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German Pages 272 Year 2010
Volkswirtschaftliche Schriften Heft 560
Effizienz und Gerechtigkeit bei der Nutzung natürlicher Ressourcen Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven der Rohstoff-, Energie- und Wasserwirtschaft Herausgegeben von Detlef Aufderheide und Martin Dabrowski In Verbindung mit Karl Homann · Christian Kirchner Michael Schramm · Jochen Schumann Viktor Vanberg · Josef Wieland
Duncker & Humblot · Berlin
DETLEF AUFDERHEIDE / MARTIN DABROWSKI (Hg.)
Effizienz und Gerechtigkeit bei der Nutzung natürlicher Ressourcen
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann {
Heft 560
Anschriften der Herausgeber: Priv.-Doz. Dr. Detlef Aufderheide
Dr. Martin Dabrowski
c/o Institut für Anlagen und Systemtechnologien Westfälische Wilhelms-Universität Münster Am Stadtgraben 13 – 15
Akademie Franz Hitze Haus Fachbereich Wirtschaft, Sozialethik, Umwelt Kardinal-von-Galen-Ring 50
D-48143 Münster
D-48149 Münster
Die Tagungsreihe ,,Wirtschaftsethik und Moralökonomik. Normen, soziale Ordnung und der Beitrag der Ökonomik" wird in Kooperation zwischen der katholisch-sozialen Akademie FRANZ HITZE HAUS und der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster durchgeführt.
Effizienz und Gerechtigkeit bei der Nutzung natürlicher Ressourcen Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven der Rohstoff-, Energie- und Wasserwirtschaft
Herausgegeben von Detlef Aufderheide und Martin Dabrowski In Verbindung mit Karl Homann · Christian Kirchner Michael Schramm · Jochen Schumann Viktor Vanberg · Josef Wieland
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 978-3-428-13465-6 (Print) ISBN 978-3-428-53465-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83465-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Wasser, Rohstoffe, Erdöl und Erdgas: Zahlreiche natürliche Ressourcen zählen gegenwärtig und in absehbarer Zukunft zu den wichtigsten knappen Gütern. Erhebliche nationale wie globale Verteilungskonflikte prägen das Bild. Anders als bei vielen anderen Gütern scheint die Regelung dieser Konflikte über den Markt zu versagen – sei es wegen der in vielen Fällen nur endlichen Verfügbarkeit, wegen extrem langer Planungshorizonte oder weil strategische Interessen von Staaten die Marktprozesse längst stark beeinflussen oder sogar überlagern: Der freie Zugang zu natürlichen Ressourcen ist eines der brennendsten – und am meisten beunruhigenden – geopolitischen Themen. Fragen der gerechten inner- und intergenerationalen Teilhabe auf der einen und der Effizienz auf der anderen Seite scheinen hier überdies in ein unauflösliches Spannungsverhältnis gedrängt: Ist die friedliche Zuteilung über Märkte insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit überhaupt (noch) angemessen? Welche Rolle spielt die fehlende Vermehrbarkeit natürlicher Ressourcen, wie sie etwa bei fossilen Energieträgern vorliegt? Welche Mechanismen leiten die beteiligten Akteure am besten zu einem sorgsamen Umgang mit dem Vorhandenen und zugleich auch zur Suche nach innovativen Alternativen an? Wie steht es um angemessene Verfahren für den Umgang mit dem in vielen Regionen der Welt besonders knappen Gut Wasser: Drohen hier Menschenrechte gegen wirtschaftliche Interessen ausgespielt zu werden? Diesen und weiteren ausgewählten Problemen geht der vorliegende Sammelband detailliert nach. Er greift zentrale ethisch relevante Fragen aktueller Entwicklungen in der Nutzung von natürlichen Ressourcen auf und spiegelt sie, im Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Disziplinen, an aktuellen Erkenntnissen ökonomischer Theorie. Dabei ist angesichts gewachsener Komplexität des Gegenstandes und entsprechend anhaltender Spezialisierung im Bereich der Forschung auch den unterschiedlichen praktischen Dimensionen und Forschungsperspektiven in besonderer Weise Rechnung zu tragen: Komplexe, jeweils fachbezogene Detailinformationen müssen für den Transport über die Grenzen von Disziplinen hinweg verständlich aufbereitet werden, um Vertretern von Ethik und Ökonomik, von Theologie und Jurisprudenz sowie weiteren Interessierten jeweils dringend benötigtes Orientierungswissen für ihre eigenen, fachbezogenen Fragen gezielt zur Verfügung zu stellen. In den unvermeidlich gesetzten Grenzen soll der vorliegende Sammelband auch diesem Anliegen dienen.
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Vorwort
In diesem Buch sind die Ergebnisse einer disziplinenübergreifenden Tagung zusammengefasst, die im Dezember 2009 in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster stattfand. In fünf Beiträgen werden zu ausgewählten Bereichen aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert und stets von je zwei Korreferaten, nicht zuletzt mit Blick auf ihre praktische Anwendbarkeit, diskutiert. Dabei steht vor allem die Leistungsfähigkeit moderner ökonomischer Lösungsvorschläge im Dialog mit Praktikern aus Wirtschaft, Verwaltung und Nichtregierungsorganisationen sowie vor allem mit Theologen, Philosophen und Juristen auf dem Prüfstand. Mit den nunmehr vorliegenden Arbeiten wird eine Reihe fortgesetzt, die unter dem Rubrum „Normen, soziale Ordnung und der Beitrag der Ökonomik“ im Jahre 1996 begann. Auch die sechs vorangegangenen Sammelbände sind in den „Volkswirtschaftlichen Schriften“ (VWS) des Verlages Duncker & Humblot unter den jeweils in Klammern angegebenen Nummern unter folgenden Titeln und Untertiteln erschienen: „Wirtschaftsethik und Moralökonomik. Normen, soziale Ordnung und der Beitrag der Ökonomik“ (VWS 478); „Internationaler Wettbewerb – nationale Sozialpolitik? Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven der Globalisierung“ (VWS 500); „Gesundheit – Ethik – Ökonomik. Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven des Gesundheitswesens“ (VWS 524); „Corporate Governance und Korruption. Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven der Bestechung und ihrer Bekämpfung“ (VWS 544); „Markt und Wettbewerb in der Sozialwirtschaft. Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven für den Pflegesektor“ (VWS 551); „Internetökonomie und Ethik. Wirtschaftsethische und moralökonomische Perspektiven des Internets“ (VWS 556). Wir sind den Verlegern, Herrn Prof. Dr. h. c. Norbert Simon und Herrn Dr. Florian Simon, für die inzwischen langjährige und sehr bewährte Zusammenarbeit außerordentlich dankbar. Ausgangspunkt und Basis dieser Reihe ist eine Kooperation zwischen der Akademie Franz Hitze Haus und der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster. Das vorrangige Ziel der Reihe liegt darin, dem Diskurs zwischen Ethik und Ökonomik, zwischen Ökonomen und Theologen bzw. Moralphilosophen sowie Vertretern anderer Disziplinen ein Forum zu bieten, um sich über aktuelle Forschungsergebnisse ebenso wie über die sich ergebenden Implikationen für die Praxis auszutauschen. Dabei werden, wie der Untertitel jeweils anzeigt, vorrangig zwei besondere Perspektiven eingenommen. Es geht einerseits – Stichwort Wirtschaftsethik – nicht vorrangig um allgemeine Fragen der Angewandten Ethik; vielmehr erfolgt jeweils eine Engführung auf wirtschaftlich relevante Aspekte. Andererseits – Stichwort Moralökonomik – geht es in der vorliegenden Reihe immer wieder um die Frage, wie mit den Methoden der Ökonomik auch und gerade
Vorwort
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moralische Probleme besser erklärt und vertiefend analysiert werden können: Moralökonomik kann in Langfassung auch verstanden werden als die Gesamtheit aller wissenschaftlichen Untersuchungen, die durch die Anwendung bewährter und neuerer ökonomischer Methoden zu einem besseren Verständnis moralisch relevanter Fragen und Probleme beitragen (können). Dabei ist uns bewusst, dass es „den“ ökonomischen Ansatz nicht gibt: Es geht auch innerhalb der Ökonomik um einen fruchtbaren Wettbewerb um die besten Analysemethoden. Wenn aber, diesen Fragen vorgelagert, die Ökonomik als Forschungsprogramm – und als solches vermeintlich fokussiert auf den Eigennutz und andere moralisch höchst ambivalente Phänomene – gezielt auf Fragen der Moral angesetzt wird, so führt dies bisweilen noch zu Irritationen, und zwar bemerkenswerterweise nicht nur bei Fachfremden, sondern bisweilen noch unter Ökonomen. Die vorliegende Buchreihe ist angetreten, diesen Irritationen mit inhaltlicher Überzeugungsarbeit zu begegnen. Dass dabei auch die bestehenden Grenzen einer ökonomischen Analyse der Moral im Dialog auszuloten sind, versteht sich von selbst. Zum Gelingen des letztlich auf wechselseitiges Lernen angelegten Vorhabens trug nicht zuletzt wieder die angenehme und inspirierende Atmosphäre des Franz Hitze Hauses in Münster bei. Dem Leiter des Hauses, Herrn Prof. DDr. Thomas Sternberg, sind wir für die wieder außerordentlich harmonische Zusammenarbeit und großzügige Unterstützung bei der Durchführung der Tagung sehr dankbar. Bei der inhaltlichen Vor- und Nachbereitung halfen uns – sei es durch den eigenen schriftlichen Beitrag im vorliegenden Band, sei es durch ergänzende inhaltliche Anmerkungen oder durch Hinweise auf mögliche Zukunftsthemen, auf geeignete Autoren und Diskutanten – immer wieder Mitglieder unseres kleines Beraterkreises, dessen disziplinenübergreifende Besetzung sich sehr bewährt hat: An dieser Stelle danken wir erneut den Herren Prof. Dr. Dr. Karl Homann, Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner, LLM., Prof. Dr. Michael Schramm, Prof. Dr. Dr. h. c. Jochen Schumann, Prof. Dr. Viktor Vanberg und Prof. Dr. Josef Wieland herzlich für die inzwischen langjährige Unterstützung. Münster, im Oktober 2010
Detlef Aufderheide, Martin Dabrowski
Inhaltsverzeichnis Michael Schramm Der ethische und ökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit ................................................................................................
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Nadine Westphal Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma? (Korreferat) .........................................................................................................
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Johannes Zabel Gerechtigkeit im theologischen und ökonomischen Spannungsfeld von Barmherzigkeit, Effizienz und Freiheit (Korreferat) .........................................................................................................
47
Martin Leschke, Stefan Hähnel und Martina Kopp Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen .................
57
Hans G. Nutzinger Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen. Vom Nutzen und den Grenzen der institutionenökonomischen Analyse (Korreferat) .........................................................................................................
91
Rüdiger Wilhelmi Zur Ausgestaltung der Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen (Korreferat) .........................................................................................................
95
Ulrich Scheele Wasser zwischen Wirtschaftsgut und Menschenrecht: Entwicklungspolitische Implikationen ...................................................................................................... 103 Marianne Heimbach-Steins Das Menschenrecht auf Wasser – ein Kompass für die Wasserbewirtschaftung? (Korreferat) ......................................................................................................... 151 Jean-Gérard Pankert Privatisierung der Trinkwasserversorgung – ein missglückter, unseliger Versuch für die Ärmsten der Armen? (Korreferat) ......................................................................................................... 161
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Inhaltsverzeichnis
Rahel Schomaker Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten ........ 191 Jürgen E. Blank Ohne Regulierung keine Wasserversorgung? (Korreferat) ......................................................................................................... 217 Mark Oelmann Privatsektorbeteiligung als Lösung für unterfinanzierte Wassermärkte in Schwellen- und Entwicklungsländern? (Korreferat) ......................................................................................................... 221 Eric C. Meyer Aspekte der Nachhaltigkeit und Verantwortung für künftige Generationen bei der Nutzung natürlicher Ressourcen. Eine ökonomische Perspektive ................. 229 Christoph Krauß Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit (Korreferat) ......................................................................................................... 253 Rainer Opgen-Rhein Die Nutzung natürlicher Ressourcen aus der Perspektive einer ökonomisch begründeten Ethik (Korreferat) ......................................................................................................... 261 Autorenverzeichnis .................................................................................................... 271
Der ethische und ökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit Von Michael Schramm
I. „Ausgebrannt“ In seinem lesenswerten Thriller „Ausgebrannt“1 weist Andreas Eschbach eindringlich auf das Problem hin, dass unsere gesamte industrielle Wirtschaft und technische Zivilisation erstens in einem enormen Ausmaß vom Faktor Erdöl abhängig sind, und dass zweitens der Tag nicht mehr allzu fern ist, an dem das Öl aufhören wird, eine kostengünstige Energiequelle zu sein. (1) Die Abhängigkeit: Unsere industrielle Zivilisation hat sich durch und durch vom Erdöl abhängig gemacht. Erdöl ist nicht nur ein primärer Energieträger, sondern auch der wichtigste Grundstoff bei der Herstellung von Kunststoffen, Düngemitteln oder Medikamenten. „Glauben Sie, dass jemals ein Flugzeug von Brennstoffzellen angetrieben werden wird? Jemand hier im Saal, der das glaubt? Jemand, der sich ein Flugzeug mit Elektromotor und Batterien vorstellen kann? Niemand, sehr schön. Weil es nämlich unmöglich ist“ (A S. 174). „Aus Öl macht man Düngemittel. Medikamente. Plastik“ (A S. 440). „Überleg doch nur, was alles aus Erdöl hergestellt wird. Plastik. Die ganzen Verpackungen. Praktisch alles, was man im Supermarkt kaufen kann, ist in irgendeine Folie, eine Schale, was weiß ich eingepackt, und die ist immer aus Plastik“ (A S. 451). „Es geht endlos weiter. Farben, Lacke, Lösungsmittel werden aus Erdöl hergestellt. Kunstharze. Synthetische Fasern für Kleidung oder Teppichböden – Nylon, Perlon und wie sie alle heißen. Konservierungsmittel. Fotochemikalien. Waschmittel. Sprengstoffe. Druckerschwärze. Schmierstoffe. Isoliermaterialien gegen Feuchtigkeit. Kosmetika. Süßstoff. Nicht zu vergessen Asphalt für den Straßenbau!“ (A S. 456).
Rohöl gilt als der mit Abstand wichtigste Rohstoff der Welt, dessen Produktionsvolumen nahezu 45 % des weltweiten Produktionsvolumens sämtlicher Rohstoffe ausmacht. An den Rohstoffmärkten ist der Ölpreis der mit Abstand wichtigste Wert. Erdöl ist die rohstoffliche Grundlage moderner Industriegesellschaften: ___________ 1
Eschbach (2007/2008). Für Zitate verwende ich das Kürzel A (für „Ausgebrannt“).
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Michael Schramm „Oil […] fuels most transportation worldwide and is a feedstock for pharmaceuticals, agriculture, plastics and a myriad of other products used in everyday life“ 2.
Wenn es im Rahmen der Gestalt unserer technischen Zivilisation zum Öl zumindest momentan oder kurzfristig keine Alternative gibt, dann wird zu dem Zeitpunkt, an dem uns das Öl auszugehen beginnt, nichts mehr so sein wie zuvor. „Unsere Wirtschaft funktioniert nur, weil es Erdöl gibt und weil es im Grunde scheißbillig ist. Wenn sich daran etwas ändert, bricht alles zusammen. Und das ist, was demnächst passieren wird. Das ist das Ende der Welt, die Sie kennen“ (A S. 440).
(2) Die Knappheit: Natürliche Ressourcen sind Ressourcen, die von der Natur produziert werden, im Fall des Erdöls in sehr langen Zeiträumen. Bei einer natürlichen Ressource wie dem Öl kann der Mensch (nach gegenwärtigem Stand der Dinge) kein schnelleres Wachstum der Ressource provozieren. Die Folge: Die Ölvorräte werden schlicht und ergreifend konsumiert (mal mehr, mal weniger effizient) und gehen über kurz oder lang unweigerlich zur Neige. Die (bestätigten) Weltreserven liegen derzeit (Stand 2009) bei etwa 1200 Milliarden Barrel (1 Barrel = 159 Liter). Dabei finden sich die größten Erdölreserven in Saudi-Arabien (etwa 260 Mrd. Barrel), im Iran (etwa 130 Mrd. Barrel) und im Irak (etwa 115 Mrd. Barrel). Rein rechnerisch könnten diese Weltreserven den Weltverbrauch noch etwa 50 Jahre decken – was aber nicht heißt, dass die Dinge in den nächsten 50 Jahren einfach so weiterlaufen können wie bisher (hier werden das – sich nach dem Fördermaximum stark reduzierende – Fördertempo sowie die Marktpreise eine entscheidende Rolle spielen). Momentan (Stand 2008) werden jährlich etwa 30 Mrd. Barrel gefördert und 87 Mio. Barrel pro Tag verbraucht3, davon alleine in den USA 20,1 Mio. Barrel. Dieser Konsum liegt über der Kapazität der bekannten Reserven, so dass das Öl tatsächlich zur Neige gehen wird. Ein umstrittener Zeitpunkt ist der sog. „Global Oil Peak“ (oder: „Peak Oil“), d.i. der Zeitpunkt des globalen Fördermaximums. Vor Jahren kam der US-amerikanische Geologe Marion King Hubbert „zu der Schätzung, der globale Höhepunkt der Ölförderung, der ‚Peak Oil‘, werde zwischen 1990 und 2000 eintreten“ (A S. 435).
Die meisten Experten rechnen mit dem Oil-Peak in den Jahren zwischen 2010 und 2020. Wie auch immer: Vermutlich leben wir momentan in den Tagen des Oil Peaks. Und das bedeutet: Das Öl geht uns aus, möglicherweise schneller, als wir das heute wahrhaben wollen. Dem zum Charakteristikum
___________ 2 3
Hirsch (2005), S. 1. Vgl. http://omrpublic.iea.org/world/wb_wodem.pdf.
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eines Oil Peaks gehört es, dass die Produktionsmenge nach dem Peak rasch und dramatisch absinkt4. (3) Die Politik: Ein nicht zu unterschätzender Akteur im Spiel um das Öl sind die Regierungen, sowohl in den erdölexportierenden wie in den erdölimportierenden Ländern. In „Ausgebrannt“ wird dem mit Abstand größten Erdölexporteuer Saudi-Arabien eine Schlüsselrolle zugeschrieben: „Saudi-Arabien hatte bis jetzt die Rolle des so genannten swing producers inne [...] Das heißt einfach, dass Saudi-Arabien seine Produktion in dem Maße steigert oder drosselt, wie Öl nachgefragt wird. Die anderen Erdöl fördernden Länder produzieren so viel, wie sie können, die Saudis dagegen immer nur das, was darüber hinaus nötig ist. Das heißt im Grunde, dass sie den Ölpreis bestimmt haben“ (A S. 241).
Die Strategie dieses swing producers identifiziert der Roman als langfristiges Dumping mit dem Ziel, in vielleicht zehn Jahren ein Monopol zu etablieren: „Wieso begnügen sich die Saudis mit so wenig? Am Markt sind für einen Liter Benzin offensichtlich problemlos 1,40 Euro zu erzielen [...]. Doch die Saudis geben den Liter für nicht mal 20 Cent weg – warum?“ (S. 357). „Dumping. [...] Wenn jemand seine Ware praktisch verschenkt, ist das Dumping [...]. Dumping betreibt man, um unliebsame Konkurrenz auszuhungern. [...] [Die] Saudis [...] können es durchhalten, weil sie mit Abstand die größten Ölreserven auf diesem Planeten haben. Zur Zeit werden sie mit über 260 Milliarden Barrel ausgewiesen – kein anderes Land hat so viel Öl, nicht einmal annähernd. Saudi-Arabien ist eine Erdöl-Supermacht, die einzige, die es gibt“ (S. 359). „Sie werden feststellen, dass, wenn man die bekannten Ölreserven der Welt und die jeweiligen Förderraten hochrechnet, in etwa zehn bis fünfzehn Jahren fast das gesamte noch verfügbare Öl am Persischen Golf liegen wird. [...] Was dann? Dann werden diese Länder hier eine unvergleichliche Machtposition innehaben. Könnte es nicht sein, dass die derzeitige Dumpingstrategie genau darauf abzielt?“ (A S. 360).
(4) Der Markt: Der Erdöl-Markt wird nicht erst reagieren, wenn uns das Öl (in, sagen wir, 50 Jahren) definitiv ausgegangen ist. Märkte reagieren immer schon weit vorher. Stünde definitiv fest, dass der Oil Peak heute bereits überschritten sei, würde sich das in den Marktpreisen schon jetzt deutlich abzeichnen: „Ich rede nicht von Öl. Ich rede von billigem Öl. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Das billige Öl kann sehr wohl von heute auf morgen ausgehen“ (A S. 440).
Im Roman von Andreas Eschbach kommt es nun dazu, dass das weltweit größte Erdölfeld (Ghawar in Saudi-Arabien) kollabiert und in der Folge der Marktpreis explodiert. ___________ 4 Empirischer Beleg hierzu ist die Entwicklung in Großbritannien, das 1999 das Förderungsmaximum (Nordsee-Öl) erreichte; vgl. Hirsch (2005), S. 7.
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Michael Schramm „Der Professor lächelte nachsichtig. [...] »Sehen Sie, wenn ein Gut knapp ist, nützt es niemandem etwas, wenn ein niedriger Preis dafür vorgeschrieben wird. Davon entsteht auch keine ausreichende Menge.« »Aber durch hohe Preise auch nicht.« »Natürlich nicht, aber sie sorgen dafür, dass derjenige das knappe Gut erhält, dem es am meisten wert ist.« »Oder der es sich leisten kann«, wandte die Moderatorin ein. Ihr Gast nickte widerstrebend. »Tatsächlich haben wir die Situation, dass sich zum ersten Mal seit man Öl fördert, ein wirklicher Marktpreis dafür bildet. In den frühen Jahren der Ölwirtschaft hat John D. Rockefellers Standard Oil Corporation als Monopolist agiert und die Preise nach Gutdünken festgesetzt – nämlich so hoch wie möglich. [...] In den letzten Jahrzehnten waren es die Saudis, die durch Anpassung ihrer Ölförderung an den Bedarf de facto den Ölpreis festgesetzt haben. Das können sie nun nicht mehr. Und jemand anders, der es kann, existiert nicht. Alle anderen Ölproduzenten fördern schon seit Jahren so viel wie ihre Felder nur hergeben. Mit anderen Worten: Im Augenblick gibt es auf dem Markt einfach eine bestimmte Menge Öl, und die, die es haben wollen, müssen sich darum balgen. Und auf einem Markt tut man das nicht mit Fäusten, sondern indem man mehr bietet als die anderen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird der Preis von Erdöl tatsächlich von Angebot und Nachfrage bestimmt, und da das Angebot niedriger ist als die Nachfrage, pendelt er sich auf einem sehr, sehr hohen Niveau ein.«“ (A S. 486 f.).
In der Realität erreichte der Ölpreis in 2008 seinen bisherigen (nominal und real) Höchststand mit 147 $ pro Barrel. Danach brach er zwar infolge der Finanzmarktkrise wieder ein, steigt seither aber wieder stetig an. Mittel- und langfristig ist ein deutlicher Anstieg des Ölpreises zu erwarten. (5) Die moderne Zivilisation: Für die Zivilisation und Wirtschaft moderner Gesellschaften ist die Verfügbarkeit von Erdöl eine Existenzfrage: „Oil is the lifeblood of modern civilization“5.
So wird auch in Eschbachs Roman erklärt, dass ohne das Öl alles zusammenbrechen wird: „Unsere gesamte technische Zivilisation ist untrennbar mit dem Öl verbunden“ (S. 173). „Nehmen Sie das Öl weg, und unsere Welt hört auf, die Welt zu sein, die wir kennen“ (A S. 175).
Im Rahmen der gegenwärtigen Strukturen ist unsere technisierte Gesellschaft vom Öl ebenso abhängig wie ein Drogensüchtiger von der Nadel. Wir haben es geschafft, eine Erdöl-Monokultur aufzubauen. (6) Die globale (Un)Gerechtigkeit: Angesichts der globalen Knappheiten sowie des teilweise krassen Unterschieds zwischen Arm und Reich prägen schon heute erhebliche weltweite Verteilungskonflikte die Szenerie. Noch sind die Verbrauchsanteile relativ ungleich verteilt: Von den ca. 87 Mio. Barrel pro Tag konsumieren die USA etwa 20 Mio. Barrel, China 6 Mio., Japan gut 5 Mio. ___________ 5
Hirsch (2005), S. 1.
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und Deutschland etwa 2,7 Mio. Barrel. Die wachstumsstarken aufstrebenden Nationen wie China oder Indien werden ihre Anteile in den kommenden Jahren deutlich erhöhen (können), während einkommens- und wachstumsschwache Entwicklungsländer angesichts stetig steigender Ölpreise das Nachsehen haben werden. Der Zugang zu diesem essentiell wichtigen Rohstoff wird zum Konfliktstoff. „[A]us Erdöl macht man auch Düngemittel. [...] Und Schädlingsbekämpfungsmittel. Felder, auf denen man konventionell anbaut, ohne all diese Mittel, bringen nur ein Achtel des Ertrags oder noch weniger. Um ein einziges Rind schlachtreif zu kriegen, braucht man alles in allem tausend Liter Öl – für die Erzeugung des Futters, den Antrieb der Maschinen und so weiter. Wenn das Öl ausgeht, heißt das, dass selbst in Europa die Nahrungsversorgung wieder zum Problem werden kann. Von der Dritten Welt ganz zu schweigen; dort, wo die Ernährung der Bevölkerung heute noch nicht gesichert ist, wird es zu unvorstellbaren Hungersnöten kommen.[...] Und zu Flüchtlingsströmen. Sie werden versuchen, zu uns zu kommen, in die reicheren Länder. Wenn du nichts mehr zu verlieren hast ... Man kann es verstehen. Aber das heißt, die Welt wird auseinanderfallen. Es wird Krieg geben“ (A S. 455).
Öl ist nicht nur ein ökonomisches (also knappes) Gut, es ist auch – im Gegensatz zu Champagner – ein moralisches Gut, da es über die Entwicklungschancen eines Landes, über Reichtum oder Armut und Hunger (mit)entscheidet. Daher spielen in der Realität nicht nur ökonomische Effizienzgesichtspunkte eine Rolle, ebenso können auch ethische Gerechtigkeitsgesichtspunkte Relevanz gewinnen. Nach diesem (möglicherweise etwas dramatisierenden) Einstieg sollen im Folgenden nun einige Theorie-Überlegungen angestellt werden.
II. Der Economic Point of View: Effizienz1 oder Effizienz2 Öl ist ein knappes und damit ein ökonomisches Gut, dessen Knappheit sich bereits jetzt dramatisch verschärft. Daher ist es zweckmäßig, das Ölproblem mit einer ökonomischen Brille zu betrachten. Denn „Economics is the science which studies human behavior as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses“6.
Kriterium für eine ökonomische Analyse des Umgangs mit dem knappen Gut Öl ist die Effizienz (daneben natürlich auch die Effektivität). Die ökonomische(n) Theorie(n) sind sich aber alles andere als einig, wie eine zweckmäßige Konzeption von „Effizienz“ auszusehen habe. Vielmehr sind in der ökonomischen Theorie durchaus widerstreitende Modellierungen von „Effizienz“ zu diagnostizieren. Ich möchte zwei Varianten benennen: ___________ 6
Robbins (1962), S. 16.
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1. Der Economic Point of View der Wohlfahrtsökonomie: „Consent follows from efficiency“ (Effizienz1) Das traditionelle Effizienz-Verständnis ist das der klassischen Wohlfahrtsökonomie. Aus mehreren Gründen – zum Beispiel demjenigen, aus der Wirtschaftswissenschaft eine methodisch ebenso objektiv vorgehende Wissenschaft zu machen wie etwa die Physik – modellierte man hier das Idealbild der Wirtschaft als einer Wohlfahrt produzierenden Maschine. Das wohlfahrtsökonomische Effizienzkriterium, das ich hier mit dem Kürzel Effizienz1 signalisieren möchte, geht bekanntlich auf Überlegungen von Vilfredo Pareto (*1848; †1923) zurück. Die an Pareto anschließende wohlfahrtsökonomische Allokationstheorie stellt sich als Grundfrage, wie diejenige Nutzung der Produktionsfaktoren (Allokation) auszusehen hat, welche zur effizientesten Nutzung der Ressourcen führt. Salopper formuliert: Wie muss die Maschine Markt konstruiert werden, damit sie optimal läuft? Es ist kein Zufall, dass einer der einschlägigen Ökonomen, nämlich Paul Samuelsons, in diesem Zusammenhang von einer „Kalkulationsmaschine“ (calculating machine) spricht. Auf seiner Suche nach einer optimal effizienten „omniscient calculating machine“ erklärt Samuelson: „No such machine now exists. But it is well known that an ‚analogue calculating machine‘ can be provided by competive market pricing“7.
„Handwerklich“ ist an diesem Effizienzverständnis auch nichts falsch. Problematisch ist vielmehr Folgendes: Da die Wohlfahrtsökonomen die Nutzenfunktionen der Individuen (und damit deren Indifferenzkurven) nicht kennen, halten sie sich an messbare, materielle (monetäre) Effizienz- und Nutzengrößen und „verordnen“ dann der Gesellschaft immer die materiell effizienteste Wirtschaftsmaschine. Was sie damit unterschlagen (obwohl es in die Theorie durchaus integrierbar wäre), ist aber unter anderem das, was Gary S. Becker die „psychischen Kosten“ nennt, zum Beispiel die psychischen Kosten, die der harte Marktwettbewerb als solcher mit sich bringt (Existenzängste, Mobilitätszwänge usw.), oder die psychischen Kosten, die etwa große Einkommensunterschiede mit sich bringen (wenn sich zum Beispiel ärmlicher aussehende Leute ihrer vergleichsweisen Ärmlichkeit schämen). Solche Kosten werden durch die Fixierung auf eine Wohlfahrtsmaschinerie invisibilisiert – und wenn man wider Willen doch mit ihnen konfrontiert wird (zum Beispiel in Talkshows, in sozialen Protesten, in Wahlergebnissen), dann werden sie als lästige Störgeräusche wahrgenommen: Ökonomisch unaufgeklärte Leute stören irrationalerweise die Allokationseffizienz der Marktmaschine. Effizienz wird so zum rein techni___________ 7
Samuelson (1954), S. 388.
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schen Problem einer Optimierung des Outputs der Kalkulationsmaschine Markt: „The [objective] solution ‚exists‘, the problem is how to ‚find‘ it“8.
Das Instrument, um die (pareto)optimale Lösung zu finden, ist der Marktmechanismus, dessen optimal effiziente Ergebnisse nun zumindest bei rationalen (ökonomisch aufgeklärten) Akteuren einen zustimmenden Konsens zur Kalkulationsmaschine erzeugen müsste. Das Problem ist: Die Leute reagieren oftmals nicht so. Angewandt auf das Erdölproblem wird hier lediglich die Allokationseffizienz der „Maschinerie“ Ölmarkt in den Blick genommen: –
Der Ölpreis gibt (im Idealfall) die tatsächlichen Knappheitsverhältnisse korrekt wieder.
–
Wer sich das (teure) Öl leisten kann, bekommt es. Wer kein Geld hat, muss zuschauen.
–
Gerechtigkeitsfragen werden nicht berücksichtigt bzw. rein ökonomisch (marktförmig) „gelöst“. Ob diese Lösung dem Unparteilichkeitskriterium der Gerechtigkeitstheorie entspricht oder nicht, wird nicht thematisiert. Die Frage, inwiefern wir verpflichtet sein könnten, allen Menschen, die zur Solidaritätsgemeinschaft der „Menschheitsfamilie“ gehören, einen Zugang zur Ressource Erdöl zu gewährleisten, bleibt außerhalb der Effizienz1Fragestellung.
2. Der Economic Point of View der ökonomischen Vertragstheorie: „Efficiency follows from consent“ (Effizienz2) Nach James M. Buchanan ist das wohlfahrtsökonomische Effizienzkriterium (Effizienz1) deswegen verfehlt, weil es nicht die Menschen, sondern die Kalkulationsmaschine zum Maß aller Dinge erhebe. „[A]rguments promoting abstract efficiency as a social objective gain few adherents. Hence, these arguments carry relatively little by way of potential for garnering votes in any electoral process. Efficiency, as a norm for policy, carries little or no emotive trust and economists should never have been surprised that their unqualified advocacy of efficiency-enhancing changes in structure falls on deaf ears“9.
Demgegenüber geht Buchanans vertragstheoretischer Ansatz von der Grundfrage aus, welche Interessen die Menschen selber haben, welche Wünsche sie gerne verwirklicht sehen möchten und nach welchen Regeln sie mitei___________ 8 9
Samuelson (1954), S. 389. Buchanan (1991), S. 119.
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Michael Schramm
nander umgehen möchten. Diesen Approach hat Buchanan schon 1959 prägnant auf den Punkt gebracht: „[T]he political economist is concerned with ‚what people want‘“10.
Obgleich man mit Ingo Pies formulieren könnte, dass es Buchanan damit „[i]n normativer Hinsicht [...] eher um Gerechtigkeit als um Effizienz“11 gehe, scheint mir die prägnant formulierte Gegenüberstellung von wohlfahrtsökonomischem und vertragstheoretischem Approach bei dem Rechtsphilosophen Jules L. Coleman den springenden Punkt zu treffen: „Consent follows from efficiency [= Effizienz1]. Buchanan puts the matter in exactly the opposite way. What people consent to is efficient. Efficiency [= Effizienz2] follows from consent“12.
Während wohlfahrtsorientierte Ökonomen der geneigten Öffentlichkeit erklären, wie die Wohlfahrt maximierende Maschine effizient (= optimal) funktioniert (Effizienz1) und anschließend erwarten, dass die – hoffentlich nicht aus ökonomischen Analphabeten bestehende – Bevölkerung dankbar und ergeben die Wohlfahrtshostie konsumiert, bilden bei vertragstheoretisch orientierten Ökonomen wie Buchanan die Menschen selber die letzte Quelle des Ansatzes und der Bewertung, was als effizient (Effizienz2) eingestuft werden kann: „Individuals themselves are the sources of evaluation“13.
Es gibt keine andere verfügbare Quelle, auch nicht der möglicherweise objektiv beeindruckende Output einer marktwirtschaftlichen „Kalkulationsmaschine“. Vielmehr geht es darum „what people want“. Die Werte und Interessen der Leute bilden für Buchanan die „basic inputs“ seiner dann institutionenökonomischen Erarbeitung zweckdienlicher Mittel (Institutionen) zu deren Umsetzung14 – und dies ist dann effizient (Effizienz2). Jedem sein Himmelreich (sozusagen) – aber in Abstimmung mit den anderen. Bis zu diesem Punkt könnte Buchanans Ansatz sowohl zur Modellierung eines economic point of view (im Sinn der Effizienz2) als auch eines moral point of view (Gerechtigkeit) eingesetzt werden. Die Wege trennen sich aber bei der Präzisierung der Bedingungen, die als notwendig für einen gültigen Konsens angesehen werden: Während Buchanan hier normativ vom Status Quo ausgeht und den Konsens paretosuperiorer Lösungen (= Effizienz2) akzeptiert, verwendet der moral point of view einen „kontrafaktischen“ Approach, der beispiels___________ 10
Buchanan (1959), S. 137. Pies (1996), S. 8, A. 12. 12 Coleman (1992), S. 98 (Hervorhebungen: M.S.). 13 Buchanan (1987), S. 244. 14 Buchanan (1991), S. 59. Buchanan (1975/1984, S. 2) erklärt, dass er „die Existenz seiner Mitmenschen und deren Wertvorstellungen anerkennen“ will. 11
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weise durch das Gedankenexperiment eines virtuellen „Urzustands“ simuliert werden kann.
III. Der Moral Point of View: Gerechtigkeit Haben wir in der ökonomischen Theorie – wie gesehen – widerstreitende Konzeptionen „Effizienz“ (Effizienz1 versus Effizienz2) so wird die Übersichtlichkeit nicht gerade größer, wenn wir uns dem Begriff der „Gerechtigkeit“ nähern. In diesem Abschnitt möchte ich zunächst idealtypisch herausstellen, dass die vertragstheoretisch rekonstruierte, stets aber ökonomische Kategorie der Effizienz2 im Sinne James Buchanans nicht identisch ist mit der ethischen Kategorie der Gerechtigkeit. Zwar notiert Ingo Pies (wie bereits zitiert), Buchanan gehe es „[i]n normativer Hinsicht [...] eher um Gerechtigkeit als um Effizienz“15, doch verwischen solche Bemerkungen m. E. den konzeptionellen Unterschied zwischen dem economic und dem moral point of view. Nicht einmal von dem Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls wird dieser Unterschied hinreichend verdeutlicht. Worum geht es? Beginnen wir mit John Rawls. Bekanntlich konzipiert Rawls „Gesellschaft“ (society) als „a cooperative venture for mutual advantage“16. Bleibt diese Definition noch deutungsoffen, so präzisiert der (sonst von mir sehr geschätzte) Moralphilosoph seine Gerechtigkeitstheorie in Bezug auf die zur „original position“ überhaupt zugelassenen Parteien dann aber dahingehend, dass der Urzustand von vornherein nur für einen „Bereich des Normalen“ („the normal range“)17 offen stehe, d. h. für „full and active participants in society“18. „Thus the problem of special health care and how to treat the mentally defective are aside“19.
Dies bedeutet, dass Rawls nur diejenigen Individuen zur Solidargemeinschaft des Urzustands zulässt, die in den „Bereich des Normalen“20 fallen, sprich: die einen aktiven Beitrag zu den Kooperationsrenditen der Gesellschaft leisten können. Dies ist m. E. eine erkennbar ökonomische Prämisse. Völlig zu Recht erklärt der Sozialphilosoph Wolfgang Kersting hierzu: ___________ 15
Pies (1996), S. 8, A. 12. Rawls (1971), S. 4. 17 Rawls (1993/2005), S. 25 (dt.: Rawls 1993/1998, S. 93). 18 Rawls (1993/2005), S. 272, f. 10 (dt.: Rawls 1993/1998, S. 384, A. 10). 19 Rawls (1993/2005), S. 272, f. 10 (dt.: Rawls 1993/1998, S. 384, A. 10). 20 Rawls (1993/1998), S. 384. 16
20
Michael Schramm „Bei Rawls haben wir [...] eine Betriebsversammlung [...] des Kooperationsunternehmens Marktgesellschaft [vor uns] [...]. Dieser ökonomische Ausgang prägt den Problemhorizont und die Lösungswege“21.
In dieser Hinsicht setzen die Konzeptionen von John Rawls einerseits und James Buchanan andererseits außerordentlich ähnlich an. Denn auch bei Buchanan geht es selbstverständlich um Kooperationsrenten: „[T]he political economist’s task is completed when he has shown the parties concerned that there exist mutual gains ‘from trade’ “22.
Man kann sagen: Die (sonst teilweise sehr unterschiedlichen) Ansätze des Moralphilosophen John Rawls, des Ökonomen James Buchanan und des Wirtschaftsethikers Karl Homann fokussieren allesamt eine „Ethik-Konzeption, in der diese moralischen Regeln [...] zur Investition mit der Erwartung von Rendite [werden]; [...] zu einer Investition in Erhalt und Ausbau der Kooperationsbeziehung“23.
Ich frage mich, wo hier ein moral point of view liegen soll. Ich bin zwar auch der Meinung, dass eine moralisierende Polemik gegen die Eigennutzinteressen auch aus ethischem Gesichtspunkt nicht angebracht ist. Insofern ist gegen „mutual gains from trade“ (win-win) selbstverständlich überhaupt nichts zu sagen, im Gegenteil. Trotzdem trifft das Argument von Kooperationsrenditen einfach nicht den springenden Punkt des moral point of view. Kooperationsrenditen und „mutual gains from trade“ sind nichts anderes als produktiver Tausch, also „Geschäft“, ökonomisch zweckmäßige Angelegenheiten. Dem moral point of view aber geht es um die Integrität oder Fairness der Interaktionen, und zwar unabhängig davon, ob dann eine Kooperationsrendite herausspringt (was natürlich am besten ist) oder ob man auch mal einen Nachteil in Kauf nehmen muss. Sicher ist es zweckmäßig, die Dinge möglichst so auszugestalten, dass moral point of view und economic point of view konvergieren oder sogar zusammenfallen; aber genau dieses soziale Ziel, dass die beiden Perspektiven – die ethische und die ökonomische – möglichst konvergieren sollen, zeigt ja, dass die beiden Blickwinkel „ontologisch“ differieren. Näherhin geht es dem moral point of view nicht nur um die Kooperationserträge („potential gains from trade“), sondern um eine integre Identität des Zusammenlebens, d. h. zunächst einmal um Wer-Fragen, um „identitätssemantische“ Fragen: 1.
Wer gehört zu uns? Wer gehört zur Solidargemeinschaft? Nur die „vollen und aktiven Gesellschaftsmitglieder“ (John Rawls), von denen man sich Kooperationsgewinne versprechen kann, oder aber alle Menschen, auch wenn von ihnen keine Kooperationsrente zu erwarten ist?
___________ 21
Kersting (2000), S. 167 f. Buchanan (1959), S. 129. 23 Homann (2004), S. 8 f. 22
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
2.
21
Wer wollen wir sein? Eine Gesellschaft von Menschen, die sich aufgrund der Potenziale ihrer Kooperationserträge definieren, oder eine Gesellschaft von Menschen, die sich grundsätzlich als „Nächste“ anerkennen?
Insofern verfehlen Rawls, Buchanan und Homann m. E. das Spezifikum des moral point of view. So hebt etwa die „ökonomische Theorie der Moral“ darauf ab, dass sich alle Moral in terms of economics rekonstruieren lässt, dass sie sich schlussendlich nicht durch die praktische Vernunft der Moralphilosophie, sondern nur durch den Aufweis von (im weiten Sinn) ökonomischen Vorteilen (potential gains) begründen lässt, und dass die Wirtschafts- und Unternehmensethik daher keine genuine (,jungfräuliche‘) moralische Motivation brauche. Die ,ökonomische Theorie der Moral‘ geht daher weiter als der economic approach Gary S. Beckers, der keine „ontologischen“ Aussagen über die Interessen macht24, während die „ökonomische Theorie der Moral“ von der methodischen Prämisse ausgeht, moralische Interessen seien in Wirklichkeit ökonomische Interessen, so dass sich die (bei Becker vorgesehene) inhaltliche Polylingualität möglicher Interessen zusätzlich in die inhaltliche Monolingualität eines eigeninteressierten Vorteilsstrebens auflöst. Während die „ökonomische Ethik“ erklärt, moralische Interessen seien in Wirklichkeit („ontologisch“) nichts anderes als ökonomische Eigennutz-Interessen, ist meiner Meinung nach das moralische Interesse „ontologisch“ nicht ein Abzielen auf Kooperationsrenten, sondern auf die Integrität der Verhältnisse (Gerechtigkeit / Fairness; Würde aller usw.). Um die oben skizzierte Begrifflichkeit aufzugreifen: Buchanan und Homann identifizieren Gerechtigkeit und Effizienz2, transformieren also die ethische Kategorie der Gerechtigkeit in eine ökonomische Kategorie intersubjektiver Effizienz2. Der Gerechtigkeit geht es jedoch nicht nur um Effizienz1 oder 2, sondern darum, dass jeder „das Seine“ bekommt – und „das Seine“ kann ethisch gesehen nicht nichts sein (was aber im Licht des Kriteriums Effizienz2 bei denjenigen der Fall wäre, die im Kooperationsunternehmen Gesellschaft nichts anzubieten haben). Wenden wir die konzeptionellen Unterschiede wiederum auf das Erdölproblem an, so ergibt sich eine entscheidende Differenz zwischen der „Brille“ der Effizienz2 einerseits und der Gerechtigkeit andererseits: –
Buchanans und Homanns Konzeption der Effizienz2 hat m.E. den Nachteil, insofern die Schieflagen (Ungerechtigkeiten) des Status Quo zu reproduzieren, als auch kleine (paretosuperiore) Verbesserungen der global derzeit krass ungleichen Versorgung mit der Ressource Erdöl normativ akzeptiert
___________ 24 „Along with others, I have tried to pry economists away from narrow assumptions about self-interest. Behavior is driven by a much richer set of values and preferences. The analysis assumes that individuals maximize welfare as they conceive it, whether they be selfish, altruistic, loyal, spiteful, or masochistic. [...] [T]hey try as best as they can“ (Becker 1993, S. 385 f.).
22
Michael Schramm
werden; sie hat aber den pragmatischen Vorteil, vom tatsächlichen Status Quo und nicht von einem moralisch idealen „Wolkenkuckucksheim“ auszugehen. –
Die Konzeption der Gerechtigkeit (so wie ich sie entwickelt habe) hat den Vorteil, dass die normative Frage thematisiert wird, wie viel Erdöl einem jeden Menschen von einem wirklich unparteilichen und damit von den derzeitigen Schieflagen nicht verzerrten Blickwinkel aus zusteht; sie hat aber damit natürlich den pragmatischen Nachteil, sich mit möglicherweise idealisierten Forderungen allzu weit vom realiter Erreichbaren zu entfernen.
IV. Der moralökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit: Die in den Abschnitten II. und III. vorgestellten points of view sind allesamt „idealer“ Natur. Die Wirklichkeit gestaltet sich komplexer und fragiler. Der Versuch, diese „idealen“ points of view eins zu eins, „völlig „idealistisch“ also in die Wirklichkeit zu übersetzen, produziert unweigerlich kontraintentionale Prozesse. Um diese praktischen Zusammenhänge von Gerechtigkeit und Effizienz etwas zu differenzieren, möchte ich einige Strukturierungsvorschläge machen. (1) „Flexible Gerechtigkeit“. Aber selbst wenn man den genuin ethischen Charakter der Gerechtigkeit nicht wegdefiniert, sondern Gerechtigkeit als moralisches Konzept versteht, beginnt sogleich der Streit der Gelehrten und Stammtische, was denn nun diese Gerechtigkeit sei. Dem Begriff der Gerechtigkeit ergeht es nicht besser als den Begriffen der Wahrheit oder der Zeit: Was Wahrheit, was Zeit oder was Gerechtigkeit ist, weiß jeder – irgendwie. Wenn man aber genauer sagen soll, was in dieser oder jener lokalen Situation gerecht oder ungerecht ist oder wie eine wirklich gerechte Spielregel konkret auszusehen hat, dann werden die Dinge rasch kompliziert und der Streit beginnt. Angesichts der Tatsache, dass bereits der griechische Philosoph Aristoteles eine Vielfalt unterschiedlicher Gerechtigkeitsformen unterscheiden musste, ist das auch nicht erstaunlich. „‚Gerechtigkeit‘ und ‚Ungerechtigkeit‘ sind [...] mehrdeutige Begriffe“25.
Im Ergebnis muss man mit dem Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls wohl nach wie vor kurz und bündig einräumen: „[W]hat is just and unjust is usually in dispute“26.
___________ 25 Aristoteles (Nikomachische Ethik V), dt. Übersetzung zit. nach: Horn/Scarano (2002), S. 62.
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
23
Auf Gerechtigkeit berufen sich alle, und meinen gleichzeitig alle etwas anderes damit. Angesichts dieser Lage vielfältigen Widerstreits habe ich den Vorschlag gemacht, eine ethische (!) Theorie der Gerechtigkeit im Sinn einer „flexiblen Gerechtigkeit“ weiter zu entwickeln27. Denn wenn man ehrlich ist, kommt man nicht umhin festzustellen, dass sich kein singuläres Gerechtigkeitsprinzip oder -verfahren identifizieren lässt, das in ethisch relevanten Entscheidungsfällen des wirklichen Lebens auf sämtliche Entscheidungsprobleme gleichermaßen passt. Drei Beispiele hierfür: –
Fallbeispiel 1: 9/11 II. Nach dem 11. September 2001 wird verstärkt diskutiert, inwiefern der Abschuss von Flugzeugen, die mutmaßlich entführt wurden, um terroristische Angriffe auf Bodenziele durchzuführen, ethisch und/oder juristisch akzeptabel, geboten oder verboten ist. Dieses Mittel ist in Deutschland nach dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 nicht legal28. Das BVerfG legt hier ein „indisponibles Grundrecht“ (ein deontologisches Gerechtigkeitskriterium der Menschenwürde unschuldigen Lebens), aber viele Leute werden ein utilitaristisches Gerechtigkeitskriterium der „greatest happiness of the greatest number“ als angemessener erachten.
–
Fallbeispiel 2: Nierentransplantationen. Das Problem besteht in der Organknappheit. Nun können wir uns auf einer ethischen Begründungsebene zwar zunächst einmal auf das Prinzip der ‚Würde‘ oder der unverrechenbaren Gleichwertigkeit aller Menschen einigen29. In der Entscheidungssituation des wirklichen Lebens aber sind wir gezwungen, uns für bestimmte Verteilungsregeln zu entscheiden, die sich quer legen zu dem moralischen Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen. Denn hier muss eine Auswahl getroffen werden, wer es wert ist, eine Niere zu bekommen und wer nicht – und damit machen wir nichts anderes, als „Preise“ festzusetzen.
–
Fallbeispiel 3: Arbeitsmarkt und Existenzminimum. In Hartz IV kann jemandem, der einen 1-€-Job oder eine sonstige zumutbare Arbeit ablehnt,
___________ 26
Rawls (1971), S. 5. Schramm (2007). 28 „Die Ermächtigung der Streitkräfte, [...] durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden“ (BVerfG am 15.02.2006, 1 BvR 357/05). 29 „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was [...] über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“ (Kant 1785/1974, S. 68). 27
24
Michael Schramm
bekanntlich das Alg II stufenweise gekürzt werden (SGB II, § 31). Genau dies widerspricht laut Bernhard Emunds der „ethische[n] Verpflichtung, den Bürgerinnen und Bürgern ohne Arbeit ein Transfereinkommen zu geben, mit dessen Hilfe sie [...] menschenwürdig leben [...] können. [...] Werden Sozialtransfers an Arbeitslose gekürzt, weil diese eine ihnen angebotene Stelle abgelehnt haben und rutschen die Betroffenen und ihre Familie durch die Kürzung unter das soziokulturelle Existenzminimum, dann stellt dies eine massive Ungerechtigkeit dar“30.
Andere hingegen setzen genau auf diese Kürzungen, um Anreize zu setzen, dass die Hartz-IV-Empfänger ihrer ethischen Pflicht zur „Gegenseitigkeit“ nachkommen: Warnfried Dettling etwa vertritt „das Prinzip der Gegenseitigkeit [...]: Jeder in Not hat Anspruch auf Hilfe der Solidargemeinschaft [...]. Jeder, dem so geholfen wird, hat die Pflicht, nach Kräften etwas zurückgeben“31. „Solidarität ist keine Einbahnstraße“32.
Das Ziel, nur ein einziges und unverrückbares Gerechtigkeitsmuster zu definieren, mag auf einer separierten moraltheoretischen Begründungsebene noch durchführbar sein, lässt sich aber auf der Anwendungs- und der Implementierungsebene des wirklichen Lebens nicht durchhalten. Dass man sich einer größeren Gerechtigkeit vielmehr nur sachlogisch und lokal differenziert, pluralitätsbewusst, kompromissbereit (gegebenenfalls unter Inkaufnahme von tragic choices), kurz: „flexibel“ annähern kann, legt eine ganze Reihe konzeptioneller Indizien aus den einschlägigen Ethikdebatten der letzten Jahre nahe: –
So war einer der ersten Gerechtigkeitstheoretiker, der in konzeptionell grundsätzlicher Weise von einer Pluralität diverser Verteilungsverfahren ausging, der Moralphilosoph Michael Walzer. Er geht von differenten spheres of justice aus, deren irreduzible Pluralität nicht durch ein einziges (philosophisch überhöhtes) Gerechtigkeitsprinzip aufgehoben werden könnten33.
–
In konzeptioneller Fortführung des Ansatzes von Walzer entwickelte der norwegische Philosoph und Politikwissenschaftler Jon Elster in den 90er
___________ 30
Emunds (2007), S. 161. 170. Dettling (1998), S. 43. 32 Dettling (2000). 33 „In einem klaren Gegensatz dazu steht die Basisannahme der meisten Philosophen, die über Gerechtigkeit nachgedacht haben, und zwar von Platon angefangen; für sie gibt es nur ein einziges philosophiefähiges bzw. philosophisch begründetes Verteilungssystem“ (Walzer 1983/1992, S. 29). Nach Walzer aber gibt es „einfach keine einzige richtige Verteilungsregel oder einen konsistenten Satz von Verteilungsregeln, nach der man alle heute begehrten Güter verteilen könnte. Dies ist der Punkt meiner Meinungsverschiedenheit mit John Rawls und anderen Philosophen, deren ,Gerechtigkeitsprinzipien‘ in der Lage sein sollen zu bestimmen, wie alle wichtigen Güter verteilt werden sollen“ (Walzer 1983/1992, S. 12). 31
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
25
Jahren sein Forschungsprogramm einer „Local Justice“34. Ausgangspunkt war schlicht die empirische Beobachtung, dass die Kriterien einer gerechten Verteilung knapper Güter (u.a. medizinische Güter und Dienstleistungen, Studienplätze, gesellschaftliche Positionen, Sozialwohnungen, Arbeitsplätze bzw. Entlassungen, Kindergartenplätze, Staatsbürgerschaften) lokal (= sachlich, zeitlich, örtlich) stark variierten35. Nun kann man aber nicht einfach sagen, dass man in einem lokalen Fall der Gerechtigkeit näher gekommen sei als in einem anderen lokalen Fall. Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Mischungen mehr oder weniger angemessener Gerechtigkeitskriterien, die allesamt eine bedauerliche Distanz zu idealen Gerechtigkeitsverhältnissen aufweisen36. Insoweit Gerechtigkeitsentscheidungen lokalen Charakter aufweisen, werden die Dinge schwieriger: „[L]ocal justice is above all a very messy business. To a large extent it is made up of compromises, exceptions, and idiosyncratic features“37.
–
Pluralität und Lokalität der Gerechtigkeitsdimension werden schließlich auch von dem indischstämmigen Wirtschafts-Nobelpreisträger Amartya Sen hervorgehoben, wobei Sen eine – wie ich finde – konzeptionell interessante Auseinandersetzung mit Rawls’ Gerechtigkeitsphilosophie und seinem „Recht der Völker“ bietet. Er unterscheidet zunächst als mögliche Konzeptionen globaler Gerechtigkeit einen Großen Universalismus (z. B. eine original position mit allen Menschen und dementsprechend ein globales difference principle) von einem Nationalen Partikularismus (also z. B. Rawls’ eigenes Recht der Völker). Diesen beiden Möglichkeiten setzt er sein eigenes Gerechtigkeitskonzept der plural affiliations (der pluralen Zugehörigkeiten) entgegen: „Der Ausgangspunkt dieses Ansatzes – ich werde ihn ,plurale Zugehörigkeit‘ nennen – kann in der Anerkennung der Tatsache bestehen, daß wir alle multiple Identitäten haben und daß jede dieser Identitäten Interessen und Forderungen mit sich
___________ 34
Elster (1990); Elster (1992). „In one sense of ‘local’ [...] the word refers to the fact that different institutionel sectors use different substantive principles of allocation. [...] By enabling crossnational comparisons, these projects suggest a different sense of ‘local’: allocative principles and practices can differ across countries, as well as across arenas. [...] [A] third sense in which allocative decisions are ‘local’ has become clear. [...] [I]t turned out that local [allocation] centers [...] apply their own variants of the general scheme“ (Elster 1992, S. 3). 36 „Probleme lokaler Gerechtigkeit werfen häufig schwierige Abwägungsfragen auf. Nicht selten erfordern sie ‚tragic choices‘, die keinerlei optimale Lösungen zulassen; zum einen, weil mehrere ‚gleich gute‘ Entscheidungsoptionen zur Verfügung stehen, die allesamt mit guten Argumenten verteidigt werden können und deshalb eine begründete Auswahl erschweren, zum anderen aber auch deshalb, weil jede Wahl mit unbefriedigenden Konsequenzen bzw. Nebenfolgen verbunden ist“ (Schmidt 1992, S. 6). 37 Elster (1992), S. 15. 35
26
Michael Schramm bringt, die Interessen und Forderungen, die aus anderen Identitäten entstehen, wesentlich ergänzen oder mit ihnen ernsthaft in Konkurrenz stehen“38.
Die moraltheoretische Relevanz dieser plural affiliations liegt darin, dass in jeder lokalen Situation eine unterschiedliche Mischung relevanter (berechtigter) Interessen vorliegt, die in der Konsequenz auch unterschiedliche = lokal gerechte Lösungen nahe legen. Wenn Menschen plurale Identitäten haben (z. B. ist jemand Deutsche, Frau, Ärztin und Christin), dann kann jede dieser Identitätsbestandteile in einer Rawls’schen originial position durchgespielt werden. Diese Frau kann sich z. B. fragen, welchen Rechte und Pflichten sich aus ihrer Identität in einer weltweiten Gemeinschaft von Ärzten ergeben, oder welchen Rechte und Pflichten aus ihrer Identität in einer weltweiten Gemeinschaft von Christen Ärzten resultieren39. Jedenfalls ist der Bezugspunkt für das Nachdenken über Gerechtigkeit (und nur darum geht es hier) nicht mehr nur die eigene Nation, sondern eben jene Vielfalt von plural affiliations. So besteht ein interessanter Punkt des pragmatisch orientierten Vorschlags Sens, dass er nicht den extremen Alternativen bei Rawls folgen muss, der einerseits eine grundsätzlich philosophisch orientierte Gerechtigkeitstheorie entwickelt hat, diese andererseits aber aus konzeptionellen Gründen dann nicht in weltweitem Maßstab anwenden kann. Sen dagegen lokalisiert (pluralisiert, flexibilisiert) Rawls’ Urzustand gewissermaßen40. Sen „plädiert dafür, das Rawls’sche Urzustandsverfahren flexibel zu handhaben“41. „Unsere Gerechtigkeitskultur ist [...] ,so kompliziert wie das Leben selbst‘“42. Um allen Betroffenen gerecht zu werden, d. h. ihnen das Ihre zu geben („suum cuique“) – was, um es nochmals zu sagen, eine andere oder weitergehende Forderung darstellt als nur die Rekonstruktion von Kooperationsrenditen –, muss man m. E. lokal differenziert vorgehen. Vermutlich ist diese flexible Gerechtigkeit die aktuelle Variante des klassischen suum cuique. (2) Drei Ebenen. Bei der Erörterung des Modells einer „flexiblen Gerechtigkeit“ wurde schon mehrfach das Problem angesprochen, dass man bei der Verhandlung von Gerechtigkeitsfragen mindestens drei unterschiedliche Ebenen
___________ 38
Sen (1999/2002), S. 472. Sen (1999/2002), S. 473. 40 „Das Mittel des Urzustands kann in weniger umfassenden, weniger einmaligen und weniger durchstrukturierten Formen genutzt werden, ohne einer kanonischen Formulierung von seiten des nationalen Partikularismus absoluten Vorrang einzuräumen“ (Sen (1999/2002), S. 472 f.). 41 Horn/Scarano (2002), S. 354. 42 Krebs (2000), S. 27. 39
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
27
unterscheiden muss (darauf hat mich schon vor Jahren Gerhard Kruip völlig zutreffend hingewiesen)43. Zunächst im Überblicksschaubild: Justification
Principles of justice
ideal
Application
Flexible Justice
real
Justice Implementation
Efficiency Power
actual
… Abbildung 1: Drei Diskursebenen
Nur theoretische Gerechtigkeitsbegründungen eines bestimmten Ziels (zum Beispiel eines gerechten Zugangs zu den globalen Ölreserven) sind unzureichend im Hinblick auf eine praktikable Implementation, und zwar in mehrfacher Hinsicht: (2.1) Diskurstypen. Den ersten Baustein für die Generierung des obigen Schemas hat der Philosoph Jürgen Habermas geliefert, indem er zwischen zwei unterschiedlichen Ebenen der moralischen Argumentation unterschied: –
Die erste Ebene ist die Ebene des rein theoretischen „Begründungsdiskurses“. Hier geht es um die prinzipielle Begründung einer bestimmten moralischen Norm, zum Beispiel: „Du sollst nicht lügen!“
–
Die zweite Ebene besteht in einem „Anwendungsdiskurs“ bzw. „Applikationsdiskurs“. Hier spielen sich die Diskussionen ab, welche von unter Umständen konfligierenden moralischen Normen in einer bestimmten lokalen Situation angemessen(er) ist. Berühmtes und sich bereits bei Kant findendes Beispiel: Ist es moralisch angemessener, einem Killer wahrheitsgemäß zu sagen, wo sich sein Opfer befindet oder ihn in die falsche Richtung zu schicken, um dem Ziel, das Leben des Opfers zu schützen, Rechnung zu tragen?44 Anwendungsdiskurse bestehen also in der Erörterung der Frage,
___________ 43
Kruip (2002), S. 118 f. So auch Kruip (2002), S. 118: „In der Anwendungsfrage geht es um die Frage, ob und ggf. wie eine als begründet ausgewiesene Norm (z. B. nicht zu lügen) in einer bestimmten Situation angewandt werden kann (z. B. im Falle des Versteckens eines Freundes vor ungerechter und lebensbedrohender Verfolgung), was auch bedeutet, nach der moralischen Verpflichtung für einen Handelnden in einer solchen Situation zu fragen“. 44
28
Michael Schramm
welche der konfligierenden Normen in der lokalen Situation appliziert werden sollte und welche nicht. Dabei sind bei Habermas beide Diskursarten, also sowohl der Begründungsals auch der Anwendungsdiskurs (Applikationsdiskurs) moralische Diskurse: Habermas kennt nur „moralische[r] Begründungs- und Anwendungsdiskurse“45. Anwendungsdiskurse drehen sich lediglich um die diskursive Klärung, welche von konfligierenden Moralnormen in der jeweiligen lokalen Situation angemessen(er) ist. Auch Karl-Otto Apels „Teil B“ seiner Diskursethik, sein „verantwortungsethisches Ergänzungsprinzip E“, ist konzeptionell ein „Begründungsteil B, der die Diskursethik als Verantwortungsethik ausweist“46. Diese zweistufige Unterscheidung von Diskursarten (Begründungs- und Anwendungsdiskurs) reicht aber m. E. nicht aus, um die tatsächliche Situation adäquat zu beschreiben. Es bedarf einer dritten Ebene: der Implementationsebene. –
Auf der dritten Ebene, der Implementationsebene, finden wir neben den moralischen auch alle anderen (= außermoralischen) orientierungsrelevanten Gesichtspunkte wieder: ökonomische Kostenaspekte ebenso wie politische Machtrestriktionen usw. Faktisch büßt hier die Moral ihren kategorischen Charakter ein. In Implementationsdiskursen kann weder die Ethik noch irgendeine andere Disziplin (auch nicht die Ökonomik2) die Regie im Alleingang übernehmen. In Eigenregie kann die Ethik eben doch nur die ethischen Begründungs- und Applikationsdiskurse führen, die als solche dann aber nicht nur ein irrelevantes Wolkenkuckucksheim, sondern eine kohärente ethische Heuristik liefern (können), auf die man in Implementationsdiskursen zurückgreifen kann.
(2.2) „Ontologische“ Existenzformen. Ein zweiter Baustein des obigen Schema betrifft den „ontologischen“ Status moralischer Normen in der Welt, in der wir leben. Hierzu hat der Philosoph Alfred N. Whitehead seinerzeit eine hilfreiche terminologische Differenzierung zwischen drei Formen der Existenz vorgenommen: –
Die erste nennt er „actuality“ (Wirklichkeit) und bezeichnet damit die gegebenen Fakten, also das was (aktual) ist.
–
Die zweite Existenzform nennt er „reality“ (Realität): Hier geht es um eine potenzielle Existenz, aber eine solche, die hier und heute verwirklicht werden könnte: „The future has […] reality in the present, but no […] ac-
___________ 45 46
Habermas (1991), S. 141. Apel (1997), S. 168*.
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
29
tuality“47. Realität ist etwas, was wirklich („actual“) werden kann48: „The present is the […] process whereby reality becomes actual“49. –
Zum dritten gibt es bei Whitehead noch einen weiteren Typus potenzialer Existenz: die „reinen“ oder „idealen“ Potenziale. Whitehead unterscheidet also zwischen einer „idealen“ (generellen, reinen) Potenzialität auf der einen Seite und der „realen“ Potenzialität auf der anderen Seite. Die idealen Potenziale nennt er „eternal objects“: „The eternal objects are the pure potentials of the universe“50.
Während die reinen (idealen) Potenziale für den wirklichen Prozess des Universums hier und jetzt nur abstrakte Möglichkeiten darstellen, könn(t)en die realen Potenziale hier und jetzt tatsächlich verwirklicht werden. Beispielsweise ist die Möglichkeit, dass der Mensch aus eigenen Kräften (also ohne Hilfsmittel) sich in die Lüfte erhebt und fliegt, hier und heute eine nur reine oder ideale Möglichkeit; es mag aber sein, dass die Evolution eines schönen Tages menschliche Lebewesen entwickelt hat, für die die Möglichkeit zu fliegen eine bereits reale, also tatsächlich ergreifbare Möglichkeit darstellt51. Angewandt auf moralische Normen bedeutet dies: Moralische Normen mögen ethisch begründet sein, doch diese valide ethische Begründung fundiert lediglich ein moralisches Ideal, eine reine moralische Existenzweise, noch lange nicht aber eine wirkliche (aktuale) Existenz in der „physischen“ Welt, in der wir leben. Auf der einen Seite ist die moralische Idealität dieser Normen (mehr oder weniger) unabhängig vom aktualen Status Quo, und die (weit weniger ideale) Wirklichkeit kann diese moralischen Ideale nicht ihrer (idealen)
___________ 47
Whitehead (1929/1979), S. 215. „It is the reality of what is potential“ (Whitehead 1929/1979, 66). 49 Whitehead (1929/1979), S. 214. Whitehead ist der Erfinder der sog. „process philosophy“, in der die aktuale und gegenwärtige Welt als ein Prozess verstanden wird. Ein wirklicher Prozess setzt Möglichkeiten voraus, die aktualisiert werden können: „The process [...] is the transformation of the potential into the actual“ (Whitehead 1936/1968, S. 151). Daher gilt: „The process is the achievement of actuality“ (Whitehead 1927/2007, S. 114). Sein Hauptwerk trägt den Titel „Process and Reality“ (Whitehead 1929/1979). Der Begriff reality beschreibt die Potentiale für den aktualen Prozess der gegenwärtigen Welt. 50 Whitehead (1929/1979), S. 149. 51 Es gibt also „the ‘general’ potentiality, which is the bundle of possibilities [...] provided by the multiplicity of eternal objects, and […] the ‘real’ potentiality, which is conditioned by the data provided by the actual world. General potentiality is absolute, and real potentiality is relative to some actual entity“ (Whitehead 1929/1979, S. 65) or the given actuality. 48
30
Michael Schramm
Existenz berauben52. Auf der anderen Seite stellt die moralische Idealität begründeter (Gerechtigkeits)Prinzipien allein in keiner Weise ihre Applikation oder Implementation in der wirklichen (aktualen) Welt sicher. Und der Grund hierfür ist die Polydimensionalität der wirklichen Welt, in der wir leben. Auch die auf der Applikationsebene in Anwendungsdiskursen gefundenen situationsangemessenen moralischen Normen können zwar auf der Implementationsebene eingebracht werden, finden sich dort aber mit einer Vielzahl konkurrierender Ansprüche wieder: Neben den moralischen Gerechtigkeitsaspekten spielen hier ökonomische Kostenaspekte ebenso eine Rolle wie politische Machtaspekte, juristische Gesichtspunkte oder technische Normen. Die Welt in der wir leben (= die Aktualität, die wirklichen Prozesse, die Ebene der Implementation) ist polydimensionaler Natur. Nicht nur der moral point of view kann eine Rolle spielen, sondern auch der economic point of view oder technische Aspekte oder politische Restriktionen. Alle diesen Dimensionen sind Realitäten, die auf der Implementationsebene der wirklichen (aktualen) Welt wichtig werden können. (3) Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit. Es liegt in der Natur der (aktualen) Implementationsebene, dass sie polydimensionalen Charakter besitzt: Hier spielen ökonomische Effizienzaspekte ebenso eine Rolle wie die politische Machtdimension oder moralische Gerechtigkeitsperspektiven. Es ist also genau hier, wo Gerechtigkeit und Effizienz aufeinander treffen und vermittelt werden müssen. Effizienzargumente spielen eine Rolle (und damit auch das beliebteste Instrument der Effizienzproduktion: Märkte), aber auch moralische Gerechtigkeitsargumente werden eingeklagt. Auf der Implementationsebene wird die ethische Diskursart also mit der Diskursart des Ökonomischen (sowie weiteren Diskursarten) konfrontiert. Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit ist praktischer, empirischer Natur. Dabei kann es sowohl zu positiven Rückkopplungen als auch zu Trade-Offs kommen. Die Herausforderung besteht darin, positive Rückkopplungen zwischen Gerechtigkeit und Effizienz zu befördern und kontraproduktive Trade-Offs zu minimieren. Auf der empirischen Implementationsebene ist regelmäßig zu beobachten, dass überzogene (idealistische) Gerechtigkeitsvorstellungen die ökonomische Effizienz in Mitleidenschaft ziehen können, aber auch umgekehrt idealisierte Effizienzvorstellungen – etwa Vorstellungen im Sinn der wohlfahrtsökonomischen Effizienz1 von der allwissenden „Kalkulationsmaschine“ – in der Lage sind, ein akzeptables Gerechtigkeitsniveau zu unterschreiten und das entsprechende gesellschaftliches Arrangement zu instabilisieren. Man muss in der Wirklichkeit also sowohl mit Trade-Offs zwischen Effizienz und Gerechtigkeit ___________ 52 In diesem Sinn hat Pogge (2007, S. 13) Recht: „[E]ven all governments together cannot legislate such rights out of existence“.
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
31
rechnen; zweckmäßig gehandhabt lassen sich aber auch positive Rückkopplungen erreichen. Gerechtigkeit +
Gerechtigkeit –
Effizienz +
Stabilität +
Stabilität (± ±)
Effizienz –
Stabilität (±)
Stabilität –
Abbildung 2: Trade-Offs und positive Rückkopplungen zwischen Effizienz und Gerechtigkeit
Ich neige aber zu der Vermutung, dass „idealistische“ Maximalforderungen – sowohl Forderungen nach einem Maximum an (optimaler, und nicht nur paretosuperiorer) Effizienz als auch Forderungen nach einem Maximum an (vollkommener, und nicht nur vergleichsweise größerer) Gerechtigkeit – auf Abwege führen. –
Wenn beispielsweise Peter Ulrich zu Stakeholder-Dialogen erklärt, es sei „eine abschliessende Aufzählung der Stakeholder nicht mehr möglich“53, dann zeigt dies, dass er auf einer moraltheoretischen Begründungsebene argumentiert, die eine Implementation von vornherein ausschließt oder aber an prohibitiv hohen Entscheidungskosten scheitern müsste; in letzterem Fall wäre die Gerechtigkeit (theoretisch) nahezu vollkommen, die Effizienz aber gleich Null.
–
Erdöl ist eine Ressource, die (in relevanten Zeiträumen) nicht erneuert werden kann. Wollte man nun mit einer Idee vollkommener intergenerationeller Verteilungsgerechtigkeit im Kopf allen Menschen aller Generationen einen fairen (hier: gleichen) Anteil an zusichern, so liefe das schlussendlich darauf hinaus, dass der Verbrauch in jeder Generation nahe bei Null liegen müsste.
Auch in Bezug auf Trade-Offs und positive Rückkopplungen zwischen Effizienz und Gerechtigkeit muss man also flexibel bleiben und sehen, was geht. In diesem Punkt wäre es interessant, Ken Binmores Vorstellungen eines entsprechenden bargaining konzeptionell aufzugreifen54.
___________ 53 54
Ulrich (1997), S. 442 f. Vgl. etwa Binmore (2007).
32
Michael Schramm
V. Natürliche Ressourcen zwischen globalem Markt und globaler Gerechtigkeit Wir leben aktuell nicht gerade in einer Welt, in der alle Dinge schön ausgeglichen wären. Hier nur drei Schlaglichter: –
Erdölverbrauch: Von den derzeit (Stand 2008) weltweit pro Tag verbrauchten 87 Mio. Barrel Erdöl entfallen 20,1 Mio. Barrel allein auf die USA. Der Erdölverbrauch von Botsuana beträgt hingegen 11.500 Barrel pro Tag.
–
Erdölreserven: Die weitaus größten Erdölreserven befinden sich in SaudiArabien (etwa 260 Mrd. Barrel), im Iran (etwa 130 Mrd. Barrel) und im Irak (etwa 115 Mrd. Barrel).55 Äthiopien hingegen hat praktisch überhaupt keine Erdölreserven (insgesamt 214.000 Barrel).
–
Erdöl-Weltmarktpreis: Der Weltmarktpreis für Erdöl ist stark vom swing producer Saudi-Arabien abhängig, konkret von der Fähigkeit und der Bereitschaft des US-Verbündeten, den Ölhahn je nach Marktlage einmal etwas zu- und dann wieder aufzudrehen.
Allein diese drei wahllosen Schlaglichter illustrieren die Tatsache, dass die Verteilung dieser enorm wichtigen, aber leider Gottes immer knapper werdende Ressource Erdöl in der Zukunft von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Faktoren abhängen wird, vor allem vom ökonomischen Kostenfaktor und von politischen Machtinteressen – ob auch moralische Gerechtigkeitsgesichtspunkte faktisch eine Rolle spielen können, bleibt abzuwarten56. Ein moralisches Gut ist das Erdöl aber auf jeden Fall, da es über Leben und Tod vieler Menschen, insbesondere in den Entwicklungsländern, (mit)entscheidet.
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___________ 55 Dass die US-Amerikaner wiederholt „Golfkriege“ führen, dürfte angesichts der noch vorhandenen Erdölreserven nicht ganz zufällig sein. Die geopolitische Zugangssicherung zu strategischen Ressourcen wie dem Erdöl gehört traditionell zu den wichtigen Zielen der US-amerikanischen Außenpolitik. 56 Skeptisch diesbezüglich etwa: Seifert/Werner (2005). Ihr Resümee lautet: Das Öl kennt keine Moral.
Der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit
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Michael Schramm
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Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma? – Korreferat zu Michael Schramm – Von Nadine Westphal
I. Vorbemerkungen Ein Dilemma beschreibt unter anderem den Zwang zu einer Auswahl zwischen zwei positiven Möglichkeiten. Nun lässt sich vermuten, dass eine Sache wohl gut „effizient“ und „gerecht“ zur gleichen Zeit sein kann. Wie sieht es jedoch aus, wenn Effizienz und Gerechtigkeit parallel in einen ethischen und ökonomischen Kontext gebracht werden? Mit seinem Beitrag „Der ethische und ökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit“ macht Michael Schramm auf das hohe Maß an Abhängigkeit vom Rohstoff Erdöl aufmerksam und weist zudem auf die Tatsache hin, dass dieser Rohstoff in naher Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Als Vertreter kontingenztheoretischer Konzeptionen fokussiert der Autor demnach Situationen, in denen angesichts differierender Interessen, etwa ökonomischer oder moralischer Natur, pragmatische Problemlösungen einen Ausweg bieten. In der Einleitung wird zunächst anhand von sechs Punkten die essentielle Einflussnahme des Rohstoffs Erdöl auf die Gesellschaft verdeutlicht. Dies geschieht auf drastische Art und Weise in Anlehnung an den Science-FictionRoman „Ausgebrannt“ von Andreas Eschbach. Zunächst beschreibt Schramm die extreme Abhängigkeit der modernen Industriegesellschaft und die künftig eintretende Knappheit, die durch den stetig ansteigenden Verbrauch einer absehbar endenden Ressource generiert wird. Anschließend erfolgt die Darstellung des Landes Saudi-Arabien als angehender Inhaber einer Schlüsselrolle auf der Weltbühne durch sein Ölmonopol, das sich seine Stellung in der (Welt-) Politik und auf dem (Welt-) Markt gewissermaßen durch langfristiges Dumping sichert. Denn die Problematik einer Sensibilisierung des Marktes beginnt laut Schramm schon lange bevor das Öl knapp wird. Die moderne Zivilisation wird gemäß seiner Einschätzung sehr empfindlich auf diese Verknappung reagieren und als unschöne Begleiterscheinung eine globale Ungerechtigkeit nach sich ziehen.
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Nadine Westphal
Die zunehmende Knappheit des Öls und die damit verbundenen ökonomischen wie sozialen Herausforderungen veranlassen Schramm zu einer Betrachtung des „economic point of view“. Er stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Effizienz. Hierbei unterscheidet er zwei Varianten, zum einen das traditionelle Effizienz-Verständnis der klassischen Wohlfahrtsökonomie (Effizienz1) und zum anderen Buchanans vertragstheoretischen Ansatz (Effizienz2). Während die Wohlfahrtsökonomie die Effizienz als ein rein technisches Problem betrachtet, orientiert sich die Ökonomische Vertragstheorie an dem was Menschen wollen1. Schramm favorisiert den durch Buchanan geprägten Ansatz von Effizienz. Dieser institutionenökonomische Approach trägt den Gerechtigkeitsaspekt gewissermaßen gleich in sich. Und eben diesem „moral point of view“ widmet sich der Autor direkt im Anschluss, um schließlich den moralökonomischen Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit zu erörtern. Ein globaler Ausblick rundet die Untersuchung ab.
II. Ein Rohstoff im Dienste von Effizienz und Gerechtigkeit – ein kontingenztheoretischer Ansatz mit pragmatisch-realem Anspruch Nimmt man eine Statusanalyse vor, so besteht sicherlich kein Zweifel darin, dass der Umgang mit natürlichen Ressourcen vernünftig geschehen muss. Daraus folgert der Ökonom „Je knapper das Gut, desto teurer der Preis.“ und der Ethiker „Je knapper das Gut, desto erforderlicher der verantwortungsvolle Umgang damit.“ In beiden Fällen spielt der Effizienzgedanke mit, der Gerechtigkeitsgedanke ist vielmehr in der wirtschaftsethischen Maxime zu verorten. 2 Schramm wählt mit seinem Lösungsansatz eine ganzheitliche Problembetrachtung unter Einbeziehung der obgenannten sechs Parameter (Abhängigkeit, Knappheit, Politik, Markt, Moderne Zivilisation, Globale (Un-)Gerechtigkeit). Zur Differenzierung des praktischen Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Effizienz bedient sich Schramm dreier Ebenen der Wahrnehmung („ideal“, „real“ und „actual“), deren Problemlösungskompetenz der Gegenstand meiner Analyse ist. Jene drei ontologischen Existenzformen „ideal“, „real“ und „actual“ nach Alfred N. Whitehead sind eingebettet in eine Struktur der „flexiblen Gerechtigkeit“ im Sinne Amartya Sens und agieren im Kontext mit den entsprechenden Diskursebenen nach dem Vorbild von Jürgen Habermas. In diesem Sinne soll ___________ 1 2
Vgl. Buchanan (1959), S. 137. Vgl. hierzu etwa Kersting (2008), S. 176 ff.
Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma?
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folglich in dem Modell einer „flexiblen Gerechtigkeit“, die laut Schramm einer modernen Version des klassischen suum cuique entspricht, zwischen ökonomischen Effizienzaspekten und moralischen Gerechtigkeitsperspektiven vermittelt werden. Dies geschieht zum einen mit Rücksicht auf eine geeignete Diskursebene, die gemäß Schramm dringend einer additiven Implementationsebene bedarf, und zum anderen mit Blick auf die diversen Ebenen von Gerechtigkeit. In den folgenden Abschnitten werde ich zunächst unter a) die Ethikkonzeption Schramms analytisch erörtern und dann unter b) in vier Schritten sinnvolle Ergänzungsoptionen darlegen. Schließlich werde ich unter c) auf die Vermittlerrolle zwischen ökonomischen Effizienzaspekten und moralischen Gerechtigkeitsperspektiven eingehen.
1. Analyse der Ethikkonzeption Positiv ist bei dem Ansatz von Michael Schramm anzumerken, dass neben einer Begründungsebene und einer Anwendungsebene mittels einer weiteren Implementationsebene auf eine praktische Anschlussfähigkeit geachtet wird. In diesem Zusammenhang erweisen sich die Wahrnehmungsebenen „ideal“, „real“ und „actual“ als wertvolle Bausteine für einen Lösungsansatz. Unter den „Ontologischen“ Existenzformen nach Alfred N. Whitehead wird zum einen die Wirklichkeit erfasst („actuality“), zum anderen die „generellen, reinen“ bzw. „idealen“ Potenziale, das heißt abstrakte Möglichkeiten (gemäß Whitehead die so genannten „eternal objects“) begrifflich festgelegt und ferner unter der Definition „real“ die verwirklichbaren Potenziale bestimmt. Während das moralische „Ideal“, im Sinne einer validen ethischen Begründung, noch lange keine wirkliche (aktuelle) Existenz in der „physischen“ Welt darstellt, verkörpern die Begriffe „real“ und „actual“ zumindest ein realisierbares Potenzial respektive eine konkrete Realität. Zumal laut Schramm die moralische Idealität beziehungsweise die ideale Existenz mehr oder weniger independent vom aktuellen Status Quo ist, fordert der Kontingenztheoretiker aufgrund der somit vorherrschenden Polydimensionalität adäquate Anwendungsdiskurse auf der Applikationsebene. Die Realität kann folglich eine Mischung sein, die sich unter anderem aus moral point of view, economic point of view, technischen Aspekten und politischen Restriktionen zusammensetzt. Auch entbehrliche Leerlaufpotenziale in sozial-ethischen Kontexten sind hierbei nicht zu unterschätzen, vielmehr können diese die Realität ganz erheblich beeinflussen.3 ___________ 3
Vgl. hierzu Westphal (2009), S. 1 ff. und S. 170.
38
Nadine Westphal „Ob es sich nun um Leerlaufpotenziale in Unternehmen, Institutionen oder Gesellschaften handelt – sie sind in keinem Prozess erwünscht. Dennoch tauchen sie letztlich in allen Situationen auf, in denen die Eigeninteressen der beteiligten sozialen Akteure eine Rolle spielen. Hängt der Erfolg eines Prozesses von der effektiven Zusammenarbeit ab und stellt sich dieser aufgrund von Differenzen der beteiligten Akteure überhaupt nicht oder nur teilweise ein, dann sprechen Wirtschaftsethiker von Dilemmasituationen.“4
Mit seiner Herangehensweise verdeutlicht Schramm, dass die vorherrschende Polydimensionalität dringend einen Realitätsbezug erfordert. Von Vorteil erweist sich unter diesem Gesichtspunkt seine ganzheitliche Problembetrachtung unter Einbeziehung der Parameter Abhängigkeit, Knappheit, Politik, Markt, Moderne Zivilisation sowie Globale (Un-) Gerechtigkeit. Schramm bedient sich der Erdölknappheit als Schablone für die Vermittlungsoptionen zwischen ökonomischer Effizienz und globaler sozialer Ungerechtigkeit. Gewissermaßen dient die natürlich endende Ressource in seiner Konzeption von Ethik differenter Interessen als Wurzel vieler Probleme. Es lässt sich nun die Frage stellen, ob die Ressource selbst als das kritische Element zu betrachten ist. Meines Erachtens sind es vielmehr die teils diffizilen Rahmenbedingungen, etwa schwerfällige und lobbyanfällige Politik, die einen potenziellen Nährboden für Probleme darstellen können. Schramm betont, dass die ökonomische Kategorie der Effizienz2 im Sinne Buchanans nicht gleichzusetzen ist mit der ethischen Kategorie der Gerechtigkeit. Vielmehr stellt der Autor den Unterschied zwischen dem economic und dem moral point of view heraus. Die von John Rawls konzipierte Gesellschaft zum gegenseitigen Vorteil5 berücksichtigt nach Ansicht Schramms nur diejenigen, die aktiv zu den Kooperationsrenditen der Gesellschaft beitragen. Aus dieser Erkenntnis leitet Schramm eine ökonomische Prämisse ab. Er geht sogar noch weiter und unterstellt den, wie er vorwegschickt „teilweise sehr unterschiedlichen“ Ansätzen des Moralphilosophen John Rawls, des Ökonomen James Buchanan und Wirtschaftsethikers Karl Homann eine Verfehlung des moral point of view. Jene Einschätzung werde ich in den anschließenden Ergänzungen behandeln.
2. Sinnvolle Ergänzungen In Ergänzung zu Schramms Ausführungen wären folgende weiterführende Überlegungen im Sinne eines nachhaltigen Ansatzes lohnend: ___________ 4 5
A. a. O., S. 170. Vgl. Rawls (1971/1979), S. 20 sowie ergänzend Luetge (2005) und Mukerji (2009).
Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma?
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1.
Der Ansatz Schramms ist vorwiegend ressourcenfixiert in punkto Erdöl. Ein breiter angelegtes Lösungskonzept, das die Rohstoffproblematik im Allgemeinen behandelt und die essentiellen potenziellen Dilemmastrukturen zwischen Effizienz und Gerechtigkeit in diesem Kontext herausstellt, könnte insbesondere zwischen den unterschiedlichen Ressourcen deren Gemeinsamkeiten respektive Unterschiede aufzeigen. Ein Perspektivenwechsel wäre etwa der Blick auf die kürzlich thematisierten Vorfälle von Piraterie vor Somalia. Auch hier ist in diesem Zusammenhang ein politisches Problem, beispielsweise mit der Ressource Wasser, erkennbar. Zum einen führte die illegale Fischerei an der somalischen Küste zu einer Überfischung6, was eine zunehmende Verarmung der Kleinfischer zur Folge hat, und zum anderen verursachte die skrupellose Giftmüll-Entsorgung Wasserverschmutzungen enormen Ausmaßes. An diesen Beispielen wird sichtbar, wie mafiöse Strukturen vom Fehlen staatlicher Strukturen und Organe profitieren – zum Schaden der somalischen Bevölkerung.7 Sie verdeutlichen darüber hinaus, welch umfassenden Herausforderungen eine Lösungskonzeption gegenübersteht, wenn sie einen ungerechten und ineffizienten Umgang mit (knappen) natürlichen Ressourcen vermeiden helfen soll.
2.
Der Vorschlag Schramms ist sich dieser Herausforderungen bewusst und identifiziert die Bedeutsamkeit moralischer Gerechtigkeitsgesichtspunkte zur besseren Vermittlung zwischen ökonomischen Effizienzaspekten und moralischen Gerechtigkeitsperspektiven. Letztlich bleibt der Autor jedoch eine konkrete Antwort im Hinblick auf die Relevanzerzeugung dieser
___________ 6 Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) kritisierte stark die Militäreinsätze am Horn von Afrika, denn diese führten zu keiner nachhaltigen Eindämmung der dort grassierenden Schiffspiraterie. Die Ursache für eine derartige Entwicklung läge vielmehr in der rücksichtslosen wirtschaftlichen Ausbeutung der betroffenen Meeresgebiete durch europäische und asiatische Unternehmen, erklärte der EED in Bonn. Um überleben zu können, schlössen sich immer mehr verarmte Kleinfischer an der Küste Somalias den kriminellen Banden an. (Quelle: http://www.eed.de/de.eed.newsde/de.eed/de.eed.news/ de.news.1247/index.html, zuletzt besucht am 20.1.2010) 7 Die Arbeitsgruppe Friedensforschung an der Universität Gesamthochschule Kassel und das führende unabhängige Webportal zur Internationalen Zusammenarbeit im deutschsprachigen Raum Entwicklungspolitik Online (www.epo.de) informieren über mafiöse Methoden der Giftmüllentsorgung. Zwischen 250 bis zu sogar 1000 Dollar kostet die sachgerechte Entsorgung einer Tonne Giftmüll. In Somalia kann man eine Tonne Giftmüll schon für circa 2,50 Dollar loswerden. Mit dem Tsunami im Jahre 2004 wurden unzählige defekte Fässer mit unter anderem radioaktiven oder anderweitig hochgiftigen Stoffen an Land getrieben und führten zu diversen Krankheiten der somalischen Küstenbevölkerung. Leider ist dies kein Einzelfall, sondern ist in vielen anderen Ländern zu beobachten, deren staatliche Strukturen geschwächt sind oder schlichtweg fehlen. (Vgl. Quellen: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Piraten/ uno.html, zuletzt besucht am 20.1.2010 und http://www.epo.de/index.php?option=com_content& view=article&id=5331:un-programm-gegen-illegale-fischerei-laeuft-ins-leere&catid= 46 &Itemid=115, zuletzt besucht am 20.1.2010)
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Nadine Westphal
moralischen Gerechtigkeitsgesichtspunkte schuldig und lässt somit deren Lösungspotenzial offen. Es wäre somit wünschenswert, die Konzeption mit einer Perspektive auszustatten, die sich der Problematik der Relevanzerzeugung moralischer Gerechtigkeitsgesichtspunkte annimmt. Insbesondere die Identifikation ungenutzter Potenziale erscheint hier sinnvoll.8 3.
Eine große Chance bei der Vermittlung von Gerechtigkeitsperspektiven bietet sicherlich die Thematik der gerechten inner- und intergenerationalen Teilhabe. Die Einbeziehung sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft aller Altersgruppen begünstigt einen optimalen Transport gerechter Inhalte. Die Integration dieses Aspekts wäre für eine praktische Anschlussfähigkeit sicherlich von Vorteil und könnte ungenutzte Potenziale aktivieren respektive reaktivieren.9
4.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Schramm bildet der so genannte „moral point of view“. Der Kontingenztheoretiker betont hierbei, dass der optimale „moral point of view“ in der Lage sein sollte, alle potenziellen Beteiligten zu berücksichtigen – auch die Schwachen. Bei Karl Homann etwa ist der „moral point of view“ die Rahmenordnung10, sprich die äußeren Bedingungen unter denen Prozesse ablaufen können beziehungsweise müssen. Bedauerlicherweise wurde diese Homann’sche Konstruktion des „moral point of view“ in Schramms Ausführungen missverstanden, wenn er Homanns interaktionsökonomischem Ansatz mangelnde Fairness attestiert. Wie folgende zwei Zitate verdeutlichen, geht es Homann vielmehr um eine gerechte Rahmenordnung, die eine Gesellschaft optimal strukturell unterstützt.11 „Die Marktwirtschaft ist im Ergebnis kein System des Egoismus. Allerdings bildet die Verfolgung des Eigeninteresses – unter einer Rahmenordnung – natürlich den Motor für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung und Wachstum.“12 „Die Moral in der Marktwirtschaft liegt nicht in moralischen oder altruistischen Motiven, sondern fußt auf den Ergebnissen des marktwirtschaftlichen Prozesses: Der Wohlstand aller hängt nicht vom Wohlwollen der Akteure ab, sondern von der Rahmenordnung, die mit Hilfe des Eigeninteresses die allseits gewünschten Ergebnisse hervorbringt.“13
Darüber hinaus stützt sich der von Homann geprägte Grundsatz „Ökonomik ist Ethik mit anderen, besseren Mitteln“ bekanntlich auf drei Säulen: Zum einen auf den offenen Vorteilsbegriff der modernen Ökonomik14 nach ___________ 8
Vgl. Westphal (2009), S. 159 ff. Vgl. hierzu weiterführend a. a. O., S. 159 und 170 ff. 10 Vgl. Untersuchung von Stübinger (1996), 149 ff. 11 Weiterführend hierzu a. a. O., S. 73 ff. 12 Homann (2007), S. 16. 13 A. a. O., S. 17 und vgl. dazu auch Lütge (2005). 14 Vgl. Homann/Enste/Koppel (2009), S.13 ff. 9
Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma?
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Gary S. Becker15, zum zweiten auf die offene Zukunft in Form eines erweiterten Zeithorizonts und zum dritten auf die Interaktionsökonomik und das Gefangenendilemma in einer personalen Dimension. Dies soll den beteiligten Akteuren vor dem Hintergrund einer verbindlichen, wettbewerbsneutralen Rahmenordnung die Einhaltung moralischer Standards ermöglichen, und zwar ohne dabei Wettbewerbsnachteile gegenüber der Konkurrenz in Kauf nehmen zu müssen.16 Freilich kann man sich dabei die Individuen einer Gesellschaft nicht aussuchen und hat daher mit den zur Verfügung stehenden sozialen Akteuren vorlieb zu nehmen.17 Konkret bedeutet dies, eine gerechte Rahmenordnung sollte dafür sorgen, dass individuelle Vorteilsnahme nicht zu Lasten der anderen oder im ungünstigsten Fall auf Kosten der Schwächeren umgesetzt werden kann.18 Übertragen auf die ökonomische Perspektive könnten etwa Unternehmen, die in eine umweltschonende Produktion investieren, mit Steuervorteilen belohnt werden. Abschließend möchte ich festhalten, dass Schramms kontingenztheoretischem Ansatz mit pragmatisch-realem Anspruch unter Berücksichtigung der obgenannten Bedenken in jedem Fall eine brauchbare Vorlage für einen effizienten und gerechten Umgang mit (knappen) natürlichen Ressourcen bietet.
3. Ökonomische Effizienzaspekte versus moralische Gerechtigkeitsperspektiven Gemäß Schramm ist der Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit ein empirischer. Genau hier fordert der Autor Flexibilität, und zwar im Hinblick auf die faktische Realität. Eine gewisse Kompromissbereitschaft soll laut Schramm ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen Effizienz und Gerechtigkeit fördern. Obschon die angeführten Kritikpunkte in einem ersten Schritt plausibel vorgebracht werden, etwa wenn davon die Rede ist, dass „das Seine“ („suum cuique“) ethisch gesehen nicht nichts sein kann, so überzeugen Schramms Ausführungen letztlich nicht hinreichend, wenn er mit seinem Ansatz „Effizienz und Gerechtigkeit“ versucht, die in den Abschnitten II. und III. dargestellten ___________ 15 Der offene Vorteilsbegriff nach Gary S. Becker umfasst Einkommen und Vermögen ebenso wie Gesundheit, Muße und ein „gutes Leben“ in Gemeinschaft mit anderen. Vgl. hierzu Homann/Lütge (2002). 16 Vgl. Homann, K. „Ökonomik: Fortsetzung der Ethik mit anderen Mitteln“, in: Homann/Lütge (2002), S. 243–266 und Homann/Lütge (2005). 17 Vgl. dazu auch Abschnitt V. bei Schramm, in dem er unter anderem auf die politischen Machtinteressen hinweist. 18 Weiterführend hierzu Lütge (2007) und Homann/Suchanek (2005), insbesondere Kapitel 6.5 sowie Lehmann (2006).
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Nadine Westphal
points of view in die Wirklichkeit übersetzbarer zu machen. In Abschnitt V. wird im Gegensatz zum ökonomischen Kostenfaktor und den politischen Machtinteressen, den moralischen Gerechtigkeitsperspektiven – in Bezug auf die natürlichen Ressourcen – wenig Einfluss zugetraut. Unter Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Potenziale dürfte m. E. eine Vermittlung zwischen Gerechtigkeit und Effizienz erfolgsversprechender sein. Insbesondere im Bereich der inner- und intergenerationalen Teilhabe liegen m. E. gute Chancen, den letztlich sitzen alle in ein und dem selben Boot und haben ein ureigenes Interesse an der Durchsetzung fairer Rahmenbedingungen, 19 was die folgende „konstruierte Dilemmasituation“ verdeutlicht. B kooperieren
konkurrieren
I. kooperieren
A
II. 50/50
0/100
S/S
W/B
IV. konkurrieren
III. 100/0
33/33
B/W
T/T
B = Best (Beste Handlungsoption), S = Second (Zweitbeste Handlungsoption), T = Third (Drittbeste Handlungsoption), W = Worst (Schlechteste Handlungsoption), Nummern: Dominanz des Prozesses in Prozent.
Abbildung 1: Konstruierte Dilemmasituation Person A und Person B20
Person A und Person B werden gebeten, gemeinsam ein Projekt zu realisieren. Ihr Erfolg wird anhand einer Auszahlungsmatrix gemessen. Statt „leugnen“ und „gestehen“ werden die für diesen Anwendungsfall passenderen Attribute „kooperieren“ und „konkurrieren“ eingesetzt. Die Matrix beinhaltet wie im Gefangenendilemma Konditionen, die als Vorbedingungen fixiert wurden und während des Projekts nicht verändert werden können. Eine Manipulation etwa durch ungefilterte Information ist ebenfalls nicht durchführbar. Anstelle der Einflussgröße „Haftstrafe“ wurde die Bezeichnung „Dominanz des Prozesses in ___________ 19 20
Vgl. dazu auch Binmore (2007). Westphal, N. (2010), Eigene Quelle.
Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma?
43
Prozent“ verwendet, um das gegenwärtige Modell entsprechend in ordinale Nutzendimensionen übertragen zu können. B steht für „Best“ (Dominanz des Prozesses zu 100 Prozent), S für „Second“ (Dominanz des Prozesses zu 50 Prozent), T für „Third“ (Dominanz des Prozesses zu 33 Prozent) und W für „Worst“ (Dominanz des Prozesses zu 0 Prozent), demnach ist B>S>T>W. Die Zahl vor dem Komma indiziert das Ergebnis in Bezug auf die „Dominanz des Prozesses in Prozent“ für Person A und die Zahl nach dem Komma das Resultat für Person B. Gewissermaßen als Weiterentwicklung des Gefangenendilemmas, ist die Dominanz des Prozesses das erwünschte Ziel in der konstruierten Dilemmasituation, quasi stellvertretend für die Reduzierung der Haftstrafe als formuliertes Ziel im klassischen Gefangenendilemma. Demnach ist es suboptimal, den Prozess zu 0 Prozent zu dominieren, respektive den Prozess nicht beeinflussen zu können. Wenn weder Person A noch Person B den Prozess dominiert, so landen beide Beteiligten im so genannten pareto-inferioren Status. Das heißt, das Projekt wird von anderen beeinflusst und keiner der beiden Akteure bestimmt den Verlauf und Ausgang des Prozesses entscheidend mit und muss folglich nach den Regeln anderer das Projekt durchführen. Übertragen auf das Modell der intergenerationalen Teilhabe21 würde dies heißen, dass Person A und Person B, beispielsweise das Schulkind und der Rentner, ein gemeinsames respektive kollektives Interesse haben (zum Beispiel den Umweltschutz), welches sie scheinbar nicht in ihrer Gesamtkomplexität wahrnehmen können. Offensichtlich ist hier eine Hilfestellung von außen unumgänglich. Es gilt somit zunächst, ein fassbares Problembewusstsein zu schaffen, um im Anschluss daran beispielsweise die Rentabilität einer „Investition“ in das Projekt „Gemeinsame Zukunft“ deutlich machen zu können.
III. Konklusion Nicht zuletzt aufgrund der inhomogen geprägten Moralvorstellungen der Individuen22 zählt es, insbesondere im internationalen Bereich, vielmehr zu den diffizilen Aufgaben, Rahmenbedingungen zu schaffen, die zugleich (ethisch) ___________ 21 Der Begriff der „intergenerationalen Teilhabe“ wird hier im Sinne der „Generationengerechtigkeit“ oder auch der „intergenerativen Gerechtigkeit“ verwendet, in dessen Kontext politische und gesellschaftliche Themen wie etwa Umweltschutz, Rentenreform, Staatsverschuldung, Bevölkerungspolitik, Altersdiskriminierung oder Jugendarbeitslosigkeit diskutiert werden. Somit verbindet die „intergenerationale Teilhabe“ gewissermaßen die Interessen der sozialen Akteure innerhalb der einzelnen Generationen zu einem gemeinsamen Interesse, einem sogenannten kollektiven Interesse, eine reelle Chance auf die Befriedigung der jeweils eigenen Bedürfnisse zu erhalten. 22 Vgl. dazu Binmore (2007).
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Nadine Westphal
gerecht und (ökonomisch) effektiv sind. Mit Schramms Denkansatz wird eine Grundlage geschaffen, die einen ungerechten und ineffizienten Umgang mit (knappen) natürlichen Ressourcen vermeiden helfen soll. Der Fokus auf die Ressource Öl ist im Sinne eines Beispiels gut. Jedoch wäre ein erweiterter Blickwinkel, der diverse natürliche Ressourcen mit einbezieht, im Sinne einer dienlichen Anschlussfähigkeit an die Praxis wünschenswert. Zudem ist der dreistufige Aufbau der Diskursebenen in Verbindung mit den „ontologischen“ Existenzformen „ideal“, „real“ und „actual“ nach Whitehead zur Differenzierung des praktischen Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Effizienz sinnvoll. Als einziges Manko bleibt zu konstatieren, dass gegen Ende des Aufsatzes die Unterstützung der Gerechtigkeitsgesichtspunkte in Frage gestellt wird, was eine erfolgreiche Implementierung in die Realität nicht nachvollziehbar erscheinen lässt. In Kombination mit einer Anreizverstärkung für die beteiligten Akteure, hier den Staaten, etwa in Form einer sanktionsbewährten Rahmenordnung, könnten m. E. die Berücksichtigung des human factor prozess-unterstützend wirkungsvoll eingesetzt werden. Ein gutes Konzept hierfür bietet etwa Homanns institutionenökonomischer Ansatz einer Anreizethik. Seine zweistufige Handlungsethik beinhaltet neben den „Spielregeln“ für die sozialen Akteure ebenso die Festlegung entsprechender Rahmenbedingungen, die den Ort der Moral repräsentieren. Denn nur eine sanktionsbewährte Rahmenordnung kann Garant für die Einhaltung der Regeln sein.23 Das in Abschnitt II. unter c) dargelegte Beispiel der intergenerationalen Teilnahme ließe sich ebenso gut auf Land A und Land B übertragen. Das heißt, es bedarf ebenfalls einer ordnungsethischen Hilfestellung, um ein Kollektivinteresse herauszustellen, welches die beteiligten isoliert agierenden Akteure scheinbar nicht in ihrer Gesamtkomplexität wahrnehmen können. Auch hier wäre der erste sinnvolle Schritt, ein substantielles Problembewusstsein zu erzeugen, um anschließend den Nutzen eines gegenseitigen Vorteils herauszustellen. Im Zuge der Globalisierung werden sich die einzelnen Staaten zunehmend ihrer Interdependenz bewusst. Selbst Staaten mit bestimmten Monopolen sind abhängig von ihren Märkten. Unter dieser Perspektive erscheint ein wechselseitiger Kompromiss als lohnende Investition in die Zukunft. ___________ 23
Ein Beispiel aus der aktuellen Politik zeigt das Potenzial auf, inwiefern politische Rahmenbedingungen Prozesse positiv beeinflussen können: Gegen Ende letzten Jahres wurde eine Steuersenkung für kleine Brauereien angedacht, um weiterhin eine gewisse Diversität zu gewährleisten. Dieser Vorschlag sollte zum einen den Mittelstand unterstützen, und zum anderen die Rechte des Verbrauchers wahren. Dies hieße konkret, dass die Konsumenten zum einen weiterhin unter mehreren Biersorten wählen könnten und zum anderen, dass ein fairer Wettbewerb gesichert bliebe. (Vgl.: http://muenchen. bayern-online.de/magazin/wirtschaft/verbaende/artikelansicht/bayerischer-brauerbundbegruesst-gesetzesinitiative-biersteuer-senkung/, zuletzt besucht am 21.1.2010)
Effizienz und Gerechtigkeit – ein Dilemma?
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Literatur Binmore, Ken (2007): The Origins of Fair Play, Online-Paper No. 267 (18.6.2007), LSE-London (http://else.econ.ucl.ac.uk/newweb/displayProfile.php?key=2). Buchanan, James M. (1959): Positive Economics, Welfare Economics, and Political Economy, in: Journal of Law and Economics 2, pp. 124–138. – (1975/1984): Die Grenzen der Freiheit. Zwischen Anarchie und Leviathan (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Bd. 38), Tübingen: Mohr Siebeck. Eschbach, Andreas (2007/2008): Ausgebrannt. Thriller, Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe. Homann, Karl (2004): Gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen. Philosophische, gesellschaftstheoretische und ökonomische Überlegungen (Diskussionspapier Nr. 04–6): Wittenberg: Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik. – (2007): Ethik in der Marktwirtschaft (Herausgeber: Roman Herzog Institut). München: Deutscher Instituts-Verlag. Homann, Karl / Enste, Dominik H. / Koppel, Oliver (2009): Ökonomik und Theologie (Herausgeber: Roman Herzog Institut). München: Deutscher Instituts-Verlag. Homann, Karl / Lütge, Christoph (2002): Vorteile und Anreize – Zur Grundlegung einer Ethik der Zukunft. Tübingen: Mohr Siebeck. – (2005): Einführung in die Wirtschaftsethik, 2. korr. Auflage. Münster: LIT Verlag. Homann, Karl / Suchanek, Andreas (2005): Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen: Mohr Siebeck. Kersting, Wolfgang (2008): Moral und Kapital. Grundfragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Paderborn: Mentis Verlag. Luetge, Christoph (2005): Economic Ethics, Business Ethics and the Idea of Mutual Advantages, in: Business Ethics: A European Review, Vol. 14, S. 108–118. – (2006): An Economic Rationale for a Work and Savings Ethic? J. Buchanan’s Late Works and Business Ethics, in: Journal of Business Ethics 66 (2006), Vol. 1, S. 43– 51. Lütge, Christoph (2007): Was hält eine Gesellschaft zusammen? Ethik im Zeitalter der Globalisierung. Tübingen: Mohr Siebeck. Mukerji, Nikil (2009): Das Differenzprinzip von John Rawls und seine Realisierungsbedingungen (Reihe Philosophie und Ökonomik, Bd. 7), Münster: LIT. Rawls, John (1971/1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp. – (2002): Das Recht der Völker (Übersetzt von Wilfried Hinsch). Berlin: Walter der Gruyter. Rorty, Richard (1989): Kontingenz, Ironie und Solidarität. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Stübinger, Ewald (1996): Wirtschaftsethik und Unternehmensethik I und II, in: ZEEZeitschrift für Evangelische Ethik Heft 40/1996, S. 148–161; S. 226–244. Westphal, Nadine (2009): Ethik als Wettbewerbsfaktor – Wirtschaftsethische Potenziale im Unternehmen (Reihe Philosophie und Ökonomik, Bd. 8), Münster: LIT.
Gerechtigkeit im theologischen und ökonomischen Spannungsfeld von Barmherzigkeit, Effizienz und Freiheit – Korreferat zu Michael Schramm – Von Johannes Zabel
Die mit Adam Smith beginnende Ausdifferenzierung (und Verselbstständigung) der Ökonomie aus dem Bereich der Moralphilosophie hat den Begriff der Gerechtigkeit in seiner Eigenständigkeit kaum noch thematisiert. Gerechtigkeit wurde immer mehr als Ergebnis eines effizienten Marktprozesses angesehen – und Gerechtigkeit wurde zur marktimmanenten Kategorie. Insbesondere die angelsächsische Ökonomie entwickelte sich von der „Politischen Ökonomie“ zur „reinen“ Wissenschaft mit dem Ideal der naturwissenschaftlichen Exaktheit. U. a. mit dem britischen Ökonomen Alfred Marshall (1842–1924) begann die Wende von der „Political Economy“ zu „Principles of Economics“, dem Titel seines Hauptwerkes von 1890, das die künftige Begrifflichkeit der Wissenschaft prägen sollte. Mit dem Siegeszug der Mathematik durch Marshall, Walras und Pareto begann die Phase der Ökonomie als „reine Wissenschaft“ und Gerechtigkeitsfragen und die damit verbundenen ethischen Aspekte wurden kaum noch beachtete oder nur noch in dem Zusammenhang von Effizienz (der technischen „Effizienz1“ nach der Begrifflichkeit von Michael Schramm) gesehen. Eine erkenntnistheoretische Position, die über die Marktallokation hinausging, wurde nicht einbezogen. Die Gerechtigkeit trat in den Hintergrund und mit ihr auch eine ordnungspolitische Perspektive der Ökonomie. Aber auch die später entwickelte vertragstheoretische „Effizienz2“ , die den Konsens der Marktteilnehmer zum Ausgangspunkt nimmt und damit die Menschen und keine „Maschine“ zur Grundlage bestimmt, nimmt letzten Endes keine erweiterte Perspektive ein: der Konsens ist Ausgangspunkt für Effizienz und Gerechtigkeit und führt beide zusammen.
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Johannes Zabel
I. Gerechtigkeit und Theologie Nimmt man die Gerechtigkeit zum Ausgangspunkt einer ethischen Argumentation, so müsste in einer christlichen Sozialethik auch die Barmherzigkeit angesprochen werden. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bilden einen Zusammenhang, sind aber zu unterscheiden. Was heißt Gerechtigkeit für sich genommen? Ist (anzustrebende) Gleichheit die Grundlage für Gerechtigkeit? Ist der Grundsatz von gleichwertigem Geben und Nehmen ein Ausdruck von Gerechtigkeit? Wenn Gleichheit und Reziprozität als Grundlage von Gerechtigkeit dienen, dann wäre aber auch die Rache „gerecht“ – sie stützt sich auf „Gleichheit“ und „Reziprozität“ und ist zugleich Ausdruck des „Verursacherprinzips“. Der Zusammenhang von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist aber ein Vergeltungszusammenhang. Diese „wilde Gerechtigkeit“ (Francis Bacon) bedarf aber einer Korrektur. Gleichheit und Differenz müssen innerhalb der Gerechtigkeit koordiniert werden, außerhalb bedarf es aber auch der Ergänzung durch die Barmherzigkeit. Thomas von Aquin hat in seinem Kommentar zum Matthäus-Evangelium im Zusammenhang mit der Bergpredigt folgende Verhältnisbestimmung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gefasst (zu Mt 5, 7): „Iustitia sine misericordia crudelitas est, misericordia sine iustitia mater est dissolutionis.“1 (Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist grausam, Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung). Gerechtigkeit und Barmherzigkeit stehen sich schon im Ansatz gegenüber. Die Gerechtigkeit ist das, was jedem zusteht (suum cuique). Diese Tradition geht von Aristoteles über Ulpian bis zu Thomas von Aquin und darüber hinaus. Die Gerechtigkeit ist damit etwas Geschuldetes und damit etwas Unfreies. Die Barmherzigkeit dagegen ist wie die Liebe frei und ungeschuldet – sonst wäre es keine Barmherzigkeit. Im Kontext von Gerechtigkeit sprechen wir von etwas Geschuldetem – das, was einem zusteht. Gerechtigkeit ist anspruchs-voll, Barmherzigkeit ist anspruchs-los und deshalb frei. Barmherzigkeit ist eine Kategorie jenseits der Effizienz, wobei eine auf den ersten Blick „barmherzige“ Handlung aber ökonomisch kalkuliert sein kann (z. B. kann das Gewähren von Stipendien langfristig beim Stipendiengeber zu einer Rückzahlung seines Einsatzes führen und manche Geschenke führen zu „Gegengeschenken“.) Im Alten Testament stehen bei Jesaja „Gerechtigkeit und Frieden“ für das Soziale, das das gesellschaftliche Zusammenleben vor Augen hat: das Werk der Gerechtigkeit ist der Frieden – „opus iustitiae pax“ (Jesaja 32,17). Auffallend ist, dass es keine analoge Begriffsbestimmung für „Barmherzigkeit und Frie___________ 1
Thomas von Aquin (1925), Matthäuskommentar, V, 2, S. 75.
Gerechtigkeit im theologischen und ökonomischen Spannungsfeld
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den“ gibt. Schafft Barmherzigkeit auch Frieden? Barmherzigkeit besitzt im gesellschaftlichen Kontext eine untergeordnete Rolle – ihr Feld ist mehr das persönliche Verhältnis zum Nächsten, zum einzelnen Menschen. Gerechtigkeit ist in dieser Konstellation mehr eine Kategorie des Sozialen, Barmherzigkeit mehr eine Kategorie des Personalen. Die Gerechtigkeit für sich allein genommen kann unzureichend sein, weil sie eine notwendige, aber nicht zugleich auch hinreichende Bedingung ist. Das Recht hat seine immanenten Grenzen (summum ius, summa iniuria). Steht die Gerechtigkeit in einem (theologischen) Spannungsfeld zur Barmherzigkeit, so ist in Bezug auf die natürlichen Ressourcen eine weitere Betrachtung anzustellen. Diesen Ressourcen fehlt grundsätzlich eine Subjektqualität – sie sind nicht Selbstzweck wie der Mensch, sondern ihre Nutzung wird häufig mit der utilitaristischen Brille der Nutzung für die Menschen betrachtet. Natürliche Ressourcen haben in diesem Sinne einen Objektcharakter. Kann ein Objekt aber Adressat von Gerechtigkeit sein? Wem wäre dann etwas „geschuldet“ im Sinne des „suum cuique“? In dieser Betrachtung stehen dann aber die Nutzung der natürlichen Ressourcen für die Menschen im Vordergrund und nicht diese Ressourcen selber. Die der Gerechtigkeit gegenüberliegende Perspektive der Barmherzigkeit findet hier wegen mangelnder Subjektqualität keinen direkten Zugang. Es gilt aufzudecken, dass in der moralischen Frage der Gerechtigkeit (des Einsatzes) natürlicher Ressourcen diese nur – im Vergleich zur Menschheit – indirekt thematisiert werden. In der ökonomisch-technischen Frage der Effizienz dagegen können diese Ressourcen direkt analysiert werden, wobei es dann um deren Einsatz bzw. Nichteinsatz geht und nicht um sie selbst. Thomas von Aquin sieht im Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einen – modern gesprochen – Trade-Off, einen Zielkonflikt. Einen analogen Zielkonflikt hat Arthur M. Okun in seiner Studie „Equality and Efficiency: the Big Tradeoff“2 zum Gegenstand gemacht. Michael Schramm hat in seinem Beitrag gezeigt, dass „ökonomische Effizienzaspekte“ und „moralische Gerechtigkeitsperspektiven“ vermittelt werden müssen, wobei ihr Zusammenhang praktisch-empirischer Natur ist und es sowohl zu positiven Rückkopplungen als auch zu Trade-Offs kommen kann.3 Auch die Rechtswissenschaften haben in der Ökonomischen Analyse des Rechts den Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit verstärkt in den Focus genommen. Als Beispiel mag die Dissertation von Klaus Mathis „Effizienz statt Gerechtigkeit?“4 dienen, die in dritter Auflage erschienen ist und inzwischen eine englische Übersetzung erfahren hat. Das Sozialkompendium der Katholischen Kirche stellt heraus, dass Effizienz ___________ 2
Okun (1975). Schramm, in diesem Band, Kapitel IV. 3. 4 Mathis (2009), 1. Auflage 2004. 3
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und Solidarität (bzw. Gerechtigkeit) „zwei zwar getrennte und alternative, jedoch voneinander untrennbare Ziele“5 sind. Diese perspektivische Einheit kommt verstärkt auch in der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI. zum Ausdruck, die die „ganzheitliche Entwicklung des Menschen“ schon im Titel zum Ausdruck bringt.6 Ethik ist danach kein Additivum, sondern integraler Bestandteil des (Wirtschafts-)Lebens.
II. Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit Nach den Idealvorstellungen der (sozialen) Marktwirtschaft schafft der Markt mit und aufgrund seiner Effizienz eine Gerechtigkeit, weil dadurch der gesellschaftliche „Kuchen“ größer wird und alle davon – mehr oder weniger – profitieren. Zumindest wird keiner absolut schlechter gestellt. Der Nutzen eines effizienten Marktes erreicht nach dieser Ansicht zumindest in langfristiger Perspektive viele Menschen. Effizienz und Gerechtigkeit werden dann in einem positiven Zusammenhang gesehen – und ineffiziente Produktionen würden den Output verringern und damit auch die Gerechtigkeit. Dieser ideale positive Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit erfährt aber bei (nichterneuerbaren) Ressourcen7 eine Einschränkung: dort, wo es nicht um eine Produktion von Ressourcen geht, entfällt diese Argumentation mit dem aufgrund der Effizienz „größer werdenden Kuchen“. Nicht erneuerbare Bodenschätze wachsen nicht nach bzw. werden nicht produziert. Die Effizienz steht dann nicht mehr als Ursache für einen steigenden Wohlstandskuchen, sondern nur noch für die effiziente Nutzung eines gegebenen „Kuchens“. Das Effizienzar___________ 5 Kompendium der Soziallehre der Kirche (2006), Nr. 332, S. 246. (In der englischsprachigen Fassung steht folgende Formulierung: „are not two separate or alternative aims but one indivisible goal“. Compendium of the Social Doctrine of the Church (2004), Ziffer 332.) Im weiteren wird in dieser Ziffer ausgeführt: „Die Moral, die für das wirtschaftliche Leben wesentlich ist, ist diesem weder entgegengesetzt, noch verhält sie sich neutral: Wenn sie sich von der Gerechtigkeit und der Solidarität inspirieren lässt, wird sie für die Wirtschaft selbst zu einem Faktor der gesellschaftlichen Effizienz.“ 6 Benedikt XVI. (2009), Enzyklika mit dem vollständigen Titel: „Enzyklika Caritas in Veritate von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen gottgeweihten Lebens, an die christgläubigen Laien und an alle Menschen guten Willens über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit.“ (kursiv durch Verf.). 7 In einer ökonomischen Betrachtung sind manche nicht-erneuerbaren Bodenschätze (z. B. Erdöl) teilweise substituierbar (z. B. durch verschiedene Pflanzen). Soweit die Technik dieses ermöglicht, ist es eine Frage des Preises, wie weit diese Substitution gehen kann. Das Effizienz-Argument des wachsenden „Kuchens“ kann wieder entstehen. Aber es können auch neue Probleme aufkommen: der eventuelle Preisanstieg für Pflanzenprodukte verteuert die Lebensmittelversorgung.
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gument dieser idealen Perspektive (Effizienz schafft Wachstum) verliert dann seine Erstrangigkeit gegenüber dem moralischen Gerechtigkeitsargument. In einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive kann eine positive Korrelation von Gerechtigkeit und Effizienz beobachtet werden. Dies geschieht in der Fairness-Forschung von Ökonomen. Zum einen gibt es in den Menschen einen Grundzug an Fairness, der auch in empirischen Laborexperimenten festgestellt werden kann. Zum anderen wird eine Kooperation dadurch positiv beeinflusst, wenn der eine Akteur fair ist und die Wahrheit sagt und der andere Akteur dieses erkennen kann. Nach einigen kooperativen „Spielzügen“ kann das Vertrauen geweckt werden. Eine Atmosphäre des Vertrauens senkt wiederum die Transaktionskosten. Faires, also gerechtes Verhalten auf der Basis von Vertrauen steigert die Effizienz. Michael Schramm analysiert in seiner Betrachtung von Effizienz und Gerechtigkeit zunächst den Begriff der Effizienz und stellt die beiden Alternativen in der Ökonomie dar. Die sich als objektive Wissenschaft verstehende Ökonomie, die ihr Leitbild aus der Physik entlehnt, nimmt nicht den Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Analyse, sondern eine „Kalkulationsmaschine“ (Paul Samuelson)8. Ihr Effizienzbegriff („Effizienz1“) ist deshalb rein technisch orientiert. Das effiziente Optimum ist als solches gerechtfertigt. Die Vertragstheorie stellt später dieses Verhältnis auf den Kopf: Ausgangspunkt ist nun der Konsens. Der Konsens führt zur Effizienz („Effizienz2“), sonst hätten die Vertragspartner nicht zugestimmt. Und im Konsens ist die Gerechtigkeit angelegt. Im Konsens kommen demnach Effizienz und Gerechtigkeit grundsätzlich zusammen. Deshalb wird von Vertretern dieser Position der Begriff der „Sozialen“ Marktwirtschaft als „Phantombegriff“ abgelehnt, weil der Markt inhärent schon „sozial“ sei (sozial = effizient + gerecht = Markt). Schramm weist zu Recht daraufhin, dass der Konsens nicht den „moral point of view“ erfasst, sondern eine ökonomische Perspektive. Beide können im Idealfall zusammenfallen, bleiben aber ontologisch verschieden.9 (Ein Konsens müsste zudem auch daraufhin analysiert werden, ob beide Seiten – im Idealfall – mit gleichen Freiheiten bzw. Elastizitäten den Markttausch vollziehen oder ob die Marktpartner unterschiedlich stark sind.).
III. Modelle der Gerechtigkeit Die Analyse von „Gerechtigkeit“ stellt eine noch größere Herausforderung dar. In der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls sieht Michael Schramm ___________ 8 9
Samuelson (1954), zitiert nach Schramm, in diesem Band, Kapitel II. 1. Schramm, in diesem Band, Kapitel III.
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zu Recht eine „ökonomische Prämisse“10 und bezieht sich auch auf Wolfgang Kersting, der in der Gesellschaft von John Rawls „eine Betriebsversammlung […] des Kooperationsunternehmens Marktgesellschaft“ sieht11. Doch John Rawls setzt nicht nur eine ökonomische Prämisse, sondern auch noch eine entscheidungstheoretische. Das zweite Gerechtigkeitsprinzip, das Differenzprinzip, soll den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen.12 Im Gedankenexperiment des Urzustands mit seinem „Schleier der Unwissenheit“ würden die Menschen Ungleichheiten nur dann akzeptieren, wenn sie erwarten können, dass die Benachteiligten (evtl. sie selbst) begünstigt werden. Entscheidungstheoretisch übernimmt Rawls praktisch die MaxiMin-Regel, auch wenn er sich von ihr terminologisch distanziert13: Maximiere das Minimum – oder die am wenigsten Begünstigten (Minimum) sollen den größten Vorteil (Maximum) erhalten. Nach dieser Entscheidungsregel unter Unsicherheit entscheiden sich die Menschen für die Alternative, die das minimal erwartbare Ergebnis maximiert. Das ist das konservative und risikoscheue Prinzip der Risikominimierung. Im Ergebnis erwarten die Menschen des Urzustandes, dass sie – wenn der Schleier der Unwissenheit beseitigt wird – im schlechtesten aller möglichen Zustände sich befinden und deshalb dieses „Minimum“ aller Alternativen maximiert sehen möchten. Das ist eine risikoscheue Entscheidungsregel mit pessimistischem Ausgangspunkt. Die Menschen erwarten, um ein Sprichwort aufzugreifen, bei gegebenen Alternativen von Spatz und Taube für sich nur den Spatz und greifen dann zur Regel: lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Mit diesen Prämissen erreicht Rawls nur ein verengtes Gerechtigkeitsverständnis. Rawls wendet sich gegen den Utilitarismus, der auf einem kardinalen (in Zahlen messbaren) Nutzenvergleich basiert, während seine Lösung mit dem MaxiMin-Prinzip „nur“ einen ordinalen Nutzenvergleich erfordert (größer als, kleiner als). Anhand eines Beispiels sollen drei mögliche Lösungen veranschaulicht werden:14 Fünf Städte mit jeweils gleicher Einwohnerzahl stehen vor der Entscheidung eines Standortes für ein gemeinsames Krankenhaus. Der ___________ 10
Ebd. (kursiv im Original). Kersting (2000), zitiert nach Schramm, in diesem Band, Kapitel III. 12 Rawls fordert, dass „die Aussichten des am wenigsten Begünstigten (…) maximiert werden.“ Er führt weiterhin aus, dass das Differenzprinzip grundsätzlich ein Maximierungsprinzip ist. Rawls (1979), S. 99. 13 Das Differenzprinzip ist für Rawls „etwas sehr Spezielles“ und ein „Gerechtigkeitsgrundsatz“, Rawls (1979), S. 104. Die MaxiMin-Regel sieht er lediglich als ökonomische Entscheidungsregel unter Unsicherheit. Die Gemeinsamkeiten seines Differenzprinzips mit der MaxiMin-Regel sind jedoch deutlich größer als die Unterschiede. 14 Nach Puppe (2004), S. 21 f. 11
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Standort soll „gerecht“ ermittelt werden und das Krankenhaus kann an beliebiger (aber „gerechter“) Stelle auf dem Straßennetz, das die fünf Städte verbindet, errichtet werden. Auf der nachstehenden Abbildung sind die fünf Städte (A–E) mit den Entfernungen zueinander angegeben. Es gibt nun mehrere Entscheidungsverfahren.
Abbildung 1: Wahl des Standortes eines gemeinsamen Krankenhauses von fünf Städten
1.
Bei dem Entscheidungsverfahren demokratische „Mehrheitsabstimmung“ (das nicht marktorientiert ist) wird der Standort „C“ gewinnen: sollte ein Vorschlag links von C liegen, wird C mit D und E zusammen für „C“ stimmen; liegt ein Vorschlag rechts von „C“, wird C mit A und B für „C“ votieren.
2.
Ein Entscheidungsverfahren mit einer utilitaristischen Lösung basiert auf kardinalen Werten, die in diesem Beispiel durch km-Angaben vorgegeben sind. Der Utilitarismus summiert den Nutzen aller zu einem Ganzen bzw. – in diesem Beispiel – minimiert die Summe der Distanzen des Krankenhauses zu den fünf Städten. Auch in dieser Lösung wird der Standort „C“ der Gewinner sein, weil er die Distanzen und damit z. B. Fahrtkosten und -zeiten in der Summe minimieren wird. Aus utilitaristischer Sicht ist diese Lösung gerecht und effizient zugleich: kein trade-off, sondern Zielharmonie. Insgesamt gibt es bei „C“ in der Summe nur 17 km Entfernungen für alle zurückzulegen. (Der Utilitarismus bezieht sich nur auf die Summe und nicht auf die Ableitung und Position der beteiligten Personen). Doch die Frage nach der Gerechtigkeit bleibt bestehen, insbesondere wenn die Gleichheit ein Maßstab der Gerechtigkeit sein soll. Denn mit der Lösung „C“ gibt es in für die Menschen in C keine Fahrtkosten, für die Menschen in E mit 8 km jedoch deutliche Nachteile.
3.
Ein weiteres Entscheidungsverfahren der Gerechtigkeit wäre, die Unterschiede zwischen allen Entfernungen zu reduzieren im Hinblick auf eine annähernde Gleichbehandlung bzw. Gleichbelastung für alle. Nach diesem Kriterium wäre der bestmögliche Standort die Weggabelung w, weil in die-
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Johannes Zabel
sem Punkt die maximale Entfernung (bzw. Belastung) einer Stadt minimal ist: die Städte B und E müssen jeweils 5 km zurücklegen. Damit ist der Standort w die Lösung gemäß der MaxiMin-Regel, die auch John Rawls verwendet. Aber hier werden insgesamt 20 km Entfernungen für alle zu überwinden sein.15 Eine effiziente Lösung sieht anders aus. Aber dieses Modell von Rawls gibt einer gleichheitsorientierten Gerechtigkeit einen höheren Stellenwert, selbst wenn es eine auch ökonomisch abgeleitete Gerechtigkeit (pessimistische MaxiMin-Regel) ist. Effizienz und Freiheit können in Konflikt zueinander geraten, wie sich insbesondere im Utilitarismus zeigt, der die Gesellschaft nur als aggregierte Größe betrachtet.16 Aber der vertragstheoretische Versuch, die Freiheit zu respektieren (und den Konsens deshalb als Grundlage zu nehmen), identifiziert diesen Konsens zu einfach mit Gerechtigkeit. Es gibt viele Formen von Gerechtigkeit. Der Versuch, ein konkret anzuwendendes Gerechtigkeitsprinzip für alle Lebensbereiche zu entwerfen, steht vor zu großen Herausforderungen. Schon Aristoteles unterschied im V. Buch seiner Nikomachischen Ethik zwischen arithmetischer und geometrischer Gerechtigkeit (absolute und relative Gleichheit). Das klassische „suum cuique“ lebte und lebt von der Möglichkeit, diesen Begriff in verschiedenen Lebensbereichen mit verschiedenen Ausprägungen zu verwenden. Konzepte, die Effizienz und Gerechtigkeit gleichsetzen, werden dem Leben nicht gerecht. Neben Zielharmonien gibt es auch Zielkonflikte. Das Konzept der flexiblen Gerechtigkeit von Michael Schramm ist ein moderner Schritt auf das klassische „suum cuique“. Literatur Arrow, Kenneth John (1963): Social Choice and Individual Values, New York, 2. Aufl. Benedikt XVI. (2009): Enzyklika „Caritas in Veritate“, Vatikan 29. Juni 2009. Compendium of the Social Doctrine of the Church (2004): Hg. Pontificial Council for Justice and Peace, London. Kersting, Wolfgang (2000): Theorien der sozialen Gerechtigkeit, Stuttgart/Weimar. Kompendium der Soziallehre der Kirche (2006): Hg. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Freiburg im Breisgau.
___________ 15
Zur besseren Veranschaulichung zeigt dieses Beispiel kardinale Werte auch beim Rawls-Kriterium. 16 Den Zielkonflikt (Freiheit kann pareto-ineffizient sein) weist insbesondere Amartya K. Sen (1970) nach: „The Impossibility of a Paretian Liberal“. Sens Überlegungen gehen auf das Unmöglichkeitstheorem von Arrow zurück (Arrow-Paradoxon), der im Rahmen demokratischer Wahlverfahren keine Möglichkeiten sieht, konzise gesellschaftliche Wahlergebnisse von individuellen Präferenzen abzuleiten. Arrow (1963), Social Choice and Individual Values.
Gerechtigkeit im theologischen und ökonomischen Spannungsfeld
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Mathis, Klaus (2009): Effizienz statt Gerechtigkeit? Auf der Suche nach den Philosophischen Grundlagen der Ökonomischen Analyse des Rechts, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin. Okun, Arthur M. (1975): Equality and Efficiency: the Big Tradeoff, Washington. Puppe, Clemens (2004): Ökonomische Theorien der Gerechtigkeit, Skript zur Vorlesung Sommersemester 2004, Institut für Wirtschaftstheorie und Operations Research, Universität Karlsruhe. Rawls, John (1979): Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main (Originalausgabe: A Theory of Justice, 1971). Samuelson, Paul A. (1954): The Pure Theory of Public Expenditure, in: Review of Economics and Statistics 36 (1954), S. 387–389. Schramm, Michael (2010): Der ethische und ökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit, Beitrag in diesem Band. Sen, Amartya K. Sen (1970): The Impossibility of a Paretian Liberal, in: Journal of Political Economy, Vol. 78, 1970, S. 152–157. Thomas von Aquin (1925): Evangelia S. Matthaei et S. Joannis, Commentaria, Tomus Primus, Evangelium Secundum Matthaeum, Taurini (Turin).
Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen Von Martin Leschke, Stefan Hähnel und Martina Kopp
I. Einleitung Ein für den Menschen nützlicher Rohstoff soll dann als natürliche Ressource bezeichnet werden, wenn er nur gefördert und gereinigt, nicht aber hergestellt zu werden braucht. Insofern können beispielsweise Bergbau, Erdölförderung, Fischerei, Forstwirtschaft und auch bestimmte Formen der Nutzung des Bodens, des Wassers oder der Luft (allgemein „Umwelt“) als „Ausbeutung“ natürlicher Ressourcen gelten. Natürliche Ressourcen werden oft in erneuerbare und nicht-erneuerbare eingeteilt. Zu den erneuerbaren Ressourcen zählen vor allem lebende Ressourcen, die nachwachsen, wenn sie nicht übermäßig ausgebeutet werden, wie Fische, Wälder und allgemein Wildpflanzen. Sie können zeitlich unbegrenzt verwendet werden, wenn ihr Verbrauch die Neuentstehung nicht übersteigt und somit die Nachhaltigkeit beachtet. Sobald aber mehr verbraucht wird, als sich erneuert, erschöpfen sich die Ressourcen, bis sie schließlich ganz verbraucht sind. Zu den erneuerbaren Ressourcen gehören auch unbelebte Stoffe wie Erde, Wasser, Wind und alle Formen von erneuerbarer Energie. Aus ökonomischer wie ethischer Sicht besteht nun das Problem natürlicher Ressourcen darin, sie so zu „gebrauchen“, dass heutige und zukünftige Generationen einen maximalen Nutzengewinn erzielen können. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen wird hierbei zum einen durch die Zuneigung der Eltern und anderer heute lebender Individuen gegenüber den bereits geborenen und noch nicht geborenen Kindern begründet. Zum anderen besteht durch die Verkettung bzw. Überlappung von Generationen auch ein Drohpotential der zukünftigen Generationen gegenüber der heute lebenden Generation. Insofern legitimiert sich die Beachtung des Grundsatzes der Nachhaltigkeit bzw. der Generationengerechtigkeit beim Umgang mit erschöpfbaren Ressourcen.1 ___________ 1
„Nachhaltigkeit“ und „Generationengerechtigkeit“ sind keine identischen Konzepte. „Nachhaltigkeit“ bedeutet, dass die Ressourcen so genutzt werden, dass das System in
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Martin Leschke, Stefan Hähnel, Martina Kopp
Mit diesem Ziel bzw. dieser Problemstellung sind zwei grundlegende Fragen verbunden: (1) Wie sollten die Verfügungsrechte und Governance-Strukturen ausgestaltet sein, um zu gewährleisten, dass die knappen natürlichen Ressourcen optimal – d. h. gemäß den Präferenzen der heute und zukünftig lebenden Individuen – eingesetzt werden. (2) Wie werden die natürlichen Ressourcen derzeit genutzt, und stellt dies ein Problem dar? Die erste Frage umfasst die Ebene der normativen Analyse, die zweite Frage die der positiven Analyse. Insbesondere die zweite Fragestellung umfasst eine Fülle von Anreizproblemen, vor allem wenn man den Blick weg von den Industrie- hin zu den Entwicklungsländern richtet.2 Die nachfolgende Analyse gliedert sich in drei Teile. Zuerst wird der normativen Fragestellung nachgegangen: Lassen sich aus der ökonomischen Theorie normative Grundsätze zur Verteilung der Property Rights bei natürlichen Ressourcen ableiten? Anschließend werden im dritten Abschnitt Anreizprobleme bei der Nutzung natürlicher Ressourcen und entsprechend bei der Verteilung der Verfügungsrechte betrachtet. Im vierten Abschnitt werden schließlich institutionelle Regime der Allokation und Distribution natürlicher Ressourcen betrachtet. Dabei sollen anhand zweier Beispiele der Status Quo und die Probleme bei der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen erläutert werden. Der Beitrag endet mit einem Fazit.
II. Property Rights an natürlichen Ressourcen: normative Analyse Verfügungsrechte betreffen die Nutzung (usus), die Veränderung (abusus), das Recht auf Aneignung der Erträge aus der Nutzung (usus fructus) und das Recht auf Veräußerung des Gutes (ius abutendi). Diese Bündel an Verfügungsrechten (Bundle of Property Rights) bestimmen maßgeblich den Marktwert eines Gutes mit. Der Preis eines Gutes hängt mithin maßgeblich von dem Bündel der Verfügungsrechte ab, das bei einer Transaktion übertragen wird. 3
___________ seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Ressourcenbestand auf natürliche Weise regenerieren kann. „Generationengerechtigkeit“ bedeutet, dass zukünftigen Generationen im Vergleich zur der heute lebende Generation „fair“ behandelt werden, also die Gesellschaftsmitglieder dieselben Chancen zur Entfaltung bzw. Lebensplanung bekommen wie die heute lebenden Individuen. 2 Hier spricht man oft auch von einem „Fluch der Ressourcen“. 3 Vgl. Furubotn/Pejovich (1972).
Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen
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Nach Ronald Coase sind fixierte Eigentumsrechte, die vom Staat durchgesetzt werden4, der Grundstein für erfolgreiche Transaktionen, d. h. für eine optimale Allokation von Gütern und Faktoren.5 Das Eigentum an „Sachen“ stellt einen starken Anreiz dar, sich um die eigenen „Sachen“ zu kümmern und um sinnvoll zu investieren. Zudem können auf der Basis des Eigentums zweckgerichtete Transaktionen getätigt werden. Über den Markt erfolgt die Objektivierung der Wertschätzung durch die Bildung freier Preise im Wettbewerb.6 Dieser marktliche Wettbewerb sorgt schließlich für einen permanenten Produkt- und Verfahrensfortschritt, er ist das Entdeckungsverfahren7, der Wettbewerb sorgt für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt in der Moderne. Allerdings stellt sich die Frage: Wann funktioniert die marktliche Koordination zufriedenstellend? Immer? Manchmal? Oder lassen sich Bedingungen nennen? Und: Gibt es überhaupt ein grundsätzliches Problem mit natürlichen Ressourcen? Um diese Fragen zu beantworten, möchten wir im Folgenden drei „Zweige“ der ökonomischen Theorie vorstellen: erstens die libertäre Theorie, zweitens die Wohlfahrtstheorie und drittens die institutionen- bzw. konstitutionenökonomische Theorie.
1. Die libertäre Theorie Würde man den Ansichten der Libertären folgen, so gäbe es Phänomene des Marktversagens gar nicht.8 Sind die Eigentumsrechte gesichert, so können letztlich alle Güter und Ressourcen über marktlichen Wettbewerb allokiert werden. Auch die zentrale Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Eigentumsrechte, könnte von privaten Schutzgemeinschaften, die im Wettbewerb untereinander stehen, übernommen werden. Kollektivgüterprobleme lösen sich, indem sich Akteure spontan koordinieren, Externalitätenprobleme lassen sich im Vorfeld (theoretisch) lösen, indem jedem das Recht zugewiesen wird, nicht von anderen in der eignen Entfaltung beeinträchtigt zu werden. Damit könnte eine neutrale Schiedsrichter- und Rechtsdurchsetzungsinstanz reale (technologische) negative Externalitäten beseitigen. Auch Monopolmacht spielt in die___________ 4
Die erfolgreiche Durchsetzung der Eigentumsrechte und der erfolgreiche Schutz der Verträge impliziert, dass der Staat funktionsfähig ist. Das bedeutet: Es herrscht „Good Governance“ und nicht „Bad Governance“ auf staatlicher Ebene. Wir werden auf die Governance-Strukturen später noch eingehen. 5 Vgl. Coase (1960), S. 2–7. 6 Vgl. Mises (1993). 7 Vgl. Hayek (1968). 8 Vertreter des Libertarismus sind z. B. Murray N. Rothbard (1999) und David D. Friedman (2003).
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sem Theoriegebäude keine Rolle, denn nur staatlich geschützte Unternehmen werden als nicht angreifbar und damit gefährlich angesehen. Solange sicher gestellt ist, dass der Staat oder allgemein der Rechtsdurchsetzer, künstliche Markteintrittsbarrieren verhindert, wirkt der Wettbewerb, wenn auch bisweilen nur über den Umweg der Substitutionskonkurrenz.9 Der Libertarismus unterstellt, dass Eigentum durch erstmalige Aneignung im Ausgangszustand herrenloser Ressourcen gewonnen wird. Wenn Ressourcen im Ausgangszustand niemandem gehören, bedarf es zum „Erwerb“ des Eigentums auch nicht der Zustimmung der Gesellschaftsmitglieder. Für radikale Libertäre gibt es faktisch keine Beschränkung der Aneignung herrenloser Güter und Ressourcen. Die Verbindung mit Arbeit in der Produktion ist eine weitere Legitimation des Eigentums, die auf John Locke zurückgeht.10 Eigentumslose Individuen können entweder zu Marktpreisen durch Kauf Eigentum erwerben oder auf dem Markt die aus den Ressourcen gewonnen (produzierten) Güter kaufen. Ausbeutung wäre aus libertärer Sicht nur möglich, wenn illegitime Markteintrittsbarrieren von den Eigentümern errichtet würden, die den wettbewerblichen Marktpreis künstlich erhöhten. Dies gilt es – wie gesagt – ggf. durch kollektives (staatliches) Handeln zu unterbinden. Eine weitaus größere Gefahr als in der Ausbeutung der Bürger durch private Unternehmen (Marktmacht) sehen Libertäre in der Möglichkeit der Ausbeutung der Bürger durch den Staat. Der unbeschränkt agierende (ggf. auch nicht demokratisch legitimierte) Staat kann nicht legitimierbare Markteintrittsbarrieren errichten, kann selbst Monopolmacht ausüben, kann Kartelle erlauben oder selbst bilden. Ein Blick auf die Ölpreisbildung belegt, dass diese Gefahren nicht von der Hand zu weisen sind. Dementsprechend ist das Ziel der Libertären, kollektives Handeln stets so zu organisieren, dass die Voraussetzungen für Wettbewerb geschaffen werden. Verbleibende private Marktmacht wird auch im Bereich der Ressourcen toleriert.
2. Die wohlfahrtstheoretische Perspektive Die ökonomische Wohlfahrtstheorie in der Tradition von Arthur Cecil Pigou legitimiert staatliches Handeln auf der Basis von Marktversagen.11 Marktversagen bedeutet, dass die marktliche Koordination nicht zu allgemein wünschenswerten Ergebnissen führt. Man spricht auch von ineffizienten Marktergebnissen. Es wird vermutet, dass Marktversagen insbesondere bei externen Effekten, ___________ 9
Vgl. Hoppmann (1977). Vgl. Locke (1986). 11 Vgl. Pigou (1920). 10
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Kollektivgütern (Probleme bei der Exklusion nicht zahlender Nutzer), natürlichen Monopolen sowie bei meritorischen und demeritorischen Gütern auftritt.12 Zudem vertreten makroökonomisch orientierte Marktversagenstheoretiker (in der Tradition von John Maynard Keynes) die These, dass das Marktsystem unerwünschte Konjunkturschwankungen hervorbringt. Auch gibt es den Vorwurf, dass die marktliche Koordination wegen des Wettbewerbsdrucks stets nur auf kurzfristige Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung abziele. Nachhaltiges Wirtschaften ließe sich ohne Weiteres – d. h. ohne staatliche Maßnahmen – in vielen Bereichen des Marktes nicht erreichen. Bei öffentlichen Gütern wie sauberer Luft, sauberem Grundwasser u.a. würde ein unreguliertes einzelwirtschaftliches Handeln zu volkswirtschaftlich ineffizienten Ergebnissen führen. Volks- und betriebswirtschaftliche Kosten fallen auseinander, es kommt zu einer Übernutzung der Ressource und zu Prozessen kollektiver Selbstschädigung. Staatliche Maßnahmen wie eine geeignete Zuweisung von Nutzungsrechten oder Regulierungen zur Eindämmung externer Effekte können hier aus Sicht der Wohlfahrtstheorie Abhilfe schaffen. Aber selbst wenn wir grundsätzlich marktfähige natürliche Ressourcen wie z. B. Holz oder Öl betrachten, gibt es aus wohlfahrtstheoretischer Perspektive Zweifel, ob die marktliche Koordination zu erwünschten Ergebnissen führt. Die Zweifler sehen den Grund hierfür in einer marktlichen Diskontrate, die gesamtgesellschaftlich als zu hoch angesehen wird. Eine Diskontrate größer als Null wird beispielsweise bereits von Ramsey abgelehnt.13 Betrachtet man nicht einzelne (Gruppen von) Individuen, sondern gegenwärtige und zukünftige Generationen, so erscheint es einsichtig, dass man die individuelle Zeitpräferenzrate14 nicht als Argument für eine positive Diskontrate heranziehen kann. Nimmt man ferner an, dass sich Generationen ewig aneinanderreihen und dass den heute lebenden Individuen das Wohl ihrer Kinder und Kindeskinder sehr am Herzen liegt, so könnte man Ramsey Recht geben: Eine positive Diskontierung scheint sich nicht legitimieren zu lassen. Doch dem ist nicht so. Zumindest ein Grund kann eine positive Diskontrate rechtfertigen: der organisatorische und technische Fortschritt. Dieser wirkt in zwei Richtungen. Zum einen ist er die Grundlage des Wirtschaftswachstums und damit des Anstiegs der realen Pro-KopfEinkommen. Zum anderen bewirkt der organisatorische und technische Fortschritt einen Anstieg der totalen Faktorproduktivität. Somit können in der Zukunft Ressourcen effizienter verwendet werden. Auch können Substitutionstechnologien erfunden werden. Dennoch kann der Fall eintreten, dass die marktliche Diskontrate deutlich über der langfristig gesellschaftlich angemes___________ 12
Vgl. zum Marktversagen Fritsch/Wein/Ewers (2007). Vgl. Ramsey (1928), S. 543. 14 Auf diese wies insbesondere Böhm-Bawerk (1988) hin. Vgl. hierzu auch Hummel (1999). 13
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senen liegt. Die „zeitliche Tiefe“ der Märkte wäre in solchen Fällen nicht hinreichend.15 Weitere Probleme bei grundsätzlich marktfähigen Gütern stellen Marktmacht und ungerechte Verteilungen dar. Wenn Ressourceneigentümer aufgrund der Kostenstruktur (hohe Fixkosten) oder aufgrund der Verfügbarkeit eine Machtstellung im Markt erlangen, so zieht das ggf. unerwünschte Preis- und Verteilungseffekte nach sich. Auch ist es denkbar, dass sich die Anbieter einer bestimmten Ressource über die Preisbildung absprechen und so die Gewinne auf Kosten der Verbraucher mehren. Auch solche Konstellationen würden aus wohlfahrtstheoretischer Sicht einen staatlichen Eingriff legitimieren. Denkbar wären je nach Problemsituation Regulierungen oder sogar Verstaatlichungen (sofern eine Anwendung des „normalen“ Wettbewerbsrechts nicht ausreichend erscheint). Aus wohlfahrtstheoretischer Perspektive kann also nicht per se eine Aussage getroffen werden, ob natürliche Ressourcen in privater oder öffentlicher Verfügung liegen sollen. Je nach Marktversagenstatbestand wird dem Staat die Aufgabe zugewiesen, das Marktversagen durch einen adäquaten Instrumenteneinsatz – also ggf. auch durch permanente Marktinterventionen – zu heilen. Für den Fall, dass es sich bei der Produktion und Verteilung (Allokation) der natürlichen Ressourcen um das Problem eines Netzgutes handelt, hat die Wohlfahrtsökonomik einige Standards entwickelt, die in der Realität als normative Leitlinie für die Regulierung dienen können. Bei Netzgütern treten extrem hohe irreversible Fixkosten (im Vergleich zu den variablen Kosten – Kosten des laufenden Betriebs) auf. Als Folge sorgt die „Fixkostendegression“ für fallende Durchschnittskosten im Bereich der Nachfrage. Insofern taucht das Problem der Subadditivität der Kosten – ein Anbieter kann den Markt günstiger bedienen als mehrere – bei fast allen Netzgütern auf (z. B. bei Gas- oder Ölpipelines oder bei einem Wasser-Röhren-Netz). Viele Argumente sprechen nun dafür, dass es nur ein Netz bzw. einen Netzbetreiber in diesen Bereichen geben sollte. Der eine Netzbetreiber kann dann allerdings trotz des „Irreversibilitätsproblems“ durchaus ein privates Unternehmen sein. Allerdings muss der (private) Netzbetreiber durch eine unabhängige Stelle (in Deutschland die Bundesnetzagentur) dahingehend kontrolliert werden, ob er die Netzbenutzer nicht preislich diskriminiert und ob er auch in einem erwünschten Maße Investitionen tätigt. Auch hier folgt aus der ökonomischen Wohlfahrtstheorie keinesfalls zwingend, dass der private Netzbetreiber volkswirtschaftlich gesehen einem staatlichen Netzbetreiber überlegen ist. ___________ 15 Der Grund hierfür liegt nicht selten in schlechten Rahmenbedingungen der Märkte. „Bad Governance“ und unstetige, willkürliche Marktregulierungen erschweren eine Langfristorientierung und sorgen für Risikoaufschläge.
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Die Wohlfahrts- oder Marktversagenstheorie weist dem Staat weitgehende Aufgaben im Bereich der Regulierung zu. Entscheidende Verfügungs- und Kontrollrechte soll der Staat wohlfahrtsoptimal ausüben. Bei den privaten Akteuren, die annahmegemäß ihre eigenen Ziele verfolgen, verbleiben auch in diesem Ansatz noch weitreichende Verfügungsrechte in den Bereichen der Allokation. Insbesondere aufgrund der erwarteten positiven Resultate des Wettbewerbs werden zumeist Lösungen zur Eindämmung des Marktversagens favorisiert, bei denen der Staat der Regulator ist und das Handeln der Wirtschaftssubjekte wirksam kanalisiert. Der Wettbewerb unter den privaten Akteuren gibt ihnen nämlich dann den Anreiz, für die Marktgegenseite Produkt- und Verfahrensfortschritt zu generieren. Diese Anreize sind beim Staat wegen des fehlenden Wettbewerbsdrucks weitaus geringer. Es können aber gerade im Bereich der Netzgüter dem Staat auch allokative Aufgaben (z. B. das Betreiben des Netzes) zugewiesen werden. Kriterien, mit denen die Maßnahmen bewertet und abgewogen werden, sind das Pareto-Kriterium oder das Kaldor-Hicks-Kriterium.16 Nach dem ParetoKriterium müssen die eingesetzten Maßnahmen wenigstens einen Akteur besser stellen ohne dass ein anderer Akteur schlechter gestellt wird; nach dem KaldorHicks-Kriterium muss nur der Durchschnittsakteur besser gestellt werden.17 Da es gemessen am Status Quo bei nahezu jeder Regulierungsmaßnahme auch Verlierer gibt, wird für wirtschaftspolitische Maßnahmen in der Realität zumeist auf das Kaldor-Hicks-Kriterium zurückgegriffen.
3. Die institutionenökonomische Perspektive Institutionen im Sinne der Institutionenökonomik18 sind Systeme von Regeln oder Normen, zu denen auch vereinbarte Verträge oder ganze Vertragssysteme zählen, einschließlich der Mechanismen ihrer Durchsetzung. Institutionen helfen, –
unerwünschte Dilemmata aufzulösen,
–
Erwartungssicherheit zu schaffen,
–
Koordinationsprobleme (z. B. durch Normierungen) zu lösen und
– unerwünschte Transaktionskosten zu senken. ___________ 16
Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 15–19. Die Langfassung lautet: Es muss ein oder es müssen mehrere Akteure soweit besser gestellt werden, dass diese Gewinner der Maßnahme die Verlierer kompensieren könnten. Der Konjunktiv ist entscheidend, denn eine tatsächliche Kompensation muss nicht erfolgen. 18 Vgl. zur Neuen Institutionenökonomik z. B. Erlei/Leschke/Sauerland (2007). 17
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Weil man durch die Einigung auf Regeln viele fortlaufende Einzelabsprachen (Einzelregelungen, Verträge) spart, senken Institutionen oft die Transaktionskosten erheblich. Allgemein lässt sich feststellen, dass Institutionen die handlungskanalisierenden Spielregeln für das soziale Geschehen in einer Gesellschaft sind. Sie definieren die Anreizstruktur. Das Etablieren neuer Institutionen bzw. die Veränderung vorhandener Institutionen verändert relative Preise, d. h. bestimmte Handlungen werden mit (neuen) (Opportunitäts-)Kosten belegt. Beispiele für Institutionen sind Verfassungen, Gesetze, internationale Abkommen, Verträge zwischen Unternehmen oder auch Staaten. Zu den Institutionen zählen aber nicht nur formale, schriftlich fixierte Regeln und Verträge, sondern auch informelle Regeln wie Konventionen, Sitten und moralische Regeln. Insbesondere die Politökonomin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat auf die Relevanz informeller Institutionen zur Überwindung von Allmendeproblemen bei natürlichen Ressourcen hingewiesen.19 Das Vorhandensein bestimmter Institutionen alleine ist natürlich noch kein Garant, dass unerwünschte Dilemmasituationen aufgelöst, dass Transaktionskosten in einem erwünschten Umfang gesenkt und dass hinreichend starke Anreize für Investitionen zum wechselseitigen Vorteil gegeben werden. Es kommt natürlich auf das konkrete Design und Zusammenspiel der Institutionen an. An diese Überlegung schließt sich unmittelbar die Frage an: Wann sind aus institutionenökonomischer Sicht institutionelle Reformen zu befürworten? Während das oben angesprochene Pareto-Kriterium die Summe der favorisierten Maßnahmen drastisch reduziert, weil es auf eine Verbesserung von Akteuren ohne Schlechterstellung abstellt, besteht das Problem bei dem nur auf Allokationseffizienz abstellenden Kaldor-Hicks-Kriterium darin, dass all jene (politischen) Maßnahmen, bei denen es Verlierer gibt, nie von diesen befürwortet werden (können). James Buchanan, der Mitbegründer der Konstitutionenökonomik, zeigt eine Alternative auf:20 Er unterscheidet grundlegend zwischen Regeln oder Regelsystemen auf der einen und den Ergebnissen, die durch das Verhalten der Akteure unter dem gegebenen Regelrahmen entstehen, auf der anderen Seite. In der englischsprachigen Literatur wird diesbezüglich von „rules of the game“ und „choices within rules“ gesprochen. Einzelne (politische) Maßnahmen (institutionelle Reformen) sind im Rahmen dieses Konzepts dann zu befürworten, wenn sie auf Regeln – oder allgemeiner: Institutionen – basieren, denen die Individuen (implizit oder explizit) zustimmen (würden). Entsprechend sind Änderungen von Regeln bzw. institutionelle Reformen zu befürworten, sofern die Regeländerungen selbst auf die Zustimmung der Betroffenen stoßen (würden). Diesbezüglich soll noch einmal erwähnt werden, dass ___________ 19 20
Vgl. Ostrom (1990). Vgl. Buchanan (1987).
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hier die Institutionen (Regeln) im Blickpunkt der Analyse stehen und nicht Endzustände (wie sie beim Pareto- und Kaldor-Hicks-Kriterium betrachtet werden). Darüber hinaus wird innerhalb des institutionenökonomischen Denkgebäudes nicht (wie im wohlfahrtstheoretischen Ansatz) unterstellt, dass der Staat stets fähig und willig sei, alle Probleme (qua institutioneller Reformen bzw. Regulierung) wohlfahrtsoptimal zu lösen. Es wird vielmehr unterstellt, dass die Politiker selbst Eigeninteressen verfolgen und auch ihr Verhalten durch Regeln (Verfassungsregeln) maßgeblich beeinflusst wird. Der institutionenökonomische Ansatz betrachtet also die Regeln im politischen Sektor und die Governance-Ebene (die gute oder eben schlechte Regierungsführung) stets mit. Nur wenn der öffentliche Sektor an Good-GovernancePrinzipien wie der Subsidiarität, der Äquivalenz, der Nicht-Diskriminierung oder der Nachhaltigkeit wirksam (z. B. durch die Verfassung oder durch internationale Verträge bzw. Abkommen) gebunden ist, kann erwartet werden, dass die Regierenden bei ihren Entscheidungen die Interessen der (überwiegenden Mehrheit der) Bürger berücksichtigen. Ein weitgehendes Fehlen solcher oder ähnlicher Beschränkungen kann dazu führen, dass sich die Politik vorwiegend an organisierten Sonderinteressen statt an den (konstitutionellen) Interessen der Bürger ausrichtet. So kann es mittel- und langfristig zu Prozessen der Diskriminierung oder der kollektiven Schädigung kommen. Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand ebben ab. Die Gesellschaft ist dann eben kein „Unternehmen zur Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“21, es wird letztlich ein „Negativ-Summen-Spiel“ gespielt. Der Ökonom Mancur Olson spricht diesbezüglich vom „Niedergang von Nationen“.22 Aus dem Gesagten folgt, dass man konsensfähige institutionelle Reformen auf der Ebene des Marktes (hier ein effizienterer Umgang mit natürlichen Ressourcen) nur dann erwarten kann, wenn die Spielregeln im politischen Sektor hierfür die notwendigen Anreize generieren. Die Governance-Ebene muss stets mit ins Kalkül gezogen werden. Normativ gewendet ist „Erklären zwecks Gestalten“ der Leitgedanke der Institutionenökonomik.23 Das bedeutet, dass basierend auf identifizierten institutionellen Problemen eines Status Quo (hier: bezüglich der Allokation und Verteilung natürlicher Ressourcen) nach umsetzbaren institutionellen Alternativen (z. B. alternativen Nutzungsrechten von Ressourcen) geforscht wird, durch welche die betroffenen Akteure besser gestellt werden. Natürlich können in diese Art institutionenökonomischer Forschung auch wohlfahrtstheoretische ___________ 21
Der Ausdruck geht auf Rawls (1979), S. 105 zurück. Vgl. Olson (2004). 23 Homan/Suchanek (2005), S. 347 drücken dies ähnlich aus. 22
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Argumente und Erkenntnisse integriert werden, genauso wie Erkenntnisse der Public-Choice-Theorie. Diese sind aber stets eingebettet in institutionelle Settings, so dass die institutionelle Umgebung Dreh- und Angelpunkt der Analyse ist. Insofern lassen sich aus institutionenökonomischer Sicht auch kaum „Perse-Aussagen“ über die optimale Art und Weise der Allokation und Verteilung natürlicher Ressourcen generieren. Die Status-Quo-Analyse bildet den Ausgangspunkt zur Erforschung institutioneller Alternativen, von denen erwartet wird, dass sie zu einem „besseren“ Umgang mit knappen natürlichen Ressourcen führen. Dieser Ansatz (ausgehend von der Analyse des Status Quo nach pareto-superioren institutionellen Reformmöglichkeiten zu suchen) hat viel gemein mit der „klinischen Ökonomik“ von Jeffrey Sachs.24 Wie ein Arzt diagnostiziert der Ökonom das Problem im Status Quo und erarbeitet dann den Therapievorschlag (hier: die notwendige institutionelle Reform). Der folgende Abschnitt stellt basierend auf der institutionenökonomischen Perspektive nun ein Schema (eine Klassifizierung) zur positiven (erklärenden) Erforschung institutioneller Regime für natürliche Ressourcen vor.
III. Ein Schema zur Klassifizierung institutioneller Regime für natürliche Ressourcen Natürliche Ressourcen können problematische Nutzungen nach sich ziehen. Dilemmata, Zeitinkonsistenzprobleme oder andere Fehlanreize können zu einer Übernutzung und zu ungerechten Verteilungen führen. Daher ist es von zentraler Bedeutung, einen Blick auf die Eigentums- und Nutzungsrechte zu werfen. Diese Rechte stellen neben den Marktkonstellationen (Angebot und Nachfrage) die zentralen Anreize zur Verwertung bzw. Nutzung der Ressource dar. Diese Rechte (auch informelle können das sein) regeln die Beziehungen zwischen den Nutzungsberechtigten und den Duldungspflichtigen. Für natürliche Ressourcen lassen sich nach Knoepfel/Kissling-Näf/Varone grundsätzlich vier Regime von Eigentums- bzw. Nutzungsrechten (Property Rights) unterscheiden:25 1.
Privates Eigentum (Private Property): Die exklusiven Eigentumstitel liegen hier in der Hand privater Akteure, diese Akteure kontrollieren den Zugang zur und die Verwertung der Ressource; Beispiel: Bodennutzung.
2.
Staatliches Eigentum (State Property): Die exklusiven Eigentumstitel liegen hier in der Hand einer staatlichen Ebene (z. B. Bund, Land, Kommune,
___________ 24 25
Vgl. Sachs (2005), S. 102 ff. Vgl. Knoepfel/Kissling-Näf/Varone (2001), S. 24 ff.
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Provinz etc.), welche auch den Zugang zur und die Verwertung der Ressource kontrolliert; Beispiel: Nationalparknutzung. 3.
Gruppen- oder Kollektiveigentum (Common Property): Das Eigentum bzw. die Verfügungsmacht befindet sich in den Händen einer (nicht staatlichen) Gruppe. Die nicht-staatlichen Akteure der Gruppe regeln und kontrollieren den Zugang zur und die Verwertung der Ressource; Beispiel: Bewässerungssysteme.
4.
Herrenlose Ressource (No Property): Die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse sind weitestgehend ungeregelt; Beispiel: Ozeane.
In diesen vier (reinen) Regime-Typen kann es nun aus unterschiedlichen Gründen zu einer Ressourcendegradation (unerwünschte Verknappung) kommen. Bei Privateigentum können z. B. versursacht durch Wettbewerbsdruck sehr hohe individuelle Diskontraten ein intertemporal optimales Wirtschaften verhindern. Es können auch Externalitäten auftreten, die ein nachhaltiges Handeln erschweren. Diese Probleme können in ähnlicher Form auch im Regime staatlichen Eigentums auftreten. Auch die politischen Akteure können bei ihren Entscheidungen wohlwissentlich gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit verstoßen oder auch durch eine Bedienung bestimmter Klientel Verteilungsungerechtigkeiten herbeiführen. Auch können solche Effekte durch Korruption auftreten. Mangelnde „Checks & Balances“ und/oder mangelnde Kontrollen sind hierfür i. d. R. verantwortlich. Ähnliche Probleme können auch im Common-PropertyRegime auftreten. Die Nicht-Einhaltung von Gruppenregeln sowie Übernutzungen der Ressource können ggf. ohne staatliche Sanktionsgewalt schlecht verhindert werden. Verstärkt gilt dies natürlich bei herrenlosen Ressourcen. Insofern können in beiden Regimen (individuell) intendierte und nicht-intendierte Schädigungsprozesse eintreten, die allgemein unerwünscht sind. Alle eigentumsrechtlichen Regime können nun hinsichtlich der Verwertung und Verteilung natürlicher Ressourcen mehr oder weniger gut (schlecht) funktionieren. Devlin und Grafton stellen diesbezüglich heraus, dass der Schlüssel des Erfolgs/Misserfolgs in den Anreizen zu suchen ist, die der gesamte institutionelle Rahmen – also die Eigentumsrechte samt Governance-Struktur – generiert.26 „Governance“ ist ein schwammiger Begriff. Hier soll unter „Governance“ die Art und Güte kollektiven Handelns, also die Kontroll- und Steuerungsstruktur, verstanden werden. Diese umfasst27 –
Bindungen der Vollzugsakteure und der Regierenden (der bestimmenden Akteure),
___________ 26 27
Vgl. Devlin/Grafton (1998), S. 138. Vgl. Knoepfel/Kissling-Näf/Varone (2001), S. 35 ff.
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–
vorhandene informelle Regeln und Ideologien und
–
vorhandene Wirkungsmodelle und Politikinstrumente.
Solche Governance-Strukturen generieren entscheidende Anreize dafür, ob die Regeln (Verfügungsrechte) so gesetzt werden, dass die natürliche Ressource nachhaltig effizient verwertet wird oder nicht. Wir wollen die GovernanceStrukturen diesbezüglich als geeignet oder als ungeeignet bezeichnen. Weiterhin lässt sich die Unterscheidung treffen, ob die bestimmenden Akteure (die über die Art der Verwertung und Verteilung der natürlichen Ressource entscheiden) staatliche Stellen oder private Individuen/Gruppen sind. Auf Basis dieser getroffenen Differenzierungen lassen sich nun vier Governance-Regime unterscheiden, die in der Abbildung 1 skizziert sind. staatliche bestimmende Akteure
A
B
funktionsfähige Governancestruktur
C
D
nicht funktionsfähige Governancestruktur
nicht staatliche bestimmende Akteure Abbildung 1: Governance-Regime
Die vier Governance-Regime können folgendermaßen charakterisiert werden: Regime A kann man sich als eine funktionierende konstitutionelle Demokratie vorstellen, die in der Lage ist, die Verfügungsrechte so zu gestalten, dass ein langfristig vernünftiger Umgang mit natürlichen Ressourcen mehr oder weniger erwartet werden kann. Bei Regime B handelt es sich ebenfalls um staatliche Strukturen. Allerdings treten (gravierende) Fälle von Politik- und Bürokratieversagen auf. Gründe hierfür können in innerstaatlichen (ethnischen) Konflikten oder in fehlenden verfassungsmäßigen Beschränkungen der Regierenden liegen. Eine Regelsetzung, die zu einem langfristig vernünftigen Um-
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gang mit natürlichen Ressourcen führt, ist eher nicht zu erwarten. Regime C ist hingegen hinsichtlich der Schaffung adäquater Regeln durchaus funktionsfähig, auch wenn keine staatliche Steuerung vorliegt. Es handelt sich um funktionierende Regime privater Gruppen wie sie u.a. von Elinor Ostrom analysiert wurden. Beispiele sind Gemeinschaften, die die Bewässerung eines Gebietes oder den Fischfang innerhalb einer größeren Bucht erfolgreich regeln. Die staatenlose Funktionsfähigkeit der Governance-Struktur ist im Fall D nicht mehr gegeben. Man kann sich hier im Extremfall vorstellen, dass umherziehende Banden (Warlords) die natürlichen Ressourcen ausbeuten und die Regierung zu schwach ist, sie daran zu hindern. Knoepfel/Kissling-Näf/Varone zeigen, dass es funktionsfähige wie nicht funktionsfähige Governancestrukturen sowohl unter staatlicher als auch unter nicht staatlicher Kontrolle gibt und dass Entwicklungspfade zu besseren Governancestrukturen unterschiedlich sein können.28 Auch dies spricht für den Ansatz der „klinischen Ökonomik“, auf Basis der Analyse des institutionellen Status Quo (Diagnose) nach institutionellen Verbesserungen zu suchen (Therapie).
IV. Institutionelle Regime der Allokation und Distribution natürlicher Ressourcen im Status Quo: Bestandsaufnahme und Probleme Für die Suche nach geeigneten institutionellen Regimen natürlicher Ressourcen spielt die Frage nach der Erneuerbarkeit eine entscheidende Rolle. Zwar sind auch fossile Rohstoffe, wie z. B. Öl theoretisch erneuerbar, doch liegen die Zeiträume dafür (mit mehreren Millionen Jahren) außerhalb des menschlichen Zeit- und Planungshorizonts. Deshalb wird üblicherweise zwischen erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Ressourcen unterschieden. Eine weitere Möglichkeit der Systematisierung ergibt sich durch die Abgrenzung zwischen regenerierbaren Ressourcen (die vorhandenen Ressourcen stellen ihren alten Zustand wieder her) und reproduzierbaren Ressourcen (es bilden sich neue Ressourcen, die mit den alten vergleichbar sind).29 Da die Art der Erneuerung im vorliegenden Fall nicht relevant ist, sondern nur die zeitliche Dimension der Erneuerung über die Klassifizierung entscheidet, wird auf diese Abgrenzung jedoch nicht weiter eingegangen. Die nachfolgende Grafik zeigt die wichtigsten Gruppen natürlicher Ressourcen und die Property Rights Regime, in denen sie überwiegend organisiert sind. ___________ 28 29
Vgl. Knoepfel/Kissling-Näf/Varone (2001). Vgl. Wacker/Blank (1998), S. 1–2.
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Martin Leschke, Stefan Hähnel, Martina Kopp Klassifikation natürlicher Ressourcen Erneuerbare Ressourcen
Nicht-erneuerbare Ressourcen
Ressource
Property Rights
Ressource
Beispiele
Property Rights
Fischbestände
open access/staatlich (AWZ)
Fossile Rohstoffe
Erdöl, Erdgas, Kohle
überwiegend staatlich
Wald
staatlich
Metallische Rohstoffe
Kupfer, Silber, Uran
gemischt
Grundwasser
staatlich
Gesteine
Ton, Sand, Diamant
gemischt
Salze
Phosphate, Nitrate, Steinsalz
gemischt
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Knoepfel/Kissling-Näf/Varone (2001), S. 15 und Wacker/Blank (1998), S. 2.
Abbildung 2: Klassifikation natürlicher Ressourcen
Im Folgenden sollen anhand zweier Beispiele der Status Quo und die Probleme bei der Allokation und Distribution natürlicher Ressourcen erläutert werden. Die Beispiele folgen dabei der Klassifikation in erneuerbare und nichterneuerbare Ressourcen. Als Beispiel für erneuerbare natürliche Ressourcen dient die Ressource „Fisch“ und das Problem der Überfischung der Meere (Abschnitt 1). Die Ressource „Erdöl“ dient als Beispiel für nicht-erneuerbare natürliche Ressourcen und wird in Abschnitt 2 thematisiert.
1. Das Problem der Überfischung (erneuerbare Ressource) a) Das Grundproblem Die Fischbestände der Meere galten lange Zeit als unerschöpflich. Doch auf Grund der steigenden Nachfrage nach Fisch kam es unter Nutzung modernster Technik wie Echolot und einer immer besseren Fangausrüstung zu einer kontinuierlichen Ausweitung der Fangkapazitäten. Die weltweite Fangmenge stieg dadurch von 17 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf 83 Millionen im Jahr 2004 (ohne China).30 Die Abschöpfung derartiger Mengen an Fisch führte dazu, dass ___________ 30
Vgl. o.V. (2001), S. 20.
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die Fischbestände nicht mehr in der Lage waren, sich zu reproduzieren. Heute schätzt die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO), dass von den weltweiten Fischbeständen ca. 52 % bis an ihre Nachhaltigkeitsgrenze genutzt, 17 % überfischt und 7 % der Fischspezies bereits ausgerottet wurden.31 Die Überfischung der Meere gilt als klassisches Beispiel der sog. „Tragik der Allmende“. Jedes Mitglied (einer Gruppe) kann das Gut ohne Einschränkung nutzen. Es besteht jedoch eine Rivalität im Konsum, wobei der kurzfristige Profit die langfristige Nutzung dominiert.32 Ursächlich für dieses Problem ist die mangelhafte Ausgestaltung der Verfügungsrechte. Die Verfügungsrechte müssen insofern als mangelhaft bezeichnet werden, da sie zum überwiegenden Teil überhaupt nicht existent sind. Die Fischbestände in den Ozeanen sind prinzipiell jedem frei zugänglich und unterliegen damit dem Konkurrenzprinzip – die Nutzung der Ressource durch ein Individuum mindert gleichzeitig die Nutzungsmöglichkeiten der anderen Individuen.33 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „open access“, d. h. der Zugang zu den Ressourcen ist also in dem Sinne offen, dass niemand das Recht hat, einen anderen von der Nutzung der Ressource auszuschließen. Ein Open-AccessRegime zeichnet sich dadurch aus, dass Verfügungsrechte an der betreffenden Ressource überhaupt nicht spezifiziert und zugeordnet sind.34 Auf Grund dieser fehlenden Spezifizierung und Zuordnung von Verfügungsrechten bestehen bei den Fischereien keine Anreize, die Ressourcenausbeutung einzugrenzen, da niemand exklusive Rechte an der Ressource hat. Der einseitige Verzicht auf die Nutzung der Ressource „Fisch“ würde nur zu erhöhten Anstrengungen durch die Konkurrenten führen. Daraus wird unmittelbar ersichtlich, dass es zum Schutz frei zugänglicher und knapper Ressourcen notwendig ist, Verfügungsrechte wohl überlegt zu spezifizieren. Die Meere gehören jedoch zu den am wenigsten regulierten natürlichen Ressourcen.35 Es müssen deshalb institutionelle Arrangements gefunden werden, um die Fischerei im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung zu regulieren und um die dargelegten Prozesse kollektiver Selbstschädigung zu vermeiden. Lösungsansätze wie die Einrichtung ausschließlicher Wirtschaftszonen (AWZ) und die Zuteilung von Verfügungsrechten bezüglich der Hochseefischerei mit Hilfe von Fangquoten gehen dabei in die richtige Richtung. Diese beiden Lösungsansätze sollen im Folgenden kurz skizziert werden. ___________ 31
Vgl. FAO (2007), S. 29. Vgl. Lohmann (1999), S. 80. 33 Vgl. Mankiw/Taylor (2008), S. 262. 34 Vgl. Lohmann (1999), S. 60. 35 Vgl. Mankiw/Taylor (2008), S. 265. 32
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b) Ausschließliche Wirtschaftszonen Die stetig steigende Ausbeutung der Ozeane und die damit einhergehenden Konflikte unter den Staaten ließen im internationalen Raum den Ruf nach gesetzlichen Regelungen im Bereich der Fischerei lauter werden. Am 10. Dezember 1982 verabschiedeten die Vereinten Nationen die dritte „United Nations Convention on the Law of the Seas“ (UNCLOS), die am 16.11.1994 in Kraft trat.36 Dabei wird nach Art. 57 das Gebiet jenseits des Küstenmeeres bis zu einer Erstreckung von 200 Seemeilen ab Basislinie als Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ, engl.: Exclusive Economic Zones, EEZ) deklariert. Teil V dieses Abkommens regelt die Rechte der Küstenstaaten in der 200-MeilenZone, in denen der angrenzende Küstenstaat in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse wahrnehmen kann. Zu den souveränen Rechten gehören die Erforschung, Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung der lebenden und nicht-lebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden (Fischerei), des Meeresbodens und seines Untergrundes (z. B. Bergbau im Rahmen von Sand- und Kiesgewinnung) sowie andere Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung und Ausbeutung der AWZ (z. B. Stromerzeugung durch Wasserkraftwerke und Windenergieanlagen). Die Hoheitsbefugnisse erlauben dem Küstenstaat künstliche Inseln, Anlagen und Bauwerke, wie z. B. Bohrinseln, zu errichten und wissenschaftliche Meeresforschung zu betreiben. Dabei ist jedoch jeder Staat dem Schutz und der Bewahrung der Meeresumwelt und dem Naturschutz verpflichtet. In den Ausschließlichen Wirtschaftszonen haben die Staaten „sovereign rights for the purpose of exploring and exploiting, conservating and managing the natural resources, whether living or non-living“37. Die Hochseefischerei (Gebiete außerhalb der 200-Meilen-Zone) bleibt jedoch weiterhin offen zugänglich für alle, wobei laut Artikel 118 UNCLOS die Staaten hinsichtlich des nachhaltigen Managements der Ressourcen miteinander kooperieren sollen. Zur Konkretisierung dieser Zusammenarbeit wurde am 04. August 1995 eine Erweiterung der UNCLOS verabschiedet, die am 11. Dezember 2001 in Kraft trat. Darin werden Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zur Erhaltung und des Managements gefährdeter Fischarten definiert. Dazu zählen internationale Mindeststandards, die bei der Bewirtschaftung der Ozeane eingehalten werden müssen, sowie das Sicherstellen der Befolgung und Durchsetzung dieser Regelungen. Weitere Rahmenbedingungen für die internationale Fischerei___________ 36 Vgl. http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/texts/unclos/UNCLOSTOC.htm. 37 UNCLOS, Art. 56 Nr. 1 (a).
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politik wurden im „Code of Conduct for responsible fisheries“ vom 1. November 1995 durch die Welternährungsorganisation festgehalten. Diese sind aber im Gegensatz zur UNCLOS nicht bindend. Die folgende Abbildung veranschaulicht die weltweite Ausdehnung der ausschließlichen Wirtschaftszonen.
Quelle: http://www.people.hofstra.edu/geotrans/eng/ch5en/conc5en/img/EEZ.png
Abbildung 3: Weltweite Ausdehnung der ausschließlichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones, EEZ)
Ein Blick auf die Abbildung 3 macht jedoch deutlich, dass die Einrichtung von ausschließlichen Wirtschaftszonen das Problem der Überfischung der Meere nicht verhindern kann, da der überwiegende Teil der Meere weiterhin für alle offen zugänglich bleibt. Dennoch stellen die AWZ einen ersten Schritt hinsichtlich der Etablierung von Verfügungsrechten dar.
c) Hochseefischerei Die Fischbestände der Ozeane auf Hoher See (außerhalb der 200-MeilenZone) stellen immer noch eine frei zugängliche, gemeinsam genutzte Ressource dar. Für die Fischer besteht in der Situation des „open access“ kein Anreiz, nachhaltig zu handeln. Die Situation verlangt deshalb nach einer gewissen Regulierung, um der Ausbeutung der Ressource „Fisch“ entgegenzuwirken.38 ___________ 38
Vgl. Libecap (2003), S. 3.
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Zur Zuweisung von Verfügungsrechten an Fischbeständen der Ozeane ist es bis heute vor allem aus Kostengesichtspunkten nicht gekommen. Zum Einen wäre das Problem der Spezifikation zu lösen.39 Es müsste festgelegt werden, welcher Fischer welche Fischbestände nutzen bzw. als sein Eigentum ansehen darf. Dies ist jedoch insofern problematisch, da sich Fische frei im Meer bewegen. Die Transaktionskosten, um beispielsweise die Fische in einem ausreichend großen Raum einzuzäunen, wären so hoch, dass sich die daraus ergebenden Vorteile der nachhaltigen Nutzung nicht mehr auszahlen würden. Diese hohen Spezifikationskosten führen dazu, dass Verfügungsrechte nicht vollständig zugewiesen werden. Im Falle einer Zuteilung von Verfügungsrechten ergäben sich schließlich zudem Probleme der Durchsetzung und Überwachung. Hohe Kosten der Durchsetzung fallen an, wenn die Spezifikation und Einteilung der Verfügungsrechte von anderen freiwillig nicht akzeptiert werden. 40 Angesichts der hohen Zahl an Fischern wäre es praktisch unmöglich, jedem Fischer exklusive Verfügungsrechte an einem Fischbestand zuzuteilen. Weiterhin müsste kontrolliert werden, ob sich jeder Fischer an die spezifizierten Verfügungsrechte hielte und ausschließlich seine Fischbestände ausbeutet. Auch diese Aufgabe scheint in Anbetracht der Zahl an Fischern weder technisch noch finanziell realisierbar. Zum Umgehen dieser Probleme wurden mit dem Inkrafttreten des UNCLOS feste Fangquoten für jede Nation vereinbart. Für jede Nation werden zulässige Gesamtfangmengen (TAC, total allowable catches) festgelegt. Diese geben Auskunft darüber, welche Höchstmenge Fisch einem bestimmten Bestand in einem bestimmten Zeitraum entnommen werden darf.41 Im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union (GFP) erfolgt die Festlegung der Quoten in der Regel jeweils Ende Dezember. Der Ministerrat entscheidet dann auf Empfehlungen des Rates für Meeresforschung (ICES, International Council for the Exploration of the Sea) und seines eigenen technischen und wirtschaftlichen Fischereiausschusses (STECF) über die Fangmöglichkeiten für das kommende Jahr. Das erste Problem der Festlegung der Gesamtfangmengen kann als polit-ökonomisches identifiziert werden. Seit Jahren liegen die von der EU festgelegten Quoten um ca. 30 % über den Empfehlungen des ICEs. Die EU kommt somit den Forderungen der Fischereiindustrie entgegen. Auf Grund der überhöhten Festsetzung der TAC verfehlt dieses Instrument sein Ziel, den nachhaltigen Umgang mit der Ressource „Fisch“ sicher zu stellen. Das zweite Problem ist anreiz-technischer Natur. Durch das Quotensystem wird der Anreiz gegeben, die Quote vollständig auszuschöpfen. Ist dies nicht der Fall, so wird die Quote in der nächsten Periode gekürzt. Die Zuteilung der ___________ 39
Vgl. Richter/Furobotn (1996), S. 113. Vgl. Eger (1998), S. 44. 41 Vgl. OECD (1997), S. 72. 40
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nationalen Quoten folgt damit im Wesentlichen der Idee des Bestandsschutzes, dem sog. „Großvaterrechts-Prinzip“. Problematisch ist des Weiteren, dass für die Berechnungen der Fangquoten nur die Fische mitgezählt werden, die an Bord verbleiben. Aus diesem Grund werden unfreiwillige Beifänge zum Teil nicht mitgerechnet oder von den Fischern wieder zurück ins Meer geworfen. Die toten Fische im Beifang stellen jedoch ebenfalls eine Ausbeutung der Ressource „Fisch“ dar, ohne jedoch für den Menschen wirtschaftlich nutzbar zu sein. Dennoch werden damit erhebliche Teile eines Nachwuchsjahrganges durch die Industriefischerei vernichtet. Das Setzen von Anreizen zur Erforschung und Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung von Beifang ist deshalb dringend geboten. Ein weiteres Problem ist das sog. „race to the fish“, wodurch die Fischsaison immer kürzer wird, da zunehmend mehr Boote durch bessere Technik immer schneller fischen können und die zulässige Höchstfangmenge damit schneller erreicht wird.42 Die Vergabe von individuellen Fangquoten (IQ, individual quota) gibt einem einzelnen Produzenten, einem Unternehmen oder einer Organisation das Recht, eine bestimmte Menge einer bestimmten Fischart zu fangen, wobei auch das Gebiet und der Zeitraum vorgeschrieben werden.43 Diese Quote ist meist ein bestimmter Prozentsatz der TAC. Eine Sonderform von IQs existiert in Neuseeland. Dort gibt es sog. individuell handelbare Fangoten (ITQ, individual transferable quotas). Das Recht, eine bestimmte Menge an Fisch zu fangen kann gekauft, verkauft oder gemietet werden.44 ITQs stellen somit Privateigentum dar und sind ein geeignetes Instrument zur Vermeidung von Überfischung. Das größte Problem besteht jedoch in ihrer Zuteilung, da entschieden werden muss, wer welche Quote bekommt. Ein Markt für diese Lizenzen – ähnlich dem Markt für Emissionszertifikate – existiert bis heute nicht. Ein drittes Instrument ist die Festsetzung zulässiger Fangmengen pro Schiff in einer bestimmten Zeit (vessel catch limits).45 Damit wird zwar erreicht, dass weniger Fisch pro Schiff gefischt wird. Allerdings wird die Anzahl an Booten, die insgesamt fischen dürfen, nicht begrenzt. Folglich führt dies zu Investitionen in mehr Schiffe, um diese Regelung zu umgehen. Diese Maßnahme muss insofern als stumpfes Schwert bezeichnet werden. Neben diesen Maßnahmen zur Kontrolle der Fangmengen (output controls), gibt es noch Maßnahmen zur Reduzierung des Fischereiaufwands (input controls).46 Zu diesen gehören in erster Linie die Vergabe von limitierten Lizenzen. ___________ 42
Vgl. OECD (1997), S. 73. Vgl. OECD (1997), S. 77. 44 Vgl. Yandle/Dewees (2008), S. 916. 45 Vgl. OECD (1997), S. 84. 46 Vgl. OECD (1997), S. 69. 43
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Gegen Entrichtung einer Lizenzgebühr erhält jedes Individuum das Recht, die Fischbestände frei zu nutzen. Die genaue Fangmenge wird dabei jedoch häufig nicht festgelegt (sog. restricted open-access).47 Auf Grund der Nichtfestlegung der genauen Fangmengen sind limitierte Lizenzen keine wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Überfischung. Eine weitere Maßnahme sind individuelle Fischereiaufwandquoten (individual effort quotas), welche den Aufwand begrenzen, den jeder Produzent pro Jahr aufbringen darf.48 Auch eine Begrenzung der Ausrüstungs- und Flottenkapazität stellt eine Möglichkeit dar, den Fischereiaufwand zu begrenzen. Diese Regelung kann sich zum Beispiel auf die Anzahl und Größe der Ausrüstung (z. B. Länge der Netze oder die Anzahl der Haken) oder auf die Reduzierung der Schiffe oder der Schiffscrew beziehen. 49 Insgesamt müssen insbesondere die Maßnahmen zur Reduzierung des Fischereiaufwands (input controls) als zu prozesspolitisch abgelehnt werden. Sie versuchen das Problem der mangelhaften Ausgestaltung der Verfügungsrechte zu umgehen und verursachen sehr hohe Transaktionskosten, ohne das Problem der Überfischung effektiv zu lösen.
d) Lösungsvorschläge Die vorhergehenden Ausführungen verdeutlichen zwei Problemfelder: Erstens haben sehr viele Länder Zugang zu den Meeren, weshalb internationale Kooperationen unerlässlich und einfache Lösungen wie bilaterale Verhandlungen nicht erfolgversprechend sind. Zweitens fällt die erfolgreiche Durchsetzung auf Grund der enormen Ausdehnung der Meere extrem schwer. Die komplette Überwachung der Einhaltung der Regelungen muss auf Grund der damit einhergehenden Transaktionskosten zum jetzigen Zeitpunkt als nicht realisierbar angesehen werden. Dennoch führt der technische Fortschritt im Bereich der Kontrolltechnologien wie beispielsweise einer Überwachung von industriell eingesetzten Fischdampfern (Trawlern) durch GPRS50 zu einer Senkung der Transaktionskosten bei der Durchsetzung der Verfügungsrechte.51 Im Folgenden sollen noch über die bereits skizzierten Maßnahmen weitere Lösungsvorschläge zum nachhaltigen Umgang mit der Ressource Fisch vorgestellt werden. Wie bisher deutlich wurde, besteht das größte Problem in der freien Zugänglichkeit der Ozeane. Nur internationale Vereinbarungen können ___________ 47
Vgl. Pearse (1981), S. 138. Vgl. OECD (1997), S. 93. 49 Vgl. OECD (1997), S. 97. 50 General Packet Radio Service; ermöglicht die Ortung von Fahrzeugen und Objekten, bei der GPRS zur Übertragung von Positions- und Telemetriedaten benutzt wird. 51 Vgl. Balks (1995), S. 27. 48
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im Kampf gegen die Überfischung helfen. Eine Möglichkeit wäre die Erweiterung der AWZ der Küstenstaaten, so dass mehr Fischbestände durch die Zuteilung von Verfügungsrechten abgedeckt wären. Im Bereich der zulässigen Gesamtfangmengen sollte es verboten werden, den Beifang von nicht genutzten Meerestieren zurück ins Meer zu werfen. Alle gefangenen Fische sollten bei der Berechnung der zulässigen Gesamtfangmenge mit einbezogen werden. Die Fischindustrie wäre damit angehalten, Maßnahmen zu entwickeln, die einen kleinen Beifang garantieren. Des Weiteren sollten sich die internationalen Abkommen bei der Festlegung der zulässigen Gesamtfangmenge stärker an wissenschaftlichen Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) orientieren und beispielsweise geringere Gesamtfangmengen vereinbaren. Die von der Fischereilobby geforderten Fangmengen sind naturgemäß weitaus höher als die wissenschaftlich fundierten Empfehlungen des ICEs. Das erfolgreiche Rent-Seeking dieser Gruppe verhindert eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände. Eine weitere Möglichkeit die Fischbestände zu schonen ist die Einrichtung von Meeresschutzgebieten, in denen sich die Fische zum Laichen und Aufziehen zurückziehen können. Durch ein Fischfangverbot in diesen Gebieten könnte sichergestellt werden, dass die Fische genügend Zeit zur Reproduktion und Entwicklung haben. Insgesamt können die Lösungsvorschläge nur dann erfolgreich sein, wenn ihre Durchsetzung und Kontrolle gesichert ist. Da aber die Überwachung jedes einzelnen Schiffes mit hohen Transaktionskosten verbunden wäre, könnten Anreize unter den Fischern geschaffen werden, Regelverstöße zu melden. Denkbar wäre die Implementierung von Whistleblower-Systemen, wie Sie bereits im Zuge der Korruptionsbekämpfung eingesetzt werden. Damit könnten Anreize gesetzt werden, regelwidrige Fangmethoden eines Konkurrenten anzuzeigen.
e) Ausblick Ob die Überfischung der Meere gestoppt und die nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände gesichert werden kann, hängt maßgeblich von der richtigen Ausgestaltung und Durchsetzung der Verfügungsrechte ab. Die Spezifikation und Zuteilung der Verfügungsrechte müssen zwingend im Rahmen von internationalen Abkommen wie der UNCLOS erfolgen, um eine Chance auf Durchsetzung zu haben. Zudem muss das Governance-Problem gelöst werden. Beim Aushandeln der Gesamtfangmengen (TAC) hat beispielsweise jedes Land einen Anreiz, eine möglichst hohe Quote für die eigene Fischereiindustrie zu erwirken – auch über die Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) hinaus. Es handelt sich um ein klassisches Gefangenendilemma. Einseitige Kooperation eines Landes im Sinne eines Verzichts auf eine
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hohe Fangquote wird durch Defektion des anderen Landes durch Erwirken einer höheren Fangquote bestraft. Hinzu kommt, dass sich die Staaten nicht an die vereinbarten Regelungen halten und Vertragsbruch begehen. In der Literatur wird eine Reihe von Instrumenten zur Erhöhung der Kooperationsneigung diskutiert, wobei zwischen internen und externen Partizipations- und Stabilisierungsanreizen unterschieden wird.52 Zu den internen Partizipations- und Stabilisierungsanreizen zählen die Reoptimierungsstrategie, die erweiterte Tit-forTat-Strategie sowie die Ratifizierungsklausel. Von diesen internen Mechanismen geht zwar ein gewisser Anreiz für kooperatives Verhalten aus, insgesamt sind diese Maßnahmen jedoch nicht ausreichend, um die Probleme des Gefangenendilemmas zu lösen. Erfolg versprechender sind hingegen die externen Partizipations- und Stabilisierungsanreize. Denkbar wären beispielsweise Transferzahlungen. Staaten, die bei der Durchführung eines optimalen Umweltvertrages profitieren würden, müssten die Verliererstaaten (mindestens) kompensieren. Um die Gefahr der Zweckentfremdung zu reduzieren, sollten die Transferzahlungen in Form von Realtransfers erfolgen. So könnten die Industriestaaten den Entwicklungsländern die notwendige Technologie bspw. zur Reduzierung des Beifangs zur Verfügung stellen. Eine weitere Möglichkeit wären Sanktionen, z. B. in Form von Handelssanktionen – wobei hier häufig das Problem der Glaubhaftigkeit besteht, oder Strafzahlungen, die an eine internationale Organisation (z. B. die Welternährungsorganisation) gezahlt werden müssen. Gelingt die internationale Zusammenarbeit nicht, werden die Fischbestände weiter schrumpfen, so dass das Handeln der Akteure letztlich in einer kollektiven Selbstschädigung mündet.
2. Property Rights am Erdöl (nicht-erneuerbare Ressource) a) Definition des Rohstoffs Erdöl gilt weithin als das Beispiel einer natürlichen nicht-erneuerbaren Ressource von globaler Bedeutung. Auf Grund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten in Transport, Chemie, Landwirtschaft und Medizin besteht weltweit eine starke Abhängigkeit von Rohöl und Erdölprodukten. Der Aspekt der Nicht-Erneuerbarkeit bezieht sich in diesem Fall auf zwei Eigenschaften des Erdöls. Zum einen fehlt die Möglichkeit einer natürlichen Ressourcenregeneration innerhalb des menschlichen Zeithorizonts. Zum anderen ist auch die Rezyklierbarkeit (insbesondere Erneuerung durch menschliche Aktion) auf den Teil der Nutzung beschränkt, bei dem die Erdölprodukte nicht verbrannt wer___________ 52
Vgl. Endres (2007), S. 243–248.
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den, im Vergleich zur guten Rezyklierbarkeit mancher Erdölprodukte wie z. B. Kunststoffe.53 Der Vorrat an herkömmlichem Erdöl ist daher faktisch begrenzt durch die weltweiten Vorkommen. Diese Vorkommen werden in Reserven und Ressourcen unterschieden. Als Reserven werden diejenigen Erdölvorkommen bezeichnet, die im derzeitigen Stand der Technik wirtschaftlich rentabel förderbar sind. Der technische Fortschritt führt dazu, dass sich diese Vorkommen vergrößern, bis auch die Ressourcen aufgebraucht sind. Ressourcen sind die Vorräte, die zwar geologisch erkannt und nachgewiesen sind, aber noch nicht wirtschaftlich abgebaut werden können.54 Dazu gehört ein Großteil der nicht-konventionellen Erdölvorräte, wie Ölsande, Ölschiefer, Schwer- und Schwerstöle. Diese nicht-konventionellen Vorräte unterscheiden sich von herkömmlichem Öl in erster Linie durch die besondere Art der Förderung und Weiterverarbeitung. Für die Zukunft wird eine stetige Verknappung des Erdöls und damit ein steigender Ölpreis prognostiziert, sowohl aufgrund hoher Wachstumsraten auf der Nachfrageseite als auch einer aktiven Angebotspolitik durch die Förderländer (z. B. künstliche Verknappung des Angebots durch die OPEC). Deshalb werden verstärkt Alternativen zum herkömmlichen Rohöl gesucht. Fossiles nicht-konventionelles Erdöl und Biokraftstoffe sind dabei besonders aussichtsreich.55 Nicht-konventionelle Erdölvorräte stellen aufgrund ihrer begrenzten Vorkommen keine echte Alternative zu den fossilen Energieträgern dar. Biokraftstoffe, wie z. B. Bio-Ethanol werden aus Pflanzenteilen, also nachwachsenden Rohstoffen, hergestellt und sind daher eine völlig Abkehr von den fossilen Erdölprodukten. Die großen Chancen dieser Alternativprodukte ergeben sich aus der relativ hohen Komplementarität zu anderen Systemkomponenten, wie z. B. Verbrennungsmotoren, die teilweise für diese neuen Energieträger ohne aufwändige Umrüstung weiterverwendet werden können. Gerade im Hinblick auf eine technische Pfadabhängigkeit spielen spezifische Investitionen in eine bestimmte Technik eine entscheidende Rolle.56
b) Vorhandene Eigentums- und Nutzungsregime An Hand des oben genannten Schemas können die Eigentums- und Nutzungsregime für die natürliche Ressource Erdöl folgendermaßen klassifiziert werden:
___________ 53
Vgl. Hartwick/Olewiler (1986), S. 49–50. Vgl. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2007), S. 10–21. 55 Vgl. Bukold (2009b), S. 1–69. 56 Vgl. Bukold (2009b), S. 160–164. 54
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Martin Leschke, Stefan Hähnel, Martina Kopp Eigentums- und Nutzungsregime privat staatlich hybrid
kollektiv
herrenlos / keine geregelten Eigentumsrechte
Beispiele
Property Rights am Erdöl
Konzessionsmodell
beim jeweiligen Unternehmen
Staatliche Ölförderung
beim jeweiligen Land
Production Sharing Agreement
theoretisch beim jeweiligen Land, abhängig von der Vertragsstruktur
Förderanlagen unterschiedlicher Eigentümer an einem gemeinsamen Ölfeld
Common Pool Resource
Ölförderung in der Arktis/ Antarktis und in den Weltmeeren
fraglich
Quelle: eigene Abbildung in Anlehnung an Ströbele (1987, S. 75–88) und Machmud (2000, S. 34–42).
Abbildung 4: Klassifizierung der Eigentums- und Nutzungsregime für Erdöl
Noch bis in die 1970er Jahre wurde der Erdölmarkt von wenigen großen Mineralölfirmen dominiert. Diese lagen zum Großteil in privater Hand und besaßen meist aufgrund von Kolonialverpflichtungen oder Konzessions- und Lizenzverträgen die Entscheidungsgewalt über die Erschließung und Ausbeutung der Ölfelder. Außerdem fehlten den Förderländern zum damaligen Zeitpunkt in der Regel das nötige Sach- und Humankapital hinsichtlich der Förderungstechnologie, um eine eigene Förderung durchzuführen.57 Die Mineralölunternehmen waren sich der ständigen Gefahr einer Enteignung durchaus bewusst, was sich in einer hohen Diskontrate, wie z. B. einer extensiven Förderstrategie verdeutlichte. Die staatlichen Governance-Strukturen der Förderländer waren noch schwach ausgeprägt. Dies änderte sich in den 1970er Jahren, als die Eigentumsrechte an den Ölfeldern dann sukzessive an die Förderländer übertragen wurden. Dies geschah teilweise freiwillig, jedoch in den meisten Fällen durch Enteignung.58 Damit setzten die Förderländer erstmals ihre Eigentumsrechte an den Ölfeldern und den dazugehörigen Transportmöglichkeiten gegenüber den internationalen Großkonzernen durch. Vor allem durch die Bildung der OPEC und ihren kartellähnlichen Strukturen konnten erstmals höhere Ölpreise durchgesetzt werden. Im Zuge dieser Veränderungen wandelte sich auch das Preissys___________ 57 58
Vgl. Ströbele (1987), S. 81–88. Vgl. Ströbele (1987), S. 75–88.
Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen
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tem für Erdöl. Bis dahin basierten die Konzessionszahlungen an die Förderländer nicht auf dem tatsächlichen Marktpreis, sondern einem „posted price“ genannten Verrechnungspreis, der von den Ölkonzernen in unregelmäßigen Abständen neu festgelegt wurde. Dieser Kartellpreis wurde mit Übertragung der Eigentumsrechte durch einen Marktpreis ersetzt.59 Politische Differenzen, wie z. B. die Lieferboykotte gegenüber den USA und anderen Industrieländern verstärkten die ersten (künstlichen) Angebotsverknappungen zusätzlich und führten zu den Öl(preis)krisen 1973 und 1979/80. Diese Ölkrisen bremsten wiederum das Wachstum der Industrienationen empfindlich und führten zu Diskussionen um die Sicherheit der Erdölversorgung. In den darauffolgenden Jahren setzten sich staatliche sowie hybride Property-Rights Regime durch. Die Eigentums- und Verfügungsrechte liegen dabei (zumindest theoretisch) bei den jeweiligen Förderländern.60 Hybride Regime sind meist als „Production Sharing Agreement“ gestaltet, wobei das ausländische Unternehmen mit der Ausbeutung der Erdölfelder beauftragt wird. Abhängig von der Vertragsstruktur werden die Gewinne auf die Vertragspartner aufgeteilt und zusätzliche Lizenzgebühren und Steuern erhoben. Dagegen behält der Staat bei der staatlichen Ölförderung alle Rechte und die Entscheidungsgewalt über die Erschließung und Ausbeutung aller Ölfelder und vergibt – wenn nötig – technische Dienstleistungsverträge an ausländische Firmen mit einem sehr begrenzten Einflussbereich. Eine andere Variante der staatlichen Ölförderung besteht in sogenannten „Risk Service Contracts“, wobei die ausländischen Investoren ausschließlich das benötigte Kapital zu einem vorher festgelegten Zinssatz zur Verfügung stellen und keine weiteren Einflussmöglichkeiten besitzen.61 Mittlerweile ist der Großteil der weltweiten Ölreserven (77 %) in staatlichem Eigentum und nur bei 7 % werden den privaten Unternehmen umfangreiche Property Rights der Nutzung gewährt. Bei den restlichen 16 % handelt es sich um Hybridformen, deshalb können die Eigentums- und Nutzungsrechte nicht klar zugeordnet werden.62 Ein weiteres Eigentums- und Nutzungsregime bei der Ölgewinnung ergibt sich aus der geologischen Verfügbarkeit von Öl in Ölfeldern, die sich über mehrere Kilometer unter der Erde erstrecken können. Wenn nun unterschiedliche Ölförderer gleichzeitig an einem Ölfeld Erdöl abbauen, handelt es sich dabei um den Fall der „Common Pool Resource“. Auf Grund der unzureichen___________ 59 Dennoch unterliegt die Preisbildung des Erdölmarktes immer noch der Marktmacht, z. B. der kartellähnlichen Preisabsprachen der OPEC. Zu den tatsächlichen Einflussfaktoren des Ölpreises siehe Abschnitt e). 60 Vgl. Bukold (2009a), S. 29–63. 61 Vgl. Machmud (2000), S. 34–42. 62 Vgl. Bukold (2009b), S. 156–160.
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den gegenseitigen Kontrollmöglichkeit verschiedener Förderer – (z. B. über Staatsgrenzen hinweg) – und der Rivalität in der Förderung zeigt sich die Allmende-Problematik. Diese wird durch eine physikalisch-technische Besonderheit der Ölförderung noch weiter verstärkt. Die Ölförderung verläuft in der Regel in drei verschiedenen Phasen, die durch einen zunehmenden Kapitalbedarf pro geförderter Einheit gekennzeichnet sind. So besteht für jeden Ölförderer der Anreiz, besonders schnell viel Erdöl abzubauen. Diese Dilemmasituation findet sich z. B. auf der Arabischen Halbinsel, in den USA und in der Nordsee. Eine mögliche Lösung dieses Problems besteht in der Unitisierung, also einer Zuteilung von Property Rights für das gesamte Ölfeld oder im Sinne von exakten Förderquoten.63 Probleme bestehen allerdings auf der GovernanceEbene, wie der Durchsetzung und Überwachung dieser Quoten. Besonders problematisch sind die Nutzungsregime am Erdöl in den Regionen ohne eindeutig geregelte Property Rights, wie z. B. Teilen der Arktis, Antarktis und dem Meer (außerhalb der jeweiligen Hoheitsgebiete). In diesen Gebieten werden große Vorkommen an herkömmlichem und nicht-herkömmlichem Erdöl vermutet. Bereits jetzt stammen 10 % der Erdöl- und 25 % der Erdgasproduktion aus arktischen Gebieten. In diesem ungeregelten Zustand gelten verbriefte Rechtstitel (wenn vorhanden) nur wenig, es zählt in erster Linie der physische Zugang zu den Ölquellen und Transportwegen. Dieses Problem wurde bereits in den 1990er Jahren erkannt und daraufhin 1996 der Arktische Rat gegründet. Der Arktische Rat sollte sich ursprünglich mit dem Ausgleich der Interessen der arktischen Anrainerstaaten und den indigenen Bevölkerungsteilen befassen. Mittlerweile muss er sich jedoch auch mit den Interessen der arktischen Anrainerstaaten an den Erdöl- und Erdgasvorkommen auseinandersetzen.64 Auch eine Zuteilung genauer Property Rights zu den einzelnen Ländern oder Unternehmen kann dieses Problem nicht lösen. Denn dies würde mit der Verknappung der weltweiten Ölreserven zu einer verstärkten Ausbeutung der Ölfelder führen, wie es z. B. in den USA der 1960er Jahre zu beobachten war. Stattdessen wäre ein Schutzgebiet unter gemeinsamer Kontrolle im Sinne einer „Common Pool Resource“ ohne kommerzielle Förderrechte zu befürworten. Dies würde Anreize für eine nachhaltige Nutzung und damit den Erhalt der empfindlichen arktischen Biotope setzen. Mit dem Abschmelzen der Polkappen könnten Erschließung, Ausbeutung und Transport der dortigen Öl- und Gasvorkommen kostengünstiger werden. Deshalb muss in Zukunft mit einer Zunahme der Interessenkonflikte hinsichtlich der arktischen und antarktischen Rohstoffvorräte gerechnet werden. Auch hier ist eine Lösung auf Ebene des Governance-Systems notwendig. ___________ 63 64
Vgl. Kim/Mahoney (2002), S. 225–245. Vgl. Carlson et al. (2009), S. 1–38.
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c) Effizienz und Gerechtigkeit Aus der Begrenztheit des Angebots bei einer stetig steigenden Nachfrage ergibt sich die zunehmende Knappheit dieses Rohstoffs. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach Effizienz in Abbau und Nutzung der Ressource im Sinne einer präferenzgerechten Allokation. Eng damit verbunden ist auch die Frage nach der Gerechtigkeit im Sinne einer gerechten Verteilung sowohl auf die heutigen wie auch die nachfolgenden Generationen. Bei einer nicht-erneuerbaren natürlichen Ressource wie Erdöl bedeutet intergenerationelle Gerechtigkeit – also Gleichbehandlung aller Generationen – streng genommen einen Verbrauch von Null in jeder Generation. Nur so kann langfristig der Vorrat dieser Ressource für nachfolgende Generationen bewahrt werden. Damit wäre dieser Rohstoff allerdings überhaupt nicht mehr nutzbar und somit wertlos. Erdöl besitzt jedoch keinen Wert an sich, sondern erhält seinen Wert aufgrund der besonderen Eigenschaften z. B. als Energieträger. Es können aber durch den Verbrauch von Erdöl Werte, Technologie und Kapital geschaffen werden, die wiederum auf die nachfolgenden Generationen vererbt werden. Ein geschaffener Wert kann auch die Unabhängigkeit von Erdöl sein, z. B. durch technische Alternativen.65 Der Rohstoff kann also dennoch als gespeichertes Produktionspotential von heutigen Generationen nutzbringend verwendet werden und gleichzeitig dazu dienen, das Erbe für nachfolgende Generationen zumindest nicht zu verringern. (Tatsächlich wird dieses Erbe rein wertmäßig sogar immer größer. Gleichzeitig wird jedoch das Naturerbe durch z. B. Umweltzerstörung, Artensterben und radioaktive Abfälle immer kleiner.) Die Schaffung der Werte durch Ressourcennutzung funktioniert aber nur dann, wenn die Ressource nicht allein konsumtiv sondern auch investiv für den Aufbau eines Kapitalstocks verwendet wird. Nutzung bedeutet daher immer einen Verbrauch des betreffenden Rohstoffs und so stellt sich die Frage nach der optimalen Verbrauchsrate für heutige Generationen. Eine intertemporale Optimierung ist allerdings nur mit exaktem Wissen über die zukünftige Nachfrage möglich, die wiederum von der Entwicklung kostengünstiger Alternativen abhängt. Doch genau darin liegt das Problem. Bis wann echte Alternativen zum Erdöl gefunden werden, ist nicht absehbar, und daher ist nur eine grobe Schätzung über die zukünftige Nachfrage möglich. Dies schränkt die Möglichkeit einer validen intertemporalen Optimierung stark ein.66
___________ 65 66
Vgl. Solow (1974), S. 29–45. Vgl. Hartwick/Oleweiler (1986), S. 199–141.
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d) Eignung der Regime hinsichtlich einer nachhaltig effizienten Nutzung Der Übergang von überwiegend privater Förderung hin zur Ölförderung unter staatlicher Verwaltung war aus verschiedenen Gründen zu begrüßen. Zum einen war es möglich, das System des „posted-price“ durch einen Marktpreis zu ersetzen und zum anderen konnten einige drängende externe Effekte internalisiert werden. Ein Marktpreis gibt die Knappheit eines Gutes (zumindest theoretisch) besser wieder, als ein aufgrund von Marktmacht in unregelmäßigen Abständen festgelegter „posted-price“. Ein solcher Knappheitsindikator ist notwendig, weil mit steigender Knappheit auch ein steigender Preis für die Ressource einhergeht. Durch den höheren Preis des herkömmlichen Rohstoffs sinkt der relative Preis für alternative Rohstoffe und generiert so einen Anreiz für deren Verwendung. Schon der Übergang von Kohle zu Öl am Anfang des 19. Jahrhunderts war auf die erwartete Knappheit von Kohle zurückzuführen, denn so wurde ein Anreiz für den Einsatz des damals neuen Energieträgers Erdöl geschaffen. Diese sogenannten Backstop-Technologien verhinderten meist die Weiterverwendung des knapp gewordenen Rohstoffs lang vor dessen vollständiger Ausbeutung.67 Damit diese Backstop-Eigenschaft allerdings greifen kann, muss der Preis zumindest tendenziell die vorhandene Knappheit richtig anzeigen. Trotzdem ist der aktuelle Umgang mit der Erdölknappheit noch weit von einem Optimum entfernt. Dies liegt unter anderem an den zusätzlichen Einflussfaktoren, die auf den Ölpreis wirken.68 Daneben konnten durch die faktische Übertragung der Eigentumsrechte an die Förderländer externe Effekte der Erdölförderung internalisiert werden. Wo z. B. noch in den 1960er Jahren die Entscheidungsgewalt über die Erschließung und Ausbeutung bestimmter Ölfelder und oft die Zerstörung und Verschmutzung der betroffenen Gebiete bei den internationalen Ölgesellschaften lag, können jetzt die Regierungen der Förderländer über den Schutz von Flächen, Landschaften und damit auch der Bevölkerung entscheiden. Probleme ergeben sich hier allerdings wieder auf der Governance-Ebene, z. B. durch das Rent-Seeking regierender Gruppen und mangelnder Nachhaltigkeit der Entscheidungen. Auch in Bezug auf die Regionen ohne geregelte Property Rights, wie Teile der Arktis, Antarktis und den Weltmeeren ist das derzeitige System der Verfügungsrechte nur bedingt geeignet, um eine nachhaltige Nutzung durchzusetzen. Mit dem Arktischen Rat wurde zwar eine Institution geschaffen, die die Interessen heutiger und zukünftiger Generationen vertritt, doch besitzt dieses ___________ 67 68
Vgl. Nordhaus/Houthakker/Solow (1973), S. 529–576. Siehe Abschnitt e).
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Gremium kaum Durchsetzungskraft und Sanktionsmöglichkeiten. Eine Alternative zu einer Regelung durch formelle Institutionen könnte in der Schaffung informeller Regelungen liegen, wie sie Elinor Ostrom beschreibt. Im vorliegenden Fall sind die Opportunitätskosten entgangener Erdölförderung jedoch zu hoch, als dass eine informelle Regelung eine realistische Chance haben könnte. Auch die Einigung darauf, die Territorialansprüche nach der UN-Seerechtskonvention zu verteilen, wird möglicherweise das Problem nicht lösen.69 In diesem Fall gilt eine Ausnahmeregelung zu der üblichen Verteilung der Hoheitsgebiete in Bezug zur Küstenlinie. Diese Ausnahmeregelung weist Gebiete anhand geologischer Gegebenheiten zu: Wenn der Kontinentalsockel unter dem Meer mit dem eigenen Festland eine geologische Einheit bilden, können Territorialansprüche auf dieses Gebiet erhoben werden. 70 Doch mit der derzeitigen Technik war es bis jetzt noch nicht möglich, ein wissenschaftliches Gutachten über die relevanten geologischen Gegebenheiten dieser Meeresregionen zu erstellen und es ist fraglich, ob dieses Problem in absehbarer Zukunft gelöst werden kann. Die vorhandene Governance-Struktur wird sich daher womöglich als unzureichend erweisen und eine Neuorientierung erforderlich machen.
e) Tatsächliche Einflussfaktoren des Ölpreises Heute allerdings wird der Ölpreis von weitaus mehr Faktoren beeinflusst als allein von der weltweiten Knappheit des Rohstoffs in Verbindung mit steigenden Förderkosten. Vielmehr wird durch Spekulationen und Informationsasymmetrien hinsichtlich der Reserven und Ressourcen die Volatilität des Ölpreises extern erhöht. Daneben steigern die Diskussionen um die „Peak-Oil Theorie“71 und die dazugehörigen Schätzungen über die Ressourcen- und Nachfrageprojektion die bestehende Volatilität der Märkte zusätzlich. Auch die vorhandene Marktmacht wirkt sich auf den Ölpreis aus, wenn z. B. die OPEC das Angebot temporär künstlich verknappt, um den Ölpreis zu erhöhen. Auch haben Ankündigungen und Absichtserklärungen der verschiedenen Marktseiten immer wieder starke Preisschwankungen hervorgerufen. Zusätzlich spielen politische Entscheidungen wie z. B. Kriege oder Grenzverschiebungen meist eine größere Rolle für die Beeinflussung des Ölpreises als Knappheiten im Status Quo.72 All ___________ 69
Vgl. Carlson et al. (2009), S. 1–38. Vgl. UNCLOS, Art. 76–85. 71 Die „Peak-Oil Theorie” beschäftigt sich mit dem globalen Maximum der Erdölförderung. Dabei wird das Fördermaximum eines Ölfeldes auf die Endlichkeit der weltweiten Ölreserven übertragen. Je nach Schätzung der Reserven wird das Maximum (der „peak“) in absehbarer Zeit überschritten, daraufhin nimmt die Ölförderung stetig ab und es kommt aufgrund der extremen Knappheit zu Wachstumseinbußen. 72 Vgl. Bukold (2009a), S. 285–296. 70
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diese Faktoren beeinflussen die Erwartungsbildung und Spekulation (wie in den letzten Jahren auch ersichtlich wurde). Dies sorgt für Erwartungsunsicherheit und steigende Transaktionskosten (z. B. durch erhöhte Risikoprämien) für Investoren im Erdölgeschäft. Für eine nachhaltig effiziente Verwertung der bekannten Erdölreserven ist die vorhandene Preisbildungsstruktur daher nur bedingt geeignet. f) Lösungsansätze Wie die oben genannten Ausführungen zeigen, werden die Probleme nicht in erster Linie durch die Verteilung der Property Rights verursacht. Folglich können sie auch nicht durch eine Neu-Verteilung von Eigentums- und Nutzungsrechten alleine gelöst werden. Stattdessen sind Veränderungen auch außerhalb der Verfügungsrechte notwendig, wie zum Beispiel eine stärkere Regulierung der Finanzspekulationen auf den Ölpreis. Da es sich hier allerdings um internationale Spekulationen handelt, ist auch eine Lösung nur auf globaler Ebene sinnvoll. Doch setzt eine solche Lösung nur an den Symptomen und nicht an der Ursache an. Die Ursache liegt in der Knappheit des Rohstoffs, dessen Allokation im Status Quo nicht optimal ausgestaltet ist. Es sind andere GovernanceStrukturen und Property Rights Regime denkbar, die besser für eine nachhaltig effiziente Nutzung der knappen Ressource Erdöl sorgen, als die aktuellen Strukturen. Die Übertragung der Verfügungsrechte an den vorhandenen Erdölvorräten unter staatliche Kontrolle ist auf die Herausbildung eines „Rohstoffnationalismus“ zurückzuführen. Dieser Nationalismus bildet sich auf der Governance-Ebene, wenn anreizkompatible Spielregeln für den politischen Sektor fehlen. Die größten Erdölreserven befinden sich heutzutage in politisch instabilen Ländern und Regionen der Erde. So stehen diese Vorräte zwar unter staatlicher Kontrolle, doch sind die Regierungen dieser Staaten nicht durch geeignete Governance-Strukturen an den Wohlstand und das Wohlergehen ihres Landes gebunden. Das Beispiel zeigt, dass eine Lösung auf der Governance-Ebene ansetzen muss, um Erfolg zu haben. Denn nur durch Veränderungen im Bereich der Spielregeln im politischen Sektor können die richtigen Anreize für eine nachhaltige Förderung und Nutzung der knappen Erdölreserven gesetzt werden.
V. Fazit Die Beispiele der erneuerbaren Ressource Fischbestände und der nicht-erneuerbaren Ressource Erdöl zeigen, dass aus institutionenökonomischer Sicht kaum Per-se-Aussagen über die optimale (intertemporale) Allokation und Dis-
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tribution natürlicher Ressourcen getroffen werden können. In beiden Fällen sind die derzeitigen Nutzungsregime nicht dazu geeignet, eine nachhaltig effiziente Nutzung dieser wichtigen natürlichen Ressourcen sicher zu stellen. Allerdings sind die Ursachen der Probleme meist auf der Governance-Ebene zu finden. Der institutionenökonomische Ansatz erwies sich insofern als zielführend, da die Beispiele belegen, dass ein effizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen nur dann zu erwarten ist, wenn die Spielregeln im politischen Sektor die hierfür notwendigen Anreize schaffen. Aus diesem Grund steht bei den Lösungsansätzen neben der Zu- und Verteilung von Property Rights die Ausgestaltung der Governance-Strukturen im Mittelpunkt. Der Schlüssel des Erfolgs ist folglich in den Anreizen zu suchen, die der gesamte institutionelle Rahmen – also die Eigentumsrechte samt Governance-Struktur – generiert.
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Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen
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Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen. Vom Nutzen und den Grenzen der institutionenökonomischen Analyse – Korreferat zu Martin Leschke, Stefan Hähnel und Martina Kopp – Von Hans G. Nutzinger
Mit den Autoren teile ich den institutionenökonomischen Ansatz. Daher habe ich keine grundsätzlichen Einwände gegen ihre Vorgehensweise. Auf Wunsch der Tagungsveranstalter und Bandherausgeber gebe ich im folgenden aber meine bei der Tagung vorgetragenen Bemerkungen zu einzelnen Details der Darstellung wieder, soweit diese nicht durch die Überarbeitung des Tagungsbeitrags für den vorliegenden Sammelband obsolet geworden sind. 1.
Die Autoren knüpfen plausiblerweise an vorhandene begriffliche Unterscheidungen an. Bei den „lebenden Ressourcen“ als wichtigstem Bestandteil der „natürlichen Ressourcen“ sollten meines Erachtens auch noch die Bestände an Nutz- und Wildtieren hinzugefügt werden, soweit diese den Menschen als Nahrungslieferanten (z. B. Fleisch, Milch, Eier) oder durch andere Produkte und Leistungen (wie etwa Felle, Beweidung von Berghängen, Produktion von organischem Dünger) nützliche Dienste erweisen. Neben den von den Autoren genannten unbelebten Stoffen gehören in einem weiteren Sinne auch die Regenerationsfähigkeit von Kreisläufen und Ökosystemen und generell die assimilativen Kapazitäten der Umwelt (also vor allem die Fähigkeit, anthropogene Schäden ohne langfristige Beeinträchtigung der Naturgrundlagen zu „verkraften“) zu den erneuerbaren Ressourcen.
2.
Auch wenn schon in der forstwirtschaftlichen Literatur des 18. Jahrhunderts das Nutzungskonzept der „Nachhaltigkeit“ mit zusätzlichen Argumenten der „Sorge um die Posteriorität“ verknüpft wurde, macht es doch Sinn, beide Gesichtspunkte zunächst einmal zu trennen, zumal Nachhaltigkeit, verstanden als Bestands- oder besser als Leistungserhalt regenerierbarer Ressourcen, nur eine mögliche Ausprägung des Aspekts der „Gene-
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Hans G. Nutzinger
rationengerechtigkeit“ darstellt.1 Andere Kriterien, wie etwa ein gleichbleibender Ressourcenbestand pro Kopf, sind vorstellbar. 3.
„Verfügungsrechte“ – die heute vorherrschende deutsche Übersetzung von „property rights“ – sind von ihren „Erfindern“ Eirik G. Furubotn und Svetozar Pejovich Anfang der siebziger Jahre definiert worden als „sozial sanktionierte Verhaltensweisen“, enthalten mithin eigentlich schon die „Governance-Strukturen“, welche die Autoren aus nachvollziehbaren praktischen Gründen zunächst einmal getrennt aufführen. Vielleicht wäre es hier zweckmäßiger, zwischen der Spezifizierung und der Durchsetzung von Verfügungsrechten zu unterscheiden. In der ursprünglichen Begriffsbestimmung bei Furubotn/Pejovich sind aber beide Elemente simultan gefordert.
4.
Der Berücksichtigung einer positiven Diskontrate in Folge technischen oder organisatorischen Fortschritts stimme ich zu; effizientere Ressourcennutzung in der Zukunft und die Bereitstellung von Substitutionstechnologien sind empirisch feststellbare Tatsachen. Allerdings dürfte die – ohnehin schwer messbare – Rate des technischen Fortschritts in den Industrieländern sich im Allgemeinen in einer Größenordnung zwischen 1 – 2 % pro Jahr bewegen, sodass im Regelfall die marktliche Diskontrate tatsächlich deutlich über der langfristig gesellschaftlich angemessenen liegt. Angesichts dieses im Einzelnen natürlich noch überprüfungsbedürftigen Bildes scheint mir die hypothetische Formulierung der Autoren „Die ‚zeitliche Tiefe‘ der Märkte wäre in solchen Fällen nicht hinreichend“ ein wenig allzu hypothetisch. Der Normalfall dürfte eben sein, dass die marktliche Diskontrate deutlich über derjenigen liegt, die sich aus Gründen des technischen Fortschritts rechtfertigen lässt.
5.
Die Autoren zitieren zustimmend James Buchanans Unterscheidung von „Rules of the Game“ und „Choices within Rules“ mit der Konsequenz, dass institutionelle Reformen dann zu befürworten sind, wenn sie auf Regeln basieren, denen die Individuen (implizit oder explizit) zustimmen (würden). Diese Distinktion basiert im Kern auf der Unterscheidung zwischen Handlungs- und Regelutilitarismus. Unklar bleibt allerdings, wie diese hilfreiche begriffliche Unterscheidung in konkreten institutionellen Kontexten anzuwenden ist. Die von den Verfassern später gelegentlich befürworteten „Kompensationszahlungen“ mögen zwar hilfreich sein, um bestimmte Blockadesituationen zu überwinden, sie werfen jedoch ein doppeltes Dilemma auf: Werden die „Verlierer“ von institutionellen und anderen Reformen (Innovationen) tatsächlich entschädigt, so hat dies einen negativen Einfluss auf das Tempo und die Anreize zu wünschenswerten institutionellen Reformen. Wird dagegen, wie dies die Wohlfahrtsökonomik nahelegt, die Kompensation nur hypothetisch, nicht aber tatsächlich, verlangt,
___________ 1
Vgl. dazu z. B. die Studie von de Haan (2008).
Vom Nutzen und den Grenzen der institutionenökonomischen Analyse
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so ist die Behauptung einer grundsätzlichen Kompensationsfähigkeit der Verlierer möglicherweise nur eine opportunistische Situationsdarstellung der Gewinner einer solchen Veränderung, für die sie ja dann nicht den „Test“ der tatsächlichen Kompensation bestehen müssen; es besteht damit die Gefahr von „cheap talk“. Das gilt sowohl für die Beurteilung von wünschenswerten Zuständen/Ergebnissen als auch von wünschenswerten Regeln. 6.
Ein ähnliches Problem ergibt sich bei den angeführten „Good-GovernancePrinzipien“ (wie Subsidiarität, Äquivalenz, Nicht-Diskriminierung, Nachhaltigkeit). Sie sind sicherlich brauchbare regulative Prinzipien, ihre inhaltliche Bestimmung dürfte dagegen wieder Gegenstand einer schwierigen politischen und gesellschaftlichen Diskussion werden. Die Beachtung solcher Leitideen kann zwar die Verfolgung von organisierten Sonderinteressen erschweren, aber nicht ganz ausschließen und sie sichert noch nicht, dass tatsächlich die konstitutionellen Interessen der Bürger zur Geltung kommen. Eine Situation mit Good-Governance-Prinzipien ist sicher einer Situation ohne solche Prinzipien vorzuziehen; man sollte jedoch damit nicht so uneingeschränkt positive Erwartungen verbinden, wie sie von den Verfassern (in Abschnitt III. ihres Beitrags) formuliert werden.
7.
Im Kontext der Governance-Strukturen ist die Frage der Organisierbarkeit von Interessen so zentral, dass sie eigentlich eine gesonderte Behandlung erfordert. Sehr oft scheitert die nach dem Subsidiaritätsprinzip wünschenswerte Interessenartikulation auf unteren Ebenen daran, dass die angestrebte Bündelung bestimmter Forderungen in Konflikt mit der Heterogenität der perzipierten Interessen(vertreter) gerät. Dann stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang „der Staat“ eine vikarische Funktion übernehmen sollte.
8.
Im Verhältnis von Staat und privaten Akteur(sgrupp)en wird nach meinem Eindruck in der Institutionenökonomik – und auch im vorliegenden Beitrag – zuwenig beachtet, dass es hierbei um einen mehrstufigen Prozess handelt, bei dem auch die Entstehung und Durchsetzung privater Vereinbarungen „in the shadow of law“ erfolgen, also in hohem Maße auf staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung angewiesen sind, gerade auch dann, wenn staatliche Gerichte nicht bemüht werden, weil beispielsweise der Ausgang strittiger Verfahren entweder ohnehin schon als recht eindeutig eingeschätzt wird oder weil umgekehrt der Ausgang eines Rechtsstreits den Beteiligten zu ungewiss – und vor allem oft auch zu langwierig – erscheint. Daher können immer wieder implizite „private-public partnerships“ entstehen, ohne dass dies unmittelbar erkennbar wird. Die besondere Problematik der Nutzung von „Umweltgemeingütern“ und „kollektiven Ressourcen“ dürfte in enger Verbindung zu den Defekten bei der Bildung überstaatlicher Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsinstitutionen stehen.
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Hans G. Nutzinger
Eine auch in der Institutionenökonomik, und so auch in diesem Beitrag, bisher kaum erörterte Frage betrifft das Ausmaß (scale) des Wirtschaftens. Die Institutionenökonomik befasst sich, sicherlich weniger blauäugig als ein libertäres Denken, das auf die spontane Ausschöpfung von Kooperationsvorteilen über den Markt setzt, und als ein wohlfahrtsökonomischer Ansatz, der sich zuviel von interessenneutraler staatlicher Korrektur von „Marktversagen“ erhofft, im Grunde doch auch vor allem mit der effizienten Allokation von Umweltressourcen. Autoren wie Herman Daly (1999) haben wiederholt darauf hingewiesen, dass auch bei ökonomisch effizienter Gestaltung der Wirtschaftsstrukturen – derart, dass umweltschädliche Sektoren zugunsten „umweltfreundlicher“ Wirtschaftszweige schrumpfen – der Umfang der ökonomischen Aktivitäten insgesamt angesichts begrenzter Tragekapazitäten der Erde zu hoch sein kann. Daly verwendet dafür das Bild eines höchst effizient beladenen Bootes, bei dem aber die Lademarke überschritten wird und das deshalb trotz oder gerade wegen allzu „effizienter“ Nutzung des Laderaums sinkt. Einen Grund dafür kann man mit Hans Christoph Binswanger (2006) in der weitgehend unkontrollierten Dynamik der modernen Geld- und Finanzwirtschaft sehen, die ein natur- und umweltgefährdendes Wachstum der Realwirtschaft, stets geprägt von Krisen, Stagnation und immer neuen Aufschwüngen, in Gang setzt und in Gang hält. Vielleicht trägt gerade diese offenbar schwer beherrschbare Wachstumsdynamik mit zur Erklärung eines Problems bei, dem sich auch der hier kommentierte Beitrag zuwendet: nämlich wie schwierig es ist, sich international auf die Festlegung absoluter Grenzen, sei es im Bereich der Klimapolitik oder des Fischfangs außerhalb nationaler Nutzungszonen, zu einigen und allenfalls erreichte Begrenzungsziele auch wirksam durchzusetzen. Dies ist natürlich nur als Anregung für künftige institutionenökonmische Forschung gedacht, nicht als spezifische Kritik an dem vorliegenden Beitrag.
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Zur Ausgestaltung der Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen – Korreferat zu Martin Leschke, Stefan Hähnel und Martina Kopp – Von Rüdiger Wilhelmi
I. Einleitung Auf das Hauptreferat „Zur Ausgestaltung der Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen“ lässt sich aus juristischer Sicht knapp mit der typischen Juristenantwort „Es kommt drauf an!“ zusammenfassen. Das Hauptreferat nimmt zunächst eine normative Analyse der Property Rights an natürlichen Ressourcen vor, entwirft dann ein Schema zur Klassifizierung institutioneller Regime für natürliche Ressourcen und betrachtet schließlich zwei institutionelle Regime der Allokation und Distribution natürlicher Ressourcen im Status Quo: das Problem der Überfischung und die Property Rights an Erdöl. Ich möchte zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen zu der normativen Analyse machen, sodann auf ein weiteres Regime zu sprechen kommen, die Waldnutzung, um schließlich kurz zu dem Klassifizierungsschema und den vom Hauptreferat behandelten Regimes Stellung zu nehmen.
II. Zur normativen Analyse Das Hauptreferat fragt in seiner normativen Analyse, wann bzw. unter welchen Bedingungen marktliche Koordination zufriedenstellend funktioniert, um natürliche Ressourcen entsprechend den Präferenzen der heute und zukünftig lebenden Individuen einzusetzen. Als Antwort stellt es drei Zweige der ökonomischen Theorie vor, die libertäre Theorie, die ökonomische Wohlfahrtstheorie und die (neue) Institutionenökonomik. Betrachtet man die Situation in der Rechtswissenschaft, so hat die libertäre Theorie keine nennenswerte praktische Bedeutung, während die Wohlfahrtstheorie und die Institutionenökonomik unter dem Stichwort der ökonomischen
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Rüdiger Wilhelmi
Analyse des Rechts durchaus diskutiert werden, sich jedoch bisher nicht durchgesetzt haben. Die Wohlfahrtstheorie und die Institutionenökonomik teilen offenbar das Effizienzziel, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Bezugspunkts, da die Wohlfahrtstheorie auf den Endzustand gerichtet ist, während die Institutionenökonomik das Regelungssystem und die dadurch gesetzten Anreize betrachtet. Trotzdem erscheinen sie cum grano salis als konsequenzialistische Gerechtigkeitstheorien, deren prominentester Vertreter der Utilitarismus ist. Wie dieser gehen sie davon aus, dass es auf eine Maximierung der Gesamtnutzensumme ankommt, nicht auf die Verteilung der Güter1. Das spezifische Problem liegt im hier zu behandelnden Zusammenhang darin, auch zukünftige Nutzungen insbesondere durch zukünftige Generationen zu erfassen. Zu den konsequenzialistischen Gerechtigkeitstheorien gehört auch die ökonomische Analyse des Rechts2. Damit stellt sich auch hier die Frage, ob ihre theoretischen Prämissen realistisch sind und ob die Voraussetzungen für ihre Anwendung in der Praxis vorliegen; zudem geht unsere Rechtsordnung von anderen Wertungen aus3. Auf einer abstrakteren Ebene lässt sich fragen, ob es sich bei der Nutzung natürlicher Ressourcen nicht letztendlich um ein Verteilungsproblem handelt, es also um die gerechte und gleiche Verteilung von Gütern und Dienstleistungen geht, für die ein gewisses Maß an Ineffizienz und Beschränkung von Freiheitsrechten in Kauf zu nehmen ist4. Aus einer egalitären Gerechtigkeitstheorie, etwa der „Theorie der Gerechtigkeit“ von Rawls5 lässt sich vielleicht auch das Nachhaltigkeitsgebot herleiten, dass auch dem Hauptreferat jedenfalls für die erneuerbaren Ressourcen zugrunde zu liegen scheint. Angesichts des vom Hauptreferat behandelten Themas ist das auf der Basis der Institutionenökonomik formulierte Zwischenergebnis, dass sich „kaum Perse-Aussagen über die optimale Art und Weile der Allokation und Verteilung natürlicher Ressourcen“ treffen lassen (Hauptreferat unter B. II.), etwas irritierend. Auf den ersten Blick ist die Untersuchung damit zu Ende, da sich die Frage nach der Ausgestaltung der Verfügungsrechte offenbar nicht allgemein beantworten lässt. Immerhin traut sich die Institutionenökonomik aber offenbar zu, den jeweiligen Status-Quo zu analysieren und institutionelle Alternativen zu benennen, die „zu einem ‚besseren‘ Umgang mit knappen natürlichen Ressour___________ 1
Vgl. zum Utilitarismus Rüthers (2008), Rn. 379. Rüthers (2008), Rn. 379. 3 Wilhelmi (2009), S. 23 ff. 4 Vgl. zu den egalitären Gerechtigkeitstheorien Rüthers, Rn. 383 ff. 5 Vgl. Rawls (1979), Eine Theorie der Gerechtigkeit. 2
Zur Ausgestaltung der Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen
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cen führen“ (Hauptreferat unter B. III.). Allerdings bleibt offen, worin das in Anführungsstriche gesetzte „Bessere“ liegt.
III. Die Forstwirtschaft als institutionelles Regime natürlicher Ressourcen Während sich das Hauptreferat mit zwei problematischen Regimes natürlicher Ressourcen beschäftigt, soll hier mit der Regelung der deutschen Forstwirtschaft ein Regime vorgestellt werden, dass den Charme hat, nicht krank zu sein, sondern grundsätzlich zu funktionieren. Das Hauptreferat unterscheidet zwischen (1) privatem Eigentum, (2) staatlichem Eigentum, (3) Kollektiveigentum und (4) herrenlosen Ressourcen. Entgegen dem Hauptreferat ist der Wald nicht genuin staatliches Eigentum. Die öffentliche Hand mag zwar Eigentümer eines großen Teils der Waldbestände sein. Jedoch finden sich nicht zu vernachlässigende Teile der Waldbestände in privater Hand. Zudem ist das Eigentum des Staates privatrechtlicher Natur. Er unterliegt grundsätzlich den gleichen Bindungen wie private Waldbesitzer. Das Bundeswaldgesetz (BWaldG) unterwirft öffentliche wie private Waldbesitzer einem speziellen Regime. In § 1 Nr. 1 Bundeswaldgesetz (BWaldG) heißt es: Zweck dieses Gesetzes ist insbesondere, 1. den Wald wegen seines wirtschaftlichen Nutzens (Nutzfunktion) und wegen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes […] (Schutz- und Erholungsfunktion) zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren und seine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nachhaltig zu sichern, 2. die Forstwirtschaft zu fördern und 3. einen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Belangen der Waldbesitzer herbeizuführen.
Dies wird vor allem in § 9 und § 11 BWaldG konkretisiert. In § 9 Abs. 1 BWaldG heißt es: Wald darf nur mit Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde gerodet und in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden […].
In § 11 BWaldG heißt es: „Der Wald soll im Rahmen seiner Zweckbestimmung ordnungsgemäß und nachhaltig bewirtschaftet werden. Durch Landesgesetz ist mindestens die Verpflichtung für alle Waldbesitzer zu regeln, kahlgeschlagene Waldflächen oder verlichtete Waldbestände in angemessener Frist 1. wieder aufzuforsten oder 2. zu ergänzen, soweit die natürliche Wiederbestockung unvollständig bleibt,
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Rüdiger Wilhelmi falls nicht die Umwandlung in eine andere Nutzungsart genehmigt worden oder sonst zulässig ist.“
Damit wird das Prinzip der Nachhaltigkeit normiert, dass in der Forstwirtschaft seinen Ursprung hat, als materielles Prinzip aber wohl überwiegend allgemein als angemessen für den Umgang mit erneuerbaren Ressourcen angesehen wird. Ausgangspunkt der Regelung ist das Privateigentum oder besser der privatrechtliche Besitz. Dem Waldbesitzer steht also grundsätzliche die Nutzung des Waldes zu. Hinsichtlich des Holzeinschlags als der wirtschaftlich wichtigsten Nutzung unterliegt er jedoch erheblichen Beschränkungen. Er darf nur nachhaltige Forstwirtschaft betreiben, muss also sicherstellen, dass er nur soviel Holz einschlägt, wie wieder nachwachsen kann. Seine Position entspricht also hinsichtlich der Nutzung derjenigen des Pächters, der gemäß § 581 BGB auch nur in den Genuss der Früchte des Pachtgegenstands kommt, soweit sie nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft als Ertrag anzusehen sind. Insoweit lässt sich die Regelung auch als Normierung der Redewendung begreifen, dass wir die Erde oder Umwelt nur von unseren Kindern geliehen haben.
IV. Zur Klassifizierung institutioneller Regime Diese Form der Regelung findet sich in der dem Hauptreferat zugrunde gelegten Klassifizierung nicht ohne weitere wieder. Das Hauptreferat unterscheidet zunächst vier verschiedene Regime von Eigentums- bzw. Nutzungsrechten, (1) privates Eigentum (Private Property) in der Hand privater Akteure, (2) staatliches Eigentum (State Property) in der Hand staatlicher Akteure, (3) Kollektiveigentum (Common Property) in der Hand eines nichtstaatlichen Kollektivs und (4) herrenlose Ressourcen (No Property, Open Acess) mit weitgehend ungeregelten Eigentums- und Nutzungsrechten. Dabei scheint kein Regime hinsichtlich der Verwertung und Verteilung natürlicher Ressourcen den anderen Regimes überlegen zu sein. Entscheidend dafür, inwieweit Anreize für eine nachhaltig effiziente Verwertung der natürlichen Ressourcen gesetzt werden, sei der gesamte institutionelle Rahmen, der neben dem eigentumsrechtlichen Regime auch die Governance-Struktur umfasse (Hauptreferat unter C.).
1. Zu den Regimes von Eigentums- und Nutzungsrechten Bezüglich der Unterscheidung der Regimes von Eigentums- und Nutzungsrechten stellt sich zunächst die Frage, ob es wirklich entscheidend darauf ankommt, in wessen Hand die Ressource sich befindet. Auch wenn man sich wie das Hauptreferat auf die marktliche Koordination bezieht, erscheint doch rele-
Zur Ausgestaltung der Eigentumsrechte an natürlichen Ressourcen
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vanter, inwieweit die Akteure spezifischen Bindungen unterliegen bzw. wie die Nutzungen gesteuert werden. So kann der Unterschied zwischen dem Handeln privater und öffentlicher Akteure zwar womöglich darin gesehen, dass private Akteure im Rahmen des Privatrechts in ihren Entscheidungen grundsätzlich frei sind, während die öffentlichen Akteure in ihren Entscheidungen gebunden sind6. Aber soweit der Staat als Fiskus tätig wird, also keine öffentliche Aufgabe erfüllt, erscheint zweifelhaft, ob und inwieweit er stärker als ein entsprechender Privater gebunden ist. Umgekehrt zeigt die oben dargestellte Regelung der Forstwirtschaft, dass für öffentliche und private Waldbesitzer die gleichen Regeln gelten können. Zudem ist auch der private Eigentümer oder Besitzer nicht völlig frei in der Nutzung seines Eigentums oder Besitzes. Zwar kann der Eigentümer nach § 903 BGB grundsätzlich mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren. Aber bei genauerer Betrachtung ist das Eigentum doch in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Schon auf Verfassungsebene ist festgehalten, dass das Eigentum auch verpflichtet (Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG). Zunächst muss ein Ausgleich mit konfligierenden mit Rechtsgütern Dritter gefunden werden, wie ihn insbesondere das Nachbarrecht mit § 906 BGB anstrebt. Soweit durch die Nutzung des Eigentums Dritte betroffen sind, hat der Eigentümer zudem Verkehrspflichten zu beachten7. Auch öffentlich-rechtlich unterliegt der Eigentümer vielfachen Beschränkungen. Diese können sich zunächst aus den allgemeinen Gesetzen ergeben, insbesondere dem Polizei- und Ordnungsrecht. Eine derartige Beschränkung stellt etwa § 11 BWaldG dar. Darüber hinaus können sich Beschränkungen des Eigentümers auch dadurch ergeben, dass er einer besonderen Kontrolle der Verwaltung unterliegt. Im hier interessierenden Kontext sei insbesondere auf die Überwachung im Rahmen des Wirtschaftsverwaltungs- und des Umweltrechts eingegangen. Dieses kann etwa Genehmigungspflichten oder Anzeigepflichten statuieren, eine begleitende Überwachung vorsehen sowie Anordnungen und Untersagungen erlauben, um ein bestimmtes Verhalten zu erreichen oder zu verhindern8. Eine derartige Genehmigungspflicht sieht etwa § 9 Abs. 1 BWaldG vor. Insoweit ist zwar privates Eigentum gegeben, seine Ausübung erfolgt aber im Zusammenspiel von privatem und staatlichem Handeln. Unklar ist auch die Unterscheidung zwischen staatlichem Eigentum und Kollektiveigentum. Auch der Staat ist ein Kollektiv. Zudem ist die Genossenschaft wie andere Gesellschaften aus rechtlicher Sicht ein privater Akteur, für ___________ 6
Vgl. Medicus (2006), § 1 Rn. 4, 10. Dazu ausführlich Wilhelmi (2009), S. 141 ff. 8 Kloepfer (2003), § 5 Rn. 36 ff.; Ziekow (2007), § 5 Rn. 6 ff. 7
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Rüdiger Wilhelmi
den jenseits seiner Willensbildung hinsichtlich seines Eigentums die gleichen Regeln gelten wie auch sonst für private Akteure. Schließlich scheint auch die herrenlose Ressource weniger durch fehlende Eigentums- und Nutzungsrechte geprägt zu sein, als vielmehr durch die fehlende effektive Ausübung. Daran kann es aber im Einzelfall auch bei privaten oder staatlichen Akteuren fehlen. Bei Kollektiven kann dies zudem auch auf strukturellen Gegebenheiten beruhen.
2. Zur Governance-Struktur Governance wird im Hauptreferat als schwammiger Begriff bezeichnet (Hauptreferat unter C.). Dem ist zunächst nichts hinzuzufügen. Das Hauptreferat führt dann weiter aus, dass unter Governance „die Art und Güte kollektiven Handelns, also die Kontroll- und Steuerungsstruktur, verstanden werden“ soll. Damit scheinen zwei verschiedene Kategorien vermischt zu werden. Denn während die Art und Güte notwendig einen normativen Maßstab impliziert, bleibt die Kontroll- und Steuerungsstruktur deskriptiv. Zudem bleibt unklar, welches Kollektiv hier handelt. In Betracht kommen insbesondere der Staat, das Kollektiv des Kollektiveigentums oder alle Betroffenen. Das Hauptreferat konkretisiert sodann, dass die Kontroll- und Steuerungsstruktur (1) die Bindungen der bestimmenden Akteure, (2) die vorhandenen informellen Regeln und Ideologien und (3) vorhandene Wirkungsmodelle und Politikinstrumente umfasse. Hier bleibt unklar, ob dies nur auf die Ebene der staatlichen Regierung und Verwaltung bezogen ist oder auch private Akteure unmittelbar oder mittelbar umfasst. Zudem erscheint offen, woran und wodurch die Akteure gebunden sind.
3. Stellungnahme Betrachtet man die dargestellte Regelung der Forstwirtschaft im Lichte der Klassifizierung des Hauptreferats, fallen die öffentlichen und die privaten Waldbesitzer in unterschiedliche Regime, obwohl für sie grundsätzlich die gleichen Regeln gelten. Demgegenüber knüpft die rechtliche Regelung im Ausgangspunkt an den Waldbesitz an. Dieser kommt in der Klassifizierung des Hauptreferats wohl dem privaten Eigentum am nächsten. Allerdings wird die Nachhaltigkeit gerade nicht durch das Eigentum oder den Besitz des Waldes erreicht, sondern durch die Beschränkung der an sich gegebenen Nutzungsrechte durch ein übergeordnetes allgemeines Interesse. Diese Beschränkung des Eigentums findet sich in den vier im Hauptreferat unterschiedenen Regimes
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prima facie nicht. Sie findet sich allenfalls beim staatlichen Eigentum, wenn man darauf abstellt, dass die Akteure dort in ihrem Verhalten gebunden sind. Dann wäre allerdings auch der private Waldbesitz als staatliches Eigentum zu qualifizieren. Möglicherweise werden die Beschränkungen aber in der Klassifizierung des Hauptreferats von der Government-Struktur erfasst, zu der ja auch Bindungen gehören, die nicht näher definiert sind.
V. Zu den Beispielen institutioneller Regime für natürliche Ressourcen Auf die im Hauptreferat dargestellten Beispiele der Regimes für den Fischfang und die Ölförderung kann hier aus Platzgründen nur kurz eingegangen werden.
1. Zum Fischfang Bezüglich des Fischfangs scheint das Ziel des Regimes, eine nachhaltige Nutzung der grundsätzlich erneuerbaren Ressourcen, klar zu sein, während die Mittel unklar sind. Auf die Fülle der Detailprobleme kann hier nicht eingegangen werden. Allerdings wird aus den Ausführungen des Hauptreferats deutlich, dass das Hauptproblem darin liegt, die Nutzung wirksam auf ein nachhaltiges Maß zu begrenzen, insbesondere eine derartige Begrenzung auch praktisch durchzusetzen. Dabei geht aber auch das Hauptreferat davon aus, dass die Lösung im Grundsatz darin liegen würde, die Nutzung der Ressource zunächst allgemein zu verbieten und dann in dem Umfang zu erlauben, der die Nachhaltigkeit gewährleistet. Ob diese Erlaubnisse dann handelbar gestellt werden, erscheint hinsichtlich der spezifischen Problematik erneuerbarer natürlicher Ressourcen sekundär, wenn man das offenbar ebenfalls nicht gelöste Problem der anfänglichen Zuteilung berücksichtigt sogar eher tertiär, auch wenn es dann zu einer effizienteren Nutzung kommen sollte.
2. Zur Ölförderung Bezüglich der Ölförderung erscheint das Ziel des Regimes unklar, da eine nachhaltige Nutzung nicht möglich ist. Demgemäß lässt sich die spezifische Problematik der nicht-erneuerbaren natürlichen Ressourcen auch nicht durch Property-Rights-Regime und/oder Governance-Strukturen lösen. Offenbar funktionieren aber auch die normalen Allokationsmechanismen beim Öl nicht. Die Ursache sieht das Hauptreferat allerdings nicht primär in den PropertyRights-Regimes, sondern in den Governance-Strukturen. Ob in diesem Zu-
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Rüdiger Wilhelmi
sammenhang nicht nur von effizienter, sondern bereits auch von nachhaltiger Nutzung gesprochen werden kann (vgl. etwa Hauptreferat unter D. II. 6.), erscheint zweifelhaft.
IV. Fazit Das Hauptreferat kommt auf der Basis eines institutionenökonomischen Ansatzes zu dem Ergebnis, dass es bei der Ausgestaltung der Verfügungsrecht an natürlichen Ressourcen neben der Gestaltung der Property Rights auch auf die Ausgestaltung der Governance-Strukturen ankomme, um die notwendigen Anreize für einen effizienten Umgang mit natürlichen Ressourcen zu schaffen. Dies wird durch das rechtliche Regime der Forstwirtschaft zunächst bestätigt. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die im Hauptreferat getroffene Klassifizierung der Regimes von Eigentumsrechten weiterführend ist. Zudem bleibt weitgehend offen, wie eine geeignete Governance-Struktur auszugestalten ist. Diese erscheint eher eine Art Black-Box, in der die durch Ausgestaltung der Eigentumsrechte nicht erfassten Probleme zu lösen sind. Offenbar tut sich hier noch ein weites Forschungsfeld auf, wobei allerdings zu fragen bleibt, ob die Institutionenökonomik wirklich alle Fragen beantworten kann oder ob sie nicht hinsichtlich ihrer Prämissen und Voraussetzungen sowie hinsichtlich der Begründung etwa des Nachhaltigkeitsgrundsatzes an Grenzen stößt.
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Wasser zwischen Wirtschaftsgut und Menschenrecht: Entwicklungspolitische Implikationen Von Ulrich Scheele1
I. Einführung in die Thematik: Die Weltwasser-Krise Laut des UN-„Berichts zur menschlichen Entwicklung“ verfügen weltweit rd. 2,6 Milliarden Menschen über keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen und etwa 1,1 Milliarden Menschen sind gezwungen verunreinigtes Wasser zu trinken.2 An wasserbürtigen Krankheiten infolge dieser unzureichenden sanitären Verhältnisse sterben jährlich allein rd. 1,8 Millionen Kinder und über 3 Millionen Erwachsene.3 Ein fehlendes oder unzureichendes Management der Wasserversorgung gilt als entscheidender Faktor, der in den nächsten Jahrzehnten die Chancen für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt in vielen Teilen der Welt nachhaltig beeinträchtigen wird.4 Zahlreiche Regionen sind durch Wasserknappheit gekennzeichnet, die Probleme verschärfen sich durch die Ver___________ 1 Für Anregungen und kritische Ergänzungen danke ich Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Universität Münster) sowie Jean-Gérard Pankert von Misereor. Mein ganz besonderer Dank gilt PD. Dr. Thomas Kluge vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) Frankfurt/M. Der vorliegende Beitrag baut auf mehreren gemeinsamen Arbeiten auf. 2 Siehe United Nations, Water: a shared responsibility. The United Nations World Water Development Report 2, March 2006; United Nations Development Programme (UNDP), Human Development Report 2006. Beyond scarcity: Power, poverty and the global water crisis, New York 2006. 3 „At the start of the 21st century unclean water is the world’s second biggest killer of children“, United Nations Development Programme (UNDP) 2006, Foreword; zu den gesundheitlichen Implikationen siehe: People’s Health Movement, Global Health Watch 2 :An alternative world health report, London 2008. 4 Vgl. World Economic Forum, The Bubble Is Close to Bursting: A Forecast of the Main Economic and Geopolitical Water Issues Likely to Arise in the World during the Next Two DecadeS. Draft for Discussion at the World Economic Forum Annual Meeting 2009; World Economic Forum, Water Initiative Managing Our Future Water Needs for Agriculture, Industry, Human Health and the Environment World Economic Forum 2009.
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schmutzung und übermäßige Nutzung vorhandener Wasservorkommen. Die Konflikte um Wasserressourcen nehmen zu und zwar sowohl durch die wachsende Nachfrage nach Trinkwasser als auch durch die wachsenden Nutzungsansprüche von Industrie und Landwirtschaft.5 Der fehlende Zugang zu Trinkwasser ist zwar nicht nur und überall ein Mengen-, sondern ganz wesentlich ein Ressourcenmanagementproblem, dennoch werden sich quantitative und qualitative Versorgungsprobleme vor allem als Folge des Klimawandels weltweit verschärfen. Der Temperaturanstieg wird die Wasserkreisläufe beschleunigen, es wird zu stärkeren Schwankungen bei Niederschlägen und Abflüssen kommen und regional zu einer Minderung der Grundwasserneubildung.6 Die weltweite Wasserkrise wird Nutzungskonflikte zwischen Nationen verschärfen aber auch soziale Problemlagen und Verteilungskonflikte innerhalb von Staaten intensivieren.7 Betroffen sein werden vor allem die ländlichen Räume; Kinder und Frauen sind hier die primär Leidtragenden, da sie immer mehr Zeit für die Beschaffung von Trinkwasser aufwenden müssen. Die ökonomischen Entwicklungsaussichten dieser Gebiete verschlechtern sich zusätzlich mit der Folge weiterer Migrationsprozesse. ___________ 5
In zahlreichen Veröffentlichungen und auf Workshops werden zudem zunehmend die ökonomischen Risiken einer unzureichenden Wasserversorgung für Industrie und Gewerbe thematisiert. Siehe mit zahlreichen Verweisen: Vicky McAllister, Water: The Next Carbon? Discussion paper. The Association of Chartered Certified Accountants, April 2009; Pacific Institute & United Nations Global Impact, Climate Change and the Global Water Crisis: What Businesses Need to Know and Do, May 2009; Stuart Orr/Anton Cartwright/Dave Tickner, Understanding water risks. A primer on the consequences of water scarcity for government and business. WWF Water Security Series 4. WWF-UK March 2009. Aufmerksamkeit erregt hat in diesem Zusammenhang etwa auch die Entscheidung der norwegischen Staatsbank bei der Zusammensetzung der staatlichen Pensionsfonds auf die Aufnahme von Unternehmen zu verzichten, die ein besonders hohes Risiko aufgrund von Wasserversorgungsengpässen tragen; siehe Norges Bank, Quarterly Report: Government Pension Fund – Global Second quarter 2009, Oslo 14 August 2009. 6 The Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Fourth Assessment Report „Climate Change 2007“, Genf 2007; siehe auch European Environment Agency, Climate change and water adaption issues, EEA Technical report No. 2, Copenhagen 2007; Bryson Bates et.al., Climate Change and Water. Technical Paper of the Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC Secretariat, Geneva 2008. 7 Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen hat sich in einem Hauptgutachten ausführlich mit den politischen und gesellschaftlichen Risiken befasst, die sich im Zuge des Klimawandels ergeben können; siehe Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel, Berlin 2007. Zu den zentralen klimainduzierten Konfliktkonstellationen gehört nach seiner Ansicht die Degradation von Südwasserressourcen. Siehe zu den weiteren Konsequenzen auch United Nations Environment Programme, From Conflict to Peacebuilding. The Role of Natural Resources and the Environment, Nairobi 2009.
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Im Jahre 2030 werden rd. 60 % der Weltbevölkerung in Städten wohnen. Da der Ausbau der Infrastruktur mit diesem Bevölkerungswachstum nicht Schritt hält, werden sich die Ver- und Entsorgungsbedingungen besonders in den urbanen und suburbanen Räumen der Entwicklungsländer dramatisch verschlechtern und damit auch die jeweiligen nationalen Entwicklungsperspektiven.8 Auf nationaler Ebene werden sich auch die sozialen Ungleichgewichte zwischen den Bevölkerungsgruppen verschärfen. Der Zugang zu Trinkwasserversorgungssystemen wird dabei immer häufiger auch die Grenze zwischen Arm und Reich markieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ärmsten der Armen in den Drittweltländern letztlich mehr für ihr Wasser bezahlen als die wohlhabenderen Schichten der Bevölkerung, die an die häufig staatlich subventionierte öffentliche Wasserversorgung angeschlossen sind.9 Der Weltentwicklungsbericht thematisiert vor dem Hintergrund einer detaillierten Problemanalyse die Frage, wie künftig auch für die armen Schichten der Bevölkerung eine ausreichende Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sichergestellt werden kann. Eingefordert wird ein entsprechender globaler Aktionsplan für Wasser und Abwasser, wobei es nicht allein um eine Ausweitung der Finanzhilfen gehen kann, sondern auch das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der Wasserkrise für die nachhaltige Entwicklung der Länder gestärkt werden muss.10 Auf vielen internationalen Tagungen steht das Thema auf der Tagesordnung. So befasste sich etwa der G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 mit der Entwicklung des afrikanischen Kontinents, zwar verweist die Gipfelerklärung nicht explizit auf die Wasserversorgung, hebt aber die besondere und entscheidende Bedeutung der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und den Kampf gegen die unverminderte Ausbreitung von Infektionskrankheiten hervor.11
___________ 8 Unter status quo Bedingungen würde allein zwischen 1995 und 2025 die Wassernachfrage der privaten Haushalte weltweit um 75 % ansteigen, 90 % dieses Zuwachses werden dabei auf die Entwicklungsländer entfallen. 9 Die ärmsten Bevölkerungsschichten zahlen nicht selten den 10fachen Preis für Wasser, den die reichsten Haushalte zu entrichten haben; siehe World Economic Forum 2009. 10 UNDP-Vizechef Ad Melkert drückte es bei der Vorstellung des Human Development Reports im November 2006 in Berlin in drastischen Worten auS. Während man über das Problem AIDS mittlerweile offen sprechen könne, bedürfe es mit Blick auf die sanitäre Situation endlich eines Tabubruchs: „Es wird Zeit, dass wir uns trauen, offen über Scheiße zu reden“; taz, die tageszeitung vom 11.11.2006. 11 G 8, Wachstum und Verantwortung in Afrika. G 8-Gipfel 2007, Heiligendamm, Gipfelerklärung vom 8. Juni 2007; G 8 Africa Personal Representatives (APR), Zusammenfassung des Gemeinsamen Fortschrittberichts der Persönlichen G 8-Afrika-Beauftragten G 8-Gipfel, Heiligendamm 2007.
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In zahlreichen offiziellen und halboffiziellen Dokumenten und Programmen zur Sicherung der Wasserversorgung findet sich neben allen Forderungen und Vorschlägen im Detail eine zentrale Maxime: Dem Zugang zu sauberem Wasser müsse der Status eines Menschenrechts zugewiesen werden. Die Aussage des Human Development Reports steht hierfür beispielhaft: „Upholding the human right to water is an end in itself and a means for giving substance to the wider rights in the Universal Declaration of Human Rights and other legally binding instruments – including the right to life, to education, to health and to adequate housing. Ensuring that every person has access to at least 20 litres of clean water each day to meet basic needs is a minimum requirement for respecting the right to water – and a minimum target for governments.“12
Soll die Erreichung dieser Ziele ernst angestrebt werden, dann sind umfassende Strategien erforderlich. Kein Entwicklungsansatz darf dabei grundsätzlich als Option ausgeschlossen werden. Dies gilt auch für die Beteiligung privater Unternehmen und privaten Kapitals. Gerade an die Privatisierungsstrategien sind in den letzten Jahrzehnten dabei oft ganz besondere Erwartungen geknüpft worden. Dabei spielte nicht allein die mangelnde Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors in den meisten Entwicklungsländern eine Rolle, die Privatisierungsansätze sind daneben wesentlicher Bestandteil einer neoliberalen Reformstrategie, wie sie vor allem von den internationalen Finanz- und Geberorganisationen, wie Weltbank oder dem IMF, zumindest begünstigt wurden. Die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen, effizientere Managementstrukturen aber auch die Umsetzung neuer marktlicher Ansätze des Ressourcenmanagements standen dabei mit im Vordergrund. „Pipe dreams“ ist der Titel eines Reports aus dem Jahre 2006, der sich mit der Privatisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung in den Entwicklungsländern auseinandersetzt und sich u. a. mit den nicht erfüllten Erwartungen der international operierenden Wasserkonzerne befasst.13 In den letzten Jahren hat sich eine immer skeptischere Einschätzung der Privatisierungsoption durchgesetzt. Dies gilt weltweit und ist nicht nur auf die Wasserwirtschaft beschränkt, eine besondere Intensität hat die Diskussion über das Für und Wider
___________ 12
United Nations Development Programme (UNDP) 2006, S. 4. Public Services International (PSI)/World Development Movement, Pipe dreams: The failure of the private sector to invest in water services in developing countries, London March 2006; OECD, Managing Water for All: An OECD Perspective on Pricing and Financing. Key Messages for Policy Makers, Paris 2009; Jessica Budds, Gordon McGranahan, Are the debates on water privatization missing the point? Experiences from Africa, Asia and Latin America, in: Environment & Urbanization Vol. 15 No 2 October 2003. 13
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von Privatisierung jedoch gerade mit Blick auf die Wasserwirtschaft in den Entwicklungsländern gefunden.14 Viele Interessengruppen sehen diese Entwicklung als durchaus positiv, nämlich alle diejenigen, die sich gegen die Ökonomisierung der Wasserwirtschaft aussprechen und einen ganz offenkundigen Gegensatz zwischen Privatisierung und Menschenrechten postulieren.15 Vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden Bedingungen in der Wasserversorgung und der ambitionierten Ziele, denen sich die Weltgemeinschaft verpflichtet sieht, erscheint eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Argumenten dringender denn je, oder, um den Titel eines Artikels zum Thema Privatisierung der Wasserwirtschaft in den Entwicklungsländern zu zitieren: Allheilmittel, kapitalistischer Sündenfall oder viel Lärm um nichts?16
II. Das Menschenrecht auf Wasser 1. Ein kurzer Rückblick Die Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser als eine durchsetzbare, völkerrechtlich anerkannte Rechtsposition findet national und international eine breite Unterstützung vor allem in den Reihen der Globalisierungskritiker, bei nahezu allen NGOs im Bereich der Entwicklungshilfe, aber auch zahlreiche internationale Organisationen wie etwa Unterorganisationen der Vereinten Nationen zählen zu den Befürwortern. Der Einspruch gegen ein Menschenrecht auf Wasser kommt einerseits von vielen Nationen, die ein globales HineinRegieren in ihre nationale Infrastruktur- und Wasserpolitik befürchten, andererseits aber auch von den Akteuren, die insbesondere auf dem Weltwassermarkt für sich neue wirtschaftliche Perspektiven sehen. Die Debatte um das Menschenrecht auf Wasser hat eine lange Geschichte; um diese Forderung etwas besser verstehen und in die aktuellen Entwicklungen einordnen zu können, erscheint ein kurzer Rückblick sinnvoll. ___________ 14 So ist bspw. der Beitrag privater Telekommunikationsunternehmen in den Entwicklungsländern weit weniger strittig. 15 Vgl. Karl-Ulrich Rudolph/Michael Harbach, Private Sector Participation in Water and Sanitation for Developing Countries, in: CESifo DICE Report 2/2007, S. 33–39. 16 Wolfgang Kroh, Eine Dekade private Wasserversorgung in Entwicklungsländern: Allheilmittel, kapitalistischer Sündenfall oder viel Lärm um nichts? Privatsektorbeteiligung in der Wasserversorgung. Bestandsaufnahme der KfW Entwicklungsbank Frankfurt, Juni 2005.
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Das Menschenrecht auf Wasser- und Sanitärdienstleistungen ist in zahlreichen internationalen Verträgen und Erklärungen zumindest implizit enthalten.17 Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) zu, ein von der UN Generalversammlung im Dezember 1966 verabschiedeter internationaler, völkerrechtlicher Vertrag, der seit Januar 1976 in Kraft ist. Er verpflichtet die Vertragsparteien dazu, für die wirtschaflichen, sozialen und kulturellen Rechte der Individuen einzutreten. Gegenwärtig haben weltweit 160 Staaten den Vertrag ratifiziert, weitere sechs Länder haben unterzeichnet, eine Ratifizierung steht noch aus. Artikel 11 (1) formuliert wie folgt: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an.“18
Der internationale Pakt verweist also nicht explizit auf die Wasserversorgung bzw. auf die Abwasserentsorgung, der Wortlaut des Paragraphen lässt aber erkennen, dass die Auflistung der Komponenten eines angemessenen Lebensstandards nicht abschließend ist. Es erscheint selbstverständlich, dass ohne Zugang zumindest zu einer Basismenge an Wasser ein angemessener Lebensstandard nicht erreicht werden kann. Dies kommt dann 2002 auch im General Comment No 15 zum Ausdruck, der vom Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR) erarbeitet wurde. Dieses aus unabhängigen Experten bestehende Kommittee hat die Aufgabe, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu interpretieren und seine Umsetzung in den Unterzeichnerstaaten zu überwachen. Im Hinblick auf das Recht auf Wasser äußert sich das Komitee wie folgt: „Article 11, paragraph 1, of the Covenant specifies a number of rights emanating from, and indispensable for, the realization of the right to an adequate standard of living, including adequate food, clothing and housing. The use of the word ‘including’ indicates that this catalogue of rights was not intended to be exhaustive. The right to water clearly falls within the category of guarantees essential for securing an ade-
___________ 17 Für einen Überblick siehe Ashfaq Khalfan/Thorsten Kiefer, The Human Right to Water and Sanitation: Legal basis, Practical Rationale and Definition. Centre on Housing Rights and Evictions, 26 March 2008. 18 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966; http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Menschen rechte/Download/IntSozialpakt.pdf.
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quate standard of living, particularly since it is one of the most fundamental conditions for survival.“19
Die Bemühungen zu einer eigenständigen Identifizierung eines Menschenrechts auf Wasser haben ihren Niederschlag auch in zahlreichen internationalen Deklarationen gefunden. 1977 fand die UN-Konferenz zum Thema Wasser in Mar del Plata statt. Bereits dort wurde erstmalig das große Ziel formuliert, bis zum Jahre 2000 den Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle Menschen zu garantieren. Dahinter verbarg sich seinerzeit so etwas wie die „stille Konvention“ eines Menschenrechts auf Wasser. Im Gefolge dieser Konferenz entstanden in den nächsten Dekaden technische Visionen und große Investitionsprogramme für Staudämme, Bewässerungsprojekte, aber auch Projekte zur systematischen infrastrukturellen Versorgung einzelner Großstädte. Die Ergebnisse dieser Politik waren eher bescheiden, sie hatte gleichzeitig jedoch eine immense Verschuldung vieler Entwicklungs- und Schwellenländer zur Folge. Auf der UN-Konferenz 1992 im irischen Dublin, bei der es wesentlich um Wasserfragen ging, wurde ein Statement on „Water and Sustainable Development“ verfasst, in dem es zentral um die Ökonomisierung des Wassers ging und Wasser als ökonomisches Gut beschrieben wurde. Die sog. Dublin Principles legten u.a. fest: „Water has an economic value in all its competing uses and should be recognized as an economic good. Within this principle, it is vital to recognize first the basic right of all human beings to have access to clean water and sanitation at an affordable price. Past failure to recognize the economic value of water has led to wasteful and environmentally damaging uses of the resource. Managing water as an economic good is an important way of achieving efficient and equitable use, and of encouraging conservation and protection of water resource.“
Nahezu zeitgleich brach sich Anfang der 90er Jahre auch im Wassersektor die Privatisierungsdebatte Bahn. Die Privatisierung oder allgemeiner „private sector participation“ wurde insbesondere von der Weltbank aber auch vom Internationalen Währungsfond als entscheidender Beitrag zur Lösung der Weltwasserkrise favorisiert. Vorbilder in den entwickelten Industriestaaten sind jedoch zu dem Zeitpunkt kaum vorhanden: In Europa wurde allein unter Margret Thatcher das Modell der Privatisierung in der englischen Wasserwirtschaft flächendeckend umgesetzt; ein Modell, das bis heute die Ausnahme geblieben ist. ___________ 19
United Nations, Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Substantive Issues arising in the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. General Comment No. 15 (2002) The right to water (Articles 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), Unedited Version E/C.12/2002/11, 26 November 2002. S. 2.
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Seit Beginn der 1990er Jahre stehen sich daher in der sehr emotional geführten Debatte strukturtypisch das „Menschenrecht auf Wasser“ (Wasser als öffentliches Gut – Water as a common good) und Wasser als Ware (Water as a Commodity) gegenüber. In der Klassifikation von Wasser als „economic good“ wird ein zentrales Argument für eine starke Rolle des privaten Sektors in der Wasserwirtschaft gesehen. Budds et al. weisen zurecht darauf hin, dass diese Interpretation nicht vollständig korrekt ist und vor allem davon abhängt, wie der Begriff abgegrenzt wird. Werden in Anlehnung an die ökonomische Theorie darunter Güter verstanden, die auf vollkommenen Märkten gehandelt werden, dann würde dies besonders stark für eine private Bereitstellung sprechen. Eine städtische Wasserversorgung ist aber keine Dienstleistung in diesem Sinne, sondern weist zumindest Merkmale von öffentlichen Gütern auf. Hinzu kommt, dass Wasserversorgungsunternehmen in der Regel nicht auf Wettbewerbsmärkten agieren. Interpretiert man dagegen Wasser aber als Gut, das einen ökonomischen Wert besitzt und bei dessen Produktion und Verteilung ökonomische Prinzipien zur Anwendung kommen, dann gelten diese Prinzipien auch für öffentliche Güter: „In short, while economic issues are central to defining appropriate roles for the public and private sectors, these issues are merely confused by semantic debates over whether or not water is an economic good.“20
Bisher konnten die Befürworter ihre Vorstellungen zumindest im internationalen Kontext nicht durchsetzen.21 Zuletzt scheiterte der Versuch 2009 auf dem Weltwasserforum in Istanbul, wo man sich lediglich darauf einigte, weitere Untersuchungen durchzuführen. Diese polarisierende Gegenüberstellung soll im Folgenden aufgegriffen und im Kontext der Privatisierungsdebatte noch einmal intensiver hinterfragt werden. Der Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg im Jahre 2002 gilt als wesentlicher Meilenstein im Diskurs zur Weltwasserkrise und zu den Instrumenten ihrer Lösung. Der Gipfel benennt das Thema Wasserversorgung als eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und legt dabei erstmals sehr ambitionierte Ziele fest. Bis zum Jahre 2015 soll u. a. die Zahl der Menschen halbiert werden, die bisher keinen Zugang zu Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsdienstleistungen hat. ___________ 20
Zitiert nach: Jessica Budds/Gordon McGranahan, 2003, S. 96. Es gibt verschiedene Ländern, in denen dieses Recht entweder umgesetzt wurde, oder aber in denen entsprechende Schritte geplant sind. Im novellierten französischen Wasserrecht sind bspw. Vorgaben aufgenommen worden, die es den Versorgungsunternehmen verbieten, Kunden vom Zugang zum Netz auszuschließen; vgl. Ulrich Scheele, Privatisierung öffentlicher Unternehmen: Theorie und Praxis, in: Thomas Blanke/Sebastian Fedder (Hrsg.), Handbuch Privatisierung, Baden-Baden 2010, S. 77–141. 21
Frauen tragen die größte Last bei der Beschaffung von Wasser; die zeitliche Belastung kann bis zu vier Std./Tag betragen.
Pro Jahr sterben weltweit rd. 1,8 Mill Kinder, d. h. 5.000 pro Tag an den Folgen unsauberen Wassers und unzureichenden sanitäreren Verhältnissen.
Die Sicherstellung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung reduziert die Ausbreitung von Krankheiten und Infektionen, die vor allem die Gesundheit von Müttern und Schwangeren beeinträchtigen.
Die Erreichung der Millennium Ziele im Wasser- und Abwasserbereich reduziert die Kosten des Gesundheitssystems um bis zu 1,7 Mrd. $ jährlich; dies verbessert die Chancen einer erfolgreichen Präventionspolitik.
Das Millennium Ziel, nämlich die Zahl der Menschen zu halbieren, die keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen haben, wird nach den gegenwärtigen Trends um über 700 Mill. Menschen verfehlt; in der Subsahara-Region wird das Ziel nicht vor 2040 erreichbar sein.
Es gibt keine effektive Partnerschaft für den Bereich Wasser und Abwasser.
Gleichstellung der Geschlechter/Stärkung der Rolle der Frauen
Senkung der Kindersterblichkeit
Verbesserung der Gesundheitsversorgung
Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten
Ökologische Nachhaltigkeit
Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung
Quelle: in Anlehnung an den UN Human Development Report 2006
Durch fehlende Wasserversorgung und unzureichende Sanitäreinrichtungen verursachte Krankheiten führen jährlich zu 443 Millionen Tagen Schulausfall; dies entspricht umgerechnet einem kompletten Schuljahr aller Siebenjährigen in Äthiopien.
Primärschulbildung für alle
Warum Regierungen reagieren sollten?
Das Fehlen von sauberem Wasser und ausreichender sanitärer Infrastrukturen sind zentrale Ursachen für Armut und Unterernährung; wasserbürtige Krankheiten haben massive Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen.
Bekämpfung von extremer Armut und Hunger
MDG
Entwicklung eines globalen Aktionsrahmens, um politische Aktionen zu veranlassen, Ressourcen mobilisieren und nationale Pläne zu unterstützen.
Umsetzung praktischer Maßnahmen, die die Millennium Verpflichtungen in konkrete Aktivitäten vor Ort transferieren.
Integration von Wasser und Abwasser in nationale und globale Strategien zur Bekämpfung von Malaria und Verbesserung der Lebensbedingungen für HIVInfizierten
Berücksichtigung von Wasserversorgung und Abwasserentsorgung als Kernelemente einer Strategie der Förderung der Gesundheit und der Gendergerechtigkeit
Bekämpfung der Kindersterblichkeit als national vorrangige Aufgabe
Explizite Berücksichtigung der Sichtweisen sowohl von Männern als auch Frauen bei der Entwicklung nationaler Strategien zur Armutsbekämpfung
Sicherstellung, dass es in jeder Schule eine Wasserversorgung und Sanitäreinrichtungen zur Verfügung gestellt werden; dies schließt auch jeweils separate Einrichtungen für Jungen und Mädchen ein.
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind zu zentralen Bestandteilen nationaler Strategien zur Erreichung der Millennium Ziele zu machen.
Wie Regierungen reagieren sollten?
Tabelle 1 Die Rolle der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für die Erreichung der Millennium Ziele
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Entscheidend ist dabei vor allem die zentrale Bedeutung einer ausreichenden Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung für die Erreichung aller Millennium-Ziele. Tabelle 1 fasst die wesentlichen Zusammenhänge zwischen einer ausreichenden Ver- und Entsorgung und den einzelnen Millennium Development Goals zusammen und verweist auf erste staatliche Handlungsoptionen.
2. Investitionsbedarf und Finanzierung Die finanziellen Implikationen der wasserwirtschaftlichen Entwicklungsziele waren zwar schon auf der „International Conference on Freshwater“ in Bonn 2001 diskutiert worden, aber erst auf dem 3. Weltwasserforum 2003 wurde ein unter Federführung des ehemaligen Direktors des Internationalen Währungsfonds Michel Camdessus erstellter Report vorgelegt, der sich systematisch mit allen Finanzierungsfragen beschäftigt.22 Obwohl sich der Bericht auch mit notwendigen politischen und institutionellen Reformen befasst und die Frage der Privatisierung nicht explizit thematisiert, sondern die Entscheidung den Ländern überlässt, war der Camdessus Report von Beginn an gerade wegen der angeblich zu einseitigen Pro-Privatisierungshaltung heftiger Kritik ausgesetzt. 23 Der Report verweist darauf, dass zur Erreichung der Millennium Ziele eine Verdopplung der jährlichen Investitionen über einen Zeitraum von 20–25 Jahren notwendig ist,24 er geht auf die einzelnen Finanzierungsinstrumente aber nicht im Detail ein.25 Problematisiert werden im Camdessus-Bericht vor allem ___________ 22
James Winpenny, Financing Water For All. Report of the World Panel on Financing Water Infrastructure. World Water Council Chaired by Michel Camdessus Marseille 2003. 23 Vgl. David Hall, Water Finance – A Discussion Note. Public Services International Research Unit (PSIRU), Paper commissioned by Public Services International (PSI) World Social Forum Delhi/Mumbai January 2004; siehe auch Stakeholders responses to the recommandations of the Panel; http://www.worldwatercouncil.org/index.php? id=552. 24 Der Bericht schätzt den gesamten Investitionsbedarf für die Wasserwirtschaft (Landwirtschaft, Industrie, öffentliche Wasserversorgung) auf rd. 180 Mrd. $. Zu einer kritischen Einschätzung vorliegender Kostenstudien siehe World Water Council, Costing MDG Target 10 on Water Supply and Sanitation: Comparative Analysis, Obstacles and Recommendations, March 2006. In vielen Kostenabschätzungen nicht mitberücksichtigt sind die notwendigen Aufwendungen für die Unterhaltung und Sanierung der bereits vorhandenen Infrastrukturen und die Kosten eines aufzubauenden Wasserresourcenmanagements; siehe auch OECD 2009a, 8 f. 25 Nach Studien der WHO ist die Nutzen- Kosten – Relation von Maßnahmen zur Erreichung der Millennium – Ziele jedoch positiv. Würden die wasserwirtschaftlichen Millennium- Ziele bis 2015 erreicht, ergäbe sich ein jährlicher Nutzen von rd. 85 Mrd. US$, denen jährliche Kosten von etwas mehr als 11 Mrd. US$ gegenüberständen. Zwar ist die Nutzenbewertung im Detail sicherlich nicht unproblematisch, bei einer ausgewiesenen Nutzen-Kosten-Relation von 8 dürften sich diese methodischen Defizite jedoch
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die vielfältigen Risiken, die sich für Investoren in den Entwicklungsländern ergeben. Er beschreibt dann Ansätze und Mechanismen zur Risikominimierung. Kritiker sehen daher im Bericht eine Art von „Privatisierungsrezept“ und bemängeln gleichzeitig den Umstand, dass der Bericht sich zu einseitig mit großen Infrastrukturvorhaben und auf den Aufbau von Wasser- und Abwasserentsorgungssystemen in städtischen Räumen befasst und dabei zentrale Probleme nicht angeht: Wie können gerade die ärmsten Länder der Welt Zugang zu Finanzquellen bekommen und wie kann die Finanzierung von Projekten für die ärmsten Bevölkerungsschichten gerade in ländlichen Regionen gewährleistet werden? 3. Das Menschenrecht auf Wasser: Ansätze einer Konkretisierung Im Kontext der Erarbeitung der Millennium Development Goals hat das Menschenrecht auf Wasser eine ganz wesentliche Rolle gespielt. In der Diskussion über Ansätze zur Armutsbekämpfung ist deutlich geworden, dass einerseits das Recht auf den Zugang zu Wasser eine wichtige Voraussetzung für die Inanspruchnahme und Realisierung anderer Menschenrechte wie Zugang zu Bildung, Gesundheit oder Nahrung ist, andererseits aber auch, dass Armut nicht alleine eine Folge unzureichender Ressourcen und Einkommen ist, sondern Resultat unzureichender Möglichkeiten, Bürgerrechte und Freiheiten in Anspruch zu nehmen, die für ein menschenwürdiges Leben eine zentrale Grundlage bilden. Eindrucksvoll lässt sich anhand vieler Beispiele verdeutlichen, wie sich vorhandene Problemlagen gegenseitig verstärken.26 So ist das Fehlen von ausreichendem und sauberem Wasser stark mit Armut und Hunger verknüpft und im Weiteren auch mit der Frage, wie Primärerziehung und Bildung verbessert werden können. Kinder kommen entweder gar nicht oder übermüdet in die Schule, weil sie Wasser tragen müssen. Junge Frauen und Mädchen können mit Einsetzen der Pubertät oft Schulen nicht besuchen, weil es dort nur gemeinsame Toiletten gibt und die Mädchen so, gleichsam aus Sicherungsgründen gegenüber Übergriffen, zu Hause behalten werden. Diese Zeiten der Abwesenheit haben dann mangelnde Grundbildung als Ergebnis. Mütter- und Kindersterblichkeit, aber auch der Kampf gegen Malaria und andere Krankheiten sind eng mit dem Wasserthema verbunden. Letztlich wird auch in den Millenniumszie___________ kaum nachteilig bemerkbar machen; vgl. Annette Prüss-Üstün/Robert Bos/Fiona Gore/ Jamie Bartram, Safer water, better health: costs, benefits and sustainability of interventions to protect and promote health. World Health Organization, Geneva 2008. 26 Siehe etwa zu den Genderaspekten Water Supply and Sanitation Collaborative Council, For Her it’s the Big Issue: Putting Women at the Centre of Water Supply, Sanitation and Hygiene. WSSCC, Geneva, 2006; auch Julie Fisher, Women in water supply, sanitation and hygiene programmes, Proceedings of the Institution of Civil Engineers, Municipal Engineer 161, December 2008 Issue ME4 Pages 223–229.
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len die Rolle des Wassers als Umweltgut und auch als Basis für eine internationale partnerschaftliche Zusammenarbeit betont. Die Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser erfährt vor diesem Hintergrund natürlich eine breite Unterstützung, führt aber andererseits auch zu gewissen Irritationen. Sie ergeben sich u.a. aus dem Umstand, dass der Begriff „Recht“ im Zusammenhang mit Wasser mehrfach belegt ist. Unterschieden wird zwischen dem Menschenrecht auf Wasser („human right“), dem vertraglich abgesicherten Recht der Wasserversorgung („contractual right“) und den Eigentumsrechten an Wasser („property rights“). Wie zusammenfassend in der Tabelle 2 dargelegt, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Ausprägungen und sachlich-räumlichen Geltungsbereichen ganz erheblich. Der Sicherheitsaspekt steht zwar bei allen drei Ausprägungen im Vordergrund; das Menschenrecht auf Wasser interpretiert dies jedoch als individuelles Recht, während das contractual right und der property rights-Ansatz hier die Sicherheit der Versorgung bzw. die langfristige Sicherheit des Schutzes von Ressourcen in den Mittelpunkt rücken. In zahlreichen, vor allem auch den private sector participation Ansätzen kritisch gegenüber stehenden Veröffentlichungen wird nicht immer eindeutig zwischen human rights und den property rights differenziert. Die Privatisierung erstreckt sich bislang an den meisten Fällen auf die Versorgungsleistung, nicht auf die Verfügbarkeit von Ressourcen. Nichtsdestotrotz sind Verbindungen zwischen den rechtlichen Dimensionen offenkundig. Der Wettbewerb der verschiedenen Nutzungsgruppen um knappe Ressourcen verstärkt sich; der Zugang zu den Eigentumsrechten hat damit zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Realisierung eines Menschenrechts auf Wasser.27 In diesem Zusammenhang sind vor allem die Auswirkungen der Entwicklung einer industriellen Landwirtschaft zu sehen: Unter dem Stichwort „land grabbing“ wird dabei die weltweite Tendenz von Regierungen und Unternehmen reicher Ölförder-, Schwellen- und Industrieländer bezeichnet, riesige Flächen fruchtbaren Landes in Entwicklungsländern zu kaufen beziehungsweise zu pachten, um dort Nahrungsmittel für den eigenen Binnenmarkt zu produzieren. Diese Form des „Neo- Kolonialismus“ wird auch Folgen für den Wasserhaushalt dieser Länder haben und die Rahmenbedingungen für die öffentliche Wasserversorgung verschlechtern. 28 ___________ 27
Siehe Overseas Development Institute, Right to water: Legal forms, political channels, ODI Briefing Paper, London July 2004. 28 Siehe auch: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen, Landrechte stärken – „land grabbing“ in Entwicklungsländern verhindern, Deutscher Bundestag Drucksache 16/12735 v. 22.4.2009; grundsätzlich Joachim von Braun and Ruth Meinzen-Dick; „Land Grabbing“ by Foreign Investors in Developing Countries: Risks and Opportunities, International Food Policy Research Institute, IFPRI Policy Brief 13, Washington D.C. April 2009.
Focus on personal and domestic uses of each individual user
Priority of personal/domestic use above other uses
Focus on pipe-end, ‘downstream’, but also aspires to protect access ‘upstream’ at ‘river-end’ (or borehole)
‘Water should be treated as a social and cultural good, and not primarily as an economic good’
Not free water, but ‘affordable’ with freedom from arbitrary disconnection…
… for all, irrespective of race etc.
Water Use(s)
Priority
Location/Time
Economic/Social
Payment
Universality?
Not specifically universalised, but tariffs may be designed to provide subsidies for poor; careful targeting will be required to reach poorest
Not specifically ‘pro-poor’: water users follow permit application procedure; typically, expressed aim includes recognition of existing uses (including customary).
Typically, fee for registration of rights and regular charges during permit term
Focus on economic and financial aspects (e.g. tradeability and ‘bankability’)
Focus on commercial and financial aspect, but contract may also reflect social concerns e.g. through tariffs Not free water – subject to payment
Takes effect ‘upstream’ at river-end
Existence of priority in principle depends on enabling law/regulations and in practice mechanisms applying it, including for mediating competing claims (agricultural, industrial, urban etc.)
Can relate to both domestic and productive uses, in urban/rural contexts; will tend to operate through bigger ‘bulk’ abstraction permits, to municipality, irrigation district, community group etc.
Emphasis on security of property and its continuity, to give certainty of title
Property Right as per typical formalisation scheme
Takes effect ‘downstream’, at pipe-end
Priority between uses not addressed by individual supply contracts: instead issue of public policy for regulator in service providers’ terms of reference
Typically, focus on urban use (including personal and domestic uses) under individual contracts for supply to premises
Emphasis on security and continuity of supply
Contractual Right under contracts for water services
Quelle: Overseas Development Institute, Right to water: Legal forms, political channels, ODI Briefing Paper, London July 2004
Emphasis on security of person (health & nutrition, under ICESCR Arts 11 & 12)
Human Right as per General Comment 15
Security
Characteristics
Tabelle 2 Wasserrechtskonzepte
Wasser zwischen Wirtschaftsgut und Menschenrecht 115
116
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Bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser gibt es eine Fülle praktischer Implikationen und offener Fragen. Ausgangspunkt ist dabei in der Regel die vom Economic and Social Council der UN entwickelte Definition: „The human right to water entitles everyone to sufficient, safe, acceptable, physically accessible and affordable water for personal and domestic uses.“29
Safe and acceptable water Das angebotene Wasser muss für die Nutzung innerhalb des privaten Haushalts sicher sein. Eine bestimmte Mindestmenge sollte für Trinkwasserzwecke geeignet sein, d. h. darf keine gesundheitsgefährdenden Stoffe enthalten; Wasser muss auch mit Blick auf Farbe, Geruch oder Geschmack bestimmte Standards einhalten. Affordable services Zahlungen für Wasser gelten dann als nicht erschwinglich, wenn sie sich negativ auf die Fähigkeit von Personen auswirken, (über-)lebenswichtige Güter und Dienstleistungen wie Nahrung, Wohnung, Gesundheit oder Bildung zu erwerben. Diese Überlegungen sind bei der Gestaltung der Ver- und Entsorgungsdienstleistungen mit zu berücksichtigen, ebenso wie bei der Entwicklung von Subventionsstrategien oder Ansätzen der Wasserpreisregulierung. Der UN Human Development Report 2006 konkretisiert diesen Aspekt und fordert, dass kein Haushalt mehr als 3 % des verfügbaren Einkommens für die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung ausgeben sollte. Accessible services Der Zugang zu einer Wasserentnahmestelle innerhalb des Hauses, in der Nähe der Wohnung, in Schulen und am Arbeitsplatz sollte sichergestellt werden. In den Fällen, in denen es aufgrund fehlender Ressourcen nicht möglich ist, eine solche Versorgung sicherzustellen, sollte die Regierung zumindest eine Basisversorgung gewährleisten. Ein Zugang zu einer Wasserquelle innerhalb eines Radius von 30 Minuten sollte möglich ist. Es ist gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass der Zugang zu den Wasserquellen ohne Gefahr für Leib und Leben möglich ist. ___________ 29 United Nations, Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights 2002, siehe auch Ashfaq Khalfan/Thorsten Kiefer 2008 sowie Melina Williams, Privatization and the Human Right to Water: Challenges for the New Century, in: Michigan Journal of International Law Vol. 28 (2007) Winter, S. 469–505; Julie Aubriot, The right to Water: Emergence, definition, current situation and stakeholders positions. Technical Department/Water, Sanitation & Hygiene Division ACFFrance Paris 2008.
Wasser zwischen Wirtschaftsgut und Menschenrecht
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Sufficient water The UN General Comment No. 15 legt fest, dass für Jedermann ausreichend Wasser zum Trinken, für die persönliche Hygiene, das Wäschewaschen, die Essenszubereitung und für die Haushaltshygiene zur Verfügung stehen muss. Zusammen genommen erfordern diese Nutzungen einen Mindestbedarf pro Einwohner und Tag von 20 Litern. Wo es die Ressourcenverfügbarkeit erlaubt, sollten die Regierungen einen Zugang zu mindestens 100 Liter pro Tag ermöglichen. Das entspricht der Menge, die laut WHO erforderlich ist, um alle Anforderungen an den Schutz der Gesundheit zu bedienen. Non-Discrimination Der Zugang zur Wasserversorgung und zur Abwasserentsorgung muss allen Bevölkerungsgruppen, d. h. auch benachteiligten und marginalisierten Teilen möglich sein. Die Möglichkeit darf nicht allein nur gesetzlich geregelt sein, sondern muss auch in der Praxis gelten. Es darf keine Diskriminierung aufgrund von Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion oder politischer Zugehörigkeit, nationalem Status etc. geben. Accessible information Ein Menschenrecht auf Wasser impliziert auch, dass alle Bürger einen umfassenden Zugang zu allen Informationen über die nationalen Wasserstrategien und Wasserpolitiken haben. Rollen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sollen klar erkannt werden können. Die Bürger sollen in die Lage versetzt werden, an Entscheidungsprozessen zu partizipieren und auch Rechenschaften einzufordern.
4. Umsetzung des Menschensrechts auf Wasser: Anforderungen und Verpflichtungen So deutlich und klar nach außen hin die Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser vertreten wird und soviel Mühe auf die Definition und Abgrenzung der verschiedenen Aspekte verwandt wird, so zum Teil unverbindlich blieben die Aussagen zu den praktischen Implikationen. Während einerseits der Eindruck entsteht, mit der Verankerung der „human rights“ ließen sich quasi alle wasserwirtschaftlichen Probleme lösen, betrachten andere Experten das Menschenrecht auf Wasser eher als allgemeine Handlungsempfehlung, ohne dass die Verletzung oder Nichteinhaltung in irgendeiner Form sanktioniert würde.
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Aus einem Menschenrecht lassen sich allgemein eine Reihe von Pflichten für den Staat und seinen Institutionen ableiten. Für staatliche Institutionen ergeben sich drei zentrale Pflichten:30 Duty to respect: Staaten haben das Recht auf Wasser zu respektieren, d. h. sie haben alle Maßnahmen zu unterlassen, die eine Inanspruchnahme dieses Rechts beeinträchtigen könnten. Beispiele für solche Aktivitäten wären etwa die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen vom Zugang zu Wasser oder die Zerstörung der Versorgungsinfrastruktur während militärischer Auseinandersetzungen. Duty to protect: Diese Verpflichtung umfasst die Aufforderung an die Staaten dafür Sorge zu tragen, dass dritte Parteien durch bestimmte Maßnahmen und Aktivitäten die Inanspruchnahme des Menschenrechts auf Wasser nicht beeinträchtigen. Dies erfordert u.a. die Regulierung von Wasserentnahmen oder von Schadstoffeinleitungen, aber auch der Zugangsbedingungen zu den Infrastruktureinrichtungen. Duty to fulfil: Diese Verpflichtung fordert von den Staaten und seinen Institutionen alle Maßnahmen zu ergreifen und Initiativen durchzusetzen, um eine vollständige Realisierung des Menschenrechts auf Wasser zu ermöglichen. Dies bedeutet u.a. die Implementierung des Menschenrechts auf Wasser in relevanten nationalen Rechtssystemen sowie die Entwicklung und Umsetzung einer nationalen Wasserstrategie und eines konkreten Maßnahmenprogramms. Neben diesen staatlichen Verpflichtungen ergeben sich aus dem Menschenrecht auf Wasser aber auch bestimmte Anforderungen an die Verbraucher. Sie sind u.a. verpflichtet, die von den Unternehmen ausgegebenen Regelungen der Ver- und Entsorgung zu respektieren und für die Bereitstellung der Ver- und Entsorgungsleistungen entsprechend zu zahlen, sofern sie dazu in der Lage sind. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Realisierung des Menschenrechts auf Wasser zählen u.a. die Existenz effektiv arbeitender staatlicher Institutionen und ein entsprechendes Rechtsystem, ein ausgebautes Informationsund Bildungssystem sowie Partizipations- und Dialogsysteme, in die alle relevanten Interessengruppen eingebunden sind. Als von entscheidender Bedeutung ___________ 30 Der General Comment No 15 (United Nations, Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights 2002) formuliert in diesem Zusammenhang einige „core obligations“ und fordert, dass in den Fällen, in denen Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sie darlegen müssen, dass ihnen dies nicht möglich war, d. h. die Zielverfehlung nicht das Resultat eines fehlenden staatlichen Engagements war. Diese Anforderungen ist insofern berechtigt, da – wie das World Economic Forum 2009 knapp aber eindeutig feststellt: „Political desire to meet the MDGs for water and sanitation is low“.
Wasser zwischen Wirtschaftsgut und Menschenrecht
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erweisen sich die Entwicklung und Umsetzung von Mechanismen, über die eine gerechte Verteilung der Kosten der Ver- und Entsorgung unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen Ausgangslagen und die Finanzierung gewährleistet werden kann: „Water has been described as a ‘gift from God’ – but somebody has to put the pipes in the ground, maintain the pumps and purify the water.“31
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint vor allem auch die kritische Überprüfung der gegenwärtig praktizierten Formen der Quersubventionierung dringlich.
III. Menschenrecht auf Wasser: Einige Missverständnisse Die Bestimmung des Zugangs zu Wasser als einem Menschenrecht ist in der Literatur mit einer ganzen Reihe von Forderungen in Verbindung gebracht worden, die eher zu Missverständnissen Anlass geben.32 –
Das Menschenrecht auf Wasser bezieht sich ausschließlich auf den Zugang zu den Wasserversorgungsdienstleistungen und ist nicht – wie bereits oben stehend ausgeführt – mit dem Zugang zu Wasserressourcen bzw. der Gewährung von Wasserechten zu verwechseln.
–
Das Menschenrecht auf den Zugang zu Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsdienstleistungen bedeutet nicht, dass dieser Zugang kostenlos sein muss. Der Zugang muss erschwinglich sein, das heißt, dass Nutzer, die in der Lage sind zu zahlen, auch einen entsprechenden Preis zu entrichten haben. Eine bestimmte Basismenge an Wasser kann für besonders arme Bevölkerungsschichten zu niedrigen Tarifen oder sogar kostenlos bereitgestellt und etwa über einen Sozialfond finanziert werden. Der Subventionsbedarf kann reduziert werden, in dem bspw. low-cost-Technologien, adäquate Tarifstrukturen oder auch flexible Zahlungsmodalitäten eingesetzt werden.
–
Ein Menschenrecht auf Wasser bedeutet nicht, dass jedes Haus unmittelbar und direkt an ein zentrales Ver- und Entsorgungsnetz angeschlossen sein muss, vor allem dann nicht, wenn sich dies aus finanzieller Sicht als nicht tragfähig herausstellt. Fehlen die notwendigen finanziellen Ressourcen, dann muss das Recht auf Wasser- und Abwasserdienstleistungen durch non-pipe systems gewährleistet werden (dezentrale Lösungen, wie Brun___________ 31
United Nations Development Programme (UNDP) 2006: S. 96. Vgl. Catherine Favre et al., A Human Rights Based Approach to Water and Sanitation, Briefing Paper Swiss Agency for Development and Cooperation. SDC September 2008. 32
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nen), wobei sichergestellt sein muss, dass diese Systeme sicher und in einem guten Zustand sind. –
Ein Menschenrecht auf Wasser bedeutet nicht, dass eine Regierung dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn es zu einer Verletzung dieser Rechte kommt, weil ausreichende Mittel nicht zur Verfügung stehen. Bei fehlenden Ressourcen kann eine Regierung das Recht stufenweise umsetzen. Die Regierung ist jedoch verpflichtet, konkrete Schritte in die Richtung vorzunehmen und zumindest bestimmte Kernanforderungen (Bsp. Nichtdiskriminierung) einzuhalten.
–
Ein Menschenrecht auf Wasser bedeutet nicht, dass der Staat die relevanten Dienstleistungen selbst bereitstellen muss. Er kann die Aufgaben an autonome staatliche Institutionen delegieren oder aber auch die Aufgabe an den privaten Sektor übergeben, aber: „… while remaining neutral as to the way in which water services are provided, the human rights framework nonetheless requires States to regulate and monitor private water providers and ensure that the private provision of water does not compromise equal, affordable and physically accessible water of a good quality. In particular, States must establish an effective regulatory system which includes independent monitoring, participation, and imposition of penalties in case of non-compliance. An implicit dimension of this duty to regulate is that privatization of water services should take place in conjunction with an effective regulatory framework“33
Die Privatisierung ist in der Debatte über die Wege zur Erreichung der Millennium Development Goals jedoch zu einem zentralen Thema avanciert, nämlich dadurch, dass das Menschenrecht auf Wasser als Gegenentwurf zum Wasser als Wirtschaftsgut gebracht wird. In einem bekannten Leitartikel der Public Library of Science PLoS Medicine 2009 werden mit Verweis auf Debatten auf dem Weltwasserforum in Istanbul drei Argumente für die Schaffung eines Menschenrechts auf Wasser vorgebracht: es soll einen Beitrag dazu leisten, die dramatischen gesundheitlichen Folgen einer mangelhaften Versorgung mit Wasser- und Abwasserdienstleistungen entschiedener zu begegnen, und dazu beitragen, das Augenmerk von Politik und Öffentlichkeit stärker auf die zukünftigen Gefahren für die Wasserwirtschaft zu lenken. Breiten Raum in der Argumentation für ein verbrieftes Menschenrecht aus Wasser nimmt aber dann der Hinweis ein, dass die Privatisierung der Wasserversorgung keineswegs die Bedingungen in den Entwicklungsländern verbessert hätte, sondern – und hier wird explizit Bezug auf die bekannte Globalisierungs- und Privatisierungskritikerin Maude Barlow genommen – eher zu einer Verschlechterung beigetragen habe, ___________ 33 The Institute for Human Rights and Business, Business, Human Rights & The Right to Water. Challenges, Dilemmas & Opportunities. Roundtable Consultative Report. Draft. January 2009, S. 18 f.
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„high water rates, cut-offs to the poor, reduced services, broken promises and pollution have been the legacy of privatization.“34
Nach der Einschätzung von Barlow ist das Problem nicht allein darin zu sehen, dass nun die Versorgung in den Händen privater Unternehmen liegt, sondern dass sich auch die politische Kontolle verschoben hat: „The fact that water is not an acknowledged human right has allowed decisionmaking over water policy to shift from the UN and governments toward institutions and organizations that favour the private water companies and the commodification of water.“
Andererseits aber sehen auch die Organisationen, die eher zu den Skeptikern einer Privatisierung zählen, dann eine Perspektive für private Unternehmen, wenn eine entsprechende Regulierung realisiert werden kann. 35
IV. Die Privatisierung der Wasserwirtschaft Der Umsetzungsplan des Johannesburg-Gipfels geht insgesamt von einem starken Engagement des Privatkapitals aus; mit Blick auf „Wasser als Menschenrecht“ bleiben die Beschlüsse jedoch rechtsunverbindlich, sie bezeichnen Wasser lediglich als ein menschliches Bedürfnis, um so den Tatbestand des Menschenrechts zu umgehen.36 Die Verknüpfungen von Wasser in die unterschiedlichen Sektoren hinein thematisiert zu haben, ist jedoch das große Verdienst dieser Millennium Development Goals, weniger der in ihnen zum Ausdruck kommende Glaube an die Problemlösungskraft der Privatisierung.
___________ 34 Maude Barlow, A UN convention on the right to water. Food & Water Watch 2006. Barlow ist u.a. Mitbegründerin der globalen Initiative „The Blue Planet Project“, die das Ziel water justice verfolgt: „Water justice is based on the right to water and on the principles that water is a public trust and part of the global commons“, siehe: http://www.blueplanetproject.net. 35 Es ist daher nur folgerichtig, dass sich die Globalisierungskritiker die Entwicklung mit Sorge betrachten, dass sich die ihrer Meinung nach Privatisierungsbefürworter und ihrer Organisationen sich offensiv dem Themas „Menschenrecht auf Wasser“ angenommen haben; siehe etwa Oliver Hoedeman/Nami Yamamoto, The Tide Turns – But Pro-Privatisation Currents Remain Strong. Observations on the World Water Forum in Mexico City By, CEO/TNI Water Justice Project [1], May 2006. 36 Jürg Kraehenbuehl/Oliver Johner, OECD Infrastructure and Poverty Reduction Task Team: Water Infrastructure for Poverty Reduction. Final Report. Commissioned by Swiss State Secretariat for Economic Affairs (seco), Zurich, 22. November 2004, S. 3; Christopher Willoughby, Infrastructure and the Millennium Development Goals. Session on Complementarity of Infrastructure for Achieving the MDGs, Berlin, 27. Oct 2004.
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1. Privatisierungen: Ansätze und Modelle Unter business as usual-Annahmen werden die Millenniumziele nicht erreicht werden können. Die Zielvorgaben für den Abwasserbereich werden nach vorliegenden Prognosen um über 700 Mill. Menschen verfehlt werden; die Ziele werden in insgesamt 74 Länder weltweit nicht erreicht werden. In den afrikanischen Ländern der Subsahara-Region würden unter status quo Bedingungen die MD- Ziele in der Wasserversorgung erst im Jahre 2040 und die in der Abwasserentsorgung im Jahr 2076 erreicht werden können!37 Bei den Zahlen zum Anschlussgrad an die Wasserversorguung und die Abwasserentsorgung ist daneben einerseits mitzuberücksichtigen, dass sich innerhalb der Länder die Fortschritte vor allem auf die urbanen Räume beschränken, andererseits, dass im internationalen Kontext die Entwicklungen vor allem durch China mitgeprägt werden.38 Es erscheint auf jeden Fall sinnvoll, sich vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen eingehender mit den Motiven und Konzepten für die Privatisierung der Wasserversorgung zu befassen. Die Kritik am vorhandenen Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssystem in den Entwicklungsländern fällt dabei relativ eindeutig aus: die Unternehmen sind in der Regel wenig leistungsfähig, sie weisen ein hohes Maß an Ineffizienz auf, zu viele Beschäftigte und zu hohe Wasserverluste sind nur einige Hinweise. Sowohl die Trinkwasserqualität als auch die Versorgungssicherheit sind unzureichend, Unterbrechungen der Wasserversorgung sind Normalität. Als ein gravierendes Problem erweist sich jedoch die Tatsache, dass die erhobenen Gebühren nicht einmal die Betriebskosten des Systems decken, geschweige denn einen Beitrag zur Finanzierung notwendiger Sanierungs- oder Erweiterungsinvestitionen leisten. Ob eine Privatisierung eine angemessene Lösung dieser offenkundigen Probleme darstellen kann, ist vor dem Hintergrund der spezifischen Strukturen des Wassersektors zu prüfen. Die Wasserversorgung gilt ökonomisch gesehen als ein klassisches natürliches Monopol mit Merkmalen wie Subadditivität in den Kostenfunktionen, economies of scale und sunk costs.39 Unterirdisch verlegte Rohrleitungen und ___________ 37
Siehe World Economic Forum 2009; Economic Commission for Africa et al., Assessing Progress in Africa toward the Millennium Development Goals. MDG Report 2009; François Bourguignon et al., Millennium Development Goals at Midpoint: Where Do We Stand and Where Do We Need to Go? Study for the DG Development of the European Commission as a background paper for the 2009 European Report on Development, Paris, October 2008. 38 Siehe OECD 2009, S. 7. 39 Vgl. Winkler, Wettbewerb für den deutschen Trinkwassermarkt: Vom freiwilligen Benchmarking zur disaggregierten Regulierung, Baden-Baden 2005.
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Kanäle machen als Fixkosten den größten Anteil an den Systemkosten aus. Die Anlagen zeichnen sich zudem durch lange Lebensdauern aus. Wirtschaftlich macht es daher wenig Sinn, in einem bestimmten Versorgungsgebiet mehrere Leitungen unterschiedlicher Unternehmen parallel zu verlegen. Daraus folgt, dass in der Regel ein einziges Unternehmen den Markt kostengünstiger versorgen kann als jede größere Anzahl von Unternehmen. Die Wasserversorgung ist weltweit traditionell daher von öffentlichen Monopolunternehmen sichergestellt worden. Der Staat oder in vielen Ländern die Kommunen können somit unmittelbar über ihre Eigentümerfunktion Einfluss auf die Leistungserstellung nehmen und die öffentlichen Interessen bei der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sichern. Dieses Infrastrukturmodell, das nicht nur in der Wasserversorgung sondern auch in anderen netzgebundenen Sektoren galt, ist nachhaltig unter Druck geraten. Privatisierung und Liberalisierung im Energie-, Telekommunikations- oder im Verkehrssektor sind beredte Beispiele dafür. Die spezifischen Merkmale des Wassersektors lassen nun aber nur eine beschränkte Auswahl von Privatisierungsmodellen realisierbar erscheinen.40 Eine Liberalisierung im Sinne eines Wettbewerbs „im“ Markt scheidet in der Wasserversorgung faktisch aus. Bedeuten würde dies, dass der Endkunde zwischen unterschiedlichen Anbietern wählen kann. In ein gemeinsames Netz müssten entweder unterschiedliche Wasserversorger einleiten, um jeweils ihre Kunden versorgen zu können oder die Versorger würden versuchen über unterschiedliche Netze die Endverbraucher zu erreichen. Die Durchleitungsvariante ist wassertechnisch und wasserhygienisch problematisch, der Bau von Parallel-Leitungen scheitert aus ökonomischen Gründen. Anders sieht es bei einem Wettbewerb „um“ den Markt aus. Hierbei werden bestimmte Leistungen wie Wartung, Service, Förderung und Bereitstellung von Wasser an private Dritte delegiert. Ein anderer Fall ist die (organisationelle) Betreiberschaft; hier geht es nicht nur darum, für den Betrieb der Versorgungsanlagen verantwortlich zu zeichnen, sondern für einen bestimmten Zeitraum auch für die Finanzierung von Investitionen verantwortlich zu sein. Mit einer solchen Lösung sind dann nicht nur Gewinnerwartungen ___________ 40
Die Privatisierung der Wasserversorgung umfasst in erster Linie die Privatisierung der Versorgungsdienstleistung und nicht der Wasserressourcen selbst. Sie unterliegen in aller Regel einer öffentlichen Bewirtschaftung, Entnahme- oder allgemeiner Nutzungsrechte werden den öffentlichen und privaten Versorgungsunternehmen für bestimmte Zeiträume und unter Auflagen von den staatlichen Agenturen zugewiesen. Die Schaffung von Wassermärkten, auf denen Wasserrechte gehandelt werden, wird sehr kontrovers diskutiert, die Marktlösungen sollen zu einer effizienteren Nutzung von Wasserressourcen einen Beitrag zu leisten, diese institutionellen Lösungen sind jedoch keine Voraussetzung für eine Privatisierung der auf die Nutzung von Wasserressourcen aufbauenden Versorgungsdienstleistung; siehe auch Simone Malz/Ulrich Scheele, Handelbare Wasserrechte: Stand der internationalen Debatte, netWork Papers Nr. 16, Berlin 2005.
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verbunden, der private Betreiber übernimmt auch ein höheres finanzielles Risiko. Davon zu unterscheiden ist die materielle Privatisierung, bei der es um den Erwerb von materiellem Eigentum an der Infrastruktur geht.
2. Stand der Privatisierung in der Wasserwirtschaft Die Weltbank bietet mit ihrer „Private Participation in Infrastructure Database“ eine Informationsplattform an, auf der umfassende Informationen zur regionalen und sektoralen Verteilung unterschiedlicher Formen der privaten Beteiligung in den Infrastruktursektoren verfügbar sind. Die Datenbank liefert daneben zahlreiche Hintergrundinformationen zu allen Aspekten der Privatisierung von Infrastruktur in den Entwicklungsländern. 18
New
Investment commitments (2008 US$ billions)
projects
80
Manila a a 15
90
concessions
70 12
60 J h Johor Chilean concession
9
50
privatizations Buenos Aires
40
concession
Syabas
6
30
concession
Malaysia Indah 3
20
R i Sewerage Region S
10 0
0 1990
1995 Other investment commitments
2000 Large commitments
2005
2008
Projects
Source: Sou ce World o d Bank a a and d PPIAF,, PPI Project oject Database. atabase
Abbildung 1: Private participation in water in developing countries, 1990–2008
Die Zahl der Wasserprojekte mit privater Beteiligung bleibt trotz der großen Aufmerksamkeit, die das Thema in der öffentlichen Wahrnehmung einnimmt, eher gering. Zwar ist die Zahl der Vorhaben seit Beginn der 1990er Jahren angestiegen, die Entwicklung war jedoch keineswegs gleichmäßig und wurde vor allem immer wieder durch einige größere Vertragsabschlüsse geprägt. Auffällig ist die starke regionale Konzentration der Projekte. Während der Anteil Chinas sprunghaft angestiegen ist, bleibt sowohl die Zahl der Projekte als auch die Höhe der Investitionen gerade in den ärmsten Entwicklungsländern über die Jahre hinweg gering. Im Hinblick auf die sektorale Verteilung sind vor allem die Investitionen in die Versorgungssysteme d. h. in die Netzinfrastrukturen stark zurückgegangen. Private Beteiligungen konzentrieren sich daher vermehrt
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auf eher risikoärmere Anlagen wie den Bau und Betrieb von Wasserwerken oder Kläranlagen.41 Die veränderten Formen der privaten Beteiligung betreffen vor allem die Rolle der traditionellen internationalen Global Player. Sie steigen zunehmend in eher kurzfristige Kontrakte ein, die häufig nur mit geringen Investitionsauflagen versehen sind und in Kooperation mit vorhandenen lokalen Partnern realisiert werden können. Während noch zwischen 1990 und 1997 über 53 % der Kontrakte im Wasserbereich auf fünf große internationale Konzerne entfielen, ist ihr Anteil deutlich zurückgegangen; neue „private“ Akteure treten auf den Markt und es sind neue hybride Kontraktformen entstanden.42 90
New p projects j
80 70 60 50 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Low income
China
Other lower middle income
Upper middle income
Abbildung 2: Water projects with private participation in developing countries by country income group, 1990–2008
Im Jahr 2008 war die private sector participation erstmalig von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen. Die Zahl der neuen Projekte fiel um über 20 % gegenüber 2007, die Investitionsverpflichtungen um über 12 %. Die Zahl der Entwicklungsländer, die im Jahre 2008 neue private Wasserprojekte umsetzten, wies den geringsten Stand seit 1995 auf. Insgesamt setzten nur neun ___________ 41 Siehe Private Participation in Infrastructure (PPI) Project Database; http://ppi. worldbank.org/index.aspx. 42 Siehe Philippe Marin, Public-Private Partnerships for Urban Water Utilities. A Review of Experiences in Developing Countries, The International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank TRENDS AND POLICY OPTIONS No. 8, Washington 2009; auch OECD 2009a.
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Länder Projekte um, wobei allein auf China rd. 71 % der neuen Projekte und 31 % der Investitionen entfielen.43
V. Privatisierung der Wasserwirtschaft: Der Fall Cochabamba 1. Hintergründe Die Wasserversorgung in der drittgrößten bolivianischen Stadt Cochabamba gilt als Paradebeispiel für ein gescheitertes Privatisierungsmodell.44 Das Projekt ist zum „Mantra“ von Gruppierungen und Organisationen weltweit geworden, die sich gegen eine Privatisierung der Wasserversorgung engagieren. Nach der Niederschlagung der Proteste ist der Fall unter dem Begriff der Wasserkriege in die Literatur eingegangen. Die Antiprivatisierungsbewegung hebt Cochabamba als das klassische Beispiel für das Wirken eines international operierenden Konzerns hervor, der mit Unterstützung von Weltbank und des Internationalen Währungsfonds seine Renditen auf Kosten der armen Bevölkerungsschichten sichert und in diesem Fall sogar – nicht nur bildlich gesprochen – über Leichen geht. Die Frage stellt sich – auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand – ob dieses Beispiel auch tatsächlich die ihm zugedachte Funktion erfüllen kann. Es mehren sich in jüngster Zeit die Beiträge, die sich eher abwägend und differenzierter mit dem Fall Cochabamba und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die gesamte Privatisierungsdebatte auseinandersetzen. Deutlich wird dabei vor allem die Mehrdimensionalität der Problemlage und der Fehlentwicklungen, die letztlich zum Scheitern geführt haben. Die sich in diesem Zusammenhang ergebenden Schlussfolgerungen sind dabei grundsätzlich auch auf andere Beispiele aus Entwicklungs- und Schwellenländern übertragbar. Die wasserwirtschaftlichen Ausgangsbedingungen in der Region um Cochabamba waren nicht günstig. Sehr ungleichmäßig verteilte Niederschläge, feh___________ 43 World Bank, Private Participation in Infrastructure Database- Private activity in water supply declined in 2008, PPI data update note 23 June 2009. 44 Vgl. George R. G. Clarke/Katrina Kosec/Scott Wallsten, Has Private Participation in Water and Sewerage Improved Coverage? Empirical Evidence from Latin America. World Bank Policy Research Working Paper 3445, November 2004; David Hall/ Emanuell Lobina, Water privatisation in Latin America, 2002, Public Services International Research Unit (PSIRU), London 2002; Emanuell Lobina, Cochabamba – water war. Public Services International Research Unit (PSIRU), PSIRU reports, London 2000; Hans Huber Abendroth, Der „Wasserkrieg“ von Cochabamba: Zur Auseinandersetzung um die Privatisierung einer Wasserversorgung in Bolivien. Kammer für Arbeiter und Angestellte Informationen zur Umweltpolitik Nr. 161, Wien August 2004.
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lende Speicherkapazitäten und hohe Grundwasserentnahmen durch die Landwirtschaft trugen mit bei zu den Problemen der städtischen Wasserversorgung. Verschärft wurde die Situation durch das schnelle Bevölkerungswachstum insbesondere durch die Zuwanderung aus den ländlichen Regionen. Die Stadt hat in der Zwischenzeit rd. 700.000 Einwohner. Im Hinblick auf die Wasserversorgung konnte von einer zweigeteilten Stadt gesprochen werden. Lediglich die Industrie- und die wohlhabenden Wohnviertel waren an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen. Während in diesen privilegierten Stadtteilen nahezu alle Einwohner direkt versorgt wurden, waren Anfang der 1990er Jahre die ärmeren Vierteln im Süden der Stadt lediglich zu 4 % erschlossen. Die Trinkwasserversorgung fand hier größtenteils über Tankwagen statt; die Preise waren gemessen an den Tarifen der öffentlichen Versorgung und auch mit Blick auf das verfügbare Einkommen extrem hoch.45 Die Qualität des Wassers war zum Teil bedenklich, gesundheitliche Folgen waren keine Seltenheit. Das öffentliche Versorgungsunternehmen SEMAPA galt als ineffizient und stark korrumpiert. Über Jahrzehnte hinweg unzureichende Investitionen hatten mit dazu beigetragen, dass der Zustand der Infrastruktur sich dramatisch verschlechterte. Die Angaben zu Wasserverlustraten variieren, sie lagen aber jeweils deutlich über 40 %. Vor diesem Hintergrund sind die Pläne einer Privatisierung der Wasserversorgung zu sehen. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit der neoliberal ausgerichteten Politik von Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Inter-American Development Bank. Im Jahre 1997 erhielt Bolivien einen umfangreichen Kredit der Weltbank. Die Gewährung und später auch die Verlängerung der Kredite wurde u.a von weitreichenden strukturellen Reformen innerhalb des Landes abhängig gemacht. Zweckgebundene Mittel für die Wasserversorgung wurden nur unter der Bedingung einer Privatisierung der Wasserversorgung in den großen Städten Santa Crux, La Paz und Cochabamba bereitgestellt. Ein erster Versuch der Privatisierung der Wasserversorgung in Cochabamba scheiterte im Jahre 1997, nach dem das Oberste Verfassungsgerichts Boliviens gegen das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren Widerspruch eingelegt hatte. Auf Ablehnung war das Vorhaben aber auch auf der Seite der internationalen Geberorganisationen gestoßen, die sich vor allem aus Kostengründen gegen ein mit in das Verfahren integriertes Staudammprojekt aussprachen. ___________ 45
Während für Entnahmen aus dem öffentlichen Versorgungsnetz im Durchschnitt 0,60$/m3 bezahlt werden mussten, verlangten die Wasserhändler in den ärmeren Viertel zwischen 1,75 und 3,00 $/m3; siehe David Bonnardeaux, The Cochabamba „Water War“: An Anti-Privatisation Poster Child?, March 2009.
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Im Jahre 1999 wurde das Konzessionsverfahren wiederbelebt; es gab jedoch lediglich ein einziges Gebot des Konsortiums Aguas del Tunari. Dahinter verbarg sich ein Konsortium bestehend aus der International Water Ltd. (55 %), der Riverstar International (25 %) und vier bolivianischen Unternehmen.46 Die Verhandlungen mit dem Konsortium gestalteten sich sehr langwierig, im September 1999 konnte der Vertrag dann unterzeichnet werden. Es wurden von beiden Seiten Kompromisse eingegangen, wobei letztlich jedoch die Risikoverteilung eindeutig zugunsten des privaten Betreibers ausfiel. Der Konzessionsvertrag hatte insgesamt eine Laufzeit von 40 Jahren, alle Schulden des bisherigen öffentlichen Versorgers SEMAPA gingen auf das private Unternehmen über. Weitere Vorgaben bezogen sich auf die zu erreichenden Anschlussgrade an die Ver- und Entsorgungsnetze. Als Tarifstruktur wurde ein aus 9 Klassen bestehendes „increasing block tariffs“ System gewählt. Die Tarife sollten nach Vertragsabschluss vereinbarungsgemäß um 35 % angehoben werden, eine weitere Anpassung um 20 % sollte in Abhängigkeit von den Fortschritten beim Aufbau der Versorgungssysteme erfolgen. Die Tariferhöhungen wurden als notwendig angesehen, um eine Kostendeckung zu erreichen und den Ausbau des Infrastruktursystems zu gewährleisten. Besondere Brisanz erhielt der Vertrag jedoch durch die Tatsache, dass sich das Unternehmen eine bestimmte Gewinnspanne vertraglich zusichern ließ. Eine rückläufige Wassernachfrage würde den Betreiber nicht betreffen, da ihm im Vertrag eine rate of return (ROR) zwischen 15–17 % garantiert wurde. Der Vertrag konnte jeweils nachverhandelt werden, um entsprechende Anpassungen bei den Tarifen vornehmen zu können. Auch das Wechselkursrisiko entfiel, da der Konzessionsvertrag auf US Dollar-Basis abgerechnet wurde.47 Ein ganz wichtiger Bestandteil des Vertragswerkes war jedoch die Regelung, wonach sämtliche Rechte an den regionalen Wasservorkommen für die Laufzeit des Vertrages auf den Konzessionsnehmer übergehen. Alle Wasserkooperativen und die Nutzer eigener Brunnen im ländlichen Umfeld der Stadt würden damit außerhalb des Gesetzes stehen, sollten sie ihre Brunnen weiterbetreiben. ___________ 46
Die International Water Ltd. war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der amerikanischen Bechtel Corporation. Bechtel gilt als eines der weltweiten größten Baukonzerne und wird immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. In der Vergangenheit wurde stets auch die besondere Nähe des Unternehmens zur amerikanischen Politik vor allem unter den Regierungen Reagan und Bush kritisiert. 47 Die Informationspolitik des Unternehmens selbst war völlig unzureichend, so weigerte es sich bspw. die Grundlagen für die Preispolitik offen zu legen. Aber auch die Kommune als Auftraggeber tat selbst kaum etwas dafür, die Bevölkerung entsprechend über Inhalt und potenzielle Auswirkungen in Kenntnis zu setzen.
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Es bestand damit zumindest formal die Gefahr einer Enteignung oder der Verpflichtung zum Einbau von Wasserverbrauchszählern. Unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung wurden die Tarife dann wie absehbar um 35 % angehoben; aufgrund des speziellen Tarifsystems fielen die Steigerungsraten für die ärmeren Bevölkerungsschichten nicht so hoch aus. Dennoch erreichten die Wasserrechnungen eine unter sozialpolitischen Gesichtspunkten problematische Größenordnung am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte.48 Es kam daher zu massiven Protesten in der Öffentlichkeit; die Demonstrationen wurden durch den Einsatz von Polizei- und Militäreinheiten niedergeschlagen. Es gab mehrere Tote und viele Verletzte. Der öffentliche Widerstand war jedoch insgesamt so groß, dass sich die zuständige Wasserbehörde gezwungen sah, die Tariferhöhungen zurückzunehmen. Bereits im April 2000 wurde der Vertrag mit der AdT aufgehoben und die Anlagen und der Versorgungsauftrag wieder an das Unternehmen SEMAPA übertragen.
2. Das Scheitern des Projekts: eine kritische Bewertung Das Projekt ist in der Tat gescheitert, die Gründe sind jedoch vielschichtig. Sie sind nicht ausschließlich dem privaten Konsortium, der Weltbank oder allein der Privatisierung per se anzulasten. Viele Gründe, die mit zum Scheitern beitrugen, sind von der Anti-Privatisierungskampagne jedoch – wenn überhaupt – nur am Rande thematisiert worden. Wasser ist überall mit einem hohen emotionalen Wert verknüpft, die Privatisierung dieses Sektors ist daher in allen Ländern umstritten. In den südamerikanischen Staaten, die in den 1990er Jahren zum bevorzugten Feld der Liberalisierungs- und Privatisierungsbefürworter der internationalen Finanzgeber wurden, waren daher antiwestliche und Privatisierungs- Ressentiments stark verbreitet.49 In Bolivien kam hinzu, dass vor allem im Zuge des durch die ___________ 48 Die Angaben zu der Größenordnung der Tarifanhebungen und des Anstiegs der Wasserrechnungen sind in der Literatur sehr unterschiedlich. Der Hinweis darauf, dass steigende Wasserrechnungen auch die Folge eines höheren Wasserverbrauchs infolge verbesserter Versorgungsbedingungen sein können, ist in vielen Privatisierungsfällen sicherlich richtig; angesichts der nur kurzen Laufzeit des Konzessionsvertrags in Cochabamba dürfte diese Argumentation hier jedoch kaum greifen. 49 Vgl. Food & Water Watch, Dried Up, Sold Out: How the World Bank’s Push for Private Water Harms the Poor, Washington D.C. March 2009; siehe auch Thomas Fritz, Schleichende Privatisierung. Kritik der deutschen und internationalen Entwicklungshilfe im Wassersektor. Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika – FDCL. Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung – BLUE 21 April 2006 mit kritischen Verweisen auf die Rolle der deutschen Entwicklungspolitik.
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US-Regierung mit propagierten Verbots des Koka-Anbaus viele Bewohner der ländlichen Räume ihrer ökonomischen Lebensgrundlagen beraubt wurden, in die Städte wie Cochabamba zogen und dort die sozialen Probleme verschärften. Die Bedingungen, unter denen eine Privatisierung der Wasserversorgung unter amerikanischen Einfluss stattfindet, sind also denkbar ungünstig. Der massive Protest gegen die Privatisierung wird jedoch nicht allein von der Stadtbevölkerung getragen, eine ganz wesentliche Rolle in der Protestbewegung spielt der neu gegründete Verband der kleinen und mittelgroßen Bauern, die sich vor allem gegen den Verlust ihrer Wasserrechte wenden.50 Das Unternehmen AdT gilt zwar weithin als amerikanisch, die am Konsortium beteiligten bolivianischen Unternehmen hauptsächlich aus der Bauindustrie konnten vor allem in der Verhandlungsphase ihre Machtpositionen ausspielen und ihre Interessen durchsetzen. Ein Vertreter der World Bank nannte den Fall Cochabamba ein „forecasted failure“ und verweist dabei ganz ausdrücklich auf das Problem der Korruption auf der kommunalen Ebene und der engen Verflechtung mit dem privaten Sektor.51 Als mitentscheidend hat sich in allen Phasen jedoch der Umstand erwiesen, dass es kaum eine handlungsfähige und kompetente Regulierung gegeben hat. Zwar wurde mit dem neuen Wassergesetz eine entsprechende Institution gegründet, ihr wurden jedoch kaum finanzielle und personelle Ressourcen zugestanden. So hatte u. a. der Regulierer bereits ein Jahr vor Unterzeichnung der Konzession dem öffentlichen Unternehmen SEMAPA eine fast 20-prozentige Tarifanhebung genehmigt; damit sollten u. a. die Privatisierungsvoraussetzungen verbessert werden, gleichzeitig aber auch die als notwenig erachteten Tarifanhebungen zeitlich verteilt werden. Die Regulierungsbehörde konnte jedoch weder diese Vorgaben durchsetzen, noch verfügte sie über die übersprechende Macht, um in das Vergabeverfahren bzw. in den sich abzeichnenden Konflikt eingreifen zu können. Die Auflösung des Konzessionsvertrags mit dem privaten Betreiber wurde nicht nur in Bolivien begrüßt; ein Blick auf die heutige Versorgungssituation in der Stadt Cochabamba ist jedoch ernüchternd.52 Zwar konnte sich Aguas del Tunari nach Auflösung des Vertrags mit der Forderung nach Schadensersatzan___________ 50 Dieser Teil des Wassergesetzes war jedoch zum Zeitpunkt der Privatisierung noch gar nicht in Kraft. Im Übrigen begann der Widerstand bereits vor der Privatisierung, als die Stadt Cochabamba mit dem Bau neuer Tiefbrunnen im Umland begann. 51 Menahem Libhabeber, Cochabamba: Concession of the Water and Sewerage Services. A Forecasted Failure, Prepared by for the Water Sector Board BBL December 19. 2001. 52 Thomas Guthmann, Das blaue Wunder von Cochabamba, in: Lateinamerika Nachrichten Ausgabe 406, April 2008.
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sprüchen nicht durchsetzen,53 die Auseinandersetzungen zwischen den internationalen Anteilseignern und der bolivianischen Regierung vor dem ICSID – International Centre for Settlement of Investment Disputes endeten 2006 mit einer Art Vergleich: „The Government of Bolivia and the international shareholders of Aguas del Tunari declare that the concession was terminated only because of the civil unrest and the state of emergency and not because of any act done or not done by the international shareholders of Aguas del Tunari (Bechtel, Befesa, Abengoa and Edison)“ and that there would be „no compensation paid by the Government of Bolivia or Aguas del Tunari for the termination of the concession and the withdrawal of the claim [before the ICSID].“54
Auf der anderen Seite bleibt jedoch festzuhalten, dass bislang kaum eines der zentralen Probleme in der Wasserversorgung gelöst worden ist. Nach wie vor sind weite Teile der Stadt nicht an die Trinkwasserversorgung angeschlossen. Ein Fünftel der Stadtbevölkerung wird immer noch über Tankwagen versorgt. Der Widerstand gegen die Privatisierung des Unternehmens, der noch alle Interessen einigte, bröckelte schnell. Immer offenkundiger traten wieder die Partikularinteressen in den Vordergrund. Vor allem die bereits an die Wasserversorgung angeschlossenen Bewohner der wohlhabenden Viertel verloren ihr Interesse am Thema: Die FEDECOR als Interessenvertreter der Bauern konnte die Wasserrechte sichern und lediglich die Bewohner der ärmeren Viertel blieben außen vor. Nach der Rekommunalisierung der Wasserversorgung war in die neue Struktur des Unternehmens eine verstärkte Bürgerbeteiligung verankert worden. Zum Vorstand des Unternehmens zählen nun von der Bevölkerung gewählte BürgerdirektorInnen. Eine effektive und transparente Unternehmenspolitik konnte jedoch auch dadurch nicht erreicht werden; die alten kommunalen Eliten haben sich längst wieder etabliert. Die Beteiligung an den Wahlen für die BürgerdirektorInnen lag zuletzt bei unter 5 %. Forderungen nach Abschaffung dieses Modells und nach strikteren Vorgaben für den Vorstand sind daher bereits laut geworden. Diese für das Versorgungsunternehmen SEMAPA nicht schmeichelhaften Bewertungen sind insofern nicht unwichtig, als auch gerade die Kritiker einer Privatisierung auf öffentliche Unternehmen als die Alternative verweisen: ___________ 53 Bechtel Cooperation, Cochabamba and the Aguas del Tunari Consortium, March 2005 siehe auch: http://www.democracyctr.org/bolivia/investigations/water/bechtel-vsbolivia.htm. 54 Aus einem Statement der Bechtel Cooperation, zitiert nach: Castan Centre for Human Rights Law, International Business Leaders Forum, and Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Human Rights Translated: A Business Reference Guide, Genf, 2008, S. 120.
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„Der Verbleib der Wasserversorgung in öffentlicher Hand sichert nicht nur eine Versorgung für alle. Erleichtert wird auch ein umfassendes Wassermanagement, also die Abstimmung zwischen Versorger, Behörden und Umweltschutz. Einigermaßen demokratische Verhältnisse vorausgesetzt sind öffentliche Unternehmen auch besser zu kontrollieren als global operierende Konzerne, und da sie sich nicht am »shareholder value« orientieren müssen, können sie auch kostengünstiger sein. Schließlich würden starke, wirtschaftlich effiziente öffentliche Versorger die Konkurrenz beleben und ein echtes Gegengewicht zur Vorherrschaft der globalen Wasserkonzerne darstellen.“55
Eindeutiger dagegen die Feststellung von Conant in einer aktuellen Bestandsaufnahme „SEMAPA continues to suffer from all of the problems that plague public utilities throughout the developing world: unmanageable debt, leakage and infamously poor service. Local researchers now say that, if SEMAPA serves as a model for anything, it’s a model of what can go wrong in public water management.“56
Der weitere Ausbau der Versorgung erscheint zurzeit völlig unklar; dabei spielen hier nicht nur finanzielle oder organisatorische Aspekte eine Rolle. Da bisher kein umfassendes Konzept einer nachhaltigen Wasserbewirtschaftung in der Region entwickelt wurde, bleibt auch unklar, woher das benötigte Wasser überhaupt kommen soll. Wenn in einer Beteiligung privaten Kapitals und privater Unternehmen an der Wasserversorgung zumindest eine Option gesehen werden muss, dann war der erfolgreiche Widerstand gegen das Projekt Cochabamba möglicherweise sogar kontraproduktiv: Der Fall hat zumindest mit dazu beigetragen, dass sich private Investoren zurückgezogen haben und dies auch aus den Regionen, in denen technische Unterstützung und Investitionen dringender den je notwendig sind.
VI. Regulierung als entscheidendes Element einer Privatisierungsstrategie 1. Offene Fragen und erste Ergebnisse Die Privatisierung der Wasserversorgung in der Stadt Cochabamba wurde nicht über eine materielle Privatisierung abgewickelt, sondern über einen langfristigen Konzessionsvertrag. Weltweit bilden unterschiedliche Konzessionsmodelle den eigentlichen Schwerpunkt bei der Privatisierung. Dabei werden die zu vergebenden Leistungen in einem wettbewerblichen Verfahren ausgeschrie___________ 55 Uwe Hoering, Globale Versorgungskonzerne greifen nach dem Wasser, Es winken sprudelnde Gewinne. Eine Studie aus dem weed 2006. 56 Jeff Conant, Defeating the Multinationals Is Just the Start of the Problem for AntiGlobalization Movements, AlterNet January 9, 2009.
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ben. Das Unternehmen erhält danach den Zuschlag, das für die Vertragslaufzeit die günstigen Bedingungen garantieren kann. Nach Ablauf der Konzession wird der Vertrag erneut ausgeschrieben. So nachvollziehbar dieser Ansatz sein mag, so vielfältig sind in der Praxis jedoch die Umsetzungsprobleme und im Detail zu klärende Fragen: Was soll ausgeschrieben werden, nur der Betrieb der Anlagen oder die gesamte Leistungsvergabe inklusive der Verpflichtung, entsprechende Investitionen in die Anlagen und Netze zu tätigen? Damit eng verknüpft ist die Frage nach der Laufzeit der Verträge. Je kürzer die Laufzeit der Verträge, umso intensiver ist die Wettbewerbsintensität, da häufiger ausgeschrieben werden muss. Längere Laufzeiten sind jedoch immer dann erforderlich, wenn den privaten Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden muss, ihre getätigten Investitionen zu refinanzieren. Welche über die eigentlichen Versorgungs- bzw. Entsorgungsaufgaben hinausgehenden Leistungen können, oder dürfen in den Verträgen geregelt werden? Wie konkret dürfen diese Vorgaben sein, um den Handlungsspielraum der privaten Unternehmen nicht über Gebühr einzuschränken? Wie lassen sich die in den Konzessionsverträgen vorgegebenen Qualitätsstandards sichern und wer ist für die Kontrolle zuständig? Entscheidender Bestandteil eines Konzessionsvertrags ist jedoch die Preisund Tarifgestaltung. Theoretisch wird das Unternehmen die Wasserkonzession zugeteilt bekommen, das die günstigen Wasserpreise in seinem Angebot benennen kann. Bei der sehr langen Vertragslaufzeit sind aber gleichzeitig Vereinbarungen notwendig, die eine Anpassung der Wassertarife an sich verändernde Rahmenbedingungen regeln. Oft sind die Preise an den Index bestimmter Kosten verknüpft oder dürfen entsprechend den Investitionsverpflichtungen angepasst werden. Geklärt sein muss andererseits auch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine Nachverhandlung des Vertrags möglich ist. Werden Verträge zu oft nachverhandelt, wird das grundsätzliche Prinzip dieses Wettbewerbsmodells jedoch infrage gestellt. Die bisherigen Erfahrungen mit den Konzessionsmodellen – nicht nur – in den Entwicklungsländern sind eher zwiespältig:57 ___________ 57 Harry M Trebing/Sarah P. Voll, Infrastructure Deregulation and Privatization in Industrialized and Emerging Economies, in: Journal of Economic Issues, Vol. XL (2006), No. 2, S. 1–9; Ionnis Kessides, Infrastructure Privatization: Gone Too Far? Or Too Early to Tell?. Privatization Barometer: The PB Newsletter, Issue No. 3, 2005, S. 21–31; Peter H. Gleick, The Millennium Development Goals for Water: Crucial Objectives, Inadequate Commitments, in: Peter H. Gleick, (Ed.) The World’s Water 2004–2005. The Biennial Report on Freshwater Resources, Ecosystem Studies 2005, S. 1–15.
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Konzessionen werden häufig nicht in einem Wettbewerbsverfahren vergeben; zwar spielt dabei Korruption eine nicht ganz unwesentliche Rolle, oft ist dies aber einfach darin begründet, dass es keine ausreichende Zahl von Bewerbern gibt. Konzessionsverträge sind nicht ausreichend konkretisiert; dies lässt vor allem den Unternehmen große Spielräume bei der Vertragsauslegung. Regulierungsinstitutionen verfügen oft nicht über die erforderlichen Kompetenzen und Kapazitäten, um Auflagen gegenüber Unternehmen wirkungsvoll durchzusetzen.58 Das Verhältnis zwischen Unternehmen und staatlichen Aufsichtsbehörden ist häufig durch Informationsasymmetrien zulasten der staatlichen Institutionen geprägt. Die Kontrolleinrichtungen verfügen nicht über die erforderlichen Informationen, um die Einhaltung der Verträge zu gewährleisten; erschwerend kommt hinzu, dass Unternehmen oft wenig Interesse zeigen, ihren Informationsverpflichtungen nachzukommen. Verträge werden zu oft nachverhandelt; der entsprechende Druck geht nicht nur von den Unternehmen aus, sondern häufig auch von den Auftraggebern, die sich durch neue Verhandlungen eine Verbesserung der Vertragsbedingungen erhoffen.
2. Regulierungsanforderungen Analysiert man gescheiterte oder problematische Privatisierungsvorhaben, dann hatten die Probleme ganz häufig etwas mit der in den Verträgen geregelten Preispolitik zu tun.59 Die Anforderungen an die Tarifgestaltung sind in der Tat sehr komplex: Kostendeckung: die Tarife müssen so gesetzt sein, dass die Einnahmen auch die Kosten des Systems decken. Ökonomische Effizienz: Preise sind so zu setzen, dass von ihnen Signale für einen effizienten Umgang mit der Ressource ausgehen; Preise sollen die gesamten Kosten der Konsumentscheidung zum Ausdruck bringen. ___________ 58
Siehe Ole Pollem, Regulierungsbehörden für den Wassersektor in Low-Income Countries. Eine vergleichende Untersuchung der Regulierungsbehörden in Ghana, Sambia, Mosambik und Mali, Hamburg 2009. 59 Clive Harris/Kumar V. Pratap, What Drives Private Sector Exit from Infrastructure? An Analysis of the Cancellation of Private Infrastructure Projects. World Bank, Washington D.C. 2008; Clive Harris/John Hodges/Michael Schur/Padmesh Shukla, Infrastructure Projects. A Review of Canceled Private Projects, The World Bank, public policy for the private sector. Note no 252, January 2003.
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Gleichheit: Konsumenten mit vergleichbaren Merkmalen müssen gleichbehandelt werden. Soziale Aspekte: Wasser ist ärmeren Bevölkerungsschichten zu minimalen Kosten bereitzustellen. Die Umsetzung einer solchen Wasserpreispolitik stellt weltweit eine besondere Herausforderung dar, stößt aber vor allem in den ärmeren Ländern auf erhebliche Probleme. So sind etwa die technisch-institutionellen Voraussetzungen für die Erhebung sehr differenzierter Tarife nicht gegeben und nicht selten werden im Zuge der Privatisierung überhaupt erstmals Preise für die Bereitstellung von Wasserdienstleitungen erhoben. Die sozialen Folgen dieser Politik haben in zahlreichen Entwicklungs- und Schwellenländern den Widerstand massiv befördert und Projekte zum Scheitern gebracht. Eine sozialpolitisch motivierte Subventionierung der Wasserpreise ist als Strategie jedoch nicht ganz unproblematisch.60 Häufig bleiben z. B. die Befürworter einer solchen Politik auch die Antwort auf die Frage schuldig, woher die Finanzierungsmittel kommen sollen. Bedeutsamer erscheint in diesem Zusammenhang jedoch die Gefahr, durch eine Subventionierung bestehende soziale Ungleichgewichte eher noch zu verstärken. Von der Subventionierung profitieren nicht selten Bevölkerungsgruppen mit einem höheren Einkommen, die bereits an ein zentrales Netz angeschlossen sind, während die Bewohner nicht erschlossener Gebiete außen vor bleiben. Auch die Konsequenzen für die Versorgungsunternehmen selbst sind mit ins Kalkül einzubeziehen: Eine nicht kostendeckende Preispolitik wird ihnen zumindest langfristig auch die Möglichkeit nehmen, die für die Expansion und Sanierung des Versorgungssystems erforderlichen Investitionsmittel zu generieren. Gerade mit Blick auf die Wasserver- und die Abwasserentsorgung kommt es also darauf an, eine Balance zwischen privaten und öffentlichen Interessen, wie sie in den drei „E“ zum Ausdruck gebracht werden, organisiert werden kann: Efficiency, d. h. Produktion und Verteilung von Trinkwasser zu möglichst geringen Kosten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Qualität und Versorgungssicherheit. Equity, d. h. das Sicherstellen, dass alle Einwohner Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung zu erschwinglichen Preisen haben, und schließlich. Environmental Sustainability, d. h. Reduzierung der Umweltverschmutzung und Minimierung der Belastung für die Wasserressourcen. ___________ 60 Diana Mitlin, Beyond second best: The Whys, Hows and Wherefores of Water Subsidies. Centre on Regulation and Competition. Working Paper Series Paper No. 93, University of Manchester, February 2004.
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Diesen Ausgleich sicherzustellen, setzt die Existenz einer unabhängigen, mit entsprechenden Kompetenzen und Ressourcen ausgestatteten Regulierungsinstitution voraus. Dies ist jedoch nicht immer gewährleistet, zudem ist die Frage, ob die unter ganz anderen Bedingungen entwickelten Regulierungskonzepte und -instrumente unter den spezifischen Bedingungen der Entwicklungsländer überhaupt umsetzbar sind. Gerade auf dem Wassermarkt, auf dem große internationale Infrastrukturkonzerne und ihre Tochtergesellschaften eine zentrale Rolle spielen, können aber auch Formen der offenen Selbstregulierung und Selbstverpflichtungen etwa im Rahmen von „Corporate Social Responsibility“ zum Tragen kommen.61 Auffällig ist zurzeit eine deutliche Zurückhaltung bei privaten Investitionen in die Ver- und Entsorgungssysteme. So heißt es z. B. in einem OECD-Report, dass der Privatsektor primär dort einzubeziehen sei, wo Wettbewerb bereits existiert, so z. B. bei Konstruktions- und Ingenieursleistungen, bei Installationen und Betriebsführung. Es soll aber vermieden werden, dass Privatgesellschaften als Eigentümer natürlicher Monopole herangezogen werden. 62 Die OECD, die eigentlich eher zu den Befürwortern einer Privatisierung öffentlicher Leistungen gezählt wird, hat sich in jüngster Zeit mehrfach eher zurückhaltend geäußert. So habe sich vor allem die Hoffnung, über eine Privatisierungsstrategie zusätzliche Finanzmittel generieren zu können, weitgehend nicht erfüllt. Die Probleme mit der Privatisierung sind nach Auffassung der OECD in der Vergangenheit jedoch häufig nicht projektspezifisch gewesen, sondern waren weitgehend auf ein fehlendes Risikomanagement zurückzuführen, auf ein ungünstiges Investitionsumfeld und auf einen Mangel an Aufnahme- und Steuerungskapazitäten in den Empfängerländern. Die komplexen Problemstrukturen haben Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit und die Finanzierungsbedingungen des Sektors. Diese veränderte Problemlage hat auch Auswirkungen auf die strategische Positionierung der internationalen Organsitionen: der Fokus richtet sich zunehmend auf die Identifizierung der Rahmenbedingungen, unter denen langfristig eine sichere und nachhaltige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung aufgebaut werden kann, und dies unabhängig von der jeweiligen Eigentumsform.63 ___________ 61 Vgl. mit weiteren Verweisen: PricewaterhouseCoopers/oekom research AG, Corporate Responsibility bei Auslandsinvestitionen. Stand und Perspektiven des Managements von Auslandsinvestitionen unter sozialen und umweltbezogenen Gesichtspunkten, Juni 2009. 62 OECD – Development Cooperation Directorate, Guiding Principles on using infrastructure to reduce poverty. Task Team on Infrastructure for Poverty Reduction (InfraPoor), March 2006. 63 OECD, Private Sector Participation in Water Infrastructure: Checklist for Public Action, Paris 2009; siehe auch European Investment Bank; Evaluation of EIB financing of water and sanitation projects outside the European Union, Luxembourg, June 2009.
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3. Resultate zu „Wasser als Menschenrecht“ und „Wasser als Ware“ Als Ergebnis der bisherigen Privatisierungsdebatte kann festgehalten werden, dass die Polarisierung doch deutlich abgenommen hat und immer stärker die Regulationsanforderungen im Zuge der Privatisierung thematisiert werden. Dabei handelt es sich in der Regel um Fragen und Problemstellungen, die auch für öffentliche Unternehmen Bedeutung haben. Als wesentlich erweist sich auch die Notwendigkeit einer örtlichen Mitsprache bei Investitionsplanungen und bei der Ausgestaltung der Infrastruktur.64 Die stärker in den Blick genommenen lokal angepassten Lösungen umfassen zunehmend auch die Frage der Finanzierung unter Ausnutzung der lokalen und regionalen Kapitalmärkte.65 Zwar ist die klassische private Beteiligung nicht vollständig auf dem Rückzug, aber das Bild privater Finanzierung ist in der Zwischenzeit auch in dem Maße nuancierter geworden, in dem neue und in der Regel kleinere Anbieter von Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsdienstleistungen auf den Markt treten.66 Was bedeuten diese Entwicklungen nun mit Blick auf den Gegensatz „Wasser als Ware“ vs. „Wasser als Menschenrecht“? Festzuhalten bleibt, dass die Konstitution des Wassers als Menschenrecht zur Problemlösung der Wasserkrise unerlässlich ist. Der grundlegende Konflikt zwischen den beiden Positionen, der in den letzten Jahren viele internationale Wassertagungen nachhaltig geprägt hat, lässt sich jedoch weitgehend auflösen, wenn das Menschenrecht auf Wasser nicht als Gegensatz zu der ökonomischen Interpretation aufgefasst wird, sondern als ein zentraler, komplementärer Baustein zur Erreichung der Millennium-Ziele. Privatisierungsprogramme haben in der Zukunft stärker die mit ihnen verbundenen Regulationsanforderungen mit in Betracht zu ziehen; vor allem die Verteilungsaspekte und die sozialen Implikationen müssen stärker ___________ 64 Insbesondere die in ländlichen Räumen und den urbanen Randgebieten umgesetzten Ver- und Entsorgungsprojekte, die stärker auf dezentrale low-cost-Lösungen setzen, basieren ganz stark auf diesem partizipativen Ansatz; siehe Richard Schuen/Jonathan Parkinson/Andreas Knapp, Study for Financial and Economic Analysis of Ecological Sanitation in Sub-Saharan Africa. Water and Sanitation Program-Africa. The World Bank, Nairobi August 2009; Kamal Kar/Robert Chambers, Handbook on CommunityLed Total Sanitation. Prepared with the support of Plan International (UK) March 2008. Auch viele kirchliche Entwickungshilfeorganisationen haben sich hier besonders stark engagiert; siehe beispielhaft: http://www.misereor.de/themen/wasser.html. 65 Siehe Paul Van Hofwegen, Task Force on Financing Water For All. .Enhancing access to finance for local governments. Financing water for agriculture. World Water Council 2006. 66 Phillipe Marin/Ada Karina Izaguirre, Private participation in water. Toward a new generation of projects? GRIDLines Note No 14, September 2006; Bernard Portier, Privatization 2006: still alive! An IFC View: PSD Forum April 2006.
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berücksichtigt werden, und zwar bereits bei der Ausgestaltung der Privatisierungsmodelle und nicht erst über nachgeschaltete korrektive Maßnahmen. Dies wird vor allem Auswirkungen haben müssen auf die Frage der Preis- und Gebührenpolitik, der Ausgestaltung der Kontrakte, der Wahl der Techniksysteme und der Ausgestaltung der Regulierung. Die Hervorhebung eines Menschenrechts auf Wasser wird auch bedeuten, dass selbst dort, wo auf private Lösungen zurückgegriffen wird, auf eine öffentliche Finanzierung nicht verzichtet werden kann, um Mindeststandards und mit der Ver- und Entsorgung eng verknüpfte öffentliche Ziele zu gewährleisten. Ein stärkerer Rückgriff auf regionale Finanzquellen und lokal vorhandenes Know-how wirft jedoch auch jenseits der Privatisierungsdebatte die Frage auf, ob die bisherigen, sehr kapitalintensiven, netzgebundenen Systemtechnologien überhaupt die adäquate Antwort auf die Herausforderungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern ist oder ob nicht gleichzeitig die Entwicklung und Umsetzung alternativer Lösungen forciert werden sollte. Eine solche Alternativenprüfung erscheint auch notwendig, da auch Verfechter der Position von „Wasser als Menschenrecht“ sich häufig zu vorschnell auf bestimmte Systemtypen von Techniken einlassen.
VII. Alternative Ansätze zur Lösung der Wasserkrise Die Instrumente zur Lösung der Versorgungsprobleme in den Entwicklungsländern basieren weitestgehend auf den ökonomischen und institutionellen Strukturen der Industrienationen und den mit den dortigen traditionellen Infrastrukturmodellen gemachten Erfahrungen. Diese Strukturen unterscheiden sich jedoch deutlich von denen der Entwicklungsländer, wobei die Frage bleibt, in wieweit dies Auswirkungen auf die Organisationsfrage bei der Bereitstellung von Wasserdienstleistungen haben muss. Auch in den Industrienationen hat sich zwischenzeitlich mit Blick auf die Privatisierung in der Wasserwirtschaft Skepsis breitgemacht. Das niederländische Parlament hat sich für ein grundsätzliches Privatisierungsverbot in der Wasserwirtschaft ausgesprochen, in England wurden bereits erste Überlegungen zu einer Art Re-Nationalisierung laut, dies u. a. auch eine Reaktion der privaten Versorgungsunternehmen, für die sich Investitionen in die langlebigen Netzstrukturen als zunehmend finanziell riskant und renditemindernd herausstellten. Selbst in Frankreich wächst die Kritik am „französischen“ Konzessionsmodell: kaum Wettbewerb, lange Laufzeiten und mangelnde Kostentransparenz sind nur einige Kritikpunkte. Insofern ist die Frage mehr als berechtigt, ob den Entwicklungsländern nicht mit der Privatisierung ein Modell verkauft wird, das in den „exportierenden“ Industrieländern selbst zur Debatte steht. Und jenseits dieser schlussfolgernden
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Einblicke ist die Frage zu stellen, ob die – zudem auch sehr ideologisch geführte – Debatte über Rechtsformen und Regulierung nicht grundlegende Anforderungen an die Bereitstellung von Wasserdienstleistungen verfehlt und überdeckt. Die Erreichung der Millennium Development Goals auf der Basis konventioneller und in den Industrienationen entwickelter Ver- und Entsorgungsstrategien erscheint immer weniger als eine allein Erfolg versprechende Lösung, dies auch, weil sie eine sehr teuere Lösung darstellt. Dies erweist sich zunehmend auch als ökonomisches Problem in den europäischen Metropolregionen. Der sich dort abzeichnende demographische Wandel drückt sich aus in einem Verbrauchsrückgang nach infrastrukturellen Leistungen.67 Im völligen Gegensatz dazu die Situation der Entwicklungsländer: Sehr junge Gesellschaften kennzeichnen die demographische Entwicklung, die Infrastrukturnachfrage weist hohe Zuwachsraten auf. Daraus ergibt sich dann jedoch ein hoher Investitionsbedarf, insbesondere, wenn flächendeckend in klassische netzgebundene Systeme investiert werden soll. Die Herausforderungen, denen sich die Industrienationen des Nordens gegenübersehen, sind dagegen auf die steigenden Systemkosten zurückzuführen. Von einer sog. Fixkostenfalle wird gesprochen, da bei rückläufiger Bevölkerung und rückläufiger Nachfrage die hohen Fixkosten des Systems von immer weniger Verbrauchern getragen werden müssen. Für die Infrastruktursysteme der Industrieländer zeichnet sich daher immer stärker ein Anpassungsbedarf an den demographischen Wandel ab. 68 Eine fehlende Funktionalität dieser Systeme drückt sich besonders dort aus, wo aufgrund des Verbrauchsrückgangs Funktionsschwellen unterschritten werden und bspw. keine ausreichenden Durchflussmengen mehr gewährleistet werden können. Alle denkbaren Problemlösungen sind mit weiteren Kostensteigerungen verbunden.69 Die europäischen/nordamerikanischen konventionellen Systeme der Abwasserbehandlung sind vor allem durch den Verbrauch wichtiger Ressourcen wie Energie aber auch Nährstoffe (Phosphat, Nitrate) gekennzeichnet. Diesen Aufbereitungssystemen müssen daher stets hohe Energiemengen zugeführt und ___________ 67 Thomas Kluge/Jens Libbe/Ulrich Scheele, Der netWORKS-Ansatz zur integrierten Strategiebildung, in: Thomas Kluge/Jens Libbe (Hrsg.), Transformation netzgebundener Infrastruktur: Strategien für Kommunen am Beispiel Wasser. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik 2006, S. 34–63. 68 Die Situation wird verschärft durch den Umstand, dass es in den meisten Industrieländern einen hohen Sanierungsbedarf für die Abwasser- und Wasserversorgungssysteme gibt. 69 Matthias Koziol, Transformationsmanagement unter den besonderen Bedingungen der Schrumpfung, in: Thomas Kluge/Jens Libbe (Hrsg.), Transformation netzgebundener Infrastruktur: Strategien für Kommunen am Beispiel Wasser. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik 2006, S. 402–451.
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gleichzeitig dem Abwasser dann sehr aufwändig Nährstoffe wie Nitrate oder Phosphate entzogen werden.70 Die Nachhaltigkeit dieser Ver- und Entsorgungssysteme wird daher trotz des erreichten Versorgungsstands immer mehr infrage gestellt.71 Es gibt aber bereits echte Alternativen zu diesen aufwändigen und wenig flexiblen traditionellen Ver- und Entsorgungssystemen. In bestimmten semizentralen Systemauslegungen werden bspw. Abwässer als wichtige Rohstoffund Energiequelle betrachtet und vor allem auch auf die Integration von Regenwasser als Rohwasserquelle gesetzt.72 Eine den lokalen Bedingungen angepasste Dezentralisierung durch Modularisierung erlaubt zudem die Herausbildung komplexer, adaptiver Systemlösungen. Im Vergleich zu klassischen Systemvarianten erlauben sie eine schnellere Anpassung an Schwankungen im äußeren Umfeld, wie z. B. sich verändernde Einwohnerdichten; dies kann u. a. auch durch die räumliche Transferierbarkeit der modularen Komponenten gewährleistet sein. Von den Entwicklungsländern werden bislang insbesondere die traditionellen eingeübten europäischen Technologiemuster nachgefragt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in den Industrieländern nur bereits etablierte Systemstrukturen die Voraussetzung für ihre Diffusion darstellen.73 Diese neuen Systemalternativen werden bisher in Deutschland erst langsam thematisiert. Um ihre Potenziale zu realisieren, bedarf es aber bestimmter Vorreiter, d. h. etwa Städte oder Kommunen, die sich vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen ganz bewusst für eine Umsetzung semidezentraler Anlagen entscheiden. Solche Vorreiter fehlen in Deutschland bisher; dies ist umso bedauerlicher, als gerade die deutsche Industrie im Komponentenbereich semidezentraler Anlagen über zahlreiche Patente verfügt, die auf ihre Einlösung warten und ___________ 70 Das bspw. in kommunalen Abwässer enthaltene Potenzial an Phosphat und Stickstoff ist so beträchtlich, dass damit ein wichtiger Beitrag zur langfristigen globalen Rohstoffversorgung geleistet werden kann; vgl. Thomas Dockhorn, Über die Relevanz der Nährstoffe Stickstoff und Phosphat im Abwasser – eine Bilanz für Deutschland, in: Müll und Abfall, Heft 9, 2008, S. 444–449. 71 Vgl. Annelies J. Balkema et al., Indicators for sustainability assessment of wastewater treatment systems, in: Urban Water, Vol. 4, 2002, No. 2, S. 153–161, Daniel Hellström/Ulf Jeppsson/Erik Kärrman, A framework for systems analysis of urban water management, in: Environmental Impact Assessment Review Vol. 20, 2000, No. 3, S. 311–321. 72 Mit Blick auf die Wasserversorgung vgl. etwa United Nations Environment Programme/Stockholm Environment Institute, Rainwater Harvesting: A Lifeline for Human Well-Being Nairobi 2009. 73 Engelbert Schramm/Thomas Kluge, Ein nachhaltigerer Umgang mit Wasser im Norden – Chancen für den Süden. DGU Nachrichten, Nr. 25, Juni 2002, S. 9–13.
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Deutschland gleichzeitig auch mit interessanten private public partnership Organisationsmustern aufwarten kann.74 Wenn wichtige Lösungsansätze der Weltwasserprobleme in der Etablierung lokal-regional adaptierter integrierter Systeme gesehen werden, hat dies gleichzeitig zur Voraussetzung, dass die Entwicklungs- und Innovationsblockaden in den Industrieländern des Nordens überwunden werden. Ein Paradigmenwechsel wäre nicht nur mit Blick auf Techniksysteme erforderlich, notwendig wäre auch ein Lösen von der Fokussierung nur auf das „blaue“ Wasser. Es käme verstärkt darauf an, sektor- und medienübergreifende Ver- und Entsorgungsnetzwerke (Wasser, Energie, Nährstoffe) in semizentraler Form herauszubilden. Nur bei der Abkehr von einer Politik, die allein und einseitig auf konventionelle Technologiemuster setzt, erscheinen langfristig finanzierbare, organisatorisch sinnvolle und sozialverträgliche Lösungen der weltweiten Wasserprobleme möglich.75
VIII. Zusammenfassung Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung mit dem postulierten Gegensatz zwischen dem „Menschenrecht auf Wasser“ und „Wasser als Wirtschaftsgut“ lassen sich thesenhaft wie folgt zusammenfassen: Die Sicherstellung einer ausreichenden Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in den Entwicklungsländern zählt mit zu den wichtigsten Aufgaben der Weltgemeinschaft. Die Versorgungssituation in vielen Weltregionen wird sich durch ein ungebremstes Bevölkerungswachstum und vor allem auch als Folge des Klimawandels weiter verschärfen. Sollen die ambitionierten Millennium Development Goals erreicht werden, sind Anstrengungen erforderlich, die deutlich über die bisherigen Ansätze hinausgehen. Dabei darf und sollte keine Option außen vor bleiben; dies betrifft ___________ 74
Thomas Kluge/Ulrich Scheele, Von dezentralen zu zentralen Systemen und wieder zurück? Räumliche Dimensionen des Transformationsprozesses in der Wasserwirtschaft, in: Tim Moss/Matthias Naumann/Markus Wissen (Hrsg.), Infrastrukturnetze und Raumentwicklung. Zwischen Universalisierung und Differenzierung. Ergebnisse SozialÖkologischer Forschung 10, München 2008, S. 143–172. 75 Thomas Kluge/Ulrich Scheele, Private Sector Participation in Water Supply and Sanitation. A Contribution to Attaining the Millennium Development Goals or Merely the Export of Old Solutions? In: Waltina Scheumann/Susanne Neubert/Matthias Kipping (Eds.), Water Politics and Development Cooperation. Local Power Plays and Global Governance, Berlin Heidelberg 2008, S. 205–226.
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auch die Beteiligung privater Unternehmen bei dem Aufbau der Infrastrukturen in diesen Ländern. Die Einführung eines Menschenrechts auf Wasser kann dem Thema Wasserversorgung den gebührenden Stellenwert in der entwicklungspolitischen Debatte geben; es ist jedoch falsch, in dieser rechtlichen Verankerung des Anspruchs ein Allheilmittel für alle Probleme der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in den Entwicklungsländern zu sehen. Vor allem der von vielen globalisierungskritischen Aktionsgruppen postulierte Gegensatz von „Menschenrecht auf Wasser“ und „Wasser als ökonomisches Gut“ verkennt zentrale ökonomische Rahmenbedingungen und ist nicht dazu angetan, der Debatte über die zukünftige Entwicklung der Wasserwirtschaft in den ärmeren Ländern des Südens die zentralen Impulse zu geben. Die Fokussierung auf die Privatisierungsfrage ist aus mehreren Gründen nicht zielführend: Einerseits lässt sich aus einem Menschenrecht auf Wasser keineswegs eine grundsätzliche Ablehnung der Privatisierungsoption ableiten. Andererseits verweist die Empirie darauf, dass im Gegensatz zum Bild in der öffentlichen Debatte die private Beteiligung an den Ver- und Entsorgungsindustrien sehr gering ist und nach wie vor öffentliche Unternehmen überwiegen. Die Diskussion über die Auswirkungen von Privatisierung bezieht sich bislang zu stark auf die Erfahrungen einzelner Beispiele. Es überwiegen dabei eindeutig die kritischen Aussagen, die sich in vielen Fällen jedoch aus diesen Fallstudien nur bedingt ableiten lassen. Nicht alle Ergebnisse sind verallgemeinerbar, eine abschließende und umfassende Bewertung ist nur möglich, wenn alle Rahmenbedingungen und Faktoren mitberücksichtigt würden. Dies geschieht häufig allein aus methodischen Gründen nicht oder nur in einem unzureichenden Maße. Die Analyse gescheiterter Projekte macht deutlich, dass die Gründe in zahlreichen Fällen im Fehlen einer adäquaten Regulierung der privaten Unternehmen zu suchen sind. Der Aufbau einer solchen Regulierung ist auch in den entwickelten Industriestaaten eine wichtige Herausforderung und nicht immer gelungen. Unter den politisch institutionellen Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern ergeben sich in diesem Zusammenhang natürlich ganz besondere Probleme. Ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der Millennium Development Goals wird daher in der Unterstützung beim Aufbau handlungsfähiger Governance Strukturen in diesen Ländern zu sehen sein.76 So eindrucksvoll die Argumentationen der Privatisierungskritiker sind, so unverbindlich bleiben oft die Alternativen. Der Hinweis auf öffentliche Unter___________ 76 The World Bank & Independent Evaluation Group, Improving Municipal Management for Cities to Succeed. An IEG Special Study 2009.
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nehmen vernachlässigt die ganz offenkundige Erkenntnis, dass gerade diese Unternehmen sich durch ein hohes Maß an Ineffizienz und nicht selten Korruption auszeichnen.77 Auch andere kooperative Organisationsmodelle haben bisher nicht die Erfolge gehabt, die ihnen gerade von Globalisierungs- und Privatisierungskritikern zugewiesen werden.78 Neue alternative pro poor Finanzierungsmodelle sind im Kommen und sollten kritisch begleitet werden. Die Frage nach den Alternativen zu einem zentralen System der netzgebundenen Ver-und Entsorgung stellt sich nicht nur in den Entwicklungs-, sondern unter veränderten Rahmenbedingungen auch in den Industrienationen. Damit eröffnen sich auch neue Möglichkeiten des Wissenstransfers.
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Das Menschenrecht auf Wasser – ein Kompass für die Wasserbewirtschaftung? – Korreferat zu Ulrich Scheele – Von Marianne Heimbach-Steins Mein Korreferat zum Beitrag von Ulrich Scheele wird keine Gegenposition formulieren, sondern eine ergänzende Kommentierung bieten, welche die Kategorien Effizienz und Gerechtigkeit in entwicklungspolitischer und -ethischer Hinsicht aufnimmt. In vielfältiger Hinsicht stimme ich den Ausführungen von Ulrich Scheele zu: Dies trifft zunächst auf die Problembeschreibung zu, welche die Bedeutung des Nachdenkens über den menschenrechtlichen Status des Zugangs zu und der ausreichenden Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Wasser deutlich vor Augen führt. Dementsprechend folge ich ihm auch in der Fokussierung auf die Wirkungen der Wasserkrise für die Ärmsten. In der differenzierten Diskussion und Bewertung von Privatisierungsstrategien als eines – allerdings nicht alternativlosen Modus der Bewirtschaftung von Wasser – herrscht ebenfalls weitgehend Konsens zwischen der vorgestellten Position und meiner eigenen sozialethischen Einschätzung, die gesellschaftliche Problemlösungen am ehesten von Verantwortungskooperationen zwischen gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren erwartet. Daraus folgt konsequenterweise das Plädoyer für eine Überwindung der Opposition zwischen dem Menschenrechtsanspruch und der Einschätzung von Wasser als Wirtschaftsgut. Schließlich ist auch die Erweiterung der Perspektive auf die (demographischen) Rahmenbedingungen der Bewirtschaftung nicht strittig. Vor dem Hintergrund dieses weitgehenden Konsenses in der Einschätzung des Sachproblems möchte ich einige komplementäre Aspekte zur Analyse beisteuern. Ich werde mich dabei zunächst auf die Allgemeinen Bemerkungen des Ausschusses für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte der Vereinten Nationen zum Menschenrecht auf Wasser stützen und drei Aspekte diskutieren: Einerseits den Menschenrechtscharakter des Zugangs zu Wasser (I.); andererseits den Charakter von Wasser als nicht nur ökonomisches, sondern sogar primär soziales und kulturelles Gut (II.) und schließlich die Frage der Konkurrenz von Menschenrecht und Wirtschaftsgut in Bezug auf den Zugang zu Wasser (III.). Im abschließenden Ausblick werden Gerechtigkeitsaspekte, die dem
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Wasser-Problem inhärent sind, im Sinne weiter zu verfolgender Desiderate benannt (IV.).
I. Wasser – ein Menschenrecht Die Sicherung des Zugangs zu Wasser von hinreichender, d. h. nicht gesundheitsgefährdender und in ausreichendem Maße auch trinkbarer Qualität ist ein grundlegendes Ermöglichungsrecht für viele, wenn nicht gar alle weiteren grundlegenden Rechte und eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Milleniumsziele zur weltweiten Armutsreduktion überhaupt umgesetzt werden können.1 Ohne Wasser bzw. ohne den gesicherten Zugang zu quantitativ ausreichendem und qualitativ verträglichen Wasser kann weder (menschliche) Entwicklung realisiert noch der nachhaltige Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gewährleistet werden, zu dem der Schutz der aquatischen Ökosysteme fundamental dazugehört.2 Insofern betont der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen in seinem „General Comment“ Nr. 15 zum Recht auf Wasser mit triftigem Grund den bereits im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966/76) implizit gegebenen Menschenrechtscharakter des Gutes Wasser.3 Die eigenständige Identifizierung eines Menschenrechtes auf Wasser ist gleichwohl eine junge – und bis heute nicht unumstrittene – Entwicklung im Bereich der WSK-Rechte; in den „klassischen“ völkerrechtlichen Dokumenten ist es nicht explizit formuliert; es kann daher nur aus anderen, ausdrücklich benannten sozialrechtlichen Elementen deduziert oder eher expliziert werden: Im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind das Recht auf Nahrung (Art. 11) und das Recht auf Gesundheit (Art. 12) kodifiziert. Insofern beide nicht ohne die Sicherung des Zugangs zu sauberem und trinkbarem Wasser zu realisieren sind, ergibt sich aus diesen beiden Rechten folgerichtig ein Recht auf Wasser. Aufgrund dieser Wirkungszusammenhänge wird das Recht auf Wasser in der Kommentierung der völkerrechtlichen Vereinbarungen zu gleichen Teilen aus dem Recht auf Nahrung und dem Recht auf Gesundheit abgeleitet.4 Dass dieses Recht als eigenes Recht herausgearbeitet wird, trägt diesem notwendigen Zusammenhang Rechnung. Es ist zugleich als Reflex einer Reihe von Problemen bzw. der Einsicht in Problemzusammenhänge zu lesen, die sich ___________ 1
Vgl. den Beitrag von Scheele (2010) in diesem Band, Abschnitt II. 1. Krüger (2003), S. 197. 3 United Nations, Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights (2002): Substantive Issues, G. C. 15, No. 3. 4 Vgl. Windfuhr (2003), S. 4. 2
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aus dem Fehlen eines Wasserzugangs bzw. einer unzureichenden Wasserqualität ergeben.5 Einmal mehr bestätigt sich an diesem Beispiel, dass Menschenrechte als „Krisenphänomene“ (J. Schwartländer) zu deuten sind: Dazu gehören namentlich, wie bereits angemerkt, die sich verschärfende Knappheit des Gutes Wasser angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und die zunehmende Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Konflikten um Wasserzugang. Zu denken ist etwa an Konflikte, die im Zusammenhang mit großen Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der Wasserversorgung (z. B. Staudammprojekte) aufgebrochen sind, oder an Kontroversen um die Privatisierung von Wasserversorgungssystemen und deren Auswirkungen auf die Armen, wie der von Ulrich Scheele diskutierte Fall Cochabamba paradigmatisch zeigt6. Hinzu kommt – bisher kaum hinreichend beachtet – die Tatsache, dass Wasserknappheit bzw. mangelhafter Zugang zu sauberem Wasser geschlechtsspezifisch unterschiedliche Auswirkungen auf Alltag und Lebensbewältigungsstrategien zeitigt.7 Über die Frage hinaus, was das Recht auf Wasser gewährleistet bzw. im Sinne der menschenrechtlichen Pflichtentrias „to respect – to protect – to fulfil“8 den Staaten auferlegt, bedarf die Reichweite der Ansprüche aus dem Menschenrecht auf Wasser – etwa in Bezug auf die Wassernutzung in der Landwirtschaft – noch genauerer Betrachtung. Der Sozialpaktausschuss in seinem „General Comment“ Nr. 15 bezieht zumindest die Zugänglichkeit von Wasser für die Subsistenzwirtschaft sowie für die Lebensunterhaltsicherung indigener Völker ein.9 Genaue Kriterien zu definieren für die Abgrenzung zwischen dem Menschenrecht auf Wasser im Sinne eines individuellen Zugangs zu dieser lebensnotwendigen Ressource und der wirtschaftlichen Wassernutzung erscheint v. a. im Hinblick auf den Stellenwert der Subsistenzwirtschaft in Entwicklungskontexten nicht ganz einfach (wiederum ist die Berücksichtigung von Genderaspekten einzufordern); eine Abgrenzung zur nicht vom Menschenrecht gedeckten kommerziellen Nutzung von Wasser ist unerlässlich.10 Entgegen manchen völkerrechtlichen Einwänden wird in dem „General Comment“ zum Menschenrecht auf Wasser auch die internationale Dimension der aus dem Recht auf Wasser resultierenden Verpflichtungen deutlich hervorgehoben, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits geht es um die Verpflich___________ 5
Vgl. Windfuhr (2003), S. 3. Vgl. den Beitrag von Scheele in diesem Band, Kap. V. 7 Vgl. Bauhardt (2009). 8 Riedel (2004), S. 19. 9 Vgl. United Nations, Economic and Social Council (2002): Substantive Issues, G.C. 15, No. 7. 10 Generell gilt, dass eine ausufernde, den Gehalt des Schutzgutes überdehnende Berufung auf menschenrechtliche Ansprüche zu vermeiden ist, um der Wirksamkeit des menschenrechtlichen Instrumentariums nicht zu schaden. 6
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tung der Staaten, die internationalen Auswirkungen nationaler Wasserpolitiken und menschenrechtsadäquate Standards der grenzüberschreitenden Kooperation in der Wasserversorgung zu beachten; im Falle der Beteiligung nicht-staatlicher (privater) Akteure sind noch einmal besondere Anforderungen an Qualitätssicherungs- und Regulierungsaufgaben zu berücksichtigen. Andererseits werden die Verpflichtungen internationaler Organisationen eigens apostrophiert, die sich aus dem Menschenrecht auf Wasser ergeben.11
II. Wasser – ein „soziales und kulturelles Gut“ Im „General Comment“ Nr. 15 zum Recht auf Wasser wird der Charakter des Wassers als öffentliches Gut deutlich hervorgehoben: „Water is a limited natural resource and a public good fundamental for life and health“12; aufgrund der Bedeutung von Wasser als Voraussetzung für viele menschliche Grundvollzüge und zur Verwirklichung einer ganzen Reihe fundamentaler Menschenrechte wird zudem die Auffassung vertreten, Wasser „should be treated as a social and cultural good, and not primarily as an economic good“13. Es geht, soweit ich die Aussage im Rahmen des Gesamtduktus des Kommentars verstehe, nicht darum, den Charakter von Wasser als eines zu bewirtschaftenden Gutes grundsätzlich zu bestreiten, wohl aber darum, einen umfassenderen Rahmen zu setzen, in dem diese Aufgabe zu konkretisieren und mit anderen als ökonomischen Handlungsmustern zu korrelieren ist. Wasser wird als öffentliches Gut qualifiziert, näherhin als „natürliches globales Gemeinschaftsgut“, von dessen Konsum, vom Zugriff auf die Versorgungsinfrastruktur für qualitativ hochwertiges Wasser bzw. vom Zugang zu Wasserquellen niemand ausgeschlossen sein sollte.14 Die Charakterisierung von Wasser als „soziales und kulturelles Gut“, dem die Zuordnung eines Menschenrechts auf Wasser zu den WSK-Rechten korrespondiert, trägt dessen besonderem Charakter – es ist keine beliebig herstellbare Ware15 – sowie dessen Bedeutung für die Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens hinsichtlich Ernährung, Gesundheit und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen für die heute lebenden und die nachfolgenden Generationen Rechnung. Dies gilt nicht nur in einem feststellenden Sinne, sondern normativ. Der Zugriff auf die Res___________ 11
Vgl. Windfuhr (2003). United Nations, Economic and Social Council (2002): Substantive Issues, G.C. 15, No. 1. 13 United Nations, Economic and Social Council (2002): Substantive Issues, G.C. 15, No. 11. 14 Krüger (2003), S. 197. 15 Krüger (2003), S. 197. 12
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source Wasser muss so geregelt werden, dass Aufklärung, Information, Bildung und politische Partizipation der Betroffenen an der Erarbeitung von Strategien zur Versorgung und zur Entsorgung mit ausreichendem und für die verschiedenen Zwecke der Lebensführung qualitativ zufriedenstellendem Wasser für alle Betroffenengruppen gesichert werden können. Aus dieser Bestimmung sind eine Reihe von Anforderungen an die Staaten (sowohl für die nationalen Wasserpolitiken als auch für die Entwicklungszusammenarbeit) abzuleiten; dies wird in der Kommentierung durch den Sozialpaktausschuss angedeutet, wenn zur Erreichbarkeit von Wasser als eines sozialen und kulturellen Gutes die Zugänglichkeit von Informationen zu Wasserthemen gefordert16 und dies insbesondere mit Partizipationsrechten in Bezug auf die Etablierung und Umsetzung nationaler Wasserstrategien und Aktionspläne verknüpft wird: Hier seien die Prinzipien der Nichtdiskriminierung und der Partizipation zu respektieren: „The right of individuals and groups to participate in decision-making processes, that may affect their exercise of the right to water, must be an integral part of any policy, programme or strategy concerning water. Individuals and groups should be given full and equal access to information concerning water, water services and the environment, held by public authorities or third parties.“17 Um Menschen in die Lage zu versetzen, kompetent an solchen Prozessen zu partizipieren, bedarf es weitergehender Maßnahmen. Namentlich sind dies gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitsbildung, Informationsprogramme bezüglich der Wasserversorgung und -entsorgung, deren Bedeutung für Ernährungssicherheit und Gesundheitssorge sowie schließlich die kontextuell angepasste Implementierung von Elementen der Umweltbildung, Ernährungslehre und Gesundheitsbildung in die allgemeinen Bildungsangebote. Komplementär zu den Erfordernissen von Aufklärung, Information und (Gesundheits-)Bildung sind die Alltagskompetenz und die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Bedürfnisse jener Menschen, die – zumal unter widrigen – Umständen mit dem knappen Gut Wasser umgehen, als Ressource für eine kontextadäquate Wasserpolitik und -bewirtschaftung zu berücksichtigen.18
___________ 16
United Nations, Economic and Social Council (2002): Substantive Issues, G.C. 15, No. 12 c. 17 United Nations, Economic and Social Council (2002): Substantive Issues, G.C. 15, No. 48. 18 „Es geht […] um die Alltagsebene derjenigen Menschen, die mit dem Wasser arbeiten, deren Lebensgrundlagen von der Verfügbarkeit von Wasser direkt abhängig sind, die Ebene der Machtverhältnisse zwischen globaler Umweltpolitik und lokalen Ressourcenkonflikten, Wasser als hochgradig gegenderte soziale und kulturelle Praxis, Wasser als ökonomisches Gut und als Handelsware.“ Bauhardt (2009), S. 396.
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Nur unter solchen Voraussetzungen werden Bürgerbeteiligung bzw. Mitbestimmung an Entscheidungen über Infrastrukturmaßnahmen zur Wasserversorgung und -entsorgung gelingen können. Insbesondere muss dies auch bedacht werden mit Bezug auf Minderheiten und Gruppen, deren Zugang zum Wasser, aber in der Regel auch zu Bildungsressourcen, besonders prekär ist. Die Realisierung der Partizipation der Betroffenen selbst ist dann noch einmal in Relation zu politischen Voraussetzungen zu sehen und in Beziehung zu setzen zu dem Erfordernis der staatlichen Regulierung: Demokratische Verhältnisse (Kontrollmöglichkeiten, Transparenz; Vermeidung von Korruption) und die Favorisierung lokaler Lösungen, welche die Partizipation der Bürger an Investitionsplanung und Infrastrukturentscheidungen ermöglichen und stärken, sind wichtige Aspekte.19 Insgesamt resultieren aus dem Recht auf Wasser Aufgaben und Anforderungen, die zwar eine ökonomische Bewandtnis haben, insofern ihre Umsetzung Kosten verursacht, die aber bei weitem über die Aufgabe der Wasserbewirtschaftung hinausgehen und dennoch sehr viel mit Effizienz und Gerechtigkeit zu tun haben. Dies ist jedenfalls dann festzustellen, wenn Effizienz im Sinne der zweiten von Michael Schramm herausgearbeiteten Bedeutung (Effizienz2) verstanden und das Zusammenspiel von Effizienz und Gerechtigkeit mit dem Anspruch ökologischer Nachhaltigkeit verbunden wird.20
III. Wasser – Menschenrecht versus Wirtschaftsgut? Wie bei jedem der WSK-Rechte und – streng genommen – bei jedem Menschenrecht sind für die Verwirklichung und Gewährleistung materielle Ressourcen aufzuwenden. In Bezug auf das Gut Wasser eine (ausschließende) Alternative zwischen Menschenrecht und Wirtschaftsgut zu konstruieren, erscheint daher nicht zielführend, insofern die materiellen Güter, die jedem Menschen für die elementare Lebenserhaltung und Lebensunterhaltsicherung zugänglich sein müssen, im Prinzip knapp sind und deshalb bewirtschaftet werden müssen. Die Frage ist also nicht, ob Wasser auch ein ökonomisches Gut ist, sondern wie es so zu bewirtschaften ist, dass seinem Charakter als soziales und kulturelles Gut und dem grundlegenden menschenrechtlichen Anspruch des diskriminierungsfreien und erschwinglichen Zugangs Rechnung getragen wird. Entscheidend ist die Zielperspektive, unter der die Wasserbewirtschaftung betrachtet und deren Steuerung / Regulierung entwickelt wird. Unter dem menschenrechtlichen Vorzeichen muss dies die Einlösung der Millenniumsziele ___________ 19 20
Vgl. Scheele (2010) in diesem Band, Abschnitt III. Vgl. Schramm (2010) in diesem Band.
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sein, welche ohne Sicherstellung der basalen Wasserversorgung für alle Menschen nicht gelingen kann.21 Das sozialethisch grundlegende Prinzip der Gemeinwidmung der Güter, das als wirtschaftsethisches Analogat zu den sozialen Menschenrechten im allgemeinen und zum Menschenrecht auf Wasser im besonderen geltend gemacht werden kann, ist also in Relation zu setzen mit den empirisch beobachtbaren Tatsachen sowohl der Ungleichheit der (natürlichen) Zugangsvoraussetzungen als auch der (politisch und ökonomisch induzierten) Ungleichheit der Verfügungsmacht über den Zugang zu dem lebenswichtigen Gut Wasser. Werden diese eklatanten Ungleichheiten berücksichtigt, sind Zweifel an der Tauglichkeit, mindestens aber am alleinigen Genügen von Marktstrategien für die Bewirtschaftung dieser Art grundlegender Güter angebracht.22 Es entspricht voll und ganz der Linie des „General Comment“ Nr. 15, der politischen Aufgabe der Regulierung eine Schlüsselfunktion zuzuerkennen. Darin liegt eine genuine und nicht abtretbare Verantwortung der nationalen Politikstrategien sowie ggf. auch regionaler und suprastaatlicher Politiken im Hinblick auf die Beteiligung gesellschaftlicher Akteure/privater Investoren, die gegenüber den Adressaten des Menschenrechts auf Wasser einzulösen ist. Der politischen Steuerung obliegt es, dafür zu sorgen, dass die Bewirtschaftung des Gutes Wasser dessen Charakter als öffentlichem Gut entspricht und dass die notwendige ökonomische Effizienz dem Ziel der gerechten Beteiligung aller zugeordnet wird; als wirtschaftsexternes Ziel kann es nur politisch geltend gemacht und durchgesetzt werden. Angesichts der in Entwicklungskontexten sehr ungleichen Zugangs- und Partizipationsbedingungen muss als das vom Menschenrecht auf Wasser her zu plausibilisierende Basiskriterium die nachhaltige Besserstellung der Ärmsten hinsichtlich ihres Zugangs und ihrer Versorgung mit quantitativ und qualitativ genügend Wasser postuliert werden; in diesem Sinne verstehe ich die von Ulrich Scheele benannten Anforderungen an die Tarifgestaltung (Kostendeckung, ökonomische Effizienz, Gleichheit, soziale Aspekte)23 als Schritt zur Operationalisierung des Basiskriteriums unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit. Zu ergänzen sind Kriterien, welche die öffentliche Beteiligung(smöglichkeit) an politischen Entscheidungen über die Bereitstellung der Güter und über die Verteilung des Nutzens geltend machen.24 ___________ 21
Vgl. Scheele (2010) in diesem Band, Tabelle 1 und Abschnitt VI. 3. Ich habe die Ausführungen von Herrn Scheele so verstanden, dass er diese Zweifel teilt, ohne jedoch bei der Diskussion um Tauglichkeit oder Untauglichkeit von Privatisierungsprogrammen für eine armenorientierte Wasserbewirtschaftungspolitik stehen zu bleiben. 23 Scheele (2010), in diesem Band, Abschnitt VI. 2. 24 Krüger (2003), S. 199. 22
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An diese Feststellung anschließend wäre es eine eigene Aufgabe zu prüfen, wie und in welchen Modellen die offenkundig unerlässliche Regulierungsaufgabe in Konstellationen grenzüberschreitender Projekte der Wasserversorgung wirksam wahrgenommen werden kann, um für alle Beteiligten diesseits und jenseits der Grenzen Nichtdiskriminierung, allgemeine und qualitativ zureichende Versorgung sowie die programmatische Vernetzung von sozialen, ökonomischen und ökologischen Erfordernissen bei der Umsetzung der Wasserversorgung sicherzustellen. Dies wäre nur dann kein zusätzliches Problem, wenn nicht mit Machtasymmetrien und Konkurrenzkämpfen zu rechnen wäre – was unwahrscheinlich und jedenfalls nach aller Erfahrung nicht verallgemeinerbar ist.
IV. Ausblick Wenn dem Zugang zu und der Versorgung mit Wasser der Rang eines menschenrechtlich geschützten Gutes zugesprochen wird, impliziert dies die Anerkennung eines grundlegend gleichen Rechtes aller Menschen, an diesem Gut zu partizipieren. Diese in ethischer Hinsicht m. E. alternativlose Position zieht erhebliche politische und ökonomische Konsequenzen nach sich, die gerechtigkeitstheoretisch reflektiert und für deren Umsetzung politisch zustimmungsfähige und durchführbare Konzepte und Strategien auf lokaler, nationaler und globaler Ebene entwickelt werden müssen. Die Schlüsselfunktion des Wasserzugangs für die Erreichung der Milleniumsziele indiziert komplexe Gerechtigkeitsherausforderungen in intra- wie intergenerationeller Perspektive. Gerechte(re) Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten der lebenswichtigen Ressource zu sichern, wirft sowohl Probleme der Distribution als auch der Partizipation (in ökonomischer und in politischkultureller Hinsicht) auf. Wie das knappe Gut Wasser bewirtschaftet wird und wie politische Entscheidungen darüber zustande kommen, umgesetzt und die Umsetzungsstrategien kontrolliert werden, ist selbst eine Frage der gerechten Beteiligung / Partizipation der Betroffenen. Beteiligungsgerechtigkeit bezüglich lebenswichtiger natürlicher globaler Güter wie Wasser wird nicht umfassend realisiert werden ohne die Berücksichtigung kontextspezifischer, lebensweltlicher Bedürfnisse. Daher erscheint der Einbezug von Genderaspekten, die gerade im Hinblick auf die Ressource Wasser eine entscheidende Rolle spielen, unerlässlich: Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der damit verbundenen unterschiedlichen Zuständigkeiten von Frauen und Männern für die Bewältigung des Alltags und der Lebensunterhaltsicherung artikulieren Frauen und Männer unterschiedliche Prioritäten und Erwartungen an eine Verbesserung der Wasserversorgung; eine effiziente, auf das Gerechtigkeitsziel ausgerichtete Ressourcenpolitik muss beide Perspektiven berücksich-
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tigen.25 Indem mit der Genderperspektive der Blick auf die Alltagswirklichkeiten und -bedürfnisse von Menschen in konkreten lebensweltlichen Kontexten gerichtet wird, kommt die Herausforderung in den Blick, postkoloniale Muster globaler Gerechtigkeit zu entwickeln und konkrete ökonomische und politische Handlungsfelder daran auszurichten, d. h. von den jeweiligen Kontextbedingungen auszugehen anstatt Modelle der Ver- und Entsorgung sowie der Finanzierung zu propagieren, die in den Industrienationen für deren Kontextbedingungen entwickelt worden waren, dort zunehmend in Frage gestellt werden und auf die sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen in den Zielländern nicht hinreichend abgestimmt sind.26
Literaturverzeichnis Bauhardt, Christine (2009): Ressourcenpolitik und Geschlechtergerechtigkeit. Probleme lokaler und globaler Governance am Beispiel Wasser, Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft Heft 156, 39. Jg., S. 391–405. Deutsches Institut für Menschenrechte (2005): Die „General Comments“ zu den VNMenschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, BadenBaden. Krüger, Susanne (2003): Ein Element unter Druck. Wasser und Wassermärkte zwischen Regulierung und Privatisierung, in: Achim Brunnengräber (Hg.), Globale Öffentliche Güter unter privatisierungsdruck. FS Elmar Altvater, Münster, 197–217. Riedel, Eibe (2004): Der internationale Menschenrechtsschutz., Eine Einführung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, Bonn, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, 11–40. United Nations, Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights (2002): Substantive Issues arising in the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 15 (2002) The right to water (Articles 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), Unedited Version E/C.12/2002/11, 26 November. Windfuhr, Michael (2003): Das Menschenrecht auf Wasser – Was steht hinter dem Konzept?, online verfügbar unter:http://www.fian.at/docs/Menschenrecht-auf-Wasser. pdf (abgerufen 25.06.2010).
___________ 25 26
Bauhardt (2009), S. 398 f. Vgl. Scheele (2010) in diesem Band, Abschnitt VII.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung – ein missglückter, unseliger Versuch für die Ärmsten der Armen? – Korreferat zu Ulrich Scheele – Von Jean-Gérard Pankert
I. Einleitung: Die Weltwasser-Krise „Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Trinkwasser, in einer Menge und Qualität, die ihren Bedürfnissen genügt. Bis zum Jahr 2000 werden alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben“.
Dies verkündeten die Vereinten Nationen im Jahr 1977 auf ihrer ersten Wasserkonferenz in Mar del Plata. Vier Jahre später formulierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen ihrer „Wasserdekade“ noch weiter reichende Ziele. Danach sollten bis 1991 alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten und mit adäquaten sanitären Einrichtungen versorgt werden. Diese Ziele wurden nicht erreicht. Derzeit haben 1,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser und doppelt so viele keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Weltgemeinschaft Ziele zur Lösung des Wasserproblems gesetzt. Im Jahr 2000 beschloss die Staatengemeinschaft im Rahmen der Millenniumserklärung, bis 2015 den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser zu halbieren. Dieses Ziel wurde auf dem Gipfel für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg bekräftigt und ergänzt, den Anteil derjenigen, die nicht über adäquate sanitäre Anlagen verfügen, ebenfalls bis 2015 zu halbieren. Um die Umsetzung dieser Ziele zu fördern, wurde das Jahr 2003 zum internationalen Jahr des Süßwassers erklärt. Von 2005 bis 2015 folgte eine neue Wasserdekade – die Aktionsdekade „Wasser für das Leben“. Angesichts der nicht erreichten Ziele zur Linderung der Wasserkrise muss darauf hingewirkt werden, dass diese Ziele tatsächlich realisiert werden. Ein Scheitern wäre ein Rückschlag für die Glaubwürdigkeit der Staaten dieser Welt und für die Bekämpfung von Armut.
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Der mangelnde Zugang zu einem so grundlegenden und lebensnotwendigen Element wie Wasser ist ein Hindernis für Entwicklung. Die Betroffenen sind in der Regel die Ärmsten der Armen, denen auch andere Menschenrechte für ein selbstbestimmtes Leben in Menschenwürde verwehrt bleiben. Da Wasser eine Schüsselressource für Entwicklung ist, hat die Lösung der Wasserkrise eine hohe entwicklungspolitische Bedeutung.
II. Die Bedeutung des Themas Wasser 1. Wasser als Lebensgrundlage Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Ohne Wasser wäre die Erde tot. Der Mensch, dessen Körper zu rund 70 % aus Wasser besteht, braucht zur Deckung seines Flüssigkeitsbedarfs täglich ca. 2,5 Liter Trinkwasser. Wasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Wir brauchen Wasser für die Produktion unserer Nahrungsmittel sowie für unsere Hygiene. Der mangelnde Zugang zu Wasser – vor allem zu sauberem Trinkwasser – ist in vielen Regionen der Welt mitverantwortlich für die Ausbreitung von Krankheiten. Ein angemessener Lebensstandard und ein gesundes Leben sind ohne Zugang zu Wasser nicht denkbar. Insofern ist Wasser ein Menschenrecht. Dies wurde durch die Verabschiedung des allgemeinen Rechtskommentars zum Recht auf Wasser durch das Komitee der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte im November 2002 bekräftigt. Während das Recht auf Wasser bisher nur implizit in der internationalen Erklärung der Menschenrechte und den Menschenrechtspakten der UN enthalten war, unterstreicht der neue Rechtskommentar, dass das Menschenrecht auf Wasser unentbehrlich ist, um ein Leben in Menschenwürde zu führen, und gleichzeitig eine Voraussetzung für die Realisierung anderer Menschenrechte darstellt.1
2. Wasser als kulturelles und religiöses Gut Die lebenswichtige Bedeutung des Wassers findet ihren Niederschlag in allen Kulturen und Religionen der Welt. Wasser dient als Symbol für Leben, Fruchtbarkeit, Glück, Segen und körperliche sowie seelische Reinigung. In der Bibel wird im Schöpfungsbericht des Alten Testaments Wasser als Urgrund des Lebens dargestellt. Bei der Taufe verkörpert das Wasser für Christen die Kraft ___________ 1 Vgl. UN-Committee on Economic, Social and Cultural Rights: General Comment No. 15, 2002.
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und Wirksamkeit Gottes selbst. Im Islam heißt es in einer wichtigen Sure des Korans, dass durch Wasser alles zum Leben erweckt wurde. In vielen Religionen Asiens wird Wasser personifiziert und als Gottheit verehrt, die Fruchtbarkeit, Leben und Glück spendet, wenn sie entsprechend geehrt wird. Im Hinduismus steht ein Bad im heiligen Ganges für Entsühnung. Auch viele indigene Kulturen sehen das Wasser als Segen Gottes an. In vielen Religionen der Welt werden heute noch althergebrachte Riten und Feste rund um das Wasser gefeiert. Der Wert des Wassers schlägt sich auch in einigen Wasserrechts- und -nutzungssystemen nieder, die durch einen respektvollen Umgang mit dem Wasser charakterisiert sind. Doch mit der zunehmenden Ausbreitung der westlich geprägten Kultur moderner Industriegesellschaften rückt die Wahrnehmung von Wasser als spirituelles und lebendes Element, das man respektieren und verehren muss, immer mehr in den Hintergrund. Es wird zunehmend als eine Konsumware betrachtet, die sich beliebig verbrauchen, anstauen und umleiten lässt.2
3. Wasser als Schlüsselressource für nachhaltige Entwicklung Nachhaltige Entwicklung ist die Bezeichnung für eine Entwicklung, bei der die Bedürfnisse aller heute lebenden Menschen befriedigt werden, ohne die Erfüllung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu gefährden. Das erfordert den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Ermöglichung fairer Entwicklungschancen für die Menschen in den Entwicklungsländern. In diesem Zusammenhang spielt Wasser aufgrund seiner unmittelbaren Bedeutung für unser Überleben und das unseres Planeten eine Schlüsselrolle. Der Zugang zu Wasser für alle und die Bewahrung dieser Ressource sind grundlegende Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. Dies ist auf zahlreichen internationalen Konferenzen hervorgehoben worden, z. B. auf der Internationalen Wasserkonferenz, Dublin 1992; der Konferenz für Umwelt und Entwicklung, Rio 1992; der Internationalen Konferenz „Wasser u. Nachhaltige Entwicklung“, Paris 1998 und der Internationalen Süßwasserkonferenz, Bonn 2001. Von herausragender Bedeutung waren der UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 in New York sowie der Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg. ___________ 2
Vgl. zu diesem Thema u.a.: Misereor (Hrsg.), Wasser, Eine globale Herausforderung, 1996; Hoffmann, Thomas (Hrsg.), Wasser in Asien, 1997; Paranjpye, Vijay, Cultural Dimensions of Intersectoral Water Management, in: DSE (Hrsg), Strategies for Intersectoral Water Management in Developing Countries, 1997.
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Auf dem vorgenannten Weltgipfel verpflichtete sich die Weltgemeinschaft über die bereits genannten Ziele hinaus, dem derzeitigen Trend der Degradation der Qualität und der Verknappung von Wasser entgegenzuwirken. Diese Ziele sollen durch die Implementierung von Strategien für ein integriertes Wasserressourcenmanagement erreicht werden. Die zunehmende Bedeutung des Themas spiegelt sich auch in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit wider. In der Arbeit der Weltbank, der Vereinten Nationen, der Bundesregierung sowie zahlreicher Nichtregierungsorganisationen (NRO) bildet das Thema Wasser einen wichtigen Schwerpunkt. Die Ansätze der verschiedenen Akteure für eine gerechtere und nachhaltigere Versorgung mit und Nutzung von Wasser unterscheiden sich allerdings teilweise erheblich voneinander.
III. Die globale Wasserkrise Von einer globalen Wasserkrise ist im europäischen Lebensumfeld wenig zu spüren. Jedoch hat gut ein Fünftel der Weltbevölkerung keinen Zugang zu Trinkwasser. Zudem wird die wertvolle Ressource in vielen Regionen der Erde zunehmend knapper. Woher kommt dieser Zustand? Wer ist besonders betroffen? Wie viel Wasser haben wir zur Verfügung auf unserem Planeten und wie ist es verteilt?
1. Der natürliche Wasservorrat der Erde Die Ozeane bedecken 71 % der Erdoberfläche. Sie beinhalten 97,4 % der insgesamt 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser des blauen Planeten Erde. Die restlichen 2,6 % dieses Wassers haben einen Salzgehalt von unter 0,2 % und werden somit als Süßwasser bezeichnet. Von diesen 35 Millionen Kubikkilometern Süßwasser steht uns Menschen zum direkten Gebrauch nur ein geringer Anteil zur Verfügung. Der Löwenanteil des Süßwassers ist in den Polkappen und Gletschern gebunden. Füllte man das gesamte auf der Erde vorkommende Wasser in eine Badewanne, so hätte der Anteil des uns zugänglichen Süßwassers in einem Fingerhut Platz. Entscheidend für den menschlichen Bedarf ist die erneuerbare Süßwassermenge pro Kopf und Jahr. Für jedes Land werden aus Niederschlag, Verdunstung, Oberflächenzu- und -abflüssen Wasserbilanzen erstellt. In trockenen Gebieten, in Nordafrika etwa oder im Nordosten Brasiliens, wo das Verdunstungspotential ein Vielfaches des Niederschlags beträgt, liegt das Pro-KopfAngebot an erneuerbarem Wasser entsprechend niedrig. Wird eine Menge von
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Atmosphäre, Flüsse, Lebewesen
Direkt für Menschen und andere Organismen verfügbar 0,014%
Bodenfeuchtigkeit
Grundwasser 22% Seen Süßwasser 2,6%
Polkappen und Gletscher 77%
Salzwasser (Ozeane) 97,4%
Quelle: Misereor.
Abbildung 1: Wasservorkommen auf der Erde in Prozent
1.700 Kubikmetern erneuerbares Wasser pro Kopf und Jahr in einem Land unterschritten, bezeichnet man dies als Wasserknappheit. Bei 1.000 Kubikmetern oder weniger spricht man von Wassermangel. Demnach leiden heute rund 30 Länder der Welt an Wassermangel, hauptsächlich in Afrika und im Nahen Osten.
2. Symptome der Wasserkrise Das beunruhigendste Symptom der Wasserkrise ist der mangelnde Zugang und die Folgen, die sich daraus ergeben. 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Dies bedeutet, dass sie nicht die Möglichkeit haben, sich täglich im Umkreis von einem Kilometer Wasser zu verschaffen, und ihnen gleichzeitig weniger als 5 Liter Wasser pro Person und Tag zur Verfügung stehen. Wenn nichts dagegen unternommen wird, könnte – UN-Schätzungen zufolge – diese Zahl bis 2025 auf 2,5 Mrd. anwachsen. Zudem haben rund 2,4 Milliarden Menschen – 40 % der Weltbevölkerung – keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen, d. h. keine Möglichkeit, ihre Fäkalien hygienisch zu beseitigen. Diese Bedingungen verursachen Krankheiten, die täglich 6.000 Menschenleben, hauptsächlich von Kindern unter 5 Jahren, fordern. Der zum Jahr des
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Süßwassers 2003 erstmals veröffentlichte Weltwasserentwicklungsbericht der Vereinten Nationen vergleicht die Zahl dieser Kinder mit 20 Jumbo-Jets, die jeden Tag abstürzen, ohne Überlebende zu hinterlassen. Dieser drastische Vergleich zeigt den Ernst der Wasserkrise. Von der Wasserkrise unmittelbar betroffen sind vor allem die Armen in den Entwicklungsländern. Achtzig Prozent aller Krankheiten dort sind wasserbedingt. Wasserbedingte Krankheiten werden übertragen durch das Trinken von hygienisch unreinem Wasser, durch den Hautkontakt mit verseuchtem Wasser oder durch die Ansteckung über Wirts- bzw. Übertragungstiere wie Stechmücken oder Wasserschnecken. In den ärmsten Ländern leidet die Hälfte aller Menschen an einer oder mehreren wasserbedingten Krankheiten. Gesundheitliche Schäden, die sich aus dem Wasserholen ergeben, kommen noch hinzu. Insbesondere Frauen und Mädchen sind oftmals mehrere Stunden am Tag unterwegs, um Wasser für ihre Familien zu besorgen. Das Tragen der schweren Lasten über Jahre hinweg verursacht schwere gesundheitliche Schäden vor allem an der Wirbelsäule. Die mangelnde Versorgung verursacht aber nicht nur gesundheitliche Probleme. Die Beschaffung von Wasser fordert für viele Familien ein hohes Maß ihrer täglich verfügbaren Arbeitszeit und Kraft. Dies vermindert die wirtschaftliche Produktivität der Familien und macht gleichzeitig den regelmäßigen Schulbesuch vieler Kinder und Jugendlicher unmöglich. Hinzu kommt, dass den Familien zusätzliche Kosten entstehen. Die oben beschriebenen Krankheiten, die durch den Konsum hygienisch bedenklichen Wassers verursacht werden, müssen mit teuren Medikamenten behandelt werden. Diese Situation hemmt die soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieser Familien enorm. Mit dem steigenden Nutzungsdruck auf die Wasserressourcen steigt schließlich die Belastung des natürlichen Wasserhaushaltes. Die Wasserqualität und -quantität können langfristig in ihrer natürlichen Beschaffenheit immer schwerer gesichert werden. Die ökologischen Störungen des natürlichen Wasserhaushaltes potenzieren die Wasserprobleme für zukünftige Generationen. Obwohl sich die Wasserkrise in erster Linie in den armen Regionen der Welt auswirkt, wird aufgrund ihres Ausmaßes von einer globalen Wasserkrise gesprochen. Darüber hinaus sind die Ursachen der Krise teilweise von globaler bzw. internationaler Dimension, wie im Folgenden verdeutlicht wird. 3. Ursachen der Wasserkrise Rein rechnerisch stünden jedem Menschen nach heutigem Stand 6.500 Kubikmeter Süßwasser pro Jahr zur Verfügung. Diese Menge liegt deutlich über der als ausreichend angesehenen Menge von 1.700 Kubikmetern pro Kopf und
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Jahr. Die Ursachen der globalen Wasserkrise liegen daher woanders. Ein Grund liegt zunächst in der ungleichen Verteilung dieser theoretischen Menge auf die einzelnen Regionen, Länder und Bevölkerungsgruppen. Zudem spielen Verschwendung und Verschmutzung des verfügbaren Wassers eine entscheidende Rolle. Der Eingriff des Menschen in das Ökosystem, das Bevölkerungswachstum und veränderte Ernährungsmuster tragen weiter ihren Anteil an der heutigen Krise. Schließlich sind auch Probleme beim Management der knappen Ressource mitverantwortlich für die bestehenden Probleme. Die Wasserkrise basiert also auf einem ganzen Ursachenbündel, auf das im Folgenden näher eingegangen wird.
a) Ungleiche Verteilung Es wird deutlich, dass die globale natürliche Verteilung des Pro-KopfAngebots äußerst ungleichmäßig ist. Die Grönländer führen die Rangliste an. Ihnen stehen heute pro Person und Jahr 10 Millionen Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Es folgen Alaska, Französisch-Guayana und Island. Demgegenüber stehen den Kuwaitern nur 10 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr zur Verfügung. Nicht viel besser geht es den Bewohnern Palästinas, der Vereinigten Arabischen Emirate, der Bahamas oder der Malediven. Deutschland steht mit 1.878 Kubikmetern erneuerbarem Wasser pro Person und Jahr auf Platz 134 der Weltrangliste. Es gehört somit nicht zu den 40 Prozent der Landmasse, die man als arid bzw. semi-arid bezeichnet. Diesen Trocken- bzw. Halbtrockenzonen stehen nur 2 Prozent des globalen Süßwasservorkommens zur Verfügung. Demzufolge gibt es zwar rein rechnerisch genügend Süßwasser für alle, allerdings sind die natürlichen regionalen Verfügbarkeiten äußerst ungleich verteilt. Bei der Verteilung der verfügbaren Wasserressourcen spielt für viele Länder das Flusswasser eine besondere Rolle. Denn bei mehr als 300 Flüssen weltweit müssen sich benachbarte Länder über die Verteilung und Reinhaltung des Flusswassers einig werden. Das Land am Oberlauf des Flusses befindet sich hierbei meistens in einer mächtigeren Verhandlungsposition. So zum Beispiel die Türkei, wenn sie mit Syrien und dem Irak über die Nutzung des Wassers von Euphrat und Tigris verhandelt. Weitere Beispiele für gemeinsame Wassernutzung sind der Nil mit 10 Anrainerstaaten oder der Rio Grande, über dessen Ressourcen sich die USA und Mexiko einig werden müssen. Ebenfalls ungleich verteilt ist das Wasser zwischen Israel und Palästina. Das Wasser für die Versorgung der Israelis kommt aus dem Jordan, der größtenteils auf den Golanhöhen entspringt und durch den Norden Israels über den See Genezareth weiter in das Westjordanland fließt. Sowohl die Golanhöhen als auch der See Genezareth sind in israelischer Hand, was Israel ermöglicht, rund drei Viertel des Jordanwassers zu entnehmen. Flussabwärts, im Palästinensergebiet, kommt nur noch
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sehr wenig an. Die geographische Ungleichverteilung des Wassers erlaubt es somit einigen, mehr Wasser zu verbrauchen als andere. Gerade das Beispiel Israel-Palästina zeigt aber auch, dass Macht- und Wohlstandsgefälle ebenfalls eine Rolle bei der Verfügbarkeit von Wasser spielen. Betrachtet man über den Globus verteilt verschiedene Gebiete, so fällt auf, dass noch mehr als die natürlichen Gegebenheiten die ökonomische und politische Situation die Verfügbarkeit und die Verbrauchsraten von Wasser bestimmen. So können sich die Südkalifornier als Bewohner einer wasserarmen Gegend einen täglichen durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 3.000 Litern sowie eine flächendeckende Versorgung leisten. Im vergleichsweise wasserreichen, aber wirtschaftlich ärmeren Nicaragua dagegen haben nur 66 % der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser und der durchschnittliche Pro-KopfVerbrauch beträgt 150 Liter pro Tag. Die niedrigsten Pro-Kopf-Verbräuche sind dort zu beobachten, wo materielle Armut und Wasserarmut zusammentreffen. Ein Bewohner der Sahelzone kann sich bereits glücklich schätzen, wenn er täglich Zugang zu 30 Litern Wasser hat. b) Verschwendung Auf der weiteren Suche nach den Ursachen der Wasserkrise stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der Ressource. In vielen Bereichen wird Wasser verschwendet. Insbesondere in Städten der Entwicklungsländer versickert oder verdunstet vielerorts wertvoll aufbereitetes Wasser ungenutzt, weil die bestehenden Versorgungsnetze aufgrund mangelnder Instandhaltung undicht sind. Einige Wassertechniken, wie z. B. Toiletten mit Wasserspülung (die teilweise große Mengen an Trinkwasser beanspruchen), sind verschwenderisch an sich. Nicht zuletzt führt oftmals auch das Verhalten der Verbraucher zu Verschwendung. Während in wasserreichen Gebieten die Verschwendung von Wasser im Rahmen der Siedlungswasserwirtschaft vorwiegend ökonomische Auswirkungen – sowohl für den einzelnen Verbraucher als auch für die Allgemeinheit – haben mag, trägt sie in wasserarmen Gebieten entscheidend zur Verknappung und Übernutzung der Ressource bei. Besonderes Augenmerk erfordert der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft. Weltweit werden 69 % des vom Menschen genutzten Wassers für die landwirtschaftliche Produktion in Anspruch genommen. In vielen Entwicklungsländern liegt die Rate sogar um die 80 %. Bedenklich ist dabei, dass sich der Verbrauch in diesem Bereich im 20. Jahrhundert verfünffacht hat, während die Weltbevölkerung „lediglich“ um das 3,5fache gewachsen ist. Das heißt, es wird heute im Durchschnitt mehr Wasser für die Pro-Kopf-Nahrungsproduktion verbraucht, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung Industrie 21%
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Landwirtschaft 69%
Haushalt 10%
Datenquelle: United Nations World Water Development Report 2003.
Abbildung 2: Globale Verteilung der Wasserressourcen nach Sektoren
Dazu hat in erheblichem Maße die Ausbreitung wasserintensiver Produktionsmuster und -techniken beigetragen. Insbesondere die Ausweitung der Bewässerungslandwirtschaft hat zu großen Verschwendungsraten geführt. Vierzig Prozent aller Nahrungsmittel werden heute durch künstliche Bewässerung produziert. Dabei erreicht weniger als die Hälfte des Bewässerungswassers die Pflanzen. Ein Anteil von 60 % und mehr verdunstet und versickert, bevor er von den Pflanzen aufgenommen werden kann. Durchschnittlich werden in der Bewässerungslandwirtschaft für die Produktion einer Tonne Nahrungsmittel 1.000 Tonnen mehr Wasser als im Regenfeldbau verbraucht. Die Verschwendung in der Landwirtschaft hat beim gleichzeitig steigenden Urbanisierungsund Industrialisierungsgrad der Erde in vielen Regionen zu Nutzungskonflikten geführt bzw. diese verschärft. Weiterhin hat sie rund um die Welt zu einer dramatischen Übernutzung der Wasserressourcen geführt. Das Wasservolumen vieler Flüsse sowie viele Grundwasservorräte haben sich erheblich reduziert. Zum Beispiel verringerte sich die Wassermenge im Aralsee in den letzten 40 Jahren um die Hälfte durch Wasserentnahmen am Zufluss zur Bewässerung von Reis und Baumwolle. Das Wasser des Gelben Flusses (Huang He) in China hat aufgrund großer Wasserentnahmen für die Bewässerung seit den 80er Jahren oftmals nicht mehr seine Mündung ins Meer erreicht. In vielen Regionen in Indien müssen Brunnen für die Bewässerung immer tiefer gegraben werden, weil die Wasserentnahme die Grundwasserneubildung inzwischen um mehr als das Doppelte übersteigt. In Nordafrika und im Südwesten der USA wird fossiles Grundwasser, das sich über Jahrtausende angereichert hat, für die Bewässerungslandwirtschaft angezapft.
c) Verschmutzung Neben dem verschwenderischen Umgang mit Wasser leistet die Verschmutzung der unersetzbaren Ressource ihren Beitrag zur Verknappung und damit zur heutigen globalen Wasserkrise. Täglich werden zwei Millionen Tonnen Abfälle wie Hausmüll, Chemikalien, Medikamentenrückstände oder Düngemit-
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tel in die Oberflächengewässer entsorgt. In Afrika sind in 160 Großstädten weniger als 20 Prozent aller Behausungen an ein Abwasserreinigungssystem angeschlossen. 90 Prozent aller Abwässer in Entwicklungsländern werden unbehandelt in die Umgebung entlassen. Dabei verschmutzt jeder Liter Abwasser acht Liter Frischwasser. Das Grundwasser bleibt von der Verschmutzung nicht verschont. Insbesondere die massive Anwendung von Pestiziden und Düngemitteln in der Landwirtschaft hat vielerorts (sowohl in Entwicklungsländern als auch in Industrieländern) großflächig Giftstoffe in das Grundwasser eingespült. Auch die Übernutzung des Grundwassers kann zur Verschmutzung des Grundwassers führen. Wenn beispielsweise an Küstenstreifen mehr Grundwasser entnommen wird als nachfließen kann, können sich die unterirdischen Druckverhältnisse so verändern, dass Meerwasser ins Grundwasser eindringt und somit wertvolle Trinkwasserquellen unbrauchbar werden. Durch Verschmutzung verringert sich die vorhandene Menge an verfügbarem sauberem Süßwasser oft so weit, dass Menschen in zahlreichen Regionen verschmutztes Wasser trinken und nutzen, mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgewirkungen.
d) Eingriffe in das Ökosystem Die folgenschweren Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt und insbesondere in den natürlichen Wasserkreislauf beeinflussen die Verfügbarkeit von sauberem Wasser erheblich. Der Weltwasserentwicklungsbericht der Vereinten Nationen geht davon aus, dass die globalen Klimaveränderungen für 20 Prozent der weltweiten Wasserknappheit verantwortlich sind. Infolge der Erderwärmung nehmen Naturkatastrophen zu. 1991 waren 147 Millionen Menschen, 2000 sogar 211 Millionen Menschen von Naturkatastrophen betroffen. 90 Prozent dieser Extremereignisse waren Überschwemmungen oder Dürrekatastrophen. Vielerorts wächst die Häufigkeit von Sommerdürren. Durch die Abnahme von Niederschlägen und die Erhöhung der Verdunstung verringern sich die vorhandenen Wasserressourcen. Auch nicht klimatische Faktoren haben Veränderungen des natürlichen Wasserhaushalts zur Folge. Durch landwirtschaftliche Nutzflächen ging im letzten Jahrhundert die Hälfte aller Feuchtgebiete verloren. Darüber hinaus trugen vielerorts Entwaldung sowie Flächenversiegelung zur Reduktion der Wasserspeicherkapazität des Bodens bei.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
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e) Bevölkerungswachstum Während des 20. Jahrhunderts verdreifachte sich die Weltbevölkerung. Vor allem in den Entwicklungsländern nimmt die Bevölkerung weiterhin stark zu, teilweise mit Raten von bis zu 3 % per anno und in städtischen Ballungsräumen sogar bis zu 7 % per anno. Damit verringert sich unweigerlich das Pro-KopfAngebot an Süßwasser. Der Nutzungsdruck auf die verfügbaren Wasserressourcen steigt. In diesem Zusammenhang werden zunehmend Regionen besiedelt, die unter Wassermangel leiden. Auf dem afrikanischen Kontinent beispielsweise mussten sich viele Nomadenvölker in wasserarmen Gegenden niederlassen, obwohl sie traditionell immer dahin zogen, wo es für Mensch und Vieh genug Wasser gab. In den Entwicklungs- und Transformationsländern stellt der starke Bevölkerungszuwachs eine wesentliche Ursache für die Verknappung der Wasserressourcen dar.
5.000
6 5
4.000
Industrie
3.000
4 3
Weltbevölkerung 2.000
2 Landwirtschaft
1.000
1 0
0 1900
Weltbevölkerung in Milliarden
Kubikkilometer Frischwasser
Haushalt
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
Datenquellen: Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (2003); Info for Health; www.infoforhealth.org (2003).
Abbildung 3: Entwicklung des globalen Wasserverbrauchs im letzten Jahrhundert im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum
f) Veränderte Ernährungsmuster Mit dem wachsenden Wohlstand verändern sich in der Regel die Ernährungsmuster. Dies war vor allem in den Industrieländern im Laufe des letzten Jahrhunderts deutlich zu beobachten, gilt aber auch für die einkommensstarken Schichten in den Entwicklungsländern. Zum einen hat der Konsum von tierischen Lebensmitteln, wie Fleisch- und Milchprodukten, massiv zugenommen.
172
Jean-Gérard Pankert
Zum anderen ist auch der Verbrauch von tropischen Produkten gestiegen. Beides hatte eine Erhöhung des weltweiten Wasserverbrauchs zur Folge. Insbesondere die fleischbetonte Ernährung stellt bezüglich der Verknappung des Wassers ein Problem dar. Für die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch wird etwa zehn Mal so viel Wasser verbraucht wie für die Produktion eines Kilogramms Weizen. Wenn – wie vielfach der Fall – die Futtermittel für die Viehzucht aus anderen Regionen der Welt importiert werden, wirkt sich der Wasserverbrauch in diesen Regionen aus und nicht dort, wo das Fleisch konsumiert wird. Vielfach sind Entwicklungsländer die Lieferanten von Futtermitteln für die Fleischproduktion in den Industrieländern. Übernähme die ganze Welt die fleischbetonte Ernährung von uns Menschen in den reichen Ländern, würden weltweit schätzungsweise 75 % mehr Wasser zur Nahrungsmittelproduktion benötigt3.
g) Management Eine weitere Ursache der Wasserkrise liegt im mangelhaften Management der Wasserressourcen. „Management“ meint dabei die Organisation und Finanzierung der Wasserversorgung und sanitären Grundversorgung bzw. Abwasserbehandlung, die Verteilung des verfügbaren Wassers zwischen verschiedenen Nutzern sowie den Schutz der natürlichen Wasserressourcen. Insbesondere in den Entwicklungsländern herrscht oft ein mangelhaftes Wassermanagement. Fehlende Finanzmittel, der Einsatz nicht angepasster Techniken und Preissysteme, unzureichende Gesetzesgrundlagen sowie fehlende politische Mitbestimmung und Kontrolle durch die Bevölkerung tragen zum unzureichenden Zugang der Menschen zu sauberem Wasser, zur Benachteiligung armer Bevölkerungsgruppen sowie zur Degradation der Ressource bei. Die Verantwortung für diesen Zustand liegt allerdings nicht nur bei den Entwicklungsländern. So sind viele der nicht angepassten Konzepte und Techniken in den Wassersektoren der Entwicklungsländer durch die Industrieländer exportiert und gefördert worden, Konzepte und Techniken, die in den Industrieländern oft nur funktionieren, weil diese über die notwendigen Finanzmittel für ihre angemessene Umsetzung und Instandhaltung verfügen. Nicht zuletzt sind rohrleitungsgebundene Systeme in den Industrieländern deshalb effizient, weil hier eine kritische Bevölkerungsdichte in der Fläche überschritten wird. Dies ist in Entwicklungsländern selten der Fall. Dort entwickeln sich städtische Agglomerationen meist in der Fläche. Im ländlichen Raum bestehen Dörfer meistens aus Streusiedlungen. Auch in diesem Fall sind leitungsgebundene Systeme ineffizient. ___________ 3
Feststellung des World Water Forum 2003 in Kyoto, Japan.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
173
IV. Lösungsstrategien für die Wasserkrise Die größten Herausforderungen in Bezug auf die Wasserkrise bestehen darin, –
den Zugang zu Wasser für alle Menschen zu gewährleisten,
–
der Verknappung von Wasser entgegenzuwirken,
–
die Ressource Wasser zu schützen.
Im Folgenden wird eine Reihe von Strategien, die gegenwärtig in diesem Zusammenhang erhöhte Aufmerksamkeit genießen, vorgestellt und aus entwicklungspolitischer Perspektive bewertet. Im Hinblick auf die Sicherung des Zugangs zu Wasser wird dem Thema Privatisierung und Liberalisierung im Wassersektor der meiste Platz eingeräumt, den derzeit wohl meist diskutierten und umstrittensten Konzepten für diesen Problembereich. 1. Privatisierung und Liberalisierung4 Seit Anfang der 90er Jahre setzen zahlreiche Regierungen sowie bi- und multilaterale Entwicklungsorganisationen, einschließlich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, verstärkt auf die Beteiligung der Privatwirtschaft zur Lösung des Problems des mangelnden Zugangs zu Wasser. Hiervon versprechen sie sich vor allem zusätzliche Investitionen sowie ein effizientes wasserwirtschaftliches Management. Den offiziellen Schätzungen zufolge ist zur Erreichung der international vereinbarten Wasserversorgungsziele eine zusätzliche jährliche Investition von 60 bis 100 Milliarden US-Dollar notwendig. 5 Weil diese nicht allein durch öffentliche Mittel zu erbringen sind, wird der Privatwirtschaft als Finanzier eine Schlüsselrolle beigemessen. Da viele öffentliche Wasserversorgungsunternehmen in den Entwicklungsländern durch mangelnde Effizienz, Korruption und Patronage gekennzeichnet sind, erhofft man sich von der Privatisierung auch eine Lösung dieses Problems. Durch privates Management sollen die Wasserdienstleister unabhängig von politischen Entscheidungsträgern agieren können und sich dadurch stärker an den Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucher bzw. ihrer Kunden orientieren. Dadurch, dass private Unternehmen ein Interesse daran haben, ihr Wasser an möglichst ___________ 4 Privatisierung im Wasserbereich bedeutet, ein öffentliches Wasserversorgungsunternehmen – für eine bestimmte Anzahl von Jahren oder auf unbegrenzte Zeit – in private Hände zu legen. Die Liberalisierung des Wassersektors zielt darauf ab, den Wettbewerb zwischen verschiedenen Wasserversorgungsunternehmen zu ermöglichen und zu fördern. 5 Die gegenwärtige Investitionshöhe beläuft sich auf rund 80 Mrd. US-Dollar.
174
Jean-Gérard Pankert
viele Verbraucher zu verkaufen, erhofft man sich eine schnelle Erweiterung der Versorgung. Durch die Schaffung eines ökonomischen Preises für die Bereitstellung des Wassers soll zudem eine effizientere Nutzung der Ressource erreicht werden. Wettbewerb zwischen verschiedenen Wasserdienstleistern (Liberalisierung) soll gewährleisten, dass die Preise nicht zu hoch sind und die Kosten möglichst gering gehalten werden. Die Rolle des Staates soll sich nach dem Privatisierungskonzept darauf beschränken, geeignete Rahmenbedingungen für die private Wasserversorgung zu schaffen. Die Entwicklungszusammenarbeit soll sich vornehmlich darauf konzentrieren, Staat und Kommunen in ihrer Regulierungsfunktion sowie bei der Beauftragung privater Betreiber zu unterstützen. Entwicklungsmittel sollen im Rahmen von Partnerschaften mit der Wirtschaft (Public Private Partnerships – PPP) als „Hebel“ für die Mobilisierung privaten Kapitals eingesetzt werden. Bisher haben die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) die Schlüsselstellung bei der Förderung der Privatisierung im Wassersektor eingenommen. Sowohl im Rahmen von Strukturanpassungs- und Kreditprogrammen als auch im Zusammenhang mit Maßnahmen zum Schuldenerlass wurden Privatisierungen im Wassersektor durchgesetzt. Die Privatisierung der Wasserversorgung wurde oftmals zur Bedingung für die Vergabe von Krediten oder für eine Entschuldung gemacht. Beispielsweise verlangte der IWF von Tansania die Privatisierung der Wasserversorgung in der Hauptstadt Daressalam als Voraussetzung für die Entschuldung des Landes im Rahmen der HIPC-Initiative. Ähnliche Vorgaben sind für die Länder Mosambik, Kenia, Kamerun und Ghana von Seiten des IWF gemacht worden.6 Die Privatisierungs- und Liberalisierungstheorie hat sich in der Realität jedoch nicht immer so ausgewirkt wie erhofft. Eine Reihe von Privatisierungsmaßnahmen, die in den letzten 10 bis 15 Jahren rund um die Welt durchgeführt wurden, ist gescheitert. Dabei traten insbesondere folgende Probleme auf: –
Erhebliche Preissteigerungen für Trinkwasser.
–
Kündigung der Verträge infolge von Konflikten (z. B. Nichteinhaltung der Verträge seitens der Unternehmen oder Proteste seitens der Bevölkerung) und anschließende hohe Entschädigungsforderungen der Unternehmen an den Staat.
–
Rückzug der Unternehmen aufgrund nicht erfüllter Gewinnerwartungen.
–
Abstellung des Wassers für Haushalte, die ihre Rechnungen nicht zahlen konnten.
___________ 6 Tan, Celine, The Water Crisis, Analysis and proposals, in: Third World Resurgence Nr. 143/144, S. 7–8; Bär, Rosmarie, Vortrag auf dem Symposium „Ohne Wasser keine Nahrung“ an der Hochschule für Landwirtschaft Zollikofen, 14. Oktober 2003.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
175
–
Mangelnde Transparenz, mangelnder Zugang zu Informationen für Verbraucher und für die öffentliche Hand/Regulierungsbehörde.
–
Durch die Konditionierung der Privatisierung (z. B. im Rahmen von Weltbank- oder IWF-Programmen) kam es dazu, dass nicht Unternehmen um die Wasserversorgung in den jeweiligen Ländern bzw. Städten konkurrieren, sondern letztere um die Investoren, was zu einer Schwächung ihrer Verhandlungsposition führte.
–
Als private Dienstleister kamen in der Regel globale Konzerne wie Ondeo (ehem. Suez), Veolia (ehem. Vivendi), RWE, Saur oder Bechtel zum Zuge. Kaum mehr als ein Dutzend Unternehmen teilen sich bislang den Weltmarkt.
–
Ein großer Teil des Gewinns blieb nicht im Land der Investition, sondern floss ins Ausland zurück.
–
Arme und ländliche Gebiete waren für die Privatwirtschaft uninteressant und blieben unerschlossen.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Einführung von Marktmechanismen ohne eine effektive Regulierung im Wasserbereich problematisch ist. Dies hängt damit zusammen, dass Wasser keine einfache Handelsware, sondern ein besonderes Gut ist. Das betrifft zum einen technische Aspekte, aber vor allem die Besonderheit von Wasser als unersetzbarem und unverzichtbarem Stoff des Lebens.
a) Liberalisierung im Wassersektor ist nur begrenzt möglich Im Wasserbereich sind den Thesen der Liberalisierungstheorie (Effizienz und Qualität des Angebots erhöhen sich, der Wettbewerb senkt Kosten und Preise) schon durch die bestehenden technischen Barrieren Grenzen gesetzt. Ein Wettbewerb wie in der Energieversorgung oder im Telekommunikationsbereich kann in der Wasserwirtschaft kaum stattfinden. Wasser ist kein homogenes Gut wie z. B. Strom; die Vermischung unterschiedlicher Wasserqualitäten im Netz ist sehr problematisch. Daher ist die Durchleitung von Wasser verschiedener Anbieter durch ein und dasselbe Netz sowie die Möglichkeit, über dieses Netz das Wasser eines bestimmten Anbieters zu beziehen, praktisch unmöglich.7 Die Option, parallele Leitungen zur Öffnung des „natürlichen Monopols“ Wasserversorgung zu bauen, ist aufgrund der hohen Kosten nicht ___________ 7 Vgl. Bender, Michael, Die Wasserrahmenrichtlinie und die Privatisierung/Liberalisierung der Wasserwirtschaft, in: Forum Umwelt und Entwicklung (Hrsg.), Wasser als Streitpunkt der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik, 2001.
176
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realistisch. Es bleiben für die Wasserversorgung also nur eingeschränkte Wettbewerbsformen übrig, bei denen kein direkter Wettbewerb um Verbraucher möglich ist: Ausschreibungen von Versorgungsgebieten8 oder ein sog. Benchmarking, d. h. ein Vergleich einzelner Anbieter9. Aufgrund der dargestellten Beschränkungen kann eine Liberalisierung der Wasserversorgung verbunden mit einer Privatisierung dazu führen, dass ein öffentliches Monopol lediglich durch ein privates ersetzt wird. Ein privates gewinnorientiertes Monopol ist dabei unter Umständen schwieriger nach den Interessen des Gemeinwohls auszurichten. Dass es auch ohne Privatisierungsmaßnahmen geht, hat die „National Water and Sewerage Corporation“ in Uganda trefflich bewiesen. 1998 für bankrott erklärt, schreibt sie unter ihrem neuen Geschäftsführer William Muhaire nach umfangreichen ökonomischen Sanierungsmaßnahmen wieder schwarze Zahlen zu Gunsten der Staatskasse.10
b) Schwierige Rahmenbedingungen insbesondere im Süden Die Regulierung der privaten Beteiligung im Wassersektor ist von zentraler Bedeutung. Sie muss dafür sorgen, dass der private Betreiber seine Monopolstellung nicht ausnutzt, sondern das Interesse des Gemeinwohls berücksichtigt (Zugang für ärmere Bevölkerungsgruppen, Gesundheit, Umwelt- und Ressourcenschutz). Unter den in vielen Ländern des Südens vorherrschenden Rahmenbedingungen, wie mangelndes Know-how, Finanzengpässe, Korruption etc., stellt sich eine funktionierende Regulierung als schwer realisierbar dar. Der dringendste Bedarf an Wasserdienstleistungen herrscht oft in den Ländern, in denen der öffentliche Sektor am schwächsten ist. Gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit des Misslingens von Privatisierungsmaßnahmen in den Ländern mit einem schwachen Staat am höchsten.11
___________ 8 Es kommt der Anbieter zum Zuge, der die geforderten Leistungen am günstigsten anbietet. 9 Eine Stadt oder Region wird in mehrere Versorgungsgebiete aufgeteilt, die dann an unterschiedliche Unternehmen vergeben werden. Dadurch wird ein Vergleich ermöglicht. Die Verbraucher können den Anbieter zwar nicht wechseln (außer durch Umzug), sich aber beschweren, wenn die Leistungen ihres Versorgers schlechter sind als die der Unternehmen in den anderen Gebieten. 10 Vgl. Elliesen, Tillmann, Wasser marsch! Ugandas Wasserversorger war bankrott. Die Weltbank riet: privatisieren. In Brand Eins 02/2008 S. 24–30. 11 Vgl. Gleick, Peter et al., The New Economy of Water, The Risks and Benefits of Globalization and Privatization of Fresh Water, 2002.
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Dass privatwirtschaftlich betriebene Wasserversorgung ipso facto korruptionsfrei betrieben wird, ist sehr anzuzweifeln. Der Corriere della Sera schreibt am 03. November 2009: „Privatized water: The risks of a choice Italy – The Italian Senate in Rome is debating a new law that would allow all the country’s water services to be run by private firms. […] In Italy, privatization has often resulted in higher water rates (as exemplified by Latina Province, where Veolia increased rates by 300 %) and sometimes in organized crime infiltrating the market (as in the regions of Sicily and Calabria)“.12
c) Wasser als rein ökonomisches Gut Private Unternehmen arbeiten gewinnorientiert. Ihr Interesse an der Wasserwirtschaft ist also nicht in erster Linie die Sicherstellung von Grundbedürfnissen und Menschenrechten oder ein schonender Umgang mit Ressourcen, sondern die Erwirtschaftung von Profit. In der Möglichkeit, mit einer zunehmend knapper werdenden Ware Handel zu betreiben, sehen Privatunternehmen vielversprechende Geschäftsaussichten („Das Erdöl des 21. Jahrhunderts“). Nach Angaben der Weltbank sind die weltweiten Wassermärkte bis zu 800 Milliarden US-Dollar wert, wodurch sie mit der Größenordnung des Marktes für fossile Brennstoffe vergleichbar sind.13 Wasser verstärkt in private Hände zu überführen, birgt die Gefahr, dass sowohl die Versorgung als auch der schonende Umgang mit der knappen Ressource primär ökonomischen Interessen untergeordnet werden. Zwar haben private Unternehmen ein Interesse daran, möglichst viele Kunden mit ihrer Ware (hier: Wasser) zu versorgen, und streben damit grundsätzlich eine Ausweitung der Versorgung an. Allerdings bleibt offen, wie dies in Gebieten mit vorwiegend armer Bevölkerung gelingen soll. Der Anspruch auf Erweiterung und Verbesserung steht hier in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur Armut und der begrenzten Kaufkraft der Menschen – und das bei einem Gut, das unersetzbar und lebensnotwendig ist. Trotz negativer Erfahrungen wird die Privatisierung – insbesondere seitens der Industrieländer und internationaler Organisationen, in denen diese Länder den größten Einfluss haben – vielfach noch als wichtige Strategie zur Sicherung des Zugangs zu Wasser propagiert. Noch im März 2003 stellte der ehemalige IWF-Chef Michel Camdessus auf dem Dritten Weltwasserforum in Kyoto einen zu diesem Anlass unter seiner Leitung erstellten Bericht über Finanzie___________ 12
Summary by Louise Shaler, Global Water News Watch; source: www.corriere.it/ archiviostorico.corriere.it/2009/novembre/03/Acqua privatizzata rischi una scelta co 9 091103131.shtml. 13 Vgl. Zagema, Bertram, GATS und Wasser, in: WEED (Hrsg.), GATS und Demokratie, 2001.
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rungswege in der weltweiten Wasserversorgung („Financing Water for All“) vor, der für eine verstärkte Privatisierung der Wasserversorgung und für einen leichteren Zugang ausländischer Unternehmen zu den Wassermärkten der Entwicklungsländer plädiert. Auch der „Wasseraktionsplan“, der von den G8-Ländern auf ihrem Gipfel im französischen Evian Anfang Juni 2003 beschlossen wurde, sieht eine intensivere Beteiligung der Privatwirtschaft an der Wasserversorgung in den Ländern des Südens vor. Es gibt jedoch auch Anzeichen für ein Überdenken des bisher fast dogmatisch verfolgten Privatisierungskurses. So stellt die Weltbank in ihrem jüngsten Entwicklungsbericht fest, dass es „sowohl positive als auch negative Erfahrungen mit (Wasser-)Privatisierungsmaßnahmen gegeben hat“, und folgert daraus, dass „keine Einzelstrategie passend für alle Dienstleistungssektoren in allen Ländern sein kann“.14 Allerdings werden als Gründe des Scheiterns von Privatisierungsvorhaben hauptsächlich die Rahmenbedingungen angeführt („Design und Umsetzung“), so dass die Kritik an der Strategie selbst wieder relativiert wird. In dieser Hinsicht ergebnisoffener ist – im Gegensatz dazu – die Initiative zur Durchführung einer internationalen „Multistakeholder Review“ zur Wasserprivatisierung, die von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durch die GTZ unterstützt wird. Ziel dieser Überprüfung, welche unterschiedliche Akteure und Sichtweisen zusammenführt, ist es, im Dialog einen Konsens darüber zu erreichen, wie die auf dem Millenniumsgipfel vereinbarten Wasserziele am besten umzusetzen sind. Damit wird eine Forderung zivilgesellschaftlicher Organisationen aufgegriffen, die seit langem eine umfassende Evaluierung der bisherigen Privatisierung und ihrer Folgen im Wassersektor fordern.
2. Sicheres Trinkwasser durch Flaschenwasser? Der Konsum von Flaschenwasser ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Der Markt für Flaschenwasser ist ein Sektor mit einem Umsatz von 35 Mrd. US-Dollar (2001). Vor allem in den Industrieländern konsumieren die Menschen immer mehr Flaschenwasser, aber auch in den Entwicklungsländern ist der Trend steigend. Während in den Industrieländern vor allem „Lifestyle“Gründe sowie Geschmack und Mineralien des Wassers zum Boom vom Flaschenwasser beitragen, bedingt in Entwicklungsländern hauptsächlich die mangelnde hygienische Sicherheit von Leitungswasser die Nachfrage. Die Sicherung der Versorgung mit Trinkwasser durch Flaschenwasser wird von niemandem ernsthaft als gangbare Strategie vertreten. Doch internationale Konzerne ___________ 14 Weltbank: Making Services Work for Poor People, World Development Report 2004.
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nutzen die mangelnde Trinkwasserversorgung in den Entwicklungsländern aus, um ihren Markt zu erweitern. In Flaschen verkauftes Wasser kann nur in geringem Maße dazu beitragen, den Bedarf an sauberem Trinkwasser in den Entwicklungsländern zu decken, denn es ist zu teuer. Kritiker einer verstärkten Vermarktung von Flaschenwasser in Entwicklungsländern fürchten jedoch, dass die erhöhte Verfügbarkeit von Flaschenwasser zu einer Vernachlässigung der Leitungswasserqualität führen könnte. Als weitere problematische Folge einer Ausweitung des Marktes für Flaschenwasser wird die Übertragung von lokalen Wasserrechten an die Produzenten von Flaschenwasser gesehen.
3. Erhöhung des Wasserangebotes Ansätze, um der Wasserknappheit zu begegnen, die unter diese Rubrik fallen, zielen darauf, mit Hilfe von technischen Lösungen mehr Wasser dort zur Verfügung zu stellen, wo der Wasserbedarf nicht gedeckt werden kann. Hierzu gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Man transportiert Wasser von wasserreichen Gebieten in wasserarme Regionen, oder man sucht in den von Wasserknappheit betroffenen Gebieten nach neuen Wasserquellen. Der Transport von Wasser über weite Wege hinweg ist seit Jahrhunderten betrieben worden, jedoch werden die Ausmaße immer größer. In Spanien gibt es beispielsweise Pläne, das Wasser des Ebro aus dem Norden des Landes über ein Kanalsystem von Hunderten von Kilometern in den wasserarmen Süden umzuleiten. Auf diese Weise soll der Wasserbedarf für Tourismus und Landwirtschaft gedeckt werden.15 Um dem Wasserbedarf der Stadt Peking nachzukommen, will China das Wasser des 1.500 km entfernten Yangtse anzapfen. Die Kosten solcher Projekte sind extrem hoch, die ökologischen Schäden unabsehbar. Eine Erweiterung der Strategie des Wassertransports über Kanäle und Pipelines im nationalen Umfang besteht in der die Lieferung von großen Wassermengen über Staatsgrenzen hinweg. Die Türkei und Israel haben bereits einen Vertrag zur Lieferung großer Wassermengen in Tankschiffen unterschrieben (die Türkei liefert das Wasser, und Israel liefert im Gegenzug Waffen). Und auch in diesem Bereich sieht die Privatwirtschaft geschäftliche Möglichkeiten. So machen in Kanada Unternehmen der Regierung immer wieder Druck, Wasser aus den Großen Seen exportieren zu dürfen. Die Regierung hält bisher allerdings das Exportverbot aufrecht. ___________ 15
den.
Das Vorhaben ist durch die Regierung Rodríguez Zapatero vorerst gestoppt wor-
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Eine weitere Möglichkeit der Erhöhung des Wasserangebots ist die Förderung von fossilen Grundwasservorräten. Saudi-Arabien nutzt beispielsweise fossiles Wasser aus der Tiefe für seine Weizenbewässerung. In Libyen gibt es ein Projekt, fossiles Wasser unter der Saharawüste zu fördern und über 1500 km zu transportieren, um die Bewässerungslandwirtschaft im Norden des Landes auszuweiten. Ansätze zur Erhöhung des Wasserangebots durch Wassertransporte über weite Strecken oder durch das Anzapfen fossiler Grundwasservorräte bergen die Gefahr, dass sie letztendlich Scheinlösungen sind, die die Wasserprobleme bloß zeitlich und räumlich verlagern. Eine wirkliche Methode zur Erhöhung des Süßwasserangebots ist die Meerwasserentsalzung. Jedoch sind die Kosten und der Energieaufwand für diese Verfahren gegenwärtig noch sehr hoch, so dass sie als Lösungsstrategie insbesondere für die Länder des Südens nur bedingt in Frage kommen.
4. Handel mit virtuellem Wasser Eine relativ hohe Aufmerksamkeit hat jüngst das von Wissenschaftlern16 eingeführte Konzept des Handels mit „virtuellem Wasser“ erlangt. Als virtuelles Wasser wird die Menge an Wasser bezeichnet, die zur Produktion eines landwirtschaftlichen Produktes benötigt wird. Beispielsweise werden zur Produktion von einem Kilogramm Weizen im Durchschnitt 1000 Liter Wasser benötigt – das heißt, ein kg Weizen enthält ca. 1000 Liter virtuelles Wasser. Der Handel mit virtuellem Wasser ist somit der Handel mit Agrarprodukten umgerechnet in die Menge an Wasser, die für ihre Produktion verbraucht wurde. Mit einem Kilo Reis importieren wir z. B. ca. 2500 Liter virtuelles Wasser, mit einem Kilo Bananen ca. 500 Liter. Führen wir ein Kilo Rindfleisch aus, exportieren wir damit rund 13000 Liter virtuelles Wasser.17 Gegenwärtig stellt der Handel mit virtuellem Wasser eher einen Nebeneffekt des Handels mit Agrarprodukten dar. Das Konzept des Handels mit virtuellem Wasser als Instrument zur Linderung der Wasserkrise sieht vor, beim Handel mit Agrarprodukten stärker auf das in diesen Produkten enthaltene virtuelle Wasser zu achten und Handelsströme in diesem Sinne auch zu steuern. Regionen bzw. Länder mit ausgiebigen Wasservorkommen sollten Agrarprodukte produzieren und ausführen, und solche mit Wasserknappheit sollten Agrarprodukte importieren. Dies, so die These, würde den Druck auf die knappe Ressource Wasser verringern und somit zu einer weltweit effizienteren Wassernut___________ 16
Vor allem Tony Allan und A. Y. Hoekstra. Studer, C./Arnold, T./Hoff, H., Handel mit Virtuellem Wasser, in: Forum Umwelt und Entwicklung, Rundbrief 3/2003. 17
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zung und höheren Wasserproduktivität führen.18 Diese These erscheint zwar grundsätzlich plausibel, jedoch blendet das Konzept den sozialen, ökologischen und politischen Kontext aus. Betrachtet man das Konzept in einem ganzheitlichen Zusammenhang, birgt es mehr Gefahren als Chancen – insbesondere für Entwicklungsländer: –
In den Entwicklungsländern ist ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig – durch den Import von Agrarprodukten könnte ihre Existenz gefährdet sein.
–
Um Agrarprodukte zu importieren, sind Devisen notwendig – ein Zwang zum Import von Lebensmitteln könnte zu einer weiteren Verschuldung von wasserarmen Entwicklungsländern führen.
–
Die Nahrungsabhängigkeit der Länder mit Wasserknappheit von solchen mit großen Wasservorkommen könnte gleichzeitig zu einer politischen Abhängigkeit führen.
–
Bei einer Beeinträchtigung der Exportkapazitäten (z. B. durch eine Dürre) könnte die Nahrungssicherung von Importländern gefährdet sein, denn vermutlich würden Exportländer der eigenen Versorgung Priorität geben.
–
Der Export von virtuellem Wasser kann zur Übernutzung von Grundwasservorkommen führen.
–
Ein vermehrter weltweiter Transport von Agrarprodukten kann negative ökologische Folgen haben.
–
Notwendige Reformen im Wassersektor könnten hinausgeschoben oder nicht realisiert werden.
Das Konzept, den Handel mit virtuellem Wasser als Lösungsstrategie im Rahmen der globalen Wasserproblematik zu verfolgen, erscheint aus den aufgeführten Gründen fraglich. Unabhängig davon kann das Konzept allerdings als Instrument zur Messung des „Wasser-Fußabdrucks“ von Ländern (d. h. das Maß, in dem die Ressource in Anspruch genommen wird – auch über die eigenen Grenzen hinweg) verwendet werden, um das Bewusstsein zu stärken und deutlich zu machen, auf welche Weise und in welchem Umfang Ernährungsgewohnheiten und Konsumverhalten Einfluss auf den weltweiten Wasserverbrauch ausüben. Beispielsweise liegt der virtuelle Pro-Kopf-Verbrauch von Wasser in Europa bei 4000 Litern pro Tag, in Asien nur bei 1400 Litern. 19 Ausschlaggebend für diesen Unterschied ist vor allem die fleischbetonte Ernährungsweise der Europäer. ___________ 18 Studer, Christoph, Wasser im Essen, Vortrag auf dem Symposium „Ohne Wasser keine Nahrung“, Zollikofen, Oktober 2003. 19 United Nations World Water Development Report 2003.
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5. „More Crop per Drop“ Ein weiterer Ansatzpunkt, um der Verknappung von Wasser und der damit steigenden Nutzungskonkurrenz (z. B. zwischen Landwirtschaft und menschlicher Wasserversorgung) entgegenzuwirken, ist, den Wasserverbrauch in der Landwirtschaft zu drosseln. Dieses Ziel soll dadurch erreicht werden, dass Techniken und Methoden entwickelt und angewandt werden, die es ermöglichen, mehr Lebensmittel mit weniger Wasser zu produzieren. So sollen verstärkt landwirtschaftliche Praktiken gefördert werden, die Wasserverluste reduzieren. Hierzu zählen beispielsweise verbesserte Methoden der Aussaat, verbesserte Drainageverfahren sowie eine bessere Planung der Bewässerung je nach Wetter und klimatischen Bedingungen – neben der natürlichen Verdunstung durch die Pflanze soll es möglichst keine weitere Verdunstung geben. Des Weiteren soll für die Bewässerung Wasser verschiedenen Ursprungs benutzt werden. Hierzu zählen sowohl eine verbesserte Nutzung von Regenwasser als auch ein verstärkter Einsatz von Wasser geringerer Qualität (z. B. Brackwasser, aufbereitete Abwässer). Schließlich sollen nach der „More Crop per Drop“Strategie auch verbesserte Pflanzensorten zum Einsatz kommen, die eine höhere Produktivität bezüglich ihres Wasserverbrauchs aufweisen. In diesem Zusammenhang verspricht man sich nicht zuletzt von der Gentechnik neue Sorten, die hochproduktiv und dürretolerant sind.20 Die Suche nach Wegen, mehr Lebensmittel mit weniger Wasser zu produzieren, ist ein wichtiger Schwerpunkt der internationalen Agrarforschung. Beispielsweise startete 2003 die Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR)21 ein weltweites, groß angelegtes Forschungsvorhaben, das u. a. untersuchen soll, wie die Wasserproduktivität in der Landwirtschaft so erhöht werden kann, dass zukünftig nicht mehr Wasser für die Landwirtschaft gebraucht wird als im Jahr 2000.22 Das Ziel des „More Crop per Drop“-Ansatzes ist begrüßenswert. Schließlich ist die Landwirtschaft mit ca. 70 % am Süßwasserverbrauch beteiligt und damit größter Nutzer. Im 20. Jahrhundert hat sich dieser Verbrauch verfünffacht, während die Weltbevölkerung „lediglich“ um das 3,5fache gewachsen ist. 23 Allerdings sind viele Lösungsvorschläge des Konzepts zu stark auf die Wasserproduktivität ausgerichtet und vernachlässigen andere relevante Gesichtspunkte, wie z. B. konventionelle Produktions- und Konsummuster als Ursachen für die Wasserverknappung. So werden Produktionssysteme und Essgewohnheiten, ___________ 20
Vgl. www.fao.org/ag/magazine/0303sp2.htm. Consultative Group on International Agricultural Research, 1971 von Weltbank, FAO und UNDP gegründet, mit dem Ziel, Forschungsgelder für landwirtschaftliche Projekte in Entwicklungsländern bereitzustellen. 22 Vgl. www.waterforfood.org/Theme01_summery.asp. 23 Alt, Franz, Wege einer neuen Wasserpolitik, in: Misereor (Hrsg.): Wasser – eine globale Herausforderung, 1996. 21
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die in den letzten Jahrzehnten zu einer erhöhten Wasserintensität in der Landwirtschaft geführt haben, kaum thematisiert. Neue technische Lösungen, wie z. B. gentechnisch verbesserte Hochleistungssorten, versprechen eine erhöhte Wasserproduktivität, doch was wären weitere Folgen? Ist beispielsweise ausgeschlossen, dass eine Abhängigkeit der Bauern von Saatgutfirmen entsteht?
6. Integriertes Wasserressourcenmanagement Das Konzept des integrierten Wasserressourcenmanagements ist eng mit dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung verbunden. Gemäß dem Leitbild der Nachhaltigkeit können Lösungsstrategien für die verschiedenen Problembereiche der menschlichen Entwicklung nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn sie gleichermaßen soziale, ökologische und ökonomische Aspekte sowie ihre Zusammenhänge beachten. Spätestens seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, hat das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auch Eingang in die Wasserpolitik gefunden. In der Agenda 21, dem zentralen Beschlussdokument dieser Konferenz, heißt es: „Oberstes Ziel ist die gesicherte Bereitstellung von Wasser in angemessener Menge und guter Qualität für die gesamte Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der hydrologischen, biologischen und chemischen Funktionen der Ökosysteme, Anpassung der Aktivitäten des Menschen an die Belastungsgrenzen der Natur und Bekämpfung der Vektoren wasserinduzierter Krankheiten“ (Agenda 21, Kap. 18).
Das integrierte Wasserressourcenmanagement ist die Strategie, mit der ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Wasser erreicht werden soll. Die Agenda 21 formuliert hierzu: „Die weitverbreitete Knappheit, die allmähliche Zerstörung und die zunehmende Verschmutzung der Wasserressourcen in vielen Regionen der Erde im Verbund mit der kontinuierlichen Zunahme unverträglicher Tätigkeiten machen eine integrierte Planung und Bewirtschaftung der Wasserressourcen erforderlich. Bei einer solchen integrierten Vorgehensweise müssen alle Arten von untereinander in Verbindung stehenden Gewässern [...] einbezogen und Mengen- und Güteaspekte gebührend berücksichtigt werden. Der sektorübergreifende Charakter der Wasserwirtschaft im Gesamtzusammenhang der sozioökonomischen Entwicklung muss ebenso anerkannt werden wie die unterschiedlichen Interessen dienende Nutzung der Gewässer, etwa für die Wasserversorgung, die Industrie und die Entwicklung der Städte, die Erzeugung von Wasserkraft [...]“.
In zahlreichen Konferenzen, Abschlusserklärungen und Aktionsprogrammen haben die Staatengemeinschaft sowie die einzelnen Länder ihre Absicht zur Umsetzung eines integrierten Wasserressourcenmanagements bekräftigt. Das Konzept ist zwar allgemein anerkannt – tatsächlich ist es jedoch bisher nur unzureichend umgesetzt worden. Es gibt einzelne positive Ansätze, wie die Anpassung von Regelwerken (z. B. Europäische Wasserrahmenrichtlinie) oder
184
Jean-Gérard Pankert
die Neudefinition von Planungsräumen nach Wassereinzugsgebieten von Flußläufen. Insgesamt dominieren jedoch sektorale Ansätze. Insbesondere ist es noch nicht gelungen, den soziokulturellen und ökologischen Zielen einer nachhaltigen Wasserwirtschaft das notwendige Gewicht zu verleihen. Dazu trägt bei, dass es keine allgemeingültige Definition des Terminus „integriertes Wassermanagement“ gibt, die konkrete und verbindliche Kriterien festlegt. Ähnlich wie in der Agenda 21 bleiben die Definitionen auch in anderen relevanten Dokumenten unpräzise. Durch die stetige Neuauslegung bzw. Neudefinition dessen, was unter dem Konzept zu verstehen ist, wird es zunehmend aufgeweicht. Hierzu hat auch die Tatsache beigetragen, dass sich der Schwerpunkt der Wasserpolitik teilweise von der UNO zu Organisationen wie dem World Water Council24 verschoben hat, bei denen u. a. die Wasserindustrie und die Weltbank einflussreiche Akteure sind. Vor diesem Hintergrund ist von Seiten der Zivilgesellschaft, aber auch der Wissenschaft der Ruf nach einer völkerrechtlichen Wasserkonvention laut geworden, die konkrete Elemente einer nachhaltigen Wasserpolitik und eines integrierten Wasserressourcenmanagements benennt.25
V. Bausteine für eine nachhaltige Wasserpolitik Im vorherigen Kapitel sind verschiedene Konzepte dargestellt worden, die eine Linderung der Wasserkrise zum Ziel haben. Vor- und Nachteile dieser Ansätze wurden benannt. Viele Konzepte sehen eine starke Kommodifizierung26 des Wassers vor – nach der Prämisse, dass Knappheitspreise und Marktmechanismen die Verteilung am effizientesten steuern können, wenn die Ressource knapp wird. Andere Konzepte beruhen zum Teil auf der Vorstellung, dass für jedes Problem eine technische Lösung gefunden werden kann. Insgesamt dominieren sektorale Ansätze – obwohl allgemein anerkannt ist, dass es eines integrierten Wasserressourcenmanagements bedarf, um die Wasserproblematik zu lösen. Damit Wasserversorgung und Wasserbewirtschaftung ökologisch, sozial und ökonomisch verträglich gestaltet werden können, sind sowohl wasserpolitische Rahmenbedingungen, die dies fördern, als auch Umsetzungsansätze und Techniken, die sich an Nachhaltigkeitsprinzipien orientieren, notwendig.
___________ 24
Vgl. http://www.worldwatercouncil.org. In Deutschland empfahl beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Jahresgutachten 1997 die Vereinbarung einer „Weltwassercharta“. 26 Kommodifizierung benennt den Prozess des Zur-Ware-Werdens von Dingen. 25
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
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1. Politische Rahmenbedingungen a) Wasser muss als globales Gemeinschaftsgut anerkannt werden Die steigende Nachfrage nach Wasser durch das Bevölkerungswachstum, die Verknappung der Ressource durch Umweltdegradation sowie die Nutzungskonflikte zwischen Stadt und Land, Wasser für Bewässerung, Wasser für die industrielle Produktion etc., nehmen infolge der wachsenden internationalen Verflechtung von wirtschaftlichen Prozessen zunehmend eine globale Dimension an. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, Wasser zu einem privaten Gut zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, dass die Politik Wasser zu einem globalen Gemeinschaftsgut erklärt. Wasser ist für den Menschen sowie für die Ökosysteme unersetzbar und hat daher einen öffentlichen Charakter. Es wird zunehmend wichtig, diesen öffentlichen bzw. gemeinschaftlichen Charakter von Wasser zu unterstreichen und zu sichern. Wasser als globales Gemeinschaftsgut anzuerkennen, würde bedeuten, dass Wasser als gemeinsames und natürliches Welterbe definiert wird, das für zukünftige Generationen bewahrt werden muss. Infolgedessen müsste Wasser für immer in öffentlicher Verantwortung bleiben und durch wirkungsvolle lokale, nationale und internationale, am Gemeinwohl orientierte Regelwerke geschützt werden – beispielsweise durch eine internationale Wasserkonvention und durch nationale Wasserpläne und -gesetze.
b) Das Menschenrecht auf Wasser muss respektiert, geschützt und umgesetzt werden Durch die Verabschiedung des allgemeinen Rechtskommentars zum Recht auf Wasser durch das Komitee der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte im November 2002 ist ein erster Schritt in Richtung Anerkennung von Wasser als globales Gemeinschaftsgut getan worden. Die Anerkennung von Wasser als Menschenrecht bedeutet, dass Staaten die Hauptverantwortung für die Sicherung und Umsetzung dieses Rechtes tragen. Das Menschenrecht auf Wasser berechtigt jeden zu „ausreichendem, gesundheitlich unbedenklichem, annehmbarem, physisch zugänglichem und erschwinglichem Wasser für den persönlichen und haushaltsbezogenen Bedarf“. Es ist Aufgabe der Staaten, ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen in diesem Zusammenhang nachzukommen: Sie müssen das Menschenrecht auf Wasser achten, schützen und gewährleisten. Konkret bedeutet dies, dass (1) der existierende Zugang nicht durch staatliche Handlungen verhindert werden darf, (2) der Staat dafür sorgen muss, dass Dritte – z. B. Unternehmen – die Wahrnehmung des Rechts auf Wasser nicht behindern und (3) der Staat die Umset-
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zung des Rechts auf Wasser aktiv fördern muss. Diese Verpflichtungen umfassen auch die internationale Ebene. Folglich müssen internationale Verträge (z. B. GATS), Projekte (z. B. PPP) und Aktivitäten privater Unternehmen (z. B. im Rahmen von Privatisierungen) entsprechend überprüft bzw. kontrolliert werden. Es ist Aufgabe der Politik, für alle Menschen auf der Erde den Grundbedarf an Wasser, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und dessen gerechte Verteilung sicherzustellen.
c) Transparenz, Partizipation und Anerkennung traditioneller Ansätze Ein integriertes, nachhaltiges Wasserressourcenmanagement bedarf der Einbindung der verschiedenen Nutzergruppen und Beteiligten in die Planung und Durchführung. Darüber hinaus sind Offenheit und Transparenz notwendige Bedingungen für eine nachhaltige Wasserversorgung und -bewirtschaftung. Transparenz erhöht die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten aller Beteiligten. Partizipation ist nicht nur ein Mittel, den notwendigen Konsens und die Akzeptanz für Reformen zu erreichen, sondern auch Voraussetzung für einen effizienteren und sozial verantwortlichen Umgang mit Wasser, der insbesondere den Armen zugutekommt. Durch echte Beteiligung kann zudem die Vielfalt von verschiedenen „Wasserkulturen“ (Wasserrechte, Bewirtschaftungssysteme etc.) erfasst und wahrgenommen werden; diese Vielfalt muss anerkannt werden. In diesem Zusammenhang sollte die westlich geprägte „Kultur“ nur als einer unter vielen Lösungsansätzen für die Wasserprobleme der Welt betrachtet werden.
d) Subsidiarität Subsidiarität ist die Voraussetzung für Partizipation. Denn nur wenn die Verantwortung für das Wasser von der untersten möglichen Entscheidungsebene (z. B. Kommune, Gemeinde, Dorf, Nachbarschaft) mitgetragen werden kann, ist Mitbestimmung möglich. Demzufolge müssen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass die unterste Ebene in der Lage ist, Verantwortung für den Umgang mit Wasser zu übernehmen. Ein integriertes Wasserressourcenmanagement muss „von unten getragen werden“. In dieser Hinsicht kann es sinnvoll sein, die Ausführung der Wasserbewirtschaftung gemeinnützigen Organisationen, wie z. B. Nutzergenossenschaften, oder unabhängigen kommunalen Unternehmen zu überlassen.
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
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e) Sozial gerechte Preisgestaltung Wasser sollte in der Regel einen Preis haben. Denn die Kosten für Ver- und Entsorgungssysteme oder sonstige Wasser- und Abwasserinfrastruktur, für ihre Wartung sowie für den Schutz der Wasserressourcen müssen gedeckt werden. Darüber hinaus kann ein Wasserpreis ein Anreiz zum Wassersparen sein. Ziel sollte die Etablierung kostendeckender Preissysteme sein. Preise und Leistungen sollten sich allerdings auch nach der Zahlungsfähigkeit der Menschen richten. Durch einen nachfrageorientierten Ansatz muss garantiert werden, dass alle zu jeder Zeit wenigstens ihren Grundbedarf an Wasser decken können. Instrumente einer nachfrageorientierten und sozial gerechten Preisgestaltung können beispielsweise angepasste Technik (geringere Kosten) sowie nach Verbrauchsmenge gestaffelte Tarife oder sonstige Quersubventionierungen sein. Letztere können auch ein kostenloses Minimum vorsehen. Eine sozial gerechte Preisgestaltung kann auch bedeuten, dass eine nichtmonetäre Bezahlung (z. B. in Form von Arbeitskraft) ermöglicht wird.
f) Wasserschutz Verschmutzung, Übernutzung, Verbauung, Verschwendung und sonstige negative Beeinträchtigungen des natürlichen Wasserhaushalts müssen weitestgehend vermieden werden. Um dies zu gewährleisten, sollten entsprechende Instrumente zum Einsatz kommen (z. B. Polluter-pays-System, Prinzipien der World Commission on Dams etc.) Die Wasserbewirtschaftung muss auf der Ebene des Ökosystems ansetzen. Ein integriertes Wasserressourcenmanagement ist erforderlich, welches das Wassereinzugsgebiet als Planungsgrundlage verwendet und alle Einflussfaktoren, wie z. B. die Versorgung der Menschen, die Abwasserbehandlung, die Land- und Forstwirtschaft, die Industrie etc., in die Planung und Bewirtschaftung einbezieht.
g) Finanzierung Die Finanzierung notwendiger Investitionen in die Wasserversorgung und in das gesamte Wasserressourcenmanagement muss sichergestellt werden. Für die Länder des Südens gilt dabei, dass sowohl die Entwicklungsländer selbst als auch die Industrieländer einen Beitrag hierzu leisten müssen. In diesem Zusammenhang wäre es bereits ein Erfolg, wenn die Staaten und internationalen Organisationen ihre 20:20-Initiative vom Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995 konsequent umsetzen würden. Darüber hinaus muss Entwicklungsländern der finanzielle Spielraum für die Verbesserung ihrer Wassersektoren verschafft
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werden. Wesentliche Voraussetzungen hierfür sind eine umfassende Entschuldung und ein gerechteres Welthandelssystem. Insgesamt gilt es, nach gerechten, vielfältigen, innovativen und angemessenen Finanzierungswegen zu suchen. Angemessen bedeutet dabei auch, dass man bei den Herausforderungen im Wassersektor auf Lösungsansätze setzt, die effizient, aber nicht teuer sind. Der Water Supply and Sanitation Collaborative Council (WSSCC) hat in diesem Kontext beispielsweise geschätzt, dass es beim Verzicht auf „high-tech, high-cost-projects“ und dem Einsatz von einfachen, angepassten Lösungen jährlich nur 10 Mrd. Dollar zusätzlich kosten würde, die international vereinbarten Ziele im Bereich Wasser und sanitäre Einrichtungen zu erreichen.27
2. Ansätze zur Umsetzung Neben günstigen Rahmenbedingungen bedarf es konkreter Instrumente und Techniken, um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wasserressourcen zu erreichen. Es gibt eine Reihe von Ansätzen für ein integriertes Wasserressourcenmanagement, die einer stärkeren Förderung bedürfen. Zu diesen Ansätzen gehören: –
integrierte Wasserbewirtschaftungspläne, die sich auf das gesamte Wassereinzugsgebiet beziehen,
–
Nachhaltige Landwirtschaftstechniken,
–
kostengünstige Wasserversorgungssysteme,
–
Versorgungssysteme, die auf lokalem Wissen aufbauen,
–
Versorgungssysteme auf der Basis lokal verfügbarer Materialien,
–
partizipative Methoden bei der Planung und im Betrieb.
___________ 27
Vgl. Comments of Richard Jolly, Chair, WSSCC on the Report of the World Panel on Financing Water Infrastructure as Chaired by Michel Camdessus, in the press conference held Friday 21st March 2003, WWF3 at Kyoto 2003, unter: www.wsscc.org/ download/Camdessus %20document.doc; Brot für die Welt (Hrsg.): Wasser für die Armen durch Hilfe für die Industrie?, 2003. (Konventionelle Schätzungen gehen von zusätzlichen 60-100 Mrd. Dollar aus.)
Privatisierung der Trinkwasserversorgung
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VI. Zentrale Ziele von Misereor in Bezug auf Wasserprojekte 1.
Grundrechte im Wasserbereich sind gesichert.
2.
Wasser wird in angemessener Menge und Qualität von den Nutznießergruppen genutzt.
3.
Der Umgang mit Wasser ist hygienisch und fördert die Gesundheit der Nutznießergruppen.
4.
Benachteiligte Gruppen entwickeln sich gewaltfrei.
5.
Die Bedürfnisse von Frauen und Männern sind in gleichem Maße berücksichtigt.
6.
Neue nachhaltige Wasserressourcen wurden hinzugewonnen, bestehende sind geschützt.
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten Von Rahel Schomaker
I. Einführung Wasser ist ein notwendiger Grundstoff für das menschliche (Über-)Leben, Wasserinfrastruktur eine gleichermaßen wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftlichen Wohlstand. Kaum eine andere natürliche Ressource ist damit von ähnlicher Bedeutung für das einzelne Individuum wie auch die gesamte Gesellschaft. Mit dieser besonderen Bedeutung erklärt sich die Heftigkeit der Diskussion über eine stärkere „Ökonomisierung“ der Ressource Wasser, wie sie aktuell in Industriestaaten wie Entwicklungsländern gleichermaßen geführt wird. Die Idee, Wasser als Wirtschaftsgut zu behandeln, wird spätestens seit der internationalen Konferenz „Wasser und Entwicklung“ in Dublin im Januar 1992 als neues Mittel der Wahl diskutiert. Ziel dieses Paradigmenwechsels ist es, eine „effiziente und gerechte Nutzung [der Ressource Wasser] herbeizuführen“1. Effizienz und Gerechtigkeit können also als die Kriterien angesehen werden, anhand derer neue Formen des Wassermanagements beurteilt werden sollen – und welche vom Status quo offensichtlich nicht erfüllt werden, gilt es doch, sie zuerst noch herbeizuführen. Effizienz bildet an dieser Stelle gleichsam eine notwendige Bedingung, ohne deren Erfüllung eine Veränderung des Status quo nicht sinnvoll erscheint, geht man doch davon aus, dass ein Paradigmenwechsel hin zu einer „Ökonomisierung“ der Ressource bestehende Ineffizienzen überwinden soll. Gerechtigkeit hingegen kann als hinreichende Bedingung verstanden werden, deren Vorliegen den besonderen Implikationen der Ressource Wasser gerecht wird. Obgleich sicherlich insbesondere der Begriff der Gerechtigkeit2 an dieser Stelle von Un___________ 1
BMZ (1999), S. 138. Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff der Gerechtigkeit daher im Wesentlichen im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit, jedoch auch einer Bedürfnisgerechtigkeit verstanden. 2
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Rahel Schomaker
schärfen geprägt ist, erscheint doch vor dem Hintergrund dieser Kriterien eine Diskussion über die Möglichkeiten, aber auch Grenzen einer Behandlung von Wasser als Wirtschaftsgut notwendig. Dies gilt umso mehr für die weniger entwickelten Staaten der Erde, die z. T. unter erheblichem Wassermangel und seinen Folgeerscheinungen leiden und daher mehr noch als viele Industriestaaten auf ein effizientes und gerechtes Wassermanagement angewiesen sind. Das im vorliegenden Beitrag behandelt Beispiel des Nahen Ostens ist dabei in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die weniger entwickelten Regionen der Welt, stellt jedoch gleichzeitig aufgrund seiner Geographie, Wirtschaftsstruktur und einer speziellen, religiös motivierten Sicht auf die Ressource Wasser einen Sonderfall dar, welcher die aktuellen Probleme der Wasserversorgung zwischen Markt und Staat deutlich zutage treten lässt. Obgleich die Multifunktionalität der Ressource Wasser, ebenso wie ihre enge Verknüpfung mit anderen Teilen des globalen Ökosystems, fraglos eine umfassende Diskussion der „Ökonomisierung“ der Ressource rechtfertigen würde, stellt der vorliegende Beitrag doch schwerpunktmäßig auf einen in der öffentlichen wie auch politischen Debatte besonders heftig umstrittenen Teilbereich ab, die Wasserversorgung der Endnutzer.
II. Wasserinfrastruktur zwischen marktlicher und staatlicher Bereitstellung Wasserversorgung (und, damit eng verbunden, Abwasserentsorgung) ist ein klassisches Infrastrukturgut.3 Obwohl nur schwerlich allgemeingültig zu definieren, kann unter Infrastruktur „jener Teil des Kapitalstocks einer Volkswirtschaft verstanden [werden], der Voraussetzung ist für eine Vielzahl an gleichzeitigen und unterschiedlichen wirtschaftlichen Aktivitäten“4 oder auch „den Unterbau einer Volkswirtschaft, ohne den jede direkte produktive wirtschaftliche Betätigung […] unmöglich wäre“5. Es handelt sich also um Güter und Dienstleistungen von allgemeiner, d. h. über Partialinteressen hinaus gehender wirtschaftlicher Bedeutung. Ausgehend von der Annahme, dass nur auf diesem Wege staatlichen Ordnungsinteressen entsprechend gedient sei, liegt die Bereitstellung von Wasser___________ 3 Der Begriff der Infrastruktur entstammt ursprünglich dem französischen Eisenbahnsystem und bezeichnete hier insbesondere die erdverbundenen Anlagen; vgl. Hartwig (2005), S. 9. 4 Hartwig (2005), S. 9. 5 Knorr (2005), S. 37.
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
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infrastruktur traditionell in staatlicher Hand.6 Sowohl Planung als auch Betrieb und Erhaltung der entsprechenden Infrastrukturanlagen erfolgt in diesem Fall staatlich; die Finanzierung ist durch Steuern und/oder Gebühren gewährleistet. Auch die Herstellung der entsprechenden Infrastrukturgüter wird in diesem Modell oftmals durch den Staat übernommen. Diese gleichsam als „normal“ empfundene Situation der Zuständigkeit von Staaten, Gebietskörperschaften oder Kommunen bzw. Städten entspricht in vielen Staaten jedoch nicht mehr der Realität, sondern ist mehr und mehr ein Model, welches der Vergangenheit zuzuordnen ist.7 Innerhalb der letzten zwei Dekaden wurde in vielen Staaten weltweit ein verstärkter Einbezug der Privatwirtschaft in der Wasserwirtschaft vorangetrieben. Die notwendigen Voraussetzungen dieser Privatsektorbeteiligung sind zu diskutieren, bevor ihre Potentiale vor dem Hintergrund Kriterien Effizienz und Gerechtigkeit beurteilt werden können.
1. Guteigenschaften von Wasser Für einen funktionsfähigen Markt ist die Existenz eines marktfähigen Gutes – eines Individualgutes – eine basale Voraussetzung. Unter ökonomischen Gesichtspunkten wird die Frage, ob ein Individualgut oder aber ein Kollektivgut vorliegt, anhand verschiedener Kriterien beantwortet. Hauptunterscheidungsmerkmal ist dabei die Tatsache, dass Kollektivgüter von mehreren Nutzern ohne nennenswerte Einschränkung gemeinsam genutzt werden können, Individualgüter dagegen nicht. Für verschiedene Arten von Kollektivgütern (bzw. Mischgütern) gelten unterschiedliche Regeln für ihre Bereitstellung und Finanzierung. Diese unterscheidet sich grundsätzlich von der Finanzierung von Individualgütern.8 Die zur Klassifizierung der Güter herangezogenen Kriterien sind dabei im Einzelnen Exkludierbarkeit zahlungsunwilliger Nutzer und Rivalität im Konsum.9 Während der Grad der Exkludierbarkeit (ε) anzeigt, ob Nachfrager von der Nutzung eines Gutes wirksam und unter ökonomisch vertretbaren Kosten ausgeschlossen werden können, signalisiert der Rivalitätsgrad (λ), ob der Konsum ___________ 6
Vgl. Baietti et al. (2006), S. 1; Puwein et al. (2004), S. 88. Vgl. Guasch (2004), S. 1. 8 Insbesondere bei Mischgütern stellt sich die Frage, durch wen eine Bereitstellung erfolgen soll, den Staat oder aber private Anbieter. Dieses Problem betrifft auch „temporäre Mischgüter“, die – im Gegensatz zu Gütern, bei welchen einer der Parameter Rivalität oder Exkludierbarkeit grundsätzlich nicht gegeben ist – nur zeitweise von Rivalität betroffen sind, z. B. bei einer einmaligen Überfüllung einer Ausstellung. Eine grundsätzliche Beurteilung ist hier schwierig, es bedarf vielmehr „maßgeschneiderte[r] Arrangements“ Blankart (20087), S. 68. 9 Vgl. Blankart (20087), S. 52 f.; Zimmermann/Henke (20018), S. 48 f. 7
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Rahel Schomaker
eines Gutes durch einen Nutzer den Nutzen aus dem Konsum des gleichen Gutes für einen anderen Nutzer vermindert. Somit gibt der Rivalitätsgrad eines Gutes Auskunft über die Kosten eines zusätzlichen Nutzers und damit Hinweise auf eine ökonomisch sinnvolle Bepreisung. Im Falle „reiner“ öffentlicher Güter bzw. „prototypischer Kollektivgüter“ versagt der Marktmechanismus, es können keine effizienten Mengen über den Markt bereitgestellt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass – wie historische und internationale Vergleiche zeigen – kaum Güter existieren, auf welche das Ausschlussprinzip grundsätzlich nicht angewandt werden kann bzw. dass auch die Nichtrivalität im Konsum nicht als unabänderliche Eigenschaft eines bestimmten Gutes angesehen werden kann, sondern z. B. durch den gegebenen Stand der Technik determiniert werden kann.10 Für Individualgüter hingegen kommen Märkte zustande; mit der Zahlung des Marktpreis werden ausschließliche Nutzungsrechte erworben, idealerweise sind Dritte weder positiv noch negativ im Sinne externer Effekte betroffen. Die konkrete Ausgestaltung der transferierten Verfügungsrechte bestimmt entsprechend die Möglichkeiten und Grenzen, innerhalb derer über das Gut verfügt werden kann. Für Wasser ist die Frage nach Rivalität und der Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips nicht vollkommen trennscharf zu beantworten. Differenziert werden muss in diesem Zusammenhang zwischen der eigentliche Ressource Wasser in natürlichen Speichern und Vorkommen und Wasser als Infrastrukturgut, welches leitungsgebunden zur Verfügung gestellt wird.11 Eine Einheit Wasser, welche von einem Nutzer konsumiert wird, steht – zumindest temporär und ohne weitergehende Behandlung – keinem weiteren Nutzer zur Verfügung. Unter der Annahme, dass im globalen hydrologischen Kreislauf nur eine begrenzte Menge an Wasser verfügbar ist, und Wasser somit – zumindest regional und temporär – knapp ist, ist ein Rivalitätsgrad von λ=1 oder zumindest nahe 1 anzunehmen. Komplexer gestaltet sich die Frage nach der Exkludierbarkeit zahlungsunwilliger Nutzer. Die Zuordnung von individuell spezifizierten Eigentumsrechten ist aufgrund der besonderen physikalischen und chemischen Charakteristika von Wasser nur eingeschränkt möglich. Trifft man die Unterscheidung zwischen leitungsgebundener Wasserversorgung sowie der Ressource Wasser als natürlicher Ressource, zeigt sich, dass für die natürliche Ressource ein Ausschluss zu vertretbaren Kosten per se nicht möglich ist: Eine umfassende Kontrolle der Entnahmen zu jeder Zeit an jedem Ort und ggf. die Ahndung von ___________ 10
Vgl. Fritsch et al. (20077), S. 365. Grundsätzlich kann noch weiter unterschieden werden zwischen der physischen Infrastruktur (Speicherbecken, Versorgungsnetz) und der eigentlichen Dienstleistung der Wasserbereitstellung. Dieser Tatbestand kann relevant werden, wenn über unbundling im Rahmen staatlicher Regulierungstätigkeit diskutiert wird. 11
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
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Verstößen ist weder organisierbar noch finanzierbar.12 Die Zuordnung von Eigentumsrechten ist aufgrund der besonderen Spezifika von Wasser problematisch. Wasser – sowohl als Grund- als auch Oberflächenwasser – ist eine mobile Ressource, im Rahmen des hydrologischen Kreislaufs flüchtig und anfällig für Austauschbeziehungen mit der Umwelt und auch Schadstoffen ist. Exklusive Eigentumsrechte für bestimmte Teile der Ressource Wassers sind also kaum definierbar; natürliche Wasserressourcen damit als sog. Common-Pool-Ressourcen anzusehen. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Definition spezifischer Eigentumsrechte fehlen in einem derartigen Fall für den einzelnen Nutzer Anreize, Wasser einzusparen bzw. sorgsam mit der Ressource umzugehen. Vielmehr ist mit einem derartigen Verhalten die Gefahr verbunden, dass andere Nutzer die Ressource ausbeuten. Es ist daher kurzfristig für den Einzelnen plausibel, die Ressource entsprechend eigener Bedürfnisse zu (über-)nutzen, so dass im Extremfall eine vollständige Zerstörung die Konsequenz sein kann („Tragik der Allmende“). Verglichen damit ist im Falle leitungsgebundenen Versorgung eine Exklusion jedoch recht einfach möglich.13 Theoretisch besteht die Möglichkeit, nur (im Voraus) zahlende Nutzer überhaupt an das Wassernetz anzuschließen bzw. Nichtzahler ex post physisch vom Netz zu trennen oder die Zulieferung der Dienstleistung einzustellen. Da sich jedoch eine physische Trennung vom Netz technisch recht schwierig gestaltet und diese mit hohen Kosten verbunden ist, da sie dezentral vor Ort erfolgen muss, ist an dieser Stelle die Einstellung der Zulieferung durch den Versorger der reguläre Sanktionsmechanismus. Für leitungsgebundene Wasserinfrastruktur ist also das Ausschlussprinzip gegeben und es liegt Rivalität im Konsum vor. Abschließend lässt sich feststellen, dass eine generelle, d. h. dimensionsübergreifende Bewertung von Wasser anhand ökonomischer Kriterien, die zu einem einheitlichen Ergebnis kommt, nur schwerlich möglich ist. Wasser ist weder ein reines Individualgut noch ein reines öffentliches Gut, sondern durchläuft im Laufe seiner Nutzbarmachung für eine Verwendung durch den Menschen unterschiedliche Guteigenschaften. Entsprechend ist es – abhängig davon, welche seiner Funktionen bzw. Dimensionen im Einzelnen betrachtet wird – ein privates oder ein öffentliches Gut.14
___________ 12
Vgl. Cassel/Rüttgers (2009). Vgl. Hartwig (2005), S. 17. 14 Vgl. Grobolsch (2003). 13
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2. Wasserversorgung als nicht bestreitbares natürliches Monopol Obwohl es sich bei leitungsgebundener Wasserversorgung um ein Individualgut handelt, welches grundsätzlich über den Markt bereitgestellt werden kann, ist diese doch durch besondere Charakteristika gekennzeichnet. Betrachtet man die verschiedenen Wertschöpfungsstufen der Wasserinfrastruktur – Gewinnung, Aufbereitung und ggf. Speicherung, Transport und Verteilung – gesondert, ergibt sich aufgrund von Skalenerträgen und vorliegender Subadditivität der Kostenfunktion im relevanten Bereich ein monopolistischer Bottleneck auf den beiden letzten Wertschöpfungsstufen.15 Grundsätzlich gilt, dass ein einzelner Anbieter bei Vorliegen eines natürlichen Monopols den Markt zu geringeren Kosten bedienen kann als mehrere Anbieter, es demnach aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist, dass nur ein einzelnes Unternehmen den gesamten Markt abdeckt.16. Aus Sicht des Monopolisten hingegen ist es die dominante Strategie, potentielle Konkurrenten am Markteintritt zu hindern, um auf diese Weise die für ihn anfallende Monopolrente zu sichern. Diese ergibt sich aus seiner Preissetzung, bei welcher die Grenzkosten den Grenzerlösen entsprechen (Cournot-Preis). Darüber hinausgehend können aus einem Monopol weitere gesellschaftliche Wohlfahrtverluste durch sog. X-Ineffizienzen entstehen – Effizienzverluste in der Produktion des Monopolisten, die durch mangelnde Konkurrenz bedingt sind.17 Die Feststellung eines natürlichen Monopols alleine kann nicht als ausreichend für eine evtl. notwendige Regulierungstätigkeit angesehen werden. Entsprechend der theoretischen Überlegungen zu angreifbaren Märkten (Contestable Markets) ist vielmehr zu prüfen, ob das bestehende natürliche Monopol angreifbar ist, d. h. inwieweit Anreize für andere Unternehmen bestehen, in den Markt einzutreten und damit letztendlich die Möglichkeit eines potentiellen Marktzutritts anderer Anbieter als Substitut für den fehlenden Wettbewerb im Markt dienen kann.18 Für leitungsgebundene Wasserversorgung ist die Angreifbarkeit des Marktes aufgrund hoher versunkener Kosten und der damit verbundenen Marktzutrittsschranken sowie mangelnder Ausweichmöglichkeiten der Endnutzer auf Alternativgüter nicht gegeben. Bestehende Größenvorteile lassen in einem solchen Fall Marktversagen vermuten. Darüber hinaus zu diskutieren ist auch die Frage nach eventuell mit der Bereitstellung von Wasserinfrastruktur verbundenen externen Effekten. Diese können nicht ausschließlich auf der Stufe des monopolistischen Engpasses auftreten, sondern durchaus auch auf anderen Produktionsstufen; so kann etwa die Entnahme von Wasser ___________ 15
Vgl. Rüttgers (2005), S. 31. Vgl. Oelmann (2008), S. 113. 17 Vgl. Rüttgers (2005), S. 14 f. 18 Vgl. Knieps (20052), S. 29 ff. 16
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
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aus natürlichen Speichern bereits negative Externalitäten verursachen – zum einen durch die Beeinträchtigung weiterer potentieller Nutzer, zum anderen durch den automatisch erfolgenden Eingriff in das natürliche Gewässersystem, welcher zu negativen Auswirkungen auch an weiteren, nachgelagerten Stellen des Ökosystems führen kann. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass eine funktionierende Wasserinfrastruktur einen positiven Einfluss auf die gesamtvolkswirtschaftliche Entwicklung hat, z. B. durch die Abnahme wasserinduzierter Krankheiten durch Wasseraufbereitung und die anschließende Bereitstellung qualitativ hochwertigen Trinkwassers. Auch sind gesellschaftliche Effekte zu erwarten wie z. B. die Entlastung von Frauen und Mädchen, welche traditionell für Wasserbeschaffung zuständig sind. Positive externe Effekte der entsprechenden Infrastruktur können daher abgeleitet werden, ebenso wie negative externe Effekte durch Verschmutzungen und ggf. daraus resultierende Krankheiten. Bei Vorliegen dieser Kriterien ist von Marktversagen auszugehen. Zwar kann in einem solchen Fall dennoch Wasser durch private Unternehmen bereitgestellt werden, es ist jedoch dann eine staatliche Regulierung notwendig, sofern die Kosten des Marktversagens diejenigen eines regulatorischen Eingriffs überwiegen und das Marktversagen durch den Eingriff zu beseitigen ist.19 Regulative Eingriffe sind an dieser Stelle grundsätzlich in verschiedener Form möglich, notwendige Voraussetzung – und in der Praxis, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht durchgehend vorzufinden – ist jedoch die Existenz einer geeigneten Regulierungsinstanz. Denkbar ist einerseits die Versteigerung des Rechts, den Markt als Monopolist zu bedienen, andererseits bestehen mit der Kostenregulierung und der Rate-of-ReturnRegulierung als globalen Regulierungsalternativen und den disaggregierten Ansätzen der Preisobergrenzenregulierung (price cap) und der Yardstick-Regulierung verschiedene Instrumente, mit denen eine Ausbeutung der Monopolstellung durch das den Markt bedienende private Unternehmen verhindert werden kann.20
3. Potentiale der Privatsektorbeteiligung Als Begründung für die Beteiligung privater Unternehmen bei der Bereitstellung von Wasserinfrastruktur dienen in der Praxis jedoch regelmäßig nicht etwa mögliche Effizienzzuwächse, sondern in erster Linie staatliche Finanzengpässe, wie Bult-Spiering und Dewulf feststellen: „The public sector can no longer afford larger investments, so private sector involvement is required“21. Dieses ___________ 19
Vgl. Knorr (2005), S. 40; Schomaker (2009). Vgl. dazu in Detail Knieps (20052); Oelmann (2008). 21 Bult-Spiering/Dewulf (2007), S. 1. 20
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Argument ist zweifellos zutreffend, ist doch Bau, Unterhalt und Betrieb von kostenintensiver Wasserinfrastruktur insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern für die öffentliche Hand oftmals kaum zu finanzieren. Darüber hinaus kann jedoch der Einbezug Privater – unabhängig von der im Einzelnen gewählten Form – zu erheblichen Effizienzgewinnen führen, welche aus besserem technischen Know-how, höheren Managementfähigkeiten und einer u. U. besseren Kapitalausstattung des privaten Sektors resultieren. Auch haben Manager in privaten Unternehmen einen höheren Anreiz, die Effizienz des Betriebes zu verbessern, besteht doch in der Regel ein direkter Zusammenhang zu ihrer Entlohnung und Reputation.22 Zahlreiche Beispiele von Wasserdienstleistungen unter Beteiligung Privater belegen diese Effizienzgewinne in der Praxis.23 Das Kriterium der Effizienz zu Beurteilung neuer Formen der Wasserversorgung kann also – sowohl aus theoretischer Sicht als auch mit Blick auf bestehende Projekte – regelmäßig als erfüllt betrachtet werden, wenn auch der Erfolg eines einzelnen Projektes maßgeblich von individuellen Faktoren abhängig ist und in der Realität keinesfalls in jedem Fall eine Effizienzsteigerung zu beobachten ist. Es stellt sich daher die Frage nach dem Kriterium der Gerechtigkeit, wenn über Privatsektorbeteiligung als alternative Bereitstellungsform diskutiert wird. Die oftmals von Gegnern vorgebrachten Argumente gehen grundsätzlich von einem bestehenden Zielkonflikt zwischen privatwirtschaftlichem Engagement in der Wasserversorgung einerseits und einem hohen Versorgungsgrad bzw. einer günstigen oder kostenlosen Grundversorgung, welche als gerecht im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit verstanden werden kann, andererseits aus. Ein solcher Zielkonflikt ist jedoch nicht festzustellen: Soweit die ökonomische Theorie die Bereitstellung von Wasserinfrastruktur durch private Unternehmen empfiehlt, kann davon ausgegangen werden, dass diese wohlfahrtsmaximierend ist und daher einer „ethisch“ motivierten Forderung nach einer bestmöglichen Versorgung nicht gegenübergestellt werden kann. Vielmehr kann an dieser Stelle argumentiert werden, dass es gerade die Bereitstellung durch den Staat sein kann, welche zu einer ineffizienten und damit wohlfahrtsschädlichen Versorgung führt, das „ethische“ und das „ökonomische“ Argument also als komplementär angenommen werden müssen. Die Annahme, dass das von Gewinninteressen gesteuerte private Unternehmen schlechter Wasser bereitstellen wird als ein öffentlicher Betrieb, da die Wasserversorgung nicht das primäre Ziel des Unternehmens ist, muss als kurzschlüssig bewertet werden. Vielmehr kann eine effiziente Bereitstellung an dieser Stelle als eine Art vom Mindestvoraussetzung für Herstellung einer Bedürfnisgerechtigkeit ange___________ 22 23
Vgl. Spulber/Sabbaghi (19982), S. 194. Vgl. Knorr (2008).
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
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sehen werden – nur das Vorliegen von Effizienz kann vor dem Hintergrund von Knappheit überhaupt dazu führen, dass ausreichend Wasser für die Verteilung entsprechen der Nachfrage vorhanden ist. Und auch die Frage nach einer größtmöglichen Verteilungsgerechtigkeit steht einer privatwirtschaftlichen Bereitstellung nicht entgegen. Es existieren vielmehr durchaus Möglichkeiten, diese zu gewährleisten, ohne dass der Staat die Serviceleistung der Wasserversorgung selber anbieten muss: Wird im Sinne einer staatlich erwünschten Verteilungsgerechtigkeit die allgemeine Abdeckung zumindest mit einer Basisversorgung entsprechend menschlicher Minimalbedürfnisse unabhängig von der Zahlungsbereitschaft (oder -fähigkeit) der Nutzer gewünscht, so kann diese durch eine Finanzierung der entsprechenden Basismengen durch den Staat (z. B. im Rahmen einer Kostenübernahme) erfolgen, welcher das Wasser von privatwirtschaftlichen Unternehmen bereitstellen lässt.
4. Formen von Privatsektorbeteiligung Grundsätzlich kommen verschiedene Formen des Einbezugs privater Unternehmen bei der Bereitstellung von Infrastruktur in Frage. Diese umfassen die gesamte Spannbreite zwischen einer rein staatlichen Bereitstellung durch öffentliche Betriebe auf der einen Seite und einer Vollprivatisierung andererseits. Dazwischen liegende Formen werden in der Regel in Form von Public Private Partnerships ausgestaltet. Diese Bezeichnung kann nicht als juristisch eindeutig definierter Fachterminus verstanden werden, sondern ist vielmehr ein Oberbegriff, unter dem verschiedene Arten von Kooperationen zwischen privaten Unternehmen und dem öffentlichen Sektor – sei es auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene – zusammengefasst werden können.24 „PPP ist […] ein nur allgemein gehaltener und wenig strukturierter Sammelbegriff für sehr heterogene, vielschichtige Formen und Kategorien zur Einbindung des privatwirtschaftlichen Sektors in die Finanzierung und/oder Wahrnehmung bisher öffentlicher Aufgabenerfüllung“25
Gemeinsam ist allen diesen Kooperationsformen, dass sie im Rahmen einer langfristigen und institutionalisierten Zusammenarbeit dem öffentlichen Partner Kontroll- und Einflussnahmemöglichkeiten sichern, welche bei einer vollständigen materiellen Privatisierung entfallen. Zugleich eröffnen diese Modelle dem privaten Partner die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen. Der PPP-Vertrag selbst kann dabei sehr unterschiedliche Formen in Bezug auf Laufzeit, Verantwortungsübernahme, Risiko- und Gewinnverteilung aufweisen; eine Standardisierung fehlt bislang weitgehend, ebenso wie eine weitergehende theoretische ___________ 24 25
Vgl. Jonas/Paulsen (2007). Budäus/Grüb (2007), S. 247.
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Fundierung des Konzeptes.26 Grundsätzlich gilt an dieser Stelle, dass die Tiefe der Partnerschaft durch die Verteilung von Eigentümerschaft und Risiko sowie die Übernahme der finanziellen Verantwortung determiniert ist. Dies spiegelt sich in der Regel in der Länge der Vertragslaufzeit wieder – je mehr Risiken und Kosten auf den privaten Partner übergehen, desto langfristiger ist die Vertragslaufzeit gestaltet, so dass dem privaten Partner zumindest theoretisch die Möglichkeit einer Amortisation seiner Investitionen ermöglicht wird – relevant insbesondere bei langlebigen Infrastrukturanlagen mit hohen Anfangsinvestitionen. Sonstige vertragliche Beziehungen zwischen Markt und Staat, z. B. reine Beschaffungsverträge oder Outsourcing gelten nicht als PPPs, da ihnen der zumindest potentiell langfristige Charakter fehlt.27 Wie bereits diskutiert ist Wasser in vielerlei Hinsicht kein (Infrastruktur-) Gut wie jedes andere: Mit seinen religiösen, ethischen, sozialen und politischen Implikationen wird aus Sicht staatlicher und gesellschaftlicher Akteure vielfach eine Sonderklassifikation begründet. Ob dies durchgehend zu Recht geschieht, ist sicherlich fraglich, insbesondere da mit der Wasserinfrastruktur keine Problematik eines öffentlichen Gutes verbunden ist. Dennoch sind diese politisch relevant, konstituieren sie doch staatliches Handeln: Weigert sich der Staat, die Souveränität über die nationale Wasserversorgung an (internationale) privatwirtschaftliche Unternehmen abzugeben, so ist die – aus ökonomischer Sicht – „erstbeste Lösung“, die Privatisierung des Sektors unter einem geeigneten Regulierungsregime, nicht praktikabel. Diesem Tatbestand kann dahingehend Rechnung getragen werden, als dass Privatsektorbeteiligung im Rahmen von Public Private Partnerships entsprechend als „zweitbeste“, jedoch im Rahmen der politischen Realitäten durchaus praktikable und effiziente Lösung angesehen werden kann, die neue Möglichkeiten der Bereitstellung von Wasserinfrastruktur nicht entweder durch den Staat oder den Markt, sondern durch Staat und Markt gleichermaßen eröffnet.
III. Wasser im Nahen Osten Die Situation der Wasserversorgung im Nahen Osten ist einerseits symptomatisch für viele Entwicklungsländer weltweit, zum anderen sehr speziell, da diese – zumindest teilweise – auf regionalen religiösen und kulturellen Vorstellungen basiert. Um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer zukünftigen Bereitstellung von Wasserinfrastruktur zwischen Markt und Staat in der Region beantworten zu können, sind diese spezifischen Vorstellungen daher von besonderer Bedeutung. ___________ 26 27
Vgl. Weihrauch (2008), S. 179. Vgl. Schomaker (2009).
Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
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1. Wasser in der islamischen Religion und Tradition Die Ressource Wasser nimmt in der islamischen Religion eine besondere Stellung ein, hat doch der Islam seine Wurzeln in der ariden Region der Arabischen Halbinsel und ist in seinem religiösen Normenwerk an vielen Stellen gekennzeichnet von Wassermangel und auf diesem basierenden Konflikten.28 Angesehen als Leben spendendes „Geschenk Gottes“, das im islamischen Ritus eine wichtige Rolle einnimmt, ist Wasser aus religiöser Betrachtung heraus mehr als eine beliebige natürliche Ressource und wird einsprechend anders behandelt.29 Insgesamt wird das Wort Wasser im Quran an 63 Stellen erwähnt, zahlreiche Überlieferungen aus frühislamischer Zeit und moderne Fatwas30 islamischer Rechtsgelehrter befassen sich mit dem Themenkomplex. Die Rolle des Wassers in der islamischen Tradition ist dabei sehr vielfältig, sowohl im religiösen Ritus, wie etwa der kultischen Waschung vor dem Gebet, und im täglichen Leben, aber auch in der Jenseitsvorstellung nimmt es einen wichtigen Platz ein. Zahlreiche Verweise auf die Rolle des Wassers belegen dies, wie etwa die Vorstellung, dass aus dem Wasser das menschliche Leben entstanden sei: „Und Er ist es, der aus Wasser schuf den Menschen, [...]“ (Sure 25: 56).
Entsprechend auch das Paradies, welches die Gläubigen nach ihrem Tod erwartet, in der islamischen Vorstellungswelt als wasserreicher Garten dargestellt, der weder Wasserknappheit noch mangelnde Wasserqualität kennt: „Das Bild des Paradieses, das den Gottesfürchtigen verheißen ist: darin Ströme Wasser, unverderblich, [...]“ (Sure 47: 16).
Nach der Menschheit ist Wasser die wertvollste Schöpfung Gottes – damit ist seine einzigartige Bedeutung für Leben und Wohlergehen der Menschen aus religiöser Sicht gerechtfertigt und fixiert.31 Über diese Bedeutung der Ressource für alle Menschen hinaus hat sie eine besondere Bedeutung für Muslime: Neben der Rolle des Wassers im Schöpfungsmythos, für das Leben auf der Erde und den Lebensunterhalt des Menschen ist im Quran oft die Rede von der Kraft des Wassers als reinigendes Element. Mit ihm lassen sich im physischen ___________ 28 Auch Christentum und Judentum haben ursprünglich einen besonderen kultischen Bezug zur Ressource Wasser, wie z. B. die Taufe oder die Reinigung in der Mikwe bis heute belegen. 29 Vgl. Allan (2001), S. 113; Faruqui (2001a), S.1. 30 Bei einer Fatwa handelt es sich um ein Rechtsgutachten zu einem abgegrenzten Thema, in der Regel wird darin eine Handlung als islamisch „erlaubt“ oder „verboten“ klassifiziert und es werden ggf. entsprechende Anweisungen für die Ausübung gegeben. 31 Vgl. Faruqui (2001b), S. 1.
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Sinne die körperlichen, im symbolischen Sinne die nichtkörperlichen Verunreinigungen abwaschen, die es einem Muslim verwehren, seinen Glaubensverpflichtungen nachzukommen; „[…], und sandte euch vom Himmel Wasser, euch damit zu reinigen und von euch die Unreinheit Satans zu nehmen, um eure Herzen zu stärken und (euch) damit die Füße zu festigen“ (Sure 8: 11).
Aus dieser besonderen Bedeutung des Wassers ergeben sich auch die spezifischen religiösen Anweisungen, wie mit der Ressource umgegangen werden soll: Es wird an etlichen Stellen im Quran und in verschiedenen Überlieferungen darauf hingewiesen, dass das Stillen des menschlichen Durstes vorrangig vor anderen Verwendungen ist, erst nachrangig z. B. das Tränken von Vieh und die Bewässerung von landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die Verwendung von Wasser für industrielle Zwecke und zur Erholung und Entspannung sind aus islamischer Sicht weniger prioritär, ausschließlich überflüssiges Wasser sollte also demzufolge für diese Zwecke verwandt werden. Dennoch verfügt auch die belebte Natur über starke Rechte an Wasser, ist es doch ein Geschenkt Gottes an die gesamte Schöpfung. Der Mensch hat in diesem Sinne lediglich die Rolle eines Sachwalters, nicht aber Eigentümers, seine Aufgabe ist es, die gerechte Verteilung zu gewährleisten.32 Diese religiöse Verpflichtung erfordert einen nachhaltigen Umgang mit (Wasser-)Ressourcen, welcher sich auf zweierlei Weise manifestiert: Verschwendung ist grundsätzlich nach islamischem Recht verboten, explizit auch die Verschwendung von Wasser. Nur die notwendige Wassermenge darf zum Trinken und für die Nahrungszubereitung, aber auch für die rituelle Reinigung verwandt werden.33 Auch die Verschmutzung von natürlichen Wasserressourcen wird durch religiöse Quellen des Islam ausdrücklich untersagt; so existiert etwa eine Hadith-Kompilation des Gelehrten Al Muslim34, gemäß derer das Urinieren in stehendes Wasser durch den Propheten selbst untersagt worden ist. Diese religiösen Vorschriften beruhen auf der Ansicht, dass Wasser nur in bestimmter Menge verfügbar ist.35 Auch die Frage nach einer Wiederaufbereitung von Wasser ist in der islamischen Rechtssprechung geregelt, aufgrund der mangelnden technischen Möglichkeiten in der Vergangenheit finden sich Quellen schwerpunktmäßig aus neuerer Zeit. Zahlreiche Rechtsgutachten befassen sich mit Wasseraufbereitung und der anschließenden Nutzung sowohl für weltliche als auch religiöse Zwe___________ 32
Vgl. Faruqui (2001a), S. 2. Nach einem Hadith aus der Kompilation von Buchari (Hadith 1.200) war der Prophet Mohammed selber sehr sparsam bei Waschung und Bad und verwandte für beide Handlungen maximal 3,5 Liter Wasser. Vgl. dazu auch Faruqui (2001a), S. 5. 34 Hadith 553 aus der Kompilation von Al Muslim; vgl. Faruqui (2001a), S. 5. 35 In Sure 40, Vers 18 heißt es: „Und wir haben Wasser herab gesandt vom Himmel in fester Größe.“ 33
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cke und lassen diese ausdrücklich zu.36 Vielmehr noch, die Wiederaufbereitung von Wasser ist ausdrücklich erwünscht, da es dem Gebot des Wassersparens dient. Die Verwendung des aufbereiteten Wassers unterliegt auch im rituellen Gebrauch keinerlei Einschränkung und wird ausschließlich durch eine nicht äußerlich erkennbare, aber vorauszusetzende Gesundheitsgefährdung eingeschränkt. Die erläuterte Schutzfunktion des Menschen hat denn auch weitergehende Bedeutung für die Sicht auf Wasser als Wirtschaftsgut, die Eigentumsvorstellung in diesem Zusammenhang entspricht nicht zwangsläufig dem westlichen Verständnis von Eigentum. Zu Unterscheiden in Bezug auf Wasser sind aus Sicht des Islams drei differierende Eigentumsverhältnisse.37 Wasser in Zu- und Ableitungen, Behältnissen und Reservoirs wird im Islam als Privateigentum angesehen, egal aus welcher Quelle es stammt und auf welchem Wege es entnommen wurde. Auch Wasser, welches behandelt oder aufbereitet wurde, also zusätzlicher Wertschöpfung unterzogen wurde, gilt als Privateigentum. Dieses Wasser kann vom Eigentümer uneingeschränkt genutzt und gehandelt werden und darf nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Eigentümers von anderer Seite genutzt werden.38 Fließgewässer, Seen und Brunnen auf privatem Besitz gelten aus islamischer Sicht als „eingeschränktes Gemeinschaftseigentum“, d. h. der Besitzer des Landes verfügt zwar über Vorrangrechte an dem Wasser, es ist jedoch nicht sein Privateigentum und kann daher von Dritten ohne vorherige Erlaubnis für basale Bedürfnisse39 genutzt werden. Wasser in Flüssen, Seen, Aquiferen und Meeren sowie Regen- und Schmelzwasser ist im Islam Gemeinschaftseigentum, das von jedem Individuum gleichermaßen genutzt werden kann, solange die Nutzung nicht das Gemeinwohl einschränkt, z. B. durch Verschmutzung, oder unverhältnismäßig verschwenderisch erfolgt. ___________ 36 So existiert z. B. ein Rechtsgutachten aus Jordanien aus dem Jahr 2002, welches die Nutzung von aufbereitetem Wasser für alle Tätigkeiten erlaubt; vgl. Water Authority of Jordan (2007). 37 Vgl. Kadouri et al. (2001), S. 89; Faruqui (2001a), S. 12. 38 Gemäß dem islamischen Recht muss diese Einwilligung aber durch den Eigentümer erteilt werden, sofern es für ein anderes Individuum lebensnotwendig ist, da es einem Muslim gemäß einer Hadith-Überlieferung (Bukhari 3.838; vgl. Faruqui (2001a), S. 2 nicht erlaubt ist, Wasser im Überfluss zu besitzen und dieses nicht mit Bedürftigen zu teilen. 39 Basale Bedürfnisse an Wasser aus islamischer Sicht sind Trinken, Nahrungszubereitung und rituelle Reinigung, nicht aber Bewässerung oder industrielle Nutzung; vgl. Kadouri et al. (2001), S. 89.
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Wasser, welches definitorisch in die Kategorien 1 bzw. 2 fällt, kann nach Maßgabe der islamischen Rechtsquellen frei gehandelt werden, sonstige Wasserressourcen können nicht durch Privatpersonen gehandelt werden. Zusammenfassend gilt entsprechend der islamischen Quellenlage, unabhängig von einzelnen Auslegungen: Grundsätzlich kann Wasser bzw. das Verfügungsrecht über Wasser marktlich gehandelt werden; der ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Subventionen oder eine spezielle, ideologisch motivierte Regulierung des Sektors sind nicht vorgesehen. Eine Kostendeckung im Sinne einer Vollkostenrechnung für den Anbieter ist wünschenswert und nach islamischem Gesetz erlaubt.40 Damit müssen Wassermärkte ebenso wie andere Märkte behandelt werden, Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise, ohne dass mit religiöser Begründung ein Eingreifen des Staates gerechtfertigt wäre.
2. Charakteristika und Determinanten der Wasserinfrastruktur im Nahen Osten a) Naturraum und Klima Der Nahe Osten in seiner Gesamtheit ist klimatisch als arid oder semi-arid einzustufen, die durchschnittliche Verfügbarkeit von Wasser – sowohl aus erneuerbaren wie nicht erneuerbaren Vorkommen – pro Person und Jahr ist in der Region mit jährlich rund 761 m³ die niedrigste weltweit. Nahezu 90 Prozent der Landfläche bleiben ganzjährig ohne regelmäßige Regenfälle; der Durchschnitt der regionalen Niederschläge liegt so denn auch weit unter dem weltweiten Durchschnitt. Auch natürliche Wasservorkommen – sowohl unter- wie auch überirdisch – sind im Nahen Osten knapp. Als niederschlagsarme Region verfügen der Nahe Osten und Nordafrika kaum über größere, dauerhaft Wasser führende, oberflächliche Wasservorkommen, eine Ausnahme bilden die Flüsse Nil, Jordan, Euphrat und Tigris. Dennoch haben diese großen Oberflächengewässer in der Region über die Jahrhunderte eine herausragende Rolle für die Wasserversorgung inne gehabt und sind bis heute für die jeweiligen Anrainer die Hauptquelle des genutzten Wassers.41 Grundwasser existiert überwiegend in tiefen Speichern, sog. Aquiferen. Es ist jedoch häufig stark mineralisiert und damit für die Nutzung ohne weitere Behandlung ungeeignet. Die Entnahme von Wasser aus unterirdischen Vorkommen ist, verglichen mit der direkten Entnahme aus oberflächlichen Vorkommen, technisch aufwendig und damit in der Regel teurer. ___________ 40 41
Vgl. Kadouri et al. (2001), S. 90. Vgl. dazu im Einzelnen Allan (2001), S. 60 ff.
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Dazu kommen Kosten für die Aufbereitung dieses Wassers für den menschlichen Gebrauch sowie Kosten für den durch die inhomogene Verteilung der Aquifere notwendigen Transport des Wassers über weite Strecken. Die Grundwasservorkommen der Region werden erst seit den 1970er Jahren verstärkt genutzt, da insbesondere bei den häufig vorkommenden tiefliegenden Grundwasservorkommen erst die entsprechenden technischen Möglichkeiten wie Hochleistungspumpen eine entsprechende Nutzung erlauben.
b) Wasservorkommen und Property Rights Nahezu 60 Prozent der natürlichen Wasservorkommen in der Region sind regional grenzüberschreitend, d. h. mindestens zwei Staaten der Region haben Anteil an diesen Wasservorkommen. Diese Tatsache hat in der Vergangenheit bereits zu ernsten zwischenstaatlichen Krisen geführt. Bislang sind die Nutzungsrechte eines Großteils dieser Wasservorkommen nicht vertraglich geregelt oder aber die rechtliche Regelung findet keine Anwendung.42 Diese fehlende Zuordnung eindeutiger Eigentumsrechte kann im Sinne der Property-RightsTheorie nach Demsetz zu einer generellen Übernutzung der Ressource führen, da die Konsequenzen eines derartigen Handelns von der Allgemeinheit getragen werden.43 Nur die eindeutige Zuordnung von Eigentumsrechten führt an dieser Stelle zu einer nachhaltigen Lösung auch im Sinne des Einbezugs zukünftiger Bedürfnisse in aktuelle Nutzungskonzepte: „In effect, an owner of a private right […] acts as a broker whose wealth depends on how well he takes into account the competing claims of the present and the future“.44 Diese Überlegungen gelten auch für die insgesamt mehr als 50 Prozent der erneuerbaren Wasservorkommen (Grund- und Oberflächenwasser), die ihren Ursprung außerhalb des Nahen Ostens haben. Rund 35 Prozent der insgesamt vorhandenen erneuerbaren Wasserressourcen entfallen auf die drei Flüsse Nil, Euphrat und Tigris, die außerhalb der Region entspringen, an denen die Staaten des Nahen Ostens also lediglich als Unteranrainer beteiligt sind. Betroffen sind insgesamt rund 188,5 km² von 355 km² Wasser. Hier zeigt sich deutlich eine Abhängigkeit der Staaten des Nahen Ostens von der Kooperationsbereitschaft von Drittstaaten, um trotz mangelnder Eigentumsrechte eine effiziente Wassernutzung zu gewährleisten.
___________ 42
Vgl. Arab Water Council (2007), S. 4. Vgl. Demsetz (1967), S. 354 f. 44 Vgl. Demsetz (1967), S. 355. 43
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c) Wasserverteilung nach Sektoren In den Staaten des Nahen Ostens wird, wie in vielen Entwicklungsregionen weltweit, ein Großteil des Wassers von der Landwirtschaft genutzt. Der landwirtschaftliche Bedarf liegt hier – je nach Staat – bei ca. 60 bis über 90 Prozent des verfügbaren Wassers, im regionalen Schnitt werden 89,5 Prozent des insgesamt verfügbaren Wassers landwirtschaftlichen Verwendungen wie Bewässerung und der Tierzucht zugeführt, 6,8 Prozent entfallen auf die Versorgung privater Haushalte und nur 3,7 Prozent auf die Industrie. Problematisch ist in diesem Zusammenhang weniger die absolute Höhe des Wasserverbrauchs durch die Landwirtschaft vor dem Hintergrund knapper nutzbarer Wasserressourcen als vielmehr die Tatsache, dass der landwirtschaftliche Sektor je nach Staat nur rund zwei bis 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt und sich daher in diesem Zusammenhang die Frage nach der effizienten Nutzung der knappen Ressource Wasser stellt.45 Rund ein Prozent des landwirtschaftlich genutzten Wassers trägt zwischen 0,04 Prozent (Jordanien) und 0,24 Prozent (Syrien) zum BIP bei, für industriell genutztes Wasser liegt der Beitrag entsprechend zwischen 2,64 Prozent (Ägypten) und 20,8 Prozent (Libanon).46 Eine ökonomisch effiziente Allokation in diejenige Verwendung, welche den meisten Nutzen stiftet, findet nicht statt. Die Nutzung der Ressource erfolgt hier somit pareto-inferior, da eine andere Verwendungsweise zu gesamtgesellschaftlichen Gewinnen führen würde. Tatsächlich sind es politische Ziele, in erster Linie die erwünschte Wahrung staatlicher Unabhängigkeit durch Nahrungssicherheit, welche die Verteilung der Ressource über die volkswirtschaftlichen Sektoren determiniert.
d) Aktuelle Probleme der Haushaltswasserversorgung Das hohe Bevölkerungswachstum und die steigende Urbanisierungsrate von geschätzten 63 Prozent für die nächsten 25 Jahre wird Prognosen zufolge zu einem starken Anstieg des im urbanen Raum stattfindenden Wasserverbrauchs führen. Bis zum Jahr 2030 könnte sich dieser bei Beibehaltung aktueller Nutzungsarten gegenüber dem Jahr 2000 verdoppelt haben und damit näherungsweise ca. 40 Mrd. m³ pro Jahr gegenüber 20 Mrd. m³ im Jahr 2000 betragen. 47 Auch trägt ein steigender Lebensstandard weiter Bevölkerungsschichten nicht nur zu einem erhöhten Wasserbedarf insgesamt und damit steigender Nachfrage ___________ 45
Vgl. Weltbank (2003), S. 1. Vgl. Pérard (2007), S. 7. 47 Vgl. Allan (2001), S. 90; Pérard (2007), S. 7; Kinnersley (1995), S. 273. 46
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bei, sondern erhöht darüber hinaus den Druck auf die an ihren Kapazitätsgrenzen operierenden Leitungsnetze.48 Aktuell werden rund sieben Prozent der Wasserentnahmen in der Region für den Bereich der städtischen Wasserver- und Abwasserentsorgung verwandt, das entspricht rechnerisch rund 175 Litern pro Tag für jeden Einwohner.49 Theoretisch quantitativ gemessen ist die Abdeckung der Bevölkerung mit Wasserinfrastruktur im Vergleich zu anderen Entwicklungsregionen hoch. An dieser Stelle zeigen sich jedoch erhebliche Disparitäten innerhalb der Region. Darüber hinaus besteht in allen Staaten ein starkes Stadt-Land Gefälle. Im regionalen Durchschnitt haben insgesamt 80,8 Prozent der ländlichen Bevölkerung und 96,3 Prozent der städtischen Bevölkerung im Nahen Osten Zugang zu „sicherer“ Wasserversorgung. Nicht die Menge des theoretisch pro Kopf und Tag verfügbaren Wassers stellt also das Hauptproblem dar, sondern vielmehr zum einen die Qualität des Wassernetzes selbst und zum anderen die Qualität des verfügbaren Wassers. Bis zu 60 Prozent des in die Leitungen eingespeisten Wassers geht aufgrund physikalischer Verluste wie z. B. schadhafter Netze (Leckage) oder durch administrative Verluste wie etwa illegale Entnahmen verloren. Der Wasserdruck ist aufgrund von Leckage oder mangelhafter Pumpleistung oftmals gering.50 Insbesondere illegale Siedlungen und offiziell nicht existierende Slums sind jedoch auch im städtischen Raum nicht an die öffentlichen Versorgungsnetze angeschlossen. Darüber hinaus entspricht die Qualität des Trinkwassers in der Mehrheit der Staaten des Nahen Ostens nicht internationalen Standards. Um die Zielvorgaben der Millennium Development Goals zu erreichen, müssen in den Jahren bis 2015 in der Region damit insgesamt 83 Mio. Menschen – rund 27 Prozent der Einwohner – Zugang zu sicherer Trinkwasserversorgung erhalten, 96 Mio. Menschen (30 Prozent der Bevölkerung) benötigen Zugang zu sanitärer Versorgung. Darüber hinaus ist der qualitative Ausbau der bestehenden Versorgung zu berücksichtigen, um den gesundheitsbezogenen Zielen der Entwicklungsziele gerecht zu werden.51 In vielen Staaten des Nahen Ostens kann nur ein Teil der Kosten des laufenden Betriebes und der Wartung der Netzwerke aus den Einnahmen der Wasserbetriebe gedeckt werden; Neu- oder Erhaltungsinvestitionen sind in der Regel in Gänze nicht abgedeckt. Als Ursache für diese mangelnde Kostendeckung können zwei Problemkomplexe identifiziert werden, zum einen die hohen Kosten der (staatlichen) Wasserbetriebe, zum anderen die geringen Einnahmen. ___________ 48
Vgl. Saghir et al. (1999), S. 1. Vgl. Saghir et al. (1999), S. 4. 50 Vgl. O’Sullivan (1999), S. 152. 51 Vgl. Arab Water Council (2006). 49
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Auf Seiten der Wasserbetriebe sind es insbesondere das ineffiziente Management und die veraltete technische Infrastruktur, die zu einem hohen und kostentreibenden Anteil an Verlusten durch Leckage führt. Auch die personelle Überbesetzung in den Wasserbetrieben erhöht die Kosten für die Betreiber zusätzlich, ohne dass diese Personalabdeckung unter Effizienzgesichtspunkten gerechtfertigt wäre. Auf der Einnahmenseite können illegale Entnahmen und ausbleibende Zahlungen der Endverbraucher, die aufgrund mangelnder Inkassomöglichkeiten oder bestehender Bestechlichkeit der entsprechenden Verantwortlichen in der Regel ungeahndet bleiben, als eines der Hauptprobleme angesehen werden. Darüber hinaus ist die staatliche Preispolitik als grundsätzliches Problem anzusehen: Kostendeckende Preise werden aus politischen Gründen nicht erhoben, in nahezu allen Staaten der Region existieren Blocktarife mit einem hoch subventionierten und daher für die Konsumenten nahezu kostenfreien ersten Block.52 Durch diese nicht anreizorientierte Tarifpolitik wird zum einen die bestehende Wasserknappheit aufgrund von Verschwendung verschärft, zum anderen erhöht sich aufgrund fehlender Einnahmen und der bestehenden Subventionierung der Druck auf die öffentlichen Budgets, notwendige Wartungsarbeiten werden somit verzögert oder verhindert. Bewohner städtischer Elendsviertel zahlen in der Regel die fünf- bis zehnfache Summe für ihr Trink- und Brauchwasser als Menschen in wohlhabenden Vierteln der gleichen Stadt, da sie auf den Bezug von Wasser aus Kanistern o. ä. angewiesen sind bzw. erst durch Bestechung einen Anschluss an das öffentliche Netzwerk erhalten können, welcher dadurch entsprechend teurer wird.53 Diese unterschiedlichen Preise für die Bewohner von Armenvierteln beruhen auf der Ausnutzung der Monopolstellung mobiler Wasserverkäufer und Korruption, die in diesem Zusammenhang den Zugang zu Wasserversorgung und Abwasserversorgung erheblich verteuert.54
IV. Potentiale von Privatsektorbeteiligung für den Nahen Osten Mit Blick auf den Status quo im Nahen Osten wird deutlich, welche Herausforderungen, aber auch Chancen mit einer stärkeren Ökonomisierung der Ressource Wasser verbunden sind. Die bestehende Wasserknappheit, vergesellschaftet mit hohem Bevölkerungswachstum und einer steigenden Urbanisierungsquote, die den Bedarf künftig eher ansteigen denn sinken lassen wird, ___________ 52
Vgl. Weltbank (2003). Vgl. Faruqui (2001a), S. 18. 54 Vgl. Transparency International (2008), S. xxiv. 53
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bildet eine wesentliche Grundlage für das Entstehen von Wassermärkten und vergrößert den Bedarf an effizienter Wasserversorgung. Es sind jedoch bestehende polit-ökonomische und traditionelle Restriktionen, welche auch und gerade den Sektor der Wasserinfrastruktur limitieren. Während sich die Frage nach der grundsätzlichen Zuordnung von Nutzungsrechten in der Region und benachbarten Drittstaaten aufgrund der angespannten Sicherheitslage und traditioneller politischer Rivalitäten sehr schwierig gestaltet, liegt die Wasserinfrastruktur selbst zumeist in nationalstaatlicher Hand. Mit Blick auf den Status quo ist für die Wasserversorgung privater Haushalte davon auszugehen, dass ein stärkerer Einbezug privater Unternehmen sowohl Effizienzgewinne hervorbringen kann als auch dem Kriterium der Gerechtigkeit genügt: Die aktuelle staatliche Wasserversorgung ist insuffizient, Effizienzgewinne sind durch die Reduktion der hohen Sickerverlusten und illegalen Entnahmen, aber auch bessere Managementfähigkeiten, den Einsatz zusätzlichen technischen Know-hows und den Abbau überzähliger Arbeitsplätze innerhalb der Wasserbetriebe selbst zu erreichen und in hohem Maße wahrscheinlich. Dazu kommen Effizienzgewinne durch die mit einer Privatisierung verbundenen höheren Spezialisierung der oftmals internationalen Wasserunternehmen sowie die zu erwartende Steigerung der Anschlussraten. Wie erfolgreiche Beispiele55 zeigen, sind durch Effizienzgewinne niedrigere Tarife zu erwarten, welche wiederum größeren Bevölkerungsteilen die Möglichkeit eines Anschlusses an das öffentliche Leitungsnetz eröffnet. Die von einer stärkeren Privatsektorbeteiligung zu erwartende verstärkte Verbrauchsabhängigkeit der Wassertarife kann ebenso als Kriterium im Sinne einer Tauschgerechtigkeit herangezogen werden, ist somit doch garantiert, dass nur für dasjenige Wasser gezahlt wird, welches auch konsumiert wird. Auch Bedürfnisgerechtigkeit dürfte durch eine höhere Effizienz zumindest begünstigt werden: Da zur Zeit nicht genug Wasser für alle Verwendungen in der Region zur Verfügung steht, werden aufgrund politisch motivierter Überlegungen Landwirtschaft, aber auch touristische Einrichtungen bevorzugt bedient, während private Haushalte nicht ausreichend Wasser zur Verfügung haben. Einer Verteilungsgerechtigkeit letztlich steht eine verstärkte Privatsektorbeteiligung zumindest nicht entgegen – verbleibt doch die Möglichkeit, eine Grundversorgung durch staatliche Unterstützung zu garantieren. Für den Nahen Osten bietet sich hier z. B. eine Fortführung des bestehenden Prinzips subventionierter Einstiegsblocktarife mit einer Entschädigung des privaten Unternehmens an, obgleich dieses Prinzip als wenig anreizorientiert bzgl. möglicher Wassereinsparungen angesehen werden kann. Entsprechend können diese Überlegungen durchaus als Argumente für eine gerechtere Verteilung der Ressource durch Privatsektorbeteiligung herangezogen werden. ___________ 55
Vgl. Knorr (2008).
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Die aus dem islamischen Recht abgeleitete besondere Rolle des Wassers ist an dieser Stelle nicht als Hindernis anzusehen, sondern kann vielmehr hilfreich sein, um in der Region eine stärkere Privatsektorbeteiligung zu erreichen: Ungeachtet der Tatsache, ob tatsächlich Eigentum an Wasser erworben werden kann, oder es sich letztendlich nur um das Recht der Nutzung handelt, welches nahezu alle Attribute privater Eigentums, so auch der Veräußerung, auf sich vereinigt,56 ist davon auszugehen, dass durch die bestehende religiöse Legitimation kaum gesellschaftliche Widerstände gegen einen stärkeren Einbezug privater Unternehmen in der Wasserversorgung zu erwarten sind. Dazu trägt auch die durch diese Maßnahmen zu erreichende Effizienz bei der Nutzung der Ressource bei, welche im Sinne der islamischen Rechtsauffassung ist. Eine stärkere Nutzung dieser religiösen Legitimation bietet sich also durchaus an, um ggf. bestehenden Vorbehalten gegen eine marktliche Wasserbereitstellung entgegen zu treten. Festzuhalten ist, dass es weder grundsätzlich fehlende Effizienz oder Gerechtigkeit, noch spezifische religiöse oder kulturelle Charakteristika sind, welche eine Wasserversorgung durch private Unternehmen einschränken. Vielmehr sind es politische Überlegungen, die insbesondere Vollprivatisierungen aktuell nur schwerlich praktikabel erscheinen lassen. Ein Argument ist an dieser Stelle die Bedeutung von Wasser als Produktionsfaktor für die Industrie eines Staates bzw. seine Bedeutung für die Attraktivität eines Produktionsstandortes sowie die Relevanz von Wasser für die Sicherung der nationalen Selbstversorgung mit Lebensmitteln und damit seine Bedeutung als sicherheitspolitischer Faktor. Aus dieser Bedeutung der Ressource Wasser heraus erfolgt oftmals die generelle Ablehnung einer privatwirtschaftlichen Bereitstellung, wird doch von staatlicher Seite davon ausgegangen, dass der private Sektor nationale Interessen in Bezug auf Wasser nicht angemessen sichern kann. Insbesondere die Beteiligung ausländischer Unternehmen an der nationalen Wasserversorgung wird innerhalb dieser Argumentationslinie als „unsicher“ abgelehnt.57 In diesem Zusammenhang ist auch die politische Symbolik der Ressource Wasser insbesondere im Nahen Osten von Bedeutung:58 Der Zugang zu Wasser bedeutet und signalisiert Macht im Sinne von Reichtum und gesellschaftlicher Anerkennung sowie Souveränität und ist damit traditionell auch ein machtpolitisches Symbol für die politische Elite, welches naturgemäß nur ungern aus der Hand gegeben wird. Hierzu bemerkt Mark Reisner: „Water flows up-hill to money and power“59 Diese Rolle des Wassers als Machtsymbol und ___________ 56
Vgl. hierzu auch Höring (2006), S. 24. Vgl. Schomaker (2009). 58 Vgl. Allan (2001), S. 30. 59 Reisner (1993), zitiert nach Allan (2001), S. 159. Als Beispiel für Wasser als Machtsymbol im Nahen Osten kann an dieser Stelle das Beispiel Libyens dienen, das 57
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Ausdruck von Souveränität dient oftmals zumindest als implizite Begründung für den Staat, die Kontrolle über diese Ressource nicht abzugeben bzw. zu teilen. PPPs können in diesem Zusammenhang als praktikable und dabei gleichermaßen den Kriterien von Effizienz und Gerechtigkeit folgende Lösung angesehen werden: Weigert sich der Staat, die Souveränität über die nationale Wasserversorgung an (internationale) privatwirtschaftliche Unternehmen abzugeben, so ist eine – aus ökonomischer Sicht – „erstbeste Lösung“, eben die komplette Privatisierung des Sektors unter einem geeigneten Regulierungsregime, nicht zu erwarten. Diesem Tatbestand kann dahingehend Rechnung getragen werden, als dass Privatsektorbeteiligung im Rahmen von Public Private Partnerships entsprechend als „zweitbeste“, jedoch im Rahmen der politischen Realitäten maximal praktikable Lösung verstärkt in Betracht gezogen werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein verstärkter Einbezug der Privatwirtschaft in der Bereitstellung von Wasserinfrastruktur für den Nahen Osten nicht nur wünschenswert entsprechend der Kriterien Effizienz und Gerechtigkeit erscheint, sondern auch durchaus realistisch: So wurden etwa in den Jahren zwischen 1990 und 2007 in Ägypten, Jordanien, dem Oman und auf der Westbank PPPs etabliert, insgesamt 14 Einzelprojekte.60 Nahezu alle Staaten der Region haben Reformen eingeleitet, die den Einbezug privater Unternehmen erleichtern sollen, z. B. durch staatliche Strategiepapiere sowie die Einrichtung von speziellen Institutionen, welche öffentlich-private Kooperationen fördern sollen, wie z. B. Ministerialabteilungen für PPPs. Auch speziell in der Wasserwirtschaft sind Reformen vorgenommen worden, welche Privatsektorbeteiligung erleichtern, z. B. mit Blick auf ein Integriertes Wasserressourcenmanagement, welches privates Engagement ausdrücklich befürwortet, und dem sich nahezu alle Staaten des Nahen Ostens in ihren nationalen Wasserstrategien verpflichtet haben. Obwohl diese Anstrengungen vor dem Hintergrund der bestehenden Situation sicherlich eher als „Leuchtturmprojekte“ denn als tatsächliche Trendwende im Sinne eines „Markt statt Staat“ in der Wasserwirtschaft gewertet werden können, bilden sie dennoch einen wichtigen ersten Schritt für weitere Reformen.
___________ mit dem „Great-Man-Made-River“ über ein ökonomisch wie ökologisch wenig sinnvolles, jedoch prestigeträchtiges und eng mit dem Herrscher Muammar Al Ghaddafi verknüpftes Wassergroßprojekt verfügt. 60 Vgl. Schomaker (2009).
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V. Fazit und Ausblick Sofern Effizienz und Gerechtigkeit die Kriterien darstellen, anhand derer Wasserversorgung beurteilt wird, ergeben sich durch eine stärkere Ökonomisierung der Ressource erhebliche Potentiale. Dies gilt zunächst grundsätzlich und unabhängig von der betrachteten Region. Wasserversorgung ist durchaus durch private Unternehmen zu organisieren. Dabei sind zum einen dringend benötigte Effizienzgewinne zu erwarten, zum anderen sind verschiedene Gerechtigkeitskonzepte zu verwirklichen bzw. werden zumindest keineswegs behindert. Privatisierungen und öffentlich-private Partnerschaften stellen die grundsätzlichen Alternativen des Einbezugs Privater dar. Insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer, wie anhand des Beispiels Naher Osten aufgezeigt, erscheint aufgrund der verbleibenden staatlichen Kontrollrechte die verstärkte Nutzung von PPPs jedoch den polit-ökonomischen motivierten Interessen den betreffenden Staaten eher entgegen zu kommen als vollständige materielle Privatisierungen. Dass – zumindest offiziell – an derartigen Projekten Interesse besteht, zeigen PPP-Strategiepapiere und -Gesetze auf staatlicher Seite ebenso wie Absichtserklärungen auf Unternehmensseite. Dennoch bleibt in der Praxis fraglich, ob – sowohl auf Seiten der Staaten wie auch der Unternehmen – tatsächlich die Bereitschaft gegeben ist, dieses durchaus mit hohen Transaktionskosten und Risiken belegte und damit zumeist erst langfristig wirtschaftliche Konzept umzusetzen. Spezifisch für den Nahen Osten muss als wesentliches, vorgelagertes Problem die Frage nach der Verteilung von Wasser zwischen den Sektoren Landwirtschaft, Industrie und Haushalten angesehen werden. Aktuell wird ein Großteil des verfügbaren Wassers in der Landwirtschaft verbraucht, eine Tatsache, welche durch die traditionelle Verteilung von Nutzungsrechten und die bestehende staatlich organisierte Zuweisung bedingt ist, jedoch den Kriterien von Effizienz und Gerechtigkeit nicht durchgängig genügt. Auch führt die unzureichende bzw. nicht eindeutig abgesicherte Zuteilung von Nutzungsrechten grundsätzlich eher zu fehlenden Anreizen für private Unternehmen, im Bereich Wasserdienstleistungen tätig zu werden, da Investitionen nicht hinreichend abgesichert sind und die Durchsetzbarkeit von Verträgen unsicher ist. Hier wäre also ggf. eine marktliche Lösung, welche Handel von Wassernutzungsrechten zwischen den Sektoren erlaubt, die Alternative. Als Vorbedingung hierfür ist eine klare Zuordnung von Nutzungsrechten in der Region und benachbarten Drittstaaten anzusehen. Eine solche ist in der Region regelmäßig nicht gegeben bzw. wird nicht durchgesetzt. In einem ersten Schritt wäre also eine nationale Verteilung notwendig, auf welche eine sektorale Aufteilung im Rahmen eines Marktprozesses folgen könnte.
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Rahel Schomaker
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Wasserversorgung zwischen Markt und Staat – Das Beispiel Naher Osten
215
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Ohne Regulierung keine Wasserversorgung? – Korreferat zu Rahel Schomaker – Von Jürgen E. Blank Der Wasserpreis ist häufig und gerade in Regionen mit Wasserknappheit ein politischer Preis, der die Knappheit der Ressource Wasser nicht widerspiegelt, vielfach diese sogar umdreht. Niedrige Wasserpreise gerade für die Großverbraucher (insbesondere die Landwirtschaft) suggerieren eine falsche Verfügbarkeit. Niedrige Preise für den Endverbraucher führen dazu, dass die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen in den Wasserleitungsnetzen wie in der Aufbereitungskapazität nicht durchgeführt werden, was zu erheblichen Wasserverlusten und Wassermangel führt. Viele Verbraucher werden somit nicht an das Wassernetz angeschlossen, da die Anschlusskosten zu hoch sind. Insofern ist eine der Hauptfragen in einem marktwirtschaftlichen System, die nach den „richtigen“ Knappheitspreisen, und damit auch inwiefern eine Kosteneffizienz gewährleistet ist. Hinzu kommt, dass die Wasserver- und -entsorgung häufig öffentliche Aufgabe ist, in vielen Staaten jedoch die öffentlichen Institutionen nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden. Zudem sind die öffentlichen Finanzen zur Erhaltung und zum Ausbau der Wasserver- und -entsorgung nicht hinreichend. Insbesondere zur Überwindung der finanziellen Engpässe der öffentlichen Hand ist eine der vorgeschlagenen Lösungen die private Bereitstellung und Entsorgung von Wasserdienstleistungen oder als second best Lösung Formen der Public-Private-Partnership. Betrachtet man die Strukturen in der Wasserbereitstellung- und -entsorgung, so gibt es mindestens drei Ebenen: –
Bei der Wasserverteilung, wie beim Leitungsnetz der Abwasserbeseitigung handelt es sich um ein natürliches Monopol.
–
Beim Wasserferntransport ist die Frage, ob es sich um ein natürliches Monopol handelt von der Größe des Marktes abhängig.
–
Bei der Wasserentnahme ist die Problematik vielschichtig und damit keineswegs eindeutig. So stellt sich bei Grundwasserreservoirs wie bei der Nutzung von Flusswasser die Allmende-Problematik. Während die Meer-
218
Jürgen E. Blank
wasseraufbereitung eher ein Kostenproblem denn ein Verfügbarkeitsproblem ist. Aus dieser komplexen Struktur und den jeweiligen natürlichen Wasserangebotsbedingungen finden sich dann auch die unterschiedlichen Organisationsstrukturen in der Wasserwirtschaft von zentral, dezentral und öffentlich-privat. Im Rahmen der Privatisierungen und Liberalisierungen öffentlicher Dienstleistungen der letzten beiden Jahrzehnte ist im Bereich der Wasserwirtschaft sowohl in den entwickelten wie den sich entwickelnden Ländern relativ wenig passiert, was auch einen Grund in der komplexen Struktur hat. Denn die Wasserver- und -entsorgung unterscheidet sich eben erheblich von der Stromoder Telekommunikationsbranche, aber auch vom Gassektor, wenngleich noch am ehesten mit diesem vergleichbar. Das Hauptargument für Privatisierung wie für PPP gegenüber staatlicher Organisation ist die Kosteneffizienz. Private Unternehmen würden effizienter wirtschaften, als dies öffentliche Unternehmen täten. Als Argument wird auch das anreizkompatible Entlohnungssystem des Managements herangezogen. Zu den genannten weiteren Vorteilen der PPP zählen vor allem die Anreize zur Minimierung der Lebenszykluskosten, weil Bau-, Erhaltungs- und Managementkosten im Wettbewerb stünden. Kostenrisiken seien vom Betreiber zu tragen. Private Betreiber könnten ferner ein effizienteres Management betreiben, weil sie nicht an das öffentliche Haushaltsrecht gebunden seien. Und nicht zuletzt entfalle die politische Einflussnahme. Demgegenüber stehen höhere Transaktionskosten in der Vertragsvorbereitungs- und Anbahnungsphase (Hold-up-Gefahren), während der Projektbegleitung und bei notwendigen Nachverhandlungen. Des Weiteren tragen private Unternehmen höhere Risikokosten (Versicherungsprämien etc.). Betrachtet man die Empfehlungen der OECD „Private Sector Participation in Water Infrastructure – OECD CHECKLIST FOR PUBLIC ACTION“, so wird deutlich, dass PPP-Vorhaben kein geeignetes Instrument ist, um nicht funktionierende staatliche Institutionen zu entlasten oder gar zu ersetzen. Im Gegenteil, PPPVorhaben erfordern geradezu eine funktionierende staatliche Institution. Aus der Literatur (s. World Bank 2009, OECD 2009) ist keine eindeutige Aussage zur Kosteneffizienz von PPP-Vorhaben ableitbar. Kosteneinsparungen scheinen dann möglich zu sein, wenn die Projekte und der institutionelle Rahmen „geeignet“ sind. Vollständige Privatisierungen im Bereich der Wasserwirtschaft in einem Umfeld ohne eine funktions- und durchsetzungsfähige Regulierungsinstitution führen zu Monopolpreisen. Hinzu kommt, das politisch labile Umfeld, das Planungen über Jahrzehnte hinaus mit hohen Risikokosten behaftet. Letzteres gilt auch für PPP, wenn diese langfristige Amortisationszeiten vorsehen.
Ohne Regulierung keine Wasserversorgung?
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Aus diesen Gründen ist weder eine vollständige Privatisierung noch eine PPP eine allzu hoffnungsvoll stimmende Alternative. In Teilbereichen der lokalen Wasserver- und -entsorgung ist eine Kooperation zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und privater Durchführung denkbar. Auf der Ebene des Wasserferntransports und der überörtlichen Wasserentnahme sind PPP-Vorhaben einfacher zu realisieren, da hier nicht notwendigerweise eine natürliche Monopolsituation gegeben ist. Eine Alternative zu einer Verbesserung der Situation der öffentlichen Wasserversorgung auf kommunaler Ebene wäre möglicherweise die Einrichtung genossenschaftlich oder kommunal organisierter Wasserver- und -entsorgung.
Literatur OECD (2009): Private Sector Participation in Water Infrastructure – OECD CHECKLIST FOR PUBLIC ACTION. World Bank (2009): Public-Private Partnerships for Urban Water Utilities.
Privatsektorbeteiligung als Lösung für unterfinanzierte Wassermärkte in Schwellenund Entwicklungsländern? – Korreferat zu Rahel Schomaker – Von Mark Oelmann
I. Einführung Der sehr lesenswerte Artikel von Rahel Shomaker analysiert die Voraussetzungen, die für Privatsektorbeteiligung im Allgemeinen und für das Beispiel des Nahen Ostens im Besonderen gelten müssen. Diese Analyse betreibt sie sowohl aus ökonomischer als auch kultureller Sicht durchaus überzeugend. Fast zwangsläufig können bei einem derart umfangreichen Anspruch nicht sämtliche Aspekte vollumfassend abgearbeitet sein. Der erste Teil dieses Ko-Referates greift folglich Diskussionsgegenstände auf, die jeweils einer Ergänzung bedürfen. Der zweite Teil setzt sich mit der These auseinander, wonach eine materielle Privatisierung von Wasserunternehmen aus zwei Gründen wünschenswert sei. Zum einen sei dies aus ökonomischer Sicht unter Anreizgesichtspunkten offensichtlich, zum zweiten sei es schlicht die einzige Option, denn: „The public sector can no longer afford larger investments, so private sector involvement is required.“1
II. Ergänzende Bemerkungen zum Hauptreferat 1. Privatisierung der Ressource Wasser versus Privatisierung von Wasserunternehmen Rahel Shomaker versteht unter Privatisierung die unternehmensrechtliche Beteiligung von privaten Akteuren an zuvor materiell öffentlichen Unternehmen. Hiervon ist zum einen die Privatisierung von Wasserressourcen einerseits ___________ 1
Bult-Spiering/Dewulf (2007), S. 1.
222
Mark Oelmann
und andere Formen der Privatsektorbeteiligung an wasserwirtschaftlichen Unternehmen andererseits klar abzugrenzen. Gerade aufgrund der besonderen Natur des Gutes „Wasser“ kann es vor dem Hintergrund des Bedürftigkeitsprinzips keine wirkliche Diskussion sein, dem Zugang des Menschen für seine basalen Bedürfnisse Vorrang vor allen anderen Nutzungsformen einzuräumen. Es stellt sich da durchaus die Frage, ob die höchstspannende Unterteilung der Eigentumsformen, die Rahel Shomaker aus Sicht des Islams ausmacht, nicht ganz neue Fragen aufwirft. Sie beschreibt, dass Fließgewässer, Seen und Brunnen auf privatem Besitz als „eingeschränktes Gemeinschaftseigentum“ gelten würden. Der Besitzer des Landes verfüge zwar über Vorrangrechte an dem Wasser, es sei jedoch nicht sein Privateigentum und könne daher von Dritten ohne vorherige Erlaubnis für basale Bedürfnisse genutzt werden. Tabelle 1 Formen der privatwirtschaftlichen Beteiligung Aufgaben des Betreibers
Eigentum an Anlagen
Eigentum am Netz
ManagementVertrag
Bereitstellung von Leistungen gegen Zahlung einer Gebühr
ausschreibende Stelle
ausschreibende Stelle
Affermage
Betrieb der Anlagen gegen Gebühr; keine Investitionen in die Infrastruktur
Betreiber
ausschreibende Stelle
LeasingVertrag
Betrieb der Anlagen; Einkünfte aus Verkauf der Leistungen an Kunden; Zahlung einer Gebühr an ausschreibende Stelle; keine Verpflichtung zu Investitionen
Betreiber
ausschreibende Stelle
KonzessionsVertrag
Betrieb der Anlagen; Finanzierung der Investitionen; kein Eigentum an Infrastruktur
Betreiber
ausschreibende Stelle
Divesture (Privatisierung im eigentlichen Sinne, [MO])
Betrieb der Anlagen; Finanzierung der Investitionen; Eigentum an Infrastruktur
Betreiber
Betreiber
Quelle: In Anlehnung an Kluge/Scheele (2008).
Eine solche Kopplung von Eigentumsrechten am Boden mit Eigentumsrechten an darunter liegenden Grundwasseraquifern ist alles andere als unkritisch, decken sich doch die Grenzen des Grundwasseraquifers de facto niemals mit
Privatsektorbeteiligung als Lösung für unterfinanzierte Wassermärkte?
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den Grenzen des privaten Bodens. Ein Raubbau auf Kosten Dritter ist, selbst wenn sich die basalen Bedürfnisse anderer in der Gegenwart noch befriedigen lassen, ein sich zwangsläufig einstellendes Problem, sofern eine auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten existierende Nutzungskonkurrenz besteht. Die Abgrenzung der materiellen Beteiligung Privater an wasserwirtschaftlichen Unternehmen ist von anderen Formen der Privatsektorbeteiligung abzugrenzen. Selbstverständlich tut dies Rahel Shomaker; gleichfalls mag es auch für die weitere Diskussion hilfreich sein, das Kontinuum der Privatsektorbeteiligung ergänzend darzustellen.
2. Die materielle Privatisierung von Wasserunternehmen als First-Best? Der nun folgende zweite Teil setzt sich mit der These auseinander, dass eine materielle Privatisierung von Wasserunternehmen die erstbeste Lösung darstelle. Rahel Shomaker schreibt: „[Privatsektorbeteiligungen] … können in diesem Zusammenhang als praktikable und dabei gleichermaßen den Kriterien von Effizienz und Gerechtigkeit folgende Lösung angesehen werden: Weigert sich der Staat, die Souveränität über die nationale Wasserversorgung an (internationale) privatwirtschaftliche Unternehmen abzugeben, so ist eine – aus ökonomischer Sicht – „erstbeste Lösung“, eben die komplette Privatisierung des Sektors unter einem geeigneten Regulierungsregime, nicht zu erwarten“.
Zunächst stimme ich Rahel Shomaker zu, dass Privatsektorbeteiligungen insbesondere gemäß der ersten drei Formen aus Tabelle 1 in den allermeisten Situationen positiv sein werden. Hier entwickeln sich in Entwicklungs- und Schwellenländern interessante Geschäftsideen gerade auch lokaler privater Beratungsunternehmen, die sich auf die Erbringung von Dienstleistungen bei einzelnen Wertschöpfungsstufen spezialisiert haben.2 Ebenfalls mag man ihre Meinung teilen, dass aus ökonomischer Perspektive eine materielle Privatisierung unter einem geeigneten Regulierungsregime sinnvoll wäre. Diese zentrale Vorbedingung eines geeigneten Regulierungsregimes ist in der Praxis gleichwohl selten gegeben. Hieraus folgt, dass sich die angewandte Forschung sehr viel zentraler mit der Frage auseinanderzusetzen, wie ein solches Regime aussehen könnte. Meiner Erfahrung nach wird der einzelne Rahmen von Land zu Land in Abhängigkeit der Herausforderungen im jeweiligen Wassersektor sowie den gege___________ 2 Vgl. etwa die sog. Micro-PSP-Ansätze in Jordanien, die jüngst auf einer Konferenz im Jemen (2. und 3. März 2010) von Tarek Zuriekat vorgestellt wurden (http://www. tc-wateryemen.org/news/wpsp.htm).
224
Mark Oelmann
benen institutionellen Ausgangsbedingungen sehr unterschiedlich aussehen.3 Erste Schritte sind gleichwohl überall die Schaffung von mehr Transparenz im Sektor durch Benchmarking, die Relevanz gleicher Kostenrechnungs- und -prüfregeln sowie ein im Rahmen der Möglichkeiten möglichst gutes Datenmonitoring. Die ökonomische Empirie belegt ebenfalls, dass eine materielle Privatisierung ohne ein entsprechendes Regulierungsregime oft kontraproduktiv ist. Galal et al.4 etwa untersuchen die Voraussetzungen für einen Erfolg von Privatisierung allgemein. Unter anderem weisen sie nach, dass eine Privatisierung umso Erfolg versprechender ist je wettbewerblicher die Märkte organisiert sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Privatisierung in Monopolindustrien nicht notwendigerweise zu Wohlfahrtsgewinnen für den Bürger führt. David Newberry5 formuliert etwa: „Economists had always been critical of transferring public monopolies into private monopolies.“ Ebenfalls gibt es eine Reihe empirischer Studien, die sich ausschließlich mit den Auswirkungen von Privatisierung in Netzsektoren auseinandersetzen.6 Die Studien zeigen, dass es eher das Setzen wettbewerblicher Anreize – durchaus auch durch Regulierung – ist, das Produktivitätsfortschritte hervorbringt. Armstrong und Sappington7 ist damit zuzustimmen, wenn sie die bestehende empirische Literatur zur Produktivitätsentwicklung in Netzwerkindustrien wie folgt zusammenfassen: „[P]robably the single most persistent finding in the many empirical studies is that it is competition, not privatization, that leads to greatest efficiency gains within firms.“
Vor diesem Hintergrund lässt sich schließen, dass eine Weigerung des Staates, die Souveränität über die nationale Wasserversorgung an (internationale) privatwirtschaftliche Unternehmen abzugeben, immer dann rational ist, wenn noch kein funktionierendes Regulierungs- und Monitoringregime in Entwicklungs- und Schwellenländern implementiert ist. 3. Die materielle Privatisierung als Option, notwendige Investitionen zu finanzieren? Der Aufbau eines solchen Rahmens ist aber noch aus einem anderen Grund die conditio sine qua non für eine materielle Privatisierung. Eine Beteiligung an ___________ 3 Nicht umsonst hat Eberhard (2007) den Begriff der hybriden Regulierungsmodelle entwickelt. 4 Vgl. Galal et al. (1994), S. 536 ff. 5 Newberry (2003), S. 4. 6 Siehe für eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung von Studien etwa Oelmann (2007). 7 Armstrong/Sappington (2003), S. 6.
Privatsektorbeteiligung als Lösung für unterfinanzierte Wassermärkte?
225
Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern inklusive der Verpflichtung, wichtige Investitionen zu tätigen, ist eine riskante Angelegenheit. Gescheiterte Projekte in der Vergangenheit führten zwangsläufig dazu, dass die Risikoprämien anstiegen und somit solche Art kapitalintensiver Transaktionen stark rückläufig waren. Beide Seiten haben starke Vorbehalte und möglicherweise ist insbesondere die Schaffung von mehr Transparenz im Sektor in einem ersten Schritt im Sinne aller Beteiligten. Eine solche Informationsbasis trägt dazu bei, die Erwartungen aneinander im Vorfeld besser klären und Zielvorgaben in Verträgen fundierter festlegen und kontrollieren zu können. Auch hilft sie sowohl der ausschreibenden Stelle als auch dem Kontraktnehmer, den tatsächlichen Erfolg von Projekten gegenüber Politik, Medien und Bürgerverbänden nachweisen zu können. Ohne eine solche Informationsbasis geschweige denn einem ausgereifteren Regulierungsregime aber kann die These „The public sector can no longer afford larger investments, so private sector involvement is required“ aus der Einleitung allenfalls als blauäugig und wenig Ziel führend eingestuft werden. Wie haben sich Privatisierungen in der Vergangenheit entwickelt und wie sind die aktuellen Trends einzuschätzen? Innerhalb der Netzsektoren ist der Anteil der privatisierten Wasserunternehmen an den Wasserunternehmen insgesamt relativ gering. Insgesamt betrug die Investitionssumme in Entwicklungs- und Schwellenländern zwischen 1995 und 2005 50 Mrd. US$ und verteilte sich auf 380 Projekte. Der Privatisierungsboom machte sich insbesondere während der ersten Hälfte der 90er Jahre bemerkbar. Privatisierungen und die damit verbundenen Investitionen verzeichneten einen starken Anstieg. Das Engagement privater Unternehmen beschränkte sich größtenteils auf wenige internationale Investoren, die sich an großen kapitalintensiven Projekten beteiligten. Dieser Entwicklung folgte eine Phase geprägt von rückläufigen Investitionen, weniger neuen privatwirtschaftlichen Beteiligungen und Aussetzungen von bestehenden Projekten. Der größte Anteil dieser verbleibenden Projekte konzentrierte sich auf Märkte mit ohnehin guten Entwicklungsaussichten. 2005 flossen 56 % der 1,5 Mrd. US$ an Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern nach China und 34 % nach Algerien. Mit dieser Phase verbunden sind wachsende Zweifel daran, ob ein privates Engagement die Probleme im Wassersektor in Entwicklungs- und Schwellenländern, vor allem den Mangel an einer starken technischen, institutionellen und finanziellen Basis, zu lösen im Stande ist. Seit Anfang des neuen Millenniums zeichnet sich nun ein neuer Trend ab. Sind die Investitionen im gesamten Sektor noch immer geringer als in der Mitte der 90er Jahre, so gilt dies nicht in Bezug auf Investitionen für Wasser- und Abwasserbehandlungsanlagen. Diese stiegen von insgesamt 2,9 Mrd US$ in der Zeit von 1995 bis 2000 auf 4,1 Mrd. US$, die zwischen 2001 und 2005 inves-
226
Mark Oelmann
tiert wurden.8 Zudem stieg die Anzahl der neuen Projekte, im Gegensatz zu allen anderen Infrastrukturbereichen, im Wasserbereich signifikant an und erreichte mit 41 die größte Anzahl seit 1990.9 Waren 34 % der seit 1990 ausstehenden Investitionsleistungen 2005 gestrichen bzw. waren von einer Streichung bedroht, stellte dies nur 11 % der Projekte dar. Darüber hinaus hat sich auch die Struktur der Investoren verändert. Die großen internationalen Investoren richten ihr Augenmerk hauptsächlich auf ausgewählte Märkte und Projekte mit begrenzten Risiken. Das privatwirtschaftliche Engagement kommt nun zunehmend von kleineren Unternehmen und vor allem auch von Unternehmen aus Entwicklungs- und Schwellenländern. In der Zeit von 1990 bis 1997 war der Anteil der 5 größten Investoren (nach Anzahl von Projekten) 54 %, in der Zeitspanne 2002 bis 2005 nur noch 30 %.10 Hieraus lässt sich ableiten, dass privatwirtschaftliche Beteiligungen keineswegs aus dem Wassersektor zu verschwinden drohen, sondern sich vielmehr die Art der Beteiligungen verändert hat. Diese Entwicklung lässt sich insbesondere an einer Veränderung der eingesetzten, in Tabelle 1 dargestellten privatwirtschaftlichen Beteiligungen erkennen. Konzessionsverträge gelten als die am meisten verbreitete Form, ihre Verwendung ist jedoch rückläufig. Auch innerhalb dieser Konzessionsverträge findet eine Verschiebung statt. Sie werden vorrangig in Ländern mit Zugang zu langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten in Landeswährung abgeschlossen und der Kapitaleinsatz ist von durchschnittlich 270 Mio. US$ in der Zeit von 1995 bis 2000 auf 54 Mio. US$ im Jahr 2005 gesunken. Im Gegensatz hierzu nimmt der Anteil von „Management“ und Leasing-Verträgen stetig zu, die geringere Risiken für die privaten Betreiberunternehmen bergen.11 Aber auch anderen Formen der privaten Beteiligung wohnen Probleme inne. Managementverträge (aber auch Affermages und Leasingverträge), deren Beliebtheit bei privaten Unternehmen, vor allem auch in dem geringeren Risiko, das sie bergen, begründet ist, weisen auch genau in diesem Punkt ihre Schwäche auf. Ein Grund für das geringere Risiko ist die Tatsache, dass diese Verträge keine Investitionsleistungen erfordern, was wiederum bedeutet, dass die gesamte finanzielle Last beim Staat bzw. den Gemeinden liegt. Für ärmere Länder birgt dies jedoch das offensichtliche Problem, dass sie auf andere Formen der Eigen- und Fremdfinanzierung zurückgreifen müssen.12 ___________ 8
Vgl. Kluge/Scheele (2008); Marin/Izaguirre (2006). Vgl. Kerf/Izaguirre (2007). 10 Vgl. Marin/Izaguirre (2006). 11 Vgl. Marin/Izaguirre (2006). 12 Die Differenzierung in Eigen- und Fremdfinanzierung setzt auf der Passivseite der Bilanz an. Unter Eigenfinanzierung versteht man die Zuführung und Erhöhung des Eigenkapitals einer Unternehmung durch Einlagen der Unternehmenseigner oder aus 9
Privatsektorbeteiligung als Lösung für unterfinanzierte Wassermärkte?
227
III. Fazit Insgesamt ist der Beitrag von Rahel Shomaker sehr lesenswert. Gerade die kulturellen Vorbedingungen für Privatsektorbeteiligungen stellt sie für den Nahen Osten eindrücklich dar. Zu kurz kommt die Analyse, wie andere institutionelle Vorbedingungen – und hier insbesondere ein funktionsfähiges Regulierungs- und Monitoringregime – aussehen könnten und sollten. Eine materielle Privatisierung kann nur dann eine erstbeste Lösung darstellen, wenn der institutionenökonomischen Perspektive Rechnung getragen wird und institutionelle Arrangements dafür Sorge tragen, dass sich weder der Private Monopolrenten einverleibt noch der Öffentliche populistisch die privaten Partner angehen kann, wenn letzterer vereinbarungsgemäß Preise zur Refinanzierung seiner Investitionen erhöhen möchte. So lange folglich der institutionelle Rahmen – der sich von Land zu Land entsprechend der Ausgangsbedingungen durchaus unterscheiden kann – noch nicht implementiert ist, ist die materielle Privatisierung kein wirklich Erfolg versprechendes Vorgehen. Sehr viel unterstützenswürdiger sind vielmehr andere, weniger kapitalträchtige Formen der Privatsektorbeteiligung. Es ist ermutigend, dass die privaten Dienstleister zunehmend auch aus den Entwicklungs- und Schwellenländer selber kommen und sich nationale Kapitalmärkte so weit entwickeln, dass sie zunehmend als Finanzierungsquelle von Investitionen in die Wasserver- und Abwasserentsorgung dienen können. Einen separaten Themenkomplex, den Rahel Shomaker in ihrem Text anreißt, ist die Kopplung von Eigentumsrechten am Boden mit Eigentumsrechten an darunter liegenden Grundwasseraquifern. Da sich die Grenzen des Grundwasseraquifers de facto niemals mit den Grenzen des privaten Bodens decken, ist ein Raubbau auf Kosten Dritter gerade in Ländern des Nahen Ostens mit Wasserknappheit vorprogrammiert. Der angewandten, ökonomischen Wassermarktforschung – so mag man abschließend feststellen – wird angesichts der vielgestaltigen Probleme die Arbeit so schnell nicht ausgehen.
Literatur Amstrong, Mark / Sappington, David (2003): Recent Developments in the Theory of Regulation, mimeo, Oxford University, June 2003.
___________ dem Gewinn des Unternehmens. Auch Kapitalzuweisungen vom Staat erhöhen das Eigenkapital, sofern keine Rückzahlungsverpflichtungen bestehen. Im Gegensatz hierzu setzt die Fremdfinanzierung an der Höhe des Fremdkapitals an. Der klassischste Fall hier ist die kurz-, mittel- und langfristige Kreditfinanzierung, aber auch die Finanzierung aus der Auflösung von Rückstellungen wäre eine Form der Fremdfinanzierung.
228
Mark Oelmann
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Aspekte der Nachhaltigkeit und Verantwortung für künftige Generationen bei der Nutzung natürlicher Ressourcen. Eine ökonomische Perspektive Von Eric C. Meyer „Es liegt auch nicht viel Befriedigendes darin, wenn man sich die Welt so denkt, daß für die freie Thätigkeit der Natur nichts übrig bliebe, daß jeder Streifen Landes, welcher fähig ist, Nahrungsmittel für menschliche Wesen hervorzubringen, auch in Kultur genommen sei, … und daß kaum ein Platz übrig sei, wo ein wilder Strauch oder eine Blume wachsen könnte, ohne im Namen der vervollkommensten Landwirthschaft als Unkraut sogleich ausgerissen zu werden. Wenn die Erde jenen großen Bestandtheil ihrer Lieblichkeit verlieren müßte, den sie jetzt Dingen verdankt, welche die unbegränzte Vermehrung des Vermögens der Bevölkerung ihr entziehen würde, so hoffe ich von ganzem Herzen im Interesse der Nachkommen, daß man schon lange bevor die Nothwendigkeit dazu treibt, mit einem stationären Zustand zufrieden sein wird.“ John Stuart Mill (1852), S. 228 „Contemplation of the world's disappearing supplies of minerals, forests, and other exhaustible assets has led to demands for regulation of their exploitation. The feeling that these products are now too cheap for the good of future generations, that they are being selfishly exploited at too rapid a rate, and that in consequence of their excessive cheapness they are being produced and consumed wastefully has given rise to the conservation movement.“ Harold Hotelling (1931), S. 137 „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlich raschen und nicht aufhaltbaren Absinken der Be-
völkerungszahl und der industriellen Kapazität.“
Dennis Meadows (1972), S.17
I. Einleitung Die oben aufgeführten Zitate zeigen, dass das Wirtschaften mit begrenzten natürlichen Ressourcen eine Fragestellung ist, die seit Jahrhunderten diskutiert und untersucht wird. Allerdings dauerte es bis zu den dreißiger Jahren des
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Eric C. Meyer
20. Jahrhunderts, bis dieses erstmalig in einem analytischen Rahmen von Harold Hotelling untersucht wurde und gar bis in die siebziger Jahre, bis diese Probleme – angestoßen durch die Ölpreiskrise – Gegenstand einer breiteren wissenschaftlichen Debatte wurden. Begrenzte natürliche Ressourcen haben eine wesentliche Eigenschaft, die anderen Produkten fehlt: Durch ihren Verbrauch gehen sie unwiederbringlich verloren, insbesondere sind diese Ressourcen für nachfolgende Generationen nicht mehr nutzbar, d. h. die Nutzung natürlicher Ressourcen ist nicht nur mit den gewöhnlichen Kosten verbunden, die für ihre Extraktion, Transport, und Verarbeitung nötig sind, sondern zusätzlich entstehen auch Opportunitätskosten, die den Kosten der späteren Nutzung entsprechen. Die zentrale Frage ist dann, wie dieser begrenzte Schatz an Ressourcen nicht nur zwischen den Individuen einer Periode aufgeteilt werden soll, sondern viel wichtiger wie die Ressource zwischen den Generationen aufzuteilen ist. Dieser Beitrag beschränkt sich auf die Betrachtung der nicht-regenerierbaren Ressourcen. Es wird versucht, die ökonomische Perspektive ohne die Nutzung eines mathematischen Instrumentariums darzustellen, was bei einem dynamischen Problem nicht ganz einfach ist. Im Zweifel sei auf die an entsprechender Stelle genannten Quellen verwiesen. Obwohl es interessant wäre, werden auch die Eigentumsrechte an Ressourcen nicht betrachtet, die einem anderen Beitrag vorbehalten sind.1 Auch können nicht die spannenden Fragen der Konflikte um Ressourcen und das Agieren unterschiedlicher Akteure mit ihren unterschiedlichen Strategien auf den Rohstoffmärkten betrachtet werden.2 Schließlich sind auch die politischen Instrumente zur Erreichung nachhaltiger Ressourcennutzungsziele nicht Gegenstand der Arbeit. Dieser Beitrag soll die Herangehensweise der (neo-)klassischen Ökonomik an das Allokationsproblem für Ressourcen erklären, ihre Annahmen verdeutlichen, kritische Punkte darlegen und Perspektiven der nachhaltigen Ressourcennutzung erläutern. Insbesondere soll geklärt werden, welche Faktoren die Ressourcennutzung beeinflussen, so dass eine ökonomisch fundierte gesellschaftliche Entscheidung über den Rahmen einer intergeneratuionellen Nutzung von Ressourcen möglich wird. Nach der Klärung der Begriffe Ressourcen und Nachhaltigkeit werden ökonomische Modelle der Ressourcennutzung dargestellt. Anschließend werden die kritischen Punkte dieser Modelle diskutiert.
___________ 1 2
Vgl. hierzu den Beitrag von Leschke/Hähnel/Kopp (2010) in diesem Band. Vgl. hierzu z. B. für den Ölmarkt Blank (1994).
Aspekte der Nachhaltigkeit und Verantwortung für künftige Generationen
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II. Begriffsbestimmungen 1. Ressourcen Ressourcen lassen sich zunächst in Bestands- und Stromressourcen unterscheiden. Bestandsgrößen sind dadurch charakterisiert, dass sie als Bestände heute aber auch zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt genutzt werden können. Umgekehrt kann eine Bestandsressource, die heute durch einen Bestandsabbau verbraucht wurde, nicht mehr von zukünftigen Generationen genutzt werden. Die klassischen beschränkten Ressourcen, die ein Nachhaltigkeits- wie intergenerationelles Allokationsproblem bilden, sind die Bestandsressourcen (Feld oben links in Abb. 1). Hierbei sind zu unterscheiden: Bestandsressourcen, die rezyklierbar sind, wie z. B. mineralische Rohstoffe wie Kupfer, Eisen und solche Rohstoffe, die nach der Nutzung nicht rezyklierbar sind, da sie chemisch zerlegt werden, wie z. B. Öl. Eine Rezyklierung ist immer mit einem Energieaufwand zur Wiedergewinnung der Rohstoffe verbunden und kann nie vollständig erfolgen. Mit steigendem Energieaufwand kann jedoch immer mehr des Rohstoffs zurückgewonnen werden, wodurch sich dann die Frage nach der Wirtschaftlichkeit stellt. Die Unterscheidung in rezyklierbar und nicht-rezyklierbar ist keine physikalisch vorgegebene Kategorie, sondern hängt auch von Wirtschaftlichkeitsaspekten und den physikalisch-chemischen Möglichkeiten der Rezyklierung ab. So betrachten wir Öl heute zu recht als nicht-rezyklierbar. Gleichwohl formen Pflanzen aus den Verbrennungsprodukten des Öls (Kohlendioxid und Wasser) unter Energiezufuhr der Sonne neue Kohlenwasserstoffe (Glukose), so dass es zumindest nicht unmöglich erscheint, in Zukunft auch Kohlenwasserstoffe auf eine chemische Art zu rezyklieren. Andere Bestandsgrößen, wie z. B. der Boden lassen sich direkt nutzen, ohne dass der Bestand abgebaut wird.3 Dagegen sind Stromressourcen nur heute nutzbar. Werden sie nicht heute genutzt, so sind sie auch nicht in Zukunft nutzbar. Allerdings besteht für Stromressourcen die Möglichkeit der kurz- bis mittelfristigen Speicherung in Form von Biomasse. D. h. die Sonnenenergie wird überführt in Glucose, Cellulose und andere organische Stoffe, so dass sie in Pflanzen oder auch in Tieren eine gewisse Zeit gespeichert und dort später mit einer gewissen Verzögerung genutzt werden kann.4 Für diese Form der Nutzung von Stromressourcen in der ___________ 3 Es ließe sich einwenden, dass bei der agrarischen Bodennutzung sehr wohl die Bestände an Nährstoffen im Boden genutzt werden, die sich dann durch Neueintrag und Verrottungsprozesse regenerieren. Andere (direkte) Nutzungsarten des Bodens, wie z. B. Fußballspielen, führen jedoch – zumindest bei gewöhnlicher Spielweise – zu keiner Beeinträchtigung der Bestandsressource. 4 Auch könnte Sonnenenergie durch Hydrolyse als Wasserstoff gespeicherte Energie produzieren.
232
Eric C. Meyer
Speicherform der Biomasse gelten ähnliche Gesetze zum Bestandsabbau, nur dass hierbei auch die Regenerierbarkeit dieser Biomassen berücksichtigt werden muss. Dass klassische Problem der Nachhaltigkeit, nämlich die Nutzung von Forstbeständen, versucht genau solche Regeln für die Nutzung von regenerierbaren Biomassen zu ermitteln. Schließlich bleiben die reinen Stromressourcen, die sich (nur) direkt nutzen lassen. Dieses ist insbesondere die Sonnenergie oder auch die Geothermie.5 Bestandsabbau
Bestandsressource
Rezyklierbar: Kupfer
Stromressource
Zwischenspeicher in Biomasse
Direkte Nutzung Nicht rezyklierbar: Öl
Boden
Sonnenstrahlung, Erdwärme
Abbildung 1: Klassifizierung von Ressourcen6
Die Nachhaltigkeitsdiskussion fokussiert dabei hauptsächlich die Probleme der Nutzung von Bestandsressourcen durch einen Bestandsabbau. Ziel ist es letztlich, von der Nutzung von Stromgrößen, also regenerierbaren Rohstoffen, bzw. final in die direkte Nutzung von Stromgrößen hineinzukommen und damit das Problem erschöpfbarer Bestände zu lösen.
2. Nachhaltigkeit Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ hat in den achtziger Jahren insbesondere jedoch mit der Verabschiedung der Agenda 21 auf der Konferenz in Rio de Janeiro 1992 eine große Popularität gewonnen. Dabei gab es zahlreiche Versuche, diesen Begriff näher zu definieren und zu beschreiben. Die Ausgestaltungen, die die Nachhaltigkeitsidee erfahren hat, basieren auf der zentralen Idee, die im Brundtland-Bericht fixiert wurde. Danach ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne dass ___________ 5 Puristen mögen einwenden, dass die Sonnenenergie letztlich auch aus der Nutzung einer Bestandsgröße, nämlich der Atome der Sonne, die durch Kernfusionen Energie erzeugen, entstanden ist, so dass diese letztlich auch erschöpfbar ist. Nur ist in diesem Fall des Erlöschens der Kernfusion aufgrund mangelnder fusionierbarer Atomkerne, dürfte die fehlende Sonneneinstrahlung wohl das kleinste Problem der Menschheit sein, die es dann schon nicht mehr geben wird. 6 Ströbele (1987), S. 8.
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die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen beeinflusst oder behindert werden. Da die Interpretationen des Nachhaltigkeitsgedanken unterschiedliche Prioritäten setzen, und diesen Schwerpunkten entsprechend zu unterschiedlichen Aussagen und Forderungen kommen, erscheint es angebracht, den Begriff der „Nachhaltigkeit“ auf eine ökonomisch definierte Basis zu stellen, und von dieser weitere Aussagen und Forderungen zu erarbeiten. Folgt man der Definition des Brundtland-Berichts, so lautet die ökonomische Übersetzung von Nachhaltigkeit: Eine Entwicklung ist nachhaltig, wenn keine intertemporal negativen Effekte existieren.7
Diese Definition von Nachhaltigkeit bildet gut den Zusammenhang zwischen dem Handeln der heutigen Generationen und den Handlungsmöglichkeiten der zukünftigen Generationen ab. Dabei sind zwei Aspekte wichtig: 1.
Eine intertemporale Wirkung kann man nur über eine Bestandsgröße erreichen, wie es z. B. der Kapitalbestand oder der Ressourcenbestand ist. Je nach Nutzung einer beschränkten oder regenerierbaren Ressource oder auch der Investitionen in neue Maschinen wird der ökonomische Aktionsraum zukünftiger Generationen beeinflusst. Wird z. B. ein Fischbestand überfischt, so können zukünftige Generationen diesen nicht mehr (im Falle der Ausrottung) oder nur in geringerem Maße nutzen, als die heutige Generation. Dieses bedeutet insbesondere, dass jede Bestandsgröße – und nur diese – sich nachhaltig oder auch nicht nachhaltig entwickeln kann.8
2.
Das entscheidende Kriterium ist nun die Existenz negativer externer Effekte, die das heutige Handeln bei zukünftigen Generationen über den Mittler des Bestandes zeitigen kann. Externe Effekte sind nicht über einen Preismechanismus gesteuerte Wirkungen des ökonomischen Handels eines Individuums bei einem anderen Individuum. Mittels Bestandsgrößen sind nun, genauso wie man sie sonst in der Umweltökonomik als intratemporale Phänomene kennt, negative externe Effekte zwischen unterschiedlichen Generationen möglich. Wenn heute der gesamte Bestand einer Ressource aufgebraucht wird, so werden damit die Nutzungsmöglichkeiten dieser Ressource für zukünftige Generationen auf Null reduziert. Bei einem intertemporalen Ansatz verkompliziert sich die Situation jedoch noch weiter. Da die Wirkung erst zeitlich verzögert auftreten kann, ist auch die Bewertung der Wirkung durch die dann lebenden Individuen reine Spekulation. Zwar mag es plausibel erscheinen, dass eine saubere Umwelt oder ausrei___________ 7
Vgl. Meyer (2000), S. 174. Erst diese Betonung des intertemporalen Aspektes macht deutlich, warum Nachhaltigkeitskonzepte kapitaltheoretische untermauert werden müssen (vgl. Endres/Radke (1998), S. 22). 8
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chende Fischbestände auch in Zukunft positiv bewertet werden, jedoch ist dieses nicht quantifizierbar. Ein Beispiel: Vor der Erfindung der Petroleumlampe erzeugte man Lampen, die mit Hilfe des Trans von Walen arbeiteten, deren Bestand aufgrund dieses begehrten Rohstoffes stark bedroht war.9 Vom Standpunkt der Nachhaltigkeit wäre es bezogen auf die Rolle der Wale als „Rohstoffquelle“ sinnvoll gewesen, diese zu schützen, da man annehmen musste, dass auch zukünftige Generationen diesem Rohstoff einen entsprechenden Wert beimessen würden. Der technische Fortschritt entwertete jedoch den Tran – zum vorübergehenden Glück der Wale. Es können also durch technischen Fortschritt oder Präferenzverschiebungen Bewertungsveränderungen in der Zukunft geschehen. Die Frage der Nachhaltigkeit ist somit vor zwei große Probleme gestellt. Zunächst muss festgelegt werden, in welchem Maße Bestandsgrößen überhaupt verändert werden dürfen, um eine intergenerationelle Gerechtigkeit zu erreichen, und dann muss ein Mechanismus implementiert werden, der dieses Ergebnis erreichen kann. Hierfür müssen zunächst die Bestandsgrößen identifiziert werden, die für eine nachhaltige Entwicklung betrachtet werden sollen. Die Ein-Säulen-Theorie10 betrachtet das Nachhaltigkeitsproblem nur aus der Sicht einer Bestandsgröße, des sogenannten Öko-Realkapitals, das sowohl durch erschöpfbare und regenerierbare Ressourcen als auch den Bestand sauberer Umwelt gebildet wird. Da nur eine beschränkte Substituierbarkeit dieser Umweltbestände angenommen wird, geht die Ein-Säulen-Theorie vom Primat des Umweltsystems aus, dem ökonomische und soziale Aspekte nachgelagert sind. Dementsprechend werden Verhaltensregeln für den Umgang mit regenerierbaren und erschöpfbaren Ressourcen formuliert, wie sie auch aus der Ressourcenökonomik bekannt sind und im nachfolgenden Abschnitt beschrieben werden. Der Ein-Säulen-Theorie steht die Drei-Säulen-Theorie11 gegenüber. Sie betrachtet nicht nur den Umweltbestand als eine Zielgröße einer nachhaltigen ökologischen Entwicklung, sondern berücksichtigt auch die ökonomischen und sozialen Wechselwirkungen, die die Verfolgung dieses Zieles hat. Analyse und Spezifikation dieser Wechselwirkungen sind jedoch nicht trivial. So entstehen bereits zahlreiche Probleme bei der ökonomisch notwendigen Quantifizierung der Umweltschäden und des Umweltnutzens.12 Auch die Spezifikation sozialer Aspekte der Operationalisierung des ökologischen Nachhaltigkeitsziels werfen ähnliche Probleme auf. Dennoch sind solche Probleme unleugbar vorhanden, so ___________ 9
Vgl. Ströbele (1987). Klemmer et al. (1996), S.305 ff. 11 Klemmer et al. (1996), S. 309 f. 12 Klemmer et al. (1996), S. 309. 10
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dass sie nicht ignoriert werden können, auch wenn sie nur sehr schwer operationalisierbar sind. Unterschiedliche Konzepte der Nachhaltigkeit beschreiben dann, in welchem Maße zwischen den unterschiedlichen Bestandsgrößen Substitutionen zulässig sein sollen. Unter starker ökologischer Nachhaltigkeit13 wird dabei eine Entwicklung verstanden, bei der der natürliche Ressourcenbestand nicht verringert wird. Diese Definition fixiert sich völlig auf den Nachhaltigkeitsaspekt für den Ressourcenbestand. Andere intertemporale Mittler, die ebenfalls die Nachhaltigkeit im oben definierten Sinne beeinflussen können, werden nicht in Betracht gezogen. Anders die Definition der schwachen ökologischen Nachhaltigkeit, die lediglich fordert, dass die Aggregation von natürlichem Ressourcenbestand und anthropogenen Kapitalgütern nicht sinkt. Fasst man den Begriff des Kapitalgutes weiter, so können hierunter auch die Humankapitalakkumulation und damit soziale Aspekte der Nachhaltigkeit subsumiert werden. Dennoch bleibt die unglückliche Hierarchisierung mit dem Vorrang der Ökologie vor den anderen Bestandsgrößen wie z. B. Realkapital oder Humankapital. Deshalb wird eine erste Präzisierung des Begriffes dahingehend vorgeschlagen, dass unter Nachhaltigkeit die Konstanz (oder zumindest Nichtverringerung) des Aggregates aller Bestandsgrößen pro Kopf (!) einer Volkswirtschaft zu verstehen ist. Dieses ließe – ganz im ökonomischen Sinne – Substitutionsmöglichkeiten zwischen den Nachhaltigkeitszielen verschiedener Bestandsgrößen zu. Eine solche Definition kommt auch dem Ansatz am nächsten, den die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ formuliert hat: „Damit eine Entwicklung nachhaltig zukunftsverträglich sein kann, muss sie also gleichzeitig ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichermaßen berücksichtigen“.14
Zwischen den Definitionen der starken und der schwachen Nachhaltigkeit steht die kritische Nachhaltigkeit, die zwar eine Substitution zwischen den Kapitalgütern erlaubt, wobei jedoch für jede Bestandsgröße eine Untergrenze bestimmt wird, bis zu der ein Schrumpfen erlaubt ist. Dieses kann auch in Form eines Pfades geschehen, so dass Bestände nur über ein „Phasing-out“ verschwinden können. Dieses wirft jedoch große Probleme in der Begründung und noch größere Probleme in der Operationalisierung auf. Ein Grund für einen Minimalbestand mag in möglichen Strukturbrüchen zu sehen sein. Dieses ist insbesondere für regenerierbare Ressourcen relevant. Von Ökosystemen ist bekannt, dass sie nur eine bestimmte Tragfähigkeit in ihrer Nutzung haben (z. B. Befischung, Schadstoffeintrag). Wird diese Grenze überschritten, so de___________ 13
Vgl. Endres/Radke (1998), S. 19. Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages (1994), S. 54 (kursive Hervorhebung durch den Verfasser). 14
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generiert der Bestand. Es ist in speziellen Situationen dann nicht mehr möglich, diesen durch eine Rückführung der Nutzung auf das alte Niveau zu regenerieren, sondern es muss eine massive Reduktion der Nutzung (unter Umständen bis auf Null) durchgeführt werden, um eine Regeneration zu erreichen. Eine weitere Begründung für solche Untergrenzen kann in einer Art „Risikoprämie“ für die Zukunft gesehen werden. Da eine Erschöpfung der Ressourcen ohne ein geeignetes Substitut ungleich schwerer wiegt als ein Verbleib von Ressource bei Existenz eines günstigeren Substituts, ist man bereit, diese Prämie zu entrichten. In ähnlicher Weise unternimmt Nutzinger eine Konkretisierung des Begriffs der schwachen Nachhaltigkeit, indem er eine Quasi-Nachhaltigkeit definiert. Dabei lässt er Substitutionen zu, wendet aber bestimmte Regeln auf die Art der Substitution an. Der Abbau nicht-regenerierbarer Ressourcen muss kompensiert werden durch –
eine entsprechende Zunahme regenerierbarer Ressourcen oder Technologien, die eine direkte Nutzung von Stromressourcen ermöglichen oder
–
eine effizientere Nutzung der nicht-regenerierbaren Ressourcen, so dass der Ressourcenbestand in Effizienzeinheiten mindestens konstant bleibt oder
–
die Substitution durch (noch) reichlich vorhandene nicht-regenerierbare Ressourcen, um auf dem Weg zu einer echten Backstop-Technologie Zeit zu gewinnen.15
Die Theorien der multiplen Ziele und damit insbesondere die Theorie einer ökologisch-ökonomisch-sozialen Zieltriade haben gemeinsam, dass sie versuchen alle relevanten Lebens- und Erfahrungsbereiche des Menschen zu integrieren. Insbesondere weichen sie von den ökozentrischen Vorstellungen der starken Nachhaltigkeit ab, die der Natur einen intrinsischen Wert beimessen. Ein solcher Ansatz ist immer fragwürdig, da die Bewertung der Umwelt außerhalb des Zugriffs der Individuen gesetzt wird, was die Frage aufwirft, wer auf welche Weise einen solchen Wert fixiert, und wie Maßnahmen zur Erreichung dieses ökozentrischen Zieles durchgesetzt werden sollen, da diese außerhalb dessen stehen, was die Individuen wünschen. Letztlich gilt, dass alle Ziele anthropozentrisch sein müssen. „Entgegen einer landläufigen Meinung definieren sich Umweltfreundlichkeit und Umweltfeindlichkeit nicht im Verhältnis zur Natur, sondern im Bezug zur gesellschaftlichen Konvention. Anderes wäre nicht zweckmäßig: Nicht die Natur bescheinigt die Umweltfreundlichkeit sondern die Mitmenschen. Die Umwelt ist immer im Gleichgewicht, und ihr ist es – man muss es annehmen – gleichgültig, wie ___________ 15
Vgl. z. B. Lerch/Nutzinger (2000), S. 253.
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dieses Gleichgewicht aussieht; nur dem Menschen ist es nicht egal. [...] Nur vordergründig stehen wir in Umweltfragen der Natur gegenüber, im letzten stehen wir uns selbst und unseresgleichen gegenüber.“16 Letztlich ist also der Mensch entscheidend oder besser: Entscheidender. Er befindet über die Gewichtung der Ziele, die seine Umgebung und damit sein Wohlbefinden beeinflussen. Entsprechend differieren auch Präferenzen und Zielvorstellungen der Individuen. Mechanismen, die diese Entscheidungen gesamtgesellschaftlich umsetzen, deuten in verschiedene Richtungen.
III. Der neoklassische Ansatz zur Lösung des intertemporalen Ressourcenproblems 1. Das einfache Konsummodell Zunächst soll in einer ganz einfachen Modellwelt die Logik der effizienten Ressourcenextraktion erläutert werden. Dabei wird nur betrachtet, wie auf Basis eines gewinnmaximierenden Kalküls eine Ressource intertemporal „richtig“ gefördert werden muss. Hierzu sei zunächst unterstellt, dass 1.
die Eigentumsrechte an der Ressource definiert und durchsetzbar sind,
2.
es einen festen Bestand der Ressource gibt, insbesondere sind Neuentdeckungen ausgeschlossen,
3.
bindende Finanzkontrakte beliebig weit in die Zukunft abgeschlossen werden können,
4.
es einen vollkommenen Wettbewerb der Ressourcenanbieter gibt, die alle identische Produktionsbedingungen haben,
5.
die Nachfrage nach der Ressource fest vorgegeben ist und sich auch im Zeitablauf nicht verändert und
6.
der Zinssatz des Kapitalmarktes fest vorgegeben ist.
In einer solchen Welt stellt sich dem Ressourcenbesitzer das Problem, ob er die Ressource heute fördern soll (bzw. welchen Teil er fördern soll), oder ob er die Ressource im Boden (in situ) belässt, um morgen mit dem Verkauf der Ressource vielleicht einen höheren Gewinn zu erzielen. Für seine Entscheidung kalkuliert er seinen Gewinn, den er erhält, wenn er eine Ressourceneinheit fördert und diese zum Preis p(t) verkauft. Abstrahiert man von Förderungs- und anderen Kosten, die direkt der geförderten Ressourceneinheit zugerechnet werden können, so ist sein Gewinn gleich sein Erlös nämlich p(t). Diesen Betrag kann der Ressourcenbesitzer nun zum gegebenen Zinssatz r anlegen. Damit hat ___________ 16
Vgl. Kirsch (1991), S. 252 f.
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er auch einen Anhaltspunkt dafür, welchen Preis die Ressource in der nächsten Periode mindestens haben sollte, damit er indifferent zwischen der heutigen und der morgigen Förderung der Ressource ist. Die Ressource muss morgen zu einem solchen Preis gehandelt werden, dass der morgige Erlös gleich dem heutigen Erlös plus den Zinserträgen ist. Mithin muss der Preis der Ressource also auch mit dem exogen gegebenen Zinssatz wachsen (Hotelling-Logik). Damit ist der Verlauf des Preispfades der Ressource geklärt. Zu bestimmen bleibt noch das Niveau dieses Preispfades. Über die gegebene Nachfragefunktion kann der Ressourcenbesitzer die Menge ermitteln, die er zu einem bestimmten Preis absetzen kann. Es verbleibt für ihn nun nur noch das Problem, den richtigen Startpreis zu finden, so dass am Ende (also zum Zeitpunkt „unendlich“ im Falle isoelastischer Nachfragefunktionen bzw. für lineare Nachfragefunktionen zu jenem Zeitpunkt, wo der Reservationspreis erreicht wird) keine Ressourceneinheit mehr verbleibt. Denn angenommen, er hätte einen zu hohen Startpreis gewählt, so dass die Ressource über den Betrachtungszeitraum immer „zu teuer“ gewesen wäre, so hätte er Ressource übrig, die er zuvor noch hätte gewinnbringend verkaufen können, also würde er den Preispfad nach unten anpassen. Wäre die Ressource vor dem Endzeitpunkt aufgebraucht, bevor die Nachfrage erlischt, so war der Preispfad zu niedrig und er könnte einen zusätzlichen Profit erzielen, indem er den Preis höher wählt. So kann der Ressourcenbesitzer das „richtige“ Niveau des Preispfades kalkulieren. Bei einem wachsenden Preispfad ergibt sich dann – eine normale negativ geneigte Nachfragefunktion unterstellt – ein entsprechen fallender Ressourcenextraktionspfad, d. h. im Zeitablauf wird immer weniger Ressource verbraucht. Damit erhält man erste Resultate zur intergenerationellen Aufteilung der Ressourcen. Sofern der Preispfad so gewählt wird, wie oben beschrieben, gibt es kein echtes Ressourcenproblem. Es gibt immer genug Ressourcen, allerdings zu exponentiell wachsenden Preisen. D. h. das eigentliche Ressourcenproblem wird auf den Preis verlagert, der – wie es seine Aufgabe ist – die Knappheit der Ressource signalisiert. Gegen einen solchen Pfad ließe sich natürlich einwenden, dass dieser (intratemporal) zu sozialen Ungerechtigkeiten führt, da eine so teure Ressource nicht mehr allen gleichermaßen zugängig ist, was insbesondere bei Energieressourcen wie Heizöl oder Benzin als kritisch empfunden wird, da dann auch essentielle Bedürfnisse nicht erfüllt werden können. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass dieses generell für knappe Güter gilt und keinesfalls eine Besonderheit von begrenzten Ressourcen ist. So bestünde die Möglichkeit, Preise zu subventionieren oder zu kappen. Allerdings würden die daraus resultierenden niedrigeren Preise zu einem noch schnelleren Verbrauch der Ressource und zu geringeren Anstrengungen in der Neuexploration und auch in der Suche nach Ersatzressourcen und -technologien führen, was die Ressourcensituation nicht mildern, sondern vielmehr verschärfen würde.
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Diese stark vereinfachte Darstellung mit ihrem obigen Resultat ist auch bei Veränderung der Annahmen überraschend stabil:17 –
Extraktionskosten bzw. mehrere Ressourcenvorkommen mit unterschiedlichen Quellen: Im Falle von (linearen) Extraktionskosten setzt sich der Preis aus den Grenzkosten plus den exponentiell steigenden Knappheitspreis zusammen. Ressourcenvorkommen unterschiedlicher Extraktionskosten werden in der Reihenfolge ihrer Günstigkeit genutzt. Hierbei ist wesentlich, dass jene Ressourcenbesitzer mit hohen Extraktionskosten, die erst später extrahieren, Finanzkontrakte abschließen können, die ihnen ein Überleben in den Nichtextraktionsphasen erlauben.
–
Neuentdeckungen von Ressourcen: Jede Neuentdeckung von Ressourcen führt zu einer entsprechenden Anpassung des Niveaus des Preispfades nach unten, da nun mehr Ressource zur Verfügung steht.
–
Nachfrageschwankungen bzw. Nachfragewachstum: Nachfrageschwankungen führen zu Neuanpassungen des Preispfades nach oben oder nach unten abhängig davon ob ein positiver oder negativer Nachfrageschock vorliegt. Insbesondere sind damit stochastische Veränderungen der Nachfrage für das Ergebnis unerheblich und können integriert werden. Auch ein kontinuierliches Nachfragewachstum ändert nicht die grundsätzlichen Eigenschaften, sofern es bestimmte Grenzen nicht überschreitet.
–
Veränderliche Zinssätze: Für Schwankungen des Zinssatzes gilt ähnlich wie für Nachfrageschwankungen, dass mit jedem Zinsschock eine Anpassung im Preisniveau und daraus folgend auch für den Preispfad vorgenommen wird. 2. Das Produktionsmodell
Das Modell des vorangegangenen Abschnittes brauchte für die Ressourcenextraktion keinerlei Technik, sprich: Kapital. Dem partialanalytischen Ansatz ist es auch geschuldet, dass die Verwendung der Rohstoffe nicht beleuchtet wurde. D. h. deren Eingang in die volkswirtschaftliche Produktion und ihre Wechselwirkung mit anderen Produktionsfaktoren wurde systematisch ausgeklammert. Dieses soll nun in einem zweiten Schritt behoben werden. Es wird nun explizit eine Produktion unterstellt, die die beiden Faktoren Kapital und Ressource nutzt. Aus dieser Produktion wird dann der nutzenstiftende Konsum einerseits und die den Kapitalbestand erhöhenden Investitionen andererseits gespeist. Dabei ist noch nicht spezifiziert, wo und in welcher Weise das Kapital verwandt wird. ___________ 17
Vgl. z. B. Ströbele (1987), S. 41 ff.
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Wie muss in einer solchen Situation die Ressource eingesetzt werden? Um dieses zu klären, sei angenommen, dass die Nutzung einer Einheit der Ressource um eine Periode nach vorne verlagert wird. Damit erhöht sich das Sozialprodukt in dieser Vorperiode um die Grenzproduktivität der Ressource und entsprechend erhöhen sich die Investitionen, so dass der Kapitalstock in der Folgeperiode auch um die Grenzproduktivität der Ressource wächst. Mit diesem höheren Kapitalbestand lässt sich ein um die Grenzproduktivität des Kapitals multipliziert mit der Grenzproduktivität der Ressource höheres Sozialprodukt erzielen. Hinzu kommt, dass in der ursprünglichen Periode um die Grenzproduktivität der Ressource weniger investiert werden muss, da dieses ja schon in der Vorperiode getan wurde. Beide Effekte zusammen, ermöglichen einen entsprechenden Mehrkonsum, der aus dem höheren Sozialprodukt entnommen werden kann. Andererseits bedeutet die Vorverlagerung einer Ressourceneinheit in der aktuellen Periode eine Sozialproduktsminderung um die Grenzproduktivität der Ressource, was zu einem entsprechenden Minderkonsum führt. Wenn sich diese beiden Effekte genau ausgleichen, so ist die richtige Nutzung der Ressource gefunden, da dann keine Anreize mehr bestehen, Ressourcen intertemporal zu verschieben. Überwiegt hingegen einer der beiden Effekte, so kann ein Mehrkonsum realisiert werden, indem die Ressource weiter intertemporal verlagert wird bis eben die beiden Effekte sich ausgleichen.18 Mit einfacher Rechnung ergibt sich hieraus, dass auf dem effizienten Pfad, auf dem keine intertemporalen Reallokationen der Ressourcen mehr vorgenommen werden, die Wachstumsrate der Grenzproduktivität der Ressource gleich der Grenzproduktivität des Kapitals sein muss (sog. Hotelling-Regel). Unterstellt man vollkommene Märkte und damit eine Faktorentlohnung nach Grenzproduktivitäten, so bedeutet dieses nichts anderes, als dass zu jedem Zeitpunkt die Wachstumsrate des Ressourcenpreises gleich dem Zinssatz sein muss, was weitgehend dem Ergebnis des vorangehenden Abschnitts entspricht.19 Im Unterschied zu den Überlegungen des vorangegangenen Abschnitts muss der Zinssatz hier aber nicht mehr konstant sein, was er aufgrund der Kapitalakkumulation und der damit verbundenen Änderung der Grenzproduktivität des Kapitals auch tatsächlich nicht ist. Zu dieser Regel hinzu tritt natürlich noch die Bedingung, dass der Pfad der Ressourcennutzung in der Summe nicht den Ressourcenbestand überschreiten darf. Es ist wesentlich zu erkennen, dass bis hierhin der effiziente Pfad mit der obigen Regel beschrieben wurde, ohne irgendwelche Nutzenfunktionen zu konkretisieren, die den Nutzen aus dem Konsum bewerten. Auch ist bis hierher nichts über die verwandte Produktionstechnologie ausgesagt worden. D. h. ___________ 18 Für eine formale Ableitung dieses Kalküls vgl. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 160 ff. 19 Vgl. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 160.
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diese Hotelling-Regel gilt unabhängig davon, welche intertemporale Nutzenbetrachtung gewählt wird. Zu klären ist nun die Frage, ob ein solcher effizienter Pfad für eine beschränkte nicht-regenerierbare Ressource überhaupt existieren kann und wie ein Pfad der Ressourcennutzung hierfür ausgewählt werden kann, der allen Generationen einen positiven Konsum erlaubt. Hierfür sind nun weitere – kritische – Annahmen notwendig, die insbesondere Aussagen über das Konsumverhalten treffen müssen. Es wird davon ausgegangen, dass ein gesamtwirtschaftlicher Planer einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen aus dem Konsum bestimmen oder zumindest ein Kriterium für den Konsum über alle Perioden festlegen kann. Diese Einführung eines normativen Elements über einen Planer, der über die Verteilung des Konsums bestimmt ist Anlass zu berechtigter Kritik.20 Hierauf wird in Abschnitt III.3.a) noch einzugehen sein. Außerdem wird auch unterstellt, dass die in der Volkswirtschaft verwandte Produktionstechnologie vom Cobb-Douglas-Typ ist, was insbesondere bedeutet, dass zwischen Kapital und Ressource eine (sehr optimistische) Substitutionselastizität von Eins besteht, mithin also die Ressource asymptotisch durch Kapital ersetzt werden kann. Schließlich wird angenommen, dass die Bevölkerungszahl konstant ist. Dieses entspricht zwar aktuell nicht der Weltrealität, jedoch lässt sich argumentieren, dass die Weltbevölkerungszahl gegen einen stationären Wert konvergiert, so dass eine obere Schranke existiert, die dann für die Analyse als obere Abschätzung genutzt werden kann.21
a) Rawls-Pfade In seinem grundlegenden Beitrag zur wachstumstheoretischen Analyse der Nutzung beschränkter nicht-regenerierbarer Ressourcen hat Solow ein Rawls’sches Ziel-Kriterium gewählt.22 Ziel ist es, mit einem Maximin-Ansatz, den minimalen Konsum aller Generationen zu maximieren. Gesucht ist also der maximal mögliche Konsum, der dennoch für alle Generationen gleich ist. Oder wie es Solow ausdrückt: „In this article I am going to be plus Rawlsian que le Rawls.“23 Damit wird auf das intergenerationelle Verteilungsproblem fokussiert, intratemporale Probleme werden in der Analyse ausgeklammert. Mit ein wenig Rechnerei lässt sich zeigen, dass ein solcher sog. „Rawls-Pfad“ tatsächlich existiert, wenn die Sparquote der Volkswirtschaft der Produktionselastizität der Ressource entspricht und außerdem die Produktionselastizität der Ressour___________ 20
Vgl. z. B. Hampicke (1999), S. 157 ff. Vgl. z. B. Solow (1974), S. 36 f. 22 Vgl. Solow (1974). 23 Solow (1974), S. 30. 21
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ce kleiner als 0,5 ist.24 D. h. aus der gegebenen Produktionselastizität der Ressource folgt die Regel für die Akkumulation des Kapitals, so dass das Kapital die schrumpfenden Ressourcenbestände genau ersetzen kann und alle Generationen bezüglich ihres Konsums gleich gestellt sind. Für eine Cobb-DouglasTechnologie bedeutet dieses, dass der Einkommensanteil der Ressource in jeder Periode vollständig investiert werden muss (sog. Hartwick’sche Regel). Ist die Sparquote größer, so steigen durch die verstärkte Kapitalakkumulation auch das Sozialprodukt und damit auch der Konsum an, was der Annahme der Gleichheit des Konsums über alle Perioden widersprechen würde. Auf diesem Pfad gelingt es also durch die Wahl des „passenden“ Startressourcenverbrauchs, einen Ressourcenpfad zu finden, der allen Generationen die gleichen Konsummöglichkeiten ermöglicht. Das Kapital-Ressourcen-Verhältnis geht dabei gegen unendlich, da fortlaufend der Ressourceneinsatz durch mehr Kapital substituiert wird. D. h. insbesondere, dass diese Pfade nur im Rahmen der Konzepte schwacher Nachhaltigkeit möglich sind, die eine entsprechende Substitution von Ressourcen durch Kapital erlauben. Die positive Nachricht dieses Ansatzes ist also, dass ein konstanter, positiver Konsum auch bei der Nutzung beschränkter natürlicher Ressourcen in der Produktion möglich ist. Dieses geschieht gleichwohl unter Annahmen, die noch zu diskutieren sein werden.
b) Utilitaristische Pfade Eine andere Annahme liegt den von Rawls bekämpften utilitaristischen Pfaden zu Grunde. Hier legt der gesamtwirtschaftliche Planer nicht wie zuvor ein einheitliches Konsumniveau fest, sondern hat eine Nutzenfunktion, mit deren Hilfe er den Konsum zu jedem Zeitpunkt bewerten kann. Zusätzlich wird der Nutzen zu jedem Zeitpunkt mit einer konstanten Zeitpräferenzrate diskontiert. Der so diskontierte Nutzenpfad wird dann über alle Zeitpunkte addiert und liefert damit eine gesamtwirtschaftliche, intertemporale Einschätzung des Konsumstroms. Neben der schon oben angebrachten Kritik an einer solchen gesamtwirtschaftlichen Nutzenfunktion tritt nun noch die Diskontierung dieses Nutzenstroms als kritischer Faktor hinzu, da man argumentieren könnte, dass der Nutzen heute und morgen gleich einzuschätzen ist und es deshalb keine zeitliche Minderbewertung von späterem Nutzen geben sollte. Hotelling führt dagegen an, dass der zukünftige Nutzen aus dem Konsum immer einer gewissen Unsicherheit unterliegt, die im Zeitablauf zunimmt, was eine Minderbewertung rechtfertigt.25 Löst man nun das Problem, dass der intertemporale Gesamt___________ 24 25
Vgl. z. B. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 163 f. Vgl. Hotelling (1931), S. 543.
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nutzen über alle Generationen maximiert werden soll, so ergibt sich nach ein wenig Rechnerei, dass der Konsumpfad nun mehr nicht konstant ist, sondern zunächst ansteigt, um nach Überschreiten eines maximalen Konsumwertes asymptotisch gegen Null zu gehen.26 Dieses Schrumpfen des Konsums ist verursacht durch die Diskontierung des Nutzens, d. h. zukünftigen Generationen wird ein immer geringerer Konsum zugemutet. In der Folge ist die Akkumulation des Sachkapitals in einer ersten Phase, in der noch reichlich Ressource vorhanden ist, sehr niedrig.27 Dieses ist unter ethischen Aspekten natürlich zu hinterfragen, da es sich klar um eine durch Diskontierung eingeführte Besserstellung der heutigen Generationen handelt, die allenfalls dadurch gerechtfertigt werden kann, dass es unsicher ist, ob zukünftige Generationen überhaupt noch existieren. Man könnte nun die Zeitpräferenzrate verkleinern und letztlich gegen Null gehen lassen, dadurch würde c.p. das Konsummaximum zeitlich weiter nach hinten verlagert und das Abfallen des Konsums verringert. Allerdings findet dieses dann seine Grenze, wenn die Summe des Konsumnutzens aus allen Perioden unendlich wird, da dann mit diesem Zielkriterium keine vernünftige Analyse mehr durchführbar ist. Das grundsätzlich positive Ergebnis für beide Pfade ist, dass eine dauerhafte Nutzung von Ressourcen in dem beschriebenen Rahmen möglich ist. Allerdings ist dieser Rahmen natürlich durch seine restriktiven Annahmen sehr eng gesetzt. Es wird sich im nachfolgenden Abschnitt zeigen, dass realistische Erweiterungen und Ergänzungen dieses Ergebnis relativieren und zu weit pessimistischeren Aussagen führen können.
3. Kritik und Erweiterungen a) Die Spezifikation der Nutzenfunktion Die Spezifikation einer gesamtwirtschaftlichen Nutzenfunktion oder der Nutzenfunktion eines repräsentativen Individuums, die durch einen gesamtwirtschaftlichen Planer dann optimiert wird, ist ein wesentlicher Kritikpunkt an der ökonomischen Theorie der Ressourcennutzung. Damit findet eine erhebliche normative Vorgabe statt, wie Nutzen heute und morgen gegeneinander abzuwägen sind.28 Hampicke (1999) macht deutlich, dass dieses einen Bruch mit den neoklassischen Argumentationslinien in statischen Kontexten bedeutet, wo man systematisch einem individualistischen Ansatz folgt und sich ein Verteilungsergebnis als Folge des Marktverhaltens ergibt. Die Unterschiede der Pfa___________ 26
Vgl. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 165 f. Vgl. Ströbele (1984), S. 62. 28 Vgl. Hampicke (1999), S. 157 f. 27
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de, die aus unterschiedlichen Zielfunktionen resultieren, weisen darauf hin, dass hier weiterer Klärungsbedarf besteht. Eine Lösungsmöglichkeit ist der Verzicht auf jegliche Optimierung und der Übergang auf rein positive (Allgemeine) Gleichgewichtsmodelle, für die jedoch Bewegungsgleichungen hinreichend gut bekannt sein müssen. Das bedeutet letztlich auch, dass man zwar keine expliziten Nutzenfunktionen mehr formuliert, die zu optimieren wären, jedoch dafür meist Nachfragefunktionen direkt schätzt, um das Konsumverhalten abzubilden. Die normative Aufladung erfolgt dann also über die Formulierung dieser Nachfragefunktionen und der Annahmen über ihre Veränderung in der Zukunft. Modelltheoretisch bildet die Klasse der Overlapping-Generations-Modelle die Möglichkeit eine individualisierte oder zumindest individualisiertere Abbildung des Verhaltens zu leisten. Overlapping-Generations-Modelle gehen davon aus, dass die Individuen eine Nutzenfunktion haben, über zwei oder mehr Perioden leben, in denen sie unterschiedliche wirtschaftliche Aktivitäten entfalten und im Austausch mit anderen Individuen späterer Generationen stehen. So lassen sich z. B. individuelle und unterschiedliche Zeitpräferenzraten, die individuell auch leichter begründet werden können, abbilden. Individuen mit einer hohen Zeitpräferenz werden in ihrer ersten Lebensperiode einen höheren Konsum haben als jene mit niedriger Zeitpräferenz und umgekehrt in der zweiten Lebensperiode eine geringe Nachfrage aufweisen, mit der sie am Markt (z. B. für Ressourcen) auftreten. Abstrahieren wir nun von unterschiedlichen Zeitpräferenzraten und nehmen diese als identisch für alle Individuen und über alle Zeiten an. Ferner sollen die Individuen nur zwei Perioden leben. Lassen sich die Pfade, die oben konstruiert wurden, auch in einem solchen – individualisierten – Umfeld abbilden? Die erste Generation muss in der Planung ihres Konsums berücksichtigen, dass sie in ihrer zweiten Lebensperiode mit einer weiteren Generation auf dem Markt konfrontiert ist, die ihrerseits für die nächsten zwei Perioden planen muss. Die erste Generation kann also nicht den kompletten Verbrauch der Ressource für sich einplanen, da dieses durch die hinzukommenden Nachfrager entsprechend negative Preiseffekte hätte. Diese zweite Generation weiß wiederum, dass auch sie in der Folgeperiode mit Individuen konfrontiert ist, die sie um eine Periode überleben werden. Auch sie kann nicht davon ausgehen, den Ressourcenvorrat für sich aufzubrauchen. Dieses lässt sich beliebig weit fortsetzen. Diese Aneinanderkettung von Generationen ist natürlich allen Individuen zu allen Zeiten bekannt. Durch diese Verkettung und die Antizipation der Nachfrage zukünftiger Generationen in der jeweils zweiten Lebensperiode, wird auch die Nachfrage weit entfernter Generationen schon heute wirksam, so dass die Nachfrage zukünftiger Generationen schon heute auf den Märkten mit einkalkuliert wird. Dieses ist insofern relevant, als dass behauptet wird, dass es eines der grundlegenden Probleme nachhaltiger Entwicklung sei, dass zukünftige Generationen nicht in der Gegenwart aktiv wer-
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den. Folgt man der Logik der Overlapping Generations-Modellierung, so werden diese zukünftigen Generationen zwar nicht auf diesen Märkten aktiv, aber ihre Nachfrage wird auf der Basis des heutigen Wissens miteinkalkuliert, was letztlich in einer Ressourcenschonung mündet. Eine Übernutzung von Ressourcen wäre dann folglich auf eine fehlende Rationalität zurückzuführen, indem Individuen diese Verkettung für ihre Konsumplanung nicht oder nicht hinreichend einbeziehen. Problematisch ist dabei natürlich immer, dass die Individuen die Erwartung über die Nachfrage der zukünftigen Generationen nur auf Basis der heutigen Informationen über Präferenzen und technologische Gegebenheiten bilden können. Technologische Innovationen, die eine effizientere Ressourcennutzung möglich machen, sind somit nur schwer in das Modell integrierbar. Eine andere Erweiterung der Zielfunktion löst sich zwar nicht vom grundlegenden Problem der Konstruktion eines gesamtwirtschaftlichen Planers, der eine Zielfunktion zu optimieren hat, sondern versucht die unterschiedliche Interessen von heutigen und künftigen Generationen besser auszugleichen. Wie erwähnt führt die Diskontierung des Nutzens bei utilitaristischen Zielfunktionen dazu, dass der Konsum langfristig gegen Null geht. Beltratti/Chichilnisky/Heal (1995) führen deshalb eine leicht geänderte Zielfunktion ein. Der Summe der diskontierten Nutzen aus dem Konsum fügen sie in der Zielfunktion mit einem bestimmten Gewicht einen Wert hinzu, der der Untergrenze (genauer: dem Limes inferior) des Nutzens entspricht, der also nur sehr langfristig wirkt. Formuliert man die Axiome, dass es keine Diktatur der Gegenwart über die Zukunft und umgekehrt auch keine Diktatur der Zukunft über die Gegenwart geben soll, so lässt sich zeigen, dass eine so formulierte Zielfunktion genau diese beiden Axiome erfüllt.29 Allerdings löst dieses nicht das Problem, wie ein solches Kriterium individuell begründet und rekonstruiert werden kann.
b) Verschleiß von Kapitalgütern Wir hatten gesehen, dass die Substitution der Ressource durch Kapital ein wesentlicher Faktor ist, um dauerhaft überleben zu können. Dabei wird jedoch von der Annahme ausgegangen, dass Kapitalgüter ewig halten, mithin also kein Verschleiß stattfindet. Dieses ist natürlich nicht so. Schon bei der Produktion der entsprechenden Kapitalgüter wird Energie benötigt und geht Energie verloren, so dass schon beim Einsatz der Kapitalgüter ein Teil der eingesetzten Energie und ein Teil des eingesetzten Materials verloren gegangen sind. Ursprung dieser Einbeziehung von Reibungsverlusten und Verschleiß sind die physikalischen Grundüberlegungen von Georgescu-Roegen, der als Erster da___________ 29
Vgl. Chichilnisky (1997).
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rauf hinwies, dass auch für ökonomische Prozesse physikalische Gesetze gelten, auch wenn er und einige Nachgänger dieses teilweise pompös zelebrieren, ohne anzuerkennen, dass dieses in die bestehenden Theorien integrierbar ist.30 Dieses betrifft insbesondere Aussagen, die aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik oder der Massenerhaltung folgen. Beides lässt sich näherungsweise durch den Verschleiß der Kapitalgüter beschreiben. Unterstellt man der Einfachheit halber einen Verschleiß mit konstanter Rate, so finden die optimistischen Aussagen der Ökonomik ein jähes Ende. Der Substitutionsprozess zwischen Ressource und Kapital kann dann nicht unendlich fortgesetzt werden. Vielmehr endet der Substitutionsprozess, wenn die Grenzproduktivität des Kapitals gleich der Verschleißrate ist, da dann nach der modifizierten Hotelling-Regel das Wachstum des Preises der Ressource zum Stillstand kommt. Damit existiert auch ein maximales Kapital-Ressourcen-Verhältnis. Da der Ressourcenbestand endlich ist, folgt sofort, dass auch das über alle Zeit produzierbare Sozialprodukt endlich ist. Da dieses jedoch über einen unendlichen Zeitraum gleich verteilt werden muss, kann die Wirtschaft nun nicht mehr überleben.31 Der Grund hierfür ist klar. Auf dem Pfad muss ständig Ressource durch Kapital ersetzt werden. Von diesem ständig wachsenden Kapitalbestand sind jedoch auch eine immer höhere Abschreibungen zu leisten, die ebenfalls aus dem laufenden Sozialprodukt durch Neuinvestitionen finanziert werden müssen, so dass langfristig das noch für Konsum verfügbare Sozialprodukt verschwindet.32
c) Wachsende Bevölkerung Mit der Argumentation von Solow wurde zuvor eine dauerhaft wachsende Bevölkerung ausgeschlossen. Führt man diese dennoch ein, so führt auch dieses zum Zusammenbruch der Wirtschaft. In einer Wirtschaft mit einer mit konstanter Rate wachsenden Bevölkerung sind stets die Pro-Kopf-Größen zu betrachten, da natürlich auch hier für den Einzelnen insb. der Konsum pro Kopf relevant ist. Die Wachstumsrate des Kapitalbestandes muss dann natürlich größer sein als die Bevölkerungswachstumsrate, da die Ressourcenintensität aufgrund des sich verringernden Ressourceneinsatzes und der wachsenden Bevölkerung kontinuierlich sinkt. Das Pro-Kopf-Einkommen muss also mindestens einen (beliebigen und damit auch beliebig kleinen) Mindestkonsum pro Kopf und die Ausstattung mit Kapital der hinzugewachsenen Bevölkerung ermöglichen. Da nun die Kapitalausstattung pro Kopf wächst und zusätzlich noch die hinzutre___________ 30
Vgl. Georgescu-Roegen (1975) oder Daly (1997a,b). Vgl. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 169. 32 Vgl. Ströbele (1984), S. 94. 31
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tenden Arbeiter auch noch mit dieser höheren und immer weiter wachsenden Kapitalausstattung versorgt werden müssen, stößt das Wachstum auch hier wieder an seine Grenzen. Die Substitution der Ressource durch Kapital, die schon im Fall der Ressourcennutzung ohne Bevölkerungswachstum nur „gerade so“ einen Überlebenspfad lieferte, der die Ressourcennutzung langfristig gegen Null und den Kapitalbestand gegen unendlich führte, kann eine zusätzliche Kapitalakkumulation zur Kapitalausstattung der wachsenden Bevölkerung aus dem laufenden Sozialprodukt nicht mehr finanzieren. Dadurch ist eine Wirtschaft selbst mit der optimistischen Annahme einer Cobb-DouglasTechnologie mit der Substitutionselastizität von Eins bei beschränkten nichtregenerierbaren Ressourcen nicht überlebensfähig ist. 33
d) Produktionsfunktion und Substitutionselastizität Der Mechanismus, der ein dauerhaftes Überleben bei beschränkten Ressourcen ermöglicht, basiert auf der hinreichend leichten Substituierbarkeit der Ressource durch Kapital. Es wurde stets angenommen, dass die Substitutionselastizität, also die technische Leichtigkeit mit der Ressourcen durch Kapital ersetzt werden können, um das gleiche Sozialprodukt zu erwirtschaften, gleich Eins ist, sprich: Es ist möglich asymptotisch ohne Ressource zu produzieren. Ändert man diese Annahme, indem man eine geringere Substitutionselastizität unterstellt, so dass eine Substitution von Ressource durch Kapital nicht mehr so leicht möglich ist, so führt auch dieses dazu, dass ein dauerhaftes Überleben bei Nutzung der beschränkten Ressource nicht mehr möglich ist. Dafür reicht es aus, wenn die Elastizität nur ein kleines ε unter Eins liegt. Woran liegt dieses? Eine Substitutionselastizität kleiner als Eins impliziert, dass für die Produktion eines bestimmten Einkommensniveaus stets eine Mindestmenge an Ressource notwendig ist, d. h. die Ressource ist weder asymptotisch und schon gar nicht vollständig durch Kapital substituierbar, selbst wenn der Kapitaleinsatz gegen unendlich streben würde. Da nun immer zumindest dieses Mindestmaß an Ressource über einen unendlichen Zeitraum aufgewandt werden muss, würde man einen unendlich großen Ressourcenbestand benötigen, welcher nicht gegeben ist. Ein Überleben ist in diesem Fall nicht möglich. Da der Substituierbarkeit der Ressource durch Kapital eine so entscheidende Rolle in der Bestimmung der Überlebensfähigkeit in einer Wirtschaft mit produktiver Nutzung der Ressourcen zukommt, ist zu fragen, welche Größenordnung der Substitutionselastizität zwischen Kapital und Ressource in der Realität zugeordnet werden kann. Diese Substitutionselastizität ist in empirischen Untersuchungen regelmäßig kleiner als Eins und damit weit von den gewünschten ___________ 33
Vgl. Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 170.
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Eigenschaften einer leichten Substituierbarkeit von Kapital und Ressource entfernt.34 Allerdings ist die Messung von Substitutionselastizitäten insbesondere in der langen Frist, die für Ressourcenaspekte notwendig ist, schwierig, da technologische Veränderungen nicht hinreichend abgebildet werden können.
e) Der technische Fortschritt Nachdem nun einige Erweiterungen eingebracht wurden, die dazu führten, dass ein Überleben mit begrenzten natürlichen Ressourcen nicht möglich ist, wird mit dem technischen Fortschritt ein Rettungsanker geworfen. Der technische Fortschritt eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten, natürliche Ressourcen dauerhaft zu nutzen. Erstens ermöglicht es der technische Fortschritt, die Ressourcen effizienter zu nutzen. Beispielsweise können Autos dieselbe Leistung mit weniger Benzin erbringen, oder ein Kraftwerk erreicht einen höheren Wirkungsgrad, so dass mit derselben Menge Gas oder Kohle mehr Strom erzeugt werden kann. Üblicherweise übersetzt man dieses in einen technischen Fortschritt, der den Ressourceneinsatz in Effizienzeinheiten steigert. Durch diese „virtuellen“ zusätzlichen Ressourceneinheiten wird die Notwendigkeit zur Substitution von Ressourcen durch Kapital gemildert. Dieses darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der technische Fortschritt häufig, wenn er nicht in der besseren Gestaltung von Prozessen liegt, selbst an Kapitalgüter gebunden ist, wie die eben benannten Beispiele Auto und Kraftwerk auch zeigen. Der Kapitalbestand hat damit also zwei Gesichter. Einerseits führt er rein produktionstheoretisch betrachtet bei der Substitution von Ressource durch Kapital zu einer entsprechenden Mehrproduktion. Andererseits inkorporiert das Kapital selbst häufig den technischen Fortschritt und macht einen Ressourcenbestand damit virtuell größer, da man ihn mit einer effizienten Technologie länger nutzen kann. Kapital als Träger des technischen Fortschritts entschärft damit selbst die Dringlichkeit mit der Kapital (im produktionstheoretischen Sinne) die Ressource ersetzen muss. Zweitens, könnte der technische Fortschritt auch dazu dienen, technologische Settings zu entwickeln, die die Substitutionselastizität zwischen Kapital und Ressource verändern. Damit wird es möglich, zu höheren Substitutionselastizitäten zu gelangen, die – wie oben gezeigt wurde – wesentlich für ein Überleben sind. Diese Wirkung des technologischen Fortschritts ist aus ver___________ 34 Vgl. für eine Übersicht der Literatur zur Größe von Substitutionselastizitäten Atkinson/Manning (1995) und für spezielle Substitutionselastizitäten Kemfert (1998), S. 254 f.
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schiedenen Gründen weitgehend ununtersucht. Einerseits ist eine solche Endogenisierung der Substitutionselastizitäten analytisch sehr anspruchsvoll, so dass geschlossene Lösung kaum erreicht werden können. Andererseits wird die Produktionstechnologie selbst als gegeben angesehen und der technische Fortschritt stets nur auf Faktorenbasis betrachtet, was aber gerade im Ressourcenzusammenhang nicht zielführend ist, wo gerade der Produktionstechnologie und damit der Substitutionselastizität eine erhebliche Bedeutung zukommt. Drittens können durch technischen Fortschritt Substitute entwickelt werden, die entweder auf regenerativer Basis beruhen oder die direkte Nutzung einer Stromgröße erlauben, wie z. B. im Falle der Photovoltaik als Substitut für die Stromproduktion aus fossilen Brennstoffen. In diesem letzten Fall spricht man von sogenannten Backstop-Technologien, die eine weitere Nutzung der Ressource ausschließen, da mit dieser direkten Nutzung z. B. der Sonnenenergie ein dauerhaftes Überleben gesichert ist. Auch hier ist der technische Fortschritt wieder an ein Kapitalgut gebunden, das speziell die Ressource nicht nur produktionstheoretisch, sondern auch technisch ersetzt. Entsprechend hat man im Falle von Backstop-Technologien den „normalen“ produktiven Kapitalbestand und den Kapitalbestand für die die Backstop-Technologie zu unterscheiden. Es gibt eine breite Literatur, die sich mit dem Übergang von der Ressourcennutzung auf die Nutzung einer Backstop-Technologie beschäftigt.35 Natürlich sollte zum Startzeitpunkt der Nutzung der Backstop-Technologie die Ressource vollständig verbraucht sein, da sie danach nicht mehr wirtschaftlich (gemäß der Hotelling-Logik) genutzt werden kann. Allerdings erweist es sich als schwer oder unmöglich, diesen genauen Zeitpunkt zu fixieren, da die technologischen Innovationen stochastisch eintreten oder andere Unsicherheiten über den Preis dieser Technologien existieren. Eine zu optimistische Einschätzung der Möglichkeit des Übergangs auf eine Backstop-Lösung kann dazu führen, dass die Ressource zu früh aufgebraucht ist, so dass eine weitere Produktion nicht möglich ist. Eine pessimistische Einschätzung der Entwicklung von BackstopTechnologien führt dagegen dazu, dass Ressource übrig bleibt und damit verschwendet wird. Da Letzteres jedoch im Vergleich zum Stillstand einer ganzen Wirtschaft aufgrund fehlender Ressourcen als geringerer Schaden eingeschätzt wird, wird das Vorhalten einer Mindestreserve an Ressource als eine Art Risikoprämie im Sinne der kritischen Nachhaltigkeit vorgeschlagen.36
___________ 35
Vgl. für einige grundlegende Aspekte Meyer/Müller-Siebers/Ströbele (1998), S. 173 ff. und Ströbele (1987), S. 45 ff. 36 Das Ausfallen der Ressource ließe sich theoretisch als reines Absicherungsproblem auffassen, das sich entsprechend durch Versicherungen lösen ließe, die im Schadensfalle Versicherungsprämien zahlen würden. Da jedoch die gesamte Produktion zum Erliegen kommen würde, könnte auch diese dann nicht mehr bezahlt werden. Das Vorhalten von
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Bislang wurden nur die großartigen Eigenschaften des technischen Fortschritts beschrieben, wie er das Ressourcenproblem entschärfen kann. Dabei blieb unberücksichtigt, dass der technische Fortschritt nicht „wie Manna vom Himmel fällt“, sondern auch hierfür Aufwendungen zu tätigen sind. Diese Aufwendungen haben meist die Form des eingesetzten Humankapitals. Es ist also zu entscheiden, wie viel Humankapital in der normalen Produktion eingesetzt wird und wie viel in der Forschung, um über einen der drei eben genannten Kanäle eine bessere Nutzung der Ressource zu erreichen. Das in der Forschung eingesetzte Humankapital entfaltet natürlich erst dann seine Wirkung, wenn tatsächlich Erfindungen effizientere Ressourcennutzungen zulassen oder in einer Backstop-Technologie münden. Solange dieses nicht der Fall ist, muss mehr Ressource aufgewandt werden, um das fehlende Humankapital in der „normalen“ Produktion zu kompensieren. Es entsteht also ein weiteres Optimierungsproblem in der Verwendung des Humankapitals in der Forschung und Entwicklung neuer Technologien, die letztlich die Ressourcennutzung verbessern soll.
IV. Fazit Es wurden die Ergebnisse der dynamischen Ökonomik dargelegt, unter welchen Bedingungen ein Überleben möglich ist, wenn beschränkte natürliche Ressourcen produktiv genutzt werden. Es zeigt sich, dass dieses massiv von den Konsumpfaden und insbesondere von der Entwicklung des technischen Fortschritts abhängt. Nicht behandelt wurden Fragestellungen der Rechtfertigung der Kriterien für die intergenerationelle Allokation von Ressourcen. Vielmehr wurde demonstriert, unter welchen Bedingungen überlebensfähig Pfade existieren. Auch können mit Hilfe dieser Betrachtungen vorgeschlagene Pfade auf ihre Nachhaltigkeitsfähigkeit im Sinne einer schwachen Nachhaltigkeit überprüft werden.
Literatur Atkinson, Jago / Manning, Neil (1995): A survey of international energy elasticities, in: Terry Barker / Paul Ekins / Nick Johnstone (eds.): Global warming and energy demand, London / New York, S. 47–105.
___________ Ressource für diesen Übergang und der damit entgangene Gewinn ist dann eine Art „Naturalrisikoprämie“, die für dieses Risiko bezahlt wird. Realistisch wird eine Ressource nie ganz versiegen, nur wird die Nutzung prohibitiv teuer, wie es schon in Abschnitt III.1. erläutert wurde.
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Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit – Korreferat zu Eric C. Meyer – Von Christoph Krauß
I. Einleitung Das vorliegende Hauptreferat von Eric Meyer umreißt zunächst die Begriffe Ressourcen und Nachhaltigkeit und versucht eine Definition. Im Anschluss entwickelt es verschiedene Modelle, um die Nutzung natürlicher Ressourcen und die Möglichkeiten, deren Verbrauch zu kontrollieren, ökonomisch darzustellen. Der Definition der unterschiedlichen Ressourcenarten ist an dieser Stelle wenig hinzuzufügen. Denn besonders die Unterscheidung von Bestands- und Stromressourcen klingt logisch und ist weit verbreitet. Auch die Spezifikation von rezyklierbaren und nicht rezyklierbaren Ressourcen leuchtet ein, allerdings beachtet Meyer hier meines Erachtens zu wenig, dass die Rezyklierbarkeit nicht nur von der Wirtschaftlichkeit und dem technischen know-how abhängt, sondern auch immer von der grundsätzlichen ‚natürlichen‘ Grenze dieser Ressource. Hier findet die Substitutionselasitizität, die ich insgesamt fraglich finde, wie noch zu zeigen sein wird, immer ihre Grenze. Auf den Nachhaltigkeitsbegriff werde ich später, in Verbindung mit meiner Bewertung der ökonomischen Modelle, intensiver eingehen. Zunächst will ich mich mit den beiden ökonomischen Modellen des neoklassischen Ansatzes, wie Meyer sie vorstellt, auseinandersetzen:
II. Die ökonomischen Modelle 1. Das einfache Konsummodell Das einfache Konsummodell ist interessant, scheint mir jedoch von so vielen idealen Voraussetzungen auszugehen, dass es kaum als in der Realität anwendbar erscheint. Denn besonders die Voraussetzungen 4, 5 und 6 (vollkommener
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Christoph Krauß
Wettbewerb der Ressourcenanbieter, die alle identische Produktionsbedingungen haben; feste, unveränderbare Nachfrage nach der Ressource; fester Zinssatz des Kapitalmarktes) scheinen sehr irreal! Neben den Bedingungen, die meines Erachtens zu lebensfern sind, auch wenn Meyer die Stabilität des Modells bei größerer Veränderung der Annahmen angibt, kritisiere ich an diesem Modell, dass es eigentlich immer nur um die Preisentwicklung aus der Perspektive des Vermarkters der Ressource geht. Die Frage, ob es moralisch besser ist, eine Ressource jetzt zu fördern oder sie in situ zu belassen, um sie später noch nutzen zu können, lässt sich meines Erachtens nicht nur mit den Preisentwicklungen für den Ressourcenbesitzer beantworten. Hier scheint es zu wenig, auf dem Hintergrund des Modells des homo oeconomicus eine rationale Entscheidung des Vermarkters als einziges Kriterium zuzulassen. Auch wenn Meyer sich auf die neoklassischen Modelle beschränken will, scheint mir dieses Modell für eine weiterbringende Auseinandersetzung nicht geeignet.
2. Das Produktionsmodell Das Produktionsmodell, das Meyer entworfen hat, scheint mir für eine kritische Auseinandersetzung besser geeignet. Aus sozialethischer Sicht besonders interessant scheinen mir drei Punkte: erstens der gesamtwirtschaftliche Planer, zweitens die Substitutionselastizität und drittens die gedankliche Figur des overlapping-Generations-Wettbewerbs. Die Annahme eines gesamtwirtschaftlichen Planers scheint mir schwierig, da er eine Hilfskonstruktion zu sein scheint, um gegen die Zweckrationalität des homo oeconomicus eine ‚langfristig rational handelnde Institution‘ einzuführen, die entweder nach dem Spargrundsatz von Rawls oder utilitaristisch die vertretbare Konsummenge zu einem bestimmten Zeitpunkt festlegt. Diese Annahme hat zwar einen gewissen Charme, allerdings ist ihr großer Nachteil, dass es diesen Planer nicht geben kann, da die Zukunft ungewiss bleibt und auch nicht durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu belegen ist. Außerdem ist eine solche Annahme, wie Meyer in Anlehnung an Hampicke einräumt1, ein Bruch mit der neoklassischen Theorie. Wenn man diesen Theorierahmen verlässt, scheinen mir andere Ergänzungen hilfreicher: Wahrscheinlich wäre der Bezug auf den Kategorischen Imperativ Kants ethisch ratsamer, da sonst, wie Meyer richtig anmerkt, durch Diskontierung bis zu einem Konsummaximum die aktuelle Generation, zu deren Lebenszeit die Ressource noch reichlich vorhanden ist, besser gestellt ist und den nachfolgenden Generationen „ein immer geringerer Konsum zugemutet“2 wird. Fraglich auch, ob die Substitutionselastizität in der Hoffnung auf technischen Fortschritt ___________ 1 2
Vgl. Meyer (2010), S. 243 f., Hampicke (1999), S. 157 f. Meyer (2010), S. 243.
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hier einen Ausweg bieten kann. Die Substitutionselastizität beschreibt die Möglichkeit, die natürliche durch eine menschgemachte Ressource, vornehmlich durch Kapital, zu ersetzen. Hierbei ist allerdings, wie das auch Edward Daly3 anmerkt, zu beachten, dass dieser Ersatz nicht unbegrenzt möglich ist, da auch das menschengemachte Kapital immer vom Naturkapital, d. h. von den natürlichen Ressourcen abhängig bleibt. Der einzige Ausweg ist nach Meyer 4 die Backstop-Technologie, durch die die natürliche, nicht zu regenerierende Ressource ersetzt werden kann. Das klingt verheißungsvoll, allerdings setzt dies die Möglichkeit der vollständigen Substitution durch Kapitalgüter voraus. Wenn ich Meyer richtig verstanden habe, frage ich mich hier: Wäre statt Substitution die Beschränkung auf Komplementarität nicht ethisch besser? Denn diese bedeutete: kein Wettbewerb der Produktionsfaktoren! Natürliche Ressourcen werden durch Kapitalgüter ergänzt, nicht ersetzt, was langfristig besser erscheint. Zumal die natürliche Ressource im Produktionsprozess solange ‚am längeren Hebel‘ sitzt, bis eine vollständige Substitution, die mir zudem nahezu unmöglich erscheint, oder eine neuere Technik gefunden ist! So ließe sich zumindest aus Sicht der von Meyer so bezeichneten Ein-Säulen-Theorie argumentieren. Ich stimme ihm jedoch zu, dass man sich besser mit der Drei-SäulenTheorie befasst, um die ökonomischen und sozialen Wechselwirkungen der Nutzung der natürlichen Ressourcen in eine Beurteilung der Aspekte der Nachhaltigkeit und der Verantwortung für zukünftige Generationen einzubeziehen. Allerdings will ich diese Faktoren nicht operationalisieren, sondern mich eher mit den diesbezüglichen Gerechtigkeitsfragen beschäftigen. Deshalb komme ich auf Meyers Vorstellung des overlapping-Generations-Wettbewerb zurück. Denn hier spielt die Frage der Generationengerechtigkeit eine Rolle. Das vorgestellte Modell erreicht eine ökonomische Plausibilität der Ressourcenschonung für die nächste Generation: Jede Generation achtet darauf, dass von der Ressource so viel übrigbleibt, dass nicht durch die Konkurrenz der nächsten Generation der Preis ins „Unbezahlbare“ steigt. Die Auseinandersetzung mit der Generationengerechtigkeit lohnt sich meines Erachtens auch deshalb besonders, weil, wie Jörg Tremmel aufweist5, diese ‚Form der Gerechtigkeit‘ stringenter ist als alle anthropozentrischen (d. h. am Eigeninteresse der Menschen orientierten) oder ökozentrischen Theorien, die auf das Eigenrecht von Flora und Fauna pochen und manchmal davon ausgehen, dass die Natur ohne den Menschen besser dran sei. Der Mensch ist ohne seine Umwelt nicht lebensfähig und als Mensch kann man zumindest nur sehr sehr theoretisch, um nicht ___________ 3
Vgl. Daly (2003), S. 90. Vgl. Meyer (2010), S. 249 f. 5 Tremmel (2003), S. 28. 4
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zu sagen misanthroph, ein Weiterleben der Flora und Fauna ohne den Menschen anstreben. Das heißt im Falle der natürlichen, besonders der nicht erneuerbaren Ressourcen, dass die aktuelle Generation nur das verbrauchen sollte, was eine Weiterexistenz der Menschheit über die eigene Lebensspanne hinaus ermöglicht. In Anlehnung an Tremmel will ich nochmal hervorheben, dass keineswegs ganz geklärt ist, welchen Generationenbegriff der Ausdruck „Generationengerechtigkeit“ in der ökologischen Debatte um Nachhaltigkeit umfasst.: Es ist in diesem Zusammenhang traditionell wohl eher von einem Begriff auszugehen, bei dem alle aktuell Lebenden in einer „Generation“ zusammengefasst werden. Meyer greift im overlapping-Generations-Modell jedoch wohl eher den Begriff, der die aktuell Lebenden in eine junge, eine mittlere und eine ältere Generation, aufsplittet, auf. Das finde ich gut, aber bemerkenswert. Es wäre aber eine genauere Nachfrage an Meyer, ob er mit seinem Modell tatsächlich die „nachrückenden“, d. h. auch die heute schon lebenden Kinder und Jugendlichen meint oder die traditionell einbezogenen „zukünftigen“ Generationen. Im Beitrag von Leschke/Hähnel/Kopp6 war ja schon von der Zuneigung der Eltern als wichtiger Triebfeder die Rede. Hier können also nur die „nachrückenden“ gemeint sein. Das würde dann, bei aller Eingängigkeit des Modells doch eine reduzierte Vorstellung vom Ausgleich der Generationen darstellen, dessen Vorteil allein in seiner Operationalisierbarkeit und seiner gedanklichen Verlängerung ins Unendliche hätte. Dann wäre man zwar von den Schwierigkeiten etwa der Habermaschen Diskurstheorie, wie die „zukünftigen“ Generationen, d. h. die noch nicht Geborenen am Diskurs beteiligt werden, befreit, allerdings bleibt die ‚Gefahr‘, aber auch der Charme einer gewissen Pragmatik. Die erwähnte Zuneigung der Eltern scheint mir doch ein schwaches Argument für die Rechtfertigung einer umfassenden Theorie der Generationengerechtigkeit. Da müsste man vielleicht doch eher auf den kategorischen Imperativ unter Rückgriff auf die bereits verstorbenen Generationen zurückgreifen oder auch auf das Differenzprinzip unter Inklusion des Spargrundsatzes bei John Rawls7. Allerdings ist dieser pragmatische Ansatz dann nahe am Konzept der kritischen Nachhaltigkeit, auf das ich später noch eingehen werde. Es scheint es mir im Falle des overlapping-Generations-Modells schwierig, den sogenannten „richtigen Preispfad“ zu finden, denn angesichts der immer schnelleren Veränderungen der Umwelt durch menschlichen Einfluss und des Verbrauchs der Ressourcen lassen sich die Folgekosten nicht mehr realistisch einschätzen, wie das Kuratorium der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen meines Erachtens richtig anmerkt8. Dieses Gremium führt drei aktuelle ___________ 6
Leschke/Hähnel/Kopp (2010), S. 57. Vgl. Rawls (2006), S. 319–327. 8 Vgl. Kuratorium der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (2003), S. 13. 7
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Erscheinungen an, die auch für die Frage der gerechten Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen wichtig sind: neben der angedeuteten Geschwindigkeit des Wandels und Verbrauchs das anhaltende Bevölkerungswachstum sowie die Tatsache, dass im globalen Wettbewerb auch globale ‚Umweltsünden‘ zu Tage treten, da der Kampf um Rohstoffe global geworden sei9. Das Kuratorium behauptet sogar, dass die hohe Geschwindigkeit des Wandels dem Markt keine Zeit ließe, „auf Preissignale hin neue Substitute für knappe Naturgüter bereitzustellen“10 Diese Feststellung teile ich, so dass ich finde, dass die Frage der Substitutionselastizität im Modell die Zeitdimission nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem denke ich in Anlehnung an die Stiftung, dass die Nachfragelastizität, die ja die andere Seite der Medaille der Substitutionselastizität der Produzenten ist, sehr starr ist. Wenn ich als Verbraucher auf eine nichterneuerbare Ressource, etwa auf Erdöl für meine Heizung angewiesen bin, kann ich nicht so einfach zu vertretbaren Kosten umsteigen, sondern muss immer neue BackstopTechnologien abwarten.
III. Nachhaltigkeit Meyer erwähnt vier Arten von Nachhaltigkeit: die starke, die schwache, die kritische und die von Nutzinger konstruierte Quasi-Nachhaltigkeit, auf die ich jedoch nicht näher eingehen will, da sie mir eine ökonomistische Konstruktion zu sein scheint, die eher verwirrt als real hilft und zudem nahe an dem Konzept der schwachen Nachhaltigkeit bleibt11. An dieser Unterscheidung wird schon deutlich, dass mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ sehr vielerlei gemeint sein kann, so dass der Gebrauch eigentlich stärker als in den letzten Jahren eingeschränkt sein müsste, wie Markus Vogt in seinem Werk „Prinzip Nachhaltigkeit. Ein Entwurf aus theologisch-ethischer Perspektive“12 gezeigt hat. Die schwache zeichnet sich dadurch aus, dass lediglich die Aggregation von natürlichem Ressourcenbestand und anthropogenen Kapitalgütern nicht sinkt, d. h., dass eine Substitutionselastizität gegeben ist, während bei der starken Nachhaltigkeit der Bestand der natürlichen Ressource nicht sinken darf. Dies scheint mir nur bei regenerativen Ressourcen möglich und deshalb das eigentliche Problem nicht zu treffen. Auch steht dieses Konzept in engem Kontakt zur von mir als misanthrop bezeichneten Haltung, dass die Natur ohne den Menschen einen Eigenwert besitzt und sogar ohne ihn – vermutlich – besser dran wäre. Das interessanteste Konzept scheint mir das der kritischen Nachhaltigkeit zu ___________ 9
Vgl. ebd. Ebd. 11 Vgl. Meyer (2010), S. 235 f. und Lerch/Nutzinger (2002), S. 253. 12 Vgl. Vogt (2009). 10
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sein. Hier wird nun eine kritische Untergrenze für jede Bestandsgröße festgelegt, unter die die Ressource nicht absinken darf. Dass macht die von Daly erwähnte Abhängigkeit des human made capital vom natural capital deutlich, denn wenn es keine Fische mehr gibt wegen Überfischung ist auch das in Fischfangflotten materialisierte Kapital nutzlos13. Bevor es dazu kommt, soll also eine kritische Nachhaltigkeit mit einer Untergrenze der Ausbeutung operieren. Das klingt gut, allerdings frage ich mich, wer legitimerweise diese Untergrenze festlegen soll. Hier scheint mir das Modell der ökonomischen Operationalisierung, wie Meyer auch einräumt14, sehr schwierig. Denn wenn man es über den Markt regelt, in der Weise, dass ein Ressourcenbesitzer abschätzen muss, ob es für ihn günstiger ist, die Ressource jetzt auf den Markt zu werfen oder in Erwartung einer weiteren Verknappung und damit einer Verteuerung noch zu warten, so ist mir das ganz ehrlich zu sehr von der Seite der Ressourcenbesitzer her gedacht. Vor allem wird hier übersehen, dass das individuelle Nutzenkalkül zu anderen Ergebnissen kommen kann als eine Nutzenabwägung, die alle Nutzenquanten für alle Betroffenen ins Kalkül zieht. Natürlich hat Meyer Recht, wenn er sagt, dass man wahrscheinlich bereit sein wird, eine „Risikoprämie“, zu zahlen, um den Verbrauch der Ressource und den Erhalt einer Untergrenze sicherzustellen, aber bei diesen Überlegungen kommen mir doch verschiedene Aspekte zu kurz: Meine Vorstellung der verantwortlichen Nutzung der Ressourcen beinhaltet auch die Frage des Gemeinwohls. Eigentlich müsste es, wie bei der Untergrenze, eine Institution geben, die den Verbrauch gerade der nicht erneuerbaren Ressourcen regelt, denn mein Vertrauen in den Markt ist da nicht sehr groß. Wie Schramm darlegt15, können gewisse Ressourcenbesitzer durch Drosselung der Förderung, etwa des Erdöls, eine künstliche Verteuerung herbeiführen, was zwar zu einem längeren Erhalt der Ressource führt, aber andererseits ja auch in die andere Richtung gehen könnte, dass, um beim Beispiel zu bleiben, ein Erdölproduzent aus akuter Finanznot (man denke aktuell an Dubai) die Ressource verschleudert, um aktuelle Finanzierungslücken zu schließen. Dies hätte dann mit einer Verantwortung für zukünftige Generationen ähnlich viel zu tun wie die aktuelle Staatsverschuldungspolitik in Deutschland. Auch der von Meyer geworfene Rettungsanker des technischen Fortschritts scheint mir kritisch, da er zwar historisch nachweisbar ist, aber doch eine Wette auf die Zukunft darstellt, die für den verantwortungsvollen Umgang mit nicht rezyklierbaren Ressourcen nicht hilfreich scheint.
___________ 13
Vgl. Daly (2003), S. 90. Vgl. Meyer (2010), S. 235. 15 Vgl. Schramm, (2010), S. 13 f. 14
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IV. Fazit Ich finde, um zu einer den Belangen der zukünftigen Generationen gerecht werdenden Ressourcenverteilung zu gelangen, müsste ein gewisser Anreiz zum Sparen in der Gesellschaft geschaffen werden. Mag sein, dass ich hier zu theoretisch und nicht wachstumsorientiert genug denke. Aber durch Prämien und Steuern, wie sie etwa aktuell im Feld der Energieeinsparung (staatliche Zuschüsse für Modernisierung der Heizanlagen, zur Dämmung der Häuser, Energiesteuern) praktiziert werden, ließe sich, auch durch ökonomische Anreize, meines Erachtens mehr erreichen als durch ein Modell der Preisregulierung durch den Ressourcenbesitzer oder -verwalter. Auch Modernisierung schafft Wirtschaftswachstum. Dieser Aspekt hat den Vorteil dass wir nicht auf den technischen Fortschritt und die backstop-Technologie warten müssen, sondern den Einsatz vorhandener Technik fördern können. Ich denke, durch die Formulierung, dass ein Grundbestand aller Ressourcen erhalten bleiben muss, um das Überleben der Menschheit zu sichern, lässt sich auch der Endverbraucher der Ressource besser in die Überlegungen einbeziehen. Man muss Anreize zum Sparen schaffen, vielleicht auch durch künstliche Verteuerung der Ressource, wenn die Einsicht in Rawls’ Spargrundsatz oder den kategorischen Imperativ nicht fruchten. Denn sonst ist meines Erachtens der Anreiz zu groß, auf die Substitutionselastizität bzw. langfristig auf die Backstop-Technologie zu hoffen, und mit den derzeitigen Ressourcen nicht schonungsvoll umzugehen.
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Meyer, Eric Christian (2010): Aspekte der Nachhaltigkeit und Verantwortung für künftige Generationen bei der Nutzung natürlicher Ressourcen. Eine ökonomische Perspektive, In diesem Band. Rawls, John (2006): Eine Theorie der Gerechtigkeit. Nachdruck der Auflage von 1979. Frankfurt am Main. Schramm, Michael (2010): Der ethische und ökonomische Zusammenhang von Effizienz und Gerechtigkeit, in diesem Band. Tremmel, Jörg (2003): Generationengerechtigkeit – Versuch einer Definition. In: Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (Hg.), Handbuch der Generationengerechtigkeit. 27–78. Vogt, Markus (2009): Prinzip Nachhaltigkeit: ein Entwurf aus theologisch-ethischer Perspektive. München (zugl. Luzern, Univ., Habil.-Schr.).
Die Nutzung natürlicher Ressourcen aus der Perspektive einer ökonomisch begründeten Ethik – Korreferat zu Eric C. Meyer – Von Rainer Opgen-Rhein
I. Einführung Spätestens seit der Studie des „Club of Rome“1 und des Schocks der ersten Ölkrise im Jahre 1973 wird die Begrenztheit natürlicher Ressourcen2 auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Offen wird dabei das moderne Wirtschaften und eine „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“ für die Zerstörung der Natur und die Ausbeutung ihrer Ressourcen verantwortlich gemacht. Es wird gefordert, dass sich normative Betrachtungen nicht einer ökonomischen Logik unterwerfen dürften. Hier wird jedoch eine Gegenposition bezogen: Gerade die ökonomische Perspektive, die sich über die Ausgangssituation der Knappheit von Ressourcen geradezu konstituiert, kann dazu beitragen, mit den Herausforderungen, die sich aus dieser Problematik ergeben, umzugehen. Sie ermöglicht einerseits, zu analysieren, wie sich unter bestimmten Bedingungen der Verbrauch der natürlichen Ressourcen entwickeln wird. Neben dieser impliziten normativen Dimension kommt ihr andererseits aber auch eine explizite zu, so zum Beispiel, wenn sie untersucht, wie die Ressourcen intertemporal zwischen den Generationen nach bestimmten Wohlfahrtskriterien verteilt werden sollten. Die Maßstäbe dafür sind selbst Gegenstand normativer Diskussionen. Eine der wichtigsten normativen Forderungen an den Umgang mit natürlichen Ressourcen ist die einer nachhaltigen Nutzung derselben. Unter dem Begriff der Nachhaltigkeit wird (bei allen definitorischen Unterschieden) generell die Forderung verstanden, dass auch zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse angemessen befriedigen können, sie also auch noch direkt oder indirekt von den natürlichen Ressourcen profitieren sollten. Dass ein nachhaltiges Wirt___________ 1
Meadows et al. (1972). Der Begriff der natürlichen Ressource muss hier nicht mehr genauer spezifiziert werden. Es soll sich um eine Bestandsressource handeln, die nach der Nutzung nicht mehr zur Verfügung steht. 2
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schaften normativ geboten ist, wird als Selbstverständlichkeit unterstellt. Hier soll in Anlehnung und Ergänzung zu dem Beitrag von Eric Christian Meyer untersucht werden, wie es zu dieser normativen Forderung kommt und wie sie im konkret umgesetzt werden kann. Es wird sich zeigen, dass die Ökonomik hier einen entscheidenden Beitrag leistet.
II. Nutzung natürlicher Ressourcen: positive und normative Aspekte Um das Spannungsfeld zwischen positiven und normativen Überlegungen beim Verbrauch natürlicher Ressourcen zu verdeutlichen, wird zunächst auf den optimalen Ressourcenverbrauch eines individuellen Besitzers eingegangen. Anschließend wird ein gesamtwirtschaftlicher Planer betrachtet, der die Wohlfahrt für alle Individuen der verschiedenen Generationen berücksichtigt. 1. Optimaler individueller Konsumpfad Ein individueller Ressourcenbesitzer, sei es eine Privatperson, ein Unternehmen oder ein Staat, steht vor der Frage, wie die Ressource optimal über die Zeit genutzt werden soll. Das bedeutet konkret, wie viel heute und wie viel in den nächsten Perioden gefördert bzw. oder verbraucht wird. Das grundsätzliche Modell für den Verbrauch natürlicher Ressourcen stammt von Hotelling3, und impliziert, dass der Preis der Ressource in Abhängigkeit vom Marktzins mit der Zeit ansteigen wird. Dieser regelt die optimale Extraktion der Ressourcen im Zeitverlauf. Die Ressource wird also auch für spätere Generationen zur Verfügung stehen. Die zunehmende Knappheit wird durch den steigenden Preis widergespiegelt. Dieses einfache Konsummodell hat einige Voraussetzungen. Falls man auf bestimmte Annahmen verzichtet (wie zum Beispiel auf einen konstanten Zinssatz) kann sich der Preispfad verändern, das grundsätzliche Modell bleibt allerdings robust. Andere Annahmen sind allerdings entscheidend, wie zum Beispiel definierte und durchsetzbare Eigentumsverhältnisse. Auf diese soll später noch eingegangen werden. Dieses Modell zeigt, dass es zu einem pareto-optimalen Verbrauch der Ressourcen kommen kann. Dabei ist zu betonen, dass hier mögliche externe Effekte nicht berücksichtigt werden. Als Beispiel für negative externe Effekte kann vor allem die Umweltverschmutzung genannt werden (besonders prominent sind hier Treibhausgase bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern). Mit ___________ 3
Hotelling (1931).
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Bezug auf die Nachhaltigkeit ist allerdings ist zu betonen, dass die Tatsache, dass heute verbrauchte Ressourcen nicht mehr von zukünftigen Generationen genutzt werden können, nicht direkt als externer intertemporaler Effekt gesehen werden kann. Sonst müsste auch bei statischer Betrachtung gelten, dass ein Gut, das einer Person gehört, insofern einen externen Effekt für eine andere Person erzeugt, als dass jene dieses Gut nicht besitzt. Das ist aber vielmehr eine Frage der Eigentumsrechte. Ebenso liegt bei intertemporaler Betrachtung das Eigentum an Ressourcen zunächst faktisch bei der jetzigen Generation. Das grundlegende ökonomische Modell geht von solchen Eigentumsrechten aus, sie stellen keine externen Effekte dar. Die normative Bewertung dieser Eigentumsrechte wird allerdings später noch eine Rolle spielen.
2. Gesamtgesellschaftliche und intertemporale Wohlfahrtsbetrachtung Bis jetzt wurde der normativ aufgeladene Begriff der Nachhaltigkeit nicht explizit berücksichtigt. Jedoch lässt sich zeigen, dass der Verbrauch von Ressourcen auch so über den Zeitverlauf verteilt wird und auch spätere Generationen also noch über Naturschätze in einem Umfang verfügen werden, der sich aus dem Konsummodell errechnen lässt. Unter Nachhaltigkeit versteht man allerdings vor allem die Frage, wie Ressourcen konsumiert werden sollten, wenn man diesen nachfolgenden Generationen ermöglichen möchte, mit den Ressourcen einen bestimmten Nutzen zu erzielen. Dies eröffnet eine normative Dimension. Der ökonomische Ansatz benutzt das Modell eines gesamtgesellschaftlichen Planers, der anhand bestimmter Kriterien einen optimalen Verbrauch der Ressourcen bestimmt. Beispiele hierfür sind von die von Solow entwickelten, an die Theorie von Rawls angelehnten Zielkriterien4 oder utilitaristische Konsumpfade. Ein gesamtgesellschaftlicher Planer könnte einen dieser normativen Konsumpfade implementieren.5 Unabhängig davon, welche Kriterien für einen nachhaltigen Verbrauch der Ressourcen angesetzt werden, wird deutlich, dass hier erhebliche normative Überlegungen zugrunde liegen. Wie diese Normen begründet werden, ob z. B. durch die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls, einer utilitaristischen Ethik oder aus christlicher Sicht durch den Gedanken der Bewahrung der Schöpfung6 ist für die weiteren Betrachtungen nicht von entscheidender Bedeutung. Es kommt auf den Mechanismus an: es wird ein Konzept der Nachhaltigkeit definiert, an dem sich das gesellschaftliche Handeln orientieren soll. ___________ 4
Solow (1974). Erweiterungen, die das nicht ganz so optimistisch sehen, sollen an dieser Stelle übergangen werden. 6 Schmitthenner (1998), S. 268 ff. 5
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3. Spannungsfeld Anhand der bisherigen Überlegungen wird das Spannungsfeld deutlich, in dem sich die Nutzung natürlicher Ressourcen befindet. Wenn der individuell optimale Konsumpfad nicht dem entspricht, den ein gesamtgesellschaftlicher Planer dem Ressourcenbesitzer zuweisen würde,7 stellt sich die Frage, wie eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen real zu erreichen ist.
III. Implementierung der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen Zum Schutz der natürlichen Ressourcen können zwei Ansätze gegenübergestellt werden. Zum einen eine individuelle Verhaltensänderung und zum anderen externe Vorschriften. Beides sind problematische Vorgehensweisen. Deshalb wird als drittes versucht, den scheinbaren Widerspruch zwischen individuellem und gesellschaftlichem Nutzen zu überwinden.
1. Individuelle Verhaltensänderung In den letzten Jahrzehnten sind umfangreiche Versuche gemacht worden, die Notwendigkeit nachhaltigen Verhaltens in der Gesellschaft zu verankern. Eine Kontrolle des Verbrauchs der natürlichen Ressourcen soll also dadurch erfolgen, dass die individuelle Nachfrage nach diesen Gütern beeinflusst und (typischerweise) verringert wird. Verbraucher sollen sich aus Gründen der Nachhaltigkeit selbst beschränken. Dies betrifft Einzelpersonen, aber auch Staaten können gegenüber den anderen Staaten als individueller Akteur auftreten. Im Folgenden soll der Augenmerk speziell auf letztere gerichtet werden. Zum einen befinden sich die größten Rohstoffvorkommen in staatlichen Händen, zum anderen können Staaten auf Individuen und Unternehmen innerhalb ihrer Grenzen einwirken. Ein Beispiel für individuelles staatliches Handeln ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland, dass ausdrücklich „fossile Energieressourcen […] schonen soll“8. Um zu zeigen, dass sich solche individuelle Maßnahmen aber nicht direkt in geringerem Verbrauch von natürlichen Ressourcen niederschlagen, genügt eine ___________ 7 Es ist allerdings zu erwähnen, daß unter bestimmten Bedingungen die normative Extraktionsregel von Solow (1974) und Stiglitz (1974) genau der Hotelling-Regel entspricht. 8 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften § 1 v. 31.10.2008, BGBl. 2008 Teil I Nr. 49, S. 2074 ff.
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einfache ökonomische Überlegung. Wenn das Angebot seitens der Ressourcenbesitzer nicht vollkommen preiselastisch ist, bedeutet dies, dass bei geringerer Nachfrage der Preis der Ressource sinkt. Andere Abnehmer, die sich nicht im Verbrauch beschränken, können mehr von der Ressource kaufen, was den gewünschten Effekt der Nachhaltigkeit konterkariert.9 Für Unternehmen greift überdies noch der Wettbewerbsmechanismus. Sie werden nicht nachhaltig produzieren können, wenn es sich für sie im Wettbewerb nicht auszahlt. Ein Unternehmen, dessen Güter im Vergleich zu anderen Unternehmen zu teuer sind, nur weil es nachhaltig produzieren möchte, wird auf Dauer vom Markt verschwinden. Auf Gründe, die dennoch für individuelle Maßnahmen sprechen, wird später eingegangen, da sie nicht unter die hier diskutierte Thematik der individuellen Beschränkungen aufgrund externer normativer Überlegungen fallen. Als Beispiel soll hier nur genannt werden, dass Verbraucher dem Unternehmen nachhaltiges Produzieren insofern honorieren könnten, als dass sie bereit wären, dafür höhere Preise zu zahlen.
2. Externer Zwang Das Problem individueller Maßnahmen ist die Dilemmastruktur von Interaktionen:10 Kein Akteur kann alleine für eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen sorgen. Im Gegenteil, nachhaltiges Wirtschaften kann sogar von anderen Akteuren ausgebeutet werden. Als Konsequenz wird teilweise die Notwendigkeit einer Kollektivlösung in Form in einer externen Instanz gefordert, die einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen erzwingen kann. So sieht Otfried Höffe eine Weltrepublik moralisch geboten, die unter anderem eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen und den Schutz der Umwelt durchsetzen kann.11 Hans Jonas geht sogar so weit, Nachhaltigkeit so autoritär durchsetzen zu wollen, dass schon von einer Ökodiktatur gesprochen werden kann.12 Mit solchen Maßnahmen könnte ein nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen erzielt werden. Allerdings ist deren Einführung nicht realistisch. Betrachtet man nicht nur den Umgang mit den Ressourcen, sondern auch die Handlungen der relevanten Akteure selbst aus ökonomischer Sicht, wird deut___________ 9
Sinn (2008). Homann/Suchanek (2005), S. 5 ff. 11 Höffe (1999) S. 418 ff.; Höffe möchte diese Weltrepublik „mit soviel Macht auszustatten, dass sie sowohl den transnationalen Konzernen und ihren strategischen Allianzen als auch den nationalen Interessen großer Mächte, selbst denen einer faktischen Hegemonialmacht Paroli bieten kann.“ (a.a.O., S. 401). 12 Jonas/Mieth (1983), S. 69. 10
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lich, dass nicht in ihrem Interesse liegt, sich so einer globalen Ordnung zu unterwerfen. Auch hier gibt es eine Dilemmastruktur: man wird sich einer solchen Ordnung nicht unterwerfen, wenn man außerhalb dieser Ordnung besser stehen würde.13 Die Diskussionen in den USA um einen Beitritt zu dem KyotoProtokoll verdeutlichen dieses Problem.
3. Überwindung des Widerspruchs zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl Beide Ansätze, eine individuelle Verhaltensbeschränkung und die Unterwerfung unter eine zentrale Steuerungsinstanz scheitern an Interessenüberlegungen. Eine nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen kann nicht dadurch erfolgen, dass normative Vorschriften gegen die eigenen Interessen gestellt werden. Dies muss an zwei Stellen berücksichtigt werden. Erstens muss gezeigt werden, dass nachhaltiges Wirtschaften im langfristigen eigenen Interesse jedes Einzelnen liegt. Nachhaltigkeit wird dann nicht von exogen vorgegebenen normativen Vorstellungen aufgezwungen. Sie ist keine Selbstbeschränkung, kein Verzicht auf Nutzen, sondern ein Mittel zur Nutzenmaximierung. Übermäßiger Verbrauch von natürlichen Ressourcen bedeutet dann, dass sich die Akteure in der sozialen Falle einer Dilemmastruktur befinden. Um diese zu überwinden, muss dann zweitens eine selbstdurchsetzende Rahmenordnung gefunden werden. Dies bedeutet nicht, dass eine globale Zwangsgewalt benötigt wird, sondern es werden Vereinbarungen gesucht, die sowohl für alle Beteiligten vorteilhaft, als auch selbstdurchsetzend sind. Zunächst soll aber auf individuelle Vorteile einer nachhaltigen Nutzung von Ressourcen eingegangen werden. Schon innerhalb des bestehenden Marktmodells können diese bestehen. Oben wurde darauf hingewiesen, dass es Gründe für einen schonenden Umgang mit Ressourcen gibt, die auch direkt im eigenen Interesse der Akteure liegen. Dies ist der Fall, wenn die Öffentlichkeit Nachhaltigkeit fordert und durch ihr Verhalten erzwingt. Bei Unternehmen zeigt sich dies, wenn Konsumenten nachhaltiges Wirtschaften honorieren, in der Politik, wenn die Umwelt eine gewichtige Rolle bei der Wahlentscheidung der Bürger spielt. Ein weiteres Argument sind Investitionen in neue Technologien. Selbst wenn sie preislich zum heutigen Zeitpunkt nicht konkurrenzfähig sind, kann sich dies spätestens dann ändern, wenn die natürliche Ressource knapp und ihr Preis entsprechend steigen wird. Das Unternehmen oder eine Volkswirtschaft ___________ 13 Sie wäre auch nicht erwünscht, da es ihr an Flexibilität fehlt, auf Veränderungen oder unterschiedliche Bedingungen zu reagieren, abgesehen von der Gefahr der Lähmung der Institutionen oder des Gegenteils, eines globalen Despots.
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kann sich einen Wissens- und Produktionsvorsprung in der Zukunft erarbeiten. Nachhaltigkeit ist damit kein Nutzenverzicht, sondern eine Investition. Neben diesen direkten Anreizen gibt es aber auch Aspekte, die direkt die Voraussetzungen des Marktmodells betreffen. Zu Beginn wurde unterstellt, dass Eigentumsrechte definiert und durchsetzbar sind. In funktionierenden Gesellschaften ist dies weitgehend gesichert, aber es gibt schon heute, vor allem in afrikanischen Staaten, viele Situationen, in denen das nicht mehr der Fall ist. Nicht zuletzt aufgrund des Kampfes um Bodenschätze sind Gesellschaftsstrukturen zusammengebrochen und die Voraussetzungen einer optimalen Ressourcenallokation nicht mehr gegeben. Ein Ressourcenbesitzer muss deshalb ein Interesse daran haben, auch die Frage einer als gerecht empfundenen Verteilung der Gewinne nicht aus den Augen zu verlieren, will er nicht in Gefahr laufen, von staatlicher Seite enteignet oder von nichtstaatlicher Seite beraubt zu werden. Es lässt leicht überlegen, dass die Ressource ineffizient schnell gefördert wird, wenn der Besitzer nicht weiß, ob er sie in zukünftigen Perioden noch nutzen kann. Betrachtet man die Gesellschaft als ein wiederholtes Gefangenendilemma, sollte jeder der Beteiligten also vermeiden, dass Endspieleffekte auftreten.14 Modelltheoretisch kann das durch die Overlapping-GenerationsModelle abgebildet werden. Es zeigt sich dabei, dass selbst wenn formal alle Eigentumsrechte bei der heutigen Generation liegen, faktisch auch die zukünftigen Generationen bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen berücksichtigt werden müssen. Die Frage, wie nun geeignete Rahmenordnungen, die für eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen sorgen, gefunden und etabliert werden können, ist das größte Problem, vor dem die Gesellschaften stehen werden. Es wird letztlich ein (expliziter oder impliziter) Vertrag über mehrere Generationen benötigt, der sich mit diesen Problemen beschäftigt. Auch wenn sich wie beim Kyoto-Protokoll nicht alle Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können, kann es sinnvoll sein, solche Projekte in Angriff zu nehmen, selbst wenn wegen des Preiseffekts die direkte Reduktion des Ressourcenverbrauch nicht entscheidend ist. Sie können vielmehr als individuelle Vorleistungen für zukünftige Kooperation gesehen werden: die Beteiligten signalisieren, dass sie bereit sind, sich an gemeinsame Regeln zu halten. Wenn sich zusätzlich auch noch Kooperationsgewinne ergeben, die sich außerhalb einer Übereinkunft nicht realisieren lassen, könnte langfristig eine stabile und umfassende Rahmenordnung etabliert werden. Als Vorbild könnte zum ___________ 14
In einem wiederholten Gefangenendilemma lässt sich auch ohne externe Veränderung der Anreizstrukturen Kooperation etablieren, allerdings nur, wenn der Zeithorizont unendlich ist. Würden die Beteiligten z. B. plötzlich davon informiert, dass das Spiel in (einer der) nächsten Periode endet, bricht die Kooperation zusammen.
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Beispiel (bei allen Unzulänglichkeiten) die Internationale Atomenergieorganisation dienen, die die Verbreitung der militärischen Nutzung der Atomenergie kontrolliert, dafür aber im Gegenzug technologisches Wissen für eine friedliche Nutzung bereitstellt und internationale Zusammenarbeit fördert. Ein anderes Beispiel für einen Mechanismus, wie Kooperation aufrechterhalten und damit für eine nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen gesorgt werden könnte findet sich bei der Welthandelsorganisation (WTO)15: Sie hat keine Macht, selbst zu bestrafen, aber kann den Mitgliedsländern erlauben, Sanktionen (wie z. B. Strafzölle) anzuwenden. Die Mitgliedschaft in der WTO ist aber so vorteilhaft, dass die Staaten diese Sanktionen akzeptieren.
IV. Fazit Die Frage der nachhaltigen Nutzung von natürlichen Ressourcen ist schon jetzt ein wichtiges Problem und wird sich noch drängender stellen, wenn deren Knappheit durch steigende Preise immer deutlicher wird. Es herrscht Konsens, dass ein ungehemmter Raubbau an den Schätzen der Natur vermieden oder gestoppt werden muss, so dass auch zukünftige Generationen mit einem gewissen Lebensstandard existieren können. Ökonomische Modelle zeigen, wie die intertemporale Verteilung der Extraktion von natürlichen Ressourcen unter bestimmten Bedingungen aussehen wird und wie sie unter normativen Gesichtspunkten aussehen sollte. In diesem Beitrag sollte vor allem untersucht werden, wie angestrebte Extraktionspfade der natürlichen Ressourcen umgesetzt werden können, es stand also die Implementierungsfrage im Vordergrund. Maßnahmen können nicht gegen die Interessen der Beteiligten durchgesetzt werden. Es wird vielmehr ein selbstdurchsetzender (Generationen-)vertrag benötigt, in dem aus wohlüberlegtem Eigeninteresse für eine gerechte Nutzung der natürlichen Ressourcen in Gegenwart und Zukunft gesorgt wird. Das ist kein einfaches Problem: es herrscht große Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen, es gibt Koordinierungsprobleme und große Teile der Vertragspartner (die zukünftigen Generationen) existieren noch nicht. Die handelnden (politischen) Akteure haben dagegen kurze Zeithorizonte, und die Problematik der Knappheit natürlicher Ressourcen ist noch nicht so existentiell, als man sich vorstellen könnte, dass zum Beispiel bei zu großer Extraktion von Ressourcen Sanktionen wie bei der Welthandelsorganisation16 verhängt würden. ___________ 15
Herrmann (2001). Teilweise gehen die verhängten Strafzölle bis in den Bereich von mehreren Milliarden Dollar. 16
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Dennoch bleibt zu hoffen, dass es der Menschheit gelingt, die natürlichen Ressourcen nachhaltig zu nutzen, aus Eigeninteresse und aus Verantwortung gegenüber künftigen Generationen.
Literatur Herrmann, C. W. (2001): Grundzüge der Welthandelsordnung: Institutionen, Strukturen und Bezüge zum Europäischen Gemeinschaftsrecht. Zeitschrift für Europarechtliche Studien, 4:453–497. Höffe, Otfried (1999): Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, C.H. Beck, München. Homann, K. / Suchanek, A. (2005): Ökonomik: eine Einführung. J.C.B. Mohr, Tübingen. Hotelling, H. (1931): The Economics of Exhaustible Resources. Journal of Political Economy, Vol. 39, No. 2, S. 137–175. Jonas, Hans / Mieth, Dietmar (1983): Auf der Schwelle der Zukunft. Werte von gestern und die Welt von morgen. In: Was für morgen lebenswichtig ist. Unentdeckte Zukunftswerte. Herder Verlag. Meadows, Dennis L. / Meadows, Donella H. / Zahn, Erich (1972): Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Deutsche VerlagsAnstalt, Stuttgart. Schmitthenner, Ulrich (1998): Der konziliare Prozeß. Meinhardt. Sinn, Hans-Werner (2008): Das grüne Paradoxon. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2008 9 (Special Issue): 109–142. Solow, R. M. (1974): Intergenerational Equity and Exhaustible Resources. Review of Economic Studies 41, Symposium on the Economics of Exhaustible Resources, pp. 29–45. Stiglitz, J. E. (1974): Growth with Exhaustible Natural Resources: Efficient and Optimal Growth Paths. Review of Economic Studies 41, Symposium on the Economics of Exhaustible Resources, 123–137.
Autorenverzeichnis Blank, Dr. Jürgen E., Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Technische Universität Kaiserslautern. Hähnel, Stefan, Dipl.-Volkswirt und Dipl.-Kaufmann, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Institutionenökonomik, Universität Bayreuth. Heimbach-Steins, Prof. Dr. Marianne, Institut für Christliche Sozialwissenschaften, Universität Münster. Kopp, Martina, Dipl.-Volkswirtin, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Institutionenökonomik, Universität Bayreuth. Krauß, Christoph, Dipl.-Theol., Lehrstuhl für christliche Anthropologie und Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät, Universität Mainz. Leschke, Prof. Dr. Martin, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Institutionenökonomik, Universität Bayreuth. Meyer, Eric Christian, Dipl.-Volkswirt, Institut für Genossenschaftswesen, Universität Münster. Nutzinger, Prof. Dr. rer. pol. habil. Hans G., Professor für Volkswirtschaftslehre, Fachgebiet Theorie öffentlicher und privater Unternehmen, Universität Kassel. Oelmann, Dr. Mark, Abteilungsleiter „Wasserwirtschaft und Verkehr“, Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste GmbH, Bad Honnef. Opgen-Rhein, Dr. Dr. Rainer, Unternehmungsberatung Simon-Kucher & Partners, München. Pankert, Jean-Gérard, Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR, Aachen. Scheele, Apl. Prof. Dr. Ulrich, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universität Oldenburg. Schomaker, Dr. Rahel, Deutsches Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung, Speyer. Schramm, Prof. Dr. Michael, Institut für Kulturwissenschaften, Lehrstuhl für Katholische Theologie und Wirtschaftsethik, Universität Hohenheim. Westphal, Dr. Nadine, Lehrstuhl für Wirtschaftsethik, Universität München. Wilhelmi, Dr. iur. Rüdiger, Privatdozent für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Universität Tübingen. Zabel, OP Johannes, Dipl.-Volkswirt und Dipl.-Theologe, Priester im Dominikanerorden, Dominikanerkloster Düsseldorf.