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German Pages 239 Year 1996
RALF STARK
Ehrenschutz in Deutschland
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 690
Ehrenschutz in Deutschland Von
Dr. Ralf Stark
α Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stark, Ralf: Ehrenschutz in Deutschland / von Ralf Stark, Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 690) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08596-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08596-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Das Verhalten
eines Menschen
oder Volkes angesichts einer Rechtskränkung ist der sicherste Prüfstein seines Charakters.
Rudolph v. Ihering: Der Kampf ums Recht. Wien 4. Auflage 1874
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1994/95 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Obgleich keine wesentlichen Änderungen mehr vorgenommen wurden, konnten Rechtsprechungs- und Literaturnachweise noch bis September 1995 berücksichtigt werden. An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mir bei der Erstellung dieser Arbeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Zuvörderst gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Martin Kriele. der mich zur Erstellung dieser Arbeit inspirierte und mich bei der Abfassung der Dissertation mit wertvollen kritischen Anregungen begleitete. Gleiches gilt für Herrn Prof. Dr. Wolfgang Rüfner, der das Zweitgutachten erstellte und für dessen weiterführende Hinweise ich zu danken habe. Ganz besonders danken möchte ich meiner Lebensgefährtin Alexandra Willsch. die mir während meiner gesamten juristischen Ausbildung und vor allem in der Zeit meiner Promotion den erforderlichen persönlichen Rückhalt gab. Mein herzlichster Dank gilt auch Herrn Rechtsanwalt Bernd Niedeggen, der stets - vor allem aber in der Zeit meiner Promotion - bei allen computertechnischen Fragen "Retter in der Not" war und darüber hinaus immer ein offenes Ohr für juristische Probleme und ihre Darstellung hatte. Tiefe Dankbarkeit empfinde ich gegenüber meinen Eltern Karoline und Stanislaus Stark, die mir trotz bescheidener Lebensverhältnisse ein Hochschulstudium ermöglichten und mir auch während der Promotionszeit jede Unterstützung gewährten.
Köln, im November 1995
Ralf Stark
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19
Teil 1
Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes A. Der Ehrenschutz
21
I. Iiistorische Entwicklung in Deutschland
21
Π. Grundlagen des Ehrenschutzes
24
1. Der Begriff "Ehre"
24
a) Die Ehre in der Umgangssprache
24
b) Der verfassungsrechtliche Ehrbegriff
25
c) Die einfachgesetzlichen Ehrbegriffe
27
aa) Identität der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Ehrbegriffe
27
bb) Der strafrechtliche Ehrbegriff
29
cc) Der zivilrechtliche Ehrbegriff
30
2. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung
31
a) Art. 5 Abs. 2 GG
31
aa) Verfassungsrechtliche Gewährleistung nur bei einfachgesetzlicher Ausgestaltung
31
bb) Die Gegenauffassung
32
cc) Stellungnahme
32
10
Inhaltsverzeichnis
b) Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
34
aa) Inhalt und Umfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
34
bb) Die dogmatische Verankerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
35
(1) Die vorherrschenden Ansichten
35
(2) Stellungnahme
36
c) Mittelbare oder unmittelbare Drittwirkung des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes aa) Der Grundsatz
37 38
(1 ) Die Auflassung des Bundesarbeitsgerichts
38
(2) Die Auffassung eines Teils der Literatur
38
(3) Die Position des Bundesgerichtshofs
39
(4) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre
39
(5) Stellungnahme
39
bb) Das Recht der persönlichen Ehre als Ausnahmefall ( 1 ) Die Auffassung eines Teils der Literatur (2) Gegenauffassung und Stellungnahme B. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten" I. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung 1. Die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs.l Satz 1, 1. Iis. GG a) Der Schutzbereich
40 40 41 42 42 43 43
aa) Schutz auch von Tatsachenbehauptungen
44
bb) Die Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung
45
( 1 ) Notwendigkeit der Differenzierung
45
(2) Kriterien der Abgrenzung
46
(3) Die Problematik der "Gemengenlagen"
47
(a) Die Abgrenzungskriterien des Bundesverfassungsgerichts und eines Teils der Literatur (b) Kritik und eigener Ansatz cc) Die Problematik der unrichtigen Tatsachenbehauptungen
47 48 51
Inhaltsverzeichnis
(1) Schutz des Art. 5 Abs.l. Satz 1 GG auch für erweislich unwahre Tatsachenbehauptungen
52
(2) Die Problematik der unbew iesenen Tatsachenbehauptungen
56
(a) Grundsätzlicher Schutz auch von unbewiesenen Tatsachenbehauptungen
56
(b) Bedeutung und Tragweite der Substantiierungs- und Darlegungspflicht
59
(aa) Die Position der Judikatur
59
(bb) Kritik und eigener Ansatz
61
dd) Grundrechtlicher Schutz auch für Fragen
64
(1 ) Die Position der Judikatur
65
(2) Kritik und eigener Ansatz
66
ee) Die sogenannte "Schmähkritik" ( 1 ) Dogmatische Einordnung
67 67
(2) Begriflsdefinition
68
(3) Kritik und eigener Ansatz
68
2. Die Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG a) Der Schutzbereich
75 75
aa) Der PressebegrifT
76
bb) Der Umfang der Pressefreiheit
76
b) Das Verhältnis der Presse- zur Meinungsfreiheit
77
aa) Die divergierenden Ansichten des Schrifttums
77
bb) Die Auflassung des Bundesverfassungsgerichts
78
cc) Stellungnahme
79
3. Die Freiheit von Rundfunk- und Filmberichterstattung gemäß Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. und 3. Var. GG
83
a) Der Schutzbereich
83
aa) Die Rundfunkfreiheit
83
bb) Die Filmfreiheit
83
b) Das Verhältnis zur Meinungsfreiheit
84
aa) Der Meinungsstand
84
bb) Stellungnahme
85
12
Inhaltsverzeichnis
4. Exkurs: Irrwege der "Medienfreiheiten" a) Der Konstruktivismus; tragfahige Grundlage einer neuen Medienphilosophie?
86 86
aa) Thesen dieser Theorie
86
bb) Verzicht auf das Postulat der Wahrheit und Objektivität?
88
(1) Gefahren für die persönliche Ehre
88
(2) Gefahren für das Verfassungsgefüge
89
b) Grundsätze von Pluralismus, Sachlichkeit und Ausgewogenheit - Ein Relikt aus Utopia ? 91 aa) Die Situation bei den Printmedien
91
bb) Die Situation bei Hörfunk und Fernsehen
93
c) Manipulation durch Weglassen des Relevanten
95
aa) Praktiken und Gefahren dieser Vorgehens weise
95
bb) Zum Abschluß: Die Weisheiten Sokrates
99
Π. Die Schranken der Meinungs- und "Medienfreiheiten" 1. Die allgemeinen Gesetze
100 100
a) Historische Entwicklung
100
b) Die heutige Bedeutung unter Berücksichtigung der sog. Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts
101
aa) Die Existenzberechtigung der Wechselwirkungslheorie
101
bb) Gleichsetzung mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz
103
2. Die Gesetze zum Schutze der Ehre a) Das Verhältnis der Schranke der persönlichen Elire zu der Schranke der allgemeinen Gesetze
105 106
aa) Der Meinungsstand
106
bb) Stellungnahme
107
b) Das Recht der persönlichen Ehre und die Wechselwirkungslehre
108
3. Die Gesetze zum Schutze der Jugend
109
4. Die immanenten Schranken der Meinungs- und "Medienfreiheiten"
110
Inhaltsverzeichnis
C. Abwägungskriterien bei der Kollision der Meinungs- und "Medienfreiheiten" mit dem Recht der persönlichen Ehre I. Die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung
112 112
1. Die sogenannte Vermutungsformel
112
2. Das Gegenschlagsprinzip
116
3. Die Spontanität der freien Rede
119
4. Berücksichtigung der Reizüberflutung
120
5. Resümee
121
Π. Verfassungs"gerechte" Lösungsmöglichkeiten im Kollisionsfall
122
1. Abstrakte Abwägung
122
2. Berücksichtigung des (subjektiven) Zwecks der Äußerung
123
3. Strikte Ausrichtung am Einzelfall
123
4. Die Ausrichtung am Prinzip der Verhältnismäßigkeit
124
D. Die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
127
I. Bestandsaufnahme
127
Π. Kritik und eigener Ansatz
130
E. Zusammenfassung
133
Teil 2
Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze A. Die Notwendigkeit der einfachgesetzlichen Umsetzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen
134
B. Der strafrechtliche Ehrenschutz
135
I. Materiellrechtliche Gewährleistung 1. Strafrechtlicher Schutz durch §§ 185 Ω StGB a) Die inhaltliche Gewährleistung der §§ 185 ff StGB aa) Die Beleidigung i.S.d. § 185 StGB
135 135 135 136
Inhaltsverzeichnis
14
bb) Die §§ 186, 187 StGB b) § 185 StGB und das Bestimmtheitsgebot
138 139
aa) Verfassungswidrigkeit des § 185 StGB
139
bb) Stellungnahme
139
c) Mißbrauch des § 185 StGB als "kleines Staatsschutzdelikt"
141
d) Die Kollisionsnorm des § 193 StGB
142
aa) Die "berechtigten Interessen" i. S. d. § 193 StGB
143
bb) Die Angemessenheit des Mittels
147
cc) Das subjektive Rechtfertigungselement
150
2. Resümee Π. Möglichkeiten der strafprozessualen Durchsetzung des Ehrenschutzes C. Der zivilrechtliche Ehrenschutz I. Materiellrechtliche Gewährleistung 1. Der Widerrufsanspruch
151 151 155 155 156
a) Dogmatische Herleitung
156
b) Die Voraussetzungen
157
aa) Das Vorliegen einer Tatsachenmitteilung
157
bb) Die (Un-) Wahrheit einer Tatsachenmitteilung
158
cc) Die Beweislastverteilung
158
dd) Der Umfang des Widerrufs
160
ee) Die Form des Widerrufs
161
ff) Der Widerrufsanspruch und die Wahrnehmung berechtigter Interessen c) Sonderformen des Widerrufs 2. Der Unterlassungsanspruch
162 163 163
a) Dogmatische Herleitung und Voraussetzungen
163
b) Zusammenfassung und kritische Würdigung
166
3. Der Schadensersatzanspruch a) Der Ersatz materieller Schäden aa) Die haftungsbegründenden Tatbestände
166 166 166
Inhaltsverzeichnis
(1) Die Vorschrift des § 823 Abs.l BGB
167
(2) Die Vorschrift des § 823 Abs.2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz
167
(3) Die Vorschrift des § 824 Abs.l BGB
168
(4) Die Vorschrift des § 826 BGB
168
bb) Der Schadensunifang b) Der Ersatz immaterieller Schäden
168 169
aa) Grundsätzliche Anerkennung der Ersatzfahigkeit immaterieller Schäden
169
bb) Die Voraussetzungen
171
cc) Geltung der Subsidiaritätsthese des Bundesgerichtshofs
172
dd) Die Höhe des Ersatzanspruchs
173
4. Der Aufopferungsanspruch
176
a) Dogmatische Herleitung und Zulässigkeit eines solchen Anspruches
176
b) Stellungnahme
177
5. Der Gegendarstellungsanspruch
177
a) Die Voraussetzungen
177
b) Der Grundsatz der "Waffengleichheit"
179
c) Die Problematik des sog. "Redaktionsschwanzes"
179
d) Die Ausweitung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen
181
6. Hilfsansprüche
182
a) Der Anspruch auf Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen
182
aa) Veröflentlichungsbefugnis bei Verurteilung zum Widerruf
183
(1) Bestehen der grundsätzlichen Möglichkeit
183
(2) Veröffentlichung auch auf Kosten des Injurianten
184
bb) Veröffentlichungsbefugnis bei Verurteilung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung
186
(1 ) Bestehen der grundsätzlichen Möglichkeit
186
(2) Veröffentlichung auch auf Kosten des Injurianten
188
b) Der Auskunftsanspruch
189
aa) Auskunft über den Inhalt einer Äußerung
189
bb) Auskunft über die Verbreitung einer Äußerung
190
16
Inhaltsverzeichnis
Π. Möglichkeiten der zivilprozessualen Durchsetzung des Ehrenschutzes 1. Die Durchsetzung des Widerrufsanspruchs
190 190
a) Die Vollstreckung des Widerrufs
190
b) Der Widerruf und die einstweilige Verfügung
193
2. Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs
194
3. Die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs
194
4. Die Durchsetzung im Wege der Feststellungsklage
195
D. Zusammenfassung
199
Teil 3
Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes A. (Selbst-)Kontrolle der "Kontrolleure" I. Die bestehenden Kontrollinstitutionen und ihre Effizienz
201 203
1. Der Deutsche Presserat
203
2. Die Rundfunkräte
205
Π. Alternativmodelle
206
1. Kollektivrechtliche Verbandskontrolle
206
2. Bestellung eines "Ombudsmannes" oder/und eines "Medienbeauftragten"
206
3. Einrichtung einer "Journalistenkammer"
207
a) Historische Bedenken
208
b) Verfassungsrechtliche Bedenken
209
c) Zweckmäßigkeit und Erfordernisse
211
B. Boykott mißliebiger Medien
213
I. Verfassungsrechtliche Bedenken
213
Π. Zweckmäßigkeit dieser Vorgehensweise
213
Inhaltsverzeichnis
C. Abschluß von "Fairneßabkommen"
215
I. Verfassungsrechtliche Bedenken
215
Π. Der Nutzen derartiger Vereinbarungen
216
Zusammenfassende Thesen
218
Literaturverzeichnis
225
Einleitung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Theorie und die praktische Bedeutung des Ehrenschutzes in Deutschland. In der Theorie ist der Ehrenschutz gemäß Art. 5 Abs.2 GG und Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG verfassungsrechtlich abgesichert und durch ein breit gefächertes Instrumentarium einfachgesetzlich geschützt. In praxi befindet er sich jedoch in Agonie. Dies, obwohl der Ehrenschutz seine Grundlage in dem obersten Grundwert unserer Verfassung (Art. 1 GG) findet und von alters her f\ir den Menschen eine besondere Bedeutung hat. So bezeichnete Martin Luther die Ehre als einen "Schatz... welchen wir... nicht entbehren können".1 Immanuel Kant zählte sie gar zu den "Glücksgaben".2 Gab es früher eine Übersteigerung der Ehrempfindlichkeit, so ist heute das Gegenteil zu konstatieren. Das Bundesverfassungsgericht, dessen originäre Aufgabe der Schutz verfassungsrechtlicher (Grund-) Werte ist. gebietet dieser Entwicklung keinen Einhalt. Schlimmer noch, die maßgeblichen Impulse der Zurückdrängung des Ehrenschutzes gingen - gewollt oder ungewollt - von dem höchsten deutschen Gericht aus. Mit Rücksicht auf die Meinungs- und "Medienfreiheiten" des Art. 5 Abs. 1 GG und dessen "schlechthin konstituierenden Wirkung" wurde der Ehrenschutz in Deutschland nach und nach suspendiert. Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, daß diese Entwicklung an den normativen Aussagen der Verfassung vorbeigeht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der schlechthin konstituierenden Wirkung der Meinungs- und "Medienfreiheiten". Hierzu werden im ersten Teil der Arbeit die Komponenten und Antagonismen des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes dargestellt. Dabei wird vornehmlich im Bereich der Meinungs- und "Medienfreiheiten" gezeigt, welche Faktoren zu einer Relativierung des Ehrenschutzes fuhren und welche Möglichkeiten eines verfassungs"gerechten" Ehrenschutzes bestehen. In diesem Zusammenhang erfolgt eine kritische Beleuchtung der Folgen und Gefahren einer unkontrollierten Medienmacht für das Recht der persönlichen Ehre und das Verfassungsgefuge.
1
Luther, S . l l u . S.64.
2
Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 10.
20
Einleitung
Dem Gebot dogmatischer Folgerichtigkeit entsprechend, wird im zweiten Teil dieser Untersuchung aufgezeigt, welche einfachgesetzlichen Instrumentarien des Ehrenschutzes existieren, respektive welche Defizite ihnen -nicht zuletzt aufgrund der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts - anhaften. Im letzten Teil der Arbeit wird auf sonstige Möglichkeiten eines verfassungs"gerechtenM Ehrenschutzes hingewiesen. Hierbei erfahrt die Frage einer Selbstkontrolleinrichtung fur die Print- und Funkmedien eine -der hohen Sensibilität dieser Thematik entsprechende - Berücksichtigung.
Teil 1
Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes A. Der Ehrenschutz
I. Historische Entwicklung in Deutschland Der Rückblick auf die frühkonstitutionellen Verfassungen in Deutschland zeigt, daß die persönliche Ehre bis in die jüngste Vergangenheit nicht als Grundrecht ausgestaltet war. 1 So erwähnte die Paulskirchenverfassung von 1849 das Recht der persönlichen Ehre nicht. Zwar wurde durch die Abschaffung der Strafen wie der des "Prangers" oder der "Brandmarkung" 2 erkennbar, daß einem Ehrgefühl (des Delinquenten) in Ansätzen Rechnung getragen werden sollte, doch wurde hier das Recht der persönlichen Ehre noch nicht positivrechtlich normiert. Gleiches gilt für die Preußische Verfassungsurkunde von 1850. Auch die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und die Reichsverfassung von 1871 erwähnten das Recht der persönlichen Ehre nicht. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 gewährte zwar dem einzelnen Bürger bestimmte Grundrechte, 3 nicht aber den Schutz vor Ehrangriffen. Erst als sich nach dem zweiten Weltkrieg die einzelnen Länder eigene Verfassungen gaben, erfuhr das Recht der persönlichen Ehre teilweise auch eine verfassungsrechtliche Absicherung. So wurde beispielsweise in der Verfassung des Landes Hessen aus dem Jahre 1946 die Ehre des Menschen, zusammen mit anderen besonders hohen Verfassungsgütern, geschützt. In Art. 3 der hessischen Verfassung heißt es: "Leben und Gesundheit, Ehre und Würde des Menschen sind unantastbar".
1
Vgl. ausführlich hierzu: Mackeprang, S.31 ff.
2
Abschnitt VI, Aitili, § 139 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28.3.1849.
3
Zweiter Hauptteil (Art. 109 ff) der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919.
22
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
In der Verfassung von Rheinland-Pfalz aus dem Jahre 1947 wurde die Ehre sogar als eigenständiges Grundrecht normiert. So lautet Art. 4 Satz 1 : "Die Ehre des Menschen steht unter dem Schutz des Staates". In anderen Landesverfassungen, soweit sie vor dem Grundgesetz in Kraft gesetzt wurden, findet sich das Recht der persönlichen Ehre zwar nicht expressis verbis wieder, doch finden sich Bestimmungen, die erkennen lassen, daß die "Verfassungsväter" auch die Ehre verfassungsrechtlich absichern wollten. So steht beispielsweise in Art. 22 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern (1946): "Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Landtages oder seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei, es sei denn, daß es sich um die Wiedergabe von Ehrverletzungen handelt". Zudem findet sich in dem Bekenntnis zur Achtung der Würde der menschlichen Persönlichkeit in Art. 5 Abs. 1 der Bremer Landesverfassung sowie in Art. 1 der Verfassung des Saarlandes eine zumindest teilweise positivrechtliche Gewährleistung des Ehrenschutzes auf Verfassungsebene. Insgesamt läßt sich somit festhalten, daß der Ehrenschutz in Deutschland verfassungsrechtlich bis zur Schaffung der Länderverfassungen nach 1945 keine positivrechtliche Ausgestaltung fand. Im internationalen Vergleich stellt dies keine Besonderheit dar. Ein Blick auf die Verfassungen anderer Länder zeigt, daß auch dort der Ehrenschutz eine späte verfassungsrechtliche Absicherung erfuhr. So sind weder in den frühen amerikanischen Verfassungen, noch in der französischen Erklärung der Menschen· und Bürgerrechte von 1789 Elemente des Ehrenschutzes erkennbar. Erste Ansätze eines Ehrenschutzes finden sich in der Verfassung der Republik Irland aus dem Jahre 1937. Hier ist in Art. 40 Abs. 3 Nr.2 formuliert: "...schützt der Staat durch seine Gesetze nach bestem Vermögen das Leben, die Person, den guten Namen, und die Vermögensrechte eines jeden Bürgers..". 4 Während die Formulierung "schützt der Staat den guten Namen" den Schluß auf eine gewisse positivrechtliche Normierung des Ehrenschutzes durchaus zuläßt, ist dies im Hinblick auf die aus dem Jahre 1947 stammende Verfassung der Republik Italien nur noch eingeschränkt möglich. So lautet Art. 3 Satz 1: "Alle Staatsbürger genießen dieselbe soziale Achtung...".5
4
Mayer-Tasch, S.289.
5
Mayer-Tasch, S.314.
Α. Der Ehrenschutz
23
Auch wenn, wie exemplarisch aufgezeigt, die späte verfassungsrechtliche Absicherung des Ehrenschutzes in Europa keine Besonderheit darstellt, ist dieses Faktum, zumindest auf Deutschland bezogen, auf den ersten Blick überraschend. Denn in den großen Rechtssystemen, die in Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts galten, war die Notwendigkeit eines umfassenden Persönlichkeitsschutzes bekannt und - einfachgesetzlich - auch gewährleistet. So wurde im Bereich des rheinischen Rechts durch die Regelung des Art. 1382 code civil auch der Schutz ideeller Interessen gewährleistet und im Rahmen dieses Schutzes ein Anspruch auf Schadensersatz bei Verletzung dieser Rechte gewährt. Das gemeine Recht kannte die actio iniuriarum und die actio recantatoria. Während die erste eine zu zahlende Geldbuße bei einer Persönlichkeitsmißachtung vorsah, ermöglichte die zweite den Widerruf bzw. die Abgabe einer Ehrenerklärung. Schließlich kannte auch das Preußische Allgemeine Landrecht einen umfassenden zivilrechtlichen Ehrenschutz. Es drängt sich daher die Frage auf, was die Gründe für diese späte verfassungsrechtliche Berücksichtigung sind. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß sowohl in der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 als auch in der Reichsverfassung von 1871 eine Normierung individueller (Grund-) Rechte weitgehend unterblieb. 6 7 Insoweit kann es nicht überraschen, daß auch das Recht der persönlichen Ehre keine verfassungsrechtliche Berücksichtigung fand. Demgegenüber wurden zwar in der Paulskirchenverfassung von 1849 Grundrechte normiert, ihre rechtliche Tragweite blieb jedoch beschränkt. Denn ihnen kam kein höherer Rang als dem einfachen Recht zu. Vielmehr sollten sie wie ein Programm das bestehende einfache Recht lediglich ergänzen. 8 Letzteres gewährte jedoch, wie ausgeführt, einen relativ umfassenden Persönlichkeitsschutz. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß der Persönlichkeitsschutz nicht in der Verfassung verankert wurde (welche Notwendigkeit sollte hierfür noch bestehen?). Der kardinale Gesichtspunkt der späten verfassungsrechtlichen Berücksichtigung ist jedoch folgender: Das Rechtsgut "Ehre" wird primär durch (herabsetzende) Äußerungen tangiert. Das (Grund-)Recht, die eigene Meinung frei äußern zu können, ist jedoch erst durch die "modernen" demokratischen Verfassungen Realität geworden. Damit aber konnte der Ehrenschutz auf Verfassungsebene denknotwendig erst aktuell werden, als das Recht auf freie Meinungsäußerung Realität wurde.
6
Huber, S.758.
7
Der Grund dafür lag wohl darin, daß man Eingriffe in die Verfassungen der Einzelstaaten befürchtete. 8 Ähnliches galt für die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung, in der ebenfalls viele Grundrechte nur als bloße "Programmsätze" betrachtet wurden (vgl. Artschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S.505 ff).
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
24
II. Grundlagen des Ehrenschutzes 1. Der Begriff
"Ehre"
Eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem Spannungsverhältnis von Ehrenschutz und Meinungsfreiheit kritisch auseinandersetzt, kann nur dann verständlich werden und zu einem sy stemgerechten Ausgleich zwischen den konträren Verfassungsgütern beitragen, wenn erkennbar wird, was sich hinter dem Begriff der "Ehre" verbirgt. Sichtet man die Literatur zu diesem Themenkreis, so wird schnell deutlich, daß kein Konsens über das besteht, was Ehre ist oder sie ausmacht. Dies kann auch nicht verwundern. Denn mit dem Begriff der Ehre setzen sich nicht nur Juristen, sondern auch Dichter, Philosophen, Moraltheologen, Offiziere, Psychologen u.s.w. auseinander. Insoweit ist der Begriff der Ehre zwar auch, aber eben nicht nur ein Begriff der Verfassung. So finden sich alleine im juristischen Schrifttum über sechzig (!) verschiedene Ehrbegriffe. 9 Aus diesem Grunde könnte man geneigt sein, mit dem französischen Dichter Camus zu formulieren: "Die Ehre, Sie verstehen, das ist ein unklarer, ein sehr unklarer Begriff'. 10 Trotz der mannigfaltigen und zum Teil sehr unterschiedlichen Interpretationsansätze hinsichtlich des Ehrphänomens, soll im folgenden der Versuch einer begrifflichen Einordnung der Ehre unternommen werden. Dies, um plastisch zu machen, auf welche Weise der Ehrbegriff auf den verschiedenen Ebenen (des Rechts) verstanden wird, und welche Divergenzen zwischen den Begriffen und Ebenen bestehen.
a) Die Ehre in der Umgangssprache Ein Blick in die Wörterbücher zeigt, daß das Wort "Ehre" in der Umgangssprache vielerlei Bedeutungen hat. Man findet dort Begriffe wie Respekt, Anerkennung, äußeres Ansehen, Rang, Status, Würde, Sittlichkeit und vieles mehr. 11 Auch das Wörterbuch von Hermann Paul 12 gibt keine eindeutige Auskunft. Hiernach soll Ehre entweder ein besonderer Vorzug sein, der jemand über einen anderen erhebt, oder lediglich das Freisein von Schande bedeuten. Typisch für die Umschreibung der "Ehre" in der Umgangssprache ist, daß es sich um schlagwortartige Begriffe handelt, die jeweils nur bestimmte Lebensbereiche des
9 Zu diesen nur noch rechtshistorisch bedeutsamen Interpretationen: Tenckhoff, Ehrbegriffs, S.16ff. 10
Camus, Die Besessenen, 1. Teil, 4. Bild, S.272.
11
Vgl. Grebe /Köster!Müller,
12
Paul, S.147.
S.185.
Die Bedeutung des
Α. Der Ehrenschutz
25
Individuums erfassen. Eine alles umfassende Definition der "Ehre" läßt sich hier jedenfalls nicht finden.
b) Der verfassungsrechtliche Ehrbegriff Was die Verfassung unter dem Recht der Ehre versteht, ist mangels positivrechtlicher Normierung zunächst nicht erkennbar. Auch fehlt es, wie festgestellt, an einem gesellschaftlichen, geschweige denn juristischen Konsens, wie die Ehre zu definieren ist. Folglich läßt sich der Inhalt des Rechts der Ehre nicht aus sich selbst heraus beantworten. Eine Konturierung des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs ist daher nur auf der normativen Grundlage der Verfassung selbst möglich. Hierbei wird primär auf die verfassungsrechtlichen Prinzipien abzustellen sein, die den Staat erst als einen freiheitlich, demokratischen Rechtsstaat konstituieren. Dazu zählen insbesondere die in Art. 20 GG normierten Grundsätze des Rechtsstaats-, Demokratie-, Sozialstaats- und Bundesstaatsprinzips, aber auch und vor allem die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG. 13 Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG macht die Achtung und den Schutz der Menschenwürde vor jeglicher staatlicher Gewalt zur Aufgabe. Hieraus folgt, daß nur der Mensch und damit seine Persönlichkeit Maßstab aller verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen sein kann. Er steht im Mittelpunkt sämtlicher Normierungen der Verfassung. 14 Daher fuhren die verfassungsmäßige Anerkennung und die hohe Relevanz der Würde des Menschen zu einer entscheidenden Berücksichtigung des Postulats der Menschenwürde im Rahmen der Definition eines (verfassungsgerechten) Ehrbegriffs. 15716 Demzufolge ist Inhalt des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs zunächst der Anspruch der Person auf Achtung "als Person". Das bedeutet Verpflichtung der Anerkennung dessen, was den Wert des Menschen ausmacht, nämlich Träger geistiger und sittlicher Werte zu sein. Dieser Persönlichkeitswert wird jedem Menschen von Geburt an zuteil. Er ist aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung in Art. 1 GG unverlierbar und unantastbar! Damit wird gewährleistet, daß es keinen Menschen geben kann, der in seiner Ehre mißachtet werden darf. Dies gilt für Geisteskranke und Geschäftsunfähige ebenso wie für notorische Rechtsbrecher und die Personen, die
13
Nicht zu Unrecht wird Art.20 GG auch als "Verfassung in Kurzform" bezeichnet" (M/D/H-Herzog, Art.20 I, Rn 7 "Staatsfundamentalnorm"). 14 Vgl. Art. 1 I des Herrenchiemsee-Entwurfes zum Grundgesetz: "Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen" (Doemming/Füsslein /Matz, S.48). 15 So schon Graf Vitzthuhm, zeichnete.
S.203, der Art.l GG als "grundrechtliches Interpretationsprinzip" be-
16 Daß die Ehre ihre Grundlage in der Persönlichkeit des Menschen findet, wurde bereits 1895 von Gierke festgestellt: "Aus der Persönlichkeit entspringt ein Recht auf Ehre. ...Unversehrte Ehre ist Grundlage des unversehrten Rechts der Persönlichkeit".
26
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
auf den Schutz ihrer Ehre i.S.d. bürgerlichen Gesellschaft keinen Wert legen. 17 Auf diese Weise wird statisch-konstant ein Mindestbestand an Ehre, ein Ehrenminimum garantiert. 18 Eine Beeinträchtigung dieser statisch-konstanten Komponente des Ehrenschutzes liegt dann vor, wenn dem Betroffenen die Menschqualität abgesprochen wird. Dies beispielsweise durch eine Herabstufung zum Tier, 1 die Bezeichnung als Untermensch 21 oder durch abwertende Äußerungen über die Intimssphäre. 22 Festzuhalten ist daher, daß das zentrale Element des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes die jedem Individuum gleichermaßen kraft seines Menschseins zuteil gewordene persönliche Würde ist. 23 Das heißt aber nicht, daß dieser - wenn auch wichtige Teil - den verfassungsrechtlichen Ehrbegriff gänzlich ausmacht. Denn die Verfassung schützt neben der jedem Menschen gleichermaßen zukommenden Menschenwürde auch die Individualität und Originalität des einzelnen. Dies folgt aus Art. 2 Abs. 1 GG, wo die Persönlichkeit als zu schützendes Rechtsgut verankert ist. Damit wird neben der statisch-konstanten Komponente auch ein bestimmter individueller Geltungswert geschützt. Es stellt sich demnach die Frage, wie dieser individuelle Geltungswert der Person näher zu bestimmen ist. Der primäre Anknüpfungspunkt wird sicherlich das soziale Verhalten des Individuums in der Gesellschaft sein. So wird dem notorischen Rechtsbrecher billigerweise ein anderer Geltungswert beizumessen sein, als dem barmherzigen Samariter. Folglich ist der individuelle Geltungswert - anders als die statischkonstante Komponente - nicht unangreifbar, sondern als "erworbener Sozialwert" 2 4 eine relativierbare Variable. Damit kann sich der soziale Geltungswert einer Person bei positiven Verhaltensweisen erhöhen, bei negativen Vorkommnissen verringern. Ferner ist er, vor allem in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft, abhängig von den gerade vorherrschenden Wertvorstellungen und Strömungen innerhalb der Gemeinschaft. Diese Variabilität führt nicht selten dazu, daß die Bestimmung einer "Wertrichtlinie" mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit erschwert, unter Umständen sogar gänzlich unmöglich ist. Um
17 Dies gilt heute als unstreitig. Vgl. statt vieler: Schmidt, S.47 u. S.48; Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn 3.122. 18
So schon Schmid , S.40.
19
So Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht. S.292.
20 Klassisches Beispiel ist die Bezeichnung einer Femsehansagerin als "ausgemolkene Ziege" (BGHZ 39, 124 ff). Exemplarisch hierfür dürfte auch der die Gerichte (noch?) nicht beschäftigende Fall sein, wo Sekten und ihre Anhänger als totzuschlagendes Ungeziefer auf einer Broschüre dargestellt werden (/WSEKTEN - NEIN DANKE! (Hrsg. von: Junge Union Deutschlands, 3. Aufl., Bonn 1993). 21
Juden als "Untermenschen" (BGHZ 16, 49 ff = NJW 1961, S.1365).
22
Vgl. BGHZ 26, 349 ff; 35, 363 ff.
23
So I/K-Häberle,
24
Formulierung in Anlehnung an Schmid, S.40.
Bd. I, § 20, Rn 20 u. 21.
Α. Der Ehrenschutz
27
gleichwohl in diesen Fällen einen individuellen Geltungswert bestimmen zu können, ist auf die normativen Aussagen der Verfassung zurückzugreifen. Festzuhalten bleibt daher, daß der verfassungsrechtliche Ehrbegriff aus zwei Komponenten besteht: Dem statisch-konstanten Menschenwürdeteil und dem dynamisch-variablen, sozialen Teil ("Sozialehre"), welcher sich primär aus dem sozialen Verhalten des Individuums ergibt. Ehre i.S.d. des Grundgesetzes ist damit zu definieren als der dem einzelnen kraft seines Menschseins zuteil gewordenen personalen Würde und dem aus dem individuellen Verhalten folgenden sozialen Geltungswert. Insignifikant für die Bestimmung des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs ist dabei, ob der statisch-konstante Menschenwürdeteil - wie in der Literatur teilweise vertreten - 2 5 einzig aus Art. 1 Abs. 1 GG und der dynamisch-variable Sozialehreteil ausschließlich durch Art. 2 Abs. 1 GG abgesichert sein soll, oder ob, wie vereinzelt vertreten, 26 der verfassungsrechtliche Schutz der persönlichen Ehre insgesamt von Art. 2 Abs. 1 GG umfaßt wird und Art. 1 Abs. 1 GG "nur" als Interpretationsrichtlinie fungiert. Denn auch die zuletzt genannte Auffassung läßt keinen Zweifel daran, daß die zwei Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs letztendlich aus Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG hergeleitet werden. Insoweit hat diese Frage fur die hier zu treffende Bestimmung des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs - anders als bei der Frage der verfassungsrechtlichen Gewährleistung - 2 7 keine Bedeutung und kann hier daher unbeachtet bleiben.
c) Die einfachgesetzlichen Ehrbegriffe Der Versuch einer Konturierung der einfachgesetzlichen Ehrbegriffe wäre hier im Wege einer verkürzten Darstellung möglich, wenn man von der Identität des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs mit den einfachgesetzlichen Ehrbegriffen ausgehen könnte.
aa) Identität der verfassungsrechtlichen
und einfachgesetzlichen
Ehrbegriffe
Hält man sich vor Augen, daß das Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1871 stammt, das Grundgesetz jedoch erst 1949 in Kraft getreten ist, so könnte anzunehmen sein, daß der Verfassungsgeber den zur Zeit des Inkrafltretens des Grundgesetzes geltenden Ehrbegriff des Strafrechts einfach übernommen hat.
25
Gornig, S.278; Krüger, S.12; Tettinger,
26
Mackeprang, S.182.
27
Vgl. hierzu nachfolgend unter Pkt. 2.
JZ 1983, S.319.
28
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Demnach wären beide Ehrbegriffe kongruent. 28 Dem widerspricht jedoch, daß das "Recht der persönlichen Ehre" nicht nur als Schranke der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs.2 GG eine unmittelbare Verankerung im Verfassungstext erhalten hat, sondern, wie oben festgestellt, 29 auch als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG eine verfassungsrechtliche Absicherung erfährt. Hierdurch wird erkennbar, daß das Recht der persönlichen Ehre nicht nur Gesetzesrechtsgut, sondern auch Verfassungsrechtsgut ist. 30 Dies hat zur Folge, daß die verfassungsrechtlich geschützte Ehre gegenüber dem einfachen Recht mit einer erhöhten Bestandsgarantie ausgestattet ist, was deutlich gegen eine Identität von verfassungsrechtlichem und einfachgesetzlichem Ehrbegriff spricht. 31 Legt man das zugrunde, so könnte man von einer völligen Autarkie des verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Ehrbegriffs ausgehen. Dies erscheint jedoch aufgrund der grammatikalischen Identität der Begriffe gekünstelt und widerspricht der objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte. Hiernach sind in den einzelnen Grundrechten objektive Wertentscheidungen getroffen bzw. in der Gesamtheit der Grundrechte eine objektive Wertordnung verkörpert. 32 Daraus wird u.a. abgeleitet, daß die Grundrechte Vorgaben für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts gäben. 3 3 7 3 4 Berücksichtigt man dies, so ergibt sich, daß die auf der Ebene des Verfassungsrechts getroffenen Aussagen zum Ehrbegriff auch für die Auslegung und Anwendung des Ehrbegriffs auf einfachgesetzlicher Ebene zwingend anzuwenden sind. Dann aber ist evident, daß keinesfalls von einer Autarkie des verfassungsrechtlichen und des einfachgesetzlichen Ehrbegriffs ausgegangen werden kann. Richtigerweise wird man daher davon auszugehen haben, daß sich der verfassungsrechtliche Ehrbegriff mit den einfachgesetzlichen Ehrbegriffen teilweise überdeckt, partiell jedoch auch nicht unerheblich differiert. Der verfassungsrechtliche Ehrbegriff ist zum Teil sicherlich umfassender (z.B. im Gegensatz zum noch zu behandelnden strafrechtlichen Ehrbegriff), so daß auch straflose Ehrminderungen erfaßt werden. Andererseits ist er aber auch restriktiver. So wird keinesfalls alles, was zivilrechtlich im Bereich des Ehrenschutzes gemäß den §§ 823 Abs.l, 847, 1004 BGB geschützt und durchsetzbar ist, auch vom Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs.l i.V.m. 1 Abs.l GG umfaßt (und vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft). 35
28
Graehl, S.112.
29
Vgl. die Ausführungen unter Pkt. b) sowie ausfuhrlich unter Pkt. 2., b).
30
Stern, FS für Hübner, S.823.
31
Ebenso Schmid. S.18.
32
BVerfGE 7, 198; Hesse, Rn 290; Starch, S.238.
33
Pieroth/Schlink,
Rn 93.
34
Menschenwürdegarantie als "Interpretationsrichtlinie" (vgl. Mangoldt/Klein/Starck, Art.2 I, R n l l ) . 35
Schmidt, S.2067; ähnlich Schwerdtner,
JuS 1978, S.291.
Α. Der Ehrenschutz
29
Das Verhältnis des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs zum einfachgesetzlichen Ehrbegriff ist insoweit ähnlich gestaltet, wie das Verhältnis des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs (Art. 14 GG) zum einfachgesetzlichen Eigentumsbegriff in § 903 BGB; auch diese sind nur teilweise kongruent. 36 Fraglich bleibt demnach die inhaltliche Ausgestaltung der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Ehrbegriffe. bb) Der strafrechtliche
Ehrbegriff
Die Auffassungen über Inhalt und Grenzen des strafrechtlichen Ehrbegriffs sind seit über 100 Jahren heftig umstritten. Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, würde man sämtliche vertretene Auffassungen mit allen divergierenden Nuancen hier aufführen wollen. 37 Skizziert seien hier jedoch die jeweils vorherrschenden Auffassungen des strafrechtlichen Ehrbegriffs: Die in der Literatur herrschende Meinung, 38 der die Judikatur folgt, 39 sieht die Ehre als ein aus normativen und faktischen Elementen zusammengesetztes Rechtsgut. Hiernach umfaßt die Ehre innere und äußere Aspekte. Als Grundlage und Kern der inneren Ehre wird dabei die jedem Menschen von Geburt an zuteil gewordene persönliche Würde empfunden. Sie erfaßt den Menschen als Träger geistiger und sittlicher Werte und unterfällt insoweit dem Schutzbereich des Art. 1 Abs.l GG. 4 0 Die äußere Ehre, die auch als "Verkehrsehre" bezeichnet wird, erfaßt die soziale Geltung des einzelnen, die ihm aufgrund seines Verhaltens in der Sozietät zuwächst.41 Schopenhauer hatte dies m.E. zutreffend beschrieben: "Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert, und subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung".42 Diesem dualistischen Ehrbegriff, der zum Teil unterschiedlich akzentuiert wird, wird ganz überwiegend der Vorzug gegeben. Begründet wird dies damit, daß man so der Schutzfunktion der ehrverletzenden Tatbestände am ehesten gerecht werden kann. Denn so werde gewährleistet, daß dem Individuum die 36 So schon Schmid . S.19, jedoch im Rahmen seiner Abhandlung folgerichtig nur auf das Verhältnis des verfassungsrechtlichen zum strafrechtlichen Ehrbegriff bezogen. 37 Eine umfangreiche Darstellung sämtlicher vertretener strafrechtlicher Ehrauffassungen findet sich bei Schmid , S.20 - 35. 38 Dreher/Tröndle, Vor. § 185, Rn 2; ähnlich Eser, S.181, Rn 9; Otto, JZ 1989, S.803; ders., JR 1983, S.2 u. S3, Arzt, JuS 1982, S.719. 39
BGHSt 11, 67 (70).
40
BVerfGE 39, 1 (39); Arzt JuS 1982, S.717; Dreher/Tröndle, Lenckner, Vor. § 185, Rn 1, Krüger, S.12.
Vor. § 185, Rn 2; Sch/Sch-
41
Otto, JR 1983, S.2; Krüger, S.12; Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn 3.124.
42
Schopenhauer, S.71 (zit. nach Tettinger,
S.319, Fn 44).
30
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Möglichkeit gegeben werde, zusammen mit anderen Individuen Gemeinschaft zu haben, zum einen, indem jeder Person die Würde als Person zugestanden wird, zum anderen, indem ihre Möglichkeiten gesichert werden, sich im sozialen Raum personal zu entfalten. 43 Demgegenüber vertritt eine eher soziologisch motivierte Lehre 44 einen faktischen Ehrbegriff, der auf die Außenseite des Rufs, des Ansehens und der gesellschaftlichen Anerkennung abstellt. Entscheidend gegen diese Lehre spricht jedoch, daß nicht einsichtig ist, warum hiernach auch die unverdiente Anerkennung schutzwürdig sein soll. Aus diesem Grund wird der faktische Ehrbegriff in dieser monistischen Fassung heute kaum noch vertreten. 45 Eine weitere, in der idealistischen Tradition des 19. Jahrhunderts stehende Auffassung vertritt einen rein "normativen" Ehrbegriff. 46 Hiernach beruht die Ehre auf dem "wirklichen sittlichen und sozialen Wert der Person," 47 und ist damit abhängig sowohl von den sich wandelnden Wertvorstellungen der Menschen als auch von der Summe ihrer Taten bezüglich eines zu bewertenden Sachverhaltes. Entscheidend gegen diese Ansicht spricht, daß sie zu einer gefährlichen Einengung des Ehrenschutzes fuhren kann. Denn sie stellt zu einseitig auf soziale Wertgesichtspunkte ab. Die Ehrenhaftigkeit eines Menschen nur aus dem Blickwinkel des gemeinschaftsnützlichen Funktionierens beurteilen zu wollen, heißt aber, Menschen, die nicht sozialnützlich sind oder sein können, einen großen Teil ihres Achtungsanspruchs zu nehmen. Dies ist heute, gerade im Hinblick auf die wertsetzende Bedeutung des Art. 1 GG, nicht mehr ernsthaft zu vertreten. Insoweit ist heute mit Recht dem dualistischen Ehrbegriff der Vorzug zu geben. Ehre i.S.d. Strafrechts wird damit definiert als die jedem Menschen von Geburt an zuteil gewordene personale Würde (innere Ehre) und die durch soziales Verhalten geprägte (äußere) Ehre. cc) Der zivilrechtliche
Ehrbegriff
Sichtet man die zivilrechtlichen Entscheidungen, die zum Schutz der Ehre ergangen sind, 48 so fällt auf, daß eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Ehre praktisch nicht stattgefunden hat. Man findet hier lediglich allgemein gehaltene Ausführungen zum "allgemeinen Persönlichkeitsrecht", ohne daß der Begriff der Ehre näher definiert oder gar problematisiert wird. Sofern sich Ent43
So Otto, JR 1983, S.3.
44
Maurach/Schroeder,
45
LK-Herdegen,
§ 24 I, 2.
§ 185, Rn 6.
46 Vgl. Hirsch, S.29 ffu. S.45 ff; Tenckhoff, Beleidigungstatbestände, S.71 ff; Welzel, S.303.
Die Bedeutung des Ehrbegriffs für die Systematik der
47
Schmid , S.30; Krey, Rn 389.
48
BGH, NJW 1974, S.1762; OLG Köln, Afp 1985, S.226; OLG München, AfP 1977, S.283.
31
Α. Der Ehrenschutz
Scheidungen ausnahmsweise doch genauer mit der Ehrverletzung auseinandersetzen.49 sind sie fragmentarisch und lassen eine einheitliche Definition des Begriffs der Ehre nicht erkennen. 50 Gleiches gilt für das zivilrechtliche Schrifttum. In der Literatur zur Medienhaftung läßt sich das Vordringen der Ansicht beobachten, derzufolge es auf § 185 StGB und die präzise Erfassung des Begriffs "Ehre" für das Zivilrecht nicht mehr ankomme, da auch Beleidigungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkcitsrechts durch § 823 Abs. 1 BGB erfaßt würden. 51 Sofern der Ehrbegriff ausnahmsweise doch problematisiert wird, wird ganz überwiegend auf die Literatur zu den Ehrenschutzbestimmungen des Strafrechts verwiesen. 52 Es ist daher davon auszugehen, daß ein eigenständiger zivilrechtlicher Ehrbegriff nicht existiert. 5 3
2. Die verfassungsrechtliche
Gewährleistung
a) Art. 5 Abs. 2 GG Das Recht der persönlichen Ehre ist in Art. 5 Abs.2 GG ausdrücklich benannt. Gleichwohl ist es, anders als weitere tragende Elemente der Individualität des Bürgers, wie etwa Leben und körperliche Unversehrtheit. Gewissensfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit, u.s.w.. nicht als eigenständiges Grundrecht in der Verfassung abgesichert. Vielmehr ist das Recht der persönlichen Ehre hier (nur) als eine ausdrückliche Schranke der Meinungsfreiheit ausgestaltet. Es stellt sich daher die Frage, ob die Ehre des Individuums bereits durch diese verfassungsrechtliche Positivierung geschützt wird, oder ob ein Schutz aus Art. 5 Abs.2 GG erst durch eine entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierung Realität wird.
aa) Verfassungsrechtliche Gewährleistung nur bei einfachgesetzlicher Ausgestaltung Nach einer Ansicht, 54 zu der auch die Judikatur zählt. 55 "bildet auch das Recht der persönlichen Ehre nur insoweit eine (die Meinungsfreiheit) einengende Schranke, als es gesetzlich normiert ist". 5 6 Folglich wäre nach dieser Auffassung 49
Siehe beispielsweise BGHZ 39, 124 (127); 90, 113(116).
50
Ebenso Wellbrock,
51
Kubier, JZ 1984, S.544; ders., Anm. zum Beschl. des BVerfG v. 19.04.1990. JΖ 1990, S.916.
52
MünchKomm-Schwerdtner,
53
So schon v.Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und Ehrenschutz, S.20.
54
v.M.-Wendt.
55
BVerfGE 33, 1 (16 u. 17).
S.36. § 12, Rn 287.
Art.5, Rn 82; L/R/H,
Art.5. Rn 971.
56 Nach Ansicht von BK-Wernicke (Erstbe.). Art.5, S.6, d und Mangoldt/Klein. S.252 sollte hierfür Gewohnheitsrecht ausreichen.
Art.5, Anm. IX, 3, c,
32
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
ein verfassungsrechtlicher Schutz der Ehre aus Art. 5 Abs.2 GG allein aus der positivrechtlichen Normierung in der Verfassung nicht gegeben. Begründet wird diese Auffassung damit, daß anderenfalls Grundrechtsbeschränkungen, primär des Art. 5 GG, ohne gesetzliche Grundlage möglich wären. 57 Dies verstieße aber gegen das herrschende Grundrechtsverständnis, wonach "Eingriffe in Freiheitsrechte grundsätzlich nur auf gesetzlicher Grundlage möglich sind". 58
bb) Die Gegenauffassung Nach einer anderen Auffassung wird das Recht der persönlichen Ehre auch ohne eine entsprechende einfachgesetzliche Konkretisierung unmittelbar aus Art. 5 Abs. 2 GG geschützt. Dies ergebe sich aus dem Charakter der Ehrenschutz-Schranke als ausdrücklichem Verfassungsvorbehalt. 59
cc) Stellungnahme M E. können beide Extrempositionen in dieser Absolutheit nicht überzeugen: Zunächst muß die zuletzt genannte Auffassung anerkennen, daß ein ganz erheblicher Teil der staatlichen Eingriffe in die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG dem Vorbehalt des Gesetzes unterstellt ist, und so ein verfassungsrechtlicher Schutz aus Art. 5 Abs.2 GG in der Tat nur infolge einer einfachgesetzlichen Konkretisierung Realität werden kann. Die Rede ist hier von den strafgerichtlichen Eingriffen. Die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes ergibt sich - und dies muß als unstreitig gelten - bereits aus dem in Art. 103 Abs.2 GG niedergelegten Grundsatz nulla poena sine lege. Damit kann aber der zuletzt genannten Auffassung in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Im übrigen ist anzuerkennen, daß jeder Eingriff in eines der durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährten Grundrechte nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes,60 welcher verschiedentlich aus Art. 20 Abs.3 GG, 61 dem Demokratie- bzw. Rechtsstaatsprinzip 62 oder aus den den Grundrechten beigefügten Einzelvorbehalten 63 hergeleitet wird. Gleichwohl wird man auch der erstgenannten Auffassung, die stets eine einfachgesetzliche Konkretisierung 51
L/R/H,
38
Art.5,Rn971.
BVerfGE 33, 1 (17); L/R/H, Art.5, Rn 971; v.M.-Wendt,
Art.5, Rn 82.
59
So v.Decken, NJW 1983, S.1402: Das "Rechtsgut der persönlichen Ehre (wird) also nicht lediglich durch Art.l und Art.2 II GG Schutz gewährt, sondern unmittelbar durch Art.5 II GG"; ähnlich SchmittGlaeser, AÖR 113, S.97;Krüger, SM. 60
BVerfGE 40, 237 (248); Umbach, S.l 14.
61
BVerfGE 40, 237 (249) 49, 89 (126).
62
Schwan, S.l26.
63
Maurer, § 6, Rn 4, Kisker, S.1314, Achterberg, S.81 ,Jarass, NVwZ 1984, S.479.
Α. Der Ehrenschutz
33
fordert, um den verfassungsrechtlichen Ehrenschutz aus Art. 5 Abs.2 GG Realität werden zu lassen, nicht uneingeschränkt folgen können. Bedenken ergeben sich zunächst aus der Formulierung des Art. 5 Abs.2 GG. Hier heißt es: "...finden ihre Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre". Aufgrund dieser Formulierung läßt sich vermuten, daß der Verfassungsgeber mit dieser dritten Schranke der Meinungsfreiheit ein eigenständiges, verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut normieren wollte. 64 Anderenfalls wäre es nicht verständlich, warum bei den anderen beiden Schranken der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs.2 GG von "Gesetzen" und "gesetzlichen Bestimmungen" gesprochen wird, bei der Ehre aber ausdrücklich von dem "Recht der persönlichen Ehre" die Rede ist. 65 Bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat wurde hierzu bemerkt, die Begrenzung des Rechts der Meinungsäußerung durch die persönliche Ehre sei deshalb vorgesehen worden, weil Verleumdung und falsche Berichterstattung über das private und öffentliche Leben der Menschen nicht zulässig sein sollten. 66 Durch die Hervorhebung des Ehrenschutzes sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG erfahrungsgemäß die persönliche Ehre anderer in besonderem Maße gefährdet. 67 Wenn nach dem zuvor Gesagten davon ausgegangen werden kann, daß der Verfassungsgeber mit der postivrechtlichen Normierung der Ehre in Art. 5 Abs.2 GG ein eigenständiges Verfassungsrechtsgut schaffen wollte, 68 so ist mit der Schaffung dieses Rechtsgutes dem einfachen Gesetzgeber die freie Disposition über dieses Verfassungsg ut entzogen worden. 6 9 7 7 0 Dann ist es jedoch wenig wahrscheinlich, daß der Ehrenschutz des Art. 5 Abs.2 GG immer erst dann Realität werden soll, wenn eine entsprechende einfachgesetzliche Regelung vorliegt. Ansonsten würde dem einfachen Gesetzgeber letztlich doch wieder die freie Dispositionsbefugnis über das Verfassungsgut Ehre zufallen.
64
M/D/H-Herzog,
Art.5 I, II, Rn 275; Rehbinder, S.317; ähnlich Forkel, JΖ 1994, S.641.
65
Eine Differenzierung, die dem Grundgesetz durchaus geläufig ist, wie Art.20 III GG zeigt {Stern, FS för Hübner, S.823). 66 So der Abgeordnete Dr. Heuß als Berichterstatter im Grundsatzausschuß (vgl. Doemming/Füsslein/ Matz, S.80). 67
Mangoldt/Klein/Starck,
Art.5, Rn 131.
68
Das Recht der persönlichen Ehre wird dadurch zwar nicht zum Grundrecht, erhält aber durch seine exponierte Stellung in Art.5 II die Stellung eines konstitutionellen Rechts. 69
Insoweit zutreffend: v.Decken, NJW 1983, S.1402; Gornig, S.278; Krüger. S.ll.
70
Selbst der Verfassunggeber ist aufgrund Art.l I i.V.m. Art.79 III GG bezüglich des Ehrenrechts nicht völlig frei, soweit der Ehre Menschenwürdegehalt zukommt. Dieser kann also nicht den Schutz der persönlichen Ehre beispielsweise dadurch aufgeben, daß er die §§ 185 ff demontiert (vgl. Schmid, S.16). 3 Stark
34
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Festzuhalten ist daher, daß die Ehre grundsätzlich auch durch die Regelung des Art. 5 Abs.2 GG geschützt werden muß; und zwar selbst dann, wenn es an einer einfachgesetzlichen Konkretisierung fehlt. Freilich ist der Anwendungsbereich dieses Ehrenschutzes aus Art. 5 Abs.2 GG beschränkt, da weite Teile des Ehrenschutzes aufgrund der Regelung des Art. 103 Abs.2 GG letztlich doch dem Gesetzesvorbehalt unterliegen müssen. Es verbleibt jedoch der nicht unwichtige Bereich des zivilen Ehrenschutzes. In diesem Bereich ist es wenig systemadäquat, wenn etwa bei der Interpretation einer wertausfüllungsbedürftigen Generalklausel das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG herangezogen wird, nicht aber der in der Regelung des Art. 5 Abs.2 GG normierte Grundgedanke des Ehrenschutzes, nur weil dieser Ehrenschutz vom einfachen Gesetzgeber bislang nicht ausgestaltet wurde. 71 Zwar ist der Schutz aus Art. 5 Abs.2 GG, soweit es um Ehrverletzungen geht, die zugleich die Menschenwürde tangieren, meist nicht erforderlich, da hier der Ehrenschutz aus Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet wird, 7 2 doch bleibt der Ehrenschutz aus Art. 5 Abs.2 GG insoweit von Relevanz, als Art. 2 Abs.l i.V.m. 1 Abs.l GG den Ehrenschutz i.S.d. Art. 5 Abs.2 GG nicht erfaßt.
b) Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG aa) Inhalt und Umfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG schützt das sogenannte allgemeine Persönlichkeitsrecht und ist heute als eigenständiges Grundrecht einzustufen. 73 Dies ist inzwischen allgemein anerkannt. 74 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein Element der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das sich als Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs von dem aktiven Element der allgemeinen Handlungsfreiheit abhebt.75 Als solches gewährleiste es "im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips die Würde des Menschen", die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen ließen. 76 Trotz dieser umfassenden Umschreibung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt sich daraus keine abschließende Definition dieses Rechts. Es wird sie wohl auch gar nicht geben. Denn diese könnte Verengungen des Tatbestands zur Folge haben, so daß die modernen Entwicklungen und die mit diesen verbundenen neuartigen Gefahrdungen der menschli71
So M/D/H-Herzog,
72
Siehe hierzu nachfolgend unter Pkt. b).
73
Jarass, NJW 1989, S.858.
Art.5 I, II, Rn 248; ähnlich Gornig, S.278; Pieroth/Schlink,
74
BVerfGE 54, 148 (153); 208, 217; Tettinger, NJW 1989, S.857. 75
BVerfGE 54, 148 (153).
76
BVerfGE 54, 148 (153); 72, 155 (170).
S.318; Mangoldt/Klein/Starck.
Rn 683.
Art.l, Rn 78; Jarass,
Α. Der Ehrenschutz
35
chen Persönlichkeit nicht mehr erfaßt werden könnten. Gleichwohl haben sich zahlreiche Schutzgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herausgebildet, die den Inhalt des grundgesetzlichen Persönlichkeitsschutzes punktuell verdichten und ihn in seinen Konturen deutlicher werden lassen.77 Als ein derartiges Schutzgut hat sich auch das auf dem Gedanken der Selbstbestimmung beruhende Recht des einzelnen auf Selbstdarstellung herauskristallisiert: 78 "Der einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob oder inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen können...".79 Dieses Selbstdarstellungsrecht hat zwei Komponenten: 80 Die eine Komponente betrifft das Recht der Bestimmung über den Umfang der Darstellung der eigenen Person. Es geht hierbei um die Entscheidung des Bürgers darüber, ob bzw. inwieweit er persönliche Lebenssachverhalte offenbart. Die andere Komponente betrifft die Befugnis des Individuums zur Selbstgestaltung seines sozialen Geltungsanspruchs. Hierzu zählt (auch) das Recht der persönlichen Ehre, die damit in Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG eine weitere Verankerung im Grundgesetz findet. 81
bb) Die dogmatische Verankerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Von weitreichender Bedeutung ist hier, anders als bei der Frage der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs, 82 inwieweit der Schutz der Ehre auf der Grundlage des Art. 1 Abs. 1 GG oder auf der Grundlage des Art. 2 Abs.l GG erfolgt. (1) Die vorherrschenden Ansichten Während eine Ansicht den grundgesetzlichen Ehrenschutz insgesamt aus Art. 1 Abs. 1 GG herleitet, 83 geht die überwiegende Auffassung in der Literatur, in Anlehnung an die im Strafrecht vorherrschende Differenzierung von 77
Mackeprang, S.29.
78
Jarass, NJW 1989, S.858; I/K-Schmitt-Glaeser,
79
BVerfGE 63, 131 (142); 35, 202 (220); 54, 148 (155); Jarass, NJW 1989. S.858.
80
Wellbrock,
Bd. VI, § 129, Rn 25 u. 29.
S.18 u. S.24; Schmid, S.2066.
81
Kriele, Schweigen und Ertragen, S.732; Schmitt-Glaeser, AöR 113, S.98; Mangoldt/ Klein/Starck, Art.1, Rn 78 u. Art.2, Rn 64; Jarass, N.TW 1989, S.858; Mackeprang, S.30; v.M.-Kunig, Art.2, Rn 35; Weber R., FS für Faller, S.444; BVerfGE 54, 208 (217); 54, 148 (153); 35. 202 (220 ff); 34, 269 (281 f); BVerfG, NJW 1991, S.1476. 82 83
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. II., 1., b).
So ausdrücklich v.Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und Ehrenschutz, S. 158 ff; ähnlich Bleckmann, S.464.
36
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
"innerer" und "äußerer" Ehre 84 davon aus, daß die statisch-konstante Komponente primär aus Art. 1 Abs. 1 GG und die dynamisch-variable "Sozialehre" primär aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten ist. 85 (2) Stellungnahme Zunächst erscheint es verfehlt, die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Ehrenschutzes insgesamt nur aus Art. 1 Abs.l GG herzuleiten. Wäre Art. 1 Abs. 1 GG die einzige Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so wäre dieses schwerlich durch Gesetz beschränkbar. Denn dies ist beim Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Eine Beschränkung durch Gesetz muß aber möglich sein und wird auch allgemein angenommen;86 und zwar schon deshalb, weil sonst die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, wie die des Art. 5 Abs. 1 GG, wegen einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG übermäßig eingeschränkt wäre. Bedenken bestehen jedoch auch gegen die von der überwiegenden Ansicht vertretenen "Doppelspurigkeit" des grundgesetzlichen Ehrenschutzes. Hier stellt sich vor allem die Frage, wie bestimmte Verhaltensweisen eindeutig Art. 1 Abs.l GG bzw. Art. 2 Abs.l GG zugeordnet werden sollen. Verletzungen der Menschenwürde werden sich nicht selten ebensogut als Beeinträchtigung des sozialen Geltungswertes des Individuums qualifizieren lassen. Überzeugender erscheint es daher, von einem einheitlichen verfassungsrechtlichen Schutz der persönlichen Ehre auszugehen, der insgesamt von der Gewährleistung des Art. 2 Abs.l GG i.V.m. Art. 1 Abs.l GG umfaßt wird. 8 7 Primäre Grundlage dürfte dabei das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG sein, das durch Art. 1 Abs. 1 GG beeinflußt und verstärkt wird. So sieht es wohl auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es regelmäßig darlegt, daß die Wurzel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (und damit des Ehrenschutzes) zwar sowohl in Art. 1 Abs. 1 GG als auch in Art. 2 Abs. 1 GG zu sehen ist, die rechtliche Überprüfung jedoch stets am Maßstab des Art. 2 Abs.l GG vornimmt. 88 8 9 Die hervorgehobene Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG wird zudem durch die Zitierweise des Bundesverfassungsgerichts deutlich. So beruft es sich stets auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V.m. Art. 1 Abs.l GG und damit nicht, wie in zivilrechtlichen Entscheidungen zu finden, 90 auf Art. 1 Abs.l GG und Art. 2 Abs.l GG. 84
Vgl. zu den Begriffen der "inneren" und "äußeren" Ehre die Ausführungen unter Pkt. II., 1., c), bb).
85
Tettinger,
86
Jarass, NJW 1989, S.857.
JZ 1983, S319; Krüger, S.12; Gornig, S.278.
87 So auch Mackeprang, S. 182, der jedoch im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung die Gewährleistung insgesamt aus Art.2 I GG herleiten möchte. 88
Siehe beispielsweise BVerfGE 54, 148 (152 ff).
89
So auch Tettinger,
90
Vgl. etwa BGHZ 98, 94 (97).
S.320; Schmidt, S.2066.
Α. Der Ehrenschutz
37
Verfehlt erscheint es jedoch, wie von einer Ansicht vertreten, 91 den verfassungsrechtlichen Schutz der persönlichen Ehre einzig aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten und Art. 1 Abs. 1 GG hier "nur" die Funktion einer "Interpretationsrichtlinie" beimessen zu wollen. Verkannt wird hierbei, daß die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (und als Teilbereich eines verfassungrechtlichen Ehrenschutzes) gerade deshalb erfolgte, weil deutlich wurde, daß es Verhaltensweisen gibt, die einen besonderen Konnex mit der in Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Würde des Menschen aufweisen. Deshalb bedürfen sie auch eines besonderen (stärkeren) Schutzes als alle sonstigen Verhaltensweisen, die im übrigen von Art. 2 Abs. 1 GG erfaßt werden. Wäre die oben genannte Auffassung zutreffend, hätte es der prononcierten Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht bedurft, da Art. 1 Abs. 1 GG für sämtliche Grundrechte (auch) als "Interpretationsrichtlinie" fungiert. 92 Insoweit hätte der verfassungsrechtliche Ehrenschutz schon immer aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden können. Festzuhalten ist daher, daß der verfassungsrechtliche Schutz der persönlichen Ehre insgesamt, d.h. einheitlich aus Art. 2 Abs.l GG i.V.m. Art. 1 Abs.l GG herzuleiten ist.
c) Mittelbare oder unmittelbare Drittwirkung des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes Nachdem herausgearbeitet wurde, daß der verfassungsrechtliche Schutz der Ehre aus Art. 2 Abs.l GG i.V.m. Art. 1 Abs.l GG sowie aus Art. 5 Abs.2 GG folgt, stellt sich die Frage, ob diese Gewährleistungen einzig im Verhältnis Staat/Bürger oder auch zwischen Privatrechtssubjekten gelten. Der Sache nach geht es hierbei um die Frage der sog. Drittwirkung von Grundrechten. Ob eine Drittwirkung von Grundrechten anzunehmen ist, läßt sich, abgesehen vom Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. dessen unmittelbare Drittwirkung unbestritten ist, sowie von denjenigen Grundrechten, die ihrer Natur nach nur gegen den Staat gerichtet sein können (z.B. das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung Art. 4 Abs. 3 GG und das Asylrecht Art. 16 Abs.2 GG), der Verfassung selbst nicht zweifelsfrei entnehmen. Von daher verwundert es nicht, daß diese Thematik seit langem Gegenstand kontroverser Publikationen ist. Konsens besteht lediglich dahingehend, daß die Grundrechte aufgrund ihres objektivrechtlichen Charakters auch für die Anwendung und Auslegung des Zivilrechts von Relevanz sind. 93 Gegenstand der Auseinanderset-
91
Mackeprang, S.l82.
92
Vgl. Man goldt/Klein/Star
93
v.Münch, Vorb. zu Art.l - 19, Rn 29.
ck, Art. 2 I 1, Rn 11.
38
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
zung ist im wesentlichen, ob eine unmittelbare oder mittelbare Drittwirkung der Grundrechte anzunehmen ist.
aa) Der Grundsatz (1) Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Das Bundesarbeitsgericht nahm in ständiger Rechtsprechung 94 eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte an. Begründet wurde dies mit dem "Bedeutungswandel der Grundrechte", den das Bundesarbeitsgericht dahingehend umschreibt, "daß zwar nicht alle, aber doch eine Reihe bedeutsamer Grundrechte der Verfassung nicht nur Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt garantieren, vielmehr Ordnungssätze für das soziale Leben sind, die in einem aus dem Grundrecht näher zu entwikkelnden Umfang unmittelbare Bedeutung auch fur den privaten Rechtsverkehr der Bürger untereinander haben.. . Auch das normative Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20, 28 GG), das für die Auslegung des Grundgesetzes und anderer Gesetze von grundlegender Bedeutung ist, spricht für die unmittelbare 95 privatrechtliche Wirkung der grundrechtlichen Bestimmungen, die für den Verkehr der Rechtsgenossen untereinander in einer freiheitlich und sozialen Gemeinschaft unentbehrlich sind". 96797 (2) Die Auffassung eines Teils der Literatur Dementsprechend nimmt auch ein Teil der Literatur an, 98 daß die Grundrechte des einzelnen aus ihrer ausschließlich vertikalen (Abwehr-) Richtung gegenüber dem Staat herausgelöst werden und in (nahezu) gleicher Weise horizontal zwischen den Rechtssubjekten des Zivilrechts gelten. In diese Richtung tendiert, wenn auch mit Abweichungen, Schwabe:99 Hiernach ergebe sich die unmittelbare Geltung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr daraus, daß auch "bei den privatrechtlichen Ansprüchen nicht andere als staatliche Gewalt in Form von Geboten und Verboten" vorliege. Auch Privatrecht sei staatlich gesetztes Recht. Die Richter handelten bei der Entschei94 93
SeitBAGE 1, 185. Hervorhebung durch den Verfasser.
96
BAGE 4. 274 (276) = NJW 1957. S.1689: siehe auch BAGE 1. 258 (262): 4, 240 (243); 24, 438 (441). 97 98
Vorsichtiger : BAGE 47, 363 (373); ähnlich BAG, AP § 87, BetrVG 1972, "Überwachung" Nr.15.
Nipperdey, AcP 184, S.203.
DVB1. 1958, S.445; v. Münch, Grundbegriffe I, Fn 190; weitere Vertreter bei Canaris ,
99 Schwabe, DVB1. 1971, S. 689; ders., NJW 1973, S.229; dersNJW 1974, S.670; ders., JR 1975, S.13; ders., DVB1. 1979, S.667; ders., DÖV 1981, S.796; vgl. auch v.Münch, Grundbegriffe I, Rn 190; Bethge, S.395 ff.
. Der Ehrenschutz
39
dung von Zivilrechtsstreitigkeiten hoheitlich und seien durch Art. 1 Abs. 3 GG den Grundrechten unterworfen. Nach dieser Lehre ergibt sich die "Grundrechtsorientierung des Privatrechts über die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt", und damit insbesondere durch die Rechtsprechung der Gerichte. Demnach gehe es gar nicht um "Drittwirkung" im Sinne einer horizontalen Geltung der Grundrechte, womit die herkömmlichen "Drittwirkungslehren" schon im Ansatz verfehlt seien. (3) Die Position des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der Drittwirkung von Grundrechten noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. Seine Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht läßt jedoch erkennen, daß er einer unmittelbaren Drittwirkung zuneigt. 100 (4) Die Auffassung des Bundesv erfassungsgerichts und der herrschenden Lehre Das Bundesverfassungsgericht 101 und die ganz herrschende Lehre im Schrifttum 1 0 2 gehen demgegenüber "nur" von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus. Die Grundrechte gelten demnach zwar nicht direkt, beeinflussen aber das Privatrecht, weil sie auch eine objektive Wertordnung enthalten. Die Grundrechtsbestimmungen lösen damit bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten nicht konkret, sondern entfalten sich "erst durch das Medium, der das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften". 103 Daraus folgt, daß weder zivilrechtliche Rechtsvorschriften in Widerspruch zu den Grundrechten stehen dürfen, noch Grundrechte bei der Auslegung und Fortbildung zivilrechtlicher Vorschriften durch die Gerichte unberücksichtigt bleiben dürfen. 104 (5) Stellungnahme Für eine unmittelbare Drittwirkung lassen sich primär zwei Gesichtspunkte anfuhren: Zum einen die Vorschrift des Art. 1 Abs.2 GG. wonach die Menschenrechte "Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft" sind, zum anderen die rechtspolitische Überlegung, daß Freiheitsbedrohungen im Sozialstaat der Gegenwart auch von gesellschaftlichen Kräften. Konzernen. Wirtschaftsverbänden etc. 100
BGHZ 13. 334 (338); 15, 249 (257 u. 258): 26, 349 (354); offcngelassen aber BGHZ 36, 91 (95).
101
BVerfGE 7, 198 (205): 7, 230 (233): 24, 278 (282); 25, 256 (263): 30. 173 (199); 34, 269 (280); 58, 377 (396). 102
M/D/H-Dürig,
Art. 1 III, Rn 127 ff: Rupp. S.67: Achterberg. S.717: Canaris. S.162: Hesse, Rn
354 ff. 103
BVerfGE 42, 143(148).
104
BVerfGE 7, 198 (200 f).
40
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
ausgehen können. Gleichwohl wird man der Ansicht einer unmittelbaren Drittwirkung nicht folgen können. Zu gewichtig sind hierfür die aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, der Genese, Systematik und ratio der Grundrechte folgenden Argumente: Zunächst nennt Art. 1 Abs. 3 GG nur die öffentliche Gewalt als Grundrechtsverpflichtete. Aus der Genese der Grundrechte folgt, daß sie als Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat entstanden bzw. erstritten wurden. 105 Berücksichtigt man außerdem, daß sich in der Verfassung nur wenige Stellen finden, aus denen sich explizit eine unmittelbare Drittwirkung ergibt (z.B.: Art. 9 Abs.3 Satz 2, Art. 20 Abs.4, Art. 38 Abs.l Satz 2 i.V.m Art. 48 Abs.2 GG), so spricht vieles dafür, daß dies im Normalfall, also bei allen anderen Grundrechten, nicht der Fall sein soll. Entscheidend spricht jedoch die ratio der Grundrechte selbst gegen eine unmittelbare Drittwirkung: Würden Rechte gegenüber der öffentlichen Gewalt zu Pflichten gegenüber allen Mitbürgern, so würde dies zu einer erheblichen Einschränkung der Privatautonomie und damit zu einer gravierenden Einengung selbstverantwortlicher Freiheit führen. 106 So wäre beispielsweise bei letztwilligen Verfügungen der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten, mit der Folge der Nichtigkeit, wenn hierdurch jemand wegen seines Geschlechts, Abstammung u.s.w. benachteiligt oder bevorzugt wird. Damit wird man richtigerweise davon auszugehen haben, daß die Grundrechte zwischen Privatsubjekten "nur" mittelbar wirken, sofern nicht die Verfassung selbst (ausnahmsweise)107 einem Grundrecht explizit Wirkung auch gegenüber Privaten beilegt. Fraglich ist, ob ein solcher Ausnahmefall im Hinblick auf das Recht der persönlichen Ehre angenommen werden kann.
bb) Das Recht der persönlichen Ehre als Ausnahmefall (1) Die Auffassung eines Teils der Literatur Ein Teil der Literatur sieht in dem Recht der persönlichen Ehre einen der (Ausnahme-) Fälle, in denen das Verfassungsrecht unmittelbar zwischen Privatrechtssubjekten wirkt. 1 0 8 Begründet wird dies damit, daß das Grundgesetz die 103 Hieraufhat das BVerfG bereits im "Lüth-Urteil" (BVerfGE 7, 198 (204 ff)) hingewiesen: "Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitsrechte des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben". 106 M/DiH-Dürig, der Wurzel". 107 108
Art.l III 3, Rn 129: Die unmittelbare Drittwirkung trifft die Privatautonomie "an
Wie in den genannten Fällen der Art.9 III S.2, Art.20 IV, 38 I S.2 i.V.m. Art.48 II GG.
M/D/H-Herzog, Art.5 I, II, Rn 287; Tettinger, Ehrenschutz, S.165; Herzog, S.443; Schmid, S. 16.
S.320; v.Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und
Α. Der Ehrenschutz
41
Ehre des Menschen in Art. 5 Abs.2 GG nicht nur als (Verfassungs-) Rechtsgut anerkannt, sondern "ihm unmittelbare Drittwirkung im Sinne der Drittwirkungslehre von Nipperdey" zugebilligt habe, "obwohl es auf der anderen Seite aus ihm kein eigenständiges Grundrecht macht". 109 Insofern rücke "das Recht der persönlichen Ehre in gewissem Sinne an die Seite des Rechts auf Leben, dem in der Vorbehaltsvorschrifi des Art. 13 Abs. 3 GG ebenfalls eine gewisse Drittwirkung gegenüber der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeräumt wird, obwohl es, anders als das Recht der persönlichen Ehre, in Art. 2 Abs.2 Satz 1 GG auch selbst als Grundrecht garantiert ist". 110 (2) Gegenauffassung und Stellungnahme Zutreffend ist, wie bereits festgestellt wurde, 111 daß der Verfassungsgeber mit der ausdrücklichen Benennung des Rechts der persönlichen Ehre ein eigenständiges, verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut normieren wollte. Mit diesem Argument läßt sich zwar (gut) begründen, daß die Ehre, obgleich sie nicht als Grundrecht ausgestaltet wurde, (auch) durch Art. 5 Abs.2 GG verfassungsrechtlichen Schutz genießt. 112 Es hat jedoch nicht die normative Kraft, aus diesem Verfassungsgut ein für alle (Privat-) Rechtssubjekte unmittelbar bindendes Recht zu machen. Art. 5 Abs.2 GG kann daher keine "Anspruchsgrundlage" für zivilrechtliche Unterlassungs- oder Widerrufsbegehren sein. Adressat des Rechts der persönlichen Ehre muß damit der Staat, namentlich der grundrechtsgebundene (Privatrechts-) Gesetzgeber, sein. 113 Eine unmittelbare Wirkung des Rechts der persönlichen Ehre ist daher abzulehnen.
109
M/D/H-Herzog,
Art.5 I, II, Rn 287.
110
M/D/H-Herzog,
111
Vgl. unter Pkt. 2., a).
Art.5 I, II, Rn 287.
112
Vgl. insoweit die Ausführungen unter 2., a).
113
Zutreffend Mackeprang, S.198.
42
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
B. Die Meinungs- und M Medienfreiheiten 11
I. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung Der Mensch ist ein "ens sociale" und damit als ein denkendes, emotionales und geselliges Wesen auf die Kommunikation mit seinesgleichen angewiesen. Für ihn ist es daher von besonderer Relevanz, sich verbal austauschen zu können. Diesem wohl genuinen Bedürfnis trägt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Rechnung. Es wird daher mit Recht als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft, ja als vornehmstes Menschenrecht überhaupt, bezeichnet.172 Dementsprechend ist es das Ziel des Art. 5 Abs. 1 GG mit Garantien für die Meinungs-, Informations-, Presse-, Rundfunkund Filmfreiheit sowie des Zensurverbotes, eine umfangreiche freie Kommunikationssphäre abzusichern. 3 Diese (freie Kommunikationssphäre) ist in die allgemeine Grundrechtssystematik der Verfassung integriert. Hierbei ist sie nicht nur als "Deutschen-", sondern als Menschenrecht konzipiert worden. Ergänzt wird sie übernational durch Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950. Neben dieser vorrangig individual-grundrechtlichen Ausrichtung kommt den Kommunikationsfreiheiten eine weitere - demokratiestaatlicheFunktion zu: "Für ein freiheitlich-demokratisches Staatswesen ist es schlechthin konstituierend, daß eine freie ständige geistige Auseinandersetzung stattfinden kann, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, die ihr Lebenselement ist".4 Als antagonistischer Faktor des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes soll bei der hier vorliegenden Untersuchung primär die Meinungs- und Pressefreiheit, respektive die Abwägungskriterien dieser diametralen Gewährleistungen untersucht werden.
1
BVerfGE 7, 198 (208).
2
In diesem Sinne auch Wenzel, AfP 1979, S.276, wenn er sagt: "..Sprache zu haben und sich äußern zu können, ist die Grundlage des Menschseins... Menschlich ist ein Staatswesen nur, wenn es Äußerungsfreiheit gewährt". 3
Dies wird besonders deutlich in BVerfGE 85, 23 (31) in der es heißt: "...erschöpft sich das Grundrecht des Art.5 I GG auch nicht im Schutz einzelner Ausführungen, sondern will die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung insgesamt sichern". 4
BVerfGE 7, 198 (208).
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
L Die Meinungsfreiheit
43
gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz l f 1 Hs. GG
a) Der Schutzbereich Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Bestimmend für den Begriff der Meinung ist "das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung". 5 Damit fallen unter den Begriff der "Meinung" i.S.d. Art. 5 Abs.l GG zunächst "jedenfalls Werturteile, also wertende Betrachtungen von Tatsachen, Verhaltensweisen oder Verhältnissen".6 Wäre diese häufig verwendete Definition als abschließend zu betrachten, so wäre der grundrechtliche Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entscheidend verkürzt. Denn damit wären Werturteile über Werturteile vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht erfaßt, obwohl "gerade sie eine erhebliche Bedeutung in geistigen Auseinandersetzungen haben".7 Damit ist davon auszugehen, daß alle Werturteile vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfaßt werden, unabhängig davon, auf welchen Gegenstand sie sich beziehen, ob sie richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig, als wertvoll oder als wertlos anzusehen sind.8 Was für die qualitative Indifferenz gilt, muß jedoch auch fur den Bereich gelten, auf den die Meinung zielt. 9 Es ist daher insignifikant, ob private oder öffentliche, soziale oder sonstige den Kommunikator interessierende Angelegenheiten erörtert werden. 10 Ferner steht nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form einer Meinungsäußerung grundsätzlich unter der Ägide der durch Art. 5 Abs.l Satz 1 GG geschützten "Selbstbestimmung des Äußernden". 11 Das bedeutet jedoch nicht, daß die Form der Meinungsäußerung mit der gleichen Intensität wie ihr Inhalt geschützt wird. Denn der primäre Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geht dahin, die inhaltliche Substanz der Gedankenäußerungen zu wahren. 12 Hierin liegt die besondere (konstituierende) Bedeutung dieses Grundrechts. Restriktionen, die nur die Form der Meinungsäußerung tangieren, sind demgemäß weniger einschneidend. Denn Formulierungen lassen sich "ohne Schwierigkeiten auswechseln, ohne daß der Gedanke als solcher leidet". 13 5
BVerfGE 61, 1 (8); 65, 1 (41); 71, 162 (179).
6
BVerfGE 33, 1 (14); 61, 1 (7); Schmitt-Glaeser,
7
Pieroth/Schlink.
Rn 625.
8
Schmitt-Glaeser,
AöR 113, S.71.
9
So Mackeprang, S.223; ähnlich M/D/H-Herzog,
AöR 113, S.71.
Art.5 I, II, Rn 55, e).
10
Zur Frage, ob rein geschäftliche Werbung unter den Schutz des Art.5 I, II fallt, siehe Mangoldt/Klein/Starck, Art.5 I, II, Rn 18 m.w.N. 11
BVerfGE 60, 234 (241); Schmitt-Glaeser,
12
Vgl. BVerfGE 42, 163 (169); Schmitt-Glaeser,
13
BVerfGE 42, 143 (150) mit ablehnendem Sondervotum der Richterin Rupp-v.Brünneck; 47, 198
(233).
AÖR 113, S.72 u. S.73. AÖR 113, S.73.
44
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
aa) Schutz auch von Tatsachenbehauptungen Lange Zeit umstritten war, ob bzw. inwieweit Tatsachenbehauptungen unter den Meinungsbegriff zu subsumieren sind. So ist primär in den fünfziger Jahren unter Berufung auf das Weimarer Schrifttum vertreten worden, daß Tatsachen nicht von dem Meinungsbegriff umfaßt seien.14 Obwohl für diese Auffassung grammatische, historische und systematische Argumente streiten, 15 wird heute richtigerweise von der ganz h.M. anerkannt, daß grundsätzlich auch Tatsachenäußerungen, zu denen auch Zitate gezählt werden, 16 unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu fassen sind, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind. 17 Hierfür spricht, daß es häufig überhaupt nicht möglich ist, eine Tatsachenbehauptung von einem Werturteil scharf zu trennen, 18 da allein durch die Auswahl der Wiedergabe bestimmter Tatsachen eine bestimmte subjektive Tendenz erkennbar wird. Hinzu kommt, daß anderenfalls die Berichterstattung des Individuums - anders als die der Medien - lediglich dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG, nicht aber der verfassungsrechtlichen Absicherung durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfiele. Dies aber wäre rechtsdogmatisch nur schwer begründbar. Schließlich folgt auch aus der individualgrundrechtlichen Ausgestaltung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. der eine möglichst umfangreiche freie Kommunikationssphäre absichern will, daß auch die Verbreitung von Tatsachen unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu fassen sein muß. Alles andere würde dem dem menschlichen Wesen immanenten Mitteilungs- und Austauschbedürfnis diametral gegenüberstehen. Gleiches gilt für die demokratiestaatliche Funktion der Meinungsfreiheit: Basis jeder fruchtbaren geistigen Auseinandersetzung ist ein möglichst umfassendes Wissen von Fakten und Tatsachen, um so eigene Positionen untermauern zu können. Es wäre daher in höchstem Maße widersprüchlich, wollte man zwar die Meinung schützen, nicht aber die Tatsachen aufgrund derer sich diese Meinung gebildet hat.
14
Statt vieler: Hamann /Lenz, Art.5. Anm. B. 1.
15
Zum einen unterscheidet unsere Rechtsordnung von je her, ob Tatsachen oder Meinungen geäußert werden (vgl. § 186 ff StGB u. §263 StGB). Zum anderen schützt Art.5 I S.2 GG die Freiheit der "Berichterstattung" durch Rundfunk und Film, was zu dem Umkehrschluß verleiten kann, die Berichterstattung, d.h. die Tatsachenmitteilung, sei durch Art.5 I S.l GG noch nicht geschützt (vgl. Kühler, JZ 1984, S.547 und Pieroth/Schlink, Rn 627). 16
BVerfGE 54, 208 (219).
17
BVerfGE 85, 1 (15); 61, 1 (8); 65, 1 (41); 71, 162 (179); v.M.-Wendt, Art.5, Rn 9; Mangoldt/Klein/Starck, Art.5, Rn 19; Schmitt-Glaeser, AöR 113, S.74. 18 "Es gibt keinen Menschen, der imstande wäre, auch die geringfügigste Tatsache ohne irgendwelche persönliche Regung zu referieren" (M/D/H-Herzog, Art.5 I, II, Rn 51).
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
45
Die conclusio kann daher nur sein, grundsätzlich auch bloße Tatsachenmitteilungen unter der Ägide des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu fassen. 19 2 0 Nur diejenigen Tatsachenmitteilungen, die weder mit Werturteilen untrennbar verbunden, noch fur die Meinungsbildung relevant sind, sollen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG herausfallen. Dazu zählen, und dies wird unisono vertreten, die vorliegend nicht relevanten Fälle der Angaben im Rahmen statistischer Erhebungen. 21
bb) Die Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung Kommt man - wie hier - zu dem Ergebnis, daß auch Tatsachenbehauptungen grundsätzlich dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfallen, könnte man im folgenden zu der Feststellung kommen, daß eine Differenzierung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung gänzlich entbehrlich ist. (1) Notwendigkeit der Differenzierung Einer derartigen Feststellung widerspricht jedoch, daß die Tatsachenäußerungen zwar dem Grunde nach durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt werden, jedoch in ihrer Intensität einen geminderten Grundrechtsschutz erfahren. 22 Insbesondere bei unrichtigen und/oder unbewiesenen Tatsachenbehauptungen ergeben sich, wie noch zu zeigen sein wird, im Gegensatz zu Werturteilen weitergehende Rechtsfolgen, die es gebieten an der Differenzierung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen festzuhalten. Dies gilt um so mehr, als die Abgrenzung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil in ein "Labyrinth gegenläufiger Interessen" fuhren kann: 23 So kann die Annahme eines Werturteils statt einer Tatsachenbehauptung bei allgemeinen Behauptungen von Fall zu Fall im Interesse des Betroffenen oder des Äußernden liegen. Denn auf diese Weise kann, wie noch auszuführen sein wird, 2 4 der Diskussion wahr/unwahr respektive substantiiert/unsubstantiiert ausgewichen werden. Dies kann für einen Betroffenen dann von besonderer 19 Nur am Rande sei erwähnt, daß auch Art. 10 MRK die bloße Tatsachenmitteilung schützt. Vgl. insoweit Art. 10 I S.2 MRK: "...and impart information and ideas.." bzw. "ou communiquer des informations ou des idees..". 20 Nicht ganz eindeutig jedoch Schwinge, Ehrenschutz heute, S.65 u. S.75. Einerseits stellt er fest: "Auf Tatsachenbehauptungen' erstreckt sich der Verfassungsschutz also nicht. Daran kann... kein Zweifel bestehen". Andererseits stellt er zur Begründung seiner Aussage nur auf die unwahren Tatsachenbehauptungen ab, was zu dem Schluß fuhren könnte, daß nach seiner Ansicht zumindest die wahren, möglicherweise auch die nichterweislich (un-) wahren Tatsachen unter der Ägide des Art.5 I GG stehen. 21
BVerfGE 65, 1 (41).
22
BVerfGE 61, 1 (8); BK-Degenhart, Art.5 I u. II, Rn 141.
23
Formulierung in Anlehnung an Arzt, JuS 1982, S.719.
24
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. cc).
46
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Relevanz sein, wenn verhindert werden soll, daß der Äußernde allgemein gehaltene ehrenrührige Behauptungen über ein Individuum aufstellt, um dann bei einer Beweisaufnahme das ganze Leben des Opfers zu durchleuchten. 25 Andererseits ist der (weitaus häufigere) Fall der Annahme eines Werturteils statt einer Tatsachenbehauptung dann für den Äußernden ungleich günstiger, wenn er für seine Behauptungen keine überzeugenden Fakten vorweisen, und so den Folgen der einfachgesetzlichen Instrumentarien (z.B. Widerruf, Gegendarstellung 26) entgehen kann. Insofern läßt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Differenzierung von Tatsachenbehauptung und Werturteil auch heute noch überzeugend bejahen.27 (2) Kriterien der Abgrenzung Wann eine Äußerung als Tatsache und wann sie als Werturteil gewertet werden kann, läßt sich nicht immer eindeutig bestimmen. Die Schwierigkeit liegt darin, daß jede Tatsachenbehauptung mehr oder weniger zugleich eine Bewertung enthält und sich aus jedem Werturteil mehr oder weniger exakt eine Tatsachenbehauptung "herausschälen" läßt. 28 Wegen dieser Schwierigkeiten auf die überkommene und einer Vielzahl einfachgesetzlicher Normierungen zugrundeliegende Differenzierung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteilen zu verzichten, hieße aber "das Kind mit dem Bade auszuschütten".29 Ein häufig angeführtes Differenzierungskriterium ist das der Beweisbarkeit von Tatsachen. Demnach gelten als Tatsachen konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, welche sinnlich wahrnehmbar in Erscheinung getreten und infolgedessen dem Beweis zugänglich sind. 3 0 7 3 1 Demgegenüber sei ein Werturteil anzunehmen, wenn die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung Sache persönlicher Überzeugung bleibt. 32 Das Kriterium der Beweisbarkeit wird von einigen Stimmen in der Literatur als tautologisch abgelehnt, weil die Beweisbarkeit ihrerseits Tatsachenqualität 25
Siehe den Fall "Eulenburg-Harden": Zu Beginn dieses Jahrhunderts hatte der Publizist Harden dem damaligen deutschen Gesandten in Wien {Eulenburg) homosexuelle Neigungen vorgeworfen. In dem sich daran anschließenden Prozeß ist die "Vivisektion" des Opfers im Zusammenhang mit dem Versuch, die Wahrheit einer solchen Behauptung herauszufinden, klar zutage getreten (Nachweis bei Arzt, JuS 1982, S.719). 26
Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 2 unter Pkt. I.
27
Im Ergebnis ebenso: Stoll, Jura 1979, S.580; Heselhaus, S.742; Kubier, JZ 1984, S.547.
28
RGSt 29, 40 (41); SK-Rudolphi, § 186, Rn 4.
29
So die treffende Umschreibung von Rüthers, S.308.
30
Hierzu zählen auch sog. innere Tatsachen, wenn sie zu bestimmten äußeren Geschehnissen in eine erkennbare Beziehung gesetzt werden können (BGHSt 12, 287 (290); LK-Herdegen, § 185, Rn 2 u. 3). 31
BGHZ 3, 270 (273); BGH, DB 1974, S.1429; Stoll, Jura 1979, S.580; Otto, JR 1983, S.5; v.Gamm, NJW 1979, S.514. 11
Otto, JR 1983, S.5.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
47
voraussetze und damit zu einem Zirkelschluß führe. 33 Trotz dieser vom erkenntnistheoretischen Standpunkt berechtigten Bedenken ist das Kriterium der Beweisbarkeit für die Rechtspraxis ebenso unverzichtbar, wie die Maxime der Willensfreiheit und wird daher immer noch als maßgebend betrachtet. 34 Letztendlich handelt es sich jedoch dabei um eine Problematik von allenfalls marginaler Bedeutung. Denn es stellt sich praktisch nie das Problem der Differenzierung "reinrassiger" Tatsachenbehauptungen oder Werturteilen. Vielmehr werden in aller Regel solche ehrverletzende Äußerungskomplexe rechtlich zu würdigen sein, die sich aus wertender Kritik und tatsächlichen Behauptungen zusammensetzen. Dies gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß in gewisser Weise jede Tatsachenbehauptung bereits durch die Wahl des Gegenstandes, des Zeitpunktes und des sonstigen Bezugrahmens der Äußerung wertende Elemente annimmt und enthält. 35 (3) Die Problematik der "Gemengenlagen" Wenig Schwierigkeiten der Differenzierung bestehen, wenn eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung und ein Werturteil zwar im Kontext artikuliert, jedoch faktisch isoliert nebeneinander stehen. In diesem Fall kommt der Tatsachenbehauptung und dem Werturteil bei der Beurteilung einer Ehrverletzung jeweils eine selbständige Bedeutung zu. Gleiches gilt, wenn das Werturteil weit über eine allgemein aktzeptable Wertung des mitgeteilten Tatsachenkerns hinausgeht. 36 Kompliziert wird es hingegen dann, wenn eine sogenannte Gemengenlage vorliegt, d.h. wenn Tatsachenbehauptung und Werturteil in einer einheitlichen Äußerung miteinander verbunden sind, oder ein Werturteil erkennbar Bezug auf ein tatsächliches Geschehen nimmt. (a) Die Abgrenzungskriterien des Bundesverfassungsgerichts und eines Teils der Literatur In diesem Fall ist nach Auffassung der Judikatur und eines Teils des Schrifttums nach dem jeweiligen Schwergewicht der Äußerung abzugrenzen: 37 Beschreibt die Äußerung das tatsächliche Geschehen so deutlich, daß auch ein nicht unterrichteter Dritter die Schlußfolgerung mitvollziehen und die der Wertung zugrundeliegenden Tatsachen erkennen kann, oder ist das Werturteil er33
Stürner , A.74; Kühler, JZ 1984, S.547; RGRK-Steffen,
34
RGRK-Dunz, § 823, Anh. I, Rn 88.
§ 824, Rn 12; Scherer, ZRP 1990, S.337.
35 Rüthers, S.308; ähnlich v.Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und Ehrenschutz, S.39; in diesem Sinne auch Wenzel, AfP 1979, S.278. i6
Otto, JR 1983, S.5.
37
BGHZ 65, 325 (329 u. 330) = NJW 1976, S.621; BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 144; Otto, JR 1983, S.5; Geppert, Jura 1983, S.541.
48
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
kennbar auf ein tatsächliches Geschehen bezogen,38 das gleichsam nur verkürzt in dem Werturteil zusammengefaßt wird, so bleibt die Äußerung Tatsachenbehauptung. 39 Ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung hingegen so substanzarm, daß er gegenüber der subjektiven Wertung völlig in den Hintergrund tritt, so soll nur ein Werturteil anzunehmen sein. 40 Im Zweifelsfall sei jedenfalls, besonders bei politischen Auseinandersetzungen, von Werturteilen auszugehen.41 Seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 09.10.1991 42 soll dies auch für einzelne Worte gelten, die sowohl wertend als auch nur beschreibend gemeint sein können (beispielsweise "bespitzeln"). Das hat zur Folge, daß Werturteile auch dann durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sind, wenn sie mit unwahren Tatsachen belegt werden. Dies sei aber hinzunehmen, weil anderenfalls "der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werde". 43 Zugleich werde damit "in der Praxis das Problem (der Abgrenzung) entschärft". 44 (b) Kritik und eigener Ansatz Dieser Auffassung kann m.E. nicht gefolgt werden. Zunächst sei bemerkt, daß die Schwierigkeit der rechtlichen Qualifikation einer Äußerung als Tatsache oder Werturteil kaum ein tragfähiges Argument für die pauschale Vergabe des Etiketts "Werturteil" sein kann! Die Tendenz, in extensiver Weise Äußerungen als Werturteile zu interpretieren, führt des weiteren zu der fragwürdigen Konsequenz, daß eine überspitzte - und damit wertende - Darstellung eines Sachverhalts grundrechtlich geschützt ist, während die zurückhaltende, eventuell andere weniger verletzende Formulierung (beispielsweise "heimliches beobachten" statt "bespitzeln") gar nicht, zumindest aber weniger geschützt wird. Damit wird der Rücksichtsvolle bestraft, der Rücksichtslose prämiert! Schließlich wäre nach dieser Ansicht jedes ehrenrührige Werturteil zulässig, selbst wenn es mit einer noch so falschen (oder nicht beweisbaren) Tatsachenbehauptung verbunden wäre. Damit wird dem Betroffenen zugemutet, daß er durch unwahre Tatsachenbehauptungen - denen schließlich die besondere Wirkkraft des Faktums zukommt - 4 5 in seiner Ehre nachteilig betroffen wird, nur weil diese mit wertenden Äußerungen gekoppelt sind. Zu welchen inakzeptablen Konsequenzen diese Judikatur fuhren kann, wurde besonders in dem Senatsbeschluß 38 Z.B. die Äußerung "Dieb", "Gauner" o.a., weil der Betroffene sich vorgeblich eines Eigentumsdeliktes strafbar gemacht haben soll. 39
BGHSt 12, 288 (291); Otto, JR 1983, S.5.
40
BGHZ 45, 296 (304); BGH, DB 1974, S.1429: ähnlich Brandner, S.691.
41
BVerfGE 61, 1 (8); OVG NW, NJW 1983, S.2403; ebensoBK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 142.
42
BVerfGE 85, 1 (18 u. 19) = NJW 1992, S.1439.
43 BVerfGE 61, 1 (9); ebenso letztlich BVerfGE 85, 1 (17) = NJW 1992, S.1441; dem zustimmend: Schmitt-Glaeser, AöR 113, S.76; Kühler, JZ 1984, S.547. 44
Schmitt-Glaeser,
43
BVerfGE 54, 208 (217).
AöR 113, S.76.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
49
vom 09.10.1991 46 deutlich. Diesem Beschluß lag das Flugblatt eines Vereins zugrunde, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Tätigkeit des BayerKonzerns kritisch zu überwachen. In diesem Flugblatt fanden sich unter der Überschrift "Gefahren für die Demokratie" folgende Vorwürfe wieder: "In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt Bayer demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairneß. Mißliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfahrige Politiker werden unterstützt und finanziert". Das Bundesverfassungsgericht befand zwar, daß in "allen Teilaussagen (auch) faktische Elemente" enthalten seien, hielt diese aber leztlich für insignifikant, da die "Beschwerdeführer durch die von ihnen verwendeten Formulierungen zu diesen (von ihnen angesprochenen) Vorgängen Stellung beziehen und diese bewerten". 47 Ähnlich argumentierten die Gerichte in dem Ende 1993 entschiedenen Rechtsstreit Scharping ./. FOCUS. Hier hatten die Gerichte darüber zu befinden, ob die in dem Nachrichtenmagazin FOCUS getätigten Aussagen über den Ministerpräsidenten Scharping als Tatsachen- oder Meinungsäußerungen zu qualifizieren seien. Das Nachrichtenmagazin hatte u.a. berichtet, daß ein V-Mann des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz die Behörden frühzeitig über ein konspiratives Treffen von Terroristen in Kenntnis gesetzt habe. Infolgedessen sei der Innenminister des Landes am 4. Mai 1993 zu einem dringenden Termin beim damaligen Generalbundesanwalt v.Stahl gebeten worden, den dieser auch wahrnahm. Die Berichterstattung endete mit der Passage: "Der rheinland-pfälzische Landesvater Scharping will am 4. Juli 'über einige Umstände' der Verbindung zwischen V-Mann Klaus und dem Landesverfassungsschutz informiert worden sein. Scharpings Formulierung - eine Flucht nach vorn mit angezogener Handbremse. Denn: Kaum vorstellbar, daß Innenminister Zuber am 4. Mai nach Karlsruhe ging, ohne daß der Kabinettschef davon wußte".48 Demgegenüber hatte Scharping eidesstattlich versichert, erst am 4. Juli über den Einsatz des V-Mannes informiert worden zu sein, so daß der Eindruck entstand, er (Scharping) habe die Unwahrheit gesagt.49 Das LG Hamburg kam nach "heftiger Diskussion" 50 zu der Auffassung, daß es sich bei der im Streit stehenden Passage um eine zulässige Meinungsäußerung handele. Zwar erkannte die
46
BVerfGE 85, 1 ff= NJW 1992, S.1439 ff.
47
BVerfGE 85, 1 (19) = NJW 1992, S.l441.
48
FOCUS, Nr.29/1993, S.20 u. S.21.
49
Siehe auch die nachfolgende Berichterstattung die diesen Verdacht massiv verstärkte: "Alle wußten Bescheid: ...Nur dem.. Regierungschef sagte keiner was - sagt er" {FOCUS, Nr.30/1993, S.26); ausführlich auch FOCUS, Nr.31/1993, S.24 - 26. 50
So die Vorsitzende Richterin Münzberg {Die Welt vom 03.08.1993).
4 Stark
50
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Kammer, "daß die angegriffene Berichterstattung einen überwiegenden 51 Tatsachenkern dergestalt (enthalte), daß sie insinuiert, der Antragsteller habe sehr wohl vor dem 4. Juli 1993 von dem V-Mann gewußt und mithin bei seinen gegenteiligen Bekundungen gelogen. Dieser Sinngehalt (sei) auch ein tatsächlicher, (da) das Wissen um den V-Mann auf Seiten des Antragstellers... der objektiven Klärung zugänglich (sei)". 52 Gleichwohl entfalte die Äußerung, "trotz des verobjektivierenden Einschlages, der in der Bedeutung des Wortes vorstellbar' liegen mag.., auch prägende Elemente des Meinens und Dafürhaltens...". Folglich schwinge "in der Äußerung auch ein Maß an Entrüstung., mit, das die angegriffene Berichterstattung auch durch Merkmale einer Meinungsäußerung" präge. Aus diesem Grund sei im Ergebnis von einer zulässigen Meinungsäußerung auszugehen.53 Diese Auffassung wurde von der Berufungsinstanz geteilt. Ergänzend wurde bemerkt, daß es sich auch dann um eine (zulässige) Meinungsäußerung handele, wenn, wie von dem Antragsteller vertreten, unter Vernachlässigung des Gesamtzusammenhanges zu einseitig auf den letzten Satz abgestellt worden sei. 54 Zur Begründung wird im wesentlichen darauf verwiesen, daß durch das vorausgeschickte "Denn:" erkenntlich werde, daß es sich hier um eine Begründung für das Gesagte, nicht aber um eine Tatsachenäußerung handele, weil überhaupt keine Tatsachen mehr genannt werden, "aufgrund deren die Angabe des Antragstellers unwahr sein muß". 55 Vielmehr zeige die Wortwahl ("kaum vorstellbar"), daß hier nur ein Verdacht zum Ausdruck gebracht werde, Scharping könne die Unwahrheit gesagt haben. Dieser Verdacht sei aber "Ergebnis einer Bewertung, die ungeachtet, ob ihr zu folgen ist, den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG genießt". 56 Die Quintessenz dieser Aussagen kann hier doch nur sein, daß zukünftig auch noch so abträgliche und durch keinerlei konkrete Umstände begründete Behauptungen aufgestellt und verbreitet werden können, wenn diese nur anschließend (in einer ehrabschneidenen Weise) kommentiert (Fall Bayer) oder hinterfragt werden (Fall Scharping). 57 Daß man hierbei zwingend zu einem Überwiegen des wertenden Elements kommen kann und muß, ergibt sich schon daraus, daß die in Rede stehende Tatsachenäußerung mangels vorliegender Fakten nicht untermauert werden kann. Dies ist für den Betroffenen umso bitterer, als sich Behaup51
Hervorhebung durch den Verfasser.
52
LG Hamburg - Az. 324 0 484/93 -, S.9.
33
So das LG Hamburg - Az. 324 0 484/93 -, S.9 u. S.10.
34
OLG Hamburg - Az. 3 U 194/93 -, S.4.
33
OLG Hamburg - Az. 3 U 194/93 -, S.7.
36
OLG Hamburg - Az. 3 U 194/93 -, S.7 u. S.8.
37
In diesem Sinne auch Sendler, ZRP 1994, S.347: "Je falscher und unverschämter aber eine Tatsachenbehauptung ist, desto besser eignet sie sich dazu, sich selbst Empörung zu suggerieren und desto überzeugender den Empörten spielen zu können; desto leichter ist sie Voraussetzung für die Bildung von empörten Meinungen"; ähnlich auch Kriele, NJW 1994, S.1900; Redeker, NJW 1993, S.1836; Ossenbühl, JZ 1995, S.639.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
51
tungen, die durch keinerlei nachprüfbare Tatsachen belegt werden, besonders nachteilig auswirken können, ohne daß er sich hiergegen - aufgrund der Qualifizierung als Werturteil - wehren könnte. Wird dann noch - wie im Fall Scharping - von den Medien verbreitet: "FOCUS darf weiter verbreiten, der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Scharping (SPD) habe entgegen eigenen Angaben vor dem 4. Juli von dem V-Mann Klaus Steinmetz gewußt", 58 so nimmt das breite Publikum an, das Gericht habe die Wahrheit einer Tatsachenaussage festgestellt, obwohl es die Aussage nur als Werturteil eingeordnet hat, ohne auf die Wahrheitsfrage einzugehen. Exemplarisch hierfür ist auch die Reaktion des "Spiegel" auf den zitierten Bundesverfassungsgerichtsbeschluß vom 09.10.1991. Hier verbreitete Der Spiegel 59 mit offensichtlichem Wohlwollen: "Ungestraft dürfen die Bayer-Kritiker nun behaupten: In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt Bayer demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairneß". Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dies auch für den Nachsatz gilt: "Mißliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfahrige Politiker werden unterstützt und finanziert". Nach alledem kann den oben aufgezeigten Kriterien der Judikatur 60 und eines Teils des Schrifttums nicht gefolgt werden. Gefordert werden muß vielmehr, daß alle beweisfahigen Behauptungen, auch wenn sie pauschal oder mit Werturteilen verbunden sind, als Tatsachenbehauptungen zu gelten haben. Zumindest aber, daß eine Besinnung auf die vormals geltende Judikatur erfolgt, wonach es "der Ehrenschutz (gebiete), die Grenzen zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteil zugunsten der Tatsachenbehauptungen möglichst weit zu ziehen", 61 und zwar mit der folgerichtigen Konsequenz, daß es auf die - anschließend dargestellte - Problematik der (Un-) Wahrheit einer Behauptung entscheidend anzukommen hat.
cc) Die Problematik der unrichtigen Tatsachenbehauptungen Während sich bei Meinungsäußerungen eine Differenzierung in wahr und unwahr, richtig oder falsch verbietet, 62 ist ungeklärt, ob dies auch für Tatsachenbehauptungen gilt. Zunächst ist festzuhalten, daß jedenfalls die Behauptung respektive Verbreitung erweislich wahrer Tatsachen, mögen sie für das betroffene Individuum noch so abträglich sein, grundsätzlich unter dem vollen Schutz des 58
Die Welt vom 03.08.1993.
59
Der Spiegel vom 20.01.1992, Heft 4, S.107.
60
Vgl. unter Pkt. (a).
61
BGHZ 3, 270 (273).
62
BGH, NJW 1965, S.295.
52
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG steht. Nur ausnahmsweise können hier die Grenzen des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG tangiert werden. Dies ist dann der Fall, wenn es um Mitteilungen aus dem Intimbereich geht 63 oder sich aus der Formulierung bzw. den äußeren Umständen der Darstellung im Einzelfall eine derart gesteigerte Mißachtung der Persönlichkeit des Betroffenen ergibt, daß ihr (gegenüber der wahren Tatsachenmitteilung) selbständiges Gewicht zukommt und die Äußerung damit wegen ihrer verunglimpfenden Form als unzulässig angesehen werden muß. 6 4 7 6 5 Der Rechtsgedanke des § 192 StGB ("Veritas conviai non excusat inj uri am") beansprucht insoweit auch auf verfassungsrechtlicher Ebene Beachtung. Berührt damit die Behauptung erweislich wahrer Tatsachen im allgemeinen nicht den Normbereich des (Grund-) Rechts der persönlichen Ehre, so ist umgekehrt zu fragen, ob die Behauptung erweislich unwahrer Tatsachen von vornherein jenseits des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben muß. (1) Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG auch für erweislich unwahre Tatsachenbehauptungen Nach einer Auffassung sind auch falsche Tatsachenmitteilungen ebenso wie unhaltbare Meinungen prinzipiell in den Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG einbezogen. Erst bei der Abwägung mit kollidierenden Rechten Dritter (praktische Konkordanz) sei ihnen ein gegen Null tendierendes Gewicht zuzumessen.66 Hiernach stehe das Leugnen (d.h. das gutgläubige Inabredestellen von Tatsachen), ja sogar das Lügen, also die bewußte Verbreitung unwahrer Tatsachen(!), unter dem Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG. Demgemäß konstatiert Thieme: 67 "Auch derjenige, der bewußt lügt, nimmt das Recht auf Meinungsfreiheit wahr.."! Die Judikatur, 68 und mit ihr ein Teil der Lehre, 69 vertritt demgegenüber eine vermittelnde Auffassung. Hiernach fallen zumindest die bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen und unrichtige Zitate von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Begründet wird dies damit, daß un63 Aus diesem Grund war beispielsweise der ZDF-Film über den "Mörder von Lebach", der dessen homosexuelle Veranlagung enthüllte, unzulässig (BVerfGE 35, 202). 64
Mackeprang, S.232 u. S.233. "Ausnahmen von der Ausnahme" sind hier nur möglich, wenn schwerwiegende staatspolitische Gründe oder ein ganz überwiegendes öffentliches Interesse eine Veröffentlichung erfordern. 65
66
Bd. VI, § 141, Rn 20.
67
Thieme, S.150; ihm f o l g e n d e / e r , S.2390.
68
BVerfGE 54, 208 (219); 61, 1 (8) = NJW 1983, S.1415; OLG München. AfP 1992, S.260.
I/K-Schmidt-Jortzig,
69
Hesse, Rn 391; AK-Hoffmann/Riem, S.130.
Art.5 I, II, Rn 21; Pieroth/Schlink,
Rn 629 - 631; Uhlitz,
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
53
richtige Informationen unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sind, "weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen können". 70771 Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, daß Tatsachenbehauptungen und Zitate eine exponierte Wirkung im Meinungskampf haben. Diese seien eine "besonders scharfe Waffe", da ihnen gegenüber der erkennbaren Meinungsäußerung die besondere Überzeugungskraft des Faktums zukomme. 72 Bestehen hier Unrichtigkeiten oder Verfälschungen, so greift dies in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen um so tiefer ein, als er hier quasi als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt wird. 7 3 Der Überzeugungskraft dieser Ausführungen wird man sich nur schwer entziehen können. Zudem läßt sich der Verfassung selbst eine entsprechende Wertung entnehmen. Genannt sei hier die Bestimmung des Art. 46 Abs. 1 Satz 2 GG: Wenn die Verfassung selbst den Abgeordneten, welche im Rahmen ihrer "in der Demokratie unverzichtbaren Kompetenz zur Wahrnehmung der parlamentarischen Aufgaben" 74 frei und selbstverantwortlich den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß auf höchster Stufe aufzunehmen und in "staatliche" Willensbildung zu überführen haben, keine Privilegierung für die wider besseres Wissen erfolgte Aufstellung ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen einräumt, hat dies "erst recht" für die damit korrespondierenden Freiheiten des Bürgers zu gelten. 75 Insoweit läßt sich m.E. die erstgenannte Auffassung nicht überzeugend vertreten. Jedoch erscheint auch die Position des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz widerspruchsfrei. Bedenklich ist vor allem die folgende vom Bundesverfassungsgericht getätigte Aussage: "...soweit unrichtige Tatsachenbehauptungen nicht schon von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben, sind sie Einschränkungen auf Grund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als das Äußern einer Meinung".76 Aus dieser Aussage läßt sich nur folgern, daß es unrichtige Tatsachenbehauptungen gibt, die nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen und solche, die sehr wohl den grundrechtlichen Schutz dieser Norm genießen.77 Hier 70 BVerfGE 54, 208 (219); 61, 1 (8) = NJW 1983, S.1416; OLG München, AfP 1992, S.260; ebenso Schmitt-Glaeser, JZ 1983, S.96. 71 Ähnlich auch Hesse, Rn 391: "...denn die Meinung, die sie bilden soll, muß notwendig eine unrichtige sein, es soll eine Pseudooperation der Meinungsbildung vollzogen werden"; ebenso Uhlitz, S.l30, wenn er schreibt: "Eine auf Unwahrheiten aufgebaute Meinungsbildung ist wertlos und verderblich". 72
BVerfGE 54, 208 (217).
73
So bzgl. des Zitats: BVerfG, NJW 1993, S.2926.
74
BVerfGE 60, 374 (380).
75
Formulierung in Anlehnung an Mackeprang, S.234, dieser verweisend auf Ridder, JZ 1961, S.539.
76
BVerfG 61, 1 (8).
77
So auch Schmitt-Glaeser,
JZ 1983, S.96.
54
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
drängt sich die Frage auf, welche - unrichtigen - Tatsachenbehauptungen denn den Schutz des Art. 5 GG genießen und nach welchen Kriterien zwischen den unrichtigen Tatsachenbehauptungen zu differenzieren ist? Sicherlich wird nicht ausschlaggebend sein, ob die Unwahrheit dem Äußernden bewußt war oder nicht. Denn eine unrichtige Tatsachenbehauptung wird nicht dadurch richtig, daß sich der Äußernde der Unrichtigkeit nicht bewußt ist. 78 Das Bundesverfassungsgericht stellt bei der gebotenen Differenzierung darauf ab, daß die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden dürfen, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leiden kann. So fuhrt es namentlich im 2?ö//-Beschluß79 aus. "Eine Übersteigerung der Wahrheitspflicht und die daran anknüpfenden, unter Umständen schwerwiegenden Sanktionen könnten zu einer Einschränkung und Lähmung namentlich der Medien führen. Diese könnten ihre Aufgaben, insbesondere diejenigen öffentlicher Kontrolle, nicht mehr erfiillen, wenn ihnen ein unverhältnismäßiges Risiko auferlegt würde". Auf den ersten Blick wird man auch diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sicherlich zustimmen können. Denn, wer kann schon ernstlich für "Übersteigerungen" der Wahrheitspflicht eintreten? Nur, wer will überhaupt, auf welchem Gebiet auch immer, für "Übersteigerungen" eintreten? Übersteigerungen tragen immer das Odium des Radikalen und Irrationalen in sich. Vor allem aber ändert auch eine gründliche Recherche nichts an der Folge der falschen Tatsachenmitteilung. Denn der Meinungsbildungsprozeß wird in jedem Fall irregeführt, und daraufkommt es an! 8 0 Zumindest mißverständlich ist auch die folgende, vom Bundesverfassungsgericht getätigte Aussage: Ein Gericht könne "sich der Notwendigkeit, bei der Würdigung ...(einer Äußerung) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten, nicht dadurch entziehen, daß es die Äußerung des Beschwerdeführers zivilrechtlich als unrichtige Tatsachenbehauptung (qualifiziert), bei der eine Rechtfertigung ausgeschlossen ist". 81 Daraus könnte zu schließen sein, daß auch nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts unrichtige Tatsachenbehauptungen grundsätzlich sehr wohl unter den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG zu fassen sind. Denn zu einer "Würdigung" der Tatsachenäußerung im Lichte des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kann es nur dann kommen, wenn die Tatsachenmitteilung überhaupt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fällt. Ist das nicht der Fall, kommt 78
Schmitt-Glaeser,
79
BVerfGE 54, 208 (220); vgl. auch BVerfGE 12, 113 (130).
80
Ähnlich Schwinge, Ehrenschutz heute, S.76; Schmitt-Glaeser,
81
BVerfGE 61,1(10); verweisend auf BVerfGE 60, 234 (242).
JZ 1983, S.96. JZ 1983, S.97.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
55
eine "Würdigung" - gemeint ist wohl eine Abwägung der widerstreitenden Interessen - nicht mehr in Betracht. Aufgrund solcher Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts kann es nicht überraschen, daß die Zahl derer zunimmt, die auch eine objektiv falsche Darstellung eines Sachverhalts vom Schutz der Meinungsfreiheit umfaßt sehen wollen. 82 Diesen Tendenzen ist jedoch entgegenzutreten. Die Befürchtung des Bundesverfassungsgerichts, eine "übersteigerte Wahrheitspflicht" führe zur Einschränkung und Lähmung der Meinungsfreiheit, namentlich derjenigen der Medien, inspiriert zu der polemisch zugespitzten Frage: "...lieber eine irregeführte als gar keine Meinungsbildung?" 83 Auch wenn man so weit nicht gehen möchte, läßt sich jedenfalls festhalten, daß die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der "sonstigen unwahren Tatsachen"84 nicht weiterhelfen. Ehrlicher, und für die Praxis weitaus praktikabler ist es, sich einzugestehen, daß eine Differenzierung von unrichtigen Tatsachenbehauptungen, die unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen, und solchen, die nicht unter den Schutz fallen, schlicht unmöglich ist. Das muß keineswegs bedeuten, daß die Meinungs- und "Medienfreiheiten" über Gebühr eingeschränkt werden. Eine Verbreitung des Inhalts von Äußerungen, die sich als unrichtig herausstellen, bleibt weiterhin möglich. Nur - und das ist der kardinale Gesichtspunkt - muß dann die Verbreitung solcher Fakten als Meinung (als Dafürhalten/Vermuten) erfolgen und nicht als Tatsache, der ebenso wie dem falschen Zitat "die besondere Überzeugungs- und Beweiskraft des Faktums zukommt". 85 Dies kann nicht nur zugemutet, sondern muß auch ausdrücklich gefordert werden, und zwar gerade im Interesse der Funktion der Meinungsfreiheit und ihrer verfassungsmäßig vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung, die nicht aufgrund falscher Fakten entsteht. Erstaunlich ist, daß das Bundesverfassungsgericht bezüglich des Verbreitens von falschen Zitaten grundsätzlich die gleiche Auffassung vertritt. So wird richtigerweise artikuliert: Es sei nicht ersichtlich, "daß umfassende Information und freie Meinungsbildung oder daß öffentliche Kritik unzumutbaren Risiken unterworfen würde, wenn derjenige, der eine Äußerung wiedergeben möchte, erkennbar zu machen
82 Vgl. Heselhaus, S.743; I/K-Schmidt-Jortzig, Bd. VI, § 141, Rn 20; Thieme, S.150; Köhler, S.2390; femer Mangold/Klein/Starck, Art.5 I, II, Rn 20 der ausfuhrt: Wenn einer falschen Behauptung.. eine falsche Bewertung der Realität zugrunde liegt., "ist die falsche Tatsachenmitteilung.. Meinung i.S.d. Art.5 IS. 1GG". 83
So schon Schmitt-Glaeser,
84
Solche, die nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art.5 I S.l GG herausfallen.
85
Schmitt-Glaeser,
JZ 1983, S.97.
AöR 113, S.78.
56
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
hat, ob es sich um die genaue Wiedergabe oder um eine Deutung des Geäußerten handelt". 86 Nur, was in diesem Zusammenhang für das Zitat gilt, müßte aufgrund der festgestellten gleichen Überzeugungs- und Beweiskraft der Tatsachenmitteilung auch für diese gelten. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß es sich in der Praxis - was sicherlich zutreffend ist - kaum vermeiden lassen wird, daß sich eine Tatsachenbehauptung trotz Aufbringung größtmöglicher Sorgfalt schließlich doch als falsch herausstellt, so daß dem Kommunikator - jedenfalls gegenüber nachträglichen Sanktionen - die Berufung auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung möglich sein müsse.87 Verkannt wird hierbei, daß sich die dadurch auftretenden Probleme auf der Grundlage des einfachen Rechts lösen lassen, weil eine Pönalisierung oder Verurteilung zu Schadensersatz und Schmerzensgeld stets den Nachweis des Verschuldens erfordert. Der diesbezügliche Einwand, daß das etwa im Falle des § 186 StGB gerade nicht der Fall wäre, 88 mithin eine Lösung auf dem Gebiet des einfachen Rechts nicht durchweg zu finden sei, kann gleichfalls nicht überzeugen. Denn bei der hier aufgeworfenen Frage geht es zunächst einzig darum, ob unrichtige Tatsachen unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu fassen sind. Wenn aber feststeht, daß die inkriminierte Tatsachenäußerung enveislich falsch ist, so ist der Regelungsbereich des § 186 StGB niemals betroffen; hierbei geht es nur um nicht erweislich (un-) wahre Tatsachenbehauptungen. Wie diese nicht erweislich (un-)wahren Tatsachenbehauptungen zu behandeln sind, ist jedoch eine ganz andere - nachfolgend - 8 9 zu erörternde Frage. Insoweit läßt sich dieser Einwand nicht gegen die hier vertretene Auffassung fruchtbar machen. Es verbleibt damit bei der getroffenen Wertung, daß unrichtige Tatsachenbehauptungen und dies können denknotwendig immer nur erwiesen unrichtige sein - a priori aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG herausfallen müssen. Eine Forderung, die so neu nicht ist, 9 0 gleichwohl jedoch noch nicht die nötige Beachtung gefunden hat. (2) Die Problematik der unbewiesenen Tatsachenbehauptungen (a) Grundsätzlicher Schutz auch von unbewiesenen Tatsachenbehauptungen Während nach der hier vertretenen Auffassung davon ausgegangen werden soll, daß erwiesen unrichtige Tatsachenbehauptungen nicht dem Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG unterfallen, stellt sich die Frage, wie mit solchen Tatsa86
BVerfGE 54, 208 (221 u. 222).
87
So aber Mackeprang, S.235 u. S.236.
88
Mackeprang, S.236.
89
Siehe hierzu Pkt. (2).
90
Vgl. Schmitt-Glaeser,
JZ 1983, S.97; ders., AÖR 113, S.77; Schwinge, Ehrenschutz heute, S.76.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
57
chenäußerungen zu verfahren ist, die weder zugestanden noch bewiesen sind. Im einfachgesetzlichen (zivilrechtlichen) Verfahren finden sich hierfür die Regeln über die Beweislast respektive deren Verteilung auf die Prozeßparteien. 91 Demgemäß vertritt Kiesel 92 die Auffassung, daß "die zivilprozessualen und strafrechtlichen Folgen, die sich in einem solchen Falle aus der Tatsache der Nichterweislichkeit der ehrenrührigen Behauptung ergeben, ...nicht im verfassungsrechtlichen Bereich gänzlich anders behandelt werden (können), weil dadurch mit einem Schlage ganze Rechtsgebiete unkalkulierbar würden". Gegen diese Auffassung sprechen jedoch rechtsdogmatische Bedenken: So erscheint es nicht vertretbar, wenn es, so wie hier, um die Bestimmung und Auslegung des Schutzbereichs eines Grundrechts (Art. 5 GG) geht, auf einfachgesetzliche Regelungen zurückzugreifen. 93 Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht für die Fälle der unbewiesenen Tatsachenbehauptungen, unabhängig von den einfachgesetzlichen Regeln, eigene Kriterien entwickelt. Dabei ging das Bundesverfassungsgericht zunächst von dem Grundsatz aus, daß unbewiesene Tatsachenbehauptungen nicht unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG stehen und sich folglich nicht von den erwiesen unrichtigen Tatsachenbehauptungen unterscheiden. Dies ergibt sich aus dem Beschluß vom 03.06.1980.94 Darin führte es aus, daß unbewiesene Tatsachenbehauptungen als "unrichtige Informationen" zu gelten haben, die "unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sind, weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen" können. 95 Insoweit werden die unbewiesenen Tatsachenbehauptungen nicht ("in gleicher Weise") von der sog. Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede erfaßt. 96 So wünschenswert klar diese Aussage zunächst auch ist. so verwässert wird sie, wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, die Anwendung dieses Grundsatzes (unbewiesene Behauptungen fielen grundsätzlich nicht unter Art. 5 Abs. 1 GG) dürfe nicht dazuführen. daß die "Anforderungen an die Wahrheitspflicht" im geistigen Meinungskampf so bemessen würden, "daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leiden kann". 97 und weiter: "Eine Übersteigerung der Wahrheitspflicht und die dann anknüpfenden, unter Umständen schwerwiegenden Sanktionen könnten zu einer Einschränkung und Lähmung" derjenigen führen, die sich am geistigen Meinungskampf beteiligen. Wer im Interesse der
91
Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 2 unter Pkt. I.. 1.. b), cc).
91
Kiesel, S.l 134.
93
Ebenso Schiedermair,
94
BVerfGE 54, 208 ff.
95
BVerfGE 54, 208 (219) unter Verweis auf BVerfGE 12, 113 (130).
96
Vgl. hierzu: BVerfGE 61,1 (8).
97
BVerfGE 61, 1 (8).
S.39.
58
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
öffentlichen Meinungsbildung durch die Verbreitung von Tatsachenmitteilungen zur Information der Allgemeinheit beitragen will, darf hierbei keinem "unverhältnismäßigen Risiko" oder "unzumutbaren Erschwerungen" ausgesetzt sein. Dies gelte auch und gerade für den Fall, daß der Inhalt einer Tatsachenmitteilung nicht bewiesen ist oder sich nicht beweisen läßt. Deshalb sei auch niemand genötigt, auf die Verbreitung selbst unbewiesener Tatsachenbehauptungen im geistigen Meinungskampf zu verzichten, wenn und solange er im Umgang mit der Wahrheit die erforderliche Sorgfaltspflicht beachtet hat. Allerdings reiche dieser Schutz nicht soweit, daß es gestattet sei, auf Kosten der "Betroffenen" und ihrer Rechte "mit der Wahrheit leichtfertig zu verfahren". 98 Dieser Argumentationsduktus des Bundesverfassungsgerichts ist der Rabulistik nicht allzu fern. Der Verfassungsinterpret kommt hier nur weiter, wenn er (Argumentations-) Schritt für Schritt die Grundsätze analysiert. Hiernach gilt: 1. Unbewiesene Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich grundsätzlich nicht von unrichtigen Behauptungen und unterfallen daher auch nicht dem Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG. 2. Dies soll aber, um Übersteigerungen zu vermeiden, wiederum dann nicht gelten, wenn der Äußernde mit der Wahrheit nicht leichtfertig umgegangen ist und demgemäß durch die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt seiner Wahrheitspflicht genügt hat. Vom Ergebnis her wird man dem Bundesverfassungsgericht zuzustimmen haben. Würde man auch unbewiesenen Tatsachenbehauptungen den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG versagen, wäre die freie Kommunikationssphäre über Gebühr eingeschränkt. 99 Dies gilt besonders für die nachfolgend zu erörternden "Medienfreiheiten". 100 Ein investigativer Journalismus wäre so faktisch nicht möglich. Dieser aber ist ein notwendiges Instrument der politischen Kontrolle und zählt zu den legitimen Aufgaben der Medien. Ob der Meinungs- respektive den "Medienfreiheiten" auch im Einzelfall der Vorrang vor den Grundrechten anderer, hier dem (Grund-) Recht der persönlichen Ehre, zu geben sein wird, entscheidet sich später bei der konkreten Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter (praktische Konkordanz). Zunächst aber - und dies ist hervorzuheben - genießen auch die unbewiesenen Tatsachenbehauptungen, sofern sie unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt und der Wahrheitspflicht aufgestellt werden, den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch auch hier wenig überzeugend: Daß niemand ernsthaft für Übersteigeningen eintreten kann, wurde bereits erwähnt. Auch ließe sich aus den Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts 98
BVerfGE 54, 208 (220).
99
In diesem Sinne auch Wellbrock,
100
Vgl. hierzu Pkt. 2., und 3.
S.143.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
59
bezüglich der Sorgfaltspflicht entnehmen, daß unwahre Tatsachenbehauptungen zu Lasten des Persönlichkeitsrechts verbreitet werden können, wenn die Klärung ihrer Wahrheit umständliche Ermittlungen erfordert. 101 Daß dies aber nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann, schwant auch dem Bundesverfassungsgericht. Anders ist es nicht zu erklären, daß es dem Äußernden auferlegt, er habe (zumindest) die Umstände, aus denen er die Behauptung herleite, näher zu substantiieren und darzulegen (Substantiierungs- und Darlegungspflicht). (b) Bedeutung und Tragweite der Substantiierungs- und Darlegungspflicht (aa) Die Position der Judikatur Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Auffassung, daß die Zivilgerichte zulässigerweise von einer erweiterten Darlegungslast desjenigen ausgehen, der ehrenrührige Tatsachen über Dritte behauptet. Daß die Tatsachenbehauptungen bei Nichterfüllung dieser Darlegungslast als unwahr anzusehen seien, begegne "von Verfassungs wegen keinen Bedenken". 102 Demgemäß führt es bereits in seinem Beschluß vom 03.06.1980 aus, daß dem Beklagten vielmehr eine Mitwirkung obliege: "Er muß die Behauptung, daß der Kläger etwas geäußert habe, substantiieren; es müssen also insbesondere Angaben über Zeit, Art und Adressatenkreis der Äußerung gemacht werden". 103 Diese Auferlegung der Substantiierungs- und Darlegungspflicht ist ausdrücklich zu befürworten. Sie dient in hervorragendem Maße dem Schutz dessen, der als Adressat einer herabsetzenden Äußerung von dieser in der Öffentlichkeit tangiert wurde. Insoweit scheint das Bundesverfassungsgericht anzuerkennen, daß die unsubstantiierten Tatsachenbehauptungen in einem besonders engen Kontext zur Unwahrheit stehen. Denn was bei den erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen Gewißheit ist, nämlich die Unwahrheit, wird bei den unsubstantiierten Tatsachenbehauptungen im Sinne eines dolus eventualis von ihren Urhebern mit in das Kalkül gezogen. 104 Hinzu kommt, daß die Verbreitung unsubstantiierter ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen für den Betroffenen i.d.R. kaum weniger einschneidend sein dürfte als erweislich unwahre Tatsachenbehauptungen. Denn sie wird von den Hörern oder Lesern, die zur Prüfung der Wahrheit nicht in der Lage sind, leicht für wahr gehalten (Semper aliquid haeret). 105 Aus diesem Grund könnte sogar manches dafür sprechen, die unsubstantiierten Tatsachenbehauptungen
101
So Kriele, Schweigen und Ertragen, S.735.
102
BVerfGE 85, 1 (21) = NJW 1992, S.1442.
103
BVerfGE 54, 148(157).
104
Ebenso Schiedermair,
105
So schon Helle, NJW 1964, S.842; ähnlich Uhlitz, S.133.
S.44 u. S.45.
60
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
wie unwahre Tatsachenbehauptungen zu behandeln, ergo ihnen den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG zu versagen. 106 So weit wird man jedoch, wie dargelegt, im Interesse der Meinungs- und "Medienfreiheiten" nicht gehen können. Denn im Gegensatz zu den erweislich unwahren Tatsachenbehauptungen kann bei den unsubstantiierten Behauptungen nicht ausgeschlossen werden, daß ihr Inhalt möglicherweise doch der Realität entspricht. Insoweit erscheint es sachgerecht, mit dem Bundesverfassungsgericht davon auszugehen, daß auch die nicht erweislich (un-) wahren Tatsachenbehauptungen der Ägide des Art. 5 Abs.l GG unterfallen, wenn der Substantiierungs- und Darlegungspflicht Genüge getan wurde. Dem Postulat der Substantiierungs- und Darlegungspflicht kommt daher weitreichende Bedeutung zu. Würde man hierauf verzichten, wäre der Adressat einer herabsetzenden Äußerung dieser gegenüber völlig wehrlos. In einem solchen Fall bliebe dem potentiell Verletzten nichts anderes übrig, als von sich aus den Beweis zu fuhren, daß die Behauptung nicht den Tatsachen entspricht. Ein derartiger negativer Beweis ist aber schwerlich - und nicht selten überhaupt nicht zu fuhren. Dem Betroffenenen würde hier, wie das Bundesverfassungsgericht einmal formulierte, faktisch "etwas Unmögliches angesonnen".107 Die Substantiierungs· und Darlegungspflicht hat daher die Aufgabe, dem von einer negativen Äußerung Betroffenen vor der Zumutung der Selbstreinigung gegenüber völlig aus der Luft gegriffenen Behauptungen zu bewahren. Die Bedeutung dieser auferlegten Pflicht wird umso größer, wenn man bedenkt, daß unsubstantiierte Tatsachenbehauptungen ein gerne instrumentalisiertes Mittel der politischen Agitation sind. Das Defizit an Wahrheit, welches ihnen genuin ist, würde kompensiert, wenn ihnen ein Gericht unter der Neglektion der Substantiierungs- und Darlegungspflicht Beachtung schenken würde. Mit dem die Klage des Betroffenen abweisenden Verdikt erhielten die unsubstantiierten Tatsachenbehauptungen jenen Schein von Wahrheit, auf den es einem geschickten Agitator ankommen muß. In diesem Fall erwiese sich die Judikatur als eine hilfreiche Autorität, um Desinformation mit dem Schein der Wahrheit auszustatten und damit zu "höherer Durchschlagskraft" zu verhelfen. Insoweit ist die Substantiierungs- und Darlegungspflicht ein unverzichtbares Instrument einer am rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens orientierten Justizgewährleistung. 108 Ohne eine solche käme die Beweislastverteilung einer probatio diabolica gleich. Aber nicht nur das; vielmehr ist sie auch deshalb geboten, um die politische Auseinandersetzung zugunsten des geistigen Meinungskampfes vor Desinformationen zu schützen und damit der verfassungsgemäßen Aufgabe (zutreffen-
106 So wohl Stern, FS für Oehler, S.477: "Auch die nicht erweislich wahre Behauptung muß grundsätzlich unzulässig sein, weil sie nicht minder gefahrlich ist als eine tatsächlich unwahre". 107
BVerfGE 54, 148 (157).
108
So Schiedermair,
S.46 u. S.47.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
61
der!) Meinungsbildung gerecht zu werden. Insoweit ließe sich mit den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Substantiierungs- und Darlegungspflicht durchaus konform gehen, 109 wenn das Gericht diese allein sachgerechte Betrachtungsweise nicht bereits im nächsten Satz wieder entscheidend einschränken würde. So fuhrt es aus, daß "auch im Rahmen der Abwägung keine Anforderungen an die Darlegungspflicht gestellt werden (dürfen), die sich auf den generellen Gebrauch des Grundrechts der Meinungsfreiheit abschreckend auswirken können". Insofern seien "die Konsequenzen der Auslegung des einfachen Rechts für die Meinungsfreiheit insgesamt stets mit zu bedenken" . 1 1 0 Derartige Formulierungen entsprechen der Neigung des Bundesverfassungsgerichts, sich im Bereich des Ehrenschutzes hinter dem schützenden Wall allgemeiner und substanzarmer Formulierungen bedeckt zu halten. Auf einen Schritt nach vorn, in Richtung eines effektiveren Ehrenschutzes, folgen meist zwei in die entgegengesetzte Richtung. So auch hier: Es sollte doch evident sein, daß jede nachteilige Gerichtsentscheidung wegen einer ehrenrührigen Meinungsäußerung den potentiellen Injurianten zukünftig zu mehr Überlegung und Zurückhaltung animieren wird! Insoweit dürften auf Grundlage der hier thematisierten Aussage - streng genommen - niemals Urteile zu Lasten des Äußernden ergehen. Daß dies nicht sein kann und wohl auch nicht in der Intention des Bundesverfassungsgerichts lag, dürfte auf der Hand liegen. Richtigerweise wird man daher die diesbezügliche Aussage als ein sprachlich verunglücktes Epitheton ornans einzuordnen haben. Demgegenüber wiegen die folgenden vom Bundesverfassungsgericht artikulierten Aussagen ungleich schwerer. So führt es aus, daß die Darlegungspflicht für ehrenrührige Behauptungen überspannt sei, "wenn jemand der eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstellt, die nicht seinem eigenen Erfahrungsbereich entstammt und seine eigenen Überprüfungsmöglichkeiten übersteigt, sich zur Begründung seiner Behauptung nicht auf unwidersprochene Pressemitteilungen beziehen darf'. Denn demjenigen, der Vorgänge von "öffentlichen Interesse, namentlich solchen aus nicht transparenten Politik- und Wirtschaftsbereichen bewerte, (sei) es regelmäßig nicht möglich, Beweise oder auch nur Belegtatsachen aufgrund eigener Nachforschungen beizubringen. Er (sei) insoweit vielmehr auf die Berichterstattung durch die Medien angewiesen".111 (bb) Kritik und eigener Ansatz Zunächst verwundert, warum das Bundesverfassungsgericht einseitig nur die Rechtsposition des Injurianten, nicht aber die des Betroffenen thematisiert. Hier109
BVerfGE 85, 1 (21)= NJW 1992, S.1442.
110
BVerfGE 85, 1 (21)= NJW 1992, S.1442.
111
BVerfGE 85, 1 (22)= NJW 1992, S.1442.
62
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
durch wird die Vorliebe der Judikatur erkennbar, primär die Rechte des Äußernden auf Kosten der persönlichen Ehre des Individuums zu wahren. Dies, obwohl es der Äußernde ist, der stets durch die Ausübung eines aktiven Betätigungsrechts (Art. 5 Abs. 1 GG) in das passive, in sich ruhende Schutzgut der persönlichen Ehre eingreift, 112 m.a.W.: "Wer seinen Mund Spazierengehen läßt", ist der eigentliche Angreifer. 113 Der umgekehrte Fall ist, worauf Mackeprang zutreffend hinweist, 114 nur in der Form denkbar, daß jemand zum Schutz seines Geltungswertes ein Verbietungsrecht gegenüber den Trägern der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG geltend zu machen versucht. Jedoch geht es auch in diesem Fall letztlich darum, daß der Betroffene eine drohende Rechtsverletzung abzuwehren versucht, ergo auch hier aus der Defensive heraus agiert. Derartige Überlegungen fanden schon in der Einleitung zum "Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten" von 1794 ihren Niederschlag: Derjenige, "welcher durch Ausübung seines Rechtes einen Vorteil sucht, dem nachstehen (muß), der nur einen Schaden abzuwenden bedacht ist". 1 1 5 Das darf zwar heute nicht mehr dazu fuhren, daß den Belangen des um seine persönliche Ehre Bemühten ausnahmslos Vorrang eingeräumt wird, nur kann der - scheinbar eingeschlagene - entgegengesetzte Weg gleichfalls nicht befriedigen. Zumal es, wie bereits festgestellt, der Angreifer ist, der sich des Rechts berühmt, in den grundrechtlich geschützten Bereich eines anderen Individuums eindringen zu dürfen. 116 In diesem Zusammenhang verwundert es doch stark, welchen unerschütterlichen, fast naiven Glauben das Bundesverfassungsgericht an die Medien hat. Daß diese den ihnen bei der Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten i.d.R. nachkommen, kann nur als ein die Realität ausklammernder frommer Wunsch bezeichnet werden. 117 So finden sich u.a. bei Kriele 1 1 8 7 1 1 9 eingehende Beispiele für die zahlreichen (praktizierten) Möglichkeiten einer verfälschten Berichterstattung. Daß dies so ist, dürfte nicht nur dem juristisch interessierten, sondern auch dem breiten Publikum bekannt sein. Dann aber darf und muß verlangt werden, daß ein Bürger, der einen Medienbericht zum Anlaß ehrenrühriger Behauptungen nehmen
112
Formulierung in Anlehnung an Mackeprang, S.237.
113
Stern, FS fur Oehler, S.480; Berka, S.233; ähnlich Erdsiek, 1976, S.1365.
NJW 1963. S.1966; Weitnauer,
114
Mackeprang, S.237.
115
Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, § 96 (zit. nach Rehbein/Reincke,
S.44).
116
Ähnlich auch Erdsiek, NJW 1963, S.1966: "Wer in einen fremden Rechtskreis hier in fremde Ehre eingreift, handelt auf eigene Gefahr". 117 So zutreffend Kiesel, S.l 135; in diesem Sinne auch OLG Stuttgart, AfP 1977, S.278, wenn es konstatiert, daß die Presse "sich oftmals einseitig informieren läßt, gebotene Rückfragen nicht vornimmt und nicht in der Lage ist, ihr weniger vertraute Sachverhalte richtig zu erfassen". n
* Kriele, ZRP 1990, S. 109 ff.
119
Siehe auch nachfolgend unter Pkt. 4.
DB
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
63
will, diese zunächst (im Rahmen seiner Möglichkeiten) überprüft. 120 Dies kann sicherlich nicht soweit gehen, daß er die originäre Informationsquelle kontaktiert. Ein solches Vorgehen einzufordern wäre in der Tat überzogen und würde zu einer "Lähmung der individuellen Meinungsfreiheit fuhren". Verlangt werden kann und muß aber, daß sich der Bürger vor Aufstellen ehrenrühriger Behauptungen aus mehreren Quellen informiert. Oft genügt hierfür schon, worauf Kiesel 121 zutreffend hingewiesen hat, die Lektüre einer zweiten Zeitung oder das Abhören eines anderen Senders um festzustellen, daß gegenüber der Berichterstattung des ersten Mediums Vorsicht geboten ist. Eine solche zusätzliche Informationsbeschaffung ist einem demokratisch gerierenden Bürger, der sich aufgrund eines Medienberichts durch eine öffentliche ehrverletzende Stellungnahme engagieren will, auch zumutbar. Auch die Meinung des Bundesverfassungsgerichts, ein Injuriant könne sich stets auf unwidersprochene Pressemitteilungen berufen, provoziert entschiedenen Widerspruch: Ein Betroffener kann doch nur dann gegen ehrverletzende Medienberichte angehen, wenn er von ihnen Kenntnis erhält. In Anbetracht der Masse von Medienerzeugnissen bestünde für den potentiell Betroffenen der Zwang, sich prophylaktisch von allen Erzeugnissen Kenntnis zu verschaffen. Es ist evident, daß hierzu selbst größere Unternehmen mit eigener Pressestelle nicht in der Lage sind. Desweiteren wäre der Betroffene verpflichtet, gegen sämtliche ihm bekannt gewordenen einschlägigen und nach seiner Auffassung falschen Berichte vorzugehen; eine ebenso inadäquate - weil unzumutbare - Konsequenz! Schließlich kann derjenige, der aufgrund eines Medienberichts ehrenrührige Behauptungen aufstellen will, in der Regel überhaupt nicht wissen, ob diesem Bericht bereits, etwa in einem anderen Medium, "widersprochen" oder dieser "widerrufen" worden ist. 1 2 2 Die Befürchtung des Bundesverfassungsgerichts und eines Teils der Literatur, 1 2 3 stärkere Anforderungen an die Informations- und Darlegungslast eines potentiellen Ehrverletzers würden zu einer "Lähmung der individuellen Meinungsfreiheit" führen, kann demnach nicht geteilt werden. Schließlich wird dem Äußernden ja keinesfalls untersagt, den Inhalt seiner Äußerungen weiter zu verbreiten. Nur muß er dies, wenn er sich der zugrundeliegenden Fakten nicht sicher ist, eben als Meinung im Sinne eines Dafürhalten kundtun. Entsprechendes gilt für ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, die auf einem bloßen Verdacht beruhen. Hier muß der Äußernde zumindest verpflichtet sein, dem Auditorium seiner Äußerung den Mangel einer Bestätigung nicht vorzuenthalten. Insoweit ist die Verbreitung von ehrenrührigen Tatsachenäußerungen, die auf 120
Säcker, S.893.
121
Kiesel, S.1135.
122
Siehe hierzu die gleichlautenden Überlegungen bei Kiesel. S. 1135; kritisch auch: Ossenbühl, JZ 1995, S.639. 123
Beispielsweise Heselhaus, S.743.
64
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Vermutungen basieren - mögen sie auch noch so naheliegend sein -, als solche zu kennzeichnen. 124 Niemals darf ein Verdacht ohne haltbare Grundlage als Gewißheit dargestellt werden, um diesen dann - unter dem Mantel der vom Bundesverfassungsgericht aufgeweichten Substantiierungs- und Darlegungspflicht - am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG partizipieren zu lassen. Dies muß insbesondere - und das sei bereits hier im Vorgriff gesagt- 125 aufgrund ihrer enormen Breitenwirkung auch und gerade für die Medien gelten. Denn Verlautbarungen der Presse oder anderer Medien genießen gegenüber sonstigen Mitteilungen keinerlei Privilegien (auch wenn Wenzel von einer Sonderlegitimation der Presse spricht 126 ). Zwar fällt den (Massen-) Medien im Verfassungsstaat zweifellos eine gewisse "Kontrollaufgabe" zu, wozu es auch gehört, auf Mißstände von öffentlicher Bedeutung aufmerksam zu machen, 127 was die durch das (Grund-) Recht der persönlichen Ehre gezogenen Grenzen betrifft, lassen sich der Verfassung Divergenzen zwischen den verschiedenen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG aber nicht entnehmen. 128 Zusammenfassend läßt sich daher feststellen: Die Substantiierungs und Darlegungspflicht ist wortgetreu als Pflicht im Sinne einer verbindlichen und tatsächlichen Aufgabe des Äußernden einzufordern. Nur wenn dieser schlüssig darlegen kann, auf welchen Fakten seine ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen basieren, können unbewiesene Tatsachenbehauptungen am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG partizipieren. Deshalb ist den Aufweichungstendenzen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Substantiierungs- und Darlegungspflicht aus den angeführten Gründen eine deutliche Absage zu erteilen.
dd) Grundrechtlicher
Schutz auch für Fragen
Nur im Ansatz geklärt ist bislang, ob bzw. inwieweit Fragen vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfaßt sind. Die Klärung dieser Frage stößt auf die Schwierigkeit, daß Fragen zwar final auf eine Beantwortung gerichtet sind, welche ihrerseits Meinungsäußerungen und/oder Tatsachenbehauptungen enthalten können, stricto sensu aber weder das eine noch das andere sind.
124
So auch Mackeprang, S.240.
125
Vgl. zu den "Medienfreiheiten" die Ausführungen unter Pkt. 2., u. 3.
126
Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn 5.59.
127
BVerfGE 60, 234 (240 ff); 66, 116 (137); Schmitt-Glaeser,
128
AÖR 113, S.82.
Deutlich insoweit BGHSt 18, 182 (187): "..Die Tatsache der gedruckten Verbreitung kann für sich genommen kein Mehr an Rechten vermitteln".
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
65
(1) Die Position der Judikatur Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals mit seinem Beschluß vom 09.10.1991 129 zu der Frage Stellung genommen, ob und unter welchen Voraussetzungen Fragen am Grundrechtsschutz teilnehmen. Hierbei wies es zunächst auf die große Bedeutung der Fragen für den Meinungsbildungsprozeß hin. Diese ermöglichten die Bildung von Meinungen, indem sie auf Probleme hinweisen oder der Erlangung von Informationen dienten. Besondere Relevanz komme den Fragen in solchen Bereichen zu, in denen "der einzelne nicht über die für seine Meinungsbildung erforderlichen Informationen verfugt, so daß ihm nur die Möglichkeit kritischer oder nachforschender Fragen bleibt". 1 3 0 Resümierend stellt es fest, daß "neben Werturteilen und Tatsachenbehauptungen (auch) Fragen von Art. 5 Abs.l Satz 1 GG geschützt (sind)". 131 Durch die Einbeziehung der Fragen in den grundrechtlichen Schutz unternimmt es das Bundesverfassungsgericht im Wege eines "DreikomponentenModells" (Werturteil/Tatsachenbehauptung/Fragen) die freie Kommunikationssphäre noch effektiver als bisher abzusichern. Dagegen ist dem Grunde nach nichts einzuwenden. Gleiches gilt für die Feststellung, daß Fragen, ebenso wie Meinungsäußerungen, nicht wahr oder falsch sein können, weil gerade keine feststellende Äußerung kundgetan wird. Vielmehr will der Fragende gerade seine Äußerung einer Verifikation zufuhren. Die Frage ist nur, wann eine Frage denn eine Frage ist? Dies ist so einfach nicht zu beantworten. Denn Fragen können einerseits in Aussagesätze, andererseits können Aussagen in Fragesätze gekleidet sein. Das Bundesverfassungsgericht stellt darauf ab, ob ein Fragesatz auf eine Beantwortung durch einen Dritten gerichtet oder für verschiedene Antworten offen ist. 1 3 2 Diese Offenheit ist das spezifische Merkmal der Frage. Sie fehlt Fragesätzen, wenn diese als Ausruf oder Aufforderung gebraucht werden. 133 Wichtigste Ausnahme ist die rhetorische Frage, also eine Frage die nur zum Schein (aus Gründen der Rhetorik) gestellt wird, ohne daß hierauf eine Antwort erwartet w i r d . 1 3 4 / 1 3 5 In diesem Fall handelt es sich, ungeachtet der geläufigen Bezeichnung als rhetorische Frage, in Wahrheit nicht um eine Frage. Fragesätze oder
129
BVerfGE 85, 23 ff = NJW 1992, S.1442 ff.
130
BVerfGE 85, 23 (31 u. 32) = NJW 1992, S.1443.
131
BVerfGE 85, 23 (32) = NJW 1992, S.1443.
132
BVerfGE 85, 23 (32) = NJW 1992, S.1444.
133
Heselhaus, S.742.
134
Duden, S.637.
135
Als Beispiel sei hier die "Frage" genannt, die im Kölner Stadtanzeiger am 15.05.1993 in einer Anzeige (!), die von der Lokalprominenz unterzeichnet war, gestellt wurde: "Richter X Y - Eine Schande fur Köln?" (Auf die Nennung des Namens soll hier verzichtet werden). 5 Stark
66
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Teile davon, die nicht um einer, inhaltlich noch nicht feststehenden, Antwort willen geäußert werden, bilden vielmehr Aussagen, die sich entweder als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich auch als solche zu behandeln sind. Vom Ergebnis dieser Zuordnung (echte oder rhetorische Frage) hängt letztlich das Maß des Grundrechtschutzes ab. Da die sprachliche Form allein keine zuverlässigen Schlüsse erlaubt, differenziert das Bundesverfassungsgericht im Wege der normativen Auslegung: Hierbei komme es nicht darauf an, ob eine Frage viele detaillierte Aussagen enthalte. Auch bei hochgradig konkreten Fragesätzen hänge die Einordnung als echte oder rhetorische Frage nur davon ab, ob die Frage auf eine inhaltlich noch nicht feststehende Antwort ziele, oder ob der Fragende den Zweck seiner Äußerung bereits mit der Stellung der Frage erreicht habe. "Im Zweifel (sei) jedenfalls im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes - ebenso w ie von einem weiten Meinungsbegriff - von einem weiten Fragebegriff auszugehen".136 (2) Kritik und eigener Ansatz M E. ist der vom Bundesverfassungsgericht favorisierten normativen Auslegung zur Abgrenzung der echten von der rhetorischen Frage zuzustimmen. Anders wäre dem Problem nicht beizukommen, daß Fragen in Aussagesätze und Aussagen in Fragesätze gekleidet werden können. Zu kritisieren sind jedoch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vermischung von Tatsachen und Wertungen in Frageform: Enthalten Fragesätze zugleich Tatsachenbehauptungen, deren Erwähnung bereits das Recht der persönlichen Ehre verletzen, will das Bundesverfassungsgericht (wie bei Meinungsäußerungen, in denen sich Werturteile und Tatsachenbehauptungen unauflösbar vermengen), darauf abstellen, ob der Fragende für den tatsächlichen und ehrenrührigen Gehalt seiner Frage Anhaltspunkte besaß oder ob diese aus der Luft gegriffen waren. 137 Dieser Argumentation kann m.E. nicht gefolgt werden. Für die Zulässigkeit der Verbreitung von Tatsachenbehauptungen, auch wenn diese in Frageform gekleidet sind, kann es nur darauf ankommen, ob diese wahr, unwahr oder unbewiesen sind. Sind sie (erweislich) unwahr, dann kann auch die Einkleidung in Frageform nicht zu einem grundrechtlichen Schutz führen. Das muß auch gelten, wenn für die unwahren Behauptungen tatsächliche Anhaltspunkte bestanden. Insoweit hat hier das gleiche zu gelten, was auch sonst für die Behauptung unwahrer Tatsachenäußerungen gilt: Sie fallen a priori aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. 138 Es besteht kein sachlicher Grund, unwahre Behauptungen nur deshalb
136
BVerfGE 85, 23 (33) = NJW 1992, S.l444.
137
BVerfGE 85, 23 (34) = NJW 1992, S.1444.
138
Vgl. die Ausführungen unter Pkt. cc), (1).
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
67
anders zu behandeln, weil sie in Frageform "verpackt" oder aufgrund irgendwelcher Anhaltspunkte verbreitet werden. Handelt es sich um eine Frage mit unbewiesenen Tatsachenaussagen, so ist auch hier entsprechend dem üblichen procedere zu verfahren. Das bedeutet, daß dem Fragenden bezüglich der unbewiesenen Tatsachenbehauptungen eine Substantiierungs· und Darlegungspflicht obliegen muß. 1 3 9 Kommt der Fragende dieser nicht nach, so ist insoweit der grundrechtliche Schutz zu versagen. Es ist zwar richtig, wenn das Bundesverfassungsgericht ausfuhrt, mit dem Schutzzweck des Art. 5 Abs. 1 GG sei es unvereinbar, "wenn in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ein Bürger, der die Klärung und Überprüfung möglicher Mißstände erstrebt, vor die Alternative gestellt würde, entweder die Untersuchung selbst vorzunehmen oder die Nachfrage ganz zu unterlassen". Gerade das wäre aber bei der hier vorgeschlagenen Differenzierung nicht zu befürchten. Denn der interessierte Bürger kann nach wie vor alles fragen. Nur muß er eben fragen und nicht (Unwahres/Unbewiesenes) behaupten! Würde man demgegenüber bei den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts verbleiben, bestünde die Möglichkeit, Verleumdungen in Frageform zu verpacken und diese dann durch "die Hintertür" in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einzuschmuggeln. Diese Hintertür aber ist im Interesse eines effektiveren Ehrenschutzes verschlossen zu halten. ee) Die sogenannte "Schmähkritik" (1) Dogmatische Einordnung Werturteile werden, wie bereits ausgeführt, ohne Rücksicht auf Inhalt, Form, Wert und Begründung vom Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG voll umfaßt. 140 Unbestritten ist jedoch, daß die Grenze jedenfalls mit der sog. Schmähkritik überschritten ist. 1 4 1 Unklar ist zunächst, ob diese als Schmähkritik qualifizierten Werturteile a priori aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG herausfallen oder zunächst dem Schutzbereich dieses Grundrechts unterfallen und dann erst (später) auf der Abwägungsebene ausgeschieden werden. Die häufig verwendete Formel des Bundesverfassungsgerichts, daß Schmähkritik "nicht im selben Maße am Schutz des Grundrechts teilnehmen wie Äußerungen, die als Werturteil... ohne schmähenden Charakter anzusehen sind", 1 4 2 läßt insoweit noch keine klare Einordnung zu. 1 4 3 Deutlich wird es hingegen, wenn das Bun139
Vgl. die Ausführungen unter Pkt. cc), (2).
140
Vgl. aus neuerer Zeit: BVerfG, NJW 1993, S. 1462.
141
BVerfGE 66, 116 (151); 82, 272 (284); BVerfG, NJW 1993, S.1462; OLG München, AfP 1992, S.260; BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 128. 142
BVerfGE 60, 234 (242); 61,1(10); 82, 42 (51); 82, 272 (281); 86, 1 (10) = NJW 1992, S.2074.
143
Ähnlich Hillgruber/Schemmer,
S.951.
68
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
desVerfassungsgericht artikuliert daß "die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den grundrechtlich geschützten Achtungsanspruch des einzelnen zurück (-tritt)", sofern es sich bei der Äußerung um Schmähkritik handelt. 114 Da das Zurücktreten eines Grundrechts erst dann in Betracht kommen kann, wenn es überhaupt betroffen ist, wird evident, daß auch Werturteile mit schmähendem Charakter (zunächst) grundrechtlich geschützt werden, ergo dem Schutzbereich des Art. 5 Abs.l Satz 1 GG unterfallen. (2) Begriffsdefinition Zu klären bleibt damit nur, wann ein Werturteil als Schmähkritik einzustufen ist. Hierzu fuhrt das Bundesverfassungsgericht aus: "Eine herabsetzende Äußerung nimmt... dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen". Und weiter: "Im Interesse der Meinungsfreiheit darf der Begriff der Schmähkritik... nicht weit ausgelegt werden. Eine Meinung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähkritik. Auch eine überzogene und selbst ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung".145 Demgemäß judizierte das Bundesverfassungsgericht, daß sich ein demokratischer Politiker als "Personifizierung des Typs des Zwangsdemokraten" bezeichnen lassen muß, der sich nur unter Zwang oder aus opportunistischen Gründen zur Demokratie "bekehren" ließ und diese Staatsform "allenfalls formal" handhabe. Obwohl das Bundesverfassungsgericht hier den herabsetzenden Charakter dieser Äußerung zutreffend erkannte, klassifizierte es diese Äußerung nicht als Schmähkritik, weil es dem Äußernden unterstellte, es sei ihm primär darum gegangen, auf die Gefahrdung der demokratischen Ordnung durch Zwangsdemokraten hinzuweisen. Im Vordergrund stünde daher die "Sachaussage"!146 (3) Kritik und eigener Ansatz Diese Ausführungen lassen erkennen, daß der Schwerpunkt der Qualifizierung eines Werturteils als Schmähkritik im subjektiven Bereich liegt; nämlich dabei, ob es dem Äußernden um "die Sache" oder (primär) um eine Diffamierung geht. Dies bringt es zwangsläufig mit sich, daß die Feststellung einer derartigen Dif144
BVerfG. NJW 1993, S.1462: BVerfGE 82, 43 (51) = NJW 1990, S.1981.
145
BVerfGE 82, 272 (284); BVerfG, NJW 1993, S.1462; ebenso OLG München, AfP 1992, S.260 m.vv.N. 146
BVerfGE 82, 272 (284) = NJW 1991, S.96 u. S.97.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
69
famierungsabsicht schwer, allenfalls in seltenen Ausnahmefällen bejaht werden kann. Nur so ist erklärbar, daß es nach dem Bundesverfassungsgericht beispielsweise zulässig sein soll, einen querschnittsgelähmten Offizier der Reserve öffentlich und unter voller Namensnennung(!) als "geborenen Mörder" 1 4 7 oder rechtmäßiges(I) Verwaltungshandeln als "Gestapomethoden"148 bezeichnen zu dürfen. So verwies das Bundesverfassungsgericht im Falle des querschnittsgelähmten Reserveoffiziers darauf, daß es sich um eine satirisch geprägte Äußerung handele. Die Satire bringe es mit sich, daß sie "durch eine erkennbar unernste, durch Wortwitze bis hin zur Albernheit geprägte Sprache gekennzeichnet" sei. Daher müsse sie "ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes entkleidet werden, um ihren eigentlichen Inhalt erkennen zu lassen". Der Aussagekern sei dann gesondert hinsichtlich einer Ehrverletzung zu überprüfen. Demgemäß kam das Bundesverfassungsgericht hier dazu, daß der Verfasser die Bezeichnung als "geborener Mörder" nicht wörtlich zu verstehen geben wollte. Ein wörtliches - wie vom Oberlandesgericht zugrunde gelegtes - "Verständnis verfehle den Aussagegehalt des Artikels" . 1 4 9 Auf diese Weise konnte das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluß kommen, daß die Bezeichnung "geborener Mörder" nur Ausdruck des durch Verzerrung und Überzeichnung geprägten Satirestils war, nicht aber den Betroffenen diffamieren sollte. 150 Ähnlich verfährt das Gericht in seiner Entscheidung vom 05.03.1992 151 . Dort stellte es das Recht des Bürgers heraus, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen kritisieren zu dürfen. Demnach sei es unvereinbar, die Zulässigkeit einer Äußerung danach zu beurteilen, ob das Verwaltungshandeln rechtmäßig oder rechtswidrig war. Damit gibt das Bundesverfassungsgericht zu erkennen, daß es auch hier davon ausgeht, daß sich der Äußernde primär kritisch "zur Sache" (hier dem Verwaltungshandeln) äußern will, nicht aber die rechtmäßig handelnden Beamten diffamieren wollte. Auf diese Weise ist es dem Bundesverfassungsgericht letztlich immer möglich, auch noch so verletzende Werturteile sachlich zu rechtfertigen. Hierbei scheut sich das Bundesverfassungsgericht auch nicht davor, der inkriminierten Äußerung notfalls einen Sinn beizulegen, welcher weder von dem Kommunikator beabsichtigt war, noch von einem durchschnittlich begabten und interessierten Auditorium in diesem Sinne verstanden werden konnte. 152 Die jüngst ergangene 147
BVerfGE 86, 1 ff = NJW 1992, S.2073 ff.
148
BVerfG, StrVert 1992, S.268 ff.
149
BVerfGE 86, 1 (12) = NJW 1992, S.2074.
150
Siehe hierzu Sendler, NJW 1993, S.2158: "Da ist man doch erstaunt und empfindet geradezu Gefühle der Dankbarkeit, daß das BVerfG die Bezeichnung als Krüppel nicht ebenfalls passieren ließ und nicht mit dem Mantel der satirischen Liebe zudeckte, ..näher gelegen hätte es eigentlich.., den Krüppel, dem gegenüber man sogar Mitleid spüren kann, als minder schwer nicht schlimmer einzustufen als jenen". 151
BVerfG, StrVert 1992, S.269 u. S.270.
152
In diesem Sinne auch Sendler, ZRP 1994, S.349; Ossenbühl, JZ 1995, S.640.
70
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
und in der Öffentlichkeit stark beachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Tucholsky-Ziiat 153 ist hierfür ein anschauliches Beispiel und daher in der gebotenen Kürze zu rezensieren: 154 In diesem Fall fühlte sich ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer dazu berufen, aus seiner christlichen und pazifistischen Grundüberzeugung heraus das vorgebliche Unrecht des Golfkrieges anzuprangern und eine öffentliche Diskussion herbeizufuhren. Zu diesem Zweck brachte er an seinem Kraftfahrzeug einen Aufkleber mit der Überschrift "Soldaten sind Mörder" an. Unter diesem Satz befand sich die faksimilierte Unterschrift Kurt Tucholsky. Daneben waren zwei weitere Aufkleber angebracht, einer mit der Aufschrift "Schwerter zu Pflugscharen" und einer mit dem Foto eines Soldaten, der von einer Kugel tödlich getroffen wurde sowie der Aufschrift "Why?". Daraufhin wurde der Kriegsdienstverweigerer, der den inkriminierten Aufkleber auf Anraten seines Verteidigers vor der Hauptverhandlung entfernte und durch einen mit der Aufschrift "Fuck the army" ersetzte wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 70,- D M verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde mit der Maßgabe verworfen, daß der Kriegsdienstverweigerer wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt wird. Nach erfolglos eingelegter Revision stellte das Bundesverfassungsgericht auf die erhobene Verfassungsbeschwerde fest, daß der Beschwerdeführer durch die Verurteilungen in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt sei. Zur Begründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß der Begriff "Mörder" zu Unrecht in einem fachlichtechnischen Sinne verstanden und unberücksichtigt gelassen wurde, daß in der Alltagssprache ein unspezifischer Gebrauch der Begriffe "Mord" und "Mörder" durchaus üblich sei. Demgemäß hätte die beanstandete Äußerung auch in diesem umgangssprachlichen Sinne gedeutet werden können, der keine Gleichsetzung mit Straftätern beinhalte, sondern vielmehr zum Ausdruck bringe, daß der Soldatenberuf im Ernstfall mit der Tötung von Menschen verbunden sein könne, was als nicht rechtfertigungsfähig empfunden werde. 155 Daneben führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß es die Instanzgerichte unterlassen hätten, den Gesamtzusammenhang zu würdigen. So stelle der Aufkleber mit der Aufschrift "Why?" eine bildhafte Aussage dar, die symbolisch einen Soldaten als Opfer einer kriegerischen Auseinandersetzung kennzeichne; und die Frage nach dem Sinn des Todes von Soldaten im Krieg stelle, die die inkriminierte Äußerung in einem anderen Licht erscheinen lasse. 156 Warum der "Why?" - Aufkleber das Mörderzitat in einem anderen Licht erscheinen läßt, sagt das Bundesverfassungericht leider nicht. Es dürfte dem Gericht auch schwerfallen, hierfür eine plausible Begründung zu finden. Denn die 153
BVerfG, NJW 1994, S.2943 ff.
134
Vgl. hierzu die ausführliche Rezension dieser Entscheidung bei Stark, JuS 1995, S.689 ff.
155
BVerfG, NJW 1994, S.2944.
156
BVerfG, NJW 1994, S.2944.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
71
Tatsache, daß der "Why?" - Aufkleber keinesfalls eine beleidigende Äußerung darstellt, kann wohl kaum dazu führen, daß die ehrverletzende Äußerung des inkriminierten Aufklebers neutralisiert bzw. negiert wird. Kaum faßbar ist auch, daß das Bundesverfassungsgericht einfach ignoriert, daß die Titulierung als "Mörder" auch in der Umgangssprache ein drastischer Ausdruck der Nicht- und Mißachtung eines Menschen ist, um so der in Rede stehenden Äußerung den ehrverletzenden Charakter zu nehmen. Ebenso unverständlich sind auch die nachfolgenden Interpretationsversuche des Bundesverfassungsgerichts: So führte es aus, daß es das Landgericht Krefeld unterlassen habe zu begründen, warum die inkriminierte Äußerung auch die Bundeswehrsoldaten betreffe. Wenn sich eine Äußerung allgemein gegen Soldaten richte, sei es begründungsbedürftig, ob die Soldaten aller Armeen der Welt oder nur die Soldaten der Bundeswehr als angegriffene Personenmehrheit anzusehen sind. Die "logische Schlußfolgerung" des Landgerichts Krefeld, daß der Begriff "Soldaten" auch die Soldaten der Bundeswehr mitumfasse, sei zwar zutreffend, aber nicht geeignet zu begründen, warum sich die Äußerung gerade gegen die Soldaten der Bundeswehr richten solle, zumal die auf dem Aufkleber abgedruckte Aussage als Zitat des Schriftstellers Tucholsky gekennzeichnet sei. 157 Dieser Begründungsversuch ist der Rabulistik nicht allzu fern: Wenn eine Aussage allgemein auf (alle) Soldaten bezogen ist und auch die Bundeswehrsoldaten gemeinhin als Soldaten gelten, dürfte es wohl evident sein, daß auch die Soldaten der Bundeswehr von der in Rede stehenden Äußerung betroffen sind. 1 5 8 Die Tatsache, daß die abgedruckte Äußerung als Zitat Tucholskys gekennzeichnet ist, ändert hieran nichts. Zwar weiß der durchschnittliche Leser, und da ist dem Bundesverfassungsgericht zuzustimmen, daß die Bundeswehr zu Lebzeiten Tucholskys nicht existierte, doch hat der Beschwerdeführer dadurch, daß er sich die Äußerung Tucholskys zu eigen machte deutlich zum Ausdruck bringen wollen, daß diese Aussage auch heute noch uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen soll. Der letzte hier zu erörternde Begründungsversuch ist zugleich auch der fragwürdigste. So führte das Bundesverfassungsgericht aus, das Amtsgericht Krefeld habe der beantstandeten Äußerung einen Sinn gegeben, den diese objektiv nicht habe. Denn jeder durchschnittliche Leser wisse, daß die Bundeswehr seit ihrer Gründung noch nicht an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen habe und deshalb noch niemand durch die Soldaten der Bundeswehr im Rahmen einer kriergerischen Auseinandersetzung getötet worden sei. Es sei daher auszuschließen, daß ein durchschnittlicher Leser den Tucholsky-Aufkleber in dem
157
BVerfG, NJW 1994, S.2944.
138
In diesem Sinne auch Herdegen, NJW 1994, S.2934.
72
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Sinn verstehen konnte, die Soldaten der Bundeswehr würden der Begehung von Mordtaten beschuldigt. 159 Bedeutet dies nicht im Umkehrschluß, daß Soldaten der Bundeswehr jedenfalls dann als Mörder bezeichnet werden dürfen, wenn sie einmal, beispielsweise unter dem Dach der UNO, an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen müssen? Das dies nicht so ist und auch so nicht vom Bundesverfassungsgericht gemeint sein kann, liegt auf der Hand. Bedauerlich ist nur, daß das Bundesverfassungsgericht Formulierungen verwendet, die solchen Spekulationen Vorschub leisten, und es sich aus diesem Grund genötigt sehen muß Erklärungen abzugeben, wie die Entscheidung nun nicht oder richtig zu verstehen sei. 160 Insgesamt erhellt die hier rezensierte Entscheidung zum Tucholsky-Zitat mit welcher Akribie das Bundesverfassungsgericht bemüht ist, auch noch so verletzende Werturteile in einem letztlich harmlosen Sinn erscheinen zu lassen, um sie so sachlich zu rechtfertigen. 161 Auf diese Weise wird das Risiko des Injurianten stetig minimiert. Man fragt sich jedoch, wo es hinführen soll, wenn Soldaten der Bundeswehr, die den Verteidigungsauftrag der Verfassung wahrnehmen, als "geborene", "potentielle" 162 oder schlichtweg als "Mörder" 163 verunglimpft werden dürfen, rechtmäßig handelnde Beamte in die Nähe der willkürlich handelnden und menschenverachtenden Gestapo gerückt werden können und auf die Bundesflagge uriniert werden darf. 164 Ist denn das Recht der freien Meinungsäußerung tatsächlich gefährdet, wenn man dem Kommunikator auferlegt, seine Kritik sachlich vorzutragen? Wohin eine "grenzenlose" Freiheit führen kann, hat die Vergangenheit anschaulich demonstriert. Demgemäß warnt Sendler, 165 daß Liberalität, "wenn man nicht aufpaßt, leicht zur Libertinage entarten und Folgen haben (kann), wie sie aus der Weimarer Zeit bekannt sind". Soll
159
BVerfG, NJW 1994, S.2944.
160
Siehe hierzu das Interview mit dem Verfassungsrichter Grimm in den Tagesthemen vom 20.09.1994. 161 Auch Benda, NJW 1994, S.2267 ist im Zusammenhang mit den "geborenen und potentiellen Mördern" der Auffassung, daß hier das BVerfG den von ihm selbst gesetzten Maßstäben kaum gerecht wird. 162 Vgl. das Urteil des OLG Frankfurt, NJW 1989, S.1368: Hier wurde zwar der Tatbestand der Beleidigung als erfüllt angesehen, die Strafbarkeit aber wegen der "Wahrnehmung berechtigter Interessen" verneint. Auf dieser Linie liegt auch der Beschl. des BVerfG v. 10.07.1992, welches Diziplinarmaßnahmen gegen zwei Offiziere für verfassungswidrig erklärte, die sich öffentlich der Behauptung anschlossen: "Alle Soldaten sind potentielle Mörder" (NJW 1992, S.2751). 163
So der Kabarettist Schreibner in der ARD-Sendung "Nachschlag", der erklärte: "Alle Soldaten sind Mörder" (Nachweis bei Kiesel, S. 1137, Fn 85); vgl. auch BVerfG, NJW 1994, S.2943 ff. UA Siehe hierzu den zwar nicht die persönliche Ehre, wohl aber den Ehrenschutz des Staates und seiner Symbole betreffenden Beschl. des BVerfGE 81, 299 ff = NJW 1990, S.1982 - 1984. 165
Sendler, NJW 1993, S.2158.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
73
Deutschland nicht zu einem Eldorado für Ehrabschneider und ein Volk der Ehrlosen werden, 166 ist dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. 167 Ein hoffnungsvoller Anfang könnte hier das Verdikt des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.1993 sein. 168 Hier hatte das Gericht darüber zu befinden, ob bestimmte Äußerungen über den verstorbenen Schriftsteller Heinrich Boll als Schmähkritik zu qualifizieren seien. Ein Kritiker Bolls bezeichnete diesen in einem Literaturmagazin als einen steindummen, kenntnislosen und talentfreien Autor, der zum Teil ein pathologischer, zum Teil ein ganz harmloser Knallkopf gewesen sei. Auch sei Boll einer der "verlogensten, ja korruptesten" Autoren, und bei seinen Werken handele es sich um "häufig widerwärtigen Dreck". 1 6 9 Das Bundesverfassungsgericht hätte bei entsprechendem Willen auch hier, sicherlich wieder zu einer sachlichen Rechtfertigung der Injuriien kommen können 170 und sich dabei - man mag es angesichts der Schwere der Ausfalle kaum glauben sogar der Unterstützung von Teilen der Literatur erfreuen können. 171 Gleichwohl hat es hier nicht nur den schmähenden Charakter erkannt, sondern ihn auch festgestellt! Dies gibt Anlaß zu der Hoffnung, daß es sich hier möglicherweise um ein Präjudiz handelt. Unterstellt man, das Bundesverfassungsgericht hätte tatsächlich die Notwendigkeit einer Kurskorrektur erkannt, wäre es m.E. aber praktikabler, weil objektiver, bei der Abgrenzung zukünftig nicht mehr auf das im subjektiven Bereich wurzelnde Kriterium der Schmähkritik, sondern auf die Form der Meinungsäußerung abzustellen. 172 Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, daß die Form einer Meinungsäußerung Einschränkungen eher zugänglich ist, als der Inhalt, da "sich Formulierungen ohne Schwierigkeiten auswechseln (lassen),
166 So die Formulierung von Kiesel, S. 1137, der ein weiteres Beispiel für die Verrohung der Umgangsformen anführt: Die radikale Politikerin Dittfurth bezeichnete in der/?7Z-Sendung "Heißer Stuhl" den früheren Alterspräsidenten der Synode einer Evangelischen Landeskirche als "Neofaschist", weil er es wagte, sich als Abtreibungsgegner zu "outen". Das hieran anschließende gerichtliche Verfahren sprach sie in 1. Instanz im Hinblick auf Art.5 GG frei; die entsprechende Zivilklage wurde von dem LG Köln abgewiesen. 167 Kritisch zu dieser Entwicklung auch Redeker, S.1836, der feststellt, daß "man als Anwalt von einem Ehrenschutzprozeß nur noch abraten kann". 168
BVerfG, NJW 1993, S.1462 ff.
169
BVerfG, NJW 1993, S.1462.
170
Demgemäß fragt Sendler, NJW 1993, S.2158: "Warum nicht auch hier? Lag es an der Person des Geschmähten, der als Nobelpreisträger und eine Art Säulenheiliger der neueren deutschen Literatur besonderen Schutz verdient..? Oder beruht diese zarte Rücksichtnahme einfach darauf, daß sich das BVerfG den Ehrenschutz von Toten besonders angelegen sein läßt?". 171 Vgl. Gounalakis, NJW 1995, S.814: Der in dieser "Kritik" keine Schmähung Bolls erkennen kann, weil sich die Kritik nicht gegen den Privatmann, sondern gegen den Schriftsteller Boll gerichtet habe. Demgemäß suggeriert Gounalakis, daß es dem Kritiker nicht um Schmähung, sondern um "die Sache" gegangen sei, nämlich "die Ausseinandersetzung mit dem Denkmal Boll, getragen vom Missionsgedanken nachfolgende Lesergenerationen zum kritischen Umgang mit Bolls Werken anzuleiten". 172
Vgl. hierzu Mackeprang, S.148.
74
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
ohne daß der Gedanke als solcher darunter leidet". 173 Zu fragen wäre demnach, ob es zur Geltendmachung einer Meinung erforderlich ist. diese oder jene Formulierung zu wählen, oder ob hierfür nicht eine weniger einschneidende Äußerung ausreichend gewesen wäre. Interessanterweise hat auch einmal das Bundesverfassungsgericht diesen (Kollisions-) Lösungsweg1 4 eingeschlagen. So stellte es vor allem in seinen beiden Beschlüssen zur Zulässigkeit abwertender Äußerungen über die "Deutschland-Stiftung" entscheidend darauf ab, 1 7 5 ob den Beschwerdeführern nur die wörtliche oder auch die sinngemäße Wiederholung ihrer negativen Kritik verboten worden war. 1 7 6 Der Verfassungsrichterin W. Rupp-von Brünneck ist es wohl (auch) zu verdanken, daß dieser Weg nicht weiter verfolgt wurde. Sie hatte in ihrem Sondervotum zum "DeutschlandΛ/agözm-Beschluß" ausgeführt, daß die Unterscheidung zwischen Inhalt und Form negativer Werturteile "nicht ohne Einbuße für die Betätigung der Meinungsfreiheit" bleiben könne und daher abzulehnen sei.1 ' ' Die Ansicht, eine solche Unterscheidung lasse sich "nicht ohne Einbuße für die Betätigung der Meinungsfreiheit durchführen", kann jedoch nicht überzeugen. Übersehen wird dabei, daß auch die Meinungsfreiheit, wie jedes Grundrecht, nicht grenzenlos gewährleistet sein kann. Wenn dies aber so ist, bringt jede Beschränkung notwendigerweise auch eine Verengung des Freiheitsraumes für den Bürger (und die Presse) mit sich. 178 Dann aber kann diese Kritik nicht gegen eine Abgrenzung nach der Ausdrucksform vorgebracht werden. Im übrigen dürfte die Pflicht zur Zurückhaltung bei der Formulierung herabsetzender Werturteile im allgemeinen so lange nicht zu einer schwenviegenden (und damit das diesen Gewährleistungen zugrundeliegende Rechtsgut in seiner Substanz treffenden) Beschränkung führen, als die beabsichtigte Kritik auch durch den Gebrauch einer anderen, nicht (oder weniger) kränkenden Ausdrucksform artikuliert werden könnte. 179 Dies dürfte aber mit fast jedem Gedanken möglich sein (welcher Gedanke ließe sich nicht auch in angemessener und sachlicher Form vertreten?). In diesem Sinne konstatiert v. Decken 180 : "Das Verbot ehrverletzender Ausdrücke schränkt die Artikulationsmöglichkeit nicht wesensmäßig ein, sondern relativiert sie lediglich in ihrem Randbereich". Festzuhalten ist daher: Auch ehrverletzende, die Person diffamierende Werturteile fallen zunächst in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Ihnen 173
BVerfGE 42, 143(150).
174
So die Formulierung bei Mackeprang, S.225.
175
Vgl. aber auch BVerfGE 47, 198 (233).
176
BVerfGE 42, 143 (151); 42, 163 (168 u. 169).
177
BVerfGE 42, 143(159).
178
Vgl. BVerfGE 42, 143 (160).
179
So zutreffend Mackeprang, S.229.
180
v. Decken, NJW 1983, S.1403.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
75
kommt jedoch bei der Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter, hier mit dem Verfassungsgut "Ehre", ein gegen Null tendierendes Gewicht zu. wenn die Form der (ehrverletzenden) Äußerung zu ihrer Unzulässigkeit führt. Wann die Form zur Unzulässigkeit führt, ist einzelfallabhängig. Stets muß gefragt werden, ob die Äußerung in dieser Form noch erforderlich ist, um den Inhalt der Aussage "an den Mann/die Frau" zu bringen. Kommt man im Ergebnis dazu, daß die in Rede stehende Äußerung auch mit weniger einschneidenden Formulierungen überzeugend hätte artikuliert werden können, ist ihnen der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu versagen.
2. Die Pressefreiheit
gemäß Art. 5 Abs.l Satz 2> 1. Var. GG
a) Der Schutzbereich Die Pressefreiheit ist in Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG als Grundrecht gewährleistet. Sie ist zwar auch, aber nicht nur ein subjektives Recht des Journalisten. Daneben ist die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG eine Institutionsgarantie von herausragender Bedeutung für den demokratisch-pluralistischen Staat und den einzelnen Bürger. Trotz der großen Bedeutung dieses Grundrechts reicht die Tradition der Pressefreiheit in Deutschland nicht sehr weit zurück. So bestimmt noch § 156 Abs.l Nr.20 ALR: "Jeder gute Untertan zeige Mängel des öffentlichen Wesen der Obrigkeit an, mache aber kein Geräusch davon in publico". Das Bundesverfassungericht hingegen erkannte, "daß eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse... ein Weseftselement des freiheitlichen Staates (ist)... und... im heutigen demokratischen Staat... eine wesentliche Voraussetzung für eine freie politische Willensbildung dar( stellt)...".181 Dieser großen Bedeutung entsprechend legt das Bundesverfassungsgericht (und mit ihm die ganz h.M.) sowohl den Begriff der Presse als auch den Umfang der Gewährleistung dieses Grundrechts weit aus:
181 BVerfGE 50, 234 (239); ähnlich auch BVerfGE 10. 118 (121); 20. 162 (174); 44, 125 (139); 50, 234 (240); 52, 283 (296); 66, 116 (133).
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
76
aa) Der Pressebegriff Unter den Begriff der Presse werden alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse subsumiert. 182 Hiernach fallen nicht nur periodische Druckwerke (Zeitungen, Zeitschriften), sondern auch Bücher, Flugblätter, Handzettel, Aufkleber u.ä. unter den Pressebegriff. 183 Das Merkmal der Verbreitung wird ähnlich extensiv ausgelegt. So unterfallen Druckerzeugnisse auch dann dem Schutz der Pressefreiheit, wenn sie, wie z.B. Schulbücher, nur einen kleinen Kreis von Lesern ansprechen. 184 Insignifikant für den Pressebegriff ist dagegen der Inhalt des Druckerzeugnisses. 185 Für eine Abwägung nach den Kriterien "wertvoll"./. "wertlos" ist demnach innerhalb des Pressebegriffs kein Raum. 186 Damit erstreckt sich die grundrechtliche Garantie des Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG - u n d dies wird unisono vertreten- auch auf die sog. "unseriöse" Presse wie Skandal- und Sensationsblätter. 187
bb) Der Umfang der Pressefreiheit Durch die Pressefreiheit geschützt sind alle wesensmäßig mit der Pressearbeit im Kontext stehenden Tätigkeiten. Sie "reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen". 188 Sie schließt das Recht der im Pressewesen tätigen Personen ein, ihre Meinung in der ihnen geeigneten Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger. 1 8 9 In suspenso ist (spätestens) seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 09.10.1991 190 , ob sich derjenige, welcher seine Meinung in einem Presseerzeugnis verbreitet, auf die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG oder auf die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen kann. In dieser
182
Vgl. die Legaldefinitionen in den Landespressegesetzen z.B. § 6 Bayer. PresseG, § 7 Nordrh. Westf. PresseG; sowie die erschöpfende Aufzählung bei M/D/H-Herzog, Art.5 I, II. Rn 129, Fn 3. 183 Statt vieler: Jarass/Pieroth, Art.5, Rn 20; v.M.-Wendt, Art.5, Rn 30; M/D/H-Herzog, Art.5 I, II, Rn 132; a.A. nur Schneider F., Presse und Meinungsfreiheit, S.64, der den Pressebegriff nur auf Zeitungen und Zeitschriften beschränkt sehen will. 184
v.M.-Wendt,
Art.5, Rn 30; Jarass/Pier oth, Art.5, Rn 20; offengelassen aber BVerwG, JR 1973,
S.437. 185 Der Inhalt ist jedoch für die Einschränkung im Rahmen des Art.5 II GG von Relevanz (vgl. BVerfGE 34, 269 (283); 50, 234 (240); 66, 116 (134). 186 Jarass/Pieroth, Art.5, Rn 21; v.M.-Wendt, Art.5, Rn 30; Mangoldt/Klein/Starck, Art.5 I, II, Rn 39 (letzterer vertrat jedoch früher die Ansicht, nur die Veröffentlichung politisch-kulturell-weltanschaulicher Nachrichten und Stellungnahmen sowie die sonstige sachliche Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften fielen unter den Pressebegriff. So noch in der 2. Aufl. unter Art.5, Anm. VI, 3). 187
BVerfGE 34, 269 (283); 66, 116 (134); Jarass/Pieroth,
188
BVerfGE 10, 118 (12); 20, 162 (176); Jarass/Pieroth, Art.5 I, II, Rn 41. 189
Seit BVerfGE 10, 118 (121) ständige Rechtsprechung.
190
BVerfGE 85, 1 (11 0 = NJW 1992, S.1439.
Art.5, Rn 21; Thieme, S.150. Art.5, Rn 22: M an goldt/Klein/Starck,
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
77
Entscheidung vertrat das Gericht erstmals ausdrücklich 191 die Ansicht, daß Meinungsäußerungen, die in Presseerzeugnissen kundgegeben werden, nicht per se unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 1 Var. GG stehen. Gehe es um die Frage, ob eine bestimmte Äußerung erlaubt sei, oder ob ein Dritter eine nachteilige Äußerung hinnehmen müsse, sei ungeachtet des benutzten Verbreitungsmediums Art. 5 Abs.l Satz 1 GG einschlägig. 192 In der Sache geht es hierbei um das Verhältnis der Presse- zur Meinungsfreiheit.
b) Das Verhältnis der Presse- zur Meinungsfreiheit In der Jurisprudenz wird seit langem diskutiert, in welchem Verhältnis Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG zu der allgemeinen Meinungsäußerungs- und Verbreitungsfreiheit des Art. 5 Abs.l Satz 1, 1 Hs. GG steht. aa) Die divergierenden
Ansichten des Schrifttums
Eine Ansicht vertritt die Auffassung, daß die Meinungsäußerung und Verbreitung im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vom Betätigungs- und Wirkungsfeld her nicht das gleiche sind, wie im Rahmen der publizistischen Arbeit mittels Massenmedien, deren Wesen in einem spezifischen Öffentlichkeitsbezug und einer spezifischen Öffentlichkeitswirkung liegt. Dementsprechend komme beiden Gewährleistungstypen ein selbständiger Charakter zu. 1 9 3 Richtig sei zwar, daß sich beide Freiheitsrechte teilweise "überlappen", insoweit sei aber jedenfalls die Pressefreiheit gegenüber der Meinungsfreiheit lex specialis. 194 Eine andere Meinung vertritt demgegenüber den Standpunkt einer strikten Trennung zwischen dem "Jedermannsgrundrecht" des Satz 1 und den Gewährleistungen des Satz 2. Die Pressefreiheit sei insoweit ein Aliud gegenüber der Meinungsfreiheit. 1 9 5 Eine Extremposition schließlich geht darüber noch hinaus: So vertritt Stock die Ansicht, bei Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG handele es sich um ein "Mediatorgrundrecht", das im Bereich der "massenkommunikativen Vermittlung" dem Grundrecht des Satz 1 übergeordnet wird. Der "Mediator" soll demnach autonom über die ("wohlverstandenen") Interessen verfügen und sie "relativ autonom" bewerten können. 196
191 Das Bundesverfassungsgericht verweist zwar insoweit auf früher ergangene Entscheidungen (BVerfGE 43, 130 (137); 71, 162 (179 ff)). Hier erfuhr diese Problematik jedoch nur eine marginale Behandlung. 192
BVerfGE 85, 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
193
Schmitt-Glaeser,
194
M/D/H-Herzog,
195
AK-Hoffinann/Riem,
AÖR 113, S.57. Art.5 I, II, Rn 153; Schmitt-Glaeser,
AÖR 113, S.58; Pieroth/Schlink,
Rn 650.
Art.5 I, II, Rn 122.
196 Stock, AÖR 104, S.7 u. S.39 mit Fn 85 u. S.53; ders., Theorie des Koordinationsrundfunks, S.34 ff u. S.154; ders., Medienfreiheit als Funktionsgrundrecht, S.183 ff.
78
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
bb) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist angesichts dieser Meinungsvielfalt bis zu dem zitierten Beschluß vom 09.10.1991 197 (leider) inkonsistent. So stellte das Gericht zwar in ständiger Rechtsprechung fest, die Pressefreiheit stelle keineswegs nur einen Unterfall der Meinungsfreiheit dar, sondern sei vielmehr in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ein eigenständiges Grundrecht. 198 Gleichwohl stellt es in zahlreichen Entscheidungen, in denen es um die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen in Leserbriefen, Flugblättern, Büchern und Zeitschriftenartikeln geht, also um solche dem Pressebegriff unterfallende Druckerzeugnisse, nicht auf die Presse- sondern auf die Meinungsfreiheit ab. 1 9 9 Demgegenüber wird bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Boykottaufrufs oder einer Zeitungsanzeige wiederum die Pressefreiheit des Art. 5 Abs.l Satz 2 GG bemüht. 200 Schließlich wird in zahlreichen Entscheidungen ohne weitergehende Differenzierung pauschal auf "das Grundrecht aus Art. 5 Abs.l GG" Bezug genommen. 201 Insofern ist zu begrüßen, daß das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 09.10.1991 202 erstmals - wenn auch nicht ganz widerspruchsfrei - dogmatische Vorgaben für eine Abgrenzung der Freiheitsrechte des Art. 5 Abs.l Satz 1, 1 Hs. GG und Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG gibt. Das Bundesverfassungsgericht sah in dem diesem Beschluß zugrundeliegenden Flugblatt der sog. "Kritischen Bayer-Aktionäre" ein Druckerzeugnis, das alle Voraussetzungen des Pressebegriffs erfüllte. Doch könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch jede einzelne Meinungsäußerung schütze, sobald sie in einem Druckerzeugnis enthalten sei. 203 Denn die Pressefreiheit sei weder ein Spezialgrundrecht für drucktechnisch verbreitete Meinungen, noch eine auf die Presse gemünzte verstärkende Wiederholung der Meinungsfreiheit. Wenn die Verfassungsväter dies gewollt hätten, hätte es einer eigenen Garantie der Pressefreiheit nicht bedurft. Insoweit wäre die Beibehaltung des Mediums "Druck", das bereits in Art. 143 Abs.l Satz 1 Paulskirchen-Verfassung und Art. 118 Abs.l WRV neben Wort, Schrift und Bild stand, atisreichend gewesen.204 Aus diesen systematischen Erwägungen folgerte das Gericht, daß "die in einem Presseerzeugnis enthaltene Meinungsäußerung bereits durch Art. 5 Abs.l Satz 1 GG geschützt (sei)". 205 Art. 5 Abs.l 197
BVerfGE 85, 1 (11 f) = NJW 1992, S. 1439 ff.
198
Vgl. BVerfGE 10, 118 (121) letztmalig in dieser Deutlichkeit in BVerfGE 62, 230 (243).
199
Vgl. BVerfGE 12, 113 (125); 28, 55 (64); 43, 130 (137); 71, 162 (179).
200
BVerfGE 21, 271 (278); 60, 234 (238); 62, 230 (240).
201
Vgl. BVerfGE 24, 278 (282); 42, 143 (150); 42, 163 (169).
202
BVerfGE 85, 1 (11 f) = NJW 1992, S.1439 ff.
203
BVerfGE 85, 1 (11) = NJW 1992, S.1439.
204 BVerfGE 85, 1 (11 u. 12) = NJW 1992, S.1439 unter Verweis auf den Parlamentarischen Rat, JÖR N.F. 1, S.80 ff (vgl. bei Doehming/Füsslein/Matz, S.80). 205
BVerfGE 85, 1 (12) = NJW 1992, S.1439.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
79
Satz 2 GG beziehe sich demgegenüber "auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozeß erfüllen kann". 2 0 6 Demgemäß sei der Schutzbereich der Pressefreiheit (erst dann) 207 berührt, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionellorganisatorischen Voraussetzungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt gehe. Handele es sich dagegen um die Frage, ob eine bestimmte Äußerung erlaubt gewesen wäre oder nicht, sei ungeachtet des Verbreitungsmediums Art. 5 Abs.l Satz 1 GG einschlägig. 208 Den Ausführungen des Bundesverfassungsgericht ist zu entnehmen, daß die Pressefreiheit des Satz 2 nicht lex specialis zur Meinungsfreiheit des Satz 1 sein soll. Vielmehr ist erkennbar, daß die Meinungsfreiheit des Satz 1 den an sich gleichermaßen einschlägigen Satz 2 dann verdrängen können soll, wenn es allein um den Inhalt einer Meinungsfreiheit geht. Dies ergibt sich zuvörderst aus dem Passus, daß ungeachtet des Verbreitungsmediums Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einschlägig sein soll, wenn es um die Zulässigkeit einer Äußerung geht. Ferner durch die Herausstellung des selbständigen Grundrechtsgehalts der Pressefreiheit. Sie soll nur dann zur Anwendung kommen, wenn nicht der Inhalt einer Äußerung betroffen ist, sondern die Presse in ihrer institutionellen Eigenständigkeit tangiert wird, "es um die Institution einer freien Presse überhaupt geht". 209 Folgt man dieser Zuordnung der grundrechtlichen Gewährleistungstypen der Sätze 1 und 2, stellt sich die Frage der Spezialität denknotwendig nicht. Allenfalls können beide Gewährleistungen kumulativ -ohne Spezialität des einen oder anderen Grundrechts - zur Anwendung kommen. Dies ist dann der Fall, wenn über den Inhalt einer Äußerung hinaus pressespezifische Gesichtspunkte in Rede stehen. 210 cc) Stellungnahme Eine deutliche Absage ist zunächst der Extremposition von Stock zu erteilen, der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ein selbständiges "Mediatorgrundrecht" sehen will, das dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Bereich der "massenkommunikativen Vermittlung" übergeordnet sei. 211 Wäre diese Betrachtungsweise zutreffend, so würden die "Mediengrundrechte" des Art. 5 Abs. 1 206
BVerfGE 85, 1 (12) = NJW 1992, S.1439.
207
Einfügung durch den Verfasser.
208
BVerfGE 85, 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
209
BVerfGE 85, 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
210 Zum Beispiel: Fragen der journalistischen Arbeit und redaktionellen Sphäre, Verbreitung und Vertrieb von Presseerzeugnissen und damit nicht selten im Kontext stehende Fragen aus dem unternehmerisch-wirtschaftlichen Bereich. 211
Stock, AÖR 104, S.7 u. S.39 mit Fn 85 u. S.53; ders., Theorie des Koordinationsrundfunks, S.34 ff u. S.l54; ders., Medienfreiheit als Funktionsgrundrecht, S.l83 ff.
80
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Satz 2 GG letztlich von der allgemeinen Grundrechtsdogmatik völlig abgekoppelt. 2 1 2 Vor allem aber widerspricht diese Sichtweise dem herrschenden Grundrechtsverständis, wonach sämtliche Grundrechte prinzipiell gleichrangig nebeneinander stehen. Eine Über- oder Unterordnung des einen oder anderen Grundrechts ist demnach nicht verfassungskonform. Nicht überzeugend ist jedoch auch die Auffassung, welche in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einen Fall der Spezialität sieht, mit der Folge, daß die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bezüglich der im Pressewesen tätigen Personen verdrängt werden. Zunächst ist festzuhalten, daß beide Gewährleistungstypen selbständige Garantiegehalte in sich tragen: Während die Meinungsfreiheit jedem Staatsbürger das Recht gewährt, die auf welche Weise auch immer erworbenen Tatsachenkenntnisse und Werturteile in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten, also ausschließlich den Kommunikationsvorgang schützt, 213 schützt die Pressefreiheit jede im Zusammenhang mit der Pressetätigkeit stehende Verhaltensweise, "von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht". 214 Demgemäß ist beiden Gewährleistungstypen mit Recht ein selbständiger Charakter zuzubilligen. 215 Insoweit ist es m.E. auch noch vertretbar, das Verhältnis zwischen Art.5 Abs.l Satz 1 GG und Art.5 Abs.l Satz 2 GG als durch "Sonderung" gekennzeichnet zu umschreiben. 216 Dies rechtfertigt aber keinesfalls den Schluß, daß für die im Pressewesen tätigen Personen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verdrängt wird. Viel eher ließe sich mit der Begründung der "Sonderung" respektive Selbständigkeit das Gegenteil vertreten: Gerade weil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG weitgehend selbständige Garantiegehalte haben, verbietet sich die Annahme einer Spezialität. Denn die Annahme einer Spezialität setzt immer voraus, daß eine Norm begriffsnotwendig alle Merkmale einer anderen Norm enthält. 217 Gerade dies aber wird man bei einer Kennzeichnung als "Sonderung" nicht annehmen können. Jedenfalls kann die Wahl des Mediums für die Einschlägigkeit des einen oder anderen Grundrechts kein entscheidendes Kriterium sein. Denn schließlich äußert sich nicht das Medium Presse oder Rundfunk, sondern stets die in diesen Institutionen tätigen Menschen. Insofern ist nicht einzusehen, warum die Tatsache der Verbreitung einer Äußerung in gedruckter Form oder unter Zuhilfenahme technischer Mittel (Rundfunk) zu einer abweichenden grundrechtlichen Zuordnung führen soll. Andererseits darf die Selbständigkeit dieser Gewährleistungstypen 212
So auch BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 62.
213
M/D/H-Herzog,
214
BVerfGE 10, 118(121).
Art.5 I, II, Rn 154.
215 Hierfür ließe sich im übrigen auch der Wortlaut des Art.5 I S.2 GG fruchtbar machen, der die Freiheit der Presse (und des Rundfunks) deutlich von den anderen Freiheiten des Art.5 I S.l GG abschichtet. 216 217
So Schmitt-Glaeser,
AÖR 113, S.58 unter Verweis auf M/D/H-Herzog,
Art.5 I, II, Rn 154.
Von Spezialität spricht man, wenn eine Norm begriffsnotwendig alle Merkmale einer anderen Norm enthält, so daß die Einschlägigkeit der speziellen Norm zwangsläufig auch den in Betracht kommenden allgemeinen Regelungsbereich erfaßt.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
81
auch nicht so gedeutet werden, daß die Medienfreiheit des Satz 2 ein Aliud zu den Freiheiten des Satz 1 wird. 2 1 8 Dagegen spricht, daß beide Gewährleistungstypen in einem engen grundrechtlichen und systematischen Kontext stehen. Denn grundlegend für die Bildung einer (fundierten) Meinung ist, daß der Kommunikator Informationen tatsächlicher oder wertender Art erhält. Dies wird (auch) durch das Grundrecht der Pressefreiheit gewährleistet. Insoweit sind die Massenmedien, und damit auch die Presse, Instrumente der Individualkommunikation, wenn sie einerseits als Medium der Verbreitung individueller Meinungsbeiträge dienen und andererseits Grundlage der individuellen Meinungsbildung sind. Hinzu kommt, daß beide Gewährleistungstypen gleichermaßen die Schaffung einer "freien Kommunikationssphäre" ermöglichen. Vor allem dieser grundrechtssystematische Zusammenhang belegt, daß die Pressefreiheit (gleiches gilt für die übrigen "Medienfreiheiten") nicht so autonom sein kann, daß es gerechtfertigt erscheint, sie als ein Aliud gegenüber den Verbürgungen des Satz 1 zu klassifizieren (respektive zu behandeln). Vorzugswürdig erscheint daher die Zuordnung des Bundesverfassungsgerichts, das einerseits der Eigenständigkeit der Gewährleistungstypen Rechnung trägt, andererseits aber die Komponenten der freien Kommunikationssphäre nicht so voneinander abschichtet, daß diese völlig verselbständigt (isoliert) nebeneinander stehen. Folgt man somit dem Argumentationsduktus des Bundesverfassungsgerichts, wonach im Ergebnis auch für Äußerungen über das Medium Presse die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Prüfungsmaßstab ist, so gerät der Verfassungsinterpret mit der daran anschließenden Aussage in Konflikt: "Ob daneben auch das Grundrecht der Pressefreiheit Prüfungsmaßstab sein kann, bedarf hier keiner Entscheidung".219 Diese Aussage könnte das zuvor deutlich herausgestellte Ergebnis wieder auf den Kopf stellen. Denn wenn bei der Beurteilung von Äußerungen in der Presse auch die Pressefreiheit Prüfungsmaßstab sein kann (dies läßt das Bundesverfassungsgericht ja gerade offen!), dann müßte die Pressefreiheit insoweit doch einschlägig sein. In diesem Fall würde die Pressefreiheit des Satz 2 den Schutz der Meinungsfreiheit des Satz 1 lediglich verstärkend wiederholen, mit der Folge, daß die Pressefreiheit insoweit eben doch die speziellere Norm für den Fall der Meinungsäußerung in einem Druckerzeugnis sein könnte. Eine derartige Wertung würde aber dem zuvor gefundenen und überzeugend dargelegten Ergebnis entgegen stehen. Von daher erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, daß das Bundesverfassungsgericht dieser Aussage tatsächlich eine derartige Bedeutung beimessen wollte. Widersprüche ergeben sich jedoch auch, worauf bereits Heselhaus 220 hingewiesen hat, zu früher ergangenen Entscheidungen des Bundesver218
AK-Hoffinann/Riem.
219
BVerfGE 85. 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
220
Heselhaus, S.741.
6 Stark
Art.5, Rn 122.
82
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
fassungsgerichts: So verweist das Gericht in seinem Beschluß vom 09.10.1991 221 darauf, daß es im Rahmen der Pressefreiheit den im Pressewesen tätigen Personen ein subjektives öffentliches Recht zuerkannt hatte, ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert äußern zu dürfen wie jeder andere Bürger auch. Diese Feststellung habe sich aber auf die institutionelle Sicherung der Pressefreiheit bezogen, nämlich auf ein Gesetz, das unter bestimmten Voraussetzungen die Untersagung der Berufsausübung von Redakteuren ermöglichte. 222 Dabei übersieht das Bundesverfassungsgericht allerdings, daß es genau dieses subjektivöffentliche Recht bemüht hat, als es die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung in einer Zeitschrift anhand der Pressefreiheit überprüfte. 2237224 Trotz dieser Ungereimtheiten erscheint es aus den oben genannten Gründen aber vertretbar, den dogmatischen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt zu folgen. Abzuwarten bleibt, ob sich diese Vorgaben in der weiteren Verfassungsrechtsprechung verfestigen werden. Festzuhalten bleibt demnach: Dort, wo es um den Meinungsbeitrag selbst geht, also um die Frage der Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, ist unabhängig vom Verbreitungsmedium die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Prüfungsmaßstab. Dies hat - worauf bereits hingewiesen wurde - 2 2 5 die Konsequenz, daß Verlautbarungen der Presse gegenüber sonstigen Mitteilungen Privater keinerlei Privilegien genießen. 2 2 6 7 2 2 7 Geht es demgegenüber "um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionellorganisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt", 228 so ist allein die Pressefreiheit des Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG einschlägig. Eine kumulative Anwendung beider Gewährleistungstypen kommt (nur) in Betracht, wenn es um die Zulässigkeit einer bestimmten Meinungsäußerung über das Medium der Presse geht und bestimmte pressespezifische Gesichtspunkte229 in Rede stehen. Dies jedoch ohne daß ein Verhältnis lex specialis zu lex generali vorliegt! 221
BVerfGE 85, 1 (12) = NJW 1992, S.1439.
222
BVerfGE 85, 1 (12) = NJW 1992, S.1439 unter Verweis auf BVerfGE 10, 118 (121).
223
BVerfGE 60, 234 (239).
224
Heselhaus, S.741.
225
Siehe hierzu Pkt. 1., a), cc), (2)., b).
226
Ebenso M/D/H-Herzog,
Art.5 I, II, Rn 146.
227
Siehe hierzu sowie zur Frage erhöhter Sorgfaltspflichten der Presse und anderer Massenmedien ausfuhrlich die Darlegungen in Teil 2 unter Pkt. Β., I., 1., d), aa) u. bb). 228 229
BVerfGE 85, 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
Zum Beispiel: Fragen der journalistischen Arbeit und redaktionellen Sphäre, Verbreitung und Vertrieb von Presseerzeugnissen und damit nicht selten im Kontext stehende Fragen aus dem unternehmerisch-wirtschaftlichen Bereich.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
83
3. Die Freiheit von Rundfunk- und Filmberichterstattung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2, 2. und 3. Var. GG a) Der Schutzbereich Rundfunk und Film sind im Hinblick auf ihre Wirkung mit der Presse vergleichbare Massenkommunikationsmittel. Auch hier gilt es, die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der persönlichen Ehre und der demokratischen Meinungsbildung miteinander in Einklang zu bringen. Insofern sind die Inhalte der grundrechtlichen Verbürgungen des Art. 5 Abs.l Satz 2. 2. und 3. Var. GG auch hier insoweit von Relevanz, als sie Bezugspunkte zu dem Bereich des Äußerungsrechts aufweisen. aa) Die Rundfunkfreiheit Die Rundfunkfreiheit dient der Gewährleistung freier öffentlicher Meinungsbildung und ist von fundamentaler Bedeutung. 230 Der Rundfunk hat "in möglichster Breite und Vollständigkeit zu informieren... (und) gibt dem einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem Wirken...". 231 Unter den Rundfunkbegriff fällt jede Übermittlung von Gedankeninhalten an die Öffentlichkeit in Form von physischen, insbesondere elektromagnetischen Wellen. 232 Dieser technische Verbreitungsweg unterscheidet den Rundfunk von der Presse. 233 Ihm unterfallen neben dem in der Umgangssprache genannten Hörfunk auch das Fernsehen 234 sowie alle neuartigen Dienste, wie Pay-TV, Videotext und Zugriffsdienste. 235 bb) Die Filmfreiheit Angelehnt an diese Definition des Rundfunks versteht man unter dem "Film" eine Übermittlung von Gedankeninhalten durch Bilderreihen, die zur Projektierung bestimmt sind. 2 3 6 Er unterscheidet sich vom Rundfunk, der wie festgestellt auch das Fernsehen umfaßt, nur durch die Technik der Darbietung. Wird demgemäß ein Film im Fernsehen ausgestrahlt, so ist nicht mehr die grundrechtliche Gewährleistung des Art.5 Abs.l Satz 2, 3. Var. GG, sondern die 2. Var.
230
BVerfGE 13, 54 (80); 57, 295 (319); 59, 231 (257); 74, 297 (323); 77, 65 (74).
231
BVerfGE 59, 231 (257 u. 258); 73, 118 (152).
232
M/D/H-Herzog,
233
Jarass/Pieroth,
234
BVerfGE 12, 205 (226); 31, 314 (315).
Art.5 I, II, Rn 195, BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 511. Art.5, Rn 29.
233 BVerfGE 74, 297 (345 ff); Jarass/Pieroth, Art.5, Rn 29; enger jedoch: BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 519 - 524\ Mangold/Klein /Starch, Art.5 I, II, Rn 6264. 236
M/D/H-Herzog,
Art.5 I, II, Rn 198; v.M.-Wendt,
Art.5, Rn 61.
84
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
(Rundfunk) einschlägig. 237 Dies und der Umstand, daß fur die meisten Filme auch die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG einschlägig ist, (welche einen weitergehenden Schutz bietet 238 ) führt dazu, daß die praktische Bedeutung dieser Gewährleistung bislang gering war und auch hier nur marginale Beachtung zu finden braucht. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet für den Rundfunk, ebenso wie für den Film, die Freiheit der "Berichterstattung". Hierunter fallen, ähnlich wie bei der Pressefreiheit, zunächst alle mit der Veranstaltung von Rundfunk (und Film) zusammenhängenden Tätigkeiten, von der Beschaffung der Information bis hin zu ihrer Verbreitung. 239 Seit langem umstritten ist, ob Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. Var. GG nur die Verbreitung von Tatsachenmitteilungen oder auch die Verbreitung von Meinungsäußerungen schützt. Der Sache nach geht es auch hier um das Verhältnis der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu den Gewährleistungstypen des Art. 5 Abs.l Satz 2. 2. und 3. Var. GG.
b) Das Verhältnis zur Meinungsfreiheit aa) Der Meinungsstand In Anlehnung an den Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ("Berichterstattung") wird von einer Ansicht seit jeher vertreten, daß nur die Verbreitung von Tatsachenmeldungen, nicht aber die Verbreitung von Meinungsäußerungen durch Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. Var. GG geschützt wird. 2 4 0 Demgegenüber stehen (bislang) die höchstrichterliche Rechtsprechung 241 und das herrschende Schrifttum auf dem Standpunkt, daß auch die Verbreitung von Meinungsäußerungen durch diese Gewährleistungsvariante des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt ist. 2 4 2 Das ergebe sich aus der engen Beziehung von der Pressefreiheit zu der Freiheit von Rundfunk- und Filmberichterstattung: "Trotz der engeren Fassung des Wortlauts ('Berichterstattung') unterscheidet sich die Rundfunkfreiheit wesensmäßig nicht von der Pressefreiheit. Sie gilt in gleicher Weise für rein berichtende Sendungen wie für Sendungen anderer Art. Information und Mei237
Starck, NJW 1980, S.1363.
238
Jarass/Pieroth,
239
BVerfGE 77, 65 (74); Mangold/Klein/Starck,
240
Hesse, Rn 396; früher auch Mangold/Klein,
Art.5, Rn 40. Art.5 I, II, Rn 67. Art.5, Anm. VII 1.
241 Es dürfte wahrscheinlich sein, daß sie ähnlich wie im Bereich der Pressefreiheit mit ihrem Beschluß vom 09.10.1991 auch im Bereich der übrigen "Mediengrundrechte" bei Gelegenheit zu einer "Klarstellung" kommen wird. Anderenfalls wären nicht erklärbare dogmatische Widersprüche zu konstatieren. Siehe hierzu nachfolgend unter bb). 242 Vgl. BVerfGE 35, 202 (222); Pieroth/Schlink, Rn 655; Jarass/Pieroth, Art.5, Rn 30; M/D/HHerzog, Art.5 I, II, Rn 201; jetzt auch Mangold/Klein/Starck, Art.5 I, II, Rn 65; AK-Hoffinann/Riem, Art.5, Rn 127; v.M.-Wendt, Art.5, Rn 44.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
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nung können ebenso durch ein Fernsehspiel oder durch eine Musiksendung vermittelt werden wie durch Nachrichten oder politische Kommentare"/ 43 bb) Stellungnahme Der letztgenannten (herrschenden) Ansicht ist zunächst insoweit beizupflichten, als auch durch Musiksendungen, Hörspiele und ähnliches Meinungen verbreitet werden können. Dies kann aber kein Argument dafür sein, derartig publizierte Meinungsäußerungen unter den Schutz des Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. und 3. Var. GG zu fassen. Denn, wie schon im Bereich der Pressefreiheit festgestellt, kann die Art der Verbreitung kein Kriterium für die Zuordnung sein. Insoweit kann diesbezüglich inhaltlich auf die bereits dargestellte Argumentation verwiesen werden. 244 Auch ist zu erwarten, daß sich das Bundesverfassungsgericht dieser Sichtweise bei Gelegenheit (wie auch immer in concreto begründet) nähern wird. Anderenfalls würde der Argumentationsduktus des Gerichts ad absurdum geführt: Wenn sich Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit "wesensmäßig" entsprechen, muß für beide hinsichtlich des Äußerungsrechts denknotwendig das gleiche gelten. Für den Bereich der Pressefreiheit hat das Bundesverfassungsgericht aber richtigerweise festgestellt, daß Äußerungen unabhängig von dem Verbreitungsmedium an Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen sind. Hieraus kann nur gefolgert werden, daß dies auch für solche Äußerungen zu gelten hat, die über das Medium Rundfunk bzw. Film verbreitet werden. Abzuwarten bleibt nur, wann die "Klarstellung" des Bundesverfassungsgerichts auch bezüglich dieser Gewährleistungstypen erfolgt, bzw. mit welcher subtilen Begründung es sich von der vormals aufgestellten Sichtweise trennen wird. Als conclusio kann demnach, entsprechend dem oben festgestellten Ergebnis, 2 4 5 auch hier konstatiert werden, daß dann, wenn es um den Meinungsbeitrag selbst geht, also um die Frage der Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung unabhängig vom Verbreitungsmedium, die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Prüfungsmaßstab ist. Dort, wo es um die im Rundfunk bzw. Film tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion respektive um die institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution selbst geht, ist die Rundfunkund Filmfreiheit gemäß Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. und 3. Var. GG einschlägig; womit auch hier Verlautbarungen über das Medium Rundfunk bzw. Film gegenüber sonstigen Mitteilungen Privater keinerlei Privilegien genießen.24 Eine kumulative Anwendung beider Gewährleistungstypen kommt (nur) in Betracht, 243
BVerfGE 35, 202 (222); 12, 205 (260); 31, 314 (326).
244
Siehe hierzu unter Pkt. 2., b), cc).
245
Siehe hierzu unter Pkt. 2., b), cc).
246 Vgl. die Ausführungen unter Pkt. 2 sowie zur Frage erhöhter Sorgfaltspflichten der Massenmedien die Darlegungen in Teil 2 unter Pkt. Β., I., 1., d), aa) u. bb).
86
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
wenn es um die Zulässigkeit einer bestimmten Meinungsäußerung über das Medium Rundfunk geht und bestimmte rundfunk-(film-) spezifische Gesichtspunkte 247 in Rede stehen. Dies jedoch auch hier, ohne daß ein Verhältnis lex specialis zu lex generali besteht!
4. Exkurs: Irrwege der "Medienfreiheiten
"
a) Der Konstruktivismus; tragfähige Grundlage einer neuen Medienphilosophie? aa) Thesen dieser Theorie Immanuel Kant - Stammvater des modernen Konstruktivismus - lehrte, daß niemals der Gegenstand, die Wirklichkeit, das "Ding an sich", sondern stets nur dessen Erscheinung erfaßt werden kann. Ausgehend von dieser Annahme, daß die Wirklichkeit nur in Versionen wahrnehmbar ist, verbreitet sich vornehmlich im "Dunstkreis" der Medien die Auffassung, daß Wahrheit und Objektivität Fiktionen seien, die für die journalistische Tätigkeit keine Relevanz hätten. Es komme nur darauf an. daß der Journalist "seine Subjektivität ehrlich ausweise". 248 Nun, Auffassungen und Theorien gibt es viele, so daß eigentlich kein Grund besteht, sich mit jeder noch so abenteuerlichen Sichtweise zur Wahrheits- und Objektivitätspflicht auseinanderzusetzten. Grund zum Replizieren gibt es jedoch dann, wenn man erfährt, daß auch der journalistische Nachwuchs im Sinne dieser Ideologie ausgebildet werden soll. So lädt ein von Medienwissenschaftlern ausgearbeitetes Funkkolleg zu dem "Abenteuer ein, teilzunehmen an den faszinierenden und oft verblüffenden Entdeckungen, welche die wissenschaftliche Erkenntnis auf den Feldern der menschlichen Wahrnehmung und Verständigung... im Bereich der Massenkommunikation... gemacht hat". 2 4 9 Die für diese Arbeit relevanten "Entdeckungen" seien hier in gebotener Kürze 2 5 0 wiedergegeben: 1. Es gebe "keine Wirklichkeit unabhängig von unserem Zutun...". Unsere Wirklichkeit ist kein Erzeugnis einer objektiven Realität, sondern im wesentlichen ein menschliches Erzeugnis. "Wir konstruieren die Wirklichkeit, weil wir außerstande sind, die objektive Realität 'da draußen' zu erkennen".251
247
Zum Beispiel: Fragen der journalistischen Arbeit und redaktionellen Sphäre.
248
Vgl. Medienkritik
249
Merten/Schmidt/Welchenberg,
250
Ausführlich hierzu Kr ì e le, Wahrheit in Funk und Fersehen, S.9 ff.
251
Merten/Schmidt/Weischenberg,
vom 13.05.1991, S.13. Einführungsbrief, S.5. Studienbrief 2, S.47.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
87
2. Diese Konstruktionen werdem im Zeitalter der "Mediengesellschaft" immer stärker von Medien beeinflußt, 252 und zwar so sehr, "daß unsere Lebenswelt zu großen Teilen eine durch Medien repräsentierte, ja konstruierte ist". 253 3. Die "Konstruktionen von Wirklichkeit setzen immer Kommunikation voraus...". Diese können "einer 'objektiven Wirklichkeit' niemals entsprechen..", da "sie subjektiv, durch die Art ihrer Auswahl (Selektivität) bestimmt" seien. Die Vorstellung einer objektiven Wirklichkeit (sei daher) eine zunächst befriedigende Täuschung und deswegen sehr verbreitet. 254 4. Die Preisgabe der "eindimensionalen Wertigkeit (wahr/unwahr)" bedeute nicht die Preisgabe aller ethischen Anforderungen. An ihre Stelle träten vielmehr die "Aufdeckung individueller oder gesellschaftlicher Maßstäbe und die offene Auseinandersetzung mit ihnen" sowie die "autonome Übernahme der Verantwortung" für sie. "Der konstruktivistische Standpunkt... (erscheine) im Gegensatz zum Unterdrückungspotential der Wahrheit weit weniger beunruhigend. Denn schließlich sei "mit keiner Bewertung in der Geschichte der Menschheit mehr Elend verantwortet worden als mit der Wahrheit". 255 Die Quintessenz dieser Aussagen kann eigentlich nur sein, daß es "die Realität" nicht gibt. Wenn dies so wäre, dann gäbe es folgerichtig auch keine Manipulationen, allenfalls neue (andere) "Konstruktionen von Wirklichkeit". Dann aber brauchte man sich weder über Manipulationen aufzuregen, noch irgendwelche Richtigstellungsansprüche geltend zu machen. Denn die angegriffenen Wirklichkeitskonstruktionen würden ohnehin nicht durch die Realität, sondern durch neue, ebensowenig objektive, "Konstruktionen" ersetzt. Auf diese Weise würden Forderungen nach einer an Objektivität und Wahrheit orientierten Berichterstattung von vornherein ad adsurdum geführt. Vor allem ließen sich Rechtsansprüche aufgrund unwahrer Berichterstattung nicht mehr begründen. Daß hierdurch auch Werte wie Toleranz (gegenüber Andersdenkenden). Ausgewogenheit, ja selbst die demokratische Staatsform auf der Strecke bleiben können, scheint nur eine marginale Rolle zu spielen. Denn die Gesellschaft und das einzelne Individuum nehmen dies gar nicht wahr. Schließlich leben wir alle in Versionen der Wirklichkeit, die ja gerade von den Medien konstruiert werden. So entsteht ein gefährlicher Zirkelschluß. Dies macht die Notwendigkeit deutlich, Anhängern und Anfängen dieser Ideologie entgegenzutreten. Sollte diese Sichtweise einmal zum allgemeinen Gedankengut avancieren, so dienen die "Medienfreiheiten" nicht mehr der verfassungsmäßig bestimmten Aufgabe zutreffender - id est an Wahrheit und Objektivität angelehnter - Meinungsbildung, sondern der Meinungslenkung!
252
Merten ! Schmidt/Weischenberg,
253
Merten/Schmidt
254
Merten/Schmidt/Weischenberg,
Einfìihrungsbrief, S.ll.
255
Merten/Schmidt/Weischenberg,
Studienbrief 2, S.44.
Einfìihrungsbrief, S.17.
! Weischenberg, Einfìihrungsbrief, S.7. Nr. 1.2.
88
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
bb) Verzicht auf das Postulat der Wahrheit und Objektivität? Der Jurist sieht sich häufig mit Fällen konfrontiert, in denen die Parteien eines Rechtsstreits zu ein und demgleichen Sachverhalt zwei völlig verschiedene Versionen liefern. Dies nicht selten in der festen Überzeugung, daß ihre Version tatsächlich der Wahrheit entspricht. Legt man das zugrunde, so könnte eigentlich dem konstruktivistischen Ansatz, daß wir die Wirklichkeit nur in Versionen wahrnehmen, zu folgen sein. Die banale Erkenntnis, daß es eine absolute Wahrheit nicht geben kann, darf aber nicht dazu fuhren, auch auf die Annäherung an sie zu verzichten. Dies legt aber die bis zur Unkenntlichkeit modifizierte Theorie des Konstruktivismus nahe. Eine derartige Schlußfolgerung war jedoch ganz gewiß nicht im Sinne Kants. Denn kaum einer trat vehementer für die Pflicht, die Wahrheit zu sagen ein, als dieser große Philosoph aus Königsberg. Er ließ nie einen Zweifel daran, was er unter Wahrheit verstand. Er definierte sie als "Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand".256 Es erscheint daher sehr bedenklich, diese neue Medienphilosophie auf die Aussagen Kants stützen zu wollen. Noch bedenklicher ist es aber, wenn die Anhänger dieser Theorie Einfluß auf die persönliche Integrität, sprich Ehre des Individuums, gewinnen und -fast noch wichtiger, weil weitreichender - Einfluß auf das gesamte Verfassungsgefüge nehmen können. (1) Gefahren für die persönliche Ehre Wenn Wahrheit und Objektivität für die journalistische Tätigkeit tatsächlich keine Relevanz haben, ist auch die verfassungsrechtlich geschützte Ehre im medialen Bereich faktisch suspendiert. Denn jedes Medium könnte fast willkürlich Behauptungen tatsächlicher Art in Umlauf bringen, ohne daß es auf die Richtigkeit respektive Übereinstimmung mit der Realität ankommt. Denn diese wird ja, "wie wir gelernt haben", erst durch die Medien konstruiert. Den Anhängern dieser Lehre ist - im Interesse einer realitätskonformen Betrachtungsweise - zu wünschen, daß sie durch zweifelhafte Indizien in den Verdacht einer Straftat geraten. Sollte dies geschehen, so darf man sicher sein, daß auch dem verstiegensten Theoretiker die Absurdität dieser neuen Medienphilosophie schlagartig bewußt wird. Man muß kein Prophet sein, um mit Sicherheit voraussagen zu können, daß sich diese Theoretiker sehr schnell wieder auf das klassische Wahrheitskriterium besinnen werden: Die Aussage, A hat die Straftat X begangen, ist genau dann wahr, wenn er sie tatsächlich begangen hat, und unwahr, wenn dies nicht der Fall ist. 25 7
256
Kant, Kritik der Reinen Vernunft, S. 100.
257
Vgl. hierzu Kriele, Wahrheit in Funk und Fernsehen, S. 13.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
89
Auch wenn diese Darstellung leicht überzogen sein mag, so zeigt sie doch, daß auf das Postulat der Wahrheit und Objektivität niemals, weder im Gerichtsverfahren noch im medialen Bereich verzichtet werden darf. Man mag dieser Betrachtungsweise entgegenhalten, daß hier ein Vergleich von "Äpfeln und Birnen" stattfinde. Schließlich kann ein Gerichts-, insbesondere ein Strafverfahren, für das Individuum von extistenzieller Bedeutung sein, so daß es auf der Hand liegt, daß jeder in diesem Bereich Wahrheit und Objektivität einfordern wird. Dies ist sicherlich zutreffend. Nur, wer will ernstlich bestreiten, daß auch eine vernichtende öffentliche Darstellung in den Medien für das Individuum von existenzieller Bedeutung sein kann? Oskar Wilde drückte dies gar in drastischen Worten aus: 258
"Früher hatten wir die Folter, heute haben wir die Presse". Weniger drastisch, nicht aber weniger besorgt, konstatiert Schwinge 259 , daß folgende Verhaltensweisen in den Medien zwischenzeitlich an der Tagesordnung seien: "Der zum Opfer Auserwählte wird schlagartig unter trommelfeuerartiger Wiederholung mit Behauptungen konfrontiert, die zum Teil wahr, zum Teil unwahr oder halbwahr sind und ihn in ein ungünstiges, das Persönlichkeitsbild beeinträchtigendes, vielleicht sogar zerstörendes Licht rücken. Das geschieht fast immer ohne die von der Rechtsprechung geforderte Rückfrage und in solcher Massierung, daß es dem Betroffenen häufig gar nicht möglich ist, ...die notwendigen Schritte zu unternehmen und die Weiterverbreitung... zu verhindern. Die Angaben, gegen die der Betroffene sich wehren will, können so ungehindert in die Medienwelt eindringen und dort weiteres Unheil anrichten... . Bei den Massenmedien... läuft so neben der wirklichen eine mediale Wahrheit einher, die sich durch Richtigstellungen... in keiner Weise beirren läßt. Vor der Wirklichkeit verschließt man... bewußt die Augen...". Die hier von Schwinge beschriebenen Praktiken zeigen, daß man der Fiktion Bolls in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" näher ist, als man glaubt (vielleicht ist sie sogar schon überholt?!). Jedenfalls läßt sich auf das Postulat der Wahrheit und Objektivität (gerade auch) in diesem Bereich nicht verzichten. Es ist unbedingt einzufordern! (2) Gefahren für das Verfassungsgefüge Ginge es bei dem Postulat der Wahrheit und Objektivität "/?«r" um die persönliche Ehre des Individuums, so könnte man geneigt sein, diesen Grundsatz den (erstrebten absoluten) "Medienfreiheiten" zu opfern. Zumal in den Augen vieler der Ehrbegriff ohnehin im Kern "feudal-ständisch" 2607261 und "der (strafrechtli258
Nachweise in Medienkritik
259
Schwinge, Machtmißbrauch der Massenmedien, S.78.
260
Kühler,
JZ 1984, S.543.
vom 30.03.1992, Nr.14, S.12.
90
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
che) Ehrenschutz ein Instrument zur Kriminalisierung politischer Meinungsäußerungen" 262 ist. Jedenfalls aber habe heute "der Ehrenschutz seine Grundlage weitgehend verloren". 2 6 3 7 2 6 4 Zumindest müsse dieser wohl dem aus der Pressefreiheit folgenden subjektiven Recht des Journalisten weichen. Doch es geht, wie die nachfolgende Darstellung zeigen wird, um mehr: Es geht in letzter Konsequenz um das gesamte Verfassungsgefüge dieses Staates. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat. Dieser unterscheidet sich von einem bloßen "Machtstaat" dadurch, daß Freiheit und Gerechtigkeit im staatlichen und staatlich beeinflußbaren Bereich durch Recht und Gesetz geregelt und begrenzt wird. 2 6 5 Es gilt das "Primat des Rechts". 266 Das wichtigste Instrument gegen einen Mißbrauch von Macht ist das apodiktisch geltende Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs.2 Satz 2 GG). Sie sichert die Berechenbarkeit, Kontrollierbarkeit und Kompetenzmäßigkeit der öffentlichen Gewalt als maßgebliche Grundlage des Rechtsstaates.267 Die (geteilte) Staatsgewalt wird vom Volk durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung ausgeübt. Damit übt das Volk die Staatsgewalt mittelbar durch die Wahl besonderer Repräsentationsorgane aus. Ergo müssen sich in der Demokratie Regierung und Parlament unisono mit der Meinung der Mehrheit des Volkes halten. 268 Anderenfalls erfolgt ein Austausch bei der nächsten Wahl. Was das Volk aber meint und will, hängt von den Informationen ab, die ihm vermittelt oder vorenthalten werden. 269 Würden also Informationen manipuliert, so geschähe zwar eigentlich immer noch, was das Volk meinte und wollte, es würde sich aber letztlich "wie Marionetten an den Fäden der Manipu-
261 In diese Richtung tendiert scheinbar auch Stümer, Α. 18, wenn er konstatiert, daß die Frage einer Verbesserung des Individualschutzes "weniger den Normalbürger (betrifft), als die politisch, wirtschaftlich und sozial etablierte Schicht..., womit jedoch keine schichtspezifische Entrechtung gehalten sein soll". 262
Findeisen/Hoepner/Zünkler,
263
So expressis verbis Mestmäcker, S.107.
S.245.
264 Der Bedeutungsverlust des Ehrenschutzes wird auch von Rasehorn (S.672) begrüßt, der im Zusammenhang mit der Widerrufsklage von einer "Ketzerdaumenschrauben'-Funktion für den Beleidiger spricht. 265
Vgl. Stern, Staatsrecht I, § 20 III, 1.
266
Hesse, § 6 II 1, Rn 195.
267 BVerfGE 3, 225 (247); 34, 52 (59): Die Gewaltenteilung ist das tragende Organisationsprinzip des Rechtsstaates. 268 Letztendlich schlägt "die Meinung des Volkes" - freilich mit zeitlicher Verzögerung und in abgeschwächter Form - auch auf die Judikative durch. Denn die Richter des BVerfG werden bekanntermaßen gemäß Art.94 I S.2 GG je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt und damit in Abhängigkeit der dortigen Mehrheitsverhältnisse. Da das höchste deutsche Gericht auch der Rechtsfortbildung und Rechtsschöpfung dient, bleibt dies zwangsläufig - nicht zuletzt aufgrund der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG - nicht ohne Einfluß auf die übrigen Spruchkörper. 269 So Kriele, ZRP 1990, S.109; ebenso Schneider W., S.16: "Die Meinung ist frei, doch worüber die Bürger überhaupt Meinungen haben können, das haben zuvor zu einem erheblichen Teil die Journalisten... entschieden".
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
91
lateure" bewegen. 270 Um dieser Gefahr zu begegnen, schufen die Verfassungsväter ein wirksames Instrument: Die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Medien sollten frei von staatlicher Regulierung, Gängelung und Kontrolle sein. Deshalb wurden die "Medienfreiheiten" geschaffen. Denn nur so konnte gewährleistet werden, daß dem Volk eben keine einseitig konstruierte Darstellung als Wahrheit "verkauft" wird. Die neue Medienphilosophie des Konstruktivismus steht dem, und das dürfte auch der glühenste Verfechter dieser Lehre erkennen, diametral gegenüber. Diese mangelnde Verfassungskonformität mag den abgehobenen Theoretiker nur am Rande tangieren, für den Verfassungsinterpreten ist sie dagegen von größter Relevanz. Hält man dieser (Irr-)Lehre nicht entgegen, so gewinnt die "vierte Gewalt", die aus einigen hundert maßgeblichen Journalisten besteht, einen durch nichts und niemand legitimierten Einfluß auf die "Wahrheitskonstruktionen" des Volkes; damit auf seine Wahlentscheidungen, damit mittelbar auf die Legislative, Exekutive und - wie angeführt - auch auf die Judikative. Dies alles, ohne daß es eine irgendwie geartete "Kontrolle der Kontrolleure" gibt. Die neue Medienphilosophie des Konstruktivismus mag daher reizvolles Gesprächsthema abstrakt-theoretischer Diskussionen sein, sicherlich darf sie aber keine praktische oder gar rechtliche Relevanz erhalten.
b) Grundsätze von Pluralismus, Sachlichkeit und Ausgewogenheit - Ein Relikt aus Utopia? aa) Die Situation bei den Printmedien Die "Medienfreiheiten" des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sind, und das wurde bereits wiederholt konstatiert, von überragender Bedeutung für die in den Medien arbeitenden Menschen, das einzelne Individuum, vor allem aber für den demokratischen Rechtsstaat. Es galt und gilt Meinungslenkung (von welcher Seite auch immer) zu verhindern und Meinungsbildung zu ermöglichen. Die Gefahren einer staatlich gelenkten Meinungsbildung (Propaganda) vor Augen (das Dritte Reich war noch nicht lange tot, die SBZ nah), wurden die Freiheiten der Presse, des Rundfunks und des Films verfassungsrechtlich abgesichert. Es sollte und mußte die Gewähr geschaffen werden, daß die Meinungen in ihrer pluralistischen Vielfalt öffentlich repräsentiert sein würden. Hierfür erschien den Verfassungsvätern der "Selbstregulierungsmechanismus des Marktes" 271 als ein taugliches Regulativ. "Jede politisch relevante Meinung bedeute auf dem Zeitungsmarkte eine Nachfrage, die alsbald durch ein entsprechendes Angebot bedient
27 0
Kriele, ZRP 1990, S. 109 u. S. 110; ders., Wahrheit in Funk und Fernsehen, S.23.
27 1
Kriele, ZRP 1990, S. 110; ders., Wahrheit in Funk und Femsehen, S.23.
92
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
werde. Der Leser könne wählen, was er lesen wolle, er könne sich über das gesamte Meinungspektrum durch vielseitige Lektüre umfassend orientieren". 272 Dieses Modell hat sich bewährt. So stellt sich der Pressemarkt heute in globo "als ein Spiegel des Meinungsspektrums" 273 dar. Das bedeutet aber leider nicht, daß auch die Berichterstattung in concreto, d.h. in den einzelnen Medien, ein "Spiegel des Meinungsspektrums" ist. Der Tendenzjournalismus dürfte eher der Regel-, denn der Ausnahmefall sein. Wer heute den "Spiegel" kauft weiß, wessen "Liedchen dieser singt". Gleiches gilt selbstverständlich für Druckerzeugnisse anderer couleur. Pluralismus, Sachlichkeit und Ausgewogenheit stehen in der Berichterstattung der Presse nicht (mehr?) hoch im Kurs. Das Tollste aber ist, daß es auch offen zugegeben wird: Anläßlich des Todes von Dieter Gütt wurde dieser öffentlich gerühmt, er habe von "Proporzdenken und Ausgewogenheit" nie etwas gehalten. 274 Sollte es wirklich so sein, daß dies einem Journalisten zur Ehre gereicht? Ist es nicht vielmehr Aufgabe des Journalisten, den Bürger umfassend zu informieren, damit dieser zu einer fundierten Meinung kommen kann? Gehört hierzu nicht (mehr?), daß man die eine und andere Position sachlich darstellt, um dann dem Bürger die Entscheidung zu überlassen, welcher Auffassung er sich anschließt? Das muß, soll und darf keineswegs heißen, daß sich der Journalist seiner eigenen Meinung enthält. Verlangt werden muß aber, daß zunächst einmal beide Positionen gleichermaßen zu Wort kommen. Anschließend ist es nur legitim, wenn der Journalist seine Meinung zu der einen oder anderen Auffassung kundtut. Die Realität sieht leider anders aus. Oftmals werden zwar beide Auffassungen wiedergegeben, die gerade nicht opportun erscheinende jedoch verkürzt unter Weglassung von Relevantem 275 oder/und es werden Sequenzen wiedergegeben, die aus dem Zusammenhang gelöst, das vorgefertigte oder zu konstruierende Bild zwangsläufig bestätigen müssen. Für den Leser wird so der Anschein unparteiischer Objektivität geschaffen. Gerade dies kann zu einem besonders perfiden Instrument der Manipulation werden. Der postmoderne Journalismus maßt sich nur zu gerne an, "Polizist, Staatsanwalt, Zeuge, Richter und Berufungsgericht in einem zu sein". 276 Damit tauscht der Journalist die Rolle des kritischen Beobachters gegen die des Machers. Dies ist eine Rolle, die manchem Journalisten sichtlich gefällt. So gab Rudolf Augstein öffentlich zu. daß es im Zusammenhang mit der "Spiegel-Affäre" seinerzeit nicht darum gegangen sei, "Strauß
27 2
Kriele, ZRP 1990, S. 110; ebenso Mestmäcker, S. 108.
27 3
Kriele, ZRP 1990, S.l 10; ders., Wahrheit in Funk und Fernsehen, S.24.
274
Zit. nach Kriele, ZRP 1990, S.l 12, Fn 6.
275
Vgl. hierzu die folgende Darstellung unter Pkt. c).
276
So Bacher, Chef des Österreichischen Rundfunks und Fernsehens in der Zeitschrift "Die politische Meinung" (Nr.239/1988).
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
93
zu vernichten". 277 Er wollte vielmehr "Strauß aus der Bundesregierung Konrad Adenauers herauskatapultieren, was aufgrund seines Temperaments auch gelang. Es ging darum, ihn als Bundesverteidigungsminister zu kippen, und eben das klappte." 278 Und weiter: "Als Verteidungsminister, Außenminister und erst recht als Nachfolger des Bundeskanzlers, mußte er (Strauß 279 ) unmöglich gemacht werden." 280 Sichtlich selbstzufrieden stellte denn auch Augstein die Frage: "Und schließlich, wer hatte nach Punkten gesiegt?"281 Antwort: "Technischer k.o.". 2 8 2 Dieses Beispiel zeigt auf eindrucksvolle Weise, daß die Journalisten nicht mehr sitzend auf der Tribüne verweilen und das Geschehen verfolgen, sondern vielmehr "in der Arena kräftig mitmischen, ausgestattet mit der Arroganz der vierten Gewalt, zu der sie sich selbst ernannt haben". 283 Dort gehören sie aber nicht hin. Ihr Platz, der beste Platz für einen unabhängigen Journalisten, ist vielmehr der Platz zwischen den Stühlen. 284 Nun, das Verlangen, "zu machen statt zu beobachten", ist verständlich und nicht verwerflich. Nur gehören Vertreter dieser Spezies in das Parlament und nicht an die Tische der "schreibenden Zunft". Ein Trost bleibt jedoch: Der Tendenzjournalismus findet sich bei den Printmedien jeglicher couleur wieder. Damit verbleibt für den, der es will, immer noch die Möglichkeit, sich umfassend, d.h. ausgewogen zu informieren. Will sich der Leser ein möglichst objektives Bild machen, so braucht er nur eine Zeitschrift des linken, progressiven und eine des rechten, konservativen Spektrums zu lesen. Die These, "jede politische Meinung bedeutet auf dem Zeitungsmarkte eine Nachfrage", bestätigt sich damit täglich aufs neue. Die Verfassungsväter vertrauten zu Recht auf das Korrektiv des Marktes! bb) Die Situation bei Hörfunk und Fernsehen Das Korrektiv "des Marktes kann aber von der Natur der Sache her bei Funk und Fernsehen nicht funktionieren". 285 Während die Printmedien auf die Kaufbereitschaft ihrer Leser angewiesen sind und so eine gewisse Abhängigkeit 27 1
Augstein, "Der Spiegel" vom 11.04.1994, Heft 15, S.26.
27 8
Augstein, "Der Spiegel" vom 11.04.1994, Heft 15, S.26.
279
Einfügung des Verfassers.
280
Augstein, "Der Spiegel" vom 11.04.1994, Heft 15, S.26.
281
Augstein, "Der Spiegel" vom 11.04.1994, Heft 15, S.26.
292
Augstein, "Der Spiegel" vom 11.04.1994, Heft 15, S.26.
283
Vgl. Bacher, Chef des Österreichischen Rundfunks und Femsehens in der Zeitschrift "Die politische Meinung" (Nr.239/1988). 284 Ähnlich Werner Holzer, ehemaliger Chefredakteur der Frankfurter Rundschau (Nachweis in Medienkritik vom 30.03.1992, Nr.14 S.12). 285
Kriele, ZRP 1990, S. 110; ders., Wahrheit in Funk und Femsehen, S.25.
94
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
("Wechselwirkung") zu den Lesern respektive zu dem, was diese lesen wollen, besteht, fehlt dieser Kontext bei den Sendeanstalten gänzlich. 286 Daß auch die öffentlich-rechtlichen Veranstalter unter einem gewissen Akzeptanzdruck ihres Auditoriums stehen, 287 ist bislang weder zu konstatieren, noch - mangels entsprechender gesellschaftspolitischer Forderungen- zu befürchten. Wer ein Empfangsgerät hat, zahlt, unabhängig davon, ob oder was von "der Ware" Information/Unterhaltung abgenommen wird. Der Markt als Regulativ ist hier suspendiert. 288 Der Bürger muß konsumieren, was ihm vorgesetzt wird, und zwar ohne Auswahlmöglichkeiten. Der Funkjournalist kann so völlig frei, der Unabhängigkeit eines Richters vergleichbar, agieren. Wie bei diesem, so ist auch beim Journalisten die faktische Einflußmacht ungleich größer als die rechtliche Kompetenz. Wie bei ihm fordert deshalb das Ethos, diesen Überschuß an Macht nicht auszunutzen, sondern sich selbst zu disziplinieren. 2897290 Dieses Ethos aber befindet sich in Agonie. So verwundert es nicht, wenn es den Vorsitzenden Richter des 6. Zivilsenats am Bundesgerichtshof E. Steffen "leicht schaudert" bei den "Einflußmöglichkeiten, die vor allem die elektronischen Medien mit ihrer gleichförmigen und gleichzeitigen Inanspruchnahme unserer Köpfe und Instinkte auf unser Welt- und Meinungsbild haben". 291 So weist der hohe Richter sowohl auf "punktuelle Entgleisungen" als auch "grobflächige Entartungen" hin: "Oberflächliche, schlampige Recherchen im Wettlauf um die Erstgeburt; schonungslose Nichtachtung des Betroffenen, sei er Täter oder Opfer, bei der Informationsbeschaffung und der Informationsverbreitung; Voyeurismus unter dem Deckmantel der Pflicht, aktuell zu sein; ein Archivjournalismus, der die Nachricht einfriert, portioniert und den Zeitpunkt ihrer Herausgabe manipuliert für sein hauseigenes Süppchen; unbeirrt an seiner vorgefaßten Hypothese festhaltend wie ein schlechter Arzt an der einmal getroffenen Arbeitsdiagnose, weil das zum geschäftlichen Selbstverständnis gehört". 286 So auch Schmidt M., Selbstkontrolle und Persönlichkeitsschutz. S.90, der weiter ausfuhrt, daß sich "..im Bereich des Rundfunks erst in den letzten Jahren aufgrund des Ausbaus der Kabel- und Satellitennetze und des damit weitgehend beseitigten Problems der Knappheit von Sendefrequenzen kompetitive Strukturen herausbilden"; ähnlich Mestmäcker, S. 110. 287
"Weil nur die reale Nutzung ihrer Medien durch eine große Zahl von Zuschauem die jedem Bürger treffende Rundfunkgebühr auf Dauer legitimiert.." (Plog, S.73). 288 Entsprechendes gilt, mutatis mutandis, fur die kommerziellen Sendeanstalten. Zwar gelten auch für diese nach der Rechtsprechung des BVerfG dieselben Grundsätze wie für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, doch entsprechen ihre Methoden in praxi weitgehend denjenigen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Der einzige - auffallende - Unterschied ist der, daß das Programmangebot unter dem kulturellen und moralischen Niveau der öffentlich-rechtlichen Anstalten liegt. 289
Kriele, Wahrheit in Funk und Femsehen, S.40.
290
In der juristischen Diskussion um das Ethos des Richters spielt der aus dem amerikanischen Verfassungsrecht übernommene Begriff des "judicial self-restraint" eine zentrale Rolle, also die Selbstzügelung und Selbstbeschneidung. Der Richter soll nicht die Gelegenheit eines Rechtsurteils dazu gebrauchen, Politik zu machen und mehr entscheiden, als bzgl. des juristischen Falles geboten ist (vgl. ausführlich zu dieser Thematik I/K-Kriele, Bd. V., § 110, Rn 4 ff). 291
Nachweise in Medienkritik
vom 07.09.1992, Nr.37, S.8.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
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Auch das Bundesverfassungsgericht war sich der Gefahren bewußt, die aus dem Fehlen des Selbstregulierungsmechanismus resultieren können. Deshalb hat es schon früh für Funk und Fernsehen besondere Verfahrensgrundsätze aufgestellt: Ihre Organe müssen "so organisiert werden, daß alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluß haben, und daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten". 292 So gut gemeint diese Vorgaben auch sein mögen, so wenig justiziabel sind sie. Sie enthalten (zu) viele auslegungsbedürftige und unbestimmte Rechtsbegriffe 293 und überlassen so alles dem Gesetzgeber, 294 folglich den parteipolitischen Interessen der jeweiligen Landtagsmehrheit. Daß diese ihre Einflußmöglichkeiten nutzen, dürfte unbestreitbar sein. Doch auch wenn das Bundesverfassungsgericht konkrete und damit justiziable Vorgaben gemacht hätte, hätte dies - bleibt man Realist - in der Praxis auch nicht viel ändern können: Wie und in welchem Verfahren hätte denn ein bestimmter Proporz durchgesetzt werden sollen? Jede weniger - im Zweifel wohl aber mehr - zwangsweise Durchsetzung würde immer das Odium der Zensur und damit der staatlichen (!) Meinungsbildung (-lenkung) in sich tragen. Was also tun? Dies alles als eine vom (Medien-) Gott gegebene Ordnung hinnehmen? Sicher nicht! Es gilt die Mißstände transparent zu machen und für eine - dem Ethos des Journalisten eigentlich entsprechende - Berichterstattung gemäß den Grundsätzen von Pluralismus, Sachlichkeit und Ausgewogenheit zu plädieren. Daneben erscheint die Institutionalisierung einer Selbstkontrolleinrichtung, vergleichbar mit den Ärzte- und Rechtsanwaltskammern, als geeignetes Instrument, um gewisse Mindeststandards einer ausgewogenen und sachlichen Berichterstattung auch im Bereich der Funkmedien zu gewährleisten. 295
c) Manipulation durch Weglassen des Relevanten aa) Praktiken
und Gefahren dieser Vorgehensweise
Eines der Hauptprobleme der Medienmanipulation ist das Verschweigen des Relevanten. Völlig zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht formuliert, daß die Wahrheit auch dann "bewußt entstellt" wird, "wenn man wesentliche Sach292
BVerfGE 12, 205 (262 u. 263); 31, 314 (326).
293
Was sind z.B. "alle in Betracht kommenden Kräfte"? Wenn dies die Parteien sind, sind sie entsprechend ihrer Wählerschaft zu gewichten? Welche gesellschaftliche Gruppe ist von Relevanz, welche nicht? Vor allem aber, wann ist das "Mindestmaß" erfüllt id est, wieviel Unausgewogenheit, Unsachlichkeit und gegenseitige Mißachtung kann noch toleriert werden? (Siehe hierzu ausführlich: Kriele, ZRP 1990, S.l 10, Fn 3; ders., Wahrheit in Funk und Femsehen, S.26). 294
Vgl. BVerfGE 83, 238 (296).
295
Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 3 unter Pkt. A.
96
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
verhalte, die einem bekannt sind, der Öffentlichkeit unterschlägt". 296 Günther Anders 297 stellt gar die These auf, "daß die Manipulation nicht in der Lüge liegt, sondern im Weglassen des Relevanten". Die Kardinalfrage dabei ist, was ist relevant? Günther Anders sagt: Die Relevanz ergibt "sich aus der Natur des jeweiligen Sachzusammenhanges".298 Das bedeutet nichts anderes, als daß sich für die Frage der Relevanz keine starren Regeln aufstellen lassen. Die Relevanz kann in der Nennung von Personen, Fakten, Daten u s w. bestehen; der Phantasie, besser den Spielarten des realen Lebens, sind hier keine Grenzen gesetzt. Doch gibt es einen gemeinsamen Nenner. Er resultiert aus dem obersten Grundsatz aller Gerechtigkeit: Audiatur et altera pars - man muß auch die andere Seite hören! 299 Gewiß, dies geschieht auch, aber wie? Eine Vorgehensweise ist, wie bereits erwähnt, 300 der Gegenseite zwar eine Möglichkeit zum Replizieren zu geben, dies jedoch verkürzt und gerne unter Weglassung der Gesichtspunkte, auf die es der "Verteidigung" besonders angekommen wäre. Die Kulmination dieser Verfahrensweise ist dann erreicht, wenn nicht nur die eigentlich bedeutsamen Gesichtspunkte weggelassen, sondern Sequenzen wiedergegeben werden, die - aus dem Kontext gerissen - eher noch zur Bestätigung der "Anklage" dienen. Ein Beispiel für diese perfide Manipulationstechnik ist eine Äußerung des ehemaligen amerikanischen Außenministers Alexander Haig. Dieser wurde anläßlich eines Staatsbesuchs in der Bundesrepublik Deutschland von Vertretern der Friedensbewegung wegen einer tatsächlich (!) erfolgten Äußerung hart angegangen. Er sagte: "Es gibt wichtigeres als den Frieden...". Mit diesem Statement auf den Transparenten wurde gegen den Staatsmann in Deutschland mobil gemacht. Auch die realistischen Betrachter der damaligen Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik waren wohl von dieser Aussage irritiert. Wie um Gottes Willen kann ein führender Staatsmann der westlichen Welt so einen - auf den Transparenten der Demonstranten und damit im Fernsehen zu sehenden - Satz von sich geben? Zeugte dies nicht tatsächlich von einem verantwortungslosen, zumindest aber abenteuerlichen Handeln führender Staatsmänner der Schutz- und Supermacht USA? Daß ein wichtiger - eigentlich der relevante - Teil dieser Aussage einfach unterschlagen wurde, erfuhr die
296
BVerfGE 12, 113(130).
297
Zit. nach Kriele, ZRP 1990, S. 115.
298
Zit. nach Kriele, ZRP 1990, S.l 15.
299
Kriele,
300
ZRP 1990, S.l 17.
Vgl. unter Pkt. b), aa).
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
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Öffentlichkeit erst wesentlich später, und dies auch nur mit weitaus geringerer Publizität. Alexander Haig sagte: "Es gibt wichtigeres als den Frieden; nämlich den Frieden in Freiheit!" Dies wußte (oder wollte?) die Mehrzahl der "Friedensfreunde" nicht (wissen). Jedenfalls aber versäumten es die Medien bei ihrer damaligen Berichterstattung, daraufhinzuweisen. Entsprechendes gilt für den arg gebeutelten "Modeschlager" der Friedensbewegung: "Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin". Dieser von Bertolt Brecht stammende Satz dürfte jedem Angehörigen der jungen Generation in den achtziger Jahren, nicht zuletzt dank der Medien, geläufig gewesen sein. Wenn ein allseits anerkannter und berühmter Literat für eine pazifistische Grundhaltung wirbt, kann an dieser Haltung (so mögen damals viele gedacht haben) doch so Falsches nicht sein?!! Daß es sich hierbei nur um einen Satzteil eines eine ganz andere Sichtweise vermittelnden Gedichts handelte, wußten nur wenige. Brecht schrieb: "Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu Euch! Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will: Denn er wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat". Auch hier war in den Medien nie irgendein Hinweis auf diese doch so ganz andere Sichtweise zu finden. Solche und ähnliche Beispiele lassen sich beliebig weiter anführen. Sie zeigen, wie viel an der These von Günther Anders dran ist: Die schlimmste Manipulation ist nicht die Lüge, sondern das Weglassen des Relevanten! So kann man "mit lauter Wahrheiten eine falsche Welt vorspiegeln" (konstruieren). 301 Das Problem zeigt sich aber nicht nur beim Verschweigen des Relevanten, sondern auch beim Berichten, z.B. bei der hervorhebenden Selektion negativer Aspekte. 302
301
Zit. nach Kriele, ZRP 1990, S.l 15.
302
Vgl. die ausführliche Analyse von Kepplinger /Gotto /Brosius/Haak, S.91, wonach "die Problemsicht der Bevölkerung... eher an der Berichterstattung über die Probleme als an ihrer realen Entwicklung orientiert" ist, ferner die zusammenfassende Darstellung auf den Seiten 151 ff. 7 Stark
98
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Diese Manipulationstechnik ist, wie gezeigt, nicht nur bestens geeignet Personen öffentlich "hinzurichten", sondern auch Meinungen zu machen. In diesem zuletzt genannten Sinne fallt, worauf Kriele bereits hingewiesen hat, die unterschiedliche Behandlung von Menschenrechtsfragen in Ost und West besonders auf: "Wenn es möglich war, über Menschenrechtsprobleme in Chile, Südafrika, der Türkei, Südkorea oder den palästinensischen Gebieten zu berichten, dann wäre es auch möglich gewesen, uns über vergleichbare Zustände in Rumänien, Albanien, China, in der Sowjetunion oder Kuba auf dem laufenden zu halten". Dies wäre sicherlich nicht leicht gewesen. Sollten die Schwierigkeiten aber größer gewesen sein als in den nicht-sozialistischen Staaten, dann infolge eines noch schlimmeren Terrors. 303 In diesem Fall aber hätte eine adäquate Berichterstattung erst recht erfolgen müssen. Ob dahinter, wie Kriele vermutet, ein politisches Motiv stand ("man fürchtete, Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen in sozialistischen Staaten könne die Entspannungspolitik stören" 304 ), kann dahinstehen. Es reicht der (begründete) Verdacht der Manipulation; und dies ist schlimm genug! Was also ist zu tun? Staatliche Reglementierungen sind aus den genannten Gründen (Odium der Zensur) 305 deplaziert. Auch muß es dem Journalisten möglich bleiben, autonom auszuwählen, was relevant ist und was nicht. Dies ist unbestreitbar. Doch auch wenn dem Berufsstand des Journalisten ein gewisses Sendungsbewußtsein genuin sein mag, ist die Grenze des Zumutbaren jedenfalls dann überschritten, wenn sich die Auswahl des Relevanten nach der politisch favorisierten Meinung des Journalisten respektive des Mediums richtet. Gefragt ist demnach auch hier die freiwillige Selbstbeschneidung des Journalisten, flankiert von einer der Rechtsanwaltskammer vergleichbaren Institution ("Journalistenkammer"), um gewisse Mindeststandards einer pluralistischen, ausgewogenen und sachlichen Berichterstattung zu gewährleisten. 306
303
So Kriele, ZRP 1990, S.l 16.
304
Kriele,
ZRP 1990, S.l 16.
303
Vgl. unter Pkt. b), bb).
306
Vgl. hierzu die Ausführungen im Teil 3 unter Pkt. A.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
99
bb) Zum Abschluß: Die Weisheiten Sokrates Zum Abschluß dieses Exkurses sei dem Verfasser gestattet, einen philosophischen Gedanken wiederzugeben, der auf eine ganz besondere Art an das Erfordernis einer an Wahrheit, Objektivität und Mitmenschlichkeit orientierten "Berichterstattung" sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich appelliert: DIE DREI SIEBE Zu Sokrates kam ein Mann und sagte: "Höre, ich muß dir etwas Wichtiges über deinen Freund erzählen! "Warte ein wenig", unterbrach ihn der Weise, "hast du schon das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe hindurchgehen lassen?" "Welche drei Siebe?" fragte dieser. "So höre: Das erste Sieb ist das der Wahrheit. Hast du dich von der Wahrheit der Sache vergewissert?" "Nein, ich habe es von anderen gehört," erwiderte der Mann. "Nun denn, das zweite Sieb ist das der Güte. Ist die Ursache dafür, daß du diese Nachricht weitergeben willst, einem gütigen Motiv deines Herzen entsprungen?" Der Mann mußte schweigen. "Das dritte Sieb schließlich ist das der Nützlichkeit. Glaubst du, daß diese Nachricht meinem Freund oder mir von Nutzen sein wird?" Der Mann drehte sich wortlos um und ging. 3 0 7
307
Aus: Hoffsümmer,
S.86 u. S.87.
100
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
II. Die Schranken der Meinungs- und "Medienfreiheiten" Die Meinungs- und "Medienfreiheiten" werden ebenso wie die anderen Grundrechte von der Verfassung nicht vorbehaltlos geschützt. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Wichtigster und gleichzeitig umstrittenster Vorbehalt ist die Schranke der allgemeinen Gesetze.
1. Die allgemeinen Gesetze a) Historische Entwicklung Bereits die Weimarer Reichsverfassung gewährleistete in Art. 118 Abs.l WRV die Meinungsfreiheit innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze. Schon damals war höchst umstritten, was unter dem Begriff der "allgemeinen Gesetze" zu verstehen war. Angenommen wurde zunächst, daß die Schranke des Art. 118 Abs. 1 Satz 1 WRV ein einfacher Gesetzesvorbehalt sei. da das Wort "allgemeinen" sich nur durch ein Redaktionsversehen eingeschlichen habe und deshalb unbeachtlich sei. 308 Dem wurde jedoch schon früh entgegengehalten, daß das Wort "allgemeinen" schon deshalb nicht von der Auslegung als nicht vorhanden angesehen werden dürfe, weil das Plenum der Nationalversammlung es zum (Verfassungs-) Gesetz erhoben habe. 309 Demzufolge ging der Streit um den Inhalt des Begriffs der allgemeinen Gesetze weiter. Vertreten wurde im weiteren, daß unter dem Begriff der allgemeinen Gesetze die "allgemeingültigen, d.h. für alle Deutschen geltenden Gesetze zu verstehen seien". 310 Das hatte jedoch zur Konsequenz, daß das nur für Beamte geltende Beamtendisziplinarrecht, das unter der Geltung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis auch die Meinungsfreiheit einschränken sollte, nicht als ein allgemeines Gesetz galt. Denn es hatte nur für die Beamten und nicht für alle Deutschen Geltung. Unter Beachtung dieser Auslegung des Begriffs der allgemeinen Gesetze durfte es die Meinungsfreiheit plötzlich nicht mehr einschränken. Im Anschluß hieran wurde in Anlehnung an Häntzschel vertreten, daß allgemeine Gesetze diejenigen Gesetze seien, die "sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, nicht eine Meinung als solche verbieten", 311 sondern "dem Schutze eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen" (sog. Sonderrechtslehre). 312 In diesem Sinne sind die nicht-allgemeinen,
308
PrOVGE 77,512(519).
309
Anschütz, WDStRl., S.552; Rothenbücher. S.18,Smend, S.51.
310
Verwier,
311
Anschütz, WDStRl., S.75.
312
Rothenbücher, S.20.
AöR 45, S.6.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
101
also die besonderen Gesetze, "Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit". 313 Aber schon unter der Weimarer Reichsverfassung wurde diese sog. Sonderrechtslehre als zu formalistisch, ihr Begriff des allgemeinen Gesetzes als zu formal kritisiert und ein materieller Begriff des allgemeinen Gesetzes gefordert. So wurde insbesondere von Smend vertreten, daß der Begriff der "allgemeinen Gesetze" geisteswissenschaftlich, insbesondere geistesgeschichtlich zu verstehen und auszulegen sei. Demnach sollten allgemeine Gesetze solche sein, "die deshalb den Vorrang vor Art. 118 WRV haben, weil das von ihnen geschützte gesellschaftliche Gut wichtiger ist als die Meinungsfreiheit". 314 Auch der Parlamentarische Rat hat sich bei der Schaffung des Grundgesetzes wiederholt mit dem Begriff der "allgemeinen Gesetze" befaßt. So führt auch Weber 315 aus, daß mit der Beschränkung der Meinungsfreiheit durch die "Vorschriften der allgemeinen Gesetze" die Auffassung Häntzschels rezipiert werden sollte. 316 Hingegen fand die (Güterabwägungs-) Lehre von Smend in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates keinerlei Erwähnung. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich erstmals und grundlegend im sog. Liith-Urteil 317 vom 15.01.1958 mit dem Begriff der "allgemeinen Gesetze" auseinandergesetzt. Es hat - "auf eine scheinbar elegante Weise" - 3 1 8 einfach beide Lehren kombiniert und versteht seitdem in ständiger Rechtsprechung unter allgemeinen Gesetzen solche, "die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit Vorrang hat".
b) Die heutige Bedeutung unter Berücksichtigung der sog. Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts aa) Die Existenzberechtigung
der Wechselwirkungstheorie
Mit dieser kombinierten Definition kommt das Bundesverfassungsgericht heute zu einer zweistufigen Prüfung:
313
So schon Häntvchel, AöR 49, S.232.
314
Smend, S.51.
315
Weber R., AcP 1972, S.303.
316
Ebenso Gornig, S.275, Fn 3.
317
BVerfGE 7, 198 ff.
319
Ladeur, S.531.
102
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Auf der ersten Stufe wird unter Anwendung der Sonderrechtslehre untersucht, ob ein allgemeines Gesetz vorliegt. 319 Auf der zweiten Stufe kommt es "im Sinne des Smendschen Gedankengutes"320 zur Güterabwägung. Allerdings nur dann, wenn das in Rede stehende Gesetz ein allgemeines Gesetz im Sinne der Sonderrechtslehre ist. 3 2 1 In diesem Sinne verstärkt das Bundesverfassungsgericht die Sonderrechtslehre, indem es die Meinungsfreiheit auch vor den allgemeinen Gesetzen schützen will, die dem Schutz eines Gemeinschaftsgutes dienen, das gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit nicht den Vorrang hat. Die Abwägungslehre erfüllt damit die Funktion einer Schranken-Schranke, wie sie sonst der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zukommt. 322 Allerdings - und dies ist für das weitere Verständnis des Begriffs der allgemeinen Gesetze grundlegend - sollen nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Abwägung die die Meinungsfreiheit beschränkenden allgemeinen Gesetze "ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen werden" 323 (sog. Wechselwirkungslehre oder auch spöttisch "Schaukeltheorie" genannt) 324 . Damit ist "die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz... nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die allgemeinen Gesetze aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in dieser das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen".325 Diese Lehre fuhrt dazu, daß nicht mehr, wie von der Abwägungslehre eigentlich gefordert, abstrakt zwischen der Meinungsfreiheit und dem von dem "allgemeinen Gesetz" geschützten Rechtsgut abgewogen wird; vielmehr gewinnt so die Grundrechtsausübung in concreto Relevanz. 326 Die Entwicklung und Anwendung der Wechselwirkungstheorie ist im Schrifttum bis in die jüngste Vergangenheit auf teilweise geharnischte Kritik gestoßen.327 Kritisiert wird u.a., daß "eine das Grundrecht beschränkende Norm logisch nicht in der Reichweite 319
Schmitt-Glaeser,
320
So Schmitt-Glaeser,
321
Hoppe, S.737; Hesse, Rn 399.
322
Pieroth/Schlink,
323
Ständige Rechtsprechung seit: BVerfGE 7, 198 (208).
AöR 97, S.281; Hoppe, S.737; BK-Degenhart, Art.5 I. II, Rn 103. AöR 97, S.281 : ähnlich auch BK-Degenhart, Art.5 I, II, Rn 103.
Rn 674; Hoppe, S.737.
324
Tettinger,
325
BVerfG 7, 198 (209).
S.318.
326 So dringt in der grundlegenden Entscheidung die Verfassungsbeschwerde Lüths deshalb durch, weil er nach Auffassung des Gerichts uneigennützige Ziele verfolgt und dabei einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet habe, und es sich bei ihm - als Senatsdirektor - um einen dazu Legitimierten gehandelt habe (BVerfGE 7, 198 (212)). 327 Nipperdey, DVB1. 1958, S.448; Lerche, DVB1. 1958, S.526; Schwenk, S.1322; Bettermann, S.602; Kiesel, S. 1130; Schwinge, Ehrenschutz heute, S.85.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
103
der Beschränkung wegen der inhaltlichen Wertigkeit des grundrechtlichen Rechtsguts beschränkt werden (könne)". 328 Aus dieser Erwägung wurde dem Bundesverfassungsgericht der Vorwurf einer "Zirkelschlußargumentation" gemacht. 329 Nach Bettermann 330 betreibt das Bundesverfassungsgericht mit der Wechselwirkungslehre gar "Kasuistik und Fallentscheidung statt Verfassungsinterpretation". Aus dem in Art. 5 Abs.2 GG normierten "Gesetzesvorbehalt" werde so ein "Urteilsvorbehalt". 331 Schließlich sei die Wechselwirkungslehre abzulehnen, weil sie einfachgesetzlich geschützte Werte auf die verfassungsrechtliche Ebene katapultiere und diese Werte dort als ranggleiche Konkurrenzwerte zur Meinungsfreiheit behandele.332 Damit nivelliere die Wechselwirkungslehre die extreme Nachrangigkeit des Unterverfassungsrechts, die im Verhältnis zum Verfassungsrecht besteht. 333 Trotz dieser Kritik hält das Bundesverfassungsgericht bis heute unbeirrt an der Wechselwirkungslehre fest, m.E. zu Recht! Denn ohne die Wechselwirkungstheorie müßte die Meinungsfreiheit "jedem anderen auch noch so unbedeutenden Rechtsgut weichen", wenn es nur in Gestalt eines "allgemeinen Gesetzes" erscheinen würde. 334 Daß eine derartige "Beschränkungsautomatik" aber nicht mit der großen - konstituierenden - Bedeutung des Art. 5 GG konform gehen kann, ist evident. Insoweit hat die Wechselwirkungslehre heute noch zu Recht eine besondere Berechtigung. bb) Gleichsetzung mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz Auch wenn die Wechselwirkungslehre in gewisser Weise an den Gedanken des nach beiden Seiten "schonenden Ausgleichs", respektive an das Prinzip der praktischen Konkordanz erinnert, erscheint eine Egalisierung jedoch nicht vertretbar. Genau dies wird jedoch von der überwiegenden Meinung des Schrifttums vertreten: Dem Bundesverfassungsgericht gehe es mit der Wechselwirkungslehre letztlich um die Herstellung "praktischer Konkordanz" durch verhältnismäßige Zuordnung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG auf der einen und den durch die "allgemeinen Gesetze" geschützten Rechtsgütern auf der anderen Seite. 335 Diese 328
Kiesel,
S.l 130.
329
Kiesel, S.1130 verweisend auf Hamann /Lenz, Art.5, Anm. 9; sowie Ossenbühl, S.2107; M/D/HHerzog, Art.5 I, II, Rn 261 u. 262. 330
Bettermann, S.602.
331
Lerche, DVB1. 1958, S.526, Fn 28.
332
Bertuleit-Herkströter,
333
F ohmann, S.78, Fn 89.
334
Schmitt-Glaeser,
335
S.323.
AöR 97, S.280; ders., JZ 1983, S.98.
Hesse, Rn 72; v.Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und Ehrenschutz, S.133; Schmitt-Glaeser, AöR 97, S.283; ders., AöR 113, S.91.
104
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Gleichsetzung kann nicht überraschen. Schließlich deuten auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts darauf hin, daß es mit der Wechselwirkungslehre letztlich auf das Prinzip der praktischen Konkordanz abstellen will. So hat es wiederholt konstatiert, daß die Anwendung der Wechselwirkungslehre eine verfassungsmäßige Zuordnung der durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte und der durch die "allgemeinen Gesetze" geschützten Rechtsgüter erforderlich mache, 336 "um sowohl die in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Freiheiten, als auch die durch die allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs.2 GG geschützten Rechtsgüter weitestmöglich zu wahren". 337 Entgegen der überwiegenden Ansicht ist jedoch eine Gleichsetzung des Prinzips der praktischen Konkordanz mit der Anwendung der Wechselwirkungslehre abzulehnen. Dem Prinzip der praktischen Konkordanz liegt der Gedanke der Einheit der Verfassung zugrunde. 338 Anwendung findet dieses Prinzip somit immer dann, wenn gleichrangige Verfassungsgüter kollidieren. Anders als bei der abstrakten Güterabwägung, "bei der regelmäßig einem Rechtsgut auf Kosten eines anderen der Vorrang eingeräumt wird", 3 3 9 ist deshalb hier eine gleichgewichtige Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter erforderlich. Beiden Rechtsgütern werden Grenzen gezogen, damit unter Beachtung der jeweiligen besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles "beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können". 340 Demgegenüber tendiert die Wechselwirkungslehre wohl in die entgegengesetzte Richtung. Sie soll sicherstellen, daß der besondere Wertgehalt der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG gewahrt bleibt. Deshalb sollen die allgemeinen Gesetze ja gerade "im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG" interpretiert werden. Letztlich handelt es sich hierbei -besonders wenn die Kombination mit der bekannt ("berüchtigten") Vermutungsformel erfolgt - um nichts anderes, als um eine "Vorab-Höherbewertung" des Art. 5 Abs.l GG auf Kosten des durch das allgemeine Gesetz geschützten Rechtsgutes. 3417342 Die Richtigkeit dieser Interpretation der Wechselwirkungslehre wird durch das Bundesverfassungsgericht schließlich selbst bestätigt: So wurde etwa das Erfordernis einer Beachtung der Pressefreiheit durch die (hier nur) als "allgemeine Gesetze" eingeordneten Ehrenschutzvorschriften (auch) damit begründet, daß es "mit dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG) unvereinbar (wäre 343 ), wenn eine verfassungsrechtliche Gewährleistung kraft einfachen Rechts ausge-
336
BVerfGE 60, 234 (240); 74, 297 (337).
337
BVerfGE 69, 257 (269 u. 270).
338
Hesse, Rn 72.
339
Stern, FS fur Hübner, S.827.
340
Hesse, Rn 72.
341
Besonders deutlich wird dies in BVerfGE 62, 230 (247).
342
Schmitt-Glaeser,
343
Hinzufügung durch den Verfasser.
AöR 113, S.93.
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
105
schaltet werden könnte". 344 Ähnlich formulierte es in einem Beschluß vom 22.06.1982: "Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Freiheit der Meinungsäußerung kann durch Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nicht beiseite geschoben werden; dies wäre mit dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs.3, Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar". 345 Eindeutig heißt es schließlich in dem Verdikt vom 15.1 1.1982: 346 "Der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit kommt grundsätzlich ein Vorrang vor (den) durch allgemeine Gesetze geschützten Rechtsgütern zu, soweit eine Äußerung Bestandteil der ständigen geistigen Auseinandersetzung, des Kampfes der Meinungen um Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung ist, der fur eine freiheitliche demokratische Ordnung schlechthin konstituierend ist..". Ein derartiger apriorischer Vorrang eines Grundrechts gegenüber einem anderen ist aber dem Prinzip der praktischen Konkordanz, wie gezeigt, gerade fremd. Insoweit ist eine Gleichsetzung der Wechsehvirkungslehre mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz abzulehnen. Festzuhalten bleibt demnach, daß der vom Bundesverfassungsgericht entwikkelten Wechselwirkungslehre dem Grunde nach zu folgen ist. Eine Gleichsetzung mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz kommt jedoch nicht in Betracht. 2. Die Gesetze zum Schutze der Ehre Wie bereits festgestellt, 34' ist das Recht der persönlichen Ehre in Art. 5 Abs.2 GG als eine (weitere) ausdrückliche Schranke der Meinungsfreiheit ausgestaltet. Umstritten und bereits untersucht wurde. 348 ob das Recht der persönlichen Ehre nur insoweit eine (die Meinungsfreiheit) einengende Schranke ist, als es eine einfachgesetzliche Konkretisierung erfährt. Insofern kann hier auf die bereits gemachten Ausführungen verwiesen werden. Höchst strittig - u n d in dieser Arbeit bislang noch nicht untersucht - ist jedoch die Frage nach der Einordnung des Rechts der persönlichen Ehre in das Schrankensystem des Art. 5 Abs.2 GG.
344
BVerfGE 60, 234 (242).
345
BVerfGE 61, 1(10).
346
BVerfGE 62. 230 (247).
347
Vgl. hierzu unter Α., II., 2., a).
348
Vgl. Pkt. Α., II., 2., a).
106
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
a) Das Verhältnis der Schranke der persönlichen Ehre zu der Schranke der allgemeinen Gesetze Namentlich geht es hierbei um die Frage nach dem Verhältnis der Schranke der persönlichen Ehre zu der Schranke der allgemeinen Gesetze. aa) Der Meinungsstand Eine Meinung vertritt die Ansicht, die subkonstitutionellen Ehrenschutzbestimmungen seien das Gegenteil von "allgemeinen Gesetzen". Sie stellten "de facto Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit dar". 3 4 9 Demzufolge sei die Erwähnung des Rechts der persönlichen Ehre erforderlich gewesen, um die subkonstitutionellen Ehrenschutzbestimmungen überhaupt als die Meinungsfreiheit begrenzenden Gesetze erfassen zu können. Daraus folge notwendigerweise, daß es sich bei dem "Recht der persönlichen Ehre" nicht etwa um das Beispiel eines allgemeinen Gesetzes, sondern um einen eigenständigen Schrankenvorbehalt handele. Demgegenüber präsentierte sich das Bundesverfassungsgericht lange Zeit uneinheitlich und bis heute ohne klare dogmatischen Vorgaben: Teilweise wurde der Ehrenschutz ohne Begründung im Rahmen der allgemeinen Gesetze geprüft, 350 teilweise wurden beide Schranken zwar als getrennte gesetzliche Normierungen erwähnt, die ehrverletzenden Tatbestände aber gleichwohl unter die allgemeinen Tatbestände subsumiert. 351 Vertreten wurde aber auch, daß die Ehrenschutzbestimmungen nicht unter den Begriff der allgemeinen Gesetze subsumiert werden können. 352 Die Auseinandersetzung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Schrankenvorbehalt der persönlichen Ehre, respektive dessen Verhältnis zu den allgemeinen Gesetzen, stellt sich daher als ausgesprochen unzureichend, weil lückenhaft und widersprüchlich, dar. Jedenfalls läßt sich zwischenzeitlich zumindest die Tendenz erkennen, daß das Gericht dem dritten Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs.2 GG heute keine eigenständige Funktion (mehr?) zuerkennt. 3537354
349 v.Decken, NJW 1983, S.1402; im Ergebnis ebenso: Gornig, S.277 u. S.279, Rehbinder, NJW 1962, S.2140; Bettermann, S.609; Ridde r, JZ 1961, S.539; I/K-Schmidt-Jortzig, Bd. VI, § 141, Rn 47 u. Rn 48. 350
BVerfGE 12, 113 (124); 47, 130 (143); 54, 129 (136 ff).
351
BVerfGE 42, 162 (169); 60, 234 (240); 61, 1 (8 ff).
352 So wurden in dem Beschl.v. 14.03.1972 (BVerfGE 33, 1 (16 u. 17)) zwar im Rahmen der Prüfung des Rechts der persönlichen Ehre die §§ 185 ff StGB, 374 ff StPO, 823 ff BGB als in Betracht kommende Ehrenschutzbestimmungen genannt, jedoch bei der Prüfung des Vorliegens allgemeiner Gesetze nicht erwähnt; dies ist eigentlich ein deutliches Indiz dafür, daß das BVerfG die Ehrenschutzbestimmungen lediglich als vom dritten Schrankenvorbehalt erfaßt sah. 353 354
Pieroth fSchlink,
Rn 683.
Gleiches gilt im übrigen auch für die in Art.5 II GG genannten "gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend". Dies wird deutlich in der Entscheidung des BVerfG vom 22.06.1960 (BVerfGE 11,
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
107
In diese Richtung tendiert auch eine vormals stark vertretene Ansicht in der Literatur. Diese war der Auffassung, die besondere Erwähnung des "Rechts der persönlichen Ehre" sei als Schranke der Meinungsfreiheit, als das Beispiel eines durch ein allgemeines Gesetz geschützten Rechtsgutes (ergo exemplifikativ), zu verstehen. 355 bb) Stellungnahme Für die zuletzt genannte Auffassung der Literatur und der Rechtsprechung könnte vordergründig der Wortlaut einiger Vorentwürfe des Art. 5 Abs.2 GG sprechen. So findet sich in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 25.01.1949 zu Art. 6 Abs.4 folgende Formulierung: 356 "Diese Rechte finden ihre Grenze in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Presse, Rundfunk und Film haben die Pflicht, wahrheitsgetreu zu berichten". Die Tatsache, daß das Wort "insbesondere" aber letztlich aus dem Verfassungstext gestrichen wurde, spricht dafür, daß dies bewußt geschah, um deutlich zu machen, daß das Recht der persönlichen Ehre eben nicht nur ein Beispielfall für allgemeine Gesetze sein sollte, sondern ihm eigenständige Bedeutung zukomme. Von daher spricht die Berücksichtigung des Wortlauts einiger Vorentwürfe des Art. 5 Abs.2 GG eher für als gegen eine eigenständige Bedeutung des Rechts der persönlichen Ehre. 357 Daneben lassen sich gegen die Annahme eines "Insbesondere-Verhältnisses", also einer völligen Kongruenz der drei Schranken des Art. 5 Abs.2 GG, weitere gesetzes- und verfassungsinterpretatorische Gesichtspunkte fruchtbar machen: Wäre die Annahme der Kongruenz zutreffend, so wäre der konkret formulierte Vorbehalt eigentlich überflüssig. 358 Die besondere Erwähnung des Ehren- und Jugendschutzes zeigt jedoch "wenigstens die Akzentuierung einer spezifischen Wertigkeit der damit angesprochenen Rechtsgüter," 359 so daß dies schon deutlich gegen die angenommene Deckungsgleichheit spricht. In diesem Zusammenhang erscheint folgender Gesichtspunkt von entscheidender Relevanz:
234 (238), wo es zwar ohne Begründung - aber dennoch ausdrücklich - die Jugendschutzbestimmungen in ein "Insbesondere-Verhältnis" zum allgemeinen Gesetz i.S.d. Art.5 II GG setzte. 355 Statt vieler: Coing, Ehrenschutz und Presserecht. S.10; ähnlich auch BK-Degenhart, Rn 118. 356
Drucksache 543.
357
Ebenso Kriele, NJW 1994, S.1898 u. S.1899.
358
Krüger,
359
S.9; M/D/H-Herzog,
Schmitt-Glaeser,
Art.5 I, II, Rn 245.
AöR 97, S.290.
Art.5 I, II,
108
Teil 1: Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Während durch "allgemeine Gesetze" (aufgrund der Sonderrechtslehre) prinzipiell jedes - auch noch so unbedeutende - Rechtsgut geschützt werden kann, geht es beim Schutz der persönlichen Ehre immer um ein Rechtsgut von Verfassungsrang. 360 Daraus folgt zwingend, daß die Vorschriften der "allgemeinen Gesetze" und das "Recht der persönlichen Ehre" zwei qualitativ voneinander zu unterscheidende Schranken darstellen. 361 Dann ist aber evident, daß von einer völligen Kongruenz der Schranke der "allgemeinen Gesetze" und des "Rechts der persönlichen Ehre" eigentlich nicht ausgegangen werden dürfte. Vielmehr sind die Teilschranken des Art. 5 Abs.2 GG ernstzunehmen, d.h. der Schranke der persönlichen Ehre eine eigenständige, die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG einschränkende Funktion zuzuerkennen. 362 Das bedeutet jedoch nicht, daß die (subkonstitutionellen) Ehrenschutzvorschriften damit keine allgemeinen sondern besondere Vorschriften im Sinne eines Sonderrechts sind. Diese (zuerst) genannte Auffassung 363 verkennt, daß nur solche Gesetze besondere Gesetze im Sinne eines Sonderrechts sind, die gegen bestimmte Meinungen gerichtet sind, also Meinungen wegen ihres Inhalts respektive ihrer geistigen Zielrichtung unterdrücken. Die subkonstitutionellen Ehrenschutzvorschriften intendieren dies aber gerade nicht. Sie enthalten nur Beschränkungen hinsichtlich (der ehrverletzenden) Art und Weise der Meinungsäußerung. Insoweit genügen die subkonstitutionellen Vorschriften durchaus auch den Anforderungen der Allgemeinheit. Sie sind zwar eigengeartete, aber eben auch allgemeine Gesetze! Dies bedeutet für die Praxis, daß die für die Auslegung und Anwendung der ersten Schranke des Art. 5 Abs.2 GG entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf die dritte Schranke übertragen werden können. In diesem Kontext erscheint es vor allem höchst bedenklich, die Wechselwirkungstheorie auf das "Recht der persönlichen Ehre" anzuwenden.
b) Das Recht der persönlichen Ehre und die Wechselwirkungslehre Wie bereits aufgezeigt, 364 gilt die Verhinderung einer Beschränkungsautomatik als Verdienst der Wechselwirkungslehre, da die Meinungsfreiheit anderenfalls jedem noch so unbedeutenden Rechtsgut zu weichen hätte. Hierauf aufbauend wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten,
360
Vgl. hierzu unter Pkt. Α., II., 2., a).
361
So wohl auch Stern, FS fur Hübner, S.823 - 824; vgl. femer Krüger, S. 11.
362
So auch v.M.-Wendt,
Art.5, Rn 83; Maunz/Zippe!ins,
363
§ 24 II ff.
v.Decken, NJW 1983, S.1402; ausdrücklich auch Gornig, S.277 u. S.279, Rehbinder, NJW 1962, S.2140: Bettermann, S.609,Ridder, JZ 1961, S.539. 364
Vgl. hierzu unter Pkt. Β., II., 1., b).
109
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
daß die Wechselwirkungslehre auch auf die spezielle Schranke des Rechts der persönlichen Ehre anzuwenden sei. 365 Dies ist jedoch abzulehnen. Denn im Unterschied zu den beiden ersten in Art. 5 Abs.2 GG genannten Schranken, erfolgt die Grundrechtsbegrenzung bei dem hier in Rede stehenden Recht der persönlichen Ehre nicht (erst) durch subkonstitutionelles, sondern vielmehr durch konstitutionelles Recht. 366 Dies ergibt sich bereits daraus, daß der Verfassungsgeber, wie bereits festgestellt, 367 mit der dritten Schranke ein eigenständiges, verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut normieren wollte. 3 6 8 Legt man dies zugrunde, läßt sich die Gefahr einer Unterwanderung der in Art. 5 Abs.l GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechte durch einfaches Recht nicht mehr begründen. Vielmehr handelt es sich hierbei dann um die Kollision zweier verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter. 369 Die Quintessenz dieser Überlegung muß dann aber sein, daß die Wechselwirkungstheorie, welche ihre (aufgezeigte) Berechtigung bei Begrenzungen der Meinungsfreiheit durch "allgemeine Gesetze" hat. dann nicht angewendet werden darf, wenn es um die Einschränkung von Freiheiten durch Werte von Verfassungsrang - hier das Recht der persönlichen Ehre - geht. 370 Indem das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Ehre wie andere (einfache) grundrechtsbegrenzende Gesetze den Einschränkungen der Wechselwirkungstheorie unterwirft, wird es dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der persönlichen Ehre nicht gerecht. Resümierend muß daher - entgegen dem Bundesverfassungsgericht und einem Teil der Literatur - festgehalten werden, daß dem "Recht der persönlichen Ehre" eine eigenständige Schrankenfunktion zukommt und nicht der Wechselwirkungstheorie unterworfen werden kann. Anderenfalls würde die Bedeutung des (Verfassungs-) Rechtsguts "Ehre" in der Schrankensystematik des Art. 5 Abs.2 GG verkannt, vor allem aber der verfassungsrechtliche Schutz dieses "Quasi-Grundrechts" ausgehöhlt. 3. Die Gesetze zum Schutze der Jugend Bei den Jugendschutzbestimmungen handelt es sich um Regelungen, die bestimmt und geeignet sind jugendgefährdende Einflüsse abzuwehren, d.h. äußere Anstöße zu schwer oder gar nicht korrigierbaren Fehlentwicklungen der jugend365
Ausdrücklich seit BVerfGE 42, 143 (150); wohl auch L/R/H,
366
Ebenso v.Decken, NJW 1983, S.1402; Krüger, S.l 1; Gornig, S.278.
367
Vgl. unter Pkt. Α., II., 2., a).
368
M/D/H-Herzog,
Art.5, Rn 981.
Art.5 I, II, Rn 275; Rehbinder, S.317; Schmitt-Glaeser.
AöR 113, S.98.
369
So wohl auch Schmitt-Glaeser, AöR 113, S.98, wenn er feststellt, daß ein Ausgleich (der Meinungsfreiheit und des Ehrenschutzes) nur durch eine "gleichrangige" Berücksichtigung vorzunehmen sei. 370 Ebenso v.Decken, NJW 1983, S.1402; wohl auch Schmitt-Glaeser. 1983, S.99.
AöR 113, S.98; ders., JZ
110
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
liehen Persönlichkeit zu unterbinden. Auf die sachliche Erstreckung im einzelnen kann hier jedoch nicht eingegangen werden. 371 Systemmethodisch gilt für diese Bestimmungen jedoch das gleiche, wie für das Recht der persönlichen Ehre: Das Bundesverfassungsgericht neigt auch hier dazu, dieser Bestimmung die eigenständige Bedeutung abzusprechen und sie lediglich als Unterfall der allgemeinen Gesetze zu betrachten. 3 2 Insoweit kann auf die bereits dargelegten Ausführungen verwiesen werden. 4. Die immanenten Schranken der Meinungs- und "Medienfreiheiten
"
Wie gezeigt, werden die Meinungs- und "Medienfreiheiten" des Art. 5 Abs. 1 GG mehr - in praxi eher weniger - durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Fraglich ist nun, ob durch diese Gesetzesvorbehalte die Grenzen der Meinungs- und "Medienfreiheiten" endgültig abgesteckt sind, oder ob es neben den allgemeinen Gesetzen, den Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre noch andere Grenzen dieses Freiheitsrechts gibt. Beginnend mit dem Mephisto-BeschluR vom 24.02.1971 373 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die Grundrechte auch durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Werte immanent begrenzt werden. Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht zunächst nur im Zusammenhang mit den sog. "vorbehaltlosen" Grundrechten aufgestellt. Da es sich bei dieser Rechtsprechung aber lediglich um einen Sonderfall der systematischen Verfassungsauslegung handelt,3 4 spricht viel dafür, daß dies mutatis mutandis für alle Grundrechte, also auch für solche gelten soll, die wie Art. 5 Abs.l GG bereits über einen Gesetzesvorbehalt verfügen. 375 Demgegenüber vertreten Pieroth/Schlink die Ansicht, daß eine Restriktion durch die sog. immanenten Schranken nur bei den vorbehaltlosen, nicht aber bei den Grundrechten mit einem bereits bestehenden Gesetzesvorbehalt eingreifen soll: "Dort, wo das Grundgesetz Gesetzesvorbehalte enthält, hat es die Kollisionsgefahren gesehen und die EingrifTsmöglichkeit so geschaffen, wie es auch die Eingriffsnotwendigkeit bejaht. Bei den Grundrechten mit Gesetzes vorbehalten besteht zu Überlegungen über kollidierendes Verfassungsrecht kein Anlaß".376
371
Vgl. hierzu Bauer, S.41 ff; v.M.-Wendt,
372
BVerfGE 11, 234 (238); vgl. auch 30, 336 (353); femer Pieroth/Schlink,
373
BVerfGE 30, 173 (193); vgl. auch BVerfGE 32, 98 (107 u. 108).
374
So M/D/H-Herzog,
So auch Maunz/Zippelius, Art.5 I, II, Rn 293. Pieroth/Schlink,
Rn 683.
Art.5 I, II, Rn 293.
375
376
Art.5, Rn 79 ff.
Rn 378.
§ 24 I ff; 1/K-Schmidt-Jortzig,
Bd. VI, § 141, S.660; M/D/H-Herzog,
Β. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten"
111
Wäre diese Auffassung zutreffend, so könnten die vorbehaltlosen Grundrechte letztlich stärker relativiert werden als die vorbehaltlich gewährten Grundrechte. Daß dies nicht sein kann, liegt auf der Hand. Aus diesem Grund wird man daher eine Restriktion durch immanente Schranken letztlich für alle Grundrechte anzunehmen haben. 3 7 7 7 3 7 8 Um jedoch ein Unterlaufen der gesetzlichen Vorbehalte zu vermeiden, wird man verlangen müssen, daß zunächst die grundrechtlichen Vorbehalte geprüft werden, bevor auf die immanenten Schranken zurückgegriffen wird. In concreto bedeutet dies, daß zunächst die Schranken des Art. 5 Abs.2 GG beachtet werden müssen, ehe man auf die Grundrechte Dritter oder Werte von Verfassungsrang zurückgreift. Dies zeigt, daß die praktische Bedeutung einer Restriktion der Meinungs- und "Medienfreiheiten" durch die immanenten Schranken relativ gering bleibt. Denn in aller Regel dürfte davon ausgegangen werden, daß die allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs.2 GG, vor allem aber das in derselben Vorschrift normierte Recht der persönlichen Ehre wohl zum gleichen Ergebnis führen dürften. Gesteigerte Bedeutung erlangt eine Beschränkung durch die immanenten Schranken jedoch dann, wenn die auf Art. 5 Abs.2 GG beruhenden einfachen Gesetze in einem besonders gelagerten Einzelfall einmal dem Schutzauftrag eines anderen Grund- oder Verfassungsrechts (z.B. dem Menschenwürdesatz 379) nicht vollständig gerecht werden sollten. Daneben ist die Beschränkung durch immanente Schranken von Relevanz, wenn es um Gesetze geht, die sich gegen eine bestimmte Meinung richten, also nicht allgemein sind. Als Beispiel seien hier die §§86 Abs.l Nr.4, 86 a StGB genannt, die sich eindeutig gegen eine bestimmte Meinung, nämlich gegen die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, richten. Gerade in diesem letztgenannten Fall helfen die immanenten Schranken weiter: Die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts wird aufgrund anderer Werte von Verfassungsrang, hier der freiheitlichen Grundordnung und des Gedankens der Völkerverständigung, zu Recht, id est in verfassungskonformer Weise, verboten. 380 Festzuhalten bleibt demnach, daß die Meinungs- und "Medienfreiheiten" des Art. 5 Abs. 1 GG auch durch die sog. immanenten Schranken begrenzt werden können. Besondere Bedeutung kommt hierbei vor allem dem Art. 1 Abs. 1 GG zu, wenn die auf Art. 5 II GG beruhenden einfachen Gesetze in einem besonders gelagerten Einzelfall einmal dem Schutzauftrag des Menschenwürdesatzes nicht in adäquater Weise berücksichtigt haben.
377 Ebenso: Maunz/Zippelius, Art.5 I, II, Rn 293.
§ 24 I ff; I/K-Schmidt-Jortzig,
Bd. VI, § 141. S.660; M/D/H-Herzog,
378
Vgl. insoweit auch: BVerfGE 72, 122 (137) zu Art.2 I GG; BVerfGE 66, 116 (136) zu Art.5 I GG.
379
Vgl. hierzu die Ausführungen bei M/D/H-Herzog,
380
Art.5 I, II Rji, 294.
Vgl. hierzu BGH, NJW 1979, S.1555; OLG Hamm, NJW 1982, S.1656 u. S.1657; Kohlmann, S.682 u. S.683.
112
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
C. Abwägungskriterien bei der Kollision der Meinungs- und "Medienfreiheiten" mit dem Recht der persönlichen Ehre
I. Die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht hat im Falle der Kollision der Meinungsfreiheit mit anderen rechtlich geschützten Interessen Dritter eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, die vorgeblich einen intercssengerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gewährleisten sollen. 1. Die sogenannte Vermutungsformel Zu den zunächst entwickelten und beachtenswerten Grundsätzen zählt die sog. "Vermutungsformel". Darin stellt das Bundesverfassungsgericht die These auf, daß der besondere Wertgehalt der Meinungsfreiheit in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen "Vermutung" für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, fuhren müsse.1 Als maßgeblich für die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung wurde demnach in erster Linie ihr objektiver Inhalt angesehen (objektiver Öffentlichkeitsbezug). Desto weniger es sich nicht um eine Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr handele, und je mehr es um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten 2 ginge, spreche die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. Interessen des einzelnen müßten hierbei grundsätzlich zurücktreten. 3 Fehle einer Meinungsäußerung dagegen der Öffentlichkeitsbezug, beispielsweise bei "Gegenständen ohne allgemeines Interesse" 4. "Angelegenheiten ohne allgemeiner Bedeutung"2* oder "Auseinandersetzungen im privaten Bereich" 6 , solle eine derartige Grundrechtsbetätigung "von der ratio der besonderen Bedeutung der Freiheiten des Art. 5 Abs.l GG nicht umfaßt" werden Daneben stellt das
1
BVerfGE 7, 198 (208); aus neuerer Zeit BVerfG, StrVert 1992, S.269.
2
Daß es sich hierbei um einen "Legitimierten" handeln muß, wurde erstmals im L«f/r-Urteil (BVerfGE 7, 198 (212)) gefordert. In den Folgeentscheidungen wurde der "Legitimierte" jedoch nicht mehr erwähnt. Überraschenderweise tauchte er jedoch wieder im Wahlkampf-BeschhiiS des BVerfG (61, 1 (11)) auf. Der Verfassungsinterpret fragt sich, "wer ist eigentlich ein Legitimierter?" {Stern. FS für Hübner, S.817, Fn 15). Gehört er gar zu einer "Vorzugsklasse von Grundrechtsträgern?" {Ridder, AfP 1973, S.455). Wo war er zwischenzeitlich? Ist mit "ihm" wieder zu rechnen?. 3
BVerfGE 7, 198 ff.
4
BVerfGE 54, 129 (137); 66, 116 (151).
5
BVerfGE 60, 234 (240).
6
BVerfGE 54, 129(137); 66, 116(151).
7
BVerfGE 71, 206 (220).
C. Die Abwägungskriterien
113
Bundesverfassungsgericht bei der Frage nach der Zulässigkeit der Äußerungen wiederholt auf die Motive des Kommunikators ab (Zweck der Äußerung oder subjektiver Öffentlichkeitsbezug). Der freiheitliche Gehalt dieses Grundrechts müsse vor allem dort in die Waagschale fallen, wo von ihm nicht "zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht" werde, etwa "in Verfolgung eigennütziger Ziele" 8 , sondern primär zur Bildung der öffentlichen Meinung beigetragen werden sollte.9 Die "Vermutungsformel" wurde in späteren Entscheidungen für Auseinandersetzungen im Wahlkampf noch zur "Super-Vermutungsformel" 10 erweitert. So führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß in einer Situation wie dem Wahlkampf, in "welcher der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert" sei, Art. 21 Abs.l Satz 1 GG noch die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede verstärke. Dies "mit der Folge, daß gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden" dürfe. 11 Auch in Teilen der Literatur findet diese Rechtsprechung Zuspruch. So ist etwa Gounalakis 12 der Auffassung, daß der Ehrenschutz in der politischen Diskussion grundsätzlich zurückzutreten habe. Dies gelte zwar nicht ausnahmslos, so daß die Grenze dann erreicht sei, wenn die "reine Schmähkritik" beginne, doch komme dies - zumindest bei der Karrikatur und Satire - in der Gerichtspraxis so gut wie nie vor. 13 Demgemäß dürften potentiell Interessierte nicht von der Teilnahme an der öffentlichen Diskussion abgehalten werden, so daß gewisse "Härten und Schärfen" in Kauf zu nehmen seien.14 Gegen diese sog. Vermutungsformel bestehen jedoch erhebliche Bedenken: Zunächst ist festzustellen, daß das Grundgesetz weder im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte noch nach seinem Geist oder Wortlaut einen Anhaltspunkt dafür bietet, daß der (politischen) Ausübung eines Grundrechts - hier der Meinungsfreiheit - irgendeine pauschale Sonderstellung zukommen soll. 15 Dies würde das Bestehen einer objektiven Wertrangordnung voraussetzen, was dem
8
BVerfGE 7, 198 (212); 61, 1 (11).
9
BVerfGE 7, 198 (212); 42, 163 (171); 61, 1 (11); einschränkend jedoch BVerfGE 12, 113 (127); dort wurde artikuliert, das Motiv könne fur die Beurteilung einer Äußerung nicht allein ausschlaggebend sein. 10
So Schmitt-Glaeser,
11
BVerfGE 61, 1 (11 u. 12) = NJW 1983, S.1416; ebenso OLG München. AfP 1992, S.260.
JZ 1983, S.99.
12
Gounalakis, NJW 1995, S.809 ff.
13
Gounalakis, NJW 1995, S.815 u. S.816.
14
Gounalakis, NJW 1995, S.815.
15
In diesem Sinne auch Forkel. JZ 1994, S.641: "Von jener Vermutung spricht das Grundgesetz an keiner Stelle". 8 Stark
114
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Grundgesetz gerade fremd ist. 16 Eine solche Sonderstellung läßt sich insbesondere nicht aus Art. 21 GG herleiten: Art. 21 GG gewährleistet zwar bestimmte Privilegien im Verhältnis zum Staat (gesicherte Rechtsstellung, insbesondere Gründungsfreiheit u. Chanchengleichheit) 17 , die Norm läßt sich jedoch keinesfalls so interpretieren, daß sie auch einen besonderen Schutz bei böswilligen Herabwürdigungen gewähren möchte. Auch nicht, "wenn und weil sie im Rahmen eines Beitrages zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage erfolgt ist". Hinzu kommt, daß es in der Praxis wohl kaum möglich sein wird, klar zu differenzieren, wann eine Meinung primär "privater", wann "öffentlicher" Natur ist respektive wann eine "wesentlich berührende Frage" vorliegt. Denn auch hier dürften Gemengenlagen nicht selten vorkommen, da sich die "öffentlich" artikulierte Meinung zunächst "privat" bildet bzw. mit der "privaten" vermischt. Schließlich ist zu beachten, daß die Meinungsfreiheit gerade auch die "Privatheit", die ein Wesenselement aller Grundrechte darstellt, schützen will. So formulierte schon Smend, daß die "Privatheit" und die darin angelegte freie (geistige) Gestaltungsmöglichkeit ein wesentlicher Kern aller Grundrechte, speziell auch des Grundrechts der Meinungsfreiheit, als einem "Stück sittlich notwendiger Lebensluft für den einzelnen ist. die Wahrheit sagen zu dürfen". 18 Für eine freiheitlich demokratische Grundordnung dürfte sowohl die "öffentliche" als auch die "private" Meinungsäußerungsfreiheit gleichermaßen Gewicht haben. In diesem Sinne kommt der "Privatheit" auch "öffentliches Gewicht" zu, 1 9 was gegen eine solche, von der Vermutungsformel geforderte Differenzierung und Abwertung der "privaten" Meinungsäußerungen spricht. Für eine Bevorzugung politischer Meinungsäußerungen besteht daher (gerade in einer freiheitlichen Demokratie) kein Grund, zumal auch öffentlichen Meinungsäußerungen nicht selten ebenso "eigennützige" Ziele zugrunde liegen. 20 Vor allem aber ist die einseitige Privilegierung politischer und damit öffentlicher Meinungsäußerungen weder notwendig noch nützlich. Schlimmer noch, sie ist kontraproduktiv und birgt Gefahren für die Befriedung des öffentlichen Lebens in sich:
16
Eine Abstufung der Grundrechte nach ihrer Wertigkeit ließe sich grundrechtsdogmatisch allenfalls analog den verschieden weitreichenden Grundrechtsbeschränkungen begründen. Jede andere Bewertung, auch die auf die demokratische Funktion eines Grundrechts abstellende, ist höchst anfechtbar ! Vgl. hierzu Böckenförde, NJW 1974, S.l534 ff; vermutlich anders aber Stern. Staatsrecht III/l, § 69 III, 5, wenn er konstatiert: "Die Grundsätze fur eine solche Abwägung lassen sich den Wertorientierungen der Grundrechtsbestimmungen entnehmen". 17
Degenhart, Staatsrecht I, Rn 39.
"Smend, S.50. 19 20
Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 140.
Dies gilt nicht zuletzt für Auseinandersetzungen in Wahlkämpfen, spätestens seit das Gros unserer Politiker zu "Berufspolitikern" geworden ist (in diesem Sinne auch Kiesel, S.l 130).
C. Die Abwägungskriterien
115
Zum einen wird sich eine bestimmte Meinung, sofern sie überzeugend ist, auch dann durchsetzen können, wenn sie nicht mit einem Angriff auf die Ehre anderer verbunden ist. Im übrigen dürfte ein Privileg, das es gestattet, im Rahmen politischer Meinungsäußerungen in die Ehre einzelner Personen einzugreifen, doch ein recht widerliches Privileg, und damit eines Rechtsstaates nicht würdig sein. Zum anderen führt die einseitige Privilegierung im Ergebnis zu einer Verrohung der politischen Sitten. Der in diesem Zusammenhang immer wieder zu hörende Hinweis, in Deutschland sei es doch im Verhältnis zu England oder den USA nur halb so schlimm, 21 vermag hier nicht zu überzeugen. Die Tatsache, daß es mit dem Ehrenschutz in anderen Staaten möglicherweise noch schlechter bestellt sein soll, kann wohl kaum Rechtfertigung dafür sein, den Ehrenschutz auch in unserem Land weiter preiszugeben. Zweifelhaft ist auch, ob wir heute tatsächlich noch weit von britischen oder amerikanischen Zuständen entfernt sind. So erscheint es heute beispielsweise selbst für Vertreter demokratischer Parteien legitim, Andersdenkende mit Insekten (!) gleichzusetzen, die man zu erschlagen habe.22 Auch wenn es sich - wie in dem genannten Beispiel - um ein begrüßenswertes und legitimes gesellschaftspolitisches Anliegen handelt. 23 darf ein derartiger verbaler Extremismus nicht hingenommen werden. Die Weimarer Republik, welche gewiß nicht unter zu starker Beschneidung der öffentlichen Meinungsfreiheit litt, hat deutlich gezeigt, wohin die Tolerierung derartiger Verhaltensweisen führen kann. Die Vermutungsformel des Bundesverfassungsgerichts gewährt hier einen gefährlichen Freiraum. Würde man diese Formel stets und konsequent anwenden, wären auch die niederträchtigen Hetzkampagnen der Nationalsozialisten als berechtigte Meinungsäußerungen einzustufen. Daß dies nicht sein kann, ist evident. Der Verrohung der Sprache darf nicht noch einmal die Verrohung der politischen Sitten und - als Kulmination des Ganzen - eine Zunahme der politischen Gewalttaten folgen! Daß dies kein phantastisches Bild aus dem fernen Utopia, sondern eine realistische Gefahr ist, zeigen die Entscheidungen der Judikatur und ihre Folgen im Zusammenhang mit der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG: Hier werden Eingriffe in Rechtskreise Dritter immer wieder toleriert (oder gar begrüßt), wenn und weil sie nur "unselbständige Zwischenschritte" zur Erreichung achtenswer21
Benda, NJW 1994, S.2267; Gounalakis, NJW 1995, S.816.
22
So zeigt der Aufmacher einer Broschüre der Jungen Union Deutschlands mehrere Insekten und eine in einer Hand befindliche, schlagbereite Fliegenklatsche. Dies alles unter der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift: INSEKTEN - NEIN DANKE ! (Hrsg. Junge Union Deutschlands 3. Aufl. Bonn 1993). 23
Die Broschüre wendet sich gegen die Aktivitäten und Gefahren von Sekten in Deutschland.
116
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
ter Nah- ("Erzwingung erhöhter Aufmerksamkeit") und Fernziele ("bessere Welt") sind, und es sich damit letztlich um (vorgeblich) "gemeinwohlorientiertes" Tätigwerden aufgrund "ehrenwerter Motive" 2 4 handelt. 25726 Die Tolerierung solcher Verhaltensweisen hat immer einen Dammbruch zur Folge. Dies zeigt sich auch darin, daß weiten Teilen, vor allem der jungen Bevölkerung, jegliches Unrechtsbewußtsein fehlt, wenn fremdes Eigentum "beschlagnahmt" (Häuser besetzt/Fassaden verunstaltet) bzw. Autobahnen und Brücken gesperrt werden, um für die Beibehaltung bestimmter Arbeitsbereiche zu demonstrieren oder die Bevölkerung - wie anläßlich des Golfkrieges in Köln geschehen - "nur mal zum Nachdenken zu bringen". Man darf sich nicht wundern, wenn sich auf diese Weise in großen Teilen der Bevölkerung die Überzeugung festsetzt, daß derjenige, der die Bevölkerung "aufklärt", auch bei tatbestandlichem Unrecht letztlich doch "irgendwie" rechtmäßig handelt. 27 Diese Gefahren vor Augen konstatiert Wassermann, daß damit das Bild von zwei Rechtsordnungen auftaucht, die nebeneinander gelten, die eine für das bürgerliche Leben, die andere für das politische Verhalten. Politische Motivationen gleich welcher Art sollen ein Grund sein, das Bürgerliche Recht und das Strafrecht außer Kraft zu setzen.28 In diesem Sinne resümiert auch Arzt, "daß wir nicht mehr weit von dem Rechtsgrundsatz entfernt sind, daß politisch motivierte Werturteile immer von der Meinungsfreiheit gedeckt und nie beleidigend sind". 29 Es gilt diesen Tendenzen entgegenzutreten. Auch aus diesem Grund läßt sich die Vermutungsformel nicht aufrechterhalten. Die Vermutungsformel, vor allem die leistungsgesteigerte "Super-Vermutungsformel", macht faktisch jedes Gegenrecht dem "Erdboden gleich" 30 und verhilft einzig der Meinungsfreiheit zur Geltungs- und Durchschlagskraft. Ein Ergebnis, das mit dem Grundsatz der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller Verfassungswerte nicht übereinstimmt und deshalb abzulehnen ist.
2. Das Gegenschlagsprinzip Ein weiterer Grundsatz der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellt wurde ist das sog. "Gegenschlagsprinzip".
24
So der Tübinger Schriftsteller und Rhetorikprofessor Walter Jens in seiner Verteidigungsrede vor dem Amtsgericht Schwäbisch-Gmünd im Prozeß wegen seiner Teilnahme an einer Blockade in Mutlangen (Nachweis in Mackeprang, S.148, Fn 253). 25
Vgl. BVerfGE 73, 206 (257 u. 258).
26
Formulierung in Anlehnung an Mackeprang, S.148.
27
Ähnlich Mackeprang, S.148 u. S.149.
28
Wassermann, S.9.
29
Arzt, JuS 1982, S.728.
30
Schmitt-Glaeser,
AÖR 113, S.95.
C. Die Abwägungskriterien
117
Ausgehend von der Bedeutung der Rede und Gegenrede fair die Bildung der öffentlichen Meinung 31 hat das Bundesverfassungsgericht die These aufgestellt, daß derjenige, der zu einem abwertenden Urteil selbst Anlaß gegeben hat, eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen muß. wenn sie sein Ansehen mindert. 32 Diese vom Bundesverfassungsgericht als "Recht auf Gegenschlag" 33 zugelassene "adäquate Reaktion auf einen anderen Vorgang" 34 ist in der sog. Kunstkritikerentscheidung 35 noch extensiviert worden: Hiernach setzt das "Recht auf Gegenschlag" weder wechselseitige, noch unmittelbar vorausgegangene Beleidigungen voraus. Verstärkt wird diese Aussage durch die These, daß bei der Abwägung auch berücksichtigt werden müsse, "ob und in welchem Ausmaß der von herabsetzenden Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs.l GG geschützten Prozeß öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatssphäre begeben habe".36 Weiter führt es aus, daß derjenige, der sich an politischen Auseinandersetzungen beteilige und hierdurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich lenke, damit rechnen müsse, daß er sich auch eine scharfe, abwertende und sein Ansehen mindernde Kritik... gefallen lassen müsse, zumal er im allgemeinen genügend Möglichkeiten habe, sich politisch zu wehren. 37 Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung schon früh übernommen und erklärt, daß der Politiker besser als andere in der Lage sei, "der Kritik gegenüber seine eigenen Auffassungen in der Öffentlichkeit darzulegen". 38 Auf der Grundlage dieser Argumentation kommt Gounalakis zu der Feststellung, daß Politiker eben "aus besonderem Holz geschnitzt sein müssen, um mit diesen Freiräumen leben zu können". 39 Hiervon ausgehend versteigt sich Gounalakis gar mit den Worten Harry Trumans zu der Empfehlung, daß derjenige, der die Hitze nicht verträgt, einfach nicht in der Küche arbeiten solle. 40 Trotz dieses sicherlich gut gemeinten und weiterführenden Ratschlags stehen dem Gegenschlagsprinzip erhebliche Bedenken gegenüber:
31
BVerfGE 12, 113(130).
32
BVerfGE 12, 113 (129 ff); ähnlich 24, 278 (286); 42, 143 (153): 54, 129 (138); 66, 116 (150).
33
BVerfGE 42, 143(153).
34
BVerfGE 24, 278 (283).
35
BVerfGE 54, 129(138).
36
BVerfGE 54, 129 (138); 61, 1 (13).
37
BVerfGE 61, 1 (13); 54, 129 (138); in diese Richtung tendierend aber auch schon BVerfGE 7, 198 (219). 38
BGH, NJW 1962, S.l52.
39
Gounalakis, NJW 1995, S.816.
40
Gounalakis, NJW 1995, S.816 unter Verweis auf Benda, NJW 1995, S.2267.
118
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Zunächst ist kritisch zu bemerken, daß das Bundesverfassungsgericht mit den Ausführungen zum "Recht auf Gegenschlag" in Umfang und Wirkung weit über den Anwendungsbereich des im Strafrecht geltenden § 199 StGB hinausgegangen ist. 41 Sodann erscheint es höchst fraglich, ob die im öffentlichen Leben stehenden Personen tatsächlich, wie behauptet, besser als andere in der Lage sind, ihre Auffassungen in der Öffentlichkeit darzulegen. Kübler 42 meint zwar, ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht, daß es "public figures" in der Regel erheblich leichter falle, vor dem Forum der Öffentlichkeit auf gegen sie erhobene Vorwürfe zu antworten; doch dürfte dies wohl eher frommes Wunschdenken sein. 43 Zum einen lassen sich für eine derartige These keinerlei empirische Analysen anführen. Zum anderen wird übersehen, daß, sofern in diesem Zusammenhang auf einen besseren Zugang zu den Medien angespielt wird, dies allein noch keinen wirksamen Schutz darstellen kann. Denn wo steht geschrieben, daß die Presse verpflichtet ist, zur Wiederherstellung der Ehre gegebenenfalls erforderliche Begründungszusammenhänge wiederzugeben?!! Gegendarstellungsansprüche beschränken sich darauf, daß der Betroffene seine Version der Tatsachen in knapper Form wiedergeben darf. 44 Zweifelhaft dürfte somit sein, ob dies ausreichend ist. Vor allem aber sind auch die sog. "public figures", wie gezeigt, 45 den Instrumenten und Gefahren der Manipulation durch Weglassen des Relevanten sowie selektiver Berichterstattung voll ausgesetzt. Schließlich ist die Aussage, die Betroffenen hätten sich aus freien Stücken eines Teils ihres Schutzes begeben, 46 eine schlichte - wenngleich auch dreiste - Behauptung: Begibt sich jemand zu nächtlicher Stunde in einen Stadtpark und wird dort überfallen, so wird wohl kaum jemand dem Opfer, das die Bestrafung der Täter einfordert, entgegenhalten wollen, es habe sich "freiwillig" in die gefährliche Umgebung begeben. Warum also argumentiert man ausgerechnet im Bereich des Ehrenschutzes mit einem solch "billigen" Argument? M E. ist es anmaßend, Personen, die sich im öffentlichen Leben engagieren, quasi per se zu unterstellen, sie gäben aus freien Stücken einen Teil ihrer Privatssphäre auf. Hier ließe sich mit guter Begründung auch das Gegenteil vertreten:
41
Ebenso, Tettinger,
Λ2
Kübler, JZ 1984, S.545.
S.324.
43 Wenn selbst ein so bekannter Showmaster wie Thomas Gottschalk, der fast jeden Abend Zugang zu deutschen Bildschirmen hat, gegen eine Verleumdungskampagne nichts wirksam auszurichten weiß (Verleumdung als Scientologe, vgl. die Zeitschrift Stern vom 22.07.1993, Heft 30, S.22 ff), so belegt dies wohl eher das Gegenteil. 44
Siehe hierzu die folgenden Ausführungen in Teil 2 unter Pkt. C., I, 5.
45
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. I., 4.
46 Vgl. BVerfGE 54, 129 (138) 61, 1 (13); 66, 116, (151); ebenso Kübler, JZ 1984, S.545; Hoffmann, S. 1203.
C. Die Abwägungskriterien
119
Gerade Personen, die sich im öffentlichen Leben engagieren, bedürfen eines besonderen Schutzes ihrer Privatssphäre. Schließlich stehen diese Personen ständig im "Rampenlicht", und die Privatssphäre wird so nicht selten auf einen "kümmerlichen Rest" reduziert, so daß gerade dieser Rest einen besonders wirksamen Schutz erfordert. In diese Richtung tendierte wohl auch einmal das Bundesverfassungsgericht, als es ausführte: "Der Umstand, daß dieser (der Bayerische Ministerpräsident 47) ein im Kreuzfeuer des öffentlichen Meinungskampfes stehender Politiker ist, entkleidet ihn nicht seiner personalen Würde und rechtfertigt derartige Ehrverletzungen nicht".48 Rückblickend läßt sich sagen, daß diese Tendenz nur ein nunmehr verloschener Stern am Horizont war. Schließlich läßt sich gegen das "Gegenschlagsprinzip" auch hier eine historische Komponente anführen: Gerade die Erfahrungen in der Weimarer Zeit dürften exemplarisch dargestellt haben, welche Folgen es haben kann, wenn die Ehre der im öffentlichen Leben agierenden Personen schwersten und nicht selten unbeweisbaren Angriffen ausgesetzt wird. Dies hatte unter anderem einen Verlust an Vertrauen und Achtung gegenüber der den Staat repräsentierenden Persönlichkeiten zur Folge. Eine solche Tendenz wird gerade in jüngster Zeit wieder im (wiedervereinigten) Deutschland erkennbar. Freilich, und das soll nicht ausgeblendet werden, liegt dies möglichenveise auch an dem (Fehl-)Verhalten der genannten Personengruppe selbst. Man denke hier nur an die "EhrenwortFälle" der Herren Barschel, Schnoor u.a. . Es wäre jedoch verfehlt, diese Tendenz durch eine falsche Akzentuierung der Wertungsfaktoren noch zu forcieren.
3. Die Spontanität der freien Rede Im engen Kontext zum "Gegenschlagsprinzip" steht der zu beachtende Gesichtspunkt der "Spontanität freier Rede". Die Spontanität der freien Rede sieht das Bundesverfassungsgericht als "Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist". 4 9 Für die Zulässigkeit der Spontanität der freien Rede streite (ebenfalls) eine Vermutung. Um "die Kraft und die Vielfalt der öffentlichen Diskussion zu erhalten", müßten daher im Einzelfall auch Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes oder ein Gebrauch der Meinungsfreiheit in Kauf genommen werden, der zu sachgemäßer Meinungsbildung nicht beitragen könne. 50 47
Hinzufugung durch den Verfasser.
48
BVerfGE 75, 369 (380 u. 381).
49
BVerfGE 54, 129(139).
30
BVerfGE 54, 129(139).
120
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
M E. wird man den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts insoweit zuzustimmen haben. Denn es kann nicht angehen, daß der sich in einer Diskussion Äußernde ständig darauf bedacht sein muß, keine Bemerkungen von sich zu geben, die er bei ruhiger Überlegung und nüchterner Prüfung wohl nicht getan hätte. Würde man dies postulieren, wäre die Diskussion tatsächlich gelähmt und die Meinungsfreiheit über Gebühr beschränkt. Nur, und dies muß als Maxime für die Anwendung dieses Grundsatzes gelten, darf sich hierauf auch wirklich nur berufen, wer tatsächlich in emotionsgeladener Atmosphäre übersteigerte Bemerkungen von sich gegeben hat, nicht aber derjenige, der überlegt und berechnend gehandelt hat. Dies impliziert jedoch, daß der Anwendungsbereich dieses Grundsatzes in praxi sehr eingeschränkt sein dürfte: Derjenige, der die fragliche Äußerung in einem Artikel oder Buch publiziert, wird sich kaum auf die so verstandene "Spontanität" berufen können. Gleiches gilt für den Moderator einer Sendung respektive ähnlich gelagerten Fällen, in denen mit Bedacht gehandelt werden konnte und mußte. Ohne eine derartige restriktive Anwendung dieses Grundsatzes verkümmert das Recht der freien Meinungsäußerung tatsächlich, wie Mackeprang 51 konstatierte, zum "Grundrecht auf öffentliche Entgleisung". Somit ist nach der hier vertretenen Auffassung nur bei Beachtung dieser restriktiven Voraussetzung eine Berücksichtigung und Anwendung des in Rede stehenden Grundsatzes zu rechtfertigen.
4. Berücksichtigung
der Reizüberflutung
Nicht gefolgt werden kann dem Bundesverfassungsgericht bei seinen Ausführungen zur "Reizüberflutung". Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht formuliert: "...daß angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen seien".52 Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß das Vorhandensein einer "Reizüberflutung" wohl kaum dazu führen darf, daß Ehrverletzungen gerechtfertigt werden. Dies würde zu der Konsequenz führen, daß aufgrund einer (möglicherweise) bestehenden Reizüberflutung die Reizschwelle (Grenze) durchbrochen und infolge dieser Durchbrechung die Reizschwelle verlagert und sogleich - um die nötige Aufmerksamkeit zu erregen - wieder durchbrochen werden müßte. Man kann sich leicht ausmalen, auf welchem Niveau sich eine geistige Auseinandersetzung bei einer strikten Anwendung dieses Grundsatzes wiederfinden würde, ganz abgesehen von den schutzwürdigen - u n d hierbei 51
Mackeprang, S. 153.
52
BVerfGE 24, 278 (286).
C. Die Abwägungskriterien
121
unzureichend beachteten - Interessen (insbesondere der Ehre) des Betroffenen, Dies hat wohl auch (einmal) das Bundesverfassungsgericht erkannt, indem es ausführte, Überlegungen solcher Art (Reizüberflutung) seien nicht geeignet, "jedwede Verletzung der Ehre des politischen Gegners von Verfassungs wegen zu rechtfertigen". 53 Auch diese Erkenntnis erscheint rückblickend als ein erloschener Stern am Horizont.
5. Resümee Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht, und mit ihm ein Teil der Literatur, 54 durch die Aufstellung und Anwendung (!) der vorgestellten "Grundsätze" dazu tendiert, im Falle der Kollision von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz den Freiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG einseitig den Vorzug zu geben.55 Entgegen Kübler 56 ist dieser "Terrainverlust des Ehrenschutzes" weder "sinnvoll" noch hinzunehmen. Die Rede kann auch nicht davon sein, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Ehrenschutz-Rechtsprechung "insgesamt wohl abgewogen" judiziert, 57 oder daß es gar "strenge Fesseln des Ehrenschutzes" gäbe58. Vielmehr kann es nicht angehen, daß Detailprüfungen unter Berufung auf pauschale (Vermutungs-) Regeln vorzeitig abgebrochen werden 59 und so der Ehrenschutz, welcher im nahen systematischen Konnex zur Würde des Menschen steht, im Zweifel nicht stattfindet. 60 Auch wäre es aus Rechtsgründen unerträglich, das Gewicht persönlichkeitsbeeinträchtigender Äußerungen dem Forum der "mündigen Öffentlichkeit zu überlassen". 61 Schließlich besteht der Schutzauftrag des Staates darin, auch dem Recht der persönlichen Ehre Geltung zu verschaffen. Es sind daher andere - nicht notwendig neue - Lösungsmöglichkeiten für einen interessen- und verfassungsgerechten Ausgleich der freiheit53
BVerfGE 42, 143(153).
54
Auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts argumentieren: Kübler, JZ 1984, S.545; Hoffmann , S. 1200 u. S.1201; Heinemann. S.892: Rasehorn. S.675; Brandner. S.692: Gounalakis, NJW 1995, S.811 ff. 55 Dies scheint keine singulare Erscheinung des deutschen Verfassungsrechts zu sein. Vergleichbare Tendenzen lassen sich auch im US-amerikanischen Verfassungsrecht finden (siehe hierzu Stadler, S.l084 ff). Für eine gegenläufig!ge Tendenz dürfte hingegen die Judikatur in England und Australien stehen (vgl. Flemming, S.l8). 56
Kübler, JZ 1984, S.546.
57
So Gounalakis, NJW 1995, S.816.
58
Vgl. Gounalakis, NJW 1995, S.816.
59
Vgl. Mackeprang, S.141.
60
Schmitt-Glaeser,
61
JZ 1983, S.95.
In diese Richtung tendiert ganz deutlich Kübler, JZ 1984, S.545: "Die Bewertung der... Integrität von Politikern und Amtsträgern... kann nicht rechtlich dekretiert und gerichtlich kontrolliert werden; sie ist Sache der Allgemeinheit".
122
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
liehen Verbürgungen des Art. 5 Abs. 1 GG und dem Recht der persönlichen Ehre in Betracht zu ziehen.
II. Verfassung»" gerechte" Lösungsmöglichkeiten im Kollisionsfall Wie vorstehend aufgezeigt, wird durch die Ausübung der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit nicht selten das Recht der persönlichen Ehre tangiert. Im Falle der Kollision zwischen diesen beiden Rechtsgütern muß es die Aufgabe des Rechtsanwenders sein, einen interessengerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu finden. Aufgrund der festgestellten - verfassungsrechtlichen - Wertentscheidung für den Schutz der Ehre, 62 stehen sich das Recht der persönlichen Ehre und die Meinungsfreiheit (wie andere Grundrechtspositionen auch) prinzipiell gleichrangig gegenüber. Im Hinblick auf diese Gleichrangigkeit müssen die wechselseitigen Grenzen dieser (Verfassungs-) Güter so bestimmt werden, daß die besondere Wertigkeit beider (!) Grundrechtspositionen im Verfassungsgefüge gewahrt bleibt (Prinzip des "schonendsten Ausgleichs" 63 ; Herstellung "praktischer Konkordanz" 64 . Das hierzu aufgezeigte Instrumentarium der Judikatur 65 erscheint aufgrund der festgestellten Tendenz der einseitigen Bevorzugung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Ehrenschutz wenig geeignet, Gewicht und Bedeutung beider Rechtsgüter adäquat zu berücksichtigen. Im folgenden sollen daher Lösungsmöglichkeiten eines verfassungs"gerechten" Ausgleichs der widerstreitenden Interessen herausgearbeitet werden.
1. Abstrakte Abwägung Um mit einem inadäquaten Kriterium zu beginnen: Eine abstrakte Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrenschutz ist strikt abzulehnen ! Dies ergibt sich schon aus der festgestellten prinzipiellen Gleichrangigkeit beider Verfassungsgüter. 66 Aus eben diesem Grund ist ja gerade die sog. Vermutungsformel des Bundesverfassungsgerichts auf starke Kritik gestoßen, da sie pauschal dazu tendiert, zunächst die Meinungsfreiheit zu bevorzugen. Aus demselben Grund aber kann es auch nicht zulässig sein, wie vor Jahren geschehen, umgekehrt von einer Präponderanz des auf der Menschenwürde basierenden
62
Vgl. hierzu unter Pkt. Α., II., 2.
63
So Lerche, S.l53.
64
Hesse, Rn 72.
65
Vgl. hierzu unter Pkt. C., I.
66
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. Α., II., 2.
123
C. Die Abwägungskriterien
Teils des Persönlichkeitsrechts (Ehre) gegenüber der freien Meinungsäußerung auszugehen.67768 Diese Art der "Abwägung" gilt heute mit Recht als überholt.
2. Berücksichtigung des (subjektiven)
Zwecks der Äußerung
Ebenso inadäquat erscheint es, danach zu differenzieren, ob der Äußernde einen Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung in einer das Gemeinwohl berührenden Frage leisten will, oder ob er privatnützige (etwa materielle) Ziele anstrebt. Denn Ehrverletzungen können keinesfalls nur deshalb grundrechtsadäquat sein, weil sie politisch oder sonstwie "anerkennenswert" motiviert sind. 69 Dies wäre in der Tat der erste Schritt zu einem "Gesinnungsstrafrecht".
3. Strikte Ausrichtung am Einzelfall Auf den ersten Blick etwas Bestechendes hat es, die Entscheidung stets in concreto, d.h. immer von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der jeweils relevanten Umstände vorzunehmen, "um so dem Postulat der (Einzelfall-) Gerechtigkeit so gut wie möglich Rechnung zu tragen". 70 Doch erscheint dieser Lösungsansatz bei näherer Überprüfung als wenig ausgereift: Zunächst ist festzustellen, daß die Judikatur trotz vieler aufgezeigter Unzulänglichkeiten im Bereich des Ehrenschutzes (noch?) nicht so weit geht, daß sie den Einzelfall völlig außer acht läßt. Wenn aber bereits die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, so ist zu fragen, was dieser Vorschlag Neues bringt. Auch der darauf aufbauende Vorschlag, "falltypische Entscheidungsmuster, Orientierungsdaten und Merkposten" durch einen "Wechsel von richterlicher Entscheidung und deren Diskussion" herauszuarbeiten, 71 ist weder neu noch überzeugend. Denn "Entscheidungsmuster, Orientierungsdaten und Merkposten" sind bereits vorhanden. Gemeint sind hier die dargestellten "Grundsätze der Rechtsprechung". 72 Damit ist aber, wie festgestellt, wenig gewonnen und ein sachgerechter Ausgleich zwischen beiden Verfassungsgütern nicht zu erzielen. Ganz abgesehen davon birgt ein strikter "Zwang zur Einzelabwägung" die 67 Schmid , S. 137; Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre, S.3; Weitnauer, NJW 1959, S314, Fn 8; Bettermann, JZ 1964, S.603 vertrat gar die Auffassung, daß der Verfassungsgeber entschieden habe, "daß dem Recht der persönlichen Ehre (der) Vorrang vor den Rechten des Abs. 1 zuerkannt.(worden sei)". 68 Hiervon ging sogar einmal der BGH aus, indem er unter Hinweis auf Art.5 II GG die Schranken hervorhebt, die sich "aus dem grundgesetzlich geschützten Recht des einzelnen auf Wahrung seiner Ehre" ergeben (BGHZ 31, 308 (312)). 69
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zur Bedeutung der "Privatheit" unter Pkt. C.,
I., 1. 70
So Mackeprang, S.218.
71
Mackeprang, S.218.
72
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. C., I.
124
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
- bereits erkannte - Gefahr einer Situations-, schlimmstenfalls sogar Stimmungsjurisprudenz in sich, 73 und dies ist weder mit dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang zu bringen, noch durch eine Herausarbeitung der genannten Kriterien zu verhindern. Insoweit vermag auch dieser Lösungsvorschlag nicht zu überzeugen.
4. Die Ausrichtung am Prinzip der Verhältnismäßigkeit Nach der (wohl) überwiegenden Ansicht erfolgt die Zuordnung der zu wahrenden Belange anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips. 74 Das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende 75 und Verfassungsrang genießende76 Verhältnismäßigkeitsprinzip bedeutet: Geeignetheit, Erforderlichkeit sowie Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn ("Proportionalität"). 77 Hiernach muß die Begrenzung des einen Grundrechts tauglich sein, das mit ihm kollidierende andere Grundrecht wirksam zur Geltung zu bringen (Geeignetheit). Weiterhin muß sie sich als das mildeste Mittel zur Erreichung dieses Zwecks darstellen (Erforderlichkeit) und beides muß in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Die hier genannten Kriterien stehen in engem Kontext miteinander: Nur ein geeignetes Mittel kann auch erforderlich sein, und nur das, was erforderlich ist, kann auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Die Judikatur hat sich von dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Abwägungskriterium (spätestens) mit dem "Höllenfeuer-Urteil" 78 zugunsten der oben genannten Kriterien 79 ausdrücklich verabschiedet. Transparent wird dies dadurch, daß seither auch "übersteigerte Kritik" 8 0 zulässig sein soll bzw. es als nicht entscheidend erachtet wird, ob eine abwertende Verlautbarung zur eigenen Interessenwahrnehmung "unbedingt erforderlich" war. 81 Die Aufgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Abwägungskriterium ist zu bedauern! Mit diesem Instrument ist es möglich, für einen interessengerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu sorgen. Denn gerade das Kriterium der Erforderlichkeit ermöglicht es, zu differenzieren, ob es zur Verbreitung bzw. Äußerung einer Meinung tatsächlich erforderlich ist, die eigene Meinung gerade in der erfolgten Art und Weise zu artikulieren und damit die 73
Formulierung in Anlehnung an Mackeprang. S.218.
74
So Mackeprang, S.213.
75
BVerfGE 23, 127 (133); Degenhart, Staatsrecht I, Rn 275.
76
BVerfGE 61, 126(134).
77
Degenhart, Staatsrecht I, Rn 276.
78
BGHZ 45, 296 ff.
79
Vgl. unter Pkt. C., I.
80
BGH, NJW 1974, S.1763.
81
BVerfGE 12, 113(129).
C. Die Abwägungskriterien
125
Ehre eines anderen zu tangieren, oder ob es zur Verbreitung des Inhalts der (Meinungs-) Äußerung nicht ausgereicht hätte, gegebenenfalls andere Vokabeln zu verwenden und so die Ehre eines anderen weniger zu beeinträchtigen, ohne daß dadurch die "Durchschlagskraft" der (Meinungs-) Äußerung gemindert wird. Wenn man feststellt, daß ein milderes Mittel, ergo eine weniger einschneidende Formulierung zur Erreichung des Ziels (Aufklärung oder Überzeugung einer bestimmten Zuhörerschaft) nicht möglich war, bleibt immer noch das Regulativ der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Dort könnte dann die eigentliche Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vorgenommen werden, und zwar am konkreten Fall. So könnte vermieden werden, daß einem Rechtsgut pauschal der Vorzug gegeben wird, weil immer die näheren Umstände zu fokussieren sein würden. Allerdings, und dies soll nicht verhehlt werden, bestehen auch ernstzunehmende Bedenken gegen die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Regulativ der widerstreitenden Interessen von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz: Kritisiert wird zunächst, daß ein "striktes Festhalten" an dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und damit an dem Erfordernis der Auswahl des mildesten Mittels dazu fuhren würde, daß vor jeder kritischen Meinungsäußerung sorgfaltige Erforderlichkeitsprüfungen angestellt werden müßten, was nicht nur der "Spontanität freier Rede" hinderlich wäre, sondern auch dem Gewicht und der Bedeutung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG nicht immer gerecht würde. Vielmehr müsse es möglich sein, sich gegen Angriffe Dritter zu verteidigen, ohne sich ständig davon überzeugen zu müssen, ob die Entgegnungen in der "schonendsten Form" vorgebracht werden. 82 Diese Kritik übersieht jedoch, daß es zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit der Erforderlichkeitsfrage erst kommt, wenn ehrverletzende Äußerungen vorliegen. Denn wenn dies nicht der Fall ist, liegt auch keine Kollisionslage vor, so daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gar nicht erforderlich ist. Damit besteht bei einer sachlich geführten Diskussion keinesfalls die Gefahr einer Einengung der "Spontanität der freien Rede". Sofern es in einer Auseinandersetzung zu ehrverletzenden Äußerungen gekommen ist, wird das Kriterium der Erforderlichkeit in der Tat zu Einengungen fuhren. Diese wären aber wünschenswert. Denn wer meint, seine Meinung nur mit Hilfe von Ehrverletzungen vertreten zu können, ist nicht über Gebühr beschwert, wenn er sich fragen muß, ob er sein Ziel (Aufklärung oder Überzeugung einer bestimmten Zuhörerschaft) nicht auch mit einer weniger scharfen Formulierung hätte erreichen können. Schwerer wiegen dagegen die Bedenken, die darauf hinweisen, daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit primär für die Fälle des gesetzgeberischen Eindrin82
Mackeprang, S.213.
126
Teil 1 Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
gens in einen (Grund-) Rechtsbezirk geschaffen wurde, 83 so daß der Anwendung dieses Instruments dogmatische Überlegungen entgegenstünden.84 Auch wenn man diese Bedenken teilt, erscheint eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aufgrund der aufgezeigten Vorzüge gegenüber den anderen Lösungsmöglichkeiten dennoch vertretbar. Denn es muß gestattet sein, den Rechtsgedanken des Verhältnismäßigkeitsprinzips, interessengerechter Ausgleich widerstreitender Interessen, analog auf die hier vorliegende Problematik anzuwenden. Insoweit erscheint das Verhältnismäßigkeitsprinzip trotz der aufgezeigten - berechtigten - Bedenken immer noch als das Instrument, das einer Kollisionslage von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz am besten gerecht wird.
83
Lerche, S.l34 ff.
84
So auch Mackeprang, S.213.
D. Die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
127
D. Die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
Ein verbliebenes und hier zu erörterndes Problem (gerade 1) im Bereich des Spannungsverhältnisses zwischen grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG auf der einen und dem Recht der persönlichen Ehre auf der anderen Seite ist das Problem der Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts.
I. Bestandsaufnahme Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals i m Lüth-Urteil 2 zur Frage der Kognitionskompetenzen Stellung genommen und judiziert, daß eine Nachprüfung gerichtlicher Entscheidungen nur bei "Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht" in Betracht komme, es also um die Frage gehe, ob die Gerichte bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Gesetzesrechts den vor allem in den Grundrechten zum Ausdruck gebrachten "grundgesetzlichen Wertmaßstäben" Rechnung getragen haben.3 Demgemäß prüft das Gericht, ob die Entscheidungen "Auslegungsfehler" enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, die auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Fall von einigem Gewicht sind. 4 5 Bedeutsam, und daher hier wiederzugeben, sind vor allem die folgenden Feststellungen der Entscheidung vom 10.06.1964:6 "...es (würde) dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen nur um deswillen in Anspruch nehmen, weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts
1
Die Wahrnehmung der Kommunikationsgrundrechte des Art.5 I GG lebt von der Resonanz der Öffentlichkeit. Insoweit liegt es in der Natur der Sache, daß hier ein größerer Gemeinschaftsbezug zu konstatieren ist. Daher ist es naheliegend, daß Kollisionen mit anderen Verfassungswerten respektive Grundrechten anderer eher auftreten, als bei der Ausübung anderer Grundfreiheiten. 2
BVerfGE 7, 198 ff.
3
BVerfGE 7, 198 (207).
4
BVerfGE 18, 85 (92); 42, 143 (149); ebenso BVerfGE 85, 1 (13) = NJW 1992, S.1440.
5 Mit der Hervorhebung des "Gewichtes" und der materiellen Bedeutung der Grundrechte für den konkreten Fall scheint das Bundesverfassungsgericht auf die Ausstrahlungs- respektive Wechselwirkung der die Grundrechte beschränkenden Gesetze zu intendieren. 6
BVerfGE 18, 85 (92 u. 93) = NJW 1964, S.1715.
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Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen... . Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen".7 Diese Feststellungen sind deshalb so bedeutsam, weil die sog. Heck'sehe Formel in späteren Entscheidungen8 zwar noch ausdrücklich (zumindest aber sinngemäß) zitiert, faktisch jedoch aufgegeben wurde. 9 Gerade in der Rechtsprechung zu den Meinungs- und "Medienfreiheiten" hat das Bundesverfassungsgericht seine Kognitionskompetenzen erheblich ausgedehnt und fühlt sich schon seit langem dazu berufen, "zu all seinen übrigen Belastungen auch die Rolle des obersten Amtsgericht der Nation zu übernehmen" 10. Was in der DGBEntscheidung vom 11.05.197611 seine Ankündigung fand, wurde in der Echternach-Entscheidung12 in die Tat umgesetzt. Hier wurde entgegen der sonst üblichen Praxis das in Rede stehende Verdikt einer "weitergehenden" 13 oder "intensiveren" 14 Nachprüfung unterzogen und demgemäß nach "einzelnen Auslegungsfehlern" 15 gesucht. Seitdem war nicht mehr die Frage, ob das Fachgericht grundsätzlich etwas er- oder verkannt bzw. übersehen hatte, sondern in concreto, ob die in der Entscheidung vorgenommene "Auslegung des einfachen Rechts auch in ihren Einzelheiten" grundrechtskonform war. 16 Die Kulmination dieser Judikatur findet sich in dem Verdikt vom 07.12.1976.17 Hier gab das Bundesverfassungsgericht seine bis dato geltende und anerkannte Bindung an Tatsachenfeststellungen der Fachgerichte auf und erweiterte seine Kognitionskompetenzen selbst auf diese Feststellungen. Die Grundlage dieser neuerlichen Erweiterung wurde schon in dem insoweit richtungsweisenden Beschluß vom
7
BVerfGE 18, 85 (92 u. 93) = NJW 1964, S.1716.
8
Siehe u.a.: BVerfGE 19, 290 (303): 27, 211 (219); 30, 173 (196 u. 197): 42, 143 (148 ff); 43, 130 (136). 9 Eine Ausnahme findet sich in BVerfGE 42, 64 (74). Hier wird festgestellt: "Unbeschadet dessen bleibt die Auslegung und Anwendung des einfachen materiellen und formellen Rechts grundsätzlich Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; es ist kein Revisionsgericht. Welcher von zwei vertretbaren Auslegungen nach einfachem Recht der Vorzug gebührt oder ob noch eine weitere Auslegung möglich erscheint, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden". (Hervorhebung durch den Verfasser). 10
Sendler, ZRP 1994, S.346.
11
BVerfGE 42, 143(148).
12
BVerfGE 42, 163(168).
13
Vgl. zu diesem Terminus BVerfGE 62, 230 (243).
14
Vgl. zu diesem Terminus BVerfGE 66, 116 (131).
15
BVerfGE 42, 163(169).
16
Vgl. BVerfGE 75, 369 (376) unter Verweis auf BVerfGE 67, 213 (223). BVerfGE 43, 130 (136 u. 137).
17
D. Die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
129
11.05.197618 gelegt. Dort findet sich zwar zunächst der stets wiederkehrende Satz: "Nicht kann es Aufgabe (des Bundesverfassungsgerichts 19) sein, in jedem Einzelfall nach Art einer Superinstanz seine Vorstellung von der zutreffenden Entscheidung an die Stelle derjenigen der ordentlichen Gerichte zu setzen". Anschließend wird jedoch ausgeführt: "Allerdings lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nicht starr und gleichbleibend ziehen; ihnen muß ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalles ermöglicht". Je mehr eine Entscheidung grundrechtsgeschützte Voraussetzungen freiheitlicher Existenz und Betätigung verkürzt, desto eingehender muß die verfassungsgerichtliche Prüfung sein, ob eine solche Verkürzung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. 20 Die "Eingriffsintensität" gilt seitdem in ständiger Rechtsprechung als Prüfungsmaßstab für die Kognitionskompetenz des Gerichts. 21 In suspenso ist jedoch bis heute, ob die der Eingriffsintensität entsprechende Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts nur oder vor allem für Strafurteile gelten soll. So hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Überprüfung von Strafurteilen ausgeführt, daß sich seine Überprüfungskompetenz nicht auf die Frage beschränke, ob die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen. Vielmehr seien auch "einzelne Auslegungsfehler" zu berücksichtigen. 22723 Bloße zivilrechtliche Sanktionen wie die Verurteilung zu einer Unterlassung, einem Widerruf oder zum Schadensersatz würden jedoch nicht eine so weitgehende verfassungsrechtliche Prüfung erfordern (entsprechendes gelte für verwaltungsrechtliche Entscheidungen24). Diesen Feststellungen zum Trotz finden sich zahlreiche Urteile der Zivilgerichte, die Klagen auf Unterlassung, Widerruf oder Schadensersatz zum Gegenstand haben und gleichwohl einer solchen "erweiterten" Kontrolle unterworfen wurden. 25 Besonders in dem Beschluß vom 19.04.199026 wird erkennbar, daß das Bundesverfassungsgericht immer dann eine "intensive" Prüfung für erforderlich hält, wenn die Meinungsäußerungsfreiheit tangiert ist, oder - w i e in der Entscheidung vom 11.04.1991 - 2 7 wenn eine in einem gerichtlichen 18
BVerfGE 42, 143(148).
19
Hinzufiigung durch den Verfasser.
20
BVerfGE 54, 208 (215); 42, 143 (148); 42, 163 (168); 43, 130 (137).
21 Vgl. aus neuerer Zeit: BVerfGE 67, 213 (222 u. 223) = NJW 1985, S.261; BVerfGE 75, 369 (376) = NJW 1987, S.2661; BVerfGE 77, 240 (250 u. 251) = NJW 1988, S.325: BVerfGE 83, 130 (145) = NJW 1991, S. 1473. 22
BVerfGE 43, 130 (136 u. 137); 67, 213 (223); 75, 369 (376).
23
So auch BVerfG, StrVert 1992, S.269: "Das BVerfG hat vielmehr auch im einzelnen zu prüfen, ob jene Entscheidungen bei der Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit verletzt haben". 24
BVerfG, NJW 1988, S.328 u. S.329.
25
BVerfGE 42, 163 (169); 54, 129 (135 ff); 54, 208 (215); BVerfGE 86, 1 (10) = NJW 1992, S.2074. 26
BVerfGE 82, 43 (50 u. 51), ähnlich BVerfGE 85, 1 (13 f) = NJW 1992, S.1439 ff.
27
BVerfG, NJW 1991, S.2074.
9 Stark
130
Teil 1 : Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Verfahren geäußerte Meinung Gegenstand verfassungsrechtlicher Überprüfung ist. In diesen Fällen könne sich die Überprüfung sogar auf die fachgerichtliche Ermittlung des Sinns einer Äußerung erstrecken; dies insbesondere dann, wenn es sich um einen Meinungsbeitrag in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handele. Faßt man an dieser Stelle die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zusammen, so ergibt sich ein sehr inkonsistentes Bild: Einerseits wird gebetsmühlenartig hervorgehoben, das Bundesverfassungsgericht sei keine Superrevisionsinstanz und prüfe immer nur, ob gerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhten. Andererseits gelte dies ausnahmsweise nicht für strafgerichtliche Urteile, da diese von größerer Intensität als zivilgerichtliche Judikate seien. Trotz dieses klaren Regel-Ausnahmeverhältnisses werden jedoch, wie gezeigt, auch zivilrechtliche Urteile einer "intensiveren" Prüfung unterzogen, und zwar so "intensiv", daß auch tatsächliche Feststellungen der Fachgerichte überprüft und "bei Bedarf' verworfen werden. Ebenso inkonsistent stellt sich die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts im verwaltungsrechtlichen Bereich dar. 28 Eindeutig erkennbar ist lediglich eines: Die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, seine Nachprüfungs-, Auslegungs- und Feststellungsbefugnis stetig auszudehnen!
II. Kritik und eigener Ansatz Dieser Tendenz des Bundesverfassungsgerichts ist entgegenzutreten. Das Gericht überschreitet mit der praktizierten Vorverlagerung und Ausdehnung der Kognitionskompetenzen den ihm von der Verfassung zugewiesenen Aufgabenbereich. Es kann nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, zu überprüfen, ob fachgerichtliche Entscheidungen einfachrechtlich "richtig" oder "falsch" sind. Genau dies geschieht jedoch, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungsbefiignis auf die fachgerichtliche Ermittlung des Sinns und Inhalts einer Äußerung erstreckt. Die Auslegung und Beurteilung von Sinn und Inhalt einer Äußerung ist eine Tatsachenwürdigung! Diese steht aber immer nur dem Tatrichter zu, selbst wenn eine Äußerung im Urteil (des Tatrichters) einmal wörtlich wiedergegeben sein sollte. 29 Die Feststellungen können sich auf bestimmte Details stützen (Persönlichkeit, Auftreten in der Verhandlung), die dem Bundesverfassungsgericht häufig nicht bekannt sein können, da sie nicht in den 28 Vgl. einerseits BVerfG, NJW 1988, S.328 u. S.329, andererseits BVerfGE 83, 130 (145) = NJW 1991, S.1471, 1473 u. S.1474. 29 Kiesel, S.l 132; ebenso Sendler, NJW 1993, S.2158, wenn er mit leicht süffisantem Unterton formuliert: "..man darf das BVerfG nicht schelten, wenn es sich einmal an das Gebot hält, der Tatsachenfeststellung und -Würdigung der Fachgerichte zu folgen und sie nicht durch eigene zu ersetzen.."; kritisch auch: Ossenbühl, JZ 1995, S.641.
D. Die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts
131
schriftlichen Urteilsgründen fixiert werden müssen (und wie der Praktiker weiß, auch nicht immer festgehalten werden können). Deshalb muß die vom Bundesverfassungsgericht erörterte Ansicht, daß die Feststellungen über den Inhalt und die Äußerung in besonderem Maße ("ganz wesentlich") auf der Einmaligkeit des Gesamteindrucks der Hauptverhandlung beruhen, 30 auch für das Bundesverfassungsgericht selbst Berücksichtigung finden. Hierzu gehört auch und gerade, daß das Gericht die Auslegung und Bewertung von Äußerungen, respektive die Abwägung widerstreitender Interessen in concreto, seitens der Fachgerichte akzeptiert. Für diese Wertung läßt sich auch ein Erst-Recht-Schluß fruchtbar machen: Wenn schon dem "tatnäheren" Revisionsgericht eine eigene Wertung und Auslegung verwehrt ist, 31 muß dies erst Recht für das "entferntere" Bundesverfassungsgericht gelten. Dem Bundesverfassungsgericht können qua der ihm obliegenden Aufgaben und der Ausgestaltung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens keine weitergehenden Befugnisse zustehen.32 Auch aus § 26 BVerfGG läßt sich keine andere Wertung herleiten: Diese Norm ist nicht so zu interpretieren, daß das Bundesverfassungsgericht befugt wäre, Feststellungen zu treffen, die den Instanzgerichten obliegen. Vielmehr gilt § 26 BVerfGG nur "im Rahmen und nach Maßgabe der Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts, die § 26 BVerfGG bereits voraussetzt, aber nicht selbst konstituiert oder umgrenzt". 33 Nach alledem ist zu fordern, daß die Kognitionskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts wieder auf das ursprüngliche Maß (zurück-) begrenzt werden. Demgemäß sollte das Bundesverfassungsgericht nur dann zu einer Überprüfung und Kontrolle gelangen, wenn die gerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung bezüglich der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang eines Schutzbereichs, beruht. Dies wird jedoch nur dann angenommen werden können, wenn etwa übersehen wurde, daß in Grundrechte eingegriffen oder Verstöße gegen verfassungsrechtliche Verfahrenssätze (z.B. Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs.l GG) zu konstatieren sind, nicht aber, wenn die Fachgerichte bei erkannter Einschlägigkeit eines Grundrechts den Schutz beispielsweise dann versagen, wenn nach dessen Auffassung eine (falsche) Tatsachen- und keine Meinungsäußerung vorliegt. Die derzeitige Praxis führt zu einem Verlust des fachgerichtlichen Ansehens und verschiebt in unzulässiger Weise die "ausgewogene und bewährte Grenze" zwischen tat- und revisionsrichterlicher Tätigkeit. 34 Das Bundesverfassungsgericht darf nicht als Superrevisons- oder gar Supertatsacheninstanz judizieren!
30
Siehe BVerfGE 82, 236 (260 u. 261).
31
Vgl. Kleinknecht/Meyer, m.w.N.
§337, Rn 32; Β/L/A/H/-Albers,
32
Kiesel, S.l 132.
33
Kiesel, S.l 132 verweisend auf Ossenbühl, Festgabe, S.471.
34
Bertrams, S. 1229; kritisch auch: Ossenbühl, JZ 1995, S.641.
§561, Rn 3: Zöller, §561, Rn 11
132
Teil 1: Die Komponenten des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes
Neben der unzulässigen Erweiterung der Kognitionskompetenzen stellt das Bundesverfassungsgericht auch auf inadäquate Kriterien zur Ermittlung seiner Feststellungs-, Auslegungs- und Nachprüfungsbefugnis ab. Das Abstellen auf die "Eingriffsintensität" ist, wie Zuck 3 5 zutreffend feststellte, zu unbestimmt und kann insofern kein justitiables Kriterium sein. Gänzlich auf Abwege gerät das Bundesverfassungsgericht dann, wenn es zur Begründung der Eingriffsintensität darauf abstellt, ob die zu überprüfenden Entscheidungen geeignet sind, über den konkreten Fall hinaus präventive Wirkungen zu entfalten, d.h. in künftigen Fällen die Bereitschaft mindern können, von dem in Rede stehenden Grundrecht Gebrauch zu machen. 36 Übersieht denn das Bundesverfassungsgericht tatsächlich, daß letztlich jede für den Kommunikator negative Sanktion eine in die Zukunft gerichtete präventive Wirkung hat? Der Äußernde wird sich im Falle einer wie auch immer gearteten Negativsanktion stets überlegen, ob er diese oder jene Äußerung in der Zukunft wiederholen wird. Würde man das Bundesverfassungsgericht hier ernst-, d.h. beim Worte nehmen, führte dies stets zu einer "intensiven" verfassungsrechtlichen Überprüfung. Daß dies nicht sein kann, ist evident. Es gilt daher ein konsequentes und uneingeschränktes "back to the roots ", hier zur bekannten und probaten Heck'sehen Formel: Das Bundesverfassungsgericht darf nur dann ein einfachgerichtliches Urteil überprüfen, wenn die Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts schließen lassen, oder wenn diese Entscheidungen unter beachtlichen Verstößen gegen verfassungsrechtliche Verfahrensgrundsätze zustandegekommen sind.
35 Vgl. Zuck, Rn 489: "..zu diffus, zu vage um daran messen zu können, ob eine Verletzungshandlung im Sinne des § 90 BVerfGG voliegt"; ähnlich Kiesel, S. 1131. 36
BVerfGE 54, 129 (136); 83, 130 (146); BVerfGE 86, 1 (10) = NJW 1992, S.2074.
E. Zusammenfassung
133
E. Zusammenfassung Die bis hierhin erfolgte Untersuchung des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes und seiner Antagonismen hat deutlich gemacht, daß die Bedeutung des Rechts der persönlichen Ehre zugunsten einer immer "schrankenloseren" Meinungs- und "Medienfreiheit" stetig vernachlässigt wird. Hauptursache hierfür ist die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, einseitig die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG zu privilegieren. Deutlich wird dies durch die Tendenz des Gerichts, in extensiver Weise Äußerungen pauschal als Werturteile zu qualifizieren und die (selbst!) aufgestellten Kriterien zur Erfüllung der Substantiierungs- und Darlegungspflicht derartig aufzuweichen, daß von einer Pflicht, im Sinne einer verbindlichen und tatsächlichen Aufgabe, nicht mehr gesprochen werden kann. Hinzu kommt, daß bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Werturteils unzulässigerweise - weil nur in den seltensten Fällen verifizierbar - auf das im subjektiven Bereich wurzelnde Kriterium der Schmähkritik abgestellt wird. Ferner behandeln die Gerichte das Recht der persönlichen Ehre regelmäßig nur als unselbständigen Teil der Schranke der "allgemeinen Gesetze", mit der zu kritisierenden Konsequenz, daß auch die Grundsätze der Wechselwirkungslehre auf den Ehrenschutz Anwendung finden. Schließlich führen auch und vor allem die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Abwägungskriterien zur Kollisionslösung beider grundrechtlicher Freiheiten zu einer einseitigen Privilegierung der Kommunikationsgrundrechte. Dieser, der Verfassung widersprechenden, einseitigen Privilegierung der Kommunikationsfreiheiten sollte durch eine Grundgesetzänderung begegnet werden. Hierbei wäre klarzustellen, daß das Recht der persönlichen Ehre der Meinungs- und "Medienfreiheit" nicht nach-, sondern gleichgeordnet ist.
Teil 2 Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
A. Die Notwendigkeit der einfachgesetzlichen Umsetzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen
Nachdem Grundlagen. Umfang und Grenzen des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes herausgearbeitet wurden, ist nun die einfachgcsctzliche Gewährleistung, besser "Umsetzung", dieses Schutzes näher zu betrachten. Die Notwendigkeit dieser Betrachtung ergibt sich aus der Überlegung, daß die Grundrechtsverbürgungen der Verfassung vom Bürger nur dann realisiert werden können, wenn der (einfache) Gesetzgeber ein Instrumentarium konstituiert, das den Rechtsgutsträger in die Lage versetzt, unzulässige Eingriffe abzuwehren, wenn möglich sogar präventiv zu verhindern. 1 Ob diesem Gebot dogmatischer Folgerichtigkeit in adäquater Weise Rechnung getragen wird, soll Gegenstand der nachfolgenden Abhandlung sein.
1 Zur gesetzgeberischen Funktion der (Grundrechts-) Ausgestaltung: Häberle, Die Wesensgehaltstheorie des Art. 19 II, S. 180 ff; Hesse, Rn 303 ff.
135
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz I. Materiellrechtliche Gewährleistung 1. Strafrechtlicher
Schutz durch §§ 185 ff StGB
Der strafrechtliche Ehrenschutz wird materiellrechtlich durch die §§ 185 ff StGB abgesichert. Hierunter fallen die Beleidigung (§ 185 StGB), die üble Nachrede (§ 186 StGB), die Verleumdung (§ 187 StGB) sowie die üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens (§ 187 a StGB); nicht jedoch die in § 187 StGB enthaltene Tatbestandsalternative der Kreditgefährdung. Auch wenn von dem Begründer des Hauses Rothschild der Ausspruch stammen soll: "Wer mir mein Geld nimmt, nimmt mir meine Ehre", 1 wird man die Ehre wohl nicht mit dem "schnöden Mammon" gleichsetzen können. Insofern ist mit der ganz überwiegenden Meinung 2 davon auszugehen, daß die sog. Kreditgefährdung innerhalb des § 187 StGB kein Ehrdelikt, sondern ein - an einem falschen Standort plaziertes - eigenständiges Vermögensgefährdungsdelikt ist, womit diese Tatbestandsalternative des § 187 StGB nicht als ehrenschützende Norm qualifiziert und im folgenden unbeachtet bleiben kann. 3
a) Die inhaltliche Gewährleistung der §§ 185 ff StGB Allen Beleidigungstatbeständen ist ihr Charakter als Kundgabedelikt gemein.4 Damit müssen Ehrangriffe nach außen gerichtet und zur Kenntnisnahme durch andere bestimmt sein.5 Insignifikant ist dabei, durch welche Handlung das geschieht. Möglich sind somit nicht nur verbale Äußerungen, sondern auch symbolische Handlungen6 ("Kraftfahrergruß" 7). Die §§ 185 ff StGB schützen damit den aus der Ehre 8 fließenden Achtungsanspruch und sichern hierdurch die Möglichkeit des Menschen, sich seinem Geltungswert entsprechend zu entfalten.
1
Zitiert nach Kattenbusch (Nachweis bei Tenckhoff,
2
RGSt 44, 158 (303): Sch/Sch-Lenckner, § 187, Rn 2.
JuS 1988, S.200).
§ 187. Rn 1; Küpper, JA 1985. S.460; Dreher/Tröndle,
3 Gleiches gilt fur die Vorschrift des § 189 StGB, welche nach ganz h.M. keine ehrenschützende Norm ist (vgl. statt vieler SK-Rudolphi, § 189, Rn 1; Geppert, Jura 1983, S.590; a.A. LK-Her de gen, § 189, Rn 4). 4
Wessels, § 10 II \;Blei, § 24 I; Küpper, JA 1985, S.455; Geppert, Jura 1983, S.533.
5
Wessels, § 10 II 1; Küpper, JA 1985, S.455 u. S.456; Tenckhoff,
6
So schon Schröder,
JR 1963, S.468.
7
OLG Düsseldorf, NJW 1960, S.1073.
8
Zum strafrechtlichen Ehrbegriff siehe in Teil 1 unter Α., II., 1., c), bb).
JuS 1988, S.788.
136
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Der Schutz dieses Rechtsgutes erfolgt allerdings gegen unterschiedliche Angriffsweisen: Ehrverletzende Tatsachenbehauptungen werden, soweit sie gegenüber Dritten aufgestellt werden, allein von § 186 StGB sowie den qualifizierten Tatbeständen der §§ 187 und 187 a StGB erfaßt. Dem § 185 StGB unterfallen damit allein ehrverletzende Werturteile und herabwürdigende Tatsachenbehauptungen, sofern sie dem Opfer gegenüber aufgestellt werden. Insoweit stellt § 185 StGB im Verhältnis zu den §§ 186 - 187 a StGB einen Auffangtatbestand dar. 9 Folglich kommt der Abgrenzung des Werturteils von der Tatsachenbehauptung auch hier weitreichende Bedeutung zu. Zu den Kriterien und Folgen dieser Abgrenzung kann auf die bereits gemachten Ausführungen verwiesen werden, 10 womit hier einzig die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 185 StGB zu untersuchen sind.
aa) Die Beleidigung i.S.d. § 185 StGB § 185 StGB bedroht die Beleidigung mit Strafe. Wann eine Beleidigung vorliegt, ist allein aus dem Tatbestand des § 185 StGB nicht zu entnehmen. 11712 Nach seit langem herrschender Meinung ist hierunter jedoch der rechtswidrige Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgebung der Nichtoder Mißachtung zu verstehen. 13 Musterfall hierfür ist das Schimpfwort. Was als beleidigend angesehen wird, ist in der Gesellschaft dem temporären Wandel unterworfen. So galt die Bezeichnung "Bulle" für einen Polizeibeamten lange Zeit zweifellos als Beleidigung. 14 Heute wird in Frage gestellt und diskutiert, ob dies nicht eher als "saloppe Berufsbezeichnung" 15 zu gelten habe. Damit wird deutlich, daß es bei der Beurteilung der Frage, wann eine Äußerung beleidigenden Charakter hat, weder auf die Sicht des Opfers noch auf die Sicht des Richters ankommt. Maßstab ist nach dem von der ganz h.M. vertretenen norma-
9
Wessels, § 11 I.
10
Vgl. die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. B., I., 1., a), bb).
11
Das Wort "beleidigen" entstammt dem Mittelhochdeutschen "beleidegen" und bedeutet "Schaden, Leid zufügen" (Paul, S.84). 12 Zur Problematik eines daraus resultierenden Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 19 GG siehe nachfolgend unter Pkt. b). 13 BGHSt 1, 288 (289); Dreher/Tröndle, § 185, Rn 3 b; Küpper, JA 1985, S.457.
§ 185, Rn 1; Sch/Sch-Lenckner,
§ 185, Rn 1; Lackner,
14 Noch im Jahre 1981 hat das OLG Hamm (JMB1NRW 1982, S.23) eine Beschimpfung angenommen, da in "grob herabsetzender Weise zum Ausdruck gebracht werden soll, daß diese reizbar und angriffslustig seien und zur blinden, unüberlegten und brutalen Gewaltanwendung neigen". 15 Der Begriff "Bulle" gelte auch als Sinnbild für Stärke, Kraft und Ausdauer. Zudem gehöre der Begriff längst nicht mehr ausschließlich zum Vokabular polizeifeindlicher Kräfte, sondern sei in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen (vgl. LG Essen, NJW 1980, S.1639; KG, JR 1984, S.l65 ff.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
137
tiv-faktischen Ehrbegriff 46 daher nur das, was in unserer Gesellschaft als beleidigend angesehen wird. Äußerungen die schlechthin beleidigend sind gibt es aber nicht. Daher sind stets die konkreten Umstände, unter denen eine Äußerung erfolgt, zu berücksichtigen. 17 Denn ein und demselben Ausdruck kann abhängig von der konkreten Situtation ein jeweils anderes Gewicht zukommen. So hat die Titulierung "Du Lump" in einem ernsthaften Gespräch sicherlich eine ganz andere Bedeutung, als wenn diese Äußerung bei guter Stimmung während einer Karnevalsveranstaltung fallt. Alter, Bildungsgrad, Stellung des Täters, die persönlichen Verhältnisse des Angegriffenen, die Beziehungen zwischen den Beteiligten, ihr Verhältnis zueinander innerhalb der sozialen Ordnung und der Verkehrston in den betreffenden sozialen Schichten sowie die Ortsüblichkeit bestimmter Ausdrücke und die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse, unter denen die Kundgabe erfolgte, sind Aspekte, die bei der Klassifizierung einer Äußerung als beleidigend zu berücksichtigen sind. 18 Hierdurch lassen sich bloße gesellschaftliche Konventionsverletzungen, wie Taktlosig- oder Anzüglichkeiten, von dem tatbestandlichen Vorliegen einer strafbaren Beleidigung separieren. Berücksichtigt man die niedrige Strafandrohung des § 185 StGB (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) und die Ausgestaltung als Antragsund Privatklagedelikt (§ 194 Abs.l StGB; § 374 Abs.l Nr.2 StPO), so läßt sich die Beleidigung nur als Bagatelldelikt einordnen. Dies verwundert, wenn man die Beleidigungsmotive näher betrachtet: Neid, Bosheit, Gehässigkeit, Rachsucht und - vor allem bei Presseveröffentlichungen - unter Umständen auch Habgier, 19 dürften wohl hauptsächlich diejenigen Motive sein, die einen Antrieb für Beleidigungen darstellen. Teilweise werden die Beleidigungsmotive sogar in unmittelbare Nähe der Mordmotive (z.B. der niedrigen Beweggründe) gerückt. 20 2 1
16
Siehe hierzu die Ausführungen in Teil 1 unter Α.. II., 1., c), bb).
17
OLG Köln, NStZ 1981, S.183; OLG Hamm. NJW 1982. S.660: Otto, JR 1983, S.7; Küpper, JA 1985, S.457. 18
OLG Düsseldorf, NJW 1960, S.1072.
19
Das Standardbeispiel hierfür dürfte der sog. "Fernsehansagerin-Fair sein. (BGHZ 39, 124). Die Illustrierte Stern schrieb hier über eine Femsehansagerin: Sie passe "in ein zweitklassiges Tingeltangel.."; sehe aus wie "eine ausgemolkene Ziege.."; bei ihrem Anblick werde den Zuschauern "die Milch sauer.." und andere "Nettigkeiten". Zudem wurde den Lesern mit der Bemerkung, sie habe zwar keinen Mann, wohl aber "eine Freundin und einen Hund" eine gewisse sexuelle Abartigkeit suggeriert. Demgegenüber argumentierte der Stern: ...er komme "gewissen primitiven Leserwünschen" nach, um das Publikum "im Wege der Überlistung an ein höheres Niveau" heranzuführen (so das Vorbringen in BGHZ 45, 296 (297 u. 298). 20 21
Vgl. hierzu Arzt, JuS 1982, S.720.
Gleichwohl bezeichnen andere den kriminellen Unwertgehalt als "relativ gering" (v. Decken, Meinungsäusserungsfreiheit und Ehrenschutz, S.l85).
138
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Auch wenn man so weit nicht gehen möchte, zeigt sich hieran doch, daß die Bagatellisierung der §§185 i f StGB Grenzen haben muß. weil - insbesondere fortgesetzte - Beleidigungen bei den Opfern zu schweren seelischen Beeinträchtigungen fuhren können. Die Praxis ist hiervon jedoch, wie im folgenden noch zu zeigen sein wird, weit entfernt.
bb) Die §§ 186, 187 StGB Die §§ 186, 187 StGB setzen voraus, daß der Täter über einen anderen eine ehrenrührige Tatsache behauptet oder verbreitet. Hierbei muß die Tatsachenbehauptung im Gegensatz zu § 185 StGB zumindest auch gegenüber einem Dritten erfolgen. 22 Damit haben die §§ 186, 187 StGB zwei Zielrichtungen: Zum einen soll verhindert werden, daß der Täter durch das Behaupten oder Verbreiten ehrenrühriger Tatsachen seine eigene Mißachtung des Opfers zum Ausdruck bringt. Zum anderen, daß der Täter Dritten die tatsächlichen Grundlagen für eine Mißachtung des Opfers liefert und dadurch die Gefahr schafft, daß die Möglichkeiten des Opfers ein seinem Geltungswert entsprechendes Leben zu führen in besonders intensiver Weise gefährdet werden. 23 Unterschiede bestehen bei den §§ 186, 187 StGB nur insoweit, als zwischen der Wahrheit bzw. Unwahrheit ehrenrühriger Tatsachen zu differenzieren ist: Bei der Verleumdung (§ 187 StGB) zählt die Unwahrheit zum Tatbestand. Das bedeutet, daß sich hierauf auch der Vorsatz des Täters in Form des dolus directus zu erstrecken hat. 24 Demgegenüber ist die Unwahrheit der behaupteten Tatsache bei der üblen Nachrede (§ 186 StGB) kein Tatbestandsmerkmal, sondern eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. 25 Das bedeutet, daß die aufgestellte oder verbreitete Tatsachenbehauptung nicht erweislich wahr sein muß 26 und sich der Vorsatz des Täters nicht hierauf zu erstrecken braucht. Den Tatbestand des § 186 StGB erfüllt danach auch, wer die ehrenrührige Tatsache für wahr hält und irrig annimmt, die Wahrheit sei auch nachweisbar. Insoweit wird im Regelungsbereich des § 186 StGB, in Abweichung der üblichen Beweisregel des Strafrechts, "in dubio contra reum" entschieden. Ein sogenanntes "non liquet" geht zu Lasten des Injurianten. Das bedeutet jedoch nicht, daß dem Ange22
So schon RGSt 29, 40; 41, 61: sowie Dreher/Tröndle,
§ 186. Rn 5: Sch/Sch-Lenckner,
§ 186,
Rn 9. 23
Maurach-Maiwald,
24
Bzgl. der übrigen Tatbestandsmerkmale ist dagegen dolus eventualis ausreichend.
§ 25 III.
25
So die ganz h.M.: BGHSt 11, 273 (274); Geppert, Jura 1983, S.583: Lackner, § 186, Anm. 6; Maurach/Schroeder, BT 1, S.216; Wessels, § 11 III 2; Sch/Sch-Lenckner, § 186, Rn 10; anders de lege lata, jedoch schwerlich begründbar: Hirsch, S.l68 ff; zustimmend auch Küpper, JA 1985, S.459, die den Tatbestand des § 186 StGB nur dann als gegeben sehen, wenn der Täter sich bezüglich der Wahrheit der Äußerung sorgfaltswidrig verhalten hat. 26
Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn 3.158.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
139
klagten auch eine prozessuale Beweisführungspflicht hinsichtlich der (Un-) Wahrheit seiner ehrenrührigen Behauptung obliegt. Vielmehr haben die Gerichte aufgrund der Instruktionsmaxime nach wie vor die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen; "verbleibende Zweifel gehen lediglich materiellrechtlich zu Lasten des Äußernden". 27
b) § 185 StGB und das Bestimmtheitsgebot Wie die vorherigen Ausführungen gezeigt haben,28 bestehen auch und gerade für den strafrechtlichen Bereich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Ehre zu definieren ist bzw. wie sie verletzt werden kann. 29 aa) Verfassungswidrigkeit
des § 185 StGB
Diesbezüglich vertritt eine in jüngster Zeit stärker werdende Meinung die Ansicht, § 185 StGB sei wegen eines Verstoßes gegen das aus Art. 103 Abs.2 GG folgende Bestimmtheitsgebot (nulla poena sine lege) verfassungswidrig. 30731 Begründet wird diese Auffassung damit, daß § 185 StGB nicht, wie verfassungsrechtlich gefordert, ein tatbestandsmäßiges Verhalten umschreibe (das Wort Ehre komme in § 185 StGB überhaupt nicht vor), sondern lediglich auf einen außerrechtlichen Begriff "Beleidigung" abstelle. Eine solche Tatbestandsfassung sei allenfalls dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn eine communis opinio über das was Beleidigung ist bestünde. Diese habe möglicherweise bei der Schaffung des Strafgesetzbuches vor über hundert Jahren bestanden, heute aber sei sie nicht mehr feststellbar, so daß § 185 StGB verfassungswidrig sei. 32
bb) Stellungnahme Der vorgenannten Ansicht ist sicherlich insoweit zuzustimmen, als Strafnormen so konkret gefaßt sein müssen, daß Tragweite und Anwendungsbereich des Tatbestandes erkennbar sind oder sich durch Auslegung ermitteln lassen. 33734 27 So die zutreffenden Ausführungen von Mackeprang, S.243 unter Verweis auf Rehbinder, JZ 1963, S.316. 28
Vgl. die Darlegungen in Teil 1 unter Α., II., 1., c), bb).
29
Siehe hierzu auch Otto, JR 1983, S.2.
30
Findeisen/Hoepner/Zünkler,
31
Vgl. zu dieser Problematik auch Tenckhoff,
32
Schubarth, S.728; Findeisen/Hoepner/Zünkler,
33
BGHSt 11, 365 (377); 28, 312 (313); 23, 171.
S.246; Schubarth,
Ritze, S.92 insbesondere Fn 18.
JuS 1988, S.201. S.246: Ritze, S.92 insbesondere Fn 18.
34 Dementsprechend hat das BVerfG zutreffend ausgeführt: "...ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafhormen unvermeidlich, daß in Grenzfallen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fallt oder nicht" (BVerfGE 73, 206 (235)).
140
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Rechtssicherheit und ist gerade bei Äußerungsdelikten von außerordentlicher Relevanz, da "die Grenze des Strafbaren hier zugleich die Grenze der Grundrechtsausübung (aus Art. 5 Abs.l GG) ist". 35 Ob § 185 StGB jedoch, wie von der vorgenannten Auffassung vertreten, diesen Anforderungen nicht genügt, erscheint doch sehr zweifelhaft. Zunächst ist die Aussage, bei dem Begriff der Beleidigung handele es sich um einen "außerrechtlichen BegrifF' schlichtweg unzutreffend. Denn jeder, der den 14. Abschnitt des Strafgesetzbuches aufschlägt, wird schon in der Überschrift mit dem Inhalt der §§185 ff StGB konfrontiert, nämlich der Beleidigung. Insoweit ist die rechtliche Relevanz dieses Begriffes wohl evident. Ferner ist festzustellen, daß es für die Frage der Tatbestandsbestimmtheit nicht darauf ankommen kann, ob in der Strafnorm das geschützte Rechtsgut (hier die Ehre) genannt worden ist oder nicht. Denn für die Frage der Tatbestandsbestimmtheit kann nur relevant sein, ob das Verhalten, das strafbewehrt ist, umschrieben ist oder nicht. Ob das dahinter stehende Rechtsgut tatbestandlich ebenfalls erfaßt ist, ist ohne Bedeutung. Es findet sich in strafrechtlichen Sanktionsnormen fast ausnahmslos ohnehin nicht wieder. 36 Zwar verdient die Aussage, es bestehe heute kein gesellschaftlicher Konsens darüber was Beleidigung sei, Zustimmung, sie hilft aber bei der Frage der Tatbestandsbestimmtheit nicht weiter. Entscheidend für die Tatbestandsbestimmtheit i.S.d. Art. 103 Abs.2 GG kann zunächst nicht sein, was "die Gesellschaft" als maßgebliches Kriterium ansieht. Denn "die Gesellschaft" ist ein solch komplexes und heterogenes Gebilde, daß sich ein für eine strafrechtliche Sanktionierung (!) ausreichender Konsens wohl niemals finden läßt (sieht man einmal von den Kapitalverbrechen wie Mord, Vergewaltigung u.s.w. ab). Ausschlaggebend kann daher nur sein, ob in der Rechtsprechung und der Literatur ein entsprechender Konsens zu finden ist. Dies mag häufig genug nicht der Fall sein. Bei der Frage, wann eine Beleidigung anzunehmen ist, gibt es jedoch eine von der ganz herrschenden Meinung anerkannte Definition: "Beleidigung ist die Kundgabe der Mißachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung".37 Die dann erforderliche weitere Konkretisierung bewegt sich, wie Küpper 38 zutreffend formuliert, "im Rahmen der sonst auch üblichen Subsumtionstechnik". Insoweit kann bei der Regelung des § 185 StGB nicht von einem Verstoß gegen das Verfassungsgebot der "nulla poena sine lege" ausgegangen werden. Die Forderung von Findeisen/Hoepner/Zünkler, § 185 StGB müsse vom Bundesver-
35
Insoweit sicherlich zutreffend Findeisen/Hoepner/Zünkler,
36
Küpper, ZRP 1991, S.250.
37
Statt vieler: BGHSt 1, 288 (289); LK-Herdegen,
38
Küpper, ZRP 1991, S.250.
S.246.
Vor. § 185, Rn 5.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
141
fassungsgericht als verfassungswidrige Norm aufgehoben werden, 39 erweist sich daher als unhaltbar und ist zurückzuweisen.
c) Mißbrauch des § 185 StGB als "kleines Staatsschutzdelikt" Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 185 StGB wird weiterhin kritisiert, daß mit Hilfe dieser Norm verbaler politischer Extremismus, der nicht die tatbestandlichen Erfordernisse von Sonderstraftatbeständen, wie etwa der Staatsschutzdelikte erfüllt, kriminalisiert werden solle. § 185 StGB werde so zu einem Straftatbestand mit "Lückenbüßerfunktion". 40 Damit enge die Vorschrift des § 185 StGB die politische Auseinandersetzung, wie anhand der "Soldaten-Urteile" erkennbar, ein, behindere den Meinungsstreit und die Kontrolle der Ausübung von Staatsgewalt durch die Öffentlichkeit. 41 Dieser Kritik kann nicht gefolgt werden: Zunächst ist festzustellen, daß es in der Tat bedenklich ist, wenn eine Strafrechtsnorm als Auffangtatbestand für solche Delikte "mißbraucht" wird, die die tatbestandlichen Erfordernisse von Sondertatbeständen, wie die der Staatsschutzdeklikte, nicht erfüllen. Doch ist dies im Falle des § 185 StGB nicht gegeben. Denn im Unterschied zu den Entscheidungen der Rechtsprechung zu den Äußerungen bzw. Verhaltensweisen mit sexuellem Einschlag, läßt sich im hier diskutierten Bereich keine Tendenz der Rechtsprechung feststellen, den Tatbestand des § 185 StGB auch auf solche Verhaltensweisen auszudehnen, die keine spezifische Ehrverletzung beinhalten. 42 Die dagegen vorgebrachten Beispiele aus der Rechtsprechung können nicht überzeugen und belegen eher das Gegenteil: In dem einen Fall wurde kritisiert, daß das Mitführen eines Transparents mit der Aufschrift "Strauß deckt die Faschisten" erst (!) vor dem Bundesverfassungsgericht für straflos erklärt wurde. 43 In dem anderen Fall wurde moniert, daß ein Autoaufkleber mit der Aufschrift "Polizeisportverein" und dem Bild eines Polizisten, der mit dem Schlagstock auf einen am Boden liegenden Menschen "eindrischt", eine Beleidigung eines überschaubaren Kreises von Polizeibeamten darstellen sollte. 44 39
Findeisen/Hoepner/Zünkler,
40
Findeisen/Hoepner/Zünkler, Vor. § 185, Rn 2. 41
Findeisen/Hoepner/Zünkler,
S.246; ebenso Schubarth, S.728. S.246 unter Berufung auf Arzt, JuS 1982. S.727 und LK-Herdegen, S.245 u. S.246.
42
Im Bereich der Verhaltensweisen mit sexuellem Einschlag ist dies leider anders. Hier wurde der Vorschrift des § 185 StGB von der Rechtsprechung faktisch die Rolle einer Verdachtsnorm zugewiesen, wenn eine Bestrafung eines Sexualdelikts an der Beweisnot scheiterte. Vgl. hierzu BGH, StrVert 1982, S.l5, sowie die einhellige Kritik hieran bei Sick, S.333; Kiehl, S.3004; Schubarth, S.728; Ritze, S.92; Laubenthal, S.700 ff. 43
BVerfGE 82, 43 ff = NJW 1990, S.1980 ff.
44
Vgl. Findeisen/Hoepner/Zünkler,
S.245.
142
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Zunächst läßt sich anhand der vorgenannten Beispiele nicht belegen, daß die Rechtsprechung deswegen zu einer Sanktionierung nach § 185 StGB gekommen ist, weil eine Subsumtion unter Sondertatbestände wie der §§90 ff StGB nicht möglich war. Vielmehr läßt sich gerade anhand des erstgenannten Beispiels zeigen, daß der entscheidende Gesichtspunkt für eine Sanktionierung nach § 185 StGB einzig der ist, ob eine Ehrverletzung vorliegt. Denn gerade die Aufhebung zweier vorinstanzlicher Entscheidungen zeigt, daß die Rechtsprechung entscheidendes Gewicht auf das Vorliegen einer Ehrverletzung legt und alles andere als vorschnell eine Sanktionierung gemäß § 185 StGB annimmt. Viel eher läßt sich hier die entgegengesetzte Position vertreten: Man beachte hier nur das Verdikt des Kammergerichts vom 21.06.1979.45 Das Gericht hatte darüber zu befinden, ob die Äußerung, das Berliner Abgeordnetenhaus sei "das Allerheiligste bürgerlichen Volksbetrugs" den Straftatbestand der Beleidigung erfüllte. Das Kammergericht verneinte eine Beleidigung des Parlaments, weil "nicht ein ehrenkränkender, sondern eher verfassungsfeindlicher Charakter" die Äußerung präge. 46 Wäre diese Begründung zutreffend, so würde der verfassungsfeindliche Charakter einer Äußerung stets eine Ehrverletzung ausschließen. Von einem Rechtsgrundsatz, daß politisch motivierte Werturteile immer von der Meinungsfreiheit gedeckt und nie beleidigend seien, wäre man dann nicht mehr weit entfernt. 47 Dies kann wohl nicht richtig sein! Nach alledem bestehen keine Bedenken hinsichtlich einer zu extensiven Auslegung des § 185 StGB. Im Gegenteil, die Gesellschaft scheint inzwischen schon so stumpf und "tolerant" geworden zu sein, daß der Generalbundesanwalt die sachliche Beantwortung einer Strafanzeige der Grünen gegen den Bundeskanzler wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges für angemessen hält. 48 Von einer zu extensiven Handhabung oder gar den Mißbrauch des § 185 StGB als "kleines Staatschutzdelikt" kann daher nicht ernstlich die Rede sein.
d) Die Kollisionsnorm des § 193 StGB Die Vorschrift des § 193 StGB normiert für den Bereich der Beleidigungsdelikte besondere Rechtfertigungsgründe. 49 5 0 Gleichwohl ist der Anwendungsbe-
45
KG, JR 1980, S.291.
46
KG, JR 1980, S.291.
47
So Arzt, JuS 1982, S.728.
48
Arzt, JuS 1982, S.728 unter Berufung auf die Süddeutsche Zeitung vom 07.08.1981, Nr.179, S.7 mit Auszügen aus der Begründung des Generalbundesanwalts dafür, daß er die entsprechende Anzeige nicht verfolge. 49 Dreher/Tröndle, § 193, Rn 1; LK-Herdegen, § 193, Rn 1; Sch/Sch-Lenckner, § 193, Rn 1; BGHSt 12, 293; Küpper, JA 1985, S.460. 50 Daneben kann die Rechtswidrigkeit auch durch Notwehr (sog. Ehrennotwehr) gemäß § 32 StGB ausgeschlossen sein (vgl. BGHSt 3, 217 (218); Sch/Sch-Lenckner, § 185, Rn 15. Rechtfertigende Wir-
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
143
reich dieser Vorschrift nicht auf das Strafrecht beschränkt. So findet § 193 StGB nach einhelliger Meinung auch Anwendung im Zivilrecht. Hauptanwendungsgebiet dieser Vorschrift ist die generalklauselartige Formel der Wahrnehmung berechtigter Interessen. 51752 Dieser Formulierung läßt sich zunächst nur entnehmen, daß eine in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgte Äußerung grundsätzlich nicht strafbar ist. Ob die Straflosigkeit damit aufgrund einer Rechtfertigung oder als Folge des Vorliegens eines Schuldausschließungsgrundes53 erfolgt, bleibt offen. 54 Die heute ganz überwiegende Meinung sieht § 193 StGB jedoch als Rechtfertigungsgrund. 55 Dieser sollte dann zur Rechtfertigung einer ehrverletzenden Äußerung führen, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Es muß sich um ein berechtigtes Interesse handeln. 2. Die Beleidigung muß sich als ein angemessenes Mittel darstellen. 3. Der Täter muß subjektiv zur Wahrnehmung dieser Interessen gehandelt haben. Die Frage, die sich hier zunächst aufdrängt und die auch der damalige Justizminister Leonhard 56 anläßlich der 2. Lesung des Entwurfs des StGB im Reichstag stellte, ist folgende: "Was sind Interessen und was sind berechtigte Interessen?"
aa) Die "berechtigten
Interessen" i.S.d. § 193 StGB
Tatsächlich gilt schon der Begriff des Interesses als wenig bestimmt. 57758 Aufgrund dieser Unbestimmtheit versuchte sowohl die Lehre als auch die Judikatur
kung hat auch die Einwilligung, da der Betroffene über das Individualrechtsgut Ehre verfügen kann (vgl. Blei, § 25 III; Dreher/Tröndle, § 185, Rn 14). 51
Sch/Sch-Lenckner,
§ 193, Rn 8; Blei, § 27 II 2 b).
52
Daneben nennt § 193 StGB Fallgruppen. Richtiger Ansicht nach handelt es sich hierbei jedoch um näher konkretisierte Fälle der berechtigten Interessenwahmehmung, für die das zu diesem Problembereich Gesagte gilt (vgl. Sch/Sch-Lenckner, § 193, Rn 4-7). 53 Als Schuldausschließungsgrund gedeutet wurde § 193 StGB von RGSt 6. 407; 64, 23; Erdsiek, 1969, S.311; Schmidt, JZ 1970, S.8.
JZ
54 Auch die große Strafrechtskommission konnte sich nicht für eine bestimmte Lösung entscheiden und ließ die Frage bewußt offen (Begr. zu § 178 II E 62, S.324). 55 Siehe stellvertretend für die langjährige gefestigte Rechtsprechung: RGSt 65. 333 (335); BVerfGE 12, 113 (125 ff); BGHZ 31, 308 (312 ff); BGHSt 18, 182 (184); vgl. ferner aus dem Schrifttum: Sch/Sch-Lenckner, § 193, Rn 1; SK-Rudolphi, § 193, Rn 1; Dreher/Tröndle, § 193, Rn 1; LK~ Herdegen, § 193, Rn 1. 56 57
Zitiert nach Bülow, S.84.
So gab die Judikatur bis heute keine Definition des Interesses. Frank definierte es als den "Wert, den man einem bestimmten Ereignis oder Zustand beimißt" (§ 193, Anm. II 2 a); Hubmann sieht den Begriff in funktionaler Weise und bezeichnet als Interesse ein "Streben nach Gütern und Werten und die Sorge um ihre Erhaltung" (AcP 155, S.96).
144
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
von Anfang an, dem Begriff der "berechtigten Interessen" schärfere Konturen zu geben.59 Das Reichsgericht hat zunächst alle Interessen für berechtigt erklärt, die nicht in Widerspruch zu Recht oder Sitte standen.60 Mit dieser Negativdefinition konnten jedoch nur Extremfälle berechtigter Interessenwahrnehmung ausgeschieden werden, beispielsweise das Interesse, den politischen Gegner durch Aufdeckung seines Privatlebens unmöglich zu machen.61 Dies gilt auch für das Interesse an wissentlich falschen Behauptungen, die zur Strafverfolgung eines anderen führen sollen 62 sowie für das Interesse an bloßer Sensation.63 Demgegenüber wurden und werden von anderen Ansichten positive Abgrenzungskriterien entwickelt: So sei unter dem berechtigten Interesse ein Zweck zu verstehen, dessen Verfolgung rechtlich schutzwürdig sei, dessen Verfolgung vom gesunden Rechtsempfinden gebilligt werde, oder das sich bei billiger, verständiger Beurteilung der konkreten Sachlage als ein gerechtfertigtes Interesse darstelle. 64 Übereinstimmend bringen diese Definitionen zum Ausdruck, daß die Relevanz des berechtigten Interesses damit einerseits von der Rechtsordnung abhängen muß, andererseits aber auch in Verbindung zu außerrechtlichen Maßstäben steht; also solchen, die höchstens über Generalklauseln in das Recht Eingang finden. Folgt man dem soweit, so kann man mit dem Bundesverfassungsgericht die berechtigten Interessen definieren als "die Anschauungen der anständigen Leute davon, was im sozialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen sich gehört". 65 Es ist evident und unbestritten, daß jedermann das Recht haben muß, die so definierten berechtigten Interessen wahrnehmen zu dürfen. Unklar war lange Zeit jedoch, inwieweit eine Legitimation besteht, auch fremde Interessen wahrnehmen zu dürfen. So sah die Judikatur lange Zeit 6 6 nur denjenigen als zur Interessenwahrnehmung berechtigt an, der eigene oder ihn nach billigem Ermessen nahe angehende Interessen verfolgte. 67 Das könne z.B. bei naher Verwandt58 Insofern überrascht, daß sich die Kritik von Findeisen/Hoepner/Zünkler, hinsichtlich der vorgeblich mangelnden Bestimmtheit des § 185 StGB (vgl. (b).), nicht auch gegen die Norm des § 193 StGB richtet. 59 So stellte schon der Abgeordnete Lasker anläßlich der Beratung des § 193 StGB im Reichstag fest: "...das Leben ist so mannigfaltig, daß man eben nichts Anderes thun kann als diese allgemeine Regel aufstellen" (zitiert nach Bülow, S.282). 60
RGSt 26, 76 (76); ähnlich Frank, III 2 a zu § 193.
61
RGSt 40, 101 (103).
62
RGSt 34, 222 (223).
63
RGSt 36, 422 (423).
64
RGSt 7, 198 (76); Sch/Sch-Lenckner,
65
Siehe hierzu BVerfGE 7, 198 (215).
66
So schon RGSt 15, 15 (16); 23, 285 (286); 56, 380 (384); 62, 83 (93).
67
§ 193, Rn 9; Blei, S.106.
Der Gedanke an die Notwendigkeit einer besonderen Legitimation zur Wahrnehmung fremder Interessen klang selbst im "Lüth-Urteil" des BVerfG an. Hier heißt es, der Schutz der privaten Rechtsgüter müsse zurücktreten, wenn es sich bei der Äußerung um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten handele. Die
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
145
schaft, Freundschaft oder langjährigem Arbeitsverhältnis der Fall sein. 68 Ferner könne die Legitimation aus einem Vertrag folgen, namentlich aus einem Auftrags· oder Dienstvertrag, etwa dem eines Anwalts, Geschäftsführers oder ähnliches.69 Bei fehlender Legitimation gelte eine Rechtfertigung als ausgeschlossen, auch wenn es um die Wahrnehmung der Interessen der Allgemeinheit gehe. 70 Trotz dieser sehr restriktiven Interpretation wurde bei der Frage, wann Interessen als eigene anzuerkennen sind, recht großzügig verfahren. So habe jeder Staatsbürger ein eigenes Interesse an der Verfolgung von Verbrechern, 71 an der Sauberkeit des öffentlichen Lebens und der Führung einer nationalen Politik, 72 ebenso an der rechtsstaatlichen Grundordnung des Staatswesens.73 Besondere Brisanz hatte diese Problematik für die Presse. Ihr wurde keine weitergehende Legitimation zur Interessenwahrnehmung als dem einzelnen Bürger eingeräumt. 74 Somit gingen sie die berechtigten Interessen der Allgemeinheit, ja selbst ihrer Leser, nichts an. 5 Auch der Bundesgerichtshof hat in früheren Entscheidungen diese Ansicht vertreten. Die kritische Erörterung der Erschießung eines achtzehnjährigen Schmugglers hat er zwar als durch § 193 StGB gedeckt betrachtet; Voraussetzung dafür war aber, daß der Schriftleiter Grenzbewohner war. so daß er an der Klärung der Verhältnisse an der Grenze ein eigenes Interesse geltend machen konnte. 6 Dies führte dazu, daß die Presse kaum Möglichkeiten hatte, in den Genuß des § 193 StGB zu kommen. Aus diesem Grund wurde versucht der Presse eine öffentliche Aufgabe zuzuerkennen. Diese resultiere aus der wichtigen Bedeutung der Presse für die demokratische Massengesellschaft. 77 Die Wahrnehmung einer auf diese Weise begründeten öffentlichen Aufgabe legitimiere zur Wahrnehmung fremder Interessen zumindest insoweit, als es sich um Angelegenheiten des Gemeinwohls handele. Pressekritiken seien also rechtfertigungsfähig, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Aufgaben lägen, die der Presse gestellt seien.78 Gegen dieses "Beleidigungsprivileg" der Presse wurden jedoch mit Recht Bedenken erhoben:
besondere Legitimation von Liith wurde von dem Bundesverfassungsgericht "durch seine nahe persönliche Beziehung zu allem, was das deutsch-jüdische Verhältnis betraf' begründet (BVerfGE 7, 198 (218)). 68 RGSt 30, 41 (42); 48, 414 (415); OLG Braunschweig. NJW 1948. S.697 u. S.698; OLG Düsseldorf, JR 1948, S.351. 69
RGSt 30, 41 (42); 37, 104 (105); 38, 131 (132); 47, 170(171); 64, 23 (24).
70
So schon RGSt 15, 15(16).
71
RGSt 20, 164; 71, 34 (38).
72
RGSt 62, 83 (93).
73
BGH, NJW 1956, S.799.
74
Ständige Rechtsprechung von RGSt 5, 239 (240) bis RGSt 65, 359 (360 u. 361).
75
RGSt 5, 239 (240); 25, 263 (264); 39, 399 (401); 56, 380 (383); 64. 10 (13); 65, 359 (360); 83, 362 (364). 76
BGHSt 7, 386 (388).
77
Das BVerfG spricht von der Presse als einem "Wesenselement des freiheitlichen Staates", das für die moderne Demokratie unentbehrlich sei (vgl. BVerfGE 20, 162 (174)). 78
OLG Hamm, MDR 1953, S.311; OLG Köln. GA 1957, S.61; Schneider F.. NJW 1963, S.665.
10 Stark
146
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
So erscheint es keinesfalls gerechtfertigt, daß ein Presseredakteur beleidigungsgrechtlich besser gestellt werden soll, als beispielsweise ein Vortragsredner, der es vorzieht, seine Ansichten mündlich zu verbreiten. 79 Mit Recht betont Maurach, 80 daß es auch für die Presse keine "Verunglimpfungsfreiheit" geben dürfe. Dies gilt um so mehr, als sich ein "Beleidigungsprivileg" auch nicht aus den Grundrechten herleiten läßt. Denn aus der Vorschrift des Art. 5 Abs.2 GG folgt, daß Meinungs- und Pressefreiheit gleichermaßen derselben Schranke des Rechts der persönlichen Ehre unterworfen sind. Aus diesem Grund hat sich wohl auch der Bundesgerichtshof schon in der sog. Callgirl-Entscheidung 81 gegen eine Privilegierung der Presse im Bereich des Äußerungsrechts ausgesprochen. Ob eine Äußerung in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolge, müsse nach für alle geltenden, gleichen Grundsätzen, nicht aber nach der Art der Verbreitung entschieden werden. Die Tatsache des gedruckten Verbreitens könne - für sich genommen - kein Mehr an Rechten vermitteln. Diese Problematik hat jedoch ihre ursprüngliche Relevanz verloren, seit sich die Ansicht durchgesetzt hat, daß die Belange der Allgemeinheit jedem nahe gingen. So soll immer dann, wenn es um Interessen der Allgemeinheit geht, jeder Staatsbürger legitimiert sein, diese Interessen selbst wahrzunehmen. Dies folge aus "dem Recht jeden Bürgers, an der politischen Willensbildung tätigen Anteil zu nehmen". 82 Auch das Bundesverfassungsgericht hält die noch im Lüth-Urteil für nötig gehaltene Legitimation nicht mehr für erforderlich, "da jedem Staatsbürger durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht gewährleistet ist, an der öffentlichen Diskussion teilzunehmen". 83 Da hiernach Interessen der Allgemeinheit, also auch fremde Interessen, zu einer Rechtfertigung nach § 193 StGB führen können, 84 bedarf es keiner juristischen Klimmzüge mehr, die Presse über die Verschaffung eines "Beleidigungsprivilegs" in den Genuß dieser Vorschrift zu bringen. Bei der Wahrnehmung von Allgemeininteressen ist daher einzig darauf abzustellen, ob ein berechtigtes Informationsbedürfnis der Allgemeinheit besteht. Wenn dies der Fall und die Aussage an die Informationsadressaten gerichtet ist, ist eine Berufung auf § 193 StGB (sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen) möglich.
79 Deutlich wurde dies in einer Entscheidung des OLG Stuttgart, JZ I960, S.l30: "Nur derjenige kann sich auf das öffentliche Informationsbedürfnis berufen, der berechtigt ist. Interessen des Publikums wahrzunehmen. Privatpersonen scheiden dananch i.d.R. aus". 80
Maurach-Schr oeder, Rn 44.
81
BGHSt 18, 182(187).
82
BGHSt 18, 182(187).
83
BVerfGE 12, 113(125).
84
Ebenso Arzt, JuS 1982, S.722; Sch/Sch-Lenckner, Küpper, JA 1985, S.461; Geppert, Jura 1985, S.29.
§ 193, Rn 13; LK-Herdegen,
§ 193, Rn 13;
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
147
Nachdem aufgezeigt wurde, welche Interessen zur Rechtfertigung einer Ehrverletzung fuhren, schließt sich in dem nächsten Schritt die Frage an, welches Mittel der Äußernde zur Wahrnehmung seiner Interessen wählen darf.
bb) Die Angemessenheit des Mittels Die frühere Rechtsprechung und mit ihr die herrschende Lehre ging davon aus, daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen nur dann rechtfertigende Wirkung habe, wenn der Äußernde das nach den Umständen des Falles schonendste Mittel zur Wahrung oder Förderung seines Interesses eingesetzt hat. 85 Dieses Erfordernis des schonendsten Mittels beruhte rechtsdogmatisch auf der Rückführung des § 193 StGB auf das Prinzip des übergesetzlichen Notstandes. Nachdem die Judikatur und mit ihr das herrschende Schrifttum die Vorschrift des § 193 StGB nicht mehr auf das Prinzip des übergesetzlichen Notstandes, sondern auf das allgemeine Güter- und Interessensabwägungsprinzip zurückführte, wurde das Erfordernis des "schonendsten Mittels" aufgegeben. 86 Im Anschluß an diesen Verzicht hat der Bundesgerichtshof klargestellt, daß ebensowenig entscheidend sei, ob das angewandte Mittel notwendig sei. 87 Demnach konnte ein Eingriff in die Ehre eines anderen durch eine berechtigte Interessenwahrnehmug gedeckt sein, auch wenn die inkriminierte Äußerung nicht notwendig war! Erforderlich war also nur noch, daß die Äußerung ein angemessenes Mittel war, den angestrebten, rechtlich anerkannten Zweck zu erreichen. 88 Damit wird transparent, daß § 193 StGB klar auf eine Abwägung des vom Täter verfolgten berechtigten Interesses gegen den Ehrenschutz des Opfers hinausläuft. 89 Da die Ehre in erster Linie durch verbale Angriffe tangiert wird, kommt es bei dieser Abwägung primär auf den Widerstreit des Grundrechts der freien Meinungsäußerung mit dem (Grund-) Recht der Ehre an. Dem trägt das Bundesverfassungsgericht Rechnung, indem es den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB als eine "Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung" wertet. 90 Präziser dürfte es jedoch sein, die Vorschrift des § 193 StGB als 83 So insbesondere BGHZ 3, 270 (281); LK-Schaefer, 8. Aufl. § 193, Anm III. 1. Dieses Erfordernis wird heute noch gefordert von: SK-Rudolphi, § 193, Rn 20; Sch/Sch-Lenckner, § 193, Rn 10; Dreher/Tröndle, § 193, Rn 14. Allerdings mit der Einschränkung, daß es dort, wo eine öffentliche Auseinandersetzung der allgemeinen Meinungsbildung dient, wiederum nicht gelten soll, was jedoch faktisch auch zu einer Aufgabe des Regulativs der Erforderlichkeit fuhrt. 86 Eindeutig heißt es in dem Urteil des BGH, NJW 1974, S.1762: "...vom Kritiker werde nicht verlangt, das mildeste Mittel einzusetzen". Ebenso BGH, MDR 1977, S.656. 87 So findet sich in dem Urteil des BGH vom 21.06.1960. NJW 1966, S.2012 folgender Satz: "Wenn die Revision darauf abstellen will, ob gerade die Vorführung des Gerätes und die abwertende Beurteilung in der gewählten Form notwendig gewesen sei, so wird diese Auffassung der Bedeutung der im Art.5 GG geschützten Freiheit der Meinungsäußerung nicht gerecht". 88
Vgl. SK-Rudolphi,
89
BGHSt 18, 182 (184 - ni)\Arzt,
90
BVerfGE 12, 113 (125); ebenso L/R/H,
§ 193, Rn 22. JuS 1982, S.722. Art.5, Rn 1002.
148
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
einen Fall der Güter- und Interessenabwägung einzuordnen. 91 Die Vorschrift gewinnt so gewissermaßen die Funktion einer "Schranken-Schranke". 92 Auf diese Weise wird im Bereich der strafrechtlichen Sanktionierung von Meinungsäußerungen einfachgesetzlich die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 5 GG generell zur Pflicht gemachten Wechselwirkung 93 zwischen Grundrecht und Schranke ausdrücklich gefordert. In concreto bedeutet dies, daß stets zu prüfen und abzuwägen ist, ob bestimmte Äußerungen noch dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, und ob sie (im Rahmen der Angemessenheit) mit dem (Grund-) Recht der Ehre in Einklang zu bringen sind. Diese Praxis wird von Teilen der Literatur kritisiert. Bemängelt wird, daß durch eine individuelle Güter- und Interessenabwägung "Einzelfallrecht" ("case law") geschaffen werde. Dies liefe jedoch dem Verfassungsprinzip der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs.3 GG) zuwider. 94 ) Zudem finde "durch die vorgegebene Güterabwägung des § 193 StGB im Recht der freien Meinungsäußerung letztendlich eine politische Richtigkeitskontrolle statt". Insgesamt sei daher eine Interessenabwägung, wie vom § 193 StGB gefordert, auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit fehl am Platze. 95 Dieser Kritik ist zunächst entgegenzuhalten, daß letztlich jede individuelle Prüfung eines Lebenssachverhaltes zu einer gewissen Singularisierung des Rechtes fuhren kann. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß dies der Rechtssicherheit, und damit dem Art. 20 Abs.3 GG zuwiderläuft. Zwar werden bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des § 193 StGB die "spezifischen Umstände des einzelnen Falles", 96 unter denen eine beleidigende Meinungsäußerung abgegeben wurde, berücksichtigt, doch gibt es gerade im Rahmen dieser Vorschrift "eine Reihe von Grundsätzen, die fallweise zu beachten sind". 9 7 7 9 8 Somit wird dem - sicherlich nicht immer leichten - Wertungsvorgang größere Transparenz verschafft und durch eine Herausbildung allgemeingültiger Kriterien den Anforderungen des Art. 20 Abs.3 GG genügt. Im übrigen ist zu fragen, wie denn die Alternative auszusehen hätte.
91 So auch: BGHSt 18, 182 (184); Küpper, JA 1985, S.460; Geppert, Jura 1985, S.26; LKHerdegen, § 193, Rn 1 ff. 92
Tettinger,
93
Zur Wechselwirkungslehre siehe in Teil 1 unter Pkt. Β., II., 1., b).
JZ 1983, S.320.
94
Schmid, S.99 u. S.100; Findeisen/Hoepner/Zünkler,
95
Findeisen/Hoepner/Zünkler,
96
BVerfGE 7, 198 (210); 24, 278 (282).
97
BVerfGE 60, 234 (240).
98
S.248.
S.248.
Genannt werden hier: Inhalt des Angriffs auf die Ehre; qualitative Wirkung des Angriffs auf die Ehre; quantitative Wirkung des Angriffs; Mittel des Angriffs; Anlaß des Angriffs: Motivation des Angriffs. Siehe hierzu die ausführliche Übersicht bei: Tettinger, JZ 1983, S.321.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
149
Sollte es wirklich so sein, daß der strafrechtliche Ehrenschutz im Bereich der öffentlichen Auseinandersetzung "generell zurückzunehmen ist"? 99 Ein Mehrgewinn an Freiheit ist hierdurch sicherlich nicht zu erreichen. Gerade im Bereich der öffentlichen Auseinandersetzung ist es charakteristisch, daß die Kontrahenten immer an die Grenze des rechtlich Zulässigen gehen. Bei einer Restriktion des Ehrenschutzes dürfte dies wohl dazu führen, daß die soeben zurückverlegte Grenze erneut tangiert wird. "Je schärfer der zulässige Ton, desto stumpfer wird das Publikum"100 Wer auf den Ehrenschutz zugunsten einer unbeschränkten Meinungsfreiheit verzichten will, ''proklamiert die Narrenfreiheit und inflationiert die echte Freiheit". 1 0 1 Die Rücknahme des strafrechtlichen Ehrenschutzes zugunsten einer unbeschränkten Meinungsäußerungsfreiheit kann daher sicherlich nicht die Lösung sein. Auch die Kritik, die eine Güterabwägung unter Hinweis auf eine so stattfindende "politische Richtigkeitskontrolle" ablehnt, kann nicht überzeugen. Die Aussage, es finde eine politische Richtigkeitskontrolle statt, ist schlichtweg unzutreffend und daher zurückzuweisen. Denn sanktioniert wird nicht die politische Richtung einer Meinungsäußerung, sondern ihr herabsetzender Inhalt. Es dürfte zweifellos möglich sein, die eigene (politische) Meinung zu vertreten, ohne eine andere Person in ihrem Achtungsanspruch herabzusetzen! Wenn der durch eine gerichtliche Entscheidung praktizierte Ehrenschutz als "politische Richtungskontrolle" bezeichnet wird, so deutet dies auf ein unterentwickeltes Verständnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hin, der - wie festgestellt - auch und gerade die Ehre des Menschen schützen w i l l . 1 0 2 Festzuhalten ist daher, daß auch auf eine Angemessenheitsprüfung, d.h. auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen innerhalb des § 193 StGB nicht verzichtet werden kann. Ein Verlust an (Rede-) Freiheit ist damit nicht verbunden. Dies zeigt sich besonders deutlich anhand der von der Judikatur bedenklich großzügig aufgestellten Kriterien (Vermutungsformel, Reizüberflutung u s w. 1 0 3 . Als ein weiteres Element der Rechtfertigung fordert die h.M. von dem Äußernden die vorherige sorgfältige Prüfung der Richtigkeit einer behaupteten
99 So aber Findeisen/Hoepner/Zünkler, S.248; ebenso Hoffmann, S. 1201: "Wer den demokratischen Sinn des Rechts zur Kritik als gewichtig anerkennt, muß bei der Güterabwägung... zu dem Ergebnis gelangen, daß die Ehre., zurücktreten muß". 100
Arzt, JuS 1982, S.722.
101
Ähnlich auch: Küpper, ZRP 1991, S.250 unter Berufung auf Arzt, JuS 1982, S.723.
102
Vgl. insoweit die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. Α., II., 2., b).
103
Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. C., I.
150
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Tatsache (Informationspflicht). Dies gilt in erhöhtem Maße für Veröffentlichungen in der Presse und in anderen Massenmedien.104 Die Prüfungs- und Informationspflicht basiert auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß gerade ein nicht durch unabwendbare Not gebotener Eingriff in ein fremdes Recht nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Angreifer zuvor seine subjektive Informations- und Wertungsbasis überprüft hat. Ob der Äußernde seiner Informationspflicht nachgekommen ist, wird man richtigerweise aus einer ex ante Betrachtung zu beurteilen haben. Der daran anzulegende Maßstab wird jedoch, ähnlich wie bei der Beurteilung der Angemessenheit, von der Judikatur allzu großzügig gehandhabt. So wird betont, daß die Prüfungspflicht, insbesondere bei der hauptsächlich betroffenen Presse, nicht überspannt werden dürfe, da gerade diese unter dem Zwang zur Aktualität und damit zur Schnelligkeit stehe. 105 Maßstab sei hier eine "pressemäßige", d.h. berufsmäßige Sorgfalt. 1 0 6 Die so umschriebenen Sorgfaltspflichten dürfen aber nicht zu einer Verringerung, sondern müßten vielmehr zu einer Erhöhung der Sorgfaltspflichten der Medien fuhren. Denn Veröffentlichungen in den Medien belasten aufgrund ihrer enormen Breitenwirkung den von einer negativen Sachverhaltsdarstellung Betroffenen besonders nachhaltig. Daher muß auch unter Berücksichtigung der speziellen Arbeitsbedingungen der Medien gefordert werden, daß diese vor Veröffentlichung ehrverletzender Sachverhalte durch ihr mögliche Ermittlungen alles tun, damit die Verbreitung unrichtiger Sachverhalte verhindert wird. Das bedeutet, daß leichtfertig aufgestellte Behauptungen, haltlose Vermutungen oder unter Verletzung der Nachforschungspflicht erhobene Beschuldigungen niemals zu einer Rechtfertigung führen können. 107 Auch wird man fordern müssen, daß auf eine Veröffentlichung so lange zu verzichten ist, bis ein Mindestbestand an Belegtatsachen zusammengetragen ist, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (und ihr damit überhaupt erst "Öffentlichkeitswert" verleihen!).
cc) Das subjektive Rechtfertigungselement Schließlich muß die Äußerung zum Zwecke der Interessenwahrnehmung geschehen (subjektives Rechtfertigungselement). Das bedeutet, daß der Behauptende die Absicht der Interessenwahrnehmung gehabt haben muß. Unter Absicht wird allgemein eine besondere Form des direkten Vorsatzes, und zwar der auf
104 BVerfGE 12, 113 (130); mit Nachdruck schon BGHZ 31, 308 (312 ff): Otto, JR 1983, S.8; Veith, S.2225; Küpper, JA 1985, S.461. 105
BVerfGE 12, 113(130).
106
So schon OLG Köln, NJW 1963, S.1635; ebenso Fechner, S.461.
107
Siehe hierzu: BVerfGE 12, 113 (130); Küpper, JA 1985, S.461.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
151
den Erfolg einer bestimmten Handlung gerichtete Wille, verstanden. 108 Berücksichtigt man. daß die primären Motive von ehrenrührigen Behauptungen nicht selten - besonders bei Presseäußerungen - materielle Gewinninteressen sind, so könnte dies oftmals zur Verneinung des subjektiven Rechtfertigungselements führen. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht das subjektive Rechtfertigungselement schon früh relativiert. Hiernach braucht die Absicht der Interessenwahrnehmung nicht der einzige Zweck zu sein. Daneben können auch noch andere Motive (z.B. Rache, Haß u.ä.) eine Rolle spielen oder weitere Zwecke mitverfolgt werden. 109
2. Resümee Zusammenfassend läßt sich daher festhalten, daß den Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB nicht gefolgt werden kann. Dies gilt ebenfalls für die Kritik, die sich gegen die im Rahmen des § 193 StGB vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung richtet. Bedenken bestehen vielmehr dahingehend, daß die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Güter- und Interessenabwägung i.R d. § 193 StGB einseitig, zumindest aber tedenziell zu Lasten des Ehrenschutzes gehen.
II. Möglichkeiten der strafprozessualen Durchsetzung des Ehrenschutzes Die Beleidigungsdelikte sind als Antrags- und Privatklagedelikte ausgestaltet, d.h. die Strafverfolgung findet nur auf Antrag des Verletzten statt (§ 194 StGB) 1 1 0 und erfolgt grundsätzlich im Wege der Privatklage (§ 374 Abs.l Nr. 2 StPO), wenn nicht ausnahmsweise die Erhebung der öffentlichen Klage im öffentlichen Interesse liegt (§ 376 StPO). Die Ausgestaltung der Beleidigungsdelikte als Antragsdelikte wirkt aus der Sicht des Verletzten auf den ersten Blick vorteilhaft. Denn die Staatsanwaltschaft kann die Strafverfolgung nicht gegen seinen Willen aufnehmen, und er kann, eben weil die Strafverfolgung von seinem Willen abhängt, Druck auf den Täter ausüben, was einer außergerichtlichen Einigung förderlich sein kann. Dies entspricht der ratio der Antragsdelikte, den "Versöhnungsgedanken" zu fördern. 111 Außerdem hat der Strafantrag "den unbestrittenen Effekt des schnellen Gegenschlags",112 wenn er öffentlich bekanntgegeben wird. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch auch Nachteile und 108
Avenarius, S.5.
109
BVerfGE 12, 113 (128 u. 129); ebenso Küpper, JA 1985, S.460; Geppert, Jura 1985, S.31; SKRudolphi, § 193, Rn 25. 110 Beleidigung i.S.d. § 194 I StGB meint hier nicht nur die Beleidigung nach § 185 StGB, sondern auch die Verleumdung und die üble Nachrede (vgl. SK-Rudolphi, § 194, Rn 1 ). 111
Vgl. SK-Rudolphi,
112
Schwinge, MDR 1973, S.806.
Vor. § 77, Rn 2 - 4.
152
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Risiken für den Verletzten, die die Vorteile nicht nur ausgleichen, sondern im Ergebnis letztlich sogar überwiegen: So kann es dem Täter möglich sein, seinerseits Druck auszuüben, damit der Verletzte den Strafantrag gerade nicht stellt, bzw. falls schon geschehen, wieder zurücknimmt. Sofern er dies mit juristisch nicht zu sanktionierenden Mitteln macht (z.B. Drohung mit der Verschlechterung des Arbeitsklimas), wird der scheinbare Vorteil schnell zum Nachteil. Das gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß nicht nur der Täter, sondern auch der Richter ein Interesse an der Rücknahme des Strafantrags durch den Verletzten haben kann. Denn für den Richter wird die Einstellung im Verhältnis zum Urteil stets die sympathischere, weil weniger arbeitsintensive Lösung sein. Dieses verfahrensrechtliche Negativum wird durch die Ausgestaltung als Privatklagedelikt (§ 374 Abs.l Nr.2 StPO) noch potenziert: Der Verletzte hat das Strafverfahren als "Privatkläger" zu betreiben. Damit übernimmt er gemäß §§ 374, 376, 377 StPO gewissermaßen selbst die Rolle des Staatsanwalts.113 Dies jedoch mit zwei erheblichen Einschränkungen: Zum einen hat er selbst kein Recht zur Akteneinsicht. Dieses kann er gemäß § 385 Abs.3 StPO nur durch einen Rechtsanwalt ausüben. Zum anderen stehen ihm selbstverständlich keine strafprozessualen Zwangsbefugnisse zur Verfügung. Hinzu kommt, daß das Privatklageverfahren so stark formalisiert und verkompliziert ist, daß der Kläger faktisch (nicht rechtlich) gezwungen ist, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen. 114 Das aber ist mit Kosten verbunden, die sich noch erhöhen, wenn sich auch der Beschuldigte eines Rechtsanwaltes bedient. 115 Dieses dem Privatkläger aufgebürdete Kostenrisiko und der mit der Privatklage verbundene Ärger und Zeitaufwand - schließlich sieht das Gesetz vor der Erhebung der Privatklage noch einen Sühneversuch vor (§ 380 Abs.l StPO) 116 - fuhrt dazu, daß der Verletzte oftmals auf die Durchführung des Privatklageverfahrens verzichtet, zumal er nicht verhindern kann, daß das Gericht das Verfahren schließlich doch wegen Geringfügigkeit gemäß §§383 Abs.2, 390 StPO einstellt. Denn hier hängt die Einstellung, anders als bei § 153 StPO, von niemandes Zustimmung ab. 117 Möglich ist auch, was im Gesetz als Beendigungsgrund zwar nicht ausdrücklich erwähnt ist. daß das Gericht auf einen Vergleich zwischen Privatkläger und Angeklagtem hinwirkt. 1 1 8 Diese
113
Geppert, Jura 183, S.530;A/tf, JuS 1982, S.724.
114
Ähnlich Geppert, Jura 1983, S.53\: Arzt, JuS 1982, S.724.
115
Vgl. auch die gesetzlichen Regelung der §§ 379, 380 Abs.2, 471 StPO.
116 Der erfolglose Sühneversuch ist Klagevoraussetzung. Fehlt der Nachweis des Sühneversuchs, so ist die Privatklage zurückzuweisen (Husmann, S.728). 117 Die §§ 383 II, 390 V. StPO sind leges speciales zu § 153 StPO! (Vgl. KleinknechtIMeyer, Rn 11 u. 17).
§ 383,
118 Zum außergerichtlichen - z.T. extra legem entwickelten- Vergleich siehe Kleinknecht IMey er, § 374, Rn 15 und Roxin, S.401.
Β. Der strafrechtliche Ehrenschutz
153
Möglichkeit der Verfahrensbeendigung ist von der Praxis und der herrschenden Lehre anerkannt und erfreut sich, insbesondere bei den Gerichten, 119 zunehmender Beliebtheit. 120 Der Vergleich bildet die Grundlage für die Einstellung oder Klagerücknahme und die Kostenentscheidung (!). Das hat zur Folge, daß die Tat und ihre Aufklärung schnell von dem "Kuhhandel" überschattet wird, wer zur Übernahme welcher Kosten im Falle einer Einstellung bereit sei. 121 Die angestrebte Befriedungsfunktion des Privatklageverfahrens wird so jedenfalls nicht erreicht. Zwar kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 376 StPO auch bei Privatklagedelikten öffentliche Klage erheben oder ein durch Privatklage in Gang gebrachtes Verfahren gemäß § 377 Abs.2 StPO nachträglich übernehmen, 122 wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (insoweit gilt das Opportunitätsprinzip!). Ein solches wird aber nur ausnahmsweise angenommen. 123 Wann ein öffentliches Interesse gegeben ist, ist der Strafprozeßordnung nicht zu entnehmen. Hierfür geben die vom Bund und den Ländern einheitlich erlassenen "Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren" (RiStBV) erste Anhaltspunkte. 124 Nach der für das Privatklageverfahren geltenden Nummer 86 Abs.2 RiStBV soll ein öffentliches Interesse in der Regel vorliegen, "wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist". In der speziell für die §§ 185 ff StGB geltenden Nummer 229 Abs.l RiStBV heißt es dann weiter: "Von der Erhebung der öffentlichen Klage soll der Staatsanwalt regelmäßig absehen, wenn eine wesentliche Ehrenkränkung nicht vorliegt, wie es vielfach bei Familienzwistigkeiten, Hausklatsch, Wirtshausstreitigkeiten der Fall ist". Durch diese Regelungen gerät der Verletzte in eine "juristische Zwickmühle": Weil kein öffentliches Interesse besteht, ist er Privatkläger (ansonsten hätte die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage erheben müssen und er wäre gemäß § 377 Abs. 3 StPO nur Nebenkläger). Das öffentliche Interesse steht aber in engem Kontext mit Unrecht und Schuld des Täters. Da die Schuld des Täters wegen des Bagatellcharakters der §§ 185 ff StGB 1 2 5 als gering angesehen wird, wird es daher meist zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 383 Abs.2 StPO kommen. Dieses Faktum macht betroffen, gerade weil der Ehrenschutz als Teil des verfassungsrechtlich anerkannten allgemeinen Persönlichkeitsrechts wichtige Aspekte menschlicher (Persönlichkeits-) Entfaltung schützt und darüber hinaus auch eine 119
Husmann, S.728.
120
Kleinknecht/Meyer,
Vor. § 374, Rn 9\Haas, SA346:Roxin, S.400 u. S.401.
121
Ebenso Arzt, JuS 1982, S.724.
122
In diesem Fall erhält der bisherige Privatkläger gemäß § 377 III StPO die Stellung eines Nebenklä-
gers. 123
Arzt, JuS 1982, S.724.
124
Zur umstrittenen Rechtsnatur dieser Richtlinien siehe Husmann, S.730.
125
Vgl. die Ausführungen unter Pkt. I., 1., a).
154
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
unverzichtbare Grundlage der verfassungsstaatlichen Gemeinschaft sichert. Der strafrechtliche Ehrenschutz als ein Instrument zum Schutz der verfassungsrechtlichen Verbürgungen aus Art. 5 Abs.2 GG und Art. 2 Abs.l GG i.V.m. Art. 1 Abs.l GG ist daher praktisch nicht existent! Dies nicht nur aufgrund des unvollkommenen Schutzes der materiellrechtlichen Regelungen, insbesondere durch die allzu extensiv interpretierte Vorschrift des § 193 StGB, sondern auch und vor allem durch die völlig unzureichende verfahrensrechtliche Absicherung. Abhilfe könnte hier zuvörderst durch eine Modifizierung der strafprozessualen Vorschriften erfolgen. Denkbar wäre, durch eine entsprechende Ergänzung des § 376 StPO zu bestimmen, Beleidigungsdelikte im Wege der öffentlichen Klage zu verfolgen. 126 Um die Rechtspflege davor zu bewahren, sich mit banalen Schimpfreden und öffentlichem Klatsch befassen zu müssen, könnte die Vorschrift des § 376 StPO um bestimmte Regelbeispiele erweitert werden, so daß bei Nichteinschlägigkeit des jeweiligen Regelbeispiels immer noch die Möglichkeit der Verweisung auf den Privatklageweg verbliebe. Bedeutsam und als Regelbeispiel zu berücksichtigen wären hier vor allem - aufgrund der großen Breitenwirkung - Ehrverletzungen durch die Medien. Auf diese Weise könnte das Strafrecht als einfachgesetzliches Instrument des Ehrenschutzes spürbar wiederbelebt werden, ohne daß es zu weiteren Restriktionen im Bereich der Meinungs- und "Medienfreiheiten" kommen müßte. Denn die Frage der Pönalisierung bleibt weiterhin der Prüfung in concreto, anhand der verfassungsrechtlichen Verbürgungen und ihrer einfachgesetzlichen Ausgestaltung, vorbehalten.
126
So schon Mackeprang, S.261.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
155
C. Der zivilrechtliche Ehrenschutz
Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist ein effektiver, den Bestand des Grundrechts sichernder Rechtsschutz ein wesentliches Element des Grundrechts selbst.1 Damit muß der verfassungsrechtlich verbürgte Schutz der persönlichen Ehre auch Einfluß auf das gerichtliche Verfahren zur Realisierung des Verfassungsguts Ehre haben. Anders als der Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs.4 GG), ist der Rechtsschutz gegen Privatsubjekte in der Verfassung selbst nicht expressis verbis normiert. Will man aber den Bürger nicht selbst das Recht in die Hand nehmen lassen (Selbstjustiz), ist die Justizgewährleistung auch gegenüber Privaten ein Gebot dogmatischer Folgerichtigkeit und ein unverzichtbares Instrument eines gedeihlichen Zusammenlebens in der Gemeinschaft.
I. Materiellrechtliche Gewährleistung Nach der ursprünglichen Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs war die persönliche Ehre nur mittelbar durch die Anlehnung der zivilrechtlichen Haftung an Schutzgesetze außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschützt. Dieser Schutz erfolgte durch die Vorschriften des § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB.2 Während das Reichsgericht den Willen des historischen Gesetzgebers akzeptierte und einen Ehrenschutz aus § 823 Abs. 1 BGB in ständiger Rechtsprechung verneinte, 3 hat der Bundesgerichtshof schon früh das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB anerkannt und damit die persönliche Ehre unter den Schutz dieser Norm gestellt.4 Dies sowie der Ausbau des negatorischen Rechtsschutzes analog § 1004 BGB und die grundsätzliche Anerkennung der Ersatzfähigkeit ideeller Schäden haben dazu geführt, daß der bürgerlich-rechtliche Schutz der Ehre weit über die (ursprünglich) engen Grenzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinausgewachsen ist. 5 Damit wird der Ehrenschutz materiellrechtlich im Zivilrecht primär durch die Möglichkeit des Widerrufs bzw. die Unterlassung ehrverletzender Äußerungen sowie durch die Möglichkeit des Schadensersatzes für materielle und immaterielle Beeinträchtigungen bestimmt, ferner (in bestimmten Fällen) einen Bereicherungsaus-
1
BVerfGE 24, 367 (401); 37, 132 (148); 49, 252 (257); 53, 30 (65).
2
Stoll, Jura 1979, S.576.
3
Von 1902 (RGZ 51, 369 (372 u. 373) bis 1937 (RGZ 156, 372 (374 ff).
4
Seit BGHZ 13, 394 (337 ff); desvveiterenMackeprang, S.44 ff; Thieme, S.l52; Wenzel, AfP 1979, S.281; Schwerdtner, JuS 1978, S.290, Fn 14 m.w.N. 5
Ebenso Stoll, Jura 1979, S.576.
156
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
gleich oder Aufwendungsersatz zu fordern bzw. medienrechtliche Gegendarstellungsansprüche geltend zu machen. Im folgenden sollen die Voraussetzungen dieses zivilrechtlichen Instrumentariums aufgezeigt und einer kritischen Würdigung unterzogen werden.
1. Der Widerrufsanspruch a) Dogmatische Herleitung Wenn es durch Äußerungen zu einer Ehrverletzung gekommen ist, kann der Verletzte gegebenenfalls die "Zurücknahme" der Äußerung verlangen. Die ältere Rechtsprechung leitete diesen Anspruch aus den Vorschriften der §§ 823 Abs.l, 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 186, 187 StGB, 249 Satz 1 BGB ab.6 Dies setzte in der Regel ein Verschulden des Täters voraus und versagte, wenn dieser in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hatte. Aus diesem Grund ging die Rechtsprechung mehr und mehr dazu über, den Anspruch auf Widerruf aus den Vorschriften der §§ 823 Abs.l, 12, 862, 1004 BGB analog herzuleiten. Dieser "negatorische Widerrufsanspruch" hat den deliktischen "Zurücknahmeanspruch" gemäß §§ 823 Abs.l, 823 Abs.2 BGB i.V.m. §§ 186, 187 StGB, § 249 Satz 1 BGB fast vollständig verdrängt/ weil so der in der Praxis schwierige Nachweis eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens des Injurianten entfällt. Vorstehendes gilt um so mehr, als die Rechtsfolgen beider Anspruchsgrundlagen nahezu deckungsgleich sind.8 Denn der Anspruch aus § 823 BGB ist auf Naturalrestitution (§ 249 Satz 1 BGB) gerichtet, womit auch ein immaterieller Schaden - gegebenenfalls in natura - beseitigt werden kann. 9 Diese Naturalrestitution 10 wird dadurch bewirkt, daß sich der Injuriant von seiner Äußerung distanziert. Dadurch wird das Fortleben der Äußerung im Bewußtsein einzelner oder vieler für die Zukunft unterbunden. 11 Gleiches gilt für einen Anspruch aus § 1004 Abs.l BGB analog. Denn auch hier kann die Beseitigung der Beeinträchtigung, also die Abstellung der Einwirkung für die Zukunft, verlangt werden. 12 Auch dies kann nur durch ein Widerrufen der Äußerung, also durch ein "Sich-Distanzieren" erreicht werden. 13 Aufgrund der Kongruenz beider Anspruchsgrundlagen und der aufgezeigten günstigeren Voraussetzung eines An6
Vgl. RGZ 88, 130 (133); 97, 343 (344 u. 345); RG, JW 1934, S.408.
7
Palandt-Heinrichs,
§ 253, Rn 2.
* MünchKomm-Schwerdtner, 9
Palandt-Heinrichs,
§ 12, Rn 323; ders., JuS 1978, S.298; Walter.
S.614.
§ 253, Rn 2.
10
§ 253 BGB kann nur dem Schadensersatzanspruch in Geld, nicht aber dem Anspruch auf Naturalrestitution im Weg stehen! (Vgl. Walter, S.614, Fn 14; Schwerdtner, JuS 1978. S.298, Fn 163). 11
Ulmer, S.539.
12
Palandt-Bassenge, § 1004, Rn 22.
13
Ritter, S.164.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
157
spruchs, gestützt auf die §§ 823 Abs.l, 12, 862, 1004 BGB analog, gilt der Widerrufsanspruch heute als von den Schranken des Deliktrechts weitgehend befreit. 14
b) Die Voraussetzungen Ein Anspruch auf Widerruf besteht nach nahezu einhelliger Auffassung nur dann, wenn die beanstandete Äußerung eine Tatsachenfeststellung beinhaltet 15 und die Unwahrheit dieser Behauptung feststeht. 16 aa) Das Vorliegen einer Tatsachenmitteilung Werturteile gelten als nicht widerrufsfähig. 17 Dies jedoch nicht deshalb, weil es (wie der Bundesgerichtshof meint 18 ) das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verbiete, jemanden mit staatlichen Mitteln zur Aufgabe seiner Meinung zu zwingen. Eine derartige Begründung geht fehl, denn sie übersieht, daß das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in dem Recht der persönlichen Ehre seine Grenze findet. Diese kann evidenterweise aber auch bei Werturteilen überschritten werden. 19 Richtigerweise wird man die Widerrufsfähigkeit von Werturteilen daher schon deshalb abzulehnen haben, weil angesichts der bestehenden Überinformation allein der Tatsachenbehauptung maßgebliche Bedeutung zukommt. Nur "sie hat echte meinungsbildende Kraft". 2 0 Damit kommt der Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil auch hier eine entscheidende Bedeutung zu. Hinsichtlich der Kriterien für diese Differenzierung kann auch hier auf die Ausführungen im ersten Teil 2 1 verwiesen werden. Festzuhalten bleibt daher zunächst, daß der Widerrufsanspruch stets eine Tatsachenbehauptung voraussetzt.
14
BGHZ 34, 99 (102 u. 103); MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 323.
15
Zur Abgrenzung von Tatsachen- und Meinungsäußerungen siehe die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., 1., a), bb). 16 BGHZ 99, 133 (138); BGH, NJW 1965, S.295; Stoll, Jura 1979, S.583; Schwerdtner, sönlichkeitsrecht, S.313; Walter, S.615.
Das Per-
17
BGHZ 10, 104 (105); Walter, S.615; Stoll, Jura 1979, S.586; Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn 8.207; Brandner, S.696; MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rn 328 m.w.N. 18 BGH, NJW 1982, S.2246. 19 Im Ergebnis ebenso, jedoch mit anderer Begründung, Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht, S.314 u. S.315, der ausfuhrt: ...vielmehr widerspreche unser modernes Rechtsverständnis "eine derartige Schlagung des eigenen Mauls". 20
MünchKomm-Schwerdtner,
21
Siehe hier unter Pkt. Β., I. 1., a), bb).
§ 12, Rn330.
158
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
bb) Die (Un-) Wahrheit einer Tatsachenmitteilung Gibt eine Tatsachenmitteilung den wahren Sachverhalt wieder, so scheiden negatorische (und deliktische 22 ) Ansprüche des Betroffenen mangels Rechtsgutverletzung aus. Denn niemand kann durch einen Richterspruch zum Widerruf einer wahren oder richtigen Behauptung und damit zur Unwahrheit oder Unrichtigkeit gezwungen werden. So scheidet beispielsweise dann ein Widerrufsanspruch zu Recht aus. wenn eine Vorstrafe bekannt gegeben wurde, die schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung getilgt war. Denn die Tilgung erfolgt im Interesse der Resozialisierung und der Würde des Vorbestraften, macht die Tatsache der Vorstrafe aber nicht ungeschehen (und unwahr). Denkbar wäre hier allenfalls ein Anspruch auf Schmerzensgeld. 23 Steht demgegenüber die Unwahrheit einer Tatsachenmitteilung fest, so wird der Widerrufsanspruch (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) in aller Regel begründet sein. Insoweit besteht Klarheit. cc) Die Beweislastverteilung In vielen Fällen läßt sich jedoch die (Un-) Wahrheit einer Äußerung nicht eindeutig feststellen. In diesen Fällen hängt das Eingreifen des bürgerlichrechtlichen (Ehren-) Schutzes entscheidend davon ab. wer die Beweislast für die (Un-) Wahrheit der Mitteilung zu tragen hat. Rehbinder 21 brachte dies mit folgender Aussage auf den Punkt: "Der privatrechtliche Ehrenschutz steht und fällt mit der Beweislast für die Unwahrheit der ehrenkränkenden Behauptung". Der im Zivilverfahren apodiktisch geltende Grundsatz der Verhandlungsmaxime fordert zwischen den Parteien eine echte Beweislastverteilung. Das bedeutet, daß der Kläger nach der für das Erkenntnisverfahren geltenden allgemeinen Beweislastregel die anspruchsbegründenden Tatsachen und damit die Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptung zu beweisen hätte. Etwas anderes müßte jedoch dann gelten, wenn man berücksichtigte, daß die im Straftatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) normierte Privilegierung des (potentiell) Verletzten über § 823 Abs.2 BGB auch in das Zivilrecht Eingang gefunden hat. Demgegenüber steht der Bundesgerichtshof auf dem Standpunkt, daß die besondere Beweislastregel des § 186 StGB auf den negatorischen (und deliktischen) Ehrenschutz des Bürgerlichen Rechts nur sehr eingeschränkt anzuwenden sei. Was den Widerrufsanspruch angeht, wurde vertreten, daß der Kläger in jedem Fall beweispflichtig sei, da die Gewährung dieses besonderen Rechtsbehelfs
22
Hierzu später unter Pkt. 2 u. 3.
23
OLG Köln, AfP 1975, S.866.
24
Rehbinden JZ 1963, S.314; ebenso Stern, FS fur Oehler, S.476.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
159
davon abhänge, daß die Unrichtigkeit der beanstandeten Behauptung feststehe. 25 Die Erzwingung des Widerrufs, so wurde ausgeführt, würde sonst zu einem dem Persönlichkeitsrecht des Behauptenden widersprechenden Gewissenszwang fuhren. Das Recht könne es nicht zulassen, daß jemand durch Richterspruch verpflichtet werde, etwas als unrichtig zu bezeichnen, was möglicherweise wahr sei. 26 Immerhin hat es die Rechtsprechung aber für nötig gehalten, dem Angreifer aufzuerlegen, näher darzulegen, aus welchen Umständen er seine Behauptung herleitet und bei Nichterfüllung dieser Darlegungslast den Widerrufsanspruch eingeräumt. 27 In dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.02.1985 wurden die Anforderungen an den Injurianten nochmals verringert, indem ohne weiteres von der Wahrheit der Behauptung auszugehen sei (sofern die Unwahrheit nicht feststehe), wenn sich der Injuriant nur auf den Rechtfertigungsgrund der berechtigten Interessen gemäß § 193 StGB berufen könne. 28 Diese Erleichterungen sind nunmehr durch den schon thematisierten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 09.10.1991 29 in den objektiven Tatbestand vorgezogen worden; dies mit der Feststellung, daß der Darlegungs- MlastM für die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen, die nicht dem eigenen Erfahrungsbereich entstammen, dann genüge getan sei, wenn sich der Kommunikator auf unwidersprochene Pressemitteilungen oder auf Äußerungen von Abgeordneten berufen könne. 30 Der auf diese Weise interpretierten Substantiierungs- und Darlegungslast ist aus den im ersten Teil dieser Arbeit genannten Gründen 31 auch hier eine Absage zu erteilen. Gefordert werden muß vielmehr auch hier, daß der Äußernde seine Tatsachenbehauptungen - entgegen der aufgeweichten Formel des Bundesverfassungsgerichts - tatsächlich hinreichend substantiiert. Nur wenn er ausführlich darlegen und substantiieren kann, aus welchen Umständen er die Behauptung herleitet, ist der Widerrufsanspruch des (potentiell) Verletzten abzuweisen. Ist der Injuriant, aus welchen Gründen auch immer, hierzu nicht in der Lage, ist dem Widerrufsbegehren zu entsprechen. Dies hat um so mehr zu gelten, wenn man sich vergegenwärtigt, was der Widerruf heute faktisch nur noch bedeutet: Mit dem Widerruf räumt der Erklärende lediglich ein, die streitgegenständliche Behauptung nicht beweisen zu können; 32 damit stellt der Widerruf nur die Rückgängigmachung der Behauptung als solcher, ohne Stellungnahme zum 25 Vgl. BGHZ 37, 139 (191); 65, 325 (337); 69, 181 (182); 99, 133 (138); BGH, NJW 1982, S.2246. 26
BGHZ 37, 187 (190); BGH, MDR 1970, S.580.
27
BGH, NJW 1958, S.1043; BGH, NJW 1959, S.2012.
28
BGH, AfP 1985, S.l 18 u. S.l 19; vgl. auch OLG Stuttgart, AfP 1977. S.278 sowie BGHZ 95, 212 (219 u. 220). 29
BVerfGE 85, 1 (22 u. 23) = NJW 1992, S.1442.
30
BVerfGE 85, 1 (22 u. 23) = NJW 1992, S.1442.
31
Vgl. hier unter Pkt. B., 1,. a), cc), (2).
32
Ähnlich Ritter, S.166; vgl. auch Schlosser, S 312; Säcker, S.894.
160
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Inhalt der Behauptung dar. 33 Eine innere Wandlung wird dem Verpflichteten damit nicht aufgezwungen. Auf dieser Linie liegt auch die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts: So stellte es fest, daß die Verurteilung zum Widerruf nicht bedeute, der Verurteilte müsse von der Unrichtigkeit der von ihm zu widerrufenden Behauptungen überzeugt sein. Er solle nicht "gedemütigt", sein Wille nicht "gebrochen" werden. Es werde ihm nicht angesonnen, seine Überzeugung zu ändern, auch nicht, einen - nicht vorhandenen - Überzeugungswandel nach außen zu bekennen. Der Verurteilte könne vielmehr in der Erklärung zum Ausdruck bringen, daß er sie in Erfüllung des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils abgebe. Wenn er in dieser Weise dem Gebot eines in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergangenen Urteils nachkomme, bekunde er lediglich seine Achtung vor dem geltenden Recht. Eine Verletzung seiner Menschenwürde könne darin nicht liegen. 34 Dann aber kann die Befürchtung, der Widerruf einer Behauptung könne - wenn die Unwahrheit nicht feststehe - zu einem dem Persönlichkeitsrecht des Injurianten widersprechenden Gewissenszwang führen, nur mit ungläubigem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen werden. Damit hat es dabei zu bleiben, daß der Äußernde die Umstände, aus denen er seine Behauptung herleitet, ausführlich zu substantiieren und darzulegen hat. 35 dd) Der Umfang des Widerrufs Der Anspruch auf Widerruf setzt weiterhin voraus, daß der Widerruf das geeignete und erforderliche Mittel ist, einer Ehrverletzung entgegenzuwirken. 36 Hieraus ergeben sich folgende - einschränkende - Konsequenzen: Der Widerruf muß grundsätzlich so erfolgen, daß von ihm eine ebenso dimensionierte Öffentlichkeit Kenntnis nimmt oder ohne Schwierigkeiten nehmen kann, wie dies bei der Aufstellung der streitgegenständlichen Behauptung der Fall war. 37 Wurde die Behauptung beispielsweise in einer Fernsehsendung oder in einer Zeitschrift aufgestellt, kann der Verletzte nur verlangen, daß der Widerruf in derselben Form erfolgt. Bei ehrverletzenden Behauptungen unter vier Augen scheidet denknotwendig ein Widerrufsanspruch aus. Denn mangels Öffentlichkeit des Auditoriums ist die streitgegenständliche Behauptung nicht in den öffentlichen Meinungsbildungs33 Nach Schlosser, S.312 bedeutet der Widerruf nur, daß eine "Behauptung wieder aus der Welt zu schaffen ist, daß also für die Zukunft möglichst wieder der Zustand eintritt, der bestanden hatte, als weder die fragliche Tatsache noch ihr Gegenteil... behauptet worden war". 34
BVerfGE 28, 1 (9).
35
Vgl. zur Substantiierungs- und Darlegungspflicht ausfuhrlich die Darlegungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., a), cc), (2). 36 37
BGHZ 10, 104 (105); 89, 198 (201 ff).
Ritter, S.318.
S.l67; Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, S.32; Schwerdtner.
Das Persönlichkeitsrecht,
. Der
rechtliche Ehrenschutz
161
prozeß eingegangen. Damit aber gibt es kein (Rechtsschutz-) Bedürfnis, etwas in der Öffentlichkeit richtigzustellen, da diese hiervon keine Kenntnis hat. Daraus folgt dann aber im Umkehrschluß, daß ein Widerrufsanspruch selbstverständlich dann gegeben sein muß, wenn die streitbefangene Äußerung in einem (wenn auch) kleinen Kreis aufgestellt wurde. 38 ee) Die Form des Widerrufs Hinsichtlich der Form des Widerrufs steht das Bundesverfassungsgericht auf dem Standpunkt, der zum Widerruf Verurteilte dürfe in seiner Erklärung zum Ausdruck bringen, daß er den Widerruf in Erfüllung des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils abgebe.39 Dies ergebe sich daraus, worauf bereits hingewiesen wurde, daß dem Äußernden nicht angesonnen werden dürfe seine Überzeugungen zu ändern, auch nicht, einen - nicht vorhandenen - Überzeugungswandel nach außen zu bekennen. Welche praktischen - für den Widerrufsanspruch fatalen - Folgen dies hat, wurde im Kontext mit dem sogenannten "Augstein-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts vom 28.01.1970 deutlich. 40 Dieser Entscheidung lag folgender - hier zum Verständnis - kurz referierte Sachverhalt zugrunde: Der Verleger und Herausgeber des Wochenmagazins "Der Spiegel", R. Augstein, veröffentlichte einen Aufsatz, in dem der ehemalige CSUVorsitzende Strauß der Korruption bezichtigt wurde. 41 Hiergegen klagte Strauß auf Widerruf. Der Klage wurde nach einer umfangreichen Beweisaufnahme 42 stattgegeben und Augstein zur Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie zur eigenhändigen Unterzeichnung einer Widerrufserklärung verurteilt. Dagegen erhob Augstein nach Erschöpfung des Rechtsweges Verfassungsbeschwerde. Zur Begründung führte er aus, die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihn in seinen Grundrechten aus Art. 1, Art. 2 und Art. 5 GG; vor allem, die von ihm verlangte Abgabe einer eigenhändig unterzeichneten Erklärung empfinde er als eine menschenunwürdige, weil unverhältnismäßige Demütigung. Obwohl die Verfassungsbeschwerde verspätet und daher folgerichtig als unzulässig verworfen wurde, 43 sah sich das Bundesverfassungsgericht veranlaßt, zum Ausdruck zu bringen, "daß er (der Beschwerdeführer) ihn (den Widerruf 44 ) in Erfüllung des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils abgebe. Wenn der Beschwerdefüh38
Ausnahmen gelten nur für den engsten Familien- und Freundeskreis (BGHZ 89, 198 (204) = NJW 1984, S.l 105). 39
BVerfGE 28, 1 (9); sowie die Ausführungen unter Pkt. cc).
40
BVerfGE 28, 1 ff = NJW 1970, S.651 u. S.652.
41
Der Spiegel vom 01.04.1964, Heft 14, S.18.
42
Die Anschuldigungen waren fast ausschließlich durch Zitate untermauert. Strauß konnte vier Behauptungen ganz und eine Behauptung teilweise entkräften. 43
BVerfGE 28, 1 (6).
44
Einfügungen durch den Verfasser.
11 Stark
162
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
rer in dieser Weise dem Gebot eines im staatlichen Verfahren ergangenen Urteils nachkommt, bekundet er lediglich seine Achtung vor dem geltenden Recht". 45 Mit dieser "Formulierungshilfe" des Bundesverfassungsgerichts wurde dem Widerruf de facto seine letzte Effektivität genommen. Denn so wurde dem Injurianten die Möglichkeit gegeben, die fragliche Äußerung in (mehr oder weniger) verdeckter Form aufrechtzuerhalten. Dementsprechend gab Augstein zwar die geforderte Widerrufserklärung ab, 46 neben diesen "Widerruf' setzte er aber ein verkleinertes, gleichwohl gut lesbares Faksimile des früheren Artikels, in dem die streitgegenständliche Behauptung enthalten war. Dies vorgeblich nicht zur erneuten Verbreitung, sondern zum Verständnis seiner nebenstehenden Erklärungen. Auf eine nachfolgende Klage des Betroffenen (Strauß), der sich mit dieser Art des Widerrufs nicht zufrieden geben wollte, erklärte das Oberlandesgericht München diesen "Widerruf 1 jedoch für ausreichend. 47 Mit dieser nach der Judikatur möglichen Art des Widerrufs ist ein effektiver Schutz der persönlichen Ehre nicht zu erreichen. Dieses Ziel kann mit dem Instrument des Widerrufs nur erreicht werden, wenn der Verurteilte die von ihm aufgestellte und verbreitete Behauptung für unrichtig erklärt. Wenn dem Injurianten die Möglichkeit eingeräumt wird, mit dem Widerruf gleichzeitig zu bekunden, er habe seine Überzeugung nicht geändert, so nutzt dieses Instrument eher den Interessen des Injurianten (er kann seine Äußerungen ja nochmals verbreiten), als denjenigen des Verletzten. Eine solche Erklärung erweist sich, wie Schwerdtner zutreffend formulierte, als "Prämie für den Verletzer". 48 ff) Der Widerrufsanspruch
und die Wahrnehmung berechtiger Interessen
Auch wenn die Unwahrheit einer Behauptung feststeht, kann sich der Äußernde auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen, so daß der Eingriff in die persönliche Ehre bei dem Vorliegen der Voraussetzungen 45
BVerfGE 28, 1(10).
46
In dieser Erklärung wird zunächst mitgeteilt, daß das Oberlandesgericht München den Beklagten verurteilt habe, bestimmte - im einzelnen aufgeführte - Behauptungen zu widerrufen. Anschließend führte er weiter aus: "Daß ich diese Erklärungen abgebe, was ich hiermit tue, geschieht nicht etwa aufgrund einer Änderung der seinerzeit in dem Artikel "Unheilbar gesund ?" von mir vertretenen Überzeugung, sondern aus Achtung vor dem geltenden Recht, das mir anheimgibt, in Erfüllung des gegen mich ergangenen rechtskräftigen Urteils auch Behauptungen als eigene zu widerrufen, die von Dritten aufgestellt worden sind. Die Abgabe dieser Erklärungen ist mir erst durch die Auslegung ermöglicht worden, die das Bundesverfassungsgericht den Urteilen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts München hat zuteil werden lassen. Das Bundesverfassungsericht hat ausgesprochen, daß mir nicht angesonnen wird, meine Überzeugung zu ändern, und daß derartige Erklärungen in keiner Weise bedeuten, einen - nicht vorhandenen· Überzeugungswandel nach außen zu bekennen" {Der Spiegel vom 16.03.1970, Heft 12, S.5 u. S.25). 47
Vgl. Der Spiegel vom 04.05.1970, Herf 19, S.240.
48
Schwerdtner,
Das Persönlichkeitsrecht, S.327; ähnlich auch Leipold. JZ 1974, S.64.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
163
des § 193 StGB gerechtfertigt ist. 49 Dies ändert aber nichts daran, daß die Beeinträchtigung aufgrund der unwahren Tatsachenäußerung fortwirkt, so daß infolge dieser "Dauerwirkung" der Widerrufsanspruch trotz der Wahrnehmung berechtigter Interessen möglich ist.
c) Sonderformen des Widerrufs Innerhalb des Widerrufsanspruchs wird von der Judikatur und einem Teil der Lehre zwischen einem unbeschränkten und einem eingeschränkten Widerrufsanspruch differenziert. Ein unbeschränkter Widerrufsanspruch solle als Rechtsfolge dieses Instituts nur dann in Betracht kommen, wenn die Unwahrheit der Behauptung feststehe. Sei dies hingegen nicht der Fall, so solle der Injuriant nur zu einer solchen Erklärung verpflichtet sein, daß er seine Behauptung nicht aufrechterhalte. 50 Möglich sei auch, daß der Äußernde zum Ausdruck bringen dürfe, er habe die streitgegenständliche Behauptung zunächst für wahr gehalten und sei erst nachträglich über ihre ungenügenden Grundlagen unterrichtet worden. Bei nicht schlechthin unwahren, aber unvollständigen, übertriebenen, einseitigen oder sonst irreführenden Behauptungen soll der Betroffene lediglich deren "Richtigstellung" oder "Ergänzung" fordern dürfen. 5 1 5 2 Die Differenzierung zwischen den diversen Formen des Widerrufs kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Dies ergibt sich aus der Bedeutung des Widerrufs. Denn der Äußernde räumt- worauf bereits hingewiesen wurde - nur ein, daß er eine ehrenrührige oder rufschädigende Äußerung nicht beweisen könne (Rückgängigmachung der Behauptung als solcher ohne Stellungnahme zum Inhalt!). Dann aber muß die Differenzierung zwischen diesen Formen des Widerrufs heute als obsolet angesehen werden. 53
2. Der Unterlassungsanspruch a) Dogmatische Herleitung und Voraussetzungen Der Unterlassungsanspruch analog §§ 12, 862 Abs.l Satz 2, 1004 Abs.l Satz 2 BGB ist von der Rechtsprechung für die Fälle entwickelt worden, in denen die Verletzung geschützter Rechtspositionen zu befürchten war. 54 Dementsprechend 49
Zu den Voraussetzungen des § 193 StGB vgl. die umfangreichen Ausführungen unter Β., I., 1., d).
50
BGHZ 69, 181 (182) = NJW 1977, S.1682 u. SA6S3: Hubmann, JZ 1963, S.131.
51
BGHZ 31, 308 (320); BGH, NJW 1961, S. 1914; BGH, NJW 1984, S.l 103.
52 Das gleiche soll gelten, wenn die Tatsachenbehauptung nur zum Teil unzutreffend ist (BGH, NJW 1982, S.2248). 53
Im Ergebnis ebenso, jedoch mit anderer Begründung: MünchKomm-Schwerdtner, a.A. ohne Begründung: Stürner, A.71. 54
BGHZ 17, 266 (291).
§ 12, Rn 334;
164
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
steht auch die persönliche Ehre unter der Ägide dieses Instituts. Ziel des Unterlassungsanspruchs im Bereich des Ehrenschutzes ist es. künftigen rechtswidrigen Ehrverletzungen vorzubeugen. Im Unterschied zu dem Widerrufsanspruch ist der Unterlassungsanspruch jedoch nicht auf Tatsachenbehauptungen beschränkt, sondern greift auch bei ehrverletzenden Werturteilen ein. 5 Dieser - für den Schutz der persönlichen Ehre günstige - Umstand wird jedoch dadurch relativiert, daß der Anspruch auf Unterlassung ehrabschneidender Meinungsäußerungen von der Judikatur nur unter besonders strengen Voraussetzungen gewährt wird. Aufgrund der großen konstitutionellen Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit wird der Anspruch auf Unterlassung herabsetzender Werturteile erst dann gewährt, wenn die Grenze zur diffamierenden Schmähkritik überschritten ist. 5 6 7 5 7 Handelt es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen um Tatsachenbehauptungen, so wird dem Unterlassungsbegehren stets entsprochen, wenn die Unwahrheit der Behauptungen feststeht. 58 Insignifikant ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob sich der Injuriant bei der Aufstellung der Behauptungen auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen konnte. Denn der Unterlassungsanspruch gewährt nur Rechtschutz für die Zukunft, so daß an einer erneuten Aufstellung unwahrer Behauptungen niemals ein berechtigtes Interesse bestehen kann. 59 Im Unterschied zu dem Widerrufsanspruch ist der Unterlassungsanspruch theoretisch auch dann begründet, wenn die Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptungen nicht feststeht. Im Falle eines derartigen "non liquet" kommt es nach der Judikatur dann entscheidend darauf an, ob sich der Äußernde auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen kann. 60 Dementsprechend steht der Bundesgerichtshof auf dem Standpunkt, daß, sofern die Unwahrheit nicht feststeht, "zugunsten des Mitteilenden davon auszugehen (sei), daß seine Aussage wahr ist". 61 Von dieser Unterstellung aus sei dann zu fragen, ob er die Äußerung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten durfte. Mit dieser Rechtsprechung setzt die Judikatur ihre Tendenz zur Privilegierung des Injurianten gegenüber dem Verletzten fort. Denn es dürfte kaum eine Unterlassungsklage denkbar sein, gegenüber der sich der Injuriant nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen können wird. Das bloße "Beru-
55
MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn311; BGH, NJW 1982, S.2246.
56
BVerfG, NJW 1991, S.96 u. S.97; BGHZ 99, 133 (139); BGH, NJW 1980, S.1685; BGH, NJW 1982, S.2247; BGH, NJW 1987, S.1398; BGHZ 99, 133 (139) = NJW 1987, S.1401. 57
Vgl. zur Schmähkritik sowie die Kritik hieran: Teil 1, Β., I., 1., a), ee).
58
BGH, NJW 1979, S.267; BGH, NJW 1981, S.2120.
59
BGH, NJW 1979, S.267; BGH, NJW 1981, S.2120; BGH, NJW 1986, S.2504; Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre, S.14. 60
BGH, NJW 1987, S.2226; siehe auch BGH, NJW 1979, S.267.
61
BGH, NJW 1987, S.2226.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
165
fen" kann daher nicht der kardinale Gesichtspunkt sein. Entscheidend muß vielmehr sein, ob der Injuriant das Vorliegen der Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Wahrnehmung berechtigter Interessen beweisen,62 zumindest aber hinreichend (!) substantiieren und darlegen kann (Substantiierungs- und Darlegungspflicht). 63 Erst dann kann es gerechtfertigt sein, einen Unterlassungsanspruch trotz der Nichterweislichkeit der Wahrheit abzulehnen. Unterlassungsklagen setzen stets eine bestimmte (konkrete) Gefahrenlage voraus. Die bloße abstrakte Möglichkeit einer Ehrverletzung kann daher einen Unterlassungsanspruch nicht begründen. 64 Ob eine derartige Gefahrenlage vorliegt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls: Hat bereits ein rechtswidriger Eingriff in die persönliche Ehre stattgefunden, so wird das Vorliegen einer konkreten Gefahr (hier hat sich der Begriff der Wiederholungsgefahr eingebürgert) vermutet. 65 Ist demgegenüber eine Ehrverletzung ursprünglich durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt gewesen und wird erst zu einem späteren Zeitpunkt die Unwahrheit der streitgegenständlichen Behauptung erkennbar, so muß die konkrete Gefahr einer Ehrverletzung erst noch positiv - durch den Tatrichter - festgestellt werden. 66 Entsprechendes gilt wenn erstmals die Verletzung der persönlichen Ehre droht. 67 In diesem Fall ist die Erstbegehungsgefahr vom Betroffenen konkret darzulegen und glaubhaft zu machen.68 Im Gegensatz zum Schadensersatzanspruch setzt der Unterlassungsanspruch kein Verschulden voraus. 69 Ausreichend ist hier die objektive Rechtswidrigkeit. Da das dem Unterlassungsanspruch stattgebende Verdikt den Äußernden in grundrechtsrelevanten Bereichen, namentlich in Art. 5 GG, einschränkt, ist es im Interesse der Rechtssicherheit so abzufassen, daß unzweifelhaft erkennbar ist, welcher Äußerungen er sich enthalten muß und welcher nicht. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob eine Verurteilung zur Unterlassung "sinngemäßer" Äußerungen zulässig sein kann. Das Bundesverfassungsgericht brachte in seinen beiden Beschlüssen über die "Deutschland-Stiftung" zum Ausdruck, daß eine Verurteilung zur Unterlassung "sinngemäßer" Äußerungen unzulässig sei. 70 Dem wird man, soweit es sich bei den in Rede stehenden Aussagen um Werturteile handelt, zu folgen haben. Denn 62
So Stern, FS für Oehler, S.477.
63
Vgl. zur Substantiierungs- und Darlegungspflicht ausführlich die Darlegungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., a), cc), (2). 64
So schon RGZ 78, 210 (212); 98, 36 (40).
65
BGH, NJW 1986, S.2505; BGH, NJW 1987, S.2227.
66
BGH, NJW 1986, S.2505; BGH, NJW 1987, S.2227.
61
BGHZ 2, 394 ff; 34, 99 ff; Schwerdtner,
68
OLG Hamburg, AfP 1990, S.l28; Soehring, NJW 1994, S.22.
69
Vgl. zum Schadensersatz bei ehrverletzenden Äußerungen nachfolgend unter Pkt. (3).
70
BVerfGE 42, 143 (151); 42, 163 (168 u. 169).
JuS 1978, S.293.
166
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
dem Kommunikator muß es aufgrund der konstituierenden Bedeutung des Art. 5 I GG möglich bleiben, seine Meinung durch die Verwendung sinngemäßer -jedoch nicht ehrverletzender (!) - Formulierungen weiter kundzutun. 71 Anders ist es hingegen, wenn es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung handelt. Hier muß gewährleistet sein, daß der Kern der (unrichtigen) Tatsachenbehauptung nicht in anderer "Verpackung" erneut verbreitet werden kann. Demgemäß entschied der Bundesgerichtshof zu Recht, daß ein Verbot wörtlicher ("sinngemäßer") Wiederholungen bestimmter Tatsachenbehauptungen zulässig sein muß. 72 Dieser Entscheidung ist aus genannten Gründen beizupflichten.
b) Zusammenfassung und kritische Würdigung Zusammenfassend läßt sich daher für den Unterlassungsanspruch festhalten, daß dieses Institut zwar ein relativ wirksames Instrument zum Schutz der Ehre - sowohl vor unwahren Tatsachenbehauptungen, als auch vor diffamierenden Meinungsäußerungen - darstellt, jedoch letztlich daran krankt, daß der Schutz nur für die Zukunft gewährt werden kann, und dies - bezüglich der diffamierenden Werturteile - erst mit einer hohen Verletzungsintensität (Schmähkritik).
3. Der Schadensersatzanspruch Neben den Ansprüchen auf Widerruf und Unterlassung eröffnet das Zivilrecht als weitere Reaktionsmöglichkeit auf eine erfolgte Ehrverletzung den Anspruch auf Schadensersatz. Bei diesem Anspruch ist zunächst zwischen dem Ersatz materieller und immaterieller Schäden zu differenzieren.
a) Der Ersatz materieller Schäden aa) Die haftungsbegründenden
Tatbestände
Der Ersatz materieller Schäden erlangt im Zusammenhang mit Ehrverletzungen nur Bedeutung, wenn es um den Ersatz entgangenen Gewinns infolge ehrverletzender Äußerungen oder um Aufwendungen geht, die der Betroffene zum Zwecke der Schadensminderung vorgenommen hat. Als Anspruchsgrundlagen kommen hier die Vorschriften der §§ 823 Abs.l BGB, 823 Abs.2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz, § 824 BGB sowie § 826 BGB in Betracht.
71 Vgl. zur Frage der Zulässigkeit von Werturteilen die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., 1., a), ee), (3). 72
BGH. GRUR 1977, S.l 15.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
167
(1) Die Vorschrift des § 823 Abs.l BGB Die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB setzt die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung eines durch diese Norm geschützten Rechtsguts voraus. Hierzu zählt, wie bereits festgestellt, die persönliche Ehre als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs.l BGB anerkannt ist. 73 Ob eine rechtswidrige Beeinträchtigung der persönlichen Ehre und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, ist aufgrund der Ausgestaltung als sog. "Rahmenrecht" 74 in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen. Dazu ist eine umfassende Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen. 5 Dabei sind die jeweils berührten Interessen und Gegeninteressen sowie die sonstigen Umstände, insbesondere Art und Schwere der Beeinträchtigung, ihr Anlaß und das Verhalten des Verletzten selbst zu berücksichtigen. 76 Damit kommt es für die Abwägung auch hier entscheidend darauf an, inwieweit sich der Äußernde auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) oder/und auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen kann. Insoweit kann auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden. 77 Außerdem, und im Gegensatz zu den quasi-negatorischen Ansprüchen auf Widerruf und Unterlassung, ist für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB Verschulden erforderlich. Hier reicht jedoch Fahrlässigkeit, sogar leichte Fahrlässigkeit aus. 78 Eine Ausnahme gilt nur für § 14 UWG. Wenn die Voraussetzungen dieser Norm vorliegen, soll der Ersatzanspruch auch dann gegeben sein, wenn es an einem Verschulden i.S.d. § 276 BGB fehlt. 79 (2) Die Vorschrift des § 823 Abs.2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz Neben § 823 Abs.l BGB bietet auch § 823 Abs.2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz (beispielsweise den §§185 ff StGB) die Möglichkeit eines Anspruchs auf Schadensersatz bei dem Vorliegen einer Ehrverletzung. Damit kommt es für den haftungsbegründenden Tatbestand darauf an, ob der Tatbestand des Schutzgesetzes rechtswidrig und schuldhaft erfüllt ist. Insoweit kann hinsichtlich der
73 BGHZ 31, 308 (311 u. 312); 35, 363 (365); 50, 133 (136); Thieme, S.152; Degenhart, JuS 1992, S.365; Palandt-Thomas, § 823, Rn 177 ff; Brox, Rn 450; a.A. aber RGRK-Dunz, § 823, Rn 84: wonach die Ehre kein sonstiges Recht i.S.d. § 823 I BGB sei und ihr zivilrechtlicher Schutz einzig über Abs.2 i.V.m. den strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff StGB erfolge. 74
BGHZ 24, 72 ff.
73
BGHZ 13, 334 (338); 24, 72 (78); 35, 363 (368); 50, 133 (143): siehe auch BGH, NJW 1987, S.2667. 76
Palandt-Thomas,
77
Vgl. unter Pkt. Β., I., 1., d).
78
BGH, NJW 1963, S.905.
79
BGH, GRUR 1957, S.95.
§ 823, Rn 185 - 187.
168
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
strafrechtlichen Schutzgesetze der §§185 ff StGB auf die bereits erfolgten Ausführungen verwiesen werden. 80 (3) Die Vorschrift des § 824 Abs.l BGB Dem Grunde nach gewährt auch § 824 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz bei Ehrverletzungen. Schutzgut dieser Norm ist allerdings nur die wirtschaftliche Wertschätzung. 81 Demgemäß erfordert der Ersatzanspruch, daß es sich bei der Äußerung um eine kredit- oder erwerbsschädigende Tatsachenäußerung handelt, deren Unrichtigkeit der Äußernde schuldhaft nicht gekannt hat. 82 Wie bei allen Tatbeständen der unerlaubten Handlungen gewährt § 824 Abs. 1 BGB nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn die Handlung rechtswidrig ist. Bezüglich der Rechtswidrigkeit gilt das oben Gesagte.83 (4) Die Vorschrift des § 826 BGB Gemäß § 826 BGB macht sich schadensersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt. Auch diese Bestimmung setzt Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Verantwortlichkeit voraus. Zum Tatbestand gehört die Verursachung eines Schadens durch eine sittenwidrige Handlung. Die Rechtswidrigkeit hat daneben keine besondere Bedeutung. Denn sofern ein Rechtfertigungsgrund gegeben ist, wird es regelmäßig schon an der Sittenwidrigkeit und damit am Tatbestand fehlen. bb) Der Schadensumfang Bei Vorliegen des haftungsbegründenden Tatbestandes einer der genannten Anspruchsgrundlagen kommt es für den Ersatzanspruch materieller Schäden im folgenden darauf an, ob ein Schaden und der ursächliche Zusammenhang zwischen haftungsbegründendem Tatbestand und Schadenseintritt bejaht werden kann. Der Schaden wird hier nach der Differenzhypothese ermittelt. Demnach ist ein Vermögensschaden dann gegeben, wenn der gegenwärtige tatsächliche Wert des Vermögens geringer ist als der Wert der Vermögenslage, in der sich der Geschädigte ohne den Eintritt des schädigenden Ereignisses befinden würde. 84 Die Verringerung des Vermögens aufgrund einer Ehrverletzung kann sich 80
Vgl. unter Pkt. 3., a), aa).
81
BGH, NJW 1965, S.37.
82
Palandt-Thomas.
83
Vgl. unter Pkt. (1).
84
BGH, NJW 1986, S.2038; Palandt-Heinrichs,
§ 824, Rn 2 - 5. Vor. § 249, Rn 8.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
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daher zum einen daraus ergeben, daß Gewinnmöglichkeiten nicht realisiert werden können oder aber - was nicht selten vorkommt - Aufwendungen getätigt werden müssen, um eine erlittene Ehrverletzung in der Öffentlichkeit wieder zu revidieren. Namentlich ist in solchen Fällen an die Verbreitung berichtigender Darstellungen in Form von Zeitungsanzeigen, Inseraten, Rundschreiben u.ä. zu denken. Umstritten ist dabei lediglich, ob ein solcher Anspruch als Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Satz 2 BGB oder als Folgeschaden der Ehrverletzung geltend gemacht werden kann. 8 5 7 8 6 In jedem Fall aber kann Ersatz solcher Aufwendungen nur in dem Maße verlangt werden, in dem sie erforderlich waren. Die Erstattungsfähigkeit richtet sich daher nach den Maßnahmen, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung oder Schadensminderung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich ergriffen haben würde, wobei eine ex ante - Betrachtung zu erfolgen hat. 87 Zudem folgt aus § 254 Abs.2 BGB, daß der Erstattungsanspruch i.d.R. von einer vorherigen Ankündigung der geplanten Maßnahmen abhängt, sofern die Kosten nicht ganz unerheblich sind.
b) Der Ersatz immaterieller Schäden aa) Grundsätzliche Anerkennung der Ersatzfähigkeit
immaterieller
Schäden
Eine Entschädigung in Geld kann wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, gemäß § 253 BGB nur in den gesetzlich bestimmten Fällen gefordert werden. Hierzu zählt § 847 BGB, der bei Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen und Sittlichkeitsverbrechen einen Anspruch auf Schmerzensgeld gibt. 88 Bei Persönlichkeitsverletzungen sieht das Gesetz hingegen keinen Schadensersatzanspruch vor. Demnach bliebe nach dem Wortlaut des Gesetzes nur der Anspruch auf Naturalherstellung gemäß § 249 Satz 1, 2 BGB. Trotz dieser eindeutigen Regelung hat der Bundesgerichtshof erstmals in der sog. Herrenreiter-Entscheidung vom 14.02.195889 bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter bestimmten Voraussetzungen eine Ersatzpflicht hinsichtlich des Nichtvermögensschadens anerkannt, wenn die Schwere der Verletzung oder des Verschuldens eine solche Genugtuung erforderten. Der Bundesgerichtshof begründete dies zunächst mit einem Analogieschluß von der Freiheitsverletzung zur "Freiheitsberaubung im Geistigen". Diese gekünstelte
85
BGHZ 32, 280 (285).
86
Zwar hat der BGH in einigen Entscheidungen offengelassen, ob ein Aufwendungsersatz als sog. Ersparnisbereicherung nicht auch nach Bereicherungsgrundsätzen gefordert werden kann (vgl. NJW 1976, S.l200), doch wird dieser Anspruch heute nur noch als deliktischer Anspruch geltend gemacht. 87
BGHZ 54, 82 (85); 63, 295 (296).
88
Weitere gesetzlich angeordnete Fälle des Ersatzes von Nichtvermögensschäden finden sich in § 27 SeemG, § 53 III S.l LuftVG, §§ 35 I S.2, 27 GWB, 97 II S.l UrhG sowie §§ 651 f II, 1300 BGB. 89
BGHZ 26, 349 ff.
170
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Analogie zu § 847 BGB löste in der Literatur heftige Kritik aus 9 0 / 9 1 und wurde in der Folgezeit aufgegeben. Nunmehr wurde der Schmerzensgeldanspruch bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Durchbrechung von § 253 BGB unmittelbar auf § 823 Abs.l BGB gestützt.92 Begründet wurde dies damit, daß die starke Betonung der Menschenwürde durch Art. 1 GG dazu zwinge, bei Persönlichkeitsverletzungen wirksame zivilrechtliche Sanktionen zu schaffen. Soweit die nach § 253 BGB zulässige Naturalrestitution nicht ausreiche oder ganz unmöglich sei, müsse daher entgegen § 253 BGB auch Geldersatz zugesprochen werden können. Jede andere Sichtweise sei daher nicht mit dem Wertesystem des Grundgesetzes vereinbar. 93794 Bei den anderen Fachgerichten 95 und in der Literatur 96 hat diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überwiegend Zustimmung erfahren. Auch das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung zum Ersatz des Nichtvermögensschadens in Geld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausdrücklich gebilligt. 9 7 / 9 8 Die anderslautenden Stimmen im Schrifttum 99 sind damit, wie Schwerdtner zutreffend formuliert, "zur Makulatur geworden". 100 Im übrigen hat sich die Befürchtung der Kritiker nicht bestätigt, die diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als "Totengräber der Pressefreiheit" sahen. 101 Untersucht man nämlich die Rechtsprechung zum Ersatz des Nichtvermögensschadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so wird diese Befürchtung schnell ad absurdum geführt. Wer erfundene Interviews veröffentlicht, wer ohne Einwilligung des Betroffenen dessen Bild unter ehrenrührigen Umständen veröffentlicht, hat den Rahmen der Pressefreiheit verlassen! 102 Derartige Fälle machen vielmehr deutlich, wie Medicus konstatiert, "daß der Schutz vor der Presse nicht weniger 90 Larenz, NJW 1958, S.828; Löffler, ders., NJW 1964, S.798 u. S.799.
NJW 1962, S.226 - 228; Hartmann, NJW 1962, S.14 u. S.15;
91
So soll dieses Urteil Werner Flume noch 1966 auf dem Essener Juristentag zu der Bemerkung veranlaßt haben, daß er sich bei dieser Entscheidung überlegt habe, ob er nicht Anzeige wegen Rechtsbeugung erstatten solle (.Pawlowski, S.2809). 92
BGHZ 35, 363 (365).
93
BGHZ 35, 363 (367 ff); ähnlich auch BGHZ 39, 124 (130 u. 131); sowie BGH, NJW 1971, S.699.
94
Vgl. zuletzt BGH, JZ 1995, S.362: "Bei einer Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich nicht im eigentlichen Sinn um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 I GG zurückgeht". 95
BFHE 78, 32 (33 u. 34); BAG, AP Nr. 13 zu § 847.
96
Degenhart, JuS 1992, S366, Rötelmann. NJW 1962, S.737; Erdsiek, JZ 1958, S.560. 97
BVerfGE 34, 269 (285 ff).
98
Vgl. hierzu auch Mackeprang, S.58.
NJW 1962, S.625; Coing,
99
Palandt-Heinrichs, § 253, Rn 1; Ipsen, S.l 104; siehe auch Medicus, § 24, II, der zwar die Bedenken teilt, gleichwohl aber zivilrechtliche Sanktionen ausdrücklich für wünschenswert hält. 100
Schwerdtner,
101
In diese Richtung tendierend Löffler,
102
So zutreffend Schwerdtner,
Jura 1985, S.525. NJW 1962, S.227.
Jura 1985, S.526; ähnlich Schlechtriem, JZ 1995, S.364.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
171
wichtig ist, als der oft viel stärker betonte Schutz der Presse". 103 Hinsichtlich der grundsätzlichen Anerkennung der Schmerzensgeldansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen bestehen daher heute keine ernstzunehmenden Bedenken mehr. Die grundsätzliche Anerkennung der Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens in Geld sagt jedoch noch nichts darüber aus, wann, d.h. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Anspruch durchgreift. bb) Die Voraussetzungen Voraussetzung für einen Anspruch auf Geldersatz wegen eines immateriellen Schadens ist ein aufgrund der Umstände des Einzelfalles zu ermittelndes unabwendbares Bedürfnis für den finanziellen Ausgleich sowie das Fehlen anderer Ausgleichsmöglichkeiten. Die Unabwendbarkeit des Bedürfnisses für einen finanziellen Ausgleich wird in der Judikatur nicht eindeutig beurteilt. So geht der Bundesgerichtshof davon aus, daß der Anspruch gegeben sei, "wenn den Schädiger der Vorwurf einer schweren Schuld trifft oder wenn es sich um eine objektiv erheblich ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts handelt". 104 Dazu wird in der sog. Nachtigall-Entscheidung 105 des Bundesgerichtshofs ausgeführt, daß die für die Beurteilung des Schmerzensgeldanspruchs wesentlichen Umstände nicht "notwendig und immer" nebeneinander vorzuliegen brauchen. Demgegenüber geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, der Ersatz des Nichtvermögensschadens könne nur in Betracht kommen, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der Persönlichkeitssphäre und ein schweres Verschulden vorlägen. 106 Ob es sich hierbei um ein Redaktionsversehen des einen oder anderen Spruchkörpers handelt, ist unklar; zumal auch der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung auf beide Voraussetzungen (schweres Verschulden und Schwere des Eingriffs) kumulativ abstellt. 107 Letztendlich kann die Frage nach dem kumulativen oder alternativen Vorliegen dieser Voraussetzungen dahingestellt bleiben, da die praktische Relevanz gegen Null tendiert: Denn je gewichtiger sich eine objektive Rechtsverletzung darstellt, desto wahrscheinlicher wird eine tatsächliche Vermutung für ein schweres Verschulden vorliegen und umgekehrt. 108 Man wird daher richtigerweise im Wege einer Gesamtabwägung zu prüfen haben, ob eine schwere Persönlichkeitsverletzung festzustellen ist. Hierbei sind dann Art und Schwere der Beeinträchtigung, Grad
l0
* Meclicus, § 24 II.
104
BGHZ 35, 363 (369).
105
BGH, GRUR 1970, S.371.
106
BVerfGE 34, 269 (286).
107
BGHZ 39, 124(133 u. 134).
108
spricht.
Ebenso MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 296, der insoweit von einem "Scheinproblem"
172
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
des Verschuldens und gegebenenfalls Anlaß und Beweggrund des Handelnden diejenigen Faktoren, die unabhängig voneinander oder gemeinsam eine schwere Persönlichkeitsverletzung und damit einen Schadensersatzanspruch begründen können. 109 cc) Geltung der Subsidiaritätsthese
des Bundesgerichtshofs
Nach Auffassung der Rechtsprechung soll der Anspruch auf Schmerzensgeld bei einer Verletzung der persönlichen Ehre (und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) nur möglich sein, wenn und soweit die geschützte Persönlichkeitssphäre anderenfalls ohne ausreichenden Rechtschutz bleiben würde. Der Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens sei daher grundsätzlich subsidiär. 110 Hiernach soll ein Schmerzensgeldanspruch bereits dann entfallen können, wenn es der Verletzte versäumt, Widerrufs- und Gegendarstellungsansprüche geltend zu machen. 1 1 1 7 1 1 2 Diese Subsidiaritätsthese des Bundesgerichtshofs wurde im Schrifttum kontrovers diskutiert. 113 So wurde sie u.a. mit der Begründung abgelehnt, daß der Verletzer auf diese Art und Weise "zu billig davonkomme"114 Dieser Kritik kann sicherlich nicht gefolgt werden. Denn Maßstab der Ersatzfahigkeit immaterieller Schäden kann nicht sein, ob der Schädiger "billig", d.h. ungeschoren, davonkommt oder nicht. Dies ist vielmehr nach den Normen des Straf-, nicht aber des Zivilrechts zu beurteilen. Das relevante Kriterium kann hierbei nur sein, ob durch andere zivilrechtliche Instrumente (Widerruf, Gegendarstellungs- und Unterlassungsansprüche) ein adäquater Ausgleich für erlittene Unbill geschaffen werden kann. Gewichtiger erscheinen denn auch die Überlegungen Schwerdtners 115, der die Frage nach der Zulässigkeit des Subsidiaritätsprinzips auf der Grundlage der Funktion des Schmerzensgeldanspruchs zu beurteilen versucht. So weist er darauf hin, daß sofern man - wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - 1 1 6 dem Schmerzensgeldanspruch eine Genugtuungs- und Ausgleichsfunktion beimißt, es nicht einsichtig sein könne, warum der Widerrufsanspruch, dem keine Genugtuungsfunktion zukomme, diesen zu verdrängen vermag. Allerdings, und dies wird von Schwerdtner übersehen, kann 109 Anderer Ansicht jedoch MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rn 297, der entgegen der ständigen Rspr. in dem Grad der Beeinträchtigung und im Ausmaß des Verschuldens keine Anspruchsvoraussetzung, sondern nur für die Höhe des Schadensersatzanspruchs maßgebliche Faktoren sehen will. 110
BGHZ 34, 269 (286); 95, 212 (215); BGH, GRUR 1985, S.400.
1,1
OLG Köln, AfP 1971, S.l70.
112 Es soll sogar schon ausreichend sein, daß die bloße Möglichkeit bestand, die erlittene Beeinträchtigung auf andere Weise ausgleichen zu können (OLG Düsseldorf, AfP 1981, S.293). 113
Vgl. Neumann-Duesberg, S.407 - 410.
114
Siehe insoweit MünchKomm-Schwerdtner,
115
MünchKomm-Schwerdtner,
116
BGHZ 18, 149 (154); zuletzt BGH, JZ 1995, S.362.
§ 12, Rn 294.
§ 12, Rn294.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
173
ein ordnungsgemäß erfolgter Widerruf durchaus dazu führen, daß eine Verletzung der persönlichen Ehre - und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgeglichen wird, so daß möglicherweise kein Bedürfnis mehr für einen darüber hinausgehenden Anspruch besteht. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn der Widerruf stets ein - im Vergleich zum Schmerzensgeldanspruchweniger effektives Instrument wäre. Dies mag zwar aufgrund der aufgezeigten restriktiven Voraussetzungen 117 häufig der Fall sein, keinesfalls läßt sich dies jedoch für jeden Fall bejahen. Überzeugender erscheint es daher, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Schmerzensgeldanspruch erforderlich ist oder nicht. In diese Richtung scheint neuerdings auch der Bundesgerichtshof zu tendieren. So führte er in seiner Entscheidung vom 15.11.1994 118 aus, daß es stets auf den Einzelfall ankomme, ob neben dem Widerruf noch eine Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung in Betracht komme. Diesen Ausführungen ist beizupflichten. Entscheidend für die Zuerkennung eines Schmerzensgeldanspruchs kann nicht sein, ob es der Verletzte versäumt hat, Widerrufs-, Unterlassungs- oder Gegendarstellungsansprüche geltend zu machen. Kardinales Kriterium muß vielmehr sein, ob ein in Anspruch genommenes Instrument das Ziel (Schutz bzw. Wiederherstellung der persönlichen Ehre) bereits erreicht hat oder nicht. Die bloße Möglichkeit, daß beispielsweise ein Widerrufsanspruch dem in seiner persönlichen Ehre Verletzten hilft, darf nicht dazu führen, ihm den Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu versagen. Denn hier bestehen zu viele Unwägbarkeiten, die letztlich zu einer nicht zu rechtfertigenden Rechtsschutzverkürzung des durch eine Äußerung nachteilig Betroffenen führen können. Das Gleiche muß für die Fälle gelten, in denen der Widerruf weniger wirksam war oder gewesen wäre, weil der Ruf des Betroffenen schon durch die Erörterung als solche beeinträchtigt wurde und erhebliche Folgewirkungen eingetreten sind. Stets wird man also im Einzelfall zu prüfen haben, ob andere zivilrechtliche Instrumente schon zu einem Ausgleich der erlittenen Unbill geführt haben. Nur wenn dies festzustellen ist, wird man auf der Grundlage der Subsidiaritätsthese des Bundesgerichtshofs eine Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden überzeugend ablehnen können. Allein der Umstand, daß die fiktive Möglichkeit der Wahrnehmung berechtigter Interessen bestand, darf aber - wie gezeigt - die Ersatzfahigkeit nicht ausschließen. dd) Die Höhe des Ersatzanspruchs Bei der Bemessung der Höhe der Ersatzforderung greift die Judikatur auf die Grundsätze zurück, die der Bundesgerichtshof bereits in seinem Beschluß vom 06.07.1955 entwickelt hat. 1 1 9 Demnach soll das Schmerzensgeld dem Betroffe117
Vgl. hierzu unter Pkt. 1., b), aa).
118
BGH, JZ 1995, S.361.
119
BGHZ 18, 149 (154) = NJW 1955, S.1675.
174
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
nen einen angemessenen Ausgleich (Ausgleichsfunktion!) für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art bieten, die Folge der Verletzung sind. Dies sind primär die erlittenen und noch zu erleidenen Schmerzen, ausgestandene Ängste und Sorgen sowie Beeinträchtigungen der Lebensfreude. Da ein wirklicher Ausgleich immaterieller Schäden häufig schwierig, nicht selten sogar unmöglich ist (man denke nur an Verletzungen wie Querschnittslähmung und Erblindung), hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß dem Schmerzensgeldanspruch auch Genugtuungsfunktion zukomme. 120 Dies gelte auch im Hinblick auf das bei Persönlichkeitsverletzungen zu zahlende Schmerzensgeld, da sich solche Beeinträchtigungen noch schwerer am allgemeinen Wertmesser des Geldes abschätzen lassen als die Folgen körperlicher Beeinträchtigungen. Die Zubilligung des Schmerzensgeldes soll demnach zum Ausdruck bringen, daß der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan habe, Genugtuung schulde. Unter diesem Gesichtspunkt seien daher auch Art und Maß des Verschuldens auf Seiten des Schädigers zu berücksichtigen, sowie alle Umstände, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben. 121 Dabei kann es beispielsweise relevant sein, ob es sich um eine schwere Ehrverletzung und einen erheblichen Eingriff in die Privatssphäre handelt, 122 oder welcher Anlaß zur Beeinträchtigung bestand (z.B. ob die beeinträchtigende Darstellung oder Äußerung erfolgt ist, um die eigene kommerzielle Werbung zugkräftiger zu gestalten oder als Mittel zur Auflagensteigerung eingesetzt wurde). 123 Dem folgt auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es zuvörderst darauf abstellt, ob das Verhalten eines Presseorgans durch kommerzielle Interessen bestimmt wird. 1 2 4 Im Gegensatz dazu vertritt Schwerdtner 125 die Ansicht, daß es sich bei der Gewährung von Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen um eine "Fortsetzung des Vermögensschadensrechts mit anderen Mitteln" handelt. Dementsprechend komme ein Ersatz des Nichtvermögensschadens in Geld bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur in Betracht, wenn überhaupt ein Vermögensschaden denkbar sei. 126 Dieser Ansicht ist im Interesse eines effektiven Ehren- und damit Persönlichkeitsschutzes zu widersprechen. Wäre diese Meinung zutreffend, so würde der Schmerzensgeldanspruch als ein Teil des zivilrechtlichen Instrumentariums zum Schutz der Persönlichkeit - und damit der persönlichen Ehre - für den Fall entwertet, in dem, und das dürfte gerade bei Ehrverletzungen nicht selten der Fall sein, ein Vermögensschaden nicht denkbar
120
Ständige Rspr. seit BGHZ 18, 149 (154); zuletzt BGH, JZ 1995, S.362; ebenso Lieberwirth, u. S.40 m.w.N.; kritisch zur Genugtuungsfunktion Nehlsen-v.Stryk, S.l 19 ff. 121
BGHZ 18, 149 (157); 35, 363 (369).
122
Vgl. BGHZ 39, 124 ff ("FemsehansagerinfaH").
123
Vgl. BGHZ 35, 363 (369); 39, 124 ff; BGH, NJW 1965, S.686; BGH, JZ 1995, S.362.
124
BVerfGE 34, 269 (275) = NJW 1973, S.l222.
125
MünchKomm-Schwerdtner, recht, S.263 u. S.264. 126
S.17
Schwerdtner,
§ 12, Rn 305; ders.. Jura 1985, S.527; ders., Das Persönlichkeits-
Jura 1985, S.527.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
175
ist. Dies aber würde Rechtsschutzlücken aufreißen und einen Rückfall in die Zeit vor BGHZ 26, 349 ff (Herrenreiter) bedeuten. In diesem Punkt ist daher der Judikatur, und mit ihr der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum, 127 zu folgen. Im Gegenteil, es ließe sich nach der hier vertretenen Auffassung durch eine spürbare Erhöhung des Schmerzensgeldanspruchs eine deutliche Steigerung der Effizienz dieses Instrumentariums erreichen. Gleichwohl bleibt die Höhe der zugesprochenen Geldentschädigungen ausgesprochen bescheiden. Bis heute hat niemand ein höheres Schmerzensgeld erhalten als Prinz Bernhard der Niederlande, dem das Landgericht Hamburg 1968, also vor fast 30 Jahren, eine Summe von 50.000,-DM zusprach. 128 Daß von den geringfügigen Schmerzensgeldbeträgen, die deutsche Gerichte zuzusprechen pflegen, keinerlei Präventivwirkungen ausgehen, zeigt die Zunahme derartiger Fälle. 129 Die Geldentschädigung ist daher so hoch anzusetzen, daß von ihr ein "echter Hemmungseffekt" ausgeht. 130 Dem wird jedoch entgegengehalten, daß im praktisch relevanten Fall der Persönlichkeitsverletzung durch Medienorgane, diese sich durch die Erhöhung der Schmerzensgeldsummen keineswegs von vorschnellen "Enthüllungen" oder "Blattschußreportagen" 131 abhalten ließen. 132 Verkannt wird hierbei jedoch, daß dies letztlich immer nur eine Frage der Höhe des Ersatzanspruchs sein kann: Wenn die Schmerzensgeldansprüche so hoch angesetzt werden können, daß sie auch für einen Medienkonzern spürbar sind, darf man sicher sein, daß hiervon die gewünschte Präventivwirkung ausgehen wird. Gerade die Medienkonzerne sind am ehesten dort zu treffen, wo es ihnen am "meisten weh tut", und das ist nun einmal das Geld! 1 3 3 Neben der Sache liegt der Einwand, daß der Verletzte so in den Verdacht einer "gold-digger Mentalität" gerät und demgemäß einer "Kommerzialisierung ideeller Werte Vorschub geleistet werde". 134 Selbst wenn der Verletzte in einen derartigen Verdacht gerät (was zu bezweifeln ist), ist es allein ihm zu überlassen, ob er sich diesem Vorwurf aussetzen will oder nicht. Auch dürfte der "moralische Zeigefinger" einer Kommerzialisierung ideeller Werte hier wohl völlig deplaziert sein. Denn meist ist es der Verletzte selbst, der Opfer eines Kommerzialisierungsvorgangs wurde: Wenn intime Berichte und Fotos von Personen des 127
Vgl. statt vieler: Palandt-Thomas,
128
Nachweis bei Prinz, NJW 1995, S.820.
129
In diesem Sinne auch Prinz, NJW 1995, S.820.
130
Vgl. BGH, JZ 1995, S.362; ebenso Prinz, NJW 1995, S.820.
§ 847, Rn 4; Brox, Rn 509.
131
Der Begriff, der eigentlich aus der Jägersprache stammt und einen tödlichen Treffer bezeichnet, wurde von dem ehemaligen Chefredakteur des "Spiegel" (Erich Böhme) verwendet: "Da gab es doch noch den Vertriebenen-Minister, wie hieß der nur., das war eine Blattschußreportage..", (siehe "Die Zeit" vom 25.09.1987, S.14). 132
Mackeprang,
S.255 u. S.256.
133
So auch Steffen,
134
Mackeprang, S.256; vgl. auch BVerfGE 34, 269 (286).
ZRP 1994, S.197.
176
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Zeitgeschehens publiziert, erfundene Interviews veröffentlicht 135 oder Fernsehansagerinnen als "ausgemolkene Ziege" 1 3 6 tituliert werden, so geschieht dies doch wohl zuvörderst in kommerziellem Interesse. Dann aber darf der Kommerzialisierungsgedanke wohl nicht ernstlich gegen eine Erhöhung des Schmerzensgeldsanspruchs angeführt werden. 137 Demnach ist eine spürbare Erhöhung des Schmerzensgeldanspruchs einzufordern. 138 Dies gilt um so mehr, als sich diese Maßnahme zur Verbesserung des zivilrechtlichen Ehrenschutzes nahtlos in das bereits bestehende zivilrechtliche Schadensrecht einfügen ließe.
4. Der Aufopferungsanspruch a) Dogmatische Herleitung und Zulässigkeit eines solchen Anspruches Als eine weitere zivilrechtliche Reaktionsform auf eine Persönlichkeits· (Ehr-)verletzung wurde in der Vergangenheit oftmals das Institut des bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs diskutiert. Unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.01. I960 1 3 9 setzte sich vor allem Rehbinder 140 für einen Schutz des Beleidigten durch dieses Institut ein. Hierauf aufbauend forderte Deutsch sogar für bestimmte Fälle ein "Aufopferungsschmerzensgeld". 141 Dem lag die Überlegung zugrunde, daß derjenige, dessen Rechte wegen des öffentlichen Interesses der Medien zurücktreten müßten, von dem Injurianten auch dann im Rahmen des Notwendigen und Zumutbaren Beseitigung verlangen können müsse, wenn dieser in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe, der Rechtfertigungsgrund aber weggefallen sei, weil sich die Unwahrheit herausgestellt habe. Die dogmatische Grundlage eines derartigen Anspruchs wurde - in scheinbarer Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof - in einer Analogie zu den §§ 904, 962 BGB, § 12 LufVG, § 26 GewO gesehen, nach denen der durch einen rechtmäßig vorgenommenen und von ihm zu duldenden Eingriff betroffene Eigentümer oder Inhaber eines nichtvermögensrechtlichen Rechtsgutes gegebenenfalls Schadensersatz oder einen billigen Ausgleich des ihm durch die gesetzliche Duldungspflicht auferlegten Sonderopfers fordern kann. 135
Vgl. BVerfGE 34, 269 ff.
136
BGHZ 39, 124 ff.
137 So auch Schwerdtner, JuS 1978, S.295, der hierin die "Anpassung an den von den Massenmedien... eingeleiteten Verwertungsprozeß" sieht. 138 So auch der Vorschlag von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl zur Vermeidung publizistischer Exzesse. Ebenso: Ministerpräsident Oskar Lafontaine {Der Spiegel, vom 10.05.1993, Heft Nr. 19, S.16 u. S.l7); femer Steffen, ZRP 1994, S.197. 139
BGH, JZ 1960, S.701 ff.
140
Rehbinder, Die öffentliche Aufgabe, S.l30 ff.
141
Deutsch, S.466.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
177
b) Stellungnahme Diese Ansicht ist zu Recht nahezu einstimmig abgelehnt worden. 142 Zunächst wird völlig verkannt - und auch von den Kritikern übersehen -, daß der Bundesgerichtshof mit seiner Analogie keinesfalls die Begründung einer Schadensersatz· oder Ausgleichspflicht in Geld beabsichtigte. Ihm ging es vielmehr darum, wie sich aus dem gesamten Kontext des zugrundelegenden Verdikts ergibt, ein weiteres Argument für die Rücknahme einer ursprünglich zulässigen Äußerung zu benennen. 143 Keinesfalls aber wollte er Ansprüche in Geld, schon gar nicht Schmerzensgeldansprüche ("Aufopferungsschmerzensgeld") mit dieser Parallele zu den §§ 904, 962 BGB, § 12 LufiVG, § 26 GewO begründen. Hinzu kommt, daß die Parallele des Bundesgerichtshofs selbst auch wenig überzeugend ist. Denn die erwähnten Tatbestände zeichnen sich allesamt durch die Rechtmäßigkeit des Handelns und des Erfolges aus. Ein Umschlagen in einen rechtswidrigen Zustand ist ihnen unbekannt, so daß sich eine Parallele schon aus diesem Grund nicht nachvollziehen läßt. 144 Damit lassen sich Ansprüche auf Beseitigung oder Geld auf dieses Rechtsinstitut nicht stützen.
5. Der Gegendarstellungsanspruch a) Die Voraussetzungen Als weiteres Instrument zum Schutz der persönlichen Ehre gilt der Gegendarstellungsanspruch. Dieser ist zwar nicht selbst unmittelbar verfassungsrechtlich gewährleistet, doch dient er dem Schutz der Selbstbestimmung des einzelnen bezüglich der Darstellung der eigenen Person, so daß er von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.l GG) mitumfaßt wird. 1 4 5 Daraus folgt die Notwendigkeit, daß der von einer fremden Darstellung Betroffene die Möglichkeit haben muß, dieser mit einer eigenen Darstellung entgegenzutreten. Anderenfalls wäre er zum bloßen Objekt öffentlicher Erörterung herabgewürdigt. 146 Zutreffend hat daher Schlechtriem 147 das Gegendarstellungsrecht als "Anspruch auf rechtliches Gehör vor dem Forum der Öffentlichkeit" bezeichnet. Es verkörpert damit den Gedanken des audiatur et altera pars. Dementsprechend bestimmen die Pressegesetze
142
Vgl. Westermann, S.692 ff; Schwerdtner,
Das Persönlichkeitsrecht, S.344 ff m.w.N.
143
Der BGH spricht in seinem Urteil vom 12.01.1960 stets von der "Beseitigung der Beeinträchtigung" und der "Zurücknahme der Behauptung". 144 Zu weiteren Kritikpunkten vergleiche ausfuhrlich Westermann, S.692 ff.; Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht, S. 345. 145
BVerfGE 63, 131 (142); ebenso Palandt-Thomas, S.299; Wasserburg, S.402. 146
BVerfGE 63, 131 (142 u. 143); 73, 118(201).
147
Schlechtriem, DRiZ 1975, S.68.
12 Stark
Vor. § 823, Rn 36; Schwerdtner,
JuS 1978,
178
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
der Länder, 148 daß die verantwortlichen Redakteure und Verleger der Printmedien verpflichtet sind, zu darin mitgeteilten Tatsachen auf Verlangen einer unmittelbar betroffenen Person oder Behörde eine Gegendarstellung abzudrucken. Für Rundfunk und Fernsehen enthalten die Rundfunkgesetze und Staatsverträge entsprechende Regelungen. 149 Der Gegendarstellungsanspruch beinhaltet, daß der Betroffene mit Tatsachenbehauptungen zu entsprechenden Behauptungen in der Erstmitteilung Stellung nehmen darf (es gilt das Prinzip Tatsache gegen Tatsache). Damit sind Meinungen nach derzeitiger Rechtslage weder aktiv noch passiv gegendarstellungsfähig. 150 Der Abdruck einer Gegendarstellung muß nach § 11 der Landespressegesetze unverzüglich verlangt werden. Das Unverzüglichkeitsgebot dient dem berechtigten Ziel, Abdruckverlangen zu einer Zeit zu vermeiden, in der der Vorgang nicht mehr aktuell ist. Dies bedeutet indes nicht, daß der Betroffene dieses Verlangen ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 BGB stellen muß. Im Regelfall gilt zwar eine Frist von zwei Wochen, 151 gleichwohl handelt es sich hierbei um keine starre Frist. Entscheidend ist, ob die Angelegenheit noch so aktuell ist, daß sie dem Leser oder Hörer noch halbwegs präsent ist. 1 5 2 Dafür sind die Person des Betroffenen, das Thema, Umfang und Relevanz der Meldung für den Betroffenen und für die Öffentlichkeit sowie die Art und die Erscheinungsweise des Druckwerks maßgebend.153 Diese Eilbedürftigkeit schließt es aus, den Bericht oder die Gegendarstellung im Hinblick auf die Wahrheit zu überprüfen, so daß der Wahrheitsgehalt für die Gegendarstellung insignifikant ist. 1 5 4 Allerdings ist die rechtliche Zulässigkeit dann überschritten, wenn der Inhalt offensichtlich unwahr oder unrichtig ist. Die Offenkundigkeit wird dann angenommen, wenn die Unwahrheit für den unbefangenen Leser oder Zuhörer ohne weiteres auf der Hand liegt oder sie jedenfalls vom "interessierten und informierten Staatsbürger erkannt wird" . 1 5 5
148 Vgl. beispielsweise: § 11 Pressegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen: § 11 Landesgesetz über die Presse Rheinland-Pfalz; § 11 Gesetz über die Presse Baden-Württemberg. 149 Eine hervorragende Zusammenfassung aller Rechtsgrundlagen und Gesetzestexte findet sich bei Wasserburg. 150 Zu Reformüberlegungen das Entgegnungsrecht auf Meinungsäußerungen zu erstrecken siehe nachfolgend unter Pkt. d). 151
OLG Hamburg, NJW 1967, S.l59.
152
OLG München, AfP 1988, S.373.
153
OLG Karlsruhe, NJW-RR 1992, S.1306.
134
Gleichwohl finden sich unverständlicherweise bis heute noch einige Vorschriften, die die Unwahrheit einer Behauptung zur Voraussetzung eines Gegendarstellungsanspruches machen (siehe beispielsweise RundfunkGes. des Landes Hessen § 3, Nr.9). 155
OLG Köln, AfP 1971, S.174.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
179
b) Der Grundsatz der "Waffengleichheit" Der sog. "Grundsatz der Waffengleichheit" gebietet es, die Gegendarstellung so anzuordnen, daß sie das gleiche Maß an Aufmerksamkeit der Leser erlangen kann wie die Erstveröffentlichung. 156 Daraus folgt die Notwendigkeit, daß die Gegendarstellung, sofern die Erstveröffentlichung auf einer Titelseite erfolgte, ebenfalls auf der Titelseite ihren Platz finden muß. Obgleich dieses Prinzip allgemein anerkannt ist, sind entsprechende Verurteilungen bis in die jüngste Vergangenheit hinein fast ausschließlich im Zeitungsbereich ergangen. 157 Erst seit kurzem setzt sich die Erkenntnis durch, daß dieser Grundsatz auch für Zeitschriften und Illustrierte gelten muß. 1 5 8 1 5 9 Dieses Faktum überrascht, folgt doch aus dem "Grundsatz der Waffengleichheit", daß die Gegendarstellung mit gleicher Schrift und an gleicher Stelle wie die Erstmitteilung zu veröffentlichen ist. Damit aber ist es nur folgerichtig, daß sich die Plazierung und der Umfang einer Gegendarstellung an der Erstveröffentlichung orientieren und sich somit auch auf der Titelseite wiederfinden kann. 1 6 0
c) Die Problematik des sog. "Redaktionsschwanzes" Nach den Landespressegesetzen ist eine redaktionelle Äußerung zu der Gegendarstellung (sog. "Redaktionsschwanz") grundsätzlich zulässig, wenn sich diese redaktionelle Anmerkung auf tatsächliche Angaben beschränkt. 1 6 1 1 6 2 Ein solcher "Redaktionsschwanz" darf jedoch nicht zu einer völligen Entwertung der Gegendarstellung führen. 163 Hiernach ist die zwar abgegriffene, so doch übliche Bemerkung, die Gegendarstellung müsse ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Unwahrheit abgedruckt werden, rechtlich zulässig. Das gilt sogar dann, wenn konstatiert wird, das Blatt halte an seiner ursprünglichen Darstellung fest. Dies, ohne daß der Betroffene die Möglichkeit einer erneuten Stellungnahme hat. Diese seit Jahren praktizierte Judikatur nimmt dem Gegendarstellungsanspruch einen Großteil seiner Effektivität. Der Vorteil des Gcgendarstellungsan156
SeitzlSchmidt/Schoener,
Rn 360.
157
OLG Hamburg, AfP 1977, S.243 u. S.244; OLG Hamburg. AfP 1975. S.861 u. S.862; LG Oldenburg, AfP 1986, S.84 - 86; LG Hamburg. .AfP 1987, S.631 - 633. 158 Erstmals LG Hamburg - 324 Ο 535/93 JZ 1995, S.360 u. S.361.
best, durch OLG Hamburg - 3 U 209/93 -; zuletzt BGH.
159 Vgl. hierzu die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei Prinz. NJW 1995, S.819, Fn 32 und Soehring, NJW 1994, S.22, Fn 150. 160
Vgl. zu diesem Problemkreis ausfuhrlich Rehhock. S.446 ff: aus neuerer Zeit Prinz, NJW 1995.
S.819. 161
Vgl. § 11 III LPresseG, § 10 III Berlin, § 10 II Hessen. Demgegenüber verbieten neuere Mediengesetze den "Redaktionsschwanz" am gleichen Tage oder im unmittelbaren Kontext völlig (vgl.: Art. 17 II S.2 BayMEG; § 18 IV S.2 LRuFuG Nds; §4 III S.2 ZDF-Staatsvertrag; § 25 III S.2 RuFuG des Bundes). 162
163
MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 364.
180
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
spruchs, daß der potentiell Verletzte seine Sicht der Dinge unverzüglich publizieren und damit der Gefahr vorbeugen kann, daß ein falscher Bericht irreversible Wirkungen zeitigt, wird hierdurch faktisch eliminiert. Schlimmer noch, mit einer derartigen Bemerkung wird der Verletzte als Lügner dargestellt, ohne daß er sich dagegen erneut zur Wehr setzen könnte. Nur dann, wenn in einem "Redaktionsschwanz" neue Behauptungen aufgestellt werden, sind diese wiederum gegendarstellungsfähig. Überdies diskreditiert sich der Verletzte durch die so ausgestaltete Gegendarstellung nicht selten selbst. Denn die Leser einer Zeitung bringen - was in der Natur der Sache liegt - dem von ihnen abonnierten Organ ein genuines Primärvertrauen entgegen. Dadurch erscheint der die Gegendarstellung einfordernde Verletzte nicht selten als kleinlicher "Prozeßhansel", der der Wahrheit mit billigen Ausflüchten zu begegnen sucht oder gar so etwas Schlimmes und Unanständiges betreibt wie "Medienschelte". 164 Der Gegendarstellungsanspruch erscheint daher insoweit stark reformbedürftig. Dies demonstriert auch anschaulich die Ausgabe des "Stern" vom 24.04.1975. Unabhängig davon, daß hier eine Gegendarstellung um ein Bild des Angegriffenen ergänzt wurde, das in das Klischee bestimmter Bevölkerungskreise paßte, fand sich in derselben Ausgabe dieser Zeitung ein Brief des Chefredakteurs an seine "Liebe(n) Sternleser", in dem er auch inhaltlich (!) Stellung zu der in Rede stehenden Thematik nahm. 165 Der Reformbedarf ist bislang leider jedoch nur zum Teil erkannt worden. Böhme vertritt gar die Auffassung, daß das "fragwürdige Instrument der Gegendarstellung... (den mutmaßlich Verletzten)... zur sehr freien Verfügung" stehe. 1 6 6 Auch der Deutsche Juristentag, der sich nach seinem eigenen Selbstverständnis als "Erfüllungsgehilfe der Gesetzgebung versteht". 167 konnte sich auf seiner 58. Tagung nicht zu der Empfehlung eines Verbots des "Redaktionsschwanzes" durchringen. 168 Dies wird von einigen Autoren ausdrücklich befürwortet. Vornehmlich Schmidt und Seitz 169 vertreten die Auffassung, daß für ein generelles Verbot des "Redaktionsschwanzes" kein Bedürfnis bestehe.170 Vielmehr sei das in Rechtsprechung und Lehre anerkannte Gebot der Waffengleichheit völlig ausreichend. Denn dieses gewährleiste, daß Glossierungen eine Gegendarstellung nicht entwerten könnten.
164
Kriele, Schweigen und Ertragen, S.730; ders., NJW 1994, S.1904.
165
Der "Stern" vom 24.04.1975, Heft Nr.18, S.16 (Gegendarstellung) und S.17 (Brief des Chefredak-
teurs). 166
Böhme, S.35.
167
Schwerdtner,
JZ 1990, S.769.
168
Der entsprechende Antrag wurde mit 37: 46 Stimmen abgelehnt (vgl. den Bericht und die Beschlüsse zum 58. Deutschen Juristentag 1990, abgedruckt in NJW 1990, S.2985 ff). 169
Schmidt/Seitz,
170
In diesem Sinne auch Steffen,
S.1011 u. S.1012. ZRP 1994, S. 197; Benda, NJW 1994, S.2266 u. S.2267
. Der
181
rechtliche Ehrenschutz
Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Vielmehr läßt sich nach der hier vertretenen Auffassung das Gebot der Waffengleichheit nicht gegen, sondern für ein generelles Verbot des "Redaktionsschwanzes" fruchtbar machen. Denn schließlich war es das Medium, das durch seine die Gegendarstellung auslösende Berichterstattung den "Erstschlag" führte. Aus dem Gebot der Wafifengleichheit folgt dann aber, daß der "Zweitschlag" dem Betroffenen in gleichem Umfang und gleicher Publizität gebühren muß. Das bedeutet, daß er in dem gleichen Rahmen wie das vor ihm agierende Medium "seine Fakten", ohne den subtilen und die inhaltliche Richtigkeit der Gegendarstellung infrage stellenden "Redaktionsschwanz", verbreiten können muß. Dementsprechend empfahl selbst der Deutsche Presserat auf den Abdruck eines "Redaktionsschwanzes" zu verzichten. 171 Dem ist sich aus den genannten Gründen anzuschließen. Es ist daher, ähnlich wie bei den meisten neuen Rundfunk- und Mediengesetzen,172 ein generelles Verbot der "Redaktionsschwänze" einzufordern. 173
d) Die Ausweitung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen Daneben gewinnt die Frage eines Verzichts der Differenzierung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen im Bereich des Gegendarstellungsanspruchs zunehmend an Bedeutung. Stürner vertritt die Auffassung, daß auch Meinungsäußerungen aktiv und passiv gegendarstellungsfahig werden sollten: Wenn sich der Journalist bewertend äußern dürfe, so müsse "seinem Gegner die gleiche Waffe an die Hand gegeben sein". 174 Für diesen Reformvorschlag könnte angeführt werden, daß auf diese Weise der nicht immer leichten Abgrenzung von Tatsachen und Werturteilen ausgewichen werden könnte. 175 Zu berücksichtigen ist jedoch, daß sowohl die anderen einfachgesetzlichen Instrumente, als auch das hier stets relevante Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG, immer eine Differenzierung zwischen Tatsache und Werturteil erforderlich machen wird. Insoweit wäre wenig gewonnen. Hinzu kommt, daß Abgrenzungsprobleme in der Natur der Rechtsanwendung liegen. Damit aber kann dieser Gesichtspunkt kaum für eine Ausweitung des Entgegnungsrechts ins Feld geführt werden. Vielmehr bestehen gegen diesen Vorschlag ernsthafte dogmatische und praktische Bedenken:
171
Vgl. zum Deutschen Presserai die Ausführungen in Teil 3 unter Pkt. Α.. I.. 1.
172
Vgl. hierzu die umfassende Aufzählung bei SeitzISchmidtISchoener.
173
Ebenso Stürner, A.94 u. A.95; Ossenbühl, JZ 1995, S.642.
174
Stürner, A.93, vgl. auch A.91 u. A.92; ähnlich Scherer, S.337; Ossenbühl, JZ 1995, S.642.
175
Rn 391.
So wohl Stürner, A.92, wenn er schreibt: "Die Differenzierung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung befrachtet Rechtsstreitigkeiten um den Gegendarstellungsanspruch mit... einer unübersichtlichen Kasuistik obergerichtlichen Scharfsinns".
182
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Zum einen ist zu berücksichtigen, daß Art. 5 Abs. 1 GG jede Meinung, also auch die "falsche Meinung", bis zur Grenze der Schmähkritik schützt. 176 Dann aber läßt sich rechtlich schwerlich begründen, warum auf eine zulässige (!) Kritik eine "Gegenkritik" folgen soll. Zum anderen könnte die Ausweitung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen, bei entsprechendem "Sportgeist" der Beteiligten, zu einem "Spiel ohne Grenzen" werden. Man denke hier nur an eine wertende Berichterstattung über ein Fußballspiel: Der Reporter X beurteilt die spielerische Leistung des Sportlers Y als völlig inakzeptabel. Dieser wehrt sich mit der Aussage, die Kritik läge neben der Sache; im übrigen fehle dem X ohnehin jeglicher Sachverstand. Dieser wiederum könnte sich damit wehren, er habe sehr wohl ausreichenden Sachverstand; im übrigen dürften Sportler wohl kaum in der Lage sein, das (Nicht-) Vorhandensein fachlicher Kompetenzen zu beurteilen, u s w., u s w. . Daß dies nicht der Sinn eines Gegendarstellungsanpruchs sein kann, liegt auf der Hand. Dieses Instrument soll den Betroffenen davor schützen, daß er nicht zum bloßen Objekt öffentlicher Erörterung wird. Hierfür reicht es aber aus, wenn er "seine Tatsachen" verbreiten darf. Würde man darüberhinaus zulassen, daß er auch seine Sicht der Dinge verbreiten darf, wäre zu erwarten, daß die Medien mit Gegendarstellungsansprüchen überschüttet werden würden. Dies könnte dann in der Tat zu der häufig beschworenen Lähmung der Meinungsund "Medienfreiheiten" führen. Festzuhalten ist demnach, daß es für eine Steigerung der Effizienz des Gegendarstellungsanspruchs ausreicht, aber auch unbedingt erforderlich ist, daß sich der Gesetzgeber zu einem Verbot des "Redaktionsschwanzes" entschließt. Die Ausweitung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen kann demgegenüber aus den vorgenannten Gründen nicht befürwortet werden.
6. Hilf s anspräche Um dem von einer rufschädigenden Äußerung Betroffenen bei der Durchsetzung der zuvor skizzierten zivilrechtlichen Instrumentarien zu unterstützen sind von der Judikatur Hilfsansprüche entwickelt worden. Hierbei handelt es sich in erster Linie um den Anspruch auf Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen sowie um den Auskunftsanspruch.
a) Der Anspruch auf Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen Die Befugnis zur Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen ist de lege lata für bestimmte Bereiche spezialgesetzlich geregelt (vgl. § 23 UWG, 176
Vgl. zur Schmähkritik sowie die Kritik hieran in Teil 1, Pkt. Β., I., 1., ee).
. Der
rechtliche Ehrenschutz
183
§ 103 UrhG) und von der Judikatur, trotz teilweise geharnischter Kritik seitens des Schrifttums, 177 auch für die Veröffentlichung des zivilrechtlichen Widerrufsurteils seit langem anerkannt. 178 In dem zuletzt genannten Fall ging es jedoch primär um die Feststellung der Art und Weise, in der die geschuldete Widerrufserklärung erfolgen sollte. War schon die Befugnis zur Veröffentlichung der Verurteilung zu einem Widerruf Anlaß zu kontroversen Publikationen, 180 so ist die Relevanz dieser Thematik noch größer, seitdem nach der neueren Rechtsprechung auch die Veröffentlichung eines erstrittenen Unterlassungsurteils möglich sein soll. 181 aa) Veröffentlichungsbefugnis
bei Verurteilung
zum Widerruf
(1) Bestehen der grundsätzlichen Möglichkeit Gegen die von der Judikatur für zulässig befundene Veröffentlichungsbefugnis bei der Verurteilung zum Widerruf wird eingewendet, daß es nicht nur auf den Widerruf der ehrenrührigen Behauptung als solcher ankommen könne, sondern insbesondere darauf, daß derjenige, der diese Behauptung aufgestellt oder verbreitet hat, diese aus dem Meinungsbildungsprozeß eliminiert. Insoweit stelle sich die Befugnis zur Veröffentlichung des Widerrufsurteils als untaugliches und damit abzulehnendes Instrumentarium dar. 1 8 2 Dieser Kritik ist insoweit beizutreten, als es sicherlich für den Verletzten weitaus effektiver sein dürfte, wenn der Injuriant selbst für die Eliminierung seiner rufschädigenden Äußerung sorgt. 183 Nur, wenn er dies nicht bzw. nicht rechtzeitig macht, darf es dem Verletzten nicht verwehrt sein, wenigstens die Verpflichtung des Verletzers zum Widerruf zu seiner Rehabilitierung selbst bekannt zu machen. Demnach läßt sich dieser Gesichtspunkt nicht überzeugend gegen eine Veröffentlichungsbefugnis fruchtbar machen. Schwerer wiegen denn auch die dogmatischen Bedenken Schwerdtners. So weist er mit Recht darauf hin, daß sich die Vollstreckung im Falle des Widerrufs nach der herrschenden Lehre und der Judikatur nach § 888 ZPO richtet. 184 Da sich hieraus die Unvertretbarkeit des Widerrufs ergibt, dürfe dieser Gesichtspunkt bei der Frage nach der Zulässigkeit der Urteilsveröffentlichung 177 Siehe MünchKomm-Schwerdtner, Ritter, S.170 - 172.
§ 12, Rn 338; ders., Das Persönlichkeitsrecht, S.320 u. S.321;
178
Vgl. OLG Freiburg, JZ 1951, S.751 u. S.752; BGH, NJW 1984, S.l 103.
179
Vgl. BGHZ 99, 133 (137) = NJW 1987, S.1400.
180
SiehQ MünchKomm-Schwerdtner, Ritter, S.170- 172.
§ 12, Rn 338; ders., Das Persönlichkeitsrecht, S.320 u. S.321;
181
BGHZ 99, 133 (139 u. 140) = NJW 1987, S.1400 u. S.1401.
182
Siehe insoweit MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 338; ders., Das Persönlichkeitsrecht, S.321.
183
Handelt es sich beispielsweise bei dem Äußernden um eine Person, die allgemein oder bezüglich des relevanten Sachgebiets ein besonders hohes Ansehen genießt, so hat der Verletzte ein großes Interesse daran, daß der Widerruf gerade von dieser Person selbst vorgenommen wird. 184
Vgl. zur Vollstreckung des Widerrufsanspruchs nachfolgend unter Pkt. II.. 1., a).
184
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
nicht "vergessen" werden. 185 Dies ist aber nach Ansicht Schwerdtners der Fall, so daß die Befugnis zur Urteilsveröffentlichung einer vorweggenommenen Vollstreckung gleichkomme und aus diesem Grunde abzulehnen sei. 186 Schwerdtner übersieht jedoch, daß im Falle der Veröffentlichungsbefugnis eines WiderrufsHrtei/s keinesfalls eine unvertretbare Handlung de facto doch von einem anderen als dem Schuldner vorgenommen wird. Denn die Veröffentlichung des WiderrufsMrtei/s ist rechtlich und qualitativ (wie er selbst konstatiert! 187 ) etwas ganz anderes als die Veröffentlichung des Widerrufs selbst, also durch den Injurianten. Daß die Veröffentlichung des Widerrufs für den Verletzten wesentlich effektiver ist, liegt auf der Hand und wird auch von Schwerdtner so gesehen. Dann aber ist es nicht nachvollziehbar, warum er die Veröffentlichung des Widerrufs mit der Veröffentlichung des Widerrufsurteils, also (nur) mit der gerichtlich festgestellten Verpflichtung zur Abgabe einer Widerrufserklärung gleichsetzt und damit die Unzulässigkeit einer derartigen Veröffentlichungsbefugnis zu begründen versucht. Übersehen wird bei der Frage nach der Zulässigkeit der Veröffentlichungsbefugnis noch ein weiterer, m.E. entscheidener Punkt: Urteile sind gemäß § 5 Abs. 1 UrhG nicht urheberrechtlich geschützt. Damit besteht aber ohnehin in gewissen Grenzen ("in den Grenzen der Lauterkeit" 188 ) die Möglichkeit der Veröffentlichung des Urteils. Demnach lassen sich schon aus diesem Grund die Bedenken gegen die Befugnis zur Veröffentlichung eines Widerrufsurteils nicht aufrechterhalten. (2) Veröffentlichung auch auf Kosten des Injurianten Eine ganz andere Frage ist, ob es zulässig sein kann, die Veröffentlichung des Widerrufsurteils auf Kosten des Injurianten vornehmen zu lassen. Hierfür könnte zunächst sprechen, daß es schließlich der Injuriant war, der durch seine Äußerung eine derartige Veröffentlichung erforderlich machte. Demgegenüber verweist Ritter darauf, daß der Verletzer vielleicht doch aufgrund des gegen ihn ergangenen Urteils "freiwillig" und rechtzeitig widerrufen will, so daß er durch den geschuldeten Widerruf die Erlöschungswirkung des § 362 BGB herbeiführen können muß. Dann aber könne es nicht angehen, daß noch ein zweiter Anspruch (auf Erstattung der Veröffentlichungskosten) gegen ihn gerichtet ist. 1 8 9 Darauf repliziert Schwerdtner, daß "der freiwillige Widerruf die Veröffentlichungskosten nicht erspart, da der Widerruf... vor einer ebenso dimensionierten
185
Schwerdiner,
186
MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 338; ders., Das Persönlichkeitsrecht, S.321.
187
MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 338; ders., Das Persönlichkeitsrecht S.321.
188
Seydel, S.650; ähnlich Burhenne. S.85: "berechtigte Privatinteressen": ebenso BGH, GRUR 1956,
S.563. 189
Ritter, S.171.
Das Persönlichkeitsrecht, S.321.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
185
Öffentlichkeit wie bei der Aufstellung der Behauptung erfolgen muß". 1 9 0 Schwerdtner verkennt jedoch, daß, wenn es zu einem "freiwilligen Widerruf' vor einer ebenso dimensionierten Öffentlichkeit mit entsprechender Kostenfolge gekommen ist, die Kosten für die Veröffentlichung des Widerrufsurteils dann dem Injurianten zusätzlich aufgebürdet würden. Diese zusätzlichen Kosten, und nur darum geht es, könnten sehr wohl im Interesse des Verletzers vermieden werden, womit die Bedenken Ritters so abwegig nicht sind. Hinzu kommt, und dies ist der kardinale Gesichtspunkt, daß es jedenfalls an einer einschlägigen Anspruchsgrundlage für eine Veröffentlichung auf Kosten des Injurianten fehlt: § 893 ZPO scheidet als Anspruchsgrundlage aus, denn diese Vorschrift stellt nur klar, daß die Vollstreckungsmöglichkeiten gemäß den §§ 883 - 892 ZPO einen bestehenden materiellrechtlichen Anspruch unberührt lassen.191 Gleiches gilt für einen Anspruch aus den §§ 200, 165 StGB, 23 Abs.l und Abs.2 UWG i.V.m. § 103 UrhG. Denn Voraussetzung für einen derartigen Anspruch ist die Verhängung einer Strafe. Dies ist im Zivilverfahren aber nicht möglich! Auch die Zuerkennung der Veröffentlichungsbefugnis als eine Nebenstrafe scheidet mit Rücksicht auf Art. 103 Abs.2 GG aus. Diese Bedenken bestehen zwar nicht im Hinblick auf § 23 UWG, § 103 UrhG, da hier die Veröffentlichung des zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs geregelt ist, doch geben diese Normen eben keinen Anspruch auf Veröffentlichung eines Widerrufsanspruchs. Schließlich scheidet auch eine analoge Anwendung dieser Normen aus, weil es an einer hinreichend großen Ähnlichkeit der Tatbestände fehlt. Einzig in dem Fall, in dem der Injuriant seiner Verpflichtung aus dem stattgebenden Widerrufsurteil nicht nachkommt, ist es vertretbar, auf seine Kosten ein Widerrufsurteil veröffentlichen zu lassen. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich in §§ 283 BGB, 255 ZPO. Hiernach kann der Verletzte von dem Injurianten schon im Urteil eine Frist setzen lassen und nach fruchtlosem Fristablauf Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Einer der Schadensposten ist dann in den Aufwendungen zu sehen, die entstanden sind, um (wenigstens) die Verpflichtung des Injurianten zum Widerruf zu seiner Rehabilitierung bekannt zu machen. 192 Festzuhalten bleibt demnach, daß von der Judikatur zu Recht der Anspruch auf Veröffentlichung des Widerrufsurteils eingeräumt wird. Eine Kostentragungspflicht des Injurianten kann jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO begründet werden.
190
Schwerdtner,
191
B/L/A/H-Hartmann,
192
Ebenso Ritter, S.l 72.
Das Persönlichkeitsrecht, S.321. § 893, Rn 1.
186
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
bb) Veröffentlichungsbefugnis bei Verurteilung einer Unterlassungserklärung
zur Abgabe
(1) Bestehen der grundsätzlichen Möglichkeit Auch hier ist zunächst festzuhalten, daß es dem Verletzten aufgrund der Regelung des § 5 UrhG nicht verwehrt sein kann, die Verurteilung zu einer Unterlassung selbst zu veröffentlichen. Die Frage die sich hier wiederum stellt ist die, ob er die Veröffentlichung des Unterlassungsurteils auf Kosten des Injurianten vornehmen kann bzw. ob dieser verpflichtet werden kann, die Unterlassungserklärung zu veröffentlichen. Für den wettbewerbsrechtlichen Bereich ist in § 23 Abs.2 UWG ausdrücklich bestimmt, daß dem Verletzten die Befugnis zugesprochen werden kann, auf Kosten des Injurianten den verfügenden Teil eines Unterlassungsanspruchs zu veröffentlichen. 193 Darüber hinaus ist von der Judikatur anerkannt, daß auch in den Fällen, die nicht unmittelbar unter das UWG fallen (wie Verstöße gegen § 24 WZG), eine Veröffentlichungsbefugnis statthaft ist. 1 9 4 Die Rechtsgrundlage hierfür wird in § 1004 BGB analog, oder in dem Fall, wo der Verletzer rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. in §§ 823, 249 Satz 1 BGB gesehen. Ob diese für das Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze auch auf den "außerwettbewerblichen" Bereich des zivilrechtlichen Ehrenschutzes Anwendung finden können, ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung lange Zeit nicht entschieden worden. 195 Erstmals in seiner Entscheidung vom 25.11.1986 sprach sich der Bundesgerichtshof 496 deutlich dafür aus, daß dem Verletzten die Befugnis zuerkannt werden kann, ein erstrittenes Unterlassungsurteil (oder eine dieses ersetzende vorprozessual abgegebene Unterlassungserklärung) veröffentlichen zu lassen. 197 Gegen die Zulässigkeit eines derartigen Rechtsbehelfs könnte eingewandt werden, daß die ratio dieses Rechtsbehelfs sich weitgehend mit derjenigen des öffentlichen Widerrufs decke 198 und damit die Gefahr bestünde, daß die hierfür geltenden Beschränkungen (Erweislichkeit der Unwahrheit der Behauptung) umgangen und somit auf anderem Wege ein dem Widerruf vergleichbares Ergebnis erzielt werden könne. 199 Solchen Bedenken ist der Bundesgerichtshof
193
BGHZ 99, 133 (136) = NJW 1987, S.1400; BGHZ 14, 163 (172).
194
BGHZ 99, 133 (136) = NJW 1987, S.1400; BGH, GRUR 1956, S.563.
195
Allerdings hat der BGH bereits in einem Urteil vom 01.12.1965, GRUR 1966, S.274 ausgeführt, daß die Befugnis zur Veröffentlichung eines ausgesprochenen Unterlassungsgebots in gleicher Weise wie ein Widerruf geeignet sei, fortwirkende schädliche Äußerungen für den Verletzten zu beseitigen und seinen Ruf wiederherzustellen. 196
BGHZ 99, 133 (139) = NJW 1987, S.1401.
197
Siehe jedoch schon ein Jahr vorher OLG Köln, AfP 1985, S.225 u. S.226.
198
Wasserburg,
199
S.289.
Vgl. hierzu OLG Köln, AfP 1985, S.225; RGRK-Steffen, § 824, Rn 58 der ausführt: "...mit der Veröffentlichung dürfe nicht die Beschränkung unterlaufen werden, die für die Durchsetzung eines Widerrufsanspruchs bestehe".
. Der
rechtliche Ehrenschutz
187
zunächst mit der zutreffenden Feststellung entgegengetreten, der öffentliche Widerruf könne, abgesehen von den sonstigen Voraussetzungen, nur verlangt werden, "wenn und soweit er unter Abwägung der beiderseitigen Belange, vor allem der Schwere des Vorwurfs, zur Beseitigung der Beeinträchtigung erforderlich und dem Verletzer zumutbar ist", und daß diese Schranken nicht unterlaufen werden dürften. 200 Damit machte der Bundesgerichtshof zunächst deutlich, daß nicht daran gedacht werden könne, für die Verpflichtung der Veröffentlichung einer Unterlassungserklärung geringere Voraussetzungen als für den - in der Wirkung vergleichbaren - öffentlichen Widerruf aufzustellen. Ferner verwies er auf die bestehenden Unterschiede zwischen dem öffentlichen Widerruf und der öffentlichen Bekanntmachung einer Unterlassungserklärung. So führte er aus, "daß sich für den juristisch nicht vorgebildeten unbefangenen Durchschnittsleser der Veröffentlichung, auf dessen Verständnis abzustellen ist, die Erklärung, eine rufschädigende Behauptung nicht mehr wiederholen zu wollen, in ihrem sachlichen Gehalt hinreichend deutlich von einem Widerruf unterscheidet..., und bei einem solchen verlangt die öffentliche Bekanntmachung der Unterlassungserklärung dem Beklagten nicht den Widrruf einer Aussage über Tatsächliches ab, die ihm u.a. deshalb nicht zugemutet werden kann, weil seine Aussage wahr sein könnte". Schließlich verweist er darauf, daß die Schwelle, ab der eine Äußerung rechtswidrig und deshalb zu verbieten ist, bei einem Werturteil ohnehin sehr hoch und erst bei der diffamierenden Schmähkritik überschritten ist. 2 0 1 Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen. Das Gericht stellt damit dem auf die Abwehr unwahrer Tatsachenbehauptungen beschränkten Widerrufsanspruch 202 einen innovativen, auch bei unzulässigen Werturteilen eingreifenden Beseitigungsanspruch zur Seite und macht damit endlich mit seiner bereits vor längerer Zeit getroffenen Feststellung ernst, "daß ein wirksamer Ehrenschutz auf breit gefacherte und elastische Möglichkeiten der Abwehr und Folgenbeseitigung angewiesen i s t " . 2 0 3 7 2 0 4 Folglich bestehen keine Bedenken dagegen, den Injurianten verpflichten zu können, ein erstrittenes Unterlassungsurteil zu veröffentlichen, wenn erstens die unzulässige Äußerung öffentlich erfolgt ist (beispielsweise in einem Presseorgan), und zweitens die Publikation zur Beseitigung der noch andauernden Folgen der Äußerung für das Ansehen des Verletzten erforderlich ist. Nichts anderes kann dann gelten, wenn sich der Injuriant vorprozessual unterworfen und "freiwillig" eine Unterlassungserklärung abgege-
200
BGHZ 99, 133 (138) = NJW 1987, S.1401.
201
BGHZ 99, 133 (139) = NJW 1987, S.1401.
202
Vgl. Pkt. I., 1., a), b), aa).
203
BGHZ 68, 331 (339).
204
Ähnlich Mackeprang, S.60; ebenso Reichold, S.1402.
188
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
ben hat. Anderenfalls hätte er die unbillige Möglichkeit sich einer an sich gegebenen Veröffentlichungsbefugnis zu entziehen. 205 (2) Veröffentlichung auch auf Kosten des Injurianten Eine in diesem Zusammenhang noch zu klärende Frage ist die, ob die Unterlassungserklärung (oder ersatzweise eine vorprozessual abgegebene Unterlassungserklärung) gegebenenfalls auch von dem Verletzten selbst und auf Kosten (!) des Injurianten veröffentlicht werden kann. Für einen solchen Anspruch auf Ersatz der Veröffentlichungskosten geben die § 893 ZPO bzw. §§ 200, 165 StGB i.V.m. §§23 Abs.l UWG. 103 UrhG aus den genannten Gründen nichts her. 2 0 6 Anders sieht es hingegen für einen unmittelbar auf die Vorschriften der §§ 23 Abs.l UWG, 103 UrhG gestützten Anspruch auf Erstattung der Kosten aus. Denn hier wird für den dort einschlägigen Regelungsbereich ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Veröffentlichung eines zivilrechtlichen UnterlassungsuriQÜs ausdrücklich eingeräumt. Insoweit ließe sich aufgrund der Vergleichbarkeit der Tatbestände hier eine analoge Anwendung für den außerwettbewerbsrechtlichen Bereich begründen. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß eine analoge Anwendung von Rechtsnormen stets eine Regelungslücke voraussetzt. 207 Diese läßt sich jedoch aufgrund der Existenz der §§ 283 BGB, 255 ZPO schwerlich begründen. Von daher erscheint es sachgerechter, dem Verletzten nur dann einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für eine selbst vorgenommene Urteilsveröffentlichung zu geben, wenn die Voraussetzungen dieser Normen vorliegen. 208 Festzuhalten bleibt demnach, daß dem Verletzten die Befugnis zur Veröffentlichung eines Widerrufs- oder Unterlassungsurteils grundsätzlich einzuräumen ist. Ein Anspruch auf Ersatz dieser Kosten kann jedoch für den "außerwettbewerbsrechtlichen" Bereich nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO eingeräumt werden. Hinzu kommt, daß der Verletzte im Falle einer stattgegebenen Unterlassungsklage (oder einer diese ersetzende vorprozessual abgegebenen Unterlassungserklärung) die Veröffentlichung von dem Injurianten verlangen kann, wenn die unzulässige Äußerung öffentlich erfolgt und die Veröffentlichung zur Beseitigung der noch andauernden Folgen der Äußerung für das Ansehen des Verletzten erforderlich ist.
205 Ebenso OLG Düsseldorf, NJW 1986, S.1263; Wasserburg, Bildberichterstattung, Rn 8.304 m.w.N. 206
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. (aa).
207
Vgl. statt vieler Lorenz, AT, § 4 II.
208
Vgl. hierzu unter Pkt. aa), (2).
S.289; Wenzel, Recht der Wort- und
. Der
rechtliche Ehrenschutz
189
b) Der Auskunftsanspruch Der Auskunftsanspruch ist von der Praxis entwickelt worden um dem Betroffenen die zur Wahrung seiner Rechte erforderlichen Tatsachenkenntnisse zu verschaffen. Der Anspruch auf Auskunfterteilung erhält damit in zweifacher Weise Relevanz. Zum einen in bezug auf den Inhalt einer streitigen Äußerung, zum anderen bezüglich ihrer Verbreitung. aa) Auskunft über den Inhalt einer Äußerung Die Kenntnis des Inhalts einer Äußerung ist für den Betroffenen dann relevant, wenn er die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen beabsichtigt. Dabei handelt es sich meist um Äußerungen, die gedruckt vorliegen und damit dem Betroffenen frei zugänglich sind, so daß es eines Auskunftsanspruchs nicht bedarf. Denkbar sind jedoch auch Fälle, in denen die streitgegenständlichen Äußerungen nur mündlich aufgestellt sind und durch Rundfunk und/oder Fernsehen verbreitet werden. Um hier nicht auf Auskünfte vom "Hörensagen" angewiesen zu sein, besteht für einen derartigen Auskunftsanspruch ein echtes Bedürfnis. Dieses kann jedoch nur dann zum Ziel führen, wenn die Darstellung in irgendeiner perpetuierten Form vorliegt. Denn wie soll jemand gezwungen werden, verbindliche Auskünfte zu erteilen, wenn dieser lapidar aber unwiderlegbar erklärt, er könne sich nicht erinnern? Insoweit ist bei fehlender Perpetuierung der Auskunftsanspruch unanwendbar. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Darstellung ihren Niederschlag in Form eines Manuskripts, Tonträgers oder ähnlichem gefunden hat. In diesem Fall kann der Auskunftsanspruch real weiterhelfen. Als Anspruchsgrundlage kommen hier die §§ 809, 810 BGB analog in Betracht. Gemäß § 809 BGB kann derjenige, der sich darüber Gewißheit verschaffen will, ob er gegen den Besitzer einer Sache in Ansehung der Sache, d.h. in irgendeiner rechtlichen Beziehung zu dieser steht, 209 verlangen, daß der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung aushändigt oder die Besichtigung gestattet, wenn er ein Interesse daran nachweisen kann. Nach § 810 BGB kann dies speziell auch für Urkunden verlangt werden. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Sachlage erscheint es gerechtfertigt, diese Bestimmungen analog auf die Fälle anzuwenden, in denen sich der Betroffene Gewißheit darüber verschaffen will, welchen Wortlaut eine ihn möglicherweise beeinträchtigende Darstellung hat. Dies sieht der Bundesgerichtshof wohl ähnlich. Er geht zwar nicht expressis
209
Palandt-Thomas,
§ 809, Rn 1.
190
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
verbis von der Analogiefähigkeit dieser Normen aus, 210 plädiert aber dafür, die Vorschrift des § 810 BGB "weit" auszulegen.211 bb) Auskunft über die Verbreitung
einer Äußerung
Neben dem Interesse an dem Inhalt einer Äußerung kann es für den Betroffenen auch von Bedeutung sein zu wissen, auf welche Weise eine Äußerung verbreitet worden ist. Aus diesem Grund ist seit langem anerkannt, daß der Betroffene einen Auskunftsanspruch als unselbständiges Hilfsmittel zur Beseitigung der durch eine unerlaubte Handlung verursachten Nachteile hat. Voraussetzung hierfür ist, daß der Verletzte zum Schutze seiner Ehre auf die Auskunft angewiesen ist und der Äußernde sie unschwer erteilen kann. 2 1 2 Besondere Relevanz hat ein solcher Anspruch dann, wenn es sich um Äußerungen handelt, die nur verbal oder durch Rundschreiben, Postwurfsendungen u.ä. verbreitet wurden. In derartigen Fällen erscheint der Auskunftsanspruch als ein berechtigtes, den Hauptanspruch unterstützendes Instrument.
IL Möglichkeiten der zivilprozessualen Durchsetzung des Ehrenschutzes 1. Die Durchsetzung des Widerrufsanspruchs a) Die Vollstreckung des Widerrufs Die Vollstreckung des Widerrufs ist bis heute heftig umstritten. Die herrschende Meinung im Schrifttum 213 und die überwiegende Rechtsprechung 2147215 wenden für die Vollstreckung des Widerrufsanspruchs § 888 ZPO an. Hiernach wird der Widerrufsanspruch notfalls durch Zwangsgeld oder Zwangshaft durch210
So aber Palandt-Thomas,
211
BGH, BB 1966, S.99; ähnlich auch Daniels, S.348 m.vv.N. im Zusammenhang mit Krankenunter-
§ 810, Rn 1.
lagen. 212
BGHZ 10, 385 (387); BGH, NJW 1962, S.731; BGH, GRUR 1970, S.257.
213
MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rn 343; ders.. Das Persönlichkeitsrecht, S.334; Leipold, ΖΖΡ 84, S. 161, Fn 45; ders., JZ 1974, S.64; Ritter, ZZP 84, S.178; Schnur, S.228; B/L/A/H-Hartmann, §888, Rn 6 u. §887, Rn 40; Zöller-Stöhe, § 888, Rn 3; Brox/Walker, ZPO, Rn 1077; MünchKommZPO-Schilken, § 888, Rn 5; Schuschke, § 888, Rn 2; Thomas/Putzo, § 894, Anm. 2 b; Johannes, S.317u. S.318. 214
BGHZ 37, 187 (190); 68, 331 (336); BGH, NJW 1961, S. 1914; OLG Zweibrücken, NJW 1991,
S.304. 213 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Frage der Vollstreckbarkeit des Widerrufs noch nicht dezidiert geäußert. Lediglich in BVerfGE 28, 1 (8 ff) wird vorsichtig angedeutet, daß die Vollstreckung gemäß § 888 ZPO wohl verfassungskonform sei.
. Der
rechtliche Ehrenschutz
191
gesetzt. Gerade dies sei jedoch nach einer Ansicht abzulehnen, da diese Art der Vollstreckung des Widerrufs im Hinblick auf die persönlichkeitsrechtlichen Belange des Verletzers, vor allem aber wegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs.l GG, verfassungsrechtlich bedenklich sei. 216 Vorzugswürdig sei daher eine Vollstreckung analog § 894 ZPO. 2 1 7 7 2 1 8 Die analoge Anwendung des § 894 ZPO führe zu einer Versachlichung des Rechts und befreie "den zivilrechtlichen Ehrenschutz von Sanktionen, die strafähnliche Anklänge aufweisen und im Zivilrecht keinen Platz finden sollten". 219 Gegen eine Vollstreckung des Widerrufsanspruchs analog § 894 ZPO bestehen jedoch schwerwiegende Bedenken: Nach § 894 ZPO gilt für den Fall, daß der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt wurde, die Erklärung als abgegeben, sobald das Urteil Rechtskraft erlangt hat. Gerade dieser Fiktionscharakter hilft aber bei der Verurteilung zum Widerruf nicht weiter. Denn dem Verletzten wird es in erster Linie darum gehen, daß gerade der Verletzer von seiner Behauptung abrückt. Schließlich erhält eine Behauptung nicht selten ihr ehrverletzendes Gewicht gerade dadurch, daß eine bestimmte sachkundige oder allgemein anerkannte Person diese Äußerung aufgestellt hat. Dies macht deutlich, daß dem Verletzten allein durch die Fiktion der Widerrufserklärung wenig geholfen ist. Er hat vielmehr Anspruch auf eine tatsächliche Erklärung des Schuldners, die er bei dessen Renitenz nur über § 888 ZPO erreichen kann. Die Definiton des Widerrufs als das Abrücken einer Person von ihrer vormals aufgestellten Behauptung 220 läßt sich daher mit der Vollstreckung analog § 894 ZPO nicht verwirklichen. Hinzu kommt, daß sich bis heute nirgends ein Nachweis für eine Gesetzeslücke, als Voraussetzung einer jeden analogen Anwendung, 221 findet. Einer Vollstreckung analog § 894 ZPO kann daher schon aus diesen Gründen nicht gefolgt werden. Zumal auch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Anwendung des § 888 ZPO nicht nachvollziehbar sind: Zunächst ist festzuhalten, daß ein Wesensmerkmal jeder Vollstreckung die Einschränkung persönlicher (auch grundrechtlicher) Freiheiten ist. Derartige Eingriffe finden sich bei allen Formen der Personalvollstreckung wieder (vgl. §§ 901, 918, 933 ZPO), ohne daß diese Bestimmungen als verfassungswidrig klassifiziert würden. In einer Zwangsvollstreckungsordnung, die für einen 216
Brandner, S.696.
217
Die analoge Anwendung des § 894 I ZPO folgt daraus, daß diese Norm in ihrem originären Anwendungsbereich nur für Willenserklärungen gilt. Dies ist der Widerruf des Angreifers - entgegen Wallraf, S.359 - nicht. Denn er ist gerade nicht auf die Begründung von Rechtswirkungen gerichtet, sondern zielt nur darauf ab, die tatsächliche Fortwirkung einer verletzenden Behauptung zu beseitigen. 218
Rötelmann, NJW 1971, S.1639; Brandner, S.696; Weitnauer, DB 1976, S.1416, Fn 88; Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, S.36; ders., NJW 1963, S.133; ebenso OLG Frankfurt, JZ 1974, S.63; OLG Frankfurt, NJW 1982, S. 113. 219
OLG Frankfurt, JZ 1974, S.63.
220
Freilich ohne Stellungnahme zum Inhalt; vgl. die Ausführungen unter Pkt. C., I., 1., b), cc).
221
Vgl. statt vieler Larenz, AT, § 4, II.
192
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Schuldner vermögensrechtlicher Ansprüche sogar noch Haft (!) vorsieht, kann in der Erzwingung der Verpflichtung zum Widerruf qua Beugestrafe i.S.d. § 888 ZPO wohl nicht ernsthaft ein Verstoß gegen Art. 1 Abs.l GG und Art. 2 Abs.2 GG gesehen werden! Im übrigen ist mit Ritter 2 2 2 darauf hinzuweisen, daß die "Würde dessen, der die verletzende Behauptung aufgestellt hat..., nicht schutzwürdiger als die des Angegriffenen (ist)". Wenn der Verletzer von seinem Gewissen nicht gehindert wurde, die in Rede stehende ehrenrührige und unbeweisbare Behauptung aufzustellen, ist die durch die Verurteilung zum Widerruf entstehende Gewissensnot nicht schutzwürdig. 223 Dies muß vor allem dann gelten, wenn man, wie die Judikatur und das herrschende Schrifttum, im Widerruf nur ein schlichtes "Sich-Distanzieren", ohne Stellungnahme zum Inhalt der fraglichen Äußerung sieht. 224 Nach alledem lassen sich die Bedenken gegen eine Anwendung des § 888 ZPO m.E. nicht aufrechterhalten. Aus den angeführten Gründen erscheint auch eine Vollstreckung analog § 887 ZPO - wie zum Teil vertreten 225 - als wenig sachgerecht. Zwar muß es möglich sein, daß der Verletzte das erstrittene Widerrufsurteil veröffentlichen kann, doch bringt diese (Dritt-) Veröffentlichungsbefugnis, wie ausgeführt, 226 kommunikationspsychologisch wenig. Insofern verbleibt einzig der Weg über § 888 ZPO als eine adäquate zivilprozessuale Möglichkeit der Durchsetzung des Widerrufsanspruchs. Fraglich bleibt schließlich, ob auch aus einem nicht rechtskräftigen, aber für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil auf dem Weg über § 888 ZPO vorgegangen werden kann. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich von selbst, wenn man die Rechtsfolge fokussiert: Bejaht man die Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen, aber für vorläufig vollstreckbar erklärten Widerrufsurteil, so hat dies möglicherweise die Konsequenz, daß der Verletzer entgegen der wahren - dem nachfolgenden Urteil des Rechtsmittelgerichts zugrundegelegten - Sachlage, die aufgestellte Behauptung widerruft, nur um weitere Beugestrafen zu vermeiden. Die sonst mögliche Kompensation des Schadens durch die zu Unrecht erfolgte Vollstreckung gemäß §717 Abs.2 ZPO ist im Falle des Widerrufs nicht möglich, da der durch den Widerruf entstandene immaterielle Schaden "seiner Natur nach" einem späteren Ausgleich nicht zugänglich ist. Die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt aber gerade auf dem Gedanken, daß durch die Folgen der vorläufigen Vollstreckbarkeit, bei nachträglicher Aufhebung oder Abänderung des Verdikts, reparabel sind. Da dies bei einem Widerrufsurteil aber, wie gezeigt, gerade nicht der Fall ist, schei112
Ritter,
223
ΖΖΡ 84, S.l75.
Johannes, S.318.
224
Vgl. hierzu die Ausführungen unter Pkt. C., I., 1., b), cc).
225
Boehmer, Erstes Buch, S.81 u. S.82.
226
Vgl. Pkt. C., 6., a), aa), (1).
. Der
rechtliche Ehrenschutz
193
det eine Vollstreckung aus einem nicht rechtskräftigen, aber für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil denknotwendig aus.
b) Der Widerruf und die einstweilige Verfügung In engem Kontext zu der Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Widerrufsurteils steht das Problem der Durchsetzung des Widerrufsanspruchs im Wege der einstweiligen Verfügung. Eine Ansicht 227 beurteilt diese Frage auf der Grundlage der Differenzierung des Widerrufsanspruchs in einen eingeschränkten und einen uneingeschränkten Widerruf. 228 Hiernach sei eine einstweilige Verfügung im Bereich des Widerrufsanspruchs dann denkbar, wenn es sich um einen eingeschränkten Widerruf handele. In diesem Fall werde schließlich nicht die Behauptung als (inhaltlich) unrichtig qualifiziert, sondern lediglich erklärt, die beanstandete Behauptung könne nicht aufrecht erhalten werden. Daraus folge, daß der Überzeugungsprozeß hinsichtlich des Wahrheitsgehalts einer Tatsachenbehauptung noch nicht abgeschlossen sei. Ergo werde kein endgültiges Ergebnis erklärt (richtig oder falsch), sondern lediglich der Stand des procedere beschrieben. Dies rechtfertige, "daß das Verlangen eines vorläufigen eingeschränkten Widerrufs im Verfahren der einstweiligen Verfügung zulässig (sei)". 229 In praxi bedeute das, daß eine Tenorierung des Inhalts zu erfolgen habe, eine Behauptung sei "vorläufig" oder "zur Zeit" nicht aufrechtzuerhalten. So wünschenswert es ist, dem Betroffenen einer ehrverletzenden Behauptung schnellen (einstweiligen) Rechtsschutz zu gewähren, so bedenklich ist es m.E., eine einstweilige Verfügung im Rahmen eines Widerrufsverlangens zuzulassen: Einstweilige Verfügungen sind gemäß § 940 ZPO zur Regelung eines einstweiligen Zustandes möglich, sofern diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Mit einem - und sei es nur als vorläufig gekennzeichneten - Widerrufsbegehren wird aber mehr als nur die Regelung eines einstweiligen Zustandes begehrt (und zugesprochen). Es wird nicht, wie beim Unterlassungsanspruch, die - einstweilige - Einstellung rechtswidriger Störungen, sondern die Beseitigung der Nachwirkungen von in der Vergangenheit liegenden Störungen begehrt. Hierdurch aber würde das Ergebnis der Hauptverhandlung unzulässigerweise vorweggenommen. Die Kennzeichnung als "vorläufig" oder "zur Zeit" kann daran nichts ändern. Einen "vorläufigen Widerruf' kann es daher - weil immer zur "unwiderruflichen" Er-
227 Wallraf\ S.359; ebenso OLG Hamburg, AfP 1971, S.36; femer OLG Freiburg, JZ 1951, S.751; OLG Stuttgart, NJW 1962, S.2067; LG Düsseldorf, MDR 1962, S.741. 228
Vgl. zur Zulässigkeit dieser Differenzierung die Ausführungen unter Pkt. C., I., 1., c).
229
Wallraf,
13 Stark
S.359; im Ergebnis ebenso: OLG Hamburg, AfP 1971, S.36.
194
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
fullung des Widerrufsanspruchs und damit zur Vorwegnähme der Hauptsache führend - nicht geben. 2 3 0 / 2 ^
2. Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs Die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs ist vergleichsweise unproblematisch und soll hier nur der guten Ordnung halber erwähnt werden. Er wird gemäß § 890 ZPO vollstreckt und ist auch im Wege der einstweiligen Verfügung (Beschluß- und Urteilsverfügung) durchsetzbar. 232 Erwähnenswert ist allenfalls, daß die Ordungsmittel (Ordnungsgeld oder Haft) 2 3 3 dem Anspruchsgegner gemäß § 890 Abs.2 ZPO zuvor angedroht werden müssen, was meist jedoch schon durch das zusprechende Verdikt erfolgt.
3. Die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs Nach ganz h.M. handelt es sich bei dem Anspruch auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung um eine unvertretbare Handlung, die folglich nach § 888 ZPO zu vollstrecken ist. 2 3 4 Demgemäß ergeht die Verurteilung lediglich dahin, daß der Beklagte die im Tenor angeführte Gegendarstellung in der nächsten - für den Druck noch nicht abgeschlossenen - Nummer in näher bezeichnender Weise bei Androhung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, zu veröffentlichen hat. Zeitgleich mit der Zwangsmittelandrohung kann bei einem entsprechenden Antrag die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs im Eilverfahren erfolgen. Hierfür steht ein besonders ausgestaltetes presserechtliches Schnellverfahren zur Verfügung. 235 Wird die Anordnung, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, durch eine Rechtsmittelentscheidung aufgehoben, so stellt sich die Frage, ob der Antragsteller gemäß § 945 ZPO schadensersatzpflichtig ist: Teilweise wird eine Schadensersatzverpflichtung a priori ausgeschlossen236, teilwei230
MünchKomm-Schwerdtner,
§ 12, Rn 3M,Baur, S.609 u. S.610; OLG Köln, AfP 1981, S.358.
231
Anders, jedoch im Ergebnis gleichfalls gegen die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung im Widerrufsverfahren, Jauernig. Er vertritt die Auffassung, daß ein solcher Widerruf "wenig sinnvoll" sei, de facto eigentlich gar nicht vorläge: "Wer bekennen muß, seine frühere Behauptung im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aufrechtzuerhalten, nimmt die Behauptung nicht zurück.... sondern erklärt... sie im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr aufzustellen, also vorläufig zu unterlassen!" (Jauernig, S.343 u. S.344). 232
Hierzu ausführlich Brox/Walker,
§ 36, Rn 1092 ff; Schuschke, § 890, Rn 1 ff.
233
Strittig - jedoch hier nicht zu problematisieren - ist, ob die Ordnungsmittel "bloße" Beugemittel oder auch (- oder nur -) Strafen sind (vgl. zu dieser Thematik Schuschke, § 890, Rn 7 u. Brox/Walker, Rn 1100 jeweils m.w.N.). 234
OLG München, NJW 1965, S.2162; Seitz/Schmidt/Schoener, Rn 554 u. Rn 601 m.w.N.; Thomas/Putzo, § 888, Anm. 1 a); siehe hierzu auch die Ausführungen unter Pkt. 1., a). 235
MünchKomm-Schwerdtner,
236
Neuschild, S.l77 u. S.178.
§ 12, Rn 372.
. Der
195
rechtliche Ehrenschutz
se wird zwar eine Schadensersatzpflicht aus § 945 ZPO verneint, jedoch die aus §717 Abs.2 ZPO befürwortet. 237 Nach Auffassung der Judikatur ergibt sich hingegen eine Schadensersatzverpflichtung ganz eindeutig aus § 945 ZPO. 2 3 8 Die Auffassung der Judikatur erscheint nicht ganz unbedenklich. Hierdurch könnte der Entschluß eines potentiell Verletzten, eine Gegendarstellung zu verlangen und durchzusetzen, über Gebühr erschwert werden, zumal bei Gegendarstellungsverlangen in Funk und Fernsehen die dort entstehenden Kosten (Verlust von Werbeeinnahmen) leicht in schwindelerregende Höhe geraten können. Daher ist es im Interesse eines umfassenderen Ehrenschutzes sachgerechter, eine Schadensersatzpflicht sowohl aus § 945 ZPO als auch aus § 717 Abs.2 ZPO generell zu versagen. Die wirtschaftlichen Interessen der Medien werden in ausreichendem Maße durch die §§ 823 ff BGB geschützt, die allesamt - und hier im Interesse des potentiell Verletzten - Verschulden voraussetzen.
4. Die Durchsetzung im Wege der Feststellungsklage Gemäß der Erkenntnis, daß der Widerrufsanspruch als zivilrechtliches Instrument zum Schutz der Ehre eine sehr "stumpfe Waffe" 239 ist, ist wiederholt nach dem Vorbild des schweizerischen Rechts gefordert worden, eine Klage auf Feststellung der widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung zuzulassen, sofern die Wirkungen der Tat noch nicht abgeklungen sind, also der Zustand der Ehrverletzung noch andauert. 240 Darüberhinaus sei die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage auch in den Fällen sinnvoll, in denen der Betroffene in seiner Persönlichkeit durch Verbreitung von Tatsachen - oder auf sonstige Weise - in ein falsches Licht gerückt werde, ohne daß sich der Täter diese Äußerungen zu eigen gemacht habe. Diesbezüglich sei eine Rechtsschutzlücke fühlbar, die durch die Zulassung der Feststellungsklage geschlossen werden könne. 241 Auch in der strafrechtlichen Literatur ist der Ruf nach einem Feststellungsurteil zum Schutz der Ehre nie verstummt. 242 Gleichwohl stößt diese Forderung bislang noch bei der überwiegenden Rechtsprechung 243 und einem Teil der Literatur 244 auf Ab237 Wenzel, AfP 1974, S.684; vgl. auch OLG Hamburg, MDR 1972, S.334 u. S.335; ErmanWeitnauer, Anh. zu § 12, Rn 16, a). 238 BGHZ 62, 7 (12 u. 13) = NJW 1974, S.642 u. S.643; vgl. auch BGH, GRUR 1988, S.787; ebenso SeitzlSchmidt/Schoener, Rn 615. 239
So Schwerdtner,
JZ 1990, S.772.
240
Leipold, ZZP 1971, S.150 ff; Stoll, Jura 1979, S.586; Stürner, A.71 - A.72; siehe auch LG Konstanz, NJW 1976, S.2353. 241
Stoll, Jura 1979, S.586.
242
Vgl. ausführlich hierzu: Hirsch, S.182 - 185, Fn 101.
243
BGHZ 22, 43 (47); 68, 331 (332-336); 68, 331 (332-334) = NJW 1977. S.1289 u. S.1290; anders aber LG Konstanz, NJW 1976, S.2353. 244 Stein(Jonas /Schuman /Leipold, § 256 II 1 b; MünchKomm-Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, S.336 ff; ders., JZ 1990, S.772.
§ 12, Rn 339; ders., Das
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Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
lehnung. Begründet wird diese Ablehnung vornehmlich mit dem Hinweis auf den Wortlaut des § 256 ZPO, der eine abschließende Regelung sei und damit Klagen auf Zulassung von Tatsachenfeststellungen ausschließe. Damit sei sowohl eine erweiternde Auslegung der Vorschrift als auch eine analoge Anwendung derselben nicht möglich. Zudem sei eine solche Ausdehnung (oder analoge Anwendung) kaum auf das Gebiet des Ehrenschutzes zu beschränken, was zu Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führe. 245 Diesen prozeßdogmatischen Bedenken läßt sich jedoch entgegensetzen, daß die Bindung an den Wortlaut einer Norm im Prozeßrecht nicht strenger als sonst, d.h. im materiellen Recht, sein darf. 246 Dann aber muß die Weiterentwicklung des Gesetzes durch teleologische Interpretation und Analogie grundsätzlich auch im Bereich des Prozeßrechts möglich sein, 247 wenn die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen. 248 Genau das wird man hier aber annehmen können. Denn das richterliche Urteil über die Unwahrheit einer Behauptung dient, wie die in § 256 ZPO genannten Feststellungen, dem Schutz des subjektiven Rechts und ist im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes ebenso dringend geboten. 249 Hinzu kommt, daß die ratio der Beschränkung auf Feststellungen von Rechtsverhältnissen die ist, die unökonomische Zerstückelung von Prozessen in eine Vielzahl von Tatsachenfeststellungen zu verhindern. 250 Diese Gefahr besteht aber vorliegend nicht; ganz abgesehen davon, daß die Vorschrift des § 256 ZPO für den vom Gesetzgeber als wichtig erachteten Fall der Urkundenechtheit selbst einen Dispens vorsieht. 251 Insoweit dürften die prozeßdogmatischen Bedenken nicht gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage sprechen. Es bleibt dann noch die Frage nach dem Nutzen einer solchen Klage. Der Nutzen eines Instrumentariums kann nur dann treffend bestimmt werden, wenn die Frage nach dem Ziel des Verletzten und des potentiellen Klägers erkennbar ist: Es dürfte dem Kläger vorrangig darum gehen, daß ein unabhängiges Gericht die Unwahrheit einer ehrverletzenden Behauptung bestätigt, damit er sich von dem ihm gegenüber erhobenen Vorwurf distanzieren kann. Dieses Ziel kann er, wie bereits aufgezeigt, 252 mit der Widerrufsklage in der Praxis nur schwer, häufig dagegen gar nicht erreichen. Aus diesem Grunde fragt es sich, ob dieses Ziel 245
BGHZ 68, 331 (334) = NJW 1977, S.l290.
246
Vgl. Stein/Jonas/Fahle,
1Λ1
Leipold, ΖΖΡ 1971, S.160.
Einl. M 3.
248
Vgl. zu den Voraussetzungen der teleologischen Interpretation und Analogie Larenz, AT, § 4.
249
So schon Leipold, ΖΖΡ 1971, S.160.
250
Stürner, A.72.
231
Ähnlich Stürner , A.72; StolL Jura 1979, S.587 hält den Hinweis auf § 256 ZPO schon deswegen für verfehlt, "weil das Prozeßrecht im Dienste des materiellen Recht steht, die angeregte Feststellungsklage aber im materiellen Recht wurzelt". 232
Vgl. Pkt. I., 1., b).
. Der
rechtliche Ehrenschutz
197
nicht durch die Zulassung einer Feststellungsklage besser erreicht werden könnte. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bietet die Zulassung einer Klage auf Feststellung die Möglichkeit, den Ehrenschutz stärker zu versachlichen, da allein der Richter durch sein feststellendes Verdikt die gebotene Distanzierung von den fraglichen Behauptungen vor der Öffentlichkeit vollzieht, nicht dagegen der Beklagte, gegen den das Widerrufsurteil gemäß § 888 ZPO zu vollstrecken ist. Dieser Vorzug sei jedoch gegenüber den bisher von der Judikatur entwickelten Möglichkeiten - auf Unterlassung und Widerruf zu klagen - nicht so durchschlagend, daß deshalb erwogen werden sollte, "den Ehrenschutz durch die Rechtsprechung neu zu gestalten". 253 In diese Richtung tendiert auch Schwerdtner. Er verweist darauf, daß es kommunikationspsychologisch nicht nur von Bedeutung sei, daß die Unwahrheit einer Behauptung festgestellt werde, sondern auch, daß sich gerade der Angreifer von seiner Behauptung distanziere. Dies könne aber auch mit der Feststellungsklage nicht erreicht werden. 254 Der zuletzt genannte Gesichtspunkt sticht aber nur auf den ersten Blick. Denn zweifellos ist es effektiver - "kommunikationspsychologisch sinnvoller" -, wenn der Injuriant sich von der streitgegenständlichen Äußerung selbst distanziert. Nur, das Dilemma ist ja gerade, daß aufgrund der derzeitigen Ausgestaltung des Widerrufsanspruchs dies häufig gar nicht der Fall ist. Von daher erscheint ein Weniger (Feststellung der Unwahrheit durch den Richter) als ein Mehr! Hinzu kommt, daß die Probleme, die regelmäßig bei der Vollstreckung des Widerrufsanspruchs auftreten, 255 sich im Falle der Zulassung einer Feststellungsklage - wie auch Schwerdtner 256 erkennt - erübrigen würden. Gleiches gilt für die Probleme, die im Hinblick auf den Inhalt und die Form des Widerrufsanspruchs bestehen.257 Zudem würde auch die Feststellungsklage früher greifen können. Denn der Widerrufsanspruch ist, wie festgestellt, 258 erst dann zulässig, wenn die Unwahrheit feststeht. Eine gerichtliche Feststellung der Nichterweislichkeit einer Tatsachenbehauptung könnte jedoch ohne Bedenken schon weitaus früher, nämlich bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Unwahrheit, eingreifen und damit dem (potentiell) Verletzten bei der Wiederherstellung seiner Ehre dienlich sein. Schließlich würde auch die demütigende Wirkung des Widerrufs (sofern man diese überhaupt in einem Widerruf erblickt) 259 entfallen.
253
BGHZ 68, 331 (334 u. 335) = NJW 1977, S.1290.
254
MünchKomm-Schwerdtner,
255
Vgl. Pkt. II., 1.
256
Schwerdtner,
257
Vgl. Pkt. I., 1., b), dd), u. ee).
258
Vgl. Pkt. I., 1., b), bb).
259
So aber Stürner, A.71.
§ 12, Rn 339; ders., Das Persönlichkeitsrecht, S.337 u. S.338.
Das Persönlichkeitsrecht, S.336 u. S.337.
198
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Festzuhalten bleibt demnach, daß entgegen der Judikatur und einem Teil des Schrifttums de lege ferenda sehr viel für die Zulässigkeit der Klage auf Feststellung einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung analog § 256 ZPO spricht. Eine baldige Umsetzung in die Rechtswirklichkeit wäre demnach wünschenswert. Dies sollte durch das Recht des Verletzten ergänzt werden, das stattgebende Feststellungsurteil auf Kosten des Injurianten öffentlich oder gegenüber bestimmten Personen bekanntzumachen.
D. Zusammenfassung
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D. Zusammenfassung
Die Untersuchung der einfachgesetzlichen Instrumentarien zum Schutz der persönlichen Ehre läßt erhebliche Defizite in diesem Bereich erkennen. Sie resultieren im strafrechtlichen Bereich vor allem daraus, daß die Ehrenschutzvorschriften als Antrags- und Privatklagedelikte ausgestaltet sind. Abhilfe würde hier eine Modifizierung des § 376 StPO schaffen, wonach die öffentliche Klage bei dem Vorliegen bestimmter Regelbeispiele stets zu erheben ist. Das Zivilrecht zeichnet sich demgegenüber durch ein breitgefächertes Instrumentarium zum Schutz der persönlichen Ehre aus. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich jedoch auch diese in globo als unzureichend. Zu bemängeln ist zuvörderst die von der Judikatur aufgestellte Beweislastverteilung im Bereich des Widerrufsanspruchs. Hier ist als Voraussetzung eines effektiven Ehrenschutzes zu fordern, daß der Äußernde die Umstände, aus denen er seine ehrverletzenden Behauptungen herleitet, tatsächlich ausführlich darlegt und substantiiert. Der aufgeweichten Substantiierungs- und Darlegungspflicht des Bundesverfassungsgerichts ist damit eine deutliche Absage zu erteilen. Zu fordern ist weiterhin, daß der Äußernde die streitbefangene Behauptung im Falle eines stattgebenden Urteils ausdrücklich für unrichtig erklärt. Eine Befugnis zur Veröffentlichung des Widerrufsurteils durch den Betroffenen ist zu bejahen. Die Kostentragungspflicht des Äußernden ist jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO gegeben. Die Vollstreckung des Widerrufs richtet sich nach § 888 ZPO. Eine vorläufige Vollstreckung eines nicht rechtskräftigen, aber für vorläufig vollstreckbar erklärten Widerrufsurteils scheidet aus. Dies gilt ebenfalls für die Durchsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung. Im Bereich des Unterlassungsanspruchs kann es nicht ausreichen, daß sich der Kommunikator zur Abwehr des Anspruchs lediglich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen beruft. Auch hier ist zu fordern, daß er die Umstände, aus welchen er seine ehrverletzenden Äußerungen herleitet, hinreichend substantiiert und darlegt. Eine Verurteilung zur Unterlassung "sinngemäßer" Wiederholungen bestimmter Äußerungen wird vom Bundesverfassungsgericht zulässigerweise dann abgelehnt, wenn es sich bei der in Rede stehenden Aussage um ein Werturteil handelt. Beim Vorliegen (unwahrer) Tatsachenbehauptungen muß hingegen ein Verbot der Wiederholung "sinngemäßer" Äußerungen zulässig sein. Der Äußernde kann zur Veröffentlichung des stattgebenden Urteils verpflichtet werden oder diese gegebenenfalls selbst vornehmen. Eine Kostentragungspflicht des Äußernden ist jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO gegeben. Die Vollstreckung richtet sich nach § 890 ZPO. Die Durchsetzung ist auch im Wege der einstweiligen Verfügung möglich.
200
Teil 2: Die "verfassungskonforme" Auslegung der Ehrenschutzgesetze
Entgegen der bislang geltenden Rechtsprechung können Schmerzensgeldansprüche nicht bereits deshalb abgewiesen werden, weil es der Verletzte versäumt hat, Widerrufs-, Unterlassungs- oder Gegendarstellungsansprüche geltend zu machen. Entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 15.11.19941 kommt es vielmehr auf den Einzelfall an. Ausschlaggebend kann daher nur sein, ob bereits ein Ausgleich bestehenden Unbills stattgefunden hat. Zur Verbesserung dieses Instrumentariums sollte jedoch eine spürbare Erhöhung der Schmerzensgeldsummen erfolgen. Im Bereich des Gegendarstellungsanpruchs ist generell der sog. "Redaktionsschwanz" zu verbieten. Eine Ausdehnung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen kann hingegen nicht befürwortet werden. Die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs erfolgt gemäß § 888 ZPO. Eine Schadensersatzpflicht des Betroffenen gemäß § 945 ZPO ist abzulehnen. Zur Verbesserung des Ehrenschutzes ist die Zulassung einer Feststellungsklage analog § 256 ZPO zu befürworten.
1
BGH, JZ 1995, S.361.
Teil
Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes A. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure" Wie in Teil 1 dieser Arbeit gezeigt, besitzen die Print- und Funkmedien einen überaus großen Einfluß auf die Meinungsbildung des Volkes. Dargelegt wurde auch, daß dieser Einfluß nicht immer zum Vorteil des Individuums, aber auch oder vor allem nicht des Staats- und Verfassungswesens genutzt wird. Auch wenn man die hier aufgezeigten Gefahren 1 für die persönliche Ehre, vor allem aber für das Verfassungsgefüge negiert, dürfte doch insoweit Konsens bestehen, als die Print- und Funkmedien großen Einfluß (und damit auch Macht!) über die Gesellschaft haben.2 Alexander Solschenizyn vertritt gar die Auffassung, daß die Medien in den westlichen Ländern zur größten Macht geworden sind, "mächtiger als die Legislative, die Exekutive und die Jurisdiktion." 3 Diese große Einflußmacht wird in unserem Staat ohne jegliche staatliche Kontrolle ausgeübt, im strikten Gegensatz zu allen anderen Organen unseres "gewaltengeteilten" Staates. Dies ist auch gut so! Wohin eine staatlich kontrollierte Medienmacht führen kann, ist hinlänglich bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Ausführung. 4 Doch bedeutet das, daß damit jeglicher - auch nichtstaatlicher - Kontrolle a priori eine Absage zu erteilen ist? Zu beachten ist dabei, daß es keine Rechtskultur freiheitlicher Prägung gibt, die gegen Macht - und damit auch gegen Medienmacht - nicht
1
Vgl. vor allem die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. B., 4.
2
Dies wurde in der Untersuchung von Kepplinger /Gotto /Brosius/Haak ebenso Ossenbühl, JZ 1995, S.634. 3 4
eindeutig nachgewiesen;
Zit. nach Ossenbühl, JZ 1995, S.634; Stürner, JZ 1994, S.867.
Umso überraschender ist, daß ausgerechnet die Jungsozialisten, die ihrer Tendenz nach eher für weniger denn für mehr Staat sind, vor Jahren eine "Bundesbehörde für die Kontrolle und die Zukunftsentwicklung im Medienbereich... (mit) weitgehenden Eingriffsbefugnissen" forderten (Massenmedien, Material zur Diskussion, hrsg. vom Bundesvorstand der Jungsozialisten S.4. 15 ff; zit. nach Ricker, S.l 14).
202
Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
bestimmte Kontrollmechanismen respektive Gegenkräfte entwickelt hat. 5 Insofern dürfte der Streitgegenstand eigentlich nicht das O b " einer (Selbst-) Kontrolle, sondern nur das "Wie" einer solchen sein. Gleichwohl finden sich zahlreiche Stimmen, nicht nur aus Journalistenkreisen, die sich gegen jegliche Kontrolle aussprechen.6 Denn "jede Kontrolle der Medien (würde 7) ihre Freiheit gefährden, ...unabhängig davon, ob eine Kontrolle von staatlichen Organen oder von Selbstkontrolleinrichtungen ausgeübt wird". 8 Schließlich seien auch "die rechtlichen Barrieren zum Schutze des Persönlichkeitsrechts" ausreichend. 9710 Jedenfalls aber sei "die unterdrückte Nachricht... eine größere Gefahr fur die demokratische Gesellschaft, als eine voreilige, leichtfertige, verletzende oder gar falsche"! 11 Daß dies nicht so ist, wurde bereits im ersten Teil dieser Arbeit hinreichend unter Beweis gestellt. Die falsche, id est unrichtige Nachricht, bringt für "die Gesellschaft" nur (die aufgezeigten) Nachteile. Denn der Meinungsbildungsprozeß wird fehlgeleitet, was mit Gefahren für die persönliche Ehre und das Verfassungsgefüge verbunden ist. Genau deshalb ist die unrichtige Tatsachenäußerung gerade kein schützenswertes Gut i.S.d. Art. 5 Abs.l GG. Zutreffend ist allerdings, und darin haben die Kritiker jedweder "Kontrolle der Kontrolleure" recht, daß jede Kontrolle der Medien die Gefahr des Mißbrauchs in sich trägt. Gleichwohl kann diese Gefahr wohl nicht ernstlich gegen eine - wie auch immer geartete - Kontrolle der Medien fruchtbar gemacht werden. Denn die Möglichkeit eines Mißbrauchs besteht auch bei anderen Kontrollgremien, beispielsweise den berufsständischen Kammern, ja selbst beim Bundesverfassungsgericht; sie läßt sich bei entsprechender Handhabung sogar beim Kochlöffel feststellen. 12 Die latente Mißbrauchsmöglichkeit kann daher nicht gegen eine (Selbst-) Kontrolle der Medien sprechen. Wohl aber sind die Regularien einer derartigen Kontrolle streng zu normieren und restriktiv anzuwenden. Dies wird sicherlich Widerspruch aus Journalistenkreisen provozieren. Doch damit sollte man leben können. Überhaupt fallt auf, daß diejenigen, die selbst Kritik üben, empfindlich reagieren, wenn auch sie einmal Kritik trifft. Kritikfreundlichkeit und Kritikempfindlichkeit stehen sich häufig umgekehrt proportional gegenüber. Wer Kritik an den Kritikern übt, betreibt, wie wir wissen, "Medienschelte".13 Und dies gilt als etwas ganz Schlimmes. Es ist die "respektlose Herausforderung des 5
Ähnlich Stürner , A.16.
6
Schmidt Α., S.91 , Böhme, S.35, S.37u. S.38; Ory, S.289.
7
Einfügung durch den Verfasser.
8
Schmidt M., S.91.
9
Mestmäcker, S.107; Böhme, S.39; Vorsichtiger Stürner, A.18.
10
Kübler jubiliert gar, es gebe "ersichtlich keine Rechtsordnung, die gegen unerwünschte Tatsachenbehauptungen so vielfältigen Schutz bietet wie die unsrige" (JZ 1984, S.546). 11
Böhme, S.39.
12
So die treffende Feststellung von Kriele, ZRP 1990, S.l 12; ders., ZRP 1990, S.292.
n
Vgl. die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., 4.
Α. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure"
203
Inhabers der obersten Kritikgewalt". 14 In diesem Sinne äußerte sich auch einmal Günter Verheugen, der feststellte: "In unserer demokratischen Ordnung ist die Arbeitsteilung so geregelt, daß die Presse die Politik kritisiert und die Politiker diese Kritik als Ausdruck der Pressefreiheit zu loben haben"15 Nimmt sich die Politik heraus einmal über einen effektiveren Persönlichkeitsschutz nachzudenken, so ist schnell von einem "Maulkorb für die Presse" und damit einem "Anschlag auf... (die)., demokratischen Grundfesten" unserer Gesellschaft die Rede.16 Trotz der nicht ganz unverständlichen Kritik aus Journalistenkreisen (wer läßt sich schon gerne Privilegien freiwillig beschneiden?) ist eine mc/rf-staatliche Kontrolle aufgrund der beschriebenen Gefahren für das Recht der persönlichen Ehre, 17 vor allem aber für das Verfassungsgefüge, 18 einzufordern. Manche sehen eine solche bereits existierend. Die Rede ist von den Presse- und Rundfunkräten.
I. Die bestehenden Kontrollinstitutionen und ihre Effizienz 1. Der Deutsche Presserat Der Deutsche Presserat wurde 1956 in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins gegründet und setzt sich aus 20 Mitgliedern zusammen, die je zur Hälfte von den Berufsveibänden der Verleger und den Journalisten benannt werden. Damit sind nicht die Journalisten, Verleger oder deren Verbände Mitglieder des Vereins, sondern allein deren entsandte Vertreter. Möglich ist auch, daß fünf weitere Persönlichkeiten die mit Pressefragen vertraut sind, kooptiert werden. Die nicht weisungsgebundene Tätigkeit der Mitglieder ist ehrenamtlich und auf zwei Jahre begrenzt, wobei eine Wiederbenennung zulässig ist. 19 Die (selbstgestellte) Aufgabe des Deutschen Presserates ist der Schutz der Pressefreiheit und
14
Kriele, ZRP 1990, S.l 11.
15
Zit. nach Schneider W., S.72, dieser verweisend auf Peter Glotz, Journalistentage heute, Hamburger Medientage 1981. 16 So der Spiegel vom 10.05.1993, Nr.19, S.16 u. S.17 zu Überlegungen von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine. wie publizistischen Exzessen entgegengewirkt werden kann. 17 Nach Schwerdtner "folgt die Notwendigkeit einer Medienkontrolle... daraus, daß die Medien die Neigung zur Negativberichterstattung sozusagen als genetisches Merkmal in sich tragen, der Konflikt mit dem Individuum also im Wesen der Medien begründet ist" (JZ 1990, S.770 unter Verweis auf Stürner, A.16). 18 19
Vgl. die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. Β., I., 4.
Vgl. zu den kennzeichnenden Merkmalen des Deutschen Presserates Hauss. S.l79 u. S.l80; Löffler, Presserecht, § 1 LPG, Rn 194 - 199.
204
Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
die Wahrung des Ansehens der deutschen Presse. 20 Er, respektive sein Beschwerdeausschuß, entscheidet nach einer Beschwerdeordnung über Beschwerden gegen Printmedien, erteilt Mißbilligungen sowie öffentliche und nichtöffentliche Rügen. Öffentliche Rügen veröffentlichen die Mitglieder des Vereins in ihren Verbandsorganen. 21 Neben dieser "ehrengerichtlichen" Funktion stellt der Presserat allgemeine Richtlinien und Empfehlungen für die Pressearbeit sowie allgemeine berufsethische Grundsätze (sog. Pressecodex) auf. In diesem Codex ist wortreich und verklausuliert von der Achtung vor der Wahrheit, von Sorgfaltspflichten, von der Vermeidung unlauterer Beschaffungsmethoden, von der Achtung vor dem Privatleben und der Intimssphäre des Menschen sowie vom Verzicht auf eine unangemessene Darstellung von Gewalt und Brutalität die Rede.22 Die für den Individualschutz bedeutsamste Vorschrift dürfte Ziff. 16 des Pressecodex sein. Hiernach entspreche es "fairer Berichterstattung, vom Presserat öffentlich ausgesprochene Rügen abzudrucken, insbesondere in den betroffenen Publikationsorganen". 23 Die Arbeit des Presserates wird nahezu unisono als "verdienstvoll" und "notwendig" bezeichnet.24 Kritisiert wird jedoch schon seit langem, daß er letztlich ein "zahnloser Tiger" sei, da er als freiwillige Kontrolleinrichtung über keinerlei Sanktionsmöglichkeiten verfügt. 25 So kann auch der Beschwerdeausschuß des Presserates im Falle begründeter Rügen einzelner Presseorgane diesen gegenüber nicht einmal die - in Ziff. 16 vorgesehene - Publizierung der Rüge durchsetzen. Dieser mit Recht beklagte Strukturmangel demonstriert anschaulich die Grenzen dieser Institution. Der Deutsche Presserat mag zwar - und das ist unbestritten - sinnvolle und begrüßenswerte Resolutionen verabschieden und überdies moralische Impulse geben, aber eben nicht mehr. Er ist und bleibt eine rein "moralische Autorität". 26 Von einer ausreichenden (Selbst-) Kontrolle der Kontrolleure kann daher nicht die Rede sein. Eine Kontrolle kann nur dann etwas bewirken, wenn bei festgestellten Verstößen Sanktionsmöglichkeiten (welcher Art auch immer) bestehen und diese auch durchgesetzt werden können. Dieses Manko vor Augen ist als "ultima ratio" gefordert worden, der Gesetzgeber möge bestimmte Pflichten gesetzlich fixieren. 27 Nachdem der Presserat die finanzielle 20
§ 1 der Satzung des Deutschen Presserates.
21
Vgl. Geschäftsordnung des Deutschen Presserates und seines Beschwerdeausschusses vom 25.02.1985. 22
Vgl. hierzu Böhme, S.36; Hauss, S.179.
23
Pressecodex Ziff. 16 des Deutschen Presserats in der Fassung vom 27.11.1991.
24 Löffler, Presserecht § 1 LPG , Rn 199; Scholz. S.340; Lahusen, S.l 13; Steffen, ZRP 1994, S.197; kritisch hingegen: Medienkritik vom 04.10.1993, Nr.40, S.15; Sendler, ZRP 1994, S.348. 25 Anders jedoch Böhme, S.39, der ausdrücklich davor warnt "die Funktionen oder personelle Besetzung des Deutschen Presserates zu erweitem". Er dürfe nicht zum "Kuckuck im Nest der deutschen Presse werden". 26
Löffler,
27
Presserecht § 1 LPG, Rn 199; Hauss, S.179.
Hauss, S.l83.
Α. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure"
205
Subvention des Staates für seine Arbeit gefordert und erhalten hat. kommt dies de facto einer "staatlichen Vollstreckungshilfe" gleich. 28 Gegen eine derartige "Vollstreckungshilfe" bestehen jedoch große Bedenken. Denn wenn der Staat seinen Arm für die Vollstreckung leihen soll, muß ihm nolens volens auch die Kontrolle des zugrundeliegenden Verfahrens gewährt werden. 29 Dann aber ist der Staat dort, wo ihn eigentlich keiner haben will. "Am Drücker", soll heißen in der rechtlichen Position die maßgeblich darüber entscheidet, ob die Presse im Einzelfall sanktioniert wird oder nicht. Dies aber ist weder verfassungskonform noch wünschenswert. Ein "Mehr an Staat" zur Steigerung der Effizienz dieser Institution ist daher abzulehnen. Resümierend läßt sich damit bezüglich des Presserates konstatieren, daß dieser seinen Grundsätzen entsprechend eine begrüßenswerte Institution darstellt, mangels entsprechender Sanktionsmöglichkeiten jedoch weder ein ausreichendes Kontrollorgan ist, noch sein kann. Damit stellt sich im folgenden die Frage, ob bzw. inwieweit die Rundfunkräte ihre Kontroll- und Überwachungsaufgaben wahrnehmen (können).
2. Die Rimdfunkräte Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Repräsentanz aller gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Gremien der Rundfunkanstalten 30731 findet ihre Entsprechung in der Bildung von Rundfunkräten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Diese haben zuvörderst die Aufgabe darüber zu wachen, daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten. 32 Faktisch besteht damit dem Grunde nach die Möglichkeit, daß die Funkjournalisten einer gewissen (Selbst-) Kontrolle unterworfen sind. Die Praxis zeigt jedoch, daß die Rundfunkräte ihre Kontrollaufgaben, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend wahrnehmen. Zu groß erscheint die Furcht "den Stempel des Zensors" aufgedrückt zu bekommen. Kriele bringt sogar Beispiele dafür, daß ein Rundfunkrat, statt die Interessen der Bürger zu vertreten, zu deren Mißachtung sogar "anstachelt".33 Insoweit läßt sich feststellen, daß mit den bestehenden "Selbstkontrolleinrichtungen" der Print- und Funkmedien kein "Staat zu machen ist". m.a.W. eine effektive, tatsächliche Selbstkontrolle nicht
28
Dies erkennt auch Hauss, S. 183.
29
Ähnlich Scholz, S.342.
30
BVerfGE 12, 205 (262).
31
Vgl. zur Unbestimmtheit des Begriffs der "relevanten Gruppen" Kriele. ZRP 1990, S.l 10, Fn 3 sowie die Ausführungen in Teil 1 unter Pkt. B., 4., b). 32
BVerfGE 12, 205 (263).
33
Kriele, ZRP 1990, S. 110 u. S. 113.
206
Teil 3 : Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
existiert. 34 Der Blick ist damit nach vorne, in Richtung innovativer Lösungsmodelle zu richten.
II. Alternativmodelle 1. Kollektivrechtliche
Verbandskontrolle
In der Vergangenheit wurde das Modell einer kollektivrechtlichen Verbandskontrolle diskutiert. Diese sollte auf tarifvertraglicher Grundlage basieren, indem die Sozialpartner des Pressebereichs, Verlegerverbände respektive Verleger einerseits und Journalistenverbände andererseits, Einrichtungen der Selbstkontrolle konstituieren. In concreto wurde hier an eine tarifVertragliche Vereinbarung i.S.d. § 4 Abs.2 TVG gedacht.35 Eine derartige Einrichtung sollte auch Aufgaben einer Standesgerichtsbarkeit übernehmen, die an Einrichtungen der Betriebsräte erinnert. Das Modell krankt jedoch daran, wie der Schöpfer dieser Idee (Scholz) selbst erkennt, 36 daß vielfältige Funktionen im medialen Bereich durch freie Mitarbeiter ausgeübt werden. Diese würden aber bei einer kollektivrechtlichen Verbandskontrolle von vornherein nicht erfaßt. Damit aber würde das Modell einer kollektivrechtlichen Selbstkontrolle so lückenhaft, daß es in praxi nicht mehr effizient greifen würde. Hinzu kommt, was Scholz übersieht, daß der Abschluß entsprechender tarifvertraglicher Regelungen stets freiwillig wäre. Damit aber könnten die (gottlob wenigen) "schwarzen Schafe" dieses Berufsstandes außen vor bleiben. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, daß diese "schwarzen Schafe" sicherlich kein gesteigertes Bedürfnis zum Abschluß derartiger tarifvertraglicher Regelungen haben werden. Dieses Modell ist daher für die Praxis untauglich.
2. Bestellung eines "Ombudsmannes " oder /und eines "Medienbeauftragten Ein weiteres Modell sieht die Schaffung zweier von Staat. Standes- sowie Berufsorganisationen unabhängiger Kontrollinstanzen vor. Innerhalb der Medien solle ein sog. Ombudsmann als "ehrlicher Makler" nach amerikanischem Vorbild das Individualinteresse der Bürger schützen. In den USA gab es 1990 etwa 50 amerikanische Zeitungen, bei denen ein derartiger Ombudsmann tätig war. Daneben gibt es einige Blätter, die sog. "op-ed-pages", in denen interne Selbstkritik geübt wird. Die Erfahrungen hiermit seien bislang
34
So auch Schwerdtner,
35
Siehe Scholz, S.348.
36
Scholz, S.348.
JZ 1990, S.771.
"
Α. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure"
207
positiv. 37 Aus diesem Grund wird von einigen Autoren die Einrichtung einer solchen Institution auch in der Bundesrepublik Deutschland gefordert. 38 Diesem sollte das Recht eingeräumt werden, von den Medien Informationen einzufordern, aus denen sich ergebe, daß die Presse mit der erforderlichen Sorgfalt agiere. Ferner sollte er jährlich einen Bericht veröffentlichen, der unter Umständen im Parlament diskutiert werden sollte. 39 Außerhalb der Medien sollte das nationale Amt des Medienbeauftragten geschaffen werden. Dieser sollte zweifelhafte Berichte der Medien überprüfen und die Ergebnisse anschließend veröffentlichen. Der Institutionalisierung eines Medienbeauftragten stehen jedoch verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Selbst wenn der Medienbeauftragte, ähnlich wie der Ausländer- oder Datenschutzbeauftragte, unabhängig agieren und seine Kontrollaufgaben wahrnehmen kann, würde dies nichts daran ändern, daß es sich letztlich doch um eine staatlich-behördliche Instanz handelt und der Staat damit Einfluß auf die Medien gewinnt. Dies aber ist - aus den bereits genannten Gründen - weder wünschenswert noch verfassungskonform. Derartige Bedenken bestehen zwar bei der Bestellung eines Ombudsmannes nicht, doch erscheint es sehr fraglich, ob dieser aufgrund der (zwangsläufigen) Nähe zu dem ihm zugewiesenen Medium tatsächlich (überparteilich) Kontrollaufgaben wahrnehmen kann. 40 Insgesamt ist daher nach der hier vertretenen Auffassung die Bestellung eines Ombudsmannes oder/und eines "Medienbeauftragten" nicht zu befürworten.
3. Einrichtung einer "Journalistenkammer" Als weiteres Modell wird seit langem die Einrichtung einer berufsständischen Kammer, ähnlich der Rechtsanwalts- oder Ärztekammer, diskutiert. Gegen die Einrichtung einer derartigen Kammer werden (scheinbar) gewichtige Bedenken vorgetragen, die einer dezidierten Prüfung jedoch nicht standhalten.
37
Nachweise in Medienkritik
38
Schwinge, Machtmißbrauch der Massenmedien, S.l34 ff, insbesondere S.l45; Thieme, S.l54.
39
Thieme, S.l54.
40
vom 05.11.1990, Nr. 45, S.9.
Hauss, S.178 äußert daneben noch praktische Vorbehalte: "...sollte etwa ein Ombudsmann für den "Spiegel" bestellt werden, so müßte er sich schon mit einem ganzen Stab recherchierender Mitarbeiter umgeben"; ferner Stürner , A.37 u. A.38 sowie Schwerdtner, JZ 1990, S.771 jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - mit unzutreffender historischer Begründung.
208
Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
a) Historische Bedenken Das erste und immer wiederkehrende Argument gegen die Schaffung einer Journalistenkammer ist ein historisches: Verwiesen wird immer auf die bitteren geschichtlichen Erfahrungen, die in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus mit einer solchen Institution (Reichspressekammer) gemacht wurden. Da man aus Schaden klug geworden sei, dürften derartige Forderungen keine Renaissance erleben. 41 "Öffentlich-rechtlich organisierte Fremdkontrolle in Form von ... Kammern (sei) daher ... abzulehnen".42 Dieses historische Argument ist fatal und wenig stichhaltig. Es wird in schnöder Regelmäßigkeit immer wieder ausgegraben, wenn es um innovative Entwicklungen in der Gesellschaft geht. Gleich, ob es um den Einsatz der Bundeswehr "out of area", Gentechnik oder den Umzug nach Berlin geht, immer wieder tauchen die "bitteren Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus" auf. Auch wenn, wie hier, außer einem vergleichbaren Namen praktisch keine Gemeinsamkeiten bestehen: Den Befürwortern einer berufsständischen Selbstkontrolleinrichtung geht es gerade nicht um eine wie auch immer geartete staatliche Kontrolle, sondern um eine staatsunabhängige Selbstkontrolleinrichtung mit echter Autonomie! Der dämonisierende Vergleich mit den Pervertierungen des Nationalsozialismus dient, wie so oft, dem Ziel, bestimmte Lösungsmodelle fernab von verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Realitäten in ein falsches (braunes) Licht zu rücken. Dieser affektive Argumentationsduktus sollte nach fast einem halben Jahrhundert bundesrepublikanischer - id est vor allem demokratischer - Geschichte, endlich der Vergangenheit angehören! Um nicht mißverstanden zu werden: Es soll nicht und niemals vergessen werden. Nur wenn man sich der Vergangenheit bewußt bleibt, haben Pervertierungen gleich welcher Art a priori keine Chance der Renaissance. Aber, man muß sich auch der Unterschiede bewußt sein und sachgerecht, frei von psychologischen und affektiven Barrieren, diskutieren und gemäß dem Primat der Vernunft entscheiden. Macht man dies, so ist wohl kaum zu negieren, von welch großer Freiheitlichkeit und berufsständischer Effektivität ein rechtsstaatliches Kammersystem sein kann! Das belegen exemplarisch die Rechtsanwalts-, Ärzte- und Architektenkammern. Ricker 43 hingegen vertritt die Ansicht, die genannten Berufsgruppen seien keinesfalls mit dem Journalistenstand vergleichbar. Journalisten hätten vielmehr eine "privilegierte Stellung". Dem kann nicht gefolgt werden: Allen hier in Rede stehenden Berufsgruppen ist eine starke Gemeinschaftsbezogenheit ihrer jeweiligen Tätigkeiten gemein. Hinsichtlich der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft dürfte "die öffentliche Aufgabe" der im publizistischen Bereich Tätigen 41
Ricker, S.l 14; ebenso Schmidt M.. S.103; Stürner, A.37.
42
So Schwerdtner,
43
Ricker, S.l 15.
JZ 1990, S.771 bzgl. der Einrichtung einer Pressekammer.
Α. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure"
209
kaum eine höherrangige Bewertung beanspruchen, als der "Dienst an der Gesundheit" oder die Stellung als "Organ der Rechtspflege". 44 Einer Vergleichbarkeit des "freiesten aller freien Berufe" mit den anderen freien Berufen kann daher wohl nicht ernstlich das Wort geredet werden. 45 Nach alledem sollte das auf affektiven und psychologischen Barrieren beruhende historische Argument in dieser Diskussion keine Rolle mehr spielen. Demnach interessiert hier zuvörderst die Verfassungsmäßigkeit einer berufsständischen Selbstkontrolleinrichtung.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken 46
Ricker ist der Auffassung, aus der großen Bedeutung der Medienfreiheit folge, daß sich der Staat grundsätzlich jeder Einflußnahme zu enthalten habe, "da anderenfalls er zur Kontrolle über seine eigenen Kontrolleure ermächtigt würde". Dem ist zuzustimmen. Aber darum geht es hier gerade nicht. Gefordert wird ja ausdrücklich eine staatsfreie Selbstkontrolleinrichtung. Insoweit greift dieses Argument ins Leere. Hilfsweise wird denn auch die Vorschrift des Art. 18 GG bemüht: Hier habe der Verfassungsgeber festgelegt, daß der Verfassungsschutz nicht dazu mißbraucht werden dürfe, die Grundordnung zu beseitigen. Damit habe er deutlich gemacht, daß es für Feinde der Freiheit keine Freiheit geben könne. Gleichzeitig habe das Grundgesetz vorgesehen, daß im Streitfall über die Grenzen eines Freiheitsrechts die unabhängigen Gerichte, im Fall des Art. 18 GG sogar nur das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hätte. Hieraus folge dann, daß diese Regelungen abschließende Wirkungen hätten, ergo Kontrollfunktionen nur den Gerichten respektive dem Bundesverfassungsgericht im Fall des Art. 18 GG zukomme. Dieses Argument greift zu kurz. Übersehen wird, daß die Gefahren für das Verfassungsgut "Ehre", vor allem aber für das gesamte Verfassungsgefuge, viel zu subtil sind, als daß "die Notbremse" des Art. 18 GG ihre Wirkung entfalten könnte. Selbst in den Fällen übelster Manipulationsversuche oder Ehrverletzungen der Medien wird man in praxi wohl kaum die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 18 GG konstatieren können. Sie werden immer unter dieser Schwelle liegen, was sie jedoch nicht weniger gefährlich macht. Hinzu kommt, daß es - und dies kann nicht oft genug wiederholt werden - nicht um eine staatliche Kontrolle der Medien gehen soll und gehen kann. Eine berufsständische Selbst44
Vgl. § 1 BAÖ und § 1 BRAO.
45
Nur am Rande sei erwähnt, daß die in Begriffen wie Volksgesundheit oder Rechtspflege artikulierte Sozialfunktion sich in gleicher Weise in der in den Landespressegesetzen normierten "öffentlichen Aufgabe" wiederfindet. 46
So bzgl. einer "Pressekammer": Ricker, S.l 15.
14 Stark
210
Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
kontrolle kann daher der abschließenden Wirkung des Art. 18 GG nicht entgegenstehen. Daneben wird immer wieder vorgebracht, daß die erforderliche gesetzliche Ermächtigung zur Schaffung einer Journalistenkammer ein Sondergesetz und damit wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs.2 GG verfassungswidrig sei. 47 Diese Kritik übersieht jedoch, daß eine mit tatsächlicher Autonomie ausgestattete Journalistenkammer zwar in öffentlich-rechtlicher Form errichtet werden muß - wie die anderen berufsständischen Institutionen auch -, gleichwohl aber eine berufsständische staatsfreie Organisation ist. Art. 5 Abs.l Satz 2 und Abs.2 GG verbieten jedoch nur die staatliche Lenkung und Kontrolle der Medien, nicht aber die bloße Konstituierung öffentlich-rechtlicher Organisationsformen für medienspezifische (berufsständische) Einrichtungen. 48 Die Institutionalisierung einer derartigen Einrichtung greift daher in den inhaltlich freien Kommunikationsprozeß nicht ein. Denkbare Eingriffe in concreto, wie Rügen und andere standesrechtliche Sanktionen, erfolgen weder direkt noch indirekt durch den Staat. Dies macht deutlich, daß von einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs.2 GG nicht die Rede sein kann. Überdies ist zu bemerken, worauf Scholz schon ausführlich hinwies, 49 daß die primär maßgebliche Vorschrift für die Errichtung einer Kammer nicht Art. 5 GG, sondern Art. 12 Abs.l Satz 2 GG ist: Die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit ist nur insoweit tangiert, als es um den Inhalt des (Journalisten-) Berufes geht. Geht es hingegen um allgemeinberufsrechtliche Regelungen, wie Berufsausbildung, Berufszulassung und Berufsorganisation, ist thematisch Art. 12 Abs.l GG maßgebend. Zwischen Art. 5 Abs.l Satz 2 GG und Art. 12 Abs.l GG besteht insoweit ein spezifischer Zusammenhang, ähnlich wie etwa zwischen Art. 5 Abs.l GG und Art. 14 GG. Daraus folgt, daß berufsrechtliche Regelungen beispielsweise nicht so weit gehen können, daß sie auf die publizistische Tätigkeit des Presseangehörigen Einfluß nehmen, andererseits aber berufsrechtlich legitime Maßnahmen gemäß Art. 12 GG nicht unter Berufung auf Art. 5 GG inhibiert oder ausgeschlossen werden. Handelt es sich demgemäß um berufsrechtlich "kommunikationsneutrale Regelungen", werden diese durch Art. 12 Abs.l GG legitimiert und bestehen "den Test des Art. 5 Abs.2 GG (kommunikationsneutrale Regelung als allgemeines Gesetz)".50 So liegt es hier. Denn inhaltlich ist - wie gezeigt - der Beruf des Journalisten durch die Schaffung einer Journalistenkammer nicht tangiert; unabhängig davon, ob eine solche mit oder ohne Zwangsmitgliedschaft ausgestattet wäre. 51
47
Schmidt M., S.104; ebenso bzgl. einer "Pressekammer": Ricker, S.l 15.
48
So zutreffend bzgl. der Einrichtung einer "Pressekammer": Scholz, S.355.
49
Scholz, S.356-S.359.
50
Scholz, S.357. Die Judikatur prüft Zwangsmitgliedschaften am Maßstab des Art.2 I GG. Diese seien dann zulässig, wenn die jeweilige Zwangsorganisation einer "legitimen öffentlichen Aufgabe dient" (BVerfGE 10, 89 51
Α. (Selbst- ) Kontrolle der "Kontrolleure"
211
Festzuhalten bleibt demnach, daß gegen die Einrichtung einer Journalistenkammer keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.52 Auch die Regelungen des Landespresserechts (§ 1 Abs. 3 Verbot des Standeszwangs) stehen dem nicht entgegen. Denn diese Normen stehen zur Disposition des einfachen Gesetzgebers,53 so daß im folgenden etwaige "nichfrerfassungsrechtliche" Vorbehalte untersucht werden können.
c) Zweckmäßigkeit und Erfordernisse Ein naheliegender Einwand gegen die Institutionalisierung einer Journalistenkammer könnte derjenige sein, daß eine Einrichtung, die Beschwerden zu behandeln und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen hat, nichts oder wenig bewirken kann, weil in ihr die Gesinnung der république des camerades herrschen wird und demzufolge der Grundsatz gilt: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus". 54 Die Erfahrung zeigt jedoch, daß diese Befürchtung nicht begründet ist, und mit der Übernahme eines öffentlichen Amtes meist auch eine innere Selbstverpflichtung auf die Grundsätze des Amts einhergeht. 55 Deutlich wird dies bei der Besetzung der Richterstellen des Bundesverfassungsgerichts. Hier judizieren die hohen Richter - gleich welcher parteipolitischen Herkunft - durchweg überparteilich und gerecht. Vor allem aber wird diese Befürchtung durch die Arbeit der anderen berufsständischen Organisationen widerlegt. Dort ist - Ausnahmen mag es immer geben - eine Gesinnung der république des camarades nicht feststellbar. Als Argument für eine berufsständische Selbstkontrolle wird verschiedentlich auch darauf hingewiesen, daß die Selbstkontrolle eine Fremdkontrolle überflüssig mache, und so die "Medienfreiheiten" gegenüber dem Staat besser geschützt seien.
(102 ff); 38, 281 (297 ff)). Scholz hingegen stellt bei der Frage der Zulässigkeit von Zwangsmitgliedschaften auf Art. 12 I GG ab. Welche Lösung dogmatisch Vorzugs würdiger ist, kann hier jedoch dahinstehen; da es im Bereich der Medien wohl keinen Zweifel an ihrer "legitimen öffentlichen Aufgabe" gibt, so daß nach beiden Auffassungen eine Journalistenkammer auch mit einer Zwangsmitgliedschaft zulässig wäre. 52 Im Ergebnis ebenso: Kriele, ZRP 1990, S.109 ff; Hauss, S.179; Scholz, S.359; Lößer, Presserecht, § 1 LPG, Rn 191 u. 192; desweiteren Stürner, A.37, der sich zwar aus rechtspolitischen und historischen Gründen gegen eine Journalistenkammer ausspricht, jedoch anerkennt, daß diese "durchaus nicht verfassungswidrig (sei)". 53
Hauss, S.l83;Löffler,
Presserecht, § 1 LPG, Rn 191.
54
Kriele, ZRP 1990, S. 112 wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob hier nicht der "Bock zum Gärtner" gemacht werde. 55
Kriele, ZRP 1990, S.l 12.
212
Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
"...sorgt der Berufsstand selbst für Ordnung in den eigenen Reihen, so entfällt für den Staat der äußere Anlaß zum Eingreifen. Selbstkontrolle ist besser als Staatskontrolle!" 56 So sehr hier auch die Einrichtung einer berufsständischen Selbstkontrolleinrichtung befürwortet wird, so kann doch dieses Argument ganz sicher nicht für die Institutionalisierung einer derartigen Einrichtung streiten. Im Gegenteil, diese Argumentation dürfte eher Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die vor einer Wiedergeburt der Reichspressekammer warnen: Eine Kontrolle des Staates über die Medien darf es nicht und niemals (wieder) geben! Dann aber kann für eine Selbstkontrolle nicht damit geworben werden, daß anderenfalls eine Fremdund damit eine Staatskontrolle drohe. Für die Einrichtung einer Journalistenkammer spricht hingegen, daß diese nicht nur die nötigen Kontrollaufgaben erfüllen, sondern auch dem Journalistenstand selbst dienlich sein kann, um einseitigen Maßnahmen oder Übergriffen von Verlegern, Inserenten, Politikern und Lobbyisten zu begegnen.57 Als Quintessenz kann damit festgehalten werden, daß weder historische oder verfassungsrechtliche, noch andere Überlegungen überzeugend gegen die Einrichtung einer Journalistenkammer sprechen. Sie ist nötig und sollte so bald wie möglich Realität werden. Auf welche Weise und mit welchen Mitteln eine solche Institution ihre Aufgaben erfüllt, sollte der Journalistenstand in freier Selbstverwaltung satzungsmäßig selbst regeln. Die Legislative braucht und soll hierzu nur die nötige Ermächtigung bereitstellen. 58
56
So Löffler,
57
Anschauliche Beispiele hierfür finden sich bei Schneider W., S.81 ff.
Presserecht, § 1 LPG, Rn 193.
58 Zur Durchsetzung der aufzustellenden Regularien wird man wohl, wie die Negativerfahrungen des Deutschen Presserates gezeigt haben, nicht um eine Zwangsmitgliedschaft und Standesgerichtsbarkeit herumkommen. Positiv dürfte es sich auch auswirken, wenn fur die Vorstandswahlen qualifizierte Mehrheiten gefordert werden, um zu gewährleisten, daß die gewählten Persönlichkeiten auf allen Flügeln Achtung und Vertrauen genießen (vgl. den entspechenden Vorschlag von Kriele, ZRP 1990, S.l 12).
Β. Boykott mißliebiger Medien
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Β. Boykott mißliebiger Medien
Um publizistischen Exzessen wirksam vorzubeugen ist. wenn man dem "Spiegel" glauben darf, auch vorgeschlagen worden, mißliebige Medien in der Form zu boykottieren, daß man sich schlichtweg weigert, mit ihnen zu kommunizieren. 1
I. Verfassungsrechtliche Bedenken Einmal unterstellt dies wäre zutreffend, so ist doch höchst fraglich, ob ein derartiger Boykott im öffentlich-rechtlichen Bereich überhaupt verfassungskonform wäre. Denn auf diese Weise könnten Repräsentanten des Staates über Gebühr Einfluß auf die Medien nehmen. Demgemäß ist aus dem Institut der "Freien Presse" zu folgern, daß die öffentliche Hand, wenn sie Informationen erteilt, diese grundsätzlich allen interessierten Journalisten in gleicher Weise zugänglich machen muß, ohne Rücksicht auf sachliche oder persönliche Qualifikation. 2 ^ Dem steht es aber entgegen, wenn Vertreter des Staates nur mit solchen Medien kommunizieren und ihnen damit Informationen zukommen lassen, die ihnen genehm erscheinen. Ein Boykott mißliebiger Medien von Funktionsträgern des Staates wäre daher verfassungswidrig und folglich für diese Personengruppen nicht möglich. Darüberhinaus fragt es sich, was ein solcher - im privaten Bereich möglicher - Boykott bringen soll.
II. Zweckmäßigkeit dieser Vorgehensweise Man wird wohl kaum erwarten dürfen, daß ein boykottiertes Medium seine Negativberichterstattung einstellen wird. Im Gegenteil wäre zu erwarten, daß es seine Angriffe noch forcieren wird, um den Verlust der originären Informationsquelle zu kompensieren. Auch darf man sicher sein, daß sich andere Medien sehr schnell mit dem boykottierten Medium solidarisieren werden, da auch für sie die permanente Gefahr des Boykotts besteht. Deutlich wurde dies Ende 1993, als sich die deutsche Fußballnationalmannschaft zwei Tage (!) weigerte, mit den
1 Angeblich soll Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl diesen Vorschlag den Spitzenleuten der drei Koalitionsparteien sowie den Vertretern der SPD-Opposition unterbreitet haben {Der Spiegel vom 10.05.1993, Nr. 19, S.l6). 2 3
BVerwGE 47, 247 (254).
Eine beschränkende Auswahl von Journalisten ist hingegen dann möglich, wenn eine Veranstaltung beispielsweise einem bestimmten Fachthema gewidmet ist und die Selektion danach erfolgt, ob die eingeladenen Journalisten sich bisher auf diesem Gebiet schon fachjoumalistisch betätigt haben (BVerwGE 47, 247 (254)).
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Teil 3: Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
Medien zu sprechen. Hinzu kommt, daß sich der boykottierende Zeitgenosse auch dem schwer zu widerlegenden Verdacht einer "weichen Zensur" aussetzt: "...Und berichtest Du nicht in meinem Sinne, berichtest Du zukünftig gar nicht mehr". Dies mag bei Privatpersonen oder Institutionen wie der Fußballnationalmannschaft hinzunehmen sein, bei Repräsentanten von Politik und Wirtschaft jedoch wohl nicht. Überdies diskreditiert sich der Betreffende letztlich selbst. Denn er wird sich vorhalten lassen müssen, nur deshalb zu dieser Verhaltensweise zu greifen, weil er nicht in der Lage ist, Angriffen der Medien in gebührlicher argumentativer (oder rechtlicher) Form begegnen zu können. Ein Boykott mißliebiger Medien mag daher für außerhalb des Staates stehende Personen rechtlich zulässig sein, bringt jedoch dem um seine Ehre Bemühten mehr Nach- als Vorteile. Es sollte daher von dieser Reaktionsform abgesehen werden.
C. Abschluß von "Faimeßabkommen"
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C. Abschluß von "Fairneßabkommen"
In regelmäßigen Abständen taucht immer wieder der Vorschlag zum Abschluß sog. "Faimeßabkommen" auf. Diese haben u.a. zum Ziel, persönliche Verunglimpfungen und Beleidigungen sowie verunglimpfende Behauptungen über andere Parteien während des Wahlkampfes zu verhindern. 1 Hierzu gehört auch die Verpflichtung sich von Äußerungen Dritter zu distanzieren, die in Publikationen oder in sonstiger Weise öffentlich unwahre, verleumderische oder beleidigende Behauptungen erheben und diese gleichzeitig mit einer Unterstützungserklärung für eine bestimmte Partei verbinden. 2 Auch für das "Superwahljahr" 1994 stand ein derartiger Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Scharping im Raum.3
I. Verfassungsrechtliche Bedenken Untersucht sei hier die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit und des Nutzens solcher Vereinbarungen für das Recht der persönlichen Ehre am Beispiel des Wahlkampfabkommens vom 19. März 1980.4 Kernstück des Abkommens war hier die Schaffung einer gemeinsamen Schiedsstelle zur Überwachung der getroffenen Vereinbarungen. Diese setzte sich aus einem integren und unabhängigen Vorsitzenden sowie vier Beisitzern als Vertreter der unterzeichnenden Parteien zusammen. Das Gremium sollte auf Antrag wegen Verstoßes gegen das Abkommen nach mündlicher Verhandlung innerhalb einer Woche mit der Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden. In einer Geschäftsordnung wurden Einzelheiten der Zusammensetzung und des Verfahrens geregelt. Die Entscheidungen der Schiedsstelle waren unverzüglich von den Pressediensten der betroffenen Parteien zu veröffentlichen.
1 Ferner die hier nicht interessierende Vermeidung von organisierten Störungen der Wahlkampfveranstaltungen, das Entfernen oder Beschädigen von Plakaten, die Verwendung von gefälschtem Werbematerial sowie die ungebetene und unwahre Wahlunterstützung von seiten Dritter. 2 Siehe beispielsweise § 1 des Wahlkampfabkommens für die Wahl zum 9. Deutschen Bundestag. Das Abkommen ist im Wortlaut, inkl. der Geschäftsordnung, abgedruckt in: Das Parlament vom 12.04.1980, S.16. 3 Die Anregungen hierzu gingen von dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, sowie den Spitzenvertretem der Katholischen und der Evangelischen Kirche. Bischof Karl Lehmann und Landesbischof Klaus Engelhardt, aus (So die Mitteilung des Presseservices der SPD vom 10.01.1994 sowie die gleichlautenden öffentlichen Ankündigungen in den "heute"-Nachrichten am 17.01.1994 bzw. der Tagesschau am 24.01.1994). 4 Siehe auch die ähnlich ausgestalteten "Faimeßabkommen" der Kommunalwahl 1989 in Hessen, der Landtagswahl 1987 in Rheinland-Pfalz sowie der Landtagswahl 1985 in Nordrhein-Westfalen.
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Teil 3 : Sonstige Möglichkeiten eines verfassungsgerechten Ehrenschutzes
Wohl zuvörderst aufgrund dieser Veröffentlichungspflicht wurden verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Einige monierten im Hinblick auf die Meinungs- und Pressefreiheit, daß sich hier ein "Laiengericht" zu einem "Zensurorgan" zu entwickeln drohe. 5/6 Andere warnten im Hinblick auf Art. 21 Abs.l und Art. 38 Abs.l GG vor dem "wettbewerbsbeschränkenden" Charakter derartiger Abkommen, der, ähnlich wie im Bereich der Wirtschaft, "das von der Verfassung gewollte Spiel der Kräfte nicht mehr voll zum Zuge kommen lasse".7 Diese Bedenken können nicht überzeugen: Richtig ist zwar, daß mit Abschluß einer solchen Vereinbarung ein die Aktionsfähigkeit beschränkender Akkord geschaffen wird, der im Hinblick auf die vom Grundgesetz gewährleistete freie Wahlausübung durchaus verfassungsrechtliche Relevanz besitzt, doch läßt sich damit ein Verfassungsverstoß nicht begründen. Denn die Parteien unterwerfen sich solchen Vereinbarungen stets freiwillig und ohne Zwang. Vor allem aber sind derartige Abkommen - und das ist unstrittig - nicht justiziabel. 8 Dann aber ist es den Parteien völlig unbenommen, jederzeit zu den von ihnen gewollten Verhaltensweisen zurückzukehren, die die Annahme einer unzulässigen Restriktion der freien Wahlausübung ausschließen. Aus diesem Grund sind auch die Bedenken hinsichtlich der Gefahr einer Zensur durch "Laienrichter" nicht nachvollziehbar. Mithin können verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Abschluß eines "Fairneßabkommens" nicht geltend gemacht werden. Fraglich ist jedoch, was ein solches Abkommen für das Recht der persönlichen Ehre bringt.
II. Der Nutzen derartiger Vereinharungen Die Erfahrungen mit dem hier in Rede stehenden Abkommen waren sehr unterschiedlich: Die gemeinsame Schiedsstelle behandelte in 10 Sitzungen 27 Anträge, die teilweise in mehrere Punkte untergliedert waren. In 15 Fällen wurde ein Verstoß gegen das Abkommen festgestellt. 9 Die Reaktion der Betroffenen reichte vom "Einstecken des Tadels ohne wenn und aber" bis zur versteckten, teilweise auch öffentlichen Kritik. Gleichwohl kamen die Parteien ihrer Pflicht nach, die festgestellten Verstöße in ihren Pressediensten zu publizieren. Aufgrund dieser Veröffentlichungspflicht hätte man annehmen können, daß eine 5 So die IG Druck und Papier im Zusammenhang mit einer Rüge gegen den "Vorwärts" Der Spiegel vom 28.07.1980, Nr. 31, S.32).
(zit. nach
6
Nach Ansicht des Spiegel agiere die Schiedsstelle im vorgenannten Zusammenhang im "Dunstkreis der Amtsanmaßung" (Der Spiegel vom 28.07.1980, Nr.31, S.33). 7 So Schüle, ÄöR 90. S.82, Fn 4 unter Venveis auf Eick bzgl. des Wahlkampfabkommens vom 09.01.1965. 8
Vgl. Wewer, ZParl 1980, S.270.
9
SPD neun Fälle; Unionsparteien sechs Fälle (Quelle: Das Parlament vom 08.11.1980, S.16).
C. Abschluß von "Faimeßabkommen"
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gewisse "Prangerwirkung" erzielt worden wäre, welche dämpfend auf die Agitatoren gewirkt, zumindest aber die Wiederholung der beanstandeten Formulierungen verhindert hätte. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß dies nicht mehr als ein frommer Wunsch war. Das belegt anschaulich die von Klatt vorgenommene statistische Auswertung des Abkommens vom 19. März 1980. 10 Der damalige CSU-Generalsekretär wird bzgl. des Wahlkampfes 1980 sogar mit der Aussage zitiert, dieser wäre "der häßlichste seit Bestehen (der) Bundesrepublik" gewesen.11 Auch wenn das übertrieben sein sollte, läßt sich doch sagen, daß derartige Abkommen für die persönliche Ehre der politischen Akteure wenig bringen. Es ist im Gegenteil zu vermuten, daß diffamierende Äußerungen durch die Entscheidung der Schiedsstelle und ihrer anschließenden Veröffentlichung für die Öffentlichkeit erst richtig interessant werden. Ohne die "Verurteilung" durch die Schiedsstelle hätte die diffamierende Äußerung (infolge der "Reizüberflutung"?) möglicherweise kaum jemand zur Kenntnis genommen, so daß die Diffamierung erst durch die Entscheidung des Gremiums eine Aufwertung erfuhr. Festzuhalten ist jedenfalls: Der Abschluß von "Fairneßabkommen" ist dem Ehrenschutz der Betroffenen kaum dienlich und unter Umständen sogar kontraproduktiv. Diese Abkommen mögen ein positives Zeichen unserer politischen Kultur sein, mehr jedoch nicht.
10
Klatt, S.27 - S.32.
11
Nachweis bei Wewer, Das Parlament, S.39, Fn 58.
Zusammenfassende Thesen 1. Mangels positivrechtlicher Normierung läßt sich der Inhalt des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs nicht aus sich selbst heraus beantworten. Unter Zugrundelegung der normativen Aussagen der Verfassung, insbesondere des Menschenwürdesatzes des Art. 1 GG, läßt sich jedoch der verfassungsrechtliche Ehrbegriff definieren als die dem einzelnen kraft seines Menschseins zuteil gewordene personale Würde und dem aus dem individuellen Verhalten folgenden sozialen Geltungswert. 2. Das Verhältnis des verfassungsrechtlichen Ehrbegriffs zu den einfachgesetzlichen Ehrbegriffen ist ähnlich gestaltet wie das Verhältnis des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs (Art. 14 GG) zum einfachgesetzlichen Eigentumsbegriff in § 903 BGB. Demnach ist von einer teilweisen Kongruenz auszugehen. 3. Unter Zugrundelegung des im Strafrecht herrschenden dualistischen Ehrbegriffs ist die Ehre i.S.d. Strafrechts zu definieren als die jedem Menschen von Geburt an zuteil gewordene personale Würde (innere Ehre) und die durch soziales Verhalten geprägte (äußere) Ehre. Ein eigenständiger zivilrechtlicher Ehrbegriff ist nicht existent. 4. Dem Wortlaut nach erscheint das "Recht der persönlichen Ehre" im Grundgesetz nur als dritte Schranke der Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG. Gleichwohl muß die Ehre grundsätzlich auch durch die Regelung des Art. 5 Abs.2 GG Schutz finden, selbst wenn es an einer einfachgesetzlichen Konkretisierung fehlt. Der Anwendungsbereich dieses Ehrenschutzes aus Art. 5 Abs.2 GG ist jedoch aufgrund der Regelung des Art. 103 Abs.2 GG auf den Bereich des Zivilrechts beschränkt. Zwar ist der Schutz aus Art. 5 Abs.2 GG, soweit es um Ehrverletzungen geht, die zugleich die Menschenwürde tangieren, meist nicht erforderlich, da hier der Ehrenschutz aus Art. 2 Abs.l i.V.m. Art. 1 Abs.l GG gewährleistet wird. Doch bleibt der Ehrenschutz aus Art. 5 Abs.2 GG insoweit von Relevanz, als Art. 1 Abs.l GG den Ehrenschutz i.S.d. Art.5 Abs.2 GG nicht erfaßt. 5. Praktisch bedeutsamer ist jedoch der verfassungsrechtliche Schutz, der aus dem als eigenständiges Grundrecht anerkannten allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Grundlage des verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes ist damit primär Art. 2 Abs.l GG i.V.m. Art. 1 Abs.l GG.
Zusammenfassende Thesen
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6. Der grundrechtliche Ehrenschutz wirkt zwischen den Privatsubjekten "nur" mittelbar. Eine unmittelbare Drittwirkung ist auch für das Recht der persönlichen Ehre abzulehnen. 7. Den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs.l GG wird zu Recht eine für das demokratische Staatswesen schlechthin konstituierende Bedeutung beigemessen. Entsprechend dieser hohen Bedeutung unterfallen Tatsachenbehauptungen richtigerweise dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Abzulehnen ist jedoch die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, im praktisch bedeutsamen Fall der Vermengung von Tatsachen und Meinungsäußerungen einseitig das Vorliegen eines Werturteils anzunehmen. Gefordert werden muß vielmehr, daß alle beweisfähigen Behauptungen, auch wenn sie pauschal oder mit Werturteilen verbunden sind, als Tatsachenbehauptungen zu gelten haben. 8. Unrichtige Tatsachenbehauptungen fallen a priori aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus. Demgegenüber genießen die unbewiesenen Tatsachenbehauptungen, sofern der Substantiierungs- und Darlegungspflicht genüge getan wurde, den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Die Substantiierungs- und Darlegungspflicht ist jedoch wortgetreu als Pflicht im Sinne einer verbindlichen und tatsächlichen Aufgabe des Äußernden einzufordern Nur wenn dieser schlüssig darlegen kann, auf welchen Fakten seine ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen basieren, können unbewiesene Tatsachenbehauptungen am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG partizipieren. Strikt abzulehnen ist die Meinung des Bundesverfassungsgerichts, ein Injuriant könne sich stets auf unwidersprochene Pressemitteilungen berufen. Gefordert werden muß vielmehr, daß derjenige, der einen Medienbericht zum Anlaß ehrenrühriger Behauptungen nehmen will, diese zunächst (im Rahmen seiner Möglichkeiten) überprüft. 9. Ebenfalls unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG stehen die Fragen. Dies gilt auch für die sog. rhetorische Frage. Enthalten Fragen zugleich unwahre oder unbewiesene Tatsachenbehauptungen, so ist hier entsprechend dem üblichen procedere zu verfahren. Das bedeutet, daß unwahre Tatsachenbehauptungen keinen grundrechtlichen Schutz genießen und den Fragenden bezüglich der unbewiesenen Tatsachenbehauptungen eine Substantiierungs- und Darlegungspflicht trifft. 10. Werturteile sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts erst dann nicht mehr schutzwürdig, wenn sie sich als sog. Schmähkritik darstellen. Entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Werturteils jedoch nicht auf das im subjektiven Bereich wurzelnde Kriterium der Schmähkritik, sondern auf die Form der Meinungsäußerung abzustellen. Zu prüfen ist demnach, ob es zur Geltendmachung einer Meinung erforderlich war, diese oder jene Formulierung zu wählen. Kommt man bei dieser Frage dazu, daß die in Rede stehende Äußerung auch mit weniger einschnei-
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Zusammenfassende Thesen
denden Formulierungen hätte überzeugend artikuliert werden können, ist ihnen der Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG zu versagen. 11. Das Verhältnis der Presse- zur Meinungsfreiheit ist nicht durch ein Verhältnis des lex specialis zum lex generali geprägt. Verlautbarungen der Presse genießen gegenüber sonstigen Mitteilungen Privater keinerlei Privilegien. Geht es um den Meinungsbeitrag selbst, also um die Frage der Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, ist unabhängig vom Verbreitungsmedium die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Prüfungsmaßstab. Geht es demgegenüber um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst oder um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt, ist allein die Pressefreiheit des Art. 5 Abs.l Satz 2, 1. Var. GG einschlägig. Eine kumulative Anwendung beider Gewährleistungstypen kommt (nur) in Betracht, wenn es um die Zulässigkeit einer bestimmten Meinungsäußerung über das Medium der Presse geht und bestimmte pressespezifische Gesichtspunkte in Rede stehen. 12. Das gleiche gilt, mutatis mutandis, entgegen der Judikatur, für das Verhältnis der Meinungsfreiheit zu der Freiheit der Rundfunk- und Filmberichterstattung gemäß Art. 5 Abs.l Satz 2, 2. und 3. Var. GG. 13. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wechselwirkungslehre besitzt auch heute noch eine besondere Berechtigung. Verfehlt ist es jedoch, diese Theorie mit dem Prinzip der praktischen Konkordanz gleichzusetzen. 14. Das Recht der persönlichen Ehre ist eine eigenständige, die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG begrenzende Schranke. Dies bedeutet, daß die für die Auslegung und Anwendung der ersten Schranke des Art. 5 Abs.2 GG entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres auf die dritte Schranke übertragen werden können. Strikt abzulehnen ist vor allem die Anwendung der Wechselwirkungstheorie auf das Recht der persönlichen Ehre. 15. Die Meinungs- und "Medienfreiheiten" des Art. 5 Abs.l GG können auch durch die sog. immanenten Schranken beschränkt werden. Relevanz erlangt diese Beschränkungsmöglichkeit allerdings nur dann, wenn die auf Art. 5 Abs.2 GG beruhenden einfachen Gesetze in einem besonders gelagerten Einzelfall einmal dem Schutzauftrag eines anderen Grund- oder Verfassungsrechts (z.B. dem Menschenwürdesatz) nicht vollständig gerecht werden sollten, bzw. wenn es um Gesetze geht, die sich gegen eine bestimmte Meinung richten (beispielsweise die §§ 86 Abs.l Nr.4, 86 a StGB).
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16. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Abgrenzungskriterien bezüglich der Kollision der Meinungs- und "Medienfreiheiten" mit dem Recht der persönlichen Ehre lassen deutlich die Tendenz einer einseitigen Privilegierung der Kommunikationsgrundrechte erkennen und sind daher abzulehnen. Vorzugswürdig erscheint vielmehr die Abwägung der widerstreitenden Interessen anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorzunehmen. 17. Festzustellen ist weiterhin, daß das Bundesverfassungsgericht seine Kognitionskompetenzen gerade in seiner Rechtsprechung zu den Meinungs- und "Medienfreiheiten" erheblich ausgedehnt hat. Damit überschreitet das Bundesverfassungsgericht den ihm von der Verfassung zugewiesenen Aufgabenbereich. Dies führt zu einem Verlust des fachgerichtlichen Ansehens und verschiebt in unzulässiger Weise die ausgewogene und bewährte Grenze zwischen tat- und revisionsrichterlicher Tätigkeit. Daher sind nach der hier vertretenen Auffassung die Kognitionskompetenzen wieder auf das ursprüngliche Maß (zurück-) zu begrenzen. Demgemäß kann das Bundesverfassungsgericht nur dann zu einer Überprüfung und Kontrolle gelangen, wenn die gerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang eines Schutzbereichs, beruht. 18. Der einseitigen und der Verfassung widersprechenden Privilegierung der Kommunikationsgrundrechte ist durch eine Grundgesetzänderung zu begegnen. Hierbei wäre klarzustellen, daß das Recht der persönlichen Ehre den Meinungsund "Medienfreiheiten" nicht nach-, sondern gleichgeordnet ist. 19. Im strafrechtlichen Bereich wird das Recht der persönlichen Ehre durch die §§185 ff StGB geschützt. Es bestehen weder Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB noch an einem Mißbrauch als "kleines Staatsschutzdelikt". Gleiches gilt für die im Rahmen des § 193 StGB vorzunehmende Güterund Interessenabwägung. Eine Richtigkeitskontrolle politischer Meinungsäußerungen findet hierdurch nicht statt. Problematisch sind vielmehr die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Güter- und Interessenabwägung i.R.d. § 193 StGB, die einseitig, zumindest aber tedenziell zu Lasten des Ehrenschutzes gehen. Die Medien treffen vor Veröffentlichung ehrverletzender Sachverhalte erhöhte Sorgfaltspflichten. Daher muß auch unter Berücksichtigung der speziellen Arbeitsbedingungen der Medien (Aktualitätsdruck) gefordert werden, daß diese vor Veröffentlichung ehrverletzender Sachverhalte durch ihr mögliche Ermittlungen alles tun, damit die Verbreitung unrichtiger Sachverhalte verhindert wird. Leichtfertig aufgestellte Behauptungen, haltlose Vermutungen oder unter Verletzung der Nachforschungspflicht erhobene Beschuldigungen könnten damit niemals zu einer Rechtfertigung nach § 193 StGB führen.
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20. Die entscheidende Schwäche des strafrechtlichen Ehrenschutzes liegt in der Ausgestaltung als Antrags- und Privatklagedelikt. Abhilfe würde hier eine Modifizierung des § 376 StPO schaffen, wonach die öffentliche Klage bei dem Vorliegen bestimmter Regelbeispiele stets zu erheben wäre. 21. Das Zivilrecht zeichnet sich demgegenüber durch ein breitgefächertes Instrumentarium zum Schutz der persönlichen Ehre aus. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich jedoch auch diese in globo als unzureichend. 22. Zu bemängeln ist zuvörderst die von der Judikatur aufgestellte Beweislastverteilung im Bereich des Widerrufsanspruchs. Hier ist als Voraussetzung eines effektiven Ehrenschutzes zu fordern, daß der Äußernde die Umstände, aus denen er seine ehrverletzenden Behauptungen herleitet, tatsächlich ausführlich darlegt und substantiiert. Der aufgeweichten Substantiierungs- und Darlegungspflicht des Bundesverfassungsgerichts ist damit eine deutliche Absage zu erteilen. Zu fordern ist weiterhin, daß der Äußernde die streitbefangene Behauptung im Falle eines stattgebenden Urteils ausdrücklich für unrichtig erklärt. Eine Befugnis zur Veröffentlichung des Widerrufsurteils durch den Betroffenen ist zu bejahen. Eine Kostentragungspflicht des Äußernden ist jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO gegeben. Die Vollstreckung des Widerrufs richtet sich nach § 888 ZPO. Eine vorläufige Vollstrekkung eines nicht rechtskräftigen, aber für vorläufig vollstreckbar erklärten Widerrufsurteils scheidet aus. Gleiches gilt für die Durchsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung. 23. Im Bereich des Unterlassungsanspruchs kann es nicht ausreichen, daß sich der Kommunikator zur Abwehr des Anspruchs lediglich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen beruft. Auch hier ist zu fordern, daß er die Umstände, auf denen seine ehrenrührigen Äußerungen basieren, ausführlich substantiiert und darlegt. Eine Verurteilung zur Unterlassung "sinngemäßer" Wiederholungen bestimmter Äußerungen wird vom Bundesverfassungsgericht zulässigerweise dann abgelehnt, wenn es sich bei der in Rede stehenden Aussage um ein Werturteil handelt. Beim Vorliegen (unwahrer) Tatsachenbehauptungen muß hingegen ein Verbot der Wiederholung "sinngemäßer" Äußerungen zulässig sein. Der Äußernde kann verpflichtet werden, das stattgebende Unterlassungsurteil zu veröffentlichen. Dies kann der Betroffene auch selbst vornehmen. Eine Kostentragungspflicht des Äußernden ist aber nur unter den Voraussetzungen der §§ 283 BGB, 255 ZPO gegeben. Die Vollstreckung richtet sich nach § 890 ZPO. Die Durchsetzung ist auch im Wege der einstweiligen Verfügung möglich.
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24. Entgegen der bislang geltenden Rechtsprechung können Schmerzensgeldansprüche nicht bereits deshalb abgewiesen werden, weil es der Verletzte versäumt hat, Widerrufs-, Unterlassungs- oder Gegendarstellungsansprüche geltend zu machen. Ausschlaggebend kann nur sein, ob ein Ausgleich bestehender Unbill stattgefunden hat. Zur Verbesserung dieses Instrumentariums sollte allerdings eine spürbare Erhöhung der Schmerzensgeldsummen erfolgen. 25. Im Bereich des Gegendarstellungsanpruchs ist grundsätzlich der sog. "Redaktionsschwanz" zu verbieten. Eine Ausdehnung des Entgegnungsrechts auf Meinungsäußerungen kann hingegen nicht befürwortet werden. Die Durchsetzung des Gegendarstellungsanspruchs erfolgt gemäß § 888 ZPO. Eine Schadensersatzpflicht des Betroffenen gemäß § 945 ZPO ist abzulehnen. 26. Zur Verbesserung des Ehrenschutzes ist die Zulassung einer Feststellungsklage analog § 256 ZPO zu befürworten. 27. Gleiches gilt für die Einrichtung einer Journalistenkammer. Hinzu kommt, daß eine derartige Institution als geeignet erscheint, den aus einer unkontrollierten Medienmacht folgenden Gefahren für das Verfassungsgefüge wirksam und in verfassungskonformer Weise zu begegnen. 28. Aus der Pressefreiheit folgt, daß ein Boykott mißliebiger Medien seitens der Repräsentanten des Staates aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Im Hinblick auf außerhalb des Staates stehende Personen ist dies zwar rechtlich zulässig, bringt dem um seine Ehre Bemühten jedoch mehr Nach- als Vorteile. Von dieser Reaktionsform sollte daher abgesehen werden. 29. Der Abschluß von "Fairneßabkommen" ist dem Ehrenschutz der Betroffenen kaum dienlich und unter Umständen sogar kontraproduktiv. Diese Abkommen mögen ein positives Zeichen unserer politischen Kultur sein, mehr jedoch nicht.
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