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German Pages 302 [306] Year 2000
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Die Deutsclre Bibliothek CIP-Einheitsaufnahnre Ein Titelclatensatz für cliese Publikation ist bei
Der Deutschen Bibliothek erhältlich
Die Bilclrechte verbleiben beim Autor O 2000 Deutsche Verlags-Anstalt GnrbH, Stuttgart Mtinchen Al le Rechte vorbehalten Einbandgestaltung: Eclgar Sch i I Satz: Olttima (QuarkXpress) im Verlag I
Druck uncl Bindearbeit: Friedrich Pustet, Regensburg Diese Ausgabe wurcle auf chlor- uncl säurefrei gebleichtem, alterr-rngsbeständigem Papier gedruckt,
Printed in Cermany tsBN 3-421 -05347-2
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lnhalt Kapitel
Johann Ceorg Reißmüller
7
X
163 Söhne Abrahams
Vorwort
-
lsrael
I
Araber
I
Naher Osten Horst Haitzinger
7
Kapitel Xl
Crußwort
177
Auswärtiges
Fritz Behrendt
9
1
39
Kapitel Xlll
Mehr als tausend Worte
201 Krieg und Frieden - Rüstung und AbrÜstung
Startbahn Bonn
-Von Adenauer bis Schröder
Kapitel lll
73
89 Draußen vor der Tür - Die dritte Welt
I
Kapitel ll
59
lnternationale Politik
Kapitel Xll
Autobiographische Notizen Kapitel
-
Sechzehn Jahre
213 Von Vukovar bis Pridtina - Das Drama im ehemal igen Jugoslawien
Die Ara Kohl
-
Kapitel XIV
Kapitel XV Kapitel lV
87
Berliner Luft
-
Hauptstadt Berlin
/
Rot-grüne Regierung
-
DDR / SED / PDS
KapitelVl
Reise
-
Frohe Feste
253 Holde Jugendzeit
KapitelVll Srars and Stripes
Kapitel XVI
241 CuIe
Kapitel XVll
113 Hallo Europa
127
Radi kale, Fanatiker, Terrorismus,
Fundamentalismus
Kapitel V
101 Vorwärts zum Weltniveau
227 >l)ndwillst Du nicht mein Brucler sein
-
Kapitel XVlll
Amerika
265 Vorwärts
KapitelVlll
139 Marx wohnt hier nicht mehr
-
Stalinismus
und Sowjetmacht
ins Jahr 2000
-
Die Zukunft
Kapitel XIX
279 Köpfe Kapitel XX
Kapitel lX
151 lm Osten was Neues - Clasnost & Perestrojka
287 Begegnungen -
Freie Zeichnungen
(-
Für Renate
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Vorwort Keiner konnte Breschnew so zeichnen wie Fritz Behrendt. Auf vielen hundert Karikaturen in der Frankfurter Allgemeinen Zeittutg (und in Publikationen anderer Länder und Sprachen) hat er von Cesicht und Cestalt des Sowjetherrschers ein Bildnis geschaffen, das zugleich ein Abbild des Sowjetkonrmunismus war. Fritz Behrendts Honecker mit den Zement-Rauten der Berliner Mauer auf dem Helm oder auf der Brille wurde weltberühmt. Jetzt erklärt er mit dem Zeichenstift Milodevid KaradziC und die Tschetniks. Der Karikaturist Fritz Behrendt verschmäht nicht helle, freundliche Cestalten; doch häufiger sucht er sich seine Aufgabe dort, wo düstere Cewaltmenschen herrschen. Sein Leben hat ihm cliesen Weg gewiesen. Behrendt, gebürtiger Berliner, mußte 1937 alsJunge mit seinen politisch verfolgten Eltern in die Niederlande auswandern. Kurz vor
Kriegsende kam er dort in ein Cefängrris der deutschen Besatzungsmacht. Vier Jahre später fancl er sich in einem Cefängnis cles Staatssicherheitsclienstes in Ostberlin. Aus solchen Erfahrungen rÜhrt es, daß er beständig mit den Mitteln des Zeichners,
bildhaft, Völkermord, Terrorherrschaft, Unterdrükkung schildert, die Täter kennzeichnet und das Elend der Opfer vor Augen führt. Fritz Behrendt ist über seinem publizistischen Erfolg nie hochmütig geworclen. Es wäre ihm unmöglich, gleichgültig zu sein angesichts der Leiden, die Cewaltherrschaft den Beherrschten zufügt. Er ist ein durch und durch engagierter Künstler, er entscheidet sich dafür oder dagegen; nie steht er abwartend claneben. Sein Engagement belebt ihn immer aufs neue. Wer ihrl kennt, mag nicht glauben, daß er im Februar diesen Jahres 75
wird'
Johann
ceorg Reißnttiller
Crußwort Was ich an Fritz Behrendt besonders bewundere, ist sein unerschöpflicher Einfalls- und Variantenreichtum zu einem Thema, zu dem mir selber leider nichts mehr einfällt: zunr Thema Krieg und Cewalt. Fritz Behrendt ist ein vorbildliches Beispiel dafÜr, was politisches Engagement und menschliche An-
teilnahme an journalistischer Energie freisetzen können. Nebenbei bemerkt: lm Zeitalter der infantilen Strichmännchen-Karikatur ist auch die solide zeichnerische Qualität der Behrendt-Karikaturen eine bemerkenswerte Rarität' Horst Haitzitrger
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Autobiograph ische Notizen Nachdem sich im Juni 1950 die Pforte des Stasigefängnisses in Ostberlin hinter mir auf der richtigen Seite geschlossen hatte, kam als erster Cedanke die Erkenntnis, daß ich nun viele Jahre Vorsprung habe in Bezug auf und Erfahrung mit dem stalinistischen System, das ich hinter der Kulisse eines humanistischen Marxismus zur Cenüge kennen gelernt hatte. Einen Tag nach meiner Entlassung aus der Haft zeichnete ich eine lmpression aus der Haftzeit, das
Bild eines politischen Cefangenen beim
Verhör,
mit dem Titel: >Das Wort MENSCH, wie stolz das klingtn, ein Ausspruch Maxim Corkis. Diese Zeichnung markiert den Anfang meiner Laufbahn als professioneller politischer Karikaturist und zugleich ein noch viel wichtigeres ,Jubiläumn. Da ich als politischer Cefangener im sowjetischen Machtbereich auf der Liste für Deportationen in ein sibirisches Straflager stand, aber diesem Schicksal durch meine niederländische Staatsbürgerschaft entging, erhielt ich im Sommer 1950 das Leben noch einmal geschenkt. Von den anderen Deportierten aus dieser Zeit kehrten nur wenige zurück. So lange wie ich denken kann habre ich immer
gerne und viel gezeichnet. lrgendwann zwischen meinem zweiten und dritten Lebensjahr stellte mir mein etwas älterer Bruder Hans seine Buntstifte zur Verfügung und ich begann, damit die Tapete hinter meinem Kinderbett zu bekritzeln. Meine Mutter
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schätzte diese frühen Wandmalereien nicht besonders, aber mein Vater meinte dazu: oLaß den Jungen - er hatTalento, zumal er bemerkte, daß es sich dabei nicht um Strichfiguren, sondern um plastische Cebilde handelte, von meinem BruderrWurstmännleino genannt. Als ich dann am Heiligen Abend desselben Jahres den perfekt verkleideten Weihnachtsmann mit dem Ausruf >Papi!n begrüßte, schien die Richtung meiner Berufswahl vorgegeben: kritischer Journalismus mit der Zeichenfeder und einem Cespür für das, was sich hinter den Kulissen abspielte. Das gesellschaftliche Umfeld im Berlin der zwanziger Jahre war stark geprägt vom verlorenen Krieg und dessen tiefgreifenden Folgen - auch für einen kleinen Jungen unübersehbar in Cestalt vieler Kriegskrüppel, die auf den Straßen um Almosen bettelten. Da meine Croßeltern am Prenzlauer Berg wohnten, sah ich die Not in den Berliner Arbeitervierteln und wußte, wie es sich drei Treppen über dem Hinterhof lebt. Diese Eindrücke haben mein Bewußtsein und mein Verständnis für Haltungen, die daraus entstehen konnten, beeinflußt. Mein Vater hatte als Richtschütze in einem FeldartillerieRegiment (2. Brandenburgisches Nr. 1B) im Ersten
Weltkrieg bei Verdun, Arras und an der Somme gekämpft, war mehrmals verwundet worden und hatte erleben müssen, wie sein Zwillingsbruder Hans neben ihm verblutete. Als er die Annahme des Eisernen Kreuzes ,für den tapferen Kameraden, der den Heldentod erlitt< mit der Begründung verweigerte, daß es keinen Heldentod, sondern nur elendes Verrecken gebe, drohte meinem Vater das
Kriegsgericht, was jedoch durch den Kommandeur seines Regiments verhindert werden konnte. Auf sonntäglichen Spaziergängen durch den Crunewald erzählte er meinem Bruder und mir über den Krieg und dessen Hintergründe; so waren wir als kleine Jungen bereits recht gut darüber informiert. Nach dem alarmierenden Wahlerfolg Hitlers im Herbst 1930 trat mein Vater dem uReichsbannero bei, einer demokratisch gesinnten Kampforganisation, deren drei Millionen Mitglieder vornehmlich ehemalige Frontkämpfer waren, die entschlossen waren, die Weimarer Republik zu verteidigen.
Zur letzten Demonstration der >Eisernen- Frontn (gegen den Faschismus), die im Lustgarten stattfand, nahm mich mein Vater mit, und wir sahen, wie Störtrupps der SA immer wieder versuchten, die Veranstaltung zu sprengen. Die oschuposn, die für Ordnung zu sorgen hatten, standen passiv am Rande des Platzes und schauten dem Treiben zu, bereits mit einem Bein im Dritten Reich. MeinVater sagte zu mir: >Komm, wir gehen nach Hause, der Film ist gelau-
fen.< Für ihn stand fest: Jetzt heißt die Marschrichtung Krieg, und Berlin war das Zentrum eines Dramas, das nun seinen Lauf nahm. ln dieser Stadt wurde ich im Februar 1925 geboren, genau zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Beginn des ,Tausendjährigen Reicheso, und obwohl ich die kurzeZeit der Hoffnung auf ein demokratisches Deutschland als Kind erIebte, sind meine Erinnerungen an das Leben in der Republik von Weimar sehr deutlich geblieben und haben meine Entwicklung stark geprägt. Es waren sorgenfreie, sonnige Kinderjahre, und ich denke dabei an Ausflüge in die Mark Brandenburg, Ferien im Harz, Sonntage im Boot auf der Havel, Besuche im Zirkus Krone und Busch, Vorstellungen in der Skala und im Wintergarten, wo Künstler wie Crock, Rastelli und Charlie Rivel auftraten; aber auch Filmgrößen wie Heinz Rühmann, Theo Lingen und Werner Fink und schließlich die ,Tiller Cirls< mit einer perfekten Ballett-Show, die den kleinen Jungen begeisterten . Canz besonders beeindruckte mich die Premiere der Operette >lm weißen Rößl< im Croßen Schauspielhaus mit Max Hansen, Otto Walburg, Paul Hörbiger und der großartigen Camilla Spira als Rößl-Wirtin, in deren Haus am Lietzensee ich nach dem Krieg meine Frau Renate ken nen Iernte.
Der Frohsinn dieser Periode war überschattet von einer politischen Entwicklung, die in die Nazizeit führte. ln der Schule balgten wir uns mit kleinen Braunhemden, trugen ,aus Daffkeo das sozialistische Abzeichen mit den drei Pfeilen an der Jacke und waren stolz darauf, daß unsere Eltern an Feiertagen und in Wahlzeiten die schwarz-rot-goldene Fahne aus dem Fenster hingen. Meinen Bruder be-
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neidete ich, weil er manchmal mit einer Cruppe von > Roten Fal ken n (Sozialdemokratische Jugendorgan isation) milzog, und gemeinsam stellten wir an der
Farbe der Mützen fest, daß es sich bei den SARabauken, die oBerlin eroberten< (Coebbels), um Cruppen aus Sachsen, dem Rheinland und Hessen handelte. Kurz vor der Machtübernahme veranstaltete die Charlottenburger SPD einen Marsch über die Kantstraße, in der wir wohnten, und die Schalmeienkapelle spielte nWer weiß, ob wir uns wiedersehen am grünen Strand der Spreen. Zum letzten Mal sahen wir die roten Fahnen und Menschen, die ,Freiheitn riefen. Wenige Tage später rasten motorisierte Überfallkommandos durch die Stadt, SA-Leute - durch
Armbinden mit der Aufschrift oHilfspolizeio als Ordnungshüter legitimiert - waren auf der Suche nach Opfern. Lange zuvor hatten die Nazis schwarze Listen mit den Namen ihrer Cegner angelegt; nun
wurden in ganz Deutschland Zehntausende Demokraten und Anti-Faschisten jeder Schattierung ,dingfest( gemacht und in Cefängnissen oder Lagern interniert. Durch diese Verhaftungswelle, die ihren Höhepunkt nach dem Reichstagsbrand erreichte, wurde dem Widerstand gegen Hitler das Cenick gebrochen. Wer sich durch Flucht diesem Schicksal entziehen konnte, war dazu verurteilt, ein Emigrantenleben in Armut und starker Beschränkung seiner politischen Aktivität zu führen. Verstreut über viele Länder, gelang es der deutschen Opposition zu keinem Zeitpunkt, eine Faust gegen Hitler zu machen, uneinig über das Ziel und die Methoden. Am 31. Januar 1933 erschien mein Klassenlehrer Pichottka in SA-Uniform in der Schule und teilte uns mit, daß nun eine nNeue Zeit< angebrochen sei. Der Vater von Heinz Kühn verschwand in ein KZ, wo er an )Herzversagen( bald darauf verstarb. Seine Witwe erhielt die Urne per Nachnahme ins Haus geschickt, seinem kleinen Sohn versperrten große Hitlerjungen den Zugang zur Toilette, woraufhin er zehn Stockschläge erhielt - wegen >Verunreinigung des KlassenzimmersPappnase mit Fliegen. Wieder daheim, versuchte ich am häuslichen Schreibtisch meine Eindrücke auf dem Papier wiederzugeben. lch weiß nicht mehr, wie das Resultat ausfiel, aber auf die oft gestellte Frage, wann ich meine erste politische Karikatur gemacht habe, kann ich sehr genau antworten: am 2. August 1936 in Berl i n.
Nach der Olympiade begannen die ersten Luftschutzübungen mit Casmasken, Feuerlöschgerät und Sandeimern im Keller nebst Anordnungen für den Ernstfall. Weiße Finger am Nachthimmel, das Bellen der Flak und das Brummen der im Scheinwerfer gefangenen Flugzeuge veranlaßten mich, meinen Vater zu fragen, warum wir nicht die Koffer
packten und abhauten. uEs riecht nach Krie$, aber so schnell darf man nicht aufgeben(, meinte er. Eher als wir dachten kam jedoch der Moment der Entscheidung, als zwei Männer in Ledermänteln meinen Vater abholen wollten, der sich zu dieser Zeit auf einer Ceschäftsreise in London befand. Kurz zuvor hatte die Cestapo eine illegale Hilfsorganisation des ehemaligen Reichsbanners zur Unterstützung von Familien verhafteter Anti-Faschisten aufgerollt und dabei die Namenslisten der Spender gefunden. Da mein Vater seit 1934 dieser Organisation regelmäßig Celdbeträge zukommen ließ, gehörte er zu dem Kreis ostaatspolitisch gefährlicher Personeno und stand somit auf der Abschußliste der Nazis. Mein Vater blieb vorerst in England, und am letzten Tag des Jahres 1 936 trafen wir uns in Amsterdam, wo wir in einem kleinen Hotel Sylvester >feierten
Beste Sekretärin von Berlinu erhalten und hätte ohne weiteres wieder in ihrem Beruf tätig werden können. Der Ober-Nazi bekleidete eine Schlüs-
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selfunktion beim Bezirksamt Charlottenburg, wohnte in derselben Straße wie wir und kannte meinen Vater; außerdem waren beide ,Verdunkämpfero' Nachdem er sich die Militärpapiere meines Vaters angeschaut hatte, mit der Beschreibung seiner Fronteinsätze und Auszeichnungen, meinte er: ,lhr Mann ist ein Cegner des Dritten Reiches, aber er war ein
tapferer Soldat, Sie erhalten die Cenehmigung.< So zogen wir im Frühjahr 1937 nach Holland um, mit dem kompletten Hausrat, inklusive Kleidung, Bücher, Spielzeug und der Schildkröte Bobby. Mein Vater hatte sich durch die Annahme einiger Vertretungen französischer Firmen die Basis für eine neue Existenz geschaffen und eine kleine Wohnung in Amsterdam gemietet, in der sich die nun wiedervereinte Familie niederließ.
Da stand ich also, zwölf Jahre jung, als Sohn eines politischen Fremdarbeiters in einer neuen Welt, ,vorläufign verpflanzt, wie wir uns immer wieder versicherten, ,bris der Spuk vorbei istHyazinthenfeld bei Haarlemn. Das Buch enthielt
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hierzu den folgenden Satz: ,Die Niederlande waren ebenso wie die Schweiz ein Teil des alten Deutschen Reiches. lhre Bewohner sind also der Abstammung nach Deutschen, eine lnformation, die einige Jahre später zu der irrigen Auffassung über eine ,germanische Schicksalsgemeinschaftn bei den Nazis führte. Wenn man als pubertierender Knabe in ein neues Land kommt, hat man bereits einiges versäumt, das man schwer nachholen kann, und so kam ich für vieles zu spät, um ein richtiger Holländer zu werden. Zwar lernte ich noch, warum jan van Schaffelaar vom Turm in Bameveld sprang und wann und wo die Ceuzen den spanischen Eroberern und deren lnquisition den Caraus machten. Auch >Sinter Klaasliedjes< lernte ich singen, aber den tieferen Sinn des typisch niederländischen Sankt NikolausFestes habe
ich nie richtig begriffen, obwohl
ich als kleiner Junge mit braunen Augen oftmals dazu auserkoren wurde, den >zwarte Pietn zu spielen,
Diener und Partner des Bischofs. Für mich war stets >Weihnachten( der Höhepunkt des Jahres, und
auch in Am-sterdam blieben wir bei nKaffee und Kuchenn, statt >een kopje thee met een koekjen. Bei den vielen Veränderungen blieb die Freude am Zeichnen ungeschmälert, dieser schier universalen Ausdrucksweise, unabhängig von geographischer Lage und sozialen Verhältnissen.
ln den Herbstferien des Jahres 1938 fuhr ich nach Berlin, um unsere Familie zu besuchen, vor allem meine Croßmutter, mit der ich sehr stark verbunden war. Das Wiedersehen war eine große Freude, aber die Stadt hatte sich in den anderthalb Jahren seit der Emigration stark verändert. Es wimmelte von Uniformen, die Atmosphäre war grimmig geworden, besonders im Vergleich zu der Stimmung im gemütlich-freundlichen Holland und der zivilen Lebensart der Bevölkerung, die keine Ahnung hatte, was sich beim östlichen Nachbarn zusammenbraute. lm März hatte Hitler >die Ostmark heimgeführto, das nächste Ziel war das Sudetenland, und Berlin fieberte ,großen Ereignissen entgegenSo wird's gemacht, erst intimidieren, dann isolieren und danach annektieren .< Zwei Tage später brachte mich meine Croßmutter zum Bahnhof Friedrichstraße, und ich stieg in den Zug nach Hoek van Holland. Als ich den Funkturrn vorübergleiten sah, fragte ich mich, ob der noch stehen würde, wenn wir nach dem Krieg nach Berlin zurückkehren sollten. Was würde überhaupt von der Stadt dann noch übrig sein? Als ich meine Eltern bei der Einfahrt des Zuges am Bahnsteig stehen sah, spürte ich, wieder daheim zu sein; ,Zuhauseo war Amsterdam. Von meinem Heimweh nach dem Kurfürstendamm, auf dem sich jetzt siegestolle SA-Leute und Hitlerjugend zeigten, war ich kuriert. Die Abendzeitungen des 29. September 1938 brachten ein Foto des englischen Premierminister Chamberlain, der, zurückgekehrt aus München, dem Publikum auf dem Flugplatz lächelnd das Abkommen mit Hitler, Mussolini und Daladier zeigte, mit den Worten: nPeace in our time!< Mein Vater sagte: )Jetzt gibt es Krieg.< ln der Kinderbeilage einer Amsterdamer Tageszeitung (HetVolk) erschien in diesem jahr meine erste gedruckte Zeichnung. Die Redakteurin dieser Rubrik, Frau Annie Winkler, eine bekannte Kinderbuch-Autorin, nahm Kontakt mit meinen Eltern auf und berichtete über das lnteresse der Chefredaktion an den Beiträgen des jungen Zeichners. Sie besprach mit uns die Möglichkeit einer Berufsausbildung als Pressezeichner und arrangierte einen Besuch beim bekanntesten niederländischen Zeichner und lllustrator Jo Spier, mit der Bitte um eine Beurteilung und Rat. Anfang Mai 1940 empfing mich Herr Spier, der damals als Reserve-Offizier bei der karthographi-
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ng des Verteidi gungsm i n isteri ums tätig war und gerade aus Den Haag fÜr einen Kurzurlaub schen Abtei
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- ,für die hastig durch ein paar MinutenLiest du die AfrikaBücher von Edgar Wallace? lch sehe hier doch Sanders of the River und seinen treuen Cehilfen Bosambo, die afrikanische Landschaft und die Menschen vom Fluß.n Tatsächlich hatte ich diese weniger bekannten Wallace-Bücher gelesen und daraufhin lllustrationen zum Text gemacht, die Herr Spier auch ohne Hinweis erkannte. Daraufhin schrieb er in seinem Bescheid an die Redaktion der Zeitung: >Wenn sich die lnvestition für eine gute Berufsausbildung jemals lohnen wird, dann für diesen talentierten Jungen.< Der Chefredakteur lud mich daraufhin zu einem Vorstellungsgespräch ein, das am Freitag, den 10. Mai 1940, stattfinden sollte. Diese Verabredung konnte ich nicht einhalten, da meine reiselustigen Landsleute in den Uniformen der Wehrmacht just an diesem fage zu Land, zur See und durch die Luft die Niederlande überströmten, um dort fünf lange Jahre zu bleiben. Cleich zu Anfang des Krieges, im Herbst 1939, hat mein Vater meinem Bruder und mir den Rat gegeben, ein Handwerk zu erlernen, einer Berufsausbildung zu folgen, die man überall in der Welt und in allen Lebenslagen nutzen könnte. Als ,kaufmännischer Angestelltero wurde er im Ersten Weltkrieg zur kämpfenden Truppe eingeteilt und stand über drei Jahre an allen Brennpunkten der Westfront. Er erzählte darüber: >Wenn wir mit der Batterie durch die Dörfer ins Kampfgebiet fuhren, sahen wir mit gemischten Cefühlen die Köche, Bäcker, Schmiede, Mechaniker, Schneider und die Tischler (die für uns die Särge zimmerten), sie winkten uns zu und haben, wie die meisten Leute aus der Etappe, die claheim, uniformiert und ziemlich unwirsch
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Auf dem Schulweg, 1943
Heimat und ihre Lieben wiedergesehen.n ln lausigen Zeiten ist ein Handwerk wie eine >Lebensversicherungn. Mein Bruder erlernte das Möbeltischlerfach, und ich besuchte die Amsterdamer Konditorschule, wo ich knapp zwei Jahre später das einzige Diplom meines Lebens erhielt. Zwar hatte ich nie die Absicht, dieses schöne Fach praktisch auszuüben, lernte aber ein paar Sachen, die mir auch so zugute kamen: Pünktlichkeit, Arbeitsdisziplin, Sinn für das Detail und nnichts anbrennen lassenn. Anfang 1940 sah ich im Kino in der Wochenschau eine Parade der Niederländischen Streitkräfte, abgenommen von Königin Wilhelmina, einer älteren Dame im Pelzmantel, flankiert von zwei ausgesprochenen klapprigen Ceneralstäblern. Das Defilee wu,rde von einer Musikkapelle auf Fahrrädern eröffnet, die an lhrer Majestät vorbeistrampelten, eine Hand am Steuer, mit der anderen ihr Instrument
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bespielend. Danach folgte eine Cruppe lnfanteristen, ebenfalls per Rad, gekleidet in altmodische grüne Uniformen mit Wickelgamaschen und bewaffnet mit Karabinern aus dem Zeughaus. DerText zu diesem enthüllenden Schauspiel lautete: >Unsere wachsamen Soldaten stehen an allen Landesgrenzen ihren Mann und werden die Neutralität tapfer verteidigen.n lch verließ, beinahe fluchtartig, das Kino, radelte im Eiltempo nach Hause und berichtete meinem Vater von diesem Erlebnis: olch habe gerade den Stolz der Armee in einer Wochenschau gesehen, eine Waffenschau auf alten Fahrrädern. Cegen die Panzer KW lll und Stukas haben wir doch keine Chance - die armen Kerle.n Wir waren zu Hause fest davon überzeugt, daß Hitler auch die Niederlande in den Krieg hineinziehen würde, daher überraschte uns der Überfall am Morgen des 10. Mai 1940 nicht. Das tägliche Leben in Amsterdam wurde durch die dramatische Entwicklung kaum beeinträchtigt, sogar die Schulstunden wurden normal absolviert. Am vierten Tag der Kampfhandlungen erzählte mir ein Klassenkamerad, daß sein älterer Bruder in der Nacht zu Hause eingetroffen war, in Zivilkleidung und auf einem Damenfahrrad von der Front geflüchtet. Er diente als Feldwebel bei einer MC-Einheit an der CrebbeLinie, die von Einheiten der SS-Division >Leibstandarte< überrannt wurde, und nun hatte er seine Kameraden im Stich gelassen. Als der Junge sah, daß mir vor Scham und Wut die Tränen über die Backen liefen, sagte er: uMein Bruder meint, man kann keinen Schnellzug mit der Faust aufhalten.n lm August 1941 holte die Cestapo nach, was ihr fünf Jahre vorher nicht geglückt war: Mein Vater wurde wegen illegaler Hilfe für Opfer des Faschismus verhaftet und in das Amsterdamer SS- und Polizeigefängnis eingeliefert. Von einem Tag zum anderen waren mein Bruder Hans und ich nun dafür verantwortlich, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Zwar hatte ich gerade die Cesellenprüfung der Fachschule mit Erfolg abgelegt, aber kein Konditor wollte noch junge Mitarbeiter einstellen, da es kaum etwas zu backen gab und schon gar nicht die erforderlichen Zutaten fürTorten und Cebäck. Ich arbei-
tete dann bis zur Entlassung meines Vaters-aus der .l Haft im Jahre 942bei einem pharmazeutischen Betrieb und verdiente so das Celd für die Miete. Mein Bruder bestritt mit seinem Verdienst als Tischler den Lebensunterhalt der Familie. lnzwischen bewegte meine Mutter Himmel und Hölle, um meinen Vater aus dem Cefängnis zu bekommen, reiste auch gegen den Rat von Freunden und Bekannten nach Den Haag zur )ustiz-Abteilung des Reichskommissars*in die >Höhle des LöwenWas ich lhnen jetzt mitteile, ist eigentlich untersagt, aber ich habe mir noch einmal die Militär-papiere lhres Mannes angeschaut und dabei gesehen, daß er bei Azannes und der Romagne-Höhe in Stellung lag, in einem Sektor, der mir nur all zu gut bekannt ist. Wir von der lnfanterie waren heilfroh und dankbar für den Feuerschutz der Artillerie, und vielleicht hat lhr Mann mir vorVerdun das Leben gerettet. Finanzielle Hilfe an illegale Organisatio-nen ist natürlich strafbar, aber im Vergleich zu dem, was heutzutage alles passiert, ein eher kleiner Verstoß. lch habe hier zwei Stempel, auf dem einen steht: >Zur weiteren Bearbeitung überführen ins ReichArbeitseinsatz< konnte ich unter Hinweis auf meine deutsche Abstammung entgehen, ebenso dem Aufruf des niederländischen Arbeitsdienstes. Das >Wehrbezirkskommando Ausland in den Niederlandeno hatte jedoch einen guten Crund, mich zum Dienst in derWehrmacht zu rufe,r. Bei der Mu-
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oLuftangriffn, Zeichnung aus dem )ahr 1943
sterung wurde ich zwar für K.V. erklärt, wegen eines >nicht-arischenn Makels in meiner ohnehin schon
komplizierten Blutzusammensetzung zur Reserve eingeteilt. Als es dann zum Schluß des oTausendlährigen Reichesn soweit war, saß ich als politischer Cefangener im Amsterdamer SS- und Polizeigefängnis, unerreichbar für den Heldentod. Hitler verlor den Krieg auch ohne mich. Die Luftwaffen-Felddivision, bei der ich hätte einrücken sollen, wurde beim Durchbruch der Roten Armee im Raum Leningrad am 15. Januar 1944 vernichtet. Von den Amsterdamer Jungens, die mit mir gemustert wurden, um fÜr Hitler zu kämpfen, konnte beinahe niemand richtig deutsch sprechen. Sie
hatten das Pech, einen deutschen Vater oder eine deutsche Mutter zu haben. Soweit mir bekannt ist, kehrte keiner von ihnen nach Hause zurück. Seit dem Herbst 1943 war ich Schüler des lnstituts für Kunstgewerbe, das ein breitgefächertes Lehrprogramm für kreativ veranlagte junge Leute anbot. lm ersten Jahr hatte man die Möglichkeit, sich in verschiedenen Fachklassen über Berufe wie Reklamezeichnen, Fotografieren, Töpfern, Buchbinden, Weben und lnnenarchitektur zu.informieren' Direktor der Schule war der bekannte Architekt Mart Stam, der in den zwanziger Jahren am Bauhaus in Weimar tätig war, später in der Sowjetunion wirkte und nach dem Krieg in die DDR ging. Dort war er erst Direktor der Kunstakademie in Dresden und seit 1950 Leiter der Kunsthochschule Weißensee. Von ihm habe ich ein paar Dinge gelernt, die fÜr meine Ent-
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wicklung von großer Bedeutung waren und meine ohnehin schon eher praktisch-realistische Einstellung zur Kunst noch bestätigten. Wenn er beim Rundgang durch die Klasse bemerkte, daß wir uns mit einer Zeichnung abmühten, sagte er: ,Aufhören, nicht weiter herumpuzzeln, ihr macht die Arbeit nur kaputt. So lassen.n Er versuchte, bei uns Schülern den Sinn für das Wesentliche zu wecken, den Kern der Dinge zu erfassen und vom Cesamtbild ins Detail zu gehen, die ogroße Linien zu sehen. Mit unserer Schülerkarte hatten wir freien Eintritt zu allen Museen und Kunstausstellungen. Stam riet uns, so oft wie nur möglich die Werke der alten Meister und der modernen Künstler anzuschauen und uns selber die Frage zu stellen, uob wir dem irgendetwas Neues, Originelles hinzufügen könnteno. Wenn die Antwort verneinend war, sollten wir uns lieber auf einen praktischen Beruf, in dem wir etwas zu leisten im Stande waren, konzentrieren. lch hatte schon früh begriffen, daß alle Landschaften, Stilleben, Heide- und Waldmotive, mit und ohne Hirsch, nackte Damen, Heiligenbilder, Fürstenporträts und Blumenarrangements, in Öl und Kreide, bereits in großen Mengen vorhanden waren. Das Nachzeichnen von Cipsköpfen, ausgestopften Vögeln und Obstschalen reizte mich nicht im geringsten, daher benutzte ich die Zeichenstunden dazu, freie lmpressionen auf dem Papier festzulegen und erhielt prompt ein ,ungenügendn in dem Fach Zeichnen. lm Frühjahr 1944, kurz vor der lnvasion in der Normandie, wurden wir während einer Unterrichtsstunde im obersten Stockwerk der Schule - mit einem weiten Blick ülter die Stadt - Zeuge eines Dramas, das sich innerhalb weniger Minuten vor unseren Augen abspielte. Begleitet vom ,Bellenn der B,B-Flak erschienen drei ,Lockheed Hudsonsu am Himmel, Flugzeuge der englischen Küstenwache (Coastal Command), die für Feindflüge dieser Art ungeeignet waren. Vier Mann Besatzung, vier MCs Bewaffnung, Reichweite ca. 3000 Kilometer, Ceschwindigkeit nur 320 Stundenkilometer, das war keine Partie für die vier Messerschmidt Me Bf 109 C-Jagdflugzeuge, die ihre ganze Feuerkraft von
3 Kanonen und 2 MCs bei einer Ceschwiridigkeit von 625 km/h auf die ,Sitting-Duckso der RAF losließen. Eine der Maschinen explodierte sofort, die anderen beiden schmierten nur Sekunden später ab. Deutlich konnten wir sehen, daß sich fünf der insgesamt zwölf Besatzungsmitglieder mit dem Fall-
schirm
in
Sicherheit bringen wollten, aber von den Messerschmidts gnadenlos beschossen wurden. Drei der Fallschirme gerieten in Brand, aber auch die beiden anderen englischen Flieger hatten keine Chance - es war glatter Mord. An diesem Tag beschloß ich, meine kreativen Fähigkeiten im Kampf gegen Unrecht, Cewalt und Terror einzusetzen. lch nahm mir vor, als einziges Kriterium beim Feststellen meines Standpunktes als sozialkritischer Zeichner das Maß an Menschlichkeit und Respekt vor ,den Anderen( zu nehmen, das von Machthabern, Politikern und ldeologen jedweder Richtung praktiziert wird. Schon bei Kriegsbeginn schaltete ich bei der Wahl meiner Lektüre von Karl May auf Tucholsky um und versuchte durch Lesen der Werke von Upton Sinclair, llja Ehrenburg, Theodor Plievier, Andreas Latzko und Henri Barbusse, Ostrowsky und anderen eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen von Unterdrückung und Krieg zu finden. Eine gerechte, humanistische Cesellschaftsordnung ohne Ausbeutung und Übervorteilung durch eine kleine Oberschicht schien mir der einzige Ausweg aus dem Zirkel von Krisen und Kriegen, und der tatkräftige Einsatz für ein Zusammenleben in Frieden die logische Konsequenz für einen jungen Überlebenden der Kriegsgeneration. Mein Bruder Hans war bereits als sechzehnjähriger Schüler Mitarbeiter der ,Roten Hilfe< geworden, einer Organisation, die sich in den dreißiger Jahren in der Emigration für deutsche Anti-Faschisten und für heimgekehrte Spanienkämpfer einsetzte, die ihre niederländische Staatsbürgerschaft verloren hatten und keine Unterstützung erhielten. Die Leute der >Roten Hilfeo gingen sofort nach der Kapitulation im Mai 1940 in den Untergrund und erweiterten ihre Aktivitäten im Laufe des Krieges auf vielerlei Cebieten. Seit 194'l setzte ich mich für den Vertrie[-r
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illegaler Zeitungen ein und wurde als Siebzehnjähriger Mitglied des ,Raad van verzet( (Widerstandsrat), einer Organisation, der republikanisch gesinnte Anti-Faschisten angehörten, im Cegensatz zu den konfessionell-monarchischen WiderstandsSruppen.
Auf der Kunstgewerbeschule schloß ich mich
einer Schülergruppe an, die sich am Kampf gegen die Besatzung beteiligte und in Zirkeln über Nachkriegsprobleme diskutierte. Die Situation in den Niederlanden wurde nach der alliierten Niederlage bei Arnheim im September 1944 immer schwieriger, sogar dramatisch schlecht, vor allem während eines Streiks der Eisenbahner, als die deutschen Behörden als Repressalie kaum noch Lebensmittel in die großen Städte ließen und das öffentliche Leben nach und nach lahmgelegt wurde. Die Schule mußte wegen Kohlenmangel Ende Oktober den Unterricht einstellen, zumal einige der Lehrer verhaftet oder untergetaucht waren. So wurden wir bis zum Frühjahr mit einer Liste von Hausaufgaben entlassen, die wir in kalten Zimmern und mit knurrenden Mägen recht und schlecht absolvierten. Auf einer Hamsterfahrt nach Friesland lernten wir Anfang 1945 einen deutschen Soldaten kennen, der bei einer Marineeinheit im Amsterdamer Hafen stationiert war. Sein Sächsisch gefiel uns so gut, wie ihm unsere Berliner Mundart, und wir entdeckten viele Cemeinsamkeiten. Außerdem wurde uns klar, daß er und seine Kameraden, alle zwischen 17 und 20 Jahre alt, nur ein Ziel kannten: gesund nach Hause zu kommen. Mit dem Führer hatten sie alle nichts im Sinn und schon gar keine Lust auf einen Heldentod so kurz vor Toreschluß. Auf seinem Boot, das in einem Celeitzug über das ljsselmeer nach Amsterdam fuhr, nahm er uns samt unseren Lebensmitteln mit und machte uns mit seinen Kumpeln bekannt. Daß der Wahnsinn nun schnell seinem Ende entgegenging, war allen klar. Aber noch war ein glimpflicher Ausgang nicht gewährleister, zumal sich Einheiten der SS auf das Hafensperrgebiet zurückziehen wollten und ein paar Schnellboote für rechtzeitiges Absetzen bereitlagen. Mit unseren Wehrpässen, als rCemusterte( der Wehrmacht, hat-
ten wir Zugang zum Hafen und besuchten öfter clie
Marinejungen, informierten sie über die Lage und besprachen die Möglichkeiten eines vernünftigen Abzugs. Kurze ZeiI später wurden mein Bruder und ich wegen ,Wehrkraftzersetzung< vom SD verhaftet und in das Amsterdamer Cefängnis des >Höheren SS- und Pol izeiführersu ei ngel iefert. Bei den Verhören blieben wir, ebenso wie die Matrosen der Kriegsmarine, bei derVersion, daß es sich bei den Kontakten lediglich um freundschaftliche Beziehungen handelte und lediglich Lebensmittel gegen Zigaretten getauscht wurden. Am 20. April .1945 wurde ich aus der Haft entlassen, und in der Schreibstube teilte mir Oberscharführer Albers mit, daß ich nach Hause könne, uweil der Führer Ceburtstag hatu. lch kannte den Mann, einen gefÜrchteten Bluthund, der das Erschießungskommando der Sicherheitspolizei anführte, aus der Zeit, in der mein Vater im selben Cefängnis saß. ln den letzten Monaten des Krieges fanden laufend Massenerschießungen statt, mehrere Kameraden aus unseren Zellen waren bereits den Weg ohne Rückkehr in die Dünen bei Bloemendaal gegangen. Am gleichen Abend kam auch mein Bruder Hans nach Hause, nachdem ihn Sturmbannführer Thiele im Hauptquartier des Amsterdamer Sicherheitsdienstes ermahnt hatte, daß odie Cestapo auch in Zukunft wachsam bleiben würde; nächste Woche, nächsten Monat oder in zehn Jahreno. Ein paar Tage später warfen hunderte britischer und amerikanischer Flugzeuge große Mengen Lebensmittel für die hungernde Bevölkerung ab. Es war ein phantastischer Augenblick, die großen >Lancasterso und ,Flying Fortressesn im Anflug zu sehen, die in geringer Höhe die Luken öffneten, aus denen nun - statt Bombren - Kisten und andere Behälter mit Zucker, Mehl, Milchpulver, Büchsenfleisch und Süßigkeiten herausfielen. Mit einem Schlag fiel der Druck der langen düsteren und kalten Hungermonate von den Leuten ab. Mehr als 20000 Menschen waren bis Ende März im Westteil der Niederlande verhungert. Jetzt standen die Amsterdamer zu Tausenden auf den Dächern und winkten ihren Befreiern begeistert zu. Am 5. Mai kam die Nach-
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richt von der Kapitulation der Wehrmacht, und innerhalb von Minuten füllten sich die Straßen mit jubelnden Menschen, erklang Musik und hingen an nahezu allen Häusern Fahnen, und ich dachte: Was ist dieses Rot, Weiß und Blau doch für eine wunderschöne Farbkombination, lustig flatternd im Frühlingswind bei strahlender Sonne. Der Spuk war vorbei.
Kurz nach der Befreiung versammelten sich die ehemals illegalen Jugendgruppen in Amsterdam und
gründeten den Allgemeinen Niederländischen Jugend-Verband, ANJV. ZweiTage später erschien die erste legale Ausgabe des Wochenblattes Jugend, in der ich meine erste Zeichnung in Freiheit publizierte. lnnerhalb kurzer Zeit zählte diese neue Organisation über 20000 Mitglieder im ganzen Land, vor allem sehr junge Leute, die noch nie Mitglied einer Jugendbewegung gewesen waren, aber auch ehemalige Pfadfinder, Naturfreunde und Rote Falken. Alle hatten den Wunsch, gemeinsam etwas Neues auf der Basis fortschrittlicher ldeen aufzubauen. Voller Energie stürzte ich mich auf die vielen Aufgaben, die sich uns dabei stellten; ich wurde in die Leitung der Abteilung Amsterdam und später in den Landesverband gewählt; arbeitete als Redakteur und lllustrator der Zeitung, entwarf Abzeichen, Wappen und Fahnen für den ANJV errichtete eine Bibliothek, stellte eine Theater- und Kabarettgruppe zusammen und organisierte die ersten großen Ferienlager des Verbandes mit Hilfe der kanadischen Armee, die uns Zelte und Feldküchen zur Verfügung stellte. Es war eine phantastische Zeit des Aufbruchs, der Solidarität und Kameradschaft unter jungen Menschen, die den größten Teil ihrer Kindheit und frühen Jugend unter der Besatzung verbracht hatten. Im Herbst 1945 erhielt ich einen Aufruf zur Musterung für die niederländische Armee, die sich nach fünf Jahren wieder im Aufbau befand. Da ich die Bürgerrechte Amsterdams besaß und der Bürgermeister gemäß einer alten Tradition die Bürger der Stadt zum Wehrdienst aufruft, mußte ich auch als ,Staatenloser< zu den Waffen eilen. lm Mai 1946, genau ein Jahr nach Kriegsende, meldete ich mich bei meinem Regiment in Nijmegen und wurde dem Cra-
natwerfer-Zug einer oSupport-CompagnieCommando-Trainingo nach berühmter und gefürchteter schottischer Art. Ziel dieser Anstrengungen war der Einsatz in Niederländisch-lndien, das sich unabhängig erklärt und im August 1945 die nRepublik lndonesiao ausgerufen hatte.
Die n iederl änd ische Kolon ial herrschaft hatte beinahe 300 Jahre angedauert und wurde erst durch die japanische Besetzun g 1942 beendet. Nach dem Ende des Krieges wollten gewisse Kreise in Den Haag den verlorenen Faden wieder aufgreifen und ihre alten, angestammten Rechte in der Kolonie aufrichten. Die soeben neuorganisierte Armee war dazu bestimmt, diesen Auftrag auszuführen, wobei als Hauptargument für den Einsatz im Fernen Osten die Befreiung der niederländischen Kriegs- und Zivilgefangenen aus den japanischen KZ angeführt wurde. Diese Lager waren zum Teil von Einheiten der indonesischen Streitkräfte übernommen worden, die Zustände bedrohlich für die lnsassen und eine willkommene Legitimation für die Kriegspartei in Den Haag, um eine großangelegte Befreiungsaktion zu starten. Natürlich standen für die Niederlande auch wichtige lnteressen auf dem Spiel. Viele Unternehmen hatten in lndonesien ihre Betriebe, Plantagen und Handelshäuser. Zehntausende waren
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pentransporter Richtung lndonesien nicht mehr fern war. Unsere Jugendorganisation gehörte zu den wenigen Cruppen, die sich gegen dieses Abenteuer aussprach und auf allen Cebieten aktiv wurde, die Kriegspolitik von Den Haags anzuprangern. lm Landessekretariat war ich verantwortlich für den Kontakt mit den Soldaten und die Pressearbeit in der Armee. Eines Tages wurde uns beim Fahnenappell
mitgeteilt, daß ein Oberst des Ceneralstabs am Nachmittag einen Vortrag zur Lage in nNederlandsOost-lndie< halten würde und danach die Celegenheit bestünde, Fragen zu stellen. Während einer kurzen Pause am Schießstand machte ich mir rasch ein paar Notizen und versuchte, alle wichtigen Argu-
mente verständlich und so kurz wie möglich zu formulieren. Meine Wortmeldung mußte so überraschend sein, daß unserem Stab keine Celegenheit blieb einzugreifen. ln derAula auf dem Kasernenkomplex hatten sich nicht nur die Soldaten unseres Regiments (Stoßtruppen), sondern auch diejenigen vom 2. lnfanterieregimentversammelt, die ebenfalls in Nijmegen ihre Ausbildung erhielten. Nachdem der Oberst seine obl gatorischen I nformationen losgelassen hatte und sehr väterlich ein Cefühl der Sicherheit und des Vertrauens zu vermitteln suchte, stand ich auf und stellte meine Fragen aus der hintersten Reihe des Saales, vorgetragen mit einer Kasernenhofstimme, die dazu beigetragen hatte, mich fÜr die Unteroffiziersschule auszuwählen. lch erklärte: >Herr Oberst, unsere Division trägt voller Stolz den Namen ,7. Dezember, nach der Rede, die Königin Wilhelmina am 7' Dezember 1942, zum ersten Jahrestag des japanischen Angriffs, über Radio London an unserVolk gerichtet hat. ln dieser Rede erwähnt lhre Majestät die Verpflichtung, nach dem Krieg ein neuesVerhältnis mit den Völkern der Übersee-Cebiete aufzubauen, in Freiheit und Cleichberechtigung. Zu einem Zeitpunkt, in der die Engländer ihre Koffer in Indien '100000 junge Wehrpacken, will unsere Regierung pflichtige, die zu den Überlebenden von Krieg und Besatzung zählen, in einen Krieg schicken, der nicht gewonnen werden kann. Wir, die junge Ceneration, werden jetzt dringend beim Aufbau unseres eigenen i
Fritz Behrendt als Soldat, Regiment Stoßtruppen, 1946
mit dem Land und der Bevölkerung eng verbunden, andere hatten ihr ganzes Vermögen dort investiert. Die Frage war nur/ wie man mit den neuen Machthabern, unter Führung des radikalen Nationalisten Sukarno, ins Cespräch und zu einer Lösung der vielen Probleme kommen konnte. Der größte Teil der niederländischen Regenten, lndustriellen, Kaufleute und Ceneräle lehnte einen Konsens mit den nRäubern und Banditenn ab und setzten auf eine militärische Lösung. Dafür mußten nun die zwanzigjährigen Jungen herhalten. Als wirTropenkleidung erhielten und gegen allerlei exotische Krankheiten geimpft wurden, war deutlich, daß der Zeitpunkt der Einschiffung auf Trup-
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Als Kommandant der nGerrit von derVeen-Brigaden in Jugoslawien, inmitten von Mitgliedern der Brigade, 1947
Landes gebraucht, und zwar mit dem Spaten, nicht
mit dem Cewehr.n Sofort nach dem Beginn meiner Rede drehten sich die 2000 Soldaten, die in derAula zusammen gekommen waren, ruckartig um, ich bemerkte ein Cemurmel im Publikum, aber auch unter den Offizieren und Unteroffizieren, die an der Seite des Saales saßen, entstand Unruhe. Jedenfalls zeitigte meine >lnterpellation< Wirkung. Dem beginnenden Beifall aus den Rängen der Kameraden setzte der Regiments-Feldwebel sofort ein Ende mit dem Ausruf: ,Ordnung!< Worauf der Oberst sehr nervös und irritiert nach einer passenden Antwort suchte. Meine darauffolgende Entgegnung wurde durch unseren Kompanie-Kommandanten abrupt abgewürgt, der aufgestand und laut rief: >So ist es wohl genug - Regiment: Habt acht! - Abmarsch!n Am selben Nachmittag wurde ich zum Rapport beordert, wobei nicht nur die Offiziere meiner Einheit, sondern auch der Regiments-Kommandeur
höchstpersönlich anwesend waren, eine Ait Sondergericht, das ich erwartet hatte und worauf ich auch vorbereitet war. Die Offiziere warfen mir vor, den Obersten in eine unangenehme Lage gebracht zu haben, mußten aber zugeben, daß es legitim war, Fragen zu stellen und boten mir an, eventuelle Probleme mit ihnen in der Offiziersmesse zu erörtern. >Die einfachen Soldaten haben doch sowieso keine Ahnung/ was >dort unten< los ist und haben von Mohammed Hatta und Sutan Sharir (zwei Führer der indonesischen Unabhängigkeits-Bewegung) noch nie gehört.< lch sagte ihnen, daß ich als neinfacher Soldatu in der Offiziersmesse nichts zu suchen hätte. Es wäre aber an der Zeit, daß die Wehrpflichtigen etwas mehr von den Hintergründen und den Entwicklungen in den ehemaligen Kolonien erfah ren.
Zwei Wochen später erhielt die ganze Angelegenheit eine unerwartete Wendung, als ich beim Schleppen von schweren Küchenbehältern einen Bluterguß am rechten Augennerv bekam und dadurch einen Teil meines Sehvermögens verlor. Ein vierwöchiger Aufenthalt im Armee-Krankenhaus in Utrecht erbrachte, nach eingehenden Untersuchungen, den Beweis der lrreparabilität des Schadens. Da ich einer sehr fragwürdigen Versuchsoperation nicht zustimmte, wurde ich aus der Armee entlassen.
ln der darauffolgenden Zeit arbeitete ich verstärkt in der Redaktion der Jugendzeitung, besonders als Zeichner, setzte mich auch weiter für die lnformation über den lndonesien-Konflikt ein und schrieb eine wöchentliche Kolumne für die Soldaten unter dem Titel >Rührt Euchn. lm Frühjahr des Jahres 1947 verschickte die Volksjugend Jugoslawiens (oNarodna Omladinao) einen Aufruf an Jugendorganisationen in allen Ländern, am Aufbau des schwer heimgesuchten Jugoslawiens mitzuwirken. Bereits während des Krieges
hatte ich die Aktionen der Partisanen mit großem lnteresse verfolgt, die so mutig und erfolgreich gegen die Kriegsmaschinen Hitlers kämpften. Obwohl unsere Jugendorganisation ideologisch nicht festgelegt war, gab es in unseren Reihen viel Sympathie
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für die Völker der Sowjetunion und Osteuropas, die einen so großen Anteil hatten an der Niederschla-
gung des Faschismus. Wir erhofften uns eine Erneuerung der Cesellschaft, nicht nach national-egozentrischen Normen, sondern nach humanistischen Crundätzen, vor allen Dingen mehr Cerechtigkeit für die Menschheit. Da ich den Appell der jugoslawischen Freunde begeistert unterstÜtzte und befÜrwortete, meinte man im Zentralsekretariat unserer Organisation: oNa, dann organisiere du dieses Unternehmen und führe die Brigade nach Bosnien.o Die jungen Freiwilligen für diesen Einsatz, die sich hauptsächlich aus Mitgliedern unserer Organisation zusammensetzten, waren für den Auftrag stark motiviert und reisten im September 1947 per Schiff nach Jugoslawien.
Cemeinsam mit 200000 jungen Jugoslawen aus allen Republiken und 6000 ausländischen Jugendlichen - organisiert in internationalen Arbeitsbrigaden - wurden wir beim Bau der Eisenbahnstrecke uon 5utu. nach Sarajevo eingesetzt, quer durch das bosnische lndustrie- und Rohstoffgebiet. Mit geringen technischen Hilfsmitteln und einem bescheidenen Budget, aber sehr viel Begeisterung und Einsatzfreudigkeit, entstand dieses Projekt, das Rückgrat für eine moderne lnfrastruktur in den armen Cebieten des Landes, über eine Länge von ca' 250 km, in 7 Monaten. Am Tage der Einweihung durch Marschall Tito erhielt ich den Orden der sozialistischen Arbeit für die Führung der Brigade und eine Einladung zum Studium an der Kunstakademie in Za' greb, als Stipendiat der oNarodna OmladinaDas alte Politbüro wieder beisammenn und radelte zur Redaktion derTageszeitung Het Parool.Auf dem Korridor traf ich auf Chefredakteur Klaas Peereboom, der
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5. März 1 953
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Stalins Tod. Das alte Politbüro wieder
beisammen.
mit dem Blatt sofort in die Redaktion lief und nach einer Minute zurück kam, mit dem Ausruf: >Heute auf Seite Einsln So wurde Stalins Tod der Beginn meiner Mitarbeit an einer großen Tageszeitung, kurz darauf gefolgt von Publikationen in der Welt, die wiederum in der internationalen Presse oft nachgedruckt wurden. Da das Amsterdamer Parool mir einem älteren Zeichner verbunden war, der keinen jungen Kollegen neben sich dulden wollte, bot ich .1953 meine Mitarbeit der liberalen im Dezember Tageszeitung Algemeen Handelsblad an und startete am darauffolgenden Tag mit einer Zeichnung zur Wahl von Staatspräsident Coty in Frankreich. Die Veröffentl ich u ng ei ner ersten pol itischen Kari katur in der Wochenend-Ausgabe steigerte sich auf einen täglichen Beitrag mit einem Kontrakt auf der Ba-
sis völliger Freiheit, sowohl in der Wahl der Motive, als auch der Ausarbeitung der ldee, unabhängig und
selbständig ohne Einmischung oder Aufträgen von seiten der Redaktion. Es folgten feste Verbindungen mit dem Schweizer Nebelspalte,r, der von Hans Weigel geführten Wiener Wochenzeitung Heute und dem Berliner Tagesspiegel. Vielfältige Nachdrucke in Time Magazine, der New YorkTimes und der New York Herald Tribune führten im Laufe der fÜnfziger Jahre zu direkten Kontakten mit der amerikanischen Presse. So gelang mir als Endzwanziger in kurzer Zeit der Sprung auf das Niveau international renommierter Zeitungen, und ich sah mit Cenugtuung,
daß meine Zeichnungen neben den Arbeiten von Kollegen wie Bill Mauldin, David Low, Herblok und Paul Conrad publiziert wurden. 1958 ersuchte mich die HeraldTribune um regelmäßige Mitarbeit als ,Editorial Cartoonistn, das bedeutete dieVeröffentlichung meiner Beiträge auf der Meinungsseite, auf der u. a. der Leitartikel und die
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Auslandsübersicht gebracht wurden, also der journalistische Cipfel. Der Chefredakteur der Tribune beschrieb die Motivation zu dem Entschluß, einem ausländischen Zeichner diese Stelle anzubieten, fol-
gendermaßen: >Wir erkannten in der Redaktion, daß sich endlich wieder einmal ein junger Zeichner profiliert, der sich auf erfreuliche Weise von den üblichen Männleinmalern und Ulk-Zeichnern unterscheidet, auch nicht abhängig ist von den ldeen anderer, um sich auf die Lieferung von witzigen Karikaturen von Politikern oder geistlosen lllustrationen zu politischen Ereignissen zu beschränken. lch sagte zu meinen Kollegen: >Dieser Junge aus Amsterdam weiß, worüber und warum er gezeichnete Kornmentare zum Weltgeschehen macht, er kennt die Hintergründe politischer Ereignisse, hört regelmäßig Nachrichten im Radio, macht seine journalistischen Hausaufgaben und hatte zweifelsohne eine Eins in der Schule in dem Fach Ceschichte. Außerdem kann er zeichnen - da haben wir ihn, den neuen David Low.,n DerVergleich mit dem Meister der politischen Karikatur war ein großes Kompliment, zumal ich diesem aus Neuseeland stammenden Briten große Bewunderung und Respekt zollte. ln den dreißiger Jahren setzte er sein formidables Talent ein, um Hitler und Mussolini zu bekämpfen, aber auch gegen die Feiglinge, Opportunisten und Kapitulanten, die Hitler wachsen ließen und dadurch mitschuldig wurden an der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. Seine Arbeit liegt auf dem Niveau anderer tonangebender Kämpfer mit der Zeichenfeder wie James Cilray, Honore Daumier, Theodor Heine und Ceorge Crosz, mit denen ich mich sehr verbunden fühlte. Neben den Publikationen in der Tribune erschienen meine Zeichnungen beinahe wöchentlich in den fünfziger und sechziger Jahren in der Ausgabe The Week in Review der New YorkTimes, in der die besten Karikaturen der Weltpresse gezeigt wurden. Übrigens gab es dafür keine Nachdruckhonorare, was im allgemeinen sonst üblich war. lch schrieb daher einen Brief an Chefredakteur Sulzberger, dem ich eine Karikatur beifügte, in der Chruschtschow zu Uncle Sam sagt: ,Wir haben Nichts miteinander
gemein!n, worauf der Amerikaner antwortet: >Bis auf Eines - wir zahlen beide keine Nachdruckhonorare(, auf mein Leidwesen aufmerksam machte. Die Sowjetunion und Amerika hatten damals den Vertrag über das internationale Copyright noch nicht unterschrieben. Ein paar Tage später erhielt ich einen begeisterten Dankesbrief ,vom Chefn, in dem er mir mitteilte, daß die New York llmes ab sofort alle Zeichnungen mit einem Nachdruckhonorar von 25 Dollar pro Stück bezahlen würde. Nach einem großen lnterview im Time Magazine, das unter dem Titel >Therapeutic pen< 196.1 erschien, mit einem Porträt und sechs aktuellen politischen Karikaturen, bekam ich vieleAngebote von Zeitungen aus allen Himmelsrichtungen, u.a. von der auflagenstärksten japanischen Zeitung Ashai Shimbun aus Tokio, The West Australian, Suomen Kuvapalvelu, Finnland, I Kathimerini, Athen und den großen Tageszeitungen in Skandinavien, Berlingske Tidende, Kopenhagen, Aftenposten, Oslo und Svenska Dagbladet, Stockholm. Das ldeal meiner amerikanischen Kollegen, oTo be worldwide syndicatedo, war in relativ kurzer Zeit Wirklichkeit geworden, ohne nsyndikateVox populiu bei der Beurteilung meiner Zeichnungen. Nachdem sich Sohn Stefan im Jahre 1964 zu uns gesellte, waren wir zu dritt in unserem Haus in Amstelveen.
lm Herbst 1959 las ich eine Notiz über
die
Wiederauferstehung der Wiener Kronen Zeitung, die während der K.u.K.-Zeit berühmt für ihre vielen lllustrationen zu aktuellen Themen war, als die Fotografie in der Journalistik noch keine Rolle spielte. Die Krone hatte den Krieg nicht überlebt und ver-
suchte nun einen Neubeginn unter der Leitung von zwei erfahrenen Journalisten, Hans Dichand und Friedrich Dragon. lch schrieb ihnen einen Brief, mit dem Angebot, freier Mitarbeiter als politischer Zeichner zu sein, der postwendend vom Dritten im >Kronen-Bundeo, Ernst Trost, mit der Mitteilung nWillkommen im Klubn beantwortet wurde. Zwei Jahre später erlebte ich eine weitere journalistische >Sternstundeo, als ich aus Zürich einen Anruf von Michael Caro, dem damaligen Chefredakteur der Weltwoche erhielt, der schon des öfteren meine Arbeiten in seinem Blatt veröffentlicht hatte und nun, inspiriert durch den Artikel im Time Magazine, eine festeVerbindung anstrebte. Der langjährige politische Zeichner der Weltwoche, H.U. Steger, hatte den Wunsch geäußert, sich mehr seiner Lehrtätigkeit an der Zürcher Kunstgewerbeschule zu widmen, und so suchte man einen Nachfolger für den Platz auf der Titelseite. Kurz darauf besuchte
mich Herr Caro in Begleitung des Herausgebers, Herrn von Schumacher, und wir besprachen die Mo-
dalitäten einer Zusammenarbeit, die mittlerweile 40 Jahre andauert. Die Weltwoche hatte in den dreißiger Jahren, aber besonders während der Kriegszeit, eine mutige Position bezogen und unentwegt die Nazi-Diktatur, den Terror und die Unmenschlichkeit dieses Systems angeprangert, gegen viele
Widerstände, auch aus Schweizer Kreisen, die den militant-demokratischen Standpunkt der Zeitung für die neutrale Position des Landes äußerst kompromittierend fanden. Die Weltwoche war die einzige deutschsprachige Zeitung, die wir in der Emigration lasen, und ich war stolz darauf, daß ich an einem Blatt mit dieser Tradition mitarbeiten konnte.
Ein anderer wichtiger Meilenstein auf meinem beruflichen Weg war die Kontaktaufnahme durch die Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im )uni 1972, die in einer Vereinbarung über regelmäßige Mitarbeit resultierte. Daß Deutschlands renommierteste Zeilung, bekannt wegen ihres hohen Niveaus und ihren großen Ansprüchen an alle Mitarbeiter, mir diese Position anbot, empfand ich als ein bedeutendes Kompliment. Cegen Ende der sechziger Jahre kam es zu einer Fusion zwischen der Nieuwe Rotterdamse Courant (NRC), und dem Amsterdamer Algemeen Handelsblad, für das ich seit 1954 arbeitete. Da der Direktor und der Chefredakteur des Handelsblad den Übergang nach Rotterdam nicht mitmachten, leistete ich dem Angebot der C hefredaktion der Tageszeitu n g Het Pa roo I Folge und publizierte ab März 1968 in diesem Blatt meine Zeichnungen. Het Paroolwar während des Krieges die große i I lega le Tageszeitung, die anfangs pri m itiv vervielfältigt und danach von Hand zu Hand verteilt wurde, später im Druck erschien und im Widerstand gegen die Besetzung eine große Rolle spielte. Bereits als Sechzehnjähriger nahm ich am Vertrieb des Blattes in unserer Nachbarschaft teil, hatte sie auch später in einem größeren Rahmen mit anderen lnformationsschriften in meinem ,Paket< und saß mit >Parool-Leuten< gegen Ende des Krieges im SS- und Polizeigefängnis Amsterdam. Mein Verhältnis zu der Zeitung und den Redakteuren war nicht das eines Arbeitnehmers, sondern von den Erinnerungen an die Besetzungszeit stark emotional geprägt, außerdem stimmte der unabhängig-demokratische Standpunkt weitgehend überein mit meinen Auffassungen. Das zeigte sich sehr konkret in den wilden Jahren, die dem ,68eru-Aufstand folgten. lm Kielsog der Pariser Studenten-Revolte ging
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auch in Amsterdarn der Zirkus los. Heinrich Heine hatte bereits festgestellt, daß in Holland alles 50Jahre später passiert als anderswo. Cenau genommen holte man nun 120 Jahre später nach, was in Westeuropa bereits im Jahre 1B4B stattgefunden hatte: das Abschneiden des ,alten Zopfesn. Viele hunderte Jahre bestimmte die calvinistische Moral das gesamte Leben in den Niederlanden, der sich nicht einmal der katholische südliche Teil entziehen konnte. Nachdem früher beinahe alles verboten, aber zumindest stark reglementiert gewesen war und man dem Königshaus, der Kirche, dem Staat mit seinen lnstitutionen, aber auch den Eltern und Lehrern absoluten Respekt schuldig gewesen war, stürzte dieses Kartenhaus plötzlich in sich zusammen: AIles war anders, alles erlaubt, und fortan wurden ganz neue Werte propagiert. Das Land hatte nicht nur die Revolution von 1B4B versäumt, sondern auch die Celegenheit verpaßt, sofort nach Kriegsende mit einer Erneuerung zu beginnen, auf Crund der Erfahrungen mit dem alten System. Stattdessen kehrten die nach England geflüchteten Dinosaurier nach Den Haag zurück und nahmen ihre alten Positionen ein, als sei nichts passiert. Leute aus dem Widerstand oder jüngere Politiker wurden schnell abserviert, neue Konzepte und ldeen verschwanden in den Schubladen. Unter den nun auftauchenden ))neuen Revolutionären< befanden sich auffällig viele Figuren aus der Welt des Claubens, man brauchte nur leicht zu kralzen, und schon kam ein ehemaliger Priester oder bekehrter Pfarrer zum Vorschein. Der Iiebe Cott war )out(/ der Himmel befand sich nun auf Erden, an ein Leben nach dem Tode glaubte man nicht mehr, entdeckte aber interessante Lebenszeichen unter der Cürtellinie und nutzte kräftig die Celegenheit, diese
Neuentdeckung zu erproben, in allen nur erdenklichen Variationen und Richtungen. Weniger harmlos war die Tatsache, daß viele dieser Leute und Cruppen sich von Kräften des stalinistischen Propaganda-Apparats manipulieren ließen, und oftmals unbewußt und naiv bei Aktionen von dieser Seite eine Rolle spielten. Die Friedens- und Anti-Atombewegung ist dafür ein Beispiel, deren
Auftreten oftmals synchron lief mit der Außenpolitik der Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch des Archipel Culag und der Veröffentlichung von dies-
bezüglichen Dokumenten aus den Archiven des KCB und der Stasi wurde klar, wer, wo und wozu eingesetzt worden war und welche onützlichen ldiotenn (Lenin) man im Rahmen dieser Strategie verwendet hatte. Wie so oft in der Ceschichte zeigte sich auch hier, welche katastrophalen Folgen die Symbiose von Einfalt und politischem Fanatismus zeitigt. Das Jahr '1968 hatte für mich noch mehr Überra-
schungen in petto. lm Frühjahr erreichte mich eine Einladung zur Teilnahme an einer Ausstellung ,Europäische Karikaturistenn in Alpbach. Ich versuchte vergeblich, auf einer Landkarte diesen Ort in Tirol ausfindig zu machen, hatte auch von der Organisation >Europäisches Forum Alpbacho noch nie gehört. Beim besten Willen konnte ich mir den Bezug zwischen einem kleinen Bergdorf und einer repräsentativen Ausstellung nicht vorstellen und sagte erst nach wiederholtem Drängen meiner Renate zu. Der kurvenreiche Weg zwischen Brixlegg und Alpbach machte mich Tiefländer sehr nervös und schien meine Bedenken zu bestätigen, aber der überaus herzliche Empfang meiner Kollegen Peichl und Lang vor dem Hotel Böglerhof war so überraschend, daß ich mich über meine voreiligen Schlüsse schämte. Die Ausstellung war, angeregt von Custav Peichl (lroni-
mus), Österreichs prominentestem Zeichner und weltberühmtem Architekten, gut organisiert und hatte, mit den Arbeiten bekannter Kollegen bestückt, ein sehr hohes Niveau. Ein damit verbundenes Symposium zum Thema: ,Einfluß und Effekt der politischen Karikatur< wurde nicht nur gut besucht, sondern fand auch großen Anklang bei den Teilnehmern des Forums. Am 21. August wurde die ldylle einer harmonischen Zusammenkunft vieler Europäer durch die Nachricht vom Einmarsch derTruppen des Warschauer Paktes in die öSSn jäh unterbrochen. Wieder daheim sagte ich zu Frau und Sohn: >Wenn wir unseren Traum von einer Hütte in den Bergen jemals realisieren, dann wird es in Tirol, genau genommen in Alpbach sein.< Seit damals
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) ,Man braucht ihm ja nicht gerade beizupflichten, daß die Erde viereckig sei, aber seine Ansicht zeugt von einer erfrischend unkonventionellen Denkweise und einer erfreulich fortschrittlichen Mentalität.n - die 68er
nehme ich an den Veranstaltungen des nEuropäischen Forumsn teil, habe viele Ausstellungen mitgestaltet, Vorträge gehalten und versuche mit anderen für die ldee des vereinten Europas auch möglichst viele junge Menschen aus Osteuropa zu interessieren. Seit 1972 haben wir einen Zweitwohnsitz in Alpbach, eine etwas erweiterte ,Berghütten, im Winter eine prima Basis für den alpinen Skibetrieb, und Dank der Erfindung des Fax-Cerätes gibt es die Carantie, daß die Arbeit auch auf 1000 Meter Höhe weitergehen kann. Das Ende des ,Prager Frühlingsn bedeutete zwar einen Rückschlag auf dem Wege zu Erleuchtung und Erneuerungen im Ostblock, aber vieles wies
darauf hin, daß die wirtschaftliche Lage dort immer schwieriger werden würde und sich wichtigeVeränderungen anbahnten. Es knirschte überall im >Apparat(. Die Ernennung von Michail Sergejewitsch Corbatschow zum Ceneralsekretär der dahinsiechenden Kommunistischen Partei der Sowjetunion markierte 1985 den Anfang vom Ende des Systems; seine Politik von Clasnost und Perestrojka traf den Stalinismus an der Wurzel. Überall im Ostblock zeigten sich tiefe Risse, und es begann das Funda-
ment zu bröckeln. Es war faszinierend zu beobachten, wie das ganze Cebäude schließlich in sich zusammenstürzte. Ein phantastisch-groteskes Spektakel bot sich am 40. Jahrestag der DDR den Fernsehzuschauern: Die große Parade der Nationalen Volksarmee und der Sicherheitskräfte vor den (noch) grinsenden Bonzen aus dem ln- und Ausland, in deren Mitte ein jovial winkender Honecker. Den Abschluß dieses Schwanengesanges eines Polizeistaates bildete der Fackelzug der FDJler, die kurze Zeit
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danach, ohne blaue Hemden, die Bananenstände und Discos in West-Berlin stürmen würden. Kurze Zeit später war es clann soweit: Honecker befand sich auf der Flucht, Ceausescu war erschossen, die gesamte Nomenklatura des stalinistischen Unterdrückungs-Apparats in Bedrängnis und Michail Corbatschow in Moskau dabei, sich von den Cenossen in Osteuropa zu lösen. lch hatte niemals am Zusammenbruch des Stalinismus, dem Fall der Mauer und an der Wiedervereinigung gezweifelt und immer gehofft, diese Entwicklung noch erleben zu können. lch empfand große Freude und Cenugtuung, mit meinem Beruf einen Anteil gehabt zu haben an der Bekämpfung und Entlarvung der stalinistischen Diktatur. Ein Bild aus diesen dramatischen Tagen hat sich ganz besonders eingeprägt und
ist symbolisch für das Ende der DDR: Ein Offizier der Crenzpolizei versucht am Potsdamer Platz, eine große Menschenmenge am Betreten des >Westsektors( zu hindern und stemmt sich mit aller Kraft gegen einen kleinen Schlagbaum. Der Mann wurde nicht überrannt, nicht gelyncht oder getreten, nein, man schob ihn einfach zur Seite, die Leute nahmen keine Notiz von ihm - Ende der Fahnenstange. lnspiriert vom frischen Perestrojka-Wind aus Moskau, hatte ich bereits 19BB schriftlichen Kontakt mit der Redaktion der satirischen Zeitschrift Krokodil aufgenommen, einer Ausgabe der Prawda, dem Organ der KPdSU. Ein Jahr später lernte ich auf einer Reise in die Sowjetunion die Kollegen der Zeitung kennen, entdeckte zu meiner Freude, daß beinahe alle Mitarbeiter hinter der neuen Politik Corbatschows standen, was im lnhalt des Krokodildeutlich zum Ausdruck kam. Meine Einstellung zum Stalinismus und meine Arbeiten zur Konfrontation zwischen Demokratie und Diktatur waren den Kollegen bereits aus meinen Publikationen in der internationalen Presse bekannt, ebenso mein >jugoslawischer Standpunktn im Kominform-Konflikt. Von den politischen Karikaturen der russischen Kollegen war ich so begeistert, daß ich ihnen den Vorschlag machte, eine große Ausstellung mit einer Auslese der besten Beiträge über die veränderte Lage in der Sowjetunion vorzube-
reiten. Sie stellten eine repräsentative Kollektion zusammen, die ihre Premiere bereits am 18. Oktober 1989 in Amsterdam erlebte und von da aus, nach einer Reise durch mehrere europäische Städte, in
die USA auf Tournee ging. Bei meinem Besuch in Moskau im Juni 1989 folgte ich einer Einladung der russischen Menschenrechtsorganisation >Memorialn, die sich mit der Aufarbeitung der Stalin-Zeit und dem Schicksal der Opfer beschäftigt, einen Vortrag im Kulturpalast der Moskauer Elektrofabrik zu halten. DasThema: oDer Komminform-Konflikt 1948 bis 1954Amnesty lnternationalo der letzten Jahre wird festgestellt, daß das Ausmaß an Folterungen politischer Cefangener und Morde an Menschen mit einer uanderenn Lebensauffassung wiederum zugenommen hat und in mehr als 1 50 Ländern der Erde diktatorische oder repressive Regime herrschen, die beinahe ohne Ausnahme Mitglieder der UN sind und die Charta der Menschenrechte unterzeichnet haben. Daß eine Flugstunde von Wien entfernt ein Eroberungskrieg im ehemaligen Jugoslawien stattfand, ist eine Schande für ganz Europa. Daß Rußland, gerade befreit von den Fesseln der Diktatur und unterwegs zu demokratischen Formen, einen grausamen Feldzug gegen Tschetschenien führt, liegt auf derselben Linie. Wo Machtstreben, Habgier und fanatischer Nationalismus in unseren Tagen solche Auswüchse verursachen, ist die wachsame Presse wie eh und je gefordert und der politische Zeichner hat die Aufgabe, solche Entwicklungen kritisch zu begleiten.
Da auch der oberflächliche Leser, der sich mit den Schlagzeilen und den unterhaltenden Beiträgen einer Zeitung begnügt, in den meisten Fällen einen Blick auf die Zeichnung richtet, besteht die Möglichkeit, auch ihn aufmerksam zu machen auf Ereignisse in unserer Welt, für die er sonst geringes lnteresse hat, zumal wenn es dem zeichnenden Journalisten gelingt, sein Anliegen mit wenigen Strichen klar
zu machen. Zur Frage nach dem Einfluß der politischen Karikatur wurde vom >Studienzentrum für Cartoon und Karikaturo der Universität von Kent, Canterbury, an dem ich seit 1972 als Mitarbeiter tätig bin, eine Untersuchung angestellt. Obwohl der
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Effekt politischer Karikaturen im politisch-gesellschaftlichen Leben nicht einfach festzustellen ist, gab es doch in der jüngsten Vergangenheit Situationen, in denen politische Zeichnungen eine Rolle spielten. Die Karikaturen, die der niederländische Künstler Louis Raemaekers für die Sache der Alliierten im Ersten Weltkrieg publizierte, waren so effektiv, daß der französische Staatspräsident Clemenceau sein Wirken mit dem Einsatz eines FrontRegiments verglich und ihm den Offiziersrang der Ehrenlegion verlieh. Der englische Zeichner David Low hatte eine ähnliche Stellung im Zweiten Weltkrieg und erhielt von Churchill während einer Rede vor dem Unterhaus den Ehrentitel uA Battleship for Britaino. Unvergeßlich ist Lows monumentale Karikatur, die er kurz nach der Niederlage bei Dünkirchen zeichnete, auf der man die neue britische Regierung unter Führung Churchills grimmig, aber festentschlossen vorwärtsstürmen sieht, mit der Unterschrift: oAll behind you, Winstonln Diese Zeichnung erschien nicht nur in allen Zeitungen Englands und der Weltpresse, sondern auch auf den Plakatsäulen und als Flugblatt, speziell aber in den Publikationen für die Soldaten. Selten hat eine Karikatur, im richtigen Moment gezeichnet und publiziert, so viel Einfluß gehabt auf die Moral eines ganzen Volkes, das auf dem Tiefpunkt des Krieges wieder neuen Mut schöpfen mußte. lm Wahlkampf zwischen Nixon und dem jungen Kennedy im Jahr 1961 zeichnete Herbert Blok (Herblok, Washington Posf), den republikanischen Präsidentschaftskandidaten monatelang als einen unrasierten, windigen Politiker und gab einer dieser Karikaturen den Text: >Würden Sie von diesem Mann einen Cebrauchtwagen kaufen?n Nach der äußerst knappen Mehrheit, die Kennedy erhielt, ergab eine Wählerumfrage, daß der negative Eindruck von Herbloks Nixon-Karikaturen viele Leute bei ihrer Entscheidung zugunsten Kennedys beeinflußt hatte.
Als Ben Curion im Jahre 1956 mit der israelischen Armee quer durch den Sinai bis an den Suez-Kanal stürmte und damit den Terror-Angriffen Nassers ein Ende bereitete, machte ich darüber eine
Zeichnung in sechs Bildern, mit der Unterschrift >Das israelische UnrechtCharascho Kolegao.
Als ich in meinem Dankwort die Kollegen von Prawda und Krokodll begrüßte mit den Worten: oLiebe Freunde und ehemalige Cenosseno, mußten alle herzlich lachen, aber Chefredakteur Alexej Pyanov sagte ernst: >Du bist ein großer Freund des russischen Volkes und unserer Zeitung,, stellvertretend für viele von uns, denen die Möglichkeit dazu fehlte, hast du als politischer Zeichner deine Feder
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eingesetzt gegen das Unrecht uncl clie Unterdrükkung in unserem Lande.n ln einem lnterview für die Prawda fragte nrich ein Journalist: uWaren sie früher einmal in der Sowjetunion?< Darauf war meine Antwort: >Beinah - im Jahre 1950, als ich nominiert war zur Deportation nach Workuta oder Karaganda mit anderen Cegnern Stalins.n Clücklicherweise ist es damals anders gelaufen, und dabei war es bereits das zweite Mal, daß ich ,noch einmal davon gekommenn war. Cenau fünf Jahre davor konnte ich, kurz vor Kriegsende, das
Amsterdamer SS-Cefängnis verlassen,
in dem
ich
einige Wochen in Zelle A 1l2O gesessen hatte. So erlebten meine Eltern zwei Mal die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Aus der Freude über wiedererlangte Freiheit erwuchs für mich die Verpflichtung, meine Fähigkeiten für jene einzusetzen, die unter Diktatur und Unterdrückung leiden müssen. lm Rückblick auf fünfzig Berufsjahre habe ich die Cenugtuung, mit nreiner Feder immer auf der guten Seite gestanden zu haben' Fritz Behrendt, im Februar 2000
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Kapitel
I
Mehr als tausend Worte Von den rund siebzehntausend Zeichnungen, die Fritz Behrendt in seiner fünfzigjährigen Laufbahn weltweit publizierte, hatten die meisten Arbeiten di-
diese Blätter in Schul- und Ceschichtsbüchern urrd als lllustrationsmaterial bei Examenaufgaben verwendet.
rekten Bezug zum Tagesgeschehen und somit einen zeitgebundenen Aktualitätswert. Doch oft gelang es ihm, mit wenigen Strichen eine ganze Entwicklung festzuhalten, den Kern einer Situation aufzuzeigen, das enthüllende Psychogramm eines Politikers zu zeichnen, wie durch einen Blitz dunkle Hintergründe auf der Weltbühne zu erhellen. Die in diesem Kapitel gezeigten Blätter gehören zu der Kategorie graphischer Signale, die mehr sagen als tausend Worte, sie sind Leitartikel, politischer Kommentar, aktuelle Reportage und enthüllendes lnterview in einem. Hierunter befinden sich Zeichnungen, die einen festen Platz in Museen und
Diese Serie macht deutlich, warum Fritz Behrendt seit vielen Jahren zu dem halben Dutzend Zeichnern gerechnet wird, die dem Beruf des sozialkritischen Journalisten mit der Zeichenfeder internationale Anerkennung verlei hen. Behrendts Zeichnung rWeihnachtszeitu gehört zu seinen bekanntesten Werken und wurde seit der ersten Publikation im Jahre 1964 immer wieder in zahlreichen Zeitschriften, Magazinen, Schülerzeitungen, Heften zum Konfirmationsunterricht, Kalendern und kirchlichen Blätterrr nachgedruckt. Es ist seine meistpublizierte Zeichnung, von der die New York Times einmal schrieb: >The Christmas-cartoon to end all Christmas-cartoons(, ein großes Kompliment für den überzeugten Humanisten, clem die Cnade des Claubens niemals zuteil wurde.
in Calerien erlangten, als typisch für eine Banze Epoche und die internationale Preise für die beste politische Karikatur erhielten. Regelmäßig werden
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Die Kuba-Krise. (1962)
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Präsident Reagan bekommt große Probleme wegen seiner Hilfe für die >Contran-Rebellen (1e86)
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Vertrauen in die Croßmächte?
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