht reden mÞre der
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20)
recke küen unt gemeit (B 995.4: „Der kühne, stolze Recke konnte nicht weitersprechen“), nur auf Siegfrieds Unfähigkeit bezieht, im Moment des Todes zu sprechen: Eventuell ist dies als ein nahezu ironischer Kommentar des Erzählers zu verstehen, durch den auf Siegfrieds Bruch der Verschwiegenheitsbündnisse zurückverwiesen würde – dieses reden hat Siegfried immerhin zumindest für Hagen zum gouch werden lassen (S. 88), und es wird durch seinen Tod beendet (B 864.1; vgl. Strohschneider 1997/2005, 68). Ausschlaggebend für Kriemhilds Rachegedanken ist die Tatsache, dass Siegfried offensichtlich verraten und nicht im heroischen Kampf getötet wurde, da sein Schild keinerlei Beschädigungen aufweise (zum Widerspruch dieser Angabe im Vergleich zu B 982 vgl. J.-D. Müller 1998, 285):
Kriemhilds Rache
B 1009 Dô rief vil trûrecliche diu vrouwe milt: „ouwÞ mich mînes leides! nu ist dir dîn schilt mit swerten niht verhouwen. du lîst ermorderôt. wesse ich, wer iz het getân, ich riet im immer sînen tôt“. (Da rief die edle Königin in großer Trauer: „O weh mir, welches Leid! Nun ist Dir Dein Schild nicht von Schwertern zerhauen worden. Du liegst ermordet vor mir. Wüsste ich, wer es getan hat, ich dächte nur noch an seinen Tod“.)
In ihrer Warnung Siegmunds, der sofortige Blutrache einfordert, spricht sie aus, dass die Rache planvoll verschoben werden soll, bis sich eine bessere Gelegenheit finde und ihr bewîset worden sei (B 1030.4), wer die Schuld trage. „Recht setzt Durchsetzbarkeit voraus“ (J.-D. Müller 1998, 286), es geht hier wohl weniger darum, dass Kriemhild die Rache für sich selbst beanspruche (so Gephart 2005, 102). Dass in dieser Situation der Rat einer Frau ernst genommen wird, zeigt, dass genderspezifisches Sprachverhalten durchaus je nach Situation unterschiedlich sanktioniert sein kann. Auch nach der Bahrprobe kann Kriemhild Siegfrieds degene (B 1043.4) durch ihren Rat davon abhalten, sofort einen strît gegen die rein zahlenmäßig weit überlegenen Burgunden anzufangen. Insofern ist es weniger das „beinah liturgisch anmutende Klageprotokoll“, das die Rache verhindert (Küsters 1991, 35), als vielmehr Kriemhilds mehrmaliges aktives Eingreifen. Die ffventiuren 18 und 19 markieren, nach dem ungesühnten Tod Siegfrieds, die Verhinderung der Durchführung von Kriemhilds Rache. Sie entscheidet sich bewusst dafür, in Worms zu bleiben, obwohl Siegmund ihr die Herrschaft in Xanten anbietet (B 1072) und sie zunächst selbst angibt, sie könne sich nicht dort aufhalten, wo sie den (Singular!) sehen müsse, der ihr ein so furchtbares Leid angetan habe (B 1075.1; vgl. B 1076.4). Insbesondere Giselher, über den der Erzähler bereits in den Strophen B 863 und B 923 ausgesagt hat, dass er den Mord nicht befürwortet habe und an der Jagd unbeteiligt gewesen sei, wird maßgeblicher Einfluss auf Kriemhilds Entscheidung zugeschrieben (B 1075–1077). Er wiederholt seine bereits in ffventiure 17 erfolgte Angabe, er wolle sie für das Leid ergetzen (B 1046.3, 1077.3: entschädigen; vgl. J.-D. Müller 1998, 368–375). Kriemhild beruft sich zur Begründung ihrer Entscheidung darauf, dass sie in Nibelunge lant keine mâge [= Verwandten] habe (B 1082.3). Sie bewertet damit die Treue zwischen den unmittelbaren Blutsverwandten höher als die Treue zwischen den durch den Mord gemeinsam Geschädigten (zu denen im Übrigen auch
planvolles Vorgehen
Verhinderung der Rache
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Kriemhilds Tränen
Versöhnung mit Gunther
ihr Sohn Gunther gehört, den sie ohne größere Worte verlässt, vgl. B 1087.3–4) – ein Fehler, den sie in der Auseinandersetzung mit Hagen bereits einmal begangen hat (S. 90). Dass Siegmund diese Entscheidung missfällt (B 1085.4, 1088.4), zeigt, dass auch textintern durchaus darüber diskutiert wird, welche Formen der Treue jeweils angemessen sind. Kriemhild reagiert in diesem Fall nicht darauf, dass nunmehr Siegmunds Männer öffentlich androhen, sie würden die Burgunden angreifen, wenn sich herausstelle, dass sie für Siegfrieds Tod verantwortlich seien (B 1090). Der Erzähler spricht an dieser Stelle nicht aus, ob sie sich in Worms eine bessere Gelegenheit für ihre Rache erhofft, oder ob sie den Gedanken an die Rache aufgegeben hat. In der Öffentlichkeit äußert Kriemhild jedoch Klagen darüber, dass ihr keiner außer Giselher trôst anbiete (vgl. B 1096.3; Gernot wird von Kriemhild trotz seiner Angebote in B 1044, 1046, 1079 und 1094 nicht genannt). Wie beim klagen, das als Äußerung von Emotionen verstanden werden kann, jedoch gleichzeitig auch immer die demonstrative, öffentliche Anklage bedeutet, ist unter trôst nicht nur emotionale, sondern auch rechtlich sühnende Unterstützung gemeint. Die Zahl derjenigen, die Kriemhild in Worms eine solche Unterstützung zugesprochen haben, ist offensichtlich so gering, dass es Brünhild, wie Hagen, gleichgültig ist, ob Kriemhild in der Öffentlichkeit weint (vgl. die parallele Formulierung in den Strophen B 998.2 und 1097.2). J.-D. Müller 1998, 287 führt aus, dass Kriemhilds Tränen, anders als zuvor Brünhilds, „keine Bedeutung für den burgondischen Herrschaftsverband“ haben. In ffventiure 19 scheint jedoch die Schar derjenigen, die Kriemhild beim klagen unterstützen, allmählich zu wachsen. Der Erzähler betont, dass die Schmerzen, die Kriemhild durch Siegfrieds Tod erfahren hat, zu groß sind, um gelindert werden zu können (B 1101–1102); dreieinhalb Jahre weigert sie sich, mit Gunther oder Hagen zu sprechen. Es ist aber gerade Hagen, der bewerkstelligt, dass sie sich mit Gunther versöhnt: Er spricht Gunther darauf an, dass bei einer Versöhnung zwischen den Geschwistern der Nibelungenhort, der als Morgengabe (vgl. B 1115; Schmidt-Wiegand 1982, 376 f.) durch Siegfrieds Tod in Kriemhilds Besitz übergegangen ist, nach Burgund käme (B 1104; B 771 muss dagegen nicht auf den Hort bezogen werden, vgl. J.-D. Müller 1998, 145 f.; anders Quast 2002, 293). Nach Kriemhilds Hinweisen zur Schuldfrage (insbesondere B 1043.3, s. S. 94) überrascht ihre Angabe, „des [= Siegfried erschlagen zu haben] zîhet [= beschuldigt] in [= Gunther] niemen. in sluoc diu Hagenen hant […]“ (B 1108.1), die von ihr selbst allerdings unmittelbar darauf wieder in die richtige Perspektive gerückt wird: „[…] holt wirde ich in [= Plural: ihnen] nimmer, di ez dâ hânt getân“ (B 1109.3; eine konsequente „Trennung zwischen demjenigen, der die Tat gestattet, und demjenigen, der sie ausgeführt hat“, Gerok-Reiter 2006, 71, nimmt Kriemhild somit keineswegs vor). Erneut gilt, dass Kriemhild ihre eigene Schuld in Bezug auf den Hinweis auf die verwundbare Stelle Siegfrieds anspricht (B 1108.1, 1109.1), ohne dass reflektiert wird, inwiefern Siegfried selbst durch die Weitergabe der Details über sein Bad im Drachenblut seinen eigenen Untergang erst ermöglicht hat. Insbesondere Giselhers Eingreifen (B 1109) bewirkt daraufhin, dass Kriemhild bereit ist, sich mit Gunther zu versöhnen. Hagen wird zuge-
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20)
schrieben, sich nicht zu trauen, vor Kriemhild zu treten – wol wesse [= wusste, kannte] er sîne schulde (B 1110.4). Die Versöhnung führt kurzfristig erneut dazu, dass die Schuldfrage nur auf Hagen abgewälzt wird: in het erslagen niemen, ez hete Hagen getân (B 1112.4: „niemand hätte Siegfried erschlagen, wenn es Hagen nicht getan hätte“). Dass der Versöhnungskuss eine Form der Verstellung auf Kriemhilds Seite ist, wird durch die Angabe ir tet ir schade wÞ (B 1112.2: „Ihr Verlust schmerzte Kriemhild [immer noch] sehr“) angedeutet (vgl. Schausten 1999, 45; C betont Kriemhilds und Gunthers Verstellung sehr viel deutlicher, s. J.-D. Müller 1998, 147: C 1128). Der Nibelungenhort wird tatsächlich nach Worms gebracht, jedoch erweist sich Hagens Hoffnung, dass alle Burgunden davon profitieren könnten, als eine Fehleinschätzung (vgl. Frakes 1994, 76–82). Kriemhild entwickelt erstmalig ein deutlich bedrohliches Potenzial, indem sie durch reiche Geschenke fremde Krieger an sich bindet (B 1124): Die bis dahin geschlossene Wormser Hofgesellschaft droht durch diese Entwicklung gespalten zu werden. Hagen selbst gesteht seinen Fehler ein (B 1125), Gunther sieht allerdings aufgrund der gerade erst mit Mühe errungenen Versöhnung für sich keinen Handlungsspielraum (B 1126, 1128) – es wiederholt sich eine Beratungssituation, in der Hagens Einschätzungen missachtet werden, obwohl sie der Situation angemessen sind. Dieses Mal reagiert Hagen, wohl nicht aus Eigennutz, sondern im Bestreben, die Burgunden insgesamt vor Kriemhilds Machtzuwachs zu schützen, mit „lât [= lasst] mich den schuldigen sîn“ (B 1128.4). Die darauffolgenden Strophen betreiben erneut ein Vexierspiel in Bezug auf die Schuldzuweisungen: B 1129 Ir sumeliche eide wâren unbehuot. dô nâmen si der witwen daz kreftige guot. Hagen sich der slüzzel aller underwant. daz zurnde ir bruoder GÞrnôt, dô er daz rehte bevant. B 1130 Dô sprach der herre Gîselher: „Hagen hât getân vil leides mîner swester. ich sold iz understân. wære er niht mîn mâg, ez gienge im an den lîp.“ iteniuwez weinen tet dô Sîfrides wîp. B 1131 Dô sprach der herre GÞrnôt: „Þ daz wir immer sîn gemüet mit dem golde, wir soldenz in den Rîn allez heizen senken. daz wær wolgetân.“ si gie vil klegeliche für ir bruoder Gunthere stân. B 1132 Si sprach: „vil lieber bruoder, du solt gedenken mîn. beidiu lîbes und guotes soltu mîn voget sîn.“ dô sprach er zuo der vrouwen: „daz sol sîn getân, als wir nu komen widere. wir haben rîtens wan.“ (Die Eide von einigen hielten schlecht. Da nahmen sie der Witwe den stattlichen Besitz weg. Hagen hatte sich aller Schlüssel bemächtigt. Darüber war ihr Bruder Gernot zornig, als er das erfuhr. Da sagte Herr Giselher: „Hagen hat meiner Schwester erneut tiefes Leid zugefügt. Ich hätte es verhindern sollen. Wäre er nicht mein Verwandter, es kostete ihn das Leben.“ Wiederum brach Siegfrieds Gemahlin in Tränen aus. Da sagte Herr Gernot: „Bevor wir in Zukunft mit dem Gold belastet werden, sollten wir alles in den Rhein versenken lassen. Das wäre eine gute Lösung.“ Kriemhild trat mit lauten Klagen vor ihren Bruder Gunther.
Kriemhilds Machtzuwachs
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren Sie sagte: „Mein lieber Bruder, Du sollst an mich denken und der Beschützer meines Lebens und Besitzes sein.“ Da sagte er zu der Herrin: „So sei es, sobald wir wieder zurückkommen; wir wollen jetzt ausreiten.“) der erste Hortraub
Gunthers Mitschuld
Handlungsstillstand
Etzels Werbung
Ihre Eide halten schlecht (B 1129) – hier wird wohl darauf Bezug genommen, dass speziell Gunther Kriemhild geschworen hat, ihr kein weiteres Leid anzutun (B 1128). Obwohl Hagen die Schuld auf sich genommen hat, gibt der Erzähler an, sie hätten Kriemhild den Schatz genommen – auch hier wird die Verantwortung somit von Hagen auf die Königsbrüder erweitert. Gernot zürnt zwar, und Giselher schiebt erneut Hagen allein die Schuld zu; allerdings bleibt unklar, warum auch der sonst von Schuld weitgehend freigesprochene Giselher Hagen nicht dazu zwingt, Kriemhild die Schlüssel der Schatzkammer zurückzugeben. „[…] ich sold iz understân […]“, B 1131.2, zeugt nicht gerade von großer Durchsetzungskraft oder ausgeprägtem Durchsetzungswillen – dass Giselher mit Hagen verwandt ist (B 1130.3), enthebt ihn nicht der Pflicht, in angemessener Weise auf die Schädigung seiner Verwandten Kriemhild zu reagieren (vgl. Frank 2004, 139). Gernots Vorschlag dagegen, man solle doch den ganzen Schatz gleich in den Rhein versenken, erscheint zunächst unmotiviert und könnte möglicherweise eine Reminiszenz an den in anderen Nibelungenerzählungen vorhandenen Fluch sein, der auf dem Gold der Nibelungen ruht. Ob ernstgemeinter Befehl oder allgemeine Verwünschung des Hortes, Hagen nimmt Gernots Hinweis offensichtlich wörtlich, wie in Strophe B 1134 dargestellt wird. Dass Gunther erneut nicht schuldlos ist, zeigt sein ausweichendes Verhalten in der Dialogszene mit Kriemhild: Er verschiebt die Ausübung seiner Pflichten als Kriemhilds Vormund, an die ihn Kriemhild explizit erinnert (B 1132.1–2), auf unbestimmte Zeit (B 1132.3–4). Da nicht näher begründet wird, warum die Königsbrüder plötzlich ausreiten sollen, wird der Anschein erweckt, dass der Ausritt nur dem Zweck dient, Hagen freie Hand zu lassen, womit auch hier Gunther eine ausgesprochen zweifelhafte, zumindest mitwissende Rolle zugeschrieben würde (Schmidt-Wiegand 1982, 379; anders J.-D. Müller 1998, 312). Hagen handelt aus haz (B 1133.3); er zieht durch den Hortraub den (nur äußerlichen?) zorn (vgl. B 1136.2) der Könige auf sich, den diese jedoch nach einiger Zeit offensichtlich aufgeben, denn noch in der gleichen Strophe ist die Rede davon, dass Hagen wieder die hulde (B 1136.3) der Königsbrüder gewinnt. Erst danach weist der Erzähler darauf hin, dass sie, noch bevor Hagen den Schatz in den Rhein versenkt hatte, einen Eid geschworen hatten, den Ort, an dem sich der Hort befindet, so lange geheim zu halten, bis nur noch einer von ihnen lebt (B 1137) – wozu der Schwur, wenn sie nicht davon ausgegangen wären, dass Hagen den Schatz entwenden wird? Ohne den Nibelungenhort und mit der allenfalls halbherzigen Unterstützung von Giselher fehlt Kriemhild eine ausreichende Basis, ihre Rachepläne umsetzen zu können. Sie akzeptiert diesen Zustand, wie es zu Ende der ffventiure 19 heißt, 13 Jahre lang (B 1139). Die entscheidende Wende ergibt sich durch Etzels Werbung um Kriemhild. Mit einigem Geschick skizziert der Text dabei, dass Kriemhild gar nicht von Anfang an deutlich wird, welche neuen Chancen sich durch das Angebot, Etzel zu heiraten, ergeben.
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20)
Wie Siegfried, so kennt auch Etzel Kriemhild zunächst nur vom Hörensagen: Seine Gefolgsleute machen ihn auf sie als die hôheste[.] und beste[.] und somit als eine ebenbürtige Fürstin aufmerksam (B 1141.3). Beide, Etzel wie Kriemhild, sind verwitwet. Etzels Bedenken, eine Christin könnte möglicherweise Einwände gegen eine Hochzeit mit einem Heiden haben, werden von den hunnischen Gefolgsleuten mit dem Hinweis auf Etzels namen den hôhen [= guten Ruf] und auf sein michel guot [= großen Reichtum] beiseite geschoben (B 1143.2). Die Gefolgsleute, allen voran Rüdiger von Bechelaren, versichern, dass Kriemhild von höchster Abstammung sei (B 1144–1145). Darüber hinaus scheint die Schönheit Kriemhilds für Etzel eine wichtige Rolle zu spielen – wie auch die Tatsache, dass der recke Siegfried sie einst für würdig befunden hatte, seine Frau zu werden (B 1146–1147, 1155). Rüdiger bildet das verbindende Glied zwischen dem Land der Hunnen und demjenigen der Burgunden: Er kennt die Königsbrüder seit seiner Jugend (B 1144–1145) und übernimmt den Botengang (B 1148). Die ffventiure 20 skizziert Rüdigers Freude über den ehrenvollen Auftrag und seinen Weg nach Worms ohne die sonst üblichen Prolepsen seitens des Erzählers, die die Not vorwegnehmen würden, die sowohl den Hunnen als auch den Burgunden bevorsteht – erst Hagens Warnung davor, Kriemhild den Machtzuwachs durch eine Heirat mit Etzel zu erlauben, setzt die ersten negativen Akzente. Der Kontrast zwischen der freudigen Stimmung der Boten und der Königsbrüder auf der einen Seite und Hagens düsteren Prognosen auf der anderen Seite wird auf diese Art und Weise gesteigert: Hagens schroffer Hinweis, „habt ir rehte sinne, sô wirt ez wol behuot […]“ (B 1200.3: „Wenn Ihr vernünftig nachdenkt, so wird dies mit Bedacht vermieden“), muss nach dem ausführlich skizzierten ehrenvollen und höfisch frohgestimmten Empfang Rüdigers nicht nur den burgundischen Ratgebern König Gunthers, sondern auch den textexternen Rezipienten wie ein Affront vorkommen. Ähnlich hat Hagens an Gunther gerichteter imperativischer Hinweis, „lât di rede stân […]“ (B 1202.1: „lasst diese Rede sein“), einen autoritativen Ton, der der Situation unangemessen erscheint, obwohl sich Hagen auf bessere Kenntnisse der Verhältnisse am Hunnenhof beziehen kann, als sie offensichtlich Gunther hat. Erneut hat Hagen, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigen wird, in allem, was er sagt, Recht; auch hier wird die Beratungsszene aber so gestaltet, dass sich Hagen nicht durchsetzen kann und in seiner Meinung völlig isoliert bleibt (B 1204.4). Bereits Gunthers mehrfache Rückfragen („War umbe?“, B 1201.1, 1203.1) zeugen, dialogtechnisch geschickt inszeniert, von Gunthers festem Vertrauen, dass Kriemhild für ihn keine Gefahr mehr darstelle, erst recht dann nicht mehr, wenn sie Worms verlassen und in das weit entfernte Land der Hunnen ziehen würde. Als auch Gernot und Giselher in die Beratung einbezogen werden (B 1204), nimmt Giselher erneut auf das ergetzen Bezug (vgl. B 1205.3), für das nach seiner Darstellung nur Hagen zuständig sei (B 1205.3, 1206.1); er verweist gar auf die triuwe zu Kriemhild, die Hagen unter Beweis zu stellen habe (vgl. B 1205.2). Gernot wiederholt Gunthers Argument (B 1203), man brauche Etzel nicht zu begegnen, so dass er keine Gefahr darstelle (B 1208), und beruft sich ebenfalls auf die triuwe, die man Kriemhild schuldig sei (vgl. B 1208.4). Der Verweis auf
Rüdiger als Bote
Hagens Rat
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Hagens Isolierung
Miniatur Hundeshagen
Kriemhilds Entscheidung
die triuwe ist brisant: Bereits früher hat sich gezeigt, dass die Treuebindungen, auch die familiären, im „Nibelungenlied“ durchaus unterschiedlich gewichtet werden (vgl. J.-D. Müller 1998, 153–170). So hat etwa Hagen demonstriert, dass ihm die Treue zu seinem Verwandten und Lehnsherrn Gunther wichtiger ist als diejenige zu seiner Verwandten Kriemhild. Deutlich geworden ist außerdem, dass den Königsbrüdern, insbesondere Gunther, die Verbundenheit mit der Schwester nicht immer als oberstes Gebot galt. Insgesamt viermal widerspricht Hagen den Königsbrüdern in direkter Rede, argumentativ auf dem Kriemhild unterstellten Wunsch nach Rache beharrend, bis Giselher [m]it zorn (B 1210.1) insinuiert, alle anderen handelten aus triuwe, während dagegen nur Hagen sich meinlichen [= schändlich] verhalte (B 1210.4, 1210.2). Dô daz gehôrte Hagene, dô wart er ungemuot (B 1211.1): Es folgt im Rahmen der Beratung keine weitere verbale Reaktion Hagens. Sowohl Gunther als auch Giselher und Gernot grenzen Hagen somit aus dem Kollektiv der Burgunden aus (Gerok-Reiter 2006, 72 f.): Kriemhild sei harmlos, auch wenn sie mit einem mächtigen Fürsten verheiratet werde; durch die Hochzeit könne sie für das Leid, das (nur) Hagen ihr angetan habe, endlich angemessen entschädigt werden; es sei also unredlich, dass sich Hagen der Vermählung Kriemhilds und Etzels in den Weg stelle, die verwandtschaftliche triuwe verpflichte die Königsbrüder vielmehr dazu, ihr eine glücklichere Zukunft zu ermöglichen. Im Gegensatz zu früheren vergleichbaren Beratungsszenen unterstützt niemand in dieser Episode Hagen – von Ortwin etwa, der sonst in der Regel in Hagens Sinne argumentiert (vgl. z. B. B 117), ist hier keine Rede. Anders als bei der Vermählung mit Siegfried macht Gunther bei der Werbung Etzels seine Entscheidung über Kriemhilds Zukunft von ihrer Meinung abhängig (B 1197, 1211; Frakes 1994, 66 f.). In der Hundeshagenschen Handschrift zeigt die Miniatur zu ffventiure 20 (Hornung 1968, Abb. 18) eine Gruppe von Personen in einem ummauerten Garten, in den rechts ein Torbogen hineinführt und der links den Blick in einen Innenraum eröffnet. Aus diesem Raum treten Kriemhild sowie einige Gefolgsleute; rechts steht Rüdiger, der seinen Hut in die Hand genommen hat und mit der rechten Hand eine Redegeste macht. Hinter Rüdiger stehen weitere männliche Personen. Damit wird Rüdigers Beratung mit Kriemhild in den Vordergrund gestellt, nicht die Beratung der Königsbrüder untereinander. Ein literarischer Kunstgriff ist es, dass sich Kriemhild im Text zunächst vehement gegen die Vorstellung wehrt, einer neuen Ehe zuzustimmen: Nachdem Hagen bereits in aller unvermittelten Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, wie groß die Gefahr ist, die von einer Hochzeit Kriemhilds mit Etzel ausgehen würde, vollzieht Kriemhild diesen Gedankengang im Verlauf der 20. ffventiure nur zögerlich. Der Text macht dabei vielfachen Gebrauch von Mitteln der Psychonarration, d. h. der Darstellung des Innenlebens der Figuren: Der Entscheidungskampf, den Kriemhild mit sich führt, wird nicht nur im Erzählerkommentar, sondern auch durch direkte Einblicke in die Gefühle und Gedanken Kriemhilds dargestellt (Gedankenreden in B 1245, 1256 und 1257; Gedankenbericht in B 1246). In der Ausgestaltung solcher Motivationsstrukturen unterscheidet sich die Darstellung der Figuren Kriemhild und Hagen grundlegend, trotz ihrer in Ansätzen vergleichbaren, sich
5. Rachegelüste und -pläne (ffventiuren 17 und 20)
aus ihrer „A-Normalität“ (Gerok-Reiter 2006, 90) ergebenden Individualität. Gleichzeitig lassen sich nur für Hagen Hinweise darauf finden, dass er insbesondere Kriemhilds Außensicht auf ihn antizipiert; dies bedingt seine Überlegenheit ihr gegenüber (ebd., 91 f.). Kriemhilds erste Reaktion ist empörte Ablehnung: Sie bezeichnet das Angebot einer zweiten Ehe als spot (B 1215.2) und widerreit [= widerspricht] ez sÞre (B 1216.1; offensichtlich ist die Parallele zur ersten ffventiure, sie wird hier aber dadurch gesteigert, dass Kriemhild inzwischen weiß, was minne ist). Obwohl Gernot und Giselher intervenieren, können sie sie zunächst nicht überzeugen (B 1217); sie erreichen aber immerhin, dass Kriemhild bereit ist, Rüdiger als Etzels Bote zu empfangen (B 1218). Demonstrativ trägt sie, anders als ihr Gefolge, alltägliche Kleidung (B 1222): Durch solche symbolischen Zeichen des trûrens (vgl. B 1222.1) drückt sie bereits, bevor das Gespräch anfangen kann, ihre ablehnende Haltung aus, die dadurch noch klarer sichtbar wird, dass ihre ohnehin dem festlichen Anlass unangemessene Kleidung vor Tränen nass ist (B 1225.3). Alle nehmen, wie der Erzähler resümiert, Kriemhilds jâmer[.] (B 1225.2) und ihren unwilligen muot deutlich wahr (B 1227.4): Die Verhandlungen werden intradiegetisch als zum Scheitern verurteilt betrachtet. Hagens Befürchtungen scheinen in diesem Moment unbegründet, da es auf diese Weise nie zu einer Verbindung von Kriemhild und Etzel kommen kann. Rüdiger betont in seinem offiziellen Botenbericht (B 1228–1229, 1231–1234) zunächst Etzels triuwe und minne (vgl. B 1228.2, 1228.4, 1229.1, 1231.2, 1232.1), in zweiter Instanz auch die gewalt [= Macht], die Kriemhild durch eine Vermählung mit Etzel gewinnen würde (vgl. B 1232.2, 1233.3, 1234.3, 1234.4). Unter Verweis auf das Leid, das ihr die Liebe zu Siegfried verursacht habe, lehnt Kriemhild mithilfe einer rhetorischen Frage ab (B 1235.1–2: „[W]i möhte mîn lîp / immer des gelusten, deich würde heldes wîp? […]“: „Wie könnte ich jemals wieder das Verlangen haben, die Frau eines Helden werden zu wollen?“). Dass sie um Bedenkzeit bis zum nächsten Tag bittet (B 1238), erscheint nach dieser kategorischen Weigerung wie eine Höflichkeit, mit der Kriemhild dem Protokoll genüge täte, und nicht wie das Versprechen, das Angebot ernsthaft zu überdenken. Ihren Entschluss, daz si gezæme weinen und niht anderes baz (B 1239.4: „ihre Pflicht sei das Weinen und sonst nichts“), teilt sie unmittelbar anschließend Giselher und Ute mit, die sie im darauf folgenden Dialog ebenfalls nicht auf andere Gedanken bringen können (B 1240–1243). Erst im Anschluss daran, während Kriemhild offensichtlich allein ist, erfolgt der Hinweis, sie bete zu Gott, er möge ihren alten Status wiederherstellen, daz [= auf dass] si ze geben hete golt, silber und wât [= kostbare Gewänder] (B 1244.2). Bisher hat Kriemhild lediglich auf der Ebene argumentiert, dass es für sie emotional unzumutbar sei, sich nach Siegfried einem anderen Mann zuzuwenden, obwohl die Boten und auch Giselher (B 1241.2) sie mehrfach auf den Macht- und Statusgewinn hingewiesen haben; es deutet sich an, dass demonstriert werden soll, wie Kriemhilds emotionale Abwehrreaktion allmählich vom halb rationalen, halb emotionalen Argument überwunden wird, Rache für Siegfrieds Tod könne nur dann ausgeübt werden, wenn sie ihre machtlose Position in Worms aufgebe (J.-D. Müller 1998,
Kriemhilds Ablehnung
Überredungsversuche
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Rüdigers Eid und Kriemhilds Zusage
der zweite Hortraub
Außen und Innen
227). Überlagert wird dieser Gedanke dem Text zufolge jedoch zunächst noch von dem zusätzlichen Problem, dass Etzel ein heide[.] ist (B 1245.2). Am nächsten Morgen wird erneut ein großer Aufwand an Überzeugungskraft aufgeboten, um die Verhandlungen mit Kriemhild nicht scheitern zu lassen. Erst in dem Moment jedoch, als Rüdiger Kriemhild heimliche (B 1252.2) und persönlich verspricht, zu ergetzen [= wiedergutzumachen], swaz ir ie geschach (B 1252.3), und dies durch Eid bekräftigt (B 1255), lenkt Kriemhild ein: Offenbar braucht es die persönliche Verpflichtung eines Gefolgsmannes Etzels, um ihr ausreichend Sicherheit zu bieten, dass die Rache nicht allein ihr Wunsch bleiben wird – so oft Giselher vom ergetzen gesprochen haben mag, seine Verwandtschaft mit Gunther macht ihn zu einem wenig glaubhaften Kandidaten für eine gegen die eigene Familie gerichtete Rache. Dass Rüdiger mit seinem Eid mehr verspricht, als ihm bewusst ist, wird vom Erzähler nicht mit negativen Vorausdeutungen versehen: Nur Kriemhilds Gedankenrede, die erneut den Rachegedanken ausspricht (B 1256.4), da es ihr als Etzels Frau möglich sein werde, zu tun, was sie wolle (B 1257.2: „[…] sô tuon ich, swaz ich wil […]“), übernimmt die Funktion der Prolepse. Den Bedenken, dass eine Christin keinen Ungläubigen heiraten sollte, begegnet Rüdiger mit dem Hinweis, dass es in Etzels Land viele Christen gebe. Außerdem könne es Kriemhild vielleicht gelingen, Etzel zur Taufe zu überreden (B 1259); ein Motiv, das in B später keine Rolle mehr spielt. Dass Hagen Kriemhild erneut daran hindert, durch Geschenke weitere Krieger an sich zu binden (B 1269–1270), ist eine wiederholte Entmachtung Kriemhilds (S. 98; vgl. Frakes 1994, 82, Frank 2004, 139), allerdings unter anderen Voraussetzungen: Hatte Hagen durch den Hortraub in ffventiure 19 tatsächlich bewerkstelligt, dass Kriemhild in Worms keinen Einfluss mehr entfalten konnte, so wirkt sein zweiter diesbezüglicher Versuch zu Ende der ffventiure 20 eher machtlos in Anbetracht der Tatsache, dass Kriemhild nunmehr über zwölf Königreiche und 30 Fürstentümer herrschen wird (B 1232). Dem entspricht, dass Hagens zweiter Hortraub textintern von Rüdiger lächerlich gemacht wird (er fragt Kriemhild, „[…] zwiu klagt ir daz golt? […]“, B 1272.1: „weshalb klagt Ihr über das verlorene Gold?“). Gernot und Gunther unterstützen nach zögerlichem Protest (B 1271.2–3) den Raub der Reste des Hortes, die von ihnen (statt von Kriemhild) an Rüdigers Männer verteilt werden (B 1273–1274; Frakes 1994, 82). Es zeigt sich so, dass die Burgunden in diesem Moment noch über Kriemhild triumphieren können, dass diese aber gleichzeitig bereits jetzt eine neue Machtposition entwickelt hat, die den Burgunden nicht bewusst ist und auf die sie keinerlei Einfluss mehr haben werden. Kriemhild sichert sich letzte Reste des Nibelungenhortes (B 1277–1278), es wird sich aber im Land der Hunnen zeigen, dass sie diese tatsächlich kaum noch benötigt. [S]i gelebt vil der vreuden ouch bî Etzeln sider [= später] (B 1283.4): An der einzigen Stelle, an der der Erzähler im Rahmen der umfangreichen 20. ffventiure, die den Anfang des zweiten Teils des „Nibelungenliedes“ bildet, überhaupt eine Prolepse formuliert, bezieht sich diese ausschließlich auf die positiven Entwicklungen, die Kriemhild in Etzels Land erwarten (dass in B 1244.4 gesagt wird, so vrôliche stunt wie damals, als Siegfried noch lebte, würde Kriemhild mit Etzel nicht wieder erleben, muss nicht als
6. Die Ankunft der Burgunden in Etzels Reich (ffventiure 28)
negative Prolepse verstanden werden, da es die Möglichkeit offenlässt, dass sie mit Etzel überhaupt wieder so etwas wie Glück erfährt). Man vergleiche damit die erste ffventiure, als Anfang des ersten Teils des „Nibelungenliedes“ (S. 54 f.): Dort wurde bereits in den ersten Strophen auf die Katastrophe am Ende des Textes hingewiesen, die auf Figurenebene auch der Falkentraum vorhersagte. Die 20. ffventiure verfährt hier subtiler: Nur Hagens Meinung, die inzwischen die eines Außenseiters ist, und der Racheplan, der der Protagonistin nach einer längeren Pause wieder zugeschrieben wird, der aber verheimlicht wird, sorgen für einen dunklen Unterton in dieser ffventiure. Auffällig ist dabei insbesondere, dass ab jetzt Kriemhilds äußeres Handeln und ihre innere Befindlichkeit auseinanderklaffen: Sie wird in den nachfolgenden Jahren, anders als in den 13 Jahren nach Siegfrieds Tod in Worms, nach außen Zufriedenheit demonstrieren, im Inneren aber die Rache für Siegfried planen.
6. Die Ankunft der Burgunden in Etzels Reich (ffventiure 28) Kriemhild reitet mit ihrem Gefolge in ffventiure 21 nach Bechelaren, wo sie von Rüdigers Gattin Gotelind in vollendet höfischer Gastfreundlichkeit empfangen wird. Der Erzähler verstärkt in dieser ffventiure die vorausdeutenden Kommentare (vgl. außerdem B 1323.4, 1327.4, 1330.4), von denen jetzt einige deutlich negativ gefärbt sind: Strophe B 1311.4 vermerkt, in beiden [= Gotelind und Kriemhild] was unkunde [= unbekannt], daz sider [= später] muose geschehen, und in B 1325.1 heißt es, [e]inander si vil selten gesâhen nâch den tagen. ffventiure 22 bringt Kriemhild und Etzel zusammen (B 1338.2), wobei Rüdiger Kriemhild durch das höfische Protokoll führt (B 1345; vgl. Haug 1987/2005, 13–17). Betont wird, dass Kriemhilds Schönheit immer noch auffällig ist (B 1348). Die erste ffventiure überbietend, wird die Gefolgschaft Etzels ausführlich beschrieben, und zwar einerseits als exotisch, andererseits aber als vollendet höfisch. Zu Pfingsten findet schließlich die Vermählung Kriemhilds und Etzels statt, die mit einem Fest gefeiert wird, das 17 Tage dauert (B 1364, 1372). In allem ist der Erzähler bemüht, den Machtzuwachs zu verdeutlichen, den Kriemhild durch die Hochzeit mit dem Hunnenkönig erfährt. Dass dieser Aspekt eine wichtige Rolle spielt, zeigt der Hinweis, [s]i wæn, in Niderlande dâ vor niene gesaz / mit sô manigem recken (B 1365.1–2: „Kriemhild, meine ich, hat im Niederland nie mit so vielen Recken zusammengesessen“). Die Prolepsen in dieser ffventiure verweisen nahezu ausschließlich darauf, dass Kriemhild zunächst eine ausgesprochen positive Zeit im Land der Hunnen erleben wird (B 1376.4, 1379.4, 1380.4, 1382.4). Dennoch flicht der Erzähler auch hier Verweise auf das bevorstehende furchterregende Ende ein, zum einen dadurch, dass der Tod der Helden vorweggenommen wird (B 1338.4), und zum anderen, indem skizziert wird, wie Kriemhild ihre Tränen um Siegfried unterdrückt: Wi si ze Rîne sæze, si gedâht ane daz, / bî ir edelen manne, ir ougen wurden naz. / si hetes vaste hæle, deiz iemen kunde sehen (B 1368.1–3: „Kriemhild dachte daran,
Empfang in Bechelaren
Etzel heiratet Kriemhild
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Kriemhilds Machtzuwachs
Innen und Außen
Kriemhilds Einladung
wie sie am Rhein mit ihrem edlen Gemahl gelebt hatte, ihre Augen wurden feucht. Sie suchte es zu verbergen, damit es niemand sehen konnte“). So wird für die Rezipienten in Erinnerung gehalten, aus welchen Gründen Kriemhild überhaupt bereit war, Etzel zu ehelichen. Anders als die Königsbrüder gehofft hatten, ist die Hochzeit mit Etzel kein ergetzen für das frühere Leid (vgl. S. 99), sondern stimuliert nur Kriemhilds Rache (J.-D. Müller 1998, 228, 372–375). Sieben Jahre vergehen in einer Strophe zu Anfang der 23. ffventiure (B 1384), sechs weitere kurz danach (B 1387); Kriemhild gebiert einen Sohn, Ortlieb (B 1385–1386). Nu het si wol erkunnen, daz ir niemen widerstuont (B 1388.1: „Inzwischen hatte sie festgestellt, dass niemand sich ihr widersetzte“). Nach außen hin ist Kriemhild die vollkommene Fürstin (man sagt, daz nie vrouwe besæze ein küneges lant / bezzer unde milter, B 1387.2–3). Es folgen aber zehn Strophen (B 1388–1397), in denen der Erzähler ausführlichst schildert, dass die vielfachen leide Kriemhild im Inneren ununterbrochen beschäftigen (B 1388.4; der Plural wird z. B. auch in B 1789.2, 2100.2 und 2148.3 verwendet). Der Erzähler verwendet dazu ein dichtes Geflecht von Gedankenreden, Gedanken- und Emotionsberichten, der Darstellung von Kriemhilds Träumen und den expliziten Angaben, den Kriemhilde willen kunde niemen understân (B 1395.4: „Niemand konnte die Pläne Kriemhilds verhindern“) sowie, stark wertend, den argen willen niemen an der kuneginne ervant (B 1396.4: „Die böse Absicht der Königin entdeckte niemand“). „So wird die höfische Form zum Trug, zum Deckmantel und Vehikel der Rache“ (Haug 1987/2005, 16; vgl. J.-D. Müller 1998, 212–216). Der Erzähler distanziert sich zunehmend von Kriemhild (Frank 2004, 152). Auch der nachfolgende Dialog mit Etzel (eines der ,Bettgespräche‘, in denen entscheidende Handlungsschritte vorbereitet werden – vgl. Frakes 1994, 96–136 zum „Pillow Talk“) inszeniert auf hohem literarischem Niveau die Ahnungslosigkeit Etzels sowie Kriemhilds mit großer Umsicht eingeleitete und formulierte Bitte, Etzel möge ihre Verwandten einladen (B 1398–1404; zur Doppelung der von den Frauen inszenierten Einladungen, vgl. B 721–728, s. Schulze 2004, 112). Bereits die Eröffnung des Dialogs ist ein Musterbeispiel vorsichtiger Annäherung an ein Thema, die hier in täuschender Absicht vorgenommen wird, ohne dass dies am Wortlaut erkennbar wäre: B 1398 Si sprach zuo dem künige: „vil lieber herre mîn, ich wolde iuch bitten gerne, moht iz mit hulden sîn, daz ir mich liezet sehen, ob ich daz het versolt, ob ir den mînen vriunden wæret inneclichen holt“. (Sie sagte zum König: „Mein lieber Gemahl, ich wollte Euch mit Eurer Erlaubnis gern um etwas bitten: Falls ich es verdient habe, so lasst mich sehen, ob Ihr meinen Verwandten herzlich zugetan seid“.)
Eingebettet in zwei Konditionalsätze („mit Eurer Erlaubnis“, wörtlich: wenn es mit Eurer Erlaubnis geschehen könnte; „Falls ich es verdient habe“) formuliert Kriemhild nach den Maßgaben der im 12. Jahrhundert neu entstehenden Maximen verbaler Höflichkeit (vgl. Miedema 2007) eine Bitte bzw. gibt an, dass sie gerne eine Bitte formulieren würde. Die Bitte selbst bezieht
6. Die Ankunft der Burgunden in Etzels Reich (ffventiure 28)
sich zunächst nur darauf, ob Etzel bereit wäre, zu zeigen, dass er Kriemhilds Verwandtschaft wohl gesonnen sei; es wundert nicht, dass der getriuwe Etzel ihr dies sofort versichert (B 1399.1). Die nachfolgende Strophe B 1400 lässt Kriemhild keine eigentliche Bitte formulieren, sondern nur ihrem (gespielten) Bedauern darüber Ausdruck verleihen, dass sie ihre Verwandten so selten sehe. Sie überlässt damit im Sinne der Dialogführung Etzel die Initiative, die von ihr selbst implizierte Bitte auszusprechen, die Verwandten einzuladen (vgl. Starkey 2003, 167). Etzels vollendete Höflichkeit (und seine Zuneigung zu seiner Gattin) werden in seiner Antwort in der darauffolgenden Strophe erkennbar: Dô sprach der künec Etzel: „vil liebiu vrouwe mîn, / diuht [= scheint] ez si niht ze verre [= weit], sô lüede ich über Rîn, / swelhe ir dâ gerne sæhet, her in mîniu lant“ (B 1401.1–3). Etzel trägt in dieser Antwort sowohl den Wünschen Kriemhilds Rechnung (swelhe ir [!] dâ gerne sæhet) als auch denjenigen der Burgunden (diuht ez si [!] niht ze verre); es ist dies nicht die einzige Stelle, an der das „Nibelungenlied“ den Hunnenkönig als einen ausgesprochen rücksichtsvollen Fürsten charakterisiert. Es entwickelt sich ein immer stärker werdender Kontrast zwischen Kriemhild, die in den Dialogen in täuschender Absicht spricht, und den anderen Protagonisten, bei denen Sein und Schein nicht (oder zumindest nicht so weit) auseinanderklaffen. Dies zeigt sich auch in den Hinweisen, die Kriemhild den Boten heimlich gibt, die die Einladung in Worms aussprechen sollen (B 1410–1416): Hagen solle die Könige unbedingt begleiten – angeblich deswegen, weil nur er den Weg in Etzels Land kenne (B 1416). Di boten niene [= nicht] westen [= wussten], wâ von [= weswegen] daz was getân, / daz si von Tronege Hagen niht solden lân [= lassen] / belîben bî dem Rîne (B 1417.1–3). Es erstaunt nicht, dass der Erzähler Kriemhilds Verstellung mit Hinweisen darauf versieht, dass durch ihre Einladung viele Helden den Tod finden werden (B 1410.4, 1417.2–4). Kriemhild entwickelt somit eine Fähigkeit zu Verstellung und Täuschung, die mit dem Verhalten Gunthers und insbesondere Hagens kurz vor Siegfrieds Ermordung (S. 89 f.) vergleichbar ist. Erneut gibt es bei der Beratung Gunthers mit seinen Gefolgsleuten in der ffventiure 24 Wiederholungsstrukturen: Hagen, der als einziger erkennt, dass Kriemhild lancræche [= hartnäckig in Bezug auf die Rachepläne] ist (B 1458.4), argumentiert vehement gegen die Annahme von Kriemhilds Einladung (B 1455–1456, 1458, 1461), während die Königsbrüder die Gefahr verkennen. Gunther hatte, als es um Kriemhilds Hochzeit ging, noch gesagt, er brauche Etzel nie zu begegnen (B 1203), um damit Hagen gegenüber zu demonstrieren, dass er Etzel nicht zu fürchten habe, jedoch scheint dies in der 24. ffventiure vergessen zu sein. Gunther verweist darauf, dass alle, außer Hagen, sich mit Kriemhild versöhnt hätten (B 1457), Gernot und Giselher schieben erneut die alleinige Schuld Hagen zu (B 1459–1460; vgl. Gerok-Reiter 2006, 72 f.). Auch hier macht der Text in aller Deutlichkeit klar, dass sich die Figuren in ihrer Einschätzung der Protagonistin Kriemhild uneins sind. Deutlich beleidigende Untertöne hat Giselhers Hinweis, es sollten nur diejenigen, die sich trauten, zu Kriemhild fahren (B 1460.4). Dass dies tatsächlich als Beleidigung aufgefasst wird, zeigt Hagens zornige Reaktion (B 1461); beim Aufbruch der Burgunden in ffventiure 25 betont der Erzähler, dass Hagen die Reise nicht befürwortet hätte, wenn nicht auch
Etzels Ahnungslosigkeit
Täuschung der Hunnen
Hagens Rat
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Rumolds Rat
Kriemhilds Verstellung
Reise zu den Hunnen
Gernot ihm vorhte [= Furcht] vor Kriemhild vorgeworfen hätte (B 1510.1). Der Untergang der Burgunden folgt deswegen weniger allgemein-heroischer Gesetzlichkeit als vielmehr Hagens willkürlich-persönlichem heroischem Denkmuster (Gerok-Reiter 2006, 78, 83). Blieb Hagen bei der Beratung über Etzels Werbung vollständig isoliert (S. 100), so wird dieses Motiv im Fall der Beratung über die Einladung Etzels variiert und gesteigert, indem Hagen zwar Unterstützung von anderen Gefolgsleuten der burgundischen Könige erhält, diese jedoch die falschen Argumente bemühen. ,Rumolds Rat‘ (B 1462–1466; ausführlicher noch C 1497, 1501–1502) soll ebenso wie Hagens Ratschläge die Burgunden davon abhalten, in Etzels Reich zu ziehen. Da allerdings Rumold nur mit Bequemlichkeit, Ruhe und gutem Essen argumentiert, er damit also geradezu anti-heroische Töne vernehmen lässt, bestärkt sein Intervenieren die Königsbrüder nur in ihrem Entschluss (Weydt 2007, 229 f.). Die Rezipienten, die durch die Psychonarration Einblick in Kriemhilds wahre Gedanken und Gefühle erhalten haben, wissen, dass derjenige Recht hat, auf dessen Stimme textintern nicht gehört wird. Solche Formen des Einblicks in das Innenleben der Figuren finden sich im „Nibelungenlied“ nur in Bezug auf Kriemhild: Bei Gunthers, Hagens und Siegfrieds unaufrichtigem Verhalten fehlen derart ausführliche Darstellungen der Emotionen und Gedanken. Den intradiegetischen Figuren ist es nicht weiter auffällig, dass Kriemhild die in Etzels Land zurückgekehrten Boten unmittelbar nach Hagens Reaktion auf die Einladung fragt (B 1496). Die Boten berichten ihr, dass Hagen die Einladung mit lützel [= wenig] guoter sprüche beantwortet habe (B 1497.2), die Burgunden aber, wie gewünscht, alle die Einladung angenommen hätten. Kriemhilds Verstellung erreicht einen Höhepunkt, als sie den Boten gegenüber behauptet, „[…] Hagenen bin ich wæge [= wohl gesonnen]. der ist ein helt vil guot […]“ (B 1499.3), und anschließend zu Etzel rehte minnecliche (B 1500.2) spricht, „[…] des ie mîn wille gerte, daz sol nu verendet sîn“ (B 1500.4: „Was ich mir schon immer gewünscht habe, das wird nun zu einem Ende kommen“). Textintern wird die zuletzt zitierte Bemerkung als eine Bestätigung der Freude Kriemhilds über das bevorstehende Fest aufgefasst, die textexternen Rezipienten merken aber, dass diese Aussage ausgesprochen finstere Untertöne hat. Ähnlich können die Boten nicht ahnen, dass Kriemhild mit dem Hinweis, „[…] daz wir in [= Hagen] sehen müezen, des stât mir hôhe der muot“ (B 1499.4), keine ehrliche Freude über ein Wiedersehen mit Hagen zum Ausdruck bringt, sondern vielmehr Freude über die endlich bevorstehende Möglichkeit zur Rache. Erst beim Aufbruch der Burgunden in ffventiure 25 finden sich vergleichbar viele Vorverweise auf das blutige Ende wie in ffventiure 1, charakteristischerweise zumeist im letzten Vers der Strophen (B 1504.4, 1506.3–4, 1508.4, 1510.4, 1513.4, 1515.4, 1517.4, 1520.3). Hagens Begegnung mit den merewîb bestätigt seine Befürchtungen (B 1530–1546), ohne dass aus seiner Perspektive zu diesem Zeitpunkt eine Rückkehr noch möglich wäre. Hagen wie auch Kriemhild handeln zunehmend ohne Einverständnis derjenigen, die ihrem Status nach als die Hauptverantwortlichen zu gelten haben, d. h. ohne Einverständnis Gunthers bzw. Etzels (vgl. die Hinweise zu Hagen während der Fahrt zu Etzel in den ffventiuren 25 und 26, z. B. B 1565, 1578–1580, 1617).
6. Die Ankunft der Burgunden in Etzels Reich (ffventiure 28)
Der von vollendetem höfischem Protokoll (vgl. etwa zühte, B 1660.4), Freude, Zuneigung, Geschenken und der Verlobung Giselhers mit Rüdigers Tochter geprägte Aufenthalt bei Rüdiger in der 27. ffventiure wirkt retardierend und dadurch spannungssteigernd. Dass er als Kontrastfolie für die nachfolgenden Tage dient, zeigen die Prolepsen, die sich insbesondere in der zweiten Hälfte der ffventiure finden (B 1693.4, 1701.4, 1706.4, 1707.4, 1708.3–4, 1709.2). In die gleiche Richtung verweist auch die abschließende Bemerkung, Kriemhild freue sich, die Burgunden gut bewaffnet zu sehen, und verspreche Lohn für alle, die ihre leide bedächten (B 1714.4; zur unterschiedlichen Motivation für Kriemhilds und Etzels Freude, die in C anders dargestellt wird als in A und B, s. Starkey 2003, 169–171). So erreichen die Burgunden schließlich Etzels Burg. Ihre Ankunft in der ffventiure 28 setzt die sorgfältig aufgebaute Spannung zwischen den Wissenden, zu denen Hagen, Kriemhild und die Textrezipienten zählen, und Nichtwissenden weiter fort. Bereits vor der Begrüßung durch das Königspaar treffen die Burgunden auf Dietrich und in dessen Gefolge Hildebrand. Dietrich fragt unmittelbar danach, ob den Gästen nicht bekannt sei, dass Kriemhild den helt von Nibelunge lant immer noch sehr beweine (B 1721.4). Warum zwar Dietrich, nicht aber Etzel über diese Kenntnisse verfügt, bleibt unklar. Die Burgunden ziehen sich daraufhin zum nicht-öffentlichen Gespräch mit Dietrich zurück (sundersprâchen, B 1726.1). Das von Dietrich beschriebene Verhalten Kriemhilds stimmt nicht mit demjenigen überein, über das der Erzähler bisher berichtet hat („[…] ich hœr alle morgen weinen und klagen / mit jâmerlichen sitten daz Etzeln wîp / dem rîchen got von himele des starken Sîfrides lîp“, B 1727.2–4). Die Burgunden haben allerdings längst nicht mehr die Wahl, zurückzukehren. Statt Etzel begegnen die Burgunden zunächst Kriemhild, die ab hier die Regie über die Ereignisse beim Fest führt – bereits direkt zu Beginn wird darauf verwiesen, dass sie die Knappen der Burgunden separat unterbringen lässt, so dass sie später gegen Blödelin wehrlos sein werden (B 1732; vgl. B 1918–1947). Unmissverständlich gibt der Erzähler an, dass Kriemhild die Burgunden mit valschem muot empfängt (B 1734.2), und entzieht ihr so die Erzählersympathie; erneut deutet Hagen die Zeichen richtig (B 1735). Denn Kriemhild küsst zur Begrüßung nur Giselher (B 1734.1–3), was von Hagen nonverbal durch das Festbinden seines Helms (B 1734.4) wie auch verbal kommentiert wird (B 1735). Der Dialog zwischen Kriemhild und Hagen (B 1735–1741) enthält auf Kriemhilds wie auf Hagens Seite Doppeldeutigkeiten und bewusstes Missverstehen, wodurch die Spannungen zwischen den beiden direkten Kontrahenten verdeutlicht werden. Kriemhild spricht mit ihrem Hinweis, „sît willekomen, swer [= demjenigen, der] iuch gerne siht […]“ (B 1736.1), Hagen unmittelbar an. Sie befiehlt, „[…] saget, waz ir mir bringet von Wormez uber Rîn, / dar umb ir mir sô grôze soldet willekomen sîn“ (B 1736.3–4). Dieser Hinweis ist mehrdeutig: Kriemhild nimmt möglicherweise, aber durchaus nicht eindeutig, auf den Hort Bezug. Hagens Replik hat einen spöttischen, potenziell beleidigenden Unterton, indem er Kriemhilds vagen Verweis konkretisiert: Hätte er gewusst, dass er Geschenke mitbringen sollte, so wäre er wohl vermögend genug gewesen, welche zu besorgen (B 1737). Beleidigend ist
Empfang bei Rüdiger
Ankunft in Etzels Burg
Begrüßung durch Kriemhild
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Hortforderung
Erzählersympathien
dieser Hinweis insofern, als nach mittelalterlichem Ideal (anders als heute) die milte der Gastgeber dazu führen sollte, dass diese Geschenke verteilen (vgl. B 36–39, 308, 315 u. ö.), statt dass umgekehrt die Eingeladenen Gastgeschenke mitbringen. Kriemhild reagiert auf die Beleidigung, indem sie die ihr unterstellte fehlende milte mit dem Verweis auf ihr rechtmäßiges Eigentum quittiert: „[…] hort der Nibelunge, war habt ir den getân? / der was doch mîn eigen […]“ (B 1738.2–3; vgl. B 1740.3). Einerseits ist damit der Vorwurf mangelnder milte entkräftet, andererseits hat sich Kriemhild jetzt aber auf Hagens Konkretisierung eingelassen. Im Text wird auf diese Art und Weise gezeigt, wie die Kontrahenten Hagen und Kriemhild ihre Feindseligkeit dialogisch entfalten, wobei Kriemhild durch die Dialogführung als Hagen unterlegen gekennzeichnet wird, denn ihre Frage nach dem Hort ermöglicht erst Hagens grobe Reaktion, „Jâ bringe ich iu den tîvel [= Teufel]“ (B 1741.1): Der Hort sei bereits seit langer Zeit im Rhein versenkt, wie die Königsbrüder angeordnet hätten (B 1739), und außerdem habe Hagen genug zu tragen gehabt, da er seine vollständige Rüstung trage, die er Kriemhild nicht schenken werde (B 1741). Hagens expliziter Verweis auf sein Schwert, das nicht als Geschenk gedacht sei, ist einerseits Kriemhild gegenüber eine Provokation, da es sich um Siegfrieds Schwert Balmung handelt; andererseits wird hierdurch auf das Ende vorverwiesen, als Kriemhild tatsächlich Hagens bzw. Siegfrieds Schwert an sich nimmt (S. 50). Letzteres kann der Figur Hagen nicht bewusst sein – so zeigt sich, dass die Dialogbeiträge im „Nibelungenlied“ auf höchst kunstvolle Weise sowohl auf der Figuren- als auch auf der Erzählerebene bedeutungsvoll sein können. Kriemhild fordert die Burgunden auf, die Waffen abzulegen (B 1742), aber Hagen weigert sich, wobei er sich erneut spöttisch über Kriemhild äußert, die als Fürstin nicht mit dem Umgang mit Waffen betraut werden solle (B 1742–1743). Ihre Klage darüber, dass die Burgunden vorgewarnt seien (B 1744), widerspricht dem früheren Hinweis, sie freue sich, die Burgunden in Waffen zu sehen (B 1714). Dietrich reagiert zornig auf diese Klage und beschimpft Kriemhild bereits hier, vor der Hofgesellschaft, als vâlandinne (B 1745.4: „Teufelin“), was später in Hagens letztem Dialog mit Kriemhild ein Echo finden wird (S. 42, 114). Dass Kriemhild hierdurch schame empfindet (vgl. B 1746.1), ist als Schuldeingeständnis zu werten (J.-D. Müller 1998, 168 f.). Durch Dietrichs Intervention ist Kriemhilds Plan, die Burgunden ohne Waffen in Etzels Burg zu empfangen, vereitelt worden; mit swinde[n] blicke[n], aber zeitweilig machtlos verlässt sie ihre vîande (B 1746.4: „Feinde[.]“; inwiefern Kriemhild hier „infantilisiert“ wird, bleibt unklar, s. Gephart 2005, 138). Erst jetzt tritt Etzel hinzu und beobachtet die Unterredung zwischen Dietrich und Hagen, die textintern Anlass zu einer Diskussion darüber gibt, ob Hagen tatsächlich so grimme sei, wie manche behaupteten (B 1750.3, 1751.1); Etzel widerspricht dem (B 1752–1753). Nicht in Bezug auf Hagen, sondern nur über Kriemhild wird gesagt, dannoch er [= Etzel] niene [= nicht] wesse [= wusste, kannte] vil manigen argen list (B 1751.2): Obwohl sich die Kontrahenten Hagen und Kriemhild in ihrem Verhalten durchaus ähnlich sind und beide ihren Beitrag zur Eskalation der Ereignisse leisten, ist es spätestens in ffventiure 28 eindeutig, dass die Erzählersympathie
7. Die Durchführung von Kriemhilds Racheplänen (ffventiuren 31 und 37)
nicht mehr bei der Protagonistin liegt – trotz aller früheren Betonung ihres Leidens und ihrer triuwe. Ab jetzt ist das anfangs skizzierte Bild der als „ausgesprochen bösartig angesehene[n] Frau“ Kriemhild (S. 58) endgültig dominant, obwohl es im ersten Teil des „Nibelungenliedes“ und noch zu Anfang von dessen zweitem Teil deutlich relativiert worden war.
7. Die Durchführung von Kriemhilds Racheplänen (ffventiuren 31 und 37) Kriemhild hat in ffventiure 28 eine erste Niederlage erlebt; es folgt in ffventiure 29 die nächste. Als Hagen und Volker vor dem palas (B 1757.3) sitzen, versucht Kriemhild, die Hunnen dazu zu bewegen, Hagen aus Rache zu töten. Als sich zunächst 60 Mann (B 1763) zusammenfinden, steuert sie die Racheaktion weiterhin bewusst, indem sie vermerkt, diese geringe Anzahl von Kriegern würde nicht reichen (B 1764–1765). Ihr Verhalten ist hier mit demjenigen unmittelbar nach dem Tod Siegfrieds vergleichbar: Die Rache soll keine spontane Aktion sein, sondern genau geplant werden, da Kriemhild die Gefahr, die Hagen für sie und ihre Umgebung bedeutet, ebenso richtig einschätzt wie umgekehrt Hagen die Bedrohung für sich und die Burgunden, die von Kriemhild ausgeht. Es finden sich nunmehr 400 hunnische Kämpfer (B 1766). Kriemhild trägt ihnen auf zu warten, bis sie die Krone aufgesetzt hat: Sie plant eine maximale Steigerung der Konfrontation, indem sie Hagen in ihrer offiziellen Rolle als Königin begegnen will (J.-D. Müller 1998, 291). Hagen steigert das Konfliktpotenzial ebenfalls maximal, indem er, beleidigend und provozierend, nicht vor Kriemhild aufsteht (trotz Volkers Aufforderung, dem Protokoll Genüge zu tun, B 1777). Für einen Moment wird die sonst im zweiten Teil weit überwiegend sympathisierende Darstellungsweise Hagens aufgegeben: So wie sich der Erzähler beim Raub des Rings und Gürtels Brünhilds von Siegfried distanzierte (S. 79 f.), verweist er hier auf Hagens übermuot (vgl. B 1780 und S. 43; auch in B 1783 distanziert sich der Erzähler von Volker und Hagen). Er gibt explizit an, Hagen sei nicht nur nicht aufgestanden, sondern habe außerdem Balmung gut sichtbar über seine Knie gelegt (zu dieser Rechtsgeste s. J.-D. Müller 1998, 292) – ez mante si [= Kriemhild] ir leide. weinen si began. / ich wæne [= glaube], ez hete dar umbe der küene Hagen getân (B 1781.3–4). Erneut fingiert der Erzähler aber, er sei sich über die Beweggründe seiner Figuren nicht sicher: Er nehme an, dass Hagen nur so gehandelt habe, weil er Kriemhild durch die Erinnerung an Siegfried provozieren wolle. Der nachfolgende Dialog zwischen Kriemhild und Hagen ist mit großem Geschick aufgebaut und dient dem übergeordneten Zweck, Kriemhilds Unterlegenheit zu demonstrieren (vgl. Franke 2004, 168). Kriemhild bewegt Hagen zum Eingeständnis seiner Tat („[…] ich binz aber, Hagene, der Sîfriden sluoc […]“, B 1787.2). Insofern ist Kriemhilds vorher (B 1768) angekündigte Strategie, Hagen zum öffentlichen Bekenntnis des Mordes zu veranlassen, zunächst erfolgreich; die Folge könnte ein Übergriff durch die Hunnen sein, da das Geständnis der Tat zur Rache berechtigen würde (J.-D.
misslungener Racheversuch
Hagens Provokationen
Hagens Überlegenheit
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
divergierende Interpretationen
Begrüßung durch Etzel
Spannungen
Müller 1998, 291 f.). Hagen aber zeigt sich im Dialog auch hier als der Überlegene, indem er dem Vorwurf der Ermordung Siegfrieds mit dem Verweis auf die davorliegende Schuld Kriemhilds begegnet: „[…] wi sÞre er [= Siegfried] des engalt, / daz diu schœne Kriemhilt di vroun Brünhilden schalt! […]“ (B 1787.3–4). Indem er Vorwurf mit Gegenvorwurf beantwortet, stellt er die Tötung Siegfrieds als die Rache (Vergeltung) für das Fehlverhalten Kriemhilds dar, so dass die von Kriemhild geforderte Tötung Hagens als Gegenrache und damit in einem anderen, weniger positiven Licht erscheint (dieser Aspekt wird von J.-D. Müller, 1998, 292 nicht angesprochen). Wie für die ffventiure 39 skizziert (S. 47 f.), spielt der Text hier ebenfalls mit den von den Figuren geäußerten unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschehnisse. Auch hier wissen die textinternen Zuhörer nicht, wer die Wahrheit erzählt. Einer der Hunnen äußert, „[…] jâ wil uns verleiten [= verführen, irreführen] des kunec Etzeln wîp“ (B 1791.4), und bringt damit auf den Punkt, dass eine einseitige Erzählung der Geschehnisse der Versuch der Manipulation der Zuhörer sein kann. Audiatur et altera pars (man höre auch die Gegenseite): Nachdem die Hunnen Hagens Sicht auf die Dinge vernommen haben, stellt sich die Rechtslage für sie offensichtlich weniger eindeutig dar. Dass sie zusätzlich als verzagt in Anbetracht der fama Hagens dargestellt werden (B 1793–1796; der Ausdruck „geckenhafteffeminiert[.]“, Gephart 2005, 143, scheint hier kaum angemessen), ändert nichts an der Tatsache, dass erst Hagens Hinweis auf Kriemhilds Beleidigung Brünhilds den Versuch verhindert, Hagen für Siegfrieds Tod büßen zu lassen. Etzel hat von all dem keine Kenntnis; seine, nunmehr im offiziellen Rahmen stattfindende, Begrüßung der Burgunden (B 1805–1807) ist in seiner Herzlichkeit und Wertschätzung offensichtlich aufrichtig und wird von Hagen im gleichen Sinne beantwortet (B 1808). So endet die ffventiure 29 mit einem harmonischen Gastmahl. Die 30. ffventiure beschreibt, dass Kriemhild eine kleine Gruppe von Hunnen zum Schlafsaal schickt, damit diese die Burgunden überfallen; da aber Hagen und Volker die Schildwache halten, kann auch dieser Plan vereitelt werden. So beginnt in der 31. ffventiure der Tag der Sonnenwende. Zur Vorbereitung auf die Gottesdienste, die von den Christen und Heiden unterschiedlich gefeiert werden (B 1847–1848), gibt Hagen den Auftrag, die von den Burgunden als Schmuck getragenen Rosen gegen die Waffen einzutauschen (B 1850); eine konkrete Anweisung, die gleichzeitig als eine Metapher für die nachfolgenden Ereignisse gesehen werden kann (Baratowa/Miedema 2007, 144). Beim Eintritt in das Münster provozieren Hagen und Volker ein Gedrängel, das an den Streit der Königinnen erinnert (B 1856, 1863–1864, 835–840). Etzel wundert sich über die Waffen der Burgunden, wodurch Hagen die Gelegenheit gegeben wird, fälschlich zu behaupten, dass die Burgunden bei festlichen Anlässen immer in Waffen aufträten (B 1860). Kriemhild weiß, dass dies nicht stimmt, sie kann aber nicht widersprechen, ohne die Frage zu provozieren, warum denn die Burgunden ausgerechnet jetzt ausnahmsweise in voller Rüstung erschienen. Auch hier bleibt sie deswegen stumm und sieht Hagen lediglich rehte fîentliche (B 1861.2) an (J.-D. Müller 1998, 293, 380). Der Erzähler exkulpiert Etzel an dieser Stelle nachdrück-
7. Die Durchführung von Kriemhilds Racheplänen (ffventiuren 31 und 37)
lich: Hätte ihm jemand die wahren Begebenheiten erzählt, so hätte er das spätere Leid zu verhindern gewusst. Erneut gilt aber, dass ubermuot den Anlass für das Verhalten der Burgunden gibt, die dadurch auch in Etzels Land eine Teilschuld an den Ereignissen tragen: durch ir [= der Burgunden] vil starke ubermuot ir deheiner [= keiner von ihnen] im es verjach [= sagte] (B 1862.4). Hagen und Volker setzen ihrerseits die Provokationen fort, indem Volker beim Turnier einen hunnischen Ritter ersticht (B 1886), obwohl Gunther angeordnet hat, man solle ihn nicht behelligen (B 1884): So, wie Etzel keine Kontrolle über Kriemhild hat, ist Gunther Hagen und Volker gegenüber machtlos (vgl. J.-D. Müller 1998, 183, Gerok-Reiter 2006, 74). Etzels diplomatisches Eingreifen besteht darin, dass er kurzerhand behauptet, es habe sich um einen Unfall gehandelt (B 1892–1893), womit er den Rache fordernden Verwandten des Toten den Wind aus den Segeln nimmt (J.-D. Müller 1998, 294, 368). Es haben sich die Burgunden aber nunmehr ohne Kriemhilds Zutun Feinde unter den Hunnen gemacht (B 1895.4). Kriemhild versucht die Stimmung zu nutzen, indem sie Dietrich und Hildebrand um Unterstützung bittet (B 1896–1897), die diese jedoch verweigern. Etzels Bruder Blödelin dagegen erweist sich bei Kriemhilds Angeboten, ihm Geld und eine Ehefrau zu verschaffen, als weniger standhaft. Es folgt eine Strophe, die ein ausgesprochen negatives Licht auf Kriemhild wirft:
Provokationen
B 1909 Dô der strît niht anders kunde sîn erhaben, Kriemhilt ir leit daz alte in ir herzen was begraben, dô hiez si tragen zen tischen den Etzeln sun. wi kunde ein wîp durch râche immer vreislicher getuon? (Als der Kampf nicht anders begonnen werden konnte, Kriemhilds altes Leid war in ihr Herz eingegraben, befahl sie, Etzels Sohn an die Tafel zu tragen. Wie hätte eine Frau aus Rache jemals schrecklicher handeln können?)
Aus sich heraus ist diese Strophe nicht unmittelbar verständlich: Wieso konnte der Kampf nicht anders begonnen werden, obwohl Blödelin gerade die Knappen hatte töten lassen? (Vgl. Wolf 1995, 373, der hieraus schlussfolgert, dass die Ermordung der Knappen sekundär im Zuge der „Neudimensionierung des Stoffes“ eingefügt sei). Und was ist vreislich daran, dass Kriemhild ihren Sohn Ortlieb zum Gastmahl bringen lässt? Der Gedanke wird im „Nibelungenlied“ nicht explizit ausgesprochen, aber alles deutet darauf hin, dass der Erzähler mit seinem Ausdruck des Entsetzens Kriemhild beschuldigt, ihren Sohn nur deswegen geholt zu haben, damit er Hagen zum Opfer fallen könne (dies ist in anderen Ausprägungen des Nibelungenstoffes tatsächlich der Fall, vgl. z. B. J.-D. Müller 1998, 74–80) – nur über den Tod Ortliebs, so zeigt sich später, kann Kriemhild Etzel dazu bringen, seine diplomatische und versöhnliche Haltung aufzugeben, die ihn zunächst bewusst schweigend über Hagens beleidigende Bemerkungen über Ortlieb hatte hinweggehen lassen (B 1916; vgl. B 2087). Die Tötung der Knappen richtet sich unmittelbar gegen die Burgundenkönige, das Hereinbringen Ortliebs gegen Etzel und damit mittelbar ebenfalls gegen die Burgunden. Kriemhild ,opfert‘ Ortlieb, um Etzel dazu zu bewegen, Rache für seinen Sohn einzufordern. Auf diese Art und Weise wendet sich auch Etzel schließlich gegen die Burgunden, wenn auch aus anderen (und
Ortlieb
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Ortliebs Tod
Provokationen
Versöhnungsversuch
aus der Sicht des Erzählers wohl auch berechtigteren) Gründen als Kriemhild. Die Handschrift C, die Kriemhild insgesamt „wohlwollender gegenübersteht“ als B (Ehrismann 2005, 73), eliminiert im Übrigen den Verweis darauf, dass Kriemhild ihren Sohn bewusst ins Spiel gebracht habe (C 1963). Die ffventiure 31 zeigt, dass Kriemhild (nach ihren verschiedenen misslungenen Versuchen) mit Blödelin und Ortlieb nunmehr die ,Instrumente‘ für eine erfolgreiche Durchführung ihrer Rache in der Hand hat (zur dieser „Instrumentalisierung naher Verwandter“ s. J.-D. Müller 1998, 78). ffventiure 32 widmet sich konsequenterweise Blödelins freiwilligem Anteil, indem dieser bewusst die wehrlosen Knappen der Burgunden ermordet. ffventiure 33 skizziert Ortliebs unfreiwilligen Beitrag: Dankwart stürmt blutüberströmt in den Festsaal und berichtet dort über den Tod der Knappen, woraufhin Hagen (als Rache für diese Verletzung des Gastrechts?) Ortlieb tötet. Die Eskalation der Gewalt, auf die sowohl Kriemhild als auch Hagen bewusst hingearbeitet haben, ist jetzt offenbar nicht mehr zu verhindern – die burgundischen Königsbrüder wollen Hagen und Volker noch von den Hunnen trennen, bevor größere Schäden entstehen, aber sine mohtenz mit ir sinnen dô niht understân, / dô VolkÞr unde Hagene sô sÞre wüeten began (B 1964.3–4: „Sie konnten mit bester Absicht nichts mehr verhindern, als Volker und Hagen so sehr zu wüten begannen“; vgl. J.-D. Müller 1998, 183). Noch greift Etzel nicht selbst in den Kampf ein, möglicherweise deswegen, weil er der Gastgeber der Burgunden ist; zusammen mit Kriemhild verlässt er den Saal (B 1979–1992). Hagen und Volker versuchen in der 34. ffventiure durch ihre beleidigenden Reizreden, auch Etzel in den Kampf einzubeziehen (B 2017, 2020, 2023–2024). Es wirft ein wenig heroisches Licht auf Etzel und die Hunnen, dass sie zögern, sich darauf einzulassen (allerdings wird die Reizrede im „Nibelungenlied“ an verschiedenen Stellen abgewertet, vgl. B 2264, 2237, 2342). Irings Kämpfe in ffventiure 35 werden vom Erzähler eher ironisch dargestellt, obwohl es Iring immerhin gelingt, Hagen zu verwunden (B 2048). Die Erzählerwertungen im Rahmen der Darstellung des Kampfes lässt die Burgunden heroisch überlegen erscheinen, trotz der zahlenmäßigen Übermacht der Hunnen. Gleichzeitig distanziert sich der Erzähler jetzt gelegentlich von der Gewalt des Kampfes: So kritisiert er z. B., dass die verletzten Hunnen aus dem Saal geworfen werden, so dass sie sterben, obwohl sie hätten überleben können (B 2010–2011; s. Kern 2010). In ffventiure 36 wird ein letzter Versöhnungsversuch unternommen, und zwar auf die Initiative der Burgunden hin. Etzel gibt jedoch gleich zu Beginn des Dialogs eindeutig an, dass für ihn aufgrund des Todes Ortliebs kein vride mehr möglich sei (B 2086.4, 2087.4; vgl. auch B 2092). Giselhers Appell an die genâde Kriemhilds (B 2099.4) lässt sie erstmalig aussprechen, dass sie bereit ist, den Tod aller Burgunden in Kauf zu nehmen, damit Siegfried gerächt wird. Sie schlägt vor, die Burgunden sollten ihr Hagen als Geisel überlassen: B 2100 „Ine mac iu niht genâden. ungenâde ich hân. mir hât von Tronege Hagene sô grôziu leit getân. ez ist vil unversüenet, di wîl ich hân den lîp. ir müezet es alle engelten“, sprach daz Etzeln wîp.
7. Die Durchführung von Kriemhilds Racheplänen (ffventiuren 31 und 37) B 2101 „Welt ir mir Hagenen einen her ze gîsel geben, sône wil ich niht versprechen, ich welle iuch lâzen leben, wande ir sît mîne bruoder unde einer muoter kint. sô red ich ez nâch der suone mit disen helden, di hie sint.“ („Ich kann Euch keine Gnade gewähren. Auch ich habe keine erfahren. Mich hat Hagen von Tronje so tief verletzt. Eine Aussöhnung ist ganz unmöglich, solange ich lebe. Ihr müsst alle dafür büßen“, sagte Etzels Gemahlin. „Wenn Ihr mir Hagen allein als Geisel übergebt, so will ich die Möglichkeit nicht ausschließen, Euch leben zu lassen; denn Ihr seid meine Brüder und wir haben eine Mutter. Ich werde das im Hinblick auf eine Sühne mit diesen Helden bereden, die hier sind.“)
Gernots und Giselhers Antworten hierauf lassen die Vasallentreue, die nicht nur den Vasallen an seinen Lehnsherrn bindet, sondern umgekehrt auch den Lehnsherrn an den Vasallen, als nicht hinterfragbar erscheinen – hatten sich die Burgunden in verschiedenen früheren Szenen noch deutlich von Hagen distanziert (vgl. S. 98, 99 f., 105 f.), so betonen sie hier den Verbund (J.-D. Müller 1998, 156):
triuwe
B 2102 „Nune welle got von himele“, sprach dô GÞrnôt, „ob unser tûsent wæren, wir lægen alle tôt, der sippen dîner mâge, Þ wir dir einen man gæben hi ze gîsel. ez wird et nimmer getân.“ B 2103 „Wir müesen doch ersterben“, sprach dô Gîselher. „uns scheidet niemen von ritterlicher wer. swer gerne mit uns vehte, wir sîn et aber hie, wande ich deheinen mînen friunt an den triuwen ni verlie.“ („Das möge Gott im Himmel verhüten“, sagte da Gernot. „Wenn wir tausend aus der Familie Deiner Verwandten wären, so würden wir eher sterben, als hier einen einzigen Mann als Geisel zu übergeben. Das wird niemals geschehen.“ „Wir müssen doch sterben“, sagte da Giselher. „Uns trennt niemand von den ritterlichen Waffen. Für jeden, der gern gegen uns kämpfen will, stehen wir hier wieder bereit; denn ich verliere niemals einen Freund durch einen Treuebruch.“)
Die moralische Überlegenheit wird auf diese Weise erneut den Burgunden zugeschrieben, die Gefolgschafts-triuwe der Verwandtschafts-triuwe übergeordnet. Auch hier zeigt sich, dass sich alle Figuren auf unterschiedliche Art und Weise durch Treueverhältnisse gebunden fühlen, dabei allerdings die verschiedenen Arten der triuwe unterschiedlich gewichten. Kriemhilds unmittelbar folgender Befehl, den Saal anzuzünden (B 2105), ist eine ausgesprochen unheroische Antwort. Die triuwe-Problematik spitzt sich in ffventiure 37 dadurch zu, dass Rüdiger, der vil getriuwe man (B 2138.1), in den Kampf einbezogen wird. Im Dialog zwischen Rüdiger, Etzel und Kriemhild (B 2142–2163) werden alle konfligierenden Treuebindungen Rüdigers diskutiert (vgl. Bernreuther 1994, 90–92): Kriemhild erinnert an den Eid, den Rüdiger ihr geschworen hat (B 2145–2148; vgl. J.-D. Müller 1998, 364 f. über die unterschiedliche Auslegung des Eides durch die intradiegetischen Figuren); Etzel gegenüber versucht Rüdiger, sein Lehnsverhältnis zu kündigen (B 2154–2155); Rüdiger verweist auf die Verpflichtung, die er den Burgunden gegenüber habe, da er sie friedlich zu sich eingeladen habe (B 2156) und Giselher mit seiner Tochter verlobt sei (B 2158). Rüdiger entscheidet sich letztlich, parallel zu den
Rüdigers Tod
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III. Von Anfang bis Ende: Analyse weiterer zentraler ffventiuren
Erzählersympathien
Burgunden, aber ohne dass die Rechtsgrundlage eindeutig ist, die Lehnstreue als die wichtigste Bindung aufzufassen (B 2160–2161; vgl. J.-D. Müller 1998, 161, Althoff 2008, 16–19). Der ausführliche Dialog zwischen Rüdiger, Gunther, Gernot, Giselher, Hagen und Volker (B 2172–2202) wiederholt die Positionen, stellt aber den Beschluss, die Vasallentreue dominieren zu lassen, nicht grundsätzlich in Frage (Bernreuther 1994, 92 f.; ausführlich Splett 1968). Der vater maneger tugende (B 2199.4) stirbt und wird von Burgunden und Hunnen gleichermaßen beweint. Über ihn hat (neben dem sofort dafür bestraften Hunnen in B 2135–2141) nur Kriemhild Zweifel geäußert (B 2225–2226), wofür sie von Volker scharf kritisiert wird (Volker wird dabei im Übrigen den Höflichkeitsregeln insofern noch gerecht, als er sie in seiner gewählten Formulierung nur mittelbar der Verleumdung bezichtigt: „[…] getorste ich heizen liegen alsus edelen lîp, / sô het ir tiuvellichen an RüedegÞren gelogen […]“, B 2227.2–3: „Wenn ich wagte zu behaupten, dass eine so hohe Persönlichkeit lügt, so hättet Ihr auf teuflische Weise Rüdiger verleumdet“). Dass sich Kriemhild zunehmend von allen sie umgebenden sonstigen Figuren isoliert, wird gerade auch in den Redeszenen zum Ausdruck gebracht. Einen dramatischen Höhepunkt findet diese Entwicklung in der 39. ffventiure in Kriemhilds Dialogen mit Dietrich, der ahnt, dass Kriemhild Hagen und Gunther nicht ihrem Stand gemäß behandeln wird, und mit Hagen, der sie ein letztes Mal als vâlendinne beschimpft, ohne dass textintern irgendein Widerspruch erfolgt (vgl. S. 42, 108). So verweist der Text der letzten ffventiure sehr deutlich darauf, dass Kriemhild jede Grenze des Menschlichen und des Entschuldbaren überschritten hat. Der Erzähler, Hagen und Hildebrand verbünden sich gegen die einstige höfisch-ideale, später tragisch hintergangene Sympathieträgerin und lassen keinen Zweifel daran, dass es gerechtfertigt sei, diese am Schluss der Geschichte ze stucken […] gehouwen (B 2374.2) zurückzulassen. „Die vielen Szenen, in denen Hagen hervortritt, lassen […] die […] Tötung Kriemhilds durch Hildebrant als gerechtfertigt erscheinen“ (Haymes 1999, 111). Sogar Etzel, der lange die Pläne seiner Ehefrau nicht durchschaut und nahezu bis zum Schluss versucht, sie zu schützen und zu verteidigen, bestätigt indirekt Kriemhilds Verurteilung, indem er zwar klagt, nicht jedoch über den Tod seiner Ehefrau, sondern über die gestorbenen Krieger (mâge und man, B 2374.4: „Verwandte und Gefolgsleute“).
IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte „Die Geschichte einer Dichtung schreiben heißt den Dialog beschreiben, den das Werk durch die Epochen hindurch mit seinen Lesern führt“ (Härd 1996, 12). Das „Nibelungenlied“ gehört zu den meistrezipierten Werken des Mittelalters, es wurde in höchst unterschiedlicher Form interpretiert, kommentiert, weitergedichtet und verfälscht (J.-D. Müller 1998, 7 spricht vom „Nibelungenlied“ als „Projektionsfläche“). Dabei erfuhr gerade die weibliche Hauptfigur eine ständige Neubewertung und Neugestaltung, die zum Teil eher aussagekräftig ist in Bezug auf den jeweiligen Rezeptionskontext als in Bezug auf das „Nibelungenlied“ selbst. Es sei hier eine repräsentative Auswahl solcher produktiven Umgangsweisen mit dem Text besprochen, ohne dass seine Rezeptionsgeschichte hier auch nur annähernd vollständig dargestellt werden könnte. Es fehlt eine Untersuchung, die die gesamte Rezeptionsgeschichte des „Nibelungenliedes“ darzustellen versucht. Möglicherweise wäre dies eine Aufgabe, die in einer einzigen Monographie nicht zu bewältigen wäre: Die Zahl der bisher erschienenen Teilüberblicke und Untersuchungen zeigt, wie vielgestaltig das Thema ist (vgl. etwa Ehrismann 1975, von Saalfeld 1977, Ehrismann 1986, Münkler/Storch 1988, „Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn“ 1991, „Die Rezeption des ,Nibelungenliedes‘“ 1995, Härd 1996, Hoffmann 1998, Frembs 2001, Nolte 2004, Niedling 2007, Schiewer 2009, „Ein Lied von Gestern?“ 2009). Das neue Museum „Nibelungen(h)ort“ in Xanten widmet sich insgesamt insbesondere der Rezeption des „Nibelungenliedes“ (vgl. http://www.nibelungen-xanten.de/; ähnlich das Museum in Worms, http://www.worms.de/extern/nibelungenmuseum/). Anthologien von Primärtexten finden sich (nach den reichen Regesten von Ehrismann 1986, die den Umfang des Themas zumindest für den Zeitraum 1755–1920 erst sichtbar gemacht haben) bei Wunderlich 1977 und, in stetig wachsender Anzahl, auf der von Gunter E. Grimm betreuten Internetseite http://www.nibelungenrezeption.de/. S. außerdem die Anthologie von Grimm 2011. Die Rezeption des Textes speziell in Bildern wurde von Schulte-Wülwer 1980, „Die Nibelungen. Bilder von Liebe, Verrat und Untergang“ 1987 und in mehreren Aufsätzen des Bandes „Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos“ 2003 dargestellt (vgl. hierzu ebenfalls http://www.nibelungenrezeption.de/).
Vielzahl von Rezeptionszeugnissen
Forschungsliteratur
1. Mittelalterliche Rezeptionsgeschichte Mit der „Nibelungenklage“ liegt der außergewöhnliche Fall vor, dass ein mittelalterlicher Text unmittelbar nach seiner Verschriftlichung Anlass zum Verfassen eines ebenfalls als Erzähltext gestalteten Kommentars bzw. einer kommentierenden Fortsetzung gab. Obwohl beide Texte insofern eine Einheit bilden, als sie kaum einzeln tradiert wurden (s. S. 11, 29; grundlegend Henkel
„Nibelungenklage“
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
das „Nibelungenlied“ in der „Nibelungenklage“
1999), sei betont, dass sich die „Nibelungenklage“ bereits formal sehr deutlich vom Prätext absetzt: Während das „Nibelungenlied“ selbst in Strophen gedichtet ist, wählt die „Nibelungenklage“ den höfischen Reimpaarvers. Es gibt zwar Handschriften, in denen der Übergang zwischen beiden Texten optisch kaum hervorgehoben wird (A, B, C: Bumke 1996, 237–253; vgl. Henkel 1999, 79 f.), jedoch bedeutet der Wechsel von Langversen mit Zäsur und Endreim zu Kurzversen mit Endreim eine Veränderung der Metrik und Reimtechnik, die optisch wie gerade auch akustisch sofort erkennbar wird und wurde (Henkel 1999, 79). Einzelne Handschriften, wie etwa J, markieren den Übergang zwischen den Texten visuell sehr deutlich: J verwendet eine mehrzeilige, durch Fleuronné-Schmuck hervorgehobene Initiale und wechselt außerdem mitten auf der Seite von zweispaltigem („Nibelungenlied“) zu dreispaltigem („Nibelungenklage“) Layout. b markiert den Wechsel ebenfalls deutlich, indem hier nach der letzten Strophe des „Nibelungenliedes“ Hie hat der streit ain ende vermerkt wird, wonach der Anfang der „Klage“ mit Hie hebt ich die au tragung vnd die clag der doten etc. überschrieben ist. Auch inhaltlich zeigt sich, wie anders die Perspektive ist, unter der die „Nibelungenklage“ den Stoff betrachtet. Im Sinne der höfischen Ästhetik wie der christlichen Ethik dürfte der Untergang, wie ihn der Schluss des „Nibelungenliedes“ inszeniert, als ein Stein des Anstoßes empfunden worden sein. Jedenfalls überführt die „Nibelungenklage“ das düstere und unversöhnliche Ende des „Nibelungenliedes“ in eine neue Perspektive, ausgerichtet auf eine Überwindung des Leids und auf einen Neuanfang, wie sie der Ursprungstext offensichtlich nicht vorgesehen hatte (J.-D. Müller 1998, 116 spricht von einem „Dementi“ des Endes, wie es im „Nibelungenlied“ erzählt worden war). Da bereits das „Nibelungenlied“ die heroische Notwendigkeit des Untergangs der Burgunden hinterfragt hatte, indem es Hagens Handlungsweisen an mehreren Stellen problematisierte (Gerok-Reiter 2006, 78–80), ist es nicht weiter erstaunlich, dass die „Klage“ gerade Hagen und sein Verhältnis zu Kriemhild sehr stark um- bzw. ausdeutet (ebd., 95). Inwiefern dabei allerdings in der „Nibelungenklage“ christliche Vorstellungen dominant wurden, bleibt fraglich: So fällt etwa auf, dass zwar mehrfach angegeben wird, die Toten sollten maßvoll beklagt werden (vgl. Suerbaum 2003, 23), es wird zur Begründung jedoch nirgends das christliche Argument bemüht, dass den Toten im Jenseits mit einiger Wahrscheinlichkeit ein besseres Leben erwarte als im Diesseits. Von der „Nibelungenklage“ liegen verschiedene Fassungen vor, die 1999 von Bumke ediert wurden (vgl. auch seine ausführlichen Untersuchungen, Bumke 1996). Die Darstellung im Folgenden orientiert sich an der Fassung *B (Übersetzung: Lienert 2000). Nolte 2004, 61–69 stellt tabellenartig zusammen, welche Abweichungen sich in der Bewertung Kriemhilds seitens des Erzählers und seitens der intradiegetischen Figuren in den „Klage“-Fassungen *B und *C finden lassen. Sie kann dadurch die bis dahin in der Forschung dominante Einschätzung etwas relativieren, die „Klage“ *C entlaste Kriemhild noch weiter als das „Nibelungenlied“ C und die „Klage“ *B. Der Text eröffnet mit einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse des „Nibelungenliedes“ („Nibelungenklage“ *B, v. 1–586), die von Günzburger als eine „Gerichtsrede“ zur Verteidigung Kriemhilds gelesen wird (Günzburger 1983, 76–87, Zitat 76). Von Anfang an wird angegeben, dass Kriemhild
1. Mittelalterliche Rezeptionsgeschichte
die Rache zugestanden habe (*B, v. 138: ez ir rechen gezam) und dass ihr von schulden nie gesprach / misselîche dehein man (*B, v. 152 f.: „niemals irgendein Mensch mit Grund Schlechtes nachsagte“). Weil sie aus triuwe zu Siegfried gehandelt habe (*B, v. 157, 571; später bestätigt z. B. Etzel dies in seiner Figurenrede, *B, v. 830, 834), sei sie unschuldic (*B, v. 155). Kriemhilds bedingungsloses Festhalten an der (Gatten-)triuwe hatte nach der Darstellung des „Nibelungenliedes“ die Burgunden und sie selbst in die Aporie getrieben, da sie jegliche andere Form der Verbundenheit ignorierte (S. 113; in Strophe B 1770.2 wird dementsprechend von Volker angegeben, Kriemhild habe sie âne [= ohne] triuwe eingeladen). Da die „Nibelungenklage“ einseitig auf die personelle Gatten-triuwe Bezug nimmt und diese positiviert (J.-D. Müller 1998, 168 f.), entfällt der Hinweis auf alle anderen Formen der triuwe im Verbund – etwa auf die Vasallen-triuwe, wie sie von Hagen verkörpert wird, oder auf die Sippenbindung. Dadurch erscheint Kriemhild in der „Nibelungenklage“ in einem sehr viel positiveren Licht (J.-D. Müller 1998, 168–170). Mehrfach verweist die „Nibelungenklage“ auf die Möglichkeiten zur Deeskalation, die im Laufe der Geschehnisse gegeben gewesen seien (*B, v. 259–269, 283 f. u. ö.) und die Kriemhild angeblich gerne angenommen hätte (*B, v. 238 f., 259–263). Damit wird eine Tendenz fortgesetzt, die im Gegensatz zur Handschrift B des „Nibelungenliedes“ bereits in Handschrift C explizit ausgesprochen wird (vgl. die Zusatzstrophen C 1882, 1947, 2143). Auch Etzels folgende misogyne Angabe entlastet Kriemhild in gewissem Sinne: „[…] ez het wol gescheiden / Kriemhilt Hagenen von in drin, / niwan daz lützel wîbes sin / die lenge für die spannen gât“ (*B, v. 1908–1911: „Kriemhild hätte Hagen drinnen gewiss von ihnen [den drei Königsbrüdern] getrennt, nur dass der Verstand einer Frau selten länger ist als eine Spanne“). – Nur beiläufig heißt es in diesem einleitenden Teil der „Klage“ einmal, daz leit und den ungemach / het gepruoft ir selber munt (*B, v. 510 f.: „Ihr eigener Mund hatte das Leid und das Unglück hervorgerufen“; fehlt in der Tabelle bei Nolte 2004, 61–69). Dass später vom Erzähler angegeben wird, Kriemhild habe nie unvalschiu wort gesprochen (*B, v. 810), lässt aber ihre Rolle im Streit der Königinnen harmloser erscheinen, als sie im „Nibelungenlied“ dargestellt wird. Erzählt wird in der „Klage“ anschließend genau das, waz sider dâ geschach („Nibelungenlied“, B 2376.1) und was der Erzähler des „Nibelungenliedes“ als ihm nicht bekannt gekennzeichnet hatte: das weinen („Nibelungenlied“, B 2376.2) der Hinterbliebenen, ihre Trauer, ihr Umgang mit den Toten. Zunächst schreiten Etzel, Dietrich und Hildebrand nach und nach an den wichtigsten gefallenen Helden vorbei, wobei für jeden einzelnen Toten in direkter Rede eine Klage und/oder eine Würdigung seiner Taten erfolgt (*B, v. 587–2489). Dabei wird Hagen, dessen ebenfalls bedingungslose (Vasallen-)triuwe im „Nibelungenlied“ zumindest zeitweise deutlich positive Züge hatte, in der „Nibelungenklage“ dämonisiert. Trotz gelegentlicher relativierender Bemerkungen zur Frage der Mitschuld Gunthers und Brünhilds (vgl. z. B. *B, v. 103 f., 493 f.) wird Hagen in seinem angeblich maßlosen Blutdurst sowohl in Erzähler- als auch in Figurenrede von den anderen Burgunden isoliert, so dass er in diesem Text ausgerechnet von Hildebrand als der vâlant [= Teufel], der ez allez riet, bezeichnet wird (*B,
die „Nibelungenklage“ als Fortsetzung
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Brünhild in der „Nibelungenklage“
v. 1250 f.; ähnlich negativ später die burgundischen Gefolgsleute, der kund nie strîtes werden sat, *B, v. 3523; vgl. auch *B, v. 4031, 4041 f.). Hagens Eigenmächtigkeit, die im „Nibelungenlied“ noch als Faszinosum galt, wird in der „Nibelungenklage“ somit als moralisch verwerflich dargestellt (Gerok-Reiter 2006, 98). Dietrich und Hildebrand schlagen nach diesen Totenklagen, die Etzel vollends handlungsunfähig machen, vor, den Witwen und Waisen die Rüstungen der Gefallenen zurückzuschicken (*B, v. 2490–2721). Als räumliches Erzählgerüst dient anschließend (*B, v. 2722–4099) der Weg der Boten, die von Etzel und seinen Gefolgsleuten zu den Witwen der Krieger geschickt werden: Sie ziehen über Wien (*B, v. 2755), Bechelaren (v. 2799) und Passau (v. 3294) nach Worms (v. 3529) und geben unterwegs gewissermaßen die Klage über die Verstorbenen weiter. Es entsteht so eine Reihe von Einzelklagen, die das Thema unermesslichen Leids und kriegerischer Verdienste jeweils variieren und die von Hyperbeln und Überbietungstopoi geprägt sind. Das laute, wortlose Schreien (der wuof) der Leidtragenden wird mehrfach beschrieben, ebenso wie ihr Ohnmächtigwerden und Bluterbrechen. Dabei wird mit dem Motiv gespielt, dass es gut sei, das rechte Maß des Klagens einzuhalten, während das Klagen gleichzeitig konstitutiv ist für den Text (z. B. *B, v. 1229, 2444 f., 3366, 3428, 3443 f., 3638, 3747). Durch die Rückführung der Geschehnisse nach Worms kann sich Brünhild zum „Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft“ entwickeln (Günzburger 1983, 228). Wurde im „Nibelungenlied“ nach ihrem Triumph über Kriemhild („Nibelungenlied“, B 1097) kaum noch an sie erinnert (vgl. B 1482–1483, 1512), so ermöglicht sie hier eine Zukunftsperspektive: Ihr Sohn Siegfried, im „Nibelungenlied“ bereits in Strophe B 1516 zum letzten Mal erwähnt, kann alle für das erlittene Leid ergetz[en] („Nibelungenklage“ *B, v. 3758), wodurch der Wormser Hof ein teil in freude kommt (*B, v. 4099). Während im „Nibelungenlied“ der Figur Kriemhild Momente der Einsicht zugeschrieben werden (S. 89), gibt es in der „Klage“ ein Schuldeingeständnis Brünhilds (vgl. Nolte 2004, 76):
*B 3980
„ôwÞ daz ich ie gesach der edelen Kriemhilde lîp! dô daz Þre gernde wîp mit rede erzurnde mir den muot, des verlôs der helt guot daz leben, Sîfrit, ir man. dâ von ich nû den schaden hân. daz ir freude ir wart benomen, daz ist mir nu her heim komen“.
(„O weh, dass ich jemals die edle Kriemhild erblickt habe! Als die Frau nach Ehre verlangte und mich mit Worten erzürnte, verlor deswegen der edle Held Siegfried, ihr Mann, das Leben: Davon habe ich jetzt den Schaden. Dass ihr ihre Freude geraubt wurde, das ist jetzt zu mir zurückgekehrt“.)
Zwar habe Kriemhild somit Brünhilds Zorn ausgelöst, dieser Zorn aber sei der eigentliche Anlass dafür, dass Siegfried starb und gerächt wurde. „Brünhild erkennt, daß sie zu Recht leidet. Damit gibt sie ihre Schuld an Sieg-
1. Mittelalterliche Rezeptionsgeschichte
frieds Tod zu. Diese Brünhild hat mit der des Nibelungenliedes nichts mehr gemeinsam“ (Günzburger 1983, 231). Es ist einerseits richtig, dass auch in der „Klage“ der Streit der Königinnen als der „Hauptgrund für den Mord an Siegfried“ dargestellt wird (Nolte 2004, 76) und dass Kriemhild die Rolle zugewiesen wird, den unmittelbaren Anlass für den Streit gegeben zu haben (vgl. auch oben, daz leit und den ungemach / het gepruoft ir selber munt, *B, v. 510 f.). Beim zitierten Schuldeingeständnis Brünhilds schwingt aber andererseits mit, dass ihre zornige Reaktion unangemessen gewesen sei: Erstens habe Kriemhild aus dem Verlangen nach Þre gehandelt (*B, v. 3978), und zweitens zeige der Handlungsverlauf, dass weniger Kriemhilds Worte als vielmehr Brünhilds Zorn nicht nur Kriemhild, sondern auch Brünhild selbst unermessliches Leid zugefügt habe. – Interessant ist, dass auch hier das Motiv der Täuschung Brünhilds durch Siegfried und Gunther völlig ausgeblendet wird, weder die Tarnkappe noch die Brautwerbung und die Brautnächte finden eine Erwähnung. Die Boten kehren anschließend zu Etzel zurück, in seinem Reich findet die „Klage“ ein Ende (*B, v. 4100–4360). Stärker betont wird in diesem letzten Abschnitt aber die Tatsache, dass Dietrich und Hildebrand Etzel verlassen, um in ihre eigenen Reiche zurückzureisen. Sie eröffnen so, wie die Krönung des Sohnes Gunthers, die Perspektive auf einen Neuanfang; Etzel dagegen bleibt vür tôt zurück (*B, v. 4185). Der „Burgundenuntergang soll in die Dietrichsage münden und in ihr gleichsam aufgehoben werden“ (Schirok 2004, 299, mit Verweis auf ältere Literatur). Man kann die „Klage“ schlicht als „ein Werk von minderem literarischen Rang“ bezeichnen (Stech 1993, 52) und ihr die „Trivialisierung eines großen Endes“ vorwerfen (Ehrismann 2005, 20), verkennt damit aber das literarische Potenzial, das sie im traditionellen rhetorischen Bereich der sermocinatio (der Gestaltung von Figurenrede), speziell des planctus (der literarischen Klage) entfaltet. Ernstzunehmen ist, dass der Text eine provozierende Neudeutung des „Nibelungenliedes“ bietet, die durch ihre Akzentverlagerung in der Bewertung der triuwe zeigt, dass die vom „Nibelungenlied“ angestoßene Diskussion über dieses Thema bereits im Mittelalter kontrovers weitergeführt wurde. Es gibt im Mittelalter weitere Zeugnisse für die Rezeption des Nibelungenstoffes, die zeitgleich zur Überlieferung des Originaltextes von einer lebhaften Auseinandersetzung mit dem „Nibelungenlied“ und dem Nibelungenstoff zeugen. Die Entrüstung über Hagens Tat, die in der „Klage“ sichtbar wurde, steht in scharfem Kontrast zur oben (S. 58, 109) skizzierten Tendenz der Darstellung Kriemhilds als einer „Antiheldin“. Insofern scheinen das „Nibelungenlied“ und gerade auch die „Nibelungenklage“ tatsächlich in bestimmten Bereichen eine Umwertung der Protagonisten bewirkt zu haben (vgl. für eine differenzierte Auseinandersetzung mit möglichen positiven Wertungen der Kriemhild-Figur anhand einer Berthold von Regensburg zugeschriebenen Predigt auch Layher 2009). Als einziges weiteres Beispiel für eine solche negative Wertung Hagens, die indirekt Kriemhild entlastet, sei hier die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene „Weltchronik“ Heinrichs von München zitiert (Hinweis u. a. bei Schulze 2006, 76; der Passus ist abgedruckt in „Altdeutsche Wälder“ 1818, 120 f.).
Stellenwert der „Nibelungenklage“
andere mittelalterliche Zeugnisse
Heinrich von München
119
120
IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
155
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[…] Sigheres chint, e si hiez die schon Siglint, e daz ist mir an dem mar chunt, e die nam seit ein chunik, hiez Sigmunt, e der furt sie gegen Niderlant. e Sigmunt der chunik wol erchant, der gewan pey Siglint seit einen sun an widerstreit: Seifried den hochgemu˚ten, den starchen vnd den fru˚ten, an dem seit grozzer mort geschach, den Hagen von Trayn stach, ob einem prunnen mortleich, vil ser rewet er noch mich.
(Sieghers Kind hieß die schöne Sieglind, wie mir aus der Erzählung bekannt ist. Später nahm sie ein König, der Siegmund hieß, zur Gattin, und führte sie in die Niederlande. Siegmund, der überall bekannte König, erhielt, dies kann man nicht widerlegen, später einen Sohn von Sieglinde: Dies war Siegfried, der hochgestimmte, der starke und kluge, an dem später ein furchtbarer Mord begangen wurde, da ihn Hagen von Tronje auf mörderische Weise bei einem Brunnen erstach. Noch heute dauert er mich sehr.) „Rosengarten zu Worms“
„Lied vom hürnen Seyfrid“
Wolfgang Lazius
Gleichzeitig zeigt jedoch auch die negative Wertung Kriemhilds weiterhin Wirkung: Die verschiedenen Fassungen des heldenepischen „Rosengarten zu Worms“ etwa (seit dem 14. Jahrhundert überliefert, in der Hildebrandstrophe gedichtet) differieren zwar erheblich voneinander, sie zeichnen Kriemhild aber alle als eine Figur, die gegen die Normen der männlichen Protagonisten verstößt. Trotz der offensichtlichen Faszination, die von dieser Figur ausgeht, wird sie dem Text zufolge zu Recht für ihr transgressives Verhalten bestraft (Nolte 2004, 121–138, Lange 2009, 112–142, Klinger 2010). Dass die Nürnberger 1388 einer Kanone den Namen „Kriemhild“ gaben (Ehrismann 22002, 168), zeigt in die gleiche, Kriemhild einseitig negativ beurteilende Richtung. Parallel zu solchen Zeugnissen, die eine Auseinandersetzung mit dem „Nibelungenlied“ und der „Klage“ implizieren, zeigt etwa das „Lied vom hürnen Seyfrid“ (Holzbauer 2001), welches ebenfalls in der Hildebrandstrophe gedichtet ist, dass es im 16. Jahrhundert auch Nibelungendichtungen gab, die mit diesen beiden Texten kaum inhaltliche Übereinstimmungen aufweisen und wohl aus anderen, mündlichen Stofftraditionen schöpften. In diesem Text befreit Siegfried Kriemhild von einem Drachen, versenkt selbst den Hort in den Rhein und heiratet Kriemhild; einige Jahre später wird er von Hagen ermordet, der in diesem Text (wie auch in einigen Vertretern der nordischen Nibelungensage) sein Schwager, also ein Bruder Kriemhilds ist. Die Überlieferung des „Nibelungenliedes“ selbst bricht zu Anfang des 16. Jahrhunderts ab. Ganz vergessen wurde der Originaltext aber im 16. Jahrhundert nicht: Von der Handschrift c hat die Forschung nur deswegen Kenntnis, weil Ausschnitte aus ihr im Text des „De gentium aliquot migrationibus“ von Wolfgang Lazius (1557) publiziert wurden (vgl. „Uns ist in alten Mären“ 2003, 201 f., Heinzle 2003, 204 f.). Dieses Werk erlebte 1572 eine zweite Auflage, wodurch sichtbar wird, dass man auch im späten 16.
2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945
Jahrhundert gelegentlich das „Nibelungenlied“ rezipierte. In anderen Zeugnissen der „gelehrt-historiographischen Tradition“ (Henkel 2003, 144) lassen sich ebenfalls Belege für eine Auseinandersetzung mit dem Nibelungenstoff nachweisen. Bildliche Zeugnisse sind im 15. Jahrhundert auch außerhalb der Handschriften überliefert: Heinzle 1982 zeigt, dass auf Schloss Runkelstein um 1400 u. a. Siegfried mit seinem Schwert Balmung dargestellt ist, Henkel 2003 beschreibt die Wandgemälde, die sich um 1500 im Rathaus in Worms befanden und die Siegfried, Kriemhild et alij gigantes (wörtlich: „und andere Riesen“) abbildeten. Auch die Münze in Worms trug im 15. Jahrhundert ein Bildnis Kriemhilds an der Fassade (vgl. für diese und weitere Wormser Zeugnisse auch Ehrismann 2005a). Insgesamt bleiben bildliche Darstellungen der Nibelungensage jedoch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine seltene Erscheinung.
Bildzeugnisse
2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945 Es ist auffällig, dass in den 150–200 Jahren nach den in Kapitel IV.1 erwähnten Hinweisen auf die Existenz einer Tradition des Nibelungenstoffes (späteres 16. Jahrhundert) kaum ein Interesse am „Nibelungenlied“ nachweisbar ist (einige Hinweise zusammengefasst bei Ehrismann 22002, 23, Sechtig 2008, 10–15, 26 f.). Dies änderte sich schlagartig um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Jahr 1755 entdeckte Jacob Hermann Obereit die Handschrift C in der Bibliothek der Grafen von Hohenems. Wenig später, im Jahr 1757, druckte Johann Jakob Bodmer einen Teil des „Nibelungenliedes“ und die „Nibelungenklage“ ab. Dem Fund der Handschrift C folgte bald die Entdeckung der Codices B (1768) und A (1779); dies löste sowohl eine rege Forschungstätigkeit als auch eine breitere allgemeine Rezeption des „Nibelungenliedes“ aus (vgl. Ehrismann 1986). Bodmers Begeisterung für die mittelalterlichen Werke bezog sich nicht auf den ersten Teil des „Nibelungenliedes“ (bis Strophe B 1639 = C 1692), den er aufgrund seiner vermeintlichen Weitläufigkeit für minderwertig hielt und dessen Zusammenhang mit dem zweiten Teil er bestritt. Er ersetzte ihn deswegen durch eine kurze Zusammenfassung des Geschehens, nicht zuletzt, um ihn damit dem Ideal antiker Erzählkunst anzugleichen: Bereits er verglich den Text (bzw. die Texte) mit Homer. Als Äußerung der Bewunderung für die griechische Antike ist auch die Tatsache zu werten, dass Bodmer 1767 eine Nacherzählung des Textes in Hexametern herstellte („Die Rache der Schwester“, zugänglich unter http://www.nibelungenrezeption.de/). In dieser Nachdichtung wird die Rachsucht Kriemhilds stärker hervorgehoben als in den ursprünglichen Werken, wie insbesondere zu Ende des Textes betont wird: Hier heißt es, Hildebrand „schlug, die so durstig nach Blut war“ (55). Der Ausdruck, das „Nibelungenlied“ sei eine „Teutsche Ilias“, ist (nach den genannten allgemeineren Vergleichen mit Homer) zuerst bei Johannes
Entdeckung der Handschriften
erste Begeisterung für das „Nibelungenlied“
die „Teutsche Ilias“
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
kritische Stimmen
Karl Simrock
Müller. Allerdings distanzierte sich Müller vom Vergleich des „Nibelungenliedes“ mit der „Ilias“, indem er 1825 angab, das „Nibelungenlied“ „könnte die Teutsche Ilias werden“ (Ehrismann 1986, 14, Hervorhebung N. M., in Anlehnung an Ehrismann 22002, 171; vgl. Pfalzgraf 2003). Auch August Wilhelm und Friedrich Schlegel, die versuchten, das „Nibelungenlied“ in ihre Theorie der Poesie und Mythologie zu integrieren, verwendeten in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung des „Nibelungenliedes“ als einer „Teutschen Ilias“ (Ehrismann 1986, 16, 18), differenzierten diese aber (Ehrismann 22002, 176). Der mittelalterliche Text wurde damit mit demjenigen Epos verglichen, „in welchem die Griechen ihre historische Legitimation und Identifikation als Volk fanden“ (Frembs 2001, 15): Von Anfang an wurde die Rezeption des „Nibelungenliedes“ als eines Ausdrucks des „deutsche[n] Nationalcharakter[s]“ in den Dienst der Verstärkung des Verlangens nach einer nationalen deutschen Einheit gestellt (Zitat aus einer Vorlesungsreihe von August Wilhelm Schlegel, nach Ehrismann 1986, 17), insbesondere in Abgrenzung von den Franzosen (vgl. auch das Zitat von Simrock, s. unten). Friedrich Heinrich von der Hagen bezeichnete den Text 1810 erstmalig als „Deutsches Nazionalepos“ (Ehrismann 1986, 20, ähnlich 99). So finden sich bereits in der Zeit der Napoleonischen Kriege die ersten Gleichsetzungen von Figuren des „Nibelungenliedes“ mit politisch aktuellen Personen bzw. Konstellationen: Johann August Zeune etwa verglich in seiner 1814 erschienenen Prosa-Nacherzählung des „Nibelungenliedes“ und der „Klage“ Deutschland mit Siegfried und Frankreich mit dem Drachen, den es zu besiegen gelte (Ehrismann 1986, 111). Auch Heinrich Heine setzte 1840 in seinem Gedicht „Deutschland“ Siegfried mit Deutschland gleich, allerdings nicht ohne ironische Untertöne (Härd 1996, 140 f., Münkler 2009, 74 f.; s. Grimm 2008 für weitere Beispiele). Gleichzeitig waren im 18. und 19. Jahrhundert nicht alle Gelehrten, Dichter und Politiker vom neu entdeckten ,Nationalepos‘ des „Nibelungenliedes“ begeistert. Berühmt sind die Äußerungen Friedrichs II., der 1784 empfahl, die mittelalterlichen Werke, die er „nicht einen Schuß Pulver werth“ erachtete, aus seiner Bibliothek „heraus[zu]schmeißen“ (der betreffende Brief ist abgedruckt bei Martin 1992, 6 und unter http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/ germanica/Chronologie/12Jh/Nibelungen/nib_mein.html). Hegel (1842/ 2 1966, II 418 f.) zeigte sich dem Text gegenüber eher reserviert (vgl. allerdings ebd., 461 f.). Goethes anfängliches Desinteresse änderte sich dagegen unter anderem durch Karl Simrocks ,Übersetzung‘ des Textes (s. unten), die Goethe zur Skizze einer Rezension des „Nibelungenliedes“ veranlasste (s. Grimm, http://www.nibelungenrezeption/). Karl Simrocks ,Übersetzung‘ des Textes in Versen, die zuerst 1827 erschien, genießt auch heute noch einige Bekanntheit, wohl nicht zuletzt deswegen, weil sie im Netz vorhanden ist (in der Ausgabe von 1868 unter http://www.hs-augsburg.de/~Harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Simrock/ sim_ni00.html). Dass Simrock das „Nibelungenlied“ als „Feld- und Zeltpoesie“ bezeichnete, mit der man „Armeen aus der Erde stampfen [könne], wenn es den Verwüstern des Reichs, den gallischen Mordbrennern, der römischen Anmaßung zu wehren“ gelte (Simrock in seiner Ausgabe der Texte Walthers von der Vogelweide, die 1870 erschien; zitiert nach Ehrismann
2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945 2
2002, 181), sollte zu einiger Vorsicht in der Beurteilung dieser ,Übersetzung‘ ermahnen. Wagner veröffentlichte 1848–1852 den Text seines „Ring des Nibelungen“, bei dem er bekanntlich nicht auf das „Nibelungenlied“ selbst, sondern auf ältere Nibelungensagen zurückgriff (s. z. B. Müller/Panagl 2002, Mertens 2003). Der germanische Gott Wotan erscheint hier als eine die Geschicke der Welt beeinflussende, letztlich aber machtlose Größe. Siegfried und Brünhild sind sich in Wagners Remythisierung des Stoffes bereits begegnet, bevor Siegfried Kriemhild kennen lernt und Brünhild durch einen magischen Trank vergisst. Der machtverleihende Ring, der Bestandteil des bei Wagner eine zentrale Rolle einnehmenden Hortes ist, erhält magische und mythische Dimensionen. Auch formal bezog sich Wagner durch seine Verwendung des Stabreims eher auf die vorhöfischen skandinavischen Fassungen des Stoffes als auf das „Nibelungenlied“ selbst. Wagners „Ring“ beeinflusste die Wahrnehmung der Nibelungensage in den nachfolgenden Jahrzehnten maßgeblich, verunklärte aber gleichzeitig die Züge, die der Stoff im mittelalterlichen „Nibelungenlied“ angenommen hatte. Zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Original des „Nibelungenliedes“ trug Wagners „Ring“ kaum bei. Hebbel versucht in seinem dreiteiligen Trauerspiel „Die Nibelungen“ (1855–1860 entstanden, 1862 publiziert) eigenen Aussagen zufolge, dem mittelalterlichen „Nibelungenlied“ näher zu bleiben als Wagner (Hebbel 1862/1959, 3; zur Kontroverse zwischen Wagner und Hebbel s. N. Müller 1991). Dass er sich „eng“ an seine Vorlage gehalten habe (N. Müller 1991, 23; vgl. Mühlher 1987, 19), überzeugt nicht; obwohl Hebbels Interesse nicht dem mythologischen Gehalt der nordischen Tradition galt, verzichtete er z. B. nicht auf das Hinzufügen einer früheren Begegnung von Brunhild und Siegfried (Glaser 2003, 450). Siegfried äußert, „Brunhild rührte, wie sie droben stand / In aller ihrer Schönheit nicht mein Herz“ (Hebbel 1862/ 1959, 25, I.4). Er weigert sich somit, die mythische Vorbestimmtheit der Verbindung zwischen ihm und Brunhild zu akzeptieren, und verabsolutiert seine Liebe zur ihm nicht ebenbürtigen Kriemhild. Diese wird insofern von einer Mitschuld an seinem Tod entlastet, als Siegfried selbst darauf hinweist, dass sein Körper eine verwundbare Stelle habe. Hebbels Fassung ist im Vergleich zum Original deutlicher als „Kampf der Geschlechter“ pointiert (Nolte 2004, 168). Siegfried zeigt sich empört bei der Vorstellung, er könne die Geheimnisse um Gunthers Brautwerbung verraten: „Hagen (legt den Finger auf den Mund, sieht Siegfried an und schlägt ans Schwert). Siegfried. Bin ich ein Weib? In Ewigkeit kein Wort!“ (Hebbel 1862/1959, 26, I.4). Fortgesetzt werden diese misogynen Hinweise kurz bevor Siegfried Brunhild (hier: in der ersten Brautnacht) überwindet, wobei in Hebbels Fassung Hagen die Initiative ergreift, Siegfried um Hilfe zu bitten (Sechtig 2008, 101):
Siegfried. Ich tu’s nicht gern! Wer hätt’ sich das gedacht! Und dennoch lag’s So nah! Oh, dreimal heilige Natur! Mich widert’s, wie noch nie in meinem Leben, Doch was du sagst, hat Grund, und also sei’s. Gunther. Ich gebe meiner Mutter einen Wink –
Richard Wagner
Friedrich Hebbel
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte Hagen. Nein! Nein! Kein Weib! Wir stehen allhier zu dreien Und haben, hoff’ich, keine einz’ge Zunge, Der vierte in unsrem Bunde sei der Tod! (Hebbel 1862/1959, 51, II.8).
Konsequent ist somit, dass Hagen nach dem Streit der Königinnen zum Ausdruck bringt: „Er hat geschwatzt!“ (Hebbel 1862/1959, 64, III.8; vgl. 163, IV.4). Deutlicher als dies im Original der Fall ist, wird Siegfried somit die Verantwortung für die Eskalation der Ereignisse zugeschrieben. Dabei gilt, dass die Weiblichkeitsentwürfe Kriemhilds und Brunhilds sehr stark verschieden sind (vgl. Nolte 2004, 153–170). Brunhild, die getauft ist und sich an den alten Glauben kaum erinnern kann, wird in Worms zunächst mit Kriemhild kontrastiert; sie muss sich von Kriemhild ,typisch weibliche‘ Tätigkeiten wie das Sticken beibringen lassen (Hebbel 1862/ 1959, 60). Sie wird von Kriemhild herablassend als „Mannweib“ bezeichnet (ebd., 62, III.6). Hagen jedoch erkennt Brunhild als ebenbürtig an und spricht sie an mit „Du edles Heldenbild, / Du einz’ges, dem auch ich mich willig beuge“ (ebd., 65, III.9). Obwohl Kriemhild nach Siegfrieds Tod stark dämonisiert wird, auch von ihrer Mutter Ute, zeigt sich Hagen von Kriemhilds Racheplänen wenig beeindruckt und provoziert sie mit sexuell anzüglichen Anspielungen („Zu Bett! Zu Bett / Du hast jetzt andre Pflichten“, ebd., 159, IV.3; vgl. 186, V.8). Aufschlussreich ist, dass Kriemhild am Schluss des Textes in einem längeren Monolog angibt, es habe sie lediglich das Verhalten der Burgunden ohne Rücksicht handeln lassen, sie sei der „Widerschein“ der Mörder Siegfrieds (Sechtig 2008, 122): Was schiltst du mich? Doch schilt mich nur: Du triffst, was du gewiß nicht treffen willst, Denn was ich bin, das wurde ich durch die, Die ihr der Strafe gern entziehen möchtet, Und wenn ich Blut vergieße, bis die Erde Ertrinkt, und einen Berg von Leichen türme, Bis man sie auf dem Mond begraben kann, So häuf ich ihre Schuld, die meine nicht. Oh, zeigt mir nur mein Bild! Ich schaudre nicht Davor zurück, denn jeder Zug verklagt Die Basilisken dort, nicht mich. Sie haben Mir die Gedanken umgefärbt. Bin ich Verräterisch und falsch? Sie lehrten mich, Wie man den Helden in die Falle lockt. Und bin ich für des Mitleids Stimme taub? Sie waren’s, als sogar der Stein zerschmolz. Ich bin in allem nur ihr Widerschein, Und wer den Teufel haßt, der spuckt den Spiegel Nicht an, den er befleckt mit seiner Larve, Er schlägt ihn selbst und jagt ihn aus der Welt (Hebbel 1862/1959, 185, V.6).
Es wird Kriemhild auf diese Art und Weise zu Ende von Hebbels Werk deutlich stärker entlastet, als dies im Original des „Nibelungenliedes“ geschieht (vgl. „Kinder der Nibelungen“ 2007, 29). Dennoch lässt die Sympathielenkung wenig Zweifel daran, dass Hildebrands „Zurück zur Hölle!“ (Hebbel 1862/1959, 198, V.14) die einzig angebrachte Reaktion auf Kriemhilds Verhalten ist. Das letzte Wort äußert jedoch Dietrich; sein Segenswunsch überführt die mythische sowie die heroische Geschichte in eine Perspektive auf
2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945
eine christliche Fortsetzung. Durch diese Eröffnung „eine[r] welthistorische[n] Perspektive“ gelang es Hebbel, den Stoff weitgehend „aus dem nationalistischen Dunstkreis herauszuhalten“, obwohl er den Ursprungstext als Nationalepos bezeichnete (Ehrismann 2006, 15; ähnlich Glaser 2003, 446 f.); es fällt allerdings die sehr negative Darstellung der Hunnen im Vergleich zu den „deutsche[n] Eichen“ auf (Hebbel 1862/1959, 149 f., III.8–9, das Zitat 150). Ganz andere Ziele verfolgte Felix Dahn, der als Beispiel für eine Rezeption des „Nibelungenliedes“ genannt werden kann, die den Untergang Deutschlands im Kampf gegen fremde Truppen fatalistisch bejaht und bewusst verherrlicht. Münkler 2009, 79 bezeichnet in diesem Zusammenhang die „Todeserotik und Schicksalsbejahung“ als „von jeher probate Mittel, um die Kampfbereitschaft der Soldaten zu steigern und sie dann weiterkämpfen zu lassen, wenn die Niederlage feststand und alles für die Kapitulation sprach“. Als Nachweis mag ein Ausschnitt aus Dahns „Deutschen Liedern“ dienen („Uns wenn’s beschlossen ist“, 1859, s. Ehrismann 1986, 169; zitiert nach Münkler 2009, 80):
Felix Dahn
Dann siegt der Feind: – doch mit Entsetzen, und triumphieren soll er nicht! Kämpft bis die letzte Fahn’ in Fetzen, kämpft bis die letzte Klinge bricht, Kämpft bis der letzte Streich geschlagen ins letzte deutsche Herzblutrot, Und lachend, wie der grimme Hagen, springt in die Schwerter und den Tod. Wir stiegen auf in Kampfgewittern, der Heldentod ist unser Recht: Die Erde soll im Kern erzittern, wann fällt ihr tapferstes Geschlecht: Brach Etzels Haus in Glut zusammen, als er die Nibelungen zwang, So soll Europa stehn in Flammen bei der Germanen Untergang!
Es braucht nach den Ausführungen in Kapitel II–III kaum betont zu werden, dass der „grimme Hagen“ (vgl. S. 42) im „Nibelungenlied“ kaum „lachend“ „in die Schwerter und den Tod“ gesprungen ist. Verwendet werden tendenziös interpretierte Versatzstücke aus dem Text, ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung im ursprünglichen Kontext. Insgesamt verlagert sich bei den zu politischen Zwecken funktionalisierten Rezeptionszeugnissen des „Nibelungenliedes“, auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das Interesse auf die männlichen Hauptfiguren, „da Frauen politisch keine Rolle spielten“ (Münkler 2009, 87). Selten werden Hinweise auf die weiblichen Protagonisten eingefügt, und diese fallen häufig pauschalisierend negativ aus: So lässt Felix Dahn in einem anderen seiner Gedichte, „Hagens Sterbelied“ (1859), Hagen äußern, „So sei’n verflucht die Weiber, Weib ist, was falsch und schlecht: / Hier um zwei weiße Leiber verdirbt Burgunds Geschlecht“ (zitiert nach ebd.). Seit dem Sieg gegen Frankreich und der Reichsgründung im Jahr 1871 steigerte sich der Nationalismus in Deutschland deutlich. Die neue Einheit Deutschlands führte zu einem neuen Nationalbewusstsein, das sich zu sei-
Nationalbewusstsein
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Nibelungentreue
ner Legitimation gerade auf das Mittelalter bzw. auf die staufische Herrschaft berief. In dieser Zeit wird die 1837 zuerst gemutmaßte Identität von Siegfried und dem Cherusker-Fürsten Arminius verstärkt propagiert (Kösters 2009, 286). Nach deutlich früheren Entwürfen zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde 1875 das Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald eingeweiht, welches in seiner endgültigen Form eindeutig als Symbol des Sieges über Frankreich diente. Dabei spielte nicht nur die Gleichsetzung von Arminius und Kaiser Wilhelm I. eine Rolle, es könnte außerdem die Erinnerung an die Gleichsetzung von Arminius und Siegfried mitgeschwungen haben, auch wenn eine solche explizite Identifikation im Zusammenhang mit dem Denkmal fehlt (ebd., 235–247). Durch Akzentverlagerungen bei der Auswahl und Wertung der einzelnen Figuren konnten sehr widersprüchliche propagandistische Rezeptionsweisen des Nibelungenstoffes entstehen (Wunderlich 1977, 64 spricht von „Bedarfsmanipulationen“): Härd 1996, 158, Grimm 2008, 220 und Münkler 2009, 76, 85 f. stellen zum Beispiel dar, dass Otto von Bismarck ({ 1898) ebenso gut (als treuer Berater des Kaisers) mit Hagen identifiziert werden konnte wie mit Siegfried (als ,Schmied des Reiches‘ und als derjenige, der die Rolle Siegfrieds als eines Drachentöters einnehmen solle). Vermerkt sei, dass die Zeugnisse für die Nibelungenrezeption in dieser Zeit oft nicht das mittelalterliche „Nibelungenlied“ selbst betreffen, sondern vielmehr den Stoff in Wagners Überarbeitung. Im Jahr 1909 benannte Bernhard von Bülow das deutsche Bündnis mit Österreich-Ungarn als ein Verhältnis der „Nibelungentreue“. Münkler 2009, 81 stellt von Bülows Kalkül dar, der in Österreich-Ungarn lediglich eine „Schachfigur“ sah, „die von Deutschland gezogen wurde“ (ebd., 82). 1914 griff Franz von Liszt den Begriff in einer Rede wieder auf und bezeichnete das „Nibelungenlied“ als „das Hohelied von Heldenmut und Heldentreue […]. Diese Treue zu halten, dem Freunde Freund zu sein bis zum äußersten, dem Feinde Feind zu sein bis zum äußersten: das ist deutsche Art, das ist Nibelungentreue. Und so soll unsere Lösung auch fernerhin sein: Durch Treue zum Sieg“ (zitiert nach Münkler 2009, 84). Jedoch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass der Bezug auf das „Nibelungenlied“ allenfalls diffus ist. Wilhelm Scherer (1916) bezieht den Begriff der „Nibelungentreue“ auf das Verhältnis zwischen Rüdiger und Siegfried, die gegen den die Franzosen verkörpernden Gunther kämpfen (Wunderlich 1977, 65 f.). Franz von Liszt referiert 1914 vielmehr an Volker und Hagen (s. Wunderlich 1977, 64, Ehrismann 1986, 136, Münkler/Storch 1988, 75). Andere sehen die „Nibelungentreue“ im Verhältnis zwischen Gunther und Hagen repräsentiert (vgl. Frembs 2001, 54, 56 f. zur Kaisertreue). Da diese drei Verhältnisse sowohl in Bezug auf die sozialen Hierarchien der Figuren als auch hinsichtlich der Darstellung und der Konsequenzen der jeweiligen Treue völlig verschieden sind, ist schwer fassbar, welche genaue Bedeutung dem Begriff der „Nibelungentreue“ zu Anfang des 20. Jahrhunderts verliehen wurde. Der Terminus „Nibelungentreue“ ist bis heute stark von seinem Missbrauch zur Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs gefärbt: Während die gegenseitige Treue von Fürst und Vasall (und von Freund zu Freund) im „Nibelungenlied“ ein positiver Wert ist, auch wenn durch sie die Katastrophe unabwendbar
2. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ von ca. 1750–1945
wird, betont die Definition des Begriffs „Nibelungentreue“ seit dem Ersten Weltkrieg insbesondere die Aspekte der bedingungslosen und unhinterfragten Folgsamkeit (Härd 1996, 164–167). – Die Bezeichnung der neuen Defensivstellungen am Chemin des Dames als „Siegfriedlinie“ dagegen sollte den deutschen Soldaten eine Identifikation mit Siegfrieds (angeblicher) Unbesiegbarkeit ermöglichen, wobei der Rückzug auf die Siegfriedlinie in Wirklichkeit allerdings gerade den Zusammenbruch der Front vorbereitete (Münkler 2009, 95 f.; zu den satirischen englischen Liedern, die als Reaktion auf den Begriff der Siegfriedlinie entstanden, s. Hoffmann 1998, 146). Auffällig ist, dass die Niederlage im Ersten Weltkrieg die Tendenzen, das „Nibelungenlied“ im Sinne einer nationalistischen Identitätsfindung zu funktionalisieren, noch verstärkte: Die Dolchstoßlegende wurde zur Chiffre für die Behauptung, „das vom Feind unbezwungene Heer [z. B. an der Siegfriedlinie] sei durch die Revolution in der Heimat gemeuchelt worden“ (Münkler 2009, 97; zur Verschiebung vom Speer auf den Dolch, der eine stärker verleumdende Intensität impliziert, s. ebd., 98 f., Hoffmann 1998, 147). Hitler selbst spricht in „Mein Kampf“ explizit davon, dass „der kämpfende Siegfried dem hinterhältigen Dolchstoß erlag“ (zitiert nach Wunderlich 1977, 72). In der Kombination eigener Überlegenheitsgefühle des deutschen Volkes und der Abwertung anderer Völker bzw. Rassen erreicht diese Tendenz der Nationalisierung seit Hitlers Machtergreifung Höhepunkte, die auch heute noch Betroffenheit auslösen. „Kinder lieben den Märchenhelden Siegfried, den Starken, Treuen, Mutigen und hassen aus ganzem Herzen Hagen, seinen Mörder. Dies ist eine Tatsache, die für die rassische Erziehung wichtig ist“, heißt es in einem Unterrichtshandbuch, das 1939 erschien (Wunderlich 1977, 92). Josting 1995, 125 zitiert dagegen ein Zeugnis aus dem Jahr 1939, in dem angegeben wird, „Deutschland mit der Wachsamkeit und der Umsicht eines Hagen und mit der idealen, unwiderstehlichen Stoßkraft eines Siegfried ist unbezwingbar“: Die Verschmelzung der beiden Figuren trotz ihrer gegensätzlichen Interessen hat hier völlig beliebige Züge. – Es sollte nicht verschwiegen werden, dass sich vereinzelt auch Germanisten, so z. B. Gustav Roethe und Hans Naumann, an der Propagierung nationalsozialistischen Gedankenguts unter Verwendung des „Nibelungenliedes“ beteiligten (Ehrismann 1986, 259, Engster 1986, Hoffmann 1998, 150 f.). Als besonders eindringliches und einflussreiches Beispiel für die propagandistische Instrumentalisierung des „Nibelungenliedes“, die den Bezug zum Text nahezu völlig verliert, kann Hermann Görings Stalingradrede genannt werden (Krüger 1991/2003). Als die deutschen Truppen 1943 in Stalingrad bereits aufgegeben worden waren, kommentierte Göring in einer Ansprache am 30. Januar, die im Rundfunk ausgestrahlt wurde sowie in schriftlicher Form am 3. Februar im „Völkischen Beobachter“ erschien (zitiert nach Münkler 2009, 104): Wir kennen ein gewaltiges Heldenlied von einem Kampf ohnegleichen, es heißt „Der Kampf der Nibelungen“. Auch sie standen in einer Halle voll Feuer und Brand, löschten den Durst mit dem eigenen Blut, aber sie kämpften bis zum Letzten. Ein solcher Kampf tobt heute dort, und noch in tausend Jahren wird jeder Deutsche mit heiligem Schauer von diesem Kampf in Ehrfurcht sprechen und sich erinnern, daß dort trotz allem Deutschlands Sieg errungen worden ist.
Dolchstoßlegende
Hermann Göring
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Das Zynische an dieser Äußerung ist, dass die Soldaten in Stalingrad ohne den Führer und ohne Hermann Göring kämpften, während die Burgundenkönige am Kampf in Etzels Saal beteiligt waren. Die Aufforderung zum Kampf „bis zum Letzten“ erfolgt somit aus sicherer Entfernung und betrifft (anders als im „Nibelungenlied“) nicht diejenigen, die für den Kampf hauptverantwortlich waren. Bei Hitlers Verbot der Kapitulation in Stalingrad, durch die zehntausende Menschenleben hätten gerettet werden können, mögen Erinnerungen an Wagners „Götterdämmerung“ mitgeschwungen haben, an die Vorstellung eines Weltenbrandes am Ende der Zeiten (Münkler 2009, 106). Es nimmt vor diesem Hintergrund nicht Wunder, dass diejenigen, die in ihren künstlerischen Umsetzungen des Nibelungenstoffes nicht bereit waren, den heroisierenden Idealen der Überlegenheit des germanischen bzw. arischen Volkes zu folgen, mit Schwierigkeiten zu rechnen hatten: Ernst Barlachs Zeichnungen zum „Nibelungenlied“, die insbesondere die „gefesselte oder entfesselte infernalische Natur des Menschen“ darstellen, wurden 1935 als entartete Kunst disqualifiziert (Schulte-Wülwer 1980, 168, 174).
3. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ seit 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg
Lechners Nacherzählung für Jugendliche
Das Trauma des Zweiten Weltkriegs führte trotz des (aus Sicht der Nachkriegszeit) eklatanten Missbrauchs des „Nibelungenliedes“ nicht sofort, sondern allenfalls allmählich zu einer Abkehr von dessen Lektüre und Erforschung. So vermerkte Ulrich Pretzel in seiner Neuauflage von Lachmanns Edition der Handschrift A, die 1948 erschien: „Jeder Neudruck des Nibelungenliedes, der sich in diesen bitteren Notzeiten irgendwo ermöglichen läßt, nicht zuletzt auch der ,großen‘ Lachmannschen Ausgabe, wird von allen, die nicht gleich einen Kehraus der ganzen großen deutschen Vergangenheit wünschen, warm begrüßt werden“ (Vorwort, ohne Seitenzahl). Indem man von der Suche nach Elementen germanischer Mythologie abrückte und zum Text zurückkehrte, wurde der Blick sowohl in der Forschung als auch in der produktiven Rezeption frei für neue Interpretationen. Dass diese durchaus auch ironisch sein konnten (ohne dass sie insgesamt etwa Siegfried „destruiert“ hätten, wie von Grimm 2008, 229 angegeben), wurde von Schmidt 2006 dargestellt. Auguste Lechners Nacherzählung des Textes (nach C) erschien erstmalig 1951; es ist erstaunlich, dass ihre so deutlich von der nationalsozialistischen Ideologie geprägte Fassung bis heute unhinterfragt rezipiert wird. In deutlichem Gegensatz zum „Nibelungenlied“ werden die Hunnen etwa als ein minderwertiges Volk, ja als eine minderwertige Rasse dargestellt (vgl. Rolfes 2005, 105–107, Karg 2008, 409): oh, helf Gott! Was waren das für seltsame, unheimliche Gesellen, die da geritten kamen? Wie Katzen hockten sie geduckt auf ihren Pferden […]. Mit wonnigem Grauen starrten die Buben auf die fremden Reiter. Gesichter, so gelb wie Lehm, geschlitzte Augen, die sonderbar schief über den breiten Backenknochen standen, der Schnurrbart hing lang und dünn an den Mundwinkeln herab und die Haare auf ihren Köpfen waren ein Gewirr von schwarzen Strähnen, die tief in die Stirne und in den Nacken reichten. Und wie es zuging in dem regellosen Haufen! (Lechner 1951/212002, 124).
3. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ seit 1945 Hatte er sich doch wahrhaftig von diesen gelbhäutigen Burschen da drunten ins Bockshorn jagen lassen! Es war freilich kein Wunder, wenn man sie ansah, wie sie in ihren Tierfellen auf den Gäulen hockten, so als wären sie gar keine ehrlichen Menschen, sondern Waldschrate oder sonst elbische Wesen (125). Ihre schwarzen Augen blickten scheinbar ausdruckslos aus schmalen Schlitzen (127; vgl. 171). Von drunten stieg dieses höllische [!], ohrenzerreißende Geheul zu ihr [= Kriemhild] herauf, das sie nun schon kannte, dieses grässliche markerschütternde Freudengeschrei der Hunnenkrieger. […] Draußen auf dem Gang klang ein Schritt. Gottlob, das waren nicht schleichende Hunnenfüße, das klirrte wie Stahlschienen und Harnisch und Schwert! […] Rüdiger stand vor ihr […]. (137 f.; vgl. 134 f.). „Kriemhild schickt uns ihre schlitzäugigen Steppenwölfe“, sagte er [= Hagen] (145; vgl. 129); „endlich wieder einmal ehrliche Gesichter“, rief Hagen, als er sie [= Dietrich und Hildebrand] erkannte (164).
Es verwundert nicht, dass Siegfried in Lechners Nacherzählung blond ist (34, 41), wie auch Kriemhild (36, 37). – Neben der unzulässigen Gegenüberstellung von Burgunden und Hunnen fällt auf, dass Lechner die Figuren bewusst nach dem Verständnis der damaligen Zeit psychologisiert (vgl. die bei Rolfes 2005, 57 zitierten Selbstaussagen Lechners). Durch die ausführliche Darstellung von Siegfrieds Jugend, die im „Nibelungenlied“ kaum eine Basis hat (5–34), wird die Aufmerksamkeit zunächst von Kriemhild auf Siegfried verlagert. Die vielfachen inneren Monologe bieten sowohl für Siegfried als auch für Kriemhild ein Identifikationspotenzial, das im Falle der Kriemhild allerdings stark auf die allmähliche Entwicklung einer psychischen Krankheit hinarbeitet (Rolfes 2005, 75; vgl. bei Lechner 143, 161, 206 f.). Da Kriemhild dieser Besessenheit schutzlos ausgeliefert ist, wird sie als „unzurechnungsfähig“ dargestellt (Rolfes 2005, 76) und verliert damit einen großen Teil ihres ambivalenten und zerstörerischen Potenzials. In der Nachkriegszeit nahm die Zahl ,jugendgerechter‘ Nacherzählungen des „Nibelungenliedes“ zu. Franz Fühmann (1971 zuerst erschienen), Alfred Carl Groeger (1986 zuerst erschienen) und Willi Fährmann (1987 zuerst erschienen) erlauben sich größere Freiheiten gegenüber dem Originaltext. So liebt Brünhild Siegfried bei Fühmann 1971/2005, 33 und ist ihm bereits früher begegnet; Groeger 1986, 19 behauptet, der Ring, den Siegfried Brünhild in der zweiten Brautnacht stiehlt, habe Zauberkräfte verliehen; und bei Fährmann 1987/2002, 11 verbringt Siegfried einen Teil seiner Jugend beim Schmied Mime. Michael Köhlmeyer (1999 zuerst erschienen) geht ausführlichst auf Siegfrieds Jugendgeschichte ein, lässt viele subjektive Urteile über die Psyche der Figuren einfließen und verkürzt den zweiten Teil des „Nibelungenliedes“ auf wenige Seiten, denn „diese militärischen Dinge […] faszinieren mich wenig“ (114). Aufgrund der Tatsache, dass anhand von Köhlmeyers und Lechners Nacherzählungen Hörbücher hergestellt worden sind, ist die Nachwirkung der vom Originaltext erheblich abweichenden Werke nicht zu unterschätzen. – Auch Wolfgang Hohlbeins Jugendroman (1986 zuerst erschienen) entfernt sich weit vom Ursprungstext, indem hier insbesondere das Motiv einer Liebe Hagens zu Kriemhild entfaltet wird. Unter den modernen Nacherzählungen erfüllt insbesondere der Text von Uwe Johnson und Manfred Bierwisch (2006) den Zweck einer einigermaßen neutralen und textnahen Wiedergabe des „Nibelungenliedes“; Gleiches
weitere Nacherzählungen für Jugendliche
Nacherzählungen für Erwachsene
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Arno Schmidt
gilt für Otfrid Ehrismanns Nacherzählung (2007), jedoch ist hier lediglich der erste Teil des „Nibelungenliedes“ enthalten (der zweite Teil wird auf vier Seiten zusammengefasst). Auch Franz Specht (2009) bearbeitet lediglich den ersten Teil des „Nibelungenliedes“, und zwar mit Blick auf den DaF-/DaZ-Unterricht, reduziert dabei aber verständlicherweise die Komplexität des Stoffes erheblich. Ralf Nievelstein und Matthias Rummel (2010) folgen dem Verlauf des vollständigen Textes, formulieren und interpretieren bzw. kommentieren ihn aber im Einzelnen recht frei; die schönen Illustrationen fingieren, die Miniaturen einer um 1200 entstandenen Handschrift wiederzugeben. Als ein höchst reflektiertes und kritisches Beispiel für die produktive Rezeption des „Nibelungenliedes“ sei Arno Schmidts „KAFF. Auch MARE CRISIUM“ kurz besprochen (vgl. Damaschke 1986, Miedema 22000, 147 f., 173). Frembs 2001, 140 verkennt das Potenzial des Romans, wenn sie ihn als Zeugnis für die „Parodien auf das Epos, in Form von Satire und Persiflage“ bezeichnet: Schmidts 1960 entstandenes Werk parodiert weniger das „Nibelungenlied“ selbst als vielmehr das Bedürfnis nach einem identitätsstiftenden nationalen Epos, wie es gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitet war. In „KAFF“ erfindet der Ich-Erzähler Karl Richter, der seine Freundin Hertha Theunert unterhalten und beeindrucken möchte, eine Geschichte, die sich auf dem Mond abspielt, nachdem die Erde im Dritten Weltkrieg durch „Schtrahlunk“ (Schmidt 1960/2005, 90) vernichtet worden ist. Auf dem Mond fristet eine amerikanische Kolonie, die aus 994 Menschen besteht, ein eher elendes Dasein, das neuen Aufschwung erhält, als der „Dichter & Benenner“ Frederick T. Lawrence sein neues „Epos“, ein „Heldengedicht aus dem ,Great Old War‘ von 40–45“ (28), vorträgt, „1 Werk, das der USA=Dichtung Ehre“ mache (43), ein „neue[s], umfassend= nazionale[s] Roman=Epos“ (98; Kursivierungen hier und im Folgenden wie im Original), ein Stück „Natzjonnahle Poesie“ (107), ein „große[s], natz=jonale[s] Eh=Poss […], das […] alle Juh=Eß=Äi=Tugenden zusammenfasse : ebenso zukumftweisend; wie der großen Vergangenheit amerikanischer Siegeszüge übervoll“ (180). Der Ich-Erzähler in der Binnengeschichte, Charles Hampden, skizziert, wie das Epos um 1948 die WAC „Cream=hilled“ in Heidelberg auftreten lässt (100). Seine starke Reduktion der Geschichte hebt Dillerts (= Siegfrieds) Heldentaten hervor, um anschließend die beiden WAC’s in Streit geraten zu lassen (104 f.): Beide trafen sich, wie von ungefähr, an derselben Bade=Schtelle im Rhein. Und Jede wollte die Andere mit ihrer Schönheit beschämen. Und sie zeigen sich, in wie=zufällijen Bückungen & Drehungen / Wenn=dungen, aber auch schlechterdinx AL=LÄSS! […] : Denn wenn Brown=hilled auch glänzend trainiert war; und zur Apwexlunk unschätzbar sein mochte – : Cream=hilled hatte nicht umsonst bei einer Schönheiz= Konkurrenz the biggest titties in the country gehabt. 1 Artikel, in dem die sehnije Schportlerin besonders weenich vermochte.
Nach Dillerts Ermordung wird die schwangere Cream=hilled nach Berlin versetzt, „[u]nd ließ sich dort, nur noch Haß & Wuut, mit den Russn ein !“ (107). Nachdem sie die „arglosen Boys“ aus Heidelberg (107) nach Berlin eingeladen hat, legt Cream=hilled, „in jeder Hand einen Molotoff=Cocktail“, „eigenhändich Feuer an die Hotel=Baracke“ (109). Angeblich habe
3. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“ seit 1945
auf Erden so „der letzte Krieg angefangn; allegorisch genuck also : daß wegen 1 ,Miss Germany‘ die ganze Welt in Flammen aufgehen mußte !“ (109). Charles und sein Freund George diskutieren daraufhin die Geschichte, insbesondere die Rolle von H. G. Trunnion [= Hagen]: „Das kann kein echter Juh=Eß= Boy gewesen sein“ – „Aber in Börrlinn hat sich der Trunnion dann doch wieder gans vorbildlich benomm’, George – ich weiß nich : mir hat er gefalln !“ (109). Charles bringt das neue Nationalepos mit in die russische Kolonie, die sich ebenfalls auf dem Mond befindet (im Mare Crisium) und die in allem der „rückschtändichen“ (vgl. 293) amerikanischen bzw. „Aabmdlendisch= kristliche[n] Kulltour“ (318) auf dem Mond überlegen ist. So ist es peinlicherweise ein Vertreter der russischen Kolonie, der Lawrence’s Epos bereits beim ersten Anhören als eine Nacherzählung entlarvt, da die Russen, anders als die Amerikaner, über eine Übersetzung des Textes verfügen: „Äß iesd’och 1 so alltäß Schtück – : Wo=tsu?“ (319). Der russische Gesandte legt Charles seinerseits „1 Epos […] Aus dem ,Großen Vaterländischen Kriege‘ von 41–45“ vor (323), und zwar „Gleich zwei=schprachich“ (323) – in der anschließend vom Russen erzählten Geschichte kann man eine (ebenfalls aktualisierte) Nacherzählung von Teilen des „Cid“ erkennen, eines altspanischen Textes, den Schmidt offensichtlich in Herders Übersetzung verwendete. Textintern erkennt Hertha diese Quelle nicht, es fehlt insgesamt jeder Hinweis auf den „Cid“: „Was iss’nn das, was Der vor=geleesn hat ? – Da schtimmt’och oo was nie, Du“ (328). Dies veranlasst Karl zum „bitter[en]“ Kommentar: „Das heißt man ,Bill=Dung‘ in der Bundes=Rehpuhblick !“ (ebd.). Die Rezipienten von Schmidts Text sind damit aufgefordert, das Rätsel, was denn mit dem russischen Nationalepos nicht stimme, zu lösen, wenn sie sich nicht ebenfalls mangelnde „Bill=Dung“ vorwerfen lassen wollen. Kritisiert werden von Schmidt nicht nur das Bedürfnis nach Nationalmythen und die manipulative Kraft, die von ihnen ausgeht („wie diese ,Natzjonnahle Poesie‘ selbst den besten Menschen verrohen kann : sogar=ich [= Charles] war ja 1 Momment anfällich gewordn. Also auf=passn“, 107), sondern, jenseits aller satirischen Elemente, auch die mangelnde Allgemeinbildung aller intra- und extradiegetischen Rezipienten, die die Quellen für solche Nationaldichtungen nicht erkennen. Als „literarische Reflexion der Rezeptionsgeschichte“ des „Nibelungenliedes“ (Damaschke 1986, 9) ist Schmidts Roman ein einmalig anspruchsvolles kritisches Zeugnis, indem er nicht nur auf der Ebene der im Text nacherzählten ,Nationalepen‘ die tendenziöse Wiederverwendung alter Stoffe anprangert, sondern außerdem durchzogen ist von einer Reihe struktureller Parallelen zwischen dem „Nibelungenlied“ bzw. Nibelungenstoff einerseits und der von Karl Richter erzählten Geschichte über Charles Hampden sowie auch Karls eigener Geschichte andererseits (Damaschke 1986, 9 f.). Die im „Nibelungenlied“ offensichtliche Vermischung früh- und hochmittelalterlicher Elemente veranlasste Jürgen Lodemann in seinem Roman „Siegfried und Krimhild“ (2002) dazu, den Text völlig neu zu interpretieren, um damit der angeblich eigentlichen (d. h. vor-schriftlichen und insbesondere vor-höfischen) Gestalt der Geschichte näher zu kommen (vgl. auch Lodemann 1986). Seine vehemente Ablehnung der römisch-katholischen Kirche,
„Nibelungenlied“ und Allgemeinbildung
Jürgen Lodemann
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Wormser Festspiele
Filme
die ein sinnenfrohes germanisches Heidentum wie auch das liberalere irische Christentum verdrängt habe (Ehrismann 2006, 22), lässt Siegfried zu einem ebenso gelehrten, auf Frieden bedachten wie auch spontan-sinnesfrohen „Hoffnungsmensch[en]“ werden (Lodemann 32002, 593), der Kriemhild als seine ihm ebenbürtige Verbündete gewinnt, während Gunther für Brünhild, die Freya-Frau, in nahezu überzogener Weise ein unangemessener Bewerber ist. Hoffmann 1998, 140 f. äußert sich zu Lodemanns Werken sehr kritisch: „prejudice and antipathy constitute a poor basis for creative (poetic) work“ (141). Dass der Roman jedoch aufgrund der sehr einseitig positiven Darstellung einer unbeschwerten vorchristlichen Welt „yet another instance of its [= das „Nibelungenlied“] being used for ideological purposes in a manner which echoes suspiciously National Socialist ideas“ (141) darstelle, ist wohl ein zu harsches Urteil. Störend ist allerdings, dass durch einen hohen Aufwand an lateinischen und althochdeutschen Zitaten (bzw. selbstverfassten Textabschnitten), etymologischen Erläuterungen, Anmerkungen zur (sehr selektiv wahrgenommenen) Forschungsliteratur usw. ein Anschein von Wissenschaftlichkeit erweckt wird, der aber einer genaueren Prüfung häufig nicht standhält: So wird nicht nur die Zweite Lautverschiebung (6. Jahrhundert oder möglicherweise später), sondern sogar der Minnesang des 12. Jahrhunderts kurzerhand in das 5. Jahrhundert verlegt (Lodemann 32002, 488); auch finden sich in den Zitaten zahlreiche Fehler. Der Reichtum an Wortspielen und die Lust an der detaillierten Darstellung werden nicht jeden Rezipienten nahezu 900 Seiten lang zu fesseln vermögen. Nach Moritz Rinke (2002 und 2007) und einer Neuinszenierung von Hebbels Text übernahm im Rahmen der Wormser Nibelungenfestspiele im Jahr 2009 John von Düffel die Aufgabe, eine neue Adaptation des Stoffes zu verfassen. Er setzt verstärkt auf Komik; da Siegfried hier mehrfach zu spät an den zukunftsbestimmenden Schauplätzen erscheint, statt seiner aber „Seefred“ auftritt („Ich bin nicht der Held, für den Du mich hältst“, von Düffel 2009, Klappentext), werden hier Elemente der Verwechslungskomödie in den Nibelungenstoff eingeflochten, die zu einer Parodie der Heldenverehrung führen. Für das Jahr 2010 finden im Rahmen der Festspiele dagegen unter dem Titel „Teufel, Gott und Kaiser“ Improvisationen „über eine Zeit, in der das Nibelungenlied entstand“, statt (http://www.worms.de/extern/ nibelungenfestspiele/). Zeitgemäß sind in den letzten Jahrzehnten verstärkt Umsetzungen des „Nibelungenliedes“ in andere Medien überliefert, wobei diese in den meisten Fällen eher der populären Kultur zuzurechnen sind (vgl. Jönsson 2006). Erhoben Fritz Lang (1924) und Harald Reinl (1966) trotz erheblicher Eingriffe in die Handlungslogik den Anspruch, dem Stoff bzw. dem Text gerecht zu werden, so trivialisiert die filmische Umsetzung durch Uli Edel (2004) insbesondere die Figur Kriemhilds durch eine radikale Streichung des zweiten Teils des „Nibelungenliedes“ (vgl. Martin 2006, 352, Schiewer 2009, 456–458, Mecklenburg 2010, 110–115). Auch im ersten Teil sind die Änderungen erheblich: Siegfried ist mit Brünhild liiert und interessiert sich zunächst nicht für Kriemhild, wie bei Wagner lässt ihn erst ein Zaubertrank Brünhild vergessen. Der Film inszeniert so eine unmittelbare Rivalität zwischen den beiden Fürstinnen. Da Siegfried den Königsbrüdern gegenüber selbst verrät (wie bei Hebbel) bzw. sogar demonstriert, an welcher Stelle er
4. Das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht
verwundbar ist, wird Kriemhild vom Makel der ungewollten Schuld an Siegfrieds Tod freigesprochen. Ihr tränenreicher Versuch der Wiedergutmachung nach dem Streit der Königinnen reduziert dessen Anlass auf Kriemhilds persönliche Eifersucht, ohne Berücksichtigung der für das Mittelalter so maßgeblichen Statusfragen, die im Original den Anlass für den Streit bildeten. – Tom Gerhardts Film „Siegfried“ (2005) dagegen lässt den anspruchsvollen Stoff zu billigem Klamauk verkommen, der dem Stoff gegenüber einen eher hilflosen Eindruck macht. Thomas Jauchs „Das Rätsel des blutroten Rubins“ (2001) und Ralf Hüttners „Die Jagd nach dem Schatz der Nibelungen“ (2008) benutzen lediglich das Motiv eines unermesslich großen Schatzes, zeigen ansonsten aber keinen Bezug zum „Nibelungenlied“. Auch hier gilt, dass es „weniger um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff“ geht als um dessen „Unterhaltungswert“ (Jönsson 2006, 278). Mecklenburg 2010, 115 beklagt zu Recht, dass die filmischen Adaptationen „die Heldinnen ihrer bedrohlichen Ambivalenzen und Handlungsspielräume“ berauben, was aus Sicht der Mediävistik zwar erfreulich sei, da es die Komplexität und Experimentierfreude mittelalterlicher Werke positiv hervortreten lasse, dafür allerdings mit Blick auf die heute angeblich so aufgeklärte Gesellschaft „zutiefst verstöre[.]“. Es gibt keinen Comic, der das „Nibelungenlied“ einigermaßen originalnah visualisiert. Eine sehr kurze und vereindeutigende Fassung des Textes in 20 Bildern, mit pseudo-mittelhochdeutschem Text, bietet „Heikos Schulschau“ (http://www.sakurai-cartoons.de/images/comics/comic3_ue.html und comic4_ue. html). Disney o. J. bietet ein buntes Gemisch aus Elementen der Nibelungensage, aus Märchen und den Donald Duck-Geschichten. Kunkel/Kunkel/Apitz 1994 benutzen lediglich das Motiv des Nibelungenhortes, zeigen aber ansonsten keinerlei Berührung mit dem „Nibelungenlied“. Umfangreichere Comics bieten Alice 2008–2009 und Stepanoff 2009; beide fokussieren insbesondere auf die mythischen Elemente der Sage und fügen ihnen Fantasy-Elemente hinzu (vgl. Jönsson 2006, 276 f.), so dass auch sie kaum als eine Einführung in das Original des „Nibelungenliedes“ dienen können. Ähnliches gilt für die Spiele, die sich der NibelungenThematik bedienen (http://www.nibelungenrezeption.de/populaere-kultur/ spiele/Gruppe-Spiele.pdf; s. auch Düwel 2006). Immerhin zeigen die diversen modernsten Zeugnisse für die Rezeption des Nibelungenstoffes, „dass man sich des Stoffes wieder weniger voreingenommen als zuvor bedient. Der politische Missbrauch des Werkes zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist für die vornehmlich jüngeren Autoren offenbar keine Belastung mehr. Die Adaptionen haben ihrerseits dazu beigetragen, die Nibelungensage vom rezeptionell bedingten Ideologieverdacht zu lösen“ (Jönsson 2006, 287).
Comics
4. Das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht August Wilhelm Schlegel forderte 1812, das „Nibelungenlied“ zum „Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend“ zu machen (zitiert nach Ehrismann 22002, 178). Insgesamt sind die Aufforderungen, das „Nibelungenlied“ aus patriotistischen Motiven im Schulunterricht einzusetzen, vom 19.
Scheu vor dem „Nibelungenlied“
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
unbefangene Lektüre
Chancen für das Mittelalter
Alterität
bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr zahlreich. Deutlich seltener finden sich in dieser Zeit kritische Stimmen, die in der Regel aus der Befürchtung heraus argumentieren, das Epos könnte die Inhalte der traditionellen humanistischen Schulbildung verdrängen (Ehrismann 1986, 183–208). Diese Hinweise auf die Stärkung des Nationalgefühls durch die Lektüre des „Nibelungenliedes“ in der Schule dürften die Wahrnehmung des Textes insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts derart geprägt haben, dass die Jahrzehnte nach 1950 die deutlich gegenläufige Tendenz aufweisen, das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht zu übergehen. Eine unbefangene Lektüre des „Nibelungenliedes“ erschien kaum noch möglich. Inzwischen ist eine Generation von Lehrern herangewachsen, die den Missbrauch des Textes im Zuge der nationalsozialistischen Propaganda nicht selbst erlebt hat, wodurch eine neue und unbefangene Beurteilung des Werkes möglich wäre. Dennoch wird das „Nibelungenlied“ auch in den letzten Jahrzehnten nur selten als Gegenstand des Deutschunterrichts erwähnt. Karg 2008, 405 beschreibt, dass das „Nibelungenlied“ nur noch in neun Lehrplänen der 16 Bundesländer zur Lektüre vorgeschlagen wird (zu Österreich vgl. Hinterholzer 2007, 39), wobei insbesondere problematisch ist, dass der Text „einen Rückzug in die Sekundarstufe I an[tritt]“ und „dort einem verschwommenen Sagenbegriff zum Opfer fällt“ (ebd.). Ebenfalls zu bemängeln ist, dass der Text nach Auskunft der Lehrpläne den Schülern nicht selten ausschließlich in Form von Nacherzählungen vorgelegt werden soll, obwohl der Einbezug ausgewählter Originalstrophen eine wichtige Möglichkeit zum integrativen, ggf. auch zum fächerübergreifenden Unterricht bietet. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass in der zunehmenden Kompetenzorientierung der Lehrpläne eine große Chance für diejenigen Lehrer liegt, die gerne mit mittelalterlichen Texten arbeiten und das historische Lesen an Texten demonstrieren wollen, die im hermeneutischen Verstehensprozess auch das Einbeziehen historischer Hintergründe erfordern: Figurenkonstellationen zu erarbeiten, Inhaltsangaben zu erstellen und eine Ganzschrift in ihrer Struktur und ihrem Aufbau zu erfassen ist auf der Basis einer Nacherzählung oder Übersetzung des „Nibelungenliedes“ ebenso möglich wie für einen anderen Erzähltext. Eine große Chance liegt darin, dass bei den Schülern ein lesemotivierendes allgemeines Interesse für das Mittelalter eher vorausgesetzt werden kann als für andere Epochen, so dass es mit Unterrichtsreihen zu mittelalterlichen Themen leicht möglich ist, an die Lebenswelt der Schüler anzuknüpfen (vgl. Hinterholzer 2007, 26 f., der in seinem Unterrichtsentwurf, 103–145, eine Verbindung des „Nibelungenliedes“ und des „Herrn der Ringe“ Tolkiens vornimmt). Die Mittelalterbilder, über die die Schüler aus der populären Verarbeitung mittelalterlicher Stoffe verfügen, können anhand von (Ausschnitten aus) den Originalen unter „sachkundiger Begleitung“ (ebd., 37) hinterfragt und korrigiert werden. Ein gewinnbringender weiterer Schritt, der einen Mehrwert bei der Behandlung eines mittelalterlichen Textes bedeutet, ist die Überwindung der offensichtlichen Fremdheit verschiedener Aspekte im Text (etwa der veränderten Sozialstrukturen). Im Vergleich zu den literarischen Werken anderer Epochen werden mittelalterliche Texte aufgrund ihrer großen sprachlichen Alterität unmittelbar als erklärungsbedürftig erfahren. Erlernen die Schüler
4. Das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht
anhand dieses maximalen sprachlichen wie auch inhaltlichen Kontrastes die Differenzen zwischen einem historischen und einem modernen Text, so fällt ihnen die Übertragungsleistung leicht, dass jeder Text nur unter Einbezug seines Entstehungskontextes angemessen interpretiert werden kann. Von dieser Alteritätserfahrung der eigenen Kultur ausgehend, kann einerseits Respekt vor anderen (heutigen) Kulturkreisen, andererseits auch ein Verständnis für die Gewordenheit der eigenen Lebenswelt vermittelt werden. Auf diese Weise können die für selbstverständlich gehaltenen eigenen Positionen und lebensweltlichen Umstände in Ansätzen relativiert werden. Die Chance, einen integrativen Unterricht zu gestalten, bietet sich, wenn man in die Überlegungen zum „Nibelungenlied“ auch Einheiten einbezieht, die sich mithilfe ausgewählter Strophen des Originaltextes auf den Bedeutungswandel von Begriffen wie ,Held‘ oder ,Treue‘ (oder auch ,Text‘ und ,Autor‘) beziehen. Erwähnenswert ist, dass das „Nibelungenlied“ bereits im 18. und 19. Jahrhundert als Anlass für Sprachreflexion verwendet wurde: Friedrich und August Wilhelm Schlegel sahen im Text die Möglichkeit der „Durchsetzung einer gemeinsamen deutschen Sprache“ (Frembs 2001, 18), Friedrich Heinrich von der Hagen verfasste eine Nacherzählung des Textes, die die Sprache Luthers als weiteres Vergleichsmaterial hinzuzog und mithilfe des mittelalterlichen Epos und der frühneuzeitlichen Bibelübersetzung die Befreiung des Deutschen von französischem Spracheinfluss anstrebte (ebd., 20). So hat sich insgesamt die Anzahl der Möglichkeiten, mittelalterliche Texte in den Deutschunterricht einzubeziehen, durch die Kompetenzorientierung der Lehrpläne in Deutschland eher vergrößert als verringert. Es fehlt allerdings in der Praxis nicht selten an Materialien, mit denen Lehrer ihren Unterricht zu mittelalterlichen Texten mit vertretbarem Aufwand gestalten können. Es seien hier insbesondere die in den letzten Jahren erschienenen, zum Zeitpunkt der Drucklegung des vorliegenden Bandes noch greifbaren Arbeitshefte speziell zum „Nibelungenlied“ besprochen (eine aktuelle Bibliographie zur Rezeption des „Nibelungenliedes“ im und für den Deutschunterricht findet sich bei Lison/Karg 2008; s. außerdem Wunderlich 2003). Ältere Modelle sind zumeist in der Praxis heute kaum mehr einsetzbar, da sie von nicht vorauszusetzenden Vorkenntnissen bei den Schülern ausgehen: So vermerkt der Entwurf von Berg u. a. 1977, 299, dass das „Nibelungenlied“ „auch in mittelhochdeutscher sprache leicht verstehbar“ sei, was heute kaum noch gelten dürfte. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, dass verschiedene Deutschbücher für die Oberstufe Einheiten zum „Nibelungenlied“ enthalten (Schwerpunktsetzung „Von Deutschland reden“ z. B. bei Bekes u. a. 2006, 272–291; Mittelalter allgemein, darin auch das „Nibelungenlied“: „Blickfeld Deutsch“ 2003, insbesondere 169–177). Das insgesamt enttäuschende Arbeitsheft von Pohle 2007 begleitet die „Nibelungenlied“-Nacherzählung von Franz Fühmann. Die Arbeitsaufträge zielen, ohne dass dies ausgesprochen wird, auf jüngere Schüler (Jahrgangsstufe 7?) und setzen insbesondere auf handlungs- und produktionsorientierten Unterricht; die Fragen zum Textverständnis regen zumeist nicht zum Verfassen von Erörterungen, sondern lediglich von schlagwortähnlichen Kürzesttexten an (Sprechblasen raten, Quiz, Aussagen als richtig und falsch kennzeichnen, Grabsteininschriften [!] für Siegfried und Ute verfassen). His-
Sprachwandel
Unterrichtsmaterialien
Karin Pohle
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Anja Strube
Anette Sosna
torisches Bewusstsein soll durch ein Mindmap (Thema „Typisch Mittelalter“, Pohle 2007, 13 f.) geweckt werden, da aber keine Materialien zum Mittelalter geliefert werden, sind die Schüler hier auf eigenes Halbwissen oder auf das Befragen der Lehrkraft angewiesen. Eine forcierte Angleichung des Stoffes an moderne Erlebnismuster wird dagegen durch die Aufforderungen bewirkt, Berichte für die Regenbogenpresse oder Rollenbiographien zu verfassen bzw. unter der Überschrift „Dumme Frauen – dumme Männer“ den Streit der Königinnen zu beschreiben (ebd., 17, 20, 31). Damit wird hier genau das gefördert, was Karg für die historischen Texte zu Recht als unzulässige Aufforderung zur „Identifikation zwischen Leser und literarischer Figur […], die in de[n] alltagspsychologischen Motivationen heutiger Provenienz grundgelegt ist“, bemängelt hat (Karg 2008, 406). Eine Überführung dieser Annäherungen an Fühmanns Nacherzählung in einen Lernzuwachs, der sich mit dem Original auseinandersetzt, findet nicht statt. Strube verfasste 2007 ein ebenfalls wenig überzeugendes Materialheft zu Auguste Lechners ohnehin hochproblematischer Nacherzählung des „Nibelungenliedes“ für die Jahrgangsstufen 7/8. Die grundsätzlichen Vorbehalte gegen Lechners Text sind oben (S. 128 f.) bereits erwähnt, man sollte nach Möglichkeit Abstand davon nehmen, die Schüler mit dieser Nacherzählung zu konfrontieren. Das Arbeitsheft selbst behauptet fälschlich, Lechner lehne sich „ganz eng an das um 1200 entstandene Nibelungenlied an“ (Strube 2007, 4); auch dass die Geschichte angeblich „ein wenig romantisch“ sei, befremdet (ebd.). Arbeitsaufträge wie „Trage in die Gedankenblasen ein, was der Verlobungsgesellschaft durch den Kopf geht“ (ebd., 8), verschenken jede Möglichkeit eines historischen Lesens: Die Schüler können hier allenfalls von ihren eigenen Erfahrungen ausgehen und werden aufgrund der Arbeitsaufträge die Brisanz der Szene, in der Brünhild darüber empört ist, dass Kriemhild mit Siegfried verheiratet wird, nicht einmal ansatzweise verstehen können. Alle Fragen, etwa nach den „Unterschiede[n] zwischen dem Leben und Verhalten von Frauen und Mädchen im Mittelalter“ (ebd., 9, 22), gehen vom Text Lechners aus, ohne dass auch nur ein einziger Hinweis darauf erfolgt, dass dieser ,das‘ Mittelalter verfälscht. Der Hinweis, „Möglichkeiten, das Massaker zu beenden, hätte fast jeder der Beteiligten gehabt, indem man einfach [!] den Kreislauf der Gewalt durchbrochen und nicht mit Gegengewalt geantwortet hätte“ (ebd., 12), wird der Komplexität der verschiedenen Bindungen und Verpflichtungen der Protagonisten des Originaltextes in keiner Weise gerecht. Das umfassende Materialheft von Sosna 2010 dagegen bietet Bausteine aus sechs thematischen Bereichen, durch die der Unterricht zum „Nibelungenlied“ insbesondere in der Sekundarstufe II flexibel gestaltet werden kann. Als erster Baustein sind Materialien zum Mittelhochdeutschen zusammengestellt, die es den Schülern mithilfe von Arbeitsblättern ermöglichen, das Mittelhochdeutsche als eine fremde Sprachstufe wahrzunehmen und in Ansätzen zu verstehen. Die inhaltlichen Bausteine beruhen dementsprechend auf der zweisprachigen Ausgabe des Originals des „Nibelungenliedes“ von Grosse 1997 (bzw. 2002) und nicht auf einer Nacherzählung. Der Entstehung, der Form und dem Inhalt des „Nibelungenliedes“ widmet sich der zweite Baustein; hier, wie auch bei anderen Bausteinen, werden vielfache Anregungen zur Ausweitung des Materials bzw. des Themas
4. Das „Nibelungenlied“ im Schulunterricht
in die Richtung anderer Texte und Aspekte gegeben. Zeitstrukturen werden ebenso behandelt wie Versform und Figurenkonstellationen. Die Arbeitsaufträge sind gelegentlich sehr allgemein, so dass unklar bleibt, welche Resultate die Schüler erzielen sollen (vgl. etwa Sosna 2010, 40, wo eine „Internetrecherche, z. B. zu den Stichworten ,höfische Literatur‘ und ,Heldenepik‘“ vorgeschlagen wird, die aufgrund der zu erwartenden großen Anzahl von Treffern kaum bewältigbare Ergebnisse mit sich führen wird). Weitere Bausteine befassen sich mit „Liebe und Verrat“ (zum ersten Teil des „Nibelungenliedes“), „Der Weg in den Untergang“ (zum zweiten Teil) und „Thematische Zugänge“ (zur Figurenkonzeption, zu Archaischem und Höfischem, zu List und Intrige, zu Frauen- und Männerbildern, zu mythischen Elementen). Im Rahmen des Kapitels „Die Rezeption des ,Nibelungenliedes‘“ wird außerdem der Missbrauch des Stoffes behandelt, womit ein „wichtige[r] Beitrag des Deutschunterrichts zur politischen Bildung“ geleistet werden kann (Hinterholzer 2007, 47). Das Arbeitsheft von Sosna bietet somit anspruchsvolles, umfassendes und anregendes Material zum Originaltext und zu seiner Rezeption, dessen Umsetzung in die Praxis in den nächsten Jahren erprobt werden wird. Dabei könnte allerdings die Tatsache, dass Hinweise zum Erwartungshorizont bei den Fragestellungen fehlen, auch für die Klausuren und Facharbeiten, für Lehrer ohne entsprechende Hintergrundkenntnisse die Brauchbarkeit des Heftes etwas schmälern. Es gilt in der kommenden Zeit, diese Materialbasis zu erweitern und zu verbessern; hilfreiche Hinweise zur Gestaltung etwa von E-Learning-Einheiten zum „Nibelungenlied“, zum Erarbeiten einer Ausstellung zum Thema sowie zum Sprachhandeln im Text und zu dessen historischem Wandel finden sich bei Möbius 2008, Schwarz 2008 und Kilian 2008. An der Universität Duisburg-Essen entsteht ein Internetportal zu „Mittelhochdeutschen Texten im Deutschunterricht“ (http://www.uni-due.de/mittelneu), das sich unter anderem auch mit dem „Nibelungenlied“ befasst. Zusammengestellt sind hier Hintergrundinformationen zum „Nibelungenlied“, Verweise auf publiziertes Unterrichtsmaterial und Kommentare dazu, sowie auch Unterrichtsreihen, die in der Praxis erprobt worden sind (z. B. mit einem Schwerpunkt auf dem Begriff der Nibelungentreue, wodurch integrativer Unterricht im Bereich der Sekundarstufe II durchgeführt werden kann; oder zur Verwendung des Lesetagebuchs anhand der Lektüre einer Nacherzählung des „Nibelungenliedes“ im Deutschunterricht der Sekundarstufe I). Durch die Aufbereitung der Materialien in einem Internetportal kann auf diese flexibel reagiert werden. Erst durch einen Erfahrungsaustausch über die bereitgestellten Informationen wird, in Kooperationen zwischen Universitäten und Schulen, eine möglichst umfassende, gleichzeitig wissenschaftlich verantwortbare und didaktisch sinnvoll umsetzbare Materialsammlung zum „Nibelungenlied“ im Deutschunterricht entstehen. Weiterer Bedarf besteht insbesondere im Bereich der Entwicklung von Materialien für Projektkurse, die in nächster Zeit im Schulunterricht größeres Gewicht erhalten werden und durchaus die Möglichkeit offenlassen, sich für einen längeren Zeitraum zusammen mit einer Gruppe von Schülern dem „Nibelungenlied“ zu widmen. Insofern erscheint inzwischen fraglich, ob die „Zeiten, in denen man sich im Unterricht längeren Passagen des Textes widmen konnte“, tatsächlich „vorbei“ sind (Ehrismann 22002, 184).
sonstige Materialien
Ausblick
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IV. Das Ende als Anfang: Rezeptionsgeschichte
Es gilt aber weiterhin: „[U]mso größer ist die Verantwortung der Lehrenden und Lehrer gegenüber dem Text und seinem Mythos“ (ebd.). So bleibt zu hoffen, dass sich das „Nibelungenlied“ seinen Platz in den Lehrplänen wird zurückerobern können – nicht als Nationalepos, durch das die Schüler zu nationalistischen Gefühlen erzogen werden sollen, sondern als ein anspruchsvoller Klassiker der mittelalterlichen Literatur in deutscher Sprache, als „eines der größten Kunstwerke des Mittelalters“ (J.-D. Müller 1998, 455), dessen Interpretation und Analyse für viele weitere Generationen von Lesern gewinnbringend sein können.
Danksagung Es fällt nicht leicht, das Manuskript einer Einführung abzugeben, die einerseits wissenschaftlichen Ansprüchen genügen will, andererseits einen hochkomplexen Text mit einer jahrhundertelangen, kontroversen Forschungsgeschichte in verständlicher Sprache einem Publikum nahebringen soll, das in der Mediävistik allenfalls auf Basiskenntnisse zurückgreifen kann. Dass ich die Arbeit an dieser Einführung nunmehr abschließe, ist nicht zuletzt der Hilfe verschiedener Personen zu verdanken, die ich an dieser Stelle gerne namentlich nennen möchte. Frau Prof. Dr. Ursula Schulze und Herr Prof. Dr. Siegfried Grosse (Berlin) unterstützten die Arbeit auf eine besonders großzügige Art und Weise, indem sie mir die Materialien ihrer neuen zweisprachigen Ausgabe des „Nibelungenliedes“ (Schulze/Grosse 2010) bereits vor deren Drucklegung zur Verfügung stellten. Dass die vorliegende Einführung nach dieser aktuellsten Neuausgabe zitiert (und nicht nach der Bartsch/de Boor-Fassung, die eine Mischung mehrerer unterschiedlicher Fassungen darstellt), ist ausschließlich dem Entgegenkommen der genannten Herausgeber und dem Reclam-Verlag (vertreten durch Frau Dr. Christine Ruhrberg) zu verdanken. Darüber hinaus haben Frau Prof. Dr. Ursula Schulze, Herr Prof. Dr. Otfrid Ehrismann, Frau Dr. Andrea Sieber, Herr Peter Blanke und Herr Ruud de Haan erste Entwürfe des Textes gelesen; ihre kritischen Hinweise waren eine sehr wertvolle Rückmeldung und haben den Text in verschiedenen Bereichen maßgeblich geprägt. Des Weiteren half Frau Teresa Cordes, indem sie eine erste Version der Kurzfassung des „Nibelungenliedes“ (Kapitel I.2) herstellte. Dank gebührt außerdem den Teilnehmern diverser Workshops und Seminare in Münster und Essen, ohne deren Fragen und Anregungen diese Einführung nicht hätte geschrieben werden können. Danken möchte ich außerdem den Herausgebern der Reihe, und zwar insbesondere Herrn Prof. Dr. Gunter E. Grimm (Essen): Er wandte sich seinerzeit an mich mit der Anfrage, eine Einführung zum „Nibelungenlied“ zu verfassen, und auch wenn ich meine Zusage zwischendurch gelegentlich bereut habe, bin ich froh, dass er mich mit dieser Herausforderung konfrontiert hat. Dem WBG-Verlag, vor allem Frau Jasmine Stern, gebührt Dank für die Geduld bei der Betreuung der Drucklegung des Bandes. Die Einführung richtet sich nachdrücklich auch an Leserinnen, Rezipientinnen, Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen usw.; aus Raumgründen wird jedoch jeweils nur die maskuline Form verwendet. Ik draag het boek op aan Timon. Ik hoop dat hij het zal lezen – het is wat minder „mij niet gezien“ dan de vorige boeken, toch? Essen, im September 2010.
Kommentierte Auswahlbibliographie Vgl. für kommentierte Bibliographien Ehrismann 22002 sowie: http://germanistik.univie.ac.at/ institut/projekte/kommentierte-bibliographie-zu-nibelungenlied-und-nibelungensage
Textausgaben und Faksimilia Altdeutsche Wälder, hg. durch die Brüder Grimm, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1818, Nachdruck Darmstadt 1966. [Enthält u. a. Auszüge aus der „Weltchronik“ des Heinrich von München.] [Batts 1971 =] Das „Nibelungenlied“. Paralleldruck der Handschriften A, B und C nebst Lesarten der übrigen Handschriften, hg. von Michael S. Batts, Tübingen 1971. [Einsprachige diplomatische, d. h. den Handschriften genau entsprechende Edition der drei Haupthandschriften des „Nibelungenliedes“ mit ausführlichem Apparat, in dem die Lesarten der anderen Handschriften festgehalten werden. Abgedruckt werden des Weiteren einige der Fragmente; aus den meisten Codices werden außerdem Bilder publiziert.] Bodmer, Johann Jakob, Chriemhilden Rache, und Die Klage. Zwey Heldengedichte aus dem schwaebischen Zeitpuncte …, Zürich 1757. [Erste Ausgabe von der zweiten Hälfte des „Nibelungenliedes“ (ab Str. B 1639 = C 1692) und der „Klage“ nach der Handschrift C.] [Brackert 22008 =] Das „Nibelungenlied“. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung, übersetzt von Helmut Brackert, München 22008 (Fischer Klassik, 90131). [Zweisprachige Edition der von Karl Bartsch und Helmut de Boor erstellten Mischfassung.] Brommer, Peter, Ein unbekanntes Fragment der „Nibelungenklage“ in Koblenz, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 135 (2006), S. 324–335. [Untersuchung und Edition des Koblenzer Fragmentes K.] [Bumke 1999 =] Die „Nibelungenklage“. Synoptische Ausgabe aller vier Fassungen, hg. von Joachim Bumke, Berlin/New York 1999. [Wichtigste (einsprachige) Edition aller vier Fassungen der „Klage“, die es auf einen Blick erlaubt, die erheblichen Unterschiede zwischen ihnen zu erfassen.] „Chronica Gallica“ ad CCCCLII et DXI, in: Chronica
Minora saec. IV., V., VI., VII., hg. von Theodor Mommsen, Bd. 1, Berlin 1892, Nachdruck Hannover 1951 (Monumenta Germaniae Historica, Auctorum antiquissimorum Bd. 9), S. 615–666. Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters, hg. von der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 1, Teil 1: „Deutsche Kaiserchronik“, hg. von Edward Schröder, Berlin 1892, Nachdruck München 2002 (Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken, 1.1). [Engels 1968 =] Das „Nibelungenlied“ und die „Klage“. Handschrift C der F. F. Hofbibliothek Donaueschingen, hg. von Heinz Engels, 2 Bde., Stuttgart 1968. Die Gedichte vom „Rosengarten zu Worms“, hg. von Georg Holz, Halle a. d. S. 1893. Glassner, Christine, Ein Fragment einer neuen Handschrift des „Nibelungenliedes“ in Melk, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 120 (1998), S. 376–394. [Untersuchung und Edition des Fragments W.] Gottfried von Straßburg, „Tristan“. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980 u. ö. (Universal-Bibliothek, 4471–4473). [Zweisprachige Ausgabe des Liebesromans von Tristan und Isolde.] [Grosse 1997 =] Das „Nibelungenlied“. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 1997 u. ö. (verbesserte Auflage 2002) (Universal-Bibliothek, 644). [Zweisprachige Edition der von Karl Bartsch und Helmut de Boor erstellten Mischfassung.] Heinrich von Veldeke, „Eneasroman“. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986 u. ö. (Universal-Bibliothek, 8303).
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Kommentierte Auswahlbibliographie [Zweisprachige Edition eines frühhöfischen Antikenromans, der zeitlich vor dem „Nibelungenlied“ entstanden sein dürfte.] [Hennig 1977 =] Das „Nibelungenlied“ nach der Handschrift C, hg. von Ursula Hennig, Tübingen 1977 (Altdeutsche Textbibliothek, 83). [Holtzmann 1857 =] Das „Nibelungenlied“ in der ältesten Gestalt mit den Veränderungen des gemeinen Textes, hg. von Adolf Holtzmann, Stuttgart 1857. [Holzbauer 2001 =] Das „Lied vom hürnen Seyfried“, hg. von Siegfried Holzbauer, Klagenfurt/ Wien 2001. [Hornung 1968 =] Das „Nibelungenlied“ in spätmittelalterlichen Illustrationen. Die 37 Bildseiten des Hundeshagenschen Kodex Ms. germ. fol. 855 der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek Berlin, derzeit Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, hg. von Hans Hornung, Bozen 1968. [Kommentiertes Faksimile der Miniaturen der einzigen mittelalterlichen Handschrift des „Nibelungenliedes“, die einen Zyklus von Miniaturen enthält.] [von Keller 1879 =] Das „Nibelungenlied“. Nach der Piaristenhandschrift hg. von Adelbert von Keller, Tübingen 1879 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, 142). [Einsprachige Edition der Handschrift k.] Klein, Klaus, Ein neues Fragment der „Nibelungenklage“ in Amberg, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 131 (2002), S. 61–65. [Edition und Untersuchung des Fragmentes AA.] Klein, Klaus, Die Mainzer Nibelungenlied-Handschrift L. Transskription, in: Nibelungen Schnipsel. Neues vom alten Epos zwischen Mainz und Worms, Mainz 2004, S. 77–115. Koennecke, Gustav, Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationalliteratur, Marburg 1901. [Enthält einige Faksimile-Seiten aus „Nibelungenlied“-Handschriften.] [Lachmann 1826 =] „Der Nibelunge Not“ mit der „Klage“. In der ältesten Gestalt mit den Abweichungen der gemeinen Lesart hg. von Karl Lachmann, Berlin 1826. [Einsprachige Edition des „Nibelungenliedes“ nach der Handschrift A.] [Lachmann 51878 =] „Der Nibelunge Noth“ und die „Klage“. Nach der ältesten Überlieferung mit Bezeichnung des Unechten und mit den Abweichungen der gemeinen Lesart hg. von Karl Lachmann, Berlin 1841, 51878. [Neue Ausgabe der Lachmannschen Edition von 1826, die die These, dass der Text aus verschiedenen einzelnen Liedern entstanden sei, untermauern sollten: Die Strophen, von denen Lachmann vermutete, dass sie nicht zu den ursprüng-
lichen Liedern gehörten, werden hier in Kursivdruck wiedergegeben. Diese Ausgabe wurde 1948 von Ulrich Pretzel neu herausgegeben.] Laistner, Ludwig, Das „Nibelungenlied“ nach der Hohenems-Münchener Handschrift (A) in phototypischer Nachbildung, München 1886. „Leges Burgundionum“, hg. von Ludwig Rudolf von Salis, Hannover 1892, Nachdruck Hannover 1973 (Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1: Legum nationum germanicarum Bd. 2.1). „Das Lied vom Hürnen Seyfrid“ s. Holzbauer 2001. [Lienert 2000 =] Die „Nibelungenklage“. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Karl Bartsch, Einführung, neuhochdeutsche Übersetzung und Kommentar von Elisabeth Lienert, Paderborn u. a. 2000 (Schöninghs mediävistische Editionen, 5). [Edition und Übersetzung der Fassung *B der „Klage“.] Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren, Stuttgart 38 1988. [Einsprachige Edition derjenigen Texte des frühen Minnesangs, die als literarisches Umfeld für das „Nibelungenlied“ gesehen werden; hier u. a. auch das Falkenlied des Kürenbergers.] Müller (Myller), Christoph Heinrich, Der Nibelungen Liet. Ein Rittergedicht aus dem XIII. oder XIV. Jahrhundert. Zum ersten Male aus der Handschrift ganz abgedruckt, Berlin 1782. [Nach Bodmers Ausgabe die erste Edition, die das „Nibelungenlied“ vollständig abdruckt; der erste Teil, bis C 1692, folgt der Handschrift A, der zweite folgt Bodmers Wiedergabe der Handschrift C.] „Der Nibelunge Nôt“ mit den Abweichungen von „Der Nibelunge liet“, den Lesarten sämmtlicher Handschriften und einem Wörterbuche, hg. von Karl Bartsch, Leipzig 1870. [Einsprachige Edition einer Mischfassung des „Nibelungenliedes“, die häufig, aber nicht immer B folgt; in späteren Auflagen von Helmut de Boor überarbeitet.] Das „Nibelungenlied“ und die „Klage“. Handschrift B (Cod. Sangall. 857), Köln 1962 (Deutsche Texte in Handschriften, 1). [Faksimile der Handschrift B.] Pretzel s. Lachmann. [Reichert 2005 =] Das „Nibelungenlied“. Text und Einführung, Berlin/New York 2005. [Handschriftengetreue Edition der Handschrift B.] [Ritter 22009 =] „Der Nibelungen Not“. „Die Klage“, hg. von Ulrike Ritter, 3 Bde, Mering 22009. [Fehlerhafte Transkription des „Nibelungenliedes“ nach der Hundeshagenschen Handschrift (Hand-
Kommentierte Auswahlbibliographie schrift b) im ersten Band; Wiedergabe der Simrockschen Übersetzung im zweiten Band; Transkription und Übersetzung der „Klage“ nach Handschrift b im dritten Band.] Rosengarten s. „Die Gedichte vom ,Rosengarten zu Worms‘“. Ruggenthaler, Peter Thomas, Das wahre „Nibelungenlied“. Donauwellen statt Rheingold, Wien 2001. [Enthält Faksimileseiten aus dem Hundeshagenschen Codex b; der begleitende Text ist wenig hilfreich.] Sankt Galler Nibelungenhandschrift (Cod. Sang. 857), hg. von der Stiftsbibliothek St. Gallen und dem Basler „Parzival“-Projekt, St. Gallen/Basel 2003 (Codices Electronici Sangallenses, 1). [Digitalfaksimile der Handschrift B]. [Schirok 1989 =] Wolfram von Eschenbach, „Parzival“ (Handschrift D). Abbildung des „Parzival“Teils von Codex St. Gallen 857 sowie des (heutigen) Berliner Fragments L (mgf 1021) der „Kindheit Jesu“ Konrads von Fußesbrunnen aus dem St. Galler Codex, hg. von Bernd Schirok, Göppingen 1989 (Litterae, 110). [Teilfaksimile der Handschrift B.] [Schirok 2000 =] Wolfram von Eschenbach, „Willehalm“. Abbildung des „Willehalm“-Teils von Codex St. Gallen 857 mit einem Beitrag zu neueren Forschungen zum Sangallensis und zum Verkaufskatalog von 1767, Göppingen 2000 (Litterae, 119). [Teilfaksimile der Handschrift B.] [Schröder 1969 =] „Der Nibelunge Liet“ und „Diu Klage“. Die Donaueschinger Handschrift 63 (Laßberg 174), hg. von Werner Schröder, Köln 1969. [Faksimile der Handschrift C.] [Schulze 2005 =] Das „Nibelungenlied“ nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch, hg. von Ursula Schulze, Düsseldorf/Zürich 2005. [Schulze 2008 =] Das „Nibelungenlied“. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, hg. und übersetzt von Ursula Schulze, München 2008 (dtv Klassik, 13693). [Schulze/Grosse 2010 =] Das „Nibelungenlied“. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch, nach der Handschrift B hg. von Ursula Schulze, ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 2010 (Reclam Bibliothek). Springeth, Margarethe, Die „Nibelungenlied“-Bearbeitung der Wiener Piaristenhandschrift (Lienhart Scheubels Heldenbuch: Hs. k). Transkription und Untersuchungen, Göppingen 2007 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 660).
Unterkircher, Franz, Ambraser Heldenbuch. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis Series Nova 2663 der Österreichischen Nationalbibliothek, Graz 1973 (Codices selecti, 43). [Faksimile der Handschrift d]. Vergil, „Aeneis“. Lateinisch / Deutsch, in Zusammenarbeit mit Maria Götte hg. und übersetzt von Johannes Götte, Bamberg/Kempten 21965. [Vorderstemann 2000 =] Das „Nibelungenlied“ nach der Handschrift n. Hs. 4257 der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, hg. von Jürgen Vorderstemann, Tübingen 2000 (Altdeutsche Textbibliothek, 114). [Wackernagel 1866 =] Sechs Bruchstücke einer Nibelungenhandschrift aus der mittelalterlichen Sammlung zu Basel, hg. von Wilhelm Wackernagel, Basel 1866. [Einsprachige Edition und Kommentar des Fragments l.] [Zarncke 1856 =] Das „Nibelungenlied“, hg. von Friedrich Zarncke, Leipzig 1856. [Einsprachige Edition der Handschrift C.]
Nacherzählungen / Neudichtungen Alice, Alex, Bd. 1: Siegfried, Bd. 2: Siegfried II: Die Walküre, Bd. 3: Siegfried III: Götterdämmerung, Bielefeld 2008–2009. [Comic über Siegfried, der sehr frei mit dem Stoff verfährt: Siegfried wächst hier z. B. als Wolfskind auf.] Bodmer, Johann Jakob, Die Rache der Schwester, in: Calliope 2 (1767), S. 307–372; Nachdruck in: Johannes Crüger, Joh. Christoph Gottsched und die Schweizer J. J. Bodmer und J. J. Breitinger, Berlin/ Stuttgart 1883, Nachdruck Darmstadt 1965, S. 181–229. [Erste deutsche Nacherzählung des zweiten Teils des „Nibelungenliedes“, verfasst in deutschen Hexametern.] Disney, Walt, Der magische Ring, o. O., o. J. (Lustiges Taschenbuch, 148). [Comic mit wenig Bezug zum Originaltext.] [Ehrismann 2007 =] Siegfrieds Tod. Aus dem mittelhochdeutschen „Nibelungenlied“ übersetzt und mit einem Nachwort von Otfrid Ehrismann, München 2007. [Sehr gute Nacherzählung des ersten Teils des „Nibelungenliedes“ nach der Handschrift B. Der zweite Teil wird allerdings auf vier Seiten zusammengefasst.] Fährmann, Willi, Siegfried von Xanten. Eine alte Sage neu erzählt, Stuttgart 1987, 82002 (Arena Taschenbuch, 1830).
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Kommentierte Auswahlbibliographie [Für Kinder konzipierte Nacherzählung des Stoffes, der vom Originaltext relativ stark abweicht.] Fühmann, Franz, Das „Nibelungenlied“. Neu erzählt, Stuttgart/Leipzig 2005 [Erstausgabe 1971]. [Für Jugendliche konzipierte Nacherzählung des „Nibelungenliedes“, insgesamt relativ originalgetreu. Zu Anfang der ffventiuren wird jeweils eine Originalstrophe zitiert.] Groeger, Alfred Carl, Die Nibelungensage. Siegfrieds Leben und Tod. Kriemhilds Rache, Husum o. J. (Hamburger Leseheft, 137) [Erstausgabe 1986]. [Für Jugendliche konzipierte Nacherzählung des „Nibelungenliedes“, trotz einiger Eingriffe in den Text insgesamt relativ originalnah. Der Kommentar im Anhang ist stark veraltet.] Hebbel, Friedrich, Die Nibelungen. Ein deutsches Trauerspiel in drei Abteilungen, Stuttgart 1959 (Universal-Bibliothek, 3171/72) [Erstausgabe 1862]. Hohlbein, Wolfgang, Hagen von Tronje. Roman, München 1986 u. ö. [Nibelungenroman für Jugendliche, sehr frei mit dem Stoff verfahrend.] Johnson, Uwe / Bierwisch, Manfred, Das „Nibelungenlied“, Frankfurt a. M./Leipzig 2006 (insel taschenbuch, 3133). [Sehr gute textnahe Nacherzählung des Originaltextes.] Köhlmeyer, Michael, Die Nibelungen neu erzählt, München 1999, 102004. [Nacherzählung des Nibelungenstoffes ohne Anspruch auf Originalnähe; insbesondere der zweite Teil wird stark gekürzt.] Kummer, Eberhard, Das „Nibelungenlied“, Einleitung von Ulrich Müller und Margarete Springeth, CD, o. O. 1999 (IMPACT). [Gesungene Wiedergabe der ffventiuren 1, 10, 16, 25 und 39 des „Nibelungenliedes“.] Kunkel, Eberhard / Kunkel, Patrick / Apitz, Michael Karl. Das Gold der Nibelungen, Martinsthal im Rheingau 1994 u. ö. [Comic ohne größeren Bezug zum Originaltext.] Lechner, Auguste, Die Nibelungen. Glanzzeit und Untergang eines mächtigen Volkes, Innsbruck 21 2002 [Erstausgabe 1951]. [Sehr freie Nacherzählung des „Nibelungenliedes“ für Kinder, die aufgrund der ins Rassistische neigenden tendenziösen Interpretation im Deutschunterricht besser nicht verwendet werden sollte.] Lodemann, Jürgen, Siegfried. Die deutsche Geschichte im eintausendfünfhundertsten Jahr der Ermordung ihres Helden nach den ältesten Dokumenten erzählt, Stuttgart/Wien 1986, später unter dem Titel: Der Mord. Das wahre Volksbuch von den Deutschen, Frankfurt a. M. 1995.
Lodemann, Jürgen, Siegfried und Krimhild. Roman, Stuttgart 32002. [Aufwändige und wortgewaltige Neuerzählung, die die angeblich ursprüngliche Nibelungensage (im 5. Jahrhundert) erzählt.] Nibelungen-Gedichte. Ein Lesebuch, hg. von Gunter E. Grimm, Marburg 2011. [Anthologie von Gedichten mit Nibelungenthematik.] Nievelstein, Ralf / Rummel, Matthias, Neidhart von Steinach, Nibelungen. Eine sehr originale Geschichte, Worms 2010. [Schön illustrierte Nacherzählung, an den ffventiuren des Originaltextes orientiert, aber recht frei interpretierend.] Rinke, Moritz, Die Nibelungen. Siegfrieds Frauen. Die letzten Tage von Burgund, Reinbek bei Hamburg 2002, 2007. [Zwei anlässlich der Wormser Festspiele geschriebene Theaterstücke, inspiriert vom Nibelungenstoff.] Schmidt, Arno, KAFF. Auch MARE CRISIUM, Frankfurt a. M. 32005 (Fischer Taschenbuch, 9117) [Erstausgabe 1960]. [Eigenwilliger und sehr lesenswerter Roman, in dem das „Nibelungenlied“ als Erzählung innerhalb der Erzählung eine prominente Rolle spielt.] Seckel, Knud, Das „Nibelungenlied“, CD, aufgenommen am 10.10.2008 im Pfälzer Schloss in Groß-Umstadt (Verlag der Spielleute / GEMA). [Teils (auf Mittelhochdeutsch) gesungene/gesprochene, teils (auf Neuhochdeutsch) zusammenfassende Nacherzählung des ersten Teils des „Nibelungenliedes“.] Simrock, Karl, Das „Nibelungenlied“, Berlin 1827. [Gereimte Übersetzung des „Nibelungenliedes“, die aufgrund der Reimform und in teils etwas tendenziöser Interpretation stark in den Text eingreift.] Specht, Franz, Siegfrieds Tod. Nach Motiven aus dem „Nibelungenlied“ frei erzählt. Deutsch als Fremdsprache Niveaustufe A2, mit Aufgaben von Katja Krämer und Illustrationen von Gisela Specht, Ismaning 2009. [Für den DaZ-/DaF-Unterricht konzipierte, stark gekürzte, aber relativ textnahe Nacherzählung des ersten Teils des „Nibelungenliedes“; mit Unterrichtsmaterialien.] Stepanoff, Rimogard Jimmy, Die Nibelungen. Das geheime Königreich, Bd. 1: Siegfrieds Jugend, München 2009. [Comic ohne größeren Bezug zum Originaltext.] Tolkien, John R. R., Die Legende von Sigurd und Gudrffln, hg. von Christopher Tolkien, aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring, Stuttgart 2010 [Erstausgabe 2009].
Kommentierte Auswahlbibliographie [Von Motiven der „Edda“ inspirierte neue Gedichte mit Bezug zur Nibelungensage.]
Forschungsliteratur 3. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“, hg. von Klaus Zatloukal, Wien 1995 (Philologica Germanica, 16). 7. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Mittelhochdeutsche Heldendichtung außerhalb des Nibelungenund Dietrichkreises, hg. von Klaus Zatloukal, Wien 2003 (Philologica Germanica, 25). 10. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Heldinnen, hg. von Johannes Keller und Florian Kragl, Wien 2010 (Philologica Germanica, 31). Achauer, Heinz, Minne im „Nibelungenlied“, München 1967. Der achthundertjährige Pelzrock. Walther von der Vogelweide, Wolfger von Erla, Zeiselmauer. Vorträge gehalten am Walther-Symposion der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 24. bis 27. September 2003 in Zeiselmauer (Niederösterreich), hg. von Helmut Birkhan u. a., Wien 2 2006 (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philologisch-historische Klasse, 721). Althoff, Gerd, Nach welchen Regeln handelten die Helden des „Nibelungenliedes“?, Duisburg/Essen 2009 (Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins, 51). Apfelböck, Hermann, Tradition und Gattungsbewußtsein im deutschen Leich. Ein Beitrag zur Gattungsgeschichte mittelalterlicher musikalischer „discordia“, Tübingen 1991 (Hermaea, NF 62). Bäuml, Franz H. / Fallone, Eva-Maria, A Concordance to the „Nibelungenlied“ (Bartsch-de Boor Text), with a Structural Pattern Index, Frequency Ranking List, and Reverse Index, Leeds 1976 (Compendia, 7). [Konkordanz zur Bartsch/de Boor-Fassung des „Nibelungenliedes“. Alle im Text vorhandenen Wörter erscheinen in alphabetischer Reihenfolge; zitiert wird außerdem der vollständige Vers, in dem diese Wörter vorkommen.] Baratowa, Nadja / Miedema, Nine, Kleidung, Schmuck und Rüstung im „Nibelungenlied“, in: Usbekisch-deutsche Studien II. Indogermanische und außerindogermanische Kontakte in Sprache, Literatur und Kultur, hg. von Abuzukhur Abduazizov u. a., Taschkent 2007, S. 123–154. Bax, Marcel M. H., Rules for Ritual Challenges. A Speech Convention among Medieval Knights, in: Journal of Pragmatics 5 (1981), S. 423–444. [Untersuchung zur so genannten Reizrede, der
verbalen Auseinandersetzung, durch die sich Krieger vor einem Kampf herausfordern.] Becker, Peter Jörg, Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen, Wiesbaden 1977. [Untersuchung zur Überlieferung mittelhochdeutscher Erzähltexte, die sowohl die Quantitäten der Handschriften und Drucke untersucht als auch ihre Qualität, Herkunft und Typologie.] Bekes, Peter u. a., Deutsch SII. Kompetenzen, Themen, Training, Braunschweig 2006. Bennewitz, Ingrid, Das „Nibelungenlied“ – ein „Puech von Chrimhilt“, in: 3. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Die Rezeption des „Nibelungenliedes“, hg. von Klaus Zatloukal, Wien 1995 (Philologica Germanica, 16), S. 33–52. Bennewitz, Ingrid, Der Körper der Dame. Zur Konstruktion von ,Weiblichkeit‘ in der deutschen Literatur des Mittelalters, in: „Aufführung“ und „Schrift“ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart u. a. 1996 (Germanistische Symposien. Berichtsbände, 17), S. 222–238. Bennewitz, Ingrid, Kriemhild und Kudrun. Heldinnen-Epik statt Helden-Epik?, in: 7. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Mittelhochdeutsche Heldendichtung außerhalb des Nibelungen- und Dietrichkreises, hg. von Klaus Zatloukal, Wien 2003 (Philologica Germanica, 17), S. 9–20. Berg, Bernd u. a., „Nibelungenlied“ im Unterricht. Ansätze eines Unterrichtsmodells, in: Wirkendes Wort 27 (1977), S. 203–307. Bernreuther, Marie-Luise, Motivationsstruktur und Erzählstrategie im „Nibelungenlied“ und in der „Klage“, Greifswald 1994 (Wodan, 41; Serie 2: Studien zur mittelalterlichen Literatur, 5). Beyschlag, Siegfried, Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 33 (1952), S. 95–108; erneut (und ergänzt) abgedruckt in: Zur germanisch-deutschen Heldensage. Sechzehn Aufsätze zum neuen Forschungsstand, hg. von Karl Hauck, Darmstadt 1965 (Wege der Forschung, 14), S. 195–213. Blickfeld Deutsch. Oberstufe. Lehrerband, hg. von Peter Mettenleiter und Stephan Knöbl, erarbeitet von Wolfgang Aleker u. a., Braunschweig u. a. 2003 u. ö. Brandt, Rüdiger, „Spielmannsepik“. Literaturwissenschaft zwischen Edition, Überlieferung und Literaturgeschichte, in: Jahrbuch für internationale Germanistik 37 (2005), S. 9–49. Breuer, Dieter, Die Handschrift C des „Nibelungenliedes“, ihr Status und ihr Schreiber, in: Ze Lorse bi dem münster. Das „Nibelungenlied“ (Handschrift C). Literarische Innovation und politische Zeitgeschichte, München 2006, S. 13–44. Bumke, Joachim, Die vier Fassungen der „Nibelun-
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Kommentierte Auswahlbibliographie genklage“. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert, Berlin 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 8). [Ausführliche Darstellung der Handschriften der „Nibelungenklage“ und der Fassungen, in die sich die Überlieferung einteilen lässt; Vorarbeit zu Bumkes Edition der „Nibelungenklage“.] Die Burgunder. Ethnogenese und Assimilation eines Volkes. 6. Symposiumsband der NibelungenliedGesellschaft. Symposium vom 21.–24. September in Worms, hg. von Volker Gallé, Worms 2008. Curschmann, Michael, „Nibelungenlied“ und „Nibelungenklage“. Über Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Prozeß der Episierung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 85–119; zum Teil erneut abgedruckt in: „Nibelungenlied“ und „Nibelungenklage“, hg. von Christoph Fasbender, Darmstadt 2005, S. 159–189 (zitiert wird nach dem Original). Damaschke, Giesbert, „Bericht vom verfehltn Leebm.“ Zur Funktion des „Nibelungenliedes“ in „Kaff auch Mare Crisium“, in: Bargfelder Bote 101–103 (1986), S. 4–33. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begründet von Wolfgang Stammler, 2. Aufl., hg. von Kurt Ruh u. a., 14 Bde., Berlin/New York 1987–2009. [Umfassendes alphabetisches Nachschlagewerk zu den Autoren und Werken des Mittelalters.] Diekamp, Busso, Die Rezeption der Nibelungen in Worms, in: Nibelungen Schnipsel. Neues vom alten Epos zwischen Mainz und Worms, hg. von Helmut Hinkel, Mainz 2004, S. 143–207. von Düffel, John, Das Leben des Siegfried. Uraufführung, Worms 2009. [Materialheft zur Neuinszenierung des Nibelungenstoffes für die Wormser Festspiele vom Jahr 2009.] Düwel, Klaus, Sigurd, Siegfried: Von der Saga zum PC-Spiel. Ein Beitrag zur Stoff- und Rezeptionsgeschichte einer Heldenfigur, in: Von Mythen und Mären. Mittelalterliche Kulturgeschichte im Spiegel einer Wissenschaftler-Biographie. Festschrift für Otfrid Ehrismann zum 65. Geburtstag, hg. von Gudrun Marci-Boehncke und Jörg Riecke, Hildesheim u. a. 2006, S. 233–255. Eegholm, Axel, Metrische Beobachtungen mit besonderer Berücksichtigung der Versifikation im „Nibelungenlied“, Kopenhagen/Leipzig 1936. Ehrismann, Otfrid, Das „Nibelungenlied“ in Deutschland. Studien zur Rezeption des „Nibelungenliedes“ von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, München 1975.
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Kommentierte Auswahlbibliographie Frankfurt a. M. 1986 (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, 16). Fößel, Amalie, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Stuttgart 2000 (MittelalterForschungen, 4). [Umfassende Studie zu den Rollen, die die Fürstinnen im Hoch- und Spätmittelalter einnehmen konnten; nimmt keinen Bezug auf literarische Quellen.] Frakes, Jerold C., Kriemhild’s Three Dreams. A Structural Interpretation, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 113 (1984), S. 173–187. Frakes, Jerold C., Brides and Doom. Gender, Property, and Power in Medieval German Women’s Epic, Philadelphia 1994. Frank, Petra, Weiblichkeit im Kontext von potestas und violentia. Untersuchungen zum „Nibelungenlied“, Würzburg 2004. Frembs, Susanne, „Nibelungenlied“ und Nationalgedanke nach Neunzehnhundert. Über den Umgang der Deutschen mit ihrem „Nationalepos“, Stuttgart 2001. [Eher oberflächliche Darstellung verschiedener Tendenzen in der Rezeption des Textes, v. a. von 1900–1945; Schwerpunkt auf dem Zusammenhang zwischen der Rezeption des Textes und der Entwicklung des deutschen Nationalgedankens. Viele Zitate aus zweiter Hand.] Gephart, Irmgard, Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im „Nibelungenlied“, Köln 2005. [Unzulässig stark nach modernen psychologischen Vorstellungen interpretierende Darstellung der Beziehungen zwischen den Figuren im „Nibelungenlied“.] Gerok-Reiter, Annette, Individualität. Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik, Tübingen/Basel 2006 (Philologica Germanica, 51). Ghosh, Shami, On the Origins of Germanic Heroic Poetry. A Case Study of the Legend of the Burgundians, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 129 (2007), S. 220–252. Glaser, Horst Albert, Ein deutsches Trauerspiel: Friedrich Hebbels „Nibelungen“, in: Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Joachim Heinzle und Anneliese Waldschmidt, Frankfurt a. M. 1991 (suhrkamp taschenbuch, 2110), S. 333–350; unter dem Titel „Das Totenschiff und die Lust am Untergang. Friedrich Hebbels ,Nibelungen‘“ erneut abgedruckt in: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, hg. von Joachim Heinzle, Klaus Klein und Ute Obhof, Wiesbaden 2003, S. 445–457 (zitiert wird nach diesem Nachdruck).
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Kommentierte Auswahlbibliographie Karlsruhe und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Darmstadt 2003. [Ausstellungskatalog, in dessen letztem Teil alle Handschriften des „Nibelungenliedes“ und der „Nibelungenklage“ zusammengestellt und zum größeren Teil abgebildet werden.] Vollmann-Profe, Gisela, Wiederbeginn volkssprachlicher Schriftlichkeit im hohen Mittelalter (1050/ 60–1160/70), Tübingen 21994 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, hg. von Joachim Heinzle, Bd. 1.2). [Umfassende Literaturgeschichte zu derjenigen Periode der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters, die der höfischen Klassik vorangeht.] Wachinger, Burghart, Studien zum „Nibelungenlied“. Vorausdeutungen, Aufbau, Motivierung, Tübingen 1960. Waligora, Melitta, Das „Nibelungenlied“, erzählt von Kriemhild, in: Draupadi und Kriemhild. Frauen, Macht und Ehre im „Nibelungenlied“ und „Mahabharata“, hg. von ders., Heidelberg 2008, S. 111–139. Weigand, Edda, Historische Sprachpragmatik am Beispiel: Gesprächsstrukturen im „Nibelungenlied“, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 117 (1988), S. 159–173. Weydt, Harald, Streitsuche im „Nibelungenlied“: Die Kooperation der Feinde. Eine konversationsanalytische Studie, in: Literatur und Konversation. Sprachsoziologie und Pragmatik in der Literaturwissenschaft, hg. von Ernest W. B. Hess-Lüttich, Wiesbaden 1980, S. 95–114. Weydt, Harald, Falken und Tauben im „Nibelungenlied“. Wie lässt man es zum Kampf kommen, wenn man keine Macht hat?, in: Formen und Funktionen von Redeszenen in der mittelhochdeutschen Großepik, hg. von Nine Miedema und Franz Hundsnurscher, Tübingen 2007 (Beiträge zur Dialogforschung, 36), S. 223–245. Wis, Marjatta, Zu den „Schneiderstrophen“ des
„Nibelungenliedes“. Ein Deutungsversuch, in: Neuphilologische Mitteilungen 84 (1983), S. 251–260. Wis, Marjatta, Mîn her, mîn vrou gegenüber monsieur, madame. Zur Verwendung des französischen Titels im Mittelhochdeutschen, in: Neuphilologische Mitteilungen 95 (1994), S. 147–166. Witthöft, Christiane, Selbst-loses Vertrauen? Probleme der Stellvertretung im „Engelhard“ Konrads von Würzburg und im „Nibelungenlied“, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 387–409. Wolf, Alois, Heldensage und Epos. Zur Konstituierung einer mittelalterlichen volkssprachlichen Gattung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1995 (ScriptOralia, 68). Women and Medieval Epic. Gender, Genre, and the Limits of Epic Masculinity, hg. von Sara S. Poor und Jana K. Schulman, New York 2007. Worstbrock, Franz Josef, Dilatatio materiae. Zur Poetik des „Erec“ Hartmanns von Aue, in: Frühmittelalterliche Studien 19 (1985), S. 1–30. Wunderlich, Werner, Der Schatz des Drachentödters. Materialien zur Wirkungsgeschichte des „Nibelungenliedes“, Stuttgart 1977. [Wichtige und sehr anregende Materialsammlung zur Rezeption des Textes.] Wunderlich, Werner, Nibelungenpädagogik, in: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos, hg. von Joachim Heinzle, Klaus Klein und Ute Obhof, Wiesbaden 2003, S. 345–373. Young, Christopher, sô ervar ich uns diu mære. Literary Self-Reflection and the Aesthetics of Production in the „Nibelungenlied“, in: Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur der Mittelalters, hg. von Manfred Braun und Christopher Young, Berlin/New York 2007 (Trends in Medieval Philology, 12), S. 225–252. Ziyatdinova, Elmira, Das „Nibelungenlied“ und das zentralasiatische Epos „AlpamyГim Hinblick auf ihre Formelhaftigkeit, in: Das Wort. Germanistisches Jahrbuch Russland 2008, S. 175–188.
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Personen- und Figurenregister Nicht aufgenommen wurden die Namen der Autorinnen und Autoren von Forschungsbeiträgen. Kursiviert sind literarische Figuren. Die Angabe (passim) besagt, dass das betreffende Lemma sehr häufig vorkommt, so dass keine einzelnen Seitennachweise gegeben werden können. Aetius 23 Alberich 12, 40, 42 Arminius 126 Attila 23, 24 – s. auch Etzel Barlach, Ernst 128 Berthold von Regensburg 119 Bierwisch, Manfred 129, 144 Bismarck, Otto von 126 Bleda 24 – s. auch Blödelin Blödelin 18, 24, 40, 43, 107, 111, 112 Bodmer, Johann Jakob 121, 141, 142, 143 Brünhild 12, 13, 14, 15, 18, 24, 25, 39, 40, 41, 42, 47, 53, 54, 56, 72, 73–76, 77, 78–92, 94, 110, 117, 118 f., 123 f., 129, 130, 132, 136 – Schönheit Brünhilds 12, 53, 61, 72, 74, 123, 130 – Tränen Brünhilds 13, 14, 75, 85, 87 f., 96 – negative Wertung 91 – s. auch Figurenrede (Streit der Königinnen); Ring und Gürtel Brünhilds Bülow, Bernhard von 126 Dahn, Felix 125 Dankrat 11, 52 Dankwart 11, 12, 13, 18, 19, 40, 41, 42, 52, 78, 79, 112 Dietrich von Bern 17, 18, 19, 20, 24, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 47 f., 50, 107, 108, 111, 114, 117, 118, 119, 124 f., 129 – s. auch Theoderich der Große; „Thidrekssaga“ Düffel, John von 132 Eckewart 52 Edel, Uli 132 Ehrismann, Otfrid 130 Etzel (passim) Fährmann, Willi 129, 143 f. Friedrich II., König von Preußen 122, 155 Fühmann, Franz 80 f., 129, 135 f., 144 Gelfrat 42, 43 Gere 52 Gerhardt, Tom 133 Gernot (passim) Gibich 59 Giselher (passim) Göring, Hermann 127 f. Goethe, Johann Wolfgang von 122 Gotelind 16, 17, 40, 103
Gottfried von Straßburg 20, 53, 141 Groeger, Alfred Carl 129, 143 Gunther (passim) – negative Wertung 89, 91, 92, 94, 98 Gunther (Sohn Siegfrieds und Kriemhilds) 96
13, 77, 91, 92,
Hagen von Tronje (passim) – negative Wertung 42, 43, 44, 49, 89, 90, 91, 92, 98, 100, 108, 109, 117 f., 119f., 131 – positive Wertung 43 f., 108, 109, 117, 125, 126, 127, 131 – Schönheit Hagens 44 – s. auch Parallelität; triuwe Hagen, Friedrich Heinrich von der 122, 135 Hartmann von Aue 7, 20 – s. auch Handschrifen (Zwettler Fragmente) Hebbel, Friedrich 123–125, 132, 144, 152 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 122 Heine, Heinrich 122 Heinrich von München 119 f., 141 Heinrich von Veldeke 20, 53, 57, 60, 63, 64, 65, 141 f. Heinrich, Klaus 51 Helena 54 Helfrich 19 Herbort von Fritzlar 20 Herder, Johann Gottfried von 131 Hildebrand 17, 18, 19, 20, 42, 43, 44, 47 f., 50, 51, 107, 111, 117, 118, 119, 121, 124, 129 Hitler, Adolf 127, 128 Hohlbein, Wolfgang 129, 144 Homer 63, 121 f. Hüttner, Ralf 133 Hunold 52 Iring
18 f., 41, 42, 43, 112
Jauch, Thomas 133 Johnson, Uwe 129, 144 Köhlmeyer, Michael 129, 144 Konrad von Würzburg 20, 23 Kriemhild (passim) – negative Wertung 9, 50, 51, 54, 58, 83, 84, 85, 86, 93, 104, 108–114, 117, 119, 120, 124 – Schönheit Kriemhilds 11, 16, 37 f., 39, 40 f., 43, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 59, 60, 63, 66, 67 f., 72, 74, 83, 84, 99, 103, 130 – Verstellung 16, 97, 103 f., 105, 106, 107 – s. auch Figurenrede (Streit der Königinnen); Nibelungenhort (Hortforderung); Parallelität; triuwe
Ortsregister
Napoleon Bonaparte 122 Naumann, Hans 127 Nibelung und Schilbung 11, 21, 25, 46 Nievelstein, Ralf 130, 144
Schmidt, Arno 37 f., 130 f., 144 Seckel, Knud 36, 144 Siegfried (passim) – dienest 62, 69–72, 74, 77, 83, 90, 92 – als gouch 88, 95 – Schönheit Siegfrieds 60, 66, 68 f. – (Un-)Verwundbarkeit 12, 14, 22, 25, 26, 88, 89, 90 f., 94, 96, 123, 127, 132 f. – s. auch Balmung; Parallelität; Standeslüge; Steigbügeldienst Siegfried (Sohn Gunthers und Brünhilds) 13, 77, 91, 118, 119 Siegher 120 Sieglind 11, 61, 63 f., 77, 120 Siegmund 11, 13, 15, 39, 40, 43, 61, 62, 63 f., 69, 93, 94, 95, 96, 120 Simrock, Karl 122 f., 143, 144, 155 Sindold 52 Specht, Franz 130, 144
Obereit, Jacob Hermann 121 Ortlieb 16, 18, 19, 43, 51, 104, 111 f. Ortwin 11, 13, 52, 64, 66, 77, 100
Theoderich der Große 24 – s. auch Dietrich von Bern; „Thidrekssaga“ Tolkien, John R.R. 134, 144 f.
Paris 54 Pilgrim 16, 17 Pretzel, Ulrich 128, 142
Ute 11, 15, 16, 40, 41, 52, 55–57, 58, 59 f., 63, 66, 67, 71, 92, 101, 113, 123, 124, 135
Der Kürenberger 55, 142 Kummer, Eberhard 36, 144 Lachmann, Karl 26 f., 61, 128, 142 Lang, Fritz 132 Lazius, Wolfgang 120 f. Lechner, Auguste 128 f., 136, 144 Liszt, Franz von 126 Liudeger und Liudegast 12, 42, 65, 66, 69, 71, 72, 88 Lodemann, Jürgen 131 f., 144 Luther, Martin 135 Maximilian I. 32 Müller, Johannes 121 f.
Reinl, Harald 132 Ried, Hans 32 Rinke, Moritz 132, 144 Roethe, Gustav 127 Rüdiger von Bechelaren 15, 16, 17, 18, 19, 39, 40, 41, 43, 47, 72, 99, 100, 101, 102, 107, 113 f., 126, 129 – s. auch triuwe Rummel, Matthias 130, 144 Rumold 16, 52, 106 Scherer, Wilhelm 126 Scheubel, Lienhart 29 Schilbung s. Nibelung Schlegel, August Wilhelm und Friedrich 122, 133, 135
Veldeke s. Heinrich von Veldeke Vergil 63, 143 Volker 11, 17, 18, 19, 40, 41, 42, 44, 52, 109, 110, 111, 112, 114, 117, 126 Wagner, Richard 123, 126, 128, 132 Walther von der Vogelweide 23, 122 Werbel 43 Wilhelm I., deutscher Kaiser 126 Wolfger von Erla, Bischof von Passau 23 Wolfhart 19, 42 Wolfram von Eschenbach 20, 32, 38 Zeune, Johann August 122
Ortsregister Nicht aufgenommen wurden die Orte derjenigen Bibliotheken, deren Handschriften im Rahmen der Einführung erwähnt werden. Bechelaren s. Rüdiger von Bechelaren Berlin 130, 131 Eschenbach s. Wolfram von Eschenbach Heidelberg 130 Nürnberg 120 Passau 16, 17, 118 – s. auch Wolfger von Erla Pöchlarn (Bechelaren) s. Rüdiger von Bechelaren Ramsundsberg 25 Rom 24
Runkelstein 121 Sangüesa 33 Stalingrad 127 f. Straßburg s. Gottfried von Straßburg Verona s. Dietrich von Bern Wien 118 Worms (passim) – s. auch „Rosengarten zu Worms“ Xanten 7, 11, 13, 15, 60, 66, 95, 115, 155
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Begriffsregister Abbildungen zum „Nibelungenlied“ 32 f., 121 – Ambraser Heldenbuch (d) 33 – Handschrift B 33 – Hundeshagensche Handschrift (b) 32, 33, 49 f., 71, 76, 81, 88, 93, 100, 142, 143 – Wiener Piaristenhandschrift (k) 32 – in der bildenden Kunst 25, 33, 115, 121, 128, 130, 144, 151, 155 accusativus cum infinitivo s. Syntax Ambraser Heldenbuch s. Handschriften amplificatio s. Rhetorik (descriptio) Antikenromane 20 – s. auch Heinrich von Veldeke; Herbort von Fritzlar Apokoinu-Konstruktion s. Syntax Artusepik 7, 20, 21, 22, 32, 53, 66 – s. auch Gottfried von Straßburg; Hartmann von Aue; Wolfram von Eschenbach Autor des „Nibelungenliedes“ 22 f., 33, 149, 150 âventiure (Begriff) 8 Bahrprobe 15, 94, 95 Balmung 11, 18, 19, 25, 47, 49, 50, 51, 108, 109, 121 Bibel 54, 68, 135 „Biterolf und Dietleib“ 22 Burgunden (als historisch nachweisbarer ostgermanischer Stamm) 23, 52 – s. auch Gernot; Giselher; Gunther; „Leges Burgundionum“; Worms Christen und ,Heiden‘ 15, 16, 46, 99, 102, 110 „Chronica Gallica“ 23 f., 141 „Cid“ 131 Comics 7, 133, 143, 144, 155 descriptio s. Rhetorik Dialoge s. Figurenrede Dolchstoßlegende 127 dramatische Ironie 84 f., 87 „Eckenlied“ 22 „Edda“ 25, 73, 145 Eide s. Figurenrede „Eneasroman“ s. Heinrich von Veldeke epic silence 80 Erzähler (passim) Exorbitanz 49, 50 Falkentraum s. Träume Fassungen – der „Nibelungenklage“ 23, 116, 141, 146 – des „Nibelungenliedes“ 22, 23, 26 f., 33–35, 38, 46 f., 49, 51, 53, 54, 58–60, 78, 97, 106, 107, 112, 116, 117 – Bartsch/de Boor-Fassung 27, 34, 35, 37, 139, 141, 142, 145, 156 – des Nibelungenstoffes 25, 111, 119, 120, 123
– s. auch Handschriften Figurenrede (passim) – Eide 12, 14, 15, 16, 17, 19, 49, 50, 72, 75, 78, 85, 87, 88, 97 f., 102, 113 – Gedankenrede 39, 43, 64, 68, 85, 100, 102, 104 – Höflichkeit 41, 56, 70 f., 83, 101, 104, 105, 111, 114 – Kebsen-Vorwurf 14, 84–87, 91 – Reizrede 18, 19, 64, 112, 145 – Streit der Königinnen 14, 42, 56, 76, 78–92, 94, 110, 117, 118, 119, 124, 130, 133, 136 – s. auch Nibelungenhort (Hortforderung); Standeslüge; Verschwiegenheitsbündnisse Formeln 38–44 – s. auch inquit-Formeln Frauen s. gender-Forschung Gedankenrede s. Figurenrede gender-Forschung / gender-relatierte Aspekte 9, 50, 51, 53, 56, 60, 61, 62, 66–68, 69, 71, 72 f., 77, 81, 82, 83, 84, 87, 89, 95, 104, 117, 120, 123 f., 125, 133, 136, 137 Gürtel s. Ring und Gürtel Brünhilds Handschriften 7 f., 9, 11, 20, 22, 25 f., 26–35, 141, 146, 154, 155 – Ambraser Heldenbuch (d) 9, 29, 30, 31, 32, 34, 60, 143, 155 – Handschrift A 26, 28, 30, 31, 34, 35, 37, 38, 46, 54, 58–60, 78, 107, 116, 121, 128, 141, 142, 154, 155 – Handschrift B 26, 27, 28, 30, 31, 34, 35, 37, 38, 46, 78, 116, 118, 121, 141, 142, 143, 151, 155 (und passim) – Handschrift J 28, 30, 31, 34, 60, 78, 116, 154 – Handschrift c 29, 120 – Hohenems-Laßbergische Handschrift (C) 26, 27, 28, 30, 31, 34, 35, 37, 38, 46 f., 49, 51, 54, 58–60, 78, 97, 106, 107, 112, 116, 117, 118, 121, 128, 141, 142, 143, 155 – Hundeshagensche Handschrift (b) 29, 30, 31, 34, 51, 60, 116, 142 f. – Wiener Piaristenhandschrift (k) 29, 30, 31, 32, 34, 35, 36, 53, 59 f., 142, 143 – Zwettler Fragmente 7, 153 – s. auch Abbildungen zum „Nibelungenlied“ Heldenepik / heroische Erzählmuster 20, 21, 22, 24, 32, 36, 38, 49, 53, 54, 55, 58, 60, 61, 62 f., 64, 68, 83, 95, 106, 112, 113, 116, 120, 124, 128, 137 – s. auch „Biterolf und Dietleib“; „Eckenlied“; „Edda“; „Ortnit“; „Rosengarten zu Worms“; „Virginal“ Hildebrandstrophe 36, 120 höfische Epik / höfische Kultur 7, 20, 21, 32, 38, 53, 54, 55, 58, 60, 61, 62 f., 64, 66, 68, 74, 75, 99, 103, 104, 107, 109, 110, 116, 131, 137, 146 – s. auch Artusepik; Figurenrede (Höflichkeit); Gottfried von Straßburg; Hartmann von Aue; Heinrich von Veldeke; Leich; minne; Minnesang; Mittelhochdeutsche Klassik; Sangspruchdichtung; Wolfram von Eschenbach
Begriffsregister Höflichkeit s. Figurenrede Hort s. Nibelungenhort Hundeshagensche Handschrift s. Abbildungen; Handschriften Hunnen (als historisch nachweisbarer Stamm) 23 f. – s. auch Attila, Bleda Hyperbeln s. Rhetorik Illustrationen s. Abbildungen Individualität 9, 101, 106, 118 inquit-Formeln 44, 89 Interpunktion 36, 46 Intertextualität 54, 57, 58, 63 „Kaiserchronik“ 24 f., 141 Kalokagathie 40, 53 – s. auch Brünhild (Schönheit Brünhilds); Kriemhild (Schönheit Kriemhilds); Siegfried (Schönheit Siegfrieds) Kebsen-Vorwurf s. Figurenrede „Klage“ s. „Nibelungenklage“ Kleidung s. ,Schneiderstrophen‘ Kleinepik 20, 32 Körper als Text 62 „Kudrun“ 22 kulturelles Gedächtnis 7 „Leges Burgundionum“ 23, 142 Lehnwortschatz 61 Leich 21 Leimabklatsch 28 Liebe/Leid-Thematik 11, 56, 70, 101 „Lied vom hürnen Seyfrid“ 120, 142, 155 Literarizität des „Nibelungenliedes“ 7, 47, 62, 80, 90, 104, 108, 138 Lyrik s. Leich; Minnesang; Sangspruchdichtung Männer und Frauen s. gender-Forschung Melodie des „Nibelungenliedes“ 36 f. Metrik 37 f., 52, 116 – beschwerte Hebung 37, 52 minne / Liebe 11, 12, 54–56, 60, 62, 63, 64 f., 68–72, 74, 75 f., 82, 92 f., 101, 137 Minnesang 21, 68, 70, 132, 142 – s. auch Der Kürenberger; Walther von der Vogelweide Mittelhochdeutsche Klassik 20 f., 149, 154 Mündlichkeit / Schriftlichkeit 25, 27, 33, 34, 37, 38, 44, 45 f., 58, 63, 82, 99, 120 Multiperspektivität 47 f., 78 f., 80, 85, 91, 105, 110, 113 Mythos / mythische Elemente 25 f., 123, 124, 128, 131, 133, 137, 138 Nationalsozialismus 127 f., 132, 134 „Nibelungen“ (als Name) 46 Nibelungenhort 11, 12, 15, 16, 17, 19, 21, 25, 46, 96, 97, 98, 102, 107, 120, 123, 133 – Hortforderung / Hortfrage 22, 48 f., 50, 108 „Nibelungenklage“ 9, 11, 22, 23, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 47, 115–119, 120, 121, 141, 142, 143, 154 – s. auch Fassungen (der „Nibelungenklage“) „Nibelungenlied“ (passim) – Bedeutung / Stellenwert 7, 8, 35, 115, 138 – als Nationalepos 8, 122, 125, 130, 131, 138 Nibelungentreue s. triuwe
„Ortnit“
22
Parallelität 51 – Kriemhild / Hagen 50 f., 90, 100 f., 108, 109, 112 – Kriemhild / Siegfried 50, 52, 60 f., 63 f., 67, 68, 69, 85, 92 „Parzival“ s. Wolfram von Eschenbach Piaristenhandschrift s. Handschriften Prolepsen 38, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 62, 63, 73, 75, 77, 99, 102 f., 103 f., 105, 106, 107, 108 – s. auch Träume Psychonarration 66, 100, 106, 129 – s. auch Figurenrede (Gedankenrede) Redeszenen s. Figurenrede Reim 35, 38, 44, 116, 123, 144, 155 Reizrede s. Figurenrede Rhetorik 45, 62, 119 – descriptio 62, 73 – Hyperbeln 53, 67, 74, 118 – planctus 119 – rhetorische Fragen 56, 101 – sermocinatio s. Figurenrede – s. auch Topoi Ring und Gürtel Brünhilds 13, 14, 77 f., 79–81, 86 f., 90, 109, 129 Rituale s. symbolische Kommunikation „Rosengarten zu Worms“ 59, 120, 141 Sangspruchdichtung 21 ,Schneiderstrophen‘ 61 f., 66 f., 73, 84 Schuld 47 f., 88, 89, 90, 93–95, 96–98, 105, 108, 110, 111, 118 f., 123, 124, 133 sermocinatio s. Figurenrede Siegfriedlinie 127 Spielmannsepik 20, 35 Standeslüge 12, 13, 14, 73, 75, 77, 78, 79, 81, 82–87 Steigbügeldienst / Stratordienst 12, 78 Stil s. Rhetorik Streit der Königinnen s. Figurenrede Strophenenjambement 35 f., 83 Strophenform 21, 35–38, 116, 137 – s. auch Hildebrandstrophe symbolische Kommunikation / Rituale 61 f., 66, 69, 70 f., 73, 74, 76, 78, 84, 101, 107 Syntax 38, 45, 46, 83, 90 – accusativus cum infinitivo 45 – Apokoinu-Konstruktionen 89 f. – formelhafte Syntax 44 – s. auch inquit-Formeln Tarnkappe 11, 12, 13, 25, 26, 72, 73, 118 Teufel 42, 44, 108, 114, 117 f., 124 „Thidrekssaga“ 25 „Titurel“ s. Wolfram von Eschenbach Topoi 45, 53, 56, 57, 66, 68, 70, 75, 94, 118 Träume 55, 91 f., 104 – Falkentraum 11, 55–57, 59 f., 62, 64, 69, 81, 103 „Tristan“ s. Gottfried von Straßburg triuwe / Treue 14, 25, 43, 69, 74, 90, 92, 95 f., 99 f., 101, 105, 113 f., 119, 126, 135 – Hagens Vasallentreue 43, 49, 50, 99, 117, 126 – Kriemhilds Treue 41, 49, 50, 91, 109, 117 – Nibelungentreue 126 f., 137
159
160
Konkordanz der Strophenzahlen – Rüdigers Treue 16, 17, 19, 113 f., 126
„Virginal“ 22 Vorausdeutungen s. Prolepsen
Überlieferung s. Handschriften übermuot 43, 80, 90, 109, 111 Umlaut 23 vâland / vâlandinne s. Teufel Verschwiegenheitsbündnisse 123 f.
Wiener Piaristenhandschrift s. Handschriften Zweite Lautverschiebung 23, 132 Zwettler Fragmente s. Handschriften
50, 77, 78–92, 93, 95, 96,
Konkordanz der Strophenzahlen bei Schulze/Grosse 2010 und Bartsch/de Boor Schulze/Grosse 2010
Bartsch/de Boor (s. Grosse 1997 und Brackert 22008)
[C 1] B1 – B2 B 3–521 – B 522–2376
1 2 3 4 5–523 524 525–2379
Bartsch/de Boor
Schulze/Grosse 2010
1 2 3 4 5–523 524 525–2379
[C 1] B1 – B2 B 3–521 – B 522–2376