167 8 2MB
German Pages 244 Year 2018
Danaë Simmermacher Eigentum als ein subjektives Recht bei Luis de Molina (1535–1600)
Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie Münchener Universitätsschriften Katholisch-Theologische Fakultät Begründet von Michael Schmaus †, Werner Dettloff † und Richard Heinzmann Fortgeführt unter Mitwirkung von Ulrich Horst Herausgegeben von Isabelle Mandrella und Martin Thurner
Band 63
Danaë Simmermacher
Eigentum als ein subjektives Recht bei Luis de Molina (1535–1600) Dominium und Sklaverei in De Iustitia et Iure
ISBN 978-3-11-055102-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055193-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055136-5 ISSN 0580-2091 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Für Roman und Valentin
Danksagung Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im August 2015 an der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg eingereicht habe. Ich möchte mich herzlich bei den Personen bedanken, die meine Arbeit durch vielseitige Unterstützung, kritische Diskussionen und ermutigendes Interesse begleitet haben. Insbesondere trifft dies auf Matthias Kaufmann zu, der meine Aufmerksamkeit auf die Schule von Salamanca gerichtet und die Betreuung dieser Arbeit von Anfang an so gestaltet hat, dass ich stets den Eindruck hatte, in einer guten Balance aus Förderung und Forderung arbeiten zu können. Isabelle Mandrella danke ich für die freundliche Bereitschaft, als Zweitgutachterin zur Verfügung zu stehen und mir dadurch wichtige Impulse aus einer durch die Theologie geprägten philosophischen Perspektive zu vermitteln. Ich bin dankbar für viele Gelegenheiten der kritischen Auseinandersetzung, die ich als Bereicherung für meine Arbeit empfunden habe und möchte hierfür vor allem folgenden Personen danken: Christiane Birr, Kirstin Bunge, Marko J. Fuchs, Frank Grunert, Alexander Loose, Manuela Massa, Katerina Mihaylova, Arne Moritz, Andreas Niederberger, Dominik Recknagel, Robert Schnepf, Anselm Spindler und Andreas Wagner. Bei Uschi Beilke bedanke ich mich für das gründliche Korrektorat und bei Paul Thiemicke für die Unterstützung bei der Erstellung der Register. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie danke ich der Herausgeberin und dem Herausgeber, Isabelle Mandrella und Martin Thurner.
Inhalt . . .
Einleitung 1 Fragestellung und Gliederung der Untersuchung Stand der wissenschaftlichen Forschung 5 Leben des Luis de Molina 7
. . .
Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts 9 Der Begriff des ‚subjektiven Rechts‘ 9 12 Subjektives Recht im Römischen Recht Ausgangspunkt: Das subjektive Recht bei den Kanonisten des 17 12. Jahrhunderts Die Differenz von ius und lex bei Marsilius von Padua 21 Potentia licita bei Wilhelm von Ockham 23 27 Ius als facultas seu potestas bei Jean Gerson Ius bei Konrad Summenhart 28 Das subjektive Recht im 16. Jahrhundert: Die Schule von 30 Salamanca Konzeptioneller Durchbruch: Das subjektive Recht in der 34 Neuzeit
. . . . . .
. . . . . . . . .
2
Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure 37 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iu40 stitia et Iure Molinas Definition des ‚subjektiven Rechts‘ 60 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium 65 Eigentum (dominium proprietatis): Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem 76 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus) 85 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio 95 rerum Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht 105 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune 112 Resumee: Bestimmung und Funktion des subjektiven Rechts in Molinas Rechtstheorie 122
X
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt
Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina 126 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia 127 Freiheit des Wollens und Freiheit des Handelns 141 Willensfreiheit und gute Handlungen 147 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung für subjektives Recht 152 Rechtsträger des subjektiven Rechts − Rechtsansprüche im sub156 jektiven Recht Moralische Dimensionen subjektiven Rechts 160 Subjektives Recht und bonum commune: Eine Dichotomie von 164 Verantwortung? Das Gesetz (lex): Limitation oder Schutz des subjektiven Rechtes im 166 Staat? 169 Normativität subjektiven Rechts Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei? 171 Sklaven und transatlantischer Sklavenhandel im 172 16. Jahrhundert Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios 174 185 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel Menschen als Eigentum: Wie wird ein Mensch zum Sklaven eines an195 deren Menschen? Selbstverkauf in die Sklaverei: Verlust des naturgegebenen dominiums? 205 Iura in servo – Rechte der Herren über Sklaven 206 Korrelierende Pflichten? Zur Verantwortung der Herren gegenüber den Sklaven 210 213 Subjektives Recht für Sklaven? Iura qua homo – Molinas Rechtstheorie als Rohbau einer Theorie von Grundrechten 216 Ergebnisse
219
Siglen- und Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis
231
Personenregister Sachregister
225
233
222
1 Einleitung Im Juli 2015 bittet der aus Argentinien stammende Papst Franziskus bei seinem Besuch in Bolivien um Vergebung für die Verbrechen der Kirche gegen die indigene Bevölkerung während der sogenannten ‚Entdeckung Amerikas‘ durch die Europäer. Ohne Zweifel tragen nicht nur die europäischen Siedler und weltlichen Herrscher die Verantwortung für den Genozid an der indigenen Bevölkerung und die Versklavung von ca. 15 Millionen Afrikanern, die als Arbeitskräfte in die ‚Neue Welt‘ gebracht wurden. Auch die Missionare, die von der katholischen Kirche nach Nord-, Mittel- und Südamerika entsandt wurden, haben dazu beigetragen, dass die europäische Kolonisierung Amerikas als ein Zeugnis menschlicher Grausamkeit, grenzenloser Habgier und furchtbaren Machtmissbrauchs in die Geschichte eingegangen ist. Auf der anderen Seite entwickelte sich im 16. Jahrhundert in Spanien und Portugal eine christliche Rechts- und Staatsphilosophie, die als politische Philosophie im eigentlichen Sinne¹ Einfluss auf die Politik der spanischen Krone nahm und unter anderem einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des Völkerrechts beigesteuert hat. Die Theologen der Schule von Salamanca setzten sich in ihren Schriften, ihrer akademischen Lehrtätigkeit sowie ihrer Tätigkeit als Beichtväter und Berater der spanischen Herrscher auch mit der Rechtswissenschaft, der Ökonomie und der Moralphilosophie auseinander. Sie stellten sich so den Herausforderungen, vor die sich durch die Entdeckung einer ‚Neuen Welt‘ nicht nur die Politik, sondern auch die Theologie im Europa der Frühen Neuzeit gestellt sah, die durch die Reformation auch mit innereuropäischen Glaubensdebatten zu kämpfen hatte. Aus der interdisziplinären Beschäftigung mit Problemen, die sich unter anderem daraus ergaben, dass der orbis christianus nicht länger als gleichbedeutend mit der Welt angesehen werden konnte,² entwickelten die Autoren der Schule von Salamanca innovative Konzepte, die zum Beispiel den Grundstein für eine liberale Ökonomie, das moderne Völkerrecht bis hin zu den Menschenrechten, für eine neue Sicht auf das Verhältnis von göttlicher Vorsehung und menschlicher Willensfreiheit oder den politischen Liberalismus legten. Da das theoretische Fundament ihrer Disputationen das Naturrecht der mittelalterlichen Scholastik bildet, wird die Denkrichtung der Schule von Salamanca auch als Spanische Scholastik oder Spätscholastik bezeichnet. Jede dieser Benennungen hat Anlass zur Kritik geboten:³ Letzterer kann vorgeworfen werden, das Präfix ‚spät‘ könne den Eindruck erwecken, diese Autoren seien intellektuelle Nachzügler der mittelalterlichen Hochscholastik. ‚Spanische Scholastik‘ kann insofern als unvollständig angesehen werden, als dass die portugiesischen Autoren hier nicht berücksichtigt werden, weshalb in der Forschung auch die Bezeichnung ‚iberischer Huma-
cf. (Böckenförde 2006, 339) cf. (Böckenförde 2006, 342) Zur Diskussion der unterschiedlichen Bezeichnungen und der Frage, was unter Schule von Salamanca zu verstehen ist, siehe zum Beispiel Tellkamp (2007, 157−158) und Belda Plans (2000, 155−169). https://doi.org/10.1515/9783110551938-001
2
1 Einleitung
nismus‘ verwendet wird. Zwar ist auch die Bezeichnung Schule von Salamanca nicht unproblematisch, da nicht alle ihr zugeordneten Theologen an der Universität von Salamanca lehrten. Doch gilt Francisco de Vitoria als Begründer dieser Denkrichtung, der an der Universität von Salamanca wirkte und ein großer Teil der Autoren studierte oder lehrte in Salamanca. Daher wird im Folgenden diese Bezeichnung verwendet, wenngleich Luis de Molina, dessen Werk De Iustitia et Iure die Grundlage der Analyse bildet, selbst zu den Gelehrten gehört, die nicht in Salamanca lehrten. Im Folgenden werden Fragestellung und Gliederung der vorliegenden Untersuchung vorgestellt und ein kurzer Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Forschung gegeben. Im Anschluss wird das Leben von Luis de Molina kurz beschrieben.
1.1 Fragestellung und Gliederung der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung analysiert erstmalig den Zusammenhang von rechtsmetaphyischen und rechtspraktischen Fragestellungen im Werk von Luis de Molina. Durch die Verknüpfung seiner Willensmetaphysik aus der Concordia und der Rechtslehre aus De Iustitia et Iure wird anhand der Sklavenproblematik die Interpretation des subjektiven Rechts avant la lettre begründet. Der Fokus liegt auf den rechtsphilosophischen Grundbegriffen ius (Recht) und dominium (Eigentum, Herrschaft). Molina benennt in De Iustitia et Iure explizit ein ius qua homo et qua proximo, ein Recht, das jemandem als Mensch und als Nächster zukommt und spricht auch Sklaven dominium zu, da sie durch die Sklaverei nicht ihre Willensfreiheit verlieren. Sklaven nehmen in Molinas Konzept damit einen sensiblen Sonderstatus zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt ein. Die Bestimmung des ius als subjektives Recht und Molinas Unterscheidung des Sklaven als qua homo et proximo und qua servo begründen die These dieser Untersuchung, dass Molinas Rechtslehre einen wichtigen Grundstein für die Frage bildet, welche Rechte zugestanden werden, wenn jemandem die Eigenschaft zukommt, Träger von Rechten sein zu können. Diese Frage ist für spätere Theorien von Grundrechten und auch Menschenrechten von großer Bedeutung. Dennoch kann Molinas Entwurf der iura qua homo nur als Rohbau einer Theorie von Grundrechten betrachtet werden und nicht etwa als frühe Theorie von Grundrechten, da der Sklave seine Rechte nicht vor Gericht einfordern kann, sodass ein wesentliches Merkmal der Grundrechte⁴ in Molinas Rechtslehre nicht gegeben ist. Die Rechte qua homo dürfen dabei nicht mit den Menschenrechten verwechselt werden, da Molina Sklaven einen rechtlichen Sonderstatus zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt zuschreibt, der sich mit Menschenrechten nicht vereinbaren lässt. Doch begründet er so, welche Elementarrechte jemandem zukommen, der grundsätzlich als Träger von Rechten
Am Ende von Kapitel 5 erläutere ich, wie ich Grundrechte bestimme. Diese Verwendung ist nicht identisch mit dem juristischen Konzept der Grundrechte, von dem Robert Alexy (1994, 21−40) ausgeht.
1.1 Fragestellung und Gliederung der Untersuchung
3
anerkannt wird. Die vorliegende Untersuchung stellt somit einen Beitrag für die Grundlagenforschung zu Grund- und Menschenrechten dar. Im Kontext der These werden weiterführende Fragen herausgearbeitet, die vor allem im Hinblick auf das sensible Beispiel des dominium über Menschen, die in Sklaverei geraten sind, relevant sind. Wichtig ist zunächst die Verortung des als subjektives Recht avant la lettre bestimmten ius in Molinas Rechtslehre und damit die Frage, welche Funktion es erfüllt. Aus der Analyse der Grundbegriffe ius und dominium geht hervor, dass Molinas Bestimmung von ius als „Vermögen, etwas zu tun […], sodass dem Inhaber Unrecht geschieht, wenn [diesem Vermögen] ohne rechtmäßigem Grund entgegengewirkt wird“⁵ als subjektives Recht zu deuten ist und dass dominium ein Paradigma, das heißt ein musterhaftes Beispiel für ein subjektives Recht ist, das als Anspruchsrecht bestimmt wird. Dominium wird dabei auf zwei verschiedenen Ebenen untersucht: zum einen rechtsmetaphysisch als Vermögen, Träger von Rechten sein zu können und zum anderen rechtspraktisch als dominium proprietatis (Eigentum) und dominium iurisdictionis (Herrschaft). Daran schließen sich Überlegungen an, ob sich dominium bei Molina als rechtliche Freiheit interpretieren lässt und in welchem Verhältnis rechtliche Freiheit, Handlungsfreiheit und Willensfreiheit zueinander stehen. Molina erklärt die Vernunft und die Willensfreiheit zur Voraussetzung zum dominium, sodass das beschriebene Verhältnis vor allem im Hinblick auf dominium über und von Sklaven bedeutsam ist. Vor dem Hintergrund des christlichen Naturrechts kann dominium dem Menschen nur von Gott gegeben sein und laut Molina hat der Mensch dominium ex natura rei. Daher muss erläutert werden, ob dominium als natürliche rechtliche Freiheit aufgefasst werden kann und welche Bedingungen an seine Ausübung geknüpft sind bzw. ob dominium als dem Menschen von Gott gegeben eine moralische Komponente enthält. Für die politische Philosophie ergibt sich daraus die Frage nach dem Verhältnis zwischen subjektivem Recht des Einzelnen und dem Wohl des Gemeinwesens (bonum commune), das durch objektives Recht bzw. die Gesetzgebung festgelegt ist. Die Klärung dieser Fragen ermöglicht schließlich die Bestimmung des rechtlichen und anthropologischen Status von Sklaven innerhalb Molinas Rechtslehre, wobei auch berücksichtigt wird, wie das dominium vor dem Hintergrund dieser Analyse im Falle eines Selbstverkaufs in die Sklaverei zu bewerten ist. Diesen Fragen kann nicht allein unter Bezug auf De Iustitia et Iure nachgegangen werden, da ihr theoretischer Kern im Zusammenhang von Molinas Willensmetaphysik aus der Concordia und seiner Rechtsphilosophie in De Iustitia et Iure, die auch ethische Aspekte beinhaltet, besteht. Molina verweist in De Iustitia et Iure zwar selten auf die Concordia, doch kann seine Rechtslehre ohne den theoretischen Kontext seines Konzeptes der menschlichen Freiheit in der Concordia nicht angemessen erschlossen
DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“
4
1 Einleitung
werden.⁶ Der freie Wille des Menschen und seine Selbstbestimmung nehmen nämlich auch in Molinas Rechtslehre eine bedeutsame Rolle ein. Besonders spannungsreich ist diese Verbindung mit Blick auf den rechtlichen und anthropologischen Status von Sklaven, die Molina nicht nur als Eigentumsobjekte ihrer Herren ansieht, sondern sie auch unter dem Kriterium qua homo et qua proximo betrachtet, das heißt als Menschen und als Nächste, die sich im Zustand der Sklaverei befinden. An der Bestimmung des rechtlichen und anthropologischen Status von Sklaven lässt sich schließlich beurteilen, ob die Konzepte des ius und des dominium in Molinas De Iustitia et Iure als Elemantarrechte bzw. Rohbau einer Theorie von Grundrechten angesehen werden können. Die Untersuchung ist in vier Hauptkapitel gegliedert. Da Molina selbst den Terminus ‚subjektives Recht‘ nicht verwendet, sondern dieser eine Interpretation avant la lettre des ius darstellt, ist der Analyse von Molinas Rechtslehre eine Skizze der historischen Genese des subjektiven Rechts bis ins 16. Jahrhundert bzw. bis zur Schule von Salamanca vorangestellt (Kapitel 2), an deren Ende ein kurzer Ausblick in die Neuzeit gegeben wird. Dort taucht erstmals die Bezeichnung ius subjective sumtum auf und subjektives Recht wird in den Rechtstexten der Neuzeit systematisch behandelt. In diesem Kapitel werden die Konzepte der für die Genese des subjektiven Rechts relevanten Autoren in gebotener Kürze vorgestellt. So werden wichtige Aspekte gewonnen, anhand derer subjektives Recht in Molinas Werk bestimmt werden kann. Im dritten Kapitel erfolgt die Analyse des ius und des dominium in Molinas De Iustitia et Iure, wobei auch das Verhältnis zwischen ius und dominium beleuchtet wird. Neben den Bestimmungen des dominium proprietatis und des dominium iurisdictionis wird auch erläutert, wodurch sich diese vom Besitz, Nießbrauch und Gebrauch unterscheiden. Am Ende des Kapitels wird in einem Resumee die Bestimmung und die Funktion des subjektiven Rechts in Molinas Rechstheorie festgehalten, wodurch die rechtspraktische Ebene des dominium erschlossen wird. Das vierte Kapitel lotet die Bedingungen und Grenzen des subjektiven Rechts bei Molina aus und widmet sich der rechtsmetaphysischen Ebene des dominium. Zunächst wird die Willensmetaphysik aus der Concordia erläutert, die die Grundlage der Untersuchung bildet, wodurch jemand nach Molina zum Träger von Rechten werden kann. Molina nennt Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung, um über dominium und ius zu verfügen. In diesem Kontext wird das Verhältnis zwischen ius und dominium noch einmal in rechtsmetaphyischer Hinsicht betrachtet. Damit sind die
Dass diese Methodik nicht nur im Hinblick auf Molinas Werk unerlässlich ist, sondern grundsätzlich für die Untersuchung der rechts- und staatsphilosophischen Werke der Autoren der Schule von Salamanca notwendig ist, hat Robert Schnepf (2007, 23) hervorgehoben: „[…] zur Erklärung der unterschiedlichen Theoriebildungen genügt es nicht, lediglich die Situation und die praktischen Probleme in den Blick zu nehmen, für die Lösungen gesucht und legitimiert werden mussten. Mindestens ebenso wichtig ist es, die theoretischen Grundlagen zu rekonstruieren, auf deren Grundlage gegebene Situationen interpretiert und Lösungsvorschläge formuliert werden konnten.“
1.2 Stand der wissenschaftlichen Forschung
5
Voraussetzungen gegeben, um die moralische Relevanz des subjektiven Rechts und das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und Gemeinwohl zu bestimmen. Anschließend soll die Bedeutung des Gesetzes für das subjektive Recht beurteilt werden, das heißt, es wird das Verhältnis zwischen objektiver Rechtsordnung und subjektivem Recht untersucht. Inwiefern dem subjektiven Recht eine Normativität zukommt, wird abschließend analysiert. Das fünfte Kapitel stellt die zuvor gewonnenen Untersuchungsergebnisse am Beispiel von Molinas Untersuchung der Sklaverei auf die Probe, wenn das dominium über Menschen betrachtet und der Frage nachgegangen wird, ob Molina subjektives Recht auch Sklaven zugesteht. Da er den Sklavenhandel der Portugiesen akribisch untersucht hat und seine Kenntnisse oftmals eigenen Nachforschungen aus Berichten der Sklavenhändler, mit denen Molina sich in den portugiesischen Häfen unterhalten hatte, entstammen, wird in diesem Kapitel auch Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel berücksichtigt. Die Bestimmung des dominium über und des dominium von Sklaven lässt eine Bestimmung des rechtlichen und anthropologischen Status der Sklaven innerhalb Molinas Rechtslehre zu und ermöglicht schließlich eine Einschätzung, welche Bedeutung Molinas Rechtstheorie für die Theorie von Grundrechten zukommt. Der vorliegenden Untersuchung liegt die Erstausgabe des ersten Bandes von De Iustitia et Iure ⁷ zugrunde, die 1593 in Cuenca erschienen ist. Im Wesentlichen werden Traktat I und die Disputationen 1−40 von Traktat II analysiert. Wenn Disputationen aus Traktat V hinzugezogen werden, wird aus der Mainzer Editio Novissima aus dem Jahre 1659 zitiert. Ich folge in der deutschen Übersetzung im Wesentlichen einem von mir gelegentlich modifizierten Übersetzungsentwurf von Alexander Loose, der von ihm in Zusammenarbeit von Matthias Kaufmann und mir erarbeitet wurde und demnächst als zweibändige Edition erscheinen wird.⁸
1.2 Stand der wissenschaftlichen Forschung Die These, ius könne in den Werken der Schule von Salamanca und insbesondere in Molinas De Iustitia et Iure als subjektives Recht bestimmt werden, wird durchaus bereits in der Forschung vertreten. Dabei wird jedoch die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Methode bislang allenfalls angedeutet, aber nicht durchgeführt: die Interpretation des subjektiven Rechts durch die Anwendung von Molinas Willensmetaphysik aus der Concordia auf die Rechtslehre in De Iustitia et Iure. Dies ist Zitiert als DIEI unter Angabe des Traktats, der Disputation und der Spalte, zum Beispiel DIEI II 18, 138. Luis de Molina, De Iustitia et Iure, Teil I und Teil II (2 Bände). Hrsg. u. eingeleitet von Matthias Kaufmann und Danaë Simmermacher, übersetzt von Alexander Loose, Matthias Kaufmann und Danaë Simmermacher. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, angekündigt für 2019.
6
1 Einleitung
aber notwendig, wenn die Voraussetzungen für dominium und ius angemessen untersucht werden sollen, sodass bestimmt werden kann, wer nach Molina Träger eines subjektiven Rechts ist. Erst wenn dieser rechtsmetaphysische Kontext erschlossen wurde, kann durch die Bestimmung des rechtlichen und anthropologischen Status der Sklaven, aber auch der Kinder und der geistig Behinderten, beurteilt werden, welche rechtspraktische Bedeutung Molinas Rechtslehre für die Entwicklung moderner Grundrechte zugestanden werden kann. Subjektives Recht in Molinas De Iustitia et Iure ist vor allem von Matthias Kaufmann untersucht worden. Er hat insbesondere die ideengeschichtliche Verortung und Wirkung von Molinas Konzept des dominium und des ius als subjektivem Recht herausgearbeitet. So sieht Kaufmann zum Beispiel Kants Unterscheidung von empirischem und intelligiblem Besitz von Molinas begrifflicher Differenzierung zwischen natürlichem und staatlichem Besitz beeinflusst.⁹ Weitere Aufmerksamkeit widmet er in seinen Publikationen zum subjektiven Recht bei Molina der begrifflichen Bestimmung von ius und dominium. An die Analyse der Unterscheidung zwischen dominium proprietatis (Eigentum) und dominium iurisdictionis (Herrschaft) schließt Kaufmann eine Darstellung von Molinas Untersuchung der Sklaverei an. Er vertritt in diesem Zusammenhang die These, Molina gestehe Sklaven Rechte auf ihr Leben, ihre Glieder etc. zu, die als unverzichtbare Rechte aller Menschen aufgefasst werden können.¹⁰ Welchen Beitrag Molinas Kritik am Sklavenhandel der Portugiesen für die Abschaffung der Sklaverei geleistet hat, untersucht Kaufmann in seiner jüngsten Publikation, erschienen in dem von ihm und Alexander Aichele veröffentlichten Band A Companion to Luis de Molina. ¹¹ Die Untersuchungen von Norbert Brieskorn zu Molinas Analyse der Sklaverei stehen im Kontext des Kriegsrechts und setzen sich hauptsächlich mit den Gründen für einen gerechten Krieg auseinander.¹² Die historischen Wurzeln des ius und dominium bei Molina werden von Jörg Tellkamp herausgearbeitet.¹³ Zwar beleuchtet Tellkamp in seiner Bestimmung des ius und dominium auch die Frage, welche Voraussetzungen bei Molina erfüllt sein müssen, um über ius und dominium zu verfügen, doch bezieht er die Concordia nicht in seine Untersuchung mit ein und kann somit die Willensfreiheit als Voraussetzung zum dominium und ius nicht berücksichtigen, sodass seine Untersuchung nur die rechtspraktische und nicht die rechtsmetaphysische Ebene des Verhältnisses von dominium und ius einbezieht. Angedeutet wird die Verbindung dieser beiden Ebenen von Annabel Brett, derzufolge dominium und ius bei Molina nicht nur als natürliche Freiheit, sondern auch als ‚negative Freiheit‘ im Sinne von Freiheit von Hindernissen aufzufassen ist.¹⁴ Sie stellt dieser Interpretation eine Untersuchung der Handlungstheorie in
cf. Kaufmann (2005, 84) cf. Kaufmann (2007, 205−226) cf. Kaufmann (2014, 183−225) cf. Brieskorn (2000a, 85−98, 2000b, 167−190) cf. Tellkamp (2014, 125−153) cf. Brett (2011, 93)
1.3 Leben des Luis de Molina
7
Molinas Concordia voran und deckt so eine Verbindung zwischen Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtlicher Freiheit in Molinas Denken auf.¹⁵ Inwiefern diese Verbindung als Kontinuität bei Molina aufzufassen ist oder ob es zu Brüchen zwischen der rechtsmetaphysischen Untersuchung und der rechtspraktischen Betrachtung von konkreten rechtlichen Konzepten kommt, wird von ihr nicht weiter analysiert. In Bretts Diskussion des dominium iurisdictionis im Kontext der politischen Philosophie wird diese Verbindung nicht miteinbezogen.¹⁶ Während Alejandro Guzmán Brito dem subjektiven Recht bei Molina ein umfassendes Kapitel in seiner Darstellung des Rechts als facultas in der Schule von Salamanca widmet,¹⁷ berücksichtigt die ideengeschichtlichen Untersuchung des subjektiven Rechts von Francisco Carpintero et al. Molinas Rechtslehre nur oberflächlich.¹⁸ Beide Werke beleuchten das subjektive Recht bei Molina im Vergleich mit Konzepten anderer Autoren und bieten keine systematische philosophische Analyse, die sich Problemen zuwendet, wie sie in der Fragestellung der vorliegenden Untersuchung vorgestellt wurden. Die Monographie zu Molinas De Iustitia et Iure von Diego Alonso-Lasheras ist auf Molinas Wirtschaftsethik ausgerichtet.¹⁹ Zwar stellt Alonso-Lasheras seiner Untersuchung des Rechts, der Gerechtigkeit, des dominium und des gerechten Preises eine kurze Darstellung der dreifachen Unterscheidung göttlichen Allwissens in Molinas Concordia voran, doch wird die Concordia im folgenden Verlauf der Untersuchung nicht weiter berücksichtigt. Somit kann die vorliegende Untersuchung den Anspruch erheben, mit der Anwendung von Molinas Willensmetaphysik aus der Concordia auf die Rechtslehre in De Iustitia et Iure und der somit ermöglichten Untersuchung des subjektiven Rechts und des dominium auf einer rechtsmetaphysischen und rechtspraktischen Ebene ein Desiderat in der Forschung zum subjektiven Recht bei Molina und vielleicht sogar der Schule von Salamanca im Allgemeinen zu erfüllen.
1.3 Leben des Luis de Molina Obwohl Luis de Molina (1535−1600) als einer der frühen theologischen Verfechter menschlicher Selbstbestimmung²⁰ und als Wegbereiter eines ökonomischen Liberalismus²¹ angesehen wird, ist ihm als Vertreter der Schule von Salamanca in der Rezeption bis heute weit weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht worden als bei-
cf. Brett (2011, 44−47) cf. Brett (2014, 155−181) cf. Guzmán Brito (2009, 143−188) cf. Carpintero et al. (2003, 214−219) cf. Alonso-Lasheras (2011) cf. Kaufmann (2007, 205) cf. Weber (1959)
8
1 Einleitung
spielsweise Francisco de Vitoria (1483−1546), Bartolomé de Las Casas (1484/85−1566), Domingo de Soto (1494−1560) oder Francisco Suárez (1548−1617).²² Dabei kommt dem spanischen Jesuiten, der die meiste Zeit seines Lebens in Portugal verbrachte, unbestritten das Verdienst zu, durch den Gedanken einer scientia media das göttliche Allwissen und die Gnade Gottes mit der Willensfreiheit des Menschen zu vereinen.²³ Diesen Gedanken entwickelte Molina in seinem bekanntesten Werk mit dem Titel Concordia (der vollständige Titel des Hauptwerkes lautet Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione concordia),²⁴ das bereits vor der Veröffentlichung zu heftigen Kontroversen zwischen Dominikanern und Jesuiten führte, von denen Molinas Leben²⁵ gekennzeichnet war. Er erregte mit der scientia media in Spanien und Portugal ähnliches Aufsehen wie Martin Luther mit seinen 95 Thesen in Deutschland und hatte unter führenden katholischen Autoritäten sowohl erbitterte Feinde als auch entschiedene Unterstützer.²⁶ Über Molinas Leben ist wenig bekannt. Im spanischen Cuenca wurde er 1535 geboren und wuchs auch dort auf. Der Gesellschaft Jesu (Societas Jesu) trat er mit 18 Jahren bei. Dem Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Theologie in Salamanca, Alcála de Henares und Coimbra folgten theologische Lehrtätigkeiten in Evora und Lissabon. Ab 1591 wurde er dem Jesuitenkolleg seiner Heimatstadt Cuenca zugewiesen, wo 1592 die Commentaria in Primam Divi Thomae Partem, 1593 der erste Band von De Iustitia et Iure, 1597 deren zweiter Band und 1600 die erste Häfte des dritten Bandes veröffentlicht wurden. Die Publikationen des restlichen dritten und vierten bis sechsten Bandes in Antwerpen im Jahre 1609 konnte Molina nicht mehr erleben, denn er verstarb im Jahre 1600 in Madrid. Kurz vor seinem Tod wurde Molina auf einen Lehrstuhl für Moraltheologie im Kolleg der Gesellschaft Jesu in Madrid berufen. Im Kolleg von Alcalá wird sein Kopf als Reliquie aufbewahrt, bestattet ist er in Madrid. Molinas Hauptwerk, die Concordia, wurde erstmals 1588 in Lissabon veröffentlicht. Bereits 1589 erschien eine zweite Ausgabe der Concordia, in der Molina auf die Kritik zu seiner Erstausgabe antwortete, worauf der sogenannte Gnadenstreit zwischen Dominikanern und Jesuiten entfacht wurde. Er sollte erst nach Molinas Tod 1607 ein Ende finden, nachdem Papst Paul V. den Beteiligten weitere Beschuldigungen verboten hatte.
Eine Einführung zu den Autoren der Schule von Salamanca sowie einen historiographischen Überblick, eine Einführung in die Quellen und eine Präsentation wichtiger Forschungsfragen bieten (Birr und Decock 2016). Die deutsche Erstübersetzung der zentralen Abhandlung aus der Concordia über die scientia media ist im Erscheinen: Luis de Molina. 2018. Göttlicher Plan und menschliche Freiheit. Concordia, Disputatio 52, hg.v. Christoph Jäger und Gerhard Leibold. Hamburg: Meiner. Vom freien Willen in Eintracht mit den Gaben der Gnade, dem göttlichen Vorwissen, der Vorsehung, Vorbestimmung und Reprobation (das ist die Verwerfung der Seele). Eine umfangreiche Biographie über Molina bietet Stegmüller (1935, 1−77), dessen Publikation die folgende Darstellung von Molinas Leben hauptsächlich folgt. Eine ebenfalls ausführliche Biographie wurde in jüngster Zeit vorgelegt von MacGregor (2015). cf. MacGregor (2015, 29, 159)
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts Um das subjektive Recht in Molinas De Iustitia et Iure untersuchen zu können, muss zunächst erläutert werden, was unter subjektivem Recht zu verstehen ist, welche Bedeutung ihm als Rechtsfigur zukommt und wie es sich zu einer solchen entwickelt hat. Wenn ius in Molinas Rechtslehre als subjektives Recht bestimmt wird, so stellt dies eine Interpretation avant la lettre dar, die Molina noch nicht selbst vorgenommen hat, da der Terminus ius subjective sumtum erstmals gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Naturrecht Gottfried Achenwalls auftaucht.²⁷ Doch ist es ein Ziel dieser Untersuchung nachzuweisen, dass das Konzept des subjektiven Rechts bereits in Molinas Bestimmung des ius als „die Fähigkeit (facultas), etwas zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise zu verhalten, sodass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne legitimen Grund entgegengewirkt wird,“²⁸ hervortritt, auch wenn er den Terminus selbst nicht verwendet. Die folgenden Abschnitte sollen in gebotener Kürze die Diskussionen um die Bedeutung und Bestimmung des subjektiven Rechts in dessen begriffsgeschichtlicher Genese skizzieren, um später Molinas Bestimmung des ius als subjektives Recht ausweisen zu können. In Kapitel 2.9 wird ein knapper Ausblick auf das subjektive Recht in der Neuzeit geboten. Da dieses Kapitel der historischen Genese des subjektiven Rechts bis zur Schule von Salamanca gewidmet ist, um ius bei Molina als subjektives Recht zu bestimmen, ist eine ausführliche Diskussion des subjektiven Rechts in der Neuzeit nicht erforderlich und würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.
2.1 Der Begriff des ‚subjektiven Rechts‘ Nicht nur die historischen Wurzeln vom Begriff des subjektiven Rechts sind unklar und umstritten, auch über die Bedeutung und Verwendung dieses Begriffs herrscht Uneinigkeit. Als eine wesentliche Ursache für den nicht endenden Streit über den Begriff des subjektiven Rechts nennt Robert Alexy die unzureichende Unterscheidung zwischen (1) Gründen für subjektive Rechte, (2) subjektiven Rechten als rechtliche Positionen und Relationen und (3) der rechtlichen Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte.²⁹ Kritiker werfen den Vertretern von Theorien über subjektive Rechte vor, ei-
Ius Naturae, pars prior, § 36: „Ea facultas moralis, quae posita obligatione alterius perfecta ponitur, hoc est ius naturale extorquendi aliquid alteri, seu vi exigendi ab altero, vocatur ius naturale strictum (ius perfectum) subjective sumtum.“ Siehe hierzu auch Kaufmann (2010, 374) DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“ (Hervorhebung in der deutschen Übersetzung, D.S.) cf. Alexy (1994, 164) Der Streit wurde und wird vor allem zwischen Anhängern der Interessentheorie (zum Beispiel Jhering oder MacCormick) und der Willenstheorie (zum Beispiel Windscheid oder H.L.A. Hart) geführt. https://doi.org/10.1515/9783110551938-002
10
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
nen bloßen Operationsbegriff mit scheinbar kontingentem Inhalt füllen zu wollen. Dies kann unpräzisen Definitionen geschuldet sein, wie etwa folgender: „Recht im subjectiven Sinne ist alles dasjenige, was der Mensch vermöge der ihm zustehenden äußeren Freiheit thun darf […].“³⁰ Einer solchen Definition zufolge könnte das subjektive Recht gleichgesetzt werden mit Willkür. Eine weitere Kritik spricht dem subjektiven Recht eine eigene Funktion ab. So beinhaltet zum Beispiel für Hans Kelsen der Begriff des subjektiven Rechts nichts anderes, als der Begriff der Pflicht dies bereits vermag. Der Rechtspositivist Kelsen lehnt die Denkfigur des subjektiven Rechts grundsätzlich ab: Dieser als ‚Recht‘ oder ‚Anspruch‘ eines Individuums bezeichnete Sachverhalt ist aber nichts anderes als die Pflicht des oder der anderen. Spricht man in diesem Falle von einem subjektiven Recht oder einem Anspruch eines Individuums, als ob dieses Recht oder dieser Anspruch etwas von der Pflicht des oder der anderen Verschiedenes wäre, so erzeugt man den Schein von zwei rechtlich relevanten Sachverhalten, wo nur einer vorliegt. Der in Frage stehende Sachverhalt ist erschöpfend mit der Rechtspflicht des Individuums (oder der Individuen) beschrieben, sich einem anderen Individuum gegenüber in bestimmter Weise zu verhalten. […] [der Begriff eines subjektiven Rechts] ist aber vom Standpunkt einer wissenschaftlich exakten Beschreibung des rechtlichen Sachverhalts überflüssig.³¹
Für Kelsen besteht subjektives Recht nur aus ideologischen Gründen zum Schutze des Privateigentums. Allerdings macht Kelsen den Fehler, das subjektive Recht ausschließlich auf prozessuale Befugnisse, also das ‚Klagrecht‘ zu reduzieren.³² Dabei übersieht er sämtliche Freiheiten, die einem Träger subjektiver Rechte schon durch den Anspruch auf eben diese zukommen. Solche Freiheiten rücken subjektive Rechte systematisch in die Nähe von Menschenrechten. Sie gehen damit weit über prozessuale Befugnisse hinaus, denn subjektive Rechte spielen nicht erst dann eine Rolle, wenn sie eingeklagt werden. Grundsätzlich gewähren sie einzelnen Personen konkrete rechtliche Befugnisse und vor allem Rechtsansprüche, zum Beispiel Eigentumsrechte an Gegenständen. Gegen Kelsens Position steht unter anderem eine formale Definition subjektiver Rechte, wie sie beispielsweise Niklas Luhmann aufstellt: „Subjektive Rechte sind Rechte, die Rechtsqualität haben, weil sie einem Subjekt zustehen, und daher keine weitere Begründung brauchen.“³³ Zwar räumt Luhmann ein, dass subjektive Rechte eingeschränkt und begrenzt werden müssten, da auch andere Subjekte diese in Anspruch nehmen können und subjektive Rechte nicht willkürlich ausgeübt werden dürfen. Der Geltungsgrund subjektiver Rechte und die Anerkennung ihrer rechtlichen Qualität würden dadurch aber nicht berührt, da die Einschränkung nur der Anpassung von Rechtspositionen an externe Gegebenheiten zu schulden sei.³⁴
Heimbach (1855, 137−138) Kelsen (1960, 132−133) cf. Adomeit (1979, 53) Luhmann (1993, 45) cf. Luhmann (1993, 45)
2.1 Der Begriff des ‚subjektiven Rechts‘
11
Eine andere Kritik sieht subjektive Rechte in Konkurrenz gesetzt zu objektiven Rechten, die durch eine geltende Rechtsordnung festgelegt sind, und rechtfertigt sich dadurch, dass doch gerade das Recht nichts Subjektives sein dürfe. Diesen radikalen Einwand referiert Luhmann und stellt ihn als eine contradictio in adiecto dar. Er nutzt den Einwand einleitend für seine Begriffsgenese des subjektiven Rechts, lehnt ihn aber selbst ab: „Wie hat man je auf den Gedanken kommen können, daß das Recht in seinem Grunde etwas Subjektives sei, wo es doch unleugbar dazu bestimmt ist, subjektive Willkür einzuschränken?“³⁵ Dieser Einwand lässt sich außerdem leicht zurückweisen, wenn berücksichtigt wird, dass subjektive Rechte nicht unabhängig von einer objektiven Rechtsordnung zugestanden werden, sondern aus gültigen objektiven Rechtsordnungen hervorgehen und folglich mit diesen vereinbar sein müssen. Es ist daher abwegig, subjektive Rechte objektiven Rechten gegenüberzustellen, da sie aus letzteren abgeleitet werden. Markus Stepanians bezeichnet subjektive Rechte sogar als „logische Bestandteile des objektiven Rechts“.³⁶ Damit sind einige Positionen der gegenwärtigen Diskussion um das subjektive Recht skizzenhaft vorgestellt. Um der Frage genauer nachzugehen, was eigentlich subjektives Recht ist bzw. subjektive Rechte sind und schließlich die Bestimmung von ius bei Molina einzuschätzen, wird im Folgenden eine Übersicht der begrifflichen Entstehungsgeschichte des subjektiven Rechts gegeben. Den Diskussionen darüber, ob und ab wann subjektives Recht in der Jurisprudenz auftaucht, dienen als früheste Quellen die Schriften des Römischen Rechts, deren wichtigste Sammlung das von Kaiser Justinian I. von 528−534 n.Chr. herausgegebene Corpus Iuris Civilis ist. Im Zentrum der Diskussion steht der Begriff des ius und mit ihm die Frage, ob seine Bedeutung sich in Richtung auf ein subjektives Recht rechtfertigen lässt. Grundsätzlich bedeutet ius das Gerechte in einer objektiven Rechtsordnung und wird etymologisch von iustum hergeleitet. „Ius sive iustum“, ‚das Recht oder das Gerechte‘ ist eine stereotype Formel, die zum Beispiel später Thomas von Aquin (ca. 1225−1274) verwendet.³⁷
Luhmann (1993, 46) Stepanians (2007, 9) cf. S. Th. II−II, q. 57, art. 2. Thomas begründet diese Formel folgendermaßen, S. Th. II−II, q. 57, art. 1: „Sic igitur iustum dicitur aliquid, quasi habens rectitudinem iustitiae, ad quod terminatur actio iustitiae, etiam non consideratio qualiter ab agente fiat. Sed in aliis virtutibus non determinatur aliquid rectum nisi secundum quod aliqualiter fit ab agente. Et propter hoc specialiter iustitiae prae aliis virtutibus determinatur secundum se obiectum quod vocatur iustum. Et hoc quidem est ius. Unde manifestum est quod ius est obiectum iustitiae.“ („So wird also dasjenige recht genannt, was die Richtigkeit der Gerechtigkeit hat, gerade das also, in dem der Akt der Gerechtigkeit sein Ziel findet, auch ungeachtet dessen, wie sie vom Handelnden gesetzt wird. Aber bei den anderen Tugenden wird das Rechte nur bestimmt, wenn es auf irgendeine Weise vom Handelnden gesetzt wird. Und deswegen wird der Gerechtigkeit vor allen anderen Tugenden auf besondere Weise gemäß sich selbst der Gegenstand als dasjenige bestimmt, das das Rechte genannt wird. Und das ist wirklich das Recht. Daher ist deutlich erkennbar, dass das Recht der Gegenstand der Gerechtigkeit ist.“)
12
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Eine entscheidende Entwicklung in Richtung auf eine subjektive Rechtsauffassung lässt sich im Mittelalter bei den Dekretisten, aber auch bei Wilhelm von Ockham (ca. 1288−1347) feststellen. Praktische Relevanz gewinnt der Begriff des subjektiven Rechts im 13. Jahrhundert während des Armutsstreit der Franziskaner und im 16. Jahrhundert in der Schule von Salamanca, vor allem in den Auseinandersetzungen über den rechtlichen Status der Bewohner der sogenannten ‚Neuen Welt‘ und dem daraus resultierenden rechtlichen und moralischen Umgang der Europäer mit der indigenen Bevölkerung. Die wichtigsten Themen in dieser Diskussion sind Eigentum, Herrschaft und das rechtliche Vermögen, etwas zu tun oder zu gebrauchen. Damit steht der Begriff des dominium im Zentrum dieser Debatten. Wenngleich gerade durch diese Themen die historische Genese des subjektiven Rechts oft als wegweisend für das Konzept der modernen Menschenrechte gedeutet wird, so sei dennoch darauf hingewiesen, dass subjektive Rechte keineswegs mit Menschenrechten gleichgesetzt werden dürfen. Ein entscheidender Unterschied ist die Vereinbarung subjektiver Rechte mit ausgeprägten Formen der Gruppen- und Statusprivilegierung. Matthias Kaufmann hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Semantik des subjektiven Rechts eine ‚natürliche‘ Erklärung für „ein Recht auf Sklavenhaltung für alle Weißen und ein Recht auf Herrschaft der Familienväter über Frauen, Kinder und Gesinde“ biete.³⁸ Wenn dies möglich ist, können subjektive Rechte nicht als Menschenrechte verstanden werden, da eine Klassifizierung von Menschen, die Sklaven und somit Eigentum anderer Menschen und Menschen als Eigentümer und (in diesem Sinne) Herren dieser Menschen sind, mit dem Konzept der Menschenrechte unvereinbar ist. Denn Menschenrechte werden grundsätzlich allen Menschen zugestanden, jegliche Zugehörigkeit zu Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder sozialen Gruppen spielt dabei keine Rolle. Außerdem sind Menschenrechte unveräußerbar und unverzichtbar und kommen jedem Menschen qua Menschsein zu. Subjektive Rechte hingegen können veräußert werden, wie am Beispiel des dominium über die rechtliche Freiheit bei Molina gezeigt werden wird. Im Folgenden wird nun die historische Genese des subjektiven Rechts dargestellt.
2.2 Subjektives Recht im Römischen Recht Eine selbstständige, umfassende Analyse der Quellen des Römischen Rechts kann hier nicht geleistet werden und ist auch für das Thema dieser Untersuchung nicht relevant. Im Folgenden genügt es, die Forschungslage zum subjektiven Recht im Römischen Recht darzustellen.
Kaufmann (1999, 177) bezieht sich hier auf Karl Marx: „Marx zitiert die Beschwerde eines amerikanischen Südstaatlers, der es in England als Freiheitsbeschneidung ansieht, daß er seinen schwarzen Sklaven nicht schlagen darf (Deutsche Ideologie, MEW 3, 191).“
2.2 Subjektives Recht im Römischen Recht
13
Nach dem französischen Rechtshistoriker Michel Villey spielt der Begriff des subjektiven Rechts in der Systematik des klassischen Römischen Rechts keine Rolle. Villeys argumentativer Ausgangspunkt gegen eine Interpretation von ius als subjektivem Recht im Römischen Recht ist die These, dass ius nicht im Sinne der modernen Rechtswissenschaft als Vermögen oder Rechtsanspruch, sondern nach der klassischrömischen Rechtsauffassung als Sache verstanden werde. Villey geht also von einer gegenständlichen Betrachtung des Wortes ius im Römischen Recht aus. Damit beruft er sich auf die von Gaius stammende Unterscheidung zwischen res corporales und res incorporales,³⁹ nach der körperliche Gegenstände von solchen unterschieden werden, die man nicht anfassen kann, wie die Erbschaft (ius hereditatis), die Verpflichtung (ius obligationis) und wie die iura praediorum, die Dienstbarkeiten (Servituten), an denen der jeweilige Eigentümer ein dingliches Nutzungsrecht an einem Grundstück hat. Wenn der Ausdruck ius in Richtung auf eine subjektive Bedeutung interpretiert werden soll, dann sei dies nach Villey nur im Sinne eines Rechtsguts unkörperlicher Art, im Sinne von res incorporalis ⁴⁰ möglich. Gaius handle jedoch, so Villey, von „choses“, also von Gegenständen.⁴¹ Damit könne das moderne Konzept des subjektiven Rechts als konkrete rechtliche Befugnis oder konkreter rechtlicher Anspruch, der den Träger des Rechts, das Rechtssubjekt, auf welches das Recht gerichtet ist, in den Vordergrund stellt und ihm zukommt, nicht auf das Römische Recht angewendet werden.⁴² Villey bezieht sich in diesem Kontext auf die Unterscheidung zwischen ius in re und ius ad rem, die sowohl bei den Kanonisten um 1200 als auch bei Molina von großer Bedeutung ist. Unter ius in re wird das Verfügungsrecht über einen Gegenstand verstanden, das direkt auf die Sache bezogen ist und nicht durch andere Personen vermittelt wird, zum Beispiel das Eigentum an einem Gegenstand.⁴³ Im Unterschied dazu berechtigt der Rechtsanspruch auf etwas, das ius ad rem, den Rechtsträger dazu, von einer anderen Person eine bestimmte Leistung zu verlangen, zum Beispiel beim Kauf eines Gegenstandes, bei dem die Übergabe desselben noch nicht stattgefunden cf. Inst. 2.12−14 cf. Villey (1962, 170−172, 187) cf. Villey (1962, 212) Villey (1946, 221): „[…] la notion de droit subjectif ne joue à peu près aucun rôle dans la systématique ordinaire du droit romain classique. On n’y traite pas, ou guère, ni du droit de propriété, ni du droit de créance, ni du droit d’usufruit, ni du droit d’agir en justice, et ni non plus du droit reel ou du droit personnel.“ und Villey (1946, 226): „La notion de droit subjectif, reléguée au second plan, n’est pas l’objet à Rome d’une véritable élaboration scientifique. Elle n’apparaît pas dans la charpente des systèmes romains.“ Das ius in re beruht auf der ursprünglichen Situation des Gemeinschaftseigentums, in der jeder Anspruch auf den Gebrauch aller Güter besaß. Siehe dazu Kant RL, 69: „Das Recht in einer Sache ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen, oder gestifteten) Gesamtbesitze ich mit allen anderen bin. Denn das letztere ist die einzige Bedingung, unter der es allein möglich ist, daß ich jeden anderen Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe (ius contra quemlibet huius rei possessorum), weil, ohne einen solchen Gesamtbesitz vorauszusetzen, sich gar nicht denken läßt, wie ich, der ich doch nicht im Besitz der Sache bin, von Anderen, die es sind und sie brauchen, lädiert werden könne.“ (Hervorhebungen im Original)
14
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
hat. Sollte der Verkäufer etwa mehreren Käufern den Gegenstand angeboten haben, stehen dem ersten Käufer über das ius ad rem der Kauf und die Übergabe des Gegenstandes zu. Für die Untersuchung des subjektiven Rechts seien laut Villey die Begriffe ius, ius in re, proprietas, ususfructus etc. von zentraler Rolle. Der wohl wichtigste Begriff ist der des dominium, den Villey allerdings an dieser Stelle nicht explizit erwähnt, wobei er proprietas möglicherweise anstelle von dominium proprietatis verwendet, da beides als Eigentum übersetzt wird. Der enge Zusammenhang zwischen ius und dominium wird von einigen Interpreten sogar als Äquivalenz von ius und dominium aufgefasst.⁴⁴ Es ist allein schon für die Schule von Salamanca nicht möglich, das Verhältnis zwischen ius und dominium einheitlich zu bestimmen, wie aus dem dritten Kapitel hervorgehen wird. So ist es nicht verwunderlich, dass sich dieses Problem bereits mit Hinblick auf frühere Quellen ergibt. Die strikte Trennung der Begriffe ius und dominium hält Tierney für einen der problematischsten Punkte in Villeys Argumentation, da ab dem 4. Jahrhundert n.Chr. beide Begriffe in der juristischen Sprache eindeutig miteinander verknüpft werden, wie zum Beispiel durch die Formulierung iure dominii possidere deutlich werde.⁴⁵ In konträrer Position zu Villeys Analyse des subjektiven Rechts im Römischen Recht stehen die Schriften von Giovanni Pugliese.⁴⁶ Laut Pugliese gab es im Römischen Recht das subjektive Recht durchaus als Rechtsfigur, wobei es nicht explizit als systematischer Begriff auftaucht. Wenngleich nur angenommen werden könne, das subjektive Recht sei im Römischen Recht mit dem Ausdruck ius bezeichnet worden, auch wenn es keinen expliziten Hinweis dafür gäbe, so müsse dies andererseits nicht ein Beleg dafür sein, dass im Römischen Recht kein Konzept vom subjektiven Recht existiert hätte, so Pugliese. Seine These glaubt er mit dem wenig überzeugenden Hinweis begründen zu können, dass es Aufgabe des modernen Rechtshistorikers sei, antike Quellen mittels moderner Begriffsbildung nahezubringen. Die Gegenüberstellung von res corporales und res incorporales bei Villey sei zudem nicht allgemein klassisch, sondern tauche nur in den gaianischen Institutionen auf.⁴⁷ Allerdings kann Pugliese seine These nicht durch einen Textnachweis begründen. Allein die Intention, ius im Sinne einer modernen Rechtsauffassung als subjektives Recht verstehen zu wollen, reicht nicht aus, um die Annahme der Figur des subjektiven Rechts im Römischen Recht begründen zu können. Einen Kompromiss zwischen den Positionen Villeys und Puglieses bildet die These Helmut Coings. Laut Coing lassen sich einige Textstellen in den römischen
Zum Beispiel cf. Brett (2003, 10−12) und cf. Tuck (1993, 11). cf. Tierney (1997, 17) cf. Pugliese (1953, 223−260) Auch Tierney (1997, 18), der Villeys umfangreiches Publikationswerk sorgfältig studiert hat, wirft ihm eine polarisierende Textauswahl vor, um die Nicht-Existenz von subjektivem Recht im Römischen Recht zu begründen.
2.2 Subjektives Recht im Römischen Recht
15
Quellen finden, in denen ius „eindeutig der Sinn subjektiver Befugnis zukommt“.⁴⁸ Coing nennt beispielsweise die Lex Quintia de Aquaeductibus aus dem Jahre 8 v.Chr., die den Ausdruck ius potestaque beinhaltet. Aber auch er gesteht zu, dass sich kein Textbeleg finden ließe, der eine allgemeingültige Definition von ius als subjektivem Recht angäbe. Damit schließt er sich dahingehend der These Villeys an, dass dem subjektiven Recht keine systematisch (technische) Bedeutung zukomme, wenngleich Coing daran festhält, dass die Semantik von ius eine Interpretation als subjektives Recht zuließe. Dem subjektiven Recht käme im klassischen Römischen Recht deshalb keine besondere Bedeutung zu, da das klassische Römische Recht an Aktionen anschließe, so Coing.⁴⁹ Das subjektive Recht zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass es Personen bzw. Rechtsträgern zukommt, das heißt Individuen. Auch die Analyse des Begriffs ius, bei der Coing feststellt, dass ein Hinweis auf die Bedeutung von ius als subjektivem Recht nicht auftaucht, lässt ihn nicht daran zweifeln, dass eine solche Bedeutung indirekt im Römischen Recht vorhanden ist. Er bezieht sich auf eine Passage in den Digesten D 1.1.11, einem Fragment aus den Büchern des Paulus zum ius civile des Sabinus. Dort werden drei Bedeutungen von ius angeführt:⁵⁰ 1. ius als Naturrecht, 2. ius als Recht, das einer Bürgerschaft von Nutzen ist, also das positive Recht, 3. ius als Ort, an dem Recht gesprochen wird, also die Gerichtsstätte. Diese Aufzählung, die keinerlei Rückschlüsse auf eine subjektive Berechtigung zulässt, sei nach Coing aber nicht vollständig. Die Textstelle habe ursprünglich in einem anderen Kontext als in dem allgemeinen Einleitungstitel der Digesten, De iustitia et iure, gestanden, und zwar im Rahmen der Rechtsabtretung auf der Gerichtsstätte. Daher wäre eine vollständige Aufzählung der Bedeutungen von ius nicht erforderlich gewesen und dürfe folglich nicht erwartet werden. Sowohl Coing als auch Pugliese können also keinen Textbeleg angeben, der eine Interpretation von ius als subjektivem Recht im Römischen Recht zulassen würde. Ihre Thesen gründen auf Spekulationen, die den Begriff potestas zur individuellen Freiheit zum Handeln bzw. zu individuellen Rechten respektive dem subjektiven Recht erheben wollen. Doch aus welchem Grund potestas in diese Richtung gedeutet werden kann, wird nicht ersichtlich. Luhmann interpretiert den Ausdruck ius potestaque, auf den sich Coing stützt, als eine Möglichkeit oder Erlaubnis (potestas), die auf einem ‚rechtskundigen Urteil‘ beruht.⁵¹ Damit geht Luhmann von der bei Coing zweiten
Coing (1959, 11) cf. Coing (1959, 11) cf. Coing (1959, 10) Luhmann (1993, 50): „Wenn Individuen ihre Möglichkeiten als ius praktizieren, so heißt dies, daß sie es gemäß sozialer Disziplinierung durch rechtskundiges Urteil tun. Was ius ist; wird ermittelt und zugeteilt auf Grund seiner schon vollzogenen Ordnung mit einem ihr innewohnenden Interessenausgleich.“
16
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Bedeutung von ius aus, nämlich ius als positivem Recht einer Bürgerschaft bzw. eines Staates. Doch handelt es sich dabei um das objektive Recht und gerade nicht um subjektives Recht. Zwar bestehen subjektive Rechte stets innerhalb einer objektiven Rechtsordnung, ohne die sie gar keine Geltung haben können. So sind zum Beispiel die Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Wenn ius als positives Recht verstanden wird, so könnte also die potestas, die auf diesem ius beruht, ein solches im objektiven Recht bestehendes subjektives Recht sein. Aber auch diese Auslegung von ius potestaque als subjektivem Recht im Römischen Recht kann nicht sicher belegt werden. Es bleibt hier offen, ob die potestas nicht generell einem jeden ius innewohnt und daher nicht als spezifisch subjektives Recht zu verstehen ist. Daran schließt sich aber die Frage an, ob potestas im Sinne eines spezifisch subjektiven Rechts nicht als Privileg aufgefasst werden muss. Privilegien sind nicht mit subjektiven Rechten gleichzusetzen, wenngleich sie mit subjektiven Rechten durchaus vereinbar sein können. Im Römischen Recht gehen Privilegien aus Entscheidungen der Legislative hervor, die eine einzelne Person betreffen. Subjektive Rechte hingegen werden allen Bürgern eines Staates zugestanden, zum Beispiel Grundrechte.⁵² Die potestas (nach Luhmann beruhend auf einem rechtskundigen Urteil) könnte als eine aus einer solchen Einzelentscheidung hervorgegangene Möglichkeit für einen Einzelnen, das ist ein Privileg, verstanden werden. Allerdings lassen sich diese Überlegungen leicht auflösen, denn im Corpus Iuris Civilis wird das Privileg als ius singulare bezeichnet.⁵³ Somit gibt es eine eindeutige Bezeichnung für das Privileg, nämlich die eines speziellen ius, also eines Ausnahmerechts, woraus folgt, dass die potestas daher im Römischen Recht nicht als spezifisch subjektives Recht gedeutet werden kann, da dieses als allgemeines ius auftreten müsste, welches auf dem Gesetz beruht und daher allen zustehen würde. In der vorliegenden Untersuchung wird unter anderem herausgearbeitet, ob dominium als Paradigma für subjektives Recht als natürliche Freiheit bestimmt werden kann. So tritt die Frage auf, ob vielleicht die Freiheit, libertas, und die Fähigkeit bzw. das Vermögen, facultas als subjektives Recht im Römischen Recht gedeutet werden könnten. Ob diese beiden Begriffe im Römischen Recht zum ius zählen, also in den Bereich des Rechts fallen, wird von Niklas Luhmann diskutiert. Er führt eine Textstelle an, die deutlich zeigt, dass weder facultas noch libertas im Römischen Recht als individuelle Freiheit oder Willensmacht gedeutet werden dürfen und dass beides für die Römer Fakten außerhalb des Rechts waren.⁵⁴ Dabei handelt es sich um Digesten 1,5,4: „Libertas est naturalis facultas eius quod cuique facere libet, nisi si quid vi aut iure
cf. Alexy (1994, 159−161) Dig. 1,3,16: „Ius singulare est, quod contra tenorem rationis propter aliquam utilitatem auctoritate constituentium introductum est.“ bzw. „Ausnahmerecht ist, was gegen den Grundgedanken eines Rechtssatzes aus irgendeinem Zweckmäßigkeitsgrund kraft der Autorität derer eingeführt worden ist, die das Recht fortbilden.“ cf. Luhmann (1993, 50)
2.3 Ausgangspunkt: Das subjektive Recht bei den Kanonisten des 12. Jahrhunderts
17
prohibetur.“⁵⁵ Entscheidend ist hier, dass die Freiheit durch Gewalt oder durch Recht gehindert bzw. eingeschränkt werden kann. Luhmann kommt daher folgerichtig zu dem Schluss, dass die Freiheit im Römischen Recht außerhalb des Rechts liegt, da sie sonst nicht auch durch Gewalt eingeschränkt werden könne. Somit kann also festgehalten werden, dass subjektives Recht im Römischen Recht keine Rolle spielt und in allgemeinen systematischen Schriften zum Recht nicht auftaucht. Im Römischen Recht kann also nicht der historische Ursprung für das subjektive Recht liegen. Dies liegt vor allem daran, dass subjektives Rechts nur in einem Rechtskonzept auftreten kann, das einem Individuum Rechte zugesteht. Doch konnte aufgedeckt werden, von welchen Begriffen es in der rechtshistorischen Forschung unterschieden wird (wie zum Beispiel dem Privileg oder der Freiheit) und welche Begriffe methodisch bei der Forschung zum subjektiven Recht relevant sind. Im Folgenden soll nun die nächste Etappe der Diskussionen um die Entstehung des subjektiven Rechts betrachtet werden: die Kanonistik des 12. Jahrhunderts.
2.3 Ausgangspunkt: Das subjektive Recht bei den Kanonisten des 12. Jahrhunderts Der Mediävist Brian Tierney sieht den Beginn des Konzepts subjektiven Rechts in den kanonistischen Debatten des 12. Jahrhunderts.⁵⁶ Nach Tierney interpretieren bereits die Kanonisten in ihren Kommentaren zum Decretum Gratiani das ius als subjektives Recht, wenngleich Gratian selbst nur von einem objektiven Recht ausgehe.⁵⁷ Auch Knut Wolfgang Nörr sieht im Gebrauch des Wortes ius in der Summa aurea des Hostiensis⁵⁸ die Bedeutung als subjektives Recht belegt.⁵⁹ Er bezieht sich auf einen Passus über den Verzicht (De renunciatione), in dem Hostiensis betont, dass nur auf ein eigenes und nicht auf fremdes Recht verzichtet werden könne.⁶⁰ In einer modernen Lesart ließe sich dieses ‚eigene Recht‘ als subjektives Recht interpretieren, doch weist Nörr darauf hin, dass diese Interpretation ins Wanken gerät, wenn Hostiensis näher ausführt, auf welche Rechte verzichtet werden könne: „geschriebene und ungeschriebene Rechte […], Rechte, die sich auf Pfründen oder auf weltliche körperliche und unkörperliche Gegenstände beziehen; […] [zu letzteren] gehören beispielsweise
Dig. 1,5,4: „Die Freiheit ist die natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern man daran nicht durch Gewalt oder das Recht gehindert wird.“ cf. Tierney (1997, 36−38) cf. Tierney (1997, 61) Das ist Heinrich von Susa (1200−1271), den auch Molina in De iustitia et iure zitiert. cf. Nörr (1992, 193−194) „Quid sit renunciatio: Iuris proprii spontanea refutatio. Bene dico, ‚iuris proprii‘, alieno enim renunciare non possum.“ Bei Nörr angegeben als: Lugd. 1537 (Neudr. 1962) fol. 26 va, n.1.
18
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
servitutes, Dienstbarkeiten.“⁶¹ Laut Nörr verwendet Hostiensis ius auf zweifache Weise im Sinne des subjektiven und objektiven Rechts, ohne sich eines Unterschiedes bewusst zu sein oder über diesen zu reflektieren. Nach der gegenwärtigen Auffassung vom subjektiven Recht könnten zwar die ungeschriebenen Rechte bei Hostiensis als subjektive Rechte verstanden werden, so Nörr, aber keinesfalls die geschriebenen Rechte auf unkörperliche Gegenstände, wie zum Beispiel das Recht auf servitutes. Allerdings lässt er offen, weshalb gerade ein Recht auf Dienstbarkeiten nicht als subjektives Recht gedeutet werden kann. Wenn Hostiensis die geschriebenen Rechte näher erklärt, sei noch deutlicher, dass er zwischen einer Bedeutung von ius im objektiven und der im subjektiven Sinne hin und her gleitet, worin er es laut Nörr allen Legisten und Kanonisten seiner Zeit gleichtut. Zwar wird ius bei den geschriebenen Rechten meist im objektiven Sinne verwendet, aber eine Interpretation im subjektiven Sinne ist nach Nörr schließlich dadurch zulässig, dass „jedes Recht im Hinblick auf seine Nützlichkeit als öffentlich bezeichnet werden kann, weil es dem Gemeinwesen zum Besten gereicht, wenn niemand von der ihm gehörenden Sache üblen Gebrauch macht.“⁶² Nörr deutet das subjektive Recht in der Kanonistik also als Eigentumsrecht, das einerseits jemandem zusteht, andererseits auch dem Gemeinwohl dient, da das subjektive Recht an einen ‚nicht üblen Gebrauch‘ gebunden ist. Auch hier ist also eine Möglichkeit der willkürlichen Ausübung des subjektiven Rechts oder gar die Gleichsetzung von Willkür und subjektivem Recht ausgeschlossen. Da subjektives Recht aus einer objektiven Rechtsordnung hervorgeht, kann es nicht gegen das Gemeinwohl ausgeübt werden. Tierney bezieht seine These der Kanonistik als Ursprung subjektiven Rechts auf eine Glosse von Johannes Monachus (1250−1313), in der verschiedene Bedeutungen von ius behandelt werden und auch das subjektive Recht zu erkennen sei. Er hebt gegen Villeys These von Ockham als Revolutionär des subjektiven Rechts⁶³ deutlich hervor, dass die subjektive Bedeutung von ius bereits während des Armutsstreits des Franziskanerordens mit der Kurie nachzuweisen ist. Ockham führe die Begriffsbildung zwar fort, habe sie jedoch nicht initiiert. Etwa 1310 listet Monachus in der Glossa Aurea eine Vielzahl der Bedeutungen von ius an. Er beginnt mit der Bedeutung von ius als aqua pinguis, als fruchtbares Wasser, etwa eine Brühe oder ein Saft. Über einige Wortspiele gelange Monachus dann zu den zwei Bedeutungen von mando, zum einen
Nörr (1992, 194) Nörr (1992, 194) Bei Hostiensis fol. 27 r, n.2: „Iura scripta: hic sciendum est quod ius publicum autenticum largo modo dicitur quodlibet ius in scriptis redactum quia a publicis personis introductum, puta princibus sanctis vel conciliis. Sic etiam dici potest ius publicum quaelibet constitutio municipalis vel episcopalis. […] Item quodlibet ius utilitate publicum est largo modo; nam rei publicae expedit ne quis re sua male utatur, insti. de his qui sui iuris sunt § dominorum (Inst. 1.8 § 2). Item largo modo publice interest quod quodlibet ius observetur, et ideo iudices constituuntur, quia parum esset iura habere in civitate nisi esset qui ipsum ius redderet et servaret, ff. de orig. iur. L. ii § post originem (D.1.2.2 § 13).“ Im folgenden Kapitel wird darauf ausführlich eingegangen.
2.3 Ausgangspunkt: Das subjektive Recht bei den Kanonisten des 12. Jahrhunderts
19
‚ich esse‘ und zum anderen ‚ich befehle‘. Um seinen Studenten die verschiedenen Bedeutungen einzuprägen, so Tierney, endet Monachus zur Gedächtnisstütze mit einem Vers: Ius ist Wasser, ius ist Recht, ius wird eine Macht [!] genannt, eine Kunst, eine Form, die Härte des Gesetzes, ein Bund, eine Natur, ein Platz⁶⁴ […]. (Monachus führt noch viele weitere Erklärungen an, die hier keine weitere Rolle spielen.) Wie schon Hostiensis vermische auch Monachus die Bedeutung von ius als objektivem und subjektivem Recht: In seiner zweiten Definition von ius ist dieses das Recht und das Gerechte, und diesem werde ein subjektiver Sinn hinzugefügt, da jemand ein Recht haben könne oder nicht.⁶⁵ In einer weiteren Definition gibt Monachus ius als dominium, als Eigentum oder Herrschaftsanspruch wieder. Tierney kann schließlich seine These, ius sei bereits vor Ockham als subjektives Recht bestimmt worden, mit der dritten Definition von ius bei Monachus stützen, nämlich der von ius als potestas. ⁶⁶ Damit definiere Monachus zwanzig Jahre vor Ockham ius als Macht. Für Monachus basiere diese potestas nicht auf Gewalt, sondern auf einer rechtmäßigen Einführung, nämlich a iure introducta, sodass ein willkürlicher Gebrauch oder gar Missbrauch dieser Macht ausgeschlossen sei. Welcher Art die potestas stattdessen ist, leitet Monachus von der gängigen Vorstellung ab, dass das ius naturale eine vis, eine Kraft ist, die allen Lebewesen innewohnt. Johannes Monachus setzt diese Vorstellung fort und interpretiert vis als virtus, als Tugend, und leitet virtus etymologisch von vis intus ab, das heißt von ‚die Kraft darinnen‘, die er dann als Tugend auslege.⁶⁷ Für Monachuns sei virtus eine natürliche Macht, die die Grundlage für das ius bilde. Dies habe auch Bedeutung für das positive Recht und die Gesetzgeber, da sie sich an der Natur zu orientieren haben, denn das menschliche Recht habe dem Prinzip ars imitatur naturam (die Kunst ahme die Natur nach) zu folgen. So gibt Monachus schließlich folgende Definition von ius: Das Recht ist keine gewaltsame Macht, sondern eine tugendhafte Macht.⁶⁸ Damit wird die Bestimmung des subjektiven Rechts um eine moralische Komponente ergänzt: Monachus schließt nicht nur eine willkürliche Ausübung des Rechts aus, sondern bezieht auch moralisches Handeln in die Bestimmung des Rechts mit ein und rückt so die Bedeutung des Gemeinwohles für das subjektive Recht weiter in den Mittelpunkt.
cf. Tierney (1997, 40): „Ius is water, ius is right, ius is called a power, An art, a form, the rigor of law, a bond, a nature, a place […] .“ cf. Glossa Aurea, fol. Xcir, Gloss ad Sext. 1.6.16. Glossa Aurea, 1.6.16: „Secundo ius dicitur rectum seu iustum ut cum dicimus iste habet vel non habet ius.“ Glossa Aurea, 1.6.16: „Tertio idem est quod potestas, […].“ cf. Tierney (1997, 41) Glossa Aurea, 1.6.16: „Alio modo legitur illa littera ius cum dicat glossa ibidem ius et potestas, i. e. violenta potestas. Sed hec glossa videtur mala. Nam omne violentum est reprobum […] sed accipitur [ius] pro potestate a iure introducta. Sic dicitur quod nature virtus i. e. vis intus id est vis insita rebus […] est proprium in naturalibus in quibus est vis generativa. Sed trahitur a simili in artificiatis, cum ars imitetur naturam in quantum posset, […] et sic dicitur ius et potestas, i. e. virtus potestativa seu virtuosa potestas […].“
20
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Wenngleich diese Argumentation, wie Tierney hervorhebt, keinesfalls philosophisch genannt werden kann, da sie auf einer recht freien Assoziation von juridischen Ideen aufbaut,⁶⁹ so sei sie dennoch für das rechtsphilosophische Konzept des subjektiven Rechts von außerordentlicher Bedeutung. Der Gedanke, ius mit einer tugendhaften Macht gleichzusetzen, rücke (ohne eines Nominalismus oder philosophischen Individualismus zu bedürfen) das Subjekt als Rechtsträger in den Vordergrund. Gleichzeitig würden dem Subjekt Pflichten auferlegt, nämlich sich tugendhaft zu verhalten, ohne die eine rechtmäßige Ausübung des ius nicht erfolgen könne. Recht und Tugend bzw. Moral seien laut Tierney so bei Monachus qua definitionem untrennbar miteinander verbunden. Damit knüpft Monachus an die aristotelisch-thomistische Tradition an, nach der die Gerechtigkeit – deren spezifischer Gegenstand das Recht ist – als diejenige Tugend bestimmt wird, die den Menschen nicht als einzelnen Handelnden fokussiert, sondern sein Zusammenleben mit anderen berücksichtigt.⁷⁰ So wird ausgeschlossen, dass anderen durch die Ausübung eines subjektiven Rechts geschadet wird oder dass gegen eine objektiv geltende Rechtsordnung verstoßen werden könnte, bzw. das ius zur Willkür im Umgang mit anderen berechtigt. Daher ist es nicht allein die Verknüpfung von ius und potestas, die Tierney gegen Villey zu Recht bereits bei den Kanonisten vor Ockham ausmacht, und die das entscheidende Moment in der Genese subjektiven Rechts ist. Von besonderer Bedeutung ist die Trilogie ius-potestas-virtus, da durch die Einbeziehung der Tugend eine moralische Komponente von ius hervortritt, die deutlich macht, dass subjektive Rechte nicht unabhängig vom Gemeinwohl bestehen. Neben der Glosse von Monachus hebt Tierney eine Quaestio⁷¹ des Petrus Johannis Olivi (1248−1298) als besonders bedeutsam für die Theorie des subjektiven Rechts hervor. In dieser Quaestio geht Olivi der Frage nach, ob das Innehaben eines Rechts, zum Beispiel des Rechts auf Eigentum, dem Rechtsträger irgendetwas ‚Reales‘ hinzufügt.⁷² Ebenso wie Monachus setzt Olivi ius mit potestas gleich. Für Olivi impliziert das Naturrecht Herrschafts- und Eigentumsrechte, die Teil der göttlichen Ordnung sind.⁷³ Daher zählen Missbrauch und Überschreitung, ebenso Ungehorsam gegenüber diesen Rechten bzw. ihren Rechtsträgern auch zu den Todsünden. Neben solchen Überlegungen wurde der Standpunkt, ein Rechtsträger bekäme durch den Erwerb eines solchen ius etwas Reales hinzugefügt, auch dadurch bestärkt, dass jemand seine Rechte veräußern könne. Olivi hält daher fest, dass Rechte einem Rechtsträger nicht angeboren sein können, weder seinem Körper noch seinem Intellekt oder Willen.
cf. Tierney (1997, 41) cf. EN V und S. Th. II−II, q. 57, art. I. Der Text ist ediert in Delorme (1945), siehe Sigel QdPJO. Tierney (1997, 39) QdPJO, 324: „[…] est ordo sic absolute prefixus […] ratione virtutis et iustitie, que est quod Deus non potest nec debet oppositum eius velle […] et hic ordo communiter vocatur ordo iuris naturalis. Alius autem est ordo sic a dominativo imperio divine voluntatis procedens, quod Deus ipsum et eius oppositum […] pro libitu potest velle.“
2.4 Die Differenz von ius und lex bei Marsilius von Padua
21
Daher könnten Rechte auch erworben oder veräußert werden, ohne dass dies eine reale Veränderung des Rechtssubjekts zur Folge habe.⁷⁴ Die Berücksichtigung des Textes von Olivi ergänzt das Konzept subjektiven Rechts also um zwei weitere Merkmale: Subjektives Recht, zum Beispiel Eigentum, kann veräußert werden und ein Missbrauch oder Verstoß gegen subjektives Recht wird bestraft bzw. sogar als Todsünde aufgefasst. Für die Annahme, die Kanonistik des 12. Jahrhunderts stelle den Ursprung einer Theorie subjektiven Rechts dar, lassen sich also gute Gründe aufzeigen. Die Autoren setzen ius mit potestas und, wie bei Monachus gezeigt werden konnte, sogar mit virtus in Verbindung, so dass eine Interpretation von ius als subjektivem Recht zulässig ist, bei der das Recht als individuelles Recht, das einem Rechtsträger zukommt, auftritt. Dennoch scheinen die Autoren zu dieser Zeit nicht konsequent zwischen objektivem und subjektivem Recht zu unterscheiden und verwenden beide Bedeutungen oft ungeordnet, ohne bewusst über eine Unterscheidung zu reflektieren.
2.4 Die Differenz von ius und lex bei Marsilius von Padua Eine deutliche Trennung zwischen objektivem Gesetz (lex) und subjektivem Recht (ius) tritt bei Marsilius von Padua (1275/1290−1342/43) hervor.⁷⁵ Im zwölften Kapitel des zweiten Teils seines Defensor Pacis nimmt Marsilius folgende Unterscheidung von ius vor: (1) „Recht bedeutet also Gesetz, […]. Gesetze gibt es natürlich zwei: das menschliche und das göttliche […]. Wir wollen […] deren Übereinstimmung darin feststellen, daß beide Gesetze Gebot oder Verbot oder Erlaubnis von Handlungen sind, die aus dem Befehl des bewußten Willens des Menschen hervorgehen können. Sie unterscheiden sich aber darin, daß das erste Gebot zwingend ist in dieser Welt für die, die es übertreten, das zweite, das göttliche, keineswegs, sondern ausschließlich in der künftigen Welt.“⁷⁶ (2) „Recht wird auch in einer zweiten Auffassung gebraucht von jedem menschlichen Akt und jedem Vermögen oder jedem aus den Akten erworbenen Habitus, soweit cf. QdPJO, 326 cf. Tierney (1997, 109) DP 474−477: „Ius igitur in una sui significatione dicitur de lege dicta secundum terciam et ultimam legis significationem, de qua fuit habitum 10 prime. Que siquidem duplex est: una quidem humana, reliqua vero divina, que eciam secundum aliquod tempus et modum venit in ultimam legis significacionem, ut dictum est ubi supra. De harum vero legum natura et qualitate ipsarumque conveniencia et differencia sufficienter diximus 8 huius et 9. De quibus eciam resumentes ad propositum, dicamus ipsarum convenienciam in eo primum, quod utraque lex est preceptum vel prohibicio aut permissio actuum qui provenire sunt nati ab imperio mentis humanae. Differunt autem, quoniam primum coactivum est in hoc seculo transgrediencium illud; secundum vero, divinum scilicet, minime, sed in futuro tantummodo.“ (Hervorhebungen im Original)
22
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Akt und Vermögen von freiem Willen getragen sind […]. In dieser Bedeutung sind wir gewöhnt zu sagen: es sei das Recht jemandes, wenn er eine Sache in Übereinstimmung mit dem Recht in der ersten Bedeutung will oder gebraucht. Daher wird ein solcher Gebrauch oder Wille Recht genannt: denn mit dem Recht stimmt er überein in dem, was es gebietet, verbietet oder erlaubt; […].“⁷⁷ Während Marsilius in der ersten Bestimmung des Rechts das positive (objektive) Recht beschreibt, so wird in der zweiten Definition ganz deutlich das subjektive Recht bestimmt. Auch im Kommentar der zitierten Ausgabe des Defensor Paci werden die genannten Definitionen dementsprechend ergänzt: (1) „objektives Recht = Inbegriff der erzwingbaren, schlechthin bindenden Vorschriften für die Handlungen der Menschen in ihrem Verhalten zueinander“⁷⁸ und (2) „subjektives Recht = der konkrete Rechtsanspruch, der sich für den einzelnen im konkreten Fall aus dem objektiven Recht ergibt.“⁷⁹ Wie bereits in den Bestimmungen des subjektiven Rechts aus den vorangegangenen Kapiteln hervorgegangen ist, besteht auch nach Marsilius subjektives Recht innerhalb der positiven Rechtsordnung (‚wenn er eine Sache in Übereinstimmung mit dem Recht in der ersten Bedeutung will oder gebraucht‘) und darf also nicht gegen das Gemeinwohl ausgeübt werden. In Marsilius Bestimmung tritt nun die Bedeutung des freien Willens auf, die auch Molina als Voraussetzung für das Vermögen, Träger von Rechten sein zu können, bestimmt.⁸⁰ Dass gerade Marsilius die Unterscheidung zwischen positivem, objektivem Recht und subjektivem Recht so klar herausstellt, ist durchaus bemerkenswert, da er innerhalb seiner politischen Philosophie vielmehr als Aristoteliker die Ansprüche der universitas civium in den Vordergrund stellt und nicht die der einzelnen Mitglieder eines Staates. Tierney vermutet hierin den Grund dafür, dass Marsilius in Studien zum (subjektiven) Recht selten berücksichtigt wird,⁸¹ was angesichts der oben genannten Unterscheidung eindeutig DP 482−485: „Dicitur autem ius secundo modo de omni humano actu, potestate vel habitu acquisito, imperato, interiori vel exteriori, tam immanente quam transeunte in rem aliquam exteriorem aut in rei aliquid, puta usum aut usufructum, acquisicionem, detencionem seu conservacionem aut commutacionem, reliqua similia, conformiter iuri dicto secundum priorem significacionem. […] Secundum hanc quidem significacionem soliti sumus dicere: hoc alicuius esse, cum rem aliquam iuri primo modo dicto conformiter vult aut tractat. Unde talis contractacio vel voluntas ius dicitur, quoniam iuri conformatur in eo quod precipit, prohibit aut permittit; […].“ DP 474, Anmerkung 445. DP 482, Anmerkung 463. Dass Marsilius von Padua als für die Schule von Salamanca „kaum oder nicht zitierfähiger Autor“ für deren Entwicklung des Gesetzesbegriffs sehr wichtig ist, zeigt Matthias Kaufmann (2016, 21−29). Tierney (1997, 110): „But the present situation seems to be that scholars who are interested in Marsilius are not interested in rights. Perhaps this is because the work of Marsilius does not fit in well with the common modern view that theories of subjective rights are essentially a sort of by-product of late medieval nominalism. Marsilius was not an extreme nominalist but an Aristotelian; and modern neo-Aristotelians are often hostile to ethical or political doctrines based on subjective rights. Again, Marsilius is often regarded as a corporatist or ,holistic‘ thinker who constantly emphasized the claims of the corporate community, the universitas civium rather than those of its individual members.“
2.5 Potentia licita bei Wilhelm von Ockham
23
ein Manko in der Forschung darstellt. Die klare Verortung des subjektiven Rechts in einer Theorie, die vor allem die Rechte der politischen Gemeinschaft besonders berücksichtigt, verdeutlicht nochmals, dass subjektives Recht im Einklang mit dem Gemeinwesen besteht und keinen rechtlich abgesicherten Egoismus zulässt.
2.5 Potentia licita bei Wilhelm von Ockham Für Michel Villey stellt, wie bereits erwähnt, Wilhelm von Ockhams Definition von Recht den Ausgangspunkt für den Begriff des subjektiven Rechts dar. Ockham versteht Recht als facultas, potestas und vor allem als potentia licita, als ‚erlaubte Macht‘. In dieser Verbindung von ius und potestas sieht Villey den entscheidenden Schritt für das Konzept des subjektiven Rechts, und dies sei das revolutionäre Verdienst Ockhams.⁸² Laut Villey ist Ockhams Nominalismus der Ursprung subjektiven Rechts, da subjektives Recht mit dem klassischen Naturrecht logisch inkompatibel sei.⁸³ Diese These Villeys weist Tierney wiederum zurück.⁸⁴ Villey setzt (anders als Tierney) das Konzept subjektiven Rechts mit dem Individualismus gleich, das heißt mit der Lehre, dass der Ursprung und die Bestimmung allen Rechts das Individuum sei. Doch nach Tierney und Nörr sei diese Verknüpfung für das Konzept eines subjektiven Rechts gar nicht notwendig, daher konnten bereits die Kanonisten vor Ockham, denen der Individualismus noch fremd war, subjektive Rechte miteinbeziehen, wenngleich sie mitunter ius zweifach verwendeten als objektives und subjektives Recht, ohne einen Unterschied vorzunehmen.⁸⁵ Es sei, so Knut Wolfgang Nörr, vielmehr umgekehrt zu erläutern: Erst wenn ideengeschichtlich der individuelle Rechtsbegriff möglich werde, trete die Verknüpfung von subjektivem Recht und Individualismus auf. Und erst dann beginne es problematisch zu werden, wenn zwischen objektivem und subjektivem Recht nicht klar unterschieden werde. Doch bedeute dies nicht, dass das Konzept des subjektiven Rechts ohne Individualismus undenkbar sei.⁸⁶ Hintergrund für Ockhams auf das Individuum gerichtete Definition von Recht ist der Armutsstreit des Franziskanerordens mit der Kurie.⁸⁷ Der Orden beharrte auf dem
cf. Villey (2003, 240−242) cf. Villey (2003, 228): „le positivisme juridique est l’enfant du nominalisme.“ (Hervorhebung im Original); cf. Villey (2003, 241): „[…] la notion de droit subjectif est logiquement incompatible avec le droit naturel classique, […] bref, qu’il n’en apparaît que des germes avant l’époque de Guillaume d’Occam.“ Tierney (1997, 33): „The resulting works may be very different in tone and spirit, but the different emphases do not necessarily imply logical contradictions.“ Nörr (1992, 199) stellt sich gegen diese These Villeys, da es, so Nörr, durchaus möglich sei, „vom subjektiven Recht zu sprechen, aber an einer objektiven Naturrechtsordnung festzuhalten.“ cf. Nörr (1992, 201) Die Debatten des franziskanischen Armutsstreits stellen für Brett (2003, 11) die Grundlage für eine systematische Äquivalenz zwischen ius und dominium dar. In Kapitel 3 wird dies im Rahmen der Untersuchung des dominium und ius bei Molina noch ausführlicher behandelt.
24
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Armutsideal seines Stifters Franz von Assisi (1181/82−1226), obwohl eine Vermögensbildung für das Bestehen des Ordens praktisch unentbehrlich war. Armut war für die Franziskaner in unmittelbarer Christusnachfolge die Vollkommenheit, die Jesus von dem reichen Jüngling erwartete, als er zu ihm in Mt 19,21 sagte: „Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe deine Habe und gib den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Und komm, folge mir nach!“ Das Problem wurde durch die Übernahme sämtlicher Besitztümer des Ordens in das Eigentum des Heiligen Stuhls gelöst, was in der Bulle Ordinem vestrum von Papst Innozenz IV. aus dem Jahre 1245 dokumentiert ist.⁸⁸ So wurde der Orden und nicht nur seine einzelnen Mitglieder rechtlich besitzlos, und das Ideal eines Lebens in Armut konnte aufrechterhalten werden, wenngleich diese Armut fiktiv war. Die Franziskaner hatten zwar kein rechtliches Eigentum, lebten aber in stattlichen Konventsgebäuden, waren mit Lebensmitteln, Büchern und liturgischen Geräten ausgestattet und wurden bei Begräbnis und Seelsorge mit reichen Schenkungen bedacht.⁸⁹ Diese Fiktion eines Lebens in Armut bot dann auch Anlass für Streitigkeiten innerhalb des Ordens. Einerseits galt es, den moralischen Ansprüchen gemäß der von Franz von Assisi vorgegebenen evangelischen Armut zu genügen, andererseits war dem Heiligen Stuhl Gehorsam zu leisten, der das rechtliche Eigentum über die Dinge innehatte, die der Orden nutzte. Johannes XXII. setzte der fiktiven Armut des Franziskanerordens schließlich in seiner Bulle Ad conditorem canonum vom 8. Dezember 1323 ein Ende und löste die päpstliche Eigentümerschaft über den Besitz des Ordens auf. Seine Begründung griff die theoretische Basis der franziskanischen Armut an: Es sei unsinnig, bei zu verbrauchenden Gütern den Gebrauch vom Besitz zu trennen. Einige franziskanische Ordensanhänger wurden der Häresie beschuldigt, da sie behaupteten, Christus und seine Apostel hätten nicht das Recht gehabt, die von ihnen gebrauchten Dinge zu benutzen, was der Papst für ketzerisch erklärte. Mit seinem um 1332 veröffentlichten Werk Opus nonaginta dierum,⁹⁰ einem akribischen Kommentar der gegen Michele da Cesena,⁹¹ Generalminister der Franziskaner, am 16. November 1329 erlassenen Bulle Quia vir reprobus Michael de Cesena,⁹² beteiligte sich Ockham an der zeitgenössischen Debatte um den (theoretischen) Armutsstreit des Franziskanerordens und thematisierte vor diesem Hintergrund das
cf. Kaufmann (2005, 76−78) cf. Miethke (2010, 242) cf. OP II 857−858. Ockham floh gemeinsam mit Michele de Cesena, Bonagratia von Bergamo und Franz von Marchia am 26. Mai 1328 aus Avignon. Dort war er seit 1324 in einem Häresieprozess angeklagt. Die vier Ordensbrüder fanden in Pisa Schutz durch Ludwig von Bayern, der ebenfalls mit Papst Johannes XXII. verfeindet war. Über Ludwig von Bayern gelangte Ockham schließlich nach München. Dort verfasste er ab 1330 bis zu seinem Tod Schriften gegen den häretischen Pseudopapst Johannes XXII. und dessen Nachfolger. cf. Gagnér (1974, 297)
2.5 Potentia licita bei Wilhelm von Ockham
25
dominium. Grundlegend für die Argumentation der Franziskaner war die Unterscheidung zwischen tatsächlichem Gebrauch, usus facti und dominium. ⁹³ Dies wird näher erläutert, wenn Molinas Diskussion der Frage, ob die Franziskaner dominium haben oder nicht, in Kapitel 3.4 beleuchtet wird. Für Ockham ist das Eigentumsrecht eine licita potestas, eine erlaubte Macht wie jedes subjektive Recht.⁹⁴ Damit Eigentum aber wahrhaftiges Eigentum werden kann, muss dasjenige, was durch natürliche Fähigkeit angeeignet wurde, vor einem menschlichen Gericht als Eigentum eingeklagt werden können.⁹⁵ Somit kann es kein Privateigentum geben, das nicht an positives Recht gebunden ist. Mit anderen Worten: Subjektives Recht muss an die objektive Rechtsordnung gebunden sein, damit es Geltung hat. Doch gegen den Papst muss Ockham deutlich machen, dass Eigentum, Besitz, Gebrauchsrecht und schlichter Gebrauch voneinander unterschieden sind und teilweise ohne Gerichtsfestigkeit auskommen.Was Ockham genau unter licita potestas versteht, lässt sich am Beispiel des Gebrauchs zeigen. Ockham vertritt den Standpunkt, es sei unzulässig, den Gebrauch (usus) einer Sache ausschließlich mit dem Römischen Recht als Rechtsinstitut zu definieren.⁹⁶ Um dies zu belegen greift Ockham auf die Unterscheidung zwischen de iure und de facto zurück. Zunächst bestimmt er ein usus iuris, einen rechtmäßigen Gebrauch, als „ein bestimmtes positives Recht, das aus menschlicher Satzung eingerichtet ist, kraft dessen ‚jemand die erlaubte Macht und Möglichkeit besitzt, fremde Sachen zu gebrauchen, ohne sie zu verbrauchen‘“.⁹⁷ Hier besteht zunächst also kein Unterschied zum rechtlichen Status des Eigentums. Aber wenn es kein positives Recht gibt, so Ockham, muss ein Gebrauch neben diesem Gebrauchsrecht zugestanden werden. Die Rede ist vom usus facti, einem tatsächlichen Gebrauch. Nun belässt es Ockham nicht dabei, auf die bloße Unterscheidung zwischen usus facti und usus iuris hinzuweisen. Da die Franziskaner auf jede Form von positivem Gebrauchsrecht verzichten wollen, beabsichtigt Ockham, mit dem usus facti eine „quasi metaphysische Berechtigung nachzuweisen“.⁹⁸ Auf ein natürliches Gebrauchsrecht, das bei Ockham neben dem positiven Gebrauchsrecht ebenfalls besteht, könnten selbst die Franziskaner nicht verzichten.⁹⁹ Eine Definition des usus facti kann Ockham jedoch nicht geben, da der tatsächliche Gebrauch auf unterschiedliche Weise stattfindet und nur eine Aufzählung dieser Weisen gegeben werden könne. In cf. Brett (2003, 18) cf. Kaufmann (2005, 82) cf. OP II 26.484 cf. Miethke (2010, 247) Bei Miethke zitiert als OND cap. 2 (Opol I², 300): „quoddam ius positivum determinatum institutum ex ordinatione humana, quo, quis habet licitam potestatem et auctoritatem uti rebus alienis salva rerum substantia‘.“ Ich folge hier der Übersetzung von Miethke (2010, 248), allerdings habe ich licita potestas als ,erlaubte Macht‘ übersetzt und angegeben, da mir dies sinnvoller als ,statthafte Kompetenz‘ erscheint, wie es in Miethkes Übersetzung heißt. Miethke (2010, 248) cf. Kaufmann (2005, 80)
26
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Anlehnung an das römische Recht bestimmt Ockham ein (allgemeines) ius utendi, das Recht zu gebrauchen, als „die erlaubte Macht, eine reale äußere Sache zu gebrauchen, deren niemand ohne seine Schuld und ohne vernünftigen Grund gegen seinen Willen beraubt werden darf“.¹⁰⁰ Ein usus iuris ist allein gemäß eines ius utendi möglich, aber ein tatsächlicher Gebrauch, usus facti, ist nicht immer ein usus iuris, das ist ein bestimmtes positives Recht, wenngleich er erfolgen kann, ohne dass jemand durch ihn gemäß des ius utendi Unrecht erfährt. Zu dieser negativen Bestimmung des ius utendi besteht aber auch ein positives ius utendi bei einem usus facti, wenn nämlich der Gebrauch einer Sache aus einer Erlaubnis (licentia) des Eigentümers erfolgt, zum Beispiel im Falle eines Sklaven, der das Werkzeug seines Herren gebraucht oder eines Mönchs, der die Gegenstände seines Klosters gebraucht. Dieser Gebrauch kann ohne Rechtstitel desjenigen, der gebraucht, erfolgen, ist aber auch vom Willen des Eigentümers abhängig.¹⁰¹ Aber ein solcher usus facti entspricht einer potestas licita. Wenngleich dieses Beispiel angeführt wurde, um subjektives Recht bei Ockham darzustellen, so bleibt doch offen, ob hier nicht eher von einem Privileg gesprochen werden sollte. Denn obwohl ein solcher usus facti vom Eigentümer erlaubt (licite) ist und gemäß des ius utendi erfolgt, so ließe er sich nicht vor einem Gericht verteidigen und scheint doch vielmehr ein Privileg zu sein, da es sich dabei um ein (einmalig) ausgesprochenes Sonderrecht für bestimmte Personen handelt.¹⁰² Wenngleich Villeys These von Ockham als Revolutionär des subjektiven Rechts von Tierney und Nörr widerlegt wurde und fraglich bleibt, ob der usus facti nicht eher ein Privileg als ein subjektives Recht darstellt, wird Ockham dennoch das Verdienst zugesprochen, als Erster¹⁰³ ein unveräußerliches natürliches Recht auf das Lebensnotwendige von einem positiven Eigentumsrecht, das man vollständig aufgeben kann, strikt zu trennen.¹⁰⁴ Zwar hat Tierney den Einwand erhoben, dass sich diese Interpretation bereits bei dem Papisten Hervaeus Natalis (1260−1323) finden lasse,¹⁰⁵ doch gesteht er Ockham dennoch eine innovative Leistung zu, nämlich als Erster, vor dem
OND cap. 2 (Opol I², 302): „[…] potestas licita utendi re extrinseca qua quis sine culpa sua et absque causa rationabili privari non debet invitus.“ Auch hier habe ich Zitat und Übersetzung übernommen von Miethke (2010, 248) und habe ,statthafte Kompetenz‘ durch ,erlaubte Macht‘ ersetzt. Kaufmann (2005, 80) führt mit Verweis auf OP I 3.325 an, dass eine Notsituation sogar ein Gebrauchsrecht auf Kosten der rechtmäßigen Besitzer gestattet. Ockham führt die Unterscheidung zwischen Gebrauchsrecht und erlaubtem Recht an, um den Verzicht der Franziskaner auf ein Gebrauchs- oder Eigentumsrecht rechtfertigen zu können. Ein Recht muss für Ockham vor Gericht nach den Bestimmungen der leges eingeklagt oder verteidigt werden können. Die Franziskaner aber gaben sich mit dem ,erlaubten‘ Gebrauch fremder Güter zufrieden. cf. Miethke (2010, 249) cf. Tierney (1997, 81) cf. Kaufmann (2005, 81) cf. Tierney (1997, 107−108) Ockham muss laut Tierney (1997, 102) zumindest den Dekretisten Huguccio gekannt haben. Dass er Natalis nicht gekannt hat, obwohl dieser vor Ockham von potestas licita spricht, scheint möglich zu sein.
2.6 Ius als facultas seu potestas bei Jean Gerson
27
Hintergrund des franziskanischen Armutsstreits, eine „neue subjektive Bedeutung des Wortes ius eingeführt zu haben.“¹⁰⁶ Ockham ginge es dabei aber nicht so sehr darum, subjektives von objektivem Recht zu trennen als vielmehr eine Trennung zwischen positivem und natürlichem Recht zu ziehen.¹⁰⁷ Doch damit ist subjektives Recht in seiner Entstehungsgeschichte einen entscheidenden Schritt weiter in Richtung auf moderne Grundrechte und Wegbereiter der Menschenrechte gekommen: Bislang wurde hervorgehoben, dass subjektives Recht immer innerhalb einer objektiven Rechtsordnung besteht. Dies bleibt mit Ockham zwar erhalten, aber das subjektive Recht gewinnt zudem an naturrechtlicher Bedeutung. Grundrechte, die in der Moderne als subjektive Rechte bestimmt werden, haben zwar auch nur innerhalb einer objektiven Rechtsordnung, zum Beispiel durch eine Verfassung, Geltung, stellen aber dennoch eine Verbindung zwischen naturrechtlichem Inhalt und positivrechtlicher Geltung dar, zum Beispiel „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland). Durch die positivrechtliche bzw. gesetzliche Verankerung lässt sich der naturrechtliche Inhalt, dass jedem Menschen Würde zukommt, vor Gericht verteidigen bzw. kann gesetzlich geschützt werden. Die objektive Rechtsordnung ist also für die Funktion der Würde des Menschen wichtig. Dennoch besteht Würde unabhängig von einer positivrechtlichen Ordnung, also kommt mit Ockham jedem Menschen durch das Naturrecht zu und ist durch das Naturrecht bestimmt, das dem Menschen aufgrund des Imago Dei-Schema als Abbild Gottes Würde zuspricht.
2.6 Ius als facultas seu potestas bei Jean Gerson Für Richard Tuck wiederum beginnt die Theorie des subjektiven Rechts mit Jean Gerson (1363−1429), der ius als ein Vermögen oder eine Fähigkeit definiert und Freiheit als ein Recht auffasst. Gerson definiert ius als eine „intrinsische (propinqua) Fähigkeit, die jemandem gemäß dem Gebot der rechten Vernunft zukommt […].“¹⁰⁸ Wenngleich aus den vorangegangenen Kapiteln hervorgegangen ist, dass die Bestimmung von ius als Fähigkeit bereits schon früher auftaucht, so gewinnt die Bindung des Rechts an
Tierney (1997, 118): „Although it is no longer so fashionable to regard the whole of Ockham’s political theory as a novel structure based on his nominalist philosophy, the Franciscan is still rather commonly regarded as an innovator who first imposed a new subjective meaning on the word ius.“ cf. Tierney (1997, 130) DVSA Sp. 26: „Jus est facultas seu potestas propinqua conveniens alicui secundum dictamen rectae rationis […].“ Propinqua mit „intrinsisch“ und nicht etwa „unmittelbar“ zu übersetzen, ist zwar interpretatorisch, doch scheint Gerson eben genau dies zu meinen, wenn die Fähigkeit dem Menschen „gemäß dem Gebot der rechten Vernunft zukommt.“ (Hervorhebung D.S.) Wenngleich er dann auch intrinseca anstelle von propinqua hätte verwenden können, halte ich daher an der interpretatorischen Übersetzung fest. Auf gleiche Weise verfahre ich daher auch bei der Übersetzung der Definition des dominium bei Konrad Summenhart im folgenden Kapitel. Ich danke herzlich Alexander Loose für die kritische Diskussion dieser Übersetzungen.
28
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
das Individuum durch Gersons Definition subjektiven Rechts an Bedeutung: Facultas seu potestas werden dem Rechtsträger als intrinsisch zugesprochen, sie gehören also wesentlich zum Rechtsträger selbst und zwar nach dem Gebot der rechten Vernunft. Durch propinqua könnte hier sogar von einer Formulierung des Rechts ausgegangen werden, die unveräußerliche Rechte miteinschließt. Doch Tucks Bemühen, Gerson an die Spitze der Begründer einer Theorie subjektiven Rechts zu stellen, ist insofern berechtigt, als dass Gerson offenbar als erster die Freiheit in den Bereich des Rechts setzt.¹⁰⁹ Denn nachdem Gerson ius als facultas seu potestas, die jemandem gemäß dem Gebot der rechten Vernunft zukommt, definiert hat, geht er noch einen Schritt weiter und beschreibt die Freiheit (libertas) als „facultas der Vernunft und des Willens.“¹¹⁰ Freilich darf der Freiheitsbegriff Gersons nicht mit dem modernen Recht auf (individuelle) Freiheit gleichgesetzt werden. Der Franziskanerorden, dem Gerson angehörte, lehnte wie alle anderen mittelalterlichen Orden individuelle Rechte seiner Mitglieder entschieden ab. Dass Gerson Freiheit in den Bereich des Rechts stellt, darf nicht als ‚Geburtsstunde‘ subjektiven Rechts auf Freiheit betrachtet werden, sondern stellt eine neue Stufe des Freiheitsbegriffs auf dem Weg, sich zu einem subjektiven Recht zu entwickeln, dar. Gemeinsam mit dem deutschen Kanonisten, dessen Bestimmung von ius im folgenden Kapitel vorgestellt wird, teilt Gerson die Auffassung, dominium käme nicht nur Menschen, sondern auch Tieren, Pflanzen und Steinen zu: Die Rede ist von Konrad Summenhart. Diese Position wird unter anderem von Molina abgelehnt.
2.7 Ius bei Konrad Summenhart Durch Konrad Summenharts (1450−1502) Bestimmung von ius in dessen Werk Septipertitum opus de contractibus pro foro consientie atque theologico aus dem Jahr 1500 rückt das dominium stärker in den Fokus der Betrachtungen des subjektiven Rechts. Zwar übernimmt Summenhart die Definition von ius beinahe wortwörtlich von Gerson,¹¹¹ doch besteht ein signifikanter Unterschied zwischen Gerson und Summenhart in der Bestimmung des Verhältnisses von ius und dominium. Summenhart erklärt ius und dominium als äquivalent, sodass das dominium dem ius also nicht untergeordnet ist. Dies ist zwar nicht unbedingt erforderlich für eine Theorie subjektiven Rechts, da es verschiedene Auffassungen unter anderem auch bei den Autoren der Schule von
cf. Tuck (1993, 26) Auch Villey (2003, 272) hebt den Einfluss Gersons auf spätere Rechtstheoretiker hervor. So zitiert bei Tuck (1993, 27) aus Gerson, Jean. Oeuvres Complètes, Bd. IX. Ed. Palémon Glorieux. Paris: Desclée, 1973, 134: „Jus est facultas seu potestas propinqua competens alicui secundum dictamen rectae rationis. Libertas est facultas rationis, et voluntatis ad utrumlibet oppositorum […]. Lex est recta ratio practica secundum quam motus et operationes rerum in suos fines ordinatae regulantur.“ Bei Varkemaa (2012, 65) wie folgt zitiert: Summenhart, Opus septipartitum, q. 1, sig. A6r: „Ius est potestas vel facultas propinqua conveniens alicui secundum dictamen recte rationis.“
2.7 Ius bei Konrad Summenhart
29
Salamanca gibt, wie das Verhältnis von ius und dominium bestimmt werden kann,¹¹² doch erhebt Summenhart das dominium durch folgende Definition auf eine Ebene mit dem ius: „Das Dominium aber ist die intrinsische Macht oder Verfügungsgewalt, in Übereinstimmung mit dem Recht bzw. vernünftig erlassenen Gesetzen irgendwelche Dinge in seine Verfügungsgewalt oder in seinen erlaubten Gebrauch aufzunehmen“.¹¹³ Die Äquivalenz von ius und dominium ¹¹⁴ beruhend auf Gersons Bestimmung des ius, durch die die Freiheit in den Bereich des Rechts gesetzt wird, hat zur Konsequenz, dass die Freiheit so auch in den Bereich des dominium gestellt wird. Mit Blick auf die Untersuchung des dominium über und von Sklaven im fünften Kapitel dieser Untersuchung, in deren Rahmen die Frage nach einem natürlichen dominium, das als rechtliche Freiheit aufgefasst werden kann, behandelt wird, soll an dieser Stelle auf Summenharts Freiheitsbegriff eingegangen werden. Summenhart geht (wie Molina) von einem dominium über die Freiheit aus und rechtfertigt so den Selbstverkauf eines Menschen in die Sklaverei, denn wie man über Dinge das dominium hat, hat man auch über sich selbst das dominium. ¹¹⁵ Da die Freiheit nach Gerson eine bestimmte Art des Rechts sei, habe ein freier Mensch, so Summenhart, auch das Recht über sich selbst, insbesondere so zu handeln wie es ihm beliebt, solange es nicht vom Gesetz verboten ist. Zwar ist der Mensch nicht der Herr über seinen Körper und darf sich deshalb keinen Schaden zufügen, aber als Herr über sich selbst darf er mit seiner Freiheit machen, was er möchte und sie eben auch veräußern (eine extreme Notsituation vorausgesetzt).¹¹⁶ Summenhart spricht hier nicht von einer metaphysischen Freiheit (wie der Willensfreiheit), sondern von der Handlungsfreiheit oder der Herrschaft über
Insbesondere Molina bestimmt das Verhältnis von ius und dominium anders als die traditionelle Auffassung, die das ius als Ursprung des dominium betrachtet. Nach Molina entsteht das Vermögen, Rechte zu haben, aus dem Vermögen zum dominium, wie in Kapitel 3 und 4 dieser Arbeit hervorgehoben wird. Bei Varkemaa (2012, 65) wie folgt zitiert: „Dominium autem est potestas vel facultas propinqua assumendi res alias in sui facultatem vel usum licitum secundum iura vel leges rationabiliter institutas.“ Summenhart, Opus septipartitum, q. 1, sig. A6r. Für die Beratung zu dieser Übersetzung danke ich ebenfalls Alexander Loose. Brett (2003, 48) hat darauf hingewiesen, dass Francisco de Vitoria die Bestimmung des Verhältnisses von ius und dominium übernommen habe und zum Instrument seiner Untersuchung der Moral gemacht habe: „[…] Francisco de Vitoria took from Summenhart the language of dominium-ius as the tool of analysis for social morality.“ Bei Varkemaa (2012, 87) wie folgt zitiert: Summenhart, Opus septipartitum, q. 1, sig. A8v: „Illa tamen clausula scilicet res alias vel ut alias, speciali indigent declaration que ponitur ideo, quia aliquando aliquis habet dominium vel ius in aliquam rem que tamen non est alia ab ipso domino.“ Ausführlicher zur Liberty as self-ownership bei Summenhart cf. Varkemaa (2012, 95 – 101). Bei Varkemaa (2012, 88) wie folgt zitiert: Summenhart, Opus septipartitum, q. 1, sig. A8v: „Similiter libertas est quedem species iuris et illud ius habet liber in seipsam scilicet agenda quod libet. Unde diffinitur ius in institutis de iure personarum, § 1. Est naturalis facultas eius quod cuique facere libet nisi quod vi aut iure prohibetur. Et sic liber habet ius super suam personam quamvis non sit dominus membrorum suorum ad ea abscindendum, aut ad alum abusum de quo diceretur in question lxxiiii.“
30
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
sich selbst in einer menschlichen Gemeinschaft.¹¹⁷ In der Untersuchung des dominium in Molinas De Iustitia et Iure in den Kapiteln 3−5 dieser Untersuchung wird das dominium als rechtliche Freiheit interpretiert. Dies sei für Summenhart jedoch nicht zutreffend, denn wie Annabel Brett gegen Paolo Grossis Interpretation hervorgehoben hat, sind Rechte für Summenhart nicht Freiheiten, sondern die Freiheit ist eine Art von Recht (neben anderen Arten von Recht).¹¹⁸ Ausgehend von dieser Deutung des Verhältnisses von Recht und Freiheit setzt Brett Summenharts Theorie des dominium über sich selbst in Analogie zum modernen Konzept der negativen Freiheit, der Freiheit von Zwängen und Einschränkungen, wobei durch die Bindung des dominium an das Gesetz Summenharts Konzept nur als moderate Form negativer Freiheit aufgefasst werden dürfe.¹¹⁹ Dennoch gewinnt das subjektive Recht durch die Verbindung von dominium und Freiheit bei Summenhart gerade mit Blick auf die Analogie zur negativen Freiheit eine weitere Komponente in seiner Genese hin zu den modernen Grundrechten, durch die das Individuum vor Zwang durch den Staat geschützt wird.
2.8 Das subjektive Recht im 16. Jahrhundert: Die Schule von Salamanca Im Folgenden wird keine ausführliche Diskussion des subjektiven Rechts bei einzelnen Autoren der Schule von Salamanca gegeben, da genauere Betrachtungen der Bestimmung von ius bzw. dem Verhältnis von ius und dominium im weiteren Verlauf der Untersuchung zum ius und dominium bei Molina erfolgen und dieser Analyse nichts vorweggenommen werden soll. An dieser Stelle wird ein Überblick gegeben, wie die Forschung grundsätzlich die Existenz und Bedeutung des subjektiven Rechts in der Schule von Salamanca einschätzt. Die vorangegangenen Kapitel widerlegen bereits die These von Markus Stepanians, der mit Bezug auf die undurchsichtige Genese subjektiver Rechte unter Verweis auf Francisco de Vitoria behauptet: „Klar scheint nur, dass die Vorstellung von Menschen als Trägern individueller Rechte erstmals in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Disputen spanischer Rechtsgelehrter über den rechtlichen und moralischen Status der Bewohner der Neuen Welt praktische Bedeutung erlangt.“¹²⁰ Dass die Frage nach individuellen Rechten bereits im Armutsstreit der Franziskaner ab dem
Varkemaa (2012, 88): „However, by libertas Summenhart means not any metaphysical liberty, but the freedom of action or self-mastery in human society.“ cf. Brett (2003, 34– 43) Brett (2003, 42– 43): „[…] Summenhart introduces a notion of negative liberty which is very close to elements of the modern language of rights. […] But this notion strains his overall analysis of rights as relations: for while liberty so defined may be a relation over oneself, with regard to the external world it is a faculty of action, rather than a relation; and it is limited by a law which is not simply assignatory of dominia, but commands actions.“ Stepanians (2007, 7)
2.8 Das subjektive Recht im 16. Jahrhundert: Die Schule von Salamanca
31
13. Jahrhundert auch in praktischer Hinsicht relevant wurde, ist bereits gezeigt worden. Im Anschluss an Gerson und Summenhart stehen ius und dominium bei den Autoren der Schule von Salamanca im Mittelpunkt der Traktate über Recht und Gerechtigkeit (De Iustitia et Iure). Während die Existenz subjektiven Rechts in den Schriften der spanischen und portugiesischen Moraltheologen allgemein anerkannt ist, wird über die systematische Funktion des subjektiven Rechts kontrovers diskutiert. Diese Debatten kreisen um den Begriff des dominium, das in Kapitel 3.3 daher auch als Paradigma für subjektives Recht aufgefasst wird. (Dominium wird weiter unterteilt in dominium iurisdictionis, Herrschaft und dominium proprietatis, Eigentum.) Gegen die Interpretation des dominium bei Vitoria als naturrechtlich fundiertes subjektives Recht von Daniel Deckers und Annabel Brett, die am Ende dieses Kapitels kurz vorgestellt wird, hat Anselm Spindler von einem rechtspositivistischen Standpunkt aus jüngst den Einwand erhoben, das Konzept subjektiven Rechts bei Vitoria dürfe nur als „rechtslogisch notwendige Implikation positiv-rechtlicher Verhältnisse“ aufgefasst werden und keineswegs als moralisch relevant betrachtet werden.¹²¹ Auch die Intentionen der Autoren, Eigentum und Herrschaft als subjektive bzw. individuelle Rechte zu bestimmen, werden in der Forschung unterschiedlich eingeschätzt. Niklas Luhmann beispielsweise vertritt die Ansicht, dass das Eigentum bei Vitoria und Soto unbestreitbar „zum Modellfall für die Propagierung eines individualistisch-dynamischen Rechtsbegriffs“ werde.¹²² Diese These wird von Gerald Hartung entschieden zurückgewiesen, der den Zweck der Diskussionen über subjektives Recht in der Schule von Salamanca vielmehr darin sieht, „für die bestehenden Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse eine ethische Fundierung zu liefern. Konkret heißt das: neue Verbindlichkeitsmuster sozialen Handelns zu beschreiben“,¹²³ sodass vielmehr die politischen Gemeinschaften als das Individuum im Interesse der Debatten stehen. Wenngleich die Theologen und Juristen der Schule von Salamanca sich nicht unabhängig von den Interessen kirchlicher und weltlicher Herrscher, in deren Abhängigkeit sie standen, mit Themen wie der Legitimation von Herrschaft, dem Vertragsrecht oder der Frage, wer Träger von Rechten sein könne auseinandersetzten,
Spindler (2011, 47– 48): „Denn während Vitoria mit Summenhart – und gegen Thomas – einen subjektiven Begriff des Rechts entwickelt, der das ius als ein individuelles, normativ ausgezeichnetes Handlungsvermögen ausweist, erläutert er die Normativität dieses Konzepts unter Verweis auf die thomasische Formel ,lex est ratio iuris‘. Die menschliche Natur ist somit nicht unmittelbar Ursprung subjektiver Rechte, die eine jede positive Gesetzesordnung zu berücksichtigen hat. Umgekehrt ist eine solche Gesetzesordnung vielmehr für Vitoria der Ursprung subjektiver Rechtstitel. In diesem Sinne spricht er in der angeführten Begriffsdefinition von Gesetzen im Plural und bezeichnet das ius in der Folge als ein durch diese Gesetze verliehenes Vermögen. Der Begriff des ius kennzeichnet also den einer Person zukommenden und erst durch positive Gesetze lizensierten und damit normativ ausgezeichneten Handlungsraum. Daher lässt sich auch zu Francisco de Vitorias Lehre von subjektiven Rechtstiteln sagen, dass sie nicht eine vorrechtliche Moral bemüht, sondern von der Eigenlogik rechtlich geregelter Verhältnisse her entwickelt wird.“ Luhmann (1993, 84) Hartung (2007, 247)
32
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
so übten sie dennoch zum Teil harte Kritik an bestehenden Missständen. Dies wird im fünften Kapitel am Beispiel von Molinas Diskussion des Sklavenhandels deutlich. Gerade aus den Debatten um Sklaverei und Freiheit geht hervor, dass sich deutliche Ansätze dafür finden lassen, dass das Individuum mehr und mehr in den Fokus der rechtsphilosophischen Überlegungen tritt. Dies wird vor allem deutlich durch das Imago Dei-Argument, das ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen, das von vielen Autoren, beispielweise Vitoria, Bartolomé de Las Casas und auch Molina, verwendet wird, unter anderem um der indigenen Bevölkerung den rechtlichen Status von Eigentümern und Herren, die daher nicht versklavt werden dürften, zuzugestehen. Damit werden die Träger von Rechten nicht vorrangig als Mitglieder einer politischen Gemeinschaft betrachtet, deren Interessen es zu verfolgen gilt, sondern durchaus als Individuen. Insofern ist Luhmanns Einschätzung der Intention der Schule von Salamanca in der Diskussion des subjektiven Rechts treffender als die These Hartungs, es sollten bloß bestehende Rechts- und Wirtschaftverhältnisse ethisch begründet werden. Die prominente Position des Individuums in den Werken zum Recht lässt sich nicht nur für Molina belegen. Stellvertretend für die Diskussion subjektiven Rechts bzw. dominium in der Schule von Salamanca sei hier die Bestimmung von Francisco de Vitoria, dem Begründer der Schule von Salamanca angeführt. Daniel Deckers zufolge bestimmt Vitoria durch seine Definition des dominium den Menschen „zum Träger eines natürlichen subjektiven Rechtes.“¹²⁴ Zwar gehe Vitoria in seinem Kommentar¹²⁵ des Traktats De Iustitia von Thomas von Aquin zunächst von einer objektiven Definition von ius als iustum aus, doch bewerte Vitoria diese Definition im Laufe seines Kommentars nur noch als Nominaldefinition, der er folgende Realdefinition voranstellt: potestas vel facultas utendi re. ¹²⁶ Laut Deckers führe Vitoria diese „subjektive jus-Definition“ ein, um das dominium als Recht zu bestimmen.¹²⁷ Denn der Mensch als Gottes Ebenbild habe von Gott das dominium verliehen bekommen und sei daher Träger dieses natürlichen subjektiven Rechts. Deckers spricht sogar von einer kopernikanischen Wende, die durch Vitorias Bestimmung des Menschen als Träger natürlicher subjektiver Rechts vollzogen werde: Das Individuum wird nicht mehr von vornherein als Teil eines ihm unverfügbar vorgegebenen sozialen und politischen ordo verstanden. Dieser erscheint vielmehr als Ergebnis eines Vertrages zwischen ursprünglich freien Individuen. Tatsächlich entwickelt Vitoria – unter Berufung auf den Tübinger Theologen Konrad Summenhart – auf der Basis der Annahme von dominium als natürlichem subjektiven Recht eine vertragstheoretische Begründung der Privateigentumsordnung. Somit erscheint Gerechtigkeit insofern zumindest implizit als ‚Tugend‘ dieser sozialen Institution,
Deckers (1991, 26) cf. Com ST 2a2ae Com ST 2a2ae, q. 62, a.1. cf. Deckers (1991, 26)
2.8 Das subjektive Recht im 16. Jahrhundert: Die Schule von Salamanca
33
als diese sich gegenüber dem mit natürlichen Rechten ausgestatteten Individuum als gerecht erweisen muß.¹²⁸
Annabel Brett verhält sich zu der Frage eines naturrechtlichen Fundaments des subjektiven Rechts bei Vitoria insofern zurückhaltender, als sie auf zwei verschiedene Bedeutungen des subjektiven Rechts bei Vitoria aufmerksam macht: The first sense of subjective right which involves the notion of obligation and law: natural right in this sense, the natural right of the Relectio De potestate civili, is associated with a politics of nature and necessity. The second sense, wherein right is coincident with dominium and bears the sense of liberty and freedom from obligation, is at the base of politics of free consent and of independent personal authority within the civitas which characterises the commentary on the 2a2ae.¹²⁹
Vitorias Relectio De potestate civili lässt Brett zufolge eine naturrechtliche Begründung des subjektiven Rechts also zu, aber in seinem Kommentar zur Secunda Secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin entwickelt Vitoria einen positiv-rechtlich begründeten Begriff des subjektiven Rechts, dem die negative Freiheit der Individuen im Staat zugrunde liegt. Wenngleich das dominium sich also nicht so eindeutig als natürliches subjektives Recht deuten lässt, wie es in der Interpretation Deckers den Anschein gemacht hat, so zeichnet sich die Schule von Salamanca (hier repräsentiert durch ihren Begründer Francisco de Vitoria) als weitere Etappe der historischen Genese des subjektiven Rechts dadurch aus, dass sie die bei Gerson und Summenhart angelegte Fokussierung des Rechts auf ein Individuum fortsetzt und das dominium in Richtung eines dem Individuum natürlicherweise zustehendes Recht annähert.¹³⁰ Wie weit diese Annäherung innerhalb Molinas Konzept von ius und dominium führt, wird in den Kapiteln 3−5 herausgearbeitet. Im Folgenden soll abschließend noch ein schemenhafter Ausblick zum subjektiven Recht in der Neuzeit geboten werden. Da die Untersuchung des subjektiven Rechts bei Molina sich auf einen Autor der Schule von Salamanca bezieht, genügt es, das subjektive Recht in der darauffolgenden Neuzeit nur kurz zu umreißen. Wichtiger für die Analyse des dominium bei Molina ist die nun gegebene historische Genese des subjektiven Rechts sozusagen bis Molina, da die Bestimmung des ius als subjektives Recht, wie bereits erwähnt, eine Interpretation avant la lettre darstellt. Das folgende
Deckers (1991, 26) Brett (2003, 136 – 137) Siehe zu dieser Einschätzung auch Giuseppe Tosi (2007, 152): „The Salamanca theologians developed a doctrine of natural subjective rights different both from the tradition of ancient natural right, and also from the modern theory of natural rights. The principle difference to the tradition was the emphasis and relevance of the concept of dominium. The distinction between jus and dominium was progressively abolished, and dominium, understood as potestas or facultas of a subject over himself, his actions and his possessions occupied the semantic place of the whole concept of right. This was the originality of their contribution.“
34
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
Kapitel stellt also lediglich eine Skizze dar, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
2.9 Konzeptioneller Durchbruch: Das subjektive Recht in der Neuzeit Niklas Luhmann zählt die Theorie subjektiver Rechte „zu den markantesten Figuren spezifisch neuzeitlichen Rechtsdenkens.“¹³¹ Erst die Pandektistik des 19. Jahrhunderts setze das subjektive Recht in eine begrifflich-systematische Ordnung des Rechtsdenkens, wenngleich die grundlegende Idee für eine Theorie subjektiven Rechts wesentlich älter sei, wie Luhmann zugesteht. Als Grund für die systematische Teilung von subjektivem und objektivem Recht in der Neuzeit sieht Luhmann die volle Positivierung des Rechts.¹³² Tatsächlich kann erst im 19. Jahrhundert von einem systematischen Konzept subjektiver Rechte gesprochen werden, wenngleich bereits im 18. Jahrhundert die erste Definition unter Verwendung des Terminus ius subjective sumtum von Gottfried Achenwall gegeben wird, wie zu Beginn dieses Kapitels bereits erwähnt wurde.¹³³ Vor allem der Begründer der sogenannten Historischen Rechtsschule Friedrich Carl von Savigny (1779−1861) steht für ein Konzept subjektiver Rechte, das an einen sozialpolitischen Hintergrund gebunden ist¹³⁴ und dennoch die in diesem Kapitel herausgearbeiteten bergifflichen Merkmale subjektiven Rechts beinhaltet: „Betrachten wir den Rechtszustand, so wie er uns im wirklichen Leben von allen Seiten umgiebt und durchdringt, so erscheint uns zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht und mit unserer Einstimmung herrscht. Diese Macht nennen wir ein Recht dieser Person, gleichbedeutend mit Befugniß: Manche nennen es das Recht im subjektiven Sinn.“¹³⁵ Der Begriff der Person rückt in der wirtschaftsorientierten, bürgerlichen Gesellschaft ins Zentrum – sowohl als moralische Person nach Kant als auch als Rechtsperson nach Savigny. Individuelle Rechte wie Persönlichkeitsrechte, Vertragsrechte und Eigentumsrechte bilden daher zwar den Grundstein für ein Konzept subjektiver Rechte,¹³⁶ doch gilt dies nicht erst für
Luhmann (1993, 45) cf. Luhmann (1993, 47) Ius Naturae, pars prior, § 36: „Ea facultas moralis, quae posita obligatione alterius perfecta ponitur, hoc est ius naturale extorquendi aliquid alteri, seu vi exigendi ab altero, vocatur ius naturale strictum (ius perfectum) subjective sumtum.“ cf. Hartung (2007, 240 – 241) ShRR, 7. cf. Hartung (2007, 240 – 241)
2.9 Konzeptioneller Durchbruch: Das subjektive Recht in der Neuzeit
35
das 19. Jahrhundert, wie durch die hier skizzierte historische Genese subjektiven Rechts gezeigt wurde.¹³⁷ Im Folgenden seien zwei berühmte Definitionen von rechtlicher Freiheit angeführt, die einerseits die Merkmale aus der historischen Genese des subjektiven Rechts zusammenführen, welche am Ende dieses Kapitels noch einmal zusammengefasst werden, andererseits so unterschiedlich sind, dass hierin eventuell eine Ursache für die bis heute andauernden Kontroversen um das subjektive Recht liegen könnte. Thomas Hobbes (1588−1679) definiert das ius naturale wie folgt: „Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu beizutragen scheint, tun kann. Freiheit begreift ihrer ursprünglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller äußeren Hindernisse in sich.“¹³⁸ Der Leviathan bei Hobbes dient dem Schutz der individuellen, subjektiven Rechte, wenngleich er allein das Recht setzt. Luhmann sieht die natürliche Freiheit bei Hobbes dennoch als Weiterentwicklung des Konzepts des subjektiven Rechts aus der Schule von Salamanca, wobei für Hobbes die „natürliche Freiheit nur noch individuelle Freiheit [ist]; sie ist als Freiheit ein natürliches Recht und wird trotzdem als selbstzerstörerisch aufgefasst.“¹³⁹ Genauer gesagt ist die Freiheit bei Hobbes also nicht als Weiterentwicklung des dominium in der Schule von Salamanca anzusehen, sondern als dessen Zuspitzung vor dem Hintergrund einer gänzlich verschiedenen Anthropologie, nach der der Mensch sich im Naturzustand im bellum omnium contra omnes befindet und nicht von Natur aus zum Zusammenleben mit anderen Menschen bestimmt ist. Zwar wurde gezeigt, dass bereits bei Summenhart und auch in der Schule von Salamanca Hinweise für ein Konzept negativer Freiheit auftauchen, doch ist die Gebundenheit des subjektiven Rechts an das Gemeinwohl ein wichtiges Merkmal, sodass gerade keine individuelle Willkür mit dem subjektiven Recht vereinbar war: Diese Möglichkeit zur Willkür ist es, durch die Luhmann die natürliche Freiheit bei Hobbes als selbstzerstörerisch beschreibt. Immanuel Kant dagegen hebt gerade die Gebundenheit der Ausübung des einzigen Rechts, das einem Menschen von Natur aus zukommt, an die objektive Rechtsordnung hervor, wenn er in der berühmten Bestimmung der Freiheit betont: „das angeborene Recht ist nur ein einziges. Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“¹⁴⁰ Wenngleich Kant hier nicht vom subjektiven Recht,¹⁴¹ sondern vom ‚einzig angeborenen Recht des Menschen‘ handelt, so wird durch diese Bestimmung der Freiheit
Dennoch sieht unter anderem Jürgen Habermas (1997, 112−135) subjektives Recht erst im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der idealistischen Rechtsphilosophie verortet. Leviathan, 118 Luhmann (1993, 60) (Hervorhebungen im Original) MS, 237. (Hervorhebung im Original) Zum subjektiven Recht bei Kant siehe Schütze (2004).
36
2 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts
doch die Bedeutung des subjektiven Rechts für die Entwicklung der Menschenrechte sichtbar. Die zentralen Elemente des subjektiven Rechts, die aus der historischen Genese desselben hervorgegangen sind, treten hier deutlich hervor: die Freiheit als Fortführung der potestas, so zu handeln, wie es beliebt, ohne dabei andere in ihrer Freiheit einzuschränken, da die Freiheit im Rahmen einer gesetzlichen Ordnung ausgeübt wird. Bevor die Untersuchung des ius in Molinas De Iustitia et Iure im folgenden Kapitel aufgenommen wird, sollen die Elemente subjektiven Rechts, die sich aus der Analyse seiner historischen Genese ergeben haben, noch einmal kurz zusammengefasst werden. Abschließend wird ein eigener Definitionsversuch subjektiven Rechts unternommen. In der Bestimmung des ius als subjektives Recht tritt das Recht als potestas, facultas oder potentia licita auf, die jeweils a iure introducta sind, das heißt innerhalb einer objektiven Rechtsordnung bestehen. Somit kann das subjektive Recht nicht willkürlich ausgeübt werden, und es kann auch nicht als Privileg aufgefasst werden, da es zwar dem einzelnen Rechtsträger als solchem und nicht in seiner ‚Funktion‘ als Mitglied einer politischen Gemeinschaft zukommt, aber dennoch jedem, der Rechtsträger ist, zugestanden wird. Es ist also kein ius singulare. Bei einigen Autoren, insbesondere Johannes Monachus, wird das ius als tugendhafte Macht verstanden, sodass das subjektive Recht eine moralische Komponente gewinnt. Die Voraussetzung, um Träger eines subjektiven Rechts sein zu können, ist der freie Wille, der durch das subjektive Recht zu einer Handlungsfreiheit in Übereinstimmung mit dem objektiven Recht führt. Zwar zeichnet sich eine immer stärkere Bedeutung der Freiheit im Bereich des Rechts ab, doch kann diese rechtliche Freiheit noch nicht, wie in der Bestimmung von Kant, als von Natur aus gegeben aufgefasst werden. Vor diesem historischen Hintergrund kann subjektives Recht wie folgt definiert werden: Subjektive Rechte gewähren einzelnen Personen rechtliche Befugnisse und Rechtsansprüche, die den Personen als Individuen oder juristischen Personen zustehen und die sie als Individuen im Rahmen einer bestehenden Rechtsordnung einklagen können. Subjektives Recht zeichnet sich dadurch aus, dass es einem Individuum zukommt. Damit ist der systematische Nährboden für eine Analyse des ius und dominium in Molinas De Iustitia et Iure erschlossen, die bis zum Ende von der Frage begleitet sein wird, ob das dominium bei Molina als natürliche rechtliche Freiheit aufgefasst werden kann.
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure Luis de Molina hat sein Werk De Iustitia et Iure in sechs Traktate eingeteilt, deren Inhalt er in seinem kurzen Vorwort (autoris consilium) ankündigt: I. Die Gerechtigkeit im Allgemeinen und ihre Teile (de iustitia ingenere partibusque), II. die kommutative Gerechtigkeit in Bezug auf äußere Güter (de iustitia commutativa circa bona externa), III. die kommutative Gerechtigkeit in Bezug auf Güter des Körpers und den mit uns verbundenen Personen (de iustitia commutativa circa bona corporis personarumque nobis coniunctarum), IV. die kommutative Gerechtigkeit in Bezug auf Güter der Ehre, des guten Rufs und auf geistliche Güter (de iustitia commutativa circa bona honoris et famae, itemque circa bona spiritualia), V. das Gericht und die Vollziehung der Gerechtigkeit durch die öffentliche Herrschaft (de iudicio et exequutione iustitiae per publicas potestates) und VI. die distributive Gerechtigkeit (de iustitia distributiva). Die folgende Untersuchung setzt sich überwiegend mit Traktat I und den Disputationen 1−40 von Traktat II auseinander und berücksichtigt nur Disputationen aus den anderen Traktaten, wenn diese für das Thema der vorliegenden Arbeit relevant sind. Da Molinas De Iustitia et Iure in sechs voluminösen Bänden¹⁴² herausgegeben wurde, ist ein solcher Fokus auf die für das Thema dieser Arbeit relevanten Disputationen notwendig. Zwar ist auch Molinas De Iustitia et Iure wie andere Werke von Autoren der Schule von Salamanca ursprünglich als Kommentar zur Lehre von Gerechtigkeit und Recht des Thomas von Aquin, das heißt zu dessen Summa Theologiae II−II, qq. 57−79 und I−II, qq. 90−108 konzipiert, doch weist Molina in seinem Vorwort darauf hin, dass er die übliche Kommentierung in Analogie „zur Reihenfolge des heiligen Thomas in diesen 23 Quästionen“¹⁴³ (zur Gerechtigkeit, das ist Summa Theologiae II−II qq. 57−79) nicht beibehalten und vor allem inhaltlich den von Thomas gesteckten Rahmen überschreiten wird, zum Beispiel hinsichtlich des Vertragsrechts. Molina rechtfertigt seine detaillierte Untersuchung vorrangig genuin juristischer Themen mit dem Nutzen, den Theologen aus diesen Ausführungen für die Seelsorge, die Leitung der Kirche und des christlichen Gemeinwesens gewinnen würden. Im Verständnis dieser Sachverhalte überträfen Theologen die Rechtsgelehrten ohnehin aufgrund ihrer theologischen Bildung.¹⁴⁴
In der Mainzer Editio Novissima aus dem Jahre 1659 umfasst Molinas De Iustitia et Iure insgesamt 3386 engbedruckte Spalten. DIEI I Autoris Consilium, 1 DIEI I Autoris Consilium, 1: „Ita enim fiet, ut Theologi in enodandis hominum conscientiis, passim non haereant, audacioresque proinde, aptioresque multo sint ad proximos suos iuvandos, et a peccatis eruendos, atque ut praelaturis, regiminique toti Ecclessiae longe evadant utiliores. Cum enim via et ratione, ex suisque principiis res intelligant, in quo longo intervallo iuris peritos superant; sane, si eam Theologiae partem, quae de moribus differit, copiose et pro dignitate et amplitudine obiecti et facultatis Theologiae tradiderimus, ea, quae virum Theologum exiis, quae iuris periti tractant, scire https://doi.org/10.1515/9783110551938-003
38
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Auch wenn Molina anführt, gegen den Brauch der Schule von Salamanca („praeter nostrum morem“) zu verstoßen, wenn er De Iustitia et Iure nicht in Analogie zur formalen Ordnung der Summa Theologiae konzipiert, so steht er mit der Überschreitung theologisch relevanter Aspekte der Gerechtigkeit in Richtung der Jurisprudenz und vor allem der sorgfältigen Berücksichtigung zeitgenössischer Themen hinsichtlich der Umbrüche in der politischen und christlichen Ordnung des 16. Jahrhunderts eindeutig in der Tradition der Schule von Salamanca:¹⁴⁵ Die Entdeckung der sogenannten ‚Neuen Welt‘, deren Eroberung durch spanische und portugiesische Herrscher, die Missionierung der indigenen Bevölkerung einerseits und die Reformation in Europa andererseits konfrontierten die Theologen der Schule von Salamanca mit Konflikten und Fragen, deren Diskussion sie zum Teil auch unmittelbar in die Lage versetzte, Einfluss auf das politische Geschehen zu nehmen.¹⁴⁶ Viele dieser Theologen waren als Beichtväter der spanischen oder portugiesischen Könige tätig. Die Dominikaner, Jesuiten und Franziskaner, deren Orden die Autoren der Schule von Salamanca überwiegend angehörten, setzten sich gleichermaßen als Theologen, Philosophen, Juristen und Ökonomen mit Fragen, wodurch ein Mensch als Träger von Rechten anzuerkennen sei, wie politische Herrschaft legitimiert sein könne, insbesondere wenn der Herrscher auf einem anderen Kontinent ansässig ist, wie ein Recht der Völker gebildet und legitimiert sein könne, nachdem nicht mehr davon ausgegangen werden konnte, der orbis christianus stelle die gesamte Welt dar,¹⁴⁷ ob der Papst als geistlicher Herrscher der gesamten Welt angesehen werden könne, ob das von Gott eingerichtete Naturrecht auch gegenüber denjenigen gültig sei, die nicht an den christlichen Gott glaubten oder denen seine Botschaft bislang unbekannt gewesen war, aber auch mit Theorien hinsichtlich eines gerechten Preises auseinander. Neben Themen der Rechtsphilosophie und der politischen Philosophie beschäftigten sich diese Moraltheologen mit der Vereinbarkeit von Gottes Allmacht und Vorsehung und der menschlichen Willensfreiheit. Im Rahmen dieser Untersuchungen kristallisieren sich die wohl deutlichsten Unterschiede zwischen den Theologen der
decet, nec sine methodo et arte Theologiae inserverimus; nihil viro Theologo decrit, quod ad Ecclesiae gubernationem, et Reipublicae Christianae utilitatem necessarium fuerit iudicatum. Hoc consilio ductus, multisque aliis gravissimis de causis permotus, ordinem D. Thomae in his 23 quaestionibus, praeter nostrum morem, relinquere, opusque hoc de iustitia in varios tomos distributum earum loco inferere statui.“ In der Einleitung wurde bereits begründet, dass Molina zur Denktradition der Schule von Salamanca zu zählen ist, obwohl er nicht an der Universität von Salamanca gelehrt hat. Dieser Einschätzung widerspricht jedoch zum Beispiel Alejandro Guzmán Brito (2009, 143), demzufolge nur Autoren zur Schule von Salamanca gezählt werden können, die auch in Salamanca gelehrt haben. Als Beispiele für den Einfluss der Theologen der Schule von Salamanca auf die Politik nennt Böckenförde (2006, 344) die Intervention Karls V. bei den Ordensoberen Vitorias im Jahre 1539, den Einfluss von Las Casas auf die Formulierung der Nuevas Leyes von 1542 oder den Auftrag des Papstes an Suárez, eine Schrift gegen König Jakob I. von England zu verfassen, um dessen Forderung nach einem unbedingten Treueeid seiner katholischen Untertanen entgegenzutreten. cf. Böckenförde (2006, 342)
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
39
Schule von Salamanca heraus, die einerseits auf eine jeweils stärkere Affinität zum Rationalismus nach Thomas von Aquin oder aber zum Voluntarismus nach Johannes Duns Scotus zurückzuführen sind, andererseits ihren Ursprung in den verschiedenen Glaubensgrundsätzen der jeweiligen Ordensgemeinschaften haben. Dass dieses mitunter zwei nicht miteinander gleichzusetzende Quellen für unterschiedliche Lehren nicht nur in Bezug auf theologisch-philosophische Grundfragen wie zum Beispiel die Willensfreiheit des Menschen sind, zeigen die Differenzen unter den Lehren der Ordensbrüder deutlich auf. In Kapitel 4 wird Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen dargestellt und erläutert. Hier seien vorab als Beispiel für solche Differenzen die unterschiedlichen Positionen Molinas und seines jesuitischen Ordensbruders Francisco Suárez zur Wirksamkeit der göttlichen Gnade genannt, die Molina als Begründer des Molinismus und Suárez als Anhänger des Kongruismus ausweisen. Der Molinismus wurde von seinen Kritikern so gedeutet, dass die Wirksamkeit bzw. Effizienz der Gnade Gottes vom Willen des Menschen abhängig sei, während der Kongruismus die Auffassung vertritt, Gottes Gnade sei kongruent mit der Wirksamkeit der Gnade, da Gott seine Gnade gezielt in Übereinstimmung mit der menschlichen Freiheit gebe und die Wirksamkeit somit nicht von der Freiheit des Menschen abhängig sei. Auch in der Rechtslehre und der politischen Philosophie gelangen die Autoren der Schule von Salamanca mitunter bei scheinbar gleichen Prämissen zu zum Teil unterschiedlichen Konklusionen, wie zum Beispiel hinsichtlich der Frage, ob auch Kinder und geistig Behinderte (amentes), die noch oder gar keinen Gebrauch von der menschlichen Vernunft machen können, über die Fähigkeit verfügen, Träger eines Rechtes sein zu können. Nicht selten lassen sich die Differenzen in den Antworten auf solche Fragen von oftmals sehr pragmatischer Relevanz auf unterschiedliche Positionen der verschiedenen Autoren der Schule von Salamanca in ihren theologischphilosophischen bzw. metaphysischen Schriften zurückführen. Wie deutlich die Spuren von Molinas Willensmetaphysik, die zu heftigen Kontroversen führte, nicht nur mit Dominikanern, sondern auch innerhalb des Jesuitenordens, dem er selbst angehörte, in seiner Rechtslehre und auch seiner politischen Philosophie hervortreten, sollen die folgenden beiden Kapitel aufzeigen. Das fünfte Kapitel wird sich mit dem dominium über Menschen und der Bedeutung des subjektiven Rechts an Sklaven bzw. von Menschen in der Sklaverei auseinandersetzen und somit die Analyse von Molinas Rechtslehre, der die Willensmetaphysik zugrundegelegt wird, anhand der Frage auf die Probe stellen, wodurch ein Mensch als Träger von Rechten anerkannt werden kann. Die Frage, inwiefern scientia practica und scientia theoretica innerhalb des Denkens von Molina eine Kontinuität darstellen bzw. sich in Analogie betreiben lassen, wird das fünfte Kapitel begleiten.¹⁴⁸ Es gibt keine Hinweise, dass Molina selbst die Intention hatte, in seinem Denken eine Kontinuität zwischen scientia theoretica und scientia practica herzustellen. Francisco Carpintero (Carpintero et al. 2003, 214) schätzt De Iustitia et Iure beispielsweise als ein Werk ein, das nicht systematisch ist: „No es una obra sistemática, aunque sí expone las materias con cierto orden, ciñéndose al derecho privado.“
40
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Im Folgenden werden die Gerechtigkeit und das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit auf der Grundlage des ersten Traktats von Molinas De Iustitia et Iure dargestellt (3.1). Daran anschließen wird die Bestimmung des Rechts als subjektives Recht (3.2) und des dominium im Allgemeinen als Paradigma für das als subjektives Recht gedeutete ius (3.3), wodurch die Untersuchung des zweiten Traktats eröffnet wird. Das Eigentum, dominium proprietatis, die Rechtfertigung von Eigentum sowie die Unterschiede zwischen Eigentum, Besitz und Nießbrauch werden in den Kapiteln 3.4– 3.6 behandelt. Die zweite Form des dominium, die Herrschaft oder Rechtsprechung als dominium iurisdictionis, wird als natürliche Legitimation von Macht (3.7) diskutiert und in den Kontext des bonum commune (3.8) gesetzt. Bevor im vierten Kapitel die Bedingungen und Grenzen des subjektiven Rechts bei Molina untersucht werden, sollen in einem Zwischenresumee Bestimmung und Funktion des subjektiven Rechts in Molinas Rechtstheorie geklärt werden (3.9).
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure Molinas Bestimmung der Gerechtigkeit legt bereits nahe, seine Willensmetaphysik und Rechtslehre miteinander in Bezug zu setzen. Nach einem Kanon von begrifflichen Bestimmungen der Gerechtigkeit aus dem römischen Recht (Digesten und Institutiones), der Summa Theologiae des Thomas von Aquin (II−II q. 58) und Aristoteles‘ Definition der Gerechtigkeit im fünften Buch der Nikomachischen Ethik bestimmt Molina die Gerechtigkeit zusammenfassend als „beständigen und fortwährenden Willen, das heißt Habitus, durch den wir geneigt sind, mit Beständigkeit und Beharrlichkeit zu wollen, dass ein jeder sein Recht bekomme.“¹⁴⁹ Mit dieser auf den ersten Blick zirkulär erscheinenden Definition der Gerechtigkeit bestimmt Molina die Gerechtigkeit als eine „Handlung des Willens“ und hebt hervor, dass die Gerechtigkeit eine bestimmte Grundeinstellung eines Menschen ist, jedem anderen Menschen sein Recht zuzugestehen, die sich durch Kontinuität im Handeln eines jeden Menschen auszeichnet und nicht allein in singulären Urteilsverkündungen eines Richters ihren Ausdruck findet, wie Molina im Anschluss an die genannte Definition ergänzt. Damit soll hervorgehoben werden, dass jeder beurteilen könne, was Recht und Unrecht ist. Molina dürfte hierbei jedoch keineswegs beabsichtigen, die richterliche Autorität in Frage zu stellen, denn gemäß Aristoteles verkörpert „das Wesen des Richters gleichsam das Recht.“¹⁵⁰ Bemerkenswert ist mit Hinblick auf die genannte Definition, dass Molina Aristoteles, Thomas von Aquin und die Digesten und Institutiones des Römischen Rechts mit DIEI I 8, 26: „iustitia est constans et perpetua voluntas, idest, est habitus quo inclinamur cum constantia et firmitate ad volendum ius suum unicuique.“ EN V 7, 1132a19: „Daher nehmen die Menschen auch, wenn sie streiten, zum Richter Zuflucht; zum Richter gehen heißt, zum Gerechten gehen. Denn Richter zu sein bedeutet gewissermaßen, die Personifikation des Gerechten zu sein.“
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
41
einander zu einer Definition der Gerechtigkeit verschmelzen lässt – und dies mit einer gewissen Selbstverständlichkeit: Von Aristoteles übernimmt er den Gedanken der Gerechtigkeit als Habitus (hexis) und bestimmt die Gerechtigkeit im Anschluss an die von ihm gegebene Definition im Einklang mit Aristoteles als moralische Tugend,¹⁵¹ deren „Mitte die Mitte einer Sache in Bezug auf einen Anderen ist.“¹⁵² Diesen Habitus definiert Molina mit der Bestimmung der Gerechtigkeit von Ulpian und Iustinian genauer als „beständigen und fortwährenden einem jeden sein Recht (ius suum unicuique) zuteilenden Willen.“¹⁵³ Die Brücke zwischen den Definitionen des Aristoteles und den römischen Rechtsschriften stellt für Molina nun Thomas von Aquin dar, demzufolge unter ‚Wille‘ hier „nicht ein Vermögen, sondern eine Handlung des Willens“ zu verstehen sei, sodass die Menschen durch den als Willen aufzufassenden Habitus „in der Lage sind, gerechte Dinge zu tun“,¹⁵⁴ wodurch zum Ausdruck gebracht wird, dass die Gerechtigkeit im Handeln besteht. Eine Handlung der Gerechtigkeit zeichnet sich schließlich für Molina dadurch aus, jedem zu geben, was das Seine ist, „das heißt was ihm geschuldet wird oder ihm gehört, auf welche Handlung auch der Wille zurückgeführt wird, niemandem einen Schaden zuzufügen.“¹⁵⁵ Wichtig ist nun, dass Molina die Gerechtigkeit grundsätzlich als „ein allgemeines Merkmal jeder Betätigung irgendeiner beliebigen Tugend“ bestimmt: Damit ist die Gerechtigkeit jeder tugendhaften Handlung inhärent und jeder, der tugendhaft handelt, bringt eben dadurch zum Ausdruck, dass er gemäß der richtigen Vernunft und dem Gesetz und Willen Gottes handelt.¹⁵⁶ In seiner Beschreibung der Gerechtigkeit als Merkmal jeder tugendhaften Handlung greift Molina die zentralen Begriffe auf, mit denen Thomas in S.Th. I−II q. 90, art. 1 das Gesetz als Regel und Maß des Handelns (lex quaedam regula est et mensura actuum) bestimmt. Für Thomas ist das Gesetz Sache der Vernunft, die als erstes Prinzip menschlichen Handelns den Willen leitet, dasjenige zu erstreben, das durch die richtige Vernunft (recta ratio) als ein Gut erkannt wurde. Außerdem berücksichtigt Molina die Idee des Menschen als Imago Dei, die für die Handlungslehre Thomas von Aquins grundlegend ist: „Jede tugendhafte Handlung wird Gerechtigkeit genannt, insofern sich durch sie derjenige, der sie hervorbringt, der Regel
In Analogie zur aristotelischen Terminologie der ethischen Tugenden bzw. Charaktertugenden. DIEI I 8, 26: „Iustitiam autem virtutem, eamque moralem, esse, ex eo est manifestum, quod sit habitus electiuus in mediocritate consistensprout prudens definierit: tametsi medium illius sit medium rei per comparationem ad alterum […].“ DIEI I 8, 26: „Ulpianus l. iustitia ff. de iust. et iur. et Iustiniam instit. Eodem titulo, in principio, in hunc modum iustitiam definiunt. Est constans et perpetua voluntas, ius suum unicuique tribuens.“ DIEI I 8, 26: „D. Thom. 2.2. q. 58 artic. 1 ita eam exponit, ut solis verbis ab illa Aristotelis definitione 5 Ethicorum c.1 differat. Iustitia est habitus, quo homines apti sunt ad res iustas agendas. Nomine namque voluntatis, intelligit, non potentiam, sed actum voluntatis.“ DIEI I 8, 27: „Iustitiae vero actum esse, reddere unicuique quod suum est, hoc est, quod illi debetur, ad eumve pertinet, ad quem actum etiam reducitur, nolle cuiquam nocumentum inferre […].“ DIEI I 1, 5: „[…] actum omnem virtutis, quatenus per eum is, a quo elicitur, ipsius regulae ac mensurae se se adaequat, nempe rationi rectae, legique ac voluntati Dei, appellari iustitiam. Quo pacto usurpata iustitia, communis est essentialiter ad omnem virtutis cuiusuis operationem.“
42
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
und dem Maß der Tugend, nämlich der richtigen Vernunft sowie dem Gesetz und dem Willen Gottes angleicht.“¹⁵⁷ Die Triebfeder zum tugendhaften Handeln liegt in der Angleichung des Menschen an Gott: In Gott hat der Mensch ein (Vor)Bild für das Gerechte und für das Gute und findet schließlich in der Schau Gottes sein Seelenheil, welches in der eudaimonistischen teleologischen Ethik Thomas von Aquins der finis ultimus darstellt.¹⁵⁸ Zwar stellt die Bestimmung des Seelenheiles als Letztziel in der Schau Gottes inhaltlich eine Weiterentwicklung der aristotelischen eudaimonia dar, doch bleibt der finis ultimus systematisch als das Ziel bestimmt, aufgrund dessen alle anderen Handlungsziele im Laufe des menschlichen Lebens verfolgt werden. Tugendhaftes Handeln zeichnet sich dabei dadurch aus, dass es gemäß der recta ratio, der richtigen Vernunft, ist, wodurch der Gerechtigkeit eine Rationalität beigemessen wird, die der gesetzmäßigen Ordnung Gottes und Gottes Willen gleichgesetzt zu werden scheint. Handelt der Mensch tugendhaft, dann handelt er gerecht und damit gemäß Gottes Ordnung, die er in der Schau Gottes soweit erkennen kann, wie es dem Menschen möglich ist. Durch den Sündenfall hat der Mensch das Geschenk der iustitia originalis verloren, durch die er gemäß der praelapsalen Natur des Menschen quasi von selbst gerecht handelte. Postlapsal leitet ihn seine Vernunft, durch die er nach dem Gesetz und Willen Gottes handelt, zur Gerechtigkeit, über die er schließlich sein Letztziel erreichen kann. Wenn Molina also diesen Gedanken Thomas von Aquins übernimmt, gilt es zu beachten, dass der Mensch sich durch die Gerechtigkeit mittels seiner Handlungen Gott angleicht im Hinblick auf das Gute und das Gerechte, aber eben nur als Gleichnis bzw. Abbild Gottes, nicht als Äquivalent Gottes: Der Mensch handelt gut und gerecht, so wie Gott es innerhalb seiner Ordnung vorgesehen hat, aber der Mensch erlangt als Imago Dei niemals die Fähigkeit zu durchschauen, nach welchem Plan Gott seine Ordnung eingerichtet hat. In der Angleichung des Menschen an Gott durch die Gerechtigkeit liegt auch der Grund für den Ursprung des Naturrechts im göttlichen Willen, doch soll dies näher ausgeführt werden, wenn untersucht wird, wie Molina das Verhältnis zwischen Recht und Gerechtigkeit bestimmt. Dass Molina in dem oben genannten Zitat, indem er die Angleichung des Menschen an Gott durch die Gerechtigkeit beschreibt, nicht nur Gottes Willen, sondern auch Gottes Gesetz erwähnt, hat eine bestimmte Funktion: Zwar bestimmt Molina das Gesetz selbst erst in Traktat V,¹⁵⁹ doch ist die deutliche Analogie dieser Bestimmung der Gerechtigkeit zum lex-Traktat des Thomas in der ersten Disputation in Traktat I sicher der Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Gerechtigkeit, der iustitia legalis, zuzuschreiben. Molina eröffnet De Iustitia et Iure nämlich nicht mit der eben dargelegten Bestimmung der Gerechtigkeit. Erst in der achten Disputation des ersten Traktats widmet er sich dem gerade erläuterten ‚Wesen und der Natur der Gerech-
DIEI I 1, 5 cf. S. Th. I−II, qq. 1−5. Zum Gesetz siehe Kapitel 4.8
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
43
tigkeit‘ (Iustitiae vis et natura explicatur). Den Beginn von Molinas Werk stellen Ausführungen zu den verschiedenen Auffassungen von Gerechtigkeit dar (De variis iustitiae acceptionibus). In aristotelisch-thomistischer Tradition¹⁶⁰ unterscheidet Molina hierbei die gesetzliche Gerechtigkeit (iustitia legalis) von der partikulären Gerechtigkeit im Sinne einer Kardinaltugend, nach der das Gerechte dasselbe wie das Gleiche ist. Als iustitia legalis bestimmt Molina die Gerechtigkeit, „insofern sie auf das Gemeinwohl der großen Menge (ad commune bonum multitudinis) abzielt, deren Teil jener ist, der die Handlung ausführt.“¹⁶¹ Ihr zufolge ist das Gerechte dasselbe wie das Legitime, „das heißt dasjenige […], was durch das Gesetz vorgeschrieben wird bzw. mit dem Gesetz in Übereinstimmung ist.“¹⁶² Sie leitet den Einzelnen als Teil eines Gemeinwesens (pars Reipublicae) dazu an, „sich durch eine derartige Handlung zu seinem Ganzen und dem Gemeinwohl in optimaler Weise“¹⁶³ zu verhalten und ist als Tugend auf das Gemeinwohl und das Gemeinwesen selbst gerichtet. Dementsprechend zeichnet sich ihr Gegenteil, die widergesetzliche Ungerechtigkeit (illegalis iniustitia), durch Ungehorsam gegen die Gesetze und in der Missachtung oder Verachtung des Gemeinwohles aus.¹⁶⁴ Mit Aristoteles (EN V) legt Molina der Gerechtigkeit im Allgemeinen zwei Formen der Klugheit zugrunde, die sowohl beim Bürger (in cive) als auch beim Regenten der Menge festzustellen sind: Zum einen die monastische Klugheit, die laut Thomas von Aquin (S.Th. II−II, q. 48) die Klugheit des Einzellebens darstellt und die auch dieser der politischen Klugheit gegenüberstellt, die nach Molina „den Einzelnen das vorschreibt, was für das Gemeinwohl veranlasst werden muss, damit sich das Ganze, deren Teil sie sind, in optimalem Zustand befindet.“¹⁶⁵ Die politische Klugheit tritt nun
Ich hebe die aristotelisch-thomistischen Ursprünge der Gerechtigkeit und des Rechts in Molinas Konzeption nur dort detaillierter hervor, wo es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung sinnvoll bzw. notwendig ist. Für eine ausführlichere Darstellung der Gerechtigkeit und des Rechts bei Aristoteles und Thomas mit Blick auf Molinas De Iustitia et Iure und auch der unterschiedlichen Rezeption der aristotelisch-thomistischen Ursprünge in Molinas De Iustitia et Iure im Vergleich mit Domingo de Sotos gleichnamigen Werk von 1556 siehe Brett (2014, 156−164). Brett (2014, 158) macht darauf aufmerksam, dass der Terminus iustitia legalis erst bei Thomas auftritt und Aristoteles der partikulären Gerechtigkeit (lat. iustitia specialis/particularis, gr. hē kata meros dikaiosynē) die iustitia universalis gegenüberstellt, die synonym zur iustitia legalis später bei Thomas zu deuten sei: „Aristotle’s ,universal justice‘, which Aquinas termed ,legal justice‘ […].“ DIEI I 1, 2: „Uno, pro actu cuiuscunque virtutis, non qua talis est, sed quatenus ordinatur ad commune bonum multitudinis, cuius pars est ille, qui eum exercet.“ DIEI I 1,4: „[…] sed ut est idem, quod legitimum, hoc est, quod lege est praeceptum, legive consonat, […].“ DIEI I 1, 2−3.: „[…], sed ut est pars Reipublicae, quae eo modo operando optime se habet ad suum totum, bonumque commune.“ DIEI I 9, 27: „Posita autem est in legum inobedientia, despectioneque boni communis.“ DIEI I 1, 3: „Itaque quemadmodum […] Aristoteles 5. Ethicorum cap. 8 tam in cive, quam in principe ac rectore multitudinis, duplicem prudentiam distinxit, monasticam scilicet, quae praescribit singulis, ut privatae quaedam personae sunt, quid faciendum sit, et politicam, quae ea, quae in bonum commune debent dirigi, ut optime se habeat totum, cuius sunt partes, singulis praescribit; hancque
44
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
bei Regenten und Untergebenen in zwei verschiedenen Formen auf: Bei Ersteren als prudentia architectonica, aus der die Gesetze hervorgehen und die den Untergebenen vorschreibt, was zu tun ist, und beim Untergebenen als politische Klugheit im engeren Sinne, die ihn erkennen lässt, was von ihm im Sinne des Gemeinwohls zu tun verlangt wird. Beiden Formen ist als Ziel das bonum commune gemeinsam bzw. beide Formen leiten zu Handlungen zum Zweck des Gemeinwohls an. Damit entwickelt Molina die politische Klugheit im Vergleich zu Thomas von Aquin weiter, wie Annabel Brett herausgestellt hat. Thomas habe, so Brett, die politische Klugheit nicht mit der gesetzlichen Gerechtigkeit verknüpft, beide Tugenden seien bei Thomas voneinander separiert, aber nach Molina sei die politische Klugheit in die gesetzliche Gerechtigkeit involviert.¹⁶⁶ Wenn die politische Klugheit als Vermögen verstanden wird, aus dem heraus die den gerechten Handlungen zugrunde liegenden Entscheidungen generiert werden, dann scheint Molina in der Tat in der Verbindung der politischen Klugheit mit der iustitia legalis die Tugendlehre des Thomas weiterzuentwickeln: Ohne politische Klugheit ist nach Molina die Ausübung gerechter Handlungen gemäß der iustitia legalis unmöglich. Die Unterscheidung zweier Erscheinungsformen der politischen Klugheit bei Regierenden und Untergebenen wirft die Frage auf, ob sich daraus Konsequenzen für das Gemeinwesen ergeben: Resultieren aus den verschiedenen Formen der politischen Klugheit verschiedene Varianten der Gerechtigkeit als Tugend für Untergebene und Regierende? Francisco de Vitoria hatte in Quaestio 92 von De Lege, seinem Kommentar zum lex-Traktat des Thomas, behauptet, für Thomas von Aquin könne das Gemeinwohl durchaus in einem guten Zustand sein, wenn die Herrscher gut seien, die Bürger sich aber nur durch Gehorsam gegenüber den Regierenden als gute Bürger auszeichneten und ansonsten schlechte Menschen seien, da sie − sozusagen im Privaten − untugendhaft handelten. Es sei ja Aufgabe des Regenten, die Bürger durch das Gesetz zur Tugend hinzuleiten, daher sei es für das Gemeinwohl nicht von Bedeutung,
subdivi sit, in regnativam, quae est in principe, Reipublicaeque rectoribus, ad praescribendum subditis quid cuique iuxta suum munus, statum et conditionem sit faciendum, ut totum bene se habeat, quam proinde architectonicam appellavit, legesque ab ea emanare docuit, et in politicam presse sumptam, quae est in subditis, praescribitque unicuique eorum quid sibi, ut pars est Reipublicae, faciendum sit, ut ad suum totum communeque bonum bene se se habeat: […].“ Brett (2014, 163): „[Aquinas] had not directly connected political prudence with legal justice; the two virtues remain separate. Molina, however, offered an ingenious account of the link between them. Thus he distinguishes between the kind of prudence involved in conducting oneself virtuously as an individual, ‘monastic prudence‘, and that involved in virtuous conduct undertaken not as an individual but as a part of the whole, and as regards the common good, which is ‘political prudence‘. An act of virtue, insofar as it is enacted by a particular person through monastic prudence, is the act of a particular virtue, for example fortitude, or temperance, or commutative justice. But if enacted by a person through political prudence, with respect to the common good, then it is an act of justice in the broader, ‘legal‘, sense. On this understanding, political prudence is involved in legal justice, bringing the two virtues very close together.“
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
45
wenn die Bürger schlechte Menschen seien, solange sie als gute Bürger dem Gesetz gehorchten. Mit anderen Worten, der Begriff der iustitia legalis ermögliche es, Gesetzesgehorsam als Tugend zu begreifen.¹⁶⁷ Jemand könne demnach, so Thomas laut Vitoria, ein guter Bürger sein, obwohl er kein guter Mensch ist und zwar ohne negative Konsequenzen für das Gemeinwohl, solange er dem tugendhaften Herrscher gegenüber gehorsam ist.¹⁶⁸ Vitoria widerspricht Thomas an dieser Stelle deutlich: Das Gemeinwohl, auf welches das Gesetz „in erster Linie“ gerichtet sei, bestehe in der Glückseligkeit (beatitudo), so Vitoria.¹⁶⁹ Für ihn stellt das bonum commune also offenbar nicht nur einen Weg zur Glückseligkeit dar, sondern es ist mit der Glückseligkeit gleichzusetzen. Im Unterschied zu Aristoteles gehen die Autoren der Schule von Salamanca in Folge von Thomas von einer unvollkommenen Glückseligkeit im Diesseits und einer vollkommenen Glückseligkeit im Jenseits,¹⁷⁰ die erst mit der Schau Gottes erlangt werden kann, aus. Das Gemeinwohl ist also daher ‚nur‘ auf die unvollkommene Glückseligkeit gerichtet.¹⁷¹ In der Gleichsetzung des bonum commune mit der Glückseligkeit folgt Vitoria Aristoteles, der im ersten Buch der Nikomachischen Ethik das zu erstrebende Ziel des Einzelnen mit dem des Gemeinwesens gleichgesetzt hatte und ergänzte, es scheine „schöner und göttlicher aber für ein ganzes Volk oder einen Staat“, die Glückseligkeit zu erreichen, als wenn bloß der Einzelne so weit komme.¹⁷² Da aber das Gemeinwesen dieses Ziel nicht erreichen kann, wenn seine einzelnen Teile nicht darum bemüht sind, stellt Vitoria fest: „Somit kann es, da der Hauptteil des Glücks auf der Tugend beruht, keine guten Bürger geben, so reich sie sein mögen, wenn sie nicht
cf. Landau (2001, 411) De Lege Qu. 92.3: „[Sanctus Thomas] Dicit enim, quod potest bene se habere bonum commune, saltem si principes sint boni. Unde videtur concedere, quod etsi alii sint mali, potest se habere bene bonum commune, quia potest esse, quod sit bonus civis et non bonus vir.“ De Lege Qu. 92.3: „Intentio legislatoris, ut supra dixit Doctor et probavit q. 90, a. 2, quod ultimus finis legis est bonum commune. Unde oportet, quod lex maxime respiciat bonum commune, quod est beatitude.“ Siehe hierzu den sogenannten Glückstraktat in S. Th. I−II, qq. 1−5. Laut Molina genügt es nicht, für die Erreichung des übernatürlichen Ziels, das ist die Schau Gottes als vollkommene Glückseligkeit, das natürliche Gesetz zu erfüllen, da hierfür darüber hinaus die Gnade und Liebe Gottes erforderlich sind (DIEI I 1, 7−8). Aber es ist zu beachten, dass die natürliche und die übernatürliche Glückseligkeit einen gewissermaßen kontinuierlichen Prozess darstellen und Liebe und Gerechtigkeit für Molina in einem engen Zusammenhang stehen. Siehe hierzu auch AlonsoLasheras (2011, 189): „In Molina they [charity and justice, D.S.] appear in continuity, not only in the brief and preliminary treatment of them, but also in the specific development of particular cases. They are both linked to the organic conception of society. They both work for the common good, what can help distinguishing them is the need for restitution when a sin against justice is committed, something not due in the case of sins against charity.“ EN I 1, 1094 b10−11
46
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
um die Tugend bemüht sind (nisi sint studiosi virtutis).“¹⁷³ Ein gutes Haus könne schließlich auch nicht aus schlechten Einzelteilen erbaut werden.¹⁷⁴ Es sei darauf hingewiesen, dass Vitoria Thomas in Quaestio 92 fehlinterpretiert, wenn er ihm unterstellt, für das Gemeinwohl komme es nur auf tugendhafte Herrscher an. Vielmehr scheint Thomas zum Ausdruck bringen zu wollen, dass es um das Gemeinwohl äußerst schlecht bestimmt ist, wenn nicht einmal die Herrscher tugendhaft sind. Ein wahrhaftes bonum commune jedoch könne nur gewährleistet werden, wenn jeder Bürger sich um Tugendhaftigkeit bemühe: „[…] das Ganze kann guten Bestand nur haben, wenn die Teile ihm angepasst sind. Deshalb kann es um das Gemeingut eines bürgerlichen Gemeinwesens in keinem Falle gut bestellt sein, wenn nicht die Bürger tugendhaft sind, zumindest jene, denen es zukommt zu herrschen.“¹⁷⁵ So begründet denn auch Molina mit Thomas, warum überhaupt im staatlichen Gemeinwesen von einer gesetzlichen Gerechtigkeit die Rede sein könne: Thomas stelle heraus, so Molina, „dass den Untergebenen dieselbe Tugend zu eigen sei“, wenn sie den Gesetzen gehorchen, als wenn sie diese selbst festgelegt hätten, „da sie ja mittels der Gesetze sich an ebendieses Ziel angleichen. Und aus diesem Grund wird diese Tugend ‚gesetzliche Gerechtigkeit‘ genannt, […] insofern derjenige […] den Gesetzen angeglichen wird, die für die Schönheit und Vollkommenheit (decus et perfectio) des Gemeinwesens erforderlich sind.“¹⁷⁶ Wenn in Kapitel 4.7 das Verhältnis von subjektivem Recht und bonum commune untersucht wird und der Frage nachgegangen wird, ob dieses durch Dichotomie gekennzeichnet ist, wird die Charakterisierung der Tugendhaftigkeit des Einzelnen und des Gemeinwesens durch die iustitia legalis von Bedeutung sein. Innere Akte zu bestrafen, komme hingegen nicht den weltlichen Herrschern, sondern nur Gott zu. Diese Akte könnten dem Staat als solchem keinen Schaden zufügen¹⁷⁷ und sind erst für das übernatürliche Ziel von Bedeutung, freilich unter der Bedingung, dass sie dem Ziel des bonum commune nicht entgegengesetzt sind. Hierbei gelte es laut Molina zu beachten, dass die Gesetze weit mehr als die Tugend der Gerechtigkeit zu berücksichtigen haben, nämlich ebenso andere Tugen-
De Lege Qu. 92.3: „Ergo cum maxima pars felicitatis consistat in virtute, non possunt esse boni cives quantumcumque divites, nisi sint studiosi virtutis.“ De Lege Qu. 92.2: „sicut impossibile est facere bonam domum ex malis partibus.“ S. Th. I−II, q. 92, art. 1, ad 3: „nec totum potest bene consistere nisi ex partibus sibi proportionatis. Unde impossibile est quod bonum commune civitatis bene se habeat, nisi cives sint virtuosi, ad minus illi quibus convenit principari.“ DIEI I 1, 4: „Addit D. Thomas, subditis inesse eandem virtutem tanquam mandantibus exequutioni, quae per recto res constituta sunt, dum legibus ad eundem finem se accommodant: eaque de causa virtus haec, iustitia legalis appellatur. […] Eius modi ergo virtus, et est ad alterum, nempe ad bonum commune Rempublicamque ipsam, et iustitia dicitur, quatenus, qui ductum illius sequitur, eique se accommodat, legibus, quas Reipublicae decus et perfectio postulat, ad aequatur.“ DIEI V 46, 1690: „quoniam punire internos actus non ad rempublicam saecularem, sed ad Deum, qui illorum est agnitor, pertinet; neque actus interni ita reipublicae saeculari nocent, ut eos punire debeat, hominum praesertim multitudine ac fragilitate attenta.“
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
47
den wie Tapferkeit, Mäßigung etc.¹⁷⁸ Stelle sich heraus, dass ein Gesetz nicht gerecht ist, dürfe man diesem weder gehorchen noch es akzeptieren, was sowohl für Vitoria und Molina als auch für Thomas nach Augustinus außer Frage steht: „non videtur esse lex, quae iusta non fuerit.“¹⁷⁹ Wenn ein menschliches Gesetz nicht gerecht ist, dann ist es nicht über die lex naturalis aus der lex aeterna abgeleitet und kann nicht als Gesetz bezeichnet werden, so Molina in Berücksichtigung der Hierachie der Gesetze nach Thomas von Aquin (lex aeterna, lex naturalis, lex humana und lex divina).¹⁸⁰ Nur wenn ein menschliches Gesetz nicht ungerecht ist, verpflichte es im Gewissen.¹⁸¹ Johannes Duns Scotus – dessen Einfluss auf Molinas Rechtslehre noch deutlich hervortreten wird – räumt durch die potentia absoluta die Möglichkeit ein, gegen rechtmäßige Gesetze verstoßen zu dürfen, wenn man selbst Urheber des Gesetzes ist. Diese Möglichkeit besteht also nur hinsichtlich eines positiven Gesetzes. Zwar stimmt Scotus mit der thomanischen Gesetzeslehre hinsichtlich des Ziels eines Gesetzes, dem bonum commune und hinsichtlich der Bedingung, ein positives Gesetz könne nur dann gerecht sein, wenn es nicht gegen die lex naturae verstößt, überein, doch legt Duns Scotus seiner Handlungslehre die Unterscheidung zwischen potentia absoluta und potentia ordinata zugrunde, die als Konsequenz seines Voluntarismus auch auf seine Rechtslehre übertragen wird. Wenn die Konstituierung eines Gesetzes in den eigenen Machtbereich fällt, dann kann qua potentia absoluta gegen das Gesetz verstoßen werden, ohne dass dieser Verstoß illegitim wäre.¹⁸² Scotus rechtfertigt so die legitime Veränderung oder Aufhebung von positiven Gesetzen durch den princeps, dem als Urheber der Gesetze in Analogie zum gesetzgeberischen Wirken Gottes eben nicht nur die potentia ordinata, durch die im Einklang mit dem Gesetz gehandelt wird, sondern auch die potentia absoluta zukommt, durch die der menschliche Gesetzgeber Gesetze verändern, aufheben oder erlassen kann.¹⁸³ Doch wenngleich der Wille des Gesetzgebers bei Scotus eine gewichtigere Rolle einnimmt, als dies bei Thomas und seinen rationalistischen Nachfolgern der Fall ist, so beugt Scotus dennoch einer Willkürherrschaft vor, indem er den Gesetzgeber gegenüber dem natürlichen Recht verpflichtet und die Änderung der Gesetze stets auf das bonum commune ausgerichtet sein muss. Spätestens nun sollte deutlich sein, dass das nach der iustitia legalis Gerechte, das formal als das Gesetzmäßige bestimmt wurde, inhaltlich nicht willkürlich zu besetzen ist, sondern in Ausrichtung auf sämtliche für das Gemeinwesen bedeutsame Tugen-
DIEI I 1, 4−5: „Ex dictis infero, ad legislatores Reipublicaeque administratores pertinere constituere, non eas solum leges quae ad iustitiam virtutem cardinalem, sed etiam easque ad alias virtutes, fortitudinem scilicet, temperantiam, et caeteras spectant: id quod Aristoteles 5. Ethicorum capit. 1 etiam affirmavit.“ S. Th. I−II, q. 95, art. 2. (Thomas zitiert hier aus Augustinus De libero arbitrio 1.) cf. DIEI V 46, 1692 cf. Kaufmann (2010, 388) in Bezug auf DIEI V 73. cf. Mandrella (2011, 221) cf. Mandrella (2011, 222)
48
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
den zu verstehen ist, weshalb Aristoteles die gesetzliche Gerechtigkeit auch als „ganze Gutheit“¹⁸⁴ bezeichnet hatte. Diese kann sich nur in einem politischen Gemeinwesen entfalten und die Gesetze bilden hierzu das normative Instrumentarium.¹⁸⁵ Daher kann die iustitia legalis als Verrechtlichung der Gerechtigkeit als Tugend aufgefasst werden, wenn das Gerechte als dasjenige bestimmt ist, das gemäß den Gesetzen ist. Das Gerechte und das sittlich Gute sind also untrennbar miteinander verbunden. Isabelle Mandrella hatte (mit Blick auf die Bestimmung des Naturrechts bei Molina) festgestellt, dass Molina „auf die Notwendigkeit moralischer Werte“ abhebe – und zwar stärker noch als Vitoria.¹⁸⁶ Annabel Brett würde dieser Einschätzung Mandrellas vermutlich zustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass Molina in der Concordia durch seine Verortung der menschlichen Freiheit im Willen „[…] pushed Vitoria’s ideas about libera voluntas to their limit and beyond.“¹⁸⁷ Herrscher und Untergebene müssen nach Molina gleichermaßen um ein tugendhaftes Leben bemüht sein, um das bonum commune zu wahren, allein die der iustitia legalis vorausgehende Klugheit unterscheidet sich in Bezug auf Herrscher und Untergebene in der gezeigten Weise. Molina eröffnet De Iustitia et Iure zwar mit der gesetzlichen Gerechtigkeit (iustitia legalis), doch handelt sein opulentes Werk von der partikulären Gerechtigkeit, die eine der Kardinaltugenden¹⁸⁸ ist und der die Bestimmung des Gerechten als Gleichem zugrunde liegt, wie Molina am Ende der ersten Disputation ankündigt: In anderer Weise versteht man die Gerechtigkeit als eine besondere, auf einen Anderen ausgerichtete Tugend, deren Gegenstand das Gerechte im engeren und eigentlichen Sinn, das heißt das Gleiche ist, dem das Ungleiche entgegengesetzt ist, welches ein an einem anderen begangenes Unrecht beinhaltet. Und die auf diese Weise verstandene Gerechtigkeit wird zu den Kardinaltugenden gezählt, und über sie haben wir dieses Werk eingeteilt in sechs Traktate.¹⁸⁹
EN V 3, 1130a7: „Die Gerechtigkeit in diesem Sinne nun ist nicht ein Teil der charakterlichen Gutheit, sondern die ganze Gutheit.“ Alonso-Lasheras (2011, 188): „Justice was not only granting good laws, but also establishing what fostered the virtues that the common good required.“ Mandrella (2002, 211): „Noch extremer ausgeprägt findet er [i. e. der Einfluß der scotischen Lehre des formaliter ex se, D.S.] sich in der Konzeption des Jesuiten Luis de Molina (1535 – 1600), der – stärker als Vitoria – auf die Notwendigkeit moralischer Werte abhebt und diese auch für Gott als ebenso verpflichtend einfordert […].“ Brett (2011, 43): „However, the corollary of scientia media […] was a thesis on the liberty of the human will, even in acts of spiritual merit. Molina posited that the will of God works ,with‘ rather than ,in‘ the will of man, thus giving the human will an independent causal role in respect of grace. Human freedom, therefore, is rooted in the will rather than in the intellect as it was for the Thomists, and it is in developing this position that Molina pushed Vitoria’s ideas about libera voluntas to their limit and beyond.“ Seit der Antike gelten Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit als Kardinal- oder Grundtugenden, durch das Christentum werden diese vier Tugenden um die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung schließlich zu insgesamt sieben Kardinaltugenden erweitert. DIEI I 1, 8: „Alio modo sumitur iustitia, ut est particularis virtus in ordine ad alterum, cuius obiectum est iustum presse ac proprie sumptum, ut est idem, quod aequum: cuius oppositum est
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
49
In dieser Definition der partikulären Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit im „eigentlichen Sinn“, greift Molina die bereits genannten Merkmale der Gerechtigkeit als bestimmte Grundeinstellung eines Menschen, jedem anderen Menschen sein Recht zuzugestehen, bzw. jedem zu geben, was das Seine ist, „das heißt was ihm geschuldet wird oder ihm gehört, auf welche Handlung auch der Wille zurückgeführt wird, niemandem einen Schaden zuzufügen“¹⁹⁰ auf und präzisiert diese Merkmale der Gerechtigkeit als „das Gleiche“: De Iustitia et Iure handelt also von der Gerechtigkeit als Gleichheit. Indem jedem gegeben wird, was das Seine ist oder worauf jemand ein Recht hat, wird nämlich rechtliche Gleichheit hergestellt, worin sowohl die kommutative Gerechtigkeit als auch die distributive Gerechtigkeit, in die Molina die partikuläre Gerechtigkeit unterteilt, übereinstimmen: Wie die kommutative und die distributive Gerechtigkeit im Begriff der partikulären Gerechtigkeit in einem Allgemeinen übereinstimmen, so stimmen sie auch darin überein, dass sie sich beide auf ein irgendwie Geschuldetes beziehen, insofern durch sie jemandem das gegeben wird, was sein ist oder worauf er zumindest unter der Bedingung ein Recht hat, dass er zum Ausgleich irgendeine Sache hingegeben hat oder hingibt oder ein Recht auf etwas anderes abtritt, wie es bei Käufern und Verkäufern und anderen Verträgen geschieht. Sie stimmen außerdem darin überein, dass beide Gleichheit herstellen. Denn beides, das heißt der Bezug auf ein irgendwie Geschuldetes und die Herstellung von Gleichheit, kommt ihnen nicht etwa insofern zu, als sie in ihrer jeweils besonderen Art soundso beschaffene Gerechtigkeiten sind, sondern insofern sie im Begriff der partikulären Gerechtigkeit als ihrer Gattung übereinstimmen.¹⁹¹
Doch unterscheiden sich distributive und kommutative Gerechtigkeit gerade in Hinblick auf die Bestimmung der Gleichheit, wie Molina in Rekurs auf Aristoteles hervorhebt, denn das Geschuldete als dasjenige, worauf ein jeder ein Recht hat, wird in den beiden Unterarten der partikulären Gerechtigkeit auf verschiedene Weise bestimmt. Die Gleichheit, die durch die distributive Gerechtigkeit hergestellt werden soll, orientiert sich an der gesellschaftlichen Position, das heißt, das ihr zugrundeliegende Geschuldete wird „nicht allen Teilen des Gemeinwesens gleichermaßen geschuldet, sondern einem jeden je nach dem Stand und Rang, den er im Gemeinwesen inne-
iniquum, quod iniuriam alterius comparatione involvit. Atque iustitia hoc modo sumpta computatur inter virtutes cardinales, de eaque instituimus hoc opus in sex tractatus distributum.“ DIEI I 8, 27: „Iustitiae vero actum esse, reddere unicuique quod suum est, hoc est, quod illi debetur, ad eumve pertinet, ad quem actum etiam reducitur, nolle cuiquam nocumentum inferre […].“ DIEI I 12, 32: „Iustitia commutativa et distributiva quemadmodum in ratione iustitiae particularis in commune conveniunt, sic quoque conveniunt in eo, quod utraque respicit debitum aliquo modo, quatenus per eas redditur alicui quod suum est, vel ad quod habet ius, saltem ex conditione, quod in recompensationem dederit, aut det aliquam rem, vel concedat ius ad aliquid aliud, ut accidit in emptionibus et venditionibus, caeterisque contractibus mutuis. Conveniunt praeterea, quod utraque aequalitatem constituit: utrumque namque, nempe et respicere debitum aliquo modo, et constituere aequalitatem, eis convenit, non quatenus tales iustitiae in specie sunt, sed quatenus in ratione iustitiae particularis in genere conveniunt.“
50
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
hat.“¹⁹² Die durch die distributive Gerechtigkeit verfolgte Gleichheit ist also als rechtliche Gleichheit nur innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe aufzufassen: die Idee von Personen als Rechtspersonen per se (ohne weitere Qualifikation) lässt sich nicht mit der distributiven Gerechtigkeit vereinbaren, da hier nicht die Rede von der Gleichheit der Personen oder zumindest der Gleichheit von Mitgliedern eines Gemeinwesens sein kann, wie es zum Beispiel Bedingung für Grundrechte, die als subjektive Rechte von Bürgern eines Staates bestimmt sind, wäre. Die gesellschaftliche Position bestimmt, worauf der Einzelne einen Rechtsanspruch hat und wieviel ihm von etwas zusteht: Daher kommt es, dass den jeweils Einzelnen nicht allein desto weniger von den gemeinsamen Gütern geschuldet wird, je mehr Menschen ein Gemeinwesen zählt, sondern dass ihnen auch bei einer bestimmten Anzahl der Teile des Gemeinwesens nicht eine schlechthin gleiche, sondern ein nach einem gewissen Verhältnis gleiches Maß geschuldet wird, so nämlich, dass das Verhältnis desjenigen Anteils an den gemeinsamen Gütern, der dem einen geschuldet wird, zu demjenigen Anteil, der einem anderen geschuldet wird, sich nach dem Verhältnis von Stand und Würde des einen Teiles zu Stand und Würde des anderen Teils bestimmt.¹⁹³
Molina ergänzt mit Thomas (S. Th. II−II, qu. 61, art. 1, ad 3), es sei Aufgabe der Leiter eines Gemeinwesens, das Geschuldete nach diesem Verhältnis aufzuteilen und daher habe diese „Tugend am meisten in den Lenkern des Gemeinwesens ihren Ort, in den Untergebenen aber werde sie allein insofern wahrgenommen, als es ihnen gefällt und sie damit einverstanden sind, dass diese Verteilung auf diese Weise geschieht.“¹⁹⁴ Allerdings bestehe ein deutlicher Unterschied zwischen iustitia distributiva und iustitia legalis, nach der das Gerechte zwar ebenfalls dasselbe wie das Legitime ist, doch sei das Ziel der gesetzlichen Gerechtigkeit das Gemeinwohl als Ganzes in seinem besten Zustand, wohingegen die „distributive ein Gut betrachtet, das den Teilen des Gemeinwesens, insofern sie Teile des Gemeinwesens sind, von den gemeinsamen Gütern geschuldet wird.“¹⁹⁵
DIEI I 12, 33: „Quod illud […] non debetur partibus omnibus Reipublicae aequaliter, sed unicuique pro conditione et gradu, quem habet in Republica.“ DIEI I 12, 33: „Quo fit, ut non solum, quo pluribus partibus Respublica constat, eo minus de bonis communibus singulis debeatur, sed etiam ut, existente certo numero partium ipsius, singulis non debeatur portio aequalis simpliciter, sed aequalis proportione quadam, ita scilicet, ut qualis fuerit proportio conditionis ac dignitatis cuiusque partis ad alteram, talis sit proportio partis communium bonorum, quae ei debetur, ad partem, quae debetur alteri.“ DIEI I 12, 34: „Et quia, id iuxta eam proportionem exequi, potestatibus publicis incumbit, affirmat D. Thomas 2.2. quaest. 61 articul. 1 ad tertium, virtutem hanc potissimum residere in Reipublicae rectoribus: in subditis vero solum cerni quatenus eis complacet, contentique sunt ut ea distributio eo modo fiat.“ DIEI I 12, 34−35: „Iustitia namque legalis respicit commune bonum Reipublicae ut quam optime se habeat, operaque omnium aliarum virtutum in eum finem refert, ut disputatione 1 explicavimus. Iustitia vero distributiva respicit bonum ac debitum partibus Reipublicae de communibus bonis, qua partes Reipublicae sunt.“
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
51
Die distributive Gerechtigkeit werde, so Molina im Anschluss an Aristoteles nach geometrischem Verhältnis ermittelt, die kommutative Gerechtigkeit hingegen nach arithmetrischem Verhältnis. Daher sei die kommutative Gerechtigkeit eine Gleichheit zwischen zwei Quantitäten und die distributive Gerechtigkeit eine Gleichheit von Verhältnissen.¹⁹⁶ Im Hinblick auf die Untersuchung des ius als subjektives Recht ist diese Unterscheidung von weitaus größerer Bedeutung, als es zunächst scheinen mag: Molina hält fest, dass etwas nach der kommutativen Gerechtigkeit „schlechthin nach der Gleichheit und durch gleiche Bemessung zwar nicht auf mathematische, aber auf moralische Weise im Vergleich zu demjenigen geschuldet wird, aus dem die Verpflichtung entsteht.“¹⁹⁷ Daher werden durch die Gleichheit, die nach der kommutativen Gerechtigkeit hergestellt werden soll, auch Rechtsansprüche berücksichtigt, die beispielweise ein Bürger als Teil einer Gemeinschaft gegenüber dieser geltend machen kann, wie es später in den Grundrechten der Fall sein wird und eben durch die Figur des subjektiven Rechts – das in Kapitel 4.5 als Anspruchsrecht bestimmt wird − zum Ausdruck gebracht wird. Mit Thomas (S. Th. II−II, qu. 61, art. 4 ad 2), in dessen Lehre von Recht und Gesetz aber (noch) nicht im Sinne von subjektivem und objektivem Recht unterschieden werden kann,¹⁹⁸ sei nach Molina nämlich darauf hinzuweisen, dass die kommutative Gerechtigkeit zwar „häufiger zwischen den Teilen des Ge-
DIEI I 12, 33: „Hanc posteriorem aequalitatem, seu medium, quod iustitia commutativa constituit, appellat Aristoteles 5 Ethicorum cap. 3 et 4 secundum proportionem arithmeticam: quia est aequalitas inter duas quantitates. Illam vero priorem aequalitatem, seu medium, quod iustitia distributiva constituit, appellat secundum proportionem geometricam: quia est aequalitas, non inter quantitates, sed inter proportiones, atque adeo est proportio proportionum. Utraque ergo est aequalitas, atque adeo proportio; sed una est aequalitas quantitatum, alia vero est aequalitas proportionum.“ DIEI I 12, 33: „Id vero, quod debetur secundo modo, debetur ad aequalitatem, et per commensurationem simpliciter, non quidem mathematice, sed moraliter, comparatione eius unde consurgit obligatio.“ Dass die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Recht nicht in der Scholastik bzw. bei Thomas, sondern erst in der sogenannten Spätscholastik oder spanischen Scholastik, das heißt der Schule von Salamanca, hervortritt, hat auch Wilhelm Metz (2008, 35) hervorgehoben: „Was wir bei Thomas, im Unterschied zu Suárez, noch nicht finden, ist die uns heute ganz geläufige Unterscheidung zwischen Recht und Gesetz derart, dass dieses eine Verpflichtung, jenes hingegen einen Anspruch zum Ausdruck bringt, der später auch als ,subjektives Recht‘ bestimmt wurde. Der thomasische Begriff des ius ist ausschließlich von seinem Ziel her gedacht, nämlich dem zu errichtenden Ausgleich und der Friedensordnung zwischen den Menschen. Dem gemäß enthält das von Thomas gedachte ius ungeschieden in sich die rechtliche Verpflichtung sowie den Rechtsanspruch. Zwischen ius und lex bzw. zwischen ,subjektivem‘ und ,objektivem‘ Recht kann daher bei Thomas keine strenge Trennlinie gezogen werden; vielmehr sind diese beiden Aspekte bei Thomas noch in dem einen Begriff des ius untrennbar vereinigt.“ Zweifellos kann bei Thomas noch keine Unterscheidung im oben genannten Sinne zwischen subjektivem und objektivem Recht ausgemacht werden, doch wird im vierten Kapitel dieser Untersuchung gezeigt, dass die Bestimmung des subjektiven Rechts als Anspruchsrecht Pflichten des Rechtsträgers keineswegs ausschließt. Das dominium ist dem Menschen von Gott nämlich nicht zum willkürlichen Gebrauch gegeben, sondern darf nicht zum Schaden anderer ausgeübt werden, sodass zumindest die Pflicht besteht, andere durch die Ausübung seines subjektiven Rechts nicht zu schädigen.
52
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
meinwesens untereinander vorkomme, [aber] auch zwischen einem Gemeinwesen und einem Teil von ihr.“¹⁹⁹ Die Deutung eines Rechts, das ein Individuum gegenüber der Gemeinschaft geltend machen kann, das ist subjektives Recht, lässt sich vor allem durch folgendes Zitat stützen: „All das nämlich, was einem Bürger aus Gründen der Gerechtigkeit geschuldet wird, wird ihm, sofern es ihm nicht als ein im Übermaß vorhandenes und unter den Bürgern zu verteilendes Gemeingut geschuldet wird, aus Gründen der kommutativen Gerechtigkeit geschuldet, sei es, dass es von einer Privatperson, sei es, dass es vom Gemeinwesen geschuldet wird.“²⁰⁰ Als Beispiele für solche Güter, die das Gemeinwesen einzelnen Bürgern schulden kann, nennt Molina den Sold der Soldaten oder anderer Staatsdiener wie Richter und öffentliche Beamte und betont, dass „bei all diesen die distributive Gerechtigkeit keine Rolle“ spiele.²⁰¹ Der Lohn für die zum Wohle der Gemeinschaft verrichtete Arbeit steht den Staatsdienern aus Gründen zu, auf denen die kommutative Gerechtigkeit beruht. Der zweite Traktat von De Iustitia et Iure stellt im Grunde eine umfangreiche Analyse der kommutativen Gerechtigkeit dar und trägt die Überschrift „Über die kommutative Gerechtigkeit in Ansehung der äußeren Güter“ (De Iustitia commutativa circa bona externa). Daher bildet der zweite Traktat auch die Grundlage für die vorliegende Untersuchung. Der herausragenden Bedeutung der kommutativen Gerechtigkeit in Molinas Rechtslehre ist es auch zuzuschreiben, dass Molina erst im zweiten Traktat eine Definition des Rechts bietet und es im ersten Traktat bei einer Untersuchung des Verhältnisses zwischen Gerechtigkeit und Recht belässt. Bevor er das Recht definiert und in den Rahmen praktischer Kontexte setzt, behandelt Molina zunächst rechtsmetaphysische Aspekte, die nun skizziert werden sollen. In der zweiten Disputation von Traktat I bestimmt Molina das Recht als Gegenstand der Gerechtigkeit und weist damit die Interpretation des Dominikaners und Beichtvaters Karl V. Domingo de Soto (1494−1560), den Molina in vielen Fragen kritisiert, zurück, der in seinem Werk De Iustitia et Iure (1556) die Gerechtigkeit als nach dem Recht benannt bestimmt. De Soto begründe dies damit, „dass ein Habitus seinen Namen von seinem Gegenstand empfange, nicht aber umgekehrt.“²⁰² Molina weist de Sotos Standpunkt unter der Begründung zurück, ein Objekt werde nach dem ihm zugrunde liegenden Vermögen benannt und nicht etwa umgekehrt, wie „ein Gegenstand nach dem Gesichtssinn sichtbar genannt werde und nach der Erkenntnis er-
DIEI I 12, 35: „Nempe, licet commutativa iustitia frequentius versetur inter partes Reipublicae inter se, versari etiam posse inter Rempublicam et ipsius partem.“ DIEI I 12, 35: „Quicquid enim civi ex iustitia debetur, modo non debeatur tanquam commune bonum redundans, quod inter cives sit dividendum, debetur illi ex iustitia commutativa, sive id a privata persona, sive a Republica debeatur.“ DIEI I 12, 35: „nec in his iustitia distributiva intervenit.“ DIEI I 2, 9: „Sotus vero loco citato contendit, iustitia a iure esse dictam, ut ius idem est, quod iustum. Ratio illius est, quoniam habitus sumit nomen ab obiecto, et non ex contrario.“
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
53
kennbar.“²⁰³ Soto interpretiert das Verhältnis von Objekt und Vermögen in der Tat anders, so sei zum Beispiel eine Säge als solche bestimmt, da sie das Instrument zum Holzsägen sei.²⁰⁴ Molina führt nun drei Bedeutungen des Wortes ‚Recht‘ an, die er seinen weiteren Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit bzw. dem Recht als Gegenstand der Gerechtigkeit gleichermaßen zugrunde legt: – Recht ist dasselbe wie das Gerechte. – Recht sind die natürlichen und positiven Gesetze. – Recht ist die Wissenschaft vom Guten und Billigen (ars boni et aequi).²⁰⁵ Die erste und elementare Bedeutung des Rechts als dasselbe wie das Gerechte teilt Molina anschließend in einen weiteren und einen engeren Sinn auf: Im weiteren Sinne ist das so bestimmte Recht das Gesetzmäßige, das heißt in Übereinstimmung mit der Vernunft und dem Gesetz und folgerichtig das Recht als Gegenstand der iustitia legalis. Da durch die Vernunft Gottes Ordnung erkannt wird, ist das Gesetzmäßige als in Übereinstimmung mit der Vernunft aufzufassen, denn der Ursprung des (Natur)Rechts liegt im Willen Gottes. Im engeren Sinne ist das Recht dasselbe wie das Gleiche und Gegenstand der Gerechtigkeit als Kardinaltugend. Das Gleiche bzw. Billige bestimmt Molina aristotelisch als Mitte zwischen einem Mehr und Weniger bzw. zwischen Gewinn und Verlust, und zwar „aus der Natur der Sache (ex natura rei) in Bezug auf einen Nächsten (comparatione proximi).“²⁰⁶ Dass die Gerechtigkeit als Gleichheit eine Kardinaltugend ist, sei eine einhellige Auffassung von Aristoteles, Ulpian und Iustinian sowie von Thomas von Aquin, so Molina. Doch demonstriert Molina hier keineswegs nur eine semantische Kontinuität, denn die Wahl der Begriffe, mit denen er die Gerechtigkeit als Gleichheit beschreibt, vereint Elemente von verschiedenen Gerechtigkeitslehren und stellt keineswegs nur eine Wiederholung der aristotelischen Bestimmung dar: Zwar sticht die Gerechtigkeit für Aristoteles wie für Thomas als Tugend unter „den übrigen moralischen Tugenden“²⁰⁷ wie Tapferkeit, praktische Klugheit etc. hervor, da sie immer in Bezug zu einem anderen gesetzt ist und nicht nur den Tu-
DIEI I 2, 9: „A visu quippe dicitur obiectum visibile, et a scientia scivile, et non ex contrario: quare inde non constat iustitiam dictam esse a iure, contrariumque repute magis verum.“ De Iustitia et Iure, Liber III, qu. 1, art. 1, fol. 67: „Oculus enim non per hoc proprie definitur quod sit sensus sic aut sic compositus: sed quod sit sensus percipiendi colores: & pariter auditus quod sit sensus percipiendi sonum: & serra est instrumentum secandi ligna: et temperantia, habitus quo recte delectabilibus tactus utimur.“ cf. DIEI I 2. DIEI I 2, 9: „Cum ius in ea significatione, qua est idem, quod iustum, duobus modis usurpetur: uno late, ut est idem, quod legitimum, consonumve rationi ac legi: altero presse, ut est idem; quod aequum, iniquo, quod iniuriam involvit, oppositum, consistitque in medio ex natura rei comparatione proximi inter plus et minus, seu inter lucrum et damnum […].“ DIEI I 2, 10−11: „Videlicet, iustitiam a reliquis moralibus virtutibus differe, quod in reliquis medium sumitur per comparationem ad agentem. […] In virtute vero iustitiae medium non sumitur per comparationem ad agentem, sed ex natura rei collatione facta cum altero.“
54
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
gendhaften allein betrifft. Doch berücksichtigt Molina im Anschluss an Thomas nicht einfach nur wie Aristoteles einen anderen, sondern den Nächsten (comparatione proximi): Für Alasdair MacIntyre erweitert die christliche Tugend der Nächstenliebe, die Aristoteles nicht kannte und in gewisser Weise auch nicht gebrauchen konnte, das „Universum des Aristoteles“ um die Vergebung und damit auch um die Möglichkeit der Freundschaft zwischen guten und sittlich-schlechten Menschen, das heißt zwischen Ungleichen, sofern die schlechten Menschen beabsichtigen, sich dem gemeinsamen Gut (wieder) anzunähern.²⁰⁸ Während für Aristoteles Freundschaft nur zwischen Gleichen möglich ist und der Staat eine Gemeinschaft von Gleichen ist, wird durch die Nächstenliebe und die mit ihr verbundene Vergebung ‚schlechten Menschen‘ die Möglichkeit gegeben, von guten Menschen als gleich, das heißt gleichwertig im moralischen und schließlich auch rechtlichen Sinn anerkannt zu werden, wenn sie sich von ihrer Schuld durch tugendhaftes Handeln befreien. Im christlichen Kontext bedeutet dies, dass auch Heiden diese Möglichkeit zugestanden wird, wenn sie den christlichen Glauben annehmen und Sündern ermöglicht wird, sich gesellschaftlich wieder zu rehabilitieren, wenn die Gemeinschaft ihnen (etwa nach abgeleisteter Strafe) vergibt. Es wird nicht zuviel vorweggenommen, wenn bereits hier angedeutet wird, dass sich damit auch das Verhältnis von Herren und Sklaven bei Molina deutlich von der aristotelischen Bestimmung desselben unterscheidet. Durch den Terminus ex natura rei wird ein Element der Dreiteilung des göttlichen Allwissens aus Molinas Concordia einbezogen, die im vierten Kapitel ausführlicher erläutert wird: die scientia naturalis, das natürliche Wissen Gottes. Das natürliche Wissen um die Natur der von Gott geschaffenen Wesen stellt für Molina eine Form des Allwissens Gottes dar, das jeder göttlichen Entscheidung über die Schöpfung vorausgeht – nicht zeitlich, sondern logisch bzw. ontologisch. Durch das natürliche Wissen kennt Gott bereits vor der Schöpfung seine eigene Natur und damit auch alle möglichen Potenzen, die in seine eigene Natur eingebettet sind und denen gemäß er verschiedene Welten und entsprechend verschiedene Wesen erschaffen könnte. Das bedeutet, dass nicht einmal Gott die substanzielle Natur eines Wesens ändern kann, da diese bereits vor der Schöpfung feststeht und unabhängig von Gottes Willen ist bzw. metaphysisch kontingent und dies notwendigerweise.²⁰⁹ Gemäß der natura-rei
cf. MacIntyre (1995, 232−233) Diese Position teilt Molina mit Johannes Duns Scotus, durch den Molinas Denken in vielerlei Hinsicht beinflusst wurde, wie in dieser Untersuchung gezeigt wird. Für die scientia naturalis wird dies besonders deutlich in Concordia, Pars IV, Quaest. 14, art. 13, Disp. 50, 318−319: „6. Consentit Scotus ideas essentiamve divinam cognitam ut obiectum primarium esse Deo rationem sufficientem cognoscendi per scientiam naturalem simplicia omnia quae ex divina omnipotentia esse possunt et complexiones omnes non solum necessarias, sed etiam contingentes, non quidem quod sint futurae, sed quod esse possint, ita ut per scientiam naturalem cognoscat quamlibet ut sit aut non sit indifferentem atque adeo posse esse et posse non esse. Etenim ex naturis extremorum intelligitur unum posse convenire alteri; non tamen utrum conveniat necne. Praeterea quamvis complexio sit contingens, eam tamen contingentem esse ac proinde posse esse et posse non esse est quid necessarium; Deus autem omnia necessaria cognoscit per scientiam naturalem. 7. Etiamsi Scotus in his conveniat cum aliis,
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
55
Lehre hat jedes Ding seine eigene, unveränderliche Natur bzw. Substanz. Zum Beispiel ist etwas böse, nicht weil es verboten ist, sondern weil es seiner eigentümlichen Natur nach böse ist, und entsprechend ist etwas gut, nicht weil es etwa durch ein Gesetz geboten ist, sondern weil es unveränderlich gut aufgrund seiner ihm eigentümlichen Natur ist. Die Natur eines Dinges kann dabei nicht einmal von Gott verändert werden, wie Molina in der Concordia im Rahmen der scientia naturalis erklärt. Die substanzielle Natur der Dinge geht der Schöpfung durch Gott voraus.²¹⁰ Wichtig ist hierbei, dass Menschen böse Handlungen nicht durch Gott, sondern aufgrund ihres Vermögens zur freien Entscheidung durchführen. Gott hat sich entschieden, dem Menschen die freie Selbstbestimmung zu geben und somit auch, dass diese zu bösen Handlungen führen kann.²¹¹ Prinzipiell ist nicht Gott der Urheber böser Handlungen, sondern der Handelnde selbst. Gott schafft lediglich die Umstände, unter denen der Mensch frei seine Handlung wählt. Christen würden nach Molina durch ihre Liebe zu Gott und ihre von Gott gegebene moralische Sensibilität erkennen, welche Handlung gut ist.²¹² Allerdings ist ex natura rei nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen: Wie bei den übrigen moralischen Tugenden sei es, so Molina, auch bei der Tugend der Gerechtigkeit nicht ausreichend, „wenn durch sie die aus der Natur der Sache sich ergebende Mitte erreicht und das getan wird, was in sich selbst gerecht ist, sondern es wird darüber hinaus noch erfordert, dass derjenige, der die Handlung ausführt, sie wissend und wählend um ihrer selbst willen ausführt.“²¹³ Wenn ein Handelnder eine Handlung nicht bewusst und freiwillig ausführt, so kann sie ihm nicht zugerechnet
permotus tamen argumentis propositis ait Deum in sola determinatione suae voluntatis cognoscere, quaenam pars contradictionis cuiusque in posterum debeat contingenter evenire, atque adeo in sola determinatione libera suae voluntatis cognoscere certo futura contingentia. Et quidem si inter futura contingentia solum continerentur tum ea quae a Deo fiunt immediate, qualia sunt omnia ea quae in prima constitutione mundi a solo Deo producta sunt, tum etiam ea quae fiunt a causis secundis agentibus ex necessitate naturae, nulla esset difficultas in sententia Scoti.“ (Hervorhebung im Original) Zur natura rei-Lehre bei Molina cf. Rapp (1962). Diesbezüglich für Francisco de Vitoria, Gabriel Vázquez und Francisco Suárez cf. Mandrella (2002, 199−254). MacGregor (2015, 260−261): „By choosing to create creatures with the libertarian freedom, God voluntarily places himself under the logical constraint of being unable to stop those creatures either from choosing anything on the moral spectrum or from carrying out those choices. Hence not even an omnipotent being can create a world of libertarian creatures with less gratuitous evil than a world with the same amount of gratuitous evil as actual world.“ MacGregor (2015, 109) führt zur Erläuterung das Beispiel eines Lehrers an, der während einer Klausur das Klassenzimmer verlässt, um seine Schüler zu testen, ob sie ehrlich sind oder ihn täuschen und beim Nachbarn abschreiben. Mit der zeitgenössischen Unterscheidung zwischen starker und schwacher Urheberschaft, könnte man das menschliche Handeln unter Gottes Vorsehung bei Molina als schwache Urheberschaft beschreiben, so MacGregor. DIEI I 2, 11: „sic quoque in virtute iustitiae, ut actus studiosus sit, ad virtutemque iustitiae pertineat, non satis est, si vere eo attingatur medium ex natura rei, fiatque id, quod in se iustum est, sed ulterius requiritur, ut qui eum elicit, sciens et eligens propter hoc ipsum eum eliciat.“
56
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
werden und er kann somit nicht die Verantwortung für seine Handlungen übernehmen.²¹⁴ Dies wird von Bedeutung sein, wenn untersucht wird, ob dem subjektiven Recht eine moralische Komponente innewohnt. Die Unterteilung des Rechts führt Molina auf zwei Weisen durch, nach Art der Theologen und nach Art der Juristen. Erstere wird selbstverständlich ausführlicher behandelt, denn im consilium autoris hatte Molina bereits angekündigt, dass die Theologen aufgrund ihrer fachspezifischen Bildung die Juristen in ihrem Verständnis dieser Sachverhalte weit überträfen. Als Textquellen der juristischen Einteilung des Rechts dienen Molina De Iustitia et Iure aus den Digesten und De iure naturali gentium et civili aus den Institutiones, die ihm zufolge die klare und umfassende Unterteilung des Rechts der Theologen allerdings gänzlich in Dunkelheit zu hüllen scheinen.²¹⁵ Zunächst unterscheidet er gemäß Thomas von Aquin zwei Formen des von Gott selbst erlassenen Rechts, das natürliche göttliche Recht (ius divinum naturale) und das positive göttliche Recht (ius divinum positivum). Das natürliche göttliche Recht ist dem menschlichen Geist und den natürlichen Dingen eingeprägt und lässt Gottes Geschöpfe erkennen, was von Natur aus gut oder böse ist bzw. was von Natur aus zu tun oder zu unterlassen ist.²¹⁶ So wüssten zum Beispiel auch Heiden, welche Handlungen gut oder böse sind, obwohl sie mit der Botschaft Gottes nicht vertraut seien, da ihnen das natürliche Gesetz in die Herzen eingeschrieben sei, wie Molina mit der bekannten Stelle aus dem zweiten Kapitel des Römerbriefes²¹⁷ erläutert. Das positive göttliche Recht hat Gott über die Dinge erlassen, die nicht durch das natürliche Recht erkannt werden könnten wie die Gebote der Taufe, der Beichte etc. und die er daher durch einen seiner Diener wie Moses, den Apostel, Engel bzw. die Heilige Schrift den Menschen mitteilt.²¹⁸ Die Rechtsgelehrten wüssten nichts über das übernatürliche Recht, so Molina und unterschieden daher lediglich das Naturrecht (ius naturale), das Recht der Völker (ius gentium) und das bürgerliche Recht (ius civile).²¹⁹ Im Anschluss an die Unterscheidung zwischen ius divinum naturale und ius divinum positivum stellt Molina folgende zweifache Unterteilung des Rechts auf,²²⁰ mit der er den Anspruch erhebt, die theologische und juristische Unterteilung miteinander zu verbinden:
In Kapitel 4 wird das Verhältnis zwischen Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und deren Bedeutung für das Recht bzw. den Rechtsträger ausführlicher behandelt. DIEI I 3, 12: „Primo autem loco constituemus cum Theologis dilucidam ac universalem quaedam iuris divisionem. Deinde vero cum ea conciliabimus quandam aliam quae ff. de iustitia et iure, et instituta de iure naturali gent. et civili habetur: quae sane tenebras huic rei videtur effundere.“ cf. DIEI I 3, 12−13 cf. Röm. 2, 12−16 cf. DIEI I 5, 20 cf. DIEI I 6, 21−22 cf. DIEI I 3, 13
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
I
ius divinum
!
57
ius humanum (gänzlich positiv)
naturale ! positivum
II
ius naturale
ius positivum divinum
humanum gentium – civile – canonicum
Durch dieses Schaubild wird deutlich, dass Naturrecht immer ein Teil des göttlichen Rechts ist (I). Rechte, die jemandem gemäß der Natur zukommen, entstammen somit letztlich dem göttlichen Recht. Menschliches Recht ist immer positives Recht, das wiederum sowohl als göttliches wie menschliches Recht in Erscheinung treten kann (II). Damit verknüpft Molina die Rechtsauffassung der Theologen und Juristen, denn positives Recht kann so nicht als dem Naturrecht entgegengesetzt aufgefasst werden, sondern vom Naturrecht abgeleitet und letztlich aus dem ius divinum hergeleitet. Menschliches positives Recht wird in verschiedene Bereiche menschlichen Miteinanders aufgeteilt: Zum kanonischen Recht (ius canonicum) zählt Molina die Beschlüsse sämtlicher Kirchendiener (das heißt nicht nur der Päpste) zur Regierung der Kirchengemeinschaft in Abgrenzung zum weltlichen Recht. Das bürgerliche Recht (ius civile) bestimmt Molina als das Recht, das jeder Bürgerschaft oder jedem Reich jeweils eigentümlich ist und das dadurch vom Naturrecht und Recht der Völker (ius gentium) zu unterscheiden ist, die beide in allen politischen Gemeinschaften allerorts gelten.²²¹ Um zu unterscheiden, ob etwas zum Naturrecht oder zum positiven Recht gehört, stellt Molina folgende Regel auf: Wenn die Verbindlichkeit (obligatio) aus der Natur der Sache (natura rei) entsteht, die geboten oder verboten wird, weil sie in sich zu tun notwendig ist […], oder weil sie in sich unerlaubt und böse ist […], dann gehört das Gebot bzw. Verbot zum Naturrecht. Wenn aber die Verbindlichkeit nicht aus der Natur der Sache entsteht, die geboten oder verboten wird, sondern durch das Gebot und den Willen des Verbietenden […], dann gehört das Gebot bzw. Verbot zum positiven Recht.²²² (Hervorhebungen D.S.)
cf. DIEI I 3, 14: „Altero modo potest ius civile usurpari pro eo, quod est proprium cuique civitati aut regno. Sumptum vero hoc modo, distinguitur a iure naturali et a iure gentium, estque membrum dividens nostrae divisionis.“ DIEI I 4, 14−15: „Regula ergo generalis ad dignoscendum, num aliquid ad ius naturale, an ad positivum pertineat, haec est. Si obligatio oritur a natura rei quae praecipitur aut prohibetur, quia videlicet in se est necessaria ut fiat, ut est subvenire extreme indigent, vel quia in se est illicita et mala, ut furari, adulterari, mentiri, tunc praeceptio aut prohibitio pertinent ad ius naturale: si vero obligatio non oritur a natura rei quae praecipitur aut prohibetur, sed a praecepto et voluntate prohibentis, esto
58
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Zwar lehre uns die Natur durch das Naturrecht selbst, was zu tun notwendig ist, damit die Tugend unversehrt bleibe, doch könnten sich beim Herleiten der Folgerungen aus den ersten Grundsätzen des Naturrechts auch leicht Fehler einschleichen, wie Molina einräumt.²²³ Auch wenn Molina sich nicht so ausführlich wie sein Ordensbruder Francisco Suárez mit den verschiedenen Ordnungen der Grundsätze des Naturrechts beschäftigt,²²⁴ so stimmt er doch mit Suárez und der gängigen Meinung in der Schule von Salamanca darin überein, dass „die Veränderung dessen, was zum Naturrecht gehört, nicht aufgrund einer Veränderung […] zustande kommt, die am Gesetz der Natur stattfindet, sondern aufgrund des Dazukommens eines Umstandes, der den Gegenstand aus der Zahl der Dinge ausschließt, auf die sich dieses Gesetz bezieht.“²²⁵ Wird etwas zum Beispiel als rechtswidrig angesehen, das zuvor geltendes Recht war, dann nicht etwa, weil sich im Naturrecht selbst etwas geändert hat, sondern weil mit dem Objekt eine Veränderung vor sich gegangen ist, so Molina.²²⁶ Das Naturrecht bzw. die natürlichen Gesetze selbst sind unveränderlich. Im Rahmen ihrer Untersuchung der ‚biblischen Skandalfälle‘ Abrahams, Hoseas und der Israeliten und der Frage nach der Wandelbarkeit des natürlichen Gesetzes zeigt Isabelle Mandrella die Einigkeit in der Verneinung dieser Frage bei verschiedenen Autoren der Schule von Salamanca auf und arbeitet unterschiedliche Argumentationsformen bei Francisco de Vitoria, Gabriel Vázquez (1549−1604) und Francisco Suárez heraus. So verweise Vitoria auf zwei verschiedene Weisen, Gott zu betrachten: zum einen als Herrn aller Dinge (creator bzw. dominus) und zum anderen als Gesetzgeber (legislator).²²⁷ Als Gesetzgeber dispensiere Gott niemals vom natürlichen Gesetz, denn in zweifelhaften Fällen wie dem Befehl Gottes an Abraham, seinen Sohn Isaak zu töten, trete Gott als Herr und Schöpfer auf und nicht als Gesetzgeber, sodass Gottes Handeln hier als Handeln auctoritate domini zu begreifen sei und Gott damit nicht als Gesetzgeber im Widerspruch zum natürlichen Gesetz gebiete.²²⁸ Als Schöpfer schaffe Gott in solchen Fällen bestimmte Umstände, die in dieser Situation ein an-
ex parte rei sit congruitas et exigentia quaedam ut praecipiatur aut prohibeatur, pertinent ad ius positivum.“ cf. DIEI I 4, 15. Suárez unterteilt die Gebote des Naturgesetzes in drei Ordnungen: 1. allgemeine Prinzipien (das Gute ist zu tun, das Böse zu meiden), 2. unmittelbare Konklusionen aus den allgemeinen Prinzipien (Dekalog) und 3. Gebote, die sich nicht unmittelbar aus den ersten beiden Ordnungen erschließen lassen. Cf. DLDL lib. II, cap. 15. DIEI I 4, 16: „Variatio namque eorum, quae sunt de iure naturali, non evenit propter variationem, aut mutationem quae in lege naturali fiat, sed propter adventum circumstantiae quae extrahit obiectum a numero eorum quae lex ea comprehendebat: quare fit sine ulla dispensatione aut mutatione legis […].“ DIEI II 20, 152: „Porro ea prohibitio desinit esse contra ius naturale non quidem variatione facta in iure naturali, quod in se mutationi ac variationi minime est subiectum, sed facta variatione in obiecto […].“ cf. Mandrella (2002, 202) cf. Mandrella (2002, 203)
3.1 Grundlegende Aspekte der Gerechtigkeit im ersten Traktakt von De Iustitia et Iure
59
deres Verhalten der Menschen erfordern. Aber es findet keine Veränderung am natürlichen Gesetz statt, denn nicht einmal Gott könne als legislator vom natürlichen Gesetz dispensieren, da, wie Mandrella hervorhebt, man Gott anderenfalls Lügen und Täuschungen vorwerfen könnte und auf Gottes Gebote kein Verlass wäre. Auch als Schöpfer könne Gott nicht vom natürlichen Gesetz dispensieren, denn dies würde bereits vor der Schöpfung bestehende Gesetze voraussetzen und Gott als absolutem Herrscher widersprechen.²²⁹ Auch für Suárez zeige das natürliche Gesetz nicht Gott als Gebietenden an, sondern was an sich gut oder an sich schlecht sei²³⁰ und auch er löse die Frage, ob Gott vom natürlichen Gesetz, dessen Gesetzgeber er ist, dispensieren könne, mithilfe des „traditionelle[n] Verweis[es] auf den veränderten Blickwinkel auf Gott: gubernator et iudex statt legislator.“²³¹ Wenngleich das Naturgesetz bei Suárez „wahres und eigentliches göttliches Gesetz ist, dessen Gesetzgeber Gott ist,“²³² so begründet er die Unveränderlichkeit des Naturgesetzes letztlich auch mit der natura rei-Lehre, denn „die naturgesetzlichen Gebote sind in ihrer essentiellen Qualität dem göttlichen Intellekt vorgeordnet.“²³³ Auch Vázquez, den Mandrella in ihre Expertise der Frage nach der Veränderlichkeit des natürlichen Gesetzes in der Schule von Salamanca ebenfalls miteinbezieht, erklärt einen Dispens vom natürlichen Gesetz für unmöglich. Als wesentlichen Grund für die Ablehnung einer Dispensationsmöglichkeit bei Vázquez nennt Mandrella sein „Verständnis des von Natur aus Schlechten (und vice versa Guten), das nicht darin begründet ist, daß Gott es verboten hat, sondern aus der Diskrepanz zur rationalen Natur entsteht. Diese Konvenienz und Diskonvenienz zur rationalen Natur, insofern sie rational ist, kann Gott ebenso wenig verändern wie die Naturen der Dinge selbst.“²³⁴ Vázquez geht sogar so weit, dass er aufgrund der rationalen Natur der sittlichen Normativität eine göttliche Urheberschaft abspricht. Wie im vierten Kapitel zur menschlichen Selbstbestimmung bei Molina
cf. Mandrella (2002, 204) cf. Mandrella (2002, 236) Mandrella (2002, 248) Mandrella (2002, 239) Mandrella (2002, 245) Mandrella macht auf die Unverkennbarkeit der „scotische[n] Provenienz dieser These [von Suárez], die sich bis in den Wortlaut hinein nachweisen läßt“ aufmerksam, auch bereits in ihrer Diskussion von Vitorias De homicidio, in deren Kontext sie erwähnt, die „scotische Lehre des ,formaliter ex se‘, die besagt, daß die Wesensnaturen der Dinge ihrer inneren Möglichkeit nach nicht nur dem Wollen, sondern auch dem Erkennen Gottes vorgängig sind“ sei in Molinas Konzeption des Naturrechts noch ausgeprägter als bei Vitoria. In Kapitel 4 dieser Untersuchung wird der Einfluss von Duns Scotus auf die Willensmetaphysik Molinas herausgestellt, der sich über diesen Weg auch in der Rechtslehre Molinas nachweisen lässt. Die hier zitierte Passage findet sich bei Suárez DLDL lib. II, cap. 5, n. 4 (III, 62): „ […] praecepta huius legis sunt vel principia per se nota ex terminis vel conclusiones evidenti necessitate ex illis elicitae, quae sunt priores omni iudicio rationis, non solum intellectus creati sed etiam ipsius intellectus divini. Sicut enim essentiae rerum, quatenus non implicant contradictionem, sunt tales vel tales in esse essentiae ex se et ante omnem causalitatem Dei et quasi independenter ab ipso, ita honestas veritatis et turpitudo mendacii talis est ex se et secundum aeternam veritatem.“ Mandrella (2002, 222)
60
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
herausgearbeitet wird, entzieht aber auch Vázquez die menschliche Autonomie nicht des göttlichen Einflusses bzw. nicht (gänzlich) der göttlichen Urheberschaft: „Weil Gott das erste widerspruchsfreie Seiende ist, folgt, dass der Mensch keinen Widerspruch in sich einschließt und dass gewisse Dinge ihm entsprechen und andere nicht. Folglich könne man Gott ,hoc modo consideratum‘ die Wurzel des Naturgesetzes nennen.“²³⁵ Im Folgenden soll nun Molinas Definition des Rechts untersucht werden, nach der das Recht als subjektives Recht interpretiert wird. Dabei soll auch berücksichtigt werden, inwiefern die rechtsmetaphysischen Grundlagen aus dem ersten Traktat mit den Beispielen für subjektives Recht, Eigentum (dominium proprietatis) und Herrschaft (dominium iurisdictionis) übereinstimmen und eine Kontinuität in Molinas Rechtslehre bilden können.
3.2 Molinas Definition des ‚subjektiven Rechts‘ Zu Beginn des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure gibt Molina folgende Bestimmung von ius, die als subjektives Recht aufgefasst werden kann, wie im Anschluss an die Definition erläutert wird: ius bestimmt Molina als „die Fähigkeit (facultas), etwas zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise zu verhalten, sodass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne legitimen Grund entgegengewirkt wird.“²³⁶ (Hervorhebung D.S.) Er betont, dass seiner Auffassung zufolge das Recht nicht besser als durch diese Definition bestimmt werden könne.²³⁷ Gemäß der Definition ist nach Molina durch das subjektive Recht ein Maßstab für Unrecht gewonnen: „so sehr ihm nämlich ohne legitimen Grund entgegengewirkt und Abbruch getan wird, so sehr geschieht Unrecht.“²³⁸ Dem Rechtsträger kommt also eine Fähigkeit (oder ein Vermögen) zu, aufgrund dessen er bestimmte Rechtsansprüche gegenüber anderen geltend machen kann. Wenn diesen Rechtsansprüchen nicht entsprochen wird, stellt dies ein Unrecht dar. Die Bestimmung von ius als facultas zielt auf die Ausübung von Rechten, denn Molina bestimmt ius nicht einfach als Potenzial oder possibilitas, durch das eine Mandrella (2016, 143) DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“ Vonlanthen (1964, 15−17) berücksichtigt in seiner Untersuchung zum subjektiven Recht zwar nur Suárez, Molina scheint ihm unbekannt, doch hält auch er letztlich fest (Vonlanthen 1964, 126−127): „Jedenfalls muß sich in ihm [dem subjektiven Recht, D.S.] die fundamentalste Urform des Rechts an sich abbilden.“ Objektives Recht offenbart „seinen ganzen Wesensgehalt“ für Vonlanthen hingegen durch den Ausdruck ,Gesetz‘. Er weist darauf hin, dass subjektives Recht zwar die Urform, aber nicht die einzige „Wirklichkeit in der Welt der Rechtserscheinungen“ bilde, Vonlanthen (1964, 131). DIEI II 1, 40: „Quo fit, ut ius in hac acceptione sit quasi censura iniuriae; quantum enim ei, sine legitima causa contravenitur et praeiudicatur, tantum fit iniuriae.“
3.2 Molinas Definition des ‚subjektiven Rechts‘
61
Möglichkeit zum Recht gegeben ist. Als facultas ist die Ausübung eines Rechts nicht einfach nur möglich, zum Beispiel, wenn alle Umstände die Ausübung eines Rechts ermöglichen, sondern verbindlich umzusetzen, wenn der Rechtsträger von seinem Recht Gebrauch machen will oder, um Molinas Argumentation zu folgen, der Rechtsträger darf niemals an der Ausübung seines Rechts gehindert sein. Denn er erklärt dies ex negativo: Wird jemand ohne legitimen Grund daran gehindert, Rechte auszuüben oder von ihnen Gebrauch zu machen, so stellt dies ein Unrecht dar.²³⁹ Dass Molina hier vom subjektiven Recht gemäß der Definition, die später von Luhmann für subjektive Rechte als „Rechte, die einem Subjekt ohne weitere Begründung zustehen“ handelt,²⁴⁰ lässt sich nun an Beispielen zeigen, die Molina in seiner Eigentumslehre, die durch die hier wiedergegebene Bestimmung von ius eröffnet wird, aufführt. Er erläutert genauer, welche Rechte als Konsequenzen der facultas hervorgehen und dass jeder über diese facultas verfügt: „Die Fähigkeit, die aus der Natur der Sache (ex natura rei) ein jeder besitzt, seine Dinge zu benutzen, wie sein eigenes Essen zu verzehren, sein eigenes Gewand anzulegen, die Äpfel von seinen Bäumen zu pflücken, im eigenen Haus herumzugehen, oder auf einer öffentlichen Straße, ist das Recht, über das wir gerade sprechen.“²⁴¹ (Hervorhebung D.S.) Der Hinweis, dass ein jeder das als facultas verstandene Recht ex natura rei besitzt, ist hierbei entscheidend: Gemäß der natura rei-Lehre hat jedes Ding bzw. jeder Sachverhalt oder jede (rechtliche) Angelegenheit eine eigene, unveränderliche Natur bzw. Substanz, wie im vorangegangenen Kapitel bereits erläutert wurde. Die im oben genannten Zitat beschriebene Fähigkeit, die das subjektive Recht darstellt, gehört daher zur Natur des Menschen als Rechtsträger bzw. genauer gesagt zur natürlichen Einrichtung der Dinge, derzufolge der Mensch Rechtsträger ist und zumindest über sein eigenes Hab und Gut verfügt bzw. über Gemeineigentum. Diese natürliche Fähigkeit setzt der Mensch als „human institution“ um in ein positives Rechtssystem, wie Jörg Tellkamp erklärt.²⁴²
Alejandro Guzmán Brito (2009, 181) wirft Molina mit der Bestimmung des Rechts als Maßstab für Unrecht vor, tautologisch zu argumentieren: „Pero ambas fórmulas son viciosas. Iniuria es lo contrario al ius. Por ende, declarar que tanto hay de derecho cuanto haya de injuria, equivale a decir que tanto hay de derecho cuanto haya de contrario al derecho; lo que es tautológico.“ (Hervorhebungen im Original.) Ich widerlege diesen Vorwurf, wenn ich in Kapitel 4.5 der vorliegenden Untersuchung das Verhältnis von Rechten und Pflichten im subjektiven Recht analysiere. siehe Kapitel 2.1 DIEI II 1, 40: „Facultas, quam ex natura rei habet unusquisque, ad utendum rebus suis, ut ad comedendum proprium cibum, ad induendum propriam vestem, ad dercerpenda ex arboribus suis poma, ad ambulandum in propria domo, aut in via publica, est ius, de quo modo luquimur: […].“ Tellkamp (2014, 141−142): „For Molina dominium is a human institution, derived from natural or positive right, under the assumption that human beings not only have in fact the proper faculties to relate to corporeal and incorporeal things, but that they can, in virtue of their ability to argue and give reasons, express claims regarding those things as long as those claims do not contradict natural or positive laws. As a human institution, dominium has various forms […]: property (dominium proprietatis) and political power (dominium iurisdictionis).“
62
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Nun lassen sich folgende wesentliche Merkmale des subjektiven Rechts bei Molina bestimmen: 1. Gemäß der Natur kommt einem jeden diese Fähigkeit zu. Als Mensch verfügt der Rechtsträger gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge über das subjektive Recht. 2. Die subjektiven Rechte bestehen vor allem darin, Zugang zum Lebensnotwendigen zu haben, vor allem zur Nahrung, insbesondere, wenn sie eigenständig erwirtschaftet worden ist. 3. Da mittels des subjektiven Rechts vorrangig lebensnotwendige Bedürfnisse beansprucht werden, stellt das illegitime Abhalten und Hindern des Rechtsträgers an diesen ein Unrecht dar. 4. Insbesondere Eigentumsrechte an persönlichen und gemeinschaftlichen (öffentlichen) Gütern zählen zu subjektiven Rechten. 5. Die Fähigkeit oder das Vermögen (facultas) wird ausdrücklich als Recht bezeichnet (wie bereits in der Definition). Doch wie lässt sich diese als Recht bezeichnete facultas genauer verstehen bzw. was zeichnet sie aus? Molina gibt dazu einige Hinweise: Die dem subjektiven Recht zugrunde liegende facultas ist an die Vernunft und den freien Willen geknüpft, denn nach Molina sind jene Fähigkeiten vom Begriff des Rechts ausgeschlossen, „die der Vernunft und des freien Willens gemäß ihrer Natur entbehren.“²⁴³ Aus diesem Grund geschieht niemandem ein Unrecht, der es an beiden mangeln lässt und daher vergeblich sein subjektives Recht einfordert, was Molina anhand des Wahnsinnigen im Depositum-Beispiel verdeutlicht, der bei Rückgabe einer von ihm hinterlegten Waffe jemand anderen in seinem Wahn töten könnte und dem deshalb das Recht auf Rückgabe seines Eigentums legitimerweise verwehrt bleibe. Aufgrund des Mangels an Vernunft und freiem Willen zählen die Fähigkeiten der vernunftlosen Wesen wie Tiere oder Steine nicht zum Recht und daher könne, so Molina gegen Jean Gerson und Konrad Summenhart, diesen auch kein Unrecht widerfahren: „Derartige Dinge sind nämlich eben dadurch, dass sie keinen freien Willen haben, auch für Unrecht nicht empfänglich. Folglich gilt: Wie ihnen dadurch gar kein Unrecht angetan wird, dass ihren Fähigkeiten in irgendeiner Weise entgegengewirkt wird, so haben auch ihre Fähigkeiten nicht die Bestimmung des Rechts.“²⁴⁴
DIEI II 1, 41: „facultates rerum omnium ratione & libero arbitrio suapte natura carentium, […].“ DIEI II 1, 41: „Cum enim eiusmodi res eo ipso, quod libero arbitrio praedita non sint iniuriae non sint capaces, sane ut in eo, quod earum facultatibus quaecumque ratione contraveniatur, nulla eis fit iniuria. Sic nec facultates illae iuris rationem habent.“ Kindern und geistig Behinderten, deren freier Wille noch nicht entwickelt oder eingeschränkt ist, spricht Molina das dominium dennoch nicht ab (DIEI II 18), wie in Kapitel 4.4 gezeigt wird. Da sie nämlich trotz allem Menschen sind, muss ihnen gemäß der natura rei-Lehre prinzipiell das Vermögen zugesprochen werden, über dominium verfügen zu können, da dies gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge dem Menschen entspricht.
3.2 Molinas Definition des ‚subjektiven Rechts‘
63
An Gegenständen und Tieren selbst kann zwar kein Unrecht ausgeübt werden, aber durchaus gegenüber ihren menschlichen Herren, zum Beispiel, wenn jemand ohne legitimen Grund den Tieren die Nahrung verwehrt, indem er den Schafen eines anderen den Zugang zu einer öffentlichen Weide versagt. In diesem Zusammenhang führt Molina an, dass eine Verletzung des subjektiven Rechts dem Geschädigten einen Anspruch auf Wiedergutmachung bzw. Schadensersatz zuspricht: „[…] sodass wer einer solchen Fähigkeit entgegenwirkt, indem er jemandes Schafe ohne legitimen Grund an derartiger Nahrungsaufnahme hindert, ein Unrecht begeht, nicht allerdings gegenüber den Schafen, sondern gegenüber deren Herrn, und er ist gehalten, jenem den Schaden zu ersetzen, den jener aus dieser Ursache hingenommen hat.“²⁴⁵ Einer Verletzung des subjektiven Rechts kommt also die Pflicht der Wiedergutmachung (restitutio) zu. Es sei darauf hingewiesen, dass Molina nur jemanden, der ein ius in re, das heißt ein Recht über eine Sache innehat, als Rechtsträger eines subjektiven Rechts bzw. als Herren einer Sache anerkennt, nicht jemanden, der bloß ein ius ad rem, ein Recht auf eine Sache, für sich beanspruchen kann. Das ius in re bestimmt er wie folgt: „Das Recht über eine Sache […] kann nicht angemessener definiert werden, als […] ein eine Sache betreffendes Recht, gemäß dem die Sache selbst jemandem verbindlich gemacht wurde [das heißt jemandem zum Eigentum erklärt wurde, D.S.].“ Dagegen besteht ein ius ad rem bereits, wenn „die Sache selbst noch nicht verbindlich gemacht wurde“²⁴⁶ und jemand nur einen Anspruch auf eine Sache erheben kann, die nicht oder noch nicht sein Eigentum ist, wie zum Beispiel im Falle eines noch anzutretenden Erbes. Für zweifelhafte Fälle hält Molina fest: „Wenn es aus dem dominium oder irgendeiner Rechtsverfügung nicht feststeht, dass ein Recht, das jemand im Hinblick auf eine Sache bereits vor deren Übergabe hat, ein Recht über die Sache ist, ist jenes lediglich für ein Recht auf eine Sache zu halten.“²⁴⁷ Nur wenn ein ius in re besteht, könne der Inhaber des Rechts die Sache gebrauchen, genießen, verkaufen, verpachten, einklagen und eben Schadensersatz einfordern, das heißt, wenn er den Besitz verloren hat, kann er diesen zurückfordern oder sich etwas Entsprechendes erstatten lassen, sollte der Besitz dauerhaft verloren gegangen sein. Im oben genannten Beispiel müsste derjenige, der die Schafe eines anderen am Grasen auf der öffentlichen Weide hindert, dem Besitzer der Schafe im Falle eines verhungerten Schafes das Schaf ersetzen. Das Schafe-Beispiel verdeutlicht, dass ein ius in re auch bei öffentlichem Eigentum besteht (ansonsten könnte Molina hier
DIEI II 1, 42: „[…] sane qui tali facultati contraveniret, pecora alicuius sine legitima causa a simili pastu prohibendo, iniuriam faceret, non quidem pecoribus, sed illorum domino, tenereturque illi restituere damnum, quod ea de causa accepisset.“ DIEI II 2, 43: „Ius in re, tenui meo iudicio, non aliter potest commodius definiri, quam si dicamus. Est ius circa rem aliquam, ad quod res ipsa devincta est. Ius vero ad rem, Est ius circa rem aliquam, ad quod res ipsa nondum est devincta.“ DIEI II 2, 50: „Quando ex dominio, aut dispositione alicuius iuris, non constat, ius, quod quis ante traditionem comparatione alicuius rei habet, esse ius in re, censendum est illud esse dumtaxat ius ad rem.“
64
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
nicht auf einen Schadensersatz hinweisen). Molina erwähnt auch ein dominium proprietatis über Orte und Dinge, „die der Allgemeinheit nach dem Recht der Allgemeinheit gehören“ und „die der Allgemeinheit so zu eigen sind, dass sie zum Gebrauch einzelner bestimmt sind.“²⁴⁸ In der Rechtspraxis dürfte es bei kollidierenden iura in re ²⁴⁹ verschiedener einzelner Personen am öffentlichen Eigentum bzw. Gemeineigentum mitunter zu Konflikten kommen. In rechtsmetaphysischer Hinsicht ist eine Kollision von Rechten freilich unmöglich, da nach der Bestimmung von ius als facultas eine Hinderung des Rechtsträgers an der Ausübung seines Rechts ein Unrecht darstellt. Molina beschreibt die in der genannten Definition von ius als Recht bezeichnete facultas eindeutig als rechtliche Relation: „Ich antworte, dass sie nichts anderes ist als ein Verhältnis, eine Beziehung der Person, von der die Rede ist, zu dem wozu es eine solche Fähigkeit ist.“²⁵⁰ Das subjektive Recht stellt also eine relative Verbindung des Rechtssubjekts zu einem Objekt, beispielsweise des Eigentums, dar und es stellt ein Unrecht dar, wenn das Subjekt ohne legitimen Grund an dieser als Recht aufgefassten facultas gehindert wird, wie zu Beginn dieses Abschnitts gezeigt worden ist. Molina weist auf einen wichtigen Aspekt im Hinblick auf das Verhältnis des subjektiven Rechts und der Gerechtigkeit hin, der aus der Deutung des subjektiven Rechts als relativer Verbindung zwischen einem Subjekt und einem Objekt folgt. Wenngleich jemandem ein Unrecht getan wird, sobald er ohne legitimen Grund in seinem subjektiven Recht gehindert wird, und der Hindernde „immer in die Ungerechtigkeit verfällt“,²⁵¹ so zählen die Handlungen selbst im subjektiven Recht nicht zum Bereich der Gerechtigkeit, „da die Gerechtigkeit sich auf den anderen richtet; dieser [das ist der im Sinne des subjektiven Rechts Handelnde, D.S.] aber nimmt mit dieser Art von Handlungen keineswegs auf einen anderen Rücksicht.“²⁵² Zwar soll erst in Kapitel 4.6 genauer untersucht werden, ob das subjektive Recht bei Molina eine moralische Komponente beinhaltet und zu welchen Konsequenzen die Klärung dieser Frage für Molinas Rechtslehre führt, doch muss an dieser Stelle bereits erklärt werden, wie es zu verstehen ist, dass Handlungen nach dem subjektiven Recht nicht auf einen anderen gerichtet sind. In der Concordia entwickelt Molina einen Begriff des freien Willens, der durch ein vorangegangenes Vernunfturteil als frei qualifiziert wird und in der Folge notwendig Gutes, das heißt sittliche Handlungen DIEI II 3, 57: „Dominium locorum, seu rerum pertinentium ad universitatem iure universitatis, est dominium, non quidem iurisdictionis, sed proprietatis comparatione eorum locorum aut rerum, quae ita sunt universitatis propriae, ut ad singulorum usum sint deputatae.“ Mit Hinblick auf das rechtliche Verhältnis zwischen Herren und Sklaven, das später untersucht wird, kann bereits jetzt schon festgehalten werden, dass der Herr ein ius in re bezüglich seines Sklaven hat, wenn er dessen legitimer Herr ist. DIEI II 1, 42: „Respondeo, non esse aliud, quam habitudinem, seu relationem personae, a qua habent, ad id ad quod est talis facultas.“ DIEI II 1, 42: „[…] semper, […], in iniustitiam incidat […].“ DIEI II 1, 42: „eo quod iustitia sit ad alterum; is vero eiusmodi actibus nequaquam alterum respiciat.“
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
65
wollen muss. Dabei ermöglicht Gottes Gnade dem freien Willen (aufgrund des ihm inhärenten Vernunfturteils), Handlungen als sittlich gut zu erkennen. Um Träger eines subjektiven Rechts sein zu können, wird in De Iustitita et Iure ebenfalls der freie Wille des Rechtsinhabers vorausgesetzt: Das subjektive Recht äußert sich als freie Entscheidung bzw.Vermögen zur Freiheit, wie aus der anschließenden Untersuchung des dominium bei Molina hervorgehen wird. Wenn also der freie Wille, dessen notwendiges Ziel das sittlich Gute ist, Voraussetzung für subjektives Recht ist, kann von einer moralischen Komponente des subjektiven Rechts in Molinas Rechtslehre ausgegangen werden. Als rein rechtlich betrachtete Beziehung zwischen einem Rechtsträger und einem Rechtsobjekt, wie zum Beispiel einem Eigentumsobjekt, ist das subjektive Recht als moralisch indifferent zu qualifizieren.²⁵³ Dass Handlungen im subjektiven Recht sich formal nicht auf zwei Rechtssubjekte beziehen, das heißt nicht auf einen anderen beziehen, bedeutet aber nicht, dass sie jenseits von moralischen Maßstäben bzw. jenseits der Gerechtigkeit liegen. Wird jemand an der Ausübung seines Rechts gehindert, stellt dies gemäß der Definition ein Unrecht dar. Das Recht, das laut Molina nicht treffender als durch die Definition als subjektives Recht bestimmt werden kann, wird als Gegenstand der Gerechtigkeit aufgefasst. Im ersten Traktat von De Iustitia et Iure wird in aristotelisch-thomistischer Tradition als Ziel der Gerechtigkeit und Aufgabe des Rechts das Gemeinwohl der Bürger bestimmt: Der moralische Anspruch im subjektiven Recht kann also gerechtfertigt werden. Molina bestärkt dies durch ein Zitat aus Ulpians De Iustitia et Iure: „‚Die Vorschriften des Rechtes sind diese: ehrenhaft zu leben, den Anderen nicht zu schädigen, jedem das Seine zuzuteilen.‘²⁵⁴ Unter diesen Worten werden nicht allein die Vorschriften der Gerechtigkeit begriffen.“²⁵⁵ Am Beispiel des dominium kann die These der moralischen Relevanz des subjektiven Rechts besonders deutlich untermauert werden. Dies wird erst im Laufe des vierten Kapitels ausführlich diskutiert werden. Im Folgenden wird das dominium vorgestellt.
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium Niklas Luhmann stellt im zweiten Band seines Buches Gesellschaftsstruktur und Semantik die folgende These auf:
Brett (2014, 165): „the perspective of the common good is absent.“ Dig. 1,1,10,1. DIEI I 1, 5: „Quo circa recte Ulpianus. I. iustitia. ff. de iustitia & iure; Iuris, inquit, praecepta sunt haec, honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique; tribuere; quibus verbis non sola iustitiae praecepta comprehenduntur.“
66
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Die Spätscholastik hatte, vor allem bei jesuitischen Autoren, den Gedanken der natürlichen Freiheit herausgestellt. Ihr Freiheitsbegriff deckte sich weitgehend mit dem Herrschaftsbegriff (dominium) und beides konnte am Eigentum illustriert werden. Als natürliche Freiheit hatte sie verstanden die potestas in seipsum: die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen körperlichen und geistigen Bewegungen. Sie hatte diesen Gesichtspunkt jedoch nicht als Problem aufgefaßt; sie hatte ihn in Analogie auf den politischen Körper übertragen, dessen eigene natürliche Freiheit die seiner Glieder, der Einzelmenschen, beschränke, weil sie in deren Kontrolle bestehe. Beide, der individuelle und der soziale Körper, erhalten ihre Freiheit (im Sinne von Herrschaft über sich selbst) unmittelbar von Gott und sind dadurch Elemente einer Ordnung.²⁵⁶
Luhmann stützt seine These hauptsächlich auf den Jesuiten Francisco Suárez. Ob Luhmann allerdings Suárez adäquat interpretiert, wenn er behauptet, der politische Körper könne die natürliche Freiheit seiner Glieder, der Einzelmenschen, beschränken, ist allerdings fraglich, da für Suárez die politische Gemeinschaft erst durch einen gemeinsamen Willensakt und Konsens konstituiert wird, wie Dominik Recknagel hervorgehoben hat.²⁵⁷ Als Folge eines gemeinsamen Willensaktes sollte der politische Körper also eigentlich im Einklang mit der natürlichen Freiheit der Individuen stehen (zumindest im Idealfall). Inwieweit Luhmanns These einer Gleichbedeutung des Freiheitsbegriffs mit dem dominium auf Molinas Konzeption zutrifft, soll unter Berücksichtigung folgender Fragen untersucht werden: 1. Inwiefern kann der Begriff des dominium bei Molina als Freiheit interpretiert werden? Das heißt, können Herrschaft und Eigentum als Freiheit verstanden werden und als welche Form von Freiheit: als Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und/oder rechtliche Freiheit? 2. Wenn diese erste Frage zu einem positiven Ergebnis führen sollte, kann dann von einer natürlichen Freiheit die Rede sein? 3. Mit Blick auf die Freiheit als Rechtsbegriff wirft das Luhmann-Zitat die Frage auf, wie es sich in Analogie der natürlichen Freiheit des Individuums mit der natürlichen Freiheit des ‚politischen Körpers‘ verhält, die Luhmann beide als ‚Herrschaft über sich selbst‘ interpretiert hat und die als Elemente einer Ordnung, nämlich Gottes Ordnung, nicht miteinander kollidieren dürften? 4. Schließlich stellt sich die Frage, ob einem natürlichen, dem Menschen unmittelbar von Gott gegebenen dominium eine Komponente von Verantwortung kohärent ist, wenn sich mit Luhmann der Freiheitsbegriff der Spätscholastik mit dem Herrschaftsbegriff decken soll? Diese Fragen stellen also in gewisser Weise die Grundlage der kritischen Analyse der Kapitel 3−5 dar und werden immer wieder aus neuen Perspektiven betrachtet (Kapitel 3: Rechtfertigung von Eigentum, Legitimation von Herrschaft und Berück-
Luhmann (1993, 59−60) (Hervorhebung im Original) cf. Recknagel (2010, 109)
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
67
sichtigung des bonum commune, Kapitel 4: Willensfreiheit und Handlungsfreiheit als Voraussetzung für rechtliche Freiheit, Verantwortung und individuelle Selbstbestimmung, Kapitel 5: der rechtliche Status von Sklaven, Pflichten der Herren, Selbstverkauf). Dass die Einschätzung Luhmanns auch auf Molina zutrifft, lässt sich leicht zeigen. Molina verwendet dominium in den bereits angesprochenen zwei Bedeutungen: zum einen als dominium iurisdictionis, das heißt als Herrschaft, und zum anderen als dominium proprietatis, als Eigentum. Allgemein bestimmt Molina das dominium gemäß der Definition des Bologneser Juristen Bartolus de Saxoferrato (1314−1357) als „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist.“²⁵⁸ Voraussetzung für dominium ist ein freier Wille: „Denn aufgrund der Tatsache, dass vernunftbegabte Wesen durch ihren Willen die Herrschaft über ihre Handlungen haben, indem sie nach ihren eigenen Entscheidungen handeln, können sie kraft desselben Willens auch andere Dinge beherrschen, indem sie sich ihrer bedienen. Die Herrschaft besteht ja gerade darin, dass jemand frei über eine Sache verfügen kann, deren Herr er ist.“²⁵⁹ Da der Mensch als vernunftbegabtes Wesen durch seinen freien Willen Herr seiner Handlungen ist, die Luhmann als natürliche Freiheit interpretiert und die auf den Entscheidungen des Menschen beruhen und nicht von der Natur oder von Gott vorgegeben sind, wie bereits mit Hinblick auf die scientia media erklärt wurde, kann der Mensch nach Molina dieses Vermögen auch auf andere Dinge ausweiten.²⁶⁰ Aus dem dominium actionum suarum wird das dominium externarum rerum abgeleitet, wie bereits bei Francisco de Vitoria²⁶¹ und Domingo de Soto (1494−1560).²⁶² Damit wird dem Menschen als einzigem Wesen das Recht zugestanden, frei über andere Dinge verfügen zu dürfen. Hinter dieser Argumentation steht die Vorstellung des Menschen als Abbild Gottes, als Imago Dei, wie in Genesis I 26 beschrieben. Die Bestimmung des Menschen als dominus suorum actuum wird aus der Vorstellung des Menschen als
DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ DIEI II 18, 138: „Ut enim, quae mente sunt praedita, per suum arbitrium dominium habent suorum actuum, dum pro suo arbitratum eos eliciunt, eisque; utuntur: sic etiam per idem arbitrium capacia sunt dominii aliarum rerum, quatenus eo ipso, quod illarum sunt domini, eis tanquam sui uti possunt pro arbitratu: dominium namque ad usum, liberamque dispositione rei, cuius quis est dominus, ordinatur.“ Tellkamp (2014, 128) sieht bereits in Bartolus‘ Definition des dominiums eine aktive Bedeutung, die dessen Definition eindeutig eine voluntarische Prägung verleiht: „The aspect that might be highlighted is not only the fact that Bartolus identifies dominium and ius, but that he endows it with an active meaning, that is, to manage something completely or to have it at his or her disposition. There is an undeniable voluntaristic feel to this definition.“ Dies könnte ein Grund sein, weshalb Molina zur Bestimmung des dominiums Bartolus‘ Definition vorstellt, ohne selbst eine eigene Definition zu erarbeiten. In Kapitel 4 wird herausgearbeitet, dass Molinas Willensmetaphysik dem Voluntarismus nahesteht. cf. De Indis I 20 cf. De Iustitia et Iure Liber IV, q. 1, a. 2.
68
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Imago Dei abgeleitet und bildet die Grundlage für das dominium über äußere Güter. Der Mensch, als Gottes Bild und Gleichnis (Imago Dei) geschaffen und daher mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet, gründet seine Fähigkeit, dominium zu haben und über es zu verfügen, in seiner vernunftbegabten Natur. Denn aufgrund der Tatsache, dass vernunftbegabte Wesen durch ihren Willen die Herrschaft über ihre Handlungen haben, indem sie nach ihren eigenen Entscheidungen handeln, können sie kraft desselben Willens auch andere Dinge beherrschen, indem sie sich ihrer bedienen. So stellt auch Molina fest, dass „diejenigen Dinge nämlich, die über ihre eigene Wirksamkeit kein dominium haben, erst recht kein dominium über andere Sachen werden haben können.“²⁶³ Molina genügt bereits die Fähigkeit zu Vernunftgebrauch und Willensfreiheit als Voraussetzung zum dominium, der Gebrauch von Vernunft selbst und eine Willensfreiheit in actu sind dazu nicht notwendig. Auch Kinder und geistig Behinderte können dominium haben, da das dominium seinen Grund in den Fähigkeiten zum Vernunftgebrauch und der freien Willensbestimmung hat. Wäre dies nicht so, würde der Schlafende auch die Herrschaft über sein Eigentum verlieren.²⁶⁴ Wenn im vierten Kapitel die ‚Bedingungen und Grenzen des subjektiven Rechts bei Molina‘ genauer untersucht werden, wird dies noch einmal ausführlicher behandelt. Welche Objekte sind es nun bei Molina, über die Menschen dominium haben können? Einzig Gott verfügt über dominium für alle Wesen und Dinge. Die Herrschaft und das Eigentum der Menschen an den Dingen bleiben immer der Herrschaft Gottes untergeordnet. Das dominium der Menschen dagegen ist begrenzt, sowohl hinsichtlich der Objekte als auch ihres Gebrauchs. Dem Objekt nach bezieht sich das dominium (Herrschaft und Eigentum) „wenigstens auf alle Dinge, die unter dem Himmel sind“, und zwar ist diese Herrschaft ein „natürliches Recht“,²⁶⁵ sofern sie auf dem natürlichen Licht der Vernunft beruht. Somit kann festgehalten werden, dass dominium und damit subjektives Recht in Molinas Rechtslehre natürliches Recht ist. Wenngleich Eigentum durch positives Recht der Menschen eingeführt wurde, so geschah dies dennoch als durch das Naturrecht erlaubt, um Frieden und Ordnung unter den Menschen zu gewähren. Daher ist es kein Widerspruch innerhalb Molinas Rechtslehre, wenn subjektives Recht als dem Individuum als Rechtsanspruch zustehend in den Bereich des natürlichen Rechts fällt.²⁶⁶
DIEI II 3, 55: „Quae namque suorum actuum dominium non habent, multo minus aliarum rerum poterunt dominium habere.“ cf. DIEI II 18, 138 DIEI II 18, 140: „homines naturali iure dominos esse, saltem rerum omnium quae coeli ambitu continentur.“ Eine argumentativ ähnliche, jedoch auf dem Völkerrecht basierende Bestimmung nimmt Kirstin Bunge (2018, 249) für den Zusammenhang von potestas und dominium bei Francisco de Vitoria vor: „Vor dem Hintergrund der globalen Rechtsgemeinschaft sind Rechte dabei weder als vorpositive, moralische Rechte noch als erst durch das politische Gemeinwesen verliehene Rechte zu verstehen. Es handelt sich bei ihnen um natürliche Teilhaberechte des Menschen an der globalen Ordnung, die
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
69
Das bedeutet auch, dass die Menschen im Umgang mit den Dingen, die sie als ihr Eigentum betrachten, der Vernunft verpflichtet sind. So ist es einem Herrn nicht erlaubt, seinen Sklaven zu töten, zu verstümmeln oder ihm die Eheschließung zu verbieten.²⁶⁷ Herr über Leben und Körper bleibt allein Gott, der dem Menschen das dominium unter der Bedingung zugestanden hat, dass der Mensch sein dominium nicht auf eine Art und Weise verwendet, nach der Gottes Ordnung gestört oder sogar zerstört werden könnte. Das dominium über das Leben des Menschen hat allein Gott, aus diesem Grund darf der Mensch sein Leben auch nicht gefährden oder Selbstmord begehen, da er damit ein Verbrechen gegenüber Gott begeht und nicht zuletzt dessen Ordnung zerstört. Aber es ist auch Teil der göttlichen Ordnung, dass der Mensch dominium hat. Insofern verfügt der Mensch natürlicherweise über das dominium. Molina weist die Position von Jean Gerson und Konrad Summenhart entschieden zurück, dass auch Tiere oder sogar Sterne dominium haben könnten.²⁶⁸ Die natürliche Freiheit bzw. das dominium über die eigenen Handlungen und über andere Dinge stellen die Grundlagen für Moral, Recht und Politik dar, von denen Tiere ausgeschlossen sind.²⁶⁹ Denn notwendige Voraussetzung für das dominium sind Vernunft und Willensfreiheit bzw. das dominium könnte als notwendige Folge der Willensbestimmung im Sinne eines Bezugs auf Objekte verstanden werden, wie Paolo Grossi das dominium in der Schule von Salamanca allgemein interpretiert.²⁷⁰ Allerdings kann dies nur für das dominium im Allgemeinen gelten, als grundsätzliche Fähigkeit des Menschen, vollständig über etwas zu verfügen, nicht jedoch für ein dominium proprietatis oder ein dominium iurisdictionis. Denn für die Theologen der Schule von Salamanca ist das Privateigentum durch menschliches Recht eingeführt worden, um nach dem Sündenfall Frieden und Ordnung unter den Menschen zu gewährleisten. Vor dem Sündenfall war eine solche Ordnung nicht notwendig. Nach dem Naturrecht besteht Gemeineigentum, wie in Kapitel 3.6 näher ausgeführt wird, wenn Molinas Begründung von Eigentum vorgestellt wird. Somit ist die These Grossis vom dominium als notwendige Folge der Willensfreiheit für die Schule von Salamanca nur haltbar, wenn sie auf das dominium im Allgemeinen bezogen wird.²⁷¹ Das dominium des Menschen ist insofern eingeschränkt, als er kein dominium über sein eigenes Leben oder das Leben anderer besitzt. Dies ist allein Gott als dem Schöpfer jeglichen Lebens vorbehalten. Mit Thomas weist Molina darauf hin, dass
intern durch eine Pluralität von politischen Gemeinwesen, vollkommenen und unvollkommenen Gemeinschaften strukturiert ist.“ cf. DIEI II 18 cf. DIEI II 3, 55−56 cf. Brett (2011, 37) cf. Grossi (1973, 117−222) Seelmann (2007, 45−46) geht die Interpretation Grossis zu weit: „Diese liberale Vorstellung vom Eigentum als notwendigem Schutz für die Freiheit des Einzelnen ist wohl einige Jahrhunderte jünger (Hegel 1821, § 41 [Grundlinien der Philosophie des Rechts]) und man wird sie angesichts der zitierten Texte bei den Spätscholastikern des 16. Jahrhunderts noch nicht finden können.“
70
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
jemand, der sich selbst umbringt, darum bittet, umgebracht zu werden oder anderen ohne vernünftigen Grund Schaden antut, ein Unrecht oder sogar eine Todsünde gegen Gott begeht, „nicht allein gegen die Nächstenliebe, sondern auch gegen die Gerechtigkeit.“²⁷² Daher sei es äußerst gerecht, wenn Selbstmörder oder solche, die den Wunsch äußern, getötet zu werden, durch das Zivilrecht bestraft werden, so Molina weiter. Da diese Vergehen nicht nur gegen die Nächstenliebe verstoßen, die der Mensch nach Molina explizit auch sich selbst schuldet, sondern auch gegen die Gerechtigkeit, können sie durch das bürgerliche Recht geahndet werden. Dies wird noch eine Rolle spielen, wenn der Umgang der Herren mit den Sklaven betrachtet wird. Molina unterscheidet ein reines und vollkommenes dominium (integrum et perfectum dominium) von weniger vollkommenen dominia, die Teile des reinen und vollkommenen dominiums sind.²⁷³ Nur bei letzterem kommt dem Inhaber das Recht zu, vollkommen über eine Sache zu verfügen. Als Beispiele für weniger vollkommene dominia führt Molina das dominium directum des Besitzers über eine Sache, die er in Pacht gegeben hat, und das dominium utile des Pächters dieser Sache an.²⁷⁴ Durch den Pachtvertrag kann keiner der beiden Vertragspartner die vollkommene Verfügung über die Sache beanspruchen: Der Besitzer verliert zwar sein dominium über die von ihm verpachtete Sache nicht, gibt aber das Recht, diese zu nutzen, an den Pächter ab, der als solcher jedoch nicht das Recht hat, vollständig über jene zu verfügen, da er an den Pachtvertrag gebunden ist. Die Unterscheidung zwischen vollkommenem dominium und weniger vollkommenen dominia ist wichtig, um das Verhältnis zwischen ius und dominium bei Molina nachvollziehen zu können. Wenn er das dominium bestimmt, handelt Molina ausschließlich vom dominium integrum et perfectum, wie er selbst betont.²⁷⁵ Nach der bereits genannten Definition des dominium, die Molina von Bartolus übernimmt, ist das dominium „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist.“²⁷⁶ Gewöhnlicherweise wird das Recht als wahre Gattung des dominium aufgefasst, so wird auch die genannte Definition bisweilen interpretiert. Doch Molina vertritt eine konträre Position zu dieser Interpretation:²⁷⁷ Er bestimmt das dominium hinsichtlich der Relation zum ius als „etwas, das der Fähigkeit oder dem Recht,
DIEI I 11, 30: „Praeterea, cum homo non sit dominus propriae vitae, sed Deus, sane, qui se ipsum interficit, iniuriam Deo efficit, ut. D. Thomas art. 3 citato in responsione ad secundum adnotavit. His de causis lethaliter peccant, non solum contra caritatem, sed etiam contra iustitiam, qui eos interficiunt, qui precibus interfici postulant, iustissimeque legibus civilibus puniuntur.“ cf. DIEI II 3, 51 Für verschiedene Formen des dominium non plenum (weniger bzw. nicht vollkommenes dominium) siehe auch Alonso-Lasheras (2011, 102), der im Hinblick auf dominium proprietatis festhält: „[…] in Molina’s mind, private property is never an absolute right. There are many ways in which private property is moderated [such as usufruct, possession and other rights over things].“ cf. DIEI II 3, 51 DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ DIEI II 3, 53: „[…] communiterque dici consueverit, ius esse verum genus dominii; contrarium mihi videtur verius.“
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
71
vollkommen über eine Sache zu verfügen, deren Herren wir sind, vorangeht […],“²⁷⁸ in gewisser Weise also als Antezedens des ius. Damit widerspricht er unter anderem Vitorias Position (ohne diesen zu erwähnen), der das dominium in Abhängigkeit zum ius setzte.²⁷⁹ Es würde den Rahmen sprengen, die in der Schule von Salamanca diskutierten verschiedenen Interpretationen des Verhältnisses zwischen dominium und ius hier ausführlich zu beleuchten.²⁸⁰ Um den berüchtigten Stich in das Wespennest zu vermeiden, soll hier nur von Interesse sein, wie Molina seine Interpretation vom dominium als Ursache des ius begründet und welche Konsequenzen sich daraus später vor allem für den rechtlichen Status der Sklaven ergeben werden. Für Molina ist „die Fähigkeit oder das Recht der vollkommenen Verfügung eine Wirkung des dominiums, ebenso wie die Fähigkeit zu lachen eine Wirkung des Menschen ist.“²⁸¹ Weil jemand ein Mensch ist, habe er die Fähigkeit zu lachen, in gleicher Weise wie jemand, weil er Herr über eine Sache ist, die Fähigkeit habe, über diese zu verfügen. Ein Herr sei jemand, der etwas als das schlechthin Seine habe, und zwar ex natura rei. ²⁸² Wenn dies ein anderer Mensch ist, „wird es Sklave genannt.“²⁸³ Eine formale Gleichsetzung bzw. Äquivalenz von ius und dominium lehnt Molina konsequenterweise ab.²⁸⁴ Aus dem Vermögen des dominiums entstehen erst Rechte, und zwar verschiedene Rechte.Wenn Molina feststellt, dass „die Fähigkeit oder das Recht der vollkommenen Verfügung eine Wirkung des dominiums“ sei, dann kann das dominium selbst nicht als facultas aufgefasst werden, wie Alejandro Guzmán Brito²⁸⁵ zu Recht betont, da aus dem dominium die Fähigkeit (facultas) erst entsteht. Vielmehr scheint das dominium das
DIEI II 3, 53: „vero relatio dominii sit quippiam antecedens facultatem, iusve perfecte disponendi de re, cuius sumus domini […].“ Vitoria, Com ST 2a2ae, q. 62, a. 1, 5, 63: „[…] quid sit dominium. Sed prius praemittendum est quid sit ius, nam dominium dependet a iure.“ Eine vergleichende Untersuchung des Verhältnisses von ius und dominium bei Vitoria und Molina habe ich gemeinsam mit Christoph Haar unternommen, cf. (Haar und Simmermacher 2014, 445−483). Brett (2003, 10−49) bestimmt das Verhältnis von ius und dominium als Äquivalenz und gründet diese Interpretation auf eine Untersuchung von ius und dominium ausgehend vom römischen Recht (Bartolus) bis zum frühen 16. Jahrhundert (Johannes Major). Die von Brett für diesen Zeitraum untersuchten Autoren stellen den systematischen Nährboden für die Diskussion um das Verhältnis von ius und dominium in der Schule von Salamanca dar. Siehe zum Verhältnis von ius und dominium auch Tellkamp (2014, 125−153) sowie Tosi (2007, 125−154) und Kaufmann (2007, 205−226). DIEI II 3, 53: „ergo facultas, seu ius perfecte disponendi, est effectus dominii, non secus ac facultas ridendi est effectus hominis.“ DIEI II 3, 54: „illeque proinde est dominus illius, ex natura rei habet is plenum et integrum ius circa illam […].“ DIEI II 3, 54: „dominus enim est, qui habet aliquid suum simpliciter: quod si id sit alius homo, appellatur servus, qui relative dicitur ad servi dominum;“ DIEI II 3, 54: „ius et dominium non sint idem formaliter, sed relatio iuris relationem dominii ea ratione consequitur, quod idcirco unusquisque facultatem habeat non solum utendi, sed etiam disponendi perfecte de re aliqua, quod illa sit sua, ipseque dominus sit illius.“ cf. Guzmán Brito (2009, 188)
72
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Vermögen zu sein, aus dem heraus die facultas entsteht, das dominium ist also die Ursache des Rechts, das wiederum die Wirkung des dominium ist. Da „ein und derselbe Mensch viele Rechte hinsichtlich ein und derselben Sache haben kann,“ zum Beispiel diese zu gebrauchen, zu veräußern etc., wohingegen der Begriff des dominium laut Molina „hinsichtlich einer Sache ein einziger und überaus einfacher ist,“ glaubt er begründet zu haben, dass ius und dominium ihrem Begriff nach nicht dasselbe sein können.²⁸⁶ Diese Begründung steht allerdings auf wackeligen Füßen, macht sie doch nur Sinn, wenn sie auf das dominium im Allgemeinen bezogen wird und nicht auf das dominium directum oder gar das dominium utile. Molina könnte nämlich entgegnet werden, dass auch der Begriff des ius als einfacher Begriff verstanden werden könnte, nämlich als Recht, über etwas zu verfügen, ohne daraus spezifische Formen der Verfügung über eine Sache, wie den Verkauf, Gebrauch etc. abzuleiten. Damit wären ius und dominium ihrem Begriff nach formaliter auf einer Ebene anzusehen. Welche Rechte aus dem dominium entspringen, wird deutlicher, wenn Molina das dominium iurisdictionis und das dominium proprietatis bestimmt. Bevor beide Formen des dominium in den Kapiteln 3.4 und 3.7 detaillierter behandelt werden, sollen sie hier wie folgt angeführt werden: Das dominium der Rechtsprechung (dominium iurisdictionis), wenn es zeitlich und weltlich ist, bezieht sich auf diejenigen, denen die Rechtsprechung über die Untergebenen und deren Schutz so obliegt, dass die Untergebenen ihre Vasallen genannt werden: nicht aber auf die anderen, die im Namen und nach der Vorschrift jener die Rechtsprechung und den Schutz ausüben. Ein solches dominium dieser Menschen besteht aber wenigstens in dem Recht, sie [die Untergebenen, D.S.] zu regieren, über sie zu richten und sie zu beschützen, und sie zu verteidigen, und gewiss auch in dem Recht, Vorteile von ihnen zu erhalten, die ihnen aus diesem Grund geschuldet werden.²⁸⁷
Das Vermögen zu herrschen und über andere zu urteilen ist also fest verbunden mit der Verantwortung gegenüber den Untergebenen. Diese ist als Pflicht inhärent, sodass dem Rechtsträger des subjektiven Rechts nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zukommen. Das wird sowohl für die moralische Dimension des subjektiven Rechts (Kapitel 4.6) als auch für das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und bonum commune von Bedeutung sein (Kapitel 4.7). Aus der Pflicht des Herrschenden, seine
DIEI II 3, 54: „potestque unus et idem habere multa iura circa unam et eandem rem pro diversitate obiectorum, ad quae sunt ea iura: sed ratio dominii circa unam rem est unica et simplicissima: ergo ratio iuris ad perfecte utendum, et disponendum de re aliqua diversa est a ratione dominii.“ DIEI II 3, 56: „Dominium iurisdictionis, si temporale, seu seculare sit, ad eos solum spectat, quibus iurisdictio in subditos, protectioque eorum ita incumbit, ut subditi vasali eorum dicantur: non vero ad alios, qui nomine, atque praescripto illorum iurisdictionem protectionemque exercent. Tale autem horum hominum dominium positum est dumtaxat, in iure eos gubernandi, iudicandi, et protegendi, ac defendendi, nec non in iure accipiendi ab eis emolumenta, quae ea de causa ipsis debentur.“
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
73
Untergebenen zu schützen und zu verteidigen, rechtfertigt Molina, dass die Herrschenden von ihren Untergebenen emolumenta ²⁸⁸ empfangen und notfalls auch einfordern können. Aber das Recht auf eine Willkürherrschaft ist durch das dominium iurisdictionis nicht gegeben, jegliche Form von Herrschaft oder Rechtsprechung, die sich aus dieser Form des dominium ergibt, sollte stets mit einem verantwortungsbewussten Verhalten der Herrschenden gegenüber den Untergebenen einhergehen. Das dominium proprietatis bestimmt Molina an dieser Stelle weitaus weniger ausführlich, da er der Ansicht ist, das Eigentum sei „so sehr bekannt, dass keine Erklärung nötig ist.“²⁸⁹ Aus den Ausführungen zum dominium im Allgemeinen hat sich bereits abgezeichnet, welche Rechte sich aus dem dominium proprietatis ergeben: Eine Sache, über die der Eigentümer vollständig verfügen darf, sofern dies nicht vom Gesetz verboten ist, kann gebraucht, genossen, entäußert, verpachtet, vermietet, aber nicht ohne vernünftigen Grund beschädigt oder zerstört werden. Wie bereits dargestellt, wird das dominium proprietatis in Hinblick auf den Nießbrauch (ususfructus)²⁹⁰ in ein dominium directum des Eigentümers, der den Gebrauch der Sache abgegeben hat, und ein dominium utile des Nießbrauchers unterschieden. Herr einer Sache kann nur jemand sein, der das vollständige dominium über die Sache hat. Um Molinas Eigentumsbegriff zu verdeutlichen, soll die von ihm gegebene Legitimation des Eigentums kurz wiedergegeben werden, die gründlicher in Kapitel 3.6 erläutert wird. In der 20. Disputation des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure erörtert Molina die Frage, „ob die dominia über die Sachen erlaubterweise aufgeteilt wurden und nach welchem Recht.“ Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus folgendem Argumentationsgang: Gemäß dem Naturrecht sind alle Dinge allen Menschen gemeinsam. Nach dem Sündenfall und dem damit einhergehenden Verlust der ursprünglichen Gerechtigkeit wurden sowohl das dominium iurisdictionis als auch das dominium proprietatis notwendig, um Unrecht unter den Menschen abzuwenden und Frieden und Ruhe zu bewahren, wie es das Naturrecht vorsieht, nach dem es gilt, Übel zu vermeiden. Um dieses naturrechtliche Gebot zu gewährleisten, wurde das Eigentum durch das menschliche Recht der Völker (de iure humano gentium) erlaubterweise eingeführt. Denn die Sorge und Verwaltung der eigenen Dinge führe zur Ordnung des Gemeinwesens, so Molina in Folge von Aristoteles.²⁹¹ Damit ist die Aufteilung der Dinge nicht gegen das Naturrecht eingeführt worden und somit gerecht. Welche Eigentumsordnung sich eine Gesellschaft nun genau auflegt, liegt außerhalb des Bereichs natur-
Im Englischen würde ich emolumenta durch ,benefits‘ wiedergeben, was meines Erachtens treffender ist als die deutschen Übersetzungsmöglichkeiten ,Vorteile‘, ,Gewinne‘ oder ,Nutzen‘. DIEI II 3, 57: „Dominium particulare, quod unusquisque in res suas habet, est similiter dominium, non iurisdictionis, sed proprietatis, et adeo notum, ut explicatione non egeat.“ Den Nießbrauch behandelt Molina ausführlich im zweiten Traktat von De Iustitia et Iure, Disputationes 7−9. cf. DIEI II 20, 150
74
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
rechtlich relevanter Überlegungen.²⁹² Denn nach dem Naturrecht urteilt das natürliche Licht des Verstandes nur über Angelegenheiten, die von moralischer Bedeutung sind. Wenn diese geklärt sind, haben die Menschen bei allen weiteren Fragen, deren Regelungen nach dem Naturrecht als nicht unbedingt notwendig angesehen werden, freie Hand, sie festzulegen oder nicht.²⁹³ Am Ende dieser Disputation erläutert Molina seine Interpretation der Auffassung, dass nach dem Naturrecht allen Menschen alle Dinge gemeinsam gehören: […] [es] ist zu sagen, dass die sublunaren Dinge nicht auf solche Weise nach dem Naturrecht allen gemeinsam sind, als ob das Naturrecht vorschriebe, sie sollten allen gemeinsam sein; vielmehr, dass sie vom Standpunkt des bloßen Naturrechts aus vor der Aufteilung der Dinge, die in der Macht des Menschen liegt, denen die Dinge ohne Unterschied zugestanden worden sind, so allen gemeinsam sind, dass es gegen das Naturrecht ist, irgendeinen Menschen am Gebrauch dieser zu hindern.²⁹⁴
Diese Interpretation einer naturrechtlich begründeten negativen Freiheit im Gebrauch der Dinge ist kohärent zu der bereits genannten Definition des ius als „Vermögen, etwas zu tun […], sodass dem Inhaber Unrecht geschieht, wenn [diesem Vermögen] ohne rechtmäßigem Grund entgegengewirkt wird“,²⁹⁵ die als Recht im Sinne des subjektiven Rechts gedeutet wurde. Damit ist das Eigentum als subjektives Recht bestimmt. Am Ende des vorangegangenen Kapitels wurde angekündigt, die These der moralischen Relevanz des subjektiven Rechts könne besonders deutlich am Beispiel des dominium untermauert werden. Dazu muss Folgendes näher beleuchtet werden, denn bislang ist nämlich ein Element der Definition nach Bartolus, die Molina als Bestimmung des dominium übernimmt, nicht in den Fokus gestellt worden, die Gebundenheit des dominium an das Gesetz: „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist.“ Im fünften Traktat von De
Wenn Alonso-Lasheras (2011, 102) schreibt, Eigentum sei gemäß Molina kein absolutes Recht, dann bezieht er sich auf diesen Aspekt, nämlich die detaillierten Regelungen einer Eigentumsordnung: „His wide-ranging discussion of the different kinds of dominium, shows that, in Molina’s mind, private property is never an absolute right. There are many ways in which private property is moderated.“ Dominium im Allgemeinen hingegen ist mit Molina durchaus als absolutes Recht aufzufassen, wie in den Ausführungen zum subjektiven Recht dargelegt wurde. DIEI II 20, 153−154: „At vero id, quod iudicat lumen naturale intellectus solum ut expediens, non vero ut necessarium omnino moraliter ad talem finem, non esse de iure naturali ut fiat, sed integrum esse hominibus id statuere, vel non statuere.“ DIEI II 20, 157: „[…] dicendum est. Non ita sublunaria esse omnibus communia de iure naturali, quasi ius naturale praecipiat ea esse communia: sed quia stando in solo iure naturali ante factam rerum divisionem, quae in potestate est hominum, quibus res indistinctae sunt concessae, ita sunt omnibus communia, ut contra ius naturale sit prohibere aliquem hominum ab earum usu.“ DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“
3.3 Paradigma für subjektives Recht: Molinas Definition des dominium
75
Iustitia et Iure erklärt Molina, Aufgabe des Gesetzes sei es, das natürliche moralische Glück eines jeden Menschen zu erwirken.²⁹⁶ Das dominium darf gemäß der Definition für Molina nicht entgegen dem Gesetz ausgeführt werden, sodass auch dem dominium eine sittliche Normativität zugrunde liegt, deren Prinzipien dem Naturrecht entstammen. Subjektives Recht besteht immer innerhalb einer objektiven Rechtsordnung, ohne die es unwirksam wäre, das heißt, subjektives Recht darf dem bonum commune nicht entgegengesetzt sein.²⁹⁷ Wie daher das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und bonum commune aufzufassen ist, wird in Kapitel 4.7 noch genauer untersucht. Die Gebundenheit der Ausübung des dominium an das Gesetz darf aber nicht missverstanden werden: Auch wenn die Ausübung eines dominium an das Gesetz gebunden ist, um das bonum commune zu wahren, kann eine objektive Rechtsordnung das dominium nicht aufheben: Zuletzt fügt er [Bartolo] jenen Teil hinzu: ‚soweit dies durch das Gesetz nicht verboten ist‘. Denn der Umstand, dass ein Recht gewissermaßen gebunden und daran gehindert wird, zur Ausübung zu kommen und, falls es [bereits zur Ausübung] gekommen ist, das Getane aufrechtzuerhalten, was die Rechtsvorschriften aus gerechtem Grund bisweilen bewirken, hebt das dominium und das Recht der vollkommenen Verfügung nicht auf, sondern bindet es in Bezug auf seine Ausübung. [!] Wie daher der Umstand, dass jemand wegen Schwachsinns, Schlafes oder kindlichen Alters über seine Sache nicht verfügen kann, nicht aufhebt, dass er ihr Herr ist, denn er hat das Recht, über sie zu verfügen, als ein tatsächlich geltendes, wenngleich er an dessen Ausübung wegen eines Mangels an Vernunftgebrauch gehindert ist, immer noch an sich, so hebt der Umstand, dass kraft eines Gesetzes oder auf Erlass eines Fürsten aus gerechtem Grund verhindert wird, dass [ein Recht] zur Ausübung kommt und, falls es [bereits zur Ausübung] gekommen ist, das Getane Wirksamkeit erlangt, nicht auf, dass jener der rechtmäßige und ungeschmälerte Herr jener Sache ist.²⁹⁸
In Hinblick auf die Gebundenheit der Ausübung des dominium an das Gesetz argumentiert Molina strukturanalog zu Kants Bestimmung der Freiheit als einziges subjektives Recht, die auf die ideengeschichtliche Funktion des subjektiven Rechts als
DIEI V 46, 1671: „ad naturalem cuiusque hominis felicitatem moralem […].“ Traktat V wurde erstmals 1609 in Antwerpen veröffentlicht. Ich verwende hier die Mainzer Ausgabe von De Iustitia et Iure, Moguntiae 1659. Das Gesetz wird in Kapitel 4.8 genauer behandelt. Mit Luhmann (1993, 46) darf dies jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass subjektive Rechte erst aus einer objektiven Rechtsordnung folgen, bzw. dass subjektive Rechte als sekundäre Rechte verstanden werden könnten: „Logisch und historisch gesehen hat danach das Subjekt schon Rechte, bevor eine ,objektive‘, allseits anerkannte Rechtsordnung sich bildet.“ DIEI II 3, 51: „Addit ultimo partem illam, nisi lege prohibeatur: quoniam quasi alligari ac impediri ius aliquod, ne in actum prodeat et, si prodierit, ne factum teneat, quod aliquando iura iusta de causa efficiunt, non tollit dominium, et ius perfecte disponendi; sed illud ligat quoad actum. Unde sicut aliquem propter amentiam, somnum vel infantiam, non posse disponere de re sua, non tollit, quin sit illius dominus; eo quod in se habeat verum ius disponendi de illa, tametsi impeditum quoad actum propter defectum usus rationis: sic vi alicuius legis, aut mandato principis, iusta de causa impediri, ne in actum prodeat, et, si prodierit, ne factum vim habeat, non tollit quominus ille legitimus integerque sit illius rei dominus.“
76
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
rechtstheoretischer Wegbereiter der Menschenrechte hinweist: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“²⁹⁹ Die moralische Komponente des subjektiven Rechts tritt hier durch eine Form von Verantwortung auf, derzufolge das natürliche moralische Glück eines jeden bzw. die Freiheit als Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür berücksichtigt sein muss, denn die Ausübung des dominium darf nicht willkürlich und ohne Rücksicht auf andere erfolgen. So hätte Noah laut Molina zwar die Macht gehabt, Tierarten zu zerstören, aber keinesfalls das Recht dazu besessen: Selbst wenn nämlich jemand irgendein ganzes Element zerstören könnte, oder irgendeine Art, wie Noah es konnte, als er sie in der Arche eingeschlossen hatte, hätte er allerdings nicht das Recht dazu: Weil es mit dem Nachteil anderer, und zum Schaden des Weltalls einherginge: und dennoch könnte man deshalb nicht sagen, er habe nicht mit den übrigen Menschen ein dominium über die sublunaren Dinge erhalten.³⁰⁰
Im Folgenden soll genauer erklärt werden, was Molina zum dominium proprietatis zählt und worin sich ein ius in re und ein ius ad rem unterscheiden.
3.4 Eigentum (dominium proprietatis): Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem Nicht nur zur Erklärung des Eigentums, sondern für das Verständnis vieler Themen, die für eine Untersuchung der Gerechtigkeit relevant sind, sei die Kenntnis der Unterscheidung zwischen ius in re und ius ad rem bedeutsam, so Molina. In Kapitel 3.2, als die Interpretation von ius als subjektivem Recht erläutert wurde, ist bereits kurz angedeutet worden, wie Molina das Recht über eine Sache³⁰¹ und das Recht auf eine Sache bestimmt: „Das Recht über eine Sache […] kann nicht angemessener definiert werden, als […] ein eine Sache betreffendes Recht, gemäß dem die Sache selbst jemandem verbindlich gemacht wurde [das heißt jemandem zum Eigentum erklärt wurde, D.S.].“ Dagegen besteht ein ius ad rem bereits, wenn „die Sache selbst noch
MS 237. (Hervorhebung im Original) DIEI II 18, 141: „Esto namque destruere quis posset integrum elementum aliquod, aut speciem aliquam, ut poterant Noe dum eas inclusas habebat in arca, sane ius ad id non haberet: quia cederet in praeiudicium aliorum & in detrimentum universi: & tamen non idcirco dicendus esset non habere cum caeteris hominibus dominium rerum sublunarium.“ Ich übersetze ius in re als ,Recht über eine Sache‘, da so die damit verbundene vollkommene Verfügungsgewalt meines Erachtens sprachlich besser zum Ausdruck gebracht wird, als durch die ebenfalls gängigen Übersetzungsmöglichkeiten ,Recht in einer Sache‘ oder ,Recht an einer Sache‘.
3.4 Eigentum: Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem
77
nicht verbindlich gemacht wurde.“³⁰² Ein ius in re besitzen wir laut Molina über Dinge, die wir innehaben und die uns zur Verfügung stehen, vor allem bei den Dingen, deren Herren wir sind. Ein ius ad rem dagegen haben wir auf Dinge, die wir noch nicht innehaben, zum Beispiel auf ein Erbe, das wir noch nicht angetreten haben. Unter welchen Umständen ein Recht über und auch ein Recht auf eine Sache besteht, sei „von der menschlichen und positiven rechtlichen Regelung“³⁰³ abhängig. Molina hat die Darstellung des ius in re und ius ad rem in der zweiten Disputation von Traktat II zwischen die Bestimmung des Rechts im Kontext der kommutativen Gerechtigkeit (II 1) und seiner Erläuterung des dominium (II 3) eingeordnet. Offenbar scheint er die Kenntnis dieser Formen des Rechts und ihrer Unterscheidung als notwendig für das Verständnis des dominium zu betrachten. Welche Rechte über eine Sache, iura in re, bestehen können, führt Molina wie folgt auf: „so ist zum Beispiel das Recht, das jeder hat, seine Sache zu gebrauchen und zu genießen, sie zu verkaufen und zu veräußern, ja auch sich in ihren Besitz zu bringen, wenn er den Besitz verloren hat, ein Recht über eine Sache in Bezug auf ebendiese Sache, wenngleich auch nicht in Bezug auf deren Besitz, der noch nicht existiert.“³⁰⁴ Was Molina unter Besitz versteht, wird im folgenden Kapitel ausführlich geklärt. Hier sei vorerst nur so viel gesagt, dass der Besitz das Ergreifen einer Sache meint, und die Inanspruchnahme einer Sache, ohne dass der Ergreifende dadurch zum Herrn der Sache wird. Solange nämlich der legitime Herr sein Eigentum nicht durch einen Vertrag oder einen anderen Grund veräußert hat, müssen ihm all diese iura in re zugestanden werden, auch wenn er nicht im Besitz dieser Sache ist oder aus welchen Gründen auch immer am Zugriff auf diese Sache gehindert ist. Das dominium bleibt also beim Eigentümer, auch wenn das Eigentum im Besitz eines anderen ist. In Kapitel 4 wird der freie Wille als rechtsmetaphysische Voraussetzung zum dominium genauer untersucht, doch kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass rechtspraktisch ein freiwilliger Entschluss des Eigentümers nötig ist, um das Eigentumsobjekt zu veräußern, damit dem Eigentümer kein Unrecht widerfährt. Nur er selbst kann sein dominium proprietatis auf jemand anderen übertragen. Dass der freie Wille von Molina nicht nur rechtsmetaphysisch für das dominium und ius als Voraussetzung bestimmt wird, sondern er auch rechtspraktisch die ‚Liberalität‘ als Grund eines jeden Vertrags festsetzt, hebt auch Wim Decock in seiner Untersuchung zu Theologians and Contract Law hervor.³⁰⁵ Zwar wird erst im vierten Kapitel die Willensmetayphysik aus der Concordia
DIEI II 2, 43: „Ius in re, tenui meo iudicio, non aliter potest commodius definiri, quam si dicamus. Est ius circa rem aliquam, ad quod res ipsa devincta est. Ius vero ad rem, Est ius circa rem aliquam, ad quod res ipsa nondum est devincta.“ DIEI II 2, 43: „multum pendet ex iuris humani, positivive dispositione […].“ DIEI II 2, 43: „Ut ius, quod quisque habet ad utendum ac fruendum re sua, ad illam distrahendam, & alienádam, imo & ad possessionem illius comparandam, quando possessionem amisit, est ius in re comparatione ipsius in et rei, licet non comparatione possessionis illius, quae nondum existit.“ Decock (2013, 232): „Molina takes it for granted that any form of involuntariness is an impediment to the conveyance of property rights, certainly if liberality is the ultimate cause of the contract.“
78
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
mit der Rechtslehre aus De Iustitia et Iure verknüpft, doch kann bereits an dieser Stelle eine Kontinuität im Denken Molinas zwischen scientia theoretica und scientia practica festgestellt werden, die auf der Willensfreiheit des Menschen und seiner daraus resultierenden Selbstbestimmung gründet. Dieser Gedanke wird für den Menschen als Träger subjektiven Rechts von großer Bedeutung sein. Molina führt als Beispiel für unterschiedliche Formen der iura in re die Rechte eines Pächters und des Eigentümers auf. Durch einen Pachtvertrag überträgt der Eigentümer eines Grundstücks dem Pächter den Gebrauch oder Genuss des Grundstücks bzw. der Ernte von diesem Grundstück und hat „durch einen derartigen Vertrag auf den Gebrauch und den Genuss jener Sache verzichtet und beides auf den Pächter […] so übertragen, dass ihm dabei das direkte dominium über ebendiese Sache erhalten bleibt.“³⁰⁶ Offensichtlich kann der Eigentümer einer Sache gewisse iura in re zum Beispiel durch einen Pachtvertrag für die Dauer eines solchen übertragen und damit verlieren, obwohl er als Eigentümer ‚Herr der Sache‘ bleibt, das heißt das dominium über die Sache beim Eigentümer verbleibt. Dem Pächter, der auf dem Grundstück zum Beispiel Ackerbau betreiben kann, wird das Recht zugesprochen, über alle von ihm erwirtschafteten Ernteerfolge frei zu verfügen, was dem Grundstückseigentümer untersagt wird. Ohne einen solchen Vertrag, das heißt ohne bestimmte Vereinbarungen, verfügt der Eigentümer aber uneingeschränkt über alle iura in re, unabhängig davon, in wessen Besitz sich sein Eigentum zwischenzeitlich befinden mag und was der Besitzer damit anstellt. Den Besitz der Sache kann der Eigentümer jederzeit zurückfordern, wenn kein Pachtvertrag oder etwas Ähnliches vorliegt. Dieses Recht sei „ein Recht über eine Sache – denn die Sache selbst ist gemäß diesem [Recht] der Natur der Sache nach [an ihn] gebunden und [ihm] verbindlich gemacht und hat es daher an sich, dass sie, in wessen Hand sie auch immer gelangen mag, solcherart [an ihn] gebunden ist.“³⁰⁷ Das ius in re wird also aus der Natur der Sache heraus begründet und gehört damit zum Naturrecht, wenngleich die konkreten Bestimmungen, unter welchen Umständen das Recht über eine Sache übertragen oder ausgeführt wird, unter das menschliche, positive Recht fallen, wie Molina erklärt hatte. So wird dem Eigentümer auch die Möglichkeit einer dinglichen Klage (realis actio) zugestanden, um sein Eigentum als legitimer Eigentümer einfordern zu können.³⁰⁸ Um das ius in re über eine neue Sache zu erhalten, wie zum Beispiel durch einen rechtmäßigen Kauf, ist die Übergabe der
DIEI II 2, 44: „[…] quoniam per huiusmodi contractum, usum, et fruitionem rei illius a se abdicavit, et in emphyteutam […] transtulit, retento sibi dominio eiusdem rei directo, non conceditur illi usus et fruitio, interim dum contractus emphyteuticus perseverat.“ DIEI II 2, 44: „[…] sit ius in re comparatione rei ad quam possidendam habet ius, eo quod res ipsa ad id sit ex natura rei devincta et obligata, et idcirco ad cuiuscunque manus perveniat, secum fert esse ita devinctam;“ DIEI II 2, 43: „ac proinde domino conceditur realis actio, quam rei vendicationem iura appellant, ut de manu cuiuscunque, tanquam legitimus dominus, illam sibi vendicet […].“
3.4 Eigentum: Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem
79
Sache an den neuen Eigentümer entscheidend. Vor der Übergabe hat der Käufer nur ein ius ad rem, selbst wenn der Preis bereits bezahlt wurde: „Daher kommt es, dass, wenn jemand jemandem eine Sache verkauft, sie ihm aber nicht übergibt, der Käufer selbst dann, wenn er den Preis bezahlt hat, nur ein Recht auf jene Sache, nicht aber ein Recht über die Sache oder ein dominium erwirbt, denn diese werden nicht vor der Übergabe der gekauften Sache erworben.“³⁰⁹ (Eine Ausnahme stellen Kirchenpfründe dar: wenn durch ein Recht festgesetzt wurde, dass eine Übergabe für das ius in re über eine Kirchenpfründe nicht notwendig ist, so wird durch die Annahme die Kollation als rechtskräftig angesehen.)³¹⁰ Die Übergabe oder Ergreifung einer Sache sei, so Molina, unabdingbare Voraussetzung bzw. Grundlage (ratio fundandi) des dominium oder ius in re, wenngleich die Übergabe oder Ergreifung nicht als Wurzel oder Ursprung eines dominium oder ius in re verstanden werden dürften.³¹¹ Ursprung des dominium oder ius in re ist – rechtsmetaphysisch – der freie Wille des Menschen und die daraus resultierende Eigenschaft des Menschen, als Imago Dei nicht nur dominus suorum actuum, sondern auch Herr über äußere Güter sein zu können. Rechtspraktisch (oder geradezu rechtspragmatisch) kann ein dominium nicht ausgeübt werden, wenn eine Sache nicht übergeben oder ergriffen wurde. Die Ausübung des dominium wird diese Untersuchung immer wieder begleiten, unter anderem im Rahmen der empfindlichen Frage, ob Kinder und amentes, die keinen Gebrauch von ihrer potenziellen Willensfreiheit machen können, als Rechtsträger anzusehen seien.³¹² Das Recht auf eine Sache bestimmt Molina wie folgt: „so sagt man dennoch in Bezug auf den Besitz, auf dessen Erlangung jenes Recht sich bezieht, nicht, [jen]er [Mann] habe ein Recht über eine Sache, sondern [nur, er habe] ein Recht auf eine Sache, denn noch besteht [jen]er [Besitz] nicht und das, was nicht besteht, kann nicht [an jenen Mann] gebunden sein.“³¹³ Wenn der Pächter also einen Rechtsanspruch auf die von ihm erwarteten Ernteerfolge hat, so stellt dieser Anspruch nicht ein ius in re dar,
DIEI II 2, 45: „Hinc est, quod, si quis rem aliquam alicui vendat, nec tamen ei tradat, emptor solum comparet ius ad illam rem, esto pretium solverit; non vero ius in re ac dominium: quoniam haec ante traditionem rei emptae non comparantur.“ cf. DIEI II 2, 48 DIEI II 4, 65: „Dixi, eam rationem fundandi, quae est velut radix et origo: quoniam ad comparandum dominium, aut ius in re, praeter titulum, regulariter necessaria est etiam, tanquam ratio fundandi, conditiove sine qua non, traditio et apprehensio rei, ut explicatum est: attamen illa non est radix et origo dominii aut iuris in re, sed solum est conditio sine qua regulariter a radice et origine, nec dominium, nec ius in re emanat. Id ergo, quod est ratio fundandi dominium, aut ius tanquam illius radix et origo, sive simul requiratur aliquid aliud tanquam condicio sine qua non, sive nihil aliud ulterius requiratur, est, quod appellatur titulus dominii aut iuris.“ siehe Kapitel 4 DIEI II 2, 44: „secum fert esse ita devinctam, nihilominus comparatione possessionis, ad quam habendam est illud ius, quia nondum extitit, idque, quod non existit, non potest esse devinctum, non dicitur habere ius in re, sed ad rem.“
80
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
sondern ein ius ad rem.Wenn die Ernte dann erfolgt und er die Früchte genießen kann, dann hat er über die Früchte auch ein ius in re. Wenn es jedoch in Beziehung zu den Erträgen gesetzt wird, die zu empfangen er ein Recht hat [und] die bereits existieren, so hat er ebenfalls ein Recht über eine Sache, denn eben deshalb, weil die Erträge existieren, erwirbt er über sie ein dominium. Wenn [es] aber [in Beziehung] zu denjenigen [Erträgen gesetzt wird], die noch nicht existieren, so hat er allein ein Recht auf eine Sache, das heißt [ein Recht] darauf, jene [Erträge] zu empfangen, falls sie [dereinst] existieren werden, nicht aber ein Recht über eine Sache, denn über eine Sache, die noch nicht existiert, kann es kein Recht derart geben, als ob die Sache gemäß diesem [Recht] bereits gebunden wäre.³¹⁴
Für die spätere Untersuchung der Sklaverei und des Status von Kindern, die in der Sklaverei gezeugt und geboren werden, werden diese Ausführungen unter anderem wichtig sein. Ius in re und Eigentum (dominium proprietatis) können miteinander gleichgesetzt werden. Dies trifft aber keineswegs auf das dominium im Allgemeinen und ius im Allgemeinen zu, wie wenig später noch einmal erläutert wird. Bereits am Beispiel des Pächters wurde gezeigt, dass dieser, der bis zur Ernte nur ein ius ad rem auf die Früchte seiner Pflanzen hat, durch das Innehaben der geernteten Früchte ein ius in re und damit ein dominium über die Früchte gewinnt. Molina unterteilt das dominium proprietatis in ein vollständiges (dominium plenum) und ein unvollständiges dominium (dominium non plenum).³¹⁵ Ein dominium non plenum besteht zum Beispiel bei der Pacht, durch die die verschiedenen Rechte an einer Sache unter dem Eigentümer und dem Pächter bzw. Nießbraucher aufgeteilt sind: Beide haben dadurch nur (noch) ein unvollständiges dominium über die verpachtete Sache. Das dominium non plenum wird weiter in das bereits erwähnte dominium directum und das dominium utile eingeteilt. Über ersteres verfügt zum Beispiel der Eigentümer einer verpachteten Sache, der aber das Recht des Nießbrauchs dem Pächter übertragen hat, sodass er kein vollständiges dominium mehr über seine Sache hat (wenngleich er andere Rechte an der Sache weiterhin besitzt, wie zum Beispiel sie zu veräußern, Abgaben vom Pächter zu verlangen etc.). Der Pächter, dem der Nießbrauch der Sache zusteht, hat das nutzbare dominium (dominium utile) über die von ihm gepachtete Sache.³¹⁶ Für das dominium proprietatis gibt Molina auch das Beispiel eines Erbes an: Bevor nämlich ein Erbe eine Erbschaft antritt, das heißt sie annimmt bzw. erklärt, dass er Erbe sein wolle, hat er bezüglich der Güter des Verstorbenen ein Recht auf eine Sache; eben dadurch
DIEI II 2, 44: „si tamen conferatur cum eis fructibus, ad quos percipiendos ius habet, qui iam existant, habet etiam ius in re; quia eo ipso, quod fructus existunt, dominium eorum comparat: si vero cum eis, qui nondum existunt, solum habet ius ad rem, hoc est, ad illos percipiendos, si extiterint: non vero ius in re, eo quod in re, quae nondum existit, nequeat esse ius, quasi ad illud sit res iam devincta.“ cf. DIEI II 3, 58 cf. DIEI II 3, 58
3.4 Eigentum: Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem
81
aber, dass er jene Erbschaft antritt, erwirbt er über diese Güter das dominium […]. Das Recht, das er auf die Güter des Verstorbenen besitzt und dessentwegen er ‚Erbe‘ genannt wird, ist also dasjenige, was an dieser Stelle ‚Erbschaft‘ genannt und zu den unkörperlichen Sachen gezählt wird, obgleich zuweilen auch die Güter des Verstorbenen selbst ‚Erbschaft‘ genannt werden mögen.³¹⁷
Das Besondere am Erbe ist, dass es zu den res incorporales zählt, also zu den unkörperlichen Sachen, die nach Bartolus Definition des dominium nicht zu diesem gezählt werden. Doch nach Molina kann es auch auf unkörperliche Dinge ein dominium geben. So führt er an, das dominium weiter als Bartolus zu fassen, und daher sei es auch möglich „über Rechte (zum Beispiel über Pfründe, Bischofssitze und dergleichen) dann ein dominium [zu] habe[n], wenn man in Bezug auf sie ein Recht über eine Sache hat. Und so pflegen wir zu sagen, dass dieser oder jener der Herr dieser [oder jener] Pfründe oder Kirchenwürde sei.“³¹⁸ Bartolus könne, so Molina weiter, einem dominium an unkörperlichen Dingen im Grunde nicht ablehnend gegenüberstehen, da „Gott im eigentlichsten Sinne der Herr der Engel ist, die jedoch ganz und gar der Last des Körpers enthoben sind.“³¹⁹ Zwar kann die Rechtsfigur des Eigentums (dominium proprietatis) mit dem ius in re gleichgesetzt werden, doch wäre es nach Molina falsch, ius und dominium im Allgemeinen miteinander gleichzusetzen. Dies wurde im vorangegangenen Kapitel bereits auf eine eher rechtsmetaphysische Weise ausgeführt, doch lässt sich die Position Molinas zum Verhältnis von ius und dominium auch im Hinblick auf eine eher rechtspraktische Argumentation stützen. Der Unterschied zwischen ius und dominium tritt nämlich auch durch die Übertragbarkeit von Rechten deutlich hervor: Ein Herr (dominus) kann das Recht auf den Gebrauch seiner Sache auf jemand anderen übertragen, ohne dabei das dominium über seine Sache zu verlieren, wie zum Beispiel bei der Pacht. Bereits vor Molinas De Iustitia et Iure hatte die Frage nach dem Verhältnis zwischen ius und dominium praktische Relevanz gewonnen: Im Armutsstreit der Franziskaner im 13. Jahrhundert kann diese Frage keineswegs als Metaphysik ohne Bedeutung für moralische Angelegenheiten gelten, wie Molina die Frage nach dem Verhältnis von Recht und dominium in der dritten Disputation von Traktat II selbst
DIEI II 2, 46: „Antequam enim haeres haereditatem adeat, hoc est, illam acceptet profiteaturve velle se esse haeredem, habet ius ad rem comparatione bonorum defuncti: eo vero ipso, quod illam adit, comparat eorum dominium, ut disputatione sequenti ostendemus. Ius ergo illud, quod ad bona defuncti habet et a quo haeres denominatur, est quod appellatur haereditas eo loco computaturque inter res incorporales: tametsi interdum bona ipsa defuncti haereditas etiam appellentur.“ DIEI II 3, 51: „[…] saltem latius sumpto dominio, ut de directo et de utili etiam dicitur, concedi potest, iurium, ut beneficiorum, cathedrae, et c. quando de illis habetur ius in re, haberi dominium. Et ita consuevimus dicere, hunc vel illum esse dominum huius beneficii, aut cathedrae.“ DIEI II 3, 51: „Illud etiam admonuerim, Bartolum nec negare, nec iure ab illo negari posse, Deum proprissime esse dominum angelorum: qui tamen sunt omnino corporeae molis expertes.“
82
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
charakterisiert hatte.³²⁰ Dass er selbst das Verhältnis von ius und dominium keineswegs nur in metaphysischer Hinsicht untersucht, sondern die Bestimmung des dominium als Ursprung des ius auch Konsequenzen für moralische Fragen hat, wie zum Beispiel, ob Kinder und geistig Behinderte (amentes) als Rechtsträger anzusehen seien, wird im Laufe dieser Untersuchung immer wieder deutlich werden. Doch zunächst sei der Armutsstreit der Franziskaner kurz in Erinnerung gerufen, der in Kapitel 2.5 bereits vorgestellt wurde: Die Franziskaner bestanden auf ihr Recht, Sachen zu gebrauchen, aber lehnten dabei strikt ab, mit dem Gebrauch der Sachen auch das dominium über diese zu haben – dies war nämlich unvereinbar mit der Lehre von der wahrhaften Armut ihres Ordensgründers Franz von Assisi (1181/82−1226). Das Ideal der Armut der Franziskaner beruht auf der Armut Christi. Molina betont, dass Christus allerdings durchaus das dominium iurisdictionis und das dominium proprietatis gehabt hätte, denn sonst wäre die Armut Christi keine freiwillige Armut gewesen: „Das Beispiel der Armut, Demut und Ausgestoßenheit leuchtet in Christus aber am meisten dadurch hervor, dass er, obwohl ihm alle Dinge unterworfen waren und er sie für sich hätte beanspruchen können, weder ihren Gebrauch noch ihre Verwaltung empfangen wollte, sondern vielmehr einem jeden das dominium und den Gebrauch seiner Sachen überließ und ein überaus armes Leben führen wollte.“³²¹ Das Problem der Franziskaner, jegliches dominium über die von ihnen gebrauchten Dinge abzulehnen, wurde gelöst, indem offiziell der Papst das dominium über die von den Franziskanern gebrauchten Dinge hielt und diese selbst nur einen usus facti ausübten.Vor diesem Hintergrund kam es zu Debatten, ob ius und dominium getrennt voneinander bestehen könnten und wie das Verhältnis zwischen jemandem, der die Dinge eines anderen gebraucht, und dem Eigentümer (dominus) dieser Dinge zu bestimmen sei. Ein wichtiger Aspekt hierbei war die grundlegende Frage, ob dominium proprietatis naturrechtlich begründet sei oder durch menschliches Recht gesetzt würde. Molina setzt sich in Traktat II, Disputatio 6 in De Iustitia et Iure mit der Frage auseinander, „ob die Franziskaner ein dominium oder allein einen Gebrauch von Sachen haben.“ Die Franziskaner hätten nicht etwa ein dominium utile über die von ihnen gebrauchten Dinge, sondern, wie bereits erwähnt, einen usus facti, das ist ein „tatsächlicher Gebrauch (das heißt ein Gebrauch, der tatsächlich stattfindet) […], um ihn vom Gebrauch im letzteren Sinn zu unterscheiden, welcher ein Recht auf eine Tat
DIEI II 3, 53: „Et quamvis metaphysica haec non multum ad rem moralem conferat, communiterque dici consueverit, ius esse verum genus dominii; contrarium mihi videtur verius.“ DIEI II 28, 202: „In eo autem elucet maxime paupertatis, humilitatis ac obiectionis exemplum in Christo, quod, cum omnia sibi essent subiecta possetque omnia sibi vindicare, neque usum neque administrationem eorum voluit accipere, sed relinquens unicuique dominium atque usum suarum rerum pauperrimam vitam voluit traducere.“
3.4 Eigentum: Molinas Unterscheidung von Ius in re und Ius ad rem
83
ist und bestehen bleibt, wenn die Handlung des Gebrauchens vergangen ist.“³²² Durch den usus facti seien die Franziskaner gerechtfertigt, Sachen zu empfangen, zu verbrauchen und sogar zu verkaufen, ebenso die Erträge aus diesen Sachen, die ihnen als Almosen gegeben werden. Inwiefern sich die rechtlichen Ansprüche eines Nutzers, Nutznießers oder Besitzers unterscheiden (auch im Hinblick auf die rechtlichen Ansprüche eines Eigentümers), wird ausführlicher in Kapitel 3.5 untersucht. Hier soll zunächst nur Molinas Position zum Armutsstreit der Franziskaner, der „niemals genug gelobten hochheiligen Gemeinschaft“,³²³ vorgestellt werden. Da die Franziskaner nicht das dominium über die Sachen hätten, sei ihr Gebrauch an den Sachen stets abhängig vom Willen der Herren dieser Sachen, so „dass ihnen keinerlei Unrecht geschieht, wenn ihnen die Herren den Gebrauch dieser Sachen verbieten oder sie aus ihrer Verfügungsgewalt entreißen und entfernen“, wie durch einige Päpste festgelegt wurde.³²⁴ Johannes XXII. bestreite nun aber unter anderem in der Extravagante Ad conditorem, De verborum significatione, dass bei Dingen, deren Gebrauch mit ihrem Verzehr gleichzusetzen sei, wie zum Beispiel Speisen und Getränke, „der Gebrauch, das heißt die Fähigkeit und das Recht, sie zu gebrauchen, […] vom dominium über sie getrennt werden könne.“³²⁵ Molina weist dieses Argument zurück und verteidigt die Armut (ohne jegliches dominium) der Franziskaner mithilfe einer Quantifikation des Rechts: Damit aber diese Sache besser verstanden werden kann, muss man wissen, dass die Franziskaner zum Teil mehr Recht auf den Gebrauch (plus iuris ad usum) der ihnen zugestandenen Sachen haben, als ein Nutzer […] oder auch ein Nutznießer hat, […] zum Teil aber weit weniger Recht (longe minus) als diese. Sie haben zwar ein größeres Recht (maius ius), insofern sie alle Früchte der Sachen empfangen sowie diese und ihre Früchte verbrauchen und veräußern können. Auf all dieses erstreckt sich das Recht eines Nutzers und auch das eines Nutznießers nicht, weil diese die Sachen immer so gebrauchen und genießen sollen, dass deren Substanz erhalten bleibt. Die Franziskaner haben aber weit weniger (longe minus) Recht, denn sie haben dieses Recht immer in Abhängigkeit vom Willen derer, bei denen das dominium über ebenjene Sachen liegt, so dass ihnen kein Unrecht geschieht, wenn sie die Herren […] vom Gebrauch ebenjener Sachen ausschließen, während hingegen dem Nutzer und dem Nutznießer, von denen die Gesetze sprechen, ein Unrecht geschähe, wenn sie der Herr der Sachen, deren Nutzer bzw. Nießbraucher sie sind, vom Gebrauch bzw. vom Genuss dieser Sachen abhielte. […] Weil also das Recht, das die Franziskaner auf Gebrauch und Verzehr der ihnen übergebenen Sachen haben, weit geringer (longe minus) ist als jenes, das ein Nutzer oder ein Nießbraucher […] haben, wird es zur Unterscheidung
DIEI II 5, 66: „Usus in priori acceptione appellatur a iurisperitis usus facti, id est, usus qui est factum, ut eum distinguant ab usu in posteriori acceptione, qui est ius ad factum permanetque cessante actu utendi.“ DIEI II 6, 69: „Nunquam satis laudata Minorum fratrum sanctissima familia […].“ DIEI II 6, 69: „[…] ita videlicet, ut nulla prorsus eis iniuria fieret, si domini usum earum ipsis interdicerent, easve de eorum potestate eriperent, ac amoverent. Ita declaratum fuit per Nicolaum III., cap. Exiit, qui seminat, de verborum significatione, lib. 6, declaratumque ac constitutum fuerat antea per Gregorium IX. et alios summos pontifices. Idem declaravit Clemens V. in Clementina exivi de paradiso, de verborum significatione.“ (Hervorhebungen im Original) DIEI II 6, 69: „usum, hoc est facultatem et ius ad usum, separari non posse ab earum dominio.“
84
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
von diesem durch Nikolaus III. und von anderen ‚tatsächlicher Gebrauch‘ (usus facti) genannt, nicht etwa deshalb, weil es eine bloße Tat ohne jedwedes Recht auf sie sei, sondern weil es ein überaus schwaches Recht (ius tentissimum) auf die Tat ist, das immer vom Willen der Herren abhängt. Und auf diese Weise erledigen sich viele der von Johannes XXII. in den zitierten Extravaganten vorgebrachten Einwände.³²⁶
Das Recht in ‚mehr‘, ‚größer‘ und ‚weniger‘ oder ‚schwach‘ zu klassifizieren, mag vom heutigen Standpunkt der Semantik des Rechts befremdlich erscheinen, doch dient diese Quantifikation des Rechts Molina dazu, den usus facti der Franziskaner als Recht ohne dominium zu bestimmen, was im Grunde seiner Rechtsmetaphysik widerspricht, derzufolge dominium die Ursache des ius ist.³²⁷ Die Franziskaner sind durch den usus facti legitimiert, Dinge vollständig aufzubrauchen, was einem Nutzer oder Nutznießer trotz dominium utile verwehrt ist. Doch steht ihnen dieser vollständige Verzehr der Dinge nur in Abhängigkeit des Willens des Herren der Dinge zu, der ihnen diese Form des Gebrauchs jederzeit untersagen oder entziehen kann, ohne den Franziskanern damit ein Unrecht anzutun. Einem Nutzer oder Nutznießer den Gebrauch entgegen der vereinbarten Absprache bzw. entgegen des Vertrags zu untersagen, stelle ein Unrecht dar, weil diese jeweils ein dominium utile über die Dinge haben, wenngleich das dominium directum beim Eigentümer verbleibe. Daraus lässt sich ableiten, dass der usus facti im Hinblick auf Recht und Unrecht bzw. gerechtes Handeln einem dominium utile untergeordnet ist (das heißt ‚schwächer‘ ist) und durch das dominium utile eine gewisse Unabhängigkeit vom Willen des Eigentümers gewährleistet ist. Mit anderen
DIEI II 6, 70−71: „Ut vero haec res melius intelligatur, sciendum est. Minores fratres partim habere plus iuris ad usum rerum ipsis concessarum, quam habeat usuarius, de quo disputatione praecedente dictum est, et usufructuarius, de quo sermo erit disputatione sequenti; partim vero habere longe minus, quam illi habeant. Habent quidem maius ius, quatenus percipere possunt omnes earum fructus easque et earum fructus consumere et alienare; ad quae omnia non se extendit ius usuarii, nec etiam usufructuarii: cum semper uti aut frui rebus debeant salva earum substantia. Habent vero longe minus: quoniam habent eiusmodi ius dependenter semper a voluntate eorum, penes quos est dominium earundem rerum, ita ut nulla iniuria illis fiat, si eos, quoties dominis placuerit, prohibeant ab usu earundem rerum: cum tamen usuario et usufructuario, de quibus iura loquuntur, iniuria fieret, si dominus rerum, quarum sunt usuarii aut fructuarii, prohiberet eos ab earum usu aut fruitione. Hinc facile intelligetur, Minores fratres non ita habere solum usum facti rerum ipsis concessarum, quasi non habeant ius ad eis eo modo utendum. Sic enim, ut Iohannes XXII. in extravagantibus citatis optime argumentatur, talis usus rerum alienarum sine iure et facultate ad eis utendum, esset iniustus atque adeo esset abusus. Habent itaque ius et facultatem ad usum, sed dependentem semper a voluntate dominorum earundem rerum: eo modo, quo procurator, aut amicus, cui quis concederet usum et consumptionem quarundam suarum rerum interim dum ipse non vellet id revocare, et eo modo, quo conviva, sine ullo dominio in rebus quae sibi apponuntur, interim dum ea est voluntas illius, qui eum ad prandium invitavit. Quia ergo ius, quod Minores habent ad usum, et consumptionem rerum ipsis traditarum, est longe minus, quam id, quod habent usuarius et usufructuarius, de quibus iura loquuntur, ad differentiam illius appellatur a Nicolao III. et ab aliis ,usus facti‘, non quod sit nudum factum sine iure ad illud, sed quod sit ius tenuissimum ad factum, pendens semper a voluntate dominorum. Atque hac ratione cessant multae obiectiones Iohannis XXII. in extravagantibus citatis.“ siehe Kapitel 3.3
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus)
85
Worten: Wenn jemand nicht nur ein Recht – sei es ‚stärker‘ oder ‚schwächer‘ − hat, sondern über irgendeine Form des dominium verfügt, scheint er vor willkürlichem Handeln geschützt zu sein. Molinas Argumentation scheint hier zirkulär, denn der Schutz vor dem willkürlichen Entzug der gebrauchten Dinge durch das Innehaben eines dominium utile wie im Falle des Nutzers oder Nießbrauchers besteht darin, dass der Eigentümer ein Unrecht begeht, wenn er das dominium utile verletzt. Doch sei daran erinnert, dass Molina ausschließlich das dominium plenum seiner Interpretation des ius als Wirkung des dominium zugrunde legt. Als bloßes Recht (ius) betrachtet ist der usus facti ebenfalls ‚schwächer‘ als ein dominium utile. Wie sieht es nun Molina zufolge mit der naturrechtlichen Begründung eines ius in re aus, das ja aus der Natur der Sache (ex natura rei) folgen soll? Vor der divisio rerum, der Aufteilung der Güter in Eigentum, hatten alle Menschen ein ius ad rem in Bezug auf alle Güter. Nach der Verteilung besitzt jeder ein ius in re über den Anteil, den er erhalten hat. Da das ius ad rem in diesem Falle einen natürlichen Rechtsanspruch darstellt, ist es eine Verletzung des Naturrechts, wenn jemand vor der Verteilung vom Gebrauch des Gemeineigentums abgehalten wird. So sei es heute noch gegen das Naturrecht, jemand von dem Gebrauch eines öffentlichen Brunnens oder von der Benutzung eines öffentlichen Weges auszuschließen.³²⁸ Nachdem aber einmal die divisio rerum stattgefunden habe, entfalle die Rechtswidrigkeit eines solchen Ausschlusses, da nun das Gemeineigentum nicht mehr bestehe. Die Rechtswidrigkeit entfällt nicht deshalb, weil sich im Naturrecht selbst etwas geändert hat, sondern weil mit dem Objekt eine Veränderung vor sich gegangen ist.³²⁹ Das Naturrecht bzw. die natürlichen Gesetze selbst sind unveränderlich. Durch den Sündenfall war es zum Zweck des friedlichen Zusammenlebens der Menschen unerlässlich, das Eigentum als ius in re einzuführen, wie in Kapitel 3.6 näher erläutert wird. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich das Eigentum als dominium plenum zu verschiedenen Formen des dominium non plenum abgrenzt: zum Besitz und zum Nießbrauch.
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus) Den Besitz zu definieren, sei, so Molina, überaus schwierig, da er „wie so manches Unbeständige keineswegs eine bestimmte und unveränderliche Natur hat“ und aus diesem Grund sei es den Rechtsgelehrten bislang nicht gelungen, eine zufriedenstellende Definition vom Besitz vorzulegen.³³⁰ Im zweiten Traktat von De Iustitia et Iure
cf. DIEI II 20, 151 DIEI II 20, 152: „Porro ea prohibitio desinit esse contra ius naturale non quidem variatione facta in iure naturali, quod in se mutationi ac variationi minime est subiectum, sed facta variatione in obiecto […].“ DIEI II 12, 106−107: „Ceterum iurisperiti difficillimum semper iudicarunt definire quid sit possessio, adeo ut Glossa l. stipulatio, § haec quoque, ff. de verborum obligatione, proruperit in haec verba.
86
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
räumt Molina dem Besitz sechs Disputationen ein (Dispuatio 12 – Disputatio 17), in denen nach einer geeigneten Definition des Besitzes gesucht wird, erklärt wird, welche Formen von Besitz es gibt, auf welche Weise der Besitz an körperlichen Dingen und auch an unkörperlichen Dienstbarkeiten (servitutes) erworben wird, wie es zum Verlust des Besitzes kommen kann und wie der Besitz zurückgewonnen bzw. bewahrt werden kann. Diese Themen erschöpfend zu behandeln, ist für eine Untersuchung über das subjektive Recht in Molinas Rechtslehre weder notwendig noch sinnvoll. Daher soll im Folgenden nur auf diejenigen Aspekte von Molinas Ausführungen zum Besitz eingegangen werden, die zum Verständnis seiner Eigentumslehre relevant sind und für die weitere Untersuchung zweckmäßig erscheinen. Zu Beginn von Disputatio 12, in der Molina eine Definition des Besitzes im kausalen Sinn geben möchte, nennt er den Besitz „gewissermaßen die letzte Vervollkommnung und Ergänzung des vollkommenen dominium.“³³¹ Dies wird besser verständlich, wenn die Unterscheidung in natürlichen und bürgerlichen Besitz erläutert wird, die seit dem römischen Recht besteht. (Eine Definition von Besitz im formalen Sinn bietet Molina erst in Disputatio 17.) Der natürliche Besitz ist Molina zufolge bislang am treffendsten von Diego de Covarrubias (1512−1577) bestimmt worden: „[Besitz] ist das tatsächliche oder bloß fiktive Ergreifen einer körperlichen Sache durch den Körper und mit Absicht (animus) und mit Unterstützung des Rechtes.“³³² Im Anschluss erläutert Molina die einzelnen Elemente dieser Definition: ‚Tatsächlich‘ werde etwas mit den Händen ergriffen oder mit den Füßen betreten, dies seien die natürlichen Handlungen, mit denen Besitz angeeignet werde. ‚Fiktiv‘ sei das Ergreifen, wenn es durch irgendeine andere Handlung vollzogen werden könne, die gemäß einer Rechtsverfügung hinreichend zum Erwerb des Besitzes ist, wie zum Beispiel das Ansehen eines Grundstückes, die Übergabe einer Urkunde oder eines Schlüssels, oder der Verkauf oder die Schenkung einer Sache etc.³³³ Nur an körperlichen Sachen gäbe es, so Molina weiter, Besitz, unkörperliche Sachen wie Rechte und Dienstbarkeiten könnten nur durch etwas Dingliches und Körperliches ergriffen werden und daher könne an ihnen nur im uneigentlichen Sinne Besitz bestehen.³³⁴ Allein die Absicht,
Possessionem peritissimi ausi non sunt definire. Rationem huius rei eam esse arbitror, quod ex statutis hominumque beneplacito pendeat, quis possidere, aut non possidere sit censendus, eaque ratione possessio, tanquam quippiam inconstans minimeque certam ac invariatam habens naturam, difficile possit definiri: quare mirandum non est, si nulla ex definitionibus hactenus excogitatis, plene satisfaciat.“ DIEI II 12, 106: „Consequenter dicendum est de possessione: tum quod sit quasi ultima perfectio complementumque perfecti dominii […].“ DIEI II 12, 107: „Eandem definitionem paulo explicatius possumus fere cum Covarruvia, ad regulam possessor, part. 2, in initio, num. 1, conficere in hunc modum: Est apprehensio rei corporalis, vera vel ficta, corpore et animo, iurisque adminiculo.“ cf. DIEI II 13, 115−116 DIEI II 12, 108: „Dicitur in definitione ,rei corporalis‘: quoniam rerum incorporearum, ut iurium, et servitutum, non est proprie possessio, sed quasi possessio, iuxta ea quae disp. 2 et 3 dicta sunt: eo quod non per se, sed per aliquid reale et corporeum apprehendantur.“
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus)
87
etwas zu besitzen, reiche für den Besitz nicht aus, die natürliche Handlung des Ergreifens durch den Körper sei für das dominium an einer Sache entscheidend. Doch ein Ergreifen ohne Absicht, die ergriffene Sache als die Seine zu haben, sei für den Besitz ebenfalls nicht hinreichend, dies sei allenfalls ein „Innehaben [der Sache], welches je nach der Verschiedenheit der Absicht, mit der die Sache ergriffen und innegehabt wird, und [nach der Verschiedenheit] des vorangehenden Rechtstitels oder Vertrages unterschiedliche Eigenschaften und Benennungen erhält.“³³⁵ Daher seien der Pächter, der Empfänger einer Leihgabe etc. auch nicht die rechtmäßigen Besitzer einer solchen Sache, da sie diese ohne die Absicht, sie zu besitzen eben nur innehaben. Der Zusatz in der genannten Definition ‚mit Unterstützung des Rechts‘ ist für zwei Komponenten des Besitzens relevant: Zum einen darf nur eine Sache ergriffen werden, die bisher noch niemandem „durch das Gesetz zugestanden worden ist“³³⁶ und zum anderen sichert das Recht dem Besitzer seinen Besitz zu, wenn er diesen nicht gegenwärtig innehat, „insofern er auch dann, wenn er schläft und gar nicht an den Besitz denkt, durch eine wirksame oder gewissermaßen habituelle Absicht am Besitz der Sache festhält.“³³⁷ Dies sei der bürgerliche Besitz, der so lange bestehe, bis der Besitzer „durch eigenen Willen in seiner Absicht vom Besitz ablässt, weil er die Sache nicht länger besitzen will, oder man gemäß einer Rechtsverfügung urteilt, dass er aus dem Besitz vertrieben sei und ihn verloren habe.“³³⁸ Molina ergänzt wenig später, dass man zwar auf zweifache Art und Weise besitze, nämlich auf natürliche und bürgerliche Weise, der natürliche und der bürgerliche Besitz aber nicht zwei Formen des Besitzes seien, sondern eine einzige, die ganz und vollkommen sei.³³⁹ Dass Molina zu Beginn von Disputatio 12 den Besitz als „letzte Vervollkommnung und Ergänzung des vollkommenen dominium“ bezeichnet hatte, dürfte nun verständlicher geworden sein: Der Besitz ist nicht nur das absichtliche Ergreifen einer Sache, sondern sichert als DIEI II 12, 109: „Apprehensio ergo et insistentia in re corporea, si aliquo alio animo fiat, quam habendi eam ut suam, non efficit possessionem, sed tentionem, quae pro varietate animi, quo res apprehenditur et tenetur, et tituli aut contractus praecedentis, sortitur varias naturas et appellationes. Ut colonus dicitur tenere rem conductam, commodatarius rem commodatam, depositarius rem in depositum et qui aliquid accipit in pignus, dicitur tenere rem in pignus et ita de caeteris: nullus tamen horum dicitur eas res possidere, sed legitimus earum possessor est is, qui illas, ut suas, ita tenendas eis tradidit, tametsi per eos possidere eas dicatur naturaliter, ut statim explicabimus.“ DIEI II 12, 108: „Si enim alius prius corpore eam apprehendat, ille est, qui dominium, et possessionem illius assequitur. Idem cernitur in thesauro, et in quacumque alia re, quae dominio caret nec lege est alicui concessa.“ DIEI II 12, 109: „Civiliter vero, quatenus animo actuali, aut quasi habituali, etiam dormiens et nihil de possessione cogitans, insistit in possessione rei.“ DIEI II 12, 109: „Et licet, ad comparandam possessionem civilem, necesse sit, simul concurrat naturalis possessio: perseverare tamen potest sola civilis possessio sine naturali. Ut quando quis discedens corpore a re, quam possidet, animo in eam insistit, quousque vel propria voluntate, animo a possessione desistat, nolens amplius rem possidere, vel, iuxta iuris dispositionem deiectus a possessione, eamque amisisse censeatur.“ cf. DIEI II 12, 110
88
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
bürgerlicher Besitz dem Besitzer seine Sache zu, sodass sie ihm gegen seinen Willen nicht entrissen werden kann. Dass jemand aufgrund einer Rechtsverfügung von seinem Besitz vertrieben werden kann, ist analog zur Definition des dominium zu verstehen, das Molina gemäß der Definition des Bologneser Juristen Bartolus de Saxoferrato (1314−1357) als „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist“³⁴⁰ bestimmt hatte. Anhand des bürgerlichen Besitzes wird nun deutlich, dass das Gesetz den Besitz aber auch schützt. Diese Funktion des Gesetzes respektive objektiven Rechts wird in den Kapiteln 4.7−4.9 noch deutlicher hervortreten, wenn das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und bonum commune und die Bedeutung des Gesetzes in diesem Zusammenhang genauer untersucht werden. Wenn Molina in Disputatio 17 den Besitz im formalen Sinne bestimmt, geht er noch etwas genauer darauf ein, unter welchen Umständen etwas auf gerechte und auf ungerechte Weise besessen wird. Für den gerechten Besitz reiche es nicht aus, dass jemand nach seiner Einschätzung glaube, er besitze eine Sache rechtmäßig. Den formalen Besitz definiert Molina als „das aktuale oder gewissermaßen habituelle Festhalten an einer Sache, das aus dem körperlichen und absichtlichen, vom Recht unterstützten Ergreifen [dieser Sache] hervorgeht.“³⁴¹ Wenn nun der Besitz nicht gemäß dem bestehenden Recht ist, ist er als an sich ungerechter Besitz weiter zu unterscheiden: Einmal kann der vermeintliche Besitzer selbst glauben, er sei der rechtmäßige Besitzer, und beim ungerechten Besitz schlechten Glaubens ist sich der Besitzer selbst bewusst, dass er im Unrecht ist. Wenngleich nun Molinas These, der Besitz sei die „letzte Vervollkommnung und Ergänzung des vollkommenen dominium,“ nachvollziehbarer erscheint, so drängt sich die Frage auf, inwiefern der Besitz und das dominium voneinander zu unterscheiden sind bzw. ob der Besitz tatsächlich eine ‚Demarkierung zum dominium‘ sei, wie es in der Überschrift dieses Kapitels angekündigt wurde. Wodurch sich Besitz und dominium voneinander unterscheiden, wird deutlich, wenn Molinas Argumentation zur formalen Definition des Besitzes in Disputatio 17 etwas genauer betrachtet wird: Desgleichen wird der Besitz in einen gerechten und einen ungerechten unterteilt. Und der gerechte Besitz hat von dem Recht, [an einer Sache] festzuhalten, durch das das Innehaben eines gerechten Besitzes vollendet wird, [die Eigenschaft,] dass er gerecht ist; von dem durch das Recht unterstützten Festhalten selbst hat er hingegen, dass er [überhaupt] ein Besitz ist; und deshalb ist der Besitz wesentlich nicht in dem Recht, sondern in dem aktualen oder gewissermaßen […] habituellen Festhalten [an einer Sache] begründet. Dies wird wie folgt bestätigt: Wenn also derjenige, der zwar zu Unrecht, aber in gutem Glauben, wahrhaft, schlechthin und absolut und in einer Art des Besitzes besitzt, die für eine Ersitzung und dafür hinreichend ist, dass er erlaubter Maßen in den Genuss aller in der vorangehenden Disputation erläuterten Vorteile des Besitzes
DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ DIEI II 17, 136: „Est insistentia actualis, aut quasi habitualis, in re aliqua ex apprehensione corpore et animo iuris adminiculo proveniens.“
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus)
89
kommt, nicht schlechthin (simpliciter), sondern nur in gewisser Hinsicht (secundum quid), das heißt [nur] in seiner Einschätzung ein Recht hat, so ergibt sich fürwahr als Konsequenz, dass der Besitz in seinem Wesen nicht ein Recht ist. Durch diese Gründe veranlasst, meine ich, dass der Besitz im formalen Sinn auf folgende Weise definiert werden kann: Er ist das aktuale oder gewissermaßen habituelle Festhalten an einer Sache, das aus dem körperlichen und absichtlichen, vom Recht unterstützten Ergreifen [dieser Sache] hervorgeht.³⁴²
Um den Unterschied zwischen Besitz und dominium herauszuarbeiten, ist es wichtig, die rechtsmetaphysische Ebene und die rechtspraktische Ebene in Molinas Theorie sorgfältig auseinanderzuhalten: In rechtspraktischer Hinsicht stellt der Besitz tatsächlich eine Vervollkommnung des Eigentums (dominium plenum) dar, wie vor Kurzem gezeigt wurde, da der natürliche Besitz Ausdruck des Ergreifens einer Sache ist und der Besitzer durch den bürgerlichen Besitz vor einem Entreißen der von ihm besessenen Sache gegen seinen Willen rechtlich geschützt wird, sodass sein dominium über die von ihm besessene Sache gewahrt wird. Doch wie die zitierte Argumentation zur Definition des formalen Besitzes hin zeigt, enthält der Besitz formal etwas, das auf rechtsmetaphysischer Ebene mit dem dominium, aus dem sich Rechte erst ableiten bzw. durch das jemand erst Rechtsträger werden kann, unvereinbar ist: Da der Besitz „wesentlich (essentialiter) nicht [!] in dem Recht, sondern in dem aktualen und gewissermaßen […] habituellen Festhalten [an einer Sache] begründet ist“, kann es auch einen ungerechten Besitz geben, der bereits erläutert wurde und weiter eingeteilt wurde in einen ungerechten Besitz guten bzw. schlechten Glaubens. Am ungerechten Besitz wird deutlich, dass Besitz und dominium nicht miteinander gleichzusetzen sind, denn rechtsmetaphysisch ist ein ungerechtes dominium unmöglich, da aus dem dominium als Ursprung des ius erst Rechte entstehen. Ontologisch kann aus etwas Ungerechtem nichts Gerechtes entstehen – es kann also kein ungerechtes dominium geben, da aus diesem nur widersprüchliche ungerechte Rechte resultieren würden. Freilich kann es im positiven Recht ungerechte Gesetze geben, doch wird in der Schule von Salamanca die Ansicht vertreten, dass man ungerechten Gesetzen entweder nicht zu gehorchen brauche oder sich ihnen sogar widersetzen müsse. Wenn ein Gesetz ungerecht ist, ist es nicht über die lex naturalis von Gottes Ordnung, der lex aeterna, abgeleitet und verpflichtet daher nicht im Gewissen. Da die
DIEI II 17, 136: „Item possessio dividitur per iustam et iniustam: et possessio iusta a iure insistendi, per quod completur inesse possessionis iustae, habet, quod sit iusta, ab insistentia vero ipsa iuris adminiculo habet, quod sit possessio: quare non in iure, sed in insistentia actuali, aut quasi habituali, in sensu supra explicato, posita est essentialiter possessio. Confirmatur, quoniam, qui iniuste possidet, sed bona fide, re vera simpliciter et absolute possidet, eoque possessionis genere, quod ad praescriptionem sufficit, et ut licite fruatur emolumentis omnibus possessionis disputatione praecedente explicatis: cum ergo simpliciter non habeat ius, sed solum secundum quid, hoc est, in sua existimatione; consequens profecto est, possessionem essentaliter non esse ius. His rationibus permotus arbitror, possessionem in sensu formali posse in hunc modum definiri: Est insistentia actualis, aut quasi habitualis in re aliqua ex apprehensione corpore et animo iuris adminiculo proveniens.“
90
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Rechtsfigur des Besitzes auch als ungerechter Besitz erscheinen kann, stellt sie also eine klare Demarkierung zum dominium dar. Eine weitere Demarkierung ist der Nießbrauch (ususfructus). Bereits in Disputatio 3 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure, in der Molina untersucht, was das dominium sei, führt er die Definition des Nießbrauchs aus dem Römischen Recht³⁴³ an, derzufolge der Nießbrauch „das Recht sei, die Sachen eines anderen zu gebrauchen und zu genießen, ohne deren Substanz anzugreifen.“³⁴⁴ Von Gebrauch und Nießbrauch handeln in De Iustitia et Iure die Disputationen 5−9 des zweiten Traktats. Der Nießbrauch enthält nun „in sich ein gewisses kleineres Recht, welches zuweilen vom direkten und nutzbaren dominium getrennt zu werden pflegt, nämlich den Gebrauch“,³⁴⁵ der ebenfalls in den Institutiones bestimmt wird als „das Recht, eine fremde Sache unter Erhalt ihrer Substanz lediglich zu gebrauchen.“³⁴⁶ Das dominium plenum über die Sache, die gebraucht oder genossen werden darf, bleibt dabei aber beim Eigentümer der Sache. An das Recht des Nießbrauchers und des Nutzers ist die Pflicht eines verantwortungsvollen Umgangs mit der fremden Sache gebunden, denn die Art und Weise, wie die fremde Sache gebraucht oder genossen werden darf, soll „nach dem Ermessen eines guten Mannes“ geschehen, das heißt, der Nutzer oder Nießbraucher hat allein das Recht, die Sache so zu gebrauchen, „wie ein guter Mann seine eigene Sache gebrauchen und genießen würde.“³⁴⁷ Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht ist der Nutzer bzw. Nießbraucher daher nicht nur rechtlich (in exteriori foro) zum Schadensersatz verpflichtet, sondern auch in seinem Gewissen (in conscientiae foro). Molina macht nun auf zwei Weisen, die Definition des Gebrauchs und des Nießbrauchs zu verstehen, aufmerksam: in der ersten Weise für die Handlung des Gebrauchens, wie zum Beispiel das Reiten ‚Gebrauch des Pferdes‘ genannt wird und das Wohnen ‚Gebrauch des Hauses‘, in der zweiten Weise aber für das Recht auf ein derartiges Gebrauchen. Der Gebrauch im ersteren Sinn wird von den Rechtsgelehrten ‚tatsächlicher Gebrauch‘ (usus facti) (das heißt ein Gebrauch, der tatsächlich stattfindet)
cf. Inst. 2,4; Dig. 7,1,1 DIEI II 3, 59: „Consonant praeterea l. 1, ff. de usufructu, et Iustinianus Inst., eodem titulo, in principio, dum usumfructum definiunt, esse ius alienis rebus utendi et fruendi salva rerum substantia.“ DIEI II 5, 66: „si tamen prius hac disputatione exposuerimus minus quoddam ius in usufructu intrinsece inclusum, quod interdum solet a directo et utili dominio separari, nempe usum, […].“ DIEI II 5, 66: „Usus, ut ex Inst. de usu et habitatione per totum, et ex aliis iuribus colligitur, est ius dumtaxat utendi aliena re salva illius substantia.“ DIEI II 7, 75: „Usufructuarius tenetur cautionem reddere. In primis, quod rebus, quae usu non consumuntur, quarumque dominium non est apud eum, utetur boni viri arbitrio, hoc est, ut vir bonus re propria uteretur ac frueretur. Ad id enim solum ius habet, eaque regula est utendum ad diiudicandum ac discernendum in particulari, quid licite possit, aut non possit. Unde, si excedendo eiusmodi utendi ac fruendi modum, res, quibus fruitur, pereant, aut deteriores fiant, non solum in exteriori, sed etiam in conscientiae foro tenetur damnum restituere.“
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus)
91
genannt, um ihn vom Gebrauch im letzteren Sinn zu unterscheiden, welcher ein Recht auf eine Tat ist und bestehen bleibt, wenn die Handlung des Gebrauchens vergangen ist.³⁴⁸
Die Franziskaner beanspruchten, wie bereits erwähnt wurde, bloß einen usus facti, das heißt also gemäß dieser Interpretation der Definition von Gebrauch nur die Erlaubnis, Dinge gegenwärtig und gewissermaßen einmalig für bestimmte Zwecke zu nutzen und kein habituelles Recht, dem ein dominium zugunde läge. Denn Gebrauch (usus) und Nießbrauch (ususfructus) sind Rechte, bzw. ius ist die Gattung von usus und ususfructus. ³⁴⁹ Gebrauch und Nießbrauch werden nun wie folgt von den Gelehrten seit dem Römischen Recht unterschieden: einen, den sie deshalb ‚ursächlichen‘ nennen, weil er vom dominium über die Sache, auf die sich der Gebrauch oder Nießbrauch bezieht, verursacht wird (ein solcher ist der Gebrauch oder Nießbrauch, den ein Herr über die Sache hat, die ihm gehört), und einen anderen, den sie ‚formalen‘ nennen, jenen nämlich, der hinsichtlich seines Subjektes vom dominium über die Sache getrennt ist; und dies ist der von uns an dieser Stelle definierte Gebrauch sowie der Nießbrauch […].³⁵⁰
In der Rechtsfigur des Eigentums hat der Herr einer Sache durch das dominium plenum auch den Nießbrauch und den Gebrauch als Rechte inne, das ist der ursächliche Nießbrauch und Gebrauch (ususfructus causalis bzw. usus causalis). Wenngleich das dominium über die Sache zum Beispiel bei einem Pachtvertrag beim Eigentümer bleibt, so kann er den Nießbrauch und Gebrauch als Rechte an jemand anderen übertragen, der dann einen ususfructus formalis bzw. usus formalis hat. Das dominium bleibt aber beim Eigentümer, insofern sind der formale Gebrauch und der formale Nießbrauch vom dominium getrennt und stellen Demarkierungen zum dominium dar. (Wenn Molina im Folgenden von Gebrauch und Nießbrauch handelt, untersucht er den usus formalis bzw. ususfructus formalis.) Der Nießbrauch unterscheidet sich grundsätzlich vom Gebrauch dadurch, dass die ‚Sache eines anderen‘, also eine fremde Sache, nicht nur zum Gebrauch, sondern
DIEI II 5, 66: „Ut autem definitio intelligatur, sciendum est. Usum duobus modis accipi: uno pro actu utendi, quo pacto equitatio dicitur usus equi, et habitatio usus domus. Altero, pro iure ad eo modo utendum. Usus in priori acceptione appellatur a iurisperitis usus facti, id est: usus, qui est factum, ut eum distinguant ab usu in posteriori acceptione, qui est ius ad factum permanetque cessante actu utendi.“ DIEI II 5, 67: „Merito ergo in definitione pro genere ponitur, ius, quod suo ambitu usum, usumfructum, et caetera iura complectitur.“ DIEI II 5, 67: „Distinguunt namque iurisperiti duplicem usum, et duplicem usumfructum. Quendam, quem idcirco causalem vocant, quod a dominio rei, cuius est usus, aut ususfructus, causetur: talis est usus, aut ususfructus, quem dominus habet in re, cuius est dominus. Alium, quem appellant formalem, illum nempe, qui subiecto est separatus a dominio rei. Atque hic est usus a nobis hoc loco definitus et ususfructus, de quo disputatione 8 erit sermo.“
92
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
auch zum Genießen besteht.³⁵¹ Dies hat in rechtlicher Hinsicht weitreichende Folgen: Der Nießbraucher (ususfructuarius)³⁵² darf nämlich im Gegensatz zum Nutzer (usuarius) die Dinge, die er genießen darf, verschenken oder verkaufen und hat ein Recht auf den Empfang der Erträge, ein Recht, das er auch einem anderen vermieten kann bzw. an einen anderen abtreten kann.³⁵³ Denn durch das Recht auf den Empfang der Erträge, Früchte oder zum Beispiel Jungtiere erwirbt der Nießbraucher das dominium über diese (aber nur auf die Erträge und Früchte einer ‚Sache‘, die er genießt).³⁵⁴ Eine Ausnahme stellen hierbei Kinder von Sklaven dar, wodurch der im fünften Kapitel dieser Arbeit zu untersuchende komplizierte rechtliche Status von Sklaven bereits berührt wird: „Wenn aber jemandem der Nießbrauch einer Sklavin zugestanden wird, so wird ihr Nachwuchs nicht dem Nießbraucher, sondern dem Eigentümer gehören. So wird es im zitierten Gesetz Vetus und im zitierten Paragraphen In pecudum gesagt. Die Begründung wird aber vom Recht gegeben, denn da alle Früchte um eines Menschen willen geschaffen sind, ist es absurd, einen Menschen zu den Früchten zu rechnen.“³⁵⁵ Die Sklaverei selbst führt übrigens zum Verlust des Nießbrauchs, der im Rahmen dieser Arbeit in folgender Hinsicht von Interesse ist: Durch die größte und mittlere Verminderung der Rechtsfähigkeit (capitis diminutio maxima bzw. capitis diminutio media) des Nutznießers wird der Nießbrauch beendet.³⁵⁶ Unter Rekurs auf das Römische Recht erläutert Molina die größte Verminderung der Rechtsfähigkeit als den Verlust des Bürgerrechts und der Freiheit, wodurch jemand aufgrund eines von ihm begangenen Verbrechens zum Strafsklaven wird und sogar zum Tode verurteilt werden kann.³⁵⁷ Auch wenn ein Freigelassener, der gegenüber seinem Herren eine Un-
cf. DIEI II 5, 67 Molina verwendet die Bezeichnungen ,Nießbraucher‘ (fructuarius) und ,Nutznießer‘ (usufructuarius) synonym, DIEI II 7, 73: „Est enim sermo hoc loco de usufructu pro iure ad utendum et fruendum. Is vero, qui eiusmodi ius habet, appellatur tum usufructuarius, tum etiam fructuarius.“ cf. DIEI II 5, 67−68 DIEI II 7, 73: „Porro usufructuarius non solum habet ius ad integre utendum bonis omnibus, in quibus ususfructus est constitutus, in quo multum excedit nudum usuarium, sed etiam ad percipiendum omnes eorum fructus, ita ut eo ipso, quod illos percipit, dominium eorum comparet.“ DIEI II 7, 73−74: „Quando tamen ususfructus ancillae alicui conceditur, partus illius non efficitur fructuarii, sed proprietarii. Ita habetur l. vetus et § in pecudum citatis. Ratio autem a iure redditur, quia, cum fructus omnes gratia hominis conditi sint, absurdum est, hominem inter fructus computare.“ cf. DIEI II 9, 82−87 DIEI II 9, 82−83: „Item finitur ususfructus maxima et media capitis diminutione usufructuarii, ut habetur Inst. de ususfructu, § finitur, et l. corruptionem, Cod., eodem titulo. Est vero maxima capitis diminutio, ut habetur Inst. de capitis diminutione, § maxima est, quando aliquis simul et civitatem et libertatem amittit, qui servus poenae effici dicitur. Ut quando aliquis ob atrocitatem delicti damnatur ad metallum, aut bestiis subiicitur, ut habetur Inst. quibus modis ius patriae potestatis solvatur, § poenae servus. Civitatem etiam et libertatem amittit, poenaeque servus efficitur, qui mortis poena damnatur, ut habetur l. qui ultimo supplicio, ff. de poenis, et 5. lib. Lusitanarum Ordinationum, tit. 94. Item maxima capitis diminutio est, quando libertus ob ingratitudinem in patronum commissam, in servitutem redigitur. Et quando aliquis maior viginti quinque annis, ut potiatur pretio, patitur se vendi, ut habetur Inst. de capitis diminutione, § maxima.“
3.5 Demarkierungen zum dominium: Besitz (possessio) und Nießbrauch (ususfructus)
93
dankbarkeit begangen hat, in den Sklavenstand zurückgeführt wird oder jemand, der älter als 25 Jahre ist, zulässt, dass er verkauft wird, um einen Preis zu erlangen, läge die größte Verminderung der Rechtsfähigkeit (capitis diminutio maxima) vor. Die Möglichkeit einer quantitativen Veränderung der Rechtsfähigkeit darf jedoch nicht als Veränderung am dominium des Menschen ausgefasst werden: In der positiven Gesetzgebung ändert sich der rechtliche Status des Rechtsträgers durch den Verlust oder die Einschränkung des Bürgerrechts respektive der rechtlichen Freiheit, zum Beispiel als Strafe für ein Verbrechen, aber ontologisch kann das dominium des Menschen dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Veränderung erfolgt nicht durch das Naturrecht, gemäß dem der Mensch das dominium hat, sondern durch die positive Rechtsordnung, die durch die Strafe eines Verbrechens das naturrechtliche Gebot des Friedens und der Sicherheit innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft zu wahren versucht. Die Verminderung der Rechtsfähigkeit geschieht also ausschließlich auf rechtspraktischer Ebene und darf nicht als Änderung der rechtsmetaphysischen Bestimmung des ius als facultas des Menschen, die ihm ex natura rei, das heißt gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge zukommt, verstanden werden. So wird auch die Verminderung der Rechtsfähigkeit von Molina durch den juristischen Terminus aus dem römischen Recht wiedergegeben, capitis diminutio maxima, und nicht etwa als facultas. Die Verminderung der Rechtsfähigkeit bezieht sich also nur auf den Verlust oder Entzug bürgerlicher Rechte, die durch das positive Recht festgesetzt sind und darf nicht als Veränderung der menschlichen Fähigkeit, Träger von Rechten zu sein, verstanden werden. Wenn Molina den Sklaven hinsichtlich qua homo und insofern er in die Sklaverei geraten ist unterscheidet, dann wird dies von Bedeutung sein. Dennoch ergeben sich trotz der Trennung dieser Ebenen einige Spannungen, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Welche Position ein Mensch, dessen Rechtsfähigkeit als vemindert eingestuft wird, innerhalb eines Rechtssystems einnimmt, wird im fünften Kapitel am Beispiel der Sklaven untersucht. Dort werden auch die Bedingungen und Titel für den Kauf und Verkauf von Sklaven und auch der Selbstverkauf in die Sklaverei sowie der Verkauf der eigenen Kinder als Sklaven ausführlich dargestellt. Es sei bereits darauf hingewiesen, dass Molina hervorhebt, ein Verstoß gegen diese Bedingungen und Titel sei nicht nur in rechtlicher Hinsicht ein Vergehen, sondern stelle auch (in den meisten Fällen) eine Todsünde dar. Eine mittlere Verminderung der Rechtsfähigkeit liegt vor, wenn jemand die Freiheit behält, aber das Bürgerrecht verliert, zum Beispiel, wenn jemand ins Exil geschickt wird, das auch als ‚bürgerlicher Tod‘ (mors civilis) betrachtet wurde.³⁵⁸ Eine weitere Perspektive für die Analyse des dominium in Molinas Rechtslehre wird durch eine Konsequenz der Verminderung der Rechtsfähigkeit, genauer durch den Verlust des Bürgerrechts gewonnen: das Verbot für verurteilte Straftäter, ein DIEI II 9, 83: „Media capitis diminutio est, quando civitas amittur, sed libertas retinetur, ut accidit, tum ei, cui aqua et igni est interdictum, tum etiam ei, qui in insulam deportatur, ut habetur Inst. de capitis diminutione, § minor. […] Et haec sola deportatio et proscriptio erat, quae efficiebat mediam capitis diminutionem, et quae mors etiam civilis reputabatur.“
94
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Testament aufzusetzen, das offenbar vielerorts der gängigen Rechtspraxis entsprach (daher sei der folgende, längere Passus zitiert): Um dies besser zu verstehen, muss man wissen, dass nach dem Gemeinen Recht weder ein zum physischen Tod Verurteilter noch ein zum bürgerlichen Tod Verurteilter – wie ein zum Bergwerk Verurteilter, ein Deportierter und ein Verbannter (ein ‚von Wasser und Feuer Ausgeschlossener‘) – ein Testament aufsetzen konnte, ja dass sogar dann, wenn er vor einer solchen Verurteilung oder vielmehr vor der Anklage, derentwegen er so verurteilt wurde, ein Testament aufgesetzt hatte, dieses nach erfolgter Verurteilung ungültig und gegenstandslos war. So wird es im Gesetz Eius qui, § Sed cui, Dig. De testamentis, im Gesetz Qui ultimo, Dig. De poenis, und in vielen anderen Rechtstexten gesagt, die Antonio Gomez, Zum 4. Gesetz von Toro, Nr. 1, und Covarrubias, Zur Rubrik De testamentis, Teil 3, Nr. 27, zitieren; und dasselbe wird auch in Buch 1 der Portugiesischen Verordnungen, Tit. 67, § 20, gesagt. Der Grund dafür war, dass jemand eben dadurch, dass er so verurteilt wurde, all seiner Güter verlustig ging. Diese wurden entweder sämtlich der Staatskasse zugesprochen oder, sofern man sie nicht konfiszierte, seinen Erben ohne Testament hinterlassen. Ihn selbst aber sah man, was die zeitlichen Güter betrifft, wie einen Toten an. Und aus diesem Grund kehrte, wenn er ein Nutznießer war, der Nießbrauch an den Eigentümer zurück, gerade so, als ob er physisch gestorben wäre. So rechnet nun Antonio Gomez an der zitierten Stelle die zur Galeere Verurteilten zu den bürgerlich Gestorbenen und somit auch zu denjenigen, denen es nach dem Gemeinen Recht untersagt war, ein Testament zu machen. Darüber hinaus rechnen Bartolus und die verbreitete Meinung, die Panormitanus, Zur Rubrik De testamentis, referiert und übernimmt, auch den zu lebenslanger Kerkerhaft Verurteilten hinzu. Die Aufsetzung eines Testamentes war den zum bürgerlichen oder physischen Tod Verurteilten aber so sehr untersagt, dass sie nicht einmal für fromme Zwecke etwas testamentarisch vermachen durften, wie Panormitanus an der zitierten Stelle und die verbreitete Meinung bekräftigen und die Portugiesischen Verordnungen, unter dem zitierten Titel 94, hinreichend deutlich zu verstehen geben.³⁵⁹
Durch ein begangenes Verbrechen verliert ein verurteilter Straftäter also sein dominium plenum und auch sein dominium non plenum. Doch tritt durch das Testament noch ein weiterer Aspekt hinzu: Zumindest in der Form des dominium proprietatis DIEI II 9, 84−85: „Quod ut melius intelligatur, sciendum est. De iure communi, nec damnatum ad mortem naturalem, nec damnatum ad mortem civilem, ut damnatum ad metallum, deportatum, et interdictum aqua et igni, potuisse testari, quin potius, si quod testamentum ante talem damnationem, immo et ante crimen ob quod ita damnatur, confecisset, damnatione subsecuta, irritum erat et inane. Ita habetur l. eius qui, § sed cui, ff. de testamentis, l. qui ultimo, ff. de poenis, et multis aliis iuribus, quae Antonius Gomezius, ad legem 4 Tauri, num. 1, et Covarruvias, in rub. de testamentis, part. 3, num. 27, citant, idemque habetur lib. 1 Lusitanarum ordinationum, tit. 67, § 20. Ratio erat, quoniam eo ipso, quod aliquis ita damnabatur, omnibus suis bonis spoliabatur, quae omnia vel addicebantur fisco vel, si quae non fiscabantur, relinquebantur heredibus illius ab intestato: ille vero tamquam mortuus, quod attinet ad bona temporalia, reputabatur, eaque de causa, si ususfructuarius erat, ususfructus regrediebatur ad proprietarium, non secus ac si naturaliter esset mortuus. Iam vero inter mortuos civiliter, atque adeo inter eos, quibus de iure communi prohibitum erat facere testamentum, computat Antonius Gomezius loco citato damnatos ad triremes. Bartolus praeterea, et communis sententia, quam refert et sequitur Panormitanus, in rub. de testamentis, computant etiam damnatum ad carcerem perpetuum. Usque adeo autem damnati ad mortem civilem ad naturalem prohibiti erant testari, ut neque ad pias causas testari quicquam possent, ut Panormitanus loco citato, et communis sententia affirmant, satisque aperte innuunt ordinationes Lusitaniae, titulo 94 citato.“
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum
95
endet das dominium insofern nicht mit dem Tod, als der Eigentümer es durch seinen letzten Willen auf jemand anderen übertragen kann. Mit anderen Worten besteht durch das dominium das Recht zu bestimmen, an wen die eigenen Güter nach dem Tod übergeben werden sollen bzw. wer, wenn es vertraglich nicht anders geregelt ist, den Nießbrauch an den Gütern eines anderen übernehmen soll. Durch das dominium wird also gewissermaßen ein Recht posthum zugestanden. Doch kann dieses letzte Recht durch einen Verstoß gegen die Rechtsordnung und damit, wie noch gezeigt werden wird, das bonum commune von eben dieser Rechtsordnung abgesprochen werden – wodurch nicht nur der Eigentümer, sondern auch dessen Nachkommen bestraft werden. Damit tritt erneut das empfindliche Spannungsverhältnis zwischen subjektivem Recht, objektiver Rechtsordnung und der menschlichen Fähigkeit zum dominium, aus dem heraus erst Rechte entstehen können, auf, das unvermeidlich mit der Frage verbunden ist, wie sich eine Eigentumsordnung, mit der ein subjektives Recht durch eine objektive Rechtsordnung gesetzt bzw. geschützt oder jemandem scheinbar auch abgesprochen werden kann, wenn er gegen die objektive Rechtsordnung verstößt, rechtfertigen lässt. Dies ist das Thema des folgenden Kapitels.
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum Die Demarkierungen zum vollkommenen dominium (in diesem Zusammenhang das Eigentum − dominium proprietatis − , das heißt, die Diskussionen des Besitzes und des Nießbrauchs bzw. Gebrauchs) weisen darauf hin, dass das Eigentum letztlich an eine institutionelle Ordnung gebunden ist. Wenn in dieser Untersuchung analysiert werden soll, inwiefern der Mensch natürlicherweise über das dominium verfügt und behauptet wird, dass ihm als Bürger daher auch subjektive Rechte zustehen, die ihm innerhalb der objektiven Rechtsordnung eines Staates zugestanden und gewahrt werden müssen, so gilt es zu klären, wie die institutionelle Ordnung des Eigentums zu rechtfertigen ist. In der Begrifflichkeit der Schule von Salamanca lautet diese Frage: Ist das Eigentum durch das positive Recht eingeführt worden und, wenn ja, erfolgte die Einführung des Eigentums dann gegen das Naturrecht oder ist sie vom Naturrecht erlaubt? In De Iustitia et Iure werden diese Fragen von Molina in den Disputationen 18³⁶⁰ und vor allem 20³⁶¹ des zweiten Traktats diskutiert. Gott habe, so Molina, alle Dinge so zum Nutzen der Menschen erschaffen, dass kein äußeres Gut mit der Schöpfung selbst schon im Privateigentum irgendeines Menschen wäre. Nach dem Naturrecht ist die Herrschaft des Menschen über alle anderen geschaffenen Dinge ursprünglich allen gemeinsam, es gibt also keine geteilten Utrum solae res libero arbitrio pollentes dominii sint capaces. (Ob allein diejenigen Sachen, die über einen freien Willen verfügen, für dominium empfänglich sind.) An licite et quo iure rerum dominia fuerint divisa. (Ob die dominia über die Sachen erlaubtermaßen aufgeteilt worden sind und nach welchem Recht dies geschehen ist.)
96
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Herrschaftsverhältnisse. Allein das dominium über die eigenen Begabungen (dona) gehöre gemäß dem Naturrecht und Gott dem einzelnen Menschen: Daraus, dass der Urheber der Natur alle anderen körperlichen Dinge so mit Rücksicht auf das Menschengeschlecht geschaffen hat, dass er nichts durch die Einrichtung der Dinge selbst einem bestimmten Menschen zu eigen gegeben, sondern alle [Dinge] ohne Unterschied zum Vorteil und zum Gebrauch der Menschen geschaffen hat, ergibt sich, dass, wenn wir allein das Naturrecht und die erste Einrichtung der Dinge betrachten, das dominium über alle anderen körperlichen Dinge allen Menschen gemeinsam ist und die dominia über die Dinge unter den Menschen nicht aufgeteilt worden sind. Die Begabungen jedoch, die einem jeden einzelnen der Menschen innewohnen, sie seien körperlich oder unkörperlich, von der Natur gegeben oder durch eigenen Fleiß erworben, gehören, was das dominium angeht, [jeweils] diesem [einzelnen Menschen], wie zum Beispiel Schönheit, Fertigkeiten, Wissen und dergleichen mehr, ja sogar auch das Ansehen und der Ruf, die mit den eigenen Verdiensten erworben worden sind, wie sehr sie auch von den Annahmen anderer, was die Meinung [der Leute] oder das äußere Ansehen angeht, abhängen mögen.³⁶²
Molina argumentiert im Einklang mit dem römischen Recht sowie der patristischen und scholastischen Tradition, wenn er hevorhebt, dass von einem rein naturrechtlichen Standpunkt aus alle materiellen Güter allen Menschen als Gemeingut geschaffen sind. Bemerkenswert ist, dass Molina ein naturrechtlich legitimiertes dominium über interne Güter wie die Begabungen bzw. Talente, über die jeder einzelne Mensch von Natur aus auf eine je eigenartige Weise verfügt, zugesteht und darüber hinaus ebenfalls über die damit verbundene soziale Anerkennung. Damit scheint er den Menschen zu individualisieren, wenn er ihm gewisse je spezifische Begabungen zugesteht, über die jeder Mensch auf individuelle Art, entweder von Natur aus oder durch eigene Leistung erworben, verfügt. Dies ist im Hinblick auf die Bestimmung des ius als facultas, das in dieser Arbeit als subjektives Recht gedeutet wird, besonders interessant, da mit der Annahme einer Individualisierung des Menschen die Interpretation, Molinas Rechtslehre hebe die besondere Bedeutung individueller Rechte hervor, gestützt wird. Wenn aber die externen Güter von Natur aus allen Menschen als Gemeingut gegeben sind, muss Molina erläutern, wie die Verteilung der Güter bzw. das Privateigentum zu rechtfertigen sind. Dies erfolgt in Disputation 20 des zweiten Traktats von De Iustitia et
DIEI II 18, 142: „Quod cum naturae autor ita res omnes alias corporeas condiderit propter genus humanum, ut nihil, constitutione ipsa rerum, cuiquam hominum proprium effecerit, sed omnes in distincte in hominum commodum et utilitatem condiderit; efficitur, ut, si solum ius naturale, primamque rerum constitutionem spectemus, dominium aliarum omnium rerum corporearum omnibus hominibus sit commune nullaque rerum dominia sint inter homines divisa. Dona tamen, sive corporea, sive incorporea, sive indita a natura, sive propria industria comparata, quae cuique hominum inessent, illius essent propria quoad dominium, ut pulchritudo, artes, scientiae et id genus alia, immo et honor et fama propriis meritis comparata, quamvis ab alienis suppositis quoad opinionem vel honorem externum penderent.“
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum
97
Iure überwiegend in Anlehnung an Summa Theologiae II−II, q. 66. Nach Thomas von Aquin hat allein Gott das Eigentum an allen Dingen und allein Gott ist die Herrschaft über alle Geschöpfe zu eigen. Dem Menschen ist aber die Beschaffungs- und Verfügungsgewalt über die Dinge erlaubt, soweit sie zum Lebensaufwand notwendig sind. Gemäß Thomas gibt es nach dem Naturrecht Gemeineigentum, weil es nach dem natürlichen Recht keine Unterschiede bezüglich des Besitzes gibt, sondern nur durch Vereinbarungen und Verträge der Menschen, das heißt durch positives Recht. Aber das Eigentum an den Gütern ist für ihn nicht gegen das Naturrecht, es wird vielmehr zum natürlichen Recht durch eine Findung (adinventio) seitens der menschlichen Vernunft hinzugetan.³⁶³ In der Tradition des christlichen Mönchstums treten neben Theorien zur Rechtfertigung von Eigentum aber auch eine Vielzahl von Konzepten des menschlichen Lebens im Einklang mit Gottes Ordnung hervor, die das Eigentum einzelner Menschen entschieden ablehnen. Insbesondere die bereits erwähnten Anhänger des Franziskanerordens sorgten im 13. und 14. Jahrhundert für theologische und philosophische Debatten zur Eigentumsfrage. Den Ausgangspunkt der christlichen Theorien, die Eigentum ablehnten, bildet die Gütergemeinschaft im Paradies: Denn durch den Sündenfall wurde es überhaupt erst nötig, Eigentum einzuführen, und folglich wird die Erlösung vom Sündenfall die Aufhebung des Eigentums mit sich bringen. Thomas von Aquin hingegen unterscheidet zwischen dem, was einem jeden von Natur aus zusteht, und dem, was ihm durch Übereinkunft zusteht.³⁶⁴ Neben diese Unterscheidung tritt bereits in der frühen Aufklärung eine weitere Unterscheidung zwischen angeborenen und erworbenen Rechten hinzu, wobei den angeborenen Rechten die nach Thomas von Natur aus zugestandenen Rechte über Dinge entsprechen. Nach Hugo Grotius und Samuel von Pufendorf zählen zu den angeborenen Rechten die Rechte über das Leben, den Körper und seine Glieder, die Freiheit, den guten Ruf und die Ehre (in Analogie zum naturrechtlich legitimierten dominium über die aus natürlichen Begabungen resultierende soziale Anerkennung bei Molina) sowie die eigenen Handlungen (auch bei Thomas ist der Mensch dominus suorum actuum). Das Eigentum zählen Grotius und Pufendorf als Repräsentanten der Okkupationstheorie, die meist auf Cicero (De officiis) zurückgeführt wird, zu den erworbenen Rechten. Sie diskutieren hier hauptsächlich auf der Ebene der Rechtfertigungsbedürftigkeit der kolonialen Landnahmen. Beide, Grotius und Pufendorf, begründen die Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Eigentumserwerbs nicht bloß auf eine erste Besitznahme, sondern auf einen ausdrücklichen oder (in der Regel) stillschweigenden Vertrag, der das Faktum der ersten Besitznahme als Rechtstitel einsetzt. Für Kant ist Eigentum ein Vernunftbegriff, das heißt eine praktische Idee, der von Vernunft wegen Realität verschafft werden soll. Kants Grundbegriff ist der des rechtlichen Mein und Dein. Das rechtliche Mein definiert er als „dasjenige, womit ich
cf. S. Th. II−II, q. 66, art. 1, ad 1 S. Th. II−II, q. 60, art. 5.
98
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädieren würde. Die subjektive Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt ist der Besitz.“³⁶⁵ Darüber hinaus unterscheidet Kant das innere vom äußeren Mein und Dein. Diese Unterscheidung setzt er mit derjenigen zwischen angeborenen und erworbenen Rechten gleich. Die angeborenen Rechte, das innere Mein und Dein, also dasjenige, „was jedermann von Natur zukommt“, reduziert Kant auf ein einziges, das bereits als Kants Bestimmung des einzigen subjektiven Rechts vorgestellt wurde:³⁶⁶ „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“³⁶⁷ Die erworbenen Rechte, das äußere Mein und Dein unterteilt Kant ihrem Objekt nach in Rechte an körperlichen Gegenständen, Rechte auf Handlungen eines anderen und Rechte am Status einer anderen Person.³⁶⁸ Außerdem unterscheidet Kant zwei weitere Grundbegriffe des äußeren Mein und Dein, den des sinnlichen Besitzes und den des intelligiblen Besitzes. Sinnlicher Besitz ist nach Kant physischer Besitz, das heißt die tatsächliche Innehabung und kann mit Molinas Konzept des natürlichen Besitzes gleichgesetzt werden. Den intelligiblen Besitz definiert er als „bloßrechtlichen Besitz“,³⁶⁹ dem bei Molina die Figur des bürgerlichen Besitzes entspricht.³⁷⁰ Matthias Kaufmann hat darauf hingewiesen, dass Kants Unterscheidung von empirischem und intelligiblem Besitz möglicherweise von Molinas begrifflicher Differenzierung eines natürlichen und bürgerlichen Besitzes beeinflusst sei, denn Molina habe diese begriffliche Differenzierung eingeführt.³⁷¹ Nachdem nun einige Spuren der scholastischen Diskussion der Frage nach der Legitimation von Eigentum skizziert wurden, soll im Folgenden Molinas Argumentation der Rechtfertigung der divisio rerum beleuchtet werden. In der Tradition der mittelalterlichen Scholastik sowie gemäß dem römischen Recht betrachtet Molina (wie auch andere Autoren der Schule von Salamanca) die Güter als den Menschen nach dem Naturrecht gemeinsam. Die Einteilung der Güter sei durch menschliches Recht eingeführt worden und gemäß dem Naturrecht zunächst unerlaubterweise geschehen, da „das Recht eines Niederen gegen das Recht eines Höheren keine Geltung haben kann“.³⁷² Molina setzt die Frage nach der Entstehung des Privateigentums (dominium
RL § 1, 245 siehe Kapitel 2.9 RL Einleitung, 237 cf. RL § 4 sowie das Einteilungsschema hinter § 10 RL § 1, 245 cf. Kaufmann (2005, 84) cf. Kaufmann (2005, 84) DIEI II 20, 148: „Quod ergo dominia proprietatis licite non fuerint divisa, suaderi potest. Primo, quoniam ius humanum nullam vim habet adversus ea, quae sunt de iure naturali: quippe cum naturale
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum
99
proprietatis) in Analogie zur Frage nach der Einrichtung der politischen Gewalt bzw. Rechtsprechung (dominium iurisdictionis). Durch den Sündenfall, dem damit verbundenen Entzug der ursprünglichen Gerechtigkeit (iustitia originalis)³⁷³ und durch die Vertreibung aus dem Paradies, in dem alle Güter den Menschen gemeinsam waren und die Menschen in Frieden miteinander lebten, ergab sich neben der Aufteilung der Güter auch die Notwendigkeit einer politischen Gewalt, die den Frieden und die Ruhe (pax et tranquilitas) unter den Menschen wahren sollte. Molina schildert facettenreich, in welchem Zustand sich die Menschen ohne Eigentum und Herrschaft befinden würden: Denn weil nach dem Sündenfall einerseits die Erde, um die Menschen mit dem Notwendigen zu versorgen, deren Mühe und Schweiß gar sehr erfordert (wie die Erfahrung bezeugt) und Dornen und Unkraut auch dann, wenn sie kultiviert wird, sprießen lässt (wie in Gen. 3 gesagt wird), andererseits aber die Menschen zur Arbeit träge und ziemlich schwach, an verkehrten Leidenschaften und Begierden jedoch sehr reich geworden sind, würde folglich dann, wenn alles der Menschengemeinschaft gemeinsam gehörte, niemand sich um die Pflege und Verwaltung der zeitlichen Sachen kümmern, denn dies ist mit Mühe und Beschwerlichkeit verbunden, während jeder einzelne sich gerade der besten Sachen zu bemächtigen bestrebt sein würde. Daher würde notwendigerweise Mangel und an allen Dingen bittere Armut folgen. Es würde unter den Menschen Streit und Aufruhr um den Gebrauch und den Verzehr der zeitlichen Dinge entstehen. Die Stärkeren würden die Schwächeren unterdrücken. In den Gemeinwesen würde keine Ordnung erhalten werden, da jeder einzelne sich den übrigen für gleich erachten und demnach für sich dasjenige Amt beanspruchen würde, welches mehr Annehmlichkeit und Ehre, aber weniger Verdruss und Beschwerlichkeit hätte, und niemand würde das in Angriff nehmen wollen, was mühevoll, schmutzig und niedrig, dabei aber für das Gemeinwesen nötig wäre. Damit all diese Unstimmigkeiten beseitigt wurden, ist einem jeden die Sorge und Verwaltung der eigenen Sachen anvertraut worden. Und so war es zuträglich und ganz und gar notwendig, dass die dominia über die Sachen aufgeteilt wurden, wie wir sie ja in Wirklichkeit auch aufgeteilt sehen.³⁷⁴
ius variationi et immutationi non sit subiectum, ut habetur d. 1, cap. 1, et d. 6, cap. ultimo, pertineatque ad ius divinum, ut tractatu praecedente disp. 3 et 4 ostensum est, adversus quod ius humanum nullam vim habet, utpote ius inferioris, quod adversus superioris ius vim non potest habere: sed de iure naturali sublunaria omnia sunt omnibus communia quoad dominium, ut disp. 18. ostensum est, et habetur cap. ius naturale, d. 1; ergo rerum divisio quoad dominia, quae de iure humano fuit introducta, illicite facta fuit.“ DIEI II 20, 150: „Observant Conradus et Sotus locis citatis, quamvis rerum divisio non tollat omnino absurda omnia et mala, quae sequerentur, si rerum dominia non essent divisa, ut tamen expediens et necessarium omnino sit ea dividi, satis esse si magna ex parte tollantur. Posita namque hominum malitia et imbecillitate, quae subtractionem iustitiae originalis fuit subsecuta, nihil est, quod naturae humanae sufficienter medeatur.“ DIEI II 20, 149−150: „Quoniam cum ex una parte post peccatum terra, ut hominibus necessaria suppeditet, nimio eorum labore et sudore indigeat, ut experientia testatur, spinasque et tribulos, etiam culta, germinet, ut Gen. 3 habetur: ex alia vero parte homines post peccatum segnes ac debiliores ad laborandum effecti sint, abundentque pravis affectibus et cupiditatibus; sane si toti hominum communitati essent omnia communia, nullus culturam et administrationem temporalium rerum propter laborem et molestiam, quam adiunctam habet, curaret; cum tamen singuli optimis quibusque rebus potiri vellent. Unde necessario sequeretur penuria et rerum egestas, orirentur rixae et seditiones inter homines circa rerum temporalium usum, ac consumptionem, robustiores opprimerent debiliores,
100
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Die Menschen wollen sich also nicht von sich aus um die Verwaltung und Kultivierung der Erde kümmern, sondern verlassen sich auf die anderen. Dennoch wird jeder für sich den besten Anteil beanspruchen. Aus dieser Situation heraus folgen Not und Elend, Streit und gewaltsame Auseinandersetzungen und die Unterdrückung der Schwachen durch die Stärkeren. Um diesen Übeln vorzubeugen, ist jedem die Sorge für sein Eigentum übertragen worden. Die Staatsutopien Platons und Thomas Morusʼ würden nach Molina also zum Chaos und Krieg unter den Menschen führen. So argumentiert Molina einige Zeilen vor der zitierten Passage auch mit Aristoteles³⁷⁵ gegen Platons Ideal vom Gemeineigentum in dessen Politeia: Aristoteles habe treffend gezeigt, dass ein Gemeinwesen ein „heterogenes Ganzes“ sei und der Versuch, die „Verschiedenheit der Teile“ eines Gemeinwesen zu einer Einheit zu formen, „die Natur und das Wesen des Ganzen zerstören würde“ und daher aus den im Zitat ausgeführten Gründen nicht zu erstreben sei.³⁷⁶ Zwar bestimmt Aristoteles den Staat auch als Gemeinschaft von Gleichen, doch sollen die Bürger nur in rechtlicher Hinsicht einander gleich sein und nicht, wie bei Platon, in rechtlicher und sozialer Hinsicht als Einheit begriffen werden, die sich nicht nur die Polis bzw. Politeia teilen, sondern diese als gemeinsamen oikos führen: Während Aristoteles trotz der Gleichheit der Bürger von einer Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bereich ausgeht, um den Frieden und die Ordnung unter den Menschen zu wahren, verschmelzen diese beiden Bereiche bei Platon, um dasselbe Ziel zu erreichen (und zwar derart, dass selbst die Frauen zum Gemeineigentum zählen; diese Position kann Molina als christlicher Theologe nicht einmal für das Gemeineigentum der Menschen vor dem Sündenfall akzeptieren.)³⁷⁷
nullus in rebus publicis servaretur ordo, dum singuli se caeteris pares arbitrarentur, singulique proinde id muneris sibi vellent, quod plus commodi et honoris, minusque molestiae et difficultatis haberet, nullusque id subire vellet, quod laboriosum, sordidum et abiectum esset, reique publicae necessarium: ut ergo haec omnia absurda tolerentur, unicuique demandata est cura et administratio propriarum rerum: atque ita expediens ac necessarium omnino fuit dividi rerum dominia, ut re ipsa divisa intuemur.“ cf. Pol. II 1−4 DIEI II 20, 148−149: „Et quidem Socrates et Plato, ut Aristoteles, 2. Politicorum, cap. 1 et 4, refert, in ea fuerunt sententia, ut dicerent expedientius multo esse omnia in republica esse communia non solum possessiones, sed etiam uxores. Eandemque Socratis et Platonis sententiam refert etiam Clemens, cap. dilectissimis citato. Ducebantur, quoniam ea ratione republica esset maxime una absque dissimilitudine, arctiorque inter homines esset caritas et amor. Contra vero Aristoteles eodem libro, cap. 2 et 3, sensit, egregiisque rationibus Socratis et Platonis Rempublicam impugnavit, ostenditque ea via multo amplius pacem, coniunctionem et civitatem inter cives pertubari. Neque in Republica, quae totum quoddam est heterogeneum partium varietatem exigens, eam quaerendam esse partium similitudinem ac unitatem, quae naturam et rationem totius destruat. Lege eo loco Aristotelem, qui sane praecipua omnia, quae ad rem hanc spectant, tetigisse videtur.“ DIEI II 20, 149: „Quemadmodum in innocentiae statu expediens ac decens erat communis rerum possessio (uxorem excipe, quae, quoad generationis actum cum lumine naturali, ut alio in loco est ostendendum, pugnat), ita in statu naturae lapsae multiplicatisque in orbe hominibus adeo expediens, ac necessarium est res quoad dominia esse divisas, ut ex communi rerum possessione gravissima oriretur mala et incommoda vixque hominum status conservari posset.“
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum
101
Einiges sei den Menschen freilich als Gemeineigentum überlassen worden: Molina nennt als Beispiel etwa öffentliche Straßen und anderes zum Gebrauch der Gemeinschaft Bestimmtes.³⁷⁸ Für eine Form menschlicher Gemeinschaft ist Molina zufolge auch nach dem Sündenfall das Gemeineigentum zuträglicher als die Aufteilung der Güter: Diese Ausnahme stellen die Mönchsgemeinschaften dar, die aufgrund ihrer Lebensart nicht Gefahr liefen, über das Gemeineigentum in Streit und Zwietracht zu verfallen.³⁷⁹ Die Einführung des Eigentums setzt einen vorangegangenen Verzicht aller auf den Rechtsanspruch am Gebrauch aller Dinge voraus, wenngleich dieser Verzicht nicht ausdrücklich in einem Beschluss formuliert zu sein braucht.³⁸⁰ Durch die Vermehrung der Menschen und ihre damit verbundene Ausbreitung über die ganze Welt wurde es auch notwendig, dass die politische Gewalt auf viele Herrscher aufgeteilt wurde, und so für die einzelnen Provinzen, Staaten und Völker gesonderte Herrscher bzw. Träger der politischen Gewalt bestimmt wurden.³⁸¹ Auf ähnliche Weise sei auch das Privateigentum entstanden. Molina nennt drei Möglichkeiten, wie die Teilung der Güter stattgefunden haben könnte:³⁸² 1. Durch die väterliche Gewalt (potestate paterna), vor der Sintflut durch Adam, nach der Sintflut durch Noah. Diese beiden Stammväter waren keinem anderen Menschen untergeordnet und hatten daher die höchste Gewalt inne. Sie hätten daher im Interesse von Eintracht und Frieden eine Teilung der Güter unter ihren Söhnen vornehmen können. 2. Durch einen politischen Gewaltträger (principe), den die Menschen frei wählten, nachdem sie sich bereits vermehrt hatten. 3. Durch gemeinsame Übereinkunft der Menschen untereinander (potuit fieri communi hominum consensu).
cf. DIEI II 20, 155 DIEI II 20, 155−156: „Alicui hominum congregationi, etiam post naturam lapsam, expedientior est possessio rerum in communi, quam earum divisio et appropriatio singulis. Haec conclusio in primis locum habet in congregationibus religiosorum, qui ad sectandam perfectionem renuntiato seculo in paupertate et castitate sub oboedientia vivunt, quibusque usus rerum temporialiam ex oboedientia, iuxta cuiusque indigentiam, dispensatur ac conceditur. In his enim propter eorum statum rationemque vivendi, tantum abest ut ex possessione in commune rerum ad vitam temporalem tuendam ipsis necessariarum incommoda aliqua sequantur, ut earundem rerum inter eos divisio cum eorum statu pugnaret ex eaque gravissima inter eos mala orirentur.“ cf. Kleinhappl (1932, 57) DIEI II 20, 147−148: „Explicatis iis, quae circa subiectum dominii in commune disputanda videbantur, consequenter examinandum est, num rerum dominia licite fuerint divisa, et quo iure. Et quamvis quaestio praecipue habeat locum in dominio proprietatis, extendi etiam potest ad dominium iurisdictionis. Etenim statim ac genus humanum ab innocentiae statu per peccatum corruit, necessarium fuit iurisdictionis dominium cum vi quadam coercente introduci, quo homines in officio continerentur, propulsarentur et punirentur iniuriae paxque et tranquillitas inter eos servaretur. Multiplicatis praeterea hominibus, et per orbem dispersis, necesse etiam fuit eiusmodi dominium dividi, pluresque constitui rectores, qui varias provincias, civitates ac populos moderarentur.“ cf. DIEI II 20, 154−155
102
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Für diejenigen Dinge, die nicht unter die ursprüngliche Aufteilung zu zählen sind, solle man gemäß der Okkupationstheorie verfahren: In stillschweigendem oder auch ausdrücklichem Einverständnis darf jemand dasjenige als sein Eigentum betrachten, der es zuerst für sich beschlagnahmte.³⁸³ Die Einrichtung des Privateigentums sei, so Molina, jedoch weder im Naturrecht noch im positiv-göttlichen Recht begründet, sondern im ius humanum gentium. Das Recht der Völker beruht „auf dem allgemeinen Konsens aller oder fast aller Nationen.“³⁸⁴ Ein positiv-göttliches Recht, auf das sich die Verteilung der Güter gründen könne, sei, so Molina, nicht bekannt. Per Ausschlussverfahren kommt Molina zu dem Schluss, dass die divisio rerum nur durch menschliches Recht gerechtfertigt sein könne. Da sich die Verteilung der Güter bei allen Völkern finde, könne sie nur im ius gentium ihre rechtliche Begründung finden: Die Aufteilung der Dinge besteht weder nach dem Naturrecht noch nach dem positiven göttlichen Recht, gleichwohl ist sie erlaubterweise nach dem menschlichen Recht der Völker eingeführt worden. Der erste Teil wird dadurch bewiesen, dass man kein positives göttliches Gesetz wird zeigen können, durch das die Aufteilung der Dinge eingeführt worden wäre, und dass, wie aus dem in Disputation 18 Gesagten feststeht, allein nach dem Naturrecht und der Einrichtung der Dinge allen alles gemeinsam ist; also besteht die Aufteilung der Dinge weder durch das Naturrecht noch durch das göttliche positive Recht; vielmehr war, falls sie durch irgendein Gesetz erlaubterweise eingeführt worden ist, jenes [Gesetz] ein menschliches. Weil aber bei allen Völkern die dominia über die Dinge aufgeteilt worden sind, ist diese Aufteilung, falls sie erlaubterweise eingeführt worden ist, nach dem Recht der Völker bewirkt worden, was ich hinzufüge, damit mir beim Beweisen des zweiten Teiles der Konklusion allein zu beweisen übrigbleibt, dass die Aufteilung der Dinge nach dem menschlichen Recht erlaubterweise eingeführt worden ist.³⁸⁵
Die Gründe für die Einführung des Privateigentums zeigen darüber hinaus, dass die divisio rerum dem Naturrecht nicht widerspricht. Sie war erforderlich, um größere Missstände zu vermeiden, die sich ergeben würden, wenn es kein Privateigentum gäbe. Daher entspricht die Verteilung der Güter der rechten Vernunft und konnte
DIEI II 20, 155: „Quocumque autem modo rerum divisio facta fuerit, de reliquis, quae indivisa restabant, semper id tacito, vel expresso consensu, statutum servatumque fuit, ut fierent primo occupantis.“ DIEI I 5, 21: „In totum autem vix abrogari posset, quod ad ius gentium pertineret. Ratio est, quoniam ad id necessarius esset communis consensus omnium, aut fere omnium nationum, qui difficile haberi potest. Atque, quod ad rerum divisionem attinet, si prorsus tolleretur, tot inde orirentur mala, ut procul dubio culpa esset letalis eam omnino tollere.“ DIEI II 20, 150: „Rerum divisio nec est de iure naturali, nec de iure divino positivo, licite tamen de iure humano gentium fuit introducta. Prior pars probatur, quoniam nullam erit ostendere legem divinam positivam, qua rerum divisio sit introducta, et, ut ex dictis disp. 18 constat, stando in solo iure naturali et constitutione rerum omnibus omnia sunt communia; ergo rerum divisio neque est de iure naturali neque de iure divinio positivo; sed, si aliquo iure licite fuit introducta, illud fuit humanum. Cum vero apud omnes gentes rerum dominia sint divisa, sane, si rerum divisio licite fuit introducta, iure gentium id fuit effectum, quod addo, ut in probanda posteriori conclusionis parte solum nobis probandum supersit rerum divisionem iure humano fuisse licite introductam.“
3.6 Die rechtliche Begründung der Eigentumsordnung: Divisio rerum
103
folglich durch menschliches Recht erlaubterweise, das heißt nicht gegen das Naturrecht eingeführt werden.³⁸⁶ Molinas Begründung für diese These fällt recht einfach aus und lässt sich nicht gänzlich vor dem Vorwurf der Zirkularität verteidigen: das Naturrecht verbietet nichts, was angemessen, notwendig und im Einklang mit der rechten Vernunft ist; denn das Naturrecht will das Gute nicht verhindern. Die Verpflichtung, die Dinge aufzuteilen, um Frieden und Sicherheit unter den Menschen zu wahren, sei dem Naturrecht gemäß. Aber die Verpflichtung zur Aufteilung der Dinge sei etwas anderes als die Aufteilung der Dinge selbst.³⁸⁷ Dabei darf, wie bereits erwähnt, nicht angenommen werden, es habe eine Veränderung im Naturrecht stattgefunden – die Veränderung hat im Gegenstand stattgefunden, denn nach dem Sündenfall trat der Umstand hinzu, „dass nicht mehr gemeinsam ist, was zuvor gemeinsam war; aufgrund dieses Umstandes hört [jener Gegenstand] auf, in das Gebot des Naturrechts eingeschlossen zu werden, in das er zuvor eingeschlossen wurde.“³⁸⁸ Die Begründung wird durch den Zusatz ergänzt, dass eine gewisse Verteilung der Güter, also eine gemäßigte Privateigentumsordnung, auch im Paradies denkbar gewesen sei, aber die Wahrscheinlichkeit spräche dagegen.³⁸⁹ Da die Verteilung der Güter durch menschliches Übereinkommen bzw. menschliches Recht eingeführt sei, könne sie auch durch menschliches Recht wieder aufgehoben werden.³⁹⁰ Doch das Recht selbst, ein dominium über etwas zu haben, haben die Menschen laut Molina nicht von der menschlichen Gemeinschaft erhalten, sondern von Gott, dem als Schöpfer das höchste dominium über alle Dinge zusteht. Abschließend sei Molinas Argumentation der hier skizzierten Rechtfertigung des Eigentums zusammengefasst: Als Institution betrachtet ist das Privateigentum nicht naturrechtlich legitimiert. Das Recht auf Eigentum ist nach Molina kein dem Men-
DIEI II 20, 151: „[…] quoniam ius naturale non prohibet, quod est expediens, et necessarium, consonumque rectae rationi; ius namque naturale non impedit, quod bonum est. Praeterea est dictamen rectae rationis; dictamina autem rectae rationis ad invicem non adversantur.“ DIEI II 20, 153: „Aliud namque est obligatio ad faciendam rerum divisionem, aliud vero ipsa rerum divisio.“ DIEI II 20, 152: „Porro ea prohibitio desinit esse contra ius naturale, non quidem variatione facta in iure naturali, quod in se mutationi ac variationi minime est subiectum, sed facta variatione in obiecto, cui circumstantia illa advenit, ut commune iam non sit, quod antea commune erat, ratione cuius circumstantiae comprehendi desinit sub praecepto iuris naturalis, sub quo antea comprehendebatur.“ DIEI II 20, 151: „Quo fit, ut iure naturali non sit illis prohibita rerum divisio, sed permissa. Quod arbitror verum esse, non solum in statu naturae lapsae, sed etiam in statu naturae integrae. Potuissent namque homines in illo statu de communi consensu dividere inter se et appropriare absque cuiusquam iniuria res omnibus a Deo concessas, non secus ac in statu naturae lapsae iustissimis de causis effectum est. Quia tamen id tunc non erat necessarium, contrariumque erat decens, verisimile est in eo statu dividendas non fuisse, tametsi homines illi id pro arbitratu potuissent efficere.“ DIEI I 5, 21: „Atque, quod ad rerum divisionem attinet, si prorsus tolleretur, tot inde orirentur mala, ut proculdubio culpa esset lethalis eam omnino tollere. Si tamen tolleretur, non dubito quin factum teneret. Ratio est, quoniam quemadmodum humana voluntas sufficiens causa fuit ad rerum dividionem inducendam, sic quoque sufficiens videtur ad illam tollendam.“
104
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
schen von Natur aus zustehendes Recht.³⁹¹ Aber da das Naturrecht Frieden und Ordnung fordert (zum Beispiel gemäß des allgemeinsten Prinzips des Naturrechts, des suum cuique: Achte eines jeden Recht, meide Unrecht), und Frieden und Ordnung nach dem Sündenfall ohne Verteilung der Güter nicht gewährleistet, ja sogar bedroht sind, ist es unerlässlich, das Privateigentum einzuführen. Die Verteilung geschieht nach dem menschlichen ius gentium, durch stillschweigende oder ausdrückliche Übereinkunft der Menschen, wie schon bei Thomas von Aquin. Das Naturrecht erlaubt diese Einführung, da sie dem Naturrecht nicht widerspricht, denn das Naturrecht will das Gute (Frieden, Ordnung) nicht verhindern. Daher besteht gemäß Molina naturrechtlich sogar die Pflicht, Privateigentum und eine staatliche Ordnung bzw. Herrschaft einzuführen. Anders als bei Thomas von Aquin scheint dem Menschen bei Molina von Natur aus nichts bzw. alles zuzustehen und privates Eigentum kann es nur nach Übereinkunft zwischen den Menschen geben. Die partikuläre Besitzverteilung unterliegt der positiven Rechtsordnung. Eigentum zählt demnach bei Molina zu den erworbenen Rechten, wie bei Grotius und Pufendorf. Da die Einführung des Eigentums und der Herrschaft im Einklang mit dem Naturrecht eingerichtet wurden, verfügen auch Ungläubige über dominium proprietatis und dominium iurisdictionis, wie Molina am Ende von Disputation 27 des zweiten Traktats etwas überraschend anfügt, nachdem er in dieser Disputation unter anderem mithilfe vieler Bibelstellen begründet hat, „weshalb alle rechtmäßigen weltlichen Herrschaften von Gott seien“: Aus dem, was in dieser und den neun vorangehenden Disputationen gesagt worden ist, wird jedem deutlich sein können, dass der Umstand, dass einige Völkerschaften ungläubig sind, ganz und gar nicht verhindere, dass es unter den Menschen dieser [Völkerschaften] echte Könige, die über sie herrschen, und andere rechtmäßige weltliche Herrschaften gibt, und ferner ebenso wenig verhindere, dass die Ungläubigen selbst die Herren derjenigen Sachen sind, die sie als Privatpersonen als ihre eigenen besitzen. Denn die dominia der Rechtsprechung und des Eigentums sind dem ganzen Menschengeschlecht gemeinsam, und ihr Fundament ist weder der Glaube noch die Nächstenliebe, vielmehr entstehen sie, wie dargelegt worden ist, mittelbar oder unmittelbar aus der Natur der Dinge und der ersten Einrichtung der Dinge, nachdem die Natur durch die Sünde zerstört und deshalb eine Aufteilung der Dinge vorgenommen worden ist.³⁹²
Demzufolge kann angenommen werden, dass Molina auch der indigenen Bevölkerung Amerikas ihr Eigentum zugestanden hätte, ähnlich wie Vitoria, der feststellt, die Indi
cf. Kleinhappl (1932, 52) DIEI II 27, 192: „Ex his, quae tum hac tum novem aliis disputationibus praecedentibus dicta sunt, facile cuivis poterit esse manifestum nationes aliquas infideles esse nihil omnino impedire, quo minus inter homines earum veri reges sint, qui illis dominentur, legitimaeque aliae potestates saeculares. Nec item impedire, quo minus infideles ipsi legitimi sint earum rerum domini, quas tamquam privatae personae ut proprias possident. Etenim dominia iurisdictionis et proprietatis toti generi humano sunt communia eorumque fundamentum neque est fides neque caritas, sed mediate vel immediate oriuntur ex ipsismet naturis rerum primaque ipsorum constitutione dissoluta natura per peccatum factaque ea de causa rerum divisione, ut explicatum est.“
3.7 Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht
105
barbari seien bereits vor der Ankunft der Spanier wahre Eigentümer (veri domini) gewesen, weshalb man sie nicht ihres Eigentums hätte berauben dürfen noch sie als Sklaven von Natur aus betrachten könnte.³⁹³ Wie Molina aber Herrschaft unter den Menschen legitimiert, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.
3.7 Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht In Analogie zur Aufteilung der Güter sind auch die Herrschaftsverhältnisse unter den Menschen nach dem Naturrecht allen gemeinsam und alle Menschen sind von Natur aus frei. Daher muss sich Molina mit der Frage auseinandersetzen, wie Macht (potestas) und dominium iurisdictionis, Herrschaft bzw. Rechtsprechung grundsätzlich zu rechtfertigen seien und welche Herrschaftsformen legitim, das heißt nicht gegen das Naturrecht sein können. In De Iustitia et Iure werden die Legitimation und die verschiedenen Formen der weltlichen und geistlichen Macht untersucht sowie das Verhältnis, in dem weltliche und geistliche Macht zueinander bestehen (Disputationen 21−31 des zweiten Traktats).³⁹⁴ Molinas Diskussion der Sklaverei schließt unmittelbar an die Analyse des dominium iurisdictionis an (über die Sklaverei und den Sklavenhandel handeln die Disputationen 32−40 des zweiten Traktats). In diesem Kapitel soll herausgearbeitet werden, wie Molina grundsätzlich die Macht in einer staatlichen Gemeinschaft rechtfertigt. Unter Rückgriff auf Aristoteles bestimmt Molina den Menschen als animal civile et politicum ³⁹⁵ und übernimmt die aristotelische Klassifikation von Gemeinschaften und den daraus resultierenden Herrschaftsbeziehungen aus dem ersten Buch der Politik des Aristoteles: 1. die Familie (Mann und Frau, Eltern und Kinder), 2. der Haushalt/oikos (die Familie und Sklaven, das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven), 3. das Dorf (der Verband von kleineren Gemeinschaften) und 4. der Staat/polis (die Gemeinschaft von Gleichen zur Ermöglichung des bestmöglichen Lebens der Menschen). Auf sich allein gestellt sei es dem Menschen nicht möglich zu überleben und auch im Zusammenhalt einer Familie könne die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Menschen nicht gewährleistet werden.³⁹⁶ Daher sei es aus sozio-ökonomischen Gründen notwendig, dass die Menschen sich zu staatlichen Gemeinschaften zusammenfinden. Im Einklang mit Ari-
cf. De Indis I 24 Die geistliche Macht wird in dieser Untersuchung allerdings nur näher beleuchtet, wenn sie für die Analyse der politischen Macht bzw. des dominium iurisdictionis im Kontext der weltlichen Macht relevant ist. DIEI II 22, 170: „Praeter societatem, aut societates explicates, maiori quadam indiget homo, ad quam suaptenatura propendet, naturali lumine intellectus eam docente, et ad illam hominem instigante, a qua civile et politicum animal nuncupatur.“ cf. DIEI II 22, 170−171
106
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
stoteles strebt nach Molina der Mensch natürlicherweise zum Leben mit anderen in einer Gemeinschaft und daher sei die politische Gemeinschaft durch das Naturrecht gerechtfertigt. Bei der Bestimmung der menschlichen Gemeinschaften grenzt sich Molina allerdings insofern von Aristoteles ab, als er keine Sklaverei von Natur aus akzeptiert, sondern, wie im fünften Kapitel ausführlicher dargestellt wird, erklärt, Sklaverei sei nur als bürgerlich-rechtliche Sklaverei zu legitimieren.³⁹⁷ Frank Costello hat zu Recht darauf hingewiesen, dass für Molina nur die väterlichen und ehelichen Gemeinschaften von Natur aus bestehen.³⁹⁸ In den Zustand der Sklaverei kann ein Mensch Molina zufolge durch Kriegsgefangenschaft geraten, aus einer extremen Notsituation heraus durch Selbstverkauf oder den Verkauf der eigenen Kinder, als Strafe für ein schweres Verbrechen oder wenn sie oder er als Kind einer Sklavin geboren wird (gemäß dem Prinzip partus sequitur ventrem aus dem Römischen Recht.)³⁹⁹ Molina betont, nur unter diesen Umständen sei Sklaverei gerechtfertigt. Die aristotelische Vorstellung, dass neben der bürgerlich-rechtlichen Sklaverei auch die Sklaverei von Natur aus bestehen könne, durch die ‚Barbaren‘, denen aufgrund ihrer geistigen Schwäche als beseelte Werkzeuge der griechischen Herren durch deren Leitung überhaupt erst eine Lebensführung ermöglicht wird, kann Molina nicht zuletzt aufgrund seiner Willensmetaphysik keineswegs teilen, die die Bedingungen für den Menschen als Träger von Rechten schafft und damit auch Sklaven einen rechtlichen Status zugesteht, der sie nicht nur zum Eigentumsobjekt eines Herren bestimmt, sondern ihnen eine rechtliche Sonderposition zwischen Rechtsobjekt eines anderen und Rechtssubjekt zugesteht, da sie selbst im Zustand der Sklaverei als Menschen anzusehen seien.⁴⁰⁰ Doch soll in diesem Kapitel die Legitimation von Herrschaft und damit auch der staatlichen Gemeinschaft untersucht werden: Frank Costello hat deutlich hervorgehoben (im Kontrast zu J.N. Figgis und Otto Gierke), dass Molina die politische Gemeinschaft nicht einfach als Folge des Sündenfalls betrachtet, sondern sie auf drei Weisen rechtfertigt: In der menschlichen Bedürftigkeit (indigentia), der Geselligkeit (socialitas) und mit Johann Kleinhappl auch durch den Sündenfall und dem daraus resultierenden Verlust der ursprünglichen Gerechtigkeit (eventus peccati).⁴⁰¹ Nach Kleinhappl führt Molina den eventus peccati als letzten Grund zur Rechtfertigung der staatlichen Gemeinschaft an und daher könne der Sündenfall keineswegs als einzige
Eine detaillierte Untersuchung von Molinas Rechtfertigung der Sklaverei bietet Kaufmann (2014, 190−201). Costello (1974, 25): „Molina’s conclusion is that only the paternal and conjugal societies are natural. Here, of course, he departs from Aristotle and follows St. Thomas.“ cf. DIEI II 20, 154 cf. DIEI II 32 und für eine detaillierte Darstellung der Bedingungen für den Kauf und Verkauf von Sklaven cf. DIEI II 33 siehe Kapitel 5 cf. Costello (1974, 31)
3.7 Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht
107
Ursache für die Existenz der politischen Gemeinschaft angesehen werden.⁴⁰² Molina sieht die staatliche Gemeinschaft durch jeden dieser drei Gründe als gerechtfertigt an, und es kann keine Hierarchie zwischen diesen verschiedenen Legitimationen der Existenz einer politischen Gemeinschaft festgestellt werden. Dass nicht ausschließlich der Sündenfall die Menschen zur Zusammenkunft einer politischen Gemeinschaft bewegt hat, stellt eine weitere Indikation für die Fusion des aristotelischen Konzepts und der christlichen (politischen) Argumentationstradition in Molinas Denken dar.⁴⁰³ Damit Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit unter den Menschen gewahrt werden können, ist es notwendig, dass die res publica unversehrt und vollkommen ist.⁴⁰⁴ Nach Molina kann dies – klassisch für die Schule von Salamanca ⁴⁰⁵ – am besten in einer Monarchie gewährleistet werden.⁴⁰⁶ Allerdings sollte dabei der Machtumfang des Königs „Verhandlungssache“ sein, wie Matthias Kaufmann hervorgehoben hat.⁴⁰⁷ Denn Molina zufolge wird das Ausmaß der Macht des Königs diesem von der politischen Gemeinschaft zugestanden – über unbeschränkte Macht verfügt allein Gott: Er hat den Herrschern das dominium iurisdictionis gegeben und er hat sie als Herrscher bestimmt. Daher ist es immer auch ein Ungehorsam gegenüber Gott, wenn Untergebene den Anweisungen ihrer Herrscher nicht Folge leisten.⁴⁰⁸ Auch wenn die Gebote und Gesetze der weltlichen Herrscher dem menschlichen Recht entstammten, so beruhe der Umstand, dass man ihnen zu gehorchen habe, sofern sie nicht ungerecht sind, auf dem natürlichen und göttlichen Recht.⁴⁰⁹ Aber das Ausmaß der Macht des Königs hat bestimmte Grenzen, das heißt, der König darf seine Macht nicht willkürlich ausüben und ausdehnen. Somit ist die politische Gemeinschaft nicht abhängig von der Gnade des Königs, wie auch Annabel Brett herausgestellt hat: „It is far more likely, according to Molina, that kings have seized too much power for themselves. Although the commonwealth cannot alter the terms of royal power after the initial concession, it can nevertheless resist a king if he assumes for himself powers that were not conceded by the commonwealth and thus cf. Kleinhappl (1935, 11) Daher kann ich keineswegs Harro Höpfls (2004, 203) These zustimmen, der Molina in dieser Hinsicht zu einem Vorläufer von Thomas Hobbes zu erklären scheint: „Molina seemed to reckon security of families or individuals against each other as the principal incentive to associate in a commonwealth.“ DIEI II 22, 172: „[…] indiget homo vita non solum in communitate plurimum amiliarum, sed etiam integrae perfectaeque reipublicae, ut pax, securitas et iustitia inter homines conservetur.“ Hamilton (1963, 40): „The theory of kingship in Vitoria, Suárez, Molina, and De Soto is practically identical; […].“ cf. DIEI II 23 Kaufmann (2010, 382): „Trotz der Ablehnung der Vertragstheorie und der Präferenz für die Monarchie bleibt die Machtfülle, welche dem Monarchen zusteht, Verhandlungssache. Der König darf sich der und nur der Macht bedienen, welche ihm von der politischen Gemeinschaft – etwa auf dem Wege des Gewohnheitsrechts – zugestanden wurde.“ cf. DIEI V 46, 1670−1671 DIEI II 27, 190: „Quo fit, ut leges et praecepta non iniusta laicarum potestatum de iure sint humano, quod vero illis pareamus, sit de iure naturali ac divino.“
108
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
becomes a tyrant.“⁴¹⁰ Molina scheint also – vielleicht auch vor dem Hintergrund der sogenannten Entdeckung des neuen Kontinents – einer Willkürherrschaft durch den König entschieden entgegenwirken zu wollen. Die Macht des Königs ist zwar von Gott gegeben, aber im Hinblick auf das Ausmaß der Macht des Königs besteht ein Mitspracherecht des Volkes, so Molina. Dies wird ebenfalls bei der Bestimmung des Gesetzes eine Rolle spielen, denn wenn ein Gesetz gültig sein soll, bedarf ein Befehl des Königs der Zustimmung des Volkes – auch wenn dies der Semantik des Befehls zuwiderläuft. Aber wenn das Ausmaß der Macht des Königs „Verhandlungssache“ sein soll, können die Bürger nur über die Gesetze und die Verfassung Einfluss auf die Macht des Königs nehmen. Annabel Brett zufolge unternimmt Molina daher in seinem Konzept politischer Macht grundsätzlich eine zweifache Analyse: Politische Macht ist bei Molina mit Hinblick auf Macht und Gesetz „held by the commonwealth, and […] by rulers of various kinds.“⁴¹¹ Bereits an dieser Stelle kann eine Analogie zwischen Molinas Konzept der scientia media in der Concordia, das im vierten Kapitel ausführlicher erläutert wird, und seiner politischen Philosophie in De Iustitia et Iure beobachtet werden: Das dominium iurisdictionis ist den menschlichen Herrschern von Gott gegeben und Gott hat auch bestimmt, wer Herrscher sein soll. In Übereinstimmung mit dem Konzept der scientia media sind aber die Untergebenen den Entscheidungen der Herrscher nicht ausgeliefert: Durch die scientia media, eine von drei Formen des göttlichen Allwissens, weiß Gott durch seine Vorsehung, wie die Menschen sich unter Berücksichtigung aller möglicher Umstände entscheiden werden und schafft die Bedingungen so, dass die Menschen sich frei und gleichsam in seinem Sinne entscheiden, da er weiß, welche Art von Wesen er erschaffen hat. Gott verfügt also über mittleres Wissen nur, weil er etwas vom metaphysisch kontingenten Stand der Dinge weiß. Er hat aber keine Kontrolle über die Entscheidungen und über die Handlungen der Menschen,⁴¹² wenngleich die Bedingungen, unter denen Menschen frei handeln, von Gott (in seinem Sinne) geschaffen wurden. In Übereinstimmung mit der Idee einer scientia media ist das Volk in Bezug auf das bonum commune nicht von gnädigen Entscheidungen des Königs abhängig, stattdessen muss der (von Gott bestimmte) König die Interessen und den Willen des Volkes bei der Gesetzgebung berücksichtigen, wenn seine Gesetze Geltung haben sollen. Auch wenn in Molinas Theorie politischer Autorität der Gedanke der Volkssouveränität nicht enthalten ist, sondern er dem Volk lediglich, aber immerhin ein Vetorecht in Bezug auf die Gesetzgebung des Königs zugesteht, kann sie grob dem interpretativen Schema zugeordnet werden, dessen Anhänger die Schriften der Jesuiten als ein Plädoyer für Volkssouveränität und Demokratie darstellen.⁴¹³ Dies be-
Brett (2014, 170) Brett (2014, 174) Freddoso (1988, Introduction, 47) Costello (1974, 37) betont: „it was Harold Laski [1925. A Grammar of Politics. London: George Allen and Unwin.] who warned that democratic government is less a matter for eulogy than exploration.“ um
3.7 Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht
109
stätigt auch die Einschätzung Annabel Bretts: „Molina […] places the commonwealth in a far stronger position vis-à-vis its rulers than had Vitoria and Soto, his chief sources in formulating his theory of civil power.“⁴¹⁴ Die in der Concordia entwickelte Idee der menschlichen Selbstbestimmung lässt sich also in De Iustitia et Iure wiederentdecken: Gott weiß durch seine Vorsehung, wie sich die von ihm geschaffenen Menschen frei in jeder gegebenen Situation entscheiden, und Gott schafft die Umstände, die den Rahmen für die Handlungen des Menschen bilden. In De Iustitia et Iure wird Gottes Vorsehung von Molina durch die lex aeterna berücksichtigt, die in Folge von Thomas von Aquin an der Spitze der lex-Hierarchie (lex aeterna, lex naturalis, lex humana und lex divina) steht und für Gottes Plan und Ordnung steht, nach der auch Recht und Politik ausgerichtet sind.⁴¹⁵ Somit stammt also nicht nur die Macht des Königs von Gott, sondern auch die Macht der Gemeinschaft und auch das Vetorecht des Volkes stammen von Gott,⁴¹⁶ wie gleich noch ausführlicher gezeigt wird. Damit lässt sich die Frage aufgreifen, inwiefern die staatliche Gemeinschaft und damit auch politische Macht natürlicherweise legitimiert sein können. Mit Francisco de Vitoria und Domingo de Soto stellt Molina heraus, dass es für die Menschen gemäß des natürlichen Lichts des Verstandes aufgrund ihrer Entscheidung, miteinander zusammenzuleben evident gewesen sei, sich zu einer res publica zusammenzufinden: Vitoria, in der Vorlesung De potestate civili, Nr. 6 ff., und de Soto, De iustitia, Buch 4, Qu. 4, Art. 1, versichern, dass eben dadurch, dass die Menschen zusammenkommen, um den Körper eines Gemeinwesens zu erschaffen, nach dem Naturrecht die Herrschaft des ganzen Körpers des Ge-
die These zu relativieren „that there was no general theory of popular rights before the Jesuits“, wie Leopold Ranke behauptet hatte. Brett (2014, 174) DIEI V 46, 1688: „[…] sicut omnia universim divinae providentiae subduntur, quia dum unum divinae providentiae ordinem egrediuntur, in aliud eiusdem divinae providentiae relabuntur […]: ita omnia subiici aeternae et incommutabili legi Dei: […].“ Robert Schnepf (2004, 128−129) wendet die Lehre vom göttlichen concursus („die Abhängigkeit innerweltlicher Kausalverhältnisse von Gottes eingreifendem Handeln (concursus)“), die „insbesondere von Luis de Molina und Francisco Suàrez entwickelt wurde“, auf die politische Philosophie an, der der Satz aus dem Rm. 13.1. ,Alle Gewalt ist von Gott‘ seit Francisco de Vitoria in der Schule von Salamanca „als Teil einer regelrechten Kausaldiagnose staatlicher Gewalt“ zugrunde liege. Für Molina gelangt Schnepf (2004, 133) zu dem Ergebnis, dass Gott „sich in seinem unterstützenden Handeln jeweils den besonderen Naturen vollständig an[passt]. […] Diese Anpassung ist insofern angemessen, als der concursus nur gewährleistet, dass eine Ursache den spezifischen Effekt, dessen spezifische Natur sich aus der Natur der Ursache ergibt, tasächlich hervorbringen kann. […] Diese vollständige Anpassung Gottes in seinem unterstützenden Handeln gilt nun bei Molina und Suàrez nicht nur für Kausalverhältnisse, die wir für gewöhnlich als ,natürliche‘ bezeichnen, sondern eben auch für Willensakte und ihre Folgen. Kurz gesagt: So wie Gott unterstützt, dass ein Feuer einen Wasserkessel erhitzt, so unterstützt er, wenn sich jemand frei entscheidet, etwas zu tun, und er dieses dann tatsächlich umsetzt. Gottes concursus passt sich also auch kontingenten menschlichen Willensentscheidungen an.“
110
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
meinwesens über die einzelnen Teile entstehe mit dem Zweck, sie zu regieren, ihnen Gesetze aufzuerlegen, über sie Recht zu sprechen und sie zu bestrafen.⁴¹⁷
Letzteres ist übrigens dem Individuum als ‚Privatperson‘ durch das Naturrecht verboten.⁴¹⁸ Denn ein einzelner Mensch ist zu einem objektiven Urteil nicht in der Lage und läuft immer Gefahr, sich von persönlichen Befindlichkeiten beeinflussen zu lassen: Da es nach dem Verlust der ursprünglichen Gerechtigkeit durch die Erbsünde ferner unvermeidlich ist, dass zahlreiche Streitigkeiten und Reibereien entstehen, werden diese durch die Autorität des Gemeinwesens viel leichter, sicherer und gerechter beigelegt werden, als wenn jeder Einzelne Richter in eigener Sache sein müsste. Ein jeder wird nämlich durch Leidenschaft und Eingenommenheit für das Eigene leicht geblendet; sein Urteil [wird somit leicht] verdorben, während dies bei der durch öffentliche Autorität eingerichteten Herrschaft nicht so leicht vorkommt.⁴¹⁹
Die Macht im Staat ist daher auch in der Gemeinschaft konstituiert,⁴²⁰ nicht in den Individuen, und zwar durch das Naturrecht und damit direkt legitimiert durch Gott.⁴²¹ Molina bestimmt Macht (potestas) als „die Fähigkeit von jemandem, der Autorität und Vorrang über andere hat, um sie zu regieren und zu leiten.“⁴²² Individuen könnten jedoch nur eine Auswahl bestimmter Machtbefugnisse innerhalb des Staates innehaben,⁴²³ die ihnen vom positiven Recht zugestanden werden, denn die durch Gott
DIEI II 22, 173: „Vitoria in relectione de potestate civili a num. 6 et Sotus 4 de iustitia quaest. 4 art. 1 asseverant, eo ipso, quod homines ad integrandum unum reipublicae corpus conveniunt, iure naturali oriri potestatem corporis totius reipublicae in singulas partes ad eas gubernandum, ad leges illis ferendum, iusque illis dicendum, et ad eas puniendum.“ Costello (1974, 45): „Political authority, then, includes the right to kill and the right to punish. Private persons are forbidden to do this by natural law.“ DIEI II 22, 172: „Item, cum amissa originali iustitia per peccatum, necesse sit plures oriri controversias ac difficultates, sane facilius multo, securius ac rectius reipublicae autoritate componentur, quam si unusquisque in causa propria iudex esse debeat. Facile namque quivis passione affectuque ad propria excaecatur, iudiciumque proprium pervertit, cum tamen non ita facile id contingat in potestate autoritate publica constituta.“ Kirstin Bunge (2013, 134) verwendet in diesem Zusammenhang für ihre Untersuchung zum subjektiven Recht bei Vitoria die Bezeichnung des Gemeinwesens als „kollektives Subjekt“, „das Freiheit und Rechte nicht nur einschränkt, sondern überhaupt erst gewährt.“ Da das Gemeinwesen die potestas ursprünglich von Gott erhält, darf der Subjektbegriff hier allerdings nicht überstrapaziert werden. cf. DIEI II 22, 175 DIEI II 21, 158: „Est facultas alicuius autoritatem et eminentiam super alios habentis ad eorum regimen et gubernationem.“ Wie Annabel Brett (2014, 166) und auch Molina selbst bemerken, übernimmt Molina diese Definition von Vitoria und Martín de Azpilcueta. DIEI II 22, 173−174: „cum ergo reipublicae id liceat, ut ex ipsomet usu, et ex scripturis constat, postulatque natura rei; efficitur, ut longe diversa sit potestas, quae ex natura rei consurgit in republica, a collectione particularium potestatem singulorum, ac proinde ut eam non habeat respublica autoritate singulorum, sed immediate a Deo.“
3.7 Herrschaft (dominium iurisdictionis): Natürliche Legitimation von Macht
111
und damit das Naturrecht legitimierte potestas könne nicht modifiziert oder gar minimiert werden – andernfalls wäre es ja nötig, „von jedem, der geboren wird oder zum Gemeinwesen neu hinzukäme, [zu] erfragen, ob er der Macht des Gemeinwesens über sich zustimme, und seine Zustimmung abzuwarten, was lächerlich ist.“⁴²⁴ Denn die Macht des Gemeinwesens beruht für Molina nicht auf einem Vertrag, sondern stammt von Gott.⁴²⁵ Allerdings kann die res publica gemäß dem Naturrecht Machtbefugnisse auf Individuen oder Gruppen übertragen, denn es „entsteht nicht allein die Herrschaft des Gemeinwesens aus dem Naturrecht, sondern es geht auch der Umstand, dass [das Gemeinwesen] sie einem oder mehreren überträgt, aus dem natürlichen Licht selbst und dem Naturrecht hervor, denn für sich genommen kann das Gemeinwesen als ganzes diese [Herrschaft] überhaupt nicht in Gänze ausüben.“⁴²⁶ Dabei sind eine Kollision oder ein Konflikt zwischen der Macht der res publica und der Macht der Herrscher auszuschließen (zumindest in einer gerechten Regierung zum Wohle des Gemeinwesens), denn die Macht eines Herrschers geht zwar aus dem Naturrecht hervor, aber das Ausmaß der Macht des Herrschers sowie die Regierungsform (Monarchie, Demokratie, Aristokratie) werden durch das positive Recht festgelegt.⁴²⁷ Die res publica kann nichts von ihrer Macht verlieren, auch wenn Machtbefugnisse der Autorität Einzelner oder Mehrerer im Staate übertragen werden, da die Macht gemäß dem Naturrecht genuin bei der res publica und nicht bei den Individuen liegt.⁴²⁸ Aus diesem Grund bestehen – quasi metaphysisch, nicht in praktischer Hinsicht – zwei Herrschaften parallel: „eine im König, eine andere aber im Gemeinwesen, welche [letztere] gewissermaßen als Habitus vorhanden, an ihrer Ausübung aber solange gehindert ist, wie jene andere Herrschaft andauert – und zwar genau soviel gehindert ist, wie das Ausmaß der Herrschaft beträgt, die das Gemeinwesen für die Zukunft in unabhängiger Weise an jenen König abgetreten hat.“⁴²⁹ Molina bestimmt die res
DIEI II 22, 175: „Confirmatur, quoniam si autoritas reipublicae non esset a Deo immediate, sed a concessione partium, sane tunc, si aliquis de cohabitantibus suum ad id non vellet praebere assensum; respublica nullam in eum autoritatem haberet: quippe cum singuli alii non habeant ius et autoritatem in hunc, ac proinde nec possent tribuere reipublicae autoritatem in ipsum. Quare ac quocumquae, qui de novo nasceretur, aut de novo veniret in rempublicam, interrogandum esset, an consentiret in autoritatem reipublicae supra se, exspectandusque esset illius consensus: quod est ridiculum.“ cf. Kaufmann (2010, 381) DIEI II 26, 188: „[…] non sola potestas Reipublicae oritur ex iure naturali, sed etiam, quod eam alicui vel aliquibus committat, proficiscitur a lumine ipso, iureque naturali; eo quod Respublica tota nequaquam, secundum se totam, possit illam exercere: ergo sive Respublica sibi eligat regium regimen, sive Aristocratium, sive Democratium, sane suprema a civilis potestas, quam pro suo arbitratu elegerit, semper erit de iure naturali.“ cf. DIEI II 26, 188 cf. DIEI II 26 DIEI II 26, 189: „nihilominus negandum non est manere duas potestates, unam in rege, alteram vero quasi habitualem in republica impeditam ab actu, interim dum illa alia potestas perdurat, et
112
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
publica übrigens wie folgt: „Man verstehe hier unter den Ausdrücken Gemeinwesen und Bürgerschaft auch die benachbarten Städte sowie die umliegenden Dörfer und Landgüter, die die Hauptgemeinschaft, welche die Hauptstadt ist, für die Landwirtschaft und für andere Mittel des Lebensunterhaltes benötigt. Und nach der so verstandenen Bürgerschaft und dem so verstandenen Gemeinwesen wird der Mensch ein bürgerliches und politisches Lebewesen genannt.“⁴³⁰ Die Analogie zu Aristoteles schließt dieses Kapitel ab und leitet gleichsam zum folgenden Kapitel über: Wie die polis stellt auch die res publica die Einheit des gesellschaftlichen Lebens dar und ermöglicht den Menschen, die zum Leben notwendigen Bedürfnisse zu stillen, sodass ein autarkes Leben verwirklicht werden kann. Im folgenden Kapitel wird nun näher beleuchtet, durch welche Herrschaftsform ein solches Leben im Einklang mit dem bonum commune Molina zufolge am besten erlangt werden kann.
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune Dass Molina die Monarchie für die beste Regierungsform hält, um das bonum commune zu wahren, wurde im vorangegangenen Kapitel bereits angesprochen. In diesem Kapitel wird erläutert, wie Molina sein Plädoyer für die Monarchie argumentativ stützt, wobei auch andere Regierungsformen diskutiert werden. Es wurde schon erwähnt, dass Molina Macht (potestas) bestimmt als „die Fähigkeit von jemandem, der Autorität und Vorrang über andere hat, um sie zu regieren und zu leiten.“⁴³¹ Über diese Fähigkeit könne nur jemand verfügen, der oder die aufgrund von Verstand und freiem Willen andere regieren und leiten kann und daher käme unter allen körperlichen Dingen die Macht nur den Menschen zu⁴³² (wie Molina überhaupt dominium nur den Menschen zugesteht). Mit Aristoteles (Politik, Buch I) grenzt Molina die Herrschaft (potestas) über Sklaven, die für das Wohl ihrer Herren zu sorgen haben, klar von der politischen Herrschaft über Freie ab: „Denn da die Freien um ihrer selbst, die Sklaven aber um ihrer Herren willen da sind, muss die Regierung über Freie besonders das Wohl (bonum) der Regierten beachten, wenngleich diese ihrem Regenten je nach der Beschaffenheit seines Amtes Ehre, Gehorsam und Un-
tantum praecise impeditam, quantum respublica independenter in posterum a se regi illi eam concessit.“ DIEI II 22, 171: „Nomine reipublicae, ac civitatis, hoc loco intellige, etiam oppida vicina, pagos, ac villas circuniacentes, quibus praecipua communitas, quae caput est, ad agriculturam, aliaque subsidia indiget. Atque a civitate, republicaque hoc modo sumpta, dicitur homo civile ac politicum animal.“ DIEI II 21, 158: „Est facultas alicuius autoritatem et eminentiam super alios habentis ad eorum regimen et gubernationem.“ DIEI II 21, 159: „Est ergo potestas, de qua loquimur, in solis vigentibus intellectu et libero arbitrio ad alios regendos et gubernandos, atque adeo in solis hominibus, inter res omnes corporeas.“
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune
113
terordnung erweisen müssen, und der Regent ebendies zugleich auch fordern und erstreben kann.“⁴³³ Er übernimmt ebenfalls das aristotelische Gliederungsschema von drei guten bzw. gerechten Regierungsformen und drei entarteten bzw. unrechten Regierungsformen: Zu ersteren gehören die Monarchie, die Aristokratie und die Demokratie, wobei Molina darauf hinweist, dass er die Bezeichnung ‚Demokratie‘ im positiven Sinne verwendet und damit insofern vom aristotelischen Schema abweicht, als Aristoteles die Demokratie negativ als Herrschaft der Armen bestimmt und der positiv bestimmten Demokratie bei Aristoteles die Politie als positive Herrschaft von Mehreren entspräche.⁴³⁴ Zu den entarteten bzw. ungerechten Regierungsformen zählt Molina die Tyrannei und die Oligarchie (und Aristoteles, wie erwähnt, zusätzlich die Demokratie als Herrschaft der Armen). In der Monarchie regiert ein einzelner Herrscher das Gemeinwesen und ihm obliegt die Gesetzgebung. Wenn einige Wenige, „und zwar die Besten regier[en], wie zum Beispiel einst [in] Rom vor der Kaiserzeit oder heutzutage [in] Venedig“,⁴³⁵ dann wird das Gemeinwesen als eine Aristokratie regiert und wenn mehrere regieren als Demokratie. Bei allen Regierungsformen wird die Herrschaft (potestas) den Regenten vom Gemeinwesen übertragen und das Ausmaß der Herrschaft wird den Regenten vom Gemeinwesen zugestanden.⁴³⁶ Wenn der oder die Regenten die ihnen vom Gemeinwesen zugestandene Macht eigenständig ausweiten und somit missbrauchen, entartet durch dieses Unrecht die gerechte Regierungsform in die Tyrannei bzw. wenn mehrere regieren, in die Oligarchie. Denn in den ungerechten Regierungsformen üben die Herrscher ihre Macht nicht zum Wohle des Gemeinwesens (bonum commune) aus, sondern um ihre eigenen Interessen zu verfolgen,⁴³⁷ und daher steht die Herrschaft des Tyrannen oder der Oligarchen im Widerspruch zu der genannten Bestimmung der politischen Herrschaft, die von der Herrschaft über Sklaven eben dadurch unterschieden wird, dass die Herrschaft das Wohl der Regierten zu verfolgen hat. DIEI II 22, 169−170: „Autore namque Aristotele, 1. Politicorum, hoc est discrimen inter regimen liberorum ac servorum. Quod cum liberi sint gratia sui, servi vero gratia dominorum, liberorum regimen praecipue bonum eorum, qui reguntur, spectare debet, tametsi rectori pro muneris qualitate honor, obedientia et obsequia a subditis exhiberi debeant eaque ipsa rector exigere ac intendere simul possit.“ DIEI II 23, 179: „Quando autem fit in tertio, Democratia appellatur, tametsi iam hodie ab aliquibus nomen hoc in bonam partem sumatur, quo pacto illud hactenus sumpsimus. Aristoteles tamen, 3. Politicorum, cap. 5, tertiam regiminis iusti speciem appellat politiam, id est, Rempublicam, nomine, tribus illis speciebus regiminis iusti alioquin communi, accommodato ad significandam solum tertiam speciem, deflexionem vero ab illo per iniustitiam, appellat democratiam.“ DIEI II 23, 176: „Deinde, aut respublica gubernatur per paucos et optimates, ut Roma quondam ante Imperatores et Venetiae hodie, et dicitur Aristocratia: rectores vero vel Senatores vel alio nomine, prout respublica instituerit, appellantur.“ DIEI II 23, 176: „Cum autem potestas a republica in rectores derivetur pro ipsius reipublicae arbitratu, poterit sane in unaquaque reipublicae specie derivari amplior et minus ampla neque est maior in reipublicae rectoribus, quam a republica fuerit illis concessa. Quin potius, si rectores eam extendant maioremque sibi usurpent, in tyrannidem per iniustitiam, quam ea in parte committunt, degenerant.“ cf. DIEI II 23, 179
114
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Das bonum commune besteht nun in erster Linie im Frieden und der öffentlichen Ruhe (pax et tranquillitas publica). Beides könne am besten in einer Monarchie gewahrt werden, da es in der Herrschaft eines Einzelnen (griechisch: mon-archia) weniger Anlass zu Streitigkeiten als in anderen Herrschaftsformen mit mehreren Herrschern geben werde und sich in der von Gott geschaffenen Natur viele Beispiele für die Monarchie finden ließen, wie Molina unter Rekurs auf den Grundsatz ars imitatur naturam begründet: Darüber hinaus ist eine Kunst umso vollkommener, je mehr sie die Natur nachahmt. In den natürlichen Dingen wird aber die Regierung auf Eines zurückgeführt, wie zum Beispiel nur ein Herz die Gliedmaßen und eine einzige Vernunft die übrigen Vermögen bewegt und steuert, wie eine Biene den übrigen vorsteht und wie die Regierung des ganzen Universums auf einen höchsten Regenten und Leiter, auf Gott, zurückgeführt wird. Daher kommt es, dass die Monarchie vorzüglicher ist als die übrigen Regierungen. Und nicht etwa haben in ihr die Untertanen weniger Freiheit als in den anderen Regierungsformen, wie Vitoria, De potestate civili, Nr. 11, richtig angemerkt hat, denn in ihr haben die Untertanen nur einen obersten Herrn, nicht aber mehrere wie in den anderen [Regierungen]. Man lese hierüber auch den heiligen Thomas, De regimine principum, Buch 1, Kap. 2.⁴³⁸
Der König sei verpflichtet, das Gemeinwesen vor äußeren und inneren Übeltätern zu schützen und zu verteidigen, Recht zu sprechen und Frieden und Ruhe unter den Untertanen zu wahren. Die Untertanen sind im Gegenzug verpflichtet, dem König Abgaben und andere Dinge zu entrichten, „die für die Macht, die Würde und die Ehre eines Königs unabdingbar sind.“⁴³⁹ Die königliche Regierung stimme mit der rechten Vernunft überein und sei im Einklang mit dem Naturrecht und der Heiligen Schrift.⁴⁴⁰ DIEI II 23, 179−180: „Ars praeterea eo perfectior est, quo plus naturam imitatur. In rebus autem naturalibus regimen ad unum reducitur, ut uno corde membra omnia moventur et gubernantur et unica ratione potentiae reliquae, una apes caeteris praeest, et regimen totius universi ad unum supremum rectorem et moderatorem Deum reducitur. Quo fit, ut monarchia caeteris regiminibus sit praestantior. Neque in ea minus est subditis libertatis quam in ceteris regiminibus, ut Victoria, de potestate civili, num. 11, recte adnotavit, cum in ea subditi unum tantum supremum dominum habeant, non plures ut in aliis. De hac re lege D. Thomam, 1. de regimine principum, cap. 2.“ DIEI II 25, 185−186: „Cum autem rex in protectorem et defensorem reipublicae ab externis hostibus et internis malefactoribus sit constitutus, atque ut ius dicat et pacem ac iustitiam in subditis conservet et denique ut rempublicam in commune bonum administret, eaque de causa tributa ei solvantur, aliaque emolumenta, quae ad regis potentiam, dignitatem et honorem necessaria sunt, sane tenetur rex de iustitia atque ex suo munere praedicta omnia praestare, quemadmodum subditi vicissim tenentur ei rependere reverentiam, oboedientiam, tributa et alia subsidia, quae pro munere suo illi debentur.“ DIEI II 27, 192: „Ex quibus constat saeculares potestates a Deo esse et ut Dei ministros Deum ipsum referre, praetera, dum illis oboedimus, Deo nos obedire eiusque praeceptum et voluntatem servare. Hinc ulterius facile patet, quam stultus eorum error fuerit, qui asseruerunt regium regimen esse contra ius naturale regesque omnes esse tyrannos et eorum regimen esse contra Christianam libertatem et legem evangelicam. Nihil enim, quod cum recta ratione consonat et a iure naturali derivatur et cum Scripturis Sacris omnino consentit, contra ius naturale esse potest. Praeterea Melchisedec rex fuit Salem et sacerdos Dei altimissimi. Ioseph procurator fuit Pharaonis regis Aegypti. David et Saul reges a
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune
115
Nicht nur Frieden und Ruhe werden also zuverlässiger in einer Einzelherrschaft bewahrt, wenn der Herrscher seine Herrschaft auf das bonum commune ausrichtet, sondern auch die Freiheit der Untertanen: Molina bezieht also in sein Plädoyer für die Monarchie als beste Regierungsform durch Berücksichtigung der Freiheit der Untertanen einen Bereich individueller Rechte mit ein, der einerseits nur bestehen kann, wenn die öffentliche Ordnung in Frieden und Ruhe gewahrt sind, andererseits aber nicht von der herrschenden Gewalt beeinflusst werden sollte. Dieser Gedanke entspricht der Vorstellung moderner Grundrechte bzw. subjektiver Rechte von Bürgern eines Staates, die einerseits nur innerhalb einer objektiven Rechtsordnung, das ist eine staatliche Rechtsordnung, bestehen und gewahrt werden können, und andererseits insofern außerhalb des Bereichs der öffentlichen Gewalt und Rechtsprechung liegen, als dem Individuum durch die subjektiven Rechte ein Schutz der Freiheit im Hinblick auf private Rechtsbereiche wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc. vor der staatlichen Autorität gewahrt werden sollen. So erklärt Molina, dass der Herrscher über ein Gemeinwesen allein das dominium iurisdictionis habe, das heißt, er darf über die Untertanen Recht sprechen, sie verteidigen und im Sinne des Gemeinwohles regieren. Aber er hat kein dominium über die Güter der Untertanen, diese unterlägen dem dominium proprietatis der Untertanen selbst.⁴⁴¹ Wenn ein Herrscher sich die Güter seiner Untertanen aneigne, begehe er daher ein Unrecht und sei zu Restitution verpflichtet. Die Interpretation, dass sich in Molinas Plädoyer der Monarchie als bester Staatsform das Konzept subjektiver Rechte aufzeigen lässt, kann auch gestützt werden, indem die Gesetzgebung in der Monarchie genauer betrachtet wird. Bereits im vorangegangenen Kapitel wurde angesprochen, dass das Ausmaß der Macht des Königs durch das Gemeinwesen bestimmt werde und somit ein Mitspracherecht des Volkes bestünde. Schon bei der Einrichtung der Monarchie kann das Gemeinwesen durch ein Wahlrecht miteinbezogen werden, denn die Monarchie kann auf folgende verschiedene Weisen eingerichtet sein:⁴⁴² 1. Jemandem wird die Monarchie auf Lebenszeit zugestanden. Nach dem Tod des Monarchen wählt das Gemeinwesen einen neuen Monarchen und bestimmt dabei
Deo sunt constituti. Et Deut. 17 filiis Israel conceditur constituere sibi reges regnique leges eo loco praescribuntur. Item Proverbiorum 18 ait Deus, Per me reges regnant, et legum conditores iusta decernunt. Cum vero nihil in Evangelio sit prohibitum, quod naturali iure non prohibeatur, libertasque Evangelii in eo sit posita, quod a iugo veteris legis simus liberati et quod a servitute peccati liberi facti simus iustitia, ridiculum profecto ineptumque omnino est asseverare regium regimen cum Evangelio Evangeliique libertate pugnare.“ DIEI II 25, 185: „Ex hactenus dictis est manifestum, regem et quemcunque alium supremum reipublicae administratorem, dominum non esse bonorum suorum subditorum, sed solum habere in suos subditos dominium iurisdictionis ad ius illis dicendum eosque defendendum et gubernandum in commune bonum. Ad hoc namque solum electus est concessaque illi est facultas et potestas a republica. Quare, si suorum subditorum bona pro libito sibi usurpet aut alteri concedat, iniustus est et ad restitutionem tenetur neque valida est talis concessio.“ cf. DIEI II 23, 176
116
2.
3.
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
die Form der Wahl sowie die Wähler. Bei der Wahl genügt die Übereinstimmung einer Mehrheit;⁴⁴³ Die Monarchie wird als Dynastie auch den männlichen Nachkommen eines zum Monarchen Bestimmten zugestanden. Sollte der Monarch keine Nachkommen nach seinem Tod zurückgelassen haben, wählt das Gemeinwesen einen neuen Monarchen; Das Gemeinwesen verzichtet auf sein Wahlrecht, da daraus Streitereien entstehen könnten, und gesteht jemandem die Monarchie für ihn selbst und seinen näheren Blutsverwandten als Nachfolger zu.
Auf welche Weise auch die Monarchie eingerichtet sein mag, die Gesetzgebung obliegt dem Monarchen. Allerdings besteht, wie bereits erwähnt, ein Mitspracherecht des Gemeinwesens im Hinblick auf das Ausmaß der Macht des Monarchen. Mit Alfonso de Castro (1495−1558) macht Molina darauf aufmerksam, dass das Gemeinwesen bei Gesetzen, die nicht das bonum commune fördern, Einspruch erheben könne, wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht: Alfonso de Castro, De potestate legis poenalis, Buch 1, Kap. 1, stellt Folgendes fest: Wenn die Sache nicht anderweitig feststeht, dann muss aus der allgemein akzeptierten Praxis, durch die ein Volk den vom König erlassenen und das Gemeinwesen bedrückenden Gesetzen entgegenzutreten oder nicht entgegenzutreten pflegt, ermittelt werden, ob das Volk bei der ersten Erschaffung der königlichen Herrschaft seinen Königen die Herrschaft zugestanden hat, derartige Gesetze in Abhängigkeit oder nicht in Abhängigkeit von der Billigung des Volkes zu erlassen.Wenn nämlich die Praxis besagt, dass solche Gesetze keine Geltung haben, wenn sie vom Volk nicht gebilligt werden, dann muss man davon ausgehen, dass das Gemeinwesen den Königen keine größere Herrschaft zugestanden hat als [diejenige], diese Gesetze in Abhängigkeit von der Billigung des Volkes zu erlassen. Und es ist wahrscheinlich, dass die Völker, wenn sie darauf geachtet haben, den Königen keine größere Herrschaft zugestanden haben; ja selbst dann, wenn sie nicht darauf geachtet haben, scheint eben dies die Absicht des Gemeinwesens gewesen zu sein, als es sich einen König gab, sofern es nichts anderes ausdrücklich festgelegt hat; und immer muss man eher annehmen, dass ein König durch seine Macht seine Herrschaft vergrößert habe und seine Untertanen es nicht wagten, Widerstand zu leisten, als dass die Untertanen ihm die einmal zugestandene Herrschaft eingeschränkt hätten. Daher wird es dem Gemeinwesen erlaubt sein, Gesetze, die es empfindlich bedrücken, nicht zuzulassen, sofern sie für das Gemeinwohl nicht ganz und gar unerlässlich sind. Wenn der Fürst es dazu zwingen sollte, wird er eine Ungerechtigkeit begehen. Wenn hingegen, so behauptet Castro, die allgemein akzeptierte Praxis besagen sollte, dass den nicht ungerechten Gesetzen der Fürsten ganz und gar zu gehorchen sei, so muss man annehmen, dass das Gemeinwesen all seine Herrschaft dem König ganz und gar übertragen habe, was man wohl kaum von irgendeinem [Gemeinwesen] glauben kann, zumal ja die Könige, wie gerade gesagt worden ist, durch ihre Macht ihre Herrschaft auszuweiten pflegen und es zudem in diesem Falle dem Gemeinwesen erlaubt sein wird, wegen der Gesetze, von denen es allzu schwer bedrückt wird, gleichsam beim Fürsten Berufung einzulegen, indem es ihn bittet, dass er entweder von ihnen [ganz] absehe oder aber ihre Härte mindere, und er wird anhören müssen, ob es einen angemessenen Grund für seinen Einspruch habe, wenn es ihm aber keinen hinrei-
cf. DIEI II 23, 180
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune
117
chenden [Grund] dargelegt hat, dann wird er es zwingen können, und es wird [ihm] zu gehorchen verpflichtet sein.⁴⁴⁴
Da das Gemeinwesen dem König die Macht ursprünglich zugestanden hatte, darf sich diese folgerichtig nicht gegen das Gemeinwesen richten. Gegen ungerechte Gesetze darf das Gemeinwesen daher gegenüber der Gesetzgebung des Königs Einspruch erheben. Allerdings muss dieser Einspruch dem König gegenüber überzeugend begründet werden, andernfalls ist der König berechtigt, das Volk zum Befolgen seiner Gesetze zu zwingen, so dass das Mitspracherecht deutlich relativiert wird und die von Molina erläuterte Monarchie als nicht ganz so liberal betrachtet werden kann, wie es vielleicht zunächst den Anschein erweckt haben mag. Eine grundsätzliche Ausnahme stellen die Gesetze eines Königs dar, der nach einem gerechten Krieg als Sieger hervorgegangen ist: Seinen Gesetzen ist vom besiegten Gemeinwesen ohne potenzielle Billigung Folge zu leisten, doch auch er ist verpflichtet, dem Gemeinwesen grundsätzlich erträgliche Gesetze aufzuerlegen.⁴⁴⁵ Auch wenn das Veto des Gemeinwesens einer guten Begründung bedarf, um den König davon zu überzeugen, sein Volk nicht zu ihm auferlegten Gesetzen zu zwingen, so räumt Molina dennoch grundsätzlich die Möglichkeit eines Vetorechts ein. Damit besteht in der von Molina erläuterten Form der Monarchie zumindest die Möglichkeit, gegenüber der objektiven Rechtsordnung anzuzeigen, wenn gegen (subjektive) Rechte verstoßen wird, obgleich diese nicht einklagbar sind. Molina stellt zudem klar, dass das Mitspracherecht des Gemeinwesens bezüglich des Ausmaßes der Macht des Königs nicht zum Putsch oder zur Anarchie führen dürfe. Denn nachdem das Gemeinwesen einmal den Machtumfang des Herrschers festgelegt
DIEI II 23, 177−178: „Observat Alfonsus a Castro, 1. de potestate legis poenalis, cap. 1, quando res aliunde non constat, ex usu recepto, quo populus contravenire aut non contravenire solet iis legibus a rege latis, quae rempublicam gravant, coniciendum esse, an populus in prima potestatis regnae creatione concessit regibus potestatem condendi huiusmodi leges dependenter ab approbatione populi aut non. Si namque usus habeat, ut tales leges vim non habeant, nisi a populo approbentur, censendum est rempublicam non maiorem potestatem regibus concessisse quam condendi eas leges dependenter ab approbatione populi. Verisimileque est, si populi ad id adverterunt, non maiorem potestatem regibus concessisse, immo esto non adverterent, haec videtur fuisse reipublicae intentio sibi regem constituentis, quando aliud non expressit; semperque est potius praesumendum regem per potentiam ampliasse suam potestatem, subditis non audentibus resistere, quam subditos restrinxisse illi potestatem semel concessam. Quare fas erit reipublicae non acceptare leges, quae ipsam notabiliter gravent, quando ad commune bonum necessariae omnino non sunt. Quod si princeps ad id eam cogat, iniustitiam committet. Si vero, inquit Castrus, usus receptus habeat, ut legibus principum non iniquis omnino pareatur, censendum est, Rempublicam omnem omnino suam potestatem regi concessisse, quod vix de aliqua credi potest, praesertim cum, ut paulo antea dictum est, reges per potentiam suam soleant extendere potestatem adhucque in hoc eventu fas erit reipublicae quasi appellare a legibus nimium eam gravantibus principem supplicando, ut vel ab eis abstineat vel rigorem earum minuat, oportebitque eam audire, iustamne causam suae appellationis habeat, quod si sufficientem non ostenderit, tunc quidem cogi poterit parereque tenebitur.“ cf. DIEI II 23, 178
118
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
hat, ist der König als Herrscher dem gesamten Gemeinwesen übergeordnet und hat daher auch das Recht, das Gemeinwesen zu strafen, wenn es sich seinen Gesetzen widersetzt. Das Gemeinwesen kann die dem König einmal zugestandene Macht nicht entziehen oder verringern – dann handele es sich nicht mehr um die Herrschaft eines Einzelnen, sondern um eine Demokratie, die für Molina, wie bereits erläutert, nicht die beste aller Staatsformen ist. Wenn das Gemeinwesen dem König zum Beispiel die Macht zugestanden hat, Gesetze zur Wahrung des bonum commune zu erlassen, könne er auch Gesetze erlassen, die seiner Ansicht nach das Gemeinwohl befördern, wie zum Beispiel das Gesetz der Ersitzung, durch das das dominium proprietatis eines Untertans auf einen anderen Untertan übertragen werde.⁴⁴⁶ Der König wird nur dann zum Tyrannen, wenn er die ihm zugestandene Macht überschreitet. In diesem Fall dürfe das Gemeinwesen Widerstand leisten: „Der Grund dafür ist, dass in dieser Hinsicht weder der König höher als das Gemeinwesen, noch das Gemeinwesen tiefer als der König steht; [dieses] bleibt [in dieser Hinsicht] vielmehr so, wie es sich verhielt, bevor es ihm die Herrschaft zugestanden hatte.“⁴⁴⁷ Neben der königlichen, weltlichen Herrschaft diskutiert Molina auch die kirchliche Herrschaft, die im Rahmen dieser Untersuchung jedoch nur in ihrem Verhältnis zur weltlichen Herrschaft berücksichtigt werden soll. Er bestimmt das Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher bzw. „gemeiner“ Herrschaft in Analogie zur aristotelischen Metapher⁴⁴⁸ der Sattler- und Reitkunst als untergeordnete und übergeordnete Kunst zur Erläuterung der eudaimonia als höchstem Gut, zu dem alles strebt. So wie die Sattlerkunst als übergeordnetes Ziel die Reitkunst hat und daher um der Reitkunst willen ausgeführt wird, so ist die weltliche Herrschaft im Hinblick auf ihren Zweck der kirchlichen Herrschaft ebenfalls untergeordnet: Da aber der Mensch dafür geschaffen ist, einen übernatürlichen Zweck durch übernatürliche Mittel zu erlangen, unterscheidet sich die kirchliche Herrschaft von der gemeinen darin, dass die gemeine aus sich lediglich darauf zielt, in angemessener Weise zu demjenigen natürlichen Zweck hinzuleiten, zu dem sie ihrer Natur nach angeordnet wird, die kirchliche aber darauf zielt, in angemessener Weise zu einem übernatürlichen Zweck hinzuleiten, indem sie nämlich zu den Mitteln führt, die dem übernatürlichen Zweck angemessen sind. Daher kommt es, dass diese beiden Herrschaften sich hinsichtlich der verschiedenen, einander untergeordneten Zwecke in gewisser Weise so unterscheiden, wie sich die Reit- von der Sattlerkunst unterscheidet, welche Art
DIEI II 25, 185: „Poterit tamen, quatenus administrator reipublicae est et quatenus ad commune bonum omnes illi subiciuntur, condere leges, quas ad idem bonum commune viderit expedire, quibus dominia amittantur et transferantur ad alios, ut legem praescriptionis et alias similes, idque non solum in poenam culpae, sed etiam in solum commune bonum nulla interveniente culpa. Item, si ratio postulaverit, exponere poterit non solum suorum subditorum bona, sed etiam personas pro bono communi, ab eisque exigere poterit et recipere, quae – servata quoad fieri poterit inter eos aequalitate – in bonum commune expedire fuerint iudicata.“ DIEI II 23, 178: „Ratio vero est, quia neque rex ea in parte est republica superior neque respublica est illo inferior, sed manet, ut se habebat, antequam illi ullam concederet potestatem.“ cf. EN I 1
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune
119
der Unterscheidung bei den praktischen Fähigkeiten geläufig ist. Wie es daher zur Reitkunst gehört, der Sattlerkunst zu gebieten, dass sie ihre Arbeit in angemessener Weise zum höheren Zweck der Reitkunst verrichten möge, so gehört es auch zur kirchlichen Herrschaft, der gemeinen Herrschaft zu gebieten, dass sie in angemessener Weise zum übernatürlichen Zweck der kirchlichen Gewalt beitragen soll, für den der natürliche Zweck der gemeinen Herrschaft angeordnet wird.⁴⁴⁹
Die weltliche, gemeine Herrschaft hat mit dem bonum commune also ein natürliches Ziel, das jedoch dem übernatürlichen Ziel (finis supernaturalis) der kirchlichen Herrschaft untergeordnet ist: Dieses übernatürliche Ziel ist das geistliche Seelenheil im Jenseits. Molina erklärt also einen Vorrang der geistlichen Herrschaft über die weltliche Herrschaft, der unter anderem auch darin gründet, dass die geistliche Herrschaft des Papstes nicht von der Kirche, sondern von Christus in der Kirche eingerichtet worden sei und somit durch positives göttliches Recht bestehe. Die gemeine Herrschaft eines weltlichen Fürsten bestehe hingegen (nur) nach menschlichem Recht. Außerdem gäbe es im gesamten Weltkreis nur eine Herrschaft des Papstes, die verschiedenen weltlichen Gemeinwesen hätten hingegen zahlreiche eigene Herrschaften.⁴⁵⁰ Doch leitet Molina aus dem Vorrang der geistlichen Herrschaft über die weltliche Herrschaft nicht ab, dass der Papst den weltlichen Herrschern gebieten dürfe, wie das weltliche Gemeinwesen zu regieren sei. Molina sieht den päpstlichen Machtbereich deutlich getrennt von dem Machtbereich weltlicher Herrscher: Der Papst hat in zeitlichen Dingen die Herrschaft der Rechtsprechung weder so, dass er der Herr der Welt wäre oder für sich den Namen eines Königs oder Kaisers beanspruchen könnte, noch so, dass von ihm das dominium der zeitlichen Rechtsprechung auf die Könige abgeleitet würde; vielmehr ist die königliche Herrschaft gänzlich verschieden von der päpstlichen; sie hat ihren
DIEI II 21, 160: „Cum vero homo ad finem supernaturalem, per media supernaturalia assequendum sit conditus, potestas ecclesiastica distinguitur a laica. Quod laica, ex se, solum sit ad gubernandum accomodate ad finem naturalem, ad quem suapte natura ordinatur. Ecclesiastica vero sit ad gubernandum accomodate ad finem supernaturalem inducendo videlicet ad media fini supernaturali accomodata. Quo fit, ut hae duae potestates distinguantur ex parte finium diversorum ad invicem subordinatorum quodammodo eo pacto, quo ars equestris distinguitur ab arte frenifactiva, quod genus distinctionis familiare est in practicis facultatibus. Quare quemadmodum artis equestris est imperare frenefactivae, ut sua opera praestet accomodate ad finem superiorem equestris, sic etiam ad ecclesiasticam potestatem spectat imperare laicae potestati, ut accomodate administret ad finem supernaturalem potestatis ecclesiasticae, cui finis naturalis laicae ordinatur.“ DIEI II 21, 165−166: „Tertio, quod potestas summi pontificis non ab ecclesia, sed a Christo in ecclesia est instituta, tametsi illius applicatio ad hanc vel illam personam ex electione ecclesiae pendeat; quare de iure divino est positivo. Potestas vero laica principum saecularium de iure est humano a republica ipsa instituta et collata principi, ut disputatione sequenti erit manifestum. Quarto differt, quod potestas summi pontificis est una in universo orbe, potestas vero principum saecularium, nisi iure belli aut legitima successione vel consensu ipsarummet rerumpublicarum multae unum communem principem habeant, multiplicatur pro diversitate rerumpublicarum sibi principem eligentium. Ut enim Christus unicum est caput totius universalis ecclesiae, sic decens expediensque fuit, summum pontificem, quem caput et vicarium suum Christus in terris reliquebat, unicum constitui.“
120
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
Ursprung von Gott, vermittelt durch die Zustimmung und die Wahl des Gemeinwesens, das sich zur die zeitlichen Dinge betreffenden Verwaltung und zu seinem natürlichen Zweck einen König einsetzt; die päpstliche [Herrschaft] hat hingegen ihren Ursprung von Gott durch Christus, der sie allein in Bezug auf den übernatürlichen Zweck zur Regierung einsetzt.⁴⁵¹
Die Herrschaft des Papstes bezieht sich also ausschließlich auf geistliche Angelegenheiten und daher habe er sich aus weltlichen, politischen Entscheidungen herauszuhalten. Auch könne der Papst Könige und andere weltliche Herrscher weder einnoch absetzen, dies obliegt allein dem Gemeinwesen.⁴⁵² Zwar seien beide Herrschaften, die geistliche und die weltliche, ursprünglich von Gott gegeben, aber im Hinblick auf jeweils unterschiedliche Zwecke, nämlich das natürliche und das übernatürliche Wohl der Menschen. Kirche und Staat sollten daher getrennt voneinander regiert werden und ihre Herrscher sollten ausschließlich die ihnen von Gott zugeteilte Ordnung verwalten. Daher habe der Papst auch keine Herrschaft in geistlichen Dingen über Ungläubige, „sondern lediglich das Recht, ihnen das Evangelium vorzulegen und zu erklären und sie zum Glauben einzuladen.“⁴⁵³ Die Könige der Ungläubigen seien so auch als echte Könige anzusehen, denen die Herrschaft nach dem Naturrecht vom Gemeinwesen zugestanden worden sei. Wenn Ungläubige den christlichen Glauben annehmen, verlieren sie daher nicht ihr dominium, da die Natur dann nicht zerstört, sondern vervollkommnet werde: Man füge hinzu, dass die Gnade und der Glaube die Natur nicht zerstören, sondern vervollkommnen. Daraus folgt: Weil es, bevor die Menschen den Glauben an Christus annahmen, echte Könige gab, die in ihrem zeitlichen dominium von jedem anderen [König] unabhängig waren (und dies zwar durch die ihnen vom Gemeinwesen zugeteilte Herrschaft, die das Gemeinwesen nach dem Naturrecht hat), so ergibt sich in der Tat, dass sie dadurch, dass sie den Glauben angenommen haben, jene Herrschaft und jenes dominium durchaus nicht verloren haben, obgleich sie durch ihren Eintritt in die Kirche dem Papst unterworfen werden, sodass sie von ihm, wenn sie durch Fehlverhalten abirren, in ihre Schranken gewiesen werden können.⁴⁵⁴
DIEI II 29, 210: „Summus pontifex neque ita habet potestatem iurisdictionis in temporalibus, ut sit dominus orbis aut ut nomen regis vel imperatoris sibi possit vindicare, neque ita, ut ab eo dominium iurisdictionis temporalis ad reges dirivetur, sed potestas regalis est omnino diversa a papali; quae a Deo mediante consensu et electione reipublicae regem sibi ad administrationem in temporalibus finemque naturalem constituentis habet ortum; papalis vero ortum habet a Deo per Christum eam instituentem ad regimen per comparationem ad finem supernaturalem dumtaxat.“ cf. DIEI II 29, 213 DIEI II 29, 212: „Praeterea non maiorem potestatem habet summus pontifex in temporalibus quam in spiritualibus; sed in infideles nullam potestatem habet in spiritualibus, cum Paulus 1. ad Corinthios 5 dicat: Quid enim mihi est de iis, qui foris sunt, iudicare?, sed solum ius habet ad proponendum explicandumque illis evangelium eosque ad fidem invitandum; ergo non est dominus illorum in temporalibus ac proinde neque est dominus orbis.“ DIEI II 29, 213: „Adde gratiam et fidem non destruere, sed perficere naturam. Quare, cum, antequam homines fidem Christi susciperent, veri fuerint reges independentes in suo temporali dominio a quocumque alio, idque per potestatem sibi a republica communicatam, quae iure naturali eam habet, consequens profecto est ex eo, quod fidem susceperint, nequaquam potestatem illam et dominium
3.8 Politische Herrschaft: Dominium zum Zweck des bonum commune
121
Dass der Papst befugt ist, Fehlverhalten von Gläubigen zu tadeln, bezieht sich zwar auf Fehlverhalten im Hinblick auf das übernatürliche Ziel, doch ist es problematisch, die Bereiche christlicher Moral und staatlichen Rechts zur Zeit der Schule von Salamanca als durchgängig voneinander getrennt aufzufassen. So waren, wie bereits erwähnt, die Theologen oft als Beichtväter der Könige tätig und die christlichen Könige waren ihrerseits daran interessiert, mit ihrer Politik, unter anderem im Hinblick auf den Umgang mit den indigenen Einwohnern der sogenannten ‚Neuen Welt‘, das eigene Seelenheil nicht zu gefährden. Doch gerade vor dem Hintergrund der Eroberung des amerikanischen Kontinents, durch den der orbis christianus eben nicht länger mit der gesamten Welt gleichgesetzt werden konnte, gewann die Frage nach dem Machtbereich des Papstes und dem der weltlichen Könige an Brisanz. Wenngleich Molina die geistliche und weltliche Herrschaft als voneinander getrennt bestimmt, so deutet Folgendes doch darauf hin, dass auch bei Molina die Grenzen zwischen weltlicher und geistlicher Macht mitunter verschwimmen: Wenn das Gemeinwesen den Verdacht hegt, sein Herrscher würde die ihm zugestandene Macht überschreiten und damit das Gemeinwohl gefährden, solle der Papst um Rat gebeten werden, wenn das Gemeinwesen von seinem Vetorecht gegenüber dem König Gebrauch machen wolle, da hierfür, wie gezeigt, eine gute Begründung nötig ist: Am besten wäre jedoch der Ratschluss, dass man, wenn der Verdacht irgendeines Zweifels bestehen kann oder wenn nicht das ganze Gemeinwesen, sondern nur dessen größerer Teil zustimmt, den Papst um Rat ersucht, damit es zur besseren Rechtfertigung der Angelegenheit unter dem Einfluss seiner Autorität getan werde, zumal im äußersten Fall das allgemeine geistliche Wohl davon abhängt; wenn dies[er Fall] gegeben ist, dann obliegt es dem Papst, seine Autorität zur Geltung zu bringen und das allgemeine Wohl durch seine Verurteilungen und auf andere Weisen zu befördern, indem er diejenigen zurückhält, die das zu behindern sich mühen, was das allgemeine geistliche Wohl und das geistliche Heil des Gemeinwesens erfordert.⁴⁵⁵
Wenn der Papst als Vermittler zwischen Gemeinwesen und Herrscher auftreten soll bzw. das Gemeinwesen unterstützen soll, wenn es sich gegen seinen Herrscher zur Wehr zu setzen beabsichtigt, kann Molina schwerlich an der von ihm vertretenen These der strikten Trennung von weltlicher und geistlicher Macht festhalten. Wie eine solche Trennung durchzuhalten sei, wenn, wie im zuletzt zitierten Passus von einem bonum commune spirituale und dem geistlichen Heil des Gemeinwesens die Rede ist, bleibt mehr als fragwürdig. Dass sich Molinas These einer Trennung weltlicher und geistlicher Macht innerhalb seines Denkens nicht halten lassen kann, geht außerdem aus seiamisisse, tametsi per ingressum in ecclesiam summo pontifici subiciantur, ut ab eo, quando per abusum deviaverint, coerceantur.“ DIEI II 29, 213−214: „Optimum tamen consilium est, ut, quando dubii alicuius potest esse suspicio et quando non tota respublica, sed maior illius pars consentit, consulatur summus pontifex, ut eius interveniente auctoritate id fiat in maiorem causae iustificationem, praesertim cum ut plurimum bonum spirituale commune reipublicae inde pendeat, quo dato ad summum pontificem spectat suam interponere auctoritatem bonumque commune censuris et aliis modis iuvare comprimendo eos, qui id impedire contendunt, quod commune spirituale bonum salusque spiritualis reipublicae postulat.“
122
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
ner Position hervor, dass die natürliche und die übernatürliche Glückseligkeit einen gewissermaßen kontinuierlichen Prozess darstellen und Liebe und Gerechtigkeit für Molina in einem engen Zusammenhang stehen, wie auch von Alsonso-Lasheras hervorgehoben wird: In Molina they [charity and justice, D.S.] appear in continuity, not only in the brief and preliminary treatment of them, but also in the specific development of particular cases. They are both linked to the organic conception of society. They both work for the common good, what can help distinguishing them is the need for restitution when a sin against justice is committed, something not due in the case of sins against charity.⁴⁵⁶
Das folgende Kapitel 4 wird das übernatürliche und das natürliche Wohl der Menschen genauer beleuchten, wenn die Willensfreiheit des Menschen und die moralische Dimension subjektiven Rechts in Molinas Denken untersucht werden. Doch zunächst sei im Anschluss ein kurzes Zwischenresumee der Untersuchung zum subjektiven Recht in Molinas De Iustitia et Iure gegeben.
3.9 Resumee: Bestimmung und Funktion des subjektiven Rechts in Molinas Rechtstheorie Molina bestimmt ius als „die Fähigkeit (facultas), etwas zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise zu verhalten, sodass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne legitimen Grund entgegengewirkt wird.“⁴⁵⁷ Diese Bestimmung des Rechts wurde als subjektives Recht interpretiert und das dominium als dessen Paradigma gemäß der Definition des Bologneser Juristen Bartolus de Saxoferrato (1314−1357) als „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist“⁴⁵⁸ vorgestellt. Im Unterschied zur gängigen Interpretation der Rechtsgelehrten bestimmt Molina das Verhältnis von ius und dominium so, dass das dominium das Antezedens des ius bildet: dominium (im Allgemeinen) ist „etwas, das der Fähigkeit oder dem Recht, vollkommen über eine Sache zu verfügen, deren Herren wir sind, vorangeht […].“⁴⁵⁹ Aus dem Vermögen des dominiums entstehen erst Rechte (und zwar verschiedene Rechte). Für Molina ist „die Fähigkeit oder das Recht der vollkommenen Verfügung eine Wirkung des dominiums,
Alonso-Lasheras (2011, 189) DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“ (Hervorhebung in der Übersetzung D.S.) DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ DIEI II 3, 53: „vero relatio dominii sit quippiam antecedens facultatem, iusve perfecte disponendi de re, cuius sumus domini […].“
3.9 Resumee: Subjektives Recht in Molinas Rechtstheorie
123
ebenso wie die Fähigkeit zu lachen eine Wirkung des Menschen ist.“⁴⁶⁰ Weil jemand ein Mensch ist, habe er die Fähigkeit zu lachen in gleicher Weise wie jemand, weil er Herr über eine Sache ist, die Fähigkeit habe, über diese zu verfügen. Ein Herr sei jemand, der etwas als das schlechthin Seine habe, und zwar ex natura rei. ⁴⁶¹ Da der Mensch von Natur aus über Vernunft und freien Willen verfügt, ist er nicht nur Herr seiner eigenen Handlungen, sondern kann dieses Vermögen auch auf die Herrschaft über äußere Güter ausweiten. Das dominium bestehe Molina zufolge „gerade darin, dass jemand frei über eine Sache verfügen kann, deren Herr er ist.“⁴⁶² Doch damit geht kein willkürlicher Umgang mit den Objekten, über die der Mensch ein natürliches Recht der Herrschaft und des Eigentums hat, einher: Gerade weil der Mensch dominium aufgrund seiner Vernunft und seines freien Willens hat, ist er zu einem Gebrauch gemäß dieser Vermögen verpflichtet. Daher darf das dominium nicht zum Schaden anderer eingesetzt werden und ist in seiner Ausübung gemäß der Definition an das Gesetz gebunden, wenngleich es ein natürliches Recht ist. Gottes Ordnung darf keinen Schaden erleiden. Die Gebundenheit der Ausübung des dominium an das Gesetz darf aber nicht missverstanden werden: Auch wenn die Ausübung eines dominium an das Gesetz gebunden ist, steht das dominium für Molina dennoch über dem Recht bzw. die objektive Rechtsordnung kann zwar im Sinne des bonum commune die Ausübung eines dominium, also eines subjektiven Rechts, einschränken und sogar verhindern, vermag es aber nicht aufzuheben. Die Herrscher eines Gemeinwesens haben mit dem dominium iurisdictionis dementsprechend das Recht, über die Untergebenen zu regieren und zu richten zum Wohle des Gemeinwesens: Daher kann ein Straftäter zum Beispiel sein Recht auf einen Nießbrauch verlieren. Aber die Herrscher sind auch verpflichtet, das Gemeinwesen zu schützen und zu verteidigen, um Frieden und Ordnung zu sichern. Wenn das bonum commune nicht durch die Ausübung eines subjektiven Rechts gefährdet ist, darf der Herrscher nicht in das dominium seiner Untergebenen eingreifen. Molina bezieht also in sein Plädoyer für die Monarchie als beste Regierungsform durch Berücksichtigung der Freiheit der Untertanen einen Bereich individueller Rechte mit ein, der einerseits nur bestehen kann, wenn die öffentliche Ordnung in Frieden und Ruhe gewahrt ist, andererseits aber nicht von der herrschenden Gewalt beeinflusst werden sollte. Dieser Gedanke entspricht der Vorstellung moderner Grundrechte bzw. subjektiver Rechte von Bürgern eines Staates, die einer-
DIEI II 3, 53: „ergo facultas, seu ius perfecte disponendi, est effectus dominii, non secus ac facultas ridendi est effectus hominis.“ DIEI II 3, 54: „illeque proinde est dominus illius, ex natura rei habet is plenum et integrum ius circa illam […].“ DIEI II 18, 138: „Ut enim, quae mente sunt praedita, per suum arbitrium dominium habent suorum actuum, dum pro suo arbitratum eos eliciunt, eisque; utuntur: sic etiam per idem arbitrium capacia sunt dominii aliarum rerum, quatenus eo ipso, quod illarum sunt domini, eis tanquam sui uti possunt pro arbitratu: dominium namque ad usum, liberamque dispositione rei, cuius quis est dominus, ordinatur.“
124
3 Ius in der Bedeutung des subjektiven Rechts in Molinas De Iustitia et Iure
seits nur innerhalb einer objektiven Rechtsordnung, das ist eine staatliche Rechtsordnung, bestehen und gewahrt werden können, und andererseits insofern außerhalb des Bereichs der öffentlichen Gewalt und Rechtssprechung liegen, als dem Individuum durch die subjektiven Rechte ein Schutz der Freiheit im Hinblick auf private Rechtsbereiche wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc. vor der staatlichen Autorität gewahrt werden soll. So erklärt Molina, dass der Herrscher über ein Gemeinwesen allein das dominium iurisdictionis habe, das heißt, er darf über die Untertanen Recht sprechen, sie verteidigen und im Sinne des Gemeinwohles regieren.⁴⁶³ Aber er hat kein dominium über die Güter der Untertanen, diese unterlägen dem dominium proprietatis der Untertanen selbst.⁴⁶⁴ Wenn ein Herrscher sich die Güter seiner Untertanen aneigne, begehe er daher ein Unrecht und sei zur Restitution verpflichtet. Insofern kann das dominium als rechtliche Freiheit bestimmt werden. Auch wenn das Veto des Gemeinwesens einer guten Begründung bedarf, um den König davon zu überzeugen, sein Volk nicht zu ihm auferlegten Gesetzen zu zwingen, so räumt Molina dennoch grundsätzlich die Möglichkeit eines Vetorechts ein. Damit besteht in der von Molina erläuterten Form der Monarchie zumindest die Möglichkeit, gegenüber der objektiven Rechtsordnung anzuzeigen, wenn gegen subjektive Rechte verstoßen wird, wenngleich diese nicht einklagbar sind (anders als moderne Grundrechte). Zwar sind die beiden Formen, in denen das allgemeine dominium in den Rechtssystemen der Menschen in Erscheinung tritt, dominium proprietatis und dominium iurisdictionis, durch das menschliche Recht eingerichtet worden und ursprünglich nicht naturrechtlich bestimmt, aber da sich durch den Sündenfall die Umstände änderten und das Naturrecht Frieden und Ordnung unter den Menschen vorsieht und die Wahrung derselben als naturrechtliche Pflicht oder naturrechtliches Gebot anzusehen ist, widersprechen die Einrichtung des Eigentums und der politischen Herrschaft dem Naturrecht nicht. Wenn diese menschlichen Institutionen auf das bonum commune ausgerichtet sind, stehen subjektive Rechte der Individuen und
Heribert Franz Köck (1987, 45) hat in seiner Untersuchung des Verhältnisses zwischen Gemeinwohl und Einzelwohl bei Francisco Suárez darauf hingewiesen, dass das Gemeinwohl Grundlage des Einzelwohles sei und der einzelne Bürger es daher zu fördern habe, wenngleich dies für ihn mit Nachteilen verbunden sei. Insofern stünde das bonum commune höher als das bonum privatum. Köck berücksichtigt Molina in seiner Untersuchung nicht. Da Molina den Menschen als animal sociale et politicum bestimmt, der auf sich gestellt nicht lebensfähig ist, dürfte Köcks Einschätzung auch auf Molina zutreffen, wenngleich durch das Vetorecht des Gemeinwesens das bonum commune nicht vollkommen nach dem Ermessen des Königs zu bestimmen ist. DIEI II 25, 185: „Ex hactenus dictis est manifestum, regem et quemcunque alium supremum reipublicae administratorem, dominum non esse bonorum suorum subditorum, sed solum habere in suos subditos dominium iurisdictionis ad ius illis dicendum eosque defendendum et gubernandum in commune bonum. Ad hoc namque solum electus est concessaque illi est facultas et potestas a republica. Quare, si suorum subditorum bona pro libito sibi usurpet aut alteri concedat, iniustus est et ad restitutionem tenetur neque valida est talis concessio.“
3.9 Resumee: Subjektives Recht in Molinas Rechtstheorie
125
die objektive Rechtsordnung eines staatlichen Gemeinwesens miteinander im Einklang. Im Folgenden sollen nun die Bedingungen und Grenzen des subjektiven Rechts in Molinas Theorie genauer beleuchtet werden. Zu diesem Zweck soll zunächst die Willensmetaphysik, die Molina in seiner Concordia entwickelt, vorgestellt werden, denn der freie Wille des Menschen stellt die Voraussetzung dar, dass ein Mensch überhaupt dominium haben kann, aus dem heraus er zum Träger von Rechten wird.
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina In De Iustitia et Iure untersucht Luis de Molina Recht und Rechtsverhältnisse überwiegend aus einer rechtspraktischen Perspektive und greift hauptsächlich juridische und juristische Fragestellungen auf, wie aus dem vorigen Kapitel ersichtlich wurde. Dabei wurde bereits deutlich, dass sich aus den rechtspraktischen Ausführungen vor allem zum subjektiven Recht einige Spannungen in Hinsicht auf rechtsmetaphysische Fragen ergeben, wie beispielweise der Frage, wem dominium zukommt und wer daher Rechtsträger sein kann, bzw. welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Mensch als Träger von Rechten anerkannt werden kann, denen Molina mit Ausnahme der Disputationen 18 (Utrum solae res libero arbitrio pollentes dominii sint capaces) und 19 (Utrum existens extra caritatem dominii sit capax) im zweiten Traktat in De Iustitia et Iure nicht weiter nachgeht. Im zeitgenössischen Kontext der Schule von Salamanca wird die Frage, ob alle Menschen zugleich als Träger von Rechten anzusehen sind oder ob diese Fähigkeit an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, vor allem vor dem Hintergrund der Entdeckung des amerikanischen Kontinents diskutiert. Doch gleichen diese Debatten auch modernen Diskussionen wie der Frage nach dem rechtlichen Status von Embryonen. Denn die Autoren der Schule von Salamanca diskutieren die Frage nach dem dominium von Kindern und amentes (geistig Behinderten), also menschlichen Wesen, die noch nicht oder gar nicht von ihrer Vernunft und ihrem freien Willen Gebrauch machen können. So beleuchten sie die Frage nach der Fähigkeit, Träger von Rechten zu sein, von ähnlichen Grundannahmen ausgehend, wie moderne Bioethiker und Rechtsphilosophen die Frage nach dem Status von Personen bzw. Rechtspersonen diskutieren: Inwiefern ist das Vermögen zum freien Willen die Voraussetzung dafür, Träger von Rechten sein zu können? Gerade der Bezugspunkt moderner bioethischer Debatten um den rechtlichen Status von Embryonen oder auch um die Legitimation von Sterbehilfe weist darauf hin, dass die Frage, wodurch ein Mensch zum Rechtsträger wird, durchaus von moralischer Relevanz ist. Wenn subjektives Recht als rechtliche Freiheit verstanden wird, schließt sich an diese Überlegungen die Frage nach einer moralischen Komponente subjektiven Rechts an. Da Molina in der Concordia die Willensfreiheit des Menschen exponiert und zur Grundlage menschlicher Selbstbestimmung erklärt, scheint eine Erörterung der rechtsmetaphysischen Fragen, die in De Iustitia et Iure aus den rechtspraktischen Diskussionen um dominium, Eigentum, Herrschaft, Besitz, dem Verhältnis von Gerechtigkeit, Recht und Gesetz und anderem hervorgehen, durch eine Verknüpfung der Willensmetaphysik in der Concordia mit der Rechtslehre aus De Iustitia et Iure vielversprechend zu sein, da Molina der Fähigkeit zum ius das Vermögen des freien Willens zugrunde legt. Somit ist das Thema dieses Kapitels vorgestellt: Subjektives Recht zeichnet sich dadurch aus, dass es einem Individuum und nicht einer Gemeinschaft oder Institution zukommt. Da subjektives Recht in Molinas De Iustitia et Iure aber nicht mit dem https://doi.org/10.1515/9783110551938-004
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
127
modernen Konzept der Menschenrechte verwechselt werden darf, also mit Rechten, die allen Menschen gemäß ihres Menschseins zukommen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihres gesellschaftlichen Status, gilt es zu untersuchen, worin die Bedingungen und die Grenzen subjektiven Rechts liegen. Dabei steht im Folgenden Molinas Theorie des freien Willens aus der Concordia im Fokus der Untersuchung, die in Kapitel 4.1 mit verschiedenen rechtsphilosophischen Fragestellungen verbunden wird. Daraus ergeben sich weiter diverse problematische Aspekte, die in den folgenden Kapiteln 4.2 bis 4.8 als ‚Teilprobleme‘ nacheinander genauer vertieft werden sollen (die Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit, der Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und sittlich guten Handlungen, Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzungen für subjektives Recht, die Fragen nach Rechtsträgern subjektiven Rechts und nach Rechtsansprüchen im subjektiven Recht, die moralische Dimension subjektiven Rechts, das Verhältnis zwischen subjektivem Recht und Gemeinwohl, die Bedeutung des Gesetzes für subjektives Recht). Schließlich soll in Kapitel 4.9 herausgestellt werden, ob und wie die Normativität subjektiven Rechts begründet werden kann. Für das Ziel dieser Untersuchung, der Bestimmung und Bewertung des rechtlichen Status von Sklaven als Prüfstein für Molinas Theorie des dominium als Vorläufer moderner Grundrechte, ist die rechtsmetaphysische Analyse des subjektiven Rechts mithilfe einer Spiegelung der Willensmetaphysik in Molinas Concordia von großer Bedeutung, da sich so herausarbeiten lässt, wie nah oder wie fern Molinas Rechtslehre einer modernen Konzeption von Grundrechten zugeordnet werden kann. Denn ein Sklave verliert zwar seine rechtliche Freiheit, ist in seiner Handlungsfreiheit zweifellos eingeschränkt, kann aber, insofern er Mensch ist und bleibt, seiner Willensfreiheit nicht beraubt werden. Wie eng Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtliche Freiheit miteinander verbunden sind, sei mit Hegel hervorgehoben, der den Paragraphen 29 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts wie folgt eröffnet: „Dies, daß ein Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee.“⁴⁶⁵ Inwiefern die These Hegels auf Molinas Rechtslehre anzuwenden ist, soll nun anhand einer Verbindung der Concordia mit De Iustitia et Iure untersucht werden.
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia Molina eröffnet sein Hauptwerk Concordia, dessen vollständiger Titel Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione concordia (Vom freien Willen in Eintracht mit den Gaben der Gnade, dem göttlichen Vorwissen, der Vorsehung, Vorbestimmung und Reprobation⁴⁶⁶) lautet, mit 24 Dis-
GPR 80. (Hervorhebung im Original) Das ist die Verwerfung der Seele.
128
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
putationen über den freien Willen als Vermögen des Menschen zu guten Taten aus Freiheit, die den ersten Teil der Concordia bilden. Den freien Willen (voluntas) bestimmt Molina in der zweiten Disputation als freie Entscheidung (liberum arbitrium), die freies Handeln (agens liberum) nach sich zieht: Deswegen wird jenes Handelnde ‚frei‘ genannt, welches – gesetzt alles zum Handeln Erforderliche – handeln oder nicht handeln kann oder eines so tun, dass es auch das Gegenteil tun könnte. Und von dieser Freiheit her wird die Fähigkeit, durch die ein solches Handelndes auf diese Weise handeln kann, frei genannt. Nachdem es aber nicht auf diese Weise handelt, wenn nicht durch eine vorangehende Entscheidung und ein Urteil der Vernunft, daher kommt es, dass die Entscheidung, sofern auf diese Weise vorher ein Vernunfturteil vollbracht wurde, frei genannt wird. Daraus folgt, dass die freie Entscheidung […] nichts anderes ist als der Wille, in welchem die erörterte Freiheit der Form nach durch das vorangehende Vernunfturteil enthalten ist. Das freie Handelnde wird in dieser Bedeutung vom natürlichen Handelnden unterschieden, in dessen Macht es nicht steht, zu handeln oder nicht zu handeln, sondern das – gesetzt alles zum Handeln Erforderliche – notwendigerweise handelt und eines auf diese Weise tut, sodass es nicht das Gegenteil bewirken kann.⁴⁶⁷
Für Molina ist die freie Entscheidung ein Vermögen des Willens und nicht der Vernunft, wie er wenig später nochmals ausdrücklich betont.⁴⁶⁸ Er setzt die freie Entscheidung sogar mit dem Willen gleich, allerdings wird der Wille durch ein vorangegangenes Urteil der Vernunft als frei qualifiziert, das heißt, er ist nicht durch die Natur determiniert. Die Vernunft befiehlt dem Willen nicht, was er als ein Gut zu wollen hat, sondern stattet ihn mit der Kenntnis dessen aus, was als ein Gut erfreulich oder nützlich und damit erstrebenswert scheint. Es bleibt dann aber dem Willen überlassen, eine Handlung, die diesem Gut gemäß ist, hervorzubringen oder nicht.⁴⁶⁹ Annabel Brett macht darauf aufmerksam, dass Freiheit als Möglichkeit zu handeln oder nicht zu handeln für Molina zwar mit Thomas von Aquin ein Vernunfturteil erfordert, dies aber für Molina im Gegensatz zu Thomas nicht bedeutet, die Tätigkeit der Vernunft sei an sich frei. In Übereinstimmung mit seinen jesuitischen Ordensbrüdern Francisco Suárez und Rodrigo de Arriaga (1592−1667) verortet Molina die Freiheit im Willen.⁴⁷⁰ Der freie Wille ermöglicht dem Menschen in seinem Handeln das von der
Concordia, Pars I, Disputatio 2, Abschnitt 3, Zeile 7−18 (im Folgenden angegeben als I, 2.3, 7−18): „Quo pacto illud agens liberum dicitur quod positis omnibus requisitis ad agendum potest agere et non agere aut ita agere unum et contrarium etiam agere possit. Atque ab hac libertate facultas qua tale agens potest ita operari dicitur libera. Quoniam vero non ita operatur nisi praevio arbitrio iudicioque rationis, inde est, quod quatenus ita praeexigit iudicium rationis, liberum appelletur arbitrium. Quo fit ut liberum arbitrium […] non sit aliud quam voluntas, in qua formaliter sit libertas explicata praevio iudicio rationis. Agens liberum in hac significacione distinguitur contra agens naturale in cuius potestate non est agere et non agere, sed positis omnibus requisitis ad agendum necessario agit et ita agit unum ut non possit contrarium efficere.“ Die deutsche Übersetzung habe ich übernommen (abgesehen von kleineren Modifikationen) von Aichele (2007, 72−73). Concordia I, 2.9, 28: „Ceterum arbitror libertatem esse in voluntate et non in intellectu […].“ Brett (2011, 44): „For these Jesuits, freedom is purely in and of a will that can act or not act.“ cf. Brett (2011, 44)
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
129
Natur als notwendig Vorgegebene zu überschreiten: Gemäß Molina bezieht jede freie Handlung eine freie Wahl mit ein.⁴⁷¹ Frei wird dasjenige Handeln genannt, in dem auch darauf verzichtet werden kann, so zu handeln, also in dem der Mensch auch das Gegenteil tun könnte oder sich auch dafür entscheiden könnte, überhaupt nicht zu handeln. Mit Ockham geht Molina hier sogar so weit, dass sich der Mensch durch seinen freien Willen gegen sein höchstes Ziel entscheiden kann, nämlich die Liebe zu Gott.⁴⁷² Doch ist der Wille dabei nicht als absolut frei aufzufassen und die Annahme, der Mensch könne sich durch seinen freien Willen gegen die Liebe zu Gott entscheiden, ist realiter nicht möglich, wie Alexander Aichele aus folgendem Passus der Concordia gedeutet hat: Allerdings kann der Wille desjenigen, der Gott in patria schaut, Gott nicht nicht lieben. Und daher kommt es, dass dem Willen nicht bezüglich aller seiner Akte die Beschaffenheit der freien Entscheidung zukommt, sondern nur bezüglich derjenigen [Akte], die er [auch] nicht hervorrufen kann, worin man eine Freiheit in Bezug auf die Ausführung des Aktes wahrnimmt.Wenn er [sc. der Wille] aber ohne Unterschied zugleich entweder diesen oder auch den entgegengesetzten Akt hervorrufen kann, so nimmt man [darin], wie man es nennt, Freiheit in Bezug auf die Art des Aktes wahr; diese [Freiheit] hat die Beschaffenheit der vollen und vollkommenen Freiheit.⁴⁷³
Molina unterscheidet hier zwischen der Freiheit der Ausführung eines Aktes und der Freiheit der Art bzw. Spezifikation des Aktes. Durch die Freiheit der Spezifikation des Aktes kann eine Wahl zwischen verschiedenen Akten getroffen werden. Die Gottesliebe als Akt ist ausschließlich der Freiheit der Ausführung zuzuordnen, da es den Menschen nicht möglich ist, hier eine Wahl zwischen verschiedenen Akten zu treffen. Das heißt, der Mensch kann Gott nicht nicht lieben, sondern könnte allenfalls die Gottesliebe in sich nicht hervorrufen, wenn er von seiner Freiheit Gebrauch macht, den Akt nicht auszuführen. Dies sei, so Aichele, nach Molina „zwar denkbar, aber real unmöglich“.⁴⁷⁴ cf. die Einleitung in die Teilübersetzung der Concordia von Freddoso (1988, 25) cf. Kaufmann (2011, 172) Für eine Gegenüberstellung der Willensmetaphysik von Molina und Ockham cf. Aichele (2014, 42−52). Concordia I, 2.5, 29 – 36: „Etenim voluntas eius qui Deum intuetur in patria non potest Deum non diligere. Saepe etiam, dum sumus in via, surrepunt actus quos voluntas non valuit impedire. Atque hinc est ut voluntas non comparatione quorumcumque suorum actuum sortiatur rationem liberi arbitrii, sed comparatione eorum tantum quos potest non elicere; in quo libertas quoad exercitium actus cernitur. Quod si simul possit elicere indifferenter vel hunc vel contrarium actum, cernitur etiam libertas quoad speciem actus, ut vocant, quae plenae et perfectae libertatis rationem habet.“ Ich danke Alexander Loose für die wertvolle Hilfe bei der Übersetzung dieses Passus. Die von Aichele (2007, 74) stammende Übersetzung ist zum Teil inhaltlich nicht korrekt, da nicht zum Ausdruck kommt, dass der Wille in Bezug auf die Spezifikation des Aktes gleichzeitig und ohne Unterschied zwischen verschiedenen Akten wählt, sondern der Anschein erweckt wird, der Wille tue dies gleichgültig: „Und darum wird, wenn er in gleichgültiger Weise zugleich entweder diesen oder den entgegengesetzten Akt hervorbringen könnte, Freiheit auch bis zur Art des Aktes wahrgenommen, die, wie man es nennt, den Grund voller und vollständiger Freiheit besitzt.“ cf. Aichele (2007, 75)
130
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Die Option, Gott nicht zu lieben, darf aber nicht als Möglichkeit gedeutet werden, Gott zu hassen, denn dies ist für Molina eine absurda opinio. Dies wäre ein „seiner Natur nach moralisch schlechter“⁴⁷⁵ Akt, was wider das göttliche Gesetz und entgegen der rechten Vernunft wäre, wie Molina in seinem Kommentar zur Prima Secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin erläutert. Nicht einmal Gott könne machen, dass der Gotteshass nicht mehr moralisch schlecht sei, da Molina den Gotteshass der scientia naturalis zuordnet, einer Form des göttlichen Allwissens, nach der Gott einige Dinge nur so wissen kann, wie er sie weiß und sie daher nicht ändern kann. Die Dreiteilung des göttlichen Allwissens wird noch genauer erklärt. Auch wenn der Einfluss von Thomas von Aquin in Molinas De Iustitia et Iure unverkennbar ist, wie die vorliegende Untersuchung bislang auch herausgestellt hat, so ist doch Molinas Willenslehre stark von Thomas‘ voluntaristischem Opponenten Johannes Duns Scotus (1266−1308) beeinflusst und damit indirekt auch Molinas Rechtslehre, wie in diesem Kapitel deutlich wird. Auf den ersten Blick mag letztere Behauptung recht kühn erscheinen, denn Molina erwähnt Duns Scotus im Grunde nur einmal in den Passagen von De Iustitia et Iure, die dieser Untersuchung zugrunde gelegt sind (Traktat I, von Traktat II die Disputationen 1−40 und von Traktat V die Disputation 46). Molina tritt Scotus dort nicht einmal besonders wohlwollend gegenüber: Scotus werde nämlich, so Molina, zu Recht dafür kritisiert, dass er in seinen Quaestiones in quatuor libros Sententiarum behauptet habe, das naturrechtliche Gebot zum Gemeineigentum sei nach dem Sündenfall widerrufen worden.⁴⁷⁶ Doch der Einfluss des Duns Scotus auf Molinas Denken ist evident, wenn Molinas Willensmetaphysik näher beleuchtet und sie als Grundlage seiner Rechtslehre verstanden wird. Auch Jean-Pascal Anfray betont, Molinas Bestimmung des freien Willens habe eindeutig scotistische Wurzeln,⁴⁷⁷ wie im Folgenden erläutert wird. Die Brücke zwischen Willenslehre und Rechtslehre bildet die These, der freie Wille sei die Voraussetzung, um dominium zu haben und somit die Voraussetzung, um Rechtsträger sein zu können.⁴⁷⁸ Bevor Molinas Bestimmung des freien Willens näher erläutert wird, indem die These bekräftigt wird, dass diese aus der Willenslehre des Duns Scotus hervorgeht und gegenüber der Bestimmung des freien Willens bei Thomas von Aquin abzugrenzen ist, soll aber kurz die berühmte Dreiteilung des göttlichen All-
Auf diese Passage aus Molinas Kommentar zu S. Th. I−II weist Isabelle Mandrella (2002, 212) hin: „[…] suapte natura est malus moraliter, hoc est dissonans a recta ratione et a dictamine legis divinae aeternae qua Deus iudicat non esse faciendum.“ ComSth I−II, qu. 100, a. 8, n. 250. Der Kommentar ist veröffentlicht in Diez-Alegría (1951): Apéndice C, 208−224: Luis de Molina, ComSth I−II 100,8 (cod. 2804/3848). DIEI II 20, 152: „Ex his constat, nullum ius naturale fuisse revocatum in statu naturae lapsae, ut rerum divisio esset licita: meritoque reprehendi Scotum in 4 d. 15 q. 2 […], post lapsum primorum parentum revocatum fuisse praeceptum legis naturae de possidendis rebus in commune.“ Anfray (2014, 345−346): „Molina’s definition of free will (liberum arbitrium) clearly has Scotist roots. Both consider the will as both the locus and the source of freedom, against the preeminence of the intellect, which characterizes the Thomistic tradition.“ siehe Kapitel 3.3
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
131
wissens aus Molinas Concordia noch einmal genauer dargestellt werden, auf der der so heftig umstrittene Molinismus beruht. Durch den Gedanken einer scientia media beabsichtigt Molina, das göttliche Allwissen und die Gnade Gottes mit der Willensfreiheit des Menschen zu vereinen. Damit hat er einen raffinierten Lösungsvorschlag für ein in der Hochscholastik von prominenten Theologen wie Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham diskutiertes Problem geliefert.⁴⁷⁹ In seiner bekanntesten Schrift Concordia (1588) entwickelt Molina den Gedanken eines ‚mittleren Wissens‘, einer scientia media: ⁴⁸⁰ Gott weiß durch seine Vorsehung, wie die Menschen sich unter Berücksichtigung aller möglicher Umstände entscheiden werden, und schafft die Bedingungen so, dass die Menschen sich frei und gleichsam in seinem Sinne entscheiden, da er weiß, welche Art von Wesen er erschaffen hat. Gott verfügt also über mittleres Wissen nur, weil er etwas vom metaphysisch kontingenten Stand der Dinge weiß. Er hat aber keine Kontrolle über die Entscheidungen und über die Handlungen der Menschen.⁴⁸¹ Die scientia media stellt in einer dreifachen Unterscheidung von Gottes Allwissen die mittlere Stufe dar, der Molina das natürliche Wissen Gottes (scientia naturalis) als erste Stufe voranstellt: Das natürliche Wissen um die Natur der von Gott geschaffenen Wesen stellt für ihn eine Form des Allwissens Gottes dar, das jeder göttlichen Entscheidung über die Schöpfung vorausgeht − nicht zeitlich, sondern logisch bzw. ontologisch. Durch das natürliche Wissen kennt Gott bereits vor der Schöpfung seine eigene Natur und damit auch alle möglichen Potenzen, die in seine eigene Natur eingebettet sind und denen gemäß er verschiedene Welten und entsprechend verschiedene Wesen erschaffen könnte. Das bedeutet, dass nicht einmal Gott die substanzielle Natur eines Wesens ändern kann, da diese bereits vor der Schöpfung feststeht und unabhängig von Gottes Willen ist. Die dritte Form des göttlichen Allwissens ist Gottes freies Wissen (scientia libera), durch das Gott weiß, was tatsächlich durch seine freie Entscheidung, mit der Schöpfung Wesen in einer bestimmten Weise und somit eine bestimmte Welt erschaffen zu haben, geschehen wird, wenn er diese Wesen bestimmten Umständen aussetzt. Diese Dreiteilung des göttlichen Allwissens lässt sich wie folgt zusammenfassen: Durch die scientia naturalis weiß Gott, was sein kann, durch die scientia media weiß er, was sein würde und durch die scientia libera, was sein wird.⁴⁸² Die Wahrheitswerte im freien Wissen Gottes über die von Gott geschaffenen Wesen sind kontingent und von Gottes Willen abhängig. Aber die Wahrheitswerte in Gottes scientia media sind kontingent und unabhängig von seinem Willen.⁴⁸³ Dies hat Konsequenzen für Molinas Handlungslehre.
Kenny (2006, 303): „A novel and highly ingenious solution to the problem was proposed at the end of the sixteenth century by the Jesuit Luis de Molina.“ cf. Concordia, Pars IV: De praescientia Dei, Disputatio 52 cf. die Einleitung in die Teilübersetzung der Concordia von Freddoso (1988, 47) cf. Pegis (1939, 121) cf. Perszyk (2011, 2)
132
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Dem Menschen wird durch die Idee der scientia media das Vermögen zugesprochen, sich ohne unmittelbare göttliche Hilfe für gute Handlungen zu entscheiden. Somit wird ihm Autonomie zugesprochen, wobei Molina die göttliche Vorsehung und Gottes Allwissen hierbei nicht in Frage stellt. Dennoch wurde er der Häresie, genauer des Pelagianismus beschuldigt: Die Lehre des Pelagius, nach der die menschliche Natur durch die Erbsünde nicht verdorben werden könne, wurde so interpretiert, dass der Mensch durch seinen freien Willen quasi allein zwischen Gut und Böse unterscheiden könne und Gottes Gnade nur zweitrangig als Unterstützung hinzutrete. Obwohl Molina den freien Willen des Menschen keineswegs von Gottes Gnade und Vorsehung löst oder ihn diesen überordnet, kam es aufgrund seiner Lehre, dem sogenannten Molinismus, zu heftigen Konflikten zwischen Dominikanern und Jesuiten, aber auch innerhalb des Jesuitenordens selbst. Für Molinisten wiederum wurde (und wird) im Hinblick auf das Problem um Gottes Vorsehung bzw. Allwissen und die menschliche Willensfreiheit gerade durch die scientia media Gottes Allwissen als Schöpfer von freien Wesen wiederhergestellt, da er, ausgestattet mit dem Wissen um die Entscheidungen freier Wesen, hätte entscheiden können, solche Wesen gar nicht erst zu erschaffen oder die Umstände anders gestalten könnte, damit das Handeln in seinem Sinne vollzogen wird.⁴⁸⁴ Diese im Jahre 1588 durch die Veröffentlichung der Concordia ausgelösten Auseinandersetzungen wurden als Gnadenstreit bekannt und fanden erst 1607 ein Ende, nachdem Papst Paul V. den Beteiligten weitere Beschuldigungen verboten hatte.⁴⁸⁵ Vor diesem Hintergrund dürfte außer Frage stehen, dass der freie Wille des Menschen in Molinas gesamtem Denken⁴⁸⁶ (und Wirken) nicht überbewertet werden kann. Daher dürfte die Annahme, auch Molinas Rechtslehre sei von Duns Scotus beeinflusst, nicht mehr so zweifelhaft wirken, wie es vielleicht zunächst den Anschein haben mochte. Aufgrund der Ausführungen zur Dreiteilung des göttlichen Allwissens erscheint die Beobachtung von Romanus Cessario einleuchtend, dass Molina sich mit Hinblick auf Gottes Willen als vollkommene Ursache wie folgt von Thomas von Aquin distanziert: „Molina found Aquinas‘ teaching that God’s will is the complete cause of things, always fulfilled but not compulsive difficult to understand.“⁴⁸⁷ Im Folgenden sollen die Konzepte des freien Willens (liberum arbitrium) von Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus (in angebrachter Kürze) vorgestellt werden, um eine Grundlage für die Bestätigung der These zu gewinnen, Molinas Rechtslehre sei charakterisiert durch die Kompatibilität scotistischer Elemente innerhalb eines thomistischen Rahmens. Auf ausgewählte Passagen aus De Iustitia et Iure soll diese These dann gespiegelt werden.
cf. McCann (2011, 253−254) Da die Debatten verboten wurden und es somit zu keinem Diskussionsergebnis (falls überhaupt möglich) kommen konnte, dauern die ‚Molinism Wars‘ auch in der Gegenwart noch an, siehe dazu den von Perszyk 2011 herausgegebenen, bereits zitierten Band. Also nicht nur in der Concordia, sondern auch in DIEI als rechtstheoretischem Werk. Cessario (2014, 308)
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
133
Mittelalterliche Diskussionen um die Bestimmung des freien Willens kreisen immer um die Fragen, wie das Verhältnis zwischen Vernunft und Willen zu bestimmen und was unter einem Willensakt zu verstehen sei.⁴⁸⁸ So diskutiert auch Thomas von Aquin die menschliche Freiheit als ein Verhältnis von Vernunft und Willen. Wie im dritten Kapitel schon erwähnt, betrachtet Thomas den Menschen als dominus suorum actuum – der Mensch weiß, was er tut und tut, was er will: Eine freiwillige Handlung geschieht durch den Willen.⁴⁸⁹ Thomas bestimmt den Willen als vernünftiges Strebevermögen (appetitus rationalis), das heißt, der Wille ist in der Vernunft. Aber diese beiden Vermögen unterscheiden sich voneinander im Hinblick auf ihr Formalobjekt: Der Wille strebt nach dem Guten,⁴⁹⁰ während der Intellekt nach der Wahrheit strebt. Der Intellekt legt fest, was für den Willen als ein Gut erstrebenswert ist. Daher ist nach Thomas der Intellekt die Ursache für Freiheit. Aber beide Vermögen beziehen sich dabei gegenseitig mit ein, weil der Intellekt den Willen erkennt und der Wille vom Intellekt erkannt werden will.⁴⁹¹ Bei Duns Scotus tauchen zwei verschiedene Interpretationen des Verhältnisses zwischen Vernunft und Willen auf. In seiner Lectura stimmt Scotus insofern mit Thomas überein, „dass die ganze Ursache der Aktualität in einem Willensakt vonseiten des Objekts des Willens herstammt, so dass die ganze Kraft (vis) hinsichtlich der Willenshandlung im erkannten Objekt liegt.“⁴⁹² Gerhard Leibold hat darauf hingewiesen, dass nach dieser Interpretation der Wille als durch den Intellekt determiniert aufgefasst wird, insofern die Ausübung des Wollens nicht durch den Willen selbst bestimmt sei, sondern durch die Gutheit des erkannten Objekts (obiectum cognitum).⁴⁹³ Wenn daher das Glück als ein absolutes Gut erkannt wird, strebt der Wille notwendigerweise nach dem Glück. Doch damit werde, so Leibold weiter, der Wille als Vermögen, sich selbst bewegen zu können, in Frage gestellt und der Intellekt bestimme die Willenshandlung als ein agens naturale. Doch dieser Schein trügt, denn Leibold erklärt: Nach Scotus handelt der Wille „zwar um eines Zieles willen, aber Die folgende Darstellung des Verhältnisses von Vernunft und Wille bei Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus ist schemenhaft stark verkürzt und erhebt nicht den Anspruch, dieses Verhältnis umfangreich im Hinblick auf sämtliche Werke beider Theologen abzubilden bzw. sich ergebende Probleme zu diskutieren. Es soll lediglich der Versuch unternommen werden, Molinas Positionen zum freien Willen den Grundannahmen dieser Autoren zuzuordnen bzw. abzugrenzen. cf. S. Th. I−II, q. 6, art. 3 Marko J. Fuchs (2017, 164) hebt hervor, dass die moralische Qualität einer Handlung nach Thomas daher durch die Ausrichtung des Willens bestimmt wird: „Da nun in der thomasischen Theorie der Zweck innerhalb dieser komplexen Struktur im Gegensatz zum Objekt der äußeren Handlung das universalere Moment darstellt, weil der Wille, der sich auf das Ziel als sein Objekt bezieht, als appetitus rationalis das aufgrund seiner vernünftigen Natur universale Seelenvermögen ist, wird die moralische Qualität einer Handlung in letzter Hinsicht durch die Auswirkung des Willens bestimmt.“ cf. S. Th. I, q. 16, art. 4 ad 1. Lectura II d. 25 n. 22: „Ad hanc quaestionem dicunt quidam quod tota causa actualitatis in actu voluntatis est ex parte obiecti voluntatis ita quod tota vis est in obiecto cognito respectu actus voluntatis.“ Die Übersetzung habe ich übernommen von Leibold (2011, 91−92). cf. Leibold (2011, 92)
134
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
nicht durch dieses Ziel, sondern durch sich selbst.“⁴⁹⁴ Dass Scotusʼ Position in der Lectura trügerischerweise zu der von Leibold erläuterten Interpretation einer Verursachung der Willenshandlung durch das erkannte Objekt führt, gründe auf einer ungenauen Unterscheidung zwischen causa finalis und causa efficiens, derzufolge die causa finalis nur metaphorisch als Ursache verstanden werden könne.⁴⁹⁵ Tatsächlich vertrete Scotus – so Leibold − in der Lectura die Auffassung, Wille und Intellekt würden zusammen als Teilursachen die Willenshandlung bewirken, denn Wille und Objekt kämen zur Verursachung des Willensaktes zusammen, wobei der Wille aufgrund des ihm innewohnenden Moments der freien Wahl grundlegender sei.⁴⁹⁶ Bei der Bestimmung von Willen und Intellekt als Teilursachen der Willenshandlungen gilt es aber zu beachten, dass Scotus den Intellekt zur Natur zählt und moralische Handlungen gerade nicht vom Intellekt verursacht sein können, da, wie Hannes Möhle hervorhebt, „[m]oralisch zu sein […] sich nicht […] in Begriffen der Natur des Handelnden analysieren [lässt], weil frei zu sein im eigentlichen Sinn bedeutet, nicht innerhalb einer Natur zu sein.“⁴⁹⁷ Die zweite Interpretation des Verhältnisses von Willen und Vernunft gibt Duns Scotus in seinen Additiones Magnae – diese ist in einem radikalen Sinne voluntaristisch und wird als wichtigste Antwort von Scotus auf die Frage nach der Ursache einer Willenshandlung angesehen:⁴⁹⁸ Scotus vertritt dort die These, „dass nichts anderes als der Wille die vollständige Ursache der Willenshandlung im Willen sein kann, demgemäß der Wille sich frei dazu bestimmt, den Willensakt hervorzubringen.“⁴⁹⁹ Wenngleich die beiden genannten Interpretationen von Duns Scotus zum Verhältnis von Willen und Intellekt bei der Hervorbringung des Willensaktes inkompatibel erscheinen, sollen sie hier nicht weiter diskutiert werden, denn dies würde zu weit vom Thema wegführen.⁵⁰⁰ Für die folgende Untersuchung genügt es zu wissen, dass für Scotus der Wille ein Vermögen ist, das keine Ursache außer sich selbst haben kann, und dass der Wille zwar um eines Zieles willen handelt, aber nicht durch dieses Ziel,
Leibold (2011, 92) Leibold (2011, 92): „Der tiefere Grund dieser Position liegt in einer unklaren Unterscheidung zwischen causa finalis und causa efficiens. Wer das obiectum cognitum als Bestimmungsgrund des Willens annimmt, setzt voraus, daß das erkannte Objekt als causa finalis den Willen zum Handeln bestimmt. Hier bedarf es einer genaueren Unterscheidung. Ein Ziel vermag als Ziel die causa efficiens zum Handeln zu bewegen, aber es ist nicht das Ziel, das die Handlung verursacht. Der Wille handelt zwar um eines Ziels willen, aber nicht durch dieses Ziel, sondern durch sich selbst. Die causa finalis ist begrifflich nur in einem metaphorischen Sinn als Ursache zu fassen.“ cf. Leibold (2011, 93) Möhle (1995, 322−323) zum Beispiel cf. Leibold (2011, 93) und cf. Möhle (1995, 191−198) Additiones Magnae 299: „respondeo ergo ad quaestionem quod nihil aliud a voluntate potest esse totalis causa volitionis in voluntate secundum quod voluntas determinat se libere ad actum volendi causandum.“ Die Übersetzung habe ich übernommen von Leibold (2011, 94). Für eine genauere Diskussion des komplizierten Verhältnisses der zwei Interpretationen zueinander cf. Möhle (1995, 185−187).
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
135
das ihm vom Intellekt vorgegeben wird. Der Wille ist also causa principalior und kann daher nicht nur sich selbst determinieren, worin seine Freiheit liegt, sondern auch den Intellekt, der im Unterschied zum Willen an die Notwendigkeit gebunden ist:⁵⁰¹ „Vielmehr ist der Wille gegenüber seinem eigenen Akt unbestimmt und übt seinen Akt [von selbst] aus, und durch diesen Akt determiniert er den Intellekt hinsichtlich der Ursächlichkeit, die der Intellekt nach außen hin hat.“⁵⁰² Da der Intellekt sich nur auf „naturhafte Weise“ auf eine von zwei alternativen Möglichkeiten festlegen kann und nicht frei, so wie es der Wille vermag, und der Intellekt außerdem nicht nach außen hin tätig sein kann, ist der Wille „im eigentlichen Sinne das rationale Vermögen“, „wenn man aber unter ‚rational‘ ‚mit Vernunft‘ versteht.“ Bevor die Darstellungen des Verhältnisses von Willen und Intellekt bei Thomas und Duns Scotus mit Molinas De Iustitia et Iure verbunden werden, soll im Folgenden Molinas Konzept des freien Willens (liberum arbitrium) vor dem Hintergrund dieser Ausführungen noch einmal betrachtet werden: In Hinblick auf das liberum arbitrium folgt Molina Duns Scotus, der dem Menschen einen freien Willen zuspricht und die Vervollkommnung desselben nicht in der freien Entscheidung des Willens, sondern in der Entscheidung für das sittlich Gute sieht. So hebt auch Jean-Pascal Anfray hervor: „Both [,Molina and Duns Scotus,] consider the will as both the locus and the source of freedom, against the preeminence of the intellect, which characterizes the Thomistic tradition.“⁵⁰³ Und dennoch ist Molinas liberum arbitrium in gewisser Weise auch von dem thomistischen Konzept des freien Willens inspiriert, da dem freien Willen ein Vernunfturteil vorausgehen muss, damit die aus dem freien Willen hervorgebrachten Handlungen als frei bzw. gut aufgefasst werden können. Der Unterschied zu Thomas besteht nun darin, dass die Vernunft dem freien Willen bei Molina nicht befehlen kann, was er zu wollen hat, sondern ihm quasi ‚nur‘ einen Rat erteilen kann und der Wille dann entscheidet, ob er diesen Rat annimmt oder nicht. Die primäre Kraft wird so also dem Willen zugesprochen, der allerdings auf einen guten Ratschlag der recta ratio angewiesen ist, diesen aber nicht befolgen muss. Außerdem ist für Molina im Gegensatz zu Thomas⁵⁰⁴ die Vernunft nicht integraler Bestandteil des freien Willens als appetitus intellectivus. Wie die praxes bei Duns Scotus sind die menschlichen Handlungen nach Molina damit kontingent.⁵⁰⁵ Kurzum: Dadurch, dass die Entscheidung, dem Vernunfturteil zu folgen oder nicht, letztlich beim Willen liegt, dieser aber ganz ohne Ratschlag der Vernunft nicht als frei qualifiziert werden kann, sollte Molina als moderater Scotist bezeichnet werden, der Thomas gegenüber durchaus liberal
cf. Beckmann (2007, 117) FTN 72−75, n. 39 und 41. Anfray (2014, 345) S. Th. I, q. 82, art. 5. Möhle (1999, 51): „Menschliche Handlungen, die Scotus im engeren Sinne als praxes versteht […], kommen dadurch zustande, daß sie im Zusammenspiel von Verstand und Wille als einer komplexen Wirkursache frei hervorgebracht werden. In diesem Sinne – nämlich indem sie durch den freien Willen bewirkt werden – sind praxes kontingent.“
136
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
gesinnt ist. Molina gibt die Voraussetzung der Vernunft nicht auf.⁵⁰⁶ Und dennoch ist der Einschätzung von Romanus Cessario zuzustimmen, dass Molina eine rationalistische Theorie des freien Willens ablehnt: there is found in Molina an unsubtle denial of the intellectualist view of freedom. Instead, his account favors a libertarian view of freedom that preserves a liberty of indifference in the creature even with reference to the divine causality. This is the view of freedom that Molina made famous in his formulation in the Concordia, namely, that ‘the will is free only when, all requirements for acting being present, the will can act and not act.‘[Concordia, quaest. 4, art. 13, disp. 2]⁵⁰⁷
Die Spuren der Lehren zum freien Willen von Thomas und Scotus in Molinas Rechtslehre lassen sich an den beiden rechtstheoretischen Modellen, deren Analyse die Grundlage dieser Untersuchung darstellt, aufzeigen: dominium und ius. Zu diesem Zweck wird im Folgenden zum Teil einiges in diesem Kontext noch einmal aufgegriffen, das bereits in der Untersuchung des ius als subjektivem Recht und des dominium behandelt wurde. Im Hinblick auf ius und dominium weicht Molina nämlich ein wenig von der thomistischen Route ab, die dennoch seinen theoretischen Ausgangspunkt darstellt. Dass der Mensch dominium über äußere Güter hat, hatte Molina unter Rekurs auf Thomas aus dessen Konzept des Menschen als Herrn seiner Handlungen, als domini suorum actuum ⁵⁰⁸ abgeleitet. Molina selbst entwickelt keine eigene Definition des dominium und übernimmt die Bestimmung des dominium von Bartolus de Saxoferrato als „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist.“⁵⁰⁹ Es sei noch einmal daran erinnert, dass Molina das dominium als das Vermögen schlechthin bestimmt, um Träger von Rechten sein zu können und das dominium daher als Antezedens des ius bestimmt. Diese rechtsmetaphysische Überlegung wird durch folgendes Bild verdeutlicht: Obwohl diese Art der Metaphysik zu einer moralischen Fragestellung nicht viel beizutragen vermag und man sich gemeinhin zu sagen gewöhnt hat, dass das Recht die wahre Gattung des dominium sei, scheint mir das Gegenteil [dennoch] mehr der Wahrheit zu entsprechen. Denn erstens sagen wir richtig: Weil Petrus Herr über diese Sache ist, hat er die Fähigkeit, vollkommen über sie zu verfügen. Unrichtig sagen wir hingegen umgekehrt: Weil er die Fähigkeit hat, über diese Sache vollkommen zu verfügen, ist er ihr Herr, wie wir ja auch unrichtig sagen: Weil er die Fähigkeit hat zu lachen, ist er ein Mensch. Also ist die Fähigkeit oder das Recht der vollkommenen
cf. Anfray (2014, 346) Cessario (2014, 312) DIEI II 3, 55: „Quae namque suorum actuum dominium non habent, multo minus aliarum rerum poterunt dominium habere.“ DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ Jörg Tellkamp (2014, 128) sieht bereits in Bartolus‘ Definition des dominium eine aktive Bedeutung, die dessen Definition eindeutig eine voluntarische Prägung verleihe: „The aspect that might be highlighted is not only the fact that Bartolus identifies dominium and ius, but that he endows it with an active meaning, that is, to manage something completely or to have it at his or her disposition. There is an undeniable voluntaristic feel to this definition.“
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
137
Verfügung eine Wirkungsweise des dominium, ebenso wie die Fähigkeit zu lachen eine Wirkungsweise des Menschen ist.⁵¹⁰
Wenn Molina die Fähigkeit der vollkommenen Verfügung, das ist das dominium, mit dem Lachen des Menschen vergleicht, so greift er den in mittelalterlichen Diskussionen von Aristoteles übernommenen Gedanken des Lachens als eines proprium des Menschen auf, das heißt, als einer Eigenschaft, die zwar nicht das Wesen des Menschen bestimmt, aber dem Menschen notwendigerweise zukommt, und zwar nur dem Menschen.⁵¹¹ Mit dem Vergleich bestärkt Molina also seine Interpretation des dominium als Antezedens des ius, das heißt, dass der Mensch aufgrund seines dominium Träger von Rechten ist und er erklärt das dominium zugleich als eine Eigenschaft, die dem Menschen notwendigerweise zukommt. Dass Molina sich mit seiner Interpretation des dominium als Antezedens des ius von Vitorias Auffassung, das Vermögen, dominium über etwas zu haben, resultiere aus der Fähigkeit des ius, abgrenzt, gewinnt neben der bereits skizzierten rechtsmetaphysischen Bedeutung an rechtspraktischer Relevanz, wenn die Frage hinzugezogen wird, ob auch Kinder und geistig Behinderte (amentes) dominium haben. In diesem Zusammenhang lässt sich eine weitere Differenz nicht nur zwischen Thomas und Molina aufdecken, sondern vor allem zwischen Molina und Vitoria: Denn obwohl beide Autoren der Schule von Salamanca von denselben, ‚thomistischen‘ Voraussetzungen ausgehen, damit jemand dominium haben kann, nämlich das Vermögen des freien Willens, gelangen sie in der Frage nach dem dominium von Menschen, denen es noch nicht oder gar nicht möglich ist, Gebrauch vom freien Willen zu machen, zu unterschiedlichen Antworten. Wenn die große Bedeutung der natura rei-Lehre vor allem im Kontext der scientia naturalis innerhalb der Dreiteilung des göttlichen Allwissens in Erinnerung gerufen wird – nach der alles eine unveränderliche Natur bzw. Substanz hat, die nicht einmal von Gott verändert werden kann, da gemäß der Lehre von der natura rei die Substanzen der Dinge Gottes dem Schöpfungsakt vorausgehen –, erscheint es konsequent, dass Molina Kindern und geistig Behinderten dominium zuspricht. Denn dadurch, dass sie aufgrund ihrer Kindheit, Unmündigkeit oder Behinderung von ihrem freien Willen keinen Gebrauch machen können, wird ihre menschliche Natur bzw. Substanz nicht verändert: Als menschliche Wesen müssen sie (gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge) dominium haben, denn sie
DIEI II 3, 53: „Et quamvis metaphysica haec non multum ad rem moralem conferat, communiterque dici consueverit, ius esse verum genus dominii; contrarium mihi videtur verius. Primo, quoniam recte dicimus, quia Petrus est dominus huius rei, habet facultatem perfecte de illa disponendi: e contrario vero non recte dicimus, quia habet facultatem perfecte disponendi hac re, est dominus illius; sicut etiam non recte dicimus, quia habet facultatem ridendi est homo: ergo facultas, seu ius perfecte disponendi, est effectus dominii non secus ac facultas ridendi est effectus homini.“ cf. Schnepf (2008, 221) Schnepf weist darauf hin, dass die Bestimmung des Lachens als eines proprium des Menschen zum Beispiel in Aristotelesʼ De partibus animalium 3, 10 (673a 2−13) auftaucht.
138
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
haben aufgrund ihres menschlichen Potenzials zum freien Willen auch die Potenz zum dominium, selbst wenn dieses Potenzial nicht aktiviert wird.⁵¹² Vitoria hingegen (als strenger Rationalist) kann die Annahme eines freien Willens für Menschen, die keinen Gebrauch davon machen können, nicht akzeptieren – die Veranlagung zum liberum arbitrium allein mache aus einem menschlichen Wesen noch keinen Menschen. Gemäß Vitoria muss der freie Wille als Vermögen umgesetzt werden in menschliche, vernünftige Handlungen.⁵¹³ Und hierin stimmt Vitoria mit Thomasʼ Antwort auf die Frage, ob menschliche Handlungen ihre Natur vom Ziel erhalten, überein, denn alles erhalte seine Natur bzw. Spezies gemäß der Aktualität und nicht gemäß der Potenzialität.⁵¹⁴ Vitoria spitzt diese Position sogar noch zu, denn „ein Vermögen, das sich nicht auf eine Handlung zurückführen lässt, gibt es umsonst.“⁵¹⁵ Es scheint, dass Vitoria in dieser Frage also sogar ein strengerer Thomist als Thomas selbst ist. Dieser Aspekt ist auch von grundlegender Bedeutung für die Interpretation des Verhältnisses von ius und dominium bei Vitoria, der dieses Verhältnis ganz anders bestimmt als Molina: Vitoria geht einerseits von der Annahme aus, dominium sei abhängig von ius und bestimmt ius und dominium andererseits als äquivalent.⁵¹⁶ Mit Hinblick auf das dominium kann also im Kontext der Frage nach dominium von Kindern und geistig Behinderten folgende Beobachtung festgehalten werden: Molina weicht hier von der Position Thomasʼ ab. Dadurch, dass Molina Kindern und geistig Behinderten eben aufgrund ihrer menschlichen Natur das Potenzial zum freien Willen und in Folge dessen zum dominium zugesteht, auch wenn sie davon keinen Gebrauch machen können, tritt eine Parallele zu Duns Scotus hervor, demzufolge der freie Wille zwar um eines Zieles willen, aber nicht durch dieses Ziel, sondern durch sich selbst handelt. Molina gesteht Kindern und amentes also dominium aufgrund ihrer menschlichen Natur und des damit verbundenen Potenzials zum liberum arbitrium zu, wenngleich das Potenzial nicht in eine Aktualität umgesetzt zu werden braucht. Auch wenn Vitoria diese Argumentation abgelehnt hätte, so gesteht auch er in De Indis Tellkamp (2014, 133): „Molina thinks that reason is ontologically required and not just to the extent that it can be used actively.“ sowie Brett (2011, 45): „But for Molina as opposed to Vitoria, this gives such agents not simply libera voluntas, but liberum arbitrium, free will, even if their ,use‘ of it is not sufficient for morality.“ Anselm Spindler (2015, 262−263) zeigt, dass für Vitoria die Fähigkeit zum Vernunftgebrauch darüberhinaus „nicht nur der Grund der Moralfähigkeit eines Akteurs ist, sondern zugleich auch der Grund der Moral. Vitoria löst also das Problem der Grundlegung einer universellen Moral, indem er argumentiert, dass diejenigen, die dieser Moral unterstehen, zugleich und aus demselben Grund auch ihr Ursprung sind, und zwar weil die oberste Vorschrift des natürlichen Gesetzes identisch ist mit dem konstitutiven Grundprinzip der praktischen Vernunft. Adressat moralischer Pflichten ist jeder, der die Fähigkeit zum Vernunftgebrauch, also praktische Vernunft und einen Willen hat.“ S. Th. I−II, q. 1, art. 3: „Respondeo dicendum quod unumquodque sortitur speciem secundum actum, et non secundum potentiam, […].“ De Indis V II. Eine ausführliche Diskussion der unterschiedlichen Interpretationen des Verhältnisses von ius und dominium bei Vitoria und Molina habe ich gemeinsam mit Christoph Haar unternommen, (Haar und Simmermacher 2014, 454−464).
4.1 Molinas Lehre von der Willensfreiheit des Menschen in der Concordia
139
Kindern und amentes Eigentum zu: Da sie Unrecht empfinden können, haben sie auch Rechte. Für die Kinder besteht nach Vitoria kein Zweifel daran, dass sie Eigentümer sein können, da sie auch Erben seien. Mit Hinblick auf die amentes ist Vitoria aber weniger entschlossen, da sie nicht nur keinen Gebrauch von ihrer Vernunft machen können, sondern auch keine Hoffnung darauf besteht und überlässt es „der Entscheidung der Rechtsgelehrten, ob sie bürgerliches Eigentum haben können.“⁵¹⁷ Der Einfluss von Duns Scotus auf Molinas Rechtslehre wird noch deutlicher, wenn Molinas Bestimmung des Gesetzes in der Disputation 46 des fünften Traktats von De iustitia et iure betrachtet wird, die den Titel De legibus et constitutionibus trägt und an dessen Ende das Gesetz wie folgt definiert wird: Es ist der Befehl oder die Vorschrift, die von der höchsten dafür relevanten Macht im Staat dauerhaft erlassen und verkündet wurde und darauf abzielt, nicht dem einen oder anderen, sondern allen entweder direkt, oder den unter einer Bedingung oder nach Ort, oder Zeit, und anderen Umständen Gleichen zu nützen, und angenommen wurde, falls es für die Gültigkeit dieser Annahme bedarf.⁵¹⁸
Auf dem Weg zu dieser Definition bestimmt Molina das menschliche Gesetz als „Akt der politischen Klugheit […] [zu dem] der freie Wille des Gesetzgebers dazu [kommt].“⁵¹⁹ Auf den ersten Blick scheint Molina das Gesetz primär als ‚Sache der Vernunft‘ aufzufassen, und daher sieht Frank Costello Molinas Definition des Gesetzes in Analogie zu der Gesetzesdefinition von Thomas.⁵²⁰ Wenn dieser These die erste Definition des Gesetzes von Thomas zugrunde gelegt wird, wäre Costello zuzustimmen, denn Thomas bestimmt das Gesetz wie folgt: „Das Gesetz ist eine Art Regel und
De Indis I 21−22: „Sed sit secunda propositio: Pueri ante usum rationis possunt esse domini. Hoc patet, quia possunt pati iniuriam; ergo habent ius rerum; ergo et dominium, quod nihil aliud est quam ius. Item bona pupillorum non sunt in bonis tutorum, et habent dominos, et non alios; ergo pupillos. Item pueri sunt haeredes. Sed haeres est, qui succedit in ius defuncti et qui est dominus haereditatis (I. cum heres ff., De diversis temporalibus praescriptionibus, et Inst., De heredum qualitate et differentia, § fin.). Item diximus quod fundamentum dominii est imago Dei, quae adhuc est in pueris, et Apostolus eodem loco (ad. Gal. 4,2): ,Quanto tempore heres parvulus est, nihil differ a servo, cum sit dominus omnium.‘ Nec est idem de creatura irrationali, quia puer non est propter alium, sed propter se, sicut est brutum. 22. Sed de amentibus quid? Dico de perpetuo amentibus, qui nec habent nec est spes habituros usum rationis. Sitque tertia propositio: Videtur adhuc quod possint esse domini, quia possunt pati iniuriam, ergo habent ius. Sed hoc remitto ad iurisconsultos utrum possint habere dominium civile.“ (Hervorhebung im Original) DIEI V 46, 1698: Est imperium seu praeceptio a suprema ad id potestate in republica permanenter lata ac promulgata, non uni aut alteri, sed omnibus aut simpliciter, aut ad quos id pro eorum conditione, loco, tempore, ac aliis circumstantiis servare spectat, et acceptata, quando, ut vim habeat, acceptatione indiget.“ (Hervorhebung im Original) Übersetzung: Kaufmann (2010, 387) DIEI V 46, 1675: „[…] legem humanam civilem actum esse prudentiae politicae, […] concurrente ad illum voluntate legislatoris libera per actum virtutis legalis, quae in eo architectonice refidet.“ Costello (1974, 203): „Law is primarly an act of the intellect and Molina expressly states that he understands the terms in the same sense which St. Thomas does in his definition of law.“
140
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Richtmaß der Tätigkeiten, demzufolge einer zum Handeln angeleitet oder vom Handeln abgehalten wird. Gesetz (lex) kommt nämlich vom lateinischen ligare, weil es für das Handeln verbindlich ist.“⁵²¹ Wie in Kapitel 3.1 gezeigt wurde, findet sich auch bei Molina der Gedanke wieder, die Gesetze führten die Bürger wie ein Kompass zur iustitia legalis, die nach Aristoteles als ‚ganze Gutheit‘ aufzufassen sei. Dennoch scheint sich Costellos These auf die zweite Definition des Gesetzes bei Thomas zu beziehen, derzufolge das Gesetz „nichts anderes als eine Anordnung der Vernunft im Hinblick auf das Gemeingut, erlassen und öffentlich bekanntgegeben von dem, der die Sorge für die Gemeinschaft innehat“⁵²² ist. Unter Rekurs auf die zweite Definition des Gesetzes bei Thomas lässt sich die These, das Gesetz sei bei Molina in Analogie zum Gesetz bei Thomas zu verstehen, jedoch nicht halten, denn nach Molina wirken beide Vermögen, Vernunft und Wille, am Gesetz, und so stellt Molina grundsätzlich fest, dass jene Fähigkeiten vom Begriff des Rechts ausgeschlossen sind, „die der Vernunft und des freien Willens gemäß ihrer Natur entbehren.“⁵²³ So sind Vernunft und freier Wille auch grundsätzlich die Voraussetzung dafür, Rechtsträger und Eigentümer sein zu können. Nun wurde bereits erwähnt, dass der Gesetzgeber durch seine prudentia architectonica erkennt, wie er die Gesetze festzulegen hat, damit diese gerecht sind, doch ordnet Molina die Gerechtigkeit an sich nicht der Vernunft, sondern dem Willen zu: „Die Gerechtigkeit ist der beständige und fortwährende Wille, das heißt Habitus, durch den wir geneigt sind, mit Beständigkeit und Beharrlichkeit zu wollen, dass ein jeder sein Recht bekomme.“⁵²⁴ Es scheint, dass die Vernunft in Form der politischen Klugheit die Gesetze nach der Gerechtigkeit und damit dem Willen bestimmt, die Vernunft schöpft die Gesetze also letztlich aus dem Willen. Für die Gesetzesbildung kann nicht ausgemacht werden, welchem Vermögen hierbei eine stärkere Rolle zukommt. Um wirksam zu werden, bedürfen die Gesetze eines Befehls, wie in der Definition gezeigt wird, und die Definition des Befehls klärt das Verhältnis von Vernunft und Willen im Hinblick auf das Gesetz weiter auf: „Der Befehl, mit dem die so vom Verstand durch die politische Klugheit gemachten Gesetze den Untergebenen befohlen werden, ist jenseits eines Akts des Intellekts, in dem der Grund des Gesetzes besteht,
S. Th. I−II, q. 90, art. 1. Ich habe diese und die folgende Übersetzung übernommen aus: Die deutsche Thomas-Ausgabe. Summa Theologica, Bd. 13, (1977, 5). S. Th. I−II, q. 90, art. 4. DIEI II 1, 41: „Per eandem partem definitionis reiiciuntur a ratione iuris facultates, quibus, quacunque ratione contraveniatur, nulla habentibus eas facultates iniuria infertur: cuiusmodi sunt facultates rerum omnium ratione et libero arbitrio suapte natura carentium, ut brutorum ad pastum, et ad utendum propriis membris, lapidum ad descendendum deorsum, et caeterae aliae. Cum enim eiusmodi res eo ipso, quod libero arbitrio praeditae non sint, iniuriae non sint capaces, sane ut in eo, quod earum facultatibus quacunque ratione contraveniatur, nulla eis fit iniuria; sic nec facultates illae iuris rationem habent.“ DIEI I 8, 26: „[…] iustitia est constans et perpetua voluntas, idest, est habitus quo inclinamur cum constantia et firmitate ad volendum ius suum unicuique.“
4.2 Freiheit des Wollens und Freiheit des Handelns
141
darüber hinaus von derselben Klugheit [nämlich der politischen] hervorgebracht.“⁵²⁵ Ein Befehl ist Ausdruck des Willens des Regenten. Um wirksam zu werden, muss also der Wille in Form eines Befehls zum Akt der Vernunft, die das Gesetz bestimmt hat, hinzukommen. Dieses Zusammenspiel wird von der politischen Klugheit zustande gebracht, der sowohl Vernunft als auch Wille zuzuordnen sind. So lässt sich Folgendes zusammenfassen: Aus dem Willen, nämlich der Gerechtigkeit, bestimmt die Vernunft das Gesetz und damit dieses wirksam wird, da es ohne Wirkung gemäß der Definition kein Gesetz ist, bedarf es wiederum des Willens. Damit scheint dem Willen eine insgesamt gewichtigere Rolle beim Gesetz zuzukommen, wenngleich die Vernunft nicht unbedeutend ist. So wäre Molinas Rechtslehre vielleicht als gemäßigt voluntaristisch zu bezeichnen, denn ohne Vernunft kann kein Gesetz gebildet werden – und hier lässt sich eine Analogie zu Molinas Willenslehre beobachten, denn auch dort gibt Molina die Voraussetzung der Vernunft für den freien Willen nicht auf, wenngleich die scotistischen Wurzeln seiner Bestimmung des liberum arbitrium deutlich zu erkennen sind. Somit lässt sich die These, Molinas Rechtslehre sei charakterisiert durch die Kompatibilität scotistischer Elemente innerhalb eines thomistischen Rahmens, begründen. Wie Jörg Tellkamp hervorgehoben hat, nimmt Molina damit eine Sonderposition unter den Autoren der Schule von Salamanca ein.⁵²⁶ Die Diskussion der Willensfreiheit in Molinas Concordia im Kontext seiner Rechtslehre aus De Iustitia et Iure hat viele Aspekte umrissen, die einer näheren Erklärung bedürfen oder ihrerseits neue Diskussionen aufwerfen. Wie zu Beginn des Kapitels angekündigt, sollen die folgenden Abschnitte dieser Aufgabe gewidmet sein.
4.2 Freiheit des Wollens und Freiheit des Handelns Zunächst soll genauer bestimmt werden, inwiefern die Freiheit des Wollens von der Freiheit des Handelns zu unterscheiden ist. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits gezeigt wurde, bestimmt Molina in der Concordia den freien Willen (voluntas) als freie Entscheidung (liberum arbitrium), die freies Handeln (agens liberum) nach sich zieht. Der freie Wille ermöglicht dem Menschen in seinem Handeln, das von der Natur als notwendig Vorgegebene zu überschreiten: Frei wird dasjenige Handeln genannt, bei dem auch darauf verzichtet werden kann, in dieser Weise zu handeln, das heißt, bei dem der Mensch auch das Gegenteil tun könnte oder sich auch dafür entscheiden
DIEI V 46, 1675: „[…] imperium, quo eiusmodi leges, ita intellectu per politicam prudentiam fabricatae ac confectae, subditis imperantur, sit ulterior actus intellectus ab eadem politica ulterius elicitus, in quo ratio legis constat;“ Tellkamp (2014, 128): „As for most theologians in the 16th-century Spain and Portugal, Thomas Aquinas is the unavoidable point of departure, although it might be noted that he [Molina] explicitly sought to distance himself from Aquinas in a more radical fashion than his Salmantine colleagues – Domingo de Soto, whom he often critzises, being the most prominent of these.“
142
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
könnte, überhaupt nicht zu handeln. Willensfreiheit und Handlungsfreiheit sind bei Molina also eng miteinander verbunden, aber aus der Willensfreiheit heraus resultiert nicht notwendig die Durchführung einer Handlung. Das dominium wird in De Iustitia et Iure als freie Verfügung über etwas bestimmt und als Paradigma für subjektives Recht interpretiert, sodass es als rechtliche Freiheit bestimmt werden kann. Ohne Zweifel sind Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtliche Freiheit (bzw. mit Blick auf die modernen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc. auch politische Freiheit) in gewisser Weise miteinander verbunden,⁵²⁷ dennoch sollten sie begrifflich sorgfältig voneinander unterschieden werden: Je nachdem, auf welche Weise die Freiheit des Wollens und die Freiheit des Handelns bestimmt werden, das heißt, unter welchen Bedingungen jeweils von Freiheit die Rede sein kann, wird der Mensch als verantwortlich für sein Handeln betrachtet. Mit anderen Worten: Aus diesen Bestimmungen heraus folgt, inwiefern der Mensch Urheber seiner Handlungen, dominus suorum actuum sein kann. Damit ist nur einer von drei Problemaspekten um die Willensfreiheit umrissen, die seit Aristoteles⁵²⁸ diskutiert werden: 1. der genannte ethisch-rechtliche Problemaspekt, der die moralische Verantwortlichkeit umfasst, 2. der Aspekt der Kausalität, dem die Frage zugrunde liegt, ob alles in der Welt kausal determiniert bzw. (von Gott) vorherbestimmt ist und 3. der logisch-sprachphilosophische Aspekt, der aus der Frage hervorgeht, ob die Zukunft offen ist und wie Modalausdrücke (zum Beispiel möglich sein) zu verstehen sind.⁵²⁹ Im folgenden Kapitel soll vor allem der erste Problemaspekt von Interesse sein, wenngleich alle drei Aspekte bei Molina eine Rolle spielen (vor allem im Hinblick auf die Dreiteilung des göttlichen Allwissens, insbesondere der scientia media). Im Kontext der moralischen und rechtlichen Verantwortlichkeit von Handlungen steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, ob Handlungen, die aus einem freien Willen hervorgehen und damit den Handelnden als verantwortlich für diese Handlungen auswei-
Dies ist in der Geschichte der Philosophie freilich umstritten und gilt keinesfalls als selbstverständlich: In der Stoa beispielsweise wird einerseits Willensfreiheit angenommen, aber andererseits Handlungsunfreiheit, da unsere Bewegungen alle naturgesetzlich determiniert sind. Und nach John Locke hat der Mensch grundsätzlich keine Willensfreiheit, da der Wille nach demjenigen strebt, was ihm besser gefällt oder zusagt. Doch kann der Mensch das für den Willen Erstrebenswerte nicht frei wählen. cf. (an der Heiden und Schneider 2007, 14−15) Reinhard Merkel (2008, 333) beschreibt den Zusammenhang von Handlungs- und Willensfreiheit als „nicht logisch (oder semantisch) zwar, aber ontologisch (oder metaphysisch)“ und räumt ein, dass dieser Zusammenhang nicht in allen Hinsichten zwingend sei. Dass diese Einschätzung auch auf das Verhältnis von Willens- und Handlungsfreiheit bei Molina zutrifft, ist aus dem vorangegangenen Kapitel bereits deutlich geworden. Christoph Jedan (2007, 39) betont, dass sich in Aristoteles‘ Schriften zwar kein Wort finden lässt, das mit ,Willensfreiheit‘ übersetzt werden könnte, doch setzt sich Aristoteles mit den drei Problemaspekten auseinander, „die auch wir typischerweise mit dem Willensfreiheitsproblem verbinden.“ cf. Jedan (2007, 39)
4.2 Freiheit des Wollens und Freiheit des Handelns
143
sen, immer auch gute Handlungen sind oder ob aus einem freien Willen auch schlechte Handlungen hervorgehen können und ob der Handelnde für schlechtes Handeln verantwortlich sein kann. Zwar entwickelt Aristoteles keine Theorie der Willensfreiheit, doch spielt die Freiwilligkeit in der Nikomachischen Ethik (Buch III) die entscheidende Rolle, wenn beurteilt werden soll, ob eine Handlung dem Handelnden zugerechnet werden kann, das heißt, ob der Handelnde für seine Handlung verantwortlich ist und gegebenenfalls für seine Handlung zur Rechenschaft gezogen werden kann. Unfreiwillige Handlungen sind Handlungen, die aus Zwang heraus oder aufgrund von Unwissenheit geschehen. Wichtig ist, dass der Handelnde sich für eine freiwillige Handlung entschieden hat, das heißt, diese Handlung gewählt hat − auch Kinder oder Tiere können ohne Zwang handeln, aber da ihren Handlungen keine bewusste Entscheidung zugrunde liegt, werden sie für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht. Durch das Element der Entscheidung (prohairesis) kann Aristoteles also auch ohne Theorie einer Willensfreiheit zu Recht als Diskussionspartner in den Debatten um Willens- und Handlungsfreiheit, die im Folgenden skizziert werden, angesehen werden. Allerdings ist die Entscheidung, die Aristoteles den freiwilligen Handlungen zugrunde legt, nicht als Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Alternativen, unter denen der Handelnde abwägt und die möglichst beste wählt, zu verstehen, denn der Abwägungsprozess verläuft in gewisser Weise determinierend, insofern alle Möglichkeiten bis auf eine eliminiert werden und der Handelnde diese letzte Möglichkeit als alternativlose Handlung vollzieht.⁵³⁰ Grundsätzlich gilt es zunächst zu klären, wie Willensfreiheit und Handlungsfreiheit voneinander unterschieden werden. Geert Keil bestimmt die Handlungsfreiheit als Freiheit, zu tun oder zu lassen, was man will: „Handlungsfreiheit besitzt man, wenn man nicht durch äußeren Zwang daran gehindert wird, seine Absichten in die Tat umzusetzen.“⁵³¹ Rechtliche oder politische Freiheiten wie zum Beispiel Redefreiheit seien Unterarten der Handlungsfreiheit. Eine freie Handlung wird also ohne Zwang oder Determination ausgeübt und wird daher als autonom, selbstbestimmt bezeichnet bzw. folgt dem Autonomieprinzip.⁵³² Wie bereits bei den freiwilligen Handlungen nach Aristoteles ist ferner in Bezug auf die Handlungsfreiheit relevant, dass eine Handlung
Aichele (2007, 63): „Da weder Kindern noch Tieren freiwillige Handlungen moralisch zugerechnet werden, ist offenbar prohairesis die hinreichende Bedingung der Zurechenbarkeit. Dabei ist zu beachten, dass der aristotelische Terminus nicht eine solche Entscheidung bezeichnet, die zwischen mehreren herausgearbeiteten und solchermaßen noch zur Wahl stehenden Alternativen getroffen wird, sondern dass vielmehr in einem Prozess der Abwägung alle Alternativen bis auf diejenige, die der Abwägende für die beste hält, eliminiert werden, so dass die Entscheidung des Individuums im konkreten Einzelfall für dieses Individuum alternativlos ist. Prohairesis denotiert also nichts weiter als das Resultat eines im Idealfall gänzlich rationalen Abwägungsverfahrens, in dessen Verlauf unabhängig von einem eigenständigen Strebe- oder Entscheidungsvermögen die beste Handlungsmöglichkeit ermittelt wird.“ Keil (2007, 2) cf. (Pauen und Roth 2008, 27)
144
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
nur dann als frei bezeichnet werden kann, wenn sie nicht zufällig geschieht, sondern aufgrund einer Entscheidung des Handelnden vollzogen wird oder sich zumindest mit Bezug auf den Handelnden erklären lässt, aus welchen Gründen die Handlung auf eine bestimmte Art und Weise durchgeführt wurde. Das heißt, freie Handlungen müssen auch dem Prinzip der Urheberschaft entsprechen⁵³³ − diesem Terminus entspricht die Bestimmung des Menschen als dominus suorum actuum bei Thomas von Aquin. Wenn die Frage der Urheberschaft einer Handlung nicht zu beantworten ist, kann die Handlung nicht zugerechnet werden und niemand kann für die Handlung verantwortlich gemacht werden. Die Willensfreiheit hingegen definiert Keil als die „Fähigkeit, frei seinen Willen zu bilden, frei zu wählen oder frei zu entscheiden“, wobei die Möglichkeit, das Gewählte dann auch zu tun, darin nicht eingeschlossen sei.⁵³⁴ Auch nach Molina resultiert aus der Willensfreiheit heraus nicht unbedingt die Durchführung einer Handlung, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde. Daher büßt andererseits ein Mensch, dem es aufgrund äußerer Zwänge wie Gefangenschaft oder Sklaverei nicht möglich ist, seine Handlungsfreiheit oder rechtliche bzw. politische Freiheit auszuüben, keineswegs seine Willensfreiheit ein. Dies wird im fünften Kapitel eine große Rolle spielen, wenn der rechtliche Status von Sklaven betrachtet wird und vor allem der Frage nachgegangen wird, ob Sklaven dominium haben bzw. was mit dem dominium eines Menschen geschieht, der in Sklaverei gerät oder sich sogar selbst in die Sklaverei verkaufen muss, um sein Überleben zu sichern. Es kann und soll in dieser Untersuchung keine umfassende Darstellung der verschiedenen Interpretationen der Willensfreiheit in der Geschichte der Philosophie gegeben werden.⁵³⁵ Aber es ist sinnvoll, neben den Konzepten der Willensfreiheit von Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus, die in das vorangegangene Kapitel miteinbezogen wurden, genauer zu betrachten, wie die Willensfreiheit von Augustinus (354−430), den Molina in seiner Concordia am häufigsten zitiert,⁵³⁶ bestimmt wird. Dass sich Molina in der Concordia intensiv mit Augustinus auseinandersetzt, ist geradezu unumgänglich: Augustinus vertritt eine ‚Theologie der Gnade‘, nach der alle guten Handlungen des Menschen sowie alles, was dem Menschen Gutes widerfährt, einzig auf Gottes Gnade zurückzuführen sind und somit immer Gottes Werk sind. Da Molina, wie bereits erwähnt, in der Concordia die menschliche Willensfreiheit mit der
cf. (Pauen und Roth 2008, 27) Keil (2007, 2) Stattdessen sei für einen Überblick zu den wichtigsten Konzepten der Willensfreiheit zum Beispiel auf (an der Heiden und Schneider 2007) verwiesen. Aichele (2007, 59−60) weist zudem darauf hin, dass die Relevanz der augustinischen Willens- und Gnadenslehre in Molinas Concordia nicht zuletzt in Molinas Anliegen begründet sei, Molinas „Hauptfeind Luther“ anzugreifen, denn es sei ein „zentrales Anliegen von Molinas Theorie der Willensfreiheit“, „Luthers ,schamlose und boshafte‘ (Conc. I. disp. 23. Membr. 4. 17 [150]) Inanspruchnahme Augustins zu widerlegen und eine rechtgläubige Augustin-Interpretation zu verteidigen.“
4.2 Freiheit des Wollens und Freiheit des Handelns
145
Gnade und Vorsehung Gottes zu vereinen versucht, kann er die radikale Position Augustinusʼ zum Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit also nicht ignorieren. Wenngleich die Lehre Augustinusʼ zur Willensfreiheit von Widersprüchen gekennzeichnet sei,⁵³⁷ so hält er dennoch an der Idee der menschlichen Willensfreiheit fest: Der Mensch besitzt ursprünglich durchaus Willensfreiheit als Vermögen, sich für das Gute zu entscheiden. Seit dem Sündenfall ist die menschliche Natur prädestiniert für das Schlechte und nur Gottes Gnade kann den Menschen vor der Verdammnis bewahren. Doch wird Gottes Gnade nur einigen wenigen Auserwählten zuteil, die dann durch die göttliche Gnade das Gute und Gerechte erkennen, ihr Leben danach ausrichten können und schließlich das Seelenheil als wahres Glück erlangen. Hierin besteht ein großer Unterschied zur Interpretation der göttlichen Gnade von Molina, denn nach Molina hat nicht nur – wie prinzipiell auch bei Augustinus – jeder Mensch das Vermögen zum freien Willen, sondern alle Menschen können prinzipiell aus ihrem freien Willen gute Handlungen hervorbringen, so dass alle Menschen, die sittlich gut handeln, darauf hoffen können, dass Gott ihnen seine Gnade zukommen lässt. In Buch I von De libero arbitrio betont Augustinus, Geist (mens) und Vernunft (ratio) seien die bedeutendsten Vermögen des Menschen und würden die anderen Vermögen und vor allem Begierden lenken. Wenn der Mensch etwas Böses tut, dann ist dies immer das Ergebnis der eigenen freien Entscheidung (liberum arbitrium),⁵³⁸ denn Gott ist gut und gerecht und der Mensch hat immer die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen in seinem Handeln (anders als bei den auf prohairesis beruhenden freiwilligen Handlungen nach Aristoteles). Wer gemäß Augustinus einen guten Willen hat, will auch das Gute und das Gerechte, denn bereits das bloße Haben-Wollen des guten Willens ist identisch mit dem Haben desselben. Die Entscheidungen des guten Willens sind gemäß der Vernunft oder der Tugend. Auch wenn Geert Keil rechtliche bzw. in der von ihm gewählten Terminologie ‚politische Freiheit‘ als Unterart der Handlungsfreiheit bezeichnet, so muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass die rechtliche Freiheit einen anderen Status gegenüber der Willens- oder Handlungsfreiheit einnimmt. Handlungs- und Willensfreiheit werden in einer modernen Terminologie als individuelle Freiheit von Personen aufgefasst, während rechtliche Freiheit als „System einer gesellschaftlich institutio-
Kahnert (2007, 90−92, 98) weist zum Beispiel darauf hin, dass Augustinus im ersten Buch von De libero arbitrio die These vertritt, das glückliche Leben sei für den Menschen allein durch seinen freien Willen zu erreichen, und diese Position selbst im dritten Buch bestreitet. Horn (1996, 116): „[Für Augustinus könne nichts] den menschlichen Geist zum Anhänger einer falschen Begierde machen als allein sein eigener Wille und seine freie Entscheidung (propria voluntas et liberum arbitrium: lib. Arb. I ii, 21).“ Angesichts dessen ist folgende Feststellung von Kahnert (2007, 95) nicht nachvollziehbar: Kahnert macht darauf aufmerksam, dass Augustinus im zweiten Buch von De libero arbitrio eingesteht, nicht beantworten zu können, „woher die nicht von Gott, sondern von jedem Menschen selbst verursachte Bewegung des Willens vom Guten zum Schlechten stamme.“
146
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
nalisierten Freiheit“ beschrieben wird.⁵³⁹ Es wurde bereits mehrfach hervorgehoben, dass subjektives Recht nur innerhalb einer objektiven Rechtsordnung bestehen kann. Wenn subjektives Recht als rechtliche Freiheit gedeutet wird, dann ist diese Form der Freiheit immer an objektives positives Recht gebunden und auch durch positives Recht gesichert – dass das als subjektives Recht gedeutete ius dennoch nicht gegen das Naturrecht ist, sondern vielmehr als naturrechtlich erlaubt betrachtet werden kann, lässt sich gerade mit der Auffassung der rechtlichen Freiheit als ‚Unterart der Handlungsfreiheit‘ bekräftigen, denn damit wird das subjektive Recht als eine Form individueller Freiheit von Personen aufgefasst, gewissermaßen als institutionalisierte Form individueller Freiheit. Wenngleich also Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtliche Freiheit jeweils verschiedene Formen der Freiheit darstellen und begrifflich zu unterscheiden sind, so bilden sie dennoch eine systematische Reihe, die nicht notwendig als kausale Verknüpfung zu interpretieren ist: Wie zu Beginn dieses Kapitels bereits erwähnt, skizziert Molina in der Concordia eben eine solche Reihe, wenn er den freien Willen (voluntas) als freie Entscheidung (liberum arbitrium) bestimmt, die freies Handeln (agens liberum) nach sich zieht, aber aus der heraus nicht notwendigerweise eine freie Handlung resultiert. Die rechtliche Freiheit ist als institutionelle Form einer aus der freien Entscheidung heraus resultierenden Handlung zu verstehen, die durch das gesellschaftliche bzw. politische Zusammenleben der Individuen notwendig wird und so die Handlungsfreiheit aller Individuen einerseits gewährleistet, andererseits in einem liberalen Sinn sozialisiert, das heißt, jedes Individuum durch sein freies Handeln das freie Handeln der anderen Individuen nicht beeinträchtigen soll. Die wohl berühmteste Formulierung der Institutionalisierung der Handlungsfreiheit durch das Recht stammt von Kant, wobei unter Willkür die Freiheit des äußeren Handelns und nicht die Willensfreiheit zu verstehen ist: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“⁵⁴⁰ Wenn subjektives Recht als rechtliche Freiheit gedeutet wird, so wird diese Freiheit der einzelnen Individuen durch das objektive Recht nicht eingeschränkt oder beschnitten, sondern kann überhaupt erst innerhalb einer solchen Rechtsordnung bestehen. Im Folgenden soll nun näher beleuchtet werden, warum aus dem liberum arbitrium nicht nur freiwillige, sondern auch gute Handlungen hervorgehen. Es soll also der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Willensfreiheit Grundlage für moralisch relevante Handlungen ist. Dies ist ein wichtiger Zwischenschritt, um beurteilen zu können, ob dem subjektiven Recht eine moralische Bedeutung zukommt.
so zum Beispiel Merkel (2008, 332) RL 230
4.3 Willensfreiheit und gute Handlungen
147
4.3 Willensfreiheit und gute Handlungen Es ist sinnvoll, den ethisch-rechtlichen Problemaspekt der Willensfreiheit bzw. der Handlungsfreiheit genauer zu analysieren. Damit wird zugleich die Frage nach moralischer Verantwortlichkeit behandelt, um beurteilen zu können, ob subjektives Recht eine moralische Komponente beinhaltet und das von Molina als facultas bestimmte ius somit als Vorläufer der modernen Grundrechte angesehen werden kann, oder ob subjektives Recht bloß als „rechtslogisch notwendige Implikation positivrechtlicher Verhältnisse“⁵⁴¹ zu verstehen ist, wie Anselm Spindler jüngst gegen das Plädoyer von Daniel Deckers⁵⁴² und Annabel Brett⁵⁴³ für ein naturrechtlich fundiertes subjektives Recht bei Vitoria entgegnet hat.⁵⁴⁴ Im folgenden Kapitel werden die Voraussetzungen, Träger eines (subjektiven) Rechts zu sein, nämlich Vernunft und Willensfreiheit in dieser Hinsicht diskutiert, sodass es vorab nötig ist, das Verhältnis von Willensfreiheit und guten Handlungen zu untersuchen, um später die moralische Dimension des subjektiven Rechts auszumessen. Da im fünften Kapitel geklärt werden soll, welchen Status Sklaven innerhalb von Molinas Rechtslehre einnehmen bzw. zugesprochen bekommen, gewinnt diese abschließend zu untersuchende Frage neben dem rechtlichen Kontext auch einen ethischen bzw. moralischen Aspekt. In Kapitel 3.1 wurde bereits erläutert, dass die Konzeption ex natura rei – die sowohl Molinas Rechts- als auch Handlungstheorie zugrunde liegt – nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen sei, denn wie bei den übrigen moralischen Tugenden sei es, so Molina in aristotelischer Tradition,⁵⁴⁵ auch bei der Tugend der Gerechtigkeit nicht ausreichend, „wenn durch sie die aus der Natur der Sache sich ergebende Mitte erreicht und das getan wird, was in sich selbst gerecht ist, sondern es wird darüber hinaus noch erfordert, dass derjenige, der die Handlung ausführt, sie
Spindler (2011, 48) cf. Deckers (1991, 145−193) Brett (2003, 136−137) verhält sich zu der Frage eines naturrechtlichen Fundaments des subjektiven Rechts bei Vitoria insofern vorsichtiger als Deckers, als sie auf zwei verschiedene Bedeutungen des subjektiven Rechts bei Vitoria aufmerksam macht: „The first sense of subjective right which involves the notion of obligation and law: natural right in this sense, the natural right of the Relectio De potestate civili, is associated with a politics of nature and necessity. The second sense, wherein right is coincident with dominium and bears the sense of liberty and freedom from obligation, is at the base of politics of free consent and of independent personal authority within the civitas which characterises the commentary on the 2a2ae.“ Vitorias Relectio De potestate civili lässt Brett zufolge eine naturrechtliche Begründung des subjektiven Rechts also zu, aber in seinem Kommentar zur Secunda Secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin entwickelt Vitoria einen positiv-rechtlich begründeten Begriff des subjektiven Rechts, dem die negative Freiheit der Individuen im Staat zugrunde liegt. siehe Kapitel 2.8 EN II 3, 1105b.
148
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
wissend und wählend um ihrer selbst willen ausführt.“⁵⁴⁶ Daher wurde festgehalten, dass, wenn ein Handelnder eine Handlung nicht bewusst und freiwillig ausführt, ihm die Handlung nicht zugerechnet werden kann und er somit nicht die Verantwortung für seine Handlungen übernehmen kann. Die Frage, ob Handlungen, die aus einem freien Willen hervorgehen und damit den Handelnden als verantwortlich für diese Handlungen ausweisen, immer auch sittlich-gute Handlungen sind oder ob aus einem freien Willen auch sittlich-schlechte Handlungen hervorgehen können, kann aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen werden: Augustinus erklärt die Willensfreiheit als notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Existenz des Bösen, da Gott, der dem Menschen die Freiheit gibt, weiß, dass der Mensch in Sünde fallen wird und daher schlecht handeln wird.⁵⁴⁷ Damit scheint er den freien Willen vielmehr in die Nähe von schlechten als von guten Handlungen zu rücken. Ockham hingegen legt einer guten Handlung nicht nur einen freien Willen zugrunde, durch den die Handlung dem Handelnden zugerechnet werden kann, sondern einen guten Willen: „Eine Handlung ist also moralisch gut, soweit sie in der Macht des Handelnden steht und mit gutem Willen durchgeführt wurde.“⁵⁴⁸ Nach Duns Scotus – dessen maßgeblicher Einfluss auf Molinas Denken bereits hervorgehoben wurde – strebt der Wille zwar in den meisten Fällen nach der Glückseligkeit und daher werden meist die guten Handlungen gewollt, doch will der Wille die Glückseligkeit (im Allgemeinen wie im Besonderen) kontingent.⁵⁴⁹ Da der Wille nur aus sich selbst heraus bestimmt sein kann, kann er nicht durch den Intellekt auf ein Ziel bestimmt sein und muss daher als freie Selbstbestimmung aufgefasst werden, die sich aufgrund ihrer Freiheit in ihrem Wollen selbst mäßigen und nur sich selbst eine Regel sein kann, die Hannes Möhle wie folgt erläutert und im Anschluss anführt, wie Scotus in der Ordinatio moralisch gutes Handeln bestimmt: Diese Regel des höheren Willens zielt auf den Willen selbst, insofern sie ihn dahin lenkt, entsprechend seinem eigentlichen Wesen, d. h. in Übereinstimmung mit seiner perfecta ratio zu wollen. Diese perfecta ratio ist, wie Scotus unmißverständlich betont, die Freiheit, die dem Willen eigentümlich zukommt. Die moralisch gut Handelnden zeichnen sich dadurch aus, daß ‚sie entsprechend dem eigentlichen Wesen (perfecta rationem), das die Freiheit ist, Gebrauch vom Willen machen, indem sie entsprechend dem Willen in der Weise handeln, in der er mit dem freien Handeln übereinstimmt, insofern er frei handelt; und d. h. entsprechend der Regel des höheren Willens, der bestimmt. Und so (handeln sie) gerecht.‘⁵⁵⁰
DIEI I 2, 11: „sic quoque in virtute iustitiae, ut actus studiosus sit, ad virtutemque iustitiae pertineat, non satis est, si vere eo attingatur medium ex natura rei, fiatque id, quod in se iustum est, sed ulterius requiritur, ut qui eum elicit, sciens et eligens propter hoc ipsum eum eliciat.“ cf. De libero arbitrio Buch I Kaufmann (2011, 172) cf. Möhle (1995, 396−397) Cf. Möhle (1995, 398). Der Originaltext stammt aus WM Ord. II d. 6 q. 2 n. 10.: „[…] respondeo et dico quod consonat sibi in eliciendo actum, sicut illa eliceret si ex se sola ageret, − non est tamen recta, quia habet aliam regulam in agendo, quam illa haberet si ex sola ageret; tenetur enim sequi voluntatem
4.3 Willensfreiheit und gute Handlungen
149
Erwartungsgemäß anders bestimmt Thomas von Aquin das Verhältnis des Willens und der guten Handlungen: Das natürliche Streben, das ist der Wille als Streben, das mit natürlicher Notwendigeit dasjenige will, was der Intellekt als Ziel erkannt hat, folgt dem Prinzip, das Gute zu erstreben und das Schlechte zu meiden,⁵⁵¹ weshalb Handlungen auf das Gute gerichtet sind und eine durch den Intellekt vermittelte Korrelation von bonum und finis besteht.⁵⁵² Das bedeutet nicht, dass der Mensch nicht auch das Böse wollen kann, sondern dass er etwas erstrebt oder begehrt, weil er es als etwas Gutes ansieht. Dies kann aber auch etwas sein, das kein bonum, sondern ein malum ist. Wie bereits erwähnt, bestimmt Molina den freien Willen durch ein vorangegangenes Urteil der Vernunft als frei, das heißt, er ist nicht durch die Natur determiniert. Doch damit bleibt noch völlig offen, ob die Handlungen, die aus dem freien Willen hervorgehen können, moralisch relevant sind. Welcher der skizzierten Positionen zum Verhältnis zwischen Willensfreiheit und guten Handlungen Molina zuzuordnen ist, bzw. wie er sich zu den aufgezeigten, dieses Verhältnis begleitenden Aspekten verhält, gilt es nun zu beurteilen. Zunächst sei aber das Vernunfturteil in Hinsicht auf gute Handlungen näher betrachtet. Wenn Molina den freien Willen durch ein vorangegangenes Urteil der Vernunft als frei bestimmt, so muss dieses Vernunfturteil ein moralisches Urteil sein, wenn die aus dem Willen hervorgehenden Handlungen von moralischer Relevanz sein sollen, da sie nur dann moralisch bewertbar sein können.⁵⁵³ In der Schau Gottes ist es die göttliche Gnade, die dem freien Willen des Menschen ermöglicht, sittliche Handlungen zu erkennen. Im Diesseits ist es dem Menschen zwar ebenfalls möglich, seinem Willen moralische Urteile vorzustellen, doch ist die Erkenntnis der menschlichen Vernunft im Diesseits nicht vollkommen. Daher sind auch sittlich-schlechte, das heißt vernunftwidrige und somit nicht-freie Handlungen möglich.⁵⁵⁴ Da sich der Wille in der Gottesschau von dem Willen im Diesseits aber nicht substanziell unterscheidet, muss dem Menschen die Möglichkeit zu guten Taten prinzipiell auch im Diesseits gegeben sein,⁵⁵⁵ wie Molina bereits in der Überschrift des ersten Teils seiner Concordia hat erwarten lassen: De liberi arbitrii viribus ad opera bona eiusque libertate (über den freien Willen als Vermögen des Menschen zu guten Taten aus Freiheit). Ein freier Wille strebt für Molina also das Gute an, da ihm ein Urteil der rechten Vernunft zugrunde liegt, die, wie bei Thomas, das Gute als Ziel erkennt. Doch besteht eben auch die Möglichkeit, dass die Vernunft des Menschen irrt und dem Willen sittlich-schlechte Urteile voranstellt. Nach diesen Ausführungen scheint das Verhältnis zwischen freiem
superiorem, ex quo in moderando illam inclinationem naturalem in potestate eius est moderari, quia in potestate eius est non summe agere in quod potest.“ Ord. II d. 6 q. 2 n. 10. S. Th. I−II, q. 94, art. 2: „bonum est faciendum et prosequendum, et malum vitandum.“ cf. Möhle (1995, 394) Aichele (2007, 74) Thomas von Aquin spricht in diesem Zusammenhang von einer „verbogenen Vernunft“ (ratio depravata), cf. S. Th. I−II, q. 94, art. 4. Aichele (2007, 77)
150
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Willen und sittlichen Handlungen bei Molina sich eher an Thomasʼ⁵⁵⁶ als an Scotusʼ Position zu orientieren. Allerdings darf der thomasischen Komponente an dieser Stelle nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden, denn Molina verfolgt im ersten Teil seiner Concordia zwei Anliegen: er beabsichtigt deutlich zu machen, dass (1) der menschliche Wille auch im status peccati frei ist und (2) der freie menschliche Wille aus sich heraus gute Handlungen hervorbringt, wodurch Molina vielmehr Duns Scotusʼ Position zuzuordnen ist.⁵⁵⁷ Wenn Molina hervorhebt, dass der freie Wille des Menschen aus sich heraus imstande ist, gute Handlungen hervorzubringen, bedeutet dies nicht nur, dass der Intellekt hierbei nicht das entscheidende Vermögen des Menschen ist, sondern auch, dass im freien Willen keine causa efficiens außer seiner selbst ist und somit Gott nicht als wirkende Ursache des freien Willens anzusehen ist. Dies ist die Grundlage des molinistischen Freiheitsbegriffs. Die göttliche Vorsehung tritt als extrinsischer Faktor hinzu, ohne dass dabei Gottes Allmacht in Frage gestellt wird, da der Wille des Menschen als causa efficiens und Gott als einzige universelle Ursache die Handlungen des Menschen gleichermaßen hervorbringen.⁵⁵⁸ Auf diesem Gedanken beruht das
Aichele (2007, 76−77): „Molina stellt sich mit dieser auch für das Schlechte geltenden Beschränkung der Freiheit des Menschen auf realmögliche Gegenstände in via, mithin in der physischen Welt, offensichtlich in thomistische Tradition […]: Der menschliche Wille ist frei, sich für jedes einzelne Gut zu entscheiden. Er muss zu dieser Entscheidung jedoch nicht über eine vollkommen deutliche Erkenntnis der Gutheit des als gut Erscheinenden verfügen, wie sie nur in der Schau Gottes in patria gegeben wäre, die zugleich den Akt der Unterlassung des Aktes der Liebe zu Gott als eines realmöglichen ausschlösse. In via allerdings reicht die Assoziation des vorgestellten Gegenstandes oder der vorgestellten Handlung mit einem beliebigen, möglicherweise nur scheinbaren Gut als dem Willensakt vorausgehendes Vernunfturteil zu.“ Dadurch werde auch deutlich, dass Molina Augustinusʼ Position ablehnt. Aichele (2007, 69) Concordia Pars II, Quaest. 14, art. 13, Disp. 26, 170: „Ex dictis intelligetur facile, si sermo sit de causa integra, ut comprehendit causam omnem ad actionem necessariam, sive ea universalis sit sive particularis, Deum per concursum universalem cum causis secundis efficere unam integram causam coalescentem ex pluribus non integris comparatione cuiusque effectus ita ut neque Deus per solum concursum universalem sine causis secundis neque causae secundae sine concursu universali Dei sufficiant ad effectum producendum. At cum dicimus neque Deum per concursum universalem neque causas secundas esse integras, sed partiales causas effectuum, intelligendum id est de partialitate causae, ut vocant, non vero de partialitate effectus. Totus quippe effectus et a Deo est et a causis secundis; sed neque a Deo neque a causis secundis ut a tota causa, sed ut a parte causae quae simul exigit concursum et influxum alterius, non secus ac, cum duo trahunt navim, totus motus proficiscitur ab unoquoque trahentium, sed non tamquam a tota causa motus, siquidem quivis eorum simul efficit cum altero omnes ac singulas partes eiusdem motus. Si vero sermo sit de integra sive tota causa non omnino, sed in aliquo gradu causae, tunc Deus per concursum universalem est causa integra in gradu causae maxime universalis, eo quod nulla alia cum eo concurrat in eo gradu causae. Eodemque modo variae causae secundae possunt esse integrae eiusdem effectus, quaevis in suo gradu, ut sol et equus comparatione alterius equi generandi, sol quidem ut causa universalis, equus ut causa particularis.“
4.3 Willensfreiheit und gute Handlungen
151
Konzept der bereits vorgestellten scientia media. ⁵⁵⁹ Dass diese Position die geschilderten Konflikte herbeiführte und Molina Querelen bescherte, beruht darauf, dass er durch dieses Konzept die augustinisch-thomistische Tradition durchbrach, derzufolge der Mensch zwar einen freien Willen besitzt, diesem aber stets immanent ist, dass der Mensch aus sich heraus ohne göttliche Gnade keine guten Taten vollbringen kann, und dass Gott die Zukunft vorhersieht und das Gerechte vorherbestimmt (bei Augustinus damit auch, wer unter den Menschen überhaupt gerecht sein wird). Aus diesem Grund deuteten die Dominikaner die ‚Emanzipation‘ der menschlichen Selbstbestimmung in Molinas Konzeption als Herabminderung der göttlichen Vorsehung und Allmacht. Wie genau begründet Molina nun, dass der freie Wille des Menschen aus sich heraus gute Handlungen hervorzubringen vermag? Molina geht hierbei so vor, dass er die augustinische Annahme, durch den freien Willen des Menschen sei das Böse erst in die Welt gekommen, mit Hinblick auf die christliche Glaubenslehre für äußerst gefährlich ansieht. Er argumentiert ex negativo, indem er zweifelnd zurückweist, dass Gott durch die Schöpfung des freien Willens die Sünde als notwendige Konsequenz der freien Entscheidung des Menschen eingeführt habe.Wenn Gott den Menschen das Vermögen gegeben habe, mit sich selbst zurate zu gehen und danach zu streben, was der Mensch will, dann sei es äußerst fragwürdig, dass das freie Streben des Menschen das Böse zum Ziel habe und nicht das Gute und das Glück. Da Gott dem Menschen prinzipiell das Ziel seines Handelns und Strebens vorgibt, würde das Erkennen des Zieles dann mit dem Bösen zusammenfallen. Dies sei mit der christlichen Glaubenslehre nicht vereinbar, da Gott den Menschen dann zum Bösen und nicht zum Guten führe.⁵⁶⁰ Doch wurde bereits festgehalten, dass für Molina ein freier Wille das Gute anstrebt, weil ihm – wie bei Thomas – ein Urteil der rechten Vernunft zugrunde liegt, durch die der Mensch das Gute als Ziel erkennt. Es wird also nochmals deutlich: Molina vereint in seiner Willensmetaphysik die Lehren Thomas von Aquins und Johannes Duns Scotusʼ miteinander: Der Wille verfügt
Smith (1966, 148): „God knows […] what a free agent would do upon any hypothesis which might be posited. It is in virtue of this notion of extrinsically efficacious divine antecedents of choice that Molina connects the certainty of predestination with the infallibility of divine prescience.“ Concordia Pars IV, Quaest. 14, art. 13, Disp. 50, 322−323: „Postremo, si liberum arbitrium creatum eo ipso, quod non determinatur a voluntate divina efficaciter ad bene operandum, ita necessario peccat ut certum omnino atque evidens sit Deo illud peccaturum et Deus ex sua aeternitate, prout voluit, statuit determinare illud vel non determinare ad operandum, quae quaeso libertas fuit in angelis, quando peccaverunt, aut in nobis est, quando peccamus, ut, si non velimus, non peccemus? Quanam ratione item verum est Deum posuisse nos in manu consilii nostri, ut ad quod velimus porrigamus dexteram? Quaenam item erit causa Dei in die iudicii adversus impios, cum non potuerint non peccare, si Deus eos ad bonum efficaciter non flecteret ac determinare? Profecto hac sententia admissa libertas arbitrii nostri omnino tollitur, perit iustitia Dei adversus impios et crudelitas ac impietas manifesta in Deo conspicitur. Quare plusquam periculosam in fide arbitror hanc sententiam […].“ (Hervorhebung im Original)
152
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
wie bei Scotus über das Vermögen, aus sich heraus gute Handlungen hervorzubringen – das heißt, dieses Vermögen liegt im Willen des Menschen und nicht im Verstand und auch nicht allein bei Gott – , und dennoch ist im freien Willen wie bei Thomas ein moralisches Vernunfturteil enthalten, durch das der Wille das Gute als zu erstrebendes Ziel erkennen kann. Der Wille aber – und hierdurch grenzt sich Molina von Thomas ab – muss dieses von der Vernunft vorgestellte Ziel nicht erstreben. Das Gute zu wollen liegt als Vermögen im Willen.
4.4 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung für subjektives Recht In diesem und dem folgenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden, noch genauer zu erklären, wie die Bestimmung des ius als facultas zu verstehen ist. Zunächst sei zusammengefasst, was bisher über die Voraussetzungen für die facultas zusammengetragen wurde. Wenn Molina betont, dass ein jeder das als Fähigkeit bestimmte ius aus der Natur der Sache (ex natura rei) besitzt, gehört es gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge zur Natur des Menschen, Träger von Rechten zu sein. Wie lässt sich nun die Fähigkeit, durch die dem Menschen Rechte zustehen, genauer deuten und wodurch kommt dem Menschen diese Fähigkeit zu, über die scheinbar andere Wesen nicht verfügen? Um diesen Fragen nachgehen zu können, ist der zuvor analysierte freie Wille von großer Bedeutung, denn die als Recht bestimmte facultas ist an die Vernunft und den freien Willen geknüpft. Molina betont, dass diejenigen Fähigkeiten vom Begriff des Rechts ausgeschlossen sind, „die der Vernunft und des freien Willens gemäß ihrer Natur entbehren.“⁵⁶¹ Daher sei es auch kein Unrecht, wenn jemand, dessen Vernunft und freier Wille außer Kraft gesetzt sind, an seinem Recht gehindert werde, wie Molina mithilfe des Wahnsinnigen im Depositum-Beispiel erläutert hatte. Er bekräftigt mithilfe dieser Argumentation noch einmal ausdrücklich, dass aufgrund mangelnder Vernunft und des daher auch nicht vorhandenen freien Willens die Fähigkeiten der Tiere, Pflanzen, Steine etc. nicht als Recht aufzufassen seien, und richtet sich mit der Schlussfolgerung, dass den vernunftlosen Wesen ohne freien Willen daher auch kein Unrecht widerfahren könne, entschieden gegen Jean Gerson und Konrad Summenhart.⁵⁶² Wenn der Mensch gemäß der Natur ein Recht (ius) hat, kann dann auch von einem natürlichen dominium (als Paradigma für subjektives Recht) die Rede sein? Um zu prüfen, ob das dominium dem Menschen natürlicherweise zukommt, soll noch einmal DIEI II 1, 41: „facultates rerum omnium ratione & libero arbitrio suapte natura carentium.“ (Hervorhebungen in der deutschen Übersetzung D.S.) DIEI II 1, 41: „Cum enim eiusmodi res eo ipso, quod libero arbitrio praedita non sint iniuriae non sint capaces, sane ut in eo, quod earum facultatibus quaecumque ratione contraveniatur, nulla eis fit iniuria. Sic nec facultates illae iuris rationem habent.“
4.4 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung für subjektives Recht
153
die Begründung des dominium für Kinder, amentes und auch Sklaven genauer betrachtet werden. Molina führt an, dass im Anschluss an die Definition des dominium von Bartolus de Saxoferrato, nach der dominium „das Recht ist, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist“, das Recht als Gattung gesetzt werde, die das dominium und die meisten anderen Rechte umfasst.⁵⁶³ Auch Vitoria hatte in seinem Kommentar zur Secunda Secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin das dominium als abhängig vom ius bestimmt,⁵⁶⁴ doch hatte Molina, wie bereits erläutert, diese Interpretation des Verhältnisses von dominium und ius in Zweifel gezogen. Noch einmal sei dazu folgender Passus zitiert: Zweifelhaft ist an dieser Stelle, ob das dominium seiner Form und seinem Wesen nach ein Recht sei, sodass das Recht in Bezug auf das dominium die Gattung wäre, oder ob die Relation, in der ein dominium besteht, etwas sei, was der Fähigkeit oder dem Recht, vollkommen über eine Sache zu verfügen, deren Herren wir sind, vorangeht […]. [Obwohl] man sich gemeinhin zu sagen gewöhnt hat, dass das Recht die wahre Gattung des dominium sei, scheint mir das Gegenteil mehr der Wahrheit zu entsprechen. Denn […]: Richtig sagen wir: ‚Weil Petrus Herr über diese Sache ist, hat er die Fähigkeit, vollkommen über sie zu verfügen.‘ Unrichtig sagen wir hingegen umgekehrt: ‚Weil er die Fähigkeit hat, über diese Sache vollkommen zu verfügen, ist er ihr Herr‘, wie wir ja auch unrichtig sagen: ‚Weil er die Fähigkeit hat zu lachen, ist er ein Mensch.‘ Also ist die Fähigkeit oder das Recht der vollkommenen Verfügung eine Wirkungsweise des dominium, ebenso wie die Fähigkeit zu lachen eine Wirkungsweise des Menschen ist.⁵⁶⁵
Molina betrachtet also entgegen der gewohnten Interpretationsweise das dominium als Antezedens des ius. Wenn das Recht als facultas dem Menschen gemäß der Natur der Sache zukommt, dann muss mit Molina das dominium als Ursache des ius ebenfalls als natürlich aufgefasst werden: Aus dem dominium heraus erfolgt demnach erst das Recht bzw. entstehen die verschiedenen Rechte und aus einer nicht-natürlichen Ursache könnte nichts hervorgehen, das gemäß der Natur der Sache dem Menschen zukommen soll. Ob das natürliche dominium bei Molina sogar als natürliche Freiheit verstanden werden kann, soll anhand von drei Fallbeispielen untersucht werden: Molina diskutiert die Fragen, ob auch Kinder, Behinderte (amentes) und Sklaven über dominium
DIEI II 3, 51: „Caeterum in ea pro genere ponitur ius, quod dominium et pleraque alia iura complectitur.“ Com ST 2a2ae, q. 62, a. 1, n. 5, p. 63: „Sed prius praemittendum est quid sit ius, nam dominium dependet a iure.“ DIEI II 3, 53: „Dubium est hoc loco, an dominium formaliter et essentialiter sit ius, ita ut ius sit genus comparatione dominii; an vero relatio dominii sit quippiam antecedens facultatem, iusve perfecte disponendi de re, cuius sumus domini, quasi dominii definitio descriptive sit, tradita per effectum proprium dominii. Et quamvis metaphysica haec non multum ad rem moralem conferat, communiterque dici consueverit, ius esse verum genus dominii; contrarium mihi videtur verius. Primo, quoniam recte dicimus, quia Petrus est dominus huius rei, habet facultatem perfecte de illa disponendi: e contrario vero non recte dicimus, quia habet facultatem perfecte disponendi hac re, est dominus illius; sicut etiam non recte dicimus, quia habet facultatem ridendi est homo: ergo facultas, seu ius perfecte disponendi, est effectus dominii non secus ac facultas ridendi est effectus homini.“
154
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
verfügen können. Warum die drei genannten Gruppen hier jeweils eine interessante Sonderrolle einnehmen, dürfte leicht zu erkennen sein: Bei Kindern sind Vernunft und Willensfreiheit, die Voraussetzungen zum dominium, noch nicht voll entwickelt, bei Behinderten eingeschränkt und Sklaven werden durch den Zustand der Sklaverei zu Eigentumsobjekten ihrer Herren, sodass sich die Frage stellt, inwiefern sie dennoch als Rechtsträger und menschliche Wesen anzusehen sind bzw. ob Vernunft und Willensfreiheit eines Menschen im Zustand der Sklaverei überhaupt von Bedeutung sind? Da nach Molina aus der Willensfreiheit heraus nicht unbedingt die Durchführung einer Handlung resultiert, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, darf bereits an dieser Stelle angenommen werden, dass er der These zustimmen würde, ein Mensch, dem es aufgrund äußerer Zwänge wie Gefangenschaft oder Sklaverei nicht möglich ist, seine Handlungsfreiheit oder rechtliche Freiheit auszuüben, büße dadurch keineswegs seine Willensfreiheit ein. Im zweiten Traktat von De Iustitia et Iure diskutiert Molina in Disputatio 18, ob allein diejenigen Dinge, die über einen freien Willen verfügen, für das dominium empfänglich sind (utrum solae res libero arbitrio pollentes domini sint capaces). Dass der Mensch aufgrund seiner Vernunft und seines Willens – das heißt seines freien Willens – dominium nicht nur über seine eigenen Handlungen, sondern auch über äußere Dinge hat, bekräftigt Molina hier noch einmal unter Berufung auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen in Genesis 1,26: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis; und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das sich auf der Erde regt!“ Molina betont hier nochmals, dass das dominium eingerichtet wurde, „zum Gebrauch und zur freien Verfügung (libera dispositio) über eine Sache, deren Herr jemand ist.“⁵⁶⁶ Es kann also festgehalten werden, dass Luhmanns These, die Freiheit decke sich „weitgehend mit dem Herrschaftsbegriff und dies könne am Eigentum illustriert werden“⁵⁶⁷ auch auf die Rechtslehre Molinas zutrifft. In diesem Zusammenhang kann dominium als Antezedens des Rechts offenbar als natürliche Freiheit aufgefasst werden. Wie bereits erläutert wurde, kommt nach Molina (und auch Vitoria) auch Kindern und geistig Behinderten dominium zu, obwohl sie noch nicht, nicht umfassend oder sogar gar nicht über die Willensfreiheit als Voraussetzung zum dominium verfügen. Eine tiefere Betrachtung dieses Themas zeigt, dass Molina dies auch mit der natura reiLehre begründet: Zweifelhaft ist an dieser Stelle, ob geistig Behinderte und Kinder vor dem Gebrauch der Vernunft ein dominium haben. Diejenigen haben nicht gefehlt, die dies aufgrund der Überlegung verneinten, dass ein dominium den freien Willen gewissermaßen als Grundlage habe. Dennoch muss gesagt werden, dass jene zweifellos die Herren über diejenigen Sachen sind, die ihnen gehören.
DIEI II 18, 138: „dominium namque ad usum, liberamque dispositionem rei, cuius quis est dominus, ordinatur.“ siehe Kapitel 3.3
4.4 Vernunft und Willensfreiheit als Voraussetzung für subjektives Recht
155
Denn das dominium wird durch Möglichkeiten begründet (in potentiis fundatur), das heißt dadurch, dass jemand an sich und seiner Natur nach dazu veranlagt ist, durch seinen freien Willen Dinge zu gebrauchen, mag der freie Wille selbst, was seinen Gebrauch angeht, auch gehemmt sein; andernfalls würde jemand eben dadurch, dass er schliefe, das dominium über seine Dinge verlieren, was lächerlich ist.⁵⁶⁸
Da Kinder und geistig Behinderte trotz eingeschränkten freien Willens menschliche Wesen sind, muss ihnen als solchen das dominium gemäß der Natur der Sache zugestanden werden. Auch wenn sie ihren freien Willen nicht ausüben können, haben sie aufgrund ihres ontologischen Status als Menschen die Möglichkeit zum freien Willen und damit auch zum dominium. Für Molina ist das liberum arbitrium für Menschen „ontologisch erforderlich“ und nicht erst von Bedeutung, wenn es aktiv ausgeübt wird, wie auch Jörg Tellkamp hervorgehoben hat.⁵⁶⁹ Dass sich Vitorias und Molinas Argumentationen hier deutlich voneinander unterscheiden, auch wenn beide Kindern und geistig Behinderten dominium zugestehen, wurde bereits in Kapitel 4.1 näher ausgeführt. Dennoch sind Kinder und geistig Behinderte auch nach Molina nicht zurechnungsfähig,⁵⁷⁰ da aus ihrem Potenzial zum liberum arbitrium eben nicht die Aktualität freier Handlungen folgt und das Prinzip der Urheberschaft freier Handlungen nicht gegeben ist, sodass die Handlungen ihnen nicht zugerechnet werden können. Die Frage, ob Molina Sklaven dominium zuspricht, gilt es von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten: Inwiefern im Zustand der Sklaverei von einer natürlichen Freiheit die Rede sein kann, scheint insofern komplizierter als die Frage des dominium für Kinder und geistig Behinderte, da Sklaven unter der Herrschaft ihrer Herren stehen und als deren Eigentum angesehen werden. Sie haben somit durch die Sklaverei ihre rechtliche Freiheit verloren, aber nicht ihre Willensfreiheit, wenngleich ihre Handlungsfreiheit als eingeschränkt zu bezeichnen ist. Dies berücksichtigt Mo-
DIEI II 18, 138: „Dubium est hoc loco, an amentes et pueri ante usum rationis dominium habeant. Etenim non defuerunt, qui id negarent, ea ducti ratione, quod dominium liberum arbitrium velut fundamentum habeat. Dicendum tamen est, sine dubio dominos esse rerum, quae ad ipsos spectant. Dominium namque in potentiis fundatur, hoc est, in eo, quod secundum se et suam naturam natus quis sit uti rebus per liberum arbitrium, licet arbitrium ipsum, quoad usum, sit impeditum: alioquin eo ipso, quod quis dormiret, amitteret dominium suarum rerum, quod est ridiculum.“ (Hervorhebungen in der deutschen Übersetzung D.S.) cf. Tellkamp (2014, 133) Hier sei noch einmal auf den Wahnsinnigen im Depositum-Beispiel verwiesen, DIEI I, 4, 15 sowie auf Concordia Pars I, Quaest. 14, art. 13, Disp. 2, S. 14: „Quo loco duo animadvertenda sunt. Primum est pueros et amentes non solum operari sponte, sed etiam multa efficere libere ita ut in ipsorum potestate sit ea efficere vel non efficere aut etiam efficere contraria, ut cum Victoria [sic!] diximus 1.2, q. 1 art.1. Verum ea ex eo neque ad meritum eis imputantur, quod non discernant ratione inter bonum et malum morale, quantum satis est ad culpam aut meritum. Quare licet aliquem usum habeant liberi arbitrii, non tamen habent eum qui ad culpam ac meritum est necessarius. Atque hic usus est quem, ut iura decernunt, pueri ut plurimum septimo aetatis suae anno completo habere dicuntur.“ (Hervorhebungen im Original)
156
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
lina in Disputation 38 des zweiten Traktats, in deren Überschrift er fragt, „wieweit sich das Recht der Herren über die Sklaven erstreckt und ob Sklaven über irgendetwas dominium haben können.“ Zunächst sei darauf hingewiesen, dass für Molina die rechtliche Freiheit ein Gut darstellt, über das der Mensch in gleicher Weise dominium besitzt wie über andere Güter. Daher könne die Freiheit veräußert werden und ein Mensch das dominium über seine rechtliche Freiheit einem anderen Menschen übertragen, zum Beispiel durch einen Selbstverkauf in die Sklaverei aus schlimmster Not heraus.⁵⁷¹ So wird er zum Eigentum eines anderen Menschen, mit anderen Worten zum bürgerlichen und rechtlichen Sklaven.⁵⁷² Gemäß der Interpretation des dominium als natürliche Freiheit bedeutet dies, dass der Mensch sogar die Freiheit hat, seine rechtliche Freiheit abzugeben bzw. jemand anderem zu übertragen. Ob ein Sklave nach der Aufgabe seiner rechtlichen Freiheit als Träger von Rechten angesehen werden kann und welchen rechtlichen Status Molina Sklaven zuspricht, wird genauer in Kapitel 5 untersucht. Nachdem nun die Voraussetzungen zum dominium und damit zum Vermögen, Träger von Rechten zu sein, erläutert wurden, wird im Folgenden analysiert, welche Konsequenzen sich aus der Bestimmung des ius als facultas für den Rechtsträger ergeben bzw. welche Rechtsansprüche sich aus dieser Bestimmung ableiten lassen.
4.5 Rechtsträger des subjektiven Rechts − Rechtsansprüche im subjektiven Recht Wenn Molina Kindern und geistig Behinderten den freien Willen und somit auch das Vermögen zum dominium zuspricht, obwohl sie nicht in der Lage sind, diese Vermögen aktiv auszuüben, und die Bestimmung des ius als facultas, die dem Menschen ex natura rei zukommt, jedoch an die Ausübung von Rechten gebunden wurde, da es sich nicht bloß um eine possibilitas handelt und eine Hinderung an der Ausübung der facultas ein Unrecht darstellt, so stellt sich die Frage, wie Molina Kindern und amentes das dominium dennoch zugestehen kann? Wenn die Rechtsträgerschaft an die Ausübung von Rechten gebunden ist, wer kann dann tatsächlich Träger von Rechten sein? Kann jeder Mensch durch seinen ontologischen Status als Mensch zugleich auch als Rechtsträger angesehen werden? Vor dem Hintergrund dieser Zweifel ließe sich das dominium für Kinder und amentes vielleicht als passives Recht halten, das heißt als Recht darauf, von anderen nicht auf unrechte Weise behandelt zu werden. Denn aktive Rechte, also Rechte
Der Sklaverei durch Verkauf und Selbstverkauf (auch durch den Verkauf der eigenen Kinder) gilt Molinas zentrales analytisches Interesse in seiner Untersuchung der Sklaverei. Insbesondere die Rechtmäßigkeit der Rechtstitel, unter denen ein Mensch in Sklaverei geraten kann, diskutiert Molina ausführlich. cf. Kaufmann (2014, 197−201) DIEI II 32, 235: „Dominium hoc habitude quaedam est ad servum, non quemcumque, sed ad civilem, legalemque servum, ut Aristoteles vocat.“
4.5 Rechtsträger des subjektiven Rechts − Rechtsansprüche im subjektiven Recht
157
darauf, zu handeln wie man will, können für Kinder und amentes aufgrund des mangelnden freien Willens, der ihnen nur als Potenzial zukommt, von dem sie aber keinen Gebrauch machen können, gerade nicht aus dem dominium hervorgehen. Wenn berücksichtigt wird, dass der Gedanke, dem Menschen müsse kraft seines Menschseins und nicht erst durch das positive Recht allgemeine Rechtsfähigkeit zuerkannt werden, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auftrat,⁵⁷³ scheint es zudem fragwürdig, ob bei Molina ‚Mensch‘ und ‚Rechtsträger‘ miteinander gleichgesetzt werden können. Um dies zu klären, soll im Folgenden genauer untersucht werden, welche Konsequenzen sich aus der Bestimmung des ius als facultas – wodurch sich Molina deutlich von Thomas von Aquin abgrenzt⁵⁷⁴ – für die Frage ergeben, wer als Rechtsträger eines subjektiven Rechts anzusehen ist und welche Rechtsansprüche sich aus der Eigenschaft, Rechtsträger zu sein, ableiten lassen. Dies wird auch im fünften Kapitel zur Bestimmung des rechtlichen Status von Sklaven von Bedeutung sein. Zunächst sei noch einmal an die Definition und die wesentlichen Merkmale subjektiven Rechts erinnert, wie sie aus Molinas Diskussion der facultas heraus bestimmt wurden: ius definiert Molina als „die Fähigkeit (facultas), etwas zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise zu verhalten, sodass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne legitimen Grund entgegengewirkt wird.“⁵⁷⁵ (Hervorhebung D. S.) Die wesentlichen Merkmale subjektiven Rechts und der facultas wurden wie folgt zusammengefasst: 1. Gemäß der Natur kommt einem jeden diese Fähigkeit zu. Als Mensch verfügt der Rechtsträger gemäß der natürlichen Einrichtung der Dinge (ex natura rei) über subjektives Recht. 2. Subjektive Rechte bestehen vor allem darin, Zugang zum Lebensnotwendigen zu haben, vor allem zur Nahrung, insbesondere, wenn sie eigenständig erwirtschaftet worden ist. 3. Da mittels subjektiven Rechts vorrangig lebensnotwendige Bedürfnisse beansprucht werden, stellt das illegitime Abhalten und Hindern des Rechtsträgers an diesen ein Unrecht dar.
Hattenhauer (2011, 40) hebt hervor, dass vor dem 19. Jahrhundert nicht das Gemeinsame unter den Menschen Kriterium für die Begründung der Rechtsfähigkeit war, sondern vielmehr das Trennende: „Ausgangspunkt ist nicht persona, sondern der zivilrechtliche status der jeweiligen Menschengruppe – nach der Freiheit, nach dem Bürgerrecht und nach der Stellung im Familienverband. Nicht das Gemeinsame, die Stellung als Mensch, sondern das nach den status Trennende steht im Vordergrund. Die Trias status, libertatis, civitatis und familiae bestimmt das Zivilrecht bis ins 19. Jahrhundert.“ Guzmán Brito (2009, 146−147): „Entre ellas, menciona la de ‚derecho‘ como ‚facultad y potestad que un hombre tiene a algo‘, como cuando se dice que alguien usa de su derecho. No es necesario insisistir en que, con esto, Molina torna a apartarse completamente de Tomás de Aquino.“ DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“
158
4. 5.
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Insbesondere Eigentumsrechte an persönlichen und gemeinschaftlichen (öffentlichen) Gütern zählen zu subjektiven Rechten. Die Fähigkeit oder das Vermögen (facultas) wird ausdrücklich als Recht bezeichnet (wie bereits in der Definition von ius).
Durch subjektives Recht wird dem Rechtsträger also der Anspruch auf lebensnotwendige Güter sowie das eigene Hab und Gut gewährleistet: Das als subjektives Recht gedeutete ius kann somit als Anspruchsrecht bestimmt bzw. die aus der facultas hervorgehenden subjektiven Rechte als Anspruchsrechte charakterisiert werden. Auch in der gegenwärtigen Debatte um subjektive Rechte werden diese als Anspruchsrechte aufgefasst und ‒ wie von Molina⁵⁷⁶ ‒ als paradigmatische Rechte betrachtet.⁵⁷⁷ Guzmán Brito hebt dementsprechend auch hervor, dass durch die Definition des ius als facultas die Rechtsansprüche („diversos objetos de la facultad“) in den Vordergrund der Betrachtung rücken. Dies sei nicht erst bei Molinas Bestimmung des Rechts zu beobachten, sondern bereits seit Gerson und unter anderem auch bei Vitoria.⁵⁷⁸ Wenn die Rechtsträgerschaft verstanden wird als Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, und davon ausgegangen wird, dass Rechte und Pflichten stets relational sind, das heißt, entweder aus dem Verhältnis zweier Individuen untereinander oder aus dem Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft hervorgehen,⁵⁷⁹ dann darf angenommen werden, dass, wenn gegenüber jemandem eine Pflicht besteht, die Ausübung dieser Pflicht dem Rechtsträger geschuldet wird.⁵⁸⁰ Darüber hinaus wird eine Verletzung dieser Pflicht nicht einfach als falsch betrachtet, sondern stellt „spezifischer ein Unrecht dem Rechtssubjekt gegenüber“⁵⁸¹ dar. Da mit der Bestimmung des Rechts als Maßstab des Unrechts also nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten berücksichtigt werden, ist jemand durch die Fähigkeit, die ihn zum Rechtsträger macht, Träger von Rechten und Pflichten. Weil daher nicht nur die Hinderung an der Ausübung eines Rechts, sondern auch das Unterlassen einer Pflicht gegenüber dem Rechtsträger ein Unrecht darstellt, kann der Vorwurf Guzmán Britos gegenüber Molina, mit der Bestimmung des Rechts als Maßstab des Unrechts tautologisch zu argumentieren,⁵⁸² zurückgewiesen werden. So ließe sich zwar auch Molinas These des dominium von Kindern und amentes zumindest als passives Recht halten, da das Unterlassen einer Pflicht gegenüber
siehe Kapitel 3.2 Nach Schnürigers (2014, 60) Einschätzung richten sich „alle bekannten Theorien subjektiver Rechte“ an Anspruchsrechten aus. Guzmán Brito (2009, 149): „[…] en el cual punto no hace más que adaptarse a todos sus predecesores, desde Gerson, Vitoria incluido. Él, pues, se concentra directamente en los diversos objetos de la facultad, que había señalado en esa definición.“ cf. Marauhn (2011, 89) Schnüriger (2014, 63) bezieht sich auf Feinberg, Hart und Tugendhat. Schnüriger (2014, 63) siehe Kapitel 3.2
4.5 Rechtsträger des subjektiven Rechts − Rechtsansprüche im subjektiven Recht
159
Kindern und amentes ein Unrecht darstellt, doch wenn die Rechtsträgerschaft als wechselseitige Beziehung zwischen Individuen oder gar Individuum und Gemeinschaft aufgefasst wird, aus der die Ausübung von Pflichten gegenüber anderen Rechtsträgern hervorgeht, können Kinder und amentes nicht als Rechtsträger aufgefasst werden, da sie Pflichten gegenüber anderen Rechtsträgern wenn überhaupt nur in eingeschränkter Weise nachkommen können. So könnte Molina vermutlich als gedanklicher Vorläufer moderner Gerechtigkeitstheorien wie beispielsweise dem Konzept Martha C. Nussbaums in Frontiers of Justice ⁵⁸³ angesehen werden, das Menschen, die von ihrer Vernunft nicht oder eben nicht in vollem Ausmaß Gebrauch machen können, dennoch als primäre Subjekte in Diskursen über eine gerechte Gesellschaft anerkennt und ihnen Fürsprecher zur Seite zu stellen versucht im Hinblick auf die Beteiligung an der Konzeption eines Rechtssystems, zu der sie selbst nicht fähig sind. Doch lässt sich Molinas These, Kinder und amentes verfügten grundsätzlich über dominium, weil sie Menschen sind, nur rechtsmetaphysisch, aber nicht rechtspraktisch auf einer ontologischen Argumentationsebene halten, da das aus dem dominium resultierende ius nach der Definition an die Ausübung gebunden ist und zudem bei Kindern und amentes gegenüber anderen Rechtsträgern die Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten nicht bestehen kann, die wiederum nötig ist, um das Recht als Maß für das Unrecht zu bestimmen. Daher muss Molinas Theorie des subjektiven Rechts auch deutlich gegenüber der modernen Konzeption von Menschenrechten abgegrenzt werden. Zwar spricht er auch Kindern und amentes gemäß der natura rei-Lehre durch das Potenzial zur Vernunft und Willensfreiheit ontologisch den Status von Menschen zu und damit das Potenzial zum dominium, doch können sie nicht als Rechtsträger in actu angesehen werden, da sie als passive Rechtsträger nicht an der Reziprozität unter Rechtsträgern teilhaben können. Auch die rechtliche Position von Sklaven stellt eine eigene Kategorie von Rechtsträgern dar, wie in Kapitel 5 deutlich wird. Ob sich aus den unterschiedlichen rechtlichen Status von Kindern, amentes und Sklaven und freien vernunftbegabten Menschen mit freiem Willen auch verschiedene moralische Status ergeben, wird im folgenden Kapitel über die moralische Dimension subjektiven Rechts beleuchtet. Doch zuvor muss noch ein Aspekt berücksichtigt werden: Die Diskussion der Frage, wer Rechtsträger sein kann und ob diese Fähigkeit allen Menschen zukommt, sodass von Menschenrechten die Rede sein kann, schließt in modernen Debatten die Bestimmung des Personenbegriffs mit ein. Für Molinas Rechtslehre hat der Personenbegriff noch keine Bedeutung, obgleich bereits ein Zeitgenosse Molinas persona vom Allgemein- zum Rechtsbegriff entwickelt: Hugo Donellus (Doneau, 1527−1591) verwendet ab 1589 in seinen Comentarii de Iure Civili den Begriff persona „erstmals […] in einem neuen juristisch-technischen Sinn.“⁵⁸⁴ Doch auch dieser humanistische Rechtsgelehrte leitet aus den Ansprüchen (a natura cuique tributa) der persona als
cf. Nussbaum (2006, 216−223) Hattenhauer (2011, 41)
160
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Rechtsbegriff keinen „Grund- oder Menschenrechtskatalog“ ab, sondern „bleibt im zivilrechtlichen Zusammenhang, wenn er die Individualrechtsgüter Leben, Unversehrtheit, Freiheit und Wertschätzung als suum in persona ipsa beschreibt; auf deren soziale und politische Bedeutung geht er nicht ein.“⁵⁸⁵ Hattenhauer weist darauf hin, dass Donellus Aufzählung der Individualrechtsgüter, die zweifellos als Vorgänger für spätere ‚Grund- und Menschenrechtskataloge‘ anzusehen ist, sicher nicht mit diesen gleichgesetzt werden kann, aber durch das Naturrecht der Schule von Salamanca beeinflusst sein dürfte. Allerdings entwickle Donellus die ‚Rechtsperson‘ nicht aus dem christlichen Naturrecht, sondern aus dem römischen Zivilrecht.⁵⁸⁶ Daher wird im Anschluss an Donellus von Hermann Vultejus (1565−1634) unter ‚Person‘ jeder Mensch, der eine bürgerliche Stellung hat, verstanden, sodass jede Person Mensch ist, aber nicht jeder Mensch Person.⁵⁸⁷ Wenngleich Molina sich in De Iustitia et Iure nicht mit dem Personenbegriff beschäftigt, so kann auch Molinas Rechtslehre der Gedanke zugrunde gelegt werden, dass jeder Rechtsträger Mensch, aber nicht jeder Mensch Rechtsträger sein kann. Denn wenn Molina Sklaven einen rechtlichen Status zuspricht, so handelt es sich dabei um eine rechtliche Sonderrolle, insofern sie zwar qua homo zu betrachten sind, wie in Kapitel 5 genauer dargestellt wird, sie aber nicht über die gleichen Rechtsansprüche wie ihre freien Herren verfügen, da sie ihre rechtliche Freiheit veräußert haben.⁵⁸⁸ Im Folgenden wird untersucht, ob die Fähigkeit, Träger von subjektiven Rechten zu sein, auch von moralischer Relevanz ist.
4.6 Moralische Dimensionen subjektiven Rechts Wenngleich Molina sich nicht mit dem Begriff der Person auseinandersetzt, so werden durch das als subjektives Recht gedeutete ius dem Rechtsträger Rechtsansprüche gewährleistet, welche an die Argumentationsstruktur einer modernen Bestimmung der Person wie zum Beispiel in dem Konzept Peter Singers erinnern: Singer leitet
Hattenhauer (2011, 43) Hattenhauer (2011, 45−46): „Zur ,Rechtsperson‘ gelangt Donellus jedoch nicht über die gottgegebenen, von Natur aus dem Menschen zustehenden Güter. Auf der Linie des klassischen römischen Rechts unterscheidet er zwischen dem ius gentium als dem Recht aller Menschen und dem ius civile als dem Recht, das sich eine bestimmte civitas gesetzt hat. Die vier Individualrechtsgüter weist er dem ius gentium zu, während er persona im Rechtssinne auf das ius civile beschränkt.“ (Hervorhebungen im Original) Hattenhauer zitiert Vultejus aus dessen Werk In institutiones iuris civilis a Iustiniano compositas commentarius von 1598 (ad I 1, 2, 12): „Persona est homo habens caput civile. […] Homo vocabulum est naturae, persona juris civilis. Omnis persona est homo, sed non vicissim. Inde personam definiebamus hominem, qui caput haberet civile. […] Sed caput civile triplex est, libertatis, civitatis et familiae. Horum servus nullum habet, ut servus in usu iuris pro persona non habeatur.“ Dies trifft zumindest bei der Sklaverei durch Selbstverkauf zu. In Kapitel 5 werden die verschiedenen legitimen Titel, durch die ein Mensch in Sklaverei geraten kann, vorgestellt.
4.6 Moralische Dimensionen subjektiven Rechts
161
beispielsweise aus dem Recht auf Leben (das nach Molina jedem Menschen – auch Sklaven – zukommt, da Gott Herr über das Leben der Menschen ist) einen spezifischen moralischen Status für Personen ab und begründet diesen durch solche Fähigkeiten, die Personen von anderen Lebewesen unterscheiden. Bei Singer dient der Personenbegriff der Begründung eines „ausgezeichneten moralischen Status innerhalb der Menge aller Entitäten mit zugestandenem moralischen Status“ und der Personenbegriff hat für ihn „eine übertrumpfende indirekte ethische Relevanz“⁵⁸⁹, die vor allem in der Diskussion über den moralischen Status von und der rechtlichen Legimität des Umgangs mit Embryonen von Bedeutung ist. Wenn Molina Kindern und amentes das Potenzial zum liberum arbitrium und infolgedessen auch zum dominium zuspricht, kann darin eine deutliche Parallele zur modernen bioethischen Diskussion der Entwicklung vom Embryo zur Person beobachtet werden. Bevor beurteilt wird, ob schon Molina ähnlich wie später Singer hierbei zu einer Hierarchisierung der Entitäten mit moralischem Status gelangt und ob verschiedene moralische Statusbegriffe Molinas Beurteilung des rechtlichen Status von Kindern, amentes, Sklaven und freien Bürgern zugrunde liegen, muss zunächst untersucht werden, ob subjektives Recht (ius) überhaupt eine moralische Komponente beinhaltet. Dies lässt sich für Molina nicht so deutlich entscheiden wie im Falle seines Ordensbruders Francisco Suárez, dem das Verdienst zugesprochen wird, den Begriff der persona moralis aus einer logisch-ontologischen Kategorie (wie bei Boethius) zur Begründungsstruktur moralischer und juridischer Gesetze weiterentwickelt zu haben.⁵⁹⁰ Suárez bestimmt das Handeln der Person, dessen Ursache sie selbst ist, als moralisch und leitet daraus Würde und Wertschätzung der Person ab: „Die Person, die sittlich-moralisch handelt, ist die eigentümliche Formursache ihres Handelns. Aus diesem ihrem moralisch-sittlichen Handeln erhält sie (die Person) Würde (dignificat) und Wertschätzung (aestimabilem reddit).“⁵⁹¹ Als Ursache der Handlung wird eine Person bzw. ein Mensch nach Suárez also nicht nur bestimmt, insofern das Handeln als dominus suorum actuum frei, das heißt nicht von der Natur determiniert ist, sondern weil das Handeln sittlich gut ist. Daher bestimmt Suárez ius auch nicht bloß als facultas, sondern als facultas moralis: Bei der an zweiter Stelle genannten, engeren Bedeutung [das ist Recht als besondere Tugend, die dem anderen zuteilt, was das Seine ist, unterschieden von ius als Bezeichnung für jede beliebige Tugend] pflegt ‚Recht‘ zutreffend eine bestimmte sittliche Fähigkeit (facultas moralis) zu bezeichnen, welche ein jeder entweder in Bezug auf sein Eigentum oder eine ihm geschuldete Sache
Quante (2011, 84) cf. Lutz-Bachmann (2011, 109, 116) Francisco Suárez, De verbo incarnato IV, 4, 17, 69: „Persona operaus moraliter est quasi forma propria actionis suae, unde illam dignificat et aestimabilem reddit.“ Das Zitat und die Übersetzung habe ich übernommen von Lutz-Bachmann (2011, 116).
162
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
ausüben darf. So bemerkt man ja, der Herr über eine Sache habe das Recht auf den Umgang mit der Sache, und dem Angestellten stehe das Recht auf Unterhalt zu.⁵⁹²
Suárez charakterisiert ius als besondere Tugend also auch als Anspruchsrecht und spezifiziert es als sittliche Fähigkeit, womit Recht und Moral bei Suárez untrennbar miteinander verbunden werden.Wird jemand also daran gehindert, etwas zu erhalten, das ihm zusteht, oder über etwas zu verfügen, das ihm gehört, dann stellt dies für Suárez nicht nur ein Unrecht dar, sondern es ist auch moralisch verwerflich. Wie Dominik Recknagel herausgestellt hat, bedeutet die facultas moralis bei Suárez „für das Rechtssubjekt eine Sphäre von Rechten […], deren Wahrung mit der Verpflichtung des Gemeinwesens zur Einhaltung jener Rechte korrespondiert.“⁵⁹³ Für Suárez lässt sich also die Frage nach dem Verhältnis von subjektivem Recht und Gemeinwesen, der im folgenden Kapitel hinsichtlich der Rechtslehre Molinas nachgegangen wird, so beantworten, dass das Gemeinwohl eine Pflicht zur Wahrung der subjektiven Rechte der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft hat. In Kapitel 3.2 wurde bereits erwähnt, dass sich Probleme für die moralische Rechtfertigung daraus ergeben könnten, dass Molina Handlungen im subjektiven Recht nicht zum Bereich der Gerechtigkeit zählt. Dies gründet darin, dass subjektives Recht als relative Verbindung zwischen einem Rechtssubjekt und einem Objekt bestimmt wurde und daher Handlungen im subjektiven Recht nicht auf ein anderes Rechtssubjekt gerichtet sind, sodass sie der aristotelischen Bestimmung der Gerechtigkeit als derjenigen Tugend, bei der Handlungen stets auf einen anderen gerichtet sind, nicht entsprachen. Wenn aber berücksichtigt wird, dass dem subjektiven Recht der freie Wille zugrunde liegt, dessen notwendiges Ziel das sittlich Gute ist, kann dem subjektiven Recht von einer rechtsmetaphysischen Betrachtung her eine moralische Komponente zugeordnet werden. Zwar resultiert aus der Willensfreiheit nicht notwendig eine Handlung, die schließlich als Ausdruck rechtlicher Freiheit in Erscheinung treten kann. Doch wenn eine Handlung als Ausdruck subjektiven Rechts vollzogen wird, dann resultiert sie aus der Willensfreiheit des Rechtsträgers: Dessen liberum arbitrium bringt zwar als Folge des Zusammenwirkens von Vernunft und Willen kontingente Handlungen hervor, doch müssen diese von der recta ratio mithervorgebracht werden, um in den Bereich des Rechts zu fallen. Diese Handlungen müssen freiwillige Handlungen sein, da die Handlungen dem Handelnden sonst nicht zugerechnet werden können und dieser für sein Handeln nicht zur Verantwortung gezogen werden könnte. Wenn dem liberum arbitrium ein Urteil der recta ratio bei-
Ich folge hier der Übersetzung Norbert Brieskorns (DLDL 2002, 42). Der Originaltext lautet DLDL Bd. XI, 24: „Et iuxta posteriorem et strictam iuris significationem solet proprie ius vocari facultas quaedam moralis, quam unusquisque habet vel circa rem suam vel ad rem sibi debitam; sic enim dominus rei dicitur habere ius in re et operarius dicitur habere ius ad stipendium […].“ Recknagel (2010, 100) weist darauf hin, dass auch für Suárez, der das Recht in seinen drei Bedeutungen als Gerechtigkeit, subjektives Recht und Gesetz erläutert, in der Bestimmung des Rechts als subjektives Recht die „wesentliche Bedeutung“ des Rechts zum Ausdruck kommt.
4.6 Moralische Dimensionen subjektiven Rechts
163
wohnt, dann können daraus nur sittlich gute Handlungen resultieren, anderenfalls wäre die recta ratio nicht im Einklang mit der natürlichen Ordnung und gegen die lex aeterna. Doch lässt sich die moralische Komponente subjektiven Rechts auch von einem rechtspraktischen Blickpunkt aus begründen. Dass Handlungen im subjektiven Recht sich nicht auf zwei Rechtssubjekte beziehen, schließt nicht aus, dass sie innerhalb von moralischen Maßstäben liegen. Auch Robert Alexy bestimmt subjektives Recht als rechtliche Relation, die der Struktur nach zweistellige Prädikate aufweist, aber dennoch ein anderes Rechtssubjekt miteinschließt: X hat ein Recht auf G gegenüber S.⁵⁹⁴ Es scheint, als träte die Gerechtigkeit im subjektiven Recht als indirekt auf einen anderen gerichtet auf: Über den rechtlichen Anspruch auf ein Objekt wird ein Verhältnis zwischen zwei Rechtssubjekten hergestellt, sodass, gemäß Molinas Definition, ein Unrecht geschieht, wenn ‚X von S an G‘ gehindert wird. Dabei wird das subjektive Recht durch die objektive Rechtsordnung geschützt, wobei gerade hier die moralische Komponente hervortritt, wie durch ein Zitat aus Ulpians De Iustitia et Iure bei Molina deutlich wird: „‚Die Vorschriften des Rechtes sind diese: ehrenhaft zu leben, den Anderen nicht zu schädigen, jedem das Seine zuzuteilen.‘⁵⁹⁵ Unter diesen Worten werden nicht allein die Vorschriften der Gerechtigkeit begriffen.“⁵⁹⁶ Das Ziel des Rechts ist die Gerechtigkeit bzw. das Recht ist das Mittel der Gerechtigkeit: Daher liegt dem subjektiven Recht die Gerechtigkeit zugrunde und Handlungen im subjektiven Recht haben prinzipiell die Gerechtigkeit zum Ziel, wodurch sie auch moralisch zu rechtfertigen sind. Die moralische Perspektive des subjektiven Rechts lässt sich zudem durch eine Komponente von Verantwortung aufzeigen, die sich nicht auf die bloße Erzwingbarkeit der Pflicht gegenüber dem Rechtsträger reduzieren lässt bzw. nicht allein durch eine Strafandrohung erklärbar ist, was durch folgendes Beispiel deutlich wird: Noah hätte laut Molina zwar die Macht gehabt, Tierarten zu zerstören, aber keinesfalls das Recht dazu besessen: Selbst wenn nämlich jemand irgendein ganzes Element zerstören könnte, oder irgendeine Art, wie Noah es konnte, als er sie in der Arche eingeschlossen hatte, hätte er allerdings nicht das Recht dazu: Weil es mit dem Nachteil anderer, und zum Schaden des Weltalls einherginge: und dennoch könnte man deshalb nicht sagen, er habe nicht mit den übrigen Menschen ein dominium über die sublunaren Dinge erhalten.⁵⁹⁷
cf. Alexy (1994, 163−164) Dig. 1,1,10,1. DIEI I 1, 5: „Quo circa recte Ulpianus. I.iustitia.ff.de iustitia & iure; Iuris, inquit, praecepta sunt haec, honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique; tribuere; quibus verbis non sola iustitiae praecepta comprehenduntur.“ DIEI II 18, 141: „Esto namque destruere quis posset integrum elementum aliquod, aut speciem aliquam, ut poterant Noe dum eas inclusas habebat in arca, sane ius ad id non haberet: quia cederet in praeiudicium aliorum & in detrimentum universi: & tamen non idcirco dicendus esset non habere cum caeteris hominibus dominium rerum sublunarium.“
164
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Dieses Zitat bringt auch zum Ausdruck, dass gegenüber Kindern, amentes und Sklaven die Pflicht besteht, ihnen kein Unrecht anzutun, wodurch sie erneut zumindest als Träger passiver Rechte bestimmt werden. Diese Pflicht gründet nicht nur darin, anderen keinen Schaden oder Nachteil zuzufügen und basiert daher nicht nur auf der aristotelischen Vorstellung der Gerechtigkeit als Gleichheit, sondern beruht auch auf dem Gedanken, die Ordnung der Welt, das ist Gottes Ordnung, nicht zu zerstören. Innerhalb dieser Ordnung ist das dominium der Menschen also vorgesehen, aber an die Bedingung gebunden, dass es nicht gegen Gottes Ordnung angewendet wird: Das dominium der Menschen darf also nur verantwortungsvoll gegenüber anderen Wesen und Dingen ausgeübt werden. Ob die Unterscheidung der Status von Trägern passiver und aktiver Rechte auch zu zwei moralischen Statusbegriffen oder einer Hierarchisierung von Entitäten im Hinblick auf ihren moralischen Status bei Molina führt, kann erst beurteilt werden, wenn im fünften Kapitel der rechtliche Status der Sklaven in Molinas De Iustitia et Iure herausgearbeitet ist. Dort wird sich zeigen, dass die legitime Auf- bzw. Abgabe der rechtlichen Freiheit den Sklaven zwar nicht zu einem rechtslosen Wesen macht, er aber eine besondere rechtliche Position einnimmt. Ob sich daraus Konsequenzen von moralischer Relevanz ergeben, soll dann beurteilt werden. Im Folgenden ist zunächst zu untersuchen, ob zwischen dem Träger eines subjektiven Rechts und dem Gemeinwesen gleichermaßen ein Verhältnis von Rechten und Pflichten und ggf. sogar einer Form von Verantwortung besteht, oder ob das subjektive Recht des Einzelnen und das bonum commune unabhängig voneinander gewahrt werden können.
4.7 Subjektives Recht und bonum commune: Eine Dichotomie von Verantwortung? Die etwas provokant formulierte Frage nach einer Dichotomie von Verantwortung des Verhältnisses zwischen subjektivem Recht und bonum commune bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten von Individuen einerseits und dem Gemeinwesen andererseits: Wenn im subjektiven Recht Pflichten und Rechte gegenüber den einzelnen Individuen bestehen, durch die sie als Träger sowohl von passiven als auch von aktiven Rechten anerkannt werden, scheint es sich bei der rechtlichen Freiheit, die durch das subjektive Recht generiert wird, nicht um eine „autistische Nichtbeachtung der Belange anderer“⁵⁹⁸ zu handeln, sodass die Rechtsbereiche der Einzelnen und des Gemeinwesens nicht als dichotome, separate Bereiche nebeneinander bestehen. Dies würde dem Naturzustand von Thomas Hobbes entsprechen, in dem jeder Mensch das Recht hat, gemäß seiner Kräfte alles zu tun, um sich selbst am
Mit dieser Formulierung bringt Thilo Marauhn (2011, 90) die Missdeutung einer solchen rechtlichen Freiheit treffend zum Ausdruck.
4.7 Subjektives Recht und bonum commune: Eine Dichotomie von Verantwortung?
165
Leben zu halten und es keinen Schutz vor Verletzungen, Beschädigungen und ständiger Bedrohung durch andere gibt. In diesem Zustand ist die Rede von einem Gemeinwohl folglich sinnlos. Damit ist die Frage in der Überschrift dieses Kapitels bereits beantwortet: Es lässt sich also deutlich festhalten, dass subjektives Recht nicht ohne eine objektive Rechtsordnung bestehen kann, da die rechtliche Freiheit der einzelnen Individuen von der rechtlichen Freiheit anderer Individuen ständig bedroht wäre. Das bonum commune lässt sich vor diesem Hintergrund also mindestens als Schutz der individuellen Rechte durch ein objektives Rechtssystem deuten, nach dem die Individuen ihr Handeln freiwillig ausrichten, um ihre eigenen Rechte ausüben zu können, da rechtliche Freiheit im Wesentlichen nicht ohne andere stattfinden kann.⁵⁹⁹ Das Gemeinwesen hat somit die Aufgabe, die rechtliche Freiheit respektive das subjektive Recht zu sichern. Nach Robert Alexy ist „die [rechtliche] Freiheit einer Person als die Summe ihrer einzelnen Freiheiten und die Freiheit einer Gesellschaft als die Summe der Freiheiten der in ihr lebenden Personen aufzufassen.“⁶⁰⁰ Wenn die Freiheit einer Gesellschaft in spätscholastischer Terminologie als bonum commune aufgefasst wird (das in Kapitel 3.8 als pax et tranquilitas erläutert wurde), dann ist das bonum commune umso bessergestellt, je besser die rechtliche Freiheit der Individuen gewährleistet ist. In Kapitel 3.1 wurde im Zusammenhang mit der iustitia legalis erklärt, dass nach Molina (im Anschluss an Thomas) sowohl die einzelnen Bürger als auch die res publica bemüht sein sollen, tugendhaft zu handeln und die Gesetze den Bürger an diejenigen Tugenden, vereint in der iustitia legalis, angleichen sollen, die zur Schönheit und Vollkommenheit (decus et perfectio) erforderlich sind.⁶⁰¹ In diesem Zusammenhang wurde das Haus als Metapher erwähnt, das ähnlich wie ein Staat nicht gut sein könne, wenn seine einzelnen Bauelemente nicht gut sind.Wenn also das Gemeinwesen die rechtliche Freiheit der Bürger nicht nur schützt, sondern auch ermöglicht und fördert – mit anderen Worten: sich als dafür verantwortlich begreift –, dann sorgt es auch dafür, dass das bonum commune gefördert wird. Und die Individuen ihrerseits sind auf das Gemeinwesen nicht nur gemäß der anthropologischen Bestimmung des Menschen als animal sociale et politicum angewiesen, im Sinne des bonum commune zu handeln, sondern auch um ihre subjektiven Rechte wahrnehmen zu können, da sie außerhalb einer objektiven Rechtsordnung schutzlos wie im Hobbesschen Naturzustand gegenüber den Rechtsansprüchen aller anderen Individuen wären. Wenn also individuelle Rechte und objektives Recht eines Gemeinwesens nicht separat voneinander bestehen können, so schließt sich die Frage an, ob das subjektive
Marauhn (2011, 92) Alexy (1994, 196) (Hervorhebungen im Original) DIEI I 1, 4: „Addit D. Thomas, subditis inesse eandem virtutem tanquam mandantibus exequutioni, quae per recto res constituta sunt, dum legibus ad eundem finem se accommodant: eaque de causa virtus haec, iustitia legalis appellatur. […] Eius modi ergo virtus, et est ad alterum, nempe ad bonum commune Rempublicamque ipsam, et iustitia dicitur, quatenus, qui ductum illius sequitur, eique se accommodat, legibus, quas Reipublicae decus et perfectio postulat, ad aequatur.“
166
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Recht durch die objektive Rechtsordnung geschützt oder vielleicht eher begrenzt wird? Diese Frage soll im folgenden Kapitel untersucht werden.
4.8 Das Gesetz (lex): Limitation oder Schutz des subjektiven Rechtes im Staat? Das bonum commune wird durch das Gesetz erwirkt und gewahrt. Das Gesetz repräsentiert also die objektive Rechtsordnung eines Gemeinwesens und dient der Durchsetzung der Interessen einer staatlichen Gemeinschaft. Es wurde hervorgehoben, dass subjektives Recht nicht jenseits objektiver Rechtsordnungen besteht, sondern seine Funktion grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es in eine objektive Rechtsordnung eingebunden ist. Denn damit ein Individuum sein Recht gegenüber einer Gemeinschaft geltend machen kann, muss die Gemeinschaft selbst über ein Rechtssystem verfügen. Anderenfalls könnten gar keine Institutionen angenommen werden, denen gegenüber das Individuum seine Rechtsansprüche äußern und ggf. durchsetzen könnte. Auch muss die Wahrung des subjektiven Rechts in einer objektiven Rechtsordnung verankert sein, da sich das Individuum anderenfalls auf keine Rechtsvorschriften beziehen kann, um seine individuellen Rechte einzuklagen. Als modernes Beispiel seien hierfür die Grundrechte genannt, die erst rechtskräftige Geltung erlangen, wenn sie zum Bestand der Verfassung eines Staates werden. Die Gesetzesbestimmung Molinas in De Iustitia et Iure wurde hinsichtlich des Einflusses von Duns Scotus auf Molinas Rechtslehre bereits untersucht. Nun soll sie aus dem Blickwinkel des Verhältnisses zwischen individuellem Wohl und Gemeinwohl betrachtet werden: Wenn subjektives Recht auf eine objektive Rechtsordnung angewiesen ist, um überhaupt Funktion und Geltung haben zu können, so stellt sich die Frage, inwiefern das bonum commune in einer Rechtsordnung durch das Gesetz subjektives Recht schützt oder eher eingrenzt, da im Interesse des Gemeinwohls die Interessen der Einzelnen mitunter sekundär sein können. Daran schließen sich die Fragen, wie sich bei Molina, der mit seiner Lehre von der Willensfreiheit in der Concordia die menschliche Selbstbestimmung exponiert, das Verhältnis zwischen Individuum und Staat durch die Definition des Gesetzes verstehen lässt: Gelingt Molina in seiner Konzeption des bonum commune mithilfe des Gesetzes als normativem Instrument die Berücksichtigung eines jeden individuellen bonum morale oder stellt das bonum commune bloß eine paternalistische Interpretation des individuellen Wohles dar? Die moralische Komponente subjektiven Rechts wurde im vorletzten Kapitel nachgewiesen. Das Gesetz bzw. das objektive Recht ist nach Molina explizit moralisch ausgerichtet, wie es bei einem Autor der Schule von Salamanca zu erwarten ist, da dem christlichen Naturrecht der Frühen Neuzeit eine Trennung von Moral und Recht fremd
4.8 Das Gesetz (lex): Limitation oder Schutz des subjektiven Rechtes im Staat?
167
ist.⁶⁰² Diese wäre mit dem Gedanken, dass das Recht seinen Urspung in Gott hat und Teil der göttlichen Ordnung ist, unvereinbar. Wenn Luis de Molina im fünften Traktat von De Iustitia et Iure erklärt, Aufgabe des Gesetzes (lex) sei es, das natürliche moralische Glück eines jeden Menschen zu erwirken, legt er seiner Gesetzeslehre eine sittliche Normativität zugrunde, deren Prinzipien dem Naturrecht entstammen. Durch den Sündenfall hatten die Menschen das Geschenk der ursprünglichen Gerechtigkeit verloren.⁶⁰³ Um zu dieser und schließlich dem Glück (felicitas) als letztem natürlichen Ziel des Menschen zurückzufinden, hatte Gott für die Menschen nicht nur die lex naturalis verfasst, sondern auch menschlichen Herrschern ein dominium iurisdictionis temporalis verliehen und ihnen damit die Sorge um das Gemeinwohl einer politischen Gemeinschaft aufgetragen,⁶⁰⁴ denn „Gesetze zum natürlichen moralischen Glück eines jeden Menschen zu machen[,] betrifft zum Teil Gott als Urheber der Natur, zum Teil die obersten Lenker eines jeden Staates,“ so Molina.⁶⁰⁵ Um zu unterscheiden, ob etwas zum Naturrecht oder zum positiven Recht gehört, stellt Molina folgende Regel auf: Wenn die Verbindlichkeit (obligatio) aus der Natur der Sache (natura rei) entsteht, die geboten oder verboten wird, weil sie in sich zu tun notwendig ist […], oder weil sie in sich unerlaubt und böse ist […], dann gehört das Gebot bzw. Verbot zum Naturrecht. Wenn aber die Verbindlichkeit nicht aus der Natur der Sache entsteht, die geboten oder verboten wird, sondern durch das Gebot und den Willen des Verbietenden […], dann gehört das Gebot bzw. Verbot zum positiven Recht.⁶⁰⁶
Matthias Kaufmann (2013, 161) deutet auf erste Anzeichen einer Trennung von Recht und Moral bei Francisco Suárez hin: „Beeindruckend an Suárezʼ Analyse der Eigenschaften des Gesetzes ist ihre nüchterne Genauigkeit. So weisen weite Teile seiner Gesetzescharakteristik auffällige Ähnlichkeiten mit der von Herbert L.A. Hart in seinem The Concept of Law unternommenen Kritik der Befehlstheorie des Rechts auf, etwa was die Allgemeinheit, Öffentlichkeit und Dauerhaftigkeit angeht. Damit soll Suárez natürlich nicht zum Positivisten im Sinne Harts gemacht werden. Doch springt aus dem Blickwinkel der im 20. Jahrhundert geführten Diskussionen die Selbstverständlichkeit ins Auge, mit der er und seine Zeitgenossen Merkmale des Rechts- und Gesetzesbegriffs handhaben, die mitunter als Errungenschaften späterer Zeiten angesehen wurden.“ DIEI V 46, 1671: „Dissoluta vero natura per peccatum, amissoque iustitiae originalis dono, […].“ Welche Rolle das Gesetz bei Molina im Kontext des allgemeinen Wohles des Staates und des moralischen Glücks eines jeden Menschen spielt, wird auch analysiert in Simmermacher (2016a, 35−57). DIEI V 46, 1671: „Porro leges ferre ad finem ultimum naturalem, hoc est, ad naturalem cuiusque hominis felicitatem moralem, quae simul conducant ad naturalem contemplativam ulteriorem felicitatem, et ut homo, dissoluta humana natura per peccatum, quatenus est sociale animal, bonus fit civis, beneque sese habeat ad rempublicam, cuius est pars, totiusque eius reipublicae commune bonum coalescat ac conservetur, partim ad Deum optimum maximum tanquam ad naturae autorem, et partim ad supremos rei publicae cuiusque moderatores spectat. Deus enim, ut naturae autor, legem naturalem condidit, eamque hominum mentibus indidit ac impressit, qua quid vitare quidque efficere tenerentur, quin et quid conduceret ac expediret magis ad naturalem felicitatem moralem, et subinde etiam ad contemplativam, comparandam ac conservandam facile agnoscerent maxime in statu naturae integrae, in quo hominem condere ac collocare statuit.“ DIEI I 4, 14−15: „Regula ergo generalis ad dignoscendum, num aliquid ad ius naturale, an ad positivum pertineat, haec est. Si obligatio oritur a natura rei quae praecipitur aut prohibetur, quia videlicet in se est necessaria ut fiat, ut est subvenire extreme indigent, vel quia in se est illicita et mala, ut furari, adulterari, mentiri, tunc praeceptio aut prohibitio pertinent ad ius naturale: si vero obligatio
168
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Trotz dieser Unterscheidung haben natürliche und positive Gesetze einen gemeinsamen Zweck bzw. ein gemeinsames Ziel, nämlich das bonum commune, und sind hinsichtlich des Ursprungs ihrer Normativität voneinander verschieden, aber nicht hinsichtlich des Zieles, das der Normativität zugrunde liegt. Das Gemeinwohl, das Molina auch als bonum morale ⁶⁰⁷ bezeichnet, scheint folglich für ihn das individuelle Wohl bzw. Glück eines jeden Bürgers einzuschließen und darf nicht etwa als Lösungskompromiss individueller Interessen zugunsten des staatlichen Wohles verstanden werden. Das wird durch die Definition des Gesetzes bei Molina noch deutlicher: Es ist der Befehl oder die Vorschrift, die von der höchsten dafür relevanten Macht im Staat dauerhaft erlassen und verkündet wurde und darauf abzielt, nicht dem einen oder anderen, sondern allen entweder direkt, oder den unter einer Bedingung oder nach Ort, oder Zeit, und anderen Umständen Gleichen zu nützen, und angenommen wurde, falls es für die Gültigkeit dieser Annahme bedarf.⁶⁰⁸
Die Definition bezieht sich zwar auf die lex humana, die im Fokus dieser Überlegungen steht, sie ist aber laut Molina auf alle anderen Formen des Gesetzes übertragbar, die in der Hierarchie der Gesetze nach Thomas genannt werden (lex aeterna, lex naturalis, lex humana und lex divina).⁶⁰⁹ Wenn zu Beginn dieses Kapitels hervorgehoben wurde, es sei Aufgabe des Gesetzes, das natürliche moralische Glück eines jeden Menschen zu erwirken, so ist streng genommen die lex naturalis gemeint. Doch kann auch die lex humana als auf dieses Ziel gerichtet verstanden werden, da die verschiedenen Gesetzesformen sich hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Geltungsbedingungen unterscheiden, aber alle letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet sind.⁶¹⁰ In diesem Zusammenhang kann lex für Molina sowohl ein einzelnes Gesetz als auch eine Sammlung (collectio) von Gesetzen bedeuten, wobei auch die Verfassung als lex bezeichnet
non oritur a natura rei quae praecipitur aut prohibetur, sed a praecepto et voluntate prohibentis, esto ex parte rei sit congruitas et exigentia quaedam ut praecipiatur aut prohibeatur, pertinent ad ius positivum.“ DIEI V 46, 1691: „[…] vel in scientiis moralibus pro collectione [multarum legum] assensuum ac habituum multarum conclusionum ad eundem finem boni moralis attinentium, puta felicitatis cuiusque moralis ac virtutum, quae ad eam spectant, boni ac finis oeconomicum, aut boni ac finis politici, quo pacto Ethica, oeconomica, et politica scientia inter se distinguuntur: […].“ DIEI V 46, 1698: „Est imperium seu praeceptio a suprema ad id potestate in republica permanenter lata ac promulgata, non uni aut alteri, sed omnibus aut simpliciter, aut ad quos id pro eorum conditione, loco, tempore, ac aliis circumstantiis servare spectat, et acceptata, quando, ut vim habeat, acceptatione indiget.“ (Hervorhebungen im Original) Übersetzung: Kaufmann (2010, 387) cf. DIEI V 46, 1698 Brett (2014, 177): „Human civil law […] has for its aim ‘the end and the political good of human life together.‘ This is different both from the natural felicity of each individual, to which natural law is directed, and the supernatural felicity of the individual, to which the divine law of the various statuses of mankind, as well as canon law is directed. But these laws are not entirely separate [!] from each other, legislating for separate domains with separate ends [!].“
4.9 Normativität subjektiven Rechts
169
wird.⁶¹¹ Wenn also das Gesetz oder sogar die Verfassung (das ist objektives Recht) das natürliche moralische Glück eines jeden erwirken soll, wird damit aber nicht die Funktion des subjektiven Rechts erfüllt bzw. ersetzt, sodass subjektives Recht als rechtstheoretische Figur als überflüssig angesehen werden könnte: Objektives Recht regelt die rechtlichen Verhältnisse innerhalb eines Gemeinwesens, aber es kommt nicht den einzelnen Individuen als Rechtsträgern zu.⁶¹² Diese Eigenschaft zeichnet jedoch gerade das subjektive Recht aus. Objektives Recht kommt dem Gemeinwesen aufgrund der potestas des Gemeinwesens zu, wie im Kontext der Legitimation von Macht erläutert wurde.⁶¹³ Somit kann festgehalten werden, dass das Wohl des Einzelnen für Molina in das bonum commune eingebunden ist und daher die Gesetze bzw. die Verfassung einer staatlichen Gemeinschaft die subjektiven Rechte ihrer Bürger zu achten haben. Wie in Kapitel 3.7 zum dominium iurisdictionis und zur Legitimation von Macht innerhalb Molinas Rechtslehre bereits erwähnt wurde, bestimmt Molina den Menschen nach Aristoteles als animal civile et politicum,⁶¹⁴ sodass die den individuellen Rechten zugrunde liegenden Interessen in einem guten Staat ihrerseits auch nicht mit der objektiven Rechtsordnung kollidieren dürften. Im vierten Kapitel wird abschließend herausgestellt, wie sich die Normativität subjektiven Rechts bestimmen lässt, wenn es zwar einzelnen Rechtsträgern zukommt, aber innerhalb einer objektiven Rechtsordnung bestehen muss.
4.9 Normativität subjektiven Rechts Die vorangegangene Untersuchung hat ergeben, dass sich die Normativität subjektiven Rechts aus der Bestimmung des Rechts als Maßstab für Unrecht ergibt: Die Hinderung an der Ausübung des als facultas bestimmten ius stellt ein Unrecht gegenüber dem Inhaber des Rechts dar. Dieses Unrecht kann auch passiven Trägern subjektiven Rechts wie Kindern und amentes widerfahren, da Trägern subjektiven Rechts Rechte und Pflichten zukommen. Doch können Wesen, deren freier Wille zumindest als eingeschränkt aufzufassen ist, da sie keinen Gebrauch davon machen können, nicht als aktive Träger subjektiver Rechte verstanden werden: Sie können Unrecht erleiden, aber einerseits die Pflichten anderer ihnen gegenüber nicht geltend machen und andererseits ihren Pflichten anderen Rechtsträgern gegenüber nicht nachkommen.
Alonso-Lasheras (2011, 72−73): „When it is used collectively, it is because what collects them is the fact that the individual leges point to a common end.“ cf. Bunge (2013, 129) siehe Kapitel 3.7 DIEI II 22, 170: „Praeter societatem, aut societates explicates, maiori quadam indiget homo, ad quam suaptenatura propendet, naturali lumine intellectus eam docente, et ad illam hominem instigante, a qua civile et politicum animal nuncupatur.“
170
4 Bedingungen und Grenzen subjektiven Rechts bei Molina
Dass mit subjektivem Recht Pflichten verknüpft sind – entgegen der Position Hans Kelsens, die im zweiten Kapitel vorgestellt wurde –, gründet in der Einbettung subjektiven Rechts in eine objektive Rechtsordnung, ohne die subjektives Recht nicht bestehen kann. Subjektives Recht, bestimmt als rechtliche Freiheit eines Individuums, ist als System einer gesellschaftlich institutionalisierten Freiheit aufzufassen. Dies geht aus dem Verhältnis zwischen subjektivem Recht und bonum commune hervor, das durch ein wechselseitiges Interesse am Wohl des Individuums bzw. des Gemeinwesens gekennzeichnet ist: Einerseits kann subjektives Recht nicht gegen das bonum commune gerichtet sein, denn dominium darf nicht zum Schaden anderer ausgeübt werden, andererseits kann das bonum commune nur gewährleistet werden, wenn das Wohl der Einzelnen berücksichtigt wird. Dies findet seinen Ausdruck vor allem in Molinas Gesetzesdefinition, nach der das Gesetz bzw. die Verfassung und damit objektives Recht das „natürliche moralische Glück eines jeden Menschen“ zu erwirken habe, wodurch dem objektiven Recht eine sittliche Normativität zukommt, deren Prinzipien dem Naturrecht entstammen. Dass die Normativität subjektiven Rechts aus der Bestimmung des Rechts als Maßstab für Unrecht auch eine sittliche Normativität einschließt, hat die Verbindung von Molinas Willensmetaphysik und Handlungslehre mit der Theorie des subjektiven Rechts ergeben: Wenn aus der Willensfreiheit Handlungen hervorgehen, die als Ausübung der rechtlichen Freiheit zum Ausdruck kommen, dann liegt diesen Handlungen ein sittlich gutes Urteil der Vernunft zugrunde, sodass eine Hinderung an der Ausübung solcher Handlungen nicht nur ein Unrecht darstellt, sondern auch das Gute verhindert. Dies wäre gegen das Naturrecht und gegen die lex aeterna. Zwar darf die Normativität hier nicht dahingehend verstanden werden, dass Gott den Menschen direkt zu solchen Handlungen anleitet, denn der Mensch handelt aus dem Zusammenwirken von Vernunft und freiem Willen frei und kontingent. Aber wenn eine Handlung des Menschen frei hervorgebracht wird, dann folgt sie dem Prinzip der sittlichen Normativität, das heißt, die Menschen handeln von sich aus (frei) sittlich gut und erfüllen damit gleichzeitig die Handlungen, die Gott vorgesehen hat. Durch den Schutz des subjektiven Rechts mittels des Gesetzes als Instrument objektiver Rechtsordnung, welches das moralische Glück erwirken soll, verschmelzen Recht und Moral innerhalb Molinas Rechtslehre, die nun für das Thema dieser Untersuchung umfassend analysiert wurde. Das folgende Kapitel dieser Untersuchung soll die Ergebnisse der Analyse nun anhand der sensiblen Frage nach dem dominium von Menschen, die in Sklaverei geraten sind, auf die Probe stellen und die Grenzen subjektiven Rechts innerhalb Molinas Rechtslehre sowohl systematisch als auch ideengeschichtlich ausloten.
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei? Die Verbindung von dominium und Verantwortung bzw. subjektivem Recht und dessen moralischer Komponente rückt insbesondere in den Mittelpunkt, wenn Molinas Untersuchung des dominium an Sklaven beleuchtet wird. Denn im Kontext der Sklaverei treten spannungsreiche Fragen auf, zum Beispiel inwiefern die Sklaven als NichtHerren und menschliches Eigentum überhaupt Rechte haben können und ob auch Sklaven als Imago Dei und infolgedessen als domini suorum actuum angesehen werden können. Diesen Überlegungen liegt wiederum die Frage zugrunde, ob das liberum arbitrium in der Sklaverei erhalten bleibt oder ob Sklaven für Molina wie etwa bei Aristoteles lediglich den Status von beseelten Werkzeugen⁶¹⁵ erhalten. Molina betont, dass gemäß dem Naturrecht alle Menschen frei geboren wurden. Doch hätten einige Völker sich schuldig gemacht und so kam es zum gerechten Krieg, in dessen Folge nach dem ius gentium der Tod der schuldigen Verlierer des gerechten Krieges in ewige Sklaverei umgewandelt wurde,⁶¹⁶ wodurch die Sklaven vor dem Tod bewahrt wurden – dies sei auch in der Etymologie des Wortes Sklave zu erkennen: Ausgehend von den Institutiones aus dem römischen Recht leitet Molina servus von servare (bewahren, retten) ab.⁶¹⁷ Die Sklaverei sei also zum Wohle der Sklaven eingeführt, als „humanisierende Institution“,⁶¹⁸ da ein Leben in dauerhafter Sklaverei ein geringeres Übel sei als der Verlust des Lebens.⁶¹⁹ Auch von dem Wort mancipium leitet Molina die Sklaverei etymologisch her, da die Gefangenen manu capta, das heißt mit der Hand gefangen worden seien und auf diese Weise in Sklaverei gerieten. Außer der Kriegsgefangenschaft führt Molina noch drei weitere Titel an, durch die ein Mensch rechtmäßig in Sklaverei geraten könne, die ausführlicher in Kapitel 5.4 untersucht werden und daher hier nur kurz genannt seien: als Strafe für ein schweres Verbrechen, durch Kauf und (Selbst)Verkauf und durch die Geburt als Kind einer Sklavin. Die Sklaverei durch Verkauf und Selbstverkauf (auch den der eigenen Kinder) bildet den Kern von Molinas Analyse der Rechtstitel der Sklaverei. Ihr gilt sein zentrales analytisches Interesse, wenn es um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Versklavung geht. Der Selbstverkauf stellt zugleich auch das spannungsreichste Beispiel dar, um zu überprüfen, inwiefern scientia practica und scientia theoretica innerhalb des Denkens von Molina eine Kontinuität darstellen bzw. sich in Analogie betreiben lassen: Ist es eine Entscheidung aus dem liberum arbitrium, wenn sich je-
cf. EN VIII 13, 1161b cf. DIEI I 4, 18− 19. Wie die Aufteilung der Dinge so sei auch die Sklaverei nach menschlichem Recht, aber nicht gegen das Naturrecht eingeführt worden, so Molina, DIEI II 32, 237. cf. DIEI II 32, 236 Brieskorn (2000a, 85−98) DIEI II 32, 236: „Quo fit, ut haec etiam servitus in bonum ipsorum servorum introducta sit, quatenus perpetua servitus minus malum illis est, quam privari vita.“ https://doi.org/10.1515/9783110551938-005
172
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
mand selbst in die Sklaverei verkauft? Was geschieht mit dem dominium, wenn jemand das dominium über seine rechtliche Freiheit auf jemand anderen überträgt? Behält der Sklave das Vermögen zum dominium und kann er dominium proprietatis oder dominium iurisdictionis über irgendetwas haben? Wie kann das dominium über Menschen, die selbst das Potential zum dominium besitzen, bestimmt werden? Gerade am Beispiel des Selbstverkaufs tritt also deutlich hervor, ob das dominium nach Molina als ein proprium des Menschen verstanden werden kann, nämlich genau dann, wenn Molina den Sklaven, der sich selbst in die Sklaverei verkauft hat, weiterhin als Menschen betrachtet. Außerdem kann an diesem Beispiel das rechtsmetaphysische Verhältnis von Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtlicher Freiheit auf seine rechtspraktische Tauglichkeit hin untersucht werden. Im Folgenden werden zunächst (5.1) die Sklaverei und der Sklavenhandel im 16. Jahrhundert in und nach Lateinamerika kurz dargestellt, da Molina hierzu in De Iustitia et Iure äußerst detaillierte Kenntnisse aufweist, die offensichtlich das Resultat einer empirischen Forschung sind. Da unter den Gelehrten des 16. Jahrhunderts in Spanien und Portugal keineswegs Einigkeit über den Umgang und die rechtlichen Grundlagen der Sklaverei oder sogar die Frage, ob Sklaven Menschen sind, bestand, wird ein kurzer Abriss der wichtigsten Debatten und Positionen zu diesem Thema gegeben (5.2). Bevor die rechtmäßigen Titel, die Molina aufführt, um zu bestimmen, wann ein Mensch legitimerweise zum Sklaven wird, einzeln erläutert werden (5.4), wird eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse seiner empirischen Forschung zum Sklavenhandel geboten, die bemerkenswerte Informationen bietet (5.3). Nach diesen eher deskriptiven Kapiteln erfolgt dann ab Kapitel 5.5 die Analyse des dominium in der Sklaverei, die mit der Frage beginnt, ob jemand, der sich selbst in die Sklaverei verkauft, sein natürliches dominium verliert. Anschließend wird untersucht, wieweit die Rechte der Herren über Sklaven reichen (5.6), woran sich eine Untersuchung der den Rechten eventuell korrelierenden Pflichten der Herren gegenüber den Sklaven anschließen wird (5.7). Danach lässt sich bestimmen, ob Molina den Sklaven subjektive Rechte zuspricht und wie sich der rechtliche Status der Sklaven in De Iustitia et Iure definieren lässt (5.8). Ob Molinas Konzept des ius als wegbereitender Rohbau einer Theorie von Grundrechten angesehen werden kann, wird abschließend beurteilt (5.9).
5.1 Sklaven und transatlantischer Sklavenhandel im 16. Jahrhundert Der Umgang der Europäer mit der indigenen Bevölkerung Mittel- und Südamerikas und die Frage nach dem Status der Indios stellen eines der zentralen Themen der Autoren der Schule von Salamanca dar, über das unter den Beteiligten dieser Debatten keineswegs Einigkeit herrschte. Zwar hatte Christoph Kolumbus (1451– 1506) in seinen Aufzeichnungen von der ersten Begegnung am 11. Oktober 1492 noch die Freundlichkeit der Indios gepriesen und sogar von Freundschaft gesprochen: „Sie zeigten
5.1 Sklaven und transatlantischer Sklavenhandel im 16. Jahrhundert
173
sich sehr freundlich, so dass mir klar war, dass es sich um Leute handelte, die sich besser durch Liebe als durch Gewalt an unseren Glauben hingeben und bekehrt würden […] und sie blieben uns auf eine Weise freundschaftlich verbunden, dass es ganz wunderbar war.“⁶²⁰ Doch schon bald beschrieb Kolumbus die Indios als gute Dienstboten und seine Gier nach Gold ließ freundschaftliche Absichten in Vergessenheit geraten, sodass die Indios zu horrenden Tributzahlungen in Form von Gold und Baumwolle verpflichtet wurden. Wenn es ihnen nicht möglich war, diesen Zahlungen nachzukommen, wurden sie im Tausch mit lebensnotwendigen Gütern als Sklaven sogar in die spanische Heimat der Conquistadores verschifft. Die geistlichen Gelehrten der Schule von Salamanca, die oft auch Beichtväter der Regierenden waren, sahen sich nun vor die Aufgabe gestellt, für die Conquista einen Kompromiss in Form einer ‚gerechten‘ Kolonisation zu finden, die die Freiheit der Indios als Voraussetzung für ihre Glaubensunterweisung gewährte und gleichzeitig ihre Tributleistungen und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft für das koloniale Anliegen ermöglichte.⁶²¹ Die Theologen schöpften für die theoretische Debatte aus zwei Quellen: Zum einen berief man sich auf die Sentenzentheologie des 12. Jahrhunderts, zum Beispiel des Petrus Lombardus, die eine theokratische Deutung päpstlicher Macht und eine pessimistische Auffassung der menschlichen Natur beinhaltete, zum anderen zog man das Naturrecht des 13. Jahrhunderts nach Thomas von Aquin heran. Die theologische und auch moralische Rechtfertigung der Expansionsbestrebungen führte nicht selten zu Brüchen innerhalb der Argumentation (nicht nur bei Molina), wenn es gegensätzliche Interessen zusammenzuführen galt. Im Fokus von Molinas Untersuchungen der Sklaverei und des rechtlichen Status der Sklaven steht der Sklavenhandel. Hier diskutiert er die Frage nach dem Eigentum an Menschen und arbeitet rechtliche Bestimmungen dafür heraus. Molinas empirische Forschung über den Sklavenhandel von Afrika nach Portugal und in die sogenannte ‚Neue Welt‘, die eine bemerkenswerte Detailkenntnis belegt, wird in Kapitel 5.3 dargestellt. Bevor im nächsten Kapitel das Diskussionsspektrum verschiedener Positionen von Autoren der Schule von Salamanca zur Versklavung der indigenen Bevölkerung abgebildet wird, wird im Folgenden ein knapper Überblick zur Situation der Sklaven und zum Sklavenhandel im 16. Jahrhundert geboten. Die Entdeckung der sogenannten ‚Neuen Welt‘ und deren rasanter Auf- bzw. Umbau durch die Europäer hatten den Handel mit afrikanischen Sklaven aufblühen lassen. David Brion Davis bezeichnet die „Negro slavery“ sogar als intrinsischen Teil der amerikanischen Entwicklung seit den ersten Eroberern.⁶²² Die furchtbaren Arbeitsbedingungen in den Gold- und Silberminen brachten zahlreichen Indio-Sklaven den Tod und auch die Krankheiten, die von den Europäern nach Amerika gebracht wurden, kosteten viele Menschen der indigenen Bevölkerung das Leben. Um den
so zitiert bei Suess (1987, 294) cf. Suess (1987, 292) Davis (1966, 39)
174
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Gewinn aus den Gold- und Silberminen und von den Zucker-, Reis-, Tabak- oder Baumwollplantagen durch mehr Arbeitskräfte zu maximieren, begannen die Europäer, afrikanische Sklaven nach Amerika zu transportieren. Die Portugiesen, deren Sklavenhandel Molina in De Iustitia et Iure untersucht, begannen ab Mitte des 16. Jahrhunderts, Afrikaner über den Atlantik nach Amerika zu bringen.⁶²³ Einen Einblick in die Grausamkeiten, die den Afrikanern durch die Portugiesen widerfahren sind, wird Molinas Bericht in Kapitel 5.3 geben. Der Sklavenhandel mit Afrikanern wurde selbst zu einem derart florierenden Geschäft, dass zum Beispiel auf Barbados, einer britischen Kolonie, zwischen 1660 und 1670 doppelt so viele afrikanische Sklaven wie Europäer lebten.⁶²⁴ Insgesamt wurden vom 16. bis ins 19. Jahrhundert ca. 15 Millionen afrikanische Sklaven durch den transatlantischen Sklavenhandel in die ‚Neue Welt‘ gebracht.⁶²⁵ Die christlichen Europäer rechtfertigten dabei die Sklaverei insbesondere der Afrikaner mit der Verfluchung von Hams Sohn Kanaan.⁶²⁶ Ham, der jüngste Sohn Noahs, soll seinen Vater nackt gesehen und ihn ausgelacht haben, woraufhin Noah ihn und seine Nachkommen zu Sklaven verflucht habe. Gemäß der Völkertafel in Genesis 10 stammen die Völker von den drei Söhnen Noahs, Sem, Ham und Jafet, ab. Nach der Sintflut sollten die Menschen die Erde nach dieser Aufteilung unter den Söhnen Noahs bewohnen, wobei Afrika Ham zugeordnet wurde und daher die Afrikaner als Nachkommen Hams Sklaven zu sein hätten. Im 16. Jahrhundert wurde von Autoren der Schule von Salamanca mit Hinblick auf die Versklavung der indigenen Bevölkerung Aristotelesʼ Gedanke des Sklaven von Natur aus kontrovers diskutiert, wie im folgenden Kapitel gezeigt wird.
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios Noch im 16. Jahrhundert wurde der aristotelische Gedanke des Sklaven von Natur⁶²⁷ als Bezugspunkt für die Rechtfertigung der Versklavung der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas durch die Europäer genutzt. Bereits Papst Alexander VI. hatte 1493 in den sogenannten Lehensedikten oder Schenkungsbullen, in denen er die Verbreitung des christlichen Glaubens durch Bekehrung und Katechese der Indios als Aufgabe aller Ordensbrüder in Südamerika klar herausstellte, die Indios für glaubensfähig erklärt und ihnen somit einen anthropologischen Status zugesprochen.⁶²⁸ Dennoch beruhten die Konflikte unter den Geistlichen nicht selten darauf, dass einige Theologen den Indios jegliche Rationalität absprachen und sie zu Tieren oder Sklaven von Natur aus bestimmten.
cf. Blackburn (2010, 97) cf. Birr (2013, 120) cf. Davis (1966, 23) cf. Gen. 9, 21– 27 cf. Pol. I 2, 1252b cf. Suess (1987, 292)
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios
175
Der wohl bekannteste Vertreter dieser Position war Juan Ginés de Sepúlveda (1490 – 1573), der in der Disputation von Valladolid 1550 mit der Behauptung, die indigenen Völker seien nach aristotelischer Bestimmung als natürliche Sklaven zu betrachten, die Interessen der spanischen Siedler vertrat, welche vom Encomiendasystem enorm profitierten und sich so gegen Bartolomé de Las Casas (1484/85 – 1573) zu behaupten versuchte. Dieser war Zeuge des grausamen Umgangs der europäischen Siedler mit der indigenen Bevölkerung geworden und setzte sich dafür ein, dass die indigene Bevölkerung ihre Freiheit und ihr Eigentum zurückerlangen sollte. Die Disputation wurde auf Befehl von König Karl V. durchgeführt, nachdem die Bulle Sublimus Dei, die Papst Paul III. 1537 erlassen hatte, um die Versklavung der indigenen Bevölkerung zu verbieten, vielerorts in Mittel- und Südamerika missachtet wurde. Allerdings darf der Einfluss der päpstlichen Bulle auf Karl V. nicht überschätzt werden. Wie auch andere Bullen zuvor hatte die Bulle Sublimus Dei auf den tatsächlichen Umgang mit den Indios keine größeren Auswirkungen im spanisch-portugiesischen Patronatsgebiet. Karl V. verbot die Veröffentlichung dieser Bullen und ließ Kopien konfiszieren, die geheim in Umlauf gegeben wurden.⁶²⁹ Der Junta der Disputation von Valladolid gehörten bekannte Vertreter der Schule von Salamanca, wie zum Beispiel Melchior Cano oder Domingo de Soto, an. Die Disputation von Valladolid wird zum Ende dieses Kapitels noch einmal ausführlicher betrachtet. Auch Luis de Molina setzt sich in De Iustitia et Iure mit der von Aristoteles vertretenen Position, es gäbe Menschen, die von Natur aus zur Sklaverei bestimmt sind, auseinander. Bevor Molina in der Disputation 33 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure die legitimen Titel aufzählt, durch die jemand in die Sklaverei geraten kann, beginnt er in Disputation 32 unter dem Titel De Mancipiis, et primo, utrum unus homo in alium comparare possit dominium proprietatis zunächst mit der aristotelischen Einteilung der Sklaverei in die natürliche Sklaverei (servitus naturalis) und die bürgerliche oder rechtliche Sklaverei (servitus civilis oder servitus legalis). Sklaven von Natur aus würden, so Molinas Aristoteles Referat, zu ihrem eigenen Wohl von anderen geführt, da sie stumpfsinnig und daher von Natur aus „eher zum Gehorchen geeignet sind.“⁶³⁰ Obgleich körperlich kräftiger, unterwürfen sie sich „freiwillig den Weiseren und Feinsinnigeren“,⁶³¹ die sie dann zu ihrem eigenen Wohl leiten, weshalb die Sklaven von Natur ihren Herren Achtung und Gehorsam entgegenbrächten. In der Nikomachischen Ethik bestimmt Aristoteles den Sklaven als „beseeltes Werkzeug“.⁶³² Nach Aristoteles kann gegenüber unbeseelten Dingen, Tieren und auch Sklaven weder Freundschaft noch Gerechtigkeit bestehen. Doch taucht an dieser Stelle in der Nikomachischen Ethik eine Differenzierung auf, die Molina in der Bestimmung des rechtlichen Status der Sklaven, der in Kapitel 5.8 genauer analysiert wird, auch vorzu cf. Suess (1987, 300) DIEI II 32, 235: „suapte natura aptiores sunt ad parendum, et ut ab aliis in ipsorum bonum gubernentur […].“ DIEI II 32, 235: „ut seipsos sua sponte subiiciant sapientioribus, et elegantioribus“. EN VIII 13, 1161b
176
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
nehmen scheint, wenn er den Sklaven in gewissen Kontexten als qua homo betrachtet. Aristoteles hält fest: „Insofern er also Sklave ist, gibt es keine Freundschaft ihm gegenüber; es kann sie aber geben, insofern er Mensch [!] ist.“⁶³³ Inwiefern sich hier zwischen Molina und Aristoteles eine Parallele abzeichnet, soll in der Untersuchung zum rechtlichen Status der Sklaven⁶³⁴ berücksichtigt werden. Wenngleich Molina Aristoteles im Hinblick auf die natürliche Sklaverei recht wohlwollend interpretiert – die Sklaven seien ohne ihre Herren nicht zum Leben fähig –, so nimmt er doch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Gedanken der natürlichen Sklaverei ein, die für ihn nicht gerecht ist. Anders verhält sich Domingo de Soto zu dieser Frage: Er rechtfertigt die natürliche Sklaverei als Folge natürlicher Unterschiede zwischen Menschen. Zwar seien die Indios in ihrer eigenen Welt freie und unabhängige menschliche Wesen, aber wenn sie einmal mit zivilisierten Menschen in Kontakt gekommen sind, würden sie die Herrschaft über ihre Angelegenheiten und mitunter sogar ihre Menschlichkeit verlieren. Daher käme es zwischen Europäern und indigener Bevölkerung zu einer Gesellschaft von natürlichen Herren und natürlichen Sklaven, in der die Indios ihre Funktion als natürliche Sklaven vervollständigten, ohne ihren Status als freie Handelnde zu verlieren, so de Soto.⁶³⁵ Jörg Tellkamp möchte de Soto in diesem Punkt auch in Abgrenzung zu Aristoteles verstanden wissen, da de Soto nicht den Vorteil des Herren, sondern die hilfreiche Anleitung für den Sklaven durch den vernunftbegabteren Herren in den Vordergrund stelle. De Soto würde damit die „traditionellen Vorzeichen“ umkehren, die den Vorteil des Herren fokussierten, so Tellkamp, und „eine Art pädagogische Fürsorge des Herrn gegenüber dem Sklaven“ hervorheben, die Tellkamp sogar als eine eventuelle „Variante der christlichen Nächstenliebe“ ansieht.⁶³⁶ Doch übersieht Tellkamp bei wiederum seiner wohlwollenden Interpretation de Sotos, dass bereits Vitoria die natürliche Sklaverei bei Aristoteles ähnlich interpretierte und dennoch nur die rechtliche Sklaverei als rechtmäßige Form der Sklaverei anerkannte. Vitoria hatte die Sklaverei von Natur aus abgelehnt und Aristoteles so interpretiert, dass die natürliche Sklaverei ein wohlwollendes Unterwerfungsverhältnis darstellt, wie das eines Kindes unter seine Eltern. Auch Vitoria deutet Aristoteles, wie bereits erwähnt, recht wohlwollend, wie auch Molina und Alonso de la Vera Cruz (1507– 1584). Nach Vitoria stellt eine Unterwerfung der minderbemittelten Sklaven eine gutmütige Notwendigkeit für deren Leben dar, aber Aristoteles wolle nicht, „daß alle, die geringeren Geistes sind, ihrer Güter beraubt und in Sklaverei zurückversetzt und als Sklaven verkauft würden.“⁶³⁷ Selbst wenn man nicht akzeptiere, dass die Indios Vernunft besitzen wie alle Menschen, dürfe man sie nicht zu Sklaven machen, da eine Unterwerfung aufgrund minderen Geistes Unrecht sei, so Vitoria.
EN VIII 13, 1161b siehe Kapitel 5.8 So rekonstruiert Anthony Pagden (1982, 55) de Sotos Argumentation in dessen De Iustitia et Iure. Tellkamp (2007, 163−164) De Indis 44: „Nec vult Philosophus quod, si qui sunt natura parum mente validi, quod liceat occupare patrimonia illorum et illos redigere in servitutem et venales facere; […].“
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios
177
Diesen wohlwollenden Interpretationen der natürlichen Sklaverei bei Aristoteles ist allerdings entgegenzuhalten, dass Aristoteles den Kritikern seines Begriffs des Sklaven von Natur vorwirft, den gerechten Krieg als Legitimationsgrund für eine rechtliche Versklavung des unterworfenen Feindes nur vorzuschieben, damit sie nicht „Leute von der anerkannt alleredelsten Abkunft als Sklaven“ anzusehen bräuchten, „sondern nur die Barbaren“,⁶³⁸ gegen die der Krieg bei den Griechen immer gerecht war. Damit sieht Aristoteles aber seinen Begriff des Sklaven von Natur genau bestätigt und weist so die Kritik an eben diesem zurück, da seine Kritiker bei der Berufung auf den gerechten Krieg als Legitimation der Versklavung der Feinde nun einsehen müssten, „daß es notwendig ist, zwischen Leuten zu unterscheiden, die überall Sklaven, und solchen, die es nirgends sind.“⁶³⁹ Für Aristoteles mündet die Sklaverei nach dem (Kriegs‐)Recht letztlich in der Argumentation des Sklaven von Natur, so dass die wohlwollende Interpretation der Autoren der Schule von Salamanca das aristotelische Konzept der natürlichen Sklaverei stark beschönigt. Wie später noch gezeigt wird, gibt es zwischen dem stets gerechtfertigten Krieg gegen Barbaren bei Aristoteles und dem Krieg gegen Ungläubige in der theoretischen Rechtfertigung der Autoren der Schule von Salamanca eine gewisse Parallele, wie vor allem die Diskussion der Titel der legitimen Herrschaft bei Vitoria zeigen wird. Zwar dürfen Christen nicht ohne Weiteres gegen Ungläubige in den Krieg ziehen, aber sobald die Ungläubigen die Christen an der Ausübung ihres Glaubens hindern, kann dies einen Kriegsgrund darstellen. Dies wird später genauer erläutert. Auch Molina lehnt die natürliche Sklaverei ab und erkennt als gerechte Form der Sklaverei allein die bürgerliche (oder rechtliche) Sklaverei an, die ihren Ursprung im Kriegsrecht hat. Schon die etymologische Herleitung des servi von servando in den Institutiones aus dem römischen Recht verweise auf den kriegsrechtlichen Kontext: Nach einem gerechten Krieg steht es den Feldherren der siegreichen Seite zu, die Gefangenen zu töten. Wollen sie aber den Tod der Gefangenen abwenden, kommt ihnen das Recht zu, diesen in „fortdauernde Sklaverei“ umzuwandeln. Daher sei, so Molina, die Sklaverei „zum Wohl der Sklaven selbst eingeführt“, denen damit der Tod erspart bliebe. Auch aus der Etymologie eines weiteren lateinischen Wortes für Sklave, mancipium, sieht Molina das Wohl dieser Sklaven durch die Einführung der Sklaverei bestätigt: „Man nennt sie auch mancipia, von den Feinden quasi mit der Hand gefangen (manu capta), wie eben dort [Institutiones, D.S.] hinzugefügt wird. Woraus folgt, dass auch diese Sklaverei zum Wohl der Sklaven selbst eingeführt wurde, weil eine dauerhafte Knechtschaft für sie das geringere Übel ist als der Verlust des Lebens.“⁶⁴⁰ Pol. I 6, 1255a Pol. I 6, 1255a DIEI II 32, 236: „Dicti etiam sunt mancipia, quasi ab hostibus manu capta, ut ibidem subiungitur. Quo fit, ut haec etiam servitus in bonum ipsorum servorum introducta sit, quatenus perpetua servitus minus malum illis est, quam privari vita.“
178
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Norbert Brieskorn wirft Molina vor, nicht ausreichend zu begründen, warum ein gewaltsamer Tod schlimmer sei als lebenslange Sklaverei. Allein mit dem Hinweis, die Sklaverei sei lebensschonender als eine Tötung, könne Molina die Sklaverei nicht legitimieren.⁶⁴¹ Da nach Molina das dominium über das Leben der Menschen allein bei Gott liegt, scheint es grundsätzlich problematisch, wie die Tötung der Feinde im Krieg zu rechtfertigen sei. Wenn aber berücksichtigt wird, dass nach Molina der Herr das Seelenheil seines Sklaven nicht gefährden darf und ihm weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen darf,⁶⁴² dann ist ein Leben in Sklaverei, durch das weder Gottes dominium über das menschliche Leben verletzt noch das Leben des Sklaven beendet wird, in der Tat besser und theorieimmanent konsequenter als die Tötung der besiegten Feinde. Die theologische Perspektive der Beurteilung der Sklaverei tritt bereits bei Thomas von Aquin hervor, demgemäß die Sklaverei, in der ein Mensch einen anderen Menschen als Werkzeug für seinen Nutzen gebraucht, eine ungerechte Einrichtung ist, die vor dem Sündenfall nicht existierte und postlapsal nicht gerecht sein könne, da sie auf einer Ungleichheit beruhe, die erst im Zustand der Gnade überwunden werden könne (wie Herrschaft für Thomas allgemein).⁶⁴³ Doch steht für Thomas dennoch außer Frage, dass einige Menschen ihr Leben als Sklaven zu verbringen haben. Die Versklavung der indigenen Bevölkerung durch die Europäer kann allerdings nicht darauf zurückgeführt werden, dass ein gerechter Krieg geschehen war, nach dem die Sieger die Besiegten versklaven durften, wenngleich die Europäer den grausamen Umgang mit der indigenen Bevölkerung freilich auf diese Weise rechtfertigten. Ebenso scheint es fraglich, wie die indigene Bevölkerung als manu capta („von den Feinden [!] gewissermaßen mit der Hand fortgenommen“)⁶⁴⁴ legitimerweise versklavt werden konnte. Die Rechtfertigung der Versklavung der lateinamerikanischen Urvölker war daher Gegenstand vieler Debatten der Autoren der Schule von Salamanca. Francisco de Vitoria diskutiert in seinen im Jahre 1539 an der Universität von Salamanca gehaltenen Vorlesungen De Indis recenter inventis et de iure belli Hispanorum in barbaros, ob die barbari, das heißt die indigene Bevölkerung Südamerikas, vor dem Eintreffen der Spanier in Amerika Eigentum hatten und ob es unter ihnen Fürsten gab, die über die Bevölkerung herrschten. Vitoria setzt sich also mit der Frage nach einem dominium proprietatis und dominium iurisdictionis der indigenen Bevölkerung auseinander und zielt damit direkt auf die Frage nach der Legitimität der Herrschaft der spanischen Besetzer über die Einwohner Südamerikas ab,⁶⁴⁵ zugleich fragt er dabei
cf. Brieskorn (2000a, 91) Dies wird in Kapitel 5.6 genauer erläutert. cf. Flüeler (1991, 287) DIEI II 32, 236: „Dicti etiam sunt mancipia, quasi ab hostibus manu capta, ut ibidem subiungitur.“ Vitoria vertrat diese kritische Haltung gegenüber der Eroberung der sogenannten ,Neuen Welt‘ durch die Spanier nicht allein. Der Umgang der Spanier mit der indigenen Bevölkerung wurde von
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios
179
auch nach der Legitimität der Versklavung der Indios durch die Spanier. Vitoria gelangt schließlich zu dem Ergebnis, dass die Einwohner Amerikas „im friedlichen Besitz der öffentlichen und privaten Sachen waren. Daher müsse man sie bis zum Beweis des Gegenteils als Herren ansehen, und sie dürften unter diesen Voraussetzungen nicht in ihrem Besitz gestört werden.“⁶⁴⁶ Auch wenn den Menschen das Eigentum ursprünglich durch Gott gegeben wurde und die indigene Bevölkerung vor der Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Kontinent nicht der christlichen Glaubensgemeinschaft angehörte, so seien sie dennoch rechtmäßige Herren über ihr Eigentum. Vitoria betont mit Thomas von Aquin ausdrücklich, Unglaube dürfe kein Hindernis dafür sein, dass jemand wahrer Herr sein könne, und bekräftigt seine These durch einige Beispiele aus der Bibel: Zum Beispiel befahl Tobias, einen von den Heiden gestohlenen Ziegenbock zurückzubringen, da er eine gestohlene Sache sei. Dies sei, so Vitoria, nur möglich gewesen, weil die Heiden Eigentum gehabt hätten.⁶⁴⁷ Vitoria kommt also zu dem Schluss, dass die amerikanischen Ureinwohner als Herren über Eigentum nicht hätten versklavt werden dürfen. Auch wenn das Eigentum ursprünglich von Gott gegeben wurde, sei die Frage nach dem Glauben oder Unglauben des Eigentümers für den rechtmäßigen Umgang mit dem Eigentum im Grunde nicht relevant, so Vitoria weiter: „Die Eigentumsrechte (dominia) entstehen entweder aus dem Naturrecht oder aus dem menschlichen Recht; sie werden daher durch mangelnden Glauben nicht verloren.“⁶⁴⁸ Hinter dieser Argumentation dürfte die bereits zitierte berühmte Passage aus dem Brief des Paulus an die Römer stehen, wonach den Heiden die lex naturalis „in die Herzen eingeschrieben ist“, unabhängig davon, ob sie Gottes Botschaft kennen oder den christlichen Glauben annehmen. Molina hatte das dominium der Menschen unter anderem mit der Ebenbildlichkeit zu Gott begründet: Der Mensch, als Gottes Bild und Gleichnis (Imago Dei) geschaffen und daher mit Vernunft und freiem Willen ausgestattet, gründet seine Fähigkeit, dominium zu haben, in seiner vernunftbegabten Natur. Im Hinblick auf das Eigentum der indigenen Bevölkerung scheint sich folgende These aus den Argumentationen Vitorias und Molinas herauszubilden: Verknüpft man Vitorias Begründung, es sei
Zeitgenossen zum Anlass genommen, die „imperialen Ansprüche“ Spaniens kritisch zu prüfen, was so bislang bei keiner anderen Imperialmacht geschehen war. cf. Tellkamp (2011, 148) De Indis 28−29: „[…] illi erant in pacifica possessione rerum, et publice et privatim. Ergo omnino, nisi contrarium constet habendi sunt pro dominis, neque, indicta causa, possessione deturbandi.“ De Indis 34: „Respondeo per propositiones: Prima: Infidelitas non est impedimentum, quominus aliquis sit verus dominus. Haec conclusion est S. Thomae (Secunda Secundae, qu. 10, art. 12). […] Item Tobias iubebat reddi haedum a Gentilibus captum tamquam furtivum (Tob. 2,9); quod non esset, si Gentiles non haberent dominium.“ Selbst wenn man Gott hassen würde, was eine schwere Sünde darstellt, verliere man sein Eigentum nicht. De Indis 34: „Item quia gravius peccatum est odium Die quam infidelitas; sed per odium, etc.“ De Indis 34: „sed dominia sunt vel de iure naturali aut humano; ergo tolluntur dominia per defectum fidei.“
180
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
unrecht, die Einwohner Amerikas zu versklaven, da sie Eigentum hatten, welches ihnen durch das Naturrecht zustünde, und Molinas Argumentation, dominium käme den Menschen aufgrund ihrer Ebenbildlichkeit zu Gott und der daraus resultierenden vernunftbegabten Natur zu, gelangt man zu den Schlüssen, dass jeder Mensch – auch ein Nicht-Christ – ein Recht auf Eigentum habe und dass die indigene Bevölkerung als vernunftbegabte Menschen und Eigentümer anzuerkennen seien, da auch sie Ebenbilder Gottes sind. Dass Molina hier also mit Vitoria übereinstimmt, lässt sich schließlich mit einem Passus aus dem fünften Traktat von De Iustitia et Iure belegen, in dem Molina betont, dass die Ungläubigen durch nichts daran gehindert werden dürften, als Herren über ihren eigenen Besitz zu verfügen. Eigentum und Herrschaft kämen allen Menschen zu und seien nicht abhängig von Glauben oder Barmherzigkeit, sondern erhielten ihre Rechtmäßigkeit aus der Natur der Sache (ex natura rei).⁶⁴⁹ Doch darf hier nicht angenommen werden, dass die Autoren der Schule von Salamanca die indigene Bevölkerung als den europäischen Christen gleichwertig oder gar gleichberechtigt anerkannten, denn wie Molina im zweiten Traktat in der Disputation 105 mit dem Titel De aliis iusti belli causis betont, hätten die Christen ein Recht darauf, das Evangelium zu verkünden und Missionare zu den Ungläubigen zu schicken. Zwar sei es den Christen nicht erlaubt, die Ungläubigen zur Annahme des christlichen Glaubens zu zwingen, aber die Missionare dürften keineswegs von den Ungläubigen daran gehindert werden, das Evangelium zu verkünden und selbst der Botschaft Gottes zu folgen. Wenn irgendwelche Ungläubigen oder sogar deren Könige den Missionaren diesbezüglich Hindernisse in den Weg legten, stelle dies die Legitimation für einen gerechten Krieg dar, bei dem sich die Geistlichen sogar militärische Hilfe von Seiten der weltlichen Herrscher des orbis christianus holen dürften.⁶⁵⁰ Aus der Argumentation der Theologen der Schule von Salamanca gegen die Versklavung der indigenen Bevölkerung lassen sich also keine Menschenrechte herausdeuten, nach denen die Menschen gleichwertig und gleichberechtigt unabhängig von Geschlecht, sozialem Rang, Rasse oder eben Religion wären. Doch dass Eigentum und Herrschaft (dominium) den Menschen ex natura rei zukommen, womit Molina an dieser Stelle explizit auch die indigene ‚ungläubige‘ Bevölkerung Amerikas miteinschließt, lässt erste Grundsteine für das Fundament erkennen, auf dem im Laufe der Geschichte schließlich die Idee der Menschenrechte erbaut werden sollte. Dass die ‚Barbaren‘ über Vernunft verfügen ‒ obwohl ihre Sitten und Bräuche den Europäern zum Teil grausam oder kurios erschienen ‒ wird für Vitoria dadurch bewiesen, „daß sie eine gewisse Ordnung in ihren Angelegenheiten haben. Sie bilden Völkerschaften, in denen Ordnung herrscht […]“ und haben soziale und juristische Institutionen wie Ehe, Gerichte, Gesetze u.s.w., „was alles den Gebrauch der Vernunft DIEI V 72, 1873: „Et enim dominia iurisdictionis et proprietatis toti generi humano sunt communia, eorumque fundamentum neque est fides neque caritas, sed mediate vel immediate oriuntur ex ipsismet naturis rerum, primaque ipsarum constitutione, dissoluta natura per peccatum, factaque ea de causa rerum divisione, ut explicatum est.“ cf. DIEI II 105, 429
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios
181
voraussetzt.“⁶⁵¹ Vitoria argumentiert schließlich dafür, dass man die indigene Bevölkerung nicht rücksichtslos als rechtslose Individuen behandeln dürfe, und bezieht im Hinblick auf die Enteignung durch die europäischen Christen eindeutig Position: „Nach alledem komme ich zu dem Schluß: Barbaren sind weder wegen ihrer Todsünden, noch wegen der Sünde des Unglaubens gehindert wahre Eigentümer und Herren in öffentlicher und privater Hinsicht zu sein. Aus diesem Grunde können ihr Eigentum und ihre Gebiete nicht von den Christen beschlagnahmt und in Besitz genommen werden.“⁶⁵² Auch Molina lehnt unter Bezugnahme auf Vitorias De Indis die Unterwerfung von ‚barbarischen‘ Völkern entschieden ab. Es könnten keine zutreffenden Gründe gefunden werden für die Versklavung, Enteignung und Unterwerfung der „Brasilianer und allen anderen Einwohnern der Neuen Welt – nicht einmal der Äthiopier – […].“⁶⁵³ Mit Äthiopiern meint Molina grundsätzlich alle Afrikaner. In der Heiligen Schrift werden Afrikaner im Alten Testament als ‚Äthiopier‘ bezeichnet, hergeleitet vom griechischen ‚aithiops‘, das ‚Menschen mit von der Sonne verbrannten Gesichtern‘ bedeutet. Wenn im folgenden Kapitel Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel erläutert wird, relativiert sich allerdings der Eindruck deutlich, Molina sei den afrikanischen Sklaven gleichermaßen zugewandt wie den lateinamerikanischen Sklaven. Vitoria, der vor allem aufgrund seiner Werke De Indis und De iure belli (1539) als Begründer des Völkerrechts bezeichnet wird,⁶⁵⁴ argumentiert im Anschluss an seine Rechtfertigung der Illegitimität der Versklavung der Indios für eine internationale Gemeinschaft, die die christliche Gemeinschaft als maßgebend ablösen sollte. Innerhalb dieser internationalen Gemeinschaft soll es keine rassische oder religiöse
De Indis 44: „Patet, quia, habent ordinem aliquem in suis rebus, postquam habent civitates, quae ordine, constant, et habent matrimonia distincta, magistratus, dominus, leges, opifica, comnutationes, quae omnia requirunt usum rationis; […].“ De Indis 38−39: „Ex omnibus his sequitur conclusio: quod barbari, nec propter peccata alia mortalia nec propter peccatum imfidelitatis, impediuntur quin sint very domini, tam publive quam privatim, nec hoc titulo possunt a Christianis occupari bona et terrae illorum, (…).“ (Hervorhebung im Original) DIEI II, 105, 430: „Non est etiam quod disquiramus, an iusta causa sit ad bello subiiciendam nationem aliquam, quod barbara ea sit ac rudis, aptiorque ut ab aliis regatur, bonisque moribus imbuatur, quam ut seipsam regat. Esto non defuerint, qui eam affuerint sufficientem esse rationem ut Brasiliensis omnes, caeterique; habitatores novi orbis, nec non Aethyopes, in servitutem possent redigi, consequenter, tanquam mancipia, quae quicquid acquirunt, domino acquirunt, private terries suis, bonisque aliis, omnibus excludi.“ Ob Vitoria oder doch Hugo Grotius (1583−1645) als Begründer des Völkerrechts anzusehen sind, wird immer noch kontrovers diskutiert. Cf. hierzu Kadelbach (2011, 289 – 321) und Thumfahrt (2012, 15−17). Thumfart weist daraufhin, dass Vitoria in Spanien sogar als einer der geistigen Väter der UNO gewürdigt wird. Dagegen steht Anthony Anghies Vorwurf gegenüber Vitoria, dessen Konzept des „ius gentium naturalizes and legitimates a system of commerce of Spanish penetration.“ Anghie (2004, 21)
182
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Diskriminierung geben.⁶⁵⁵ Dem Völkerrecht der internationalen Gemeinschaft läge das Naturrecht zugrunde, von dem es auch abgeleitet werde. Für die Conquista, das heißt die Entdeckung bzw. Eroberung Amerikas durch die Europäer, stellt Vitoria in De Indis folgende Rechtstitel auf, die den gerechten Krieg gegen die Indianer legitimieren:⁶⁵⁶ 1. Natürliche Kommunikation und Güteraustausch durch Handel. 2. Ausbreitung des christlichen Glaubens. 3. Durch Kaziken⁶⁵⁷ erzwungene Rückkehr der Indios zur Idolatrie. 4. Der von Kaziken vereitelte Wunsch der Indios, von den spanischen Königen regiert zu werden. 5. Interethnische Kriege, bei denen eine Partei die Spanier zu Hilfe ruft. Folgende Rechtstitel kennzeichnet Vitoria als illegitim und verbannt sie daher aus dem Völkerrecht:⁶⁵⁸ 1. Der Kaiser sei der Herr der Welt. 2. Der Papst sei nicht nur geistlicher, sondern auch weltlicher Herr der Welt. 3. Die Spanier hätten ein Kriegsrecht für Entdeckungen. 4. Den Heiden könne der Glaube gewaltsam beigebracht werden. 5. Die Sünden gegen das Naturrecht könnten militärisch unterdrückt werden. 6. Die Kolonien seien ein mit Kriegsrecht zu sicherndes Geschenk Gottes. Wenngleich Vitoria den politischen und christlichen Kolonialbestrebungen zwar verbunden bleibt, so stellen diese Titel bzw. ihre Elimination aus dem Völkerrecht doch einen bemerkenswerten Fortschritt in Richtung auf ein modernes Völkerrecht dar. Auffällig ist dabei die Zurückweisung globaler Herrschaftsansprüche sowohl vonseiten eines weltlichen Herrschers als auch des Oberhauptes der katholischen Kirche sowie die Ablehnung von Gewalt gegenüber der indigenen Bevölkerung. Vielmehr scheint das Wirken der Europäer von Vitoria als frühe Form einer humanitären Intervention in religiöser, politischer und ökonomischer Hinsicht begriffen zu werden, so dass die Europäer mit dem christlichen Glauben, dem Handel und der Regierung durch den spanischen König der indigenen Bevölkerung ökonomischen Aufschwung, die Aussicht auf das Seelenheil und Frieden untereinander bringen würden. Dennoch zählt unter anderem Frank Costello Vitoria neben Alonso de la Vera Cruz und Bartolomé de Las Casas zu einem der unermüdlichen Kämpfer für die Rechte der Indios.⁶⁵⁹ Da letztere als Missionare in Lateinamerika arbeiteten und Zeugen des
cf. Suess (1987, 306) cf. De Indis Sectio Tertia „Kaziken“ ist eine Bezeichnung der Spanier für verschiedene indigene Autoritäten. cf. De Indis Sectio Secunda Costello (1974, 171): „From 1500 to 1570 the Indians had tireless protectors in at least three outstanding champions of their rights: Bartolomé Las Casas, Francisco de Vitoria, and Alonso de la Vera Cruz.“
5.2 Die Schule von Salamanca zur Versklavung der Indios
183
grausamen Umgangs der europäischen Siedler mit der indigenen Bevölkerung waren, sind ihre Schriften zugleich Zeugnisse der praktischen Realität. Las Casas setzte sich auf der bereits genannten Disputation von Valladolid gegen Sepúlveda im Jahre 1550 für die Rechte der Indios ein, deren Ergebnis allerdings offen blieb. Wie bereits angedeutet, spielten hier die naturrechtliche Argumentation, die Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott sowie Aristotelesʼ Konzeption des Sklaven von Natur eine große Rolle. Befürworter der Versklavung der indigenen Bevölkerung Südamerikas, allen voran der spanische Dominikaner Juan Ginés de Sepúlveda, waren der Ansicht, die Indios wären Sklaven von Natur aus, da sie aufgrund ihrer geistigen Unterlegenheit und ihrer verrohten Kultur, der man auch Anthropophagie nachsagte, nicht in der Lage seien, eigenständig ein zivilisiertes Leben in einer friedlichen Gemeinschaft zu führen. Für Sepúlveda war die angeblich mangelnde Rationalität der Indios sogar ein gerechter Kriegsgrund.⁶⁶⁰ Im Anschluss an die aristotelische Konstruktion der Sklaven von Natur seien nach Sepúlveda die Indios auf die Führung durch die Eroberer angewiesen.⁶⁶¹ Las Casas hingegen verurteilte die brutale Behandlung der Einheimischen durch das Encomienda-System, das 1503 von Isabella I. von Kastilien eingeführt wurde und den spanischen Siedlern treuhänderisch große Landgüter, inklusive der dort lebenden indigenen Bevölkerung, übertragen hatte. Zwar hatte Isabella bereits in einer Cédula Real vom 20. Dezember 1503 angeordnet, dass die Indios den spanischen christlichen Herren auf den Repartimientos, wie die Encomiendas anfangs genannt wurden, gegen einen Tageslohn zu dienen und als freie Personen gut behandelt werden sollten und nicht wie leibeigene Knechte anzusehen seien, doch handelte es sich bei der Arbeit der Indios auf den Encomiendas de facto um bezahlte Zwangsarbeit, die neben Versklavung und Besteuerung in absurdem Ausmaß eine der drei Elemente kolonialer Ausbeutung der Indios darstellte.⁶⁶² Die Indios mussten in den Minen und auf den Plantagen so hart arbeiten, dass es zu einem drastischen Schwund der indigenen Bevölkerung kam, der durch die eingeschleppten Krankheiten der Europäer noch verstärkt wurde. Bekanntermaßen war die Versklavung und Verschiffung von insgesamt mehr als 15 Millionen Afrikanern auf den amerikanischen Kontinent die grauenhafte Folge des aufgrund des Genozids an den Indios wachsenden Arbeitskräftemangels. Die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und der brutale Umgang der europäischen Siedler waren für Las Casas Anlass, sich für die Rechte der Indios und ihre
cf. Suess, (1987, 308) Sepúlveda hatte Aristoteles Politik in die lateinische Sprache übersetzt. Bereits 1265 hatte Wilhelm von Moerbeke die Politik 1265 erstmals vollständig ins Latein übersetzt, auf deren Grundlage dann auch Thomas von Aquin, der keine Kenntnisse der griechischen Sprache besaß, neben Albertus Magnus einen der frühesten Kommentare der aristotelischen Politik auf Latein vorlegte: Thomas von Aquin, Kommentar zur Politik des Aristoteles, Buch I. Übersetzt und eingeleitet von Anselm Spindler. Freiburg: Herder, 2015. cf. Suess (1987, 295)
184
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Anerkennung als Menschen und Wesen von Gottes Schöpfung einzusetzen. Las Casas argumentierte unter Berufung auf das Naturrecht gegen die Versklavung der amerikanischen Einwohner, die wie alle Menschen als freigeboren anzuerkennen seien. Gegen die aristotelische Konzeption der Sklaven von Natur aus, auf die sich Sepúlveda berufen hatte, führte Las Casas das Vernunftvermögen der indigenen Bevölkerung an, durch das sie zum christlichen Glauben zu führen sei, dies jedoch ohne Gewalt. Auf Sepúlvedas Einwand, dies sei durch den Kannibalismus der Indios und ihres Götzenkultes unmöglich, erwiderte Las Casas, dass auch den Indios nicht abgesprochen werden könne, wie alle Menschen Ebenbilder Gottes zu sein. Seine theoretische Argumentation⁶⁶³ schmückte Las Casas durch persönliche Erlebnisse mit der indigenen Bevölkerung während seiner Zeit als Bischof in den spanischen Kolonien Südamerikas aus, bei denen er die Indios als vernünftige Menschen mit einer eigenen Kultur erlebt hätte. Obwohl die Disputatio von Valladolid zu keinem Ergebnis in Bezug auf die Frage nach dem rechtmäßigen Umgang der spanischen Besetzer mit der indigenen Bevölkerung Südamerikas gelangte, wird Las Casas bis heute als Verteidiger der Rechte der Indios angesehen und gilt als frühester Ankläger des Völkermordes an der indigenen Bevölkerung durch die europäischen Besetzer. Doch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Wirken Las Casasʼ stets durch das religiöse und kulturelle Anliegen der Spanier bestimmt war und er die Rechte der Indios mit den Zielen der kolonialen Politik der iberischen Staaten und der Kirche zu vereinen suchte. Dabei setze er sich für die Gerechtigkeit der Indios niemals in einer Form ein, die dem Anliegen der spanischen Könige entgegenwirkte, deren Autorität er nie infrage stellte.⁶⁶⁴ Nachdem Las Casas sich klar gegen eine Versklavung der Indios aussprach und sich auch für deren Befreiung einsetzte, gestand er einigen Herren der Indio-Sklaven zu, sich nach deren Freilassung Sklaven aus Afrika zu beschaffen. Dies brachte Las Casas den Vorwurf ein, den transatlantischen Sklavenhandel befördert zu haben, wogegen er sich aber später zur Wehr setzte und schließlich, wenn auch nicht von Beginn an, den afrikanischen Sklaven die gleichen Rechte wie den Indios zusprach und den Handel mit afrikanischen Sklaven als Sünde bezeichnete. Damit seien einige wichtige Pfeiler der Diskussionen der Schule von Salamanca um den anthropologischen und rechtlichen Status der indigenen Bevölkerung vorgestellt, ohne den Anspruch zu erheben, alle wichtigen Stimmen berücksichtigt zu haben. Um
Nach der Disputatio von Valladolid veröffentlichte Las Casas seine Argumentation in der Schrift Aqui se contiene una disputa. Sevilla: Trugillo, 1552. Hierzu kritisch Suess (1987, 292): „Aber auch Las Casas, der das aufgeklärteste Gewissen dieses Kampfes repräsentieren wird, hat nie die Autorität der spanischen Könige in Frage gestellt, die er häufig anrief, um für die Indios unerträgliche Verhältnisse zu sanieren. Las Casas war ein sehr kritischer, jedoch systemimmanenter Missionsstratege, der heute nicht ohne weiteres als ‚Befreiungstheologe‘ abgerufen werden sollte. Dazu stand er doch seiner eigenen religiös-kulturellen Abkunft und seinem missionskolonialen Paternalismus nicht kritisch genug gegenüber.“
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel
185
den Rahmen der Arbeit aber zu wahren, genügt es, das Argumentationssprektrum darzulegen, wenngleich dabei bedeutsame Verteidiger und Fürsprecher der Indios, wie zum Beispiel der portugiesische Jesuit und Mitbegründer São Paulos, Rio de Janeiros und Salvador da Bahias Manuel da Nobrega (1517– 1570), hier nicht vorgestellt wurden. Im Folgenden sollen die grausamen praktischen Konsequenzen beleuchtet werden, die sich ergeben, wenn Menschen von anderen Menschen als Sklaven angesehen werden, wie Molina in seiner empirischen Untersuchung des Sklavenhandels der Portugiesen mit westafrikanischen Sklaven besonders anschaulich präsentiert.
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel Molina beginnt seine Untersuchung der Sklaverei mit der Frage, ob ein Mensch Eigentum eines anderen Menschen sein könne.⁶⁶⁵ Insbesondere widmet er dem Sklavenhandel, das heißt dem (rechtmäßigen) Kauf und Verkauf von Sklaven, große Aufmerksamkeit. Dies findet seine Begründung im regen Handel der Portugiesen nach Mittel- und Südamerika mit afrikanischen Sklaven, aber auch im Umgang der europäischen Siedler mit den Indios⁶⁶⁶ in Lateinamerika. Wie kaum ein anderer zuvor hat sich Luis de Molina mit dem Sklavenhandel von Afrika nach Europa und zum amerikanischen Kontinent auseinandergesetzt. Molinas Ausführungen bezeugen eine bislang nicht gekannte Detailkenntnis, die er unter anderem auch aus Berichten von und Gesprächen mit den portugiesischen Sklavenhändlern gewonnen hat, die Sklaven per Schiff vor allem von der westafrikanischen Küste nach Portugal brachten. Dabei bezieht er seine Informationen aus eigenen sorgfältigen Nachforschungen.⁶⁶⁷ Aus diesem Grund kann Molinas Untersuchung zum Sklavenhandel als empirische For DIEI II 32: De Mancipiis, et primo, utrum unus homo in alium comparare possit dominium proprietatis. (Hervorhebung im Original) Die ursprünglichen Einwohner Lateinamerikas als indigene Bevölkerung oder Indios zu bezeichnen, birgt die Problematik in sich, den Irrglauben des Christoph Kolumbus zu übernehmen, es handle sich bei dem amerikanischen Kontinent um Indien. Durch die Verwendung jeglicher Bezeichnung der ursprünglichen Bevölkerung mit dem Präfix indi setze ich mich also der Kritik aus, die Dominanz der Kolonialmacht zu befürworten. Diesen Eindruck möchte ich keineswegs erwecken. Ich verwende die Bezeichnungen mit dem Präfix indi aus der Hilflosigkeit heraus, dass es keinen politisch korrekten Ausdruck im Deutschen für die ursprünglichen Bewohner Lateinamerikas gibt. Auch der Begriff Lateinamerika umfasst je nach Definition auch amerikanische Länder über den spanisch- und portugiesischen Sprachraum hinaus und ist somit ebenso nicht eindeutig zu verwenden. Im spanischsprachigen Raum werden sie als los origenes bezeichnet. Der deutschen Übersetzung als Ureinwohner haftet wiederum der Charakter einer Unterstellung der Rückständigkeit an. Da ich mir all dieser Probleme bewusst bin, jedoch keine Ideologie welcher Form auch immer zu bedienen beabsichtige, verwende ich die Bezeichungen ‚indigene Bevölkerung‘ und ‚Indios‘, verbunden mit der Bitte um Nachsicht, da es meines Erachtens keine neutrale Bezeichnung gibt. Zum Beispiel DIEI II 34, 250: „Facta autem diligenti inquisitione dicam paucis, quod de hac re comperire potui.“
186
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
schung bezeichnet werden. Er selbst hatte die unzureichende Informationslage vor allem in Bezug auf den Handel mit Sklaven beklagt⁶⁶⁸ und daher gründliche Forschungen betrieben über die „schmutzigen Quellen der Sklaven“,⁶⁶⁹ das heißt über die Umstände, unter denen die Sklaven in Afrika und auch in Asien in Sklaverei geraten und wie sie von den Sklavenhändlern behandelt werden. Präzise hat er die Bedingungen und Umstände untersucht, unter denen die Händler an ihre Sklaven kamen und auf welche Weise sie diese an die portugiesischen Händler verkauften. Molina bezieht in seine Überlegungen ein, welche Rolle im Sklavenhandel den Königen der verschiedenen Reiche, deren Beratern und Beichtvätern, und den Bischöfen, die eine entscheidende Rolle im Handel mit afrikanischen Sklaven gespielt haben, insbesondere die Bischöfe von Kap Verde und São Tomé, zukommt. Außerdem gibt er Hinweise, wie sich Sklavenbesitzer zu verhalten haben, wenn sie Zweifel hegen, ob der von ihnen gekaufte Sklave rechtmäßig versklavt wurde. Zwar gab es keine strafrechtlichen Konsequenzen, wenn jemand guten Glaubens einen Sklaven gekauft hat und sich herausgestellt hätte, dass der Sklave zu Unrecht in die Sklaverei geraten war. Doch stand bei einem Verstoß gegen die rechtmäßige Sklaverei das Seelenheil der Sklavenhändler und Sklavenbesitzer auf dem Spiel, sodass dies nicht nur ein Unrecht gegen die Gerechtigkeit, sondern auch gegen die Nächstenliebe bis hin zu einer Todsünde darstellen würde. Molina betont dies in den Disputationen 32−36 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure und appeliert damit an das Gewissen der weltlichen und geistlichen Obrigkeiten, die Grausamkeiten im Zuge des Sklavenhandels nicht unberücksichtigt geschehen zu lassen. Die Disputationen 34−36 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure handeln ausführlich vom Handel der Portugiesen mit afrikanischen Sklaven aus São Tomé und vom Kap Verde. Einige spannende Beobachtungen aus Molinas Nachforschungen zum Sklavenhandel in Afrika und Asien⁶⁷⁰ werden am Ende dieses Kapitels noch ausführlicher dargestellt. Nach der Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Kolumbus wurde nicht nur die Berechtigung der Versklavung der indigenen amerikanischen Bevölkerung diskutiert, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben. Auch die Rechtfertigung und der Umgang mit afrikanischen Sklaven rückten in die Kritik. Obwohl Molina an einigen Aspekten des Sklavenhandels heftig Kritik übte, zum Beispiel am Umgang der Händler mit den Sklaven, am sich entwickelnden Finanzsystem oder an der mangelnden kritischen Nachfrage der Beichtväter bezüglich des Sklavenankaufes, so stand er dennoch der Sklaverei als Institution nicht ablehnend gegenüber.⁶⁷¹ Als bedeutender Wirtschaftsethiker⁶⁷² der spanischen Scholastik diskutiert
Brieskorn (2000a, 95) DIEI II 36, 289: „Diximus de coenoso fonte mancipiorum, quae ex utraque Guinea et Cafreria asportantur.“ cf. DIEI II 34, 263−266 Dennoch wurde Molina unter anderem von Alexander von Humboldt eine direkte oder indirekte Mitwirkung zur Abschaffung der Sklaverei oder zumindest eine kritische Einstellung gegenüber der Institution der Sklaverei zugesprochen, wie Matthias Kaufmann (2014, 222) bemerkt.
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel
187
Molina in seiner Untersuchung des Sklavenhandels oft den angemessenen Preis für Sklaven in verschiedenen Regionen. Vor allem bei der Auseinandersetzung mit dem Preis für Sklaven wird deutlich, dass Molina an portugiesischen Häfen unter den Sklavenhändlern empirisch geforscht haben muss. Seine Kenntnisse über die grausamen Umstände, unter denen die Afrikaner ihre Landsleute versklavten und über die in Afrika lebenden Portugiesen, die die Sklaven von den Afrikanern kauften und sie in den Häfen an portugiesische Seefahrer verkauften, gewinnt Molina nach eigenen Angaben aus Gesprächen mit den heimkommenden portugiesischen Händlern. Molina beginnt seine Betrachtungen zur Sklaverei in Südamerika und Afrika mit einer caritativen Überlegung. Er diskutiert die Frage, ob jemand, der gegen einen Preis Menschen gekauft hat, „die bei den Äthiopiern oder Brasilianern von ihren eigenen Leuten getötet und vielleicht gegessen werden sollen, jedoch vom Tod errettet werden, wenn man eine Belohnung oder einen gewissen Preis für sie anbietet“,⁶⁷³ die von ihm zum Schutze ihres Lebens von ihren Peinigern Freigekauften zu seinen Sklaven machen dürfe. Zunächst lenkt Molina die Aufmerksamkeit auf den Fall, dass die Geretteten als Gefangene in einem gerechten Krieg oder als Verbrecher mit dem Tode bestraft werden sollten. Dann nämlich wäre es nicht nur erlaubt, die vom Tod Freigekauften zu versklaven, sondern es wäre ein Akt der Nächstenliebe: „Aber es ist nicht nur billig, sondern auch ein frommes Werk und liebenswert, jemanden, der elendig sterben soll, durch die Entrichtung des Preises zu erlösen und seinen Tod in Sklaverei umzuwandeln.“⁶⁷⁴ Dabei gelte es zu beachten, dass der Preis für die Geretteten nicht zu gering ausfallen dürfe, sonst werde „eine Ungerechtigkeit begangen.“⁶⁷⁵ Doch Molina belässt es nicht bei diesem idealisierten Bild des Sklavenhandels, durch den Ungläubige von christlichen Sklavenhaltern vor dem Tod durch ihre eigenen Landsleute bewahrt würden. Komplexer werden die Regelungen, wenn der Gekaufte in seinem Land zu Unrecht durch die Tötung bestraft werden soll. Dann habe der Käufer drei Regeln zu befolgen: 1. Nach dem Gesetz der Nächstenliebe besteht die Pflicht, den zu Unrecht zum Tode Verurteilten zu befreien, gegen einen Kaufpreis, „mit Gewalt, oder aus einem anderen Grund kostenlos ohne eigenen Schaden.“⁶⁷⁶ Wird der Pflicht, das Leben mitsamt der Freiheit unversehrt zu retten, nicht nachgekommen, stellt dies eine „tödliche Schuld“⁶⁷⁷ dar. Als neueste Publikationen zu Molinas liberaler Ökonomie seien Schüssler (2014) und AlonsoLasheras (2011) erwähnt. DIEI II 33, 245: „qui apud Aethiopes aut Brasilensis sunt interficiendi a suis, et forte comedendi, si tamen merces, vel pretium aliquod pro illis offeratur, a morte vindicantur: […].“ DIEI II 33, 245: „Nec solum aequum est, sed etiam pium et perhumanum, misere periturum hominem solute pretio redimere, mortemque illius cum servitute permutare.“ DIEI II 33, 245: „comparatione vero illorum, qui vitam illam vendiderunt, si pretium esset nimis vile, iniustitia committeretur, […].“ DIEI II 33, 245: „[…] vi, aut alia ratione gratis sine suo detriment, […].“ DIEI II 33, 245: „[…] lege caritatis teneretur sub reatu lethalis culpae id efficere, vitamque una cum libertate in columen illi servare.“
188
2. 3.
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Wenn der so Befreite zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage sein sollte, den Kaufpreis zu erstatten, „dann ist ihm [der Preis] als ein Darlehen zu gewähren.“⁶⁷⁸ Wenn er nicht imstande sein wird, den Preis zu erstatten, und der Preis den üblichen Wert für einen dauerhaften Sklaven nicht erreicht, so darf der vom Tode Befreite nicht dauerhaft zum Sklavendienst verpflichtet werden. Denn der Kauf eines Sklaven, um diesen vor der tödlichen Bedrohung seiner Landsleute zu schützen, soll nicht dazu dienen, dem Käufer aus der Not eines anderen heraus einen überdurchschnittlich günstigen Sklaven zu bescheren. Der so Versklavte soll seinem ‚Retter‘ nur solange dienen, bis er den Kaufpreis oder einen Gewinnausfall beglichen hat.⁶⁷⁹ Der Käufer hatte von den Peinigern nicht das ‚gesamte Recht über das Leben‘ erworben, denn das lag nach wie vor bei dem Befreiten selbst (bzw. streng genommen bei Gott, der allein das dominium über das Leben der Menschen hat), da die Peiniger „es ihm ungerechterweise entreißen wollten“. Somit darf auch nicht der drohende Tod in dauerhafte Sklaverei umgewandelt werden, da ihm „das Leben nicht gerechterweise genommen würde.“⁶⁸⁰ Aus diesem Grund ist er seinem Retter nur die von diesem eingesetzte Summe schuldig.
Aus Gründen der Gerechtigkeit hat der den Sklaven vor dem Tod rettende Käufer nach Molina also ein Recht gegenüber dem von ihm als Sklaven Gekauften, bei dessen Freilassung eine Aufwandsentschädigung bzw. eine Rückzahlung des Kaufpreises einzufordern. Jemanden aus einer solchen Not zu befreien ohne eine Rückerstattung des eigenen Einsatzes zu verlangen, gebiete zwar die Nächstenliebe, so Molina, aber nicht die Gerechtigkeit: […] wenn etwas entgegenstünde, so wäre dies lediglich das Gebot des Almosengebens wodurch wir gehalten sind, dem in extremer oder schwerer Bedürftigkeit Lebenden den Preis, durch den er aus dieser Not herausgebracht wird, umsonst zur Verfügung zu stellen: Da nun das Gebot des Almosengebens nur der Nächstenliebe gemäß verpflichtet und nicht der Gerechtigkeit gemäß: wenngleich jemand, der solch einen Vertrag mit jenem extrem Bedürftigen abschließt, tatsächlich eine Todsünde gegen die Nächstenliebe begeht, so doch nicht gegen die Gerechtigkeit, vielmehr schließt er einen gerechten und gültigen Vertrag ab, womit er jenen als dauerhaften Sklaven erwirbt: […].⁶⁸¹
DIEI II 33, 245: „[…] mutuo esset illi exhibendum.“ DIEI II 33, 245: „[…] vel ut ad tempus serviret, quosusque pretium compensaret, et lucrum cessans, […].“ DIEI II 33, 245: „Cum enim in hoc eventu totum ius vitae huius sit penes ipsum, & nihil penes eos, qui iniuste volunt eam ipsi eripere, sane pro illo pretio non emitur vita, ut mors (quocunque pretio vita comparata) commutari illi iuste posset in perpetuam servitutem, ut in casu, in quo vita iuste foret auferenda, […].“ DIEI II 33, 246: „Tertio, si quid obstaret, esset solum praeceptum de eleemosyna quo ita extreme, aut graviter indigenti pretium, quo ab ea necessitate erueretur gratis impertiri teneremur: cum ergo praeceptum de eleemosyna solum obliget de charitate, et non de iustitia: sane licet, qui ita pacisceretur cum illo extreme indigenti, lethaliter peccaret contra charitatem, non tamen contra iustitiam, quin
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel
189
Ebenso verhält es sich bei einem Sklaven, der aus der eigenen Bedürftigkeit heraus in die Sklaverei gekommen ist. Sobald ein Vertrag zwischen Herrn und Sklaven geschlossen wird, scheint die Gerechtigkeit das maßgebende Prinzip zu sein und die Nächstenliebe in den Hintergrund zu drängen. Doch ist festzuhalten, dass ein Vertrag grundsätzlich zwischen Herrn und Sklaven Geltung hat, das heißt der Sklave wird als Vertragspartner anerkannt, obwohl er zum dominium proprietatis des Herrn gehört, ähnlich wie es nach Aristoteles Freundschaft zwischen Herrn und Sklaven geben kann, insofern der Sklave ein Mensch ist, obwohl aber zwischen ihm als belebtem Werkzeug und dem Herrn keine Gemeinsamkeiten bestehen.⁶⁸² Inwiefern die Nächstenliebe eine Rolle in der Beziehung zwischen Herrn und Sklaven spielen kann, wird in den folgenden Kapiteln immer wieder berücksichtigt werden. Außerdem ist ein Herr dazu verpflichtet, dem Sklaven seine Freiheit und den durch ihn gewonnenen Verdienst zurückzuerstatten, sollte sich herausstellen, dass der Sklave „mit einem ungerechten Titel versklavt worden ist.“⁶⁸³ Hierbei ist zu beachten, dass all diese Regelungen sich nur auf ungläubige Sklaven beziehen: Wenn ein Christ in einer extremen Notsituation ist, so darf ein anderer Christ diesen nicht als Sklaven kaufen, sondern ist verpflichtet, ihm Almosen oder ein Darlehen zu gewähren, damit er die extreme Not überwinden könne.⁶⁸⁴ Molina geht bei all seinen Überlegungen davon aus, dass die Sklaven Ungläubige und die Herren Christen sind, denn eine Versklavung von Christen durch Heiden oder auch durch Juden oder ‚Mohammedaner‘ stellt immer ein Unrecht dar und berechtigt die Christen zu fliehen. Sogar ein nicht-christlicher Sklave eines Juden, Heiden oder Häretikers, der sich in der Sklaverei zum Christen taufen lässt, erlangt dadurch die Freiheit.⁶⁸⁵ Anders verhält es sich, wenn Ungläubige in die
potius iustum, validumque contractum celebraret, quo sibi in servum perpetuum illum compararet: […].“ Cf. Kaufmann (2014, 220): „Even when there can be no friendship or justice, which includes no business between master and slave, it is, nevertheless, possible that the slave qua homo, as a human being, is capable of both. Molina refers to the theory of friendship in the thirteenth chapter of the eighth book of Nicomachean Ethics, where Aristotle explains that a slave in his social role as an animated tool cannot be a friend of his master because there is nothing common between them, but insofar he is a man he might be a friend to his master. Therefore, the master has to keep this contract and is not allowed to take away whatever the slave has gained in this manner.“ DIEI II 35, 289: „Quod si comperiat iniusto titulo fuisse in servitutem redacta, tenetur restituere libertatem mancipiis, si adhuc supersint, idque, in quo ex illorum obsequiis aut quovis alio modo ex illis factus fuerit locupletior iuxta ea, quae disputatione sequenti in simili eventu dicemus.“ DIEI II 35, 273: „In gravi namque necessitate et parentes seipsos et filios, qui in ipsorum sunt potestate, licet vendere. Locutus sum de gravi infidelium necessitate, quoniam, cum servitus sub Christianorum potestate in bonum ipsorum spirituale cedat, caritas est libertatem eorum emere, ut ea occasione Christiani fiant. Quod si Christiani essent, lex caritatis postularet, non solum ut liberi relinquerentur, sed etiam ut mere gratis saepe eis subveniretur, […].“ DIEI II 39, 306 : „Quartus est, si Iudaeus vel paganus vel haereticus servum iam Christianum quocumque titulo possideat. Eo enim ipso servus ille libertatem consequitur nullo persoluto pretio. Quod si possideat servum nondum Christianum et servus ille baptismum suscipere voluerit, eo ipso, quod Christianus fuerit effectus, consequitur similiter libertatem; et esto dominus postea fidem etiam
190
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Sklaverei der Christen geraten und sich taufen lassen. Diese müssen als Sklaven bei ihren christlichen Herren bleiben. Insbesondere die Disputationen 34−36 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure zeugen von Molinas sogenannter empirischer Forschung zum Sklavenhandel. Der Spanier Molina, der die meiste Zeit seines Lebens in Portugal verbrachte, setzt sich dort mit den Gegenden auseinander, aus denen die Portugiesen die Sklaven herbeiholten, und hinterfragt dabei, ob alle diese Sklaven rechtmäßig in die Sklaverei gekommen sind. Kritisch analysiert er, ob die portugiesischen Händler wirklich in Kenntnis darüber sind bzw. nachprüfen, wo die ihnen zugeführten Sklaven herkommen, durch welche Umstände sie in die Sklaverei geraten sind und wie diese Händler sich zu verhalten haben, wenn sie feststellen sollten, dass sie einen Sklaven gekauft haben, der nicht durch einen der legitimen Titel, die im folgenden Kapitel genauer beleuchtet werden, versklavt wurde. Im Folgenden sollen Molinas Ergebnisse kurz zusammengefasst und einige spannende Erkenntnisse aufgeführt werden. Im Jahre 1446 hätten die Portugiesen die Kapverdischen Inseln (eine Inselgruppe im Atlantik vor der afrikanischen Westküste) in unbewohntem Zustand entdeckt, sodass die Inseln gemäß des Okkupationsrechts „nach dem Recht der Völker rechtmäßig in das dominium der Portugiesen übergegangen sind, denn diese waren es, die sie sich zuerst aneigneten.“⁶⁸⁶ Nach dem gleichen Prinzip eigneten sich die Portugiesen 1473 auch die Insel São Tomé im Golf von Guinea an. Außerdem führten die Portugiesen Krieg mit dem Königreich Angola, der aufgrund zahlreicher Ungerechtigkeiten, die der „Barbarenkönig“ von Angola – zuerst Angola Inene, dann dessen Sohn Dambi Angola – den Portugiesen angetan hatte, ein gerechter Krieg war, infolgedessen die gefangen genommenen Feinde zu Recht von den Portugiesen versklavt werden konnten.⁶⁸⁷ Von den Kapverden aus betrieben die Portugiesen Handel mit anderen afrikanischen Ländern im „Oberen Guinea“, das etwa die heutigen westafrikanischen Länder von Senegal bis Liberia umfasst und von São Tomé dann mit Ländern des „Unteren Guinea“, das etwa der heutigen Region der Elfenbeinküste bis Kamerun entspricht. Besonders interessant ist, dass Molina neben einiger Kritik an den „barbarischen Sitten“ der Afrikaner vor allem die in Afrika lebenden Portugiesen
suscipiat, non propterea servus ille amittit suam libertatem. Ita habetur l. Deo nobis, § his ita, Cod. de episcopis et cleris.“ DIEI II 34, 249: „Ad huius rei intelligentiam sciendum est, Lusitanos suis navigationibus anno 1446 reperisse Insulas viridis promontorii, quod antiqui Arsinarium promontorium nuncuparunt. Sunt vero insulae illae numero duodecim, quas quondam Hesperides appellarunt. Earum praecipua Divi Iacobi dicitur, in qua sita est sedes Episcopalis Archiepiscopatui Olyssiponensi suffraganea, et gubernator regis Lusitaniae residet. Has insulas Lusitani vacuas invenerunt easque colere et habitare coeperunt. Quo fit, ut gentium iure Lusitanorum dominio tamquam primo occupantium legitime accesserint.“ DIEI II 34, 257: „Ob commemoratas iniurias aliasque multas a barbaro illo rege nostris illatas non dubitatur bellum illud esse iustum eosque ex hostibus, qui eo bello capiuntur, legitime in servitutem redigi.“
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel
191
scharf kritisiert, die im Oberen Guinea Tangosmaos und im Unteren Guinea Pomberos genannt werden. Diese würden die Sklaven an die Küsten zu den portugiesischen Handelsschiffen schaffen, wobei sie sich gar nicht darum kümmerten, ob diese aufgrund legitimer Titel versklavt wurden, denn sie seien so sehr auf den Gewinn aus, dass sie achtlos alle Sklaven kauften, deren Preis günstig ist und sich dementsprechend auch nicht um einen gerechten Preis bemühten.⁶⁸⁸ Die Tangosmaos und Pomberos würden sich nicht darum kümmern, unter welchen zum Teil grausamen und barbarischen Umständen die Afrikaner von ihren Landsleuten versklavt wurden, da es ihnen „in diesem Geschäft um nichts anderes als um ihren Gewinn und ihren Vorteil“ ginge, wie Molina aus Gesprächen mit den portugiesischen Händlern erfahren haben will, die auf ihren Schiffen solche Sklaven aus Äthiopien in die Heimat⁶⁸⁹ und für die Arbeit in den Gold- und Silberminen und auf den Zuckerplantagen in die „Neue Welt“⁶⁹⁰ brachten. Molina scheint auch erfahren zu haben, dass einige afrikanische Sklaven als Strafe zum Beispiel für den Diebstahl eines Huhnes in die Sklaverei geraten sind.⁶⁹¹ Solche unverhältnismäßigen Strafen würden die afrikanischen Könige sogar gegen ihre eigenen Kinder verhängen.⁶⁹² Auch würden sich die Afrikaner selbst untereinander für „minderwertigste Dinge“, wie Elefantenhaare, Pantherzähne und Ähnliches, das sie sich als Schmuck um den Hals hängen, als Sklaven verkaufen.⁶⁹³ Besonders harte Kritik übt Molina jedoch an den Portugiesen. So seien die Sklaven auf den Schiffen auf viel zu engem Raum zusammengepfercht und würden dort furchtbar misshandelt. Doch vor allem der Umgang der Tangosmaos und Pomberos mit den afrikanischen Sklaven, die sie vom Landesinneren an die Küste zu den
DIEI II 34, 251: „Lusitani nihil omnino curant de titulo, quo ii, qui ipsis in commutationem pro mercibus venduntur, a suis aut ab eorum adversariis in servitutem redacti sint, sed, quotquot illis afferuntur, tot emunt, modo pro pretii quantitate illis placeant. Quin dicunt, nec si de titulo inquirere vellent, quicquam certi possent reperire, idque aegre paterentur Aethiopes, non secus ac inter nos aegre ferret venditor mercis alicuius, si ab emptore interrogaretur de titulo, quo eam comparavit. Denique quantum intelligere potui ex mercatoribus, qui eiusmodi mancipia in Aethiopia emunt eaque inde huc asportant (cum quibus locutus sum quique nihil eorum, quae rettuli, diffitentur), illi nihil aliud curant in hac negotiatione quam suum lucrum […].“ DIEI II 34, 252: „Denique quantum intelligere potui ex mercatoribus, qui eiusmodi mancipia in Aethiopia emunt eaque inde huc asportant (cum quibus locutus sum quique nihil eorum, quae rettuli, diffitentur), illi nihil aliud curant in hac negotiatione quam suum lucrum et commodum;“ DIEI II 34, 261: „Ex regno autem Angolae et ex aliis locis Guineae inferioris asportantur quotannis greges mancipiorum non solum in hoc Lusitaniae regnum, sed etiam in Brasilicam regionem, ubi ad saccharum colendum ac conficiendum necessaria sunt, et in varias alias novi orbis partes tum ad varia alia ministeria, tum praecipue ad auri argentique fodinas.“ Cf. DIEI II 34, 251. DIEI II 34, 251: „Dictumque mihi est regulum quendam ex illis suum proprium filium deprehensum in levi quodam furto in poenam iussisse, ut venderetur Lusitanis in servum.“ DIEI II 35, 276 : „His omnibus accedit Aethiopes ipsos inter se mancipia vendere pro rebus vilissimis illius regionis, quae tamen ab eis aestimantur, ut pro pilis Elephantorum, quae collo ornatus causa appendant, pro dentibus pantherarum, quae similiter collo appendant et pro aliis similibus rebus.“
192
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Schiffen schafften, sei grausam. Dies sei durch folgendes, besonders schreckliches Beispiel veranschaulicht: „Es wird nämlich berichtet, dass man zuweilen einem [von ihnen] einen Arm abschneidet und ihn tot zurücklässt. Mit diesem [Arm] schlage man sie [die anderen Sklaven, die an die Küste gebracht werden sollen] dann wie mit einer Geißel und treibe sie an, so dass sie sich aus Todesfurcht in Bewegung setzen; auch verübe man an ihnen andere Grausamkeiten.“⁶⁹⁴ Bemerkenswert ist hierbei, dass Molina in diesem Zusammenhang vor allem die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten heftig kritisiert: Die Beichtväter in Afrika würden die portugiesischen Sklavenhändler nicht über ihre Machenschaften befragen,⁶⁹⁵ die Regenten der afrikanischen Provinzen und auch der portugiesische König⁶⁹⁶ sollten Gesetze gegen diesen sündhaften Handel erlassen, damit aus dieser „so lange ignorierten Art des Handels“ nicht noch weiteres, schlimmeres Unglück komme und damit das Handelsrecht nicht länger missbraucht werde. Zwar würden die afrikanischen Sklaven durch die portugiesischen Sklavenbesitzer an den christlichen Glauben herangeführt und aus der Barbarei gerettet, doch sei eben der Weg zu den Sklavenbesitzern, nämlich der Sklavenhandel der Portugiesen, moralisch untragbar, denn er beruhe auf schlechten Absichten: Weil man aber das Böse nicht tun darf, damit das Gute geschehe, und weil diejenigen, die jene [Menschen] herbeibringen, nicht deren geistliches, sondern ihr eigenes zeitliches Wohl bezwecken, ist es nicht rechtens, diesen Handel mehr zu billigen, als die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe es zulassen; und ihn [in größerem Ausmaß] zu erlauben wird auch den Bischöfen von Kap Verde und São Tomé, den Beichtvätern oder denen, die das Steuerruder dieses Königreiches [Portugal] halten, nicht erlaubt sein.⁶⁹⁷
DIEI II 35, 286: „Hoc loco nihil de saevitia dicam, qua interdum eiusmodi mancipia tractantur, dum ab illis, quos tangosmaos aut pomberos appellant, ab interioribus locis ad navigia asportantur. Fertur enim praescindi interdum brachium unius mortuumque reliqui, eo vero tamquam flagello alios percuti atque agi, ut mortis timore iter faciant, aliasque saevitias in eo exerceri.“ DIEI II 34, 252−253: „Et de negotiatione ipsa et his titulis neque in episcopo Viridis Promontorii neque in aliis sacerdotibus ibi commorantibus neque etiam in hoc regno ullum video esse scrupulum, sed mercatores et tangosmaos, quos vocant, absolvunt. Neque poenitentes credo his de rebus confiteri ullumve dubium movere in confessoribus neque confessarios quicquam interrogare. Quod si illis in locis vel episcopus vel regius gubernator tangosmaos poena aliqua interdum afficiunt, id solum est, quod intra annum ad confitendum et communicandum non accesserint vel quod cum infideli aliqua concubuerint (quod eo in loco punitur) vel ob aliquem alium excessum, non vero quod negotiationi illi intenderint.“ Zu der von Karl V. veranlassten Disputation von Valladolid, die im vorangegangenen Kapitel erwähnt wurde, äußert sich Molina sehr positiv. DIEI II 35, 267: „Carolus namque quintus, cum dubia oriri coepissent circa mancipia novi orbis, rem exminari fecit, atque ut suae suorumque concientiae consuleret, legem Christiano Imperatore dignam tulit, ut omnes libertate donarentur, nullusque deinceps servituti subiiceretur.“ DIEI II 35, 287: „Quia tamen facienda non sunt mala, ut eveniant bona, iique, qui illos asportant, non spirituale eorum bonum, sed temporale suum quaerunt, non plus negotiationem hanc approbare fas est – nec episcopis Viridis promontorii et insulae Divi Thomae, confessariis aut iis, qui regni huius clavum tenent, eam permittere licebit –, quam iustitia et proximi caritas patiantur.“
5.3 Molinas empirische Forschung zum Sklavenhandel
193
Molina appeliert also an das christliche Gewissen aller Obrigkeiten, die er in der dringenden Verantwortung sieht, den Zustand des Sklavenhandels zu verbessern, nicht zuletzt um ihr eigenes Seelenheil zu retten. Doch fordert Molina nicht bloß Veränderungen, sondern gibt auch Hinweise, wie diese erfolgen könnten. Wenn wirklich fromme Geistliche in diese Gebiete gesendet würden, könnten diese dafür sorgen, dass der Sklavenhandel in einem rechtmäßigen Rahmen verliefe, und zudem könnten die vorbildlichen Geistlichen die Afrikaner viel besser missionieren, als es Molina für den derzeitigen Zeitpunkt anzunehmen scheint.⁶⁹⁸ Und wenn der Sklavenhandel gemäß der Gerechtigkeit und Nächstenliebe gestaltet wäre, dann wäre nicht nur das Gewissen rein, sondern Gott würde die Portugiesen sicher mit den Gütern belohnen, auf die sie in Afrika und Südamerika aus sind. Molina bemüht sich also, bei den Obrigkeiten Aufmerksamkeit für seine Forderung nach einem besser kontrollierten Sklavenhandel zu erlangen, indem er deren Absichten und Ziele hinsichtlich der Eroberungen in seine Argumentation einbaut: Wenn aber geeignete Diener des Evangeliums zu jenen barbarischen Nationen geschickt würden und [diese Nationen] in ihren Gebieten zum Glauben bekehrt würden, dann müssten die Frommen in der Tat vielmehr zur Freiheit dieser elenden Menschen raten und diese Freiheit begünstigen. Und die Versklavung irgendeines jener [elenden Menschen] darf nicht anders als dann erlaubt werden, wenn sonnenklar feststeht, dass sie gerecht ist, zum einen weil die Sache der Freiheit, die ja das frömmste [Anliegen] ist, [das es gibt,] an sich selbst unterstützt werden muss, zum anderen auch, weil dies sehr hilfreich dafür wäre, dass unser Glaube und die christlichen Sitten in jenen Gegenden Verbreitung fänden. Wenn wir uns aber um das, was Gottes ist, kümmerten und uns mit anderen, gerechten Handelsbeziehungen zu jenen Völkerschaften zufrieden
Mit der Empfehlung recht konkreter Schritte zur Verbesserung der Situation der Sklaverei und des Sklavenhandels stellt Molina unter den Autoren der Schule von Salamanca keine Ausnahme dar. So hat zum Beispiel Bartolomé de Las Casas im Jahre 1546 ein Handbuch für Beichtväter der Spanier verfasst, dessen Beginn der Ersten Regel, der die ‚Zielgruppe‘ der Beichtväter benennt, wie folgt lautet: „Im hiesigen Zusammenhang gibt es drei Arten von Leuten, die zur Beichte kommen können: die conquistadores; die Ansiedler mit Indios eines repartimiento, auch encomenderos genannt, die encomiendas von Indios besitzen; und drittens die Händler oder mercaderes, aber nicht alle, sondern jene, die denen, die gegen die Indios Eroberungszüge und Kriege führten, bei diesem kriegerischen Tun Waffen und Waren geliefert haben. Wenn einer conquistador war und angesichts des nahen Todes beichten möchte, dann soll der Beichtvater, bevor sie zur Beichte schreiten, einen öffentlichen oder königlichen Notar rufen und jenen öffentlich folgendes erklären, anordnen und gewähren lassen: Erstens: Er lasse festsetzen und sage, daß er als treuer Christ, der ohne Gotteslästerung und mit erleichtertem Gewissen aus dem Leben scheiden möchte, um vor dem göttlichen Richter im Stande der Rettung zu erscheinen, einen Weltpriester oder Ordenspriester wählt, dem er (soweit er dies kann und kraft göttlichen und menschlichen Rechts dazu verpflichtet ist, um sein Gewissen zu entlasten) vollständige Vollmacht erteilt in allem, was nach dessen Ermessen zu seiner Rettung angemessen ist. Und wenn der besagte Beichtvater es zu diesem Behufe für angezeigt hält, daß jener all seinen Besitz zurückgebe, ohne daß etwas davon für seine Erben übrig bleibe, dann kann er dies frei verfügen, wie es der Kranke oder Beichtwillige selbst zu Lebzeiten frei hätte tun können und müssen, in der Einsicht, daß es dem Heil seiner Seele zuträglich sei. Und in diesem Falle unterstellt er, ohne irgendeine Bedingung oder Einschränkung, sein gesamtes Besitztum dem Urteil und Ermessen seines Beichtvaters. […].“ Handbuch 138.
194
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
gäben, dann würde gewiss Gott, der großzügige Vergelter guter Werke, [uns] in jenen Gegenden viele Gold- und Silbergruben zugänglich machen und [uns] durch Ackerbau, der ebendort wie auch auf der Insel São Tomé gedeihen könnte, sowie durch die vielfache Nutzung anderer Dinge den Gewinn, den man mit den Sklaven macht, ersetzen und zugleich all unsere Angelegenheiten beschützen. Doch auch wenn es keinen anderen Gewinn gäbe als den, dass die Gewissen vorm ewigen Verderben sicher sind, müsste gleichwohl dieser eine [Gewinn] genug sein.⁶⁹⁹
Einzig die portugiesischen Sklavenbesitzer, die in Portugal die Sklaven von den Händlern kaufen, werden von Molinas Kritik verschont. Zwar sei es eine Todsünde gegen die Nächstenliebe und die Gerechtigkeit, wenn man Dinge kauft, von denen man annimmt, dass sie gestohlen bzw. nicht rechtmäßig in den Verkauf überführt wurden,⁷⁰⁰ denn man sei als Käufer bei solchen Zweifeln in seinem Gewissen und durch die Gerechtigkeit verpflichtet, die Tatsachen zu überprüfen und den wahren Status des zu verkaufenden Objektes herauszubekommen, doch könne man dies den Untertanen des portugiesischen Königs nicht vorwerfen. Molina verwendet in Disputation 36 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure die Bezeichnung bonae fidei possessor, ein Besitzer guten Glaubens. Costello weist darauf hin, dass Molina hier einen Terminus gebrauche, der ‚klassisch‘ in der Moraltheologie sei und ergänzt, dass es drei Formen des unrechtmäßigen Besitzes gebe: den Besitzer in gutem Glauben, den Besitzer in zweifelhaftem Glauben und den Besitzer in schlechtem Glauben. Ersterer kauft etwas, ohne zu überprüfen, ob es rechtmäßig zum Verkauf steht, und erlangt nach dem Kauf Kenntnis darüber, dass etwa das Objekt seines Kaufes gestohlen war. Daher ist er als unrechtmäßiger Besitzer zu betrachten, denn er hätte sich bei dem Kauf vergewissern müssen, ob die Ware legitimerweise zum Verkauf steht. Der Besitzer in zweifelhaftem Glauben hat gute Gründe anzunehmen, dass die Ware nicht rechtmäßig zum Verkauf steht und kauft sie dennoch. Letzterer weiß, dass er etwas kauft, das nicht im Rahmen des Rechts zum Verkauf steht.⁷⁰¹ Ein unrechtmäßiger Besitzer von Sklaven, der sich nach dem Kauf davon überzeugt hat, dass die Sklaven zu Unrecht versklavt und verkauft wurden, ist verpflichtet, „dem Menschen die Freiheit zu schenken“.⁷⁰²
DIEI II 35, 287: „Quod si ministri evangelii ad nationes illas barbaras idonei mitterentur in suisque regionibus ad fidem converterentur, tunc sane omnes pii consulere potius deberent ac favere miserorum hominum libertati. Neque aliter servitus cuiusque illorum est permittenda, quam si luce clarius eam iustam esse constet, tum quod libertatis causae, quippe quae piissima est, per se sit suffragandum, tum etiam quod id magno esset adiumento, ut fides nostra moresque Christiani in illis locis propagarentur. Quod si, quae Dei sunt, curaremus contentique essemus commerciis aliis iustis cum illis nationibus, utique Deus, bonorum operum largus remunerator, facile multas auri argentique fodinas illis in locis patefaceret agrique cultura, quae ibidem ut in Divi Thomae insula vigere posset, et aliarum rerum utilitate multiplici lucrum, quod ex mancipiis percipitur, compensaret simulque res omnes nostras protegeret. Quamvis autem aliud non esset lucrum, quam tutas ab aeterno interitu habere conscientias, hoc unum satis esse deberet.“ cf. DIEI II 35, 282 cf. Costello (1974, 196) DIEI II 36, 290
5.4 Menschen als Eigentum
195
Doch könnten die portugiesischen Sklavenbesitzer, die den Sklavenhändlern die Sklaven auf portugiesischem Boden abkauften, zu keiner Form der unrechtmäßigen Besitzer gezählt werden. Denn als Untertanen sei es nicht ihre Aufgabe, sondern die des Fürsten und dessen Ministern, die Rechtmäßigkeit des Verkaufs der ‚Waren‘ zu prüfen.⁷⁰³ Als Untertan käme ihnen lediglich die Pflicht zu, sich der Verwaltung der Obrigkeiten anzuvertrauen, sodass sie die Rechtmäßigkeit des Sklavenhandels gar nicht in Frage stellen dürften, so Molina.⁷⁰⁴
5.4 Menschen als Eigentum: Wie wird ein Mensch zum Sklaven eines anderen Menschen? Die kriegsrechtliche Begründung der Sklaverei bei Molina weist schon darauf hin, durch welches Recht die Sklaverei eingeführt wurde: durch das Völkerrecht (ius gentium), das heißt nach positivem Recht. Nach dem Naturrecht gibt es kein Privateigentum, da alle Menschen gemeinschaftlich über alle Güter verfügen können. Folglich kann es auch kein naturrechtlich begründetes Eigentum über Sklaven geben. Darüber hinaus sind nach dem Naturrecht alle Menschen von Geburt an frei, wie Molina bereits in der vierten Disputation des ersten Traktats von De Iustitia et Iure anführt. Demzufolge verstößt laut Molina die Sklaverei gegen das Naturrecht „und wurde gegen die Natur vom Völkerrecht eingeführt. […] [Es ist daher festzuhalten], dass die Sklaverei gegen die Natur und das Naturrecht selbst und daher ungerecht ist.“⁷⁰⁵ Doch die Einführung der Sklaverei geschah nicht ohne vernünftigen Grund, ähnlich wie die Einführung des Eigentums. Nach dem Sündenfall begannen einige Völker, sich schuldig zu machen, daraus entwickelte sich der gerechte Krieg und mit ihm das Recht, Feinde zu töten, was an sich ein Verstoß gegen das Naturrecht ist, unter den Bedingungen eines gerechten Krieges aber als erlaubt erklärt wurde. Dass Menschen einander töten dürfen, obwohl Gott alleiniger Herr über das Leben ist, stellt also eine durch das Kriegsrecht erlaubte Ausnahme dar. Ob die Sieger hierbei ein dominium über das Leben der Feinde haben, bleibt weiter offen. Zumindest haben sie nach dem ius gentium das Recht, das Leben der Feinde zu beenden. Die Sklaverei wurde durch das ius gentium eingeführt, um den Siegern eines gerechten Krieges die Möglichkeit zu bieten, die Verlierer vor dem Tod zu bewahren. So
Matthias Kaufmann (2014, 215) nennt dies „a very macabre kind of customer protection“. DIEI II 36, 291: „Porro, cum ad subditos non spectet examinare, an merces, quae ad hoc regnum asportantur et in eo venduntur, legitime a subditis huius regni asportentur et vendantur, sed id ad principem et ad eius ministros pertineat subditorumque sit providentiae et administrationi superiorum se committere, […].“ DIEI I 4, 18: „Tertium est, […], iure naturali omnes homines nascituros fuisse liberos. […] servitutem esse contra ius naturale, fuisseque contra naturam de iure gentium introductam. […] ut servitus esse contra naturam, iusque ipsum naturale, atque adeo iniusta.“
196
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
sei die Sklaverei nicht nur nach dem Recht der Völker erlaubt, sondern auch als der geringere Verstoß gegen das Naturrecht im Vergleich zur Tötung des Feindes anerkannt worden.⁷⁰⁶ In der 32. Disputation des zweiten Traktats ergänzt Molina, dass die Sklaverei zwar nach der ersten Ordnung der Dinge (das ist der status innocentiae) „der Natur zuwider ist, weil wir dann, wenn wir uns allein in der ersten Ordnung der Dinge befänden, alle von der Natur selbst aus frei wären, dass freilich durch die Umstände, durch die sie verdient ist, sie erlaubterweise und gerechterweise [!] vom Recht der Völker eingeführt wurde […].“⁷⁰⁷ Ähnlich wie nach dem Sündenfall die Einteilung der Güter in Eigentum notwendig geworden war, um ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten, beurteilt Molina die Sklaverei der von Natur aus freien Menschen. Da es postlapsal Kriege zwischen den Menschen gibt, in deren Folge zu überlegen ist, wie mit den unterworfenen Feinden umzugehen ist, ist die lebenslange Sklaverei auch nach dem Naturrecht einer Tötung der Feinde vorzuziehen und daher nicht nur erlaubt, sondern nach Molina auch gerecht. Eine ähnliche Argumentation findet sich bereits bei Thomas von Aquin: Zwar entspringt allgemein die servitus, das heißt jede Form von Knechtschaft, nicht dem Naturrecht, sondern stellt ein positives Rechtsverhältnis dar, doch ist sie nicht widernatürlich, wie zum Beispiel die Unfreiheit in der Tyrannis. Ähnlich wie in Molinas Argumentation zählt die Sklaverei für Thomas im Sentenzenkommentar zu jener Herrschaftsform, die postlapsal ad supplendum defectus und ad corrigendum mores eingesetzt wurden, um das friedliche Zusammenleben der Menschen zu organisieren.⁷⁰⁸ Dabei ist entscheidend, dass nicht die Natur, sondern die Sünde infolge einer freien Entscheidung des Menschen bewirkt, dass einige Menschen unfrei werden.⁷⁰⁹ Christoph Flüeler hat zu Recht auf die Unstimmigkeit in Thomasʼ Begründung der servitus hingewiesen, nach der die Sklaverei aus der Erbsünde abgeleitet wird, die aber nicht bewirkt, dass alle Menschen unfreie Sklaven sind.⁷¹⁰ Thomas stelle lediglich fest, dass das positive Recht die Strafe zu bestimmen habe, durch die jemand dann realiter in die Sklaverei gerate, äußere sich zu diesem Problem aber nicht weiter. In der Summa Theologiae aber rechtfertigt Thomas die Sklaverei wie Molina aus dem ius gentium, das für die Menschen als positives Recht aus dem natürlichen Recht
DIEI I 4, 18−19: „Commissa autem culpa per aliquos populos, ortoque bello iusto, quo fas fuit eos interficere, non solum iure gentium servitutem esse licitam, minimeque contra ius naturale, eo ipso quod ex parte obiecti ea circumstantia licitae eorum interfectionis resultavit, sed etiam auctoritate propria cuiusque populi aut principis, qui ius simile ad interficiendum quacumque ex causa haberet, potuisse licite introduce, commutando mortem iis, qui illa digni erat, in perpetuam eorum servitutem.“ DIEI II 32, 237: „Dicendum est, verbis illis solum intendi servitutem, si sola prima rerum constitutio absque circumstantiis, quibus commerita sit, spectetur contra naturam, eo quod stando in sola prima rerum constitutione omnes a natura ipsa essemus liberi: at vero supervenientibus circumstantiis, quibus commerita est, licite ac iuste fuisse de iure gentium introductam […].“ cf. Flüeler (1991, 288) cf. Flüeler (1991, 290) cf. Flüeler (1991, 291)
5.4 Menschen als Eigentum
197
abgeleitet wird.⁷¹¹ Dass Thomas in seiner späteren Summa Theologiae die Sklaverei nicht mehr wie zuvor im Sentenzenkommentar auf die Erbsünde, sondern auf eine auf natürlichen Fähigkeiten (aptitudo naturalis) beruhende Herrschaft zurückführt, ist dem Einfluss Aristotelesʼ im Denken von Thomas zuzusprechen.⁷¹² Unabhängig von der ursprünglichen Legitimation ist aber auch in den Werken des Thomas der Sklave ein Besitzstück (res oder possessio) des Herrn und der Herr hat dominium über seinen Sklaven. Ähnlich wie das dominium proprietatis über Dinge ist auch das dominium des Herrn über den Sklaven übertragbar.⁷¹³ In seiner Eigentumslehre hatte Molina die rechtmäßige Übertragung eines dominium durch Verkauf, Tausch, Schenkung und testamentarische Verfügung gekennzeichnet. Im Folgenden werden die legitimen Rechtstitel aufgeführt, mittels derer ein Herr das dominium über einen Sklaven gewinnen kann: Diese sind die Gefangennahme in einem gerechten Krieg, die Versklavung Krimineller, der Selbstverkauf und die Geburt als Kind einer Sklavin. Als ersten Titel nennt Molina die Gefangennahme anstelle einer Tötung in einem gerechten Krieg und äußert sich hier auch zur prekären Versklavung von Christen, die im Kontext der Missionierung der indigenen Bevölkerung von Bedeutung ist: Wenn Christen untereinander Krieg führen, verbietet es die „zur Vorschrift gewordene Gewohnheit“⁷¹⁴ unter Christen, Christen eines anderen Volkes zu versklaven. Bei dem Ausdruck „zur Vorschrift gewordene Gewohnheit“ handelt es sich keineswegs um eine beliebige Floskel, vielmehr untermauert Molina hiermit die wahrhafte Rechtmäßigkeit der Vorschrift, dass Christen einander nicht versklaven dürfen. Wilhelm von Ockham hatte in der Diskussion verschiedener Kriterien zur Prüfung, ob ein Gesetz wahrhaft gerecht sei, die Gewohnheit über längere Zeit zum besten Prüfkriterium bestimmt. Das heißt, wenn ein Gesetz seit Langem befolgt wird und inzwischen zur Gewohnheit geworden ist, dann hat es sich untrüglich als gerecht bewährt.⁷¹⁵ Nur in einem Krieg gegen Ungläubige könne es zur Versklavung von Christen kommen, da „das Recht der Völker für alle gleich ist“, so Molina.⁷¹⁶ Domingo de Soto hatte in diesem Zusam-
cf. S. Th. II−II, q. 57, art. 3 ad 2. Zeitgleich zur Summa Theologiae hatte Thomas seine Kommentare zur Nikomachischen Ethik und Politik des Aristoteles verfasst. DIEI II 33, 237−238: „Illud ante omnia est statuendum postquam servitus legitime in mancipium aliquod est comparata, eisdem tituluis & modis dominium illius transferi in alios, quibus dominia aliarum rerum transferi consueverunt, nempe venditione, permutatione, donatione, ultima voluntate, & c.“ DIEI II 33, 238: „Excipitur, quando Christiani a Christianis bello iusto capiuntur, ut ibidem dicemus: consuetudo quippe praescripta, atque adeo ius est inter Christianos, ut servituti non subiiciantur.“ („Eine Ausnahme gibt es dann, wenn Christen in einem gerechten Krieg von Christen gefangen genommen werden, wie wir dort sagen, handelt es sich um eine – allerdings zur Vorschrift gewordene – Gewohnheit, und somit gibt es das Recht unter Christen, dass sie nicht der Sklaverei unterworfen werden.“) cf. Dialogus 53. DIEI II 33, 238: „eo quod gentium ius omnibus sit commune […].“
198
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
menhang die Frage verneint, ob Christen, denen die Versklavung nach einem Krieg mit Ungläubigen drohte, fliehen dürften. Auch de Soto vertritt die Ansicht, es habe bei Kriegsgefangenen nach einem gerechten Krieg keine Bedeutung, ob es sich um Christen oder „Ungläubige“ handle, da „das Völkerrecht für alle gleich ist.“⁷¹⁷ Der zweite legitime Titel einer Versklavung liegt im Strafrecht begündet: Wenn jemand für ein Verbrechen zu einer schweren Strafe verurteilt wurde, dann kann diese Strafe die Versklavung sein. Bedingung hierfür ist aber ein rechtmäßiges Urteil. Molina nennt als Beispiel für solche schweren Verbrechen die Ehe zwischen Frauen und Ordensgeistlichen. Papst Urban II. habe diesbezüglich den weltlichen Herrschern das Recht zugesprochen, diese Frauen der Sklaverei zu unterwerfen, wenn sie nach einer vorangegangenen Abmahnung die Ehe nicht auflösten. Kinder aus einer solchen Verbindung dürften zu Sklaven der Kirche des Ordensgeistlichen gemacht werden.⁷¹⁸ Auch wenn Christen, die für die Sarazenen arbeiten, in einem Krieg gefangen genommen werden, dürfen die Sieger über die Sarazenen ebenfalls die Christen versklaven. Als weiteres schweres Verbrechen, das mittels Sklaverei bestraft werden kann, nennt Molina den Fall eines Freigelassenen, der sich seinem ehemaligen Herren und Gönner seiner Freiheit gegenüber „in gravierender Weise als undankbar erweist“⁷¹⁹ und noch einige andere Beispiele. Wichtig scheint Molina die Diskussion um die Versklavung der Kinder der Rebelión de los moriscos von 1568−1571 zu sein, deren Rechtfertigung er sorgfältig abwägt.⁷²⁰ Bereits die Überschrift der 33. Disputation verweist schon auf dieses Thema.⁷²¹ Die ‚Morisken‘ waren Mauren, die zum Christentum konvertiert waren, um sich nach der Reconquista weiterhin in Spanien aufhalten zu dürfen, heimlich aber nach dem Islam lebten. Durch Maßnahmen der Zwangsintegration wurden die Morisken vonseiten der spanischen Krone zunehmend in ihren Rechten eingeschränkt, sodass es im Königreich Granada von 1568−1571 unter der Führung von Abén Humeya im Gebirge Alpujarras zu einem Aufstand gegen die spanischen Unterdrücker kam. Nach der Niederschlagung des Aufstandes erfolgte eine Zwangsverteilung der Mauren auf verschiedene Provinzen Kastiliens, um sie zu zerstreuen und so der Gefahr weiterer Aufstände entgegenzuwirken. Unter König Philipp III. (1578−1621) wurden nach erfolgloser Integration zwischen 1609 und 1614 insgesamt ca. 300 000 Mauren aus dem gesamten Spanien vertrieben.
De Iustitia et Iure Liber IV, qu. 2, art.2. Hier verweist Molina auf das neunte Kapitel Cum multa 15. Quaestio 8 im Konzil von Toledo. DIEI II 33,239: „Item libertus qui in eum se graviter ingratium exhibuerit, qui sua sponte illum manumisit, in poenam delicti redigitur in servitutem […].“ Vielleicht sollte die Diskussion des Aufstandes der ‚Mauren‘ auch als Beispiel im Hinblick auf die Missionspraxis in Südamerika dienen, um zu zeigen, welche Konsequenzen die Zwangstaufe nach sich ziehen kann. Die Überschrift zu Disputatio 33 lautet: „Tituli quibus dominium in servos iuste comparatur, et an infantes eorum, qui in Granatensi Regno rebellarunt, iuste in servitutem redigi potuerint.“
5.4 Menschen als Eigentum
199
Molina bezieht sich auf die Rebelión de los moriscos von 1568−1571 im Hinblick auf die Frage nach einer sippenhaften Strafe der Sklaverei. Die aufständischen Mauren wurden zur Strafe versklavt. Ihr Aufstand wurde als „öffentliches Zeigen der inneren Abwendung (apostasia) [vom christlichen Glauben], die sie stets in ihrem Herzen gehabt hatten“⁷²² gedeutet. Aus diesem Grund waren sie nicht als Christen anzusehen und ihre Versklavung war daher kein Unrecht. Doch der spanische König Philipp II. (1527−1598) betrachtete die Kinder der Rebellen, die während der Rebellion noch nicht in der Pubertät waren, als Unschuldige, somit als frei, und erließ hierfür sogar „ein gewisses, seiner allerchristlichsten Brust in höchstem Maße würdiges gottesfürchtiges Gesetz“,⁷²³ das die Freiheit der Kinder festlegte. Molina wägt nun ab, ob es von Rechts wegen notwendig war, solch ein Gesetz zu erlassen, oder, in Molinas Worten, „ob der König in seinem Gewissen gehalten war, dieses Gesetz zu erlassen.“⁷²⁴ Dafür spräche, dass die Kinder unschuldig am Aufstand waren, was Molina nicht bestreitet, und daher die Strafe der Sklaverei nicht gerechtfertigt wäre. Außerdem gehörten die unschuldigen Kinder dem spanischen Staate an, der sich bei einer Bestrafung von Unschuldigen in seinen eigenen Vermögensgütern geschadet hätte. Da die Unschuldigen trotz sarazenischen Ursprungs nicht einem anderen Staat angehörten, dürfe man ihnen auch keine anderen Güter ‒ wie auch die Freiheit ‒ nehmen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Molina den Kindern ein eigenes dominium über ihre Freiheit und ihre Güter zuspricht, ein dominium, über das die Kinder selbst und nicht deren rebellierende Eltern verfügen.⁷²⁵ An diesem Beispiel wird Molinas Bestimmung von Kindern als passiven Rechtsträgern bestätigt und belegt, denen er grundsätzlich das Potential zum dominium zuspricht, wie in Kapitel 4 ausgeführt wurde. Weder der Staat noch jemand anderes darf den Kindern ihre Freiheit oder ihre Güter nehmen. Doch bleibt Molina dieser Argumentation selbst nicht treu. Denn dagegen spricht nach Molina, dass der spanische König sehr wohl berechtigt war, die maurischen Kinder zur Sklaverei zu verurteilen, weil ihre Eltern durch die Rebellion sich einen neuen, eigenen König gewählt hätten und mit ihren Kindern
DIEI II 33, 239: „Superioribus annis, cum in Granatensi Regno illi, qui a Saracenis originem trahebant, a fide apostando, seu potius internam apostasiam, quam semper in corde habuerunt, aperte manifestando rebellassent, merito in apostasiae & rebellionis poenam servitutis perpetuae, nihil baptismo, quod antea suscederant, impediente, damnati sunt: […].“ („In früheren Jahren, als sich im Königreich Granada diejenigen, die sarazenischer Herkunft waren, sich unter Abwendung vom Glauben, oder eher unter öffentlichem Zeigen der inneren Abwendung, die sie stets in ihrem Herzen gehabt hatten, rebelliert hatten, erhielten sie verdientermaßen die Strafe der andauernden Sklavenschaft für Rebellion und Apostasie, ohne dass daran die Taufe gehindert hätte, die sie zuvor empfangen hatten: […].“) DIEI II 33, 239: „[…] timoratam quandam legem tulit christianissimi suo pectore dignissimam […].“ DIEI II 33, 239: „Dubium vero esset potest, an Rex in conscientia eam legem ferre teneretur.“ DIEI II 33, 240: „[…] sed cum eisdem Hispanis, tam ipsi, quam eorum parentes, unam efficerent Rempublicam, nefas fuerit Hispanis exequi ius ullum belli in infantes eorum, qui rebellarunt, privando eos libertate aut bonis aliis temporalibus, quorum dominium ad eos, et non ad eorum parentes, pertineret: sed solum potuerunt exequi iura belli in eos, qui rebellarunt.“
200
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
einen feindlichen Staat innerhalb des spanischen Reiches gründeten. Der Versuch einer Begründung Molinas, wodurch die Spanier gegen den ‚sarazenischen Staat im eigenen Land‘ einen Krieg mit allen Konsequenzen für die Besiegten zu führen berechtigt waren, lautet, dass im umgekehrten Fall, also bei einer Besetzung durch die Sarazenen, diese die Spanier nicht anders behandelt hätten. Zur weiteren Begründung erklärt Molina, es sei zwar nicht recht, einen Unschuldigen für das Verbrechen seiner Eltern zu töten, aber abgesehen von einer Tötung sei jede Strafe für die Nachfahren angemessen. Auch die Freiheit sei in diese Sippenhaft eingeschlossen und dürfe daher dem unschuldigen Kind aufgrund des väterlichen Verbrechens geraubt werden, um vor solchen Verbrechen abzuschrecken und so das Gemeinwohl des Staates zu bewahren. Nicht die Rebellion selbst scheint für Molina das besonders schwere Ausmaß des Verbrechens zu bewirken, sondern die Ablehnung des christlichen Glaubens durch die Mauren. Sie seien „aus freien Stücken in der Ungläubigkeit verblieben“⁷²⁶ und das sei eine schwere Sünde, die auch die Bestrafung der Kinder rechtfertige. Allein der Sünde wegen hätte König Philipp II. auch die Kinder zur Sklaverei verurteilen lassen können, selbst wenn ihre Eltern keinen feindlichen Staat gegründet hätten. Molina begründet seine Einstellung zur sippenhaften Sklaverei, die gleichzeitig die Versklavung Unschuldiger bedeutet, allerdings nicht nur theologisch, sondern auch juristisch: Infolge einer gerechten Strafe dürften auch unschuldige Kinder versklavt werden: „Wenngleich die Strafe gerechterweise nur wegen der Schuld verhängt werden darf, so kann doch mitunter die Schuld des Staates oder der Eltern ausreichen, damit die Glieder des Staates, oder die Kinder, in ihren äußeren Gütern, ihrer Ehre, ihrem Ruf oder ihrer Freiheit gerecht bestraft werden.“⁷²⁷ (Daher verwundert es nicht, dass er als weiteres Beispiel die Kinder von Ordensgeistlichen anführt, die ebenfalls zur Abschreckung anderer zu Sklaven des Ordens werden.)⁷²⁸ Zudem ergänzt Molina noch ein politisches Argument: Die aufständische Natur (gegen den Staat sowie den rechten Glauben) sei den Söhnen solcher Väter vererbt und er gibt zu bedenken, dass die „unschuldigen Söhne aus dem Affekt für ihre Väter, wenn sie ins Erwachsenenalter kämen, den Spuren ihrer Eltern folgten“.⁷²⁹ Durch die Versklavung aller Nachkommen der rebellischen Eltern wäre also dem Gemeinwohl des Staates auch für die Zukunft gedient. Die Begründung der Versklavung Unschuldiger gehört zu einem der umstrittensten Aspekte von Molinas
DIEI II 33, 241: „ut rebellantes liberius in infidelitate permaneant, […].“ DIEI II 33, 241: „Quamvis poena iuste imponi non possit nisi propter culpam, culpam tamen Reipublicae, aut parentum, interdum sufficere, ut Reipublicae membra, aut filii, in bonis externis, honoris, famae, aut libertatis iuste puniantur.“ DIEI II 33, 240−241: „eodemque modo fas est illum punier in bono libertatis, si delictum patris tanta poena sit dignum, id que bono communi Reipublicae ad aliorum terrorem expediat: qua de causa filii suscepti ex matrimonio cum initiatis ordinibus sacris in commune bonum atque ad aliorum terrorem servituti subiiciuntur […].“ DIEI II 33, 241: „Adde, Rempublicam iuste timere potuisse, ne pro affect filiorum in parentes, huiusmodi innocentes, cum ad perfectam aetatem devenirent, vestigial partum sequerentur […].“
5.4 Menschen als Eigentum
201
Untersuchung der Sklaverei,⁷³⁰ die einige kontroverse Elemente enthält. Zwar fokussiert er vor allem die moralische Komponente in seinen detailreichen Analysen des Sklavenhandels, doch kommt es durch einzelne Aspekte wie die Versklavung unschuldiger Kinder bzw. die Sklaverei als ‚Sippenhaft‘, die nicht nur theologisch, sondern auch politisch begründet werden, zu Brüchen innerhalb der Argumentation. Eine weitere Form der Versklavung von Kindern wird durch den vierten legitimen Titel gegeben, der hier kurz vorgestellt wird, bevor der dritte Titel – Kauf und Verkauf – ausführlich analysiert wird. Auch die Geburt als Kind einer Sklavin führt in die Sklaverei. Hier folgt Molina dem Prinzip aus dem römischen Recht, das besagt: Partus sequitur ventrem,⁷³¹ das Neugeborene folgt dem Status der Mutter, auch wenn der Vater kein Sklave ist. Dies sei dadurch begründet, dass zwar immer sicher sei, wer die Mutter eines Kindes sei, die Vaterschaft aber auch unklar sein könne.⁷³² Sollte die Mutter aber zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft frei gewesen sein, dann wird das Kind als freier Mensch geboren. Dies folge, so Molina, auch aus dem Prinzip partus sequitur ventrem: „deswegen weil die Geburt zugunsten der Freiheit dem Bauch folgt, und der zu irgendeinem Zeitpunkt frei gewesen ist, während der Fötus darin enthalten war.“⁷³³ Der dritte Titel der legitimen Sklaverei ist der Kauf und Verkauf von Sklaven. Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits Molinas scharfe Kritik am Sklavenhandel deutlich: Alle an diesem Handel Beteiligten begehen nach Molina eine Todsünde und seien auf ewig verdammt. Um die gegebenen Umstände zu verbessern oder zumindest auf Missstände aufmerksam zu machen, entwickelt Molina konkrete Bedingungen für den rechtmäßigen Kauf und Verkauf von Sklaven. Zunächst widmet er sich dem Selbstverkauf, der, wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt wurde, für die vorliegende Untersuchung des Verhältnisses von Willensfreiheit, dominium und Sklaverei die größten Spannungen aufwirft, denen im folgenden Kapitel genauer nachgegangen werden soll. Aus dem Vermögen zum dominium kommt jedem Rechtsträger unter anderem das Recht zu, seine Güter zu veräußern und auf jemand anderen zu übertragen. Neben äußeren Gütern, dem guten Ruf und der Ehre stellt für Molina eben auch die Freiheit ein veräußerbares Gut dar. Zwar hatte er zur Bestimmung des dominium die Definition von Bartolus übernommen, derzufolge es nur über körperliche Dinge eine freie Verfügung geben kann, doch hatte Molina die freie Verfügung durch das dominium auf unkörperliche Dinge ausgeweitet, da Gott auch über die körperlosen Engel dominium
cf. Costello (1974, 164−165) Costello spricht sogar von einer „controversial nature of Molina’s slavery teaching“. Wörtlich übersetzt: Der Teil folgt dem Bauch. DIEI II 33, 248: „Primo, quoniam de matre constat; de patre vero nihil potest esse certum.“ DIEI II 33, 248: „eo quod in favorem libertatis partus sequatur ventrem, pro quocunque tempore liber fuerit, dum foetus intra illum contineretur.“
202
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
habe.⁷³⁴ Dass der Mensch dominium ebenso über seine Freiheit habe, sei, so Molina, naturrechtlich begründet: Der dritte Titel lautet: Kauf und Verkauf. Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass der Mensch, wie er nicht nur Herr seiner äußeren Güter ist, sondern auch seiner Ehre und seines guten Rufs, wie wir im vierten Traktat zeigen werden, in gleicher Weise auch Herr seiner Freiheit ist; und dass er somit, wenn er sich lediglich unter dem Naturrecht befindet, diese veräußern und sich in den Stand der Sklaverei begeben kann.⁷³⁵
Im Gegensatz zu anderen Gütern, über die der Mensch dominium hat, darf die Freiheit nicht ohne Weiteres veräußert werden, sondern kann nur aus einer extremen Notwendigkeit heraus, nach vernünftigem Abwägen der anderen Möglichkeiten, aus dieser zu entkommen, veräußert werden. Andernfalls begeht der sich selbst in Sklaverei Begebende eine schlimme Sünde. Mit dem Hinweis auf die Bedingung einer extremen Notwendigkeit zum Verkauf der eigenen Freiheit greift Molina ein Prinzip auf, das bereits im 12. Jahrhundert von den Kanonisten aus dem Decretum Gratiani verwendet wurde, um Einzelnen unter außergewöhnlichen Lebenssituationen gewisse Rechte zu gewähren, die unter gewöhnlichen Umständen dem geltenden Recht widersprachen. So ist auch der Hinweis in dem oben genannten Zitat „wenn er sich lediglich unter dem Naturrecht befindet“, zu verstehen, da das positive Recht einen Selbstverkauf in der Regel nicht vorsieht, aber für den Fall einer extremen Not Ausnahmeregelungen vorhält. Eigentumsrechte sind hierbei von zentraler Bedeutung, da das Prinzip der extremen Notwendigkeit vor allem bei Rechtsfragen in Bezug auf Arme angewandt wurde, denen ein Anspruch auf lebensnotwendige Nahrung zugesprochen wurde. Dieser wurde zum Beispiel von Thomas von Aquin oder Bonaventura gerechtfertigt, da nach dem Naturrecht Gemeineigentum bestehe und daher niemand gehindert werden dürfe, sich in extremer (lebensbedrohender) Not am Eigentum eines anderen zu bedienen, um seinen Hunger zu stillen.⁷³⁶ Hinter der Rechtfertigung der Notentwendung dürfte der Gedanke stehen, dass Gott Herr über das Leben des Menschen ist und der Mensch daher in der Pflicht gegenüber Gott steht, sein Leben zu erhalten. Für Gottfried von Fontaines (ca. 1250−1305) folgt zum Beispiel aus der Pflicht zur Selbsterhaltung das Recht auf Lebensunterhalt.⁷³⁷ Wenngleich in Bezug auf diese Autoren ius noch nicht im Sinne des subjektiven Rechts interpretiert werden kann, so scheint sich das subjektive Recht aus dem Gedanken der suprema oder ultima
siehe Kapitel 3.4 DIEI II 33, 242: „Tertius titulus est. Emptio et venditio. Ponendumque in primis est, hominem, sicut non solum externorum suorum bonorum, sed etiam proprii honoris et famae est dominus, ut tractatu 4. Ostendimus: sic etiam dominium esse suae libertatis, atque adeo stando in solo iure naturali; posse eam alienare, seque in servitutem redigere.“ Virpi Mäkinen (2006, 46) weist in diesem Kontext darauf hin, dass die Bedeutung von Ius naturale „as faculty and power“ in den Texten der mittelalterlichen Dekretisten den Weg für ein moralisches Bewusstsein ebnete, das aber ihres Erachtens für subjektive natürliche Rechte keine Rolle spielt. cf. Mäkinen (2006, 48)
5.4 Menschen als Eigentum
203
neccessitas, die immer dann gegeben ist, wenn das Leben bedroht ist, entwickelt zu haben. Nach Molinas Aufzählung der Rechte, die aus der facultas entstehen, bestehen subjektive Rechte vor allem darin, Zugang zum Lebensnotwendigen zu haben.⁷³⁸ Dass der Selbstverkauf aus extremer Not ein sensibles Thema in der Rechtswissenschaft ist, wird bereits durch das Römische Recht belegt, das strenge Regeln für diesen vorsieht, die Molina in De Iustitia et Iure übernimmt. Für den Kauf und Verkauf einer freien Person setzt das Ius Caesareum sechs Bedingungen fest:⁷³⁹ 1. Der Verkaufte muss älter als zwanzig Jahre sein. 2. Zum Zeitpunkt des Verkaufs muss der Verkaufte wissen, dass er frei ist. 3. Er muss zum Verkauf durch einen anderen seine Zustimmung gegeben haben, damit er am Kaufpreis beteiligt wird. 4. Der Verkaufte muss tatsächlich am Kaufpreis beteiligt werden. 5. Der Verkäufer muss wissen, dass der durch ihn zu Verkaufende frei ist. 6. Der Käufer des Sklaven muss in dem Glauben sein, einen Freien als Sklaven zu kaufen. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist der Verkauf des notleidenden Freien in die Sklaverei gültig. Wird nachträglich entdeckt, dass nicht alle Bedingungen erfüllt waren, so ist der Kauf ungültig. Durch einen rechtmäßigen Verkauf geht der Status eines Freigeborenen für den Verkauften für immer verloren. Wenn der Käufer und Herr seinen Sklaven irgendwann einmal in die Freiheit entlässt, kann dieser nur den Status eines Freigelassenen erlangen. Molina betont, dass diese rechtlichen Bestimmungen jedoch nur dort gültig sind, wo das kaiserliche Recht gilt. An Orten, wo dies nicht der Fall ist, ist ein Selbstverkauf auch dann gültig, wenn die sechs Bedingungen nicht eingehalten werden. Denn an allen Orten gilt das Naturrecht, demgemäß jeder über seine Freiheit verfügen kann.⁷⁴⁰ Sofern ein freier Mensch sich für den Verkauf in die Sklaverei entschieden hat und diesem Verkauf dann auch zustimmt, wird kein Unrecht begangen, auch wenn die oben genannten Bedingungen nicht erfüllt sein sollten. Falls der Käufer dem kaiserlichen Recht untersteht, sich aber in einem Land außerhalb dessen Gültigkeit befindet, ist der Kauf eines Sklaven ohne Einhaltung der sechs Bedingungen gültig und rechtskräftig. Das Gleiche gilt für den Selbstverkauf außerhalb des Gültigkeitsbereiches. So ist es also einem spanischen Bürger erlaubt, Sklaven in Äthiopien, das ist Afrika, zu kaufen, ohne die Bedingungen berücksichtigen zu müssen. Damit werden für den rechtmäßigen Handel mit Sklaven eindeutig zwei verschiedene Maßstäbe gesetzt.
siehe Kapitel 3.2 cf. DIEI II 33, 242 DIEI II 33, 243: „eo quod iure naturali disponere possit de sua libertate, volentique et consentienti non fiat iniuria.“
204
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Bereits bei der Behandlung der Versklavung Unschuldiger nach einem Krieg wurde deutlich, dass Molina die Versklavung von Kindern billigt und auch rechtfertigt. Wenngleich er dem Handel mit Sklaven äußerst ablehnend gegenübersteht, so können auch Kinder unter gewissen Umständen als Sklaven verkauft werden, das heißt, sie können auch durch Kauf bzw. Verkauf in Sklaverei geraten. Nach dem Naturrecht ist nicht nur der Selbstverkauf in die Sklaverei rechtmäßig, ebenso sind Eltern berechtigt, ihre Kinder in schwerer Not zu verkaufen. Molina betont auch hier, dass es nur in Fällen schlimmster Notlagen zum Verkauf der Kinder kommen dürfte, damit dieser gerechtfertigt sei. Dies sei im Kaiserlichen Recht festgesetzt.⁷⁴¹ Wenn die Eltern in eine solche Armut verfielen, dass sie den Lebensunterhalt für ihre Kinder nicht mehr aufbringen könnten, dann begingen sie kein Unrecht, wenn sie diese in die Sklaverei verkauften. Stelle sich heraus, dass eine solche Notlage nicht vorlag, werde der Verkauf für nichtig erklärt.⁷⁴² Im Unterschied zu freigelassenen Erwachsenen, die durch Selbstverkauf in die Sklaverei geraten sind, erlangen freigekaufte oder freigetauschte Kinder den Status von Freigeborenen vollständig zurück, „als ob sie niemals in die Sklaverei gekommen wären.“⁷⁴³ Dass Eltern ihre Kinder nur in schwerster Not verkaufen dürfen, bedeutet für Molina auch, dass ein Vater gezwungen werden kann, sein Kind zurückzukaufen, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt dazu in der Lage sein sollte. Darauf weist Molina unter Berufung auf Diego de Covarrubias y Leyva (1512−1577) hin, aber nicht auch darauf, dass das Überprüfen dieser väterlichen Pflicht sich in der Praxis als recht schwierig erwiesen haben dürfte. Mit diesem Hinweis könnte sich Molina vielleicht an die Beichtväter richten, die notfalls an das Gewissen des Vaters appelieren könnten. Sobald die Kinder die Volljährigkeit erlangt haben, kann der Vater sie nicht mehr verkaufen. Als nunmehr nicht nur passive, sondern offenbar auch aktive Rechtsträger stehen sie nicht mehr „unter väterlicher Macht“ (a patria potestate), wie Molina unter Verweis auf eine Glosse aus dem Codex Theodosianus, dem Kastilischen Gesetz und Arias Pinellus hervorhebt.⁷⁴⁴ Daraus folgt, dass der Vater nur so lange das dominium über seine Kinder hat, bis sie volljährig sind. Wie dieser rechtspraktische Übergang des Status vom passiven zum aktiven Rechtsräger rechtsmetaphysisch zu erklären ist bzw. wie es zu einer scheinbaren Änderung des dominium von Kindern zum dominium von Erwachsenen kommt, wird von Molina nicht diskutiert. Wenn an die Voraussetzungen zum dominium, nämlich Vernunft und Willensfreiheit, erinnert wird, dann kann es zu dieser Änderung nur aufgrund der Ausbildung bzw. Entwicklung des liberum arbitrium kommen. Die Volljährigkeit stellt somit einen eher zufällig be-
DIEI II 33, 243: „Ius Caesareum l. 1& 2, c. De patribus qui filios suos distraxerunt, […].“ (Vermutlich Justinian, Liber IV, tit. XLIII, lex 1&2, c.1). DIEI II 33, 243: „ut non nisi nimia paupertate et egestate parentes cogente id liceat, alioquin alienatio sit nulla.“ DIEI II 33, 243: „ac si nunquam in servitutem incidisset.“ cf. DIEI II 33, 244
5.5 Selbstverkauf in die Sklaverei: Verlust des naturgegebenen dominiums?
205
stimmten Zeitpunkt dar, zu dem die Entwicklung des liberum arbitrium stattgefunden haben soll. Weitere Grenzen des Verkaufs der Kinder durch den Vater, auch wenn diese noch nicht volljährig sind, treten auf, wenn der Sohn verheiratet ist, da dann auch eine Schädigung der Ehefrau eintreten würde. Das gleiche Prinzip gilt nach Covarrubias auch für Söhne, die einem heiligen Orden beigetreten sind. Von der Mutter können Kinder ohnehin nicht verkauft werden, da Kinder nach kaiserlichem Recht ausschließlich dem Vater unterstellt seien.⁷⁴⁵ Auch diese Regelungen hätten, so Molina, nur Geltung im Wirkungskreis des Kaiserlichen Rechts. Außerhalb des Kaiserlichen Rechts gelte überall das Naturrecht, wenn nicht zum Verkauf von Kindern besondere Gesetze erlassen wurden. Das bedeutet, dass die Einschränkungen der väterlichen Gewalt bezüglich des Verkaufs der Kinder nicht gelten, und auch, dass freigekaufte oder freigetauschte Kinder nicht den Status von Freigeborenen wiedererlangen. Auch wenn jemand dem Kaiserlichen Recht unterstellt ist, sich aber auf fremdem Terrain aufhält, verlieren diese Bestimmungen ihre Gültigkeit („wie wenn einer der Unseren bei den Afrikanern durch Not gezwungen jenen seinen Sohn verkaufen würde.“)⁷⁴⁶
5.5 Selbstverkauf in die Sklaverei: Verlust des naturgegebenen dominiums? In den vorangegangenen Kapiteln wurde die deskriptive Grundlage für die Untersuchung der Fragen um das dominium in der Sklaverei gegeben. Bevor die folgenden Kapitel sich dieser Aufgabe widmen werden, soll dieses Kapitel einen kurzen Überblick geben, welche Fragen oder Probleme sich für das dominium in Molinas Rechtslehre in der Anwendung auf das Beispiel des dominium über Sklaven ergeben haben. Während die Untersuchung des ius und dominium im vierten Kapitel die Gerechtigkeit als maßgebendes Kriterium für Handlungen nach dem subjektiven Recht exponierte, tritt im Kontext der Sklaverei eine weitere Komponente hinzu, die berücksichtigt werden muss: die Nächstenliebe und damit auch das Seelenheil. Molina betrachtet den Sklaven, der immer ein Ungläubiger ist, da Christen sich untereinander nicht versklaven dürfen und als Sklaven von Heiden, Häretikern oder Andersgläubigen fliehen sollen, nicht nur als Menschen, sondern auch als Nächsten. Im Folgenden soll daher unter anderem analysiert werden, ob aus der Bestimmung des Sklaven als Nächstem auch die Verpflichtung zur Nächstenliebe für den Herren hervorgeht. Dies könnte zu Problemen führen, da der Sklave nicht nur als Eigentumsobjekt, sondern auch als Ungläubiger eine Sonderrolle einzunehmen scheint hinsichtlich seines DIEI II 33, 244: „quia filius de iure Caesareo non est sub matris potestate, de eodem iure vendi non potest a matre […].“ DIEI II 33, 244: „ut si aliquis nostrorum apud Aethyopes necessitate compulsus suum illis filium vendat.“
206
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
rechtlichen und seines anthropologischen Status. Durch die Komponente der Nächstenliebe in der Analyse des dominium tritt zudem eine noch stärkere Bedeutung der Verantwortung des Herren gegenüber dem Sklaven hervor, da er indirekt für das Seelenheil des Sklaven zu sorgen hat bzw. dieses nicht behindern darf. Für das Verhältnis zwischen Willensfreiheit, Handlungsfreiheit und rechtlicher Freiheit im Kontext des Selbstverkaufs kann festgehalten werden, dass die rechtliche Freiheit durch den Selbstverkauf in die Sklaverei aufgegeben wird als Konsequenz aus einer äußerst eingeschränkten Handlungsfreiheit – nämlich der extremen Not ‒ , in der sich nur zwei Handlungsalternativen bieten: sterben oder zum Sklaven werden. Nicht einmal die Möglichkeit, nicht zu handeln, ist gegeben. Dies widerspricht der in Kapitel 4 vorgestellten Handlungstheorie aus Molinas Concordia. Einzig die Willensfreiheit sollte in der Sklaverei bestehen bleiben, wobei sich aus dem liberum arbitrium gar keine Handlungsfreiheit ergeben kann, sodass fraglich ist, welche Rolle dieses Vermögen für den Sklaven haben kann. Es scheint, als wären alle spezifisch menschlichen Vermögen in der Sklaverei sinnlos. Ob diese Vermutung zutrifft oder ob Sklaven in rechtlicher und anthropologischer Hinsicht einen Sonderstatus gegenüber ihren Herren in Molinas Rechtslehre einnehmen, soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden.
5.6 Iura in servo – Rechte der Herren über Sklaven Wie in Kapitel 3.8 bereits festgehalten wurde, grenzt Molina die Herrschaft (potestas) über Sklaven, die für das Wohl ihrer Herren zu sorgen haben, klar von der politischen Herrschaft über Freie ab: Denn da die Freien um ihrer selbst, die Sklaven aber um ihrer Herren willen da sind, muss die Regierung über Freie besonders das Wohl (bonum) der Regierten beachten, wenngleich diese ihrem Regenten je nach der Beschaffenheit seines Amtes Ehre, Gehorsam und Unterordnung erweisen müssen, und der Regent ebendies zugleich auch fordern und erstreben kann.⁷⁴⁷
Die Herrschaft der Herren über die Sklaven ist also kein dominium iurisdictionis, sondern ein dominium proprietatis, das heißt, die Sklaven sind Eigentum der Herren. Als Objekte des dominium prorietatis kann der Herr über Sklaven verfügen wie über seine anderen Eigentumsobjekte. Doch setzt sich Molina in der 38. Disputation des zweiten Traktats mit der Frage auseinander, „wieweit sich das Recht der Herren über die Sklaven erstreckt und ob Sklaven über irgendeine Sache dominium haben kön-
DIEI II 22, 169−170: „Autore namque Aristotele, 1. Politicorum, hoc est discrimen inter regimen liberorum ac servorum. Quod cum liberi sint gratia sui, servi vero gratia dominorum, liberorum regimen praecipue bonum eorum, qui reguntur, spectare debet, tametsi rectori pro muneris qualitate honor, obedientia et obsequia a subditis exhiberi debeant eaque ipsa rector exigere ac intendere simul possit.“
5.6 Iura in servo – Rechte der Herren über Sklaven
207
nen“.⁷⁴⁸ Dabei stellt er heraus, dass im Gegensatz zu Tieren Sklaven weder getötet noch verstümmelt werden dürfen. Die Herren hätten zwar ein Recht auf die Arbeit der Sklaven und die daraus resultierenden Erträge, allerdings müsse die Arbeit der körperlichen Beschaffenheit angemessen sein. Molina scheint damit zum Ausdruck bringen zu wollen, dass die Gesundheit des Sklaven durch die Arbeit nicht gefährdet sein darf. Ebenso sind die Herren verpflichtet, die Sklaven angemessen zu ernähren. Auch in Bezug auf die Sklaven gilt also: Herr über das Leben der Sklaven ist allein Gott. Das Leben eines Sklaven zu gefährden bzw. ihn nicht am Leben zu erhalten, ist daher als Vergehen gegenüber Gott zu betrachten. Auch darf das geistliche Wohl des Sklaven nicht in Gefahr gebracht werden, weshalb die Herren nichts von ihren Sklaven verlangen dürfen, was dem christlichen Glauben widerstreitet, wie zum Beispiel Unzucht, die den Sklaven sogar berechtigt zu fliehen, wenn der Herr auch nach einer Ermahnung nicht aufhört, den Sklaven zu bedrängen. Denn damit würde der Herr den Sklaven zu einer Todsünde nötigen, wodurch der Sklave am Seelenheil gehindert werde. Aus diesem Grund müsse der Herr dem Sklaven den Schaden erstatten und bestraft werden, was auch durch die Beichtväter geschehen kann, sollte die staatliche Gewalt dieses Unrecht nicht verfolgen.⁷⁴⁹ Wurde einem Sklaven ein besonders großer Schaden zugefügt, kann dieser mit der Freiheit des Sklaven ausgeglichen werden.⁷⁵⁰ Wenngleich Molina auch im Hinblick auf das Eigentum an Dingen die Sorge um diese und einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Dingen beschrieben hatte, so zeichnet sich doch ab, dass Sklaven als Eigentumsobjekte für Molina durchaus einen anderen Status als bloße Sachen haben. Insbesondere rückt hierbei das Seelenheil des Sklaven in den Fokus von Molinas Untersuchung, sodass der Herr den Sklaven also durchaus als Nächsten zu betrachten hat. Fraglich bleibt an dieser Stelle jedoch, ob damit auch von einer Nächstenliebe zwischen Herrn und Sklaven die Rede sein kann, oder ob der Sklave nicht als Teil von Gottes Schöpfung angesehen wird, der im Unterschied zu den Tieren auf das Seelenheil hoffen kann, jedoch diesbezüglich einen anderen Status einnimmt als sein Herr. Immerhin scheint dem Sklaven die Möglichkeit, auf das Seelenheil hoffen zu können, von Molina nicht abgesprochen zu werden, sodass er ontologisch als Mensch anzusehen ist. Nur in der gerechten Form der Sklaverei spricht Molina den Herren ein dominium proprietatis über die Sklaven zu. Dies stelle auch den Unterschied zur nicht-sklavi-
DIEI II 38, 300: „Quosque ius dominorum in servos se extendat. Et an mancipia habere possint rei alicuius dominium.“ DIEI II 38, 301: „punirique debent a potestatibus publicis, non solum pro damnis iniuste eis illatis, sed etiam pro iniuriis, quae damni rationem non habuerint; estque illis a confessariis iniungenda pro eiusmodi iniuriis debita satisfactio mancipiis facienda, quando per potestates publicas iniuria punita non fuerit, ne miseri homines omni subsidio careant in damnis et iniuriis, quibus a dominis iniuste afficiuntur. Porro tantum potest esse aliquando damnum, ac iniuria, ut non minus, quam libertate, compensetur.“ cf. DIEI II 38, 301−302
208
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
schen Knechtschaft dar, bei der es kein dominium des Herrn über den Knecht geben könne, sondern aufgrund des an diesen zu entrichtenden Lohnes „nur ein Recht auf die Leistungen und zu erbringenden Dienste.“⁷⁵¹ Doch nicht nur unter Berufung auf das römische bürgerliche Recht und auf das kanonische Recht in Form der Decretalen Papst Gregors IX. erklärt Molina die Sklaverei aus der Kriegsgefangenschaft als gerecht, sondern auch aus der Bibel zitiert Molina Passagen, die vor allem vor dem Hintergrund der Missionierung der indigenen Bevölkerung Südamerikas von Interesse sind und einige Brüche innerhalb seiner Argumentation hinsichtlich der Versklavung von Christen und des ontologischen wie rechtlichen Status von Sklaven allgemein markieren. Aus dem dritten Buch Mose⁷⁵² führt Molina an, weshalb Christen sich nicht untereinander versklaven dürften. Gott sage hier über die Söhne Israels: Wenn dein Bruder sich dir verkauft, weil seine Armut ihn dazu zwingt, dann sollst du ihn nicht durch knechtischen Sklavendienst bedrücken; vielmehr soll er dir wie ein Lohnarbeiter oder Halbbürger gelten und bei dir bis zum Jubeljahr arbeiten; und dann soll er mit seinen Kindern frei von Dir weggehen und zu seiner Verwandtschaft und dem Besitz seiner Väter zurückkehren, denn meine Knechte sind sie, und ich habe sie aus Ägypten herausgeführt; sie sollen nicht wie Sklaven verkauft werden.⁷⁵³
Das bedeutet aber nicht, dass Christen generell keine Sklaven haben dürften, denn diejenigen, die nicht an Gott glauben und daher nicht seine Knechte sein können, dürfen von Gläubigen ebenso versklavt werden wie deren Kinder. Hierzu bedarf es nicht einmal eines gerechten Krieges, durch den die Feinde versklavt werden, sodass sie nicht getötet werden. Molina führt, ohne weiteren Kommentar, ein weiteres Zitat aus Levitikus an, in dem Gott über den Kauf von Sklaven spricht: „Sklave und Sklavin sollt ihr aus den Völkerschaften beziehen, die in eurem Umkreis leben, und von den Ausländern, die bei euch in der Fremde weilen bzw. von diesen in eurem Land geboren worden sind; diese sollt ihr zu Dienern haben und nach dem Erbrecht an eure Nachkommen weitergeben, um sie in Ewigkeit zu besitzen.“⁷⁵⁴ Aus dem ersten Brief an Timotheus 6,1−4 fügt Molina noch hinzu, dass demzufolge einem gläubigen Herren noch eifriger zu dienen sei, da dieser im Gegensatz zu seinem Sklaven eben gläubig sei. Ein letztes wichtiges Zitat, das Molina aus der Bibel auswählt, soll noch erwähnt sein, das sich vor allem im Hinblick auf das Verbot der Versklavung von Christen untereinander als äußerst problematisch erweist. Molina
DIEI II 32, 236: „sed solum ius ad operas et famulatum praestandum.“ Lev. 25, 39−43 DIEI II 32, 236: „Si paupertate compulsus vendiderit se tibi frater tuus, non eum opprimes servitute famulorum, sed quasi mercenarius et colonus erit, usque ad annum iubilaei operabitur apud te, et postea egredietur cum liberis suis, et revertetur ad cognationem et possessionem partum suorum: mei enim servi sunt, et ego eduxi eos de terra Aegypti, non veneant conditione servorum.“ DIEI II 32, 236: „Servus et ancilla sunt vobis de nationibus, quae in circuitu vestro sunt, et de advenis, qui peregrinantur apud vos, vel qui ex his nati fuerint in terra vestra, hos habebitis famulos, et haereditario iure transmittetis ad posteros ac possidebitis in aeternum.“ (Lev. 25, 44−46)
5.6 Iura in servo – Rechte der Herren über Sklaven
209
zitiert aus dem 1. Korintherbrief 7,20−21: „Jeder soll bei der Berufung bleiben, in der er berufen worden ist. Als Sklave wurdest du berufen? So kümmere dich darum nicht, sondern übe [diese Berufung] lieber auch dann aus, wenn Du frei werden könntest.“⁷⁵⁵ Dass Molina diesen Passus als Zitat ausgewählt hat, ist in zweifacher Hinsicht problematisch für seine Untersuchung der Sklaverei: Zum einen kann sich nur derjenige als Sklave von Gott berufen fühlen, das heißt nach dieser Berufung leben, der an Gott glaubt und somit Christ ist. Dann aber darf er nicht von anderen Christen als Sklave angesehen werden, da sich, wie oben erläutert, Christen untereinander nicht versklaven dürfen. Er müsste also freigelassen werden – zumindest als Sklave von Christen ‒ soll aber als Sklave weiterleben, da er von Gott dazu berufen wurde. Nach Domingo de Soto können nur Heiden lebenslang zu Sklaven werden, Christen dürfen nur für eine bestimmte Zeit Sklaven sein.⁷⁵⁶ Doch da Molina das Zitat aus dem Korintherbrief ohne weiteren Kommentar anführt, kann in diesem Fall nicht von einer zeitlich begrenzten Sklaverei eines zum Christentum konvertierten Sklaven ausgegangen werden, sodass das Dilemma bei Molina bestehen bleibt und unklar ist, wie es im Kontext seiner Untersuchung der Sklaverei zu verstehen sei. Zum anderen ergibt sich aus dem zitierten Passus des Korintherbriefes ein weiteres Problem daraus, dass Gott Menschen zu Sklaven beruft. Im Anschluss an die zitierten Bibelstellen weist Molina im abschließenden Absatz von Diputation 32 des zweiten Traktats darauf hin, dass gemäß dem römischen Recht die „Sklaverei eine Einrichtung des Rechtes der Völker sei, durch die jemand wider die Natur dem dominium eines anderen unterworfen werde“.⁷⁵⁷ Die Sklaverei entstammt also nicht dem Naturrecht, sondern, wie Molina weiter erläutert, sei „vom Recht der Völker erlaubterund gerechterweise im Widerspruch zu demjenigen eingeführt, was die Natur der Dinge bei Betrachtung allein der ersten Einrichtung der Dinge erforderte.“⁷⁵⁸ Wenn die Sklaverei durch das Recht der Völker eingeführt ist, das Molina dem ius positivum humanum zuordnet,⁷⁵⁹ dann bleibt völlig unklar, wie es sein könne, dass Gott einige Menschen zu Sklaven beruft (und dies auch noch für die Dauer ihres gesamten Lebens). Sklaven würden dann nicht nur rechtlich, sondern auch ontologisch einen anderen Status als freie Menschen einnehmen, da nach dem Naturrecht, das aus der göttlichen lex aeterna abgeleitet ist, alle Menschen frei geboren sind und die Sklaverei gegen das Naturrecht ist. Wie sich diese Widersprüche innerhalb Molinas Untersu-
DIEI II 32, 237: „Unusquisque in qua vocatione vocatus est, in ea permaneat. Servus vocatus est? non sit tibi cura, sed et si potes fieri liber, magis utere.“ cf. Brett (1994, 168) Brett bezieht sich auf de Sotos De Iustitia et Iure, Liber IV, Qu. 2, art. 2. DIEI II 32, 237: „Quod si quis nobis obiiciat l. Libertas ff. de statu hominum, et § servitus, Instit. de iure personarum, quibus in locis dicitur, servitutem esse de iure gentium, qua quis dominio alieno contra naturam obiicitur, utpote contra ius naturae.“ DIEI II 32, 237: „licite ac iuste fuisse de iure gentium introductam, contra id quod, spectata sola prima rerum constitutione, natura rerum postulabat.“ siehe Kapitel 3.1
210
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
chung der Sklaverei auflösen lassen bzw. aus welchem Grund er die genannten Bibelstellen zitiert, bleibt rätselhaft. Die Rechte der Herren über ihre Sklaven lassen sich als Eigentumsrechte wie über andere Eigentumsobjekte beschreiben. Der Herr hat nicht nur ein Recht auf die Erträge der Arbeit des Sklaven, sondern darf diesen gemäß der freien Verfügung verkaufen, verschenken, tauschen etc. Allerdings darf der Herr dem Sklaven weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen, auch darf die zu erbringende Arbeit die Gesundheit des Sklaven nicht beeinträchtigen. Da Molina deutlich herausstellt, dass zudem das Seelenheil des Sklaven nicht gefährdet sein darf und der Herr den Sklaven unter keinen Umständen zu irgendetwas zwingen dürfe, das das Seelenheil des Sklaven in Gefahr bringen könnte, scheint Molina den Sklaven als Nächsten zu bestimmen. Diese Einschätzung wird im folgenden Kapitel auch bestätigt. So bleibt der Sklave ontologisch ein Mensch, der in Sklaverei geraten ist. Doch nimmt der Sklave dennoch einen Sonderstatus ein, da ihm als Objekt des dominium proprietatis von seinem Herrn keine Nächstenliebe entgegengebracht werden kann, wie es bei freien Menschen, über die es nur ein dominium iurisdictionis geben kann, der Fall ist, da die Herrschaft über Freie das Wohl der Beherrschten zu berücksichtigen hat, der Sklave als Eigentumsobjekt hingegen zum Wohl des Herrn da ist. Zumindest ist fraglich, wie der Herr dem Sklaven gegenüber zur Nächstenliebe verpflichtet sein soll. Diese Frage wird das folgende Kapitel begleiten, das der Untersuchung dient, inwiefern den Rechten des Herrn über den Sklaven auch Pflichten gegenüberstehen und wieweit die Verantwortung des Herrn gegenüber seinem Sklaven reicht.
5.7 Korrelierende Pflichten? Zur Verantwortung der Herren gegenüber den Sklaven Der Eindruck, dass Sklaven für Molina als Menschen angesehen werden, wenngleich sie durch die Sklaverei rechtlich den Status von Eigentumsobjekten einnehmen, bestätigt sich wie folgt: Nachdem Molina einige Rechtspraktiken bei Verbrechen der Herren an ihren Sklaven aus dem Buch Exodus referiert hat, hält er fest: „Und auch heute [!] sind diejenigen, die ähnliche Verbrechen an ihren Sklaven begangen haben, nach dem Naturrecht dazu verpflichtet, ihren Sklaven eine angemessene Genugtuung zu leisten, insofern sie Menschen und ihre Nächsten sind und insoweit sich der Schaden und das Unrecht hinsichtlich dessen auf diese trifft, was der Macht ihrer Herren keineswegs untergeben ist.“⁷⁶⁰ Mit Blick auf die Sklaven in der sogenannten ‚Neuen Welt‘ („heute“) betont Molina, dass diese dennoch Menschen und somit
DIEI II 38, 303: „tenenturque hodie naturae iure, qui similia crimina in servos suos commiserint, satisfactionem competentem servis ipsis efficere, quam homines ac proximi sunt, et quatenus damnum et iniuria in eos quoad ea, quae dominorum potestati minime subsunt, redundant.“
5.7 Korrelierende Pflichten? Zur Verantwortung der Herren gegenüber den Sklaven
211
Nächste sind und ihnen nach dem Naturrecht und dem Gebot der Nächstenliebe kein Unrecht widerfahren darf bzw. sie gemäß dem subjektiven Recht bei erlittenem Unrecht einen Anspruch auf Wiedergutmachung haben.⁷⁶¹ Auch wenn die Sklaverei nach menschlichem Recht durch das ius gentium eingeführt wurde, verlieren naturrechtliche Gebote hier nicht ihre Geltung. Aus diesem Grund dürfen Sklaven durch ihre Herren auch nicht an der Ehe gehindert werden.⁷⁶² Wenngleich Molina durch die Bestimmung der Sklaven als Menschen und Nächste diesen einen höheren Rang als bloßen sachlichen Objekten des Eigentums zuspricht und somit auch durch die naturrechtliche Pflicht zur Wiedergutmachung einen Schutz gegenüber willkürlichem und gewaltsamen Umgang durch die Herren hervorhebt, so nimmt er in Bezug auf die Nächstenliebe eine folgenreiche Unterscheidung vor: Wenn sich jemand selbst oder seine Kinder aus größter Not heraus in die Sklaverei zu verkaufen beabsichtigt, was durch das Naturrecht erlaubt ist, solange der Preis fair ist⁷⁶³ und tatsächlich eine schwere Not besteht,⁷⁶⁴ dann darf ein Christ nur denjenigen oder dessen Kinder als Sklaven kaufen, der ungläubig ist. Christen und ihre Kinder dürfen aus ihrer Notlage nicht durch einen Kauf in Sklaverei ‚gerettet‘ werden, denn ihnen sei mit einem Darlehen oder mit Almosen zu helfen. Wenn nun die gekauften ungläubigen Sklaven während der Sklaverei getauft werden, dann bleiben sie dennoch Sklaven, da sie so nicht nur am Leben bleiben, sondern durch die Erziehung und die Sitten der christlichen Herren überhaupt erst das Seelenheil erlangen könnten. Dies träfe, so Molina, explizit auf gekaufte Sklaven aus Südamerika und Afrika zu: Wenn man […] hinzufügt, dass nach dem Gesetz der Nächstenliebe das geistliche Wohl jenes [Versklavten] vor dessen körperlichem Wohl und vor dessen Freiheit den Vorrang hat, dann wird man finden (wenigstens wenn jener ein Ungläubiger ist, dem die Sklavenschaft viel zum geistlichen Heil nutzen würde, denn er würde zu Christen gebracht und getauft werden, und um die Beschaffenheit seiner Erziehung und Sitten würde es viel besser stehen, als wenn man ihn in seiner Freiheit beließe), dass das Gebot der Nächstenliebe und des Almosengebens nicht verlangt, dass ihm der Preis umsonst gegeben werde, sondern vielmehr [verlangt, dass er ihm] zur Wiedererstattung gegen dauerhafte Sklaverei [gegeben werde]. Wir aber behaupten, dass diese von uns und Navarrus vertretene Ansicht vornehmlich dann durch und durch wahr ist, wenn die Sklavenschaft dazu beitragen wird, dass derjenige, der so gekauft wird, gemeinsam mit dem Leben des Leibes das Heil der Seele erlangt, was in der brasilianischen Gegend und in Äthiopien oft vorkommen wird. Wenngleich wir aber nicht bestreiten, dass [diese von uns und Navarrus
Matthias Kaufmann (2014, 220) weist darauf hin, dass Molina hier in einer besonderen Weise für den Schutz der Sklaven vor einer willkürlichen Behandlung durch den Herrn argumentiert und seine Argumentation sowohl mittels des römischen Rechts als auch des kanonischen Rechts untermauert. Denn Molina weiche hier eindeutig von der Tradition des römischen Rechts ab. cf. DIEI II 38, 303 DIEI II 33, 246: „Ergo stando in solo iure naturae fas erit illum emere pretio iusto, qui eo pretio extreme indiget, cum non sit de illius servitute quam de servitute filiorum maior ratio.“ DIEI II 33, 243: „Sciendum est item iure naturae fas esse parentibus in gravi sua necessitate filios vendere, id quod ex Exod. 21 etiam colligitur.“
212
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
vertretene Ansicht] auch dann statthat, wenn die Sklavenschaft dem spirituellen Heil dessen, der gekauft wird, nicht so dient, wie es die Gründe, die wir geliefert haben, glaubhaft zu machen scheinen, so zweifeln wir dennoch nicht daran, dass Christen zu raten sei, dass, wenn derjenige, der so gekauft werden soll, ein Christ ist, der Preis gänzlich umsonst entrichtet oder aber – wenn jener nicht schlechthin arm ist – geborgt werden müsse; dies nämlich erfordert – zumal gegenüber Glaubensgenossen – die christliche Nächstenliebe, und wir haben niemals gehört, dass ein Christ seine oder seiner Kinder Freiheit an Christen verkauft habe, damit er aus äußerster oder schwerer Not befreit werde; und wenn es irgendeinen [Christen] gäbe, der in der Bedrängnis einer Notlage sich oder seine Kinder verkaufen wollte, so würde er keinen Christen finden, der sie kaufen würde; vielmehr würde dieser ihm rein umsonst oder durch ein Darlehen zu Hilfe eilen.⁷⁶⁵
Das im vorigen Kapitel angesprochene Problem hinsichtlich des Verbots der Versklavung von Christen untereinander spitzt sich also noch zu, wenn Molina sogar von der Taufe eines ungläubigen Sklaven spricht, die die Sklaverei nicht aufhebt, und zudem den Zustand eines gläubigen Sklaven dem eines freien Ungläubigen vorzieht. Die Freiheit des Ungläubigen hat demnach für Molina einen geringeren Wert als das Seelenheil, welches jene durch den christlichen Glauben und die christliche Kultur erreichen können. Auch das körperliche Wohl rückt laut Molina „nach dem Gesetz der Nächstenliebe“ in den Hintergrund, wenn das Seelenheil befördert werden könne. Molina hatte dem Herrn gerade nicht das Recht zugestanden, dem Sklaven körperlichen Schaden zuzufügen. Doch wenn das Seelenheil das körperliche Wohl überwiegt, scheint ein christlicher Herr seinen ungläubigen Sklaven auch unter Berufung auf dessen Seelenheil körperlich züchtigen zu dürfen. Da allein Gott das dominium über menschliches Leben habe, wird diese Züchtigung jedoch nicht das Leben des Sklaven gefährden dürfen. Behandelt ein Herr seinen Sklaven aber ohne vernünftigen Grund schlecht, so soll er rechtmäßig beim Stadtpräfekten angezeigt werden. Wird eine Sklavin von ihrem Herren „zur Unzucht gezwungen“, dann kann der Bischof sie in die Freiheit entlassen. Das Seelenheil stellt also das allerhöchste Gut dar, zu dessen Wohl anscheinend andere Güter wie Freiheit und Gesundheit unter Umständen in den
DIEI II 33, 246−247: „Quod si his adiungas, caritatis lege bonum spirituale illius praeponderare bono eiusdem corporali, ac libertati, invenies (saltem quando ille infidelis esset, cui servitus multum ad spiritualem saltem conferret, eo quod adduceretur ad Christianos, et baptizaretur, ratioque educationis, & morum illius multo melior haberetur, quam si suae libertati, relinqueretur) praeceptum caritatis et eleemosynae non postulare, ut gratis illi daretur pretium, sed potius in recompensationem pro perpetua servitute. Nos autem potissimum intendimus nostrum hoc et Navarri assertum verum omnino esse, quando servitus conferet, ut, qui ita emitur, una cum vita corporis salutem animae consequatur, quod saepe in Brasilica regione et in Aethiopia eveniet. Quamvis autem non negemus habere etiam locum, quando servitus ad spiritualem salutem eius, qui ita emeretur, non conferret, ut rationes, quas confecimus, persuadere videntur, non dubitamus tamen suadendum esse Christianis, ut quando, qui ita esset emendus, Christianus esset, gratis omnino pretium exhiberetur vel commodatum, si ille simpliciter non esset pauper, id namque praesertim erga fidei domesticos Christiana postulat caritas, neque umquam audivimus Christianum suam aut suorum filiorum libertatem Christianis vendidisse, ut ab extrema vel gravi necessitate erueretur, neque, si quisquam esset, qui necessitate oppressus vellet se aut suos filios vendere, Christianum reperiret, qui eos emeret, sed mere gratis vel mutuo illi subveniret.“
5.8 Subjektives Recht für Sklaven?
213
Hintergrund geraten können bzw. durch den (christlichen) Herren sogar eingeschränkt werden dürfen. Damit scheint der Sklave zwar als Nächster angesehen zu werden, jedoch ohne dass ihm der Herr Nächstenliebe entgegenzubringen braucht. Vielmehr scheint der Herr nach Molina den Sklaven auch in Richtung auf dessen Seelenheil anzuleiten. Die Nächstenliebe des Herrn gegenüber dem Sklaven könnte als eine Art von Gefälligkeit bestimmt werden. Damit ist zwar das Problem innerhalb Molinas Untersuchung nicht aufgehoben, dass Christen sich nicht versklaven dürfen, und Sklaven, die den christlichen Glauben annehmen, wie zum Beispiel im Fall der missionierten indigenen Bevölkerung, im Grunde in die Freiheit entlassen werden müssten. Doch scheint Molina diesem Problem auszuweichen, indem er den Christen, die erst in der Sklaverei getauft wurden, einen anderen Status zuspricht als freien Christen. Immerhin scheint die Verantwortung des Herrn gegenüber seinen Sklaven weiter zu reichen als bei anderen Objekten des dominium proprietatis. Denn der Herr hat offenbar die Aufgabe, den gläubigen Sklaven zu dessen Seelenheil hin zu erziehen, wenn der Sklave „aufgrund der christlichen Erziehung und Bräuche“ in Bezug auf sein Seelenheil ein deutlich besseres Leben hat, als wenn er in Freiheit als Ungläubiger leben würde. Somit besteht die Verantwortung des Herrn gegenüber dem Sklaven nicht nur darin, den Sklaven nicht zu schädigen, sondern ihn zu einem Leben gemäß dem christlichen Glauben anzuleiten, notfalls durch körperliche Züchtigung. Zwar sieht Molina durch die oben genannten Pflichten des Herrn gegenüber dem Sklaven, wie zum Beispiel die Arbeit der Gesundheit des Sklaven entsprechend anzuordnen, einen gewissen Schutz der Sklaven gegenüber den Herren vor, und so könnte auch die Berücksichtigung und Anleitung der Herren zum Seelenheil der Sklaven gedeutet werden, doch besteht durch letzteres auch die Gefahr, dass unter dem Deckmantel der Anleitung zum Seelenheil die Herren die Sklaven übermäßig strafen und leiden lassen könnten. Ob der Anspruch des Sklaven auf Wiedergutmachung bei einem ihm zugefügten Schaden dem entgegenwirken kann, bleibt fraglich. Inwiefern die Verantwortung der Herren gegenüber den Sklaven durch Rechte der Sklaven gesichert ist bzw. wie Molina den rechtlichen Status eines menschlichen Eigentumsobjektes bestimmt, das über das höchste Gut, nämlich die Hoffnung auf das Seelenheil, verfügt, soll im Folgenden untersucht werden.
5.8 Subjektives Recht für Sklaven? Wie lässt sich nun das rechtliche Verhältnis zwischen Herren und Sklaven interpretieren? Kann der Sklave zugleich Eigentumsobjekt und Rechtssubjekt sein, wie es im Falle einer Wiedergutmachung der Fall sein müsste? Tatsächlich scheinen sich diese beiden Positionen für Molina nicht auszuschließen. Im Falle der weidenden Schafe,⁷⁶⁶
siehe Kapitel 3.2
214
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
denen der Zugang zu einer öffentlichen Weide verwehrt blieb, oblag dem Hindernden die Pflicht, den Schaden nicht gegenüber den Schafen, sondern ihrem Herren gegenüber zu erstatten. Wenn nun jemand dem Sklaven eines anderen Herrn Schaden zufügt, so muss er sowohl dem anderen Herrn als auch dem Sklaven selbst den Schaden ersetzen bzw. wiedergutmachen. Dennoch scheint der Status des Sklaven als Rechtssubjekt sich von dem eines freien Rechtssubjekts zu unterscheiden, da der Sklave im Gegensatz zu einem geschädigten Herrn sein Recht nicht selbst einfordern kann. Dies ist Aufgabe der publicas potestates, der öffentlichen Amtsgewalt.⁷⁶⁷ Andererseits stellt Molina den Sklaven und seinen Herrn mit Hinblick auf das Gebot der Nächstenliebe in diesem Zusammenhang auf eine Ebene, denn seinen eigenen Sklaven zu Unrecht zu schlagen, stellt eine geringere Sünde dar, als den Sklaven eines anderen zu Unrecht zu schlagen, „denn jener fügt nur einem, dieser aber zweien Schaden und Unrecht zu.“⁷⁶⁸ Nicht etwa wiegt das Unrecht an dem Sklaven eines anderen also deshalb stärker, weil ein anderer Herr beschädigt wird, sondern weil zwei Rechtssubjekte, Sklave und Herr, Unrecht erfahren. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Molina Sklaven als Rechtssubjekte betrachtet und den Sklaven tatsächlich Rechte zuspricht, die nicht bloß aus den Pflichten der Herren gegenüber ihren Sklaven resultieren.⁷⁶⁹ Dennoch stellt der rechtliche Status der Sklaven eine Sonderebene zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt dar, denn ein Sklave kann seine Rechte nicht selbst vor Gericht einfordern. Molinas Antwort auf die Frage nach dem dominium von Sklaven dürfte nach diesen Überlegungen nicht überraschen: Er spricht Sklaven ein dominium zu und nennt fünf Fälle der Anwendung.⁷⁷⁰ Aufgrund ihres speziellen rechtlichen Status, sowohl Rechtssubjekt als auch Eigentumsobjekt zu sein, ergeben sich bestimmte Regelungen. Ein Sklave kann über etwas das dominium proprietatis haben, wenn es (1) zwischen ihm und seinem Herren einen Vertrag gibt, demzufolge er dem Herrn in bestimmten zeitlichen Abständen einen bestimmten Teil der Erträge seiner Arbeit zukommen lassen muss, den Überschuss aber selbst behalten kann. Dies habe laut Molina vielen Sklaven die Möglichkeit gegeben, sich mit eigenem Geld freizukaufen. Molina betont, dass der Herr verpflichtet ist, einen mit seinem Sklaven geschlossenen Vertrag einzuhalten. Auch hier wird also die Geltung der naturrechtlichen Ordnung innerhalb der Sklaverei hervorgehoben. Allerdings müsse die Klage bei einem Vertragsbruch des Herrn durch einen Richter stattfinden, da der Sklave selbst nicht gegen seinen Herrn vor Gericht ziehen könne. Dies könne er nur, wenn es um seine Freiheit ginge oder um Fälle, die das Gemeinwohl beträfen, so Molina.⁷⁷¹ Streng genommen
cf. DIEI II 38, 303 DIEI II 38, 303: „Hinc constat, minus peccare eum, qui servuum proprium, quam qui alienum iniuste percutit: eo quod ille uni tantum, hic vero duobus damnum ac iniuriam inferat.“ Für die Anregung zu diesen Überlegungen danke ich Christiane Birr. cf. DIEI II 38, 303−305 DIEI II 38, 301−302: „Licet autem servo non permittatur agere in iudicio adversus dominum suum, nisi in causa suae libertatis, in aliis quibusdam eventibus, qui ad commune bonum spectant, […].“
5.8 Subjektives Recht für Sklaven?
215
kann die Vertragsbeziehung zwischen Herrn und Sklave auch als rein naturrechtliche Verpflichtung angesehen werden, da Molina in Disputation 261 des zweiten Traktats von De Iustitia et Iure darauf hinweist, dass es eigentlich keine positive Rechtsordnung gäbe, in der Verträge zwischen Herrn und Sklave als verbindlich angesehen würden – abgesehen von einem Freikauf durch den Sklaven selbst.⁷⁷² Doch dürfe der Sklave seinen Schaden gegenüber einem Richter anzeigen und die naturrechtliche Verbindlichkeit, Verträge einzuhalten, habe in jedem Falle Geltung. Außerdem steht einem Sklaven das dominium proprietatis (2) bei einer Schenkung durch seinen Herren oder durch jemand anderen zu. Hier taucht nun eine entscheidende Formulierung auf, die keinen Zweifel daran lässt, dass Sklaven für Molina zwar einen anderen rechtlichen Status als freie Menschen einnehmen, ontologisch jedoch Menschen bleiben: „Wie nämlich zwischen einem Herren und einem Sklaven ein Vertrag stattfinden kann […], zwar nicht insofern dieser ein Sklave, so aber doch insofern er ein Mensch ist, dem es widerfahren ist, ein Sklave zu sein, so auch eine Schenkung […].“⁷⁷³ Damit wird deutlich, dass der rechtliche Status des Sklaven bei Molina wie bereits oben festgestellt wurde, tatsächlich eine Sonderebene darstellt: Qua homo verliert der Sklave seine Rechte nicht, zum Beispiel als Rechtssubjekt einen Vertrag mit einem anderen Rechtssubjekt abzuschließen. Aber dieses Recht kommt ihm als Mensch zu, qua servus kann er als Vertragspartner nicht in Erscheinung treten. Da der Sklave „ein Mensch ist, dem es widerfahren ist, Sklave zu sein“, bleibt er mit Hinblick auf seinen Rechtsstatus also in einer Sonderebene von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt.⁷⁷⁴ Außerdem kann ein Sklave dominium proprietatis über Sachen erhalten, wenn er für ein an ihm begangenes Unrecht (3) Schadensersatz erhält. Auch hier taucht wieder die Formulierung qua homo auf: „Weil es nämlich für ein Unrecht erstattet wird, das ihm selbst, insofern er ein Mensch ist, und mit Bezug auf das, was dem Herrn nicht unterliegt, angetan worden ist, erwirbt er über es wahrhaft das dominium.“⁷⁷⁵ Wenn dem Sklaven qua homo ein Unrecht angetan werden kann, so muss er über Vernunft und freien Willen verfügen, denn nur solchen Wesen könne laut Molina ein Unrecht widerfahren, wie bei der Untersuchung des subjektiven Rechts deutlich wurde. Auch in Bezug auf das dominium nimmt der Sklave eine Sonderposition ein: Durch das Vermögen zu Vernunft und freiem Willen hat er in Bezug auf die von ihm angeeigneten Dinge ein dominium externarum rerum, das sich aus dem für den Menschen spezifischen dominium actionum suarum ableitet, wie im vierten Kapitel erläutert wurde,
cf. Kaufmann (2014, 220) DIEI II 38, 304: „Quemadmodum enim inter dominum et servum, non qua servus est, sed qua homo, cui accidit, ut sit servus, esse potest contractus, ut paulo ante dictum est: ita etiam donatio […].“ Hieraus ergibt sich die in Kapitel 4.2 erwähnte Parallele zur Freundschaft bei Aristoteles, die es zwischen Sklaven und Herren geben kann, wenn der Sklave als Mensch betrachtet wird. Zu Rechten, die Molina Sklaven qua homo zugesteht, siehe auch Simmermacher (2016b, 165−168). DIEI II 38, 304: „Quia enim restituuntur pro iniuria sibi ipsi facta, qua homo est, et quoad ea, quae domino non subiacent, vere comparat illorum dominium.“
216
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
doch ist er als Sklave eben nicht Herr seiner Handlungen. Dennoch würde Molina ihm das dominium actionum suarum sicherlich nicht absprechen, da auch der Sklave qua homo gemäß der natura rei-Lehre über diese dem Menschen so wesentliche Eigenschaft substanziell verfügen können muss. Führt man diesen Gedanken weiter, wird der Sklave auch in der Lage sein, durch das Vermögen zum freien Willen moralisch zu handeln, wozu Molina sich freilich nicht äußert.⁷⁷⁶ Neben den genannten Fällen kann ein Sklave rechtmäßig dominium über etwas erhalten, wenn (4) ausdrücklich ihm und nicht seinem Herren etwas geschenkt oder überlassen wird und wenn er (5) von seinen eigenen Gütern beim Spiel oder einem Handel Gewinn erzielt. Wie in Kapitel 3.5 bei der Diskussion der Verminderung der Rechtsfähigkeit bereits vermutet wurde, verliert der Sklave durch den Verlust oder Entzug seiner bürgerlichen Rechte in der Sklaverei also nicht die facultas, Träger von Rechten zu sein. Die Sklaverei besteht nach menschlichem Recht und kann das dominium, das dem Menschen ex natura rei zukommt, nicht aufheben. Rechtsmetaphysisch bleibt der Sklave also wie ein freier Mensch Rechtsträger. Auf rechtspraktischer Ebene kommt es durch die Sklaverei aber zum Verlust vieler positiver bürgerlicher Rechte, wobei Molina bestimmte rechtliche Regelungen anführt, wie beispielsweise die Aneignung von Eigentum, die für den Sonderstatus der Sklaven geschaffen werden. Das natürliche dominium und auch das Recht, keinen Schaden zu erleiden, bleiben aber erhalten. Somit können für Molinas Rechtslehre zwei Statusbegriffe eines Trägers von Rechten festgehalten werden, da der Sklave im Unterschied zu einem freien Menschen einen sensiblen Sonderstatus zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt einnimmt. Wie Molinas Konzept des dominiums im Hinblick auf das moderne Konzept von Grundrechten einzuordnen ist, soll im folgenden, abschließenden Kapitel bestimmt werden.
5.9 Iura qua homo – Molinas Rechtstheorie als Rohbau einer Theorie von Grundrechten Luis de Molina schreibt Sklaven einen rechtlichen Status zu, durch den sie gegenüber ihren Herren eine Position zwischen gleichwertigem Rechtssubjekt und gegenständlichem Rechtsobjekt einnehmen. Entscheidend ist hierbei die Figur des subjektiven Rechts, die für Molina wie für moderne Anhänger dieser Rechtsfigur das Recht schlechthin beschreibt. Gemäß Molinas Definition stellt die Verwehrung eines subjektiven Rechts oder die Hinderung, ein subjektives Recht auszuüben, ein Unrecht dar. Die Rechte des Sklaven, die ihm deshalb zugestanden werden, weil er trotz Verskla Samuel Pufendorf (1632−1694) geht genau andersherum vor, wenn er Sklaven keinen rechtlichen, aber einen moralischen Status zuspricht, wie Matthias Lutz-Bachmann (2011, 114−115) hervorgehoben hat: „Von Suárez übernimmt später beispielsweise Samuel Pufendorf den Begriff der ‚persona moralis‘, fasst ihn aber im Unterschied zu Suárez deutlich eingeschränkter, indem er etwa den Sklaven zwar den Status von moralischen Personen zuspricht, ihnen aber gerade keine Rechtssubjektivität zubilligt.“
5.9 Iura qua homo – Molinas Rechtstheorie als Rohbau einer Theorie von Grundrechten
217
vung als menschliches Wesen anzusehen ist, bieten dem Sklaven Schutz vor ungerechten Handlungen. Als Rechtssubjekt unterscheidet Molina den Sklaven daher insofern nicht von seinem Herrn, als er vor Unrecht zu schützen ist und einen Anspruch auf Entschädigung für an ihm oder seinem Eigentum begangenes Unrecht hat. Allerdings kann der Sklave seinen Anspruch auf ein bestimmtes Recht nicht selbst geltend machen, da es ihm nicht möglich ist, selbst vor Gericht zu ziehen. Sein naturrechtlich begründeter, ebenbürtiger Rechtsstatus gegenüber dem Herrn wird durch die positive Rechtsordnung, durch die die Sklaverei überhaupt erst möglich wird, derart eingegrenzt, dass er als Rechtssubjekt mit Hinblick auf die Verteidigung und Durchsetzung seiner ihm qua homo zustehenden Rechte rechtlich unmündig gemacht wird. Dies ist der komplizierten rechtlichen Sonderposition eines menschlichen Rechtssubjekts, das gleichermaßen das Rechtsobjekt eines anderen Menschen darstellt, geschuldet. Aufgrund der rechtlichen Sonderposition dürfen die Rechte, die Molina einem Sklaven zwar zugesteht, die dieser allerdings nicht selbst vor einem Gericht einklagen kann, nicht als Menschenrechte verstanden werden. Menschenrechte zeichnen sich dadurch aus, dass sie jedem Menschen ohne weitere Differenzierung hinsichtlich des Geschlechtes, der Hautfarbe oder des sozialen Standes zugestanden werden. Wenn Molina von Rechtsansprüchen, die dem Sklaven qua homo zustehen, handelt, so wird deutlich, welches Mindestmaß an Rechten einem Menschen als Menschen zukommen. Dieses Mindestmaß darf aber nicht mit dem Konzept der Menschenrechte gleichgesetzt werden, dem die rechtliche Gleichheit aller Menschen als Kriterium der Universalisierbarkeit zugrunde liegt und das auf der Idee beruht, die als Menschenrechte deklarierten Rechte seien unverzichtbar. Der Gedanke, seine rechtliche Freiheit zu veräußern und sich zum Sklaven eines anderen Menschen zu machen, ist unvereinbar mit dem Konzept der Menschenrechte. Ähnlich wie der Begriff ius gentium nicht mit dem modernen Völkerrecht gleichgesetzt werden darf, müssen die Bezeichnungen Rechte qua homo und Menschenrechte sorgsam auseinandergehalten werden. Wenngleich gezeigt werden konnte, dass Molina von Rechten qua homo handelt, wie Vertragsrechte, das Recht auf rechtmäßig erworbenes Eigentum, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf das geistliche Wohl, so sei damit nicht behauptet, bei Molina ließen sich Menschenrechte nachweisen. Diese Rechte qua homo legen den Grundstein dafür, welche Rechte zugestanden werden, wenn jemandem die Eigenschaft zukommt, überhaupt Träger von Rechten sein zu können. Daher ließe sich Molinas Gedanke der iura qua homo als Rohbau einer Theorie von Grundrechten auffassen, wenn Grundrechte so verstanden werden, dass sie aus allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet sind, und somit ‚Mindestrechte‘ oder ‚Elementarrechte‘ aus dem Naturrecht darstellen. Als solche werden in der Moderne Abwehrrechte eines Individuums gegenüber dem Staat bezeichnet, aber auch gegenüber anderen Individuen. Wenn Molina dem Sklaven Rechte zugesteht, die ihn vor unrechtmäßiger Behandlung durch den Herrn schützen, so können diese Schutzrechte als Abwehrrechte verstanden werden. Im Unterschied zu modernen Grundrechten kann der Sklave aufgrund seines rechtlichen Sonderstatus jedoch diese
218
5 Dominium über Menschen: Subjektives Recht an Sklaven bzw. in der Sklaverei?
Rechte nicht selbst vor einem Gericht einfordern, wodurch ein wesentliches Merkmal von Grundrechten (noch) nicht erfüllt ist.
6 Ergebnisse Die vorliegende Untersuchung hat unter der Verbindung von rechtsmetaphysischen und rechtspraktischen Fragestellungen die These verfolgt, dass Molinas Rechtslehre einen wichtigen Grundstein für die Frage bildet, welche Rechte zugestanden werden, wenn jemandem die Eigenschaft zukommt, Träger von Rechten sein zu können. Dafür wurde durch die Verknüpfung der Willensmetaphysik aus der Concordia und der Rechtslehre aus De Iustitia et Iure anhand der Sklavenproblematik die Interpretation des subjektiven Rechts avant la lettre begründet. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Molinas Bestimmung des ius als „die Fähigkeit (facultas), etwas zu tun oder zu erhalten oder darauf zu beharren oder sich auf irgendeine Weise zu verhalten, sodass ihrem Inhaber ein Unrecht geschieht, wenn ihr ohne legitimen Grund entgegengewirkt wird.“⁷⁷⁷ ist als subjektives Recht zu deuten, das einem Individuum zukommt. Das so bestimmte ius korrespondiert mit der in Kapitel 2.9 gegebenen Definition subjektiven Rechts, derzufolge einzelnen Personen rechtliche Befugnisse und Rechtsansprüche, die den Personen als Individuen oder juristischen Personen zustehen und die sie als Individuen im Rahmen einer bestehenden Rechtsordnung einklagen können, zustehen. Entgegen der gängigen Interpretation der Rechtsgelehrten bestimmt Molina das Verhältnis von ius und dominium so, dass das dominium das Antezedens des ius bildet: Auf rechtsmetaphysischer Ebene ist dominium (im Allgemeinen) „etwas, das der Fähigkeit oder dem Recht, vollkommen über eine Sache zu verfügen, deren Herren wir sind, vorangeht […].“⁷⁷⁸ Daher entstehen aus dem Vermögen des dominium erst Rechte. Auf der rechtspraktischen Ebene bestimmt Molina das dominium als Paradigma des subjektiven Rechts gemäß der Definition des Bologneser Juristen Bartolus de Saxoferrato als „das Recht, vollständig über ein körperliches Ding zu verfügen, soweit es nicht vom Gesetz verboten ist.“⁷⁷⁹ Ein Träger des subjektiven Rechts ist jemand, der etwas als das schlechthin Seine hat, und zwar ex natura rei. ⁷⁸⁰ Jede Hinderung an der Ausübung der freien Verfügung über ein Objekt des dominium stellt ein Unrecht gegenüber dem Träger des subjektiven Rechts dar. Eine Verletzung dieses Rechts hat einen Anspruch des Rechtsträgers auf Wiedergutmachung zur Folge. Als vernunftbegabtes Wesen ist der Mensch durch seinen freien Willen Herr seiner Handlungen. Dieses Vermögen kann er auch auf andere Dinge ausweiten, wie Molina aus der Ableitung des dominium externarum rerum, dem dominium über Dinge, aus dem dominium actionum suarum, das ist die Handlungsfreiheit nach dem Imago Dei DIEI II 1, 40: „Est facultas aliquid faciendi, sive obtinendi, aut in eo insistendi, vel aliquo modo se habenti, cui si, sine legitima causa, contraveniatur, iniuria fit eam habenti.“ DIEI II 3, 53: „vero relatio dominii sit quippiam antecedens facultatem, iusve perfecte disponendi de re, cuius sumus domini […].“ DIEI II 3, 50: „Est ius perfecte disponendi de re corporali, nisi lege prohibeatur.“ DIEI II 3, 54: „illeque proinde est dominus illius, ex natura rei habet is plenum et integrum ius circa illam […].“ https://doi.org/10.1515/9783110551938-006
220
6 Ergebnisse
Schema, demonstriert. Da Molina bereits die Fähigkeit zu Vernunftgebrauch und Willensfreiheit als Voraussetzung zum dominium ausreicht, der Gebrauch von Vernunft selbst und eine Willensfreiheit in actu dafür nicht notwendig sind, haben auch Kinder und geistig Behinderte dominium, sodass sie als passive Träger subjektiven Rechts aufgefasst werden können. Da subjektives Recht für Molina innerhalb einer objektiven Rechtsordnung besteht, kann es als rechtliche Freiheit eines Individuums bestimmt werden. Die Untersuchung des Gesetzes in Molinas Rechtslehre hat ergeben, dass das Gesetz individuelles Wohl und Gemeinwohl gleichermaßen zu wahren hat, sodass die rechtliche Freiheit des Individuums durch das objektive Recht gesichert ist. Dominium kommt dem Menschen sowohl in rechtsmetaphysischer Hinsicht als Antezedens des ius als ex natura rei von Gott gegeben zu als auch in rechtspraktischer Hinsicht gemäß dem Imago Dei-Schema, aus dem das dominium über äußere Güter folgt. Die Berücksichtigung der scientia media aus Molinas Dreiteilung des göttlichen Allwissens in der Concordia hat hervorgehoben, welche große Bedeutung der natura rei-Lehre in Molinas Rechtslehre zukommt: Durch sie kann der Mensch innerhalb Molinas Rechtslehre als Träger natürlicher Rechte angesehen werden. Damit wird aber nicht behauptet, dass Molinas Rechtslehre diese Rechte allen menschlichen Wesen in gleichem Umfang zugesteht. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass der rechtsmetaphysische Gedanke in Molinas Rechtslehre auftaucht, ohne dass sich daraus zwingend Konsequenzen für die Rechtspraxis ergeben. Durch die Verbindung der rechtsmetaphysischen und rechtspraktischen Perspektiven konnte die moralische Komponente subjektiven Rechts nachgewiesen werden: Das Vermögen zum dominium darf nicht zum Schaden anderer eingesetzt werden. Gerade weil der Mensch dominium aufgrund seiner Vernunft und seines freien Willens hat, ist er zu einem Gebrauch gemäß diesen Vermögen verpflichtet. Zudem ist die Ausübung des dominium gemäß der Definition an das Gesetz gebunden, sodass nicht nur in rechtsmetaphysischer Hinsicht durch die Vermögen der Vernunft und der Willensfreiheit das Wohl im dominium gewahrt werden, sondern auch in rechtspraktischer Hinsicht neben dem individuellen Wohl im dominium auch das bonum commune gewährleistet wird. Durch das Gesetz wird subjektives Recht keineswegs eingeschränkt, sondern geschützt. Gerade weil subjektives Recht dem bonum commune nicht entgegensteht, sichert die objektive Rechtsordnung die subjektiven Rechte aller Mitglieder einer staatlichen Gemeinschaft. (Daraus geht auch hervor, dass ius in Molinas De Iustitia et Iure die aus der historischen Genese des subjektiven Rechts entwickelten Merkmale erfüllt.) Vor diesem Hintergrund lässt sich der rechtliche und anthropologische Status von Sklaven bei Molina folgendermaßen bestimmen: Molina gesteht Sklaven dominium zu und auch die Fähigkeit, Unrecht zu erleiden, sodass der Sklave die Vernunft und die Willensfreiheit nicht durch die Sklaverei verloren hat und rechtsmetaphysisch weiterhin als Mensch und sogar als Nächster aufzufassen ist. Doch nimmt der Sklave in rechtspraktischer Hinsicht einen komplizierten Sonderstatus eines menschlichen Rechtssubjekts, das gleichermaßen das Rechtsobjekt eines anderen, freien Menschen ist, ein. Die Unterscheidung des Sklaven bei Molina als qua homo et proximo und qua
6 Ergebnisse
221
servo zeigt dennoch den Grundstein dafür auf, welche Rechte zugestanden werden, wenn jemandem die Eigenschaft zukommt, grundsätzlich Träger von Rechten sein zu können. Dies sind Vertragsrechte, das Recht auf rechtmäßig erworbenes Eigentum, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf das geistliche Wohl. Dennoch kann Molinas Gedanke der iura qua homo nur als Rohbau einer Theorie von Grundrechten betrachtet werden und nicht als frühe Theorie von Grundrechten, da der Sklave seine Rechte nicht vor Gericht einfordern kann, sodass ein wesentliches Merkmal der Grundrechte in Molinas Rechtslehre nicht gegeben ist.
Siglen- und Quellenverzeichnis Achenwall, Gottfried Ius Naturae: in usum auditore, Pars Prior, Göttingen . Ius Naturae Aristoteles EN Pol.
Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, . Politik. Übersetzt von Franz Susemihl, herausgegeben von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, .
Augustinus, Aurelius De libero arbitrio De libero arbitrio (Der freie Wille). Übersetzt und herausgegeben von Johannes Brachtendorf. Paderborn: Schöningh, . Duns Scotus, Johannes Additiones Magnae Additiones Magnae. Opera Ioannis Duns Scoti. Herausgegeben von Lucas Wadding. Lyon , repr. Hildesheim . FTN Freiheit, Tugenden und Naturgesetz. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Tobias Hoffmann. Freiburg im Breisgau: Herder, . Lectura Lectura in librum primum sententiarum. Ioannis Duns Scoti Opera Omnia. Civitatis Vaticana: Typis Polyglottis Vaticanis, ff. WM Duns Scotus on the Will and Morality. Herausgegeben von Allan Bernard Wolter. Washington, D. C.: The Catholic University of America Press, . Gerson, Jean DVSA
„De vita spirituali animae.“ Opera omnia. Herausgegeben von Louis Ellies Du Pin, Bd. Hildesheim u. a.: Georg Olms, .
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich GPR Grundlinien der Philosophie des Rechts. Red.: Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, . Hobbes, Thomas Leviathan Kant, Immanuel MS RL
Leviathan. Übersetzt von Jacob Peter Mayer. Stuttgart: Reclam, .
Metaphysik der Sitten, Akademie Textausgabe, Bd. VI. Berlin: de Gruyter, / . Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Metaphysik der Sitten, Erster Teil. Herausgegeben von Bernd Ludwig. Hamburg: Meiner, .
Las Casas, Bartolomé de Handbuch „Handbuch für Beichtväter der Spanier.“ In Werkauswahl. Bd. /: Sozialethische und staatsrechtliche Schriften, hg. v. Mariano Delgado, −. Paderborn: Schöningh, .
https://doi.org/10.1515/9783110551938-007
Siglen- und Quellenverzeichnis
Molina, Luis de Concordia
DIEI
223
Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione et reprobatione Concordia. Herausgegeben von Iohannes Rabeneck. Oña/Madrid, . Teilübersetzung: Luis de Molina: On Divine Foreknowledge (Part IV of the Concordia). Herausgegeben und eingeleitet von Alfred J. Freddoso. Ithaca: Cornell University Press, . Teilübersetzung: Göttlicher Plan und menschliche Freiheit. Concordia, Disputatio . Herausgegeben von Christoph Jäger und Gerhard Leibold. Hamburg: Meiner, . De Iustitia et Iure. Cuenca, . De Iustitia et Iure. Mainz, . Teilübersetzung: De Iustitia et Iure, Teil I und Teil II, Herausgegeben und eingeleitet von Matthias Kaufmann und Danaë Simmermacher, übersetzt von Alexander Loose, Matthias Kaufmann und Danaë Simmermacher. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, angekündigt für .
Monachus, Johannes Glossa Aurea Glossa Aurea: nobis priori loco super sexto decretalium libro addita. Neudruck der Ausgabe Paris . Aalen: Scientia-Verlag, . Ockham, Wilhelm von Dialogus Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie. Übersetzt und herausgegeben von Jürgen Miethke. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, . OP Opera Politica. Herausgegeben von J. G. Sikes, H. S. Offler u. a. Manchester – . Olivi, Petrus Johannis QdPJO F. Delorme. . „Question de P.J. Olivi ,Quid ponat ius vel dominium‘ ou encore ,De signis voluntariis‘“, Antonianum :−. Padua, Marsilius von DP Der Verteidiger des Friedens (Defensor Pacis). Übersetzt von Walter Kunzmann, herausgegeben von Horst Kusch, Bd. Berlin: Rütten und Loening, . Römisches Recht Dig.
Inst.
Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung. Herausgegeben von Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch und Hans Hermann Seiler, Bd. , Digesten – , Heidelberg: C. F. Müller, . Corpus Iuris Civilis. Die Institutionen. Herausgegeben von Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch und Hans Hermann Seiler. Heidelberg: C. F. Müller, .
Savigny, Friedrich Carl von ShRR System des heutigen Römischen Rechts. Bd. . Berlin: Veit und Camp, . Soto, Domingo de De Iustitia et Iure
De Iustitia et Iure, Lyon .
224
Siglen- und Quellenverzeichnis
Suárez, Francisco DLDL
Thomas von Aquin S. Th.
De legibus ac Deo legislatore. Übersetzt und herausgegeben von Luciano Pereña, Bd. Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, −. Abhandlung über die Gesetze und Gott den Gesetzgeber. Übersetzt und herausgegeben von Norbert Brieskorn. Freiburg u. a.: Haufe, .
Summa Theologiae. In Opera Omnia, Bd. , herausgegeben von Roberto Busa. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, . Summa Theologica. Die deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. , Das Gesetz: −, −, Otto Hermann Pesch (Kommentar). Heidelberg (u. a.): Kerle (u. a.), .
Vitoria, Francisco de De Indis De Indis recenter inventis et de iure belli Hispanorum in barbaros. Übersetzt und herausgegen von Walter Schätzel. Tübingen: Mohr, . Com ST aae Comentarios a la Secunda secundae de Santo Tomás. Herausgegeben von Beltrán de Heredia. Tomo III: De Iustitia (qq. /). Salamanca . De Lege De lege. Übersetzt und herausgegeben von Joachim Stüben. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, .
Literaturverzeichnis Adomeit, Klaus. 1979. Rechtstheorie für Studenten. Heidelberg, Hamburg: v. Decker. Aichele, Alexander. 2007. „Moral und Seelenheil. Luis de Molinas Lehre von den zwei Freiheiten zwischen Augustin und Aristoteles.“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 59 – 83. Frankfurt am Main: Peter Lang. Aichele, Alexander. 2014. „The Real Possibility of Freedom.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 3 – 54. Leiden: Brill. Alonso-Lasheras, Diego. 2011. Luis de Molina’s De Iustitia et Iure. Justice as Virtue in an Economic Context. Leiden: Brill. Alexy, Robert. 1994. Theorie der Grundrechte. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Anfray, Jean-Pascal. 2014. „Molina and John Duns Scotus.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 325 – 364. Leiden: Brill. Anghie, Anthony. 2004. Imperialism, sovereignty, and the making of international law. Cambridge: Cambridge University Press. Beckmann, Jan P. 2007. „Johannes Duns Scotus und Wilhelm von Ockham: Willensfreiheit als rationales Handlungsprinzip.“ In Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antworten der großen Philosophen, hg. v. Uwe an der Heiden und Helmut Schneider, 114−127. Stuttgart: Reclam. Belda Plans, Juan. 2000. La escuela de Salamanca y la renovación de la teología en el siglo XVI. Madrid: Biblioteca de Autores Cristianos. Birr, Christiane. 2013. „Sharing in the plunder, pitying the men? Normative Regelungen der Sklaverei im britischen Kolonialreich: Das Beispiel Barbados.“ In Ungerechtes Recht, hg. v. Ulrike Müßig, 115−145. Tübingen: Mohr Siebeck. Birr, Christiane und Decock, Wim. 2016. Recht und Moral in der Scholastik der Frühen Neuzeit 1500−1750. Berlin/Boston: Walter de Gruyter. Blackburn, Robin. 2010. The Making of New World Slavery. From the Baroque to the Modern, 1492 – 1800. London: Verso. Böckenförde, Ernst-Wolfgang. 22006. Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Tübingen: Mohr Siebeck. Brett, Annabel S. 2003. Liberty, Right and Nature. Individual rights in later scholastic thought. Cambridge: Cambridge University Press. Brett, Annabel S. 2011. Changes of State. Nature and the Limits of the City in Early Modern Natural Law. Princeton: Princeton University Press. Brett, Annabel S. 2014. „Luis de Molina on Law and Power.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 155−181. Leiden: Brill. Brett, Stephen F. 1994. Slavery and the Catholic Tradition. Rights in the Balance. New York: Peter Lang. Brieskorn, Norbert. 2000a. „Die Sklaverei in der Beurteilung des P. Luis de Molina S.J.“ In „…usque ad ultimum terrae“ Die Jesuiten und die transkontinentale Ausbreitung des Christentums 1540 – 1773, hg. v. Johannes Meier, 85−98. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. Brieskorn, Norbert. 2000b. „Luis de Molinas Weiterentwicklung der Kriegsethik und des Kriegsrechts der Scholastik.“ In Suche nach Frieden: Politische Ethik in der Frühen Neuzeit I, hg. v. Norbert Brieskorn und Markus Riedenauer, 167−190. Stuttgart: Kohlhammer. Bunge, Kirstin. 2013. „Ordnung und Freiheit – Zum Begriff der Freiheit und des Rechts bei Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas.“ In Kontroversen um das Recht. Beiträge zur Rechtsbegründung von Vitoria bis Suárez, hg. v. Kirstin Bunge, Stefan Schweighöfer, Anselm Spindler und Andreas Wagner, 127−150. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. https://doi.org/10.1515/9783110551938-008
226
Literaturverzeichnis
Bunge, Kirstin. 2018. Gleichheit und Gleichmaß. Zur Rechtsphilosophie von Francisco de Vitoria. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Carpintero, Francisco, José J. Megías, Manuel J. Rodríguez Puerto, Enrique V. de Mora, Hg. 2003. El Derecho Subjetivo en su Historia. Cádiz: Universidad, Servicio de Publicaciones. Cessario, Romanus. 2014. „Molina and Aquinas.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 291−323. Leiden: Brill. Coing, Helmut. 1959. „Zur Geschichte des Begriffs ‚subjektives Recht‘.“ In Das subjektive Recht und der Rechtsschutz der Persönlichkeit, hg. v. Helmut Coing, Frederick H. Lawson und Kurt Grönfors, 7−23. Berlin: Alfred Metzner. Costello, Frank Bartholomew. 1974. The Political Philosophy of Luis de Molina S. J. (1535−1600). Rom: Institum Historicum S.I. Davis, David Brion. 1966. The Problem of Slavery in Western Culture. Ithaca NY: Cornell University Press. Deckers, Daniel. 1991. Gerechtigkeit und Recht. Eine historisch-kritische Untersuchung der Gerechtigkeitslehre des Francisco de Vitoria. Freiburg: Universitätsverlag. Decock, Wim. 2013. Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500−1650). Leiden: Brill. Diez-Alegría, José-Maria. 1951. El desarrollo de la doctrina de la ley natural en Luis de Molina y en los Maestros de la Universidad de Evora de 1565 a 1591. Barcelona: Graficas Marina. Flüeler, Christoph. 1991. „Widersprüchliches zum Problem der servitus: Die servitus bei Thomas von Aquino.“ In Historia Philosophiae Medii Aevi. Studien zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Bd. 1, hg. v. Burkhard Mojsisch und Olaf Pluta, 285−304. Amsterdam/Philadelphia: B. R. Grüner. Fuchs, Marko J. 2017. Gerechtigkeit als allgemeine Tugend. Die Rezeption der aristotelischen Gerechtigkeitstheorie im Mittelalter und das Problem des ethischen Universalismus. Berlin: De Gruyter. Gagnér, Sten. 1974. „Vorbemerkungen zum Thema dominium bei Ockham.“ In Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann, 293−327. Berlin/New York: De Gruyter. Grossi, Paolo. 1973. „La proprietà nel sistema privatistico della Seconda Scolastica.“ In La Seconda Scolastica nella formazione del diritto privato moderno, hg. v. Paolo Grossi, 117−222. Milano: Giuffré. Guzmán Brito, Alejandro. 2009. El derecho como facultad en la Neoescolástica Española del Siglo XVI. Madrid: Iustel. Haar, Christoph und Simmermacher, Danaë. 2014. „The foundation of the human being regarded as a legal entity in the ‚School of Salamanca‘− Dominium and Ius in the thought of Vitoria and Molina.“ Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics 22:445−483. Habermas, Jürgen. 51997. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hamilton, Bernice. 1963. Political Thought in Sixteenth-Century Spain: a study of the political ideas of Vitoria, De Soto, Suárez and Molina. Oxford: Oxford University Press. Hartung, Gerald. 2007. „Vorboten des modernen Liberalismus. Zur Entstehung des Konzepts subjektiver Rechte in der Frühen Neuzeit.“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 239 – 255. Frankfurt am Main: Peter Lang. Hattenhauer, Christian. 2011. „‚Der Mensch als solcher rechtsfähig‘ − Von der Person zur Rechtsperson.“ In Der Mensch als Person und Rechtsperson. Grundlage der Freiheit, hg. v. Eckart Klein und Christoph Menke, 39−66. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag. Heiden, Uwe an der und Schneider, Helmut, Hg. 2007. Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antworten der großen Philosophen. Stuttgart: Reclam.
Literaturverzeichnis
227
Heimbach, Karl Wilhelm Ernst. 1855. „Recht.“ In Rechtslexicon für Juristen aller teutschen Staaten. Bd. 9, hg. v. Julius Weiske, 137−189. Leipzig: Wigand. Höpfl, Harro. 2004. Jesuit Political Thought. The Society of Jesus and the State, c. 1540−1630. Cambridge: Cambridge University Press. Horn, Christoph. 1996. „Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs.“ Zeitschrift für philosophische Forschung 50:113−132. Jedan, Christoph. 2007. „Aristoteles: Auf dem Weg zum Willensfreiheitsproblem – Kausalität, offene Zukunft und menschliches Handeln.“ In Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antworten der großen Philosophen, hg. v. Uwe an der Heiden und Helmut Schneider, 39−48. Stuttgart: Reclam. Kadelbach, Stefan. 2011. „Mission und Eroberung bei Vitoria: Über die Entstehung des Völkerrechts aus der Theologie.“ In Die Normativität des Rechts bei Francisco de Vitoria, hg. v. Kirstin Bunge, Anselm Spindler und Andreas Wagner, 289−321. Stuttgart–Bad Cannstatt: Fromann-Holzboog. Kahnert, Klaus. 2007. „Augustin: De libero arbitrio – Über die freie Willensentscheidung.“ In Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antworten der großen Philosophen, hg. v. Uwe an der Heiden und Helmut Schneider, 87−99. Stuttgart: Reclam. Kaufmann, Matthias. 1999. Aufgeklärte Anarchie. Eine Einführung in die politische Philosophie, Berlin: Akademie Verlag. Kaufmann, Matthias. 2005. „Das Recht auf Eigentum im Mittelalter.“ In Was ist Eigentum? Philosophische Positionen von Platon bis Habermas, hg. v. Andreas Eckl und Bernd Ludwig, 73−87. München: Beck. Kaufmann, Matthias. 2007. „Luis de Molina über subjektive Rechte, Herrschaft und Sklaverei.“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 205−226. Frankfurt am Main: Peter Lang. Kaufmann, Matthias. 2010. „Das Verhältnis von Recht und Gesetz bei Luis de Molina.“ In Lex und Ius. Lex and Ius, hg. v. Alexander Fidora, Matthias Lutz-Bachmann und Andreas Wagner, 369−391. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Kaufmann, Matthias. 2011. „Die Willensfreiheit, das moralisch Gute und das Ziel des Menschen bei Duns Scotus, Wilhelm von Ockham und Molina.“ In Departure for Modern Europe. A Handbook of Early Modern Philosophy, hg. v. Hubertus Busche, 167−179. Hamburg: Meiner. Kaufmann, Matthias. 2013. „Francisco Suárezʼ lex naturalis zwischen inclinatio naturalis und kategorischem Imperativ (DL I; DL II. 5 – 16).“ In ‚Auctoritas omnium legum‘: Francisco Suárezʼ „De legibus“ zwischen Theologie, Philosophie und Jurisprudenz, hg. v. Oliver Bach, Norbert Brieskorn und Gideon Stiening, 155−173. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Kaufmann, Matthias. 2014. „Slavery between Law, Morality, and Economy.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 183−225. Leiden: Brill. Kaufmann, Matthias. 2016. „Die Referenzautoren der Schule von Salamanca und andere Vorläufer im Mittelalter.“ In The Concept of Law (lex) in the Moral and Political Thought of the ‚School of Salamanca‘, hg. v. Kirstin Bunge, Marko J. Fuchs, Danaë Simmermacher und Anselm Spindler, 9−31. Leiden: Brill. Keil, Geert. 2007. Willensfreiheit. Berlin/New York: De Gruyter. Kelsen, Hans. 1960. Reine Rechtslehre. Wien: Deuticke. Kenny, Anthony. 2006. A New History of Western Philosophy. Bd. 3: The Rise of Modern Philosophy. Oxford: Clarendon Press. Kleinhappl, Johann. 1932. „Die Eigentumslehre Ludwig Molinas.“ Zeitschrift für katholische Theologie 56:46−66. Kleinhappl, Johann. 1935. Der Staat bei Ludwig Molina. Innsbruck: Rauch.
228
Literaturverzeichnis
Köck, Heribert Franz. 1987. Der Beitrag der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten. Berlin: Duncker und Humblot. Körsgen, Norbert. 2005. „Eigentum als Grundrecht im Grundgesetz.“ In Was ist Eigentum? Philosophische Positionen von Platon bis Habermas, hg. v. Andreas Eckl und Bernd Ludwig, 246−261. München: Beck. Landau, Peter. 2001. „Spanische Spätscholastik und kanonistische Lehrbuchliteratur.“ In Die Ordnung der Praxis. Neue Studien zur Spanischen Spätscholastik, hg. v. Frank Grunert und Kurt Seelmann, 403−425. Tübingen: Max Niemeyer. Leibold, Gerhard. 2011. „Wille und Willensverursachung bei Johannes Duns Scotus.“ In ‚Radix totius libertatis‘. Zum Verhältnis von Willen und Vernunft in der mittelalterlichen Philosophie, hg. v. Günther Mensching, 88−96. Würzburg: Königshausen und Neumann. Luhmann, Niklas. 1993. Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Lutz-Bachmann, Matthias. 2011. „Der Mensch als Person. Überlegungen zur Geschichte des Begriffs der ‚moralischen Person‘ und der Rechtsperson.“ In Der Mensch als Person und Rechtsperson. Grundlage der Freiheit, hg. v. Eckart Klein und Christoph Menke, 109−120. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag. MacGregor, Kirk R. 2015. Luis de Molina. The Life and Theology of the Founder of Middle Knowledge. Grand Rapids: Zondervan. MacIntyre, Alasdair. 1995. Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mäkinen, Virpi. 2006. „Rights and Duties in Late Scholastic Discussion on Extreme necessity.“ In Transformations in Medieval and Early-modern Rights Discourse, hg. v. Virpi Mäkinen und Petter Korkman, 37−62. Dordrecht: Springer. Mandrella, Isabelle. 2002. Das Isaak Opfer. Historisch-semantische Untersuchung zu Rationalität und Wandelbarkeit des Naturrechts in der mittelalterlichen Lehre vom natürlichen Gesetz. Münster: Aschendorff. Mandrella, Isabelle. 2011. „Pro ratione voluntas? Herrscherwille und Gesetz im Voluntarismus des Mittelalters.“ In „Radix totius libertatis“ Zum Verhältnis von Willen und Vernunft in der mittelalterlichen Philosophie, hg. v. Günther Mensching, 219−233. Würzburg: Königshausen und Neumann. Mandrella, Isabelle. 2016. „Gabriel Vázquez über das Naturrecht.“ In The Concept of Law (lex) in the Moral and Political Thought of the ‚School of Salamanca‘, hg. v. Kirstin Bunge, Marko J. Fuchs, Danaë Simmermacher und Anselm Spindler, 129−149. Leiden: Brill. Marauhn, Thilo. 2011. „Person und Rechtsträgerschaft: Gemeinschaftsbezogene Freiheit.“ In Der Mensch als Person und Rechtsperson. Grundlage der Freiheit, hg. v. Eckart Klein und Christoph Menke, 89−106. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag. McCann, Hugh. „The Free Will Defense.“ In Molinism. The Contemporary Debate, hg. v. Kenneth Perszyk, 239−261. Oxford: Oxford University Press. Merkel, Reinhard. 2008. „Handlungsfreiheit, Willensfreiheit und strafrechtliche Schuld.“ In Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, hg. v. Ernst Joachim Lampe, Michael Pauen und Gerhard Roth, 332−370. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Metz, Wilhem. 2008. „Lex und Ius bei Thomas von Aquin.“ In Transformation des Gesetzesbegriff im Übergang zur Moderne? Von Thomas von Aquin zu Francisco Suárez, hg. v. Manfred Walther, Norbert Brieskorn und Kay Waechter, 17−36. Stuttgart: Franz Steiner. Miethke, Jürgen. 2010. „Dominium, ius und lex in der politischen Theorie Wilhelms von Ockham.“ In Lex und Ius. Beiträge zur Begründung des Rechts in der Philosophie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. v. Alexander Fidora, Matthias Lutz-Bachmann und Andreas Wagner, 241−269. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog.
Literaturverzeichnis
229
Möhle, Hannes. 1995. Ethik als scientia practica nach Johannes Duns Scotus. Eine philosophische Grundlegung. Münster: Aschendorff. Möhle, Hannes. 1999. „Das Verhältnis praktischer Wahrheit und kontingenter Wirklichkeit bei Johannes Duns Scotus.“ In Friedensethik im Spätmittelalter. Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung, hg. v. Gerhard Beestermöller und Heinz-Gerhard Justenhoven, 49−63. Stuttgart: Kohlhammer. Nörr, Knut Wolfgang. 1992. „Zur Frage des subjektiven Rechts in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft.“ In Festschrift für Hermann Lange zum 70. Geburtstag am 24. Januar 1992, hg. v. Dieter Medicus, 193−204. Stuttgart: Kohlhammer. Nussbaum, Martha C. 2006. Frontiers of Justice: disability, nationality, species membership. Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard University Press. Pagden, Anthony. 1982. The fall of natural man. The American Indian and the origins of comparative ethnology. Cambridge: Cambridge University Press. Pauen, Michael und Gerhard Roth. 2008. Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Pegis, Anton C. 1939. „Molina and Human Liberty.“ In Jesuit Thinkers of the Renaissance, hg. v. Gerard Smith, 75 – 131. Milwaukee: Marquette University Press. Perszyk, Kenneth, Hg. 2011. Molinism. The Contemporary Debate. Oxford: Oxford University Press. Pérez Luño, Antonio-Enrique. 1994. Die klassische spanische Naturrechtslehre in 5 Jahrhunderten, Berlin: Duncker und Humblot. Pugliese, Giovanni. 1953. ‚Res corporales‘, ‚res incorporales‘ e il problema del diritto soggetivo. Studi in onore di Vicenzo Arangio-Ruiz. Bd. III, 223−260. Neapel. Quante, Michael. 2011. „Die Bedeutung des Personenbegriffs für den moralischen Status der Person.“ In Der Mensch als Person und Rechtsperson. Grundlage der Freiheit, hg. v. Eckart Klein und Christoph Menke, 69−87. Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag. Rapp, Hans. 1962. Die Bedeutung der Lehre Molinas (1535−1600) von der natura rei für die Theorie des Naturrechts. Freiburg i. Br. Recknagel, Dominik. 2010. Einheit des Denkens trotz konfessioneller Spaltung. Parallelen zwischen den Rechtslehren von Francisco Suárez und Hugo Grotius. Frankfurt a. M.: Peter Lang. Schnepf, Robert. 2004. „Concursus − theoretische Hintergründe der Auslegung von Rm. 13.1 bei Francisco Suàrez. Kommentar zu Gerald Hartung.“ In Religion und Politik. Zu Theorie und Praxis des theologisch-politischen Komplexes, hg. v. Manfred Walther, 127−139. Baden-Baden: Nomos. Schnepf, Robert. 2007. „Zwischen Gnadenlehre und Willensfreiheit. Skizze der Problemlage zu Beginn der Schule von Salamanca (Francisco de Vitoria).“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 23−42. Frankfurt am Main: Peter Lang. Schnepf, Robert. 2008. „Huarte de San Juan und Suárez: Lachen im spanischen Humanismus und in der Spätscholastik.“ In Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, hg. v. Hilge Landweer und Ursula Renz, 221−246. Berlin/New York: De Gruyter. Schnüriger, Hubert. 2014. Eine Statustheorie moralischer Rechte. Münster: Mentis. Schüssler, Rudolf. 2014. „The Economic Thought of Luis de Molina.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 257−288. Leiden: Brill. Schütze, Marc. 2004. Subjektive Rechte und personale Identität. Die Anwendung subjektiver Rechte bei Immanuel Kant, Carl Schmitt, Hans Kelsen und Hermann Heller. Berlin: Duncker und Humblot. Seelmann, Kurt. 2007. „Selbstherrschaft, Herrschaft über die Dinge und individuelle Rechte in der spanischen Spätscholastik.“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 43−57. Frankfurt am Main: Peter Lang.
230
Literaturverzeichnis
Simmermacher, Danaë. 2016a. „The Significance of the Law (lex) for the Relationship between Individual and State in Luis de Molina (1535−1600).“ In The Concept of Law (lex) in the Moral and Political Thought of the ‚School of Salamanca‘, hg. v. Kirstin Bunge, Marko J. Fuchs, Danaë Simmermacher und Anselm Spindler, 35−57. Leiden: Brill. Simmermacher, Danaë. 2016b. „Natürliche Freiheit und Verantwortung – Dominium bei Luis de Molina.“ In Freiheit als Rechtsbegriff, hg. v. Matthias Kaufmann und Joachim Renzikowski, 153−173. Berlin: Duncker und Humblot. Smith, Gerard. 1966. Freedom in Molina. Chicago: Loyola University Press. Spindler, Anselm. 2011. „Vernunft, Gesetz und Recht bei Francisco de Vitoria.“ In Die Normativität des Rechts bei Francisco de Vitoria, hg. v. Kirstin Bunge, Anselm Spindler und Andreas Wagner, 43−70. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Spindler, Anselm. 2015. Die Theorie des natürlichen Gesetzes bei Francisco de Vitoria. Warum Autonomie der einzig mögliche Grund einer universellen Moral ist. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Stegmüller, Friedrich. 1935. Geschichte des Molinismus. Bd. I: Neue Molinaschriften. Münster: Aschendorff. Stepanians, Markus S., Hg. 2007. Individuelle Rechte. Paderborn: Mentis. Suess, Paulo. 1987. „Glaubensfreiheit und Zwangsarbeit. Spanische Missionare, Theologen und Juristen des 16. Jahrhunderts zur Rechtslage der Indios.“ Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 71: 292−315. Tellkamp, Jörg A. 2007. „Über den Zusammenhang von Freiheit und Sklaverei bei Vitoria und Soto.“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 155−175. Frankfurt/Main: Peter Lang. Tellkamp, Jörg A. 2011. „Vitorias Weg zu den legitimen Titeln der Eroberung Amerikas.“ In Die Normativität des Rechts bei Francisco de Vitoria, hg. v. Kirstin Bunge, Anselm Spindler und Andreas Wagner, 147−170. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. Tellkamp, Jörg A. 2014. „Rights and Dominium.“ In A Companion to Luis de Molina, hg. v. Matthias Kaufmann und Alexander Aichele, 125−153. Leiden: Brill. Thumfahrt, Johannes. 2012. Die Begründung der globalpolitischen Philosophie: Francisco de Vitorias Vorlesung über die Entdeckung Amerikas im ideengeschichtlichen Kontext. Berlin: Kulturverlag Kadmos. Tierney, Brian. 1997. The idea of natural rights. Atlanta: Scholars Press. Tosi, Giuseppe. 2007. „The theological roots of subjective rights: dominium, ius and potestas in the debate on the Indian question (Sec. XVI).“ In Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik, hg. v. Matthias Kaufmann und Robert Schnepf, 125−154. Frankfurt am Main: Peter Lang. Tuck, Richard. 1993. Natural rights theories. Their origin and development. Cambridge: Cambridge University Press. Varkemaa, Jussi. 2012. Conrad Summenhart’s Theory of Individual Rights. Leiden: Brill. Villey, Michel. 1946. „Lˈidee du droit subjectif et les systemes juridiques romains.“ Revue historique de droit francais et etranger 24:201−227. Villey, Michel. 1962. Leçons d’Histoire de la Philosophie du Droit. Paris: Dalloz. Villey, Michel. 2003. La formation de la pensée juridique moderne. Paris: Presses Universitaires de France. Vonlanthen, Albert. 1964. Zum rechtsphilosophieschen Streit über das Wesen des subjektiven Rechts. Zürich: Polygraph. Weber, Wilhelm. 1959. Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus. Höhepunkt und Abschluß der scholastischen Wirtschaftsbetrachtung durch Ludwig Molina S. J. (1535−1600). Münster: Aschendorff.
Personenregister Achenwall, Gottfried 9, 34 Aichele, Alexander 6, 129 Alexy, Robert 9, 163, 165 Alonso-Lasheras, Diego 7 Anfray, Jean-Pascal 130, 135 Aristoteles 40 – 41, 43, 45, 48 – 49, 51, 53 – 54, 73, 100, 105 – 106, 112 – 113, 137, 140, 142 – 143, 145, 169, 171, 174 – 177, 183, 189, 197 Arriaga, Rodrigo de 128 Assisi, Franz von 24, 82 Augustinus 47, 144 – 145, 148, 151 Brett, Annabel S. 6 – 7, 30 – 31, 33, 44, 48, 107 – 109, 128, 147 Brieskorn, Norbert 6, 178 Carpintero, Francisco 7 Castro, Alfonso de 116 Cessario, Romanus 132, 136 Cicero, Markus Tullius 97 Coing, Helmut 14 – 15 Costello, Frank B. 106, 139 – 140, 182, 194 Covarrubias y Leyva, Diego de 86, 94, 204 – 205
Kleinhappl, Johann 106 Kolumbus, Christoph 172 – 173, 186 Las Casas, Bartolomé de 8, 32, 175, 182 – 184 Leibold, Gerhard 133 – 134 Luhmann, Niklas 10 – 11, 15 – 17, 31 – 32, 34 – 35, 61, 65 – 67, 154 MacIntyre, Alasdair 54 Mandrella, Isabelle 48, 58 – 59 Möhle, Hannes 134, 148 Molina, Luis de 2 – 9, 11 – 13, 22, 25, 28 – 30, 32 – 33, 36 – 44, 46 – 93, 95 – 119, 121 – 132, 135 – 142, 144 – 181, 185 – 217, 219 – 221 Monachus, Johannes 18 – 21, 36 Morus, Thomas 100 Natalis, Hervaeus 26 Nörr, Knut Wolfgang 17 – 18, 23, 26 Nussbaum, Martha 159 Ockham, Wilhelm von 12, 18 – 20, 23 – 27, 129, 131, 148, 197 Olivi, Petrus Johannis 1, 20 – 21
Davis, David B. 173 Deckers, Daniel 31 – 33, 147 Decock, Wim 77 Donellus, Hugo (Doneau) 159 – 160
Padua, Marsilius von 21 Platon 100 Pufendorf, Samuel von 97, 104 Pugliese, Giovanni 14 – 15
Flüeler, Christoph 196 Fontaines, Gottfried von
Recknagel, Dominik 66, 162 202
Gerson, Jean 27 – 29, 31, 33, 62, 69, 152, 158 Grossi, Paolo 30, 69 Grotius, Hugo 97, 104 Guzmán Brito, Alejandro 7, 71, 158 Hartung, Gerald 31 – 32 Hattenhauer, Christian 160 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 127 Hobbes, Thomas 35, 164 Hostiensis (Heinrich von Susa) 17 – 19 Kant, Immanuel 6, 34 – 36, 75, 97 – 98, 146 Kaufmann, Matthias 5 – 6, 12, 98, 107 Keil, Geert 143 – 145 Kelsen, Hans 10, 170
Savigny, Friedrich Carl von 34 Saxoferrato, Bartolus de 67, 70, 74, 81, 88, 122, 136, 153, 201, 219 Scotus, Johannes Duns 39, 47, 130 – 136, 138 – 139, 144, 148, 150 – 152, 166 Sepúlveda, Juan Ginés de 175, 183 – 184 Singer, Peter 160 – 161 Soto, Domingo de 8, 31, 52 – 53, 67, 109, 175 – 176, 197 – 198 Spindler, Anselm 31, 147 Stepanians, Markus 11, 30 Suárez, Francisco 8, 39, 58 – 59, 66, 128, 161 – 162 Summenhart, Konrad 28 – 31, 33, 35, 62, 69, 152
232
Personenregister
Tellkamp, Jörg A. 6, 61, 141, 155, 176 Thomas von Aquin 11, 32 – 33, 37, 39 – 47, 50 – 51, 53 – 54, 56, 69, 97, 104, 109, 128, 130 – 133, 135 – 140, 144, 149 – 153, 157, 165, 168, 173, 178 – 179, 196 – 197, 202 Tierney, Brian 14, 17 – 20, 22 – 23, 26 Tuck, Richard 27 – 28 Ulpian, Domitius
41, 53, 65, 163
Vázquez, Gabriel 58 – 60 Vera Cruz, Alonso de la 176, 182 Villey, Michel 13 – 15, 18, 20, 23, 26 Vitoria, Francisco de 2, 8, 30 – 33, 44 – 48, 58, 67, 71, 104, 109, 137 – 139, 147, 153 – 155, 158, 176 – 182 Vultejus, Hermann 160
Sachregister Afrika 173 – 174, 184 – 187, 190, 192 – 193, 203, 211 Allmacht 38, 150 – 151 Armutsstreit der Franziskaner 12, 18, 23 – 24, 27, 30, 81 – 83 Behinderte/amentes 6, 39, 68, 79, 82, 126, 137 – 139, 153 – 159, 161, 164, 169, 220 Besitz/possessio 4, 6, 24 – 25, 40, 63, 77 – 79, 85 – 90, 95, 97– 98, 126, 179 – 181, 194, 197 Dominium – Herrschaft (dominium iurisdictionis) 2 – 4, 6 – 7, 12, 29, 31, 40, 60, 66 – 69, 72 – 73, 82, 95, 97, 99, 104 – 106, 107 – 108, 111, 115, 123 – 124, 126, 155, 167, 169, 172, 176 – 178, 180, 197, 206, 210 – Eigentum (dominium proprietatis) 2 – 4, 6, 12 – 14, 19 – 21, 24 – 25, 31, 40, 60, 62 – 64, 66 – 69, 72 – 74, 76 – 78, 80 – 82, 85, 89, 91, 94 – 105, 115, 118, 123 – 124, 126, 139, 154 – 156, 171 – 173, 175, 178 – 181, 185, 189, 195 – 197, 202, 206 – 207, 210 – 211, 213 – 215 Ehe 180, 198, 211 Eigentum siehe dominium proprietatis Fähigkeit/facultas 7, 9, 16, 23, 25, 27 – 28, 32, 36, 39, 42, 60 – 64, 68 – 72, 83, 93, 95 – 110, 112, 122 – 123, 126, 137, 140, 144, 147, 152 – 153, 156 – 162, 169, 197, 203, 216, 219 – 220 Freiheit – Handlungsfreiheit 3, 7, 29, 36, 66 – 67, 127, 142 – 147, 154 – 155, 172, 206, 219 – rechtliche Freiheit 3, 12, 29 – 30, 36, 66 – 67, 124, 126 – 127, 142, 145 – 146, 154 – 156, 160, 165, 170, 172, 206, 217, 220 – Willensfreiheit/liberum arbitrium 1 – 4, 6 – 8, 29, 38 – 39, 66 – 69, 78 – 79, 122, 126 – 128, 131 – 132, 135, 138, 141 – 149, 154 – 155, 159, 161 – 162, 166, 170 – 172, 201, 204 – 206, 220 Gebrauch/usus 4, 18, 22, 24 – 26, 29, 64, 68, 72 – 74, 78, 81 – 85, 90 – 91, 95, 98, 101, 123, 154 Gemeinwohl/bonum commune 3, 5, 18 – 20, 22, 35, 40, 43 – 48, 50, 65, 72, 75, 88, 95,
108, 112 – 116, 118 – 119, 121, 123 – 124, 127, 162, 164 – 170, 200, 214, 220 Gerechtigkeit/iustitia – distributive Gerechtigkeit 37, 49 – 52 – gesetzliche Gerechtigkeit (iustitia legalis) 42 – 48, 50, 53, 140, 165 – kommutative Gerechtigkeit 37, 49, 51 – 52 Gesetz/lex – ewiges Gesetz (lex aeterna) 47, 89, 109, 163, 168, 170, 209 – göttliches Gesetz (lex divina) 47, 59, 109, 168 – Naturgesetz (lex naturalis) 47, 59 – 60, 89, 109, 167 – 168, 179 – positives Gesetz (lex positiva) 47 Gleichheit 49 – 51, 53, 100, 164, 217 Gottebenbildlichkeit/Imago Dei 27, 32, 41 – 42, 67 – 68, 79, 154, 179, 219 – 220 Herrschaft
siehe dominium iurisdictionis
Indios/indigene Bevölkerung 178 – 185
1, 172 – 176,
Kinder 6, 12, 39, 68, 79, 80, 82, 92 – 93, 105 – 106, 126, 137 – 139, 143, 153 – 159, 161, 164, 169, 171, 191, 198 – 201, 204 – 205, 208, 211, 220 Klugheit/prudentia 43 – 44, 48, 53, 139 – 141 Krieg 6, 100, 117, 171, 177 – 178, 180, 182, 187, 190, 195 – 198, 200, 204, 208 Macht/potestas 15 – 16, 19 – 21, 23, 25 – 26, 28, 32, 36, 105, 110 – 113, 169, 206 Nächstenliebe 54, 70, 176, 186 – 189, 193 – 194, 205 – 207, 210 – 214 Natur der Sache/natura rei 3, 53 – 55, 59, 61, 71, 78, 85, 93, 123, 137, 147, 152 – 157, 159, 180, 216, 219 – 220 Nießbrauch/ususfructus 4, 14, 40, 73, 80, 85, 90 – 92, 95, 123 Recht/ius – Grundrechte 115, 123 – 124, 127, 142, 147, 166, 172, 216 – 218, 221 – Menschenrechte 1 – 3, 10, 12, 27, 36, 76, 127, 159, 180, 217
234
Sachregister
– menschliches Recht/ius humanum 57, 69, 82, 98, 102 – 103 – Naturrecht/natürliches Recht/ius naturale 1, 3, 9, 15, 19, 20, 23, 26 – 27, 35, 38, 42, 48, 56 – 58, 68 – 69, 73 – 75, 78, 85, 93, 95 – 98, 102 – 106, 110 – 111, 114, 120, 123 – 124, 146, 160, 166 – 167, 170 – 171, 173, 179 – 180, 182, 184, 195 – 196, 202 – 205, 209 – 211, 217 – objektives Recht 3, 22, 165, 169 – 170 – positives Recht/ius positivum 16, 25 – 26, 57, 68, 97, 146, 196, 209 – subjektives Recht 2 – 6, 9 – 11, 14 – 19, 21 – 23, 25 – 27, 31, 33, 36, 40, 51 – 52, 60, 62, 65, 68, 74 – 75, 95 – 96, 122, 126 – 127, 142, 146 – 147, 152, 157 – 158, 160 – 163, 165 – 166, 169 – 170, 216, 219 – 220 – Völkerrecht/ius gentium 1, 56 – 57, 102, 104, 171, 181 – 182, 195 – 196, 198, 211, 217 Rechtsprechung siehe dominium iurisdictionis scientia media 8, 67, 108, 131 – 132, 142, 151, 220 Seelenheil 42, 119, 121, 145, 178, 182, 186, 193, 205 – 207, 210 – 213 Selbstbestimmung 4, 7, 55, 59, 67, 78, 109, 126, 148, 151, 166 Selbstverkauf 3, 29, 67, 93, 106, 156, 171 – 172, 197, 201 – 204, 206 Sklave/Sklaverei 2 – 6, 12, 26, 29, 32, 39, 54, 67, 69 – 71, 80, 92 – 93, 105 – 106, 112 – 113,
127, 144, 153 – 157, 159 – 161, 164, 170 – 178, 181, 183 – 192, 194 – 217, 220 – 221 – Sklavenhandel 5 – 6, 32, 105, 172 – 174, 181, 184 – 187, 190, 192 – 193, 195, 201 Strafe 54, 93, 106, 171, 191, 196, 198 – 200, 213 Sünde 148, 151, 182, 184, 196, 200 Tugend 19 – 20, 41 – 46, 48, 50, 53 – 55, 58, 145, 147, 162, 165 Verantwortung 1, 56, 66 – 67, 72, 76, 148, 162 – 164, 171, 193, 206, 210, 213 Vernunft 3 – 4, 27 – 28, 39, 41 – 42, 53, 62, 68 – 69, 97, 102 – 103, 114, 123, 126 – 128, 130, 133 – 136, 139 – 141, 145, 147, 149, 151 – 152, 154, 159, 162, 170, 176, 179 – 180, 204, 215, 220 Vertrag 77, 84, 87, 97, 111, 189, 214 – 215 Vorsehung 1, 38, 108 – 109, 127, 131 – 132, 145, 150, 151 Wiedergutmachung/restitutio 63, 115, 124, 211, 213, 219 Wille 4, 20 – 22, 26, 28, 34, 36, 39 – 42, 47 – 49, 53 – 54, 62, 64 – 65, 67 – 68, 77, 79, 83 – 84, 87 – 89, 95, 108, 112, 123, 126 – 146, 148 – 152, 154 – 157, 159, 162, 169 – 170, 179, 215 – 216, 219 – 220