Rassisten in Deutschland 3631638485, 9783631638484

Das Syndrom des -verleugnenden Verdrangens- der rassistischen Verbrechen der Nazis betrifft die kollektive Bewusstseinsl

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German Pages 447 [448] Year 2012

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Einleitung
Rassismus: Eine Definition
Nazis und Neo-Nazis
Zur Quellen- und Archivsituation
II. Rassisten in der BRD (1949 bis 1990)
Ent-Nazifizierung und Alte Nazis
Rassistische Parteien und Gruppen
Rassistische Skinheads und Hooligans
Rechtsterroristische Anschläge
Rassistische Latenz
Rechtspopulistische Offensiven
Ausländische Arbeiter („Gastarbeiter“)
Gesellschaftlicher Rassismus
Anti-semitischer Anti-Zionismus in der west-deutschen Linken
Exkurs: Der Beginn des anti-semitischen Anti-Zionismus in der Sowjet-Union
III. Rassisten in der DDR (1949 bis 1990)
Ent-Nazifizierung und alte Nazis
Neo-Nazis und andere Rassisten
Wie und Warum gegen Rassisten?
Ausländische Arbeiter („Vertragsarbeiter“)
Anti-slawische Polenfeindschaft
Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD)
Der Tod von Carlos Conceicao
Staßfurt – Eine historische Rekonstruktion
Anti-semitischer Anti-Zionismus nach Innen und Außen
Militarisierung von Staat und Gesellschaft
Chauvinistischer Nationalismus
IV. Rassisten in Deutschland (1991 bis 2012)
Rassistische Pogrome
Einwanderung
„Russland-Deutsche“
Zur Situation der Flüchtlinge
Aus rassistischen Motiven Getötete
Rassisten in der DDR?
Rechtspopulistische Offensiven
Angriffe auf die „Wehrmachts-Ausstellungen“
Goldhagens Thesen
Bubis-Walser-Debatte
Die Rede von Martin Hohmann
Das „Israel-Gedicht“ von Günter Grass
Eva Hermann, Bischof Meisner etc.
Sarrazin – bürgerlicher Biedermann und rassistischer Brandstifter
Anti-semitischer Anti-Zionismus bei Linken und Rechten
Organisierte Neo-Nazis und andere Rassisten
Rechtsterroristische Gruppen
Die Jenaer Gruppe NSU – Ein Beispiel
Jena - Ein Beispiel in Thüringen
Die Ent-Nazifizierung in Jena
Rassistische Vorfälle in Jena und Umgebung seit 1990
V. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
Chronologie rassistischer Ereignisse in der DDR
1945
1946
1947
1948
1949
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
1962
1963
1964
1965
1966
1967
1968
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
Chronologie rassistischer Tötungen (1990 bis 2011)
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
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Harry Waibel

Rassisten in Deutschland

Peter Lang

Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung und Lichtbildwerk: © Olaf Gloeckler, Atelier Platen, Friedberg

ISBN 978-3-653-02245-2 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-02245-2 ISBN 978-3-631-63848-4 (Print) © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2012 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

7

I. Einleitung Rassismus – eine Definition Nazis und Neo-Nazis Zur Quellen- und Archivsituation

11 13 17 20

II. Rassisten in der BRD (1949 bis 1990) Ent-Nazifizierung und Alte Nazis Rassistische Parteien und Gruppen Rassistische Skinheads und Hooligans Rechtsterroristische Anschläge Rassistische Latenz Rechtspopulistische Offensiven Ausländische Arbeiter („Gastarbeiter“) Gesellschaftlicher Rassismus Anti-semitischer Anti-Zionismus bei deutschen Linken Exkurs – Beginn des anti-semitischen Anti-Zionismus

23 23 28 35 38 48 49 55 57 60 64

III. Rassisten in der DDR (1949 bis 1990) Ent-Nazifizierung und Alte Nazis Neo-Nazis und andere Rassisten Wie und Warum gegen Nazis? Ausländische Arbeiter („Vertragsarbeiter) Anti-slawische Polenfeindschaft Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD) „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt – Ein Beispiel Der Tod des Carlos Conceicao Staßfurt – Eine historische Rekonstruktion Anti-Semitischer Anti-Zionismus nach Innen und Außen Militarisierung der Gesellschaft Chauvinistischer Nationalismus

71 71 86 94 97 111 116 120 124 127 137 146 150

IV. Rassisten in Deutschland (ab 1990) Rassistische Pogrome Einwanderung „Russland-Deutsche“ Zur Situation der Flüchtlinge Aus rassistischen Motiven Getötete Rassisten in der DDR?

155 155 162 166 169 172 174 5

Rechtspopulistische Offensiven Angriffe auf die „Wehrmachts-Ausstellungen“ Goldhagens Thesen Bubis-Walser-Debatte Die Rede von Martin Hohmann Das „Israel-Gedicht“ von Günter Grass Eva Hermann, Bischof Meisner etc. Sarrazin – „Biedermann und Brandstifter“ Anti-semitischer Anti-Zionismus bei Linken und Rechten Organisierte Neo-Nazis und andere Rassisten Rechtsterroristische Gruppen Die Jenaer Gruppe NSU – Ein Beispiel Jena – Ein Beispiel in Thüringen Die Ent-Nazifizierung in Jena Rassistische Vorfälle in Jena und Umgebung seit 1990

177 178 179 181 182 184 186 187 193 198 202 204 210 212 217

V. Schlussfolgerungen

223

Literaturverzeichnis

233

Abkürzungsverzeichnis

255

Anhang

261

Chronologie rassistischer Ereignisse in der DDR

261

Chronologie rassistischer Tötungen (1990 bis 2011)

403

6

Vorwort Dieses Buch ist deshalb entstanden, weil meine zeithistorische Forschungsarbeit zum Verlauf und zu den Ursachen von Rassismus und Anti-Semitismus in der DDR ein Wissen hervorgebracht hat, dass erklären kann, wie die gegenwärtige Entwicklung von vielen Deutschen hin zu rassistischen Einstellungen und Taten zu verstehen ist. Besonders die exorbitante Erscheinung rassistischer Übergriffe auf dem Territorium der ehemaligen DDR ist hier von besonderer Bedeutung, weil bisher die dazu gehörenden, wissenschaftlich eruierten Fakten, nur in ungenügender Weise Berücksichtigung gefunden haben. Schon zu Beginn meiner Beschäftigung mit dieser Problematik konnte ich feststellen, dass Informationen über rassistische bzw. anti-semitische Einstellungen und Taten in der DDR nicht unbedingt und nicht überall erwünscht waren. Die Gründe dafür lagen nun nicht nur allein an einer ablehnenden Haltung in den Medien bzw. den Wissenschaften sondern sie sind auch der Tatsache geschuldet, dass es eine einflussreiche Gruppe ehemaliger SED-Funktionäre und –Wissenschaftler gibt, die mit und über ihre publizistischen Möglichkeiten den Kampf aufgenommen haben, gegen unerwünschte Veränderungen des Geschichtsbildes über die DDR. Kurz nach der Auflösung des ost-deutschen Staates in die BRD, lamentierten sie, dass Kritik (aus dem Westen) am Anti-Faschismus abgewehrt werden müsse, weil es darum ginge die anti-faschistische DDR zu „delegitimieren“. Die wissenschaftlich erarbeiteten Tatsachen über die Existenz von Anti-Semiten und Rassisten im Staat und in der Gesellschaft der DDR stellten sie als Lügen dar, wie sie schon durch die NSDAP praktiziert worden seien. Ihre erfolgreiche Abwehr einer wichtigen Erkenntnis über den Verlauf der Entwicklung des Rassismus im 20. Jahrhundert hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass keine tiefgründigen Konzepte für den Kampf gegen Rassisten bzw. Anti-Semiten in Deutschland entwickelt worden sind. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille und auf der anderen Seite steht die Ignoranz der akademischen Wissenschaften. Zum Beginn meiner Forschungsarbeit war mir bewusst, dass ich in den Besitz brisanter Informationen gelangt war und meine Schwierigkeiten mit diesem Thema lagen nicht nur darin begründet, dass ich mich dem am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin dominierenden, etablierten Forschungsansatz der Vorurteils- bzw. Extremismusforschung verweigert habe, diese wissenschaftliche Auffassung ist der Totalitarismusforschung zu zurechnen, deren grundlegende Bestimmung die Gleichsetzung von extremen linken mit extrem rechten Auffassungen zur Voraussetzung hat. Ein wesentlicher Ausdruck des wissenschaftlichen Mainstreams in der gegenwärtigen Forschung ist, dass sie im Wesentlichen, also in ihren begrifflichen und inhaltlichen Kategorien, mit denen des Verfassungsschutzes übereinstimmt. Spätestens als ich am ZfA eine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz kategorisch ablehnte, war meine historisch-materialistische Position nicht mehr zu halten und ich musste das Institut verlassen. Heute ist die Kooperation zwischen dem ZfA und dem Inlandsgeheimdienst so weit fortgeschritten, dass im ZfA ein Arbeitsplatz eingerichtet worden ist, der die Zusammenarbeit institutionell gewährleistet. Der Schwenk des ehemaligen Direktors des ZfA hin zu einem Forschungsgegenstand „Islamphobie“, ist Ausdruck einer über viele Jahrzehnte vernachlässigten Theoriebildung über die Notwendigkeit der Ausdehnung des bishe7

rigen Forschungsgebietes „Antisemitismus“ auf die Erforschung der Ursachen von Rassismus in Deutschland, vor und nach 1945. Von vornherein war es aus rationalen Gründen völlig unhaltbar, aus dem Spektrum der Opfer des Nazismus, allein den Holocaust an den Juden erforschen zu wollen und gleichzeitig die anderen Opfergruppen, wie z. B. die Opfer der „Euthanasie“, die Sinti und Roma, die „Asozialen“, die Religiösen, die Sozialisten und Kommunisten als Gegenstand akademischer Forschung zu verleugnen. Für mein Verständnis vom Begriff und der Funktion der Neo-Nazis von 1945 bis Mitte der 1980er Jahre ist das Standardwerk von R. Opitz grundlegend, was dort jedoch fehlt, ist die Wahrnehmung von Rassisten und Neo-Nazis in der DDR.1 Diesen weißen Fleck gab es auch bei den etablierten Wissenschaften und demzufolge auch bei Bildungs- und Forschungsinstituten der Parteien (SPD, Die Grünen, Linkspartei, usw.) als auch in Redaktionen von Publikationen, wie z. B. bei den Tageszeitungen junge Welt oder das Neue Deutschland sowie in Publikationen wie z. B. Konkret, analyse und kritik, Argument, Sozialismus, etc., die allesamt ihr notleidendes Verständnis über neo-nazistische und rassistische Vorgänge in der von Kommunisten geführten DDR demonstrierten. Lange Zeit sah es so aus, als sollte auf jeden Fall verhindert werden, dass diese Fakten bekannt werden – so etwas nenne ich Zensur. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass diese Ignoranz auch deshalb praktiziert wurde, um liebgewordene historische und politische Gewissheiten, grundsätzlich nicht in Frage stellen zu müssen. Die Tatsache, dass sich bis 1990 niemand wissenschaftlich mit dieser Thematik befasst hatte, zeugt von einer kollektiven Verdrängungsleistung der als unangenehm empfundenen Tatsachen. Der Verlagsleiter des PapyRossa Verlag in Köln, J. Harrer, er verlegte meine Dissertation als Hochschulschrift – versäumte es aber mir mitzuteilen, dass er ein Jahr später eine 2. Auflage drucken und verkaufen konnte.2 Vom damaligen Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) war mir der Stempel „Außenseiter“ aufgedrückt worden und deshalb war mir spätestens ab diesem Zeitpunkt klar, wo mein Platz zukünftig sein konnte. Nach einer schweren Erkrankung war ich für einige Jahre nicht arbeitsfähig und konnte so erst nach meiner Genesung meine Arbeit fortführen. Danach hatte ich quasi resigniert ob der Widrigkeiten die sich mir in den Weg stellten, denn schließlich gab es niemanden der meine Arbeit finanziell gefördert hat, die ich also ausschließlich mit persönlichen Mitteln betrieben habe. Erst mit der Veröffentlichung meines dokumentarischen Handbuchs „Diener vieler Herren“ beim Peter Lang Verlag, schöpfte ich neuen Mut und begann mit der Arbeit am geplanten Manuskript über „Rassisten in Deutschland“, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt wusste was der bekannte Dokumentarist Joseph Wulf am Ende seines Lebens seinem Sohn im letzten Brief am 2. August 1974 geschrieben hatte: „Ich habe 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht und das alles hat keine Wirkung. Du kannst Dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen“. Wulf nahm sich 1 Opitz, S. 179-274. 2 Vgl. Waibel (1996).

8

am 10. Oktober 1974, aus Verzweiflung über die Wirkungslosigkeit seines Tuns, das Leben.3 Den Mitarbeitern des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde und den Mitarbeitern des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Berlin danke ich für die fachliche Beratung. Ebenso danke ich den Mitarbeitern der Staatsbibliothek Berlin in der Potsdamer Straße, den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität Berlin sowie den Mitarbeitern der Senats- und Landesbibliothek von Berlin für ihre tatkräftige und sachkundige Hilfe bei der Literatursuche. Danken möchte ich auch Karl-Heinz Roth, der ab 2006 bzw. 2007 in seinem Publikationsorgan meine Forschungsergebnisse veröffentlichte. Meiner Frau und Freundin Marita Waibel danke ich für ihre unermüdliche Bereitschaft zur Kommunikation über die wesentlichen Inhalte dieses Buches.

3 Der Tagesspiegel, 27.10.2010; http://de.wikipedia.org./w/index.php?title=Joseph_Wulf.

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I. Einleitung Beide autoritären Herrschaftsformen, Faschismus und Stalinismus brauchen denselben autoritätsgebundenen Charakter zur Durchsetzung und Stabilisierung ihrer Macht und für die Verarbeitung des Nazismus und seiner Folgen in der DDR gilt, dass der Faschismus nachlebt; dass die viel zitierte Aufarbeitung nicht oder nur unvollkommen gelungen ist, und „Für beide totalitären Formen aber sind die gleichen Typen anfällig. Man beurteilte die autoritätsgebundenen Charaktere überhaupt falsch, wenn man sie von einer bestimmten politisch-ökonomischen Ideologie her konstruierte; die wohlbekannten Schwankungen der Millionen von Wählern vor 1933 zwischen der nationalsozialistischen und der kommunistischen Partei sind auch sozialpsychologisch kein Zufall. […] Autoritätsgebundene Charaktere identifizieren sich mit realer Macht schlechthin, vor jedem besonderen Inhalt. Im Grunde verfügen sie nur über ein schwaches Ich und bedürfen darum als Ersatz der Identifikation mit großen Kollektiven und der Deckung durch diese.“4 Fragen nach Form und Inhalt der Abwehr neo-nazistischer Gefahren sind in der Regel verbunden mit Fragen, die mit politisch-psychologischen Instrumentarien beantwortet werden können. Diese Probleme gehen zurück auf das kaum verarbeitete Trauma der Niederlage der bürgerlichen und proletarischen Kräfte gegen den deutschen Faschismus. Die kollektiven und individuellen traumatischen Erfahrungen dieser historischen Niederlage bestimmen Form und Inhalt der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit den Rassisten. Die in der Geschichte der Deutschen begründeten mentalen und emotionalen Unsicherheiten über den Misserfolg ihrer anti-faschistischen Anstrengungen sind, neben einer neuen faschistischen Gefahr an sich, das Hauptproblem in den politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der Gegenwart.5 Rassismus in latenter oder manifester Form ist, seit dem Untergang des NS-Systems, Teil der politischen und sozialen Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die als bürgerlich verfasste Industriegesellschaft zu definieren ist. Die Befreiung Deutschlands vom Nazismus im Mai 1945 war zugleich das Datum für den Untergang der führenden Organisation des deutschen Faschismus: der NSDAP, sowie ihrer zahlreichen Unterorganisationen. Hier waren die inhumanen und anti-demokratischen Potentiale Deutschlands zusammengefasst und zu tragenden ideologischen und politischen Säulen des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates geformt und eingesetzt worden und seine militärische Zerschlagung manifestiert zugleich den Neubeginn des organisierten und unorganisierten Neo-Nazismus in der deutschen Nachkriegszeit. Der größere Teil der ehemaligen NS-Politiker und -Funktionäre blieb entweder ohne neue Parteimitgliedschaft oder sie wurden nach ihrer „Läuterung“ aktiv in den verschiedenen Parteien der sich neu konstituierenden repräsentativen Demokratie im Westen oder unter der Kontrolle der SED im Osten. Radikal gebliebene ehemalige Nazis organisierten sich ab 1945 unter den veränderten politischen Bedingungen in wieder zugelassenen parlamentarisch orientierten Parteien oder Organisationen im 4 Adorno (1981), S. 10 u. S. 17. 5 Klönne (1986), S. 5-12.

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Westen, während für sie in der DDR die NDPD vorgesehen war. Der Anti-Faschismus, mit welchen Inhalten und in welcher Form auch immer, wurde in der BRD und in der DDR Teil der jeweiligen Staatsraison. Nur bei den politischen und diplomatischen Beziehungen zum Staat Israel sowie den „Reparationszahlungen“ unterschieden sich die beiden deutschen Staaten fundamental. Wiedergutmachungszahlungen wurden ausschließlich vom Westen aus geleistet und die deutsch-israelischen Besprechungen dazu, wurden von heftigen anti-semitischen Reaktionen begleitet. Die Ziele der von den Siegermächten der Anti-Hitler-Koalition, also USA, UdSSR und Großbritannien im Potsdamer Abkommen vorgesehene Nachkriegsordnung für Deutschland waren mit den vier großen Buchstaben „D“ zusammengefasst: Demilitarisierung, De-Nazifizierung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Demilitarisierung bedeutete hier die Zerschlagung des militärisch-industriellen Komplexes und Auflösung der Wehrmacht und der Waffen-SS. Doch unmittelbar danach begannen im Westen und im Osten, auch das waren Folgen des aufziehenden „Kalten Krieges“, die Planungen für den Aufbau von Armeen (Bundeswehr, Nationale Volksarmee). De-Nazifizierung bedeutete die Auflösung und ein Verbot jeglicher nazistischer Organisation. Die Verfassungen sollten diesen Zustand bestätigen: Als einen wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung sah das Grundgesetz die Entmachtung des Präsidenten vor, die 5%-Sperrklausel bei Wahlen, die Reglementierung der Parteien-Finanzierung, Implemtierung eines politisch bestimmen Asylparagraphens und den Föderalismus, was zur Abwehr eines allfälligen, zukünftigen Zentralismus beitragen sollte. Ohne eine Wahrnehmung der hier in aller Kürze nur angesprochenen zeithistorischen Voraussetzungen, kann die Entwicklung der Rassisten gegenwärtig in Deutschland nicht verstanden werden, denn Rassisten konnten in Deutschland von 1933 bis 1945 nur in einer derartig bestialischen Art und Weise vorgehen, weil sich die meisten Deutschen mit ihrem Staat und ihrer Gesellschaft in verschwörerischer Manier entschlossen hatten, Ausländer, und dazu zählten sie Juden und Zigeuner, entweder aus dem Land zu vertreiben oder sie zu quälen und schließlich in Massen zu ermorden. Diese Mordmaschine tötete Millionen von Kindern, Frauen und Männern unter Anleitung von sogenannten Wissenschaftlern aus den Bereichen Medizin und Anthropologie, die für diese unsäglichen Verbrechen einen Hauch von Wissenschaftlichkeit ausgebreitet haben, die schließlich zur Legitimierung ihres Vorgehens diente. Für die Masse der rassistisch verseuchten Deutschen war diese Konstellation auch in der Weise willkommen, als ihnen die NS-Propaganda vorrechnete welche Kosten „unnütze Esser“ verursachten. Dieser anthropologisch und medizinisch vorbereitete und durchgeführte Massenmord wurde organisiert von hochqualifizierten Wissenschaftlern, Frauen bildeten eine marginale Minderheit in dieser Barbarei, deren organisatorisches Zentrum die terroristische „SS“ war. Zusammen mit der Wehrmacht, nachdem die Lage im Reich selbst bis zum Beginn des Krieges gegen die Sowjet-Union weitgehend in ihrem Sinne geklärt war, ermordeten sie im Osten Europas Millionen von polnischen, russischen oder ukrainischen Kindern, Frauen und Männer. AntiSemitismus halte ich für eine besondere Form des Rassismus und wird hier erwähnt, um diesen Zusammenhang klar zu machen. Mit diesen Morden waren Tausende und Tausende von Deutschen zu „willigen Vollstreckern“ (Goldhagen) des Rassenwahns 12

geworden. Nach der militärischen Niederlage des „3. Deutschen Reichs“ blieben diese Mörder in Ost- wie in West-Deutschland ab Anfang der 1950er Jahre weitgehend von juristischer Verfolgung unbehelligt und ihre politische Gleichstellung war dann in beiden deutschen Staaten abgeschlossen. Die in Nürnberg von den Alliierten verurteilten wenigen Spitzenfunktionäre der NSDAP oder der SS, wurden mit dem Tod oder mit Gefängnis bestraft – das Gros der Täter blieb unbehelligt. Die Deutschen selbst hielten sich mit einer angemessenen und deshalb radikalen Abrechnung auf juristischer oder politischer Basis weitgehend zurück. Es gab einige spektakuläre Prozesse, wie z. B. die Waldheimer Prozesse in der DDR oder die Prozesse in Ulm, Düsseldorf oder Frankfurt/M. in der BRD. Eine tiefgreifende Aufarbeitung der Ursachen und des Verlaufs des NS-Faschismus blieb beinahe vollständig aus. In die Führungen der Parteien und der Staatsorgane zogen diejenigen „Spezialisten“ wieder ein, die bereits schon bis 1945 ihre Treue zum deutschen Staat unter Beweis gestellt hatten und die nun unter den ganz anderen Bedingungen wieder ihren Dienst für Staat und Gesellschaft fortführen konnten. Die verfehlte Ent-Nazifizierung war, für die ab 1949 entstandenen beiden deutschen Nachfolgestaaten des Nazi-Deutschlands, eine bedeutende Ursache für die neue Belebung rassistischer Arroganz, bis in die Gegenwart hinein. Die vielen Beispiele von Tätern die an den NS-Massenmorden beteiligt waren und die nie, weder politisch noch juristisch dafür belangt worden sind, bildeten politische und personale Quellen aus denen heraus sich Rassisten aus den nachfolgende Generationen entwickeln konnten. Aus gegenwärtiger Sicht ist die immense Ausdehnung rassistischer Vorstellungen in den Gebieten der neuen Länder im Osten Deutschlands auch darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung dort, von 1933 bis 1945 und danach bis 1989, zuerst in einer Diktatur der Rechten und dann in einer Diktatur der Linken zu leben hatten. Das bezieht sich vor allen Dingen auf die gesellschaftlichen Bereiche in und mit denen Prozesse der politischen Willensbildung und Information zur Entwicklung von Bewußtsein initiiert werden und wo aufgeklärt wird über die grundlegenden politischen und philosophischen Tatsachen, die für den Bestand von Gesellschaft und Staat von Bedeutung sind. Teilweise haben solche Prozesse in West-Deutschland, verstärkt mit der Jugendrevolte in den späten 1960er Jahren, in wichtigen Bereichen, wie z. B. in den Medien und in fast allen Universitäten, Hochschulen und Schulen dazu geführt, dass Einstellungen und Verhalten gegenüber Ausländern sich wahrnehmbar, im Sinne eines laissez-faire, haben rationalisieren lassen. Das würde meine Einsichten stützen, die ich im Laufe der Arbeit mit den deutschen Rassisten gewonnen habe, nämlich, dass es in einem Land, in dem es eine entwickelte Demokratie gibt, in dem also nicht nur der politische Bereich demokratischen Prinzipien unterworfen ist, dass es in einem solchen Land keine Rassisten geben kann und wird. Rassismus: Eine Definition Der Kern der rassistischen Ideologie ist die falsche Behauptung, Menschen gehörten „natürlich“ zu biologisch determinierten Gruppen und diese Konstellationen müssten

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die Ordnung bzw. die Hierarchie der sozialen Systeme bestimmen.6 In der Regel werden biologistische bzw. sozial-darwinistische Konstruktionen, explizit oder implizit, verknüpft mit sexistischen und nationalistischen Anschauungen, die ebenfalls autoritär festgelegt, hierarchische Bewertungen zum Inhalt haben. Begriffe wie „Fremdenhass“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ bezeichnen virulente oder temporäre Formen rassistischer Einstellungen, versperren aber ehe den Weg zu einem grundlegenden Verständnis tiefer liegender Anschauungen der Ungleichheit. „So stellt der Rassismus, obgleich abgeschwächt, noch immer eine wirkliche Gefahr dar. Sein Weiterbestehen auferlegt dem Historiker die Pflicht, ein Urteil zu fällen, und dabei kann es sich nicht um eine einfache Feststellung, einen kühlen Überblick über die Tatsachen handeln, sondern nur um ein ethisches Urteil. Alles in allem und unabhängig davon, was die Wissenschaft zur Stützung unserer Thesen beitragen kann, beruht die Behauptung, daß alle Menschen grundsätzlich gleich sind, auf einer moralischen Entscheidung, einem ideologischen Apriori.“7 So ist mein Fokus auf die Erforschung der Rassisten ausgerichtet, da bisher für Deutschland keine, der Situation angemessene Aufklärung zu Stande gebracht wurde, ja sogar der Begriff „Rassismus“ wird konsequent z. B. vom Bundestags-Präsidium gerügt, wie wir aus W. Stenders Aufsatz über ideologische Syndrome und die Aktualität des sekundären Antisemitismus in Deutschland wissen. Er schreibt: „Wenn man sich öffentlich Umgang mit Rassismus in Deutschland anschaut, trifft man tatsächlich auf ‚very german specialities’. Dazu gehört, dass über Rassismus jahrzehntelang nur mit unmittelbarem Bezug auf den Nationalsozialismus gesprochen werden konnte. Ähnlich wie beim Antisemitismus kamen kollektive Abwehrstrategien zum Zuge, die nur die Möglichkeit der absoluten Diskontinuität zur Nazivergangenheit zuließen. Auch hier wurde – und zwar in der DDR wie in der BRD – nach dem Gesetz der unmöglichen Tatsache gehandelt: Rassismus hat es gegeben, aber es gibt ihn nicht mehr. […] Selbst nach den rassistischen Pogromen zu Beginn der 90er Jahre wurde im politischen, wissenschaftlichen und medialen Mainstream bagatellisierend von „Fremdenfeindlichkeit“ und „Rechtsextremismus“ gesprochen, aber fast nie von Rassismus. Die offizielle Tabuierung des Rassismus ging mit der Rassismuskritik Hand in Hand. Wenn man erklären will, warum sich bis heute – im Unterschied zu anderen europäischen Ländern und den USA – keine Rassismusforschung in Deutschland etablieren konnte, wird man sich mit Irrationalitäten dieser Art beschäftigen müssen. Wie der sekundäre Antisemitismus ist auch der sekundäre Rassismus Symptom einer ‚unbewältigten Vergangenheit’ (Adorno). Er ist Teil des spezifisch deutschen ideologischen Syndroms.“ Dieses Syndrom des verleugnenden Verdrängens der rassistischen Verbrechen und der Täter im Nazismus betrifft die kollektive Bewusstseinslage der Deutschen nach 1945 sowohl in der DDR als auch in der BRD. Das deutsche ideologische Syndrom aus Nationalismus und Rassismus bzw. Anti-Semitismus ist nach 1945 nicht verschwunden und seine unveränderten Achsen wurden (von Adorno) aufgezeigt: Aus „völkisch“ wurde „ethnisch“, aus „Rasse“ wurde „Kultur“ und aus Anti-Semiten wurden Anti-Zionisten oder Philo-Semiten. Nicht nur Anti-Semi6 Balibar/Wallerstein, S. 49-81. 7 Poliakov u. a., S. 144.

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tismus sondern auch Nationalismus und Rassismus durften öffentlich nicht stattfinden, wucherten aber sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene der Alltagskultur wie auch in der Form eines institutionalisierten Rassismus fort.8 Der Begriff Rassismus ist abgeleitet aus „Rasse“ und taucht in wissenschaftlichen und alltäglichen Beschreibungen immer wieder auf. Das Instrumentarium zur Bestimmung „rassischer“ Merkmale ist aufgebaut auf ideologisch vorgeprägten falschen Wahrnehmungen unterschiedlicher biologischer, rsp. kultureller Besonderheiten. Kern der rassistischen Ideologie ist die falsche Behauptung, Menschen gehörten „natürlich“ zu biologisch determinierten Gruppen und diese Konstellationen würden die jeweiligen sozialen Systeme bestimmen. In der Regel werden diese mehr oder weniger biologistischen Konstruktionen verknüpft mit sexistischen und nationalistischen Anschauungen.9 Rassismus ist das Kernstück der Ideologie der ungleichen Wertigkeit und die Rassisten die seit 1945 in beiden deutschen Staaten aktiv geworden sind, haben diese Ansichten übernommen und sie haben sie sich zu Eigen gemacht. „Da es in Wirklichkeit also keine menschlichen ‚Rassen’ gibt, ist der Glaube daran, auf dem Rassismus gründet, völlig absurd. Oder, wenn man so will, ist bereits die Tatsache allein, von menschlichen ‚Rassen’ zu sprechen und deren Existenz als gegeben vorauszusetzen, Rassismus und keine wissenschaftliche Haltung“.10 Meine Definition des Rassismus schließt den Anti-Semitismus als eine besondere Variante ein. Rassismus verstehe ich daher als ein wichtiges, zentrales Element der Ideologie der Neo-Nazis, so wie sich diese pseudo-wissenschaftlichen Behauptungen seit dem 19. Jahrhundert herausgestellt haben und zu politisch wirksamer Relevanz gekommen sind. Rassismus verstehe ich als ein Zentrum der nazistischen und neonazistischen Ideologie und Politik und die Basis auf der er aufbaut ist die militarisierte Vorstellung einer deutschen, nationalen Überhebung über Menschen oder Nationen aus dem Osten und dem Süden. Was sich hier nun, besonders seit dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten entwickeln konnte, sind Vorstellung zur Ausschaltung eines imaginierten Feindes. Diese, in den Vorstellungen der Rassisten existierenden „überflüssigen Esser“, sollen ausgelöscht werden und in der rassistischen Logik bedeutet dies die Vernichtung von Obdachlosen, AfrikanerInnen, AsiatInnen oder Behinderten und jede Tat ist zugleich Propaganda für die Lösung des von ihnen imaginierten Problems. Für die in deutschen Schulen und Universitäten geschulten Spezialisten zur Erkennung bzw. Unterdrückung des rassistischen Problems, stellt der Mangel an schriftlichen Darlegungen zur Begründung rechtsterroristischer Aktionen oder Morde, offensichtlich ein unüberwindbares Hindernis bei der Wahrnehmung der politischen Absichten des lokal, regional und bundesweit organisierten Netzes der Rassisten in Deutschland dar. Die Erklärung der UNESCO zum Rassismus wurde 1978 in Paris verabschiedet, und sie legt in 10 Artikeln die Prinzipien ihrer Arbeit fest. Im Artikel 2 findet sich die Definition von Rassismus: 8 Stender, S. 227-249; Institut für Sozialforschung (Hg.), S. 10 u. S. 12. 9 Balibar/Wallerstein, S. 49-81. 10 Delacampagne, S. 10f.

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„1. Jede Theorie, welche die Behauptung enthält, dass bestimmte „Rassen“ oder Volksgruppen von Natur aus anderen überlegen oder unterlegen sind, und somit impliziert, dass einige das Recht hätten, andere als unterlegen angesehene zu beherrschen oder zu beseitigen, oder welche Werturteile auf Rassenunterschiede gründet, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage und widerspricht den moralischen und ethischen Grundsätzen der Menschheit. 2. Rassismus umfasst rassistische Ideologien, voreingenommene Haltungen, diskriminierendes Verhalten, strukturelle Maßnahmen und institutionalisierte Praktiken, die eine Ungleichstellung der „Rassen“ zur Folge haben, sowie die irrige Vorstellung, dass diskriminierende Beziehungen zwischen Gruppen moralisch und wissenschaftlich zu rechtfertigen seien; er findet seinen Niederschlag in diskriminierenden Gesetzen oder sonstigen Vorschriften und diskriminierenden Praktiken sowie in gesellschaftsfeindlichen Überzeugungen und Handlungen; er behindert die Entwicklung seiner Opfer, verdirbt diejenigen, die ihn ausüben, spaltet die Nationen in sich, hemmt die internationale Zusammenarbeit und verursacht politische Spannungen zwischen den Völkern; er widerspricht den elementaren Grundsätzen des Völkerrechts und stört somit ernsthaft Weltfrieden und die internationale Sicherheit. 3. Rassistische Vorurteile, die in der Geschichte mit ungleicher Machtverteilung verbunden sind, verstärkt durch wirtschaftliche und soziale Unterschiede zwischen Personen und Gruppen, und die auch heute noch darauf gerichtet sind, solche Ungleichheiten zu rechtfertigen, entbehren jeglicher Berechtigung.“11 Mit dieser Definition von Rassismus sind die Inhalte abgedeckt, die für die Begriffe „Fremdenfeindlichkeit“, „Fremdenhass“, „Xenophobie“ usw. konstitutiv sind. Als Ideologie teilt der Rassismus bestimmte Merkmale mit anderen Ideologien und das zentrale gemeinsame Merkmal ist die falsche Behauptung, es gebe innerhalb der menschlichen Gattung natürliche Unterteilungen, die angeboren und universell seien. Die zwei wichtigsten Ideologien, mit denen der Rassismus sich verknüpft, sind Sexismus und Nationalismus. Sexistische Argumentationen behaupten darüber hinaus, dass die angenommenen Unterschiede die andersgeartete und abwertende Behandlung der Frauen erklären und rechtfertigen. Der Verknüpfung zwischen Rassismus und Nationalismus ist weniger Aufmerksamkeit gewidmet worden, obwohl es jedoch seit einiger Zeit Anzeichen eines verstärkten Interesses für diesen Zusammenhang gibt. Auch die nationalistische Ideologie geht von der Existenz naturgegebener Unterteilungen innerhalb der Weltbevölkerung aus, mittels derer sich Kollektivgruppen gegeneinander abgrenzen, die ihr jeweils eigenes kulturelles Profil und von daher je eigene Fähigkeit zur Bildung eines politisch autonomen Nationalstaates innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes besitzen.12 Im Konzept eines ethnopluralistischen Europas ist diese Position sichtbar geworden, quasi als Ergebnis einer Zusammenarbeit deutsch-französischer Wissenschaftler, die vom Boden der Ungleichheit aus, argumentieren. Doch auch wenn der Rassismus aus dem Ethnozentrismus entstanden sein mag, so geht er doch weiter als dieser, weiter als die Xenophobie, denn er begnügt sich nicht damit zu betonen, „dass bestimmte Kategorien von Menschen 11 http://www.unesco.de/erklaerung_rassist_vorurteile.html. 12 Miles, S. 116f.

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minderwertiger als andere seien, sondern diese fragliche Minderwertigkeit auch noch angeblich objektiv, nämlich auf biologischer Basis untermauert. Dies aber macht die Gefahr des Rassismus aus, versucht er doch dem Hass auf den Anderen eine objektive Grundlage zu geben. Natürlich ist das keine wirkliche Grundlage. […] Da es in Wirklichkeit also keine menschlichen ‚Rassen’ gibt, ist der Glaube daran, auf dem der Rassismus gründet, völlig absurd. Oder, wenn man so will, ist bereits die Tatsache allein, von menschlichen ‚Rassen’ zu sprechen und deren Existenz als gegeben vorauszusetzen, Rassismus und keine wissenschaftliche Haltung“.13 Die sexistische Variante war in vielen rassistischen Fällen auch in der DDR zu beobachten, wo verknüpft mit national-chauvinistischen Inhalten, diese Stereotypie ein elementarer Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der deutschen Bevölkerung war. Das bedeutet nicht, dass in der BRD oder in der deutschen politischen und sozialen Gegenwart diese Kombination nicht vorhanden ist, aber es erstaunt eben nach wie vor, dass es in einem Land vorkam, dass von Kommunisten regiert wurde, die bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre laut tönten, dass bei ihnen „die Wurzel für Rassismus und Faschismus“ ausgerottet wären. Offiziell also bezogen viele Organisationen und Institutionen, einschließlich des Staates selbst, gegen den Rassismus Stellung, jedoch wurden besonders die ausländischen Arbeiter aktiv und passiv diskriminiert. Sie hatten niedrig bezahlte körperliche Arbeit und mangelhafte Wohnverhältnisse zu ertragen und der Grund findet sich in rassistisch motivierten oder gerechtfertigten Ausgrenzungspraktiken der DDR-Regierung.14 Nazis und Neo-Nazis Diese Begriffe verwende ich als synonyme Oberbegriffe für die Rassisten und da es mein Anspruch ist, eine systematische Darstellung der rassistischen Ereignisse in Deutschland vorzunehmen, habe ich mich dafür entschieden, die rassistischen Schreibtischtäter und die Ausführenden insofern zu thematisieren, um sie und ihr Vorgehen so konkret wie möglich zu beschreiben. Die Begriffe „Nazis“ bzw. „NeoNazis“ beziehen sich auf die Zeit vor und nach 1945 und ihnen ist gemein ein rassenbiologisch geprägtes völkisches Menschenbild, auf das die autoritären Vorstellungen eines ethnisch homogen Nationalstaates aufbauen, in dem ist für die Verhassten, wie z. B. Juden, Ausländer, Behinderte, Homosexuelle oder Obdachlose, kein Platz vorgesehen ist.15 Die sozialdarwinistischen Leitsätze der gegenwärtigen Rassisten sind weitgehend den Inhalten der Nazis aus der NSDAP oder SS entlehnt. Die Begriffe „Faschismus“, „Neo-Faschismus“ oder „Anti-Faschismus“ verwende ich deshalb nicht mehr, weil sie historisch und politisch eher als Kampfbegriffe verwendet werden. Der Begriff „Nazismus“ drängte sich auf, weil die Begriffe „Rechtsextremismus“ oder „Rechtsradikalismus“, die beliebig synonym verwandt werden, strukturelle und grundsätzliche Mängel aufweisen. Bei der Erfassung der historischen, politischen, sozialen, ökonomischen, ideologischen und psychologischen Ursachen und 13 Delacampagne, S. 7-10f. 14 Miles, S. 7. 15 Marcuse (1998), S. 75-79.

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Auswirkungen der rassistischen oder neo-nazistischen Angriffe erweisen sie sich als nicht brauchbar, weil mit ihnen die notwendige Tiefe und Breite der Erkenntnisgewinnung nicht zu realisieren ist. Ebenso finden die Begriffe „Fremdenfeindlichkeit“, „Fremdenhass“ oder „Ausländerfeindlichkeit“ ein angemessenes Synonym im Begriff „Rassismus“ bzw. „rassistisch“. Die Vorsilbe „Neo“ hat auch deshalb ihre Berechtigung, weil die Vorstellungen über einen „neuen“ Nazismus von den „neuen“ Rassisten weiterentwickelt worden sind und weil deshalb die imaginierten Bilder der historischen Nazis und vom Begriff des Nazismus losgelöst werden müssen, um erkennen zu können, in welcher Situation sich das Land befindet. Trotz der nach historischen Vorbildern drapierten Neo-Nazis auf Straßen und Plätzen, besonders in Deutschland, gehe ich davon aus, dass ein „neuer“ Nazismus, falls er überhaupt zustande kommen sollte, in neuen Formen auftreten wird, die nicht identisch sein werden mit denen der NSDAP, SS oder SA. Die Anlehnung der Kostümierung an den NS-Faschismus, den die Neo-Nazis an den Tag legen, soll visuell und propagandistisch an die im historischen Bewusstsein der Öffentlichkeit verankerten faschistischen Formen anknüpfen und eine zentrale Funktion erfüllen: Rehabilitierung der rassistischen Ideologie als Voraussetzung für die Realisierung ihrer politischen und geopolitischen Ziele. Die gesamte Entwicklung der Versuche der Rehabilitierung des historischen Nazismus zeigt auch einen Zwang zur imitatorischen Wiederholung des untergegangen Nazismus, nach dem Motto: „Dieses Mal machen wir es besser und vor allem machen wir es richtig“. Es kommt hier zum Ausdruck, was wesentliche Teile der beiden deutschen Gesellschaften und Staaten nach 1945 praktiziert haben: Verdrängung der Ursachen und Folgen des Nazismus. Für West-Deutschland haben R. Giordano in „Die zweite Schuld“ (1987) und ebenso W. Haug mit seinem Band „Der hilflose Antifaschismus“ (1970) wegweisendes dazu vorgelegt. Um zu verstehen, wie die gegenwärtige Entwicklung der Rassisten möglich war, ist es nötig, die historischen Strukturen kenntlich zu machen, die der heutigen Situation vorausgegangen sind. Dieser Blick auf den Verlauf und die Ursachen des massenmörderischen Rassismus in der Zeit von 1933 bis 1945 lässt verstehen, wie die Rassisten nach 1945 vorgegangen sind. Noch einmal: Dazu gehören die Wahrnehmung und die Reflexion der Niederlage der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Parteien vor den Nazis, die erst von den Armeen der „Anti-Hitler-Koalition“, also von der Sowjet-Union, Großbritannien und der USA, besiegt werden konnten. Leider hat der anti-faschistische Kampf des bürgerlichen und proletarischen Widerstandes an diesem Sieg keinen nennenswerten Anteil. Der illegale Widerstand, den kleine Gruppen der deutschen Arbeiter zu leisten im Stande waren, wurde 1933/34 strukturell gebrochen und die Kollaboration der Gewerkschaftsführung des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB) mit den Nazis bestätigte diese passive Haltung gegenüber der NSDAP. Dann gab es entweder nur noch individuelle Widerstandsaktionen wie z. B. von Georg Elser oder von lokal oder regional isolierten Kernen des Arbeiterwiderstandes, die ohne größeren Einfluß auf die Mehrheit der Deutschen geblieben waren. Ähnliches gilt für den bürgerlichen und aus dem Militär stammenden Widerstand, der am 20. Juli 1944 mit dem fehlgeschlagenen Attentat auf A. Hitler mehr oder weniger endete. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der große Teil 18

der deutschen Bevölkerung entweder offen die Nazis unterstützt oder mindestens mit ihnen sympathisiert hat. Auf diesem Hintergrund blieb der 8. Mai 1945 mindestens bis zum 8. Mai 1985, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker, vom „Tag der Befreiung“ sprach, ein Tag der Niederlage. Diesem Aspekt wird in den Diskursen insofern zu wenig Beachtung geschenkt, als die Ideologie der „Stunde Null“ nach wie vor ein elementarer Bestandteil im Bewusstsein vieler Deutschen darstellt. Tatsache ist auch, dass diese Rede von Weizsäcker selbst in seiner eigenen Partei immer wieder in Frage gestellt worden ist. Um Irritationen und Verwechslungen zu vermeiden, verwende ich den Begriff „Faschismus“ entweder mit dem Zusatz „deutscher“, denn dieser Zusatz weist auf eine Unterscheidung zum internationalen Faschismus hin, wie er z. B. in Italien, Spanien oder anderswo existierte: „Der Faschismus ist eine internationale Erscheinung, die sämtliche Körperschaften der menschlichen Gesellschaft aller Nationen durchsetzt“.16 Für Reich war völlig klar: „Der Faschismus ist in seiner reinen Form die Summe aller irrationalen Reaktionen des durchschnittlichen menschlichen Charakters. Dem bornierten Soziologen, dem der Mut zur Annerkennung der überragenden Rolle des Irrationalen in der Geschichte der Menschheit fehl, erscheint die faschistische Rassentheorie bloß als imperialistisches Interesse oder, milder, als Vorurteil. Ebenso dem verantwortungslosen, phrasenhaften Politikanten. Die Rasanz und die weite Verbreitung dieser ‚Rassenvorurteile’ bezeugt ihre Herkunft aus dem irrationalen Teil des menschlichen Charakters. Die Rassentheorie ist keine Schöpfung des Faschismus. Umgekehrt Der Faschismus ist eine Schöpfung des Rassenhasses und sein politisch organisierter Ausdruck. Demzufolge gibt es einen deutschen, italienischen, spanischen, anglosächsischen, jüdischen und arabischen Faschismus“.17 Für die deutschen Kommunisten der KPD und der SED war der Begriff „Faschismus“ ab Mitte der 1920er Jahre elementarer Bestandteil ihrer Ideologie und Politik. Die „Kommunistische Internationale“ popularisierte die von Georgi Dimitroff, Mitglied im politischen Sekretariat im Moskauer Exekutiv-Komitee, entwickelte eine Definition des „Faschismus“, deren Gültigkeit in großen Teilen der Linken weder in Frage gestellt oder kritisiert wird. Diese Definition geht von der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft in ihrem imperialistischen Stadium aus. Die Wahl dieser Begriffe deutet bereits auf die theoretischen und ideologischen Grundlagen hin, die mit den Namen Marx und Lenin gekennzeichnet werden. Diese Analyse reduziert den „Faschismus“ insgesamt auf eine politisch-ökonomische Basis, bei gleichzeitiger Verdrängung seiner ideologischen, d. h. der sozial-psychologisch zu verstehenden Massenbasis. Vieles von dem, was W. Reich dazu analysiert und geschrieben hat, ist noch immer gültig und nicht nur die Bekämpfung seiner Thesen, sondern vor allem auch sein Ausschluss aus den sozialistischen und kommunistischen Diskussionszusammenhängen, wirkt bis heute nach. Ähnliche fatale Auswirkungen für die Wirksamkeit anti-faschistischer Aktionen kommt, ähnlich wie bei der Negierung der Reichschen Thesen, der stalinistischen 16 Reich, S. 13. 17 Reich, S. 14.

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Ideologie des „Sozial-Faschismus“ zu, die als falsch erkannt, 1935 zurückgenommen wurde. Mit dem Begriff „Sozial-Faschismus“ wurden die nicht-kommunistischen, besser nicht-bolschewistischen, Arbeiter-Parteien und -Organisationen der Weimarer Republik, hier besonders die SPD, denunziert. Dieser strategische Irrtum war der Tatsache geschuldet, dass mit dieser Charakterisierung, die Basis und die Wählerschaft der Sozialdemokraten, auf unzulässige Weise mit der korrupten und autoritären Führung der SPD identifiziert wurden. Ein weiter Fehler der KPD, spätestens seit E. Thälmanns KPD-Vorsitz, war die punktuelle Nähe mit der NSDAP. Als Beispiele kann dazu auf den BVG-Streik, die Schlageter-Rede von K. Radek, die anti-semitische Rede von R. Fischer und die gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen, die Anfang der 1930er Jahre durchgeführt wurden. Diese völlig falsche Politik zeigte sich auch im so genannten Hitler-Stalin-Pakt und in der terroristischen Politik der KPdSU gegenüber missliebigen deutschen Anti-Faschisten, die der SS-Gestapo überantwortet worden sind. Wegen der hier ausgebreiteten Irrtümer, Fehler und Deformationen die mit dem Begriff „Faschismus“ verbunden sind, habe ich mich dafür entschieden, den Begriff „Nazismus“ zu verwenden. Für die Kennzeichnung der Zeit von 1933 bis 1945 werden in der Regel folgende Begriffe verwandt: „Nationalsozialismus“, „Nazis“, „Hitler-Zeit“, „Drittes Reich“ o.ä. Der Begriff „Nationalsozialismus“, ist der Begriff, mit und ohne Anführungszeichen, der in der etablierten Forschung und in den Medien, benutzt wird, um die Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland zu kennzeichnen. In den letzten Jahren ist man dazu übergegangen das Kürzel „NS“ zu verwenden, was eben für „Nationalsozialismus“ steht. Die Begriffe „Nationalsozialismus“ oder „Drittes Reich“ sind Begriffe, die die Nazis selbst geprägt und eingesetzt haben. Es ist für die historische Forschung unverzichtbar eigene Begriffe und Definitionen einzusetzen, um historische Vorgänge zu kennzeichnen. Besonders bei der Analyse und Beschreibung des „Nationalsozialismus“ erscheint es mir dringend geboten, die durch Wissenschaftlichkeit geforderte Distanz, auch durch die Wahl der Begriffe auszudrücken. Zur Quellen- und Archivsituation Die Informationen zu den Kapiteln über die BRD und über das vereinte Deutschland stammen aus den frei zugänglichen Informationen der Fachliteratur, aus Zeitungen und Zeitschriften als auch aus Informationen aus dem Internet. Im Kapitel über die DDR kommen zu den Archivmaterialien vielfältige Daten und Fakten aus der Fachliteratur und dem Internet. Die Quellenmaterialien stammen aus dem Bundes-Archiv (BArch) in Berlin-Lichterfelde (Abteilung DDR, Stiftung Archive Parteien Massenorganisationen, SAPMO) und dort aus dem Zentralen Parteiarchiv (ZPA) der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED) und dem Jugendarchiv (JA) der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ). Erkenntnisse wurden gewonnen aus Mitteilungen und Berichten verschiedener Abteilungen des Zentral-Komitee (ZK) der SED, aus Informationen von SED-Bezirks- und Kreisleitungen, von Grundorganisationen der SED, aus „Monatlichen Persönlichen Informationen“, einem intimen Kommunikationsstrang der Bezirkssekretäre an den Ersten Sekretär der FDJ in Berlin, aus „Informationen über Feindtätigkeiten“ verschiedener Abteilungen der FDJ-Zentrale in Ber20

lin (DDR) und aus Meldungen von „Besonderen Vorkommnissen“ von FDJ-Bezirksund Kreisleitungen. Relevant sind hier ebenfalls Informationen aus verschiedenen Bereichen der Deutschen Volkspolizei (DVP), Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft, des Ministerrates der DDR, des Ministeriums des Innern (MdI), des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), des Ministeriums der Finanzen (MfF), des Ministeriums für Volksbildung (MfV), Abteilung Ausländerbetreuung und des Staatssekretariats für Kirchenfragen. Eine wichtige Quelle sind Informationsberichte zu „Besonderen Vorkommnissen“ der FDJ-Bezirks- und Kreisleitungen, Informationen der Direktion des Reisebüros „Jugendtourist“, Fernschreiben unterschiedlicher Bereiche der Volkspolizei (PDVP, BDVP) und „Rapporte“ der Hauptverwaltung der Volkspolizei komplettieren die Basis der internen Quelleninformationen. Dazu kommen Informationen aus Tageszeitungen wie z. B. Junge Welt, Neues Deutschland, Der Morgen, Lausitzer Rundschau, Sächsische Neueste Nachrichten, Märkische Volksstimme, Die Union und aus der Illustrierten Neue Bunte Illustrierte. Die internen Nachrichten sind in der Regel jahrzehntelang als „Streng Geheim“, „Geheime Vertrauliche Verschlußsache“ (GVS), „Vertrauliche Verschlußsache“ (VVS) oder „Nur für den Dienstgebrauch“ (NfD) klassifiziert und archiviert. Diese strenge Geheimhaltung ist die wichtigste Ursache dafür, dass es zu dieser Thematik über eine lange Zeit keinen öffentlich zugänglichen Kenntnisstand gab. Ebenfalls werden geheim gehaltene Informationen aus den Archiven des „Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen“ aufgeführt, die von den vielen Behörden des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gesammelt und archiviert worden waren. In dieser Arbeit erscheinen nicht die ungezählten Raubüberfälle auf Ausländer in der DDR, die in der Regel verbunden waren mit Gewaltanwendungen und ebenso bleiben die ungezählten Selbsttötungen von Ausländern unberücksichtigt. Die rassistisch aufgeheizte Atmosphäre der ost-deutschen Gesellschaft ließe einen Bezug zu den grassierenden rassistischen Wertungen zu, weil es wie beim „Raub“ ebenso der Fall sein kann, dass die herrschenden gesellschaftlichen Werte damit eingelöst werden, d. h. dass die Raubüberfälle auf Afrikaner oder Asiaten nicht nur aus Habgier erfolgt sein konnten, sondern auch als Vertuschung der rassistischen Aggression verstanden werden konnten. Bei den Selbsttötungen zeigt sich eine ähnliche Problematik deshalb, weil die DDR im Weltmaßstab zu einem der Länder mit den höchsten Suizidraten gehört. Tötete sich in diesem sozialen Kontext deshalb ein Afrikaner oder Asiate, weil er oder sie mit dieser suizidalen Latenz kontaminiert wurde? Und was ist wenn die rassistische Bedrängung und Gefahr so stark erlebt wurde, dass nur auf dem Weg der Selbsttötung eine Erleichterung imaginiert werden konnte? Für die im Anhang aufzufindende Dokumentation rassistischer Ereignisse in der DDR erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Dokumentation über die aus rassistischen Motiven getöteten Kinder, Frauen und Männer aus Afrika, Asien und Arabien sowie aus Europa zeigt auf, dass sich darunter Arbeiter, Geschäftsleute, Behinderte, Obdachlose, Linke oder Polizisten befinden. Die Fakten und Daten in diesem Buch sind nicht zu verstehen als Ausdruck der „Spitze eines Eisbergs“, sondern als Ausdruck der „Spitze einer Pyramide“. Das althergebrachte Bild vom Eisberg, dessen oberste Spitze nur zu sehen sei, stimmt so, fall es hier überhaupt schon einmal gestimmt hat, nicht, denn es sind inzwischen ge21

nügend Fakten ausgebreitet, nicht nur um profunde Einblicke in das Vorgehen von Rassisten im Nachkriegs-Deutschland zu bekommen, sondern auch um weitere gezielte Analysen vornehmen zu können. Die in den Zitaten vorgefundenen inhaltlichen und formalen Fehler habe ich, wie üblich, nicht korrigiert. Bei der Schreibweise von Wörtern wie z. B. „Neo-Nazis“, „antisemitisch“, „neo-nazistisch“ oder „anti-nazistisch“ benutze ich deshalb einen Bindestrich, um sowohl semantisch als auch inhaltlich die Differenz zwischen den beiden Teilen des Wortes sichtbar zu machen, so wie es üblicherweise englischsprachige Wissenschafter in ihren Texten praktizieren (z. B. „anti-Semitism“, „anti-Racism“, „right-wing-extremism“ etc.).

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II. Rassisten in der BRD (1949 bis 1990) Ent-Nazifizierung und Alte Nazis Die Potsdamer Konferenz der drei Siegermächte vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloß Cecilienhof, beschloss die Nachkriegsordnung für Deutschland und als Teil der Ent-Nazifizierung war, neben der De-Militarisierung, De-Nazifizierung, DeZentralisierung und Demokratisierung, die Re-Education bzw. die Umerziehung maßgeblich, wo die Deutschen zu beweisen hatten, dass sie selbst in der Lage waren, ihre Traditionen und Gebräuche einer kritischen Fremd- und Selbst-Prüfung zu unterziehen. Bei der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen durch west-deutsche Gerichte wurden von 1945 bis 1985 ca. 91.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet und dabei wurden 6.497 Personen rechtskräftig verurteilt, 12 davon zum Tode und 166 zu lebenslanger Haft.18 Jedoch wurde, bis auf Hans Joachim Rehse, kein Richter der im Nazi-Deutschland Urteile gefällt hatte, von einem Gericht in West-Deutschland für dieses Unrecht zur Verantwortung gezogen. Dieser Hans Joachim Rehse bildete eine kleine Ausnahme. Als ehemaliger Beisitzer beim Präsidenten des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, wo er mindestens 231 Todesurteile mit unterzeichnet hatte, wurde er im Juli 1967 vom Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum Mord, zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Seine Verurteilung wurde im Frühjahr 1968 vom Bundesgerichtshof mit der Begründung aufgehoben, Rehse sei als Mitglied des Volksgerichtshofes „unabhängig, gleichberechtigt und seinem Gewissen verantwortlich“ gewesen. Das Landgericht Berlin machte sich dann diese Zurechtweisung völlig zu Eigen und sprach Rehse in einem weiteren Verfahren frei.19 In den 1960er Jahren fanden in Frankfurt/M. die „Auschwitz-Prozesse“ statt, wo zum ersten Mal öffentlich als Begriff und Faktum „Auschwitz“ einen hervorgehobenen Stellenwert erhielt. Der Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer erreichte 1959 beim Bundesgerichtshof, dass dem Landgericht Frankfurt/M. „Untersuchung und Entscheidung“ in der Strafsache gegen Auschwitz-Täter übertragen wurden. Der Prozess fand von 1963 bis 1965 in Frankfurt/M. statt. Fritz Bauer war es auch, der dem israelischen Geheimdienst „Mossad“ die Information über den Wohnort von Adolf Eichmann in Argentinien, auf subversive Weise, zukommen ließ. Bauer misstraute den deutschen Juristen und hatte sich deshalb direkt an die Israelis gewandt, weil sein Engagement für die juristische Aufklärung der Verbrechen der Nazis umstritten war. Seit dem Beginn des Auschwitz-Prozesses wurde Bauer bedroht und diffamiert und bis zu seinem Tod musste er anonyme Anrufe und Briefe ertragen. Er wurde am 1. Juli 1968 tot in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden und die Behauptung er habe sich selbst getötet, ist umstritten. Die von ihm begonnenen Ermittlungen gegen die NS-Täter der medizinischen Massenmorde an „Lebensunwerten“ wurden später eingestellt.20

18 Vgl. Perels. 19 Wojak, S. 4. 20 http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Bauer; Der Spiegel 31/1995.

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Die übergroße Mehrheit der ehemaligen Nazi-Funktionäre fand sich wieder unter den Fittichen der bürgerlichen Parlamentsparteien, vor allem waren sie in der CDU/CSU und in der FDP zu finden. So bildeten Anfang der 1950er Jahre ehemalige Mitglieder der NSDAP bzw. der SS im Bundestag „die drittgrößte Fraktion“. Die Folge dieses Übergewichts war die Besetzung oberster und wichtiger Positionen in den Verwaltungen des Staates und in gesellschaftlichen Institutionen mit ehemaligen NS-Funktionären. Sie traten mit ihren, nur oberflächlich gewandelten rassistischen und nationalistischen Einstellungen, für autoritäre und obrigkeitsstaatliche Haltungen und Entscheidungen ein und wurden damit der wichtigste Teil der Eliten im neuen staatlichen und gesellschaftlichen Gefüge Nachkriegs-Deutschlands. In den Jahren 1952/53 versuchte eine Gruppe von ca. 30 ehemaligen Nazi-Funktionären um Werner Naumann, letzter Staatssekretär des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda (RMfVP) Joseph Goebbels, die FDP schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen zu unterwandern. Naumann hatte die Führung dieses Nazi-Geheimordens der „Bruderschaft“ 1951 von Dr. Alfred Franke-Gricksch, ehemals als SS-Obersturmbannführer Leiter der Personalabteilung im „SS-Reichssicherheitshauptamt“ und nach 1945 Kanzler der „Europäischen Bruderschaft Deutscher Nation“, übernommen. Die „Bruderschaft“ hatte vier regionale Zentren (Düsseldorf, Hamburg, Hannover-Bielefeld und München). Weitere Mitglieder der auch als „Naumann-Kreis“ genannten Gruppe waren z. B. Heinrich Haselmyer, ehemals Mitglied der SA und Führer des NS-Studentenbunds, Karl Kaufmann, ehemals Gauleiter und Reichsstatthalter in Hamburg, Karl Scharping, ehemals Beamter in der Rundfunkabteilung des RMfVP, Gustav Adolf Scheel, ehemals Reichsstudentenführer und Gauleiter von Salzburg, Heinz Siepen, ehemals NSDAP-Ortsgruppenleiter und Landrat, Prof. Dr. Franz Alfred Six, ehemals SS-Brigadeführer und Leiter der „Kulturpolitischen Abteilung“ des Auswärtigen Amtes und der ehemalige SS- und Polizeiführer Paul Zimmermann. Ebenfalls daran beteiligt war Paul Karl Schmidt, er war 1943 als Leiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes ein Kollege von Six. Nach 1945 wurde er zu einem vielgelesenen Autor revisionistischer Bücher und Artikel, u. a. auch für den Axel-Cäsar-Springer-Verlag. Zur Gruppe gehörten weiterhin auch Dr. jur. Werner Best, ehemals Stellvertreter von Reinhard Heydrich, und Hans Fritzsche, ehemals Leiter der Rundfunkabteilung im RMfVP und Intendant des Reichssenders Danzig. Sie konzipierten einen nationalistischen Programmentwurf, der jedoch auf dem Bundesparteitag der FDP Ende November 1952 keine Mehrheit fand. Im Januar 1953 wurde diese geheime Organisation vom britischen Geheimdienst und von der britischen Militärpolizei zerschlagen.21 Nachdem die Untersuchungs- und Gerichtsverfahren an die deutsche Justiz abgeben worden waren, wurden alle Angeklagten freigelassen und danach von allen Anklagepunkten freigesprochen, ohne das es je zur Eröffnung eines Hauptverfahrens vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe gekommen war.22 Eine andere Gruppe ehemaliger NS-Funktionäre leistete mit der „Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen“ (ODESSA), schon von der SS vor 1945 vorbereitete, 21 Herbert (1996); Opitz, S. 192-210. 22 Opitz, S. 192.

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Fluchthilfe zur Ausreise von ca. 40.000 ehemaligen NS- bzw. SS-Funktionären, zum Teil mit Hilfe des Vatikans und des „Internationalen Roten Kreuzes“ (IKRK), z. B. nach Süd-Amerika oder in arabische Staaten.23 Die Zerschlagung des organisierten Nazismus hatte die Folge, dass bei der Restauration, die bis in die 1960er Jahre andauerte, versprengte ehemalige NS-Funktionäre sich mehr oder weniger problemlos in die „neue“ deutsche Gesellschaft einordnen konnten. Massiv äußerte sich dieser Prozess, neben den politischen Parteien, in Berufsverbänden, in der Polizei, in den Geheimdiensten, in der Justiz sowie in den Führungsetagen der staatlichen (Regierungen im Bund und in den Ländern) sowie in wirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Institutionen (Industriebetrieben und Banken). In den 1950er und 1960er Jahren gab es keine genauen Forschungen zu Nazi-Verbrechern, es gab, meist von Außenseitern des Faches Geschichtswissenschaft, Untersuchungen über verschiedene Gruppen von NS-Tätern. Prof. Dr. Martin Broszat, Direktor des „Instituts für Zeitgeschichte“ in München, hatte jahrzehntelang eine Scheu davor, Namen von Nazis zu nennen, denn er war zu der Überzeugung gelangt, dass einzelne NS-Täter unwichtig gewesen wären, quasi nicht geschichtsfähig. Er selbst war Mitglied der NSDAP, was darauf schließen läßt, dass seine Ablehnung individueller Zuordnung zum NS-Faschismus, nicht nur objektiven Erfordernissen zu zurechnen ist. Die unpopulären Forschungs- und Rechercheergebnisse der Historiker stießen auf Abwehr und Schweigen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Elite in Deutschland nach 1945 quasi identisch war mit der aus der Zeit vor 1945. Die „Vergangenheitsbewältigung“ war in Wahrheit ein jahrzehntelanger Kampf um Aufklärung, gegen eine „Verschwörung“ der Verschweigenden. Der intellektuelle Fortschritt der vergangenen Jahre wurde erkämpft gegen das Schweigen der Massenmörder, die ihre barbarische Vergangenheit hinter der charmanten Maskerade einer klugen Tüchtigkeit versteckt halten konnten.24 Mit der Konstituierung der Bundesrepublik 1949 und mit dem sich verschärfenden „Kalten Krieg“ verschwand das Interesse an einer ernsthaften Aufklärung und Aufarbeitung des Nazismus und so konnte es dazu kommen, dass der Bundestag 1949 die Straffreiheit für bestimmte NS-Gewalttäter beschließen konnte. Das Amnestiegesetz von 1954 folgte einer vergleichbaren Regel. Ein Prozess gegen die führenden Rassisten im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) wäre von der Materiallage her bereits 1950 möglich gewesen, jedoch trotz umfangreicher Ermittlungen im Vorfeld gegen ca. 600 Angehörige des RSHA kam er bis heute nicht zustande und abgesehen von Anklagen gegen einzelnen Rassisten dieser Mörderzentrale, blieben die Täter unbehelligt.25 Das schon im Mai 1951 verabschiedete „131er“-Gesetz rehabilitierte mehr als 400.000 ehemalige Nazis und ermöglichte ihnen die Wiedereingliederung in den öffentlichen Dienst. Auch in der BRD, gleich wie in der DDR, waren alle Parteien der Ansicht, dass der neue Staat nicht gegen die ehemaligen Nazis zu organisieren war. Prominente Beispiele sowohl für einen Frieden mit den rassistischen Mördern als 23 Pomorin/Junge/Biemann/Bordin (1980); Pomorin/Junge/Biemann (1981). 24 Vgl. Herbert (2011). 25 Vgl. Perels.

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auch für das Phänomen der personellen Kontinuität der ewiggestrigen und unbelehrbaren Eliten vor und nach 1945, waren im Bundeskabinett unter Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, der Staatssekretär Dr. Karl Maria Globke und der Bundesminister für Vertriebene Prof. Dr. Dr. agr. Theodor Oberländer.26 Karl Globke arbeitete ab 1933 als Ministerialbeamter im Innenministerium, ab 1935 als Referent für den Reichsminister des Innern Wilhelm Frick. Dort war er maßgeblich damit befasst, verwaltungstechnische Voraussetzungen zu schaffen, ohne die der rassistische Massenmord nicht hätte so stattfinden können, wie er schließlich durchgeführt wurde. Ab 1936 gab er zusammen mit seinem Vorgesetzten dem Staatssekretär Wilhelm Stuckart den ersten Kommentar zu den rassistischen „Nürnberger Gesetzen“ und deren Ausführungsverordnungen heraus, die den Weg zu den Vernichtungslagern juristisch und organisatorisch ebneten.27 Globke war 1943 mitverantwortlich, dass ca. 20.000 griechische Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden.28 1949 wurde Globke Ministerialdirigent im Bundeskanzleramt, und 1950 wurde er dort Ministerialdirektor und Leiter der Hauptabteilung für innere Angelegenheiten und damit war er zuständig für den personalen Aufbau der staatlichen Verwaltungen in der BRD. Ab Oktober 1953 war er als Staatssekretär Chef des Bundeskanzleramtes, wo ihm Adenauer in Personalfragen praktisch freie Hand ließ und er sich um jede Neubesetzung kümmerte, auch wenn es sich um Stellen mit einfacheren Tätigkeiten handelte. Obwohl Globke wegen seiner NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit umstritten war, hielt Adenauer an ihm fest und in einem Zeitungsinterview erklärte er im März 1956, sein enger Mitarbeiter Globke sei kein Gehilfe der Nazis gewesen. Globke wurde in der DDR 1963, in einem Schauprozess, in Abwesenheit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Am 15. Oktober 1963 erhielt Globke auf Vorschlag von Adenauer vom Bundespräsidenten Heinrich Lübke das „Großkreuz des Verdienstordens“ der Bundesrepublik Deutschland. Nach seiner Pensionierung wollte Globke in die Schweiz übersiedeln, doch die Schweizer Bundesregierung erklärte ihn zum unerwünschten Ausländer und erteilte ihm Einreiseverbot.29 Theodor Oberländer war von 1953 bis 1961 und von 1963 bis 1965 für die GB/BHE bzw. für die CDU Mitglied des Bundestages. Von 1953 bis 1960 war er Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und musste aus seinem Amt zurücktreten, weil ihm nachgewiesen werden konnte, dass er im Juni 1944 als Befehlshaber des Wehrmachtsbataillons „Nachtigall“ beteiligt war an Massakern gegen die Zivilbevölkerung in Lemberg. Oberländer nahm am 9. November 1923 am „Hitlerputsch“ in München teil und wurde dafür vier Tage inhaftiert. Er war Mitglied der paramilitärischen Vereinigung „Bund Oberland“, der ab 1921 den Kern der Sturmabteilungen (SA) in Bayern bildete und er war Mitglied des rassistischen „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes“. Er wurde am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP und bis 1937 war er Mitglied der NS-Gauleitung Ost-Preußen. Ebenfalls 26 Weitere ausführliche Darstellungen von Karrieren ehemaliger NS-Funktionären sind der umfangreichen Aufklärungsarbeit von Ernst Klee zu entnehmen. 27 Vgl. Köhler. 28 http://www.foia.cia.gov/docs/DOC_0000271221/0000271221_0001.gif; https://ub-madoc.bib.uni-mannheim.de/77/1/Dissertation.pdf, S. 93 u. S. 131. 29 http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke.

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1933 wurde er als Obersturmführer Mitglied der Sturmabteilung (SA). 1934 wurde er auf persönlichen Vorschlag des stellvertretenden Führers der NSDAP, Rudolf Heß, zum Leiter des rassistischen „Bundes Deutscher Osten“ (BDO) ernannt. Seit Januar 1934 war er bereits Dozent für „Ostfragen“ beim Außenpolitischen Amt der NSDAP und im gleichen Jahr wurde Oberländer zum Leiter des Landesverbandes Ostpreußen des rassistischen „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) ernannt. Eine innerparteiliche Intrige beendete 1937 seine Verbands- und Parteikarriere, als ihn Werner Lorenz, Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle der SS, ihn von allen seinen Funktionen bei VDA und BDO entband. Danach arbeitete Oberländer bis 1943 für die Abteilung II (Sabotage und Sonderaufgaben) der Abwehr, also der Abwehrspionage der Wehrmacht. Anfang 1941 war er als Oberleutnant der Reserve bei der Abwehrstelle II in Krakau tätig. In dieser Funktion war er im Auftrag des „Oberkommandos der Wehrmacht“ (OKW) beteiligt an Verhandlungen mit ukrainischen Nationalisten. Anfang Mai 1941 war Oberländer als Verbindungsoffizier bzw. als Ausbilder und Dolmetscher des Bataillons „Nachtigall“, einer Einheit die dem Amt Ausland/Abwehr unterstand, die aus ca. 300 polnischen und französischen Kriegsgefangenen mit ukrainischer Nationalität rekrutiert worden war, die von ca. 100 Deutschen geführt wurden.30 Im Juli 1941 beteiligten sich Angehörige des Bataillons „Nachtigall“, zusammen mit ukrainischen Kollaborateuren, an Massakern an der Zivilbevölkerung Lembergs. Am 15. August 1941 wurde das Bataillon „Nachtigall“ in Krakau, von Admiral Canaris dem Chef der Abwehr, aufgelöst. Am 14. Oktober erhielt Oberländer den Befehl zur Aufstellung und Ausbildung einer weiteren Geheimdienst-Einheit, des Sonderverbandes „Bergmann“, deren Kommandeur er bis zum August 1943 blieb. Diese Einheit wurde aus sowjetischen und französischen Kriegsgefangenen kaukasischer Herkunft, z. B. aus Aserbaidschan, Georgien, etc. rekrutiert und war bis im Januar 1943 im Nord-Kaukasus bei der Bekämpfung von Widerstandsgruppen, bei Sabotageakten hinter den Linien und bei der Kontrolle von Kriegsgefangenenlagern eingesetzt. An der Universität Königsberg betrieb Oberländer „Ostforschung“ und er hielt Vorlesungen an der Technischen Hochschule Danzig. Danach wechselte er von 1937 bis 1940 an die Universität Greifswald, ab 1. Oktober 1940 war er Professor an der Deutschen Karls-Universität Prag, wo 1945 seine akademische Karriere endete. Die Ergebnisse seiner Forschungen waren weitgehend rassistischer Natur und zielten vor allem auf die Vertreibung und Vernichtung von Juden, Polen und Russen ab. Im Oktober 1944 wurde er Mitglied der Arbeitsgemeinschaft zur „Erforschung der bolschewistischen Weltgefahr“ im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg der NSDAP.31 Das Ent-Nazifizierungsverfahren stufte ihn als „entlastet“ ein und dennoch wurde er mindestens bis 1954 von US-Geheimdiensten überwacht, indem seine Post geöffnet und sein Telefon abgehört wurde.32 1948 war er zunächst Mitglied der FDP geworden und 1950 gehörte er zu den Mitbegründern der Partei „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE), wo er Landesvorsitzender in Bayern war. Von 1951 bis 30 Der Spiegel, Nr. 9/1960, S. 23-26; Der Spiegel, 27/2000, S. 62 u. S. 66; Vgl. Heer. 31 Vgl. Aly (1991). 32 Der Spiegel, 27/2000, S. 66.

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1953 war Oberländer Staatssekretär für Flüchtlingsfragen im bayerischen Staatsministerium des Innern. Von 1953 bis 1961 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1953 im Oktober bis zum Mai 1960 war er Minister für Vertriebene. Von 1954 bis 1955 war er Bundesvorsitzender der Partei „Gesamtdeutscher Block“ (GB)/BHE. Zu seinem 50. Geburtstag, also 1955, überreichte ihm Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) das „Großkreuz des Bundesverdienstordens“. In Berlin (DDR) wurde 1960 Oberländer in Abwesenheit, wegen der Erschießung von mehreren tausend Juden und Polen in Lemberg 1941, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Am 3. Mai 1960 trat er von seinem Amt als Bundesminister zurück.33 Das Landgericht Berlin hob am 28. November 1993 das DDR-Urteil von 1960 aus formalen Gründen wieder auf. In den 1970er Jahren engagierte sich Oberländer in den beiden rassistischen und völkischen Gruppen „Gesellschaft für freie Publizistik“ und im „Verein für das Deutschtum im Ausland“ und noch 1982 gehörte er zu den Erstunterzeichnern des rassistischen „Heidelberger Manifestes“, das sich gegen Ausländer und gegen weitere Einwanderung vehement aussprach. Als er 1998 verstarb, ehrte ihn die Kohl-KinkelRegierung mit einer großen Todesanzeige.34 Ein weiterer ehemaliger NS-Funktionär der nach 1945 zu hohen und höchsten politischen Ämtern gelangte war Dr. jur. Kurt-Georg Kiesinger (CDU). Kiesinger war seit 1933 Mitglied der NSDAP und leitender Mitarbeiter in der Rundfunkpolitischen Abteilung des NS-Reichsministeriums des Auswärtigen. Er war von 1958 bis 1966 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, von 1966 bis 1969 war er Bundeskanzler und von 1969 bis 1980 war er Mitglied des Bundestages. Sein Nachfolger als Ministerpräsident von Baden-Württemberg wurde 1966 Dr. jur. Hans K. Filbinger (CDU), der bis dahin als Innenminister dem Kabinett Kiesinger angehört hatte und der ebenfalls Mitglied der NSDAP und der SA war. Rassistische Parteien und Gruppen Unmittelbar nach Ende des II. Weltkrieges gab es, trotz der Verbote neo-nazistischer Parteien und Organisationen, Bestrebungen ehemaliger Nationalsozialisten, sich zu organisieren, so z. B. in der Sozialistische Reichspartei (SRP) und besonders begünstigt durch den in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre einsetzenden Kalten Krieg, gelang es ihnen neue Parteiformationen zu organisieren. Diese Organisationen unterstützen mit ihren Analysen und verbunden mit ihren politischen Perspektiven die Restauration der gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse in West-Deutschland unter dem Diktat und letztlich mit dem Wohlwollen der Besatzungsmächte. Von 1950 bis zu ihrem Verbot 1953 bestand die neo-nazistische Gruppe „Bund Deutscher Jugend“ (BDJ). Einer ihrer Führer war Dr. med. Paul Lüth, ehemals Oberarzt der Wehrmacht und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).35 Als antikommunistische Organisation wurde der BDJ von Geheimdiensten der USA mit mo33 Ebenda. 34 Vgl. Brumlik (1999). 35 Neues Deutschland, 11.05.1952.

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natlich ca. 50.000 DM finanziert. Der illegale Teil des BDJ war die im April 1951 gegründete Gruppe „Technischer Dienst“ (TD), der als Vorläuferorganisation einer deutschen Sektion der geheimen, paramilitärischen Struktur „Gladio- bzw. Staybehind“ anzusehen ist, die nach 1945 von US-Geheimdiensten in Europa aufgebaut wurde. Die führenden Mitglieder des BDJ waren in der Regel ehemalige NSFunktionäre bzw. ehemalige Offiziere der Wehrmacht bzw. der SS. In Zusammenarbeit mit us-amerikanischen Offiziellen wurde auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr (Bayern) Lehrgänge für militärische Ausbildung, politische Schulung und Waffenkunde abgehalten. Bei einer Razzia fand die Polizei im Odenwald bei Frankfurt/M. ein Lager des BDJ, dass mit Maschinengewehren, Granaten, leichten Artilleriegeschützen und Sprengstoff bestückt war. Das „Counter Intelligence Corps“ (CIC) übernahm von der deutschen Polizei alle inhaftierten Mitglieder des BDJ und beschlagnahmte alle verfügbaren Unterlagen und verunmöglichte damit allfällige Ermittlungsverfahren deutscher Justizbehörden.36 Die „Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei“ (DKP-DRP) war eine Partei in der Besatzungszone Groß-Britanniens und sie erzielte am 26. November 1948 bei den Kommunalwahlen in Wolfsburg ca. 70% der abgegebenen Stimmen. Zwei Jahre zuvor hatte dort die SPD noch die absolute Mehrheit errungen. Die DKPDRP schloss sich 1950 mit der hessischen „Nationaldemokratischen Partei“ (NDP) zur „Deutschen Reichspartei“ (DRP) zusammen. Für die NDP war Adolf von Thadden bis 1953 Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Von Thadden ist deshalb erwähnenswert, weil er bis in die späten 1960er Jahre hinein eine wirksame öffentliche Figur der deutschen Neo-Nazis darstellte. Im November 1964 war er stellvertretender Vorsitzender der neugegründeten „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) geworden und ab November 1967 war er Parteivorsitzender. Unter seiner Führung wurde die NPD zur führenden neo-nazistischen Partei Westdeutschlands. In Hessen und Bayern erreichte sie 1966 bei den Landtagswahlen 7,9% bzw. 7,4% der Zweitstimmen und 1967 zog sie in die Landesparlamente in Bremen, RheinlandPfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein. Am 28. April 1968 erhielt die NPD 9,8% der abgegebenen Stimmen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, was das bis dahin erfolgreichste Ergebnis war, dass die NPD erreicht hatte. Insgesamt war sie von 1966 bis 1968 in sieben Länderparlamenten mit 61 Mandaten vertreten. Bei der folgenden Bundestagswahl im September 1969 gaben 4,3% der Wähler ihre Zweitstimmen der NPD und sie verpasste damit nur knapp den Einzug in den Bundestag. Doch da sie bei der Bundestagswahl 1965 bereits 2% der abgegeben Stimmen erhalten hatten, bedeutete das Ergebnis von 1969 mehr als eine Verdoppelung. Dennoch, diese Niederlage der NPD markiert die Nachkriegszäsur im organisierten Lager der Rassisten. In der ersten ökonomischen Rezession nach dem Krieg 1966/67, die Arbeitslosigkeit stieg auf 2,1%, was für die damaligen Verhältnisse furchterregend war, und aus den Erfahrungen mit dem radikalen Flügel der linksgerichteten „Außerparlamentarischen Opposition“ konstituierte sich im Januar 1972 aus versprengten 36 Weiner, S. 106; Der Spiegel, 48/1990, S. 73; Der Spiegel, 15. Oktober 1952, S. 6-8; Der Spiegel, 17. Januar 1951, S. 7; http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/BDJ.htm; http://de.wikipedia.org/wiki/Bund_Deutscher_Jugend

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rechten Zirkeln und Gruppen und aus der Abspaltung des radikalen Flügels des bayerischen Landesverbandes der NPD die „Aktion Neue Rechte“.37 Zur Bundestagswahl 1980 trat die NPD mit der Parole „Ausländerstopp – Deutschland den Deutschen“ an und seit dem ist dieser Slogan bei allen Rassisten und NeoNazis jeglicher Schattierung, Bestandteil ihrer Politik und Ideologie. Diese Parole hat jedoch insofern eine Revision durchlaufen, als sie jetzt radikalisiert, nicht mehr den Stopp des Zuzugs von Ausländern zum Inhalt hat, sondern jetzt wird gefordert: „Ausländer raus“. Aus der Entstehung und Weiterentwicklung dieser national-chauvinistischen Forderung lässt sich erkennen, wie langfristig und beharrlich die Feinde der Humanität und Demokratie vorangehen. Die Wahlerfolge erreichte die NPD mit einem völkisch-nationalistischen Programm, in dem die Würde des Menschen an seine Zugehörigkeit zu einem (dem deutschen) Volk gebunden wird. Das Ziel der NPD war ein ethnisch und rassisch homogenes Volk der Deutschen. Aus dieser grundsätzlichen Bestimmung ergaben sich die rassistischen Forderungen für einen Abbau einer vermeintlichen „Überfremdung“ durch die Vertreibung aller Ausländer aus Deutschland. Ihre Hauptforderungen waren und sind: „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“ oder „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche“. Mit ihren Unterorganisationen wie z. B. die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) oder dem „Nationaldemokratischen Hochschulbund“ (NHB) verbreiteten sie ihre mit Hass verfasste Ideologie. Die NPD errang bei den Kommunalwahlen 1989 in Frankfurt/M. 6,6% der Stimmen und damit 7 Abgeordnetenmandate. Die „Deutsche Volksunion“ (DVU) war, neben der NPD, die mächtigste Organisation der Rassisten. Sie wurde 1971 als Verein gegründet und ab 1987 als Partei geführt vom Verleger und Herausgeber der „Deutschen National-Zeitung“ (DNZ) Dr. Gerhard Frey in München. Ab 1987 ging die marginalisierte NPD ein Wahlbündnis mit der „Deutschen Volksunion“ (DVU) ein und bei der Bremer Landtagswahl erhielt sie in Bremerhaven 5,3% der Stimmen und aufgrund des Bremer Wahlrechts wurde somit einer ihrer Kandidaten Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft. Diese Entwicklung hin zu rassistischen Parteien in Parlamenten setzte sich Anfang 1992 bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein fort, als die „Deutsche Volksunion“ mit 6,3% der Stimmen zur drittstärksten Partei wurde. Anscheinend hat sich die DVU mittlerweile aufgelöst und ruft dazu auf die rassistische „Pro-Bewegung“ zu unterstützen. Die rassistische Partei „Die Republikaner“ (REP) wurde 1983 in Bayern gegründet und daran beteiligt waren zwei ehemalige Bundestagsabgeordnete der CSU, Franz Handlos und Ekkehard Voigt sowie der stellvertretende Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und ehemaliger SS-Mann Franz Schönhuber. Sie erhielt 1989 bei der Landtagswahl in Berlin 7,5% der abgegebenen Stimmen und damit 11 Abgeordnete und bei den Europawahlen 7,1% und sechs Abgeordnete, wo sie zusammen mit dem rassistischen „Front National“ und dem ebenso rassistischen „Vlaams Blok“ eine gemeinsame Fraktion bildeten. Im industriestarken Baden-Württemberg konnten „Die Republikaner“ bei der Landtagswahl am 5. April 1992 ca. 11% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen und wurden damit zu drittstärksten Partei. 37 Vgl. Jansen (2004).

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Die neo-nazistische, rassistische und national-chauvinistische Szene in der BRD bestand und besteht aus einer Vielzahl kleiner und kleinster Gruppen und Zirkeln mit entsprechenden Publikationsorganen. Eine der wichtigsten Publikationen war die programmatische Zeitschrift „Nation Europa“. Sie wurde 1990 mit den „Deutschen Monatsheften“ von Gerd Sudholt vereinigt und führte bis zu ihrem Ende im November 2009 den Titel „Nation und Europa“ (sic!). Die „Nation Europa“ wurde 1951 in Coburg gegründet und erschien in der „Nation Europa Verlags GmbH“ und sie soll monatlich eine Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren gehabt haben. Gründer waren neben Arthur Ehrhardt, ehemaliger SS-Sturmbannführer und „Chef der Bandenbekämpfung“ im Führerhauptquartier von A. Hitler, Herbert Böhme, Schriftsteller und ehemaliger SA-Obersturmführer und Karl-Heinz Priester, Mitglied der höheren Führungsebene der „Hitler-Jugend“ (HJ) und Mitglied der SS. Am Aufbau der Zeitschrift war Helmut Sündermann, der als SS-Sturmbannführer stellvertretender Reichspressechef der NSDAP und 1942 stellvertretender Pressechef der Reichsregierung war. In der „Nation Europa“ konnten deutsche und europäische Rassisten, angefangen vom Franzosen Alain de Benoist bis zum Schweizer Eric Weber, ihre Texte publizieren. Nach dem Tod von Sündermann 1972 übernahm sein Ziehsohn Dr. Gerd Sudholt seine Funktionen. Sudholt war von 1973 bis 1983 und von 1985 bis 1991 Vorsitzender der „Gesellschaft für Freie Publizistik“ (GfP), wo er auch von 2001 bis 2009 stellvertrender Vorsitzender war. Die GfP wurde 1960 von ehemaligen Mitgliedern der SS und der NSDAP gegründet und auch hier spielten Helmut Sündermann und Herbert Böhme eine wichtige Rolle. Sie wollten sich mit der GfP für die „Freiheit und Wahrheit des Wortes“ einsetzen und meinten damit doch nur die deutsche Freiheit und die deutsche Wahrheit des Wortes. Auch hier kamen deutsche und europäische Rassisten zu Wort, wenn sie bereitwillig in den Lobgesang der Gründer der GfP einstimmten. Die Nachkriegsziele der Nazis und Neo-Nazis, wie sie z. B. von Dr. G. Frey, F. Busse, M. Roeder oder E. Schönborn vorgegeben wurden, war die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands: „Nur mit der Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands kann die Fesselung unseres Volkes an die ungerechten, unsozialen und unfreien Gesellschaftsordnungen beider Seiten gelöst werden. Im Prinzip ist es vollkommen gleich, ob diese Fesseln westlicher, großkapitalistischer oder östlicher, staatskapitalistischer Art sind […] Die Übernahme dogmatischer sozialistischer oder kapitalistischer Normen und Modelle muß abgelehnt werden. Der nackte Materialismus, der sich im westlichen Kapitalismus und im östlichen Marxismus offenbart, gebiert zwangsweise undemokratische Machtzentren […] Wir fordern eine klare deutsche Interessenvertretung unter Überwindung des Gezänks der Nutznießer der deutschen Spaltung“.38 Diese in den 1970er Jahren, in Zirkeln rechter Intellektueller entwickelte pseudo-anti-kapitalistische Programmatik, konnte, unter den obwaltenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, nur in der Bundesrepublik und eben nicht in der DDR entstehen. Es handelte sich hier um einen Ausdruck der arbeitsteiligen Vorgehensweise, die von den alten Nazis im geteilten Deutschland entwickelt worden war. Den unbelehrbaren ehemaligen SS- und NS-Führer ist es in West-Deutschland 38 Zit. nach Opitz, S. 419.

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gelungen, ihre politischen und organisatorischen Erfahrungen mehr oder weniger direkt auf die folgende Generation zu übertragen. Mit dem terroristischen Flügel der „Neuen Rechten“, der sich ab Ende der 1960er Jahre entwickelte, wuchs eine weitere starke Strömung der deutschen revanchistischen und rassistischen Szene. M. Kühnen aus bürgerlichem Elternhaus, Abiturient und ehemaliger Leutnant der Bundeswehr hatte diese Entwicklung organisiert und öffentlich vertreten. In Wiesbaden war er Anfang 1975 beteiligt an der Gründung der konspirativ tätigen „NSDAP-AO“. Er war am 8. Mai 1977 Mitbegründer des „SASturm-Hamburg“ und damit begann seine Karriere als führender Politiker und Stratege der „Neuen Rechten“, die sich im Windschatten der 1968er Revolte konstituiert hatte. Mit der 1984 gegründeten „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) verfügten die Neo-Nazis über eine straffe Kaderorganisation, die mit Hilfe von ideellen und finanziellen Kontakten zu den alten Nazis in der BRD und den vielfältigen internationalen Beziehungen der alten und neuen Nazis koordiniert wurden. Nach dem Verbot der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) 1983, hatte die GdNF die Organisierung der Kader übernommen und sie war ab 1989 führend beim Aufbau und der Entwicklung autonomer neo-nazistischer Gruppen in der DDR. Unter der Anleitung von M. Kühnen wuchs den Neo-Nazis in der BRD eine außerparlamentarische, militante Option zu, die bis zur Bildung von terroristischen Organisationen und der Anwendung entsprechender Mittel führte. Teile der Jugendmusikszene, wie z.B. die Skinheads, Teile der Heavy-Metal-Fans und die als Randalierer hervorgetreten Hooligans rund um die Fußballstadien in den größeren Städten, wurden zum Rekrutierungsreservoir für wechselnde „Vorfeldorganisationen“ der organisierten Neo-Nazis. Neben diesen politischen Organisationen entwickelten sich, jedoch meist verbunden durch ideologische oder personale Überschneidungen mit eindeutig politischen Organisationen, pseudowissenschaftliche und publizistische Verlage oder Vereine und mit organisatorischer und finanzieller Anleitung durch alte Nazis wurde so ein Netzwerk aufgebaut, mit dem juristische und ideologische Hilfe organisiert und zum Einsatz gebracht wurde und wird.39 Das in jahrzehntelangen Kämpfen durch gesetzte, öffentliche Bekenntnis für eine rassistische Option hatte Folgen für das Selbstbewusstsein der Neo-Nazis insgesamt und markiert die Stelle, an der sie sich von ihren „Kameraden“ in der DDR fundamental unterschieden haben. Die ost-deutschen Neo-Nazis waren jahrelang darin geübt, sich in subversiver Art und Weise in militärischen und paramilitärischen Organisationen, so z. B. in der NVA, in den FDJ-Ordnungsgruppen oder in Einheiten der „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST) zu disziplinierten Kämpfern ausbilden zu lassen. Einige von ihnen kamen als politische Häftlinge, von der Bundesregierung „freigekauft“, in den Westen. Dort konnten sie ihre, bereits in der DDR entwickelte, neonazistische Einstellungen sichtbar machen, was ein deutlicher Hinweis darauf war, dass diese Problematik dort ebenfalls existierte. Einer der ersten Neo-Nazis der „freigekauft“ wurde, war Arnulf Winfried Priem. Er kam 1968 in den Westen, wurde 39 Vgl. Benz (Hrsg.) (1989), S. 9-37; Butterwegge/Isola (Hrsg.), 1990, S. 18-23; Farin/Seidel-Pielen, 1992, S. 122-124.

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Landtagskandidat für die NPD in Baden-Württemberg und gründete in den siebziger Jahren in Freiburg im Breisgau die neo-nazistische „Kampfgruppe Priem“. 1976 zog er nach Berlin (West) und wurde dort Anführer des von ihm gegründeten neo-heidnischen „Asgard-Bund“ und der neo-nazistischen Gruppe „Wotans Volk“. Unter den „Freigekauften“ befanden sich auch die Brüder Frank und Peter Hübner aus Cottbus, die 1984 in der DDR verhaftet wurden und ein Jahr später in den Westen expediert wurden. Peter Hübner war 1982 als sogenannter Anführer einer 30-köpfigen Wehrsportgruppe, u. a. waren ein Unteroffizier der NVA und ein Anwärter auf den Dienst in der Volkspolizei beteiligt, in der DDR verhaftet worden. Unmittelbar nach ihrem Eintreffen im Westen schlossen sie sich neo-faschistischen Organisationen im Rheingau-Taunuskreis an (DVU, Nationale Sammlung, FAP). Unter der Anleitung der neo-faschistischen Führer Reisz und Kühnen gründeten die beiden Hübners 1989, zusammen mit Karsten Wolter und René Koswig mit denen sie bereits in der DDR zusammen waren, in Cottbus die „Deutsche Alternative“ (DA). Weitere aus der DDR stammende neo-nazistische Führer waren Ralf Rößner und Rainer Sonntag. Rößner kam 1974 als 18-jähriger in den Westen und wurde dann bei der paramilitärischen WSG „Hoffmann“ sogenannter Sicherheitschef. Sonntag durfte 1986 aus der DDR ausreisen, kam sofort nach Langen bei Frankfurt am Main und kandidierte dort auf Platz 3 der Liste der „Nationalen Sammlung“ (NS). Nach dem Fall der Mauer ging Sonntag wieder nach Dresden und organisierte den Aufbau neofaschistischer Strukturen. Am 2. Juni 1991 wurde er in Dresden auf offener Straße erschossen und daraufhin marschierten am 15. Juni 1991 ca. 2.000 Neo-Nazis als Trauermarsch durch Dresden.40 Auch der Gründer der WSG „Hoffmann“, Karl-Heinz Hoffmann kam 1953 aus der DDR nach Nürnberg, wo er auch geboren ist. Er gründete 1973 die „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die 1980 vom Bundesminister des Innern (BMdI) verboten worden war. Axel Heinzmann wurde 1970 aus einer Haft in der DDR „freigekauft“ und ab 1976 war ein Aktivist des „Hochschulrings Tübinger Studenten“ (HTS). Für den HTS lud er am 4. Dezember 1976 Karl-Heinz Hoffmann als Redner für eine Veranstaltung in der Mensa der Tübinger Universität ein. Mit dagegen protestierenden Studenten gab es eine Massenschlägerei, bei der ca. 20 „Soldaten“ der WSG „Hoffmann“ mit Schlagstöcken und Eisenhaken mindestens sechs anti-nazistische Studenten krankenhausreif geschlagen wurden. Teilnehmer war u. a. Gundolf Köhler, der vier Jahre später das Bombenattentat in München allein durchgeführt haben soll. Der HTS ist offiziell nicht aufgelöst und A. Heinzmann ist der Ehrenvorsitzende. Uwe Behrendt hatte in der DDR wegen „Fluchtversuch“ eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten erhalten und wurde 1974 von der Bundesregierung für 50.000 DM „freigekauft“. Behrendt studierte dann in Ulm, Erlangen und Tübingen Theologie, Germanistik und Medizin und bekam Kontakt zum rassistischen „Hochschulring Tübinger Studenten“ (HTS). 1976 kandidierte er für diese Gruppe bei der ASTA-Wahl an der Universität Tübingen und im Juni 1976 wurde er in den „Hochschulpolitischen Ausschuss“ (HpA) der Deutschen Burschenschaften gewählt. Über den HTS gelangte er zu WSG „Hoffmann“, wo er Mitglied (Soldat) wurde. Behrendt, damals 28 Jahre, 40 Vgl. ID-Archiv.

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und ein Mittäter ermordeten am 19. Dezember 1980 mit einer Maschinenpistole Beretta, Modell 38, Shlomo Levin, Erlanger Verleger und Ex-Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und Frieda Poeschke, die Lebensgefährtin von Levin.41 Danach verschwand Behrendt in den Nahen Osten, wo er am 16. September 1981 Selbstmord begangen haben soll. Die Ziele der Neo-Nazis beinhalten strukturelle Begriffe wie z. B. die der „Volksgemeinschaft“ („Deutsche zuerst“, „Arbeitsplätze für Deutsche“ „Gerechtigkeit für Deutsche“) und im Kern treten sie ein einen Führerstaat bzw. für einen „starken Mann“, für Recht und Ordnung und für Befehl und Gehorsam. Sie empfinden sich als eine Elite die führt und ihr ideologischer Mittepunkt sind rassistische Feindbilder („Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“). Den Multikulturalismus bezeichnen sie als „intellektuelles Rauschgift“ und als Folge davon geschähe ein „Völkermord“ an den Deutschen. Mit „Schwarze Listen“, Drohbriefen und –anrufen wollen sie einschüchtern und ihre Propaganda als eine Propanganda der Tat, zielt darauf ab, mit Bomben und Knüppeln dafür zu sorgen, dass ihre Ziele für einen ethnisch „sauberen“ Staat Wirklichkeit werden. Sie kämpfen gegen die linke Arbeiterbewegung und für sie ist der „Betriebsführer“ ein Ausdruck für ein Leben ohne Klassenkampf. Eine spezifische Frauenverachtung und ein verlogener Mutterkult zeigen sich in ihrem Leitbild einer deutschen Weiblichkeit, in der die deutsche Frau als Untertan des deutschen Mannes eingeordnet wird. Ihr Biologismus lässt sich ablesen an einer Blut und Boden-Ökologie und durch Vorstellungen der Begrenzung der „Überfremdung“ und Schaffung von „Lebensraum“. Sie verherrlichen Gewalt und Krieg und autoritäres und militärisches Denken und Handeln bestimmt sie, daher betrachten sie den Krieg als besondere Bewährungssituation, in der sie Ehre, Treue, Mut, und Aufopferung beweisen können. In den Wehrsportgruppen üben sie Befehl und Gehorsam und sie erlernen Abhärtung und Disziplin. Ein Großdeutschland ist ihr strategisches Ziel und die Ablehnung des Völkerrechts und der Souveränität der Staaten geht bei ihnen Hand in Hand. Das jetzige Ost-Deutschland betrachten sie als Mittel-Deutschland und weitere Ziele ihrer Eroberungssehnsüchte sind daher das westliche Polen (Schlesien), das östliche Frankreich (Elsass, Lothringen), dass östliche Belgien (Eupen-Malmédy), das südliche Dänemark (Nordschleswig) und weitere Gebiete in Polen (Danzig), in Russland (Ost-Pommern), in Tschechien (Sudetenland), Österreich (Ostmark) und Teile des nördlichen Italien (Süd-Tirol). Die Traditionsverbände der alten Nazis hatten die Aufgabe Brücken zu schlagen in die gegenwärtige und zukünftige deutsche Gesellschaft: Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS (HNG), Stahlhelm e.V., Vertriebenen- und Soldatenverbände, Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger oder der Witiko-Bund. Über Medien wie z. B. Buch- und Versanddienste, Fanzines, Mailboxen, Musikverlage, Zeitungen und Zeitschriften, wie z. B. Code, Criticon, Junge Freiheit, Websites, Computerspiele und Infotelefone nehmen sie Einfluß auf die öffentlichen Diskussionen.42 41 Pfahl-Traughber (2006), S. 73. 42 Vgl. DGB-Bundesvorstand - Materialien.

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Neben den politischen Organisationen arbeiten, meist verbunden durch ideologische oder personale Überschneidungen, pseudowissenschaftliche und publizistische Verlage und Vereine, die das intellektuelle Geschäft der Neuen Rechten mit dem Rassismus bis heute betreiben.43 Ideologiezentren sind z. B. die rassistische „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“ und die geschichtsrevisionistische „Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt“ (ZFI). In einer Grauzone befinden sich das von H. Filbinger, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten gegründeten, „Studienzentrum Weikersheim“, wo die dort agierenden rechten Intellektuellen eine Scharnierfunktion wahrnehmen zwischen nationalistischen oder völkischen Konservativen einerseits und den organisierten Rassisten andererseits.44 Rassistische Skinheads und Hooligans Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre kamen die Ausläufer der Bewegung der Skinheads aus Großbritannien in beide deutsche Staaten. Das Feindbild für sie gaben zu Beginn die Hippies und die Punks ab. Die ersten „unpolitischen“ SkinheadGruppen entwickelten sich in West-Deutschland um rassistische Bands, wie z. B. „Die Böhsen Onkelz“ aus Frankfurt/M., „Endstufe“ aus Bremen, und „Kraft durch Froide“ aus Berlin. Es setzte hier eine Uniformierung der rassistischen Skinheads ein, die bis heute gültig ist: olivgrüne oder schwarze „Bomberjacke“, Jeans oder Flecktarnhosen, Glatze und Springerstiefel mit weißen Schnürsenkel – die Farbe steht hier für „weiße Rasse“. Ihre politische Ausrichtung lässt sich als rassistisch bezeichnen und sie sind permanent bemüht, durch singen oder skandieren rassistischer oder den Nazismus verherrlichender Lieder und Parolen. Zu ihren „versteckten“ Erkennungsmerkmalen gehören Zahlenkombinationen, die für Buchstaben stehen: Die „88“ für „HH“ also „Heil Hitler“ und die Zahl „18“ steht für „AH“ also für Adolf Hitler. Außerdem gibt es bestimmte Bekleidungsfirmen, deren Produkte bevorzugt in rassistischen Kreisen getragen werden, wie z. B. „Consdaple“, „Lonsdale“ oder „Thor Steinar“. Nicht nur durch M. Kühnen und seine neo-nazistischen Gruppierungen, sondern auch durch die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) wurden Skinheads und Hooligans, über Labels wie „Metal Enterprises“ und „Rock-O-Rama“, mit rassistischer Ideologie agitiert. Ab 1986 haben auch die „Nationalistische Front“ (NF), die NPD und die Partei „Die Republikaner“ ihren Einfluß auf diese beiden Gruppen der deutschen Jugendszene verstärkt. Mit dem Einfluß des international agierenden rassistischen Netzwerkes „Blood and Honour“ und mit dem Zusammenschluss der westdeutschen Skinheads mit denen aus der DDR fand eine dynamische Weiterentwicklung statt. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts haben Rassisten und Anti-Semiten im europäischen Fußball ihren besonderen Stellenwert. So auch der militante Anti-Semitismus in Österreich und der Tschechoslowakei, der den Spielern jüdischer Fußballvereine entgegenschlug. Der Nazismus beendete in Deutschland und Österreich den jüdi43 Vgl. ID-Archiv. 44 Vgl. Siegler, 1995.

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schen Vereinsfußball, Vereine wurden aufgelöst, Fußballspieler mit jüdischem Hintergrund wurden in Lager eingesperrt und ermordet. Anti-Semitische und rassistische Diskriminierungen im Fußball waren, auch noch nach der Zerschlagung des Nazismus, Teil des sportlichen Geschehens in Österreich, Italien, England, den Niederlanden und in den beiden deutschen Staaten.45 Seit Anfang des 20. Jahrhunderts konnten in England, dem sogenannten Mutterland des Fußballsports, einzelne wenige dunkelhäutige Fußballspieler in einer Profimannschaft zu spielen. Doch erst 1979 konnte mit Viv Anderson der erste Afro-Engländer für die Nationalmannschaft spielen. Ab da gab es rassistische Diskriminierungen in den Stadien, die sich in Chorälen mit beleidigenden Inhalten, oder z.B. durch „Affengeräusche“ oder Bananenwürfen zeigten. Ende der 1970er Jahre reüssierten Vertreter der „National Front“ (NF) und vom „British Movement“ (BM) in verschiedenen lokalen Parlamenten und symbolisierten damit die verschärften rassistischen Entwicklungen in der britischen Gesellschaft insgesamt. Aktivisten dieser beiden neo-nazistischen Organisationen agitierten die Fans auf den Sportplätzen mit rassistischen Parolen.46 In diesen Zusammenhängen wurde der Begriff „Hooligan“ popularisiert. Er steht für jugendliche Zuschauer, deren besondere Merkmale einerseits in der bedingungslosen Identifikation mit „ihrem“ Verein und andererseits in der militanten Ablehnung und Bekämpfung von Hooligans aus auswärtigen Städten besteht. Noch bis vor kurzem wurde im deutschen Sprachgebrauch in diesem Zusammenhang sinnigerweise von „Schlachtenbummlern“ gesprochen. Unter dem Einfluss organisierter neo-nazistischer Agitation und Propaganda entwickelten Hooligans lockere Organisationsformen mit offenen Bezügen zu rassistischen Ideologien und Organisationen. Bei der hessischen „Taunusfront“ z. B. verschwanden die Konturen zum organisierten Neo-Nazismus. Skinheads und verbindlich organisierte Neo-Nazis unterstützten und begleiteten diese Entwicklung der bis dato unpolitischen Fußballfans zu öffentlichen Demonstrationen für rassistische Inhalte. Nun wurden Flaggen mit faschistischen oder nationalistischen Symbolen im Stadion geschwenkt, rassistische Parolen skandiert und nach sportlichen Veranstaltungen wurden in Hamburg und anderswo von Linken bewohnte oder bewirtschaftete Häuser militant angegriffen.47 Erwin Kostedde (1974) und Jimmy Hartwig (1979) waren die ersten dunkelhäutigen Spieler die in einer deutschen Auswahlmannschaft eingesetzt worden waren. Im Jahr 2001 war Gerald Asamoah der erste, in Afrika geborene, dunkelhäutige Fußballspieler, der in der deutschen Nationalelf eingesetzt wurde.48 Auch er wurde in seiner Karriere als Berufsfußballer von Spielern und aus dem Publikum immer wieder rassistisch angepöbelt und beleidigt. Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist im Fußballsport in den 1980er Jahren eine deutliche Zunahme rassistischer Ereignisse zu verzeichnen, es wurden z. B. entsprechende Symbole gezeigt oder es wurden rassistische Parolen skandiert, Lieder gesungen und dunkelhäutige Spieler wurden zum bevorzugten Ziel rassisti45 John/Schulze-Marmeling, S. 133-158. 46 Taylor/Skrypietz, S. 73-106. 47 Gehrmann, S. 99-150. 48 Buderus, S. 53.

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scher Angriffe. Auf dem Rasen wurden ausländische Spieler beleidigt und benachteiligt, sowohl durch gegnerische Spieler aber auch durch Trainer und Schiedsrichter.49 Nach dem DFB-Pokalendspiel am 1. Mai 1982 zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem FC Bayern München attackierten ca. 250 Hooligans aus verschiedenen Vereinen die 1.Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit Parolen, wie z. B. „Sieg Heil“ oder „Kanacken raus“.50 Einen Wendepunkt bildete der Tod von Adrian Maleika (16 Jahre), einem Fan des SV Werder Bremens, der am 16. Oktober 1982, bei einem Spiel zwischen dem Hamburger SV und SV Werder Bremen, am Volksparkstadion durch einen Steinwurf von Skinheads und Hooligans des Fanclubs „Die Löwen“ getötet worden war. Das Opfer verstarb einen Tag später im Krankenhaus Hamburg-Altona an einem Schädelbasisbruch und an Gehirnblutungen.51 Neue rassistische Kämpfer und neue Gruppen wurden von den Neo-Nazis unter Skinheads und Hooligans rekrutiert, z. B. bei der „Borussenfront“ aus Dortmund, der „Adlerfront“ aus Frankfurt/M., der Gruppe „Braune Adler“ aus Gießen, den Hooligangruppen aus Berlin (West) wie z. B. „Hertha Frösche“, „Endsieg“, „Zyklon B“ oder „Wannseefront“ sowie den „Sturmtruppen“ aus Mönchengladbach oder den „Löwen“ und die „Savage Army“ aus Hamburg.52 Beispielhaft für diese Unterwanderung sind Flugblätter mit rassistischen Inhalten, die 1983 zum Länderspiel Deutschland vs. Türkei in Umlauf gebracht worden sind und in denen gefordert wurde: „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“.53 Doch auch hier wurden Stimmen aus dem politischen Establishment laut, wie die des Berliner Innensenators Heinrich Lummer (CDU), der behauptete, dass Deutsche und Türken unterschiedlich riechen würden und der forderte „Berlin muss deutsch bleiben“.54 Vergleichbare strategische Orientierungen lassen sich jedoch auch in fast allen europäischen Ländern feststellen. Die rassistischen und chauvinistischen Exzesse im Sommer 1990 in Ost- und in Westdeutschland, nachdem die deutsche Mannschaft in Italien Fußball-Weltmeister geworden war, weisen auf den „unpolitischen“ Beginn der Hooligans zurück.55 Bekannte Beispiele anti-semitischer Hetze im Fußballstadion sind das „U-BahnLied“, bei dem vom Bau einer U-Bahn-Verbindung zwischen einem bestimmten verhassten Verein nach Auschwitz gesungen wird und die Rufe „Zyklon-B“ oder „Juden“ als Beschimpfung des Gegners. Ein weiteres Beispiel für rassistische Hetze sind die „Affenrufe“, mit denen dunkelhäutige Spieler angegriffen werden oder anti-ziganistische Rufe wie „Zick, zack, Zigeunerpack“. Solche und andere rassistische Exzesse sind mittlerweile nicht nur in den großen Stadien des professionellen Fuß49 Glaser/Elverich, S. 5. 50 Demobowski/Scheidle, S. 16. 51 http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/483/steine_statt_flanken.html. http://www.welt.de/sport/article1270691/Als-der-Todesfall-Maleika-die-Liga-erschuetterte.html; Blaschke, a.a.O., S. 230f. 52 Dembowski, S. 159. 53 Ebenda, S. 14f. 54 Ebenda, S. 16. 55 Hafke, S. 108; Funke, S. 101.

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ballsports vorzufinden, sondern mittlerweile auch in unteren Ligen des Amateurfussballs sind sie zu einer Plage geworden.56 Rechtsterroristische Anschläge In der alten BRD gab es immer wieder enorme rassistische Ereignisse, wie um den Jahreswechsel 1959/60, als eine anti-semitische bzw. neo-nazistische Schmierwelle stattfand, bei der bis Ende Januar 1960 insgesamt 470 anti-semitische und rassistische Vorkommnisse registriert worden sind.57 Parallel zu den parlamentarischen Bemühungen haben seit den 1950er Jahren unzählige neo-nazistische und rassistische Angriffe auf Personen und Sachen stattgefunden. Im Dezember 1959 gab es den „Kölner Initialfall“, wo zwei Mitglieder der „Deutschen Reichspartei“ (DRP), in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, die Synagoge und den Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus in Köln mit rassistischen Parolen und Symbolen geschändet haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) registrierte danach für das Jahr 1960 insgesamt 1.206 Ereignisse mit anti-semitischen bzw. neo-nazistischen Motiven und Inhalten. Am 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke, Student und Sprecher der Rebellen in Deutschland von Josef Bachmann mit Kopfschüssen schwer verletzt.58 Bei seiner Verhaftung hatte er einen Artikel über Dutschke aus der neo-nazistischen „Deutschen National-Zeitung“ bei sich. Bachmann war, wie Dutschke, in der DDR aufgewachsen und er kam 1956 zu einer Tante im Ruhrgebiet. Bislang unbekannte Materialien aus den Archiven „des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit“ (BStU) belegen, dass J. Bachmann in seinem zeitweiligen Wohnort Peine (Niedersachsen) Kontakt zu Wolfgang Sachse hatte, der ehemaliges Mitglied der NPD war und der an Bachmann nicht nur Schusswaffen und Munition verkauft hatte, sondern der mit ihm auch, auf dem Schießstand den er verwaltete, das Schießen übte. Kurz vor dem Attentat auf Dutschke hatte Bachmann, nach Angaben von Sachse, bei ihm Munition gekauft. Mit Sachse zusammen hatte Bachmann Anschläge auf Grenzanlagen der DDR verübt und dabei hat er auch auf Grenzsoldaten geschossen. Der ebenfalls in Peine wohnender Halbbruder, Günter Bachmann war Mitglied einer neo-nazistischen Gruppe an. Auch bei Bachmann wurde, ähnlich wie bei G. Köhler, dem Oktoberfestattentäter, lange Zeit die Mär vom Einzeltäter breitgetreten, bis dann später klar wurde, dass Bachmann in Kontakt hatte zu einer neo-nazistischen, bewaffneten Gruppe, die später als „Braunschweiger Gruppe“ durch Sprengstoffanschläge bekannt wurde. Anführer der Gruppe war der alte Nazi Paul Otte, ebenfalls Mitglied der NPD, der seit Anfang der 1960er Jahre für J. Bachmann so etwas wie ein väterlicher Freund war. In der Gruppe wurden „Todeslisten“ angefertigt mit ca. 600 Namen und Anschriften von Juden, Linken oder Prominenten die durch Attentate „ausgeschaltet“ werden sollten. Unter den aufgelisteten befanden sich u. a. Hans Rosenthal und Heinz Galinski, deren Angehörige von den Nazis ermordet worden waren. Hans-Dieter Lep56 Pilz/Behn/Klose/Schwenzer/Steffan/Wölki, S. 321f. 57 Vgl. Benz (1989), S. 281. 58 http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Bachmann.

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zien war ebenfalls Mitglied der Gruppe und er war nicht nur geheimer Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Niedersachsen war, sondern auch geheimer Mitarbeiter für das MfS. Im Frühjahr 1977 berichtete Lepzien seinem Führungsoffizier von einem bevorstehenden Attentat mit einer Bombe, in der sich „etwa ein Kilo Pioniersprengstoff“ befände. Der Offizier des MfS schaffte es dann sogar, dass eine dieser Bomben in die DDR gebracht und eine Probe-Explosion durchgeführt wurde. Ende der 1970er Jahre verübte dann die „Braunschweiger Gruppe“ zwei Bombenanschläge auf Justizgebäude in Flensburg und Hannover. Noch vor dem geplanten Anschlag auf eine Synagoge im November 1977 wurde Otte verhaftet. Fünf Mitglieder der terroristischen Gruppe wurden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.59 In Nordrhein-Westfalen bestand von 1969 bis zu ihrer Zerschlagung durch die Polizei im Mai 1970 die neo-nazistische „Europäische Befreiungsfront“ (EBF). Die EBF ist ein Beispiel für die zum Terror sich radikalisierenden Neo-Nazis, nach dem die NPD bei den Bundestagswahlen 1969 an der 5%-Hürde gescheitert war. Im Mai 1970 plante die Gruppe ein Attentat auf das geplante Treffen von Bundeskanzler Willy Brandt mit dem Ministerpräsidenten der DDR Willy Stoph in Kassel. Die Polizei nahm im Mai 1970 vierzehn Mitglieder der EBF fest. Nur einige davon wurden zu eher geringen Freiheitsstrafen zur Bewährung verurteilt.60 Am 13. Februar 1970 gab es in München einen Brandanschlag auf das Jüdische Altenheim in der Reichenbachstraße, bei dem fünf Frauen und zwei Männer getötet wurden. Der oder die bis heute unbekannten Attentäter hatten aus einem Kanister Benzin im Treppenhaus ausgekippt und angezündet. Einer der Getöteten, Max Blum, sprang in Panik aus dem Haus. Anfang Juli 2012 wurde bekannt, dass die Münchner Staatsanwaltschaft erwägt neue Ermittlungen einzuleiten, da sich ein Zeuge gemeldet hatte, der behauptet, er könne „entscheidende Angaben“ zu den Tätern machen. Mittlerweile gibt es deutliche Indizien, dass deutsche Linksradikale für die Morde verantwortlich sind und nicht, wie bisher angenommen wurde, neo-nazistische oder palästinensische Terroristen.61 Die ebenfalls in Nordrhein-Westfalen agierte die Wehrsportgruppe „Hengst“ wurde im Februar 1971 von der Polizei „zufällig“ zerschlagen. Ihr Anführer, Bernd Hengst, war 1963 wegen Terroranschlägen in der DDR zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Nach dem er frühzeitig aus der Haft entlassen worden war, flüchtete er in die BRD, wurde er 1967 Mitglied der NPD und verübte 1968 ein Attentat auf ein Büro der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) in Bonn. Zur Gruppe um B. Hengst gehörte Werner Wolf, er war Kreis-Vorsitzender der NPD im Rhein-Sieg-Kreis und Angestellter der Abteilung Wehrtechnik des Bundesministeriums für Verteidigung (BMdVtdg). Außerdem war Rüdiger Krauss, ehemals Vorsitzender des „Nationaldemokratischen Hochschul-Bundes“ (NHB), Mitglied der Wehrsportgruppe „Hengst“. Im Februar 1971 wurden Hengst und Krauss festgenommen.62 59 Badische Zeitung, 15.11.2011; Der Spiegel, 39/1984; Hamburger Abendblatt, 05.12.2009; Braunschweiger Zeitung, 07.12.2009; Der Spiegel, 51/2009, S. 38. 60 Vgl. Bewerunge; www.mik.nrw.de/uploads/media/ib1971.pdf; Vgl. Pfahl-Traughber (2012). 61 Abendzeitung München, 12.02.210; Focus 27/2012, Juli 2012. 62 Neumann/Maes, S. 109.

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In Hanau (Hessen) wurde 1970 von Roland Tabbert die „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung“ (NDBB), nach dem Vorbild der „Palestine Liberation Organization“ (PLO), gegründet. In Berlin (West) wurden Szenelokale, in denen Linke verkehrten von dieser Gruppe Überfallen. Zum 13. August 1971 waren Anschläge geplant, bei denen Einrichtungen der „Sozialistischen Einheitspartei West-Berlins“ (SEW), ein sowjetisches Reisebüro und Soldaten der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) das Ziel sein sollten. Am 12. August 1971, einen Tag vor diesen Attentaten, wurden die Mitglieder der NDBB von der Polizei festgenommen.63 Im April 1972 gründete der Waldarbeiter Manfred Knauber die „Nationalsozialistische Kampfgruppe Großdeutschland“ (NSKG), die in Bayern und in NordrheinWestfalen ca. 25 Mitglieder hatte, darunter befanden sich auch einige Unteroffiziere der Bundeswehr und Mitglieder der NPD. Ihr Ziel war ein bewaffneter Kampf und sie unterhielten Verbindung zur PLO und zur „Sozialrevolutionären Nationalen Kampfgemeinschaft Deutschlands (SNKD), die ebenfalls militant und konspirativ ausgerichtet war. Als diese Gruppe im Oktober 1972 von der Polizei zerschlagen wurde, befanden sich in ihrem Besitz u. a. ein Maschinenkanone, drei Maschinengewehre, fünf Maschinenpistolen, verschiedene Gewehre, Sprengstoff, Panzerfaust- und Handgranaten. Im folgenden Strafprozess wurden sechs Mitglieder der NSKG u. a. wegen Mitgliedschaft in einer „Kriminellen Vereinigung“ zu Freiheitsstrafen verurteilt.64 Die größte militärisch-terroristische Gruppe war die 1973 gegründete und im Januar 1980 verbotene, rassistisch und neo-nazistisch ausgerichteten Wehrsportgruppe (WSG) „Hoffmann“, die ihre Zentrale im Schloss Ermreuth bei Neunkirchen am Brand im oberfränkischen Landkreis Forchheim hatte. Die Mitglieder der WSG „Hoffmann“, es sollen insgesamt bis ca. 400 Personen gewesen sein, wurden bei Veranstaltungen der NPD oder der DVU als Saalschutz eingesetzt, zum Teil dabei unterstützt von Mitgliedern der „Wiking-Jugend“ oder von Mitgliedern des „Hochschulrings Tübinger Studenten“. Schon im Mai 1976 hatte Dieter Epplen, ein Mitglied der WSG, auf den us-amerikanischen Soldatensender AFN in München einen Sprengstoffanschlag verübt, bei dem er selbst schwer verletzt wurde.65 Mitglied der WSG „Hoffmann“ war u. a. der neo-nazistische Terrorist Odfried Hepp, in Achern in Südbaden geboren, der u. a. die Befreiung des A. Hitler Stellvertreters Rudolf Heß aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau plante. Odfried Hepp, neo-nazistischer Terrorist, Offizier der PLO und geheimer Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wurde 1985 von der französischen Polizei in Paris verhaftet. Die „Hepp-Kexel-Gruppe“ hatte 1982 mehrere Banküberfälle verübt und finanzierte damit Attentate auf Angehörige der US-Streitkräfte in Frankfurt/M., Butzbach, Darmstadt und Gießen. Mitglied der Gruppe war der aus der DDR geflüchtete Dachdecker Dieter Sporleder und Helge Blasche, der ebenfalls Mitglied der „Volkssozialistischen Bewegung Deuschlands/Partei der Arbeit“ (VSBD) war. Diese rassistische Gruppe wurde 1971 vom Neo-Nazi Friedhelm Busse in Krefeld (NRW) 63 Schröder (1992), S. 129-136; Der Spiegel, 13/1971. 64 Antifa-Kommission des KB, S. 40. 65 Der Spiegel, 41/1980.

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gegründet und Anfang 1982 wurde sie vom Bundesminister des Innern, Gerhart Baum, verboten. Dritter Mann war Hans-Peter Fraas, Ex-Soldat der WSG „Hoffmann“ und im Libanon von der Al Fatah ausgebildeter Kämpfer. Sie wurden insgesamt zu Freiheitsstrafen von 44 Jahren verurteilt. In London wurden W. Kexel, ebenfalls Mitglied der VSBD und Ulrich Tillmann festgenommen. Bei ihren Attentaten auf US-Soldaten verzichteten sie, ebenso wie es bei der rassistischen Gruppe NSU ab dem Jahr 2000 üblich war, auf Bekennerschreiben.66 Nach seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren wurde der Elektroinstallateur W. Kexel erhängt in seiner Zelle aufgefunden. O. Hepp, Ex-Student und ehemaliger „Soldaten“ der WSG „Hoffmann“, wurde vom MfS, ähnlich wie U. Albrecht, mit einem falschen bundesdeutschen Pass versorgt und ermöglichte ihm die Flucht über Berlin (DDR), nach Damaskus, Tunis und Barcelona. Von da aus reiste Hepp nach 1984 für die palästinensische Terrorgruppe „Palestinian Liberation Front“ (PLF) nach Marseille. Im April 1985 wurde er unter dem Namen „Dieter Kersten“ in Paris verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. 1987 wurde Hepp in die BRD ausgeliefert und wurde dort zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 14 Jahren verurteilt, die er bis 1993 absitzen musste. Mittlerweile hat sich Hepp von der neo-nazistischen Szene losgesagt.67 U. Behrendt ein weiteres Mitglied der WSG floh nach dem Mord an Levin und Poeschke über die DDR in den Libanon und gründete dort, zusammen mit Karl-Heinz Hoffmann und der palästinensischen „Al-Fatah“ eine Wehrsportgruppe „Ausland“. Der von Hoffmann zum „Leutnant“ ernannte Behrendt beging am 16. September 1981 im Libanon Selbstmord. Dort wurde Kai-Uwe Bergmann von seinen Kameraden von der WSG zu Tode gefoltert. Drei „Soldaten“ der WSG, Franz Joachim Bojarski, Walter Ulrich Behle und Uwe Mainka, die alle im PLO-Lager waren, wurden im Dezember 1986 von der Großen Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth deswegen angeklagt und Bojarski erhielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die beiden Mitangeklagten wurden zu Freiheitsstrafen zur Bewährung verurteilt.68 U. Albrecht war als junger Mann aus der DDR in den Westen geflohen und begann da eine bemerkenswerte Karriere als Krimineller. Er war es, der für Hoffmann die Verbindung in den Nahen Osten Udo Albrecht herstellte. Bereits in den 1960er Jahren bezeichnete er sich als „Neonazi im Kampfauftrag der PLO“ und er hatte ein „Hilfscorps Arabien“ aufgestellt, vorzugsweise bei der neo-nazistischen Gruppe „Bund Heimattreuer Jugend“. Zu jener Zeit war er Mitglied der WSG „Ruhrgebiet“. Er führte Hoffmann 1980 in die PLO ein und in der Folge siedelten zwischen 10 und 20 Neo-Nazis in das PLO-Lager Bir Hassan in den Libanon über. Während eines Lokaltermins an der deutsch-deutschen Grenze bei Lauenburg an der Elbe entwich er in die DDR und die Regierung dort verweigerte seine Auslieferung.69

66 Der Spiegel, 8/1983, 12/1985. 67 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2005; die tageszeitung, 28.10.1987, 27.07.1990. 68 die tageszeitung, 18.12.1986. 69 Der Spiegel, 37/1981, 47/1984.

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Ein weiterer Angehöriger der WSG im Libanon war Uwe Mainka, der wie die anderen „Soldaten“ an Waffen und Sprengstoff ausgebildet wurde. Die Klammer dieser arabisch-deutschen Zusammenarbeit bildet die Ideologie des anti-semitischen AntiZionismus, die ebenfalls bei der Zusammenarbeit der linken Terroristen von der „Roten Armee Fraktion“ oder den „Revolutionären Zellen“ von Bedeutung ist. Dort im Nahen Osten führen die linken und rechten deutschen Terroristen ihren Kampf gegen den „israelisch-amerikanischen Weltherrschaftsanspruch“. Karl-Heinz Hoffmann wurde am 16. Juni 1981 bei seiner Rückkehr nach Deutschland auf dem Flughafen in Frankfurt/M. von der Polizei festgenommen. Das Nürnberger Schwurgericht verurteilte ihn am 12. September 1984 wegen verschiedener Delikte zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.70 Anfang 1979 wurde in Celle, im „Bückeburger Prozess“, zum ersten Mal Neo-Nazis und Rassisten aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe „Werwolf“ bzw. Wehrsportgruppe „Rohwer“ und der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ als Terroristen verurteilt. Am 5. Februar 1978 hatte Gruppe vier niederländische Soldaten auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne überfallen und sie raubten deren Maschinenpistolen. Die Gruppe plante Anschläge auf britische und sowjetische Offiziere und auf das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld. Das Oberlandesgericht Celle verurteilte die vier Angeklagten Uwe Rohwer, Klaus Dieter Puls, Lothar Schulte und Lutz Wegener und wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ zu Freiheitsstrafen zwischen acht und elf Jahren. Der Angeklagte Manfred Börm wurde wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. M. Kühnen (24 Jahre) wurde wegen Volksverhetzung, der Aufstachelung zum Rassenhass und der Gewaltverherrlichung zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Das Gericht sah die von ihm gegründete ANS/NA als eine Nachfolgeorganisation der NSDAP an.71 Bereits Anfang März 1979 hatte die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig Anklage erhoben gegen die Mitglieder „Werwolfgruppe Stubbemann“ wegen eines geplanten Sprengstoffanschlages auf das Kieler Büro der maoistischen Gruppe „Kommunistischer Bund Westdeutschland“. Die Angeklagten, der Ex-Obergefreite der Bundeswehr und Munitionswart Robert Marchi, der Jurastudent Frank Stubbemann und der Arbeitslose Peter Teufert wurden lediglich zu Freiheitsstrafen bis zu 12 Monaten zur Bewährung verurteilt. Anfang 1979 wurden von einer neo-nazistischen Gruppe um den Diplom-Ingenieur und früheren Funktionär der „Jungen Nationaldemokraten“ Peter Naumann, Sendeanlagen des Fernsehens in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in RheinlandPfalz mit Sprengstoff angegriffen, um die Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ zu verhindern. Ende des Jahres 1979 gab es in der BRD ca. 23 rassistische Gruppierungen mit ca. 1.000 Mitgliedern und einem Kreis von Sympathisanten der weit darüber hinaus ging. Hier zeigten sich rechtsterroristische Gruppen, wie z. B. die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS), die die Absicht hatten 70 die tageszeitung, 19.07.1989. 71 Die Zeit, 21.09.1979; http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCckeburger_Prozess; Der Spiegel, 13/1979, S. 98-101.

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die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Bergen-Belsen mit Sprengstoff anzugreifen. 1980 gab es in der BRD 27 Brand- und Sprengstoffanschläge und von 1978 bis Mitte 1982 wurden 22 Menschen getötet, darunter befanden sich neun Ausländer, und ca. 260 Personen wurden zum Teil schwer verletzt.72 Am 21./22. August 1980 wurden, bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer in Hamburg durch die rassistischen „Deutschen Aktionsgruppen“, die Vietnamesen Ngoc Ngyuen (22 Jahre) und Anh Lan Do (18 Jahre) schwer verletzt und sie verstarben kurz darauf an ihren schweren Verbrennungen. Die vom Rechtsanwalt M. Roeder gegründeten „Deutschen Aktionsgruppen“ verübten noch weitere Bombenanschläge, so z. B. auf die „Auschwitz-Ausstellung“ in Esslingen (BW) im Februar 1980, auf ein Wohnheim für Ausländer in Zirndorf im Juli 1980 und auf eine Unterkunft für Äthiopier in Lörrach (BW) am 17. August 1980. In Bekennerschreiben zu den Anschlägen in Esslingen wurde behauptet, dass sie „antideutsche Hetze“ im Dienste des „Zionismus“ betreiben würde. Roeder war Eliteschüler einer „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt“ in Plön und als einer der jüngsten deutschen Soldaten war er beteiligt an der Schlacht um Berlin im Frühjahr 1945.73 Er sieht sich als Erbe des Hitler-Nachfolgers Karl Dönitz. Im September 1980 wurden die Täter des Brandanschlages von Hamburg, der Rechtsanwalt Manfred Roeder (52 Jahre), die Medizin-Technische Assistentin Sibylle Vorderbrügge, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. med. Heinz Colditz (51 Jahre) und der Werkmeister Raymund Hörnle (51 Jahre) festgenommen und am 28. Juni 1982 zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Hörnle als auch Vorderbrügge hatten einen Tag nach dem Attentat auf das Oktoberfest in München bei der Polizei ausgesagt, dass ihnen von Heinz Lembke (Jg. 1937) Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten worden war und dass es umfangreiche Waffendepots gäbe. Lembke war Neo-Nazis und sehr wahrscheinlich Mitglied der „Geheimarmee Gladio“. Er war 1959 aus der DDR geflohen und er machte dann im Westen schnell Karriere in rassistischen Gruppen wie z. B. im „Bund Vaterländischer Jugend“ (BVJ, im „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ), in der „Deutschen Reichspartei“ (DRP) und in der NPD. Im Oktober 1981 führte Lembke, mittlerweile war er Forstmeister in Hanstedt-Oechtringen im Landkreis Uelzen (Niedersachsen), die Polizei zu 33 Erdlagern mit automatischen Waffen, 13.520 Schuss Munition, 258 Handgranaten, 50 Panzerfäuste, chemische Kampfstoffe (u. a. Quecksilber, Phosphor, Zyankali, Arsen und Strychnin), 156 kg Sprengstoff und Unterlagen der Bundeswehr über Sprengen, Minenlegen und Panzerabwehr. Bevor Lembke Aussagen machen konnte, wurde er am 1. November tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden, er hatte sich an einem Elektrokabel erhängt. Direkt nach dem Tod wurden der „Militärische Abschirmdienst“ (MAD) als auch „zivile Nachrichtendienste“ in die Ermittlungen eingeschaltet. Am 3. November zog die Generalbundsanwaltschaft die Ermittlungen an sich und entließ drei gerade verhaftete Mitglieder der Gruppe „Lembke“. Die Ermittlungen wurden nach ein Jahr nach dem Tod eingestellt und H. Lembke wurde als Einzeltäter dargestellt.74 72 Madloch, S. 127f. 73 http://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Roeder. 74 Vgl. Montalcino; Der Spiegel, 46/1981.

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Der Hausarzt von Lembke war der Rechtsterrorist Dr. med. Uwe Jürgens, der bis 1990 in der Lüneburger Heide die neo-nazistische Wehrsportgruppe „Nothilfetechnische Übungs- und Bereitschaftsstaffel“ (NÜB) leitete. Diese Wehrportgruppe wurde 1978 gegründet, hatte ca. 40 Mitglieder und ca. 200 Sympathisanten gehörten zum Umfeld. Auf einem Grundstück mit 22.000 qm in Suroide im Landkreis Heidekreis (Niedersachsen), unmittelbar an den Truppenübungsplatz „Munster-Süd“ wurden regelmäßig Wehrsportübungen durchgeführt. Jürgens war von Bergen im Landkreis Celle nach Fürstenberg/Havel (Brandenburg) gezogen und es gelang ihm offensichtlich, zusammen mit Gleichgesinnten, den „Heimatverein“ Fürstenberg zu unterwandern.75 Am 26. September 1980 wurde am Haupteingang des Oktoberfestes in München, vom Geologie-Studenten im dritten Semester und organisierten Neo-Nazi Gundolf Köhler (21 Jahre), einem Mitglied der WSG „Hoffmann“, ein rassistisches Bombenattentat ausgeführt, bei dem 13 Personen getötet und ca. 200 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) vertrat die These von der Alleintäterschaft von Köhler wurde bis in die Gegenwart und wurde offiziell nicht angezweifelt.76 Dabei hatte er bereits ab seinem 14. Lebensjahr Kontakte zur NPD, er besuchte deren Parteitag und er ging zu ihren Wahlveranstaltungen. Zu der Zeit hatte er in Donaueschingen Kontakt mit einem Alt-Nazi, der sein Weltbild prägte. Über Köhlers Bett hing ein Bild von A. Hitler und er sammelte Abzeichen, Bücher und Bilder aus der Nazi-Zeit. Zu einem Geburtstag beschenkte er sich selbst mit einem Stahlhelm, er kaufte sich militärische Stiefel und im Schießsportverein übte er sich im Gebrauch von Waffen. Folgerichtig wurde Köhler Mitglied der mittlerweile verbotenen „Wiking-Jugend“ (WJ), wo er lernte mit Waffen umzugehen und Rohrbomben zu bauen. 1978 überfielen Mitglieder der WJ vier Soldaten auf einem Truppenübungsplatz in Niedersachsen und erbeuteten mehrere Maschinenpistolen und Magazine. Köhler war im Studium politisch aktiv im Umfeld des HTS Tübingen und hier nahm er auch Teil an Veranstaltungen der WSG „Hoffmann. Der „Militärische Abschirmdienst“ (MAD) hatte Schreiben zwischen Hoffmann und Köhler abgefangen, die bis heute geheim gehalten werden. Auch der baden-württembergische Verfassungsschutz beobachtete Köhler, weil der in zwei Listen der WSG „Hoffmann“ 1977 und 1979 als Mitglied geführt wurde. Ebenfalls war der Polizei längst vor dem Oktoberfestattentat bekannt, dass er Mitglied der WJ und der WSG „Hoffmann“ war.77 Es gab schon unmittelbar nach dem Attentat Hinweise darauf, dass weitere Täter beteiligt gewesen sind. So hatten vier Jugendliche ausgesagt, dass sie Köhler kurz vorher in einer Gruppe mit mehreren jungen Männern in Bundeswehr-Parkas gekleidet gesehen haben. Die Skizze die sie angefertigt hatten, entspricht weitgehend mit den Angaben von weiteren Zeugen überein. Auf dafür zeigten die Ermittler kein wirkliches Interesse.78 Ein anderer Zeuge, Frank Lauterjung (Jg. 1942), er starb kurz danach an einem Herzversagen, war nicht nur Mitarbeiter des Verfassungsschutzes 75 www.inforiot.de/artikel/wehrsport-heimatschutz; Kindler, S. 34. 76 http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland. 77 Der Spiegel, 43/2011; http://www.heise.de/tp/artikel/33/33015/1.html. 78 Der Spiegel, 43/2011.

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sondern auch aktiver Neo-Nazi und das stellt sich die Frage, ob er „zufällig“ oder nicht vor Ort war. Tatsächlich befand er sich in unmittelbarer Nähe zur Explosion und überlebte, nach eigenen Angaben deshalb, weil er plötzlich ein ungutes Gefühl hatte und sich auf den Boden legte. Lauterjung hatte bei seiner Vernehmung ausgesagt, er habe Köhler circa eine halbe Stunde vor dem Anschlag gesehen, im angeregten Gespräch mit zwei Männern, die in grünen Parkas gekleidet waren. Lauterjung war Mitte der 1960er Jahre bei der neo-nazistischen Gruppe „Bund Heimattreuer Jugend“ als leitender Funktionär tätig („Zweiter Bundesführer“, „Standortführer“).79 Stefan Wagner war ebenfalls Mitglied der WSG „Hoffmann“ und seine Rolle beim Oktoberfestattentat ist bis jetzt nicht zweifelsfrei zu klären gewesen. Wagner erschien ab 1977 auf der neo-nazistischen Szene bei den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), bei der „Wiking-Jugend“ (WJ), bei der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ (ANS), beim „Kampfbund Großdeutschland“ und er nahm teil an Übungen der WSG „Hoffmann“, wo er persönlich mit G. Köhler zusammen war. Nach einer Geiselnahme lieferte sich Wagner am 2. August 1982 eine Schießerei mit der Polizei, wobei er sich, bevor er sich mit einer Ladung Schrot in den Kopf schoss, gegenüber einer Geisel als Mittäter am Oktoberfestattentat bekannte.80 Hoffmann wurde 1984 vom Landgericht Fürth, u. a. wegen Folterung von Angehörigen der WSG, zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren verurteilt.81 Am 19. Dezember 1980, also nicht ganz drei Monate nach dem Oktoberfestattentat in München, wurden in Nürnberg-Erlangen (Bayern) der jüdische Verleger und ehemalige Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke, von Uwe Behrendt, ehemals Mitglied der WSG „Hoffmann“ erschossen.82 Frank Schubert war 1978 über die Berlin Mauer aus der DDR geflüchtet und gehörte dann in Frankfurt/M zur „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit“ (VSBD), einer Gruppe zu der sich u. a. versprengte Mitglieder der verbotenen WSG „Hoffmann“ und Aktivisten der „Kampfgruppe Großdeutschland“ zusammen gefunden hatten. Schubert war im Oktober 1980 in Frankfurt/M. untergetaucht und zusammen mit W. Kexel fuhren sie nach Ossingen in der Schweiz um Munition einzukaufen. Beim illegalen Grenzübertritt mit einem Schlauchboot nach Deutschland tötete Schubert einen Schweizer Zollbeamten und einen Polizisten. Er wurde am 24. Dezember 1980 an der deutsch-schweizerischen Grenze tot aufgefunden, nach dem er sich selbst getötet hatte. Neben ihm fand die Polizei eine Pistole und 500 Schuss Munition.83 Ende 1981 kam es in München bei einem geplanten Banküberfall durch Mitglieder der VSBD zu einem Feuergefecht mit Polizisten, bei der eine Handgranate und Maschinenpistolen eingesetzt wurden. Die VSBD-Mitglieder Klaus Ludwig Uhl und Kurt Wolfgramm wurden dabei getötet, ihr Begleiter Peter Fabel

79 Der Spiegel, 37/2010. 80 http://www.heise.de/tp/artikel/33/33016/1.html. 81 Badische Zeitung, 15.11.2011. 82 http://www.hagalil.com/archiv/2006/01/hoffmann.htm; Der Spiegel, 43/2011, S. 52. 83 Der Spiegel, 3/1981; Der Spiegel, 6/1983.

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und ein Polizist wurden schwer verletzt.84 Die VSBD-Mitglieder Pascal Coletta und Peter Hamberger wurden ebenfalls festgenommen. Im Kreis Ludwigsburg (BW) wurde am 1. Januar 1981 der Türke Sydi Battal Koparan (44 Jahre) von Skinheads der neo-nazistischen Motorradgang „Stander Greif“ tot geschlagen. Nach der Tat zogen sie durch den Ort und riefen: „Wo wohnen hier noch Scheißtürken“.85 In Hamburg wurde der homosexuelle Neo-Nazi Johannes Bügner (28 Jahre) von mehreren Mitgliedern der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) durch ca. 20 Messerstiche ermordet. Friedrich Enk (28 Jahre) gestand nach seiner Verhaftung die Tat und wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. In Garbsen bei Hannover (NDS) erstach ein Rassist im Mai 1982 einen indischen Nachbarn, weil die Familie im Kellergang einen Kinderwagen abgestellt hatte. Der Täter bezeichnete die Familie als „Kanakerpack“.86 In Norderstedt im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) wurde im Juni 1982 Tevik Gürel (26) von Rassisten vor einer Diskothek erschlagen. Er soll ein deutsches Mädchen umarmt haben. Die Skinheads riefen „Ausländer raus“.87 In Nürnberg (Bayern) wurden am 24. Juni 1982 zwei Afro-Amerikaner, William Schenck (24 Jahre) und Rufus Surles (27 Jahre) und der Ägypter Mohamed Ehap (21 Jahre) bei einem Amoklauf des Neo-Nazis Helmut Oxner (26 Jahre) erschossen und drei weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Oxner stand einen Tag vor seinem Amoklauf vor Gericht, weil er in anonymen Telefonanrufen, zusammen mit dem Fernmeldetechniker Rudolf Rother (29 Jahre) Türken und Juden als „Kameltreiber“, „Ausländersau“ oder „Judensau“ beleidigt hatte. Sie gestanden auch, dass sie die Stadtmauern von Nürnberg mit neo-nazistischen Parolen beschmiert hatten. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.88 In München verübten die Rassisten Marco Furlan (26 Jahre) und Wolfgang Abel (27 Jahre) als neo-nazistische Gruppe „Ludwig“ am 7. Januar 1984 einen Brandanschlag auf die Diskothek „Liverpool“ und dabei wurde Corinna Tatarotti so schwer verletzt, dass sie einige Monate später an ihren Verletzungen verstarb. Acht Personen wurden bei dem Angriff verletzt. Die beiden Täter wurden im Februar 1987 von einem Gericht in Verona (Italien) wegen zehnfachen Mordes und mehrere Brandanschläge, begangen zwischen 1978 und 1984, zu jeweils 30 Jahren Freiheitsstrafe und drei Jahren Einweisung in eine psychiatrische Anstalt verurteilt.89 In Hamburg wurde am 24. Juli 1985 der türkische Bauarbeiter Mehmet Kaymakci (29 Jahre) von drei Rassisten nach einem Streit in einem Restaurant zusammengeschlagen und in ein Gebüsch gezerrt. Einer der Täter (29 Jahre) zerschmetterte mit einer Betonplatte den Schädel des Wehrlosen. Im April 1986 verurteilte das Landgericht Hamburg die drei Täter zu Freiheitsstrafen von zweimal acht und einmal sieben Jah84 Der Spiegel, 44/1981; Die Zeit, 30.10.1981; die tageszeitung, 25.02.1995. 85 Der Spiegel, 27/1982. 86 Der Spiegel, 27/1982. 87 Der Spiegel, 27/1982. 88 http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus_in_Deutschland. 89 die tageszeitung, 03.12.1986, 12.02.1987.

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ren.90 Ebenfalls in Hamburg, in Hohenfelde, wurde am 21. Dezember 1985 der Türke Ramazan Avci (26 Jahre), zusammen mit zwei Begleitern, von fünf Rassisten (18 bis 23 Jahre) beleidigt und angegriffen. Seine Begleiter konnten sich in einen Linienbus retten, während Avci von einem VW-Golf gezielt angefahren und in die Luft geschleudert wurde. Der Fahrer des Pkw und drei Begleiter steigen aus und schlagen mit Baseball-Schlägern und Knüppeln auf den Wehrlosen ein. Das Opfer bleibt bewusstlos und mit eingeschlagenem Schädel auf der Straße liegen. Nach drei Tage im St. Georg-Krankenhaus verstarb er an seinen schweren Verletzungen. Nur wenige Tage später wurde sein Sohn geboren. Fünf Rassisten wurden festgenommen und vier Täter wurden später zu Freiheitsstrafen zwischen drei und zehn Jahren verurteilt. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert. An der Trauerdemonstration nahmen ca. 15.000 Menschen teil.91 In Hannover wurde am 3. Februar 1987 der Skinhead Roger Bornemann (17 Jahre) von vier Neo-Nazis ermordet. In Schwandorf wurde am 16./17. Dezember 1988 ein von Ausländern bewohntes Haus von Josef Staller (19 Jahre), Lehrling und Mitglied der „Nationalistischen Front“ (NF) mit Brandsätzen angegriffen. Dabei wurden der Arbeiter Osman Can (49 Jahre), seine Ehefrau Fatma (43 Jahre, sein Sohn Mehmet (11 Jahre) und der Akustiker Jürgen Hübener (47 Jahre), Mitglied der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) getötet. Vor Gericht erklärte der Angreifer: „Ich hasse Ausländer“. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert. Er wurde im Frühjahr 1990 wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von 12 ½ Jahren verurteilt.92 In Berlin (West) wurde am 12. Mai 1989 Ufuk Sahin (24 Jahre) vom rassistischen Rampenarbeiter Andreas Sch. (29 Jahre) mit einem Messer niedergestochen. Der Täter gab als Motiv das orientalische Aussehen des Opfers an. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert. Das Landgericht Berlin verurteilte den Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Republikaner“ im Berliner Abgeordnetenhaus kommentierte: Man muß den Ausländerhaß abbauen, in dem man die Zahl der Ausländer abbaut“.93 In Berlin wurde am 7. Januar 1990 der pakistanische Doktorand Mahmud Azhar (40 Jahre) von einem ost-deutschen Rassisten am Institut für Biochemie der FU Berlin angegriffen, geschlagen und getreten. Das Opfer verstarb am 6. März 1990 an seinen schweren Verletzungen.94 In gut 40 Jahren der alten BRD sind die hier aufgeführten, aus rassistischen bzw. neonazistischen Motiven Getöteten, Teil der „Eröffnungsbilanz“ des vereinten Deutschlands. Auch hier bleibt, gleich wie bei der Bilanz der rassistischen Vorkommnisse in der DDR und im vereinten Deutschland, die wirkliche Anzahl der Verletzten und Ge90 http://www.zeit.de/1986/22/ein-schlag-ins-gesicht/komplettansicht; die tageszeitung, 18.12.2010. 91 http://www.zeit.de/1986/22/ein-schlag-ins-gesicht/komplettansicht; die tageszeitung, 18.12.2010. 92 die tageszeitung, 16.12.1998. 93 die tageszeitung, 26.05.1989, 03.08.1989, 01.11.1989. 94 http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland.

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schädigten im Dunkeln. Und ebenso bleibt die Frage offen, wie viele Täter jeweils gefasst und wie viele davon vor ein Gericht gestellt worden sind. Mit der Ermordung des Türken Sydi Battal Koparan am 1. Januar 1981 in Ludwigsburg durch Rassisten der neo-nazistischen Motorradgang „Stander Greif“ hatte sich für die türkischen Einwanderer innerhalb von zehn Jahren der Wind radikal rassistisch gedreht – große Teile der Elite der Deutschen und ein rassistischer Mob wollten sie jetzt nicht mehr. Im Anschluss an diese rassistische Hetze begann Ende der 1980er Jahre eine andere rassistische Hetze und zwar die gegen „Asylantenfluten“, die angeblich Deutschland überschwemmten.95 Rassistische Latenz Im Dezember 1946 ermittelte die us-amerikanische Militärverwaltung einen Anteil von 40% Anti-Semiten in der deutschen Bevölkerung und 1949 stuften sich in der Erhebung eines west-deutschen Instituts 25% der Befragten selbst als Anti-Semiten ein. 1952 erhöhte sich ihre Anzahl auf einen Spitzenwert von ca. 33%, als es öffentliche Auseinandersetzung gab, um die „Wiedergutmachungszahlungen“. Es gab es immer wieder enorme rassistische Ereignisse, wie um den Jahreswechsel 1959/60, als eine anti-semitische bzw. neo-nazistische Schmierwelle stattfand, bei der bis Ende Januar 1960 insgesamt 470 anti-semitische und rassistische Vorkommnisse registriert worden sind.96 Die Existenz anti-semitischer Rassisten lässt sich auch erkennen an den Schändungen von jüdischen Friedhöfen. So wurden zwischen 1945 und 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen 26 jüdische Friedhöfe geschändet und von 1949 bis 1990 wurden in der BRD ca. 580 jüdische Friedhöfe geschändet.97 Eine weitere Möglichkeit der Erkenntnis bieten die Ergebnisse von demoskopischen Umfragen, wie z. B. die von 1977 als 77,7% der befragten Bundesbürger der Ansicht waren, Hitler hätte „eigentlich immer das Beste gewollt“. Dazu passt das Ende der 1970er Jahre in über 100 Städten Adolf Hitler immer noch als „Ehrenbürger“ geführt wurde. 1981 enthüllte eine demoskopischen Erhebung (Sinus-Studie), dass ca. 5 Millionen WestDeutsche (13%) ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hatten, denn sie fühlten sich von Ausländern bedroht und sie vertraten die Auffassung, ein Führerstaat wäre nötig, um Disziplin, Ordnung und Härte durchzusetzen. Weitere 15 Millionen WestDeutsche (37%) äußerten mehr oder weniger autoritäre Vorstellungen bei der Beurteilung politischer oder sozialer Probleme. Überdurchschnittlich verbreitet waren solche Auffassungen unter Landwirten, Beamten und Selbständigen, aber auch bei unterprivilegierten oder arbeitslosen Arbeitern. Noch mehr Befragte verlangten die Einrichtung von „Arbeitslagern“ für politisch Unbequeme und „asoziale Gammler“ und die meisten Rechten plädierten für eine Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937, in extremen Fällen wurde gar die Herstellung Deutschlands in den Grenzen des Jahres 1914 verlangt.98 Zwischen 1982 und 1984 waren über 10.000 95 die tageszeitung, 20.03.2001. 96 Benz (1989), S. 281. 97 Diamant, S. 11. 98 Madloch, S. 129.

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Bundesbürger befragt worden und ca. 63% bejahten die Frage „Sollten wir wieder einen Führer haben, der Deutschland zum Wohl aller mit starker Hand regiert?“. 1986 ergab eine Umfrage, daß die rassistische Parole „Ausländer raus“ nur von 14% der Befragten abgelehnt wurde. Der Anteil der Ausländer lag damals in WestDeutschland bei nur 6,9%. Umfragen aus dem Frühjahr 1989 enthüllten, dass noch immer 6,4 Millionen Deutschen eine gute Meinung über A. Hitler hatten und weitere 5,5 Millionen Deutsche hatten keine negative Meinung zu A. Hitler. Damit vertraten ca. 25% aller Wahlberechtigten West-Deutschen Auffassungen, die in keiner Schule gelehrt oder die in den Massenmedien im Allgemeinen nicht verbreitet wurden. Diese Umfragen sind, in der einen oder anderen Form bis in die Gegenwart hinein fortgesetzt worden und letztlich wurde festgestellt, dass sich in Deutschland bei ca. 50% der Bevölkerung ein rassistischer und nationalistischer Konsens herausgebildet hatte. Im V. Kapitel beschreibe ich wesentliche Ergebnisse von drei von einander unabhängig ermittelten demoskopischen Befragungen. Rechtspopulistische Offensiven Ministerpräsident von Baden-Württemberg war von 1966 bis 1978 Dr. jur. Hans Karl Filbinger (CDU). Filbinger kam als Nachfolger von Kiesinger (CDU) in dieses Amt, der von 1966 bis 1969 Bundeskanzler war. Von 1971 bis 1979 war er Landesvorsitzender der baden-württembergischen CDU und von 1973 bis 1979 stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei. Filbinger musste am 7. August 1978 als Ministerpräsident zurücktreten, nach dem schrittweise bekannt wurde, dass er 1943 und 1945 als Marinerichter der Wehrmacht vier Todesurteile entweder beantragt oder gefällt hatte. Filbinger war von 1933 bis 1936 Mitglied des „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (NSDStB) und des Wehrsportverbandes der Universität Freiburg i. Brsg, der 1934 in die „Sturmabteilung“ (SA) überführt worden war. Vom Mai 1937 bis 1945 war er Mitglied der NSDAP und im NS-Rechtswahrerbund. 1940 meldete er sich freiwillig zur Kriegsmarine und wurde 1943 „Oberfähnrich zur See“. Ab diesem Jahr war Filbinger an mindestens 234 Marinestrafverfahren beteiligt, in 169 Fällen als Vorsitzender Richter und in 63 Fällen als Ankläger. In vier Fällen ging es um Todesstrafen, die er je zweimal beantragt oder gefällt hatte. Erst im Jahr 1978 wurden diese Tatsachen publik und breit diskutiert und das obwohl schon im April 1972 die Zeitschrift Der Spiegel darüber berichtet hatte, dass Filbinger am 1. Juni 1945 (sic!) den Kriegsgefangenen Kurt Olaf Petzold zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt hatte. Erst durch einen Vorabdruck von Rolf Hochhuths Roman „Eine Liebe in Deutschland“ am 17. Februar 1978 wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht, dass Filbinger, im Gegensatz zu seinen eigenen Erklärungen, kein Widerstandskämpfer gegen die Nazis gewesen war, sondern das er im Gegenteil, bis über den Tod von Adolf Hitler und dem Untergang Nazi-Deutschlands hinaus, in Kriegsgefangenlager Gerichtsurteile im Sinne der nazistischen Ideologie fällte. Die Wochenzeitung Die Zeit hatte die Informationen über die Nazi-Vergangenheit Filbingers veröffentlicht und er ging dagegen gerichtlich vor. Doch dieses Mal bestätigte das 49

Gericht am 13. Juli 1978 eine Verfügung und erlaubte die Aussagen „furchtbarer Jurist“, „Hitlers Marinerichter“ u. a. m. als freie Meinungsäußerungen. Filbinger war nach seiner Kriegsgefangenschaft in Freiburg als Rechtsanwalt tätig und wurde dort 1951 Mitglied der CDU und 1953 in den Stadtrat in Freiburg i. Brsg. gewählt. 1958 wurde er als Staatsrat Mitglied der Landesregierung in Stuttgart. 1960 wurde er in Freiburg zum ersten Mal als Abgeordneter für den Landtag gewählt, dem er bis 1980 angehörte. Nach seinem Rücktritt gründete er 1979 das „Studienzentrum Weikersheim“ (SZW), dem er bis 1997 vorstand und dessen Ehrenpräsident er bis zu seinem Tod blieb. Dieses „Studienzentrum“ war für ihn ein Instrument für eine „geistig-politische Initiative“ die sich zentral gegen die seit den 1960er Jahren stattgefundene gesellschaftliche Demokratisierung und kulturelle Liberalisierung und für eine Stärkung national-konservativer Positionen. Dabei war ein wichtiges Ziel für Filbinger, gegen die „Verfälschung der deutschen Geschichte“ einzutreten, bei dem er eine Diffamierung von deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg deshalb glaubte diagnostizieren zu müssen, weil er eine „Glorifizierung des Deserteurs“ stattgefunden habe. Von 1982 bis 1997 war Dr. phil Albrecht Jebens (CDU) Geschäftsführer dieses Zentrums und Herausgeber der geschichtsrevisionistischen Zeitschrift „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“. Im SZW versammelten sich national-konservative, rechte Protagonisten der etablierten politischen und wissenschaftlichen Szene und diskutierten zusammen mit offen rassistischen und autoritären Autoren, wie z. B. Paul Carell, Wolfgang Strauß, Hans-Dietrich Sander, Theodor Schmidt-Kaler, Alfred Schickel, Karlheinz Weißmann, Rolf Schlierer, Ulli Boldt, u.v.a.m. Mitveranstalter von Tagungen waren geschichtsrevisionistischen Gruppen, wie z. B. „Junge Landsmannschaft Ostpreußen“, „Bund Junges Ostpreußen“ oder die „Paneuropa-Union“. G. Oettinger hielt am 11. April 2007, er war damals Ministerpräsident von BadenWürttemberg, eine Trauerrede zur Beerdigung von Hans K. Filbinger, in der er wahrheitswidrig behauptete, Filbinger war ein „Gegner des NS-Regimes“ gewesen und er habe persönlich keine Hinrichtung von Deserteuren zu verantworten gehabt. Auf Grund der massiven nationalen und internationalen Proteste musste Oettinger am 23. April seine Aussagen zurücknehmen. Filbinger findet hier deshalb Eingang in dieses Buch, weil er mit seiner persönlichen Geschichte ein beredtes Beispiel dafür ist, wie ein überzeugter NS-Täter sich nach 1945 insgesamt und politisch verhalten hat. Bis 1978, als das ganze Ausmaß seiner Nazi-Vergangenheit aufgedeckt worden war, legendierte er sich sogar als aktiver Widerstandskämpfer und konnte sich somit eine bedeutende Karriere erlügen. Filbinger war ein plastisches Beispiel dafür wie durch Verdrängen und Verleugnen vieler deutscher Juristen und Richter die „zweite Schuld“ entstehen konnte, da die Todesurteile der NS-Richter insgesamt nach 1945 ungesühnt geblieben sind. Die Forschungen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg i. Brsg. belegen detailliert über 30.000 Todesurteile und zehntausende Hinrichtungen durch die Wehrmachtsjustiz. Ohne Hochhuths Angriff auf Filbinger wäre dies in dieser Zeit kaum erforscht worden. Der Bundestag verabschiedete am 23. Juli 2002 ein Gesetz zur Aufhebung nati-

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onalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und rehabilitierte dadurch alle als Deserteure verurteilte Angehörige der Wehrmacht nachträglich.99 In Begleitung der politischen Wende gegenüber ausländischen ArbeiterInnen erschien am 22. Januar 1980 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Leserbrief mit rassistischem Inhalt des Mineralogen Prof. Dr. rer. nat. Helmut Schröcke von der Universität München. Dieser Text kann quasi als Exposé für das, von elf Professoren unterschriebene und am 17. Juni 1981 (sic!) erschienende „Heidelberger Manifest“ verstanden werden. In diesem Artikel behauptete er u. a., dass der Begriff „Volk“ sich naturwissenschaftlich definieren ließe: „Völker sind (kybernetisch und biologisch) lebende Systeme höherer Ordnung mit voneinander verschiedenen Systemeigenschaften, die genetisch weitergegeben werden. Dabei sind auch die nicht körperlichen Eigenschaften eingeschlossen, genauso vererbt werden, wie die körperlichen (die Milieu-Theorie ist wissenschaftlich falsch) […]“. Schröcke wurde 1987 von der Universität München emeritiert ist seither Autor verschiedener Texte in vorwiegend rassistisch bzw. revisionistisch ausgerichteten Verlagen und Schriftreihen. Er war als Ehrengast Teilnehmer am 21. April 1990 im Münchner Gasthaus „Löwenbräukeller“, zusammen mit dem rechten Terroristen und Rassisten Manfred Roeder und mit den Holocaust-Leugnern Otto Ernst Remer und David Irving. 1998 war er beteiligt an einem rassistischen „Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung“, was ihm und den anderen ca. 60 Verfassern dieser Hetzschrift, ein Ermittlungsverfahren des Bundeskriminalamtes (BKA) wegen Volksverhetzung einbrachte, dass 1999 jedoch wieder eingestellt wurde.100 Partner bei der Verfassung dieses Pamphlet war der Astronom und Demographie-Experte Prof. Dr. Schmidt-Kaler von der Universität Bochum, der am 30. September 1980 auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung behauptete: „Unser Problem sind nicht die Gastarbeiter schlechthin, sondern ihr asiatischer Anteil.“ Das „Heidelberger Manifest“ wurde von Schröcke verfasst und von insgesamt 17 deutschen Professoren, unter ihnen befand sich Prof. Dr. Theodor Oberländer, ehemaliger Bundesminister für Vertriebene unter Bundeskanzler Konrad Adenauer, Prof. Dr. Robert Hepp von der Universität Vechta und Prof. Dr. Heinrich Schade von der Universität Düsseldorf.101 In diesem Manifest heißt es weiter: „Mit großer Sorge beobachten wir die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen Ausländern und ihren Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums. […] Völker sind (biologisch und kybernetisch) lebende Systeme höherer Ordnung mit voneinander verschiedenen Systemeigenschaften, die genetisch und durch Traditionen weitergegeben werden. Die Integration großer Massen nichtdeutscher Ausländer ist daher bei gleichzeitiger Erhaltung unseres Volkes nicht möglich und führt zu den bekannten ethnischen Katastrophen multikultureller Gesellschaften. Jedes Volk, auch das deutsche Volk, hat ein Naturrecht auf Erhaltung seiner Identität und Eigenart in seinem Wohngebiet. Die Achtung vor anderen Völkern gebietet ihre 99 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Filbinger-Aff%C3%A4re; die tageszeitung, 29.05.1995, 14.04.2007, S. 10 und S. 18; Der Tagesspiegel, 15.04.2007. 100 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6cke. 101 Vgl. Klee (2011).

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Erhaltung, nicht aber ihre Einschmelzung. […] Gegenüber der zur Erhaltung unseres Volkes notwendigen Zahl von Kindern werden jährlich kaum mehr als die Hälfte geboren. Bereits jetzt sind viele Deutsche in ihren Wohnbezirken und an ihren Arbeitsstätten Fremdlinge in der eigenen Welt.“102 Ende des Jahre 1981 wurde der Originaltext in drei rassistischen bzw. revisionistischen Zeitschriften veröffentlicht: „Deutsche Wochenzeitung“, „Nation & Europa“ und in „Deutschland in Geschichte und Gegenwart“. Aus heutiger Sicht liest sich dieser Text wie ein Vorwort zu dem rassistischen Werk von T. Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“, dass fast genau 30 Jahre später für ähnliches Aufsehen sorgt. Ab 1980, quasi parallel zur politischen Verschlechterung der Lebensumstände für ausländische Arbeiter, begann auch ein tödlicher Terror gegen Ausländer insgesamt, aber speziell auch gegen Türkinnen und Türken durch rassistische Angreifer aus der neo-nazistischen Szene – der im Grunde genommen bis in die Gegenwart anhält. Für die Bundesrepublik waren Geschichtsdebatten charakteristisch, wie die zur Kranzniederlegung über den Gräbern von Soldaten der SS in Bitburg 1985 oder wie der Historikerstreit von 1986. Die „geistig-moralische Wende“, die Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1982 in seiner Regierungserklärung ankündigte und besonders sein Ausspruch von der „Gnade der späten Geburt“ als Teil seiner Rede am 24. Januar 1984 im israelischen Parlament: „Ich rede vor ihnen als einer, der in der Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat“, wurden zu Meilensteinen auf dem Weg zum Verdrängen der Verantwortung der Deutschen für die Verbrechen der Deutschen bis 1945. Günter Grass nahm etwas später für sich in Anspruch, diesen Ausspruch von der „Gnade der späten Geburt“ zuerst formuliert zu haben. Im Kern ging es Kohl darum den Israelis und der Weltöffentlichkeit klar zu machen, dass die personale, generative und politische Verantwortung der Deutschen für den NS-Faschismus und seine Massenmorde mit ihm und seiner Generation endete und zugleich mit diesem Versuch der Revision des bis dahin gültigen Geschichtsbildes, negierte er auch jegliche Verantwortung für den seit Anfang der 1980er Jahre sich demonstrativ entwickelnden rassistischen Terror gegen Ausländer in der BRD. Der neue Bundesminister des Innern, Dr. Friedrich Zimmermann (CSU), gab 1983 die Anweisung heraus, dass die Organisation der ehemaligen Angehörigen der SS, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG), sie war nach wie vor in über 100 Städten vertreten, nicht mehr im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erschien. Kohls zweiter Versuch der Geschichtsklitterung wurde sichtbar, als er zusammen mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg am 5. Mai 1985 besuchte, auf dem neben Wehrmachtssoldaten, auch Soldaten der Waffen-SS begraben sind. Viele betrachteten diesen Vorgang als Zeichen und Verstärkung eines Trends, die historisch-politische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, im Sinne einer verbreiteten Schlussstrich-Mentalität, stillzulegen. Auch daher wurde Kohls Initiative für ein Deutsches Historisches Museum in Berlin (West) und die Besetzung der 102 http://wikipedia.org/w/index/php?title=Heidelberger_Manifest.

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Gründungskommission (darunter Michael Stürmer) abgelehnt, weil darin ein Versuch gesehen wurde, ein konservatives, nationalverträgliches Geschichtsbild politisch und museal zu verordnen.103 Im Oktober 1986 gab Kohl der us-amerikanischen Zeitschrift Newsweek ein Interview, in dem er mit seinem Ausspruch: „He (gemeint ist Gorbatschow, HW) is a modern Communist leader who knows something about public relations. Goebbels, one of those responsible for the crimes of the Hitler era, was an expert in public relations, too.“104 Kohls Anstrengungen waren darauf gerichtet „ein seiner selbst bewußtes Deutschland erhobenen Hauptes in ein übernationales Europa zu führen“ und zum anderen sollte die BRD durch die Erledigung der Folgen der Geschichte von Nazi-Deutschland mit sich selbst und mit den ehemaligen West-Alliierten ausgesöhnt werden. Die Aufhebung des Asylparagraphen Art. 16 im Grundgesetz, die Kohl gemeinsam mit seiner Partei der CDU und zusammen mit der SPD im Jahr 1991, durchgesetzt hatte, bedeutete die Entledigung des „universalistischen Teils des Grundgesetzes“. In der rassistischen Kampagne die dieser fundamentalen Veränderung der Verfassung voraus gegangen war und im Vollzug ab den frühen 1990er Jahren, sind Grund und Anlass für die Pogrome von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen zu finden.105 Insgesamt haben sich ab Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre die politischen Koordinaten massiv in nationalistische und rassistische Richtungen entwickelt. Einer der diese unheilvolle am Horizont aufziehen sah, ist der Sozialwissenschaftler A. Klönne, der in einem Aufsatz (1986) den gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel so beschrieb: „Die Trennlinie zwischen einem rechtsextremen und einem konservativen Diskurs, wie sie für die Jahrzehnte nach 1945 in der Bundesrepublik kennzeichnend war, ist offenbar in Auflösung begriffen; im Zeichen des ‚nationalen Imperativs’ und der Wiederanknüpfung an die ‚deutsche politische Philosophie’ (die ‚Ideen von 1914 gegen die Ideen von 1789’) kommt es zu einer zunächst ideologischen Umgruppierung. Es hat dabei seine Logik, dass dabei die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus als ‚identitätsstörend’ beiseite geschoben werden muß; auf diese Weise läßt sich am besten jener Deutschnationalismus rekonstruieren, der vor dem Nationalsozialismus lag – und der nun in seiner historischen Eigenschaft als Wegbereiter des Dritten Reiches nicht mehr in den Blick kommen soll.“106 1986 kam es mit dem „Historikerstreit“ zu einem Höhepunkt in den kaum offen geführten Auseinandersetzungen um die Deutung der rassistischen Massenmorde der Nazis. Konservative bzw. reaktionäre Historiker und Publizisten hatten mit Hilfe großer Zeitungen, wie z. B. der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Die Welt und Rheinischer Merkur, den Versuch unternommen das etablierte Geschichtsbild 103 Vgl. Wehler. 104 Der Spiegel, 46/1986; Los Angeles Times, 02.11.1986; die tageszeitung, 04.11.1986. 105 Vgl. Brumlik (1999). 106 Klönne (1986), S. 10.

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über den Nazismus zu revidieren. 1980 hatte der Historiker Ernst Nolte vor der „CarlFriedrich-von-Siemens-Stiftung“ einen Vortrag gehalten: „Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus“, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 24. Juli 1980 gekürzt abdruckte. Nolte konstatierte darin ein durchweg und anhaltend negatives Bild des NS-Faschismus, das er auf die Schuld am Zweiten Weltkrieg, seine rassistische und völkische Ideologie und die singulären Gewalttaten an Juden, Slawen, Geisteskranken und Roma (er nennt sie Zigeuner), besonders auf die Gaskammern der Vernichtungslager, zurückführte. Am 6. Juni 1986 veröffentlichte Nolte im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) den Vortrag „Vergangenheit, die nicht vergehen will“, den er für die Frankfurter Römerberggespräche vorgesehen, dort aber nicht gehalten hatte. Darin behauptet er in Frageform, die daraus hinaus laufen sollten, das bisherige Geschichtsbild über die deutschen Nazis zu revidieren, wie z. B.: „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel Gulag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“ Daraus entwickelte sich von 1986/87 der „Historikerstreit“, als der Philosoph Jürgen Habermas diesem revisionistischen Angriff entgegentrat und damit eine zeitgeschichtliche Debatte auslöste, bei der es um zwei eng miteinander verbundenen Fragen ging: Erstens ob der Holocaust singulär war, also ob und in welcher Hinsicht der Anti-Semitismus der Nazis einzigartig war und zweitens ging es um die Frage, ob der faschistische Massenmord eine Reaktion der Nationalsozialisten auf frühere Ausrottungsmaßnahmen und das System des GuLag in der Sowjetunion war.107 Der gesamte Komplex hatte auch eine Bedeutung dafür, welche Rolle diese Thematik als identitätsstiftendes Geschichtsbild für die BRD spielen sollte. Diese und andere Aussagen von vier bundesdeutschen Historikern kritisierte Habermas als „Revisionismus“, der ein deutsches Nationalbewusstsein durch das Abschütteln einer „entmoralisierten Vergangenheit“ erneuern sollte. Daraus entwickelte sich eine überwiegend über Leserbriefe und Artikel in Zeitungen ausgetragene, etwa einjährige Debatte, an der zahlreiche deutsche Historiker, Journalisten und andere interessierte Autoren teilnahmen. In diesem Prozess wurde sichtbar, dass die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft zwar die NSForschung seit etwa 1965 intensiviert hatte, jedoch hatten die Historiker in Deutschland bis 1986 keine eigene Gesamtdarstellung des Holocaust hervorgebracht und weitere Jahrzehnte mussten vergehen, bis die historischen Tatsachen zu den Massenmorden der Nazis aufgearbeitet werden konnten.108 Zwischen dem Ende der 1960er Jahre und den späten 1980er Jahren gab es in Deutschland kaum substanzielle NS-Forschung und im Historikerstreit wurden die verdrängten Massenmorde wieder sichtbar.109 Der Angriff von Nolte und seinen Unterstützern lief, so wie ich es heute analysiere, im Kern darauf hinaus, die Ursachen für die „asiatischen“ Massenmorde der Nazis in den nach-revolutionären Pogromen 107 Vgl. Brumlik (2011). 108 Vgl. Aly (2006). 109 Vgl. Herbert (2006).

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und Massakern in der Sowjet-Union zu finden, die die Nazis „nur“ nachgeahmt hätten.110 Ausländische Arbeiter („Gastarbeiter“) Am 31. Oktober 1961 wurde ein Anwerbeabkommen zwischen der BRD und Türkei unterzeichnet und es trat rückwirkend zum 1. September 1961 in Kraft. Zunächst wurde eine Rotation eingeplant und Familiennachzug wurde ausgeschlossen. Beide Regelungen wurden später fallengelassen. Am 30. Oktober 1961 trat das deutsch-türkische Anwerbeabkommen in Kraft und ab 1964 gab es Richtlinien für die Mindestanforderungen für die Unterbringung ausländischer ArbeiterInnen. In seiner Regierungserklärung betonte Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard am 10. November 1965: „Die Heranziehung von noch mehr ausländischen Arbeitskräften stößt auf Grenzen. Nicht zuletzt führt sie zu weiteren Kostensteigerungen und zusätzlicher Belastung unserer Zahlungsbilanz.“ Und so wurde 1965 im Ausländergesetz das Inländerprimat festgeschrieben, das die Erteilung einer allgemeinen Arbeitserlaubnis abhängig davon machte, ob die Arbeitsmarktlage, dies hergibt. In diesem Ausländergesetz wurden die bis dahin geltende „Verordnung über ausländische Arbeitnehmer“ von 1933 und die „Ausländerpolizeiverordnung“ von 1938 abgelöst. In der ersten ökonomischen Krise seit dem bestehen der BRD wurde von 1966 bis 1967 die Anwerbung ausländischer Arbeiter unterbrochen. 1973 beschloß die Bundesregierung ein „Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung“ mit der Absicht die Zahl von arbeitsuchenden Ausländern zu reduzieren und im November 1973 wurde ein Anwerbestopp beschlossen, der noch heute gültig ist für Ausländer aus Nicht-EULändern. Am 31. Dezember 1971 lebten ca. 650.000 Türken in der BRD und damit wurden die Italiener als bisher zahlreichste Gruppe überholt. Daher betonte Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom Januar 1973: „Es ist aber notwendig geworden, daß wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebietet“. Um sicher zu gehen, verhängte die Bundesregierung am 23. November 1973 einen Anwerbestopp für ausländische Arbeiter – dennoch stieg durch Familiennachzug die Zahl der Einwanderer. 1973 beteiligten sich türkische Arbeiter an den spontanen Streiks in den Kölner Fordwerken und die Bundesregierung sah sich veranlasst vor einer „Politisierung der ausländischen Arbeitnehmer“ zu warnen. Im Laufe der 1970er Jahre wurde deutlich sichtbar, dass viele der zwischen 1955 und 1973, durch bilateralen Regierungsabkommen, angeworbenen Arbeiter aus Italien, Jugoslawien, Spanien, Türkei und weiteren Ländern keine Verfügungsmasse darstellten, die die Regierung, je nach dem ob die Volkswirtschaft sich in einer Aufschwungs- oder Abschwungsphase befand, in ihre Herkunftsländer zurückschicken konnte, denn die ausländischen Arbeiter wollten zusammen mit ihren Familien in Deutschland leben. Mit dem Ansteigen der Arbeits110 Vgl. Wehler.

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losigkeit wurde durch die Konkurrenz um abnehmende Arbeitsplätze, die Ängste in der Bevölkerung geschürt. Politische Propagandisten der meisten Parteien nutzten und förderten diese Stimmung und das Schlagwort von der „Überfremdung“ Deutschlands wurde zu einem entscheidenden Begriff.111 Am 30. Juli 1973 titelte die Zeitschrift Der Spiegel: „Die Türken kommen – rette sich wer kann“. Die Türken wurden nun als schwer integrierbar stigmatisiert. Und folgerichtig verhängte die Bundesregierung am 23. November 1973 einen Anwerbestopp für Arbeiter aus der Türkei. Ab 1. Januar 1975 erhielten Ausländer für ihre im Ausland lebenden Kinder weniger Kindergeld und am 1. April 1975 verhängte die Bundesregierung eine „Zuzugssperre“ für Ballungsgebiete mit einem Ausländeranteil von mehr als 12%. Diese Regelung wurde 1976 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken wieder aufgehoben. Ab dem Jahr 1981 wurde der Familiennachzug beschränkt, d. h. Kinder über 16 Jahren dürfen nicht mehr zu ihren Eltern in Deutschland kommen und nur wer bereits seit acht Jahren in Deutschland lebt, darf seinen Ehepartner nachholen, dabei lag die Wartezeit zwischen ein und drei Jahren. Am 14. Juli 1982 beschloss die Schmidt-Genscher-Regierung die Rückkehr von türkischen ArbeiterInnen in die Türkei durch finanzielle Anreize zu fördern. Mit der neuen Kohl-Genscher-Regierung wurde ab dem 1. Oktober 1982 die Entwicklung weiter verschärft und so wurde am 28. November 1983 das Gesetz zur „Förderung der Rückkehrbereitschaft“ (sic!) in Kraft gesetzt. Ende November 1983 beschloß der Bundestag zum 1. Dezember 1983 ein „Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft“, das vorsah, dass Einwanderer sich ihre Beiträge in die Rentenversicherung ausbezahlen lassen konnten. Rückkehrwillige Arbeitslose erhielten dazu 10.500 DM und für jedes Familienmitglied 1.500 DM. Danach wurden Gesetze erlassen, die den Nachzug von Familienangehörigen erschwerten.112 Im selben Jahr verkündete der von der CSU gestellte Bundesminister des Innern (BMdI) im Bundestag, dass ein harmonisches Zusammenleben in Deutschland nur dann möglich sein könnte, wenn die Zahl der Ausländer, „vor allem die großen Volksgruppen (Türken)“ begrenzt und langfristig vermindert würde.113 Die rassistische Band „Böhse Onkelz“ verfasste 1982 ihren Hasssong „Türken raus“. In der Reaktion auf den Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 und die darauf folgende Massenflucht von Türken auch in die BRD wurde eine Visumspflicht für Türken verhängt. Richard von Weizsäcker (CDU) erklärte vor seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister in Berlin (West): „Die Zahl der Türken in Berlin muss kleiner werden“.114 Heinz Kühn (SPD), „Ausländerbeauftragte“ der Bundesregierung von 1978 bis 1980, erklärte im Januar 1981: „Unsere Möglichkeiten, Ausländer aufzunehmen, sind erschöpft. […] Übersteigt der Ausländeranteil die Zehn-Prozent-Marke, dann wird jedes Volk rebellisch.“115 111 Widmann, S. 245. 112 die tageszeitung, 01.09.2011. 113 die tageszeitung, 27.10.2001. 114 http://www.freitag.de/community/blogs/muhabbetci/ohne-kommentar. 115 Quick, 15.01.1981.

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Im Wahlkampf zur Bundestagswahl am 6. März 1983 prophezeite Bundeskanzler Helmut Kohl: „Wir werden die Arbeitslosigkeit und die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer um die Hälfte reduzieren“.116 Mit der Erklärung von Bundeskanzler H. Kohl am 27. August 1986 vor der Bundespressekonferenz wurde die Frage der „Asylanten“ zum ersten Mal auf dieser Ebene thematisiert: „Ich habe mich entschlossen, heute selbst vor der Bundespressekonferenz zu sprechen, weil der Zustrom der Wirtschaftsasylanten Ausmaße angenommen hat, die zu einer ganz erheblichen Belastung für die Bundesrepublik Deutschland geführt hat. Die Zahl der Asylanten steigt von Monat zu Monat. […] Ich bin nicht gewillt, diese Entwicklung tatenlos hinzunehmen. […] Die Sorgen der Bevölkerung müssen ernst genommen werden, denn die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland und darf es auch nicht werden“. Von 1961 bis 1973 kamen ca. 1 Million Arbeiter aus südlichen europäischen Ländern, wie z. B. aus Spanien, Portugal oder der Türkei in die BRD; 1971 waren es ca. 650.000 Türken. Ab 1981 lebten in der BRD ca. 5 Millionen Ausländer. Trotz dieser anhaltende Hetze durch führende deutsche Politiker erhöhte sich die Zahl der Ausländer in der BRD fortlaufend und das verschärfte das rassistische Klima bis an den Rand des Erträglichen und war die Grundlage für die Hetze der organisierten und unorganisierten Rassisten. Gesellschaftlicher Rassismus Zu den größten Gruppen von Ausländern in der BRD zählten ca. 400.000 alliierte Soldaten und ihre Familienangehörigen. Darunter befanden sich Truppen aus den USA, GB, Frankreich, Kanada, Belgien und den Niederlanden. Die meisten von ihnen wohnten in abgeschlossenen Wohngebieten und die Kontakte beschränkten sich meistens nur auf offizielle Begegnungen.117 Die Kinder afroamerikanischer Soldaten und deutscher Mütter die ab 1946 geboren wurden, führten zu einer jahrzehntelangen Diskussion über den Umgang mit ihnen, über ihre Erziehung und Behandlung, in die zahlreiche Einrichtungen staatlicher Jugendbehörden, die freien Jugendwohlfahrtsträger sowie Privatpersonen involviert waren. In der Beschäftigung mit diesen als rassisch und kulturell Fremde eingestuften Kindern wurde ein diffuses Gemisch von rassistischen Vorurteilen und Interesse an den Folgen von ‚Rassenmischung’ sichtbar, die bis in die Gegenwart hineinwirken. „Konzepte der Sozial- und Rassenhygiene haben quer durch alle Gesellschaftsbereiche und Weltanschauungen einen Großteil des Denkens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt. Ausgangsbasis dieser Konzepte war die Darwinsche Vererbungstheorie, die seit ihrer Formulierung mit sozialen Implikationen verknüpft war. Die ‚Biologisierung des Sozialen’, nämlich die Reduktion ethnischer, religiöser und kultureller Unterschiede oder auch sozialer Verhaltensmuster von bloßer Devianz bis 116 die tageszeitung, 10.06.1998; http://www.freitag.de/community/blogs/muhabbetci/ohnekommentar. 117 Gugel, S. 53.

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hin zur Kriminalität auf das Erbgut, hatte weder ihren Anfang im Nationalsozialismus noch, so konnte am Beispiel der quantitativ marginalen Gruppe von afrodeutschen Kindern dargelegt werden, war sie mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 überwunden.“ Insgesamt gab es bis 1955 ca. 66.000 uneheliche Besatzungskinder, von denen ca. 4.600 (ca. 7%) als Afro-Deutsche bezeichnet werden können.118 In Württemberg-Hohenzollern, Hessen, Bremen und im Saarland blieben die 1948 erlassene polizeiliche „Verordnung zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ bis 1970 in Kraft. Das „Wohnwagengesetz“ in Hamburg und die bayerische „Landfahrerordnung“, sie wurde Anfang der 1980er Jahre wegen des Verstoßes gegen das Grundgesetz aufgehoben, erschwerten den Sinti und Roma das Leben.119 Besatzungsmächte und deutsche Behörden betrachteten die Sinti und Roma ebenso wenig als Opfer des Nationalsozialismus wie Wissenschaft, Publizistik und Presse. Gemeinhin diffamierte man ‚Zigeuner’ als asozial und kriminell. Der verbreiteten Meinung zufolge seien viele nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen legitime Verbrechensbekämpfung gewesen wie in anderen Staaten auch. Eine bedeutende Schwierigkeit über Sinti und Roma zu schreiben liegt darin begründet, dass es kaum schriftliche Aufzeichnungen von ihnen selbst gibt. Offizielle statistische Angaben über die Entwicklung der Zigeunerbevölkerung in Deutschland nach 1945 liegen nicht vor. In einer bundesweiten Befragung des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Jahre 1994, lehnten 68% der befragten Deutschen es ab, „Zigeuner“ als Nachbarn zu haben.120 Bei der Verfolgung der Zigeuner knüpfte deutsche Rassisten an die traditionelle Diskriminierungspolitik an, die in Deutschland seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gegen diese Minderheit zu konstatieren war und die auch in der demokratisch verfassten Weimarer Republik fortgeführt wurde. Insgesamt ermordeten die deutschen Nazis ca. 500.000 Sinti und Roma. Die alliierten Militärregierungen ersuchten die zuständigen Behörden im Westen wie im Osten Deutschlands die Anerkennung der Zigeuner als NS-Verfolgte einzuschränken. In den ersten Fassungen der Richtlinien über die Anerkennung als Verfolgte des Nationalsozialismus, kam es zu diskriminierenden Bedingungen für die Anerkennung verfolgter Zigeuner, denn um als Verfolgte anerkannt zu werden, hatten sie nach diesen Richtlinien einen ständigen Wohnsitz und einen festen Arbeitsplatz nachzuweisen. Der Völkermord an den Sinti und Roma wurde nach 1945 in beiden deutschen Staaten fast vollkommen verdrängt. Wollten Zigeuner in der SBZ bzw. DDR als Opfer des Faschismus anerkannt werden, so hatten sie eine antifaschistisch-demokratische Haltung nachzuweisen. Keine andere Verfolgtengruppe hatte derartige restriktive Anforderungen zu erfüllen. Die Bedingungen die an Zigeuner gerichtet wurden, waren sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands auf eine Sicht der Zigeuner als ‚Asoziale’ und auf Intention zurückzuführen, sie vom „privilegierten Kreis der Opfer des Faschismus fernzuhalten“.

118 Lemke Muniz de Faria, S. 200f; Vgl. Dassler. 119 Gugel, S. 52. 120 Widmann, (2003) S. 245.

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In der BRD fand eine rigide Verweigerung von Leistungen für von Nazis verfolgte Sinti und Roma statt. Bereits 1947 hatten die Entschädigungsbehörden in ganz Deutschland die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei aufgenommen, um „Asoziale, Kriminelle und Betrüger unter den Antragstellern auszumachen“. In den für Zigeuner zuständigen Abteilungen in den Kriminalpolizeien der meisten Bundesländer, betrachtete man sie, wie zuvor in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, generell und ohne Einzelbeweise als kriminelle Elemente und sammelte weiter Daten über sie. In den 1950er Jahren engagierten sich die „Ämter für Wiedergutmachung“ mit den „Rassenforscher“ und Polizisten, die bereits im deutschen Faschismus bei der Verfolgung und Vernichtung der Zigeuner hervorgetan hatten. Bei den Beamten in den staatlichen Verwaltungen waren es vor allem die Vertreter der Polizeibehörden und der Abteilungen für öffentliche Sicherheit in den Innenministerien, die die gesetzlichen Regelungen unterstützten, die die Grundrechte der Zigeuner einschränkten. Die Justizministerien der Länder und das Bundesministerium der Justiz (BMdJ) wandten sich jedoch dagegen, da zur Überzeugung gelangt war, die Grundrechte der Zigeuner dürften nicht beschnitten werden. „Insofern ist die deutsche Politik gegenüber Sinti und Roma nicht anhand einer Zuordnung zu politischen Lagern zu charakterisieren, sondern durch verschiedene einander oft widersprechende Tendenzen, die jenseits der Parteigrenzen bestanden: Einerseits handelte es sich um die Fortführung jener traditionellen Zigeunerpolitik, die vor der nationalsozialistischen Zigeunerverfolgung dominant gewesen war, nach 1945 jedoch durch die Position der Militärregierungen und später durch das Grundgesetz beschränkt wurden. Andererseits wurde eine Reformtendenz bemerkbar, die von den alliierten Besatzungsmächten, aber auch von Repräsentanten der deutschen Beamtenschaft, insbesondere in den Justizministerien, und einzelnen Politikern getragen wurde. […] Diese widersprüchlichen Tendenzen führten zu einer Politik, die die Gleichheit der Sinti und Roma als deutsche Staatsbürger vor dem Gesetz postulierte, die Betroffenen jedoch wegen ihrer Herkunft faktisch diskriminierte.“121 In der BRD lebten Anfang der 1990er Jahre ca. 5060.000 Sinti und Roma. Bedingt durch eine Massenflucht kamen ca. 10.000 Personen aus Rumänien hinzu.122 Die Baracken der Sinti und Jenischen lagen in Freiburg, neben dem Rieselfeld, weit außerhalb der Wohngebiete, dort wo die Abwässer der Stadt versickerten. Sie verfügten weder über fließendes Wasser, noch über Kälteisolierung und die hygienischen Bedingungen waren so schlecht, dass Bewohner in der Wohnung von Ratten angefallen wurden. Dieses Leben demütigte viele Sinti allein schon deshalb, weil diese Umgebung ihren traditionellen Reinheitsvorschriften widersprach. In den 1960er Jahren begann ein großer Teil der Kinder aus den Familien eine Schule zu besuchen. Die Lehrer verwiesen aber fast alle Schüler sowohl in Freiburg (als auch in Straubing) spätestens ab der zweiten Klasse, ohne Prüfung des Einzelfalls, auf eine Sonderschule für Lernbehinderte. Erst im Juni 1976 genehmigte der Gemeinderat, nach einem jahrelangen Diskussionsprozess, den ersten Abschnitt eines 121 Margalit, S. 156-168. 122 Vgl. Gugel, S. 51.

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Bauprogramms. Zwischen 1976 und 1987 entstand, um das Haus Weingarten herum, eine Reihenhaussiedlung mit 83 Wohnungen für Familien der Sinti und Jenischen.123 Eine demoskopische Erhebung des „Instituts für Medien-, Politik- und Sozialforschung Emnid“ ergab, dass ca. 68% der Deutschen Sinti und Roma offen ablehnen.124 Anti-semitischer Anti-Zionismus in der west-deutschen Linken Ausgangspunkt dieser historisch-politischen Reflexion über den anti-semitischen Anti-Zionismus in der west-deutschen Linken ist der Staat Israel und der Konflikt mit den arabischen Nachbarn und die Zuschreibungen, die dazu von radikalen und marxistisch-leninistischen Linken seit 1967 vorgenommen worden sind. Bei der Gründung des Staates Israel (1947), die auf einen Teilungsbeschluss der UN zurückzuführen ist, befanden sich alle großen Mächte (USA, UdSSR, GB etc.) auf der Seite des jungen jüdischen Staates, nicht zuletzt auch deshalb, um das leidige Problem der vielen heimatlosen Juden (displaced persons) damit lösen zu können. Bis in die 1960er Jahre hinein gab es im linken Spektrum in Deutschland, ausgeprägte Sympathien für Israel und besonders für die sozialistischen Kibbuzim. Diese traute Harmonie endete abrupt mit dem „6-Tage-Krieg“, bei dem die israelische Armee einem konzentrierten Angriff vereinter arabischer Heere zuvorgekommen war und siegte. Seit und mit diesen kriegerischen Eroberungen der Israelis wird Israel von Teilen der deutschen Linken, in der Regel sind das Anti-Imperialisten verschiedener Couleur, als „zionistischer und rassistischer Staat“ angegriffen und die zionistischen Israelis werden als „Faschisten“ dargestellt, deren Ziel es angeblich sein soll, Araber und Palästinenser auszurotten. Unter der Vokabel „Anti-Zionismus“ versammeln sich also seit den 1960er Jahren einzelne Linke und verschiedene linke Gruppen und dies deshalb, weil hier ein Feld aufgetan worden ist, in das der, in beiden deutschen Gesellschaften virulente Anti-Semitismus einfließen konnte. Mit diesen unreflektierten Grundlagen entwickelte sich bis in die Gegenwart hinein eine intensive Solidarität mit den Palästinensern und ihren politischen und militärischen Gruppen, sowie den arabischen Staaten. Wie war das möglich? Wie konnte es sein, dass die falschen Anschauungen zum historischen Konflikt im Nahen Osten scheinbar unverändert erhalten geblieben sind? Zu Beginn der Entwicklung des Anti-Zionismus als ideologische, politische und militärische Grundlage aus dem Fundus der Pseudo-Theorie des Marxismus-Leninismus, wurde er von Staaten wie der Sowjet-Union oder DDR öffentlich vertreten und sie gaben diesen Anschauungen damit ein Gewicht, zu dem sich legale oder illegale Gruppen auch im Westen orientieren konnten. Dieses sage ich auch deshalb, weil der politischen und militärischen Unterstützung der Feinde Israels durch Staaten eine andere Bedeutung beizumessen ist, als den radikalen und revolutionären Gruppen und Parteien der notorisch oppositionellen Linken im Westen. Es zeigt sich an der Geschichte der Ideologie des Anti-Zionismus, wie sehr die deutschen Linken in gewichtigen Teilen, sich mit dem autoritären Gestus verbandelt fühlen, anstatt mit undogmatischen oder gar anti-autoritären Elementen, die es nachgerade nach 1968 123 Widmann (2003), S. 179-188. 124 Pǎskareviü, S. 3-4.

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zuhauf gab. Dieser Anti-Zionismus war ein Ausdruck der ungebrochenen, weil nur unterdrückten, anti-semitischen Werte in den beiden deutschen Staaten und zugleich war er für die DDR der Ausdruck einer quasi bedingungslosen Übernahme der sowjetischen Ideologie insgesamt war. Der empirische Beleg für die Existenz militanter anti-semitischer Anti-Zionisten der Linken im Westen ist mit dem Datum 9. November 1969 verbunden. Albert Fichter, Mitglied der im Untergrund agierenden linken Gruppe „Tupamaros – Schwarze Ratten“ deponierte eine Bombe, sie war eingehüllt in einen Mantel, im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin (West). Fichter, ein Bruder von Tilman Fichter, will die Anleitung dafür von D. Kunzelmann erhalten haben, der der Initiator und Kopf der Gruppe war. Die Bombe selbst, sie stellte sich als nicht funktionstüchtig heraus, stammte von Peter Urbach, einem geheimen Mitarbeiter des Berliner Geheimdienstes (LfV) und ein Freund von D. Kunzelmann.125 Diese Bombe, mit dem entsprechenden Bekennerschreiben, markiert den Paradigmenwechsel, den einige Linke, Angehörige der ansonsten vielfältigen außerparlamentarischen Opposition der 1960er Jahre, öffentlich vollzogen hatten. Das Bekennerschreiben der „Schwarzen Ratten TW“ listet die zentralen Begriffe dieses Anti-Zionismus auf und diffamiert die Israelis als Faschisten, die zu bekämpfen sind: „Am 31. Jahrestag (9. November 1969, HW) der faschistischen Kristallnacht wurden in Westberlin, mehrere jüdische Mahnmale mit ‚Shalom und Napalm’ und ‚El Fatah’ beschmiert. Im Jüdischen Gemeindehaus wurde eine Bombe deponiert“.126 Dieser Angriff auf Überlebende des Holocaust wären „nicht mehr als rechtsradikale Auswüchse zu diffamieren, sondern sie sind ein entscheidendes Bindeglied internationaler sozialistischer Solidarität“ und der „wahre Antifaschismus ist die klare und einfache Solidarisierung mit den kämpfenden Feddayin. […] Aus vom Faschismus vertriebene Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen“.127 Von D. Kunzelmann existiert ein de facto Bekennerschreiben, als er in einem „Brief aus Amman“, mitteilte: „Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ‚Zionismus’ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philo-Semitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“128 Wenige Monate davor, also im Sommer 1969, waren mehrere deutsche Frauen und Männer aus linken Gruppen oder Zusammenhängen, z. B. Tupamaros, bzw. Haschrebellen, die genaue Anzahl steht nicht fest, über Berlin (Ost) und den Flughafen Schönefeld, in ein Ausbildungslager der Al Fatah, in den Libanon gereist, um sich dort an Waffen und Sprengstoff ausbilden zu lassen. Die zeitlich dichte Abfolge der beiden Ereignisse lässt keinen Raum für zweideutige Aussagen.

125 Vgl. Reinecke. 126 Kraushaar, S. 337. 127 Schalom + Napalm, in: Agit 883, Nr. 40 vom 13.11.1969. 128 Vgl. Kunzelmann.

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Erneut, im Frühsommer 1970, reiste eine andere Gruppe von ca. 20 Frauen und Männer aus linken Zusammenhängen in Berlin (West), über Berlin (Ost) und den Flughafen Schönefeld nach Amman, um sich in einem Ausbildungslager der Al Fatah für ca. 2 Monate ebenfalls an Waffen und Sprengstoff ausbilden zu lassen. Darunter befanden sich so prominente Personen wie z. B. die Journalistin Ulrike Meinhof, die Doktorandin Gudrun Ensslin, der Rechtsanwalt Horst Mahler oder der berufs- und ausbildungslose Andreas Baader.129 Die politischen Einstellungen und Bewertungen der Gründungsmitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) und die ihrer Nachfolger zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern blieben über die Jahrzehnte, also von 1970 bis zu ihrer Auflösung 1997, ohne substanzielle Veränderung. In der Erklärung der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) von 1972 zu der Geiselnahme israelischer Sportler bei den Olympischen Spielen durch ein bewaffnetes Kommando der palästinensischen Terror-Gruppe „Schwarzer September“ wurden die barbarischen Vorgänge wie folgt bewertet: „Die Aktion des Schwarzen September in München hat das Wesen imperialistischer Herrschaft und des antiimperialistischen Kampfes auf eine Weise durchschaubar und erkennbar gemacht wie noch keine revolutionäre Aktion in West-Deutschland und Westberlin […] Die Aktion des Schwarzen September war antifaschistisch. Sie hat den Zusammenhang zwischen dem alten NS-Faschismus und dem entfalteten Imperialismus als dem erst durch und durch faschistischen System hergestellt. […] So wie der Imperialismus seinem Wesen nach faschistisch ist, war der Antifaschismus seiner Tendenz nach antiimperialistisch. […] Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik. […] An der Aktion des Schwarzen September in München gibt es nichts mißzuverstehen. Sie haben Geiseln genommen von einem Volk das ihnen gegenüber Ausrottungspolitik betreibt“.130 Das seit Jahrzehnten zu beobachtende, geradezu obsessive Bedürfnis nach Aufrechnung und Gleichsetzung der Nazis und ihrer Verbrechen mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern ist deshalb entlarvend, weil damit implizit der Versuch einer Revision der deutschen Geschichte sichtbar wird, der zu einer Verharmlosung der Massenmorde der deutschen Nazis führt. Insofern ist hier die Grenze gezogen für eine Kritik an Israel, die selbst nicht anti-semitisch oder geschichtsrevisionistisch ist. Die „Revolutionären Zellen“ (RZ) waren von den 1970er bis in die 1990er Jahre aktiv und anders als die Mitglieder der RAF lebten sie legal und gingen sozusagen nur zeitweilig in den bewaffneten Untergrund. Im Dezember 1987 wurde Gerd Albartus, ein Angehöriger der deutschen „Revolutionären Zellen“ (RZ) in einem Camp einer palästinensischen Gruppe liquidiert, d. h. zum Tode verurteilt und erschossen. Vermutet wird, die Folterer könnten der Meinung gewesen sein, Albartus wäre geheimer Mitarbeiter des MfS gewesen oder es wird angenommen, die Homosexualität von Albartus sei der Grund für die Folter und seine Ermordung gewesen. Mitglieder der RZ, die die Meldung über den Tod von Albartus verbreiteten, verwarfen darin ihre seit den 1970er Jahren betriebenen anti-imperialistischen und anti-zionistischen Aktionen und sie bezeichneten die Selektion der in Geiselhaft genommenen Touristen in 129 Vgl. Kloke. 130 raf, S. 411-422, S. 446.

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Juden und Nicht-Juden als anti-semitisch!131 Ihre selbstkritische Einsicht in die authentischen Abläufe ist ein Unikum in der Geschichte der deutschen Linksradikalen. Eine deutsch-palästinensische Gruppe, sie bestand aus etwa acht Personen, hatte im Juni/Juli 1976 Passagiere eines Airbus der „Air France“ gekapert und ca. 250 Touristen als Geiseln genommen. Die Gruppe der Entführer bestand aus Frauen und Männern der beiden deutschen linken Gruppen „Revolutionären Zellen“ und „Bewegung 2. Juni” sowie der palästinensischen Gruppe „Popular Front for the Liberation of Palestine” (PFLP). Dabei führte der deutsche Linksradikale und Begründer der RZ Wilfried Böse eine Selektion jüdischer und nicht-jüdischer Geiseln durch. Unter ihnen war ein Mann, er hatte sich mit seiner im Arm eintätowierten Häftlingsnummer W. Böse als ein Überlebender der Nazi-Massenmorde zu erkennen gegeben. Böse erwiderte den implizierten Vorwurf des Holocaustüberlebenden mit: „Ich bin kein Nazi“ und gab sich damit nur als anti-semitischer Anti-Zionist zu erkennen.132 Im Dezember 1971 wurde von der deutsch-palästinensischen Gruppe „Bewegung für die Befreiung von Jerusalem“ auf einen Bus mit jüdischen Auswanderern aus der Sowjet-Union ein Anschlag durchgeführt, mit einem mit 25 bis 40 Kilogramm Sprengstoff beladenen Pkw. Der Bus mit Familien und kleinen Kindern befand sich auf dem Weg zum Flughafen und durch die Explosion wurden vier Reisende leicht und zwei ungarische Polizisten schwer verletzt. Größere Verletzungen bei den Reisenden waren ausgeblieben, weil das dem Bus voraus fahrende Polizeifahrzeug von der funkferngezündeten Bombe getroffen wurde. Zu dem Kommando gehörte der im Untergrund agierende anti-semitische Anti-Imperialist Horst Ludwig Meyer, der, nach Aussagen seiner Lebensgefährtin Andrea Martina Klump, an der Vorbereitung beteiligt war und der in Zusammenarbeit mit bzw. im Auftrag einer palästinensischen Gruppe agierte.133 Einen erhellenden Einblick in Verknüpfung von wissenschaftlichen und persönlichen Kontinuitäten mit einer anti-semitischen Historie von prominenten VertreterInnen der deutschen Linken bieten die Biographien der beiden befreundeten Frauen Renate Katharina Riemeck (Jg. 1920), Mitglied der NSDAP, und Ingeborg Marie Elise Meinhof (Jg. 1909).134 Ingeborg Meinhof hatte 1928 den Kunsthistoriker Werner Meinhof (Jg. 1901) geheiratet und nach der Geburt der beiden Töchter wurde W. Meinhof 1936 Leiter des Stadtmuseums in Jena. Er war 1930 Mitglied im „Kampfbund für deutsche Kultur“ geworden und am 1. Mai 1933 wurde er Mitglied der NSDAP.135 Nach einer karzinogenen Erkrankung der Bauchspeicheldrüse verstarb er im Februar 1940. I. Meinhof und R. Riemeck waren gleichzeitig als wissenschaftliche Assistentinnen und Doktorandinnen bei dem ausgemachten Anti-Semiten, SS-Mitglied und NS-Fanatiker Prof. Dr. Johannes Leer, an dessen Institut an der Universität Jena tätig, wo sie auch beide jeweils 1943 zum „Doktor der Philosophie“ promoviert wurden. Die beiden 131 ID-Archiv im IISG (Hg.), S. 20-34. 132 Kloke, S. 306-316. 133 Süddeutsche Zeitung, 28. September 2004; http:/www.sooderso.net/zeitung/sos/14/s/10aklump.shtml; die tageszeitung 28.06.2000, 06.02.2003, 13.08.2004 134 Ditfurth (2007), S. 37-40. 135 Vgl. Ditfurth (2008).

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Frauen waren an der Erziehung der beiden Töchter von I. Meinhof, Wienke (Jg. 1931) und Ulrike Meinhof (Jg. 1934) beteiligt und nach dem Tod von I. Meinhof 1949 übernahm die Historikerin R. Riemeck allein die Erziehung der Mädchen in Oldenburg. Riemeck war eine der ersten Wissenschaftler die 1960 Berufsverbot erhielt und sie war von den 1950er bis Mitte der 1960er Jahre eine der führenden Linken in West-Deutschland. Ihre Mitgliedschaft in der NSDAP verleugnete sie bis zu ihrem Tod, ja sie behauptete im Gegenteil, sie hätte Juden gerettet.136 Auch über diesen Rahmen hinaus ist es interessant zu wissen, dass die Journalistin und das Gründungsmitglied der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) Ulrike Meinhof, eine dezidiert antijüdische bzw. anti-zionistische Haltung gepflegt hat, die sie dazu gebracht hatte, das Attentat arabischer Terroristen auf die jüdische Delegation bei den Olympischen Spielen 1972 in München zu bejahen.137 Dieses politische Bündnis deutscher Linksradikaler mit arabischen Gruppen zulasten der Juden und Israelis, findet seine Entsprechung in der Ähnlichkeit mit den Einstellungen und mit dem Vorgehen von alten und neuen Nazis, so wie es J. Leer bis zu seinem Tod gefordert und gelebt hat. Dieser Versuch einer Revision der Geschichte der deutschen Nazis und ihrer Massenmorde findet seine Fortsetzung in der Politik von Teilen der Partei „Die Linke“ als auch anderer linker Gruppen und Sekten im vereinten Deutschland ab Oktober 1990. Dazu habe ich im IV. Kapitel einige Beispiele aufgeführt und besprochen. Im nachfolgenden Abschnitt beschreibe ich den Beginn dieser verqueren und falschen Einordnung der Israelis und des israelischen Staates als „faschistisch“ in der Sowjet-Union der 1940er Jahre. Exkurs: Der Beginn des anti-semitischen Anti-Zionismus in der Sowjet-Union Die Beziehungen der KPD bzw. SED zur KPdSU hatten ihre Anfänge in den 1920er Jahren und sie waren geprägt von der Unterwerfung der deutschen Kommunisten unter die KPdSU. Die Ermordung deutscher Kommunisten im sowjetischen Exil ist nur im Zusammenhang mit den Stalinschen „Säuberungen“ zu verstehen, bei denen nicht nur über 1 Million sowjetischer Kommunisten ermordet wurden, sondern bei denen im Sinne der Sippenhaftung auch Familienangehörige der Verhafteten von Repressalien betroffen waren. Von den 32 Mitgliedern des Politbüros der KPdSU zwischen 1919 und 1938 fielen 17 den „Säuberungen“ zum Opfer. 40 Mitglieder des ZK der KPdSU wurden liquidiert, 18 frühere Volkskommissare, 16 Botschafter und Gesandte, fast sämtliche Vorsitzende der einzelnen Republiken wurden erschossen oder kamen in der Verbannung in Sibirien um. Auch in der sowjetischen Armee wütete der Terror: Ihm fielen fast alle 80 Mitglieder des 1934 geschaffenen obersten Kriegsrates und circa 40.000 höhere Offiziere zum Opfer. Allein aus dem höheren Offizierskorps verschwanden drei von fünf Marschällen, sowie 13 von 15 Armeekommandeuren. Die Willkürherrschaft Stalins und der Bolschewiki forderten nicht nur Opfer in der KPdSU. Repressalien richteten sich auch gegen die Führer der Kommunistischen Internationale. Die beiden Vorsitzenden der Kommunistischen Internatio136 Riemeck, S. 80; Vgl. Ditfurth (2009). 137 Gessler, S. 355.

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nale, Grigori J. Sinowjew und Nikolai I. Bucharin wurden hingerichtet, zugleich wurde das Personal des Apparates der Komintern fast völlig dezimiert, die wichtigsten Führungskräfte wurden liquidiert. Vor allem sind auch deutsche Kommunisten verfolgt worden. Die KPD war seit 1933 durch das NS-Regime in die Illegalität gedrängt und die Führung und viele Funktionäre flüchteten ins Ausland, um von dort den Kampf gegen die Nazis fortzusetzen. Nur ein Teil der emigrierten deutschen Kommunisten gelangte in die Sowjet-Union, die vor 1933 als „Vaterland“ angesehen worden war. Seit 1935 residierte der Kern des Politbüros der KPD in Moskau. Während der Stalinschen „Säuberungen“ ab 1936 sind von den mehreren tausend deutschen Kommunisten, Tausende inhaftiert und davon etliche hundert ermordet worden. So bestand die Tragödie dieser Stalin-Opfer vor allem darin, daß sie von Gleichgesinnten, auf Befehl ihres Idols Stalin fälschlich als Agenten der Gestapo beschimpft, ihrer Ehre beraubt und schließlich ermordet wurden. Nach der Niederlage des NS-Faschismus verschwiegen die deutschen Kommunisten zunächst, daß in den Moskauer „Säuberungen“ auch Funktionäre der KPD verhaftet und ermordet worden waren. Margarete Buber-Neumann berichtete 1949 erstmals über die Geschehnisse um deutsche Kommunisten in der Sowjet-Union in ihrem Band „Als Gefangene bei Stalin und Hitler“, als durch sowjetische Behörden deutsche Kommunisten, darunter auch Juden, an NS-Deutschland ausgeliefert worden sind (ca. 4.000 Personen). WestDeutsche Kommunisten hatten die Schilderungen Buber-Neumanns als Fälschung denunziert und es kam deswegen sogar zu einem Gerichtsverfahren in Frankfurt (Main). Alle DDR-Veröffentlichungen der 1960er Jahre praktizierten die Methode, die von der SED später als „Rehabilitierung“ umgedeutet worden war: Zwar nannte die SED Namen und Funktionen wieder und Bildretuschierungen wurden unterlassen, doch über das Schicksal der Stalin-Opfer, über ihre Ermordung wurde weiterhin, bis 1989, nichts geschrieben.138 Nach den revolutionären Umwälzungen von 1917 hatte sich ein spezieller sowjetischer Anti-Semitismus herausgebildet, der sich von dem „vorausgehenden zaristischen Antisemitismus – weniger in seinen Inhalten als in seiner Funktion – unterscheidet“. Vor 1930 ist der Anti-Semitismus keine Staatsideologie, sondern ein Ressentiment, das bis in den Staats- und Parteiapparat hineinreicht“.139 In diesen Jahren wurden echte oder vermeintliche politische Gegner aus der KPdSU ausgeschlossen und danach wurden vom staatlichen Terror Betroffene zunehmend und ab den 1930er Jahren mit gefälschten Vorwürfen in Schau- und Geheimprozessen zum Tod oder zu Lagerhaft und Zwangsarbeit im GuLag verurteilt. Dazu wurden regelmäßig entsprechende Geständnisse unter Folter erpresst. Die politischen Säuberungen erreichten ihren Höhepunkt im „Großen Terror“ in den Jahren 1936 bis 1938. In dieser Zeit wurden täglich etwa 1.000 Menschen ermordet. In den Jahren von 1942 bis 1944 häuften sich geheime Parteidokumente mit anti-semitischen Inhalten und ab 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges brauchte Stalin, nach alter russischer Tradition einen inneren Feind: die Juden. Die in den Archiven gefundenen Dokumente belegen einen 138 Vgl. Weber (1990). 139 Vetter, S. 12f.

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geheimen, unterschwelligen, dosierten und durch internationalistische Rhetorik getarnten Anti-Semitismus in der Sowjet-Union. Die Auflösung des „Jüdisch Antifaschistischen Komitees“, die Ermordung seiner Führung, die Repression gegen Kader des „Jüdischen Autonomen Gebietes“ Birobidschan, die Ausrottung der jiddischen Kultur und ihrer führenden Repräsentanten, die Kampagne gegen den „heimatlosen Kosmopolitismus“, wurden per mündliche Direktive angeordnet und persönlich oder telefonisch weitergegeben. Alle diese Aktionen waren begleitet von „Säuberungen“ unter den Kadern des Staatsapparates, der Wirtschaft, der Kultur und des Gesundheitswesens.140 Zu Beginn des Jahres 1953 zählte das GuLag-System dann über 2,7 Mio Häftlinge.141 Die zweite „Säuberungswelle“ hatte Ende des Jahres 1947 eingesetzt und war hauptsächlich auf Juden gerichtet, die als „wurzellose Kosmopoliten“ denunziert worden waren. Am 19. Dezember 1947 wurden mehrere Mitglieder des „Jüdisch-Antifaschistischen-Komitees“ verhaftet. Wenige Wochen später, am 13. Januar 1948 wurde der Vorsitzende des Komitees, Salomon Michoels, in Minsk ermordet aufgefunden. Nach offiziellen Angaben war er bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ein paar Monate später, am 21. November 1948, wurde das „Jüdisch-antifaschistische Komitee“ unter dem Vorwand aufgelöst, es sei zu einem „Zentrum antisowjetischer Propaganda“ geworden und in den darauffolgenden Wochen wurden alle Mitglieder des Komitees verhaftet. Im Februar 1949 startete die sowjetische Presse eine breite „antikosmopolitische“ Kampagne und in den ersten Monaten des Jahres 1949 wurden, vor allem in Leningrad und Moskau, Hunderte von jüdischen Intellektuellen verhaftet. Juden wurden systematisch kaltgestellt, vor allem in der Kultur, dem Informationswesen, der Presse, dem Verlagswesen, der Medizin, kurz: in all den Bereichen, in denen sie an verantwortlichen Stellen gesessen hatten. Der Prozess gegen die Mitglieder des „Jüdisch-Antifaschistischen Komitees“ fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit und unter strengster Geheimhaltung vom 11. bis 18. Juli 1952 statt, das heißt zweieinhalb Jahre nach Festnahme der Angeklagten. 13 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und am 12. August hingerichtet, gleichzeitig mit zehn anderen „Sabotage-Ingenieuren“ der Stalin-Autowerke, die alle Juden waren. Insgesamt kam es in der „Sache“ des „Jüdisch-Antifaschistischen Komitees“ zu 125 Verurteilungen, davon 25 Todesurteile, die alle vollstreckt wurden und zu 100 Verurteilungen zu Lagerhaft zwischen 10 und 25 Jahren. Im Oktober 1951 hatte Stalin eine Gruppe altgedienter jüdischer Funktionäre des Sicherheitsdienstes und der Staatsanwaltschaft verhaften lassen. Zu den Verhafteten gehörte der sowjetische Geheimdienstoffizier Oberstleutnant Naum I. Eitingon, der 1940 auf Befehl von Lawrenti Berija, damals Minister für Staatssicherheit, die Ermordung Trotzkis organisiert hatte. Weiterhin gehörten zu den Verhafteten General Leonid L. Schwarzmann, der Folterer des Journalisten und Schriftstellers Isaak Babel und des Regisseurs und Schauspielers Wsewolod Meyerhold, sowie der Untersuchungsrichter Lew Scheinin, er war der rechte Arm von Andrej J. Wyschinski, Staatsanwalt der Moskauer Prozesse von 1936 bis 1938. Unter der Leitung von Wiktor S. Abakumow, er war von 1946 bis 1952 Minister für Staatsi140 Vgl. Madievski. 141 Vgl. Werth, S. 44-295; Vgl. Serge.

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cherheit und Nachfolger von Lawrenti Berija, wurden die Angeklagten beschuldigt, eine großangelegte „jüdisch-nationalistische Verschwörung“ organisiert zu haben. Ab Ende 1952, bis zum Tod von Stalin am 5. März 1953, haben Stalin und die KPdSU unter der Überschrift „Ärzteverschwörung“, einige der angesehensten und bekanntesten Ärzte der UdSSR beschuldigt, sie wären beteiligt an einer riesigen, „jüdisch-zionistischen Verschwörung“, deren Ziel es gewesen sei, im Auftrag US-amerikanischer Geheimdienste, die oberste sowjetische Politik- und Militärführung zu vergiften. Es kam zu Massenverhaftungen von sowjetischen Juden, die in Lager verbracht oder hingerichtet wurden. Die Prawda verkündete am 13. Januar 1953, dass die Verschwörung einer „terroristischen Ärztegruppe“, die aus neun, später aus 15 angesehen Ärzten bestand, aufgedeckt worden war. Sie wurden beschuldigt, ihre hohen Ämter im Kreml genutzt zu haben, um das Leben von Andrej Schdanow, dem im August 1948 verstorbenen Mitglied des Politbüros, und das Leben des 1950 verstorbenen Alexander Scherbakow „abgekürzt“ zu haben. Außerdem sollten sie auf Befehl des US-Intelligence-Service und der jüdischen Hilfsorganisation „American Joint Distribution Committee“ versucht haben, hohe sowjetische Militärführer zu ermorden. Wie bei den „Säuberungen“ von 1936 bis 1938 organisierte die KPdSU Tausende von Kundgebungen, auf denen u. a. die Bestrafung der Schuldigen sowie die Rückkehr zur wahren „bolschewistischen Wachsamkeit“ gefordert wurde.142 Auf diesem paranoiden Nährboden entwickelten offizielle Stellen der Sowjet-Union anti-zionistische und anti-semitische Vorstellungen, die in der Abteilung Agitation und Propaganda) des Zentralkomitees der KPdSU besonders stark vertreten waren. In dieser Abteilung war bereits im August 1942 ein internes Schreiben verfasst worden, in dem über eine angeblich „beherrschende Stellung der Juden in künstlerischen, literarischen und journalistischen Kreisen“ fantasiert wurde. Nach dem Tod Stalins, wurden am 3. April 1953 die Verhafteten vom Präsidium der KPdSU offiziell freigesprochen. Parallel zu Ereignissen in der Sowjet-Union wurden in ost-europäischen Staaten die unter der Kontrolle der UdSSR waren, wie z. B. beim Prozess in der CSSR (1952) gegen Rudolf Slánský, Jude und ehemaliger Generalsekretär der tschechoslowakischen KP. Gegen ihn und 13 andere, meist jüdische, kommunistische Parteifunktionäre wurde ein Schauprozess inszeniert und elf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 gehängt. Ihre Leichname wurden verbrannt und die Asche wurde von Mitarbeitern der Staatssicherheit auf einem Feld außerhalb Prags verstreut.143 Eine der Besonderheiten dieser Justizfarce, die von Anfang bis Ende von den sowjetischen Beratern der politischen Polizei inszeniert worden war, war ihr offen anti-semitischer Charakter. Elf von den 14 Angeklagten waren Juden, und was man ihnen vorwarf, war die Bildung einer „trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Terrorgruppe“.144 Im September 1963 wurde Slánský juristisch rehabilitiert und 1968 erfolgte seine politische Rehabilitation durch die KP der CSSR. Auch in der DDR kam es durch die SED zu Verfolgungen von jüdischen Funktionären und Kommunisten, ohne das es dort jedoch zu Todesurteilen gekommen war. Einer der prominenten Fäl142 Leo, S. 9-13. 143 http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Sl%C3%A1nsk%C3%BD. 144 Timm, S. 209.

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le war hier die Verurteilung und Inhaftierung des nicht-jüdischen Kommunisten Paul Merker. Hunderte von Jüdinnen und Juden verließen in diesem Klima der Verfolgung die DDR und flüchteten nach West-Berlin.145 Die Entwicklung einer Politik des antisemitischen Anti-Zionismus gegen Israel und für die Palästinenser und arabischen Staaten, hat hier ihren Anfang. In der Sowjetunion wurden Hakenkreuz und Davidstern als gleichrangige Symbole propagandistisch eingesetzt. Was die Nazis als „jüdischen Bolschewismus“ zum Schreckgespenst machten, wurde von der KPdSU weiterentwickelt zum „zionistischen Nazismus“ der Juden, die das Ziel verfolgten, die Sowjetunion und ihre Verbündeten zu zerstören. Israel wurde dort seit seiner Gründung als „Nachfolgestaat“ des Nazi-Faschismus dargestellt und es wurden nicht nur Parallelen zwischen israelischen Politikern und ehemaligen Nazi-Größen gezogen, sondern es wurde auch eine Verbindung zwischen den rassistischen Massenmorden der Nazis und dem „Völkermord“ der Israelis an den Arabern konstruiert. So wurden auch die Symbole Davidstern und Hakenkreuz in Graphiken als Einheit präsentiert. Entsprechende Bildunterschriften lauteten: „Die Herrschenden in Israel operieren heute mit faschistischen Methoden. Israelische Zionisten machen in besetzten Gebieten arabische Häuser, Siedlungen und Städte dem Erdboden gleich, werfen die Menschen in Konzentrationslager und gehen mit terroristischen Methoden gegen Kommunisten vor“. Besonders in den 1960er und 1970er Jahren wurde die russische Gesellschaft mit anti-semitischen Karikaturen, Artikeln und Broschüren quasi überschwemmt, deren Ziel es war, den Zionismus auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus zu stellen. Eine Karikatur in der Zeitung „Iswestija“ vom 12. November 1964, bezog sich auf deutsche Waffenlieferungen an Israel. Gezeigt wurden zwei Nazisoldaten, die Waffen an Israel verkauften mit der Botschaft: „Ich kann diese erstklassigen Waffen nur empfehlen. Wir haben sie mit Erfolg in Auschwitz und im Warschauer Ghetto eingesetzt“.146 In der Zeitung „Sowjetskaja Moldawia“ erschien am 4. Juni 1968 eine Karikatur: „Der Appetit der israelischen Extremisten“. Zu sehen ist ein auf der Erdkugel liegender israelischer Soldat mit verzerrtem Gesicht, der seine Arme über die arabischen Länder ausbreitet. Während er sich mit der linken Hand an dem Stück seiner Begierde festkrallt, hält er in der rechten ein Messer, von dessen Spitze Blut tropft. Die emigrierten sowjetischen Historiker Michail Heller und Alexander Nekrich stellten fest: „Einer der größten Siege der Sowjetideologie in den 1970er Jahren war die UNResolution, die den Zionismus als eine Form des Rassismus erklärte“. Gemeint ist damit die Resolution der Generalversammlung der UNO Nr. 3379 vom 10. November 1975, die lautet: „Zionismus ist eine Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung“. So sollte der Zionismus nicht nur als Erscheinungsform des Nationalsozialismus dargestellt werden, sondern der Eindruck sollte erweckt werden, die Unterdrückung der Araber habe eine „Politik des Völkermordes“ zum Ziel und führe zu einer „Ausrottung der Palästinenser“. Einen Höhepunkt in der anti-semitischen Kampagne bildete die Veröffentlichung des Buches „Judaismus ohne Schminke“, 145 Leo, S. 17-21. 146 Wistrich, S. 386-390.

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welches für weltweite Proteste sorgte. Der ukrainische Propagandaautor Trofim Kitschko verlieh seinem Buch, in dem er dem Judentum eine weltweite Verschwörungstaktik zur Erringung der Weltherrschaft vorwarf, das Prädikat „wissenschaftliche Arbeit“. Doch nicht die Aussagen sorgten für Aufregung, sondern vielmehr die Illustrationen des Buches, die an Karikaturen aus der rassistischen NS-Wochenzeitung Der Stürmer von J. Streicher erinnern. So zierte das Titelblatt unter anderem einen geldzählenden Juden mit Gebetsschal, von dessen Händen Blut tropft. Eine weitere Karikatur zu der Buchpassage, „In den Jahren der Nazi-Okkupation dienten die zionistischen Führer den Faschisten“, zeigt einen riesigen Stiefel mit Hakenkreuzsymbol. Rechts daneben ist ein verhältnismäßig kleiner Jude in gebückter Haltung zu sehen. Es scheint, als wolle er den Stiefel küssen. Kitschkos Buch war kein Einzelfall, vor allem in der Ära Breschnews wurde eine ganze Reihe ähnlicher Texte veröffentlicht, mit Titeln wie z. B. „Die schleichende Konterrevolution“, „Faschismus unter dem blauen Stern“ oder „Zionismus eine Form des Rassismus“.147

147 Waibl-Stockner, S. 254-257

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III. Rassisten in der DDR (1949 bis 1990) Ent-Nazifizierung und alte Nazis Für das Verständnis der Thematik „Rassisten in der DDR“ sind Kenntnisse der Geschichte der SBZ/DDR und der KPD/SED von Bedeutung, da sie als die führende Partei zuständig war für die politischen und sozialen Machtverhältnisse in der DDR. 1945 hatte eine Gruppe von Funktionären der KPD, unter der Führung von Walter Ulbricht, von den sowjetischen Kommunisten den Auftrag übernommen, in der „Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ) die Verhältnisse im Sinne der Besatzungsmacht zu regeln und eine staatliche Ordnung aufzubauen. Ulbricht löste als erstes die spontan gebildeten und autonom agierenden anti-faschistischen Komitees an der Basis der Gesellschaft auf; in einem Brief am 9. Mai 1945 schrieb Ulbricht an Dimitroff: „Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung ‚Freies Deutschland’ und die Ausschüsse der Leute des 20. Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben diese Büros geschlossen und den Genossen klargemacht, daß jetzt alle Kräfte auf die Arbeit in den Stadtverwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüssen müssen ebenfalls zur Arbeit in die Stadtverwaltungen übergeführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden“.148 An ihre Stelle trat ab Anfang 1947 die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN), in der bis zu ihrer Auflösung 1953, fast alle Gruppen von NS-Verfolgten – Juden, Christen, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale und Konservative – freiwillig vereint waren. Anfang 1953 beschloß das SED-Politbüro, die VVN, ohne deren Anhörung, aufzulösen und am 21. Februar 1953 hat sie ihre Arbeit einstellen müssen. Der VVN-Verlag samt Archiv wurde zerschlagen und verstreut. Die Zeitschrift Der Weg - Zeitschrift für Fragen des Judentums, herausgegeben von Heinz Galinski, damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde für ganz Berlin und Mitbegründer der VVN, wurde am gleichen Tag verboten. Den Hintergrund dieses Verbotes bildeten Konflikte zwischen früheren Moskau-Emigranten einerseits und ehemaligen West-Emigranten sowie denjenigen, die aus den Konzentrationslagern und Gefängnissen gekommen waren. Weitere Gründe waren Vorbehalte in der VVN gegen die Integration von ehemaligen Nazi-Funktionären und Offizieren und Soldaten der Wehrmacht, Forderungen der VVN nach Entschädigung jüdischer Opfer und Auseinandersetzungen um die anti-semitische Kampagne der Führung der SED.149 Anstelle dessen kam das, vom ZK der SED installierte, finanzierte und kontrollierte „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“ (1953-1990), dass die meisten, nicht-kommunistischen Opfer der Nazis nicht als Mitglieder aufnahm. Aus der Organisation für alle Verfolgten des NS-Regimes waren einerseits die aktiven, kommunistischen Widerstandskämpfer des neu gebildeten Komitees hervor gegangen und andererseits die „passiven“ Juden, die nun als minder angesehene „Opfer des Faschismus“ kategorisiert wurden. Hier ist bemerkenswert, dass die jüdischen Widerstandskämpfer gegen die Nazis in der Geschichtsschreibung der beiden deut148 Vgl. D. Wolf; Weber (2004), S. 39f. 149 Vgl. Coppi, S. 26.

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schen Staaten kaum erwähnt worden sind.150 In den 1980er Jahren waren im „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ etwa 2.500 Personen in Bezirks- und Kreiskomitees tätig. Die Hierarchisierung der Opfer- und Verfolgungsgruppen grenzte große Opfergruppen aus, z. B. die aus rassistischen Gründen verfolgten Sinti und Roma, die wegen ihrer Religion verfolgten Bibelforscher und Zeugen Jehovas, Homosexuelle, „Asoziale“, Wehrdienstverweigerer und Wehrmachtsdeserteure.151 Ab diesem Zeitpunkt richtete sich der Anti-Faschismus der SED „immer stärker gegen diejenigen, die ihn in den ersten Jahren nach 1945 verkörpert hatten und als staatstragende Ideologie verlor er zusehends seinen Rigorismus in der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit. Als verbindliches Normen- und Wertegefüge spiegelte er die Welt- und Feindbilder einer kleinen Minderheit kommunistischer Funktionäre, die bis zum Ende der DDR als politische Klasse Staat und Gesellschaft dominierten.“152 Bei den Diskussion, wie die Berliner Bezirke neu zu verwalten waren, sagte W. Ulbricht: „Der erste stellvertretende Bürgermeister, der Dezernent für Personalfragen und der Dezernent für Volksbildung – das müssen unsere Leute ein. Dann müsst ihr noch einen ganz zuverlässigen Genossen in jedem Bezirk ausfindig machen, den wir für den Aufbau der Polizei brauchen. […] Es ist doch ganz klar: es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“153 Kurz vor der Gründung der DDR, im Juni 1948, erklärte W. Ulbricht in einem Zeitungsinterview: „Wir haben heute in der Sowjetischen Besatzungszone nicht wenige frühere aktive Nazis, die eine verantwortliche Arbeit leisten. Jedenfalls können sie bestimmte Leistungen aufweisen, was man von einigen Mitgliedern der Christlich-Demokratischen Union und Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands nicht sagen kann, die nach Washington und London schielen.“154 Ausgangspunkt des kommunistischen Anti-Faschismus war die Reduktion der Ursachen des Faschismus allein auf den politisch-ökonomischen Sektor. Deshalb wurden in der DDR die Großindustrie, der Großgrundbesitz, Banken und Handelskonzerne verstaatlicht. Doch das Ergebnis war nicht die Befreiung der ost-deutschen Bevölkerung von rassistischen und autoritären Überzeugungen, sondern die Konstituierung einer (klein-)bürgerlichen Gesellschaft, in der Angehörige der ehemaligen Nazi-Eliten funktionaler Bestandteil der von Kommunisten dominierten Eliten wurden. Diese Entwicklung hatte für das gesellschaftliche und individuelle Bewußtsein der Masse der Ost-Deutschen tiefgreifende Folgen und die Führung der SED versuchte dieses Bewußtsein insofern zu transformieren, als sie „ihre“ Bevölkerung an die Seite der siegreichen UdSSR stellte, und suggerierte, sie seien damit quasi Sieger und legitime Erben der Geschichte der deutschen Nation. In die daraus entstandene nationalistische und militärische Konzeption des Staates DDR, wurde das „antifaschistisch-demokratische Modell“ eingebettet und bildete so die Grundlage und das politische 150 Leusink, S. 7f; Mertens 2002, S. 171f. 151 Herbst et. al. Band 1, S. 513ff und Band 2, S. 1125ff. 152 Vgl. Danyel. 153 Leonhard, S. 46, S. 440. 154 Weber (2004), S. 190.

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Umfeld für die Tätigkeiten ehemaliger NS-Funktionäre.155 Bereits 1945/46 war die KPD, in Abstimmung mit der KPdSU, dazu übergegangen zwischen „aktiven“ und „nominellen“ Nazis zu unterscheiden.156 Dazu war es erforderlich das ehemalige Nazi-Funktionäre sich dazu bereit erklärten, für die Ziele des neuen Staates einzutreten und dann stand ihren Karrieren nichts mehr im Weg. Trotz ihrer aktiven Beteiligung am Nazismus sind sehr vielen ehemaligen Funktionären in der DDR Karrieren ermöglicht worden, ohne dass sie jemals politisch oder juristisch zur Verantwortung gezogen worden wären. Einzelne Beispiele von verurteilten NS-Tätern fallen, gegen die große Zahl von unbehelligt gebliebenen NS-Tätern, kaum ins Gewicht. Am 4. November 1945 wurde eine gemeinsame Entschließung von KPD, SPD, CDU und LDP veröffentlicht, die auf eine Bestrafung von „aktiven“ NS-Funktionären abzielte, was bedeutete das die „nominellen“ Nazis von einer juristischen Untersuchung ausgenommen werden sollten.157 Auf einer Parteivorstandssitzung der SED am 20. Juni 1946 forderte Otto Grotewohl so etwas wie eine „geistige Auflockerung“ gegenüber den ehemaligen NS-Funktionären und der Wahlkampf der SED sollte deshalb „mit einer positiven Note“ ihnen gegenüber geführt werden. Das einzige Kriterium einer Beurteilung der „Nominellen“ sollte das individuelle Verhalten sein.158 Bis 1947 war die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) verantwortlich für die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und sie beendete im Frühjahr 1948 durch den Befehl Nr. 35 ihre Arbeit, nach dem seit 1947 die Kommissionen zur Entnazifizierung aufgelöst worden waren. Auf der Sitzung des Vorstandes am 15./16. Oktober 1947 forderte Wilhelm Pieck die Aufnahme ehemaliger „nichtbelasteter“ NS-Funktionäre in die SED, um sie für die kommunistische Ideologie zu gewinnen.159 Auf der Parteivorstandssitzung der SED am 8. Dezember 1947 forderte W. Ulbricht die Aufnahme der „nominellen“ NS-Funktionäre in die SED, auch und vor allem unter dem Aspekt, dass dadurch verhindert werden sollte, dass sie sich in der CDU oder der LDP organisierten. Ulbricht wollte daraus eine breite Bewegung formen, wobei die „Nominellen“ auch für die SED in den „Betrieben und Massenorganisationen“ auftreten sollten.160 Bereits Ende Januar, Anfang Februar 1948 erklärte Ulbricht den Nazis auf der Konferenz der Innenminister der Länder, „wir wissen das ihr Nazis ward, wir werden aber nicht weiter darüber sprechen, es kommt auf Euch an, ehrlich mit uns mitzuarbeiten. Unsere Beurteilung wird nicht mehr von dem Standpunkt erfolgen, nominell oder nicht nominell, sondern der Bewährung in der Aufbauarbeit“.161 In der FDJ, der einzig zugelassenen politischen Jugendorganisation, waren hohe und höchste Führer der ehemaligen „Hitler-Jugend“ (HJ) beschäftigt und die Führung der bald aufgelösten Arbeitsdienstorganisation „Dienst für Deutschland“ war fast ausschließlich mit ehemaligen Funktionären des

155 Meuschel, S. 101-116. 156 Rößler, S. 15. 157 Ebenda, S. 32. 158 Ebenda, S. 35. 159 Ebenda, S. 44 u. S. 188. 160 Ebenda, S. 47. 161 Ebenda, S. 51 u. S. 248f.

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verbotenen „Reichsarbeitsdienstes“ besetzt worden.162 Mit welchen Argumenten die Führung der SED die „Integration“ ehemaliger Nazi-Funktionäre betrieb wird ersichtlich durch eine Rede von Wilhelm Zaisser, 1949 sächsischer Innenminister, ein Jahr später war er Minister für Staatssicherheit, der es vor Funktionären auf den Punkt brachte: „Wir verlangen nicht den negativen Nachweis des Nicht-Belastetseins, des Neutralseins, sondern den positiven Nachweis des Mitmachens.“163 Die Aufdeckungen und Aburteilungen ehemaliger Nazis ab den 1950er Jahren dienten eher der Kosmetik, als dass sie Ausdruck einer konsequenten Haltung gewesen wären. Das riesige Feld der faschistischen bzw. rassistischen „Mitläufer“ des Nazismus blieb ab da unbearbeitet und führte damit zu der gigantischen Illusion, in der SBZ/DDR hätte es keine Rassisten bzw. Nazis gegeben.164 Doch gehörten 1950 der SED ca. 175.000 ehemalige Angehörige der NS-Wehrmacht (Offiziere und Unter-Offiziere) und ehemalige Mitglieder der NSDAP und ihrer Massenorganisationen an, und erst 1951 wurden 16.000 von ihnen aus der Partei ausgeschlossen.165 Die „Waldheimer Prozesse“ fanden vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 im Zuchthaus in Waldheim statt. Dort wurden über 3.000 Personen wegen ihrer Verstrickung in den Faschismus verurteilt und diese juristisch fragwürdigen Schauprozesse bildeten den juristischen Abschluss der Ent-Nazifizierung in der DDR.166 Diese Verfahren waren Teil der Integrationspolitik gegenüber ehemaligen Nazi-Funktionären und sie demonstrierten den juristischen Abschluss ihrer systematischen Verfolgung.167 Der 3. Parteitag der SED beschloss im Juli 1950, dass die Wurzeln des Faschismus in der DDR ausgerottet worden seien und am 2. Oktober 1952 erhielten die ehemaligen Mitglieder der NSDAP ihre vollen Rechte als Staatsbürger. Im Herbst 1953 waren ca. 25% der Mitglieder der SED ehemalige Nazi-Funktionäre und in der Volkskammer der DDR befanden sich ca. 50 Abgeordnete die als alte Nazis zu bezeichnen sind.168 In den neuaufgebauten militärischen bzw. paramilitärischen Einheiten, bekamen ehemalige Offiziere und Soldaten der Wehrmacht, neue und einflussreiche Verantwortungsbereiche zugewiesen, bei denen offensichtlich ihre Erfahrung und ihr Können zum Tragen kommen sollten.169 So waren von den 400 Abgeordneten, in der am 16. November 1958 gewählten Volkskammer, 56 ehemalige Nazi-Funktionäre und im Zentralkomitee der SED waren zu jener Zeit 27 ehemalige Nazi-Funktionäre, darunter waren acht Minister, neun stellvertretende Minister und zwei Vorsitzende des Ministerrats der DDR.170 Im Jahr 1965 gab es noch immer ehemalige Nazi-Funktionäre als Abgeordnete der Volkskammer und im ZK der SED hatten 12 Mitglieder und Kandidaten eine Nazi-Vergangenheit. Auf der mittleren Funktionärsebene war die 162 Weber/Pertinax, S. 130f. 163 Wilhelm Zaisser, zit. Werkentin, S. 175. 164 Rößler, S. 16. 165 Vgl. Otto (2012). 166 Otto, S. 5-27. 167 Neubert (2004), S. 865. 168 Werkentin, S. 198f. 169 Günther Glaser, S. 16f. 170 Vgl. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 46ff; http://www.geschichtswerkstattjena.de/images/stories/archiv_texte/henning_pietzsch_das_braune_erbe.pdf

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SED auf die ehemaligen Diener des NS-Staates dringend angewiesen und sie war bereit, zur Absicherung ihrer Machtansprüche, ein informelles Bündnis mit ihnen einzugehen. Hierbei hat sich die SED stillschweigend darauf verständigt, Rassisten oder Anti-Semiten wirken zu lassen, ohne sich um deren mögliche kriminelle NS-Vergangenheit zu kümmern. Von einer tiefgreifenden Auseinandersetzung um die Ursachen und den Verlauf des Faschismus konnte man dann in der DDR, ebenso wie in WestDeutschland, nicht sprechen und die von den alliierten Siegermächten durchgeführten politischen De-Nazifizierungen, wurden Anfang der 1950er Jahre von den Deutschen hauptsächlich als juristisch definiert übernommen und wurden nach wenigen Jahren für beendet erklärt.171 Die wissenschaftlichen Analysen über den Prozess der EntNazifizierung für die SBZ/DDR zeigen, daß es dort die „Stunde Null“ auch nicht gab.172 Und die auf dem Territorium der DDR befindlichen Nazi-Funktionäre blieben, bis auf einige wenige Ausnahmen, von politischer oder juristischer Verfolgung unbehelligt, wenn sie erklärten, dass sie sich für die Ziele des neuen Staates einsetzen. Darunter befanden sich Personen aus wichtigen gesellschaftspolitischen Berufen, wie z. B. Politiker, Soldaten und Polizisten, Ärzte, Mediziner, Journalisten, Wissenschaftler, Manager, evangelische Theologen und Pfarrer, Künstler und Sportler. Die Bedeutung ihrer Tätigkeiten auf der mittleren Führungsebene ergab sich aus der massenwirksamen Relevanz dieser Funktionen, also aus ihrer Bedeutung für die Beeinflussung von Frauen und Männern in großen gesellschaftlichen oder staatlichen Bereichen. In allen nationalen Führungspositionen der politischen Parteien (SED, CDUD, LDPD, NDPD, DFD und DBD) waren sie zu finden und selbstverständlich auch bei den Mitgliedern des Nationalrates der Nationalen Front (NF), bei den Abgeordneten der Volkskammer (AdV) und bei den politischen Massenorganisationen, wie z. B. dem FDGB, der GST, der FDJ usw., wobei es hier in der Regel zu Überschneidungen durch Vielfach-Mandate gekommen ist. Sie waren Redaktionsmitgliedern in den Massenmedien z. B. im Rundfunk, im Fernsehen, in Zeitungen, usw. oder sie waren Mitglieder von Organisationen ihres jeweiligen Berufsverbandes. Da die Massenmedien, ähnlich wie die Universitäten und Hochschulen, das Feld bzw. der Transmissionsriemen für Herrschaftsausübung im Allgemeinen und für die Bildung von Bewusstsein im Besonderen darstellen, waren sie wichtig und ihr Einfluss auf die Massen in der DDR war erheblich. Die Volkskammer beschloß im November 1952 das „Gesetz zur staatsbürgerlichen Gleichstellung der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere und NSDAP-Mitglieder“ und diese Entscheidung wurde im Radio der DDR vom Funktionär der NDPD, Egbert von Frankenberg und Proschitz kommentiert, der nicht nur als Offizier in der Wehrmacht Karriere machte, sondern auch als Mitglied der NSDAP und der SS.173 1952 erließ Erich Mielke, damals Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die „Richtlinie 21“, mit der er anordnete, ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der Wehrmacht, ehemalige Angehörige der „Geheimen Staatspolizei“ (Gestapo) und Offiziere der Abwehr als „geeignete Personen zu geheimen Mitarbeit“ anzuwer171 Vollnhals, S. 43-55; Werkentin, S. 168-197. 172 Rößler, S. 15f, S. 168; Otto, S. 6-7; Streim, S. 587-591. 173 Claasen, S. 111f.

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ben. Ein Jahr später befahl Ernst Wollweber, Minister für Staatssicherheit, eine systematische Erfassung „feindlicher Elemente“, wie z. B. Offiziere, Funker, Fremdenlegionäre und aktive Faschisten, mit dem Ziel ihrer Rekrutierung als „Geheime Mitarbeiter“ (GM) oder als „Geheimer Informant“ (GI). In einer einzigen Abteilung der Bezirksverwaltung Leipzig des MfS arbeiteten ehemalige (neun) Offiziere der Wehrmacht, frühere Angehörige der SS, ehemalige Mitglieder von NS-Aufklärungsund Abwehrorganen, ehemalige Funktionäre der NSDAP und anderer Nazi-Organisationen. Eine interne Analyse der SED zur Lage im „Ernst-Thälmann-Werk“ in Magdeburg zeigte auf, dass sich ehemalige Nazis „auf allen einflußreichen Stellen des Betriebes, angefangen vom Werksdirektor, seinen Stellvertretern, den Direktoren, Assistenten, über den Dispatcher, Lohnbuchhalter und Oberbuchhalter bis zum Angestellten“ finden lassen. In einer Einschätzung über die Lage der SED hieß es 1953 zusammenfassend: „Charakteristisch für die Großbetriebe ist die Konzentration ehemaliger Faschisten und Militaristen“. In der SED hatten 1954 republikweit, nach einer parteiinternen Analyse, ca. 26% der Mitglieder eine Nazi-Vergangenheit. In der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) waren nach einer Statistik des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1957 von den 16 Spitzen-Generälen fünf ehemalige Offiziere der Wehrmacht, davon hatten drei als Generäle für Hitler gedient. Ein Viertel aller Obersten bei der NVA hatten eine Karriere als Offiziere der Wehrmacht hinter sich gebracht.174 E. Wollweber, Leiter des MfS, meldete 1957 dem Sekretär des ZentralKomitees der SED (ZK) Erich Honecker, zur Lage der Betriebskampfgruppen: „Im VEB Warnow-Werft ist der Kommandeur einer Hundertschaft ein ehemaliger Obersturmführer der SA. Im VEB Papierfabrik Lunzenau sind von 51 Kampfgruppenmitgliedern 10 ehemalige Mitglieder der NSDAP. Im VEB Industriewerk Ludwigsfelde gehören 9 ehemalige Mitglieder der NSDAP, 1 ehemaliges Mitglied der Waffen-SS der Kampfgruppe an. Die Kampfgruppe des VEB Reifenwerk Berlin besteht zu 60% aus ehemaligen Nazis“. ‚Eine Brigade berichtete im Mai 1958 dem ZK der SED über das im Aufbau befindliche Kombinat „Schwarze Pumpe“ in Spremberg, dass es bei der Werksleitung und den Abteilungsleitern eine „Konzentration ehemaliger NSDAP-Mitglieder“ gegeben hatte. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte ein separates Archiv mit Personenakten aus der Zeit des Nationalsozialismus angelegt, in dem Informationen über Personen „mit mehr oder weniger strafrechtlich relevanter Vergangenheit“ gespeichert waren.175 Diese Informationen wurden u. a. dazu benutzt, ehemalige Nazi-Funktionäre als „Informelle Mitarbeiter“ (IM) zu engagieren. Sie hatten ihre Wohnungen als „Konspirative Wohnung“ (KW) zur Verfügung zu stellen, Kollegen und Nachbarn zu bespitzeln oder ehemalige „Kameraden“ aufzudecken.176 Aus neuen wissenschaftlichen Untersuchungen wird ersichtlich, mit welchen Argumenten die Führung der SED diese „Integration“ ehemaliger Nationalsozialisten betrieb. Soziologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben 441 Lebensläufe von SED-Spitzenfunktionären, Erste und Zweite Kreis- und Bezirkssekretäre, auf dem 174 Der Spiegel 19/1994, S. 84-91. 175 Benedict, in: die Andere 17/92, S.9. 176 Ebenda.

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Gebiet des heutigen Thüringen untersucht, die in den drei Bezirken Erfurt, Gera und Suhl von 1946 bis 1989 für die KPD bzw. SED Funktionen inne hatten. Sie wollten von 263 Personen wissen, dass sind die Geburtsjahrgänge bis 1927, wer von ihnen zuvor in der NSDAP organisiert war. Dabei verglichen sie die biografischen Informationen aus den Kaderakten der SED mit Angaben über Biografien im NS-Faschismus, die im Bundesarchiv (BArch) im „Berlin Document Center“ (BDC) archiviert sind. Schließlich wurden 36 Parteisekretäre (ca. 14%) gefunden, die Mitglied der NSDAP waren. 1954 waren 8,6% der SED-Mitglieder in der NSDAP organisiert und damit lag der Anteil ehemaliger Nazis in der gesamten Mitgliedschaft erheblich unter dem der Quote ehemaliger Nazis in Leitungsfunktionen. Interessant ist auch, dass über die Mitgliedschaften in der NSDAP, bis auf eine Ausnahme, in den Personalakten einvernehmlich geschwiegen wurde.177 Doch es gab nicht nur Mitgliedschaften in der NSDAP, der größere Teil der hier in Betracht kommenden kommunistischen Kader waren ehemalige Angehörige der Führung der „Hitler-Jugend“ (HJ) und der „Schutz-Staffel“ (SS). „Doch schon bei den zwischen 1952 und 1961 in Führungsaufgaben aufgestiegenen SED-Leuten hatte nur noch jeder zwölfte Erfahrung im aktiven Kampf gegen die Nazis, während etwa jeder zweite zur NSDAP, „HitlerJugend“ oder der „Sturm-Abteilung“ (SA) gehört hatte.178 Im Bezirk Magdeburg waren ca. 26% aller SED-Mitglieder ehemalige Funktionäre faschistischer Organisationen; im Bezirk Halle waren es ca. 34% und im Bezirk Erfurt gar ca. 35%. Der Kreis Wernigerode hatte, mit einem Anteil von ca. 46% ehemaliger nazistischer Mitglieder unter der SED-Mitgliedschaft, die höchste regionale Konzentration.179 In den Medien bekleideten viele von ihnen wichtige Stellungen in Zeitungs- und Zeitschriften-Redaktionen, z. B. in der Tageszeitung Neues Deutschland oder in der Zeitschrift Deutsche Außenpolitik. Wenige Jahre zuvor waren viele von ihnen als SSoder SA-Offiziere Angehörige von Propaganda-Kompanien, Mitarbeiter des NSRundfunks, Journalisten der faschistischen Tageszeitung Völkischer Beobachter oder der SS-Zeitschrift Schwarzes Korps, während andere Mitglieder faschistischer Gruppierungen, wie z. B. des „SS-Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes“ oder der „Legion Condor“ waren.180 Die Liste, der ehemaligen faschistischen Funktionäre und Mitglieder, die nach 1945 in der SBZ bzw. DDR in führenden Stellungen politisch und administrativ tätig waren, ist lang und sie führt von Ministerposten, von hervor gehobenen Stellungen im Parlament (Volkskammer), über ranghohe Offiziere und Generäle in der NVA und der DVP, bis hin zu wichtigen Ämtern in den Gesellschafts- und Naturwissenschaften.181 Ein Sammelbecken für ehemalige Nazis und Wehrmachtsangehörige war die „National-Demokratische Partei Deutschlands“ (NDPD), doch neo-nazistische Organisationen, Parteien oder Publikationen waren in der DDR nicht erlaubt. Die Verbote und 177 Vgl. Meenzen. 178 Vgl. Kellerhoff. 179 Hafenegger/Buddrus, S. 92; www.ddr-wissen.de/wiki/ddr.pl?Naziverstrickungen_der_DDR_Prominenz. 180 Vgl. Teschner. 181 Vgl. Waibel (2011).

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die Verdrängung hatten offensichtlich nicht die ausschließenden Wirkungen erreicht, die von den deutschen Kommunisten wohl intendiert waren, und sie haben schließlich keine grundlegenden Beiträge zur innovativen Auseinandersetzung mit dem NeoNazismus geliefert. Tradierte rassistische Bewusstseinsinhalte blieben virulent und sie wurden, durch systematische Tabuisierung und Ausgrenzung der massenpsychologischen Ursachen, in einem kontraproduktiven Sinn sowohl konserviert als auch reaktiviert. Die Reduktion der Ursachenforschung zum deutschen Faschismus auf politische oder ökonomische Zusammenhänge, wurde bei gleichzeitiger Bekämpfung sozialpsychologischer Theorien, zu einem ideologischen Hindernis für eine umfassende Wahrnehmung, Aufarbeitung und Erforschung ihrer anhaltenden Wirkungen. Die falsche Kategorisierung des Arbeiteraufstands vom Juni 1953 als „antifaschistischer Putschversuch“ und die propagandistische Verschleierung der Gründe für den Bau der Berliner Mauer ab dem August 1961 mit dem Konstrukt eines „antifaschistischen Schutzwalls“ zeigen, zu welchen Deformationen die marxistisch-leninistisch dominierte Ideologie des Anti-Faschismus der deutschen Kommunisten geführt hat. Man kann sich auch nicht des Verdachts erwehren, dass mit zweierlei Maß gemessen worden ist, nach dem Motto: Die alten Nazis bei uns sind die Guten und die alten Nazis in der BRD das sind die Bösen. Sicherlich war allein eine nominelle Mitgliedschaft in einer NS-Organisation kein Verbrechen, jedoch ist fraglich, weshalb gerade ehemalige Parteigänger der Nazis wieder auf besonders massenwirksamen Positionen wie z. B. in Redaktionsstuben der verschiedensten Medien, in der Wissenschaft oder bei den bewaffneten Einheiten tätig sein konnten. Das gehäufte Erscheinen neo-nazistischer und rassistischer Vorkommnisse lassen den Schluss zu, dass die Verarbeitung der Nazi-Vergangenheit auch in der DDR nicht bzw. nur unvollständig gelungen ist. Sozialpsychologisch gesprochen bedeutet diese Erkenntnis, dass die auf eine tiefgreifende Verarbeitung des Nazismus drängenden Kräfte entweder zu schwach oder die Kräfte, die diesen Prozess ablehnten, zu stark waren. Das Potsdamer Abkommen sah vor alle ehemaligen Nazi-Funktionäre „aus den öffentlichen oder halböffentlichen Ämtern und von den verantwortlichen Posten in wichtigen Privatunternehmungen zu entfernen. Diese Personen müssen durch Personen ersetzt werden, welche nach ihren politischen und moralischen Eigenschaften fähig erscheinen, an der Entwicklung wahrhaft demokratischer Einrichtungen in Deutschland mitzuwirken.“182 Während der Hochphase des „Kalten Krieges“ dokumentierte die ost-deutsche Publizistik die Durchdringung west-deutscher Führungspositionen mit alten Nazis in der Gesellschaft und in den Verwaltungen des Staates, doch die ost-deutschen Beobachter der west-deutschen Szenerie waren unfähig zu erkennen, daß unter den staatssozialistischen Bedingungen, analoge Prozesse stattgefunden haben.183 Die Aufarbeitung des Nazismus wurde von der SED zu einem politischen und ideologischen Instrument des pseudo-wissenschaftlichen Marxismus-Leninismus reduziert und fokussiert. Ab den frühen 1950er Jahren wurde dieses Konstrukt dahingehend eingesetzt, allein die BRD als Hort ehemaliger Nazis darzustellen. Eine als „Braunbuch“ getitelte Veröf182 Kühnl/Spoo (Hrsg.), S. 235. 183 Vgl. Beymenski,; vgl. Nationalrat der Nationalen Front (Hrsg.), 1965; vgl. Nationalrat der Nationalen Front (Hrsg.) 1967.

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fentlichung erschien 1965 zum ersten Mal in der DDR und beinhaltete ca. 1.800 Namen von bekannten Personen die vor und nach 1945 Teil der herrschenden Elite in Deutschland waren. Darunter befanden sich führende Politiker (H. Lübke oder K. G. Kiesinger, alle CDU), Juristen, Soldaten, Polizisten, hohe Beamte, usw. Hier ist wichtig zu wissen, dass auch unorganisierte Funktionäre, z. B. Theologen oder Pfarrer, aktiv an anti-semitischen oder rassistischen Unternehmungen beteiligt waren, wie z. B. die Mitarbeiter am „Institut zur Erforschung und Zurückdrängung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach. Ebenso sind hier die Mediziner von Interesse, die als „Rassenhygieniker“ tätig waren und die, zwar nicht formal organisiert, jedoch nützliche Anhänger des Nazismus gewesen sind, die z. B. rassistische Experimente durchgeführt haben oder die aktiv am Programm der Vernichtung von „Lebensunwerten“ beteiligt gewesen sind. Für Soldaten die in sowjetische Kriegsgefangenschaft gekommen waren und die dort Mitglied im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) und Mitglied im „Bund Deutscher Offiziere“ (BDO) wurden gilt ähnliches. Eine Mitgliedschaft in einer dieser Gruppen war verbunden mit einem drei bis vier Monate dauernden Besuch in einer der beiden antifaschistischen Schulen in der Sowjet-Union. Die Absolventen, es handelt sich hier um eine höhere vierstellige Zahl, wurden in der SBZ/DDR in wichtigen gesellschaftlichen oder staatlichen Funktionen eingesetzt. Wer eine solche Antifa-Schulung durchlaufen hatte und wer dann noch eine oder mehrere Mitgliedschaften in einer Partei bzw. in einer gesellschaftlichen Organisation vorweisen konnte, galt ebenfalls als „entnazifiziert“. Die ehemals als Nazis tätigen Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaftler erscheinen in einer Größenordnung, die der Tatsache geschuldet ist, dass akademisch Beschäftigtete an den Universitäten und Hochschulen, ob in der Forschung oder in der Lehre, als Teil der mittleren Funktionärsschicht, konkrete Macht ausüben konnten und mussten. Die Professoren der Universitäten und Hochschulen hatten ihre eigenen Organisationen, wie z. B. die „Akademie der Wissenschaften“ (AdW), die „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina zu Halle“ oder die „Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig“ und unter dem Deckmantel dieser Organisationen boten sich vielfältige Möglichkeiten einer gesicherten Entwicklung in eine langfristige Integration in die DDR. Sie waren zugleich personelle als auch organisatorische Klammern zwischen Wissenschaftlern der beiden deutschen Staaten – auch und gerade während des „Kalten Krieges“. Die Goethe-Gesellschaft in Weimar ist ein Beispiel, hier auf der Ebene der Literatur der deutschen Klassik, für eine Organisation, die ost- und west-deutsche Wissenschaftler (Germanisten) vereinigte. Es sind nicht nur Wissenschaftler in Richtung Westen aufgebrochen, auch eine Bewegung umgekehrt von West- nach Ost-Deutschland hat es gegeben. Prof. Dr. Otto Heckmann und Prof. Dr. Kurt Heißmeyer waren beispielsweise Wissenschaftler, die als Mitglieder der „Akademie der Wissenschaften der DDR“ eine west- und ost-deutsche Zusammenarbeit praktizierten. Die akademisch-wissenschaftliche Tradition der Verschriftlichung an den Universitäten und Hochschulen nach innen wie nach außen, ruft eine Transparenz hervor, die es vergleichsweise leicht macht, Fakten über oder von bestimmten Personen zu eruieren, z. B. war Prof. Dr. Otto Hebold der einzige Arzt aus der Anstalt Brandenburg bzw. Bernburg, der von einem deutschen Gericht für seine 79

Beteiligung an den Massenmorden von „lebensunwerten“ Kindern, Frauen und Männern verurteilt worden war. Für Schauspieler, Regisseure oder andere Beschäftigte aus der Welt des Films oder der Theater gab es übergangslose Beschäftigungsmöglichkeiten von einer Tätigkeit bei der anti-semitischen „Universum Film AG“ (UFA) vor und nach 1945 bis hin zur „Deutschen Film AG“ (DEFA) in der DDR. Einigen Schriftstellern gelang es sogar, erfolgreich nach 1945 weiter zu arbeiten, obwohl ihre Werke in der SBZ/DDR auf einer „Liste der auszusondernden Literatur“ aufgeführt worden sind. Auch für Journalisten ergaben sich vor und nach 1945 in Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften und in den elektronischen Medien (Radio, TV) vielfältige Möglichkeiten beruflichen Fortkommens. In allen Parteien der „Nationalen Front“ (NF) der DDR sind ehemalige Nazi-Funktionäre zu finden und ebenso in fast allen Massenorganisationen, wie z. B. in der FDJ, in den Gewerkschaften oder in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (GDSF). Als anerkannt galten die Empfänger von staatlichen bzw. gesellschaftlichen Orden und Medaillen wie z. B. der „Nationalpreis“, der „Vaterländische Verdienstorden“ (VVO) oder die „Ernst-Moritz-Arndt-Medaille“. Auch mit der Namensgebung der Universität Greifswald mit „Ernst-Moritz-Arndt“, fiel die Wahl auf einen ausgemachten Anti-Semiten und kaum jemand störte sich daran. Bei vielen Biografien ist zu sehen, welche staatliche Wertschätzung einzelnen Personen zuteil wurde, besonders dann, wenn deutlich wird, wie Orden und Medaillen vom Kaiserreich über Nazi-Deutschland bis hin zur DDR bzw. BRD an einige Personen vergeben worden sind.184 Für die DDR war eine Form der Auseinandersetzung mit dem Nazismus und dessen Verbrechen vorherrschend, die durch eine „anhaltende Abstrahierung und Externalisierung des kollektiven Gedächtnisses gekennzeichnet war. Was der DDR-Erinnerungskultur somit nach wie vor fehlte bzw. mit Mitteln aktiver staatlicher Geschichtspolitik teilweise massiv unterdrückt wurde, war die Vergegenwärtigung konkreter Handlungen, Orte und Akteure der NS-Rasse- und Vernichtungspolitik und deren Einbettung in einen regionalen, sozial- oder alltagsgeschichtlichen Kontext.“185 Seit einigen Jahren sind einige Forschungsvorhaben in diesem Kontext realisiert worden und können somit zu weiteren systematischen oder strukturellen Forschungen führen, wie z. B. bei den Universitäten und Hochschulen und deren Fachbereichen oder bei Verbänden von wissenschaftlichen Teildisziplinen u.v.a.m.186 Die lange andauernde Leugnung dieser wichtigen Erkenntnisse, ja die mehr oder weniger systematische Ausblendung detaillierter Studien zu einzelnen Berufsgruppen bedarf einer Erklärung. So war z. B. die deutsche Ärzteschaft, in ihrer übergroßen Mehrzahl, aktiv verwickelt in die NS-Massenmorde und nur wenige von ihnen wurden dafür zur Rechenschaft gezogen. Zieht man die Bemühungen zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einer Fachgesellschaft der Ärzte heran, wie z. B. die der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde“ 184 Vgl. Waibel (2011). 185 Weinke, S. 180ff. 186 Vgl. Henke (2008); Hirschinger, S. 225-246; vgl. Hoßfeld/Hohn/Lemuth/Stutz, (Hrsg.); Vgl. Schmaltz; Best/Meenzen, S. 222-231.

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(DGPPN), so wird schnell klar, wie es um den Stand der Aufklärung der Verbrechen des Nazismus steht. Die DGPPN hat im November 2010 eine Gedenkveranstaltung durchgeführt, bei der, nach fast 70 Jahren, das Schweigen zu den Vorgängen von 1933 bis 1945 beendet werden konnte. In seiner Rede zum Thema: „Psychiatrie im Nationalsozialismus – Erinnerung und Verantwortung“ erklärte ihr Präsident, Prof. Dr. F. Schneider, dass sich die Psychiater für diese Verdrängung schämten und dass sie bei allen Opfern und deren Angehörigen um Entschuldigung bitten, für das erlittene Unrecht und Leid, das ihnen von deutschen Verbänden und ihren Psychiatern, auch nach 1945 zugefügt worden ist.187 Diese Erklärung betrifft auch die Ärzte und Psychiater, die nach 1945 in der SBZ/DDR wieder ärztlich tätig sein konnten und dieses Beispiel steht dafür, dass bis in die Gegenwart hinein, in wichtigen gesellschaftspolitischen Bereichen kaum oder gar keine wissenschaftlich fundierte Aufklärung stattgefunden hat. Der etablierten Geschichtswissenschaft als zuständiger Fachdisziplin kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu, was die wissenschaftlich begründete Aufklärung der Ursachen, des Verlaufs und der Wirkungen des NS-Faschismus und seiner Protagonisten, auch nach 1945 betrifft. Dass ein deutscher Geschichtswissenschaftler vor und nach 1945 in seinem Fach unbehelligt hat arbeiten können, wäre allein keine Meldung Wert, nein, das gesamte Fach ist diskreditiert, nicht nur allein wegen der aufgedeckten Fälle seit dem Frankfurter Historikertag von 1998, sondern auch wegen der anhaltenden Verweigerung den gesamten Komplex aufzuklären. Nach Ansicht des Historikers H. A. Winkler, sind wir Zeugen für die Verdrängung unangenehmer Tatsachen, durch Einhaltung eines auferlegten Schweigegelübdes. Jetzt, wo die Generation der Schüler (z. B. W. Mommsen, H. A. Winkler, H. Wehler, J. Kocka, usw.) dieser Nazi-Historikergeneration (z. B. Th. Schieder, H. Rothfels usw.) in den Ruhestand getreten ist und eine neue Generation von Geschichtswissenschaftlern sich in „Amt und Würden“ befindet, ist es an der Zeit, diese Zusammenhänge gründlich aufzuarbeiten.188 Z. B. hatte das „Institut für Zeitgeschichte“ (IfZ) mit Martin Broszat einen Direktor, dessen Mitgliedschaft in der NSDAP ebenfalls jahrzehntelang verschwiegen worden ist. Dieses Verschweigen und Verdrängen hat der Glaubwürdigkeit und der Durchsetzungskraft aufklärerischer Inhalte zu den Massenmorden der deutschen Faschisten geschadet. Schon die Tatsache, dass kein Historiker aus der Generation von Rothfels bis Broszat je die eigene Beteiligung am völkischen Rassismus zur Diskussion stellte, zeigt wie eng die Atmosphäre damals gewesen sein muss. Dieses Kapitel, und vor allem die im Anhang befindliche chronologische Dokumentation rassistischer Vorfälle, belegen die Potentiale rassistischer Einstellungen, die unter den speziellen ost-deutschen staatlichen und gesellschaftlichen Bedingungen bewahrt und auch weiterentwickelt werden konnten. Die Diskussionen über die Größe und Bedeutung des Potentials laufen daraufhin, die latenten oder manifesten rassistischen oder anti-semitischen Bedrohungen entweder zu verniedlichen oder die justitielle und administrative Bekämpfung dominieren zu lassen. Im Gegensatz zur Situation in der BRD, war es in der DDR jedoch nicht möglich, über Wissenschaft oder Medien innovative Aspekte bei der Erklärung dieses Phäno187 Vgl. Schneider. 188 Vgl. Hohls/Jarausch.

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mens einzubringen oder gar Versuche zu unternehmen, nationalsozialistische Massentraumatisierungen gesellschaftspolitisch zu verarbeiten. Die widersprüchliche Bekämpfung der Rassisten im eigenen Land, lief darauf hinaus, die latenten oder manifesten rassistischen Bedrohungen zu verniedlichen, die justitielle und administrative Bekämpfung dominieren zu lassen oder pauschal den Westen bzw. westliche Medien dafür verantwortlich zu machen. In einem solchen politischen Klima war es auch ausgeschlossen, frei und unzensiert über die historisch-politischen Themen zu kommunizieren, die sich kritisch mit der Sowjet-Union beschäftigten, z. B. was die Vergewaltigungen von Frauen durch Soldaten der Roten Armee, kurz nach Ende des 2. Welt-Krieges, angeht. Ende 1950 versuchten ehemalige Funktionäre der „Hitler-Jugend“ (HJ) zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR zu vermitteln. Die Regierung der DDR reagierte positiv, während die Adenauer-Regierung abwartete und sich jeden öffentlichen Kommentars enthielt. Am 15. Dezember kam es zu einem Gespräch mit Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR, und darauf aufbauend organisierten Hans Schmitz und Wilhelm Jurzek, beide ehemals Funktionäre der HJ, ein Treffen mit einer Abordnung der FDJ in Hamburg, dass als Vorbereitung für ein Treffen mit dem Zentralrat der FDJ am 30./31. Januar 1951 in Berlin-Wedding diente. Schirmherr dieses Gesprächskreises war Bischof Otto Dibelius und Propbst Heinrich Grüber hatte die Gesprächsleitung. Weil es für die SED darauf ankam, eine mögliche Integration der BRD in das westliche Modell zu verhindern, gab es im Gemeinderaum der Kapernaum-Kirche ein Treffen zwischen Abgesandten der SED bzw. FDJ, unter ihnen Erich Honecker, Mitglied des Zentralrates der FDJ und Vertretern der ehemaligen Reichsführung der Hitler-Jugend in WestDeutschland, an der z. B. A. Axmann, ehemals „Reichsjugendführer“, Karl Cerff, ehemaliger NS-Obergebietsführer der „Hitler-Jugend“ (HJ) und anderen alten Nazis, z. B. ehemalige Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS.189 Bei den Gesprächen standen Fragen der Vermeidung eines deutschen Bruderkrieges, der Zusammenarbeit auf der Ebene des Sports, der Kultur, des Jugendaustausches, der Wirtschaft und der Berufsbildung im Mittelpunkt. Das Ziel der ehemaligen NS-Funktionäre war der Abschluß eines Friedensvertrages mit den Alliierten und die Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Staates in den alten Grenzen des Deutschen Reiches – die „OderNeiße-Grenze“ lehnten sie kategorisch ab. Die versammelten Deutschen waren sich darin einig, dass sie gemeinsam eine Remilitarisierung der BRD verhindern wollten. Ebenfalls am 30. Januar 1951 forderte die Volkskammer, das Parlament der DDR, vom Deutschen Bundestag, dem Parlament der BRD: „Deutsche an einen Tisch“. Die partiellen ideologischen und politischen Übereinstimmungen der Nazi-Ideologie mit nationalkommunistischen Vorstellungen haben ihre eigene Geschichte, sowohl in den zugrunde liegenden Gemeinsamkeiten der deutschen Kultur (Rassismus, Autoritarismus, etc.), als auch in ihrer anti-demokratischen Theorie und Praxis. Gemeinsamkeiten wurden auch sichtbar durch gemeinsame politische Aktivitäten zwischen der NSDAP und der KPD während der Weimarer Republik, sie führen bis zum Hitler-Stalin-Pakt und schließlich bis zu den Geheimverhandlungen Honeckers mit Ver189 Aktennotiz an Erich Honecker über die Besprechungen von Vertretern des ZR der FDJ mit ehemaligen HJ-Führern, 27.01.1951, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/166; vgl. Neubert, S. 841.

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tretern illegaler Gruppen von alten Nazis. In diesen Schnittstellen verbinden sich nationalistisch-völkische Ansprüche des nationalrevolutionären Flügels der Nazis mit national-bolschewistischer Ideologie und Praxis. Wissenschaftliche Vergleiche zwischen diesen beiden extremen Formierungen sind mit politischen und parteipolitischen Vorgaben belastet, und es muß deshalb betont werden, daß es sich hierbei um wissenschaftliche Vergleiche handelt und nicht um ihre Gleichsetzung, was sich schon deshalb von selbst verbietet, weil Geschichte und Programmatik beider politischen Strömungen fundamental unterschiedlich waren und sind. Doch die vorhandenen Gemeinsamkeiten müssen genannt werden, dass gebietet die Verpflichtung zur historischen Wahrheit. Die historischen Erfahrungen aus der Geschichte der DDR ermöglichen insofern nicht nur theoretische und konkrete Lehr- und Lernprozesse über den fehlgeschlagenen Versuch, Ursachen und Folgen des NS-Faschismus aufzuarbeiten, sondern eben auch über den Verlauf und das Scheitern des nationalkommunistischen Anti-Faschismus in Deutschland. Der Umgestaltungsprozess nach 1945 war widersprüchlich: Mit der Übernahme sowjetischer Unterdrückungsmethoden, dem Auf- und Ausbau der kommunistisch gesteuerten Staats- und Parteienbürokratien, wurden soziale und politische Fortschritte weitgehend zunichte gemacht. Aus vorgeblichem „Volkseigentum“ an der Volkswirtschaft wurde bloßer Staatsbesitz, den niemandem verantwortliche Apparatschiks verwalten und missbrauchen konnten. Die Spitzenpolitiker entwickelten sich zu einer neuen feudalistischen Klasse, Parteien und Massenorganisationen, voran die SED, waren zu Vereinen von Jasagern umfunktioniert worden und alle Volksvertretungen und Medien waren gleichgeschaltet. Progressive Kräfte wurden in ihrer Entfaltung behindert und die Abwehrfähigkeit des Staates gegenüber äußeren und inneren Feinden, wie z. B. Rassismus und Autoritarismus, wurde erheblich geschwächt. Von der Reglementierung aller gesellschaftlichen Aktivitäten bis hin zu pomphaften, zugleich aber inhaltsleeren Massenmanifestationen und zum Führerkult wurden partei-kommunistische Muster, aber auch Muster aus Deutschlands reaktionärer Vergangenheit übernommen.190 Mit der Kooperation zwischen den kommunistischen Anti-Faschisten an der Spitze des Staates und der mittleren Funktionselite aus ehemaligen Nazi-Funktionären, entstand ein kleinbürgerlich dominierter deutscher Staat, mit autoritärem, nationalistischem und militaristischem Charakter, der die rassistischen Erscheinungen nur noch auf repressiver, administrativer, und propagandistischer Ebene bekämpfte. Es kam auch hier einem großen Frieden mit den Tätern gleich (Giordano). Den Rückkehrern aus dem östlichen und westlichen Ausland stand einer demoralisierten Masse aus Frauen und Männern (auch Kinder) gegenüber, von denen die übergroße Mehrheit bis zum Schluss überzeugte Anhänger des Nazismus geblieben waren. Für den Aufbau und den Bestand der DDR benötigten die deutschen Kommunisten für die mittlere Ebene der Machtausübung, die erfahrenen Nazi-Funktionäre, die die Geschäfte des staatssozialistischen Systems betrieben. Sie verflochten ihre subkutan vorhandenen, zwar gebrochenen und verdrängten, aber nach wie vor wirksamen rassistischen Einstellungen mit den neuen Erfordernissen des staatssozialistischen Landes. Aus dieser

190 Vgl. Behrend.

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Melange entwickelte sich im Laufe der Zeit nicht nur eine autoritäre und rassistischen Ideologie, sondern eine ebenso abstoßende gesellschaftliche Wirklichkeit. Für alle nationalistisch orientierten Kreise in West- bzw. Ost-Deutschland, das war die übergroße Mehrheit, waren die politischen Bemühungen darauf fokussiert, die Ausgangssituation die durch die Konferenzen in Jalta und Potsdam gegeben war, zu überwinden. Anfang der 1950er Jahre war die Führung der DDR bereit dafür, spektakuläre Schritte zu gehen, um eine Vereinigung mit den drei ehemaligen westlichen Besatzungszonen zu erreichen. Diese als „Stalin-Note“ bezeichnete Offerte der Sowjet-Union zur Überwindung der Teilung Deutschlands, wurde vom Westen unisono abgelehnt. Zu diesen Bedingungen, das Angebot beinhaltete eine Neutralitätsverpflichtung für das größere Deutschland, wurde von den west-deutschen Eliten, sie befanden sich im Einklang mit den westlichen Alliierten, abgelehnt. Das Ziel war nun, die DDR zu zerschlagen um einem vereinten Deutschland Platz zu machen und dasselbe Ziel hatten sowohl die Neo-Nazis im Osten als auch im Westen. Die machtpolitisch motivierte, interne als auch externe Amalgamisierung der SED mit ehemaligen Nazi-Funktionären hatte insofern weitreichende Folgen, als dadurch die traditionell autoritäre Ausrichtung der deutschen Kommunisten zementiert werden konnte. Der Fokus meiner Darstellungen richtet sich hier auf die Geschichte der Rassisten in der DDR, die auch auf den Widerspruch hinweisen, der zwischen dem anti-faschistischen Anspruch der SED und der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestand. Dieser Widerspruch sollte nicht sichtbar werden, und Funktionäre wiesen immer wieder daraufhin, daß „ihre“ ost-deutschen Landsleute entweder durch westliche „Infiltration“ oder „Diversion“ oder durch zerrüttete Familienverhältnisse dazu gebracht werden konnten, den Nazismus zu verehren, Afrikaner und Juden zu hassen. Der Anti-Faschismus der SED war eine zentrale Ideologie für ihre Legitimation und auch deshalb entwickelte sie die Geheimniskrämerei um die Hakenkreuzschmierereien, die Verehrungen der Nazis, die mehr und mehr offen operierenden Rassisten. In einer Gesellschaft, in der „Völkerfreundschaft“ und „Proletarischer Internationalismus“ zu elementaren Postulaten von Ideologie und Propaganda gehörten, passte es nicht, wenn Afrikaner, Araber oder Juden feindselig abgelehnt, angegriffen, verletzt oder gar getötet wurden. „Um des unbefleckten antifaschistischen Firmenschildes willen war aber der Staat – zunächst jahrelang erfolgreich - darum bemüht, nichts dergleichen an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Mit dieser Taktik verhinderte er die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung und antifaschistische Gegenwehr und half letztlich den Rechtsextremen, sich illegal auszubreiten“.191 Die hier zu Grunde liegenden Erkenntnisse von Vorfällen mit Rassisten sind zu verstehen als die „Spitze einer Pyramide“ und sind dennoch die empirische Basis für die Kritik des Anti-Faschismus der SED.192 Dies ist deshalb von Bedeutung, weil diese Kritik bisher eine ausführliche empirische Grundlage hat vermissen lassen und es den orthodoxen Verteidigern der DDR bis dato gelingen konnte, die historischen Fakten öffentlich immer wieder zu verdrängen.

191 Behrend, S. 23f. 192 Vgl. Waibel (1996).

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Die Befreiung Deutschlands vom Faschismus im Mai 1945 war zugleich das Datum des Untergangs der führenden Organisation des deutschen Faschismus: der NSDAP und ihrer zahlreichen Unterorganisationen. Hier waren die inhumanen und antidemokratischen Potentiale zusammengefasst und zu tragenden politischen und ideologischen Säulen des nationalsozialistischen Machtapparates geformt und eingesetzt worden. Die militärische Zerschlagung dieses organisierten Nazismus manifestierte zugleich den Neubeginn und die Fortsetzung des organisierten Neo-Nazismus in der Nachkriegszeit. Die Existenz von Rassisten in der DDR läßt sich nicht allein aus Politik, Ideologie oder durch Einwirkungen aus dem Westen erklären, denn ohne innere Ursachen hätten rassistische Parolen keinen Nährboden finden können. Zu diesen „inneren Ursachen“ gehören die protestantische Arbeitsethik, ein jahrzehntelanges Wunschdenken, autoritäre Elemente des Preußentums, der vormundschaftliche Absolutheitsanspruch der Ideologie des „Marxismus-Leninismus“, anti-emanzipatorische Haltungen, umfassende politische Repression auch gegen Demokraten und Sozialisten, autoritäre Denk- und Verhaltensweisen, die Militarisierung der Gesellschaft und des Bildungswesens, ein bürokratischer Zentralismus auf der militaristischen Grundlage von Befehl und Gehorsam, anti-demokratisches Denken, bürokratische Verstaatlichungen in der Volkswirtschaft und letztlich die anhaltende Krise der ost-deutschen Ökonomie.193 Über eine umfassende Zensur hat die SED die Ausbreitung der Fakten über rassistische Ereignisse in allen Medien unterdrückt und verunmöglichte damit eine öffentliche Debatte. Bei der Reflexion der gesellschaftlichen Dimension des Rassismus und Neo-Nazismus dürfen die Ursachenfelder nicht eingeengt werden allein auf die Analyse der ökonomischen Aspekte von Akteuren aus prekären, weil unterprivilegierten Lebens- und Familienverhältnissen: „Bei aller Betonung der Bedeutsamkeit frühkindlicher Eindrücke, die ihrerseits von den politisch-mythologisch instruierten Erziehungspersonen bestimmt werden, erfolgt die entscheidende Formung politischer Haltungen durch fortschreitende Persönlichkeitsbildung in jedem Lebensalter. Mich interessiert denn auch weniger die ohnehin fast unmögliche Einschätzung der Zahl oder des Prozentsatzes damaliger oder gegenwärtiger Faschisten und Neofaschisten (wie immer diese definiert sein mögen), sondern mehr die dynamischen Prozesse der Faschisierung“.194 Dieser Prozess der Faschisierung von Subjekten in der DDR war an die politischen und ideologischen Bedingungen der ost-deutschen Realität gebunden und daher auch verknüpft mit den historischen Determinanten der orthodoxen deutschen Arbeiterbewegung im Allgemeinen und der kommunistischen im Besonderen. Dieses Buch widmet sich demnach den Ursachen, die den historischen und politischen Bedingungen der DDR zuzuschreiben sind, und in der Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Inhalten und Kategorien der Politik der SED konstituierten sich weitere Bezugsfelder für die Ursachen rassistischer Bewusstseinsinhalte. Sie weisen ebenfalls zurück auf tradierte, unverarbeitete Bewußtseinsstrukturen und inhalte aus dem Nazismus und die Frage ist, warum die „antifaschistische“ DDR keine wirksamen politischen oder theoretischen Konzepte gegen diese Entwicklung vor193 Vgl. Madloch, S. 97ff. 194 Vgl. Hacker, S. 107-108.

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zuweisen hat? Zog doch die Existenz von Rassisten und Neo-Nazis den von der SED verteidigten staatlichen und gesellschaftlichen Anspruch, die Grundlagen für Faschismus und Rassismus seien mit „Stumpf und Stiel ausgerottet“ worden, grundsätzlich in Zweifel. Doch zumindest ist der Eindruck richtig, daß die SED die neo-nazistischen und rassistischen Vorfälle für ihre propagandistischen Zwecke insofern einsetzte, weil sie daran der Bevölkerung vorführen konnte, welche gefährlichen Einflüsse angeblich von der BRD ausgingen. Insofern glaubte die Führung der SED, dass sie mit ihrer Art und Weise der Bekämpfung rassistischer Ereignisse im eigenen Land, sowohl ihren Machtanspruch behaupten, als sie auch die Stabilität ihres Weltbildes demonstrieren konnten. Neo-Nazis und andere Rassisten Daß bis 1988 keine Untersuchungen zu Rassisten möglich waren, läßt sich nur unter der Maxime der SED verstehen, daß nicht sein konnte, was nicht sein durfte und öffentliche Diskussionen zu diesem für die anti-faschistische Führung mehr als peinlichen Faktum blieben somit vollständig aus.195 Begründet auf den heutigen Erkenntnissen, liegt der Beginn des neo-nazistischen bzw. rassistischen Phänomens bereits in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), also weit vor der Gründung der DDR, in der Form anti-semitischen Angriffe auf jüdische Friedhöfe und auf Jüdinnen und Juden. Das von der SED verhängte und durchgesetzte Dogma der Verdrängung dieser Informationen hatte insofern fatale Auswirkungen, als, im Grunde genommen bis zum heutigen Tag, kein Bewusstsein über diesen Teil der Realität vorhanden war und ist. Erst Ende der 1980er Jahre, als es längst zu spät war, wurden ein oder zwei wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben, die zum Ziel hatten, die subkulturellen Entwicklungen zu erfassen, und eine Einordnung der Skinheads vorzunehmen. Die daraus ersichtlich gewordenen wissenschaftlichen Defizite der Zeitgeschichtsforschung betrafen jedoch das gesamte Spektrum der politisch nicht zu integrierenden Gruppen. Die Rassisten sind nicht nur zu Verstehen als Opposition gegen die staatliche und gesellschaftliche Totalität der DDR, sondern hier sind unverarbeitete, tradierte Bewusstseinsinhalte zu sehen, die durch die Zensur und Repression lediglich unterdrückt worden waren. Hakenkreuze oder Hitlerverehrungen sind a priori beleidigend und verletzen nicht nur diejenigen, die als Verfolgte unter dem faschistischen Terrorregime gelitten haben, sie schänden auch das Andenken an die Ermordeten, verweisen weiterhin auf die mangelnde Trauerarbeit und entlarven für kurze Augenblicke das Tabu als solches, das über dem partei-kommunistischen AntiFaschismus errichtet worden war.196 Neo-Nazis in West- und Ost-Deutschland hatten das gemeinsame Ziel die DDR aufzulösen und beide deutsche Staaten zu vereinigen. Spätestens nach 1989 konnten sie sich somit subjektiv als Teil einer insgesamt erfolgreichen politischen Entwicklung verstehen und aus dieser zynischen Hochstimmung heraus, sind auch die pogromartigen Angriffe auf Migranten Anfang der 1990er Jahre 195 Hübner, 1991, S. 158-166. Hübner äußert sich pointiert zum Versagen der zeithistorischen Forschung, bezüglich der wissenschaftlichen Aufarbeitung des ostdeutschen Rechtsextremismus. 196 Mitscherlich/Mitscherlich, S. 13-84.

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zu erklären. Da die Rassisten in der DDR ohne republikweite organisatorische Strukturen blieben, agierten sie im lokalen oder bestenfalls im regionalen Rahmen. In den 1980er Jahren gab es immer wieder sporadische Versuche die DDR als Operationsgebiet zu nützen, doch eine zielgerichtete, systematische Zusammenarbeit war bis zum Fall der Mauer nicht zu realisieren. Zur neo-nazistischen „Aufbauarbeit Ost“ nach dem Fall der Mauer konnten Kontakte geknüpft werden durch die bereits früher in den Westen abgeschobenen, notorischen Neo-Nazis, wie z.B. Arnulf Wilfried Priem, Rainer Sonntag oder durch die Brüder Frank und Peter Hübner.197 Nach 1989 gingen diese Aktivisten in die DDR und bildeten dort die ersten organisierten Zentren. Das MfS interessierte sich für diesen Bereich besonders intensiv, stellte bis 1988 jedoch nur wenige Kontakte zwischen ost- und west-deutschen Neo-Nazis fest.198 Für die SED und die FDJ zeigte sich bei den rassistischen Ereignissen oft nur verstärkter „klassenfeindlicher“ Einfluß, weil Täter durch die „ideologische Diversion“ der westlichen Medien zunehmend brutaler und zu Neo-Nazis erzogen worden seien. Welche Sendungen im Einzelnen dafür infrage kamen, wurde nie erwähnt.199 Einzelne Rassisten oder auch Mitglieder von Gruppen wurden strafrechtlich erfasst und erschienen in der Kriminalstatistik und in der Presse unter dem Begriff „Rowdy“. Die später hinzugekommene Klassifizierung von Rassisten als „Faschos“, als quasi getarnte Form des Neo-Nazismus, war für den Sicherheitsapparat kaum noch zu identifizieren und sie erschienen also nicht in den Darstellungen der Funktionäre und deshalb war das Potential der aggressiven und militanten Rassisten erheblich höher, als es MfS und Volkspolizei (sich) glauben machen wollten. Sie stellten fest, dass das oppositionelle Selbstverständnis „je nach Grad der ideologischen Probleme im Verhältnis zur Politik der Partei politisiert sein kann und im Extremfall bereits zur feindlichen Haltung verdichtet ist, nicht selten gepaart mit Brutalität“. Wenn sie sich in Gruppen befanden, dann operierten „Faschos“ aggressiver, als wenn sie sich nicht in Gruppen befanden. Sie waren in ihren Betriebs-Kollektiven und Schulklassen nicht weiter aufgefallen, da ihre individuellen Verhaltensweisen sich von denen in der Gruppe in der sie sich gerade befanden nicht unterschieden. Das falsche Resümee einer Funktionärin lautete: „Ich glaube, sie sind zum größten Teil nicht unsere Feinde, aber eine innere Abschottung ist vorhanden“.200 Die Beschreibung dieser Neo-Nazis machte deutlich, dass sie in die Arbeit der FDJ nicht mehr zu integrieren waren und, dass sie sich nachgerade dem Einfluß der herrschenden Ideen entzogen hatten. Die Reaktionen der Partei- und Staatsführung auf diese nennenswerten Veränderungen in der Gesellschaft waren weitgehend ohne tiefer gehende politische Analysen und ohne konkrete Bezüge zu rassistischen Einstellungen und Taten. Zwei, wie mir scheint treffliche Beispiele für solche angepassten Neo-Nazis ist der ehemalige Weimarer FDJ-Sekretär Thomas Dienel, der nach 1989 zum Vorsitzenden der „Deutschen Nationalen Partei“ und zum Vorsitzenden der NPD in Thüringen wurde und mit antisemitischer und rassistischer Hetze für Aufsehen sorgte. Hermann Flemming ist ein 197 Vgl. ID-Archiv im IISG (Hg.), 1992, S. 75-110. 198 Vgl. Süß. 199 Geheime IX Verschlußsache, FDJ BL Halle, 1968, SAPMO-BArch, DY 24/ E 6.152, S. 1-21. 200 Persönliche Information für den August 1983, FDJ BL Berlin, 09.09.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ A 13.370, S. 9-11.

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anderes Beispiel für einen äußerlich angepassten Neo-Nazi, der nach der Wende zum stellvertretenden Vorsitzenden der Partei „Die Republikaner“ im Land Brandenburg wurde und der vor der Wende Oberst in der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) war. In Berlin-Hohenschönhausen (DDR) waren 1960 über vierzig Neo-Nazis im Untersuchungsgefängnis des MfS inhaftiert. Sie wurden beschuldigt in Potsdam-Nedlitz eine „rechtsradikalen Untergrundbewegung“ aufgebaut zu haben, davon waren zwei Drittel Mitglieder der FDJ. Der Anführer der Gruppe war ein Student (22 Jahre) aus Potsdam. In einem Kellerraum, er diente ihnen als Treffpunkt, wurden mehrere Hakenkreuzfahnen, eine Hitlerbüste und nationalsozialistische Literatur gefunden. Die Gruppe hatte Verbindungen zu ähnlichen Organisationen. In Berlin (DDR) und an der Staatsgrenze zur BRD hatten sie anti-semitische Schmierereien angebracht. Die Verhaftungen sowie die gesamten Ermittlungsvorgänge wurden von den verantwortlichen Funktionären als „streng geheim“ klassifiziert. Im selben Jahr wurden in Leipzig 18 Jugendliche wegen Hakenkreuzschmierereien festgenommen.201 In Bad Blankenburg (Bezirk Gera) wurde 1961 im Kreiskinderheim eine „Bande“ aufgedeckt, die unter der Führung eines Schülers „Provokationen“ beabsichtigte. Dieser Gruppe gehörten neun Schüler an – einen von ihnen nannten sie „Führer“. Sie hatten sich Mitgliedsausweise mit Hakenkreuzen und Fingerabdrücken gefertigt, und die Volkspolizei stellte Armbinden mit Hakenkreuzen sicher. Die Schüler wurden aus der FDJ ausgeschlossen.202 Im Bezirk Dresden ergaben 1966 systematische Untersuchungen in 32 Schulen in 12 Kreisen, dass ca. 50 Schüler einzeln oder in Gruppen unmittelbar beteiligt waren an der Verbreitung von neo-nazistischen Losungen und Symbolen. Außerdem wurden „faschistische Terrormethoden“ gegen jüngere Schüler angewandt. Es handelte sich vorwiegend um Schüler der Jahrgangsstufen der 5., 6., 9. und 10. Klassen aus Schulen in Dresden-Ost, Pirna, Freital und Görlitz.203 In Magdeburg und in 13 Kreisen des Bezirks gab es Anfang des Jahres 1978 an Polytechnischen Oberschulen (POS) und an Kinder- und Lehrlingswohnheimen aggressives Auftreten mit politischer Tendenz, z. B. wurden Hakenkreuze angebracht, der Hitlergruß gezeigt, Hitler verherrlicht und es wurde gegen die Sowjet-Union gehetzt.204 Ende der 1970er Jahre wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte des Anstiegs der Kriminalität auf „kriminelles und asoziales Verhalten, Rowdytum und andere Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung“ zurückzuführen waren. Delikte wie Raub und Vergewaltigung hatten zugenommen und die Zahl schwerer, brutaler Verbrechen stieg ebenfalls und nicht selten waren sie von „hartnäckig besserungsunwilligen Rückfalltätern mit asozialer Lebensweise“ begangen worden. Oft waren 201 Kurzinformation 3/60 über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 18.02.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-3; Berliner Zeitung, 22.01.1960. 202 Der Generalstaatsanwalt der DDR an das ZK der SED, Abteilung Staats- und Rechtsfragen, Berlin, 26.08.1961, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/13/423, S. 2. 203 Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abteilung Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, den 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126), S. 1 - 3. 204 Politische Berichterstattung von A. Pisnik, 1. Sekretär der SED BL Magdeburg an E. Honecker, 14.02.1978, SAPMO-BArch, DY 30/ 2270, S. 5f.

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Straftaten geplant und in der Nachahmung krimineller Praktiken aus „kapitalistischen Ländern“ vorbereitet und durchgeführt worden. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schrieb die Verantwortung für diese Entwicklung ausschließlich dem Westen und seinem Einfluß zu: „Staatsfeindliche Handlungen aus den andauernden gegnerischen Bestrebungen, die innere Sicherheit der DDR, das Verhältnis der Bürger zur Partei und zum sozialistischen Staat zu stören und die DDR zugleich international zu diskriminieren. Sie sind verbunden mit systematischen Hetz- und Verleumdungskampagnen der BRD-Massenmedien, der Einmischung in die inneren Angelegenheiten sowie zielgerichteter, zum Teil geheimdienstlich gesteuerter Kontaktpolitik. Die Hintergründe und Zusammenhänge dieser Straftaten waren zunehmend Gegenstand offensiver politisch-ideologischer Auseinandersetzung, besonders auch in den Arbeitskollektiven und bei der Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte in die Strafverfahren“.205 Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung hatten zugenommen und in diesem Deliktbereich wurden besonders „Rowdytum, Provokationen und Angriffe gegen Angehörige der Volkspolizei“ hervorgehoben, die von Jugendlichen mit „ablehnender oder sogar feindlicher Haltung zur DDR“ begangen wurden. Sie gebrauchten rassistische Symbole und Losungen und zeigten den Hitler-Gruß. Die Sicherheitskräfte würden deshalb auf rasche Unterbindung und Aufklärung von „Delikten mit Zusammenrottungscharakter“ konzentriert. Freiheitsstrafen wurden vor allem gegen die Täter ausgesprochen, die aus „feindlicher oder ablehnender“ Haltung handelten, sich erzieherischer Beeinflussung widersetzten und mit brutaler Gewalt agierten.206 Unter dem Begriff „Asozial“ waren soziale Gruppen während des Nazismus Teil der Konzentrationslager und sie trugen dort einen schwarzen Winkel. Unter diesem Stigma befanden sich z. B. Obdachlose, „Fürsorgeempfänger“ oder „Arbeitsscheue“. Sinti und Roma wurden als „fremdrassige Asoziale“ eingestuft und im Rahmen einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung inhaftiert und sie sollten zu Beginn dieser Maßnahmen dort umerzogen werden. Im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ wurden im Frühjahr und Sommer 1938 mehr als 10.000 Sinti und Roma, Juden und „deutsch-blütige Asoziale“ in Konzentrationslager verbracht, davon kamen im Juli 1938 ca. 6.000 als Gefangene ins KZ Sachsenhausen. 1938 waren die „Asozialen“ die größte Häftlingskategorie in den KZs.207 In der DDR konnten Personen als „Arbeitsscheu“ nach § 249 StGB zu Bewährungsstrafen oder Arbeitserziehung oder Haft- und Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt werden. Gleichzeitig konnten für solche Personen Beschränkungen ihres Aufenthaltes und eine staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht verfügt werden. Mit der „Strafrechtsreform“ von 1968 erhielt der § 249 StGB, „Assi“-Paragraph, mehrere Verschärfungen.208 Unter den Häftlingen in der DDR stellten die zur „Arbeitserziehung“ verurteilten Gefan205 Information für das SED-Politbüro, Betreff: Entwicklung und Bekämpfung der Kriminalität im Jahre 1978, Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik, Persönliche Verschluss-Sache, VVS, Berlin, den 25.04.1979, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/13/6, Blatt 116. 206 Ebenda, Blatt 5. 207 Keine wesentliche Unterbrechung? Die Ausgrenzung „Asozialer“ im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, in: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/106/25.html. 208 Zeng (2005), S. 4-6.

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genen 1975 die größte Gruppe (27%).209 Neben den traditionell bedrohten Prostituierten, waren auch Homosexuelle und Geschlechtskranke unter dem „Asozialen-Strafrecht“ subsumiert. In späteren Jahren wurde das Spektrum erweitert um Alkohol- und Drogenabhängige, Glückspieler und die anti-faschistischen „Punker“.210 In der NVA gab es, im Zeitraum von 1969 bis 1988/89, jährlich insgesamt ca. 1.500 bis 3.500 Straftaten. In der Statistik über Militärstraftaten und bei den Militärstraftaten im Strafgesetzbuch der DDR gab es jeweils keine Rubrik über neo-nazistische oder rassistische Verbrechen.211 Als Sammelparagraf, auch zur Rubrizierung von politischen Vorkommnissen, diente vorzugsweise der Straftatbestand des „Staatsverbrechens“ bzw. der „staatsfeindlichen Hetze“, wie z. B. bei „Erscheinungsformen von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Nationalismus und Rechtsradikalismus“.212 Ab den 1960er Jahren mehrten sich Vorkommnisse in der NVA, bei denen brutales Vorgehen von Soldaten gegenüber Vorgesetzten, aber auch gegen Kameraden und Zivilisten festzustellen waren und gleichfalls nahmen neo-nazistische und anti-semitische Übergriffe zu.213 Diese politischen Inhalte von Straftaten fanden auch in den Statistiken des Militärgefängnis’ Schwedt von 1976/77 keinen Ausdruck. Möglicherweise sind sie zu finden in den §§ des StGB, wie z. B. § 115 Vorsätzliche Körperverletzung, § 116 Schwere Körperverletzung, § 118 Fahrlässige Körperverletzung, § 215 Rowdytum, § 220 Öffentliche Herabwürdigung oder § 267 Angriff, Widerstand und Nötigung gegen Vorgesetzte, Wachen, Streifen oder andere Militärpersonen.214 Militärstrafgefangene tätowierten sich selbst oder durch andere und dabei wurden von der Leitung der Militärstrafanstalt Tätowierungen an sich aber auch die mit militaristischem oder rassistischem Charakter als „schwerwiegende Störungen“ der Haft angesehen.215 In diesen frühen Jahren wurden Wehrmachts- oder Nazi-Lieder gesungen, der Faschismus und A. Hitlers verherrlicht und es wurden rassistische und antisemitische Parolen geäußert.216 Ab Ende der 1970er Jahre waren in der NVA und in den Grenztruppen zunehmend neo-nazistische Einstellungen und Handlungen festgestellt worden, so daß sich sogar das Kollegium des „Ministeriums für Nationale Sicherheit“ (MfNS) damit beschäftigen musste. Anfang 1978 wies der Minister für Nationale Verteidigung (MfNV) daraufhin, dass von jüngeren Offizieren sowie von Unteroffizieren und Offiziersschülern, vermehrt der Faschismus verherrlicht wurde und „antisowjetische, antisemitische und revanchistische Äußerungen“ hatten zugenommen. Es wurden Hakenkreuze geschmiert, der Hitler-Gruß gezeigt oder Parolen wie z. B. „Sieg-Heil“ und „Hitler lebt“ geäußert.217 Solange die NVA eine „Freiwilligenarmee“ war, kamen neo-nazistische und rassistische Erscheinungen im Grunde 209 Korzilius, S. 619. 210 Korzilius, S. 415. 211 Wenzke (2011), S. 43-44 und S. 94. 212 Ebenda, S. 99. 213 Ebenda, S. 134, 214 Ebenda, S. 264f. 215 Ebenda, S. 291. 216 Eisenfeld (2001), S. 249. 217 Wenzke (2005), S. 304f.

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genommen nur vereinzelt vor. Mit der Einführung der Wehrpflicht ab 1962 fand sich in der Armee ein repräsentativer Durchschnitt des männlichen Teils der Gesellschaft wieder.218 Hier dominierten überall entweder leere Propagandaworthülsen oder es wurden Tabuisierungen vorgenommen. Bei der Vorführung des sowjetischen Kriegsfilms „Blockade“ in den Kinos der NVA musste registriert werden, dass bei der Darstellung von Nazis Beifall geklatscht wurde und beim Auftritt von sowjetischen Offizieren abfällige Bemerkungen zu hören waren. Die Führung der NVA wollte der neonazistischen Entwicklung entgegen treten, auch weil festgestellt worden war, dass manche militärische Vorgesetzen und einige Parteileitungen neo-nazistische Erscheinungen bagatellisierten, sie als „dumme Jungenstreiche“ ansahen. Armeegeneral H. Hoffmann, Minister des MfNV, befürchtete aus drei Gründen eine daraus entstehende Gefährdung: 1. Zunahme anti-sowjetischer und anti-kommunistischer Einstellungen, 2. die „zunehmende Faschisierung in der Bundesrepublik“ die in der „ideologischen Diversion und der subversiven Tätigkeit des Feindes“ Einfluß haben könnte und 3. sah der Minister die Gefahr unkalkulierbarer Wirkungen, wenn die neo-nazistischen Vorkommnisse in der NVA bekannt werden würden, gerade dann, „wo wir uns offensiv mit der Propagierung des Faschismus, insbesondere in der BRD, auseinandersetzen“. Insofern lässt sich nun feststellen, dass bereits Ende der 1970er Jahre die neo-nazistische und rassistische Bewegung in der DDR zu einer ernsten Bedrohung für die anti-faschistische bzw. kommunistische Legitimation geworden war.219 In der NVA wurden Anfang 1988 bei „politisch-ideologischer Diversion und politischer Untergrundtätigkeit“ festgestellt, dass es dabei zu einem erheblichen Teil um „primitiv antisozialistische Auslassungen“ und um den „Gebrauch faschistischer Parolen und Gebärden“ ging. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden pro Jahr durchschnittlich einhundert neo-nazistische oder rassistische Vorfälle in der NVA registriert. In verharmlosender Weise wurde behauptet, es würde sich dabei nicht um „ideologische Positionen“ handeln, sondern es würden unkritisch Tendenzen aus dem feindlichen Westen wiedergegeben. 1989 wurde festgestellt, dass sich die Anzahl neo-nazistischer Vorkommnisse in der NVA und bei den Grenztruppen weiter erhöht hatte und das die Neo-Nazis „aggressiv und in ständig eskalierender Form gegen progressive Angehörige“ vorgegangen sind. Verschärfend kam hinzu, daß es in großen Teilen nicht mehr möglich war „im Sinne einer Rückgewinnung wirksam zu werden“, d. h. die vorgesetzten Stellen hatten da die Kontrolle über die Neo-Nazis in der NVA und in den Grenztruppen verloren. Der einzig gangbare Weg wurde nun darin gesehen, über Strafprozesse bzw. Disziplinarverfahren die Neo-Nazis aus den Einheiten zu entfernen.220 Die ersten Skinheads wurden in den 1980er Jahre bei Angriffen auf Arbeiter oder Studenten aus Mosambik, Libyen oder Algerien von der Volkspolizei gefaßt und vor Gericht gestellt. Ein markantes Beispiel für die Verbindung von anti-semitischer und rassistischer Ideologie ist der Angriff von Skinheads auf ca. 1.000 Konzertbesucher, 218 Diedrich, S. 193. 219 Wenzke (2005), S. 307f. 220 Wenzke (2005), S. 305 u. S. 552f; Eisenfeld (2001), S. 258.

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nach dem Rockkonzert der Punk-Gruppe „Element of Crime“ aus West-Berlin und der ost-deutschen Band „Die Firma“, in der Zionskirche in Berlin (DDR) im Oktober 1987. Dieser Überfall zeigt die bis dahin gepflegte Verdrängung der rassistischen und damit auch anti-semitischen Entwicklung, weil die Massenmedien zum ersten Mal klar und deutlich über die Existenz von Neo-Nazis berichteten. Diesem Angriff gewaltbereiter Rassisten auf die Zionskirche ging eine jahrzehntelange Entwicklung voraus, die von den deutschen Kommunisten in ihrer Gänze nicht verstanden und daher nicht beherrscht werden konnte. Bereits am Nachmittag des 17. Oktober hatten sich ca. 80 bis 100 Rassisten und Skinheads zu einer privaten Feier in der HO-Gaststätte „Sputnik“ versammelt und von dort aus machten sich ca. 30 von ihnen auf den Weg zur Zionskirche, um das Konzert und die Besucher anzugreifen. Auf ihrem Weg zur Kirche wurde ein Mädchen brutal zu Boden gerissen und ein junger Mann wurde verprügelt. Die Neo-Nazis, unter ihnen befanden sich mehrere Hooligans des BFC Dynamo, stürmten die Zionskirche mit Parolen wie: „Sieg Heil“, „Judenschweine“, „Deutschland“ und „Schweine und Linke – raus aus deutschen Kirchen“ und zeigten den Hitlergruß. Augenzeugen berichten, dass Volkspolizisten dabei zugesehen hätten, ohne jedoch einzugreifen. Anstelle dessen erschien in den Berichten der synonyme Begriff „Rowdy“, unter den die Ereignisse subsumiert wurden, die nicht bekannt sein durften. Da dieser Teil der Realität aus politischen Gründen verschwiegen wurde, mußte die Erfassung politisch motivierter Straftaten und -täter in anderen kriminalsoziologischen Kategorien rubriziert werden. Dieses waren Deliktgruppen, wie z. B. „Verbrechen gegen den Staat und die Tätigkeit der Staatsorgane“, „Körperverletzung“, „Hetze gegen den Staat“ oder „Staatsverleumdung“. Die Generalstaatsanwaltschaft der DDR, sie war für die statistischen Erhebungen zuständig, erstellte 1966 eine Analyse über die Gruppentäterschaft im Alter von 14 bis 21 Jahren.221 Hier wurde ein neuer Begriff eingeführt: „Andere Delikte mit rowdyhaftem Charakter“, der mit der Einführung des neuen Strafgesetzbuches, am 1. Juli 1968, unter § 215 des StrafGesetzbuches (StGB) Gesetzeskraft erhalten hatte. Auch in den Medien wurde dieser Begriff dazu benutzt um rassistische und anti-semitische Taten ihres politischen Kerns zu berauben.222 Mit diesem Ereignis war jedoch die strenge Zensur für einige Monate nicht mehr weiter aufrechtzuerhalten, d. h. spätestens ab dem ersten Verhandlungstermin vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte war die gesamte Öffentlichkeit der DDR über die Existenz und Wirkungsweise von Neo-Nazis informiert. Die Berichterstattung zeigte dann deutliche Betroffenheit über das unerwartete Ausmaß dieser Entwicklung. Um die Jahreswende 1987/88 und mit dem zweiten Zionskircheprozeß gegen nun acht Täter kam es in der Beurteilung der Vorgänge wieder zu einem Rückschritt. Die (Ost) Berliner Täter wurden zu Handlungsgehilfen von (West-) Berliner Skinheads umdefiniert, d. h. ein (West-) Berliner Skinhead, Spitzname „Bomber“, sollte der Anführer der Neo-Nazi-Horde gewesen sein. Damit zog in die öffentliche Debatte über die Ursachen des Neo-Nazismus wieder eine wohlbekannte Argumentation ein. Der Chef221 Generalstaatsanwalt an das ZK der SED, Abteilung Jugend, 21.01.1965, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.125, Blatt 1-39. 222 Flugblatt der „AntiNaziLiga“ (im Besitz von HW).

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redakteur der auflagenstarken Tageszeitung Junge Welt brachte es in einem Leitartikel fertig, kritische Schriftsteller, engagierte Kirchenleute und die „Rowdys mit faschistischem Vokabular“ als vom Feind inspirierte und ausgestattete Figuren darzustellen.223 Damit schloss er den Argumentationsring, den die bisherigen Analysen und Kommentare hervorgebracht hatten, auf einer höheren Ebene wieder zusammen. Nach den Vorfällen in und um die Zionskirche setzte in den Publikationsorganen eine neue Orientierung ein die den Jugendlichen bewusst machen wollte, welche Auswirkungen der Nationalsozialismus für Juden hatte. Die Junge Welt richtete sogar eine ständige Kolumne ein, in der über die von FDJ-Mitgliedern durchgeführten Aufräumarbeiten auf jüdischen Friedhöfen berichtet wurde. Anfang der 1970er Jahre wurden in der DDR die ersten gewaltbereiten Fußballfans in fast allen Standorten der Fußball-Oberliga registriert und, wie üblich, im weiteren Kontext als politische Akteure eingestuft.224 Die vorgefundenen Beispiele zeigen, welche destruktiven Emotionen im Umfeld von Fußballveranstaltungen mobilisiert und ausgelebt werden. In diesem öffentlichen Raum wurden militante und rassistische Aggressionen ausgeprägt und sie repräsentierten nicht sanktionierte Inseln der Gewaltbereitschaft und -anwendung. Hier setzten Skinheads und andere gewaltorientierte Jugendliche an und verknüpften sich mit den aktionistischen Hooligans zu einem neuen Kern der rassistischen Szene, analog zur Entwicklung in anderen ost- oder west-europäischen Ländern und diese Aktionen bildeten so den Rahmen und den Inhalt für rassistische Strukturen und Einstellungen.225 In Berlin (DDR) kam es am 7. Oktober 1977 auf dem Alexanderplatz zu Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und Einheiten der Volkspolizei. Die Ausschreitungen begannen nach einem Fußballspiel des 1. FC Union Berlin und gehörten, was Ausmaß und Intensität der Krawalle anlangt, zu den gewichtigsten Straßenkämpfen in der DDR. Nach dem Fußballspiel zwischen 1. FC Union Berlin und dem BFC Dynamo waren Hooligans durch die Straßen gezogen und hatten gerufen. Daraufhin schritten Einheiten der Volkspolizisten ein, die mit Steinen beworfen wurden und es wurden Uniform-Mützen verbrannt Es wurden Sprechchöre mit „antisozialistischen, partei- und staatsfeindlichen“ Inhalten geäußert und es wurden Losungen gegen die Sowjetunion gerufen, wie „Ras dwa tri – Russen werden wir nie – Nieder mit der Bullen-Elf“. Mehrere Demonstranten wurden verhaftet und es stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen aus den Bezirken Lichtenberg, Köpenick und Treptow kamen.226 Die propagandistischen Anstrengungen für die „Aufklärung“ der ost-deutschen Bevölkerung gipfelten in der be223 Junge Welt, 12./13.12.1987. 224 Persönliche Information FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.622, S. 10. 225 Hafke, Heft 1, S. 108-112. 226 Information über Meinungen zu den Ausschreitungen von Jugendlichen am 7.10.1977, SED Abteilung Parteiorgane, 13.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV-2/5/490, S. 4; Information über Meinungen zu Problemen der Innen- und Außenpolitik, aus Kreisleitungen und Grundorganisationen bis 03.10.1977, SED Abtg. Parteiorgane, Berlin, 11.10.1977, SAPMOBArch, DY 30/ (BPA) IV - 2/5/490, S. 7; Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Sekretariats der Bezirksleitung der SED Berlin, VVS 1/04, 10.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/3/110. In einem weiteren Papier der SED-BL Berlin vom 31.10.1977 wurde dieses Gerücht erneut aufgegriffen und die fehlende Aufklärung durch das Neue Deutschland beklagt; Willmann (Hrsg.), S. 156.

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schönigenden Aussage, dass es sich beim „Rowdytum“ in der Hauptstadt Berlin (DDR), lediglich um Ausschreitungen nach einer Sportveranstaltung gehandelt habe.227 Die Bewegung der neo-nazistisch und rassistisch politisierten Hooligans, hatte einen derartig großen Zulauf, und war deshalb, ebenso wie die anderen Zweige des NeoNazismus, für die SED-Führung spätestens ab den 1980er Jahren nicht mehr zu beherrschen. Vor dem Fußballspiel 1982 zwischen Motor Hennigsdorf und 1. FC Union Berlin kam es zu anti-sowjetischen Protesten. Es wurde gerufen „Ras, dwa, tri, Russen werden wir nie“ und gleichzeitig wurden russische Soldaten mit Steinwürfen angegriffen und die Scheibe eines Fahrzeugs wurde zerstört.228 In der Saison 1984/85 wurden bei Fußballspielen der Oberliga ca. 5.000 Volkspolizisten und Angehörige des MfS eingesetzt.229 Für die Fußball-Saison 1987/88 wurden über 1.000 Ausschreitungen mit Hooligans registriert.230 In Magdeburg griffen Hooligans Anfang September 1989 auf dem Hauptbahnhof eine Streife der sowjetischen Streitkräfte an und ein sowjetischer Offizier gab zwei Warnschüsse ab. 231 Am 20. April 1990 zogen ca. 1.000 Neo-Nazis, Skinheads und Hooligans nach einem Fußballspiel in Berlin (Ost) randalierend vom Stadion in Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz und ins Nikolaiviertel und skandierten dabei „Happy Birthday, lieber Adolf!“. Am 30. November 1990, nach einem Fußballspiel in Leipzig, gab es eine Straßenschlacht zwischen ca. 500 ost-deutschen Hooligans mit Einheiten der VolksPolizei. Dabei wurde der Hooligan Mike Polley (19 Jahre) aus Berlin-Malchow von einem Polizisten erschossen und in der Leipziger Innenstadt sind dabei mehr als 30 Geschäfte demoliert worden.232 Die massiven neo-nazistischen und rassistischen Ausschreitungen bei Fußballspielen in Regional- und Oberligen konzentrieren sich gegenwärtig auf ost-deutsche Sportplätze und sie haben, seit ihrem Beginn in der DDR, bis heute bereits traditionelle Züge angenommen.233 Wie und Warum gegen Rassisten? Selbstverständlich versuchte die Führung der DDR von Anfang an Rassisten und Neo-Nazis zu bekämpfen und dafür wurden die Sicherheitsorgane, d. h. das MdI (Volkspolizei) und das MfS, eingesetzt. Das MdI registrierte im Jahr 1960 ca. 3.000 neo-nazistische und ca. 600 anti-semitische Schmierereien. In mehreren Bezirken gab es neo-nazistische Gruppen (16 bis 22 Jahre), die sich u. a. „Kampfbund nationalsozialistischer Erneuerer des großdeutschen Reiches“ oder „Faschistische Lehrlingspartei“ nannten.234 Vom Juni 1962 bis zum März 1963 wurden acht „Untergrundgrup227 SED-Abteilung Parteiorgane, 13.10.1977, Informationen zu den Ausschreitungen am 07.10.1977, SAPMO-BArch DY 30/ IV-2/5/490, S. 4. 228 Willmann (Hrsg.), S. 170. 229 Blaschke, S. 30. 230 Madloch, S. 80f. 231 Hirsch/Heim, S. 124. 232 Madloch, S. 80f; S. 96; S. 148. 233 Vgl. Spitzer. 234 A. Timm, S. 165 und S. 422; Eisenfeld (2006), S. 4.

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pen“ aufgedeckt, von denen vier neo-nazistisch waren und die jeweils 5 bis 6 Mitglieder (bis 21 Jahre) hatten. Etwa die Hälfte aller im Jahr 1965 festgestellten Straftaten mit „schriftlicher Hetze“, waren neo-nazistische Symbole und Losungen.235 In sieben Monaten des Jahres 1977 gab es ca. 600 „neofaschistische“ Vorkommnisse bei denen Schüler der Polytechnischen und Erweiterten Oberschulen sowie der Betriebsberufsschulen und der Kinder- und Jugendsportschulen als Täter festgestellt worden waren.236 1978/79 wurden ca. 190-mal neo-nazistische bzw. rassistische Symbole und Losungen vorgefunden und es wurde „Heil Hitler“ gegrölt und antikommunistische Parolen verbreitet. Ca. 75% der Vorkommnisse entfielen auf Schüler (14 bis 16 Jahre). Außerdem wurden in den Fußballstadien Hooligans beobachtet, die neo-nazistische Parolen grölten.237 In den Jahren 1985 und 1986 betrafen ein Viertel aller Ermittlungsverfahren des MfS neo-nazistische Vorkommnisse, wobei das Höchstalter der Täter von 20 auf 26 Jahre angestiegen war.238 Vom 1. Oktober 1987 bis zum 20. Januar 1988 wurden insgesamt 40 Ermittlungsverfahren gegen 108 Neo-Nazis eingeleitet, wobei 94 Personen inhaftiert wurden. Für das gesamte Jahr 1987 wurden über 800 Neo-Nazis (16 bis 25 Jahre) erfasst. Im Unterschied zum Jahr 1988, waren 1989 in allen Bezirken SkinheadsGruppen beobachtet worden. Berlin (DDR) und Potsdam stellten regionale Schwerpunkte dar. Insgesamt wurden über tausend Skinheads und Sympathisanten in ca. 40 Gruppen gezählt.239 Nach Angaben der Nachfolgeorganisation des MfS, vom Amt für Nationale Sicherheit (AfNS), wurden seit Jahresbeginn 1988 etwa 188 Ermittlungsverfahren wegen neo-nazistischer oder rassistischer Ereignisse aufgenommen.240 Vom Januar bis zum Dezember 1989 gab es insgesamt 289 Strafverfahren mit einem neo-nazistischen Hintergrund.241 Auf der politischen Ebene wurde vorwiegen die FDJ gegen die Neo-Nazis instrumentiert und so entwickelte der Zentralrat der FDJ 1961 ein Strategiekonzept zur Auseinandersetzung mit gewalttätigen Jugendgruppen, zu denen auch Neo-Nazis und Rassisten gezählt wurden. Drei Bereiche wurden dabei genannt: 1. Es sollten alle Fälle mit „Rowdytum“ und „Bandenbildung“ aufgelistet werden; 2. Sollten diese Personen mit wie immer auch gearteten Kontakten zum Westen in Verbindung gebracht werden und 3. Wurden die subalternen Ebenen des Verbandes aufgefordert, Vorschläge zur Minimierung des Problems einzureichen. Die führenden Funktionäre in Berlin (DDR) hatten festgestellt, dass die verschiedenen Leitungen der FDJ äußerst mangelhaft reagierten, denn die Problematik sei nicht ernst genommen worden, weil irrtümlich davon ausgegangen worden sei, dass die Jugendlichen und ihre Aktionen nur eine kleine, unbedeutende Minderheit repräsentierten. Diese Leitungen hatten offensichtlich nicht erkannt, dass der „Gegner“ versuchte, mit Hilfe dieser Jugendlichen 235 Eisenfeld (2006), S. 4. 236 BStU, BF1/B Bernd Eisenfeld, 22.2.2001. 237 Eisenfeld (2006), S. 4. 238 BStU, BF1/B Bernd Eisenfeld, 22.2.2001. 239 Ministerrat der DDR an das MfS, Stellvertreter des Ministers an die BV Berlin, Stellvertreter Operativ, Einschätzung der HA XX, VVS, MfS-Nr. o008-14/88, Berlin, 02.02.1988, S. 3–11. 240 Hirsch/Heim, S. 109. 241 Madloch, S. 81.

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„unser sozialistisches System zu diffamieren und dagegen zu hetzen“. Das Sekretariat der FDJ verwies mit Nachdruck auf die bereits eingeleitete Gründung von Ordnungsgruppen auf Bezirks- und Kreisebene, die speziell in den Gebieten mit sogenannten Jugendbanden forciert werden sollten. Eine weitere Maßnahme zur Eindämmung der Aktivitäten war der Kinofilm: „Du bist nicht allein“, der in Jugendklubs oder anderen Jugendeinrichtung gezeigt wurde und nach den Filmvorführungen sollten Diskussionen stattfinden. Das Sekretariat der FDJ legte in diesem Schreiben offen, dass es der Generalstaatsanwaltschaft, der Hauptverwaltung der Volkspolizei, dem Ministerium für Volksbildung und dem Ministerium des Innern vorgeschlagen habe, Maßnahmen zu treffen, die „ein schnelles Erkennen und Eingreifen in solche Erscheinungen“ ermögliche.242 Anfang September 1989 hatte die SED erneut versucht sich ein Bild über die Dimension des Neo-Nazismus zu machen. Der Beschluss des SED-Politbüros bestätigte die Dringlichkeit von Maßnahmen, da „Teile der Jugend den permanent vorgetragenen ideologischen Angriffen des Gegners, insbesondere durch westliche Rundfunk- und Fernsehstationen“ unterlegen seien. Gleichzeitig unternahm die FDJ immer noch den Versuch mit allen Jugendlichen, nachgerade mit rassistischen eingestellten in Kontakt zu kommen. Dazu wollten sie erklären, welche Konsequenzen ihr national-chauvinistisches Denken und Verhalten habe und dass sie sich davon abwenden sollten. Lokale Schwerpunkte mit Neo-Nazis waren 1988 in den meisten Bezirkshauptstädten beobachtet worden. Fatale Folgen hatte die Umsetzung von Honeckers Anordnung, die Funktionäre müssten mit allen Jugendlichen zusammenarbeiten, egal welche politischen oder ideologischen Überzeugen sie hatten. Parteifunktionäre, die auf dieser politischen Grundlage mit den Rassisten ins verordnete Gespräch kamen, mussten resigniert feststellen, dass die seit den 1940er Jahren praktizierte politische Strategie in den 1980er Jahren nicht mehr zu realisieren war. Hinter dieser gescheiterten Strategie der Vereinnahmung dieser anti-humanen Potentiale stand die Vorstellung, Neo-Nazis seien ohne weitere kritische und tiefgreifende gesellschaftliche Selbstreflexion in die herrschende Politik zu integrieren. Die ost-deutschen Neo-Nazis, die als politische Häftlinge von der Bundesregierung „freigekauft“ worden waren und im Westen ihre bereits in der DDR entwickelte profaschistische Einstellung sichtbar machten, haben darauf schließen lassen, dass in Ost-Deutschland diese Problematik existierte. Einer der ersten Neo-Nazis, der aus der DDR „freigekauft“ worden war, war Arnulf Winfried Priem. Er war in Berlin (DDR) 1967 zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ und „Republikflucht“ verurteilt worden und 1968 wurde er von der Bundesrepublik freigekauft. Er ließ sich in Freiburg i. Brsg. nieder und schloß sich 1971 der „Deutschen Volksunion“ (DVU) an. 1976 wurde er Landtagskandidat für die NPD in Baden-Württemberg und 1973 gründete er in Freiburg i. Brsg. die neo-nazistische Wehrsportgruppe „Kampfgruppe Priem“. 1976 zog er nach Berlin (West) und wurde dort Anführer des von ihm gegründeten neoheidnischen „Asgard-Bund“ und der Gruppe „Wotans Volk“. Bis zu seiner Verurteilung 1995 galt Priem als einer der wichtigsten Führer der Neo-Nazis. Er wurde 1994 verhaftet und 1995 wegen illegalen 242 Sekretariat des Zentralrates der FDJ, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230.

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Waffenbesitzes (220 Gramm Sprengstoff, Waffen, Munition), „Verunglimpfung des Staates“, wegen „Bildung eines bewaffneten Haufens“ und der Verwendung von Nazi-Symbolen zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Fälschlicherweise galt er während des Prozess als Verräter und verlor so sein Ansehen in der Szene der Neo-Nazis. Am 1. Oktober 2011 war er als Redner eingeladen, um auf einer von der neo-nazistischen „Kameradschaft Hamm“ organisierten Kundgebung zu sprechen.243 Unter den vom Westen „Freigekauften“ befanden sich z. B. auch Uwe Behrendt, der 1974 aus der DDR kam und der sich in Tübingen im neo-nazistischen „Hochschulring Tübinger Studenten“ (HTS) organisierte. Axel Heinzman, später bei der Wehrsportgruppe Hoffmann, kam 1970 auf diesem Weg in den Westen und landete ebenfalls beim HTS. Die Brüder Frank und Peter Hübner aus Cottbus wurden wegen einer zwei Jahre zuvor gegründeten Wehrsportgruppe (WSG) 1984 in der DDR verhaftet und wurde 1985 vom Westen als „politischer“ Häftling freigekauft. Peter Hübner war 1982 Anführer der 30-köpfigen Wehrsportgruppe, in der ein Unteroffizier der NVA und ein Anwärter auf den Dienst in der Volkspolizei beteiligt waren. Unmittelbar nach ihrem Eintreffen im Westen schlossen sie sich neo-nazistischen Organisationen im Rheingau-Taunuskreis an (DVU, Nationale Sammlung, FAP).244 Unter der Anleitung der neo-nazistischen Führer Reisz und Kühnen gründeten die beiden Hübners 1989, zusammen mit Karsten Wolter und René Koswig mit denen sie bereits in der DDR zusammen waren, in Cottbus die „Deutsche Alternative“ (DA). Weitere aus Ostdeutschland stammende Neo-Nazis waren Ralf Rößner und Rainer Sonntag. Rößner kam 1974 als 18-jähriger in den Westen und wurde dann bei der paramilitärischen WSG „Hoffmann“ sogenannter Sicherheitschef. Sonntag durfte 1986 aus der DDR ausreisen, ging sofort nach Langen bei Frankfurt/M. und kandidierte dort dann auf Platz 3 der Liste der „Nationalen Sammlung“ (NS). Nach dem Fall der Mauer ging Sonntag wieder nach Dresden und organisierte den Aufbau neonazistischer Strukturen. Am 2. Juni 1991 wurde er in Dresden auf offener Straße erschossen, woraufhin am 15. Juni 1991 ca. 2.000 Neo-Nazis durch Dresden marschierten.245 Ausländische Arbeiter („Vertragsarbeiter“) Rassisten waren Teil der sozialen Realität der DDR und sie bildeten reaktionäre Kerne in einer formal unstrukturierten Opposition und bemerkenswert ist hier, dass die allermeisten wissenschaftlichen oder publizistischen Darstellungen über Opposition ohne die Darstellung des rassistischen bzw. des neo-nazistischen Flügels auskommen. So wird ein „sauberes“ Bild der Opposition aufrechterhalten, dass im Grunde genommen einer ansehnlichen Geschichtsklitterung gleichkommt. Es ist nachgerade bizarr, dass in den zwei wichtigsten Publikationen zur Geschichte der Opposition in der DDR, konsequent die rassistische orientierte Opposition unerwähnt bleibt. So kann man sich zwar eine nette Geschichte der DDR basteln, mit der historischen Wirklich243 die tageszeitung, 04.08.1997, 05.08.1997. 244 die tageszeitung, 15.09.1992. 245 Vgl. ID-Archiv im IISG (Hrsg.).

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keit hat dies jedoch wenig bis gar nichts zu tun!246 Und ebenso wie es die AntiSemiten waren, so waren auch Rassisten kein Thema für die ost-deutsche Öffentlichkeit. So bildete der „Zentrale Runde Tisch“ 1990 eine Arbeitsgruppe für Ausländerfragen und stellte fest, man müsse „bei Null beginnen“.247 Analog dazu wurde konstatiert, dass über rassistische Vorfälle keine Ursachenforschungen vorhanden waren. Das von der SED postulierte und konsequent durchgesetzte Publizierungs- bzw. Forschungsverbot war „erfolgreich“. Um das Jahr 1970 lebten in der DDR ca. 50.000 AusländerInnnen und blieb ab 1980 konstant bei ca. 100.000. Im Jahr 1987 waren es ca. 140.000, 1988 waren es ca. 160.000 und 1989 gab es ca. 190.000 AusländerInnen, was einem Anteil von ca. 1% an der erwerbstätigen Bevölkerung entspricht. In den beiden Bezirken Dresden und Karl-Marx-Stadt überstieg die Zahl der Ausländer 20.000, danach folgen die Bezirke Berlin (ca. 17.000), Leipzig (ca. 16.000), Halle (ca. 16.000), Cottbus (ca. 12.000) und Erfurt (ca. 10.000). Die Zahl der ausländischen ArbeiterInnen steigerte sich ab 1970 von ca. 10.000, auf ca. 20.000 Ende der 1970er Jahre, auf ca. 80.000 im Jahr 1988 und 1989 stieg ihre Zahl auf ca. 90.000. Die wichtigsten Herkunftsländer waren SR Vietnam (ca. 70.000), VR Polen (ca. 40.000 ArbeiterInnen, inklusive der Pendler), Kuba (ca. 25.000), VR Ungarn (ca. 8.000), Mosambik (ca. 22.000), Chile (ca. 1.000).248 Einen besonderen Status unter den Ausländern besaßen die ca. 380.000 Soldaten und Offiziere der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD) mit ihren ca. 120.000 Familienangehörigen.249 Ab Anfang der 1960er Jahren begann die staatliche Anwerbung ausländischer Arbeiter, die zum Teil erst eine qualifizierte Berufsausbildung erhalten hatten. Ab 1962 wurden ca. 500 Polen als Lehrlinge in Braunkohlebetrieben eingesetzt und ab 1965 nahmen erstmals ca. 700 polnische Arbeiter und Techniker eine Tätigkeit auf, als sie zunächst beim Bau der Erdöl-Pipeline vom Rostocker Hafen nach Leuna und Schwedt, bei der Erweiterung des Eisenhüttenkombinats Ost in Eisenhüttenstadt sowie bei Rekonstruktionsmaßnahmen bei der Deutschen Reichsbahn (DR) beschäftigt wurden. Die DDR und die VR Ungarn vereinbarten 1967 den Einsatz von ca. 15.000 ungarischen ArbeiterInnen, die für jeweils drei Jahre in der DDR arbeiten sollten. Dieser Vertrag dauerte bis Ende 1980, jedoch hatten bereits viele der Ungarn die DDR vorzeitig wieder verlassen.250 Da diese Abkommen mit Ungarn (und Polen) nicht den von der SED-Führung gewünschten Effekt hatten, wurde mit Algerien am 11. April 1974 ein Abkommen über die Entsendung von „Vertragsarbeitern“ abgeschlossen.251 Danach wurden mit Kuba (1975 und 1978) und mit Mosambik (1979) ähnliche Verträge geschlossen. Die Verhandlungen mit Vietnam dauerten von 1976 bis 1980 und ab 1987/88 kam es zu einer wesentlichen Erweiterung der Zahl vietnamesischer Ar246 Vgl. Henke/Steinbach/Tuchel (hg.): (1999); Neubert (1997). 247 Krüger-Potratz, S. 8; VIA, 1990, S. 1 und 5. 248 BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 34; BStU, MfS, HA II, Nr. 27428, S. 6-7; BStU, MfS, HA II, Nr. 28659, S. 31-35; Krüger-Potratz, S. 171; Gruner-Domic, 1992. 249 Krüger-Potratz, S. 21. 250 Krüger-Potratz, S. 171; Vgl. Gruner-Domic (1992); vgl. Thomä-Venske, S. 125-131. 251 Gruner-Domic (1999), S. 217-222.

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beiterInnen. 1984 wurde mit Angola ein Abkommen geschlossen, dass dem Abkommen mit Mosambik glich. Mit der VR China, Nord-Korea und mit der Mongolei wurden ebenfalls Verträge über den Einsatz von ArbeiterInnen abgeschlossen, deren Erfüllung durch das Ende der DDR obsolet wurde.252 Das Regierungsabkommen zwischen Algerien und der DDR vom 11. April 1974 hatte einen Modellcharakter, nach dem die zwischenstaatlichen Abkommen mit Kuba, Mocambique und Vietnam gebildet worden waren. So galt u. a. eine 4-jährige Aufenthaltsdauer für jeden Beschäftigten, es gab ein Verbot des Zuzugs von Familienangehörigen und jeder Arbeitsvertrag konnte nur mit der Zustimmung der jeweiligen Regierungsvertreter gekündigt werden. Anfang der 1970er Jahre schloss die DDR bilaterale Abkommen mit den beiden Nachbarländern VR Polen vom 22.12.1971 und der CSSR vom 15.01.1972 über den visafreien Verkehr zwischen diesen Ländern und der DDR. So kamen von 1972 bis 1980 ca. 54 Millionen Polen in die DDR und ca. 45 Mio. Deutsche aus der DDR ging zu Besuchen nach Polen. Mit den polnischen Arbeiteraufständen 1980 wurde ein Vorwand gefunden, diese Reisemöglichkeiten drastisch zu reduzieren. Die 1972 getroffene Entscheidung der SED einen visafreien Grenzverkehr mit Polen, CSSR und Rumänien einzurichten, führte nicht zu einem besseren Verhältnis dieser Bevölkerungen, sondern ganz im Gegenteil zu einem Anstieg rassistischer Aggression, vor allem zwischen Deutschen und Polen. Statt die polnischen Touristen als „sozialistische Nachbarn“ zu begrüßen, schlug ihnen feindseliger Hass entgegen und viele Deutsche begrüßten ihre Nachbarn mit unverhohlenem Spott und Verwünschungen oder sie beschimpften die Polen als „Hunde“ bzw. „Schweine“ und griffen sie auch physisch an. In der Regel wurden die ausländischen Arbeiter in der Industrie eingesetzt, wo sie als Schichtarbeiter Schwerstarbeit zu verrichten hatten. Die Bezahlung lag unterhalb eines durchschnittlichen Lohns eines deutschen Arbeiters. Rassistische Erniedrigungen und Konflikte in den Betrieben gehörten zum Alltag. Mosambikaner wurden mit dem Hinweis, sie seien ja ohnehin schon schwarz, an besonders ölverschmutzte Großmaschinen geschickt. Rebellierende Migranten wurden bedroht, man werde die Volkspolizei informieren und eine Zwangsausweisung würde dann erfolgen, wenn weiterhin gegen die „sozialistische Disziplin“ angegangen werde. Solche rassistischen Vorfälle wurden in der gelenkten Öffentlichkeit tabuisiert. Die Gemeinschaft der Bürger der DDR war zuerst eine nationale der Ost-Deutschen. Im Jahre 1977 befanden sich ca. 50.000 ausländische Arbeiter in der DDR. Nachdem die 18.000 Algerier das Land verließen, wurden als Ersatz, mit Angola, Kuba, Mosambik und Vietnam bilaterale Verträge abgeschlossen, über den Einsatz und die Verwendung von ArbeiterInnen. Auch bei diesen Verträgen war es so, dass außer einigen staatlichen Stellen, wie z. B. dem Ministerium für Arbeit und Soziales, niemand über den Inhalt der Abkommen informiert war.253 Am 26. Februar 1982 wurde zwischen der VR Mongolien und der DDR eine zwischenstaatliche Vereinbarung getroffen, über den Einsatz von 300 Mongolen in Betrieben der Fleischverarbeitung und der Leichtindustrie im Bereich der Textilverarbeitung ab 1989/90. Eine ähnliche Vereinbarung wurde am 9. April 252 Gruner-Domic (1999), S. 219f. 253 Hussain (1991), S. 27.

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1986 zwischen der VR China und der DDR getroffen, die eine Beschäftigung von bis zu 90.000 chinesischen Arbeitern in der DDR vorsah.254 Anfang der 1950er Jahren kamen mit elf Studenten aus Nigeria die ersten Afrikaner in die DDR, weil sie an einer Universität zum Studium zugelassen wurden. Ihnen folgten Studenten aus Ost-Europa und aus Nord-Korea und 1956 ging aus der „Arbeiter- und Bauern-Fakultät“ (ABF) das Institut für Ausländerstudium hervor, das im Juni 1961 in „Herder-Institut“ umbenannt wurde und das die ausländischen Studenten zu betreuen hatte.255 Die Studentenwohnheime waren überfüllt und der Prorektor für Studienangelegenheit an der Universität Leipzig war der Meinung, dass die ausländischen Studenten „keinesfalls würdig“ untergebracht waren. Solche Mängel jedoch waren in vielen Fällen der Ausdruck einer Politik der Nachlässigkeit und der Diskriminierung gegenüber den Ausländern. Der Parteisekretär der Außenstelle des HerderInstituts in Dresden-Radebeul fasste die fortgesetzte Unfähigkeit der zuständigen Behörden zusammen: „Straffe Ordnung, straffe Disziplin, je spartanischer die Einrichtung, desto weniger kann beschädigt oder gar zerstört werden; die Leute aus dem Urwald werden sich freuen, wenn sie ein festes Dach über dem Kopf haben“.256 Den ausländischen Studenten schlug dann besondere Feindschaft entgegen, wenn sie versuchten von dem Konsumangebot in den Läden der DDR etwas zu kaufen. Bereits 1956 beschwerten sich Funktionäre der DDR darüber, dass Studenten ihr Stipendium dazu missbrauchten, technische Erzeugnisse anzuhäufen. Rassistische Einstellungen richteten sich nicht nur gegen afrikanische Studenten oder Arbeiter, so wurde z. B. 1965 eine Griechin von Rassisten angepöbelt, bedroht und gewarnt, sie solle sich von Ausländern fernhalten. Zur gleichen Zeit war einem Professor aus Kolumbien aufgefallen, dass er rassistisch eingestellten Deutschen begegnet war. Er hatte z. B. erlebt, dass in Restaurants deutsche Gäste ihren Tisch verließen, wenn in ihrer Nähe einem Ausländer ein Tisch angewiesen wurde.257 1969 verließ eine junge spanische Akademikerin, nach 7 Jahren Emigration, die DDR, weil sie im geringschätzigen Verhalten von Kollegen an der Universität Leipzig rassistische Einstellungen entdeckt hatte. Sie fand im verantwortlichen Ministerium jedoch keinen Adressaten zur Veränderung ihrer bedrückenden Situation und entschloss sich deshalb dazu, die DDR zu verlassen.258 Mit dem Eintreffen von Arabern und Afrikanern als Studenten, Lehrlinge oder Touristen ab Anfang der 1960er Jahre wurden rassistische Angriffe vermehrt sichtbar und das verstärkte sich ab den 1970er Jahren, als den eingereisten ausländischen ArbeiterInnen aus Amerika, Afrika oder Asien rassistische Abwehr entgegenschlugen, wie z. B. beim VEB Carl-Zeiss Jena, beim VEB Farbenfabrik Wolfen, ob auf einer Straße in Berlin (Ost), in Suhl, in Aken, Aschersleben oder Zittau. Die Ausländer waren das Ziel rassistischer Aggressionen und Ressentiments, gespeist aus Sozial-Neid und sozial-darwinistischen Anschauungen.259 Immer wieder wurde ihnen eine mangelnde 254 Schulz, S. 158. 255 Mac Con Uladh (2005a), S. 177. 256 Mac Con Uladh (2005a), S. 183. 257 Ebenda, S. 210. 258 Poutrus 2005b, S. 240. 259 Waibel, 1996, S. 119ff.

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Einstellung zur Arbeit vorgeworfen oder ihre Ordnungs- und Sauberkeitsgewohnheiten wurden wieder und wieder als „Ekel erregend“ abqualifiziert. Die Unzufriedenheit vieler Deutschen über ihre eigene politische und ökonomische Situation, entlud sich in offenen Aggressionen gegen die Migranten. Die kleinmütigen und ängstlichen Deutschen, die es nicht wagten gegen die tatsächlichen Urheber der Misere in der DDR zu kämpfen, benutzten die Ausländer als Sündenböcke für die Abfuhr ihrer Frustrationen. Die Bedingungen denen ausländische Arbeiter in der DDR unterworfen waren, beinhalteten neben der begrenzten Aufenthaltszeit, z. B. die Abführung von 12% des Arbeitslohnes an den Staat des Heimatlandes, eine Altersbegrenzung von 20 bis 40 Jahre, keine Familienzusammenführung, Abschiebung bei Schwangerschaft oder Zwangsabtreibung, Abschiebung bei politischen Aktivitäten, keine Mitgliedschaft in Vereinen oder Parteien der DDR, und eine Zwangsmitgliedschaft, mit Zwangsbeitrag, beim „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“ (FDGB). In den ca. 1.000 Betrieben, Schwerpunkte waren die Bezirke Berlin, Dresden, Erfurt, Halle, Karl-MarxStadt und Leipzig, wurden die, überwiegend männlichen, ausländischen Arbeiter meist auf den Arbeitsplätzen eingesetzt, für die sich keine deutschen ArbeiterInnen fanden. Die ausländischen Arbeiter wurden, getrennt von der deutschen Wohnbevölkerung, in betriebseigenen Wohnheimen gettoisiert. Der Aufenthalt in diesen Heimen war verbindlich festgelegt. In einem Raum „durften“ bis zu vier Personen leben und jeder Person standen mindestens 5 qm zu. Das war im Gegensatz zu den in der DDR üblichen 12 qm, die einer Person zustanden. Frauen und Männer lebten in getrennten Unterkünften. Wohnheime wurden oft überbelegt und gelegentlich mussten sich bis zu 40 Personen fünf Kochstellen teilen. Es wurden nächtliche Kontrollen durchgeführt, die Leitungen der Wohnheime besaßen Schlüssel zu allen Räumen und konnten so jeder Zeit Durchsuchungen durchführen.260 Diese rassistische Segregation von Ausländern am Arbeitsplatz und im Wohnheim beförderte die in der ost-deutschen Gesellschaft latent vorhandenen rassistischen Aggressionen, die ungezählte Verletzte und Tote hervorbrachten. In vielen Bereichen der Gesellschaft, an den Universitäten oder in Betrieben wurden die Ost-Deutschen dazu genötigt zu erklären, keine Kontakte zu Ausländern aufzunehmen oder unvermeidbare Kontakte zu melden. Diese Kontaktsperre betraf auch Meister und Betreuer von ausländischen Arbeitern in der Industrie.261 Die ausländischen ArbeiterInnen waren in Wohnheimen untergebracht und wurden von ihren Arbeitgebern bezahlt und mit betriebskulturellen Angeboten versorgt. Ihre eigenen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Gewohnheiten blieben unbeachtet oder wurden gar völlig missachtet. Formal gleichgestellt mit den Deutschen, waren sie in ihrem Leben weitgehend rechtlos und am untersten Ende der sozialen Hierarchie eingeordnet. Niemand in der DDR wollte ihre Integration in die Gesellschaft, im Gegenteil sie waren ständig von Sanktionen bedroht, gegen ihren Willen in ihre Heimat abgeschoben zu werden.262 Die Mehrheit dieser Ausländer lebte in den 1980er 260 Vgl. Teschner; vgl. Poutrous, vgl. Siegler, S. 138–150. 261 Hussain, S. 26. 262 Schüle, (2006c), S. 36.

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Jahren in fünf der 15 Bezirke: Karl-Marx-Stadt, Dresden, Berlin, Leipzig und Halle. Unterrepräsentiert waren sie in den Bezirken Neubrandenburg, Schwerin und Suhl, also in ländlich geprägten Bezirken mit einer geringen Industriedichte. 1989 lag der Anteil der Frauen bei den Ausländern bei ca. 30%.263 In den Jahren 1989/90 gab es Streiks, Morddrohungen und Unterschriftensammlungen von deutschen Belegschaften, mit der Forderung nach sofortiger Entlassung der ausländischen KollegInnen und es blieb eben nicht bei verbalen Aggressionen. Ein Blick auf die Entwicklung der Zahlen zeigt deutlich die Situation vieler Ausländer in der DDR. So befanden sich am 31. Dezember 1989 ca. 15.000 MosambikanerInnen und ca. 60.000 VietnamesInnen im Land und ein Jahr später, am 31. Dezember 1990, waren es noch 2.800 MosambikanerInnen und 21.000 VietnamesInnen.264 Im VEB Sachsenring Zwickau waren 1960 als Asylsuchende neun algerische und zwei marokkanische Arbeiter beschäftigt. Sie wurden in Privatquartieren in Zwickau untergebracht, wo es sich herausstellte, dass die möblierten Zimmer zum Teil keine ausreichenden Schlafgelegenheiten aufwiesen und dass einige Zimmer nicht beheizbar waren. Für die verantwortliche Betriebsleitung des VEB war jedoch der unkontrollierte Kontakt der Ausländer mit deutschen Frauen ein Problem, weil man darin eine Gefährdung der öffentlichen Moral sah. So berichtete die Betriebsleitung des VEB Sachsenring Zwickau der SED-ZK-Abteilung Außenpolitik und Internationale Verbindung im November bzw. Dezember 1959: „Auf sexuellem Gebiet sind die Schwierigkeiten noch größer. Es ist keine Seltenheit, dass im Zeitraum von 14 Tagen 3 verschiedene Frauen bei einem algerischen Kollegen nächtigen. Aus diesem Grund kamen wiederholte Beschwerden von den Wohnungsinhabern zu uns“. Die Probleme blieben der deutschen Belegschaft des VEB nicht verborgen und trafen auf reines Unverständnis und Ablehnung. Schließlich entluden sich die Spannungen und im Speisesaal kam es zu einer Schlägerei zwischen Deutschen und Algeriern. Der Anlass war, dass deutsche Arbeiter behaupteten, Algerier hätten sich auf Plätze gesetzt, die Deutschen vorbehalten gewesen wären. Ein algerischer Arbeiter wurde aus der DDR ausgewiesen, nachdem er wegen „wiederholtem Damenbesuch“ eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Hausbewohnern verursacht haben sollte. Danach verkündete die Betriebsleitung, dass sich das Verhältnis zu den algerischen Kollegen verbessert hätte.265 Das bilaterale Abkommen mit der VR Algerien vom 11. April 1974 sah jeweils einen vier-jährigen Aufenthalt vor und der Anfang wurde probeweise geplant für einen Einsatz von 500 Arbeitern in fünf Betrieben der Kohle- und Baustoffindustrie sowie im Landmaschinenbau. Erschienen waren zwischen dem 8. und dem 11 August 1974 dann nur 368 Algerier. In der Folge traten 1975 und 1976 unvorhergesehene Probleme auf, als ca. 600 Algerier in acht Betrieben gegen ihre ungenügenden Arbeitsbedingungen die Arbeit niederlegten und in einen Streik eintraten. Im Kombinat Schwarze Pumpe (Bezirk Cottbus) befanden sich insgesamt 300 Algerier, die zu je263 Mense, S. 158. 264 Berger (2005), S. 122-126. 265 Poutrus 2005b, S. 248-250.

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weils 30 Mann in Baracken lebten, die im Sommer heiß und im Winter kalt waren. Zwei oder drei Personen wohnten in einem Raum, in dem sich eine Toilette und eine Dusche befanden. Gekocht wurde in Gemeinschaftsküchen. Die Baracken befanden sich weit außerhalb des Stadtzentrums und öffentliche Verkehrsmittel waren rar. Die üblichen Beleidigungen waren „Kameltreiber“ oder „Allesfresser“. Im Dezember 1974 erlitt in Schwarze Pumpe ein algerischer Arbeiter einen tödlichen Arbeitsunfall, als ihm ein Teil des Bauches herausgerissen worden war. Er verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hätte „die Sicherheitsvorschriften nicht befolgt“, hieß es von deutscher Seite. Nur wer eine Deutschprüfung bestand, konnte an einer Berufsqualifizierung teilnehmen, jedoch wurden Zeugnisse aus der DDR von der algerischen Regierung nicht anerkannt. 1975 wurde das bisherige Zuzugsalter von 24 bis 40 Jahre auf 20 bis 40 Jahre herabgesenkt. In Erfurt wurden Anfang September 1975 mehrere Algerier von, mit Eisenstangen bewaffneten, Deutschen angegriffen, die die Algerier durch das Stadtzentrum trieben. Unter Polizeischutz konnten die Angegriffenen, es gab viele Verletzte, in ihre Unterkünfte flüchten. Danach wurden „Rädelsführer und Rowdys“ gerichtlich zur Verantwortung gezogen und es stellte sich heraus, dass sie bereits zuvor mit Gesetzen in Konflikt gekommen waren. Als Ursachen für diesen Pogrom wurden u. a. „antisozialistische, nationalistische“ Einstellungen der Täter genannt. Der Rat der Stadt Erfurt, der Rat des Kreises Erfurt und verschiedene Grundorganisationen sollten eine „umfassende“ politische Arbeit entwickeln, um freundschaftliche Beziehungen mit den Algeriern bei der Arbeit und in der Freizeit auszubauen. Dazu sollten „Freundschaftstreffen“ und sportliche Wettkämpfe organisiert werden. Die Ursache jedoch, wären „junge Saboteure im Dienst der westdeutschen Revanchisten“ gewesen, die vom bevorstehenden Besuch von Bundes-Kanzler Willy Brandt in Erfurt profitieren wollten.266 Im November 1975 wurde ein algerischer Arbeiter getötet, als er auf dem Güterbahnhof in Eisleben (Bezirk Halle) zwischen zwei Waggons zerquetscht worden war. Die deutschen Verantwortlichen waren der Ansicht, der Verstorbene sei „sehr langsam“ gewesen und er hätte „die Sicherheitsvorschriften nicht beachtet“. Im Dezember 1974, kurz vor Weihnachten, gab es vor und in drei Baracken Auseinandersetzungen zwischen Algeriern einerseits und Deutschen und Polen andererseits, die mit Werkzeugen (Schraubenzieher, Hämmer, Zangen), Messern und Flaschen ausgetragen wurden. Die Volkspolizei kam erst sehr spät, die Notärzte und ihre Helfer luden die Verwundeten ein.267 Im Kombinat Schwarze Pumpe (Bezirk Cottbus) erkämpften algerische Arbeiter im November 1975 durch einen Streik eine Trennungszulage (40 bis 130 Mark), die polnische Arbeiter bereits erhalten hatten. Es wurde auch gestreikt für die Absetzung der obrigkeitshörigen algerischen Betreuer und für die Absetzung der algerischen Gewerkschaftsleitung. Die Betriebsleitung ging nur auf die finanziellen Forderungen ein 266 Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 04.09.1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.236, S. 11; Information der SED BL Erfurt an E. Honecker, Erfurt, 20. August 1975, S. 67; Bougherara, S. 143. 267 Bougherara, S. 143-150.

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und versprach ansonsten eine Verbesserung der Wohnbedingungen. Dieser erfolgreiche Streik wurde von einem autonom agierenden Streik-Komitee organisiert, ohne jeden Zusammenschluß mit anderen Gruppen im Betrieb und er löste große Unzufriedenheit bei deutschen Werktätigen aus. Zusammen „mit Feindtätigkeit kam es zu einer komplizierten politischen Lage“, wie es im Jargon der Bürokratie nebulös formuliert wurde. Die verfügbaren Informationen zu diesem Vorgang schließen mit der Bemerkung, die Funktionäre hätten die politische Situation im Kombinat wieder unter ihre Kontrolle gebracht.268 Ebenfalls im Jahr 1975 fand in Suhl im Jugendklub „Stadtzentrum“ eine Schlägerei statt zwischen „unseren“ Jugendlichen und etwa zwanzig Algeriern. Volkspolizisten und FDJ-Ordnungsgruppen beendeten die physischen Auseinandersetzungen. Es gab neun Verletzte und darunter zwei Schwerverletzte. Ursachen für den Gewaltausbruch konnten nicht ermittelt werden.269 Im Jahr 1976 kam es in Aken im Kreis Köthen (Bezirk Halle) im Anschluss an eine Veranstaltung zu einer Massenschlägerei zwischen algerischen Arbeitern und FDJ-Mitgliedern, an der insgesamt etwa dreißig Personen beteiligt waren – darunter waren auch Mitglieder von FDJ-Ordnungsgruppen. Als „Verantwortlicher“ für die Auseinandersetzungen wurde ein Angehöriger der Ordnungsgruppen verhaftet. Nach diesem Ereignis wurden in Aken feindselige Stimmungen gegen algerische Arbeiter festgestellt.270 Ebenfalls 1976 kam es in Aschersleben (Bezirk Halle) zu einer Schlägerei zwischen fünf algerischen Arbeitern und mehreren Deutschen, die durch die Volkspolizei beendet wurde. Die Algerier wollten einen Jugendklub in der Güstener Straße betreten, jedoch wurde ihnen der Einlass mit der Begründung verwehrt, der Saal sei bereits überfüllt. Im Anschluss daran trat ein Algerier einem Türsteher ins Gesicht, worauf mehrere Deutsche in den Streit eingriffen. Von den Algeriern wurden Messer und Stöcke eingesetzt. Insgesamt wurden sechs Personen verletzt, von denen vier in stationäre Behandlung mußten. Gegen fünf Algerier wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und sie wurden in Untersuchungshaft genommen.271 In Förderstedt im Kreis Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde 1976 in der Gaststätte „Zum Dreieck“ ein Algerier von einem Deutschen verletzt, weil er sich gegen die Verlobte des Deutschen „aufdringlich“ verhalten haben soll.272 In Leuna oder in Merseburg (Bezirk Halle) gab es (1982?) in einer Diskothek eine Schlägerei zwischen Kubanern und Deutschen. Am nächsten Tag kamen die Kubaner mit Verstärkung wieder zur Diskothek, Algerier hatten sich mit ihnen solidarisiert, wo sie bereits von vielen Deutschen erwartet worden waren. Es gab wüste Schlägereien bei denen auch Stuhlbeine, 268 Persönliche Information der FDJ BL Cottbus, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.222, S. 1-7; Bougherara, S. 138-143. 269 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 01.10.1975-30.11.1975, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Vertraulich, Berlin, 08.12.1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 5. 270 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 20.03.1976-04.05.1976, Vertraulich, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 11.06.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 4. 271 Besondere Vorkommnisse vom 01.08.1976-08.09.1976, ZR der FDJ, Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 2. Diese Information gelangte durch die örtliche Volkspolizei über das Ministerium des Innern, an den ZR der FDJ und dort zur Abteilung Verbandsorgane. 272 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15278, S. 248 und S. 249.

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Flaschen und Messer eingesetzt und wobei zwei Kubaner getötet worden sind. Ihre Leichname wurden später in einem Fluss gefunden. Das ganze muss sich zwischen 1979 und 1986 zugetragen haben, in der Zeit als Leonel R. Cala Fuentes im VEB Leuna-Werk als Dolmetscher tätig war.273 Auf Grund der vielfältigen, auch blutigen, Auseinandersetzungen wurde die Anreise weiterer Algerier zunächst gestoppt und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter aus Algerien sollten verbessert werden, was nicht wirklich gelang. Ab 1978 vergrößerte sich die Zahl der ausländischen Arbeiter abrupt, als ca. 18.000 Algerier in die DDR kamen. Nach dem die Spannungen zwischen Deutschen und Algeriern danach noch größer wurden und sich rassistischen Ausschreitungen vermehrten, protestierte die algerische Regierung offiziell bei der Regierung der DDR. 1981 beendete die algerische Regierung die Verträge für sämtliche Vertragsarbeiter und ließ sie zurück nach Hause transportieren.274 An die Stellen der heimgekehrten Algeriern traten Arbeiter u. a. aus Kuba, Mosambik und Vietnam. Insgesamt erlebten Kubaner oft und viel rassistische Ablehnung und herabsetzende Behandlung war an der Tagesordnung. In Merseburg (Bezirk Halle) war es am 11. August 1979 in der Konsumgaststätte „Saaletal“, nach einer DiskoVeranstaltung, zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und vier Ungarn einerseits und vier Kubanern andererseits gekommen. Am nächsten Tag kamen die Kubaner mit Verstärkung, Algerier hatten sich mit ihnen solidarisiert, wieder zur Diskothek, wo sie bereits von vielen Deutschen erwartet worden waren. Es gab wüste Schlägereien bei denen Holzstöcke und Kabelenden als Schlagwaffen eingesetzt wurden und wobei zwei Kubaner getötet worden sind. Ihre Leichen wurden später in der Saale gefunden. Mehrere Kubaner die schwimmend das andere Ufer der Saale erreichen wollten, wurden durch Steinwürfe von Rassisten verletzt.275 In Saalfeld gab es im Betrieb Maxhütte 1980 eine Schlägerei zwischen 20 kubanischen und sechs belgischen Arbeitern. In Leipzig kam es 1987 im VEB IndustrieIsolierungen, ein Betrieb des Atomkraftwerkbaus, zu einem Streik von 39 kubanischen Arbeitern. Daraufhin wurden zwei Arbeiter als „Unruhestifter“ nach Kuba zurückgeschickt. Weitere fünf Kubaner wurden disziplinarisch bestraft und anderen Arbeitern wurden das Trennungsgeld und ein spezieller Lohnzuschlag für die Arbeit in einem Atomkraftwerk gestrichen.276 Vor einem Wohnheim des VEB BV Espenhain in Borna bei Leipzig gab es im August 1987 eine Massenschlägerei zwischen Kubanern und Deutschen. Ein Kubaner war von Deutschen angegriffen worden und er flüchtete in das Wohnheim und die Pförtnerin verschloss die Türen, die von den Angreifern eingeschlagen wurden. Mehr und mehr Kubaner kamen hinzu und so gab es die Massenprügelei. Am 1. Mai 1990 gab es in Welzow eine Schlägerei zwischen sechs Kubanern und fünf deutschen Schaustellern bei einem Vergnügungspark. Kuba kündigte 1988 an, diese Abkommen würden nicht mehr fortgesetzt werden und keine kubanischen Arbeiter würden mehr in der DDR beschäftigt. Auslöser könnten ge273 Fuentes, S. 43-45. 274 Schulz, S. 152f; Stach, S. 18. 275 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5059, S. 1-6; Leonel R. Cala Fuentes: Kubaner im realen Paradies. Ausländer-Alltag in der DDR. Berlin 2007, S. 43-45. 276 Gruner-Domic (1999), S. 229f.

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walttätige Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Kubaner in der CSSR gewesen sein. Jedoch könnten auch gewalttätige Angriffe auf Kubaner in der DDR dafür in Beschlag genommen worden sein.277 Die VR Mosambik und die DDR hatten am 24. Februar 1979 in einem bilateralen Abkommen die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in Betrieben der DDR vereinbart. Ähnlich wie die Kubaner mussten sie bis zu 25% ihres monatlichen Einkommens als Sparanlage ins Heimatland transferieren. Vielfach erhielten sie das Geld vom Staat nicht zurück. Zwischen 1979 und 1983 waren ca. 5.500 Mosambikaner als Arbeiter in der DDR und bereits 1984 ging ihre Zahl um ca. 2.000 zurück. Bis 1987 waren es ca. 6.500 Personen aus Mosambik und 1989 befanden sich ca. 8.000 mosambikanische Arbeiter in der DDR. Dabei lag der Anteil der Frauen bei nur 10%. Zwischen 1979 und 1990 befanden sich insgesamt ca. 18.000 Mosambikaner, in der Regel waren sie zwischen 18 und 25 Jahre alt, als Arbeiter in der DDR. Rassistische Diskriminierungen gab es nicht nur im Wohnheim sondern auch am Arbeitsplatz in der Fabrik, wo, im Vergleich zu anderen Ländern, in den zwischenstaatlichen Abkommen bereits nicht-attraktive Arbeitsplätze vorgesehen waren. Bereits mit ihrer Ankunft in der DDR wurden die Mosambikaner mit rassistischen Übergriffen konfrontiert, die von der SED als der Ausdruck von Rowdytum von „negativ-dekadenten“ Jugendlichen missgedeutet wurde. In den Wohnheimen wurden ausländische Arbeiter durch das Personal von Wohnheimen bevormundet, es wurden ihnen Pässe abgenommen, Linienbusse fuhren an wartenden Afrikanern vorbei, auf Ämtern wurden sie ignoriert oder von Ärzten ungleich behandelt.278 In den ersten neun Monaten des Jahres 1987 registrierte das MdI für die DDR insgesamt 28 vorsätzliche Körperverletzungen zum Nachteil von Mosambikanern und 42 vorsätzliche Körperverletzungen durch Mosambikaner verursacht, registriert. Solche tabellarischen Auflistungen sind mit Vorsicht zu genießen, da Fragen nach der Schuld in einem rassistischen Kontext nicht ohne weiteres zu klären sind. Tatsächlich zeigt sich in der Summe der „vorsätzlichen Körperverletzung“, sie liegt in diesen 9 Monaten des Jahres 1987 bei 70 gewalttätigen Auseinandersetzunge, die rassistische Dimension. Insgesamt sind es hier 107 Vorkommnisse bei denen Mosambikaner beteiligt sind und 37 Vorkommnisse entfallen auf andere Delikte (z. B. Raub, Rowdytum, Vergewaltigung, usw.).279 In Leipzig wurde Mitte Januar 1965 ein Student aus Mosambik von Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.280 In Leipzig wurden ebenfalls im Januar 1965 zwei sudanesische Studenten und ihre deutschen Freundinnen in einer Tanzgaststätte von zwei Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA), ein Leutnant und ein Unteroffizier, rassistisch beleidigt und angegriffen. Es wurde gerufen: „Schmeißt die Schwarzen raus!“.281 277 Schulz, S. 155. 278 Mense, S. 220. 279 BstU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 107-113. 280 Mac Con Uladh. 281 Ebenda.

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Beim VEB Braunkohlekraftwerk Welzow (Bezirk Cottbus) trauten sich die dort beschäftigten Mosambikaner kaum noch in eine Gaststätte, weil sie damit rechnen konnten, rassistisch angepöbelt oder auch angegriffen zu werden. Manche nahmen im Winter keinen Arzttermin wahr, der in den Abendstunden lag und selbst der Weg zum Nachtschichtbus wurde zum Problem. Dadurch sahen sich die Betreuer gezwungen, die Mosambikaner daraufhin zu orientieren, abends auch nicht mehr ins Kino oder auch überhaupt nicht das Wohnheim zu verlassen. Am 1. Mai 1990 gab es in Welzow in der Nähe eines Vergnügungsparks brutale Auseinandersetzungen zwischen Mosambikaner und deutschen Rassisten, wobei die umstehenden Schaulustigen nicht eingegriffen hatten.282 In Borna (Bezirk Leipzig) kam es im August 1987 vor dem Wohnheim des VEB BV Espenhain zu rassistischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Kubanern. Die Pförtnerin verschloss die Eingangstüren des Wohnheims, die aber von den Angreifern zerschlagen wurden. Es gab Verletzte.283 In Treuen im Kreis Auerbach (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es am 20. September 1987 vor der Gaststätte „Treuener Hof“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 15 Deutschen und ca. 15 Mosambikanern, wobei vier Deutsche und zwei Mosambikaner verletzt wurden. Die Auseinandersetzungen verlagerten sich dann auf die Straße in Richtung Wohnheim der Mosambikaner und vor dem Wohnheim in der Hartmannsgrüner Straße, wo 8 Fensterscheiben durch Steinwürfe zerstört wurden. Ca. 40 bis 60 Personen hatten sich als Zuschauer eingefunden.284 In Suhl-Heinrichs (Thüringen) hatte im November 1987 ein deutscher „Bengel“ mit einem Luftdruckgewehr auf einen Mosambikaner geschossen.285 In Bad Blankenburg (Bezirk Gera) beim VEB Transportgummi waren im Dezember 1987 mehrere Kubaner Opfer rassistischer Angriffe. Manche Vorgesetzte verlangten von Kubanern, dass sie nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz sondern den von anderen säubern sollten oder Kubaner wurden aufgefordert, eine Maschine die von zwei Arbeitern bedient werden sollte, alleine zu bedienen. Falls es Widerworte der Kubaner gab, wurde ihnen die Rückführung nach Kuba angedroht. In anderen Fällen wurden sie angeschrien, als „Neger“ tituliert oder es wurden Schläge angedroht.286 In Rathenow (Bezirk Potsdam) wurde im Februar 1988 eine Mitternachtsmesse in der St. Marien-Andreas-Kirche von Neo-Nazis gestört. Sie sangen die erste Strophe des Deutschlandliedes, grölten „Neger raus“ und drohten den Besuchern Prügel an. Die Volkspolizei verhängte darauf eine Ausgangssperre – über die Mosambikaner, angeblich zu deren Schutz.287

282 http://www.ddr89.de/ddr89/texte/welzow2.html. Hier wird ein Interview aufgeführt, dass in der, vom VEB Braunkohlekraftwerk herausgegebenen, Welzower Betriebszeitung Nr. 23, 18.06.1990, veröffentlicht worden war. 283 Gruner-Domic, (2011), S. 64. 284 BStU, MfS-HA VII, Nr. 5476, S. 108. 285 Zwengel (2007), S. 104; Scherzer/Schmitt, S. 101 und S. 104. 286 Gruner-Domic (1999), S. 230. 287 Krüger-Potratz, S. 56; Schüle (2006c), S. 49.

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In Halle wurden im April 1988 fünf Rassisten verurteilt, weil sie einen Mosambikaner brutal zusammengeschlagen hatten. Sie wollten „Nigger aufklatschen“.288 Im August 1988 waren vor dem Kreisgericht Riesa (Bezirk Dresden) zwei Rassisten angeklagt, weil sie in einem Personenzug zwei Mosambikaner rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen hatten. Einer der beiden Afrikaner wurde aus dem fahrenden Zug gestoßen. Ebenfalls in dieser Zeit wurde gegen neun Rassisten vor dem Kreisgericht Schwarzenberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) verhandelt, weil sie drei Ausländer rassistisch beschimpft hatten. Sie wurden zu Freiheitsstrafen zwischen 14 und 18 Monaten verurteilt.289 In Rostock gab es im März 1988 nach tätlichen Auseinandersetzungen mit Kubanern einen Toten.290 In Stollberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es im Juni 1988 nach einer Tanzveranstaltung zu schweren Tätlichkeiten zwischen Deutschen und Mosambikanern, bei denen Messer und Schlagwerkzeuge eingesetzt wurden. Ein Deutscher wurde tödlich verletzt.291 Vor einer Diskothek gab es im Juli 1988 eine Schlägerei zwischen Deutschen und Kubanern, bei der ein FDJ-Ordner tödlich verletzt wurde.292 In der Nähe eines Chemiewerkes hatten im September 1988 zwei Männer und eine Frau einen Afrikaner „aus Spaß“ ertränkt.293 Auf einer Baustelle wurde im September 1988 ein mosambikanischer Arbeiter von seinen Kollegen an ein Kreuz genagelt.294 In Guben (Bezirk Cottbus) waren im November 1988 drei Kubaner auf dem Weg zu einer Diskothek. Zwei Polizisten in Uniform und einer in Zivil beschimpften einen als „schwarzes Schwein“ und verlangte, alle Afrikaner sollten die DDR verlassen. Als ein Kubaner darauf antwortete, wurde er zusammengeschlagen. Als er auf dem Boden lag, kamen andere Kubaner zu Hilfe und wurden ebenfalls geschlagen. Die Ordnungskräfte der Diskothek riefen den Krankenwagen, denn die Polizisten waren einfach gegangen. Die kubanischen Gruppenleiter in Guben weigerten sich später, die Beschuldigung, die drei Kubaner hätten die Polizisten „provoziert“, anzunehmen und Disziplinarmaßnahmen gegen sie einzuleiten.295 In Guben (Bezirk Cottbus) kam es am 1. Mai 1989 zu einer Massenschlägerei zwischen Deutschen und Mosambikanern, die erst durch die Volkspolizei beendet werden konnte.296

288 Madloch, S. 86f; Borchers, S. 69; Krüger-Potratz, S. 57. 289 Schüle (2006c), S. 49. 290 BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 42, 291 BStU, MfS, HA II, Nr. 27433, S. 2. Der Titel dieser Information der HA XVIII lautet: „Information zur Konzentration von Vorkommnissen unter Beteiligung mocambiquanischer Werktätiger in der DDR“. 292 Krüger-Potratz, S. 57. 293 Krüger-Potratz, S. 57. 294 Ebenda. 295 Gruner-Domic (2011), S. 65. 296 Madloch, S. 86.

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In Berlin (DDR) auf dem Alexanderplatz wurden im Juni 1989 vier kongolesische Studenten von ca. 15 Skinheads angegriffen und mit „Negerschweine“ und „Ausländer raus“ beleidigt. Drei Rassisten (jeweils 19 Jahre und 15 Jahre) wurden angeklagt. Die 19-Jährigen befanden sich bis zur Verhandlung bereits drei Monate in Untersuchungshaft. Ein weiterer Angeklagter (15 Jahre) wurde als besonders aktiver Schläger eingestuft. Im Ermittlungsverfahren sagte er aus, er fühle sich den Skinheads zugehörig, und bekannte sich zu „Nationalstolz“, zu „Kameradschaftlichkeit“ und zum „Ausländerhass“. Diese Aussage widerrief er in der Hauptverhandlung und behauptete, er sei nie Skinhead gewesen. In seiner Wohnung wurden Schnürstiefel mit Stahlkappen und fotokopierte Zeitungen aus dem „Nationalsozialismus“ gefunden und beschlagnahmt. Während der Gerichtsverhandlung bekräftigte er seine rassistische Ablehnung gegen alle Dunkelhäutigen. Sein Vater unterstützte ihn vor Gericht bedingungslos und behauptete, sein Sohn sei kein Skinhead. Mehrdeutig erklärte er außerdem, für die Schwierigkeiten seines Sohnes wären andere verantwortlich. Das Gericht verurteilte seinen Sohn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die beiden anderen Angeklagten wurden zu je zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die drei Jugendlichen hatten den angerichteten Schaden zu ersetzen.297 Im Jahr 1990 beschwerten sich die Botschafter von Kuba und Mosambik beim Außenministerium der DDR, dass ihre Staatsbürger im wachsenden Maß rassistisch beschimpft und tätlich angegriffen würden und forderten die Regierung auf, für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen.298 In Wolfen bei Bitterfeld (Bezirk Halle) demonstrierten am 31. Oktober 1989 Tausende für ein Ende der Herrschaft der SED. Dabei wurden u. a. Transparente mitgeführt, auf denen gefordert wurde: „Deutschland den Deutschen – Schwarze raus aus der DDR“. Im selben Zeitraum wurde in Lohsa gerufen: „Russentod“, in Halle wurde gerufen: „Ausländer raus“ und an einem Wohnheim in Rathenow wurde an Wände geschmiert: „Tod den Negern“.299 In Hoyerswerda kam es am 1. Mai 1990 wieder zu rassistischen Angriffen auf Wohnheime von Ausländern und ein Arbeiter aus Mosambik wurde dabei schwer verletzt.300 In Trebbin, Kreis Luckenwalde (Bezirk Potsdam) wurde am 26. August 1990 ein Wohnheim für ausländische Arbeiter, mehrheitlich aus Mosambik, von ca. 30 Rassisten angegriffen. Sämtliche Fenster des Wohnheims wurden zerstört. Es gab sechs Verletzte, darunter waren zwei Polizisten. Die Angegriffen setzten sich zur Wehr und schlugen die Rassisten zurück. Die Volkspolizei kam erst nach drei Stunden an den Ort des Geschehens. Die Mosambikaner waren mehrheitlich im Autowerk Trebbin beschäftigt. Einen Tag vor dem ursprünglich geplanten Abflug einer Maschine nach Mosambik wurden mehrere Mosambikaner unter Polizeischutz zum Flughafen Berlin-Schönefeld gebracht und nach Mosambik zurückgeflogen.301 Außerdem kam es in Trebbin in dieser Zeit zu zwei Straßenschlachten zwischen Rassisten und Mosambi297 Junge Welt, 8.6.1989. 298 Madloch, S. 86. 299 Vgl. Steinheim; Behrends/Lindenberger/Poutrus (Hrsg), S. 15. 300 die tageszeitung, 02.01.1992. 301 Hirsch/Heim, S. 121; die tageszeitung, 29.08.1990.

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kaner. Zu DDR-Zeiten wurden fast an jedem 1. Mai oder 7. Oktober in Trebbin Hakenkreuze geschmiert.302 Seit dem Ende der 1950er Jahre absolvierten ca. 15.000 Vietnamesen eine Aus- und Weiterbildung und mehr als 5.000 erhielten Hoch- und Fachhochschulabschlüsse in der DDR. Mit dem Regierungsabkommen zwischen der SR Vietnam und der DDR vom 11. April 1980 wurden bis 1985 ca. 10.000 „Vertragsarbeiter“ aus Vietnam in Betrieben der DDR eingesetzt.303 Ab 1987 kam es zu einem sprunghaften Anstieg vietnamesischer ArbeiterInnen und 1989 waren ca. 60.000 Frauen und Männer aus Vietnam, mit einem Anteil von über 60% an den ausländischen ArbeiterInnen insgesamt.304 Ca. 50% von ihnen waren zwischen 30 und 40 Jahre alt und der Anteil der Frauen lag bei ca. 40%.305 Ihr Aufenthalt erfolgte nach dem Rotationsprinzip, d. h. die Aufenthaltsdauer betrug in den ersten Jahren vier, ab 1987 dann fünf Jahre und wenn der Arbeitseinsatz als Höchstleistung eingestuft wurde, dann war der Arbeitsvertrag auf 7 Jahre verlängerbar. Ebenso bezahlte die DDR einen jährlichen Erholungsurlaub und einen 60-tägigen Heimaturlaub nach dem zweiten Jahr des Aufenthaltes. Die VietnamesInnen wurden fast ausschließlich in der Produktion eingesetzt, z. B. in der Schuh- oder Textilindustrie, in der metallverarbeitenden Industrie, und dort hatten sie, meistens im Drei-Schichten-Betrieb, die schmutzigsten und gefährlichsten Arbeiten zu verrichten.306 In der Regel wohnten sie in betriebseigenen, stark subventionierten Wohnheimen, inner- oder außerhalb des Betriebsgeländes, also größtenteils getrennt von der deutschen Wohnbevölkerung. Die als „Gefängnisordnung“ erlittene Heimordnung sah grundsätzlich die Trennung nach Geschlechtern vor und der Besuch von Frauen in Wohnheimen von Männern war nicht gestattet.307 Aus Sparsamkeit gab es nur einen Deutsch-Kurs von ein bis zwei Monaten, doch kompetente Lehrkräfte waren nicht ausreichend vorhanden und die Klassen waren überfüllt. Da in diesem Kontext Schwangere nur Probleme aufgeworfen hätten, wurde an alle weiblichen Migranten kostenlos Verhütungspillen verteilt. Kam es dennoch zu einer Schwangerschaft, so wurde die Frau vor die Wahl gestellt, entweder abzutreiben oder die DDR zu verlassen. Bis 1990 wurden ca. 300 Vietnamesinnen wegen Schwangerschaft nach Vietnam abgeschoben.308 Die „Vietschis“ wie die VietnamesInnen üblicherweise genannt wurden, sahen sich vielfältigen Aggressionen und auch Gleichgültigkeit ausgesetzt. Viele von ihnen trauten sich nach der Arbeit nicht mehr alleine das Wohnhaus zu verlassen und aus Angst vor physischen und psychischen Angriffen verzichteten, nicht nur VietnamesInnen, darauf Jugendklubs oder Diskotheken zu besuchen. Oft wurde ihnen von den deutschen Türstehern kein Einlass gewährt und es

302 die tageszeitung, 07.10.1996. 303 Baumann, S. 6 f. 304 Baumann, S. 7 f. 305 Baumann, S. 9. 306 Baumann, S. 11 f. 307 Baumann, S. 12-13. 308 Baumann, S. 16.

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gab Berichte, dass bei physischen Auseinandersetzungen nur von den Ausländern die Personalausweise zur Feststellung ihrer Identität verlangt worden sind.309 Es gab Konflikte mit den vietnamesischen VertragsarbeiterInnen und körperliche Auseinandersetzungen, in einem Fall mit Todesfolge.310 In einem thüringischen Ort kam es Anfang der 1980er Jahre zu einem Überfall auf ein Arbeiterwohnheim in dem VietnamesInnen untergebracht waren. Das Ziel der Angreifer war es, ihre vietnamesischen KollegInnen davon zu überzeugen, die Normen der Arbeit nicht zu hoch zu treiben.311 Im VEB Leipziger Baumwollspinnerei verrichteten in den 1980er Jahren meist vietnamesische ArbeiterInnen die Tätigkeiten, die Deutsche nicht mehr ausüben wollten und auf diesen ungeliebten Arbeitsplätzen waren sie unverhältnismäßig zahlreich vertreten.312 In einem Betrieb im Bezirk Magdeburg streikten vietnamesische ArbeiterInnen wegen der allgemeinen schlechten Behandlung die ihnen widerfuhr, wegen der unattraktiven Tätigkeiten und wegen verschmutzter Arbeitsräume.313 In Forst machten im September 1988 mehrere Deutsche Jagd auf eine Vietnamesin, die in der örtlichen Kaufhalle Fleisch und Reis gekauft hatte. Mit „Du kaufst unsere Läden leer“ wurde sie davon gejagt. Ihre Tasche schwamm später in der Neiße.314 Im Frühjahr 1989 kam es an mehreren Baustellen zu Arbeitsniederlegungen von vietnamesischen Arbeitern. Sie verlangten höhere Löhne und/oder die Versetzung in andere Industriezweige. Einige vietnamesische „Rädelsführer“ wurden nach Vietnam abgeschoben. Unter den deutschen Arbeitern machte sich Trübsal breit, ob der eigenen Ohnmacht und Leitungskader „befürchteten Unruhen“ unter den deutschen Arbeitern, wenn bekannt würde, dass „Vietnamesen trotz fehlender Qualifikation und ungenügender Arbeitsleistung“ höhere Löhne bekommen würden.315 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde im Juni 1989 in der Gaststätte „Bierbar“ ein Vietnamese von einem Deutschen durch Schläge so verletzt, dass er in das Kreiskrankenhaus Staßfurt eingeliefert werden musste.316 Anti-slawische Polenfeindschaft Rassistische Ressentiments gegen Polen reichen in Deutschland weit zurück in die Vergangenheit. So sind national-chauvinistische Stereotypien über Polen als angeblich undiszipliniertes Volk, dem die Tugend Fleiß fehle, im Gegensatz zu den tüchtigen und arbeitsamen Deutschen schon seit langem virulent.317 Deutsche und Polen lebten von 1772 bis 1918 in einem Staat, weil sich Preußen einen erheblichen Teil des östlichen Nachbarn einverleibt hatte, so dass von einem preußisch-deutschen Imperium gesprochen werden muß. Die weit verbreiteten Vorurteile gegen Polen bele309 Stach, S. 20. 310 Feige, S. 76. 311 Poutrus/Behrends/Kuck (B 39/2000); http://www.bpb.de/publikationen/OKZ5MW.html. 312 Schüle (2003b), S. 310. 313 Gruner-Domic (1999), S. 229f. 314 Krüger-Potratz, S. 57. 315 Weiss, S. 270. 316 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15246, S. 18. 317 Vgl. Fischer, S. 32-38.

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gen eine tiefsitzende Abwehrhaltung gegenüber der polnischen Wirtschaft und sie haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert oder noch früher - in der Legitimation der preußischen Unterdrückungspolitik wegen der angeblichen Rückständigkeit und Kulturlosigkeit der polnischen Bevölkerung.318 Diese im Kern rassistische Abgrenzung von Polen prägte auch den Soziologen Max Weber, der 1894 in seiner Freiburger Antrittsvorlesung davon sprach, dass die Polen deshalb die Deutschen im Osten verdrängen könnten, weil sie mit schlechteren Bedingungen leben könnten und zur Not auch das Gras vom Boden essen könnten. Für die deutschen Nazis jedoch waren die rassistischen Vorurteile, wie z. B. die Polen seien zu ordentlichen und rechtmäßigen wirtschaftlichen Aktivitäten unfähig und bedürften deutscher Disziplin, um nicht in Trägheit und Unredlichkeit zu verfallen, wesentlicher Bestandteil ihrer anti-polnischen Kriegspropaganda. Die brutale Besatzung Polens und die Ermordung von Millionen polnischer Kinder, Frauen und Männer war dann ein Endpunkt für diesen rassistischen Schrecken.319 Vor diesem historischen Hintergrund wurde nach 1945 die Angst vor deutschem Expansionsdrang nach Osten von der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PVAP) bewusst geschürt und ist bis heute wirksam geblieben.320 In der DDR wurden die anti-polnische Disposition der ost-deutschen Bevölkerung, je nach Lage, von der SED, jedoch besonders ab Anfang der 1980er Jahre mit den revolutionären Umtriebe der Gewerkschaft „Solidarnosc“, für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert.321 Diese kontinuierlich vorgetragene Propaganda gegen die Polen und ihre innenpolitische Entwicklung war von national-chauvinistischen Bewertungen durchsetzt und blieb nicht ohne nachhaltige Auswirkungen auf die Bewusstseinslage der ost-deutschen Bevölkerung insgesamt. Die langsam, aber stetig sich verschlechternden Versorgungsschwierigkeiten und die anhaltend angespannte politische Situation in Polen durch die Streiks und Demonstrationen der polnischen Arbeiter, gestaltete die ost-deutschen Diskussionen und Einstellungen über Polen dynamisch und starr zugleich. Einerseits erforderten diese Streiks politisch tragfähige negative Beurteilungen und andererseits durfte der Funke des polnischen Widerstandes nicht in die DDR überspringen und es wurde der Bevölkerung immer wieder eingebläut, dass diese oder solche Streiks grundsätzlich abzulehnen wären. Im Gegenzug dazu wurden ihre anti-polnischen Vorurteile toleriert oder bei Bedarf sogar verstärkt.322 Das Bild der Polen, die angeblich „alles aufkaufen“, sowie der Abverkäufe defizitärer Waren an die in der DDR beschäftigten Ausländer, wurde zu einem furchtbaren Gemälde rassistischer Gewalt ausgeweitet. Die 318 Vgl. Ther. 319 Zatlin, S. 303-304. 320 Ebenda; vgl. Zatlin, S. 300-302. 321 Behrend, S. 22f. 322 Persönlicher Brief der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 09.09.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.752, S. 4.; Persönliche Information Monat August 1980 der FDJ BL Suhl, 09.09.1980, SAPMOBArch, DY 24/ A 9.753., S. 4; Persönliche Information an den 1. Sekretär des ZR der FDJ, August 1980, 08.09.1980, FDJ BL Berlin, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.757, S. 1; Persönliche Information für den August, 08.09.1980, NfD, FDJ BL Neubrandenburg, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.755, S. 2; Monatsbericht für den August 1980, 08.09.1980, FDJ BL Magdeburg, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.751, S. 5f; Monatsbericht August 1980, FDJ BL Potsdam, 17.09.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.751, S. 4f.

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SED erlaubte keine öffentlichen Diskussionen über ausländischen Arbeiter und sie verschwieg konsequent und nachhaltig den rassistischen bzw. politischen Gehalt dieser Angriffe.323 Die Furcht vor einem Übergreifen der polnischen Unruhen beeinflusste alle Maßnahmen der Führung der DDR, denn für sie galt die Lage im Herbst 1990 in Polen als „schlimmer als 1968 in der CSSR“.324 Ob bei den Versorgungsmängel in der Fleischversorgung oder bei Ersatzteilen, dafür wurden Aufkäufe von Polen verantwortlich gemacht.325 Diese Waren wären deshalb knapp in der DDR, nicht weil die Führung der DDR keine ordentliche Wirtschaftspolitik betrieb, sondern weil besonders an der Ostgrenze polnische Touristen die knapp vorhandene Ware weggekauft hätten. An dieser verlogenen Propaganda entwickelte sich permanent ein chauvinistisch begründeter Hass gegen die Nachbarn im Osten.326 Auf Grund der krisenhaften Entwicklung benötigten Privatreisende, mit Wirkung vom 30. Oktober 1980, zwischen Polen und der DDR, wieder eine Einladung von der jeweils anderen Seite. Diese restriktiven Maßnahmen an der Grenze wurden konsequent als notwendiger „Schutz unserer Volkswirtschaft“ gegen polnische „Warenspekulationen und Schieber“ bezeichnet und man erwartete positive Wirkungen bei der Verbesserung der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Gütern.327 Im Bezirk Frankfurt/O. fand die Aufhebung des visafreien Reiseverkehrs bei der Bevölkerung große Zustimmung, da vor allem die Frauen beim Einkaufen einen „praktischen Nutzen“ davon hätten.328 Im September 1980 wurde in der DDR überall über Notwendigkeiten für eine militärische Intervention zugunsten der „fortschrittlichen“ Kräfte in Polen diskutiert. Es erscheint hier eine historische Analogie zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages im August 1968 in die CSSR und zum stalinistischen Terror in Ungarn 1956.329 Militaristische Phantasien über ein bewaffnetes Eingreifen in Polen zeigten sich auch in einem Berliner Betrieb, wo ein Mitarbeiter behauptete, die Sowjetunion hätte in Polen 10.000 Uniformen, um getarnt in Polen einmarschieren zu können.330 323 Stach, S. 18. 324 Weber (2004), S. 421. 325 Persönliche Information für den August 1980, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.755, S. 1f. 326 Monatliche Persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 03.09.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.756, S. 3.; Tätigkeitsbericht, 08.09.1980, FDJ BL Schwerin, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.752, S. 3. 327 Persönliche Information für November, FDJ BL Neubrandenburg, 06.12.1980, SAPMOBArch, DY 24/ A 9.755, S. 5. 328 Persönliche Information Oktober, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.411, S. 3. 329 Bericht über den September 1980, FDJ BL Halle, SAPMO-BArch, DY 24/ A. 9.753, S. 6; im Dezember 1980 gab es immer noch Spekulationen und Fragen zu einem möglichen militärischen Eingreifen der Truppen des Warschauer Vertrages. Vgl. Monatsbericht der FDJ, BL Cottbus vom 04.12.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.757, S. 7; Persönliche Information an den 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, Monat November 1980, FDJ BL Berlin, 08.12.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.757, S. 2. 330 Information zu aktuellen Problemen, Stimmung und Meinungen aus den SED Grundorganisationen, Berlin, den 21.01.1981, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 6ff; Infor-

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Ende März 1981 zeigten sich Werktätige in Berlin (DDR) froh darüber, dass in Polen die Stabsübung der Armeen des Warschauer Vertrages stattfand und im Mai steigerte sich die antipolnische Polemik in extremistische Formulierungen wie die, dass die „konterrevolutionären“ Kreise in Polen, auch wenn es Opfer gäbe, energisch „bekämpft und vernichtet“ werden müssten. Die DDR dürfe nicht zulassen, dass auch noch die polnische Arbeiterklasse durch die polnische Arbeiterpartei mit „volksfeindlichen“ Zielen durchsetzt werde.331 Wenn hier die polnische Arbeiterklasse gegen die polnischen Kommunisten in Schutz genommen wurde, zeigt dies, welche bizarre Polemik in der DDR entfaltet wurde, und es zeigt deutlich, in welche tiefen Widersprüche sich die ost-deutsche Politik verwickelt hatte. Das Unverständnis von Jugendlichen zur Situation in Polen hätte nicht größer sein können. Es wurden Meinungen geäußert, die „nicht abzudrucken waren!“.332 Eine Fleischlieferung über 10.000 Tonnen nach Polen verschärfte die Diskussionen über den Sinn und Zweck solcher Maßnahmen. Bei den über 20jährigen Ostdeutschen wurde eine „größere Enttäuschung über die Ergebnisse in der VR Polen“ festgestellt und es wurde gefragt, ob es nicht besser sei für die DDR, Länder wie Nicaragua, Laos, Angola oder Vietnam zu unterstützen, als die „faulen“ Polen. Sie würden nicht arbeiten und sollten daher auch nicht „fressen“ dürfen.333 In diesen aggressiven Äußerungen erschienen immer wieder die bekannten generalisierenden Einschätzungen über den angeblichen Charakter des polnischen Volkes und es blieb nicht aus, dass „Polenwitze“ Konjunktur hatten. Einer diese Witze war in der DDR weit verbreitet, darin wird sowohl das Vorurteil über die angebliche Faulheit der Polen als auch der Druck der SED zur praktischen Spende als Ausdruck der Solidarität sichtbar: „Ein Waggon voller Solidaritätsgüter wurde aus Polen wieder in die DDR zurückgeschickt. Was war in dem Waggon? Arbeitskleidung!“.334 Am 15. Dezember 1981 hatte die polnische Partei- und Staatsführung den Ausnahmezustand verhängt und die Errichtung dieser Militärjunta, in der DDR propagandistisch über einen langen Zeitraum vorbereitet, wurde von ost-deutschen Funktionären mit überschäumender Begeisterung aufgenommen. Mit dem Staatsstreich des polnischen Militärs wurde nun die Hoffnung verbreitet, dass mit den „konterrevolutionären, kriminellen und arbeitsscheuen Kräften mit Konsequenz abgerechnet“ werde335 mation über Meinungen von Genossen und Werktätigen zu aktuellen Problemen der Innen- und Außenpolitik, Berlin, den 09.02.1981, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 4f. 331 Information über Stimmung und Meinungen Berliner Werktätigen zur Lage in der Volksrepublik Polen, SED BL Berlin, 25.05.1981 und 31.03.1981, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D2/5/494, S. 2. 332 Persönliche Information für den Juni 1981, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.411, S. 3. 333 Persönliche Information für den August, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.411, S. 334 Information der FDJ BL Halle, November 1981, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.412, S. 3. 335 Persönliche Information für den Dezember 1981, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.591, S. 1.

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und es wurde dem Staatsstreich auch deshalb zugestimmt, weil damit die „nationale Rettung Volkspolens“336 nun möglich sei. Die Solidaritätsaktionen sollten jedoch zu keinen näheren, persönlichen Kontakten mit potentiellen polnischen Partnern führen. Dankesschreiben mit dem Wunsch nach längerfristigen Beziehungen sollten von den Ostdeutschen nicht angenommen werden, und es wurde die Anweisung ausgegeben, Kinder und Jugendliche hätten von diesen „Verbindungen gegenwärtig abzusehen“.337 Den militaristischen Phantasien an der Basis der ost-deutschen Gesellschaft entsprachen denen im Überbau, als Honecker, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates zusammen mit Armeegeneral Hoffmann, Minister für Nationale Verteidigung (MfNV), Befehle unterzeichneten, für einen geplanten Einmarsch der 9. Panzerdivision des Militärbezirk V der Nationalen Volksarmee (NVA), zusammen mit 17 weiteren sowjetischen und tschechoslowakischen Divisionen.338 Dazu kam es nicht, denn am 15. Dezember 1981 verfügte die polnische Partei- und Staatsführung den Ausnahmezustand.339 Die Errichtung der Militärjunta in Polen, in der DDR über einen langen Zeitraum propagandistisch vorbereitet, wurde von Funktionären der SED mit Begeisterung aufgenommen. Funktionäre und Arbeiter begrüßten die Militärdiktatur und äußerten sich erfreut darüber, dass „Ordnung und Disziplin“ wieder hergestellt würden, denn „Streiken und besser leben, das geht nicht“. In Berlin (DDR) „befürchteten“ Arbeiter des S-Bahnhofs Schöneweide, dass das polnische Militär es allein nicht schaffen könnte und fragten sicherheitshalber „Müssen wir einmarschieren?“.340 Ein Angestellter des Ingenieurhochbaus Berlin vertrat die Ansicht: „Wenn Solidarnosc nach dem Vorbild der Nazis Schlägertrupps aufstellt, kann nicht anders reagiert werden“. Fünfzig Arbeiter des Straßenbahnbetriebswerks Lichtenberg erklärten sich bereit, für eventuell rekrutierte Kollegen zusätzliche Arbeiten zu übernehmen, wenn denn Maßnahmen zur Sicherung „[...] unserer Grenze notwendig werden“ sollten.341 Mit dem Staatsstreich des polnischen Militärs wurde nun die Hoffnung verbreitet, dass mit den „konterrevolutionären, kriminellen und arbeitsscheuen Kräften mit Konsequenz abgerechnet“ werde und dem Staatsstreich wurde auch deshalb zugestimmt, weil damit die „nationale Rettung Volkspolens“ möglich gewesen wäre.342. Polnische ArbeiterInnen haben von 1965 bis 1990 in Betrieben der DDR gearbeitet und daher nehmen sie eine Sonderstellung ein unter den ausländischen ArbeiterInnen insgesamt. Arbeiter aus anderen Gruppen, z. B. aus Ungarn oder Kuba, wurden nur 336 Schreiben der FDJ BL Berlin, 11.01.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.587, S. 4. 337 Schreiben der FDJ BL Schwerin, 05.02.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.600, S. 2. 338 Kubina/Wilke (Hg.), S. 25 und S. 28. 339 Weber, (1991), S. 330. 340 Weitere Stimmen und Meinungen zu den Ereignissen in der Volksrepublik Polen, SED BL Berlin, 13.12.1981, 12.30 Uhr, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 1ff. 341 Stimmen und weitere Meinungen zu den Ereignissen in der VR Polen, SED BL Berlin, 13.12.1981, 16.00 Uhr, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 1 u. 2. 342 Persönliche Information, Dezember 1981, FDJ BL Frankfurt/Oder, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.591, S. 1; Schreiben der FDJ BL Berlin vom 11.01.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.587, S. 4.

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ein begrenzte Zeit beschäftigt und mussten dann die DDR wieder verlassen. Die polnischen Pendler bildeten somit eine Konstante auf dem Arbeitsmarkt in OstDeutschland, wo in Betrieben entlang der Oder, also in den Bezirken Frankfurt/O., Cottbus oder Dresden, einige ArbeiterInnen auf eine mehr als 20-jährige Betriebszugehörigkeit zurückblicken konnten. Die Polen bildeten mit ca. 50.000 Personen, neben den Vietnamesen mit ca. 60.000, die zweitgrößte Gruppe der Ausländer.343 Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD) Die größte Gruppe von Ausländer in der DDR betrifft die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte, die historisch und politisch gesehen von der deutschen Bevölkerung erst einmal als siegreiche Slawen bzw. als verhasste Besatzungsmacht angesehen wurden. Sie umfasste 1989 noch 21 Divisionen der Land- und fünf Divisionen der Luftstreitkräfte, die auf 54 Flugplätzen und 172 Kasernenkomplexe verteilt waren. Sie nutzten damit eine Fläche von ca. 2.430 qkm.344 Die Soldaten und ihre Angehörigen lebten zwar meist in der Nähe zu deutschen Siedlungen, waren „in ihren Kasernen und Wohnsiedlungen jedoch weitgehend isoliert“. Die sowjetischen Soldaten bildeten über 40 Jahre nicht nur eine Art Rückversicherung für die SED, sondern sie waren auch die größte Gruppe der Ausländer in der DDR. In den ersten Jahren nach der Zerschlagung des Nazismus war die Ideologie der Freundschaft zwischen der DDR und der UdSSR ebenfalls elementarer Bestandteil der Legitimation der SED-Herrschaft, wie es der Anti-Faschismus darstellte. Weder die KPD noch die SED duldeten Kritik an der Sowjet-Union und was dieser Doktrin nicht entsprach, wurde zu „Antisowjetismus“ bzw. „Antisowjethetze“ erklärt und kriminalisiert. Beim Arbeiteraufstand im Juni 1953 wurden in Berlin (DDR) Mitarbeiter der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ (GDSF) angegriffen und ihr Lautsprecherwagen zerstört. In zahlreichen Orten der DDR kam es in dieser Zeit u. a. zu Aussagen gegen die Propaganda der Freundschaft zur Sowjet-Union und zu Übergriffen gegen Angehörige und Einrichtungen der GDSF. Anders als in der Sowjet-Union selbst, aber auch in Polen oder in Ungarn, gab es in der DDR nach dem Tod des Diktators J. Stalin keinen Prozess der Ent-Stalinisierung, was zur Folge hatte, dass der Stalinkult stets verschwiegen wurde.345 Bereits ab Ende der 1970er Jahre überwachte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Konfliktfelder zwischen der deutschen Bevölkerung und den Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte in der DDR. Die Anzahl schwerer Verkehrsunfälle, zahlreiche Eigentums- und Gewaltdelikte und der Abkauf von Mangelware waren permanente Anstöße für Ärger und Hass. Im Durchschnitt kam es pro Woche zu einer Vergewaltigung deutscher Mädchen und Frauen durch sowjetische Soldaten. Folgt man den Berichten des MfS so kam es häufig zu gemeinschaftlich verübten Sexualdelikten, bei denen die Täter brutal vorgingen.346

343 Röhr (2003), S. 289. 344 Müller (2005), S. 18. 345 Müller 2006, S. 12; Behrends (2003), S. 75-88. 346 Behrends (2003), S. 93f.

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Noch wenige Zeit zuvor waren die Gefühle der Nazis darauf orientiert, die Slawen als „Untermenschen“ zu beurteilen, die im besten Fall dafür vorgesehen waren, dem deutschen Volk zu dienen, d. h. dass die anti-slawischen Emotionen in der DDR nicht einfach dadurch verschwunden sind, dass die Anti-Hitler-Koalition den II. Weltkrieg gewonnen hat – diese Gefühle mussten verborgen werden. Je stärker die Identifizierung mit den todbringenden, wesentlichen ideologischen und politischen Einstellungen des Nazismus statt gefunden hat, umso stärker war die Notwendigkeit für die Verdrängung dieser nun verbotenen Gefühle. Bei Ost-Deutschen waren massive antikommunistisch und nationalistisch begründete Widerstände gegen sowjetische Truppen wie auch gegen den starken Einfluß und die dominierende Rolle der Sowjetunion vorhanden. In den 1970er Jahren verstärkte sich in der Gesellschaft die Diskussion über die Einschätzung der Rolle der Sowjetarmee im Kampf gegen die Wehrmacht, und es wurden Themen angesprochen, die offiziell bis dahin tabuisiert waren. Dazu gehörten Themen wie Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten und die verheerende Demontagepolitik der Sowjetunion. Mit und nach Gorbatschows Perestroika und Glasnost akzeptierte letztlich die Mehrheit der alt- und neo-stalinistischen Führung das Vorbild Sowjetunion nicht mehr. Bis dahin war eine der wichtigsten Parolen der DDR: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“. Gerade die nachwachsenden Generationen, ihnen waren enorme materielle Lebensverbesserungen versprochen worden, zeigten ein nahezu militantes Desinteresse an der Geschichte und dem Einfluß der Sowjetunion bzw. der KPdSU. In einzelnen Fällen gab es antikommunistisch motivierte Gewalt gegen Funktionäre und Symbole des Staates in Verbindung mit rassistischen Parolen und Taten. Bereits kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges verbreiteten sich anti-sowjetische Stimmungen, jedoch war dieser Anti-Sowjetismus nicht ausschließlich aus neo-nazistischer Motivation heraus entstanden, sondern auch deshalb, weil das stalinistische Besatzungsregime „am schärfsten gegen kritische Kommunisten und Sozialdemokraten“ vorgegangen war.347 Ein anderes Thema waren die vielfältigen Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten, die in Berlin nach wenigen Monaten durch den Stadtkommandanten Bersarin gestoppt worden sind, jedoch in Thüringen, wo die Rote Armee nachrückte als Groß-Britannien und die USA ihre militärischen Verbände abgezogen hatten. Dort fanden mehrfach Vergewaltigungen statt, trotz des Verbotes, dass Bersarin ausgesprochen hatte. Die Beziehungen der DDR zur Sowjetunion waren insgesamt von hervorgehobener Bedeutung und es ist davon auszugehen, dass anti-sowjetische Vorfälle einer besonderen Geheimhaltungsstufe unterworfen waren. Beim manifesten Anti-Sowjetismus überschneiden sich ebenfalls militante anti-kommunistische Motive mit rassistischen Einstellungen und sie ermöglichen so Einblicke auf die langfristigen Wirkungen der Nazi-Ideologie auf das politische Bewußtsein der deutschen Bevölkerung in Ost- und West-Deutschland. Im Kreis Meißen (Bezirk Dresden) wurde 1959 von Neo-Nazis vor einem Objekt der GSSD das verbotene „Deutschlandlied“ gesungen und „Heil Hitler“ gerufen und in Merseburg (Bezirk Halle) wurde im selben Jahr ein Soldat der GSSD von einem Ju347 Abendroth, S. 179.

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gendlichen bedroht. Der Täter wurde zu einem Revier der Volkspolizei gebracht. 348 In Jessen-Klossa (Bezirk Cottbus) kam es am 18. zum 19. Juli 1965 zu Tätlichkeiten zwischen einem Deutschen und Soldaten der GSSD. Eine politische Dimension wurde negiert und in Halberstadt (Bezirk Magdeburg) kam es am 19. Juli 1965 zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Soldaten der GSSD. Eine politische Dimension des Geschehens wurde negiert.349 Am 20. Mai 1973 wurden in Motzen (Bezirk Potsdam) zwei sowjetische Zivilangestellte der GSSD von fünf Deutschen (17, 18, 21, 21 und 23 Jahre) überfallen, niedergeschlagen und mit Zaunlatten und Steinwürfen schwer verletzt. Gegen die rassistischen Angreifer wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) und § 102 StGB (Terror) eingeleitet. Die Untersuchungen ergaben, dass die Täter „eifrige Hörer westlicher Rundfunk- und Fernsehsender“ waren und in der Vergangenheit durch rowdyhafte Handlungen bei öffentlichen Veranstaltungen aufgefallen waren. Einer der Täter war der Sohn eines Oberstleutnants der Grenztruppen der NVA und seine Mutter war Lehrerin.350 Im Bezirk Dresden gab es 1975, bei organisierten Kinobesuchen zum Film „Blokkade“, bei mehreren Filmsequenzen „provokatorische“ Verhaltensweisen von mehreren Schülern, d. h. die im Film auftauchenden Nazi-Führer wurden beklatscht und sowjetische Soldaten wurden ausgebuht. In diesem fiktiven Farbfilm wird auf der Grundlage eines gleichnamigen Romans von A. Tschakowski, in Spielhandlungen die Belagerung Leningrads durch die Wehrmacht vom Herbst 1941 bis zum Anfang des Jahres 1944 aufbereitet. Die Spielszenen werden unterbrochen durch eingefügte Wochenschaubilder aus den Hauptquartieren von Stalin bzw. Hitler. Diese anti-sowjetischen bzw. pro-nazistischen Vorfälle während der Filmvorführung sind in Verbindung zu sehen mit ähnlichen Situationen in der Berufsschule eines Baukombinates im Bezirk Dresden, wo „nazistischer Ungeist propagiert“ wurde.351 In Großenhain-Mülbitz (Bezirk Dresden) wurde 1978 am 12. September der Ehrenfriedhof der Sowjetarmee von einem Instandhaltungsmechaniker (19 Jahre) geschändet. Er stieß drei Grabsteine um und entfernte Kränze von Gräbern. Der Täter wurde inhaftiert und ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) wurde eingeleitet. In Dessau (Bezirk Halle) wurde vom 16. auf den 17. September 1978 der Ehrenfriedhof der GSSD von einem Lehrling (16 Jahre) geschändet, in dem er 120 Grabsteine umwarf. Der Täter wurde inhaftiert und ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) wurde eingeleitet.352 Im Bezirk Frankfurt/O. gastierten 1979 mehrere hundert Komsomolzen aus der Sowjet-Union. Beim Begrüßungsabend störten zwei Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) die Veranstaltung mit Sprüchen wie: „Ihr roten Schweine“. Einer der Soldaten nahm Ziegelsteine und bewarf damit den Sekretär der FDJ-Kreisleitung Beeskow, 348 Weitere Beispiele zur Bandentätigkeit in der DDR, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 05.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 2 u. S. 4. 349 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1082, S. 1-4. 350 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2185, S. 1-4, Streng Geheim; Kowalczuk/Wolle, S. 151. 351 Information der FDJ BL Dresden, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.215, S. 6. 352 BStU, MfS, BV Dresden, Nr. 10126, Teil 2/2, S. 497-499, S. 509-514, S. 572-581; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2870, S. 1-2.

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der sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Die Militärstaatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein.353 In Karl-Marx-Stadt wurde am 9. März 1980 auf ein sowjetisches Ehrenmal der GSSD ein Sprengstoffanschlag verübt.354 In Riesa (Bezirk Dresden) wurden am 17. August 1984 sowjetische Personen von mehreren Deutschen beschimpft und am Abend wurden Fensterscheiben im Gebäude des Sanitätsbataillons mit Steinen eingeworfen. Am 12. September wurden im Hof spielende Kinder von Soldaten der GSSD beleidigt und mit Gegenständen beworfen. Am Abend wurden erneut Fensterscheiben des Sanitätsbataillons eingeworfen. Als Täter wurden mehrere Schüler und Lehrlinge aus Riesa ermittelt. Ähnliche Angriffe wurden auch am 18. Juli, am 1. August, am 29. August, am 19. September und am 8. Oktober 1984 durchgeführt. Gegen drei Angreifer wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB eingeleitet. Das Kreisgericht Riesa verurteilte die drei Täter zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und 4 Monaten zur Bewährung.355 Am 17. April 1984 erschoss im Bezirk Magdeburg ein „gesellschaftlich aktiver Bürger“, gezielt einen sowjetischen Soldaten. Vom 1. Januar bis zum 31. August 1984 leitete das MfS, wegen Straftaten gegen die sowjetische Armee, 83 Ermittlungsverfahren ein. Im Februar/März 1984 wurden in Dresden und in Karl-Marx-Stadt mehrere hundert Flugblätter verteilt, in denen gefordert wurde: „Russen raus“. In Röderau im Kreis Riesa (Bezirk Dresden) wurden am 24. August 1984 zwei Panzerkolonnen der sowjetischen Armee von vier Jugendlichen (17, 19, 20 und 22 Jahre) mit Steinen beworfen. Die Täter wurden inhaftiert.356 Am 21. Juni 1984 wurde in Stendal (Bezirk Magdeburg), auf dem Schulhof der Comenius-Oberschule, ein Sergeant der GSSD verletzt aufgefunden. Er hatte Prellungen am Hinterkopf und Verletzungen im Brustbereich und er musste in ein Krankenhaus der GSSD eingeliefert werden. Zwei unbekannte Deutsche hatten ihn angegriffen und verletzt.357 Im Bezirk Potsdam kam es vom 9. Dezember 1987 bis zum 16. Januar 1988 zu sieben Straftaten gegen Wohn- und Dienstgebäude der GSSD in Fürstenberg/Gransee, Ortsteil Ravensbrück, wo jeweils die Scheibe des Postenhauses mit Steinen eingeworfen worden waren. Beim letzten Vorfall am 16. Januar 1988 wurden die Steine aus einem fahrenden Pkw heraus geworfen. Gegen die drei Täter wurden Ermittlungsverfahren wegen § 177, § 188, § 215 (Rowdytum) und § 216 StGB eingeleitet und es wurden Haftbefehle erlassen.358 In Parchim (Bezirk Schwerin) wurde am 10. Februar 1988 ein Gebäude der GSSD mit zwei Brandsätzen angegriffen und es wurde mit einem Luftgewehr geschossen, woraufhin ein sowjetischer Soldat einen Warnschuss abgab. Die Untersuchungen ergaben, dass bereits am 9. Januar unbekannte Täter in dasselbe Gebäude leere Fla353 Persönliche Information, September 1979, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ 9.622, S. 5. 354 BStU, MfS, BV Dresden, KD Großenhain, Nr. 10126, Teil 2/2, S. 497-499. 355 BStU, MfS, BV Dresden, KD Riesa, Nr. 13114, S. 155-157. 356 Kowalczuk/Wolle, S. 151-152; BStU, MfS, BV Leipzig, KD Riesa, Nr. 13114, S. 222-224. 357 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2135, S. 7. 358 BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 101-106.

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schen und Feuerwerkskörper geworfen hatten. Am 6. Februar wurden Brandsätze auf das Dach einer Halle geworfen. Gegen zwei Täter (jeweils 18 Jahre) wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet. Gegen den 14-Jährigen wurden keine strafrechtlichen Maßnahmen eingeleitet.359 In Röderau (Bezirk Dresden) wurden am 3. Juni 1988 auf dem Bahnhof sowjetische Soldaten der GSSD von Deutschen mit einem Feuerwerkskörper und mit Steinen angegriffen. Der sowjetische Kommandeur ließ eine Sperrkette aus Soldaten bilden, die ihre Maschinenpistolen im Anschlag hielten.360 In Jena (Bezirk Gera) kam es im August 1988 auf dem „Platz der Kosmonauten“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen fünf Deutschen und zwei Fähnrichen der GSSD und dabei wurden einem von ihnen mit einem Messer drei Stichverletzungen im Bauchbereich zugefügt. Er musste schwerverletzt in ein Krankenhaus gebracht werden.361 In Neubrandenburg wurde am 27. Februar 1989 das Ehrenmal für die „Opfer des Faschismus“ mit der Parole „Russen raus“ geschändet.362 Im Dezember 1989 wurden in Gera sechs Schüler und ein Lehrling von der Volkspolizei festgenommen, weil sie Gräber eines sowjetischen Ehrenhains geschändet und in einer sowjetischen Wohnsiedlung anti-sowjetische Parolen gegrölt hatten.363 In Erfurt manipulierten Neo-Nazis im Oktober bzw. November 1990 die Gasleitung an einem Haus in dem Angehörige der Sowjet-Armee wohnten. Zufällig wurde der Anschlag entdeckt, bevor es zu einer Explosion gekommen war.364 „Schule der Freundschaft“ (SdF) in Staßfurt – Ein Beispiel Der Grundstein für die „Schule der Freundschaft“ (SdF) wurde 1981 in Staßfurt (Bezirk Magdeburg) gelegt. Am 21. Mai 1982 wurde feierlich das Internat der SdF eröffnet, dessen Internatsleiter Heinz Berg war und am 16. September 1982 war die Eröffnung der „Schule der Freundschaft“ (SdF). Bis 1989 lebten dort ca. 700 Jungen und 200 Mädchen aus Mosambik, im Alter von 12 bis 14 Jahren, die nach einer 4-jährigen Schulausbildung auch eine 2-jährige Ausbildung absolvieren konnten. Offensichtlich standen dafür ca. 40 Lehrberufe zu Auswahl.365 Zum Wohnheim der SdF gehörten vier, fünfgeschossige Wohnhäuser, eine Großküche mit Speisesaal sowie Außenanlagen und Freiflächen.366 Neben einer Ganztagsschule, einem Internat sowie einer Sporthalle gab es später auch einen Klub für SchülerInnen. Insgesamt arbeiteten dort ca. 120 Deutsche als LehrerInnen bzw. ErzieherInnen und etwa noch einmal soviel Beschäftigte im Wirtschaftsbereich. Außer

359 BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 107-112. 360 BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XIX, Nr. 21787, S. 1-3. 361 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 47; BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 118. 362 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 32. 363 Hirsch/Heim, S. 109f. 364 Borchers, S. 16. 365 Vgl. Barroso. 366 Rüchel (2001), S. 12.

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dem waren ca. 30 mosambikanischen PädagogInnen beschäftigt.367 In den normalen DDR-Schulen erfolgte der Wehrunterricht ab der 9. Klasse der Polytechnischen Oberschulen (POS), jedoch in der „Schule der Freundschaft“ wurde eine vormilitärische Ausbildung bereits ab der 7. Klasse durchgeführt. Insgesamt waren 112 Stunden dafür vorgesehen, wobei davon 34 Stunden für Geländeausbildung, 22 Stunden für eine Schießausbildung, jeweils 16 Stunden für Wehrsport und Fragen der Landesverteidigung sowie je 8 Stunden formale Ordnungsübungen.368 Bis 1985 durften die SchülerInnen das Gelände der „Schule für Freundschaft“ nur in Gruppen verlassen.369 Die ersten Jugendlichen beendeten 1986 mit der 10. Klasse ihre Schulausbildung und weitere Kinder und Jugendliche aus Namibia wurden in die SdF aufgenommen. Am 1. September 1986 begannen ca. 800 Jugendliche die Berufsausbildung in 34 Betrieben, fünf kommunalen Berufsschulen und in zwei Rehabilitationszentren.370 Das ZK der SED beschloß 1987 die SdF als „internationalistisches Objekt der Volksbildung zur Unterstützung der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen aus national befreiten Staaten und Befreiungsbewegungen“ bis zum Jahr 2010 weiter zu führen.371 In Staßfurt wurde am 21. Juni 1989, kurz vor Mitternacht, die „Schule der Freundschaft“ (SdF) von drei rassistischen Jugendlichen mit Steinen beworfen. Sie riefen „Negerschweine“ und „Judenpack“. Die Volkspolizei konnte die Täter nicht namhaft machen.372 In Staßfurt wurden am 17. September 1989, kurz vor Mitternacht, zwei Kubaner auf der Straße, in Höhe der Bodebrücke, von einem Rassisten angegriffen und einer von ihnen wurde im Gesicht verletzt.373 Kinderheim Bellin, heute Ortsteil von Krakow am See Zwischen 1960 und 1980 kamen Hunderte von Namibiern zur Berufsausbildung, zum Studium bzw. zu verschiedenen Lehrgängen in die DDR. Ebenso wurden verletzte Soldaten der „South-west African People’s Organisation“ (SWAPO) in der DDR medizinisch versorgt. Sam Nujoma, Generalsekretär der SWAPO, hatte beim Zentralkomitee (ZK) der SED den Antrag gestellt, namibische Kinder aufzunehmen, und dieser Antrag wurde am 12. September vom Sekretariat des ZK bewilligt. So eröffnete am 18. Dezember 1979 die Regierung der DDR in Krakow am See, Ortsteil Bellin, bei Güstrow, in einem ehemaligen Jagd-Schloss (Bezirk Schwerin, heute Mecklenburg-Vorpommern), ein Kinderheim für 80 namibische Kinder (3- bis 7-Jährige, bzw. 2- bis 4-Jährige) und für 15 namibische BetreuerInnen, die alle aus dem Flüchtlingslager „Cassinga“, der „South West Africa People’s Organization“ (SWAPO),

367 Rüchel (2001), S. 22. 368 Rüchel (2001), S. 46. 369 Vgl. Trüper. 370 Kruse, S. 213. 371 Trüper, S. 2 372 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15485, Nr. 65. 373 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 19; Hirsch/Heim, S. 122.

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gekommen waren.374 Die Kinder waren entweder Waisen oder Söhne oder Töchter von Kämpfern der SWAPO und sie waren nach den Angriffen der südafrikanischen Armee auf das in Angola gelegene Flüchtlingslager „Cassinga“ zuerst ins, ebenfalls in Angola gelegene, Lager Kwanza Sul, und von dort aus kamen sie in die DDR. Bis 1989 kamen insgesamt 430 Kinder aus Namibia in die DDR. Finanziert wurde der Aufenthalt aus Solidaritätsgeldern, die über die Hauptkasse der SED bezahlt worden sind. Der erste Direktor war Hartmut Schmidt, der zuvor ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche geleitet hatte. Nach einem Jahr wurde er abgelöst von Rainer Goltz, der bis zur Schließung der Bildungsstätte Mitte 1990 Heimleiter geblieben war. Zum Schuljahr 1981 konnten die ältesten Kinder eingeschult werden. Bei ihrer Ankunft in Bellin waren sie in sechs Gruppen eingeteilt worden, so dass die Gruppen 5 und 6 eingeschult wurden. Da das kleine Dorf Bellin keine eigene Schule hatte, fuhren die namibischen Schüler, in Begleitung von Erzieherinnen, mit dem Bus nach Zehna, vier Kilometer entfernt von Bellin. In den darauf folgenden Jahren wurden die Gruppen 4, 3, 2 und 1 in der POS „Dr.-Salvador-Allende“ eingeschult. Sie erhielten ihren Unterricht im selben Gebäude wie die deutschen Schüler, aber in unterschiedlichen, getrennten Klassenräumen.375 Das gesamte Gelände wurde in den ersten Monaten des Jahres 1981 von einem Maschendrahtzaun umgeben und die Aus- und Eingänge wurden permanent von Pförtnern kontrolliert.376 Sie wurden dort, mit täglichem Fahnenappell und militärischer Ordnung, nach dem Vorbild der „Thälmann-Pioniere“ in der DDR, zu Jungpionieren ausgebildet. Sam Nujoma, damals Befehlshaber der SWAPO, und später erster Präsident des befreiten Namibia, besuchte zusammen mit seiner Frau die Kinder in Bellin und er sprach sie an mit „meine künftigen Soldaten“. Zwei Erzieherinnen des Kinderheims Bellin in Krakow am See (Bezirk Schwerin) wurden 1982 aufgrund ihrer mangelnden pädagogischen Fähigkeiten entlassen. Eine von ihnen hatte ein namibisches Kind während einer Reise auf dem Rostocker Hauptbahnhof so grob durchgeschüttelt, daß Passanten sich einmischten und lautstark darüber erregten, wie mit dem Kind umgegangen wurde. Der Heimleiter benachrichtigte den Bezirksschulrat und die Erzieherinnen mußten Bellin verlassen. Die Information entstammt einem Bericht eines „Informellen Mitarbeiters“ (IM) des MfS vom 10.11.1982.377 Der Heimleiter des SWAPO-Kinderheimes in Bellin hatte den Ruf, mit äußerster Strenge auf Ordnung und Disziplin zu achten. Als ehemaliger Direktor eines Heimes für Schwererziehbare sorgte er mit seinem hierarchischen und militärischen Leitungsstil für Unmut unter den pädagogischen und technischen Angestellten des Heimes.378 In der Polytechnischen Oberschule (POS) in Zehna, ein Nachbarort von Bellin, wurden die Kinder und Jugendlichen aus Namibia, in abgesonderten Klassen, nach einem speziellen Lehrplan, unterrichtet. Im Heim gehörte es zu den Pflichten der Kinder 374 S. Timm, o.O. und o.J. 375 Vgl. Chall/Niemiec. 376 Rüchel (2003), S. 254-266. 377 Rüchel, (2003), S. 225-254f; BStU BV Schwerin, AIM 1887/93: Teil II, Bl. 38 f. 378 Uta Rüchel, (2003), S. 23.

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und Jugendlichen, Zimmer zu reinigen, Parkanlagen zu betreuen, und täglich den Appell für das stete bereit sein, für das was anlag.379 In Krakow am See, Ortsteil Bellin, kam es im Mai 1985 zu einem rassistischen Angriff auf zwei Namibier in einer Gaststätte. Ein Deutscher, ebenfalls Gast, beleidigte die beiden Afrikaner, z. B. mit „Ihr schwarze Affen geht nach Afrika“ und „Was wollt ihr Dreckskerle hier“. Obwohl dieser Vorfall vom Heimleiter gemeldet worden war, geschah nichts.380 Im August 1985 verließen die Schüler, die ihre 4. Klasse abgeschlossen hatten, zusammen mit den Erzieherinnen Bellin und siedelten nach Staßfurt über. Dort wohnten sie zunächst im Wohnheim der SdF, besuchten aber, weil dort Platz war, die POS „Willy Wallstab“ im benachbarten Ort Löderburg.381 Bei den Arbeitstagungen an der Mittelschule in Löderburg wurde im Mai 1987 bekannt, dass die namibischen Kinder und Jugendlichen rassistischen Angriffen ausgesetzt waren, die der Kreisleitung der SED in Staßfurt gemeldet worden waren. Es wurden an der Schule rassistische Schmierereien, wie z. B. „Neger sind zum Kotzen“ oder „Neger stinken“, aufgefunden. Deutsche Schüler weigerten sich Klassenräume zu betreten, die zuvor von afrikanischen Schülern besetzt waren oder Schürzen für den Werkunterricht anzuziehen, wenn sie davor von Afrikanern getragen worden waren.382 1989 lebten im Kinderheim 135 namibische Vorschulkinder im Alter von 3 bis 6 Jahren.383 Im Mai 1989 kamen zu den 191 namibischen Kindern und Jugendlichen, die sich bereits in Staßfurt aufhielten, noch ca. 100 weitere Schüler aus Namibia hinzu. In diesem Monat Mai feierten auch die Mitglieder der zwei ältesten Gruppen ihre, in der DDR übliche, Jugendweihe. Im August 1990 – dem Jahr der Vereinigung der DDR mit der BRD und der Unabhängigkeit Namibias – veranlasste das Erziehungsministerium Namibias, innerhalb von sechs Wochen, die Rückkehr aller Kinder aus Bellin und aller Jugendlichen aus Staßfurt. Sie hatten dann mittlerweile zwischen einem und elf Jahren in der DDR gelebt.384 Bis 1990 lebten in der „Schule der Freundschaft“ (SdF) auch ca. 300 namibische Kinder und Jugendliche am Rande von Staßfurt, Bezirk Magdeburg (heute SachsenAnhalt).385 Die mosambikanischen Jugendlichen beendeten ihre Berufsausbildung und verließen die DDR in Richtung Mosambik, wo ihre Abschlüsse bis heute nicht anerkannt wurden.386

379 Vgl. Rammerstorfer. Vgl. Chall/Niemiec. 380 Rüchel, (2003), S. 266; Rüchel (2001), S. 49f. 381 Vgl. Rammerstorfer. 382 Krause, S. 229; Vgl. Rammerstorfer. 383 Chall/Niemiec, S. 12. 384 Chall/Niemiec, S. 12; Vgl. Barroso. 385 Rüchel, (2003) S. 3. 386 Vgl. Taero.

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Der Tod von Carlos Conceicao In der Nacht vom 19. auf den 20. September 1987 gegen 23 Uhr wurde in Staßfurt der 18-jährige, mosambikanische Lehrling Carlos Conceicao (Jg. 1969) getötet. Obwohl es seinem Freund noch gelungen war, die Volkspolizei zu informieren, wurde die Leiche erst am 20. September gegen 11 Uhr im Fluss Bode, ca. 100 m von der Brücke entfernt, aufgefunden. Dem vorausgegangen war am 19. September eine Diskoveranstaltung im Jugendfreizeitzentrum (JFZ) in der Karl-Marx-Straße, bei der es zwischen zwei Deutschen und zwei Afrikanern zuerst zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen war, die dann vor dem Gebäude fortgesetzt wurden. Dabei kam es zu rassistischen Äußerungen die dann zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen einem Deutschen und Carlos Conceicao führten, die darin mündeten, dass Carlos über das Brückengelände, ca. 5 m tief, in die Bode geworfen wurde.387 Seine Hilferufe blieben ungehört. Die sofort eingeleitete „Suchaktion“ wurde am 20. September gegen 4 Uhr ohne Erfolg abgebrochen.388 Der Täter (21 Jahre), ein vorbestrafter Deutscher aus Staßfurt, wurde am 21. September festgenommen und in die Untersuchungshaftanstalt Magdeburg überführt. Er war geschieden, Vater eines Kindes und er war Mitglied im FDGB.389 Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren, gemäß §§ 115 und 117 StGB eingeleitet, wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, als Ursache, dass C. Conceicao durch Ertrinken gestorben war.390 Hinweis auf die rassistische Stimmung und Einstellung waren die untätig zuschauenden Deutschen, von denen einer abfällig bemerkte: „Da ist ja nur ein Stück Kohle in die Bode gefallen“.391 Am 21. September gegen 18 Uhr fand eine Veranstaltung statt, auf der „eine Information über das Vorkommnis, die eingeleiteten Maßnahmen sowie die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen“ mitgeteilt wurden. Anwesend waren Vertreter des VPKA, der „Schule der Freundschaft“ (SdF) und des Rates des Bezirkes von der Abteilung Volksbildung. Hier wurde auch mitgeteilt, dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen waren, dass aber „der Täter festgenommen wurde“ und dass er vor ein Gericht kommen und „nach unseren Gesetzen“ verurteilt werden sollte. Den Zuhörern wurde mitgeteilt, dass „nach unseren Gesetzen im Prinzip eine Freiheitsstrafe von ca. 10 Jahren zu erwarten“ sei.392 Danach waren einige mosambikanische Lehrlinge sehr unzufrieden über den Verlauf der Informationsveranstaltung und warfen gegen 22.10 Uhr Flaschen und Gläser aus dem Internatsgebäude auf die Straße. Daraufhin wurde für den nächsten Tag, den 22. September gegen 10.30 Uhr in der „Schule der Freundschaft“ (SdF) eine „Beratung“ anberaumt, an der der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres, der Bezirksschulrat, der 2. Sekretär der Kreisleitung der SED, der Parteisekretär an der SdF, ein Mitarbeiter der Bezirksleitung der SED und Beauftragter für den Kreis Staßfurt und mehrere Vertreter der Sicherheits387 BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. IX, Nr. 1313, S. 61-62. 388 BStU, MfS, BV Magdeburg, Leiter der BV, Nr. 97, S. 2. 389 BStU, MfS, HA VII, Nr. 5476, S. 107; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2196, S. 191. 390 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2196, S. 188-195. 391 Rüchel (2001), S. 95. 392 BStU, MfS, BV Magdeburg, Leiter der BV, Nr. 97, S. 5.

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organe des Bezirkes und Kreises. Ziel dieses Treffens war es u. a. „weitere Maßnahmen einzuleiten, die weitere Vorkommnisse verhindern“ sollten. Dabei sollte mit den Schülern der SdF Gespräche geführt werden, und eine „solidarische Haltung“ gegenüber den Mosambikanern sollte herausgearbeitet werden und es sollten rassistische Ansichten von jungen und alten Deutschen, wie z. B. „Da ist nur ein Stück Kohle in die Bode gefallen“ oder „Macht’ euch nach Hause, wo ihr hergekommen seit“ kritisch besprochen werden. Diese Äußerungen sollten als „feindlich und antisozialistisch“ konsequent widerlegt werden.393 Nach Berichten der Bild-Zeitung, sie stützte sich auf Angaben einer Staßfurterin und eines zufällig sich in Staßfurt aufhaltenden Mannes aus der BRD, fand am 19. bzw. 20. September ein Lynchmord statt, begangen durch einen rassistischen Mob von sechs bis acht Deutschen (20 bis 25 Jahre).394 Am 24. September wurde von der KD Staßfurt des MfS die „Stimmung und Reaktion der Bevölkerung“ wegen der Ermordung von Carlos C. beschrieben. Darin wurde „vielfach ausgedrückt“, dass die Mosambikaner durch ihr Auftreten „bestimmte Vorkommnisse teilweise heraufbeschwören“ und es wurden wieder die angeblichen Bevorzugungen der Schüler der „Schule der Freundschaft“ in Bezug auf Bekleidung und Südfrüchte, hervorgebracht. Es wurde festgestellt, dass Deutschen und die Ordnungsgruppe des Jugendklubs Carlos C. keine Hilfe leisteten. Mosambikanische Jugendliche sollten nach Vergeltung und Rache gerufen haben.395 Am 26. September, so ein Bericht eines IM „Heinz Meier“, er war als Lehrausbilder tätig, wollten ca. 50 Mosambikaner ins Jugend- und Freizeitzentrum (JFZ) kommen, um nach den Deutschen zu suchen, die am 19./20. September zur FDJ-Ordnungsgruppe gehörten, und die Carlos Conceicao nicht zur Seite gestanden sind. Dem Berichterstatter war auch bekannt geworden, dass am 22. September mehrere Mosambikaner in Staßfurt unterwegs waren, um die Eltern des Täters aufzufinden, was ihnen nicht gelang.396 Ende September stellte die BV Magdeburg des MfS in einem Fernschreiben fest, „daß sich die lage an der schule der freundschaft und im kreis weiter normalisiert“ hätte, dass aber gleichzeitig „vielfach ausgedrückt (würde), dass die mocambiquanischen jugendlichen durch ihr auftreten im kreisgebiet bestimmte vorkommnisse teilweise heraufbeschwoeren“ und das „alte diskussionsthemen und meinungen […] wieder neu entfacht (bevorzugung der schule der freundschaft mit kleidung, negative aeuszerungen zum solidaritaetsgedanken u.a“ worden wären. Es wurden auch Meinungen festgehalten, die sich kritisch zur „nichtreaktion“ bzw. zur unterlassenen „hilfeleistung“ der beteiligten Deutschen und der FDJ-Ordnungsgruppe des Jugendfreizeitzentrums (JFZ) Staßfurt äußerten.397 Am 20. Oktober wurde von der KD Staßfurt des MfS die Lage an der SdF so eingeschätzt, dass sich dort „die Stimmung unter den mocambiquischen Jugendlichen“ nach dem „Vorfall vom 19.09.87 wieder beruhigt hat“. Die Lehrlinge würden sich „weitgehend ordnungsgemäß und diszipliniert“ verhalten und das „Auftreten der An393 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 18-19, S. 105, S. 114-120. 394 BStU, MfS, HA VII, Nr. 5476, S. 107; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2196, S. 195. 395 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15302, S. 110-111. 396 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 256 II,1, S. 277-278. 397 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15310, S. 65-67.

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gehörigen“ der Schule an Jugendveranstaltungen im Kreisgebiet und in Gaststätten, wäre „etwas zurückhaltender“ geworden. Der Bericht des MfS wollte jedoch nicht ausschließen, dass einzelne Mosambikaner noch „Rachegefühle“ hegten und nur auf eine „günstige Gelegenheit“ warteten.398 Im Gericht in Staßfurt wurde am 11. Januar 1988 der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Der Bericht der KD Staßfurt des MfS beinhaltet die Einschätzung, dass die „mocambiquischen Jugendlichen von diesem Unglücksfall (sic!) schon Abstand genommen“ hätten und das auch „keine Rachegefühle mehr existierten“. Dieser Bericht beinhaltet auch Informationen, „daß unterschiedlichste Personenkreise so Ausländer, kriminell gefährdete und feindlich-negative Kräfte […] vor allem Skinheads - Gaststätten, Raststätten, Ausflugslokale, Diskotheken, Clubs und ähnliches nutzen, um sich zu sammeln, Absprachen zu treffen bis hin zur Organisierung von illegalen Zusammenschlüssen“.399 Soweit die Beschreibung der politischen Umstände in und um Staßfurt und um die Tötung von Carlos Conceicao. Ich meine, dass daraus klar und deutlich ersichtlich wird, dass der Tod dieses jungen Mosambikaners kein zufälliges Ereignis war, sondern die logische Konsequenz aus einer sich über mehrere Monate hochpuschenden rassistischen Stimmung, die pogromähnliche Züge angenommen hatte. Um das Bild hier mit diesem Beispiel zu vervollständigen, habe ich im Anschluß bis Anfang der 1990er Jahre einige weitere rassistische Vorkommnisse aufgeführt, die belegen das in diesem Landstrich eine mehr oder weniger kontinuierliche rassistische Entwicklung stattgefunden hat, deren Ende bis heute nicht abzusehen ist. Staßfurt – Eine historische Rekonstruktion Angesichts der umfassenden Kontrolle der Medien in der DDR durch die SED ist es verständlich, dass die rassistischen Vorfälle in Staßfurt (Bezirk Magdeburg), wenn überhaupt, dann als Einzelfälle wahrgenommen worden sind. Sie waren jedoch symptomatisch für die ost-deutsche Gesellschaft, die nach maximaler Homogenität strebte und in der davon Abweichende und Abweichendes kein Raum gegeben wurde. Meine Einsichten in diese komplexe Struktur entstanden erst, als ich meinen Blick auf die Bezirksgrenze aufhob und ich dadurch die rassistischen Vorkommnisse in der geographischen Umgebung von Staßfurt wahrnehmen konnte. Staßfurt lag in einem südlichen Zipfel des Bezirks Magdeburg und war dort westlich, südlich und östlich umgeben von der Grenze zum Bezirk Halle. Im Westen Staßfurts waren es die Orte Gatersleben, Thale und Ballenstedt und im Osten waren es die Orte Calbe, Aken, Bernburg und Köthen. Im Süden die Orte Hettstedt und Aschersleben und im Norden die Orte Schönebeck, Magdeburg und Wanzleben. Es sind also vorwiegend Orte im Gebiet südlich der Stadt Magdeburg und Orte im nördlichen Bereich des Bezirkes Halle. Rassistische Vorfälle in diesem Gebiet gab es bereits 1947/48, als in Bernburg (Bezirk Halle) eine rechts-terroristische Gruppe bestand, deren Mitglieder zweimal 398 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15302, S. 122-123. 399 BStU, BV Magdeburg, AKG, Nr. 17, S. 44-45.

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Handgranaten in das Gebäude der örtlichen SED-Leitung geworfen und die ein Auto der sowjetischen Militärkommandantur in die Luft gesprengt hatten.400 Entweder im März oder im April 1955 wurden in Bernburg (Bezirk Magdeburg) ca. 60 Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof umgestoßen und beschädigt und die Glasscheiben der Fenster und Türen der Leichenhalle wurden eingeschlagen.401 In Ballenstedt im Kreis Quedlinburg (Bezirk Halle) hatten 25 Jugendliche 1959 rechte „Terrorhandlungen“ gegen Partei- und Staatsfunktionäre ausgeübt; u. a. wurden Fensterscheiben der Wohnung eines SED-Mitglieds zerschlagen. Zwei Neo-Nazis (20 Jahre) bedrohten auf der Straße den Direktor des Instituts für Lehrerbildung, schlugen einen Dozenten des Instituts nieder und einige Angreifer drangen in das Internat ein und bedrohten Schüler mit Schlägen.402 Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und gegen vier „Rädelsführer“ wurden Haftbefehle erwirkt.403 Die polizeilichen Hausdurchsuchungen zusammen mit dem SED-Ortsparteisekretär, dem Bürgermeister sowie dem örtlichen Vorsitzenden der Nationalen Front förderten über 100 Exemplare „Schund- und Schmutzliteratur“, Schlagwerkzeuge und Messer hervor. Schwerpunkte weiterer Gruppen gab es im Bezirk Erfurt in den südlichen Kreisen Erfurt, Weimar, Arnstadt und Gotha und in den nördlichen Kreisen Mühlhausen und Heilbad Heiligenstadt.404 In Calbe (Bezirk Magdeburg) gab es anti-semitische Äußerungen, wie z. B. „Die Juden sind an allem schuld. Hitler hätte noch mehr vergasen sollen“.405 An einem Heizkraftwerk gab es „faschistische“ Parolen und auf der Straße von Seehausen nach Elbitz, in Eilsleben (Bezirk Magdeburg), wurden an mehreren Häusern Hakenkreuze geschmiert.406 1960 wurden in Magdeburg und Umgebung anti-semitische Hetzparolen geäußert.407 In Wanzleben (Bezirk Magdeburg) wurden Hakenkreuze entdeckt.408 In Rottmersleben im Kreis Wanzleben, in Baben sowie in Bertkow und an der Oberschule II in Osterburg (Bezirk Magdeburg) wurden Hakenkreuze entdeckt.409 In Calbe im Kreis Schönebeck (Bezirk Magdeburg) zogen 1966 vier Lehrlinge (16 bis 19 Jahre) durch die Straßen, „hetzten“ gegen die DDR und verherrlichten den deutschen Faschismus. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, jedoch wurde von Inhaftie-

400 Kowalczuk/Wolle, S. 84. 401 Schmidt, S. 55 und S. 69f. 402 Weitere Beispiele zur Bandentätigkeit in der DDR, Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 05.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 4. 403 Rapport Nr. 345 der HV der Deutschen Volkspolizei - Operativstab, VD! Berlin, 10.12.1959, S. 6. 404 Information über die Zunahme des organisierten Rowdytums und Vorschläge zu dessen Überwindung, 07.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 2; SED-Hausmitteilung von der Abteilung Organisation an die Arbeitsgruppe Jugendfragen, 30.11.1959. 405 A.Timm, S. 145. 406 Information über Feindtätigkeit, Auszüge aus Informations-Berichten der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 01.12.1959, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1f. 407 Nacht-Depesche, 12. 01.1960. 408 Nacht-Depesche, 12. 01.1960. 409 Kurzinformation 3/60 über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ A 3.725, S. 1 - 2.

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rungen abgesehen.410 In Ballenstedt im Kreis Quedlinburg (Bezirk Halle) kam es 1966 wieder zu anti-semitischen Ausschreitungen, als eine „Bande“ von zwanzig Rassisten (18 bis 23 Jahre) anti-semitische Parolen, wie z. B. „Juden raus“, „Wir brauchen wieder Brennholz“ und „Jude verrecke“ grölten, nationalsozialistische Orden trugen und den Hitlergruß zeigten. Daran waren auch Studenten aus dem Institut für Lehrerbildung und Lehrlinge aus mehreren Betrieben der Umgebung beteiligt. Die „Bandenmitglieder“ sollten in einem öffentlichen Verfahren verurteilt werden. Dazu wurden Funktionäre der SED, der FDJ und anderer Massenorganisationen eingeladen. Die Bezirksleitung Halle nahm sich dieses Falles an und schickte als erste Maßnahme, zur Verbesserung der politischen und ideologischen Arbeit, sogenannte Propagandisten der Bezirksparteischule in alle 16 Grundorganisationen der FDJ Ballenstedt. Die administrativen Aufgaben und die zu folgernden Maßnahmen wurden in einer Sekretariatssitzung der Kreisleitung der FDJ zusammen mit dem Kreisstaatsanwalt, der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Quedlinburg, der Abteilung K (Kriminalpolizei) des Volkspolizeikreisamtes und mit dem Kreisgerichtsdirektor besprochen. U. a. wurde beschlossen, dass zukünftig ein Offizier der Volkspolizei Leiter der FDJ-Ordnungsgruppe wurde und ein Mitglied der FDJ-Ordnungsgruppe sollte als dritter Mann im Funkstreifenwagen der Volkspolizei eingesetzt werden. Mit dieser Verzahnung von FDJ-Ordnungsgruppen und der Volkspolizei erhoffte man sich eine Unterdrückung der rassistischen Szene. Insgesamt wurden acht Rassisten inhaftiert und vom Kreisgericht „abgeurteilt“. Die Anklage lautete auf „faschistische Hetze, Notzucht und Landfriedensbruch“.411 In Magdeburg wurde 1968 an der Oberschule „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ ein Hakenkreuz gemalt und eine rote Fahne entwendet. Die FDJ-Stadtleitung Magdeburg entschied daraufhin, nach Abstimmung mit der Kriminalpolizei, in allen vier Stadtbezirken ihre Ordnungsgruppen einzusetzen, um weitere Vorfälle zu verhindern.412 In Bernburg (Bezirk Halle) wurde 1971 der jüdische Friedhof Anfang des Jahres und im April geschändet und in Stendal (Bezirk Magdeburg) wurden am 20. Mai zwei Soldaten der sowjetischen Armee, Oberleutnant und Sergeant, von zwei Rassisten niedergestochen. Bei einem der Opfer bestand Lebensgefahr.413 In Genthin (Bezirk Magdeburg) wurde 1972 der 2. Sekretär der FDJ-Kreisleitung seines Postens enthoben, weil er zu einer illegalen Gruppe gehörte die Waffen besaß.414 In Magdeburg wurden 23 Gräber auf dem Großen Jüdischen Zentralfriedhof im Oktober 1975 geschändet.415 In Staßfurt-Förderstedt (Bezirk Magdeburg), gab es am 25. Januar 1976 in der Gaststätte „Zum Dreieck“ eine Schlägerei zwischen einem Deutschen und einem Algerier. Auslöser war anscheinend „aufdringliches Verhalten“ des Algeriers gegenüber der Verlobten eines Deut-

410 Information der Volkspolizei vom 20.04.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.127. 411 Aktennotiz der FDJ Arbeitsgruppe Gesellschaftliche Kontrolle, Berlin, 20.07.1966, SAPMOBArch, DY 24/ 20952 (E 4.127) und FDJ Abteilung Organisation-Kader, Betr.: Ballenstedt, Berlin, den 25.07.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 21029 (E 4.119), S. 1-3. 412 Ebenda, S. 2. 413 Kowalczuk/Wolle, S. 150; Müller, S. 26; Schmidt, S. 69. 414 FDJ BL Magdeburg an den ZR der FDJ, 29.09.1972, SAPMO-BArch, DY 24/ A. 9.135, S. 5. 415 Schmidt, S. 101.

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schen.416 Im gleichen Jahr kam es in Aken im Kreis Köthen (Bezirk Halle), im Anschluss an eine Veranstaltung, zu einer Massenschlägerei zwischen algerischen Arbeitern und FDJ-Mitgliedern, an der insgesamt etwa dreißig Personen beteiligt waren – darunter waren auch Mitglieder von FDJ-Ordnungsgruppen. Danach wurden in Aken feindselige Stimmungen gegen algerische Arbeiter festgestellt. Als „Verantwortlicher“ für die Auseinandersetzungen wurde ein Angehöriger der FDJ-Ordnungsgruppen verhaftet.417 In Aschersleben (Bezirk Halle) wurde eine Schlägerei zwischen fünf Algeriern und Deutschen durch die Volkspolizei beendet. Die Algerier hatten den Jugendklub in der Güstener Straße betreten wollen, jedoch wurde ihnen der Einlass mit der Begründung verwehrt, der Saal sei bereits überfüllt. Im Anschluss daran trat ein Algerier einem Türsteher ins Gesicht, worauf mehrere Deutsche in den Streit eingriffen. Insgesamt wurden sechs Personen verletzt, von denen vier in stationäre Behandlung mußten. Gegen fünf Algerier wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und sie wurden in Untersuchungshaft genommen.418 In Magdeburg und in 13 Kreisen des Bezirks gab es Anfang 1978 „provokatorische Äußerungen und aggressives Auftreten mit politischer Tendenz“ an Polytechnischen Oberschulen (POS) und an Kinder- und Lehrlingswohnheimen, wo Hakenkreuze angebracht, der Hitlergruß gezeigt, Hitler verherrlicht und gegen die Sowjet-Union gehetzt wurde.419 In Staßfurt wurden im Februar 1981 in einer Toilette des VEB Chemieanlagenbau, faschistische Schmierereien aufgefunden, wie z. B. Hakenkreuze, SS-Runen, „Heil dem Führer“ und zwei Zeilen des verbotenen Deutschlandliedes.420 In Staßfurt kam es im März 1981 in den Gaststätten „Bodebrücke“ und „Sternchen“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Kubanern und Deutschen. Deshalb, so der Bericht des Leiters der Kreisdienststelle Staßfurt des MfS, war es in der deutschen Bevölkerung zu einer „ablehnenden Haltung“ gegenüber den Kubanern gekommen. Eine Sekretärin des Kreiskrankenhauses Staßfurt unterhielt eine intime Beziehung zu einem Kubaner, der sie in ihrer Wohnung besuchte. Sie war verheiratet und hatte drei Kinder, die durch diese Liaison vernachlässigt würden und deswegen bereits „asoziales Verhalten“ zeigten.421 Deutschen behaupteten, dass sich die Kubaner gegenüber deutschen Frauen provozierend verhalten würden und daraus war es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. Außerdem würden deutsche Frauen „ständig den Wohnblock der Kubaner“ im Wohngebiet Leninring „umlagern“, dort übernachten und die Kubaner „durch gezieltes Animieren zu sexuellen Handlungen“ herausfordern. Die „Wohnungen der Kubaner (wären) mit einem Bordell vergleichbar“, sie 416 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15278, S. 248-249. 417 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 20.03.1976-04.05.1976, Vertraulich, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 11.06.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 4. 418 Besondere Vorkommnisse vom 01.08.1976-08.09.1976, ZR der FDJ, Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 2. Diese Information gelangte durch die örtliche Volkspolizei über das Ministerium des Innern, an den ZR der FDJ und dort zur Abteilung Verbandsorgane. 419 Politische Berichterstattung von A. Pisnik, 1. Sekretär der SED BL Magdeburg an E. Honecker, 14.02.1978, SAPMO-BArch, DY 30/ 2270, S. 5f. 420 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15404, S. 142-145. 421 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15243, S. 3-4, S. 26-28.

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verfügten über Schuß- und Stichwaffen, hätten „Geschlechtskrankheiten nach Staßfurt“ eingeschleppt. Sie hätten genügend Geld um im Intershop einkaufen zu können und mit ihren Pässen könnten sie in Drittländer reisen. Das MfS wollte mit operativen Maßnahmen diesen Diskussionen entgegentreten.422 In Staßfurt fand am 18. September 1981, in der Nähe der Bodebrücke, eine tätliche Auseinandersetzung statt, wobei ein Kubaner von einem Deutschen im Gesicht „geringfügige Verletzungen“ erlitt.423 In Staßfurt kam es am 11. Dezember 1981, bei einer Diskoveranstaltung der FDJ im Speisesaal des VEB Achslagerwerkes, zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und einem Kubaner, wobei er sich solche Verletzungen zuzog, die eine stationäre Behandlung nötig machten und seine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte.424 In Magdeburg wurde 1982 der jüdische Zentralfriedhof geschändet.425 In Staßfurt wurde am 1. Mai 1982 ein kubanischer Anlehrling in einem Festzelt durch einen Deutschen angegriffen und verletzt. Gegen den Kubaner wurde ein „Ordnungsstrafverfahren“ eingeleitet.426 In Staßfurt und Umgebung weigerten sich Gastwirte 1982 mit rassistischen Begründungen, Afrikaner zu bedienen.427 In Eilsleben (Bezirk Magdeburg) wurde im September 1983 ein Arbeiter verurteilt, weil er auf dem jüdischen Friedhof sieben Grabsteine umgeworfen und beschädigt hatte.428 In Magdeburg hatten 1984 mehrere Neo-Nazis bei einem Verbandstreffen der FDJ, das verbotene „Deutschlandlied“ gesungen, Arbeiterlieder umgedichtet und zu „antisozialistischen“ Zwecken missbraucht. Eine Ordnungsgruppe der FDJ wurde eingesetzt, um „Ordnung und Sicherheit“ wiederherzustellen.429 Im Bezirk Magdeburg erschoss am 17. April ein „gesellschaftlich aktiver Bürger“, gezielt einen sowjetischen Soldaten.430 In Magdeburg drohte ein anonymer Anrufer der FDJ Magdeburg mit einer Bombenexplosion.431 In Staßfurt wurden am 31. Januar 1985 im VEB Fernsehgerätewerk „Friedrich Engels“ in einer „Herrentoilette“ mehrere Schmierereien, wie z. B. ein Hakenkreuz, „Ihr seid alles SS-Schweine“ und „Ihr Nazis“ aufgefunden. Die Abteilung K des Volkspolizei-Kreisamtes Staßfurt führte, zusammen mit der Kreisdienststelle des MfS, eine kriminaltechnische Sicherung des Ereignisortes durch, ergriff Maßnahmen zur Einengung des Täterkreises und führte Schriftvergleiche durch.432 In Egeln (Bezirk Magdeburg) wurde am 2. April 1985 an einer Bushaltestelle ein Hakenkreuz vorgefunden. Da „die Schmiererei keine Herabwürdigung in der Öffentlichkeit darstellt“ und es „nicht einwandfrei als Hakenkreuz bezeichnet“ werden

422 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15243, S. 3-4. 423 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 19. 424 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 20. 425 Schmidt, S. 102. 426 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 10-11. 427 Lohrmann/Paasch, S. 91-99. 428 Wolffsohn, S. 372. 429 Sofortmeldung des Leiters des Bezirkszentrums Magdeburg über besondere Vorkommnisse, 04.06.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.819. 430 Kowalczuk/Wolle, S. 152. 431 Fernschreiben der BDVP Magdeburg an das MdI, an die BV des MfS Magdeburg und an die SED BL Magdeburg, 21. April 1984, SAPMO-BArch, DY 24/ A 10.819. 432 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 374.

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konnte, wurden vom VPKA Staßfurt keine Untersuchungen angestellt.433 In Hecklingen im Ortsteil Groß Börnecke im Kreis Staßfurt, wurde am 7. Mai 1985 im Kinderheim „Lieselotte Herrmann“ festgestellt, daß „Hetzschriften im Umlauf“ waren. Mit aus Zeitungen ausgeschnittenen Buchstaben fand man den Text: „Hallo SED. Du Geburtsfehler. Wir wollen eine Ehrung der SS Verbrecher“. Nach der kriminaltechnischen Tatortarbeit, ergaben Befragungen, dass drei Schüler und eine Schülerin für diese Vorgänge verantwortlich waren.434 In Hecklingen im Kreis Staßfurt, gab es am 26. Oktober 1985 bei einer Disko-Veranstaltung, „rowdyhafte und asoziale“ Provokationen. Bereits eine Woche davor wurden, vermutlich von den gleichen Jugendlichen, mit leeren Biergläsern ein Hakenkreuz auf der Tanzfläche aufgestellt, „Heil Hitler“ gerufen und der Hitlergruß gezeigt. Jugendliche brüsteten sich mit einer Reihe von ähnlichen und weiteren Taten. Die KD Staßfurt des MfS leitete Maßnahmen ein, zur Aufklärung des Personenkreises.435 In Staßfurt wurde am 15. Januar 1986 festgehalten, dass die deutsche Bevölkerung und teilweise auch das Verkaufspersonal, z. B. im „Exquisit“ oder im HO-Kaufhaus „ärgerlich reagiert“ über einkaufende Mosambikaner aus der „Schule der Freundschaft“, die ihnen „viele Waren wegkauften“, ohne das für Ersatz gesorgt würde. Den Afrikanern würden in der Stadt und im Kreis Staßfurt „Neid, Missgunst und Rassismus“ entgegenschlagen. Es wurde festgestellt, dass Busfahrer nicht anhielten, wenn ausschließlich Afrikaner an einer Haltestelle warteten.436 In Staßfurt wurde am 4. Februar 1986 im VEB Achslagerwerk wurde, an einer „Arbeiterfahne im Speiseraum des Werks“, ein mit einem Kugelschreiber geschmiertes Hakenkreuz gefunden. Da „diese Schmiererei“ nicht leicht zu erkennen gewesen wäre, war sie „nicht massenwirksam“ geworden, aber dennoch wurde die Fahne „sofort entfernt“.437 In Staßfurt wurde um den 20. November 1986 herum, Mosambikaner aus der „Schule der Freundschaft“ von deutschen Rassisten im oder beim Jugendklub Neundorf verprügelt. Die Tätlichkeiten standen unter dem Motto: „Vertreibung von Negern aus dem Jugendklub Neundorfer Straße“. Ein Deutscher war der Meinung, diese Prügeleien würden ein „zurückschlagen“ bedeuten, da es bereits davor schon Prügeleien von Mosambikanern mit Deutschen gegeben hätte. Die KD Staßfurt des MfS wollte durch weitere Aufklärung und Ermittlung der Rädelsführer habhaft werden.438 Im Laufe des Tages des 11. Oktobers 1987 erfuhr die Schulleitung der SdF von einer am Abend wohl stattfindenden militanten Auseinandersetzung zwischen mosambikanischen Lehrlingen und Deutschen. Trotz der vorgenommenen Sicherheitsmaßnahmen, in Abstimmung mit der SED KL Staßfurt, der KD des MfS in Staßfurt und dem Volkspolizei-Kreisamt in Staßfurt, konnten sich 40 bis 50 Mosambikaner bis zum Jugendklub auf den Weg machen. Getrennt durch die Hecklingerstraße, standen ihnen ca. 80 Deutsche gegenüber. Den staatlichen und politischen Autoritäten gelang es

433 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 385-386. 434 Ebenda, S. 391-394. 435 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 405-407. 436 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 18-19. 437 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 255-256. 438 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 105

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dann gerade noch, schwerwiegende tätliche Auseinandersetzungen zwischen den beiden verfeindeten Gruppen zu verhindern.439 Anfang Februar 1987 untersuchte die KD Staßfurt des MfS die Situation der Mosambikaner der SdF für die Zeit vom September 1986 bis zum Januar 1987. Dabei wurde festgestellt, dass es „in letzter Zeit mehrfach zu Auseinandersetzungen“ zwischen Deutschen und Mosambikanern gekommen war. Besonders in Staßfurt war es zu „Prügeleien, Körperverletzungen und Diebstählen“ gekommen und dadurch war die deutsche Bevölkerung gegen die Afrikaner eingestellt. Die KD Staßfurt führte die Auseinandersetzungen darauf zurück, dass es nur ca. 350 Plätze in Einrichtungen für Jugendliche in Staßfurt gäbe und dass sich an Wochenenden allein ca. 900 Mosambikaner an der Schule befänden. Es gab Äußerungen wie z. B. „die schwarzen Affen“ und geschädigte und betroffene Deutsche drohten mit „Selbstjustiz“. Es wurde auch behauptet, dass die Mosambikaner machen könnten was sie wollten, denn sie würden strafrechtlich „nicht zur Verantwortung gezogen“. Der damalige Leiter der KD Staßfurt des MfS benannte u. a. folgende Ursachen für diese Entwicklung: „[…] jahrelanges Verschweigen der sich abzeichnenden Probleme durch parteiliche und staatliche Leitungskader gegenüber den übergeordneten Dienststellen und der Öffentlichkeit“ und „zu spätes und unwirksames Durchgreifen zur Eindämmung sich entwickelnder Tendenzen“ bis hin zu rassistischem Verhalten.440 Der Betriebsschutz der SdF des Volkspolizei-Kreisamt in Staßfurt untersuchte am 13. März 1987 den Umfang der „Zunahme von mutwilligen Sachbeschädigungen, Zerstörungen und Einbrüchen“ im Zeitraum vom 1. September 1986 bis zum 10. März 1987 an der „Schule der Freundschaft“ und dabei wurde eine Summe von ca. 33.000 Mark der DDR aufgelistet. Darin beinhaltet waren z. B. zerstörte Türen, Fensterscheiben, Lautsprecher der Schulfunkanlage, Fernsehgeräte und Tische, Stühle und Betten. Die Volkspolizei vermerkte „die Zunahme von aggressiven Verhalten in Wort und Tat“ bei ca. 30 mosambikanischen Lehrlingen, die sich den „Pflichten, Normen und Kontrollen“ entzogen. Die Lehrlinge waren unzufrieden mit den Bedingungen an der Schule und in der DDR, sie beklagten einen Mangel an Freiheiten und Geld und sie fühlten sich „ausgebeutet“. Von diesen ca. 30 Mosambikanern hatten die deutschen Funktionäre „12 Lehrlinge“ ausgesucht, die sie nach Mosambik abschieben wollten. Die Volkspolizei wollte dadurch der Gefahr entgegentreten, dass „das negative Einwirken auf andere Lehrlinge“ nicht weitergeführt werden könnte. Um den Einbrüchen in die Lagerräume der Schule zu verhindern, wurden „20 Stahlblechtüren mit Rahmen“ eingebaut und es sollten zusätzlich „80 verstärkte Wohnungseingangstüren“ eingebaut werden; damit sollten „Voraussetzungen für die Verschlußsicherheit“ geschaffen werden. Doch damit nicht genug: bei der Einlaßkontrolle der Lehrlinge war es oft zu Schwierigkeiten gekommen, da sie sich nicht nur weigerten gegenüber den Angehörigen des Objektschutzes sich auszuweisen, sondern das sie auch „ausfallend und provokatorisch“ auftreten würden. Die Lehrlinge umgingen die Kontrollen am Ausgang, indem sie den Zaun um die SdF immer wieder niedertraten. Die Untersuchung des VPKA Staßfurt endet mit Vorschlägen zum weiteren Vorge439 Rüchel (2001), S. 79-82. 440 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15302, S. 12-15.

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hen gegen die Mosambikaner, denn so sollte „Zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit an den Schwerpunkten (mosamb. Dorf, Straßenseite Internate) eine feste Umfriedung, z. B. Mauer“ errichtet werden.441 Am 19. März 1987 unternahm die KD des MfS erneut eine Einschätzung der „auftretenden Probleme an der Schule der Freundschaft Staßfurt sowie in Betrieben und in der Öffentlichkeit des Kreises Staßfurt im Zusammenhang mit dem Verhalten der moc. Lehrlinge in den genannten Bereichen“. Dabei wurde festgestellt, „dass die Stimmung unter der Bevölkerung ein starkes Gefälle in negative Bereiche hat. Von dem ursprünglich sehr guten Verhältnis zu den Mocambiquanern, […] ist wenig geblieben. Die Ursachen dafür liegen in dem teilweise sehr aggressiven und provokatorischen Verhalten eines Teils der moc. Lehrlinge in der Öffentlichkeit, in ihren Lehrbetrieben und an der Schule der Freundschaft. Die genannten Probleme tragen Prozeßcharakter und eskalieren sich in jüngster Zeit“. Spannungen wären „auch deshalb zustande (gekommen), weil die Staßfurter Bevölkerung den Mocambiquanern unterstellt, sie würden bevorzugt mit Lebensmittel und Bekleidungsgegenständen versorgt. Fakt ist, daß ein Teil der Moc. sehr modern gekleidet ist, wobei die Bekleidung aus dem westlichen Ausland stammt“. In Staßfurt wurden in der deutschen Bevölkerung rassistische Spekulationen über angebliche „alte moc. Traditionen“ weitergereicht, die als mögliche Erklärung für die Ursachen der vielfältigen Probleme zwischen Deutschen und Mosambikanern angesehen wurden. Diese angeblichen mosambikanischen Traditionen würden auf das kriegerische Verhalten des mosambikanischen Volksstammes der islamischen „Maconde“ in der Provinz Nampula zurückgehen, die bereits „in der Kolonialzeit als sehr kriegerisch“ bekannt gewesen sein sollen. Eine Eigenheit dieses Stammes sollte es sein, „schwangere Frauen ihrer Gegner zu überfallen, zu vergewaltigen und ihnen dann Schnittwunden an Gesicht und Körper beizubringen“. Diese Verhaltensweisen hingen mit „heidnisch-mystischen Vorstellungen zusammen, wonach das heranwachsende Kind, also der heranwachsende Gegner, geschwächt“ werden sollte. Es sei auch bekannt, dass bei den „Maconde“ die Messer „sehr locker sitzen“ würden. Hintergrund dieser verworrenen Vorstellungen war eine „versuchte Vergewaltigung“ an einer jungen Deutschen aus Staßfurt im Dezember 1986, wo der Täter als auch die Tat von der Leitung der „Schule der Freundschaft“ verschwiegen wurde. Auch im Herbst 1986, also kurz vor dieser versuchten Vergewaltigung, hatte die Schulleitung eine „tätliche Auseinandersetzung“ mit Rassisten „erst in letzter Minute“ der Volkspolizei mitgeteilt, „um Schlimmeres zu verhüten.“ Ein großer Teil der mosambikanischen Lehrlinge, so der Bericht weiter, waren mit ihrem „Ausbildungsberuf nicht einverstanden“. Viele Maßnahmen der Lehrausbilder wurden als „Diskriminierung und Schikane“ erlebt und es soll wiederholt zu „Bedrohungen von Lehrmeistern“ gekommen sein. Daraufhin war von der Leitung der SdF vorgesehen, dass 12 mosambikanische Lehrlinge der Botschaft Mosambiks „zur Ausreise vorgeschlagen“ werden sollten und dieser Vorschlag wurde vom Ministerium für Volksbildung und vom Staatssekretariat für Berufsausbildung unterstützt. Die Botschaft der VR Mosambik hingegen hatte Einwände gegen dieses Vorgehen und man wollte mit dem zuständi441 BStU, BV Magdeburg, AKG, Nr. 17, S. 101-103.

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gen Ministerium in Mosambik sprechen um gegebenenfalls dort eine Entscheidung zu bekommen. Der Botschafter der VR Mosambik in der DDR wollte Anfang April die SdF Staßfurt besuchen. Der Schulleitung der SdF und den Behörden der DDR erschien das Warten auf eine Entscheidung für die Ausweisung von 12 Mosambikanern als „zu risikovoll“. Wenn die Ausweisung nicht erfolgen sollte, dann, so die Befürchtung der KD Staßfurt des MfS, wären „die Folgen bei Weiterverbleib an der Schule der Freundschaft bzw. auch in der DDR verheerend und können […] zur Gefährdung der gesamten Ausbildung für alle anderen moc. Lehrlinge führen“, die Wirkung auf die breite Öffentlichkeit wäre dann dementsprechend. Bei der Einrichtung der Schule der Freundschaft wäre „eine Vielzahl soziologischer Probleme wie Sippendenken, Großfamilie etc. sowie Traditionen, Mentalitäten und die z. Z. bestehenden politischen und sozialökonomischen Verhältnisse in der VRM bei der Einrichtung der Schule der Freundschaft nicht richtig eingeschätzt und im Verlauf der bisherigen Ausbildung der moc. Jugendlichen zu wenig berücksichtigt worden. Hierin liegen ein Teil der objektiven Ursachen für die derzeitigen Schwierigkeiten mit den Lehrlingen begründet. Die örtliche Dienststelle des MfS konnte aus den Diskussionen in der deutschen Bevölkerung entnehmen, „daß es bereits Tendenzen einer gewissen Ausländerfeindlichkeit gibt. Es ist zu erwarten, daß diese sich noch verstärkt, wenn die Probleme an der Schule der Freundschaft nicht positiv geklärt werden. Diese Situation muß im Zusammenhang mit dem geplanten Einsatz von Vietnamesen, Japanern und Polen in unserem Kreis gesehen werden, welcher unter den gegebenen Umständen von der Bevölkerung aus dem gleichen Blickwinkel gesehen würde wie die Schule der Freundschaft“. In der Staßfurter Bevölkerung gab es bereits kritische Stimmen zu den Wohnungen, die von Ausländern bewohnt wurden. Es wurde gesagt, „wir als DDR-Bürger erwirtschaften das Geld, die Neubauwohnungen erhalten die Ausländer“.442 In Güsten im Kreis Staßfurt gab es am 11. Mai 1987 eine Auseinadersetzung zwischen 11 Mosambikanern und mehreren deutschen Rassisten, als die Afrikaner an einer Tanzveranstaltung im Klubhaus der Eisenbahner teilnehmen wollten, was ihnen von den Türstehern verweigert wurde. Dazu wurden sie beschimpft als „schwarze Schweine“ und „Zur Zeit des Führers“ hätte man ihnen „die Haut abgezogen, langsam getötet und schließlich verbrannt“. Die Afrikaner wurden geschlagen und mussten wieder zurück ins Wohnheim. Zwei Tage später, am 13. Mai 1987, gegen 21.30 Uhr, versuchten vier Rassisten gewaltsam in das Wohnheim der Mosambikaner in Güsten einzudringen und die Bewohner tätlich anzugreifen. Bei den Auseinandersetzungen wurde der Heimleiter verletzt. Die Transportpolizei wurde gerufen um Beweise zu sammeln und dabei soll es zu widersprüchlichen Aussagen gekommen sein.443 In Staßfurt kam es 1988 zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Kubanern und Deutschen, wobei ein Deutscher mit einem Beil lebensgefährlich verletzt wurde.444 442 BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG, Nr. 17, S. 94-100. 443 Rüchel (2001), S. 92 f. 444 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15243, S. 75.

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In Staßfurt gab es 1988 in der deutschen Bevölkerung Verärgerungen und Diskussionen, weil Polen „Süß- und Schokoladenwaren sowie Haushaltsartikel“ in großen Mengen aufgekauft hatten.445 In Staßfurt wurde am 9. Juni 1989 in der Gaststätte „Bierbar“ ein Vietnamese von einem Deutschen so schwer verletzt, dass er im Kreiskrankenhaus Staßfurt stationär behandelt werden musste.446 In Staßfurt, wurde am 21. Juni 1989, kurz vor Mitternacht, die „Schule der Freundschaft“ von drei Rassisten mit Steinen beworfen. Sie riefen: „Negerschweine“ und „Judenpack“. Volkspolizisten vom Volkspolizei-Kreisamt (VPKA) in Staßfurt wurden darüber informiert, sie konnten jedoch keine Täter mehr feststellen.447 Die Botschafter von Kuba und Mosambik beschwerten sich beim DDR-Außenministerium in diesen Monaten des Jahres 1989 darüber, dass ihre Staatsbürger im wachsenden Maß beschimpft und tätlich angegriffen würden.448 Nach Angaben des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) der DDR wurden seit Jahresbeginn 1988 etwa 188 Ermittlungsverfahren wegen neo-nazistischer oder rassistischer Ereignisse aufgenommen.449 Obwohl es in der DDR 1989 ca. 280 Strafverfahren wegen neo-nazistischer Umtriebe gab, behauptete am 11. August 1989 die staatliche Nachrichtenagentur ADN, Informationen über neo-nazistische Tendenzen in der DDR seien „purer Unsinn“.450 Nach der Auflösung der DDR und der Konstituierung der neuen Bundesländer im vereinten Deutschland wurden die rassistischen Übergriffe auf Ausländer in Staßfurt und Umgebung fortgesetzt. Und so wurde in Staßfurt, nun im Bundesland SachsenAnhalt, am 22. Januar 1993, kurz nach Mitternacht, auf dem Hof des Polizeireviers Lorin Radu (21 Jahre) aus Rumänien von einem Polizisten (53 Jahre) von hinten erschossen „auf der Flucht erschossen“. Gegen den inzwischen vom Dienst suspendierten Beamten wurde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Die Tötung wurde mehr als zwei Wochen von den zuständigen Behörden der Öffentlichkeit gegenüber verschwiegen. Ein Tag zuvor war in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) ein junger Mann ebenfalls von hinten von einem Polizisten erschossen worden. Der Staßfurter Polizist wurde im Februar 1994 von einem Schöffengericht am Amtsgericht Staßfurt wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 13.500 DM verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Betrag von 7.500 DM gefordert.451 In Staßfurt warfen am 28. März 2002 zwei Rassisten einen Brandsatz in ein Wohnheim für Ausländer. Die beiden Angreifer wurden von der Polizei festgenommen.452 445 Ebenda, S. 75. 446 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15246, S. 18. 447 BStU, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15485, S. 65. 448 Madloch, S. 86. 449 Hirsch/Heim, S. 109. 450 Madloch, S. 81; Siegler, S. 67f. 451 Süddeutsche Zeitung, 10.02.1993; die tageszeitung, 10.02.1993, 12.02.1993, 26.01.1994, 17.02.1994. 452 die tageszeitung, 02.04.2002; Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.): Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen. Dokumentation 1993 bis 2002, Heft I, 19. aktualisierte Auflage, Berlin, o. J.

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Seit dem 1. Juli 2007 ist Staßfurt ein Teil des Salzlandkreises und es ist, so meine ich, von Interesse, welche rassistischen Angriffe dort, in der näheren Umgebung von Staßfurt, seit der Wende stattgefunden haben: In Seeland-Gatersleben im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt, früher Bezirk Magdeburg) wurde im Oktober 1991 eine Wohnung von Flüchtlingen von ca. 15 Neo-Nazis überfallen.453 In Aschersleben im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt, früher Bezirk Halle) wurde im August 1991 ein Wohnheim für Flüchtlinge mit Brandsätzen und Steinen angegriffen und es wurden rassistische Parolen gegrölt. 17 Flüchtlinge mussten in eine Polizeischule evakuiert werden.454 In Pritzerbe bei der Stadt Brandenburg (Brandenburg) verhinderte die Polizei im August 1993 ein Skinhead-Konzert. Es wurden über 170 Neo-Nazis vorläufig festgenommen und Messer, Baseball-Schläger und Schreckschuss-Waffen beschlagnahmt. Daraufhin reisten Neo-Nazis nach Staßfurt-Löbnitz im Salzlandkreis zu einer Gaststätte wo die Polizei ca. 40 Personen in Gewahrsam nahm.455 In Calbe im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) überfielen vermummte und mit Baseball-Schlägern bewaffnete Rassisten im Januar 1994 ein Heim für Obdachlose, verletzten Bewohner und zerstörten Mobiliar. Ein Opfer musste ins Krankenhaus gebracht werden. Die Täter entkamen unerkannt.456 In Egeln im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt (früher Bezirk Magdeburg) wurde am 20. August 1994 ein Wohnheim für Ausländer von fünf Rassisten (14 bis 21 Jahre) mit Steinen angegriffen und vor dem Haus parkende Autos demoliert.457 In Calbe im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt, früher Bezirk Magdeburg) wurden anti-semitische Äußerungen notiert: „Die Juden sind an allem Schuld. Hitler hätte noch mehr vergasen sollen“.458 In einem Dorf bei Staßfurt im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wurden im Juni 2000 Fußballer einer iranischen Mannschaft von Rassisten mit Baseballschlägern angegriffen.459 In Schönebeck im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wurden im Dezember 2003 mehrere Linke von sechs Neo-Nazis angegriffen. Dabei wurden zwei Männer und zwei Frauen (18 bis 21 Jahre) zum Teil schwer verletzt. Das Landgericht Magdeburg verurteilte die sechs Neo-Nazis wegen gefährlicher Körperverletzung.460 In Barby-Pömmelte im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wurde am 9. Januar 2006 ein Äthiopier (12 Jahre) von fünf Rassisten (14 bis 19 Jahre) überfallen, verprügelt und gequält. Sie drückten auf seinem Kopf eine Zigarette aus, bedrohten ihn mit einer Schusswaffe und ließen ihn ihre Springerstiefel ablecken. Das Opfer lag mit schweren Kopfverletzungen über eine Woche im Krankenhaus und er verließ daraufhin den Ort Pömmelte. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Körperverletzung, versuchter schwerer Körperverletzung und wegen Freiheitsberaubung.461 453 Konkret, S. 18. 454 Konkret, S. 14; Borchers, S. 18. 455 die tageszeitung, 23.08.1993. 456 die tageszeitung, 03.01.1994. 457 Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.): Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen. Dokumentation 1993 bis 2002, Heft I, 19. aktualisierte Auflage, Berlin, o. J. 458 A. Timm, S. 145. 459 die tageszeitung, 19.06.2000. 460 die tageszeitung, 16.07.2005. 461 die tageszeitung, 21.04.2006.

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In Staßfurt im Salzlandkreis, in Sangerhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz und in Bitterfeld-Wolfen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (alle Sachsen-Anhalt) hatten NeoNazis am 11. Februar 2010, im Rahmen einer Aktionswoche „Ein Licht für Dresden“, Mahnwachen abgehalten.462 In Staßfurt-Förderstedt im Salzlandkreis wurde am 19. Juni 2010 eine neo-nazistische „Sommersonnenwendefeier“ von der Polizei unterbunden.463 Anti-semitischer Anti-Zionismus nach Innen und Außen Vor dem Holocaust lebten auf dem Territorium der DDR ca. 85.000 Menschen jüdischer Herkunft.464 Nach 1945 waren nur wenige tausend Juden übrig geblieben, die entweder in den Nazi-Lagern überlebt hatten oder die aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt waren. Eine Volkszählung in der SBZ ergab 1946 eine Zahl von 4.500 Juden und einigen tausend Personen jüdischer Herkunft, die sich jedoch nicht zum jüdischen Glauben bekannten.465 1949 gab es jüdische Gemeinden in Brandenburg/Havel (68 Mitglieder), Chemnitz (49), Dresden (188), Halle (95), Leipzig (338) Magdeburg (167), Schwerin (81)und Thüringen (264) mit insgesamt 1.250 Mitgliedern. 124 der Mitglieder waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Hinzu kamen ca. 2.500 Juden in Berlin (Ost) die der Gesamtberliner Jüdischen Gemeinde angehörten.466 Nach einer Erhebung der jüdischen Gemeinden in der DDR, wurden 1950/51 nur noch 1.244 Mitglieder gezählt. 1975 befanden sich noch 813 Juden in der DDR, von denen ca. 65% über 60 Jahre alt waren.467 Im Jahre 1976 wurden noch 710 Juden in der DDR gezählt.468 Daher muss hier von einem Anti-Semitismus ausgegangen werden, der ohne Juden auskam. Anti-Semitismus ist auf einer gesellschaftlichen als auch auf einer staatlichen Ebene wirksam und er wird sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik sichtbar. Die Bedeutung meines Beitrags zur Diskussion um den Anti-Semitismus in der DDR liegt in der Offenlegung der empirischen Fakten zum gesellschaftlichen Anti-Semitismus und damit der Sichtbarmachung der dialektischen Beziehung zwischen den anti-semitischen Potentialen in der Gesellschaft und der anti-zionistischen bzw. anti-semitischen Außenpolitik. Als alles dominierende Staatspartei trug die SED die Verantwortung für die Entwicklung sublimer anti-semitischer Potentiale, nicht nur durch ihre Außenpolitik gegenüber dem Staat Israel sondern auch durch ihre Politik gegenüber den Juden in der DDR. In Anbetracht der wenigen dort verbliebenen und offi462 Verfassungsschutzbericht 2010 Sachsen-Anhalt, Ministerium des Innern. 463 Verfassungsschutzbericht 2010 Sachsen-Anhalt, Ministerium des Innern. 464 Ministerium der Finanzen. Begründung über eine einmalige Beihilfe an den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Berlin, März 1950, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/14/239. 465 Timm, S. 60. 466 Timm, S. 405. 467 Information zur Vorlage an die Dienstbesprechung: Zur Situation, Struktur usw. in den jüdischen Gemeinden in der DDR, Abtg. I des Staatssekretariats für Kirchenfragen, Berlin, 19.08.1975, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B2/14/174. 468 SED-Vorlage für die Dienstbesprechung, Information zur Situation der jüdischen Gemeinden in der DDR, NfD, Abteilung I, Berlin, 02.06.1976, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 14/174.

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ziell gemeldeten Jüdinnen und Juden, es gab so gut wie keine jüdische Bevölkerung, kann man von einem Anti-Semitismus sprechen, der ohne Juden auskam. Nach dem Protokoll der Sitzung des Politbüros der SED vom 11. Juli 1961 registrierte das Ministerium des Innern (MdI) für das Jahr 1960 insgesamt 595 Vorfälle mit anti-semitischer Hetze und 2.977 neo-nazistische Vorfälle.469 In 32 Schulen (Dresden-Ost, Pirna, Freital und Görlitz) von 12 Landkreisen, waren 1966 rund 50 Schüler einzeln oder in Gruppen unmittelbar mit „faschistischen“ Losungen und Symbolen beteiligt. Schüler der EOS Reichenbach und der POS Wingwitz waren aufgefallen, weil sie jüngere Schüler mit faschistischen Methoden terrorisiert hatten.470 Im Jahr 1988 wurden in Ober- und Berufsschulen sowie in Lehrwerkstätten an Tafeln, Wandzeitungen, am Mobiliar, in Büchern und an Arbeitskleidern von Lehrlingen faschistische und antisemitische Symbole und Parolen gefunden. Es gab schriftliche und mündliche Losungen wie „Die Mauer muß weg“ - Auschwitz muß her“.471 Jüdische Friedhöfe wurden 1988 in Potsdam, Mühlhausen und in Berlin (DDR) geschändet.472 Ende Dezember 1988 wurde die Volkspolizei-Inspektion Berlin-Weißensee informiert, dass auf dem Friedhof der Adass-Jisroel-Gemeinde sieben Grabsteine umgestoßen wurden.473 Im Oktober 1989 wurde dieser Friedhof erneut geschändet. Die Friedhofsmauer war mit faschistischen Parolen versehen und auf dem Gelände des Friedhofes lag ein mit Maden durchsetztes Stück Schweinefleisch.474 Die Lage der Juden und der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde weitgehend bestimmt durch Maßnahmen der alles beherrschenden SED. Im Februar 1949 hatte sich das Politbüro mit den in Berlin und in der Partei grassierenden anti-semitischen Stimmungen beschäftigt und im November desselben Jahres begannen bereits die „Säuberungsaktionen“ der „Zentralen Parteikontrollkommission“. In Sachsen wurde in den Akten nach „jüdischer und jüdisch-bürgerlicher Herkunft“ unterschieden, obwohl offiziell (von Mielke) nach „kleinbürgerlichen Feiglingen“ gefahndet wurde. In der Regel waren ehemalige Emigranten betroffen, die aus dem Westen in die SBZ bzw. DDR zurück gekehrt waren. Im Januar 1952 hatte die sowjetische Besatzungsmacht die Parteiführung der SED aufgefordert alle Juden in einer speziellen Kartei zu registrieren und im Juli 1952 wurde das gesamte jüdische Eigentum aufgehoben und in Volkseigentum überführt. Aber auch in anderen von der Sowjet-Union kontrollierten Staaten wurden Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre Jüdinnen und Juden juristisch und politisch diskriminiert und angegriffen: Ana Pauker, eine rumänische Kommunistin mit jüdischer Herkunft, sie war von 1947 bis 1952 Außenministerin Rumäniens, wurde 1952 Opfer einer anti-semitischen Säuberung in der KP Rumäniens. Gegen Rudolf Slánsky, ebenfalls jüdischer Herkunft, Generalsekretär der 469 A. Timm, S. 422. 470 Informationen über Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abtg. Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, den 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.126. 471 Vorlage zur 122. Sitzung des Sekretariats von der FDJ Abtg. Staat und Recht, Berlin, den 10.06.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ A 11.462. 472 Timm, S. 310; vgl. Schmidt. 473 Der Generalstaatsanwalt der DDR, Entscheidung zu, durch Dr. Mario Offenberg (Berlin-West) bzw. in seinem Auftrag erstattete Anzeigen, 1989, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/180. 474 Der Tagesspiegel, 02.11.1989.

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tschechoslowakischen KP von 1945 bis 1951, und gegen weitere 13 Hauptangeklagte, 11 von ihnen waren Juden, wurde im Dezember 1952 in Prag ein anti-zionistisch konzipierter, anti-semitischer Schauprozess abgehalten, der mit elf Todesstrafen endete.475 Die „Säuberungen“ richteten sich gegen die Emigranten, die aus dem Westen zurückgekehrt waren und gegen nicht-jüdische Mitglieder des Politbüros wie z. B. Franz Dahlem und Paul Merker. Merker war bereits Mitglied im Zentralkomitee und im Politbüro der KPD gewesen und hatte in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland die gleichen Funktionen inne. Er war einer der wenigen führenden Funktionäre, die die „jüdische Frage“ in Schriften und Reden bereits in der Emigration in Mexico thematisiert und der sich nicht nur für Entschädigungen der von den Nazis verfolgten Juden eingesetzte, sondern auch forderte die Gründung eines jüdischen Staates zu unterstützen und er plädierte für eine Anerkennung der Juden als nationale Minderheit in Deutschland. Im August 1950 geriet er dadurch in Konflikt mit der Stalinschen Linie des anti-semitischen Anti-Zionismus. Er wurde 1950 aus der SED ausgeschlossen und im Dezember 1952 wegen angeblicher illegaler Kontaktaufnahme mit „US-imperialistischen Kreisen“, d. h. Kontakte mit Noel H. Field, verhaftet. Merker hatte Field während der Emigration kennengelernt, als er ihm 1942 bei seiner Flucht geholfen hatte. Am 30. November 1952 wurde P. Merker von „Mitarbeitern“ des MfS verhaftet. Nach dem anti-semitischen Slansky-Prozess im Dezember 1952 in Prag, hatte das Zentralkomitee (ZK) der SED am 14. Mai 1953 Merker als „Agent“, als „Kapitulant“ und als „Verräter“ bezeichnet. Merker wurde als Staatssekretär degradiert und leitete danach eine HO-Gaststätte in Luckenwalde, südwestlich von Berlin. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft im Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen wurde er im März 1955 vor dem 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR angeklagt und am 30. März 1955 zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die er im Zuchthaus Brandenburg verbringen musste. Als Beweisgründe für den Schuldspruch werteten die Richter Merkers Eintreten für die „ausnahmslose Entschädigung aller aus Deutschland emigrierten Juden ... und für das Recht der nach Deutschland zurückkehrenden Juden auf Anerkennung als nationale Minderheit und die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates“. Seinen verschiedenen Stellungnahmen hatten die Behörden entnommen, dass er die NS-Rassentheorie und die Verfolgung der Juden durch die deutschen Faschisten zum Kern seiner Analyse des deutschen Faschismus erhoben hatte. Am 27. Januar 1956 wurde Merker entlassen und ab Mai 1956 war er wieder Mitglied der SED. In einer geheimen Verhandlung wurde Merker im Juli 1956 von demselben Gericht rehabilitiert, das ihn verurteilt hatte. Er war nun juristisch, aber nicht politisch rehabilitiert und kurz vor seinem Tod, Paul Merker war physisch und psychisch „gebrochen“, wurde ihm postum von der Regierung der DDR der „Vaterländische Verdienstorden“ in Gold verliehen. Was für ein Zynismus! Seine Frau Margarete war Anfang Juni 1953 aus der SED ausgeschlossen worden und ihr Status als „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) wurde ihr aberkannt, was ich nur als Ausdruck von „Sippenhaftung“ verstehen kann. Merker und anderen Kommunisten war vorgeworfen worden, sie hätten Spionage für den US-Geheimdienst betrieben. Tatsächlich hatte Merker, zusammen mit Leo Zuckermann, ein 475 Grunenberg, S. 196f.

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„Wiedergutmachungsgesetz“ auf den Weg gebracht, dass jedoch nie beschlossen wurde. Bei diesen „Säuberungen“ wurden bis 1953 insgesamt ca. 150.000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen und dabei wurden auch jüdische Journalisten der elektronischen Medien sowie der Printmedien, wie z. B. Willi Kreikemeyer, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Lex Ende, Wolfgang Langhoff und Leo Zuckermann mit der Begründung ausgeschlossen, sie hätten mit Noel H. Field in Verbindung gestanden.476 Der Flucht ost-deutscher Juden in den Westen waren massive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, denen vorgeworfen wurde Kontakte zu westlichen Hilfsorganisationen aufgenommen zu haben. Bereits Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „Care“-Paketen hatten zu repressiven politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden.477 Darunter befand sich Julius Meyer, Präsident der Jüdischen Gemeinden, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer, der begleitet von Familienangehörigen nach Berlin (West) flüchtete.478 Auch Leo Zuckermann, Staatssekretär in der Kanzlei von Staatspräsident Wilhelm Pieck und Leo Löwenkopf, Mitglied der SED und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dresden, flüchteten ebenfalls in die BRD. Diese Flucht von ca. 550 Juden nach Berlin (West) hatte umfangreiche Durchsuchungen und Verhöre durch die Kriminal- und Volkspolizei und den Staatssicherheitsdienst zur Folge. Wohnungen wurden nach „staatsfeindlichem“ Material durchsucht, während sich die Bewohner beim Verhör bei der Volkspolizei befanden. In mehreren Fällen wurden Korrespondenzen, Akten und auch Personalausweise beschlagnahmt.479 Der im Ort Kleinmachnow, südlich von Berlin, lebende Julius Meyer, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde Ende 1952, Anfang 1953 massiven anti-semitischen Repressionen unterzogen und er flüchtete im Januar 1953 aus der DDR. Ebenfalls flüchtete Leo Zuckermann, Staatsekretär in der Kanzlei von Staatspräsident W. Piek. Mit ihm flüchteten sechs von sieben Gemeindevorstehern – Helmut Salo Looser, Leipzig, Leon Löwenkopf (SED), Dresden, Günter Singer, Erfurt, Horst Karliner, Magdeburg, Leon Zamorje, Halle und Walter Kappel, Eisenach. Zu den Flüchtlingen gehörten Fritz Grunsfeld und Leo Eisenstadt, Vize-Präsident und der Generalsekretär des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Zusammen mit den Funktionären flüchteten mehrere hundert Juden in den Westen. Auslöser dieser Flucht war die Verhaftung von P. Merker, wobei die Verhaftungen am 21./22. November von Paul Baender, ehemaliger Staatssekretär, und von Hans-Heinrich Schrecker, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung am 24. November 1952, vorausgegangen waren. Diesem „Exodus“ waren massive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, die Kontakte zu westlichen Hilfsorganisationen aufgenommen hatten. Bereits 476 Weber (1985), S. 200; A. Timm, 113. 477 Goschler, S. 104. 478 Goschler, S. 104; Telegraf, 16.01.1953; Kurier, 16.01.1953. 479 Mertens (1993), S. 141; Arndt/Eschwege/Honigmann/Mertens (1988), S. 91ff; Die Neue Zeitung, 18.01.1953; Die Welt, 19.01.1953; Mertens, (1993), S. 141; Goschler (1993), S. 103; Groehler (1994), S. 299.

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Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „CarePaketen“ hatten zu politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden.480 Unter den Flüchtlingen befand sich auch Julius Meyer, Präsident der Jüdischen Gemeinden, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer, der von mehreren Familienangehörigen begleitet worden war.481 Ebenso flüchteten Heinz Freund, Kammergerichtspräsident in Berlin (Ost) und Heinz Fried, Direktor der Wasserwerke in Berlin (Ost). Alle Insassen des Jüdischen Kinderheims in Berlin-Niederschönhausen fuhren zusammen mit den Erzieherinnen mit der Straßenbahn über die Sektorengrenze. Ein Ergebnis der anti-semitischen „Säuberungen“ die das MfS 1952/53 durchgeführt hatte, ergab 912 jüdische Haushalte und weitere 1.098 Familien, deren Vorstand „aus einer Mischehe“ stamme. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) wurde am 21./22. Februar 1953, als „Selbstauflösung“ inszeniert, von der SED aufgelöst und durch das lammfromme, staatsabhängige „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ ersetzt.482 Es ging dann darum den „Sozialismus“ aufzubauen, zusammen mit der Masse der kleinen und großen Nazis, und da war kein Platz mehr für eine authentische, weil vielfältige und unabhängige Gruppierung von Widerstandskämpfern und Verfolgten. Die Jüdischen Gemeinden waren in ihren Aktivitäten reduziert auf die Ausübung des jüdischen Kultus und sie hatten ihre politische Bedeutung verloren. Durch die Ablehnung eines Gesetzes zur „Wiedergutmachung“ waren sie vollständig von staatlicher finanzieller Unterstützung abhängig.483 In den Jahren danach versuchte die SED immer wieder Einfluss zu nehmen auf die Besetzung von Führungspositionen der Jüdischen Gemeinden. Um diese politische Kontrolle zu realisieren, bediente man sich Mitte der 1950er Jahre auch anti-semitischer Vorurteile, die darauf abzielen sollten, Hermann Baden, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden, in seiner Funktion zu desavouieren. Es wurden anti-semitische Vorurteile bedient, um Baden als Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden abzusetzen. Auf jeden Fall, so der Bericht wörtlich, sei „Baden zu isolieren“ um einen Vorstand zu bekommen der „im positiven Sinne unserer Gesellschaftsordnung“ arbeitet. Aus diesem Grund war der Verband der Jüdischen Gemeinden offiziell nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch ausdrücklich als „politische Organisation“ eingestuft.484 Durch diese Zwangspolitisierung begründete die Führung der SED ihren Anspruch auf ihre Mitwirkung bei der Besetzung von Führungspositionen in den Jüdischen Gemeinden. Weil einige Vorsitzende der jüdischen Gemeinden wegen Alters und Krankheit zurücktreten mussten, wurden in der SED Überlegungen angestellt, wie, d. h. mit wem, diese frei werdenden Posten neu besetzt werden könnten. Weil an diese, für die Parteifunktionäre primär als politische Ämter verstandenen 480 Goschler (1993), S. 104. 481 Goschler (1993), S. 104; Telegraf , 16.01.1953; Kurier vom 16.01.1953. 482 A. Timm, S. 118ff; Keßler, S. 35-40; Hölscher, S. 162-182; Goschler (1993), S. 103; Groehler (1994), S. 299. 483 Leo, S. 21. 484 Jüdische Gemeinden in der DDR, 1956, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/14/249.

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Posten internationale Beziehungen gebunden waren, musste der neue Vorsitzende des Verbandes auf jeden Fall ein „Genosse“ sein. Zusätzlich legitimiert wurde diese Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden mit der Begründung, der Staat stelle „jährlich erhebliche finanzielle Mittel“ zur Verfügung für die Begleichung von Verwaltungskosten, Veranstaltungen sowie für die Pflege und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe. Außerdem, so die paternalistische Rhetorik, werde der Synagogalchor in Leipzig finanziell unterstützt, obwohl der überwiegende Teil der Sänger keine Juden seien bzw. keine jüdische Herkunft hätten. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur sollte dem Verband der jüdischen Gemeinden sein Weiterbestehen auch deshalb garantiert werden, weil die Pflege des so genannten jüdischen Kulturguts auch ein bedeutendes Gewicht darstelle für die Interessen der Außenpolitik der DDR. Dieser anti-semitische Anti-Zionismus in der DDR hatte seine Wurzeln in der Sowjet-Union, als kurz nach dem Ende des II. Weltkrieges, das „Jüdische anti-faschistische Komitee“ (JAK) verboten und seine Mitglieder verhaftet wurden. Des Weiteren wurde gegen eine angebliche „Ärzteverschwörung“ von „wurzellosen Kosmopoliten“ vorgegangen, ein Tarnbegriff mit dem hauptsächlich Jüdinnen und Juden gemeint waren. Im Abschnitt über den anti-semitischen AntiZionismus bei deutschen Linken gehe ich ausführlicher auf diesen Beginn ein. In das anti-semitisch aufgeladene politische Klima in der Sowjet-Union wurde zum ersten Mal das pseudo-theoretische Konstrukt des „Anti-Zionismus“ eingesetzt, dass den Staat Israel als Ausdruck der Machenschaften von US-Geheimdiensten denunziert. Dieser anti-semitische Anti-Zionismus wurde auch zum Leitmotto der SED gegenüber den jüdischen Gemeinden in der DDR und war auch wesentlicher Bestandteil der ost-deutschen Außenpolitik gegenüber Israel. Als braves Ebenbild der KPdSU hatte die Führung der SED ihre Außenpolitik an diesem sowjetischen Grundsatz ausgerichtet und hat damit innenpolitisch einen öffentlichen Raum geschaffen, in den, die in der ost-deutschen Gesellschaft tradierten anti-semitische Vorstellungen einfließen konnten. Mit dem Anti-Zionismus ist von den kommunistischen Parteien eine Propaganda entwickelt und politisch verbreitet worden, mit der dann sogar das Vorgehen und die Politik der Israelis gleichgesetzt wurde, mit dem Vorgehen und der Politik der Nazis.485 Anti-Zionismus als sublimierter Anti-Semitismus hatte bei Linken in West- und in Ost-Deutschland traditionelle Züge angenommen, in den auch antisemitische Einstellungen und Befindlichkeiten eingegangen, die in der historischen deutschen und internationalen Arbeiterbewegung tradiert worden waren.486 Dieses Thema habe ich hier in diesem Buch ausführlicher im II. Kapitel behandelt. In Berlin (DDR) machte 1956 eine SED-Betriebsparteiorganisation, im Zusammenhang mit dem Suezkrieg, den Vorschlag, ein deutsches Freiwilligenbataillon zu gründen das an der Seite Ägyptens gegen Israel, Frankreich und England kämpfen sollte. 1956/57 kam es in Ägypten zu Massenverhaftung von Juden und etwa 40-50.000 Ju487 den verließen daraufhin das Land. 485 A. Timm, S. 209. 486 Rürup, (1991a), S. 17-31; Initiative Sozialistisches Forum Freiburg (Hrsg.), S. 37-51; vgl. Strobl, S. 391-397; vgl. Groehler (1995), S. 5-31. 487 A. Timm, S. 146.

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D. Claussen charakterisierte diese anti-zionistischen Einstellungen der orthodoxen Kommunisten folgendermaßen: „Erst der Sechs-Tage-Krieg 1967 und die CSSRInvasion 1968 wurden von der sowjetischen Propaganda zum Anlaß genommen, eine eigenständige Kampagne unter dem Stichwort ‚Antizionismus‘ zu entfachen. Zur gleichen Zeit wurde in Teilen der westlichen Neuen Linken ‚Antizionismus‘ populär. An diesem historischen Punkt begegnen sich der Sowjet-Antisemitismus, die schlecht verarbeitete Vergangenheit des Nationalsozialismus im Westen und eine nationalistische Dritte-Welt-Ideologie, mit der die Missgeschicke der antikolonialen Befreiung kompensiert werden“.488 Diese Ereignisse waren für die SED die Voraussetzung dafür, dass die anti-zionistische Propaganda gegen das „imperialistische Israel als aggressiver Juniorpartner des Imperialismus“ nach außen und als anti-semitische Feindschaft gegen die Juden im Land selbst, entfacht werden konnte. Diese Entwicklung eskalierte in staatlichen Vereinbarungen mit Ägypten oder Syrien über die Lieferung von Flugzeugen und militärischer Ausrüstung durch die DDR. Als braves Pendant der Politik der Sowjet-Union hat die Führung der DDR ihre Außenpolitik an dieser sowjetischen Maxime ausgerichtet und sie haben damit einen öffentlichen Raum geschaffen, in den der in der ost-deutschen Gesellschaft virulente Anti-semitismus, einfließen konnte. Für Albert Norden, er war Mitglied des Politbüros der SED, waren die Zeitungsberichte über den Krieg im Nahen Osten zu wenig zugespitzt und er forderte deshalb, in einem internen Schreiben vom 9. Juni 1967, den ihm untergebenen Werner Lamberz auf, dafür Sorgen zu tragen, dass die israelischen Militäroperationen in der Öffentlichkeit der DDR so dargestellt werden, dass der Vergleich mit dem Überfall der Nazi-Wehrmacht auf die Sowjet-Union naheliegend wäre.489 Als Kandidat und später Mitglied des ZK der SED war Lamberz zuerst Leiter der Kommission für Agitation und Propaganda und später Leiter der Abteilung für Agitation im Zentralkomitee der SED und er war damit zuständig für eine wöchentlich stattfindende „Argumentationssitzung“ mit den Chefredakteuren der Presse. Die Anweisung von A. Norden an W. Lamberz belegt zweierlei: Erstens zeigt sie, dass die autoritären Strukturen der marxistisch-leninistisch formierten SED in einem erheblichen Maß Übereinstimmungen zeigt, mit denen in militärischen Verbänden, so dass hier von einer Ausschaltung dialektischer Vorgänge per se gesprochen werden muss, die diskursive Kommunikation von vornherein verunmöglicht. Zweitens ist hier eine, quasi zeitnahe, historische Quelle zu erkennen, von der aus die Infizierung großer Teile der linksradikalen und revolutionären Linken mit falschen Positionen begann. Mit der anti-zionistischen Argumentation verbindet sich eine unvollständige, eine ideologische Aufarbeitung des NS-Faschismus, sowohl in West- als auch in Ost-Deutschland, d. h. das die in diesem Vergleich vorgenommene, stillschweigende Verharmlosung den Versuch darstellt, die Deutschen und Deutschland von der psychischen Last der NS-Verbrechen zu entlasten. Diese Ideologie entfaltet ihre Suggestion in der Weise, das sie die Israelis zu Tätern, ja zu faschistischen Verbrechern erklärt, die entweder genau so geworden sein sollen wie es die Nationalsozialisten waren oder noch schlimmer. Diese propa488 Claussen (1992), S 15f. 489 A. Timm, S. 219.

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gandistische Offensive der SED zur neuen Beurteilung des Konflikts im Nahen Osten, fand im Westen erstaunlich schnell Resonanz und es weist hin auf die vielschichtigen kommunikativen Chancen der SED Führung über den Rahmen der DDR hinaus, in die linke Szene West-Deutschlands einzuwirken. Und so zeigten sich dann, die an der kurzen Leine der SED geführten Redaktionskollektive, von ihrer unterwürfigsten Seiten und z. B. veröffentlichte die SED-Bezirkszeitung Das Volk am 21. Februar 1967 einen Artikel, in dem von einer „Sonderform des hebräischen Sozialfaschismus“ gesprochen wurde.490 Die SED-Tageszeitung Neues Deutschland hatte Mitte August 1968 die Schlagzeile: „In Prag regiert der Zionismus“.491 Kurt Goldstein, Intendant der Stimme der DDR, behauptete im August 1973 Israel würde „in der ganzen Welt einen geheimen Krieg“ führen.492 Ein Kommentator der Stimme der DDR sprach am 12. Oktober 1973 von der „Nazi-Luftwaffe Israels“.493 Ende März 1978 beschrieb die Nachrichtenagentur der DDR (ADN) die Situation im Nahen Osten: „Die Juden – einst Opfer – wurden zu Henkern, und es scheint als gingen die Zionisten jetzt auf die gleiche Weise vor wie einst die Nazis. Heute sind es die Juden, die unterdrücken und ausrotten und die Palästinenser sind die Opfer. […] Natürlich weichen die Verfahrensweisen voneinander ab, weil die Umstände andere sind. Die Zionisten verwenden keine Verbrennungsöfen […] ihnen genügen Napalm, Kriegsflugzeuge, Kriegschiffe und Armee-Einheiten“.494 Das Neue Deutschland titelte 1982 nach den Kämpfen in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Beirut (Sabra und Schatila), als militärische Einheiten christlicher Milizen hunderte Kinder, Frauen und Männer töteten: „Israel betreibt die Endlösung der Palästina-Frage.495 In der außenpolitischen Wochenzeitung Horizont wurden 1982 nicht nur die Ereignisse in Beirut mit den rassistischen Nazi-Massakern von Lidice und Oradour gleichgesetzt sondern es wurde behauptet, dass die Israelis dort einen „von langer Hand vorbereiteten Holocaust“ durchgeführt hätten.496 Die NVA-Zeitschrift Volksarmee verglichen 1982 das Vorgehen der israelischen Armee mit den Massenmorden der Nazis wie folgt: „Die am 6. Juni d. J. begonnene Aggression Israels gegen das palästinensische und libanesische Volk ist mit den Verbrechen deutscher Faschisten im Zweiten Weltkrieg und des US-Imperialismus in Vietnam zu vergleichen.“497 Doch es blieb nicht bei der publizistischen Unterstützung der Feinde Israels, denn wie schon 1956, als in der SED Überlegungen angestellt wurden, ob bewaffnete Freiwillige nach Ungarn geschickt werden sollten, um den Sozialismus zu schützen, so beschloss das SED-Politbüro am 7. Oktober 1969 die Vorbereitung eines Einsatzes von Freiwilligenverbänden gegen Israel. Der Anlass dafür war ein Schreiben des General490 A. Timm, S. 224. 491 Siegler, S. 125. 492 Siegler, S. 128. 493 Siegler, S. 128. 494 Zit.: Michael Maier: Antisemitismus in den Medien der DDR. Stereotypen, Ideologie und die Täter von einst. Über Kontinuitäten im zweiten deutschen Staat, Humboldt-Universität Berlin, 2001 (unveröffentlicht). 495 Siegel, S. 128. 496 A. Timm; S. 284. 497 A. Timm, S. 283 f.

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sekretärs der KPdSU, L. Breschnew, vom Jahr 1969 an E. Honecker, E. Mielke, H. Hoffmann und W. Ulbricht, wo er die Notwendigkeit des Einsatzes von Verbänden von Freiwilligen als Flieger, Panzerführer und Kampfgruppen zur Unterstützung arabischer Truppen im Krieg gegen Israel forderte.498 Bereits ab 1967 lieferte die DDR Waffen und militärisches Know-how an Feinde Israels, wie z. B. Ägypten und Syrien.499 Ende 1973 wurden erneut Waffen an Syrien geliefert, darunter befanden sich 12 Abfangjagdflugzeuge MiG-21, 62 mittlere Panzer vom Typ T-54 AM mit Munition, 300 Panzerbüchsen RPG- 7, 74.500 Granaten und 30.000 Panzerminen.500 1982 lieferte die DDR Waffen an die PLO.501 Die Verbindungen der obersten politischen Führung der SED mit Yasser Arafat und den weiteren Vertretern der PLO bestanden seit den 60er Jahren und sie wurden kontinuierlich von Erich Honecker ab den 70er Jahren ausgebaut und es wurden Vereinbarungen getroffen, die u.a. umfangreiche Waffenlieferungen zum Inhalt hatten.502 Ab den 1970er Jahren war die Ideologie des Anti-Zionismus in große Teile der Linken in West- und Ost-Deutschland durchgesetzt und Israel wurde unisono mit dem Nazismus und mit dem südafrikanischen Apartheidregime verglichen und gleichgesetzt.503 Mit den Gedenktagen zur 50. Wiederkehr der Pogromnacht Ende 1988 ebbte die offizielle widersprüchliche antiisraelische Politik ab und in den Beschreibungen des Nahost-Konflikts wurden die Begriffe insofern ausgetauscht, als nun speziell nur noch vom „Terror“ gesprochen wurde.504 Der Konflikt im Nahen Osten war jedoch weiterhin wichtiger Teil der aktuellen Diskussionen, und der Schwerpunkt der Äußerungen galt nun eben dem „Terror der israelischen Okkupationstruppen gegen die Bevölkerung in den besetzten palästinensisch-arabischen Gebieten“.505 Am 8. Februar 1990 bekannte sich die Regierung der DDR zur Verantwortung aller Deutschen für den Holocaust und Hans Modrow Vorsitzender des Staatsrats erklärte die „Bereitschaft zur solidarischen materiellen Unterstützung ehemaliger Verfolgter des Naziregimes jüdischer Herkunft“. Im April 1990 erklärte die Volkskammer: „Wir bitten das Volk von Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land“. Modrows persönliche Erklärung zu dieser Problematik ist äußerst aufschlussreich: „Dass wir überhaupt kein Verhältnis zu Israel hatten, reflektierte ich erst während meiner Amtszeit (als Staatsratsvorsitzender, H.W.). Für uns war das vorher nie ein Thema.“506

498 Neubert (2004), S. 838; A. Timm, S. 233f; Wolffsohn, S. 258. 499 A. Timm, S. 210-217. 500 Wolffsohn, S. 255. 501 A. Timm, S. 279. 502 A. Timm, S. 279. 503 Vgl. Ullrich. 504 Persönliche Information der FDJ BL Neubrandenburg, 15.12.1988, SAPMO-BArch DY 24/ E 13.274, S. 5-6. 505 FDJ-Umlaufvorlage an das Sekretariat Nr. 13/16/88, Berlin, 25.02.1988, SAPMO-BArch DY 24/ A 11.439, S. 8. 506 Der Tagesspiegel, 08.02.2000.

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Militarisierung von Staat und Gesellschaft Durch meine zeithistorischen Studien zum Rassismus und Anti-Semitismus in der DDR habe ich Erkenntnisse gewonnen aus internen Abläufe in der DDR-Hierarchie im Allgemeinen und der SED im Besonderen und wurde dadurch in Lernprozesse verwickelt, mit denen ich eines der wesentlichen Bestandteile der marxistisch-leninistischen Ideologie, den „Demokratischen Zentralismus“ und seine fatalen Wirkungen verstehen konnte. Meine historisch begründete Kritik der marxistisch-leninistischen Ideologie beschreibt die Auswirkungen der autoritären Konzeption auf das Modell einer Kommunistischen Partei, als der KPdSU, so wie es u. a. von Lenin, Trotzki und später von Stalin vertreten wurde. Der Militarismus war eine Variante der bolschewistischen Führung der KPdSU auch über den Tod Stalins hinaus und zeigte sich in den militärischen Interventionen gegen oppositionelle Bewegungen in der Sowjet-Union selbst und in den Staaten, die von der Sowjet-Union kontrolliert worden waren. So kam es im Juni 1953 in der DDR zum Einsatz von Einheiten der Volkspolizei und der Sowjetischen Armee, die den Aufstand ost-deutscher ArbeiterInnen blutig niederschlugen. Im März 1956 geschah in der Hauptstadt Georgiens, in Tiflis, ein Massaker durch Einheiten der Sowjetischen Armee. Ebenfalls im Oktober und November 1956 wurde die Opposition in Ungarn, u.a. wurden dort „Freie Wahlen“ gefordert, von Einheiten der Sowjetischen Armee blutig niedergeschlagen. In der SED wurde damals überlegt, ob Freiwilligen-Verbände nach Ungarn geschickt werden sollten, um den ungarischen Widerstand zu brechen. Im August 1968 beendeten Truppen des Warschauer Paktes den Versuch in der CSSR einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen mit brachialer Militärgewalt. Die SED hatte Truppen der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) und der Grenzschutzeinheiten mobilisiert, die in Sachsen in Bereitschaft gehalten wurden. Gleiches geschah bei der Niederschlagung der polnischen Arbeiterbewegung von 1981 bis 1983 durch eine Militärdiktatur. Auch hier hatte die SED Einheiten der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) an der Grenze zur VR Polen in Bereitschaft gestellt, um bei Bedarf in Polen einmarschieren zu können. Die Ideologie der Militarisierung des Kommunismus hatte also ihre Anfänge in den Revolutionen von 1917 und 1918 in Russland und Deutschland, als die vom Weltkrieg demoralisierten, proletarischen Soldaten, zusammen mit den Streikenden in den Fabriken, zu sozialistischen Revolutionären geworden waren und sie dienten von daher zur Begründung einer Ideologie vom Kommunisten als bewaffnetem und uniformiertem Kämpfer. Zusammen mit dem „Demokratischen Zentralismus“, einer quasi militärischen Struktur der kommunistischen Partei sowie der autoritären Ideologie des Marxismus-Leninismus, konstituierte sich hier die Ideologie der Militarisierung von Staat und Gesellschaft. Dazu kam, dass der Kalte Krieg einen militärischen Rahmen „forderte“ für die Entwicklung und Durchsetzung hierarchisch strukturierter und bewaffneter Gruppen, die das öffentlichen Leben, die Sprache und das Denken militärisch normierte und reglementierte. Militärische Kenntnisse und eine ausgeprägte Körperkultur sollte besonders Jugendlichen nahe gebracht werden, weil sie

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damit dem Typus eines neuen Menschen entsprechen würden.507 Die ZK-Abteilung für Sicherheit der SED wurde 1955, da war sie bereits zuständig für den Sektor der Nationalen Verteidigung, erweitert um den Sektor für Militärwissenschaft und für militärische Propaganda. Daraus wurde die „zentrale Leitungs-, Koordinierungs- und Kontrollinstanz für die Militärpropaganda der DDR“, deren Hauptaufgabe die Entwicklung und Durchsetzung einer umfangreichen propagandistischen und agitatorischen Arbeit für die Wehrerziehung war.508 In der DDR existierten mehrere militärische und paramilitärische Organisationen, die mit ihrer großen Anzahl von Personal und mit ihren spezifischen hoheitlichen Aufgaben, für eine autoritäre Durchdringung von Staat und Gesellschaft sorgten. Das 1950 gegründete, militärisch geordnete „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS), war als Inlands- und Auslands-Geheimdienst und zugleich als Ermittlungsbehörde für Straftaten mit politischem Charakter, in erster Linie ein Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument der SED zur Einschüchterung der ost-deutschen Bevölkerung. Die „Stasi“ war, mit den etwa 90.000 offiziellen Soldaten, alle waren Mitglieder der SED, und den über 100.000 inoffiziellen Agenten, ein wichtiger Teil der militärischen Struktur der DDR. Viele der inoffiziell, geheim operierenden Agenten, waren offiziell als Angehörige der DVP, Offiziere der NVA oder Angehörige im staatlichen Dienst tätig und gehörten somit zum System von Terror und Folter, das besonders unerbittlich gegen sozialistische und demokratische Oppositionelle und Regimekritiker eingesetzt worden ist.509 Nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, wurde in der 14. ZK-Tagung am 21. Juni 1953 und der 15. ZK-Tagung im Juli 1953 beschlossen, dass in den industriellen, genossenschaftlichen und agrarischen Betrieben und in den staatlichen Verwaltungen und Institutionen paramilitärische „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ einzurichten sind. Die übergeordnete Leitung der Verbände lag erst bei der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVDVP) und ab Januar 1961 bei der „Abteilung Kampfgruppen“ ebenfalls im Ministerium des Innern (MdI). 1955 wurde eine Uniformierung eingeführt, die aus einer blauen Skimütze, einem blauen Overall und roter Armbinde bestand. Diese Miliz bestand zuletzt aus ca. 200.000 „Kämpfern“ in ca. 2.000 Einheiten, deren Aufgabe u.a. darin bestand, innere Aufstände zu unterdrücken oder im Verteidigungsfall die Operationsfreiheit der NVA zu sichern. Die Kampfgruppen waren militärisch organisiert in Hundertschaften und ihre Bewaffnung reichte von Pistolen, Gewehren des Fabrikats AK-47, („Kalaschnikow“) über schwere Maschinengewehre, leichten Flugabwehrkanonen (Flak) bis zu leichten Schützenpanzern. Das Personal bestand in der Regel aus Männern, im Alter von 25 bis 60 Jahre, nur eine kleine Anzahl von Frauen wurde z. B. als Funkerinnen und im Sanitätsdienst eingesetzt. Eine weitere, paramilitärisch organisierte Einheit, waren die „Abschnittsbevollmächtigten“ (ABV), Polizisten der Volkspolizei, die 1952 nach sowjetischem Vorbild, eingeführt wurden. In der Regel gehörten sie einem unteren Offiziersrang der Schutzpolizei an, waren immer im Dienst und kannten, z. B. durch ihre regelmäßige Kontrolle der Hausbücher, die Einwohner in ihrem Kontrollbereich. Im Zusam507 Hafenegger/Buddrus, S. 121ff; Vgl. Hofmann, S. 54. 508 Hafenegger/Buddrus, S. 135. 509 Waibel (1996), S. 174-176.

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menhang mit den ABV ist eine weitere Variante der besonderen polizeilichen Struktur erwähnenswert, die 1952 gegründete Organisation der „Freiwilligen Helfer der Deutschen Volkspolizei“, die insgesamt über 170.000 Mitglieder hatte. Unter polizeilichen Gesichtspunkten sollten sie für die „innere Sicherheit“ sorgen, besonders bei Großveranstaltungen, Demonstrationen, bei Ausweiskontrollen, Streifengängen und bei Großfahndungen. Die 1953 gegründete paramilitärische Jugendorganisation „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST), mit ihren über 500.000 Mitgliedern in fast 10.000 lokalen Gruppen markiert den Beginn der militaristischen Ausrichtung und Normierung großer Teile der ost-deutschen Gesellschaft. Selbstverständlich war die GST nach der Doktrin des „Demokratischen Zentralismus“ in Grundorganisationen, in Kreis- und Bezirksvorständen und im Zentral-Vorstand organisiert und ihre Hauptaufgabe bestand in der Hauptsache darin, mit vormilitärischen Ausbildungsangeboten freiwilligen Nachwuchs für die NVA zu gewinnen. In den letzten Jahren war die GST zu einem Anziehungspunkt für „Faschos“ und Skinheads geworden, die dort ihre aus der Nazi-Ideologie gewonnenen Phantasien des soldatischen Mannes bestätigt und näher gebracht bekamen.510 Die Wehrerziehung begann bereits in Kindergärten, ging weiter in den Schulen und Oberschulen bis hin zu den Hochschulen und Universitäten. Die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens durch Wehrerziehung und die Erziehung zum Hass auf den Feind durchzog das Leben in der DDR. Diese Überbetonung des Militärischen im Staat und in der Gesellschaft war für das faschistische Potential wie eine Einladung zum mitmachen. Ab dem 1. September 1978 begann das neue, jedoch unbenotete Unterrichtsfach „Wehrunterricht“ zunächst in den 9. Klassen und ein Jahr später dann auch, in den 10. Klassen der Polytechnischen Oberschulen (POS), als Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler. Am Ende des 9. Schuljahres war ein zweiwöchiges Lager vorgesehen. Männliche Schüler wurden ins Wehrlager geschickt, wo sie uniformiert, meist von Reserve-Offizieren oder von Offiziers-Schülern der NVA militärisch betreut und im Gebrauch von Waffen ausgebildet wurden. Mädchen, und diejenigen Schüler, die nicht am Wehrlager teilnahmen, wurden an der Schule in Zivilverteidigung (ZV) ausgebildet. Inhalt dieser Ausbildung waren „Erste Hilfe“ und Evakuierungsmaßnahmen. In der gymnasialen Oberstufe der Erweiterten Oberschulen (EOS) wurde die vormilitärische Ausbildung kontinuierlich fortgesetzt. Nach der 11.Klasse bzw. nach dem 1. Lehrjahr gab es wieder ein Lager, analog zu dem was in der 9. Klasse bereits vorgegeben worden war. Den Abschluss des Wehrunterrichts bildeten in den Winterferien der 10. Klasse drei „Tage der Wehrbereitschaft“, wo Reserve-Offiziere, in der Uniform der NVA, theoretische und praktische Schulungen durchführten, wobei die Schüler Uniformen der GST trugen. Bestandteil der Ausbildung war u. a. das Training im Handgranatenwurf, das Schießen mit Luftgewehren oder einer Kleinkaliber-Maschinenpistole, Exerzieren, sowie militärtheoretischer und politischer Unterricht. Regelmäßig wurden militärische Veranstaltungen durchgeführt, an der auch uniformierte Kinder und Jugendliche der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und der FDJ teilnahmen. So auch bei der „Woche der Waffenbrü510 Siegler, S. 86f.

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derschaft“ mit Soldaten und Offizieren der sowjetischen Armee, der „Nationalen Volksarmee“ und Angehörigen der „Gesellschaft für Sport und Technik“. Es gab wehrsportliche Übungen in der Form von Schießwettbewerben zwischen FDJlern und Komsomolzen und den Abschluss bildete ein Manöverball. Fanden solche Veranstaltungen während des Winterhalbjahres statt, so wurde auf geschlossene Räume ausgewichen und das Treffen wurde zum „Hallenwehrsportfest“ erklärt.511 Die militärische Indoktrination durch die Wehrausbildung in Lagern und im Schulunterricht sollte das Prinzip von „Befehl und Gehorsam“ auch für den zivilen Alltag brauchbar machen und diente nicht allein der aktuellen und strategischen Rekrutierung für die bewaffneten Kräfte - impliziert war ebenso, eine Stärkung der Bindungen der Bevölkerung an den Staat. Eine andere wichtige paramilitärische Einheit bildeten die FDJ-Ordnungsgruppen, die im August 1961 durch einen Beschluss des Sekretariats des Zentral-Rates der FDJ gegründet worden sind und ab 1980 wurde daraus der „Zentrale Ordnungsgruppenverband“, als ständige ehrenamtliche Formation gebildet und bei hilfspolizeilichen und vormilitärischen Aufgaben, eingesetzt. Ihre Mitglieder waren mit einem Barett, einem Hemd und einer Armbinde uniformiert, politisch und ideologisch erzogen und vertraut in paramilitärischen „Einsatzformen und –methoden“ wie Exerzier- und Zweikampfausbildung, verbunden mit sportlichen Aktivitäten und Kenntnissen über „sozialistisches Recht“. Die Kenntnisse und Fertigkeiten wurden in fachspezifischen Schulungsmaßnahmen durch Angehörige der „Justiz-, Schutz- und Sicherheitsorgane“ vermittelt.512 Ende der 1980er Jahre hatten diese Verbände eine Größe von circa 40 - 60.000 Mitgliedern in ca. 4.000 Ordnungsgruppen. Diese paramilitärisch ausgebildeten und geführten Ordnungsgruppenverbände waren einen Teil der polizeilich-militärischen Struktur der DDR und sie waren primär vorgesehen für die Durchsetzung von Sekundärtugenden wie „Disziplin, Ordnung, Sauberkeit, Höflichkeit und Ehrlichkeit“ in der Öffentlichkeit und vor allem auch in den ca. 8.000 Jugendklubs, wo sie auch für die Eingangskontrolle zuständig waren.513 Zu allen öffentlichen Ereignissen, ob in einer Diskothek, ob in der Stadt oder auf dem Land, ob bei nationalen Großveranstaltungen, wurden FDJ-Ordnungsgruppen, zusammen mit Volkspolizei, den jeweils zuständigen Abschnittsbevollmächtigten und Freiwilligen Helfern der Volkspolizei eingesetzt.514 Es sollte sich als bedeutsam heraus stellen, dass „Faschos“, das war der Begriff mit der in der DDR Neo-Faschisten bezeichnet wurden, nicht als solche äußerlich zu erkennen waren, zusammen mit Skinheads in die Ordnungsgruppen eingesickert waren. Dort regelten sie den Zutritt zu Veranstaltungen in den Jugendklubs und es blieb 511 FDJ Bezirks-Leitung Rostock, Information vom 03.03.1977, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.311, S. 7. 512 FDJ Vorschlag für die Auswahl und den Einsatz von 1.000 Funktionären der FDJ als Agitatoren, in der Zeit vom 15. bis 22.06.1988, FDJ Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ A 11.448, Anlage S. 2. 513 FDJ Vorlage an das Sekretariat Nr. 1/31/88, Aufgaben der Leitungen der FDJ auf dem Gebiet der sozialistischen Rechtserziehung, 22.03.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ A 11.442, S. 2 und S. 5. 514 Ebenda, S. 5.

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nicht aus, dass es zu verbalen und physischen Diskriminierungen afrikanischer oder arabischer Besucher durch die rassistischen Türsteher kam. Chauvinistischer Nationalismus Die deutschen Kommunisten hatten die soziale Revolution voll und ganz der nationalen Befreiung untergeordnet haben und das hatte ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung im Staatssozialismus zur Folge.515 Ein zentraler Ausdruck des nationalistischen Chauvinismus war die Parole von der militärischen Verteidigung der „Nation DDR“. Als Chauvinismus bezeichnet man überzogenen Nationalismus, der die eigenen nationalen Forderungen und Interessen über die anderer Völker stellt, zu diesem Zweck nationale Überheblichkeiten fördert, kulturelle oder gar genetischerbliche, „rassische“ Überlegenheit der eigenen Nation behauptet und militärische Gewaltpolitik favorisiert. In der DDR wurde Chauvinismus als „reaktionäre, bürgerliche Ideologie und Politik“ gekennzeichnet, die „auf die Entfachung nationaler Feindschaft und nationalen Hasses sowie auf die Unterdrückung der eigenen Nation gerichtet ist.“516 Chauvinismus ist exzessiver Nationalismus mit militärischer Prägung. Das war genau das Konzept das die SED zu verantworten hatte. So heißt es 1956 in einer Entschließung des V. Pädagogischen Kongresses: „So glühend wie die Liebe zu Deutschland, die wir in unseren Herzen zu entzünden imstande sind, so heiß wird der Haß unserer Jugend gegen alle Feinde des deutschen Volkes sein, und so stark ihre Bereitschaft und ihr Wille […] die Deutsche Demokratische Republik gegen jeden Angriff, gegen jede Schädigung zu verteidigen.“517 Doch schon ab den 1920er Jahren zeigten sich bei den Kommunisten national-chauvinistische Tendenzen, so z. B. in der „Schlageter-Rede“ von 1923 von Karl Radek oder in der „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ von 1930, als es klar wurde, dass es der KPD nicht mehr um eine sozialistische Gesellschaftsordnung ging, sondern wo ihr Hauptanliegen die „nationale Befreiung Deutschlands“ zum Inhalt hatte. Diese schwarz-weiß-rote Linie einer nationalen Befreiung setzte sich dann fort, als die KPD in West-Deutschland Anfang der 1950er Jahre feststellte, dass „im nationalen Befreiungskampf unseres Volkes“ die deutsche Arbeiterklasse die führende Kraft sei. Doch diese nationalistischen Positionen der KPD sind nur ein Teil des nationalistischen Problems insgesamt in der Arbeiterbewegung, denn: „Es war nicht nur die deutsche Rechte, die sich auf Nationalismus eingelassen hat. War der autoritäre Sozialist Lassalle nicht ein ‚Nationaler’? Haben sozialdemokratische Intellektuelle nicht 1914 den ‚Kriegskommunismus’, den ‚deutschen Sozialismus’ (gegen die Ideen von 1879 die Ideen von 1914 stellend) propagiert? Haben ihnen nicht Gewerkschaftsführer beigepflichtet? Hat die Mehrheitssozialdemokratie nach 1918 nicht gefährliche Konzessionen an die deutschnationalistische Unschuldpropaganda gemacht? Hat die KPD nicht 1930 nationalistische Parolen unters Volk gebracht, die von solchen der NSDAP kaum zu unterscheiden waren? Die 515 Marcuse (1999b), S. 32f. 516 Klaus/Buhr, S. 212. 517 Weber/Pertinax, S. 131f.

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Anpassung an nationalistische Positionen jedenfalls hat die Arbeiterbewegung in Deutschland zu keiner Zeit ihren demokratischen und sozialen Zielen nähergebracht.“518 Ulbricht als auch Honecker, beide waren schon in der Weimarer Republik Mitglieder der KPD, behaupteten, die DDR sei der wahre Hort der deutschen Nation deshalb, weil die west-deutsche Bourgeoisie letztlich die deutsche Teilung nach 1945 verursacht und somit eine einheitliche deutsche Nation verhindert hätte. Die nationalen Interessen Gesamtdeutschlands wären durch eine „Politik des nationalen Verrats“ aufgegeben worden und die Auflösung des einheitlichen deutschen Staates sei so von den deutschen Kommunisten nicht mehr zu verhindern gewesen. Deshalb, so die SED auf ihrem VIII. Parteitag 1971, sei die deutsche Frage bereits entschieden und das Ziel sei es nun, alle Klassen und Schichten der DDR zu einer „nationalen Gemeinschaft“ zusammenzuschließen.519 So wurde eine Ideologie entfaltet, die gleichzeitig zu einer „Liebe für die Heimat“ und zum „Haß auf die imperialistischen Feinde“ erziehen sollte. Mit diesen chauvinistischen Parolen bewegte sich die SED auf einem Weg der nationalen Orientierung bis hin zu den Forderungen für eine „rückhaltlosen Liebe für Heimat und Vaterland“. Besonders in den krisenhaften 1980er Jahren hatte diese, auf Emotionen setzende nationalistische Indoktrination die Funktion, die Bevölkerung enger an die SED zu binden. Auch hier lässt sich mit Klönne behaupten, dass die Anpassung an nationalistische Inhalte und Ziele die ArbeiterInnenbewegung zu keiner Zeit ihren sozialen und demokratischen Zielen näher gebracht hat. Die Führung der SED wusste anhand der, für die Öffentlichkeit geheim gehaltenen, Ergebnisse demographischer Umfragen des „Zentralinstituts für Jugendforschung“ (ZIJ), dass nennenswerte Teile der Bevölkerung sich bereits seit längerer Zeit von den legitimatorisch wichtigen Inhalten der offiziell gültigen Geschichtsschreibung und der herrschenden Politik distanziert hatten, und nationalistische oder faschistische Einstellungen und Strömungen waren nicht mehr zu übersehen. Obwohl die Repräsentativität der Untersuchung „Politisch-historische Einstellungen bei Jugendlichen 1988“, über 1.900 Befragte, durch einen zu hohen Anteil von SED-Mitgliedern bei den Studenten und den Arbeitern und Angestellten nicht gewährleistet war, waren die Ergebnisse „eher positiv verzerrt“.520 11% der Befragten stimmten der Behauptung zu, die „Deutschen waren schon immer die Größten in der Geschichte“. In den Ergebnissen der Befragungen traten deutschtümelnde bzw. nationalistische Überheblichkeiten immer wieder deutlich hervor und bei einem nicht unerheblichen Teil der Befragten waren „größere Erkenntnisdefizite in Bezug auf Wesen und Funktion des Faschismus und der Rolle Hitlers“ zu konstatieren. 64% der Befragten gaben an, stolz auf ihr „Deutschtum“ zu sein, 67% hielten die Deutschen für besser als Polen und 40% waren der Ansicht, es wäre am besten, „wenn alle Ausländer das Land verlassen würden“. Das Institut kam zur Ansicht, dass ca. 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung in der DDR „festgefügte rechtsradikale Denkmuster“ und bis zu 50% der Jugendlichen 518 Klönne (o. J.). 519 Alfred Kosing, Argumentation zur persönlichen Verwendung: Sozialistische Gesellschaft und sozialistische Nation in der DDR, o.J., SAPMO-BArch, DY 24/ A 11.625, S. 1-10. 520 Ebenda, Blatt 3.

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in der DDR „rechtsradikale Gefühlsstrukturen“ besäßen. Für die Autoren dieser Studie mit dem Titel „Politisch-historische Einstellungen bei Jugendlichen 1988“, drängte sich die Frage nach der Wirksamkeit der „internationalistischen Erziehungsarbeit“ auf und insgesamt sollten die Ergebnisse Anlass „zum ernsthaften Nachdenken“ sein.521 Die Adressaten dieser, als „Vertrauliche Verschlußsache“ deklarierten Studie mit ihren brisanten Ergebnissen, waren im Politbüro der SED zu finden, denn solche Studien wurden ausschließlich diesem höchsten politischen Gremium bekannt gemacht. Dort war man auch nicht in der Lage diese politischen Realitäten, gerade auch was den Prozess der Faschisierung junger Proletarier in der DDR anging, in irgendeiner Weise sinnvoll entgegen zu treten.522 Diese Frage wurde nie Gegenstand einer öffentlichen Diskussion und so blieben Fragesteller, wie mögliche Antwortgeber, ohne adäquates Forum für die notwendige Ursachenforschung. Bereits ab den 1940er Jahren hatte sich die SED-Führung von einer auf gesellschaftliche Aufklärung ausgerichteten Politik verabschiedet. Auch in der DDR war mit der Ideologie der „Stunde Null“ suggeriert worden, es habe sich ab 1945 um einen völligen Neubeginn gehandelt. Hier erweist es sich, dass der Grad der Aufklärung über die polykausalen Ursachen des deutschen Faschismus und seine Auswirkungen auf post-faschistische Gesellschaften, unabdingbar gebunden ist an den Grad der gesellschaftlichen Freiheit und „daß die Ursache des Rückfalls von Aufklärung in Mythologie nicht so sehr bei den eigens zum Zweck des Rückfalls ersonnenen nationalistischen […] Mythologien zu suchen ist, sondern bei der in Furcht vor der Wahrheit erstarrenden Aufklärung selbst.“523 Die SED-Propaganda für die „Liebe für Heimat und Vaterland“, wurde ergänzt durch die Aufforderung der Abwehr „imperialistischer und neofaschistischer Einflüsse aus dem Ausland“, denen die „realsozialistische Sicherheit und Geborgenheit“ in der DDR gegenüber gestellt wurde.524 Das dem im Jahr 1989 der Ruf „Wir sind das Volk“ entgegenschlug zeigt, dass ein nationalistischer Kontext, gerade weil er so intensiv und über einen so langen Zeitraum betrieben werden konnte, am Ende zu einem circulus vitiosus gerät. Diese parteikommunistische Entwicklung zum Nationalismus war eingebettet in das vom „Marxismus-Leninismus“ vorgegebene manichäische Weltbild, im Grunde genommen eine Freund-Feind-Struktur, bei dem der Teil der Welt, der sich unter der Führung der KPdSU befand, zu den „Guten“ gehörte und die anderen, die Feinde, die sich unter der Führung der imperialistischen USA befanden, waren die absolut „Bösen“.525 Die Theorie von Marx und Engels hingegen ist, ihrer ganzen Substanz nach, international. Der Nationalismus ist nur in einer Stufe des historischen Prozesses progressiv, einer Stufe, die von der fortgeschrittenen westlichen Welt bereits überschritten worden war. Dem Sowjetmarxismus ist es „niemals gelungen den Widerspruch zwischen seinem eigenen Nationalismus und dem Marx521 Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ), Leipzig 1988, „Politisch-historische Einstellungen der Jugendlichen 1988“, SAPMO-BArch, DY 24/ b 5.857, Blatt 3, Blatt 52ff. 522 Ebenda, Blatt 55. 523 Horkheimer/Adorno, S. 3. 524 Persönliche Information, FDJ Bezirks-Leitung Erfurt vom 07.11.1977, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.301, S. 3f. 525 Vgl. Haury, o.J.

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schen Internationalismus zu versöhnen - weder in seiner Strategie noch in seiner Ideologie, wie die mühsamen Unterscheidungen zwischen 'bourgeoisem Kosmopolitismus' und echtem Internationalismus, zwischen Chauvinismus und 'Sowjetpatriotismus' zeigen.“526 Eine kritische Analyse der DDR lässt sich wie folgt skizzieren: „Welche Veränderungen die Theorie und die ‚Übergangs-Perspektive‘ in den Gesellschaften des ‚realen Sozialismus‘ auch immer erfahren haben und noch erfahren, diese haben sich auf den Marxismus gestützt, um sich selbst offiziell als ‚klassenlose‘ oder zumindest als ‚klassenkampflose‘ Gesellschaften zu verstehen. Vor allem in dieser normativen Form sind gewisse Elemente des Marxismus in unumkehrbarer Weise in bestehende Institutionen eingegangen. Aber wenn diese Gesellschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges keineswegs geschichtslos und politisch immobil sind, so lag das vor allem daran, dass es hier periodisch zu scharfen Klassenkämpfen höchst klassischer Art (Arbeiterkämpfe) und sogar zu revolutionären Klassenkämpfen (China, Polen) kam, wobei sich diese mit demokratischen Kämpfen gegen die monopolistische Staatspartei verbanden.“527 Auf diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass sich der „verbotene“ Klassenkampf ein Ventil geschaffen hat durch die Funktion der rassistischen Angriffe auf Migranten. Von 1949 bis 1989 verließen Millionen Frauen und Männer die DDR und unter ihnen waren Arbeitskräfte, für die die SED dringend Ersatz benötigte. Die Anatomie des rassistischen Vorgehens zeigt unverhohlene national-chauvinistische Deutschtümelei und sozial-darwinistische Bewertungen. Im Kern ist der Rassist ein Vertreter einer Herrschaftsideologie der willkürlichen Sozialunterdrückung, also einer Herrschaft auf der Grundlage anti-humaner Vorstellungen.

526 Marcuse (1969), S. 154f. 527 Balibar/Wallerstein, S. 192.

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IV. Rassisten in Deutschland (1991 bis 2012) Rassistische Pogrome Die politische „Wende“ geschah nicht nur in der DDR, auch in der BRD veränderten sich grundlegende Einstellungen und Daten insbesondere was das Verhältnis der Deutschen zu den verschiedenen Gruppen der Ausländer anbetraf, die quasi bis Ende der 1970er Jahre mehr oder weniger friedlich aber doch sicher in Deutschland leben und arbeiten konnten. Ab Ende der 1980er Jahre wurde die rassistische Hetze wegen der Beschränkungen für ausländische ArbeiterInnen abgelöst durch einen öffentlichen rassistischen Diskurs der Kohl-Genscher-Regierung, mit dem Diktum der Veränderung, ja der Abschaffung des im Artikel 16 grundgesetzlich verbrieften Rechtes auf politisches Asyl, eines Artikels der eine unmittelbare Konsequenz aus der NaziBarbarei darstellte. Diesem Ansinnen der konservativ-liberalen Regierung verweigerte sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) bis zum September 1992, als sie dann doch mit Mehrheit dem „Asylkompromiss“ zustimmte. Diese, über einen langen Zeitraum geführten, mit aggressiven Emotionen aufgeladene, öffentliche Auseinandersetzung der obersten politischen Ebene, wurde vom rassistischen Mob in Hoyerswerda (Brandenburg) impulsiv aufgenommen und so kam es am 15. April 1989 dort auf dem „Platz des 7. Oktober“ zu einer rassistische Konfrontation zwischen zwei Mosambikanern und acht Kubanern einerseits und ca. 20 Deutschen andererseits, wobei die Ausländer rassistisch beleidigt wurden: „Ausländer raus“, „Ihr schwarzen Schweine“ und „Schwarze schert euch raus“. Die Kubaner waren als Arbeiter im VE Gaskombinat Schwarze Pumpe beschäftigt. Bei der Volkspolizei wurde eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen und es wurde geprüft, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden sollte.528 Am 17. September 1991 wurden vietnamesische Händler auf dem Marktplatz von Rassisten angegriffen. Die Opfer flüchteten in ein Wohnhaus für Ausländer, in dem ca. 120 „Vertragsarbeiter“ aus Vietnam und Mosambik lebten, deren Arbeitsverträge von der Lausitzer Braunkohle AG zum Ende September bzw. zum Ende Dezember 1991 gekündigt worden waren. Die nachrückenden Rassisten hatten das Haus in der Albert-Schweitzer-Straße mit Steinen, Brandsätzen und rassistische Parolen angegriffen. Die herbeigerufene Polizei griff erst nach ca. 2 Stunden ein. ‚Einen Tag später, am Mittwoch den 18. September, griffen Rassisten erneut das Wohnheim mit Steinen und Brandsätzen an und Anwohner gesellten sich hinzu, sahen entweder teilnahmslos zu oder klatschten Beifall. Unter ihnen befanden sich auch deutsche Kollegen der ausländischen „Vertragsarbeiter“. Am 20. September wurden ca. 60 „Vertragsarbeiter“ mit Polizeischutz in Bussen aus Hoyerswerda evakuiert, direkt entweder nach Berlin oder nach Frankfurt/M. verbracht und von dort in ihre Heimatländer abgeschoben. Am Freitagabend dieses 20. Septembers, mittlerweile waren mehr und mehr Rassisten von anderswo in Hoyerswerda eingetroffen, wurde ein weiteres Wohnheim für Ausländer in der ThomasMüntzer-Straße angegriffen, in dem seit dem Frühsommer 1991 ca. 240 Ausländer aus Bangladesch, Ghana, Iran, Rumänien und Vietnam lebten und die bereits eine 528 BStU, MfS, HA XX, Nr. 6046, Teil 1 von 2, S. 3-5.

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Woche vor dem 20. September von Rassisten angegriffen worden waren. Am Abend zog ein rassistischer Mob vor die Unterkunft der Flüchtlinge und bewarfen mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Brandsätzen das Gebäude. Auch hier wurden wieder Täter von Gaffern durch Zurufe und Applaus unterstützt. Am nächsten Morgen, am 21. September wurden die Bewohner dieses Wohnheims, begleitet von Einheiten des „Sondereinsatzkommandos“ (SEK), mit Bussen in Unterkünfte im Umland verteilt und die meisten von ihnen flüchteten dann aus Eigeninitiative weiter nach Berlin und Niedersachsen. Insgesamt wurden 32 Menschen verletzt, es gab 82 vorläufige Festnahmen, aber nur drei Täter (22 bis 28 Jahre) wurden zu kurzen Freiheitsstrafen zur Bewährung verurteilt. Diese Angriffe waren die ersten rassistischen Pogrome in Deutschland seit 1945. Nachdem alle Ausländer Hoyerswerda verlassen hatten, waren nun Linke, Alternative, Andersdenke (z. B. Jugendclub „Laden“, Umweltzentrum) und Ausländer das Ziel von organisierten neo-nazistischen Angriffen, und in der Folge gaben die sehr oft verprügelten Alternativen meist ihre Projekte auf und verließen Hoyerswerda. Die Besitzer von ausländische Imbissen und Restaurants wurden rassistisch bedroht und ihre Geschäftsräume wurden mit Brandsätzen angegriffen.529 Es kam so weit, dass der rassistische Hass, am 11. Oktober 1992, in einer Diskothek in Elsterheide-Geierswalde im Landkreis Bautzen (Brandenburg), fünf Kilometer nordwestlich von Hoyerswerda, ein Todesopfer hervorrief. Die Diskothek war von „Sieg-Heil“ brüllenden Neo-Nazis überfallen worden und dabei wurde die Aushilfskellnerin Waltraud Scheffler so schwer verletzt, daß sie am 23. Oktober an den Folgen verstarb. Der Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert. In Hoyerswerda wurde In der Nacht zum 19. Februar 1993 wurde in Hoyerswerda, bei einem Überfall von mehreren Skinheads, Mike Zerna (22 Jahre) zusammengeschlagen. Danach kippten die Angreifer ein Auto auf den am Boden liegenden Zerna, der sechs Tage später an seinen Verletzungen verstarb.530 Diese Ereignisse geschahen nach dem Pogrom vom September 1991 und heue gilt Hoyerswerda als „ausländerfreie Zone“. Der Rassist Henry Nitzsche wurde konsequenterweise, auf dem Hintergrund dieser Misere betrachtet, bei der Bundestagswahl 2005 im Wahlkreis Kamenz-Hoyerswerda-Großenhein, als Direktkandidat mit 34,5% der Erststimmen in den Bundestag gewählt. Er war von 1994 bis 2002 Mitglied des Sächsischen Landtages und von 2002 bis 2009 war er „Mitglied des Bundestages“ (MdB). Bis 2006 war er Mitglied der CDU und verblieb im Bundestag als fraktionsloser Abgeordneter. 2009 trat er als Direktkandidat bei den Wahlen zum Sächsischen Landtag an und unterlag mit 19,6% zu 32,6%, dem CDU-Kandidaten. Nitzsche (Jg. 1959) wurde in Kamenz in der DDR geboren, machte Abitur, leistete seinen Wehrdienst bei der NVA und begann ein Studium der Zahnmedizin an der Universität Leipzig. Nach dem Studienabbruch ließ er sich zum Töpfer umschulen. Anfang der 1990er Jahre besuchte er in Dresden die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie und schloss dieses Studium als Verwaltungs529 http://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_von_Hoyerswerda; „Nicht wegschauen – hinsehen oder hingehen?“, in: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 92, Berlin 2011; die tageszeitung, 27.02.1992. 530 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; die tageszeitung, 28.12.2000;

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und Betriebswirt (VWA) ab. 1989 hatte er sich der oppositionellen Partei „Demokratischer Aufbruch“ angeschlossen und 1990 wechselte er zur Partei „Deutsche Soziale Union“ (DSU). 1993 wurde er Mitglied der CDU, aus der am 15. Dezember 2006 austrat. 2008 gründete er die rassistische und nationalistische Wählervereinigung „Arbeit-Familie-Vaterland“ und er kandidierte für das Amt des Landrats im Landkreis Bautzen, wo er 13,2% der Stimmen erhielt. Im Februar 2011 gründete Nitzsche die „Bürgerbewegung Pro Sachsen“, aus der er nach kurzer Zeit bereits wieder austrat, der er sich von der NPD unterwandert fühlte.531 Vor den Pogromen um das „Blumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen wurde am 14. März 1992 in der Gemeinde Saal im Landkreis Vorpommern-Rügen (MVP), bei einem Überfall von ca. 40 Rassisten auf ein Wohnheim für Ausländer, der Rumäne D. Christinel (18 Jahre) verprügelt und er verstarb an den Folgen seiner schweren Verletzungen. Die rassistische Dimension der Tat wurde negiert.532 Ähnlich wie in Hoyerswerda ein Jahr zuvor so muss auch hier konstatiert werden, dass in RostockLichtenhagen im August 1992 rassistische Pogrome stattgefunden haben. Erwachsene waren hier dazu übergegangen, „ihre“ Jugendlichen mit rassistischen Sprüchen aufzuhetzen, um Sinti- und Roma-Familien aus Rostock zu vertreiben. Ca. 200 Rassisten hatten am Samstag, 22. August 1992, ein Wohnhaus mit ausländischen Bewohnern mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Brandsätzen angegriffen. Diese Angriffe konnten bis zum Donnerstag, 27. August fortgesetzt werden und Polizei und Sicherheitskräfte kamen entweder nicht zum Tatort oder sie gingen nicht energisch genug gegen die Rassisten vor. Am Montag, 24. August 1992 wurden Ausländer von der Polizei in andere Wohnheime verbracht. Nachdem sich die Polizei am Abend zurückgezogen hatte, wurde ein Wohnhaus mit über hundert Bewohnern von Rassisten mit Brandsätzen angegriffen und in Brand gesteckt. Die viel zu spät eintreffende Feuerwehr kam an den Ort des Geschehens – um nicht zu löschen, erst nach dem es gelungen war die vor Ort aufgetretenen Kompetenzschwierigkeiten zwischen Polizei- und Feuerwehreinsatzleitung zu regeln, konnte das Feuer gelöscht werden. In den oberen Etagen des brennenden Hauses befanden sich mehr als 100 Deutsche und Vietnamesen, die sich über das Dach in Sicherheit bringen konnten. Nach Erkenntnissen des „Bundeskriminalamtes“ (BKA) wurden diese Angriffe geplant und durchgeführt von organisierten Neo-Nazis. Insgesamt hatte die Polizei bei diesen Ausschreitungen ca. 260 Angreifer festgenommen und gegen 32 von ihnen wurden Haftbefehle erlassen; weitere ca. 300 Ermittlungsverfahren waren anhängig.533 Welche Rolle organisierte Rassisten bei diesen Angriffen gespielt hatten, interessierte die CDU-/FDP-Mehrheit im Untersuchungsausschuss des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern 1993 nicht und so kam es nicht zu einer Thematisierung dieser bedeutenden Fragen, nämlich ob Nazi-Kader der „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP), der „Nationalistischen Front“ (NF) oder der NPD maßgeblich an der Organisation der Pogrome beteiligt waren. Zehn Jahre nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen hatte das Landgericht 531 die tageszeitung, 08.11.2003, 22.11.2003, 19.09.2008, 24.09.2011. 532 die tageszeitung, 24.03.1993, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 533 die tageszeitung, 26.02.2002.

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Schwerin im Jahr 2002 drei Rassisten (27 bis 29 Jahre) zu Freiheitsstrafen von 12 bis 18 Monaten zur Bewährung verurteilt.534 Nach diesen Pogromen wurden im August und September 1992 weitere Wohnheime für Ausländer in Rostock-Hinrichshagen, in Greifswald-Ladebow und Wismar von Rassisten mit Steinen und Brandsätzen angegriffen. Am 19. Oktober 1992 ging die Polizei in Rostock massiv mit Gewalt gegen eine Gruppe von französischen Juden vor, die gegen die Massenabschiebungen von Sinti und Roma protestierten und ca. 50 Demonstranten wurden festgenommen.535 Diese massiven rassistischen Angriffe in den neuen Bundesländern stimulierten die Rassisten im Westen Deutschlands und am 3. Oktober 1991, wenige Wochen nach den Ereignissen in Hoyerswerda, wurde in Hünxe im Kreis Wesel (NRW) das Wohnheim für Ausländer in der Dorstener Straße von drei Rassisten (18 und 19 Jahre) mit Brandsätzen angegriffen. Zwei Mädchen, Mogades (6 Jahre) und Zeinab (8 Jahre), erlitten dabei schwere Brandverletzungen. Die Täter gaben an, dass ihnen die Angriffe in Hoyerswerda als „Vorbild“ gedient hätten. Sie wurden wegen versuchten zweifachen Mordes und schwerer Brandstiftung inhaftiert und im Mai 1992 wurden zwei Täter vom Landgericht Duisburg zu Freiheitsstrafen von jeweils 5 Jahren und ein Dritter wurde zu drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Anfang März 1993 bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe die verhängten Strafen.536 Am 23. November 1992 wurden in Mölln im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) zwei, von türkischen Familien bewohnte Häuser in der Mühlenstraße von den beiden Rassisten L. Christiansen und M. Peters mit Brandsätzen angegriffen. Dadurch starben Bahide Arslan (51 Jahre), Yeliz Arslan (10 Jahre) und Ayse Yilmaz (14 Jahre). Unmittelbar nach dem Anschlag gingen bei der Polizei Bekenneranrufe ein, die jeweils mit „Heil Hitler!“ endeten. Die beiden Täter wurden wegen dreifachen Mordes und in Tateinheit wegen versuchten Mordes an sieben Personen zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.537 Auch in Mölln wurden die rassistischen Angriffe danach fortgesetzt und im November 2000 wurden an die Friedhofskapelle Hakenkreuze und „Türken raus“ geschmiert.538 Vor dem Angriff auf ein Wohnhaus im Mai 1993 in Solingen (NRW) mit fünf Toten, wurde im Februar 1993 in Solingen eine türkische Moschee mit einem Brandsatz angegriffen und am 29. Mai 1993 fanden die Brandanschläge gegen Türken eine Fortsetzung, als in Solingen ein von türkischen Familien bewohntes Haus in der Unteren Werner Straße 81 von Rassisten mit Brandsätzen angegriffen wurde. Dabei wurden Gürsün Ince, geborene Genç (27 Jahre), Hatiçe Genç (18 Jahre), Hülya Gençc (9 Jahre), Saime Genç (4 Jahre) und Gülistan Öztürk (12 Jahre) getötet und Bekir Genç (15 Jahre) wurde schwer verletzt.539 Im Oktober 1995 wurden vier Täter (16 bis 23 Jahre) vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf wegen 5-fachen Mordes, 14-fachen Mord534 Der Tagesspiegel, 18.06.2002. 535 die tageszeitung, 20.10.1992, 27.05.1992, 16.11.1992, 09.03.1993. 536 die tageszeitung, 08.10.1991, 09.10.1991, 537 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf; vgl. Pfahl-Traughber (2012). 538 die tageszeitung, 23.11.2002. 539 die tageszeitung, 05.02.1993.

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versuchs und besonders schwerer Brandstiftung zu Freiheitsstrafen zwischen 10 und 15 Jahre verurteilt. Anfang August 1997 bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das Urteil des OLG Düsseldorf. Im Mai 2000 verurteilte das Landgericht Wuppertal die vier Täter zu Zahlungen von Schmerzens- und Schadenersatzzahlungen.540 Nur wenige Wochen nach dem Massaker an der türkischen Familie in der Unteren Wernerstraße gingen die rassistischen Angriffe in Solingen weiter. Am 24. Juli wurden Müllbehälter vor zwei Häusern mit türkischen Familien angezündete, zwei Wochen zuvor brannte es an zwei Stellen vor einem Flüchtlingsheim und vor einer türkischen Gaststätte. Türkische Ladenbesitzer bekamen Drohbriefe, ebenso Personen die sich öffentlich gegen die Rassisten stellten.541 In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) fanden am 12. Mai 1994 die „Himmelfahrtskrawalle“ statt, bei denen Afrikaner von Rassisten stundenlang durch die Innenstadt gehetzt wurden und verletzten dabei sechs Personen. Als die Polizei endlich eingriff, wurden insbesondere rassistische Opfer festgenommen – die Angreifer wurden größtenteils laufengelassen. Opfer beklagten sich darüber, dass sie von Polizisten schwer misshandelt worden waren. Deshalb wurden 15 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet und schließlich ergebnislos eingestellt. Es wurden acht rassistische Täter verurteilt, zum Teil auch mit langjährigen Freiheitsstrafen.542 In der Folge dieser Übergriffe verstarb am 27. September 1994 der Algerier Farid Boukhit (30 Jahre) an den Folgen der Verletzungen, die ihm am 12. Mai zugefügt worden waren. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ging nicht davon aus, dass es sich beim Tod von F. Boukhit um eine Spätfolge der Angriffe vom Mai handelte.543 Auch in diesem Fall wurden nach den „Himmelfahrtskrawallen“ in Magdeburg weiterhin Ausländer von Rassisten angegriffen. So geschah es im März 1996 einem Sudanesen (23 Jahre), der von Rassisten schwer am Kopf verletzt worden war und in einen Krankenhaus medizinisch versorgt werden musste. An einer Straßenbahnhaltestelle wurde er von Skinheads durch einen Nahschuss aus einer Schreckschusspistole angegriffen. Vier Tatverdächtige (15 bis 20 Jahre) wurden vorläufig festgenommen und etwas später wurde ein fünfter Verdächtiger inhaftiert. Die Polizei fahndete nach zwei weiteren Tätern, von denen es sich auch um ein Mädchen (14 Jahre) handeln sollte. Dieser rassistische Überfall auf den Sudanesen war nun einer von mehreren rassistischen Angriffen auf Ausländer in Magdeburg zu Beginn des Jahres 1996.544 Nur wenige Kilometer südlich von Magdeburg, der ehemaligen Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks, liegt Staßfurt, wo bis 1990 die „Schule der Freundschaft“ als deutsch-mosambikanisches Bildungsprojekt betrieben wurde und wo ein im September 1987 ein mosambikanischer Lehrling von einem rassistischen Mob getötet worden war. Im dritten Kapitel im Abschnitt über die „Schule der Freundschaft“ beschreibe ich diesen Vorfall in seinen Einzelheiten.

540 die tageszeitung, 14.10.1995, 19.01.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 541 die tageszeitung, 07.08.1993. 542 http://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Himmelfahrtskrawalle. 543 die tageszeitung, 26.08.1994, 03.12.1994. 544 die tageszeitung, 20.03.1996.

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In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurden am 18. Januar 1996, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer in der Hafenstraße, 10 Personen getötet: Francoise Makodila (32 Jahre), Maiamba Bunga (27 Jahre), Sylvio Amoussou (27 Jahre), Rabia El Omari (17 Jahre), Miya Makodila (14 Jahre), Christelle Makodila (8 Jahre), Nsuzana Bunga (7 Jahre), Legrand Makodial (5 Jahre) und Jean-Daniel Makodila (3 Jahre).545 38 Bewohner wurden zum Teil schwer verletzt. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Obwohl vier Rassisten aus Grevesmühlen (MVP) am Tatort angetroffen worden waren, an ihrer Kleidung Brandspuren gefunden wurden und einer der vier ein Geständnis ablegte, wurden sie nicht angeklagt.546 Dieses Massaker war, nach dem Bombenattentat auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980 mit 13 Toten, das größte rassistische Verbrechen in Deutschland seit 1945. Bereits im März 1994 und im Mai 1995 war die Synagoge in Lübeck mit Brandsätzen angegriffen worden. Zeitgleich mit dem Anschlag auf die Synagoge im Mai 1995 wurde in der Hundestraße 92 ein weiterer Brandanschlag verübt, wobei 12 Bewohner evakuiert werden mussten und einige erlitten Rauchvergiftungen. Einige der Bewohner waren Mitglieder im „Bündnis gegen Rassismus“ und einige Wochen vor dem Anschlag gab es einen Drohanruf: „Wir brennen bald die ganze Hundestraße ab“. Im September 1995 wurde, wieder in der Altstadt, ein von türkischen Familien bewohntes Haus, mit Brandsätzen angegriffen und dadurch wurden eine Deutsche (34 Jahre) und ein Türke (40 Jahre) getötet und fünf deutsche und türkische Kinder (2, 4, 5 und 14 Jahre) erlitten Rauchvergiftungen. Von den insgesamt 25 Hausbewohnern wurden 15 verletzt und mussten mit zum Teil lebensgefährlichen Verletzungen in Krankenhäusern behandelt werden.547 Auch hier wurden die rassistischen Angriffe danach fortgesetzt und im August 2000 wurde ein Afrikaner (33 Jahre) von zwei Rassisten (26 und 28 Jahre) zusammengeschlagen und verletzt.548 In Guben im Landkreis Spree-Neiße (Brandenburg) wurde am 7. Dezember 1992 und im Februar 1998 der jüdische Friedhof von unbekannten Tätern geschändet. Im Februar rissen die Täter Grabsteine aus ihrer Verankerung und der kurz zuvor aufgestellte Grabstein für die Holocaust-Opfer wurde beschädigt.549 In der Nacht zum 13. Februar 1999 war in Guben der Algerier Omar Ben Noui von Rassisten durch den Ort gehetzt worden und er war in Todesangst durch eine gläserne Türscheibe gesprungen und verblutet. Einer seiner beiden Begleiter, Issaka Kaba aus Sierra Leone, der andere war Khaled Bensaha ebenfalls aus Algerien, wurde auf der Polizeiwache, acht Stunden lang, mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, festgehalten. Es wurde vermutet, er habe in einer Diskothek mit einer Machete deutsche Besucher verletzt. Von Oktober bis November 2000 wurden vom Landgericht Cottbus elf Rassisten (17 bis 20 Jahre) angeklagt, wegen ihrer Beteiligung an der Hetzjagd auf Ben Noui im 545 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 546 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 547 die tageszeitung, 08.05.1995,06.09.1995, 12.09.1995. 548 die tageszeitung, 08.05.1995, 31.08.2000; http://egora.unimuenster.de/pbnetz/toleranz/downloadhilfe.html 549 die tageszeitung, 15.02.1999, 30.01.1993.

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Februar 1999. Einer der elf Angeklagten wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und sechs Täter erhielten Freiheitsstrafen zur Bewährung, während zwei Täter nur verwarnt wurden. Im Oktober 2002 bestätigte der Bundesgerichtshof in Leipzig das Urteil des Landgerichts Cottbus. Der Bürgermeister von Spremberg, ebenfalls im Landkreis Spree-Neiße, Egon Wochatz (CDU) hatte in einem Interview zur Tötung von Omar Ben Noui geäußert: „Was hatte der denn nachts noch auf der Straße zu suchen?“ Dafür entschuldigte sich Wochatz in der Öffentlichkeit, seine Äußerungen seien unsachlich und oberflächlich gewesen.550 Im Juli 1999 wurde der Gedenkstein für Omar Ben Noui mit Hakenkreuzen und SS-Runen geschändet und ebenso wurden Hausfassaden, Stromkästen und Fahrbahnen im ganzen Stadtteil voll geschmiert. Doch die rassistischen Übergriffe in Guben endeten nicht, den im Februar 2000 wurde ein Kuwaiter (30 Jahre) von mehreren Rassisten angegriffen und so verletzt, dass er in einem Krankenhaus stationär behandelt werden musste. Acht Angreifer (16 bis 20 Jahre) wurden von der Polizei festgenommen, und umgehend wieder freigelassen. Im März 2000 wurde die Mauer des jüdischen Friedhofs von Unbekannten mit antisemitischen Sprüchen beschmiert und es wurden mehrere Grabsteine und die Trauerhalle mit Hakenkreuzen geschändet. Die Polizei nahm acht Tatverdächtige (16 bis 20 Jahre) fest, die geständig waren. Der Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU) setzte 5.000 DM aus für die Ergreifung der Täter und er erklärte, er sähe die Ursachen für den Anti-Semitismus bzw. Rassismus in „den Sozialisationsbereichen Familie, Schule und Jugendpolitik“.551 Im April 2000 wurde in Guben von Unbekannten ein asiatisches Restaurant mit Hakenkreuzen beschmiert und es wurden Fensterscheiben eingeworfen.552 Im Juli wurde der Gedenkstein für Omar Ben Noui mit einem eingeritzten Hakenkreuz erneut geschändet. Es handelte sich nach Polizeiangaben um die fünfte Verwüstung des Gedenksteins. Ebenfalls im Juli wurden drei Rassisten wegen Hakenkreuzschmierereien und dem Abspielen von nazistischer Musik von der Polizei festgenommen. Einer der Festgenommenen war Angeklagter im Prozess wegen der Tötung von Omar Ben Noui.553 Im Dezember 2000 wurde in Guben ein „asiatisch“ aussehender Deutscher, er war gebürtiger Mongole, von vier Rassisten überfallen und einer der Angreifer (18 Jahre) stach ihm mit einem Messer in den Rücken. Dieser Angreifer war bereits vor einem Gericht angeklagt, wegen der Schändung des Jüdischen Friedhofes. Ein Begleiter des Opfers erlitt bei den Angriffen einen Bruch des Unterkiefers. Unter den Angreifern befand sich David (19 Jahre) der bei der Hetzjagd auf Ben Noui beteiligt war.554 Die Grundsteinlegung dieser beispielslosen rassistischen Angriffe ist die mythologisch aufgeladene Vereinigung der beiden deutschen Staaten sowie die rassistischen Einstellungen der Deutschen in West und Ost. Dieses „neue“ Selbstbewusstsein kam national-chauvinistisch daher und fand seine „Feinde“ in den verhassten Ausländern. In Anbetracht der rassistischen Pogrome legte die Bundesregierung 1992 ein mit 90 550 die tageszeitung, 17.02.1999, 10.11.1999, 24.10.2000, 14.11.2000. 551 die tageszeitung, 21.03.2000. 552 die tageszeitung, 21.07.1999, 24.02.2000, 20.03.2000, 21.03.2000, 25.04.2000. 553 die tageszeitung, 28.07.2000. 554 die tageszeitung, 28.12.2000, 29.12.2000.

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Millionen DM ausgestattetes „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ auf, für das die ehemalige FDJ-Sekretärin und damalige Bundesministerin für Jugend und Frauen, Dr. Angela Merkel (CDU) verantwortlich war. Ganz im Sinne einer vom west-deutschen Sozialwissenschaftler W. Heitmeyer entwickelten „aufsuchenden“ Jugendarbeit war das Zentrum dieses Regierungsprogramms die „akzeptierende Jugendarbeit“, d. h. die politische Ausrichtung der Jugendlichen wurde ausgeblendet und es wurde der Versuch unternommen rassistische oder neo-nazistische Jugendliche von dieser Ideologie wegzubringen. Auch in der DDR wurden ähnliche Versuche unternommen, die ebenfalls zum Scheitern verurteilt waren, die Jugendlichen als Gesamtheit zu betrachten, unabhängig von ihren jeweilig unterschiedlichen politischen Standpunkten: „Alle mitnehmen – keinen zurücklassen“ als es der SED darum ging die Mehrheit der von der Norm abweichenden Jugendlichen, für die FDJ wieder zurückzugewinnen.555 In den östlichen Bundesländern wurde in einigen Orten die Gelder missbräuchlich eingesetzt und führten zu Stärkungen der rechten Szene, wie z. B. in Eisenach, wo nur noch Geld für Rassisten, aber nichts für unpolitische oder linke Jugendliche ausgegeben worden ist, oder das „Kirschberghaus“ in Leipzig, das von Rassisten übernommen wurde oder der Klub die „Wurzel“ in Berlin, der sich zu einem überregionalen Treffpunkt der rassistischen Szene entwickelt hatte.556 Obwohl diese fragwürdige Finanzierung beim Ministerium bis dahin nicht aufgearbeitet war, das Programm gegen „Aggression etc.“ endete 1996, konnten ab dem Jahr 2000 an lokale Initiativen, unter der Überschrift: „Arbeit und Qualifizierung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ Gelder in Höhe von insgesamt 75 Millionen DM, gezahlt in Jahresraten zu jeweils 25 Millionen DM, verteilt werden.557 Bemerkenswert ist, dass es in der DDR eine, zwar mit erheblich weniger Geld ausgestattete, aber doch vergleichbare Einstellung der staatlichen Behörden gegeben hatte, die vorsah, alle Jugendlichen zusammen zu fassen, ohne Rücksicht auf ihre unterschiedlichen politischen Auffassungen. So kam es dann auch wieder unter den neuen politischen und sozialen Umständen nach dem 3. Oktober 1990 zu einer Ideologie der Prävention von Gewalt und der sozialen Integration, anstelle einer soliden Aufklärungsarbeit und eines konsequenten Kampfes gegen rassistische Einstellungen und Gewalt.558 Einwanderung Anfang der 1990er Jahre lebten ca. 5,2 Millionen Ausländer, ohne die Angehörigen der ausländischen Streitkräfte in Deutschland. Davon entfielen ca. 75% auf ausländische Arbeitnehmer und ca. 25% auf die zwei Gruppen der „Aussiedler“ und der „Asylbewerber“.559 Trotz der o. g. anhaltenden Hetze führender Politiker gegen einwandernde Ausländer, stieg ihre Zahl auf ca. 6,5 Millionen (1992), auf 7,3 Millionen (1999), ca. 6,7 Millionen (2004) und ca. 7,0 Millionen (2011) Ausländer in Deutschland. Der Anteil der Türken an der ausländischen Population liegt bei ca. 25% und ist 555 Persönliche Information, Mai 1988, FDJ Suhl, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.268, S. 7-9. 556 die tageszeitung, 02.12.1993, 17.08.2000. 557 die tageszeitung, 17.08.2000. 558 Vgl. Botsch und Kopke. 559 Gugel, S. 45f.

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seit 1998 rückläufig. Insgesamt leben ca. 4 Millionen Muslime (ca. 5%) in Deutschland und sie bilden nach den Katholiken und den Protestanten die drittgrößte Glaubensgemeinschaft.560 Die enorme Steigerung rassistischer Angriffe wurde begleitet von hetzerischen Kommentaren führender deutscher Politiker, von denen ich einige wenige Beispiele hier vorstellen kann. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass trotz der heftigen Ablehnung eines weiteren Zuzugs von Ausländern nach Deutschland, die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer dennoch kontinuierlich gestiegen ist. Im September 1992 erklärte Helmut Schmidt, ehemaliger Bundeskanzler: „Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen. Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht. […] Schauen sie sich die Lage in diesen beiden Kunststaaten an, die in den Pariser Vorortverträgen 1991 geschaffen worden sind. […] Aus Deutschland ein Einwandererland zu machen, ist absurd. […].“561 Bei einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, behauptete Schmidt nicht nur: „Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen“, sondern er richtet hier auch seinen Fokus auf die Muslime, wenn er davon spricht, dass manche der heute in Deutschland lebenden Ausländer, keine Deutschen werden wollen. Er fährt fort: „Ich habe zum Beispiel in Bezug auf manche islamischen Gläubige, die nach Deutschland gekommen sind, um hier zu bleiben, meine Zweifel, ob ein Austausch mit der deutschen Kultur im Gange ist. Nein, der Ausdruck ‚Zweifel’, ist eine Untertreibung. Der Austausch findet kaum statt.“562 1993 wurde der Asylparagraph Artikel 16a des Grundgesetzes faktisch, durch die Drittstaatenregelung, aufgehoben und 1998 wurde das Vorranggesetz für Deutsche, EU-Bürger u. a. ausgeweitet. Der BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert zweifelte 1993 daran, dass dem BKA „alle fremdenfeindlichen Straftaten bekannt geworden“ seien und das Bundesministerium des Innern (BMdI) sah sich „mangels ausreichender Erkenntnisse außerstande“, die Dunkelziffer für rassistische Straftaten zu quantifizieren.563 Im Juli 1997 forderte Gerhard Schröder (SPD): „Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell“.564 Ebenfalls 1997 verlautete der CDU-Politiker Heinrich Lummer: „Deutschland soll den Deutschen genommen werden. Ob man das Landnahme, Überfremdung oder Unterwanderung nennt, tut nichts zur Sache.“565 1998 erklärte der Bundesminister des Innern (BMdI) Manfred Kanther (CDU): „Wir brauchen überhaupt keine Einwanderung – in keinem Berufsfeld. Wir haben etwa eine Million arbeitslose Ausländer im Land. Diejenigen, die dazu kommen, besonders 560 http://www.netz-gegen-rassismus.de/files/pdf/schattenberichte/ENAR_German_Shadow_Report_2009-10.pdf, S. 11. 561 Frankfurter Rundschau, 12.09.1992. 562 Die Zeit, Nr. 18, 22.04.2004. 563 die tageszeitung, 10.02.1993. 564 Bild am Sonntag, 20.07.1997. 565 Widmann (2005), S. 246f.

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die Asylbewerber, haben in der Regel keine für unseren Berufsmarkt erforderliche Ausbildung. Wir haben bei den minderqualifizierten Arbeiten Schwierigkeiten, die eigenen Leute unterzubringen. Das ist der Arbeitslosensektor, der die größten Sorgen bereitet“.566 Der Innensenator von Berlin, der CDU-Politiker und Ex-General der Bundeswehr Jörg Schönbohm, sprach 1998 von einer drohenden „Ghettoisierung“ bestimmter Stadtteile mit überdurchschnittlichem Anteil von Ausländern und er beschrieb die Gefahr des Untergangs „deutscher Leitkultur“.567 Am 3. November 1999 behauptete der Bundesminister des Innern (BMdI) Otto Schily: „Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten“.568 Die Shell-Studie, sie wird alle drei Jahre durchgeführt, erbrachte bei der Untersuchung „Jugend 2000“ erschreckende Ergebnisse: Ca. 62% der deutschen Jugendlichen waren der Ansicht, dass es in Deutschland zu viele Ausländer gäbe und 27% der Befragten stuften die Demoskopen als „hoch ausländerfeindlich“ ein.569 Frank Steffel (CDU) erklärte im Jahr 2001, dass er als Mitglied der Jungen Union Schwarze als „Bimbos“, Türken als „Kanaken“ und Behinderte als „Mongos“ in rassistischer Manier beleidigte. Eine Lehrerin die einen PKW sowjetischer Bauart fuhr, bezeichnete er als „Kommunistenschlampe“.570 Günter Beckstein (CSU) äußerte sich im Jahr 2002 über Türken: „Da braucht es kein Gericht, die ganze Sippschaft gehört hinaus.“571 Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann, Präsident des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW) meinte 2003: „Wollten wir die demographischen Ausfälle allein durch Migration ersetzen, haben wir in 30 Jahren eine Überfremdung, die wahrscheinlich sozial nicht funktionieren wird“.572 Die Ergebnisse einer demoskopischen Umfrage der Universität Leipzig im Jahr 2004 zeigten eine Zustimmung von ca. 38% zu der Aussage: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“.573 Am 20. November 2004 auf einem Parteitag und im Oktober 2010 beim Deutschlandtag der Jungen Union erklärte Angela Merkel (CDU) jeweils, die multikulturelle Gesellschaft sei „grandios gescheitert“.574 Im Bundestagswahlkampf 2005 warnte Oskar Lafontaine (WASG) vor „Fremdarbeitern“, die den einheimischen Familienvätern und Frauen zu Billiglöhnen ihre Arbeitsplätze wegnehmen würden.575 Der Vorsitzende der bayerischen Partei CSU, Erwin Huber, erklärte auf dem kleinen Parteitag im November 2007 in Würzburg, dass er wäre gegen den Bau von großen 566 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.08.1998. 567 Bartels, S. 1. 568 Süddeutsche Zeitung, 03.11.1999. 569 die tageszeitung, 27.03.2000. 570 http://www.freitag.de/community/blogs/muhabbetci/ohne-kommentar. 571 http://www.freitag.de/community/blogs/muhabbetci/ohne-kommentar. 572 Widmann (2005), S. 246f. 573 Ebenda. 574 Der Spiegel, 19.10.2010; http://www.faz.net/aktuell/politik/csu-parteitag-die-neue-sprache-angela-merkels-1193517.html. 575 Widmann (2005), S. 246f.

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Moscheen in den deutschen Innenstädten, weil „Multi-Kulti (ist) eine Brutstätte von Kriminalität“ sei.576 Nach Angaben des „Türkischen Bundes Berlin Brandenburg“ hatte rund die Hälfte aller Türken in Berlin 2007/2008 keinen Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenquote für Ausländer wurde auf ca. 34% und die der Türken auf ca. 50% geschätzt.577 Von 1989 bis 1992 gab es eine Förderung der Einwanderung von Status-Deutschen aus Ost-Europa und parallel dazu gab es ab 1990 eine Ausnahmeverordnung für den Anwerbestopp und bilaterale Abkommen mit ost- und süd-europäischen Ländern.578 Im April 1990 wurde ein neues Ausländerrecht verabschiedet, das ab 1. Januar 1991 die restriktiven Tendenzen der Vergangenheit weiterführte. Seit 1953 besteht in Köln ein Ausländerzentralregister, jedoch erst 1988 legte das Bundesministerium des Innern (BdI) einen Gesetzentwurf vor, der die Arbeit dieser Behörde regelt. Die Informationen dafür werden geliefert und benutzt von Ausländerbehörden, Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutzämter und von Konsulaten und Botschaften der BRD im Ausland.579 Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bestimmen letztlich wie lange Ausländer warten müssen, bevor sie sich bewerben dürfen, wie viele Ausländer eingestellt werden oder arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen sind. Für die deutschen Aussiedler und Spätaussiedler gibt es kaum Restriktionen, z. B. bei der Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Jedoch werden andere Ausländer durch das Inländerprimat und restriktive arbeitsmarktpolitische Instrumente systematisch diskriminiert.580 Nach einer Studie des DGB aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass ausländische Jugendliche am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt werden: Mit 12,6% sind nahezu doppelt so viele Ausländer ohne Arbeit, im Vergleich zu den Inländern und 30% der Ausländer über 25 Jahre haben keinen Berufsabschluss. Unter den Inländern sind es knapp über 11% die ohne beruflichen Abschluss sind.581 Kinder von Ausländern sind an deutschen Sonderschulen überrepräsentiert. Im Jahr 2003 erreichten fast 70% der Kinder von Deutschen, aber lediglich 40% der Kinder von Ausländern einen mittleren bzw. höheren Schulabschluss und 25% aller deutschen Schüler erreichte das Abitur, bei den ausländischen Schülern waren es nur 10%. Die Arbeitslosenquote liegt bei Ausländern stets höher als auf dem gesamten Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu den 1980er Jahren, als der Unterschied noch recht gering war, ist sie bei Ausländern seit den 1990er Jahren doppelt so hoch wie bei den Deutschen. Besonders stark betroffen sind dabei die Türken und die Italiener. Nicht nur die neu zugewanderten Migranten, sondern auch die Kinder und Enkelkinder von Ausländern sind durch institutionalisierte Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, meist negativ, betroffen.582 Eine demoskopische Untersuchung bei Gewerkschafts576 http://www.focus.de/politik/deutschland/csu/csu-parteitag_aid_139537.html. 577 Der Tagesspiegel, 24.04.2008. 578 Flam, S. 234-235 u. S. 292-296. 579 Gugel, S. 32-34. 580 Flam, S. 135. 581 Der Tagesspiegel, 15.05.2010. 582 Flam, S. 115-117.

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mitgliedern und eine Fallstudie zeigen, dass alltäglicher Rassismus für einen Teil der Gewerkschaftsmitglieder – einschließlich der Funktionäre und Presseredakteure – mittlerweile selbstverständlich geworden ist.583 Die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marie Luise Beck, befürchtete, dass im Jahr 2005, dass ca. 40% aller ausländischen Kinder ohne berufliche Qualifikation bleiben.584 „Russland-Deutsche“ Sowohl Flüchtlinge (1944-1945), Vertriebene (1945-1948) als auch Aussiedler (1957-1992) werden als „Heimatvertriebene“ bezeichnet. Zwischen 1989 und 1998 wanderten ca. 2,3 Millionen deutsch-stämmige Aussiedler bzw. Spätaussiedler nach Deutschland ein, von denen ca. 2 Millionen aus der ehemaligen Sowjet-Union gekommen waren. Ca. 1,4 Millionen kamen aus Polen und sie sind damit insgesamt die zahlenmäßig größte Einwanderungsgruppe.585 Insgesamt kamen von 1950 bis 2005 ca. 4,5 Millionen Menschen aus Ost-Europa nach Deutschland. Heute leben ca. 2,5 Millionen Deutsche in Deutschland die offiziell bis zum 31. Dezember 1992 als „Aussiedler“ und danach ab 1. Januar 1993 als „Spät-Aussiedler“ bezeichnet worden waren. Zusammen mit den ihnen voraus gegangenen eingewanderten Flüchtlingen und den Vertriebenen wurden die Aussiedler als Heimatvertriebene bezeichnet. Ihre Integration geriet ab Ende der 1980er Jahre in eine krisenhafte Entwicklung, bei der sie in der deutschen Gesellschaft bspw. sowohl als „Russen“ oder „Polen“ wahrgenommen wurden. Die traditionelle Ablehnung der einheimischen deutschen Bevölkerung, die bereits Flüchtlingen und Vertriebenen entgegen geschlagen war, fand hier eine Fortsetzung in einer Ablehnung, die zur ethnischen Segragtion dieser Population geführt hat. Die dadurch eingetretene Verschlechterung der Lebensumstände der Spätaussiedler hat auch dazu geführt, dass im Jahr 2010 nur noch ca. 2.300 Spätaussiedler Aufnahme in Deutschland gefunden haben. Ich konzentriere mich hier auf einige wenige Beispiele, die Auskunft geben über die soziale Situation der RusslandDeutschen. So war bis 1991 die badische Stadt Lahr eine Garnisonsstadt mit ca. 12.000 Soldaten und ihren Angehörigen aus Kanada, womit etwa jeder dritte Einwohner Lahrs Kanadier war.586 Im Jahr 2003 berichtet die Tageszeitung Die Welt, unter der Überschrift „Neue Angst vor den Russen“, über gewalttätige Aussiedler in Lahr, die dort „Angst und Schrecken“ verbreiten würden.587 Und im selben Jahr erklärt die Stadt Lahr, dass es ihr gelungen sei, ca. 9.000 Spätaussiedler „erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren“.588 „Die räumliche Segregation hat bei den Aussiedlern inzwischen ein ähnlich hohes Ausmaß erreicht, wie es bei den anderen Immigrantengruppen zu beobachten ist. […] So konstatiert beispielsweise das Russisch-Deutsche Kulturzentrum in Nürnberg 583 Ebenda, S. 192; Das sind die beiden Untersuchungen: www.polwiss.fu-berlin.de/projekte_/gewrex/Downloads/Ergebnispapier-Workshop.pdf und Birsl et al, 1999. 584 Focus Online, 2005. 585 Bartels, S. 55. 586 Bartels, S. 73. 587 Bartels, S. 117. 588 Bartels, S. 26.

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selbstbewusst, dass die ca. 30.000 dort lebenden Russlanddeutschen ‚eine kleine Stadt in der Stadt’ bilden. Eine typische Koloniebildung russlanddeutscher Aussiedler nennenswerten Ausmaßes ist in den neueren, westlichen Stadtteilen Freiburgs zu beobachten“589 In der niedersächsischen Stadt Cloppenburg sind von den ca. 32.000 Einwohnern ca. 25% „Russland-Deutsche, die in homogenen Vierteln (Paralellgesellschaft), abgeschottet von der deutschen Bevölkerung leben. Bei Gewalt- und Drogendelikten sind sehr oft Russland-Deutsche beteiligt.590 In Berlin-Marzahn-Hellersdorf (Ost) leben ca. 25.000 Russland-Deutsche von denen ca. 64% von staatlichen Transferleistungen (Hartz IV, Sozialhilfe, usw.) leben.591 Im September 1991 wurden Kinder von Aussiedlern und von Asylbewerbern angespuckt und bedroht.592 Im Januar 1992 hatten acht Minderjährige aus Cloppenburg einen „blutigen Angriff auf Aussiedler“ verübt.593 Im Juni 2003 wurde ein Russland-Deutscher (12 Jahre) am Bahnhof von Bernau (Brandenburg) von zwei Neo-Nazis angegriffen und verletzt. Zuvor hatten die beiden Angreifer rassistische Parolen gerufen und sie hatten eine Gruppe von RusslandDeutschen angegriffen. Die beiden Angreifer kamen in Untersuchungshaft.594 Rassistisch motivierte Angriffe auf Russland-Deutsche wurden in West- wie in OstDeutschland immer wieder festgestellt. Doch sie erscheinen in der Öffentlichkeit nicht nur als Opfer, sondern, zwar in geringem Maße, auch als Täter. In Empfingen im Kreis Freudenstadt (Baden-Württemberg) wurde ein Wohnheim für RusslandDeutsche mit Brandsätzen angegriffen.595 In Nagold (Baden Württemberg) wurde im Oktober 1991 ein Wohnheim für Russland-Deutsche mit Brandsätzen angegriffen.596 In Seitingen-Oberflacht im Kreis Tuttlingen (BW) wurde im Oktober 1991 in eine Wohnung von Russland-Deutschen, hier schliefen drei Kinder, ein Stein geworfen.597 In Schwerin (MVP) wurde im Mai 2000 ein Russland-Deutscher (14 Jahre) von Rassisten überfallen und verletzt.598 In Leipzig (Sachsen) wurde am 14. August 2000 nach einem Rassisten (19 Jahre) gefahndet, der einen Russland-Deutschen mit einem Messer schwer verletzt hatte. Der Angreifer hatte dem Opfer ein Messer in den Rücken gestochen und war dann geflüchtet.599 In Delitzsch (Sachsen) wurden am 19./20. August 2000, bei Auseinandersetzungen zwischen Russland-Deutschen und Rassisten, zwei Neo-Nazis verletzt.600 Es blieb nicht bei Verletzten, denn allein von 2001 bis 2004 wurden sechs RusslandDeutsche von Rassisten getötet. 589 Retterath, S. 129 und S. 136. 590 Spiegel online, 1. April 2005; http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/laenderreport/960700/. 591 Vgl. Sobczynski. 592 Nordwest-Zeitung, zit. Pfister-Heckmann, S. 329. 593 Münsterländische Tageszeitung, zit. Pfister-Heckmann, S. 327. 594 Golova, S. 241. 595 die tageszeitung, 08.10.1991. 596 die tageszeitung, 08.10.1991. 597 die tageszeitung, 08.10.1991. 598 die tageszeitung, 15.05.2000. 599 http://egora.uni-muenster.de/pbnetz/toleranz/downloadhilfe.html. 600 http://egora.uni-muenster.de/pbnetz/toleranz/downloadhilfe.html.

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In Bräunlingen (BW) wurde am 9. September 2001 der Russland-Deutsche Arthur Lampel (18 Jahre) von einem Skinhead mit einem Bierglas angegriffen. Ein Splitter drang in seine Halsschlagader, woraufhin er verblutete.601 In Wittstock (Brandenburg) wurde am 4. Mai 2002 der Russland-Deutsche Kajrat Batesov (24 Jahre) von fünf Rassisten in einer Diskothek angegriffen und so schwer verletzt, dass er drei Wochen später im Krankenhaus verstarb. Das Landgericht Neuruppin verurteilte die Täter zu langjährigen Haftstrafen, jedoch wurde eine politische Dimension der Tat negiert.602 In Neuruppin (Brandenburg) wurden im Januar 2003 zwei weitere Rassisten festgenommen, die an der Tötung eines Russland-Deutschen beteiligt gewesen waren.603 In Heidenheim (BW) wurden am 19. Dezember 2003 die Russland-Deutschen Viktor Filimonov, Waldemar Ickert und Aleksander Schleicher vom Skinhead Leonhard Schmidt (17 Jahre) getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.604 In Gera-Bieblich (Thüringen) wurde am 21. Januar 2004 der Russland-Deutsche Oleg Valgar (27 Jahre) von vier Rassisten getötet. Sie hatten ihn ein Wäldchen gelockt und verletzten ihn brutal mit Fußtritten, Messerstichen und Hammerschlägen. Danach sagte einer der Täter: „Wenigstens eine Russensau weniger“. Das Landgericht Gera wollte keinen fremdenfeindlichen Hintergrund erkennen. Im Juli wurden die Täter wegen Mordes zu Freiheitsstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt.605 Bei dem Mord an der der Ägypterin Marwa el-Sherbini in Dresden (Sachsen) am 1. Juli 2009 war der Täter ein neo-nazistischer Russland-Deutscher. Die Apothekerin elSherbini wurde in einem Gerichtssaal des Landesgerichtes getötet und ihr Ehemann wurde ebenfalls niedergestochen und von einem hinzueilenden Polizisten irrtümlich angeschossen. Er überlebte schwer verletzt.606 Im Jahr 2009 wurden auf einer Demonstration zum Gedenken an die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf Dresden Angehörige des Arbeitskreises der Russland-Deutschen in der NPD gesehen. Dieser Arbeitskreis war 2006 vom Russland-Deutschen Andrej Tiller gegründet worden und sein Ziel ist Gewinnung möglichst vieler der ca. 3 Millionen Russland-Deutschen für nationalistische und rassistische Inhalte zu gewinnen. Bis zur Jahrtausendwende wählten noch ca. 60% die CDU und mittlerweile sind es nur noch 40%.607 „Politisches Verhalten und politische Einstellungen der Aussiedler aus der ehemaligen Sowjet-Union wurden in wissenschaftlichen Diskursen bisher nur selten beleuchtet. […] Diese stillschweigende Entpolitisierung der Aussiedler bedeutet eine systematische Vernachlässigung der politischen Dimension der Integration in soziologischen Diskursen.“608 601 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 602 die tageszeitung, 04.03.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 603 die tageszeitung, 18.01.2003. 604 die tageszeitung, 08.01.2004; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 605 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 606 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 607 die tageszeitung, 11.02.2011. 608 Golova, S. 242.

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Zur Situation der Flüchtlinge Die Diskriminierungen von Flüchtlingen wird sichtbar bei „Asylbewerbern“, denen Sozialhilfe ausschließlich gekürzt gegeben wird, sie werden in Sammelunterkünften untergebracht, können zu gemeinnützigen Arbeiten eingesetzt werden und es werden jegliche Integrationsmaßnahmen und Familienzusammenführungen verwehrt.609 Die ausländer- und sozialrechtliche Lage der Asylbewerber ist gekennzeichnet durch allgemeine Rechtlosigkeit, Entmündigung und Erniedrigung. Ihr von Armut geprägtes soziales Leben und der fortdauernden Angst vor Abschiebung ist aus Abschreckungsmotiven bewusst so eingerichtet.610 Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli 2012 in einem Urteil festgehalten, dass das „Asylbewerberleistungsgesetz“, es trat am 1. November 1993 in Kraft, in Teilen verfassungswidrig ist. Die Richter heben hervor, dass die Höhe der Geldleistungen (nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes) „evident unzureichend“ ist, weil sie seit 1993 nicht verändert wurde. Außerdem so das Urteil weiter, wurde dadurch das „menschenwürdige Existenzminimum“ unterschritten. Die im Grundgesetz in Art. 1 Abs. 1 festgehaltene Anspruch auf das Menschenrecht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ gilt ebenso für Ausländer und ist „migrationspolitisch nicht zu relativieren“, heißt es im Urteil weiter.611 Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hatte 1992, kurz nach den Pogromen in RostockLichtenhagen, den Gesetzesentwurf für die Regelung der Höhe der Leistungen für Flüchtlinge im Bundestag eingebracht. Dr. Bernd Protzner (CSU), Mitglied des Bundestages und Generalsekretär der CSU, kommentierte dieses Gesetzesvorhaben: „Der wirtschaftliche Anreiz nach Deutschland zu kommen, muss gemindert werden“. Die Unions-Fraktion erhöhte sich von der Einführung von Sach- statt Geldleistungen für Flüchtlinge eine „Eindämmung des ungebremsten Einwandererzustroms“.612 Die Aufhebung des Asylparagraphen Art. 16 im Grundgesetz, die die staatstragenden Parteien CDU, CSU, zusammen mit der SPD (1991) beschlossen haben, hatte eine Flut rassistischer Sondergesetze zur Folge, mit der die hier her Flüchtenden staatlichbehördlicher Gewalt und Willkür ausgesetzt sind. Neben diesem vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich bemängelten Gesetz über die finanzielle Minderausstattung der Flüchtlinge, gibt es weitere gesetzliche Bestimmungen, dass sind die § 56 und § 85 des „Asylverfahrengesetzes“, in dem festgelegt ist, dass Flüchtlinge den Landkreis, in dem sie gezwungen sind zu leben, nur mit staatlicher Genehmigung verlassen dürfen. Diese „Residenzpflicht“ verstößt gegen Art. 3. Abs. 3, in dem es heißt: „Niemand darf wegen […] seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. […]“. Dieses rassistische Gesetz hat u. a. zur Folge, dass seit 1982 in Deutschland mehr als 160.000 Strafverfahren durchgeführt wurden, allein deshalb weil 609 Ebenda, S. 91. 610 Ebenda, S. 97-106. 611 Der Tagespiegel, 19.07.2012; junge Welt, 19.07.2012. 612 die tageszeitung, 18.07.2012.

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Flüchtlinge ohne Erlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde ihren Landkreis verlassen hatten. Der wiederholte Verstoß gegen diese Pflicht, es gibt sie sonst nicht in den Ländern der Europäischen Union“, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet.613 Flüchtlinge denen es gelingt die schwer bewachten Grenzen zu durchdringen, werden von Rassisten in den Institutionen gequält, gedemütigt und zu Selbstverstümmelungen und Suizid getrieben und Erpressung, Schikanen und Betrug sowie Sippenhaftung, Familientrennungen oder Inhaftierung Minderjähriger“ sind grausame Mittel, um die Ausländer zur Ausreise zu zwingen.614 Im Zeitraum vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 2011 starben in der BRD bzw. an ihren Grenzen über 180 Flüchtlinge. Allein an den deutschen Grenzen zu Ost-Europa starben über 130 Flüchtlinge und über 300 Flüchtlinge wurden dort verletzt. Insgesamt gab es bei den Grenzübertritten über 520 Flüchtlinge, die erhebliche Verletzungen davontrugen. Zwischen 1997 und 2001 wurden 84 grenzüberschreitende Menschen durch Bisse von Zollbzw. Diensthunden verletzt. Ein besonders grausames Kapitel dieses inhumanen institutionalisierten Rassismus, stellen die Abschiebungen von Ausländern dar und dabei sind die Sonderhaftanstalten für abzuschiebende Ausländer von hervorgehobener Bedeutung. Es ist daher nicht überraschend, dass sich angesichts dieser staatlich organisierten Grausamkeiten seit 1993 über 160 Ausländer selbst töteten, um die drohende Abschiebung zu verhindern und insgesamt haben fast 1.000 Ausländer aus Verzweiflung oder Panik vor der Abschiebung versucht sich umzubringen und überlebten zum Teil schwer verletzt; davon befanden sich ca. 570 Ausländer in einer Abschiebehaftanstalt. Insgesamt, so die Dokumentation der „Antirassistischen Initiative Berlin“, wurden über 400 Flüchtlinge, bedingt durch den institutionalisierten Rassismus der staatlichen Maßnahmen, getötet.615 Die Abschiebehaft und die dort inhaftierten Ausländer werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Es sind kleine Gruppen aus der anti-rassistischen Szene und aus christlichen Gruppen wie z. B. der katholischen Caritas oder der evangelischen Diakonie, die durch Aktionen und Aufklärung versuchen, für das fürchterliche Elend dieser Ausländer in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Von einem humanen und demokratischen Standpunkt aus betrachtet, ist es eine Tatsache, dass Terroristen bzw. echte Kriminelle besser gestellt sind als inhaftierte Flüchtlinge, die in zu Hochsicherheitsgefängnissen ausgebauten Abschiebehaftanstalten vegetieren müssen, ohne eine Straftat begangen zu haben. Die Praxis der Abschiebehaft in Deutschland wurde Anfang März 2012 vom UN-Menschenrechtsrat in Genf kritisiert. Eine Arbeitsgruppe die seit 1990 die Menschenrechte in verschiedenen Ländern untersuchte, hatte im September und Oktober 2011 in Deutschland Gefängnisse, Polizeidienststellen und psychiatrische Einrichtungen besucht. Außerdem trafen die Mitglieder der Arbeitsgruppe in Berlin, Hamburg und Baden-Württemberg mit Vertretern des Bundes und der Länder sowie von Kirchen und Nichtregierungsorganisatio613 Vgl. Komi E. und Birgit v. Criegern, S. 12-13; vgl. Toledo. 614 Vgl. Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.). 615 Vgl. Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.).

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nen zusammen.616 In ihrem Bericht, der dem UN-Menschenrechtsrat vorlag, wurde kritisiert das Flüchtlinge „zu leichtfertig und ohne Vorliegen einer Straftat“ bis zu ihrer Abschiebung in Sondergefängnissen inhaftiert würden. Als ein Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention der UNO bewerteten die drei Experten die unbegleitete Inhaftierung von Kindern, bei der 16- und 17-Jährige Flüchtlinge wie Erwachsene behandelt worden waren, ohne das ihnen ein Vormund zur Seite gestellt wurde. Beate Rudolf, Direktorin des „Deutschen Instituts für Menschrechte“ sah sich in ihrer eigenen Kritik, „Abschiebehaft werde in Deutschland übereilt, zu oft und zu lang verhängt“.617 In Berlin sitzen jährlich ca. 5.000 Ausländer, Frauen und Männer im Alter von 16 bis 65 Jahren im Abschiebeknast. Schwangere werden 6 Wochen vor und 6 Wochen nach der Entbindung in einem Krankenhaus untergebracht. Aufgrund des Vorbehalts der deutschen Regierung zur UN-Kinderrechtskonvention ist es möglich, dass auch Kinder ohne Begleitung in Abschiebehaft genommen und abgeschoben werden. Flüchtlinge unterliegen dem restriktiven Asylbewerberleistungsgesetz sowie faktisch einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsverbot. Obwohl auf Grund der Verschärfungen dieser Abschreckungspolitik die Zahl der Flüchtlinge auf einen historischen Tiefpunkt gesunken ist, werden auch schon lange in Deutschland lebende Geduldete und ihre Familien mehr und mehr abgeschoben.618 Das „Anti-Folter-Komitee“ der UNO war im Mai 1998 besorgt über die Zahl der Misshandlungen in deutschem Polizeigewahrsam. Vor allem wurde die Behandlung von Ausländern in Abschiebehaftanstalten kritisiert und es wurde empfohlen, sowohl Disziplinar- als auch gerichtliche Maßnahmen gegen entsprechende Beamte durchzuführen.619 Im März 2003 veröffentlichte in Straßburg das „Anti-Folter-Komitee“, eine Institution des Europarates, seinen Bericht über die Situation in Deutschland. Dabei wurden teilweise ohne Ankündigung 18 Einrichtungen besucht, davon waren zehn Polizeiwachen, aber nur ein Gefängnis, was darauf schließen lässt, dass dort eher Gefährdungen von Gefangenen vermutet werden. Die Delegation fand in der Abschiebehaftanstalt in Eisenhüttenstadt (Brandenburg) in einem besonderen Verwahrzimmer vier im Fußboden eingelassene Eisenringe, „mit denen Häftlinge auf dem Bauch liegend, an den von sich gestreckten Armen und Beinen angebunden werden konnten“. Nach dem Bericht des Komitees, so die deutschen Behörden, wären die Ringe „umgehend“ entfernt worden.620 Im Jahr 2005 wurden ca. 17.000 Ausländer abgeschoben.621 Im Februar 2006 kritisierte das Anti-Folter-Komitee des Europarates die Haftbedingungen für Häftlinge in Abschiebehaftanstalten in sieben deutschen Bundesländern. Keine der besuchten Haftanstalten würde über eine personelle oder materielle Aus-

616 www.proasyl.de//de/news/detail/news/un_arbeitsgruppe_kritisiert_deutsche_abschiebungshaft/. 617 Neues Deutschland, 07.03.2012; www.ausbrechen.info/?p=3615. 618 die tageszeitung, 12.10.2004; vgl. Elisabeth Zimmermann: Jährlich werden 50.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben, in: www.wsw.org./de. 619 die tageszeitung, 23.05.1998. 620 die tageszeitung, 14.03.2003. 621 die tageszeitung, 02.09.2006.

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stattung verfügen, wie sie dem rechtlichen Status von Abschiebehäftlingen angemessen wäre.622 Im Juli 2009 vereinbarte der Bundesminister des Innern (BMdI) Dr. jur. Wolfgang Schäuble (CDU) mit der Kosovo-Regierung, dass ca. 10.000 Roma aus Deutschland abgeschoben werden.623 Im April 2010 vereinbarten der Bundesminister des Innern (BMdI) Thomas de Maizière (CDU) und sein kosovarischer Amtskollege Bajram Rexhepi einen als „Rückführung“ bezeichneten Vertrag, der die Abschiebung von ca. 14.000 Angehörigen der Roma aus Deutschland, ab 1. September 2010 vorsah. Wie de Maizière versicherte, wären Massenabschiebungen nicht geplant, denn die Betroffenen sollten „schrittweise“ rückgeführt werden.624 Die Mehrheit der hier von Betroffenen sind Angehörige einer diskriminierten Minderheit, die in absoluter Armut in Behelfsunterkünften ohne sanitäre Anlagen leben. Viele von ihnen leben bereits seit zehn bis zwanzig Jahren in Deutschland, die Kinder und Jugendlichen sind hier geboren und aufgewachsen. Ohne Kenntnisse der albanischen Sprache haben sie im Kosovo keine Chance für eine erfolgreiche Schulkarriere.625 Im Februar 2012 berichtete das Anti-Folter-Komitee des Europarates über die Ergebnisse einer zweiwöchigen Reise einer neunköpfigen Delegation Ende 2010 zu Missständen in deutschen Haftanstalten und Polizeiwachen.626 Den Mitgliedern des Komitees wurde von Gefangenen mitgeteilt, dass die Polizei bei Festnahmen teilweise übermäßige Gewalt einsetze, insbesondere gäbe es Schläge und Tritte, auch dann wenn die Person bereits unter Kontrolle war. Das Komitee fordert „von der Bundesregierung einen Überblick, wie die Justiz mit Vorwürfen gegen mutmaßliche gewalttätige Polizisten umgeht. Die jetzt vorgelegte Aufstellung der Bundesregierung zeigt, dass solche Strafverfahren fast immer eingestellt werden“. Das Komitee forderte auch, dass die deutschen Länderpolizeien die „Vierpunktfixierung von Inhaftierten“ (Fixierung aller vier Gliedmaßen) aufgeben sollten. Die Bundesregierung jedoch hielt diese Art der Folter für weiter nötig: „wenn alle Versuche der Deeskalation erfolglos waren und es kein milderes Mittel gibt, um die Gefahr der Selbst- oder Fremdverletzung abzuwenden“. Im Jahr 2005 war in einer Polizeistation in Dessau (Sachsen-Anhalt) der so fixierte Flüchtling Qury Jalloh unter bisher ungeklärten Umständen verbrannt.627 Seit 2005 wurden über 20.000 Menschen abgeschoben und 200.000 Menschen sind aktuell von Abschiebung bedroht.628 Aus rassistischen Motiven Getötete Die Tageszeitungen Frankfurter Rundschau und Der Tagespiegel veröffentlichten am 14. September 2000 eine Chronik mit 93 Todesopfern, die aus rassistischen Motiven 622 die tageszeitung, 01.03.2006. 623 die tageszeitung, 02.10.2009. 624 die tageszeitung, 15.04.2010. 625 Vgl. http://www.nds-fluerat.org/3985/aktuelles/ 626 die tageszeitung, 23.02.2012. 627 die tageszeitung, 23.02.2012. 628 Antirassistische Initiative e. V. (Hrsg.).

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heraus geschahen. Die Schröder-Fischer-Regierung anerkannte nur 24 Tode, die aus politischen Gründen getötet worden waren. Am 16. September 2010 schrieb Der Tagesspiegel, zusammen mit der Wochenzeitung Die Zeit, diese Chronik fort und sie kamen dabei nun auf 137 politische Todesfälle. Für den Zeitraum von 1990 bis 2010 dokumentiert eine Wanderausstellung des Vereins Opferperspektive und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) 156 Todesfälle, wobei hier das vom Bundesministerium des Innern (BMdI) geführte Bundeskriminalamt (BKA) nur 47 Todesfälle als politische Fälle bewertet.629 Nach meinen Recherchen sind (seit Oktober 1990) 253 Kinder, Frauen und Männer aus rassistischen Motiven getötet worden. Von 1993 bis 2005 gab es durch die staatliche Flüchtlingspolitik über 300 Tote.630 Von 1989 bis 2000 wurden 143 Wohnungslose von Rassisten (außerhalb der Szene) und im gleichen Zeitraum 157 Wohnungslose durch Täter innerhalb der Szene getötet.631 Im Anhang dieses Buches befindet sich eine Dokumentation mit den von mir recherchierten Todesfällen mit Angaben möglichst mit Vor- und Nachnamen, Alter, Ort und Umstände des Totes und Angaben zu den Tätern, so weit sie vorliegen. In den ersten drei Monaten des vereinten Deutschlands wurden acht Personen aus politischen bzw. rassistischen Motiven getötet: Begonnen hat diese breite Blutspur am 7. Oktober 1990 mit einem Mord in Lübbenau im Landkreis Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg), wo der Pole Andrzej Fratczak von drei Rassisten vor einer Diskothek verprügelt und erstochen wurde. Polizei und Staatsanwaltschaft konnten nicht ermitteln wer von den drei Angreifern der Mörder war. Das Bezirksgericht Cottbus verurteilte die drei Angreifer zu Freiheitsstrafen zwischen acht Monaten und 3 dreiviertel Jahren. Entgegen anderen bisher verbreiteten Informationen war A. Fratczak damit der erste, aus rassistischen Motiven, im vereinten Deutschland getötete Ausländer. Am 17. November 1990 wurde in Kempten im Allgäu (Bayern) ein von Türken bewohntes Haus von Rassisten mit Brandsätzen angegriffen und ein Bewohner starb dadurch. Am selben Tag wurde in Berlin ein Äthiopier erstochen aufgefunden. Am 24. November 1990 plünderten ca. 50 Rassisten (Skinheads und Heavy Metals) den Imbisswagen eines türkischen Händlers in Eberswalde (Brandenburg). Danach überfielen sie unter der Parole „Neger aufklatschen“ vier afrikanische Arbeiter aus Angola und Mosambik. Mit Baseball-Schlägern schlugen sie so brutal auf Amadeu Antonio Kiowa aus Angola ein, dass er zwei Wochen später am 6. Dezember verstarb. Das Bezirksgericht Frankfurt/O. verurteilte im September 1992 vier der fünf Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und vier Jahren. Einer der Angreifer wurde zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Beim zweiten Prozess im Mai 1993 wurde ein Rassist (22 Jahre) zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im November erhielt er Hafturlaub, aus dem er nicht in die Jugendstrafanstalt Schwarze Pumpe zurückgekehrt war. Anfang Dezember wurde er in Stuttgart von der Polizei festgenommen. Er soll am 27. November 1990 zusammen 629 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/ 630 Antirassistische Initiative e. V. (Hrsg.). 631 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/

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mit anderen Tätern in Schwedt einen Raubüberfall begangen haben. Die beiden Gerichtsverfahren konnten nicht klären, wer genau Amadeu Antonio getötet hatte. Am 11. Dezember 1990 wurde in Berlin-Lichtenberg (Ost) Klaus-Dieter Reichert (24 Jahre) in seiner Wohnung von drei Skinheads überfallen. In Panik sprang er aus dem Fenster, fiel zehn Stockwerke in die Tiefe und verstarb. Am 28. Dezember wurde in Hachenburg im Westerwald (Rheinland-Pfalz) der Türke Nihat Yusufoglu (17 Jahre) auf offener Straße von einem Mitglied der neo-nazistischen „Taunusfront“ (20 Jahre) mit einem Messerstich durch den Rücken ins Herz ermordet. Nach der Tat wurde das Haus der Familie Yusufoglu mit Steinen beworfen, Familienmitglieder bedroht, beleidigt und die Kinder wurden verprügelt. Das Gericht in Koblenz verurteilte den Täter wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Eine rassistische Dimension der Tat wurde negiert. Am 31. Dezember 1990 wurde in Flensburg (Schleswig-Holstein) ein Obdachloser (31 Jahre) von einem Skinhead so zusammen getreten, dass er sechs Tage später an den Folgen des Überfalls verstarb. Ebenfalls am 31. Dezember 1990 wurde in Göttingen (Niedersachsen) ein Linker (23 Jahre) von einem Neo-Nazi erstochen. Diese acht Ermordeten gehören sozusagen zur Eröffnungsbilanz des neuen Deutschlands, dass am 3. Oktober 1990 konstituiert wurde. Diese sinnlosen Taten wurden begleitet von militanten Angriffen auf Wohnheime für Ausländer oder Einrichtungen von Linken in Leipzig und Berlin-Marzahn. Am 3. November 1990 gab es nach einem Fußballspiel zwischen dem FC Sachsen Leipzig und dem Berlin BFC Dynamo eine Straßenschlacht von ca. 500 Hooligans aus Berlin, Leipzig und Halle. Dabei wurde der Hooligan Mike Polley (18 Jahre) aus Berlin-Malchow von einem Polizisten auf dem Bahnhofsgelände Leipzig-Leutzsch erschossen. Rassisten in der DDR? Die Ideologie der Ungleichheit, wie sie von der NPD oder auch von der DVU seit den 1970er Jahren propagiert worden ist, hat sich, mit Hilfe der herrschenden Politik, in der Mitte der deutschen Gesellschaft verbreitet. Weil die Bemühungen von AntiNazis und der staatlichen Repression nicht in der Lage sind, die rassistische Dynamik zu stoppen, reicht es eben nicht, den Kampf gegen die Rassisten nur verstärken zu wollen, er muss auf eine neue Ebene gehoben werden. Der von den herrschenden Politikern verbreitete Rassismus und Nationalismus ist bereits zu einem Massenrassismus und –nationalismus geworden. Von diesem breiten rassistischen Konsens in großen Teilen der deutschen Bevölkerung geht, für die männlichen Jugendlichen und Jung-Erwachsenen, die als Gewalttäter sichtbare Exponenten des Neo-Faschismus sind, ein starker Rückhalt aus. Teile in ost- und west-deutschen Orten werden als „nogo-areas“ mehr schlecht als recht beschrieben, aber sie weisen daraufhin, dass der Kampf der Neo-Nazis offen auf der Straße ausgetragen wird, und dass Konspiration für sie nur ein Mittel zum Zweck ist. Es zeigt sich hier, dass auch die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Gefahren an defizitäre Voraussetzungen der Analyse der objektiven und subjektiven Ursachen des historischen Faschismus gebunden sind. Hier und jetzt rächt sich auf grausame Art und Weise die verfehlte EntNazifizierung, die in Wahrheit eine Re-Nazifzierung zum Inhalt hatte. 174

In der DDR hat es vor und nach dem Fall des „antifaschistischen Schutzwalls“ NeoNazis bzw. Rassisten gegeben, d. h. der Bau dieses monströsen Bauwerks hatte also nicht die propagierten Auswirkungen der Abwehr neo-nazistischer Tendenzen aus dem Ausland zur Folge. Nach der „Wende“ konnten Rassisten aus Ost- und WestDeutschland ideell, materiell und personell nahtlos auf ihren jeweiligen Erfahrungen aufbauen. Seit der Vereinigung hat sich die deutsche Politik in einer Art und Weise nationalistisch entfaltet und dadurch ein rassistisches Klima befördert, dass für die Durchsetzung der Zielvorstellung, z. B. in der Revision der Asylgesetzgebung, auszunutzen war. Die rassistischen Exzesse und Pogrome die dadurch losgelöst wurden und die sich vorwiegend gegen weitgehend schutzlose Minderheiten richten, wurden und werden immer wieder verharmlost. Die Aufdeckung der neo-nazistischen bzw. rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Ende des Jahres 2011 hatte dazu geführt, dass diese Thematik für kurze Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist. Denn mit ihren Herkünften aus Jena weisen die Täter des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ auf diese doppelte staatliche Ausgangslage hin, also auf ihre eigene Sozialisation als Kinder und Jugendliche in der DDR und ihren Eintritt als junge Erwachsene in die sozialen und politischen Verhältnisse im neuen Bundesland Thüringen und damit im vereinten Deutschland. In der DDR gab es einen institutionalisierten und gesellschaftlichen Rassismus, von dessen Existenz niemand wusste, weil niemand es wissen sollte. Flüchtlinge, Schüler, Studenten oder ArbeiterInnen aus Afrika, Asien oder Latein-Amerika waren permanent rassistischen Angriffen ausgesetzt, die Tote und viele Verletzte forderten, dazu habe ich im Kapitel über Rassisten in der DDR einiges dargelegt. Diese Fakten werden grundsätzlich angezweifelt und sie sind damit ein Hindernis, um den wahren Charakter der rassistischen Gefahr zu erkennen. In einem Leserbrief aus Magdeburg an die Tageszeitung Der Tagesspiegel, wurde behauptet, in den neuen Bundesländern gäbe es gar keine Neo-Nazis oder Rassisten bzw. die die da sind, wären aus dem Westen gekommen.632 Andere ultraharte Verteidiger der DDR bestreiten sogar, dass es in der DDR jemals anti-semitische, rassistische oder gar neo-nazistische Erscheinungen gegeben hat. An vorderster Front der Leugner befindet sich der ehemalige Historiker der Humboldt-Universität und Mitglied der Linkspartei K. Pätzold, er stellte mich bzw. die Macher der Ausstellung: „Das hat es bei uns nicht gegeben – Antisemitismus in der DDR“ mit dem Nazi J. Goebbels auf eine Ebene. Meine Forschungsergebnisse, sie haben Eingang in die Dauerausstellung gefunden, bezeichnete er als Lüge und zitierte dazu das biblische 9. Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis abgeben“.633 Im Jahr 2010 veröffentlichte er eine Broschüre, mit der er erneut rundweg verneinte, in der DDR hätte es jemals Rassisten bzw. Anti-Semiten gegeben. Mit ihm zusammen auf einer Linie liegt z. B. der ehemalige Jura-Professor Dr. D. Joseph, der es fertig brachte, in einem Buch in dem Neo-Nazis in der DDR behandelt werden sollte, zu 2/3 der Seiten über Neo-Nazis in der BRD zu schreiben. Eine andere prominente Leugnerin ist die Schriftstellerin Daniela Dahn, die ebenso, z. B. im Freitag vom 20. Juli 2007, behauptete, Rassismus bzw. Anti-Semitismus habe es in der DDR 632 Der Tagesspiegel, 18.12.2011. 633 Neues Deutschland, 7. April 2007.

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nicht gegeben. Auch in den Tageszeitungen Neues Deutschland oder junge Welt finden Leugner publizistische Plattformen, über die sie ihre Ignoranz zur Schau stellen dürfen. Die Wirkungen der von der Amadeu-Antonio-Stiftung organisierten Wanderausstellung zur Aufklärung über den Anti-Semitismus in der DDR: „Das hat es bei uns nicht gegeben“, sind durchsetzt von Hysterie und Angst, und bestätigen auf ihre Weise die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte über die Ursachen und den Verlauf rassistischer und neo-nazistischer Einstellungen und Gewalttaten in der DDR. Seit dem steht die wissenschaftliche und politische Qualität der anti-faschistischen Aufklärung der SED in der medialen Öffentlichkeit zur Diskussion. Bereits 1992/93 diskutierten in der Monatszeitschrift Konkret, mehrere ehemalige Wissenschaftler der SED über Anti-Faschismus und Anti-Semitismus in der DDR. Einer von ihnen O. Groehler, hat in zwei längeren Artikeln seine Kritik am Anti-Faschismus der SED vorgetragen und andere, unter ihnen K. Pätzold, verteidigten den Anti-Faschismus der DDR.634 Heute wird dieser Streit, wenn überhaupt noch, vorwiegend in der Tageszeitung Neues Deutschland, in der Tageszeitung junge Welt, in der Wochenzeitung Freitag oder in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform ausgetragen. Diese Debatte spitzen sie immer wieder auf den Vorwurf zu, die Aufklärung über den Anti-Semitismus der SED hätte die Funktion, den „antifaschistischen Nimbus der DDR“ zu zerstören. Lediglich aus ideologischen Absichten heraus, würde der Anti-Zionismus in „verkappten Antisemitismus umgefälscht“ werden, um den anti-faschistischen Charakter der SED zu verfälschen und damit die DDR insgesamt zu delegitimieren. Diesen Positionen stellen sie die Vielfalt der anti-faschistischen Bemühungen in Filmen, in der Literatur und im Schulunterricht entgegen. Doch diese Verteidigungsbemühungen sind absurd: Gibt es doch niemand Ernstzunehmenden der behauptet, in der DDR hätte es keine anti-faschistische Aufklärung gegeben. Dass Redaktionen einem solchen reaktionären Unsinn, eine publizistische Plattform ermöglichen, ist verantwortungslos. Dazu kommt eine autoritäre Ausrichtung dieser Diskussion, die den kritisierten Wissenschaftlern keine Möglichkeit gibt zur Darstellung ihrer Thesen. Es ist jedoch notwendig und richtig zu gleich, die gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse der DDR, die unter der Macht ausübenden SED existierten, einer ernsthaften, auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Kritik zu unterziehen, gerade was die Rassisten und Neo-Nazis angeht, Auch wenn die Forschungsergebnisse den orthodoxen Verteidigern der untergegangenen DDR nicht gefällt, so muss doch darauf gepocht werden, dass, um eine ernsthafte Diskussion führen zu können, historische Tatsachen anerkannt werden müssen. Dieser Mangel zeigt sich auch darin, dass auf die Existenz von Neo-Nazis und Rassisten in bornierter Weise entweder nicht eingegangen wird oder das immer wieder auf Anti-Semiten und Neo-Nazis in der BRD verwiesen wurde und wird. Hier wird die Auseinandersetzung auf eine Ebene gezwungen, wo die vergangenen Schlachten des Kalten Krieges ohne Sinn verlängert werden, wo die DDR noch immer gepriesen wird als „Heiliger Gral“ der deutschen Arbeiterbewegung. Anstatt darüber zu diskutieren was am Staatssozialismus kritisiert werden muss, werden ostdeutsche Gegenden á la Potemkin aufgebaut, die aus dem Wunschdenken wachsen, 634 Daran waren u. a. Groehler und Pätzold beteiligt.

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wenigsten beim „Anti-Faschismus“ sei alles perfekt gewesen. Dass in dieser öffentlichen Debatte zeithistorische Tatsachen nicht zur Kenntnis genommen werden, zeigt mit welcher hartnäckigen Borniertheit operiert wird, weil man sich wohl vor einem Geschichtsbild fürchtet, dass sich von dem bisher in West- bzw. Ost-Deutschland geformten Beschreibungen wesentlich abhebt. In dem bereits weiter oben zitierten Band von M. Scharrer wird zur Frage der Legitimation durch Geschichtsschreibung klar und deutlich formuliert, um was es zu gehen hat und was dabei zu bedenken ist: „Es gibt die Auffassung, deren Vertreter glauben, Geschichtsschreibung müsse ihre Parteilichkeit aus den Legitimationsbedürfnissen und politischen Absichten einer Partei oder anderer Interessenverbände ableiten. Diese Parteilichkeit führt oder verführt dann in aller Regel zu mehr oder weniger eklatanten Geschichtsklitterungen.“635 Erstaunlicherweise verdrängen nicht nur die Verteidiger der Orthodoxie diese dunkle Seite der DDR, sondern auch die etablierte Zeitgeschichtsforschung. Dennoch muss an dieser Stelle, mit aller Nüchternheit die der Bedeutung dieser Thematik zukommt gesagt werden, dass die Lehr- und Geschichtsbücher über die DDR in der Weise verändert werden müssen, dass die Existenz von Rassisten und Anti-Semiten dort ihren Platz findet. In ähnlicher Weise trifft dieser Vorwurf auch auf die historische Forschung über die Opposition in der DDR zu, der es bisher nicht gelungen ist, den neonazistischen Teil der Opposition zu berücksichtigen. Bei der Betrachtung der Geschichte der DDR kann, nach dem was wir jetzt wissen, nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Chauvinismus, Rassismus und Anti-Semitismus „bewältigt“ worden sind. Der Nestor der westdeutschen DDR-Historiographie, Hermann Weber, hat in seiner neuen Einleitung (1999) zum Standardwerk „Geschichte der DDR“ ex-kathedra die DDR von diesen Anfechtungen frei gesprochen.636 Ebenfalls unterliegt Angelika Timm in ihrer Studie dem Zwang die ost-deutsche Bevölkerung von anti-semitischen Gefühlen frei zu sprechen.637 Diese Positionen werden nicht bestehen bleiben können und es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis auch das akademische Establishment der Geschichtswissenschaft, die Authentizität der Tatsachen anerkennt. Rechtspopulistische Offensiven Alle die folgenden Beispiele belegen eindeutig, was bereits seit langem vermutet werden konnte, die „Ausländerfeindlichkeit“ oder der „Rechtsextremismus“ sind keine Gefahr mehr für die sozialen und politischen Verhältnisse in Deutschland, die sich allein am rechten Rand der Gesellschaft entwickelt, nein, diese Gefahr kommt jetzt aus der Mitte der etablierten, bürgerlichen Gesellschaft, wo Anhänger aller Parteien, Kirchen und Gewerkschaften betroffen sind. Und wie auch schon im vergangenen Jahrhundert, so sind auch gegenwärtig rassistische und anti-semitische Gruppen oder Parteien europaweit im Vormarsch. Europäische Nazis sind auf den Straßen und in Parlamenten nicht nur in Italien, Frankreich oder Deutschland, sondern, was wir nach 1990 schmerzhaft lernen mussten, auch in Ost-Europa zu finden, wie z. B. in Russ635 Vgl. Scharrer, S. 12. 636 Weber 2004, S. 14. 637 A. Timm, S. 220.

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land, Polen, Ungarn oder Tschechien. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei den Auseinandersetzungen um die von Rassisten behauptete „Ungleichwertigkeit“ der Menschen, kommt den in der Öffentlichkeit argumentierenden Intellektuellen, Künstlern und Akademikern zu, weil hier die jeweils grassierenden ideologischen bzw. politischen Vorstellungen des Überbaus zu besichtigen sind. Angriffe auf die „Wehrmachts-Ausstellungen“ Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat von 1995 bis 1999 und von 2001 bis 2004 Wanderausstellungen durchgeführt, in denen rassistische Verbrechen der NSWehrmacht, vor allem im Krieg gegen die Sowjet-Union, öffentlich bekannt gemacht wurden: „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“. Damit sollte vor allem die Beteiligung von Offizieren und Soldaten der Wehrmacht an den Massenmorden von Juden und Slawen, anhand von Dokumenten und Fotos, belegt werden. Von 1995 bis 1999 wurde die Ausstellung in 34 Städten in Deutschland und in Österreich gezeigt und in diesen vier Jahren konnten ca. 900.000 Besucher gezählt werden. Weitere 80 Städte hatten die Ausstellung angefordert und es war geplant, die Ausstellung in Europa, in Asien und in den USA zu zeigen. Die Ausstellung rückte mit Bilddokumenten drei historisch gut erforschte, aber damals kaum bekannte Thesen in die Öffentlichkeit: 1. Der Holocaust begann in den besetzten Gebieten der Sowjet-Union und die Wehrmachtsführung war an den Planungen und Ausführungen arbeitsteilig beteiligt. 2. Ganze Truppenteile waren an den Massenmorden beteiligt und 3. waren in der Generalität und im Heer Rassismus und Anti-Semitismus so weit verbreitet, dass dadurch die millionenfache Vernichtung der slawischen und jüdischen Zivilbevölkerung reibungslos durchgeführt werden konnte. Die Exponate der Ausstellung zeigten die entsprechenden Befehle für die Massenmord, die nachfolgenden Leichenverbrennungen, die Aktenvernichtung und Urkundenfälschung und den Prozess der Verdrängung der sofort nach dem Krieg eingesetzt hatte. Die NaziIdeologen hatten nach 1945 das Ziel, die Erinnerungen an ihre verbrecherischen Massenmorde auszulöschen, was ihnen in den ersten Nachkriegsjahren zu großen Teilen gelungen war. Neben vielen Mitglieder der CSU (Hans Zehetmair, Peter Gauweiler, usw. usf.) wurde die Ausstellung von den einschlägig bekannten deutsch-nationalen und rassistischen Angehörigen der Partei „Die Republikaner“, der NPD und der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) „als volksverhetzende, antideutsche Schandausstellung“ angegriffen. Am 1. März 1997 demonstrierten ca. 4.500 Personen in der Innenstadt von München gegen die „Wehrmachtsausstellung“ als einen Angriff auf die „Ehre der deutschen Soldaten“. In Linz (Österreich) gab es gegen die Ausstellung eine anonyme Bombendrohung und am 9. März 1999 wurde sie in Saarbrücken mit einer Bombe angegriffen. Der Historiker Bogdan Musial wies im Jahr 1999 auf Fehler bei der Zuordnung von zehn Fotos hin. Wegen der Kritik von weiteren Historikern an weiteren Fotos zog der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, die Ausstellung im November 1999 vorläufig zurück und er beauftragte eine Kommission renommierter Historiker (z. B. Omer Bartov, Manfred Messerschmidt, Reinhard Rürup, 178

usw. usf.) sie zu überprüfen. Der bisherige Leiter Hannes Heer wurde von ihm abgesetzt und von einer weiteren Mitarbeit ausgeschlossen. Am 15. November 2000 veröffentlichte die Kommission ihren Untersuchungsbericht und stellte fest, dass von 1.433 Fotos der Ausstellung, weniger als 20 Fotos nicht in eine Ausstellung über die Wehrmacht gehörten – die Ausstellung enthalte „keine Fälschungen“. Die zweite Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskrieges 19411944“ wurde am 27. November 2001 in Berlin von Kulturstaatsminister Prof. Julian Nida-Rümelin eröffnet und anschließend bis zum Jahr 2004 in elf Städten in Deutschland, Luxemburg und in Wien gezeigt.638 Goldhagens Thesen Der us-amerikanische Wissenschaftler Daniel Jonah Goldhagen löste mit seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ 1996 in Deutschland eine heftige öffentliche Debatte aus, weil er den Versuch unternommen hatte, die Ursachen für den Massenmord an den deutschen und europäischen Juden im „eliminatorischen Antisemitismus“ der Deutschen zu verorten. Damit widersprach er den vorherrschenden publizistischen und wissenschaftlichen Erklärungen die bis dato in Deutschland festgelegt worden waren. Goldhagen vertrat die Ansicht, dass die Deutschen weder durch Befehle noch durch andere äußere Zwänge dazu gekommen waren, Juden oder Slawen zu töten, denn die Täter waren willige Vollstrecker eines kollektiven Rassenwahns. Die Erkenntnis Goldhagens, dass der rassistische bzw. anti-semitische Wahn zu den Grundüberzeugungen der deutschen Kultur gehörte und damit sowohl bei den Eliten als auch in der Bevölkerung fest verankert war, führte ihn zu seiner zentralen These und Schlussfolgerung, dass das die Hauptursache für die Massenmorde war. „Die Abwehr gegen die Goldhagen-Studie entlarvt sich insofern auch als die erneute Weigerung, sich mit der Geschichte des Antisemtismus in Deutschland, einschließlich des als Antizionismus getarnten, auseinanderzusetzen. Die Herausforderung, die Goldhagens Studie darstellt, wird bis heute nicht angenommen. Goldhagen hat das Bewußtsein für die Massenhaftigkeit und die Bestialität des deutschen Täterverhaltens geschärft. Von einem geschärften Bewußtsein für die Virulenz der zweifachen Verleugnung jener Massenverbrechen kann jedoch immer noch keine Rede sein.“639 Die erste Verleugnung ging von der Tätergeneration aus, die schon 1945, mit der Deklaration der ‚Stunde Null’, die deutsche Vernichtungsstrategie ad acta zu legen bemüht war. Für die zweite Verleugnung ist die zweite Generation verantwortlich, zu welcher die deutsche Linke seit 1968 hauptsächlich gehört. Diese Linke hat sich in Bezug auf das gemeinschaftsstiftende Erlebnis des Holocaust als ein untrennbarer Bestandteil des nationalen Kollektivs erwiesen. Obwohl dieser Tatbestand evident ist, wird nicht einmal im Ansatz darüber diskutiert.“640 Der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler (CSU) hat Goldhagen im Oktober 1996 in der CSU eigenen Wochenzeitung Bayernkurier massiv angegriffen, in dem er 638 Vgl. Rürup, 1991b. 639 Küntzel/Thörner u. a., S. 113. 640 Ebenda, S. 113.

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ihn als „Volksrichter“ bezeichnete, der einen „mühsam umgekehrten Rassismus“ gegen die Deutschen ausbreite. Bereits Franz-Josef Strauß, früher Vorsitzender der CSU, so zitierte Gauweiler seinen Ex-Chef, habe festgestellt, dass die Deutschen „in ihrer überwältigenden Mehrzahl“ nicht zu Verbrechern geworden wären, weil die „moralische Substanz“ erhalten geblieben sei.641 Die Auseinandersetzungen um die Thesen von Goldhagen sind von besonderer Bedeutung, da nicht nur die Geschichte der Täter in einem neuen Licht zu betrachten ist, sondern ebenso die Geschichte der Verleugnung und Verdrängung in Ost- und in West-Deutschland. Dies ging einher mit den Phantasien für das „andere Deutschland“, also jenem Deutschland dass das vom „Nationalsozialismus“ unbelastete „deutsche Volk“ verkörpern sollte, wozu es nötig war, die engen ideologischen und politischen Verbindungen der „arischen“ Bevölkerung mit den Nazi-Eliten zu leugnen. Diese gravierende Fehleinschätzung, interessanter Weise berühren sich hier bürgerliche und partei-kommunistische Geschichtsinterpretationen, wurde bereits im August 1936 sichtbar, als die Führung der KPD nicht nur eine „Versöhnung der antifaschistischen und der nationalsozialistischen Massen“ propagierte, auch im Oktober 1936, als das Zentral-Komitee (ZK) der KPD die Orientierung ausgab, dass „der deutsche Arbeiter“ und das „schaffende Volk“ den „nationalsozialistischen Massen brüderlich die Hand“ reichen sollte. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Exilleitung der KPD angeordnet, dass sich jüdische und nichtjüdische Genossen in getrennten Zellen zu organisieren hätten. Beide Texte wurden erstmals am 18. Oktober 1936 in der Deutschen Volkszeitung veröffentlicht und blieben danach jahrzehntelang unbeachtet, bis sie 1996 in der Theoriezeitschrift utopie kreativ 9/96, (S. 32f.) erneut publiziert worden sind.642 Diese „Freisprechung“ der deutschen Bevölkerung von der Verantwortung für die Massenmorde in der Zeit von 1933 bis 1945 fand ihre adäquate Fortsetzung in der Politik der deutschen Parteien in Ost- wie in West-Deutschland. In einer Bundestagsdebatte setzte sich die KPD dafür ein, „daß alle Kleinen, die unter (die Entnazifizierungskategorien) III, IV und V gruppiert sind, in Zukunft völlig in Ruhe gelassen werden“. Dass den ehemaligen Nazi-Funktionären nicht nur ihre Pensionsansprüche zugesprochen, sondern auch ihre Integration in die Staatsverwaltungen ermöglicht werden sollte, stimmte die KPD zu: „weil diese zehntausende kleiner Leute, die an den Verbrechen des Hitler-Faschismus und an seinem Krieg schuldlos sind, ihren Rechtsanspruch wiedergibt“.643 Im Programm der KPD zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands heißt es u. a.: „Nach dem Krieg […] geriet Westdeutschland […] in die Sklaverei der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten. […] Die westdeutsche Wirtschaft ist als Folge der imperialistischen ‚Hilfe’ von Grund auf überfremdet und desorganisiert. […] Zugleich führt der amerikanische Imperialismus einen systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur. Er möchte sie vergessen machen, dass sie Deutsche sind und dass sie eine große Vergangenheit als selbständige und begabte Nation besitzen. […] Das Adenauer-Regime schützt und behütet die Interessen des amerikanischen, englischen und französischen 641 die tageszeitung, 10.10.1996. 642 Küntzel/Thörner, S. 116f. 643 Ebenda, S. 125.

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Kapitals […] durch die Zustimmung zur Aufrechterhaltung der Besatzung. […] Dem Bündnis des Verräters Adenauer mit den amerikanischen Unterdrückern wird das Bündnis aller ehrlichen Deutschen im Westen und Osten unseres Vaterlandes entgegengestellt. […] Schon jetzt ist im nationalen Befreiungskampf unseres Volkes die Arbeiterklasse die führende Kraft.“ Den Deutschen, so der Beschluss der KPD, sollten „das Europäertum“ und der „Kosmopolitismus“ aufgezwungen werden und diese politische Position der Verteidigung, der mit dem rassistischen Wahn der Nazis infizierten übergroßen Mehrheit der Deutschen setzte voraus, dass die hohe Übereinstimmung die zwischen Nazi-Volk und -Führung bestanden hatte, geleugnet wurde und das deutsche Volk als Opfer der Nazis in Schutz genommen wurde, und das nicht nur von diesen Linken.644 Bubis-Walser-Debatte Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998 in der Paulskirche in Frankfurt/M. hielt der Schriftsteller Martin Walser eine Rede, in der er die „Instrumentalisierung des Holocaust“ ablehnte. Er vertrat die Meinung, dass der Holocaust von einigen Leuten missbraucht würde, um den Deutschen Schmerzen zu bereiten oder gar, um politische Forderungen durchzusetzen. Außerdem meinte er wahrgenommen zu haben, dass diese Missbraucher, die die rassistischen Verbrechen der Nazis thematisierten, sich ihren Mitmenschen moralisch überlegen fühlten. Der Themenkomplex Auschwitz jedoch, dürfe aber nicht zur „Moralkeule“ verkommen, gerade weil die Bedeutung so groß sei: „Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen.“ Nach Walser Rede applaudierten die Anwesenden stehend, bis auf den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland Ignatz Bubis, dessen Frau Ida und Friedrich Schorlemmer. Bubis warf danach Walser „geistige Brandstiftung“ vor – er würde in das gleiche Horn stoßen wie der Dr. Gerhard Frey von der „Deutschen VolksUnion“ (DVU) oder der ehemalige Chef der Partei „Die Republikaner“ (REP) Franz Schönhuber.645 Im Jahr 2007 war durch Archivare des Bundesarchivs in Koblenz bekannt geworden, dass nicht nur der Schriftsteller Siegfried Lenz und der Kabarettist Dieter Hildebrandt, sondern auch M. Walser Mitglied der NSDAP waren. Alle drei genannten Männer behaupteten unisono, von einer Mitgliedschaft in der NSDAP wüssten sie nichts. Walser soll am 30. Januar 1944 in die NSDAP eingetreten sein; außerdem war er beim Reichsarbeitsdienst tätig und das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte er als Soldat der Wehrmacht.646 Ähnlich wie Günter Grass, der seine Mitgliedschaft in der SS verschwieg, galt Walser in der west-deutschen Nachkriegsgesellschaft als poli644 Ebenda, S. 126; http://www.rote-ruhruni.com/texte/gruppe_magma_kdp_und_nationalismus.shtml. 645 die tageszeitung, 13.10.1998. 646 die tageszeitung, 02.07.2007.

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tisch links eingestellter Intellektueller, was sein Eintreten für die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler anging, als auch sein Status als Sympathisant der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP). Der mittlerweile verstorbene Günter Amendt hat am 12. Januar 1999 in einem offenen Brief an Ignatz Bubis in der Schweizer Wochenzeitung von einem Erlebnis aus dem Jahre 1978 berichtet. In jenem Jahr hatte Amendt auf Einladung des Konzertveranstalters Bob Dylan und seine Band begleitet. Amendt hatte sich seit vielen Jahren mit der Rezeption von Dylans Werk in den bundesdeutschen Medien beschäftigt, insbesondere interessierte er sich dabei für die dort vorgenommene Betonung eines anti-semitischen Stereotyps. Gerade bei Dylan thematisierte man gerne „die materiell-finanzielle Seite des Rock’n Roll so oft, so gerne und so ausführlich“, so Amendt. Nach dem Abschluss der Tournee hatte er in den Räumen der Redaktion von Konkret Martin Walser getroffen, der ihn „nicht ohne einen aggressiven Unterton“ gefragt habe, „was eigentlich an diesem ‚herumzigeurnden Israeliten’ Besonderes wäre“. Die Rede von Martin Hohmann Martin Hohmann ist Major der Reserve, ehemaliger Kriminaloberrat beim Bundeskriminalamt (BKA) und Ex-Bundestagsabgeordnete der CDU. Von 1984 bis 1998 war er hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Neuhof bei Fulda (Hessen). Er hielt am 3. Oktober 2003, anlässlich des deutschen Nationalfeiertages, in Neuhof, vor ca. 120 Zuhörern, eine geschichtsrevisionistische und rassistische Rede, bei der er den Juden die Schuld an den stalinistischen Massenmorden in der Sowjet-Union gab: „Wir haben gesehen, wie stark und nachhaltig Juden die revolutionäre Bewegung in Russland und mitteleuropäischen Staaten geprägt haben. Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der ‚Täterschaft’ der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl auf der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk’ bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet.“ Er stellte in dieser Rede auch in Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, im Angesicht der schlechten Wirtschaftslage, die Zahlungen an die Europäische Union (EU), die Entschädigungszahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter und an die jüdischen Opfer des Holocaust zu verringern. Seine Rede beendete er mit dem Ausruf: „Unser Leitspruch sei: Gerechtigkeit für Deutschland, Gerechtigkeit für Deutsche“.647 Niemand der Zuhörer nahm Anstoß an dem was Hohmann vorgetragen hatte, erst als der CDU-Ortsverband Neuhof den Text der Rede auf seine Internetseite stellte, erschien am 27. Oktober 2003 ein kritischer Artikel bei hagalil.com. Der Freiburger Historiker U. Herbert analysierte die Rede Hohmanns: „Was er macht, ist eine Entlastungsargumentation. Die Deutschen müssten sich von der Vergangenheit endlich befreien. Sie müssten diese Schmach des Begriffs Tätervolk ablegen. Und das tut er dadurch, dass er sagt, er würde ja auch andre nicht als Tätervolk 647 Widmann, S. 241.

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bezeichnen, obwohl sie es ja genauso verdient hätten wie die Deutschen. Er geht auf die Juden ein durch eine historisch falsche und mitunter abstruse Gleichsetzung von Judentum und Bolschewismus und greift dadurch das zentrale Gedankengut des nationalsozialistischen Antisemtismus auf, der genau mit dieser Verbindung – Judentum und Bolschewismus – den Holocaust begründet und legitimiert hat.“648 Homann wurde wegen dieser Rede am 14. November 2003 aus der Fraktion der CDU/CSU ausgeschlossen. Im selben Jahr erhielten die Unions-Parteivorsitzenden, Angela Merkel und Edmund Stoiber ein Protestschreiben gegen den Parteiausschluß von M. Hohmann, dass von ca. 1.600 Mitgliedern der Unionsparteien unterschrieben worden war. Sie begründeten ihre Solidarität mit Hohmann mit dem Argument, seine Rede sei nicht antisemitisch gewesen.649 Er trat bei der Bundestagswahl 2005 als parteiloser Direktkandidat in Fulda an und scheiterte mit nur 21,5% gegen einen Kandidaten der CDU, der fast 40% der Stimmen erhalten hatte. Er wurde dann Ehrenmitglied der Wählervereinigung „Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland – Liste Henry Nitzsche“ des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten und Rassisten Henry Nitzsche aus Kamenz/Hoyerswerda. Reinhard Günzel war Brigadegeneral der Bundeswehr und vom 24. November 2000 bis zum 4. November 2003 war er Kommandeur der Spezialeinheit „Kommando Spezialkräfte“ (KSK). Zuvor war er ab 1995 Brigadekommandeur der Jägerbrigade 37 in Frankenberg, zu der das Gebirgsjägerbataillon 571 Schneeberg gehörte. 1997 wurden dort in einem Spind eines Wehrpflichtigen aus Seehausen (Brandenburg) neo-nazistische Kassetten und CDs und ein selbstgefertiger Ausweis mit dem Dienstgrad „Sturmbannführer“ gefunden. In einem anderen Fall wurden in der Kaserne in Schneeberg Videofilme gedreht, in denen der Hitler-Gruß, Fesselungen und ein gespieltes Interview zum Holocaust zu sehen und hören war. Das ganze war unterlegt mit Musik von neo-nazistischen Bands. Fünf der sechs an der Herstellung der Videos beteiligten ehemaligen Soldaten gingen straffrei aus. Nur ein ehemaliger Zeitsoldat musste mit einer Anklage wegen Volksverhetzung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole rechnen. Günzel wurde daraufhin vom Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) abgemahnt und versetzt. Nach dem Günzel 2003 auf Bundeswehr-Briefpapier die Rede von Martin Hohmann gelobt hatte, wurde er vom Verteidigungsminister Dr. Peter Struck (SPD) in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Danach trat Günzel in vielfältiger Weise als Redner und Autor rechter Gruppierungen in der Öffentlichkeit auf, wie z. B. im Dezember 2004 bei der Dresdner Burschenschaft „Cheruscia“ oder beim „Institut für Staatspolitik“. In diesem rechtslastigen Institut versammeln sich national-konservative und neo-nazistische Publizisten und Wissenschaftler unter der Behauptung der Entwicklung von Vorstellungen für eine „Konservative Revolution“. In dem Buch „Geheime Krieger“, dass Günzel 2005 mit dem ehemaligen GSG-9-Kommandeur Ulrich Wegner und dem ehemaligen Offizier der Wehrmacht Wilhelm Walther veröffentlichte, stellte er die KSK und die Soldaten in

648 http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/6/0,1872,2080582,00.html 649 Gessler, S. 347.

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die Tradition der Wehrmachts-Spezialdivision „Brandenburg“, der zahlreiche Kriegsverbrechen zugeschrieben werden.650 Das „Israel-Gedicht“ von Günter Grass Günter Grass veröffentliche Anfang April 2012 zeitgleich in der Süddeutschen Zeitung (München) und in La Repubblica (Italien) einen politischen Text in der Form eines Gedichtes: „Was gesagt werden muss“. Darin behauptete er, dass der brüchige Weltfriede durch die Atommacht Israel deshalb gefährdet sei, weil Israel durch einen „Erstschlag das iranische Volk auslöschen könnte“. Damit suggeriert er einen atomaren Holocaust am iranischen Volk durch einen entsprechenden militärischen Angriff Israels. Grass vertauscht hier die Rollen, denn bisher ist es das iranische Mullah-Regime, dass Israel die Vernichtung androht und das seit der Errichtung der islamischen Republik 1979, als Ajatollah Chomeini die Auflösung des israelischen Staates forderte. Im Jahr 2001 und noch einmal im Jahr 2009 bezeichnete Ajatollah Chamenei den Staat Israel als „Krebsgeschwür“ das es zu entfernen gilt. Den iranischen Präsident Ahmadinedschad, er leugnet den Holocaust, bezeichnet Grass als „Maulhelden“ und negiert damit die brutalen Auswirkungen der inhumanen und anti-demokratischen Diktatur des Iran. Auch der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete und Rassist Jürgen W. Gansel war, auf der NPD-Website, voll des Lobes über den Text von Grass, dem er das „Verdienst eines befreienden Tabubruchs“ zurechnete. Grass, so Gansel weiter, hätte eine „mächtige Schneise“ für eine Kritik am „jüdischen Aggressionsstaat“ geschlagen. Ein führender Vertreter der linken Dachorganisation „Kooperation für den Frieden“, Andreas Buro, zeigte sich ebenfalls dankbar für die Grassschen Zeilen. Ein anderer Sympathisant des Gedichts von Grass war Wolfgang Gehrcke. Gehrcke war 1968 beteiligt an der Neugründung der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) und der „Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ (SDAJ), er trat 1990 aus der DKP aus und wurde Mitglied der „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), von 1998 bis 2002 und seit 2005 ist er für die Partei „Die Linke“ Mitglied des Bundestages, wo er seit 2009 Außenpolitischer Sprecher der Fraktion ist. Er freute sich, für seine Fraktion, über den Inhalt dieses Pamphlets und sagte: „Ich habe lange darauf gewartet, dass ein Intellektueller eine solche Kritik ausspricht“ und „Es ist verlogen, dass die, die behaupten, Freunde von Israel zu sein, sich nicht trauen, Kritik an israelischer Politik zu üben“.651 Ebenso begrüßte der Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Linke“ im hessischen Landtag und Sprecher der „Informationsstelle Ostermarsch“ Willi van Ooyen, den Text von Grass.652 Für Henryk M. Broder ist G. Grass „der Prototyp des gebildeten Antisemiten“, der im Sommer 2011 bei einem Gespräch mit dem israelischen Journalisten Tom Segev, davon sprach, dass sechs Millionen deutsche Soldaten als Kriegsgefangene von den Russen „liquidiert“ worden wären. In Wahrheit waren nur drei Millionen deutsche Soldaten bei den Rus-

650 junge Welt, 26.04.2007. 651 die tageszeitung, 05.04.2012. 652 die tageszeitung, 05.04.2012.

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sen kriegsgefangen und davon haben ca. 1,1 Millionen nicht überlebt.653 Rolf Hochhuth kritisierte seinen Kollegen Grass heftig: „Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen – nie gab es einen meisterhafteren Tartuffe als Dich!“654 Was ist nun anti-semitisch an diesem Gedicht von Grass und warum? Ich will versuchen diese Fragen zu beantworten und dabei spielen drei Ebenen der Analyse eine Rolle: 1. In der Regel ist Kritik an Israel kein Ausdruck von Anti-Semitismus. Nur wenn mit der Kritik implizit eine geschichtsrevisionistische Position thematisiert wird, bei der die Israelis als Rassisten und Nazis dargestellt werden, die gleich oder schlimmer tätig wären, als die Nazis, nur dann spreche ich von Anti-Semitismus. In der Regel findet das mit dem anti-semitischen Anti-Zionismus der Linken statt. Dazu habe ich an andere Stelle in diesem Buch ausführlich Stellung genommen. 2. Der Text verdreht die Tatsachen der Bedrohung und verschweigt, dass die Islamische Republik Iran seit ihrer Gründung 1979 eine israelfeindliche und anti-semitische Außenpolitik betreibt, die in der Forderung gipfelt, Israel sei „auszulöschen“ bzw. „von der Landkarte zu tilgen“ und 3. schweigt sich der Text von Grass aus über die anhaltenden anti-semitischen Versuche des Irans, eine Revision der Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden zu organisieren. In einem Interview mit der Wochenzeitschrift Der Spiegel am 31. Mai 2006, im Vorfeld der im Dezember 2006 in Teheran geplanten „Holocaust-Konferenz“, äußerte sich Ahmadinedschad in einer geschichtsrevisionistischen Art und Weise, wie es hier sonst nur von äußerst rechtsstehenden Funktionären rassistischer Parteien oder Gruppen bekannt ist: „Schauen Sie, meine Ansichten sind ganz klar. Wir sagen, wenn der Holocaust passiert ist, dann muss Europa die Konsequenzen ziehen und nicht Palästina dafür den Preis bezahlen. Wenn er nicht passiert ist, dann müssen die Juden dahin zurückkehren, wo sie hergekommen sind. Ich glaube, dass heute auch das deutsche Volk der Gefangene des Holocaust ist. […] Wie lange, glauben Sie, muss das deutsche Volk die Geisel der Zionisten sei? Wann ist das zu Ende – in 20, 50, in 1000 Jahren?“ Am 18. September 2009 radikalisierte Ahmadinedschad seine Aussagen über den Holocaust und behauptete nun, dass der Holocaust sei „eine falsche Behauptung, ein Märchen, das als Vorwand für Verbrechen gegen die Menschheit“ missbraucht würde.655 Dass diese völlig unhaltbaren Ansichten über die Massenmorde der Nazis von interessierten Rassisten und Geschichtsrevisionisten geteilt werden versteht sich sozusagen von selbst. Die rassistische Zeitschrift Nation und Europa stellte sich nicht an um Ahmadinedschad zu sagen: „Danke, Herr Präsident“ und die rassistischen Parteien NPD und DVU gratulierten ihm 2009 zu seiner Wiederwahl als „wahren Führer des iranischen Volkes“. Über alles das schweigt sich das Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass aus, denn er versteckt seine anti-semitischen Einstellungen hinter seiner „Sor653 http://www.welt.de/106152894; Basler Zeitung, 05.04.2012. 654 http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/hochhuth-attacke-brief-grass-2269102.html. 655 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,418312,00.html, 31.05.2006; http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,649831,00.html; Handelsblatt, 24.09.2009;

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ge“ um das Wohlergehen des iranischen Volkes und die Gefährlichkeit der Ahmadinedschad Aggressionen hält er sich fern, in dem er Ahmadinedschad zu einem harmlosen „Maulhelden“ umlügt. Er, der jahrzehntelang über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS geschwiegen hatte, will nun sein Schweigen zu den Vorgängen in und um Israel aufheben, dass er als „belastende Lüge“ empfindet, weil er durch seine Herkunft mit dem „nie zu tilgendem Makel behaftet ist“, er meint den Nazismus, der ihn daran gehindert habe, die Tatsachen „als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel zuzumuten“. Mit diesem Schritt, so hofft er weiter in seinem Gedicht, „mögen sich viele vom Schweigen befreien“. Dieser unaufgeklärte unaufrichtige Umgang mit der deutschen Geschichte ist politisch verhängnisvoll.656 Eva Hermann, Bischof Meisner etc. Skandalöse Vorfälle in der Mitte der deutschen Gesellschaft zum Thema Nazismus sind Anlass darüber nachzudenken, in welcher geistigen Verfassung sich die Mitte der deutschen Gesellschaft befindet. So hat die ehemalige Sprecherin der Tagesschau der ARD, Eva Herman, bei einer Pressekonferenz in Berlin 2007, Hitler als einen „völlig durch geknallten Politiker“ beschrieben, aber die sozialen Verhältnisse im Nazi-Deutschland gelobt: „Es gab damals auch was, was gut war. Mütter, Familien, Zusammenhalt“. Außerdem behauptete sie, dass diese Werte durch 68er abgeschafft worden wären. Daraufhin trennte sich der NDR von ihr.657 Ein Fall geistiger Brandstiftung, ist eine weitere „Entgleisung“ des Kölner Erzbischofs, Joachim Kardinal Meisner. Er hielt 2007 zur Einweihung des Kölner Diözesanmuseums eine Rede und darin formulierte er den folgenden Satz: „Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet.“ Damit bediente er sich eines Begriffs, der von den Nazis, u. a. zur Abwertung der modernen Kunst, eingesetzt worden war. Kurz danach, es waren heftige Proteste geäußert worden, entschuldigte sich Meisner für den Begriff „entartet“ und brachte sein Bedauern zum Ausdruck, weil seine Wortwahl Anlass für „Missverständnisse“ gewesen sein könnte. Meisner war bereits öfter dadurch unangenehm aufgefallen, dass er (1999) die Abtreibungspille „RU 486“ mit dem Einsatz von „Zyklon B“ in den Nazi-KZs verglich und als er (1995) Messen für Homosexuelle verbot. Im Oktober/November 2009 brachte er in seiner Allerheiligenpredigt den Evolutionsbiologen Prof. Dr. Richard Dawkins aus Oxford in die Nähe zur Nazi-Ideologie. Meisner (Jg. 1933 in Breslau geboren, wuchs in Thüringen auf, studierte katholische Theologie in Erfurt und empfing dort auch die Priesterweihe. 1980 wurde Meisner Bischof in Berlin und er übernahm den Vorsitz der Berliner Bischofskonferenz. 1983 ernannte ihn der Papst zum Kardinal.658 Der Landesvorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen, Jürgen W. Möllemann, zog nach Protesten das Wahlkampfplakat mit dem Konterfei von Adolf Hitler zurück. 656 Vgl. Brumlik (2012). 657 die tageszeitung, 09.10.2007, S. 21. 658 die tageszeitung, 07.12.1998, 12.02.1999, 19.09.2007, 02.11.2009; Der Tagesspiegel v. 15.09.07 und v. 16.09.07, hier wurden noch zwei weitere sexistische, und geschichtsrevisionistische „Ausrutscher“ dokumentiert; jungle world, Nr. 46, 12.11.2009.

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2002, zwei Jahre später, zog Möllemann in den Wahlkampf mit der Forderung für ein Projekt „18“ Prozent für die FDP. In der neo-nazistischen Zahlenlehre bedeutet „18“ die Kombination aus dem ersten und dem achten Buchstaben des Alphabets, d. h. damit ist gemeint „AH“, also „Adolf Hitler“. Für Möllemann und die FDP war dieses braune Assoziation bedauerlicherweise unbegreiflich.659 Jamal Karsli, Landtagsabgeordneter der Fraktion „Die Grünen“ in NRW, ersuchte im Mai 2002 um Aufnahme in die Fraktion der FDP, deren Vorsitzender Jürgen Möllemann zu stimmte. Da war bereits bekannt, dass Karsli im April in Bezug zum Konflikt im Nahen Osten, zwischen Israel und den Arabern davon gesprochen hatte, dass die Armee Israels „Nazi-Methoden“ praktiziere und zwei Wochen später beklagte er in einem Interview mit der rechten Zeitung Junge Freiheit, den angeblich großen Einfluß von „Zionisten“ in den Medien. Möllemann verteidigte die Aufnahme Karslis in die Fraktion und er machte in diesem Zusammenhang den Vize-Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland dafür mitverantwortlich, dass es wegen seiner „intoleranten, gehässigen Art“ Anti-Semitismus gäbe, d. h. die Juden wären selbst Schuld an ihrer Verfolgung.660 Zu guter Letzt blicken wir auf Josef S. (53 Jahre), Jurist und ranghoher Beamter im Bundesministerium für Verkehr. Er hatte jahrelang auf der Homepage der neonazistischen „Deutschen Staatsbriefe“ und in der ebenfalls neo-nazistischen, österreichischen Zeitschrift Die Aula unbehelligt geschichtsrevisionistische Texte veröffentlicht. Sogar das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) erwähnte ihn in ihrem Jahrsbericht 2003, doch erst nach der Veröffentlichung dieser Fakten in der Presse im September 2007 ist der Regierungsrat mittlerweile vom Dienst suspendiert worden.661 Sarrazin – bürgerlicher Biedermann und rassistischer Brandstifter Sarrazin gießt seit einigen Jahren eine braune Soße über die soziale und politische Wirklichkeit unterprivilegierter Frauen und Männer und ihrer Kinder in Berlin, vornehmlich erniedrigt er dabei den Teil des Berliner Proletariats, der türkischen oder arabischen Hintergrund hat, das heißt er meint die muslimischen Ausländer. Sie wurden in dieses Land geholt, für die schlecht bezahlten und gefährlichen Arbeiten und um ihre Integration kümmerten sich keine Kirche und keine Partei. Über Jahrzehnte blieben sie in einem gesellschaftlichen Status, den ich als „versklavte Außenseiter“ charakterisieren möchte und das sowohl in der DDR als auch in der BRD. Der unverhohlen zur Schau getragene sozialdarwinistisch begründete Rassismus des SPD-Mitglieds Th. Sarrazin gegen Teilgruppen der Ausländer bzw. gegen Juden, ist zu verstehen als Ausdruck einer Bewusstseinslage in einem beträchtlichen Teil der deutschen Gesellschaft und die ersten Reaktionen zeigen, wie dieses Gelände zurzeit angelegt ist. Insgesamt herrscht angespannte Ruhe im politischen Deutschland, da die neuen politischen Mächtigen gerade dabei sind, hinter verschlossenen Türen neue Angriffe zu konzipieren, um die sozialen und finanziellen Standards der Masse der Lohnab659 die tageszeitung, 23.05.2002. 660 die tageszeitung, 21.05.2002 661 Vgl. Jansen (2007).

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hängigen abzusenken, um die Lasten los zu werden, die durch die globale Krise des Kapitalismus entstanden sind und noch weiter anwachsen werden. Wer nun geglaubt hatte, dass die abenteuerlichen Vorstellungen Sarrzins sofort mit politischen oder juristischen Zwangsmaßnahmen beantwortet werden würden, der sieht sich grob enttäuscht. Sarrazin macht sich zum Sprecher einer größer gewordenen Gruppe von Deutschen, die sich seit einigen Jahren aufgemacht haben, um sich in rassistisch und nationalistisch besetzten Einstellungen einzurichten. Sie waren von radikalen Volksverhetzern aus allen in den Parlamenten vertretenen Parteien dorthin geführt worden und sie trafen dort auf die entsprechenden zeithistorischen Vorläufer aus der NPD, DVU, usw., die sich seit Jahrzehnten bereits um die rassistische Verhetzung der Deutschen einen Namen gemacht hatten. Das Buch „Deutschland schafft sich ab“ war ein voller Erfolg, denn in den ersten Tagen soll es bereits die 6. Auflage gegeben haben und das wären dann etwa 250.000 Exemplare. Seit September 2010 wird sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, von der „Deutschen Verlagsanstalt“ bzw. von der Gruppe Random House, der Dachgesellschaft des Bertelsmannverlags, in großem Stil verkauft – es ist das bestverkaufte politische Buch seit 1945! Am Ende des Buches klärt Sarrazin die Leser darüber auf, dass die Idee dazu nicht von ihm stammt. Die DVA hätte ihn im Mai 2008 angesprochen, ob er nicht „mit einem Buch zur politischen Debatte über den deutschen Sozialstaat beitragen wolle.“662 Etymologisch gesehen ist der Familienname „Sarrazin“ zurückzuführen auf die Sarazenen, einem ursprünglich auf der arabischen Halbinsel siedelnden Volksstamm. Ironischerweise nimmt Sarrazin diejenigen aufs Korn, denen er letztlich seinen Nachnamen verdankt. Kommen wir zur Sache selbst, also zu Sarrazin und seinen politischen Vorstellungen. Er ist seit 1973 Mitglied der SPD und über ein kurzes berufliches Engagement für die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, arbeitete er ab 1975 als Berufsbeamter für verschiedene Ministerien. Bevor seine berufliche Karriere im Vorstand der Bundesbank abrupt enden sollte, war er von 2002 bis 2009 als Senator (Minister) für die Berliner Staatsfinanzen verantwortlich. Dort war er 2008 deshalb unangenehm aufgefallen, weil er die finanzielle Versorgung von Hartz-IV-Empfängern und von Rentnern als überaus befriedigend darstellte. Er behauptete sogar, dass ein Mensch sich von weniger als vier Euro am Tag genügend ernähren könnte, mehr sei nicht nötig. Ebenso verlangte er von dieser Bevölkerungsgruppe, dass sie sich im Winter zu Hause warm anziehen sollten, um Heizung zu sparen. Rentenerhöhungen hielt er in diesem Kontext für „unsinnig“. Als er ab 1. Mai 2009 in den Vorstand der Bundesbank in Frankfurt am Main abgeschoben worden war, gab er am 15. Mai der Zeitschrift stern ein Interview, in dem er nicht-deutsche Berliner, vor allem meint er türkisch- und arabisch-stämmige Muslime, als unproduktive Rechtsbrecher diskriminierte. Dort stellt er auch die rhetorisch gemeinte Frage: „Wie kann ich es schaffen, dass nur diejenigen Kinder bekommen, die damit fertig werden“. Allein bei dieser Stelle hätte es einen Aufschrei geben müssen, denn die Anmaßung, die hier sichtbar wird, auch wenn es nur rhetorisch gemeint ist, er könne die Geburtenrate so oder so kontrollieren, stinkt zum Himmel.663 Wenige Monate später gab er der Zeitschrift 662 Sarrazin, S. 409. 663 Interview mit Th. Sarrazin: stern, 15. Mai 2009.

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Lettre International ein Interview, das getitelt wurde mit: „Klasse statt Masse. Von der Hauptstadt der Transferleistungen zur Metropole der Eliten“.664 Hier legte er dar, wie in Berlin seit der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Elite nach 1933 und dem Weggang der „wirtschaftlichen Leistungselite“ nach 1945, der Niedergang der Stadt eingeläutet wurde. Heute gibt es in der Stadt Berlin Menschen, „etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung, die nicht ökonomisch gebraucht werden, zwanzig Prozent leben von Hartz IV und Transfereinkommen; bundesweit sind es nur acht bis zehn Prozent. Dieser Teil muß sich auswachsen. (sic) Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich vermutlich auch keine Perspektive entwickeln. (sic) Das gilt auch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal in den subventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen bedient hat. Diese Jobs gibt es nicht mehr. Berlin hat wirtschaftlich ein Problem mit der Größe der vorhandenen Bevölkerung. […] Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. […] Wir haben in Berlin vierzig Prozent Unterschichtgeburten, und die füllen die Schulen und Klassen, darunter viele Kinder von Alleinerziehenden. Wir müssen in der Familienpolitik völlig umstellen: weg von Geldleistungen, vor allem bei der Unterschicht. Ich erinnere an ein Dossier der Zeit dazu. Es berichtet von den zwanzig Tonnen Hammelresten der türkischen Grillfeste, die die Stadtreinigung jeden Montagmorgen aus dem Tiergarten beseitig – das ist keine Satire.“665 In einem Interview mit H. Broder für die tageszeitung Ende 2010 berichtet Sarrazin offenherzig darüber wie der Verlag Einfluss genommen hat auf sein Manuskript: „Irgendwann in einer Spätphase meinte der Verlag, ich sollte doch überall das Wort „Rasse“ durch „Ethnie“ ersetzen. Das habe ich dann auch gemacht. Das war mir völlig egal. Ich habe mich nur bei den Zitaten von Charles Darwin geweigert. Das wäre wie Urkundenfälschung. Wenn er im englischen Original ‚race’ sagt, da muss ich auch im Deutschen Rasse sagen. Aber alles andere war mir völlig egal.“666 In seinem Buch stellt er ausführlich, ja geschwätzig, der deutschen Öffentlichkeit seine rassistischen bzw. anti-semitischen Ansichten dar und deshalb sollte der Titel für dieses üble Machwerk eigentlich heißen: „Deutschland schafft die Muslime ab“, denn um nichts anderes geht es in seinem Buch: Es stellt einen anti-demokratischen, rassistisch begründeten Angriff auf eine gesellschaftliche Minderheit dar. Hier ist es nicht die Stelle eine Besprechung dieses Buches vorzunehmen, sondern ich konzentriere meine Analyse auf die Schwerpunkte seiner Aussagen, um deutlich zu machen, dass er ein rassistischer Autor ist. Er gibt im Vorwort kund, er wolle die Gedanken über die Zukunft der Gesellschaft systematisieren, die ihn schon länger beschäftigen. In der Einleitung kommt er zur Aussage, dass sich die Deutschen, offensichtlich verwendet er die beiden Begriffe „Deutsche“ und „Deutschland“ synonym, in 90 Jahren „quasi abgeschafft“ hätten. Manche würden dieses Schicksal des deutschen Volkes als „ge664 Interview mit Th. Sarrazin: Lettre International, 1.10.2009. 665 Ebenda 666 Interview mit Th. Sarrazin, die tageszeitung, 07.12.2010.

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rechte Strafe“ dafür empfinden, dass einst „SS-Männer gezeugt wurden“ – nur so könne er sich die „zuweilen durchscheinende klammheimliche Freude über die deutsche Bevölkerungsentwicklung erklären“. Es wird hier völlig klar, dass Sarrazin mit seinen Ausführungen aus dem Schatten des Nazismus treten will und er will damit, diese angeblich komplexhafte historische Moral der Deutschen hinter sich lassen. In der Einleitung baut er ein Trugbild auf, wenn er behauptet, dass bisher über die Folgen des Geburtenrückgangs nicht gesprochen werden durfte, außer man wäre bereit gewesen sich, durch Achtundsechziger, wegen des Verdachts einer völkischen Ideologie, beschimpfen zu lassen und das hätte sich nun geändert, weil sie, die Generation der Achtundsechziger, nun Angst um ihre Rente hätten. Er hätte in 39 Berufsjahren feststellen müssen, so Sarrazin weiter, dass es in den Ministerien und Behörden „auch nicht üblich ist, unangenehme Wahrheiten auszusprechen“. Er beklagt die Entwicklung bei der „Deutschland kleiner und dümmer“ würde und niemand, außer er selbstverständlich, will darüber nachdenken oder gar sprechen, denn wer sich um Deutschland und die Deutschen sorgt, „gilt fast schon als politisch inkorrekt“. Das wäre, nach seiner Meinung, die Erklärung für „die vielen Tabus und die völlig verquaste deutsche Diskussion zu Themen wie Demografie, Familienpolitik und Zuwanderung. Ich glaube, dass wir ohne einen gesunden Selbstbehauptungswillen als Nation unsere gesellschaftlichen Probleme aber nicht lösen werden“.667 Hier kommt das Verlogene dieses Autors, er nennt es Ambivalenz, zutage, denn in Wahrheit geht es ihm darum die Muslime aus dem Land zu drängen, wenn er könnte auch aus Europa. Dass er dazu einen nationalen Willen anruft, der die Lösung der von ihm aufgeworfenen Probleme in Angriff nehmen soll, zeigt in welche politische Richtung er unterwegs ist. Im Kapitel 3 schreibt er über die „Zeichen des Verfalls“ und hebt dort besonders die Gruppe der Aussiedler hervor, das sind in der Regel Russland-Deutsche, über deren Integrationsbemühungen er sich keine Sorgen macht, denn ihre Bildungserfolge und Arbeitsmarktdaten, so lügt er weiter, wären sehr gut gelungen. Dass sich die Aussiedler bzw. Spätaussiedler seit geraumer Zeit in der Regel in äußerst schwierigen Wohn- und Lebensverhältnissen wiederfinden, ist Sarrazin entgangen. Ihm ist dieses Thema nur instrumentell wichtig, um an diesen „Deutschen“ aufzuzeigen, wie sehr dagegen türkische Ausländer abfallen.668 Weiter unten in diesem Kapitel, unter der Überschrift „Intelligenz und Demografie“ finden sich zwei Sätze, die aus der eingeschlagenen Argumentationsreihe herausfallen und die ich ungekürzt zitiere: „Jeder Hunde- oder Pferdezüchter lebt davon, dass es große Unterschiede im Temperament und im Begabungsprofil der Tiere gibt und dass diese Unterschiede erblich sind. Das heißt auch, dass manche Tiere schlichtweg wesentlich dümmer oder wesentlich intelligenter sind als vergleichbare Tiere ihrer Rasse“.669 Wie gesagt, der Kern seiner Argumentation ist darin begründet, dass er, wie in einer betriebswirtschaftlichen Rechnung die Kosten mit dem Nutzen vergleicht, die bei der Gruppe der muslimischen Ausländer entstehen. Auf diesen Punkt hin bauen sich sei667 Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München 13. Auflage, 2010, S. 8-18. 668 Ebenda, S. 59f. 669 Ebenda, S. 92.

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ne Aussagen auf und er kommt im Kapitel 7 über „Zuwanderung und Integration“, es müsste in Wirklichkeit „Abwanderung und Desintegration“ heißen, zu der Aussage, dass „wir“ das alles gar nicht bräuchten, denn: „Wirtschaftlich brauchen wir die muslimischen Migranten in Europa nicht. In jedem Land kosten die muslimischen Migranten aufgrund ihrer niedrigen Erwerbsbeteiligung und hohen Inanspruchnahme von Sozialleistungen die Staatskasse mehr, als sie an wirtschaftlichem Mehrwert einbringen. Kulturell und zivilisatorisch bedeuten die Gesellschaftsbilder und Wertvorstellungen, die sie (sic) vertreten, einen Rückschritt. Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten auf lange Sicht eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar.“670 Im Kapitel 9 versucht er sich in einem eleganten Abgang, wenn er beschreibt, dass Deutschland und die Deutschen nicht mit einem Knall sterben werden, sondern dass sie mit der demografischen Auszehrung ihres intellektuellen Potentials still vergehen. Er fragt: „Wer wird in 100 Jahren ‚Wanderers Nachtlied’ noch kennen? Der Koranschüler in der Moschee nebenan wohl nicht“. Da lebt Sarrazin als Beamter und Politiker seit mehreren Jahrzehnten von den Steuergeldern und am Ende seiner Karriere beginnt er eine beispiellose Hetze gegen die Menschen, denen er zu dienen hat(te). Das ist pervers und politisch dennoch nachvollziehbar aus seiner persönlichen und beruflichen Situation heraus, wo er in den letzten Jahren in unerfreulichen Arbeitsverhältnissen gescheitert ist. In einem eskalierenden, persönlichen Prozess der Frustration, ausgelöst durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und seiner Kündigung als Finanzsenator, hat er seine rassistische Polemik in die Öffentlichkeit getragen und hatte damit einen sehr großen publizistischen Erfolg. Dieser Erfolg liegt inhaltlich darin begründet, dass er rassistische und autoritäre Elemente aufgeschnappt hat, die er zuspitzt auf eine Begründung für die Vertreibung der Muslime. Dass alle national-konservativ ausgerichteten Deutschen ihm Beifall zollen und das Buch kaufen, versteht sich von selbst. Hier wird, und das ist ein weiteres Element für den Erfolg seines Buches, auch noch gleichzeitig der Versuch unternommen, die asozialen Gesetze aus dem Hartz IV-Komplex rassistisch und staatspolitisch zu rechtfertigen und er macht damit klar, dass die SPD nicht mehr arbeitnehmerfreundlich ist. In der SPD ist er damit kein an den Rand gedrängter Außenseiter, denn seit vielen Jahren ist er Mitglied des Managerkreises der „FriedrichEbert-Stiftung“. Entsprechend wurde er von sozialdemokratischen Hardlinern, wie z. B. von Klaus von Dohnanyi, Helmut Schmidt, Peer Steinbrück und Wolfgang Clement unterstützt. Aus Sarrazin kommt biologistisch und rassistisch aufgebauter Hass, der gegen Muslime und gegen die Unterklasse gerichtet ist und der genährt wird aus seiner Angst vor einem Niedergang. Insofern kann man bei ihm aus der Nähe betrachten, wie ein prominenter Vertreter einer der beiden großen staatstragenden Parteien sich zu einem national-chauvinistischen Ideologen entwickelt. Die Muslime werden auf perfide Weise als Sündenböcke aufgebaut, und deren Vertreibung soll dann die Voraussetzung dafür bilden, dass die Deutschen an der Spitze bleiben können.671 670 Ebenda, S. 266f. 671 Interview mit Michael Zander, in: www.heise.de/tp/druck/ob/artikel/36/36580./1.html.

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Titel und Inhalt dieses Buches passt sich ein in die neu aufgeflammte Diskussion bürgerlicher Intellektueller in Deutschland über apokalyptische Untergangsszenarien, wie sie zeitgleich auch von Thea Dorn, von Peter Sloterdijk, Hans-Jürgen Syberberg oder Botho Strauß publizistisch vertreten werden und die quasi nahtlos anschließen an historische Vorgänger aus dem 20. Jahrhundert, wie z. B. Oswald Spengler oder Edgar Julius Jung, die anthropologische und sozial-darwinistische Erklärungen und Zielvorgaben beschreiben und denen gemeinsam ist, dass sie zur Demokratie und zur Bevölkerung (Masse) eine kritische bis ablehnende Haltung an den Tag legen. Einer der vor und nach 1945 als Autor viel gelesen wurde, war Friedrich Sieburg, der ab den 1950er Jahren Chef des Literaturressorts der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) war. Er war vor 1945 ein namhaftes Mitglied des NS-Außenministeriums und danach kommentierte er von einem elitären Standpunkt aus, die Entwicklung der „ehemaligen Herrenrasse zu kleinkarierten Spießern“. Sein Buch „Die Lust am Untergang“ wurde in West-Deutschland zu einem Bestseller.672 Ein philosophischer Denker mit einer ähnlichen elitären Ausrichtung war Arnold Gehlen, dessen Credo in der Ansicht kulminiert, dass das Denken von menschlicher Gleichheit für ihn der Grund für den Niedergang der Deutschen nach 1945 bedeutet.673 PD Dr. Dr. habil. Volkmar Weiss „Intelligenzforscher“ und ab 1995 hat den Erfolg von „Deutschland schafft sich ab“ auf seine Vorarbeiten zurückgeführt. Er hatte bereits in der DDR von 1970 bis August 1990 als Wissenschaftler in Berlin (DDR) und Leipzig gearbeitet. Ab September 1990 war er Präsident der „Deutschen Zentralstelle für Genealogie“ in Leipzig. Seine Position mündet in die rassistische Aussage, bestimmte charakterliche Festlegungen für Angehörige ethnischer Gruppen würden kollektiv zu treffen – im positiven wie im negativen Sinn.674 Das wissenschaftliche Interesse des Humangenetikers Weiss gilt dem „Verfall der nationalen Begabung“ der Deutschen, woran vor allem die mindere genetische Disposition der Einwanderer aus der Türkei „Schuld“ daran wäre, was zur Folge hätte, dass ihr „Intelligenz-Quotient“ (IQ), wie der von „Zigeunern“ und „Negern“ unterhalb dem der Deutschen läge.675 Mittlerweile publiziert Weiss national und international in rassistischen Publikationen wie die monatlich erscheinende Deutsche Stimme, Parteizeitung der NPD, der USZeitschrift Mankind Quaterly und in der französischen Zeitschrift Nouvelle École, wobei er bei beiden ausländischen Printmedien auch als Mitherausgeber fungiert. Weiss gehörte Anfang 1990 zu den Gründungsmitgliedern der national-konservativen Partei „Deutsche Soziale Union“ (DSU) und er war einer der Autoren des Parteiprogramms und Vorsitzender der DSU in Leipzig. Vom Juni 1990 bis 1993 war er Mitglied der CDU. Auf Vorschlag der Landtagsfraktion der NPD war er vom März 2005 bis Januar 2006 externer Experte in der Enquête-Kommission „Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen für die Lebensbereiche der Menschen im Freisaat Sachsen sowie ihrer Folgen für die politischen Handlungsfelder“.676 672 Weiß, S. 7-26. 673 Ebenda, S. 32-39. 674 Ebenda, S. 121-122. 675 Vgl. Mersch (2005). 676 http://de.wikipedia.org/wiki/Volkmar_Weiss

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Man kann davon ausgehen, dass der rassistische Angriff von Sarrazin ein politischer Angriff ist, der auf die soziale Wirklichkeit breiter Schichten der lohnabhängig Beschäftigten bzw. ehemals Beschäftigten zielt. Mit dieser schrillen Tonlage verweist der Ex-Finanzsenator des Landes Berlin auf die durch die globale Krise ausgelöste wirtschaftliche und finanzielle Situation in Deutschland. Kein Wunder, dass da die „Fantasien ins Kraut“ schießen, denn noch nie nach 1945 gab es in der Volkswirtschaft solche Rückgänge bei Aufträgen, Umsätzen und Profiten zu verzeichnen, wie es seit dem Bankencrash von 2008 geschieht. Seit Jahren ist das rassistische Szenario in Deutschland aufgebaut worden und es beinhaltet im Kern die Forderung nach der Vertreibung der hier nach Deutschland eingewanderten Arbeiter und ihrer Familien. Sie sollen für die Fehler und Irrtümer der Deutschen büßen, sie sollen den Sündenbock abgeben für die jetzt aufbrechenden Ängste und Enttäuschungen der Einheimischen über den wahren Charakter ihres deutschen Modells. Anti-semitischer Anti-Zionismus bei Linken und Rechten „Sie nennen es Antizionismus, aber es ist Antisemitismus“, so wird der französische Filmemacher Claude Lanzmann zitiert, nach dem das Hamburger Programmkino BMovie von ca. 30 bis 40 anti-faschistischen Anti-Imperialisten (Sozialistische Linke, Tierrechtsaktion Nord) aus dem benachbarten Zentrum B5, mit Gewalt verhinderten, dass sein Film „Warum Israel?“ gezeigt wurde. Die Aufführung war für den 25. Oktober 2009 geplant.677 Das vorgebliche Ziel der Angreifer war es, eine „pro-zionistische Veranstaltung“ und „Hetze“ zu verunmöglichen, um damit auf die rassistische Unterdrückung der Palästinenser durch „Apartheid“ aufmerksam zu machen. Jedoch soll, laut taz-Nord „Judenschweine“ gerufen worden sein, was von den Tätern bestritten wird. Eine Gruppierung des Hamburger Landesverbands der Partei „Die Linke“ (PDL) hatte das krude Rechtfertigungsschreiben der Anti-Imperialisten auf ihre Homepage gestellt, sich später jedoch davon distanziert. Warum ist die Behauptung von deutschen Linken falsch und anti-semitisch, Israel sei ein „zionistischer und rassistischer Staat“ und wie sind sie zur Ideologie des Anti-Zionismus gekommen? Die Antworten gebe ich sowohl in Abschnitten in den Kapiteln über die BRD als auch im Kapitel über die DDR. Obwohl es die DDR seit über zwanzig Jahren nicht mehr gibt, kann man sagen, dass ihre außenpolitischen Direktiven in Bezug auf die Bewertung des Konflikts zwischen Israel und Palästinensern nach wie vor gültig sind, jedenfalls bei anti-imperialistischen Gruppen, wie z. B. bei dieser Gruppe aus Hamburg. Die Propagandabehauptung, Israel sei per se deshalb faschistisch, weil der Imperialismus faschistisch ist, und Israel als Brückenkopf des US-Imperialismus angesehen wird, ist als Strickmuster so einfach ausgelegt, dass jeder Mann und jede Frau in der Lage ist, zu erkennen, dass die Dinge so nicht stimmen, dass die Existenz des Staates Israels nicht nur eine Antwort darstellt auf die Massenmorde der Deutschen an den Juden, sondern auch eine Antwort darstellt auf die jahrhundertlange Verfolgung und Entrechtung der Juden in Europa. Es ist falsch den Anti-Faschismus als anti-zionistisch 677 Der Tagesspiegel, 22.11.2009; Jungle World Nr. 45, 5.11.2009 und Nr. 47, 19.11.2009; Spiegel Online, 19.11.2009

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auszugeben, weil es falsch ist, die Opfer der Nazi-Massenmorde zum Feind zu erklären, wo in Deutschland die Aufarbeitung des Nazismus noch immer in Anfängen steckt und wo alte Nazis noch immer ungestraft frei sind. Tatsache ist weiterhin, dass Israel der einzige Staat in der Region ist, bei dem mit Fug und Recht davon gesprochen werden kann, dass demokratische Rechte durchgesetzt sind. Die arabischen bzw. islamischen Regimes rings um Israel können solche kulturellen und politischen Strukturen nicht aufweisen und ihre autoritären Herrschaftsmodelle sind kein Ausdruck für eine emanzipatorische Gesellschaft die es anzusteuern gilt. Allein der bewaffnete Männlichkeitswahn und die damit verbundene Minderbehandlung der Frauen und Mädchen sowie das Verbot von gleichgeschlechtlicher Liebe, die mit dem Tod bestraft wird, zeigen klar und deutlich das gesellschaftlicher Fortschritt nicht von dort kommt, nicht von dort kommen kann, solange die bestehenden Machtstrukturen unverändert bleiben. In wieweit der „Arabische Frühling“ hier gravierende Veränderungen herbei führen kann, wird sich zeigen. Die deutsche Gesellschaft hat sich seit der Fusion der DDR und der BRD nach rechts entwickelt, nationalistische, rassistische und anti-semitische Einstellungen haben in der Bevölkerung Mehrheiten gefunden. „Mit der Auflösung des sowjetischen Machtblocks begann 1989 eine orientierungslos gewordene Restlinke zur Subkultur zu werden – mit allen Symptomen der Versektung. Doch hat das Amalgam aus antisemitischen und antizionistischen Ressentiments längst auch in der Mitte der Gesellschaft Einzug gehalten. Nach einer Umfrage der EU-Kommission (2003) sahen 65% der Deutschen in Israel eine ‚Gefahr für den Weltfrieden’.“678 Nach einer Umfrage der „British Broadcasting Corporation“ (BBC) haben 77% der Deutschen eine ablehnende Einstellung zu Israel, dass ist in Europa die höchste Prozentzahl und eine Mehrheit der Deutschen glaubt, Israel stelle die größte Gefahr für die Weltsicherheit dar.679 Einzelne Mitglieder und Arbeitsgemeinschaften von Attac setzen ebenfalls israelische Militäraktionen mit den Verbrechen von Nazis gleich und sie bekunden Sympathien mit dem anti-israelischen Terrorismus, indem sie Islamisten als ‚Partner im Kampf’ hofieren.680 Die Nachfolgepartei der SED, die Partei „Die Linke“ (PDL) erweist sich bei näherem hinsehen, als widersprüchliche Partei, weil in ihr eingefleischte Propagandisten zu Wort kommen, die die anti-semitische Politik der SED noch heute gutheißen und die kein Jota abgegangen sind von den „missratenen“ Bewertungen Israels und der Palästinenser. H. Dierkes rief, bei der Wahl zum Oberbürgermeister in Duisburg (2009), zum Boykott von Waren aus Israel auf in einem Redebeitrag stellte er das Existenzrecht Israels in Frage. Trotz massiven Drucks von innerhalb und außerhalb der Partei, hielt er seine Forderungen aufrecht, weil „die fortgesetzte Komplizenschaft bei der Unterdrückung der Palästinenser“ nicht länger hinnehmbar sei.681 Drei Autoren der PDL brachten es tatsächlich fertig, sich kritisch mit den Kritikern des anti-semitischen Anti-Zionismus auseinanderzusetzen und dabei kein Wort über den Kern dieser relativierenden Geschichtsklitterung zu verlieren, das 678 Kloke, in: http://www.eurozine.com/articles/2007-06-05-kloke-de.htmlVor vierzig Jahre. 679 Benjamin Weinthal: Bye, bye, German left!, in: Jungle World Nr. 17, 25. April 2007. 680 Kloke, ebenda. 681 junge Welt, 6. April 2009.

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sich der Vorwurf des Anti-Semitismus daraus ergibt, das aus den Opfern des Holocaust Nazis gemacht werden, die die Palästinenser so oder noch schlimmer behandeln würden, als es die Nazis getan hatten. Noch einmal: Dieser Vorwurf ist deshalb antisemitisch, weil er die weitreichende Bedeutung der verbrecherischen und rassistischen Massenmorde der Nazis durch Relativierung verkleinert. Deshalb ist es falsch zu sagen, per se und allgemein sei eine kritische Haltung gegenüber Israel anti-semitisch. Dass Politiker der Linkspartei die Diskussion auf dieses falsche Gleis führen wollen ist deshalb ungeschickt, weil diese verlogene Haltung so nackt daher kommt und jeder und jede die bzw. der sich mit dieser Materie intensiver beschäftigt weiß, was tatsächlich hinter einer solchen Argumentation steckt. Im Jahr 2009 hatte es weitere Vorfälle mit anti-semitischen Anti-Zionisten aus der PDL gegeben. So in der öffentlichen Hetze gegen Vertreter des „Bundesarbeitskreises Shalom“ (BAK) der Jugendorganisation „solid“ der Linkspartei, die angegriffen wurden, weil sie immer wieder auf den anti-semitischen Gehalt von Aussagen von Vertretern der Linkspartei im Bundestag (z. B. Gehrcke, Paech) in Bezug zu Israel hingewiesen haben.682 Ein Jahr später entstand eine öffentliche und interne Hetze gegen eine von Stipendiaten der Linkspartei nahen „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ organisierte Tagung. Bei der jährlich stattfindenden Ferienakademie wurden Autoren wie Thomas von der Osten-Sacken und Stefan Grigat, denunziert als „zwei passionierte Kriegsapologeten“ und ebenso erging es Sebastian Voigt (BAK Shalom).683 Dagegen wurde am 10. Juli 2009 in der junge Welt eine Stellungnahme von anderen Stipendiaten lanciert, in der gefordert wurde, die beiden Referenten wieder auszuladen, mit der Begründung sie würden „rassistische, nationalistische Positionen vertreten“ und sie würden eine kritische Diskussion zu Israel unterdrücken, weil sie „antinationalistische und antiimperialistische Argumente mit dem Vorwurf des Antisemitismus“ tabuisierten.684 Am 13. Juli 2009 war die Lage so angespannt, dass sich mehrere Bundestagsabgeordnete (Monika Knoche, Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, Hüseyin Aydin) der Linkspartei über die junge Welt zu dem Konflikt äußerten. Sie erklären, dass die eingeladenen Referenten wieder auszuladen seien, da sie nicht mit dem Selbstverständnis der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ zu vereinbaren wären, dass hier als „antirassistisch, antikolonialistisch, emanzipatorisch, pazifistisch etc.“ bezeichnet wird und das sie damit nicht mit „unseren politischen Grundlagen übereinstimmen“.685 Wie weit die anti-semitischen Feindseligkeit in der Linkspartei bereits gediehen ist, zeigt eine Stellungnahme von Dieter Dehm (MdB) auf der großen Demonstration „Wir zahlen nicht für eure Krise“ am 28. März 2009 in Frankfurt/M. Der Vorsitzende der Linkspartei O. Lafontaine wurde dort bei seiner Rede von Demonstranten mit Eiern beworfen. Daraufhin denunzierte D. Dehm in einer Presseerklärung diesen Vorgang mit den Worten: „Militante fanatisierte Anhänger von israelischer Regierung und Geheimdienst haben gestern den Vorsitzenden der Partei DIE LINKE

682 Vgl. Mellenthin. 683 junge Welt, 10.6.2009. 684 Protest gegen Gestaltung der RLS-Ferienakademie, in: junge Welt, 10.7.2009. 685 junge Welt, 13.7.2009.

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in Frankfurt am Main gewalttätig angegriffen.“686 Was soll man zu so einem Unsinn noch sagen? Wie kompliziert die Lage bei der Linken ist, zeigt eine Stellungnahme der Redaktion der wildcat (2009). Unter der Überschrift „Nur wenn wir das antiimperialistische Erbe überwinden …“ machen sie es möglich, vier Seiten lang über das Scheitern des bisherigen Anti-Imperialismus und den Mangel eines revolutionären Ausblicks zu schwadronieren, ohne den Kern des bestehenden anti-semitisch verfassten Anti-Zionismus auch nur mit einem Wort zu erwähnen.687 Jürgen Elsässer, ehemaliger linker Journalist, hat sich mit seinen Sympathien für den anti-semitischen Präsidenten der islamischen Republik Iran, Ahmadinedschad, von der Linken verabschiedet. Er wird jetzt wahrgenommen als ein Anti-Semit, als ein Volksverhetzer gegen Demokratie und gegen Israel, wenn er Demonstranten, wie die vor dem linken Club „Voltaire“ als „zionistisch/antideutsche Faschisten“ denunziert. Er hat alle vernünftigen Maßstäbe in seiner verdorbenen Argumentation verloren, die er höchst wahrscheinlich gehabt haben muss, wie sonst wäre seine langjährige Karriere in linken Printmedien zu verstehen.688 Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte im Dezember 1998 die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die es im Auftrag der Wochenzeitung Die Woche durchgeführt hatte. Darin kam zum Ausdruck, dass 63% aller Deutschen unter die Diskussion um die Judenverfolgung im Nazismus einen Schlussstrich ziehen wollen. Der Anteil der jüngeren Deutschen (14 bis 24 Jahre) war dabei mit 65% etwa genauso hoch wie bei den älteren Deutschen (über 65 Jahre). Auch blieben die Unterschiede zwischen Ost- und West-Deutschen marginal.689 Der Deutsche Bundestag hatte am 4. November 2008 beschlossen: „Den Kampf gegen Antisemitismus zu verstärken und jüdisches Leben in Deutschland weiter zu fördern.“ Die Bundesregierung sollte ein Gremium von Wissenschaftlern und Fachleuten einsetzen, das in regelmäßigen Abständen einen Bericht zum Anti-Semitismus in Deutschland erstellt und dabei Empfehlungen ausspricht, wie Programme zur Bekämpfung von Anti-Semitismus entworfen und weiterentwickelt werden können. Am 5. August 2009 wurde der Expertenkreis vom Bundesminister des Innern (BMdI), Dr. jur. Wolfgang Schäuble, der Öffentlichkeit vorgestellt, dessen Aufgabe es war, einen Bericht zum Anti-Semitismus zu erstellen. Nach zwei Jahren, am 23. Januar 2012 wurde der Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt.690 Ein Fazit des Berichtes ist, dass anti-semitische Einstellungen bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind. Die Fakten sind erdrückend: 20% der Deutschen sind anti-semitisch gegen Juden eingestellt, was zum einen nachgewiesen wird durch demoskopischen Erhebungen und zum anderen durch die polizeichlichen Erhebungen von propagandistischen und ge686 Presseerklärung Die Linke. Niedersachsen, 29. März 2009. 687 Wildcat 85, Herbst 2009, S. 20-23. 688 Carsten Hübner: Politische Sackgasse, in: www.neues-deutschland.de/artikel/159855.politische-sackgasse.html und Waibel: Elsässer halt’s Maul, in: www.trend.infopartisan.net/trd0609/t640609.html. 689 die tageszeitung, 23.12.1998, 19.07.2002. 690 http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/; Der Tagesspiegel, 23.01.2012; die tageszeitung, 09.11.2011, 23.01.2012, 24.01.2012.

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walttätigen Angriffen auf Juden und ihre Institutionen in Deutschland. Hierbei handelt es sich in den Jahren von 2001 bis 2010 um eine Größenordnung von ca. 1.200 (im Jahr 2010) bis ca. 1.800 (im Jahr 2006) anti-semitischen Straftaten und sie stellen damit einen Anteil von ca. 10% an den rassistischen Straftaten in Deutschland insgesamt. Wirklich dramatisch ist der Anti-Semitismus bei den Deutschen, wenn man ihre Einstellungen gegenüber Israel genauer betrachtet: Über 40% der Befragten gaben an, ihrer Meinung nach sei das was die Israelis im Prinzip mit den Palästinser machen, das gleiche was die Nazis mit den Juden gemacht hätten. Fast 57,3% der Befragten sind der Ansicht, Israel führe einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser.691 Hier erscheint dieses Bild von den Juden in Israel, die gleich oder gar schlimmer wie die Nazis wären. Diese Bewertungen laufen in einer geschichtsrevisionistischen Ausrichtung darauf hinaus die Massenmorde der Nazis zu verharmlosen und erstaunlich ist, dass diese Politik elementarer Bestandteil der Außenpolitik der DDR war. An anderer Stelle in diesem Buch bin ich auf die Entstehungsgeschichte des anti-semitischen Anti-Zionismus ausführlich darauf eingegangen. Friedhofsschändungen gehören zum anti-semitischen Repertoire der Rassisten in Ostund West-Deutschland seit 1945. Von 1945 bis 1951wurden in West-Deutschland ca. 200-mal jüdische Friedhöfe geschändet.692 In den 1950er Jahren kam es in WestDeutschland, nach offiziellen Angaben, durchschnittlich zu 10,1 Schändungen von jüdischen Friedhöfen pro Jahr, in den 1960er Jahren durchschnittlich zu 11,4 Schändungen jüdischer Friedhöfe pro Jahr, in den 1970er Jahren durchschnittlich zu 19,1 Schändungen jüdischer Friedhöfe pro Jahr, in den 1980er Jahren durchschnittlich zu 16,7 Schändungen jüdischer Friedhöfe pro Jahr und in den 1990er Jahren gab es im vereinten Deutschland durchschnittlich 40,2 Schändungen jüdischer Friedhöfe pro Jahr, was im Vergleich zu den vorgehenden Jahrzehnten eine Verdoppelung bedeutet.693 Ein markantes Beispiel für den militanten Anti-Semitismus war der Bombenanschlag am 19. Dezember 1998 auf das Grab des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland. Die Detonation hatte eine solche Wucht, dass die tonnenschwere Grabplatte „wie ein Stück Papier“ riss. Die Täter konnten bis jetzt noch nicht ausfindig gemacht werden. Es gibt zurzeit Untersuchungen, ob die bewaffneten Rassisten der Gruppe NSU die Urheber dieses Anschlages waren. Am 17. März 2002 wurde erneut ein Bombenattentat auf das Grab von Galinski durchgeführt, dieses Mal blieb das Grab jedoch unversehrt. Auch hier war das Landeskriminalamt Berlin (LKA) nicht in der Lage die Täter zu ermitteln. Ignatz Bubis, Nachfolger von Galinski im Amt des Zentralratsvorsitzenden, erklärte im Angesicht der Angriffe auf das Grab seines Vorgängers: „Ich möchte in Israel beerdigt werden, weil ich nicht will, dass mein Grab in die Luft gesprengt wird – wie das von Heinz Galinski“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie der damalige Bundespräsident Prof. Dr. Roman Herzog (CDU) in einem Telegramm an Ruth Galinski, die Witwe von Heinz Galinski, die Angriffe beurteilte. Herzog schrieb ihr, dass der Sprengstoffanschlag ein „Ausfluß einer verrückten Gesinnung und das Werk von wirren Einzelgängern“ sei. 691 http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/, S. 34 und S. 53. 692 Neues Deutschland, 15.06.1951. 693 www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/, S. 37

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Der Bundesminister des Innern, Otto Schily, war der Meinung, „daß der Antisemitismus noch entschiedener thematisiert und debattiert werden muß“. Die Angriffe auf Galinskis Grab waren eingebettet in heftige rassistische Angriffe, so z. B. wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee am 4. Oktober 1999 103 Grabsteine zerstört und auf das Lager des Steinmetzes der sich bereit erklärt hatte die zerstörten Grabsteine zu restaurieren, wurde ein Brandanschlag ausgeübt. Im Jahr 2000 gab es einen versuchten Bombenanschlag auf den Jüdischen Friedhof in BerlinWeißensee und im September 1999 wurde auf den S-Bahn-Waggon der Ausstellung „Jüdisches Leben in Berlin“ am Anhalter Bahnhof ebenfalls ein Brandanschlag verübt. Auch hier waren die Täter nicht zu ermitteln. In Berlin wurden im Jahr 2001 insgesamt 106 anti-semitische Straftaten verübt, was eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Im März 2002 wurde auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg ein Bombenattentat verübt. Die Detonation zerstörte Fensterscheiben der Trauerhalle, Kränze und eine Gehweghalle. Keine dieser rassistischen Angriffe wurde aufgeklärt, d. h. die Täter laufen heute noch frei herum.694 Im Februar 2000 wurde der jüdische Friedhof in Potsdam geschändet, als ein rotes Holzkreuz mit einem Hakenkreuz und einer Aufschrift zum 70. Todestag des NSDAP- und SA-Mitglieds Horst Wessel entdeckt. Ein anonymer Anrufer hatte den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) informiert und angegeben, er spreche für eine „Nationale Bewegung“. Im Oktober 2000 wurde der jüdische Friedhof in Potsdam erneut geschändet, als Unbekannte einen Galgen auf den eingravierten Davidstern des Torschildes geschmiert hatten. Im Januar 2001 wurde die Aussegnungshalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam mit einem Brandsatz angegriffen und beschädigt. Auch hier bekannte sich eine Gruppe „Nationale Bewegung“ zu dem Anschlag. Der damalige Innenminister von Brandenburg Jörg Schönbohm (CDU) war der Ansicht, dass möglicherweise ein „Einzeltäter“ dafür verantwortlich gewesen sein könnte.695 Organisierte Neo-Nazis und andere Rassisten Seit 1990 konnte sich die NPD, besonders durch den Zustrom rassistisch und nationalistisch gesinnter aus der ehemaligen DDR, unter dem Vorsitz von G. Deckert, neu formieren und die Partei radikalisierte sich zu einer offen rassistischen Organisation. Deckert war von 1995 bis 2000 wegen Volksverhetzung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und mittlerweile ist er aus der NPD, u. a. wegen „Störung des Parteifriedens“, ausgeschlossen worden. Von 1996 bis 2011 war Udo Voigt, ehemaliger Offizier der Luftwaffe Vorsitzender der NPD. Unter seiner Führung erhielt die Partei 2004 bei der Europawahl 0,9% und bei den Kommunalwahlen in Sachsen 9,2%. Bei der Landtagswahl im Saarland am 5. September 2004 stimmten 4% der Wähler für die organisierten Rassisten und wenige Wochen später, am 19. September 2004, konnte die NPD mit 9,2% der Stimmen in den Landtag in Sachsen 694 die tageszeitung, 19.03.2002. 695 die tageszeitung, 26.02.2000, 06.10.2000, 09.01.2001, 19.07.2002, 11.09.2003; http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/, S. 37f.;

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einziehen. Im selben Jahr vereinbarten die Führungen der NPD und der DVU einen „Deutschlandpakt“, der vorsah, dass die beiden Parteien bei allen Wahlen nicht mehr gegeneinander antreten wollten. Im September 2006 zog die NPD mit 7,3% der abgegebenen Stimmen in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein, wo der Vorsitzende der Fraktion Udo Pastörs wurde. Bei den Landtagswahlen 2009 in Thüringen erhielt die NPD 4,3% der Stimmen und 2010 zog sie mit 5,6% der Wählerstimmen erneut in den Landtag von Sachsen ein. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 2011 erhielt die NPD 4,6% der Wählerstimmen und scheiterte damit knapp am Einzug in das Länderparlament. Insgesamt ist die NPD mit ca. 300 Abgeordneten in kommunalen Parlamenten in 15 Bundesländern vertreten. Ihr Schwerpunkt ist das Bundesland Sachsen, wo sie in allen Kreistagen und in vielen Gemeinderäten vertreten ist; insgesamt hat sie 74 Mandate. Von Anbeginn ihrer politischen Arbeit stehen für die NPD geschichtsrevisionistische Inhalte im Mittelpunkt ihrer Propaganda. Hierbei geht es für sie zentral darum, die Grenze zu Polen so in den Osten zu verschieben, dass die ehemaligen deutschen Gebiete Ober- und Unter-Schlesien wieder zum deutschen Staat gehören würden. Außerdem geht es ihnen auch darum, die Geschichtsschreibung zum Nazismus so zu verändern, dass die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Polen zugeschrieben werden sollte. Ihre rassistischen Ergüsse beinhalten selbstverständlich anti-semitische Bestandteile, wenn die NPD im Juni 2002 erklärt, dass „freies Denken und Handeln“ erst dann möglich wäre, wenn die vermeintliche Macht des Zentralrates der Juden in Deutschland „gebrochen“ sei. Mit der Wahl des chronischen Rassisten Th. Heise 2004 in den NPD-Bundesvorstand wurde an die „Freien Kameradschaften“ die Botschaft verknüpft, dass man an einer engeren Zusammenarbeit interessiert sei, weil es darum ginge die „nationalsozialistische Strömung“ zu integrieren, neben den Strömungen der „Nationalliberalen“ und der „Nationalkonservativen“.696 Anfang der 1990er Jahre griffen Skinheads in Berlin, Leipzig, Dresden und in anderen Städten, vorwiegend von jungen Alternativen besetzte Häuser, Jugendklubs, alternative Projekte und Wohnheime von Ausländern an. In Dresden-Neustadt richtete sich ihr Hass dabei speziell gegen das alternative Café „Stil los“, das sie total verwüsteten und den Betreiber schwer verletzten. In Leipzig standen besonders das Jugendklubhaus „Jörgen Schmidtchen“ sowie die alternativen Wohnprojekte in Connewitz und Lindenau im Zentrum neo-nazistischer Überfälle. In Erfurt gingen diese Gewaltorgien so weit, dass am 5. Juli 1990 zwei „Skin-Bräute“, als Mutprobe, einen Bauarbeiter (57 Jahre) mit Ziegelsteinen erschlugen. In den neuen Bundesländern sind Skinheads, bedingt durch ihre Vorerfahrungen in der DDR, stärker politisiert und auch gewalttätiger, doch ihre Feindbilder beziehen sich ebenfalls auf Ausländer, Linke („Zecken“), „Asoziale“ oder Homosexuelle, genau so wie es bei den Skinheads in West-Deutschland der Fall ist.697 In diesen Jahren durchliefen die nun vereinten Skinheads und Hooligans einen transformatorischen Prozess der Erneuerung ihrer Mittel und Propaganda, denn seit der Mitte bzw. dem Ende der 1990er Jahre hatten 696 junge Welt, 04.06.2008; http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Nationaldemokratische_Partei_Deutschland... 697 Madloch S. 96, S. 148, S. 170, S. 173f.

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sie erkannt, welche Möglichkeiten zur Rekrutierung und Propaganda ihnen die RockMusik bot. Sie verfügten nun über eigene bekannte Rockbands, wie z. B. „Stökraft“, „Landser“, „Kraftschlag“, „Noie Werte“, „08/15“, „Stahlgewitter“ oder „Macht und Ehre“, die von rassistischen Labels, wie z. B. „Rock-o-Rama“, „Metal Enterprises“ oder „Funny Sounds & Vision“ heraus gebracht wurden. Nun ergingen sie sich in blutrünstigen Vernichtungsphantasien, offenen Bekenntnissen zum Nazismus und der Verherrlichung als auch der Leugnung der Massenmorde. Seit dieser Zeit gibt es jährlich Hunderte illegaler rassistischer Rockkonzerte in Deutschland, die in der Regel unter konspirativen Bedingungen organisiert und abgehalten werden. Auch wurde die Palette der Stilrichtungen größer, zuletzt durch die Szenen des „Haterocks“ und die der „National Socialist Black Metals“ (NSBM) sowie neuerer Ausdrucksstile durch die Gruppen der jungen „Nationalen Autonomen“ bzw. den „Freien Kameradschaften“.698 Das rassistische Netzwerk „Blood an Honour“ trägt in seinem Namen die Bezüge die eine Verbindung von der Gegenwart bis zu den Gepflogenheiten der deutschen Nazis reicht, z. B. war „Blut und Ehre“ auf den Fahrtenmessern der „Hitler-Jugend“ (HJ) eingraviert und eines der Nürnberger Rassegesetze hieß „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ bzw. „Blutschutzgesetz“. In Deutschland wurde „Blood and Honour“ im September 2000 verboten, war aber unter dem Namen „Combat 18“ bzw. „Division 28“ weiterhin aktiv.699 Von 1990 bis 2006 haben ca. 400 deutsche Nazi-Bands über 1.200 Platten mit rassistischen Inhalten veröffentlicht und ca. 50 Firmen (Labels und Vertriebe) konkurrieren mittlerweile um deutsche und internationale Bands. Im Jahr 2006 gab es in Deutschland mindestens 230, meist klandestin organisierte und durchgeführte Rechtsrock- bzw. Hatecore-Konzerte sowie von rassistischen Liedermachern oder Black-Metal-Bands.700 Rassistische Einzelpersonen, lose Netzwerke, Parteien, Medien und Vereine verbreiten im Internet ihre unheilvollen Inhalte oder es werden damit Veranstaltungen organisiert. Diese neue Technologie erlaubte den Rassisten ihre nationalen und internationalen Netze organisatorisch und inhaltlich breit zu entwickeln. So verzehnfachte sich zwischen 1996 und 1999 die Zahl der aus Deutschland angebotenen Websites mit rassistischen Inhalten. Im Jahr 2006 existierten ca. 1.000 Seiten, die von Deutschland aus ins Internet gebracht wurden, z. B. das „National Journal“, „Altermedia“ bzw. „Altermedia.info“ oder „Metapedia“. Einige verbreiten die Leugnung des Holocaust, veröffentlichen Listen mit Fotos, Namen und Adressen von politischen Gegnern aus der Szene der Anti-Faschisten, Verfassungsschützer oder Vertretern von Gegeninitiativen.701 Im Jahr 2000 bot die „Kameradschaft Gifhorner Reichssturm“ auf ihrer Homepage Informationen an zur Herstellung vom Bomben, wie z. B. chemische Rezepte und Mischverhältnisse, Zünder und weitere Möglichkeiten der Materialbeschaffung. Das Ziel ihrer Aktionen sollten „national befreite Zonen“ ohne Ausländer oder Linke sein. Bei einer Razzia der Polizei im Umfeld der „Kameradschaft Bremen-Nord“ 698 http://de.wikipedia.org/wiki/Skinheads_in_Deutschland. 699 ak analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 478 / 21.11.2003. 700 http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsrock. 701 http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus_im_Internet.

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wurde selbsthergestellter, hochexplosiver Sprengstoff gefunden, mit dem ein Wohnheim für Ausländer angegriffen werden sollte. In diesem Zeitraum wurden von Hooligans in Fußballstadien Spruchbänder mit rassistischen Texten gezeigt, es waren rassistische Sprechchöre und Hassgesänge zu hören und es gibt rassistisch motivierte Gewalt und massive Beleidigungen von Spielern, Trainern und Vereinen. Diese rassistischen Ereignisse gehören nicht nur bei Spielen der Nationalmannschaft, sondern auch in den Profiligen, in den Amateurligen und sogar bei Jugendspielen mit einer gewissen Regelmäßigkeit zum Spielbetrieb.702 Beispiele für die radikalisierte Entwicklung wurden sichtbar in den Erfahrungen, die Mitglieder des Berliner (West) Fußballklubs Türkiyemspor e.V. machen mussten. Nach der Zusammenlegung der Berliner Oberligen mit Vereinen aus den neuen Bundesländern waren die Angehörigen des Vereins, neben diskriminierendem Verhalten von Verbänden und Schiedsrichtern, nun auch rassistischen Angriffen durch gegnerische Vereine, Spieler und Hooligans ausgesetzt. Es wurde die „Reichskriegsflagge“ immer wieder gehisst und Busse und Fans des Vereins wurden mit Leuchtspurmunition und mit Steinen beschossen.703 1996 kam es im Fußballstadion in Zabrze (Polen) zu rassistischen Ausschreitungen deutscher Hooligans, die zum Spiel der polnischen Auswahl gegen eine DFB-Auswahl dorthin gereist waren. Es wurde der Hitlergruß gezeigt, das „Horst-WesselLied“ wurde gesungen und es wurde gerufen: Wir fahren nach Polen, um Juden zu versohlen“. Die neo-nazistischen Angriffe wurden „nahezu unkommentiert“ vom deutschen Fernsehen übertragen.704 Bei der Fußball Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich, wurde am 21. Juni der französische Polizist Daniel Nivel schwer verletzt. Er leidet noch heute unter diesen Misshandlungen.705 Im Herbst 2006 spielte der Berliner Verein TuS Makkabi bei VSG Glienicke II (Brandenburg), wo die Berliner Fußballer mit Sprechchören, wie z. B. „Jude verrecke“ oder „Synagogen müssen brennen“ rassistisch angegriffen wurden. Daraufhin verließen die Spieler des TuS Makkabi den Platz und beendeten die unhaltbare Situation. Erst nach internationalem Druck hatte sich der Berliner Fußball-Verband zu empfindlichen Sanktionen durchringen können. Eineinhalb Jahre später im April 2008 wurden Spieler des TuS Makkabi und zwar in einem Spiel beim BFC Viktoria 89 in Berlin-Tempelhof erneut rassistisch angegriffen, ein dunkelhäutiger Spieler wurde mit „Scheiß Neger“ beleidigt. Der Schiedsrichter ahndete diese Angriffe nicht und er führte sie auch nicht in seinem Spielbericht auf. Die Spieler des TuS Makkabi mussten sich im Auswärtsspiel beim Adlershofer BC im Bezirk Treptow-Köpenick anti-semitische Beschimpfungen anhören, und eine Betreuerin wurde mit „Scheiß Jüdin“ rassistisch beleidigt und es wurde der Hitler-Gruß gezeigt. Die beiden Anti-Semiten erhielten Platzverbot und der polizeiliche Staatsschutz ermittelte gegen sie. Der Präsident des TuS Makkabi: „Es vergeht kein Wochenende, an dem wir nicht ange-

702 Wagner, S. 76. 703 Vgl. Özaydin/Aumeier, S. 110-123. 704 Buderus, S.46. 705 Blaschke, S. 233.

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griffen werden, keine Woche ohne ein antisemitisches Vorkommnis […] Derzeit herrscht eine Stimmung gegen uns, die ist nahezu unerträglich.“706 Rechtsterroristische Gruppen Von 1989 bis 1994 verfassten die beiden Neo-Nazis Henry Fiebig und Christian Scholz, beide waren Kader der 1992 verbotenen neo-nazistischen Gruppe „Nationale Offensive“ (NO), eine Schriftenreihe „Bewegung in Waffen“, mit der sie eine organisatorische und theoretische Grundlage schaffen wollten für die Bildung von bewaffneten Untergrundgruppen. Unter dem Pseudonym „Hans Westmar“ wurde diese Broschüre von durch die in Deutschland verbotene „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Auslands- und Aufbauorganisation“ (NSDAP/AO) im Internet vertrieben. Hier wurde die Bildung von bewaffneten „Werwolf-Kader“, nach dem Vorbild der NS-Partisanengruppen im Jahr 1945, propagiert, um „das Judensystem zu zerschlagen“. Die Bundesanwaltschaft hatte gegen sie Anklage erhoben wegen der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“, doch das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg lehnte 1999 ein Verfahren ab, weil man zu dem Schluss kam, die Strukturen der beiden Neo-Nazis wären nicht als verfestigt anzusehen.707 Die „Freien Kameradschaften“ sind ab den 1990er Jahren quasi Nachfolger der in den 1970er Jahren aktiven paramilitärischen Wehrsportgruppen (z. B. Wehrsportgruppe „Hoffmann“ oder die Wehrsportgruppe „Wehrwolf“) bei denen die körperliche Ertüchtigung im Vordergrund ihrer Tätigkeiten stand. Sie wurden von der NPD oder von anderen rassistischen Organisationen als Saalschutz oder Schlägergruppen eingesetzt. In überregionalen Bündnissen organisieren sie sich z. B. als „Nationales und Soziales Aktionsbündnis Mitteldeutschland“ (NSAM), „Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland“ (NSAN), „Nationaler Widerstand Berlin-Brandenburg (NWBB), „Widerstand Süd“ und „Widerstand West“. In Deutschland gibt es ca. 150 regional und überregional operierende „Freie Kameradschaften“, die in Sachsen (ca. 40 Gruppen) und in Bayern Schwerpunkte bilden.708 In diesem Geflecht von rassistischen Gruppen sind die Überreste, der verbotenen Gruppen wie z. B. die „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) bzw. die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ aufgegangen. Der Begriff „Mitteldeutschland“, er ist auch Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders „Mitteldeutscher Rundfunk“ (MDR), signalisiert auch eine geschichtsrevisionistische Grundlegung, die die Verschiebung der deutschen Ostgrenze nach Osten, über die Flüsse Oder und Neiße hinweg zum Inhalt hat. Die Anzahl der „Freien Kameradschaften“ hat so exorbitant zugenommen, dass es hier nicht möglich ist, alle Gruppierungen darzustellen. Ich habe eine Auswahl treffen müssen, bei denen die in Ost-Deutschland agierenden Gruppen insofern im Vordergrund stehen, als hier auch die größte Zahl zu konstatie706 http://de.indymedia.org./2008/04/214358.shtml? 707 http://www.taz.de/t178/Rechter-Terror-in-Deutschland/!81914 v. 15.11.2011; http://dokmz.wordpress.com/artikel/2000-2001/virtuelle-nazipropaganda-der-nsdapao/; Der Spiegel, 10/1995, S. 30; Der Spiegel, 52/1997, S. 37-38. 708 http://www.br-online.de/aktuell/rechtsextremismus-in-bayernDID1231410048361/rechtsextremismus-bayern-freie-kameradschaften-ID1231419113071.xml

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ren ist und mit der aus dem „Thüringer Heimatschutz“ (THS) hervorgegangenen Gruppe NSU, ist eine rechtsterroristische bzw. rassistische Untergrundgruppe entstanden. Die neo-nazistische „Kameradschaft Treptow“ wurde nach dem Verbot der „WikingJugend“ (WJ) 1994 und der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) 1995 von einem ehemaligen Aktivisten der FAP gegründet. Die „Kameradschaft Treptow“ war in Berlin (Ost) mit ihren 30-50 Mitgliedern, eine der stärksten Gruppierungen der Neo-Nazi-Szene. Dort wurde A. Hitler und der Nazismus verherrlicht und in ihren Flugblättern behaupteten sie, die Deutschen wären „Opfer der Siegerjustiz“. Sie praktizierten ihre rassistischen Vorstellungen in Jugendklubs und auf Straßen und Plätzen in Berlin-Treptow. Bei Angehörigen der neo-nazistische „Kameradschaft Treptow“ wurde im Dezember 1997, bei einer Razzia der Polizei, eine Rohrbombe gefunden, die für ein Mitglied der PDS bestimmt war. Aus den Reihen dieser Kameradschaft kam Kay Diesner (Jg. 1972), der in Berlin-Friedrichshain (DDR) geboren ist und als 18-Jähriger im Sommer 1989 in den Westen geflüchtet war. Dort knüpfte er die ersten Kontakte mit Angehörigen der NPD und kam danach wieder nach Berlin zurück, in ein damals von Neo-Nazis besetztes Haus in der Weitlingstraße im Bezirk Lichtenberg. Dort traf er auf die neo-nazistische Gruppe „Nationale Alternative“ (NA) und auf die beiden Neo-Nazis Ingo Hasselbach und Arnulf Winfried Priem, mit deren Unterstützung er seine rassistischen und neo-nazistischen Vorstellungen weiter entwickelte. Im Februar 1997 verletzte er einen Buchhändler aus Berlin-Marzahn mit Schüssen aus einer Pumpgun schwer und vier Tage später erschoss er bei einer Polizeikontrolle in Schleswig-Holstein einen Polizisten und verletzte einen weiteren Beamten schwer. Seit 1997 verbüßt er eine lebenslange Freiheitsstrafe in Lübeck.709 In Berlin (Ost) hatte die neo-nazistische „Kameradschaft Tor“, zusammen mit der „Mädelgruppe“ und der „Berliner-Alternative-Süd-Ost“, von 2001 bis zum Verbot 2005, ihre Schwerpunkte in den Bezirken Lichtenberg und Friedrichshain. Die Weitlingstaße in Lichtenberg, sie war schon in der DDR ein Sammelpunkt für Rassisten, wurde zum Zentrum der Neo-Nazis, von wo aus sie Ausländer und Linke angriffen. Nach dem Verbot organisierten sich die Mitglieder als „Freie Kräfte Berlin“ und konnten so ihre Angriffe fortsetzen.710 Von 1997 bis zu ihrem Verbot 2001 war die, von ehemaligen Mitgliedern der „Wiking-Jugend“ (WJ) gegründete neo-nazistische Kameradschaft „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) in Pirna und Königstein aktiv. Gleichzeitig wurde vom sächsischen Innenminister die Gruppe „Skinheads Sächsische Schweiz - Aufbauorganisation“ (SSS-AO) und die Gruppe „Kameradschaft Nationaler Widerstand Pirna“ verboten. Mit ihren über 100 Mitgliedern war die Kameradschaft „SSS“ eine der zahlenmäßig größten Neo-Nazi-Gruppe in Deutschland. Bei der Durchsuchung mehrerer Wohnungen wurden neben neo-nazistischem Propagandamaterial auch über zwei Kilogramm Sprengstoff sowie Granaten, Gewehre, Pistolen und Zündvorrichtungen gefunden. Es gab enge Verbindungen zwischen der Gruppe und der NPD, wobei Mit709 Vgl. Bertelsmann; Berliner Zeitung, 13.12.1997; http://www.corsipo.de/Diesner.htm. 710 Figth.Back Recherche-Broschüre Berlin-Brandenburg, in: http://www.antifa-berlin.info/fightback/

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glieder der „SSS“ als Saalschützer für Veranstaltungen der NPD eingesetzt wurden. Insgesamt wurden in drei Prozessen gegen 82 Personen ermittelt und schließlich wurden Bewährungs- bzw. Geldstrafen ausgesprochen. Ende 2004 gab es ernstzunehmende Hinweise, dass die Angehörigen der ehemaligen „SSS“ weiterhin zusammen operieren.711 Im Dezember 2001 gründete Norman Bordin, in der Nachfolge der Wehrsportgruppe „Hoffmann“ die „Kameradschaft Süd – Aktionsbüro Süddeutschland (AS), der ca. 25 Neo-Nazis und Skinheads angehörten. Im Sommer 2002 übernahm der notorische Rassist Martin Wiese, 1976 in Anklam geboren, die Führung der „Kameradschaft Süd“. Er bekam seine rassistische „Feuertaufe“ im August 1992, als er sich an den rassistischen Pogromen gegen Ausländer in Rostock-Lichtenhagen beteiligte. Die „Kameradschaft Süd“ errang überregionale Beachtung, als bekannt wurde, dass sie für den 65. Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938, also für den 9. November 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das neue Jüdische Zentrum in München geplant hatten. Die Polizei verhinderte diesen anti-semitischen Anschlag und in zwei Gerichtsverfahren gegen sieben Mitglieder dieser rassistischen Terrorgruppe wurden insgesamt sieben Angeklagte zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.712 Nach seiner Haftentlassung trat M. Wiese in München und Umgebung als Organisator für eine neue rassistische Organisation auf, die sich „Nationale Soziale Bewegung“ (NSB) nannte.713 Die Jenaer Gruppe NSU – Ein Beispiel Die Mitglieder der Jenaer Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt wurden zwischen 1973 und 1977 in der DDR geboren, und ihre Biographien beginnen in Jena. Ihre Sozialisation erfolgte, wie in der DDR üblich, vorwiegend durch staatliche Institutionen, wo Kinder und Jugendliche, von der Kinderkrippe bis zur Universität, mit der verlogenen herrschenden Ideologie indoktriniert worden sind. Sie lernten sich ab September 1971 im Jugendclub „Winzerclub“ in Jena-Winzerla (Thüringen) kennen, wo auch R. Wohlleben und A. Kapke zu finden waren. Bis 1993 radikalisierten sie sich in eine neo-nazistische bzw. rassistische Richtung und U. Mundlos und andere Gäste erhielten deswegen Hausverbot, woraufhin die Wände des Jungendclubs mit Hakenkreuzen versehen wurden. Gelegentlich gingen Mundlos und Böhnhardt in selbstgefertiger SS-ähnlicher Kleidung durch den Stadtteil Winzerla, den sie als „national befreite Zone“ betrachteten. Am 15. November 1995 wurde in Jena eine Puppe mit gelbem Judenstern angezündet und am 14. April 1996 hängte Böhnhardt einen Puppenkörper, ebenfalls mit gelbem Judenstern, über eine Autobahnbrücke bei Jena und deponierte zusätzlich eine Bombenattrape. Er wurde dafür 1997 zu einer Jugendfreiheitsstrafe verurteilt,

711 Neues Deutschland, 5.8.2003; http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/saechsische-schweizrechter-spuk-im-maer..., 18.6.2004. 712 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 4.5.2005. 713 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/thema/Martin_Wiese.

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die er jedoch nicht angetreten hatte.714 Das Trio, das die spätere „NSU“ bildete, radikalisierte sich weiter und am 18. August 1996 waren sie in Worms Teilnehmer einer nicht-angemeldeten Demonstration zum Gedenken an Rudolf Heß. Ende September 1996 besuchten sie eine Veranstaltung vor dem Amtsgericht Erfurt, wo gegen den Rechtsterroristen M. Roeder verhandelt wurde, weil er Ausstellungsgegenstände der „Wehrmachtsausstellung“ beschädigt hatte und dafür zu einer Geldstrafe von 4.500 DM verurteilt worden war. Im Gerichtsgebäude entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“. Im September 1997 wurde am Theater in Jena ein Koffer aufgefunden, der einige Gramm Sprengstoff beinhaltete und der außen mit einem Hakenkreuz versehen war. Die der Herstellung verdächtigten Mitglieder des rassistischen „Thüringer Heimatschutz“ (THS), darunter Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, wurden zwar vernommen, aber nicht festgenommen. Sie tauchten danach in den Untergrund ab. Bei der Durchsuchung einer Wohnung im Januar 1998 in Jena-Burgau fand die Polizei, in einer von B. Zschäpe gemieteten Garage, fünf funktionstüchtige Rohrbomben ohne Zünder, 1,4 Kilogramm TNT und Propagandamaterial. Ob der Sprengstoff aus einem Überfall auf die Bundeswehrkaserne in Großeutersdorf im Saale-Holzland-Kreis (Thüringen) stammte, wollte die Staatsanwaltschaft weder bestätigen noch dementieren. Dort waren ca. 10 Kilogramm Sprengstoff gestohlen worden.715 Am 28. September 1998 hatte sich ein arbeitsloser Arbeiter (32 Jahre), im Keller eines Wohnhauses in Jena-Lobeda, durch die Explosion einer russischen Granate, selbst getötet. Zehn Bewohner des Hauses wurden durch Glassplitter verletzt. Bereits 1996 war der gelernte Metallfacharbeiter wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden. Die Polizei ging hier von einem Unfall eines Einzeltäters aus, der ohne politische Motivation gehandelt hätte. Dagegen spricht, dass er, zwar als „Einzelgänger“, der aber in der Jenaer Neo-Nazi-Szene verkehrt hatte.716 Waffendepots wurden von der Polizei im Oktober 1997 im Ort Remda-TeichelHeilsberg im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (Thüringen) in einer Gaststätte gefunden, die als Treffpunkt der Neo-Nazi-Szene gilt. Hier wurden 68 Neo-Nazis festgenommen und es wurden 60 Knüppel, Hiebwaffen, Feuerwerkskörper, Schreckschusswaffen und Äxte sichergestellt.717 In Ohrdruf im Landkreis Gotha (Thüringen) fanden Ermittler der Polizei im November 2003 das Sprengstofflabor eines Neo-Nazis (19 Jahre).718 In Weimar wurden im Oktober 2004 zwölf Wohnungen von Mitgliedern der neo-nazistischen Gruppe „Nationaler Widerstand Weimar“ nach Waffen durchsucht und elf Männer und Frauen (18 bis 27 Jahre) wurden von der Polizei vernommen.719

714 http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Justizpanne-beguenstigteFlucht-der-Jenaer-Rechtsextremisten-179192767 715 die tageszeitung, 04.03.1998. 716 Thüringische Landeszeitung, 08.07.2000, 17.11.2000; Thüringer Allgemeine, 18.11.2011; die tageszeitung, 30.09.1998; www.die-linke-thl.de/fileadmin/lv/nazi-terror/anfragen/Anfrage_Dittes_2001.pdf, S. 3. 717 die tageszeitung, 13.10.1997. 718 die tageszeitung, 28.11.2003. 719 die tageszeitung, 29.10.2004.

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Die späteren Mitglieder der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hatten sich 1994, wie andere Thüringer Neo-Nazis ebenfalls, in einer neo-nazistischen Gruppe organisiert, die sie „Anti-Anti-Fa“ nannten und aus der die Gruppe „Thüringer Heimatschutz“ (THS) hervorgegangen war, dem sie als Jenaer Gruppe angehörten. Der THS wurde von Tino Brandt, damals stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Thüringen aufgebaut. Brandt war von 1994 bis 2001 Agent des Thüringer Verfassungsschutzes.720 Der THS war seit 1996/97 ein Zusammenschluß von „Freien Kameradschaften“ in Thüringen und umfasste zwischen 1999 und 2001 ca. 120 bis 170 Personen und war damit ein Bindeglied zwischen den militanten Rassisten und den organisierten Neo-Nazis der NPD bzw. der JN. Enge Verbindungen gab es auch zu Studierenden in Burschenschaften sowie zur „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO) in Jena. Als NSU sind die drei Rassisten verantwortlich für eine beispiellose Mordserie mit 10 Toten, neun Ausländer und eine deutsche Polizistin. Die NSU ist sehr wahrscheinlich auch verantwortlich für Bombenattentate am 27. Juli 2000 am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn, am 19. Januar 2001 in einem Lebensmittelgeschäft in Köln, bei dem eine Frau aus dem Iran schwer verletzt worden war und für ein Bombenattentat am 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln, bei denen 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden sind. Ebenso wird von den Sicherheitsbehörden überprüft, ob die NSU auch den Bombenanschlag am 9. März 1999 auf die „Wehrmachtsausstellung“ in Saarbrücken und einen Bombenanschlag auf den Jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg am 16. März 2002 durchgeführt haben. Es gibt auch Hinweise auf eine Verbindung zur Ermordung des Rabbiners Abraham Grünbaum am 7. Juni 2001 in Zürich. Dazu kommen mindestens zwölf Überfälle auf Post- bzw. Sparkassenfilialen in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, wo es auch hier zu Verletzten gekommen ist.721 Sehr wahrscheinlich begingen Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 gegen 11:30 Uhr in einem Wohnwagen im Eisenacher Stadtteil Stregda Selbstmord. Am selben Tag kam es, kurz nach 15:00 Uhr, in einem Wohnhaus in der Frühlingsstraße in Zwickau-Weißenborn (Sachsen), wo die drei Rassisten gelebt hatten, zu einer Explosion und zu einem Brand. Vier Tage später, am 8. November, stellte sich B. Zschäpe bei der Polizei in Jena. In den Trümmern der ausgebrannten Wohnung fand die Polizei neun Faustfeuerwaffen, ein Repetiergewehr und eine Maschinenpistole, darunter die Waffe, eine CZ 83, Kaliber 7,65 mm, die bei allen Morden benutzt worden war.722 Es ist davon auszugehen, dass die Gruppe „NSU“ von ca. 20 Personen aus der neo-nazistischen Szene, in vielfältiger Art und Weise, unterstützt worden ist. Man kann nur hoffen, dass die beim Bundestag und in den Ländern angelaufen Untersuchungsausschüsse auch darüber aufklären, ob und wie es möglich war, dass Verbindungen der „NSU“ zur Jenaer Polizei dazu geführt haben, dass ihre Verhaftung 1998 verhindert werden konnte oder ob und wie es möglich war, dass in mehreren Fällen observierende Polizeibeamte von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes be720 http://www.derwesten-recherche.org/wp-content/uploads/2011/11/Protokoll.pdf; http://www.otz.de/startseite/detail/-/specific/Erinnerung-an-90er-Jahre-2087915082 721 Hintergrund: Banküberfälle der Neonazi-Zelle, Gelnhäuser Tageblatt, 14. November 2011. 722 Neonazi-Bande aus Zwickau: Terror-Trio mordete mit Pistole aus der Schweiz, in: Stern.de. 14. November 2011.

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schattet worden sind. So soll sich auch zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel, mit Andreas T. ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort aufgehalten haben, der sich danach nicht als Zeuge gemeldet hatte.723 Er wurde am 21. April 2006 kurzzeitig wegen des Verdachts der Beteiligung an diesem Mord festgenommen und es wurde bekannt, dass er früher rechtsextreme Ansichten vertreten hatte und dessen Spitzname „kleiner Adolf“ gewesen sei. Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei ihm eine Kopie von A. Hitlers „Mein Kampf“, neonazistische Schriften und mehrere Waffen gefunden. Die Staatsanwaltschaft Kassel dementierte, dass er an verschiedenen Tatorten der „NSU“ anwesend gewesen sei. Dieser Beamte war 2007 aus dem hessischen Inlandsgeheimdienst in das Regierungspräsidium Kassel versetzt worden.724 Die Vorgehensweise der Sicherheitsdienste (Polizei, Staatsanwaltschaft, Geheimdienste) bei der Nicht-Aufklärung dieser Mord- und Anschlagsserie über einen Zeitraum von 1997 bis 2011 bedarf einer näheren Betrachtung, liegen doch hier Hinweise vor, die Aufschluss darüber geben, wie es um die innere Verfassung dieser Behörden und ihrer Mitarbeiter steht. Mit ca. 50 Beamten war die Sonderkommission „Bosporus“ eine der größten, die es je in Deutschland gegeben hatte. Zeitweise waren, in sieben Sonderkommissionen, ca. 160 Beamte aus mehreren Bundesländern an der Fahndung beteiligt. Lange Zeit waren die Ermittlungen darauf ausgerichtet, die Morde im Zusammenhang von organisierter Kriminalität im Drogenmilieu zu untersuchen und in der Presse wurde von „Türken-Mafia“ oder „Halbmond-Mafia“ gesprochen, was seine Entsprechung in Namen der polizeilichen Sonderkommissionen (Soko) „Halbmond“ bzw. ab Sommer 2005 „Bosporus“ fand. Die Ermittlungen gingen dann in Richtung Waffen- oder Drogenhandel bzw. Spiel- oder Wettschulden und vor allem sollten Nachweise gefunden werden, die auf Zusammenhänge zwischen den Ermordeten und Drogenhändlern aus den Niederlanden hinweisen sollten. Die Soko „Bosporus“ wurde zum 1. Februar 2008 aufgelöst.725 Dieser Fall ermöglicht auch einen Einblick in die politische Ausrichtung der Medien in Deutschland, wo ab 2006 die Serie von Morden als „Döner-Morde“ bzw. als „Mordserie Bosporus“ abgestempelt wurde. Die Bild-Zeitung, das Hamburger Abendblatt, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) verbreiteten 2006 und 2007 rassistische Vorstellungen darüber aus, dass letztlich die Ausländer selbst schuld hätten an den Morden. Der Bayerische Rundfunk (BR) verbreitete im April 2010 im Rahmen eines ARD-Radiofeatures den Unsinn, es ginge darum die „Dönerkiller“ zu finden. Die naheliegende Vermutung, dass es sich hier um eine rassistische Mordserie handeln könnte wurde nicht einmal erwähnt. Während die Medien und die Sicherheitsorgane über den oder die Täter rätselten, veröffentlichte 2009 die rassistische und neonazistische Musikgruppe „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ ein Lied mit dem Titel „Döner-Killer“ in dem der Täter als rassistischer Ausländerhasser beschrieben 723 Matthias Gebauer: Döner Morde: Sie nannten ihn den "kleinen Adolf", in: Spiegel Online. 15. November 2011. 724 „Kleiner Adolf“ doch kein Rechter?, hr-online vom 16. November 2011. 725 Conny Neumann, Sven Röbel, Andreas Ulrich: Spur der Döner-Mörder führt zur Wettmafia. Spiegel Online, 12. Dezember 2009.

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wird. Damit wurde der neo-nazistischen Szene signalisiert, dass rassistische Täter für die Mordserie verantwortlich waren.726 Türkische Kulturvereine organisierten nach den Morden an Mehmet Kubaúık und Halit Yozgat am 11. Juni 2006 einen Schweigemarsch in Dortmund, wo der neun Opfer der Mordserie gedacht wurde. Hier wurden die Behörden aufgefordert, ein zehntes Opfer zu verhindern. Am 13. November 2011 veranstalte die „Türkische Gemeinde in Deutschland“ (TGD) zum Gedenken an die Opfer der Mordserie in Berlin eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor und riefen auf zur Solidarität gegen Rassismus. Teilnehmer trugen Schilder mit den Namen der Ermordeten. In Hamburg gedachten am 16. November 2011 mehrere politische Gruppen und die „Türkische Gemeinde“ dem ermordeten Süleyman Tasköprü, dem von der Polizei fälschlicherweise Verbindungen zu Drogenhändlern nachgesagt worden waren. Am 19. November 2011 trugen Demonstrationsteilnehmer, bei der jährlichen Silvio-Meier-Demonstration in Berlin, Schilder mit den Namen und Fotos der von der „NSU“ ermordeten Opfer. Wegen seiner verharmlosenden und irreführenden Tendenz wurde der Begriff „Döner-Morde“ von der Jury der Sprachkritiker der „Gesellschaft für deutsche Sprache“ der TU Darmstadt am 17. Januar 2012 zum Unwort des Jahres 2011 ernannt: „Mit Döner-Morde wurden von Polizei und Medien die von einer neonazistischen Terrorgruppe verübten Morde an zehn Menschen bezeichnet. Der Ausdruck steht prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde: Die Unterstellung, die Motive der Morde seien im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/oder Drogengeschäften zu suchen, wurde mit dieser Bezeichnung gestützt. Damit hat Döner-Mord(e) über Jahre hinweg die Wahrnehmung vieler Menschen und gesellschaftlicher Institutionen in verhängnisvoller Weise beeinflusst. Im Jahre 2011 ist der rassistische Tenor des Ausdrucks in vollem Umfang deutlich geworden: Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.“727 Dieter Skiba, ehemaliger Oberstleutnant im Ministerium für Staatssicherheit, hat der Tageszeitung junge Welt im November 2011 ein Interview gegeben, wo er behauptet, dass sich Neo-Nazis im Osten deshalb breitmachen würden, weil es eine Delegitimierung der DDR bzw. des dort gepflegten Antifaschismus gibt. Es sei klar gewesen, dass es zu Beginn der DDR „weitaus mehr Rechtsextreme gab als später – wir konnten uns bei der Staatsgründung ja nicht einfach ein anderes Volk suchen“. (sic!)728 Bei seinen verharmlosenden Erklärungen unterscheidet er zwischen „Nazis und Naziverbrechern“ und suggeriert damit, es hätte in der DDR eine umfassende Überprüfung aller ehemaligen Nazis gegeben, an deren Ende faschistische Verbrecher vor Gericht gestellt worden wären.729 Der zweite Teil des Interviews mit dem ehemaligen 726 Nils Minkmar: Hauptsache, es macht peng!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.11.2011. 727 www.unwortdesjahres.net/fileadmin/unwort/download/pressemitteilung_unwort2011.pdf. 728 junge Welt, 30.11.2011. 729 Vgl. Waibel (2011).

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Offizier des MfS befasst sich mit den momentanen Geschehnissen um die neo-nazistische Gruppe „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Auf die Frage der jungen Welt, ob „dieser Rechtsextremismus seine Wurzeln in der DDR“ habe, antwortete er ausweichend: Kann sein, kann nicht sein. Es hätte, „aus dem Westen zu uns rüber“ geschwappt, Skinheads oder Fußballrandale gegeben. Weiter behauptet er falsch, dass „diese Nazis vor allem Leute zwischen 20 und 25 Jahren (sind)“, die deshalb nicht in der DDR sozialisiert worden wären. Tatsache ist jedoch, dass die Mitglieder der „NSU“ in der DDR geboren und aufgewachsen sind, in Kindergärten und Schulen sozialisiert und politisch geprägt wurden. Die Antwort des Oberstleutnant a. D. auf die Frage weshalb es auf dem Territorium der ehemaligen DDR so viele Nazis gibt, ist deshalb ein weiterer Ausdruck der Verdrängungsleistungen eines Verteidigers der untergegangenen DDR, der nicht wahrhaben will, dass es in der DDR von Anfang bis zum Ende Anti-Semiten, Rassisten und glühende Verehrer des NS-Faschismus gegeben hatte. Er und die anderen Leugner wollen nicht einsehen, dass ihr Anti-Faschismus sie blind gemacht hatte, allein deshalb weil es weder in der Publizistik noch in der Wissenschaft Analysen oder Berichte geben durfte, die dann das Bild dieses ideologisch zurecht gestutzten Antifaschismus hätte beschädigen können. Also wurden und werden über Jahrzehnte hinweg anti-semitische und rassistische Angriffe auf Juden und Ausländer öffentlich verschwiegen und nach innen verdrängt. Selbst die aus rassistischem Hass getöteten und verletzten Ausländer waren kein Anlass zur kritischen Selbstreflexion, über die zum Dogma verkommene Ideologie des Anti-Faschismus. Ein Potsdamer Wissenschaftler erörterte in einem Gastkommentar für die Tageszeitung Der Tagesspiegel die Frage, ob die Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ wirklich eine Terrororganisation war. Diese von ihm aufgeworfene Frage sei so wichtig, dass sie zuerst beantwortet werden müsste, denn es könnte sein, so der Wissenschaftler, dass die Nazi-Bande nur „pseudo-politisch“ sei. Er war der Meinung, dass eine Terrororganisation nur dann als solche begriffen werden könne, wenn die Gruppe schriftlich mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Diesem Autor geht es offensichtlich genau so wie PolitikerInnen, er vermisst einen geschriebenen Text, ohne den er offensichtlich eine Bewertung nicht wirklich vornehmen kann und er begreift deshalb nicht, dass die Tat selbst die Kommunikation darstellt. Gerade auf dem Hintergrund der über 250 Toten die aus rassistischen Motiven seit 1990 ermordet worden sind, und auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte vor 1945 zeugen solche semantisch fixierten Beiträge von einem mehrschichtigen Unverständnis der Politik und Ideologie der Neo-Nazis. Ebenso führen Politiker als Entschuldigung für das „Versagen“ der Polizei und der Geheimdienste (Verfassungsschutz und MAD) an, dass der „Nationalsozialistische Untergrund“ keine Bekennerschreiben veröffentlicht hatte. Doch sie wollen oder können nicht verstehen, dass Rassisten durch eine „Politik der Tat“ mit der Öffentlichkeit kommunizieren, bei der die Methode des Vorgehens identisch ist mit dem Ergebnis das sie anstreben: „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen“ und so kamen sie mit jedem Mord ihrem wahnhaften Ziel näher! Schon viel zu lange werden die neo-nazistischen und rassistischen Bedrohungen von den Sicherheitsbehörden und von den sie leitenden Politikern jeglicher Couleur sträf209

lichst unterschätzt. Sie sind, so wie es jetzt die Umstände der Gruppe „NSU“ aufzeigen, auf dem rechten Auge vollständig blind. Nicht nur das die NPD indirekt durch die Gelder für Informanten der Geheimdienste staatlicherseits unterstützt wird, nein es findet auch keine systematische Fahndung statt, als über mehrere Jahre hinweg mehrere Ausländer regelrecht hingerichtet wurden. Ich glaube nicht daran, dass ein Verbot der NPD hier eine wesentliche Veränderung herbeiführen könnte, denn Bundesregierungen und Landesregierungen haben bereits seit Jahrzehnten sehr viele neonazistischen Parteien und Gruppen verboten. Auch die NSDAP war vor ihrer Machtergreifung einige Zeit verboten und selbst A. Hitler saß für einige Zeit im Gefängnis. Von daher wäre ich vorsichtig mit Verboten, denn dann wäre der Nazi-Untergrund mit einem Schlag überfüllt und eine Kontrolle wäre kaum noch möglich. Wichtig ist es die Geschichte der beiden historischen Ursachenstränge zur Entwicklung des gegenwärtigen Rassismus zu untersuchen: DDR und BRD. Dort findet man den Beginn der Tendenzen, die von 1990 bis 2011 zu dieser gefährlichen Situation geführt haben. Wenn es stimmen sollte, dass bei sechs von neun Tatorten der „NSU“, deutsche Agenten des Inlandsgeheimdienstes anwesend waren, dann deuten alle Zeichen dahin, dass der (un-)heimlich rassistische und national-chauvnistische Aufstand in diesem Land von Teilen des Sicherheitsapparates gesteuert wird! Nichts hat die NeoNazis bis heute aufhalten können. Jena - Ein Beispiel in Thüringen Es muss die Frage beantwortet werden, warum die Akzeptanz von Neo-Nazis in vielen ost-deutschen Gegenden so groß ist, wie sie ist. Dafür ist es nötig, sich historisch und philosophisch mit der Geschichte der Rassisten in der DDR und mit dem fehlgeschlagenen Anti-Faschismus der SED, auseinanderzusetzen. Wie waren Verbrechen in einem solchen Ausmaß über einen langen Zeitraum hinweg möglich? Wurden die Täter gedeckt und wenn ja warum? Oder war alles ganz anders? Solange die historische Wahrheit nicht ausgebreitet ist, sind für Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Die Probleme für den Prozess der Erkenntnis sind äußerst komplex beinhaltet und strukturiert, weil es z. B. auf Grund der historischen Umstände, der vielen Veränderungen durch Politik und Krieg in Deutschland, nicht ohne weiteres möglich ist, Kontinuitäten zu suchen und zu erkennen. So ist Jena Teil des Landes Thüringen, das durch ein Reichsgesetz von 1920 gegründet worden war. Durch den Wahlerfolg der NSDAP wurde, von Anfang 1930 bis zum April 1931, zusammen mit der „Deutschen Volkspartei“ (DVP), der „Deutsch-Nationalen Volkspartei“ (DNVAP), dem „Thüringer Landbund“ und der „Wirtschaftspartei“ eine rassistische und nationalistische Koalitionsregierung gebildet. Die Fraktion der NSDAP, mit ihrem Vorsitzenden Fritz Sauckel, stellte mit dem NSDAP-Reichstagsabgeordneten Dr. jur. Wilhelm Frick den Staatsminister für Inneres und Volksbildung. Frick säuberte den Beamtenapparat von Kommunisten und Sozialdemokraten und ersetzte sie, besonders bei der neu geschaffenen Landespolizei durch Nazis. Gegen den Willen der Universitätsverwaltung setzte Frick, zur Förderung rassistischer Anschauungen, an der Universität Jena, den Rassisten Prof. Dr. Hans F. K. Günther für den neugeschaffenen Lehrstuhl „Sozialanthropologie“ durch. Als Volksbildungsminister gab er, um die „Verseuchung durch 210

fremdrassige Unkultur“ zu verhindern, einen Erlass heraus „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“.730 Nach ihrem Wahlsieg 1932 bildete die Thüringer NSDAP, mit Gauleiter Fritz Sauckel als Vorsitzender der Landesregierung und Staatsminister des Inneren allein die Landesregierung. 1933 wurde das Land Thüringen, wie alle anderen deutschen Länder, gleichgeschalteter Teil Nazi-Deutschlands und Fritz Sauckel wurde am 5. Mai 1933 nicht nur Reichsstatthalter in Thüringen, sondern am 12. November 1933 wurde er auch Mitglied des Reichstages (MdR) und 1934 wurde er zum SS-Gruppenführer ernannt. Mit der Machtübertragung der Kanzlerschaft an A. Hitler begannen in der Stadt die Diskriminierungen und Verfolgungen aller politischen und humanistischen Oppositionellen. Viele wurden mit Gefängnis- und Zuchthausstrafen belegt oder in das erste Konzentrationslager (KZ) Bad Sulza, später in das KZ Buchenwald eingeliefert. Nach dem „Berufsbeamtengesetz“ wurden zahlreiche missliebige Wissenschaftler von ihren Posten vertrieben. Die Universität mutierte mehr und mehr zu einem Produzenten rassistischer Ideologie, so der „Lehrstuhl für Sozialanthropologie und Antisemitismus“ in der Zusammenarbeit mit dem evangelischen „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ in Eisenach. Am 1. April 1933 wurden jüdische Geschäfte und Einrichtungen boykottiert. Im Oktober 1938 wurden in der „Polenaktion“ zehn jüdische Personen ohne Staatsangehörigkeit nach Polen abgeschoben. Während der Novemberpogrome 1938 kam es in der Stadt zu anti-jüdischen Ausschreitungen und in der Folgezeit flüchteten zahlreiche jüdische Familien und Einzelpersonen ins Ausland. In den Jahren 1942 bis 1945 wurden die verbliebenen Juden vom Westbahnhof aus in die Gettos und Vernichtungslager des Ostens deportiert und ermordet und etliche nahmen sich selbst das Leben. In der Chirurgischen Klinik und der Frauenklinik wurden Zwangssterilisationen in großem Umfang durchgeführt und Patienten wurden an „Euthanasie-Anstalten“ ausgeliefert. Dennoch waren Widerstandskräfte am Werk, wurden Verfolgte versteckt, wurde mit Flugblättern und anderen Aktionen gegen Faschismus und Krieg aufgeklärt. Als während des Krieges Tausende Zwangsarbeiter in den Jenaer Rüstungsbetrieben beschäftigt waren, gab es eine Zusammenarbeit zwischen örtlichen Widerstandsgruppen und Zwangsarbeitern. So wurde von einer Sabotagegruppe, kurz vor Ende des Krieges, ein Sprengstoffanschlag auf ein NSDAP-Büro verübt. In einem Außenlager des KZ Buchenwald, leisteten bis zu 1.000 Häftlingen Zwangsarbeit im anliegenden Reichsbahnausbesserungswerk (RAW). Nach Kriegsende, am 1. Juli 1945, zogen Einheiten der Roten Armee in die Stadt ein, Jena wurde Teil der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Am 15. Oktober 1945 nahm die Universität Jena als erste deutsche Universität den Lehrbetrieb wieder auf und 1946 wurden die Firmen Zeiss und Schott zu 94 Prozent demontiert und über 300 Spezialisten aus beiden Werken in die UdSSR gebracht, um die Werke dort neu aufzubauen. 1950 wurde der pharmazeutische Großbetrieb VEB Jenapharm gegründet. Von 1945 bis 1949 war Thüringen ein deutsches Land unter alliierter Kontrolle in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und von 1949 bis 1952 ein Land in der DDR. In der Zeit von 1952 bis 1990 war das Land Thüringen in den drei Bezirken Erfurt, Gera 730 Vgl. Klee.

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und Suhl aufgegangen und danach ging diese politische Verwaltungsordnung wieder rückwärts (plus Altenburg) und erschwerte so die Einsichten in die historischen Kontinuitäten rassistischer Entwicklungen in diesem Teil Deutschlands. Die Ent-Nazifizierung in Jena Die Entnazifizierung verlief in Jena wie überall in der SBZ/DDR, d. h. es wurden auf der mittleren Ebene dringend Spezialisten benötigt um den Aufbau der Verwaltungen in der Sowjetisch-Besetzten Zone (SBZ) bzw. danach in der DDR bewerkstelligen zu können und deshalb wurde in der Regel darauf verzichtet jeweils in der persönlichen Nazi-Geschichte intensiv zu forschen. Im Kapitel über die Ent-Nazifizierung in der SBZ/DDR habe ich diesen Prozess ausführlich beschrieben und ich möchte mich hier, auf die Stadt Jena konzentrieren. Dazu habe ich eine Auswahl von Funktionären getroffen, die in Jena sowohl vor als auch nach 1945 an maßgeblichen Stellen tätig waren und die in der Regel für ihre Beteiligung an den Verbrechen der Nazis nicht zur Rechenschaft gezogen worden waren. So gehörten z. B. die Mediziner Prof. Dr. med. Rosemarie Albrecht, Prof. Dr. med. vet. Dr. h. c. Viktor Goerttler (Mitglied der SA und der NSDAP), Prof. Dr. med. Harry Güthert (Mitglied der NSDAP), Prof. Dr. med. Josef Hämel (Mitglied der SA und der NSDAP), Prof. Dr. med. Erich Häßler (Mitglied der SA und der NSDAP), Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jussuf Ibrahim, Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. August Sundermann (Mitglied der NSDAP), Prof. Dr. med. Hermann Voss (Mitglied der NSDAP) und Prof. Dr. med. Johannes Zange (Mitglied der NSDAP) allesamt als Professoren verschiedenen Fachgebieten der Medizinischen Fakultät der Universität Jena an. Bei den rassistischen evangelischen Theologen deckten sich ihre Ziele, also der Anspruch auf „Entjudung von Theologie und Kirche“, mit denen des Nazismus und sie sind zu verstehen als eine fatale Vermischung von Anti-Judaismus und Anti-Semitismus. Vergleichbares, wie bei den Jenaer Medizinern, gilt auch für den evangelischen Teil der Theologischen Fakultät der Universität Jena, z. B. mit Prof. Dr. R. Meyer und Prof. Dr. H. Preisker. Im Zusammenhang mit evangelischer Religionswissenschaft ist von Bedeutung, dass es in Eisenach von 1938 bis 1945 das rassistische „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ gab, dass unter dem Einfluss des Rassisten Prof. Dr. Hans F. K. Günther (Mitglied der NSDAP). Dieses Institut war auf Betreiben deutsch-nationaler evangelischer Christen, in Abstimmung mit mehreren Reichsministerien, der Reichsleitung der NSDAP und dem Gauleiter J. Streicher entstanden. Unter den drei hauptamtlichen Mitarbeitern des Instituts befanden sich Prof. Dr. Walter Grundmann (Mitglied der SS und der NSDAP), Professor für Neues Testament an der Universität Jena, als wissenschaftlicher Leiter, als Geschäftsführer Dr. theol. Heinz Hunger, evangelischer Pfarrer in Eisenach sowie der Jenaer Theologe Dr. Max-Adolf Wagenführer als wissenschaftlicher Assistent. Nach dem Krieg war Grundmann 1950 als Pfarrer tätig, 1954 bekam er einen Lehrauftrag am Katechetischen Oberseminar in Naumburg an der Saale und vom Theologischen Seminar Leipzig. 1954 wurde er zum Rektor des Katechetischen Seminars in Eisenach ernannt, wo er zugleich Dozent für Bibelkunde war. Von 1956 bis 1969 war er als Geheimer Informant „Berg“ für das Minis212

terium für Staatssicherheit (MfS) tätig. In den 1960er Jahren berief ihn die evangelische Kirche zum Berater der „Zensurbehörde“ der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin (EVA). 1974 wurde er zum „Kirchenrat“ ernannt. H. Hunger wurde nach 1945 Religionslehrer in Münster (Westfalen) und er war Schriftleiter der im Auftrag westdeutscher Landeskirchen herausgegebenen Zeitschrift „Der Religionslehrer an der Berufsschule“. Nach 1945 wurde Dr. Wagenführer Pfarrer, ausgerechnet in einer evangelischen Gemeinde in Köln-Nippes, die bis 1945 zur „Bekennenden Kirche“ gehörte. Einer der Referenten der 1. Arbeitstagung des Instituts Anfang März 1940, war Dr. theol. Herbert von Hintzenstern, Vikar in Eisenach und in Jena, wo er auch zum Pfarrer ordiniert worden war. 1943 war er in Eisenach und von 1945 bis 1952 in Lauscha als Hilfsprediger tätig. Danach war er als Landesjugendpfarrer in Thüringen tätig. Von 1956 bis 1981 leitete er die Evangelische Akademie und die Pressestelle der Kirche und er war Chefredakteur der Kirchenzeitung Glaube und Heimat. Von 1962 bis 1986 war er Leiter des „Lutherhauses“ in Eisenach. Zuletzt war er „Kirchenrat“ in Weimar. Bis in die 1990er Jahre war er Leiter der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte und Schriftleiter der „Thüringer kirchlichen Studien“ in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin (EVA). Ein weiterer Referent dieser Tagung war Prof. Lic. theol. Dr. phil. et Dr. theol. habil Heinz Erich Eisenhuth. Als Mitglied der „Deutschen Christen“ war er Lehrstuhlvertreter für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Jena. Er wurde 1945 von der Universität Jena wegen seiner NS-Vergangenheit entlassen und er wurde dann 1946 Pfarrer in JenaZwätzen. 1952 wurde er Superintendent des Kirchenkreises Eisenach und leitete einige Jahre die Evangelische Akademie.731 Dr. h. c. Ingo Braecklein war seit 1931 evangelischer Vikar in Jena und anschließend war er Pfarrer in Allendorf im Kreis Saalfeld-Rudolstadt. Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP und der SA und er war freiwilliger Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg. Er kam als Oberleutnant in britische Kriegsgefangenschaft. Danach war er von 1945 bis 1949 wieder Pfarrer in Allendorf im Kreis Saalfeld-Rudolstadt und in Saalfeld (Saale). Von 1950 bis 1959 war er Superintendent in Weimar und er war er Mitglied des Landeskirchenrates Thüringen und Stellvertreter des Landesbischofs Dr. h. c. M. Mitzenheim. Aus Unterlagen, sie wurden 1996 aufgefunden, wurde ersichtlich, dass Braecklein ab 1956 ca. 30 Jahre, ab 1959 als Informeller Mitarbeiter (IM) „Ingo“, für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) tätig war. Von 1971 bis 1977 war er Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR (VELK) und setzte sich auch dort für ein Miteinander von „Marxisten und Christen“ ein. Vor seiner Wahl zum Bischof (1970) protestierten Mitglieder der „Jungen Gemeinde“ in Eisenach mit einem Sprechchor, den sie sechs Mal wiederholten: „Wir wollen keinen Nazi-Offizier zum Bischof“.732 Für kaum einen der haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter des rassistischen „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ war das Engagement dort ein Hinderungsgrund für ihre Karrieren nach 1945 in Kirche, Universität und Öf731 Vgl. Waibel (2011), S. 114f.; vgl. Prolingheuer. 732 Vgl. Waibel (2011; Wikipedia; Herbst; Kappelt; Spiegel 35/1996; DieWelt.de/printwelt/article655102/Die_Kirche_gehorsamer_Diener_des_Staates.

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fentlichkeit, in der BRD ebenso wie in der DDR. Keiner von ihnen hat sich jemals öffentlich zu seiner Beteiligung an diesen Verbrechen bekannt. Bei den Naturwissenschaftlern der Universität Jena waren es besonders die Fakultäten für Chemie und Physik, bei denen Wissenschaftler sowohl für Nazi-Deutschland, als auch für die DDR tätig sein konnten. So Professor Dr. H. Dunken, Prof. Dr. F. Franz, Prof. Dr. W. Kämmerer, Prof. Dr. H. Knöll, Prof. Dr. H. Lambrecht, Prof. Dr. W. A. Th. Poethke und Prof. Dr. W. Schütz. Professor F. Kertscher war Mitglied der NSDAP und nach 1945 war er Direktor des Instituts für Landwirtschaftliches Versuchs- und Untersuchungswesen. Prof. Dr. O. Schwarz war vor 1945 Mitarbeiter am Kaiser-Wilhelm-Institut für biologische Kriegsführung und danach von 1948 bis 1951 und von 1958 und 1962 war er Rektor der Universität Jena. Für die Sozial- und Geisteswissenschaftler der Universität Jena ergaben sich nahezu ähnliche Verhältnisse, besonders bei Archäologen, Germanisten, Historikern, Juristen, Mathematikern und Philologen. Prof. Dr. R. Heidenreich war Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, wurde 1918 schwer verwundet und erhielt das „Eiserne Kreuz“ II. Klasse. Er war Mitglied der NSDAP und im Auftrag des Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, leitete er 1938/39 die Neuaufnahme des Mausoleums von König Theoderich der Große in Ravenna (Italien). Als Kriegsteilnehmer erhielt er 1944 das „Kriegsverdienstkreuz“. Nach seiner Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft lebte er von 1945 bis 1951 als Privatgelehrter in Sondershausen und von 1951 bis 1953 war er Privatlehrer für alte und neue Sprachen bei Verwandten in Groß-Ellenbach im Odenwald. Von 1953 bis 1959 war er Professor für Klassische Archäologie an der Universität Jena und Direktor des Archäologischen Instituts. Von 1954 bis 1959 war er Fachrichtungsleiter für Klassische Archäologie und von 1955 bis 1959 war er Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Jena. Von 1959 bis 1965 war er Professor an der Universität Leipzig und nicht nur Direktor des Archäologischen Instituts der Universität Leipzig, sondern auch von 1961 bis 1965 Direktor des Philologischen Instituts der Universität Leipzig.733 Prof. Dr. phil. Dr. med. dent. E. von Jan war von 1929 bis 1932 als Romanist Professor an der Universität Greifswald und von 1932 bis 1945 Professor an der Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. 1933 unterschrieb er das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler“. Von 1946 bis 1957 war er Professor für Romanische Philologie an der Universität Jena.734 Prof. Dr. B. Struck, er war Mitglied im NS-Lehrerbund (NSLB), im Reichskolonialbund, im Reichsbund der deutschen Beamten und im Reichsluftschutzbund. Er war als Spezialist für Kolonialforschung von 1927 bis 1933 im Wissenschaftlichen Beirat des „Deutschen Hygiene-Museums“ und von 1937 bis 1955 war er Professor und Leiter des Instituts für Anthropologie und Völkerkunde an der Universität Jena. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift für Rassenkunde und er arbeitete mit der SS-Forschungsgemeinschaft „Deutsches Ahnenerbe e. V.“ zusammen.735 733 http://uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Heidenreich_466/. 734 http://uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Jan_71/markiere:von%20Jan/. 735 Waibel (2011), S. 332.

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Prof. Dr. G. A. E. Neumann war Mitglied der NSDAP, des NS-Lehrerbundes und förderndes Mitglied der SS und er wurde 1930, auf Anordnung von W. Frick (NSDAP), Minister des Innern und für Volksbildung im Land Thüringen und zum Vorstand des Germanischen Museums für Vor- und Frühgeschichte der Universität Jena ernannt. Von 1934 bis 1941 und von 1953 bis zu seiner Emeritierung 1967 war er Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Jena. 1953 wurde er auch zugleich Direktor des Instituts für Ur- und Frühgeschichte. Er war Mitglied der Sektion für Vorund Frühgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW).736 Prof. Dr. G. Uschmann war Mitglied der NSDAP und ab 1938 war er Assistent am Ernst-Haeckel-Haus in Jena, dem Institut für Geschichte der Zoologie. Nach seiner Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft wurde er 1950 Assistent und ab 1952 Oberassistent wieder am Ernst-Haeckel-Haus. Von 1959 bis 1979 war er Direktor des Ernst-Haeckel-Hauses.737 Prof. Dr. E. Weber war Mitglied der NSDAP und ab 1937 war sie als Statistikerin Mitarbeiterin von Prof. Dr. K. Astel, Mitglied der NSDAP, der SS und des NSDDB, am „Institut für menschliche Erbforschung und Rassenpolitik“ der Universität Jena. Astel war von 1933 bis 1945 Präsident des Thüringischen Landesamtes für Rassewesen in Weimar und verantwortlich für tausende Zwangssterilisationen. Nebenamtlich war er noch als Richter am „Erbgesundheitsgericht“ in Jena tätig. Am 1. Juni 1934 wurde Astel vom Gauleiter F. Sauckel zum ordentlichen Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Jena ernannt. Von 1939 bis zu seiner Selbsttötung 1945 war er Rektor der Universität Jena.738 Neben der Universität haben die Carl-Zeiss-Werke in Jena eine bedeutende Stellung inne. So war Professor Dr.-Ing. R. P. Görlich, Mitglied der NSDAP und Prof. Dr. phil. H. Kortum, Mitglied der NSDAP und der SS, als Wissenschaftler bei den ZeissWerken (Jena) bzw. bei Zeiss-Ikon AG (Dresden) beschäftigt. Görlich war bis 1952 in der Sowjet-Union tätig und danach war er Direktor für Forschung und Entwicklung bei VEB Carl Zeiss in Jena. Kortum war nach 1945 Vorsitzender der Meßtechnischen Gesellschaft und Entwicklungshauptleiter im VEB Carl Zeiss in Jena. Seit 1960 war er Direktor der Forschungsstelle für Automatisierung und Messtechnik in Jena.739 In der Kulturszene der Stadt Jena war nach 1945 H. Abendroth, er war Mitglied der NSDAP, als Musikerzieher und Chorleiter tätig, und 1953 wurde er von der Universität Jena zum „Ehrensenator“ ernannt. Ein weiterer Kulturschaffender in Jena war Dr. phil. G. Friedrich, Mitglied der NSDAP, und 1945 war er Musikdirektor der Deutschen Volksbühne Thüringen in Greiz war und ab 1976 war er Direktor der Volksmusikschule Jena.740 Beim Aufstand am 17. Juni 1953 kam es in Jena zu Protesten von etwa 30.000 Bürgern, die freie Wahlen, die deutsche Einheit und den Rücktritt der Regierung forder736 Ebenda, S. 235f. 737 Ebenda, S. 348. 738 Klee (2011), S. 20. 739 Waibel (2011), S. 107 u. S. 180f. 740 Ebenda, S. 18 und S. 94.

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ten. Um die Proteste niederzuschlagen, trafen sowjetische Panzer in der Stadt ein, der Ausnahmezustand wurde verhängt und mehrere 100 Menschen wurden verhaftet. Am 18. Juni 1953 wurde im Gebäude der sowjetischen Kommandantur in Weimar der 1927 in Jena geborene Schlosser Alfred Diener hingerichtet, denn er hatte mit zwei Delegierten der Kohlearbeiter im Büro des Ersten Sekretärs der SED-Kreisleitung die Forderungen der Demonstranten vorgetragen. Ab den 1970er Jahren wurde Jena durch mehrere Arbeitsgruppen eines der Zentren der DDR-Opposition und während der Wendezeit fand 1989 auf dem Zentralen Platz bei einem Bürgerforum mit rund 40.000 Teilnehmern die größte Demonstration in der Geschichte Jenas statt. Bis 1991 war Jena Standort der 79. Panzerdivision der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD). Die Stadt Jena war Teil des 10. Bezirkes (Gera) der DDR und in ihrer Nähe liegen größere Städte, wie z. B. Weimar (ca. 15 km westlich), Apolda (ca. 15 km nördlich), Pößneck, Saalfeld, Rudolstadt, Bad Blankenburg (ca. 30 km südlich), Naumburg, (ca. 33 km nordöstlich), Gera (ca. 35 km östlich) und Erfurt (ca. 40 km westlich). Die westliche Grenze des Bezirks Gera hin zur Stadt Weimar im Bezirk Erfurt ging entlang der mittelbaren Stadtgrenze von Jena. Rassistische Ereignisse an der Ost-WestAchse entlang der BAB 4 (Eisenach – Gotha – Arnstadt – Ilmenau – Erfurt - Weimar – Rudolstadt – Bad Blankenburg – Saalfeld – Pößneck – Jena – Gera) waren und sind bis heute nachgewiesen. In Jena und in der mittelbaren und unmittelbaren Umgebung sind rassistische Einstellungen und Überfälle auf Ausländer seit Anfang der 1950er Jahren bis in die Gegenwart hinein Tradition. So wurde in Gera im Januar 1953 ein Anti-Semit verurteilt und 1957 wurde in Gotha der jüdische Friedhof geschändet. 1960 wurden in Pößneck 13 Arbeiter aus Guinea am Arbeitsplatz und im Wohnheim rassistisch diskriminiert und 1961 wurde in einem Kinderheim in Bad Blankenburg eine von Schülern gebildete neo-nazistische Gruppe entdeckt. 1962 wurden drei Arbeiter aus Kamerun beim VEB Carl Zeiss Jena zu Feinmechanikern ausgebildet. Auch sie wehrten sich, wie ausländische Arbeiter in Pößneck, gegen rassistische Diskriminierung am Arbeitsplatz und im Wohnheim. 1968 wurde in der Sektion Marxismus-Leninismus an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar Hakenkreuze gefunden. 1972 wurden in Gera nationalistische und chauvinistische Einstellungen bekannt und 1974 wurde in Arnstadt der jüdische Friedhof geschändet und in Gotha wurden an der Fachschule für Transporttechnik Hakenkreuze entdeckt. In Erfurt gab es im August 1975 rassistische, gewalttätige Ausschreitungen gegen algerische Arbeiter. In Weimar wurden 1981 zwei Studenten, sie waren Mitglieder der FDJ, mit neo-nazistischen Parolen angegriffen. 1983 wurde im Juli der Jüdische Friedhof geschändet und die studentische Verbindung „Salana Jenensis“ wurde gegründet. 1984 wurde ein Deutscher festgenommen, weil er in einem Ferienzentrum polnische Kinder rassistisch angegriffen hatte. 1985 wurde der jüdische Friedhof in Erfurt geschändet. 1987 stand ein neo-nazistischer Hooligan des FC Carl Zeiss Jena vor Gericht, weil er in einem Zugabteil der Deutschen Reichsbahn (DR) Mitreisende belästigt und angegriffen hatte. Im Jahr 1989 wurden in Weimar, anlässlich der „Weimartage“ der FDJ, fünf Afrikaner angegriffen und es wurden rassistische Paro-

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len gerufen, wie z. B. „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“.741 In Weimar-Kirschbachtal wurden am Ende des Jahres 1989 Bewohner eines Wohnheimes für Ausländer geschlagen und beleidigt - in vielen Restaurants wurden Ausländer nicht bedient.742 In Erfurt wurden 1989 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde im Dezember durch anonyme Telefonanrufer bedroht: „Der Ofen von Buchenwald wartet ja auf euch“.743 In Erfurt wurde Anfang November 1989 ein Lehrling (14 Jahre) verhaftet, der neo-nazistische und anti-semitische Parolen in Erfurt-Hochheim angebracht hatte und am 31. Dezember 1989 bedrohten Skinheads mehrere Passanten in Erfurt. Die Volkspolizei verhaftete vier von ihnen.744 In Gera wurden 1989 sechs Schüler und ein Lehrling im Dezember von der Volkspolizei festgenommen, weil sie Gräber des sowjetischen Ehrenhains geschändet und vor Häusern, in einer sowjetischen Siedlung, anti-sowjetische Parolen gegrölt hatten.745 In Blankenhain gab es Ende des Jahres 1989 eine rassistische Gruppe „Graue Wölfe. In Weimar gab es Ende des Jahres 1989 die rassistische Gruppe „Weimarer Front“, die gegen Ausländer vorging und Friedhöfe schändete. In Weimar erhielt Mitte Dezember 1989 die Verwaltung der KZ-Gedenkstätte Buchenwald eine neo-nazistische Morddrohung. Der mehrfach vorbestrafte Neo-Nazi Thomas Kreyßler aus Arnstadt, war in der JVA Untermaßfeld in Thüringen inhaftiert, wo er das Programm für eine noch zu gründende „Nationale Arbeiterpartei Deutschlands“ (NAPD) entwarf. Skinheads oder Hooligans sahen in ihrer Verurteilung durch die Justiz der DDR zumeist keinen Makel, allenfalls galt dies als Ausweis ihrer Opferbereitschaft für die „nationale Sache“. Die Justizvollzugsanstalten der DDR waren personell und ideologisch nicht auf so viele derartige Häftlinge vorbereitet. Da sich die Neo-Nazis sehr diszipliniert verhielten, konnten sie sich mit Gleichgesinnten besprechen und wurden so mit „Kameraden“ aus anderen Bezirken bekannt.746 In diesem rassistisch aufgeheizten sozialen und politischen Klima findet sich das Spektrum der rassistischen Szene wieder und offenbart an den Zielen und Opfern ihre politische Ausrichtung. Rassistische Vorfälle in Jena und Umgebung seit 1990 Nach der Wende 1989 setzte sich in Jena und Umgebung diese Entwicklung nahtlos fort und, unter den neuen politischen Umständen, entfaltete sich die rassistische Dynamik vollends. In Gera wurden Anfang Januar 1990 auf dem sowjetischen Ehrenhain 34 Grabsteine geschändet. In Weimar wurden im Januar 1990 häufig Ausländer angegriffen und es wurden anti-semitische und rassistische Parolen gerufen.747 Im April 1990 wurde eine Begegnungsreise von deutschen und türkischen Jugendlichen aus Duisburg, sie sollte nach Gera, Leipzig und Erfurt führen, abgebrochen, weil sie

741 Hirsch/Heim, S. 108. 742 Siegel, S. 66. 743 Hirsch/Heim, S. 109. 744 Hirsch/Heim, S. 109. 745 Hirsch/Heim, S. 109f. 746 Madloch, S. 82. 747 Hirsch/Heim, S. 112

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ständig angefeindet worden waren.748 In Gera kam es im Mai 1990 vor einem besetzten Haus zu Ausschreitungen zwischen Hausbesetzern und Skinheads und Anfang Juni 1990 hatte der britische Geschichtsrevisionist David Irving einen Auftritt im „Haus der Kultur“. 749 In Rudolstadt schossen im Oktober bzw. November 1990 Skinheads mit Schreckschuss- und Luftdruck-Pistolen auf Passanten, errichteten mit Müllcontainern Straßensperren, zündeten sie an und mit der Polizei gab es eine Prügelei.750 In Erfurt erschlugen am 5. Juli 1990 zwei Skin-Bräute, als Mutprobe, einen 57-jährigen Bauarbeiter mit Ziegelsteinen.751 In Erfurt wurden im November 1990 die Fensterscheiben eines Wohnheims für vietnamesische Arbeiter mit Steinen demoliert.752 In Weimar-Ramsla gab es am 20. April 1991 ein Skinhead-Konzert mit den neo-nazistischen Bands „Störkraft“ und „Boots & Braces“.753 In Jena wurden am 14. Juni 1991 türkische Fußballspieler aus Fürth, die in Jena ein Freundschaftsspiel absolvieren wollten, von Skinheads angepöbelt und schwer misshandelt.754 In Weimar wurde im Juli 1991 ein Student aus dem Jemen von Skinheads überfallen und mit einem Schuss aus einer Gaspistole verletzt.755 In Jena wurden am 4. September 1991 drei Vietnamesen von Skinheads mit Knüppeln geschlagen.756 In Ilmenau wurden Ende September 1991 ausländische Studenten der Technischen Hochschule (TH) von NeoNazis mit Baseball-Schlägern angegriffen. Ihre Unterkünfte wurden später mit Leuchtraketen angegriffen.757 In Gotha wurde im Oktober 1991 ein Wohnheim für Ausländer angegriffen.758 In Gotha wurde im Oktober 1991 ein sowjetischer Soldat aus seiner Wohnung im dritten Stock geschmissen und wurde dadurch schwer verletzt.759 In Weimar wurde am 9. November 1991 ein Mosambikaner von drei NeoNazis mit einem Luftdruckgewehr beschossen. Er erlitt dabei eine Verletzung am Kopf.760 In Weimar spielten am 31. Dezember 1991 bei einem Skinhead-Konzert die neo-nazistischen Bands „Kraftschlag“, „Radikahl“, und „Störkraft“.761 Das Bundeskriminalamt (BKA) zählte in Thüringen für das Jahr 1991 sechs rassistische Brandanschläge und 13 Angriffe auf Ausländer.762 Im Jena verprügelten Neo-Nazis mit Baseball-Schlägern im Januar 1992 einen Chilenen.763 In Saalfeld schoss im Januar 1992 748 Hirsch/Heim, S. 114. 749 Hirsch/Heim, S. 117. 750 Borchers, S. 16. 751 Madloch, S. 96. 752 Hirsch/Heim, S. 126. 753 Fromm, S. 100 und S. 104f. 754 Siegler, S. 43; R. Fromm, S. 9; Konkret, S. 12. 755 Siegler, S. 81. 756 Fromm, S. 9. 757 Konkret, S. 17. 758 Konkret, S. 19. 759 Konkret, S. 19. 760 Fromm, S. 9; Konkret, S. 23. 761 Fromm, S. 100. 762 http://www.boell.de/demokratie/demokratie-entwicklung-der-neonazi-szene-in-thueringen13361.html 763 www.rolfschwarz.com/skinheads/chronik/pdf; die tageszeitung, 20.01.1992.

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ein Mann (50 Jahre) mit einer Pistole auf sowjetische Soldaten und anschließend fuhr er mit seinem Auto in die Gruppe der Soldaten (GSSD), wobei er zwei von ihnen schwer und einen leicht verletzte.764 In Eisenach verfolgten fünf Neo-Nazis (19 bis 21 Jahre) im Januar 1992 einen Kubaner (31 Jahre) durch die Stadt und prügelten ihn krankenhausreif.765 In Jena schlugen am 14. Juni 1992 ca. 20 Skinheads mit BaseballSchlägern auf zwei Türken ein und verletzten sie.766 Am 15. September 1995 überfielen ca. 50 Neo-Nazis aus Jena, Rudolstadt und Saalfeld das Planetarium in Jena, weil sie die Veranstaltung des Soziokulturellen Jugendzentrums „Kassablanca“ stören wollten. Einige der mit Baseball-Schlägern bewaffneten Angreifer konnten von der Polizei festgenommen werden. In Jena wurde im August 1997 der Afrikaner KayKay Mukumadi vor seiner Wohnung von Rassisten zusammengeschlagen.767 In Jena wurden am 9. Oktober 1998 drei Afrikaner von 12 vermummten Rassisten überfallen und mit Flaschen, Knüppeln, Messern und einer Gaspistole angegriffen.768 In JenaLobeda wurde am 14. April 2000 Mokomadi Kalemba (DVR Kongo) von sechs oder sieben Rassisten mit einem Baseball-Schläger und mit Tritten und Schlägen angegriffen. Einer der Angreifer rief „Kaffer“. Kalemba war bereits 1997 von drei, mit Messer und Revolver, bewaffneten Rassisten angegriffen und brutal zusammengeschlagen worden.769 In Jena wurden am 16. August 2000 bei einem Jugendlichen (14 Jahre) ca. 1.200 Aufkleber mit dem Konterfei von R. Heß gefunden.770 In Jena wurden am 19. Mai 2001 Ausländer, sie waren auf dem Heimweg nach Apolda, von mehreren Rassisten angegriffen. Die herbeigerufene Polizei ließ die Angreifer unbehelligt.771 In Jena fand im Juni 2002, der von der NPD organisierte und seit dem jährlich abgehaltene „Thüringertag der nationalen Jugend“, zum ersten Mal statt. Im Juni 2012 hat die bislang 11. Veranstaltung dieses Festivals von Rassisten für Rassisten in Meiningen stattgefunden. Es stand unter dem Motto „Ein Zeichen setzen gegen Volkstod“, womit gemeint war, dass durch die, nicht nur von Th. Sarrazin bereits ausführlich diskutierte niedrige Geburtenrate deutscher Frauen und die angeblich höhere Zahl von Kindern von Ausländerinnen, in einigen Jahrzehnten die Ausländer in einigen deutschen Städten die Zahl der Einheimischen übertreffen werden. Es sollten vier neo-nazistische Band auftreten, verschiedene Funktionäre der NPD waren für Redebeiträge vorgesehen und neben Infoständen, z. B. „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ oder „Deutsche Stimme Verlag“ gab es Verkaufsstände des rassistischen „Germania Versand“ und von „Ansgar Aryan“, einer Vertriebsfirma für Filme und Bücher des notorischen Rassisten Karl Höffkes.772 Waren noch beim ersten Festival ca. 130 Besucher, so kamen beim 10. Treffen im Juni 2011 in Nordhausen bereits ca. 764 die tageszeitung, 20.01.1992. 765 die tageszeitung, 20.01.1992. 766 R. Fromm, S. 9; Siegler, S. 43. 767 die tageszeitung, 06.03.1998. 768 Vgl. Antirassistische Initiative e. V. (hrsgg.). 769 Ebenda. 770 http://egora.uni-muenster.de/pbnetz/toleranz/downloadhilfe.html. 771 Vgl. Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.). 772 http://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCringentag_der_nationalen_Jugend.

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800 Teilnehmer. Andere kulturelle Veranstaltungen der Rassisten in Thüringen sind die seit dem Juni 2003 in Gera stattfindenden Open-Air-Veranstaltungen „Rock gegen Krieg“ bzw. „Rock für Deutschland“. Dort traten rassistische Bands auf wie „Kommando Ost“ aus Mecklenburg-Vorpommern, „T.H.O.R“ aus Schneeberg (Sachsen), „Confident of Victory“ (Brandenburg) und „Eugenik“ auf. In Gera gibt es seit den 1990er Jahren eine rassistische Musikszene mit Bands wie z. B. „Totenburg“ oder „Eugenik“, es gibt Labels und Vertriebsfirmen für Musikversand wie „Donnerschlag Records“ (DSR), „Ewiges Eis Records (vormals „88 Records“ = „Heil HitlerRecords“ oder den „Aufruhr Versand“. Außerdem finden sich in Gera Läden für Bekleidung und Devotionalien der rassistischen Szene, wobei Betreiber und Mitarbeiter häufig in den „Freien Kameradschaften“ oder der NPD aktiv sind. Im Juli 2012 soll das 10. Festival von „Rock für Deutschland“ in Gera stattfinden und es wird der Auftritt von Bands wie z. B. „Max Resist“, „Oidoxie“, „Tätervolk“, „Words of Anger“ und „Exzess“ erwartet.773 Im Jahr 2009 erreichte das rassistische Festival einen Rekordbesuch mit ca. 4.000 Besuchern und ist damit auch zu einem der größten Ereignisse seiner Art in Europa geworden.774 Das international beachtete Rechtsrock-Festival „Fest der Völker – Für ein Europa der Vaterländer“ fand erstmals am 11. Juni 2005 in Jena statt und wird, so wie das Festival „Thüringentag der nationalen Jugend“ und „Rock für Deutschland“ von der NPD und von „Freien Kameradschaften“ organisiert. Das „Fest der Völker“ sollte jährlich stattfinden und es wurden jeweils ca. 500 Besucher erwartet. Der Name „Fest der Völker“ war die Bezeichnung für den ersten Teil des Films „Olympia“ über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, den Leni Riefenstahl im Auftrag der Nazis erstellt hatte. Die Besonderheit dieser Veranstaltung liegt in einer starken Beteiligung von organisierten Rassisten aus europäischen Ländern, so traten neben den Chefs der NPD elf weitere Rassisten aus zehn Ländern als Redner auf. Bei ihnen handelt es sich um führende Rassisten aus Parteien und Organisationen, die größtenteils in der 2004 gegründeten „European National Front“ zusammenarbeiten. Bei dieser ersten Veranstaltung 2005 traten neun Rechtsrock-Bands aus Deutschland und aus mehreren europäischen Ländern auf, die durchweg durch rassistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Texte vortragen. Es waren aus den „Freien Kameradschaften“ Gruppen wie z. B. die „Kameradschaft Eisenach“ und ihre „Arbeitsgemeinschaft Frauen“, der „Nationale Widerstand Jena“ und „Sektion Jena-Ost, der „Mädelring Thüringen“ und die Gruppe „Ilmkreis National“. Überregionale Teilnehmer am Festival waren das „Aktionsbüro Thüringen“, „Widerstand Nord“, die „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG), die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) und die Gruppe „Aktive Frauen Fraktion“ (AFF). Bis 2009 fanden bisher fünf Festivals „Fest der Völker“ statt und zurzeit ist es fraglich ob und wie die Rassisten weiter machen werden.775

773 http://de.wikipedia.org/wiki/Rock_f%C3%BCr_Deutschland. 774 http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2011/08/05/; Spiegel online, 10.07.2010. 775 http://de.wikipedia.org/wiki/Fest_der_V%C3%B6lker.

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Seit 1990 wurden in Thüringen 7 Männer und 1 Frau von Rassisten ermordet: In Erfurt-Stotternheim wurde am 3. August 1992 der polnische Erntehelfer Ireneusz Syzderski (24 Jahre) von drei Skinheads, sie waren als Ordner bei einer Discoveranstaltung eingesetzt, getötet. In Arnstadt wurde am 17. bzw. 18. Januar 1993 ein 45-jähriger städtischer Parkwächter (45 Jahre) von fünf Skinheads (14 bis 16 Jahre) zusammengeschlagen und danach wurde der verletzte und bewusstlose Mann auf eine verkehrsreiche Kreuzung geworfen, wo er von zwei Autos überrollte wurde und auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb.776 In Arnstadt wurde am 18. Januar 1993 Karl Sidon getötet. In Schlotheim, Kreis Mühlhausen wurde am 24. Januar 1993 der Punk Mario Jödecke, von einem neo-nazistischen „Heavy-Metal-Fan“ getötet.777 In Mühlhausen wurde am 28. Juni 1993 ein Rumäne (26 Jahre) von einem Deutschen (40 Jahre) erstochen. Das Opfer verstarb auf dem Weg in die Universitätsklinik in Jena.778 In Saalfeld wurde am 26. März 1998 die Schülerin Jana Georgi (14 Jahre) auf der Straße von einem Schüler (15 Jahre) getötet. Sie hatte ihn zuvor als „Faschist“ bezeichnet. In Erfurt wurde am 27. Januar 2003 Hartmut Balzke in Erfurt getötet.779 In Gera wurde am 21. Januar 2004 der Russland-Deutsche Oleg Valgar in Gera bzw. Bieblach-Ost getötet.780 Diese Beispiele habe ich zusammengestellt, um verständlich zu machen was sich in Jena und Umgebung ereignet hatte, bis zu dem Zeitpunkt als sich U. Mundlos, U. Böhnhardt und B. Zschäpe dazu entschlossen hatten, aus dem Untergrund heraus, rassistische Morde durchzuführen.

776 die tageszeitung, 19.01.1993. 777 die tageszeitung, 13.02.1993. 778 die tageszeitung, 30.06.1993. 779 die tageszeitung, 20.06.2008. 780 Alle Angabe zu den in Thüringen Getöteten stammen aus der Liste der Wochenzeitung Die Zeit, aus der Enzyklopädie Wikipedia.de und aus der Aufstellung des Archivs für Sozialpolitik/Konkret.

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V. Schlussfolgerungen Neo-Nazis sind in Deutschland weiter auf dem Vormarsch und keine staatliche Maßnahme, keine Aktion der Anti-Faschisten hat diese Bedrohung aufhalten können. In der DDR waren neo-nazistische Gruppen und Presseorgane verboten, und dennoch hatte sich eine entsprechende Szene entwickeln können. Die erneuten Forderungen von Politikern und anti-faschistischen Gruppen nach einem Verbot der NPD sind insofern fragwürdig, denn mit einem Verbot wären z. B. weder die rassistische Ideologie noch die rassistischen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verschwunden. Zwischen 1951 und 2012 sind in West-, später im vereinten Deutschland auf Bundes- und Länderebene 82 neo-nazistische und rassistische Parteien und Gruppen verboten worden – ohne nennenswerten Erfolg. Im Grunde genommen, so ist mein Eindruck, haben die vielen Verbote zu einer Konsolidierung der Neo-Nazis geführt, gerade was ihre gegenwärtige Selbstfindung in „Freien Kameradschaften“ angeht, wo eine Grauzone entstanden ist, von der aus sowohl eine Verbindung zu den parlamentarischen Ebenen als auch zu den im Untergrund operierenden Neo-Nazis möglich wurde, in einem Umfang wie es bis dahin nicht vorstellbar gewesen ist.781 Es wurden viele verschiedene Versuche unternommen, die jedoch nicht fruchten oder die das Problem sogar verschärfen. Nehmen wir z. B. die verschiedenen Kampagnen zum Verbot neo-nazistischer oder rassistischer Organisationen oder Gruppen. Kein Verbot hat bisher den Erfolg gebracht, den die Verbotsbefürworter in ihre Absichten intendiert haben. Im Gegenteil. Rassisten und Neo-Nazis sind stärker und effektiver geworden. Also, was läuft falsch im Staate Deutschland beim Kampf gegen die neue Barbarei. Die anti-nazistische Verbotsphilosophie hat eine lange Geschichte, die zurückreicht in die 1920er Jahre, als staatlicherseits versucht wurde, mit Verboten das Aufkommen der Nazis zu stoppen. Als die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre bedrohliche Ausmaße annahm, steigerte sich der Zuspruch zur NSDAP sowohl was ihre Mitgliederzahl anging, als auch die Stimmen die für sie bei Wahlen abgeben wurden. Das Ergebnis der staatlichen Repression gegen die Nazis ist hinlänglich bekannt. Nach 1945 setzten beide deutsche Staaten die repressive Linie gegen Faschisten und ihre Organisationen fort. Die NSDAP, von den alliierten Siegermächten verboten, blieb auch durch die deutschen Behörden verboten. „Nachfolgeorganisationen“, die sich im Westen gründeten wurden verboten oder zerschlagen. In der DDR wurde die NDPD zugelassen, gedacht als Auffangbecken für ehemalige Funktionäre und Soldaten des NS-Staates. Ende der 1960er erlaubten die Behörden in WestDeutschland die Gründung der NPD, die schnell Zulauf registrieren konnte und jetzt geht es wieder und wieder um das Verbot dieser NPD. Ein Verbotsantrag, den die Schröder-Fischer-Bundesregierung, unter Federführung des BMdI, Otto Schily 2001 beantragt hatte, scheiterte beim Bundesverfassungsgericht 2003, weil die Regierung nicht bereit war, die Namen ihrer geheimen Mitarbeiter, die in der NPD für sie arbeiten, offen zu legen. Danach haben die orthodoxen Anti-Faschisten, politisch einzuordnen im Spektrum der DKP und der Partei „Die Linke“ (PDL), eine Kampagne entfaltet, die auf ein Verbot der NPD zielt. Dafür wurden in einem mehrmonatigen Ab781 http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_in_Deutschland_verbotener_rechtsextremer_Organisationen.

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lauf mehrere tausend Unterschriften gesammelt. So – und nun. Was soll werden? Die NPD ist noch immer da, und ein Verbot ist in ganz weite Ferne gerückt. Ich kritisiere diese perspektivlose Strategie, deren alleiniger Inhalt in der Unterdrückung neo-nazistischer Organisationen liegt. Tatsache ist hingegen, dass die demoskopischen Erhebungen über die Ausdehnung nationalistischer und rassistischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung, von den Schülern angefangen bis zu den Rentnern, eine solch weite Verbreitung gefunden haben, dass Verbote gegen eine kleine Partei, ins Leere stoßen würden. Bis zu zwei Drittel der Deutschen, egal ob katholisch, evangelisch, nord-deutsch, süd-deutsch oder west-deutsch, sie sind sich einig in ihrer Ablehnung von Ausländern und Juden. Diese zwei Drittel der Deutschen haben politische Bewertungen, wie sie von der NPD seit ihrer Gründung Ende der 1960er propagiert werden. Doch die Verbotsbefürworter wollen eine schnelle Lösung dieses monströsen Problems, sie wollen diese am Horizont aufziehende Barbarei verbieten. Dem entspricht eine in Deutschland lange gehegte autoritäre Bewusstseinstruktur, die sich in der Verbotsphilosophie wieder findet. Die Massenarbeitslosigkeit der letzten Jahre hat Verarmung und Verelendung, nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, hervorgebracht. In Deutschland leben über eine Million Kinder von Sozialhilfe, in manchen ost-deutschen Regionen sind das etwa 25 % aller Kinder, und die Prognosen gehen von einer deutlichen Steigerung der Kinderarmut in den nächsten Jahren aus. Verarmung und Verelendung wurden hervorgerufen durch die Gesetzgebung und die Folgen, gerade bei den sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen, sind u. a. Häufungen krankhafter Verhaltens- oder Sprachstörungen und insbesondere Erkrankungen wegen falscher Ernährung oder mangelnder Körperbewegungen festzustellen. Arbeitslose Frauen und Männer werden zu Tätigkeiten verpflichtet, ja man kann sagen sie werden zu einer Arbeit gezwungen, für die sie einerseits nicht adäquat, d. h. weit unter den ortsüblichen Tarifen, entlohnt werden, und die andererseits ihren beruflichen und schulischen Qualifikation nicht im Mindesten entsprechen. Wird einer solchen Verpflichtung nicht nachgekommen, dann droht die Kürzung oder gar die Streichung der finanziellen Leistungen. Die Erhöhung des Anrechnungszeitraums bei arbeitslosen Jugendlichen bis zum 25. Lebensjahr bedeutet für sie, als Teil der elterlichen Bedarfsgemeinschaft, den Verlust ihrer persönlichen Autonomie. Insgesamt sind Ausländer im Schnitt doppelt so oft arbeitslos wie Deutsche, denn auch bei gleicher Qualifikation haben Ausländer schlechtere Chancen eine Arbeit zu finden als Deutsche.782 Zu kritisieren ist auch eine unreflektierte Argumentationweise, bei der die Ideologie der Neo-Nazis als „Gedankengut“ bezeichnet und damit unterbewusst unterstellt wird, Gedanken der Nazis seien „gut“. Ähnliches ist dort zu betrachten, wo Bundesund Landesregierungen Programme finanzieren, die am Ende zu einer Stärkung der Rassisten führt, bspw. mit der indirekten Finanzierung neo-nazistischer Strukturen durch in der Jugend- oder Sozialarbeit. Direkte Finanzierung erfährt z. B. auch die NPD durch die staatliche Wahlkampfkostenerstattung sowie durch die indirekte Finanzierung durch exorbitante Honorare für geheime Mitarbeiter bei den NPD-Funktionären. Im Konzept der staatlichen Repression des Rassismus stellt die Polizei eine 782 Der Tagesspiegel, 18.12.2009.

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einflussreiche Macht dar, und von ihrer inneren, geistigen Verfassung hängt die langfristige Wirkung der Unterdrückungsmaßnahmen ab. Analysiert man ihre Aktivitäten, z. B. im Bundesland Sachsen-Anhalt, so kommen doch berechtigte Zweifel auf, über die Ernsthaftigkeit von Teilen der Polizei im Kampf gegen Rassisten. Ein Abteilungsleiter der Polizeidirektion in Dessau, hat von seinen Untergebenen verlangt, sie sollten „nicht alles“ sehen. Wenn zu viele rassistische Straftaten in der Statistik erschienen, dann würde dadurch das Ansehen der Polizeidirektion Dessau darunter leiden. Ein anderes Beispiel ist ein Polizeibeamter, Spezialist für die Informations-Technologie (IT) der Polizei von Sachsen-Anhalt, der bei einer Veranstaltung von Neo-Nazis logistisch tätig war. Die internen Untersuchungen der Polizei dauerten Jahren an und es ist wenig förderlich für ihre Glaubwürdigkeit, wenn die Polizei ihre eigenen neonazistischen Potentiale nicht erkennen kann oder will. Nun soll ein Untersuchungsausschuß des Landtags u. a. auch die Vorkommnisse in der Polizeidirektion Dessau beim Tod von Oury Jalloh beleuchtet werden, als er am 7. Januar 2005 in Polizeigewahrsam getötet aufgefunden wurde und es sollte auch geklärt werden, wie Polizisten insgesamt bei der Verfolgung rassistischer Straftaten vorgegangen sind.783 Insgesamt sollten sechs Vorfälle untersucht werden, darunter auch das Verhalten von Polizisten nach einem Überfall von neo-nazistischen Schlägern auf Schauspieler in Halberstadt, wo Täter, unmittelbar nach der Tat, von der Polizei laufen gelassen wurden. Ein weiteres Beispiel beinhaltet mutmaßliche Schießübungen von Neo-Nazis in einem Wald bei Wittenberg. Ein Spaziergänger hat bereits im April 2007 die Polizei-Direktion Dessau über seine Beobachtungen unterrichtet, doch nichts ist geschehen.784 Die Summe aller Beispiele belegt, was bereits seit langem vermutet werden konnte, dass der „Rechtsextremismus“ bzw. „Rechtsradikalismus“ keine Gefahr mehr darstellt, die sich allein am rechten Rand der Gesellschaft entwickelt – diese Gefahr kommt jetzt aus der Mitte der etablierten, bürgerlichen Gesellschaft, wo Anhänger aller Parteien, Kirchen und Gewerkschaften betroffen sind. Und wie auch schon im vergangenen Jahrhundert, so sind auch gegenwärtig rassistische und anti-semitische Gruppen oder Parteien europaweit im Vormarsch. Europäische Rassisten sind auf den Straßen und in Parlamenten nicht nur in Italien, Frankreich oder Deutschland, sondern, was wir nach 1990 schmerzhaft lernen mussten, auch in Ost-Europa zu finden, wie z. B. in Russland, Polen, Ungarn oder Tschechien. Es werden Vorgänge und Einstellungen sichtbar, die auf ein immer größer werdendes unsichtbares, weil untergründiges Problem hinweisen, dass die Voraussetzung bildet, für brutale Übergriffe auf Menschen, die aus anderen Ländern und Kontinenten nach Deutschland gekommen sind. Das in Rituale geformte Scheitern der Etablierten zeigt sich regelmäßig nach rassistischen Angriffen, wenn Verantwortung zurück gewiesen wird und die Ursachen geleugnet werden. „Die Medien“ oder gar „die Ausländer“ seien selbst schuld und Bürgermeister oder andere Politiker sorgen sich nach solchen Übergriffen, vor allem um das Image ihrer Gemeinden. Ein Beispiel ist die Hetzjagd auf acht Inder durch etwa 50 Deutsche in der sächsischen Gemeinde Mügeln. Zwar hat es Schlägereien bei öffentlichen Festen immer gegeben, das ist schon wahr, denn 783 die tageszeitung, 08.01.2010. 784 Vgl. Der Tagesspiegel, 14.09.2007; vgl. Jansen (2007b).

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seit Jahrhunderten gehören Schlägereien zu Festen. Aber in Mügeln ging es einmal mehr darum, dass eine äußerlich erkennbare, schutzwürdige Minderheit mit brachialer Gewalt von einem deutschen Mob angegriffen wurde. Die Hetzjagd, die Schaulustigen die nicht einschreiten, das späte Eintreffen der Polizei und dann die Abschwächungen der Behörden – das sind Merkmale ein- und derselben Kultur des Rassismus, die mit dem Bild vom Eisberg bestens wiedergegeben wird.785 Um Einsichten in die geistigen Abgründe der Deutschen zu bekommen, verwende ich die Ergebnisse von drei repräsentativen, demoskopischen Untersuchungen, deren wissenschaftliche Seriosität ernsthaft nicht zu bezweifeln ist. Es handelt sich hier um eine Erhebung, die seit 1990, regelmäßig alle zwei Jahre, im Auftrag der „Volkssolidarität“ von Berliner Sozialwissenschaftlern erstellt wird. Die Verfasser stellen fest, dass „rechtsextremes Gedankengut“(!) breite Teile der ost-deutschen Bevölkerung erfasst hat. Die Ergebnisse sind an dramatischer Radikalität kaum zu überbieten, zeigt sich hier ebenfalls, dass neo-nazistische und rassistische Einstellungen nicht allein reduzierbar sind auf männliche Jugendliche oder junge Erwachsene. Sie verteilen sich auf alle Altersgruppen – allein beim Rassismus wird eine wachsende Zustimmung von älteren und alten Menschen festgestellt. In den neuen Bundesländern zeigt sich Neo-Nazismus vor allem in rassistischen und national-chauvinistischen Einstellungen gegen Ausländer, und obwohl der Anteil der Ausländer in Ost-Deutschland vergleichsweise gering ist, werden sie in einem ideologischen Sinn als Sündenbock, also als „Ursache“ für die sozialen Probleme verantwortlich gemacht. Fast dreiviertel (72%) der Befragten befürworten entweder „vollständig“ oder „teilweise“ eine Reduzierung der Ausländer in Deutschland und erhoffen sich davon eine Lösung sozialer Probleme, wie z. B. bei der Suche nach Wohnungen und nach Arbeitsplätzen. Die Hälfte der Befragten (51%) stimmt der Behauptung zu, die meisten Ausländer wären Kriminelle. Bei der Betrachtung einzelner Bundesländern ist zu sehen, dass in Mecklenburg-Vorpommern mit 55% und in Thüringen mit 50 % die höchsten Zahlen zu finden sind, die der Behauptung „vollständig“ zustimmen, dass es zu viele Ausländer gäbe.786 Die zweite Studie untersucht die „Politische Kultur im Freistaat Thüringen“ und wurde vom „Institut für Politikwissenschaft“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena, im Auftrag der Landesregierung Thüringen, erarbeitet. Dass Deutschland durch Migranten „in einem gefährlichen Maße überfremdet“ sei, findet bei 53% der Thüringer Zustimmung und fast ebenso Viele (50%) stimmen der Aussage zu, die Ausländer kämen nur deshalb nach Deutschland um den „Sozialstaat auszunutzen“. Die Autoren stellen fest, der Rassismus erweist sich als deutliche Ausprägung für neo-nazistische Einstellungen und 40% der Thüringer müssen daher als „ausländerfeindlich“ charakterisiert werden. Erstaunlich sind die Ergebnisse bei den Befragten „mit großer Nähe zur DDR“, die eine überdurchschnittliche neo-nazistische Orientierung aufweisen. Rassisten und Nostalgiker alter SED-Zeiten eint ausgeprägter Autoritarismus und eine deutliche Ablehnung der politischen und sozialen Realität Deutschlands.787 785 Vgl. Speit. 786 Vgl. Volkssolidarität. 787 Vgl. Edinger/Hallermann/Schmitt.

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Die dritte Studie wurde von Sozialwissenschaftlern der Universität Leipzig, im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Forum Berlin, unter dem Titel „Vom Rand zur Mitte“ erstellt. Sie stellt eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung für Ost- und West-Deutschland dar, deren Ergebnisse höchste Beachtung verdient.788 Hier wird es deutlich, dass neo-nazistische und rassistische Einstellungen nicht auf die Anhänger von NPD oder DVU zu reduzieren sind, weil z. B. Mitglieder von Kirchen, Gewerkschaften und von allen etablierter Parteien, als auch von der Linkspartei, ebenfalls neo-nazistische Einstellungen aufweisen, und damit die Durchdringung der deutschen Bevölkerung mit anti-humanen und anti-demokratischen Ideologien belegen. Den Aussagen, eine Diktatur, ein Führer oder eine einzige starke Partei wäre das Richtige für Deutschland stimmen ca. 50% der Befragten „überwiegend“ und „voll und ganz“ zu. Beinahe 37% der erwachsenen Deutschen stimmen der Behauptung zu, Ausländer würden den Sozialstaat auszunutzen. Dem entsprechen die 35% die bejahen, dass Ausländer aus dem Land gewiesen werden sollen. Man wundert sich nachgerade nicht mehr über die Zustimmung von fast 40% der Befragten, Deutschland sei in einem gefährlichen Ausmaß überfremdet. In den westlichen Bundesländern sind die Werte für Bayern die höchsten und erreichen für National-Chauvinismus über 34% und für rassistische Einstellungen über 42%. Ähnliche Werte erreicht in Ost-Deutschland Mecklenburg-Vorpommern mit über 30% beim NationalChauvinismus und über 34% beim Rassismus. Die Zustimmung zum Rassismus in Brandenburg erreicht mit knapp 50% den höchsten Wert in einem deutschen Bundesland überhaupt. Schaut man auf die absoluten Zahlen, so liegt Nordrhein-Westfalen an der Spitze, gefolgt von Niedersachsen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hält Sachsen-Anhalt, schon zum zweiten Mal die Spitzenposition (vor Brandenburg). Neo-nazistische Straftaten haben sich dort seit dem Jahr 2002 fast verdoppelt. Nach wie vor ist die Gefahr, hier als Ausländer angegriffen zu werden, mindestens zehnmal so hoch wie in Hessen.789 Rassistische Einstellungen in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft erweisen sich als stabil und es zeigt sich deutlich, dass es sich um ein Problem handelt, dass allein durch Polizei oder Geheimdienst nicht zu lösen ist, denn sie sind in allen gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch. Die Ideologie der Ungleichheit, wie sie von der NPD oder auch von der DVU seit den 1970er Jahren propagiert worden ist, hat sich, mit Hilfe der herrschenden Politik, in der Mitte der deutschen Gesellschaft verbreitet. Bei diesem Potential besteht das Risiko dabei insofern, ob und wann es für anti-demokratische und autoritäre Parteien oder Bewegungen, auf der Straße oder an der Wahlurne, gewonnen wird. Weil die bisherigen Anstrengungen der Anti-Faschisten, als auch die ordnungsrechtliche, staatliche Repression, nicht nur in Städten oder kleinen Gemeinden im ländlichen Raum nicht in der Lage waren die rassistische Dynamik zu stoppen, reicht es nicht aus, den Kampf gegen die neuen Rassisten nur verstärken zu wollen, er muss auf eine neue Ebene gehoben werden. Der von den herrschenden Politikern verbreitete Rassismus und Nationalismus ist bereits zu einem Rassismus und Nationalismus 788 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung. 789 Vgl. Kleffner.

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der Massen geworden. Deutsche männliche Jugendliche und junge Männer sind als Gewalttäter sichtbare Exponenten des Rassismus und ein starker Rückhalt geht für sie von dem breiten Konsens aus, der sich in großen Teilen der deutschen Bevölkerung festgesetzt hat. Um aus dieser Misere heraustreten zu können, muss der anti-rassistische Kampf zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung erweitert werden, in der die einzelnen Teile der rassistischen Ideologie kritisiert und letztlich aufgehoben werden. Die Abgrenzung von den neuen Rassisten muss inhaltlich bestimmt sein und darf nicht länger allein reduziert werden auf die direkte Konfrontation der staatlichen oder gesellschaftlichen Kräfte. Die mittlerweile ritualisierte Bekämpfung der Neo-Nazis mit Spezialprogrammen ist gescheitert. Für grundlegende Auseinandersetzungen zum Rassismus in Deutschland ist mehr nötig, als die bisher alles dominierende staatliche Repression und die appellative Politik hervorgebracht haben. Nötig ist ein Zentrum für Rassismusforschung in dem die Fakten fortwährend zusammenlaufen und wissenschaftlich verarbeitet werden. Dazu ist, neben der Politologie und der Historie, ein Sozial-Psychologischer Zugang zur Analyse und Bewertung der Thematik unverzichtbar. Es wäre auch wichtig, die kontinuierlichen Berichte über den Anti-Semitismus zu erweitern auf die anderen Bereiche des Rassismus, wie z. B. die Gruppen der Opfer die aus Afrika, Asien oder Amerika gekommen sind bzw. die Gruppe der „Asozialen“ bzw. „Wertlosen“ (z. B. Behinderte, Arbeits- und Obdachlose), von denen seit 1990 mehrere hundert von Rassisten, in der Regel, totgeschlagen wurden.790 Die rassistisch motivierten Verbrechen der NSU, bei denen ost-deutsche Rassisten in West-Deutschland türkische bzw. griechische Männer ermordeten, haben die verheerenden Konsequenzen des Verdrängens der Deutschen plötzlich offen gelegt. Das deutsche ideologische Syndrom aus Nationalismus und Rassismus bzw. Anti-Semitismus ist nach 1945 nicht verschwunden und seine unveränderten Achsen wurden, von Adorno, aufgezeigt: Aus „völkisch“ wurde „ethnisch“, aus „Rasse“ wurde „Kultur“ und aus Anti-Semiten wurden Anti-Zionisten oder Philo-Semiten. Nicht nur Anti-Semitismus sondern auch Nationalismus und Rassismus durften öffentlich nicht stattfinden, wucherten aber sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene der Alltagskultur wie auch in der Form eines institutionellen Neo-Rassismus fort. Mit den ersten „Gastarbeitern“ in West-Deutschland, die aufgrund von Anwerbeabkommen ab Mitte der 1950er Jahre, mehrheitlich aus dem Süden Europas kommend, in die BRD einwanderten und mit den „Vertragsarbeitern“, die mehrheitlich aus Ländern in Afrika, Asien, Latein-Amerika oder aus östlichen Nachbarländern, ab Mitte der 1960er in die DDR einwanderten, fanden unterdrückte rassistische Vorstellungen der west- und ost-deutschen Neo-Rassisten konkrete Angriffs-Ziele. Die jetzt begonnene Aufklärung durch Untersuchungsausschüsse im Bundestag und im Landtag in Thüringen werden hoffentlich mehr zu berichten haben, als nur eine Aufzählung von Schlampereien in den Sicherheitsapparaten. Zu fragen ist auch, welche Personen unmittelbar für die jahrzehntelange Verharmlosung dieser Misere zur Rechenschaft gezogen werden? Jedoch wird es erst einmal keine Gründe geben, auf die sich Hoffnung aufbauen könnte. Kamen doch im Dezember 2011, als bekannt geworden war, für welche Morde die NSU verantwortlich ist, z. B. in Berlin ca. 1.000 Personen, in Hamburg ca. 400 790 Jungle World Nr. 30, 26.07.2007, S. 9.

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Personen, in Köln ca. 600 Personen und in Greifswald ca. 700 Personen zu Demonstrationen, um gegen die rassistischen und neo-nazistischen Anschläge zu protestieren.791 Die in der DDR auf Repression setzende, autoritäre Erziehung und Bildung hatte ihre Wirkung auf die Bevölkerung. Deshalb weisen die empirischen Befunde auf eine gespaltene, ja antagonistische Gesellschaft hin, der mit der Pseudo-Theorie des Marxismus-Leninismus vorgegeben worden war, sie würde auf den Ideen und Theorien des revolutionären Marxismus aufbauen. In der DDR bewirkte eine nicht tabufreie Geschichtsaufarbeitung und vor allem die umfassende Krise des gesellschaftlichen Systems seit den 1970er Jahren, eine Hinwendung von Teilen der Bevölkerung zu national-chauvinistischen Einstellungen. In West-Deutschland verdeckten jahrzehntelang ein verordneter Anti-Kommunismus und der „Kalte Krieg“ die noch vielfach vorhandenen rassistischen bzw. autoritären Denk- und Verhaltensweisen, die erst mit dem Verschwinden des Ostblocks deutlicher zutage getreten sind.792 Seit der Vereinigung der DDR mit der BRD haben in Deutschland, nach offiziellen Zahlen des Bundesministeriums des Innern (BMdI) bzw. des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfA) über 280.000 neo-nazistische oder rassistische Straftaten stattgefunden.793 Dabei sind über 250 Tote und tausende Verletzte zu beklagen. OstDeutsche Männer und männliche Jugendliche in den neuen Bundesländern sind daran überproportional, gemessen an der Zahl der jeweiligen Bevölkerung, als Täter beteiligt und ähnliches gilt auch für die westlichen und östlichen Berliner Bezirke, wo, proportional gesehen, eine zwei- bis dreifach höhere Anzahl neo-nazistischer, rassistischer oder anti-semitischer Straftaten zu verzeichnen ist. Die höchsten Zahlen für Gewalttaten von Neo-Nazis finden sich in den Bezirken Friedrichshain, Lichtenberg, Friedrichsfelde und in Marzahn, gefolgt von Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee. Diese Differenz zum Westen hin, bedarf rationaler Erklärungen und vergleicht man die offiziellen Zahlen des BMdI von 1986 bis 2011, so stellt man fest, dass die neo-nazistischen Ereignisse in West-Deutschland in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, bis zum Anschluss der DDR, im 4-stelligen Bereich lagen und 1990 bei ca. 1.800 Vorfällen stehen geblieben sind. Bereits im ersten gemeinsamen Erhebungsjahr 1991, verdoppelte sich die Zahl der Vorfälle auf über 3.800. Wenige Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, im Jahr 1997, stiegen die offiziell registrierten neo-nazistischen und rassistischen Ereignisse auf etwa 12.000 an. Mit jeweils fast 16.000 Vorfällen wurde in den Jahren 2000 und 2005 eine weitere Steigerung festgestellt und in den Jahren 2008 und 2009, lagen sie bei rund 20.000 Straftaten. In den beiden letzten Jahren, 2010 und 2011, stagnierten die offiziellen Zahlen für neonazistische und rassistische Straftaten von Rechten bei ca. 16.000. Gemessen am Ausgangspunkt, dem Jahr der Vereinigung der DDR mit der BRD, hat hier mehr als eine Verzehnfachung der Vorkommnisse stattgefunden. Die Vereinigung von ost- mit west-deutschen Rassisten und Anti-Semiten zu einer gesellschaftspolitischen Kraft, 791 junge Welt, 12.12.2011. 792 Madloch, S. 149. 793 Diese Erhebung basiert auf den offiziell registrierten neo-nazistischen und rassistischen Vorkommnissen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) jährlich veröffentlicht. Vgl. Wanderausstellung - Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland.

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hat zu einem qualitativen und quantitativen Erstarken der Rassisten in Deutschland insgesamt geführt und diese dynamische Entwicklung rassistischer Potentiale ist außerordentlich und befindet sich damit an der Spitze des internationalen Spektrums in West- und Ost-Europa.794 Verschiedene offizielle Institutionen des Sicherheitssektors des Staatsapparates auf Bundes- und Landesebene versuchen das staunende Publikum mit statistischem Zahlenmaterial über diese gefährlichen Aktivitäten zu unterrichten. Die neuen Nazis gerinnen so zu abstrakten Zahlenhäufchen und selbst aufmerksame Beobachter verlieren den Überblick über die Ursachen und den Verlauf dieser bedrohlichen Entwicklung. In diesem, auf numerische Größen reduzierten untauglichen Versuch der Aufarbeitung des Neo-Nazismus, steckt der verzweifelte Ansatz, dass die Konsequenzen aus diesem Problem mit Hilfe dieser Vogelperspektive überschaubar wären und bleiben könnten. Auf dem Hintergrund der anhaltenden globalen ökonomischen Krise sowie der darauf aufbauenden politisch-ökonomischen Krise der Apologeten des herrschenden parlamentarischen Systems, mutiert die neo-nazistische Eskalation in eine gefährliche Dimension. An den hilflosen Reaktionen der Apologeten des numerisch fixierten Anti-Faschismus zeigt sich dramatisch, wie die jahrzehntelang gepflegten und verteidigten Defizite der wissenschaftlichen und politischen Aufarbeitung des Nazismus, im Westen wie im Osten, umschlagen in eine negative Qualität der Auseinandersetzung und Abwehr autoritärer und rassistischer Angriffe. Die staatstragenden Parteien und die ihnen nahe stehenden Gruppen, drehen sich mit ihren politischen Argumenten und Aktivitäten im Kreis, wenn sie nicht noch der neonazistischen Entwicklung, bewusst oder unbewußt, Vorschub leisten. Es zeigt sich eben, dass die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der neuen Nazis gebunden sind an defizitäre Voraussetzungen der Analyse der objektiven und subjektiven Ursachen des Nazismus. Jetzt rächt sich auf grausame Art und Weise die verfehlte EntNazifizierung, die in Wahrheit eine Re-Nazifzierung zum Inhalt hatte. Die Vorgeschichte der Rassisten und Neo-Nazis in der DDR bildete für die neuen Bundesländer einen Nährboden dafür, dass Ausländer aus Amerika, Asien oder Afrika beleidigt, verletzt oder gar getötet werden konnten und es ist eben keineswegs so, dass die Ursachen des Neo-Nazismus allein auf die sozialen Probleme reduziert werden können. Eine solche gesellschaftspolitische Situation war völlig unvorhergesehen und entsprechend waren die mehr oder weniger hilflosen Abwehrmaßnahmen der politischen Verantwortlichen. Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 weist aus, dass von den insgesamt 762 rassistischen Gewalttaten auf die fünf Ost-Länder 306 Gewalttaten entfallen, was in etwa einen Anteil von 40% ausmacht, obwohl der Anteil der Ost-Deutschen an der Gesamtbevölkerung nur bei ca. 15% liegt.795 Insgesamt haben sich, im Vergleich zum höchsten Wert in der alten BRD, die offiziellen Zahlen bis heute verzehnfacht. Deshalb ist es von höchster Dringlichkeit, dass diese Dynamik in Deutschland gestoppt wird. Zu oft gerinnt diese Destruktivität in abstrakte Zahlenhäufchen und selbst bei aufmerksamen Beobachtern, droht der Überblick über 794 Vgl. EUMC zu einzelnen Ländern, (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia); Vgl. Angaben der Agentur der EU für Grundrechte; http://fra.europa.eu. 795 www.n-tv.de/politik/Rechte-Gewalt-steigt-im-Osten-article3703691.html.

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diese Entwicklung verloren zu gehen. Auf dem Hintergrund der anhaltenden ökonomischen und sozialen Krise, mutiert die rassistische und anti-semitische Eskalation in eine gefährliche Dimension. An den hilflosen Reaktionen der Apologeten des numerisch fixierten Anti-Rassismus zeigt sich dramatisch, wie die jahrzehntelang gepflegten und verteidigten Defizite der wissenschaftlichen und politischen Aufarbeitung des alten Rassismus, im Westen wie im Osten, umschlagen in eine negative Qualität der Auseinandersetzung und Abwehr autoritärer und rassistischer Angriffe. Die staatstragenden Parteien und die ihnen nahe stehenden gesellschaftlich mächtigen Gruppen drehen sich mit ihren politischen Argumenten und Aktivitäten besten falls im Kreis, wenn sie nicht der neo-nazistischen Entwicklung, bewusst oder unbewußt, noch Vorschub leisten. Auf dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Krise der deutschen Gesellschaft, drohen die rassistischen und nationalistischen Verhältnisse zur bitteren Normalität zu werden. Der weitgehend „ungestörte“ Abbau sozialer Rechte und Leistungen und die damit einher gehende systematische Verschärfung staatlicher Überwachung und Repression sind Beleg dafür.796 Die Schablone „Sündenbock“ basiert im Kern auf der Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen und festigt, legitimiert und formt den gewöhnlichen Alltags-Rassismus. Der Rassismus konnte während der Herrschaft der Nazis deshalb so enorm kulminieren, weil sich der deutsche Staat und seine Gesellschaft in verschwörerischer Manier entschlossen hatten, Ausländer, dazu zählten sie Juden und Sinti und Roma, entweder aus dem Land zu vertreiben oder sie zu quälen und schließlich zu ermorden. Die Mordmaschinerie tötete Millionen unschuldiger Frauen, Männer und Kinder unter der Anleitung von „Wissenschaftlern“ aus den Bereichen Medizin und Anthropologie. Die SS und die Wehrmacht als organisatorische Zentren ermordeten im Osten Europas auf bestialische Weise Millionen von polnischen, russischen und ukrainischen Frauen, Männern und Kinder. Mit diesen Morden waren Tausende und Tausende von Deutschen zu willigen Vollstreckern des faschistischen Rassenwahns geworden und sie blieben nach 1945 weitgehend von juristischer oder politischer Verfolgung unbehelligt - in die Führungen der Parteien und der Staatsorgane zogen sie als „Spezialisten“ wieder ein. Die verfehlte Ent-Nazifizierung war, für die beiden deutschen Nachfolgestaaten des untergegangenen NS-Deutschlands, eine bedeutende Ursache für die neue Belebung rassistischer Arroganz, die bis in die Gegenwart hinein anhält und aus der sich Rassisten aus den nachfolgenden Generationen heraus bilden konnten. Ihre Taten waren die ganz und gar nicht geheimnisvollen Menetekel für eine aus den Fugen geratende Gesellschaft, die offensichtlich völlig überfordert war und ist, diese Barbarei wahrzunehmen als auch ihre Ursachen zu eruieren. Das Wiedererstarken der rechten Gewalt ist nicht zuletzt auch einer tiefen Krise der Linken geschuldet, die das demokratische Potential der Gesellschaft entscheidend schwächt. Durch das offenkundige Scheitern des parteikommunistischen Staatssozialismus scheint die kapitalistische Industriegesellschaft ohne Alternative zu sein. Parallel dazu ist ein militanter Nationalismus angewachsen, der alle Deutsche in einem Boot sehen will, in dem für Ausländer kein Platz ist und die Toleranz gegenüber Abweichungen aller Art bedroht ist. Da die Linke keine demokratischen Ausdrucksformen zum 796 Vgl. Galow-Bergemann.

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Bestehenden anbieten kann, muß die Kritik daran irrationale Ausdrucksformen annehmen, denn wenn keine aufgeklärten gesellschaftlichen Alternativen präsentiert werden, mit denen sich Menschen identifizieren können, droht die Zunahme von rassistischen und nationalistischen Vorstellungen. Die bestehende Vergesellschaftung ist mit rücksichtsloser Konkurrenz und sozialer Atomisierung verbunden, an der die Menschen leiden. Gegen sie müssen Formen des Sozialen gesetzt werden, in denen die Wünsche und Interessen von Menschen aufgehoben werden können und rassistischen und nationalistischen Wahnvorstellungen der Boden entzogen wird.797 Zum Verhältnis Psychoanalyse und Geschichte äußern sich die Herausgeber der Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des „Nationalsozialismus“ und seiner Folgen. Für sie sind gesellschaftliche Prozesse ohne eine sozialpsychologische Perspektive nicht umfassend zu verstehen, dies gilt insbesondere für irrationale, totalitäre Massenbewegungen wie den Nationalsozialismus und seine historischen Nachwirkungen. Aber nicht nur der Holocaust, sondern auch die deutsche Geschichte nach 1945 bleiben ohne eine Analyse signifikanter psychosozialer Prozesse und Dynamiken nicht begreifbar: „Der Versuch, diese Geschichte der Deutschen zu verstehen, kann (auch selbstreflexiven) Auseinandersetzungen, und mit dem Verhältnis von Kontinuitäten und Brüchen der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften, mit Fragen der Schuld und ihrer Abwehr, mit Erinnerungslücken, nationalen Identifizierungen und den Erscheinungsformen des sekundären Antisemitismus nicht ausweichen. Angesichts ihrer unbewussten Bedeutungsinhalte lassen sich die genannten Phänomene nur unter systematischer Einbeziehung psychoanalytischer Begriffe und Konzepte angemessen erfassen.“798 Dieses Buch habe ich begonnen mit einem Zitat von Adorno und mit einem Zitat von ihm endet es: „Aggressiver Nationalismus, blinde Überbewertung alles Deutschen im nationalistischen Sinn ist häufig. Ein Schatten kritischer Selbstreflexion ist dem zuweilen gesellt, jedoch meist nur, um dem Selbstlob desto schärfer Relief zu verleihen. […] Karl Mannheim hat darauf hingewiesen, daß unter den ideologischen Funktionen der Rassentheorie nicht die unwichtigste war, einer Majorität das Bewußtsein zu geben, Elite zu sein. In der absurden Sozialisierung des Begriffs ‚Herrenmensch’ zeigt sich der nachhaltige Erfolg dieses Propagandatricks. Häufig werden die ‚deutschen Menschen’ gewissermaßen als Generalpächter von Innerlichkeit und ähnlichen hohen Gütern präsentiert. Immer noch werden von manchen die Deutschen als eine Gemeinschaft besonderer Art, als menschlicher als andere Menschen, eine Art Gralsorden vorgestellt.“799

797 Vgl. Vinnai (1991); Vgl. Vinnai (2000), S. 5. 798 Brunner/Lohl/Pohl/Winter, S. 7. 799 Adorno (1975), S. 274.

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Abkürzungsverzeichnis AAK AAL ABI Abt. ADN AdW AfG AG AGL AIB Antifa AK AKG APO APW

Abteilung Ausländische Arbeitskräfte Amt für Arbeit und Löhne Arbeiter- und -Bauern- Inspektion Abteilung Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Akademie der Wissenschaften der DDR Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentral-Komitee der Arbeitsgemeinschaft/Arbeitsgruppe Abteilungsgewerkschaftsleitung Antifaschistische Informationsblatt Antifaschismus (antifaschistisch) Arbeitskreis Auswertungs- und Kontrollgruppe Abteilungsparteiorganisation Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR

BArch BBS BdDVP BDM BGL BGO BL BMdI BPA BpB BPO BRD BStU BV BVB BVG BW

Bundesarchiv Betriebsberufsschule Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Bund Deutscher Mädel Betriebsgewerkschaftsleitung Betriebsgewerkschaftsorganisation Bezirksleitung Bundesministerium des Innern Bezirksparteiarchiv Bundeszentrale für politische Bildung Betriebsparteiorganisation Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Bezirksverwaltung Berliner Verkehrsbetriebe Berliner Verkehrsgesellschaft Baden-Württemberg

CDU CSU CSSR

Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Tschechoslowakische Sozialistische Republik

DA DAW DDR DFD DKP

Deutsche Alternative Deutsche Akademie der Wissenschaften Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsche Konservative Partei bzw. Deutsche Kommunistische Partei 255

DLZ DRP DTSB DVP DVR

Deutsche Lehrerzeitung Deutsche Reichspartei Deutscher Turn- und Sportbund Deutsche Volkspolizei Demokratische Volksrepublik

EOS

Erweiterte Oberschule

FAZ FC FDGB FDJ FFO FRELIMO Frösi FS

Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußballclub Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Frankfurt/Oder Frente da Libertação de Mocambique Pioniermagazin: Fröhlich-sein-und-singen Fernschreiben

GdNF GDSF GHI GM GMS GO GSSD GST GUPS GVS GM GW

Gesinnungsgemeinschaft der Nationalen Front Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft Geheimer Hauptinformant Gesellschaftlicher Mitarbeiter Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit Grundorganisation Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland Gesellschaft für Sport und Technik Generalunion Palästinensischer Studenten Geheime Verschlußsache Gewerkschaftliche Monatshefte Gesammelte Werke

HA Hg. Hrsg. hrsgg. HO HJ HVA

Hauptabteilung Herausgeber Herausgeber herausgegeben Handelsorganisation Hitlerjugend Hauptverwaltung Aufklärung

IfGA IfL Ifo IM IMB IME

Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung Institut für Lehrerbildung Informationssystem Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung Inoffizieller Mitarbeiter für den besonderen Einsatz

256

IMK/KW IMS

Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens/Konspirative Wohnung Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs

JA IZJ JHS JSD JW

Jugendarchiv Institut für zeitgeschichtliche Jugendforschung Jugendhochschule Jugendorganisation Algeriens Junge Welt

K KB KB KD KfA KJS KJVD

KL KP KPD KPdSU KW

Kommissariat Kulturbund Kommunistischer Bund Kreisdienststelle Kammer für Außenhandel Kinder- und Jugend-Sportschule Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Komsomol Kommunistitscheskij Sojus Molodjoshoj (Kommunistischer Jugendverband der Sowjetunion) Kreisleitung Kommunistische Partei Kommunistische Partei Deutschland Kommunistische Partei der Sowjetunion Konspirative Wohnung

LHA LPG

Landeshauptarchiv Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

MAS MdB MdI MEW MfAA MfA MfAL MfS ML MSB MTS MVP

Maschinen-Ausleih-Station Mitglied des Bundestages Ministerium des Innern Marx-Engels-Werke Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Arbeit Ministerium für Arbeit und Löhne Ministerium für Staatssicherheit Marxismus-Leninismus Marxistischer Studentenbund Spartakus Maschinen-Traktoren-Station Mecklenburg-Vorpommern

NA NBI ND

Nationale Alternative Neue Bildillustrierte Neues Deutschland 257

NDPD NDS NF NPD NS NSDAP NSDB NSLB NSU NSW NVA NVR

National Demokratische Partei Deutschland Niedersachsen Nationale Front der DDR Nationaldemokratische Partei Deutschland Nationalsozialismus/Nationale Sammlung Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Dozentenbund Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistischer Untergrund Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet Nationale Volksarmee Nationaler Verteidigungsrat

OdF OibE

Opfer des Faschismus Offizier im besonderen Einsatz

PB PDS PdVP PGH Pkw PLAN PLO PO POS

Politbüro Partei des Demokratischen Sozialismus Präsidium der Volkspolizei Produktionsgenossenschaft Handwerk Personenkraftwagen Peoples Liberation Army of Namibia Palestine Liberation Organisation Parteiorganisation Polytechnische Oberschule

RdB RdK RIAS RGW rsp.

Rat des Bezirkes Rat des Kreises Rundfunk im amerikanischen Sektor in Berlin Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe respektive

SAL SAPMO

Staatssekretariat für Arbeit und Löhne Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Stadt-Bahn Sowjetische Besatzungszone Schule der Freundschaft Sozialistische Einheitspartei Deutschland Sozialistische Reichspartei Sozialdemokratische Partei Deutschland Staatliche Plankommission Sozialistische Republik Staatssicherheitsdienst Staatssicherheit

S-Bahn SBZ SdF SED SRP SPD SPK SR SSD Stasi 258

StGB SU

Strafgesetzbuch Sowjetunion

taz THS TPA TU

die tageszeitung Thüringer Heimatschutz Transportpolizeiamt Technische Universität

UdSSR UFJ UN UNESCO UNO USA

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen United Nations United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Organization United States of America

VD VEB VEG VO VP VPKA VR VRM VS VVN/BdA VVS

Vertrauliche Dienstsache Volkseigener Betrieb Volkseigenes Gut Verbandsorgane Volkspolizei Volkspolizeikreisamt Volksrepublik Volksrepublik Mocambique Vertrauliche Sache Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Vertrauliche Verschlußsache

WSG

Wehrsportgruppe

ZfG ZfS ZIJ ZK ZOS ZPA ZPKK ZPO ZR ZRK ZS ZV

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts Zentralinstitut für Jugendforschung Zentralkomitee Zentraler Operativstab Zentrales Parteiarchiv Zentrale Parteikontrollkommission Zivilprozessordnung Zentralrat Zentrale-Revisions-Kommission Zentralsekretariat Zentralverwaltung

259

Anhang Chronologie rassistischer Ereignisse in der DDR Die nachfolgenden Beispiele entstammen meinen Recherchen im Bundesarchiv (SAPMO), aus den Archivbeständen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (BStU). Dazu kommen Informationen aus der (Fach-) Literatur, aus Zeitungen und Zeitschriften und von Websites. Seit Mitte der 1990er Jahre habe ich in mehreren Veröffentlichungen bereits Beispiele dargestellt und interpretiert.

Sowjetische Besatzungszone (1945-1949) Auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration vom 9. Juli 1945 wurden für die Sowjetische Besatzungszone 5 Länder bzw. Provinzen als politische Verwaltungseinheiten gegründet: Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Diese Ordnung blieb bis 1952 bestehen.

1945 In Strausberg (Brandenburg) wurde 1945/46 der Jüdische Friedhof geschändet.800

1946 In der SBZ verschickten Anfang des Jahres Behörden noch immer Anschreiben an Juden, in denen ihre Vor- und Nachnamen mit den diskriminierenden Bezeichnungen „Sara“ bzw. „Israel“ beigefügt waren.801 In Erfurt-Mitte (Thüringen) forderte im April die Volkspolizei-Inspektion Nord-Mitte in einem Rundschreiben – streng vertraulich –, dass „aus dem Osten eingewanderte Juden keine Zuzugsgenehmigung“ erhalten sollten. Bereits erteilte Genehmigung sollten „wenn irgend möglich rückgängig“ gemacht werden. Diese Personengruppe sollte unter strengste Kontrolle genommen werden und meistens wären sie im Besitz von Ausweisen als „Opfer des Faschismus“, worauf „auf keinen Fall Rücksicht genommen werden braucht“. In einem Begleitschreiben wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der unterzeichnende Polizei-Offizier nicht nur ehemaliger Häftling im KZ Buchenwald, sondern auch Mitglied der KPD war und als „guter Genosse“ galt.802 800 Schmidt, S. 39f. 801 A. Timm, S. 100. 802 A. Timm, S. 102.

261

In Berlin (SBZ) wurde im Frühjahr der Jüdische Friedhof in der Großen Hamburger Straße geschändet.803 In Berlin (SBZ) wurde im Frühjahr der Friedhof der orthodoxen Jüdischen Gemeinde Adass Isroel in Weißensee geschändet.804 Im Dezember wurde auf Befehl der Sowjetischen Militärverwaltung (SMAD) ein Lehrer wegen „Antisemitismus und profaschistischer Propaganda“ entlassen.805 In Hillersleben in Westheide (Sachsen-Anhalt) wurde 1946/47 der Jüdische Friedhof geschändet.806 In Salzwedel (Sachsen-Anhalt) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.807 In Zerbst (Sachsen-Anhalt) wurde der Jüdische Friedhof geschändet. Das genaue Jahr ist nicht bekannt.808 In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) verurteilte das Bezirksgericht mehrere Angeklagte wegen anti-semitischer Äußerungen.809 In Schwerin (Mecklenburg) wurde der Jüdische Friedhof (1946 und 1947) geschändet.810

1947 In Chemnitz (Sachsen) wurde der Jüdische Friedhof zwei Mal geschändet.811 In Zittau (Sachsen) wurde ein großer Teil des Jüdischen Friedhofs zerstört. Der dabei entstandene Schaden wurde als größer eingeschätzt als die Schäden, die zur Zeit des Nazismus entstanden waren. Die Absichtserklärung des Sächsischen Landtags, in den Schulen Sachsens über diese Friedhofsschändungen zu sprechen, wurde von den Abteilungen Schulwesen sowie Hochschulen und Wissenschaft des Ministeriums für Volksbildung als unnötig zurückgewiesen.812

803 Schmidt, S. 28-30. 804 Schmidt, S. 30f. 805 A. Timm, S. 105. 806 Schmidt, S. 48f. 807 Schmidt, S. 18. 808 Schmidt, S. 34f. 809 A. Timm, S. 125. 810 Schmidt, S. 31. 811 Schmidt, S. 9 und S. 91; A. Timm, S. 103 und S. 107. 812 Der Weg. Zeitschrift für Fragen des Judentums, 30.05.1947, zit. Schmidt, S. 13-15.

262

Das Neue Deutschland berichtete im November, dass es fast jede Woche zu anti-semitischen Ereignissen gekommen war. Auch die 14-täglich erscheinende Zeitschrift der VVN Unser Appell veröffentlichte in dieser Zeit mehrere Artikel über anti-semitische Ereignisse.813 In Berlin (Ost) wurde der Jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee geschändet.814 Die Jüdische Gemeinde zu Berlin begründete die hohe Zahl der Ausreisenden aus Berlin (Ost) damit, dass Juden ein vielfältiger Anti-Semitismus entgegenschlage.815 In Bernburg (Sachsen-Anhalt) agierte (1947/48) eine terroristische Gruppe. Mitglieder der Gruppe warfen zweimal Handgranaten in das Gebäude der örtlichen SEDLeitung und ein Auto der sowjetischen Militärkommandantur wurde in die Luft gesprengt.816 In Oranienburg (Brandenburg) wurde der Jüdische Friedhof fast völlig verwüstet.817 In Leipzig (Sachsen) wurde ein Jüdischer Friedhof geschändet.818

1948 Gottfried Grünberg (SED), Minister für Kultur und Volksbildung in Mecklenburg und später in der DDR war er stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung, lehnte Anfang 1948 die Bitte nach Wiederherstellung einer Jüdischen Gemeinde ab, da es sich um eine Gruppe handele, die „Sonderinteressen“ verfolge.819 Erich Nehlhans, erster Präsident der Jüdischen Gemeinden in der SBZ, wurde vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet und wegen angeblicher Begünstigung jüdischer sowjetischer Deserteure zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Im selben Jahr wurde der stellvertretende Polizeipräsident Berlins, Fritz Kattan, sowie Leo Löwenkopf, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und Präsident der Sächsischen Notenbank, verhaftet.820 In Altentreptow (Mecklenburg) wurde 1948/49 der Jüdische Friedhof geschändet.821 813 A. Timm, S. 101. 814 Schmidt, S. 9, S. 15-18, S. 91. 815 A. Timm, S. 104f. 816 Kowalczuk/Wolle, S. 84. 817 Neues Deutschland, 04.11.1947; Schmidt, S. 9, S. 10-13, S. 110. 818 Schmidt, S. 9. 819 A. Timm, S. 102. 820 Groehler, O.: Antifaschismus und jüdische Problematik in der SBZ und der frühen DDR. In. Helmut Meier, Detlef Nakath, Peter Welker (Hrsg.): Forscher- und Diskussionskreis DDR-Geschichte, hefte zur ddr-geschichte 26, Berlin 1995, S. 5-31. 821 Schmidt, S. 36f.

263

In Potsdam (Brandenburg) wurde im April der Jüdische Friedhof geschändet.822

Ab hier: DDR 1949 Das Politbüro der SED beschäftigte sich im Februar mit anti-semitischen Stimmungen in Berlin (DDR) und in der Partei und im November begannen die „Säuberungsaktionen der Zentralen Parteikontrollkommission“. Sie richteten sich besonders gegen die Emigranten, die aus dem Westen zurückgekehrt waren im Allgemeinen, und Besonders gegen den nicht-jüdischen Kommunisten Paul Merker. Merker war in der Mitglied im Zentralkomitee und im Politbüro der KPD und er hatte in der SED die gleichen Funktionen inne und er war der Einzige der führenden Funktionäre, der die „jüdische Frage“ in Schriften und Reden thematisiert hatte. 1950 wurde er aus der SED ausgeschlossen und im Dezember 1952 wegen angeblicher illegaler Kontaktaufnahme mit „US-imperialistischen Kreisen“ verhaftet und ihm wurde vorgeworfen, er hätte Spionage für den Geheimdienst der USA betrieben. Der Beschluß des ZK der SED vom 20. Dezember 1952, in dem für die DDR „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ gezogen werden sollten, beinhaltete die Darstellung einer angeblichen „Spionage- und Diversantentätigkeit mit Hilfe zionistischer Organisationen“ und Merker wurde beschuldigt, die ost-deutsche Filiale dieser internationalen Verschwörung geleitet zu haben. Am 29. und 30. März 1955 wurde Merker in einem Geheimprozess vom Obersten Gericht der DDR zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Als Beweisgründe für den Schuldspruch werteten die Richter Merkers Eintreten für die „ausnahmslose Entschädigung aller aus Deutschland emigrierten Juden ... und für das Recht der nach Deutschland zurückkehrenden Juden auf Anerkennung als nationale Minderheit und die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates“. Seinen verschiedenen Stellungnahmen hatten die Behörden entnommen, dass er die NS-Rassentheorie und die Verfolgung der Juden durch die deutschen Faschisten zum Kern seiner Analyse des deutschen Faschismus erhoben hatte. Kurz vor der Geheimrede Nikita Chrustschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU und dem Beginn des sogenannten Tauwetters wurde Paul Merker aus der Haft entlassen. Das Oberste Gericht der DDR tagte im Juli 1956 erneut und hob das Urteil vom März 1955 auf.823 In Berlin (DDR) wurden zwei Männer im Dezember zu je acht Monaten Gefängnis verurteilt. Sie hatten auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee Metallplatten aus Gedenktafeln gerissen.824 In Seelow (Brandenburg) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.825 822 Schmidt, S. 18. 823 Vgl. Herf. 824 Schmidt, S. 105. 825 Schmidt, S. 38f.

264

In Perleberg (Mecklenburg) wurde (1949/50) der Jüdische Friedhof geschändet.826 In Berlin-Adlershof (DDR) standen drei Angeklagte vor dem Amtsgericht, weil sie das Mahnmal für die „Opfer des Faschismus“ am Bahnhof Adlershof geschändet hatten. Ein Täter war auf der Flucht und zwei Angeklagte wurden zu je drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der dritte Angeklagte wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.827

1950 In Berlin (DDR) wurde in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1950 der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet.828 In Berlin (DDR) wurden im August drei Jugendliche (18 und 16 Jahre) zu Haftstrafen im Jugendgefängnis verurteilt. Sie hatten auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee 16 Grabsteine umgestoßen.829 In Bad Freienwalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.830 Die von der „Zentralen Partei-Kontrollkommission“ (ZPKK) durchgeführten Überprüfungen unterschieden zwischen „jüdischer“ und „jüdisch-bürgerlicher“ Herkunft. Eine gravierende Folge dieser „Säuberungen“ war, dass jüdische Journalisten oder Schriftsteller entlassen wurden. Lex Ende, bis 1949 Chef-Redakteur der Tageszeitung Neues Deutschland, danach in derselben Funktion bei der Zeitung Friedenspost, starb im Januar 1951, nachdem er zum Uranbergbau (SAG Wismut) in Freiberg strafversetzt worden war. Rudolf Feistmann, Redakteur für Außenpolitik des Neuen Deutschland, tötete sich 1950 selbst.831 In Perleberg (Mecklenburg) wurde Anfang März die Friedhofsmauer fortgesetzt beschädigt und Grabsteine wurden umgeworfen.832

1951 In Berlin (DDR) wurde am 1. April die Schändung eines Grabes auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee entdeckt.833 826 Schmidt, S. 19 und S. 109. 827 Neues Deutschland, 03.12.1946. 828 Schmidt, S. 19–24. 829 Schmidt, S. 105. 830 Schmidt, S. 40f. 831 A. Timm, S. 112f. 832 Schmidt, S. 109.

265

1952 Die anti-semitischen „Säuberungen“ des MfS (1952/53) ergaben für die DDR 912 jüdische Haushalte und weitere 1.098 Familien, deren Vorstand „aus einer Mischehe“ stamme. Der Kreis der Juden der von den anti-semitischen Repressionen betroffen war, ging weit darüber hinaus, was bereits zwei Jahre zuvor durchgeführt worden war. Der in Kleinmachnow, bei Berlin, lebende Julius Meyer, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde Ende 1952, Anfang 1953 massiver anti-semitischer Repressionen unterzogen und er musste im Januar 1953 das Land verlassen. Ebenfalls flüchtete Leo Zuckermann, Staatsekretär in der Kanzlei von Staatspräsident W. Piek. Mit ihm flüchteten sechs von sieben Gemeindevorstehern – Helmut Salo Looser, Leipzig, Leon Löwenkopf, Dresden, Günter Singer, Erfurt, Horst Karliner, Magdeburg, Leon Zamorje, Halle und Walter Kappel, Eisenach. Fritz Grunsfeld und Leo Eisenstadt, Vize-Präsident und der Generalsekretär des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Mit diesen Funktionären flüchteten mehrere hundert Juden in den Westen. Auslöser für diese Flucht war u.a. die Verhaftung von P. Merker, wobei die Verhaftungen von Paul Baender, ehemaliger Staatssekretär am 21./22. November und des Chefredakteurs der Leipziger Volkszeitung Hans-Heinrich Schrecker am 24. November 1952, voraus gingen. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) wurde am 21./22. Januar 1953, als „Selbstauflösung“ inszeniert, von der Führung der SED aufgelöst und durch das lammfromme, staatsabhängige „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ ersetzt.834 Im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozeß in der CSSR flüchteten Anfang 1953 mehrere Juden vor der Repression in den Westen.835 Diesem „Exodus“ waren massive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, die Kontakte zu westlichen Hilfsorganisationen aufgenommen hatten. Bereits Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „Care-Paketen“ hatten zu repressiven politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden.836 Unter den Flüchtlingen befand sich auch Julius Meyer, Präsident der Jüdischen Gemeinden, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer, der von mehreren Familienangehörigen begleitet worden war.837 Weitere Flüchtlinge waren Leo Zuckermann, Staatssekretär in der Kanzlei von Staatspräsident Wilhelm Pieck und Leo Löwenkopf, Mitglied der SED und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dresden. Diese Flucht von über 500 Juden hatte umfangreiche Durchsuchungen und Verhöre durch die Kriminal- und Volkspolizei und den Staatssicherheitsdienst zur Folge. Wohnungen wurden nach „staatsfeindlichem“ Material durchsucht, während sich die Bewohner beim Verhör bei der Volkspolizei befanden. In mehreren 833 Schmidt, S. 20. 834 A.Timm, S. 118ff; Groehler, S. 17; Keßler, S. 35-40; Hölscher, S. 162-182. 835 Goschler, S. 103; Groehler (1994), S. 299. 836 Goschler (1993), S. 104. 837 Goschler (1993), S. 104; Telegraf , 16.01.1953; Kurier, 16.01.1953.

266

Fällen wurden schlagnahmt.838

Korrespondenzen,

Akten

und

auch

Personalausweise

be-

1953 Die II. Parteikonferenz der SED vom 9. bis zum 12. Juli 1952 beschloss nicht nur den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“, sondern auch, die Abschaffung der Länder und an deren Stelle die Errichtung von 14 Bezirken. Diese strukturelle Veränderung der staatlichen Organisation diente der unmittelbaren Durchsetzung von Direktiven, im Sinne des „Demokratischen Zentralismus“, von der Spitze des Staates bis zur Basis der Gesellschaft. Januar In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee geschändet, wofür ost-deutsche Medien „Agenten aus dem Westen“ verantwortlich machten.839 In Frankfurt/O. verurteilte das Bezirksgericht im Januar einen Angeklagten wegen anti-semitischer Äußerungen.840 In Gera verurteilte das Bezirksgericht im Januar Angeklagte wegen anti-semitischer Äußerungen.841

1954 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde am 22. Juli festgestellt, dass beide Jüdischen Friedhöfe geschändet worden waren. Grabmale waren umgeworfen und beschädigt worden und nach dem sie wieder aufgestellt worden waren, wurde im November 1956 festgestellt, dass sämtliche Grabsteine umgeworfen und die Grabstellen verwüstet worden waren.842 In Greifswald (Bezirk Rostock) beschloss der Senat der Universität, sich nach dem Namen des erklärten Anti-Semiten Ernst-Moritz-Arndt zu benennen. Der zuständige Staatssekretär für das Fach- und Hochschulwesen der DDR hatte keine Einwände dagegen.843

838 Mertens (1993), S. 141; Arndt/Eschwege/Honigmann/Mertens, S. 91ff; Die Neue Zeitung, 18.01.1953; Die Welt, 19.01.1953. 839 Die Zeit, 04.09.1953. 840 A. Timm, a.a.O., S. 125. 841 A. Timm, a.a.O., S. 125. 842 Diamant, S. 28. 843 Universitätsarchiv Greifswald, UAG Rektorat, N. F. 28, Bd. 2, Bl. 255.

267

1955 In Berlin (DDR) wurde die Jüdische Gemeinde aufgefordert ihren Friedhof in der Schönhauser Alle einebnen zu lassen.844 In Bernburg (Bezirk Magdeburg) wurden im April ca. 82 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof umgestoßen und beschädigt. Ebenfalls wurden die Glasscheiben der Fenster und Türen der Leichenhalle eingeschlagen.845 In Rostock wurde auf dem Jüdischen Friedhof das Denkmal der „Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes“ (VVN) beschädigt und es wurden Gräber geschändet.846 In Cottbus wurde vor dem Bezirksgericht ein Mann angeklagt, weil er u. a. „faschistische Propaganda“ betrieben hatte.847

1956 In Rostock wurden im Juli ca. 20 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof umgeworfen.848 In Berlin-Köpenick (DDR) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.849 In Berlin (DDR) machte eine SED-Betriebsparteiorganisation, im Zusammenhang mit dem Suezkrieg, den Vorschlag, ein deutsches Freiwilligenbataillon zu gründen das an der Seite Ägyptens gegen Israel, Frankreich und England kämpfen sollte. 1956/57 kam es in Ägypten zu Massenverhaftung von Juden und etwa 40-50.000 Ju850 den verließen daraufhin das Land. In Cottbus wurden, im Zusammenhang mit dem Suezkrieg, anti-semitische Äußerungen festgestellt.851 In Zittau (Bezirk Dresden) wurde von Unbekannten der Jüdische Friedhof geschändet und drei Grabsteine wurden umgeworfen.852

844 Schmidt, S. 91. 845 Diamant, S. 28. 846 Diamant, S. 28. 847 Wenzke (Hrsgg.), S. 561f. 848 Schmidt, S. 55. 849 Schmidt, S. 37-38. 850 A. Timm, S. 146. 851 A. Timm, S. 145. 852 Diamant, S. 29.

268

In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde im Oktober einer der Jüdischen Friedhöfe erneut und damit zum 3. Mal geschändet.853 In Radeberg im Kreis Kamenz (Bezirk Dresden) wurde im Sommer ein sowjetischer Ehrenfriedhof mit „Sieg Heil“ geschändet.854 In Egeln (Bezirk Magdeburg) wurde im Juli der Jüdische Friedhof geschändet.855 In Calbe (Bezirk Magdeburg) wurden anti-semitische Äußerungen notiert: „Die Juden sind an allem schuld. Hitler hätte noch mehr vergasen sollen“.856 In Marisfeld bei Hildburghausen (Bezirk Suhl) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.857 In Schleusingen bei Hildburghausen (Bezirk Suhl) wurde im Oktober von Unbekannten der Jüdische Friedhof geschändet und 20 Grabsteine umgeworfen.858

1957 In Gotha (Bezirk Erfurt) wurden auf dem Jüdischen Friedhof neun Gräber geschändet.859 In Haldensleben (Bezirk Magdeburg) wurde die Mauer des Jüdischen Friedhofs über eine Länge von hundert Metern eingerissen. Es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.860 In Vacha (Bezirk Suhl) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.861

1958 In Alt-Strelitz (Bezirk Neubrandenburg) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.862

853 Schmidt, S. 55 und S. 72. 854 Farin/Seidel-Pielen, S. 72. 855 Diamant, S. 29. 856 A. Timm, S. 145. 857 Schmidt, S. 55. 858 Diamant, S. 29. 859 Schmidt, S. 56. 860 Schmidt, S. 106. 861 Schmidt, S. 58f. 862 Schmidt, S. 44-46.

269

1959 In Beeskow (Bezirk Frankfurt/O.) an der Polytechnischen Oberschule (POS) hatten fünf Schüler (13 bis 14 Jahre) eine „Bande“ gebildet. Ihr Anführer, sie nannten ihn „SS-Offizier Paulisch“, behandelte sie nach dem Vorbild der „SS“. Zehn Jugendliche wurden verhaftet und gegen insgesamt 13 Personen wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmte die Volkspolizei neben „Schund- und Schmutzliteratur“, eine Luftdruckpistole, ein Steinkatapult und drei Bleirohre, die als Schlagstöcke zu verwenden waren. Bestandteil des schriftlichen Materials waren 24 Bücher mit nationalsozialistischen Inhalten, darunter „Mein Kampf“ von A. Hitler, sowie kriegsverherrlichende Bücher und Schallplatten mit nationalsozialistischen Liedern. Einige Mitglieder der „Bande“ waren Angehörige der FDJ.863 In Ballenstedt im Kreis Quedlinburg (Bezirk Halle) hatten 25 Jugendliche „Terrorhandlungen“ gegen Partei- und Staatsfunktionäre verübt, u. a. wurden Fensterscheiben der Wohnung eines SED-Mitglieds zerschlagen. Zwei Jugendliche (jeweils 20 Jahre) bedrohten auf der Straße den Direktor des Instituts für Lehrerbildung und sie schlugen einen Dozenten des Instituts nieder. Einige Jugendliche drangen in das Internat ein und bedrohten Schüler mit Schlägen.864 Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und gegen vier „Rädelsführer“ wurden Haftbefehle erwirkt.865 Elf der Beschuldigten waren bis 18 Jahre alt und elf weitere Jugendliche waren älter als 18 Jahre. Die polizeilichen Hausdurchsuchungen zusammen mit dem SED-Ortsparteisekretär, dem Bürgermeister sowie dem örtlichen Vorsitzenden der Nationalen Front (NF) förderten über 100 Exemplare „Schund- und Schmutzliteratur“, Schlagwerkzeuge und Messer hervor. Im Bezirk Erfurt befanden sich Schwerpunkte weiterer Gruppen in den südlichen Kreisen Erfurt, Weimar, Arnstadt und Gotha und in den nördlichen Kreisen Mühlhausen und Heilbad Heiligenstadt.866 In Hohenmölsen (Bezirk Halle) kam es Ende des Jahres, in einem vorwiegend von Arbeitern bewohnten Ort, zu „provokatorischen Zusammenrottungen“ und zu Kra863 Kurzinformation 3/60 über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 18.02.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1- 3; Berliner Zeitung, 22.01.1960; SED Hausmitteilung von der Abteilung Sicherheitsfragen an die Abteilung Jugendfragen vom 16.01.1960, IfGA, ZPA, IV 2/16/230; Rapport Nr. 343 für die Zeit vom 10.12.1959 04.00 Uhr bis 11.12.1959 04.00 Uhr, Vertrauliche Dienstsache der DVP, Operativstab Berlin, 10.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 5. Unter „Schmutz- und Schundliteratur“ subsumierten die Sicherheitsorgane die Literatur, die nicht durch sie genehmigt worden war. 864 Weitere Beispiele zur Bandentätigkeit in der DDR, Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 05.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 4. 865 Rapport Nr. 345 der HV der DVP - Operativstab, VD! Berlin, 10.12.1959, S. 6. 866 Information über die Zunahme des organisierten Rowdytums und Vorschläge zu dessen Überwindung, 07.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 2; SED-Hausmitteilung von der Abteilung Organisation an die Arbeitsgruppe Jugendfragen, 30.11.1959.

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wallen vor dem Büro der Kreisleitung der SED. Ein Schaukasten vor dem Rat des Kreises wurde zerstört. Zwei Tage später sangen in der Gaststätte „Gelber Löwe“ zwei Jugendliche „faschistische Lieder“. Einer der beiden Jugendlichen war aus dem Westen in die DDR übergesiedelt.867 In Thale (Bezirk Halle) wurden an mehreren Stellen „Hetzlosungen“ gegen die SED angeklebt. An einem Heizkraftwerk gab es „faschistische“ Parolen. Auf der Straße von Seehausen nach Elbitz, in Eilsleben (Bezirk Magdeburg) wurden an mehreren Häusern Hakenkreuze geschmiert. Funktionäre führten das auf „Feindarbeit“ zurück.868 Im Kreis Merseburg (Bezirk Halle) zeigten sich in einem Lehrlingswohnheim unter einigen Lehrlingen faschistoide Erscheinungen: Ein FDJ-Mitglied ließ bei einer Auseinandersetzung um die Nationale Volksarmee (NVA) verlauten, ihm sei es egal, wem er als Soldat dient. Es würde ihm auch Spaß machen, zur Fremdenlegion zu gehen, um dort „20 bis 30 Menschen auf einmal umzulegen“. Ein anderes FDJ-Mitglied sagte zu einem Jugendlichen: „Dich Kommunistenschwein werde ich aufhängen“. Ein anderer Lehrling brachte in verschiedenen Diskussionen zum Ausdruck, dass er nach der Beendigung seiner Lehre seinen Vater rächen würde, der als „Höherer-SSFührer“ im Krieg getötet worden war. Der Jugendliche trat mehrfach mit „feindlichen“ Meinungen auf und wurde deshalb zur Strafe in einen Jugendwerkhof eingeliefert. Eine Konferenz der SED-Parteileitung mit der Leitung er Betriebsberufsschule, mit den Erziehern und mit der FDJ-Leitung kritisierte diese Vorgänge und es sollten Maßnahmen eingeleitet werden, damit „fortschrittliche“ Jugendliche und Erzieher verändernd eingreifen konnten. Zusammen mit dem SED-Kreissekretär für Wirtschaftspolitik, mit den Lehrlingsausbildern und mit allen Lehrlingen fand eine Aussprache statt.869 Im Kreis Aschersleben (Bezirk Halle) hatte ein Betrieb einen Exportauftrag aus dem Sudan angenommen, für den Keksschachteln bedruckt werden sollten. Als Verpackungsaufdruck war ein Photo einer nicht näher bezeichneten amerikanischen Schauspielerin ausgewählt worden. Dieser Produktionsauftrag wurde offensichtlich nicht von allen in dieser Abteilung eingesetzten Arbeitern bejaht. Von den Verpackungskartons wurde das Bild abgerissen, das gesamte Material als Ausschuß eingestuft und als Müll verwertet. Das Photo wurde dann in mehreren Exemplaren im gesamten Betrieb und in der Stadt in Umlauf gesetzt. Durch diese „Sabotage“ wurde eine termingemäße Auslieferung an den Empfänger verhindert. Neben den Arbeitern war auch die FDJ-Gruppenleiterin an dieser Aktion beteiligt. Die FDJ Kreisleitung Aschersle867 Ebenda. 868 Information über Feindtätigkeit, Auszüge aus Informations-Berichten der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 01.12.1959, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1f. 869 SED Hausmitteilung von der Abteilung Organisation an die Arbeitsgruppe Jugend, 22.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230; Berliner Zeitung, 26.01.1960.

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ben erklärte dazu, dass sich die Arbeit des westlichen „Gegners“ im Kreis Aschersleben besonders auf Jugendliche konzentriert habe.870 Im Kreises Meißen (Bezirk Dresden) wurden in verschiedenen Orten während und nach Tanzveranstaltungen mehrere Erwachsene von Jugendlichen belästigt oder geschlagen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass Neo-Nazis vor einem Objekt der GSSD das verbotene „Deutschlandlied“ gesungen und „Heil Hitler“ gerufen hatten.871 In Merseburg (Bezirk Halle) bedrohte ein Jugendlicher, aus einer Gruppe heraus, einen Soldaten der GSSD. Er wurde zu einem Revier der Volkspolizei gebracht und widersetzte sich dort Volkspolizisten.872 In Freiberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) sang ein Rückkehrer aus West-Deutschland das verbotene „Deutschlandlied“. Ein SED-Mitglied ging dagegen vor und wurde dann von einem zweiten Mann, er war ebenfalls Rückkehrer aus Berlin (West), körperlich angegriffen.873 In Dresden wurde der Jüdische Friedhof dadurch geschändet, dass er als Müllhalde benutzt wurde.874 In Berlin-Weißensee (DDR) wurden am 12. April auf dem Jüdischen Friedhof 10 Grabsteine geschändet.875 In Gröditz im Kreis Riesa (Bezirk Dresden) hatte ein Jugendlicher im VEB Stahlund Walzwerk hatte an Werkmaschinen Hakenkreuze geschmiert. Er wurde dafür zu 7 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.876 In Coswig im Kreis Meißen (Bezirk Dresden) wurden an einer Toilettentür in der Betriebsberufsschule des Chemiewerks Hakenkreuze gefunden. Darin sahen Funktionäre einen besonders starken Einfluss des „Feindes“.877 In Aschenhausen im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.878 870 Informationen über Feindtätigkeit, Auszüge aus Informations-Berichten der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 2. 871 Weitere Beispiele zur Bandentätigkeit in der DDR, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 05.12.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/16/230, S. 2. 872 Ebenda, S. 4. 873 SED Hausmitteilung von der Abteilung Sicherheitsfragen an den Genossen Honecker, 11.11.1959, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/161/230, S. 2. 874 Schmidt, S. 93-96. 875 Diamant, S. 31. 876 Ebenda, S. 96. 877 Auszug aus einem Informationsbericht der Bezirksleitung der FDJ Halle vom 21.6.1960, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 24.06.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1.

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In Dreißigacker im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.879

1960 In Dreißigacker im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurde Anfang Mai und im November wieder der Jüdische Friedhof geschändet.880 Im Bezirk Suhl wurden Anfang des Jahres faschistische Losungen und Hakenkreuze an öffentlichen Gebäuden gefunden.881 Vom „Deutschen Fernsehfunk“ (DFF) wurde am 21. Februar bei einer Umschaltpause um 20 Uhr, für 2 bis 3 Minuten ein Hakenkreuz gesendet.882 Im Jahr 1960 registrierte das MdI 2.977 neo-nazistische und 595 anti-semitische Schmierereien.883 Das MfS registrierte in mehreren Bezirken neo-nazistische Gruppen (16 bis 22 Jahren). Sie nannten sich u. a. „Kampfbund nationalsozialistischer Erneuerer des großdeutschen Reiches“ oder „Faschistische Lehrlingspartei“.884 In Magdeburg und Umgebung wurden anti-semitische Parolen geäußert.885 In Wanzleben (Bezirk Magdeburg) wurden Hakenkreuze entdeckt.886 Im Kreis Sonneberg (Bezirk Suhl) wurden Anfang des Jahres anti-semitische Schmierereien festgestellt.887

878 Schmidt, S. 59f. 879 Schmidt, S. 61f. 880 Schmidt, S. 62. 881 Eberle, S. 90. 882 Ebenda, S. 75. 883 A. Timm, S. 165 und S. 422. 884 Eisenfeld (März 2006), S. 4. 885 Nacht-Depesche, 12. 01.1960. 886 Nacht-Depesche, 12. 01.1960. 887 Kurzinformation 3/60 über Feindtätigkeit, VVS I/13, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725. Dieser Bericht enthält Angaben über neonazistische Ereignisse in den Bezirken Halle, Magdeburg und Suhl und hatte als Verteiler die FDJ, das MfS und das Informationssystem des Zentral-Komitees der SED; Die Welt, 05.02.1960.

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Im Glaswerk Haselbach im Kreis Altenburg (Bezirk Leipzig) wurde ein Hammerund-Sichel-Emblem mit Hakenkreuzen beschmiert und darunter stand geschrieben: „Juden raus“.888 In Truckenthal in der Gemeinde Schalkau im Kreis Sonneberg (Bezirk Suhl) wurden Anfang des Jahres Mitglieder einer „Bande“ festgenommen. Zwei Angehörige der Volkspolizei und der Sicherheitsbeauftragten der SED-Kreisleitung Sonneberg wurden zusammengeschlagen und in einer Schule wurden Hakenkreuze gemalt. Die Täter sollen „Schundliteratur aus der BRD“ gelesen haben. Es wurde Klein-KaliberMunition und selbstgefertigte Bilder über Mordszenen gefunden. Zur verstärkten Kontrolle der Jugendlichen im Kreis Sonneberg stellte die FDJ daraufhin mehrere Ordnungsgruppen auf.889 Im Kraftwerk Lübbenau (Bezirk Cottbus) wurde ein Jude an mehreren Tagen als „Judenlümmel“ beschimpft und beleidigt.890 In Cottbus im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) wurden die gleichen Beleidigungen gegen einen anderen jungen Arbeiter geäußert.891 In den Kreisen Pasewalk, Waren und Neustrelitz (Bezirk Neubrandenburg) wurden Hakenkreuze und anti-semitische Schmierereien entdeckt.892 In Lodersleben im Kreis Querfurt (Bezirk Halle) wurden an der Oberschule anti-semitische Schmierereien entdeckt. Ein Mitglied der FDJ hatte sie angebracht und er behauptete, ein altes Russischbuch habe ihm als Vorlage gedient.893 In Sassnitz (Bezirk Rostock) kam es im Lehrlingswohnheim des Fischkombinats auf der Insel Rügen, im Verlauf einer Wahlvorbereitung, zu einer Diskussion über antisemitische Ausschreitungen in der Bundesrepublik. Ein FDJ-Mitglied erklärte, er sei zwar auch nicht für Rassenhetze, aber es sei für ihn nicht zu erfahren, wie sich die Juden dort verhielten.894 Mit dieser Fragestellung wollte offenkundig suggerieren,

888 Kurzinformation 3/60 über Feindtätigkeit, VVS I/13, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725. Hier sind Angaben über neo-nazistische Ereignisse in den Bezirken Halle, Magdeburg und Suhl und hatte als Verteiler die FDJ, das MfS und das Informationssystem des Zentral-Komitees der SED; Die Welt, 05.02.1960. 889 Kurzinformation über Feindarbeit, VVS I/13, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725. 890 Kurzinformation über Feindarbeit, VVS I/13, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725. 891 Ebenda. 892 Eberle, S. 91. 893 Ebenda. 894 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus Informationen der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 26.02.1962, SAPMOBArch, DY 24/ 3.725, S. 3.

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dass die ausufernde Schmierwelle in Westdeutschland durch bestimmte Verhaltensweisen von Juden selbst „provoziert“ worden sei. In Berlin-Hohenschönhausen (DDR) waren über vierzig Neo-Nazis im Untersuchungsgefängnis des MfS inhaftiert. Sie wurden beschuldigt in Potsdam-Nedlitz eine „rechtsradikalen Untergrundbewegung“ aufgebaut zu haben, davon waren zwei Drittel Mitglieder der FDJ. Der Anführer der Gruppe war ein Student (22 Jahre) aus Potsdam. In einem Kellerraum, er diente ihnen als Treffpunkt, wurden mehrere Hakenkreuzfahnen, eine Hitlerbüste und nationalsozialistische Literatur gefunden. Die Gruppe hatte Verbindungen zu ähnlichen Organisationen. In Berlin (DDR) und an der Staatsgrenze zur BRD hatten sie anti-semitische Schmierereien angebracht. Die Verhaftungen sowie die gesamten Ermittlungsvorgänge wurden von den verantwortlichen Funktionären als „streng geheim“ klassifiziert.895 In Leipzig wurden 18 Jugendliche, vornehmlich Oberschüler, wegen Hakenkreuzschmierereien festgenommen.896 In Berlin (DDR) wurden im Kantinengebäude des VEB Elektrokohle Berlin (DDR), vormals Fa. Siemens-Plania, Hakenkreuze entdeckt. Täter konnten nicht ermittelt werden.897 In der Gemeinde Heukewalde im Kreis Altenburger Land (Bezirk Leipzig), wurden die Motorräder einer Werbebrigade der LPG mit Hakenkreuzen bemalt. Als Täter wurde ein minderjähriger Sohn des LPG-Vorsitzenden festgenommen.898 In Treuenbrietzen im Kreis Jüterbog (Bezirk Potsdam) wurden mehrere Häuser mit Hakenkreuzen beschmiert. Obwohl die örtliche Leitung des MfS die Ermittlungen aufgenommen hatte, konnte nicht verhindert werden, dass in den darauf folgenden Nächten mehrmals weitere Hakenkreuze und anti-semitische Schmierereien an mehreren Häusern angebracht wurden.899 In Krahne im Kreis Brandenburg-Land (Bezirk Potsdam) wurden in einem Stall der örtlichen LPG, Hakenkreuze entdeckt.900 In Spremberg im Ortsteil Trattendorf (Bezirk Cottbus), im Jugendkraftwerk „Artur Becker“, wurden im Umkleideraum der Belegschaft siebzehn Hakenkreuze entdeckt, die mit Ölfarbe auf die Türen von Umkleideschränken gepinselt waren. Ein weiteres nationalsozialistisches Symbol war auf den Fußboden aufgemalt, und darunter stan895 Kurzinformation 3/60 über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 18.02.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-3; Berliner Zeitung, 22.01.1960. 896 Ebenda. 897 Ebenda; Deutsche Zeitung, 05.02.1960. 898 Deutsche Zeitung, 05.02.1960. 899 Ebenda. 900 Ebenda.

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den die Worte „Ulbricht danke ab“. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei blieben ohne handfeste Ergebnisse.901 In Tambach im Kreis Dietharz (Bezirk Erfurt) wurden Hakenkreuze an einer Schuhfabrik und in Falken im Kreis Eisenach entdeckt. In anderen Kreisen des Bezirks wurden neo-nazistische Vorfälle bekannt.902 In Gröditz im Kreis Riesa (Bezirk Dresden) hatte ein Jugendlicher im VEB Stahlund Walzwerk Hakenkreuze an Werkmaschinen geschmiert und wurde deshalb zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.903 Im Bezirk Rostock wurde ein ehemaliger Grenzpolizist und Metallarbeiter (23 Jahre) wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus zu drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht setzte die Freiheitsstrafe zur Bewährung aus.904 In Rostock fand die Bezirksverwaltung des MfS 55 neo-nazistische und anti-semitischen Schmierereien, wie z. B. Hakenkreuze. Sie erhielt auch Informationen über anti-semitische Hetze in der Neptun-Werft und in einer Gaststätte.905 In einem Zug von Potsdam nach Brandenburg wurden Hakenkreuze und SS-Runen bemerkt.906 In Rottmersleben im Kreis Wanzleben, in Baben sowie in Bertkow und an der Oberschule II in Osterburg (Bezirk Magdeburg) wurden Hakenkreuze entdeckt.907 In Mylau im Kreis Reichenbach (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurden Mitglieder der SED in einer Gaststätte angegriffen: „SPD-Verräter, Faschistenschweine, Kommunistenschweine“. Nach der Verhaftung des Täters durch die Volkspolizei wurde entdeckt, dass er bereits wegen des gleichen Delikts vorbestraft war.908

901 Telegraf, 17.02.1960. 902 Kurzinformation 1/60 über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation Instrukteure, Berlin, 08.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1. 903 Ebenda, S. 2. 904 Die Welt, 14.01.1960. 905 BStU, MfS, BV Rostock, Januar 1960. 906 Kurzinformation 1/60 über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 08.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S 1. 907 Kurzinformation 3/60 über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-2. 908 SED Hausmitteilung von der Abteilung Sicherheitsfragen an den Genossen E. 11.11.1959, SAPMO-BArch 30/ IV 2/161/230, S. 2.

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VVS I/13,

VVS I/13, VVS I/13, Honecker,

Im Kreis Meiningen im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), im Institut für Lehrerbildung im Kreis Bad Salzungen und in Merkers (Bezirk Suhl) wurden Hakenkreuze festgestellt.909 In Teuchern im Kreis Hohenmölsen (Bezirk Halle) wurden aus Zeitungspapier ausgeschnittene Hakenkreuze an Häuser geklebt.910 In Lübbenau im Kreis Calau (Bezirk Frankfurt/O.) betraten zwei junge Männer (23 bis 25 Jahre) ein Jugendheim und zeigten den Hitlergruß. Hakenkreuze und andere faschistische Schmierereien wurden insgesamt in neun Kreisen des Bezirks Cottbus festgestellt.911 In Schwedt (Bezirk Frankfurt/O.) in der Nähe des Bahnhofs malten Jugendliche ein Hakenkreuz.912 In Karl-Marx-Stadt im Stadtbezirk VI, spielten Schüler ein Spiel, dass sie „SS und Juden“ nannten. Sie hatten auch Hakenkreuze gemalt.913 In Karl-Marx-Stadt wurden in einer Betriebsberufsschule des Fernmeldeamtes Hakenkreuze und die Parole „Deutschland erwache“ angebracht.914 In Birkholz in Buckow im Kreis Beeskow (Bezirk Frankfurt/O.) schrieben in der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) zwei Schüler der Polytechnischen Oberschule und ein Lehrling „Hetzlosungen“ und sie malten ein Hakenkreuz.915 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurden auf einer Plattform des VEB Kranbau, beim Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) „8. Mai“ und in den Toiletten des Jugendclubhauses, Hakenkreuze und Parolen wie „Juden raus“ und „Heil Hitler“ angebracht.916 In Stalinstadt (Eisenhüttenstadt) (Bezirk Frankfurt/O.) riefen Rassisten während einer Tanzveranstaltung und in einem Linienbus „Juden raus“.917 909 Kurzinformation 3/60 über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-2. 910 Ebenda. S. 1-2. 911 Kurzinformation über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-3. 912 Kurzinformation über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-3. 913 Kurzinformation über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 21.01.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-3. 914 Ebenda, S. 1-3. 915 Kurzinformation über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 18.03.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1-2. 916 Ebenda; Eberle, a.a.O., S. 90 917 Eberle, a.a.O., S. 90.

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In Neuentempel im Kreis Seelow (Bezirk Frankfurt/O.) riefen Rassisten während einer Tanzveranstaltung „Juden raus“.918 In Aue (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurden mehrere Hakenkreuze angebracht.919 In Berlin (DDR) wurden auf einer Wandtafel und auf einer Wandzeitung der „Arbeiter- und Bauernfakultät“ der Humboldt-Universität Hakenkreuze gefunden.920 In Coswig im Kreis Meißen (Bezirk Dresden) wurden an einer Toilettentür der Betriebsberufsschule des Chemiewerks Hakenkreuze gemalt. Darin sahen Funktionäre einen besonders starken Einfluß des „Feindes“.921 In Dersekow im Kreis Greifswald (Bezirk Rostock) trugen mehrere Jugendliche Anhänger mit einem Bild von Hindenburg auf der einen und einem Hakenkreuz auf der anderen Seite. Das Kreissekretariat der FDJ führte mit den Jugendlichen mehrere „Auseinandersetzungen“ durch, aber erst die Volkspolizei konnte diese Anhänger beschlagnahmen.922 In Tessin (Bezirk Schwerin) in der Zuckerfabrik wurden im Juli mehrere Hakenkreuze bemerkt.923 In Dessau (Bezirk Halle) sangen in einer Gaststätte am 10. Februar zwei Männer das faschistische „Horst-Wessel-Lied“.924 In Pößneck (Bezirk Gera) befanden sich 13 Arbeiter aus Guinea an der Betriebsberufsschule „Heinz Kapelle“, eine Ausbildungsstätte der polygraphischen Industrie. In einem Kurzbericht der Schulleitung an das ZK der SED, Abteilung Außenpolitik, zu den Erfahrungen mit den afrikanischen Kollegen wurden rassistische Stereotypen deutlich. Dabei ging es besonders um Beurteilungen über ihren Fleiß, ihre Ordnungsvorstellungen und Kontakte zu ostdeutschen Mädchen und Frauen. Elf der Auszubildenden waren in vier Zimmern der Schule untergebracht, und die Schulleitung legte großen Wert auf Einhaltung von Ordnung und Sauberkeit. Dieses Vorhaben war, bis auf die Verhältnisse in einem Zimmer, nicht zu realisieren. Die für die Reinigung der Zimmer vorgesehenen Putzfrauen weigerten sich, in einem Zimmer zu putzen. Die 918 Eberle, a.a.O., S. 90. 919 Information über Feindarbeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, FDJ Abteilung Studenten des ZR, Berlin, 12.04.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1. 920 Ebenda. 921 Auszug aus einem Informationsbericht der Bezirksleitung FDJ Halle, 21.06.1960, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 24.06.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.725, S. 1. 922 Kurzinformation zur Arbeit des Gegners, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 13.07.1960, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.727, S. 1. 923 Ebenda, S. 1. 924 Eberle, a.a.O., S. 90f.

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Schulleitung stimmte dieser Arbeitsverweigerung ausdrücklich zu und erklärte, es sei den Putzfrauen tatsächlich nicht zu zumuten, den „verschmutzten“ Raum zu säubern und mehrere Gespräche brachten keine Veränderungen. Bei den jungen Männern aus Guinea war eine Vorliebe für ost-deutsche Frauen und Mädchen registriert worden, die bis zu intimen Verhältnissen gegangen wäre und über die in der Bevölkerung bereits gesprochen würde. Einige der Frauen ständen jedoch unter der Aufsicht der Gesundheitsbehörde, so dass staatlichen Funktionäre bzw. die Schulleitung nicht eingreifen konnten. Schließlich wurde festgestellt, dass die Ausländer ihr Taschengeld von 150 Mark pro Monat nicht „sinnvoll“ auszugeben in der Lage seien. Deshalb sollte nochmals, ohne aufdringlich zu wirken, von der Leitung darauf Einfluß genommen werden, dass die Guineer ihre Lebensweise veränderten.925 In Berlin (DDR) wurden am 24. Dezember zwei kongolesische Studenten der Hochschule der Gewerkschaften Bernau in einer Gaststätte rassistisch beleidigt und aus dem Lokal gewiesen. In einem Brief an den FDGB beschwerten sie sich über diesen Angriff und bekamen zur Antwort, die Täter würden möglicherweise aus Berlin (West) stammen.926 In Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es in der Kantine des VEB Sachsenring Automobilwerke zu einer Schlägerei zwischen Algeriern und Deutschen.927

1961 In Sondershausen (Bezirk Erfurt) wurden am 20. April auf dem Jüdischen Friedhof 17 Grabsteine umgeworfen.928 Die Hauptabteilung (HA) XX/4 des MfS schrieb im Mai 1961 anti-semitische Briefe mit vorgetäuschten west-deutschen Absendern an Juden in der BRD. Ebenfalls verschickte das MfS Kettenbriefe mit anti-semitischen Inhalten an Neo-Nazis, Revisionisten und Militaristen in der BRD.929 In Cottbus wurden im Treppenaufgang eines Schwesternwohnheimes Bilder von W. Ulbricht, O. Grotewohl und W. Pieck von den Wänden abgenommen und so auf die Treppe gelegt, dass darauf getreten werden sollte. An die Stelle, an der die Bilder hingen, wurde ein Hakenkreuz gemalt. Während die Kriminalpolizei die Ermittlungen aufnahm, flüchteten zwei FDJ-Mitglieder in den Westen. Mehrere Konferenzen wurden abgehalten, jedoch gelang es den Funktionären nicht, alle Teilnehmer einer

925 Kurzbericht des Leitungskollektivs der Betriebsberufsschule „Heinz Kapelle“ an das ZK der SED, Abteilung Außenpolitik, Pössneck vom 28.09.1960, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/20/57. 926 Mac Con Uladh, a.a.O., S. 215. 927 Patrice G. Poutrus: „Teure Genossen“, a.a.O., S. 250. 928 Diamant, S. 33. 929 Wolffsohn, S. 43; BStU, MfS, HA XX/4 513.

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Delegiertenkonferenz zu einer Verurteilung der „staatsfeindlichen“ Vorkommnisse zu bewegen.930 In Freital (Bezirk Dresden) verweigerten zwei Jugendliche die Arbeit. Sie waren der Ansicht, die FDJ sei genau so ein „Gammelverein“ gewesen, wie es die Hitlerjugend war. Beide wurden verhaftet. Einer von ihnen war Mitglied der FDJ und wurde aus dem Verband ausgeschlossen.931 In Erfurt waren bei einer Wahlveranstaltung im Stadtbezirk Erfurt-Nord „Provokationen“ zu hören. Jugendliche stellten die Frage, wann „wir“ die Ostgebiete wieder bekämen. Ein Jugendlicher behauptete, nicht die „Faschisten“ hätten den II. Weltkrieg verloren, sondern das deutsche Volk. Seine Ansichten wurden von mehreren Jugendlichen geteilt.932 In Dessau (Bezirk Halle) hatten zwölf Lehrlinge aus zwei Lernaktiven des Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) auf dem Weg vom Sportplatz zum Betrieb zurück, ein altes Arbeiterlied auf einen faschistischen Inhalt umgetextet. Statt zu singen: „Dem Karl Liebknecht haben wir geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand...“, sangen sie: „Dem Adolf Hitler haben wir geschworen und Adenauer reichen wir die Hand...“. Außerdem wurde ein anderes Lied umgetextet, und die Gruppe sang: „Wir wollen Hitler und Hindenburg wieder haben“. Als „Haupträdelsführer“ wurde ein Lehrling identifiziert, dessen Vater Ingenieur im VEB Zementanlagenbau in Dessau war. Ihm wurde auch die folgende Aussage zugesprochen: „Ulbricht ist der KZ-Häuptling der DDR und gehört an die Wand gestellt.“ Erst zehn Tage später meldete ein anderer Lehrling diese Vorfälle an die zuständigen Behörden, worauf der Jugendliche verhaftet wurde. Die FDJ-Bezirksleitung versuchte die Frage zu klären, warum die Kreisleitung sich noch nicht mit diesen Vorkommnissen befasst und warum die örtliche FDJ-Leitung keine Mitgliederversammlung in der Lehrwerkstatt organisiert hatte.933 In Blankenfelde (Bezirk Potsdam) wurde in der Erweiterten Oberschule (EOS) die faschistische Parole „Deutschland erwache“ auf eine Tischplatte geschrieben. Eine Vollversammlung der FDJ beschäftigte sich mit dieser „faschistischen Provokation.“934

930 FDJ Bezirksleitung Cottbus, VVS IV, 27.01.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.727. 931 Information über Feindtätigkeit, VVS I/13, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, 27.01.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.727, S. 5. 932 Der Generalstaatsanwalt der DDR an das ZK der SED, Abteilung Staats- und Rechtsfragen, Berlin, 26.08.1961, IfGA, ZPA, IV 2/13/423, S. 2. 933 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus den Informationsberichten der Bezirksleitungen, 23.11.1961, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 25.11.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1 - 8; Berliner Zeitung vom 22.01.1960. 934 Information über Feindtätigkeit, 1961, FDJ Abtg. Org.-Instrukteure, Berlin, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.727, S. 5.

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In Bad Blankenburg (Bezirk Gera) wurde 1961 im Kreiskinderheim eine „Bande“ aufgedeckt, die unter der Führung eines Schülers „Provokationen“ beabsichtigte. Dieser Gruppe gehörten neun Schüler an – einen von ihnen nannten sie „Führer“. Sie hatten sich Mitgliedsausweise mit Hakenkreuzen und Fingerabdrücken gefertigt, und die Volkspolizei stellte Armbinden mit Hakenkreuzen sicher. Die Schüler wurden aus der FDJ ausgeschlossen.935 In Lipten im Kreis Calau (Bezirk Cottbus) hatte an der Polytechnischen Oberschule (POS) ein Schüler auf den Abonnentenschein der Zeitung Sport und Technik, den Spruch geschrieben: „An Herrn Adolf Hitler, Berlin“. Es fanden Aussprachen und Auseinandersetzungen in der FDJ und bei den Lehrern statt. Bei einer Durchsuchung auf dem Dachboden der Schule wurde eine nationalsozialistische Fahne entdeckt.936 In Aue (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde eine Hakenkreuzflagge in Miniaturausgabe auf dem Jugendschacht „1. Mai“ gefunden.937 In Taudenhain im Kreis Geithain (Bezirk Leipzig) äußerten zwei FDJ-Mitglieder: „Hitler hat schon Straßen nach Buchenwald bauen lassen, und das, was in Buchenwald gemacht wurde, war schon in Ordnung. Unsere Genossen und Funktionäre müssten alle erschossen werden. Es wird Zeit, dass wir langsam wieder ein Messer einstecken“. Eine FDJ-Mitgliederversammlung diskutierte diese Äußerungen und nahm dazu Stellung.938 In Leipzig beschwerte sich ein kongolesischer Student in einem Brief an die SEDBezirksleitung Leipzig, über „faschistische bzw. rassistische“ Behandlungen von Afrikanern. Nach seiner Meinung existierten in der ost-deutschen Bevölkerung Ressentiments gegen Ausländer. Dies sei nicht nur seine Meinung, sondern auch die von anderen Studenten. Er war in mehrere physische Auseinandersetzungen verwickelt worden, und nach seiner Beobachtung fanden wöchentlich manifeste Auseinandersetzungen zwischen Fremden und Deutschen statt, die jedoch nie öffentlich bekannt gemacht wurden. Da es sich also nicht um Einzelerscheinungen handelte, die von Funktionären noch „mystifiziert“ wurden, plädierte der Kongolese für einen gleichbe-

935 Der Generalstaatsanwalt der DDR an das ZK der SED, Abteilung Staats- und Rechtsfragen, Berlin, 26.08.1961, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/13/423, S. 2. 936 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus den Informationsberichten der Bezirksleitungen vom 23.11.1961, FDJ Abtg. Organisation-Instrukteure, Berlin, 25.11.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1-8. 937 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus den Informationsberichten der Bezirksleitungen vom 23.11.1961, FDJ Abtg. Organisation-Instrukteure, Berlin, 25.11.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1-8. 938 Information über Feindtätigkeit, FDJ Abtg. Organisation-Instrukteure, Berlin, 05.12.1961, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 2.

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rechtigten Umgang zwischen Bevölkerung und Behörden einerseits und den Afrikanern andererseits. 939 In Wolfen (Bezirk Halle) wurden zwei ghanaischen Studenten von Angestellten der VEB Farbenfabrik Wolfen die Kopfhaare komplett rasiert. Als „Entgelt“ bekamen die Studenten 10 Mark. Ein „Komitee der Afro-asiatischen Studenten“ in Leipzig hatte an die Abteilung Leserbriefe der SED-Tageszeitung Neues Deutschland ein Protestschreiben geschickt, dass die Abteilung Leserbriefe an das ZK der SED, Abteilung Internationale Verbindungen weitergeleitet hatte. Das Komitee beschwerte sich über ost-deutsche „Faschisten und Militaristen“, von denen Ausländer in DDR missbraucht und ausgebeutet würden. Sie forderten die Beseitigung „kapitalistischer Methoden und Rassenhass in einem sozialistischen Land“, sowie die sofortige Entfernung „faschistischer“ Elemente aus der Verwaltung des VEB Wolfen. Als Verfasser des Schreibens wurde von der Studienleitung ein indischer Student ermittelt und die offiziellen Untersuchungen ergaben, dass ein „Komitee der Afro-asiatischen Studenten“ in Leipzig nicht existiere. Der indische Student wies darauf hin, dass er seine Angaben über rassistische Ereignisse aus Gesprächen mit Studenten aus Ghana, Sierra Leone und aus Nigeria gewonnen hatte. Jedoch habe er ohne deren Auftrag gehandelt, als er das Schreiben aufsetzte. Sein Brief „wanderte“ von der ZK-Abteilung Wissenschaften zur ZK-Abteilung Außenpolitik und Internationale Verbindungen und dann über das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen zur Staatlichen Plankommission. Von dort aus wurde schließlich dem VEB Farbenfabrik Wolfen mitgeteilt, dass solche Übergriffe auf ausländische Studenten nicht gebilligt werden könnten.940 In Bitterfeld (Bezirk Halle) im Werk Nord des EKB wurde die Zimmertür des FDJSekretärs mit einem Hakenkreuz und mit „Polen raus“ beschmiert.941 In Dresden wurde der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien geschändet.942 In Berlin (DDR) wurde im Oktober ein afrikanischer Student der Humboldt-Universität von der Universitätsleitung zwangsexmatrikuliert und abgeschoben, weil er in einer Hochschul-Wandzeitung über rassistische Diskriminierung geschrieben hatte.943

939 Abschrift eines Briefes der SED-Bezirksleitung Leipzig, 29.05.1961 über schriftliche Beschwerden eines kongolesischen Studenten vom 27.04.1961, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/20/57. 940 SED Hausmitteilung IV/5/Tm 1996/642/62, 27.07.1961, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/20/57. 941 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus Informationsberichten der FDJ-Bezirksleitungen, 23.11.1961, VVS I/13, Berlin, 25.11.1961, FDJ Abtg Organisation-Instrukteure, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726. 942 Diamant, S. 33. 943 Mac Con Uladh, a.a.O., S. 213.

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In Merseburg (Bezirk Halle) wurde ein sudanesischer Student rassistisch beleidigt und angegriffen. Ihm wurde von einem Hochschulvertreter angeraten „gewisse Gaststätten zu meiden“.944

1962 In Berlin (DDR) erhielt im Februar ein Professor des Anatomischen Instituts der Humboldt Universität Berlin eine schriftliche Information von einer illegalen, neonazistischen „Studentenorganisation“.945 Ein Mitglied der FDJ und Lehrling im VEB Wirkmaschinenbau, veränderte während des Unterrichts in der Betriebsberufsschule eine Unfallschutzbroschüre textlich so, dass der Text eine „staatsfeindliche und provokatorische“ Aussage enthielt: „Die Braunen kommen wieder - Sammelt Waffen, wir schlagen bald los, gebt den Roten Gift ins Essen“. Die Broschüre wurde von den Sicherheitsorganen eingezogen und mit der Schulklasse wurde eine Versammlung der FDJ organisiert. Der Jugendliche wurde aus der FDJ ausgeschlossen und es wurde Strafantrag gestellt.946 In Waren-Müritz (Bezirk Neubrandenburg) wurden in der Zentralen Berufsschule über einen längeren Zeitraum mehrere Hakenkreuze gemalt. Ein Jugendlicher, Lehrling in der Konsumbäckerei in Anklam, war dort seit 1959 „Anführer“ einer Bande. Er konnte für die Hakenkreuze verantwortlich gemacht werden. Die Kreisleitungen der SED, der FDJ und des MfS stellten fest, dass in der Berufsschule „Schundliteratur“ zirkulierte und mehrere Schüler einem Filmklub angehörten.947 In Leipzig wurden im Klubhaus Mitte zwei Einbrüche verübt und es wurden Hakenkreuze gemalt.948 In Pegau (Bezirk Leipzig) wurde in der Nacht vom 29. zum 30. Juni eine neo-nazistische Schmiererei angebracht.949 In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) wurde in der 10. Oberschule eine Wandzeitung mit Hakenkreuzen und dem Spruch: „OAS lebt“ beschmiert.950 Die „Organisation armée 944 Ebenda, S. 214. 945 Eberle, a.a.O., S. 73. 946 Information über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 27.01.1962, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1. 947 Information über Feindtätigkeit, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 30.01.1962, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1. 948 Ebenda, S. 2. 949 Eberle, a.a.O., S. 81. 950 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus Informationen der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, VVS I/13, Berlin, 26.02.1962, SAPMOBArch, DY 24/ 3.726, S. 1 - 3.

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secrète“ (OAS) war eine klandestine, bewaffnete französische Organisation, die Anfang der 1960er Jahre für ein französisches Algerien kämpfte. In Berlin (DDR) trat in der Betriebsberufsschule des VEB Bergmann Borsig ein Schüler im Staatsbürgerkundeunterricht „provokatorisch“ auf: „Wir haben heute Feiertag, denn am 30.1. war Hitlers Machtübernahme“. Lehrlinge hatten auf einer Wochenendfahrt vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen.951 In den Kreisen Altenburg, Borna, Böhlen, Döbeln, Leipzig-Land und schwerpunktmäßig auch in der Stadt Leipzig (Bezirk Leipzig) wurden gewaltbereite Jugendgruppen registriert. Plakate waren abgerissen oder mit „Hetzlosungen“ versehen worden, mit denen gegen die DDR und ihre Funktionäre polemisiert wurde. Jugendliche der Jahrgänge 1943/44 waren hier besonders anfällig für die Parolen des „Feindes“.952 In Schwerin im Institut für Lehrerbildung schossen zwei FDJ-Mitglieder, einer von ihnen war auch Mitglied der SED, mit Luftgewehren auf ein Bild von W. Ulbricht. Im Zimmer der beiden Lehrlinge wohnten zwei weitere Jugendliche bei denen „faschistische Literatur“ gefunden wurde.953 In Jena (Bezirk Gera) war die Ausbildungs- und Wohnsituation im VEB Carl Zeiss Jena für drei Arbeiter aus Kamerun unhaltbar geworden. Sie waren in der Betriebsakademie zu Feinmechanikern ausgebildet worden und hatten ihr Domizil im Lehrlingswohnheim. Die Direktion entfernte sie aus dem Wohnheim, weil sie sich gegen Lehrer und Ausbilder „frech und zynisch“ und gegenüber der Heimleitung „äußerst undiszipliniert“ verhalten hatten. Sie wurden in einem Heim untergebracht, in dem ausschließlich „gute Arbeiter, Ingenieure und Wissenschaftler“ logierten. Die Verlegung in ein Kollektiv „ausgereifter und mit guten Erfahrungen“ ausgestatteter älterer Kollegen sollte den weiteren Erziehungsprozess positiv gestalten. Diesem Erziehungsprogramm stimmten die betroffenen Afrikaner nicht zu und setzten der Heimleitung, insbesondere dem Hausverwalter, „körperlichen Widerstand“ entgegen. In einer Aussprache bat die Heimleiterin „händeringend“, die drei Jugendlichen aus dem Heim zu entfernen, damit im Wohnheim „endlich wieder Ordnung und ein friedliches Nebeneinander“ herrschen könne. Zuvor hatten Volkspolizisten mehrere deutsche Mädchen oder Frauen aus dem Zimmer der Kameruner „entfernt“. In den verschiedenen Abteilungen des Betriebes war die Stimmung unter den Deutschen erregt und in mehreren Abteilungen des Betriebs kam es zu keinen „gesunden“ Diskussionen. Es sollte nun entweder eine Rückführung nach Afrika durchgesetzt werden oder es sollte eine anderweitige Verwendung innerhalb der Ausbildungsmöglichkeiten des Ministeriums für Volksbildung gefunden werden. Davon abweichend stellten die betroffenen 951 Ebenda. 952 Information über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus Informationen der Bezirksleitungen, FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Berlin, 15.02.1962, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726, S. 1. 953 Ebenda, S. 3.

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Afrikaner den Konflikt aus ihrer Sicht dar. In einem Brief an den Direktor des VEB Carl Zeiss Jena beklagten sie die mangelnde Unterstützung der Betriebsleitung für ihre Forderungen. Auf ihre Hilferufe sei nicht eingegangen worden und man bliebe ihnen und ihren Problemen gegenüber gleichgültig. Die politische und soziale Atmosphäre mache ihnen das Leben in Jena „unmöglich“ und die Jenenser seien gegen Afrikaner „schlecht eingestellt“. Es gäbe niemand bei dem sie Unterstützung finden konnten. Die Betriebs- wie auch die Heimleitung erlaube nicht, dass sie Besuche im Heim empfangen. Anfang April wären Volkspolizisten bereits das zweite Mal in ihrer Unterkunft gewesen und sie hätten einen Gast, der aus Naumburg gekommen war, nach Hause geschickt. Gegen die „unbarmherzigen“ polizeilichen Maßnahmen protestierten sie und erklärten, es sei ihnen unmöglich, in einer Unterkunft zu wohnen, in der sie keine Besucher empfangen dürften. Falls nicht innerhalb von sieben Tagen uneingeschränkte Besuchsmöglichkeiten eingeräumt werde, würden sie ihren Aufenthalt in der DDR beenden und nach Afrika zurückkehren.954 Ein Student aus dem Kongo schickte ein Protestschreiben an das ZK der SED, Abteilung Internationale Angelegenheiten, und beschwerte sich darüber, dass er sein Studium nicht fortsetzen dürfe. Sein Studium war auf Betreiben der Behörden abgebrochen worden, weil er seinen Bruder in Brüssel vier Wochen lang besucht hatte - er hatte jedoch keine staatliche Erlaubnis dafür. Zur Strafe war ihm die unmittelbare Wiederaufnahme des Studiums verwehrt worden, und er musste, um seinen guten Willen zu zeigen, für einige Monate in der Industrie arbeiten. Außerdem beklagte er die beschränkte Aufenthaltsgenehmigung, die ihm nicht erlaubte, den Landkreis Bitterfeld zu verlassen. Seit seiner Reise waren mittlerweile neun Monate vergangen und ihm sei noch immer nicht mitgeteilt worden, wann er sein Studium fortsetzen kann. Er hatte mit der für das Pass- und Meldewesen verantwortlichen Volkspolizei in Bitterfeld (Bezirk Halle), mit dem Kreisvorstand des FDGB Bitterfeld, mit der Kreisleitung der SED und mit der Vereinigung der kongolesischen Studenten in Leipzig deswegen Kontakte aufgenommen, doch blieben diese Bemühungen ohne Ergebnis. Auch schriftliche Anfragen beim Rat des Bezirks und bei der Bezirksleitung der Volkspolizei in Halle blieben ohne Erfolg. Deshalb bat er das ZK der SED um Kontaktaufnahme mit dem Bundesvorstand des FDGB, um seine Bewegungsfreiheit wiederherzustellen, und um die Genehmigung, sein Studium fortzusetzen zu dürfen.955 In Rostock im Fischkombinat wurde die Toilette mit „Juden raus“ und mit Hakenkreuzen beschmiert. Ein Jugendlicher wurde gefasst und er behauptete, die Juden seien „selbst schuld an ihrem Schicksal“.956 954 Abschrift eines Schreibens des Kaderhauptleiters des VEB Carl Zeiss Jena vom 11.04.1962 an das Ministerium für Volksbildung, Abteilung Ausländerbetreuung, Berlin, SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/20/57. 955 Schreiben an die ZK-Abteilung Internationale Angelegenheiten, 23. Mai 1962, SAPMOBArch, DY 30/ IV 2/20/57. 956 FDJ Abteilung Organisation-Instrukteure, Informationen über Feindtätigkeit und Besondere Vorkommnisse aus Informationen der Bezirksleitungen, VVS I/13, Berlin, 26.02.1962, SAPMO-BArch, DY 24/ 3.726.

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In Berlin (DDR) war eine Gruppe aus Polen Gast der Abteilung Verkehrs- und Verbindungswesen beim ZK der SED. Als die Delegationen am Berliner Ostbahnhof vorbeikamen, warfen zwei Bahnhofsarbeiter ein ca. 30 cm langes Kunststoffrohr vom Dach herunter. Ein polnischer Delegierter wurde am Kopf getroffen, blieb jedoch unverletzt. Von der kriminalpolizeilichen Abteilung der Transportpolizei wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.957 In Neustrelitz (Bezirk Neubrandenburg) wurde 1962/64 der Jüdische Friedhof geschändet.958 In Karl-Marx-Stadt wurde der Jüdische Friedhof geschändet.959 In Rossow (Bezirk Neubrandenburg) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.960 In Berlin (DDR) im „Klub der Jugend und Sportler“ an der Karl-Marx-Allee, beschimpften fünf Rassisten (18 bis 21 Jahre), drei kongolesische Studenten wegen ihrer Hautfarbe. Es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen, in die anrückende Volkspolizisten verwickelt wurden. Der Einsatzleiter eines Funkstreifenwagens verletzte sich leicht. Gegen zwei Fleischer, zwei Betonbauer und ein Beifahrer wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet. Anhaltspunkte für eine beständige Gruppierung ergaben sich nicht.961

1963 Das MfS deckte vom Juni 1962 bis zum März 1963 acht „Untergrundgruppen“ auf, von denen vier neo-nazistisch waren. Sie hatten jeweils 5 bis 6 Mitglieder, die bis 21 Jahre alt waren.962 In Wismar (Bezirk Rostock) wurden am 29. zum 30. September zwei Studenten aus Guinea, sie waren in Begleitung von zwei deutschen Frauen, von fünf deutschen Männern aufgelauert, geschlagen und rassistisch beschimpft mit Sprüchen, wie z. B. „Dreckige Neger, was wollt ihr hier in Deutschland, ihr habt hier nichts zu suchen. Ihr müsst euch erst waschen, wenn ihr mit unseren Frauen tanzt“ und geschlagen.963

957 Notiz der FDJ Abteilung Organisation/Kader, Besonderes Vorkommnis Nr. 2/873, SAPMOBArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 958 Schmidt, S. 46f. 959 Schmidt, S. 91f. 960 Schmidt, S. 122. 961 FDJ Notiz 2/873, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 962 Eisenfeld (März 2006), S. 4. 963 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 803, S. 1-2.

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1964 In Hartenstein im Kreis Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) gab es im Jugendklub handfeste Auseinandersetzungen zwischen afrikanischen Studenten und Deutschen. Die Volkspolizei griff ein und brachte die Afrikaner zurück in ihre Unterkünfte. Der Anlass sei ein ungebührliches Benehmen eines Afrikaners gegenüber einer deutschen Frau gewesen. Sein Lehrer bezeichnete ihn als bekannten „Trinker und Schürzenjäger“.964 Im Kreis Güstrow (Bezirk Schwerin), in Demmin, Templin und Neubrandenburg (Bezirk Neubrandenburg) wurden Gruppenaktivitäten mit Gewaltanwendungen festgestellt. In Templin handelte es sich um sieben Jugendliche (16 bis 18 Jahre) die sich mit Pistolen, Säbel und Seitengewehren bewaffnet hatten. „Anführer“ der Gruppe war ein Oberschüler, dessen Vater eine verantwortliche Funktion bei der Volkspolizei innehatte.965 Im Kombinat „Schwarze Pumpe“ kam es am 14. zum 15. März gegen 02.00 Uhr zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Polen und Deutschen, die in einer Wohnbaracke fortgesetzt wurden, wo zwei Polen durch Messerstiche verletzt worden waren. Am 15. März gegen 17.30 Uhr wurden die Tätlichkeiten in der Gaststätte „Frohe Zukunft“ fortgesetzt, wo Polen mit Holzlatten auf Gäste einschlugen. Drei Polen wurden festgenommen.966 In Lübbenau-Neustadt (Bezirk Frankfurt/O.) kam es am 22. März gegen 02.00 Uhr zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen, wobei drei Polen in ein Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Gegen vier Deutsche wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl beantragt. Eine politische Dimension wurde negiert.967 In Leipzig wurde im April ein algerischer Student von einem Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.968 In Leipzig verweigerte im Mai der Besitzer des Restaurants „Baumgarten“ zwei afrikanischen Studenten den Eintritt mit der Begründung, seine deutschen Gäste würden keine Afrikaner mögen.969

964 Patrice Poutrus, in: Demke/Schüle (Hg.), S. 59-78; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 896, Bl. 1-3. 965 Analyse der Gruppentäterschaft, 21.01.1965, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.125, S. II/13. 966 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 862, S. 1-3. 967 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 862, S. 1-5. 968 Damian Mac Con Uladh: Studium bei Freunden. Ausländische Studierende in der DDR bis 1970, in: Christian Th. Müller/Patrice G. Poutrus (Hg.): Ankunft – Alltag – Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnung in der DDR-Gesellschaft, Köln 2005, S. 209. 969 Ebenda.

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In Leipzig wurden im Mai zwei syrische Studenten von einem Deutschen rassistisch beleidigt und tätlich angegriffen.970 In Leipzig wurde im Mai in der „Parkgaststätte“ ein Student aus Nigeria von mehreren Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen. In Tornow (Bezirk Potsdam) kam es am 7. Mai zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen. Es gab mehrere Verletzte.971 In Leipzig wurde im Juni ein Student aus Ghana von einem Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.972 In Leipzig wurde im Juli ein kongolesischer Student in einer Straßenbahn von einem Deutschen rassistisch beleidigt.973 In Hartenstein (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es am 7. August zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Afrikanern und Deutschen.974 In Leipzig wurde im September ein Student aus Malawi von drei deutschen Studenten der Veterinärmedizin rassistisch beleidigt und angegriffen.975 In Leipzig wurde im September ein Nigerianer von drei Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.976 In Karl-Marx-Stadt wurde auf dem Jüdischen Friedhof von Unbekannten eine Urne geöffnet.977 In Leipzig wurde im Oktober ein kongolesischer Student in einer Gaststätte von einem Volkspolizisten rassistisch beleidigt.978 Im Kombinat „Schwarze Pumpe“ kam es am 28. Oktober während einer Tanzveranstaltung im Kulturhaus zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen, von denen zwei verletzt wurden.979

970 Ebenda. 971 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 896, S. 2-3. 972 Ebenda. 973 Ebenda. 974 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 896, S. 1-2. 975 Ebenda. 976 Ebenda. 977 Diamant, S. 35. 978 Mac Con Uladh, in: Christian Th. Müller/Patrice G. Poutrus (Hg.), S. 209. 979 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 862, S. 12-15.

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In Wendisch-Rietz (Bezirk Frankfurt/O.) wurde Ende Dezember ein marokkanischer Lehrling von mehreren Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen. Er wurde durch mehrere Messerstiche beinahe getötet.980 In Berlin (DDR) wurde Ende Dezember ein Mann aus Mali in einer Gaststätte in der Friedrichstraße von Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen. Später wurde er von Transportpolizisten verhaftet, die ihn zwingen wollten, sich als Verursacher zu bekennen, was er verweigerte.981 In Mittweida (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurden zwei südafrikanische Studenten und ihre deutschen Freundinnen in einer Bar von mehreren Deutschen rassistisch angegriffen und beleidigt als „Negerhuren“ oder „Nigger“, die „zurück in den Busch“ gehen sollten. Einer der beiden Freundinnen wurde angedroht: „Bei Hitler hätten wir dir die Haare geschoren“. Einige wenige Wochen danach, wurde einer der beiden Afrikaner auf der Straße als „Negerschwein“ beleidigt.982 Im Kreis Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) fand am 7. auf den 8. Mai in einer Gaststätte eine tätliche Auseinandersetzung zwischen afrikanischen Studenten und Deutschen statt. Ausgangspunkt dieser Schlägerei wäre „ungehöriges Verhalten“ eines Afrikaners gegenüber einer deutschen Frau gewesen. Auch in diesem Fall konstruierte das MfS eine Legende dahin gehend, dass die Afrikaner früher schon negativ aufgefallen wären durch „mangelhafte Disziplin und Bemängelung der Verpflegung und Unterkunft“.983 In Karl-Marx-Stadt wurden auf dem Jüdischen Friedhof Grabsteine umgeworfen.984

1965 Etwa die Hälfte aller im Jahr 1965 durch das MfS festgestellten Straftaten mit „schriftlicher Hetze“, waren neo-nazistische Symbole und Losungen.985 In Leipzig wurde Mitte Januar ein Student aus Mosambik von Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.986 In Leipzig wurden im Januar zwei sudanesische Studenten und ihre deutschen Freundinnen in einer Tanzgaststätte von zwei Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA),

980 Ebenda. 981 Ebenda. 982 Ebenda. 983 Patrice G. Poutrus: „Teure Genossen“, S. 256f. 984 Diamant, S. 35. 985 Eisenfeld (März 2006), S. 4. 986 Mac Con Uladh, a.a.O.

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ein Leutnant und ein Unteroffizier, rassistisch beleidigt und angegriffen. Es wurde gerufen: „Schmeißt die Schwarzen raus!“.987 In Leipzig wurde im Januar eine Griechin, deren Mann gerade ein Geschäft betreten hatte, von mehreren Deutschen rassistisch angepöbelt, bedroht und gewarnt, sie möge sich von Ausländern fernhalten.988 In Leipzig vermerkte im Januar ein Professor aus Kolumbien, der bereits einige Jahre Forschungsaufenthalt in Leipzig hinter sich hatte, wie sehr sich rassistische Einstellungen in der Bevölkerung verstärkt hatten. Er selbst war durch einen Deutschen rassistisch gedemütigt worden, der ihm ins Gesicht gefasst hatte, um zu sehen, ob seine Hautfarbe ‚echt’ sei. Er bemerkte überdies, es komme ständig vor, dass deutsche Gäste in Restaurants oder Lokalen ihren Tisch verließen, wenn Ausländer ein Tisch in ihrer Nähe angewiesen wurde.989 In Heilbad Heiligenstadt (Bezirk Erfurt) entwickelte sich eine „neofaschistische Situation“. Gegen mehrere Jugendliche einer 10. Klasse wurden Strafverfahren eingeleitet wegen „Staatsverleumdungen und andere rowdyhafte Handlungen“. Die Schüler „verherrlichten“ Hitler, sahen in der SS ein Vorbild und sie hielten den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion für gerechtfertigt. Alle Jugendlichen hatten anscheinend westdeutsche Medien abgehört, und die Eltern hätten dies unterstützt. Einige Schüler erklärten der Kreisschulinspektion, dass sie im Staatsbürgerkundeunterricht, um gute Noten zu bekommen, stets die Meinung des Klassenlehrers geäußert hatten. In Wirklichkeit würden sie ganz anders denken und nur in den Pausen könnten sie untereinander offen und ehrlich z. B. über „Republikflucht“ sprechen.990 In Greifswald (Bezirk Rostock) wurden auf Plakatsäulen Hakenkreuze entdeckt.991 Im Ortsteil Särka der Gemeinde Kotitz (Bezirk Dresden) wurde einigen Schüler einer 10. Klasse der Zutritt zu einer Klassenfeier der 9. Klasse der Oberschule in Baruth verwehrt. Daraufhin randalierten sie und sangen: „Schmiert die Guillotine ein mit Judenblut“. Der „Rädelsführer“, Schüler einer 10. Klasse und FDJ-Mitglied, wurde durch den Beschluß einer Mitgliederversammlung aus der Jugendorganisation ausgeschlossen. Der Ausschluß war, neben der justitiellen und polizeilichen Unterdrückung des Anti-Semitismus, bis in die achtziger Jahre hinein, dass „bewährte“ Mittel für die bürokratische „Bewältigung“ anti-semitischer und faschistischer Vorfälle.992

987 Ebenda. 988 Ebenda. 989 Ebenda. 990 Analyse der Gruppentäterschaft, 21.01.1965, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.125, S. II/13. 991 Der Kurier, 23.09.1965; Die Welt, 24.09.1965. 992 Information der FDJ BL Dresden an den Zentralrat der FDJ Abteilung Information, Berlin, den 14.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126).

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In Hochkirch (Bezirk Dresden) in der Oberschule sangen Schüler einer 6. Klasse ein Lied mit anti-semitischem Text. Sie hätten es anscheinend dem Fernsehfilm: „Ohne Kampf kein Sieg“ entnommen. Der hauptamtliche Pionierleiter der Schule hatte die Informationen über diesen anti-semitischen Vorfall nicht weitergeleitet und er wurde deswegen von der Leitung ermahnt. Er wurde daran erinnerte, dass es seine Pflicht sei, solche Informationen zu melden. Dieses ist ein Beispiel für die verbreitete Haltung bei Funktionären, neo-faschistische Vorfälle zu verschwiegen, und dieses deutet darauf hin, dass eine entsprechende Sensibilisierung zur Wahrnehmung der Relevanz anti-semitischer Vorfälle nicht vorhanden war. Wahrscheinlich bestanden Befürchtungen dahingehend, dass Informationen über anti-semitische oder neo-faschistische Vorfälle im eigenen Verantwortungsbereich negative Auswirkungen auf ihr Image als Funktionär zur Folge hatten und so weitere Karrierechancen beeinträchtigt würden.993 In Haidemühl im Kreis Spremberg (Bezirk Cottbus) hatten vier Jugendliche (15 Jahre) vor einer Gaststätte einen Polen (17 Jahre) niedergeschlagen und mit einem Messer verletzt. Sie hätten ihr Opfer angegriffen, weil er Pole war und nicht gut deutsch sprach. Die vier Rassisten begingen außerdem mehrere Sachbeschädigungen und gehörten einer Gruppe an, die durch einheitliche Kleidung auffiel. Alle vier Täter wurden festgenommen, die Bearbeitung des Falles wurde der Volkspolizei in Spremberg und der Bezirksdirektion der Volkspolizei in Cottbus übertragen.994 In Vacha (Bezirk Suhl) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.995 In Stralsund gab es an mehreren Stellen neo-nazistische Parolen, so stand z. B. auf den Stufen am Eingang des Konsum-Warenhauses geschrieben: „Deutschland erwache“.996 In Jessen-Klossa (Bezirk Cottbus) kam es am 18. zum 19. Juli 1965 zu Tätlichkeiten zwischen einem Deutschen und Soldaten der GSSD. Eine politische Dimension des Geschehens wurde negiert.997 In Halberstadt (Bezirk Magdeburg) kam es am 19. Juli 1965 zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Soldaten der GSSD. Eine politische Dimension des Geschehens wurde negiert.998 In Bernau (Bezirk Frankfurt/O.) gab es am Ausländerinstitut der Hochschule des FDGB tätliche Auseinandersetzungen zwischen deutschen und ausländischen Studenten. 10 Studenten mussten medizinisch versorgt werden.999 993 Ebenda. 994 Notiz der FDJ Abteilung Organisation/Kader, besonderes Vorkommnis Nr. 352/65, Vertrauliche I/13 Verschlußsache, 18.12.1965, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 995 Schmidt, S. 58f. 996 Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256/II. 997 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1082, S. 1-3. 998 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1082, S. 3-4.

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1966 In St. Egidien im Kreis Hohenstein-Ernstthal (Bezirk Karl-Marx-Stadt) übergab ein Beschäftigter des VEB Nickelhütte der Kreisdienststelle des MfS in HohensteinErnstthal ein Exemplar des Jugendmagazins „Neues Leben“, auf dem vier Hakenkreuze und eine SS-Rune aufgemalt waren.1000 In Teupitz im Kreis Königs Wusterhausen (Bezirk Potsdam) wurden in der Nacht zum 1. Mai über achtzig Hakenkreuze angebracht. An einer Bushaltestelle waren zwei „Hetzlosungen“ mit blauer Farbe aufgemalt und außerdem acht Fahnenabrisse festgestellt worden. Als Täter wurden zwei Lehrlinge, Brüder (16 und 17 Jahre), vorläufig festgenommen. Es wurden Haftbefehle beantragt.1001 In Hohenstein-Ernstthal (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde ins militärpolitische Kabinett der FDJ-Kreisleitung eingebrochen, es wurden Agitationstafeln beschädigt und faschistische Symbole geschmiert.1002 In Cunnewalde im Kreis Löbau (Bezirk Dresden) grüßte ein Jugendlicher auf offener Straße mit „Heil Hitler“. Er wurde aus der FDJ ausgeschlossen.1003 In Berlin-Friedrichshain (DDR) hatten sechs Jugendliche (18 bis 20 Jahre) private Partys durchgeführt, „Hetze“ besonderer Art betrieben und den Faschismus verherrlicht. Zwei von ihnen hatten ein Mädchen (15 Jahre) sexuell missbraucht. Drei der sechs inhaftierten Jugendlichen waren ohne Beschäftigung, die anderen waren als Arbeiter bzw. als Lehrling beschäftigt.1004 In Güstrow (Bezirk Schwerin) hatten Schüler einer 10. Klasse an der Kinder- und Jugendsportschule „Bande mit faschistischer Ideologie“ gebildet. Sie kannten die Lebensläufe von Hitler, Göring und Goebbels und bewunderten die Wehrmacht. Sie wurden aus der FDJ ausgeschlossen und vier von ihnen wurden darüber hinaus von der Schule verwiesen. Über ehemalige Schüler einer Volleyballklasse gab es lose Verbindungen zum SC Traktor Schwerin und dort zu einem Spieler der für die Olympiamannschaft 1972 vorgesehen war.1005 999 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1142, S. 1-12. 1000 Fernschreiben der BDVP Karl-Marx-Stadt an das MdI, 03.01.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 1001 Information des VPKA Königs-Wusterhausen, 1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 1002 Fernschreiben der FDJ Karl-Marx-Stadt, 24.08.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 1003 Information über Provokationen und Besondere Vorkommnisse, FDJ BL Dresden, 25.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ E 4.126, S. 1-4. 1004 Staatliche Sicherheit, 07.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1005 Aktennotiz zu den Vorkommnissen an der KJS Güstrow und die festgelegten Maßnahmen zur Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit, 1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127), S. 1-5.

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In Calbe im Kreis Schönebeck (Bezirk Magdeburg) zogen vier Lehrlinge (16 bis 19 Jahre) durch die Straßen, „hetzten“ gegen die DDR und verherrlichten den deutschen Faschismus. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet, jedoch wurde von Inhaftierungen abgesehen.1006 In Berlin (DDR) randalierten in einem S-Bahn-Waggon zwischen den Bahnhöfen Berlin-Grünau und Berlin-Adlershof, drei angetrunkene Jugendliche (17 und 18 Jahre). Die Aufforderung eines Transportpolizisten, sich ruhig zu verhalten, befolgten sie nicht und brüllten stattdessen ein faschistisches Lied. Als einer der Jugendlichen vorläufig festgenommen werden sollte, kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, wobei ein Transportpolizist verletzt wurde. Mit Hilfe eines zufällig anwesenden Soldaten wurde einer der Jugendlichen festgenommen, während die beiden anderen fliehen konnten. Ihre Personalien wurden eruiert und es wurden Ermittlungsverfahren wegen „Staatsverleumdung“ eingeleitet.1007 In Ahrendsee im Kreis Prenzlau (Bezirk Neubrandenburg) drangen drei Jugendliche (14 bis 19 Jahre) in ein Mädcheninternat ein. Von einem Ehepaar wurden sie aufgefordert, das Gelände zu verlassen, worauf ein Jugendlicher auf die Frau einschlug und sie damit erheblich am Kopf verletzte, so das sie ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Jugendlichen hatten sich nach dem Vorbild des „Ku-Klux-Klan“ maskiert und trugen brennende Fackeln mit sich. Gegen zwei der Jugendlichen wurden Haftbefehle beantragt.1008 In Berlin (DDR) fand der Direktor der 17. Oberschule Berlin-Lichtenberg, Ortsteil Biesdorf, in der Mappe eines Schülers (16 Jahre) einer 10. Klasse, schriftlich festgelegte Satzungen einer Gruppe, zu der drei weitere Schüler (16 Jahre) der Klasse gehörten. Die Väter der Jugendlichen hatten privilegierte und hervorgehobene Berufe, u. a. waren dabei ein Major der Nationalen Volksarmee, ein Major der Volkspolizei, ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Magistrat von Groß-Berlin und einer war Leiter einer Konsum-Gaststätte. Durch diese Ermittlungen wurde eine weitere Gruppe mit sechs Schülern ausfindig gemacht, die sich ebenfalls eine faschistische Satzung erarbeitet hatten und sich „Bund Deutscher Jugend“ nannten. Sie wollten in Deutschland einen Staat nach dem Vorbild des Nationalsozialismus errichten. Mitglied konnte nur sein, wer germanischen Ursprungs war, „Nichtarier“ und Juden wurden daher nicht aufgenommen. Zeichen der Gruppe waren das germanische Runenkreuz und der Hitlergruß. Ihre Vorbilder waren die ehemaligen Führer des nationalsozialistischen Deutschlands, mit deren Namen sich die Jugendlichen ansprachen. Bei Taschenkontrollen wurden schriftliche „Hetzlosungen“ gefunden. Seit mehreren Monaten war der Klassenlehrerin aufgefallen, dass diese Schüler bei der Behandlung 1006 Information der Volkspolizei vom 20.04.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 1007 Staatliche Sicherheit, Vertrauliche Dienstsache, Widerstand gegen die Staatsgewalt, SAPMOBArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). 1008 Ebenda.

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von politischen Tagesfragen eine „ablehnende“ Haltung gegen die DDR äußerten. Die meisten Väter dieser Schüler waren Offiziere der Nationalen Volksarmee. Die Untersuchungen zur Klärung dieser Vorfälle lagen in den Händen der Kriminalpolizei Berlin-Lichtenberg, der Kreisdienststelle des MfS sowie der Staatsanwaltschaft.1009 In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) kam es zu Tumulten, bei denen über dreißig Jugendliche von der Volkspolizei verhaftet wurden. Unter den Verhafteten befanden sich zehn Schüler, 16 Lehrlinge und fünf junge Arbeiter. 24 Täter waren zwischen 14 und 18 Jahren und 17 von ihnen waren männlich. Vier „Rädelsführer“ wurden von der Volkspolizei festgenommen, weil sie Aktionen geplant und „Hetzlosungen“ ausgegeben hatten. Einer wollte die Jugendlichen so organisieren, dass sie eine Übermacht gegenüber der Volkspolizei bilden könnten. Es sollten verbindliche Kontakte mit anderen Gruppen hergestellt werden.1010 Im Kreis Hainichen (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es in der Lehrausbildungsstätte der LPG „Franz Hübsch“ zu einer neo-nazistischen Schmiererei. Zwei FDJ-Mitglieder veränderten das Kürzel „FDJ“ in „HJ“ und unter eine Einladung zu einer FDJVersammlung malten sie einen Totenkopf und schrieben „Vorsicht“ darunter.1011 In der NVA und in Einheiten des MfS gab es von 1965 bis 1980 über 700 neonazistische Ereignisse. Das ging von faschistischen Schmierereien, über mündliche Hetze, zeigen des Hitlergrußes, rassistischen Pöbeleien bis hin zu Gewalttaten. 44% der Täter waren untere Dienstgrade, ebenfalls 44% waren Unteroffiziere, Feldwebel und Fähnriche und 12% waren Offiziere.1012 Mit diesen Erkenntnissen waren die neonazistischen und rassistischen Phänomene nicht mehr zu reduzieren auf Aktionen von Kindern oder Jugendlichen, so wie es z. B. bei den Erörterungen über Schändungen jüdischer Friedhöfe oft der Fall war, und wo suggeriert wurde, gesellschaftspolitische Zusammenhänge wären hier nicht von Bedeutung. Zwischen 1965 und 1980 gab es im MfS-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ zehn neo-nazistische Vorfälle.1013 In Rostock hatte ein Maschinist (21 Jahre) des Gaswerks Rostock an seiner Arbeitsstelle gegen Mitglieder der SED „gehetzt“ und den faschistischen Militarismus verherrlicht. Er warf Eisenteile nach einem SED-Mitglied und in einem anderen Fall

1009 Vertrauliche Dienstsache vom 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126); Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abteilung Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, den 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1010 Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abteilung Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, den 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126), S. 1 - 3. 1011 Vertrauliche Information der FDJ Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, 16.09.1966, SAPMOBArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1012 Eisenfeld, in: Agethen/Jesse/Neubert, S. 224f; Madloch, S. 69f, S. 86-96. 1013 Ebenda, S. 257.

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stieß er glühenden Koks auf einen Kollegen. An seinem Wohnort gehörte er einer Gruppe „negativer“ Jugendlicher an. Die Volkspolizei verhaftete ihn.1014 In Oschatz (Bezirk Leipzig) hing im Klassenzimmer des SED-Sekretärs, einen Tag nachdem das Lehrerkollektiv der Erich-Vogel-Oberschule in Oschatz (Bezirk Leipzig) mit dem Staatstitel: „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet worden war, ein Zettel mit dem Text: „Wir lassen uns die Sowjetisierung der Schule nicht mehr länger gefallen. Die Bombe wird bald platzen. Mit faschistischem Gruß. Heil Hitler!“ Zwei FDJ-Mitglieder einer 10. Klasse wurden als Täter ermittelt. Bei einem der Schüler waren beide Elternteile Mitglieder der SED, bei einem anderen war ausschließlich der Vater SED-Genosse. Einer der Väter war Direktor eines Volkseigenen Betriebes und sein Großvater mütterlicherseits war anerkannter Verfolgter des Nationalsozialismus. Beide Jugendlichen waren bis dahin nicht negativ aufgefallen und sie hatten auch keine Lernschwierigkeiten. Bei den Untersuchungen zur Aufklärung der Vorkommnisse zeigten sie sich engagiert und in der Mitgliederversammlung ihrer Klasse kritisierten sie sogar verdeckt das (eigene) verwerfliche Verhalten. Die FDJ schloß sie aus dem Verband aus – fünf Mitglieder der FDJ stimmten jedoch gegen den Ausschluß. Unter den Ausschlußgegnern befand sich auch der Sohn eines hauptamtlichen Pionierleiters, mit dem eine separate Aussprache geführt wurde.1015 In Ballenstedt im Kreis Quedlinburg (Bezirk Halle) kam es zu anti-semitischen Ausschreitungen. Mitglieder einer „Bande“ (18 bis 23 Jahre), zwei waren Mitglieder der FDJ, riefen anti-semitische Parolen wie z. B. „Juden raus“, „Wir brauchen wieder Brennholz“ und „Jude verrecke“. Sie trugen nationalsozialistische Orden und zeigten den Hitlergruß. An diesen Aktionen waren auch Studenten aus dem Institut für Lehrerbildung und Lehrlinge aus mehreren Betrieben der Umgebung beteiligt. Ein Vater einer der Schüler war während des Nationalsozialismus Soldat in der Waffen-SS. Zwei Jugendliche behaupteten, sie hätten ihre anti-semitischen Anregungen aus Filmen wie „Dr. Schlüter“, „Irrlicht und Feuer“ bzw. „Ohne Kampf kein Sieg“ entnommen. Die „Bandenmitglieder“ sollten in einem öffentlichen Verfahren verurteilt werden. Dazu wurden Funktionäre der SED, der FDJ und anderer Massenorganisationen eingeladen. Den Standpunkt der FDJ sollte eine Jugendbrigade vertreten, die im Verbandswettbewerb an der Spitze lag. Die politischen Konsequenzen bewegten sich hier auf einem formalistischen, bürokratischen und ausschließlich repressiven Niveau. Interessant ist dennoch, wie hier die Handlungsstrukturen und Begrifflichkeiten des Herrschaftsapparates sichtbar werden. Die Bezirksleitung Halle nahm sich dieses Falles an und schickte als erste Maßnahme, zur Verbesserung der politischen und ideologischen Arbeit, sogenannte Propagandisten der Bezirksparteischule in alle 16 Grundorganisationen der FDJ Ballenstedt. Die administrativen Aufgaben und die zu 1014 Staatliche Sicherheit, Vertrauliche Dienstsache, Staatsgefährdende Propaganda und Hetze, 13.04.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20952 (E 4.127). Diese Information gelangte erst nach Monaten in den überbezirklichen Informationsdienst, der u. a. die Kriminalpolizei und die Staatssicherheit verband. 1015 Abschrift eines Fernschreibens der FDJ BL Leipzig, 02.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126), S. 1-3.

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folgernden Maßnahmen wurden in einer Sekretariatssitzung der Kreisleitung der FDJ zusammen mit dem Kreisstaatsanwalt, der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Quedlinburg, der Abteilung K (Kriminalpolizei) des Volkspolizeikreisamtes und mit dem Kreisgerichtsdirektor besprochen. Die Ergebnisse dieser Quedlinburger Gespräche wurden in acht Punkten zusammengefasst, wobei in fünf Rubriken die Kinderund Jugendkriminalität insgesamt im Kreis Quedlinburg untersucht wurde. Unter Punkt 4 wurde beschlossen, dass zukünftig ein Offizier der Volkspolizei Leiter der FDJ-Ordnungsgruppe wurde. Ein Mitglied der Ordnungsgruppe sollte als dritter Mann im Funkstreifenwagen der Volkspolizei eingesetzt werden. Mit dieser Verzahnung von Ordnungsgruppen mit der Volkspolizei erhoffte man sich eine Unterdrückung der neo-faschistischen Szene. Insgesamt wurden acht Jugendliche inhaftiert und vom Kreisgericht „abgeurteilt“. Die Anklage lautete auf faschistische Hetze, Notzucht und Landfriedensbruch. Bei einer außerordentlichen FDJ-Mitgliederversammlung der 9. Klasse wurde der Ausschluß eines Schülers beantragt. Dazu wurde eine „harte Auseinandersetzung“ mit der gesamten Schulklasse durchgeführt. Gegen den Direktor der Schule wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, und gegen den Sekretär der SED führte eine Kommission der Kreisleitung ein Parteiverfahren durch.1016 In Winkwitz im Kreis Freital (Bezirk Dresden) wurden an der Polytechnischen Oberschule (POS) „schwächliche“ Schüler und Schülerinnen einer 6. Klasse gezwungen, in Toilettenräumen, nationalsozialistische Lieder zu singen und entsprechende Parolen aufzusagen: „Welche Fahne weht am höchsten?“, „Welcher Führer ist der Beste?“ oder „Die Juden sind ja sowieso nichts wert!“. Wenn Schüler Widerstand leisteten, wurden sie, nach dem Vorbild der SS, auf die Brust bzw. auf die Oberarme geschlagen. Die härteste Strafe war, den Kopf in eine Toilettenschüssel zu tauchen. Außerdem sangen die Schüler das Lied: „Schmiert die Guillotine ein mit Judenfett“. Gegen zwei Schüler aus einer 9. Klasse wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet und beide wurden wegen anti-semitischer Hetze, der Verherrlichung der SS und des Nationalsozialismus für zwei Tage inhaftiert.1017 In Bannewitz im Kreis Freital (Bezirk Dresden) äußerten an der Polytechnischen Oberschule (POS) zwei Schüler einer 10. Klasse, beide waren Mitglied der FDJ, über eine Fotografie des Schauspielers Gerry Wolf: „Judengerry“ und „Judenschwein“. Sie sangen das Lied: „Schmiert die Guillotine ein mit Judenfett“.1018

1016 Aktennotiz der FDJ Arbeitsgruppe Gesellschaftliche Kontrolle, Berlin, 20.07.1966, SAPMOBArch, DY 24/ 20952 (E 4.127) und FDJ Abteilung Organisation-Kader, Betr.: Ballenstedt, Berlin, den 25.07.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 21029 (E 4.119), S. 1-3. 1017 Besondere Vorkommnisse der FDJ Abteilung Schuljugend, 08.11.1966, Kreis Freital, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126); Besondere Vorkommnisse, FDJ Abtg. Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E. 4.126), S. 1-3. 1018 Besondere Vorkommnisse der FDJ Abteilung Schuljugend, 08.11.1966, Kreis Freital, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126); Information der FDJ BL Dresden an den Zentralrat der

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In Kötitz-Särka im Kreis Meißen (Bezirk Dresden) wurde einigen Schüler einer 10. Klasse und anderen Jugendlichen der Zutritt zu einer Klassenfeier der 9. Klasse der Oberschule Baruth verwehrt. Daraufhin randalierten sie und sangen: „Schmiert die Guillotine ein mit Judenblut“. Der „Rädelsführer“, er war Schüler einer 10. Klasse und FDJ-Mitglied, wurde durch den Beschluß einer Mitgliederversammlung aus der Jugendorganisation ausgeschlossen.1019 In Hochkirch im Kreis Bautzen (Bezirk Dresden) sangen Schüler einer 6. Klasse ein anti-semitisches Lied, dass sie dem Fernsehfilm: „Ohne Kampf kein Sieg“ entnommen haben wollten. Der hauptamtliche Pionierleiter der Schule hatte keine Informationen nach oben weitergeleitet und er wurde deswegen von der Leitung ermahnt. Er wurde daran erinnerte, dass es seine Pflicht sei, solche Informationen zu melden.1020 Im Bezirk Dresden ergaben systematische Untersuchungen in 32 Schulen in 12 Kreisen, dass ca. 50 Schüler einzeln oder in Gruppen unmittelbar an neo-faschistischen „Provokationen“ beteiligt waren. Es handelt sich hier vorwiegend um Schüler der Jahrgangsstufen der 5., 6., 9. und 10. Klassen aus Schulen in Dresden-Ost, Pirna, Freital und Görlitz. Die „Provokationen“ waren faschistische Losungen und Symbolen und die Anwendung faschistischer Terrormethoden gegen jüngere Schüler.1021 In Dresden beantworteten einige Studenten einer FDJ-Gruppe eines 10. Semester der TU Dresden, Fakultät Bauwesen, die Frage, warum sie nicht an der 1. Mai-Demonstration teilgenommen hatten, „Uns ist am 1. Mai zuviel rot“, „Uns gefallen die ‚alten‘ Gesichter nicht auf der Tribüne“, „Das KPD-Verbot in Westdeutschland besteht zurecht und dass die NPD nicht verboten ist, ist auch rechtmäßig“. SED- und FDJ-Leitung wollten mit den Studenten Einzelgespräche durchführen und den „Verantwortlichen“ exmatrikulieren. Eine verbandsöffentliche Distanzierung scheiterte jedoch am Widerstand der gesamten FDJ-Gruppe. Um sich nicht gegenseitig ausspielen zu lassen, lehnten die Studenten es ab, den Vorfall in Einzelgesprächen zu besprechen. Im Gegenteil, die Gruppe ergriff die Initiative, organisierte eine eigene Versammlung und lud dazu SED- und FDJ-Funktionäre ein.1022

FDJ Abteilung Information, Berlin, den 14.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1019 Information der FDJ BL Dresden an den Zentralrat der FDJ Abteilung Information, Berlin, den 14.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1020 Information der FDJ BL Dresden an den Zentralrat der FDJ, Abteilung Information, Berlin, 14.12.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126). 1021 Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abteilung Wohngebiete, Jugend und Staat, Vertraulich, Berlin, den 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126), S. 1 - 3. 1022 Information der FDJ-Bezirksleitung Dresden und der FDJ-Kreisleitung TU Dresden, 27.05.1968, SAPMO-BArch, DY 24/ 6.152.

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1967 In Neubrandenburg wurden vor einem Militärobergericht drei Soldaten der NVA verurteilt wegen „fortgesetzter staatsgefährdender Propaganda und Hetze sowie Staatsverleumdung. In einem fiktiven Interview hatten sie den Staatsratsvorsitzenden W. Ulbricht als „Großen Deutschen Führer“ angesprochen und die Zuhörer bezeichneten sie als „Deutsche Volksgenossen“. Der Soldat, dem das Tonband gehörte auf dem sie ihre Fiktion festhielten, wurde zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten und seine beiden Kameraden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.1023 In Neubrandenburg wurde vor einem Militärobergericht ein Unteroffizier wegen „Staatsverleumdung“ zu einem 1 Jahr und 3 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Er hatte die Meinung vertreten, dass die Staatsführung „unfähig sei und vergast“ gehört und er verteidigte das Vorgehen von A. Hitler gegen „Kommunisten und Juden“ als richtig.1024 In Untersuchungen des MfS wurde festgestellt, dass mehrere Unteroffiziersschüler an der Offiziersschule „Karl Liebknecht“ der Volksmarine, Mitglieder der SED als „Russenknechte“ oder als „Parteischweine“ beschimpften. Als der Kommandeur der Schule davon erfuhr, veränderte er die Mitteilung an die Leitung des Kommandos der Volksmarine in der Weise, dass er die Fakten über die „staatsfeindliche Propaganda und Hetze“ strich und somit die Vorkommnisse insgesamt bagatellisierte.1025 Die SED lieferte Waffen und militärisches Know-how an Ägypten und Syrien.1026 In Berlin-Friedrichshain (DDR) gab es in einer Schule anti-semitische Äußerungen.1027 In mehreren Berichten von Bezirksleitungen der SED und des Kulturbundes (KB) gab es anti-semitische Äußerungen.1028 Die SED-Tageszeitung Neues Deutschland veröffentlichte am 23. Juni einen anti-semitischen Text von einem in Leipzig lebenden syrischen Dichter.1029

1023 Torsten Diedrich: Gegen Aufrüstung, Volksunterdrückung und politische Gängelei. Widerstandsverhalten und politische Verfolgung in der Aufbau- und Konsolidierungsphase der DDR-Streitkräfte 1948-1968, in: Rüdiger Wenzke (Hrsgg.): Staatsfeinde in Uniform? Widerständiges Verhalten und politische Verfolgung in der NVA, Berlin, Erste Auflage, März 2005, S. 192f. 1024 Ebenda, S. 193f. 1025 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 260f. 1026 A. Timm, S. 210-217. 1027 A. Timm, S. 218. 1028 A. Timm, S. 219. 1029 A. Timm, S. 220f.

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Die SED-Bezirkszeitung Das Volk veröffentlichte am 21. Februar einen Artikel, in dem von einer „Sonderform des hebräischen Sozialfaschismus“ gesprochen wurde.1030 In Erfurt kam es am 20. Dezember an einer Straßenbahnhaltestelle zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen drei Deutschen und sechs Jugoslawen. Die drei Deutschen erlitten erhebliche Verletzungen und mussten in ärztliche Behandlung. Gegen zwei Jugoslawen wurden Ermittlungsverfahren nach § 223 StGB eingeleitet.1031

1968 Die SED-Tageszeitung Neues Deutschland titelte Mitte August: „In Prag regiert der Zionismus“.1032 In Rathenow (Bezirk Potsdam) „provozierten“ mehrere Jugendliche sowjetische Soldaten und ihre Angehörigen. Es wurden Hausversammlungen und Aussprachen mit den Eltern organisiert und Funktionäre stellten fest, dass nicht alle Erwachsenen bereit waren, das Verhalten der Jugendlichen zu verurteilen. Nur in der Hälfte aller Versammlungen gelang es den Funktionären, ihre Mitglieder zu einer Verurteilung der anti-sowjetischen Aktionen zu bewegen.1033 In Weimar (Bezirk Erfurt) wurden an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in der Sektion Marxismus-Leninismus Hakenkreuze aufgemalt. Die Kreisleitung der SED und die Parteileitung der Hochschule leiteten daraufhin Maßnahmen ein, um den Vorfall aufzuklären.1034 In Dresden beantworteten Studenten einer FDJ-Gruppe eines 10. Semesters der TU Dresden, Fakultät Bauwesen, die Frage, warum sie nicht an der 1. Mai-Demonstration teilgenommen hatte: „Uns ist am 1. Mai zuviel rot“, „Uns gefallen die ‚alten‘ Gesichter nicht auf der Tribüne“, „Das KPD-Verbot in Westdeutschland besteht zurecht und dass die NPD nicht verboten ist, ist auch rechtmäßig“. Die SED- bzw. FDJLeitung wollten Einzelgespräche mit den Studenten durchführen und den „Verantwortlichen“ exmatrikulieren. Eine verbandsöffentliche Distanzierung scheiterte jedoch am Widerstand der gesamten FDJ-Gruppe. Um sich nicht gegenseitig ausspielen zu lassen, lehnten sie es ab, diesen Vorfall in Einzelgesprächen zu besprechen. Im

1030 A. Timm, S. 224. 1031 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1418, S. 1-2. 1032 Siegler, S. 125. 1033 Fakten und Tendenzen, 27.09.1968, SAPMO-BArch, DY 24/ 6.152. 1034 Besondere Vorkommnisse während der Vorbereitung des Volksentscheides (über eine neue DDR-Verfassung am 06.04.1968, HW), Abteilung Verbandsorgane, 24.04.1968, Bezirk Erfurt, SAPMO-BArch, DY 24/ 6.152, S. 1.

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Gegenteil, die Gruppe ergriff die Initiative, organisierte eine eigene Versammlung und lud dazu FDJ- und SED-Funktionäre ein.1035 In Dömitz im Kreis Ludwigslust (Bezirk Schwerin) wurde eine Gruppe mit 10 Jugendlichen (17 bis 19 Jahre) aufgedeckt. Einer der Jugendlichen stellte sich mit „Sturmbannführer Hacker“ vor. Hier kamen die Jugendlichen aus privilegierten Familien, z.B. waren mehrere Väter bzw. Mütter Mitglieder der SED, zwei Väter waren Offiziere der Volkspolizei, einer war Offizier in der Nationalen Volksarmee, einer war hauptamtlicher SED-Sekretär, und eine Mutter war Mitglied der SED-Leitung in Dömitz. Auch in diesem Fall bagatellisierten einige Eltern das Verhalten ihrer Kinder oder versuchten, es ins „Lächerliche“ zu ziehen.1036 In Neustrelitz (Bezirk Neubrandenburg) hatten an die Toreinfahrt des MfS Gebäudes Jungpioniere und Schüler aus 1. und 2. Klassen, Hakenkreuze gemalt.1037 In Magdeburg wurde an der Oberschule „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ ein Hakenkreuz gemalt und eine rote Fahne entwendet. Die FDJ-Stadtleitung Magdeburg entschied daraufhin, nach Abstimmung mit der Kriminalpolizei, in allen vier Stadtbezirken ihre Ordnungsgruppen einzusetzen, um weitere Vorfälle zu verhindern.1038 In Walldorf im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurde im Dezember der Jüdische Friedhof geschändet.1039 In Dresden wurden Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof umgeworfen.1040 In Stadtlengsfeld-Gehaus (Bezirk Suhl) wurden im Juni auf dem Jüdischen Friedhof 15 Grabsteine umgeworfen.1041 In Arnstadt kam es am 15. September nach einem Tanztee im Jugendclubhaus zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Afrikanern (Kongo) und mehreren 1035 Information der FDJ-Bezirksleitung Dresden und der FDJ-Kreisleitung an der TU Dresden, 27.05.1968, SAPMO-BArch, DY 24/ E 6.152. 1036 Fakten und Tendenzen v. 27.09.1968, SAPMO-BArch, DY 24/ E 6.152. Aus einem Bericht der FDJ Dresden zum „Stand der Durchsetzung der Konzeption für die politische Arbeit und den labilen und gefährdeten Jugendlichen“ geht hervor, dass der „Klassengegner“, nach dem 21.08.1968 ideologischen Einfluß genommen hat. Beispielhaft wurden genannt: „Hetzlosungen, Flugblätter und Staatsverleumderische Äußerungen, Hetze gegen die Sowjetunion und tätliche Angriffe auf Funktionäre“. Hier wurden die Medien im Westen für die Entwicklung verantwortlich gemacht. 1037 Übersicht über besondere Vorkommnisse während der Vorbereitung des Volksentscheides (Volksentscheid über eine neue DDR-Verfassung am 06.04.1968, HW), Abteilung Verbandsorgane, den 24.04.1968, Bezirksorganisation Erfurt, SAPMO-BArch, DY 24/ E 6.152, S. 1. 1038 Ebenda, S. 2. 1039 Schmidt, S. 64. 1040 Diamant, S. 38. 1041 Ebenda, S. 39.

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Deutschen. Dabei wurde gerufen: „Schlagt die Schwarzen zusammen“. Es wurden 18 Personen vorläufig verhaftet und gegen 8 Täter wurden Ermittlungsverfahren mit Haft nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet.1042

1969 In einem Schreiben des Generalsekretärs der KPdSU L. Breschnew an E. Honecker, E. Mielke, H. Hoffmann und W. Ulbricht erörtert er die Notwendigkeit des Einsatzes von Verbänden von Freiwilligen als Flieger, Panzerführer und Kampfgruppen zur Unterstützung arabischer Truppen im Krieg gegen Israel. Am 7. Oktober beschloss das Politbüro der SED die Vorbereitung eines Einsatzes von Freiwilligenverbänden gegen Israel.1043 In Berlin (DDR) wurden im April auf dem Jüdischen Friedhof der Adass Jisroel Gemeinde 42 Grabsteine umgeworfen.1044 In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet.1045 In Parchim (Bezirk Schwerin) gab es in einer Berufsschulklasse neo-nazistische Ausschreitungen. So wurde der Hitlergruss gezeigt und „Sieg-Heil“ gerufen. Schüler die sich weigerten daran teilzunehmen, wurden gequält und geschlagen.1046 In Merseburg (Bezirk Halle) wurden am 1. Mai zwei sudanesische Studenten von drei Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen; sie riefen dabei „Ihr schwarzen Schweine, was sucht ihr hier, ihr studiert auf unsere Kosten“.1047 In Merseburg (Bezirk Halle) wurden vier Wochen danach die beiden Sudanesen erneut von Deutschen rassistisch beleidigt und angegriffen.1048 In Halle wurden im Januar auf dem Jüdischen Friedhof 15 Grabsteine von Unbekannten umgeworfen.1049 In Stendal (Bezirk Magdeburg) wurden im Mai auf dem Jüdischen Friedhof von Unbekannten 12 Grabsteine umgeworfen.1050

1042 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1578, S. 1-3. 1043 A. Timm, S. 233f; Wolffsohn, S. 258. 1044 Diamant, S. 39. 1045 Schmidt, S. 90. 1046 Wiegmann, S. 225. 1047 Mac Con Uladh, S. 209. 1048 Ebenda. 1049 Diamant, S. 39. 1050 Diamant, S. 39.

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1970 In Berlin (DDR) wurde in Weißensee der Jüdische Friedhof geschändet.1051 In Suhl-Heinrichs (Bezirk Suhl) wurden im April/Mai ca. 47 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof geschändet.1052 In Bleicherode (Bezirk Erfurt wurde der Jüdische Friedhof drei Mal geschändet und dabei wurden ca. 40 Grabsteine umgeworfen.1053 In Potsdam wurde ein „fleißiger und gewissenhafter“ Unterfeldwebel der NVA und der Leiter des „Jugendklubs 23“ wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu Gefängnisstrafen von drei bzw. zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Sie hatten zwischen 1965 und 1970 ca. 100 Gesprächsrunden organisiert, bei denen über vermeintliche „Vorzüge“ des NS-Faschismus gesprochen wurde. Beteiligt waren jeweils sechs bis acht Klubmitglieder, darunter befanden sich auch drei aktive und zwei ehemalige Soldaten. Als im April 1970 eine Feier zum Geburtstag von A. Hitler angekündigt worden war, kam die Existenz dieser Gruppe ans Licht.1054 Im Bezirk Suhl agierte von 1969 bis 1970 ein Unteroffizier der Grenztruppen Soldaten für die Akzeptanz des Nazismus. Er bekannte sich zu A. Hitler und zum Rassismus: „Ich kenne nur Deutsche und die bezeichne mich als Herrenmenschen“. Er trat dafür ein, dass „die Neger, die Vietnamesen, die Juden ausgerottet werden“. Er wurde zum Soldaten degradiert und er wurde mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.1055 Im Februar gab es in einer Pionier-Kompanie des MfS-Wachregiments „Feliks Dzierzynski“ einen „Hitler-Fan-Club“ (HFC), dem vier Stabsgefreite und ein Gefreiter, unter ihnen waren vier Mitglieder der SED, angehörten. Sie gaben sich Dienstgradbezeichnungen der SS, wie z. B. „Obergruppenführer“, „Sturmbannführer“, „Chef der SS“ oder „Beauftragter für Rassenfragen“. Sie verherrlichten die Wehrmacht, Hitler, Goebbels und Göring, sangen Nazi-Lieder und schmierten Hakenkreuze. Untersuchungen ergaben, dass hier nicht von einer „staatsfeindlichen Zielstellung“ ausgegangen werden konnte, sondern dass sie sich von einer „falsche(n) Einstellung zur Bewältigung von Konflikten gegenüber Unzulänglichkeiten im Kompaniebereich“ bestimmen ließen. So fielen die Strafen gering aus, denn die Gefreiten wurden zu Soldaten degradiert und vorzeitig aus dem Wachregiment entlassen. Gegen vier SED-Mitglieder wurden Parteistrafen, wie z. B. ein Ausschluß, zwei Streichungen und eine Rüge beschlossen.1056 1051 Schmidt, S. 90. 1052 Schmidt, S. 80. 1053 Schmidt, S. 65. 1054 Eisenfeld (März 2006), S. 3f. 1055 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 251. 1056 Ebenda, S. 257f.

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1971 In Zielitz (Bezirk Magdeburg) kam es, in der Nähe des Bahnhofes, am 15. Januar zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen acht Deutschen und sieben Polen. Drei Deutsche wurden leicht und ein Pole wurde lebensgefährlich verletzt.1057 In Berlin (DDR) wurden auf die Synagoge und den Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Berlin (DDR), durch mehrere Jugendliche drei Anschläge verübt. Sie zerstörten zweimal zahlreiche Grabsteine und Gräber auf dem Jüdischen Friedhof in BerlinWeißensee. Später stiegen sie über eine Mauer in die Synagoge in der Rykestraße ein, zerstörten wertvolle Fensterscheiben und beschädigten Bänke, Gesangbücher und Mauerwerk. Die Volkspolizei konnte die Täter festnehmen. Die Berliner Zeitung (DDR) bezeichnete diesen Vorfall als „Springer-Anschlag“, denn in Wahrheit hätten Kinder unbeabsichtigt mit herumliegenden Steinen gespielt und dabei wären bedauerlicherweise einige Fensterscheiben der Synagoge beschädigt worden.1058 In Berlin (DDR) wurde in Weißensee der Jüdische Friedhof geschändet.1059 In Bernburg (Bezirk Halle) wurde der Jüdische Friedhof Anfang des Jahres und im April geschändet.1060 In Stendal (Bezirk Magdeburg) wurden am 20. Mai zwei Soldaten der sowjetischen Armee, Oberleutnant und Sergeant, in Stendal von zwei Männern niedergestochen. Bei einem der Opfer bestand Lebensgefahr.1061 In Dreißigacker im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurde im März der Jüdische Friedhof geschändet.1062 In Berthelsdorf (Bezirk Dresden) kam es in der Konsumgaststätte zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ungarn. Ein Ungar musste bewusstlos in ein Krankenhaus gebracht werden.1063

1972 In Berlin (DDR) wurden vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Weißensee im Dezember 1972 fünf Jugendliche (14 bis 16 Jahre) wegen „Rowdytum“ angeklagt. Sie hatten Eva S., Mitschülerin der 9. Klasse der 3. Oberschule Weißensee, psychisch und 1057 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1891, S. 1-6. 1058 Die Welt, 23.12.1971; Der Tagesspiegel, 24.12.1971; Berliner Zeitung, 24.12.1971. 1059 Schmidt, S. 90. 1060 Schmidt, S. 69. 1061 Kowalczuk/Wolle, S. 150; Müller, S. 26. 1062 Schmidt, S. 63. 1063 BStU, MfS, BV Dresden, KD Sebnitz, Nr. 4393/1, S. 18, S. 20-21, S. 27, S. 47-48.

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physisch wegen ihrer polnischen Nationalität angegriffen. Bei den Vernehmungen stellte sich heraus, dass sämtliche männlichen Jugendlichen der Schulklasse die Angriffe auf Eva entweder unterstützt oder geduldet hatten.1064 In Genthin (Bezirk Magdeburg) wurde der 2. Sekretär der FDJ-Kreisleitung seines Postens enthoben, weil er zu einer illegalen Gruppe gehörte, die Waffen besaß.1065 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde im März ein Jüdischer Friedhof erneut geschändet. Ca. 23 Grabsteine waren umgeworfen worden, nach dem am 22. Februar erst 49 Grabsteine wieder aufgerichtet worden waren. Täter wurden nicht ermittelt. 1066

In Gera wurden mehrere Jugendliche registriert, die zur historischen Nationalitätenpolitik der KPdSU gegenüber Juden und Deutschen Fragen stellten, aus denen „nationalistische Überheblichkeit“ sichtbar wurde. Funktionäre erklärten diese Aussagen damit, dass nationalistische Töne aus dem Westen „hineingetragen“ worden wären.1067 In Basdorf bei Berlin (Bezirk Frankfurt/O.) wurden in der 19. Volkspolizei-Bereitschaft über einen längeren Zeitraum Polizisten des 1. Diensthalbjahres misshandelt. „Sie wurden gezwungen zu schwören: ‚Ich bin der größte Rotarsch der Warschauer Vertragsstaaten’“.1068 In Berlin (DDR) wurden in der „Thälmann-Ecke“ der 21. Oberschule Hakenkreuzschmierereien entdeckt. Die Täter blieben unbekannt.1069 In Leipzig beschwerte sich im November eine im Hauptbahnhof tätige Klofrau lauthals über polnische Touristen: „Verdammtes Gesindel, macht euch raus, ihr verdreckt die ganze Bude!“.1070

1064 Urteil des Bezirksgericht Weißensee, SAPMO-BArch DY 30/ (BPA) IV C-2/13/674; Information der SED BL Berlin, 14.12.1972, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV C-2/13/676; Bericht der SED KL Berlin-Weißensee an K. Naumann, 11.12.1972, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV C-2/13/674; Der Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin, Information zur Strafsache gegen Wolfgang K. und vier andere Jugendliche, Berlin, 19.12.1972, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV C-2/13/674, S. 1ff; Urteil des Bezirksgericht Weißensee, a.a.O., S. 6f. 1065 FDJ BL Magdeburg an den ZR der FDJ, 29.09.1972, SAPMO-BArch, DY 24/ A. 9.135, S. 5. 1066 Schmidt, S. 75. 1067 Zu einigen Fragen der Führungstätigkeit im Dezember 1972, FDJ BL Gera, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.138, S. 4. 1068 Information aus dem Monatsbericht des Genossen K. Naumann, SED BL Berlin, an die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, Februar 1972, SAPMO-BArch, DY 30/ 2118, S. 18f. 1069 Monatsbericht März 1972 von K. Naumann, SED BL Berlin, an das ZK der SED, Genosse Erich Honecker, 28.3.1972, SAPMO-BArch, DY 30/ 2198, S. 24. 1070 Zatlin, in: Müller/Poutrus, S. 302.

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In Potsdam verglich ein Deutscher die Polen in einem Kaufhaus als „gedankenlosen Mob“, dessen Ziel es sei ostdeutsche Konsumgüter zu verschlingen. Er warnte: „Die Polacken sind Heuschreckenschwärme“ und sie „lassen uns nur wenig Waren übrig“.1071

1973 In Dresden wurden im Mai Friedhofsschändungen mit anti-semitischen Schmierereien festgestellt.1072 In Bleicherode im Kreis Nordhausen (Bezirk Erfurt) wurden Friedhofsschändungen mit anti-semitischen Schmierereien festgestellt.1073 In Motzen (Bezirk Potsdam) wurden am 20. Mai zwei sowjetische Zivilangestellte der GSSD von fünf Deutschen (17, 18, 21, 21 und 23 Jahre) überfallen, niedergeschlagen und mit Zaunlatten und Steinwürfen schwer verletzt. Gegen die rassistischen Angreifer wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) und § 102 StGB (Terror) eingeleitet. Die Untersuchungen ergaben, dass die Täter „eifrige Hörer westlicher Rundfunk- und Fernsehsender“ waren und in der Vergangenheit durch rowdyhafte Handlungen bei öffentlichen Veranstaltungen aufgefallen waren. Einer der Täter war der Sohn eines Oberstleutnants der Grenztruppen der NVA und seine Mutter war Lehrerin.1074 In Gera wurden mehrere Jugendliche registriert, die zur historischen Nationalitätenpolitik der KPdSU gegenüber Juden und Deutschen Fragen stellten, aus denen „nationalistische Überheblichkeit“ sichtbar wurde. Funktionäre erklärten diese Orientierung damit, dass nationalistische Töne aus dem Westen „hineingetragen“ wurden.1075 Im Bezirk Neubrandenburg betrachteten mehrere Jugendliche die Entwicklung des „Sozialismus“ in der DDR ausschließlich als ökonomischen Prozess, ohne politische oder ideologische Voraussetzungen, Steuerungen oder Zielstellungen. In diesem Kontext zeigten Jugendliche auch nicht die „richtige“ Einstellung zu den „polnischen Klassenbrüdern“. Es gab bei ihnen national-chauvinistische Vorstellungen, d. h. die VR Polen wurde als weniger entwickelt als die DDR eingeschätzt. Ungarische oder polnische Gastarbeiter würden lediglich als Arbeitskräfte und nicht als „Klassenbrüder“ betrachtet. Die stereotypische Feindlichkeit wurde hier insofern wieder sichtbar, 1071 Ebenda. 1072 SED-Information über das Gespräch mit den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in der DDR, 30.01.1973, NfD, Abteilung I des ZK der SED, Berlin, 28.02.1973, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/174, S. 3-4, 1073 Ebenda. 1074 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2185, S. 1-4, Streng Geheim; Kowalczuk/Wolle, a.a.O., S. 151. 1075 Fragen der Führungstätigkeit im Dezember 1972, FDJ BL Gera, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.138, S. 4.

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als Mangelerscheinungen bei Konsumgütern und Ersatzteilen mit der Anwesenheit von Ausländern erklärt wurden.1076 Die DDR lieferte Ende des Jahres Waffen an Syrien. Darunter befanden sich 12 Abfangjagdflugzeuge MiG-21, 62 mittlere Panzer vom Typ T-54 AM mit Munition, 300 Panzerbüchsen RPG- 7, 74.500 Granaten und 30.000 Panzerminen.1077 Im Radio sprach ein Kommentator der Stimme der DDR am 12. Oktober von der „Nazi-Luftwaffe Israels“.1078 Helmut Aris, Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dresden, äußerte sich, in einem Gespräch mit führenden Parteifunktionären des Zentralkomitees der SED, über anti-semitische Vorkommnisse in der DDR. Zu einer syrischen Ausstellung seien Broschüren mit anti-semitischen Äußerungen verteilt worden. Es handelte es sich um eine Veröffentlichung: „Das Massaker von Kafr Kassem“, aus dem Verlag „Haus Palästina“ in Damaskus, Syrien. Des Weiteren bestätigte Aris den Funktionären der SED, dass bei Schändungen von Jüdischen Friedhöfen sofort reagiert werde - wenn auch nicht mit akzeptablen Argumenten. So wurden, nach der Schändung eines Jüdischen Friedhofes in Dresden, 3bis 4-jährige Kinder verantwortlich gemacht.1079 In Suhl-Heinrichs wurden drei oder vier Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof umgestoßen.1080 In Karl-Marx-Stadt wurde an einem Häuserblock in dem Chilenen wohnten, die Parole: „Chilenen raus“ angebracht. Das angebliche Privileg, als Ausländer in einer Wohnung zu wohnen, diente als Vorwand für die Kaschierung der rassistischen Forderung. Nach dem Putsch des chilenischen Militärs unter der Führung von General A. Pinochet im Jahre 1973, kamen mehrere Hundert Flüchtlinge aus Chile in die DDR. Dort wurden sie zwar von der Führung der SED mit offenen Armen empfangen, als Ausdruck ihres proletarischen Internationalismus.1081

1076 Persönliche Information des 1. Sekretärs der FDJ-Bezirksleitung Leipzig an den 1. Sekretär des ZR der FDJ, 28.11.1973, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.148. S. 4. 1077 Wolffsohn, S. 255. 1078 Siegler, S. 128. 1079 Information über das Gespräch mit den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden in der DDR am 30.01.1973, NfD, Abtg. I des ZK der SED, Berlin, 28.02.1973, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/174, S. 3 - 4. 1080 Schmidt, S. 80. 1081 Vgl. Mai.

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1974 In Basdorf bei Berlin (Bezirk Frankfurt/O.) gab es in einer Volkspolizei-Bereitschaft eine Gruppe von Volkspolizisten, die sich als „SS-Einheit“ verstanden. Sie konnten erst nach Monaten von der Staatsanwaltschaft enttarnt werden.1082 In Arnstadt (Bezirk Erfurt) wurden im März/April zehn Grabmale auf dem Jüdischen Friedhof geschändet.1083 In Berlin (DDR) wurde im Mai der Jüdische Friedhof der Adass Jisroel Gemeinde geschändet.1084 In Worbis (Bezirk Erfurt) wurde eine Sekretärin für Agitation und Propaganda der FDJ-Kreisleitung wegen Diebstahl an persönlichem Eigentum einer Mitarbeiterin der Kreisleitung überführt. Bei einer Hausdurchsuchung wurden drei Bücher mit faschistischen und militaristischen Inhalten gefunden und beschlagnahmt. Sie wurde von ihrem Posten in der Kreisleitung entlassen und zur Strafe in die Industrieproduktion versetzt. Als Mitglied der SED erhielt sie eine „strenge Rüge“, wurde aber nicht aus der Partei ausgeschlossen.1085 In Gotha (Bezirk Erfurt) wurden in der Fachschule für Transporttechnik Hakenkreuze entdeckt. Die Untersuchungen der Sicherheitsorgane erbrachten keine Hinweise über die Hintergründe.1086 In Meißen (Bezirk Dresden) wurde an der 4. Oberschule rote Fahne (auf einem Plakat), mit einem Hakenkreuz versehen und auf zwei andere Plakatanschläge waren ebenfalls Hakenkreuze gemalt worden. Wenige Tage davor waren in Meißen auf Bänken in Schulräume Hakenkreuze gefunden worden. Außer einem geständigen Schüler aus einer 8. Klasse konnten keine Täter ermittelt werden.1087 In Zittau (Bezirk Dresden) wurde der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien geschändet.1088 In Dresden wurde der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien geschändet.1089

1082 Madloch, S. 70; Siegler, S. 79. 1083 Schmidt, S. 70. 1084 Schmidt, S. 86. 1085 Monatliche persönliche Information der FDJ BL Erfurt, 07.01.1974, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.149, S. 9. 1086 Ebenda. 1087 Monatsbericht der FDJ BL Dresden, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.215, S. 6. 1088 Madloch, S. 69; Mertens, in: Arndt/Eschwege/Honigmann/Mertens, S. 125-159. 1089 Schmidt, S. 128.

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In Schwerin wurde der Jüdische Friedhof im Februar geschändet.1090 Zehn Lehrlinge der Betriebsberufsschule des Schraubenkombinats Tambach-Dietharz (Bezirk Erfurt) fuhren zu einem Fußballspiel, Lok Leipzig gegen Fortuna Düsseldorf, nach Leipzig. Auf dem Bahnhof in Leipzig zeigten sie drei selbstgefertigte Vereinsfahnen mit west-deutschen Vereinsemblemen, was Leipziger Bürger als „Provokation“ empfanden. Die Untersuchungen ergaben bei den Jugendlichen erhebliche Unklarheiten in der Einschätzung des „Klassencharakters“ der beiden deutschen Staaten, die auf den Einfluß „westlicher Massenmedien“ und verwandtschaftlicher Beziehungen zu Familienangehörigen im Westen zurück geführt wurden.1091 In Senftenberg (Bezirk Cottbus) im Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“ stellte die „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST) der Belegschaft Motorräder zur Verfügung, die sie in der Freizeit benutzen durften. Für Ausländer war das verboten worden.1092 In Senftenberg (Bezirk Cottbus) fanden im Braunkohlekombinat „Schwarze Pumpe“ im Dezember in und vor drei Baracken Schlägereien zwischen Algeriern einerseits und Deutschen und Polen andererseits statt. Es wurden Messer, Schraubenzieher, Hämmer und Zangen eingesetzt. Es gab viele Verletzte.1093 Durch Berichte von Informellen Mitarbeitern (IM) erfuhr das MfS, dass sich im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ drei Unteroffiziere zu einer neo-nazistischen Gruppe zusammen geschlossen hatten, die auch besonders aktiv Mitglieder der SED einschüchterten.1094

1975 In Leipzig wurden im Januar 29 Grabsteine auf dem Neuen Jüdischen Friedhof geschändet.1095 In der Mitte der 1970er Jahre ereigneten sich eine Reihe neo-nazistischer Äußerungen an Schulen und Berufsausbildungsstätten. Lehrlinge in der Betriebsberufsschule eines Baukombinates zeigten den Hitlergruß.1096

1090 Schmidt, S. 103. 1091 Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 07.01.1974, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.149, S. 9f. 1092 Krüger-Potratz, S. 51. 1093 Bougherara, S. 150. 1094 BStU BF1/B. Eisenfeld, 22.2.2001. 1095 Ebenda, S. 101. 1096 Monatsbericht der FDJ BL Dresden, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.215, S. 6.

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In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee geschändet.1097 In Erfurt kam es am 10., 11. und 12. August zu Pogromen gegen Algerier. Die Auseinandersetzunge zwischen Algeriern und rassistisch motivierten Deutschen begannen am 10. August bei einem Volksfest auf dem Domplatz, als zwei Algerier leichte Gesichtsverletzungen erlitten. Danach zogen ca. 25 Algerier Richtung Hauptbahnhof, offensichtlich mit der Absicht, zu ihren Unterkünften zu gelangen. Sie wurden von einer Gruppe von ca. 300 Rassisten verfolgt, wobei gerufen wurde „schlagt sie tot“. Unterwegs hatten sich die Angreifer mit Eisenstangen, Knüppeln und Holzlatten bewaffnet und daher gab es viele Verletzte. Unter Polizeischutz konnten die Algerier in ihre Unterkünfte flüchten. Am Abend des 11. August versammelten sich mit Messern, Stöcken und Drahtseilen bewaffnete Algerier vor ihren Wohnungen mit der Absicht, ins Stadtzentrum zu fahren, wo angeblich Algerier zusammengeschlagen würden. Sicherheitsorgane und Betreuer konnten die Algerier dazu bewegen, wieder in ihr Wohnheim zurück zu kehren. Am Abend des 12. August kam es im Stadtzentrum, in unmittelbarer Nähe des Hauptpostamtes, Danach wurden fünf „Rädelsführer und Rowdys“ gerichtlich zur Verantwortung gezogen und es stellte sich heraus, dass sie bereits zuvor mit Gesetzen in Konflikt gekommen waren. Als Ursachen für diesen Pogrom wurden u. a. „antisozialistische, nationalistische“ Einstellungen der Angreifer genannt. Der Rat der Stadt Erfurt, der Rat des Kreises Erfurt und verschiedene Grundorganisationen sollten eine „umfassende“ politische Arbeit entwickeln, um freundschaftliche Beziehungen mit den Algeriern bei der Arbeit und in der Freizeit auszubauen. Dazu sollten „Freundschaftstreffen“ und sportliche Wettkämpfe organisiert werden. Die Ursache jedoch, wären „junge Saboteure im Dienst der westdeutschen Revanchisten“ gewesen, die vom bevorstehenden Besuch von Bundes-Kanzler Willy Brandt in Erfurt profitieren wollten.1098 In Neudietendorf (Bezirk Erfurt) kam es am 17. August in der HO-Gaststätte „Zur Linde“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen acht Deutschen und 12 Ungarn. Als die Ungarn aus der Gaststätte und aus dem Ort flüchteten, wurden sie vom rassistischen Mob bis an die Ortsgrenze verfolgt. Gegen die Täter wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet nach § 215 StGB (Rowdytum) und sie wurden inhaftiert.1099 In Erfurt wurde am 20. August im Verwaltungsgebäude des VEB Verkehrskombinat, Kfz-Instandsetzungsbetrieb, in der Herrentoilette rassistische Schmierereien aufgefunden, wie z. B. „Algerier raus aus Deutschland“ und dazu kamen Textpassagen in denen gehetzt wurde, dass die Algerier den Deutschen Neubauwohnungen und Arbeit 1097 Schmidt, S. 91. 1098 BStU, MfS, ZAIG, Nr. Z 2420, S. 1-10, Streng geheim; Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 04.09.1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.236, S. 11; Information der SED BL Erfurt an E. Honecker, Erfurt, 20. August 1975, S. 67. Nassima Bougherara: Die Rolle von Betreuern und Dolmetschern aus den Herkunftsländern, in: Almut Zwengel, a.a.O., 2011, S. 143. 1099 BStU, MfS, Z, Nr. 2424, S. 1-3, Streng geheim.

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wegnehmen würden, dass sie kein Benehmen hätten und „unsere“ Mädchen wegnähmen.1100 In Schwarze Pumpe (Bezirk Cottbus), heute ein Ortsteil von Spremberg, hatten Algerier im Gas-Kombinat im November durch einen Streik 120 Mark mehr Lohn erkämpft. Dieser erfolgreiche Streik löste in vielen Bereichen große Unzufriedenheit bei ost-deutschen Werktätigen aus und zusammen „mit Feindtätigkeit kam es zu einer komplizierten politischen Lage“. Dieser erfolgreiche Streik ausländischer Arbeiter hatte bei den ost-deutschen Arbeitern heftige Auswirkungen. Die verfügbaren Informationen schließen mit der Bemerkung, dass die politische Situation im Kombinat wieder unter Kontrolle sei. Algerien erließ 1982 ein Gesetz, dass die Ausbeutung algerischer Staatsbürger durch fremde Staaten verbot und aufgrund dieses Gesetzes kündigte Algerien das Regierungsabkommen mit der DDR und holte alle algerischen Vertragsarbeiter zurück.1101 In Suhl fand im Jugendklub „Stadtzentrum“ eine Schlägerei statt zwischen „unseren“ Jugendlichen und etwa zwanzig Algeriern. Volkspolizisten und FDJ-Ordnungsgruppen und beendeten die physischen Auseinandersetzungen. Es gab neun Verletzte und darunter zwei Schwerverletzte. Ursachen für den Gewaltausbruch konnten nicht ermittelt werden.1102 In Görlitz (Bezirk Dresden) kam es während der Vorführung des sowjetischen Films „Blockade“ zu Sympathiebekundungen für prominente Nationalsozialisten. In bestimmten Sequenzen des Films wurde Beifall geklatscht, besonders wenn Hitler, Fahrzeuge der Wehrmacht oder Folterungen von sowjetischen Frauen gezeigt wurde. Die anwesenden Funktionäre und Pädagogen der FDJ unternahmen nichts gegen diese Provokationen.1103 In Meißen (Bezirk Dresden) wurde an der 4. Oberschule eine rote Fahne (auf einem Plakat), mit einem Hakenkreuz versehen und auf zwei anderen Plakatanschlägen waren ebenfalls Hakenkreuze gemalt worden. Wenige Tage davor waren in Schulräumen Hakenkreuze auf Bänken gefunden worden. Außer einem geständigen Schüler aus einer 8. Klasse, konnten keine Täter ermittelt werden.1104

1100 BStU, MfS, Z, Nr. 2424, S. 3, Streng geheim. 1101 Persönliche Information der FDJ BL Cottbus, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.222; Thomä-Venske, Hans: Notizen zur Situation der Ausländer in der DDR, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 3/1990, Baden-Baden, S. 125-131. 1102 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 01.10.1975-30.11.1975, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Vertraulich, Berlin, 08.12.1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 5. 1103 Information über besondere Vorkommnisse unter der Jugend im Zeitraum vom 01.10.197530.11.1975, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Vertraulich, Berlin, 08.12.1975, SAPMOBArch, DY 24/ A 9.636, S. 3. 1104 Monatsbericht der FDJ BL Dresden, November 1975, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.215, S. 6.

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In Dresden kam es in einem Filmtheater zu neo-nazistischen Äußerungen von Lehrlingen aus Bau- und Montagekombinaten. Ca. 30 Jugendliche führten „provokatorische“ Handlungen durch, so dass während der gesamten Filmvorführung große Unruhe im Saal herrschte. Der Direktor der Betriebsberufsschule ließ deswegen die Vorführung nach dem ersten Teil des Filmes „Blockade“ abbrechen. Nach einigen Aussprachen in verschiedenen Leitungen distanzierte sich die Mehrheit der FDJ-Mitglieder von den „Provokateuren“. Eine namentliche Ermittlung der Akteure war nicht möglich.1105 Im Bezirk Dresden hatte sich in den Jahren 1974, 1975, und im ersten Halbjahr 1976, die Zahl neo-nazistischer Vorkommnisse erhöht. Aufschlussreich ist das insofern, als die ermittelten Steigerungen im Jahr 1976 bereits für das erste Halbjahr galten und die Analyse Rubriken aufweist, wie z. B. Besitz bzw. die Verbreitung von „Schundund Schmutzliteratur“, „Staatsverleumdung in Verbindung mit Tätlichkeiten gegen Angehörige der Staatsorgane“, „Verbrennen einer DDR-Fahne“ und „Rowdytum, Körperverletzung“, bei denen davon auszugehen ist, dass sich dahinter weitere neonazistische Aktionen verbargen.1106 In Uder im Kreis Heilbad Heiligenstadt (Bezirk Erfurt) wurde im Oberschulkombinat eine Jugendgruppe aufgelöst, die Hitler und den „Nationalsozialismus“ verehrten. Der Anführer dieser Gruppe, war ein stellvertretender FDJ Sekretär, der „einmal groß dastehen“ wollte.1107 In Brandenburg (Bezirk Potsdam) existierte im Technischen Dienst der 1. Staffel des Hubschraubergeschwaders 34 der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) eine Gruppe von sechs Unteroffizieren, die sich als „Parteizelle“ der ehemaligen NSDAP verstanden, „Sieg Heil“ riefen, den Hitlergruß zeigten und am 20. April den Geburtstag von A. Hitler feierten. Juden, Afrikaner, Sorben und Kommunisten waren für sie Angehörige von minderwertigen Rassen. Wer sich gegen sie stellte wurde bedroht. Ein „Rädelsführer“ wurde wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Drei weitere Unteroffiziere wurden wegen „Staatsverleumdung“ zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und sechs Monaten bzw. zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei zwei weiteren Neo-Nazis wurden die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt.1108

1105 Ebenda, S. 4. 1106 Besonderen Vorkommnisse unter der Jugend aus den Jahren 1974, 1975 und vom I. Halbjahr 1976, Vertraulich, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, 04.08.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 2; Persönliche Information - Juni 1977, FDJ BL Dresden, 07.07.1977, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.300, S.2. 1107 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend im Zeitraum vom 27.05.1975-28.07.1975, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, den 30.07.1975, Vertraulich, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 5. 1108 BStU, BF1/B Eisenfeld, 22.2.2001; Eisenfeld, in: Erhart Neubert/Bernd Eisenfeld (Hg.), S. 254f.

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Im Militärbezirk Neubrandenburg gründete ein Maat der Volksmarine im Januar eine „Partei“, die die deutsch-sowjetische Freundschaft ablehnte. Es wurden „Braune Abende“ organisiert, bei denen die Politik A. Hitlers glorifiziert wurde. Das Militärobergericht Neubrandenburg verurteilte den Maat zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug wegen „staatsfeindlicher Hetze“ nach §§ 106 (1) und 108 StGB. Ein weiterer Soldat wurde zu einem Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt. Drei andere Soldaten, sie hatten sich als Zeugen ausgesagt, kamen mit Disziplinarstrafen davon.1109 In Potsdam wurde ein Jüdischer Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien geschändet.1110 In Magdeburg wurde im Oktober 23 Gräber auf dem Großen Jüdischen Zentralfriedhof geschändet.1111 Ein Feldwebel der NVA, er verstand sich als „alter Preuße“, blickte voller Stolz auf seine „judenfreie Ahnentafel“. Nach dem preußischen Vorbild: „Jeder Tritt ein Brit, jeder Stoß ein Franzos und jeder Schuß ein Ruß“, hatte er den Text umgedichtete und vertrat die Ansicht, daß er nicht gegen die Briten und Franzosen angehen würde, aber er würde auf die Russen schießen.1112

1976 In Dresden kam es an der Betriebsberufsschule eines Volkseigenen Baukombinats in der Klasse für Ausbaufacharbeiter des ersten Lehrjahres zu einer „unhaltbaren“ politischen Situation. Einige Schüler gebrauchten anti-semitische und anti-kommunistische Begrüßungsformeln und Redewendungen wie z. B. „Jude, Judenschwein, Rotes Schwein und Jude raus“. Die Sicherheitskräfte ermittelten daraufhin einen Lehrling als „Anführer“, der durch Androhung von Gewalt die ganze Schulklasse in Angst und Schrecken versetzt hätte. Funktionäre behaupteten er hätte Westfernsehen gesehen und habe deshalb „üble Hetze“ über die DDR verbreitet.1113 In Meißen (Bezirk Dresden) wurden im Chemieunterricht einer 8. Klasse der 4. Oberschule mehrere anti-semitischem Texte gefunden. Auf einer Mitgliederversammlung der FDJ diskutierte der Direktor, der Klassenleiter und der Sekretär der SED mit den Schülern und wiesen dabei auf die historischen Parallelen dieses Begriffs hin. Sie erklärten, dass mit dem Begriff „Jude“ die nationalsozialistischen Gräu1109 Wenzke (März 2005), S. 306; Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256. 1110 Mertens, in: Arndt/Eschwege/Honigmann/Mertens, S. 125-159; Schmidt, S. 128 und S. 138. 1111 Schmidt, S. 101. 1112 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 249. 1113 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend im Zeitraum vom 01.12.1975 - 28.01.1976, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Vertraulich, Berlin, 11.02.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 3f.

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eltaten und Verbrechen begonnen hätten und am Ende dieser Entwicklung Millionen von Juden verfolgt und ermordet worden waren. Dies sei deshalb inszeniert worden, weil die Nazis zur Entfachung des 2. Weltkriegs einen Vorwand gebraucht hätten. Der Begriff „Jude“ sei also für sich genommen bereits als verunglimpfend zu verstehen.1114 In Dresden wollten am 20. April Fernmeldemonteur-Lehrlinge der Betriebsschule der Bezirksdirektion der Deutschen Post, zum Gedenken an Hitlers Geburtstag, während des Geschichtsunterrichts eine Schweigeminute einlegen. Ein Schüler rief: „Schweigt! - Schweigeminute!“ Als dem Klassenlehrer der Grund für diesen Auftritt klar wurde, rief er den Direktor der Schule zu Hilfe. Diese Schulklasse war bekannt dafür, dass körperlich schwächere Schüler bedroht und erpresst wurden, bezahlten Schüler jedoch eine bestimmte Geldsumme, blieben sie von Übergriffen verschont. Der „Rädelsführer“ hatte bereits im Oktober 1975 einem Mitschüler mit Kreide das Wort „Jude“ auf den Rücken geschrieben. Erst nach beharrlichen Bemühungen war es möglich, ihn aus der FDJ auszuschließen. Bei der dazu erfolgten Abstimmung über seinen Ausschluß kam es zu einer Stimmenthaltung. Stimmenthaltungen waren ungewöhnlich und wurden grundsätzlich negativ beurteilt. Neben der FDJ-Mitgliederversammlung fanden Aussprachen mit den Eltern der Schüler statt, und zur Anhebung des Informationsniveaus wurde der Besuch des Films „Die Abenteuer des Werner Holt“ angeordnet.1115 In Stolpen im Kreis Sebnitz (Bezirk Dresden) fand am 20. April in einer 9. Klasse der Polytechnischen Oberschule eine Gedenkminute für Hitler statt. Ein Lehrling und FDJ-Mitglied hatte drei Schüler der Klasse aufgefordert, sie waren ebenfalls Mitglieder der FDJ, die Gedenkminute durchzuführen. Die vier FDJ-Mitglieder erhielten daraufhin durch die Kreisleitung Sebnitz, eine Rüge und zuzüglich einen „Verbandsauftrag“ als Strafe. Gegen den Klassenlehrer wurde durch die Abteilung Volksbildung ein Disziplinarverfahren eingeleitet.1116 In Dresden in der 75. Oberschule schrieb ein Schüler einer 4. Klasse auf einen Zettel und unter die Schulbank „Heil Hitler! Hoch lebe Hitler!“ Auf Befragen gab er an, er habe dies in einem Film gesehen.1117 Im Kreis Hainichen wurde ein Mahnmal der „Verfolgten des Naziregimes“ (VdN) mit Hakenkreuzen geschändet.1118 1114 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend im Zeitraum vom 05. Mai 1976 bis 30. Juni 1976, Vertraulich, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, 13. Juli 1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.245, S. 7f. 1115 Ebenda, S. 8f. 1116 Besondere Vorkommnisse vom 05.05.1976 - 30.06.1976, FDJ Abteilung. Verbandsorgane, Berlin, 13.07.1976, Vertraulich, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 1-10. 1117 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 01.12.1975 - 28.01.1976, Abteilung Verbandsorgane, Vertraulich, Berlin, den 11.02.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 4. 1118 Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256/III.

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In Berlin-Buchholz (DDR) kam es in einer HO-Gaststätte zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen etwa 200 Jugendlichen und den Besatzungen von sechs Funkstreifenwagen der Volkspolizei. Es kam zu Tätlichkeiten und Volkspolizisten wurden mit „staatsverleumderischen“ Äußerungen beschimpft und beleidigt.1119 In Aken im Kreis Köthen (Bezirk Halle) kam es zu einer Massenschlägerei zwischen Algeriern und FDJ-Mitgliedern, an der insgesamt etwa dreißig Personen beteiligt waren – darunter waren auch Mitglieder von FDJ-Ordnungsgruppen. Als „Verantwortlicher“ für die Auseinandersetzungen wurde ein Angehöriger der Ordnungsgruppen verhaftet. Danach wurden in Aken feindselige Stimmungen gegen algerische Arbeiter festgestellt.1120 In Aschersleben (Bezirk Halle) wurde 1976 eine Schlägerei zwischen fünf algerischen Arbeitern und einigen deutschen Jugendlichen durch die Volkspolizei beendet. Die Algerier hatten den Jugendklub in der Güstener Straße betreten wollen, jedoch wurde ihnen der Einlass mit der Begründung verwehrt, der Saal sei bereits überfüllt. Im Anschluss daran trat ein Algerier einem Türsteher ins Gesicht, worauf mehrere Ost-Deutsche in den Streit eingriffen. Von den Algeriern wurden Messer und Stöcke eingesetzt. Insgesamt wurden sechs Personen verletzt, von denen vier in stationäre Behandlung mußten. Gegen fünf Algerier wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und sie wurden in Untersuchungshaft genommen.1121 In Karl-Marx-Stadt wurde Unverständnis über die Probleme in Polen geäußert und es wurden abfällige Bemerkungen über Polen im allgemeinen entwickelt.1122 Im Bezirk Dresden wurden anti-polnische und national-chauvinistische Äußerungen festgestellt, als die politischen und ökonomischen Kompetenzen der polnischen Regierung in Zweifel gezogen wurden. Charakteristisch dafür waren negative Beurteilungen der polnischen Volkswirtschaft und positive Einschätzungen der Ost-Deutschen. Ein anderer anti-polnischer Stereotyp beinhaltete die Vorstellung, die Polen sollten erst einmal ihre Landwirtschaft in Ordnung bringen, bevor man ihnen helfen könne. Polemische und kritische Äußerungen zum Kauf und Verkauf von Waren durch polnische Touristen, wurden besonders in den Grenzbezirken zu Polen geäu-

1119 Ebenda, S. 5. 1120 Besondere Vorkommnisse unter der Jugend vom 20.03.1976 - 04.05.1976, Vertraulich, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 11.06.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 4. 1121 Besondere Vorkommnisse vom 01.08.1976 - 08.09.1976, ZR der FDJ, Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.246, S. 2. Diese Information gelangte durch die örtliche Volkspolizei über das Ministerium des Innern, an den ZR der FDJ und dort zur Abteilung Verbandsorgane; Besondere Vorkommnisse von Januar 1975 - März 1976, FDJ Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.636, S. 4. 1122 Persönliche Information - Juni der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 06.07.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.260, S. 4.

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ßert, wo angeblich beobachtet worden war, welche „Warenströme“‘ täglich durch polnische Touristen nach Polen abflößen.1123 In mehreren Bezirken wurde festgestellt, dass die Zusammenarbeit mit Institutionen auf der anderen Seite der Oder, seit mindestens 1975, praktisch nicht mehr gegeben war. Immer wieder wurden rassistische Urteile über Polen registriert.1124 In Berlin (DDR) wurde im März der Jüdische Friedhof der Adass Jisroel Gemeinde geschändet.1125 In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet.1126 Über 300 Jugendliche, Arbeiter der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und Studenten, reisten als offizielle Delegation der Landjugend in die Ukraine. In einem Hotelzimmer wurden Lieder der Wehrmacht gesungen. Auf der Rückfahrt organisierte die „Zugleitung“ der FDJ eine Parteiversammlung auf der über diese Exzesse diskutiert wurde.1127 In Potsdam wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1128 In Suhl-Heinrichs wurden im März auf dem Jüdischen Friedhof ca. 18 Grabsteine geschändet.1129 In Bleicherode (Bezirk Erfurt) wurde im Mai der Jüdische Friedhof geschändet. Bei den Tätern befand sich ein Jugendlicher, der bereits 1970 an einer Friedhofsschändung beteiligt gewesen war.1130 In Förderstedt im Kreis Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde in der Gaststätte „Zum Dreieck“ ein Algerier von einem Deutschen verletzt, weil er sich gegen die Verlobte des Deutschen „aufdringlich“ verhalten haben soll.1131

1123 Persönliche Information - Juli 1976, FDJ BL Dresden, 09.08.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9258, S. 7. 1124 Persönliche Information für den August der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 07.09.1976, SAPMOBArch, DY 24/ A 9.260, S. 5; Persönliche Information für den August der FDJ BL Neubrandenburg, NfD, 09.09.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.249, S. 4; Persönlicher Bericht an den 1. Sekretär des ZR der FDJ - August 1976, SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.256, S. 6; Persönliche Information Februar 1977, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ A 9.302. 1125 Schmidt, S. 86. 1126 Schmidt, S. 90. 1127 Persönliche Information, FDJ BL Neubrandenburg, 08.01.1976, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.229, S. 4. 1128 Schmidt, S. 138. 1129 Schmidt, S. 81. 1130 Schmidt, S. 66f. 1131 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15278, S. 248 und S. 249.

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1977 In Leipzig wurde im März der Neue Jüdische Friedhof geschändet.1132 In Berlin (DDR) kam es am 7. Oktober auf dem Alexanderplatz zu Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und Einheiten der Volkspolizei. Die Ausschreitungen begannen nach einem Fußballspiel des 1. FC Union Berlin gegen BFC Dynamo und gehörten, was Ausmaß und Intensität der Krawalle anlangt, zu den gewichtigsten Straßenkämpfen in der DDR. Nach dem Fußballspiel waren Hooligans durch die Straßen gezogen und riefen „antisozialistische, partei- und staatsfeindliche“ Parolen wie z. B. „Ras dwa tri – Russen werden wir nie – Nieder mit der Bullen-Elf“. Daraufhin schritten Einheiten der Volkspolizisten ein, die mit Steinen beworfen wurden und es wurden Uniform-Mützen verbrannt. Mehrere Demonstranten wurden verhaftet und es stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen aus den Bezirken Lichtenberg, Köpenick und Treptow kamen. In den Medien wurde der politische Charakter der Auseinandersetzungen damit geleugnet, es hätte sich hier nur um „Rowdytum“ gehandelt, d. h. diese Ausschreitungen in Berlin seien Vorkommnisse gewesen, die nach einer Sportveranstaltung stattgefunden hatten.1133 Im Kreis Sonneberg (Bezirk Suhl) wurde eine Gruppe von Schülern entdeckt, die faschistische Traditionen verherrlichten. Die rasche Aufdeckung wurde darauf zurückgeführt, dass es der FDJ gelungen sei, die „politische Wachsamkeit“ zu erhöhen.1134 In zwei Kreisen im Bezirk Dresden traten Jugendliche in Gruppen auf, die nationalsozialistische Symbole trugen. Ihre Vorbilder sahen sie in der SS und der Wehrmacht, deren militärischen Rangbezeichnungen sie übernommen hatten.1135 Im Bezirk Potsdam gab es im November ca. vierzig Fälle bei denen Schüler und FDJMitglieder aus Polytechnischen Oberschulen, faschistische Symbole verbreiteten, den Hitlergruß zeigten und neo-faschistische und anti-semitische Texte hergestellt und verbreitet hatten. Ein Funktionär hielt diese Manifestationen der Jugendlichen für den Ausdruck unbewußter Einstellungen, denen er deshalb keinerlei staatsfeindliche Ab1132 Schmidt, S. 100. 1133 Information über Meinungen zu den Ausschreitungen von Jugendlichen am 7.10.1977, SED Abteilung Parteiorgane, 13.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV-2/5/490, S. 4; Information über Meinungen zu Problemen der Innen- und Außenpolitik, aus Kreisleitungen und Grundorganisationen bis 03.10.1977, SED Abtg. Parteiorgane, Berlin, 11.10.1977, SAPMOBArch, DY 30/ (BPA) IV - 2/5/490, S. 7; Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Sekretariats der Bezirksleitung der SED Berlin, VVS 1/04, 10.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/3/110. In einem weiteren Papier der SED-BL Berlin vom 31.10.1977 wurde dieses Gerücht erneut aufgegriffen und die fehlende Aufklärung durch das Neue Deutschland beklagt; Willmann (Hrsg.), S. 156. 1134 Persönliche Information März 1977, FDJ BL Suhl, 11.04.1977, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.310, S. 5. 1135 Persönliche Information - Juni 1977, FDJ BL Dresden, 07.07.1977, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.300, S. 1f.

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sichten zurechnete. Als primäre Motive sah er bei den Jugendlichen einen starken Drang zur Selbstdarstellung, persönliche Konflikte und „Angebertum“.1136 Warum diese Jugendlichen gerade mit faschistischen oder anti-semitischen Äußerungen ihre persönlichen Konflikte darstellten, bleibt jedoch das Geheimnis dieses Funktionärs. Im Bezirk Cottbus gab es eine Zunahme neo-nazistischer Schmierereien und dafür wurden zwei Ursachen genannt: die Auswirkungen der „Hitlerwelle“ aus der Bundesrepublik sowie fehlende historische Kenntnisse der Ost-Deutschen über den Faschismus.1137 In Marksuhl (Bezirk Erfurt) erhielt der Freundschaftsratsvorsitzende der Polytechnischen Oberschule (POS) eine schriftliche Bombendrohung mit dem Text: „1945 haben dich die alten Konti bei der Judenvergasung vergessen. Hast Glück gehabt, doch wir werden es nicht übersehen. Du bist doch die führende Kraft in der PestalozziUnterschule. Adolf Hitler“. Als Absender wurde angegeben: „Dein Russenfreund Iwan“. Die SED-Kreisleitung vereinbarte konkrete Maßnahmen mit den Sicherheitsorganen, und kurze Zeit später fanden Aussprachen mit den drei Jugendlichen statt, die den Brief geschrieben hatten. Der „Anführer“ der Jugendlichen, ein sehr guter Schüler, hatte eine Lernpatenschaft für zwei leistungsschwache Mitschüler übernommen und sie „gezwungen“, die Drohung zu verfassen. Die SED-Kreisleitung und die Beratungsrunde der 1. Kreissekretäre setzten sich mit diesem Problem auseinander und sie organisierten daraufhin mit der betroffenen FDJ-Gruppe eine Versammlung, an der Vertreter der Sicherheitsorgane und der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises teilnahmen. Als Ursache dieses anti-semitischen „Einschüchterungsversuch“ wurde der Einfluß des Westfernsehens angeführt.1138 In Dresden wurden auf dem Alten Jüdischen Friedhof Grabsteine umgestürzt und es wurden anti-semitische und neo-nazistische Schmierereien angebracht. Täter konnten nicht ermittelt werden.1139 In Berlin (DDR) wurde im Frühjahr der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet.1140 In Berlin (DDR) wurde im Juni der Jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee geschändet.1141

1136 Information der FDJ BL Potsdam, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.308, S. 5f. 1137 Persönliche Monatsinformation der FDJ BL Cottbus, 04.05.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.619. 1138 Monatliche persönliche Information der FDJ Bezirksleitung Erfurt an den Zentralrat der FDJ, Genosse Egon Krenz, Kandidat des Politbüros des ZK der SED und 1. Sekretär des Zentralrates, Erfurt, den 09.01.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.621. 1139 Mertens (1988), S. 125-159; Schmidt, S. 97, S. 110, S. 129. 1140 Schmidt, S. 90. 1141 Schmidt, S. 91.

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Nach einem Spiel der Fußballoberliga zwischen Chemie Halle und dem FC Union Berlin wurde auf der Zugfahrt nach Berlin (DDR) die Notbremse gezogen, Feuerlöscher benutzt und eine Schlägerei veranstaltet. Die Transportpolizei konnte keine „Rädelsführer“ ermitteln.1142 In Fußballstadien waren seit den 1970er Jahren neo-nazistische und anti-semitische Beschimpfungen und Übergriffe verzeichnet worden. Vermeintliche Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern, wurden z. B. mit Rufen „Juden raus“ begleitet.1143 In Berlin (DDR) im Freibad Pankow randalierten mehrere Jugendliche. Sie brüllten: „Sieg-Heil“, legten ein Feuer und verbrannten einen Baum.1144 In Rostock äußerte ein Schüler einer 6. Klasse der 39. Oberschule anti-semitische Witze.1145 Unteroffiziere und Soldaten eines Richtfunkregimentes der NVA zeigten u. a. NaziSymbole, den Hitler-Gruß, verherrlichten die Wehrmacht und sie forderten die „Vernichtung“ von Juden und Kommunisten. Zum Ende des Jahres 1977 gründeten sie eine Gruppe mit dem Namen „Bund Deutsche Einheit“. Dabei gab es u. a. ein „Führerhauptquartier“, einen „Führer“, einen „Minister für deutsche Umerziehung“, einen „Minister für Rassentrennung“ und ein „Minister für Judenverbrennung und KZ-Fragen“. Drei Soldaten wurden vom Militärobergericht Neubrandenburg im August 1978 zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und drei Monaten und zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.1146 In Strausberg (Bezirk Frankfurt/O.) gab es in der NVA neo-nazistische Gruppen, wo man sich mit dem Hitler-Gruß grüßte oder man sprach sich an mit den Namen ehemaliger NS-Faschisten. Ein Zugführer wollte, in „Neonazi-Manier“ keine SED-Mitglieder in seiner Einheit dulden und in anderen Einheiten wurden Mitglieder und Kandidaten der SED „drangsaliert und bedroht“.1147 In Löbau (Bezirk Dresden) an der Offiziershochschule feierten acht Offiziersschüler des 1. Lehrjahres am 20. April den Geburtstag von A. Hitler. Sowohl in der Unterkunft als auch in einer Gaststätte in Zittau gab es neo-nazistische und anti-semitische Äußerungen, wie z. B. „Es lebe der Nationalsozialismus“ und die „Endlösung der Ju1142 Protokoll der BL der SED Berlin, VVS I/04, 10.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/3/110. 1143 Siegler, a.a.O., S. 68f. 1144 Information über Meinungen zu Problemen der Innen- und Außenpolitik aus Berichten der Kreisleitungen und Grundorganisationen bis zum 03.10.1977, SED-Abteilung Parteiorgane, Berlin, 11.10.1977, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV 2/5/490, S. 8. 1145 BStU, MfS, BV Rostock, Abt. IX, Nr. 137. 1146 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.) (März 2005), S. 306f.; Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 252-254; Wenzke (April 2011), S. 99f. 1147 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.) (März 2005), S. 306.

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denfrage ist noch nicht abgeschlossen“. Vier Offiziersschüler wurden degradiert und in den Grundwehrdienst versetzt. Einer der Täter wurde mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Anderen blieben ohne Strafe, wurden aber „parteierzieherischen Maßnahmen“ ausgesetzt.1148 In sieben Monaten des Jahres 1977 gab es ca. 600 Vorkommnisse in Verbindung mit „neofaschistischem Gedankengut“. Schüler der Polytechnischen und Erweiterten Oberschulen sowie der Betriebsberufsschulen und der Kinder- und Jugendsportschulen wurden dabei als Täter festgestellt.1149

1978 1978/79 wurde der Straftatbestand „Staatsfeindliche Hetze“ in schriftlicher Form, so der interne Code des MfS für Neo-Nazis, insgesamt 188-mal festgestellt, außerdem wurden in den Fußballstadien Hooligans beobachtet, die neo-nazistische Parolen grölten. An Polytechnischen Oberschulen (POS) und Erweiterten Oberschulen (EOS) sowie an Betriebsberufsschulen (BBS) und Kinder- und Jugendsportschulen wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres ca. 600 neo-nazistische Vorkommnisse. Ca. 75% davon entfielen auf Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren. Es wurden vorwiegend neo-nazistische bzw. rassistische Symbole und Losungen vorgefunden. Außerdem wurde „Heil Hitler“ gegrölt und anti-kommunistische Parolen verbreitet.1150

In Magdeburg und in 13 Kreisen des Bezirks gab es Anfang des Jahres 1978 „provokatorische Äußerungen und aggressives Auftreten mit politischer Tendenz“ an einzelnen Polytechnischen Oberschulen und an Kinder- und Lehrlingswohnheimen. Es wurden Hakenkreuze angebracht, der Hitlergruß wurde gezeigt, Hitler verherrlicht und es wurde gegen die Sowjet-Union gehetzt.1151

Im Bezirk Frankfurt/O. hatte ein Feldwebel eines Pionierbataillons die Wehrmacht und die SS verherrlicht. In Anwesenheit mehrerer Soldaten führte er eine symbolische Judenverbrennung durch und er äußerte sich anti-semitisch, wie z. B. „dreckige Judensau“ oder „Ausgang gibt es nur durch die Esse“. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt.1152 In Stavenhagen-Basepohl (Bezirk Neubrandenburg) hatten am 20. April vier Feldwebel und ein Unteroffizier des Hubschraubergeschwaders 54 den Geburtstag von A. 1148 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256f. 1149 Bernd Eisenfeld, BStU, BF1/B, 22.2.2001. 1150 Ebenda; Eisenfeld (März 2006), S. 4. 1151 Politische Berichterstattung von A. Pisnik, 1. Sekretär der SED BL Magdeburg an E. Honecker, 14.02.1978, SAPMO-BArch, DY 30/ 2270, S. 5f. 1152 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 251.

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Hitler gefeiert. In Gaststätten und im Ledigenwohnheim wurde der Hitler-Gruß gezeigt und Soldaten wurden als „Hitler-Junge“ angesprochen. Ein „Rädelsführer“ wurde zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt und aus der NVA entlassen. Drei andere Soldaten wurden degradiert und versetzt.1153 In Karl-Marx-Stadt „feierten“ am 20. April Schüler der Kinder- und Jugendsportschule, als „Club ostdeutscher Neonazis“ den Geburtstag von A. Hitler und sie verbreiteten anti-semitische Hetze. Auf Beschluß der örtlichen FDJ-Gruppe wurden zehn daran beteiligte Schüler aus der FDJ ausgeschlossen.1154 In Berlin (DDR) erhoben sich am 20. April sechs Schüler einer POS von ihren Plätzen, um dadurch Hitlers Geburtstag zu begehen.1155 Ein Stabsfeldwebel der NVA äußerte u.a., die „Deutschen sind die Größten“. Deswegen leitete ein Militärstaatsanwalt ein Ermittlungsverfahren ein und er wurde aus der SED ausgeschlossen und aus der NVA entlassen. Elf der Soldaten wurden aus der SED ausgeschlossen und einer erhielt eine strenge Rüge.1156 1978/79 wurden ein Offizier, sieben Offiziersschüler und vier Unteroffiziere, alle Mitglieder der SED, nach Verstößen aus disziplinarischen Gründen wegen Verwendung und Verbreitung faschistischen „Gedankengutes“ sowie parteifeindlichem und staatsfeindlichem Verhalten aus der NVA entlassen.1157 Anfang 1978 wies der Minister für Nationale Verteidigung (MfNV) daraufhin, dass auch bei jüngeren Offizieren sowie bei Unteroffizieren und Offiziersschülern, die Fälle bei denen der Faschismus verherrlicht wurde, zusammen mit „antisowjetischen, antisemitischen und revanchistischen Äußerungen“, zugenommen hatten. Es wurden Hakenkreuze geschmiert, der Hitler-Gruß gezeigt oder Parolen wie z. B. „Sieg-Heil“ und „Hitler lebt“ geäußert. Im Speisesaal eines Munitionslagers der LSK/LV wurde die in den Raum gerufene Frage: „Wer hat Schuld, daß das Essen nicht schmeckt?“, im Chor von den Anwesenden mit „Das Weltjudentum!“ beantwortet.1158 1977/78 gab es in einer Wartungskompanie der NVA fast ein Jahr lang eine Gruppe von acht Berufsunteroffizieren, die „staatsverleumderisch“, neo-nazistisch und antisemitisch in Erscheinung getreten war. Das MfS riet hier davon ab, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren einzuleiten, um eine breite Publizität der Existenz dieser „politisch-negative(n) Gruppierung“ zu vermeiden.1159 1153 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256. 1154 Persönliche Information FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 08.05.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.625, Anlage; BStU, BF1/B Eisenfeld, 22.2.2001. 1155 Wiegmann, S. 226f; Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 262. 1156 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.) (März 2005), S. 253 und S. 304f. 1157 Ebenda, S. 256f. 1158 Ebenda, S. 304f. 1159 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 261.

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In Freiberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es an der Bergakademie während der FDJStudententage zu Schlägereien zwischen Deutschen und algerischen Arbeitern. Nach diesem Vorfall steigerten einige FDJ-Mitglieder die rassistische Stimmung, doch die örtliche FDJ-Leitung unternahm nichts gegen die Hetze „aus den eigenen Reihen“.1160 Im Bezirk Frankfurt/O. war bei einem Ferienaufenthalt junger Ukrainer eine Veranstaltung „politisch instinktlos“ organisiert worden, so dass es zu Konfrontationen zwischen deutschen „Rowdys“ und ukrainischen Komsomolzen kam.1161 In Meißen (Bezirk Dresden) kam es bei einem Volksfest zu „ernsten Ausschreitungen und Provokationen“, an denen ca. 30 bis 50 Jugendliche aktiv und ca. 400 Jugendliche passiv beteiligt waren. Es wurden Parolen gerufen wie: „Ihr roten Schweine, wir machen euch fertig, Ihr kommt alle hinter Gitter, Bullenschweine u.s.w.“. Gegen die Einheiten der Volkspolizei widersetzten sich die Jugendlichen mit Steinwürfen, wobei zwei Volkspolizisten verletzt wurden. Nach Aussagen von Mitgliedern des Rates der Stadt und des Rates des Kreises Meißen, war ein „planvolles“ Vorgehen einiger Jugendlicher nicht auszuschließen. Anlass für solche Überlegungen der Berichterstatter gab die Anwesenheit einer Berlinerin, die sich anscheinend zur Sprecherin der Jugendlichen gemacht hatte, und eines Mannes, der die Vorgänge fotografierte.1162 In Burgstädt und in Limbach-Oberfrohna (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurden an Häuserwänden der Erweiterten Oberschulen (EOS) neo-nazistische Schmierereien angebracht.1163 In Weimar (Bezirk Erfurt) wurden nach einem Treffen von Brigaden der FDJ-Baustudenten zwei FDJ-Mitglieder von einem Unbekannten angehalten und mit faschistischen und „staatsfeindlichen“ Verleumdungen konfrontiert. Bei seiner Vernehmung behauptete er, er sei „Nationalsozialist“. Sein Vater wäre SS-Hauptsturmführer und seine Mutter sei Aufseherin im KZ Maidanek gewesen. Sein Bruder habe als Soldat bei der französischen Fremdenlegion gedient.1164

1160 Persönliche Information der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 08.05.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.625, Anlage. 1161 Persönliche Information April 1978, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ 9.622, S. 4. 1162 Besonderes Vorkommnis anlässlich des Volksfestes „Rund um die Albrechtsburg“ in Meißen, 16. September 1978, FDJ BL Dresden, 04.10.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823, S. 1-3. 1163 Bericht der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, o.J., SAPMO-BArch, DY 24/ 9.625, S. 5. 1164 Information zu einem besonderen Vorkommnis während des Operativeinsatzes an der Hochschule für Architektur und Bauwesen, 27. und 28. Februar 1981, FDJ Abteilung Studenten, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823.

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In Berlin (DDR) wurden auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert. Der Friedhof musste deshalb vorübergehend geschlossen werden.1165 In Blankenburg (Bezirk Magdeburg) sangen Studenten der TH „Otto-von-Guericke“ bei einer Feier „antikommunistische und antisowjetische Lieder“. Ähnliche Vorkommnisse gab es bei einem Ernteeinsatz.1166 In Erfurt wurde das Pressefest durch Rowdys gestört die sich auf einen Rasen gesetzt hatten und den Aufforderungen von Ordnern und Helfern der Volkspolizei den Rasen zu verlassen, nicht nachgekommen waren. Anrückende Volkspolizisten wurden mit Flaschen, Scherben, Biergläsern und Steinen angegriffen. Ein Volkspolizist war von Jugendlichen eingekreist und tätlich angegriffen worden und erst mit zwei Warnschüssen aus seiner Schusswaffe, konnte er sich aus seiner misslichen Lage befreien. Insgesamt wurden bei diesen Auseinandersetzungen sechs Volkspolizisten und zwanzig Ordner verletzt. Die FDJ wurde sogar aufgefordert noch viel energischer gegen diejenigen vorzugehen, die „auf Kosten anderer leben“. Jedoch gab es auch Stimmen von Schülern und Lehrlingen, die das brutale Vorgehen der Volkspolizei kritisierten und empört fragten, ob in der DDR auch Hunde und Schlagstöcke eingesetzt werden müssten, so wie es in der BRD üblich sei. Die eingesetzte Bereitschaftseinheit der Erfurter Volkspolizei erhielt nach dem „erfolgreichen“ Einsatz Ehrenurkunden und Medaillen für ihre „hohe Einsatzbereitschaft, Mut und Konsequenz bei der Herstellung von Sicherheit und Ordnung“.1167 Im Bezirk Cottbus war eine Zunahme neo-nazistischer Schmierereien zu verzeichnen. Als Ursachen wurden dafür genannt die Auswirkungen der „Hitlerwelle“ aus der Bundesrepublik sowie fehlende historische Kenntnisse ost-deutsche Schüler über den Hitler-Faschismus.1168 In Suhl-Heinrichs wurden auf dem Jüdischen Friedhof 16 Grabmale umgeworfen und kleine Zäune der Gräber demoliert.1169

1165 Heinz Galinski: Bedenkliche Symptome – DDR-Jugend gegen Neonazismus nicht völlig immun, in: Berliner Allgemeine, 06.10.1978, S. 1 und 2. Galinski nimmt auch Stellung zum latenten Anti-Semitismus und zu rassistischen Angriffen in der DDR und er verband diese Ereignisse ursächlich mit der anti-zionistischen Außenpolitik. Danach trage die Außenpolitik der DDR nicht dazu bei den Anti-Semitismus im Land einzudämmen; Schmidt, S. 129-130. 1166 Politische Berichterstattung von A. Pisnik, 1. Sekretär der SED BL Magdeburg an E. Honecker, 14.02.1978, SAPMO-BArch, DY 30/ 2270, S. 6. 1167 Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 05.06.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.621, S. 13 – 15; Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 05.07.1978, SAPMOBArch, DY 24/ 9.621, S. 8. 1168 Persönliche Monatsinformation der FDJ BL Cottbus, 04.05.1978, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.619. 1169 Schmidt, S. 81.

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In Rostock wurden im Tagebuch eines Schülers der 8. Klasse der 54. Oberschule Hakenkreuze gefunden.1170 In Neustadt/Orla (Bezirk Gera) deckte die Volkspolizei eine neo-nazistische Gruppe (12 bis 17 Jahre) auf, die sich mit Namen von Nazis, wie z. B. „Hitler“, „Goebbels“ oder „Göring“ ansprachen. Ihre politischen Ziele waren die Befreiung von R. Heß aus dem Gefängnis und die Vereinigung Deutschlands.1171 In Priort (Bezirk Potsdam) wurden am 6. August sowjetische Soldaten der GSSD von ca. 10 Deutschen angegriffen. Ein sowjetischer Soldat gab mit seiner Pistole zwei Warnschüsse ab und auch nach dem Eintreffen von Sicherheitskräften gingen die tätlichen Angriffe auf die sowjetischen Soldaten weiter. Gegen 5 Angreifer wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und es wurden Haftbefehle erlassen.1172 In Stralsund (Bezirk Rostock) gab es vom 13. bis 15. August an verschiedenen Stellen insgesamt 21 nazistische Symbole, wie z. B. Hakenkreuze und ein Bekenntnis zur „NPD“.1173 In Großenhain-Mülbitz (Bezirk Dresden) wurde am 12. September der Ehrenfriedhof der Sowjetarmee von einem Instandhaltungsmechaniker (19 Jahre) geschändet. Er stieß drei Grabsteine um und entfernte Kränze von Gräbern. Der Täter wurde inhaftiert und ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) wurde eingeleitet.1174 In Dessau (Bezirk Halle) wurde vom 16. auf den 17. September der Ehrenfriedhof der Sowjetarmee von einem Lehrling (16 Jahre) geschändet. Er warf 120 Grabsteine um. Der Täter wurde inhaftiert und ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) wurde eingeleitet.1175 In Freyburg (Bezirk Halle) kam es am 24. September, im Rahmen eines Winzerfestes in einem Gartenlokal, zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen 11 Kubanern und mehreren Deutschen. In diese Auseinandersetzungen wurden dann anrückende Volkspolizisten verwickelt, die zur „Brechung des Widerstandes“ Schlagstöcke einsetzten. Sechs Kubaner wurden durch Bisse von Polizeihunden verletzt. Insgesamt wurden neun Kubaner verletzt und mussten medizinisch versorgt werden. Am 25. September kam der Botschafter Kubas zum VEB Zementwerk Karsdorf, dem Arbeitsplatz seiner Landsleute.1176 1170 Archiv der Hansestadt Rostock, 2.1.1/17568. 1171 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 262. 1172 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2843, S. 1-2. 1173 Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256/IV. 1174 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2870, S. 1-2; BStU, MfS, BV Dresden, Nr. 10126, Teil 2/2, S. 497499, S. 509-514, S. 572-581. 1175 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2870, S. 1-2. 1176 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2870, S. 1-25; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5491, S.

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In Stendal (Bezirk Magdeburg) wurden im Oktober auf dem Jüdischen Friedhof zehn Grabmale umgeworfen und es wurden Hakenkreuze geschmiert.1177

1979 Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des MfS informierte die Partei- und Staatsführung, in geheim gehaltenen Berichten, über eine zunehmende Verbreitung neo-nazistischer Einstellungen bei Schülern und Lehrlingen. Im Januar berichtete die ZAIG darüber, dass faschistische Hetzparolen, Hakenkreuzen und SSRunen geschmiert worden waren. Außerdem waren faschistische Lieder gesungen worden und es wurden Drohbriefe mit faschistischen Inhalten gefunden. In Einzelfällen war es zu neo-nazistischen Gruppenbildungen gekommen, wo auch der Nazismus verherrlicht worden war.1178 Im Bezirk Frankfurt/O. führten fünf Lehrlinge „Judentests“ durch. Sie zwangen andere Jungendliche dazu, sich als „Dreckiges Judenschwein“ zu bezeichnen oder sie sollten sagen: „Herr Obersturmführer, ich bin ein Jude, ich möchte in die Gaskammer.1179 Im Bezirk Frankfurt/O. gastierten 1979 mehrere hundert Komsomolzen. Beim Begrüßungsabend, er wurde durch FDJ-Ordnungsgruppen „gesichert“, störten zwei Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) die Veranstaltung mit Sprüchen wie: „Ihr roten Schweine“. Einer der Soldaten nahm Ziegelsteine und bewarf damit den Sekretär der FDJ-Kreisleitung Beeskow, der sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Die Militärstaatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein.1180 In Leipzig wurden zwei Schüler von drei Schülern an einen Holzstamm gebunden und mit brennenden Streichhölzern gezwungen den Hitlergruß zu zeigen.1181 In Berlin (DDR) wurde ein jüdischer Schüler einer Berufsschule mit anti-semitischen Witzen und Parolen angegriffen. Der Direktor und einige Lehrer deckten diese Angriffe.1182 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde ein Jüdischer Friedhof erneut geschändet.1183

1177 Schmidt, S. 129. 1178 Wiegmann, S. 226f. 1179 BStU, BF1/B. Eisenfeld, 22.2.2001; Wiegmann, S. 226f. 1180 Persönliche Information, September 1979, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ 9.622, S. 5. 1181 BStU, BF1/B. Eisenfeld, 22.2.2001; Wiegmann, a.a.O., S. 226f. 1182 Borchers, S. 62f. 1183 Schmidt, S. 78.

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In Merseburg (Bezirk Halle) war es am 11. August 1979 in der Konsumgaststätte „Saaletal“, nach einer Disko-Veranstaltung, zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und vier Ungarn einerseits und vier Kubanern andererseits gekommen. Am nächsten Tag kamen die Kubaner mit Verstärkung, Algerier hatten sich mit ihnen solidarisiert, wieder zur Diskothek, wo sie bereits von vielen Deutschen erwartet worden waren. Es gab wüste Schlägereien bei denen Holzstöcke und Kabelenden als Schlagwaffen eingesetzt wurden und wobei zwei Kubaner getötet worden sind. Ihre Leichen wurden später in der Saale gefunden. Mehrere Kubaner die schwimmend das andere Ufer der Saale erreichen wollten, wurden durch Steinwürfe von Rassisten verletzt.1184 In Rudolstadt (Bezirk Gera) kam es am 1. September im Saal des Jugendklubhauses „Ernst Thälmann“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und 10 Kubanern. Es gab mehrere Verletzte und danach wurde in einem Bus ein Deutscher von einem Kubaner mit einem Messer in den Rücken gestochen. Der Täter wurde ermittelt und festgenommen.1185

1980 In Wolfen (Bezirk Halle) kam es am 27. Januar, zwischen zwei Kubanern und drei Deutschen, zu tätlichen Auseinandersetzungen, bei denen Zaunlatten eingesetzt wurden. Es gab mittlere bis schwere Verletzungen.1186 In Coswig (Bezirk Dresden) gab es Anfang der 1980er Jahre tätliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ungarn, wo mit Zaunlatten auf die Ausländer eingeschlagen wurde. Auf dem Marsch zur Unterkunft wurde den Ungarn zugerufen: „Wir zünden den Ungarn den Block an“. Erst die eingesetzte Volkspolizei konnte den rassistischen Mob stoppen.1187 In Dessau (Bezirk Halle) gab es am 7. Februar eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kubanern und zwei Deutschen, von denen einer eine doppelseitige Fraktur des Unterkiefers erlitt.1188 In Zeitz (Bezirk Halle) gab es am 17. Februar eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kubanern und zwei Deutschen, von denen einer leicht verletzt wurde.1189

1184 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5059, S. 1-6; Leonel R. Cala Fuentes: Kubaner im realen Paradies. Ausländer-Alltag in der DDR. Berlin 2007, S. 43-45. 1185 BStU, MfS, ZAIG, 4478, S. 30-31, S. 63. 1186 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 46. 1187 Interview mit Gerhard Schöne: Angst vor einem Funken Freiheitsgeist, in: www.spiegel.de/Politik/deutschland ... 1188 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 46. 1189 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 47.

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In Karl-Marx-Stadt wurde am 9. März 1980 auf ein sowjetisches Ehrenmal der GSSD ein Sprengstoffanschlag verübt.1190 In Zeitz (Bezirk Halle) gab es am 25. April eine tätliche Auseinandersetzung zwischen drei Kubanern und zwei Deutschen, von denen einer leicht verletzt wurde.1191 In Dessau (Bezirk Halle) gab es am 18. Mai eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner und drei Deutschen. Alle drei Beteiligten wurden leicht verletzt.1192 In Leipzig gab es am 15. Juni tätliche Auseinandersetzungen zwischen fünf Kubanern und Deutschen, von denen zwei schwer verletzt wurden und stationär in einem Krankenhaus behandelt werden mussten. Bei diesen Auseinandersetzungen kam es zu einem größeren Auflauf von Deutschen, die durch die Volkspolizei aufgelöst bzw. abgedrängt wurde.1193 In Arnstadt (Bezirk Erfurt) kam es am 16. August zwischen Kubanern und Volkspolizisten zu tätlichen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf ein Volkspolizist einen Warnschuss abgab. Die Kubaner sollten vorläufig festgenommen werden und sie wehrten sich dagegen.1194 In Wolfen (Bezirk Halle) gab es am 16. August eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner und einem Deutschen, der stationär behandelt werden musste.1195 In Lauchhammer (Bezirk Cottbus) gab es in Gaststätten am 14. und am 16. August Auseinandersetzungen zwischen Mosambikanern einerseits und Deutschen, Bulgaren bzw. Polen andererseits. Zur Strafe erhielten 6 Mosambikaner eine Ausgangssperre und bei vier Mosambikanern wurde beantragt, sie aus der DDR auszuweisen.1196 Im September wurde über Notwendigkeiten für eine militärische Intervention zugunsten der „fortschrittlichen“ Kräfte in Polen diskutiert. Es erscheint hier eine historische Analogie zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages im August 1968 in die CSSR und zum neo-stalinistischen Terror in Ungarn 1956.1197 Militaristische 1190 BStU, MfS, BV Dresden, KD Großenhain, Nr. 10126, Teil 2/2, S. 497-499. 1191 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 49. 1192 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 49-50. 1193 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 51. 1194 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 43-44. 1195 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 50. 1196 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 162. 1197 Bericht über den September 1980, FDJ BL Halle, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.753, S. 6. Im Dezember 1980 gab es immer noch Spekulationen und Fragen zu einem möglichen militärischen Eingreifen der Truppen des Warschauer Vertrages; Monatsbericht der FDJ, BL Cottbus vom 04.12.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.757, S. 7; Persönliche Information an den 1. Sekretär

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Phantasien über ein bewaffnetes Eingreifen in Polen zeigten sich auch in einem Berliner Betrieb. Ein Mitarbeiter behauptete, die Sowjetunion hätte in Polen 10.000 Uniformen gekauft habe, um in Polen getarnt einmarschieren zu können.1198 In Naumburg (Bezirk Halle) auf dem Wilhelm-Pieck-Platz kam es am 7. Oktober zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen vier Männern aus der VR Kongo und drei sowjetischen Bürgern. Seit Juni war es immer wieder zu solchen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Gruppen gekommen.1199 Ab dem 30. Oktober benötigten Privatreisende zwischen Polen und der DDR wieder eine Einladung von der jeweils anderen Seite. Diese restriktiven Maßnahmen an der Grenze wurden konsequent als notwendiger „Schutz unserer Volkswirtschaft“ bezeichnet und von den Maßnahmen gegen „Warenspekulationen und Schieber“ wurden positive Wirkungen für die Verbesserung der Versorgung erwartet.1200 In Potsdam wurden im Oktober auf dem Jüdischen Friedhof 18 Grabsteine mit Hakenkreuzen und SS-Runen geschändet.1201 Im Bezirk Frankfurt/O. fand die Aufhebung des visafreien Reiseverkehrs bei der Bevölkerung große Zustimmung, da besonders die Frauen beim Einkaufen einen „praktischen Nutzen“ davon hätten.1202 In Bleicherode (Bezirk Erfurt) wurde der Jüdische Friedhof erneut geschändet.1203 In Rostock hatten mehrer Schüler der 23., der 30. und einer weiteren Oberschule eine neo-nazistische Gruppe gebildet, die sich neo-nazistisch und anti-semitisch äußerten, wie z. B. Hakenkreuze, „Die Juden muß man alle abschlachten“ oder „Jude verrecke“. Zwei Schüler wurden Ende April vom Kreisgericht Rostock wegen „Öffentlicher Herabwürdigung“ nach StGB § 220 zu Haftstrafen zur Bewährung verurteilt. Außerdem hatten sie 5 Tage „gesellschaftlich-nützliche Arbeitszeit“ zu verrichten.1204

des Zentralrates der FDJ, November 1980, FDJ BL Berlin, 08.12.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.757, S. 2. 1198 Information zu aktuellen Problemen, Stimmung und Meinungen aus den SED Grundorganisationen, Berlin, den 21.01.1981, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 6ff; Information über Meinungen von Genossen und Werktätigen zu aktuellen Problemen der Innenund Außenpolitik, Berlin, 09.02.1981, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 4f. 1199 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 34. 1200 Persönliche Information November, FDJ BL Neubrandenburg, 06.12.1980, SAPMO-BArch, DY 24/ 9.755, S. 5. 1201 Schmidt, S. 129f. und S. 138. 1202 Persönliche Information Oktober, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ 10.411, S. 3. 1203 Schmidt, S. 67. 1204 Archiv der Hansestadt Rostock, 2.1.1/7557.

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In Saalfeld (Bezirk Gera) gab es im Betrieb Maxhütte eine Schlägerei zwischen 20 Kubanern und sechs Belgiern.1205 Ein Major der NVA forderte öffentlich „die Rückgabe Ostpreußens an Deutschland“. Er wurde aus der SED ausgeschlossen und er erhielt eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.1206

1981 In einem thüringischen Ort wurde Anfang der 1980er Jahre ein Wohnheim für Vietnamesen angegriffen, weil die Deutschen der Ansicht waren, dass die Vietnamesen die Arbeitsnorm zu hoch treiben würden.1207 In Potsdam-Babelsberg gab es am 17. Januar eine tätliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kubanern (22 und 24 Jahre) und einem Deutschen (21 Jahre). 1208 In Wittenberge (Bezirk Schwerin) gab es eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner (21 Jahre) und zwei Deutschen (17 und 19 Jahre).1209 In Hennigsdorf (Bezirk Potsdam) gab es am 29. Januar eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner (23 Jahre) und einem Deutschen.1210 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurden im Februar in einer Toilette im VEB Chemieanlagenbau, Bereich Mechanische Werkstatt I, Hakenkreuze, zwei SS-Runen, die Parole „Heil dem Führer“ und durch zwei Zeilen des Deutschlandliedes festgestellt. Die KD Staßfurt des MfS ordnete dies als eine „öffentliche Herabwürdigung“ ein.1211 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) gab es im Monat März Informationen, dass sich Kubaner in Gruppen „krankschreiben“ lassen und das sie sich gegenüber dem medizinischen Personal frech benehmen. Jedoch gab es im Kreiskrankenhaus Staßfurt auch eine Sekretärin die mit einem Kubaner ein Liebesverhältnis hatte. Ihre drei Kinder sollen deshalb „stark vernachlässigt“ worden sein und „Anzeichen für asoziales Verhalten“ wäre sichtbar geworden. Die KD Staßfurt des MfS wollte die Quartiere der Kubaner einer „verstärkten Kontrolle“ unterziehen, um das Übernachten von deutschen Mädchen und Frauen zu unterbinden. Dazu kam, dass bei Disko-Veranstaltungen in der Gaststätte „Bodenbrücke“ Kubaner und FDJ-Ordnungsgruppen zusam-

1205 Gruner-Domic, in: Zwengel (Hg.), S. 64. 1206 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 245. 1207 Poutrus/Behrends/Kuck (B 39/2000); http://www.bpb.de/publikationen/OKZ5MW.html. 1208 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 55. 1209 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 55. 1210 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 55. 1211 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15404, S. 142-145.

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menarbeiten sollten, um Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Kubanern zu unterbinden.1212 In Tautenburg (Bezirk Gera) kam es am 1. März zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner und einem Deutschen.1213 In Kahla (Bezirk Gera) gab es im Jugendklub „Haus der Jugend“ am 29. März eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Kubaner (23 Jahre) und zwei Deutschen (22 und 23 Jahre).1214 . In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) gab es im April in einigen Gaststätten Auseinandersetzungen zwischen Kubanern und Deutschen. Deutsche hatten behauptet, Kubaner würden sich gegenüber deutschen Frauen provozierend verhalten und daraus war es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. Es wurde festgehalten, dass auch deutsche Frauen „ständig den Wohnblock der Kubaner“ im Wohngebiet Leninring „umlagern“, dort übernachten und dass sie die Kubaner „durch gezieltes Animieren zu sexuellen Handlungen“ herausforderten. Weiterhin behaupteten Deutsche, die „Wohnungen der Kubaner (wären) mit einem Bordell vergleichbar“, sie verfügten über Schuß- und Stichwaffen und sie hätten „Geschlechtskrankheiten nach Staßfurt“ eingeschleppt. Schließlich wurde angemerkt sie hätten genügend Geld um im Intershop einkaufen zu können und mit ihren Pässen könnten sie in Drittländer reisen. Das MfS wollte mit operativen Maßnahmen diesen Diskussionen entgegentreten.1215 In Leipzig wurde am 30. April der Alte Jüdische Friedhof geschändet.1216 Eine Einschätzung der HA I des MfS kam im Frühjahr zur Einschätzung der Wirkung von Neo-Nazis in der Nationalen Volksarmee (NVA), die „zum Teil gefährliche Züge der Brutalität und Drangsalierung“ angenommen hatte.1217 In Neubrandenburg gab es am 2. Mai eine tätliche Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Kubanern auf einer Freitanzfläche.1218 Der terroristische Neo-Nazi Udo Albrecht, flüchtete am Ende Juli, bei einem gerichtlichen Ortstermin bei Lauenburg (Schleswig-Holstein), in die DDR. Auslieferungsersuchen der BRD wurden von der DDR strikt abgelehnt. Der terroristische Neo-Nazi Odfried Hepp konnte ebenfalls in die DDR entweichen.1219

1212 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15243, S. 26-28. 1213 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 54. 1214 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 54. 1215 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15243, S. 3-4. 1216 Schmidt, S. 99. 1217 BStU, BF1/B. Eisenfeld, 22.2.2001. 1218 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 55. 1219 Siegler, S. 181; www.Wikipedia.de.

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Vom Kreisgericht Zossen (Bezirk Potsdam) wurden zwei junge Arbeiter des LKWWerks in Ludwigsfelde, zu Freiheitsstrafen verurteilt. Sie hatten ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter überfallen und anschließend behauptet, sie hätten die Vietnamesen deshalb angegriffen, weil diese die Normen übererfüllt hatten.1220 Im Sommer reiste eine FDJ-Gruppe mit der Bahn von Leipzig nach Wroclaw (Polen). Drei Mitglieder der Reisegruppe stimmten auf der Fahrt ein Lied der Wehrmacht an: „Und droben am blauen Himmelszelt die Abendsonne lacht, ha, ha“. Die drei jungen Männer waren Mitglieder der SED und hatten diese Reise als Auszeichnung erhalten.1221 Eine Fleischlieferung über 10.000 Tonnen nach Polen verschärfte Diskussionen über den Sinn und Zweck solcher Hilfsmaßnahmen. Bei den über 20-jährigen Ost-Deutschen wurde eine „größere Enttäuschung über die Ergebnisse in der VR Polen“ festgestellt und es wurde gefragt, ob es nicht besser sei, Länder wie Nicaragua, Laos, Angola oder Vietnam zu unterstützen, als die „faulen“ Polen. Sie würden nicht arbeiten und sollten daher auch nicht „fressen“ dürfen.1222 In diesen aggressiven Äußerungen erschienen immer wieder die bekannten generalisierenden Einschätzungen über den angeblichen Charakter des polnischen Volkes und es blieb nicht aus, dass „Polenwitze“ mit abwertendem Inhalt Konjunktur hatten.1223 In Berlin (DDR) vertrat ein Angestellter des Ingenieurhochbaues die Ansicht: „Wenn Solidarnosc nach dem Vorbild der Nazis Schlägertrupps aufstellt, kann nicht anders reagiert werden“. Fünfzig Arbeiter des Straßenbahnbetriebswerks Lichtenberg erklärten sich bereit, für eventuell rekrutierte Kollegen zusätzliche Arbeiten zu übernehmen, wenn denn Maßnahmen zur Sicherung „unserer Grenze notwendig werden“.1224 An einer Unteroffiziersschule der Grenztruppen gab es im August 1981 in unmittelbarem Zusammenhang mit der Krise in Polen „parteifeindliche Äußerungen“ mit „nationalistischen und nazistischen“ Inhalten.1225 Im Bezirk Dresden wurden in einem Jugendklub mehrere Gäste angegriffen. Herausfordernd wurde gefragt ob sie Mitglieder der FDJ wären und die Situation drohte zu 1220 Madloch, S. 85. 1221 Berichtsschema für den Reiseleiterbericht von „Jugendtourist“, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823, S. 2. 1222 Persönliche Information für den August, FDJ BL Frankfurt/O., SAPMO-BArch, DY 24/ 10.411, S. 2; Monatliche persönliche Information, 07.09.1981, FDJ BL Erfurt, SAPMOBArch, DY 24/ 10.411, S. 4; Information der FDJ BL Halle, September 1981, SAPMOBArch, DY 24/ 10.412, S. 5. 1223 Information der FDJ BL Halle, November 1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.412, S. 3. 1224 Stimmen und weitere Meinungen zu den Ereignissen in der VR Polen, SED BL Berlin, 13.12.1981, 16.00 Uhr, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 1-2. 1225 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.), S. 320.

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eskalieren, weil die Gefahr einer Schlägerei bestand. Zwei weibliche FDJ-Mitglieder, sie waren an der Bar tätig, wurden als „Rote Hunde“ und „Rote Ratten“ beschimpft.1226 In Halle kam es auf dem Pressefest zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und FDJ-Ordnungsgruppen. Mitglieder der Ordnungsgruppen wurden von Fußballfans mit Füßen getreten, geschlagen und mit Flaschen beworfen. Zwei Mitglieder der Ordnungsgruppen wurden verletzt. Gegen die beiden „Rädelsführer“ wurden beim Kreisgericht Halle/West Haftanträge gestellt.1227 In Prenzlau (Bezirk Neubrandenburg) bemerkte der stellvertretende Direktor der Puschkinoberschule faschistische Losungen im Aufenthaltsraum für Schüler. Auf einem Linolschnitt standen Parolen wie z. B. „Heil Hitler - Wir wollen die Grenzen von 1934 - Russen raus aus Deutschland“. Dazu waren noch ein Hakenkreuz und drei Initialen gemalt worden.1228 In Elsternitz im Kreis Borna (Bezirk Leipzig) wurde gegen einen Schüler einer 9. Klasse der POS Bertolt Brecht ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. In einem verlassenen Gebäude hatte er faschistische Embleme und eine komplette Uniformjacke der Wehrmacht gefunden und damit ausgestattet lief er, mit einem Jagdgewehr bewaffnet, mehrmals durch den Ort. Gegenüber seinen Mitschülern verherrlichte er den Nationalsozialismus.1229 In Dresden besuchte eine Delegation des Marxistischen Studentenbundes Spartakus (MSB) aus Karlsruhe die Leitung der FDJ Dresden. Entgegen der schriftlichen Reservierung wurde die Gruppe im Gastraum des Restaurants platziert. Als am Nebentisch ein hinzukommender Besucher mit „Heil Hitler“ grüßte, beschwerte sich niemand aus der FDJ-Delegation über diesen Vorfall. Erst durch Nachfragen konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Lautstärke dieser faschistischen Parole sehr gering war und deshalb nicht verstanden werden konnte.1230 In Bautzen (Bezirk Dresden) verbreitete ein Schüler einer 5. Klasse der POS „Ernst Thälmann“, in seiner Schulklasse Lieder und Gedanken mit faschistischem Inhalt und übte damit einen „negativen“ Einfluß auf die Klasse aus. Er zeigte seinen Mitschülern Bilder, Zeitschriften und Abzeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Durch die1226 Besonderes Vorkommnis, FDJ BL Dresden, 26.10.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1227 Information über Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit in der Stadt Halle, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1228 Fernschreiben der FDJ Dresden an den ZR der FDJ Berlin, 08.12.1981, Besonderes Vorkommnis, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1229 Fernschreiben der BDVP Leipzig an das MdI vom 16.04.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1230 Abschrift der Information über das Vorkommnis bei der Begrüßung der MSB-Delegation aus Karlsruhe vom 20.09. bis 26.09.1981, FDJ BL Dresden, 28.09.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823.

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se Gespräche und Gesänge begeisterte er andere Schüler und bezog sie damit in seine Aktivitäten ein.1231 Im Bezirk Suhl gab es drei Fälle, bei denen angeklagte Jugendliche bei Gerichtsverhandlungen „demonstrativ“ im blauen FDJ-Hemd erschienen waren. In einem der Fälle handelte es sich um einen Jugendlichen, der wegen Staatsverleumdung und faschistischer Äußerungen angeklagt war. Die Funktionäre entschieden, dass zukünftig FDJ-Mitglieder ohne Blauhemd vor Gericht zu erscheinen hatten.1232 In Hartha im Kreis Freital (Bezirk Dresden) äußerte sich ein Schüler und FDJ-Mitglied (15 Jahre) der 9. Klasse der Polytechnischen Oberschule (POS) im Chemieunterricht: „Die restlichen Juden muß man auch umbringen“. Alle FDJ-Mitglieder seiner Grundeinheit distanzierten sich von seinen Äußerungen. Zur Strafe musste er nach den Schulferien im Deutschunterricht über das „Tagebuch der Anne Frank“ referieren, und sich durch „hohe“ gesellschaftliche und schulische Aktivitäten als FDJMitglied neu bewähren. Er musste sich verpflichten, sozusagen zur Strafe und als Bewährung zugleich, in einem Wehrerziehungslager aktiv mitzuarbeiten. Schließlich und endlich hatte er sich zu verpflichten, seine schulischen Leistungen so zu steigern, dass er die 10. Klasse mit der Gesamtnote „gut“ abschließen werde.1233 In Großenhain (Bezirk Dresden) in der Goethe-Oberschule hatte ein Schüler einer 9. Klasse in einem Buch das Bild einer Person mit einem Stift so verändert hatte, dass es Hitler ähnlich sah. Daneben stand geschrieben: „Natürlich, mein Judenschwein, morgen gibt es Gas- und Stromstuhl. Wenn Du willst, kannst Du auch durch Säurebecken schwimmen“. Bereits ein Jahr zuvor hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben. Ein Schüler hatte einem Mitschüler einen Zettel angeheftet mit der Aufschrift: „Jude verrecke“. In beiden Fällen wurde das Westfernsehen und so genannte Schundliteratur als Verursacher angesehen. Der Schüler zeigte sich bei einer Aussprache sehr verschlossen und gab an, aus „Ulk“ gehandelt zu haben. Die Stellungnahme der FDJLeitung verurteilte den Vorfall, und alle Schüler der Klasse unterschrieben eine entsprechende Resolution. Die örtliche FDJ-Leitung bestrafte ihn mit einer Rüge und er verlor seine Leitungsfunktion. Gemäß der Schulordnung sprach die Schulleitung einen Verweis aus.1234 In Weimar (Bezirk Erfurt) wurden nach einem Treffen von Studenten der FDJ-Baubrigaden, zwei FDJ-Mitglieder von einem Unbekannten mit faschistischen Äußerungen und „staatsfeindlichen“ Verleumdungen konfrontiert. Bei seiner Vernehmung be1231 Vorkommnis in der POS Ernst Thälmann, FDJ KL Bautzen, 30.11.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1232 Persönliche Information für November 1981, FDJ BL Suhl, 08.12.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.414, S. 7. 1233 Besonderes Vorkommnis, FDJ Bezirksleitung Dresden, 24.06.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1234 Besonderes Vorkommnis, FDJ Bezirksleitung Dresden, 19.10.1981, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823.

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hauptete der Täter, er sei Nationalsozialist. Sein Vater sei SS-Hauptsturmführer gewesen, seine Mutter sei als Aufseherin im KZ Maidanek gewesen und sein Bruder habe als Soldat bei der französischen Fremdenlegion gedient.1235 In Sondershausen (Bezirk Erfurt) wurden auf dem Jüdischen Friedhof drei Grabsteine umgeworfen und beschädigt.1236 In Plaue bei Arnstadt (Bezirk Erfurt) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1237 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) fand am 18. September, in der Nähe der Bodebrücke, eine tätliche Auseinandersetzung statt, wobei ein Kubaner von einem Deutschen im Gesicht „geringfügige Verletzungen“ erlitt.1238 Das MfS-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ hatte insgesamt ca. 11.000 Offiziere und Soldaten. Die HA I des MfS stellte dort neo-nazistische Umtriebe fest, die in mehreren Fällen in verschiedenen Gruppen- und Stubenkollektiven aufgetreten waren und die nicht erfolgreich bekämpft werden konnten. U. a. wurde der Hitler-Gruß gezeigt, „Heldentaten“ der Wehrmacht und der SS gefeiert und A. Hitler verehrt.1239 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 11. Dezember bei einer Discoveranstaltung der FDJ Organisation im Speisesaal des VEB Achslagerwerkes, ein Kubaner bei einer tätlichen Auseinandersetzung von einem Deutschen im Gesicht verletzt. Eine stationäre Behandlung war notwendig.1240 Am 15. Dezember verfügte die polnische Partei- und Staatsführung den Ausnahmezustand. Die Funktionäre und Arbeiter zeigten sich nicht überrascht von den undemokratischen Veränderungen in Polen, im Gegenteil man war froh darüber, dass jetzt „Ordnung und Disziplin“ wieder hergestellt würden. „Streiken und besser leben, das geht nicht“, äußerten Arbeiter des S-Bahnhofs Schöneweide in Berlin (DDR) und es wurde befürchtet, dass das polnische Militär es allein nicht schaffen könnte und es wurde gefragt: „müssen wir einmarschieren?“1241 Am 21. Dezember wurde ein Konvoi mit 49 Lastwagen mit insgesamt 327 Tonnen Lebensmitteln sowie Zahnpasta, Seife, Kinderkleidung und Zellstoffwindeln dem Oberbürgermeister von Warschau zur Verfügung gestellt. An Schulen waren „Solida1235 Besonderes Vorkommnis während des Operativeinsatzes an der Hochschule für Architektur und Bauwesen am 27. und 28. Februar 1981, FDJ Abteilung Studenten, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.823. 1236 Schmidt, S. 67f. 1237 Ebenda, S. 68. 1238 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 19. 1239 BStU, BF1/B. Eisenfeld, 22.2.2001; Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 258. 1240 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 20. 1241 Weitere Stimmen und Meinungen zu den Ereignissen in der VR Polen, SED BL Berlin, 13.12.1981, 12.30 Uhr, SAPMO-BArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 1ff.

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ritätsaktionen“ organisiert worden und ostdeutsche Kinder schickten Weihnachtspäckchen an polnische Kinder, die an den „Folgen der Konterrevolution“ zu leiden hatten.1242 In Schwerin wurde die Notwendigkeit für diese Aktion damit begründet, es gebe hier für Gleichaltrige etwas zu tun. Ältere Polen wollte man nicht beschenken, denn die sollten „arbeiten und so ihre Lebenslage verbessern“.1243 Im Bezirk Neubrandenburg wurde auf die „faulen“ Polen rekurriert, denen statt Schokolade besser eine Schaufel geschickt werden sollte. In mehreren Fällen verboten Eltern deshalb ihren Kindern, Päckchen für Polen zu packen.1244

1982 In Berlin-Biesdorf (DDR) wurde im März an einem Gartenzaun „NSDAP“, „Russen raus aus Deutschland“ und „Deutschland erwache“ geschmiert. Außerdem wurden Hakenkreuze und Davidsterne angebracht. Als Täter wurde ein Anhänger des Fußballklubs 1. FC Union Berlin vorläufig festgenommen.1245 In Karl-Marx-Stadt wurden am 16. April auf dem Jüdischen Friedhof ca. 50 Grabsteine umgeworfen und zerstört.1246 In Karl-Marx-Stadt wurden im Mai auf dem Jüdischen Friedhof 50 Grabsteine umgeworfen.1247 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 1. Mai in einem Bierzelt ein Kubaner von einem vorbestraften Deutschen provoziert und es gab daraufhin tätliche Auseinandersetzungen. Gegen den Kubaner wurde durch das Volkspolizei Kreisamt ein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet.1248

1242 Information über eingeleitete Maßnahmen und erste Ergebnisse bei der Durchführung der vom Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Erich Honecker an die 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED erteilten Aufträge zur Unterstützung des Kampfes der polnischen Genossen in Warschau gegen die Konterrevolution, SED BL Berlin, 21. Dezember 1981, SAPMOBArch, DY 30/ (BPA) IV D-2/5/494, S. 1f. 1243 Information der FDJ BL Schwerin, 06.01.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.600, S. 2. 1244 Persönliche Information für den Dezember, FDJ BL Neubrandenburg, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.597, S. 9f; Persönliche Information für den Dezember 1981, FDJ BL Suhl, 09.01.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.601, S. 6. 1245 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1256, S. 4-5. 1246 Schmidt, S. 91f; A. Timm, S. 288. 1247 Diamant, S. 56. 1248 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15245, S. 10-11.

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In Gotha (Bezirk Erfurt) wurden Anfang Oktober auf dem Jüdischen Friedhof Grabsteine umgeworfen.1249 In Gotha (Bezirk Erfurt) wurden in der Mitte des Jahres auf dem Jüdischen Friedhof Grabsteine umgeworfen.1250 Die Solidaritätsaktionen für Polen sollten zu keinen näheren, persönlichen Kontakten mit potentiellen polnischen Partnern führen. Dankesschreiben mit dem Wunsch nach längerfristigen Beziehungen sollten von den Ost-Deutschen nicht angenommen werden und es wurde die Anweisung ausgegeben, Kinder und Jugendliche hätten von diesen „Verbindungen gegenwärtig abzusehen“.1251 In Berlin-Friedrichsfelde (DDR) wurde vor dem Jugendtouristhotel ein Reisebus aus der Tschechoslowakei mit einer Flasche beworfen und eine Seitenscheibe beschädigt. Die Volkspolizei ermittelte wegen „Verdacht der vorsätzlichen Beschädigung sozialistischen Eigentums“.1252 In Zerbst (Bezirk Magdeburg) beschmierten fünf Schüler, alle FDJ-Mitglieder, einer 10. Klasse der Johannes-R.-Becher-Oberschule im Staatsbürgerkundeunterricht die schriftlichen Unterlagen über den X. Parteitag der SED. Die SED und E. Honecker wurden „verunglimpft“ und trotz massiver Interventionen Funktionäre konnten die fünf Jugendlichen nicht dazu bewegt werden, sich von ihren Äußerungen zu distanzieren.1253 Bei Fußballanhängern wurde deutlich, dass einige FDJ-Mitglieder „keinen gefestigten Klassenstandpunkt“ vertraten. Sie hatten Sympathien für die west-deutsche Nationalmannschaft gezeigt, die sie als „ihre“ Mannschaft ansahen, und die Niederlage gegen Algerien wurde von Hooligans als eine „Schande für ganz Deutschland“ deklariert.1254 Zwischen Fußballanhängern aus Leipzig und Rostock und Volkspolizisten kam es zu verbalen und physischen Auseinandersetzungen. Im gesamten Jahr war es im Zusammenhang mit Fußballspielen zu tätlichen Angriffen auf Personen und zu erhebli-

1249 Diamant, S. 56. 1250 Ebenda. 1251 Schreiben der FDJ BL Schwerin, 05.02.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.600, S. 2. 1252 Fernschreiben der PDVP Berlin, 22.11.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1253 Besonderes Vorkommnis an der Johannes-R.-Becher-Oberschule Zerbst, FDJ KO Zerbst, 03.03.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1254 Monatliche persönliche Information, FDJ BL Erfurt, 07.07.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.590, S. 5; Persönliche Information für den Monat Juni 1982, FDJ BL Suhl, o.J., SAPMOBArch, DY 24/ 10.601, S. 4.

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chen Sachbeschädigungen gekommen, bei denen „antisozialistische“ Motive für das Verhalten der Täter festgestellt wurden.1255 Vor dem Fußballspiel zwischen Motor Hennigsdorf und 1. FC Union Berlin kam es zu anti-sowjetischen Protesten. Es wurde gerufen „Ras, dwa, tri, Russen werden wir nie“ und gleichzeitig wurden russische Soldaten mit Steinwürfen angegriffen und die Scheibe eines Fahrzeugs wurde zerstört.1256 In Dresden im Kunsterziehungsunterricht einer 9. Klasse der 34. POS in DresdenWest, kam es durch sechs Schüler zu einer politischen „Provokation“. Für drei 9. Klassen sollte ein Film über die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald gezeigt werden. Bereits auf dem Weg zur Filmvorführung kam es durch einige Schüler zu „provokatorischen“ Bemerkungen. Sie hatten bereits von anderen Schülern aus Parallelklassen vom Inhalt des Filmes erfahren und sich entsprechend eingestellt. Daraufhin entschloss sich die Lehrerin, den Film nicht zu zeigen, und ließ aus dem zum Film gehörendem Bildleseheft vorlesen. Insbesondere sollten Fragen zur Entstehung und zur Struktur des KZ Buchenwald beantwortet werden. Ein Schüler fragte die Lehrerin, ob er aus „faschistischer oder aus sozialistischer Sicht“ antworten sollte. Sie wollte jedoch seine persönliche Meinung erfahren, wobei der Schüler dies mit der Bemerkung verweigerte: „Das kann ich nicht, dann komme ich nach Bautzen“. Dieser Äußerung schlossen sich mehrere Schüler an. Die Aufarbeitung des Vorfalls erfolgte mit schriftlichen Stellungnahmen der Beteiligten und durch Aussprachen mit allen Betroffenen.1257 In Radebeul (Bezirk Dresden) wurde am Sockel der Pestalozzi-Oberschule ein Hakenkreuz entdeckt. Die Kriminalpolizei nahm die Ermittlungen auf, Täter konnte sie jedoch nicht ermittelt.1258 In Dresden grüßte ein FDJ-Mitglied eine an einer Bushaltestelle stehende Gruppe von Jugendlichen, mit dem Hitlergruß und schimpfte auf die DDR. Er war Mitglied der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“, im „Deutschen Turn- und Sportbund“, im „Freien Deutschen Gewerkschaftsbund“, im „Deutschen Roten Kreuz“, in der „Gesellschaft für Sport und Technik“ und er gehörte auch dem FDJBezirksordnungsgruppenverband Dresden an. Während seiner Tat stand er unter Alkoholeinfluss und er erklärte, es sei nicht seine Absicht gewesen, die DDR zu diskre-

1255 FS der BDVP Leipzig an das MdI und BDVP Rostock, 10.11.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632; Der Generalstaatsanwalt, Berlin, 05.04.1983. 1256 Willmann (Hrsg.), S. 170. 1257 Vorkommnismeldung der FDJ BL Dresden, 16.03.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632, Ergänzungsmeldung zum politischen Vorkommnis vom 03.02.1982 an der 34. POS, FDJ BL Dresden, 16.03.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632; Maßnahmen der FDJ-SBL, Vorkommnis an der 34. POS, FDJ BL Dresden, 16. März 1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1258 Besonderes Vorkommnis, FDJ KL Dresden-Land, 08.04.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632.

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ditieren. Deshalb wurde von einem Ermittlungsverfahren abgesehen und es wurde nur eine Geldstrafe verhängt.1259 In Wilsdruff (Bezirk Dresden) in der Ludwig-Renn-Oberschule wurde ein kleiner Zettel gefunden, auf dem ein Schüler einer 7. Klasse Hakenkreuze aufgemalt hatte.1260 In Freital (Bezirk Dresden) schrieben an der Pestalozzi-Oberschule zwei Schüler einer 6. Klasse im Deutschunterricht: „Ich würde gern vor Moskau stehen und den Gashahn auf- und zudrehen - Aus den russischen Knochen will ich mir eine schöne Suppe kochen.“ Diese Parolen waren in der Klasse in Umlauf gebracht worden und um eine Verbreitung zu verhindern, sollte auf eine Aufklärung verzichtet werden. Dieses Vorhaben konnte jedoch nicht realisiert werden. Ein Schüler einer 5. Klasse der Pestalozzi-Oberschule wurde aus dem Sportunterricht genommen, weil er öfters den „Hitlergruß“ gezeigt hatte. Eine Freundschaftspionierleiterin in Freital wurde auf einer Parteiversammlung beschuldigt, sie habe die Leitungswege nicht eingehalten. Ohne zuvor die Zustimmung des Schuldirektors einzuholen, hatte sie die Kreisleitung der SED über dieses Ereignis informiert. Die Schulleitung hatte jedoch die Ansicht vertreten, dass diese Vorkommnisse nicht als Vorkommnisse zu bewerten seien.1261 In Rumänien „bettelten“ zwei Mitglieder einer FDJ-Reisegruppe bei westlichen Touristen nach Zigaretten und Geld. Außerdem tauschten sie mit israelischen Touristen Geld, um in Devisenläden Alkohol einzukaufen. Die FDJ-Grundorganisationen wurden über die Vorkommnisse informiert.1262 Die DDR lieferte Waffen an die PLO.1263 Die SED-Tageszeitung Neues Deutschland titelte nach den Massakern in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Schatila: „Israel betreibt die Endlösung der PalästinaFrage.1264 Zeitungen bzw. Zeitschriften wie Horizont oder Volksarmee verglichen das Vorgehen der israelischen Armee mit den Massenmorden der deutschen Faschisten.1265 In Berlin (DDR) wurden der Jüdischen Gemeinde zwei Briefe mit anti-semitischem Inhalt geschickt.1266 1259 FS der BDVP Dresden an das MdI und an die BV MfS Dresden, 18.08.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1260 Besondere Vorkommnisse der FDJ BL Dresden, 29.10.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1261 Besondere Vorkommnisse der FDJ BL Dresden, 29.10.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1262 Besondere Vorkommnisse, II. Quartal 1982, „Jugendtourist“, Berlin, 1. Juli 1982, SAPMOBArch, DY 24/ 10.632. 1263 A. Timm, S. 279. 1264 Siegler, S. 128. 1265 A. Timm, S. 283f.

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In Berlin-Friedrichsfelde (DDR) wurde vor einem Jugendtouristhotel ein Reisebus aus der Tschechoslowakei mit einer Flasche beworfen und dabei wurde eine Seitenscheibe beschädigt. Die Volkspolizei ermittelte wegen „Verdacht der vorsätzlichen Beschädigung sozialistischen Eigentums“.1267 Dass hier auch fremdenfeindliche Motive als Hintergrund gesehen werden können, fand jedoch keinen Eingang in die Erhebung. In Bulgarien sang, bei einer von der „Jugendtouristik“ organisierten Reise, ein deutscher Jugendlicher in einem Restaurant das faschistische „Horst-Wessel-Lied“. Die Reiseleitung sprach mit dem Jugendlichen „direkt“ über diesen Vorfall und informierte seine FDJ Grundorganisation. Im zuständigen FDJ- und Arbeitskollektiv wurde dieses Ereignis ausgewertet.1268 In Bulgarien, in Kavazite hielt sich eine Reisegruppe der FDJ auf und dort äußerten sich zwei Jugendliche „antisozialistisch“. In einem Streitgespräch mit dem Reiseleiter erklärten die beiden FDJ-Mitglieder, dass sie sich als Juden in der DDR „diskriminiert“ fühlten. Da sie sich während der weiteren Reise „provozierend“ verhalten hatte, schickte sie die Leitung vorzeitig zurück.1269 Ab 1982 konnten sich Neo-Nazis und Skinheads als eigene Kreissektion des DTSB organisieren und asiatische Kampfsportarten trainieren.1270 In Karl-Marx-Stadt wurden im Internat der Technischen Hochschule mehrere Hakenkreuze und SS-Runen festgestellt.1271 In Staßfurt und Umgebung (Bezirk Magdeburg) weigerten sich Gastwirte, mit rassistischen Begründungen, Afrikaner zu bedienen.1272 In Magdeburg wurde der Jüdische Zentralfriedhof geschändet.1273 In Suhl-Heinrichs wurden auf dem Jüdischen Friedhof zwölf Grabsteine geschändet.1274 1266 A. Timm, S. 286. 1267 FS der PDVP Berlin, 22.11.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1268 Besondere Vorkommnisse, I. Quartal 1982, „Jugendtourist“, Berlin, 12.04.1982, SAPMOBArch, DY 24/ 10.632. 1269 Besondere Vorkommnisse III. Quartal 1982, „Jugendtourist“, Berlin, 13.10.1982, SAPMOBArch, DY 24/ 10.632 und Information/BV der „Jugendtourist“, Berlin 29.09.1982, SAPMOBArch, DY 24/ 10.632. 1270 Siegler, S. 87. 1271 Besondere Vorkommnisse III. Quartal 1982, „Jugendtourist“, Berlin, 13.10.1982, SAPMOBArch, DY 24/ 10.632 und Information / BV der „Jugendtourist“, Berlin, 06.08.1982, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.632. 1272 Lohrmann/Paasch, in: Döring/Rüchel (Hrsg.), S. 219. 1273 Schmidt, S. 102. 1274 Schmidt, S. 82 und S. 129.

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In Berlin (DDR) wurde die neo-nazistische Heavy-Metal-Gruppe „Vandalen“ gegründet.1275 Zwei Erzieherinnen des Kinderheims Bellin in Krakow am See (Bezirk Schwerin) wurden aufgrund ihrer mangelnden pädagogischen Fähigkeiten entlassen. Eine von ihnen hatte ein namibisches Kind während einer Reise auf dem Rostocker Hauptbahnhof so grob durchgeschüttelt, daß Passanten sich einmischten und lautstark darüber erregten, wie mit dem Kind umgegangen wurde. Der Heimleiter benachrichtigte den Bezirksschulrat und die Erzieherinnen mußten Bellin verlassen. Die Information entstammt einem Bericht eines „Informellen Mitarbeiters“ (IM) des MfS vom 10.11.1982.1276

1983 In Mühlberg im Kreis Bad Liebenwerda (Bezirk Cottbus) bekam in einer Ferienunterkunft ein polnischer Jugendlicher von einem Deutschen einen Schlag ins Gesicht. Nach diesem Vorfall wurden drei leere Bierflaschen in die Fenster der Unterkunft der polnischen Jugendlichen geworfen – weitere Verletzte waren nicht zu beklagen.1277 In Weimar (Bezirk Erfurt) traf auf dem Weg zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald ein Pole eine Gruppe polnischer Studenten und überredete sie zur Teilnahme an einem Gottesdienst. Die Sicherheitsorgane untersuchten den Vorfall.1278 In Zittau (Bezirk Dresden) kam es in der Mensa der Ingenieurhochschule zu Auseinandersetzungen zwischen FDJ-Mitgliedern und Studenten aus Libyen. Einem Funktionär wurde mit einer abgeschlagenen Flasche ein Arm aufgeschnitten, einem Libyer wurde ein Arm gebrochen, als eine FDJ-Ordnungsgruppe das Handgemenge beenden wollte. Die libyschen Studenten forderten die Bestrafung der FDJ-Mitglieder und falls dies nicht geschehe, würden sie zur Selbstjustiz greifen.1279 In Berlin-Pankow (DDR) wurden an drei Briefkästen des Gästehauses des Zentralrates der FDJ faschistische Symbole aufgemalt.1280

1275 Madloch, S. 76f. 1276 Rüchel, in: Behrends et. al., S. 254f; BStU, MfS, BV Schwerin, AIM 1887/93: Teil II, Bl. 38 f. 1277 Sofortmeldung der BDVP Cottbus, 15.07.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.634. 1278 Ebenda. 1279 BStU, MfS, BV Dresden, KD Zittau, Nr. 7295, S. 94, S. 138-1939; Information des GOSekretärs der IHS Zittau, 06.04.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633. 1280 FS des PDVP Berlin an das MdI, MfS und die SED Berlin, 03.11.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633; Besondere Vorkommnisse mit hauptamtlichen Funktionären sowie Einrichtungen der FDJ, 01.10. - 31.10.1983, FDJ Abteilung Verbandsorgane und Abteilung Kader, 11.11.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633, S. 2.

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In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) erhielt die FDJ-Kreisleitung eine anonyme telefonische Bombendrohung.1281 In Berlin (DDR) wurde ein Instrukteur des Zentralrates der FDJ und Mitglied der SED in der Nähe des S-Bahnhofes Storkower Straße von vier Jugendlichen tätlich angegriffen. Die Jugendlichen „hetzten“ dabei auch gegen die Staatsorgane. Der Funktionär war wegen der Folgen des Übergriffes eine Woche lang nicht arbeitsfähig.1282 In Berlin (DDR) ereignete sich anlässlich der XI. Weltfestspiele der Jugend und Studenten ereignete sich in einem Zeltlager eine massive Schlägerei zwischen polnischen Studenten und Ordnungsgruppen der FDJ. Anlass war die Schließung des Studentengartens, weil die Reinigung des Lokals geplant war und weil die Leitung der Ordnungsgruppen um die Nachtruhe der Anwohner fürchtete. Die Polen reagierten nicht auf verbale Aufforderungen und eine handgreifliche Auseinandersetzung war die Folge.1283 In Sonneberg (Bezirk Suhl) „provozierte“ ein Sekretär der FDJ-Kreisleitung mehrere Volkspolizisten. Er wurde daraufhin von seiner Funktion enthoben und es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.1284 In Dresden „provozierte“ ein FDJ-Sekretär Volkspolizisten. Er wurde seiner Funktion entbunden und es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.1285 In Annaberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) bemerkte der Leiter der Bahnmeisterei in einem Aufenthaltswagen der Deutschen Reichsbahn (DR) drei Reichsadler mit zwei Hakenkreuzen. Der Wagen war von polnischen Studenten für Pausenzeiten genutzt worden, und diese Informationen suggerieren, dass die polnischen Studenten diese Schmierereien angebracht hatten. Bereits vor der Entdeckung dieser Schmierereien waren neun polnische Studenten wegen Nichteinhaltung der Brandschutzbestimmungen und der Heimordnung von der Reichsbahnmeisterei nach Polen zurückgeschickt worden.1286

1281 Mitteilung der FDJ BL Berlin an den FDJ ZR, 08.04.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633. 1282 Besondere Vorkommnisse mit hauptamtlichen Funktionären sowie in Einrichtungen der FDJ und in der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, 01.01.-29.06.1983, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 30.06.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633, S. 6. 1283 Besonderes Vorkommnis, FDJ Abteilung Studenten, 1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.634; Siegler, S. 85. 1284 Besondere Vorkommnisse mit hauptamtlichen Funktionären sowie in Einrichtungen der FDJ und in der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, 01.01.-29.06.1983, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 30.06.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633, S. 6. 1285 Ebenda, S. 3. 1286 FS der BDVP Karl-Marx-Stadt an das MdI, 09.09.1983, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.634.

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In Kriebstein (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde auf einem Zeltplatz ein Handzettel aufgefunden, mit dem Text: „Juden raus!“.1287 In Berlin (DDR) erhielt die Jüdische Gemeinde mehrere anti-semitische Drohanrufe, bei denen „Judas verrecke“ und „Juden raus“ geäußert wurde. Es blieb allerdings nicht bei den verbalen telefonischen Schmähungen. Es folgte eine schriftliche Bombendrohung, die mit: „Deutschland erwache“ überschrieben war. Der Brief war adressiert: „An die Judenschweine“ und im Text wurde die „Liquidierung“ und „Ausrottung“ aller Juden und die „Befreiung Deutschlands“ von allen Ausländern angedroht. Man habe Organisationen in der DDR und in der BRD aufgebaut. Das Schreiben war unterzeichnet mit: „Heil Deutschland“ und „Judas verrecke“.1288 Zwei Studentinnen des Instituts für Lehrerbildung in Berlin-Köpenick hatten an einem „illegalen Deutschlandtreffen“ in Prag teilgenommen. Bei der Auflösung dieses Treffens durch die tschechoslowakische Miliz wurden sie gefasst und des Landes verwiesen. Sie sollten deshalb aus der FDJ ausgeschlossen und durch die Institutsleitung vom weiteren Studium relegiert werden. Zwei FDJ-Mitgliederversammlungen, sie sollten den Ausschluß exekutieren, mußten jedoch ohne Ergebnis abgebrochen werden. Entweder waren nicht genügend FDJ-Mitglieder anwesend oder die Mitglieder wollten solange die Ausschlüsse nicht beschließen, bis den Betroffenen selbst erlaubt würde, an den Versammlungen teilzunehmen.1289 In Krakow am See, Ortsteil Bellin, (Bezirk Schwerin) kam es im Mai zu einem rassistischen Übergriff. Der namibische Pionierleiter des Kinderheims wurde, als er mit einem namibischen Freund aus Dresden in einer Gaststätte war, rassistisch angegriffen: ‚Ihr schwarzen Affen geht nach Afrika! Was wollt ihr Dreckskerle hier?’ Später wurde er im Toilettenraum angerempelt. Die Belliner redeten auf den Angreifer ein, der bei einer Familie aus dem Dorf zu Besuch war. Der namibische Pionierleiter und sein Gast verließen die Gaststätte und informierten den Heimleiter und der reichte diese Information an „zuständige Stellen“ weiter – doch nichts geschah.1290 In Jena (Bezirk Gera) wurde die studentische Verbindung „Salana Jenensis“ gegründet.1291

1287 Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256/IV. 1288 Der Generalstaatsanwalt der DDR, Der Stellvertreter an das ZK der SED, Leiter der AG Kirchenfragen, Genossen Bellmann, Berlin, 01.06.1983, Anlage, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/56. 1289 Information der FDJ BL Berlin, 01.07.1983 und 16.06.1983; Besondere Vorkommnisse mit hauptamtlichen Funktionären sowie in Einrichtungen der FDJ und der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, 01.01.-29.06.1983, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 30.06.1983, S. 5, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.633. 1290 Rüchel, in: Behrends et. al., S. 241f. 1291 Farin/Seidel-Pielen, S. 72.

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In Karl-Marx-Stadt und in Dresden wurden im Februar/März mehrere hundert Flugblätter verteilt, die „Russen raus“ forderten.1292 In Erfurt wurde in der Nacht vom 8. zum 9. Juli der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Parolen, wie z. B. SS-Runen, Hakenkreuze und „Juden raus“ geschändet. Außerdem wurden zwei Grabsteine umgeworfen und einer davon wurde zerstört.1293 In Eilsleben (Bezirk Magdeburg) wurde im September ein Arbeiter verurteilt, weil er auf dem Jüdischen Friedhof sieben Grabsteine umgeworfen und beschädigt hatte.1294 In Leipzig versuchte ein betrunkener Unteroffizier der Nationalen Volksarmee (NVA) in die Synagoge einzudringen.1295

1984 In Dresden und in Karl-Marx-Stadt wurden im Februar/März 1984 mehrere hundert Flugblätter verteilt, die „Russen raus“ forderten.1296 Im Bezirk Magdeburg erschoss am 17. April ein „gesellschaftlich aktiver Bürger“, gezielt einen sowjetischen Soldaten.1297 In Berlin (DDR) wurde am 14. April ein Journalist aus Sambia in der Gaststätte „Stralauer Krug“ beleidigt und angegriffen.1298 In Halle kam es im Mai zu neo-nazistischen Ausschreitungen.1299 Bei der Anreise von Hooligans des Berliner FC Dynamo zum Fußballspiel am 12. Mai gegen den Hallenser HFC Chemie wurde beim Marsch zum Stadion in Halle mehrfach „Sieg Heil“ gerufen und Berliner hatten in der Innenstadt Schlägereien provoziert. Bei der Rückreise kam es im Zug D 1056 von Halle nach Berlin zu rassistischen Ausschreitungen von ca. 100 Berlin Hooligans gegen ca. 26 mitreisende Kubaner. Dabei wurde gerufen: „Kubaner raus“, „Kanaken raus“, „Ausländer raus“ und „Juden raus“. Dazu wurde das „Deutschlandlied“ gesungen. Die Hooligans waren auf der Rückreise von einem. Beim planmäßigen Halt des Zuges auf dem Bahnhof Jüterbog (Bezirk Potsdam) und nach der Ankunft auf dem Bahnhof in Berlin-Lichtenberg weiteten sich die Tätlichkeiten aus und es wurden Flaschen und Steine geworfen. Es 1292 Kowalczuk/Wolle, S. 152 1293 Schmidt, S. 129ff; A. Timm, S. 288. 1294 Wolffsohn, S. 372. 1295 Ebenda. 1296 Kowalczuk/Wolle, S. 152. 1297 Kowalczuk/Wolle, S. 152. 1298 BStU, MfS, HA XX, Nr. 10221, Teil 1 von 2, S. 50. 1299 BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3070.

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gab sechs verletzte Kubaner und einer von ihnen musste in ein Krankenhaus gebracht werden. Außerdem waren fünf Hooligans verletzt worden. 29 Deutsche wurden namentlich festgestellt. 12 Ermittlungsverfahren nach § 215 (Rowdytum), 7 Ordnungsstrafverfahren und mehrere Belehrungen wurden ausgesprochen.1300 In Jüterbog (Bezirk Potsdam) kam es im Mai auf dem Bahnhof zu neo-nazistischen Ausschreitungen.1301 In Berlin (DDR) gab es am 12. Mai am Bahnhof Lichtenberg Ausschreitungen, bei denen neo-nazistische Parolen, wie z. B. „Juden raus“, „Kanacken raus“ oder „Deutschland den Deutschen“ und es wurde der Hitlergruß gezeigt.1302 In Stendal (Bezirk Magdeburg) wurde am 21. Juni 1984 auf dem Schulhof der Comenius-Oberschule ein Sergeant der GSSD verletzt aufgefunden. Er hatte Prellungen am Hinterkopf und Verletzungen im Brustbereich und er musste in ein Krankenhaus der GSSD eingeliefert werden. Zwei unbekannte Deutsche hatten ihn angegriffen und verletzt.1303 In Magdeburg wurden am 16. August an einem Wartehäuschen der Bushaltestelle acht „Hetzzettel“ mit neo-nazistischen und rassistischen Parolen aufgefunden, wie z. B. „Für Nationalsozialismus gegen Bolschewismus“, „Es lebe Adolf Hitler“, „NSDAP lebt“, „Sieg Heil“ und drei Hakenkreuze.1304 In Röderau im Kreis Riesa (Bezirk Dresden) wurde am 24. August zwei Panzerkolonnen der sowjetischen Armee von vier Jugendlichen (17, 19, 20 und 22 Jahre) mit Steinen beworfen. Die Täter wurden inhaftiert.1305 In Berlin-Mitte (DDR) sangen in einer „Freiluftgaststätte“ zwei junge Arbeiter und ein Soldat in Zivil, die erste Strophe des verbotenen Deutschlandliedes und weitere Lieder mit „dekadentem“ Inhalt. Die beiden Arbeiter wurden vorläufig festgenommen und nach der Prüfung des Sachverhalts wurden die Gesänge als Straftat klassifiziert. Der Fall des Soldaten wurde an die zuständige Stadtkommandatur übergeben.1306

1300 Ebenda; BStU, MfS, HA VII, Nr. 365, S. 92-96; BStU, MfS, ZOS, Nr. 3847, S. 56-71, S. 85, S. 97, S. 99, S. 112-129, S. 158-159; Blaschke, S. 31. 1301 Ebenda. 1302 BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3070. 1303 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2135, S. 7.. 1304 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 8. 1305 Kowalczuk/Wolle, S. 151; BStU, MfS, BV Leipzig, KD Riesa, Nr. 13114, S. 222-224. 1306 FS des PDVP Berlin an das MdI und die BV des MfS, 04.06.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.822.

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In Leipzig wurde ein Maurer wegen Diebstahls überführt. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden nationalsozialistische Bilder und Embleme gefunden. Ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet und der Arbeiter inhaftiert.1307 In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) wurde eine Schülerin (13 Jahre) einer 6. Klasse der 37. Oberschule, während eines Aufenthalts in einem „Zentralen Pionierlager“ beim Malen eines Hakenkreuzes erwischt. Die Lagerleitung schickte sie nach Hause.1308 In Magdeburg drohte ein anonymer Anrufer der FDJ Bezirksleitung mit einer Bombenexplosion.1309 In Riesa (Bezirk Dresden) wurden am 17. August sowjetische Personen von mehreren Deutschen beschimpft und am Abend wurden Fensterscheiben im Gebäude des Sanitätsbataillons mit Steinen eingeworfen. Am 12. September wurden im Hof spielende Kinder von Soldaten der GSSD beleidigt und mit Gegenständen beworfen. Am Abend wurden erneut Fensterscheiben des Sanitätsbataillons eingeworfen. Als Täter wurden mehrere Schüler und Lehrlinge aus Riesa ermittelt. Ähnliche Angriffe wurden auch am 18. Juli, am 1. August, am 29. August, am 19. September und am 8. Oktober durchgeführt. Gegen drei Angreifer wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB eingeleitet. Das Kreisgericht Riesa verurteilte die drei Täter zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und 4 Monaten zur Bewährung.1310 In Berlin-Treptow (DDR) beschimpfte ein Lehrling und Mitglied des FDGB bei der Deutschen Reichsbahn am Ostbahnhof, auf einem Friedensfest in Treptow, Mitglieder der FDJ-Ordnungsgruppe mit neo-nazistischen Parolen. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein und erließ Haftbefehl.1311 In Magdeburg störten bei einem Verbandstreffen der FDJ fünfzehn Jugendliche die Öffentlichkeit. Drei der Jugendlichen, sie wurden als „Wortführer“ identifiziert, hatten das verbotene „Deutschlandlied“ gesungen, Arbeiterlieder umgedichtet und zu „antisozialistischen“ Zwecken missbraucht. Eine Ordnungsgruppe der FDJ wurde eingesetzt, um „Ordnung und Sicherheit“ wiederherzustellen.1312 In Fürstenberg (Bezirk Potsdam) statteten im September ca. 20 lesbische Frauen der Gedenkstätte Ravensbrück einen Besuch ab. Auf dem Weg dorthin wurden sie, nicht 1307 FS der BDVP Leipzig an das MdI, 09.06.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.822. 1308 FS der BDVP Neubrandenburg an das MdI Berlin, an die BVMfS und an die SED BL, 10.08.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820. 1309 FS der BDVP Magdeburg an das MdI, an die BV des MfS Magdeburg und an die SED BL Magdeburg, 21. April 1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.819. 1310 BStU, MfS, BV Dresden, KD Riesa, Nr. 13114, S. 155-157. 1311 FS der PDVP Berlin an das MdI, BV MfS und TPA, 20.05.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.822. 1312 Sofortmeldung des Leiters des Bezirkszentrums Magdeburg über Besondere Vorkommnisse, 04.06.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.819.

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nur von Agenten des MfS, übel beschimpft. Alle wurden auf dem Weg von Bahnhof zum ehemaligen KZ auf LKWs verladen, der Volkspolizei zugeführt und sie hatten sich dann wegen „Zusammenrottung“ zu verantworten.1313 In Havelberg (Bezirk Magdeburg) fand alljährlich am ersten September Wochenende ein traditioneller „Pferdemarkt“ statt, auf dem unbeanstandet Portraits von faschistischen Führern, faschistische Literatur und andere Militaria verkauft wurden.1314 In Bergen im Kreis Rügen (Bezirk Rostock) rissen zwei Jugendliche eine Fahne ab und zerbrachen die Fahnenstange. Beide waren Lehrlinge und Mitglieder der FDJ. Der eine war Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bergen und der andere war Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (GDSF) und der Gesellschaft für Sport und Technik (GST).1315 Eine Studentin aus Burkina Faso wurde bei ihrer Ankunft in der DDR im Zug ausgelacht und beim Einkaufen mit Steinen beworfen. Im Studentenwohnheim weigerten sich ost-deutsche Kommilitoninnen, nach ihr die Badewanne zu benutzen. Ein Student, ebenfalls aus Burkina Faso, schilderte die Atmosphäre des Misstrauens und die systematische Isolation, die er in der DDR zu spüren bekam. Beide waren inzwischen in den Westen gewechselt und berichteten anonym über ihre Erfahrungen in OstDeutschland.1316 In Gusow im Kreis Seelow (Bezirk Frankfurt/O.) kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen, bei denen es Verletzte gab. Die Volkspolizei nahm zwei Ost-Deutsche für einige Tage in Untersuchungshaft.1317 In Erfurt betrat während eines Sommerferienlagers ein junger Arbeiter unbefugt das umzäunte Gelände eines Ferienzentrums für polnische Kinder. Als er zum Verlassen aufgefordert wurde, schrie er laut und mehrfach „herabwürdigende Äußerungen“ gegen Polen. Er wurde von Kriminalpolizisten festgenommen.1318 In einem Ferienlager im Bezirk Dresden äußerten sich mehrere Jugendliche beleidigend gegen Polen. Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.1319

1313 Siegler, S. 81. 1314 Siegler, S. 67. 1315 FS der BDVP Rostock an das MdI Berlin und an die BV des MfS Rostock, 28.04.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.819. 1316 Der Tagesspiegel, 12.04.1992. Die beiden afrikanischen Studenten waren nach dem Fall der Mauer in den Westteil Berlins gewechselt um dort ihr Studium fortzusetzen. „Sicherheitshalber“ wollten sie anonym bleiben. 1317 Fernschreiben der BDVP Frankfurt/O. an das MdI, an die BV MfS Frankfurt/Oder und an das VPKA Seelow vom 06.09.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820. 1318 FS der BDVP Erfurt, 12.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.824. 1319 FS der BDVP Dresden, 19.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820.

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Im Internat der Berufsschule Brandenburg (Bezirk Potsdam) wohnten, im Rahmen eines deutsch-polnischen Lehrlingsaustauschs, polnische Lehrlinge. Nachts versuchten mehrere deutsche Jugendliche in das Internat einzudringen, doch das Aufsichtspersonal konnte ihnen den Zugang zum Haus verwehren. Daraufhin wurden die Polen in „herabwürdigender Weise“ beschimpft. Die Sicherheitsorgane ermittelten gegen die Täter.1320 In Wünsdorf (Bezirk Potsdam) wurde im Oktober ein Flugblatt mit rassistischen und neo-nazistischen Inhalten aufgefunden.1321 In Boltenhagen im Kreis Grevesmühlen (Bezirk Rostock) wurden eine polnische und eine ost-deutsche Staatsflagge gestohlen. Eine Ermittlungsgruppe der Kriminalpolizei nahm die Untersuchung auf. Der Verteiler für diese Information sah, neben den verschiedenen Instanzen der Polizeibehörde, das MfS, die SED und den Rat des Kreises vor.1322 In Löbau (Bezirk Dresden) beleidigten am Bahnhof zwei Deutsche polnische Kinder und Jugendliche wegen ihrer Nationalität und verletzten damit ihre „Würde“. Einer der beiden Akteure sang ein Lied mit „faschistischem“ Inhalt. Die Kriminalpolizei untersuchte diesen Vorfall.1323 Im Bezirk Cottbus wurden für einen Arbeitseinsatz deutsch-polnische Brigaden gebildet, die enge Kontakte während der Arbeit und der gemeinsamen Freizeitgestaltung hervor bringen sollten. Es kam jedoch zu Problemen mit den „Freunden“ aus Krakow, weil polnische Brigadiere Waren verkauft hatten und bei ihnen sei daher der „Wunsch nach guter Arbeit“ nicht mehr im Vordergrund gestanden.1324 In Leipzig wurden zwei Polinnen festgenommen, weil sie „spekulativen Warenhandel“ betrieben hatten. In einer Verkaufseinrichtung der sowjetischen Garnison wurden die beiden von Soldaten der sowjetischen Armee an die Deutsche Volkspolizei übergeben. Bei der „Effektenaufstellung“ sind bei einer Polin „38 Paar Ohranhänger, 7 Sonnenbrillen und eine Windjacke“ gefunden und beschlagnahmt worden. Die beiden Frauen behaupteten, sie hätten sich auf der Suche nach einer sowjetischen Bekannten befunden, der sie diese Dinge schenken wollten.1325

1320 FS der BDVP Potsdam, 19.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.822 und SAPMO-BArch, DY 24/ 10.821. 1321 Müller, in: Müller/Poutrus (Hg.), S. 31. 1322 FS der BDVP Rostock, 27.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820. 1323 FS der BDVP Dresden, 31.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820; Fernschreiben der BDVP Dresden, 21.08.1984 an das MdI Berlin und an die BV des MfS Dresden, SAPMOBArch, DY 24/ 10.820. 1324 Bericht der FDJ BL Cottbus, 07.08.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.371, S. 11. 1325 FS der BDVP Leipzig, 12.08.1984 an das MdI Berlin und die BV Zoll Leipzig, SAPMOBArch, DY 24/ 10.822.

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In Berlin-Niederschöneweide (DDR) wurden goldfarbene Gürtel und Ohrringe, im Wert von 115,- Mark, sie gehörten einem polnischen Studenten, von der Volkspolizei beschlagnahmt. Nach fast dreistündiger Befragung wurde der Student polnischen Betreuern „übergeben“.1326 In Berlin (DDR) waren Gaststätten in denen sich vorwiegend Neo-Nazis trafen u. a. das „Sputnik“ in der Greifswalderstraße, das „Petit Fleur“, das „Sturmlokal“ in der Frankfurter Allee Süd und ein Biergarten mitten im Nikolaiviertel.1327 In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof in Weißensee geschändet.1328 Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) leitete vom 1. Januar bis zum 31. August, 83 Ermittlungsverfahren ein, wegen Straftaten gegen die sowjetische Armee (GSSD).1329 Im Bezirk Dresden wurden in einem Ferienlager polnische Touristen von mehreren Personen beleidigt. Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.1330 Im Bezirk Dresden gab es 1984 über 230 Vorkommnisse mit „provokatorischem Charakter“, was eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Davon waren 130 Vorkommnisse „Schmierereien und Äußerungen mit faschistischem und antisozialistischem Inhalt […] und anonyme Anrufe mit Gewaltandrohung“.1331 In Biesenthal (Bezirk Frankfurt/O.) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1332 In Berkach im Kreis Meiningen (Bezirk Suhl) wurden ca. 50 Grabmale auf dem Jüdischen Friedhof geschändet.1333

1985 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 1. Februar 1985 im VEB Fernsehgerätewerk „Friedrich Engels“ in der Herrentoilette der Halle Roem 5 ein Hakenkreuz und

1326 FS des PDVP Berlin an das MdI und die BV des MfS, 13.09.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820. 1327 Siegler, S. 88. 1328 Schmidt, S. 88. 1329 Kowalczuk/Wolle, S. 152. 1330 FS der BDVP Dresden, 19.07.1984, SAPMO-BArch, DY 24/ 10.820. 1331 Information an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, Monatsbericht des Genossen H. Modrow, SED BL Dresden, SAPMO-BArch, DY 30/ 2217, S. 10f. 1332 Schmidt, S. 120. 1333 Schmidt, S. 70 und S. 109.

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die Parolen „Ihr seid alle SS-Schweine“ und „Ihr Nazis“ angebracht. Durch Schriftvergleiche sollten der oder die Täter festgestellt werden.1334 In Egeln im Kreis Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 2. April 1985 an einer Bushaltestelle ein „faschistisches Symbol“ aufgefunden. Untersuchungen ergaben, dass diese „öffentliche Herabwürdigung“ wahrscheinlich von Schüler angebracht worden war. Ein Ermittlungsverfahren oder weitere Untersuchungen wurden nicht durchgeführt, da die verantwortlichen Offiziere des Volkspolizei Kreisamtes Staßfurt die Schmiererei „nicht einwandfrei“ als Hakenkreuz bezeichnen konnten.1335 In Hecklingen im Ortsteil Groß Börnecke im Kreis Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde dem Volkspolizei Kreisamt Staßfurt Anfang Mai mitgeteilt, dass „Hetzschriften“ im Kinderheim „Lieselotte Herrmann“ im Umlauf waren. Mit aus der Tageszeitung Junge Welt ausgeschnittenen Buchstaben wurde u. a. der Text: „Hallo SED! Du Geburtsfehler, wir wollen eine Ehrung der SS-Verbrecher“. Weitere handschriftliche Aufzeichnungen richteten sich gegen „die staatliche und öffentliche Ordnung“. Die Verursacher waren vier Heimschüler.1336 In Krakow am See, Ortsteil Bellin, kam es im Mai zu einem rassistischen Angriff auf zwei Namibier in einer Gaststätte. Ein Deutscher, ebenfalls Gast, beleidigte die beiden Afrikaner, z. B. mit „Ihr schwarze Affen geht nach Afrika“ und „Was wollt ihr Dreckskerle hier“. Obwohl dieser Vorfall vom Heimleiter gemeldet worden war, geschah nichts.1337 Ein Tiefbauarbeiter (20 Jahre) stand wegen „rowdyhafter“ Handgreiflichkeiten, vor Gericht. Nach dem Fußballspiel 1. FC Lok Leipzig gegen Dynamo Dresden, hatte er einen Fan aus Leipzig bewusstlos geschlagen. Da er wegen ähnlicher Vergehen bereits zweimal vorbestraft war, erhielt er wegen „Rowdytum im schweren Fall“ ein Jahr und sechs Monate Freiheitsentzug.1338 Ein Hausmeister und Heizer (20 Jahre) aus Leipzig, wurde wegen „Rowdytum in Tateinheit mit Körperverletzung“, zu neun Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt. Vor dem Oberligaspiel BSG Chemie Leipzig gegen FC Rot-Weiß Erfurt zog er mit einer Gruppe von circa 80 Personen zum Hauptbahnhof und attackierten dort Fußballfans aus Erfurt. Er versetzte einem Erfurter einen Faustschlag, streckte ihn zu Boden und trat mit Füßen gegen den Kopf des am Boden liegenden.1339 Beim FDGB-Pokalspiel Motor Suhl gegen BFC Dynamo Berlin wurden vier „Fußball-Rowdys“ festgenommen und Ordnungsstrafen ausgesprochen. Die Jugendlichen 1334 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 374. 1335 Ebenda, S. 385-386. 1336 Ebenda, S. 391-394. 1337 Rüchel, (2003), S. 266; Rüchel (2001), S. 49f. 1338 Sächsische Zeitung, 30.07.1985. 1339 Leipziger Volkszeitung, 22.08.1985.

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waren wegen „Beleidigung“ und wegen „ordnungsstörenden Verhaltens“ aus dem Stadion verwiesen worden.1340 In Dresden zündeten Zuschauer beim Europacupspiel SC Dynamo Dresden gegen Helsinki JK Feuerwerkskörper und erhielten dafür Ordnungsstrafen. Ein Lehrling (17 Jahre) kam vor Gericht, weil er mit einem Feuerwerkskörper einen neben ihm stehenden Lehrling getroffen hatte. Das Kreisgericht Dresden-Mitte verurteilte ihn zu einer Geldstrafe und außerdem hatte er den Schaden zu ersetzen.1341 In Dresden kam es am 16. Mai auf dem Fucikplatz zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Dunkelhäutigen und Deutschen, deren Zahl auf ca. 150 Personen anstieg. Die Aufforderungen der Volkspolizei wurden nicht befolgt. Insgesamt wurden 18 Personen, darunter sechs Ausländer, vorläufig festgenommen.1342 In der Jugendzeitschrift Frösi - Pioniermagazin Fröhlich sein und Singen 6/85 wurde unter der Überschrift: „Ein richtiger Soldat“, die Geschichte des palästinensischen Jungen Imad erzählt, der „mit elf Jahren zum ersten Mal gegen den Feind“ kämpfte. Er wird in Beirut schwer verwundet und hielt sich deswegen in der Sowjetunion auf. Imad, Sohn eines PLO-Kommandeurs, gerät in eine militärische Auseinandersetzung mit israelischen Soldaten, hilft dort einem verletzten Soldaten der PLO aus dem Schützengraben in eine sichere Stellung und rettet ihm so das Leben. Der Verletzte macht ihn darauf aufmerksam, dass sein Maschinengewehr „keinesfalls in die Hände des Feindes fallen“ dürfe. Durch gegnerische Schüsse wird Imad gezwungen in Deckung zu gehen, doch er greift zum Maschinengewehr des Verletzten und „wie im Takt mit ihm zitterte der magere Körper des Jungen... bis er keine Patronen mehr hatte“. Eine eintreffende Gruppe palästinensischer Soldaten verscheucht dann die Angreifer und Imad und der verletzte Soldat werden aus dieser bedrohlichen Situation gerettet. Soweit diese Kindergeschichte. Besonderes erhellend sind die Textstellen, bei denen grundsätzliche politische und ideologische Beurteilungen des Konflikts zwischen dem Staat Israel und der PLO thematisiert werden. Sie zeigen auf der einen Seite die Palästinenser als kulturvolles, arbeitsames und begabtes Volk und beschreiben die andere Seite, die Israelis, als rohe Militaristen die das palästinensische Volk längst ausgerottet und sich das gesamte restliche Land angeeignet hätten, gäbe es nicht den Mut der Palästinenser. Zwei Zeichnungen bebildern den Text und zeigen einen Jugendlichen und einen jungen Mann mit umgehängter Maschinenpistole.1343 Diese Geschichte aus dem Kindermagazin Frösi beschrieb und illustrierte die offiziellen politischen und ideologischen Inhalte der ostdeutschen Politik gegenüber Israel und der PLO. Sie beinhaltet beispielhaft, die typische Haltung der DDR gegenüber dem Konflikt im Nahen Osten und steht außerdem als Beispiel für die militaristische Erziehung der Heranwachsenden. 1340 Freies Wort, Suhl, 17.10.1985. 1341 Sächsisches Tagblatt, 12.11.1985. 1342 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3961, S. 78-88. 1343 FRÖSI 6/85 - Pioniermagazin Fröhlich sein und singen.

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In Kemnitz (Bezirk Potsdam) wurden fünf Polen von mehreren Rassisten, sie führten einen Schäferhund mit sich, verfolgt und mit Holzlatten geschlagen. In ihrer Unterkunft angelangt zerstörten die Angreifer zwei Fensterscheiben.1344 In Katowice verhafteten im Juli polnische Sicherheitsorgane, aus einer Reisegruppe heraus, einen 19-jährigen Ost-Deutschen (19 Jahre), der am Nationalfeiertag Polens das verbotene „Deutschlandlied“ gesungen hatte.1345 In Erfurt wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1346 In Berlin (DDR) schrieb im August der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Adass Jisroel, M. Offenberg, schrieb an E. Honecker und teilte ihm mit, dass der Friedhof seiner Gemeinde sich in einem „schrecklichen“ Zustand befinde. Von den ursprünglich 3.000 Grabsteinen würden nur noch ca. 100 stehen, die anderen seien umgeworfen oder zerschlagen. Einige Gräber seien aufgebrochen oder sogar ausgegraben. Bis in die 1970er Jahre hinein sei der Friedhof zwar ungepflegt, aber doch weitgehend unberührt geblieben. Nun sei das Friedhofsgelände durch „systematische und kriminelle“ Zerstörungstätigkeit in eine Trümmerlandschaft verwandelt worden.1347 Die Antwort von Honecker kam prompt. Er erklärte kurz und bündig, er habe den Rat des Stadtbezirkes Weißensee veranlasst, die Rekonstruktion des Friedhofes an der Wittlicher Straße bis 1986 abzuschließen. Weitere Fragen seien mit Bellmann, Arbeitsgruppenleiter der SED, zu besprechen, der dieses Vorhaben kontrolliere.1348 Nach den ersten Aufräum- und Ausbesserungsarbeiten fand dann im Juni 1986 eine Gedenkveranstaltung der Synagogengemeinde Adass Jisroel statt.1349 Eine weitere Variante der neo-nazistischen Szene waren nationalistische Kräfte unter den ehemals Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland, die ab Mitte der 1980er Jahre regelmäßige informelle Treffen in Potsdam, Frankfurt/O., Görlitz, Zittau und anderen Orten in der DDR veranstalteten.1350 In Suhl kam es am 15. September in der HO-Gaststätte „Schulspeisung“ zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen neun Kubanern und mehreren Deutschen. Es gab mehrere Verletzte.1351 1344 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3961, S. 27-31. 1345 Besonderes Vorkommnis, „Jugendtourist“, 24.07.1985, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.320. 1346 Schmidt, S. 133. 1347 Schreiben von Dr. Mario Offenberg an Erich Honecker, Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR, Berlin (West), 28.10.1985, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/180. 1348 Schreiben des Zentralkomitee der SED, Der Generalsekretär, Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik, Der Vorsitzende, an Herrn Dr. Mario Offenberg, Berlin, 18.11.1985, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/180. 1349 Vermerk für Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Klaus Gysi von der Arbeitsgruppe Kirchenfragen, 14.04.1986, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/180. 1350 Madloch, S. 86. 1351 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3961, S. 98-100.

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In Hecklingen im Kreis Staßfurt gab es am 26. Oktober 1985 bei einer Disko-Veranstaltung „rowdyhafte und asoziale“ Provokationen. Bereits eine Woche davor wurden, vermutlich von den gleichen Jugendlichen, mit leeren Biergläsern ein Hakenkreuz auf der Tanzfläche aufgestellt, „Heil Hitler“ gerufen und der Hitlergruß gezeigt. Jugendliche brüsteten sich mit einer Reihe von ähnlichen und weiteren Taten. Die KD Staßfurt des MfS leitete Maßnahmen ein, zur Aufklärung des Personenkreises.1352 Ein Viertel aller Ermittlungsverfahren des MfS betrafen 1985 und 1986 neo-nazistische Vorkommnisse, wobei das Höchstalter der Täter von 20 auf 26 Jahre anstieg.1353 In Schmalkalden (Bezirk Suhl) wurde am 15. Dezember in einer Gaststätte ein Pole rassistisch beleidigt und in einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem deutschen Angreifer wurde der er mit einem Messer im Bauchraum lebensgefährlich verletzt. Es wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 116 StGB (Schwere Körperverletzung) eingeleitet.1354

1986 In Cottbus-Sandow wurde Rassisten aufgedeckt, die gegen Ausländer vorgingen und mehrfach Tätlichkeiten mit Dunkelhäutigen provozierten. Sie verehrten A. Hitler und den Nazismus verbreiteten Parolen wie z. B. „Heil Hitler, „Deutschland erwache, der Endsieg ist unser“ und „Ausländer raus“. Ein Treffpunkt der Rassisten war eine Kommissionsgaststätte in Cottbus, deren Leiter er war. Er war Mitglied der SED, aber sowjetische Gäste, Angehörige der GSSD, bezeichnete er als „Unmenschen“ oder „lästige Personen“. Er hatte eine Sammlung von ca. 25 Hieb- und Stichwaffen, u. a. Seitengewehre/Bajonette. Außer dem besaß er u. a. ein Bild von A. Hitler, einen Bildband über A. Hitler und einen Bildband eines SS-Führers, die teilweise bei Treffen der Gruppe in der Gaststätte ausgestellt worden waren. Der Leiter der Gaststätte wurde verwarnt und belehrt und von einem Ermittlungsverfahren wurde abgesehen, da in einem Gespräch mit ihm festgestellt worden war, er sei „kein Feind der Republik“.1355 In Spremberg (Bezirk Cottbus) auf dem Campingplatz Stausee, Südstrand, wurde ein neo-nazistische Gruppe entdeckt, deren Mitglieder 17 bis 19 Jahre waren. Sie waren bewaffnet mit Gummiknüppeln, Fahrtenmesser und einem angeschliffenem Campingbeil.1356

1352 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 405-407. 1353 BStU, BF1/B Bernd Eisenfeld, 22.2.2001. 1354 BStU, MfS, ZOS, Nr. 3961, S. 103. 1355 BStU, MfS, HA XX, Nr. 6046, Teil 2 von 2, S. 199-205, S. 303-306. 1356 BStU, MfS, HA XX, Nr. 6046, Teil 2 von 2, S. 206.

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Die Hauptabteilung I (HA I) des MfS stellte im Frühjahr fest, dass in der NVA neonazistische Vorkommnisse zugenommen hatten.1357 Der Minister für Staatssicherheit, E. Mielke, verharmloste 1986 die neo-nazistischen Aktivitäten als „Wichtigtuerei“. Erst mit dem Überfall von Skinheads und Hooligans auf die Zionskirche in Berlin im Oktober 1988, wurde das MfS auf die Bekämpfung der Neo-Nazis fokussiert.1358 Auf einem Vergnügungspark gab es eine Schlägerei zwischen sechs Kubanern und fünf deutschen Schaustellern.1359 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 15. Januar festgehalten, dass die deutsche Bevölkerung und teilweise auch das Verkaufspersonal, z. B. im „Exquisit“ oder im HO-Kaufhaus „ärgerlich reagiert“ über einkaufende Mosambikaner aus der „Schule der Freundschaft“, die ihnen „viele Waren wegkauften“ ohne das für Ersatz gesorgt würde. Den Afrikanern schlugen in der Stadt und im Kreis Staßfurt „Neid, Missgunst und Rassismus“ entgegen. Es wurde festgestellt, dass Busfahrer nicht anhielten, wenn ausschließlich Afrikaner an einer Haltestelle warteten, 1360 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 4. Februar an einer „Arbeiterfahne“ im Speiseraum des VEB Achslagerwerk ein Hakenkreuz festgestellt.1361 Vor Gericht wurde gegen einen Jugendlichen (17 Jahre) verhandelt, der wegen „Rowdytums und Körperverletzung“ angeklagt war. Dafür erhielt er drei Monate Freiheitsentzug. Er hatte sich einer Skinhead-Gruppe angeschlossen. Sie hatten sich während einer Discoveranstaltung ein Opfer ausgesucht und schlugen es nieder. Gegen die anderen Mitglieder der Gruppe liefen während der Verhandlung noch Ermittlungsverfahren.1362 Beim Oberligaspiel FC Carl-Zeiss Jena gegen FC Rot-Weiß Erfurt kam es durch Hooligans zu Tätlichkeiten und zur Beschädigung eines Pkw. Zwei Erfurter wurden als Täter ermittelt, Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet und Haftbefehle erlassen.1363 Besonders heftig wurde, im Verlauf der Fußballweltmeisterschaft, über Einsätze der westdeutschen Fußballnationalmannschaft diskutiert. Das Abschneiden der West-

1357 BStU, BF1/B Bernd Eisenfeld, 22.2.2001. 1358 Madloch, S. 77. 1359 Gruner-Domic, in :Zwengel (2011), S. 64. 1360 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 18-19. 1361 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15405, S. 255. 1362 Junge Welt, 18.12.1986. 1363 Das Volk, 02.04.1986.

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deutschen wurde mit: „Wir haben gut gespielt“ und „Unsere Mannschaft wurde Vizeweltmeister“ kommentiert.1364 In Frankfurt/O. verließen zwei Jugendliche (15 Jahre) das „Stadion der Freundschaft“, nachdem sie dort dem Spiel FC Vorwärts Frankfurt/O. gegen Wismut Aue zugeschaut hatten. Vor dem Stadion kamen ihnen zwei Jugendliche (13 Jahre) entgegen. Einer von ihnen zückte ein Taschenmesser und bedrohte die beiden. Sie mußten sich in eine Pfütze setzen, das Gesicht mit Dreck beschmieren, in eine Tonne kriechen und sie sollten sich gegenseitig schlagen. Die beiden Täter hatten sich vor dem Kreisgericht Frankfurt/O. zu verantworten und sie wurden wegen „Rowdytum“ verurteilt. Der eine erhielt eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten und wegen einer früheren Bewährungsstrafe wurde die Freiheitsstrafe sofort wirksam. Er erhielt eine dreimonatige Jugendhaft.1365 Drei Jugendliche aus Magdeburg reisten zu einem Fußballspiel nach Leipzig. Dort schlugen sie auf fünf Leipziger ein und raubten ihnen Geld und Kleidungsstücke. Das Kreisgericht Leipzig-Mitte verurteilte einen der Täter zu einem Jahr und zehn Monaten, den Zweiten zu einem Jahr und den Dritten zu sieben Monaten Gefängnis. Da zwei bereits früher Bewährungsstrafen erhalten hatten, mußten sie noch zusätzliche sieben bzw. sechs Monate Freiheitsstrafen verbüßen.1366 Wegen der dunklen Hautfarbe ihrer Kinder wurde eine Mutter öffentlich beschimpft, die Anfeindungen reichten von „Laß Dir doch zur Abwechslung mal ein Gelbes machen“ über „Hast wohl gar keinen Nationalstolz“ bis zu Bemerkungen wie „Haut ab, das ist hier ein sauberer Spielplatz“. Beide Eheleute hatten beobachtet, dass auch andere Schwarze in Ost-Deutschland missachtet worden waren.1367 In Wittenburg im Kreis Hagenow (Bezirk Schwerin) kam es in einem „Lager für Erholung und Arbeit“ zu Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen. Zwei Arbeiter waren in die Unterkunft der polnischen Jugendlichen eingedrungen und schlugen mit Fäusten auf die Bewohner ein. Sie wurden von der Volkspolizei festgenommen.1368 In Berlin-Lichtenberg (DDR) wurde in einem „Lager der Erholung und Arbeit“ der 17. Oberschule eine polnische Fahne entwendet und eine DDR-Fahne beschädigt, außerdem wurden in einem Gruppenraum „faschistische und obszöne“ Schmierereien entdeckt. Die Untersuchungen ergaben, dass „Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“

1364 Persönliche Information, Juni 1986, 14.07.1986, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.184, S. 4f. 1365 Neuer Tag, 13.12.1986. 1366 Leipziger Volkszeitung, 18.12.1986. 1367 Der Tagesspiegel, 02.03.1986. 1368 Schreiben der BDVP Schwerin an MdI Berlin und BV MfS Schwerin, 15.07.1986, SAPMOBArch, DY 24/ 11.139.

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nicht gewährleistet waren - Hinweise auf strafbare Handlungen lägen jedoch nicht vor.1369 In Wandlitz im Kreis Bernau (Bezirk Frankfurt/O.) verletzten zwei junge Arbeiter einen Polen, weil er mit einem Mädchen aus Wandlitz getanzt hatte. Die beiden OstDeutschen schlugen ihn mit Fäusten und Füßen ins Gesicht und auf den Körper. Dabei erlitt T. Prellungen und Schürfwunden im Gesicht und am Körper und musste ins Krankenhaus Bernau gebracht werden.1370 In Berlin (DDR) gab es einen anti-ziganistischen Vorfall in einer Schule. Ein Schüler (14 Jahre), er stammt aus einer Sinti-Familie, wurde im Biologiesaal von mehreren Schülern bedroht, mit „Dich und deine Eltern haben sie vergessen zu vergasen“. Das Opfer dieses Angriffs wurde wegen „auffälligen Verhaltens“ in eine Erziehungsanstalt (Jugendwerkhof) eingewiesen.1371 In Berlin (DDR) wurden neo-nazistische Gruppen wie z. B. „Lichtenberger Front“, „Ostkreuzler“ oder „Oranienburger“ von Skinheads gegründet.1372 In Plaue bei Arnstadt (Bezirk Erfurt) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1373 In Karl-Marx-Stadt wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1374 Ein Student aus Nicaragua beschwerte sich im August beim Leiter eines Zeltlagers über das Verhalten von Volkspolizisten. Er war in einem Restaurant rassistisch behandelt worden.1375 In Bleicherode (Bezirk Erfurt) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1376 In Werder (Bezirk Potsdam) wurden auf dem Jüdischen Friedhof Grabsteine umgeworfen und mit NS-Symbolen geschändet.1377 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurden um den 20. November 1986 herum, Mosambikaner aus der „Schule der Freundschaft“ von Deutschen im oder beim „Jugendklub Neundorf“ verprügelt. Die Tätlichkeiten standen unter dem Motto: „Vertreibung von 1369 Information der FDJ BL Berlin, 11.07.1986, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.139. 1370 Fernschreiben der BDVP Frankfurt/O. an das MdI Berlin, an die BV MfS Frankfurt/O. und an die BL der SED Frankfurt/O., 23.08.1986, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.139. 1371 Siegler, S. 67; Borchers, S. 64f. 1372 Madloch, S. 75. 1373 Schmidt, S. 68. 1374 Diamant, S. 60. 1375 FDJ an J. Hönow, 15.08.1986; Mitteilung von R. Gubbe an J. Hönow, o.J., SAPMO-BArch, DY 24/ 11.139. 1376 Schmidt, S. 68. 1377 Diamant, S. 60.

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Negern aus dem Jugendklub Neundorfer Straße“. Ein Deutscher war der Meinung, dass diese Prügeleien ein „zurückschlagen“ bedeuteten, da es bereits davor schon Prügeleien von Mosambikanern mit Deutschen gegeben hätte. Die KD Staßfurt des MfS wollte durch weitere Aufklärung und Ermittlung der Rädelsführer habhaft werden.1378

1987 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde Anfang Februar der „Stand der Entwicklung der mocambikanischen Jugendlichen“ an der „Schule der Freundschaft“ (SdF) beschrieben. Die KD Staßfurt des MfS führte die „in letzter Zeit mehrfach auftretenden“ Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Mosambikanern darauf zurück, dass es nur ca. 350 Plätze in Einrichtungen für Jugendliche gäbe und dass sich an Wochenenden allein ca. 900 Mosambikaner an der Schule befänden. „Prügeleien, Körperverletzungen und Diebstähle“ hätten dazu geführt, dass die Deutschen gegen die Mosambikaner eingestellt wären und Äußerungen wie z. B. „Schwarze Affen“ würden sich häufen. Außerdem drohten betroffene und geschädigte Deutsche „Selbstjustiz“ an, weil sie der Meinung waren, die Mosambikaner könnten machen was sie wollten ohne strafrechtlich belangt zu werden. U. a. beklagte der Leiter der KD Staßfurt des MfS „jahrelanges Verschweigen der sich abzeichnenden Probleme durch parteiliche und staatliche Leitungskader gegenüber den übergeordneten Dienststellen und der Öffentlichkeit“ und das „zu späte und unwirksame Durchgreifen“ zur Eindämmung der sich entwickelnden Tendenzen hin zu rassistischem Verhalten.1379 In Leipzig legten im April 1987 ca. 40 kubanische Arbeiter des VEB Industrie-Isolierungen, ein Betrieb des VEB Kombinats Kernkraftwerkanlagebau, die Arbeit nieder. Daraufhin wurden zwei Arbeiter als „Unruhestifter“ nach Kuba zurückgeschickt. Fünf kubanische Arbeiter wurden disziplinarisch bestraft und anderen Kubanern wurde das Trennungsgeld, ein spezieller Lohnzuschlag für die Arbeit in einem Atomkraftwerk, gestrichen. Außerdem wurden die Wohnheime der Kubaner strenger überwacht.1380 Bei einer Tagung in Amsterdam antwortete ein Wissenschaftler der Humboldt-Universität (HU) Berlin (Ost), er war als Vertreter des „Friedensrates der DDR“ anwesend, auf die Frage, ob er den Kölner Professor Franz Loeser kenne, „Sie meinen doch nicht das Judenschwein Franz Loeser?“.1381 In Wittenburg (Bezirk Schwerin) verbrachte eine Bezirksvorsitzende der Pionierorganisation eine Nacht im Parteigästeheim Frankenhorst wo sich eine polnische Dele1378 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 105 1379 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15302, Nr. 12-15. 1380 Gruner-Domic, in: Motte/Ohliger/von Oswald (Hg.), S. 229. 1381 Wolffsohn, S. 320.

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gation aufgehalten hatte. Gegen die FDJ-Funktionärin wurde ein Parteiverfahren eingeleitet und sie musste sich außerdem im FDJ-Sekretariat und in der SED-Parteileitung zu ihrem Verhalten erklären. Zur Strafe wurde die geplante Gehaltserhöhung zurückgenommen.1382 Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) notierte mehrere Vorfälle bei denen es zu Ausschreitungen und zu neo-nazistischen Äußerungen durch Skinheads gekommen war. So wurde in Berlin-Marzahn ein Soldat der Nationalen Volksarmee von sechs Skinheads brutal zusammengeschlagen.1383 In Berlin-Hellersdorf (DDR) drangen mehrere Skinheads in einen Bungalow ein und schlugen Punks zusammen.1384 In Velten (Bezirk Potsdam) kam es zu „rowdyhaften“ Ausschreitungen im Anschluss an eine Tanzveranstaltung. Es gab mehrere Verletzte, die Einrichtung der Gaststätte wurde zerstört und Volkspolizisten wurden tätlich angegriffen. Skinheads reagierten später auf das Eingreifen der staatlichen Organe und zerstörten nach einem Gaststättenverbot aus Rache die Thermopanefenster des Lokals.1385 In Bentzin (Bezirk Neubrandenburg) wurden an der Konsumverkaufsstelle, am LPGBüro Alt Plestin und am Gebäude des Rates der Gemeinde Bentzin rassistische und neo-nazistische Parolen geschmiert, wie z. B. „Kauft nicht bei Polacken, sie wollen Euch nur um Euer Geld bringen“, „Kauft nicht von Polacken, schlagt sie lieber tot und ebenso ihre Helfershelfer, die sich Deutsche nennen“, „Tod den Polacken, Judas verrecke“, „Deutschland erwache“ und „Vernichtet das polnische Judenpack auf deutschem Boden“. Außerdem wurden vier Hakenkreuze geschmiert. Der Täter war ein Tierpfleger (20 Jahre) gegen den ein Ermittlungsverfahren mit Haft nach § 220 StGB (Öffentliche Herabwürdigung“ eingeleitet wurde.1386 In Magdeburg in der Herrentoilette der HO-Gaststätte „Stadt Prag“ wurden am 29. April neo-nazistische und rassistische Schmierereien entdeckt, wie z. B. „Deutschland den Deutschen“ oder „Faschisten aller Länder vereinigt euch“. Dazu wurden Hakenkreuze geschmiert.1387 In Güsten im Kreis Staßfurt kam es am 11. Mai 1987 zu einer „Provokation“ durch deutsche Jugendliche im „Klubhaus der Eisenbahner“. 11 mosambikanische Lehrlinge wollten an einer Disco teilnehmen, sie wurden aber, wegen angeblicher Über1382 Information der FDJ BL Schwerin, 11.02.1987, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.252, S. 7. 1383 Ministerrat der DDR an das Ministerium für Staatssicherheit, Stellvertreter des Ministers an die BV Berlin, Stellvertreter Operativ, VVS-oOO8, MfS-Nr. 14/88, 02.02.1988, Einschätzung der Hauptabteilung XX, S. 6-7. 1384 Ebenda. 1385 Ebenda. 1386 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 13-14. 1387 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 26.

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füllung, nicht eingelassen und wurden von Deutschen rassistisch beleidigt, wie z. B. „Schwarze Schweine“ oder zur „Zeit des Führers hätte man Dir die Haut abgezogen, Dich langsam getötet und dann verbrannt“. Die Mosambikaner wurden tätlich angegriffen und geschlagen und erst als andere Deutsche die Auseinandersetzungen beenden konnten, kehrten die Mosambikaner ins Wohnheim in Güsten zurück. Am 13. Mai, zwei Tage später, drangen gegen 21.30 Uhr, 4 angetrunkene Deutsche in das Lehrlingswohnheim ein, um Mosambikaner tätlich anzugreifen und dabei verletzten sie den Heimleiter. Die hinzugezogene Transportpolizei leitete erste Maßnahmen zur Beweisaufnahme ein, doch dabei kam es zu widersprüchlichen Aussagen.1388 In Berlin-Friedrichshain (DDR) am Franz-Mehring-Platz wurde am 24. Mai aus einer Wohnung eine Hakenkreuzfahne aufgehängt.1389 Beim Schkeuditzer Kreuz/Leipzig kam es am 28. Juli zwischen 22.00 und 23.00 Uhr zur Schusswaffenanwendung durch die Deutsche Volkspolizei (DVP), weil irrtümlich angenommen wurde, einen flüchtigen Soldaten der GSSD aufgespürt zu haben. Ein Soldat der Sowjetarmee wurde mit Schussverletzungen in ein sowjetisches Hospital in Leipzig eingeliefert. Der gesuchte Soldat konnte am 30. Juli ohne Widerstand bei Leipzig festgenommen werden. In Zittau (Bezirk Dresden) kam es am 16. August gegen 01.00 Uhr vor einer Gaststätte zu rassistisch motivierten, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Mosambikanern. Die Auseinandersetzungen waren bereits zuvor in der Gaststätte von einem Deutschen „provoziert worden“. Insgesamt gab es 11 verletzte Personen, darunter befanden sich 7 Mosambikaner.1390 In Dresden gab es rassistisch motivierte, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ausländern.1391 In Heiligenstadt (Bezirk Erfurt) wurde am 5. Juli auf einer Jugendtanzveranstaltung das verbotene „Deutschlandlandlied“ gesungen.1392 In Leipzig kam es am 24. Juli auf dem Bayerischen Platz zu Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Afghanen, die mit Stöcken und anderen Gegenständen geführt wurden. Es hatte sich eine Menschenmenge von ca. 200 Personen gebildet, aus der es mehrfach Rufe gab, wie z. B. „Ausländer raus“, „Ausländerschweine“, 1388 Schreiben des Rates des Bezirks Magdeburg an den stellvertretenden Minister für Volksbildung, Magdeburg, 20.5.1987, in: Uta Rüchel: „auf deutsch sozialistisch denken …“ Mosambikaner in der Schule der Freundschaft. Hrsgg von Landesbauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Juni 2001. 1389 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 84. 1390 BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 5881. Jahreseinschätzung zur politisch-operativen Lage; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 114. 1391 Ebenda. 1392 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 105-106.

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„Deutschland erwache“, „Deutschland den Deutschen“ oder „Die Mauer muss weg“. Die Volkspolizisten setzten Schlagstöcke ein und 39 Deutsche wurden vorläufig festgenommen. Gegen 12 Rassisten wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet und Haftbefehle beantragt. Neun Personen erhielten Ordnungsstrafverfahren in Höhe von 300 Mark.1393 In Borna (Bezirk Leipzig) kam es im August vor dem Wohnheim des VEB BV Espenhain zu rassistischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Kubanern. Die Pförtnerin verschloss die Eingangstüren des Wohnheims, die aber von den Angreifern zerschlagen wurden. Es gab Verletzte.1394 In Zittau (Bezirk Dresden) in der Äußeren Weberstraße gab es am 18. August vor dem Wohnheim für Ausländer zu Auseinandersetzungen zwischen Mosambikanern und Deutschen, die mit Steinen und Holzlatten ausgetragen wurden. Gegen einen Deutschen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet und gegen weitere Deutsche wurden Ordnungsstrafen verhängt. Am 15. bzw. 16. August hatte es in Zittau bereits tätliche Auseinandersetzungen zwischen zwei Deutschen und Mosambikanern gegeben.1395 In Naumburg (Bezirk Halle) kam es in der Freiluftgaststätte „Bürgergarten“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 10 ausländischen Militärangehörigen, Offiziersschüler, des Instituts für Fremdsprachen der „Nationalen Volksarmee“ (NVA) und ca. 50 Deutschen. Erst als anrückende Volkspolizisten mit der Anwendung von Schusswaffen gedroht hatten, wurden die Tätlichkeiten beendet. 10 Soldaten aus Afghanistan, Tunesien und anderen arabischen Ländern wurden zum Teil schwer verletzt und mussten in medizinischen Einrichtungen der NVA behandelt werden.1396 In Jarmen (Bezirk Neubrandenburg) wurden am 6. August an einer Wartehalle am Busbahnhof neo-nazistische und rassistische Schmierereien aufgefunden, wie z. B. „Was hast du gegen Neger?: Handgranaten, Maschinengewehre usw.“, „Was machst du aus Neger?: Handtaschen, Lampenschirme“ und „Die SA, SA, SA ist wieder da“.1397 In Möllenbeck-Stolpe (Bezirk Neubrandenburg) wurden am 14. August an der Hinterfront einer ungenutzten Garage neo-nazistische und rassistische Schmierereien entdeckt, wie z. B. „Führer befiehl, wir folgen“ und „Neonazi von Woldegk“. Dazu

1393 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 111-117; BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 15-16; MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, 261/02, S. 8-14 1394 Gruner-Domic, in: Zwengel (Hg.), S. 64. 1395 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 121-123; BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 19; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 114. 1396 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 124-141; BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 21. 1397 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 17.

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waren SS-Runen und ein Hakenkreuz geschmiert worden. Der Täter (18 Jahre) wurde vorläufig festgenommen.1398 In Niesky (Bezirk Dresden) kam es am 9. September zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 30 Deutschen und ca. 20 Mosambikaner, wegen rassistischen Beschimpfungen und Beleidigungen. Sechs namentlich bekannte Deutsche wurden verletzt. Gegen zwei Mosambikaner wurden Ermittlungsverfahren gemäß § 115 StGB eingeleitet.1399 In Niesky (Bezirk Dresden) kam es am 19. bzw. 20. September zu fünf „Öffentlichen Herabwürdigungen“ nach § 220 StGB. Unbekannte Täter hatten mehrere rassistische Parolen an mehreren Stellen in der Stadt, z. B. an einer Polytechnischen Oberschule (POS), an einem Garagentor oder auf zwei Parkbänken angebracht, wie z. B. „Tötet die Nigger“, „Tot den Niggern“.1400 In Treuen im Kreis Auerbach (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es am 19. auf den 20. September vor der Gaststätte „Treuener Hof“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 15 Deutschen und ca. 15 Mosambikanern, wobei vier Deutsche und zwei Mosambikaner verletzt wurden. Die Auseinandersetzungen verlagerten sich dann auf die Straße in Richtung Wohnheim der Mosambikaner und vor dem Wohnheim in der Hartmannsgrüner Straße, wo 8 Fensterscheiben durch Steinwürfe zerstört wurden. Ca. 40 bis 60 Personen hatten sich als Zuschauer eingefunden.1401 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 19. September gegen 23.00 Uhr der mosambikanische Lehrling Carlos Conceicao über ein Brückengeländer gehoben und in die Bode geschmissen. Am 20. September gegen 11.00 Uhr wurde sein Leichnam am Ufer gefunden. Von der KD Staßfurt des MfS wurden Meinungen von Deutschen notiert, wie z. B. „Da ist doch nur ein Stück Kohle in die Bode gefallen“ oder „Macht euch nach Hause wo ihr hergekommen seid.“1402 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 24. September von der KD des MfS die „Stimmung und Reaktion der Bevölkerung“ wegen der Ermordung von Carlos C. beschrieben. Darin wurde „vielfach ausgedrückt“, dass die Mosambikaner durch ihr Auftreten „bestimmte Vorkommnisse teilweise heraufbeschwören“ und es wurden wieder die angeblichen Bevorzugungen der Schüler der „Schule der Freundschaft“ in 1398 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 19. 1399 BStU, MfS, HA VII, Nr. 5476, S. 109; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 5881. Jahreseinschätzung zur politisch-operativen Lage; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 155-159; BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 22; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 114. 1400 BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XX, Nr. 10851, S. 1-4; BStU, MfS, BV Dresden, Abt. II, Nr. 10073, S. 87-94; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 114. 1401 BStU, MfS-HA VII, Nr. 5476, S. 108; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 115. 1402 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15244, S. 114-120; BStU, MfS, HA XX, Nr. 6151, S. 15; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 115; Lela Lapp: Im Land von Onkel Honecker, in: Freitag, 14, 6.4.2007.

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Bezug auf Bekleidung und Südfrüchte, hervorgebracht. Es wurde festgestellt, dass Deutschen und die Ordnungsgruppe des Jugendklubs Carlos C. keine Hilfe leisteten. Mosambikanische Jugendliche sollten nach Vergeltung und Rache gerufen haben.1403 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 20. Oktober von der KD des MfS die Lage an der SdF so eingeschätzt, dass sich dort „die Stimmung unter den mocambiquischen Jugendlichen“ nach dem „Vorfall vom 19.09.87 wieder beruhigt hat“. Die Lehrlinge würden sich „weitgehend ordnungsgemäß und diszipliniert“ verhalten und das „Auftreten der Angehörigen“ der Schule an Jugendveranstaltungen im Kreisgebiet und in Gaststätten, wäre „etwas zurückhaltender“ geworden. Der Bericht des MfS wollte jedoch nicht ausschließen, dass einzelne Mosambikaner noch „Rachegefühle“ hegten und nur auf eine „günstige Gelegenheit“ warteten.1404 In Berlin (DDR) trafen sich am 17. Oktober ca. 80 bis 100 Neo-Nazis in einer Gaststätte zu einer „Geburtstagsfeier“. Von dort aus machten sich ca. 30 Neo-Nazis und Skinheads auf den Weg um Konzertbesucher in der Zionskirche „aufzumischen“. Unterwegs wurde ein Mädchen brutal zu Boden gestoßen und ein junger Mann verprügelt. Die neo-nazistischen Angreifer brüllten „Sieg Heil“, „Judenschweine“, „Schweine und Linke raus aus deutschen Kirchen“ und es wurde der Hitlergruß gezeigt sowie „Deutschland“ gerufen. Kranken- und Einsatzwagen der Volkspolizei standen während des Konzertes in Nebenstraßen und obwohl Konzertteilnehmer die Volkspolizisten um Hilfe baten, blieben diese auf ihren Positionen. Wegen Beteiligung an diesem brutalen Überfall verurteilte die Strafkammer des Stadtbezirksgerichtes Berlin-Mitte die Skinheads Ronny B., bereits zum fünften Mal vor Gericht, T., zuvor einmal in Haft wegen „Rowdytums“, S. und F. zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren sowie zur Begleichung von Schadensersatz. Im darauf folgenden Gerichtsverfahren folgten die Richter den Anträgen der Staatsanwaltschaft und verurteilten die vier Jugendlichen zu höheren Freiheitsstrafen: R. vier Jahre; T. zwei Jahre, sechs Monaten; S. zu einem Jahr und acht Monaten sowie F. zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsentzug. Im Urteil wurde hervorgehoben, dass bei den Ausschreitungen in und um die Zionskirche „Skinhead-Rowdys“ aus West-Berlin beteiligt waren.1405

1403 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15302, S. 110-111. 1404 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15302, S. 122-123. 1405 Neue Bunte Illustrierte, (NBI) 7/88; Junge Welt, 12/13.12.1987; Junge Welt, 04.12.1987; Neue Bunte Illustrierte (NBI), 7/88; Persönliche Information November 1987, FDJ BL Suhl, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.262, S. 4; Neues Deutschland, 23.12.1987; Junge Welt, 23.12.1987; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.01.1988. Am 25. November 1987, einen Monat nach dem Überfall auf das Konzert in der Zionskirche, durchsuchten Staatssicherheit und Staatsanwaltschaft die Räume der Zionskirche. Zahlreiche fortschrittliche Oppositionelle aus Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen aus Berlin und anderen Städten wurden verhaftet. Am 10. Dezember 1987 wurden zehn Mitglieder der Initiative für Frieden und Menschenrechte verhaftet; Vgl. Süß; Krüger-Potratz, S. 56.

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In Berlin (DDR) wurden sieben junge Männer (21 und 25 Jahre) wegen „Rowdytum“ angeklagt und zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Sie gehörten zu einer Skinhead-Gruppe mit uniformer Kleidung und uniformem Haarschnitt. Sie nannten sich „Fußballfans“, allerdings ohne besondere Sympathien für einen Klub. Sie waren mit 30 bis 40 anderen Jugendlichen zu einem privaten Fest in eine Zwei-Raum-Wohnung eingeladen worden. Nachbarn, die den Lärm nicht ertrugen, riefen zweimal die Volkspolizei, die schließlich die Wohnung räumte. Daraufhin zogen die Jugendlichen „randalierend“ durch das Wohngebiet und demolierten mehrere Funkstreifenwagen der Volkspolizei.1406 Ein Skinhead und Fußballfan (18 Jahre) des FC Carl-Zeiss Jena stand wegen „Rowdytums und Beleidigung“ vor Gericht. Er war mit der Deutschen Reichsbahn unterwegs gewesen und belästigte wiederholt Fahrgäste, bedrohte einen Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA), trat einem älteren Mann ans Schienbein und beschimpfte dessen Frau. Auch die Sicherheitskräfte der Deutschen Reichsbahn wurden verunglimpft.1407 Die Situation mit den Fan-Clubs der Oberligamannschaft BSG Energie Cottbus war so dramatisch zugespitzt, dass sich die FDJ-Bezirksleitung veranlasst sah, zusammen mit dem Vorstand des Fußballvereins, unter der Leitung der SED-Bezirksleitung, über die weitere Arbeit mit den Cottbuser Fußballfans zu sprechen.1408 Die Fußballmannschaft von Chemie Leipzig wurde von neo-nazistischen Hooligans begleitet. Sie marschierten zu Hunderten im Gleichschritt durch ost-deutsche Kleinstädte und brüllten dabei „Sieg“, sangen SA-Lieder und es wurden abgewandelte Nazisymbole getragen.1409 Zwei Hooligans, ein 20-Jähriger und 18-Jähriger, beide aus Ludwigslust, besuchten in Rostock ein Spiel des FC Hansa Rostock gegen 1. FC Union Berlin. Bei einer Fahrtunterbrechung in einer Mitropa-Gaststätte schlugen sie auf einen Mann ein, zerbrachen dessen Brille und Zahnprothese. Die Jugendlichen gingen mit brutaler Härte vor, malträtierten den regungslos auf dem Boden liegenden Mann mit Faustschlägen und Fußtritten. Wegen „Rowdytums und vorsätzlicher Körperverletzung“ wurden sie zu zehn Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung verurteilt.1410 Im Bezirk Rostock gab es 1987 ca. 800 Skinheads in ca. 38 Gruppierungen.1411

1406 Junge Welt, 07.05.1987. 1407 Das Volk, 30.04.1987. 1408 Information der FDJ BL Cottbus, 07.12.1987, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.262, S. 4. 1409 Madloch, S. 80. 1410 Schweriner Volkszeitung, 11.12.1987. 1411 Langer, S. 77.

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In Rostock wurde eine Gruppe von Skinheads von der Polizei und dem MfS „zerschlagen“, die sich im Jugendklub „Bruno Kühn“ getroffen hatten. Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.1412 Für die Fußball-Saison 1987/88 registrierte das MfS über 1.000 Ausschreitungen an denen Hooligans beteiligt waren.1413 In Dresden marschierten im Sommer drei Skinheads durch den Hauptbahnhof und pöbelten Reisende an. Auf dem Rücken ihrer Bomberjacken stand „Ich hasse euch alle“. Die beiden „s“ waren in Runenschrift geschrieben.1414 In Schwedt (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien, wie z. B. SS-Runen, ein Hakenkreuz, „Hitler“, „SA“ und ein „Judenstern“ geschändet.1415 In Lindow (Bezirk Potsdam) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1416 In Altlandsberg im Kreis Strausberg (Bezirk Frankfurt/O.) war der Jüdische Friedhof in der Nacht vom 22. zum 23. August geschändet worden.1417 In Oranienburg (Bezirk Potsdam) wurden Skinheads verhaftet, die eine Gruppe gebildet hatten. Sie hatten monatelang in Zügen, Gaststätten und auf der Straße ungezählte Frauen und Männer angegriffen und beleidigt.1418 Im Bezirk Magdeburg streikten VietnamesInnen wegen allgemeiner schlechter Behandlung, wegen unattraktiven Tätigkeiten und wegen schmutziger Arbeitsräume.1419 In Neuruppin (Bezirk Potsdam) skandierten mehrere junge Deutsche, nach einer Schlägerei mit sowjetischen Bürgern, „Russen raus“.1420 In Suhl-Heinrichs (Thüringen) hatte im November 1987 ein deutscher „Bengel“ mit einem Luftdruckgewehr auf einen Mosambikaner geschossen.1421 In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre registrierte das MfS pro Jahr durchschnittlich einhundert neo-nazistische oder rassistische Vorfälle in der NVA. Nach Ansicht des 1412 Langer, S. 77 1413 Madloch, S. 80f. 1414 Siegler, S. 77. 1415 Schmidt, S. 129 und S. 134. 1416 Schmidt, S. 122 1417 Schmidt, S. 125. 1418 Krüger-Potratz, S. 56. 1419 Gruner-Domic, in: Motte/Ohliger/von Oswald (Hg.), S. 230. 1420 Müller, S. 31. 1421 Zwengel, in: Zwengel (Hg) (2007), S. 104.

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MfS wäre sie nicht der Ausdruck von „ideologischen Positionen“, sondern Ausfluss westlicher Einflüsse.1422 In Annaberg-Buchholz (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde in einer HO-Gastsstätte ein Pole von einem Deutschen mehrfach rassistisch beleidigt und angegriffen. Gegen den Täter wurde ein Ermittlungsverfahren der „Beleidigung wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen Nation“ und „Öffentliche Herabwürdigung“ nach § 140 StGB und § 220 StGB eingeleitet.1423 In Bad Blankenburg (Bezirk Gera) beim VEB Transportgummi waren im Dezember 1987 Kubaner Opfer rassistischer Angriffe. Manche Vorgesetzte verlangten von Kubanern, dass sie nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz sondern den von anderen säubern sollten oder Kubaner wurden aufgefordert, eine Maschine die von zwei Arbeitern bedient werden sollte, alleine zu bedienen. Falls es Widerworte der Kubaner gab, wurde ihnen die Rückführung nach Kuba angedroht. In anderen Fällen wurden sie angeschrien, als „Neger“ tituliert oder es wurden Schläge angedroht.1424 Ein Gefreiter der NVA wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er sich an Ausschreitungen mit Skinheads beteiligt hatte.1425 In Meißen (Bezirk Dresden) streikten am 8. Dezember ca. 36 mosambikanische Arbeiter des VEB Blechpackungswerke für bessere Arbeitsbedingungen und blieben deshalb in ihrer Unterkunft in Coswig. Nach einer Besprechung nahmen sie am 9. Dezember ihre Arbeit wieder auf.1426 In Neustrelitz (Bezirk Neubrandenburg) wurde in der „Ernst-Thälmann-Schule“ der Volkspolizei ein Oberwachtmeister von Kameraden (Mitschüler) mit „faschistischem Vokabular“ angegriffen und beleidigt, weil sein Familienname polnisch klang und sein Vater Jude war.1427 In Berlin-Lichtenberg (DDR) wurde am 17. Dezember ein Kochlehrling (18 Jahre), Skinhead, von der Volkspolizei, wegen Rowdytum, „öffentlicher Herabwürdigung und vorsätzlicher Körperverletzung, festgenommen. Er war Mitglied einer Gruppe von Skinheads und er hatte am 11.Dezember den Hitler-Gruß gezeigt. Diese Gruppe verkehrte bevorzugt im Café „Petit Fleur“ und in der Gaststätte „Bärenschaufenster“. Am 25. April 1988 wurde er vom Bezirksgericht Lichtenberg zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt.1428

1422 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.), S. 305. 1423 BStU, MfS, HA VII, Nr. 5557, S. 56-57. 1424 Gruner-Domic: in: Motte/Ohliger/von Oswald (Hg.), S. 230. 1425 Wenzke, in: Wenzke (Hrsgg.), S. 305. 1426 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 31, S. 33. 1427 BStU, HA VII, Nr. 3053, S. 72-76. 1428 BStU, MfS, HA VII Nr. 2217, S. 18 u. S. 40-42.

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In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) wurde auf dem S-Bahnhof Schönhauser Alle am 31. Dezember ein Afrikaner (Guinea) von einem Deutschen rassistisch beleidigt und geschlagen. Der Täter wurde vorläufig festgenommen und gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren „nach § 215 StGB (Rowdytum) in Tateinheit mit Beleidigung wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen Nation oder Rasse nach § 140 StGB“.1429 In Rathenow (Bezirk Potsdam) wurden am 24. auf 25. Dezember eine Mitternachtsmesse in der St. Marien-Andreas-Kirche von Rassisten gestört. Sie sangen die erste Strophe des „Deutschlandliedes“, grölten „Gebt die Neger raus, wir wollen sie verprügeln“ und drohten den 6 afrikanischen Besuchern Prügel an. Die Volkspolizei verhängte darauf eine Ausgangssperre – über die Mosambikaner, angeblich zu deren Schutz.1430 Im Bezirk Potsdam kam es vom 9. Dezember 1987 bis zum 16. Januar 1988 zu sieben Straftaten gegen Wohn- und Dienstgebäude der GSSD in Fürstenberg/Gransee, Ortsteil Ravensbrück, wo jeweils die Scheibe des Postenhauses mit Steinen eingeworfen worden waren. Beim letzten Vorfall am 16. Januar 1988 wurden die Steine aus einem fahrenden Pkw heraus geworfen. Gegen die drei Täter wurden Ermittlungsverfahren wegen § 177, § 188, § 215 (Rowdytum) und § 216 StGB eingeleitet und es wurden Haftbefehle erlassen.1431

1988 Ein Gedicht, angelehnt an das Gedicht von Knecht Ruprecht, war in der DDR zum Hit geworden: „Vom Centrum-Warenhaus komm’ ich her. Ich muß euch sagen, die Fächer sind leer. Und auf den Stufen und Kanten sitzen die Polen mit ihren Verwandten. Und draußen vor dem verschlossenen Tor stehen geduldig die – Deutschen – davor. Und wie ich so strolche am Markte vorbei, da sehe ich Leute aus der Tschechoslowakei. Sie haben gekauft und gefüllt ihre Taschen. Als ich heimfuhr mit dem Busse, saß mir gegenüber ein Russe. Vor Wut ging ich in den Laden und kaufte Käse, und wer stand vor mir: ein Vietnamese. Ich stolpere zur Tür hinaus, ich Armer, und stieß zusammen mit einem Kubaner“.1432 Vom 1. Oktober 1987 bis zum 20. Januar 1988 leiteten Dienststellen des MfS und der Volkspolizei insgesamt 40 Ermittlungsverfahren ein gegen 108 Neo-Nazis, wobei 94 Personen inhaftiert wurden. Für das gesamte Jahr 1987 wurden über 800 Neo-Nazis, im Alter von 16 bis 25 Jahren, erfasst. Erfassungskriterien waren der äußere Habitus und das entsprechende öffentliche Verhalten. Im Unterschied zu Meldungen aus dem Jahr 1988, waren 1989 in allen Bezirken Skinheads-Gruppen beobachtet worden, 1429 BStU, MfS, HA II, Nr. 28290, S. 2-3. 1430 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2205, S. 239-240 u. S. 246-252; Krüger-Potratz, a.a.O., S. 56; Schüle, in: Demke/Schüle (Hg.) (2006), S. 49. 1431 BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 101-106. 1432 Borchers, S. 23; Krüger-Potratz, S. 67.

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wobei Berlin (DDR) und Potsdam regionale Schwerpunkte darstellten. Insgesamt wurden über tausend Skinheads und Sympathisanten in ca. 40 Gruppen gezählt. Ob diese, Vollständigkeit suggerierende, Aufzählung der Wirklichkeit entsprach, ist zu bezweifeln, da der Neo-Faschismus mit den bekannten „Hemmungen“ beobachtet wurde. Neo-faschistische Tendenzen waren mittlerweile zu einem Schwerpunkt unter den „negativ-dekadenten“ Jugendlichen geworden und die Zahl der von ihnen begangenen Gewalttaten nahm zu. Doch im Gegensatz zu anderen Teilen der Jugendszene (Punks, New Romantics etc.) zeigten sich Skinheads als kompatibel zu mindestens zwei Teilbereichen der ostdeutschen Kultur: Ihre Einstellungen zum Militärdienst und ihr diszipliniertes Verhalten am Arbeitsplatz - das MfS legte besonderen Wert auf diese Kategorisierungen - wurden von den Beobachtern der Staatssicherheit als positiv eingeschätzt. Ende der achtziger Jahre hatten einige Berliner (DDR) Skinheads persönliche Kontakte zur „Nationalistischen Front“ (NF), einer neo-faschistischen Organisation im Netz der GdNF und zu Skinheads in Hamburg und Berlin (West). Rostocker Skinheads hatten ebenfalls Kontakte nach Hamburg und sogar nach Schweden. Die Staatssicherheit registrierte bei ihnen affirmative Einstellungen zum Soldatentum im Allgemeinen und zum „Heldentum“ der Hitlerwehrmacht im Besonderen. Darüber hinaus gehörten Hitlerverehrungen, nationalsozialistische Symbole und entsprechende Tätowierungen, sowie rassistische und revanchistische Äußerungen zu ihrem Erscheinungsbild. Die meisten Skinheads waren fundamentale Gegner der DDR und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten gehörte zu einem ihrer wichtigsten strategischen Ziele. Offensichtlich war Anfang 1988 die Spitze des MfS zur Überzeugung gelangt, dass „neofaschistische Tendenzen und Äußerungen“ unter Jugendlichen „vorrangig“ bekämpft werden müssen. So sollte u.a. die Arbeit der „Inoffiziellen Mitarbeiter“ in den Jugendgruppen verstärkt werden und es sollten Maßnahmen eingeleitet werden zur „Umerziehung“ der Neo-Faschisten. Diese Taktik sollte so flexibel konzipiert sein, dass sie kurzfristig sowohl gegen Skinheads als auch gegen Heavy-Metal-Anhänger einzusetzen war. Damit sollten die Sicherheitsorgane über eine effektive Handhabe verfügen, um diese Gruppierungen schnellstmöglich „zerschlagen“ zu können.1433 In Leipzig kam es am 1. Januar gegen 00.45 Uhr zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen drei Deutschen und einem Araber.1434 In Altenburg (Bezirk Leipzig) wurden am 20. Januar vor einer Kaufhalle zwei Ungarn durch zwei Deutsche angegriffen und verletzt, so das einer von ihnen stationär behandelt werden musste.1435

1433 Ministerrat der DDR an das MfS, Stellvertreter des Ministers an die BV Berlin, Stellvertreter Operativ, Einschätzung der HA XX, VVS, MfS-Nr. o008-14/88, Berlin, 02.02.1988, S. 3–11. 1434 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/01, S. 6. 1435 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/01, S. 84.

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In Torgau (Bezirk Leipzig) wurde am 24. Januar in einem Wohnblock ein Soldat der GSSD, er verteilte die Post, von einem Unbekannten grundlos mit der Faust ins Gesicht geschlagen.1436 In Cottbus analysierte die FDJ unter dem Druck der Ereignisse in der Zionskirche die politische Situation und überprüfte auf Anweisung ihre ideologische Arbeit mit den verschiedenen Jugendgruppen. Neben dem hohen Aufwand an Arbeit und Zeit, über den sich Funktionäre beklagten, standen die „Berührungsängste“ gegenüber neo-nazistischen Jugendlichen an erster Stelle in der Liste der Probleme, die bei der Integration der Neo-Nazis entstanden waren. Wie Äußerungen von Mitarbeitern zeigten, gab es bei der FDJ auch „Hemmungen“, alle politischen oder modischen Tendenzen bei Jugendlichen sachlich zu bewerten.1437 In Berlin (DDR) wurde Anfang 1988 gegen acht neo-nazistische Angreifer auf das Konzert in der Zionskirche wieder vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte verhandelt. Nach einer mehrtägigen Hauptverhandlung mit „umfassender“ Beweisaufnahme war deutlich geworden, dass die Angeklagten mit brutaler Gewalt gegen mehrere Konzertbesucher vorgegangen waren. Die vom Bezirksgericht ausgesprochenen Haftstrafen bewegten sich zwischen drei Jahren und neun Monaten sowie zwischen einem Jahr und drei Monaten.1438 Im Bezirk Leipzig wurden ausländische Arbeitskräfte eingesetzt und Deutsche fragten, ob diese Arbeitseinsätze mit Ausländern von Nutzen seien, da der Aufwand für ihre Unterbringung und Reisekosten doch sehr hoch sei. Die vierwöchigen Arbeitseinsätze polnischer Arbeiter beim Betrieb für Rundfunk- und FernsehtechnikNachrichtenelektronik in Leipzig wurden dafür als Beispiele genannt.1439 In Schulungslagern für Lehrlinge wurde über Ausländer diskutiert und dabei beschwerten sich Jugendliche darüber, dass Ausländer nach Prügeleien von der Volkspolizei festgenommen und sofort wieder freigelassen würden, während „unsere“ Jugendlichen inhaftiert blieben. Lehrlinge aus dem VEB Colditz in Dresden beschwerten sich auch darüber, dass ein von ihnen frisch renoviertes Lehrlingswohnheim von „Ausländern“ bezogen werden durfte - das empfanden sie als „ungerecht!“1440 In Berlin (DDR) gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Mosambikanern.1441

1436 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/01, S. 101. 1437 Information über die politische Lage, 07.03.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.265, S. 9f. 1438 Der Morgen, 05.02.1988; Junge Welt, 04.02.1988. 1439 Persönliche Information April 1988, FDJ BL Leipzig, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.267, S. 2. 1440 Anlage mit ausgewählten Fragen von Lehrlingen in den bezirklichen Sommerschulungslager 1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.486, S. 10. 1441 Analyse von Reaktionen feindlicher Massenmedien auf das „FDJ-Aufgebot DDR 40“, Zentralrat der FDJ, 1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.483, S. 21.

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In Niesky (Bezirk Dresden) kam es auf der „Straße der Befreiung“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 100 Deutschen und ca. 25 Mosambikanern, die u. a. mit Zaunlatten ausgetragen wurden. Zwei Rassisten wurden inhaftiert und gegen sie wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 (Rowdytum) eingeleitet.1442 In Leipzig wurde am 6. Februar in einem Bus ein Mosambikaner von einem Rassisten angegriffen und geschlagen.1443 In Berlin (DDR) wurden vier Angeklagte verurteilt, weil sie den städtischen Friedhof in Weißenfels verwüstet hatten und weil einer von ihnen einen Mann in roher Weise misshandelt hatte.1444 In einer Analyse der HA I des MfS von Anfang 1988 über „politisch-ideologische Diversion und politische Untergrundtätigkeit“ in der NVA wurde festgestellt, dass es bei einem erheblichen Teil der „primitiv antisozialistischen Auslassungen“ u.a. um den „Gebrauch faschistischer Parolen und Gebärden“. Auch wird verharmlost in der Weise, dass gesagt wird, es handele sich dabei nicht um „ideologische Positionen“, sondern es würden sich hier unkritisch wieder gegebene Tendenzen aus dem feindlichen Westen.1445 In Premnitz (Bezirk Potsdam) kam es am 6. Februar vor der Gaststätte „Arbeiterversorgung“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Mosambikanern. Ein eingesetzter Volkspolizist richtete seine Waffe auf einen Mosambikaner. Vier Deutsche mussten ambulant medizinisch versorgt werden. Gegen zwei Mosambikaner wurden Ermittlungsverfahren nach § 212 StGB (Widerstand gegen staatliche Maßnahmen) und nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet.1446 In Parchim (Bezirk Schwerin) wurde am 10. Februar wurde ein Gebäude der GSSD mit zwei Brandsätzen angegriffen und mit einem Luftgewehr beschossen, woraufhin ein sowjetischer Soldat einen Warnschuss abgab. Die Untersuchungen ergaben, dass bereits am 9. Januar unbekannte Täter in dasselbe Gebäude leere Flaschen und Feuerwerkskörper geworfen hatten. Am 6. Februar wurden Brandsätze auf das Dach einer Halle geworfen. Gegen zwei Täter (jeweils 18 Jahre) wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet. Gegen den 14-Jährigen wurden keine strafrechtlichen Maßnahmen eingeleitet.1447 In Eilenburg (Bezirk Leipzig) kam es gegen 23.40 Uhr nach einer Diskoveranstaltung zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 50 Deutschen und ca. 30 Mosambikanern. Es wurden Steine geschmissen und sieben Deutsche und ein Mosambikaner 1442 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 38. 1443 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/02, S. 29. 1444 Krüger-Potratz, S. 56. 1445 Wenzke (Hrsgg.) (März 2005), S. 552f. 1446 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 41. 1447 BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 107-112.

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wurden verletzt. Anrückende Volkspolizisten beendeten die Auseinandersetzungen gegen 01.00 Uhr morgens. Gegen zwei deutsche Täter wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet und es wurde Haftbefehl erlassen.1448 In Leipzig kam es am 19. Februar am Georgierring zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen einem Deutschen (30 Jahre) und drei unbekannten Ausländern, wobei der Deutsche eine Stichwunde im Rücken erlitt. Als Täter wurde ein kubanischer Lehrling des VEB BBG Leipzig ermittelt.1449 In Rackwitz (Bezirk Leipzig) kam es am 20. Februar auf dem Bahnhof zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Mosambikanern und vier Deutschen, wobei zwei Deutsche wegen des Verdachtes auf Schädelhirntrauma stationär in einem Krankenhaus behandelt wurden.1450 In Berlin (DDR) wurde der Jüdische Friedhof in der Schönhäuser Allee zwischen Ende November 1987 und Mitte März 1988 fünf Mal geschändet und über 200 Grabmale zerstört. Sechs Angreifer wurden zu Freiheitsstrafen von zwei bis sechs Jahren verurteilt.1451 In Schwarzenberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde gegen einen Afrikaner ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und er wurde wegen „vorsätzlicher Körperverletzung“ verurteilt. Daraufhin kam es in Schwarzenberg auf dem Bahnhofsvorplatz zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen neun, mit Latten und Metallstäben bewaffneten Deutschen und mehreren Mosambikaner, die auch rassistisch beleidigt worden waren. Erst Volkspolizisten konnten die Prügelei beenden. Das Kreisgericht Schwarzenberg verurteilte neun Täter; der „Rädelsführer erhielt eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren.1452 In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) wurde am 27. März ein Nigerianer von einem Deutschen rassistisch beleidigt. Es wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 200 StGB „Öffentliche Herabwürdigung“ und in Tateinheit mit Beleidigung wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen Nation oder Rasse nach § 140 StGB und der Täter wurde inhaftiert.1453 In Delitzsch (Bezirk Leipzig) wurde am 6. März ein Algerier von einem Unbekannten in der Herrentoilette der Gaststätte „Lindenklause“ beleidigt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen.1454 1448 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 438/06, S. 6, S. 8, S. 11. 1449 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/01, S. 91, S. 106. 1450 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/01, S. 91, S. 100. 1451 Siegler, S. 63f; Schmidt, S. 137f; In Werther (NRW) wurden auf dem jüdischen Friedhof von Neo-Nazis Grabsteine mit NS-Symbolen geschändet.1451 1452 Die Welt, 26.08.1988, S. 18; Krüger-Potratz, S. 56; Schüle, S. 49. 1453 BStU, MfS, HA II, Nr. 28290, S. 4-5. 1454 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. IX, Nr. 434/03, S. 20.

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In Rostock wurde Kubanern von Mitgliedern der FDJ-Ordnungsgruppe der Eintritt in eine Gaststätte nicht erlaubt. Daraufhin entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der ein FDJ-Ordner von einem Kubaner mit einem Messer tödlich verletzt. Der Täter wurde inhaftiert und gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. An den folgenden Tagen wurden in Rostock „Hetzlosungen“ aufgefunden, bei denen Kubaner als „Mörder“ bezeichnet wurden und es wurde ihre Ausweisung gefordert, quasi wurden alle kubanischen Arbeiter so in Kollektivhaftung genommen.1455 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Jüdische Friedhof zwischen dem 26. März und dem 9. April geschändet.1456 In Halle wurden im April 1988 fünf rassistische Jugendliche verurteilt, weil sie einen Mosambikaner brutal zusammengeschlagen hatten. Sie wollten „Nigger aufklatschen“.1457 In Halle schändeten vier Skinheads einen Friedhof und misshandelten einen Mann.1458 Im Bezirk Erfurt waren ca. 80 Punks und Skinheads namentlich bekannt. Hier wurde nicht differenziert zwischen den eher anti-faschistisch und links orientierten non-konformistischen Punks und den Neo-Nazis. Die falsche Gleichstellung linker und rechter politischer Orientierungen in der Jugendszene entsprang einem im Dogmatismus der SED begründeten Mangel an Phantasie und Wissen und zog folgenreiche Fehlschlüsse nach sich. Für die Funktionäre vertraten diese Jugendlichen insgesamt „dekadente, asoziale und rowdyhafte“ Einstellungen und ihr Verhalten wurde entsprechend bewertet. Diese Jugendlichen versammelten sich spontan, hatten keine festen Organsiationsstrukturen, wobei regionale und örtliche Schwerpunkte in den Städten Erfurt, Weimar, Nordhausen oder Ruhla zu finden waren. Sie traten meist in Gruppen auf, standen oft unter Alkoholeinfluss und störten durch Lärm, Raufereien und durch faschistische Parolen.1459 Skinheads leisteten an ihren Arbeitsplätzen problemlos ihre Aufgaben und lebten ihr „negativ-dekadentes“ Verhalten ausschließlich in der Freizeit aus. Daraus zogen Funktionäre die Schlussfolgerung, man könne mit diesen Jugendlichen zusammenarbeiten, weil sie durch ihre hohe Arbeitsmotivation das „sozialistische Vaterland“ stärkten. Alle FDJ-Leitungen sollten über die Arbeitsgruppe Rechtserziehung ihre Maßnahmen gegenüber den subkulturellen Jugendlichen so konzentrieren, dass bis zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR alle „antisozialistischen“ Jugendgruppen aufgelöst seien.1460

1455 BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 42, 1456 Schmidt, S. 79. 1457 Madloch, S. 86f; Borchers, S. 69; Krüger-Potratz, S. 57. 1458 Borchers, S. 69. 1459 Diskussionsbeitrag zur Beratung der 1. Bezirkssekretäre der FDJ mit E. Aurich am 07. und 08.04.1988 in Leipzig; FDJ BL Erfurt, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.266, S. 14-17. 1460 Ebenda.

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In Oranienburg (Bezirk Potsdam) verurteilte eine Strafkammer des Kreisgerichts neun Skinheads (18 bis 25 Jahre) zu Haftstrafen zwischen sechs Jahren und sechs Monaten und einem Jahr und neun Monaten. Anlass für die Verhaftung der neun Jugendlichen war eine Schlägerei während einer Tanzveranstaltung. Dabei wurden Volkspolizisten tätlich angegriffen und ein Streifenwagen demoliert. Während der Gerichtsverhandlung wurde herausgefunden, dass die Skinheads bereits seit einigen Monaten im Kreis Oranienburg aufgefallen waren, weil sie in Gaststätten, Jugendklubs und Bahnhöfen randaliert und „Sieg-Heil“ oder „Heil Hitler“ gebrüllt hatten. Unbeteiligte Passanten waren überfallen worden und einige Menschen wurden schwer verletzt. Im Sinne von: „Bei uns in der DDR kann nicht sein, was nicht sein darf“, wurden die Angeklagten freigesprochen, weil man sie als „Verführte“ und „Opfer“ von westlichen Einflüssen nicht zur Verantwortung ziehen könne. Sie wären nicht auf die Anklagebank gekommen, wenn es den RIAS Berlin nicht gegeben hätte. Ein Gerichtsreporter beantwortete eine diesbezügliche Leseranfrage, es würde sich hier nicht um ein „sozialistisches Entwicklungsproblem, sondern um einen Westimport“ handeln.1461 In Magdeburg gab es heftige Diskussionen über Anschläge auf Einrichtungen des Post- und Fernmeldewesens, des Kohlehandels und des Kraftverkehrs. Daraufhin sollten Funktionäre ihren Mitgliedern die Ursachen für diese Anschläge dahingehend erklären, dass es verstärkt Versuche des „Klassengegners“ gäbe, unter der Bevölkerung Unruhe zu stiften, um das Vertrauensverhältnis zwischen SED und Bevölkerung zu beeinträchtigen.1462 In Dresden wurde eine Gruppe von Jugendlichen mit ca. 10 bis 15 Mitgliedern beobachtet, die mit einheitlicher Kleidung in Jugendklubs erschienen. Sie trugen braune Hemden, schwarzen Krawatten und Bundschuhe und benutzten den Gruß: „88“. Zur Erklärung: der achte Buchstabe des Alphabets ist das „H“ und die „88“ diente demnach als Tarnung für den Gruß: „Heil Hitler“. Das Benehmen der jungen Leute wurde als „korrekt und anständig“ beurteilt, und deshalb hatten Funktionär auch keine Probleme, mit ihnen zu arbeiten.1463 Dieses Beispiel zeigt, dass den Funktionären die Brisanz der Situation nicht deutlich war; für die meisten Kader war es ein äußerst problematischer Vorgang, die Neo-Faschistischen als politische Gegner einzustufen. Am schwierigsten wurde dies, wenn sie im Verhalten und Aussehen dem von den Funktionären vorgegebenen idealtypischen Bild eines „realsozialistischen“ Jugendlichen näher kamen. U.a. lag dies darin begründet, dass die von den Funktionären interna-

1461 Junge Welt, 05.05.1988 und 12.05.1988; Neues Deutschland, 12.05.1988; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.05.1988; Frankfurter Rundschau, 13.05.1988. 1462 Information der FDJ BL Magdeburg, 04.05.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.267, S. 3. Vorlage an das Sekretariat zur Information über die aktuell-politische Diskussion unter der Jugend, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, 16.05.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.451, S. 9. 1463 Persönliche Information, Dresden, 09.05.1988, FDJ BL Dresden, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.267, S. 6.

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lisierten Werte wie Disziplin und Unterordnung mit denen der Neo-Faschisten durchaus vereinbar waren. Im Bezirk Suhl existierten mehrere „negativ-dekadente“ Jugendgruppen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausging; unter ihnen befanden sich insgesamt 19 Skinheads bzw. Sympathisanten. Gegen vier Jugendliche wurden Ermittlungen und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Unter die Rubrik „negativ und dekadent“ wurden auch andere subkulturellen Jugendgruppen wie Punks, Heavy Metals und Gruftis subsumiert. Ziel der bürokratischen Gegenmaßnahmen war die Auflösung der „feindlichen und rowdyhaften“ Gruppen und die Rückgewinnung der Mehrheit der abweichenden Jugendlichen für die FDJ. Es blieb bei der vorgegebenen und vorerst wirksamen Linie, bei öffentlichen Veranstaltungen „Ordnung und Sicherheit“ zu gewährleisten.1464 In Dresden verurteilte ein Gericht einen Jugendlichen (18 Jahre) zu zwei Jahren Freiheitsentzug. Er war als „Rädelsführer“ an Schlägereien beteiligt und er gab Hitler als sein Vorbild an.1465 In Cottbus erhöhte der 1. Strafsenat des Kreisgerichts, nach einem Protest des Staatsanwaltes, die Freiheitsstrafen für sechs von acht angeklagten Neo-Nazis. Die erste Instanz hatte laut Staatsanwaltschaft zu wenig berücksichtigt, dass die Angeklagten „faschistisch und antihumanistisch“ ausgerichtet waren und ihre politischen Vorstellungen mit Gewalt durchsetzen wollten. Drei Jugendliche wurden wegen „verbrecherischen Rowdytums“ zu Gefängnisstrafen zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren, drei weitere zu Haftstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und zwei Jahren verurteilt. Für einen Jugendlichen, 14-jährig, blieb es bei der erstinstanzlichen Freiheitsstrafe.1466 In Dresden hatten sich vor dem Kreisgericht Dresden-Mitte vier Jugendliche (16 bis 20 Jahre) wegen Rowdytum zu verantworten, wobei der kahlgeschorene Kopf einer der Angeklagten auf seine politischen Affinitäten hinwies. Mit ca. 35 anderen Jugendlichen befanden sie sich auf einem Platz in Dresden und ein Mädchen sollte von der Volkspolizei kontrolliert werden. Daraufhin entwickelte sich eine tätliche Auseinandersetzung, bei der ein Volkspolizist Fußtritte abbekam und als „Kommunistenschwein“ beschimpft wurde. Ein Jugendlicher erhielt drei Monate Jugendhaft, während die drei anderen Angeklagten jeweils ein Jahr Haft erhielten.1467 In Potsdam hatten sich vor dem Kreisgericht fünf Skinheads wegen tätlicher Auseinandersetzungen mit Körperverletzung zu verantworten. Ein Student (20 Jahre), er war Boxsportler, erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Zwei 1464 Persönliche Information, Mai 1988, FDJ BL Suhl, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.268, S. 7-9. 1465 Die Welt, 30.06.1988; Borchers, S. 69. 1466 Lausitzer Rundschau, 02.07.1988. 1467 Sächsische Neueste Nachrichten, 05.08.1988.

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Jugendliche erhielten jeweils ein Jahr und zehn Monate und ein Jahr und sechs Monate Freiheitsentzug. Zwei weitere Jugendliche wurden zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt. Die vier Jugendlichen aus Belzig im Kreis Potsdam sich 1987 kennengelernt. Sie waren bereits seit Mitte der achtziger Jahre in Belzig als SkinheadGruppe aufgetreten und von Belzig aus reisten sie u.a. nach Köpenick zu Treffen mit anderen Skinheads, z.B. aus Dessau. Auf solchen Festen in und um Berlin (DDR) wurde nach gewaltverherrlichenden Liedern getanzt, auf „Deutschland“ und inhaftierte Skinheads getrunken, sowie der „Hitlergruß“ gezeigt. In Potsdam wurden willkürlich Punks, „Ratten“ genannt, verprügelt. Insgesamt kamen auf der „Rädelsführer“ auf sieben „Rowdyhandlungen“ und eine Körperverletzung. Sie hatten im Zug nach Karl-Marx-Stadt zwei Ausländer „provoziert“ und hatten sie physisch angegriffen.1468 In Berlin (DDR) schändeten im Zeitraum von Januar bis März fünf Jugendliche (16 bis 18 Jahre) über 200 Grabmale auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee in Berlin (DDR). Die Täter wurden ermittelt und vor Gericht angeklagt. Zu Beginn der Verhandlung erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, dass sich die fünf „Rowdys“ mit ihren Taten von der Gesellschaft isoliert hätten, weil die DDR das Vermächtnis der anti-faschistischen Widerstandskämpfer konsequent erfüllt habe und weil in der DDR keine gesellschaftlichen Grundlagen für Antisemitismus existierten. Die Frage, weshalb Jugendliche dennoch zu anti-semitischen Einstellungen gekommen waren, obwohl es angeblich keine gesellschaftlichen Grundlagen für ihre anti-semitischen Einstellungen mehr gab, wurde nicht gestellt. Das Neue in dieser Veröffentlichung war die Anwendung des Begriffs „Rowdy“ in Verbindung mit neo-nazistischen und anti-semitischen Aktionen von Jugendlichen. Bis dahin wurde dieser Begriff ausschließlich für kriminell gewordene Jugendliche angewandt. Die jugendlichen Friedhofsschänder waren bereits seit einiger Zeit aktiv; sie hatten auch einen christlichen Friedhof verwüstet. Ihnen wurde auch nachgesagt, dass sie gegen Homosexuelle militant vorgegangen seien. Für ihre Vergehen wurden die Jugendlichen zu langen Haftstrafen verurteilt: F., ehemaliger FDJ-Sekretär erhielt sechs Jahre und sechs Monate, R. fünf Jahre und sechs Monate, M. fünf Jahre, R. drei Jahre und sechs Monate sowie O. zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsentzug. Für die Zeit nach der Haft wurden staatliche Kontrollmaßnahmen vorgesehen, und die Täter hatten den angerichteten materiellen Schaden zu ersetzen. Das Gericht stützte sich bei seinem Urteil auf ein psychiatrisches Gutachten, worin den fünf Angeklagten eine „innere Bindungslosigkeit“ attestiert wurde, die von einer aus dem Westfernsehen kommenden „faschistoiden Ideologie“ ausgefüllt worden sei.1469 Hier entstand der Eindruck, dass dieser Fall der SED-Führung insoweit gelegen kam, als sie daran demonstrativ öffentlich aufzeigen konnte, mit welcher Härte und Entschiedenheit gegen Anti-Semiten vorgegangen werde. Knapp vier Monate vor den groß angelegten Feierstunden zum 50-jährigen Gedenken an die Pogromnacht nutzte die Justiz den Prozess gegen

1468 Märkische Volksstimme, 19.08.1988; Frankfurter Rundschau, 25.08.1988. 1469 Neues Deutschland, 28.06.1988; Junge Welt, 28.06.1988; Neue Zeit, 07.07.1988; Junge Welt, 07.07.1988.

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Frank und seine Kumpane, um auch die angeblich widerspruchsfreie Einstellung gegenüber den rassistischen Verbrechen der Nationalsozialisten zu demonstrieren. In Berlin (DDR) wurden auf dem Friedhof von Adass Jisroel sieben Grabsteine umgestoßen. Das Ermittlungsverfahren brachte jedoch keinerlei Hinweise auf die Täter und es wurde daraufhin eingestellt, weil die Volkspolizei bei ihren Untersuchungen nicht ausschließen wollte, dass Witterungseinflüsse die Beschädigungen verursacht haben könnten.1470 In Berlin (DDR) nannte sich die neo-nazistische Gruppe „Lichtenberger Front“ in „Bewegung 30. Januar“ um. Sie arbeitete streng konspirativ und verfügte über ein breites Netzwerk zu anderen Gruppen.1471 In Dresden wurden vier Skinheads (20 bis 24 Jahre) vom Kreisgericht Dresden-West wegen „Rowdytums“ und vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt. Im Laufe des Sommers hatten sie mehrere Menschen überfallen und zum Teil schwer verletzt. Vom Gericht wurden sie für schuldig befunden und erhielten zur Strafe einen Freiheitsentzug zwischen vier Jahren und vier Monaten und einem Jahr und sechs Monaten. Darüber hinaus wurden Geldstrafen verhängt und Schadensersatz gefordert.1472 In Potsdam standen wegen des Vorwurfs „Menschenhandel und ungesetzlicher Grenzübertritt“ drei Männer vor dem Kreisgericht Potsdam-Stadt. M. (21 Jahre) war bis Februar 1988 Bürger der DDR, der andere M. (19 Jahre) war bis Juni 1988 ebenfalls Bürger der DDR und P. (53 Jahre) aus Berlin (West). M., Maschinen- und Anlagenmonteur-Lehrling, bekannte sich vor Gericht als Sympathisant der beiden neo-nazistischen Parteien NPD und „Die Republikaner“. Die drei Männer waren festgenommen worden, als sie sich Ende Oktober 1988 in der DDR aufgehalten hatten.1473 Insbesondere in Ober- und Berufsschulen und in Lehrwerkstätten wurden an Tafeln, Wandzeitungen, am Mobiliar, in Büchern sowie an der Arbeitskleidung von Lehrlingen mehrere neo-faschistische und anti-semitische Symbole und Parolen aufgefunden. Schriftliche und mündliche Losungen wurden festgestellt wie: „Die Mauer muß weg“ und „Auschwitz muß her“.1474 In der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Ravensbrück wurde zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ (1938) eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Die Teilnehmer, vorwiegend FDJ-Mitglieder, sollten hier ihr Wissen über das Ju1470 Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik, Entscheidung zu, durch Dr. Mario Offenberg (Berlin-West) bzw. in seinem Auftrag erstattete Anzeigen, 1989, SAPMOBArch, DY 30/ IV B 2/14/180, S. 3. 1471 Madloch, S. 76. 1472 Die Union, 26.01.1989. 1473 Junge Welt, 02.03.1989. 1474 Vorlage zur 122. Sitzung des Sekretariat von der FDJ Abteilung Staat und Recht, Berlin, 10.06.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.462, S. 5.

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dentum und den nationalsozialistischen Anti-Semitismus erweitern und das „jüdische Erbe“ kennen lernen. Nur die Rede einer Vertreterin der Jüdischen Gemeinde Berlin (DDR) entsprach nicht ganz den Vorstellungen der Funktionäre, weil die „Jüdin“ bei besserem stimmlichem Ausdruck eine nachhaltigere Wirkung hätte erzielen können. Auch ein FDJ-Sekretär aus Oranienburg hatte an dem Redebeitrag kein Vergnügen, da die Rednerin wegen ihrer monotonen Stimme beim Vortrag keine oder nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten habe. So konnte die Schweigeminute erst nach einer Aufforderung abgehalten werden. Für den Funktionär war es außerdem „beschämend“, in welchem miserablen Zustand die Gedenkstätte verlassen wurde; die Kundgebungsteilnehmer hätten ihren Abfall auf dem Gelände der „Nationale-Mahn-und Gedächtnisstätte“ Ravensbrück einfach liegenlassen.1475 Ein Arbeiter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er während des Fußballspiels zwischen Stahl Brandenburg und 1. FC Union Berlin (DDR) Angehörige der Volkspolizei in übler Weise beschimpft hatte.1476 Im Bezirk Erfurt wurden „antisozialistische“ Jugendliche bei Sportveranstaltungen beobachtet. Diese Abweichungen von der „sozialistischen“ Moral und die Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sollten zukünftig unterbunden werden. Mit der Unterstützung des Fan-Clubs und durch einen effektiveren Einsatz des Zentralen Ordnungsgruppenverbandes bzw. des Bezirksordnungsgruppenverbandes der FDJ sollte dieses Vorhaben realisiert werden.1477 Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Zentralrats der FDJ, dem Ministerium des Innern, der Generaldirektion Jugendtourist, der FDJ-Bezirksleitungen Berlin und Leipzig und dem Leiter des Jugendklubs des 1. FC Union Berlin (DDR) suchte nach Lösungen für die Eindämmung der zunehmenden Gewalttaten in und um die Fußballstadien. Zur Fahrt nach Leipzig wurde daher ein Sonderzug, ohne Alkoholausschank, organisiert. So reisten 210 Berliner Fußballfans, inklusive Ordnungsgruppenmitglieder, nach Leipzig. Neben dem Besuch der Sportveranstaltung war, sozusagen als pädagogische Maßnahme, ein Besuch des Sportmuseums vorgesehen. Vor einer Büste zur Erinnerung an Werner Seelenbinder, einen antifaschistischen Sportler der 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet wurde, zeigte R. den Hitlergruß. Daraufhin entwickelte sich eine Auseinandersetzung zwischen ihm, den Brüdern D. und Th. einerseits und der mitgereisten Ordnungsgruppe andererseits. Mitglieder der Ordnungsgruppe wurden beschimpft und bespuckt. Im Stadion selbst befanden sich ca. 100 Berliner Jugendliche, die separat angereist waren. Unter ihnen waren ungefähr zehn Skinheads, die sich besonders auffällig und aggressiv verhielten.1478 1475 Persönliche Information der FDJ BL Potsdam, 09.11.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.273, Anlage. 1476 Märkische Volksstimme, 18.03.1988. 1477 Diskussionsbeitrag zur Beratung der 1. Bezirkssekretäre der FDJ, 07./08.04.1988 mit Eberhard Aurich in Leipzig, FDJ BL Erfurt, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.266, S. 17 und 18. 1478 Information des ZR der FDJ zum Fußballspiel 1. FC Lok Leipzig gegen 1. FC Union Berlin, 23.04.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.447, S. 1-5.

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Zwischen einem FDJ-Sekretär aus Leipzig-Nord und seinem Freund und zwei Berliner Fußballfans kam es in einer Gaststätte zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Der FDJ-Funktionär schlug als erster zu und gab dann später zu Protokoll, dass dies für ihn nicht zu vermeiden war. Er und einer der Berliner mußten im Bezirkskrankenhaus ärztlich behandelt werden.1479 In Leipzig gab es heftige Diskussionen zu den Ausschreitungen während der letzten beiden Heimspiele des 1. FC Lok Leipzig.1480 Fünf Magdeburger (21 bis 25 Jahre) waren vor Gericht angeklagt, weil sie bei einem Auswärtsspiel ihres Vereins in Brandenburg auf der Hinfahrt im Zug und dann auch in der Stadt Brandenburg randaliert und erheblichen Sachschaden angerichtet hatten. Vier der fünf Angeklagten wurden verurteilt, zwei zu Freiheitsstrafen von einem Jahr bzw. sechs Monaten, zwei erhielten Bewährungsstrafen und ein Angeklagter wurde freigesprochen.1481 Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde in der Umgebung des Uranabbaugebietes Wismut an der „Lösung der Wohnungsfrage bis 1990 als soziales Problem“ gezweifelt. Die Bereitstellung von Wohnraum für Vietnamesen wurde von deutschen Wohnungssuchenden als Ursache für die prekäre Situation auf dem Wohnungssektor angegeben.1482 Reisende aus FDJ-Gruppen waren in Polen undiszipliniert aufgetreten und ihr national-chauvinistisches Verhalten konnte von den Funktionären nur mühsam unterdrückt werden.1483 Im Bezirk Karl-Marx-Stadt kam es, besonders nach Heavy-Metal-Konzerten, zu Ausschreitungen in öffentlichen Verkehrsmitteln und zu gewalttätigen Angriffen gegen Ausländer.1484 In Berlin (DDR) wurden mehrere Jemeniten von neo-nazistischen Hooligans, sie waren mit Baseballschlägern bewaffnet, durch den Treptower Park gejagt.1485 1479 Besondere Vorkommnisse in der FDJ und in der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, 1. bis 30. April 1988, FDJ Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.453, S. 6f. 1480 Vorlage an das Sekretariat zur Information über die aktuell-politische Diskussion unter der Jugend, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, 16.05.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.451, S. 9. 1481 Junge Welt, 26.05.1988. 1482 Information der FDJ GL Wismut, 09.12.1987, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.262, S. 2. 1483 Vorlage an das Sekretariat Nr. 17/2/88 von FDJ Abteilung Verbandsorgane und dem Amt für Jugendfragen, 20.09.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.489, S. 11; Vorlage an das Sekretariat Nr. 42/16/88: Information über die Sommeraktivitäten der FDJ und der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 25.07.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.467, S. 6. 1484 Persönliche Information der FDJ BL Karl-Marx-Stadt, 15.02.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 13.264, S. 5.

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In Riesa (Bezirk Dresden) wurden im August vor dem Kreisgericht zwei Deutsche zu Haftstrafen verurteilt. Sie hatten im Mai in einem Personenzug von Riesa nach Elsterwerda zwei Mosambikaner angepöbelt. Einer der Afrikaner wurde aus dem fahrenden Zug geworfen und dabei schwer verletzt. Andere Reisende waren den Opfern nicht zu Hilfe gekommen.1486 In Halle wurde eine vierköpfige Gruppe von Rassisten dingfest gemacht, die sich darauf spezialisiert hatte, Ausländer zu überfallen und auszurauben.1487 In Magdeburg gab es im Mai heftige Diskussionen über Anschläge auf Einrichtungen des Post- und Fernmeldewesens, des Kohlehandels und des Kraftverkehrs. Daraufhin sollten Funktionäre ihren Mitgliedern die Ursachen für diese Anschläge dahingehend erklären, dass es verstärkt Versuche des „Klassengegners“ gäbe, unter der Bevölkerung Unruhe zu stiften, um das Vertrauensverhältnis zwischen SED und Bevölkerung zu beeinträchtigen.1488 Wenn Ausländer in einem Fleischerladen, an einem Süßwarenstand oder in einer Kinderschuhabteilung große Mengen einkauften, dann konnte es geschehen, dass einkaufende deutsche Frauen oder Verkäuferinnen aggressiv reagierten.1489 In Mühlhausen (Bezirk Erfurt) wurden auf dem Jüdischen Friedhof 35 Grabsteine umgeworfen.1490 In Röderau (Bezirk Dresden) wurden am 3. Juni auf dem Bahnhof sowjetische Soldaten der GSSD von Deutschen mit einem Feuerwerkskörper und mit Steinen angegriffen. Der sowjetische Kommandeur ließ eine Sperrkette aus Soldaten bilden, die ihre Maschinenpistolen im Anschlag hielten.1491 In Eilenburg (Bezirk Leipzig) kam es am 3. Juni zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen ca. 25 Mosambikanern und ca. 35 Deutschen, die zum Teil mit Steinen und anderen Gegenständen ausgetragen wurden.1492 In Großenhain (Bezirk Dresden) wurden am 12. Juni ca. 20 Mosambikaner, die auf dem Weg zu ihrem Wohnheim waren, von ca. 50 Rassisten angegriffen und beleidigt. 1485 Willmann, S. 150. 1486 Die Welt, 26.08.1988, S. 18; Siegler, S. 67; Borchers, S. 69; Krüger-Potratz, S. 57; Schüle, S. 49. 1487 Krüger-Potratz, S. 57. 1488 Information der FDJ BL Magdeburg, 04.05.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ E 13.267, S. 3. Vorlage an das Sekretariat zur Information über die aktuell-politische Diskussion unter der Jugend, FDJ Abteilung Verbandsorgane, Berlin, 16.05.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ A 11.451, S. 9. 1489 Krüger-Potratz, S. 54. 1490 Diamant, S. 62. 1491 BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XIX, Nr. 21787, S. 1-3. 1492 BStU, MfS, HA II, Nr. 27433, S. 1.

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Nur unter Abgabe eines Warnschusses durch einen Volkspolizisten konnten die Angreifer vom Gelände des Wohnheims zurück gedrängt werden. In Stollberg (Bezirk Karl-Marx-Stadt) kam es am 19. Juni nach einer Tanzveranstaltung zu schweren Tätlichkeiten zwischen ca. 30 Deutschen und ca. 20 Mosambikanern, bei denen Messer und Schlagwerkzeuge eingesetzt wurden und ein Deutscher wurde durch zwei Messerstiche tödlich verletzt. Die Auseinandersetzungen waren durch rassistische Angriffe von Deutschen ausgelöst worden. Im Monat Juni kam es noch zu drei weiteren, „ähnlich gelagerte(n) Vorkommnisse(n)“.1493 In Königs-Wusterhausen (Bezirk Potsdam) verurteilte das Kreisgericht Ende Juli vier Neo-Nazis zu Freiheitsstrafen zwischen 12 und 19 Monaten. Sie hatten Jugendliche misshandelt, den sie zum Geständnis zwingen wollten, ein Jude zu sein.1494 In Neubrandenburg wurden zwei Rassisten zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie polnische Touristen beschimpft hatten.1495 In Berlin (DDR) wurde eine Chilenin von fünf Skinheads überfallen. Da sie geübte Judo-Kämpferin war, konnte sie die Angreife in die Flucht schlagen.1496 Vor einer Diskothek gab es im Juli 1988 eine Schlägerei zwischen Deutschen und Kubanern, bei der ein FDJ-Ordner tödlich verletzt wurde.1497 In Potsdam wurden auf dem Jüdischen Friedhof 18 Grabsteine umgeworfen.1498 In Nienburg (Bezirk Halle) wurden auf dem Jüdischen Friedhof 18 Grabsteine umgeworfen.1499 In Leipzig skandierten Neo-Nazis „N-S-D-A-P“ und sie ließen den ehemaligen Leiter der Gestapo von Lyon, Klaus Barbie, hochleben.1500 In Weißenfels (Bezirk Halle) streikten am 4. August ca. 50 Vietnamesen, die im VEB Kombinat Schuhe, Stammbetrieb „Banner des Friedens“ beschäftigt waren, für hö-

1493 BStU, MfS, HA II, Nr. 27433, S. 2. Der Titel dieser Information der HA XVIII lautet: „Information zur Konzentration von Vorkommnissen unter Beteiligung mocambiquanischer Werktätiger in der DDR“; BStU, MfS, HA VII, Nr. 2752, S. 41. 1494 Siegler, S. 65; Borchers, S. 69. 1495 Krüger-Potratz, S. 57. 1496 Krüger-Potratz, S. 57. 1497 Krüger-Potratz, S. 57. 1498 Diamant, S. 62. 1499 Ebenda. 1500 Siegler, S. 66, Wolffsohn, S. 157.

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here Löhne. Nach einem Gespräch versicherten die Streikenden, dass sie am 5. August wieder die Arbeit aufnehmen würden.1501 In Jena (Bezirk Gera) kam es auf dem „Platz der Kosmonauten“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen fünf Deutschen und zwei Fähnrichen der GSSD und dabei wurden einem von ihnen mit einem Messer drei Stichverletzungen im Bauchbereich zugefügt und er musste schwerverletzt in ein Krankenhaus gebracht werden.1502 In Berlin (DDR) wurde am 27. August ein Afrikaner (Tansania) von fünf Unbekannten überfallen, geschlagen und getreten.1503 In der Nähe eines Chemiewerkes hatten im September zwei Männer und eine Frau einen Afrikaner „aus Spaß“ ertränkt.1504 Auf einer Baustelle wurde im September ein mosambikanischer Arbeiter von seinen Kollegen an ein Kreuz genagelt.1505 In Berlin (DDR) wurde im September ein mongolischer Arbeiter von seinen Kollegen kastriert. Daraufhin wurde die ganze Arbeitsbrigade verhaftet.1506 Deutsche Hotelbedienstete verlangten, dass Zimmer die von Touristen aus Asien bewohnt waren, erst vom „Kammerjäger“ gereinigt werden müssten, bevor sie sie wieder betreten könnten.1507 In Berlin (DDR) wurde eine schwangere Polin von Angestellten einer Verkaufsstelle aus dem Laden gehetzt.1508 In Forst (Bezirk Cottbus) machten im September mehrere Deutsche Jagd auf eine Vietnamesin, die in der örtlichen Kaufhalle Fleisch und Reis gekauft hatte. Mit „Du kaufst unsere Läden leer“ wurde sie davon gejagt. Ihre Tasche schwamm später in der Neiße.1509 In Neustadt-Osterode (Bezirk Erfurt) wurden zwischen dem 9. bis 19. September auf dem Jüdischen Friedhof 18 Grabsteine umgeworfen.1510 In Schwedt (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Jüdische Friedhof im Oktober geschändet.1511 1501 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 45. 1502 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 47; BStU, MfS, ZOS, Nr. 948, S. 118. 1503 BStU, MfS, HA XX, Nr. 10221, Teil 1 von 2, S. 32-35. 1504 Krüger-Potratz, S. 57. 1505 Ebenda. Krüger-Potratz, S. 57. 1506 Ebenda. 1507 Ebenda. 1508 Ebenda. 1509 Ebenda. 1510 Diamant, S. 62.

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In Kremmen (Bezirk Potsdam) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1512 In Fehrbellin (Bezirk Potsdam) wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1513 In Berlin (DDR) drangen mehrere Skinheads in einen Bungalow in Berlin-Hellersdorf ein und Punks wurden zusammen geschlagen.1514 Nach Angaben des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) der DDR wurden seit Jahresbeginn 1988 etwa 188 Ermittlungsverfahren wegen neo-nazistischer oder rassistischer Ereignisse aufgenommen. Im Jahr 1989 waren es 144 Ereignisse.1515 In Mühlhausen (Bezirk Erfurt) war im Sommer der Jüdische Friedhof geschändet worden.1516 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Alte Jüdische Friedhof geschändet.1517 In Bitterfeld (Bezirk Halle) streikten am 21. Oktober 42 Mosambikaner, die auf verschiedenen Baustellen in und um Wittenberg tätig waren, für höhere Löhne. Nach einem Gespräch nahmen die Mosambikaner am 24. Oktober ihre Arbeit wieder auf. Zwei „Hauptorganisatoren des Streiks sollten wegen der „Arbeitsverweigerung“ nach Mosambik ausgewiesen werden.1518 In Fürstenwalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde der Jüdische Friedhof mit anti-semitischen Schmierereien (Hakenkreuze) geschändet.1519 In Vierraden (Bezirk Frankfurt/O.) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1520 In Groß-Neuendorf (Bezirk Frankfurt/O.) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1521 In Altlandsberg im Kreis Strausberg (Bezirk Frankfurt/O.) war der Jüdische Friedhof geschändet worden.1522

1511 Schmidt, S. 129 und S. 134. 1512 Schmidt, S. 117. 1513 Schmidt, S. 118f. 1514 Ebenda. 1515 Hirsch/Heim, S. 109. 1516 Schmidt, S. 125f. 1517 Schmidt, S. 79; Diamant, S. 63. 1518 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 50. 1519 Schmidt, S. 129. 1520 Schmidt, S. 114f. 1521 Schmidt, S. 125. 1522 Schmidt, S. 125.

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Beim Kinder- und Jugendaustausch zwischen der DDR und Polen entwendeten ostdeutsche Jugendliche, polnischen Jugendlichen Modekleidung und -schmuck. Außerdem traten Reisende aus FDJ-Gruppen in Polen undiszipliniert auf und ihr nationalchauvinistisches Verhalten konnten Funktionäre nur mühsam unterdrücken.1523 In Guben (Bezirk Cottbus) waren drei Kubaner auf dem Weg zu einer Diskothek. Zwei Polizisten in Uniform und einer in Zivil beschimpften einen als „schwarzes Schwein“ und verlangte, alle Afrikaner sollten die DDR verlassen. Als ein Kubaner darauf antwortete, wurde er zusammengeschlagen. Als er auf dem Boden lag, kamen andere Kubaner zu Hilfe und wurden ebenfalls geschlagen. Die Ordnungskräfte der Diskothek riefen den Krankenwagen, denn die Polizisten waren einfach gegangen. Die kubanischen Gruppenleiter in Guben weigerten sich später, die Beschuldigung, die drei Kubaner hätten die Polizisten „provoziert“, anzunehmen und Disziplinarmaßnahmen gegen sie einzuleiten.1524 In Magdeburg verurteilte das Bezirksgericht im November einen Jugendlichen (18 Jahre) zu zehn Monaten Gefängnis. Er hatte öffentlich Hitler als sein „Vorbild“ gepriesen und in einem Ferienlager einem jungen Spanier gedroht, er wäre früher ins „KZ gesperrt und vergast“ worden.1525 In Magdeburg wurden am 13. Dezember an drei Stellen mit brauner Farbe neo-nazistische und rassistische Parolen geschmiert, wie z. B. „Ausländer und Juden raus“. Dazu wurden SS-Runen und Hakenkreuz geschmiert.1526 In Bitterfeld (Bezirk Halle) in der Hans-Beimler-Straße kam es am 20. Dezember im Wohnheim für Ausländer zu tätlichen Auseinandersetzungen. Unbekannte Vietnamesen hatten drei Mosambikaner aus der 2. bzw. der 4. Etage gestoßen. Zwei Verletzte mussten in ein Krankenhaus eingeliefert werden.1527 In Berlin (DDR) wurde im Dezember der Jüdische Friedhof der Adass Jisroel Gemeinde geschändet.1528

1523 Vorlage an das Sekretariat Nr. 17/2/88 von FDJ Abteilung Verbandsorgane und dem Amt für Jugendfragen, 20.09.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.489, S. 11; Vorlage an das Sekretariat Nr. 42/16/88: Information über die Sommeraktivitäten der FDJ und der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, FDJ Abteilung Verbandsorgane, 25.07.1988, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.467, S. 6. 1524 Gruner-Domic, in: Zwengel (Hg), S. 65. 1525 die tageszeitung, 18.11.1988. 1526 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 28. 1527 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 53. 1528 Schmidt, S. 88.

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1989 In Hennigsdorf im Kreis Oranienburg (Bezirk Potsdam) wurden im Januar 6 Skinheads mit Hakenkreuzarmbinden und faschistischen Parolen in einer Wohnung festgestellt worden.1529 Im Bezirk Potsdam wurden 1988/89 gegen Neo-Nazis 52 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Gegen 11 Einzeltäter bzw. Tätergruppen mit 30 Personen wurden die Ermittlungsverfahren abgeschlossen und bis zur gerichtlichen Verurteilung geführt.1530 In Berlin-Mitte (DDR) wurden am 14. Januar vier afrikanische Studenten (Kongo) von 9 Rassisten angegriffen und mit Tritten und Schlägen verletzt. Die Angreifer wurden festgenommen und es wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet.1531 In Karl-Marx-Stadt ritzten im Februar vier Neo-Nazis einer Frau (21 Jahre) einen Davidstern in den Oberarm und beschimpften sie als „Zigeunersau“, „Judensau“ und „Judenhure“.1532 In Leipzig versuchten Neo-Nazis und Skinheads von Linken besetzte Häuser zu stürmen und zu verwüsten.1533 In Leipzig wurde ein Wohnheim für ausländische Studenten des Herder-Instituts der Karl-Marx-Universität angegriffen. Dabei wurden in größerem Umfang Waffen wie Gas- und Schreckschusspistolen, Baseballschläger, CS-Gas und Molotow-Cocktails eingesetzt.1534 Die Unterwanderung der Nationalen Volksarmee (NVA) durch Neo-Nazis zeigte sich auch darin, dass sich im Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV), unter dem Dach des Kulturbundes (KB), eine ultrarechte nationalistische Arbeitsgemeinschaft „Preußische Geschichte“ gebildet hatte. Aus ihr ging nach der Wende Oberst Hermann Flemming als stellvertretender Landesvorsitzender der Partei „Die Republikaner“ hervor.1535

1529 Information des Genossen Jahn, SED BL Potsdam an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, 28. März 1989, SAPMO-BArch, DY 30/ 2291, S. 159. 1530 Information des Genossen Jahn, SED BL Potsdam an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, 28. März 1989, SAPMO-BArch, DY 30/ 2291, S. 159. 1531 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 17-18. 1532 Madloch, S. 80; Hirsch/Heim, S. 108; Borchers, S. 63f. 1533 Madloch, S. 93. 1534 Madloch, S. 93. 1535 Madloch, S. 86

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Eine soziologische Untersuchung der Humboldt-Universität Berlin kam zu dem Ergebnis, dass für die Zeit von 1986 bis 1987 ca. 10 % der Jugendlichen zwischen 14 und 26 Jahren neo-faschistische Orientierungen vertraten.1536 In Rostock erhielt ein Staatsanwalt eine anonyme, schriftliche neo-nazistische Morddrohung. Er hatte zuvor im September Jakob Holz, ehemaliger NS-Funktionär, wegen mehrfachen Mordes an Juden in Polen angeklagt. Holz war kurz nach dem Krieg der SED beigetreten und er war Brigadier einer LPG im Kreis Greifswald-Land. In dem Schreiben drohten die Neo-Nazis „Wir wollen alles so, wie es Hitler uns befohlen hat“ und „Wir vernichten nicht nur die übriggebliebenen Juden […] sondern auch alle Verräter des Zweiten Weltkrieges“.1537 In Rostock wurden an Häuserwänden Parolen der Partei „Die Republikaner“ (REP) gefunden.1538 In Wittenberge (Bezirk Schwerin) waren Kubaner im Februar im VEB Zellwolle rassistischen Angriffen ausgesetzt.1539 In Neubrandenburg wurde am 27. Februar das Ehrenmal für die „Opfer des Faschismus“ mit der Parole „Russen raus“ geschändet.1540 In Berlin auf dem S-Bahnhof Leninallee wurde am 17. Februar ein israelischer Student von zwei Unbekannten beschimpft und geschlagen. Das Opfer erlitt eine Nasenbeinfraktur und Hämatome am linken Auge.1541 In Neunkirchen bei Werdau wurde am 5. März, an einer Fabrikmauer, die neo-nazistische Parole „Heß – du lebst!“ angebracht.1542 Im Bezirk Potsdam wurden am Anfang des Jahres ca. 150 Skinheads registriert. Sie störten die staatliche und öffentliche Ordnung durch neo-nazistische und rassistische Straftaten. Schwerpunkte waren die Kreise Oranienburg, Potsdam und Königs Wusterhausen.1543

1536 Wolffsohn, S. 54. 1537 die tageszeitung, 03.01.1990; Vgl. Langer. 1538 Hirsch/Heim, S. 116. 1539 Gruner-Domic, S. 230. 1540 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 32. 1541 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 19. 1542 Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 256/IV. 1543 Information des Genossen Jahn, SED BL Potsdam an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, 28. März 1989, SAPMO-BArch DY 30/ 2291, S. 159.

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In Krakow am See, Ortsteil Bellin wurde gegen eine Erzieherin des Kinderheims eine „Parteistrafe“ ausgesprochen, weil sie sich in der Öffentlichkeit negativ über die afrikanischen Kinder geäußert hatte.1544 In Berlin-Lichtenberg (DDR) wurde auf dem Bahnhof Lichtenberg ein Kubaner beschimpft und mit Fäusten geschlagen und er musste ambulant medizinisch behandelt werden.1545 In Berlin-Hohenschönhausen (DDR) wurde an der 22. Polytechnischen Oberschule (POS) am 7. März eine Schulveranstaltung von ca. 20 Neo-Nazis mit rassistischen Parolen und dem Hitlergruß gestört. Fünf Täter wurden am 10. März festgenommen und es wurden Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.1546 In Leipzig wurde am 21. März ein US-Wissenschaftler äthiopischer Herkunft, der an der Universität Leipzig als Dozent tätig war, von drei Deutschen tätlich angegriffen. An dieser Schlägerei soll auch ein Mitarbeiter des MfS beteiligt gewesen sein. Der Überfallene teilte Ende Mai 1989 mit, dass er vorerst nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehren werde, weil er sich nach dem Überall in Leipzig „seines Lebens nicht mehr sicher“ fühle.1547 In Berlin (DDR) auf dem Bahnhof Lichtenberg hatten am 20. April ca. 100 Neo-Nazis Fahrgäste und Bahnpolizisten angegriffen, anti-semitische Parolen gegrölt und den Hitlergruß gezeigt.1548 In Berlin (DDR) wurden vier Deutsche zu Freiheitsstrafen zwischen 14 und 18 Monaten verurteilt, weil sie drei Ausländer rassistisch beschimpft und bespuckt hatten.1549 In Rostock sollten sich Neo-Nazis am 20. April treffen, um den Geburtstag von A. Hitler zu feiern. Es wurde mit Sympathisanten aus den Bezirken Berlin, Halle, KarlMarx-Stadt, Leipzig und Magdeburg gerechnet.1550 In Neubrandenburg wurden am 22. April von zwei Deutschen (18 Jahre) neo-nazistische und rassistische Parolen gerufen, wie z. B. „Sieg Heil“, „Heil Hitler“, „Jude verrecke“ und sie zeigten den Hitlergruß. Ein Passant wurde als „Du kommunistisches Judenschwein“ beschimpft.1551

1544 Rüchel, in: Behrends et. al., S. 266f. 1545 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 71. 1546 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 73. 1547 BStU, MfS, BVfS Leipzig, Abt. XV, Nr. 2427, S. 6-7. 1548 Hirsch/Heim, S. 113; BStU, MfS, HA IX, Nr. 10712. 1549 Schüle, S. 49. 1550 BStU, MfS, BV Halle, 20. März 1989. 1551 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 41.

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In Litschen (Bezirk Cottbus) kam es am 8. April zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Deutschen und ca. 20 Vietnamesen, die u. a. mit Holzlatten ausgeführt wurden. Die Vietnamesen flüchteten dann in ihr Wohnheim, wo von den nachrückenden Deutschen mehrere Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Nach § 215 StGB (Rowdytum) wurde gegen Unbekannte ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.1552 In Berlin-Weißensee (DDR) wurde am 15. April ein Afrikaner (Guinea-Bissao) von vier Rassisten angegriffen und beleidigt.1553 In Ernstthal (Bezirk Suhl) wurde am 4. Mai ein Mosambikaner von einem Deutschen tätlich angegriffen.1554 In Erfurt wurde im Frühsommer eine junge Frau gewaltsam mit einem Davidstern markiert.1555 In Berlin (DDR) wurde eine Wand der Volksschwimmhalle in Berlin-Pankow mit Hakenkreuzen und Parolen wie z. B. „Deutschland den Deutschen“ versehen.1556 In Guben (Bezirk Cottbus) kam es am 1. Mai zu einer Massenschlägerei zwischen Deutschen und Mosambikanern, die erst durch die Volkspolizei beendet werden konnte.1557 Die HA I des MfS stellte 1989 fest, sich die Zahl neo-nazistischer Vorkommnisse in der NVA und bei den Grenztruppen in den 1980er Jahren weiter erhöht hat. Die NeoNazis würden „aggressiv und in ständig eskalierender Form gegen progressive Angehörige“ vorgehen und eine Abwehr dieser Entwicklung käme in der Regel erst dadurch zustande, daß Maßnahmen erst durch „zuständige(n) Abwehrdiensteinheiten“ durchgeführt werden konnten. Verschärfend komme hinzu, so der Bericht der HA I, daß es nicht mehr möglich war „im Sinne einer Rückgewinnung wirksam zu werden“, d. h. die vorgesetzten Stellen hatten zum Teil die Kontrolle über die Neo-Nazis in der NVA und in den Grenztruppen verloren. Der einzig gangbare Weg wäre nur, um diesem Treiben ein Ende setzen zu können, „strafprozessuale(n) bzw. drastische(n) Disziplinarverfahren“ zu betreiben, mit dem Ziel die Neo-Nazis aus den Einheiten zu entfernen.1558 In Magdeburg gab es mehrere rassistische Vorkommnisse, so wurden Anfang Mai auf dem Israelitischen Friedhof 17 Grabsteine umgerissen, Ende Mai machten, mit 1552 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 62. 1553 BStU, MfS, HA II, Nr. 29531, S. 23. 1554 BStU, MfS, HA II, Nr. 29531, S. 29. 1555 Siegler, S. 67. 1556 Hirsch/Heim, S. 116. 1557 Madloch, S. 86. 1558 Eisenfeld, in: Neubert/Eisenfeld (Hg.), S. 258.

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Baseballschlägern bewaffnete Skinheads an mehreren Tagen, Jagd auf Punks. Im Oktober wurden mehrere vietnamesische Straßenhändler von Neo-Nazis überfallen, ihre Stände zerstört und Waren wurden geraubt und ebenfalls im Oktober wurde eine antifaschistische Demonstration von Neo-Nazis mit Rufen wie z. B., „Sieg Heil“ begleitet.1559 In Bad Blankenburg im Kreis Rudolstadt (Bezirk Gera) kam es am 1. auf den 2. Mai, kurz vor Mitternacht, auf der Höhe des VEB Antennenwerk, zu einer Schlägerei zwischen ca. 40 Deutschen und ca. 20 Mosambikaner, die mit Holzlatten und Steinen ausgetragen wurde, wobei drei Afrikaner verletzt wurden und im Krankenhaus behandelt werden mussten.1560 In Boxberg-Nochten (Bezirk Cottbus) kam es am 17. Mai zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem Deutschen und einem Mosambikaner, wobei der Afrikaner in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Am 18. Mai wurde der Täter auf seinem Weg zur Arbeit von sieben Mosambikanern aufgelauert und zusammengeschlagen und er musste daraufhin für drei Tage krankgeschrieben werden.1561 In Berlin (DDR) trafen im Juni 1989 auf dem Alexanderplatz ungefähr 15 Skinheads auf vier Studenten aus der VR Kongo. Es kam so zu einem Zusammenstoß, und die Deutschen prügelten auf die Afrikaner ein. Bei ihren Angriffen brüllten sie „Negerschweine“ und „Ausländer raus“. Vier jugendliche Rassisten, ihnen schrieb die Staatsanwaltschaft eine besonders aktive Rolle zu, kamen vor Gericht. D., M. und O, alle 19-jährig, befanden sich bis zur Verhandlung bereits drei Monate in Untersuchungshaft. St., der vierte Angeklagte (15 Jahre) wurde als besonders aktiver Schläger eingestuft. Im Ermittlungsverfahren sagte er aus, er fühle sich den Skinheads zugehörig, und bekannte sich zu „Nationalstolz“, zu „Kameradschaftlichkeit“ und zum „Ausländerhass“. Diese Aussage widerrief er in der Hauptverhandlung und behauptete, er sei nie Skinhead gewesen. In seiner Wohnung wurden Schnürstiefel mit Stahlkappen und fotokopierte Zeitungen aus dem Nationalsozialismus gefunden und beschlagnahmt. Während der Gerichtsverhandlung bekräftigte Stefan seine rassistisch motivierte, grundsätzliche Ablehnung gegen alle dunkelhäutigen Menschen. Sein Vater unterstützte ihn vor Gericht bedingungslos und behauptete, sein Sohn sei kein Skinhead. Sibyllinisch erklärte der Vater außerdem, für die Schwierigkeiten seines Sohnes wären andere verantwortlich. Das Gericht verurteilte Stefan zu einem Jahr Gefängnis, Markus und Olaf zu je zehn Monaten Freiheitsentzug. Alle drei Jugendlichen hatten den angerichteten Schaden zu ersetzen.1562

1559 Hirsch/Heim, S. 124. 1560 BStU, MfS, HA XX Nr. 6047, S. 149-153. 1561 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 125. 1562 Junge Welt, 8.6.1989; Madloch, a.a.O.

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In Berlin-Blankenburg (DDR) kam es am 4. Juni in einem Wohnheim für Arbeiter zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Vietnamesen und Mosambikaner, an denen ca. 60 Personen beteiligt waren.1563 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde im Juni in der Gaststätte „Bierbar“ ein Vietnamese von einem Deutschen durch Schläge so verletzt, dass er in das Kreiskrankenhaus Staßfurt eingeliefert werden musste.1564 In Staßfurt (Bezirk Magdeburg) wurde am 21. Juni, kurz vor Mitternacht, die „Schule der Freundschaft“ (SdF) von drei rassistischen Jugendlichen mit Steinen beworfen. Sie riefen „Negerschweine“ und „Judenpack“. Die Volkspolizei konnte die Täter nicht namhaft machen.1565 In Weimar (Bezirk Erfurt) riefen Neo-Nazis, anlässlich der „Weimartage“, rassistische Parolen.1566 In Potsdam wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1567 In Potsdam behinderte am 30. Juli die örtliche Bezirksverwaltung des MfS in Potsdam den „1. Potsdamer Anti-Fa-Tag“ der autonomen „Anti-Skin-Liga“ Potsdam. Die Entfaltung des Transparents der Liga, mit der Aufschrift „Warnung! Neonazis in der DDR“, wurde vom MfS verhindert und das Transparent wurde in drei Teile zerrissen, weil „Störungen des sozialistischen Zusammenlebens“ verhindert werden sollten.1568 Anhänger des 1. FC Magdeburg waren mit dem Zug nach Berlin gereist, um ein Spiel ihres Clubs gegen BFC Dynamo zu sehen. Während der Zugfahrt kam es zwischen einem Magdeburger Hooligan und einem Reisenden zum Streit. Daraufhin griffen bis zu zwanzig Hooligans in die Auseinandersetzung ein. Wahllos wurden Männer geschlagen und getreten, und erst eine beherzte Frau, sie zog die Notbremse, beendete die Schlägerei. Die Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Kreisgerichts Roßlau im Bezirk Halle verurteilte einen Angeklagten, er war bereits zweimal wegen „Rowdytums“ vorbestraft, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Einer wurde als „Rädelsführer“ eingestuft und zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt. Ein weiterer Täter erhielt sechs Monate Gefängnis auf Bewährung und eine Geldstrafe von 500 Mark.1569 In Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) randalierten während und nach einem Heimspiel der Fußballmannschaft BSG Sachsenring Zwickau mehrere Hooligans und störten die öffentliche „Ordnung und Sicherheit“. Sie warfen Feuerwerkskörper und nach 1563 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 117. 1564 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Staßfurt, Nr. 15246, S. 18. 1565 BStU, MfS, BV Magdeburg/KD Staßfurt, Nr. 15485, Nr. 65. 1566 Hirsch/Heim, S. 108. 1567 Schmidt, S. 140. 1568 Siegler, S. 82f. 1569 Freiheit, 18.02.1989.

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dem Spiel „provozierten“ sie tätliche Auseinandersetzungen, die erst von Ordnungskräften beendet werden konnten. Gegen neun Hooligans wurden Ordnungsstrafen und Stadionverbote ausgesprochen.1570 Aus Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) reisten acht Hooligans (16 bis 19 Jahre) einem Spiel der BSG Sachsenring Zwickau nach Dresden. Auf dem Weg zum Stadion raubten sie Dresdner Fans aus und beschädigten einen Hausflur. Vor dem Stadion trafen sie auf einen Fan, mit dem sie zuvor bereits ein Wortgefecht ausgetragen hatten. Er wurde umgestoßen, ins Gesicht und auf den Oberkörper geschlagen und, bereits am Boden liegend, noch mit Fußtritten malträtiert. Zwei andere Dresdner Fans wurden ebenfalls geschlagen. Ein weiterer Geschädigter erlitt eine beiderseitige Fraktur des Unterkiefers und musste sich für sechs Wochen in stationäre Behandlung begeben. Wegen „Rowdytums und schwerer Körperverletzung“ verurteilte die Strafkammer des Kreisgerichts Zwickau die angeklagten Jugendlichen, drei waren bereits einschlägig vorbestraft, zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und sechs Monaten. Außerdem mußten sie den entstandenen Schaden ersetzen. Zwei Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen, da Kollegen aus der Lehrfirma „Bürgschaften“ vorlegten.1571 In Klötze (Bezirk Magdeburg) wurden auf einem Volkseigenen Gut (VEG) Arbeitskräfte aus Polen beschäftigt. Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft wurden sie von zwei Jugendlichen (18-jährig) tätlich angegriffen. Die Polen versuchten mehrfach zu fliehen, wurden jedoch von den Rabauken immer wieder eingeholt. Eingreifende Volkspolizisten verhinderten weitere Angriffe. Die beiden Angreifer wurden vom Kreisgericht zu Geldstrafen und zu Gefängnis auf Bewährung verurteilt.1572 In Berlin (DDR) kam es am 13. Juli in der Gaststätte „Sophieneck“ zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Skinheads und Gästen, wobei ein Opfer in der Charité ambulant medizinisch behandelt werden musste.1573 In Erfurt wurde am 6. Juli ein Mosambikaner von einem Unbekannten rassistisch beleidigt und geschlagen.1574 In Dresden wurde am 6. Juli ein Araber von einem Professor der Technischen Universität Dresden beleidigt und geschlagen.1575 Die Botschafter von Kuba und Mosambik beschwerten sich beim DDR-Außenministerium in diesen Monaten darüber, dass ihre Staatsbürger im wachsenden Maß beschimpft und tätlich angegriffen würden.1576 1570 Freie Presse, 11.03.1989. 1571 Freie Presse, 04.07.1989. 1572 Volksstimme, 25.08.1989. 1573 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 114. 1574 BStU, MfS, HA II, Nr. 29531, S. 81. 1575 BStU, MfS, HA II, Nr. 29531, S. 82.

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In Jena-Lobeda (Bezirk Gera) grölten mehrere Deutsche vor dem Studentenwohnheim „Salvador Allende“ rassistische Parolen, wie z. B. „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“. Es wurden Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) und Haft eingeleitet.1577 In Weimar (Bezirk Erfurt) wurde ein dunkelhäutiger Schüler von mehreren Rassisten als „Türke“ beschimpft und brutal niedergeschlagen. Der „Rädelsführer“ (17 Jahre) wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.1578 In Neubrandenburg wurden zwei Männer zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie polnische Touristen rassistisch beschimpft und angegriffen hatten.1579 In Berlin wurden in einem S-Bahnzug am 25. August drei Angolaner von zwei Rassisten beschimpft und mit Fäusten geschlagen.1580 Die staatliche Nachrichtenagentur ADN behauptete am 11. August, Informationen über neo-nazistische Tendenzen in der DDR seien „purer Unsinn“.1581 In der DDR gab es vom Januar bis zum Dezember 1989 insgesamt 289 Strafverfahren mit einem neo-nazistischen Hintergrund.1582 In Stralsund (Bezirk Rostock) wurden am 16./17. August in der Bahnhofstoilette antisemitische Parolen, wie z. B. „Judendreck“ angebracht.1583 In Potsdam wurde der Jüdische Friedhof geschändet.1584 Ein Mann (19 Jahre) war im September mit seiner Freundin in Berlin (DDR) unterwegs und er begegnete einem Schulkameraden, der sofort auf ihn einschlug. Beide waren Schüler der Betriebsberufsschule und dort hatte ihn der 19-Jährige wegen „faschistoider“ Äußerungen angezeigt. Wegen „öffentlicher Herabwürdigung“ war der Täter deshalb zu acht Monaten Freiheitsentzug verurteilt worden. Die Schläge auf der Straße sollten seine Rache sein für den erlittenen Freiheitsentzug. In der Gerichtsverhandlung erklärte er, er gehöre nun nicht mehr zu den Skinheads. In seiner Wohnung wurde „völkerverhetzendes und faschistisches“ Material sichergestellt, darunter Hakenkreuze und neo-faschistische Druckerzeugnisse. Wegen „Beleidigung und Beeinträchtigung gesellschaftlicher Tätigkeit im schweren Falle“ erhielt er eine Freiheits1576 Madloch, S. 86. 1577 BStU, MfS, ZOS, Nr. 1893, S. 60; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 86. 1578 Der Tagesspiegel, 03.08.1989, S. 3. 1579 Die Welt, 26.08.1988, S. 18. 1580 BStU, MfS, ZOS, Nr. 2858, S. 23. 1581 Siegler, S. 67f. 1582 Madloch, S. 81. 1583 BStU, MfS, BV Rostock, KD Stralsund, Nr. 330. 1584 Schmidt, S. 140.

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strafe von vier Jahren und sechs Monaten. Zu diesen Strafen kam ein dreijähriges Aufenthaltsverbot für Berlin (DDR) hinzu.1585 In Magdeburg griffen Anfang September Hooligans auf dem Hauptbahnhof eine Streife der sowjetischen Streitkräfte ab, wobei ein sowjetischer Offizier zwei Warnschüsse ab gab. 1586 In Magdeburg wurden mehrere Passanten von Neo-Nazis mit Baseball-Schlägern angegriffen und verletzt. 1587 In Dresden war ein Mosambikaner vorsätzlich angegriffen worden. Gegen den Täter wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.1588 In Dresden wurde ein Pole von vier Deutschen überfallen und verletzt. Gegen die Täter wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 215 StGB (Rowdytum) eingeleitet.1589 In Schönebeck (Bezirk Magdeburg) wurde am 23. September ein Kubaner von einem Rassisten mit einer Eisenstange angegriffen. Es wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 115 StGB (Körperverletzung) eingeleitet.1590 In Puschwitz (Bezirk Dresden) wurde ein Kubaner von einem Deutschen angegriffen und vorsätzlich verletzt. Es wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 115 StGB (Vorsätzliche Körperverletzung) gegen den Täter eingeleitet.1591 In Gartz (Bezirk Frankfurt/O.) wurden am 7. Oktober drei polnische Studenten von zwei Rassisten überfallen und verletzt.1592 In Magdeburg wurden mehrere vietnamesische Straßenhändler von Neo-Nazis überfallen, ihre Stände zerstört und Waren wurden geraubt. 1593 In Magdeburg wurde eine anti-faschistische Demonstration von Neo-Nazis mit Rufen wie z. B., „Sieg Heil“ begleitet.1594 In Berlin (DDR) wurde der Friedhof der Jüdischen Gemeinde Adass Isroel in Weissensee erneut geschändet. Die Friedhofsmauer wurde mit neo-nazistischen Parolen 1585 Junge Welt, 14.09.1989. 1586 Hirsch/Heim, S. 124. 1587 Hirsch/Heim, S. 124. 1588 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1484, S. 10. 1589 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1484, S. 10. 1590 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1484, S. 10. 1591 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1484, S. 178. 1592 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1485, S. 61. 1593 Hirsch/Heim, S. 124. 1594 Hirsch/Heim, S. 124.

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versehen, und ein mit Maden durchsetztes Stück Schweinefleisch lag auf dem Gelände.1595 Unter der Führung eines West-Berliner Skinhead, er war bis 1988 in der DDR Hooligan des BFC Dynamo und beteiligt am Überfall auf die Zionskirche, sollte ein Treffen von Skinheads aus beiden deutschen Staaten stattfinden. Eine Gruppe von ungefähr 40 Skinheads wollte die Transitstrecke benutzen, um an der Autobahn ihre westdeutschen Kumpane zu treffen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte frühzeitig von der beabsichtigten Zusammenkunft erfahren und ließ diese Information bei den ost-deutschen Neo-Nazis durchsickern, woraufhin die ost-deutschen Skinheads dann das Treffen absagten.1596 In den Westen ausgereiste Skinheads hielten Kontakt mit den ost-deutschen „Kameraden“ und versorgten sie mit entsprechendem Outfit sowie Informationsmaterial. Neu in diesem Spektrum war anscheinend auch die Wandlung ehemaliger Skinheads zu „Faschos“, also zu verbindlich arbeitenden Neofaschisten ohne die äußerlichen Merkmale der Skinheads. Diese Jugendlichen, ausgestattet mit ausgeprägter „faschistischer Gesinnung“, entzogen sich der Kontrolle der Funktionäre durch ihr angepasstes Verhalten.1597 In Wolfen bei Bitterfeld (Bezirk Halle) demonstrierten am 31. Oktober Tausende für ein Ende der Herrschaft der SED. Dabei wurden u. a. Transparente mitgeführt, auf denen gefordert wurde: „Deutschland den Deutschen – Schwarze raus aus der DDR“. Im selben Zeitraum wurde in Lohsa gerufen: „Russentod“, in Halle wurde gerufen: „Ausländer raus“ und an einem Wohnheim in Rathenow wurde an Wände geschmiert: „Tod den Negern“.1598 In Erfurt an der Kirche Hochheim brachte ein Lehrling (14 Jahre) anti-semitische Parolen an.1599 In Schkopau (Bezirk Halle) wurde am 19. Oktober ein Ungar grundlos von einem Unbekannten überfallen und verletzt.1600 In Berlin (DDR) wurde am 20. Oktober in der „Straße der Befreiung“ ein Kubaner von einem Unbekannten grundlos angegriffen und verletzt.1601 1595 Der Tagesspiegel, 02.11.1989; Generalstaatsanwalt der DDR, 1989, SAPMO-BArch, DY 30/ IV B 2/14/180, S. 3; Diamant, S. 63. 1596 Kopie der Information, 20.04.1989 (Im Besitz von HW). 1597 Vorlage an das Sekretariat der FDJ zur 168. Sitzung am 6. September 1989 zum Tagesordnungspunkt-Nr.: 3b, VVS, FDJ Abteilung Verbandsorgane, SAPMO-BArch, DY 24/ 11.696, S. 1-19 und Anlage 1. 1598 Vgl. Steinheim; Behrends/Lindenberger/Poutrus, in: Behrends/Lindenberge/Poutrus (Hg.), S. 15. 1599 Behrends et. al., S. 25. 1600 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1486, S. 60.

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In Rostock wurde am 4. Oktober ein Vietnamese von einem Deutschen überfallen und verletzt. Gegen den Täter wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 118 StGB (Fahrlässige Körperverletzung) eingeleitet.1602 In Zossen-Nunsdorf wurde am 9. November ein Vietnamese von einem Deutschen überfallen und verletzt.1603 In Zwickau (Bezirk Karl-Marx-Stadt) wurde am 5. November ein Mosambikaner von einem Rassisten überfallen und verletzt.1604 In Bautzen wurde am 4. November ein Kubaner vor einer Gaststätte von einem Deutschen angegriffen und verletzt. 1605 In Leipzig wurde aus der Parole der Montagsdemonstrationen „Wir sind das Volk“, die im September noch gerufen wurde, nach der Öffnung der Mauer am 9. November, „Deutschland einig Vaterland“ und „Wir sind ein Volk“.1606 In Leipzig-Land wurde ein Bulgare rassistisch von einem Deutschen angegriffen und beleidigt.1607 In Singwitz (Bezirk Dresden) wurde ein Kubaner von einem Deutschen beleidigt und verletzt.1608 In der DDR kursierte ein weiteres Gedicht: „Ach komm lieber Erich, sei unser Gast und gib uns die Hälfte von dem, was du hast. Der Pole hat Kohle, der Russe hat Licht, wir haben die Freundschaft, mehr brauchen wir nicht. Auf den Straßen große Löcher, in den Läden leere Fächer, zu Ostern keine Geschenke, zu Pfingsten keine Getränke, zu Weihnachten kein Baum. In der HO keine Bekannten, im Konsum keine Verwandte, aus dem Westen nicht mal ein Paket – und da fragst du wie es uns geht?“.1609 In Eisenach (Bezirk Erfurt) gab es am 3. Dezember eine tätliche Auseinandersetzung zwischen einem Mosambikaner und zwei Deutschen, die zu derzeit Soldaten der NVA waren.1610

1601 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1486, S. 74. 1602 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1488, S. 33. 1603 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1488, S. 70. 1604 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1488, S. 42. 1605 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1488, S. 37. 1606 Siegler, S. 33. 1607 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1484, S. 59. 1608 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 14888, S. 9. 1609 Krüger-Potratz, S. 141. 1610 BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1488, S. 177.

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Eine Zufuhr neuer Kameraden bekamen die Neo-Nazis durch eine allgemeine Amnestie des Staatsrates der DDR vom 6. Dezember, bei der ca. 100 inhaftierte Neo-Nazis sich plötzlich wieder befreit sahen.1611 Bei einer Silvesterfeier sangen Neo-Nazis das „Horst-Wessel-Lied“.1612 In Berlin (DDR) wurde das sowjetische Ehrenmal in Treptow der GSSD am 28. Dezember mit neo-nazistischen Parolen geschändet wie „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf, „Nationalismus für ein Europa freier Völker“ und „Besatzer raus“.1613 In Dresden wurden vom Kreisgericht Dresden-West vier Skinheads (20 bis 24 Jahre) wegen „Rowdytums“ und vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt. Im Laufe des Sommers 1988 hatten sie mehrere Menschen überfallen und zum Teil schwer verletzt. Das Gericht befand sie für schuldig und bestrafte sie mit Freiheitsentzug zwischen vier Jahren und vier Monaten und einem Jahr und sechs Monaten. Darüber hinaus wurden Geldstrafen verhängt und Schadensersatz gefordert.1614 Im Oktober und November kam es mehrmals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die bis zu Plünderungen von Geschäften gingen.1615 In Bautzen (Bezirk Dresden) wurden im Dezember auf Hauswänden Schmierereien entdeckt, die dazu aufforderten alle „Roten“ aufzuhängen und der Partei „Die Republikaner“ beizutreten.1616 In Gera wurden sechs Schüler und ein Lehrling im Dezember von der Volkspolizei festgenommen, weil sie Gräber des sowjetischen Ehrenhains der GSSD geschändet und vor Häusern, in einer sowjetischen Siedlung, anti-sowjetische Parolen gegrölt hatten.1617 In Frankfurt/O. attackierten mehrere Skinheads im Dezember im Jugendhotel „Freundschaft“, polnische Gastarbeiterinnen, weil sie nicht arisch wären.1618 In Wolgast (Bezirk Rostock) wurden 11 Neo-Nazis, darunter auch einige Lehrer, sie nannten sich „SS-Division Walter Krüger“, verhaftet. Die Volkspolizei fand Uniformen sowie Schlag- und Stichwaffen. Die Gruppe wollte Verbindungen zu der Partei „Die Republikaner“ aufnehmen, Schulungen durchführen zum Faschismus, Revan-

1611 Madloch, S. 88; Siegler, S. 34. 1612 Hirsch/Heim, S. 111. 1613 die tageszeitung, 03.01.1990; Hirsch/Heim, S. 126. 1614 Die Union v. 26.01.1989. 1615 Madloch, S. 90. 1616 Hirsch/Heim, S. 109. 1617 Hirsch/Heim, S. 109f. 1618 Hirsch/Heim, S. 109.

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chismus und Militarismus. Sechs Männer wurden wegen „staatsfeindlicher Ziele“ zu Freiheitsstrafen zwischen 10 und 22 Monaten, zum Teil auf Bewährung, verurteilt.1619 In Ahlbeck (Bezirk Rostock) wurde die neo-nazistische Gruppe „Freiheitliche Organisation zur Neugestaltung Deutschlands“ gegründet.1620 In Halle wurden Häuserwände mit neo-nazistischen Parolen beschmiert.1621 In Kirschbachtal bei Weimar (Bezirk Erfurt) wurden Ende des Jahres Bewohner eines Wohnheimes für Ausländer geschlagen und beleidigt. In vielen Restaurants wurden sie nicht bedient.1622 In Erfurt wurden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde durch anonyme Telefonanrufer bedroht: „Der Ofen von Buchenwald wartet ja auf euch“.1623 In Erfurt bedrohten vier Skinheads mit Schlagwerkzeugen Passanten. Die Volkspolizei verhaftete sie.1624 Nach der den „Deutschen Burschenschaften“ nahe stehenden Zeitschrift Zeitenwende (Nr. 4/1990, S. 65) existierten 1989 „in der DDR etwa 18 Korporationen bzw. verbindungsähnliche Zusammenschlüsse von rund 300 Studenten und Akademikern“. Solche burschenschaftlichen Strukturen gab es unter anderem in Dresden, Leipzig, Freiberg und Karl-Marx-Stadt. Ein erstes Treffen zur Abstimmung ihrer Aktivitäten fand am 29. Mai 1986 im sächsischen Schmiedeberg statt, an dem weit rechts orientierte studentische Gruppierungen aus Dresden, Freiberg, Leipzig, Jena und Magdeburg teilnahmen.1625 In Berlin-Lichtenberg mündete der Faschisierungprozess in das Gebiet um die Weitlingstraße, in deren Umfeld bis in die Gegenwart hinein gewalttätige Aktionen von Neo-Nazis und Skinheads fest zu stellen sind.1626 Skinheads und Hooligans des Fußballvereins BFC Dynamo gründeten 1986 die Gruppe „Lichtenberger Front“ und 1988 die Gruppe „Bewegung 30. Januar“. Einer der Neo-Nazis, der zu dieser Zeit und nach der „Wende“ aktiv war, war Ingo Hasselbach. Er hatte 1987 anlässlich eines Freundschaftsfests für sowjetische Soldaten gerufen: „Die Mauer muss weg!“ und

1619 Frankfurter Rundschau, 30.09.1989; BStU, MfS, BV Rostock, Abt. IX, Nr. 96. 1620 BStU, MfS, BV Rostock, 1988/89. 1621 Hirsch/Heim, S. 110. 1622 Siegler, S. 66. 1623 Hirsch/Heim, S. 109. 1624 Hirsch/Heim, S. 109. 1625 Madloch, S. 86; Farin/Seidel-Pielen, S. 73. 1626 Vertrauliche Dienstsache vom 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126); Besondere Vorkommnisse in Berlin, FDJ Abteilungen Wohngebiete, Jugend und Staat. Vertraulich, Berlin, 11.11.1966, SAPMO-BArch, DY 24/ 20951 (E 4.126).

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war dafür zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden.1627 Am 31. Januar 1990 wurde aus der „Bewegung 30. Januar“ die neo-faschistische Gruppe „Nationale Alternative“ (NA).1628 In Berlin (Ost) wurde der Jüdische Friedhof der Adass Isroel Gemeinde von Unbekannten geschändet.1629

1990 In Weimar (Bezirk Erfurt) wurden im Januar häufig Ausländer angegriffen und es wurden anti-semitische und rassistische Parolen gerufen.1630 In Greifswald (Bezirk Rostock) wurde die neo-nazistische Gruppe „Greifswalder Nationalsozialisten“ gegründet.1631 In Rostock wurden im Januar auf dem Jüdischen Friedhof Grabsteine umgestoßen und es wurden das Eingangstor und Bänke beschädigt.1632 In Berlin (West) wurde der pakistanische Student Mahmut Ahzar beim Verlassen des Instituts für Biochemie der FU Berlin, von einem Ost-Deutschen niedergeschlagen und verstarb am 6. März im Krankenhaus.1633 In Berlin (DDR) entdeckte die Volkspolizei im Innenhof der Rathauspassage neo-nazistische Schmierereien und Hakenkreuze an anderen Gebäuden.1634 In Frankfurt/O. wurden im Januar an einem Eisenbahnwaggon Hakenkreuze angemalt.1635 In Potsdam wurden im Januar, in der Brandenburger Straße, Häuserwände und Schaufenster mit neo-faschistischen Parolen wie z. B. „Heil Hitler“, „Ruhm dem Faschismus“, „Russen raus“ und mit Hakenkreuzen verunziert.1636 In Pirna (Bezirk Dresden) wurden im Januar Schaufenster und Wände mit neo-faschistischen Parolen wie „Hitler lebt“ und „Wir sind da – REP“ beschmiert.1637 1627 Hasselbach/Bonengel, S. 2, S. 22. 1628 Madloch, S. 90. 1629 Diamant, S. 64. 1630 Hirsch/Heim, S. 112 1631 Madloch, S. 169. 1632 Hirsch/Heim, S. 111f; Diamant, S. 64. 1633 Siegler, S. 177. 1634 Hirsch/Heim, S. 110. 1635 Hirsch/Heim, S. 110. 1636 Hirsch/Heim, S. 111. 1637 Hirsch/Heim, S. 111.

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In Köthen wurde die Wohnung eines Arbeiters von der Volkspolizei durchsucht. Dabei wurden ein Karabiner, ein Revolver, eine Automatik-Pistole sowie Munition beschlagnahmt. Außerdem wurden, neben A. Hitlers „Mein Kampf“, Aufzeichnungen und Skizzen zum Bau von Bomben und Sprengsätzen gefunden.1638 In Görlitz (Bezirk Dresden) wurden Anfang Januar Parolen wie z. B. „Ausländer raus“, „Juden raus“ und „Wählt REP“ und es wurden auch Hakenkreuze geschmiert. Das Denkmal zur Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Faschisten wurde mit Hakenkreuzen geschändet. Zwei Schüler und eine Schülerin einer 8. Klasse sowie ein Betriebshandwerker waren daran beteiligt. Nach einem weiteren Jugendlichen, einem Lehrling, wurde gefahndet.1639 In Leipzig befanden sich im Februar an der Spitze einer Montagsdemonstration Angehörige und Sympathisanten der Partei „Die Republikaner“, die den Hitlergruß zeigten und das „Deutschland-Lied“ sangen.1640 In Neustrelitz (Bezirk Neubrandenburg) terrorisierten Polizeischüler während ihrer Grundausbildung über Wochen einen jüdischen Polizeischüler. Er wurde in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, mit Sprüchen wie z. B. „Du kommst nach Auschwitz“.1641 In Schwerin wurden mehrmals Ausländer von Neo-Nazis angegriffen.1642 In Rostock wurden am 9. März, nach einer Wahlkundgebung mit Bundeskanzler H. Kohl, demonstrierende Linke von Neo-Nazis angegriffen.1643 In Dresden-Neustadt richtete sich der neo-nazistische Hass gegen die Betreiber des Alternativcafé „Stil los“, die bei dem Überfall schwer verletzt worden sind. Das Café wurde total verwüstet.1644 In Leipzig überfielen Neo-Nazis Mitte März, im Anschluss an eine Wahlkundgebung mit Bundeskanzler H. Kohl, „linksgerichtete Gegner einer deutschen Einheit“. Etwa 50 Neo-Nazis versucht, mit dem Ruf „Rote raus“, in die Mensa der Universität einzudringen.1645 Beim Ministerium für Arbeit und Löhne, es war zuständig für den Einsatz ausländischer Arbeiter in der DDR, ging im März ein rassistisches Schreiben ein, in dem klar

1638 Hirsch/Heim, S. 111. 1639 die tageszeitung, 03.01.1990; Hirsch/Heim, S. 111. 1640 Hirsch/Heim, S. 112. 1641 Madloch, S. 86. 1642 Langer, S. 16. 1643 Hirsch/Heim, S. 113; Langer, S. 16. 1644 Madloch, S. 96. 1645 Hirsch/Heim, S. 112

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und deutlich formuliert wurde: „Solange hier auch nur ein Ausländer im Betrieb arbeitet und ein Deutscher entlassen wird, fließt Blut“.1646 In einem anderen Schreiben eines Berliner Betriebes wurde die Erlaubnis eingefordert mehrere mosambikanische Kollegen zu entlassen. Als Begründung wurde angegeben: „Unter dieser Sicht hat unsere Betriebsleitung den Entschluss gefasst, zum Abbau all jener Arbeitskräfte überzugehen, die aufgrund ihrer desolaten Arbeitshaltung nur wenig Nutzen bringen“.1647 Eine Begegnungsreise von deutschen und türkischen Jugendlichen aus Duisburg, sie sollte nach Gera, Leipzig und Erfurt führen, abgebrochen. Teilnehmer der Delegation aus Duisburg wurden ständig angefeindet.1648 In Berlin-Prenzlauer Berg (DDR) überfielen Skinheads mehrere Jugendklubs, z. B. das „Info-Café“ in der Schliemannstraße.1649 In Berlin (DDR) zogen ca. 500 neo-nazistische Skinheads und Hooligans am 20. April, nach einem Fußballspiel in Berlin zwischen BFC Dynamo und Hansa Rostock, randalierend vom Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion in Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz und ins Nikolaiviertel und skandierten dabei „Happy Birthday, lieber Adolf!“. Unterwegs wurden Passanten und Volkspolizisten angegriffen.1650 In Berlin (DDR) grölten im Kulturhaus in Lichtenberg des VEB Elektrokohle mehrere Neo-Nazis.1651 In einem Zug der Deutschen Reichsbahn (D-558) von Erfurt nach Berlin prügelten ca. 10 Skinheads mit Stöcken auf Mitreisende ein. Ein Vietnamese wurde durch den Zug gehetzt; er konnte seinen Verfolgern entgehen, weil er sich an der Außenseite eines Waggons, bei fahrendem Zug, festklammerte.1652 In Hoyerswerda (Bezirk Cottbus) wurde die Volkspolizei im April 14-mal gerufen, weil Ausländer rassistisch attackiert worden waren.1653 In Hoyerswerda (Bezirk Cottbus) kam es im April zu rassistischen Ausschreitungen. Die Auseinandersetzungen wurden von ca. 1.500 Schaulustigen verfolgt und ihre Re-

1646 Krüger-Potratz, S. 119. 1647 Ebenda. 1648 Hirsch/Heim, S. 114. 1649 Hirsch/Heim, S. 113. 1650 Madloch, S. 96; Hirsch/Heim, S. 112f. 1651 BStU, MfS, HA IX, Nr. 10712. 1652 Hirsch/Heim, S. 114. 1653 Hirsch/Heim, S. 114.

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aktionen reichten von reiner Schaulust, über wohlwollende Zustimmung bis zu anfeuernden Rufen. Einheiten der Volkspolizei gelang es die Pogrome zu beenden.1654 Skinheads oder Hooligans sahen in ihrer Verurteilung durch die Justiz der DDR zumeist keinen Makel, allenfalls galt dies als Ausweis ihrer Opferbereitschaft für die „nationale Sache“. Die Justizvollzugsanstalten der DDR waren personell und ideologisch nicht auf so viele derartige Häftlinge vorbereitet. Da sich die Neo-Nazis sehr diszipliniert verhielten, konnten sie sich mit Gleichgesinnten besprechen und wurden so bekannt mit „Kameraden“ aus anderen Bezirken. Hier wurden auch programmatische Texte für die neo-faschistische Szene in der DDR erarbeitet. So entwarf der mehrfach vorbestrafte Neo-Faschist Thomas Kreyßler aus Arnstadt, in der JVA Untermaßfeld in Thüringen, das Programm für eine noch zu gründende „Nationale Arbeiterpartei Deutschlands“ (NAPD).1655 In Nordhausen (Bezirk Erfurt) kam es zu neo-nazistischen Krawallen. Die Stadtverwaltung hatte ein Skinhead-Konzert verboten und daraufhin randalierten etwa 1.000 Skinheads. Sie schlugen Fenster an Häusern und Autos ein und ein Teil von ihnen besetzte eine Gaststätte, die von der Volkspolizei geräumt wurde. Etwa 150 Skinheads wurden vorläufig festgenommen.1656 In Rostock zerstörten Neo-Nazis am 13. bzw. 17./18. April das von Linken betriebe „Info-Café Tante Trude“.1657 In Welzow (Bezirk Cottbus) beim VEB Braunkohlekraftwerk trauten sich im Mai die dort beschäftigten Mosambikaner kaum noch in eine Gaststätte, weil sie damit rechnen konnten, rassistisch angepöbelt oder auch angegriffen zu werden. Manche nahmen im Winter keinen Arzttermin wahr, der in den Abendstunden lag und selbst der Weg zum Nachtschichtbus wurde zum Problem. Dadurch sahen sich die Betreuer gezwungen, die Mosambikaner daraufhin zu orientieren, abends auch nicht mehr ins Kino oder auch überhaupt nicht das Wohnheim zu verlassen. Im Kraftwerk gab es Arbeitsbrigaden die es ablehnten mit „Schwarzen“ zusammen zu arbeiten. Am 1. Mai gab es in Welzow in der Nähe eines Vergnügungsparks brutale Auseinandersetzungen zwischen Mosambikaner und Rassisten, wobei die umstehenden Schaulustigen nicht eingegriffen hatten.1658

1654 Siegler, S. 37f; Hirsch/Heim, S. 117f; Borchers, S. 32–33. 1655 Madloch, S. 82. 1656 Hirsch/Heim, S. 114f; Borchers, S. 15. 1657 Langer, S. 16. 1658 http://www.ddr89.de/ddr89/texte/welzow2.html. Hier wird ein Interview aufgeführt, dass in der, vom VEB Braunkohlekraftwerk herausgegebenen, Welzower Betriebszeitung Nr. 23, 18.06.1990, veröffentlicht worden war.

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In Hoyerswerda (Bezirk Cottbus) kam es am 1. Mai wieder zu rassistischen Angriffen auf Wohnheime von Ausländern und ein Arbeiter aus Mosambik wurde dabei schwer verletzt.1659 In Gera kam es vor einem besetzten Haus zu Ausschreitungen zwischen Hausbesetzern und Skinheads.1660 In Nordhausen-Bielen (Bezirk Erfurt) trafen sich Skinheads aus West- und OstDeutschland. In einer Gaststätte grölten sie „Heil Hitler“, sangen neo-faschistische Lieder, beschimpften Gäste, bewarfen Autos mit Flaschen und Bierbüchsen und zerschlugen Fensterscheiben der Gaststätte. Die Volkspolizei löste das Treffen gewaltsam auf und verhaftete etwa 100 Neo-Faschisten. Es wurden Schlagringe, Messer, Reizgas-Dosen, Schlagstöcke und Schusswaffen beschlagnahmt.1661 In Berlin (DDR) überfielen ca. 400 Neo-Nazis am 5. Mai ein Wohnheim für ausländische Arbeiter im Hans-Loch-Viertel in Berlin-Lichtenberg.1662 In Berlin (DDR) kämpften am 13. Mai in Lichtenberg ca. 100 Skinheads mit Baseball-Schlägern und Eisenstangen gegen Volkspolizisten und grölten rassistische Parolen. Etwa 30 Neo-Nazis wurden festgenommen.1663 In Berlin (DDR) wurden am 4./5. Mai die Gräber von Bertolt Brecht und Helene Weigel mit Parolen, wie z. B. „Saujud“ und „Juden raus“ geschändet. Dass sie keine Juden waren, war nicht von Belang.1664 In Berlin (DDR) wurde der Friedhof der Jüdischen Gemeinde „Adass Isroel“ in Weißensee mit aufgemalten Hakenkreuzen geschändet.1665 In Berlin (DDR) zogen ca. 300 neo-nazistische Hooligans am 26. Mai, nach dem Spiel des BFC Dynamo gegen Wismut Aue, vom Fußballstadion ins Berliner Zentrum (DDR), beschädigten Autos, warfen Fensterscheiben ein und am Marx-EngelsDenkmal stellten sich etwa 200 Neo-Faschisten zu einem 50 mal 50 Meter großen Hakenkreuz auf. Die Volkspolizei nahm 23 Neo-Nazis fest und beschlagnahmte Messer und Schlagwerkzeuge.1666 In Leipzig wurde ein Wohnheim für Ausländer von Neo-Nazis überfallen.1667 1659 die tageszeitung, 02.01.1992. 1660 Hirsch/Heim, S. 117. 1661 Hirsch/Heim, S. 116. 1662 Wagner, S. 51. 1663 Hirsch/Heim, S. 115; Borchers, S. 15. 1664 Madloch, S. 97; Hirsch/Heim, S. 115. 1665 Madloch, S. 97; Hirsch/Heim, S. 115. 1666 Siegler, S. 35; Hirsch/Heim, S. 115. 1667 Hirsch/Heim, S. 139.

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In Rostock im Stadtteil Groß Klein wurden Hakenkreuze und neo-nazistische Parolen entdeckt.1668 In Berlin (DDR) prügelten ca. 150 Neo-Nazis am 2. Juni auf Besucher des multikulturellen „Tacheles“ in der Oranienburger Straße in Berlin (DDR) ein. Es wurden Molotow-Cocktails eingesetzt.1669 In Leipzig wurden in einer Straßenbahn Fahrgäste von Neo-Nazis angegriffen.1670 In Leipzig wurde ein Mann in der Nähe des Bahnhofs von einem Skinhead so schwer mit Stiefeltritten verletzt, dass er aus der Straßenbahn fällt. Lebensgefährlich verletzt kam er in ein Krankenhaus.1671 In Geithain-Nauenhain (Bezirk Leipzig) wurde ein Wohnheim für Flüchtlinge von Neo-Nazis gestürmt. Sie zerschlugen das Mobiliar und bedrohten die Bewohner.1672 Der geschichtsrevisionistische Autor D. Irving konnte Ende Februar in der TU Dresden und am 5. Juni im Kulturpalast Dresden seine anti-semitischen Irrlehren verbreiten.1673 Anfang Juni trat er in Gera im „Haus der Kultur“ auf. Anfang Juli wurde in einer gemeinsamen Erklärung von M. Kühnen und Gary R. Lauck, die Neugründung einer „Nationalsozialistischen Arbeiterpartei“ angekündigt.1674 In Erfurt erschlugen am 5. Juli zwei Skin-Bräute, als Mutprobe, einen 57-jährigen Bauarbeiter mit Ziegelsteinen.1675 In Berlin randalierten Neo-Nazis in der Weitlinger- und der Kückstraße in BerlinLichtenberg. 21 Volkspolizisten wurden zum Teil schwer verletzt, vier Mannschaftswagen und andere Fahrzeuge der Polizei wurden beschädigt.1676 In Berliner (DDR) verletzten beim S-Bahnhof Ostkreuz ca. 10 Skinheads in der SBahn mit Stöcken und einem Beil vier mitreisende Vietnamesen und verletzen zwei schwer.1677

1668 Langer, S. 59. 1669 Wagner, S. 52; Hirsch/Heim, S. 118. 1670 Hirsch/Heim, S. 118f. 1671 Hirsch/Heim, S. 145 1672 Konkret, S. 12. 1673 Siegler, S. 23. 1674 Hirsch/Heim, S. 119f. 1675 Madloch, S. 96; Schäfer-Vogel, S. 54. 1676 Hirsch/Heim, S. 119. 1677 Wagner, S. 52; Hirsch/Heim, S. 120.

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In Berlin (DDR) wurde ein türkischer Imbiss in der Friedrichstraße, Ecke WilhelmPieck-Straße am 11. September niedergebrannt.1678 Von Wurzen (Bezirk Leipzig) aus flohen im August ca. 30 Ausländer, unter der Anleitung des Wurzener Pfarrers Jürgen Schneider, nach Hessen. Sie waren zuvor von Neo-Nazis überfallen und mit Schlagringen verletzt worden. Dabei wurde eine Schwangere krankenhausreif geschlagen.1679 In Leisnig (Bezirk Leipzig) wurde im August ein Wohnheim für Flüchtlinge angegriffen. Ein Bewohner musste mit Brandverletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert werden.1680 In Leipzig-Grünau wurde im August ein Wohnheim für Ausländer angegriffen.1681 Mitte August versuchten etwa 60 Mitglieder und Sympathisanten der neo-nazistischen „Junge Nationaldemokraten“ (JN), die polnische Grenze nach Zgorzelec zu überschreiten. Dabei forderten sie ein „Bundesland Schlesien“.1682 In Leipzig randalierten im August nach einem Fußballspiel zwischen 1. FC Lokomotive Leipzig gegen FC Bayern München, Neo-Nazis mit Rufen wie „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Drei Neo-Nazis griffen drei Polizisten in einem Streifenwagen an, die ihre Schusswaffen einsetzten. Zwei Angreifer wurden mit Schusswunden ins Krankenhaus eingeliefert.1683 In Trebbin, Kreis Luckenwalde (Bezirk Potsdam) wurde am 26. August 1990 ein Wohnheim für ausländische Arbeiter, mehrheitlich aus Mosambik, von ca. 30 Rassisten angegriffen. Sämtliche Fenster des Wohnheims wurden zerstört. Es gab sechs Verletzte, darunter waren zwei Polizisten. Die Angegriffen setzten sich zur Wehr und schlugen die Rassisten zurück. Die Volkspolizei kam erst nach drei Stunden an den Ort des Geschehens. Die Mosambikaner waren mehrheitlich im Autowerk Trebbin beschäftigt. Einen Tag vor dem ursprünglich geplanten Abflug einer Maschine nach Mosambik wurden mehrere Mosambikaner unter Polizeischutz zum Flughafen Berlin-Schönefeld gebracht und nach Mosambik zurückgeflogen.1684 In Trebbin im Landkreis Teltow-Fläming (Brandenburg) gab es im August zwei Straßenschlachten zwischen Rassisten und Mosambikaner. Fast an jedem 1. Mai oder 7. Oktober wurden in Trebbin Hakenkreuze geschmiert.1685

1678 Farin/Seidel-Pielen, S. 56f. 1679 Borchers, S. 19f. 1680 Konkret, S. 14. 1681 Konkret, S. 14. 1682 Siegler, S. 32. 1683 Hirsch/Heim, S. 121. 1684 Hirsch/Heim, S. 121; die tageszeitung, 29.08.1990. 1685 die tageszeitung, 07.10.1996.

400

In Schwerin randalierten am 8. September, anläßlich eines Fußballspiels, ca. 50 Hooligans aus Berlin. Sie riefen neo-nazistische Parolen, griffen Ausländer an und sie zerstörten eine Fensterscheibe eines Informationsbüros der PDS.1686 Im Leipziger Stadtteil Grünau wurde das Wohnheim für Flüchtlinge von etwa 70 Neo-Nazis mit Steinen angegriffen, die versuchten das Gebäude in Flammen zu setzen.1687 In Berlin (DDR) wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee 12 Grabsteine umgestürzt und zertrümmert.1688 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde die Gaststätte „Hüttengasthaus“ im September von ca. 40 Neo-Nazis angegriffen. Dort befanden sich vorwiegend Arbeiter aus Mosambik. Die Volkspolizei griff nicht ein.1689 In Dresden wurde ein Jugendlicher (15 Jahre) von einem Skinhead zusammengeschlagen, weil er ihn für einen „Linken“ hielt.1690 In Leipzig marschierten im September Neo-Nazis auf einem Volksfest auf. Sie bedrohten Passanten mit Pistolen und brüllten neo-faschistische Parolen.1691 In Eberswalde (Bezirk Frankfurt/O.) wurde eine Wahlkampfveranstaltung der „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), mit G. Gysi, von Neo-Nazis mit Rufen, wie z. B. „Juden raus“, gestört. Die Volkspolizei griff nicht ein.1692 In Frankfurt/O. wurde eine Wahlkampfveranstaltung der PDS von Neo-Nazis massiv gestört.1693 In Erfurt drangen Skinheads gewaltsam in ein Jugendzentrum ein. Die Volkspolizei nahm 10 Neo-Nazis fest.1694 In Magdeburg verprügelten Neo-Nazis im September mehrere Passanten mit Baseball-Schlägern.1695

1686 Langer, S. 16. 1687 Konkret, S. 15. 1688 Hirsch/Heim, S. 120; Diamant, S. 67. 1689 Hirsch/Heim, S. 122. 1690 Hirsch/Heim, S. 121. 1691 Hirsch/Heim, S. 122. 1692 Siegler, S. 21; Hirsch/Heim, S. 121f. 1693 Hirsch/Heim, S. 122. 1694 Hirsch/Heim, S. 122. 1695 Hirsch/Heim, S. 122.

401

In Wolmirstedt (Bezirk Magdeburg) verletzten Neo-Nazis im September sieben Personen. Die Angreifer waren mit Messern, Eisenstangen und Wurfsternen bewaffnet.1696 In Selmsdorf (Bezirk Rostock) zerstörten Neo-Nazis die Fensterscheiben an der ehemaligen Grenzkontrollstelle.1697

1696 Hirsch/Heim, S. 123. 1697 Hirsch/Heim, S. 123.

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Chronologie rassistischer Tötungen (1990 bis 2011)

1990 Oktober In Lübbenau im Landkreis Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg) wurde am 7. Oktober 1990 der Pole Andrzej Fratczak von drei Rassisten vor einer Diskothek verprügelt und erstochen. Polizei und Staatsanwaltschaft konnten nicht ermitteln wer von den drei Angreifern der Mörder war. Das Bezirksgericht Cottbus verurteilte die drei Deutschen zu Freiheitsstrafen zwischen acht Monaten und 3 dreiviertel Jahren. Entgegen allen bisher verbreiteten Informationen war A. Fratczak damit erste Todesopfer aus rassistischen Motiven.1698 November In Eberswalde im Landkreis Barnim (Brandenburg) plünderten am 24. November ca. 50 Rassisten (Skinheads und Heavy Metals) einen Imbisswagen eines türkischen Händlers. Danach überfielen sie unter der Parole „Neger aufklatschen“ vier afrikanische Arbeiter aus Angola und Mosambik. Mit Baseball-Schlägern schlugen sie so brutal auf Amadeu Antonio Kiowa aus Angola ein, dass er zwei Wochen später am 6. Dezember verstarb. Im September 1992 verurteilte das Bezirksgericht Frankfurt/O. vier der fünf Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und vier Jahren. Ein Rassist wurde zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Beim zweiten Prozess im Mai 1993 wurde ein Rassist (22 Jahre) zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im November erhielt er Hafturlaub, aus dem er nicht in die Jugendstrafanstalt Schwarze Pumpe zurückgekehrt war. Anfang Dezember wurde er in Stuttgart von der Polizei festgenommen. Er soll am 27. November zusammen mit anderen Tätern in Schwedt einen Raubüberfall begangen haben. Die beiden Gerichtsverfahren konnten nicht klären, wer genau Amadeu Antonio getötet hatte.1699 In Kempten im Allgäu (Bayern) wurde am 17. November ein von Türken bewohntes Haus von Rassisten mit Brandsätzen angegriffen und ein Bewohner starb dadurch.1700 In Berlin wurde am 17. November ein Äthiopier erstochen aufgefunden.1701

1698 Hirsch/Heim, S. 131f; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechtergewalt.pdf 1699 Madloch, S. 148; S. 125f; Farin/Seidel-Pielen, S. 59-66; Hirsch/Heim, S. 125f; Arntz, S. 247; die tageszeitung, 19.08.1992, 15.09.1992, 04.05.1993, 02.12.1993, 03.12.1993. 1700 die tageszeitung, 02.01.1992. 1701 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm; http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm.

403

Dezember In Hachenburg im Westerwald (Rheinland-Pfalz) wurde am 28. Dezember der Kurde Nihat Yusufoglu (17 Jahre) auf offener Straße von einem Mitglied der neo-nazistischen „Taunusfront“ (20 Jahre) mit einem Messerstich durch den Rücken ins Herz ermordet. Nach der Tat wurde das Haus der Familie Yusufoglu mit Steinen beworfen, Familienmitglieder bedroht, beleidigt und die Kinder wurden verprügelt. Das Gericht in Koblenz verurteilte den Täter wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Eine rassistische Dimension der Tat wurde negiert.1702 In Flensburg (Schleswig-Holstein) wurde am 31. Dezember ein Obdachloser (31 Jahre) von einem Skinhead so zusammengetreten, dass er sechs Tage später an den Folgen des Überfalls verstarb.1703 In Berlin-Lichtenberg (Ost) wurde Klaus-Dieter Reichert (24 Jahre) am 11. Dezember in seiner Wohnung von drei Skinheads überfallen. In Panik sprang er aus dem Fenster, fiel zehn Stockwerke in die Tiefe und verstarb.1704 In Göttingen (NDS) wurde am 31. Dezember ein Linker (23 Jahre) erstochen.1705 In Bremen-Habenhausen wurde am 31. Dezember 1990 ein Wohnheim für Ausländer von drei ost-deutschen Rassisten mit einer Silvesterrakete in Brand gesteckt. Vier Erwachsene und vier Kinder verbrannten in den Flammen bzw. erstickten im Rauch.1706

1991 In Schwedt im Landkreis Uckermark (Brandenburg) wurde ein Obdachloser von Skinheads geschlagen und getreten bis er tot war.1707 Januar In Rosdorf im Landkreis Göttingen (NDS) wurde am 1. Januar der wehrpflichtige Soldat der Bundeswehr Alexander Selchow (21 Jahre) von Neo-Nazis erstochen.1708

1702 Arntz, S. 247; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechtergewalt.pdf; http://de.keinvergessen.wiki.com/wiki/Nihad_Yusufoglu. 1703 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/. 1704 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1705 www.boa-muenchen.org./boa-kuenstlerkooperative/anmerk1a.htm. 1706 die tageszeitung, 02.01.1991. 1707 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1708 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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Februar In Dresden (Sachsen) starb am 23. Februar ein Afghane an den Folgen eines rassistischen Überfalls, wegen nicht erhaltener medizinischer Hilfe.1709 März In Dresden (Sachsen) wurde am 31. März Joao Gomondai (28 Jahre) aus Mosambik von Skinheads aus einer fahrenden Straßenbahn der Linie 7 geworfen. Nach sechs Tagen, am 6. April, erlag Gomondai seinen schweren Kopfverletzungen. Der Trauermarsch, über 3.000 Teilnehmer, wurde gestört mit Rufen wie „Sieg Heil“ und „Ausländer raus“. Gomondai war 1981 aus Mosambik als „Vertragsarbeiter“ nach Dresden gekommen und arbeitete dort im Schlachthof.1710 Mai In Dresden (Sachsen) machten Neo-Nazis Jagd auf einen Ausländer, weil er „Glücksspieler“ gewesen sei. Er brach mit einer Herzattacke zusammen.1711 In Gifhorn (NDS) wurde am 8. Mai der Punk Matthias Knabe (23 Jahre) von 15 Skinheads angegriffen, auf die Bundesstraße 4 getrieben und dort wurde er von einem Auto angefahren. Er verstarb am 4. März 1992 an seinen schweren Hirnverletzungen.1712 Juni In Gifhorn-Kästorf (NDS) wurde am 4. Juni Helmut Leja (39 Jahre) in Waldstück von einem Skinhead erstochen. Der Täter hatte das Opfer als „Abschaum“ bezeichnet.1713 In Leipzig (Sachsen) wurde am 1. Juni ein Mann (35 Jahre) von einem Neo-Nazi aus der Straßenbahn geworfen. Er verstarb wenige Tage später an den Folgen des Angriffs.1714 In Friedrichshafen im Bodenseekreis (Baden-Württemberg) wurde am 16. Juni der Angolaner Agostinho Comboio (34 Jahre) von einem Rassisten Mario R. (19 Jahre) verprügelt und erstochen.1715 1709 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1710 Hirsch/Heim, S. 132 und S. 141f; Jochen Arntz, S. 248; die tageszeitung, 26.08.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1711 Hirsch/Heim, S. 138. 1712 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; die tageszeitung, 17.03.1992. 1713 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1714 Hirsch/Heim, S. 145.

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Juli In Gelnhausen im Main-Kinzig-Kreis (Hessen) wurde am 7. Juli ein Sinto von Rassisten erschossen.1716 August In Berlin-Neukölln (West) wurde ein Jugoslawe durch einen Sprengsatz getötet, den er vor einem vorwiegend von Ausländern besuchten Freizeitheim gefunden hatte.1717 September In Saarlouis (Saarland) wurde am 19. September bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer der Ghanaer Samuel Kofi Yeboah (27 Jahre) getötet.1718 In München (Bayern) wurde am 29. September ein Rumäne von 10 Neo-Nazis überfallen und so brutal misshandelt, dass er am 10. Dezember 1991 verstarb.1719 November In Berlin-Charlottenburg (West) wurde am 26./27. Oktober Mete Eksi (19 Jahre) von einem vorbestraften Rassisten (23 Jahre) mit einem Baseball-Schläger so schwer verletzt, dass er am 12. November an seinen Verletzungen verstarb. Das Kriminalgericht negierte 1994 bei der Verhandlung über den Täter eine rassistische Dimension der Tat.1720 Dezember In Hohenselchow-Groß Pinnow im Landkreis Uckermark (Brandenburg) wurde am 3. Dezember Gerd Himmstädt (30 Jahre) von sieben Neo-Nazis aus seinem PKW gezogen und mit einem Baseball-Schläger erschlagen. Er verstarb drei Tage nach dem Überfall an seinen Verletzungen. Der Hauptangeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt. Die anderen Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und vier Monaten.1721

1715 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1716 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1717 Jochen Arntz, S. 249. 1718 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1719 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm; www.boamuenchen.org./boa-kuenstlerkooperative/anmerk1a.htm. 1720 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm; die tageszeitung, 15.11.1991, 22.01.1994 1721 http://free.pages.at/redkw/diverses/chronik/1991_1992gesamt.htm; die tageszeitung, 23.04.1992, 28.10.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf; Jochen Arntz, S. 255.

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In Schipkau-Meuro im Landkreis Oberspreewald-Lausitz (Brandenburg) wurde am 14. Dezember Timo Kählke (27 Jahre) von vier mit einer Maschinenpistole und Gewehren bewaffneten Mitgliedern (20 bis 29 Jahre) der neo-nazistischen „WerwolfJagdeinheit“ Senftenberg erschossen. Die Täter wollten in Welzow ein Spielcasino überfallen und sie stoppten auf der Straße das nächste Auto in dem Timo Kählke saß. Als der sich weigerte auszusteigen, wurde ihm von einem der Täter (18 Jahre) in den Kopf geschossen. Später wurde seine Leiche mit seinem Auto in einem Waldstück verbrannt. Die vier Täter waren bereits im Oktober 1992 verhaftet worden. Man fand bei ihnen ca. 150 Handgranaten, Maschinenpistolen und Kampfausrüstungen.1722

1992 Januar In Augsburg (Bayern) wurde am 5. Januar ein Nigerianer vor einer Diskothek getötet.1723 In Gransee im Landkreis Oberhavel (Brandenburg) wurde am 5. Januar ein Jugendlicher (18 Jahre) nach dem Besuch einer Diskothek von ca. 15 Neo-Nazis tot geschlagen. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1724 In Hannover (NDS) wurde am 11. Januar ein Ausländer von einem Soldaten der Bundeswehr so misshandelt, dass er verstarb.1725 In Lampertheim im Landkreis Bergstraße (Hessen) wurde am 31. Januar bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer eine dreiköpfige Familie aus Sri Lanka getötet. Wegen fahrlässiger Brandstiftung waren drei Rassisten verhaftet worden. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1726 März In Reilingen im Rhein-Neckar-Kreis (BW) wurde am 6. März ein Türke von NeoNazis getötet.1727 In Saal im Landkreis Vorpommern-Rügen (MVP) wurde am 14. März ein Wohnheim für Ausländer von ca. 40 Rassisten überfallen. Dragomir Christinel (18 Jahre) aus Rumänien wurde dabei mit Baseball-Schlägern verprügelt und tödlich am Hals und 1722 die tageszeitung, 11.01.1994, 22.01.1994. 1723 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1724 www.rolfschwarz.com/skinheads/chronik/pdf; die tageszeitung, 10.02.1993. 1725 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm 1726 die tageszeitung, 10.02.1993. 1727 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm.

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an der Schläfe getroffen. Er verstarb kurz danach an einer Gehirnblutung. Drei Täter kamen in Untersuchungshaft. Die Tat wurde als Racheakt für eine am Vortag vorangegangene Schlägerei zwischen Deutschen und Rumänen eingeordnet. Die rassistische Dimension der Tat wurde negiert.1728 In Buxtehude im Landkreis Stade (NDS) wurde am 18. März der Seemann Gustav Schneeclaus (58 Jahre) von zwei Rassisten auf dem Busbahnhof so schwer misshandelt, dass er an den Folgen seiner Verletzungen verstarb.1729 In Flensburg (Schleswig-Holstein) wurde am 19. März der obdachlose Ingo Finnern (31 Jahre), nachdem er sich als Sinto zu erkennen gegeben hatte, von einem Rassisten im Hafen ertränkt.1730 April In Hörstel im Kreis Steinfurt (NRW) wurde am 4. April Erich Bosse bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer getötet.1731 In Berlin-Marzahn (Ost) wurde am 24. April Nguyen Van Tu (24 Jahre) aus Vietnam auf offener Straße vor einem Einkaufszentrum von einem Neo-Nazi (21 Jahre) mit einem Messer erstochen. Umstehende Passanten sahen tatenlos zu.1732 In Werder im Landkreis Potsdam-Mittelmark (Brandenburg) wurde am 25. April Peter K. auf einem Fest von einem Mitglied der neo-nazistischen Gruppe „Wannseefront“ totgeschlagen. Mai In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) wurde am 9. Mai ein Gartenlokal von ca. 60 NeoNazis überfallen. Der Punk Thorsten Lamprecht (23 Jahre) starb zwei Tage später an den Folgen einer Schädelfraktur. Ende Februar 1995 wurde Frank F. (23 Jahre) aus Wolfsburg, er war einer der Täter, vom Landgericht Magdeburg wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall und Beteiligung an einer Schlägerei zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl mehrere

1728 die tageszeitung, 24.03.1993, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1729 www.rolfschwarz.com/skinheads/chronik/pdf; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; die tageszeitung, 22.03.1993. 1730 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf 1731 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1732 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf

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Zeugen ausgesagt hatten, dass er mit einem Baseball-Schläger das Opfer auf den Kopf geschlagen hatte, blieb das Gericht bei seiner Auffassung.1733 Juli In Neuruppin im Rosengarten im Landkreis Ostprignitz-Ruppin (Brandenburg) wurde am 1. Juli der obdachlose Emil Wendtland (50 Jahre) von drei Skinheads geschlagen und anschließend erstochen.1734 Im Kreis Pasewalk (MVP) wurden am 5. Juli zwei Rumänen von zwei Jägern „irrtümlich“ erschossen. Die Staatsanwaltschaft Stralsund erließ Haftbefehle wegen fahrlässiger Tötung.1735 In Kemnat-Ostfildern im Landkreis Esslingen (Baden-Württemberg) wurde am 8. Juli der Kosovare Sadri Berisha (55 Jahre) bei einem Überfall auf seine Unterkunft von sieben Rassisten verprügelt und mit einem Baseball-Schläger getötet.1736 August In Bad Breisig im Kreis Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) wurde am 1. August der obdachlose Klaus Dieter Klein (49 Jahre) von zwei Skinheads (17 Jahre) zusammengetreten und mit einem Kampfmesser getötet. Wegen gemeinschaftlichen Mordes wurden sie vom Landgericht Koblenz zu acht Jahren und drei Monaten beziehungsweise zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafen verurteilt. Die offizielle Statistik negiert das rassistische Motiv der Täter.1737 In Erfurt-Stotternheim (Thüringen) wurde am 3. August der polnische Saisonarbeiter Ireneusz Syderski (24 Jahre) von drei Rassisten so schwer verprügelt und an Kopf und Rücken verletzt, dass er an seinen Verletzungen verstarb. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1738 In Koblenz (Rheinland-Pfalz) wurde am 24. August der obdachlose Frank Bönisch (35 Jahre) von einem Skinhead (23 Jahre) erschossen. Der Täter schoss die gesamte Munition seines Revolvers auf eine Gruppe von Punks, Obdachlosen und Drogenab1733 die tageszeitung, 26.08.1992, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1734 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf 1735 die tageszeitung, 07.07.1992. 1736 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf 1737 die tageszeitung, 31.12.1992, 10.02.1993, 02.03.1993, 03.06.1993, 01.07.1993; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1738 die tageszeitung, 10.02.1993, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf

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hängigen, die sich auf dem Zentralplatz befanden. Er wurde wegen Mordes und wegen siebenfacher Mordversuche zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die offizielle Statistik negiert die rassistischen Motive des Täters.1739 In Berlin-Charlottenburg (West) wurden am 29. August der obdachlose Günter Schwannicke (58 Jahre) und ein weiterer Obdachloser von zwei Skinheads mit einem Baseball-Schläger zusammengeschlagen. Am 5. September verstarb er an einem Schädelbruch. Die offizielle Statistik negiert die rassistischen Motive der Täter.1740 Vom Landgericht wurde der Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.1741 Oktober In Elsterheide-Geierswalde im Landkreis Bautzen (Sachsen) wurde am 11. Oktober eine Diskothek von „Sieg-Heil“ brüllenden Neo-Nazis überfallen. Dabei wurde die Aushilfskellnerin Waltraud Scheffler so schwer verletzt, daß sie am 23. Oktober an den Folgen verstarb. Der Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1742 In Frankfurt/O. (Brandenburg) wurde am 23. Oktober ein Mann aus Nigeria von Mike D. erstochen. Er wurde deswegen zu sieben Jahre Jugendhaft verurteilt. In Berlin (West) wurde am 19. Oktober ein Peruaner (37 Jahre) von mehreren Rassisten zusammengeschlagen und erstochen.1743 November In Lehnin am Kölpinsee im Kreis Brandenburg (Brandenburg) wurde am 7. November der obdachlose Rolf Schulze (52 Jahre) von drei Rassisten ermordet. Sie schlugen ihn und tauchten ihn mehrmals in den Kölpinsee. Die Leiche übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Das Bezirksgericht Potsdam die Täter zu Freiheitsstrafen von sieben Jahren und neun Jahren wegen gemeinschaftlichen Mordes.1744

1739 die tageszeitung, 10.02.1993, 31.12.1992; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1740 die tageszeitung, 10.02.1993, 31.12.1992, 27.01.2012; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf 1741 die tageszeitung, 24.02.1993. 1742 die tageszeitung, 28.12.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf 1743 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1744 die tageszeitung, 02,07.1993, 09.07.1993; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf

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In Wülfrath im Kreis Mettmann (NRW) wurde 21. November der Rentner Alfred Salomon (92 Jahre) getötet. Er hatte als junger Mann den Nazi-Terror überlebt und lebte in einem Altenpflegeheim. Dort wurde der Überlebende des Holocaust immer wieder von Heiminsassen als „Saujud“ beschimpft und systematisch ausgegrenzt worden. Mit einem ehemaligen Obersturmführer der NS-Organisation Todt hatte er eine Auseinandersetzung, weil der ihn anti-semitisch angegriffen und mehrmals auf ihn eingeschlagen hatte. A. Salomon verstarb dadurch an einem Herzinfarkt.1745 Das Bundesministerium der Verteidigung bestätigte am 11. November, dass in 24 Fällen Soldaten der Bundeswehr an „rechtsradikalen Umtrieben“ beteiligt waren. Darunter befanden sich drei Tötungsdelikte in Flensburg, Magdeburg und Hannover.1746 In Wuppertal (NRW) wurde am 13. November Karl-Heinz Rohn (53 Jahre) in einer Gaststätte von zwei Rassisten getötet. Seine Leiche wurde im Kofferraum eines Autos im niederländischen Venlo gefunden. Die Täter betrachten das Opfer als „Jude“.1747 In Königs Wusterhausen im Landkreis Dahme-Spreewald (Brandenburg) wurden zwei Anti-Faschisten tot in der Nähe der S-Bahn gefunden. Drohbriefe von Neo-Nazis waren den Morden vorausgegangen.1748 In Berlin-Friedrichshain (Ost) wurde am 21. November Silvio Meier (27 Jahre) beim U-Bahnhof Samariterstraße von einem Hooligan erstochen. Zwei seiner Begleiter wurden durch Messerstiche schwer verletzt.1749 In Mölln im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) wurde am 23. November Yeliz Arslan (10 Jahre) durch einen, von Rassisten verübten, Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1750 In Mölln im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) verübten Rassisten am 23. November einen Brandaschlag auf ein Wohnhaus. Dadurch wurde Ayse Yilmaz (14 Jahre) getötet.1751

1745 www.mut-gegen-rechte-gewalt.de 1746 die tageszeitung, 16.11.1992. 1747 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1748 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1749 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1750 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1751 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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In Mölln im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) verübten Rassisten am 23. November einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus. Dadurch wurde Bahide Arslan (51 Jahre) getötet.1752 Dezember In Siegen-Weidenau (NRW) wurde am 15. Dezember der sehbehinderte Lagerarbeiter Bruno Kappi von zwei Rassisten (17 und 21 Jahre) durch Fußtritte getötet. Einer der beiden Täter hatten Wochen zuvor in Hennef (NRW) einen Mann aus Sri Lanka zusammengeschlagen und er wurde auf eine vielbefahrene Straße gelegt. Die vorbestraften Täter wurden vom Landgericht Siegen „wegen mangelnder Beweise“ freigesprochen. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1753 In Oranienburg im Landkreis Oberhavel (Brandenburg) wurde am 18. Dezember der Baumaschinist Hans-Jochen Lommatsch (51 Jahre) von zwei Skinheads angegriffen und mit Fußtritten und Faustschlägen getötet.1754 Bei Meerbusch im Rhein-Kreis Neuss (NRW) auf der Autobahn 57 wurde am 27. Dezember Sahin Calisir (20 Jahre) von einem Neo-Nazi mit dem Auto verfolgt und gerammt. Als er aus Angst aus seinem Auto fliehen wollte, wurde er von einem vorbeifahrenden Auto erfasst und getötet.1755 In Jänschwalde im Landkreis Spree-Neiße (Brandenburg) starb am 6. Dezember ein Arbeiter aus Kroatien an den Folgen eines Brandanschlages.1756

1993 Januar In Wetzlar im Lahn-Dill-Kreis (Hessen) wurde am 7. Januar ein Obdachloser von einem Rassisten zu Tode getreten.1757 In Arnstadt im Ilm-Kreis (Thüringen) wurde am 18. Januar der städtische Parkwächter Karl Sidon (46 Jahre) auf offener Straße von zwei Skinheads (14 und 16 Jahre) angegriffen. Sie ließen den Mann auf einer verkehrsreichen Straße liegen, wo er von

1752 die tageszeitung, 31.12.1992; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1753 die tageszeitung, 26.01.1994, 12.02.1994. 1754 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1755 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1756 die tageszeitung, 10.02.1993. 1757 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/.

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einem Auto überfahren wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts auf Totschlag.1758 In Staßfurt im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wurde am 22. Januar, kurz nach Mitternacht, auf dem Hof des Polizeireviers ein Rumäne (21 Jahre) von einem Polizisten (53 Jahre) von hinten erschossen. Gegen den inzwischen vom Dienst suspendierten Beamten wurde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Die Tötung wurde mehr als zwei Wochen von den zuständigen Behörden der Öffentlichkeit gegenüber verschwiegen. Ein Tag zuvor war in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) ein junger Mann ebenfalls von hinten von einem Polizisten erschossen worden. Der Staßfurter Polizist wurde im Februar 1994 von einem Schöffengericht am Amtsgericht Staßfurt wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 13.500 DM verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Betrag von 7.500 DM gefordert.1759 In Schlotheim im Unstrut-Hainich-Kreis (Thüringen) wurde am 24. Januar der Punk Mario Jödecke (23 Jahre) vor einer Pizzeria von einem Neo-Nazi mit einem Stich ins Herz getötet.1760 In Arnstadt-Angelhausen im Ilm-Kreis (Thüringen) wurde ein Heim für Obdachlose abgebrannt und zwei Personen wurden getötet. Ein Schwerverletzter schwebte noch in Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft teilte einen Tag nach dem Brand mit, dass sich der Verdacht auf Brandstiftung nicht bestätigt hätte.1761 In Freiburg i. Brsg. (BW) wurde die Anti-Faschistin Kerstin Winter durch eine NeoNazi-Paketbombe getötet.1762 Februar In Suhl (Thüringen) wurde am 3. Februar Olaf H., Anti-Faschist und Mitglied der SDAJ, in seiner Wohnung erhängt aufgefunden. Wegen häufiger Drohbrief von NeoNazis wurde der Selbstmord von seinen Freunden bezweifelt.1763 In Hoyerswerda im Landkreis Bautzen (Sachsen) wurde in der Nacht zum 19. Februar, bei einem Überfall von mehreren Skinheads, Mike Zerna (22 Jahre) zusammen-

1758 die tageszeitung, 19.01.1993; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1759 Süddeutsche Zeitung, 10.02.1993; die tageszeitung, 10.02.1993, 12.02.1993, 26.01.1994, 17.02.1994. 1760 die tageszeitung, 13.02.1993; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1761 die tageszeitung, 25.01.1993. 1762 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1763 die tageszeitung, 13.02.1993.

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geschlagen. Danach kippten die Angreifer ein Auto auf den am Boden liegenden Mike Zerna, der sechs Tage später an seinen Verletzungen verstarb.1764 An der Bahnstrecke zwischen Fürstenwalde und Erkner bei Hangelsberg (Brandenburg) wurde am 22. Februar die Leiche von Mabiala Mavinga aus Zaire gefunden.1765 März In Mülheim/Ruhr (NRW) wurde am 9. März der Türke Mustafa Demiral (56 Jahre) von zwei organisierten Rassisten überfallen und mit einer Schreckschuss-Pistole bedroht, die ihm einer der Angreifer an den Kopf hielt. Der herzkranke Türke erlitt daraufhin einen Herzinfarkt und verstarb an den Folgen.1766 In Uelzen (Niedersachsen) wurde am 12. März der Skinhead Hans-Peter Zarse (18 Jahre) von einem Begleiter getötet. Die Beiden waren mit einem Motorrad unterwegs, als ihr Gefährt versagt. Daraufhin gerieten sie in Streit, in dessen Verlauf ihn sein Begleiter mit einem Messerstich tötete.1767 April In Obhausen im Saalekreis (Sachsen-Anhalt) wurden am 24. April, bei einem Überfall auf eine Diskothek durch ca. 50 vermummte und mit Baseball-Schlägern bewaffneten Skinheads vier Personen verletzt und Mathias Lüders (23 Jahre) wurde durch einen Schädelbasisbruch schwer verletzt und er verstarb zwei Tage später an seinen Verletzungen. Gegen einen mutmaßlichen Täter war ein Haftbefehl erlassen worden. Von 15 namentlich bekannten Tatverdächtigen waren zuerst sechs Skinheads in Untersuchungshaft. Vier davon wurden im Mai vor dem Landgericht Halle angeklagt. Sie bestritten die Tat – sie wären nur als „Mitläufer“ dabei gewesen. Ein Angeklagter wurde zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.1768 In Sondershausen im Kyffhäuserkreis (Thüringen) wurde am 29. April Sandro Beyer (15 Jahre) von drei Gymnasiasten und Mitgliedern einer neo-nazistischen Black-Metal-Band „Absurd“ ermordet. Am 9. Februar 1994 wurden zwei als Haupttäter identifizierte Angeklagte vom Landgericht Mühlhausen zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Der dritte Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von sechs Jahre und bereits 1998 unter Bewährungsauflagen wieder entlassen. Einer der Täter kam 2001 erneut ins Ge1764 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1765 die tageszeitung, 02.03.1993. 1766 die tageszeitung, 23.07.1993; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1767 http://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland. 1768 die tageszeitung, 28.04.1993, 21.05.1997; Der Tagesspiegel, 10.05.2012; http://www.opferrechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; http://www.aufklaerungsgruppe-krokodil.de/Diplomar.pdf; http://de.wikipedia.org/wiki/Mordfall_von_Sondershausen.

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fängnis wegen Verhöhnung seines Opfers und weil er in Eisenach bei einem BlackMetal-Konzert auf die Bühne klomm und den Hitler-Gruß zeigte.1769 Mai In Berlin wurde am 1. Mai der Leichnam des Äthiopiers Yilma Wondwossen B. (31 Jahre) gefunden. Es wurde gemutmaßt er könnte sich selbst getötet haben, jedoch zeigten die Ergebnisse der Obduktion in eine andere Richtung, weil große Blutergüsse und andere Indizien auf äußere Gewaltanwendung schließen lassen.1770 In Bad Belzig (Brandenburg) wurde am 8. Mai 1993 der in Marokko geborene Belaid Baylal von zwei Rassisten in einer Gaststätte angegriffen und er musste wegen seiner Verletzungen im Dünndarmbereich in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Er überlebte, hatte jedoch als Folge des Überfalls immer wieder Darmverschlüsse, die operativ entfernt werden mussten. Er verstarb am 4. November 2000 infolge der Spätfolgen. Seit 2004 erinnert ein Gedenkstein in Belzig an seinen Tod.1771 In Coburg (Bayern) wurde am 20. Mai bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus ein Mensch getötet.1772 In Göttingen (NDS) wurde am 21. Mai ein Mann (20 Jahre) von einem Rassisten schwer verletzt und verstarb kurze Zeit darauf.1773 In Waldeck (Brandenburg) wurde am 26. Mai der deutsch-ägyptische Schauspieler Jeff Dominiak von einem Rassisten (17 Jahre) mit einem gestohlen Auto überfahren und getötet. Der Täter wurde im November 1993 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.1774 In Solingen (NRW) wurde am 29. Mai Gürcün Ince durch einen rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1775 In Solingen (NRW) wurde am 29. Mai Hatice Genc durch einen rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1776 In Solingen (NRW) wurde am 29. Mai Hülya Genc durch einen rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1777 1769 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1770 die tageszeitung, 10.08.1993. 1771 http://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland. 1772 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1773 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1774 http://www.trend.infopartisan.net/trd1000/t041000.htm. 1775 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1776 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1777 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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In Solingen (NRW) wurde am 29. Mai Saime Genc durch einen rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1778 In Solingen (NRW) wurde am 29. Mai Gülüstan Öztürk durch einen rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus getötet.1779 Juni In Fürstenwalde (Brandenburg) wurde am 5. Juni der obdachlose Horst Hennersdorf (37 Jahre) von zwei Skinheads zu Tode gequält. Mehrere Zeugen beobachteten den Mord, griffen aber nicht ein.1780 In Dülmen im Kreis Coesfeld (NRW) wurde am 17. Juni der Kurde Abdi Atalan (41 Jahre) von zwei deutschen Rassisten (20 Jahre) erschossen.1781 In Berlin-Tempelhof (West) wurde am 20. Juni Hung Va Quang (26 Jahre) mit Kopfschüssen auf offener Straße getötet.1782 In Dresden (Sachsen) wurde bei einem Brand in einem Wohnheim für Ausländer am 10. Juni ein Mosambikaner getötet. Bei den Ermittlungen wurde ein Brandanschlag ausgeschlossen.1783 In Mühlhausen (Thüringen) wurde am 28. Juni ein Rumäne (26 Jahre) von einem Deutschen (40 Jahre) getötet.1784 In Siegburg (NRW) wurde ein Brandanschlag auf ein Obdachlosen- bzw. Wohnheim für Ausländer in Brand gesetzt. Dabei wurden sechs Personen (10 bis 55 Jahre) getötet und sieben weitere Heimbewohner wurden verletzt. Ein Kind (12 Jahre) wurde vermisst. Auf der Haustüre war ein Hakenkreuz aufgemalt, dass angeblich schon länger dort angebracht worden sei.1785 Juli In Marl (NRW) wurde am 16. Juli ein unbekannter Obdachloser (33 Jahre) von einem einschlägig vorbestraften Rassisten (18 Jahre) als „Judensau“ angegriffen und mit

1778 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1779 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1780 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1781 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm 1782 die tageszeitung, 21.06.1993. 1783 die tageszeitung, 12.06.1993. 1784 die tageszeitung, 30.06.1993. 1785 die tageszeitung, 16.06.1993.

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Faustschlägen und Fußtritten bewusstlos geschlagen. Das Opfer starb drei Monate später, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben.1786 In Uelzen (Niedersachsen) wurde am 22. Juli ein Schüler (16 Jahre) aus Lüneburg von einem Skinhead (17 Jahre) niedergeschlagen und anschließend angezündet. Auf Grund der schweren Verbrennung verstarb das Opfer am 1. August in einer hannoveranischen Spezialklinik. Der Täter hatte danach in Uelzen eine Unterkunft für Ausländer mit einem Brandsatz angegriffen.1787 In Strausberg (Brandenburg) wurde am 28. Juli der erwerbslose Hans-Georg Jakobson (35 Jahre) in einer S-Bahn geschlagen und getreten und anschließend aus der fahrenden S-Bahn geworfen und dabei getötet.1788 August In Delitzsch (Sachsen) starb in einem Wohnheim ein Flüchtling aus Afghanistan ohne erfindlichen Grund. Daraufhin flohen 40 Mitbewohner in das Bundesland Hessen. September In Werneuchen bei Bernau (Brandenburg) wurde am 19. September Horst T. (51 Jahre) von fünf Neo-Nazis zusammengeschlagen, in Brand gesetzt und in den OderHavel-Kanal geworfen.1789 Oktober In Bad Wildungen im Landkreis Waldeck-Frankenberg (Hessen) wurden am 5. Oktober bei einem Brandanschlag ein Mann aus Sri Lanka, seine deutsche Frau und ihre beiden Kinder getötet.1790 In Düsseldorf (NRW) wurde am 10. Oktober ein obdachloser Türke durch Messerstiche getötet.1791

1786 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1787 die tageszeitung, 18.08.1993. 1788 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1789 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1790 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1791 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm.

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Dezember In einem Eilzug von Hamburg nach Buchholz (Niedersachsen) wurde am 7. Dezember Kolong Jamba alias Bakary Singateh (19 Jahre) von einem Rassisten (54 Jahre) mit einem Messerstich in den Bauch getötet.1792 In Kaltenkirchen (Schleswig-Holstein) wurde am 25. Dezember bei einem Brandanschlag ein Türke getötet.1793

1994 Januar In Köln-Humboldt-Gremberg (NRW) wurde am 26. Januar ein Brandanschlag auf eine bosnische Roma-Familie verübt. In der Folge dieses Angriffs verstarben am 7. Februar 1995 Raina Jovanovic (61 Jahre) und am 12. März ihre Tochter Jasminka (11 Jahre).1794 Februar Auf einem deutschen Frachtschiff wurde am 1. Februar ein Zairer entdeckt, der als „blinder Passagier“ gereist war. Er wurde von der Mannschaft über Bord geworfen und ertrank.1795 In Darmstadt (Hessen) wurde am 18. Februar der Unternehmer Ali Bayram (50 Jahre) von seinem neo-nazistischen Nachbarn erschossen. Seine Tochter wurde verletzt. Der Täter gab an, die Bayrams wären zu laut gewesen.1796 In Berlin-Kreuzberg (West) wurde Horst Scharlach (60 Jahre) in einer Grünanlage tot aufgefunden. Sein Leichnam wies mehrere Stichverletzungen im Brust- und Kopfbereich auf. Die offizielle Statistik negiert die mögliche rassistische Motivation der oder des Täter(s).1797

1792 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1793 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1794 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1795 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1796 http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremerund-rassistischer-gewalt-seit-1990/ 1797 die tageszeitung, 04.02.1994.

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In Berlin-Weißensee (Ost) wurde der „Stadtstreicher“ Wolfgang O. (46 Jahre) mit einem Ziegelstein getötet. Zwei Rassisten (15 und 16 Jahre) haben den Mord gestanden. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1798 März In Stuttgart (BW) wurde am 16. März auf ein Wohnhaus in der Geißstraße durch einen Rassisten (25 Jahre) aus Esslingen ein Brandanschlag verübt, bei dem sieben Menschen getötet wurden. Es war eine Deutsche (24 Jahre) und ihre Tochter (2 Jahre), ein Türkin (27 Jahre) und ihrer Tochter (vier Jahre) sowie eine Ehepaar aus Kroatien (55 und 60 Jahre). Das siebte Opfer, eine Frau, konnte nicht identifiziert werden. 16 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Täter wurde festgenommen und er gab an, aus „Ausländerhass“ gehandelt zu haben. Ihm wurden insgesamt 17 Brandanschläge zur Last gelegt, jedoch wurde eine politische Dimension der Tat negiert, da der Täter ohne organisatorischen Zusammenhang wäre.1799 April In Göttingen (NDS) wurde bei einem Brandanschlag eine Türkin getötet.1800 Mai In Quedlinburg (SAH) wurden am 5. Mai der obdachlose Eberhart Tennstedt (43) und ein weiterer Obdachloser von drei Rassisten geschlagen und mit Schüssen aus einer Gaspistole in einen Fluss getrieben. Der Begleiter von Tennstedt konnte sich retten, Tennstedt ertrank.1801 In Leipzig (Sachsen) wurde am 28. Mai Klaus R. (43 Jahre) von einem Skinhead zu Tode geprügelt, weil der gebeten hatte, die Musik leiser zu stellen. Der Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren.1802 Juni In Berlin-Reinickendorf (West) wurde am 23. Juni die Prostituierte Beate Fischer (32 Jahre) von vier Skinheads vergewaltigt, misshandelt und anschließend ermordet. Ihr Leichnam wurde auf dem Hinterhof neben den Mülltonnen aufgefunden. Das Landgericht verhängte im April 1995 für einen Täter (22 Jahre) eine lebenslange Freiheits1798 die tageszeitung, 04.02.1994. 1799 die tageszeitung, 17.03.1994, 18.07.1995, 19.07.1995; http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1800 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1801 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1802 die tageszeitung, 28.12.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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strafe und zwei andere Täter erhielten jeweils 10 Jahre Freiheitsstrafe. Der vierte Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von neun Jahren.1803 In Bochum (NRW) wurde am 22. Juni ein Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer verübt und dabei erstickte Mohamed Badaoui (9 Jahre).1804 Juli In Berlin wurde am 26. Juli der polnische Bauarbeiter Jan W. (45 Jahre) von mehreren Rassisten in die Spree getrieben und gewaltsam daran gehindert ans Ufer zurückzuschwimmen. Er ertrank.1805 August In Velten (Brandenburg) wurde am 6. August Gunter Marx (42 Jahre) von vier zum Teil einschlägig Vorbestraften mit einem Schraubenschlüssel erschlagen. Das Landgericht Neuruppin verurteilte die vier Täter zu Freiheitsstrafen von 10 Jahren, zu sechs Jahren, zu vier Jahren und sechs Monaten und zu zweieinhalb Jahren.1806 In Berlin hatten am 27. August drei Rassisten (18 bis 20 Jahre) einen Obdachlosen (43 Jahre) mit Knüppeln und Messerstichen gequält und schließlich ermordet. Danach hatte sie ihrem Opfer Hakenkreuze in den Rücken geritzt. Die offizielle Statistik negiert die rassistische Motivation der Täter.1807 September In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) starb am 27. September der Algerier Farid Boukhit (30 Jahre) an den Folgen der Verletzungen, die er sich bei einem Angriff von NeoNazis am 12. Mai 1994 zugezogen hatte.1808 In Herford (NRW) wurden Wohncontainer für Ausländer mit zwei 20-Liter großen Kanistern angegriffen und dabei wurde Bukurjie Haliti (23 Jahre) und ihr Bruder Navgim Haliti (11 Jahre) getötet. In der Vergangenheit gab es bereits öfters Angriffe mit Brandsätzen, so z. B. 1992 als durch einen Brand eine Frau erhebliche Verletzungen erlitt. Dieser Angriff wurde nicht aufgeklärt. Rassisten griffen das völlig abseits

1803 die tageszeitung, 13.04.1995, 27.04.1995; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1804 http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1805 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1806 die tageszeitung, 20.05.1995; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1807 die tageszeitung, 02.03.1995. 1808 die tageszeitung, 26.08.1994.

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gelegene Containerlager immer wieder an, warfen Steine auf die Gebäude oder skandierten rassistische Parolen.1809 November In Rotenburg/Fulda im Landkreis Hersfeld-Rotenburg (Hessen) wurde am 6. November Piotr Kania (18 Jahre) aus Polen von einem neo-nazistischen Soldaten der Bundeswehr auf dem Bahnhofsvorplatz mit einem Messerstich ins Herz ermordet. Der Täter wurde nicht festgenommen. Eine Mahnwache von Piotrs Freunden wurde von der Polizei aufgelöst, Blumen und Kerzen wurden zertreten. Eine Trauerdemonstration wurde von Polizisten in Kampfanzügen eingezäunt und für kurze Zeit gestoppt. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1810 In Zittau (Sachsen) wurde am 20. November Michael Gäbler (18 Jahre) von einem Skinhead (17 Jahre) erstochen.1811

1995 Januar In Zell (BW) wurde am 4. Januar ein Wohnheim für Ausländer in Brand gesetzt und dabei starben zwei kosova-albanische Mädchen (2 bis 4 Jahre). Die Mutter wurde mit einem Schock und mit Brandverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden. Eine politische Dimension wurde negiert.1812 In Mellendorf bei Hannover wurden am 8. Januar bei einem Brandanschlag auf einen Wohncontainer eine Serbin und ihre drei Kinder getötet.1813 In Riesa im Landkreis Meißen (Sachsen) wurde ein Paar von sechs Skinheads angegriffen und durch Notwehr wurde einer der Angreifer getötet.1814 Februar In Velbert (NRW) im Stadtpark wurde am 5. Februar Horst Pulter (65 Jahre) von sieben Rassisten (16 bis 24 Jahre) überfallen. Sie beschimpfen ihn als „Juden“. Einer der 1809 die tageszeitung, 29.09.1994. 1810 die tageszeitung, 21.11.1994; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1811 die tageszeitung, 21.11.1994; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1812 die tageszeitung, 05.01.1995; http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ssueberfae.htm. 1813 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1814 die tageszeitung, 10.01.1995.

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Täter stach ihm mit einem Messer in die Lunge, woran Pulter verstarb. Die Täter gaben an, sie wollten „Penner klatschen“. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1815 Mai In Hohenstein-Ernstthal im Landkreis Zwickau am Stausee Oberwald (Sachsen) wurde am 28. Mai u. a. der Bundeswehrsoldat Peter T. (24 Jahre) von ca. 10 Skinheads (21 bis 24 Jahre) angegriffen und er verstarb neun Tage später an den Folgen dieser Tat. Das Opfer war angegriffenen Pakistani zu Hilfe gekommen. Anscheinend wurde die Polizei erst nach dem Tod von Peter T. von dem Angriff informiert. Der Haupttäter erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Die anderen Angreifer erhielten Freiheitsstrafen auf Bewährung. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1816 Juni In Bochum (NRW) wurde am 22. Juni ein Haus mit Brandsätzen angegriffen und dabei starb Eisam Chandin (9 Jahre).1817 Juli In Altena im Märkischen Kreis (NRW) wurde am 16. Juli Dagmar Kohlmann (25 Jahre) vom Neo-Nazi Thomas Lemke (27 Jahre) vergewaltigt und mit einem Klappspaten getötet. Ihr Leichnam lag acht Monate in einem Wald vergraben, ohne dass sie jemand als vermisst gemeldet hätte. Der Täter hatte seine Freundin in den Mord verwickelt, um sich vor belastenden Aussagen zu schützen.1818 August In Ulm (BW) wurde am 29. August ein Wohnhaus mit Brandsätzen angegriffen und dabei wurden zwei Männer, aus dem Tschad und aus Ghana, getötet.1819 September In Amberg (Bayern) wurde am 7. September der homosexuelle Busfahrer Klaus-Peter Beer von zwei Rassisten (19 und 22 Jahre) zusammengeschlagen und danach in den 1815 die tageszeitung, 17.02.1995. 1816 die tageszeitung, 07.06.1995; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1817 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1818 die tageszeitung, 22.03.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1819 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm.

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nahe gelegen Fluss Vils geworfen, wo er ertrank. Die Täter erhielten Freiheitsstrafen von 12 und acht Jahren.1820 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde 5. September ein Wohnhaus das von türkischen Familien bewohnt wurde durch Brandsätze angegriffen. Dabei wurden zwei Menschen getötet.1821 Oktober In Duisburg (NRW) wurde ein Afrikaner von Thomas Lemke (27 Jahre) getötet. Anschließend warf er die Leiche in den Rhein.1822 In Emmerich (NRW) wurde vor einer Diskothek ein Afrikaner hinterrücks erstochen.1823 In Karlsruhe (BW) wurden am 15. Oktober in der Markgrafenstraße bei einem Brand in einem von türkischen Familien bewohnten Haus, zwei Männer und eine Frau getötet.1824 Dezember In Bergkamen im Kreis Unna (NRW) wurde am 24. Dezember ein Wohnheim für Ausländer mit Brandsätzen angegriffen und dabei starben drei Kinder.1825

1996 Januar In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Maiamba Bunga (27 Jahre) getötet.1826 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Nsuzana Bunga (7 Jahre) durch einen rassistischen Brandanschlag getötet.1827 1820 die tageszeitung, 22.02.1997; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1821 die tageszeitung, 06.09.1995. 1822 die tageszeitung, 22.03.1996. 1823 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm 1824 die tageszeitung, 17.10.1996, 12.11.1996. 1825 http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm 1826 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Francoise Makodila (32 Jahre) getötet.1828 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Miya Makodila (14 Jahre) getötet.1829 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Christelle Makodila (8 Jahre) durch einen rassistischen Brandanschlag getötet.1830 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Legrand Makodial (5 Jahre) getötet.1831 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Jean-Daniel Makodila (3 Jahre) getötet.1832 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Rabia El Omari (17 Jahre) getötet.1833 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar, durch einen rassistischen Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer, Sylvio Amoussou (27 Jahre) getötet.1834 In Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde am 18. Januar ein Brandanschlag auf ein Wohnhaus durchgeführt, bei dem 10 Menschen starben und 38 wurden zum Teil 1827 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1828 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1829 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1830 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1831 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1832 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1833 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1834 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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schwer verletzt. Die Täter konnten unerkannt entkommen. Nicht angeklagt wurden vier Rassisten aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen.1835 In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) wurde am 23. Januar ein Obdachloser von Rassisten angegriffen. Er starb am nächsten Tag an den Folgen seiner Kopfverletzung.1836 Februar In Bergisch-Gladbach (NRW) wurde am 3. Februar Patricia Wright (23 Jahre) von Thomas Lemke (27 Jahre) vergewaltigt und mit 91 Messerstichen getötet. Sie trug auf der Jacke einen Aufnäher: „Nazis raus“.1837 In Brandenburg wurde am 15. Februar der Punk Sven Beuter (23 Jahre) von einem Skinhead (21 Jahre) ermordet. Er hatte Beuter mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf so verletzt, dass er fünf Tage später im Krankenhaus verstarb. Der Täter wurde vom Landgericht Potsdam zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft negierte eine politische Motivation.1838 März In Dorsten-Rhade (NRW) wurde am 15. März Martin Kemming (26 Jahre) von seinem Freund Thomas Lemke (27 Jahre) mit zwei Schüssen aus einem Gewehr getötet, weil der aus der Neo-Nazi-Szene aussteigen wollte.1839 Mai In Leipzig-Wahren (Sachsen) wurde am 8. Mai Bernd G. (43 Jahre) nach einer Sauftour von drei Skinheads getötet. Die Täter versenkten den Leichnam im Ammelshainer See, wo sie eine Woche später gefunden worden war. Wegen Mordes erhielten die Täter bis zu 14 ½ Jahren Freiheitsstrafen.1840

1835 die tageszeitung, 23.11.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1836 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1837 die tageszeitung, 22.03.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1838 die tageszeitung, 08.11.1996, 12.11.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1839 die tageszeitung, 22.03.1996. 1840 die tageszeitung, 28.12.2000.

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Juni In Friedrichshafen (BW) wurde am 4. Juni bei einem Brandanschlag auf ein Wohnheim für Ausländer der Kurde Bektas Heval (26 Jahre) getötet. Insgesamt wurden 53 Menschen verletzt. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1841 Juli In Wolgast (MVP) wurde am 11. Juli Boris Morawek (26 Jahre) von zwei Skinheads (19 und 22 Jahre) mit Tritten und Schlägen traktiert. Das Opfer verstarb zwei Tage später an seinen schweren Verletzungen. Einer der Angreifer war im Oktober 1995 zu drei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden.1842 In Eppingen am Bahnhof im Landkreis Heilbronn (Baden-Württemberg) wurde am 19. Juli der Elektriker Werner Weickum (44 Jahre) von Rassisten ausgeraubt und mit Fußtritten getötet. Die Täter waren seit längerem als Gewalttäter bekannt.1843 August In Eisenhüttenstadt (Brandenburg) wurde am 1. August Andreas Götz (34 Jahre) von sechs Neo-Nazis überfallen, geschlagen und auf den Kopf getreten. Er starb an den Folgen seiner Verletzungen.1844 September In Menden-Lendrigsen im Sauerland (NRW) wurde ein Wohnheim für Ausländer mit einem Brandsatz angegriffen. Dabei verstarb eine Ukrainer (36 Jahre). Sechs weitere Personen wurden verletzt.1845 Oktober In Leipzig-Lindau (Sachsen) wurde am 23. Oktober der Syrer Achmed Bachir (30 Jahre) vor einem Gemüseladen von zwei Neo-Nazis durch einen Messerstich ins Herz getötet.1846

1841 die tageszeitung, 07.06.1997; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm; http://www.beepworld.de/members14/punkertimeii/liste-von-ss-ueberfae.htm. 1842 die tageszeitung, 24.07.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1843 die tageszeitung, 17.08.1996; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf; http://home.arcor.de/punkedd/nazimorde.htm. 1844 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1845 Antirassistische Initiative e. V (hrsgg.): Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen. Dokumentation 1993 bis 2002, Heft I, Berlin, o. J. 1846 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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November In Leipzig (Sachsen) wurde am 23. November Achmed Bachir von zwei Rassisten (18 und 20 Jahre) überfallen und mit einem Messerstich ins Herz getötet. Wegen Mordes erhielt der Haupttäter neuneinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1847

1997 Januar In Greifswald (MVP) wurde am 1. Januar ein obdachloser Mann (57 Jahre) von vier Neo-Nazis getötet.1848 In Caputh bei Potsdam (Brandenburg) wurde am 13. Februar der Italiener Antonio Melis (37 Jahre) von zwei Neo-Nazis (18 und 25 Jahre) überfallen, misshandelt und in der Havel ertränkt.1849 In Bad Belzig-Fredersdorf (Brandenburg) wurde am 31. Januar der Vietnamese Phan Van Toau (42 Jahre) von einem Neo-Nazi (30 Jahre) so schwer verletzt, dass er drei Monate später an den Folgen des Angriffs verstarb. Der Haupttäter wurde vom Landgericht Frankfurt/O. zu neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der zweite Täter erhielt eine Geldbuße und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung.1850 Februar In Magdeburg-Olvenstedt (Sachsen-Anhalt) wurde am 8. Februar der Punk Frank Böttcher (17 Jahre), er wartete auf eine Straßenbahn, von einem Neo-Nazi (17 Jahre) überfallen, getreten und erstochen. Er verstarb am 9. Februar an seinen schweren Verletzungen.1851 An der Raststätte Roseburg (Schleswig-Holstein) wurde am 23. Februar der Polizist Stefan Grage (33 Jahre) vom flüchtenden Neo-Nazi Kai Diesner (24 Jahre) erschossen.1852

1847 die tageszeitung, 29.10.1996, 28.12.2000. 1848 http://www.boa-muenchen.org/boa-kuenstlerkooperative/anmerk1a.htm. 1849 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1850 die tageszeitung, 24.10.1997; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1851 die tageszeitung, 27.06.1997, 12.01.1998; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1852 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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In Krefeld (NRW) wurde in der Nacht zum 31. März die Wohnung einer türkischen Familie mit einem Brandsatz angegriffen. In Panik sprangen Fadime Demir (41 Jahre) und ihre Tochter Serpil Demir (19 Jahre) aus dem dritten Stock und verstarben auf dem Boden. Ein Jugendlicher (17 Jahre) erstickte in den Flammen.1853 April In Berlin-Treptow (Ost) wurde am 17. April ein Mitglied der rassistischen „Kameradschaft Wittenberg“ und mutmaßlicher Informant des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) von Sachsen-Anhalt von zwei organisierten Berliner Neo-Nazis erstochen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1854 In Sassnitz (MVP) wurde am 22. April der arbeitslose Hans Gans (50 Jahre) von vier Rassisten zusammengeschlagen und im Stadtgraben liegengelassen. Später kehrten die Täter zurück und erschlugen Gans mit einem 30-Kilogramm schweren Stein.1855 Mai In Königs Wusterhausen (Brandenburg) wurde am 8. Mai der arbeitslose Augustin Blotzki (59 Jahre) von Neo-Nazis überfallen. Das Opfer wurde innerhalb kurzer Zeit zweimal in seiner Wohnung überfallen, verprügelt und als „Bulgarensau“ und „Ausländerschwein“ beschimpft.1856 August Im Oberuckerseer Ortsteil Potzlow in der Uckermark (MVP) wurde am 23. August ein Mann (45 Jahre) von Neo-Nazis mit Baseball-Schläger ermordet. September In Cottbus (Brandenburg) wurde am 23. September Mathias Sch. von einem Skinhead (19 Jahre) mit einem Messer getötet.1857 In Angermünde (Brandenburg) wurde am 23. September der obdachlose Erich Fisk (39 Jahre) mit schweren Kopfverletzungen aufgefunden. Er verstarb am 30. August 1998 im Krankenhaus, ohne das er das Bewusstsein wieder erlangt hatte.1858 1853 die tageszeitung, 01.04.1997. 1854 die tageszeitung, 19.04.1997. 1855 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1856 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1857 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1858 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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In Cottbus (Brandenburg) wurde am 27. September Georg V. (46 Jahre) vom selben Rassisten getötet, der vier Tage zuvor bereits Mathias Sch. getötet hatte.1859 Oktober In Bochum (NRW) wurde am 14. Oktober der homosexuelle Rentner Josef Anton Gera (59 Jahre) von zwei einschlägig bekannten Rassisten (26 und 35 Jahre) mit Fußtritten und einem Eisenrohr so schwer verletzt, das er wenige Tage später im Krankenhaus verstarb. Eine politische Dimension wurde negiert.1860

1998 März In Saalfeld im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt (Thüringen) wurde am 26. März Jana Georgi (14 Jahre) von einem neo-nazistischen ehemaligen Schulkameraden (15 Jahre) auf offener Straße erstochen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1861 Juli In Leipzig (Sachsen) wurde am 4. Juli der portugiesische Zimmermann Nuno Lourenco niedergeschlagen und er verstarb am 29. Dezember 1998 in Portugal an den Folgen des Angriffs. Die Angreifer wollten nach dem WM-Ausscheiden der deutschen Fußball-Elf „Ausländer klatschen“. Der Haupttäter erhielt vier Jahre Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge.1862

1999 Februar In Guben (Brandenburg) wurde am 13. Februar der Algerier Omar Ben Noui alias Farid Guendoul (28 Jahre) von Rassisten durch den Ort gehetzt und vor den Augen der Polizei in den Tod getrieben.1863

1859 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1860 die tageszeitung, 24.10.1997; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1861 die tageszeitung, 30.03.1998; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1862 die tageszeitung, 28.12.2000. 1863 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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März In Duisburg (NRW) wurde am 17. März der Frührentner Egon Effertz (58 Jahre) von drei Skinheads (17, 20 und 22 Jahre) „aus purer Lust auf Menschenjagd“ totgetreten. In einem Mordprozess verurteilte das Landgericht Duisburg die Täter zu langjährigen Freiheitsstrafen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1864 August In Eschede (NDS) wurde am 9. August der obdachlose Peter Deutschmann (44 Jahre) von zwei Rassisten (17 und 18 Jahre) totgetreten.1865 In Kolbermoor (Bayern) wurde am 15. August der Mosambikaner Carlos Fernando (35 Jahre) von einem Rassisten durch massive Schläge schwer verletzt und verstarb am 30. September 1999 in einer Klinik in Bad Aibling an seinen schweren Kopfverletzungen. Der Täter, er wurde verhaftet, gab an Fernando habe ihn gereizt, weil er ein „Neger“ war. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1866 Oktober In Oberlungwitz in Landkreis Zwickau (Sachsen) wurde am 3. Oktober der Lehrling Patrick Thürmer (17 Jahre) nach einem Besuch eines Punk-Konzertes auf dem Heimweg von drei Neo-Nazis überfallen und mit Fußtritten, einer Axt und einem Billardqueue so schwer am Kopf verletzt das er am nächsten Tag im Krankenhaus verstarb. Die Täter konnten unerkannt entkommen.1867 In Berlin-Lichtenberg (Ost) wurde am 6. Oktober der Sozialhilfe-Empfänger Kurt Schneider (38 Jahre) vier Skinheads zu Tode gequält.1868 In Löbejün-Schlettau im Saalekreis (Sachsen-Anhalt) wurde am 8. Oktober der behinderte Hans-Werner Gärtner (37 Jahre) von drei Rassisten stundenlang zu Tode gequält. Ihr Opfer hätte wegen seiner geistigen Behinderung es „nicht verdient zu leben“. Das Landgericht Halle verurteilte die drei Täter zu lebenslangen Freiheitsstrafen.1869 1864 die tageszeitung, 04.09.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1865 die tageszeitung, 11.02.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1866 die tageszeitung, 01.10.1999, 11.02.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1867 die tageszeitung, 07.10.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1868 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1869 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; Der Tagesspiegel, 10.05.2012.

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November In Bad Reichenhall (Bayern) wurde am 1. November Daniela Peyerl (18 Jahre) bei einem Amoklauf ihres neo-nazistischen Bruders (16 Jahre) erschossen.1870 In Bad Reichenhall (Bayern) wurde am 1. November bei einem Amoklauf eines NeoNazis (16 Jahre) Karl-Heinz Lietz (54 Jahre) getötet.1871 In Bad Reichenhall (Bayern) wurde am 1. November bei einem Amoklauf eines NeoNazis (16 Jahre) Ruth Zillenbiller (59 Jahre) getötet.1872 In Bad Reichenhall (Bayern) wurde am 1. November bei einem Amoklauf eines NeoNazis (16 Jahre) Horst Zillenbiller (59 Jahre) getötet.1873 In Bad Reichenhall (Bayern) tötete sich am 1. November der Amokläufer. Bei der Durchsuchung der elterlichen Wohnung wurden ein Hakenkreuz an der Wand überm Bett, Wehrmachtssymbole und entsprechende Musik-CDs gefunden. Eine politische Dimension wurde negiert.1874 Dezember In Halle-Neustadt (Sachsen-Anhalt) wurde am 29. Dezember der als „behindert“ angesehene Jörg Danek (38 Jahre) von drei Neo-Nazis im unterirdischen S-Bahnhof verprügelt. Ein Täter trat dem Wehrlosen mit Stiefeln gegen den Kopf. Er verstarb am nächsten Tag im Krankenhaus. Der Haupttäter erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe und die beiden anderen Täter erhielten mehrjährige Freiheitsstrafen.1875

1870 die tageszeitung, 04.11.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1871 die tageszeitung, 04.11.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1872 die tageszeitung, 04.11.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1873 die tageszeitung, 04.11.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1874 die tageszeitung, 04.11.1999; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1875 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf; Der Tagesspiegel, 10.05.2012.

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2000 Januar In Weißwasser (Sachsen) wurde am 28. Januar der obdachlose Glasdesigner Bernd Schmidt (51 oder 52 Jahre) in seiner Baracke von drei Rassisten (15 bis 16 Jahre) über einen Zeitraum von drei Tagen zu Tode geprügelt und getreten. Zeitweise waren zwei Mädchen Zeugen des Geschehens. Das Opfer verstarb am 31. Januar an Hirnblutungen und an einer Lungenentzündung als Folge der Misshandlungen. Einer der Täter bezeichnete das Opfer bei seiner Vernehmung in der Gerichtsverhandlung als „menschlichen Schrott“. Er wurde zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Der zweite Täter erhielt eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Der Dritte erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Die beiden Mädchen blieben ebenso straffrei, wie die beiden Polizisten, die keine Ermittlungen zum Tod von Bernd Schmidt aufgenommen hatten. Die rassistische Dimension der Tat wurde negiert.1876 April In Halberstadt (Sachsen-Anhalt) wurde am 29. April der Rentner Helmut Sackers (60 Jahre) von Andreas P. (29 Jahre), einem Skinhead, er war sein Nachbar, mit vier Messerstichen getötet. Das Landgericht Magdeburg sprach Weil der Täter angeblich in Notwehr gehandelt habe, sprach das Landgericht Magdeburg ihn frei. Der Bundesgerichtshof (BGJ) in Karlsruhe hob das Urteil auf und verwies es zur erneuten Verhandlung nicht an das Landgericht Magdeburg, sondern an das Landgericht Halle.1877 Mai In Berlin-Pankow (Ost) wurde der Sozialhilfeempfänger Dieter Eich (60 Jahre) in seiner Wohnung von vier Rassisten mit einem Messerstich ins Herz getötet. Der rassistische Hintergrund der Tat wurde von der Polizei wochenlang verschwiegen. Das Landgericht Berlin verurteilte die Täter wegen Mordes zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und 13 Jahren. Die offizielle Statistik negiert die rassistischen Motive der Täter.1878 In Eberswalde (Brandenburg) wurde am 31. Mai der Punk Falko Lüdtke von einem Neo-Nazi vor ein Auto gestoßen, überfahren und dadurch getötet.1879

1876 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/;http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1877 die tageszeitung, 14.07.2001; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1878 die tageszeitung, 01.09.2001, 29.09.2000; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1879 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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Juni In Waltrop im Kreis Recklinghausen (NRW) wurde am 14. Juni bei einer Verkehrskontrolle der Polizist Thomas Goretzky (35 Jahre) von einem organisierten Neo-Nazi (31 Jahre) erschossen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1880 In Waltrop im Kreis Recklinghausen (NRW) wurde am 14. Juni die Polizistin Yvonne Hachtkemper (34 Jahre) von einem organisierten Neo-Nazi (31 Jahre) erschossen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1881 In Waltrop im Kreis Recklinghausen (NRW) wurde am 14. Juni der Polizist Matthias L. von Woitowitz (35 Jahre) von einem Neo-Nazi (31 Jahre) erschossen. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1882 In Waltrop im Kreis Recklinghausen (NRW) wurde der Mörder (31 Jahre) der drei Polizisten tot in einem PKW aufgefunden. Vermutlich hatte er Selbstmord begangen.1883 In Greifswald (MVP) wurde am 23./24. Juni der obdachlose Klaus-Dieter Gerecke (47 Jahre) von einem Rassisten (20 Jahre) und zwei Frauen (18 Jahre) durch Fußtritte getötet. Eine Täterin hatte geschrien: „Da ist ein Assi, klatscht ihn tot“. Das Landgericht Stralsund verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren.1884 In Dessau (Sachsen-Anhalt) wurde am 11. Juni Alberto Adriano (39 Jahre) aus Mosambik im Stadtpark von drei Rassisten überfallen und misshandelt. Ihm wurde die Kleidung vom Leib gerissen. Adriano verstarb im Krankenhaus, nach dem er drei Tage im Koma lag. Die Täter hatten ihn angebrüllt: „Was willst du hier in Deutschland“. Sie wurden wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes zu Freiheitsstrafen verurteilt. Adriano war 1980 als „Vertragsarbeiter“ in die DDR gekommen und dort in einer Kunststoff-Fabrik tätig. In der Wende-Zeit verliebt er sich in eine Deutsche und sie heiraten 1992. Er fand Arbeit in Fleischzentrum und 1998 zogen sie nach Dessau. Sie haben drei Kinder. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte im August 2000 die drei Täter wegen Mordes zu langjährigen Freiheitsstrafen. Der Vorsitzende Richter hatte einen Drohbrief erhalten: „Glauben Sie, wir hätten Magdeburg 1880 die tageszeitung, 15.06.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1881 die tageszeitung, 15.06.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1882 die tageszeitung, 15.06.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1883 die tageszeitung, 15.06.2000, 16.06.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1884 die tageszeitung, 19.12.2000, 01.09.2001; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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enttrümmert, um es anderen Menschen zu überlassen?“. Auch die Witwe von Alberto Adriano erhielt einen Drohbrief: „Wir werden Sie vernichten. Die drei Jungs haben das richtig gemacht“.1885 Juli In Wismar (MVP) wurde am 9. Juli der obdachlose Jürgen Seifert (52 Jahre) von fünf Rassisten mit Faustschlägen und Fußtritten so gequält, dass er wenig später seinen Verletzungen erlag. Die Täter wurden zu Freiheitsstrafen zwischen lebenslänglich und vier Jahren und drei Monaten verurteilt.1886 In Ahlbeck auf der Insel Usedom (MVP) wurde am 27. Juli der obdachlose Norbert Plath (51 Jahre) von vier einschlägig vorbestraften Rassisten (15 bis 24 Jahre) getötet. Die Täter meinten: „Asoziale und Landstreicher hätten im schönen Ahlbeck nichts zu suchen“. Das Landgericht Stralsund verurteilte den 24-jährigen Gunnar Doege zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Die Mittäter erhielten nach dem Jugendstrafrecht Freiheitsstrafen zwischen drei und 12 Jahren. Dieser rassistische Mord wurde in die offizielle Statistik aufgenommen.1887 September In Nürnberg (Bayern) wurde am 9. September der Türke Enver Simsek (38 Jahre) von Mitgliedern der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) angeschossen und verstarb zwei Tage später im Krankenhaus.1888 In Schleswig (Schleswig-Holstein) wurde am 12. September der obdachlose Malte Lerch (45 Jahre) von zwei Skinheads (jeweils 23 Jahre) getötet. Die Täter wurden zu längjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1889 November In Greifswald (MVP) wurde am 25. November der obdachlose Eckardt Rütz (42 Jahre) von drei Rassisten (16 bis 20 Jahre) vor der Mensa der Universität angegriffen und so schwer am Kopf verletzt, dass er einen Tag später verstarb. Die Täter wurden

1885 die tageszeitung, 08.09.2000, 09.06.2001, 19.06.2000, 12.08.2006, 31.08.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1886 die tageszeitung, 01.09.2001; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1887 die tageszeitung, 01.09.2001; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1888 die tageszeitung, 10.06.2006. 1889 die tageszeitung, 18.09.2000, 01.09.2001; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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wegen Mordes zu sieben bis zehn Jahren Freiheitsstrafen verurteilt. Eine politische Dimension der Tat wurde im Wesentlichen negiert.1890

2001 März In Milzau (Sachsen-Anhalt) wurde am 25. März Willi Worg (38 Jahre) von zwei Neo-Nazis (14 und 19 Jahre) zusammengetreten und so schwer verletzt das er drei Tage später im Krankenhaus verstarb. Die Täter wurden in Untersuchungshaft genommen.1891 In Grimmen (MVP) wurde am 26. März der Frührentner Fred Blanke (51 Jahre) von zwei Neo-Nazis angegriffen und mit Stuhlbeinen und Fäusten geschlagen. Er verstarb an Gehirnblutungen.1892 April In Jarmen (MVP) wurde am 22. April Mohammed Belhadj von vier Rassisten überfallen, in ihr Auto gezerrt und zu einem Kiessee, wo sie ihm einen schweren Stein auf den Kopf warfen und ihn damit tödlich verletzten. Einer der Täter sagte: „Ist doch nur ein Scheiß-Ausländer“.1893 Juni In Nürnberg-Steinbühl (Bayern) wurde am 13. Juni der Türke Adurrahim Özüdogru (49 Jahre) mit drei Kopfschüssen von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) getötet.1894 In Hamburg-Bahrenfeld wurde am 27. Juni der Türke Süleman Tasköprü (31 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) mit drei Kopfschüssen getötet.1895

1890 die tageszeitung, 01.09.2001, 15.12.2000; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1891 die tageszeitung, 02.04.2001; http://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland. 1892 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1893 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1894 die tageszeitung, 10.06.2006. 1895 die tageszeitung, 10.06.2006.

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Juli In Witten im Ennepe-Ruhr-Kreis (NRW) wurde am 6. Juli 2001 Frank H. (33 Jahre), ein Arbeitskollege von Daniel Ruda in die Wohnung des frisch vermählten Ehepaares gelockt. Dort wurde das Opfer von Daniel und Manuela Ruda mit über 60 Messerstichen, Hammerschlägen und mit einer Machete getötet und zerstückelt. Die beiden Täter flohen, konnten aber nach einer Woche von der Polizei in der Nähe von Jena festgenommen werden. In der Wohnung der Beiden wurden u. a. SS-Runen aufgefunden. 1998 war D. Ruda in Herten im Kreis Recklinghausen bei der Bundestagswahl als Wahlhelfer des NPD-Vorsitzenden W. Kevering nominiert und bei der zentralen Wahlkampf-Demonstration am 19. September 1998 in Rostock war er anwesend. Nach der Bundestagswahl zog er sich von der Neo-Nazi-Szene zurück und ging auf die Gothic-Metal-Szene zu. Das Landgericht Bochum verurteilte D. Duda für 15 Jahre Freiheitsstrafe und M. Duda erhielt 13 Jahre Freiheitsstrafe. Aufgrund ihrer erheblichen Persönlichkeitsstörung, ordnete das Gericht zunächst einen unbefristeten Aufenthalt in einer geschlossenen Psychiatrieanstalt an.1896 August In Wittenberge (Brandenburg) wurde am 9. August der behinderte und alkoholkranke Klaus-Dieter Harms von zwei Rassisten in seiner Wohnung getötet. Bei der Gerichtsverhandlung erklärten die beiden Täter, sie hätten das Opfer wegen seiner Behinderung und seines Alkoholismus als „minderwertig“ betrachtet.1897 In Dahlewitz (Brandenburg) wurde am 9. August Dieter Manzke (61 Jahre) von fünf Rassisten (17 bis 21 Jahre) gequält und getötet. Die Täter wollten „Ordnung schaffen“. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1898 In Fulda (Hessen) wurde am 17. August die Geschäftsführerin Doris Botts (54 Jahre) von einem Neo-Nazi (19 Jahre) in ihrem Military-Geschäft erstochen. Der Mord sollte ein Aufnahmeritual für die neo-nazistische Gruppe „Deutsche Heidenfront“ in Thüringen sein.1899 In München-Ramersdorf (Bayern) wurde am 29. August der Türke Habil Kilic (38 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ mit Kopfschüssen getötet.1900 1896 http://www.derwesten.de/staedte/witten/satanisten-moerder-daniel-ruda-bleibt-im-gefaengnisid4844207.html; die tageszeitung, 14.07.2001; http://de.wikipedia.org/wiki/Mordfall_von_Witten. 1897 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1898 die tageszeitung, 26.03.2002; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1899 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1900 die tageszeitung, 10.06.2006.

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September In Bräunlingen (Baden-Württemberg) wurde am 9. September der Russland-Deutsche Arthur Lampel (18 Jahre) von einem Skinhead mit einem Bierglas angegriffen. Ein Splitter drang in seine Halsschlagader, woraufhin er verblutete.1901 November In Berlin wurde am 5. November der Herzkranke Ingo B. (36 Jahre) in einer Wohnung von drei Neo-Nazis getreten, geschlagen und gewürgt. Er starb daraufhin an einem Herzschlag.1902

2002 Mai In Wittstock (Brandenburg) wurde am 4. Mai der Russland-Deutsche Kajrat Batesov (24 Jahre) von fünf Rassisten in einer Diskothek angegriffen und so schwer verletzt, dass er drei Wochen später im Krankenhaus verstarb. Das Landgericht Neuruppin verurteilte die Täter zu langjährigen Haftstrafen, jedoch wurde eine politische Dimension der Tat negiert.1903 In Neubrandenburg (MVP) wurde am 15. Mai wurde der behinderte Klaus Dieter Lehrmann (19 Jahre) von zwei Rassisten (17 und 20 Jahre) durch Stiefeltritte auf den Kopf getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1904 Juni Bei Lindendorf-Neu Mahlisch im Landkreis Märkisch-Oderland (Brandenburg) wurde am 01. Juni Roland Masch (29 Jahre) von vier Neo-Nazis überfallen. Sie verprügelten ihn und einer der Täter stach mit einem Messer ca. 40-mal in den Leib des Opfers. Sechs Wochen später wurde die Leiche bei der Rapsernte entdeckt.1905 Juli In Oberuckersee-Potzlow im Landkreis Uckermark (Brandenburg) wurde am 12. Juli Marinus Schöberl (16 Jahre) in seiner Wohnung von drei Rassisten getötet. Die Täter hatten von ihm verlangt, sich als „Jude“ zu bezeichnen. Der Leichnam des Opfers 1901 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1902 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1903 die tageszeitung, 04.03.2002; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1904 die tageszeitung, 14.06.2002. 1905 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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wurde in einer Jauchegrube versenkt, wo sie im November 2002 von Kindern entdeckt worden war. Das Landgericht Neuruppin verhängte gegen die beiden Täter langjährige Freiheitsstrafen. Die politische Dimension der Tat wurde anerkannt.1906 August In Sulzbach (Saarland) wurde am 9. August der Lehrling Ahmet Sarlak (19 Jahre) aus der Türkei von zwei vorbestraften Rassisten geschlagen, getreten und schließlich getötet. Die politische Dimension der Tat wurde anerkannt. Die beiden Täter wurden festgenommen.1907 Dezember In Stralsund im Landkreis Vorpommern-Rügen (MVP) wurde ein obdachloser Mann (35 Jahre) von zwei Polizisten (26 und 46 Jahre) am Stadtrand ausgesetzt, wo er an Unterkühlung und Alkoholvergiftung verstarb.1908

2003 Januar In Erfurt (Thüringen) wurde Hartmut Balzke (48 Jahre) am 27. Januar von zwei NeoNazis getötet. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelte gegen einen Haupttäter (23 Jahre), der bereits wegen Körperverletzung und zeigen des Hitlergrußes unter Bewährung stand. Das Landgericht Erfurt (Thüringen) verurteilte am 19. Juni den Neo-Nazi Dirk Q. (27 Jahre) zu zwei Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung und 200 Arbeitsstunden. Er hatte Hartmut Balzke mit einem Faustschlag so verletzt, dass er tödlich stürzte und einem Punk zertrümmerte er mit Fußtritten das Gesicht. Gegen den NeoNazi waren zwei Bewährungsstrafen wegen Körperverletzung und dem Zeigen des Hitlergrußes anhängig, die ihm trotz Ermittlungen vom Landgericht erlassen wurden (sic!). Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1909 März In Naumburg (Sachsen-Anhalt) wurde am 19. März der Möbeltischler Andreas Oertel (40 Jahre) in seiner Wohnung von mehreren Neo-Nazis (15 bis 17 Jahre) in seiner

1906 die tageszeitung, 25.10.2003; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1907 die tageszeitung, 19.08.2002. 1908 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/. 1909 die tageszeitung, 20.06.2008; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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Wohnung über zwei Tage hinweg ausgeraubt, zusammengeschlagen und gewürgt. Er verstarb am 21. März an seinen Verletzungen.1910 In Frankfurt/O. (Brandenburg) wurde am 29. März der Punk Enrico Schreiber (25 Jahre) in einer Wohnung von drei einschlägig vorbestraften Rassisten getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1911 April In Stauchitz im Landkreis Meißen (Sachsen) wurde am 20. April arbeitslose und alkoholkranke ehemalige Stahlarbeiter Günter T. (35 Jahre) im Jugendclub „Giftmische Stauchitz“ über zwei Stunden misshandelt. Er verstarb zwei Tage später an seinen schweren Verletzungen. Vier Rassisten (29 bis 36 Jahre) hatten den bewusstlosen und damit wehrlosen Mann nackt ausgezogen, mit Wasser übergossen und den Mund zugehalten. Die Angeklagten wurden wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren zur Bewährung verurteilt.1912 Juli In Scharnebeck (NDS) wurde am 10. Juli Gerhard Fischhöder (49 Jahre) in seiner Wohnung in einer Obdachlosenunterkunft von einem Rassisten (38 Jahre) zu Tode getreten. Der Täter hatte ihn bereits eine Woche lang eingeschüchtert und tyrannisiert. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1913 Oktober In Overath (NRW) wurde am 7. Oktober der Rechtsanwalt Hartmut Nickel von dem ehemaligen Fremdenlegionär, Informanten des Landesamtes für Verfassungsschutz in NRW und bekennenden Neo-Nazi Thomas Adolf (46 Jahre) mit einem Gewehr durch Kopfschüsse getötet. In seiner Begleitung befand sich seine Freundin Jennifer D. (20 Jahre).1914 In Overath (NRW) wurde am 7. Oktober die gefesselte Frau des Rechtsanwaltes Mechthild Bucksteeg von dem ehemaligen Fremdenlegionär, Informanten des Landesamtes für Verfassungsschutz in NRW und bekennenden Neo-Nazi Thomas Adolf

1910 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1911 die tageszeitung, 27.08.2003; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1912 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/. 1913 die tageszeitung, 18.07.2003; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1914 die tageszeitung, 17.10.2003.

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(46 Jahre) mit einem Gewehr getötet. In seiner Begleitung befand sich seine Freundin Jennifer D. (20 Jahre).1915 In Overath (NRW) wurde am 7. Oktober die gefesselte Tochter des Rechtsanwaltes Alja Nickel von dem ehemaligen Fremdenlegionär, Informanten des Landesamtes für Verfassungsschutz in NRW und bekennenden Neo-Nazi Thomas Adolf (46 Jahre) mit einem Gewehr durch Kopfschüsse getötet. In seiner Begleitung befand sich seine Freundin Jennifer D. (20 Jahre).1916 Dezember In Kandel (Rheinland-Pfalz) wurde am 6. Dezember bei einem Brandanschlag eines Rassisten (22 Jahre) auf ein Wohnhaus für Ausländer der griechische Wanderarbeiter Petros C. (22 Jahre) getötet. Das Landgericht Landau verurteilte den Täter im November 2008 zu drei Jahren Freiheitsstrafe.1917 In Kandel (Rheinland-Pfalz) wurde am 6. Dezember bei einem Brandanschlag eines Rassisten (22 Jahre) auf ein Wohnhaus für Ausländer der griechische Wanderarbeiter Stefanos C. (23 Jahre) getötet. Das Landgericht Landau verurteilte den Täter im November 2008 zu drei Jahren Freiheitsstrafe. In Heidenheim (Baden-Württemberg) wurde am 19. Dezember der Russland-Deutsche Viktor Filimonov vom Skinhead Leonhard Schmidt (17 Jahre) getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1918 In Heidenheim (Baden-Württemberg) wurde am 19. Dezember der Russland-Deutsche Waldemar Ickert vom Skinhead Leonhard Schmidt (17 Jahre) getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1919 In Heidenheim (Baden-Württemberg) wurde am 19. Dezember der Russland-Deutsche Aleksander Schleicher vom Skinhead Leonhard Schmidt (17 Jahre) getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1920

1915 die tageszeitung, 17.10.2003. 1916 die tageszeitung, 17.10.2003. 1917 http://jule.linxxnet.de/index.php/2011/11/dokumentiert-182-todesopfer-rechter-und-rassistischer-gewalt-seit-1990/; http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/hinweise-erbeten-14-verdachtsfaelle/1933906.html. 1918 die tageszeitung, 08.01.2004; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1919 die tageszeitung, 08.01.2004; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1920 die tageszeitung, 08.01.2004; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf.

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2004 Januar In Gera-Bieblich (Thüringen) wurde am 21. Januar der Russland-Deutsche Oleg Valgar (27 Jahre) von vier Rassisten getötet. Sie hatten ihn ein Wäldchen gelockt und verletzten ihn brutal mit Fußtritten, Messerstichen und Hammerschlägen. Danach sagte einer der Täter: „Wenigstens eine Russensau weniger“. Das Landgericht Gera wollte keinen fremdenfeindlichen Hintergrund erkennen. Im Juli wurden die Täter wegen Mordes zu Freiheitsstrafen von neun und zehn Jahren verurteilt.1921 In Burg (Sachsen-Anhalt) wurde am 30. Januar vor einer Diskothek Martin Görges (46 Jahre) von fünf Neo-Nazis überfallen und zusammengeschlagen. Sie töteten ihn durch einen „Bordsteinkick“.1922 Februar In Rostock (MVP) wurde am 25. Februar der Türke Yunus Turgut (25 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) getötet.1923 Juni In Güsten im Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wurde ein obdachloser Mann (47 Jahre) von drei Rassisten (23 bis 29 Jahre) geschlagen und getreten. Das Opfer verstarb an den Folgen seiner schweren Verletzungen.1924

2005 Januar In Dessau (Sachsen-Anhalt) wurde am 7. Januar Oury Jalloh im Polizeigewahrsam getötet.1925 In Stuttgart (BW) wurde ein obdachloser und behinderter Mann von zwei Rassisten mit Tritten an den Kopf zu Tode getreten.1926

1921 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1922 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1923 die tageszeitung, 10.06.2006. 1924 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1925 die tageszeitung, 08.01.2010. 1926 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/

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Februar In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) starb ein alkoholisierter Mann auf einer Polizeiwache vermutlich an Unterkühlung.1927 März In Dortmund (NRW) wurde am 28. März der dreifache Vater und Punk Thomas Schulz (32 Jahre) von einem Neo-Nazi (17 Jahre) mit einem Messer getötet.1928 Juni In Nürnberg (Bayern) wurde am 9. Juni der Türke Ismail Yasar (50 Jahre) von Mitgliedern der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) mit fünf Schüssen getötet.1929 In München-Westend (Bayern) wurde am 15. Juni der Grieche Theodorus Boulgarides (41 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) durch Schüsse getötet.1930 Juli In Essen (NRW) wurde am 1. Juli ein unbekannter Mann (44 Jahre) in einem Männerwohnheim von zwei einschlägig vorbestraften neo-nazistischen Brüdern (15 und 17 Jahre) getreten und misshandelt und schließlich getötet.1931 November In Bad Buchau im Landkreis Biberach (Baden-Württemberg) wurde am 26. November Tim Maier (20 Jahre) von einem Neo-Nazi mit einem Messer getötet.1932

1927 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1928 die tageszeitung, 21.09.2005; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1929 die tageszeitung, 10.06.2006. 1930 die tageszeitung, 10.06.2006. 1931 die tageszeitung, 09.07.2005. 1932 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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2006 April In Dortmund (NRW) wurde am 4. April der Türke Mehmet Kubasik (39 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) durch mehrere Schüsse getötet.1933 In Kassel (Hessen) wurde am 6. April der Türke Halit Yozgat (21 Jahre) von der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) durch zwei Kopfschüsse getötet.1934 Mai In Plattling (Bayern) wurde am 6. Mai der obdachlose Deutsch-Pole Andreas Pietrzak (41 Jahre) von einem Rassisten (19 Jahre) getötet. Er schlug mit einem Holzpflock auf das Opfer ein und trat gegen den Kopf des Wehrlosen. Anschließend beraubte er ihn, übergoss ihn mit Spiritus und verbrannte ihn. Das Landgericht Deggendorf verurteilte den Täter im Mai 2007 zu neun Jahren Freiheitsstrafe wegen Raubmord. Eine rassistische Dimension der Tat wurde negiert.1935 September In Frankfurt/O.-Neuberesinchen (Brandenburg) wurde Anfang September der obdachlose Hans-Jürgen Sch. (56 Jahre) von zwei Rassisten (16 und 17 Jahre) getötet.1936

2007 Januar In Wismar (MVP) wurde am 1. Januar Andreas F. (30 Jahre) von Neo-Nazis getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1937

1933 die tageszeitung, 10.06.2006. 1934 die tageszeitung, 10.06.2006. 1935 http://breakthesilence.blogsport.de/siempre-antifa/andreas-pietrzak/; http://www.opferrechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1936 die tageszeitung, 21.10.2006. 1937 die tageszeitung, 05.01.2007.

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April In Heilbronn (BW) wurde am 25. April die Polizistin Michéle Kiesewetter (22 Jahre) von der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) getötet. Über das Tatmotiv wird gemutmaßt.1938 Juli In Brinjahe (Schleswig-Holstein) wurde am 14. Juli der Jugendliche M. S. (17 Jahre) von einem einschlägig vorbestraften Neo-Nazi und Soldaten der Bundeswehr mit einer Eisenstange erschlagen und dabei getötet. Das Opfer war als „Spitzel“ beschimpft worden. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1939

2008 Februar In Ludwigshafen am Rhein wurde am 3. Februar ein Wohnhaus, es war vorwiegend von türkischen Familien bewohnt, durch Brandstiftung zerstört. Dabei wurden fünf Kinder und vier Frauen getötet. Im Erdgeschoss befand sich ein leerstehendes Restaurant, dass im August 2006 mit Brandsätzen angegriffen worden war. Der bekannte Rassist Malte R. wurde verdächtigt, den Brand gelegt zu haben. Malte R. war Mitglied der rassistischen Gruppe „Ludwigshafener Nationalisten und Rassisten“ (LuNaRa). Am 23. Juli 2008 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass die Ermittlungen eingestellt wurden – die Ursache für die Brandlegung blieb ungeklärt. Im August 2009 wurde das Wohnhaus abgerissen. Ob es eine Verbindung zwischen der rassistischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und dem Brand in Ludwigshafen gegeben hat, wurde von der Bundesanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft in Frankenthal dementiert.1940 April In Memmingen (Bayern) wurde am 26. April Peter Siebert (40 Jahre) von seinem neo-nazistischen Nachbarn mit einem Messer getötet. Das Opfer hatte sich über laute Nazi-Musik beschwert.1941

1938 die tageszeitung, 27.12.2011. 1939 die tageszeitung, 30.08.2007; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1940 die tageszeitung, 25.02.2008; Frankfurter Rundschau, 25.12.2011. 1941 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf.

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Juli In Templin (Brandenburg) wurde am 21. Juli der arbeitslose und alkoholkranke Tischler und dreifache Vater Bernd Köhler (55 Jahre) in seiner Werkstatt durch Fußtritte an den Kopf von zwei Neo-Nazis (18 und 21 Jahre) verletzt, angezündet und getötet. Die einschlägig vorbestraften Täter kamen in Untersuchungshaft und wurden im Mai 2009 zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert. Der Bürgermeister von Templin gab zu Protokoll, dass „er nichts wisse von Rechten in seiner Stadt“ und er bezeichnete die Tat als das Werk von „Durchgeknallten“.1942 August In Dessau (Sachsen-Anhalt) wurde 1. August der obdachlose Hans-Joachim Sbrzesny (50 Jahre) von zwei Rassisten vor dem Bahnhof verprügelt und getötet, weil sie keine „Penner“ oder „Asoziale“ wollten. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1943 In Magdeburg (Sachsen-Anhalt) wurde am 17. August der Kunststudent Rick Langenstein (20 Jahre) von einem einschlägig vorbestraften Neo-Nazi (19 Jahre) vor einer Diskothek zu Tode geprügelt und getreten. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1944 In Leipzig (Sachsen) wurde am 23. August der obdachlose Karl-Heinz Teichmann (59 Jahre) von einem Rassisten (18 Jahre) am Schwanenteich zweimal brutal verprügelt und zusammengetreten. Zwischendurch verließ der Mörder den Tatort um sich mit Freunden zu treffen. Das Opfer verstarb zwei Wochen später am 6. September im Krankenhaus. Am 27. März 2009 wurde der mittlerweile 19-jährige Täter Michael H. aus Delitzsch wegen Mordes zu acht Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Ein 21-jähriger Freund von Michael H. blieb ohne Strafe. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1945 In Bernburg (Sachsen-Anhalt) wurde am 24. August Marcel W. (18 Jahre) vom NeoNazi David B. (20 Jahre) getötet, nach dem er ihn mehrere Stunden misshandelt hatte. Das Landgericht Magdeburg verurteilte ihn wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren. Der Täter war bereits vorbestraft wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung von Ausländern und wegen zeigen des Hitlergrußes. Ein politischer Hintergrund der Tat blieb unberücksichtigt.1946 1942 die tageszeitung, 24.07.2008, 02.08.2008, 23.03.2009; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1943 die tageszeitung, 27.06.2009; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1944 die tageszeitung, 27.06.2009. 1945 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1946 die tageszeitung, 08.01.2004, 27.06.2009.

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2009 In Dresden (Sachsen) wurde am 1. Juli die Apothekerin Marwa el-Sherbini in einem Gerichtssaal des Landesgerichtes von einem Neo-Nazi getötet. Ihr Ehemann wurde ebenfalls niedergestochen und von einem hinzueilenden Polizisten irrtümlich angeschossen. Er überlebte schwer verletzt.1947

2010 Mai In Hemer (NRW) wurde am 14. Mai Sven M. (27 Jahre) in einem illegalen Klub der Neo-Nazis erstochen. Der Besitzer der Bar erstach das Opfer und anschließend wollte er zusammen mit drei anderen Neo-Nazis, den Leichnam in einem Waldstück bei Westig verscharren. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1948 In Kamp-Lintfort (NRW) wurde am 22. Mai die Leiche des obdachlosen, sehbehinderten Frührentners Klaus B. (51 Jahre) gefunden. Die Polizei nahm vier Verdächtige fest und schloß einen kriminellen Hintergrund nicht aus. Im Gerichtsverfahren wurde der Hauptangeklagte (17 Jahre) teilweise freigesprochen, weil ihm anscheinend nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er das Opfer auf den Kopf geschlagen hätte.1949 Oktober In Leipzig (Sachsen) in der Nähe des Hauptbahnhofes wurde am 24. Oktober der Iraker Kamal Kilade (19 Jahre) von zwei einschlägig vorbestraften Rassisten mit Messerstichen getötet. Eine politische Dimension der Tat wurde negiert.1950

2011 März In Neuss (NRW) wurde im März in einer Obdachlosen-Unterkunft ein obdachloser Vietnamese und Vater von drei Kindern von zwei Rassisten (18 und 38 Jahre) durch Schläge und Tritte und mit einer Zaunlatte getötet.1951 1947 http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opfer-rechter-gewalt.pdf. 1948 http://tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/hinweise-erbeten-14-verdachtsfaelle/1933906.html 1949 www.marler-zeitung.de/nachrichten/nordrhein-westfalen/51-jaehriger-Obdachloser... 1950 die tageszeitung, 16.06.2011; http://www.opfer-rechter-gewalt.de/www/service/down/opferrechter-gewalt.pdf. 1951 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/

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In Wiesbaden (Hessen) wurde am 9. März der obdachlose Straßenmusiker Kestutis V. aus Litauen von drei Rassisten (16 bis 17 Jahre) zu Tode geprügelt.1952 Mai In Oschatz (Sachsen) wurde am 27. Mai der obdachlose André K. von sechs Neo-Nazis so sehr misshandelt, dass er am 1. Juni 2011 in einem Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen verstarb. Am 8. Juni wurden drei Täter (25 bis 36 Jahre) von der Polizei festgenommen. Der Haupttäter hatte vor der Tat bereits verkündet, „Penner“ und „Kanaken“ fertig machen zu wollen.1953

1952 http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/ 1953 http://chronik.blogsport.de/2011/06/14/27-mai-2011-oschatz/; http://berberinfo.blogsport.de/obdachlose-opfer/

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Rassismus und Rechtsextremismus Rassistische Argumentationsmuster und ihre historischen Entwicklungslinien Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2009. 248 S. Mensch und Gesellschaft. Schriftenreihe für Sozialmedizin, Sozialpsychiatrie, medizinische Anthropologie und philosophische Reflexionen. Herausgegeben von Erwin Riefler. Bd. 16 ISBN 978-3-631-57501-7 · br. € 49,95* Antisemitismus und Rassismus haben sich in der Vergangenheit als Ausgrenzungsideologien etabliert. Seither bedient man sich ihrer je nach Bedarf und sie können nach Belieben abgeändert werden. Während des Nationalsozialismus wurde mit ihnen eine umfassende ideologische Weltsicht begründet. Die grundlegenden Vorstellungen wurden später von rechtsextremistischen Aktivisten erneut aufgenommen, umgeformt und den aktuellen Verhältnissen angepasst. Dabei lässt sich eine historische Kontinuität rassistischer und antisemitischer Argumentationsmuster nachweisen, die vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Eine Darstellung dieser Zusammenhänge soll es erleichtern, rechtsextremistisches rassistisches Denken und die darin enthaltenen menschenverachtenden Einstellungen zu erkennen. Aus dem Inhalt: Allgemeiner Überblick zu Rechtsextremismus und Rassismus · Grobe Darstellung der Entwicklungslinien, die den Rassismus gegenüber Farbigen und Juden begründen und diesen ideologisch im gesellschaftlichen Denken verankert haben · Analyse des rassenideologischen Gehaltes der nationalsozialistischen Ideologie · Beschreibung der ideologischen und argumentativen Vorläufer des gegenwärtigen Rechtsextremismus insbesondere der völkisch-antisemitischen Auffassungen des 19. Jahrhunderts und der Übernahme dieser Vorstellungen in die Ideenwelt Adolf Hitlers · Analyse der rechtsextremistischen Argumentationsmuster seit den 1980er Jahren anhand der Inhalte einschlägiger Zeitschriften · Nachweis der historischen Kontinuität in der rechtsextremistischen Argumentation · Fortschreibung der alten Rassenideen in neuem Gewand Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Wien Auslieferung: Verlag Peter Lang AG Moosstr. 1, CH-2542 Pieterlen Telefax 00 41 (0) 32 / 376 17 27 E-Mail [email protected]

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