Echte Geschichte: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen [1. Aufl.] 9783839415160

'So ist es gewesen' - kaum etwas ist in historischen Darstellungen so wirkungsvoll wie die Vorstellung, dem Ta

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German Pages 318 [320] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen
Babylon & Tutanchamun: Zwei Ausstellungen, zwei Konzepte
»Ich weiß zwar, dass es kein Original sein muss, aber dennoch …«: Fetischistische Grundlagen der Authentizität musealer Objekte
Vom Nachstellen zum Nacherleben? Vormoderne Ritualität im Geschichtsunterricht
»... authentischer als alle vorherigen«: Zum Umgang mit Ego-Dokumenten in der populären Geschichtskultur
Der Fund als Fakt? Zur Rolle und Funktion archäologischer Funde in Dokumentarfilmen
Reflexive Authentizitätsfiktionen als situierte Geschichtsversionen am Beispiel des Living History- Formats Die Bräuteschule 1958
Die ›50er‹ Jahre werden Geschichte: Geschichtskultur und Authentizitätsfiktionen am Beispiel von Was wären wir ohne uns
Effekte des Authentischen im Geschichtskrimi
Authentizität als literarischer Effekt: Auf der Suche nach dem echten Shakespeare
Visuelle Authentizität und Faktentreue im Geschichtsfernsehen: Die Histosoap The Tudors
Zirkelschlüsse der Authentizität: Das Erleben von Geschichte im australischen TV-Reenactment Outback House
Schweiß, neue Traditionen, ehrwürdige Erzähler: Authentisches Erinnern als symbolisches Kapital
Fiktion, die Zeugen schafft: Nachbilder des Verschwindens in der zeitgenössischen argentinischen Literatur
Das Echte im Falschen: Die angebliche Rekonstruktion der Kriege im Libanon in den Arbeiten der Atlas Group
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Eva Ulrike Pirker, Mark Rüdiger, Christa Klein, Thorsten Leiendeker, Carolyn Oesterle, Miriam Sénécheau, Michiko Uike-Bormann (Hg.) Echte Geschichte

Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen History in Popular Cultures | Band 3

Editorial In der Reihe Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen | History in Popular Cultures erscheinen Studien, die populäre Geschichtsdarstellungen interdisziplinär oder aus der Perspektive einzelner Fachrichtungen (insbesondere der Geschichts-, Literaturund Medienwissenschaft sowie der Ethnologie und Soziologie) untersuchen. Im Blickpunkt stehen Inhalte, Medien, Genres und Funktionen heutiger ebenso wie vergangener Geschichtskulturen. Die Reihe wird herausgegeben von Barbara Korte und Sylvia Paletschek (geschäftsführend) sowie Hans-Joachim Gehrke, Wolfgang Hochbruck, Sven Kommer und Judith Schlehe.

Eva Ulrike Pirker, Mark Rüdiger, Christa Klein, Thorsten Leiendecker, Carolyn Oesterle, Miriam Sénécheau, Michiko Uike-Bormann (Hg.) Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen

Pirker, Eva Ulrike Rüdiger, Mark Klein, Christa Leiendecker, Thorsten Oesterle, Carolyn Sénécheau, Miriam Uike-Bormann, Michiko (Hg.) Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Carolyn Oesterle Lektorat: Christa Klein, Thorsten Leiendecker, Carolyn Oesterle, Ulrike Pirker, Mark Rüdiger, Miriam Sénécheau, Michiko Uike-Bormann Satz: Thorsten Leiendecker Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1516-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen EVA ULRIKE PIRKER/MARK RÜDIGER 11

Babylon & Tutanchamun: Zwei Ausstellungen, zwei Konzepte MARCO KIRCHER 31

»Ich weiß zwar, dass es kein Original sein muss, aber dennoch …«: Fetischistische Grundlagen der Authentizität musealer Objekte HENJE RICHTER 47

Vom Nachstellen zum Nacherleben? Vormoderne Ritualität im Geschichtsunterricht TIM NEU 61

»... authentischer als alle vorherigen«: Zum Umgang mit Ego-Dokumenten in der populären Geschichtskultur CHRISTIAN HEUER 75

Der Fund als Fakt? Zur Rolle und Funktion archäologischer Funde in Dokumentarfilmen MIRIAM SÉNÉCHEAU 93

Reflexive Authentizitätsfiktionen als situierte Geschichtsversionen am Beispiel des Living HistoryFormats Die Bräuteschule 1958 CHRISTA KLEIN 123

Die ›50er‹ Jahre werden Geschichte: Geschichtskultur und Authentizitätsfiktionen am Beispiel von Was wären wir ohne uns MARK RÜDIGER 147

Effekte des Authentischen im Geschichtskrimi ACHIM SAUPE 173

Authentizität als literarischer Effekt: Auf der Suche nach dem echten Shakespeare THORSTEN LEIENDECKER 195

Visuelle Authentizität und Faktentreue im Geschichtsfernsehen: Die Histosoap The Tudors JONAS TAKORS 215

Zirkelschlüsse der Authentizität: Das Erleben von Geschichte im australischen TV-Reenactment Outback House ANJA SCHWARZ 233

Schweiß, neue Traditionen, ehrwürdige Erzähler: Authentisches Erinnern als symbolisches Kapital DANIEL SCHLÄPPI 251

Fiktion, die Zeugen schafft: Nachbilder des Verschwindens in der zeitgenössischen argentinischen Literatur KAROLIN VISENEBER 269

Das Echte im Falschen: Die angebliche Rekonstruktion der Kriege im Libanon in den Arbeiten der Atlas Group PHILLIPP SCHULTE 287

Autorinnen und Autoren 301

Register 305

A U T H E N T I Z I T Ä T S F I K T I O N E N I N PO P U L Ä R E N GESCHICHTSKULTUREN: ANNÄHERUNGEN EVA ULRIKE PIRKER UND MARK RÜDIGER Die Darstellung von Geschichte in unterschiedlichsten populären Medienformaten ist kein neues Phänomen, wohl aber eines, das in jüngerer Zeit einen bislang ungekannten Aufschwung erfahren hat, und zwar nicht nur im euro-amerikanischen Raum, sondern weltweit. Geschichtsbewusstsein wird in institutionellen wie in kommerziellen Formen, in Schulbüchern und in Denkmälern, Themenparks, Ausstellungsevents, filmischen Darstellungen und ›Erinnerungsliteratur‹ artikuliert, rezipiert, verhandelt. Für diese Prozesse hat sich im deutschen, zunächst in erster Linie geschichtsdidaktischen Diskurs, aber mittlerweile auch über disziplinäre und nationale Grenzen hinweg der Begriff ›Geschichtskultur‹ etabliert. Jörn Rüsen definierte Geschichtskultur Mitte der 1990er Jahre als »die praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft« (Rüsen 1994: 5). Obwohl die akademische Geschichtswissenschaft bei Rüsen eine dominante Rolle in der Geschichtskultur einnimmt, schließt er dezidiert populäre Formen der Artikulation in seine Überlegungen ein, vertieft sie jedoch nicht im Detail. Der seit Längerem konstatierte ›Geschichtsboom‹, der sich seit den 1990er Jahren in einem nicht abreißenden Strom von populären Geschichtsdarstellungen manifestiert,1 macht eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Formen aber notwendig.2 Zum Geschichtsboom selbst gibt es zwar erste Erklärungsmo1

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Inzwischen ist bei der Rede vom Geschichtsboom zu unterscheiden zwischen der Konjunktur der Erinnerungsforschung und derjenigen populärer Geschichtsdarstellungen; vgl. zum erstgenannten Phänomen Winter (2001) und zum letztgenannten Urbe (2005). Im Umgang mit geschichtlichen Stoffen gab es auch schon vorher feststellbare Hochzeiten. Der neueste Boom zeichnet sich durch seine sowohl thematische als auch mediale Vielfalt aus. Mittlerweile liegen vereinzelte Arbeiten aus unterschiedlichen Kontexten vor: Korte/Paletschek (2009); de Groot (2009); Assmann (2007); Schörken (1995); Füßmann/Grütter/Rüsen (1994); sowie bereits Schörken (1981) und Lowenthal (1985). Sie bieten erste Bestandsaufnahmen, die vor allem auf die Vielfalt und Komplexität von populären Geschichtskulturen verweisen,

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delle,3 die sich aber vor allem spezifischen Kontexten und Fallbeispielen zuwenden. Vergleichende Perspektiven sowie historische Annäherungen, die notwendig wären, um sich dem Phänomen auch konzeptionell zu nähern, fehlen weitgehend. Vertiefte, international vernetzte und interdisziplinär arbeitende Forschung ist unbedingt erforderlich. Führt man sich die Vielfalt der Geschichtsbilder und der Medienformen, in denen diese Bilder erzeugt, transportiert und rezipiert werden, sowie die Vielfalt der Kontexte, in denen das Historische einen wichtigen Stellenwert einnimmt, vor Augen, so erscheint nicht nur die Rede von Geschichtskulturen sinnvoll, sondern die Notwendigkeit der Erforschung ihrer Entstehungsbedingungen, Repräsentationsformen und -modi sowie ihrer gesellschaftlichen Funktionen umso dringlicher. Dass populäre Geschichtsdarstellungen wirkmächtige Bilder von Vergangenheiten erzeugen und identitätsstiftende Funktionen für Gruppen und Gesellschaften erfüllen, kann nicht bezweifelt werden. Der vorliegende Band widmet sich infolgedessen der Frage nach dem ›warum‹, als vielmehr derjenigen nach dem ›wie‹ der Darstellungen von Geschichte und vertiefend nach den Bildern und Effekten, die durch unterschiedliche Darstellungsstrategien erzeugt werden. Deren in der Tat große Bandbreite zeigt ein Blick auf die in den folgenden Kapiteln versammelten Fallstudien. An einigen dieser Beispiele haben sich hitzige Debatten entfacht, die deutlich vor Augen führen, dass bei individuellen Produzenten und Rezipienten,4 innerhalb von und zwischen kulturellen Kontexten teilweise stark divergierende Vorstellungen davon herrschen, wie Geschichte darzustellen sei. Ein wiederkehrender und zentraler Aspekt in den Debatten um die Repräsentationen von geschichtlichen Stoffen ist die Frage nach dem

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sowie zum Teil eine theoretische Annäherung bieten. Als ein weiterer Beitrag zu diesen Diskussionen versteht sich auch der vorliegende Band. Die Gründe für diese rezente Konjunktur sind vielfältig: oft wird sie mit der Generationenschwelle, d.h. dem Ableben von Zeitzeugen einschneidender Entwicklungen und Ereignisse (beispielsweise dem Zweiten Weltkrieg) begründet (vgl. Assmann/Frevert 1999: 27-28; Böhme/Matussek/ Müller 2000: 147ff.), mit einer postmodernen (vgl. Lübbe 1997) oder politisch konservativen Rückbesinnung auf Vergangenes und nicht zuletzt – ähnlich dem Tourismus – als vielversprechender Wirtschaftsfaktor (vgl. auch Kohlstruck 2004: 174-175 und Frank 2007: 298ff.). Die Begriffe ›Produzent‹ und ›Rezipient‹ werden hier weitläufig verstanden: Produzenten sind Individuen, Gruppen, Institutionen und Gesellschaften, welche ein Vergangenheitsbild erzeugen oder an diesem Erzeugnis beteiligt sind, Rezipienten sind als ebensolche Individuen, Kollektive oder Institutionen zu verstehen, welche diese Erzeugnisse wahrnehmen.

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Grad des ›Authentischen‹ in der Darstellung, d.h. die Frage nach der Art und Weise, wie – und vor allem wie erfolgreich – historische ›Echtheit‹ suggeriert werden kann. Der Begriff des ›Authentischen‹ ist im Allgemeinen mehrdeutig und entzieht sich einer exakten Definition. Er wird gesellschaftlich verhandelt und oft synonym oder in Überlappung mit anderen Begriffen, wie beispielsweise ›Wahrheit‹, ›Echtheit‹, ›Original‹, ›Faktizität‹, ›Tradition‹ und ›Ritual‹, verwendet. Ein gutes Beispiel für Repräsentationen, die einem westeuropäischen Publikum eine kulturell wie historisch ›andere‹, ›authentische‹ Erfahrung versprachen, und die die Ambivalenz des Begriffs klar vor Augen führen, sind die zahlreichen Ausstellungen der 2200 Jahre alten Terrakottakrieger von Xian in verschiedenen europäischen Museen und Ausstellungsorten. 1974 entdeckt, entwickelte sich die Armee von Xian binnen kurzer Zeit zu einem Erfolg, und Ausstellungen (sowohl von Originalobjekten als auch Repliken) erweisen sich seither als Besuchermagnete. 2005 tourte eine Replikenausstellung in Prag, Frankfurt, Berlin und Nürnberg. 2008 und 2009 sorgte die Präsentation von 14 Originalfiguren im belgischen Maaseik für Besucherrekorde. 2007 machte eine Ausstellung von acht Originalen aus der Tonarmee im Hamburger Museum für Völkerkunde Furore. Diese ebenfalls gut besuchte Ausstellung wurde allerdings umgehend geschlossen, als sich herausstellte, dass es sich bei den Figuren um Repliken handelte. Einen Bericht zu diesem »Debakel« schloss Welt Online am 13. Dezember 2007 wie folgt: »Der Rufschaden steht außer Zweifel. Nach Bekanntwerden des Skandals hatte das Haus den Besuchern, die sich betrogen fühlten, die Rückzahlung der Eintrittsgelder angeboten. ›Davon haben bislang aber nur drei oder vier Besucher Gebrauch gemacht‹, sagte [Museumsdirektor, die Verf.] Köpke WELT ONLINE. Dagegen gebe es viele Anfragen von Enttäuschten, die die falschen Tonkrieger gern noch gesehen hätten« (Welt Online 2007).

Wie dieses Zitat sowie die öffentliche Debatte um den Fälschungsskandal zeigen, scheiden sich bei der Frage nach der Priorisierung von Original versus Kopie die Geister.5 Die Uneinigkeit darüber, worin die authentische Präsentation der (historischen) Artefakte denn bestünde, lässt in beiden Fällen auf Zuschreibungsprozesse schließen, die, um mit Siegfried J. Schmidt zu sprechen, in Fiktionen von Authentizität resultieren (vgl. Schmidt 2005: 85). Bevor auf diese im Weiteren eingegangen wird, ist ein genauerer Blick auf den Begriff Authentizität vonnöten.

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Vgl. u.a. die Pressedarstellungen inklusive der Leserkommentare im Hamburger Abendblatt (Fink 2007; Focus Online 2007; Koldehoff 2007).

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Authentizität ist ein Schlüsselbegriff im Umgang mit Geschichte. Das Authentizitätsversprechen, also die Wiedergabe einer in der Vergangenheit tatsächlich so geschehenen Wirklichkeit, ist Charakteristikum vieler geschichtlicher Darstellungen (Ricœur 2007: 316). Authentizität scheint geradezu konstitutiv für Geschichtspräsentationen zu sein; unser Geschichtsbewusstsein, so Hans-Jürgen Pandel, stelle ständig Authentizitätsansprüche, denn »es will wissen ob etwas tatsächlich der Fall gewesen ist oder nicht« (2006: 25). Der Authentizitätsanspruch scheint also eng mit jeglicher Beschäftigung mit Geschichte verwoben zu sein. In der Geschichtswissenschaft kreist die Diskurstradition zu diesem Phänomen vorwiegend um den Begriff der ›historischen Wahrheit‹. Der Authentizitätsbegriff selbst wird vor allem im Zusammenhang mit der Methodik der Quellenkritik verwendet.6 Grundlegend ist hierbei die Frage nach der Echtheit der historischen Quelle, womit Fragen der Datierung, Entstehung, Autorschaft oder Fälschung verbunden werden (vgl. Arnold 2007; Evans 1998: 26-29). Der Wert der Quelle wird dabei durch das jeweilige Erkenntnisinteresse bestimmt, wobei dieser aber auch ein »Vetorecht« (Koselleck 1989b: 206) zukommt: »Jedes historisch eruierte und dargebotene Ereignis lebt von der Fiktion des Faktischen, die Wirklichkeit selber ist vergangen. Damit wird ein geschichtliches Ereignis aber nicht beliebig oder willkürlich setzbar. Denn die Quellenkontrolle schließt aus, was nicht gesagt werden kann. Negativ bleibt der Historiker den Zeugnissen vergangener Wirklichkeit verpflichtet. Positiv nähert er sich, wenn er ein Ereignis deutend aus den Quellen herauspräpariert, jenem literarischen Geschichtenerzähler, der ebenfalls der Fiktion des Faktischen huldigen mag, wenn er seine Geschichte dadurch glaubwürdiger machen will« (Koselleck 1989a: 153).7

Diese Aussage zeigt, dass ›Authentizität‹ vor allem auf der Ebene der Echtheitsbestimmung für Historiker relevant ist. Eine Aufgabe des Historikers bestünde demnach in der Sammlung von ›Fakten‹ (vgl. Spode/Koselleck 1995). Auf der Darstellungsebene hingegen findet der Begriff praktisch keine Verwendung mehr, auch wenn historische Erkenntnis 6

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In Stefan Jordans Handbuch der Geschichte (2007) wird ›Authentizität‹ als Begriff nicht eigenständig aufgeführt, findet aber Verwendung im Artikel zur Quellenkritik (Arnold 2007). In Diskursen der populären Geschichtskultur wird der Begriff häufig zur Bewertung der Darstellungsform verwendet. Reinhart Kosellecks Überlegungen lösen die Dichotomien im Begriffsdiskurs um historische Authentizität nicht auf, die sich sowohl für die Entwürfe von Produzenten als auch für die Erwartungen der Rezipienten an eine Geschichtsdarstellung feststellen lassen.

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von der Wechselwirkung zwischen der Authentizität der Quellen und deren Interpretation in der Darstellung abhängt (vgl. Grosch 2006: 59). Letztlich entziehen sich Teile der Fachwissenschaft dabei häufig – möglicherweise nicht ganz zu Unrecht – der unbefriedigenden Frage, worin denn nun die historische Wahrheit zu suchen sei – in der Quelle selbst oder im sinnstiftenden Narrativ, in das die Quelle (als Zitat oder Replik) eingebaut wird.8 Der Authentizitätsbegriff im Sinne der oben genannten Echtheitsbestimmung von Quellen setzte sich seit dem 18. Jahrhundert in der Geschichtswissenschaft und den historischen Nachbardisziplinen durch. So etablierte ihn Johann Joachim Winckelmann in der Archäologie und der Kunstgeschichte (vgl. Radnóti 2006). Über die objektfixierte Echtheitsbestimmung hinaus fand der Authentizitätsbegriff weitere Verwendungen in anderen Disziplinen und Diskursen:9 In der Philosophie, vor allem bei Denkern der Aufklärung und des Existentialismus, wurde die Auseinandersetzung mit der Bedingtheit des Selbst in der materialen Welt zentral (Kierkegaard, später Sartre). Authentizität kam hier als Ausdruck für ein ›Selbstsein‹ ins Spiel, das unabhängig von (bzw. entgegen) äußeren Einflüssen besteht. Ähnlich der existential-philosophischen Sichtweise kam die Verwendung des Begriffs ›Authentizität‹ in der Kunstgeschichte vor allem mit modernen Strömungen auf. Mit der Propagierung des modernen Künstlers als ›Transzendentalwesen‹ wurde Authentizität zu einem Schlüsselbegriff, der das Schaffen des Künstlers im Einklang mit sich selbst, im quasi-genialen Auftrag einer höheren Ordnung, zum Ausdruck bringt. Die philosophischen und kunsthistorischen Überlegungen bieten wenig Angriffsfläche, da die Problematik der transzendentalen Subjektivität beinahe einer Theologie gleichkommt, der man folgen mag oder nicht. In der Psychologie und Psychotherapie wird der Begriff ›Authentizität‹ (in Anerkennung der Gefühlswelt des Therapeuten) eher methodisch und wertneutral verwendet.10 Zum Politikum geworden ist ›Authentizität‹ 8

Bedeutsam sind an dieser Stelle die Auswirkungen des sich innerhalb der Geschichtswissenschaft seit Mitte der 1980er Jahre vollziehenden cultural turn, mit welchem Zweifel an der eindimensionalen Rationalität wissenschaftlicher Erkenntnis (v.a. durch Rekonstruktion) akzentuiert wurden sowie auf die soziokulturelle Bedingtheit der Wissensproduktion (auch historischen Wissens) hingewiesen wurde (vgl. Lorenz 1997: 3f.; Evans 1998: 24-50). 9 Vgl. zum Folgenden die Begriffsgeschichten bei Röttgers/Fabian (1971), Lethen (1996) und speziell zu ästhetischer ›Authentizität‹ Knaller (2007: 20ff.). 10 Zurückgehend auf die humanistische Psychologie von Carl R. Rogers begegnet die Authentizität in der therapeutischen Praxis in Abstufungen; so

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hingegen in ethnologischen und postkolonialen Debatten um Identität und Alterität, also Debatten, in welchen sowohl die subjektive Erfahrungswelt als auch Objektifizierungen thematisiert werden. Authentizität wird hier vor allem im Diskurszusammenhang um die Konstruktionen des ›Anderen‹ (z.B. als Spiegelung) verwendet. Graham Huggan unterscheidet in seiner Studie The Postcolonial Exotic beispielsweise zwischen einer »Kultur des Authentischen«, d.h. einem ethisch motivierten, wenngleich immer historisch situierten Wahrhaftigkeitsstreben des Selbst, und einem »Kult des Authentischen«, in dem Letzteres zu einem Signifikanten für furchteinflößenden Verlust und gleichzeitig zu Heilmittel und Fetisch verkommt (vgl. Huggan 2001: 157).11 Konstruktionen von historischer Authentizität ähneln prinzipiell den Vorstellungen von sowie Sehnsüchten nach demjenigen, was Huggan oder auch Olsen (2002) als das kulturell ›Andere‹ beschreiben: »The past, the other or another place becomes the counterconcept to modernity and is inscribed with the authenticity for which tourists search« (Olsen 2002: 162).12 Sowohl bei der ›alteritären‹ wie der historischen Authentizität, ist die uneinheitliche Verwendung des Terminus, gelegentlich als Subjekt-, gelegentlich als Objektauthentizität, problematisch und erfordert begriffliche Trennschärfe. Was, also, ist ›authentisch‹? Das aus dem Kontext gerissene, meist fragmentarische Original, oder die sinnvoll eingebettete, möglicherweise perfekt gebaute Replik? Die angesprochenen Wissenschaftsdiskurse geben keine eindeutigen Antworten auf diese in der Praxis so vehement diskutierte Frage. Eine nordamerikanische Befragung von 5000 Museumsbesuchern ergab, dass Authentizität ein unbedingter, zentraler Bestandteil ihrer Erwartungen an Museen sei. Auf die Frage, was Authentizität für sie im Museumszusammenhang bedeute, gaben 58 Prozent die Verlässlichkeit und wissenschaftliche Fundiertheit der präsentierten Informationen als ausschlaggebend an. Hier fielen häufig Bezeichnungen wie »ehrlich«, »wahr«, »korrekt« und »Fakt«. 25 Prozent der Besucher gaben an, Aubeinhaltet beispielsweise der Begriff »selektive Authentizität« die professionelle Triebbeschränkung von Therapeuten, ohne die Existenz der eigenen Gefühlswelt, des eigenen Menschseins zu verleugnen (vgl. Knox 2007: 326). Auch hier muss die Grenzziehung zwischen authentischem Selbst und professioneller Rolle als subjektiv betrachtet werden; die Grenze zwischen beiden ›Seiten‹, die einander gegenseitig bedingen, wird in einem stetigen Prozess ausgehandelt. 11 Zur Diskussion des Authentizitätsbegriffs als ›Paradoxon‹ im Bereich der postcolonial studies siehe Richter (2009). 12 Nicht umsonst betitelte David Lowenthal seine für geschichtskulturelle Forschungen grundlegende Studie »the past is a foreign country« (1985).

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thentizität liege für sie in der Präsentation von Originalobjekten anstelle von Repliken. Die Frage nach der geglückten Vermittlung der authentischen Erfahrung wurde hingegen von den meisten Befragten in eine ganz andere Richtung beantwortet. Hier hieß es überwiegend: je tiefer die Immersion in die Vergangenheit (qua Darstellung im Reenactment und haptischer Erfahrung), desto authentischer die Museumserfahrung (vgl. Reachadvisors 2008). Das Verlangen nach Originalobjekten und wissenschaftlicher Absicherung einerseits sowie nach einer geradezu sinnlichen Erfahrung von Vergangenheit im Sinne einer felt history andererseits erfordern entweder Mischformen oder klare Entscheidungen zugunsten eines Darstellungsmodus. Wie die Beispiele der Krieger von Xian und der Museumsbefragung, aber auch die in diesem Band versammelten Fallstudien zeigen, sind zwei dominante Modi innerhalb der Zuschreibungsfelder für das Authentische identifizierbar: derjenige des authentischen Zeugnisses und derjenige des authentischen Erlebens.13 Zum Zeugnis gehören die Objektgruppen der Quellen, der Zeitzeugen, der Unikate und der ›auratischen‹ Orte, kurz: die Suggestion eines Originalen, eines Relikts aus der Vergangenheit, das durch seine historische Echtheit selbst zu wirken scheint. Zum Erlebensmodus gehören Repliken, Kopien, das Nachspielen und Reenactment, das Evozieren eines ›authentischen Gefühls‹, Zeitstimmung oder -atmosphäre durch Annäherung an das Original oder Erzeugung einer plausiblen bzw. typischen Vergangenheit mit Mitteln der Gegenwart.14 In beiden Fällen erscheint die Beziehung zu einem ›historisch Wahren‹ gegeben und ausschlaggebend. Doch die Beziehungen zum Vergangenen und die Frage nach dem Wie der Vergegenwärtigung von Vergangenem weisen grundsätzliche Verschiedenheiten auf: Während im Zeugnismodus das Objekt als Repräsentant von Vergangenem im Mittelpunkt steht, ist im Erlebensmodus das Subjekt und dessen Gefühls- und Lebenswelt zentral.15 Im ersten Fall ordnet sich das historisierende Sub-

13 Diese Modi entsprechen in etwa David Lowenthals Unterscheidung von »history« und »heritage«. Lowenthal assoziiert »history« mit Faktizität und »heritage« mit Glauben (vgl. Lowenthal 1998: 119-122); vgl. auch die Unterscheidung von »Subjekt«- und »Objektauthentizität« im ästhetischen Begriffskontext bei Susanne Knaller (2007: 21-23). 14 Vgl. auch die von Hans-Jürgen Pandel getroffenen Unterscheidungen zwischen Personen- und Ereignisauthentizität, Typen-, Erlebnis-, Repräsentations- und Quellenauthentizität (2006: 25f.). 15 Ähnlich wie in der philosophisch-theologischen bzw. modernistischästhetischen Debatte kann hier also von Subjektauthentizität gesprochen werden.

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jekt der Autorität des Objektgegenstands unter, während es im zweiten Fall diesen Gegenstand vereinnahmt, appropriiert und nutzt. In beiden Modi werden Authentizitätserwartungen über Medialität erzeugt. Medialität manifestiert sich nicht allein im sinnstiftenden Narrativ, also in der Zuschreibung von historischer Bedeutung durch Interpretation und Integration geschichtlicher Daten mit Hilfe von Text, Bild und Ton, sondern auch in der Materialität von Ort und Gegenstand.16 Für den Ort, dem historische Bedeutung angetragen wird qua Lokalisierung eines historischen Ereignisses oder Wirken einer historischen Persönlichkeit, hat Walter Benjamin in seinem berühmten Kunstwerkaufsatz (1935/ 1936) den Begriff der ›Aura‹ eingeführt. Benjamin definiert ›Aura‹ als eine gewisse Unnahbarkeit des Ortes oder Objekts, vom Rezipienten erfahren als »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag« (Benjamin 1974: 480). Er scheint mit dieser Beschreibung den ambivalenten Charakter des Authentizitätsbegriffs, der als ›vermittelte Unvermitteltheit‹ gefasst werden kann, zu treffen. Allerdings setzt Benjamin für die auratische Erfahrung Originalität voraus und schreibt dieser gegenüber der Nachbildung »Autorität« zu: »Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus. [...] Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit. [...] Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft. Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerät in der Reproduktion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere: die geschichtliche Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur diese; was aber dergestalt ins Wanken gerät, das ist die Autorität der Sache. Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammenfassen« (Benjamin 1974: 476-477).

Wenn Benjamin angesichts immer weiter perfektionierter Reproduktionstechniken den Verlust der Aura feststellt, so wird diese Feststellung unter anderem von einem poststrukturalistischen Denker wie Baudrillard hinterfragt, der von der Unmöglichkeit einer Trennung von Medium und Inhalt ausgeht und die Bedeutung vermittelnder Instanzen konsequent aufwertet. Wirklichkeit wird nach Baudrillard stets als vielfach gefilterte

16 Eva Geulen geht von Benjamins »radikale[m] Materialismus« aus, der die Darstellung als Materie einschließt und »sich von der Annahme emanzipiert hat, es gäbe irgendwo Materie oder Material, das rein von sich selbst her gegeben wäre«. Sie bemerkt aber treffend, Materie sei »Darstellung nur insoweit Darstellung kein passives Medium [...], sondern ihre Darstellung der jeweiligen Sache wesentlich ist« (Geulen 1992: 595).

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Erscheinung beschrieben. Bereits in Simulacres et Simulation verfolgte er das Phänomen von Kopiewelten (wie beispielsweise der Karte, welche ein Bild eines wirklichen Ortes vermittelt und ersetzt), die andere, einprägsamere und überzeugendere Bilder der Wirklichkeit vermitteln als es die unmittelbare Erfahrung dieser Wirklichkeit je könnte (vgl. Baudrillard 1981). »Fällt unser Blick auf die Wirklichkeit – fällt unser Blick auf die Medienwirklichkeit – fällt unser Medienblick auf die Medienwirklichkeit«, so lässt sich das Spannungsfeld zwischen Benjamin und einer poststrukturalistischen Sichtweise zuspitzen, »dann dämmert uns gelegentlich die Einsicht in die Kompliziertheit« gesellschaftlicher Wirklichkeitsinszenierungen, »die umso frag-würdiger werden, je größer ihr Anspruch auf Authentizität ist« (Schmidt 2008: 181). Trotz der Einsicht in die strukturelle Unmöglichkeit, Vermitteltes vom Medium zu trennen und ›ursprüngliche‹ Erfahrungen hervorzurufen, scheint sich in der ›postmodernen‹ Gesellschaft geradezu eine Sehnsucht nach auratischen Erfahrungen verbreitet zu haben, die sich besonders deutlich in populären Geschichtskulturen oder auch im Tourismus manifestiert. Beide Felder belegen gleichzeitig, dass eine solche Erfahrung produziert werden kann und dass auch die Aura eines (Original-)Ortes oder (Original-)Gegenstands keinen Status a priori genießt, sondern durch Prozesse der Bedeutungszuschreibung entsteht. So konstatiert Cornelius Holtorf, dass für archäologische Objekte die Relevanzfrage nach Authentizität im Sinne von ›Original‹ je nach Kontext differiert. Daraus folgert er, dass es nicht auf die tatsächliche ›Originalität‹ der Objekte ankomme, sondern vielmehr auf die plausible Erzeugung von pastness,17 einer gefühlten und erfahrenen Geschichte, die auf vorhandene geschichtskulturelle Präpositionen zurückgreift, um Authentizität zu erzeugen. Hieraus folgt, dass die Grenzen zwischen ›Original‹ und ›Replik‹ diskursiv erzeugt werden und nicht als essentialistisch zu verstehen sind (vgl. Holtorf 2005: 127f.). Festzuhalten ist daher für beide Modi der Authentizitätserzeugung nicht allein die enge Verknüpfung von Medium und Inhalt. Im Falle geschichtlicher Inhalte ist deren Vermitteltheit sogar notwendige Bedingung, denn der unmittelbare Zugang zu bzw. die unmittelbare Erfahrung von geschichtlicher ›Wahrheit‹ oder generell der Vergangenheit ist per se unmöglich (vgl. Lange 1999: 22). Populäre Geschichtsdarstellungen zeichnen sich gerade durch Multimedialität aus, die sich von der Verwendung von rein schriftbasierter über audiovisuelle bis hin zu performativen Medien erstreckt.18 Am Bei17 Vgl. auch de Groot (2009: 9), der den Begriff im Zusammenhang mit der Vermarktung von Geschichte verwendet. 18 Im Anschluss an Peggy Phelan stellt Erika Fischer-Lichte die These auf, dass allein in der Live-Performance noch Reste einer authentischen Kultur

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spiel verschiedener nordamerikanischer historic sites konnte Sabine Schindler zeigen, wie sehr Authentizitätsstrategien und -erwartungen von der medialen Form abhängen, da diese sites ihre eigenen Anforderungen an den Authentizitätsbegriff stellen und ihn entsprechend unterschiedlich formulieren. So rekurriert ein ›klassisches‹ Museum auf einen »objektfixierten« Authentizitätsbegriff, wenn es Originalobjekte ausstellt. Im Falle eines Living History-Museums erfährt der Begriff dagegen eine »Umwertung«, da Authentizität hier durch »emotionale Glaubwürdigkeit und geschichtliche Plausibilität des Dargestellten« hergestellt wird (Schindler 2003: 240, 244). Hieran zeigt sich zum einen, wie variabel der Begriff in verschiedenen populären Geschichtsdarstellungen verwendet werden kann, zum anderen aber auch, dass Authentizität als »Qualitätsmerkmal« historischer Darstellungen gilt und dazu dient, diese von anderen populären Formen wie z.B. Themenparks mit geschichtlichen Inhalten abzugrenzen (Schindler 2003: 103). Doch nicht nur in Museen, auch in populären Geschichtsdarstellungen in Film und Fernsehen gehört die Suggestion von Authentizität zu den Vermarktungsstrategien, die auf die Betonung des ›Geschichtsträchtigen‹ der jeweiligen Produkte abzielen. Nicht zufällig scheint hier bereits die Wahl von Genres wie dem ›Dokudrama‹ oder der ›Historischen Dokusoap‹ das Eindringen in authentische vergangene Realitäten zu versprechen. Im wachsenden Bereich der historischen Dokumentation wird Authentizität groß geschrieben: »Wir legen sehr viel Wert auf Authentizität«, ist vom Leiter der Redaktion Zeitgeschichte im ZDF, Guido Knopp, zu hören (Knopp 2005). »Du sollst nicht betrügen« pflichtet Beate Schlanstein vom WDR bei (Schlanstein 2008: 218). Dabei erzeugen und versprechen die verschiedenen Formen und Elemente unterschiedliche Authentizitätseffekte: Die traditionelle historische Dokumentation verwendet vor allem vermeintliche ›Originalaufnahmen‹ und Fragmente aus Zeugenaussagen, um eine Objektauthentizität zu erzeugen. Dagegen setzen Dokudramen auf detailgenaue Kulissen und glaubwürdige oder plausible Geschichten, um die Zuschauer Geschichte erleben zu lassen, also auf Subjektauthentizität: ›Die Dialoge hätten sich so abspielen können‹, ist der Grundtenor der Authentizitätsversprechen der Produzenten. Allerdings ist innerhalb dieser vormals klar getrennten Genres eine zunehmende Vermischung von Elementen der Objekt- und Subjektauthentifizierung zu beobachten: Ein Beispiel hierfür ist die verstärkte Verwendung von ReenactmentSzenen in historischen Dokumentationen, deutlich sichtbar in der sehr er-

zu finden seien (Fischer-Lichte 2004: 116; Phelan 1993). Vgl auch den Sammelband von Fischer-Lichte und Pflug (2000).

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folgreichen 2008 vom ZDF ausgestrahlten Dokumentationsreihe Die Deutschen (vgl. Arens 2008). Die verschiedenen Formen nutzen somit unterschiedliche Authentifizierungsstrategien, um das Authentizitätsversprechen bei Produzenten und Rezipienten einzulösen und ihre Darstellung als ›historisch‹ zu kennzeichnen. Hier zeigt sich wiederum deutlich, dass Authentizität stets Ergebnis gesellschaftlicher Kommunikations- und Aushandlungsprozesse ist. Ein wichtiger Aspekt dieser Prozesse ist die Verknüpfung mit ›VorWissen‹ und ›Vor-Bildern‹, welche die Rezipienten aus der populären Geschichtskultur kennen. Hierzu gehören beispielsweise die Bildikonen des kollektiven Gedächtnisses (vgl. Paul 2004: 13f.) oder nationale Meistererzählungen (vgl. Jarausch/Sabrow 2002). Werden bekannte Bilder und Narrative reproduziert, so erfüllen sie eine Erwartungshaltung der Zuschauer nach Anknüpfungspunkten, und das Gesehene wird folglich als ›authentisch‹ rezipiert (vgl. Wirtz 2008: 194f.). Die Produkte der populären Geschichtskultur und die Geschichtsbilder, die sie präsentieren, aktualisieren kollektive Gedächtnisse und prägen die Authentizitätserwartungen der Rezipienten ebenso wie die der Produzenten (ebd.: 197f.). Im Rahmen seiner Theorie der Geschichten und Diskurse spricht Siegfried J. Schmidt, wie bereits angedeutet, von »Authentizitätsfiktionen« (Schmidt 2005: 85); dieser Begriff entspringt zwar seiner breiter angelegten Medientheorie, ist aber auch im Zusammenhang der Untersuchung von populärer Geschichtskultur erhellend. Wie kaum ein anderer verweist er auf den Konstruktionscharakter und die mediale Bedingtheit auch von vergangenen Wirklichkeiten: »Aktanten erzeugen mithilfe von Medien bzw. in Mediensystemen Medientatsachen, und sie erzeugen Authentizitätsfiktionen für ihre Medientatsachen etwa durch Formate und Medienschemata wie TV-Nachrichten oder Reportagen, die eine von Beobachtern unabhängige Fremdreferenz simulieren bzw. diese in der Reaktion von Rezipienten entstehen lassen« (ebd.: 85).

Um Authentizitätsfiktionen zu erzeugen, bedarf es einer Annäherung der Authentizitätsvorstellungen von Produzenten und Rezipienten. Je größer die Schnittmenge und die Einbettung in gesellschaftliche Kontexte ist, desto ›authentischer‹ erscheint eine Darstellung. Angebot und Erwartung müssen einander bestärken, um diesen Eindruck zu erwecken und zu erhalten. Die Palette an Motivationen bei der Produktion und Rezeption von Authentizitätsfiktionen ist breit gefächert und von emotionalen, ökonomischen19 und/oder wissenschaftlichen Interessen geleitet. 19 Bereits 1987 bemerkte Hewison: »Commerce reinforces the longing for authenticity in order to exploit it« (Hewison 1987: 29). In der Tat sind es aber

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Die in diesem Band versammelten Beispiele verdeutlichen, wie ertragreich der Terminus ›Authentizitätsfiktionen‹ für die Untersuchung von Geschichtsdarstellungen ist. Er verweist direkt auf die unbedingte Vermitteltheit des Vergangenen sowie auf die Existenz von Vermittlern und Motivationen. Authentizitätsfiktionen werden inhaltlich und formal im Produkt selbst erzeugt und sind in Produktions- und Rezeptionsprozesse sowie in gesellschaftliche Kontexte eingebettet. Dies zeigt sich in den verschiedenen hier vorgestellten Analysen ebenso wie in der Tatsache, dass Authentizitätsfiktionen auf unterschiedliche Art und Weise identitätsstiftende, legitimierende Funktionen in Gesellschaften bzw. für gesellschaftliche Gruppen erfüllen können.20 Die Dichotomie zwischen Subjekt- und Objektsauthentizität wird von MARCO KIRCHER anhand zweier sehr unterschiedlicher Beispiele archäologischer Sonderausstellungen herausgearbeitet. Er widmet sich damit einem Genre, dem nach wie vor eine einflussreiche Rolle bei der Erzeugung von Geschichtsbildern zukommt. Kircher legt dar, dass Authentizität hier nicht (mehr) allein durch die ›Echtheit‹ der Objekte sowie die vertrauenswürdige Ausstellungsinstitution geschaffen wird, sondern durch andere Faktoren, vorrangig durch die Gesamtatmosphäre. Ebenfalls mit Ausstellungen, allerdings der traditionellen Art, beschäftigt sich HENJE RICHTER. Anders als bei Kircher liegt der Fokus seines Beitrags auf einer Spielart der Objektauthentizität, die er als eine Form des Fetischismus begreift. Ausgehend von dem paradoxen Verhältnis zwischen aufgeklärter Distanz zu und emotionalem Vergnügen an dem Status des Originalen werden die Präsenz und Funktion von Artefakten vor allem in kulturhistorischen Museen beleuchtet. TIM NEU und CHRISTIAN HEUER wenden sich aus geschichtsdidaktischer Perspektive den Problemen zu, die entstehen, wenn Authentizitätsfiktionen in den schulischen Unterricht Eingang finden. NEU beleuchtet die Konstruktionsmechanismen und Wirkungen von Authentizitätsfiktionen, die beim Nachstellen vormoderner Rituale im Geschichtsunterricht auftreten. Er stellt die These auf, dass die Akteure letztlich nur ihre eigenen Erfahrungen im Rahmen der Geschichtsdarstellung beobachten, diese aber aufgrund der fingierten Authentizität als Erfahrungen der Zeitgenossen erleben. HEUER beschäftigt sich mit sogenannten Ego-Dokumenten, d.h. den subjektiven Berichten von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, in denen wirkmächtige Geschichtsbilder generiert werden, indem die Selbstthemamehr als wirtschaftliche Interessen, die bei der Entstehung von Authentizitätsfiktionen eine Rolle spielen. 20 Die Mehrzahl der Beiträge des vorliegenden Bandes geht auf eine Tagung der DFG-Forschergruppe ›Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart‹ im November 2008 zurück.

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tisierung eines Autors oder einer Autorin zum Authentizitätsnachweis per se und zur Quelle historischer Erkenntnis wird. Der Generierungsprozess von Authentizität wird am Beispiel von Oliver Hirschbiegels Historienfilms Der Untergang (2004) aufgezeigt, diskutiert und geschichtsdidaktisch reflektiert. Auf die authentifizierenden Funktionen von archäologischen Funden in aktuellen Dokumentarfilmen macht MIRIAM SÉNÉCHEAUs Beitrag aufmerksam. Sie dienen in den untersuchten Filmen über Germanen der Bestärkung verbreiteter Klischees. Als Zeugnisse fungieren Funde hingegen in Filmen zur Varusschlacht. Hier machen sie die Lokalisierung der Schlacht greifbar. Gemeinsam ist beiden Formen, dass die Funde scheinbare Faktizität versprechen, die durch Authentizitätssuggestionen hervorgerufen wird. CHRISTA KLEIN geht der Frage nach den Authentizitätsfiktionen in Living History-Serien nach. Am Beispiel der ARD-Serie Die Bräuteschule 1958 (2007) zeigt sie, wie das Genre der Living History-Serien historische Authentizität zu kreieren versucht und diesen Prozess gleichzeitig reflektiert. Letzteres geschieht dadurch, dass Geschichte nicht als Zeugnis der Vergangenheit und abgeschlossenes Tatsachenwissen, sondern als gegenwärtige Auseinandersetzung mit Vergangenheit inszeniert wird. Geschichtsversionen werden damit als Verhältnisse der Gegenwart zur Vergangenheit verhandelt und die Aushandlung gegenwärtigen Geschichtswissens initiiert. MARK RÜDIGER untersucht die Generierung von Authentizitätsfiktionen im Fernsehfilm am Beispiel einer dokufiktionalen Form aus den 1970er Jahren. In seinem Beitrag zu Was wären wir ohne uns, einem sehr erfolgreichen Mehrteiler über die gerade erst in einen historischen Modus transformierten 50er Jahre, wird deutlich, dass die Darstellung von Geschichte im Fernsehen eng an den Kontext der zeitgenössischen Geschichtskultur angebunden ist. Durch Stimmung und Atmosphäre wird eine ›gefühlte‹ Authentizität erzeugt, die vor allem an individuelle Erinnerungen anknüpft. ACHIM SAUPES Beitrag stellt mit dem Geschichtskrimi ein Genre vor, das im Grenzbereich zwischen Faktizitätsansprüchen und Fiktionalität angesiedelt ist. Dieser Artikel zeigt die breite Palette verschiedener Authentizitätseffekte des medienübergreifenden Kriminalschemas in Geschichtsdarstellungen auf – von detailgetreuer Realitätsreferenz über intertextuelle und selbstreferenzielle Verweise bis hin zur Repräsentation von Gewalt und Schmerz. Welche geschichtskulturellen, ethischen und erkenntnistheoretischen Konsequenzen diese Authentifizierungsstrategien und Faktizitätspostulate des Geschichtskrimis generieren können, demonstriert der Artikel anhand von Robert Harris’ Roman Fatherland (1992) sowie der juristischen Auseinandersetzungen über den kriminalistischen Historien- und Gangsterfilm Der Baader-Meinhof-Komplex (2008).

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Der Roman als das ›große‹ imaginative Genre der Neuzeit und seine Mittel literarischer Authentizitätserzeugung stehen im Zentrum der Betrachtungen THORSTEN LEIENDECKERs, der sich der Fiktionalisierung der akademischen Debatte um die Urheberschaft der Werke Shakespeares zuwendet. Der Einsatz imaginativer Strategien drängt sich in dieser von einer spärlichen Dokumentenlage charakterisierten geschichtlichen Forschungsthematik besonders auf; sie bewirkt in einigen Romanen den Eindruck, dass hier tatsächliche historische Wahrheit wiedergegeben wird und drängt das Wissen um den fiktiven Charakter der ShakespeareErzählungen in den Hintergrund. Mit seiner Untersuchung der TV-Serie The Tudors (2008) widmet sich JONAS TAKORS der Repräsentation einer berühmt-berüchtigten Persönlichkeit der britischen Geschichte, Heinrichs VIII., und betrachtet insbesondere die Strategien, die in dieser Serie angewandt werden, um im Kontrast zu einer etablierten Bildikone ein neues ›authentisch‹ wirkendes Bild des englischen Monarchen herzustellen, sowie Reaktionen auf diese neue Repräsentation. Mit einem postkolonialen anglophonen Raum beschäftigt sich die Fallstudie von ANJA SCHWARZ zur australischen Geschichte im Fernsehen. Sie untersucht, wie das Moment des ›Erlebens‹ von Geschichte zur Authentifizierungsstrategie vor allem im Genre des TV-Reenactments, aber auch darüber hinaus, werden kann. Dies wird in ihrer Präsentation zweier sehr unterschiedlicher Medienformen deutlich: Der Analyse der Serie Outback House (2005), in der Kolonialgeschichte aus Sicht nicht-indigener Australier nachempfunden wird, stellt sie eine kurze Besprechung von Kate Grenvilles im selben Jahr erschienenem Erfolgsroman The Secret River voran. Sie kann zeigen, dass der Modus der Subjektauthentizität zu wirkmächtigen, wenngleich verzerrten Geschichtsbildern führen und von Gruppen zu Legitimationszwecken im Rahmen ihrer kollektiven Erinnerung instrumentalisiert werden kann. Im Falle Australiens bedeutet dies die Untermauerung eines populären, von nicht-indigenen Gruppen dominierten Geschichtsnarrativs. Auch DANIEL SCHLÄPPI beschäftigt sich mit von Gruppen erzeugten Geschichtsbildern. Am Beispiel so genannter ›Zunftgesellschaften‹ im heutigen Bern beleuchtet er, welche Rolle ›Traditionen‹ und Traditionsbewusstsein in der Erinnerungsarbeit der ›Burgergemeinde‹ sowie für deren Selbstverständnis spielen. Historische Authentizität wird in diesen Kreisen im Rückgriff auf die Geschichte vorausgesetzt und nicht hinterfragt. Das Authentische ist das für den Laien Greifbare und Nachvollziehbare und rückt in den Mittelpunkt des Handelns in der Gruppe, wo gemeinschaftliche Rituale mit (vermeintlich) historischem Bezug sinnstiftende Wirkung entfalten. Wo eine tatsächliche Anbindung an die Ge-

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schichte fehlt, wird diese über die Fiktion im Sinne einer rückwärtsgewandten Selbstvergewisserung als historisch-authentische Tradition geschaffen. Am Beispiel der Erinnerungsdebatte im postdiktatorischen Argentinien beschäftigt sich KAROLIN VISENEBER mit traumatischen Vergangenheitserfahrungen. Die Strategie des argentinischen Militärs während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 beruhte darauf, durch das Verschwindenlassen, das Auslöschen und Vernichten potentieller Feinde des Regimes eine Art historische Amnesie zu schaffen. In der Literatur jedoch ist die Erinnerung an die Verschwundenen im kollektiven Gedächtnis lebendig und gegenwärtig. Viseneber spricht von literarischen Nachbildern des Verschwindens, die Präsenz als Strategie gegen das Verschwinden einsetzen. PHILIPP SCHULTEs Beitrag »Das Echte im Falschen« untersucht die angebliche Rekonstruktion der Libanon-Kriege im künstlerischen Werk der Atlas Group. Er zeigt anhand ausgewählter Arbeiten und Performances, wie die Schaffung authentisch wirkender Geschichtsfiktionen auf der zeitgenössischen Performancebühne vonstattengehen kann – und wie sie zugleich fast immer einhergeht mit einer gleichzeitigen Entblößung dieser einmal etablierten Fiktionen, ihrer Verfremdung und Subversion. Anders als in ideologisierenden Geschichtsschreibungen, die versucht sind, eine abschließende Funktion in Hinblick auf die Vergangenheit einzunehmen, zeigt der Performer Walid Raad durch seine fiktionalisierenden Narrationen mit ähnlicher Überzeugungskraft deren Konstruktionsmechanismen auf und stellt auf diese Weise den Authentizitätsanspruch von ›Archiven‹ und ›Dokumenten‹ in Frage. Geschichte, so Raad und auch Schulte, offenbart sich demnach immer als politisches Instrument: Sie ist nicht gegeben, sondern wird stets aufs Neue hergestellt. Ob Authentizität generiert wird, wenn ein sinnstiftender Zusammenhang geschaffen wird, oder ob nur eine Spur von Originalität eine ›Aura‹ des Authentischen erzeugen kann, bleibt eine Frage, der es sich immer wieder kritisch anzunähern gilt, ohne einen Anspruch auf allgemeingültige Antworten zu erheben. Dass auch der Originalschauplatz, das Original selbst manipulierbar ist, zeigt – und hier kommen wir wieder auf das Eingangsbeispiel der Terrakottaarmee zurück – eine Aktion des deutschen Kunststudenten Pablo Wendel. Ihm gelang es 2006, für einige Sekunden Besucher und Polizeiwache am Originalschauplatz der Terrakottaarmee bei Xian zu täuschen, indem er sich in Kostümierung auf einem Podest unter die Reihen der Krieger mischte und so für sich selbst und andere eine nur kurz andauernde, jedoch wirkmächtige Authentizitätsfiktion erzeugte. Wendels Aktion flimmerte über Bildschirme weltweit und ist über diese Verbreitung selbst zu einem Original geworden, wie die

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Ankündigung des entsprechenden Tagesthemen-Beitrags durch Sprecher Tom Burow zeigt: »Unser Peking-Korrespondent hat exklusiv für die ARD ein Amateurvideo gesichert, das den Zwischenfall zeigt« (›ulfkastner‹ 2006). Das »exklusive« Material kann nach wie vor auf YouTube eingesehen und besprochen werden. Der Film sowie Pressefotografien und die einbettenden Texte und Kommentare fungieren als Zeugnisse für Wendels Spiel mit der authentischen Wirkung (sowie Erfahrung) und schreiben ihn nicht allein in das Narrativ um die Terrakottaarmee ein, sondern machen ihn, den ›falschen‹ Krieger, möglicherweise nachhaltiger erkennbar als die Originalfiguren aus Ton. Abgesehen von den Medieninszenierungen nach der Aktion zeichnet sich diese selbst durch ihren intervenierenden Charakter in Bezug auf Fragen nach Original und Abbild, Erleben und Zeugnis, Subjekt und Objekt aus. Ähnlich der Absicht Wendels versteht sich dieser Band mit seinen unterschiedlichen Beispielen als Ausdruck der Notwendigkeit produktiver Interventionen in den seit langem aktuellen Diskurs um die Erzeugung von geschichtskultureller Authentizität.

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ZWEI

BABYLON & TUTANCHAMUN: AUSSTELLUNGEN, ZWEI KONZEPTE MARCO KIRCHER

Museen dürften bei der Konstruktion von Geschichtsbildern eine einflussreiche Rolle spielen, denn eine Vielzahl von Dauer- und Sonderausstellungen widmet sich historischen Themen. Bevor ich näher auf zwei große Einzelausstellungen und deren Anspruch auf Authentizität eingehe, ist es von Vorteil, allgemein die Relevanz von Museen in Bezug auf Geschichtsdarstellungen zu skizzieren: Zwar sind nur 7 % aller Museen in Deutschland ausgewiesene Geschichts- und Archäologiemuseen, dennoch beträgt die anteilige Besucherzahl für diesen Bereich bereits 15,3 % aller Museumsbesucher. Unter Einbeziehung der Gäste von Schloss- und Burgmuseen, kulturgeschichtlichen Museen sowie Heimatkundemuseen erreichen diese Ausstellungen jährlich über 50 Millionen Besucher, die so mit der Darstellung vergangener Lebenswelten in Kontakt kommen. Zur besseren Einschätzung der Besucherzahlen folgen an dieser Stelle noch einige allgemeine Angaben zu Museen im Jahre 2006: In Deutschland existierten 6.175 Museen, die insgesamt mehr als 100 Millionen Besucher aufwiesen. Hinzu kommen über sieben Millionen Gäste, die Ausstellungshäuser besucht haben (vgl. Institut für Museumsforschung 2007). Der Verweis auf die Ausstellungshäuser macht deutlich, dass der Begriff ›Museum‹ zu kurz greift, denn Häuser ohne eigene Sammlung veranstalten eine nicht unbedeutende Zahl von Ausstellungen, die oft sehr medienwirksam in Szene gesetzt werden. Die Bundeskunsthalle in Bonn ist beispielsweise eine sehr populäre Adresse, die mit ihren Ausstellungen in manchen Jahren eine Masse von deutlich über eine Million Besuchern anzieht.1 Die Anzahl der deutschen Sonderausstellungen erreichte im Berichtsjahr annähernd die Marke von 10.000 (vgl. ebd.). Sonderausstellungen sind nachweislich der Hauptgrund für steigende Besucherzahlen in einem Museum mit Dauerausstellung. Diese Ausstel-

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Im Jahr 2006 kamen über 1,5 Millionen Besucher in die Bundeskunsthalle (persönliche Mitteilung der PR-Abteilung der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn).

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lungsart bildet gerade in der Archäologie eine attraktive Form, um hohe Besucherzahlen zu erreichen. Museen stellen somit einen bedeutsamen Bereich dar, in dem Bilder von vergangenen Lebenswelten sowohl im konkreten als auch im übertragenen Sinne geschaffen und den Besuchern präsentiert werden. In den allermeisten Fällen genießen kulturhistorische Museen ein hohes Ansehen in Bezug auf Authentizität. Häufig rührt dies daher, dass sie als namhafte Institutionen mit hoher Reputation sowie zumeist langer Tradition bekannt sind. Ferner werden mit ihnen häufig berühmte Gründerväter oder Mäzene verknüpft und für aktuelle Ausstellungen fungieren hochrangige Politiker und namhafte Wissenschaftler als Repräsentanten. Damit werden Museen als wesentlich glaubwürdiger als beispielsweise Spielfilme eingeschätzt, da Ausstellungen explizit zur Informationsvermittlung von ausgewiesenen Fachleuten konzipiert werden. Spielfilme hingegen gehören primär nicht in den Bereich der Bildung, sondern werden per se von allen Rezipienten in die Unterhaltungskategorie eingeordnet. Diese Trennung von education und entertainment lässt sich zwar für Freilichtmuseen und Themenparks nicht aufrechterhalten, galt aber bisher trotz eines seit einigen Jahren anhaltenden edutainment-Trends im Regelfall noch für Ausstellungen innerhalb von Gebäuden. Im Zentrum dieses Beitrags stehen zwei Beispiele von viel besuchten archäologischen Sonderausstellungen des Jahres 2008: zum einen die Berliner Ausstellung Babylon: Mythos und Wirklichkeit und zum anderen die Züricher Ausstellung Tutanchamun: sein Grab und die Schätze. Beide legen Wert auf eine authentische Geschichtsdarstellung, unterscheiden sich jedoch in diversen Aspekten elementar. Im Folgenden stelle ich zunächst die Konzeptionen beider Ausstellungen vor und gehe nach einem Ausstellungsvergleich insbesondere auf den Erlebnis-Aspekt der Tutanchamun-Ausstellung ein.

B ab yl o n : M y th o s u n d Wi r k l i c hk e i t Die Babylon-Ausstellung2 wurde im Berliner Vorderasiatischen Museum gezeigt, das Teil des Pergamonmuseums ist. Die Sonderausstellung über das altorientalische Babylon hebt sich von traditionellen Ausstellungen dadurch ab, dass sie zweigeteilt ist. Sie beinhaltet neben dem klassischarchäologischen Ausstellungsteil »Wahrheit« einen umfassenden Bereich »Mythos«. Dieser Ausstellungsteil setzt sich ausschließlich mit der Re-

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Bildmaterial und weitere Informationen unter http://www.smb.museum/ smb/babylon/show_text.php (Zugriff am 25.04.09).

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BABYLON & TUTANCHAMUN

zeptionsebene auseinander, wobei vor allem die Sichtweise verschiedener Künstler der vergangenen Jahrhunderte präsentiert wird. In den zwei Ausstellungsteilen wird somit das ›authentische‹ Babylon der Archäologie dem mental geschaffenen, ›mythischen‹ Babylon direkt und offensiv gegenübergestellt. Dies beginnt bereits in der Ausstellungswerbung, in der auf Babylon bezogene Aussagen des Allgemeinwissens explizit negiert werden, so dass den Interessenten schon im Vorfeld klargemacht wird, in der Ausstellung das ›wahre‹ Babylon kennenlernen zu können. So lauten die provokanten Botschaften der Plakate in großen Druckbuchstaben »Kein Turm!«, »Keine Hure!«, »Kein Gott!«, »Kein König!«. Diese Wortbotschaften werden bei allen Plakaten mit dem Untertitel »Babylon war nicht Babel« verstärkt und jeweils ergänzt durch ein Bild eines Turms, einer Hure, eines Gottes bzw. eines Königs. Der Ausstellungstitel Mythos und Wirklichkeit bringt das Ziel der Ausstellungsmacher nochmals prägnant auf den Punkt. In Anbetracht der Tatsache, dass Altertumskundler meist nur wenige Puzzlesteine des Gesamtbildes vor Augen haben, ist der Titel allerdings mutig gewählt. Durch die klaren Werbebotschaften ist der Anspruch auf Authentizität von den Kuratoren selbst hoch gesteckt. Ein Hauptanliegen der Initiatoren ist es, den Mythos, der über der archäologischen ›Wahrheit‹ liegt, zu dekonstruieren. Man versucht daher, Babylon als eine Hochkultur mit Gelehrten und Weisen darzustellen und nicht als Sündenpfuhl wie in der Bibel oder in apokalyptischen Hollywood-Filmen wie Sin City (2005). Die oben angesprochene Vorgehensweise, auf berühmte Persönlichkeiten zurückzugreifen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, wird hier angewandt. Auf dem Ausstellungsflyer findet sich die Angabe, dass die Babylon-Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Außenministers Steinmeier stehe. Die Nennung dieser Tatsache dürfte, neben positiven Marketingeffekten, der Authentizitätswirkung förderlich sein. Konzept Die Grundidee der Ausstellung ist, erstmalig die Funde, die verstreut in verschiedenen Museen der Welt lagern, an einem Ort zur Schau zu stellen. Von den Kuratoren des Vorderasiatischen Museums wurden dafür 800 Objekte ausgewählt. Diese materiellen Zeugnisse der altorientalischen Kulturen werden durch die Darstellung der abendländischen Überlieferungen ergänzt. Dass die gemeinsame Präsentation der beiden Gattungen eher eine Gegenüberstellung ist, spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, dass man die beiden Themen räumlich abgesondert sowie für das gegenständlich überlieferte und das legendenhafte Babylon zwei getrennte Ausstellungskataloge angefertigt hat. Angemerkt sei dazu, dass der The-

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menbereich »Wahrheit« in Buchform mehr als doppelt so umfangreich ist wie der Bereich »Mythos« (650 zu 280 Seiten). Vielleicht ist dies ein bewusster Kontrapunkt zum Verhältnis von Mythos und Wahrheit in den Köpfen der meisten Besucher. Wahrheit Dieser Ausstellungsteil wurde von Mitarbeitern des Museums konzipiert und in die üblichen Ausstellungsräume der Sammlung des Vorderasiatischen Museums integriert. Es werden ausschließlich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Originalobjekte präsentiert, wobei neben den Stücken, die sich bereits seit langem in Berliner Besitz befinden, viele Leihgaben aus dem Pariser Louvre und dem Londoner British Museum stammen. Die Kooperation mit den sehr bekannten und angesehenen ausländischen Museen unterstreicht den eigenen Anspruch, die ›Wahrheit‹ darzulegen. Der Umstand, dass die Ausstellung in einem Traditionshaus gezeigt wird, das zugleich Deutschlands meistbesuchtes Museum3 ist, unterstützt das Anliegen, wirkmächtige Aussagen herzustellen. Die Darstellung der babylonischen Lebenswelt wird nicht nur auf die Stadt Babylon in einer bestimmten Zeitperiode begrenzt, sondern umfasst mehrere Jahrtausende, und je nach Epoche werden Objekte aus dem gesamten babylonischen Herrschaftsgebiet mit einbezogen. Das Konzept folgt keiner chronologischen Darstellungsform, sondern einer thematischen. Dabei werden die Themenfelder Königtum, Architektur und Bauwesen, Religion, Recht, Arbeitswelt, Alltag sowie Wissenschaft aufbereitet. Eine Besonderheit dieser archäologischen Ausstellung ist der große Anteil an schrifttragenden Objekten. Die Ausstellungsmacher versuchen die Tatsache bewusst hervorzuheben, dass der Wissenschaft erst durch die zahlreichen Keilschriftfunde ein umfassenderer Zugang zu der damaligen Kultur möglich ist. Die umfangreiche Darstellung der zeitgenössischen Textberichte erfolgt mit dem Ziel, die Authentizität des Gezeigten weiter zu erhöhen. Diese Auswahl geschah ungeachtet der Tatsache, dass über 99 % der Besucher kein einziges Wort der Keilschriftzeichen entziffern können. Die Art der Präsentation kann grundsätzlich als klassische Objektpräsentation bezeichnet werden, wenngleich Inszenierungen in diesem Museum bereits einen hohen Stellenwert hatten, lange bevor ein Diskurs über diesen Trend in Museen eingesetzt hat. Denn schon bei der Museumserrichtung wurden das Ishtar-Tor und die dazugehörige Prozessionsstraße großflächig rekonstruiert. Die monumentalen Bauten mit origina-

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http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/WillkommeninD/Kultur/Kultur. html (Zugriff am 20.04.2009).

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len Ziegelsteinen sollten eine authentische Atmosphäre herstellen. Auf multimediale Elemente wurde in diesem Ausstellungsbereich gänzlich verzichtet. Mythos Dieser Ausstellungsteil wurde von Mitarbeitern der Berliner Kunstbibliothek organisiert und in den Räumen der islamischen Abteilung des Pergamonmuseums aufgebaut. Zu sehen sind die ›anderen Wahrheiten‹, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben. Es geht dabei um die Vorstellungen, die sich Menschen in Europa vom altorientalischen Babylon gemacht haben und noch immer machen. Das grundsätzlich negative Image des ›Molochs Babylon‹ wird durch heterogene Bilder aufgezeigt, die durch vielfältige Medien transportiert werden. Allgegenwärtig ist dabei die Bedrohlichkeit der Großstadt, welche als ein immer wiederkehrendes Motiv zum Vorschein kommt. Man versucht in der Ausstellung zu zeigen, dass es gar nicht den einen Kern des Mythos gibt, sondern viele Elemente in einem großen Netzwerk, aus dem die Vorstellungen stammen. Daher beschränken sich die Darstellungen in der Sammlung nicht auf eine Rezeptionsepoche oder ein spezifisches Medium, sondern zeigen von Filmen über Gemälde bis hin zu unterschiedlichen Kunstinstallationen ein breites Spektrum der Mythen auf. »Wir selbst sind Babylon«, meint der Kurator Moritz Wullen (2008: 20), womit die Frage nach Authentizität in diesem Ausstellungsteil durch den Selbstbezug vielleicht eine Antwort gefunden hat. Resonanz Die ca. 3.000 Quadratmeter große Präsentation sahen im Ausstellungszeitraum von etwas mehr als einem Vierteljahr 560.000 Besucher,4 womit die angestrebte Marke von 300.000 Besuchern deutlich übertroffen und zeitweise die Grenze der Platzkapazität erreicht wurde. Die Sonderausstellung fand einen großen Widerhall in der Presse: Die Berichterstattung reichte von Erwähnungen in der Tagesschau über Radioreportagen bis hin zu Artikeln in regionalen und überregionalen Tageszeitungen. Oft wurden in einem positiven Grundton Informationen zur Ausstellung geliefert, selten gab es eine Wertung, die außerordentlich positiv oder negativ ausfiel. 4

http://www.smb.museum/smb/babylon/nachricht.php?ti_id=31174&lang= de (Zugriff am 27.04.09). Der Tagesdurchschnitt entspricht einer Besucherzahl, die von 50 % aller Museen in Deutschland noch nicht einmal im Jahresdurchschnitt erreicht wird.

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T u t an c h am u n : S e i n G r ab u n d d i e S c hä tz e In Zürich konnten sich die Besucher über Tutanchamun informieren.5 Die erste Besonderheit dieser Ausstellung besteht in der Wahl des Ausstellungsgebäudes, einer ehemaligen Joghurt-Abfüllhalle, dem Toni-Areal. Die Halle wurde allerdings im Innenbereich vollständig umgebaut, so dass schließlich über 4.000 m2 an Ausstellungsfläche genutzt werden konnten. Kulturhistorische Ausstellungen werden im Regelfall durch staatliche Stellen ausgerichtet, wobei entweder der Bund, das Land oder regionale Einrichtungen als Träger von Museen oder Ausstellungen fungieren. Bei der Tutanchamun-Ausstellung hingegen liegt der Sonderfall vor, dass die Ausstellung von einer Agentur veranstaltet wird, deren übliches Arbeitsfeld in der Organisation von Konzerten und Shows liegt.6 Konzept Unterhaltungselemente stehen bei dieser Ausstellung offenkundig im Vordergrund. Der Besucher nimmt die Rolle des Entdeckers ein, der diesen außerordentlichen Grabschatz im 20. Jahrhundert aufspürt. Die Ausstellungsbesucher werden nach einem einleitenden Teil mit Schautafeln und mehreren Filmsequenzen im nächsten Ausstellungsabschnitt in Gruppen aufgeteilt, um in einem Vorführungssaal einen eigens produzierten Film auf Großbildleinwand zu sehen. In diesen Film wurden Originalsequenzen aus den 1920er Jahren, in denen das Grab Tutanchamuns entdeckt wurde, eingearbeitet, wodurch eine Stimmung des ›live Dabeiseins‹ hervorgerufen wird. Nach dem Film gelangt die Besuchergruppe nacheinander zu drei teilrekonstruierten Räumen der Grabkammer Tutanchamuns, deren Original im ägyptischen Tal der Könige angelegt wurde. Dabei wird ein noch konkreteres Entdeckererlebnis geschaffen,7 weil eine chronologisch angelegte Szenographie in der grabdunklen Atmosphäre eine sehr reale Ersterlebnis-Stimmung erzeugt. Verstärkend wirkt der synchron zur kerzenhaften Spotbeleuchtung hörbare Audiotext, der teil5

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Die Ausstellung wurde zuerst in der Schweiz gezeigt, anschließend in Brno (Tschechien), danach in München und Hamburg sowie in weiteren deutschen und internationalen Städten. Die Wanderausstellung wird organisiert von Semmel Concerts mit Sitz in Bayreuth. Weitere Informationen unter www.semmel.de. Auf wenig aussagekräftige Schwarz-Weiß-Abbildungen wurde in diesem Beitrag verzichtet. Ich empfehle stattdessen einen Besuch der Webseite www.tut-ausstellung.com. Sie vermittelt wie Emotionen erzeugt werden und versetzt den Betrachter in die Entdeckerrolle.

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weise aus einem nachgesprochenen Originaltext des Ausgräbers Howard Carter besteht. Gerade die Präsentation des Ursprungszustandes der Grabkammer macht ein Alleinstellungsmerkmal dieser Ausstellung aus. Zwar werden Ausstellungen über Tutanchamun fast im Jahresrhythmus irgendwo in Europa gezeigt,8 noch nie jedoch konnte man den Zustand bei Graböffnung sehen. Viele Museumsfachleute fordern, Objekte in ihrem Kontext zu zeigen, nicht zuletzt, um den Eindruck von Echtheit und Authentizität zu bewahren (vgl. Wersig 1986: 85). Durch den Aufbau der Grabkammer zum Fundzeitpunkt wird – neben der Entdeckungsfreude (ebd.: 94) – genau diese authentische Atmosphäre geschaffen. Auf die Einführung, in der die Besucher gruppenweise in vorgegebenen Zeitabschnitten gewisse Attraktionen erleben können, folgt der Bereich der Ausstellung, in dem alle Objekte zu sehen sind. Dabei ist jeder Besucher wieder auf sich gestellt und kann seine Aufenthaltsdauer frei wählen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Sammlungen bringt diese Ausstellung den Besucher der damaligen Zeit insofern noch näher, als die Objekte zumeist nicht im verwitterten Zustand präsentiert werden, sondern im glänzenden Originalzustand der Herstellungszeit. Die Gäste der Sonderausstellung machen beim Besuch der Tutanchamun-Ausstellung folglich eine doppelte Zeitreise: Zum einen ins Jahr der Entdeckung des Grabes 1922 und zum anderen in die Regierungszeit Tutanchamuns, der im 14. Jahrhundert v. Chr. als Pharao regierte. Im Ausgangsbereich ausgelegte Tourismusprospekte eröffnen darüber hinaus noch die Möglichkeit, auf einer realen Ägyptenreise im 21. Jahrhundert ›authentische Originaleindrücke‹ zu sammeln. Das Ziel der Ausstellungsmacher ist ein ähnliches wie das der Babylon-Ausstellung: erstmals nicht nur einen Ausschnitt des Fundspektrums, sondern ein vollständiges Bild zu präsentieren. Normalerweise bilden Museen nie die ganze materielle Realität eines bestimmten Kontextes ab. Diese Einschränkung ist sowohl durch die Erhaltungsbedingungen als auch durch die begrenzte ausstellbare Objektanzahl gegeben, welche immer nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit aufzeigt. In Zürich allerdings stimmt der Inhalt der Ausstellung mit dem Titel Tutanchamun: Sein Grab und die Schätze auffallend überein, und man darf hier durchaus von einer realistischeren Darstellung eines Themas sprechen als bei vielen anderen Ausstellungen. 8

Die Tutanchamun-Ausstellung in London 1972 war die erste europäische Blockbuster-Ausstellung, seitdem gibt es immer wieder Sonderausstellungen über Tutanchamun. So wurde zeitgleich mit der Züricher Ausstellung 2008 im Kunsthistorischen Museum Wien Tutanchamun und die Welt der Pharaonen gezeigt.

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Original gleich authentisch? In der Regel leben Ausstellungen von der Aura des Authentischen, von dem gewissen Extra, das von einem Unikat und dessen Hersteller ausgeht. Die Tutanchamun-Ausstellung zeigt allerdings kein einziges Originalobjekt! Neben der rekonstruierten Grabkammer wurden über 1.000 Objekte, vom Ring bis zum Sarkophag, in Kairo im Originalmaßstab neu angefertigt. Bei dieser Ausstellung rückt statt des Originalobjekts der Gesamtzusammenhang in den Vordergrund, ohne dass die Kopien die Wirkung beeinträchtigen würden. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn gerade durch den Einsatz von Kopien ist es möglich, bisher Unmögliches zu zeigen. Die ursprüngliche und vollständige Anordnung der Grabbeigaben war bisher in keiner Ausstellung zu sehen. Ferner dürften bestimmte Originalobjekte – wie die berühmte Maske des Pharaos – aufgrund von unbezahlbaren Versicherungssummen9 oder aus konservatorischen Gründen Ägypten nie mehr verlassen. Trotz der Repliken kann der Besucher noch ein Gefühl für die handwerklichen Meisterleistungen bekommen, denn auf Detailgenauigkeit wurde bewusst Wert gelegt. Die Eventveranstalter haben die Originaltreue der Objekte von deutschen Ägyptologen überprüfen lassen. Wilfried Seipel, Direktor des Wiener Kunsthistorischen Museums, hat für die Replikate gar den Begriff »Originaldubletten« erfunden (Seipel 2008: 77). In den Katalogen und Pressemeldungen werden solche positive Stimmen von Fachleuten gezielt lanciert, was die Glaubwürdigkeit der Ausstellung erhöht und die ungewöhnliche Vorgehensweise legitimiert. Die Objektbeschriftungen in der Ausstellung weisen nicht die verwendeten Werkstoffe der Kopien aus, sondern die Originalmaterialien; so lauten die Schilder beispielsweise »Original aus vergoldetem Holz mit Einlegearbeiten aus Elfenbein und Ebenholz«. Eine besondere Nähe zu den Objekten wird durch den Verzicht auf Glasscheiben ermöglicht, was ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber herkömmlichen archäologischen Sammlungen ist. Petra und Gernot Wersig (1986: 18) haben die übliche »Einsperrung« der Objekte hinter Vitrinenscheiben mit einer »Aussperrung« der Besucher verbunden. Bei der Tutanchamun-Ausstellung hingegen werden die Besucher mit einer ungewohnten Abschaffung der Distanz zum Objekt zu konfrontiert.

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Die Versicherungssumme für die Maske liegt bei 6 Milliarden US-Dollar (Heinen 2008: 121).

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Katalog Der Katalog umfasst 132 Seiten und enthält zusätzlich eine Beilage, die speziell auf Zürich zugeschnitten ist. In der Beilage sind Werbeanzeigen zu finden – für Ausstellungskataloge bisher unüblich. Der Katalog zeigt zu Beginn Fotos, die man vielmehr in einer ethnologischen als einer archäologischen Publikation vermuten würde, da sie das heutige Ägypten in Bildern von Land und Leuten darstellen. Aufgrund der rezenten Fotos und Informationen schmilzt die immense Zeitdistanz zum 14. vorchristlichen Jahrhundert daher abermals zusammen. Eine überaus positive Stimmung wird erzeugt und kommt durch Überschriften wie »Das Land der Träume« oder »Haupt- und Märchenstadt Kairo« zum Ausdruck. Die Artikel wurden größtenteils von einem Autor und Reisejournalisten,10 teilweise auch von Ägyptologen geschrieben. Mehrere Seiten des Kataloges befassen sich mit der Fundsituation ab 1922, wobei zeitgenössische Fotos den überwiegenden Teil der Dokumentation ausmachen, was zur Authentizitätssteigerung beitragen dürfte. Auszüge aus dem Buch des Chefausgräbers Howard Carter von 1924 bieten dem Leser einen Report aus erster Hand und stellen damit eine der glaubwürdigsten Formen eines authentischen Berichts dar. Sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog erfolgt eine starke Personifizierung der Ausgrabungsgeschichte, was in der Archäologie in diesem Ausmaß eher selten der Fall ist. Nur bei Funden, die eine große mediale Aufmerksamkeit erlangen, kommt dies sonst gelegentlich vor. So wird Robert Koldewey als Babylon-Ausgräber in der Berliner Ausstellung ebenfalls hervorgehoben. Die Katalogbilder zeigen nicht alle Stücke, sondern nur eine geringe Auswahl, es ist sozusagen ein Best-of abgedruckt. Eine weitere Besonderheit des Kataloges sind die zahlreichen Fotos und Berichte über die Entstehung der Repliken und die Aufbauphase der Ausstellung. Mit dieser Dokumentation wird der immense Aufwand der Kopienherstellung deutlich geschildert, wodurch eine gewisse Authentizität der Repliken geschaffen wird. Der Katalog lässt den vorherigen Besucher der Ausstellung und jetzigen Leser wieder teilhaben – diesmal an der Herausforderung, solch eine Ausstellung auf die Beine zu stellen. Im hinteren Katalogteil findet sich dazu das Making-of, in dem die Arbeitsschritte seitens der Ausstellungsmacher beschrieben sind und die beteiligten Personen zu Wort kommen. So sind Artikel vom Szenographen, den Ausstellungsgraphikerinnen, der Fotografin, der Regisseurin der Ausstellungsfilme und ein Interview mit den wissenschaftlichen Beratern zu finden. Wiederum wird der ganz persönliche Zugang der beteiligten Personen geschildert. So ist beispiels-

10 Katalog-Redakteur und Autor der meisten Artikel ist Walter M. Weiss.

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weise zu lesen, wie die beauftragte Model-Fotografin mit dem Novum umging, leblose archäologische Objekte abzulichten. Die Initiatoren der Ausstellung haben auch bezüglich des Kataloges neue Schritte jenseits der klassischen Vorgehensweise gewählt und insgesamt auf mehreren Ebenen authentische Perspektiven geschaffen. Resonanz Die Tutanchamun-Ausstellung wurde in Zürich ein halbes Jahr gezeigt und von mehr als 250.000 Besuchern gesehen. Die Presse äußerte sich häufig positiv. Die Berner Tageszeitung Der Bund urteilte beispielsweise »wissenschaftlich überprüfte Authentizität, verblüffend qualitätvolle Repliken und anspruchsvolle Inszenierung« (Pfister 2008). Der Stadtpräsident von Zürich bezeichnete die Ausstellung als »von renommierten Ägyptologen auf seine Authentizität und Detailtreue überprüfte[s] Edutainment« (Ledergerber 2008: 3). Eine vermutete negative Kritik durch die Fachwelt scheint ausgeblieben zu sein. So schreibt Peter Blome, Direktor des Basler Antikenmuseums, zusammen mit dem Konservator der ägyptischen Abteilung, André Wiese, in der Katalogbeilage ein Vorwort. Dies zeigt, dass Fachvertreter diese Art von Ausstellung nicht per se boykottieren. Der Ägyptologe und Direktor der Universität Basel, Antonio Loprieno, äußerte sich positiv über die Ausstellung. Er sieht zudem einen Wandel von herkömmlichen Ausstellungen, die Erkenntnis vermitteln wollen, hin zu Ausstellungen, die Erfahrung ermöglichen (vgl. Lüscher 2008).

D ar s t e l l u n g s f o r m e n u n d i hr e A u s w i r k u n g e n Ausstellungsvergleich So ungleich die inhaltlichen Konzepte sind, so unterschiedlich sind die Orte der Ausstellungen: In Zürich eine Fabrikhalle, in der zuletzt Molkereiprodukte abgefüllt wurden, in Berlin ein altbekanntes Traditionshaus, welches Teil des Weltkulturerbes Museumsinsel ist. Norbert Sievers’ Frage, ob die klassischen Repräsentationsorte durch den Strukturwandel der kulturellen Öffentlichkeit weiterhin die traditionelle Relevanz besitzen (Sievers 2005: 25), erfährt hier neue Brisanz. Auch ein anderer ungewöhnlicher Vergleichsaspekt offenbart, dass zwei Extreme aufeinandertreffen: Der Umfang des Ausstellungskataloges. Der Züricher Katalog zeigt nur eine Auswahl der ausgestellten Objekte, die umfassende Berliner Publikation zum Bereich »Wahrheit« enthält mehr als 400 Abbildun-

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gen sowie eine Vielzahl von Artikeln, die den aktuellen Forschungsstand zu den verschiedensten Themen widerspiegeln. Die Seitenzahl des Berliner Katalogs der Gesamtausstellung ist nicht weniger als siebenmal umfangreicher und umfasst zudem ein ausführliches Quellenverzeichnis, welches beim Tutanchamun-Katalog sehr knapp gehalten und fast unauffindbar ist. Die Babylon-Ausstellung zeigt ein umfassendes Bild der damaligen Gesellschaft, die Tutanchamun-Ausstellung hingegen fokussiert den Herrschaftsbereich. Gemeinsam ist beiden Sonderausstellungen die Ansprache breiter Bevölkerungsschichten. Sowohl der Name ›Babylon‹ als auch ›Tutanchamun‹ stellen Topoi dar, welche bei sehr vielen Menschen Assoziationen hervorrufen, an die wiederum die Ausstellungen anknüpfen können. Während die Babylon-Ausstellung bewusst mit bekannten Klischees bricht, werden bei der Tutanchamun-Ausstellung bereits vorhandene Vorstellungen komplettiert und gefestigt. Bei der Konzentration auf die königliche Welt wird ein luxuriöses, Ehrfurcht erregendes Ambiente mit positiver Grundstimmung geschaffen, zu dem auch der tempelähnliche Eingangsbereich mit echten Schilfpflanzen beiträgt. Negative Aspekte werden weitgehend ausgeblendet. Gerade bei Erläuterungen zu den heutigen Ägyptern wird eine einseitige Klischeewelt gefestigt, was in Überschriften wie »Seelen voller Heiterkeit« zum Ausdruck kommt. Die Besucher können in dieser Ausstellung in eine Welt voller Faszination eintauchen, so wie es für Erlebniswelten üblich ist. Nach Michael Shanks und Christopher Tilley macht vor allem die Gegenwart der Vergangenheit die Anziehungskraft von Archäologie und Ausstellungen aus, auch wenn dies objektiv gesehen immer eine Illusion bleiben muss (Shanks/ Tilley 1987: 73ff). Gerade dieser Aspekt tritt bei der TutanchamunAusstellung explizit zu Tage, ja er wird sogar mehrfach inszeniert. Erlebnis und Authentizität Ich möchte an dieser Stelle noch einmal reflektierend auf Erlebnisse und deren Bedeutung in der Tutanchamun-Ausstellung eingehen, da diese Präsentationsform von kulturhistorischem Inhalt ungewöhnliche und innovative Elemente enthält. Erlebnis und Unterhaltung sind bereits in der Frühzeit der Museumsgeschichte typische Bestandteile, wurden aber nach und nach in den Hintergrund gedrängt, wie Hannah Bröckers aufzeigt (2007: 10ff.). Sie fordert, diese Aspekte wieder vermehrt einzusetzen, um neue Besucher anzuziehen und Stammkunden zu binden. Der Besucher sollte im Fokus der musealen Arbeit stehen (vgl. ebd.: 47; Wersig 1986: 75). Diese Nachfrageperspektive wurde bei der Tutanchamun-Ausstellung so ausdrücklich und ausschließlich umgesetzt wie

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wohl kaum zuvor, wohingegen in Berlin vorrangig diejenigen Gesichtspunkte dargestellt wurden, welche die Wissenschaftler als wichtig betrachten. Einige Forscher betonen, dass bei Events nicht nur der Intellekt, sondern alle Sinne angesprochen würden. Das »totale Erlebnis« sei sinnlich fassbar und körperlich spürbar, der »kalten« Rationalität der modernen Lebenswelt werde wieder »Gefühl«, »Wärme« und »Authentizität« eingehaucht (Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer 2000: 10f.). Diese Aussage trifft auf die Tutanchamun-Ausstellung zu, und durch die suggerierte Rolle des Besuchers als Protagonist wird der Authentizitätseffekt auf ein hohes Maß gesteigert. Erika Fischer-Lichte (2000: 23) führt an, dass sich eine »Erlebnis- und Spektakelkultur« gebildet habe, bei der die Wirklichkeit zunehmend als Inszenierung erlebt werde. Dabei könnten Inszenierungen trotz ihrer augenscheinlichen Simulation Effekte wie Wahrheit und Authentizität hervorbringen. Auch Jürgen Kagelmann schreibt, dass Künstliches und Natürliches nebeneinander existieren können. In der Postmoderne schließe das eine das andere nicht aus. »Wichtig ist: als ›echt‹, ›authentisch‹ gilt das, was die Menschen als solches betrachten« (Kagelmann 1998: 88), wobei das Künstliche gerade das Interessante sei. Gerhard Schulze (2005: VII) hebt hervor, dass es den Menschen nicht einfach um Spaß gehe, sondern um Faszination, Konzentration, Sinn, Gefühl und auch Authentizität. Letztere wird in beiden Ausstellungen geboten; Elemente wie Faszination und Gefühl werden verstärkt bei der Tutanchamun-Präsentation evoziert. Spaß oder Bildung? Haben die Besucher der Tutanchamun-Ausstellung ein Erlebnis gehabt und trotzdem etwas gelernt, ohne die verbrachte Zeit bewusst mit Bildung zu assoziieren? Paul Heinen, Ausstellungsinitiator und langjähriger Bauherr von Multiplexkinos, weist darauf hin, dass Themenausstellungen Brücken bauen könnten zwischen Museen und Freizeitparks. Sie könnten eine perfekte Art von edutainment bieten, da sie nicht an wissenschaftliche Lehraufträge gebunden seien (vgl. Heinen 2008: 121). Wie eine Studie zum Lernen in Erlebniswelten darlegt, erfolgt Lernen häufig zunächst informell, selbstgesteuert und vor allem in Gruppen, wobei Erlebnisse emotional aktivierte Erfahrungen sind (vgl. Schormann 2004: 102), die einen hohen Erinnerungswert haben und wiederum zum Weiterlernen stimulieren (vgl. Nahrstedt 2002: 92ff.). Kurt Grötsch (2008: 127) unterstreicht, dass Erlebnisse und Emotionen in Ausstellungen nicht nur die Erinnerungsfähigkeit erhöhen, sondern auch einen wichtigen Anreiz für einen wiederholten Ausstellungsbesuch bilden. Diese grundsätzlichen Aussagen bestätigt Elmar Ledergerber, Stadtpräsident von Zürich, bezüg-

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lich der Tutanchamun-Ausstellung: »Die Ausgestaltung als wissenschaftlich abgesichertes Edutainment wiederum liegt im erfolgreichen Trend, Kulturinteressierte gleichermaßen intellektuell wie emotional anzusprechen« (Ledergerber 2008: 3). Petra und Gernot Wersig heben ebenfalls hervor, dass Besucher durch subjektive Erfahrungen mehr lernen als durch objektive Abhandlungen (1986: 123). Die Tutanchamun-Ausstellung hat somit durch die Einteilung der Besucher in Gruppen und die Schaffung von Emotionen ein erhebliches Erinnerungs- und Lernpotential geschaffen. Eine intensive Diskussion11 über diese Art der Wissensvermittlung wäre wünschenswert,12 auch wenn die inhaltliche Ausblendung von kritisch zu hinterfragenden Gesichtspunkten keinen grundsätzlichen Vorbildcharakter für andere Ausstellungen haben sollte (vgl. Nahrstedt 2002: 382f.). Wer vermittelt Wissen? Inwieweit die Aufweichung der vorherrschenden Stellung der Wissensvermittlung durch Fachwissenschaftler und Museen in der Praxis sichtbar ist, kann gerade anhand der unterschiedlichen Ausstellungsmacher der beiden vorgestellten Sonderausstellungen debattiert werden: Wer darf Geschichte produzieren und wie darf man sie präsentieren? Bereits vor 20 Jahren wurden Forderungen nach einer Pluralität der Zugänge zu historischer Vergangenheit laut (vgl. Endrödi 1988: 124ff.; Shanks/Tilley 1987: 97ff.). Die Konsumentenseite dürfte sich mit dieser Frage eher marginal beschäftigen. Gerhard Schulze (2005: 450) und Birgit Mandel (2008: 75) betonen, dass es für den Nutzer von Kultur gleichgültig sei, ob das Angebot öffentlich oder privat finanziert sei. Die Grenze der ehemals getrennten Bereiche scheint mittlerweile tatsächlich aufgehoben zu sein – und damit auch die Monopolstellung der traditionellen Institutionen von Wissensvermittlung. Horst Opaschowski (1993: 23) diagnostiziert, dass die Freizeitindustrie eine Erlebnisindustrie geworden sei. Der Konzertveranstalter Semmel Concerts bietet den Besuchern mit der Tutanchamun-Ausstellung ein wesentlich größeres Erlebnis als es in traditionellen archäologischen Ausstellungen üblich ist, die von ausgebildeten Fachwissenschaftlern organisiert werden. Neben dem (Freizeit-)Erlebnis 11 Vor allem Events in traditionellen Museen wurden auf einem Workshop 2003 durchaus mutig thematisiert (Commandeur/Dennert 2004). 12 Allein aus finanziellen Gründen dürfte das Budget der TutanchamunAusstellung in Höhe von 5 Millionen Euro bei vielen Ausstellungshäusern unerreichbar und damit eine ähnliche Umsetzung utopisch sein, jedoch bleibt die Grundsatzfrage der Schaffung von Erlebnis und Emotion davon unberührt.

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wird jedoch auch Wissen vermittelt. Mit dieser Erlebnisausstellung wird die kontroverse Frage, ob eine Ausstellung oder ein Museum als Freizeiteinrichtung fungieren darf und gleichzeitig einen Bildungsanspruch einlöst, neu entfacht.13

Fazit Die Erlebnisorientierung, die Gerhard Schulze anhand einer Mitte der 1980er Jahre durchgeführten Studie als Grundtendenz der (west-)deutschen Gesellschaft konstatierte (Schulze 2005), wurde von den Ausstellungsmachern der Tutanchamun-Ausstellung in den Mittelpunkt gestellt. Die Zwischenüberschrift zum eigentlichen Ausstellungskatalog bringt dies auf den Punkt, denn diese heißt nicht »Die Ausstellung zu dem Bestattungsereignis« oder »Die Ausstellung zu dem Ausgrabungsereignis«, sondern der Titel lautet Das Ereignis – Die Ausstellung. Diese Konzeption und Konstruktion einer Ausstellung erschüttert meines Erachtens die Grundfesten der Museumslandschaft! Die Messlatte in Sachen Erlebnis und Emotionalität wurde sehr hoch gelegt und dürfte den traditionellen Museen erheblich zu schaffen machen – gerade im Hinblick darauf, dass ein solcher Erfolg vermutlich noch Nachfolgeprojekte mit sich bringen wird. Auch wenn Erfahrungen und Bewertungen von Erlebnissen und Authentizität sehr subjektiv sind, lässt sich sowohl eine Tendenz hin zur Erlebnisfokussierung als auch zur Veränderung von Authentizitätsmerkmalen ausmachen. Der Museumsexperte Hartmut John bemängelt, dass Museen oft Trends hinterhergelaufen seien, die andere gesetzt hätten. Stattdessen sollten sie selbst Trendsetter sein und neue Bedürfnisse wecken und sogar Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten verändern (vgl. John 2008: 21). Letzteres haben die Ausstellungsmacher der Tutanchamun-Ausstellung getan, aber es waren nicht die Museen, sondern private Initiatoren, die dies bewerkstelligt haben. Hannah Bröckers warnt zu Recht vor dem nachteiligen Effekt, dass eine »Erlebnis-Spirale« in Gang gesetzt werde, durch welche die Besucher nach immer neuen Steigerungen verlangen (Bröckers 2007: 31; vgl. Kemper 2001: 194). Allerdings betont beispielsweise Kurt Grötsch, dass sich einmal veränderte Wahrnehmungsstandards nicht wieder zum alten Level zurückbewegen (vgl. Grötsch 2008: 116). Trotz des Erfolges der Babylon-Ausstellung mit ihrer eher herkömmlichen Darstellungsweise plädiere ich für eine umgehende und aktive Auseinandersetzung mit der Erlebnis-Thematik, »bevor die Umstände das Handeln diktieren« (Heinrichs 1997: 20).

13 Siehe hierzu Bröckers 2007.

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WEISS ZWAR, DASS ES KEIN

O R I G I N AL

SEIN

MUSS, ABER DENNOCH

…«: F E T I S C H I S T I S C H E G R U N D L AG E N DE R A U T H E N T I Z I T Ä T M U S E A L E R O B J EK T E HENJE RICHTER

Die Struktur von Authentizität im kulturhistorischen Museum weist bestimmte Analogien zu einem Phänomen auf, das aus verschiedensten Perspektiven als Fetischismus in den Blick genommen wurde. In diesem Aufsatz soll die Möglichkeit skizziert werden, über Fetischtheorien die paradoxe Inszenierung von Objekten als »authentisch« aufzuzeigen und die Bedeutung dieser kulturellen Formation für das Museum zu belegen. Übergeordnetes Ziel ist es dabei, die im Gegensatz zu den gut erforschten ›Repräsentationstechniken‹ des Museums bisher wenig geklärten ›Präsenztechniken‹ zu erhellen und so einen Beitrag zur Kulturtheorie des Museums zu leisten. Die von Mannoni geprägte Formel des Fetischisten »Je sais bien, mais quand même…« (vgl. Mannoni 1969) dient hierbei als roter Faden der Argumentation. In ihr wird der ambivalente Vorgang der Negation eines Glaubens und seiner gleichzeitigen Erhaltung plastisch zu Wort gebracht. Der fetischistische Blickwinkel ermöglicht es dabei, die geheimnisvollen und unglaublichen Aspekte alltäglicher und für selbstverständlich genommener kultureller Handlungen zu entdecken.1

Museale Authentizität Es gilt als selbstverständlich, dass das Museum ein Ort der Dinge ist, dass hier viel Geld und Aufwand in ihre Aufbewahrung, Konservierung und Restauration investiert wird und Menschen kommen (und oftmals zahlen), um sie sich anzuschauen. Die Versicherungssummen, die von den Museen gezahlt werden müssen, machen den ›Wert‹ des Originalen 1

Die hier vorgestellten Konzepte und Hypothesen werden im Rahmen meiner Dissertation über Authentizität im kulturhistorischen Museum umfassend analysiert.

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sogar ökonomisch sichtbar. Andererseits steht man dem authentischen Objekt auch kritisch gegenüber. Der Lerneffekt, so der Einwand, sei bei einer Reproduktion der gleiche, der Informationsgehalt fast identisch. Bei Kunstwerken trifft man auf diese Haltung selten, allenfalls bei der Diskussion der ›perfekten‹ Fälschung, bei historisch interessanten Objekten hingegen des Öfteren. Man glaubt zu wissen, dass die Erhabenheit dieser Exponate nur ein Effekt ist, hervorgerufen durch Inszenierung und Autorität, und vermutet hier zerstreuendes Spektakel oder gar verführerische Propaganda. Doch wie kommt es, dass Kuratoren wie Besucher dem ›echten Ding‹ im Museum einen so hohen Stellenwert beimessen? Tatsächlich hat die eine Haltung der anderen keinen Abbruch getan, beide existieren nebeneinander, oftmals ambivalent in ein und derselben Person.2 Denn ›da‹ ist etwas, das schwer zu fassen und noch schwerer zu erklären ist. Ein glänzender Pokal, ein uralter Löffel oder ein mit Zahnabdrücken übersäter Beißstab – Objekte, die Gefühle auslösen, wie sie in der Rezension zu einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin beschrieben werden: »Schaudernd steht der Betrachter vor diesem Requisit und seinen Spuren, in denen sich die inständigsten Momente so vieler fremder Leben eingetragen haben. Man würde gerne hinlangen, ehrfürchtig wie es sich für ein Heiligtum geziemt, um zu probieren, ob sich der unfasslich starke Strom, der hier hindurchgegangen ist, wenigstens als ein schwaches Summen fühlen lässt« (Müller 2007: 11).

Was ist es, das der Rezensent hier spürt? Was macht die ›Magie‹ des Objektes aus und was den Wert dieser Erfahrung? Und vor allem: Wie kann das alles noch funktionieren, wo wir den Trug, die Inszeniertheit des Ganzen, doch schon durchschaut haben? Diese paradoxe Haltung zum Authentischen ist es, die im vorliegenden Beitrag aufgezeigt werden soll: Man weiß zwar, aber dennoch… Die Diskussion um Authentizität im Museum wird immer noch von einem Aufsatz dominiert, der vor bald zwanzig Jahren erschienen ist. Genauer gesagt sind es nur wenige Sätze, in denen Crew und Sims kurz und knapp zusammenfassen, was bis heute in der kritischen Museologie gilt: »Authenticity is not about factuality or reality. It is about authority.

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Vgl. etwa die beiden letzten Thesen eines Plädoyers von Stephan Waetzold, von 1965 bis 1983 Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz: »Der bildungsbürgerliche Hochmut gegenüber der Kopie muß abgebaut werden, um das unverzichtbare Informations-Medium der kunst- und kulturgeschichtlichen Ausstellung zu erhalten«; und: »Ich glaube an die Unverwechselbarkeit, an die Unersetzlichkeit, an die Einzigartigkeit des Originals« (Waetzoldt 1979: 32).

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Objects have no authority; people do« (1991: 163). In diesem Zitat lässt sich der problematische Status des Authentischen im Museum erkennen, welcher den Objekten nicht länger inhärent ist, sondern ihnen von den Experten zugewiesen wird. Die Feststellung ist auf der faktischen Ebene durchaus leicht als richtig zu erkennen, führt allerdings den aufklärerischen Vorwurf des Betrugs mit sich: Dem Besucher werde vorgetäuscht, dass das Objekt direkt zu ihm spreche; tatsächlich sei es jedoch der Kurator, der durch das Objekt etwas mitteile. Crew und Sims leiten ihre zu dieser Aussage führenden Überlegungen etymologisch aus der Verbindung des Begriffes ›Authentizität/authentisch‹ mit dem der ›Autorschaft‹ ab. Die maßgebliche Erweiterung zur ›Autorität‹ ist die aus dem Griechischen über das Lateinische bis ins 19. Jahrhundert vorherrschende und auch bewusste Herkunft von ›Authentizität‹ (vgl. Knaller 2006: 18f.). Insbesondere seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich das Konzept von Authentizität jedoch nochmals grundlegend verändert. Mit der von Adorno in seiner Abhandlung »Jargon der Eigentlichkeit« (1965) kritisierten, unter anderem bei Heidegger zu beobachtenden ontologischen Verschiebung des Begriffes tritt eine bedeutende Veränderung ein.3 Nach einem metaphorischen Sprung liegt die Bedeutung des Worts von nun an in der Nähe von »wahrhaftig, eigentlich, unvermittelt, unverstellt, unverfälscht« (Knaller/Müller 2005: 43). Diese Veränderung wird von Crew und Sims hier mit dem Vorwurf kritisiert, man verwechsle die autoritäre Authentizitätsbehauptung mit der Realität. Von anderer Seite wurde dies jedoch auch positiv bewertet. Über Kunstwerke schreibt Greenblatt: »Modern art museums reflect a profound transformation of the experience: […] the heart of the mystery lies with the uniqueness, authenticity, and visual power of the masterpiece, ideally displayed in such a way as to heighten its charisma, to compel and reward the intensity of the viewers gaze, to manifest artistic genius. […] the object in its essence seems not to be a possession but rather to be itself the possessor of what is most valuable and enduring. What the work possesses is the power to arouse wonder, and that power, in the dominant aesthetic ideology of the West, has been infused into it by the creative genius of the artist« (1991: 51f.).

Auch wenn seine Einteilung in Objekte der »resonance« und jene des »wonder« nur mühsam auf kulturhistorische Objekte zu übertragen ist,

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Heidegger verwendet den Begriff »Eigentlichkeit« anstelle von »Authentizität«. Die inhaltliche Nähe wird jedoch u.a. dadurch belegt, dass »Eigentlichkeit« in der englischen Fassung etwa von Sein und Zeit (2009 [1927]; engl. 1962) durchweg mit ›authenticity‹ übersetzt wurde.

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wird die fetischistische Spur in Greenblatts Formulierungen deutlich. Die künstlerische Genialität ist über die Berührung des Künstlers in das Kunstwerk eingegangen (»infused«) und scheint dieses dadurch selbst zu besitzen (»seems to be the possessor«), ist jedoch erst über die Inszenierung im Kunstwerk präsent (»displayed to manifest«). Das Kunstwerk ist der Fetisch für die überzeitliche menschliche Kreativität, die in es eingegangen ist. An anderer Stelle spricht Greenblatt auch von »marks of the human touch« und »the imprint of the human body in the artifact« (1991: 44f.). Der gleichen Linie folgend hat Hoffmann hervorgehoben, dass »in der ›zweiten Moderne‹ die Aura des authentischen Gegenstandes rekonstruiert« werde, dass der Historiker die Objekte mit dem Authentizitätsbegriff sakralisiere und so die Wirklichkeit des Vergangenen »beschwöre« (Hoffmann 2000: 171ff.). Dass hier etwas Magisches über Fetische evoziert werden soll, legt Hoffmanns Wortwahl genauso nahe wie die von Gumbrecht in seiner Präsentifikationstheorie,4 in der er vorschlägt, mit Hilfe bestimmter Techniken »die Vergangenheit heraufzubeschwören«, »mit den Toten zu ›sprechen‹ oder die Gegenstände ihrer Welt zu ›berühren‹« (Gumbrecht 2004: 144f.). Im Gegensatz zur Repräsentation, die inzwischen zum Gemeinplatz geworden ist, ist dieser gesamte Bereich der Objekteigenschaften im Museum noch längst nicht umfassend erforscht worden. Letztlich könnte sich die Kategorie der Präsenztechnik als Herstellung der ›Anwesenheit‹ (von etwas) herausstellen, in Abgrenzung zur gängigen Theorie der Repräsentation als Repräsentation von etwas ›Abwesendem‹. Das Objekt repräsentiert nur sich selbst oder zumindest auch sich selbst. Im modernen Authentizitätsdiskurs treffen also zwei gegensätzliche Bedingungen aufeinander: Zum einen »die Idee eines unmittelbaren, d.h. darstellungsfreien Bezugs zwischen ›Ich‹ und ›Welt‹« (Strub 1997: 9ff.), die in der Begrifflichkeit der Eigentlichkeit mündet; und zum anderen die in der Moderne zunehmend akzeptierte »Notwendigkeit von Darstellung bei jeder Thematisierung von Darstellungsunabhängigem« (ebd.: 8), derzufolge es nichts Unmittelbares, Darstellungsunabhängiges mehr geben kann. Diese paradoxe Lage wird durch das aktuelle Konzept von Authentizität nicht gelöst, sie wird jedoch in einer Kurzschlussreaktion ›entparadoxisiert‹ und somit aushaltbar: Die authentische Darstellung präsentiert »das Dargestellte durch die Darstellung als nicht Dargestelltes« 4

In der Präsentifikationstheorie skizziert Gumbrecht eine Erkenntnistheorie jenseits – oder wie er schreibt: diesseits – der Begrifflichkeit und Sinngebung durch Sprache. Im historischen Museum wäre dies die Vergegenwärtigung der Vergangenheit durch das ästhetische Erleben der Präsenz der überlieferten Objekte »als befänden sie sich in unserer eigenen Welt« (Gumbrecht 2004: 146).

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(Strub 1997: 9; vgl. auch Knaller/Müller 2006: 10).5 Im Laufe der Erweiterung des Bedeutungsspektrums wird die Authentizität also vermeintlich tatsächlich im Objekt gesucht. Und diese scheinbar so einfache kulturelle Annahme führt uns zum Kern des Problems. Denn es ist kein Zufall, dass die Begriffsverwendung der Authentizität meist nicht kritisch reflektiert wurde und anscheinend allzu oft davon ausgegangen wird, dass sich Authentizität von selbst erklärt. Es liegt hier eines der Phänomene vor, die der französische Psychoanalytiker Mannoni folgendermaßen beschreibt: »Un ordre de faits qui nous échappent facilement sous des formes familières et banales« (1969: 12).6 Der diesen Phänomenen zugrunde liegende Vorgang der Verleugnung hält sie verborgen, und erst die Betrachtung unter fetischtheoretischer Perspektive legt ihre erstaunliche Form offen.

Elemente einer weiten Fetischtheorie Der Fetischbegriff ist, von der Ethnologie kommend, insbesondere in Marxismus und Psychoanalyse zum Einsatz gekommen. Es wurde zu Recht angemerkt, dass er hierbei metaphorisch übertragen wurde (vgl. Pontalis 1972a: 17-19) und somit nicht als identisches Phänomen verstanden werden sollte, sondern als Entdeckung einer Ähnlichkeit. Allgemein wurde dann von einem Fetisch gesprochen, wenn die Illusion, ein Objekt selbst verkörpere das von ihm doch bloß Repräsentierte, enthüllt werden sollte. Seinen Ursprung hat das Wort in der von christlichen Missionaren bei westafrikanischen Kulturen kritisierten Aufladung von Gegenständen mit göttlicher Macht, einer Form der Idolatrie. Wenn Marx oder auch Freud den Fetischbegriff verwenden, dann übernehmen sie nicht alle von den Ethnologen festgestellten und im Übrigen auch sehr heterogenen Beobachtungen zu afrikanischen Stammesreligionen oder der Magie, sondern greifen bestimmte Merkmale oder Verhaltensweisen auf, um analoge Phänomene »bestimmter qualitativ neuer, weitgehend unbegriffener und ihrerseits durch einen hohen Grad an Irrationalität gekennzeichneter Verhaltensweisen, sozialer Normen und Einstellungen« (Kohl 1983: 74) in modernen westlichen Gesellschaften zu untersuchen. Der Fetischbegriff wurde in verschiedenen Disziplinen zwar durchaus 5

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Aus verschiedenen Perspektiven kann man dieses Paradox als vermittelte Unmittelbarkeit, als Medium der Nichtmedialität oder als Zeichen: NichtZeichen betrachten. Für eine Diskussion dieser Perspektiven vgl. Berg/Hügel/Kunzenberger (1997), Gumbrecht (1999), Fischer-Lichte/Pflug (2007). »Eine Klasse von Sachverhalten, die in ihren vertrauten und alltäglichen Erscheinungsformen unserer Aufmerksamkeit leicht entgehen« (Übersetzung H.R.).

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unterschiedlich genutzt, doch besitzt er einen metaphorischen Kern, durch welchen der Begriff überhaupt für so viele Wissenschaftler interessant wurde: Der Fetischist unterliegt einer Illusion, einer Täuschung, einer Verleugnung. Er glaubt an etwas, das nicht sein kann. »An wen könnte man sich wenden, um eine Definition des Fetischismus zu erhalten, die alle verschiedenen Verwendungen dieses Wortes koordiniere? […] Für Freud verleugnet der Fetisch – ›Ersatz für den Phallus des Weibes‹ – eine Abwesenheit; für Marx verleugnet er eine Realität, nämlich die einer gesellschaftlichen Beziehung, die man verdinglicht, damit nichts angefochten werden kann; für Hegel dagegen verleiht er dem Menschen eine wenn auch ›eingebildete‹ und willkürliche Macht über die Natur; für Comte glaubten die ›Primitiven‹ an Fetische, weil sie ›eine innige Beziehung zwischen der Welt und dem Menschen‹ postulierten, ein Postulat, das in der Form, in der sie es sich vorstellten, zweifellos illusorisch, aber dennoch positiv war, denn es zog den ›Menschengeist aus seinem tierischen Stumpfsinn‹ und begünstigte ›den ersten Aufschwung der menschlichen Tätigkeit‹« (Pouillon 1972: 196, Hervorhebungen H.R.).

Die Psychoanalyse geht sogar noch weiter und sieht im Fetischismus eine Selbsttäuschung, hervorgerufen durch eine »Ich-Spaltung im Abwehrvorgang« (vgl. Freud 1972a).7 Mannoni hat dieses Prinzip in der Formel »Je sais bien, mais quand même …« (1969) vom Sexuellen und Pathologischen auf alltägliche und kulturelle Phänomene erweitert. Er analysiert mit der Freudschen Fetischtheorie unterschiedlichste soziale Handlungen, von rituellen Maskenbräuchen über den ›Glauben an den Weihnachtsmann‹ bis zu den Abenteuern des Casanova.8 Allgemein wird von Mannoni gefragt, wie ein Glaube zugleich aufgegeben und beibehalten werden kann (vgl. ebd.: 11). Der Fetischismus wird durch diese Weitung des

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Dieser Abwehrvorgang wird nach Freud ausgelöst, wenn der Knabe zum ersten Mal realisiert, dass Frauen keinen Penis besitzen. Die hieraus abgeleitete Kastrationsdrohung führt zu einer Ich-Spaltung, die es dem Jungen ermöglicht, anzuerkennen, dass die Frau keinen Penis habe, und gleichzeitig den Glauben an den weiblichen Penisbesitz aufrechtzuerhalten (vgl. Freud 1972b). Stellvertretend für andere Phänomene soll hier der uns so nahe und deshalb in seiner Aufdeckung so humoristische ›Glaube an den Weihnachtsmann‹ kurz vorgestellt werden: In diesem wird den Kindern (als Äquivalent zu klassischen Fetischen) der Glaube an den Weihnachtsmann unterstellt. Die Erwachsenen können trotz des unleugbaren Wissens um die Nichtexistenz des Weihnachtsmannes ihren Glauben an ihn durch diese Unterstellung aufrechterhalten. Die Kinder glauben für sie an ihn, oder anders: Die Erwachsenen ›objektivieren‹ ihren Glauben in ihren Kindern.

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Untersuchungsrahmens letztendlich vom materiellen Fetisch gelöst und als Phänomen der Verleugnung analysiert. Er ist in dieser Tradition als kulturelle oder psychische Struktur in alltäglichen Handlungen beobachtbar; dies ermöglicht auch, ihn kulturwissenschaftlich umfassend anzuwenden. Der Begriff des Fetischismus wurde im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Museumstheorie bisher noch nicht systematisch untersucht. Er diente meist als rein pejoratives Schlagwort oder als Aufhänger eines Arguments.9 Allenfalls in der Auffassung des Museumsobjekts als Reliquie wurde von Karl Josef Pazzini (1989) über den Umweg Pierre Fédidas (1972) auf die Fetischtheorien Freuds zurückgegriffen: Die Kastrationsdrohung wird hier auf den Tod übertragen. Eine kürzlich erschienene kulturtheoretische Arbeit zur Fetischtheorie umfasste zwar auch eine museologische Untersuchung; als Unterkapitel eines größeren Unternehmens blieb sie allerdings gerade in diesem Bereich nur auf Ansätze beschränkt (Böhme 2006). Es ist trotzdem das Verdienst der aus den Kulturwissenschaften kommenden Bemühungen, den Fetischbegriff moralisch neutral zu betrachten und die Fetischtheorie als Erkenntniskonzept neu zu entdecken. Drei wichtige Parallelen zu benachbarten Konzepten sind fruchtbar zum Verständnis des Fetischismus und weisen Erkenntnismöglichkeiten für die Authentizität musealer Objekte auf: die Theorie des Spiels nach Huizinga, die Idee der Übergangsobjekte nach Winnicott sowie die Magietheorie von Mauss. So weist die Fetischtheorie nicht nur in ihrer umfassenden kulturtheoretischen Anwendbarkeit Parallelen zum Konzept des Spiels auf, wie es von Huizinga (2004) entworfen wurde. Hartmut Böhme beschreibt dies folgendermaßen: »Immer hat es [das fetischistische Geschehen] einen spielerischen Charakter und zeigt, dass noch im Umgang mit dem Tragischen der Mensch ein homo ludens bleibt […]. Der Fetischismus hat den Hang zum augenzwinkernden Tunals-ob, zu Verkleidungen, Maskeraden, Scharaden. […] Der Fetischist in der Freud’schen Version weiß, dass er spielt und dass das, was er spielt, nicht wirklich ist, sondern ein Schein, dem er glaubt und nicht glaubt, den er dirigiert und dem er gehorcht, dem er leidenschaftlich erliegt und der doch nur Surrogat ist« (Böhme 2006: 409f.).

Der Spieler weiß also, dass er spielt, verdrängt dieses Wissen jedoch gleichzeitig, so dass er völlig im Spiel aufgehen kann. Dabei wurde auch

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Beispiele hierfür sind u.a. Peter Gathercole, »The fetishism of artefacts, I suggest, exists when they are assumed to be what they are not« (1989: 74), oder auch Bernd Hey, der von einem »Sterile[n] Bestandfetischismus« spricht (1993: 193).

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angemerkt, dass erst dieses »bessere Wissen« die Entspannung bewirkt (vgl. Pfaller 2002: 113-118). Der Spieler weiß zwar beispielsweise, dass es nur ein Fußballspiel ist, aber dennoch brüllt er vor Freude oder weint aus Enttäuschung – und so oft auch der Zuschauer. Es ist für ihn freudigaffektvoller ›heiliger Ernst‹. Für einen Außenstehenden, den hypothetischen ›Außerirdischen‹, ergäbe ein Fußballspiel wohl keinerlei Sinn. Denn ein Geheimnis umgibt sowohl den Fetisch (vgl. Erckenbrecht 1976) wie auch das Spiel bei Huizinga, doch ist es dabei nach Pfaller »ein Geheimnis, das oft das Geheimnis aller ist; als etwas Verborgenes, das nur für völlig unbestimmt bleibende andere verborgen ist; als eine Unkenntnis ohne Träger« (2002: 111). Auf das Museum übertragen schließt sich hier die Hypothese an, ob die ›geheiligten‹ Originale und ihre mit Akribie, Ernst und Aufwand betriebene Erhaltung nicht gerade deshalb einen solchen Stellenwert aufweisen, da alle kulturell Eingeweihten um ihre Erkenntnislosigkeit wissen. Der durch dieses Spiel gewonnene Lustgewinn und die durch die Eingeweihtheit gegründete Kulturgemeinschaft wären folglich für die kulturelle Funktion des Museums grundlegender als Wissensvermittlung oder Erziehung. Ein Gemeinschaft stiftendes Element stellte auch Winnicott heraus, als er in den 1950er Jahren das Phänomen der kleinkindlichen ›Übergangsobjekte‹ entdeckte. Diese sind willkürliche Dinge wie Deckenzipfel, Waschanleitungen an Kleidungstücken, Ohren von Kuscheltieren oder ähnliches, die von dem Kleinkind zwischen Hand und Mund gehalten werden und die sich dadurch auszeichnen, dass sie »nicht Teil des kindlichen Körpers sind, aber noch nicht völlig als zur Außenwelt gehörig erkannt werden« (Winnicott 1969: 668). Unabhängig vom psychischen Mechanismus ausgeführt, der diese ambivalente Position ermöglicht, ist hier Winnicotts Annahme bemerkenswert, dass das »Wesen der Illusion, die dem Kleinkind zugebilligt wird« einen großen Anteil an Kunst und Religion hat und allgemeine Ursache der menschlichen Gruppenbildung ist: »Was wir teilen können, ist die Achtung für das illusionäre Erlebnis, und wir können uns, wenn wir wollen, auf der Basis der Ähnlichkeit unserer illusionären Erlebnisse zu Gruppen zusammenfinden« (ebd.). Das illusionäre Erlebnis als soziales Phänomen ist für ihn also eine Grundlage der Kultur. An zwei weiteren Stellen gibt Winnicotts Theorie entscheidende Anhaltspunkte für Fetischismus und das authentische Objekt im Museum: Erstens in der Frage nach dem psychischen Sinn von Fetischisierung, den Winnicott darin sieht, mit dem Druck umgehen zu lernen, den die äußere auf die innere Realität ausübt, indem es einen Puffer, einen »Zwischenbereich« einrichtet:

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»Einen Erwachsenen, der uns zumutet, seine subjektiven Phänomene für objektiv zu nehmen, halten wir für geistesgestört. Gelingt es ihm aber, seinen Zwischenbereich ohne eine solche Zumutung zu genießen, dann können auch wir unsere eigenen Zwischenbereiche zur Kenntnis nehmen und uns freuen, wenn wir Überschneidungen entdecken; dies sind die gemeinsamen Erfahrungen mehrerer Mitglieder einer Gruppe auf den Gebieten der Kunst, der Religion und der Philosophie« (ebd.: 680).

Zum zweiten kann bei Übergangsobjekten nicht entschieden werden, ob sie erstellt oder schon so vorgefunden wurden. »Wir werden [dem Kind] nie die Frage stellen: ›Hast du dir das ausgedacht, oder ist es von außen an dich herangebracht worden?‹ Wichtig ist, dass eine Entscheidung in dieser Angelegenheit nicht erwartet wird. Die Frage taucht gar nicht erst auf« (ebd.: 679). Mit Blick auf Authentizität im Museum ist es vielleicht auch gerade diese Nicht-Infragestellung, die eine der wichtigsten Funktionen ebendieser darstellt. Die von Kritikern der Objektauthentizität wie Crew und Sims vorgenommene Verschiebung der Authentizität von den Dingen zu den Autoritäten, respektive Kuratoren und Besuchern, wäre demnach weder zurückweisbar noch zu bestätigen. Es wäre vielmehr eine Leistung der Authentizität/Authentizitätsbehauptung, genau diese Ambivalenz zugunsten eines Raums der Freiheit zu produzieren und die Frage, ob die Authentizität im Objekt liege oder erst im Museum auf diese projiziert werde, als unzumutbar zu deklarieren. Das Museum böte in der Authentizität der Objekte »einen neutralen Erfahrungsbereich, der nicht mehr in Frage gestellt wird« (ebd.). Eine weitere (dritte) Verbindung ist vom Fetisch zur Magie herzustellen. Die von Mannoni gemachte Unterscheidung zwischen ›foi‹ (Bekenntnisglaube) und ›croyance‹ (Aberglaube) weist an dieser Stelle den Weg (1969: 14).10 Das erstere ist für ihn dann gegeben, wenn ein Bekenntnis zum eigenen Glauben vorliegt (›Ich glaube‹). Die verdrängte Verschiebung des Glaubens auf andere ist der Aberglaube, geäußert in obiger Verleugnungsformel (›Ich weiß zwar, aber dennoch…‹). Bei der Gründung des Monotheismus konnten die Juden nach Mannoni so beispielsweise die Existenz der anderen Götter leugnen und sie zugleich erhalten, indem sie den Glauben an sie auf andere Menschen verschoben.11 »Wir glauben nicht, aber handeln so, als glaubten wir, und glauben da-

10 Zur Problematik der Übersetzung dieser Begriffe ins Deutsche siehe Pfaller (2002: 58f.). Ins Englische wurden sie von G. M. Goshgarian als »faith« und »belief« übersetzt (Mannoni 2003). 11 »Il suffit de lire la Bible pour voir que les Juifs croyaient en l’existence de tous les dieux – ils leur faisaient même la guerre. Mais ils ne gardaient leur foi qu’à un seul« (Mannoni 1969: 14).

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durch, ohne zu glauben« (Böhme 2006: 16). Hier könnte man eine (analytische) Trennung von Sakralem und Magischen vornehmen, in dem Sinne, dass dieses ein Bekenntnis beinhaltet, jenes eine Verleugnung. Auf die aufklärerische Frage, wie jemand denn nur an die Tricksereien der Magier und Voodoo-Priester glauben könne, wäre dann zu antworten: Es glaubt niemand aufrichtig daran, es sind immer die Anderen, die der Illusion unterliegen, und dennoch müssen die Magier handeln, als würden sie glauben (vgl. Pfaller 2002: 293).12 Diese Magietheorie ist so eng mit der Fetischismusformel Mannonis verbunden, dass man sie als identische Phänomene verstehen kann. Der Magier weiß nach Marcel Mauss zwar um den Betrug, um die Scharlatanerie, denn er führt sie ja selbst aus (1978: 129f.). Er bekennt sich deshalb auch nicht zu seiner Magie als Glauben. Aber dennoch kommt er nicht umhin, den anderen Magiern ebenso zu folgen wie die vermeintlich unwissend Bezauberten, die aber natürlich auch ihre eigenen wissenden Magier sind. Aufs Museum übertragen hieße die Frage entsprechend: »Wie kann man nur an die Aura der authentischen Objekte glauben?« und sie ließe sich analog dazu beantworten, dass tatsächlich niemand aufrichtig daran glaubt, dass diese Aura existiert. In der geteilten Annahme des Glaubens der Anderen jedoch werden diese Objekte trotzdem sozial wirkmächtig. Der Glaube an die magische Aura der musealen Objekte ist somit gewissermaßen vergesellschaftet und nur indirekt existent: Niemand glaubt, doch alle glauben, dass geglaubt wird, dass ›man‹ glaubt, und handeln, als würden sie glauben.13 Es könnte sich lohnen, in einer historischen Perspektive zu untersuchen, ob sich in diesem Sinne eine Bewegung von einem sakralen zu einem fetischistischen Objektgebrauch im Museum nachvollziehen, ob sich also ein Wechsel von einem aufrichtigen zu einem distanzierten Objektgebrauch nachweisen lässt. Denn wenn diese Bewegung und die Veränderung des Konzepts von Authentizität seit Beginn des 20. Jahrhunderts Parallelen aufweisen, so dass die heutige, paradoxe Struktur der Authentizität mit derjenigen übereinstimmt, die von psychoanalytischer Seite dem Fetischismus zugeschrieben wurde, dann würde dies die allgemein akzeptierte These differenzieren, dass die Aura des Objekts im 12 »Zahlreiche Personen zum Beispiel, die die Frage, ob sie an Voodoo glaubten, sofort entschieden verneinen, würden sich dennoch weigern, einer Abbildung der eigenen Mutter ein Auge auszustechen. Alle Alltagsmagier sind in diesem Sinn ›Zauberlehrlinge‹, wie von Goethe dargestellt; sie zaubern mehr, als sie wollen« (Pfaller 2002: 293). 13 »Personne n’y croit – et tout le monde. Comme si nous vivions dans un milieu où flottent ainsi des croyances qu’en apparence personne n’assume. On y croit« (Mannoni 1969: 19).

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heutigen Museum aus dem Sakralen stamme (vgl. Kohl 2003). Vielmehr wären dann auch spezifisch magische Elemente anzunehmen.

F e t i s c h i s ti sc h e m u s e a l e P r a k t i k e n Es lassen sich im Museum verschiedene Mittel ausmachen, mit denen sich Authentizität herstellen lässt und die mit Hilfe eines fetischismustheoretischen Ansatzes untersucht werden können:14 • Im Museum herrscht meistens, im Umgang mit authentischen Objekten immer ein Berührungsverbot. Diese mit konservatorischen Argumenten leicht zu begründende Regelung ist aus fetischistischer Perspektive interessant, da auch hier mitunter ein solches Tabu besteht. Die Feststellung, dass der Konservator der mächtigste Mann im Museum sei, da er als einziger verhindern könne, dass ein Objekt ausgestellte werde, ist hier nur ein Hinweis auf die Wirkmacht dieses Tabus im modernen Museum. Im Fetisch ist etwas in einer Berührungsspur anwesend, und eine Berührung durch jemand oder etwas anderes kann diese Spur vernichten. • Die Tatsache, dass im Museum Dinge ausgestellt werden, ist profan und trotzdem eine Untersuchung wert. Denn für wen werden sie eigentlich ausgestellt? Die augenzwinkernde – und dennoch ernstzunehmende – Frage lautet, ob die ›Ausgestelltheit‹ der Objekte nicht schon genügt; muss tatsächlich ein Besucher kommen und sie sich ansehen? Stört der Besucher nicht sogar die Wirkung der Exponate? Hier könnte man mit Walter Benjamins Unterscheidung zwischen Kult- und Ausstellungswert arbeiten. Er schreibt dazu: »Die künstlerische Produktion beginnt mit Gebilden, die im Dienste der Magie stehen. Von diesen Gebilden ist einzig wichtig, daß sie vorhanden sind, nicht aber daß sie gesehen werden« (Benjamin 1972: 443). Er erwähnt jedoch zu beiläufig die ausgesprochen zentrale Tatsache, dass es wichtig sei, »daß es die Geister sehen« (ebd.). Denn die Ausstellung vor den Augen der Geister, diese ›Ausgestelltheit‹, ist eben das, was den Objekten ihren Kultwert gibt und somit Benjamins Kultwert mit dem Ausstellungswert verbindet. • Die Objekte im Museum unterliegen einer jeweils spezifischen Inszenierung. Diese stellt eine Künstlichkeit oder ›Gemachtheit‹ dar, die beim Betrachten vergessen werden soll. Die in den Theaterwissenschaften intensiv untersuchte Paradoxie zwischen Authentizität 14 Die folgende Auflistung stellt eine vorläufige Hypothese dar, die im Rahmen meines Dissertationsprojektes ausdifferenziert wird (siehe Fußnote 1).

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und Inszenierung kommt hier zum Tragen (vgl. Fischer-Lichte/Pflug 2007). Beim Fetisch ist dies ähnlich: Auch dort wird etwas hergestellt oder kulturell mit Bedeutung aufgeladen – und doch als so vorgefunden präsentiert. Museumsobjekte sind, so wurde immer wieder herausgestellt, dem Tausch- und Gebrauchskreislauf entzogen. Diese Unverkäuflichkeit ist deshalb so aufschlussreich, da hier genau das übrig bleibt, was Marx als den Fetischcharakter der Ware bezeichnet hat. Neben Tausch- und Gebrauchswert ist dieser illusorische, irrationale Rest das, was den Wert der Ware ausmacht. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Verkaufsrestriktionen mancher Stammesfetische: Diese mussten oftmals erst entzaubert werden, bevor sie an die Ethnologen abgegeben werden durften. Die willkürliche Deklaration von Objekten als ›Duplikate‹ zu Tauschzwecken entspräche im Museum diesem Entzauberungsprozess.

Diese ersten Ideen zeigen das Potential an, das neue Ansätze aus Psychoanalyse und Kulturtheorie – hier vor allem die Fetischtheorie – für das Verständnis oftmals als profan angesehener Prozesse der Institution Museum bieten. Insofern die Verleugnungsformel des »Ich weiß zwar, aber dennoch…« als typisch für die aktuelle Form der Wertschätzung des Authentischen anzusehen ist, kann die Fetischtheorie vermutlich Entscheidendes zur Klärung des authentischen Objekts im kulturhistorischen Museum beitragen.

L i t e r at u r Adorno, Theodor W. (1965): Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Benjamin, Walter (1972 [1936]): »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«. In: Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser (Hg.), Gesammelte Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 431-470. Berg, Jan/Hans-Otto Hügel/Hajo Kurzenberger (Hg.) (1997): Authentizität als Darstellung, Hildesheim: Universitätsverlag. Böhme, Hartmut (2006): Fetischismus und Kultur: Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek: Rowohlt. Crew, Spencer R./James E. Sims (1991): »Locating Authenticity: Fragments of a Dialogue«. In: Karp/Lavine (1991), S. 159-175.

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FETISCHISTISCHE GRUNDLAGEN VON AUTHENTIZITÄT

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V O M N A C H S T E L L E N Z U M N A C H ER L E B E N ? VORMODERNE RITUALITÄT IM GESCHICHTSUNTERRICHT TIM NEU

Am 26. Oktober 2008 startete das ZDF mit einer Folge über »Otto und das Reich« seine zehnteilige Sendereihe Die Deutschen. 6,48 Millionen Zuschauer hatten die Sendung verfolgt, prompt war von einer »spektakuläre[n] Quote« (Lückerath 2008) die Rede und der zuständige Redakteur, Peter Arens, meinte, damit habe man »einen Nerv getroffen« (Arens 2008: 21). An solche Medienformate denkt man wohl unwillkürlich zuerst, beschäftigt man sich mit den Medien, Praktiken oder Produkten ›populärer Geschichtskulturen‹ – der tagtäglich an Schulen stattfindende Geschichtsunterricht hingegen wird einem vielleicht nicht sofort einfallen. Bedenkt man jedoch, dass das Geschichtsbewusstsein nahezu aller Mediennutzer in Deutschland vom schulisch organisierten Geschichtsunterricht mitgeprägt ist und dass Geschichtsunterricht heute längst nicht mehr nur konventionell mit Kreide und Karten stattfindet, sondern sich massenmedialen Angeboten geöffnet hat (vgl. Sauer 2001), so lässt sich der Geschichtsunterricht durchaus zu den ›populären Geschichtskulturen‹ zählen – insbesondere deswegen, weil er zur Bildung jener Dispositionen beiträgt, mittels derer andere populäre Geschichtsdarstellungen rezipiert werden (vgl. Barricelli/Hornig 2008). Ähnlich wie bei anderen massenmedialen Angeboten spielen auch im schulischen Kontext Authentizitätsfiktionen bei der Repräsentation historischer Lebenswelten eine große Rolle. Im Anschluss an Siegfried J. Schmidt werden ›Authentizitätsfiktionen‹ hier begriffen als implizite und kontrafaktische Unterstellungen der Existenz von objektiver Wirklichkeit (›so-tun-als-ob‹), die aufgrund ihrer kollektiven Geltung soziale Fakten schaffen und auf diese Weise zur sozialen Reproduktion beitragen (vgl. Schmidt 1991). Als Beispiel für Authentizitätsfiktionen im Geschichtsunterricht dient in der vorliegenden Fallstudie die didaktische Umsetzung vormoderner Ritualität (vgl. einführend Belliger/Krieger 2008) und die zu belegende These lautet: Das an sich unproblematische Nachstellen 61

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von Ritualen durch Schülerinnen und Schüler zeitigt in Bezug auf historische Lebenswelten zwar erhebliche Verfremdungs- und Distanzierungseffekte, die allerdings konterkariert werden, weil gleichzeitig ein mit dem äußeren Nachstellen einhergehendes, inneres und ›echtes‹ Nacherleben der historischen Situation postuliert wird. Die hier wirksamen Authentizitätsfiktionen führen folglich dazu, dass – obwohl die Schülerinnen und Schüler faktisch nur ihre eigenen Erfahrungen im Rahmen der Ritualdarstellung beobachten – sie diese als die Erfahrungen der Zeitgenossen erleben. Dieser latente Mechanismus verkürzt die widerständige Fremdheit der historischen Lebenswelten erheblich und setzt an ihre Stelle eine verfügbare, weil als ›vertraut‹ erlebte Vergangenheit. Bevor nun im Folgenden aufgezeigt wird, mit welchen Mitteln, Absichten und Folgen Authentizität im Unterrichtsgeschehen fingiert wird, werden zunächst der Begriff und die Funktionen vormoderner Ritualität sowie die Schwierigkeiten bei ihrer didaktischen Umsetzung erläutert.

I Das hier zugrunde liegende Ritualverständnis lässt sich an einem der wohl wichtigsten politischen Ereignisse der Vormoderne illustrieren, der Königskrönung. Als Beispiel dient die Krönung Sigismunds von Luxemburg zum römisch-deutschen König im Jahre 1414 (vgl. Hoensch 1997; Pauly/Reinert 2006). Eigil von Sassen, der als Bürgermeister von Friedberg zum Krönungsort Aachen gereist war, berichtete über den feierlichen Akt: »Und der Bischof von Köln salbte den König und die Königin im Beisein der anderen Bischöfe und Priester und krönte beide danach. Dann wurde der König auf den Königsstuhl gesetzt. Danach las der König in Albe und Chormantel und mit der Krone Kaiser Karls auf dem Haupt das Evangelium. [...] Danach, als die Messe geschehen war bis auf den Segen, da empfingen König und Königin das Sakrament von dem Bischof von Köln. Danach gab der Bischof den Segen« (Kerler 1878: 244, Übersetzung T.N.).

Drei Merkmale sind für diese Art von Ritualen wesentlich (vgl. Stollberg-Rilinger 2004): Rituelles Handeln ist, erstens, vor allem Handeln in Symbolbezügen. Zwar hat jedes Handeln eine über die bloße Instrumentalität hinausreichende zeichenhafte Dimension, aber es gilt doch mit Ferdinand de Saussure grundsätzlich die »Beliebigkeit des Zeichens« (Saussure 2001: 79). So hat das im Original des eben zitierten Berichts verwendete Wort »cronen« mit dem im Ritual verwendeten Gegenstand nichts gemeinsam, man könnte genauso gut auch lateinisch »corona« 62

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schreiben. Symbole sind nun zwar auch Zeichen, aber die Beziehung zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem ist gerade nicht willkürlich, sondern geprägt von analogischen und/oder synekdochischen Beziehungen (vgl. ebd.: 80; Kurz 2004: 70-89). Im Krönungsritual findet man beispielsweise die Krone als Ding-Symbol. Die Krone ist zwar auch als wertvoller Einzelgegenstand von Bedeutung, aber gleichzeitig symbolisiert sie ganz handgreiflich als pars pro toto das Abstraktum ›Reich‹ und damit die Gesamtheit der Rechte und Pflichten des Königsamtes (vgl. Pertz 1837: 389). Als zweites Merkmal von Ritualen kann ihre performative Macht angesehen werden, denn sie bilden nicht einfach vorgängige Strukturen ab, sondern stellen diese überhaupt erst her. Das Ritual, so Pierre Bourdieu, »ist ein Akt sozialer Magie und kann einen Unterschied ex nihilo schaffen« (Bourdieu 1990: 86; vgl. Bourdieu 1989: 14-25). Diese Macht gründet sich zum Teil darauf, dass die verwendeten Symbole nicht nur auf das von ihnen Bezeichnete verweisen, sondern es in bestimmter Hinsicht tatsächlich sind und es damit auf eine Weise präsent erscheinen lassen, die zu dauerhaften Veränderungen der sozialen Welt führen kann (vgl. Rehberg 2001: 33-35). Die Krönung stellte etwa die Möglichkeit bereit, Sigismunds vollgültigen Status als König sinnlich zur Anschauung zu bringen und damit überhaupt erst wirksam zu begründen. So waren beispielsweise die Kurfürsten der Meinung, dass Sigismund erst nach erfolgter Krönung als Kirchenvogt auftreten und dem bevorstehenden Konstanzer Konzil Schutz gewähren könne (vgl. Hoensch 1997: 187; Finke 1896: Nr. 105; Finke 1928: Nr. 456 u. 458). Drittens zeichnen sich Rituale durch eine charakteristische Vieldeutigkeit aus; sie erzwingen Interpretationsleistungen, denn die zugrunde liegenden Analogien werden nicht explizit mitgeteilt, sondern müssen vom Verstehenden erschlossen werden (vgl. Stollberg-Rilinger/Weller 2007). Das machte Rituale einerseits zu besonders geeigneten Mitteln, um eine Vielzahl von Informationen gleichsam ›verdichtet‹ und hochassoziativ mitzuteilen; andererseits war man sich dieser Uneindeutigkeit durchaus bewusst, und es fehlte nicht an Versuchen, die jeweils eigene Deutung durchzusetzen: So sollten nach Maßgabe des kirchlich geprägten Krönungsordos die krönenden Bischöfe den rituellen Akt mit den Worten beginnen, dass dem König die Krone »von unwürdigen, aber gleichwohl bischöflichen Händen« (Pertz 1837: 389, Übersetzung T.N.) auf das Haupt gesetzt werde. Ganz anders liest sich dieselbe Handlung im königlichen Krönungsbericht an den Papst: Sigismund habe »die Krone der römischen Königswürde [...] im Namen des Schöpfers aller Kreaturen [...] angenommen« (Kerler 1878: 240, Übersetzung T.N.). Im ersten Fall wird die herausgehobene Mittlerstellung der Kirche betont, im

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zweiten Fall erscheint hingegen ein aktiver Herrscher, der in unmittelbarer Beziehung zu Gott steht. Rituale, so lässt sich zusammenfassen, sind dadurch gekennzeichnet, dass man symbolisch handelt und die verwendeten Symbole auf Analogieoder pars pro toto-Beziehungen zwischen Signifikant und Signifikat beruhen. Diese kommunikative Form entfaltet dabei eine besondere performative Kraft, die in der Lage ist, soziale Fakten zu schaffen, und sie ermöglicht besonders assoziationsreiche, vieldeutige und verdichtete Mitteilungen, die Abstrakta sinnlich-affektiv erfahrbar machen. In den letzten Jahren hat sich in der Mediävistik und Frühneuzeitforschung die Auffassung weitgehend durchgesetzt, dass es sich bei Ritualen um zentrale Elemente vormoderner Vergesellschaftungsformen handele. Und da – wie Barbara Stollberg-Rilinger in einer ersten Bilanz festhielt – gerade die vormodernen Gemeinwesen »einen besonders hohen Bedarf an Symbolisierungen hatten« (2004: 513), kann deren Analyse als ein wesentlicher Schlüssel zur Geschichte Alteuropas gelten (vgl. auch Schlögl 2004). Aus der nachhaltigen Wirkung dieses neuen Ansatzes innerhalb der Geschichtswissenschaft folgt nun für die Geschichtsdidaktik aufgrund ihres konstitutiven Wissenschaftsbezugs (vgl. Rohlfes 2005: 9-22) die Notwendigkeit, die Ritualforschung produktiv zu rezipieren und auszuloten, auf welche Weise sie für Bildungszwecke nutzbar gemacht werden kann.

II Nun ist die Ritualforschung schon vor fast zehn Jahren in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, einer der wichtigsten geschichtsdidaktischen Zeitschriften, vorgestellt worden (Althoff 1999). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Geschichtsdidaktik im Anschluss daran eine differenzierte Palette von Methoden und Techniken zur unterrichtlichen Repräsentation von Ritualen und ihren Wirkungen entwickelt hätte – sobald es um rituelle Akte geht, lautet die Empfehlung von Seiten der Praktiker fast immer: Nachstellen bzw. Nachspielen. Gemeint ist damit tatsächlich ganz schlicht, dass die Schülerinnen und Schüler das vergangene Geschehen möglichst exakt wiederaufführen sollen. Im Kontext einer Unterrichtseinheit über die Begegnung zwischen König Pippin und Papst Stephan II. im Jahr 754 wird beispielsweise ein »szenisches Spiel« vorgeschlagen: »Nach einem kurzen Warm-up [...] – Kostümierung ist hierbei durchaus erwünscht – werden die Szenen nachgestellt; unter Umständen ist es notwendig, wichtige Teilszenen (Gesten) wiederholen zu lassen. Um die räumlichen Distanzen zu erfassen, kann das Spiel auch im Freien oder im Schulgebäude stattfinden« (Grupp 2004: 21).

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Es wird deutlich, dass ein Nachstellen in möglichst vielen Dimensionen angestrebt wird, hier in dinglicher Hinsicht über die Kostümierung, in räumlicher über die Verlegung des Unterrichts ins Freie und in Hinsicht auf das Handeln selbst vor allem über die Gesten. Diese ›Methode‹ wird unterschiedslos auf Phänomene der gesamten europäischen Vormoderne angewandt. Das französische Hofzeremoniell des 17. Jahrhunderts wird auf diese Art erschlossen: In einer didaktischen Bearbeitung des Alltagslebens am Hof Ludwigs XIV. wird für die Behandlung des königlichen ›Lever‹, also des allmorgendlichen zeremoniellen Akts des Aufstehens, vorgeschlagen: »Die Schüler können das ›Lever‹ an dieser Stelle szenisch darstellen« (Schult 2007: 19). Hier zeigt sich, dass der Akzent des Nachstellens immer auf den konkreten Handlungen liegt; dingliche oder räumliche Aspekte sind nur Zusatz, denn der Autor konkretisiert: »Wenn ihr in einer Gruppe arbeitet, könnt ihr den Text nachspielen. Einer von euch liest ihn vor, die anderen vollziehen die Handlungen nach« (ebd.: 20). Das Nachstellen wird nicht nur für den Regelunterricht im 45Minuten-Takt empfohlen, sondern lässt sich auch mit Projektarbeit kombinieren, wie etwa der »ehrgeizige Plan« bezeugt, »Renaissancetänze im Schulunterricht einzustudieren und diese, gekleidet in historische Kostüme, am Originalschauplatz aufzuführen« (Mahler 2006: 134f.). Oder man integriert mittels Exkursionen außerschulische Lernorte: »Die Schülerinnen und Schüler spielen im Wald bei Bad Driburg an dem Platze der ehemaligen Irminsul-Eiche die Szene, in der Karl der Große zum Auftakt seines Sachsenzuges im Jahr 772 die Eiche fällen und an deren Stelle eine christliche Kapelle bauen ließ« (Völkel 2005: 16). Wie das Nachstellen in diesem Fall genau aussehen soll, wird allerdings von der Autorin nicht weiter expliziert. Die Beispiele ließen sich vermehren, aber es ist schon jetzt deutlich, dass alle didaktischen Vorschläge darauf hinauslaufen, die Rituale nachzustellen, wobei man allenfalls danach differenzieren könnte, wie elaboriert die Re-Inszenierungen ausfallen sollen. Dem eher ›schlichten‹ Prinzip des Nachstellens in den unterrichtspraktischen Bezugnahmen auf Rituale liegt zumeist eine Vorgehensweise zugrunde, die man einen ›methodischen Kurzschluss‹ nennen könnte. Dieser scheint sich zu ereignen, wenn das Wissen um die Wirkmächtigkeit rituellen Handelns in einen unterrichtspraktischen Kontext eingeführt wird, der mehr oder weniger vollständig im Banne der ›Handlungsorientierung‹ (vgl. ebd.; Mayer 1997) steht, die man mit dem Politikdidaktiker Gerd Steffens als einen der »prominentesten pädagogischen Fetische« (Steffens 2000: 1127; vgl. Mayer 2006: 28) ansehen kann. Einerseits sind Rituale als vergangenes symbolisches Handeln zu verstehen, andererseits adeln die »Legitimitäts-Überschüsse« (Steffens 2000: 1127), die das

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Prinzip der Handlungsorientierung freisetzt, nahezu jedes im Unterricht ermöglichte Handeln der Schüler als wichtig und richtig. Unter diesen Voraussetzungen liegt offenbar die Versuchung nahe, beide Ebenen über den scheinbar gemeinsamen Begriff der ›Handlung‹ kurzzuschließen und den Versuch zu unternehmen, historische Handlungszusammenhänge im schulischen Kontext wiederaufleben zu lassen.

III Was aber soll durch das Nachstellen erreicht werden? An dieser Stelle kommt man in analytischer Hinsicht mit der Frage nach fingierter Authentizität nicht weiter, denn das Nachstellen ist nur in einem sehr weiten, eher etymologischen Sinn als ein Mittel anzusehen, das auf ›authentische‹ Wiederaufführungen zielt. Von seiner Etymologie her bedeutet ›authentisch‹ zunächst einmal ›zuverlässig‹ bzw. ›richtig‹ (vgl. Kluge 2002: 77) und in diesem sehr weiten Verständnis handelt es sich um eine graduelle Kategorie; eine Frage des Mehr oder Weniger, die noch nicht konnotiert ist mit Vorstellungen von Ursprünglichkeit oder Einzigartigkeit. Die Beispiele belegen das, denn ausgehend vom Kernelement des Handlungsnachvollzugs lässt sich das Nachstellen durch die Einbeziehung von weiteren Dimensionen immer ›authentischer‹ im Sinne von ›zuverlässiger‹ gestalten. Unter den Voraussetzungen des weiten, graduellen Begriffs handelt es sich auch nicht um eine Fingierung von Authentizität, denn es wird gar nicht abgestritten, dass das Nachstellen eine neue, wenngleich mehr oder weniger zuverlässige oder richtige Inszenierung schafft. Ganz im Gegenteil wird teilweise sogar sehr frei mit dem historischen Material umgegangen, beispielsweise, wenn beim Nachspielen der Kaiser-Papst-Begegnung geradezu gefordert wird, »die zeremoniellen Bestandteile ausgiebig – selbst über den in den Quellen dargestellten Rahmen hinaus – zu würdigen« (Grupp 2004: 21). Weiter kommt man hingegen, wenn man die Unterrichtsvorschläge auf die Absichten und Zwecke des Nachstellens hin untersucht. Auch hier ergibt sich ein einheitliches Bild: Im Anschluss an die nachgespielte frühmittelalterliche Kaiser-Papst-Begegnung werden die »Spieler nach ihren Erfahrungen und Eindrücken befragt: Wie haben sie sich beim Spiel, z.B. im Moment der Unterwerfung gefühlt?« (ebd.). Über das Nachstellen des hochbarocken französischen Hofzeremoniells heißt es, ebenfalls in Bezug auf die Schüler: »Dies bietet ihnen eine bessere Möglichkeit der Einfühlung in die Situation« (Schult 2007: 19). Auch das Projekt zu den höfischen Tänzen der Renaissance dient dem erklärten Ziel, »sich somit besser in die vergangene Epoche einfühlen« (Mahler

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2006: 136; vgl. Erdmann/Mahler 2001) zu können, und die Szene mit Karl dem Großen und der Irminsul-Eiche wird zum Nachspielen empfohlen, auf dass die Schüler »nachzuempfinden versuchen, wie es den Menschen damals in dieser Situation ergangen sein mag« (Völkel 2005: 16).1 Fühlen, Nachfühlen, Einfühlen, Nachempfinden; immer wird dieses spezifische Wortfeld aufgerufen, wenn es um die Zwecke des Nachstellens geht. Hier wird von den Didaktikern ganz offensichtlich ein Zusammenhang angenommen, der es ermöglichen soll, über die körperlichen Handlungen die affektiven Erfahrungen der historischen Akteure für die Schüler erschließen zu können, kurz: vom äußeren Nachstellen zum inneren Nacherleben zu gelangen. Allerdings wird zumeist weder aufgezeigt, wie und warum das Nachstellen das Nacherleben ermöglichen soll, noch wird darüber Rechenschaft gegeben, warum ein solches Nacherleben überhaupt als Zweck gesetzt werden sollte. Möglicherweise hat dies meist mit den schon erwähnten ›Legitimitäts-Überschüssen‹ zu tun, die der pädagogische Fetisch ›Handlungsorientierung‹ freisetzt, und die dazu führen, dass Schülerhandeln per se zum unhinterfragbaren Selbstzweck erhoben wird. Wird die Zweckhaftigkeit des Nacherlebens aber begründet, dann oft mit einem Argument, wie man es etwa bei Bärbel Völkel findet, aus deren Feder das Beispiel mit der Irminsul-Eiche stammt. Das Ziel des Geschichtsunterrichts sei es, »Schülerinnen und Schüler zu einem angemessenen Umgang mit Geschichte anzuhalten, indem sie lernen, ihren gegenwärtigen Erfahrungsraum um die Dimension des Geschichtlichen zu erweitern« (Völkel 2005: 30). Das, so Völkel, sei aber nur möglich, wenn und indem »die Erfahrungen und Deutungen, die Menschen früherer Zeiten gemacht und die sie zu ihrem jeweiligen Handeln motiviert haben, dem gegenwärtigen Bewusstsein erneut zugänglich gemacht werden« (ebd.; vgl. auch ebd.: 16, 25, 31). Zusammengefasst heißt das: Äußeres Nachstellen ermöglicht inneres Nacherleben ermöglicht angemessenen Umgang mit Geschichte. Die Schlüssigkeit dieser Konstruktion ist aber – und das wird von ihren Befürwortern nicht thematisiert – von einer ganz bestimmten Voraussetzung abhängig; der Voraussetzung nämlich, dass die von den Schülern in der Ritualdarstellung gemachten Erfahrungen, kognitiver wie affektiver Art, identisch sind mit den Erfahrungen der vormodernen Zeitgenossen, die an einem solchen Ritual teilnahmen. Denn notwendigerweise kann es nur im Falle der Identität zu der geforderten »fruchtbaren Verknüpfung zwischen Subjekt- und Objektebene« (Völkel 2005.: 22) kommen. Gemeint ist hier nicht Identität im quantitativen Sinne, also dass die beiden

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Für eine didaktische Umsetzung ohne Kopplung von Nachstellen und Nacherleben vgl. Mögenburg/Sötkamp (2003).

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Erfahrungen vollumfänglich ineinander fallen; sehr wohl aber muss vorausgesetzt werden, dass diejenigen Erfahrungsgehalte, die für das Handeln – hier das rituelle Handeln – typisch sind, von Zeitgenossen und Schülern qualitativ identisch erfahren und erlebt wurden bzw. werden. Und diese ›Echtheit‹ ist nichts anderes als ein extrem starker Anspruch auf eine andere Form von Authentizität. So wie es von den Didaktikern beschrieben und theoretisch konzipiert wird, kann es sich nur um authentisches Nacherleben vergangener Erfahrungen handeln; ›authentisch‹ hier enger und emphatisch verstanden als gleichursprünglich, wahr und echt (vgl. Reichenbach 2002); als Kategorie eines Entweder-oder. Dass diese emphatische Echtheit tatsächlich nicht nur eine von den Autoren nur postulierte Authentizität ist, sondern auch prinzipiell nur eine unterstellte, fingierte Authentizität sein kann, erhellt aus zwei Gründen. Erstens ist es schon erkenntnistheoretisch unmöglich, die Identität der Erfahrungen unterschiedlicher Akteure auch nur feststellen zu wollen, sind doch Denken und Fühlen oder – systemtheoretisch gesprochen – kognitive Systeme in ihrem Prozessieren nicht direkt beobachtbar (vgl. Schmidt 2000a). Wenn aber Identität nicht einmal feststellbar ist, wie soll sie dann erst methodisch herstellbar sein, und dazu noch zwischen den Erfahrungen längst vergangener und heutiger kognitiver Systeme? Berücksichtigt man diese prinzipielle Unbeobachtbarkeit, so wirkt der Versuch, eine authentische Passung von historischen und aktuellen Ritualerfahrungen durch das bloße äußere Nachstellen zu bewirken, einigermaßen naiv. Aber selbst wenn diese Schranke zu überwinden wäre, führten zweitens auch die speziellen Charakteristika des Rituals dazu, dass das authentisch-historische Erleben eines solchen immer Fiktion bliebe, stellt man die zu Beginn vorgestellten drei Merkmale rituellen Handelns in Rechnung: Symbolbezug, Vieldeutigkeit und performative Kraft. Für die ersten beiden gilt: Weder die den Symbolen zugrunde liegende Motiviertheit noch die im rituellen Gesamtrahmen kommunizierte Vieldeutigkeit sind durch bloßes Nachstellen erfahrbar, weil den Schülern die Vertrautheit mit den kulturellen Deutungssystemen fehlt, aus denen Rituale wie Symbole gleichermaßen stammen; die Rituale sind für sie nicht lesbar (vgl. Goffman 1993). Zugegebenermaßen könnte das dadurch ausgeglichen werden, dass man im Vorfeld der Re-Inszenierung genügend Kontextualisierungsarbeit leistet, aber auch dann würde sich die performative Kraft der Vorbilder nicht einstellen; und zwar deshalb nicht, weil Rituale nicht an bewusstes Wissen, sondern an tief verwurzelte Dispositionen der Beteiligten appellieren, die in langwierigen Sozialisations- und Erziehungsprozessen erworben werden (vgl. Bourdieu 1998: 163-202). Daher führt jeder Versuch des Nacherlebens unweigerlich in das Paradox, eine

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in der Vergangenheit prinzipiell nicht-intentionale Erfahrung in der Gegenwart in intentionaler Form erfahren zu wollen. Nichtsdestotrotz stellt das Konzept des ›authentischen Nacherlebens‹ die – um einen von Siegfried J. Schmidt geprägten Begriff aufzunehmen – operative Fiktion dieser Form von Didaktik dar, da sie ihr Funktionieren erst ermöglicht (vgl. Schmidt 2000b).

IV Nun wäre es nicht weiterführend, im Gestus der Enthüllung die vorgestellten unterrichtspraktischen Vorschläge sowie die gesamte handlungsorientierte Didaktik zu verabschieden, weil sie etwas für ein Faktum halten, was ›in Wahrheit‹ eine Fiktion ist, denn operative Fiktionen sollten, so Schmidt, gerade nicht nach ihrem Wahrheitswert beurteilt werden, sondern vor allem nach ihrer Nützlichkeit (Schmidt 2000b: 16). Und genau in diesem Punkt lohnt sich ein Vergleich zwischen dem von den Didaktikern postulierten Nutzen einerseits und den latenten Konsequenzen der Authentizitätsfiktion andererseits. Damit ist abschließend die Frage der Wirkungen angesprochen. Einige Befürworter handlungsorientierter Methoden gehen davon aus, dass das Nachstellen ein Nacherleben und damit auf Schülerseite authentische Erfahrungen bewirke, also solche, die qualitativ identisch seien mit denen der vormodernen Menschen. Der Nutzen, den man sich davon verspricht, wird in der Erweiterung des eigenen Erfahrungsraumes um eine historische Tiefendimension gesehen, die einhergehe mit einer wesentlich höheren Schülermotivation. Das Ziel ist letztlich ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein und die Schüler könnten dies erwerben, weil sie im Unterricht »die Möglichkeit [erhielten] ›mit den Augen des Anderen zu sehen‹« (Völkel 2005: 31). Unterzieht man diese didaktischen Umsetzungen jedoch einer kritischen Beobachtung zweiter Ordnung, so kann man eine wirksame Authentizitätsfiktion entdecken, die bewirkt, dass, obwohl die Schülerinnen und Schüler faktisch nur ihre eigenen Erfahrungen im Rahmen der Ritualdarstellung beobachten, sie diese als Erfahrungen der Zeitgenossen erleben. Ausgelöst wird demnach ein Mechanismus, der die widerständige Fremdheit der historischen Lebenswelten erheblich verringert und an ihre Stelle eine verfügbare, weil als ›vertraut‹ erlebte Vergangenheit setzt. Ob man diese didaktische Herangehensweise nun aufgrund der aus fachwissenschaftlicher Perspektive gravierenden Verkürzungen ablehnen oder sie weiterhin als eine wichtige didaktische Möglichkeit schätzen will, Geschichte für junge Menschen anschlussfähig zu machen, muss

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und kann hier nicht entschieden werden. Damit ist auch keine generelle Kritik an den Unterrichtsmethoden verbunden, die unter so verschiedenen Namen wie ›szenisches Spiel‹, ›Plan-‹, ›Rollen-‹‚ oder ›Simulationsspiel‹ diskutiert werden. Kritisiert wird lediglich die viel weitergehende und überzogene Erwartung, das Spiel(-handeln) könne Nach- oder gar Miterleben vergangener Erfahrungen ermöglichen (vgl. Bernhardt 2004: 2325; Meier 2004). Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass ein solches Konzept auch aus der Sicht einiger Didaktiker einer, wie Ulrich Mayer urteilt, »vorschnellen, falschen und unvertretbaren Vertrautheit mit der Vergangenheit« (2006: 34) Vorschub leistet und auch Peter SchulzHageleit von derlei Vorhaben abrät, wenn man »projektive Selbstbestätigungen vermeiden will« (2006: 108; vgl. auch Schulz-Hageleit 2000). Vielleicht stellt sich angesichts dessen dann doch die Frage, ob der Geschichtsunterricht nicht das Geschäft der »projektiven Selbstbestätigung« ganz aufgeben und zumindest die Darstellung von Ritualen lieber doch den Machern von Die Deutschen oder gleich Hollywood überlassen sollte. Die haben wenigstens die Mittel für wirklich spektakuläre Inszenierungen, und aufgrund des nicht eingelösten oder gar nicht erhobenen wissenschaftlichen Anspruches kann man dann die Nutzenfrage vernachlässigen und dieses Nachstellen vielleicht auch unter ästhetischen Gesichtspunkten ganz einfach genießen.

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»... A U T H E N T I SC H E R A L S A L L E V O R H E R I G E N «: Z U M U M G A N G M I T E G O -D O K U M E N T E N I N D E R POPULÄREN GESCHICHTSKULTUR CHRISTIAN HEUER »Das Gedächtnis ist nicht ein Instrument zur Erkundung der Vergangenheit, sondern deren Schauplatz« (Walter Benjamin).

S e l b st t he m a ti si e r u n g e n Selbstthematisierungen und Ego-Dokumente haben in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts Konjunktur. In den Geschichts- und Kulturwissenschaften im deutschsprachigen Raum hat sich für diese Formen autobiographischen Erzählens seit knapp 15 Jahren der Begriff der EgoDokumente etabliert. Anknüpfend an die niederländische Tradition der egodocumenten (vgl. Dekker 2002a, 2002b) wurde die Definition durch den Historiker Winfried Schulze dahingehend erweitert, dass er darunter all jene Quellen verstand, »die uns über die Art und Weise informieren, in der ein Mensch Auskunft über sich selbst gibt, unabhängig davon, ob dies freiwillig – also etwa in einem Brief oder in einem autobiographischen Text – oder durch andere Umstände bedingt geschieht« (Schulze 1996: 9; vgl. ebd.: 11ff.). Die im Folgenden thematisierten Erinnerungen Traudel Junges sind in diesem Sinne als Selbstzeugnisse Bestandteil dieser umfassenderen Quellengruppe der Ego-Dokumente (vgl. Krusenstjern 1994: 470). Als Selbstzeugnis lassen sich die Erinnerungen deswegen untersuchen, weil sich in ihnen die Selbstthematisierung durch ein explizites Selbst vollzieht. Mit anderen Worten: Es tritt die Person des Verfassers bzw. der Verfasserin in ihrem Text selbst handelnd oder leidend in Erscheinung oder nimmt darin explizit auf sich selbst Bezug (vgl. Krusenstjern 1994: 463). In der gegenwärtigen Populärkultur reichen die Darstellungsformen dabei von klassischen und kanonisierten Genres wie literarischen Autobiographien (vgl. Hinck 2004), Tagebüchern und Memoiren über Selbstdarstellungen und Selbstportraits in der bildenden Kunst (vgl. Bühler 2008; Georgen/Muysers 2006) bis hin zu den vielfältigen Selbstzeugnis75

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sen von Protagonisten der Pop- und postmodernen Internetkulturen mit Weblog und Videotagebuch. Die große Produktion, weite Verbreitung und Rezeption dieser Selbstthematisierungen lässt eine gesamtkulturelle Tendenz vermuten – die Suche nach dem scheinbar Authentischen und dem ›Wie zu leben?‹ (vgl. Thomä 2007: 7f.): Identitätssuche wird zur individuellen ›Spurensuche‹, bei der versucht wird, eigene Selbstbilder durch Rückgriff auf die eigene Vergangenheit und durch die Archivierung und Modellierung von Erinnerungen zu bestätigen und zu erschaffen. Besonders die einzelnen Erinnerungskulturen werden gegenwärtig – in Zeiten des »Abschieds von der Zeitgenossenschaft« (Frei 2005: 41) und der daraus resultierenden Entdeckung des Zeitzeugen als Figur der Geschichtskultur – geradezu dominiert vom privaten »Gedächtniswohnzimmer« (Welzer 2004: 43), von seinen Ego-Dokumenten mit ihren verschiedensten Textsorten und in den unterschiedlichen medialen Repräsentationen (vgl. Assmann 2007a). Besonders für die fragile Epoche der Zeitgeschichte gilt, dass die Durchdringung der Öffentlichkeit durch die Medien des Familiengedächtnisses weiter voranschreitet. Hier entstehen »Überlappungsräume« (Nolte 2008: 133), in denen die in den EgoDokumenten schriftlich fixierten Inhalte des Familiengedächtnisses emotionale Deutungsvorgaben liefern, die einen bedeutenden Einfluss auf die Sinnbildung der Einzelnen haben. Tradierte Institutionen wie z.B. der Geschichtsunterricht wirken kaum auf diese populäre Geschichtskultur ein (vgl. Welzer 2004: 50; 2001: 63). Auch die traditionelle Fachwissenschaft scheint längst ihre Deutungshoheit an das ›Vetorecht‹ des Zeitzeugen und die schriftlich fixierten Erinnerungen verloren zu haben. Besonders die zahlreichen Ego-Dokumente dienen dabei als ›Faktensteinbruch‹. Dies gilt besonders im Fall von traumatischen Erlebnissen. Hier wird die Erlebniserzählung zum Authentizitätsnachweis der biographischen Erfahrung. Diese Dokumente sind somit mehr als nur erzählte Lebensgeschichte. Sie erscheinen als Dokumente des Tatsächlichen.1 Die Ego-Dokumente wurden und werden mit großem Interesse gelesen, die einzelnen Verfilmungen erreichen große Zuschauerzahlen und gelegentlich sind sie sogar in der Lage, Kontroversen auszulösen. Nicht selten ging und geht es dabei im Kern der Auseinandersetzung um die Darstellung vergangener Geschehnisse und die Portraitierung verstorbe1

Erwähnt seien hier die Aufzeichnungen Viktor Klemperers (1998), die Erinnerungen der letzten ›Führersekretärin‹ Traudel Junge (2007), das jüngst verfilmte Tagebuch der ›Anonyma‹ (Anonyma 2003), die Erinnerungen der Germanistin und Schriftstellerin Ruth Klüger (1992; 2008), die Autobiographien des Schauspielers Michael Degen (1999) und des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki (1999) oder die Tagebücher des SiemensVertreters in Nanking John Rabe (vgl. Wickert 2009).

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ner oder noch lebender Persönlichkeiten. In diesem Zusammenhang stand beispielsweise die Kontroverse um das Geständnis von Günter Grass in seiner Autobiographie über seine SS-Mitgliedschaft (Grass 2006; vgl. Kölbel 2007) oder auch der schon länger zurück liegende Fall Wilkomirski (vgl. Mälcher 2000; Diekmann 2002). Die Kontroversität dieser Vergangenheitsdarstellungen und die Auseinandersetzung mit diesen lebensgeschichtlichen Abbreviaturen beinhalten dabei immer auch die Diskussion um die Fragilität der Erinnerung, um die narrative Struktur von Geschichte, und kreisen um die Frage nach der Authentizität und Faktizität des Erinnerten. Dies macht die EgoDokumente und ihre Verwendung zu einem wichtigen Forschungsgegenstand der Geschichtsdidaktik. Denn Geschichtsdidaktik beschäftigt sich gerade mit diesen vielfältigen Formen diskursiver Sinnbildungsprozesse durch den Bezug auf Geschichte, dem Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft (vgl. Jeismann 1977), sowie dessen Funktionen, Verwendungen und Wandlungen in den Medien der (populären) Geschichtskultur. Im Folgenden soll der Umgang mit diesen lebensgeschichtlichen Abbreviaturen und deren Funktion als Authentizitätssignale in der populären Geschichtskultur am Beispiel des Historienfilms kursorisch thematisiert und geschichtsdidaktisch reflektiert werden. Denn gerade in den neueren Formaten des Historienfilms als eines Hauptmediums der populären Geschichtskultur hat sich in den letzten Jahren eine ›authentische Wende‹ vollzogen (vgl. Bösch 2007: 15f.). Diese neueren Historienfilme inszenieren sich verstärkt selbst als Quellen bzw. werden als faktengetreue Darstellung vergangener Wirklichkeiten beworben und verkauft (vgl. Wildt 2008).

Zur Verwendung von Ego-Dokumenten in Der Untergang Zu Beginn des Films Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel erfolgt eine Rückblende. Die Zuschauer sehen zunächst eine ältere Frau mit grauweißen Haaren, die mit den Worten ansetzt: »Ich habe das Gefühl, dass ich diesem kindischen jungen Ding bös’ sein muss [...]«. Die Frau lässt sich zeitlich in den letzten zwanzig Jahren, die Szenerie ohne weiteres als Zeitzeugin in Großaufnahme in unserem Bildgedächtnis verorten. »[...] und trotzdem, es fällt mir schwer, mir das zu verzeihen«. Mit diesen Worten verschwindet die Zeitzeugin im filmischen Off, bevor sie verjüngt und dennoch klar als die zuvor Sprechende identifizierbar in einer

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neuen Szenerie wieder auftaucht. Das filmische Gestaltungsmittel der klassischen Blende dient dabei dem Wechsel der zeitlichen Erzählebenen: Das erzählende Ich wird zum erzählten Ich. Die mitschwingende Stimme der Zeitzeugin wirkt dabei gleichsam als Garant visueller Glaubwürdigkeit (vgl. Schneider 2007: 21). Zunächst lässt sich diese zweite Szene zeitlich kaum einordnen. Erst durch die symbolischen Verweise (Stahlhelme, SS-Kampfanzüge, Kostüm der jungen Traudel Junge) und spätestens durch die Authentizitätsmarkierungen des time codes »November 1942, Führerhauptquartier Wolfsschanze, Rastenburg, Ostpreußen«, lassen sich chronologische Bezugspunkte der erzählten Zeit der Filmgegenwart ausmachen. Für die Zuschauer, die diese Sequenz sehen, liegen die Schlüsse klar auf der Hand: Die alte und die junge Frau sind die gleichen Personen, erzählt wird die Geschichte der jungen Frau, aus deren Sicht. So wird mit der Eingangssequenz des Films Der Untergang Authentizität suggeriert und angestrebt. Mit dem expliziten Verweis auf die Erinnerungen der Zeitzeugin zeigt der Film, dass die zugrunde liegenden Ereignisse echt und glaubwürdig sind, d.h. sich genau so ereignet haben. Gleichzeitig suggeriert der Film durch die Technik der Blende, dass der Prozess des Filmens diese Ereignisse nicht beeinflusst habe und leugnet damit die nachträgliche Einmischung: »Die Authentizität liegt in der Quelle begründet« (Hattendorf 1999: 67). Zwischen der Traudel Junge der Vergangenheit und der Traudel Junge der Gegenwart – so impliziert es der Film durch seine Sprache – gibt es eine Brücke: Die Erinnerungen an das Erlebte werden zum Abbild vergangener Wirklichkeiten. Wie kein anderer Historienfilm in den Jahren nach Steven Spielbergs Schindlers Liste (Spielberg 1993) hat der 2004 angelaufene Kinofilm Der Untergang, der unter der Regie von Oliver Hirschbiegel und nach dem Drehbuch von Bernd Eichinger entstand, die öffentliche Diskussion um die Grenzen der Darstellbarkeit des Nationalsozialismus bestimmt.2 Dabei hat er nicht nur im deutschsprachigen Raum zu erhitzten Diskussionen geführt (vgl. Reytier 2007). Diese Debatten drehten sich um die alte Gegenüberstellung von Fiktion und historischer Wahrheit sowie um die Unterscheidung von Dokumentation und Historienfilm. Im Mittelpunkt stand dabei stets die Frage nach dem Grad an Authentizität sowie der Faktizität der dargestellten Geschichte (vgl. Elm 2008: 144-159). Der Film selbst versucht die letzten zwölf Tage im Führerbunker der Reichskanzlei von Ende April bis Anfang Mai 1945 historisch korrekt szenisch zu rekonstruieren. Die Rekonstruktion basiert zum größten Teil

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Mittlerweile hat die Forschungsliteratur zum Film Der Untergang deutlich zugenommen, vgl. u.a. Assmann (2007b) und Bathrick (2007).

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auf einem anerkannten Zeugnis des scheinbar Authentischen: auf den 1947/1948 niedergeschriebenen Erinnerungen der letzten Hitler-Sekretärin Traudel Junge. Diese waren im Jahr 2002 – zeitgleich mit dem von André Heller und Othmar Schmiderer gedrehten Interview-Film Im toten Winkel (2002) – unter dem Titel Bis zur letzten Stunde als Buch herausgegeben worden (Junge 2007). Aufgrund ihres lakonischen Stils wurde diesen Erinnerungen schon damals ein hohes Maß an Authentizität zugesprochen: »Sie bieten die Authentizität einer Belehrten und deshalb Beladenen« (Hieber 2002: 54). Bereits ein Jahr vor der Filmpremiere hatte der Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger in einem Spiegel-Interview die Rezeptionsbzw. Diskussionsrichtung über den von ihm verantworteten Film vorgegeben: »Wir machen einen großen epischen Film fürs Kino. Allerdings halten wir uns dabei streng an die Dokumente. An Stenogramme der Lagerbesprechungen und an die Aufzeichnungen von Zeitzeugen. Was historisch nicht belegt ist, kommt nicht vor [...]. Ich denke, unser Film wird authentischer als alle vorherigen« (Der Spiegel 2003: 153).

Die alte Definition der Filmgattungen, der zufolge der Dokumentarfilm eine besondere Glaubwürdigkeit durch die explizite Thematisierung seiner Darstellung und Deutung erhält, während der Historienfilm gerade diese historiographische Distanz und damit seine spezifische Darstellungsform und Perspektive verleugnet, wendete die Produktion und Rezeption des Filmes geradezu in ihr Gegenteil (vgl. Borries 2001: 223). Hier handelt es sich um einen Historienfilm, der sich durch die Verwendung zahlreicher Authentizitätssignale und durch den expliziten – und im Gestus des Beglaubigens – vollzogenen Verweis auf die Ego-Dokumente in dem filmbegleitenden Medienverbund bewusst als historische Quelle präsentierte. Damit ging er sogar noch einen Schritt über die alte Unterscheidung hinaus. Gerade dadurch, dass er nicht die Darstellung und die Explizitheit der Rekonstruktion thematisierte, generierte er sich durch die den verwendeten Ego-Dokumenten zugesprochene Authentizität zum Medium historischer Wahrheit: »Wenn der Film wie eine Dokumentation wirkt, ist das für mich das schönste Kompliment, das man als Regisseur bekommen kann. Dann hat der Regisseur offenbar so inszeniert, dass die Zuschauer in diesem Moment vergessen, dass sie einen Spielfilm sehen, sondern dass sie sich als Teil der Ereignisse fühlen« (ARD, 2009).

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Zu diesem Zweck werden eine Reihe von Authentisierungsstrategien eingesetzt, unter denen die explizite Verwendung von so genannten EgoDokumenten als Beleg für die Tatsächlichkeit des Dargestellten fungieren: Zu diesem Authentisierungszweck wird im Falle des Films Der Untergang auf die Erinnerungen der Traudel Junge (Junge 2007) und die Spandauer Tagebücher von Albert Speer (Speer 1975) oder im Film John Rabe (2009) auf die Tagebücher des gleichnamigen Siemens-Vertreters in Nanking (Wickert 2009) verwiesen. ›Authentizität‹ ist dabei zum Leitbegriff wissenschaftlicher Auseinandersetzung geworden (vgl. Fischer/Wirtz 2008; Wirtz 2008; Schneider 2007; Knaller 2007) und hat längst auch das Feuilleton der überregionalen Tageszeitungen und Zeitschriften erreicht (vgl. Osterkamp 2008: Z1). Durch die filmische Verwendung der Erinnerungen der Zeitzeugin, die dem Film erst den authentischen Rahmen geben – im wahrsten Sinne des Wortes: Der Film beginnt und endet mit den Einspielungen der Zeitzeugin – wird die scheinbare Authentizität dieser Erinnerungen (das Dokumentarische) zum Element des Films (des Fiktiven). Der Film befriedigt damit das Vergewisserungsbedürfnis der Zuschauer und kreiert durch den expliziten Verweis auf die historische Faktizität des Dargestellten einen regelrechten »Mythos der Authentizität« (Elm 2008: 43). »Alles absolut authentisch!« verkündet der Regisseur auf der BonusDVD. »Wir wissen, wovon wir reden!«: Mit diesen Worten fasste der Filmemacher Wim Wenders den Wahrheitsanspruch des Filmes kritisch zusammen (Wenders 2004: 49). Der Film selbst war einer der zuschauerstärksten Filme des Jahres 2005, wurde für den Oscar als bester nicht-englischsprachiger Film nominiert, im deutschen Fernsehen in einer zweiteiligen Fassung ausgestrahlt und ist mittlerweile auch Gegenstand historischen Lernens. Der Untergang war und ist kein Spartenfilm, sondern Gegenstand populärer Geschichtskultur, den nicht zuletzt auch zahlreiche Schülerinnen und Schüler, schulisch begleitet oder im Fernsehen, gesehen haben. Für die Konstruktion individueller Geschichtsbilder und die Generierung individuellen Geschichtsbewusstseins ist der Historienfilm als wichtiges Medium gegenwärtiger Geschichtskultur durchaus bedeutsam geworden. Damit wird er zum Forschungsgegenstand der Geschichtsdidaktik, die sich mit populärer Geschichtskultur – der »äußeren Seite des historischen Lernens« (Rüsen 1991: 17) –, ihren Medien und schlussendlich auch mit den ihr inhärenten Authentisierungsstrategien empirisch, theoretisch und pragmatisch auseinandersetzt. Hier – und der Film dient nur als prominentes Beispiel für das weite Feld der Geschichtskultur – wird eine dokumentarische Authentizität suggeriert, in der sich die Didaktik des Be-

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lehrens durch faktengestütztes Belehren mit der Didaktik des Belehrens durch gefühlsmäßiges Bewegen überschneidet. Durch diese neo-historistische Verwendung von Ego-Dokumenten in den Medien der populären Geschichtskultur und durch die damit verbundene Suggestion von historischer Authentizität (Ego-Dokumente als Authentizitätssignale) erhält eine Erzählhaltung in den Prozess des außerschulischen historischen Lernens Einzug, die für den Aufbau individuellen Geschichtsbewusstseins weit wirkmächtiger ist, als die klassischen Vermittlungsinstanzen wie z.B. Schule und Unterricht. Authentizitätsfiktionen der populären Geschichtskultur wie Oliver Hirschbiegels und Bernd Eichingers Der Untergang und Spielbergs Schindlers Liste haben einen deutlichen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein der Kinder und Jugendlichen (vgl. Hofmann/Baumert/Schmitt 2005; Zülsdorf-Kersting 2007). Diesen Umstand gilt es jedoch nicht zu bemängeln, sondern vielmehr als »kulturelle Tatsache« (Konersmann 2006: 61) zu analysieren und einen verantwortungsvollen und reflektierten Umgang damit zu entwickeln. Gegenstand geschichtsdidaktischer Forschung und historischen Lernens muss es demnach einerseits sein, diese Erzählhaltungen und Authentisierungsstrategien der populären Geschichtskultur zu untersuchen und andererseits, geschichtskulturelle Kompetenz in Schule, Hochschule und Universität zu fördern.

Ego-Dokumente in der populären G e sc hi c h t sk u l tu r Weitere Beispiele für die Verwendung von Ego-Dokumenten in der populären Geschichtskultur sind die Verfilmungen des Tagebuchs der Anonyma (2008) und des Siemens-Vertreters John Rabe (2009), die Erinnerungen des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (Szpilman 1998) oder etwa Sophie Scholl: Die letzten Tage (2005).3 Als erinnerte und damit gedeutete Vergangenheit und als dargestellte Geschichte spielen sie in der populären Geschichtskultur und deren verschiedenen Medien und Institutionen gerade durch ihren Gestus des Beglaubigens eine besondere Rolle. Die lebensgeschichtlichen Selbstthematisierungen suggerieren dabei die ›Wahrheit‹ der Erzählung (vgl. Günther 2001: 32).

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Dieser Film wollte sich besonders durch die detailgetreue Rekonstruktion der Verhörprotokolle von früheren Verfilmungen unterscheiden, weil es dem Drehbuchautor und Produzent Fred Breinersdorfer in erster Linie darum ging, die Frage zu beantworten, »wer der Mensch Sophie Scholl wirklich war« (Tondera 2008: 551).

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Hier werden Geschichtsbilder und -vorstellungen erzeugt, in denen die explizite Selbstthematisierung eines Autors oder Autorin zum Authentizitätsnachweis per se wird: »Ich war dabei, so ist es gewesen!«. Nun ist aber gerade die Zuschreibung von Authentizität kein Ergebnis unmittelbarer Erfahrung – und kann es im Falle der Geschichtsdarstellungen auch epistemologisch nicht sein. Historische Authentizität ist vielmehr ein historisch und kontextuell variierendes Konstrukt, ein Ergebnis von Suggestions- und Zuschreibungs-, Produktions- und Rezeptionsprozessen auf der Grundlage erlernter Sehgewohnheiten, kultureller Prägungen und Deutungsmuster. Authentisch ist etwas dann, wenn es als solches vom Betrachter wahrgenommen und anerkannt wird. Dabei kommt den Medien der geschichtskulturellen Manifestationen – ihren »plurimedial vermitellte[n] Aushandlungskontexte[n]« (Erll/Wodianka 2008: 2) – eine besondere Bedeutung zu. Denn gerade in diesen außerhalb der eigentlichen Geschichtsdarstellung liegenden Kontexten wird die Authentizität des Formats »ausgehandelt« (Erll 2007: 91). Damit Authentisierungsstrategien funktionieren, bedarf es verschiedener Signale, die Authentizität beim Rezipienten oder der Rezipientin suggerieren. Erst die Wahrnehmung und – analog zum ›autobiographischen Pakt‹ (vgl. Lejeune 1994)4 – die Anerkennung der verschiedenartigen Authentizitätssignale durch den Betrachter schließt den »Wahrnehmungsvertrag« zwischen Zuschauer und Film (Hattendorf 1999: 75) und konstruiert als Ergebnis die Zuschreibung ›authentisch‹. Die Selbstthematisierungen der Zeitzeugen sind zum zentralen Authentizitätssignal von (historischen) Historienfilmen und Dokudramen geworden. Erinnerungen jedoch sind im höchsten Maße Konstruktionen. Konstruktionen von Geschichten, Erlebnissen, Biographien und Identitäten. Sie werden je nach Bedarf ausgewählt und abgerufen, neukonstruiert, umstrukturiert und auch fehlkonstruiert.5 Das autobiographische Gedächtnis ist in erster Linie ein soziales (vgl. Markowitsch/Welzer 2005: 259f.); demnach sind Ego-Dokumente als Medien des autobiographischen Gedächtnisses in erster Linie Quellen für die individuelle und kollektive Sinnproduktion und nicht Quellen für die vergangenen »Wirklichkeiten« (Depkat 2004: 115). In Bezug auf den Quellencharakter der Ego-Dokumente kommt dieser Rekonstruktion eine besondere Bedeutung zu: Das autobiographische 4

5

Nach dem französischen Literaturwissenschaftler Philippe Lejeune erfährt ein Werk erst dann die Zuschreibung ›autobiographisch‹ durch den Leser, wenn zwischen Autor, Protagonist und Erzähler Namensidentität herrscht und diese vom Leser wahrgenommen und anerkannt wird. Dieser ›Pakt‹ ist Grundbedingung für die autobiographische Lesart (vgl. Lejeune 1994). Für die Analyse der Erinnerungen von Traudel Junge vgl. Fried (2005).

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Gedächtnis ist ein prozessuales. Somit sind lebensgeschichtliche Darstellungen sinnbildend und immer gegenwartsorientiert. Sie stellen Momentaufnahmen des autobiographischen Gedächtnisses dar. Erlebnis und Deutung lassen sich nicht mehr strikt voneinander unterscheiden. Vielmehr kommt der Zeitspanne, die zwischen Ereignis und Aktualisierung liegt, eine besondere Bedeutung zu (vgl. Jureit 1997: 91). Im Kontext der populären Geschichtskultur wird jedoch gerade diese Erkenntnis ausgeblendet. Hier werden die verwendeten Erinnerungen, Tagebücher und Briefe als Quellen für die Authentizität der Darstellung (›fertige Geschichten‹) und als Mittel der Illustration und nicht als Darstellungen der vergangenen Ereignisse – besser wohl als Objektivationen eines kulturell geprägten autobiographischen Gedächtnisses – zitiert. Hier werden Erinnerungen als faktengetreuer Zugang zur vergangenen Wirklichkeit gedeutet und inszeniert. In diesen medialen Zuschreibungsprozessen wird zur Authentizitätssuggestion fiktives und scheinbar dokumentarisches Material »harmonisiert« (Wirtz 2008: 20f.). So fällt hier das Fiktive mit seinem potenziellen Gegensatz, dem Dokumentarischen zusammen: »Die Illusion des Dokumentarischen funktioniert als Element des Fiktiven. Sie macht dies gewichtiger und endgültiger« (Grob 1981: 130).

A u t h e n t i z i t ä t — g e s c h i c h t sd i d a k t i s c h Historisches Denken und Lernen – sei es in der Schule, im Geschichtsunterricht oder eben auch und besonders in der außerschulischen Geschichtskultur – stellt permanent Authentizitätsansprüche, d.h. es trennt ›Realität‹ und ›Fiktion‹. Diese Forderung beruht auf unserem individuellen Geschichtsbewusstsein und dient der Orientierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Unser Geschichtsbewusstsein fragt nach den Quellen der verschiedenen Darstellungen als ›Sinnbildungsangebote‹ und fragt nach der Authentizität und Triftigkeit des Wissens über die Vergangenheit: Woher wissen wir das? Diesem Verstehensbedürfnis auf Seiten der Rezipienten steht der konstitutive Authentizitätsanspruch der Geschichtswissenschaft gegenüber. Diese versucht, den empirisch geprüften Gehalt durch die wissenschaftliche Methode, durch Verweise, Quellenangaben und Fußnoten zu sichern und damit gleichzeitig dem Vergewisserungsbedürfnis der Rezipienten zu entsprechen: ›Woher weiß ich, dass das stimmt, was da erzählt wird?‹ (vgl. Pandel 2009a: 30). Für das historische Lernen ist dabei die Differenz von Quelle und Darstellung von hoher Relevanz. Denn Authentizität wird in der Regel über die Nähe bzw. Ferne zur jeweiligen

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Quelle ausgedrückt. »Geschichtsdidaktische Medien lassen sich nach den unterschiedlichen Graden der Authentizität, nach ihrer Nähe zur referierten Geschichte unterscheiden« (Pandel 1997: 419). Ausgerichtet auf die Verwendung von Ego-Dokumenten in der populären Geschichtskultur, sei es im Historienfilm, in der Belletristik oder im Dokutainment Knoppscher Prägung, erscheinen die verschiedenen Tagebücher, Briefe, Autobiographien und Erinnerungen in erster Linie im Gestus des Beglaubigens, um eben diesem dem Geschichtsbewusstsein inhärenten Verstehens- und Vergewisserungsbedürfnis der Rezipienten zu entsprechen. Durch die Verwendung der Ego-Dokumente als Authentizitätssignale inszenieren sich diese Manifestationen der Geschichtskultur selbst zur Geschichte, die sich wiederum in der unmittelbaren Nähe zur vermeintlichen Quelle ausdrückt: So war es! Anlässlich dieser so genannten authentischen Wende innerhalb der populären Geschichtskultur stellt sich einmal mehr die von Hans-Jürgen Pandel bereits 1996 gestellte Frage: »Wieviel Fiktion verträgt unser Geschichtsbewusstsein?«. »Sehr viel«, gibt er zur Antwort, »aber nur so lange, wie die Fiktion sich als Konstrukt zu erkennen gibt« (Pandel 1996: 18). In Anbetracht der Tatsache, dass eine solche Thematisierung des Gegenwartsbezugs und der Kohärenz historischen Erzählens meist fehlt und populäre Geschichtsdarstellungen oft in einen historistischen Erkenntnisgestus verfallen oder sich selbst als Quelle inszenieren, muss es Aufgabe sein, die Authentizitätssignale, Authentisierungsstrategien und Sinnbildungen dieser Fiktionen herauszustellen und zu untersuchen. Dadurch erhält die Thematisierung narrativer Kompetenz für modernes historisches Lernen einen besonderen Stellenwert (vgl. Barricelli 2008). Denn gerade in der engen Verknüpfung der biographischen Sinnkonstruktion ›Ego-Dokument‹ mit der Grundkategorie historischen Lernens (Narrativität, narrative Konstruktion, historisches Erzählen), nämlich der subjektiven Sinnbildung über die Erfahrung vergangener Zeit – »Sinnbildung über Zeiterfahrung« (Rüsen 1994: 65) – liegt die Stärke der EgoDokumente als Quelle historischer Erkenntnis. Demnach sind EgoDokumente historische Darstellungen von subjektiver Triftigkeit und Ergebnis eigener Sinnbildung, die die Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen des Schreibers/der Schreiberin explizit enthalten. Zum anderen muss die Förderung geschichtskultureller Kompetenz zum zentralen Aufgabengebiet des historischen Lernens in Schule und Hochschule gemacht werden. Denn gerade in den geschichtskulturellen Manifestationen des kollektiven Geschichtsbewusstseins (Belletristik, Film, Gedenktage, Museen, Denkmäler, Comic, bildende Kunst) werden die unterschiedlichen autobiographischen Erinnerungen ästhetisch, mora-

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lisch und politisch inszeniert und stellen als fertige Narrationen Sinnbildungsfiguren für die Mitmenschen zur Verfügung. Diese Manifestationen sind es, die das individuelle Geschichtsbewusstsein nachhaltig beeinflussen. Wenn historische Spielfilme wie Das Boot (1981), Des Teufels General (1955) und Historienfilme wie Good bye, Lenin (2003) oder Forrest Gump (1994) Geschichtsbewusstsein geprägt und Geschichtsbilder erzeugt haben, die in das autobiographische Gedächtnis eingehen und Erinnerungen ergänzen und überschreiben, so ist anzunehmen, dass die Historienfilme der gegenwärtigen populären Geschichtskultur auch für die dritte und vierte Generation als Deutungsmuster herangezogen werden (vgl. Welzer/Moller/Tschuggnall 2002; Wineburg 2001; Moller 2008: 95f.). Durch die Verknüpfung der Darstellungsprinzipien Authentizität, Personalisierung und Emotionalisierung mit den Medien der privaten Erinnerung in den Objektivationen der Geschichtskultur werden Sinnbildungsangebote gemacht, die gerade durch die verwendeten Darstellungsprinzipien dem Authentizitätsanspruch des historischen Lernens entsprechen. Diese Erzählweise steht jedoch den Forderungen nach einem reflektierten Geschichtsbewusstsein und nach einem kompetenzorientierten historischen Lernen diametral gegenüber: Diese Darstellungen können zwar ein affektives Wissen generieren, das aber in letzter Konsequenz das Publikum in einer passiven Haltung zurücklässt. Sie bieten als Geschichtsdarstellungen ›fertige‹, d.h. in sich geschlossene Geschichten, die ihrem Publikum jegliche Zustimmungsfähigkeit und Distanzierungsmöglichkeit vorenthalten. Für das institutionell gebundene historische Lernen in Form des schulischen Geschichtsunterrichts müssten diese Einsichten weitreichende Folgen haben (vgl. Heuer 2005: 173). Denn wo, wenn nicht im Geschichtsunterricht sollen Schülerinnen und Schüler lernen mit solchen Darstellungen kompetent und verantwortungsvoll umzugehen? Der Film Der Untergang erzählt die letzten Tage in erster Linie aus Sicht der Führungselite, spart die Verbrechen der Deutschen in den Jahren 1933-1945 aus. Das kulturelle Gedächtnis der populären Geschichtskultur, zu dessen festem Inventar die Historienfilme zählen, ist in erster Linie personalisierend, emotionalisierend und monoperspektivisch, wird aber die Schülerinnen und Schüler weit länger begleiten, als es die für den Unterricht aufbereiteten Quellen und Schulbuchtexte je tun werden. Vor dem Hintergrund dessen, dass sich das Gros der Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht fast ausschließlich mit Quellentexten beschäftigt, während sie doch sonst und auch nach Abschluss ihrer Ausbildung permanent mit Darstellungen der populären Geschichtskultur konfrontiert sind, erfährt das Mündigkeitspostulat historischen Lernens eine neue Wendung – von der jedoch der alltäglich praktizierte Geschichts-

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unterricht bzw. die Schulbücher und Handreichungen noch weit entfernt sind. Medienkompetenz im Sinne einer fachspezifischen Gattungs- und geschichtskulturellen Kompetenz im Geschichtsunterricht fordert mündige Nutzer von Geschichtskultur. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich mit wissenschaftlichen, rhetorischen, imaginativen und diskursiven Formen gegenwärtiger Darstellung von Geschichte auseinander zu setzen. Pointiert formuliert: »Lass Dich nicht von Authentizität suggerierenden ›Dokumentationen‹ suggestiv über den Tisch ziehen!« (vgl. Borries 2009: 140).

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DER FUND

FAKT? ZUR ROLLE UND FUNKTION ARCHÄOLOGISCHER FUNDE IN DOKUMENTARFILMEN ALS

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Über Jahrhunderte oder Jahrtausende hinweg liegen sie im Boden verborgen, bis sie eines Tages an die Oberfläche gelangen: Zeugnisse aus fernen Zeiten, die in unsere Gegenwart hinein zu treten scheinen und Geschichte damit greifbar machen – Funde, die uns, vielleicht, etwas erzählen können über fremde Lebenswelten. Oder Funde, denen wir als Wissenschaftler mit einer Vielzahl unterschiedlicher Methoden Informationen entlocken. Puzzleteilen gleich dienen archäologische Objekte als Quellen, aus denen wir vor allem für schriftlose Kulturen Stück für Stück Bilder von möglichen Vergangenheiten zusammensetzen (hierzu vgl. Kümmel 2006). Es entsteht ein Mosaik, das zwangsläufig Lücken enthält. Jeder neue Fund kann neue Erkenntnisse bedeuten und damit eine Lücke ein Stückchen weiter schließen – oder nach der Neuzeichnung bisheriger Bilder verlangen. Archäologische Gegenstände vermitteln den Eindruck, ein ›unverfälschtes‹ Zeugnis menschlichen Handelns abzulegen und scheinen damit ›unmittelbaren‹ Kontakt zur Vergangenheit zu ermöglichen. Das verleiht ihnen einen besonderen Charakter von Authentizität und erklärt ihre Anziehungskraft in Museen oder in großen Sonderschauen1 ebenso wie ihre besondere Funktion in verschiedenen Formen von Geschichtsdarstellungen. Hinweis, Indiz oder Beweis, bekräftigendes Element, Antwort auf eine Frage – die Rolle, die archäologischen Funden in der Dramaturgie des zu übermittelnden Berichtes zugeteilt wird, umfasst verschiedene Spielarten. Um diesen ausgewählten Aspekt, die Funktion des Fundes als stützendes narratives Element in der Geschichtserzählung, geht es im folgenden Beitrag anhand von Beispielen aus dem Bereich Film.

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Dabei muss es sich nicht um Originale handeln; ebenso populär sind originalgetreue Repliken. Vgl. Kircher in diesem Band und Wirtz (2008b: 188f.).

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Aufnahmen von Funden nehmen in filmischen Dokumentationen zu archäologischen Themen oft breiten Raum ein. Sie machen einen Großteil des verwendeten Bildmaterials aus – neben Experteninterviews,2 Szenen in wissenschaftlichen Labors oder auf Grabungen,3 Karten oder Trickgrafiken und Reenactment-Szenen.4 Zu den im Original gezeigten Fundstücken oder Fundorten gesellen sich Repliken von Gegenständen, Modelle von Siedlungen und digitale oder lebensgroße Rekonstruktionen beispielsweise von Wohnbauten. Archäologische Objekte werden dabei selten um ihrer selbst Willen vorgestellt, sondern in einen größeren Kontext eingebettet. Dabei spielt die Art und Weise, wie der Fund ins Bild gesetzt, d.h. wie er filmisch inszeniert wird, eine wesentliche Rolle für die Aussage, die er transportiert.5 Bilder von Funden stehen oft für den Anspruch einer Dokumentation, authentische Informationen zu übermitteln, d.h. ›Wahrheit‹ und ›Wirklichkeit‹ darzustellen (vgl. Omphalius 2002: 100). Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit, verkörpert durch die Objekte, lässt zudem Authentizität durch Visualität entstehen, die leicht kontextualisiert werden kann. Neuerdings kommen doku-fiktionale Filme mit weniger Bildern von Originalen aus – der Authentizitätsanspruch des Gezeigten verlagert sich in die Ausstattung der Darsteller und Kulissen sowie in die Spielhandlung.

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Zu Experten als »authentifizierte Exegeten« vgl. Crivellari (2008: 183). Auf Grabungen oder in wissenschaftlichen Labors gedrehte Szenen entsprechen funktional den ›Originalschauplätzen‹ in zeitgeschichtlichen Dokumentationen: Sie schaffen eine Aura des Authentischen durch das Aufsuchen der Grabungsstelle als Zeugnis für den Ort des Geschehens sowie durch die Präsenz von Wissenschaftlern in beglaubigender Funktion. Edgar Lersch (2008: 126) und Beate Schlanstein (2008: 216) folgend, werden v.a. diejenigen Dokumentarfilme von Spielhandlungen bestimmt, deren Themen in Zeiten vor Erfindung der Fotografie angesiedelt sind. Sie ersetzen das Foto oder das originale Filmdokument – oder, wie in diesem Beitrag gezeigt werden soll, den originalen Fund. Alle drei Quellengruppen spielen eine ähnlich authentifizierende Rolle. »Eine Neandertalerkalotte […] ist zunächst nichts anderes als der obere Teil des Schädels einer ausgestorbenen Spezies. Aufgenommen in der stolzen Hand eines Forschers wird sie zum Zeichen des triumphalen Höhepunktes seiner Wissenschaftlerkarriere, kreisend auf einem Drehteller, mit Lichtreflexen versehen, kann sie als besonderer Schatz der Menschheit verstanden werden, während sie eingebaut in die dreidimensionale Computeranimation eines Neandertalerkopfes zum Beweis für die überlegene Intelligenz des anderen homo sapiens wird« (Omphalius 2002: 100).

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ARCHÄOLOGISCHE FUNDE IN DOKUMENTARFILMEN

Die Präsentation von Archäologie im ›Dokumentarfilm‹ findet heute überwiegend im Fernsehen statt,6 in Formen, die auf die Bedürfnisse und Erwartungen des Fernsehpublikums zugeschnitten sind. Diese ›Fernsehdokumentationen‹ unterscheiden sich in Stil und Machart zuweilen sehr vom ›wissenschaftlichen Archäologiefilm‹,7 der zumindest in Deutschland nur selten über die Fernsehsender ausgestrahlt wird und damit nur eine kleinere Öffentlichkeit erreicht.8 Für den schulischen Bedarf gibt es speziell ausgewiesene Sendungen, zum Beispiel im Bereich des Schulfernsehens, oder etwa die ›Unterrichtsfilme‹ der beiden Marktführer Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, Grünwald (FWU) und Institut für Weltkunde in Bildung und Forschung, Hamburg (WBF).9 Herausgeber von Unterrichtsfilmen arbeiten zunehmend mit ursprünglich für das Fernsehen produzierten Sendungen. Wesentliches Ziel ist dabei der Neuschnitt der Fernsehdokumentation in ein kürzeres Format, das gut im Unterricht eingesetzt werden kann. Verwendung findet vor allem das Bildmaterial der Originalvorlage, oft auch die Tonspur mit Begleitgeräuschen, Musik und dem O-Ton der Experteninterviews. Der voice over-Kommentar wird in der Regel durch einen neuen Text ersetzt, der sich inhaltlich meist an die Vorlage anlehnt. Die Hauptschwierigkeit besteht in der Kürzung einer oder mehrerer Fernsehsendungen von 30-60 Minuten Länge auf maximal 20 Minuten. Meist müssen inhaltliche Schwerpunkte gesetzt und Reduktionen im erläuternden Kommentar hingenommen werden. Seltener werden Fernsehdokumentationen ungekürzt und in ihrer Originalversion in einen Unterrichtsfilm übernommen: wenn

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Zur Bedeutung des Geschichtsfernsehens allgemein vgl. Fischer (2009: 191); Korte/Paletschek (2009: 36f.); Lersch/Viehoff (2007: 96); Wirtz (2008a: 11); Schlanstein (2008: 205). Zur Bedeutung archäologischer Dokumentationen vgl. Stern (1994: 9); kritisch: Schmidt (1994: 21f.). Angesichts der großen Zahl erstaunt die von archäologischer Seite her bislang nur sporadische Beschäftigung damit. Vgl. Samida (im Druck) mit Literaturhinweisen. Gemeint sind von Archäologen erstellte Dokumentarfilme mit hohem wissenschaftlichem Anspruch, beispielsweise die vom IWF (Institut für den wissenschaftlichen Film, Göttingen) herausgegebenen Lehrfilme. Zu einer breiteren Definition des ›Archäologiefilms‹ vgl. Rahemipour (2003: 191). Ein wichtiges Forum für die Autoren wissenschaftlicher Archäologiefilme sind archäologische Filmfestivals, beispielsweise Cinarchea in Kiel. Ich fasse hier Fernsehdokumentationen, wissenschaftliche Archäologiefilme und Unterrichtsfilme unter dem Begriff ›Dokumentarfilme‹ zusammen. Es verbindet sie der überwiegend dokumentarische Anspruch.

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es sich um narrativ abgeschlossene Sequenzen von etwa 10-20 Minuten Länge handelt. Als Hauptquelle für die folgende Erörterung dient der Unterrichtsfilm Völkerwanderung: Kimbern, Varusschlacht und Angelsachsen (FWU, 2002, im Folgenden zitiert als Völkerwanderung). Der erste Abschnitt dieses Films wurde aus der Fernsehdokumentation Sturm über Europa, Folge 1: Kimbern und Teutonen zusammengeschnitten (ZDF, 2002, im Folgenden Sturm über Europa 1), der zweite aus Sturm über Europa 2: Varusschlacht und Gotensaga (ZDF, 2002, im Folgenden Sturm über Europa 2). Exemplarisch möchte ich die Rolle und Funktion archäologischer Funde in insgesamt vier inhaltlichen Themenfeldern herausgreifen: Zunächst geht es am Beispiel der Darstellung von Germanen um Funde im Dienst eines Germanenklischees sowie um die Frage, wie Reenactment zur Bekräftigung populärer Geschichtsbilder an die Stelle von Funden tritt, dann am Beispiel der Varusschlacht um Funde als ›Beweis‹ für ihre Lokalisierung und als Zeugen im Kontext der Bewertungen zur Varusschlacht.

Germanen Völkerwanderung und Sturm über Europa 1 enthalten zum Thema der germanischen Kimbern10 mehrere Erzählinhalte: Begründungen für die Frage, warum sie ihre Heimat verließen, Informationen zur Lebensweise der Germanen und zu ihren Charaktermerkmalen sowie die Nacherzählung der historisch überlieferten ›Wanderung‹ der Kimbern von Nord nach Süd bis zur Schlacht bei Noreia 113 v. Chr. In diesen Kontexten dienen Funde zur Bekräftigung des Vermittelten. Wo Funde fehlen, wirken Reenactment-Szenen, oft gestützt auf die Überlieferung der antiken Schriftsteller, als Ersatz mit ebenso authentifizierender Wirkung. Funde im Dienst des Germanenklischees Moorleichen als Teil der Dramaturgie Den Einstieg in Völkerwanderung bilden Aufnahmen von Moorleichen, begleitet von folgendem voice over-Kommentar: »Moorleichen, gefunden in Dänemark, über viele Jahrhunderte im Moor konserviert. Das Mädchen von Windeby, gerade viehrzehnjährig, als es starb. Und 10 Die Zuordnung der ›Kimbern‹ zu den Germanen geht auf Caesar zurück, ist in der Forschung allerdings umstritten. Vgl. Pohl (2000: 11f.).

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ARCHÄOLOGISCHE FUNDE IN DOKUMENTARFILMEN

der Mann von Tollund. Beide Angehörige des germanischen Volkes der Kimbern, das vor über zweitausend Jahren seine Heimat verließ und zu einer langen Wanderung mit ungewissem Ziel, ungewissem Ausgang aufbrach. Was hatte diese Menschen aus ihrer Heimat vertrieben? Eine Flutkatastrophe, ein stärkerer Feind? Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich der Hunger. Im Magen einer Moorleiche fanden sich neben Hafer und Haselnüssen vor allem Unkrautsamen. Dürftige Kost, uns wäre sie ungenießbar erschienen. Kaum gut genug, die Vögel damit zu füttern. Und das Mädchen von Windeby muss in seinen vierzehn Lebensjahren zwölf Hungerwinter erlebt haben. Jedenfalls ergab die Durchleuchtung seines Oberschenkelknochens zwölf Zonen verzögerten Wachstums, für die es nur eine Erklärung gibt: mangelhafte Ernährung. Die Kimbern dürften buchstäblich von der Hand in den Mund gelebt haben. Ihre Böden waren karg, und Vorratswirtschaft kannten sie nicht. Waren sie zweibeinige Tiere, wie die Römer glaubten? Die am äußersten Rand der bewohnten Welt ihr Leben fristeten? Viel schlauer als die Römer sind auch wir heute nicht«.

Als Bildmotive dienen in der Sequenz zusätzlich ein Dorf, Pflanzensamen, Skelettreste sowie eine Röntgenaufnahme, meist begleitet von einer traurigen, getragenen Hintergrundmusik. Die rekonstruierte Siedlung erscheint nicht etwa bei Sonnenschein, unterlegt mit Vogelgezwitscher, sondern im Schneegestöber, akustisch verstärkt durch das Heulen des Windes – zum Hunger gesellt sich also wirkungsvoll die Kälte. Für die Zuschauer ergibt sich: Mit diesen Germanen, die sich, wie es an anderer Stelle heißt, »abschinden [mussten] für ein Leben ohne Hoffnung«, kann man nur Mitleid haben. Geschnitten wurde die Sequenz aus der ersten Folge der Fernsehdokumentation Sturm über Europa. Vor diesem Hintergrund erklären sich die Bilder und Informationen sowie ihre Wirkung im Unterrichtsfilm: Der als Vorlage dienende Vierteiler erzählt die Geschichte vom Aufstieg der Germanen zu frühmittelalterlichen Reichsgründern. Er liefert eine in die Story passende Begründung dafür, warum die Germanen – angeblich zu Tausenden – ihre Heimat verließen; dabei arbeitet er auch auf der Ebene der Funde mit klassischen Mitteln, die das Fernsehpublikum an das Medium binden: Personalisierung (hier: Kimbern, ›Mann von Tollund‹, ›Mädchen von Windeby‹), Emotionalisierung (Erweckung von Mitleid und Trauer durch Text und Musik), Dramatisierung (Tod, Kälte, Hunger). Im Falle der Moorleichen findet zu diesem Zweck eine De- und Neukontextualisierung der Funde statt:

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1. Sie werden zu »Angehörige[n] des germanischen Volkes der Kimbern« erklärt, obgleich die Datierung der Moorleichen nicht mit der Zeitebene der Filmhandlung übereinstimmt.11 2. Die Moorleichen stehen stellvertretend für die angeblich hungernde Gesamtbevölkerung, wobei die Aussagekraft der Funde zu Gunsten der Story überstrapaziert wird. Spuren von Mangelernährung sind, wie der Film richtig demonstriert, zwar am Skelett des ›Mädchens von Windeby‹ nachweisbar,12 Hunger war aber nicht die Todesursache, wie der Film suggerieren könnte.13 Die auch bildlich präsentierte »karge Kost« geht auf die wissenschaftliche Untersuchung des Mageninhalts vom ›Tollund-Mann‹ zurück. Sie wird einseitig im Sinne der Geschichte über Hunger und Knappheit interpretiert, seine »letzte Mahlzeit« nicht nur auf sein gesamtes Leben, sondern auch auf das ›Mädchen von Windeby‹ und mit ihm auf ›alle Kimbern‹ übertragen.14 Der Nachweis von Pflanzensamen und Nüssen hätte, wie dies in anderen Filmen der Fall ist, genauso gut genutzt werden können, um die Vielfalt der pflanzlichen Nahrung aufzuzeigen anstelle von Dürftigkeit im Speiseplan.15 11 Der Film beschreibt die Zeit um 120 v. Chr. Das Sterbedatum für den ›Mann von Tollund‹ liegt, C14-Daten entsprechend, vermutlich »um die Mitte des 3. Jahrhunderts vor Christus«. Das ›Mädchen von Windeby‹ starb »wahrscheinlich um die Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus« (Haak 2002: 47; vgl. Gebühr/Eisenbeiss 2007: 64). 12 Im Unterrichtsfilm heißt es, die Röntgenaufnahme des »Oberschenkelknochens« zeige »Zonen verzögerten Wachstums«. Untersucht wurde allerdings das Schienbein (vgl. Haak 2002: 34-35), wie es in Sturm über Europa auch korrekt heißt. Die Verwechslung der Knochen im Unterrichtsfilm zeigt, dass solcherlei Details von den Herstellern als irrelevant empfunden werden: Es geht um die Aussage der Knochenfunde im Hinblick auf Mangelernährung. Dass der Knochen dennoch genau benannt wird, dient vermutlich der dann erhöhten authentifizierenden Wirkung. 13 Todesursache war eine Kieferentzündung. Nach neuesten Erkenntnissen handelt es sich auch nicht um ein ein 14-jähriges Mädchen, sondern um einen 15-17 Jahre alten Jungen (vgl. Gebühr/Eisenbeiss 2007: 64). Dies wurde erst nach Herausgabe des Films bekannt; die Filmemacher arbeiteten also mit damals geltendem Forschungsstand. Dennoch müssten die Passagen heute korrigiert werden. Das Beispiel verdeutlicht, dass auch Forschungsergebnisse nie ›die Wahrheit‹ darstellen, sondern lediglich einen ›Kenntnisstand‹, der sich mit der Anwendung neuer Methoden verändern kann. 14 Kritik an solchen Verallgemeinerungen: vgl. Gebühr/Eisenbeiss (2007: 66). 15 So in Bei den Germanen (FWU, 1994) und Aus dem Wirtschaftsleben der Germanen (WBF, 1974/1993) sowie in Die Germanen, Folge 1 (WDR, 2008). Todd (2000: 24) vertritt auf der Grundlage archäologischer Befunde die These, intensiver Ackerbau in zahlreichen fruchtbaren Gebieten hätte

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Die Präsentation und Deutung der archäologischen Objekte im Unterrichtsfilm ist der Dramaturgie der zu erzählenden traurigen Geschichte untergeordnet, wie sie bereits in der Fernsehdokumentation angelegt ist. Für ihre Authentizität sollen in beiden Filmversionen die Funde bürgen. Die Moorleichen erhalten in dieser Rolle einen neuen (aus fachwissenschaftlicher Sicht falschen) Kontext. Sie dienen der Bekräftigung eines populären Germanen- und Völkerwanderungsklischees, das letztlich auf antike Topoi zurückgeht (vgl. Pohl 2000: 25f.): An Kälte und Hunger leidend hätten die Germanen ihre kargen Böden verlassen.16 Diese klischeehafte Darstellung des hungernden Barbaren aus dem rauen Norden entspricht einer einseitigen Perspektive zu Gunsten einer geschlossenen Erzählung. Ein multiperspektivischer, offener Zugang hätte bedeutet, weitere Gründe für Migrationen mit einzubeziehen (vgl. Knaut/Quast 2005: 8-18). Einer wissenschaftlich fundierten Interpretation der Moorleichen folgend würde man sie als individuelle Zeugnisse für Einzelschicksale betrachten17 und sie dann auf ihre Aussagemöglichkeiten befragen, anstatt sie innerhalb eines vorgefertigten Bildes für eine bestimmte Botschaft zu instrumentalisieren. Funde, Völker, Wanderungen: Lässt sich ein Mythos belegen? Wesentliches Erzählelement ist in Sturm über Europa und Völkerwanderung die historisch überlieferte ›Wanderung‹ verschiedener germanischer Stämme und deren wiederkehrende Auseinandersetzung mit dem Römischen Reich. Funde dienen dabei als Beleg für die Wanderbewegung. Auch die archäologische Fachwissenschaft hat sich in der Vergangenheit vielfach darum bemüht, über Funde Bevölkerungsbewegungen nachzuweisen – mit mäßigem und besonders in den letzten Jahren vermehrt umstrittenem Erfolg. Grundsätzliches Problem ist die Zuordnung von Funden zu bestimmten ›Stämmen‹ oder ›Völkern‹, ein in der Archäologie als ›ethnische Deutung‹ diskutiertes Vorgehen (vgl. Brather 2004). Für die eine »ansehnliche Bevölkerung« ernähren können. Zur Funktion des Mageninhalts als angeblicher Beleg für schlechte Ernährungsgrundlagen kommt erschwerend hinzu, dass der Genuss von Fleisch im Magen oder Darm von Moorleichen gar nicht nachweisbar wäre, im Gegensatz zu pflanzlichen Makroresten, die sich erhalten (vgl. Gebühr/Eisenbeiss 2007: 66). 16 Der Befund an zwei Moorleichen wird, schon im Originalfilm, auf eine ganze Bevölkerungsgruppe übertragen: »Aus den Moorleichen kann die Wissenschaft heute schließen: Nicht eine Flutkatastrophe, sondern Hunger vertrieb die Kimbern aus Dänemark« (Sturm über Europa 1). 17 Hierzu Gebühr (2002: 16) und (Gebühr/Eisenbeiss 2007: 66).

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Völkerwanderungszeit fehlt es oft an gegenständlichen Zeugnissen, die mit den historisch überlieferten Ereignissen und Stämmen eindeutig in Beziehung gebracht werden können (vgl. Knaut/Quast 2005: 8-18). Für die Kimbern und ihre Zeit, von denen Sturm über Europa 1 und der erste Abschnitt von Völkerwanderung handeln, existieren insgesamt nur wenige archäologische Funde, und diese sind allenfalls der beschriebenen Epoche zuordenbar, nicht unmittelbar den ›Kimbern‹. Dies bedeutet in der filmischen Umsetzung, dass zum Zweck einer glaubhaften Darstellung für Einzelfunde eine ›kimbrische Herkunft‹ konstruiert wird. In Völkerwanderung findet beispielsweise die Frage, »ob die Kimbern auf die Römer wirklich wie Riesen gewirkt« hätten, eine Antwort in einem Vergleich, bei dem die Skelette eines großen und eines kleinen Individuums nebeneinander zu sehen sind. Das große Skelett wird zum ›Kimber‹, das kleine zum ›Römer‹ erklärt – aus archäologischer Sicht ein problematisches Vorgehen, aus filmischer Sicht verständlich: Der Film soll von Völkern und Ethnien erzählen, die miteinander in Konfrontation geraten, und nicht von namenlosen Unbekannten. Ethnische Zuweisungen von menschlichen Überresten zu den Kimbern erfolgen in Sturm über Europa 1 an zahlreichen Stellen, wurden also von dort als ›wissenschaftliches Wissen‹ in den Unterrichtsfilm übernommen. So beginnt die Fernsehdokumentation mit einem Blick in ein anthropologisches Magazin, bezeichnet als »Friedhof vieler Völker: für West- und Ostgoten, Markomannen, Gepiden, Vandalen«, also von Stämmen, für die die Schriftquellen Migrationsbewegungen überliefern. Dann wird ein Schädel herausgegriffen, angeblich »der Schädel eines Kimbern«. Über die Methode der plastischen Gesichtsrekonstruktion erhält er sein Antlitz zurück – und wird dabei per Trick zu einem der Hauptdarsteller in den Reenactment-Szenen. ›Diesen Kimbern hat es wirklich gegeben‹, suggeriert die vom Originalfund ausgehende Bildmontage: »Freund wie Feind würde ihn wiedererkennen, ihn bei seinem Namen nennen […]. Er war einer unter Zehntausenden, die in die Geschichte eingegangen sind […]«. Zu Gunsten der Erzählung wird ein an sich anonymes Fundstück zur Person, bekommt im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesicht – und die Story erhält durch die ganze Szenerie im Magazin (von der Knochenkiste zur plastischen Rekonstruktion) zusätzlich eine scheinbar wissenschaftliche Bekräftigung. Auch Objekte werden in Völkerwanderung und Sturm über Europa 1 mit den Kimbern in Zusammenhang gebracht. So der Gundestrup-Kessel, im Donauraum produziert und in Dänemark in einem Moor gefunden. Eine Verbindung zwischen Kimbern und Gundestrup-Kessel lässt sich

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wissenschaftlich nicht nachweisen,18 wird im Unterrichtsfilm aber zur unumstrittenen Gewissheit, der Kessel in authentifizierender Funktion zum gegenständlichen Beleg für die ›Wanderung‹ der Kimbern.19 An der archäologischen Deutung der Funde vorbei werden, ganz ähnlich, die sogenannten Negau-Helme eingesetzt. Die Komplexität ihrer Geschichte übergehend20 wird der Bogen zu den Kimbern gespannt: »Möglich, dass die Kimbern sie unterwegs als Opfergabe für ihre Götter zurückgelassen haben«, heißt es in Völkerwanderung, und in Sturm über Europa: »Es ist […] die einzige Spur der Völkerwanderung der Kimbern außerhalb von Dänemark, bis heute«. Ein ›Experte‹ gibt folgende Beurteilung über einen der Helme ab: »Ja, die Inschrift ist germanisch. Dann war der Auftraggeber sicher ein Germane. Falls der Helm, bzw. falls die Inschrift auf dem Helm um 100 vor Christus entstanden ist, dann kommt da wohl am ehesten ein Kimber in Frage«. Der Germanist Hermann Reichert wird hier sehr präzise; seine Aussagen widersprechen allerdings dem Stand der archäologischen Forschung.21 Gundestrup-Kessel und Helme werden als wichtiger Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Forschung inszeniert: Das suggerieren der Blick durch die Lupe auf ein Detail des Gundestrup-Kessels sowie eine Szene, in der ein Wissenschaftler die Inschrift eines der Helme an seinem Arbeitsplatz mit Bleistift auf ein Blatt Papier kopiert. Dies verleiht den 18 Der Kessel wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Dänemark entdeckt; seither wird über seine Herkunft und die Frage diskutiert, wie er nach Dänemark gelangte. Spekulationen über einen Zusammenhang mit den Kimbern resultieren aus einer Zusammenführung von Archäologie und Geschichte (Datierung des Kessels auf frühestens 150 v. Chr.; Herstellung in der Donauregion; historisch überlieferter Aufenthalt der Kimbern in dieser Gegend). 19 »16.000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt stießen sie auf die Donau. Aus dieser Gegend brachten einige von ihnen einen heute weltberühmten Schatz nach Dänemark zurück: den Gundestrup-Kessel«. In Sturm über Europa 1 ist er »Zeugnis« der »Wanderung« der ›Kimbern‹ »bis an die Donau. Bei Borremose wurde der Schatz im Moor versenkt [...]. Vielleicht als [...] Bitte für eine bessere Heimat der Ausgewanderten in der Ferne«. 20 Die Helme aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. entstammen dem ›keltischen‹ Kulturkreis und wurden im 2. oder 1. Jahrhundert v. Chr. im heutigen Böhmen als Depot niedergelegt. Ein Helm trägt eine nicht weiter datierbare Inschrift in einem venetischen oder rätischen Alphabet, aus der sich der germanische Name »Harigast« ablesen lässt (vgl. Nedoma 1995). Die Helme vereinen also unterschiedliche kulturelle Zuordnungen, Herstellungszeiten und Nutzungen. 21 Da die Datierung der Inschrift unklar ist, ist eine Verbindung zu den Kimbern, wie sie Hermann Reichert offensichtlich abgerungen wurde, wissenschaftlich nicht haltbar.

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Funden, in Kombination mit dem Statement des ›Experten‹ in der Fernsehversion, als ›wissenschaftliche Zeugen‹ für die Story ein erhöhtes Maß an Authentizität. Aus archäologischer Sicht findet hier jedoch bezüglich ihrer Aussagekraft eine Überstrapazierung der Funde statt.22 Reenactments anstelle von Funden Das Barbarenklischee von Hunger und Armut findet in Völkerwanderung eine Ergänzung durch Aussagen, die vor allem mit Reenactment-Szenen23 bebildert werden. Ursprünglich aus antiken Quellentexten gespeiste Informationen erhalten durch sie eine Bekräftigung. Die Szenen zeigen vor allem das, wofür die Funde fehlen: beispielsweise das Überwintern einer fellbehängten, Wildschwein essenden, ungekämmten Germanenhorde in einer Höhle; eine Mutter kratzt ihrem Kind den Dreck unter den Fingernägeln weg. »Die Römer sahen in diesen Menschen nur zottelfellige Wilde, stinkend und schmutzig. Und zweifellos konnten es die Kimbern unterwegs mit der Körperpflege nicht so ernst nehmen«, wird durch die ›So war es auch tatsächlich‹-Bilder bestätigt. Der Unterrichtsfilm übernimmt die Kernaussagen der Fernsehdokumentation, in der es, ganz dem antiken Barbaren-Topos24 entsprechend, ebenfalls heißt, die Germanen seien in »dunklen Urwäldern zu Hause«, worauf ein mit Reenactment unterlegtes Tacitus-Zitat zur Bedeutung der Jagd bei den Germanen folgt. Die Einblendung von Funden mit einem entsprechenden Kommentar soll die Aussagen zur mangelnden Körperpflege wohl ein Stück zurücknehmen: »Dennoch, ihr Aussehen war ihnen keineswegs gleichgültig. Funde aus dem Moor beweisen: Jeder Kimber führte eine Art Kulturbeutel mit sich. Dieser Kulturbeutel enthielt Holzstäbchen für die Zahnpflege, eine Schere, ein Rasiermesser, Pinzette und einen Kamm aus Horn«. Die Reenactment-Szenen jedoch setzen sich über die Aussage der Funde hinweg und verbreiten weiterhin das Klischee des ungepflegten Wilden. 22 Für die ethnische Zuordnung von Funden finden sich auch in weiteren Filmen zur Völkerwanderungszeit Beispiele, etwa in allen Folgen von Sturm über Europa. Weitere Beispiele in Sénécheau (2008: 648, 650). 23 Die Szenen entstanden in Zusammenarbeit mit der bereits an vielen Geschichtsfilmen beteiligten Prager Firma »Three Brothers Production«. Sie hat den Anspruch, dank einer speziellen Ausstattung besonders authentisch wirkende Szenen zu liefern: »To make everything look credible, we use special procedures which give to our products the patina and looks of many times used and many years old parts of armour and weaponry« (Three Brothers Production 2005). 24 Hierzu ausführlicher mit Literaturangaben Sénécheau 2008: (463-476).

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Die Funde werden nur als Kuriosum gezeigt und reichen in letzter Konsequenz nicht aus, ein vorgefertigtes Bild zu revidieren bzw. ein populäres Geschichtsbild als Klischee zu entlarven. In dieser Montage bildet das Reenactment einen stärkeren ›Fakt‹ als der Fund.25 Zum Topos des ungepflegten, in den Wäldern hausenden Wilden26 gesellt sich der des brutalen Kriegers. Auch dieses Bild lässt sich für das 1. Jahrhundert v. Chr. nicht eindeutig anhand von Funden belegen; auch hier wird das Fehlen von Funden vor allem durch Reenactment kompensiert. Dazu gehören Szenen von Raubüberfällen, begleitend zum Text: »Sie kannten nur ein Recht: Das Recht des Stärkeren […]. Was man ihnen nicht freiwillig gab, nahmen sie sich mit Gewalt. Bald bedeutete der Name ›Kimber‹ schlicht ›Räuber‹«. Weiterhin enthält der Unterrichtsfilm zahlreiche Szenen, die die Kimbern im Kampf mit den Römern zeigen. Sie verleihen dem Text Nachdruck: »An Stärke sind sie unübertrefflich, berichtete ein Römer, und an Aussehen den Giganten gleich […]. Mit der Schnelligkeit und Gewalt eines Feuersturms griffen sie an, tollkühn und unerschrocken, mit tierischen Stimmen und furchtbaren Schreien. Das berichtet ein römischer Augenzeuge«. Bildlich wird hier genau das umgesetzt, was die antiken Quellen überliefern – Topoi geraten zum Tatsachenbericht, deren Authentizität die Spielszenen zu bezeugen scheinen.27 25 Im Originalfilm wird der römische Topos sachrichtig als Klischee dargestellt: »Sicher, was die Köperpflege angeht, forderte das Wanderleben seinen Tribut. Aber das Klischee stimmt so nicht, denn Funde aus dem Moor beweisen heute: Jeder Kimber führte eine Art Reisenecessaire mit sich«. 26 Vgl. die Inszenierung des Wald-Topos in Kampf um Germanien (ZDF/ ARTE, 2009). Der Kontrast zwischen ›Naturvolk‹ und ›römischer Zivilisation‹ wird in den Reenactment-Szenen anschaulich ins Bild gesetzt – einschließlich der Darstellung ungepflegter Germanen (verdreckt und ungekämmt) im Gegensatz zu den ordentlich herausgeputzten Römern. Arminius lässt sich nach seiner ›Identitätskrise‹ die Haare wachsen: Aus dem gepflegten Römer ist wieder ein wilder Barbar geworden. 27 In der Fernsehversion werden alle Passagen aus den Berichten antiker Autoren mit einer anderen Sprecherstimme wiedergegeben. Den Zuschauern wird dadurch deutlich gemacht: Es handelt sich um Zitate; die Spielszenen geben die Perspektive und die Vorstellungen der Römer wieder. In der Unterrichtsversion geht dieser Effekt durch Kürzungen und eine einheitliche Sprecherstimme verloren. Die Spielszenen verbürgen die Authentizität solcher Informationen, die sich kaum aus gegenständlichen Quellen gewinnen lassen. Die Schriftquelle fungiert hier als eine Art (unkritisch verwendete) Zeitzeugenaussage und als Ersatz für gegenständliche Quellen. Ein Vorgehen, bei dem das auf der Bildebene Präsentierte eine Funktion als Beleg für die Aussagen auf der Tonebene erhält, findet sich auch in älteren Unterrichtsfilmen (Alltag in einem germanischen Gehöft, WBF, 1974/1993; Aus

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Das Fehlen von Funden, die als Belege für die Wanderung der Kimbern herangezogen werden könnten, wird – so der Eindruck – ebenfalls durch den Einsatz von Reenactment-Szenen kompensiert. Diese finden insbesondere dann Verwendung, wenn es um Informationen zum ›Treck‹ der Germanen geht, so in Völkerwanderung: »Mühsam musste sich der Treck der germanischen Glückssucher seinen Weg durch unbekanntes Gelände bahnen. Tagaus, tagein, bei Wind und Wetter [...]. Die Karren mit den Habseligkeiten der Auswanderer wurden von Ochsen gezogen. [...] schließlich dürften es hunderttausend Menschen gewesen sein, die sich langsam aber sicher auf die Grenze des Römischen Reichs zubewegten«.

Begleitend zu diesen Worten sind einfach gekleidete ›Germanen‹ zu sehen, die mit Ochsengespannen durch die Landschaft ziehen. Die Aufnahmen bekräftigen die traditionellen Klischees zur Völkerwanderung – tausende von Menschen mit Ochsenkarren, Kind und Kegel auf der Suche nach einer neuen Heimat (hierzu vgl. Rosen 2002: 28-37) – und vermitteln den Eindruck eines ›So ist es gewesen‹ durch die möglichst authentische Anlehnung an populäre Geschichtsvorstellungen. Durch ihre Vollständigkeit im Füllen der Fundlücke sind sie somit wirkmächtiger als jedes archäologische Einzelobjekt. Zusammenfassend ist festzustellen: Sturm über Europa 1 und Völkerwanderung enthalten tradierte Germanenklischees, die mit unterschiedlichen Mitteln – der De- und Neukontextualisierung von Funden und mit Reenactment – inszeniert werden.28 Dies geschieht teilweise wider besseres Wissen über den Forschungsstand, denn die Nutzung des dem Wirtschaftsleben der Germanen, WBF, 1974/1998; Bei den Germanen, FWU, 1994; vgl. Sénécheau 2008: 510f.). Die zu erzählende Geschichte handelt dort oft von der Einfachheit der germanischen Lebensweise, durch bestimmte Formulierungen im Text immer wieder hervorgehoben und mit Bildern ›germanischen Lebens‹ aus dem Bereich der Living History und der experimentellen Archäologie unterlegt (vgl. ebd.: 512). 28 Bei den o.g. speziell für die Belange der Schule hergestellten Unterrichtsfilmen sind entsprechende Klischees nicht oder nur in geringerer Ausprägung enthalten. Die Filme behandeln allerdings andere Themen (Alltags- und Wirtschaftsleben) und greifen hierfür auf im Archäologischen Versuchszentrum Lejre gedrehte Szenen zurück. Der Authentizitätsanspruch äußert sich in der Betonung der Wissenschaftsnähe: »Wissenschaftler und Studierende« machen hier Versuche; die Archäologie erschließt die vergangene »Lebenswirklichkeit« (Alltag in einem germanischen Gehöft, WBF, 1974); die gezeigten Gegenstände sind »originalgetreu nachgebaut« (Aus dem Wirtschaftsleben der Germanen, WBF, 1974) oder »nach den Erkenntnissen der Forscher hergestellt« (Bei den Germanen, FWU, 1994).

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populären Geschichtsbildes spielt aus filmischer Sicht eine wichtige Rolle für die Anknüpfung an das Fernsehpublikum.29 Für einen erfolgreichen Film ist es allerdings nicht zwingend, auf diese Weise zu verfahren. Dass auch ein anderer Umgang mit Funden und Geschichtsbildern möglich ist, zeigt die erste Folge der doku-fiktionalen Reihe Die Germanen (WDR/ARD, 2008).30

V ar u s sc hl a c h t Die bisher angeführten Beispiele veranschaulichen die Nutzung von Funden als Objekte, die für die Authentizität der erzählten Geschichte bürgen sollen, in Kontexten, für die nur wenige Funde herangezogen werden können. Im Folgenden geht es um einen umgekehrten Fall: die Varusschlacht und ihre lange gesuchten, inzwischen in Kalkriese nahe Osnabrück wohl endlich gegenständlich greifbaren Überreste sowie deren Einbindung in Dokumentarfilme. Dem Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts folgend als ›Wendepunkt der deutschen Geschichte‹ interpretiert, ist die Varusschlacht (Hermannsschlacht), insbesondere die Frage nach ihrer Lokalisierung, sowohl 29 Patricia Rahemipour sieht in der »Verwendung von Klischees im Film« ein Reagieren auf das »Bedürfnis der Zuschauer nach Vertrautem«: »Ausgehend von der Idee, dass man nur erkennen kann, was man bereits kennt, wird durch Nutzung der Klischees ein hohes Maß an Wiedererkennung erreicht. Auf Anhieb kann das Thema – auch vom Laien – erfasst werden« (2003: 197). Dazu auch Schmidt (1996: 22, 159). 30 Die Germanen, Folge 1 (WDR/ARD, 2008) ist im Hinblick auf die beschriebene Zeit mit Sturm über Europa 1 und Völkerwanderung vergleichbar. Eine Moorleiche (›Mann von Tollund‹) dient als Aufhänger für die Thematisierung von Opfer und Kult bei den Germanen. Zur Information über Kleidung und Aussehen werden Schriftquellen herangezogen, bildlich unterlegt durch verschiedene Funde. Die Frage, ob Tacitus’ Bericht über die einfache Kleidung der Germanen archäologisch eine Bestätigung findet, wird verneint durch die Präsentation von Funden aufwändig hergestellter, farbiger Stoffe. Waffen bezeugen hier nicht den Topos des wilden Kriegers, sondern entsprechend der wissenschaftlichen Auffassung eine zunehmende Militarisierung der Bevölkerung in Konfrontation mit dem Römischen Reich. Trotz Einbettung in eine fiktionale Geschichte dienen Funde nicht der Untermauerung von Klischees. Der Film zeugt vielmehr von einem differenzierten Umgang mit den Ergebnissen der Archäologie und ihrer Berücksichtigung innerhalb des auch hier auf die Belange der Zuschauer hin konstruierten Spannungsbogens – ein Beispiel dafür, dass sich Wissenschafts- und Publikumsnähe nicht widersprechen müssen.

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bei Laien als auch bei Wissenschaftlern schon lange von großer Bedeutung (vgl. Wiegels/Woesler 1995; Wiegels 2007b; Derks 2003: 127). Entsprechend gilt die Entdeckung eines Ortes, für den inzwischen ausreichende Indizien vorliegen, um in ihm einen Schauplatz des Geschehens zu sehen, auch in den Augen von Archäologie und Geschichtswissenschaft als eine – wenn auch nicht unumstrittene – Sensation (vgl. Moosbauer/Wilbers-Rost 2007). Schon im wissenschaftlichen Umgang mit der Thematik spielen Funde aus Kalkriese unterschiedliche Rollen: Zunächst lieferten einzelne Gegenstände erste Hinweise, und Grabungen erbrachten dann weitere Indizien. Zusammengenommen können sie als Belege dafür betrachtetet werden, dass hier um 9 n. Chr. eine Schlacht mit überwiegend römischer Beteiligung stattgefunden hat (vgl. Moosbauer/Wilbers-Rost 2007). Allein aus der Erzählfolge ›erste Entdeckungen und Vermutungen‹ → wissenschaftliche Erforschung → wissenschaftliches Ergebnis ergibt sich eine Geschichte, die sich gut erzählen lässt und regelrecht danach verlangt, auch als spannende Spurensuche dokumentiert zu werden – so geschehen beispielsweise im Film Die Varusschlacht (ZDF, 1999)31 oder auch in der ersten Dauerausstellung des Museums Kalkriese (2002-2008), in der die Besucher den fiktiven Detektiv »Herrn Stahnke« bei seinen Ermittlungen im »Fall Kalkriese« begleiteten (dazu Derks 2003). In den hier diskutierten Filmbeispielen Völkerwanderung und Sturm über Europa 2 ist die Präsentation von Funden zur Varusschlacht in zwei narrative Stränge eingebettet: erstens die Lokalisierung der Schlacht von den ersten Hinweisen zum Beweis, zweitens die Darstellung des Geschehens aus der Perspektive der Römer, d.h. als Katastrophe für die Römer. »Hier war es!«: Funde als Beleg für die Lokalisierung der Varusschlacht Die Sequenz zur Varusschlacht im Unterrichtsfilm Völkerwanderung arbeitet mit einem Spannungsbogen, der sich aus der Frage nach der Lokalisierung des historisch überlieferten Ereignisses ergibt. Gegenständlicher Ausgangspunkt ist das Hermannsdenkmal »im Teutoburger Wald«, wo 31 Der Film von Ingo Helm wurde als Teilfilm der Serie C14 – Schatzjäger in Deutschland, Folge 4 (ZDF, 1999) gesendet. Als Unterrichtsfilm findet er sich u.a. in Geschichte ganz nah – Ausgrabungen in Deutschland 1 (FWU, 2000). In einer der letzten Sequenzen heißt es: »Reichen nun die Beweise, dass hier die Varusschlacht stattgefunden hat? Wolfgang Schlüter, der zuständige Archäologe aus Osnabrück: ›Die Beweispflicht, dass wir hier die Varusschlacht haben, liegt nicht mehr bei uns, sondern unsere Gegner müssten uns beweisen, dass wir hier nicht die Varusschlacht haben‹«.

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man den Schauplatz der Schlacht lange »vermutete«.32 Als »erste[r] Hinweis« auf Kalkriese fungieren Funde von Schleuderbleien. Aufnahmen von Grabungsarbeiten veranschaulichen dann, wie »zum ersten Mal in der Geschichte der Archäologie […] ein antikes Schlachtfeld systematisch erforscht« wird. Dass dies tatsächlich »mit sensationellem Erfolg« geschieht, sollen die Aufnahmen verschiedener Fundstücke bezeugen, die »bestätigen, dass man an der richtigen Stelle gräbt«. In der Fernsehvorlage Sturm über Europa 2 »beweisen« die Funde, »dass die Varusschlacht wirklich in Kalkriese stattfand«. Die Aufnahmen der Schleuderbleie in der Hand ihres Finders, des Hobbyarchäologen Tony Clunn, bilden zunächst ein wichtiges Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Mit ihnen wird die Varusschlacht greifbar, die auf Münzfunde gestützte Annahme zur Feststellung. Clunn kommentiert den Fund in Sturm über Europa 2: »Nun hatten wir einen Ort, wo nicht nur Münzen gefunden wurden, sondern an dem auch Menschen gekämpft hatten. Damit wurde die Vermutung […] bestätigt, dass hier der Ort der Varusschlacht war«. Die Schleuderbleie belegen die Präsenz von Menschen – von Römern, von Germanen, oder von Anhängern beider Seiten? In Völkerwanderung dienen die Fundstücke dazu, die Anwesenheit kriegerischer Germanen glaubhaft zu machen: Die in der Fernsehvorlage nur als »Schleuderbleie« bezeichneten, weder Römern noch Germanen zugeordneten Objekte werden im Unterrichtsfilm zu »germanischen Schleuderkugeln«. Mit der Absicht, das Gezeigte genauer zu benennen, und vermutlich auch motiviert durch die Suche nach einem Beleg für die Anwesenheit von Germanen, entstand dabei ein Sachfehler, denn es handelt sich nicht um germanische, sondern um römische Artefakte. Die anschließende Präsentation von Sensationsfunden (Maske, Waffenteile aus Edelmetall, ein Schlüssel)33 lässt sich mehrfach begründen: Die Objekte wirken durch ihre Ästhetik, müssen nicht durch viele Worte erklärt werden, und können als Symbole für die hochstehende Zivilisation der Römer verstanden werden. Ihre Verwendung im Unterrichtsfilm geht auf ihre Präsentation in der Fernsehvorlage zurück, wo man zur Steigerung des Nachrichtenwertes der eigenen Sendung bemüht ist, das

32 In Sturm über Europa 2 (ZDF, 2002) hat das Hermannsdenkmal eine andere Funktion. Es porträtiert Arminius, während die bekannte Einschätzung des römischen Autors Tacitus wiedergegeben wird: »Der Cheruskerfürst Arminius hatte es gewagt, das römische Volk auf dem Höhepunkt der Macht des Reiches herauszufordern. Siegreich im Krieg war er unstreitig der Befreier Germaniens«. 33 Vgl. auch die Auswahl der Funde in Die Varusschlacht (ZDF, 1999).

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Besondere und Kostbare zu zeigen.34 Doch eigentlich eignen sich genau diese Objekte nicht als Beleg für die Örtlichkeit der Varusschlacht: Aus der großen Menge der Funde stechen sie durch ihre besondere Qualität hervor, im Fall der Maske sogar durch ihre Einzigartigkeit. Sie können nicht stellvertretend für das Geschehen oder die Masse der beteiligten Kriegsteilnehmer stehen. Vielmehr ist das ›Schlachtfeld‹ durch die großen Mengen vorhandenen ›Schrotts‹ (vgl. Derks 2003: 130) gekennzeichnet. Diese zu präsentieren hätte einen authentischeren Eindruck von der Grabungssituation und ihren Ergebnissen vermittelt, der aber nicht in ein populäres Bild von ›sensationellen Funden‹ zu passen schien.35 Beide Filme, Sturm über Europa 2 und Völkerwanderung, zeigen Münzen als letztes Glied in der Kette der Beweisführung für die Lokalisierung der Schlacht. Die Datierung der jüngsten Stücke um 9 n. Chr. räumt quasi letzte Zweifel aus.36 Eine aus quellenkritischer, wissenschaftlicher Sicht sinnvolle Diskussion um die Interpretation der Fundmünzen, wie sie in Fachkreisen stattgefunden hat, wurde ausgespart, zu Gunsten des geschlossenen Bildes und einer vereinfachten Darstellung: Durch Funde wird Eindeutigkeit suggeriert, um die ›Spurensuche‹ zu einem erfolgreichen Ende zu führen. »Es war eine Katastrophe!«: Funde stützen ein Geschichtsbild Wie zur Bekräftigung des Gesagten folgt in Völkerwanderung auf die Darstellung der Funde eine Reenactment-Szene (Rückkehr des Germanicus sechs Jahre später an den Ort der Schlacht), die nicht nur römische Soldaten in nachgebildeter Ausrüstung ins Bild setzt, sondern auch ein am Schlachtort zurückgebliebenes Schwert und die sterblichen Überreste von Legionären, »Opfer der Germanen an ihre Götter«. Worauf die vor-

34 Hierzu neigen in der Regel natürlich auch Ausstellungsmacher. 35 Enger an die reale Fundsituation angelehnt ist die entsprechende Sequenz in Die Germanen 2 (WDR/ARD, 2008): Hier werden Waffenteile, eine Maske und weitere Funde, die über ein weites Gebiet streuen, als Hinweise auf die Schlacht beschrieben. Siehe auch die Präsentation von Kleinstteilen in Kampf in Germanien 2 (ZDF, 2009). 36 Vgl. die Heranziehung von Münzen in Kampf in Germanien 2 (ZDF, 2009) als »wichtigstes Argument« für Kalkriese. Siehe auch deren Funktion in Die Varusschlacht (ZDF, 1999). Dort wird zusätzlich der Gegenstempel VAR auf einigen der Münzen als Hinweis auf die Anwesenheit des Varus dargestellt; der Stempel erweckt damit fast den Eindruck von dessen »physische[r] Präsenz am Grabungsort« (Tode/Stern 2003: 149).

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her gezeigten Funde nur Hinweise geben, findet sich hier nun zu einem vollständigen Bild zusammengesetzt.37 Die nachgebildeten Skelettreste bilden in dieser Szene das Pendant zu den (im Unterrichtsfilm dem Hermannsdenkmal vorangestellten) Aufnahmen von echten Schädeln, abgefilmt in Naheinstellung vor schwarzem Hintergrund, als illustrative Unterlegung der folgenden Textaussage: »Der Vorstoß endete in einer Katastrophe, von der die eingeschlagenen Schädel römischer Offiziere zeugen. Bei einem Aufstand verschiedener Cheruskerstämme unter dem Germanenfürsten Arminius wurde im Jahr 9 n. Chr. die gesamte römische Streitmacht vernichtet«. In der Originalvorlage werden die angeblichen »Schädel römischer Legionäre« als Beweisstücke für das brutale Vorgehen der Germanen nach der Schlacht verwendet: als Überreste von Legionären, die von den Germanen als »Opfer für Wodan« erschlagen wurden. Das »antike Drama«, das sich laut Kommentar abgespielt hat, erfährt in der Fernsehdokumentation an anderer Stelle durch die Vorführung weiterer Knochenfunde eine Vertiefung: »Noch heute umweht der grauenvolle Geruch des Todes die Fundstücke. Sie erzählen vom Untergang eines großen Heeres«.38 Die verletzten Schädel und die nachgebildeten Leichen setzen genau wie die präsentierten römischen Legionäre nur Römer (keine Germanen) ins Bild, und dies in einer Opferrolle.39 Aus filmischer Sicht haben die menschlichen Überreste wichtige Funktionen für die Dramaturgie inne: emotionalisieren und dramatisieren. Die Menge der gezeigten Originalschädel ist für den Betrachter nicht überschaubar, dadurch erscheint die Zahl groß. Die Schädel wirken wie augenfällige Belege für die behauptete Vernichtung der »gesamte[n] römische[n] Streitmacht«; sie können die Katastrophe für die Zuschauer fast körperlich nachvollziehbar sowie plastisch greifbar machen. Der Einsatz der Schädelfunde als Beleg für die römische Katastrophe hat aus wissenschaftlicher Sicht mehrere Haken: Erstens lässt sich am 37 Reenactment-Szenen zur Schlacht selbst wurden aus der Fernsehdokumentation nicht übernommen. Die gezeigte Szene, in der Germanicus die Überreste des Schlachtfeldes entdeckt, bildet allerdings ausreichenden Ersatz für die Darstellung von Brutalität und Gewalt. Vgl. die Germanicus-Szene in Die Germanen 2 (WDR/ARD, 2008). Zum Thema siehe (Tode/Stern 2003: 154-156) sowie Derks (2003: 128). 38 Diesen Umgang mit Funden charakterisieren Tode/Stern (2003: 160) als sensationsgerechtes Servieren unscheinbarer Knochen: Das »archäologische Objekt« gerate »zum Gruselfaktor«. 39 Vgl. die Reenactments in Die Varusschlacht (ZDF, 1999) mit ausschließlich römischen Legionären. Zur deren Ausrüstung heißt es, sie sei »authentisch bis ins Detail« und »mit wissenschaftlicher Akribie rekonstruiert«.

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Skelett nicht feststellen, ob es sich jeweils um einen gefallenen Römer oder um einen toten Germanen handelt (vgl. die Anmerkungen oben zum Problem der ›ethnischen Deutung‹). Nur der Fundkontext, beispielsweise im Falle der Gruben, in denen die Knochen Bissspuren nach mehrjährigem Verbleib an der Erdoberfläche aufweisen, spricht mit aller Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich um die sterblichen Überreste von auf römischer Seite kämpfenden Legionären handelt.40 Zweitens sind nicht sämtliche auf römischer Seite kämpfenden Soldaten in der Schlacht umgekommen. Drittens, und darauf gehen die Filme nicht ein, sind ethnische und politische Zuweisungen im Falle der Varusschlacht nur schwer miteinander in Deckung zu bringen: Auf römischer Seite kämpften nicht nur ›Römer‹, sondern auch Hilfstruppen anderer Abstammung bzw. ohne römisches Bürgerrecht, darunter Germanen; unter Arminius kämpfte nicht ›der germanische Volksaufstand‹, sondern im Kern aller Wahrscheinlichkeit nach ein Zusammenschluss ehemaliger römischer Hilfstruppen. Das Bild ›Römer gegen Germanen‹ greift hier zu kurz, wenn es auch gut den Vorlieben filmischen Erzählens (vgl. Borries 2007: 195) und populären Vorstellungen zur Thematik entspricht. Insgesamt unterstützt die Dramaturgie der meisten Filme zur Varusschlacht, inklusive des Einsatzes von Funden, eine Perspektive, die die Römer als Opfer und die Germanen als Täter darstellt und dabei zugleich mit dem Gegensatz zwischen Zivilisation und Barbarei arbeitet.41 Ergebnis der Varusschlacht ist in dieser Interpretation eine Katastrophe für das Römische Reich und ein vorläufiger Stopp der Ausbreitung römischer Lebensweise;42 Arminius erscheint in der Rolle des ›Verräters‹.43 Die Beweggründe der Germanen für die Planung des Aufstandes finden dabei nur selten eine Thematisierung. Insgesamt fassen wir hier ein prorömisches Geschichtsbild, das neuerdings wieder einen Wandel erfährt.44

40 So auch der differenzierte Umgang mit diesen Funden in Die Germanen 2 (WDR/ARD, 2008). 41 Vgl. auch mit entsprechender Kritik Tode/Stern (2003: 153, 162). 42 So ist das Ergebnis laut Die Varusschlacht (ZDF, 1999), dass »der größte Teil Germaniens [...] mit den Segnungen der römischen Hochkultur nicht mehr in Berührung« kam. 43 So beispielsweise wörtlich in Die Varusschlacht (ZDF, 1999). 44 Genannt sei der Film zur Varusschlacht Die Germanen 2 (WDR/ARD, 2008), in dem sich die Germanen, so der Tenor, mit gutem Grund gegen römische Ungerechtigkeiten auflehnen. Die Reenactment-Szenen zeigen u.a. die Opfer der Unterdrückung. Archäologische Objekte werden herangezogen, um die für Arminius dargestellte (wissenschaftlich nicht gesicherte) Geiselnahme germanischer Kinder durch römische Herrscher zu untermauern; sie unterstützen, emotionalisierend und dramatisierend, eine pro-

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D e r F u n d a l s F a k t? E i n e z u s am m e n f a s s e n d e B e w e r t u n g Faktizität und Authentizität Die erörterten Beispiele machen deutlich, dass archäologische Funde im klassischen Kompilationsfilm eine bedeutende, authentifizierende Rolle innerhalb der erzählten Geschichte spielen. Funde versprechen Faktizität, sie fungieren als Garant für Authentizität und Wissenschaftsnähe. Doch Faktizität ist in den gesichteten Filmen teilweise eine Illusion: eine scheinbare Faktizität, die durch verschiedene Strategien der Authentizitätssuggestion kreiert wird. Denn die tatsächlichen ›Fakten‹ werden oft zu Gunsten einer geschlossenen Geschichte in ihrer Aussage verdreht oder in neue Kontexte versetzt. Sie dienen als Belegstücke für eine bereits existierende Geschichtsinterpretation, in die sie fast beliebig, je nach zu übermittelnder Botschaft, eingefügt werden. Auf diese Weise stützen Funde in archäologischen Dokumentarfilmen Weltbilder, Deutungen und Botschaften, in denen sich wissenschaftliche Ergebnisse, der Zeitgeist und tradierte (populäre) Geschichtsvorstellungen miteinander mischen. Funktion und Wirkung der Funde ähneln dem Belegcharakter von Zeitzeugenaussagen. In Völkerwanderung und Sturm über Europa werden beispielsweise die Moorleichen und knöcherne Überreste von Menschen zu einer Art ›stumme Zeitzeugen‹: Den Zeitzeugen im zeitgermanische Perspektive. Andere Funde sollen vom »friedlichen Beisammensein von Römern und Germanen« zeugen. Angesichts der wechselvollen Geschichte rund um die Interpretation der Varusschlacht und der Figur des Arminius erstaunt es, dass in diesem Kontext nun doch wieder der Mythos des germanischen Freiheitskampfes heraufbeschworen wird: Ein als Thingstätte interpretierter Fundort, dient – auf eine entsprechende Reenactment-Szene folgend – als Beispiel für einen Ort, an dem Arminius zum Kampf aufrief und die germanischen Stämme ihm »folgten«. Die authentische Wirkung der Verknüpfung von Reenactment, Funden und Sachinformation wird durch ein hier platziertes, wie eine Zeitzeugenaussage verwendetes Zitat aus Tacitus’ Germania über das Thing bei den Germanen noch verstärkt. Auch der doku-fiktionale Zweiteiler Kampf um Germanien (ZDF/ARTE, 2009) übernimmt eine (pro-)germanische Perspektive und schildert das Geschehen aus der Sicht des Arminius, der ungerechterweise als Geisel nach Rom musste. In den Spielszenen werden insbesondere die Figuren des Varus und des (romfreundlichen) Germanen Segestes negativ gezeichnet. Originale Funde haben in dieser Produktion so gut wie keine Bedeutung; die Kommentare ausgewiesener Experten dienen zusammen mit Zitaten aus antiken Quellen als Belege für eine authentische Darstellung.

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geschichtlichen Dokumentarfilm gleich stiften sie »einen emotionalen Verstehenszugang für die Zuschauer, der zur Identifikation mit den Geschehnissen einlädt«, sie »dienen der affektiven Bindung der Zuschauer an das geschilderte Geschehen« wie auch der »Authentifizierung der historischen Dokumentation« (Lersch 2008: 130f.).45 Als Zeitzeugenaussagen fungieren in Darstellungen zur Frühgeschichte auch Zitate aus antiken Schriftquellen, vor allem dann, wenn es an konkreten Gegenständen mangelt, die eingebunden werden können. Oft dienen die Quellenzitate ungefiltert als Basis für ReenactmentSzenen, die vollständige Bilder liefern und in dieser Form sowohl antike Topoi als auch das Eingangswissen des Publikums bestärken. Funde, Fernsehen, Quote »Die filmische Schilderung archäologischer Funde und Befunde erzählt nur in Ausnahmefällen deren Geschichte und Geschichtchen [...]. Zu Reliquie und Schatz stilisiert, buhlen sie stereotyp um Einschaltquoten [...]«, urteilten 2003 ein Filmemacher und ein Archäologe (Tode/Stern 2003: 160; vgl. Stern 1994: 10). Geschichtsfernsehen ist von Erfolgsdruck geprägt, Spannung und Unterhaltung sollen für die nötige Quote sorgen. Um diese zu erreichen, wird nach handwerklichen Regeln produziert, die sich an Genrekonventionen, Zeitvorgaben, Serienformaten und bestimmten Bildern von Adressaten orientieren (vgl. Lersch 2008: 115; Fischer/Wirtz 2008: 7; Schmidt 1996: 219). Das erklärt die intentionale Verwendung von Funden in Filmen über Archäologie. Zur Schaffung einer erzählbaren, verständlichen und emotionalen Geschichte werden Funde in eine fernsehgerechte Narratio, in einen Spannungsbogen mit rotem Faden und Sinnzusammenhang gepackt; für einzelne historische Elemente findet bewusst eine Dekontextualisierung statt.46 Geschichtsfernsehen braucht konkrete Schauplätze, Akteure, Situationen und Handlungsabläufe (vgl. Fischer 2009: 195) – Funde sorgen, u.a., für notwendige Konkretionen. Meist handelt es sich jedoch eher um Scheinkonkretionen: Funde sind zwar gegenständlich, sie sind Objekte; doch es entsteht Subjektivität durch die Einbindung in den Gesamtrahmen, in Deutungen und Wertungen (vgl. Borries 2001: 222). Journalistischen Darstellungskonventionen entsprechend spielt der ›Nachrichtenwert‹ der Einzelinformationen oder des Gesamtthemas eine wichtige Rolle und fügt sich in gängige Schemata der »populären Kom-

45 Vgl. Crivellari (2008: 183); Fischer (2009: 196f.); Wirtz (2008a: 10, 16). 46 Vgl. Wirtz (2008a: 12, 17f., 29); Schlanstein (2008: 221).

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munikationskultur« ein (Crivellari 2008: 161f.). So erklärt sich der Rückgriff auf spektakuläre Funde, Kostbarkeiten oder Ungewöhnliches. Anschlussfähigkeit in kollektiven Diskursen ist von großer Bedeutung (vgl. ebd.: 176; vgl. Schmidt 1996: 22), weshalb die Funde als authentifizierender Bestandteil aktualisierter Legenden über unsere fernen Vorfahren und deren historische Bedeutung fungieren sowie in den populären Mythos der Gegenüberstellung von Barbarentum und Zivilisation eingepasst werden. Authentizitätswirkungen, -erwartungen, -versprechen Authentisch wirkt nach den Regeln des Fernsehens, was bekannt ist, wenn es gelingt, »die Bilder einer populären Geschichtskultur filmisch zu treffen« (Wirtz 2008b: 194; vgl. Schmidt 1996: 22).47 Es geht, zumindest in doku-fiktionalen Formen, also nicht um das »historisch Authentische im Sinne wissenschaftlicher Rekonstruktion, sondern um die Erzeugung einer möglichst gelungenen Illusion von Authentizität« (Zimmermann 2008: 141; vgl. Borries 2001: 222).48 Zur Authentizitätswirkung des Faktischen gesellt sich die Überzeugungskraft des Gesamtrahmens. Nicht-fiktionale Formen profitieren von einem großen Vertrauensvorschuss: »Fernsehzuschauer gehen im Allgemeinen davon aus, dass dokumentarische Filme die Wirklichkeit wiedergeben [...]. Diese Rezeptionserwartung wird durch das Fernsehen als Instanz selber noch verstärkt« (Stutterheim 2006: 1). Mit Dokumentationen verbinden die Zuschauer Faktentreue, Information und Bildung; Dokumentarfilme gelten per se als seriös, authentisch und glaubhaft (vgl. Schlanstein 2008: 208; Brauburger 2009: 203). Die Zuschauer von Geschichtsdokumentationen »glauben, ›realistische‹ Bilder der vergangenen Welt, ungestellt und un-

47 Vgl. auch Zimmermann (2008: 144), ausgehend von seiner Mitarbeit an einem Doku-Drama über Heinrich Schliemann und dessen Ausgrabungen in Troja: »Die Illusion historischer Authentizität wird [...] wesentlich dadurch erzeugt, dass die gebotenen Interpretationsmuster den aktuellen und von der eigenen Gegenwart geprägten Erwartungen der Zuschauer entsprechen oder zumindest mit diesen zusammenzuführen sind«. 48 Vgl. Schlanstein (2008: 219): »[…] das Gefühl von Authentizität stellt sich nicht automatisch ein, wenn sauber recherchierte Materialien nach ordentlich eingehaltenen Regeln präsentiert werden. ›Echt‹ wirkt eine Darstellung erst dann, wenn auch die Erwartungen der Zuschauer an Authentizität durch die inhaltlichen und formalen Entscheidungen des Autors und der Redaktion erfüllt werden [...]«. Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass mit Emotionen verknüpfte Informationen wirksamer ins Geschichtswissen eingehen als reine Faktenvermittlung (vgl. Brauburger 2009: 206).

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gefiltert, unverfälscht und ungeschminkt zu erhalten« (Borries 2001: 222; vgl. ders. 2007: 207). Das Geschichtsfernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender fühlt sich der Geschichtswissenschaft verpflichtet und bemüht sich nach eigener Auffassung um »Faktentreue, Kausalität und Perspektivenwechsel« (Fischer 2009: 195). Die Vermeidung von Sachfehlern entspreche dem »Selbstverständnis dokumentarisch arbeitender Redakteure« und sei zudem »Grundbedingung ihrer Glaubwürdigkeit, die gleichzeitig einen Marktwert darstellt« (Crivellari 2008: 177). Im Fall der Unterrichtsfilme suggeriert allein schon das Siegel des FWU oder des WBF als Herausgeber Wissenschaftsnähe und inhaltliche Qualität. Medien- und publikumsgerecht — aber auch sachgerecht? Geschichtswissenschaftlern wurde in vergangenen Debatten vorgeworfen, ihre Kritik allein auf die historische Sachrichtigkeit zu konzentrieren und die Belange von Film und Fernsehen dabei zu wenig zu berücksichtigen.49 Aus der Perspektive der Fernsehzuschauer, die, so die Annahme, eine unterhaltsame, plausible, einfach gestrickte und in sich geschlossene Story erwarten, geben Details der Darstellung, die von Fachwissenschaftlern bemängelt werden könnten, keinen Anlass zu Kritik – im Gegenteil: Oft verstanden die Filmautoren schlicht ihr Handwerk; ihr Vorgehen ist Teil des Medienerfolgs. Dennoch: Für einen Teil der archäologischen Beispiele in diesem Beitrag erfüllt sich der Anspruch, zugleich »sach-, medien- und publikumsgerecht« zu sein (Quandt 2007: 185) im Hinblick auf die Sachrichtigkeit nicht. Dieser Befund läuft den Erwartungen des Publikums an das Medium ebenso entgegen wie dem Selbstverständnis einzelner Sender und Produzenten (s.o.), einschließlich der Herausgeber von Unterrichtsfilmen. Die Diskussionen um Geschichte in Dokumentarfilmen wurden bisher überwiegend am Beispiel der Repräsentation zeitgeschichtlicher Themen im Fernsehen geführt.50 Themen der Ur- und Frühgeschichte und Antike gerieten dagegen seltener ins Blickfeld. Sicherlich ist bei der Verhandlung von zeitnahem Geschehen die Frage nach sachlicher Stimmigkeit brisanter; die fernere Vergangenheit scheint im Vergleich dazu abgeschlossen zu sein und die Frage nach ›richtig‹ oder ›falsch‹ uns nicht persönlich zu berühren. Dennoch ergeben sich hier ebenso Spannungsfelder zwischen wissenschaftlichem, didaktischem und journalistischem Anspruch, die es zu erörtern gilt. 49 Vgl. etwa Quandt (2007); Wirtz (2008a: 12, 15); Fischer/Wirtz (2008: 7). 50 Vgl. z.B. die Beiträge in Fischer/Wirtz (2008), Hohenberger/Keilbach (2003) sowie in Korte/Paletschek (2009).

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Nun könnte man noch ins Feld führen, dass fachliche Kritik an Geschichtsdokumentationen insbesondere über ferne Vergangenheiten unbedeutend sei, da ›fehlerhafte‹ Geschichtsdarstellungen nicht zwangsläufig auch ›falsche Geschichtsbilder‹ bei den Zuschauern generieren.51 Während diese Feststellung für das Fernsehen und Fernsehkonsum, also die unterhaltende Seite des Geschichtsfilms, seine Richtigkeit haben mag, müssen für die Schule und den Unterrichtsfilm allerdings andere Regeln angewandt werden: Hier handelt es sich um ein explizites Medium der Geschichtsvermittlung. Unterrichtsfilme Für die Schule gilt im Unterschied zum Fernsehen: Im Unterricht sollen den Schülern Geschichtskenntnisse vermittelt werden, Unterrichtsmedien enthalten den zu rezipierenden Stoff. Darüber hinaus sollen die Schüler Fähigkeiten und Kompetenzen erwerben, beispielsweise zur Quellenund Medienkritik. Nach der Weiterverarbeitung einer Fernsehdokumentation zu einem Unterrichtsfilm ist das Endprodukt stark von den Regeln des Fernsehens geprägt. Damit lösen die hier besprochenen Filme geschichtsdidaktische Anforderungen bezüglich Multiperspektivität, Kontroversität, Pluralität, Offenheit und Reflexivität (vgl. Borries 2007: 210) nicht ein. Statt dessen begegnen uns Einlinigkeit, Wirklichkeitsillusionen, IdentifikationsSuggestionen und ein eklatanter Mangel an historischen Deutungsangeboten.52 Unterrichtsfilme können durch den teilweise fachwissenschaftlich unhaltbaren Einsatz von Funden zahlreiche Sachfehler enthalten. Der Unterrichtsfilm macht, stilistisch gesehen, durch seine Anpassung an das Geschichtsfernsehen bzw. durch Übernahmen aus Fernsehdokumentationen den allgemeinen Trend vom »Erklärfernsehen zum Erzählfernsehen« (Lersch 2008: 133) mit. Er geht beispielsweise mit den Reenactment-Szenen auf die Sehgewohnheiten heutiger Schülergenerationen ein, was deren Aufmerksamkeit und Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Film steigert. In einer Anwendung als Medium der Geschichtsvermittlung sollten jedoch zumindest inhaltlich andere Prioritäten gesetzt werden als bei einer Fernsehproduktion.

51 Die bisher verbreitete Vorstellung eines direkten Informationstransfers vom ›Vermittler‹ zum ›Rezipienten‹ basiert auf einem unilinearen Kommunikationsmodell, das sich in der Medienkommunikationsforschung als nicht tragfähig erwiesen hat (vgl. Crivellari 2008: 170-176). 52 So bereits die Kritik von Borries (2007: 210; 2001: 222) sowie Wirtz (2008a: 19) am Geschichtsfernsehen allgemein.

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Insgesamt sollte wohl sorgfältig ausgewählt werden, welche Fernsehdokumentationen zu Unterrichtsfilmen weiterverarbeitet werden. Neben Geschichtsdidaktikern müssten während der Bearbeitung zukünftig auch Fachleute (in diesem Fall: nicht nur Historiker, sondern auch Archäologen) hinzugezogen werden, um ein hohes Maß an Wissenschaftsnähe zu gewährleisten. Alternativen Wären die Zuschauer, sowohl Schülerinnen und Schüler als auch das Fernsehpublikum, denn tatsächlich überfordert, wenn die Gestaltung von Dokumentarfilmen sich nicht länger von der Frage ›Wie es wirklich gewesen ist‹ leiten ließe, sondern Dokumentationen vielmehr ein »Bewusstsein von der Vergangenheit als Konstruktion« (Lersch 2008: 114; vgl. Borries 2001: 222) thematisieren und vermitteln würden? Müssen den Zuschauern zwingend dichte, geschlossene Gesamtbilder präsentiert werden, um Authentizität zu generieren (vgl. Wirtz 2008a: 22; Piccini 1996: 96)? Oder kann nicht auch einmal die realistische Aussage eines Wissenschaftlers, dass man in bestimmten Fragen nicht weiter kommt, für Authentizität des Mediums bezüglich der dargestellten Inhalte bürgen?53 Wären nicht gerade auch Widersprüche, unterschiedliche Perspektiven und Brüche, offene Fragen und Unklarheiten, die meist gemieden werden (vgl. Wirtz 2008a: 22, 31), spannend? Ist es wirklich richtig, die Zuschauer nur »zu bedienen«, wie dies vor allem in den Sendungen Guido Knopps geschieht (Crivellari 2008: 167), anstatt sie »zu fordern«? Gerade für archäologische Themen könnte es interessant sein, unterschiedliche Perspektiven auf dieselben Funde einander gegenüberzustellen (vgl. Allen 2003: 28).54 Schließlich üben auch ungelöste Fragen und ›Rätsel‹ vergangener Kulturen Faszination aus. Wäre nicht gerade die Frage ›Wie könnte es gewesen sein?‹ als roter Faden spannender als die ›So war es‹-Erzählung? Das Gegenteil des häufig anzutreffenden induktiven Einsatzes von Funden würde bedeuten, den Inhalt des Films vom Fund ausgehend zu gestalten, von – soweit möglich – wissenschaftlichneutral vorgestellten ›Fakten‹ und einer kritischen Untersuchung der Quellen. Die Details, die die Funde verraten könnten, stünden dann im 53 Laut Media Perspektiven erwarten Zuschauer u.a. auch »Glaubwürdigkeit im Rahmen von Meinungspluralität« (zitiert nach Wirtz 2008a: 30). 54 Peter Allen (2003: 228) nennt als positives Beispiel die Dokumentarfilmserie zum amerikanischen Magazin Archaeology: Die Filme zeichnen sich durch Sachlichkeit und Genauigkeit aus und geben Einblick in kontrovers diskutierte Themen. »Vertreter beider Seiten der Debatte« werden vorgestellt.

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Vordergrund einer sich deduktiv entwickelnden Spurensuche. Wenn man die Arbeit des Wissenschaftlers in den Mittelpunkt stellt und diesen auf seiner Spurensuche begleitet (vgl. ebd.), den Zuschauer also in den Erkenntnisprozess wissenschaftlicher Arbeit einbezieht (Rahemipour 2003: 197), könnte sich auch das Geschichtsfernsehen darauf einlassen, sich einer Authentizität nach den Regeln der archäologischen oder historischen Wissenschaft anzunähern, bei der eben nur Mosaike mit Leerstellen anstatt abgeschlossener Gemälde entstehen (vgl. Wirtz 2008a: 22; Stutterheim 2006: 1). Ein Anknüpfen an das Erwartete ist möglich, indem man die gängigen Klischees als Fragen formuliert – sie also aufgreift, und dann die Chance nutzt, sie zu brechen (vgl. Piccini 1996: 98). Auch in der archäologischen Wissenschaft können Funde kaum als Fakten gehandelt werden – ihre Deutung ist stets eine Konstruktion. Ausgehend von der Quelle, die an sich ein authentisches Zeugnis der Vergangenheit darstellt, ergeben sich – im Unterschied zu den monokausalen Deutungen in manchen der hier angeführten Beispiele – durch angewandte Quellenkritik und Untersuchungsmöglichkeiten plurale Wege der Interpretation. Wir Historiker und Archäologen können nicht »zeigen, wie es eigentlich gewesen ist« (Wirtz 2008b: 200, Bezug nehmend auf Ranke 1824: V f.);55 wir müssen auf die Konstruktivität von Geschichte verweisen und letztlich auch auf die Tatsache, dass wir uns ebenfalls bestimmter Narrative bedienen, um Historisches vermittelbar zu machen. So ist es unsere Aufgabe, »ständig neu zu fragen und neue Perspektiven anzulegen« (ebd.). Diese Arbeit der Wissenschaftler zu illustrieren, wäre eine gute Aufgabe für anspruchsvollere Geschichtsdokumentationen – und eine wichtige Anforderung an den Unterrichtsfilm.

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55 Vgl. auch die kritischen Bemerkungen Hayden Whites zum historischen Relativismus, d.h. zur Frage der historischen Objektivität in der Gegenüberstellung von ›Fakt‹ und ›Fiktion‹ (White 2003: 198 f.).

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REFLEXIVE AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN ALS SITUIERTE GESCHICHTSVERSIONEN A M B E I S P I E L D E S L I V I N G H I S T O R Y -F O R M A T S D I E B R Ä U T E S C H U L E 1958 CHRISTA KLEIN

Dieser Artikel geht der Frage nach den Authentizitätsfiktionen in Living History-Serien nach. Am Beispiel der Bräuteschule 1958 wird aufgezeigt, wie das Genre der Living History-Serien historische Authentizität kreiert und gleichzeitig reflektiert. Dies geschieht dadurch, dass Geschichte nicht als Zeugnis der Vergangenheit und abgeschlossenes Tatsachenwissen, sondern als gegenwärtige Auseinandersetzung mit Vergangenheitsaspekten inszeniert wird. Geschichtsversionen werden damit als Verhältnisse der Gegenwart zur Vergangenheit dargestellt und initiieren die Aushandlung gegenwärtigen Geschichtswissens.

Authentizität als Anspruch oder Realitätsillusion Real, eigentlich, wirklich, original, wahr, tatsächlich: Authentizitätsfiktionen sind omnipräsent in Geschichtsdarstellungen. Ob durch Kommentare, Detailgenauigkeit oder Zeitzeugenberichte, Experten, Quellenverweise oder Bildmaterial: Realitätsillusionen erzeugen Glaubwürdigkeitseffekte; Vergangenheit wird sichtbar und einsichtig, handfest und handhabbar. Die Authentifizierung von Geschichtsversionen dient der Reduktion von Komplexität – denn Vergangenheit ist vielschichtig und nicht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen – ebenso wie der Vermittlung von Wissen sowie der Legitimierung bestimmter Realitäts- und Identitätsentwürfe: Die scheinbar direkte Darstellung von Vergangenheit als Tatsachenzusammenhang vermittelt vereinfachende Geschichtsbilder und quasiobjektive Orientierungspunkte. Nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft etablierte sich im 19. Jahrhundert als »gegenwärtiger Versuch […] [zu] zeigen, wie es eigentlich

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gewesen« (Ranke 1885: VII). Dieser Anspruch, Geschichte möglichst nüchtern, plausibel und kohärent zu beschreiben, versetzte die historische Wissenschaft, ausgewiesen durch ihr theoretisches, methodisches und begriffliches Instrumentarium auch in die Lage, die Authentizitätsfiktionen anderer geschichtskultureller Genres kritisch zu überprüfen. Genealogische und selbstreflexive Ansätze (vgl. zusammenfassend Goertz 2001) betonen aber verstärkt seit den 1970er und 1980er Jahren die Berücksichtigung der gegenwärtigen Standortgebundenheit und Perspektive, welche gesellschaftlich und medial vermittelt die Produktion von Wissen, die Lesart der Quellen, die Darstellung und die Aneignung von Geschichte leiten und bestimmen: Das Authentizitätsideal verkehrt sich in sein Gegenteil, wenn nicht berücksichtigt wird, dass authentische Inszenierungen bzw. eine 1:1-Darstellung von Vergangenheit in der Gegenwart unauflösbare Paradoxa bezeichnen. Der Anspruch auf eine möglichst authentische Darstellung weicht dann einem Referenzversprechen, das eine offene Flanke zur ideologischen Vereinnahmung aufweist, da Geschichte dadurch festgeschrieben und vereindeutigt wird: »Und wie der Demagoge sich auf Wahrheit, Wesensgesetz und eherne Notwendigkeit berufen muss, so muss der Historiker sich auf Objektivität, Faktengenauigkeit und Unabänderlichkeit der Vergangenheit berufen« (Foucault 1971: 198).

Der Konstruktionsprozess historischen Wissens, eine zeit-, medien- und kontextgebundene Praxis der Selektion, Perspektivierung, Inszenierung und Bedeutungsgenerierung, wird in einer Darstellung, die sich als unmittelbare Vergangenheit inszeniert, verleugnet. Dass Vergangenheit ein unendlich geschichteter Steinbruch an Realitäten ist, aus dessen bedeutsamen Versatzstücken bestimmte Geschichtsbilder re-/konstruiert werden, bleibt damit unsichtbar. Die Geschichtsdarstellung wird mit der Vergangenheit selbst identifiziert, statt als gegenwärtig verorteter Versuch, als hypothetische Wiederholung in projizierender Differenz, auf sie zu verweisen. Mit der hier eingeforderten Selbstreflexion greift die Einsicht, dass Geschichtsdarstellungen niemals nur Vergangenheit darstellen, sondern Produkte ihres gegenwärtigen Kontextes sind und mit der ihnen eigenen Perspektive auf eine bestimmte Zukunft hindeuten. Geschichtspräsentationen, welche sich in ihrem Konstruktionsprozess reflektieren und sich in ihrem gegenwärtigen Kontext verorten, inszenieren sich als gegenwärtige Bezüge auf Vergangenheit. Diese ist nicht unmittelbar greifbar, sondern scheint als anderen Bedingungen unterworfener Möglichkeitsraum hinter der Darstellung auf. Solche Geschichtsversionen thematisieren und

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initiieren die Auseinandersetzung mit Geschichte als Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. In der Untersuchung von Geschichtspräsentationen gilt es somit, nicht nur die Inhalte, also die Authentizitätsfiktionen, kritisch zu überprüfen, sondern auch die jeweiligen Präsentations- und Aneignungsformen, durch die Authentizität als Zusammenhänge, Möglichkeits- und Gedächtnisräume erschließender Anspruch oder eher als Vergangenheit und Gegenwart festschreibende und vereindeutigende Realitätsillusion generiert wird. Je nachdem, welcher Schwerpunkt in der Analyse gelegt wird, ergeben sich unterschiedliche Potentiale eines Geschichtsformats. Im Folgenden wird nach einer kurzen Einführung in Living HistoryFormate und den hier gewählten Forschungsgegenstand der Fernsehserie Die Bräuteschule 1958 eine Analyse vorgenommen, die verschiedene Perspektiven auf Geschichtsdarstellungen berücksichtigt und miteinander in Beziehung setzt: Die Authentizitätsfiktionen dieses Living HistoryFormats werden nicht nur herausgestellt und einer geschichtswissenschaftlichen Prüfung unterzogen, sondern auch in ihrer spezifischen Wahrnehmungsanordnung verortet und auf ihre Wirkungen in der gegenwärtigen Geschichtskultur untersucht.

D e r › d o p p e l t e G e sc hi c h t sb e z u g ‹ v o n L i v i n g H i s t o r y- F o r m a t e n Living History1 ist der Versuch, Geschichte lebendig darzustellen bzw. am eigenen Leibe zu erfahren und bezeichnet somit »die einzige Methode der historischen Interpretation, Recherche und Darstellung, die alle menschlichen Sinne miteinbezieht« (Anderson 1984: 191, zitiert nach Kuegler 2003: 106). Living History zeichnet sich durch einen ›doppelten Geschichtsbezug‹ aus: Zum einen soll die mimetische Darstellung einer vergangenen Zeit einen anschaulichen, sinnlich fassbaren, möglichst authentischen Zugang zu Vergangenheiten ermöglichen. Dies geschieht durch die Kreation eines entsprechenden Settings, Artefakte und Arrangements einer vergangenen Zeit, sowie insbesondere durch sogenannte first-person-interpreters. Diese blenden in ihrer Darstellung die Gegenwart aktiv aus und verkörpern durch entsprechende Kleidungs-, Sprach- und Umgangskonventionen und einer bestimmten Zeit angemes1

Der Terminus für diese Darstellungsform von Alltagsgeschichte, die besonders in der Museumspädagogik und von Laiengruppen, aber auch in audiovisuellen Geschichtsformaten genutzt wird, etablierte sich in den 1950/1960er Jahren, zuvor wurde vorwiegend der Begriff ›Historical Interpretation‹ verwendet (vgl. Kuegler 2003: 15).

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sene, beispielsweise religiös oder mystisch geprägte, Sinnbildungshorizonte Vergangenheit. Gleichzeitig sind das Spiel und die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart charakteristisch für Living History. Dem eigenen Anspruch gemäß geht es auch darum, »einen Menschen stellvertretend von einer Zeit in eine andere zu transportieren und uns dazu zu zwingen, historische Abläufe der Vergangenheit mit unserer eigenen Zeit zu vergleichen und uns mit den fundamentalen Fragen zu konfrontieren, warum manche Dinge sich verändern und andere nicht« (Anderson 1984: 79, zitiert nach Kuegler 2003: 38). Entsprechend bleibt der zeitliche Bezugspunkt bei der Inszenierung von Vergangenheit durch sogenannte third-person-interpreters stets die Gegenwart: Thirdperson-interpreters präsentieren ihre Inszenierung von Geschichte als experimentelle Akte des Nachspielens; sie erklären, kommentieren und reflektieren ihr Handeln. Dieser ambivalente Geschichtsbezug – der möglichst direkte Rückbezug auf Vergangenheit einerseits, die retrospektive Reflexion von Veränderungen andererseits, ist auch Kennzeichen der Living HistoryFernsehserien. Dieses Genre, auch Historische Dokusoaps genannt, stammt aus Großbritannien.2 Das Format wurde 2002 in Deutschland mit der vierteiligen Serie Schwarzwaldhaus 1902 (SWR, 2002) adaptiert.3 Grundprinzip der Serie ist es, eine Gruppe Menschen in eine möglichst detailgetreu re-/konstruierte vergangene Zeit zurückzuversetzen, in der sie unter den entsprechenden Bedingungen leben und dabei von der Kamera beobachtet werden. Durch die Konfrontation ihres gewöhnlichen Lebens in der Jetztzeit und der unbekannten, aber direkt im Sinne von unmittelbar am eigenen Körper erfahrenen Vergangenheit soll vermittelt werden, wie sich Alltagsabläufe, normative Vorgaben und Gesellschaftsstrukturen in der Vergangenheit gestalteten, aber auch Erkenntnisse über die in der Zwischenzeit eingetretenen Veränderungen gewonnen werden. Bei der Historischen Dokusoap handelt es sich um ein hybrides Genre aus Reality TV (Konzeption), Dokumentation (Material) und Spielfilm/Serie (Dramaturgie). Das dokufiktionale Hybrid mit historischem 2

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Schon 1978 lief Living in the Past in der BBC, aber erst 20 Jahre später erreichte die vierteilige Serie The 1900 House (Channel 4, 1999) große Publikumserfolge. Weitere deutsche öffentlich-rechtliche Produktionen von Living History Serien waren: Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus (SWR, 2004), Die harte Schule der Fünfziger (ZDF, 2005), Abenteuer 1927 – Sommerfrische (Das Erste, 2005), Abenteuer Mittelalter – Leben im 15. Jahrhundert (ARTE/Das Erste/MDR, 2005), Windstärke 8 (WDR, 2005), Die Bräuteschule 1958 (SWR, 2007), Steinzeit – Das Experiment (SWR, 2007).

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Sujet ist damit weder eine Dokumentation (klassischer Dokumentarfilm), noch eine retrospektiv inszenierte Darstellung einer vergangenen Zeit (klassischer Spielfilm). Vielmehr ist es der Spielcharakter, die Konfrontation der Welt von heute mit einer bestimmten Vergangenheit, die den eigentlichen Reiz solch einer simulierten Zeitreise ausmacht. Schon hier stellt sich die Frage, inwieweit dieses ambivalente Format überhaupt als historisches Genre angesehen werden kann: »Schließlich wird nicht historische Realität erlebt, sondern eben nachgebildete, künstlich hergestellte, geglättete, ausgerechnete. […] Mehr als alles andere erzählen sie über Verhalten und Erfahrungen der Gegenwart« (Wolf 2005: 33). Andererseits wird argumentiert, dass Geschichtspräsentationen »nicht durch Reproduktion der vergangenen Geschichte, sondern durch Reproduktion der noch vorhandenen Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart und die Darstellung ihrer Aneignung durch die Gegenwart […] zum Mittel historischer Erkenntnis« werden, da sie erst dann »die Möglichkeit zu (ästhetischer) Erfahrung« bieten, »nämlich nicht des Vergangenen (welches jeder Erfahrung entzogen bleibt), sondern der Spannung der Gegenwart zum Vergangenen« (Rother 1989: 39). Während die eine Position die Authentizität der Geschichtspräsentation als 1:1-Vergangenheitsdarstellung bemängelt, hebt die andere deren reflexiven Gegenwartsbezug lobend hervor. Diese konträr erscheinenden Stellungnahmen ergeben sich dadurch, dass nicht beachtet wird, dass Vergangenheit und Gegenwart zum einen voneinander abweichen, da sie unterschiedlichen Bedingungen unterworfen sind, zum anderen aber keine voneinander getrennten Sphären sind, sondern sich wechselseitig durchdringen. Die Frage, ob es sich hier um ein Geschichtsmedium handelt, muss also dahingehend spezifiziert werden, um was für eine Form der Geschichtspräsentation es sich handelt.

Die Bräuteschule 1958 Die 16 Folgen umfassende TV-Serie Die Bräuteschule 1958 (Drehbuch und Regie Susanne Abel), eine Produktion der SWR-Redaktion Vorabendfernsehen, Familie und Unterhaltung (Redaktion Stefanie Groß), wurde im Mai und April 2006 gedreht (Produktion Carl Ludwig Rettinger) und erstmals Januar/Februar 2007 im Vorabendprogramm der ARD ausgestrahlt (Wiederholung im Dezember 2008/Januar 2009). Im Durchschnitt erreichte sie einen Marktanteil von 9,2 Prozent. »Zehn junge Frauen brechen auf in die 50er Jahre«. So beginnt der Kommentar zu der Einstiegssequenz, die jede Folge wiederholt wird und dem Publikum einen Einstieg in das neue und eventuell unbekannte Format sowie eine Kurzeinführung in den Inhalt der Bräuteschule 1958

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geben soll. Thema dieser Living History-Serie ist es, Zeitgenossinnen, die zwischen 1980 und 2006 eine weibliche Sozialisation erfahren haben, durch eine suggerierte Zeitreise mit Weiblichkeitsnormen und Lebensumständen der 1950er Jahre, konkret dem Kontext, Lebensalltag und Normengefüge einer Hauswirtschaftsschule in Internatsform, einer sogenannten ›Bräuteschule‹ zu konfrontieren. »Die Mädchen sollen am eigenen Leibe erleben, wie ihre Großmütter zu perfekten Hausfrauen geformt wurden«, fährt der Voice Over fort. Anspruch der Serie ist es, den Darstellerinnen, beispielhaft für eine Generation, die »sich von dem Begriff Emanze distanzieren, als hinge die Pest daran« (Abel, zitiert nach Vrancken 2007: 5) durch eine Konfrontation mit dem Frauenbild der 1950er Jahre die Errungenschaften der zweiten Welle der Frauenbewegung nahe zu bringen. Umgesetzt wird diese Grundidee dadurch, dass permanent Elemente, Aspekte und Informationen über die Vergangenheit mit Handlungen, Reaktionen und Kommentaren der Gegenwart verknüpft und kontrastiert werden. Zehn ausgewählte junge Mädchen werden nach ihrer Anreise im Stil der 1950er Jahre gekleidet und lassen sich auf das Experiment einer umfassenden Disziplinierung ihrer Körper nach Maßgabe der 1950er Jahre ein. Dies beinhaltet einen ausgefeilten Komplex an Normen, einen umfassenden Lehrplan, Kleidungsvorschriften, Arbeitsanweisungen und vielerlei Verhaltensregeln nach den Mottos Ordnung, Anstand, Disziplin. Allein die Trennung von ihrer gewohnten Kleidung und weiteren Selbstverständlichkeiten im Jahre 2006 wie Deo, Piercings, gefärbte Haare und Mobiltelefone bedeutet für die jungen Frauen eine Einschränkung ihrer bis dahin unhinterfragten Freiheiten. Hinzu kommt eine strenge Hausordnung, die den Konsum von Schokolade, Zigaretten und Alkohol verbietet. Ein Fünfbettzimmer reduziert die Intimsphäre der Mädchen auf ein Minimum. Ein Lehrplan verfügt über ihre Zeit, sieht frühes Aufstehen und ungewohnte, oft recht mühsame Arbeit wie Bodenwachsen, Putzen, Kochen, Wäschewaschen und Nähen vor. Alle Bewegungen, das gesamte Verhalten der Protagonistinnen, werden durch ständige Maßregelungen und Anweisungen seitens der Lehrerinnen kontrolliert. Diese Disziplinierung provoziert Konflikte und damit Auseinandersetzungen mit dem den 1950er Jahren nachempfundenen rigiden Normen-, Arbeits- und Lebensgefüge, welche dokumentarisch gefilmt werden. Den Schulalltag durchbrechen allerdings Tanzstunden und die samstägliche »Milchbar«, in denen die grauen Schuluniformen gegen bunte Kleider mit Petticoats eingetauscht werden und trotz der Verbote heimlich geraucht und getrunken wird. Eine angenehme Abwechslung bietet den Darstellenden auch die Ankunft der beiden Hausmeistergehilfen, der

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Besuch des Schulrats und einer Zeitzeugin, das Osterfest sowie der Tanz in den Mai. Aus dem gefilmten Material dieser sechs Wochen wurde schließlich im Schnitt eine pointierte Dramaturgie herausgearbeitet, die sich in verschiedene miteinander verflochtene Handlungsstränge aufgliedert. Untermalt werden die Bilder durch eine besonders die Einstiegssequenz bestimmende, einprägsame, romantische Streicher- und Bläsermusik sowie passend zu diversen Szenen durch Jazz und Rock’n’Roll.

Authentizitätsfiktionen in der Bräuteschule 1958 »Alles ist genau wie damals«, verspricht der Voice Over in der Einstiegssequenz »Das Internat ist echt, genauso wie die Kleider und die strengen Lehrerinnen«. Der Kommentar beteuert die Authentizität des re-/ konstruierten Settings sowie der Kostüme und verweist darauf, dass die Lehrerinnen first-person-interpreters sind, d.h., dass bei ihnen nicht – oder zumindest nicht in dem Maße, wie das bei den Mädchen der Fall ist – erkennbar wird, dass sie Menschen von heute sind: Sie sind »echt«. Nicht nur durch den Voice Over, mit dem ca. 15 % der Serie unterlegt ist, wird Authentizität hervorgebracht. Zu den Authentifizierungsmerkmalen der Bräuteschule 1958 gehören außerdem das umfassende Setting einschließlich der Lehrerinnen, das Auftreten einer Zeitzeugin, die Archivblöcke mit Filmmaterial aus den 1950ern sowie der Anspruch, dokumentarisch zu filmen. Der Schauplatz der Serie ist Schloss Soonwald, ein Schulungszentrum im Hunsrück, Rheinland Pfalz, das mit großem finanziellem und personellem Aufwand im Stil der 1950er Jahre ausgestattet wurde. Dazu musste die Bausubstanz des Hauses verändert und die Ästhetik des 1930er-Jahre-Gebäudes umgewandelt werden. Das gesamte Umfeld – von Räumen und Ausstattung, technischen Geräten und Verpackungen über Schulbücher, Lehrplan und Unterrichtsstil, Kleider, Praxen und Umgangston, Sprache und Lieder bis zur ›gutbürgerlichen‹ Küche – besteht durchgehend aus Elementen und Artefakten der 1950er Jahre, die in ihrer Zusammenstellung nicht bloß als Kulisse dienen, sondern für sechs Wochen eine konkrete Lebensrealität der 1950er Jahre bzw. einer ›Bräuteschule‹ kreieren sollen. Zum ›Inventar‹ gehört auch das Personal des Hauses – die Lehrerinnen, der Tanzlehrer und der Hausmeister –, welche ihre Rolle als 1950er-Jahre-Lehrkraft oder -Hausmeister vorher erarbeitet haben und in Aussehen, Sprache und Verhalten die Normen und Ideale dieser Zeit verkörpern. Untermauert wird die Authentizität dieses als

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›echt‹ rekonstruierten Settings durch Fernsehmaterial aus den 1950er Jahren, das einen zusätzlichen Einblick in das damalige Leben geben soll und als ›Fußnote‹ zur Vergangenheit dient. Sich in schwarz-weiß von der Serie abhebende Ausschnitte aus dem Kurzfilm Der Beruf Hausfrau von Rudi Flatow (1956) sowie aus Wochenschauen der 1950er Jahre werden immer wieder als Archivblöcke in die Handlung der Gegenwart eingeblendet. Sie verweisen auf das Frauenbild, hauswirtschaftliche Institutionen sowie den Lebensalltag der 1950er Jahre, die in der Serie nachempfunden werden sollen. Auch einige kolorierte 1950er-Jahre-Werbefilme wurden an den passenden Stellen in die Serie integriert, welche weitere Hinweise auf damalige (Geschlechter-)Normen bieten. All diese Vergangenheitselemente werden als realistisch, authentisch und echt präsentiert, in einem Duktus des ›so war es damals‹. Dieselbe Glaubwürdigkeit soll auch den Handlungen und Kommentaren der Gegenwart zukommen: Die Reaktionen der Protagonistinnen auf die ungewohnte Situation, ihre Konflikte und Emotionen4 ebenso wie die Kommentare unter sich und in der ›Besenkammer‹, in der die Darstellenden tagebuchartige Statements an das Publikum richten und ihre Erfahrungen reflektieren, wirken nicht vorgegeben, manipuliert oder einstudiert, sondern dokumentarisch beobachtend aufgenommen. Dass eine Kamera, ja ein ganzes Filmteam stets dabei sein und das Material angeordnet, geschnitten und montiert werden musste, um die Geschichte in einer narrativen Kontinuität zu erzählen, bleibt bewusst unsichtbar (vgl. Rettinger 2006). Zwei unterschiedliche, aber jeweils authentisch und realistisch präsentierte Zeiten – die Vergangenheit einerseits, die mithilfe diverser Authentifizierungsstrategien als ›echt‹ und ›original‹ präsentiert wird, die Gegenwart andererseits, deren Präsentation mit dokumentarischem Anspruch auftritt – werden in der Bräuteschule 1958 miteinander konfrontiert.

Authentizitätsfiktionen als geschichtliche M o m e n t a u f n a hm e n : G e sc hi c ht e a l s P o t p o u r r i Durch die authentisch präsentierten Vergangenheitselemente erweckt die Serie den Eindruck, dass in den 1950er Jahren Bräuteschulen, also 4

Vgl. z.B. den Zusammenhalt und die Freundschaft der Mädchen (Folgen 1; 9), den Mutter-Tochter-Konflikt (Folgen 1; 5; 8; 16), die Flirts und Romanzen (Folgen 5; 8; 11; 12), die Beschwerden und Stresskompensationsversuche (Folge 1; 3; 4; 5; 7; 8; 9) bis hin zu ihrer Trauer darüber, dass die Zeit schon vorbei ist (Folgen 15; 16).

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Hauswirtschaftsschulen in Internatsform, die sechswöchige Kurse mit dem Ziel, Frauen für Ehe, Haushalt und Mutterschaft auszubilden, anboten, tatsächlich existierten. Spätestens wenn in dem Kurzdokumentarfilm von Rudi Flatow, der 1956 in der Lette-Schule Berlin gedreht wurde, kochende und nähende Mädchen zu sehen sind und in einem Wochenschauausschnitt von 1950 der Begriff ›Bräuteschule‹ im Originalton fällt, wird dem Publikum nahegelegt: Die präsentierte ›Bräuteschule‹ wurde zwar 2006 nachgebaut, allerdings muss es das Original in den 1950er Jahren gegeben haben. In Bezug auf ›Bräuteschulen‹ in dem durch die Serie geschaffenen Sinn kann aber in den Quellen der 1950er Jahre keine institutionelle Entsprechung gefunden werden. Sicher gab es Hauswirtschaftsschulen wie die Lette-Schule in Berlin. Diese beruflichen Vollzeitschulen waren aber in erster Linie dahingehend ausgerichtet, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern, ein Ziel, das auch in den 1950er Jahren nach wie vor galt (vgl. Oberschnitzki 1987: 221f.). Bei hauswirtschaftlichen Frauenfachschulen handelt es sich im Gegensatz zu dem in der Bräuteschule 1958 gezeichneten Bild um Ausbildungsstätten für ein traditionell weiblich konnotiertes, hauswirtschaftliches, pflegerisches und sozialpädagogisches Berufsspektrum. So ist davon auszugehen, dass die individuelle Motivation dafür, eine Hauswirtschaftsschule zu besuchen, keineswegs allein darin bestand, dass sich diese Frauen auf ein Hausfrauendasein vorbereiten wollten, sondern auch darin, einen Beruf erlernen und ihr Einkommen sichern zu können. Damit ergeben sich, abgesehen davon, dass es sich bei dieser Schulform nicht um sechswöchige Internatsaufenthalte, sondern um ein- bis dreijährige Tagesschulen handelte, trotz inhaltlicher und ideeller Überschneidungen wichtige Unterschiede zwischen hauswirtschaftlichen (Berufs-)Fachschulen und der dargestellten ›Bräuteschule‹. In der Tradition, Frauen für Mutterschaft, Ehe und Haushalt zu schulen, standen in weit größerem Ausmaß die ›Mütterschulen‹ der 1950er Jahre. Seit 1917 wurden in Deutschland und Österreich Mütterschulen mit einem Kursangebot zur Hygiene, Pflege und Erziehung von Säuglingen und Kleinkindern gegründet, um der hohen Säuglingssterblichkeitsrate entgegenzuwirken (vgl. Schymroch 1989: 18f.). 1934, als die Mütterschulung sukzessive dem Reichsmütterdienst und damit NS-staatlicher Organisation unterstellt wurde, kamen die Kurse ›Haushalt, Heim, Familie‹ sowie ›Hauswirtschaft und Kochen‹ hinzu (vgl. ebd.: 18f.). Nicht zuletzt weil in einigen Gauen die Auszahlung des Ehestandsdarlehens an den Nachweis einer Kursteilnahme gekoppelt war und somit finanzieller Druck ausgeübt wurde (vgl. ebd.: 54; Benz 1993: 29), weitete sich die Arbeit der Mütterschulen in der NS-Zeit aus und die Teilnehmerinnenzahlen stiegen rapide (vgl. Scholtz-Klink 1978: 188, 191). Die Mütter-

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schulung des Reichsmütterdienstes umfasste nicht nur einzelne Kurse, sondern auch umfassende, in Internatsform organisierte Lehrgänge in Heimmütterschulen und Bräuteschulen. Während in Heimmütterschulen »alle Mädchen und Frauen über 18 Jahre« (ebd.: 164) aufgenommen wurden, lag die Bestimmung einer Bräuteschule »in der Vorbereitung und Schulung insbesondere der Bräute der SS, SA und der Wehrmachtsangehörigen, für ihre hausmütterlichen Pflichten, die sie als Frau und Mutter zu erfüllen haben« (ebd.: 166). Bräuteschulen wurden eigens für die Bräute von SS-Angehörigen geschaffen und waren – »um die Schulung eindringlicher und wirksamer zu gestalten« – auf sechs statt nur vier Wochen angelegt (ebd.: 167). Die Ziele dieser Schulungen, welche auch die »sittliche Arbeitserziehung« und »Erziehung zur Volksgemeinschaft« (Dammer 1981: 239) umfassten, hatten demographische und rassenpolitische Hintergründe und ließen sich in den Internatsschulen wohl am nachhaltigsten vermitteln. Institutionen namens ›Bräuteschule‹ als Mütterschulungskurse in Internatsform existierten also tatsächlich, allerdings nicht mehr in den 1950er Jahren, sondern in dem Zeitraum von 1937 bis 1945. In den 1950er Jahren wurde im Zuge der ›Zweiten Mütterschulbewegung‹ die Mütterschulung reorganisiert und alle nationalsozialistisch-weltanschaulichen Inhalte aus den Lehrplänen gestrichen. Mit ihren Zielen des »Vermittelns hausfraulicher und mütterlicher Kenntnisse« (Hohenhagen 1951: 48) und der »Anleitung der jungen Mutter in der Familie für die Gestaltung des wahren Frauenberufs als Gattin und Mutter« (Wermter 1954) erfüllten Mütterschulen Funktionen, die restaurativen Leitbildern und Anforderungen der 1950er Jahre entsprachen (vgl. Niehuss 1999; Frevert 1986). Von dem Begriff und der Schulform einer ›Bräuteschule‹ wurde abgesehen, auch wenn sich diese Bezeichnung in der Erinnerungskultur weiterhin für Mütterschulungskurse erhielt. Stattdessen wurden seit 1957 über den 8. Bundesjugendplan im Rahmen der »Förderung der hausmütterlichen Ausbildung schulentlassener Mädchen (bis 25 Jahre) zur Vorbereitung auf Ehe und Familie« (Schymroch 1989: 64) ›Bräutekurse‹, auch ›Hausfrauliche Grundausbildung für Bräute‹, ›Abiturientenkurs‹ oder ›Langfristiger Kurs‹ genannt (vgl. ebd.: 65), angeboten. Obwohl die Namen nur teilweise übereinstimmen und es sich dabei nicht um Internate handelte, bieten diese sechswöchigen Lehrgänge hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Dauer und Inhalte nach bisheriger Quellenlage den engsten Anknüpfungspunkt an die in der Serie dargestellte »Bräuteschule«.5 5

Dass diese ›Kurse‹ in der Serie in Form eines Internates präsentiert werden ergibt sich aus den Anforderungen des Formats: Ein in sich stimmiger und geschlossener Kontext ist für die Generierung des Effekts einer Zeitreisen-

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An diesen Ausführungen zu den Authentizitätsfiktionen der Bräuteschule 1958 und zum historischen Hintergrund von Bräuteschulen wird deutlich, dass die Serie viele verschiedene Elemente und Aspekte der 1950er Jahre detailgetreu aufnimmt, unter anderem auch den damals immer noch gebräuchlichen Namen ›Bräuteschule‹ für Mütterschulungskurse. Diese werden entsprechend der Vorgaben des Genres – wie beispielsweise die Internatsform – und unter dem Organisationsprinzip bestimmter Ideologien und Normen der entsprechenden Zeit – dem Frauenbild der 1950er Jahre – re-/arrangiert. Wissen über Artefakte, Stil und Geschmack, Technikentwicklung und Alltagsbewältigung, Normengefüge, Disziplinierungsformen und Mentalitäten wird hier vermittelt. Diese re-/konstru-ierte Momentaufnahme von Vergangenheit bildet jedoch nur die Spitze eines Eisbergs ab: Dass die dargestellten Phänomene Ergebnisse länger-fristiger Prozesse (longue durée) und mittelfristiger Zyklen (conjonctures) sind (vgl. Braudel 1977), wird nicht reflektiert: Die geschichtlichen Hintergründe und Kontinuitätslinien bleiben ebenso wie die politischen und funktionalen inneren Zusammenhänge dieser Elemente unsichtbar. Die Differenz der Gegenwart zur Vergangenheit – dass das Frauenbild in der BRD vor fünfzig Jahren (1958) anders war – ist klar erkennbar; die Genealogie dieser Differenz – dass Geschlechterzuweisungen, -konzeptionen und -bilder einer Gesellschaft sich langsam entwickeln und eng mit strukturellen, sozio-politischen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammenhängen, die sie ermöglichen und perpetuieren, verschwindet hingegen in der Darstellung. Selbst bzw. gerade die scheinbar so unpolitischen und unbelasteten ›Frauenthemen‹ wie Hausarbeit, Familie und Sexualität können aber keineswegs als geschützte Sphären des Privatlebens und der individuellen Entscheidungen angesehen werden. Dass es sich hierbei um Bereiche des öffentlichen Interesses, der politischen Einflussnahme und der bis in die Körperwahrnehmung wirkenden gouvernementalen Disziplinierung handelt, wird aber nur deutlich, wenn der Bedingungsrahmen der historisch gewachsenen gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen und Diskurse, vor dessen Hintergrund individuelle Erfahrungen gemacht und Entscheidungen getroffen werden, berücksichtigt wird. Eine Darstellung, die Einsichten in weitreichendere Entwicklungen und tiefergehende Zusammenhänge ausblendet, ist gezwungenermaßen eingeschränkt. Besonders ersichtlich wird das in der Historischen Dokusoap Die Bräuteschule 1958 daran, dass versucht wird, Kontinuitätslinien zum Nationalsozialismus auszuklammern, die in den 1950er Jahren aber manifest waren, da die illusion unabdingbar. Wären diese Kurse nicht in Internatsform präsentiert worden, hätte nicht nur Schloss Soonwald, sondern ein ganzes Dorf im Stil der 1950er Jahre aufgebaut werden müssen.

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sogenannte ›Stunde Null‹ keineswegs aus dem Nichts entsprang, sondern nur den Anfangspunkt einer sukzessiven Entwicklung zu einer liberaldemokratischen Gesellschaft, wie wir sie heute als selbstverständlich annehmen, markierte. Die Living History-Serie entschlüsselt damit Vergangenheit nicht, sondern verbleibt in der Auseinandersetzung mit zusammengestellten Vergangenheitselementen, einem ›Geschichts- und Erinnerungspotpourri‹.

R e f l e x i v e A u t h e n ti z i t ä ts f i k ti o n e n a l s si tu i e r t e G e s c hi c h t sv e r si o n e n : D i e W a h r n e h m u n g sa n o r d n u n g der Bräuteschule 1958 »Die Konfrontation mit dem überkommenen Frauenbild wird zum echten Abenteuer« endet der Kommentar in der Einstiegssequenz. Die thirdperson-interpreters kollidieren permanent mit Umfeld und Normengefüge der 1950er Jahre, welche Reaktionen provozieren und von den Protagonistinnen kommentiert und reflektiert werden. Die Serie soll in erster Linie dokumentieren, wie Menschen von heute mit den Lebensbedingungen von damals zurechtkommen. Dabei bleibt die der Vergangenheit nachempfundene Situation in ihrem gegenwärtigen Inszenierungscharakter klar erkennbar. Die Darstellenden nehmen das Setting als real an, um sich mit überkommenen Moralvorstellungen, Machtverhältnissen und den Herausforderungen eines harten Arbeitsalltags auseinanderzusetzen. Gleichzeitig bleibt für sie ebenso wie für das Publikum stets bewusst, dass die Situation nicht real, sondern eben ›echt nachgebaut‹ ist: »Nicht Film, sondern Dokusoap, nicht Laiendarsteller, sondern Mädchen leben nach wie vor sich selber – nur unter den möglichst gut getroffenen Bedingungen einer anderen Zeit und darin liegt der Reiz«, heißt es in einem Beitrag vom 19. Februar 2007 in dem ARD-Internetforum zu der Serie (Das Erste, 2007). So bewegt sich die Historische Dokusoap als gegenwärtige Auseinandersetzung mit offensichtlich heute rekonstruierten Vergangenheitsmomenten in einem diffusen Raum ›zwischen‹ Gegenwart und Vergangenheit. Die präsentierte Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit, von Nähe und Differenz zur Vergangenheit und zur Gegenwart ist die Voraussetzung dafür, die Darstellung nicht als ›wie es eigentlich gewesen‹ zu begreifen. Die Bräuteschule 1958 präsentiert sich weniger wie ein offenes Fenster zur Vergangenheit mit dem Anspruch, diese direkt und authentisch abzubilden. Das ausschlaggebende Moment liegt vielmehr in der Beziehung und im Spiel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, der Konfrontation dieser beiden als authentisch präsen-

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tierte Zeiten (vgl. Groot 2009: 169). So bietet die Living History-Serie zwar mit ihren Authentifizierungsstrategien ›Realität‹ und ›Vergangenheit‹ an; durch die permanente Kollision dieser beiden Realitäten erschafft sie jedoch eine Seh- und Wahrnehmungsanordnung, die ihre eigenen Authentizitätsfiktionen reflektiert. Dieses Geschichtsformat legt sich als situierte Geschichtsversion6 in seinem Konstruktionscharakter und Gegenwartsbezug als eine Inszenierung von Geschichte, als verkörpertes, gegenwärtiges und perspektivisches Geschichtswissen offen: »[it] adds a sheen of authenticity [...] while simultaneously reminding the viewer that the history they are about to see is fake, a performance« (ebd.: 172). Das als authentisch präsentierte Wissen verwischt in dieser Wahrnehmungsanordnung keineswegs den eigenen Standort in Raum und Zeit: Die Offenlegung gegenwärtiger Standpunkte, Einstellungen und Perspektiven stellen gerade den Reiz des Zeitreisenformats dar und erschaffen eine eigene Form der Authentizität. Mit diesem Präsentationsmodus wird eine Herangehensweise an geschichtliches Wissen gewählt, die sich entweder klar und offensichtlich positioniert oder verschiedene Perspektiven für das Publikum offen hält. Die als ›authentisch‹ präsentierten Vergangenheitselemente müssen so im Gesamtzusammenhang der Living History-Serie als Denkanstöße, sogenannte »mediale cues der Erinnerung«,7 angesehen werden, die bei den Darstellenden ebenso wie bei dem Publikum Auseinandersetzungen mit Vergangenheit von einem gegenwärtigen Standpunkt aus initiieren. Ihre Hauptfunktion besteht nicht in der denotativen Darstellung von Vergangenheit (auch wenn es sich dabei um Medien der Vergangenheit handeln kann),8 sondern in dem symbolischen Verweis auf kollektiv vorhandene Geschichts- und Erinnerungsbilder, in diesem Fall der 1950er Jahre sowie ein rigides Frauenbild. Damit ist der referentielle Bezugspunkt dieser Geschichtspräsentationen nicht mehr die Vergangenheit selbst,

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Zu dem Begriff des ›Situierten Wissens‹ vgl. Haraway (1995). Der Begriff ›mediale cues des kollektiven Gedächtnisses‹ wurde im Anschluss an Pierre Noras ›Erinnerungsorte‹ in den Arbeiten zur Erinnerungskultur geprägt. Es handelt sich um Medien, Momente und Aspekte, die als »Anlass zum Abruf von Erinnerungen« (Erll 2005: 138, vgl. 25) dienen, also Assoziationen wecken und kollektives Wissen individuell mobilisieren können. Diese ›cues‹ können »intrapsychischer Natur sein, aber häufig sind es auch Bilder, Texte oder Gesprächsbeiträge, die als Erinnerungsanlass dienen« (ebd.). Ein bestimmtes technisches Gerät aus den 1950ern kann selber Gegenstand der Erinnerung, aber auch ein medialer cue für bestimmte Geschichtsbilder der 1950er Jahre sein (vgl. ebd.: 137).

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sondern das Publikum und dessen individueller und kollektiver erinnerungskultureller Zusammenhang: »Die pragmatische Ausrichtung verschiebt den Schwerpunkt vom referentiellen Bezugspunkt eines Films, seiner indexikalischen Bindung an Teile der historischen Welt, hin zu den Zuschauern des Films. Diese Filme beziehen sich auf uns. Den evokativen Eigenschaften solcher Filme fällt daher mehr Gewicht zu als ihrer Art der Wiedergabe von tatsächlichen Ereignissen« (Nichols 1995: 158f.).

Statt vorwiegend neues Wissen über die Vergangenheit in die Erinnerungskultur einzuspeisen und damit »zumeist auch didaktische und ideologische Funktionen« (Erll 2005: 138) zu erfüllen, legt die Living History-Serie den Schwerpunkt darauf, vorhandenes Wissen und eigene Erfahrungen zu evozieren und zu reflektieren. Die Serie vermittelt keine klaren und kohärenten Geschichtsbilder, sondern stellt unter dem Konzept ›Bräuteschule‹ einen Pool aus Quellen des sozialen Gedächtnisses zusammen, die den Zuschauenden multiperspektivisch und auch auf affektiver, subjektiver und emotionaler Ebene Raum für eigene Anknüpfungspunkte bieten. Angesichts ihrer Auseinandersetzung mit der Differenz zwischen den unterschiedlichen Lebensentwürfen der Gegenwart und der Vergangenheit ist diesem Geschichtsformat auch die Möglichkeit inhärent, nicht nur den Konstruktionscharakter der Geschichtspräsentation selbst, sondern auch die Wandelbarkeit sozialer Realitäts- und Identitätsentwürfe bewusst zu machen: »Statt unsere blasse Individualität mit diesen überaus realen Identitäten der Vergangenheit zu identifizieren, geht es darum, uns selbst in all den wiedererstandenen Identitäten zu irrealisieren« (Foucault 1971: 201) bzw. damit auseinanderzusetzen, dass, wie und warum sich Realitäts- und Identitätsentwürfe verändern. Wenn deutlich wird, dass soziale Realität in der Vergangenheit anders konstruiert wird als in der Gegenwart, rücken auch der kontingente Charakter, die Historizität und Performativität sozialer Wirklichkeit in den Blick: Eine Darstellung, die Geschichte als real und authentisch inszeniert und sich gleichzeitig in ihrem performance-Charakter offenlegt, kann verdeutlichen, dass auch gegenwärtige Realitäts- und Identitätsentwürfe keineswegs essentiell, universell und unwandelbar, sondern historisch durch ebensolche, meist unhinterfragte performances hervorgebracht werden, welche den jeweiligen Kontexten, Strukturen, Regeln und Konventionen entsprechen und durch diese bedingt sind. Wie und ob die hier herausgestellten Potentiale konkret angeeignet und genutzt wurden, wird im Folgenden durch eine Analyse der Bezüge und Wirkungen dieses Geschichtsformats in seinem geschichtskulturellen Kontext herausgestellt. 136

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Geschichte als populäre Erinnerungspraxis: D i e A n e i g n u n g sf o r m e n d e r B r äu t e s c h u le 1 9 5 8 Die Rezeption der Bräuteschule 1958 fiel entsprechend der Herangehensweise an dieses Genre sehr unterschiedlich aus. Eine Analyse der Rezeption der Bräuteschule 1958 ergab, dass überregionale Tageszeitungen, die mit dem Anspruch auf Geschichtsvermittlung an die Sendung herantraten, die Bildungsdefizite dieser Geschichtspräsentation kritisierten und den wissensvermittelnden Aspekten der Bräuteschule 1958 wenig Beachtung schenkten (vgl. Klein 2008). In diesen Zeitungsartikeln spiegelte sich der auch die Geschichtswissenschaft dominierende Diskurs über Historische Dokusoaps als Histotainment wider: Die Vor-Urteile, dass solch ein Format keine Potentiale habe, seine Bemühungen um Authentizität erfolglos seien und die ARD als öffentlich-rechtlicher Fernsehsender damit seinem Bildungsauftrag nicht nachkomme, wurden hier wiederholt.9 Erst in Hinblick auf die regionalen Presse und die individuelle Rezeption traten auch die Potentiale dieses gedächtnisreflektierenden Mediums hervor. Die Lokal- und Regionalzeitungen nahmen die Serie zum Anhaltspunkt, Zeitzeuginnen, Hauswirtschaftsschülerinnen, sowie die Darstellenden selber zu Wort kommen zu lassen und das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit zu diskutieren. Allein die Pluralität der durch die Sendung angeregten und in den heterogenen Beiträgen umgesetzten Themenbereiche und Einschätzungen verdeutlichen, dass die Sendung vielfältige Diskussionen und Reflexionen über Vergangenheit, Gegenwart, den Bezug zur Vergangenheit und die Sendung selbst initiierte, statt eindeutige Anhalts-, Identifizierungs- und Orientierungspunkte zu liefern. Dieser erste Befund wurde durch die Analyse der Zuschriften an die SWR-Redaktion (80 Briefe und E-Mails) sowie der Beiträge des zum Austausch und zur Diskussion der Sendung eingerichteten ARDInternetforums (1544 Beiträge von 239 Personen) bestätigt. Die sich aufeinander beziehenden und aufeinander reagierenden Diskussionen in dem ARD-Internetforum zu der Bräuteschule 1958 sowie die Zuschriften an die SWR-Redaktion verdeutlichen die Heterogenität des angesprochenen 9

Vgl. ›Kein Pardon‹, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Januar 2007; ›Kreischen im Plumeau‹, in: Süddeutsche Zeitung vom 13. Januar 2007, ›Zurück in die Zukunft‹, in: Spiegel online vom 9. Januar 2007. Die Kommentare zeigen, dass hier keine intensive, offene Auseinandersetzung mit dem Medium stattgefunden hat, die Konstitutionsbedingungen, der Anspruch und die Potentiale somit unberücksichtigt blieben. Die Frankfurter Rundschau kann im Gegensatz zu den anderen überregionalen Tageszeitungen der Bräuteschule 1958 doch einige Potentiale abgewinnen, vgl. ›Frauenrolle rückwärts‹, in: Frankfurter Rundschau vom 9. Januar 2007.

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Publikums: Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Alters und Milieus und oftmals konträrer Meinung kamen ausgelöst durch die Sendung miteinander ins Gespräch. Auch hier wurden viele verschiedene Themen diskutiert, 279 Forumsbeiträge, also 18 % aller Beiträge, und 26 Briefe und E-Mails, also 32 % aller Zuschriften, widmeten sich dem Thema ›Geschichte‹. Die darunter gefassten Beiträge und Zuschriften zeigen, dass nicht nur zu dem Themenkomplex ›Vergangenheit‹ Gedächtnisräume eröffnet wurden, sondern auch in Bezug auf das ›Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit‹, die von der Vergangenheit abweichende ›Gegenwart‹ sowie ›Symbole der Vergangenheit‹ (vgl. Klein 2008). In der qualitativen Analyse der unter dem Thema ›Diskussion von Vergangenheit‹ zusammengefassten Beiträge ergab sich, dass Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Vergleiche zu eigenen Erfahrungen und Erinnerungen zogen und die 1950er Jahre in Abgrenzung oder Zustimmung zu der Darstellung reflektierten. Die Bräuteschule 1958 weckte aber auch das Interesse und die Neugier der jüngeren Generation und regte zu einer Weiterbeschäftigung mit den 1950er Jahren an. Im Gespräch mit Zeitzeuginnen wurde so nach dem historischen Hintergrund der Serie geforscht: »Ich habe mich mit meiner Mutter unterhalten. Sie war damals 19 Jahre alt und ging auf eine Frauenfachschule. Im Gegensatz zu den Mädels im Film war sie also auf einer Tagesschule, hatte auch normalen Unterricht und lernte den Hauswirtschaftskram um Hauswirtschaftslehrerin zu werden. Solche Internate wie im Film, die Hauswirtschaft nur für den Privatgebrauch lehrten, kannte sie nur vom Hörensagen. Leider weiß sie nicht, wie häufig die waren und wie lange solche Kurse damals dauerten. Sie glaubt aber, dass sie eher selten und ein Auslaufmodell waren« (Beitrag vom 31. Januar 2007).

Die Sendung warf offensichtlich Fragen auf, die im generationenübergreifenden memory talk diskutiert wurden. Fragen nach den individuellen und kollektiven Handlungsmöglichkeiten von Frauen in den 1950er Jahren, nach ihren Motivationen und den Optionen, die ihnen zur Verfügung standen, um ihre konkreten Lebenswirklichkeiten zu gestalten – »musste frau auf diese Bräuteschule oder wie war das?« (Beitrag vom 18. Februar 2007) sowie nach den spezifischen rechtlichen und ökonomischen, politischen und lebensweltlichen Strukturen, die ihr Leben bestimmten, z.B. »wie häufig solche Schulen in der Vergangenheit waren und wie lange die Kurse in Wahrheit dauerten« (Beitrag vom 5. Februar 2007) wurden in dem Forum diskutiert.10 Die Sendung regte so die Aktualisierung und 10 Dies weist auch darauf hin, dass viele der Zuschauenden das Format verstanden und für sie klar war, dass die in der Sendung gezeigte »Bräuteschu-

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Reflexion persönlicher Erinnerungen und Geschichtsbilder, eigener Erfahrungen, Einstellungen und tradierten Wissens an, mobilisierte Interesse an den 1950er Jahren, sowie Fragen und Diskussionen zum Wandel des Frauenbilds. Diese gedächtnisreflektierende Geschichtspräsentation erfüllte damit eine Funktion als Initiationsmedium und bewirkte eine populäre Erinnerungspraxis, durch die Geschichte vermittelt und Erinnerungen tradiert wurden. Obwohl die Serie selbst mit dem Anspruch auftrat, die Abgrenzung zu dem Frauenbild der 1950er Jahre zu provozieren, stellten sich die diesbezüglichen Diskussionen, die in dem Forum zu der ›Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit‹ geführt wurden, als überaus heterogen heraus. Die verschiedenen Beiträge zeigen in ihrer Pluralität keineswegs nur Abwehr, sondern auch Rückbesinnung und Nostalgie. Die Frage »Ist es in der Gegenwart besser?« wird in den Beiträgen zu dem Thema insgesamt wie in dem Beitrag vom 03. Februar 2007 mit »Ja und nein. Aber auf jeden Fall anders als früher« beantwortet. Einige Statements bedauern in einem konservativen Duktus den Verlust alter Werte (Beiträge vom 18. Januar 2007), andere hingegen betonen emanzipatorische Errungenschaften (Beiträge vom 10. Januar 2007). Anhand der aktualisierten Geschichtsbilder und Reflexionen zeigt sich, dass sich der Wandel des Frauenbildes in den letzten 50 Jahren nicht nur etabliert hat, sondern so selbstverständlich geworden ist, dass auf dieser Grundlage ein nostalgischer Rückbezug zu stereotypen Rollenbildern möglich scheint. Dass beispielsweise immer noch auf biologistische Argumentationsmuster Bezug genommen wird, diese aber im Zusammenhang mit der Wahl des Lebensentwurfs ›Hausfrau‹ an Überzeugungskraft verloren haben, lässt sich exemplarisch an folgendem Austausch zu dem Thema ›Gegenwart‹ ablesen: »es mag Frauen geben, die gerne einen Beruf ergreifen wollen etc. Aber trotzdem ist es biologisch ja immer noch so, dass nur Frauen die Kinder kriegen können, oder?...Und was nützt mir dann noch meine Ausbildung? – meinst du das jetzt ernst? Du willst nicht selber entscheiden wollen, welchen Beruf du machen willst? ja, ich weiß, das klingt dumm, aber ich habe keine Ahnung, was ich machen will« (Beiträge vom 10. Januar 2007).

Da die Entscheidung, heute in der BRD Hausfrau zu werden, in den Beiträgen keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt wird, sondern le« als Institution in der Form nicht real existierte, sondern mit dem Konzept Bräuteschule 1958 verschiedene Aspekte der 1950er Jahre miteinander verbunden werden.

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vielmehr als eine Option unter verschiedenen Lebensentwürfen erscheint, sind diese Einstellungen nicht im Sinne eines umfassenden Rollbacks zu interpretieren, sondern eher als Zeichen einer allgemeinen Orientierungslosigkeit.11 Auffällig an diesen Diskussionen ist, dass meist nur ein einfacher Vergleich zwischen heute und damals gezogen wird und der Zeitraum zwischen Gegenwart (2006) und Vergangenheit (1958) ausgeblendet wird. Dass in solch »kurzer Zeit eine wahre Revolution der Veränderung des Frauenbilds stattgefunden hat« (Beitrag vom 17. Januar 2007), wird zwar durchaus gesehen, die Frauenbewegung bleibt aber (wie in der Serie) unthematisiert. Dies weist zum einen auf die Tendenz des heutigen (erinnerungs-)kulturellen Kontextes hin, sich von feministischen und aufklärerischen Idealen der 1960/1970/1980er Jahre zu distanzieren. Zum anderen wird hier eine eklektische Form des Geschichtsbezugs deutlich, die auch die unter ›Symbole der Vergangenheit‹ gefassten Beiträge durchzieht. Das Faszinosum der Andersartigkeit der Vergangenheit bewirkte in der Sendung wie in der Rezeption nicht die Reflexion der Entwicklungen und Veränderungen in der Zwischenzeit. Stattdessen wird von einem gegenwärtigen Standpunkt aus darüber nachgedacht, ob nicht Aspekte jener Zeit teilweise oder abgeändert in den heutigen Alltag integriert werden können. Es gehe darum, »aus der Vergangenheit zu lernen, welche Werte man auf der Strecke Zeit verloren hat. Die erstrebenswerten wieder aufzunehmen sollte eine Aufgabe sein« (Beitrag vom 14. Februar 2007). Die Gedächtnisräume, die hier eröffnet werden, nehmen so geschichtliche Zusammenhänge kaum in den Blick, sondern beschränken sich darauf, eklektisch zwei unterschiedliche Zeiten miteinander zu synthetisieren. Schließlich scheint die Suche nach Orientierungspunkten in der Vergangenheit für den erinnerungskulturellen Kontext bezeichnender zu sein als die Infragestellung gegenwärtiger Verhältnisse. Einerseits ist dem Publikum durch das permanente Oszillieren der Protagonistinnen zwischen zwei unterschiedlichen (Geschlechts-)Identitäts- und Realitätsentwürfen – denen der Gegenwart einerseits und denen der Vergangenheit andererseits – klar, dass es sich bei der Darstellung von Vergangenheit um eine Form der Travestie, der (drag-)performance handelt. Andererseits führt dies nicht zu der Reflexion, dass gegenwärtige Geschlechtsidentitätsentwürfe ebensolche habitualisierte, historisch und kontextuell situierte Performances darstellen; Geschlechtsidentitätskonzepte also damals wie heute kontingent und wandelbar sind. Das Potential dieser re11 Diese Einschätzung bestärken auch Beiträge zum Thema Vaterschaftsurlaub und zur ›Männeremanzipation‹. Kullmanns im Vorfeld der Serie geäußerte Befürchtungen, dass »der Backlash [...] nun ganz offiziell seine eigene Reality Show« habe (Kullmann 2006), trafen also nicht zu.

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flexiven Authentizitätsfiktion, darauf zu verweisen, dass auch gegenwärtige »Realitäten, von denen wir glaubten, wir wären auf sie festgelegt, offen für Veränderung sind« (Butler 2009: 344), kommt nicht zum Tragen. In der Rezeption steht nicht die Revitalisierung der Frage nach den Geschlechterbeziehungen, »die eine Zukunft im Visier hat, die eine andere Vergangenheit in sich vollendet sehen möchte, als die Gegenwart« (Perinelli 1999: 207) im Vordergrund, sondern das Lob einer fortschrittlichen Gegenwart sowie der oftmals nostalgisch anmutende Rückbezug auf ›Altbekanntes‹. Gegenwärtige Geschlechterverhältnisse, die Sozialisationsmuster, Bewertungsmaßstäbe, Organisation und Funktionsweise von Gesellschaft grundlegend bestimmen, werden nicht zum Aushandlungsgegenstand. Vielmehr wird ein Erinnerungsort, ein Frauenbild, thematisiert, der bis heute ein wichtiger, präsenter und konstitutiver Bezugspunkt zweigeschlechtlich differenzierender Geschlechternormen ist. Der in der Serie angelegte Gedächtnisraum, der weiterführende Fragen um bestehende Geschlechterverhältnisse aufwerfen und angesichts der Wandelbarkeit von Geschlechtsidentitäten das Aufbrechen der Selbstverständlichkeit eines immer noch hierarchisch nach Männern und Frauen differenzierenden Geschlechterdiskurses ermöglichen könnte, eröffnet sich im Rahmen der gegenwärtigen Erinnerungskultur nicht. Allerdings knüpft die Serie an die Lebensrealitäten der einzelnen Zuschauenden an und bewirkt, dass stereotype, einseitige Zuweisungen bestimmter Formen des Sozialverhaltens an ein Geschlecht, die im kulturellen und kommunikativen Gedächtnis verankert sind, nochmals überdacht und zum Reflexions- und Aushandlungsgegenstand werden können.

Fazit Bei der Historischen Dokusoap Die Bräuteschule 1958 handelt es sich um ein Geschichtsformat, das durch die Konfrontation zweier unterschiedlicher, zeitlich versetzter Authentizitätsfiktionen eine Wahrnehmungsanordnung erschafft, deren Potential vor allem darin besteht, in Interaktion mit den Zuschauenden zu treten, vorhandene Geschichtsbilder zu reflektieren und Diskussionen darüber zu initiieren. Geschichtswissen vermittelnde Potentiale sind bei dieser Form der Geschichtspräsentation zwar vorhanden, in der Bräuteschule 1958 aber relativ eingeschränkt. Dies liegt zum einen daran, dass es sich hierbei um keine Darstellung von Vergangenheit handelt, sondern um eine gegenwärtige Auseinandersetzung mit Vergangenheitsaspekten, zum anderen daran, dass die Living History-Serie es vermeidet, strukturelle Zusammenhänge und historische Hintergründe zu thematisieren. Diese gedächtnisreflektierende Ge-

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schichtspräsentation liefert hingegen vielfältige Anreizpunkte, um in der Rezeption Vergangenheiten zu erinnern, Wissen zu tradieren, (historische) Fragen zu stellen und Erinnerungen an eigene Erfahrungen oder erlerntes Wissen zu diskutieren: Die Living History-Serie eröffnet Gedächtnisräume und bringt Bewegung in die Erinnerungskultur. Vereindeutigende, ›objektive‹ Geschichtsbilder und Orientierungspunkte werden dadurch, dass dem Publikum die gegenwärtige Verortung, der Konstruktions- und Auseinandersetzungscharakter des Formats ständig vor Augen geführt wird, nicht geliefert. Die Richtung der hervorgebrachten Auseinandersetzung mit Geschichte bleibt offen: »Reality History, then, often participates in the creation of a nostalgic shared past that demands memorialisation. However, it can also flag difference and contain historical dissidence« (de Groot 2009: 171). Erkenntnisgewinn wird allein durch die Konfrontation des Gestern und Heute erzielt, die mit dokumentarischem Anspruch gefilmt wird: Die hinter der Sendung stehende emanzipatorische Idee wird nicht intervenierend in die Serie eingebracht; weder Vorgaben der Regie noch der die Historische Dokusoap begleitende Off-Kommentar legen eine bestimmte Lesart nahe. Dieser offene Raum für die jeweilige Rezeption erweist sich als Chance des Formats, weil der unverkrampfte und theorieunbelastete Umgang mit dem Thema ›Geschlecht‹ einen Zugang für ein geschlechter-, generationen- und milieuübergreifendes Publikum bietet. Weder mangelndes Hintergrundwissen, noch ein im heutigen BRD-Kontext gefürchteter ›erhobener feministischer Zeigefinger‹ schränken den Zugang zu diesem Geschichtsformat ein. Gleichzeitig besteht durch die polyvalente Lesbarkeit aber auch das Risiko eines ›anything goes‹, einer Beliebigkeit in der Aneignung. Die Bräuteschule 1958 reflektiert zwar ihre eigenen Authentizitätsfiktionen und setzt sich als gegenwärtig situierte Darstellung mit der Differenz und Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit auseinander. Allerdings verbleibt sie in der detailgetreuen Darstellung der Unterschiedlichkeiten und thematisiert deren historisch gewachsene Hintergründe nicht. Angesichts der differierenden Normenund Verhaltensvorgaben wird hier nicht der Schritt weiter gegangen, die diesen zugrundeliegenden Zusammenhänge und Entwicklungen aufzugreifen und die Frage danach zu stellen, wie es zu unterschiedlichen Realitäts- und Identitätsentwürfen kam bzw. kommt und welche Funktionen diese in einer bestimmten Gesellschaftsformation erfüllen: Der Narr mit den unangenehmen und weiterführenden Fragen fehlt in der Darstellung, welche als situierte Geschichtsversion doch die Wahrnehmungsanordnung dafür bietet, diese Fragen eben nicht abschließend bzw. authentifizierend zu beantworten, sondern gegenwärtige und vergangene Realitäts- und Identitätsentwürfe als »Schnittpunkt[e] zwischen kulturell

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und geschichtlich spezifischen Relationen« (Butler 1990: 29) sichtbar zu machen. Die in der Living History-Serie als Re-/Inszenierung enthaltenen unterhaltsamen Differenz- und Verfremdungseffekte, die über das Potential verfügen, »seine eigene Geschichte (Vergangenheit) [zu denken], jedoch um sich von dem zu befreien, was es denkt (Gegenwart), um schließlich ›anders denken‹ zu können (Zukunft)« (Deleuze 1986: 169), werden in der Rezeption so eher dazu genutzt, sich in eklektischer Art und Weise Vergangenheitswissen und -aspekte anzueignen und sie in die Gegenwart zu integrieren. Diese Lesart wird zum einen von dem Geschichtsformat, das Geschichte als ›Potpourri‹ arrangiert, angeboten, entspringt zum anderen aber auch dem spezifischen erinnerungskulturellen Kontext, in den die Serie, in der Darstellung wie in der Rezeption, eingebunden ist. Durch die Präsentationsform von Geschichte als Konfrontationsfolie im Sinne einer Momentaufnahme bzw. als ›Potpourri‹ wird das Erkennen gesellschaftlicher Wirk- und Funktionszusammenhänge sowie historischer Kontinuitätslinien erschwert: »Reality History can challenge received ideas and imposed narratives of our past and heritage, but it replaces them with a muddle« (de Groot 2009: 172). Dadurch sind die in der Sendung dargestellten und in der Rezeption angeregten Auseinandersetzungen auf gegenwärtig in der Geschichtskultur vorhandene Wissensrepertoires und Einstellungen bezogen und im Falle der Historischen Dokusoap Die Bräuteschule 1958 gerade durch ihre Offenheit begrenzt. Nichtsdestotrotz erschafft dieses Format eine spielerische Form, mit Authentizitätsfiktionen reflektiert umzugehen und die Darstellung zu situieren, statt mit der Vergangenheit gleichzusetzen: »While all historical presentation is contingent and subjective, Reality History at least acknowledges this and pursues its enfranchising agenda refreshingly free of the totalising claims of ›authenticity‹« (de Groot 2009: 168). Statt Referenz zu behaupten, bleibt Authentizität hier ein Anspruch; indem die Historische Dokusoap ihren gegenwärtigen Konstruktionscharakter nicht verleugnet, gibt sie kein vorgefertigtes Geschichtsbild vor, sondern vielfältige Anregungen dazu, weiter zu fragen und zu denken. Angesichts der in Living History-Serie Die Bräuteschule 1958 vorgefundenen Potentiale der reflexiven Authentizitätsfiktion als situierte Geschichtsversion, sowie ihrer Defizite als ›Geschichtspotpurri‹ scheint die Möglichkeit relationaler Geschichtsversionen auf, die nicht nur die ineinandergreifende Relation von Gegenwart und Vergangenheit berücksichtigen, sondern auch Gegenwart und Vergangenheit als historisch spezifische Relationen begreifen, Fragen nach historischen Zusammenhängen stellen und damit Kontingenzen ebenso wie machtvolle Kontinuitätslinien sichtbar machen.

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D I E ›50 E R ‹ J A H R E W E R D E N G E S C H I C H T E : GESCHICHTSKULTUR UND AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN AM BEISPIEL VON WAS WÄREN WIR OHNE UNS MARK RÜDIGER

Im Februar 1979 verzeichnete der Süddeutsche Rundfunk im Ersten Deutschen Fernsehen einen beachtlichen Erfolg: Das vierteilige Fernsehspiel Was wären wir ohne uns erreichte für Geschichtssendungen ungewöhnlich hohe Einschaltquoten zwischen 39 und 44 Prozent; bis zu 16 Millionen Zuschauer verfolgten die einzelnen Teile.1 Dabei war die Form der Sendereihe durchaus unkonventionell: Wolfgang Menge und Ulrich Schamoni präsentierten eine Mischung aus Fernsehspiel und Unterhaltungsshow. Laut Ankündigung der Pressestelle bestand nicht die Absicht, eine linear-vollständige Geschichtsdarstellung der frühen 1950er Jahre zu präsentieren; noch nicht einmal Jahre »von historischer Bedeutung«2 wollte man herausgreifen. »Deshalb werden neben Wochenschauen und Filmausschnitten auch Produkte und Konsumartikel vorgestellt. Es werden Tips für den Haushalt, Ratschläge für alltägliche Verrichtungen zeittypisch angeboten, eingerahmt von den

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Was wären wir ohne uns: Ein Potpourri in Bild und Ton. 4 Teile. Regie: Ulrich Schamoni. Drehbuch: Wolfgang Menge. Redaktion: Reinhart Müller-Freienfels (SDR, Dramaturgie und Fernsehspiel). Darsteller: Horst Bollmann (Otto F. Baumann), Margret Homeyer (Liselotte Baumann), Ute Willing (Sabine Baumann), Ernst H. Hilbich (Herr Sandholzer), Evelyn Hamann (Fräulein Aufenbaucher), Gerd Vespermann (Erzähler). Sendedauer: 87', 101', 87', 97'. Erstsendedatum: 7., 14., 21., 28. Februar 1979, jeweils 20.15 Uhr, ARD. Süddeutscher Rundfunk, Fernsehen, Pressestelle: ›Was wären wir ohne uns‹. Ein Potpourri in Bild und Ton [o.D.], in: SWR, Stuttgart, Historisches Archiv, 29/00658. Da alle verwendeten Archivalien aus dem Historischen Archiv des SWR in Stuttgart stammen, wird im Folgenden die Abkürzung SWR-HA verwendet.

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Hits dieser Jahre«.3 Zwar stehe im Mittelpunkt die Familie Baumann, ihre Geschichte werde aber »in comic strip-Manier« in »einige[n] Stationen […] erzählt«.4 Die Form wich stark von Rezeptionserwartungen an damalige Fernsehspiele und Geschichtsdarstellungen ab.5 Die Macher wählten bewusst keine rein realistische Form der Geschichtsdarstellung und distanzierten sich in der Pressekonferenz davon, eine »historische Analyse« zu präsentieren (Ulrich Schamoni zitiert nach Hilliges 1979), ohne sich allerdings von einem historischen Authentizitätsanspruch zu verabschieden: »Wir haben versucht, die Stimmung dieser Jahre zu rekonstruieren« (Wolfgang Menge zitiert nach Dreessen 1979). Die Rekonstruktion der Stimmung und Atmosphäre der ›50er‹6 Jahre entsprach zwar nicht dem Geschmack jedes Kritikers. Insgesamt scheinen die Fernsehmacher aber eine passende Sendungsform für die Darstellung der 50er Jahre gefunden zu haben, an die viele noch direkte persönliche Erinnerungen hatten, die aber für ebenso viele »schon so weit entrückt [sind], daß sie wie eine entfernte Epoche erscheinen und beinahe das historische ›Kostüm‹ verlangen« (Weigend 1978). Die 50er Jahre entwickelten sich zu einer ›historischen‹ Epoche mit kollektiven Geschichtsbildern. Im Folgenden soll untersucht werden, auf welche Weise Authentizitätsfiktionen in der mehrteiligen Fernsehsendung Was wären wir ohne uns inszeniert wurden. Zur Kontextualisierung wird dabei zuerst auf den zeitgenössischen geschichtskulturellen Hintergrund eingegangen. Darauf folgt unter Berücksichtigung der Produktionsakten der Sendung der Versuch, Authentizitätsvorstellungen der Macher zu erschließen. Um die verschiedenen Authentizitätsfiktionen der Sendungen aufzuzeigen, wird die Sendungsanalyse eng an die Bewertung zeitgenössischer Fernsehkritiker gekoppelt. Hierbei wird angenommen, dass das Metagenre der Geschichtssendung die Kritiker dazu herausforderte, zu beurteilen, wie authentisch-historisch das Dargestellte gewesen ist. Zudem lassen sich auf dem engen Raum, der Fernsehkritiken meist zur Verfügung stand, ge3 4 5

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Ebd. Ebd. »Ein revuehaftes Musical mit didaktischem Einschlag also oder ein historischer Rückblick, der in eine Familienserie eingekleidet ist«, so fasste Clara Menck ihren Eindruck zusammen (Menck 1979). Dagegen schrieb der Spiegel: »Eine Geschichtslektion ist dieses Potpourri gewiß nicht, Anekdotisches überwiegt, der Zeitgeist spricht aus Details« (Der Spiegel 1979). Der Begriff wird im Folgenden in seiner Kurzform verwendet, da er zur Chiffre einer sozial- und kulturhistorisch nicht eindeutig eingrenzbaren Zeitspanne gemacht wurde. Vgl. dazu Schildt (1995: 451, Fn 1) und Eisenberg/ Linke (1980: 7).

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DIE ›50ER‹ WERDEN GESCHICHTE

zeigte Bilder nur schwerlich ausführlich beschreiben. Daher griffen Kritiker, wie noch zu zeigen sein wird, auf Authentizitätsbegriffe zur Bewertung des Gesehenen zurück, um dem Publikum den eigenen Seheindruck zu vermitteln. Eine Analyse der Verwendung der Authentizitätsbegriffe ermöglicht es also, danach zu fragen, ob und warum die Repräsentationen ›historisch‹ wirkten.

Die 50er Jahre in einer g e s c h i c h t sk u l tu r e l l e n Ü b e r g a n g s p h a se Seit Mitte der 1970er Jahre erlebten die 50er Jahre ihre erste große geschichtskulturelle7 Konjunktur in der Bundesrepublik. In Ausstellungen, Bildbänden, in Literatur und Filmen wurden die 50er visualisiert, verhandelt und gedeutet. Dabei fällt auf, dass dies in verschiedenen gesellschaftlichen (Teil-)Öffentlichkeiten nahezu gleichzeitig geschah: Angeregt durch einen Boom in amerikanischen Freizeit- und Jugendkulturen seit Anfang der 1970er Jahre, erfolgte in vielen europäischen Gesellschaften eine Vergegenwärtigung der 50er Jahre vor allem über Rock’n’Roll-Musik (vgl. Shaw 1978) und Mode (vgl. Schildt 1995: 17). Für den bundesrepublikanischen Kontext lassen sich dabei mehrere spezifische Charakteristika ausmachen: Erstens ergänzten spezifische Ausprägungen der bundesrepublikanischen Populärkultur wie deutsche Schlager oder Heimatfilme die amerikanisch beeinflussten Vergegenwärtigungen. Zweitens fand der Begriff der 50er Jahre zur Charakterisierung von Stilepochen in Kunst, Architektur und Wohndesign Verwendung (vgl. Maenz 1978; Borngräber 1979) und wurde in Ausstellungen und Bildbänden popularisiert. Dies evozierte eine stark objektgeprägte Aneignung der 50er Jahre, die klassische Politik- und Gesellschaftsgeschichte vernachlässigte und damit schnell in den Verruf geriet, ein »Boom für nostalgische Wiederbelebungsversuche von Kulturfragmenten« zu sein (Eisenberg/Linke 1980: 7). Eine in Wuppertal 1977 und in Hamburg 1978 gezeigte Wanderausstellung thematisierte insbesondere die Bereiche Wohndesign, Mode und Kunst. Dabei bedienten sich die Ausstellungsmacher zur Visualisierung von Mode und Wohnen aus alten Neckermann- und Otto-Versand-Katalogen sowie aus Illustrierten wie Film und Frau.8 Die Ausstellungen präsentierten typische Wohnzimmereinrichtungen der 50er (vgl. Rockmann 1978). 7 8

Zur Definition von ›Geschichtskultur‹ vgl. die Hinweise in der Einleitung in diesem Band. Das gleiche Quellenmaterial findet auch im Bildband von Nikolaus Jungwirth und Gerhard Kromschröder (1978) Verwendung.

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Drittens verband sich dieser Boom mit erinnernden Deutungen der 50er Jahre in Literatur und Film. Neben Johannes Mario Simmels Bestseller Hurra, wir leben noch (1978), der ironisierend eine Aufsteigergeschichte erzählte, waren es vor allem kritische literarische Erzählungen wie Peter O. Chotjewitz’ Der Dreißigjährige Friede (1977), Filme wie Rainer Werner Fassbinders Die Ehe der Maria Braun (BRD 1979) oder Jutta Brückners Fernsehspiel Hungerjahre (ZDF 1980), die aus einer betont autobiographischen Sicht das »Bild einer unsolidarischen Gesellschaft« (Der Spiegel 1978) gegen die Aufstiegsnarrative ihrer Eltern setzten und die 50er Jahre als Zeit von Entbehrungen und zerrütteten Familien charakterisierten. Die geschichtskulturelle Konjunktur der 50er Jahre fiel dabei in eine Zeit, die die Westdeutschen im Zuge der Ölkrise als Zäsur empfanden (Wolfrum 2007: 340; König 2008: 87). Die nähere Vergangenheit war dabei durch das Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs und der darauf folgenden Krisenerfahrung von der Gegenwart ›abgetrennt‹ worden. Es kann vermutet werden, dass sich dies katalytisch auf die Historisierung9 der 50er Jahre auswirkte. Dagegen stand eine geschichtswissenschaftlich fundierte Aufarbeitung noch am Anfang und die vorhandenen zeitgeschichtlichen Arbeiten waren aufgrund der politikwissenschaftlichen Prägungen der Zeitgeschichte zu dieser Zeit stark politikgeschichtlich orientiert (Doering-Manteuffel 1993: 2-10). Erste Bilanzen der 50er Jahre erfolgten zwar im Zuge der 1974 und 1979 gefeierten Jahrestage zur Gründung der Bundesrepublik (Löwenthal/Schwarz 1974; Sontheimer 1979). Eine geschichtspolitische Vereinnahmung der 50er als Gründungsjahrzehnt einer spezifisch bundesrepublikanisch geprägten Identität befand sich aber erst am Anfang (Wolfrum 1999: 303f.). In der bundesrepublikanischen Geschichtskultur Ende der 1970er Jahre spielte die Frage nach persönlichen Zeiterfahrungen als Trennlinien eine wichtige Rolle. Dabei konnten die individuellen Erinnerungen sowohl wichtige Quellen als auch problematische Subjektivierungen für die Historisierung der 50er Jahre sein. So betonte Christian Rathke im Katalog zur Hamburger Ausstellung von 1978: »Zwiespältig und wenig geklärt ist unser Verhältnis zu den Fünfzigern heute, fast eine Generation später« (Rathke 1978: 9). Dabei fragte er, ob überhaupt schon genügend Abstand bestünde, um ein »schlüssiges Bild« von der Epoche zu gewinnen (ebd.). Hans-Jürgen Linke erläuterte dagegen, dass sein Wissen über 9

›Historisierung‹ meint in diesem Zusammenhang den veränderten ›historisierenden‹ Blick auf eine vergangene Epoche, der durch die Wahrnehmung der zeitlichen Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart entsteht und, anders als Axel Schildt es andeutet, nicht zwangsläufig nur der Geschichtswissenschaft vorbehalten ist (vgl. Schildt 2002: 257).

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die 50er Jahre aus »zwei verschiedenen Quellen« stammte, »der eigenen Erfahrung« und einem »Wissensfundus, weniger aus dem Geschichtsunterricht in der Schule als aus Lehrveranstaltungen […] an der Uni und gelesenen Büchern« (Linke 1980: 8). Offensichtlich befanden sich die 50er Jahre in einer Übergangsphase, in der sie von einer erinnerten, erfahrenen Vergangenheit der eigenen Lebensbiographie zu einer geschichtlichen Epoche mit kollektiven, gesellschaftlichen Deutungen wurde.10 Die persönlichen Erinnerungen an die 50er Jahre gingen aber in der Folge nicht in ein kulturelles Gedächtnis über. Vielmehr ›füllten‹ sie die Bereiche jenseits der politischen Geschichtsschreibung, vor allem der Alltags- und Konsumkultur des Jahrzehnts (Linke 1980: 9). Das Gesamtbild wurde aber in massenmedialen Repräsentationen geprägt und verhandelt: »Diese Akteure müssen einem verstehenden, akzeptierenden und womöglich auch aktiven ›Publikum‹ verständliche und konsensfähige Inhalte, Bilder, Narrationen und Symbole anbieten« (Gries 2009: 191). Die unterschiedlichen Lesarten der 50er Jahre wurden Mitte der 1970er Jahre von Zeitgenossen durch generationelle Selbst- und Fremdzuschreibungen erklärt. Insbesondere die Jahrgänge, die in den 50er Jahren Kinder oder Jugendliche gewesen waren, teilten die Deutungen generationell ein – in eine Selbstbeschreibung als ›Jüngere‹ und eine Fremdbeschreibung als ›Ältere‹ für diejenigen, die zur entsprechenden Zeit Erwachsene waren. Hinzu trat noch eine dritte Gruppe derjenigen, die die 50er Jahre gar nicht selbst erlebt hatte und daher über keine direkten Erinnerungen verfügte.11 Gerade die letzte Gruppe nahm dabei, demographisch gesehen, immer weiter zu und umfasste 1977 mehr als ein Viertel der westdeutschen Gesamtbevölkerung.12

10 Der von Jan und Aleida Assmann beschriebene Prozess vom Übergang zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis erscheint dabei zu schematisch (vgl. Assmann 1997). Vielmehr lässt sich aufgrund des massenmedialen Rahmens des Erinnerns eine Abgrenzung zwischen einem informellen Familiengedächtnis und einem institutionalisierten kulturellen Gedächtnis nicht mehr aufrecht erhalten (vgl. Brockmann 2006: 24f.). 11 Inwiefern die generationellen Zuschreibungen tatsächlich auf ähnlichen Erinnerungen beruhten, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Vielmehr steht die Selbstthematisierung als alterskohortenbedingte Erfahrungsgemeinschaft im Vordergrund. 12 Berechnung ausgehend ab dem Geburtsjahrgang 1957 auf der Grundlage der Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Statistisches Bundesamt 1979: 59). Demnach hatten alle, die zwanzig Jahre alt waren (17,2 Millionen Menschen), keine Erinnerungen mehr an die Zeit. Bei einer Gesamtbevölkerung von 61,4 Millionen ergibt dies einen Anteil von 28 Prozent.

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A u th e n ti z i t ä t sv o r st e l l u n g e n i n d e r P r o d u k ti o n s p h as e Generationelle Argumentationen nahmen auch in Was wären wir ohne uns großen Raum ein. Der schleichende Prozess des Heranwachsens einer Generation, die gar keine Erinnerungen an die 50er Jahre hatte, bildete laut Aussage Wolfgang Menges sogar einen Ausgangspunkt: Erst dadurch »fiel uns auf, daß es bereits eine Periode im Bestehen der Bundesrepublik gibt, die von Menschen […] bestenfalls als Baby mitgemacht worden ist. Daß es also in der Bundesrepublik schon sowas wie Geschichte gibt« (Wolfgang Menge zitiert nach Janda 1979).

Hieraus erwuchs die Idee, die 50er Jahre in einer Fernsehsendung zu rekonstruieren. Dies sollte aber nicht in einer geschichtsdokumentarischen Form geschehen. Vielmehr war Menge davon überzeugt, »daß diejenigen, die diese Jahre erlebt haben, eher durch bestimmte Kleinigkeiten an diese Zeit erinnert werden« (ebd.). Was wären wir ohne uns richtete sich also an ein generationsübergreifendes Publikum, wobei Menge sicher war, dass selbst diejenigen, die die Zeit nicht erlebt hatten, durch seine Art der Darstellung »die Stimmung dieser Jahre« (Wienert 1979) nachvollziehen könnten. Eine historisch-authentische Darstellung schien auch jenseits einer geschichtswissenschaftlich orientierten Form möglich, indem eigene Erinnerungen mit Recherchen über die Zeit verbunden wurden.13 Dies verdeutlichte auch das Vorgehen bei den Recherchearbeiten zur Produktion. Die Idee entwickelten Reinhart Müller-Freienfels (geb. 1925)14 und Wolfgang Menge (geb. 1924).15 Sie arbeiteten schon seit

13 Zeitzeugenerinnerungen wurden aktiv in die Recherchen miteinbezogen – in direkten Gesprächen sowie durch Anschauen der NDR-Sendung Wie lebten wir vor 20 Jahren (N3/NDR, 1975), die in Form einer journalistischen Zeitzeugengesprächsrunde gestaltet war (vgl. Briefwechsel MüllerFreienfels und Pauck vom 5. Mai 1976 u. 6. Mai 1976, in: SWR-HA: 29/1364). Ähnlich argumentierte auch Hans-Jürgen Linke, allerdings mit Präferenz für die »Erlebte Geschichte«: »Unsere eigenen Erfahrungen waren uns zu wenig, unsere angelernten fremd; Erinnerungen aus erster Hand schienen zu ermöglichen, daß Synthesen zustandekämen, die authentischer wären als unsere Spekulationen« (Eisenberg/Linke 1980: 8). 14 1961 bis 1985 Leiter der Hauptabteilung Fernsehspiel beim Süddeutschen Rundfunk. Vgl. hierzu Netenjakob (1994: 280).

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1975 an dem Konzept (vgl. SWR-HA: 29/1363).16 Schon in dieser frühen Phase konzipierten sie die Sendung altersübergreifend: Den Jüngeren sollten Informationen vermittelt, den Älteren Unterhaltung in Form von Erinnerungen geboten werden, deren Darstellung sich zwischen Nostalgie und Kritik bewegen sollte.17 Generationszugehörigkeit spielte auch bei der Entscheidung eine Rolle, den späteren Regisseur Ulrich Schamoni (1939-1998)18 intensiv in die Vorarbeiten einzubeziehen, »denn er hat ja gerade diese Zeit als Kind bzw. als Heranwachsender miterlebt und kann daher etliches Interessantes beisteuern«.19 Daneben arbeiteten die Macher bis zur Fertigstellung der Drehbücher 1978 mit Hans Hellmut Kirst (1914-1989) und Heinz Pauck (1904-1986) bewusst mit CoAutoren zusammen, die durch ihre literarisch-filmischen Produktionen in den 50er Jahren bekannt geworden waren.20

15 Drehbuchautor zahlreicher Fernsehspiele u.a. der Stahlnetz-Reihe (ARD/NDR, 1958-1968) und der Serie Ein Herz und eine Seele (ARD, 1973-1976). In den 1970er Jahren suchte Menge in seinen Fernsehspielen nach neuen Formen und probierte in Das Millionenspiel (ARD/ WDR, 1970) und SMOG (ARD/WDR, 1973) Verfremdungseffekte aus, indem er mit Genreerwartungen und Programmanordnungen des Fernsehens experimentierte. Was wären wir ohne uns fiel ans Ende dieser Schaffensphase. In der Folge wendete er sich vermehrt historischen Themen zu, denen er sich über eine alltags- und erfahrungsgeschichtliche Perspektive näherte, die Menges Anspruch erfüllen sollte, »politische Aufklärung für ein möglichst großes Publikum zu bewirken, indem die Trennung von Politik und Unterhaltung aufgehoben wird« (Wesseln 1997: 158); vgl. Netenjakob (1994: 259-262). 16 Brief Müller-Freienfels an Menge vom 19.8.1975, in: SWR-HA, 29/1363. 17 Brief Müller-Freienfels an Kirst vom 18.11.1975, in: SWR-HA, 29/1363. 18 Schamoni galt als Vertreter des Neuen Deutschen Films, der sich seit Anfang der 1960er Jahre offen gegen den verklärenden Stil des Nachkriegskinos wandte. So verwendete Rainer Werner Fassbinder in Die Ehe der Maria Braun (BRD 1979) filmische Zitate populärer Bilder aus Trümmerfilmen der 50er Jahre, um diese dann ironisch zu kommentieren (Elsaesser 1994: 358). Schamonis Stil war geprägt von in leichter Satire verpackter Gesellschaftskritik und stellte den Unterhaltungsaspekt stärker als andere Vertreter des Neuen Deutschen Films in den Vordergrund. 19 Brief Müller-Freienfels an Menge vom 7.10.1976, in: SWR-HA, 29/1364. 20 Vgl. Briefwechsel zwischen Müller-Freienfels und Kirst, in: SWR-HA: 29/1363 und 29/1364, sowie zwischen Müller-Freienfels und Pauck, in: SWR-HA: 29/1364 und 29/1365. Hans Hellmut Kirst war 1954 mit seiner Romantrilogie 08/15 bekannt geworden, die zwischen 1954 und 1956 von Paul May in drei Teilen verfilmt wurde (BRD 1954-1956). Zur Zeit der öffentlichen Diskussion um die Remilitarisierung der Bundesrepublik wurde

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Neben der Einbeziehung von (eigenen) Zeitzeugenerinnerungen versuchten die Fernsehmacher in einer Art eigener Quellenarbeit herauszufiltern, »was die Leute damals interessiert hat und welche großen Geschehnisse sie beschäftigten«.21 Hierzu griffen sie auf vorhandene Literatur zurück,22 vor allem scheinen die entsprechenden Jahrgänge verschiedener Zeitschriften, wie Der Spiegel und der Stern, sowie von Illustrierten wie Constanze klarere Strukturen für ihr Bild der 50er Jahre gebracht zu haben.23 Die Wochenschauausschnitte dagegen dienten schon während der Produktion ausschließlich dem Zweck der »dokumentarischen Hintergrunddarstellung«,24 wurden also während der Produktion nicht als direkte Quellen für die Stimmung der 50er Jahre gelesen. Die Stimmung der 50er Jahre sahen die Macher treffender in verschiedenen Fernsehspielen der Zeit ausgedrückt. So schrieb Müller-Freienfels an Menge, nachdem er Das Glück läuft hinterher (ARD/NDR 1963), Besuch aus der Zone (ARD/SDR 1958) und Zeitvertreib (ARD/SDR 1964) gesehen hatte, dass man dabei »plötzlich wieder etwas von der Stimmung der 50er Jahre, von dem Verhältnis zu den ›Brüdern und Schwestern in der Zone‹, von den etwas prüden-verklemmten Beziehungen zwischen Männlein und Weiblein und schließlich von dem Rückzug ins Private und Materielle [empfindet]«.25 Die Filme stammten alle nicht aus dem letztendlich gewählten Zeitraum, den das Fernsehspiel thematisiert. Schon allein daran wird deutlich, dass die Authentizitätsfiktion eines Stimmungsbildes der 50er Jahre aus dem Zusammenspiel von eigenen Erinnerungen, politisch-zeithisto-

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der Film öffentlich heftig diskutiert und von militärischer und politischer Seite scharf angegriffen. Interessant ist, dass auch diese Filme schon auf einen »dokumentarischen Gestus« setzten, der die damalige Stimmung als Soldat wiedergeben sollte, gleichzeitig aber unterhaltend blieb (vgl. Hickethier 1990). Heinz Pauck hatte sich in den 1950er Jahren einen Ruf als Drehbuchautor erworben, der in seine Unterhaltungsfilme immer wieder zeitsatirische Anspielungen einband, zum Beispiel in Wir Wunderkinder (BRD 1958), Das Wirtshaus im Spessart (BRD 1958) oder Die Zürcher Verlobung (BRD 1957). Offenbar suchten Menge und Müller-Freienfels sich die Co-Autoren auch nach dem beabsichtigten Stil der Fernsehsendung aus. Brief Müller-Freienfels an Pauck vom 12.3.1976, in: SWR-HA, 29/1364. Leider sind dazu keine konkreten Titelangaben erhalten. Vgl. Brief Pauck an Müller-Freienfels vom 20.2.1976, in: SWR-HA, 29/1364. Brief Müller-Freienfels an Pauck vom 6.4.1977, in: SWR-HA, 29/1365. Brief Pauck an Müller-Freienfels vom 5.5.1976, in: SWR-HA, 29/1364. Brief Müller-Freienfels an Menge vom 7.7.1976, in: SWR-HA, 29/1364.

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rischem Wissen und gesellschaftlichem Kontext entstand. Zum einen waren die Filme natürlich subjektiv herausgegriffen worden und bedienten daher die eigenen Bilder, zum anderen visualisierten sie offenbar Themen, die die Macher als typisch für die 50er Jahre ansahen. Dadurch avancierten die Filme vermutlich auch zu audiovisuellen Vorbildern für die Produktion.

D a s T y p i sc h e v o n O t to F . N o r m a l v e r b r a u c h e r Den verbindenden roten Faden des vierteiligen Fernsehspiels bildet die Spielhandlung. Im Mittelpunkt steht die Familie Baumann: Friseur Otto F., seine Ehefrau Liselotte und ihre sechszehnjährige Tochter Sabine. Die Baumanns sind bei Kriegsende aus Berlin nach Stuttgart geflohen. Nach einigen Rückschlägen gelingt ihnen der Aufbau einer sicheren Existenz in Gestalt eines eigenen Friseursalons. Otto F. Baumann und seine Frau sind etwa Mitte vierzig und damit Repräsentanten der ›Älteren‹, denen auch Menge und Müller-Freienfels angehörten. Die Tochter dagegen ist 1950 sechzehn, also Jahrgang 1934, wodurch sie wie Schamoni zu den ›Jüngeren‹ zählt. Diese innerfamiliäre Generationenkonstellation spielt in der Handlung dann auch zeitweise eine wichtige Rolle, indem die Aufstiegsgeschichte der Baumanns immer wieder durch intergenerationelle Erzählungen unterbrochen wird. So in einer kurzen Szene im ersten Teil: Beim Frühstück läuft im Hintergrund das Radio, in dem Sabine einen Sender mit amerikanischer Jazzmusik eingeschaltet hat. Dies veranlasst Otto aufzustehen und auf einen Sender mit deutscher Musik umzuschalten mit den Worten, er wolle diese »Negermusik« nicht hören. Diese Szene nahm ein Kritiker als Beispiel dafür, warum er sich in den »Filmszenen wiedergefunden« habe: Weil sie sich bei ihm »zu Hause so abgespielt« hätten (Schölple 1979). Dabei betonte er explizit, dass er die Zeit als Jugendlicher erlebt habe. Besonders die Szenen mit Beteiligung der Tochter waren also aus der Perspektive damaliger Jugendlicher konzipiert. Dies deutet auch Ulrich Schamoni an, den vor allem die »Rückschau auf die eigene Jugend« reizte: »Ich habe versucht, die Naivität meiner Kinderaugen, mit denen ich den Beginn des Wirtschaftswunders sehen und erleben durfte, zu reflektieren und sichtbar zu machen. Es gibt typische Bilder, Szenen und Töne, die mich und meine ganze Generation geprägt haben. Vieles findet man in den vier Folgen von ›Was wären wir ohne uns‹ wieder, so wieder, wie ich es damals durchlebt und durchlitten habe« (Berliner Morgenpost 1979).

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Noch deutlicher wird dies in einer Szene im zweiten Teil. Das letzte Drittel der Sendung thematisiert die prüden Sexualvorstellungen der Zeit. Zuerst präsentiert der Moderator den 1951 heftig diskutierten Ausschnitt des Kinofilms Die Sünderin (BRD, 1951) und macht deutlich, dass dieser 1979 keinen Skandal mehr hervorgerufen hätte. Kurz darauf kehrt das Thema in der Spielhandlung wieder: Tochter Sabine wird von ihren Eltern beim Küssen erwischt, worauf diese außer sich sind. Der Moderator hatte die Szene damit eingeleitet, er hätte dies gar nicht für erwähnenswert gehalten, aber für die Baumanns sei dies »etwas ganz Unerwartetes, eine Schande sozusagen«. Die Eltern holen sich Rat bei Sabines Lehrer. Es folgt ein stark satirisch inszeniertes Gespräch, in dem die Verklemmtheit der Elterngeneration der sexuellen Aufgeklärtheit ihrer Tochter und deren freierem Verhältnis zu ihrer Sexualität gegenübergestellt wird. Diese Szenen wurden in den Kritiken häufig erwähnt und als besonders eindrücklich geschildert. Die Authentizität der Darstellung wurde gar nicht erst in Zweifel gezogen, vielmehr drückte ein Autor seine »Verblüffung über den Einstellungswandel« aus: »Nicht nur die Jüngeren zweifelten mitunter an der unumstößlichen Tatsache, daß nur ein Vierteljahrhundert seit jenen Jahren verflossen ist« (Elert 1979). »Etwas freizügiger ist die gängige Moral nun doch heutzutage« (Badische Neueste Nachrichten 1979b), fügte ein anderer Kritiker hinzu. Die satirische Überzeichnung markierte den Wertewandel, der sich so weit vollzogen hatte, dass eine Mehrheit der Zeitgenossen die Szenen 1979 schon distanziert belächeln konnte und keine Normendiskussion mehr hervorgerufen wurde (vgl. Wolfrum 2007: 253-257). Die authentische Wirkung entstand in diesem Fall aus der Verbindung zur Gegenwart: Der Vergleich, die Distanz ließ die Szene authentisch wirken. Das Verhalten der Personen bezüglich der Sexualmoral galt als typisch bzw. repräsentativ26 für die 50er Jahre – im Vergleich zu 1979. Der Eindruck des Typischen wurde durch die Inszenierung der Baumanns als Familienbiographie verstärkt. So betonte ein Kritiker, die Handlung sei »nichts rein Dokumentarisches und auch keine rein erfundene Geschichte; Wolfgang Menge erdachte sich eine Stuttgarter Normalverbraucherfamilie« (Sternthal 1979). Dies markierte schon der Vorname ›Otto‹, den verschiedene Kritiker zum Anlass nahmen, um Parallelen zum Film Berliner Ballade (BRD 1948) zu ziehen, in dem Gerd Fröbe die Figur des ›Otto Normalverbrauchers‹ gespielt hatte (Menck 1979; Stuttgarter Zeitung 1979). Der Eindruck verstärkte sich durch den Erzähler, der die Familie dementsprechend einführt und mittels Unterbrechun-

26 Vgl. Hans-Jürgen Pandels Kategorisierung von Authentizität u.a. in Typenund Repräsentationsauthentizität (Pandel 2006: 26).

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gen versucht, die Geschichte durch Hintergrundinformationen und Erklärungen zu historisieren. In solchen Momenten wurde die Handlung durch den Moderator zu einem dokumentarischen Livedokument stilisiert, in dem die Figuren direkte Auskunft über ihr Leben und Fühlen in den 50ern geben können, wodurch der Aspekt der Konstruktion von Geschichte durch Vergegenwärtigung immer wieder eine Thematisierung erfuhr. Dabei repräsentierten auch einige Nebenfiguren typische Gesellschaftsvertreter: Oberstudienrat Schulze-Festberg, der als Geschichtslehrer und Akademiker dem Moderator Auskunft gibt, und Herr Schlottau, inszeniert als typischer Karrierist, der im Gegensatz zu Otto Baumann versucht, den Aufschwung clever für den eigenen wirtschaftlichen Aufstieg zu nutzen und dabei hohe Risiken bei seinen Geschäften eingeht. In dieser Konzeption gerieten praktisch alle Elemente der Spielhandlung zu typischen Alltagsdarstellungen der 50er Jahre. Zuallererst natürlich die Haupthandlung, die ein positives Ende für die Baumanns findet, indem sich alle Probleme innerfamiliär und wirtschaftlich zu lösen scheinen und sie nach einer positiven Aufbauphase in eine sorgenfreie Zukunft blicken können. Gelesen als typischer Lebensweg der 50er Jahre, zeigte sich hier der bundesrepublikanische Identitätsdiskurs im Mythos vom Wirtschaftswunder, der zwar, wie betont wird, nicht für alle die gleichen Startbedingungen bot, aber durchaus den allermeisten mit ein wenig Glück die Chance auf wirtschaftlichen Aufstieg: »Wenn […] Menge die Geschichten um den Friseur Baumann, seiner Frau und Tochter ausbreitet, dann sind mit ihm die Typen um jenen Otto Normalverbraucher gemeint, der es im bundesdeutschen Wohlstand beharrlich, bieder und fleißig zu etwas gebracht hat. Und mancher kann, konfrontiert mit Kohlenklau, Kochkisten und Wohnraumknappheit von damals sich heute auf die Schultern klopfen: Man ist wieder wer. […] Diesen Mythos vom Aufstieg der Tellerwäscher ohne große Lust zu Experimenten kolportiert der Film unentwegt« (Sternthal 1979).

So gesehen orientierte sich die Grundgeschichte an einer Erfolgsgeschichte der Deutschen im Wirtschaftswunder. Hierbei konnten sich die Macher bewusst oder unbewusst auf Fernsehspieltraditionen der 1960er Jahre stützen, in denen die meist kritische bis negative Darstellung von Aufsteigern und Karrieristen häufige Themen des Fernsehspiels gewesen waren (Koebner 1975). Otto und seine Familie sind dagegen durchgehend positiv besetzt: Otto ist nicht korrumpierbar und arbeitet hart und leistungsbereit für den eigenen Aufstieg. Indem viele Kritiker in den Baumanns die ›Otto Normalverbraucher‹ sahen, authentifizierten sie das Narrativ vom wirtschaftswunderlichen

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Aufstieg des Einzelnen bzw. zeigten dessen allgemeine Popularität in der westdeutschen Geschichtskultur Ende der 1970er Jahre an.

» I m D e t a i l d a s G a n z e « 27 Einschübe in die Spielhandlung bildeten den Kern der ungewöhnlichen Sendeform: Als ›Herr Sandholzer und Fräulein Aufenbaucher‹ stellten die Kabarettisten Ernst Hilbich und Evelyn Hamann vermeintliche Neuheiten und kuriose Erfindungen der Konsumindustrie vor oder gaben praktische Ratschläge für die Hausfrau in Form kurzer sketchähnlicher Kabarettnummern.28 Diese wurden als authentische Details gelesen: »Daß die Zeiten damals noch karg waren […], war an der drangvollen Enge der Mehrparteienwohnung zu erkennen, vor allem aber am Warenangebot und den ›praktischen Ratschlägen‹ das [sic] sich in euphorischer Begeisterung überschlagenden Werbebranchen-Duos« (Lange 1979a).

Die »Waschtag-Arie« in der dritten Folge fing laut eines Kritikers die Atmosphäre besser ein als die übrigen Folgen (Hamburger Abendblatt 1979). In der sechseinhalbminütigen Sequenz zeigte Evelyn Hamann eindrücklich, wie mühsam das alltägliche Wäschewaschen vor dem Besitz der Waschmaschine war, die 1978 schon in 82 Prozent der Haushalte stand (Andersen 1997: 108). Die Authentizität lag in dieser Sequenz zum einen in der satirisch überzeichneten Person des Fräulein Aufenbaucher, die an Hamanns Rollen in der Loriot-Reihe erinnerte. Unermüdlich lächelnd verkörperte sie auch hier die brav-biedere Hausfrau »bundesdeutscher Spießigkeit« (Dörting 2007). Die mediale Bekanntheit der von Hamann schon erfolgreich verkörperten Figur erinnerte viele an typische Rollenmuster, die sie mit den 50er Jahren in Verbindung brachten und die Loriot in seinen Sendungen als »Fundamente der kleinbürgerlichen Traditionsbestände« (ebd.) persiflierte. Zum anderen wurde der historische Hintergrund einer Waschküche auf der Bühne eingerichtet, der durch Gegenstände wie Waschzuber bzw. -kessel mit Bleuel zum Durchrühren der Wäsche, Waschbrett, Schmierseife und Soda zum Enthärten des Wassers die historische Distanz zur eigenen Lebenswelt Ende der 27 Frankfurter Neue Presse (1979). 28 Dabei waren Hilbich und Hamann dem Fernsehpublikum aus zahlreichen Sketchen in anderen Fernsehsendungen bekannt. Hilbich spielte in den 1970er Jahren häufiger in Unterhaltungsshows wie zum Beispiel Am laufenden Band (ARD, 1974-1979) mit. Hamann war seit 1976 in der Reihe Loriot I-IV (ARD, 1976-1979) von Vicco von Bülow zu sehen.

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1970er Jahre erzeugte. Die Szene sei »besonders treffend«, denn »wer erinnert sich beim Druck auf den Bedienungsknopf der Waschmaschine noch an vorsintflutlich anmutende ›Waschtage‹« (Harburger Anzeigen und Nachrichten 1979). Solche Sequenzen riefen bei den Zuschauern Erinnerungen an eigene Lebenserfahrungen hervor und führten gleichzeitig die zeitliche Distanz vor Augen, die in diesem Fall die Massentechnisierung der Haushalte mit sich gebracht hatte. Wieder wurde aber die historische Authentizität der Kulisse nicht in Zweifel gezogen. Auch hier war der Wandel, der sich innerhalb der eigenen Lebensspanne vollzogen hatte, für das Publikum faszinierend zu beobachten.29 Die Kulissen und Einschübe dienten für die ›Älteren‹ der Herstellung von Atmosphäre. Ein Grundmuster der Sendung bestand so darin, durch Erinnerungsanreize atmosphärische Authentizitätsfiktionen zu erzeugen. Im Fokus der Kabarettnummern standen häufig die von Rainer Gries als »Produkte der Sehnsucht« (Gries 2009: 195) bezeichneten Konsumgüter: Kühlschrank, Auto, UKW-Radio, Fernseher und Urlaubsreisen.30 1979 waren dies alles selbstverständliche Güter des Alltagslebens, auf die das zeitgenössische Publikum entspannt-nostalgisch zurückschauen und sich die Erfüllung der alltäglichen Sehnsüchte vor Augen führen konnte (vgl. König 2008). Gleichzeitig wurden diese Konsumgüter so zu typischen Produkten ihrer Zeit. Denn nach diesen strebte seit Anfang der 50er Jahre eine Mehrheit der Erwachsenen (vgl. Andersen 1997: 92) und stilisierte sie so zu »Generationsmarkern« der »Aufbaugeneration«31 (Gries 2009: 192, 196). Dabei war das Typische im Design, wie schon gezeigt werden konnte, durch den geschichtskulturellen Kontext vorstrukturiert und fand sich dann in dieser Form sowohl in der Wirtschaftswunderwohnung der Baumanns als auch in der Studiodekoration wieder: Geschwungene Linien und grell-bunte Farben stilisierten das Design der 50er Jahre, Nieren-

29 »Die Faszination des Stücks ging von der Zeit aus, die die meisten von uns noch miterlebten, dem ungläubigen Staunen, wie damals nach der Stunde Null alles anfing, woraus ein Wirtschaftswunder wurde« (Gong-FunkFernsehwelt 1979). 30 Dazu zählt auch die starke Betonung der Wohnungseinrichtungen, wie zum Beispiel in der ausführlichen ›Wohnungsbesichtigung‹ in Teil 3, in der ›moderne‹ Möbel der 50er Jahre wie der Nierentisch oder Bäder mit Mischbatterie und Waschmaschine ausführlich thematisiert wurden. 31 Hierunter fasst Rainer Gries die in den 1920er und frühen 1930er Jahren Geborenen, die Anfang der 50er Jahre ungefähr zwischen 18 und 30 Jahre alt waren. Da diese begrenztere Einteilung in unterschiedliche Alterskohorten von den Zeitgenossen im Falle der Sendung nicht vorgenommen wurde, wird hier breiter gefasst von den ›Älteren‹ gesprochen.

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tisch, Tulpenlampe, die schlichte, praktische Bauweise von Kommoden und Schränken verwiesen auf das Wohndesign.32 Dabei »war die Ausstattung so zärtlich-genau, daß der Anblick einer Tapete Erinnerungen an den Geruch einer Tapete von damals auslöste«, so eine Kritikerin zur ›gefühlten‹ Authentizität der Kulissen (Junker-John 1979). Das verfügbare Vor-Wissen durch geschichtskulturelle Thematisierungen strukturierte dabei vermutlich die individuellen Erinnerungen derartig, dass sie nicht mehr von den massenmedial transportierten Bildern unterscheidbar waren (vgl. Welzer/Moller/Tschuggnall 2002: 105-133; Ebbrecht 2008). Ein weiteres Element der Sendung bildete die musikalische Aufführung und Neuinterpretation von Schlagern aus den entsprechenden Jahren durch die Rosy Singers. Diese waren schon von internationalen Schlagerwettbewerben seit Mitte der 1970er Jahre und verschiedenen Unterhaltungsshows wie Auf los geht’s los (ARD, 1977-1986) mit Joachim Fuchsberger bekannt. In jeder der vier Folgen interpretierten sie in kurzen Auftritten, meist in Form eines Medleys, deutschsprachige Schlager aus dem jeweiligen Jahr. Hierbei waren sich die Kritiker uneinig bezüglich des Darstellungsmodus: Viele ordneten die Schlagerauftritte in eine Kategorie mit den gezeigten Wochenschauaufnahmen ein. Die Schlager seien »originalgetreue Interpretation damaliger ›Ohrwürmer‹« (Badische Neueste Nachrichten 1979c) gewesen, kommentierte ein Kritiker. Ein anderer dagegen hob die seiner Meinung nach absichtliche Überzeichnung damaliger Schlager hervor: »Troff deutsches SchnulzenSchmalz je so herzzerreißend aus den Plattenrillen wie bei den fünf Sängern? Ist jemals American-Schnickschnack so vollendet entlarvt worden, wie von den Rosy-Singers« (Schölple 1979a). Ob beabsichtigt oder nicht boten die Macher hier zwei Lesarten an: Eine dokumentarische, die zu nostalgischem Erinnern animierte (›so war es damals‹), und eine satirisch-kritische, die aus einer (leichten) Überzeichnung damaliger Schlager entstand und diejenigen ansprach, die kritisch auf die 50er blickten. Wohl ausgewählt waren diese ausnahmslos deutschsprachigen Schlagerstücke, die zum Beispiel aus damaligen Kinofilmen33 stammten und damit für restaurative Tendenzen des Kulturlebens standen. Insgesamt sollte die Gesamtform der Sendung einen »Touch des großen Bunten Abends im Sinne des seligen Peter Frankenfeld« (Ulrich Schamoni zitiert nach Jungwirth 1979) geben. Die Sendungen waren also in ihrer Form schon als Rekonstruktion von verschiedenen Fernsehgenres 32 So zimmert Otto in Teil 3 absichtlich die Holzverzierungen von einem älteren Schreibtisch ab, um diesem ein modernes Aussehen zu verleihen. 33 In der ersten Folge stammten die Songs »Happy-Happy Days (Wenn ich will stiehlt der Bill für mich Pferde)« sowie »Winke winke« aus dem Revuefilm Die Dritte von rechts (BRD 1950).

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der 1950er Jahre angelegt: Menge »mischt die aus langjähriger Fernsehpraxis jedem Zuschauer geläufigen TV-Genres wie die Plastik-Shows mit ihrem Dubediduhu, die marktschreierischen [sic] Werbung und die Ratgeber-Sendung« (Generalanzeiger für Bonn 1979). Hiermit schafften die Macher sowohl fernsehgeschichtliche Distanz als auch aktualisierende Nähe. Die satirisch angelegten Auftritte von Hilbich und Hamann überzeichneten die Programmform der damals typischen geschlechterspezifizierenden Lebenshilfesendungen. Typisch waren diese, da Sendungen dieser Art auf die 1950er Jahre begrenzt blieben und sich nur in veränderter Form als Spartenprogramm halten konnten (Hickethier 1998: 84, 164). Dieser Formunterschied verstärkte die Rezeption des Gesehenen als historisches. Andererseits waren Sketche als Teil von Unterhaltungsshows sowie die Mischung von Moderation, Sketch und Musik dem Publikum vertraut. Die Sendungsform des ›Bunten Abends‹ dagegen demonstrierte die Kontinuität von Wertvorstellungen, die sich im Fernsehprogramm bis Anfang der 1980er Jahre kaum veränderte (Hickethier 1998: 377-381). Das auffälligste Kontinuitätsmerkmal stellte dabei die fortdauernde Präsenz vieler Schlagersänger, Schauspieler und Moderatoren der 50er Jahre dar, deren Image häufig noch auf einem als restaurativ empfundenen Wertekanon aus dieser Zeit aufbaute, der auf klassischen Pflicht- und Akzeptanzwerten gründete (Faulstich 2003: 190). Dies lässt einerseits den Schluss zu, dass die Sendeform nostalgische Erinnerungsgefühle evozierte, andererseits aber versuchte, diese satirisch zu brechen und somit gerade dadurch einen kritischen Impetus zu erreichen, ohne dass dieser eine rein nostalgische Lesart unmöglich gemacht hätte. In der Aneinanderreihung der Einzelelemente wirkten für viele die ›Nebensächlichkeiten‹ und ›Details‹ besonders authentisch. Immer wieder wurde auf die »detailbesessene Ausstattung« (Badische Neueste Nachrichten 1979a) hingewiesen, die durch ihre Echtheit und Originalität einen »objektiv-historische[n] Hintergrund« (Weigend 1978) lieferte. Dies unterstützten Berichte über die Produktion, in der die schwierigen Beschaffungswege der einzelnen Gegenstände anerkennend aufgezeigt wurden (vgl. ebd.; Schölple 1979b). Damit verbürgten die Kulissen die Echtheit und Originalität der Inszenierung und wurden – durch die schon erwähnten Produktpräsentationen, aber auch durch die Einbindung in die Spielhandlung – hierzu auch bewusst in Szene gesetzt. Viel Wert wurde zum Beispiel darauf gelegt, die jeweiligen Wohnverhältnisse der Familie vorzustellen und einzubinden. Die Handlung des ersten Teils beginnt mit einer Veranschaulichung der beengten Wohnverhältnisse Anfang der 50er Jahre, indem sie den alltäglichen Tagesablauf zwischen Aufstehen und Frühstück der Baumanns in einer Fünf-Zimmer-Wohnung mit vier Mietparteien inszeniert. Später stellt der Moderator die Wohnung der

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Baumanns für die Zuschauer nochmals separat vor und betont die vollgestellten Räume. Als die Baumanns dann aufgrund ihres wirtschaftswunderlichen Aufstiegs in der vierten Folge ihre Räume neu einrichten können, finden sich die ›typischen‹ Wohnaccessoires wieder: Tütenlampe, Nierentisch, bunte Tapeten und eine ›moderne‹ Kommode – auf die Sabine im Gespräch explizit verweist. Die scheinbar nebensächlichen Gegenstände wurden also bewusst inszeniert und deswegen wohl auch so häufig in den Kritiken hervorgehoben. Die ›Echtheit‹ der Details erzeugte dabei als Ganzes eine atmosphärische Authentizität, die die Stimmung der 50er rekonstruieren sollte: »Denn am Erscheinungsbild des ›Potpourris‹ stimmte jedes kleinste Detail! Genau mit diesen scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten wird die Stimmung, das Gefühl der damaligen Zeit besser und treffender beschrieben als in langatmigen Erklärungen. […] UKW – auch mein Vater kaufte so einen amerikanisch angehauchten Radioapparat. Und ein Sofakissen hat man damals auch mitgenommen zum Familienausflug. Und die Schiebergeschäfte mit Kostbarkeiten von den Amis. Ende der fünfziger Jahre hab’ ich auch Lucky Strike geraucht« (Schölple 1979a).

Bei den Gegenständen und anekdotischen Erzählungen handelte es sich offensichtlich um mediale cues, die bei vielen Zuschauern Erinnerungsanreize auslösten. Einige dieser Objekte hatten dabei sicherlich auch darüber hinaus die Funktion von ›Generationsmarkern‹ wie die Autos, der Kühlschrank oder das UKW-Radio. Aber die Nebensächlichkeiten wirkten vielleicht noch viel authentischer, indem ihr überraschendes Auftreten »Ja-so-war’s-doch-Identifikationen« (Werner 1979) ermöglichte, die in ihrer dichten Folge den Eindruck des Historisch-Authentischen enorm verstärkten. Die einzelnen Episoden ergaben so bei vielen Zuschauern ein atmosphärisches Ganzes, das sich aus den vielen Details zusammensetzte, dabei aber einen Mehrwert erzeugte, den die Autoren als »Zeitbild« (Lange 1979a; Wienert 1979) oder »Stimmungsbild« (Rhode 1979; Delling 1979) bezeichneten.34

34 Während die Authentizität der Details überwiegend betont und anerkannt wurde, kritisierten einige Autoren, dass sich die Einzelstücke eben nicht zu einer Atmosphäre zusammenfügen würden. Vgl. hierzu beispielsweise Jensen (1979).

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» D o k u m e n t a t i o n h a t a l l e r d i n g s i h r e n P l a tz « 35 Viele Kritiker konnten recht klar benennen, worin für sie das ›Dokumentarische‹ der Sendungen bestand – in den gezeigten Wochenschauaufnahmen. Diese wurden in der Sendung meist vom Moderator angekündigt und umfassten dann ein bis drei Ausschnitte von nicht mehr als vier Minuten Länge, die ohne zusätzlichen voice over-Kommentar mit O-Ton gesendet wurden. Dadurch verstärkte sich die Präsentation als Archivbild, das eine »dokumentarisierende Selbstevidenz« ausstrahlte (Steinle 2007: 248). Die Auswahl der Beiträge lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: Ein Teil wurde als ›Nachrichtenschau‹ konzipiert, womit die ursprüngliche Verwendung als audiovisuelles Informationsmedium kopiert wurde, das eine authentische Lesart vorgab (Schwarz 2002: 13). Hier wurden politische Großereignisse der Zeit ausgewählt wie zum Beispiel Ausschnitte zum Indochinakonflikt (Teil 4), zur Gründung des Landes Baden-Württemberg und zur Wehrdebatte von 1952 (Teil 3). Dabei ging es jeweils primär darum, das Ereignis audiovisuell zu repräsentieren und mit Originalaufnahmen zu illustrieren sowie das Gezeigte als ›Information‹ in Form einer über die Einzelteile fortlaufenden Chronologie darzustellen. Ein anderer Teil der Berichte sollte das politische Klima der Zeit widerspiegeln. So zeigte ein Ausschnitt aus einer westdeutschen Wochenschau einen Bericht über politische Pfingsttreffen in Ost- und WestBerlin (Teil 1). Eine Ausschnittsmontage behandelte nacheinander Berichte über die Eröffnung der deutschen Industriemesse in Hannover und den Wiederaufbau des Kaufhauses des Westens (ebenfalls Teil 1). Im Ton und in der Wortwahl des Kommentators wurde hier deutlich, dass die Wochenschauen als Propagandainstrument im Kalten Krieg gebraucht und in diesem Kontext die überlegene Produktionsstärke westdeutscher Güter betont worden waren (vgl. Schwarz 2002). Dies bemerkte auch ein Kritiker: »Und da sind schließlich Original-Wochenschauen – erstaunlich (und wie rasch vergessen): Anno fünfzig schon wieder mit Polit-Propaganda, wie schön’s doch im Westen ist und wie trist in der traurigen ›Sowjetzone‹…« (Schölple 1979). Der Einsatz der Wochenschauen hatte hier einen anderen Zweck: Weniger der vordergründig präsentierte Inhalt war entscheidend, als vielmehr die Art der Darstellung. Dies muss vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Tagesschau gesehen werden, die sich seit Anfang der sechziger Jahre durch einen betont »sachlich-distanzierte[n]« Stil auszeichnete (Garncarz 2002: 126) und so im klaren Gegensatz zur tendenziösen Sprechart des Wochenschaukom-

35 Stuttgarter Nachrichten (1979).

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mentators und dem massiven Einsatz von Hintergrundmusik stand. Auch hier wurde das ›Historisch-Authentische‹ wieder als medial bedingte Distanz sichtbar, die aus den veränderten Erwartungshorizonten erwuchs. Denn nur der Vergleich innerhalb des Genres ›Nachrichtensendung‹ konnte die Wochenschauen als Propaganda entlarven, die eher an die nationalsozialistischen Wochenschauen als an die Tagesschau erinnerten (vgl. zu Kontinuität und Diskontinuität der NS-Wochenschau: Schwarz 2002). Neben den Wochenschauen wurden weitere Elemente der Sendungen als historisches Wissen rezipiert. Der hierbei verwendete Begriff der ›Information‹ wurde meist weit gefasst und beinhaltete neben den schon erwähnten Kabarettnummern und Schlagerpräsentationen auch Informationen in der Spielhandlung, die »en passant durch kurze Gespräche behandelt [wurden]« (Generalanzeiger für Bonn 1979). Dem Erzähler fiel vor allem die Aufgabe zu, Hintergrundinformationen zur Spielhandlung zu geben und in Form schlagzeilen- und anekdotenartiger Fakten Details beizusteuern wie beispielsweise, dass es in der Bundesrepublik 1950 zwei Millionen Arbeitslose gab oder dass ein durchschnittlicher Lohn bei 120 Mark lag (Teil 1). In die Spielhandlung wurden politische und gesellschaftliche Ereignisse eingebaut: So wurde eine Radiodiskussion über die Stalin-Note von 1952 inszeniert, die Otto am Radio verfolgt (Teil 3). Ebenfalls im Radio hören die Anwesenden im Friseursalon die LiveBerichterstattung des Aufstands am 17. Juni 1953 und tauschen dazu Meinungen aus, die, nach Anlage der Spielhandlung, typische Reaktionen der Zeitgenossen repräsentieren sollten (Teil 4). Insgesamt setzten die Macher ›Ereignismarker‹, die die 50er Jahre prägten und strukturierten, wobei sie unterschieden zwischen kleinen, nur kurz zu erwähnenden Fakten auf der einen und historischen Ereignissen, die größeren oder expliziten Raum beanspruchten, auf der anderen Seite. So ist auffällig, dass die Wochenschausequenz zur Wehrdebatte von 1952 mit knapp dreieinhalb Minuten ausführlich gezeigt wurde und damit im Vergleich zu den übrigen Wochenschaumontagen hervorragt. Explizit inszeniert wurde auch eine Wochenschau zu einem Atombombentest in Nevada von 1953, die, ganz an den Beginn des vierten Teils gestellt, als Einstieg besonders im Gedächtnis bleibt. Auf ähnliche Weise wurden auch in der Spielhandlung Ereignisse betont: Die Radiodiskussion um die Stalin-Note unterbrach mit knapp sieben Minuten genauso lang die Haupthandlung wie die Darstellung der Radioberichterstattung zum 17. Juni. Hier wurde Aufmerksamkeit auf diese Ereignisse gelenkt, die für einen Moment in das alltägliche Leben ein- bzw. dieses unterbrachen, was die historische Relevanz der Ereignisse bestätigte.

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Stellt man die so in den Vordergrund gerückten Ereignisse und historisch-politischen Hintergrundinformationen zusammen, ergibt sich eine historische Chronik der 1979 für besonders relevant empfundenen Ereignisse der Jahre zwischen 1950 und 1953: Wohnungsnot, Schiebergeschäfte, Heimkehr von Kriegsgefangenen und Korea-Krieg (Teil 1: 1950); unpolitische Grundeinstellung der Bevölkerung, Kohlenversorgungskrise, Flüchtlingsstrom aus der DDR und die Diskussion um den Film Die Sünderin (Teil 2: 1951); Wehrdebatte, Gründung von BadenWürttemberg und Stalin-Note (Teil 3: 1952); Atombombentest in Nevada, Krönung Elisabeths II., Tod Stalins, Aufstand vom 17. Juni und Ende des Korea-Krieges (Teil 4: 1953). Trotz anderslautender Ankündigungen der Macher, man habe nicht vor, ein vollständiges Panorama zu entwerfen, entstand so dennoch ein historisch-politisches Grundgerüst. Der dokumentarische Präsentationsmodus und die historische Relevanz der Großereignisse erzeugten zusammen eine historisch-dokumentarische Authentizität. Übereinstimmend wurde in den Kritiken auf die Wochenschauen und Filmausschnitte als historische Aufnahmen mit dokumentarischem Charakter verwiesen, der zu einer »historisierende[n] Lektüre« aufforderte (Steinle 2007: 245). Darin drückte sich ein genrestruktureller Gegensatz zur Unterhaltung aus,36 der den informativ-objektiven und wissensgenerierenden Darstellungsmodus der Sendung hervorhob.37 Damit bot sich aber auch die Möglichkeit, Kritik am Informationsund Wissensgehalt der Sendungen zu üben – eigentlich nicht die Erwartung an ein primär unterhaltendes Fernsehspiel, als welches es angekündigt worden war. Die dokumentarischen Elemente verschoben die Genrezuordnungen: So wurden die Sendungen auch als neue Form der Geschichtsdarstellung im Fernsehen diskutiert und immer wieder einzelne historische Ereignisse thematisiert, was ansonsten vor allem für Fernsehkritiken von historischen Dokumentationen üblich ist. Aufgrund dieser Rezeptionserwartungen sahen sich viele Kritiker enttäuscht vom Informationsgehalt: Die Auswahl an Informationen sei nicht »handfest« genug gewesen (Halm 1979) oder diese seien »fast nur am Rande« vorgekommen (Khoun 1979; vgl. Stone 1979), sodass kaum »irgendwelche Erkenntnisse […] vermittelt wurden« (Badische Neueste Nachrichten 1979c). Dabei wurde besonders bedauert, dass die Sendung kein historisches Wissen für die Jugend angeboten hätte: 36 »Es wird also in erster Linie Unterhaltung geboten, Dokumentation hat allerdings ihren Platz« (Stuttgarter Nachrichten 1979). Der Genregegensatz zwischen Fiktion und Non-Fiktion dient dem Publikum als Erwartungshorizont beim Zuschauen (vgl. Hickethier 2007: 181f.). 37 Ein Kritiker verwies auf die »historische Einordnung«, die die Wochenschaueinblendungen leisteten (Generalanzeiger für Bonn 1979).

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»Über die reine Kuriositäten- oder Erinnerungs-Schau hinaus hätte auch ein Stück von der Wahrheit der fünfziger Jahre aufblitzen müssen. Und weil dies nicht geschah, wurde der Film jedenfalls eines nicht: Information für jene, die diese Jahre nicht bewußt erlebt haben. Da wird die Serie im Gegenteil zur ausgesprochenen Desinformation« (Rheinischer Merkur 1979).

Dies zeigt deutlich, wie viel Erwartung einige Fernsehkritiker in die Sendungen gesetzt hatten und dass diese dann enttäuscht wurden, da sie eine stark an der historischen Dokumentation orientierte Lesart wählten, die die Macher selbst nicht beanspruchten und erfüllten. Mit den Begriffen ›Nostalgie‹ und ›Verklärung‹ drückten die Kritiker dann aus, was die Sendungen nicht leisteten.38

Fazit Bei dem Versuch, eine Bilanz der Fernsehkritiken zu ziehen, fällt das Urteil ambivalent aus. Auf der einen Seite sahen Kritiker in der Sendung eine gelungene Form der Unterhaltung, welche, ganz nach der Intention der Macher, auch kritisch an die eigenen nostalgisch gefärbten Erinnerungen heranging, ohne in einen allzu belehrenden Ton zu verfallen. Auf der anderen Seite kritisierten sie die Sendung scharf. Sie sahen in Was wären wir ohne uns einen fehlgeschlagenen Versuch einer Geschichtsdarstellung und begründeten diesen Eindruck durch Zweifel an der Authentizität. Dabei waren Müller-Freienfels und Menge darauf bedacht, eine eigene, dem historischen Modus der 50er Jahre angemessene Vorstellung von Authentizität in ihrer Form anzubieten: Diese bestand aus eigenen Erinnerungen und nachrecherchierten Fakten, unterstützt durch das Engagement von Co-Autoren, die, nach Meinung der Macher, schon Wege gefunden hatten, authentische Stimmungsbilder der 50er Jahre zu reproduzieren. Dabei war die Herstellung von Stimmung und Atmosphäre der 50er Jahre der eigentliche Kern des Authentizitätseffektes gewesen, den die Macher intendierten. Alle übrigen Aspekte einer historischen Analyse bzw. einer Gesamtschau mit Gültigkeitscharakter lehnten sie in 38 Vgl. beispielsweise Kölner Stadt-Anzeiger 1979: Das »nostalgische, vom Rührgang verbrämte Interesse«; oder noch schärfer Duncker 1979: »Vergangenheitsbewältigung hat wohl ihre zwei Seiten. Während sich viele Deutsche vor und nach ›Holocaust‹ mit der Schuld des Nationalsozialismus auseinandersetzen, während die Ewig-Gestrigen Ruhe für ihr schlechtes Gewissen fordern, verlegen sich andere auf Nostalgie. Die 20er und 30iger Jahre, notstalgisch [sic] weitgehend abgegrast, sind passé. Schon gehören die 50er zum Repertoire der ›Guten-alten-Zeit‹-Beschwörer«.

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Stellungnahmen ab. Allerdings war es Anspruch der Sendung, die Stimmung der Zeit historisch-authentisch zu präsentieren. Dies zeigt sich an der repräsentations- und typenauthentischen Spielhandlung, an der Vielzahl historischer Fakten, die der Moderator zur Spielhandlung einstreute, an der Verwendung von Archivbildern sowie an der Detailgenauigkeit der Kulissen und ihrer Hervorhebung. Im Sinne einer ›gefühlten‹ Authentizität die Stimmung der 50er Jahre für die 1970er Jahre zu rekonstruieren ist, folgt man den Fernsehkritiken, überwiegend gelungen. Die Gründe hierfür waren vielschichtig: Die 50er Jahre befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer Übergangsphase. Fachwissenschaftliche Untersuchungen zur Zeitgeschichte existierten hauptsächlich für die Bereiche der Politik- und Gesellschaftsgeschichte. Alltags- und Mentalitätengeschichte waren, zumal in der Zeitgeschichte, kaum Thema der historischen Analyse. Dagegen erlebten die 50er gerade in diesen Feldern eine populärkulturelle Konjunktur. Den Machern gelang es dabei, die unterschiedlichen Erinnerungen der ›Älteren‹ und der ›Jüngeren‹ durch die unterhaltend-nostalgischen und kritisch-satirischen Elemente der Sendung zu bedienen und so ein positives Rezeptionsmuster zu schaffen. Dabei dominierte insgesamt die den Machern eigene Sicht der ›Älteren‹. Die satirisch formulierte Kritik an den restaurativen Tendenzen der ›Adenauer-Ära‹ verband aber die Erinnerungen der Eltern mit denen der Kinder Ende der 1970er Jahre. Das positiv gewendete Aufsteigernarrativ passte zur beginnenden geschichtlichen Konstruktion einer bundesrepublikanischen Identität, in der das Wirtschaftswunder den Anteil des Einzelnen am Erfolg der Gesellschaft illustrieren konnte. Die fragmentarische Form aus scheinbar nicht zusammenhängenden Einzeldetails, die sich nicht zwangsläufig zu einem historiographischen Narrativ zusammenfügen ließen, löste bei vielen Autoren und Zuschauern Erinnerungen aus, die das Gezeigte authentisch wirken ließ. So gelang der Entwurf einer historiographischen Mischform, die gerade deshalb so authentisch wirkte, weil sie den Zuschauern bot, was sie selber über die 50er Jahre zu wissen glaubten – aus den individuellen Erinnerungen wie aus der zeitgenössischen Geschichtskultur.

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DIE ›50ER‹ WERDEN GESCHICHTE

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E F F EK T E D E S A U T H E N T I S C H E N IM GESCHICHTSKRIMI ACHIM SAUPE Original. Fälschung. Betrug. Falsches Spiel. In Krimis geht es nicht nur um Mord und seine Aufklärung, sondern immer wieder um die Aufdeckung von Fälschungen und Betrügereien. Nicht derjenige zu sein, der man vorgibt zu sein, eine falsche Identität annehmen, sich zu verstellen, d.h. nicht authentisch zu sein, gehört zum klassischen Inventar des Kriminalromans. Im Kriminalroman und in der Agentenliteratur erscheint immer wieder das Motiv des Doppelgängers, des Doppelspions als eine (manches Mal wehmütige) Absage an das Authentische. Während der Tod das Ende jeder Authentizität bedeutet, beinhaltet nach der etymologischen Herkunft das semantische Feld des Begriffes authenéo auch den »Mörder« und »Selbstmörder« sowie »Gewaltsamkeit« und »die volle Gewalt über jemanden haben« (Knaller 2006: 18). Diese weitgehend vergessene Bedeutung erfährt im Zuge von Geschichtskrimis, die sich mit einer verbrecherischen Zeitgeschichte auseinandersetzen, eine eigentümliche Relevanz. Während seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der realistischillusionistische historische Roman in eine Krise geriet, findet er heute seine Fortsetzung in historischen Kriminalromanen – einem Subgenre, welches sich zunehmender Popularität erfreut und auch in den Kulturwissenschaften Beachtung findet (vgl. Korte/Paletschek 2009; Müller/ Ruoff 2007; Browne/Kreiser 2004). Aus der Tradition des Polit- und Agententhrillers kommend haben Geschichtskrimis vor allem seit Beginn der 1980er Jahre international Konjunktur. Der Krimi ist ein Erzählschema, das aus der Literatur in andere, insbesondere audio-visuelle Medien übertragen worden ist. Zwei Grundformen des Geschichtskrimis lassen sich unterscheiden: Der historische Krimi zeigt eine Vergangenheit, in der Verbrechens- und Ermittlungshandlung spielen. Demgegenüber spielt der retrospektive historische Krimi in der Gegenwart, während die Ermittlungstätigkeit in die nähere Vergangenheit zurückführt (vgl. Scaggs 2005: 125). Durch die zwei Zeitebenen, die Krimis mit der Zeit der Ermittlung und der Zeit des Verbrechensgeschehens grundsätzlich ansprechen, kann man sie als ein

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»metahistorisches« Genre (Nünning 1995: 276-282) auffassen; und wenn sie den Ermittlungsprozess vorführen und reflektieren, verraten sie oft auch etwas über die vergleichbare Methodik von Detektiven und Historikern (vgl. Lenger 2009; Saupe 2009). Viele Geschichtskrimis schildern und reflektieren die totalitären Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in ihren fiktiven Welten. Insbesondere der Nationalsozialismus, aber auch die Geschichte der UdSSR oder der DDR stehen im Fokus des Geschichtskrimis, weitere Schwerpunkte sind spektakuläre Attentate und Terrorismus, wie etwa die Geschichte der RAF seit den 1970er Jahren.1 Wie verhält es sich nun mit der Authentizität des Geschichtskrimis – und ist es überhaupt sinnvoll, von Authentizität im Zuge dieses Genres zu sprechen? Im Folgenden widme ich mich einigen »Effekten des Authentischen« des Geschichtskrimis, denn »was authentisch ist, kann nicht geklärt werden« (Lethen 1996: 209). Wo wird von Authentizität gesprochen, und wie wird das Authentische hergestellt, und zu welchen Resonanzen führt das Authentische?

Authentizitätsansprüche k r i m i n al i s ti sc he r N ar r a ti v e Narrative, in denen kriminalistische Ermittlungen vorgeführt werden, treten mit expliziten Tatsächlichkeitsansprüchen auf und befördern dadurch Glaubwürdigkeitsannahmen und ›Wirklichkeitsnähe‹, denn schließlich befinden sich die ermittelnden Figuren als Empiriker, Spurensucher und

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Um ein paar bekanntere Beispiele für die Thematisierung des Nationalsozialismus zu nennen: Der kontrafaktische Thriller Fatherland (1991) von Robert Harris führt den Leser in ein siegreiches Nazireich um 1964, in der Trilogie Berlin Noir (1988-91) und den Fortsetzungsromanen von Philip Kerr schlägt sich der hartgesottene Bernie Gunther mit Protagonisten des NS-Regimes herum, der dokumentarische Krimi Wie ein Tier (1995) von Horst Bosetzky erzählt von einem Berliner Serienmörder in der NS-Zeit, Volker Kutscher bietet eine Krimiserie über den Untergang der Weimarer Republik und den drohenden Aufstieg des Nationalsozialismus. Didier Daeninckx, dessen Roman Meutres pour memoire (1984) über die Mittäterschaft Maurice Papons bei der Deportation der Juden in Frankreich berichtet, kann vielleicht als einer der bedeutendsten retrospektiven historischen Ermittlungsromane gelten. Und in Christian v. Ditfurths Roman Mann ohne Makel (2001) wird ein akademisch ausgebildeter Historiker zum Detektiv, der einen Mord in der Gegenwart aufklärt, welcher in die Geschichte wilder Arisierung in Hamburg zurückführt.

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Zeichendeuter stets auf der Suche nach der ›Realität‹ und ›Wahrheit‹ vergangener Ereignisse. Der historisch-politische Krimi ist ein Genre, in dem es um ›harte Fakten‹ geht, zumal sich die Helden mit körperlichen Bedrohungen und existenziellen Gefahren rumzuschlagen haben: Die kalte Brise der politischen Wirklichkeit weht den Protagonisten entgegen, während die psychisch-physische Auseinandersetzung mit den bedrohlichen Gegnern zum Kernbestand jedes guten Thrillers gehört. Das Authentische zeigt sich in historischen Krimis und retrospektiven historischen Ermittlungsromanen zunächst als Entdeckung des Echten: Die Indizien und Dokumente, auf die die Detektive bei ihren Ermittlungen stoßen, können dabei der vergangenen Wirklichkeit entsprechen, oder aber sie sind fingierte Realitätspartikel einer möglichen vergangenen Wirklichkeit. Geschichtskrimis gehören zu jenen Genres, die in einem Grenzbereich zwischen fiction und non-fiction angesiedelt sind, und die Montage von Realitätsreferenzen in die Fiktion, die für ›Wirklichkeit‹ bürgen, vermögen dabei den Eindruck authentischer, d.h. ›faktennah‹ rekonstruierter Vergangenheitsbilder hervorzurufen. Insbesondere in Erzählungen, die als »Factifiction« (vgl. Lenz 1987) zu charakterisieren sind, werden gehäuft echte und fingierte Dokumente als »erratische Textsorten« (Lämmert 1985: 250) inszeniert, um Authentizität zu bewirken. Diese Verfahren zur Konstitution des Wirklichkeitsanspruches und Authentifizierens umfassen neben dem Auftreten historischer Personen und der raumzeitlichen Situierung, der Montage von Archiv- und Kartenmaterial sowie Fotografien, auch Verweise auf Sekundärliteratur und Quellenbestände. Schließlich sind es die sogenannten Paratexte (also Titel, Gattungsangabe, Vor- und Nachwörter etc.), mit denen die fiktive Welt konstituiert, aber auch mit der Wirklichkeit verschränkt wird. Fiktive Welten, wie sie Geschichtskrimis entwerfen, stellen den fiktionalen Kontrakt zwischen Werk und Leser ständig in Frage. Ihr Reiz liegt in der Wahrscheinlichkeit der Erzählung, in ihrer Anschlussfähigkeit an historisches, immer lückenhaftes und gerade deshalb der Fiktion gegenüber offenem historischen Wissen. Da sich fiktionale Welten insbesondere dort entfalten lassen, »wo unser Wissen von der Welt lückenhaft und unsicher ist« (Stierle 1983: 176), werden im Geschichtskrimi immer wieder vermeintliche Lücken des historischen Gedächtnisses, ›weiße Flecken‹ der Geschichtsschreibung bzw. der Geschichts- und Erinnerungskulturen aufgegriffen, um von dort aus einen erzählerischen historischen Zusammenhang zu stiften. Dabei wird behauptet, dass die Geschichte – abseits aller Annahmen, dass sich Geschichte immer in unterschiedlichen Geschichten zeigt – auch anders hätte verlaufen können, als diese bekannterweise geschehen ist, oder aber aufgrund bisher nicht

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thematisierter oder marginalisierter Details die Geschichte eigentlich umgeschrieben werden müsste. Aus dieser Inszenierung der Lücken des historischen Gedächtnisses resultiert einer der Effekte des Authentischen im Geschichtskrimi. So hebt etwa jeder der Romane der Krimiserie von J. Robert Janes um das Ermittlerpaar Jean-Lois St.-Cyr und Hermann Kohler in seinen paratextuellen Anmerkungen hervor, dass abseits der bekannten und vom Autor verabscheuten Verbrechen der Nationalsozialisten während der deutschen Besatzungsmacht auch alltägliche Verbrechen begangen worden seien, und sich der Autor gefragt habe, wer und wie diese Verbrechen aufgeklärt worden seien (vgl. etwa Janes 1994). Dieser Topos der Thematisierung vermeintlich ›normaler‹ Verbrechen, die dann den verbrecherischen und korrupten Alltag der Epoche signieren, findet sich schon in den frühen Romanen von Leo Malét – wie etwa in 120, rue de la Gare (1943) oder Le cinquieme procedere (1947). Auch hier sind es gerade nicht die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht, die im Zentrum der Erzählung stehen, sondern es ist eine durch die Besatzungsmacht korrumpierte Gesellschaft, die der Roman erfasst. Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren auch Romane wie Sternstunde der Mörder (1995) von Pavel Kohout oder aber Wie ein Tier von Horst Bosetzky (1995), in denen Serienmörder metonymisch für die Verbrechen des Faschismus einstehen müssen, und damit ein im akademischen Raum gescheutes psychohistorisches Deutungsmuster als Erklärung für die faschistischen Gewalteruptionen anbieten. Das Lokalkolorit des Geschichtskrimis wird zum Ausweis der historischen und regionalen Identität des Erzählten. Immer wieder werden Geschichtskrimi für ihre Leistung, eine Vergangenheit erfahrbar und nachvollziehbar zu machen, gelobt: »The political, historical, military and cultural details on every page feel absolutely authentic. If you want a sense of what Nazi Germany was like, day to day, not many novels equal these« (Anderson 2006: n.p.). Dieser Effekt des historischen Kriminalromans, eine authentische Atmosphäre herzustellen, resultiert neben der Akribie fürs Detail nicht zuletzt daraus, dass hier die Form der Erzählung mit der Geschichte des Nationalsozialismus korrespondiert: Die Geschichte des Nationalsozialismus ist eine Verbrechensgeschichte, und so erscheint das Genre besonders adäquat zu sein, diese Epoche darzustellen: »Private eyes investigate crimes, and where in human history can we find more cosmic crimes than those of the Hitler era?« (Anderson 2006: n.p.). Eine verbrecherische Zeitgeschichte findet hier offensichtlich ein korrespondierendes Narrationsmuster: die Verbrecher- und Verbrechensgeschichte, den Thriller und die aufklärungsorientierte Detektivgeschich-

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te. So findet sich das kriminalistische Narrativ – seit den antiken Ausführungen zur forensischen Beredsamkeit eng verwandt mit jeder historischen Ermittlung – auch in der populären Version im Fernsehen. So kündigt Guido Knopp seine Doku-Histories als Geschichtskrimis an: Denn »Geschichte ist wie ein guter Krimi«, da man erst auf den »zweiten Blick« die »Geschichten hinter der Geschichte« erkennt und manche Spuren »verborgen« oder »verwischt« worden seien (Knopp 2005: 9; vgl. Saupe 2009b). Während das historische emplotment den Spannungstechniken des Krimis oder des Thrillers folgt, verschwimmen die Differenzen zwischen vergangenen Wirklichkeiten, (re-)konstruierten Geschichten und ihrer Repräsentation.

G e n r e u n d G e sc hi c h te Geschichtskrimis, die ihre Genrekonventionen nicht verdecken wollen, sind – so könnte man behaupten – aber auch in höchstem Maße unauthentisch. Denn zunächst stellt sich traditionellerweise Authentizität insbesondere dort ein, wo die Stimme der Erzählfigur eines Textes als AugenzeugIn und involvierte ZeitzeugIn für eine historische Erfahrung bürgt, die sie am eigenen Leib gemacht hat. Etwas als authentisch wahrzunehmen, verweist im Bereich der Geschichtskultur auf Bereiche des Erinnerns, Berichtens, Zeugens und Beglaubigens, und somit auf eine Ebene subjektiver und emotionaler Geschichtserfahrung und ihre (auto-) biographische bzw. mediale Repräsentation. Diese Anbindung von Authentizität an eine Stimme und eine subjektive Geschichtserfahrung gilt für Geschichtskrimis weitgehend nicht. Zwar stehen die Autoren des Krimis in kulturellen Erinnerungsgemeinschaften, doch mit der Wahl des Krimigenres treten sie derart hinter die erzählte Geschichte zurück, dass von Authentizität im Hinblick auf die Autorschaft kaum sinnvoll zu sprechen ist.2 Das gilt ebenso für die Protagonisten des Genres. Geschichtskrimis vermitteln spannend und unterhaltend historisches Wissen, und über fiktionale Figuren können »Leser die vergangene Welt erfahren und so eine isolierte ›Insiderperspektive‹ auf die Geschichte einnehmen« (Korte/

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Als eine Ausnahme mögen die frühen Romane Leo Maléts erscheinen, der selbst in einem deutschen Lager inhaftiert war und noch während der Besatzungszeit seine ersten Krimis schrieb. Die Authentizität, die man diesem Roman zusprechen könnte, wird jedoch durch den surrealistischen Stil Maléts konsequent aufgebrochen.

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Paletschek 2009b: 16).3 Die subjektive Perspektive der Ermittelnden ermöglicht es, die inside story gesellschaftlicher Verbrechen zu erkennen, und als Identifikationsfiguren bekommen sie unliebsame Wahrheiten heraus und kämpfen für Gerechtigkeit. Der detektivische Held wagt für sein Publikum die Auseinandersetzung mit den master criminals und Protagonisten des vergangenen Schreckens, und während er den übermächtigen Gegner mit einem wisecrack entzaubert, schlägt er den unterlegenen k.o. Dort, wo eine mangelnde gesellschaftliche Gerechtigkeit angemahnt wird, darf im Krimi über die Sphäre des Rechts hinausgetreten werden, und so greift der Held bei Bernard Schlink und Wolfgang Popp titelgebend zur Selbs Justiz (1987). Der Detektiv nimmt die Arbeit am historischen Gedächtnis auf und wird zum Stellvertreter einer Krimi lesenden Gesellschaft, die eine verbrecherische Zeitgeschichte verbindet. Die Figuren, die in diesen Kriminalromanen Geschichte ermitteln, wirken merkwürdig vertraut, ebenso wie der Aufbau und Stil vieler Romane. Authentisch wirken diese Geschichtsermittler nicht allein deshalb, weil sie sich in einer historisch konnotierten Raumzeit bewegen, bzw. als »mittelmäßige Helden« (Lukács 1965: 38ff.) zwischen der Erfahrungswirklichkeit des Lesers und der Welt der Geschichte vermitteln und damit Formen des konventionellen historischen Romans adaptieren, sondern weil sie sich intertextuell an Genrekonventionen anlehnen. Genau darauf verweisen Rezensenten, wenn es etwa über einen Krimi von Philip Kerr heißt: »[…] he [Bernie Gunther], Marlowe among the Nazis, is one of the earliest and most interesting figures in the subgenre of historical crime fiction« (O’Brien 2007: 19). Oder aber: »Sometimes the novel is overly didactic, but ›The One From the Other‹ is a brilliant transfer of a Chandler novel to postwar Germany. The wise-guy dialogue, the sometimes laboured similes and the moral man making his way in an immoral world are pure Chandler« (Guttridge 2007). Diese selbstreferentiellen und intertextuellen Verweise auf das eigene Genre tauchen auch in Form wiederholt historisch verbürgter Figuren auf, die Krimis lesen oder als Figuren des Krimis gekennzeichnet werden – etwa wenn sich Hermann Göring in Berlin Noir als Dashiell Hammett-Leser outet. Der Reiz dieses Spiels liegt darin, dass die intertextuelle Authentizität des Privatdetektivs für eine wenngleich indifferente, so doch gerade 3

Diesem vermittelten Geschichtswissen kann freilich nie eine – wie auch immer verstandene – wissenschaftliche Autorität zugesprochen werden. Ihr Reiz liegt in der Entfaltung möglicher Welten, die anschlussfähig an das vorhandene historische Wissen sind und dieses ausbauen – gleichzeitig wird man sich bisweilen kaum sicher sein können, ob diese konstruierte Historizität faktische Geltung beanspruchen kann. Insofern eröffnen fiktionale ebenso wie wissenschaftliche Darstellungen von Geschichte Fragen.

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darin moralisch integre Perspektive bürgt. Der Privatdetektiv Gunther aus den Romanen von Philip Kerr ist beispielsweise – auch wenn er sich bisweilen in die Fänge der Macht begeben muss und als zwiespältiger, teils gebrochener Held vorgeführt wird – distanzierter Beobachter und Zeuge eines verbrecherischen Regimes. Die Lesenden beobachten also einen engagierten, eingreifenden und meist ethnographisch konzipierten Beobachter, und die Diskrepanz zwischen hartgesottenem Detektiv, der offensichtlich dem hardboiled-Genre entspringt, und der Kulisse des Nationalsozialismus, kann – bei allen Fragwürdigkeiten – angesichts der Last der Geschichte durchaus befreiend wirken. Die Authentizitätsfiktion, die die im Geschichtskrimi vorgeführte verbrecherische Vergangenheit darbietet, ergibt sich also auch durch Intertextualität und Selbstreferentialität sowie aus der Opposition zur eindeutig signalisierten Fiktivität eines Genres, welches durch das Werk selbst reflektiert bzw. zur Schau gestellt wird.

F i k ti o n , A u f d e c k u n g s p a r a d i g m a , Interpretation Während sich im Anschluss an die Debatte über die Narrativität historischer Darstellungen die neuere literaturwissenschaftliche Forschung insbesondere der Abgrenzung von fiktionalen und nicht-fiktionalen Texten über Geschichte, von historischen Romanen und historiographischer Wissenschaftsprosa gewidmet hat (vgl. Nünning 1995), spielen Fragen der Authentizität der Darstellung hier keine entscheidende Rolle. Ebenso kommen aktuelle narratologische Überlegungen, die sich der Unterscheidung von fiktionalen und faktualen Textsorten widmen, weitgehend ohne den Begriff des Authentischen aus. Nach Wolf Schmid bezeichnet Fiktivität etwa eine Eigenschaft der in fiktionalen Repräsentationen dargestellten Welt, kurz: »dargestellt ohne Verweis auf eine außertextuelle Referenz« (Schmid 2008: 322). Demnach heißt fiktiv sein: »nur dargestellt sein. Die literarische Fiktion besteht im Machen, in der Konstruktion einer ausgedachten, möglichen Welt.« Natürlich können dabei die Elemente, die in die fiktive Welt eingehen, aus der realen Welt bekannt sein, doch werden sie »beim Eingang in das fiktionale Werk zu fiktiven Elementen« (ebd.: 37). Hitler, Göring, Goebbels, Eichmann oder Nebe sind demnach dann, wenn sie im Geschichtskrimi auftauchen, ebenso wie Napoleon in Tolstois Krieg und Frieden, fiktive, »quasi-historische« Figuren, denn alles, was in ein eindeutig fiktives Werk fällt, wird fiktiv, so Schmid (ebd.).

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Schmids kategoriale Bestimmung beruft sich, durchaus traditionell, auf eine jener Stellen Tolstois, in denen der allwissende Erzähler eine psychologische Innenschau Napoleons betreibt und damit in Erkenntnisbereiche vorrückt, die der modernen Geschichtsschreibung traditionellerweise vorenthalten bleiben. Schon ein erster Blick auf die Detektivliteratur zeigt hingegen, dass diese Erzählhaltung durchbrochen wird. Denn durch die subjektivierte Erzählinstanz des Detektivs – ob als Ich-Erzähler oder in der dritten Person – bricht der Ermittlungskrimi meist konsequent mit einer solchen auktorialen Erzählsituation, die vor der Innenschau nicht Halt macht. Die detektivische Fiktion lebt hingegen davon, dass Sachverhalte nicht gänzlich durchblickt werden und Personen undurchschaubar bleiben, auch wenn sie kritisch kommentiert werden. So kann es dem aufmerksamen Leser trotz des identifikatorischen Potentials der Protagonisten kaum entgehen, dass der detektivische Blick immer perspektivgebunden ist – eine nicht zu unterschätzende Erkenntnis bei der Beurteilung jedweder Aussagen über Geschichte. Anders als die Ausführungen von Schmid lesen sich hingegen diejenigen Ruth Klügers, denn für sie hängt etwa bei Tolstois Darstellung von Napoleons Niederlage in Russland »alles davon ab, daß es Napoleon wirklich gegeben hat und daß der russische Feldzug stattfand«, denn »die historischen Fakten […] ändern die Spielregeln. Man muß sie ernst nehmen. […] Um die Fakten kommt man nicht herum« (Klüger 2006: 72). Klüger macht dabei darauf aufmerksam, dass jeder Autor, sobald er ein historisches, auch kontrafaktisches Panorama entwirft, nicht nur an das historische Material gebunden bleibt, sondern immer auch eine »Interpretation« der Vergangenheit und damit »eine Form der Wirklichkeitsbewältigung« (Klüger 2006: 90f.) liefert, die der Leser vor dem Hintergrund des eigenen Wissens und der kulturell vorhandenen Interpretationen der Geschichte abgleichen kann. Trotz der Autonomie der Fiktion als künstlerische Konstruktion einer fiktiven Welt wäre es also vermessen, fiktiven historischen Welten ihren Anspruch auf Vergangenheitsdeutung abzusprechen. Allerdings vollzieht die realistische Mimesis des Geschichtskrimis durch ihre Authentizitätspostulate und ihren Anspruch, Fakten aufzudecken, eine ganz eigene Wendung gegen die Interpretierbarkeit vergangenen Geschehens. Der kontrafaktische Geschichtsthriller Fatherland (1992) von Robert Harris etwa führt den Leser in das Jahr 1964 und ein siegreiches Nazideutschland, welches 1943 die Sowjetunion besiegen konnte. Durch die Beschränkung auf fünf Tage vor einem Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten gewinnt der Thriller seine dynamische Spannung. Sein Thema ist die ›Entdeckung‹ des Holocaust durch den SS-Sturmbannführer Xaver March der Berliner Reichskriminalpolizei. Die Vernichtung der

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europäischen Juden ist von den Behörden verschleiert und von den Deutschen kollektiv verdrängt worden. Die Organisatoren der Judenvernichtung – Harris konzentriert sich ausschließlich auf die Teilnehmer der Wannseekonferenz – stehen nun auf der Mordliste des Reichsführers Reinhard Heydrich. Denn um das sichtbare Ende des Kalten Krieges mit den Vereinigten Staaten nicht zu gefährden, müssen die letzten drei lebenden Mitwisser der Wannseekonferenz, Josef Bühler, Wilhelm Stuckart und Martin Luther umgebracht werden. Zur ›Entdeckung‹ des Holocaust bedarf es der Beweise durch harte Fakten. Die zentralen Realitätsverweise des Romans bestehen aus einer Anzahl dokumentierter und fingierter Quellen, wobei die Unterschiede zwischen den gelieferten ›Beweisen‹ jedoch nicht erkennbar gemacht werden.4 Ihre Anordnung korrespondiert mit dem Detektionsplot und dem Fortschritt der Untersuchungen: Zunächst werden einige Dokumente als Realitätspartikel in den Roman eingewoben, die Indizien für die Vernichtung der Juden liefern, bis March schließlich auf den fingierten Augenzeugenbericht stößt, in dem der Unterstaatssekretär des Referats III D für »Judenfragen und Rassenpolitik« des Auswärtigen Amts, Martin Luther, über das Ausmaß des Massenmordes in Auschwitz-Birkenau berichtet, und bei den Lesenden heute zahlreiche im kollektiven Gedächtnis gespeicherte Bilder des Holocaust wachruft. Dass Harris diese Tagebuchnotizen einer KZInspektion fingiert und damit der Massenmord ›aus erster Quelle‹ und »handwritten« (Harris 1992: 317) dokumentiert erscheint, beruht nicht zuletzt auf den Genrekonventionen des Kriminalromans, die ein direktes Eingeständnis der Täter einfordern. Im Roman wird der SS-Kriminalkommissar March zu einem Historiker, der Exzerpte verfasst, quellenkritische Fragen stellt, bibliographische Hilfsmittel nutzt, ein Puzzle zusammenstellt, Hypothesen aufstellt und verwirft, kausale Schlüsse zieht und die Motive der beteiligten Personen über Charakterstudien eruiert. Während ein Archivar den Protagonisten damit vertraut macht, dass Geschichte Geduld erfordere, kommt ihm Kommissar Zufall zu Hilfe: »You need a little luck in this life« (Harris 1992: 243). Der Wahrheit auf der Spur, reflektiert March über den Unterschied von kriminalistischen und historischen Ermittlungen:

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Anders als in der englischen Ausgabe, in der im Nachwort nur kurz auf die Authentizität verschiedener Dokumente verwiesen wird, ist die deutsche Fassung mit einem bibliographischen Anmerkungsapparat versehen worden, um die Leser an den »fiktionalen Kontrakt« zu erinnern, dass Harris die Quellen »nicht im Sinne einer historischen Dokumentation, sondern nach den Bedürfnissen seiner Geschichte« benutzt habe (Harris 1994: 375).

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»›We’ll change history.‹ […] Was history changed so easily? He wonders. Certainly, it was his experience that secrets were an acid – once spilled – they could eat their way through anything: if a marriage, why not a presidency, why not a state? But talk of history – he shook his head at his own reflection – history was beyond him. Investigators turned suspicion into evidence. He had done that. History he would leave to her« (Harris 1992: 331).

Damit behauptet der Roman, dass die Geschichte des Holocaust keine Interpretation benötigt, sondern allein durch ihre Tatsächlichkeit Aussagekraft hat. Die Konstruktion des Plots der ›Entdeckung‹ des Holocaust belässt diesen in seiner aufwühlenden Faktizität. Doch durch den beschränkten Blick auf die Wannseekonferenz, die ja allein ein organisatorischer Kulminationspunkt gewesen ist, hat der Holocaust hier keine Vorgeschichte, womit eine erweiterte Erklärung und historische Ursachenforschung ausgespart bleibt. Hier wird ein Topos des historischen Kriminalromans aufgegriffen, der im Ausspielen der Differenz zwischen beweisbarer Faktizität vergangenen Geschehens und ihrer historischen Interpretation zu sehen ist. Zu finden ist dieser schon in einem der ersten klassischen historischen Kriminalromane auftaucht, in Josephine Tey’s The Daughter of Time (1951), der noch nach dem Prinzip der klassischen Rätselgeschichte des golden age of crime aufgebaut ist. Chefinspektor Alan Grant von Scotland Yard liegt mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, und versucht gut ausgestattet mit diverser historischer Literatur vom Krankenbett aus die Frage zu lösen, ob Richard III. tatsächlich jener Oberschurke der englischen Geschichte ist, der seine beide Neffen umbringen ließ. Entnervt vom interpretierenden, zeitgebundenen und auch legitimatorischen Charakter der Geschichtsschreibung über Richard III., kommt es schließlich zu einer Absage an das Geschäft des Historikers: »Grant gave up. History was something that he would never understand. The values of historians differed so radically from the values with which he was acquainted that he could never hope to meet them on any common ground. He would go back to the Yard, where murderers are murderers and what went for Cox went equally for Box« (Tey 2002: 221).

Trotz aller Parallelen zwischen detektivischer und historiographischer Praxis, die auch in diesem Roman reichlich gezogen werden, ist es letztlich die zeitgebundene Interpretation, die die Analyse des Historikers von der reinen kriminalistischen Ermittlung eines Tatbestandes unterscheidet. Unter den kritischen Stellungnahmen zu Fatherland von Robert Harris befindet sich eine Passage in Raul Hilbergs Autobiographie Unerbe182

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tene Erinnerung. Der Weg eines Holocaust-Forschers, in der er die populäre Darstellung des Holocaust von Robert Harris vehement kritisiert: »Ich selbst verlor die Ruhe, als ich in einer Buchhandlung einen Roman mit glitzerndem Schutzumschlag fand, den ein großes goldenes Hakenkreuz auf rotem Grund zierte. Ich schlug den Band irgendwo auf und merkte, daß der Autor dieses internationalen Bestsellers ein mehr als ganzseitiges, von mir übersetztes deutsches Dokument aus einer Quellensammlung entnommen hatte, die 1971 erschienen war. Diesen echten Akteninhalt mischte er mit fiktiven Texten aus einem bürokratischen Schriftwechsel, den er erfand, nur um sein Amalgam aus Geschichte und Phantasie zu vervollständigen. Der Leser wurde indes nicht unterrichtet, daß mein Dokument echt war und er die anderen, scheinbar wörtlichen Zitate erfunden hatte« (Hilberg 1994: 121).

Raul Hilberg, der 1961 mit Die Vernichtung der europäischen Juden eine der ersten quellenfundierten Darstellungen des Holocaust vorgelegt hatte, bestand darauf, den Holocaust nicht zu banalisieren, Fakten und Fiktionen zu trennen und das Dokumentarisch-Authentische nicht im Erfundenen aufzulösen. Hilbergs Vorbehalte gegenüber einer solchen Fiktionalisierung der Geschichte wurzelten auch in seinen biographischen Erfahrungen: Dass Harris in seinem Roman eine von Hilberg in den 1970er Jahren herausgegebene Quellensammlung nutzt und gleichzeitig einen SS-Kriminalkommissar als Historiker den Holocaust »entdecken« lässt, musste für den vor den Nationalsozialisten mit seiner Familie 1939 aus Wien über Frankreich nach Havanna emigrierten Juden anstößig gewesen sein. Die Aneignung des Authentischen in Fatherland wurde auch von anderen Rezensenten kritisiert: So hieß es etwa, dass es die »literarische Phantasie« von Harris »nie und nimmer mit dem Grauen aufnehmen« könne und er deshalb »zum ultimativen Kitzel« greife, indem er »die Realität in seinen Roman« montiere (Der Spiegel 1992: 276). Gerade angesichts des Holocaust scheint das in die Fiktion eingewobene Dokumentarische und Authentische als frivol und ethisch unangemessen. Dies wiederum liegt wohl weniger an der Verbindung eines populären Detektionsplots mit der Geschichte des Holocaust, als vielmehr an der hier wie in vielen weiteren Geschichtskrimis zu findenden Verknüpfung von sex & crime, die im Anschluss an Saul Friedländer als ›Todeskitsch‹ bezeichnet werden kann (vgl. Friedländer 1984).

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G e w a l t, S c h m e r z , A u t h e n t i z i tä t Schmerz ist ein »sicherer Indikator« für Authentizität, denn im Schmerz erscheint der Mensch als »maskenloses Wesen«, was als Indiz für seine Echtheit gewertet wird (Lethen 1996: 221). Dort, wo man mit einer schmerzhaften Geschichte, mit einer Geschichte eines Leidens und eines Leidenden konfrontiert wird, stellt sich der Effekt des Authentischen ein. Der Stimme, die über ihre Leidenserfahrung spricht, wird dabei eine authentische Erfahrung zugesprochen, während die schmerzhafte Erinnerung eine bewältigende Narrativierung erfährt. Im Geschichtskrimi kommt die Begegnung des Schmerzhaften in typischen Spannungsmomenten wie etwa der existenziellen Angst und der abstrakten Gefahr zum Ausdruck. Nach Martin Compart verzichte J. Robert Janes in seiner bereits erwähnten Romanserie auf »Sentimentalitäten, was die Authentizität seiner Bücher erhöht«, und der roman noir insgesamt verstehe es, ein »dümmliches Betroffenheitsgelalle« zu vermeiden (Compart 1999: 396). Stattdessen verweisen die oft genug sehr brutal dargestellten Gewalttaten auf die selbst nur angedeuteten historischen Verbrechen. Insbesondere in deutschsprachigen Krimis über den Nationalsozialismus – von Friedrich Dürrenmatts Der Verdacht (1953) bis hin zu Christian von Ditfurths Mann ohne Makel (2002), aber auch in französischen retrospektiven Ermittlungsromanen, die sich mit Fragen von Kollaboration und Widerstand auseinandersetzen, ist das Leitthema immer die Auseinandersetzung mit einer schmerzhaften Vergangenheit. Das täterorientierte Kriminalschema verhandelt Schuld und Sühne innerhalb von Erinnerungs- und Schmerzgemeinschaften. Thriller und detective story als die beiden wesentlichen Erzählschemata des Krimis folgen dabei weitgehend einem romanzenförmigen Muster von Spannung, Katharsis und Entspannung. Denn Detektiv-Geschichten sind darauf ausgerichtet, einen Fall zu lösen oder zumindest kritisch zu erhellen, während Geschichten im Format des Thrillers stärker darauf setzen, einen Konflikt zu überwinden. Mit der Überführung und dem Abgang der Verbrecher gewinnen Rezipienten beider Subgenres die Gewissheit, in einer gerechten, funktionierenden, zumindest aber in einer reparablen Welt zu leben – auch wenn sie wie im roman noir völlig korrumpiert erscheint. Im Rahmen dieser kriminalistischen Narrative gibt es jene, die stärker in der Tradition der Verbrechenserzählung stehen und nach dem Ursprung, der Wirkung und dem Sinn des Verbrechens fragen und dabei auch die Motive des Verbrechers, seine äußeren und inneren Konflikte sowie seine Strafe thematisieren. Filmische Geschichtsthriller aus der Produktion Bernd Eichingers wie Der Untergang (2004) über die letzten

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Tage des Dritten Reichs oder aber das zeithistorische Gangsterstück Der Baader-Meinhof-Komplex (2008) folgen einem solchen Erzählinteresse. Der daraus resultierenden Mythologisierung historischer Persönlichkeiten, die ihre vermeintliche Größe durch das Dämonische und Monströse erlangen, hielt schon Bertolt Brecht entgegen, dass sie allenfalls »Verüber großer politischer Verbrechen«, aber »keine großen politischen Verbrecher« seien (Gerz 1983: 128). In ihrer Detailgenauigkeit können diese Filme sicherlich als Authentizitätsfiktionen charakterisiert werden, denn sie inszenieren das Rankeanische »wie es eigentlich gewesen« neu, und sich selbst quasi als »Quelle« (Wildt 2005). Der proklamierte Wunsch des Zuschauers, eine Zeitreise in eine (unheimliche) Vergangenheit anzutreten, wird hier ebenso erfüllt wie der alte historistische Traum, eine realistische Mimesis der Vergangenheit zu bieten. Während Bernd Eichinger behauptete, dass Der Untergang »authentischer als alle vorherigen« Filme werde (Der Spiegel 2003: 153), merkten Kritiker demgegenüber an, dass der Film durch seinen »Naturalismus« seine Künstlichkeit und Fiktivität leugne (Knörer 2004). Die imitatio naturae steht traditionell unter Ideologieverdacht, von Adornos Kritik am »Informatorisch-Faktischen« (Adorno 1958: 46) in der Literatur über Roland Barthes »effet de réel« (Barthes 1984) bis hin zur zeitgenössischen Kritik am »Dogma des Echtheitsbegehrens« und dem »Wirklichkeitswahn der Unterhaltungsindustrie«, welches »an allen Ecken […] dem Publikum die Lockstoffe der ›Echtheit‹ unter die Nase« reibe, »auf dass es sich an der Illusion von empathischem Miterleben und direktem Dabeisein berauschen möge« (Zeh 2006).5 Dabei erscheint die Suche nach Nähe und Präsenz, der Nachvollzug der Gefühle und Wünsche, Hoffnungen und Ängste, Sichtweisen und Einstellungen historischer Personen, die Suche nach einer eben authentischen Begegnung mit Personen der Vergangenheit als eine »Tyrannei der Intimität« (Sennett 1986: 424-428). Die weitreichende Psychologisierung zwischenmenschlicher Beziehungen kann so im Anschluss an Richard Sennett auch als ein Verfall der öffentlichen Sphäre und damit gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen gedeutet werden. Authentizität wird in Der Baader-Meinhof-Komplex durch die teils verblüffende Ähnlichkeit der Schauspieler mit ihren historischen Vorbildern, die historischen Requisiten, das Flimmern von Original-Tagesschauen über die Bildschirme sowie die Reproduktion dokumentarischer 5

Ihrer Meinung nach erzeugt das Kommunikationszeitalter mit seinen unzähligen Formen der Vermittlung und Übermittlung sowie das postmoderne Interesse an Kopie und Zitat »einen starken Hunger nach Unmittelbarkeit« (Zeh 2006).

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Fotografien hergestellt – wie etwa das Bild des erschossenen Benno Ohnesorg vor einem VW Käfer, welches annähernd exakt nachgestellt und dann in ein Schwarz-Weiß-Standbild überführt wird. Dabei zitieren Filmsequenzen intermedial andere RAF-Filme, beispielsweise Heinrich Breloers Fernsehfilm Das Todesspiel (1997) bei dem Versuch, das Innenleben der entführten Landshut in Mogadischu nachzuzeichnen (Vowinckel 2008: 2; vgl. Terhoeven 2008). Das Authentizitätsparadigma ging hier so weit, dass die Schauspieler nach ihrer Einfühlung und Identifikation mit den historischen Figuren befragt wurden, und dies in den Vorab-Geschichten des Spiegels ausgeschlachtet wurde. So inszenierte ein Journalist sein Entsetzen über die Schauspielerin und Mutter Nadja Uhl, die im Film die Rolle der Brigitte Mohnhaupt spielt: »Bald steht sie im Wohnzimmer Jürgen Pontos, und sie schießt ihm aus kurzer Distanz in den Kopf, und ihre Augen sind so kalt, und abends füttert sie ihr Baby. […] Mit Nadja Uhl hält das schiere Töten Einzug, der Blutrausch, der sich von den Begründungen entkoppelt« (Kurbjuweit 2008: 46). Medial wurde so ein »totale[s] Reenactment« in Szene gesetzt, welches einen »exorzistischen Zweck« erfülle und bei dem – wie Matthias Dell polemisch festhielt – »›die erste Garde des deutschen Films‹ offenbar erfolgreich davor bewahrt werden [konnte], in den Untergrund zu gehen« (Dell 2008).

V o r G e r i c h t : R e s o n an z e n d e s A u t h e n t i s c h e n Dieser Anspruch der Fiktion auf Authentizität erzeugt unterschiedlichste Widersprüche, die bis zur juristischen Klärung vor Gericht führen können. Schon der 1958 mit dem Bundesfilmpreis als »bester Film mit besonderem staatspolitischen Inhalt« prämierte Film Nachts wenn der Teufel kam (1957) führte zu einer Klage. Der Film behauptete, die »authentische« Geschichte eines Serienmörders im NS-Staat zu zeigen. Dieser hatte jedoch – anders als es ihm die beteiligten NS-Behörden und im Anschluss daran die bundesdeutsche Nachkriegsmedienöffentlichkeit unterstellten – aller Wahrscheinlichkeit nach keinen einzigen Mord begangen. Die Angehörigen des vermeintlichen Serienmörders, der vom NSRegime umgebracht worden war, erhoben gegen die Verwendung des Eigennamens bei der Produktionsfirma Gloria Filmverleih gerichtlichen Einspruch, der jedoch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass es sich bei Bruno Lüdke um eine »Person der Zeitgeschichte« handele. Die ihm unterstellten Taten wurden hingegen nicht neu verhandelt (vgl. Blaauw 1994; Regener 2001).

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Ebenfalls zu juristischen Auseinandersetzungen kam es nach der Premiere von Der Baader-Meinhof-Komplex: Die Witwe Jürgen Pontos fühlte sich durch die filmische Darstellung der Ermordung ihres Ehemanns in ihren eigenen sowie den »postmortalen« Persönlichkeitsrechten ihres Ehemanns derart verletzt, dass sie nicht nur ihr Bundesverdienstkreuz zurückgab, sondern auch gegen die Produktion Klage erhob und einforderte, die Szene der Ermordung Jürgen Pontos aus dem Film herauszuschneiden und nicht weiter zu verbreiten (vgl. Landgericht Köln 2009a).6 Dabei berief sich die Klägerin darauf, dass der Film den Anspruch größtmöglicher Authentizität erhebe, die Darstellung der Ermordung Pontos jedoch in vielerlei Hinsicht nicht haltbar sei. So werde etwa nicht gezeigt, dass die Klägerin im Gegensatz zur filmischen Darstellung den Mord habe ansehen müssen, dass der Mord annähernd lautlos und in einem abgedunkelten Raum stattgefunden habe und das Opfer in Wirklichkeit nach vorne gefallen sei. Davon abgesehen, müsse die Klägerin es nicht hinzunehmen, dass dreißig Jahre nach der Ermordung diese in eine »effekthascherische Darstellung« überführt werde und sie mit der »Visualisierung der Tat« konfrontiert werde (Landgericht Köln 2009b: 1). Die filmische Authentitizitätsfiktion führte bei der Klägerin zu einem schmerzhaften Déjà-vu, und sie versuchte, der filmischen Darstellung ihren Authentizitätsanspruch zu entreißen, indem sie eine Gegendarstellung lieferte, die bis in die allerkleinsten Details reichte. Mit der Forderung, »in der Tat alleingelassen zu werden« (ebd.: 1), reklamierte sie die authentische, schmerzhaft-persönliche Erfahrung für sich. Von den Anwälten der Beklagten wurde demgegenüber festgehalten, dass sich auch durch »die Darstellungen der Verfügungsklägerin und ihrer Tochter von der Tat […] keine eindeutige Klarheit über deren Ablauf« ergebe. Die Augenzeugenberichte »seien im Übrigen widersprüchlich«, denn »selbst nach der eigenen eidesstattlichen Versicherung habe die Verfügungsklägerin ihren Mann nicht gesehen, als er zu Boden stürzte« (ebd.). Zudem sei unklar, ob Ponto nach hinten oder nach vorne gestürzt war – eine vielleicht nur anscheinende Belanglosigkeit, denn nach vorne zu stürzen, hätte auch eine letzte Verteidigungshaltung Pontos ausdrücken können – und, wie es Eichinger betonte, »die Dramatik des Films sogar erhöht« (vgl. Süddeutsche Zeitung 2008b). Zudem hielten die Anwälte der Verteidigung fest, dass es sich um einen Spielfilm handele: 6

Auch die ehemalige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt scheiterte mit dem Versuch, gerichtlich gegen eine Sequenz des Filmes vorzugehen, in der ihr fiktiver Widerpart beim Intimverkehr gezeigt wird (vgl. Süddeutsche Zeitung 2008a).

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»im Genre des inszenierten Dramas, bei dem eine kunstspezifische Betrachtungsweise zu erfolgen habe und bei dem die Vermutung für Fiktionalität spreche. Auch werde der Film in der Öffentlichkeit nicht als Dokumentarfilm wahrgenommen, was u.a. daraus deutlich werde, dass zahlreiche private Momente dargestellt würden, die nie protokolliert oder sonstwie belegt worden seien und daher dramaturgisch hätten aufgefüllt werden müssen« (Landgericht Köln 2009a: 21).

Anders als die Produzenten des Filmes in zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen betonten damit die Anwälte, dass es sich bei dem Film um eine rein fiktionale Darstellung handele. Die Unterlassungsklage wurde abgewiesen, womit das Gericht in diesem Fall die künstlerische Freiheit über den Schutz der Persönlichkeitsrechte stellte.7 Die von den Produzenten viel beschworene historische Authentizität der Darstellung und die mediale Begleitrhetorik des ›es ist so gewesen‹ blieb durch das Gericht unberücksichtigt, welches den Film als künstlerische bzw. ästhetische Konstruktion einschätzte. So sei es »für den Zuschauer deutlich erkennbar, dass der Film keine reine Abbildung der Realität anstrebt, sondern diese aus einer bestimmten Perspektive zeigen will, um die Botschaft des Films nahe zu bringen« (ebd.). Kritiker bemerkten hingegen – wie schon bei Der Untergang – dass der Film gerade aufgrund seines Authentizitätsanspruches seine Intention und Perspektive keineswegs sichtbar mache. Die Botschaft des Films war freilich recht einfach gestrickt: Der Film zeigt, wie gesellschaftliche Spannungen und revolutionäre Ideen in fanatische Gewalt umschlagen können, und so endet er in dem moralischen, die Authentizität der Darstellung betonenden Aufruf der Brigitte Mohnhaupt an die Kinder der RAF, doch bitte keine mythische Verklärung zu betreiben: »Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren.« Davon abgesehen stellte der Film »keine komplizierte Fragen«, sondern bot seine Antworten im »brutal Faktischen« (Vowinckel 2008: 4), was als eine weitere Konsequenz des Authentizitätsparadigmas gewertet werden muss.

7

Eingebettet war die Klage in öffentliche Diskurse über die Entlassung von ehemaligen RAF-Terroristen, in aktuelle Strafrechtsdebatten, die eine stärkere Berücksichtung des Opferschutzes bei gerichtlichen Entscheidungen (und damit implizit eine Verschärfung des Strafrechts) einfordern (vgl. Karstedt 2007), sowie in Forderungen zur Stärkung der Persönlichkeitsrechte in der Mediengesellschaft. Vgl. dazu etwa die Diskussion um das »Esra«-Urteil gegen den Schriftsteller Maxim Biller (Becker 2006; Lahusen/Barnet/Lahusen 2008).

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Z u r l e tz t e n I n st a n z Das Kriminalschema ist ein medienübergreifendes Erzählmuster, welches verschiedene Effekte des Authentischen auszulösen vermag. Neben den klassischen Authentifizierungsstrategien, einen Referenzeindruck entstehen zu lassen, geschieht dies insbesondere durch den Anschluss der Fiktion an inszenierte Lücken des historischen Wissens. Die realistische Mimesis speist sich dabei nicht allein aus historischer Detailtreue, sondern auch daraus, dass die Figuren des Geschichtskrimis als Genrehelden zu erkennen sind, die bisweilen sehr anachronistisch den Kampf mit den historischen Verbrechern aufnehmen. Kriminalistische Narrative erheben dabei mit der Behauptung, den reinen Tatbestand zu ermitteln, ein für sie spezifisches Faktizitätspostulat. Die – oftmals gewaltbeladene – Faktizität der Ereignisse wird dabei genregemäß der Interpretierbarkeit der Welt entgegengesetzt, wodurch ein moralischer Anspruch erhoben wird. Zudem lösen kriminalistische Narrative den Effekt des Authentischen auch dadurch aus, dass sie offensichtlich mit dem Gegenstand ihrer Erzählung, einem verbrecherischen historischen Ereignis oder aber einer verbrecherischen Epoche zu korrespondieren vorgeben. Authentizitätseffekte stellen sich schließlich dort ein, wo es der Krimi mit den ihm eigenen Erzählstrategien vermag, die Repräsentation von Gewalt und Schmerz mit Geschichtserfahrungen zusammenzubringen. Gerade die Wirkmächtigkeit des filmischen Bildes vermag bei betroffenen (Zeit-)Zeugen einen schmerzhaften Affekt auszulösen, während der Opferkult der Mediengesellschaft diese Emotionen freudig ausschlachtet und sich zur gemeinsamen Therapiesitzung einfindet. So wird die Frage nach dem Authentischen der gerichtlichen Klärung überstellt – also jenem Ort, der traditionell die letzte Instanz der Verifizierung des Authentischen ist. Es bleibt freilich paradox, wenn sich diese Instanz im Namen der künstlerischen Freiheit dazu veranlasst sieht, das Authentifizierte zur Fiktion zu erheben und damit das Fiktive zu authentifizieren.

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AUTHENTIZITÄT ALS LITERARISCHER EFFEKT: AUF DER SUCHE NACH DEM ECHTEN SHAKESPEARE THORSTEN LEIENDECKER

Francis Bacon und Christopher Marlowe, der Earl of Derby und der Earl of Oxford, Mary und Philip Sidney, Elisabeth I. und James I. und letztendlich William Shakespeare sowie mindestens fünfzig weitere Zeitgenossen des Englands um 1600 zählen zu den Anwärtern auf die Autorschaft der Texte des artist formerly known as Shakespeare. Keine andere Debatte der englischen Literaturgeschichte beschäftigt Universitäten und die Öffentlichkeit über einen ähnlich langen Zeitraum und in entsprechender Intensität wie die Frage nach dem ›tatsächlichen‹ Schöpfer der vermutlich bekanntesten und einflussreichsten Texte der Weltliteratur. Nach den ersten Zweiflern aus dem späten 18. Jahrhundert (die aber bis in die 1920er Jahre eher unbekannt blieben) stieg das Interesse an der Identität Shakespeares in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und verebbte erst wieder, als in den 1960er Jahren vorübergehend der ›Tod des Autors‹ beschlossen wurde. Eine Reihe von Publikationen sowie ein fingierter Schauprozess zur Urheberschaftsfrage in den USA 19871 belebten das Interesse erneut, das seither nicht nur den akademischen Diskurs, sondern auch öffentliche Medien beschäftigt. Besonders populär wurde die Debatte in den letzten zehn Jahren in Romanen, die das Thema einerseits in eine fiktive Geschichte einbetten, andererseits aber auch gezielt Elemente einsetzen, die den Wahrheitsanspruch des Erzählten untermauern sollen.2 Über (und erst recht nicht von) Shakespeare existieren 1

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Bei einer Veranstaltung der amerikanischen Rundfunkanstalt PBS und der University of America/Washington vertraten zwei Rechtswissenschaftler ihre ›Mandanten‹ – in diesem Fall William Shakespeare versus Edward de Vere, Earl of Oxford – vor drei Richtern des Supreme Court. Die Entscheidung fiel, wie auch fünf Jahre später bei einem ähnlichen Schauprozess, zugunsten Shakespeares aus (vgl. http://www.pbs.org/wgbh/pages/ frontline/shakespeare/debates/mtrial.html; Zugriff 28. August 2009). Neben den später behandelten Werken sind hier exemplarisch Norma Howes Kinderbuch Blue Avenger Cracks the Code (2000), Amy Freeds Theaterstück The Beard of Avon (2001) und Sarah Smiths Universitätsroman

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jedoch nur sehr wenige dokumentierte Nachweise. Die insofern zwangsläufig spekulativen Handlungen der Romane werden daher in Gestalt wissenschaftlicher Autorität authentifiziert, welche in drei verschiedenen Formen verwendet wird: als Wissen, als Figur oder als Methode. Im vorliegenden Beitrag wird es darum gehen, diese Effekte in das Spektrum der Authentizitätsfiktionen einzuordnen.

Authentizität in fiktiven Texten Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Begriffspaar ›literarische Authentizität‹ um ein Oxymoron, einen Widerspruch in sich zu handeln. Basiert doch ersteres auf Fiktionalität, d.h. dem was gebildet und geformt wurde (lat. fingere: bilden), letzteres jedoch auf Faktualem (lat. factum: Tatsache). In den letzten Jahren wurde dieser scheinbare Gegensatz jedoch aufgebrochen, Authentizität zunehmend als »poetologische Kategorie« (Schlich 2002: 14) und umgekehrt Darstellung als konstitutives Moment von Authentizität (vgl. Kalisch 2000; Neumann 2000) verstanden. Diese Funktionen werden besonders dann interessant, wenn fiktive Texte nicht nur eine Realität simulieren, sondern auch den Anspruch erheben, eine (historische) Wahrheit zu vermitteln. Oft wird dabei eine Autorität zitiert, die scheinbar außerhalb der Textebene steht und somit eine nicht-fiktive Wahrheit bezeugt. Authentizität in fiktiven Texten fällt generell in das bereits erwähnte Spannungsfeld von Fakt und Fiktion.3 Auf der einen Seite dieses Spektrums steht das Paradigma der mimetischen Darstellung, welches beschreibt, dass in jedem fiktiven Text Charaktere, Objekte und Handlungen abgebildet werden, die so auch in realiter existieren könnten.4 Diese konstruierte Tatsachenebene gewährleistet die nötige Empathie der Lesenden, indem sie das Fiktive als natürlich realistisch darstellt. Dem ge-

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Chasing Shakespeares (2003) zu nennen. Ich bedanke mich bei Sofie Raff für ihre Recherche dieser Titel. Nünning (2003: 240f.) hat diesen Kontrast exemplarisch am Beispiel des historischen Romans aufgezeigt. Dies gilt nicht nur für Texte realistisch-naturalistischer Art, sondern grundsätzlich auch für alle jene Genres, die auf fantastischen Hintergründen beruhen, wie z.B. Fantasy, Science-Fiction, Horror etc. (vgl. u.a. Hume 1984). Diese Ähnlichkeiten in der Darstellung sind zwar nicht solche, die der empirischen Erfahrung der Lesenden entsprechen, sind aber grundsätzlich daran ausgerichtet. Infolgedessen sind Phantasiefiguren wie Aliens und Horrorgestalten fast ausschließlich humanoid (in manchen Fällen auch animalisch) und folgen tendenziell niederen menschlichen Motiven.

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genüber steht die von dem englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge geprägte Formel der willing suspension of disbelief (vgl. 1834: 174) und die darin enthaltene Annahme, dass beim Lesen von Literatur alltägliche Bewertungsmuster aufgegeben werden und fiktive Elemente nicht hinterfragt werden. Die Lesenden lassen sich bewusst auf eine imaginäre Welt ein und versprechen sich davon in erster Linie vom literarischen Text unterhalten zu werden. Diese beiden Pole fiktiver Darstellung sind die Grundlage dafür, wie unterschiedlich ›reale‹ Instanzen in Literatur eingebettet werden, um somit unterschiedliche Effekte zu erzielen: »Während die realen Objekte in der Regel als realer Teil der fiktiven Welt zum Hintergrund des Erzählten gehören und die Anbindung der fiktiven Welt zur realen sichern, stellen die nicht-realen und pseudo-realen Objekte die eigentlich fiktiven Objekte dar« (Zipfel 2001: 102). Zu der ersten Kategorie gehören diejenigen Figuren, Ereignisse und Orte, die eine Entsprechung außerhalb der Fiktion haben, welche ohne größere Veränderung übernommen wurde. Ist dies bei Ereignissen und Orten noch relativ pragmatisch durchführbar, ergeben sich bei Figuren hingegen Probleme: So können historische Charaktere nur dann als reale, in die Fiktion transferierte Personen angesehen werden, wenn sie als flache, eindimensionale Figuren ohne Tiefe dargestellt werden – jeder psychologische Einsicht und jede interpretierende Beschreibung werden somit zum Ausschlusskriterium. Diese enge Definition verringert die mögliche Auswahl an realen Charakteren in fiktiven Texten natürlich immens und macht die Kategorie nur für Randerscheinungen oder Hintergründe zugänglich. Weisen Objekte, die auf realen Vorlagen basieren, allerdings Abweichungen zu ihrem ›Original‹ auf, verlieren sie ihren Status als reale Textelemente im engeren Sinn und werden stattdessen Surrogate für ihr ›authentisches‹ Pendant. So ist zum Beispiel Shakespeare als Protagonist in dem Film Shakespeare in Love (UK 1999, John Madden) ein pseudorealer Charakter, der als mehrdimensionale Figur dargestellt wird, während die abwesende Anne Hathaway, deren Rolle als Shakespeares Ehefrau trotz ihrer Abwesenheit mehrfach thematisiert wird, als reale Figur (nicht) auftritt.5

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Andere Beispiele für reale Figuren in Filmen sind eingespieltes Dokumentarmaterial (z.B. Helmut Schmidt in einer Fernsehansprache in Der Baader Meinhoff Komplex, D 2008 oder die montierten Interaktionen zwischen dem Protagonisten und den verschiedenen amerikanischen Präsidenten in Forrest Gump, USA 1994) oder Gastauftritte von gleichzeitig dargestellten Persönlichkeiten (wie u.a. Tom Jones in Mars Attacks, USA 1996 oder John Malkovich in Adaptations, USA 2002), wobei es in letzterem Fall leicht zu Transgressionen zur pseudo-realen Figur kommen kann.

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Spricht man von Authentizität in fiktiven Texten, so bewegt sich das Konzept also stets im Spannungsfeld der Darstellung des Realen, genauer gesagt zwischen den beiden Kategorien real und pseudo-real. Einerseits werden auch in fiktiven Texten Zitate herangezogen, um den Text in Bezug auf eine frühere Autorität zu validieren. In diesem Fall kann man von einer »Referenzauthentizität« (Müller/Knaller 2006: 13) sprechen, welche, analog zur wissenschaftlichen Quelle, Aussagen verifiziert und an andere Texte anbindet. Andererseits sind es bekannte Figuren oder Hintergründe der Geschichte, die in das System fiktionaler Kommunikation eingebettet werden und dieses somit mit der ›historischen Realität‹ verschmelzen lassen. In beiden Fällen sind es externe Elemente, welche die Fiktionalität verhüllen sollen, sie dienen »als ›fiktionale Illusionierungstechniken‹ einer ›Authentizitätsfiktion‹ mit dem kommunikativen Ziel, den Objektivitätsanspruch des Texts zu legitimieren« (Bauer 1992: 36f.). Ein zentrales Motiv literarischer Authentizität ist also eine Illusionsbildung, die vordergründig nicht als solche wahrgenommen wird. Diese Art der Legitimierung funktioniert deshalb, weil das Publikum die Strategien der Authentifizierung als literarische anerkennt und im Rahmen der willing suspension of disbelief in die Leseerfahrung einbaut. Eine solche Ansicht erlaubt es, sowohl ›reale‹ als auch ›pseudoreale‹ Bestandteile in das Konzept von Authentizität einzubauen, und zwar nicht als Marker von Echtheit, sondern als »literarisierte ›Siegel‹« (Kanz 2000: 136), welche innerhalb der literarischen Kommunikation trotz möglicher fiktiver Verfremdung auf eine Echtheit außerhalb verweisen.

D e r F al l S ha k e sp e ar e Die Forschung und Diskussion über die Person William Shakespeare spaltet sich heute in zwei Lager auf: in den Mainstream, welcher von der Identität der historischen Person mit dem Dichter ausgeht und in die Zweifler, die einen Ghostwriter hinter dem berühmt gewordenen Namen vermuten. Was die sehr heterogene Gruppe der Zweifler, Häretiker oder auch ›Anti-Stratfordians‹ in ihrem Feldzug gegen den Mainstream der Shakespeare-Forschung (auch Orthodoxe oder ›Stratfordians‹) eint, ist die Annahme, dass der William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon nicht in der Lage gewesen sei, ein solch umfangreiches Werk von 38 Dramen, 154 Sonetten und einigen weiteren Gedichtzyklen zu verfassen

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– besonders nicht auf diesem Niveau.6 Die häretische Rhetorik beschreibt Shakespeare in der Regel als merkantilen, wenig gebildeten und provinziellen Schauspieler, der nicht im Geringsten den Hintergrund für die soziale Kultiviertheit, sprachliche Gewandtheit und thematische Vielfalt der ihm zugeschriebenen Literatur aufweise (vgl. u.a. Bryson 2008: 179; Mitchell 1999: 17-38). Und tatsächlich kann diesen Vorwürfen nur wenig entgegengesetzt werden, da es – wie erwähnt – außerhalb seiner Werke kaum Zeugnisse gibt, die Shakespeares Leben dokumentieren.7 Seine Biographen sind infolgedessen hauptsächlich damit beschäftigt, Leerstellen zu füllen (vgl. Greenblatt 2005: 12). Das Problematische an den zahlreichen GegenkandidatInnen also ist, dass jede der gefundenen Lösungen einerseits selbst durch etliche Leerstellen geprägt ist und andererseits in Konkurrenz mit einer Vielzahl anderer RivalInnen um die Autorschaft steht. Auch die Art der Kandidatenfindung ist mitunter kurios genug: Die Gründungsmutter der Anti-Stratford-Bewegung, die Amerikanerin Delia Bacon, war durch eine historische Recherche Elisabethanischer Persönlichkeiten und ihre eingehende Lektüre (close reading) der Dramen Shakespeares zu der Überzeugung gekommen, dass ein Syndikat um Walter Raleigh, Philip Sidney und Francis Bacon8 für die Autorschaft verantwortlich zeichnet. Dies versuchte sie durch erneute intensive Lektüre Shakespeares an authentischen Orten in England zu belegen und gelangte schließlich durch ihre Anträge und Versuche, die Gräber von Shakespeare und Bacon zu öffnen, zu notorischer Bekanntheit (vgl. Hope/ Holston 1992: 10). Die Veröffentlichung ihrer Theorie (1857) hatte nicht den von ihr erhofften durchschlagenden Erfolg und nach zunehmender geistiger Verwirrung starb sie zwei Jahre später in einer Irrenanstalt. Nennenswert ist auch Calvin Hoffmann, der in den 1950ern die Theorie, dass Christopher Marlowe der wahre Autor sei, wieder aufleben ließ. Im Gegensatz zu Delia Bacon gelang es ihm 1956 tatsächlich, das Grab von 6

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Die 2007 verfasste »Declaration of Reasonable Doubt« beinhaltet einen Überblick der gegen den Shakespeare aus Stratford vorgebrachten Gründe, welcher von prominenten Vertretern aller häretischen Lager signiert wurde (SAC 2007). Die Argumente für den Dichter Shakespeare beruhten zunächst hauptsächlich auf der Affirmation des status quo, darauf, dass die Zweifel an der Urheberschaft erst 200 Jahre nach dem Tod des Dichters aufkamen. Inzwischen sind sie ebenso ausdifferenziert und vielschichtig wie die Zweifel der Häretiker und argumentieren mit sozialen, sprachlichen sowie kulturellen Beweisen (vgl. u.a. McCrea 2005; Bryson 2007). Zwar ist die Übereinstimmung der Nachnamen von Delia und Francis auffallend, es liegt jedoch kein Verwandtschaftsverhältnis vor.

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Marlowes Patron Thomas Walsingham zu öffnen, um mehr über den Tod des Dichters 1593 – oder eben dessen Weiterleben – herauszufinden. Diese Welle der Popularität ebbte zwar schon bald wieder ab, hatte allerdings die Langzeitfolge, dass auf der Gedenkplakette im Poets’ Corner des Westminster Abbey seit 2002 Marlowes Todesjahr 1593 mit einem Fragezeichen versehen ist. Der bis heute am weitesten anerkannte Kandidat der Anti-Stratfordians ist jedoch Edward de Vere, der 17. Earl von Oxford, dessen Popularität in dieser Frage u.a. in dem für Herbst 2010 angekündigten Film Anonymous von Roland Emmerich Ausdruck findet, in welchem de Vere als der echte Shakespeare dargestellt wird. Verfechter dieser Theorie rechtfertigen ihre Wahl mit den Parallelen von Oxfords Biographie und zahlreichen Stücken Shakespeares (vgl. u.a. Anderson 2005).9 Zudem lassen sich einige externe Rätsel, wie die Widmungen der verschiedenen Gedichte Shakespeares, mit Verweis auf de Vere neu erklären, und schließlich bietet dieser Kandidat die sozialen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen, die als Grundlagen für die Autorschaft genannt werden. Die Art der Auseinandersetzung mit dem Fall Shakespeare hat seit den 1990er Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Hat der renommierte Shakespeare-Forscher Samuel Schoenbaum 1991 die Bemühungen der Anti-Stratfordians noch belächelnd im Kapitel »Deviations« (231ff.) als Abweichler abhandelt, steigt die Zahl seriöser Artikel in Zeitungen und akademischen Zeitschriften seither beständig (vgl. Bryson 2008: 179f.). Während sich die etablierte Seite zunehmend ernsthaft mit den Vorwürfen der Abweichler beschäftigt, haben die Häretiker auch institutionell Fuß gefasst und das Thema in Stiftungen und durch prominente Vertreter an den Universitäten fundiert. Im Gegenzug nehmen viele der neueren Monographien zum Thema die dünne Faktenlage und den dadurch entstehenden Bedarf an Konstruktionsarbeit kreativ und an Konventionen des Fiktionalen erinnernd auf. So versieht z.B. Anderson seine Biographie von de Vere als Shakespeare mit einem »Dramatis Personae« (2005: xiii-xxi), das seine Protagonisten sogleich charakterisiert. Noch eindrücklicher verfährt McCrea in seinem Überblick über die Thematik, den er gleich einem Thriller einleitet: »The voice accosted me from behind. It was a raspy voice, deep and full of confidence, a preacher’s voice […]« (2005: xi). Beide Fälle demonstrieren eine Verspieltheit, durch welche die Wissenschaft dem Verschwörungscharakter

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Entsprechend verfährt Kreiler in seinem kürzlich erschienenen Buch zur tatsächlichen Identität Shakespeares (2009), welches das Thema prominent in die Aufmerksamkeit der Feuilletons großer deutscher Printmedien brachte.

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des Themas Rechnung trägt.10 Umso interessanter ist die Rolle der in den vergangenen Jahren vermehrt auftretenden Romane, in denen die Autorendebatte inszeniert wird. Anders als in den oben genannten wissenschaftlichen Texten, die auf fiktionale Elemente zurückgreifen, werden hier Aspekte der Forschungsgeschichte benutzt und zur Authentifizierung von Handlungen und Charakteren instrumentalisiert.

D e r h i s to r i s c h e S h a k e sp e a r e i m N e t z d e r V e r sc hw ö r u n g Wie weiter oben bereits erwähnt, nimmt der historische Roman – vor allem der populäre realistische – eine besondere Stellung in der Verhandlung von Fakt und Fiktion ein. Reale und pseudo-reale Instanzen werden oft ohne metafiktionale oder -historische Distanz vermischt und tragen gleichermaßen zum Geschehen bei. Dabei wird ausdrücklich auf Illusionsstörungen verzichtet, so dass der Anschein entsteht, die Erzählung bilde ein Stück Geschichte wahrheitsgetreu ab (vgl. Nünning 1995: 264).11 Weder sprachlich noch erzähltechnisch stellt der historische Romane höhere Ansprüche an sein Publikum: »Seine meist lineare Handlung ist auf kohärente Illusionsbildung ausgelegt und kreist meist um einige wenige Hauptfiguren, die mit historisch belegten Personen interagieren« (Butter 2009: 69). Dabei wird in der Regel ein fiktiver Plot in einen realen Rahmen eingebettet, größere historische Ereignisse und Hintergründe sind authentisch, während die zentralen Figuren gänzlich fiktiv oder eben pseudo-real sind. Mit diesen Mitteln wird geschichtliches Grundwissen unterhaltend vermittelt, während der Fokus auf der Entwicklung von Handlungen oder Charakteren liegt.12 Shakespeare als Figur in historischen Romanen ist kein neues Phänomen. Seine Repräsentation findet meist innerhalb der konventionellen Parameter des Genres statt, und so schreibt sich auch Martin Stephens 10 Andere mehr oder weniger populärwissenschaftliche Veröffentlichungen wie Peter Dawkins’ The Shakespeare Enigma (2004), Virginia M. Fellows’ The Shakespeare Code (2006) oder Barry R. Clarkes The Shakespeare Puzzle (2007), die sich allesamt der Entschlüsselung des Geheimnisses um die Autorenfrage widmen, sind weitere Belege für dieses Phänomen. 11 Diese Darstellung lässt sich natürlich nicht auf alle historischen Romane anwenden; insbesondere postmoderne historische Romane brechen aus diesem Schema aus (vgl. Nünning 1995 und 2003). 12 Vergleiche dazu die Thesen, die der Autor historischer Romane Peter Prange im Rahmen der Tagung Geschichte in populären Medien und Genres 2008 in Freiburg entwickelt hat (Prange 2009).

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The Conscience of the King (2003) in diese Tradition ein. Als Rahmenhandlung eignet sich der Roman die Theorie eines Autorenkollektives als Verfasser der Shakespeareschen Stücke an und führt einige der Protagonisten dieser Verschwörung, welche im Untertitel Henry Gresham and the Shakespeare Conspiracy schon als solche benannt wird, als pseudoreale Figuren in seiner Handlung ein. Tatsächlich handelt die Erzählung sogar von zwei Verschwörungen, die im Verlauf der Erzählung ineinandergreifen: Auf der einen Seite die erwähnte Frage nach der Urheberschaft und auf der anderen der angeblich vorgetäuschte Tod von Christopher Marlowe. Der Roman öffnet mit einem Prolog, welcher 19 Jahre vor der tatsächlichen Handlung verortet ist, und in dem die vermeintliche Ermordung Marlowes in einer Spelunke in Deptford als Komplott entlarvt wird. Der Dichter wird als extravaganter Lebemann dargestellt, der von der Art seines Abgangs nur wenig begeistert ist und nur widerstrebend sein öffentliches Leben aufgibt. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass er im Spionagenetzwerk zunächst Francis Walsinghams und später Robert Cecils im Dienst der Krone tätig war: »[he] meant to be spying on the Catholics, but with a nose for trouble that meant he ended up spying on everybody, including some very inconvenient people« (113).13 Die Wirren, in die er sich begibt, gipfeln wie zuvor in seinem vorgetäuschten Tod, von dem er 1612 allerdings abermals nach England zurückkehrt, um Rache zu nehmen und als gefeierter Popstar in das große Geschäft des Theaters zurückzukehren. Dieser Handlungsstrang nimmt populäre Mythen um den Verbleib Marlowes auf, verzerrt diesen zum verkommenen Schurken und füllt die vermeintliche Leerstelle seiner Identität sowie seiner Rolle in der Urheberschaftsdebatte mit fiktivem Material. Als überzeichneter Antagonist wird er zur Triebfeder der Aufklärung der Causa Shakespeare. Im Zentrum der Handlung von The Conscience of the King steht der Titelheld dieser Romanreihe, Henry Gresham, ein smarter und gut aussehender Adeliger, der als unabhängiger Spion und Kämpfer in die Geschicke seiner Zeit eingreift – »a Jacobean James Bond« (Nayland 2006). Er wird stets in Superlativen beschrieben: in den Worten Francis Bacons »a brain as powerful as any I’ve ever known« (47); aus Sicht seiner überhaupt sehr zufriedenen Bediensteten »the handsomest man [...] in London« (89); und auch seine Frau sieht in ihm gleichzeitig den tödlichen Killer und den liebevollen Vater (vgl. 21). Diese Darstellung Greshams als makelloser Superheld wird von vielen Rezensionen und auch von Lesern in Internetforen kritisiert, da sie ohne Distanz oder kritische Bre-

13 Die im Folgenden besprochenen Romane werden alle nach den im Literaturverzeichnis genannten Ausgaben zitiert.

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chung geschieht und die historische Handlung ins Lächerliche ziehe.14 Dennoch oder gerade deshalb ist es Gresham, der die Rückkehr Marlowes, den Diebstahl geheimer Briefe von König James I. (welche dem Roman schließlich seinen Titel verleihen), den Mord an einem Schauspieler während einer Aufführung von Hamlet und das Verschwinden einiger Manuskripte Shakespeares verbindet und somit sämtliche Komplotte löst. Gresham findet einen desolaten Shakespeare vor, aus dem er das Geständnis herauspresst, dass die Manuskripte seiner Theaterstücke ihm von Marlowe aus dessen Exil zugesendet wurden oder aus der Feder verschiedener Menschen des öffentlichen Lebens stammen – darunter der James I., Francis Bacon, der Bishop von Ely, Mary Sidney und die Earls von Oxford und Rutland. Der abfällig als ›der Schauspieler‹ bezeichnete Shakespeare muss als Fassade herhalten, da der soziale Status sämtlicher Autorinnen und Autoren deren Assoziation mit dem seinerzeit populären, aber anrüchigen Theater nicht zulässt. Shakespeares Kunst mit Worten umzugehen – denn immerhin die Gedichte werden auch hier ihm zugeschrieben – macht ihn somit zum perfekten Gegenteil eines Ghostwriters. Doch als das Rätsel gelöst scheint, kommt es – stereotyp für das Genre des Thrillers – zu einer weiteren Wendung. Beim Studium des Originalmanuskripts von Hamlet, das in dieser Version von de Vere verfasst wurde, fällt Gresham und seiner Frau auf, dass es sich hierbei um ein äußerst krudes Stück Literatur handelt: »To be or not to be. I there’s the point, To Die, or sleep, is that all? I, all. No, to sleep, to dream, I marry there it goes ... He looked up at her, laughing. ››Ay, marry, there it goes!‹ This is gibberish. It’s comic! This isn’t the speech we heard ...‹« (284).

An Stelle der kanonischen Ausführungen Hamlets zum Selbstmord, die im Pathos des Tragischen formuliert sind,15 tritt hier eine komische bzw. Umgangssprache, der das Lyrische in dieser Szene völlig abhanden ist: Worte wie »Ay« (im Beispiel oben wird die homophone Version »I benutzt) und besonders »marry« stehen in der Sprache der Dramen Shakes-

14 Vgl. u.a. Nayland (2006) sowie stellvertretend den Kommentar des Users Jan Blixt: »A Man’s Man – Every Man wanted to Be Him ... Every Woman Wanted Him. Blah blah blah ...« (http://www.goodreads.com/user/show/30 5910-jan-blixt; Zugriff am 26. September 2009). 15 »To be, or not to be – that is the question: / Whether ’tis nobler in the mind to suffer / The slings and arrows of outrageous fortune, / Or to take arms against a sea of troubles, / And by opposing end them? To die, to sleep – / No more […]« (Hamlet III, i, 57-62).

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peares hauptsächlich für komödiantische Szenen. Damit die Lesenden die Abweichungen zum tatsächlichen Text erkennen, wird dieser unmittelbar im Anschluss von Gresham’s Frau vorgelesen und macht den Unterschied des literarischen Anspruches deutlich. Shakespeare wird also doch noch rehabilitiert16 und weicht als fiktionale Darstellung gar nicht sonderlich von dem heutigen Bild der Shakespeare-Forschung ab, die bei aller sprachlicher Fertigkeit immer wieder herausstellt, dass die Stoffe seiner Dramen einer Vielzahl an Quellen entlehnt ist. Um der (Literatur-) Geschichte endgültig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wird Marlowe schließlich auf dem Altar der Theatergeschichte geopfert, als er in dem Feuer, durch welches 1613 das Globe Theatre zerstört wurde, umkommt. Die stark überzeichneten Charaktere – egal ob fiktiv, wie Henry Gresham, oder pseudo-real, wie Marlowe und Shakespeare – stellen ein Hindernis dar, diesen historischen Roman als mögliche Darstellung von Geschichte zu lesen. Dem entgegen stehen drei extradiegetische Instanzen, in denen Martin eine Authentifizierung des Romans versucht: Noch vor dem Beginn der Erzählung erläutert er in einer »Author’s Note« das Spionagenetzwerk, dem neben Marlowe auch Shakespeare unter dem Namen William Hall angehört haben soll. Martin verbindet diese Vermutung mit einem Rätsel aus der Widmung der Sonette, in welcher auf die Initialen des Schöpfers dieser Gedichte, »Mr. W.H.«, direkt ein ALL folgt (aus dem sich ein W. Hall ableiten lässt) – ohne allerdings eine Quelle hierfür zu nennen. Konkreter wird er in den Mottos, die unmittelbar vor dem ersten Kapitel auftauchen: Hier werden drei Texte zitiert, eine eher neutrale Abhandlung der Urheberschaftsdebatte, ein Text aus der Perspektive der Oxfordian Theorie sowie eine populäre Biographie Shakespeares. In diesen Mottos werden Hinweise genannt, die Zweifel an der Identität Shakespeares hervorbringen. In offenen Fragen werden Motive aufgeführt, die an späterer Stelle von der Fiktion wieder aufgenommen werden. Schließlich befindet sich im Anschluss an den Roman noch ein Anhang mit »Historical Notes«, mit kurzen biographischen Beschreibungen der historischen Figuren und Informationen, die für die Erzählung relevant sind. Eine bemerkenswerte Randerscheinung dabei ist, dass nur in zwei Fällen eine Referenz für den jeweiligen Abriss erwähnt wird: Für weitere Informationen zu Robert Carr und Thomas Overbury werden die Lesenden auf einen weiteren Band der Gresham-Reihe ver16 Der Epilog der Erzählebene, der im Jahr 2013 spielt, nimmt allerdings eine weitere Wendung vor. Als ein Wissenschaftler einen Brief Shakespeares findet, in welchem dieser dem Bishop of Ely für ein Manuskript dankt, löst er das Ende des Shakespeare-Universums, wie wir es kannten, aus: »Every book written about Shakespeare, or with even a passing reference to him, redundant now« (307).

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wiesen. Diese Kommentare des Autors tragen jedoch nur oberflächlich zur Beglaubigung des Romans bei, vermischen sie doch eher Fakt und Fiktion auf einer weiteren Ebene außerhalb des Textes. Die Authentifizierungsstrategien, welche im Roman eingesetzt werden, dienen also nicht einer möglichst neutralen Affirmation des historischen Kontextes, sondern sie haben lediglich den Effekt Handlung und Charaktere im Rahmen des Erzählstranges glaubhaft zu machen.

W i ss e n al s Re s so u r c e d e r a k a d e m i sc h e n A b e n t e u r e r i n Ein weiteres Genre, in dem Geschichte populär verhandelt wird, ist der historische Verschwörungsthriller (vgl. de Groot 2009: 56). Der Prototyp dieses recht jungen Sub-Genres ist The Da Vinci Code (2003), in dem Dan Brown den folgenden Typus kreiert hat: »the expert desires knowledge (generally in the form of artefacts […]) and solves clues in order to share the information and the treasure with the world and contribute to the sum of human understanding rather than make an individual fortune or gain fame. The selfless pursuit is what marks the historian out« (de Groot 2009: 54).

Der Historiker tritt als Charakter auf, der mittels seines Expertenwissens als Einziger in der Lage ist, einen Kriminalfall (meistens kommen eine bis mehrere Personen auf rituelle Weise ums Leben) zu lösen, hinter dem sich schließlich eine möglichst weltumspannende Verschwörung versteckt, die an den Grundfesten des westlichen Selbstverständnisses rüttelt. Während in Browns Roman nichts weniger als der Kern der christlichen Religionsgeschichte, die wahre Identität Christi, auf dem Spiel steht, widmet sich Jennifer Lee Carrells The Shakespeare Secret (2008) der wahren Identität Shakespeares, dem Pendant der westlichen Literaturgeschichte. Besonders bei der britischen Veröffentlichung des Romans zeigt sich, wie sehr dieser auf der Erfolgswelle seines Vorbildes schwimmt. Lautete der Titel der amerikanischen Version noch Interred with Their Bones (2007), eine Phrase, die dem Shakespeare-Stück Julius Caesar entnommen ist und auf das sprichwörtlich ins Grab mitgenommene Geheimnis anspielt,17 wurde dieser für den britischen Markt geändert, um beim Marketing an den Bestseller Browns anzuknüpfen, wie

17 »The evil that men do lives after them. The good is oft interred with their bones« (Julius Caesar III, ii, 78f.).

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auch der Buchumschlag verkündet: »Plot twists worthy of The Da Vinci Code«. Die Protagonistin der Shakespeare Secrets, Katharine Stanley, ist Literaturwissenschaftlerin (und in diesem Sinne Historikerin) und Theaterregisseurin, eine Mischung, durch welche sie über jenen sensationellen Wissensschatz verfügt, der sie zu heldenhaften akademischen Abenteuern befähigt. In ihrem Umfeld werden Personen, die ihr nahe stehen oder solche, die sie aufgrund deren Expertenwissens konsultiert hatte, auf rituelle Weise ermordet. Jede der Leichen stellt eine Referenz zum Werk Shakespeares dar: Der erste Mord entspricht der Ermordung von Hamlets Vater, eine weitere Leiche treibt auf dem Wasser wie Ophelia (ebenso aus Hamlet), ein Wissenschaftler wird vor dem Capitol in Washington durch eine Vielzahl an Messerstichen getötet (Julius Caesar) und so weiter. Statt allerdings auf die Hilfe der Polizei zu vertrauen – auch dies ist ein Topos des Genres – befindet sich Stanley ständig auf der Flucht vor DCI Sinclair, der ihr eigentlich helfen will. Eine interessante Abweichung im Muster des Thrillers ist die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse: Tritt der Wissenschaftler-Abenteurer gewöhnlich in männlicher Gestalt auf, dem eine ahnungslose Frau (welche durch Verständnisfragen den Informationsfluss regelt) an die Seite gestellt wird,18 so sind in The Shakespeare Secret weibliche Figuren ›in the know‹, allen voran Stanley, während ihr Begleiter Benjamin Pearl die zu informierenden Lesenden repräsentiert. Schließlich strebt der Roman einer Reihe von Höhepunkten entgegen, in deren Verlauf die Heldin mehrfach über die Identität der Mörder getäuscht wird – wiederum ein gängiges Motiv des Thrillers. Auf der Suche nach dem heiligen Gral der Shakespeare-Forschung, Hinweisen auf die Identität des Dichters, versammelt Carrell eine unübersichtliche Menge an Informationen aus der Forschungsgeschichte sowohl der Elisabethanischen Epoche, wie auch der Urheberschaftsdebatte. Diese Referenzen gehen teilweise dermaßen in die Tiefe, dass Lesende von den historischen Details einerseits überwältigt und andererseits überzeugt werden.19 So bietet dieser Roman ebenso wie The Shakespeare Conspiracy eine Lösung an, die eine Kollaboration favorisiert. Das Autorenkollektiv wird in diesem Fall als »chimerical beast« (317) bezeichnet (benannt nach einem Logo, welches sich aus den Wap18 Die Liste der Beispiele für dieses Motiv ist lang und führt z.B. von Indiana Jones bis hin zu Robert Langdon, dem Protagonisten des Da Vinci Code. 19 Vergleiche dazu u.a. die Kommentare der User Kayo und Christina im Forum Good Reads, in dem der Roman von einer breiten Leserschaft kommentiert wurde (http://www.goodreads.com/book/show/2535117.The_Shake speare_Secret?page=1; Zugriff am 15. Juli 2009).

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pentieren der beteiligten VerfasserInnen zusammensetzt) und umfasst Francis Bacon, den Earl of Oxford, Christopher Marlowe sowie Mary Sidney. Diese Verschwörung ist eng verknüpft mit verschiedenen mehr oder minder geheimnisvollen Themen, die sich im Verlauf der Suche zu einem Puzzle zusammensetzen: die Suche nach dem verlorenen Shakespeare Stück Cardenio, die Entschlüsselung der ménage à trois der Shakespeareschen Sonette und deren Zusammenhang mit politischen Ränken des frühen 16. Jahrhunderts, die Komposition der King James Bible, die Verbreitung von Shakespeares Werken in der Neuen Welt sowie gegenwärtige Entwicklungen der Urheberschaftsdebatte. Die Jagd nach Wissen findet nicht nur an verschiedenen Orten in Europa und Nordamerika statt, sie erstreckt sich auch über verschiedene Epochen: Der Roman ist wie ein Theaterstück in fünf Akte eingeteilt, vor denen jeweils ein »Interlude« Szenen aus der Zeit Shakespeares einstreut. Diese sind zunächst rätselhaft und liefern Informationen, die erst später entschlüsselt werden und die Hintergründe der Handlung erklären. Die dabei eingesetzten Figuren sind allesamt historisch, spielen jedoch bei der Ergründung der Rätsel eine Rolle, die oft mit fiktiven Elementen vermischt ist. Auch in der Gegenwartsebene werden durch den Fund von Dokumenten Abläufe der Geschichte erzählt, die zur teilweisen Lösung der erwähnten Verschwörungen beitragen. Während also die verloren gegangene Komödie geborgen werden kann, im neuen Globe Theater aufgeführt und in den Shakespeare Kanon aufgenommen wird, verschwinden alle Beweismaterialien für die vier wahren Autoren und sind nur im Gedächtnis der Heldin präsent. Ein zentrales Element bei Katherine Stanleys Suche nach Wahrheit ist ihr Wissen, welches in mehreren Fällen durch konkrete wissenschaftlichen Texte dargestellt wird. So ist die vierbändige, enzyklopädische Studie The Elizabethan Stage von Edmund K. Chambers (1923) ein wichtiges und wiederholt in die Handlung eingebettetes Medium, anhand dessen Stanley und ihre Mitstreiter sich dem Rätsel nähern. Andererseits sind viele externe Referenzen eingebaut, Zitate aus Shakespeares Werk oder dem größeren Kontext der Urheberschaftsdebatte, ohne dass sie explizit benannt werden. Dies ist die große Aufgabe der sehr ausführlichen »Author’s Note« (469-480), in welcher Carrell ihre Quellen und viele Hintergründe offenlegt. So eröffnet sie hier zum Beispiel, dass der im Roman der Literaturwissenschaftlerin Rosalind Howard zugeschriebene Text The Wild Shakespearean West (135) tatsächlich eine ihrer eigenen Veröffentlichungen mit dem Titel »How the Bard Won the West« aus dem Jahr 1998 ist (475). Außerdem validiert sie nicht nur die Passagen, die den Eintrag von Cardenio in Chambers Arbeit erwähnen, sondern fasst auch neuere Studien, die Cardenio mit der Howard Familie verbinden,

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zusammen. Einen großen Teil ihrer Ausführungen nehmen Erläuterungen der Urheberschaftsdebatte ein. Nach einer kurzen Problematisierung der im Roman beschriebenen Kandidaten gibt sie Lektüreempfehlungen sowohl für parteiische als auch für neutrale Sekundärliteratur und nimmt Anleihen u.a. bei Charles Dickens für ihre Lösung der Diskussion. Und schließlich liefert sie noch Rechenschaft darüber ab, welche historischen Hintergründe korrekt sind. Obwohl die Erläuterungen der »Author’s Note« klar von der Erzählung getrennt sind und diese nicht, wie im Fall der fiktionalen Referenz bei Martin, ineinander greifen, wirkt die »Author’s Note« auf die erzählte Ebene zurück. Die nachträgliche Verifikation des Hintergrundes der Handlung und der Figuren authentifiziert die Fiktion, indem die vorgestellte Geschichte durch die Autorität der Forschung abgesichert. Dies hat zur Folge, dass die inhaltliche Ebene des Romans, unabhängig von der Plausibilität der tatsächlichen Handlung, jeder sachlichen Kritik gefestigt gegenübersteht. Allerdings soll der dadurch entstandene Effekt der Autorisation nicht darüber hinwegtäuschen, dass in The Shakespeare Secret historische Dokumente und Anhaltspunkte als ein eindeutiges Narrativ mit einer klaren Botschaft und nicht als mögliche und ambivalente Geschichte zusammengesetzt werden.

D i e V e r sc h w ö r u n g a l s W a h n v o r s te l l u n g James Boyles Suche nach Shakespeare findet in einem Roman statt, der im angelsächsischen Sprachraum als ›literary novel‹ bezeichnet wird. Das Attribut ›literarisch‹ beschreibt diese Kategorie als eine Art Fiktion, die, obwohl sie ein breiteres Lesepublikum anspricht, sich durch nicht immer konventionelle Erzählmodi und eine gewisse Experimentierfreude auszeichnet (vgl. u.a. Tew 2004: 3f.). In den Shakespeare Chronicles wird dies besonders durch die Erzählperspektive deutlich. Der Roman ist aus der Sicht eines Professors für Englische Literatur, Stanley Quandary, erzählt, der sich allerdings schon zu Beginn als unzuverlässige Instanz erweist, da er nicht als kohärente Persönlichkeit auftritt, sondern von sich selbst sowohl in der ersten wie auch in der dritten Person spricht. Die Handlung, so kündigt Quandary an, ist zugleich eine Suche nach der Identität Shakespeares und der neuen Identität seiner selbst. Ein weiteres Merkmal der Erzählebene, und darin ist der Roman vergleichbar mit The Shakespeare Secret, sind temporale Sprünge von der Gegenwart zurück ins Elisabethanische Zeitalter, die sich als Träume des Protagonisten manifestieren. Obwohl sie sich ebenfalls erst allmählich entschlüsseln, sind diese Einschübe weder strukturell an Abschnitte der Erzählung gebunden, noch haben sie eine logische Abfolge. Hinzu kommt, dass auch der

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Erzähler dieser historischen Träume sich als unzuverlässig erweist, indem er selbst mit dem Geschehen verschmilzt und teilweise sogar eingreifen will. Diese ungewöhnlichen Merkmale der Erzählung führen mitunter dazu, dass der Roman – obwohl sich im weiteren Verlauf aufgrund einiger Gesetzesübertretungen durchaus Spannung ergibt – kein sogenannter ›page turner‹ im Sinne eines historischen Kriminalromans oder gar eines Da Vinci Codes ist, sondern eher intellektuell verpackte Unterhaltung, welche die Erzählung bewusst entschleunigt. Die Verhandlung der Urheberschaftsdebatte in The Shakespeare Chronicles spiegelt den akademischen Konflikt zwischen Angepasstheit und Rebellentum wider. Der biedere ›alte‹ Quandary repräsentiert dabei trotz seiner Zweifel an der Identität des Shakespeares von Stratford das Establishment der Literaturwissenschaft, indem er zwar die Kontigenz der Ergebnisse der Shakespeare-Forschung eingesteht und eine wissenschaftliche Neugier für Alternativen zeigt, diese allerdings letztlich immer komplett verwirft (15). Der rebellische ›neue‹ Quandary hingegen zögert nicht, diese Attitüde als Heuchelei vorzuführen und deren Institutionen als »old fart« zu bezeichnen (59). In diesen Einstellungen treten gegenseitige Vorurteile der beiden Lager, der Stratfordians und der Häretiker zu Tage: Während das Establishment die Strategie der Häretiker als oberflächliche Verführung ohne Substanz darstellt, diffamieren letztere ihre Gegner damit, dass sie in der Trägheit ihres Systems verfangen seien und eine Revolution gar nicht erst denken können.20 So ist es auch der ›neue‹ rebellische Häretiker Quandary, der eine sexuelle Beziehung mit einer Studentin hat (46f.), anfängt, seinen Studierenden die obszönen Seiten Elisabethanischer Literatur zu zeigen (54-56) oder versucht, seine mittlerweile wieder verheiratete Ex-Frau zurückzugewinnen. Sein Alter Ego hingegen streut immer wieder ›hochkulturelle‹ Zitate ein (19) oder verbringt mit dem alternden Nachbarn langweilige Abende (65) und repräsentiert die verstaubte Langeweile, die im Roman den Stratfordians anhaftet. Die bereits erwähnten Träume lassen Quandary mit der Zeit zu der Überzeugung kommen, dass Edward de Vere, der Earl of Oxford, der wahre Autor der Stücke Shakespeares sei. Nachdem ihn diese Visionen zunächst vornehmlich emotional beeinflussen und den beschriebenen Persönlichkeitswandel verursachen, beginnt er, deren Inhalte in der Bibliothek zu recherchieren. Diese Nachforschungen in der Sekundärliteratur zitiert er teils ausführlich und gibt die Quellen für seine Informationen an. Eher ältere Werke, wie Wards de Vere Biographie The Man of 20 Vgl. dazu u.a. »The Shakespeare Authorship Page« (http://shakespeare authorship.com) versus »Shakespeare Authorship FAQ« (http://www.shake speare-oxford.com/?page_id=34), Zugriff am 26. September 2009.

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Independence (1827), Rouses Shakespeare’s Ovid (1904) und Looneys Shakespeare Identified (1920), öffnen seinen Horizont für die OxfordTheorie und füllen die Ambivalenzen seiner Träume mit wissenschaftlich abgesichertem Wissen. Zunächst verdammt er Shakespeare, den »plagiarist« (35), der den Ruhm einheimst, und bezeichnet ihn nur noch als Hochstapler, als »impostor« (123). Doch mit der Zeit erkennt er, dass Oxford Shakespeares Patron ist und ihn fördert, und dass die beiden eine erotische Lehrer-Schüler-Beziehung haben. Dieses Verhältnis gipfelt schließlich darin, dass Quandary in einem seiner letzten Träume Shakespeare auf dem Totenbett sieht, als dieser Vorkehrungen trifft, die Originalmanuskripte in der Handschrift Oxfords und damit das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Diese letzte Erkenntnis ereilt ihn, als er schon bereit ist, Shakespeares Grab in der Trinity Church aufzubrechen, um diesem Beweismaterial zu entnehmen. Sich der Parallele zu der zögernden Delia Bacon bewusst, gibt Quandary seinen Plan auf, wird beim Verlassen der Kirche festgenommen und aufgrund seiner obskuren Geschichte in den Gewahrsam einer psychiatrischen Anstalt eingewiesen. Mit dieser Entwicklung der Dinge kehrt der Konflikt der gespaltenen Persönlichkeit wieder stärker zurück und lässt Quandary mehr und mehr in die Psychose abdriften. Bestimmte bisher die Darstellungsform des Tagebuchs die ersten beiden Teile der Erzählung, »The Past« und »The Present«, nimmt der Roman mit der erneut zunehmenden Dissoziation des Protagonisten eine neue Wendung. Eine letzte Notiz des Tagebuchs ist an einen Kollegen Quandarys, Zebadiah Geist, gerichtet, der im dritten Teil, »The Commentary«, die Erzählung übernimmt und in Form von auf Tonband diktierten Anmerkungen die vorangegangenen Aufzeichnungen kommentiert und zur Veröffentlichung vorbereitet. Der Roman bekommt somit die Note einer fiktiven Herausgeberschaft, die eine Brücke zwischen fiktivem Text und Realität schlägt. Abschnitte, in denen Professor Geist mit dem Aufnahmegerät beschäftigt ist oder auch die getreue Darstellung von Kommentaren wie »Memo to Private File« (170) tragen zu diesem Realitätseffekt bei. Weiterhin analysiert Geist die Aufzeichnungen und versieht sie mit Fußnoten und Literaturangaben, von denen prekärerweise ein Aufsatz des Romanautors James Boyle von 1988 als Quelle dient (181). Am Ende der Darstellung, welche ihn immer tiefer in den Bann von Quandarys absurden Theorien zieht, distanziert sich Geist allerdings von deren Inhalt und kommt zu einem (auch den Roman) abschließenden Urteil: »His book is not history, not even the ressurection of a great man’s name. In the last analysis this is not a literary study at all. Consciously or unconsciously, he made it all up. He has committed.. fiction« (196).

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Einerseits bezieht sich dieses Verdikt auf Quandarys Ideen, die ja tatsächlich dessen Phantasie entsprungen sind; andererseits knüpft dieser Punkt an das sich direkt anschließende Nachwort des Autors an. Boyle, der in der Tat der Verteidiger der Sache Shakespeares im weiter oben bereits erwähnten Schauprozess war und dies hier auch anführt, erläutert an dieser Stelle, dass seine Gegenwartshandlung komplett fiktional ist. Zwar nennt er die Quellen, die schon Eingang in den Roman gefunden haben, und bestätigt deren Existenz (»The authors to whose work I refer are real«, 197), und führt auch solche an, die über die bereits genannten hinausgehen; er grenzt aber seine Erzählung von den wissenschaftlichen Abhandlungen ab und betont, mit den Chronicles keinen weiteren Beitrag zur Urheberschaftsdebatte leisten zu wollen. Stattdessen liefert der Roman einen Beitrag zu einer viel größeren und fundamentaleren Debatte, nämlich der um die Funktion des Autors. Die verschiedenen Ebenen, auf denen in The Shakespeare Chronicles Fiktion produziert wird, weisen darauf hin, dass die Zuschreibung eines Textes zu einem Autor ebenso eine Geschichte erzählt, die nicht nur ein bloßes Verhältnis von Autor und Werk bezeichnet, sondern vielmehr eine Aussage über die Gesellschaft macht, die eine solche Zuschreibung vornimmt. Während also Boyles Roman die Autorisierung seiner Darstellung vornimmt, um diese zu dekonstruieren, lassen sich die beiden anderen Erzählungen auf ein eindeutiges Verhältnis zu Geschichte ein. Sowohl Martin als auch Carrell nutzen Authentizität als Effekt, um eine Fiktion zu erschaffen, die Fakt und Fiktion in pseudo-realen Elementen vermischt und die Grenzen sowie die Übergänge möglichst unsichtbar macht. An der Schnittstelle von historischer Forschung und populärer Vorstellungskraft (vgl. de Groot 2009: 54) suggerieren ihre Romane, an eine gültige Wahrheit außerhalb der Literatur angebunden zu sein, die nur darauf wartet, vollständig entdeckt zu werden. Die Effekte der Authentizität, die sie in ihren Texten einbauen, erzeugen die Illusion einer eindeutigen historischen Referenz, die durch das eingesetzte Material glaubhaft bezeugt werden.

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VISUELLE AUTHENTIZITÄT UND FAKTENTREUE IM GESCHICHTSFERNSEHEN: DIE HISTOSOAP THE TUDORS JONAS TAKORS »I think nobody has shown Henry the young man because of the iconography [...] I think because he is an icon and we see him in a certain way there is a kind of nervousness about showing him in other ways. I am absolutely sure there’s going to be reactions not in America but in England to this betrayal« (Hirst 2007a: 1'40'').

Kulturelle Ikonen sind besondere Figuren des kulturellen Gedächtnisses. Mehr als andere Bilder noch verbürgen sie eine authentische, nicht hinterfragte Beziehung zur Vergangenheit. Das Bildzitat allein verspricht in ihrem Falle die Glaubwürdigkeit der Darstellung (vgl. Czech 2006: 2330; Assmann 2002). Von daher gehört der Rückgriff auf solche im kulturellen Gedächtnis verhafteten Bilder zu einer der häufigsten von Fernsehmachern angewandten Strategien, um ihren Produktionen Authentizität zu verleihen. Ob Bruno Ganz als Hitler, Cate Blanchett als Elizabeth oder Tom Cruise als Stauffenberg ï die Produzenten bemühen sich, dem Bild der Zuschauer von ihren historischen Protagonisten möglichst gerecht zu werden. Diese Bemühung um visuelle Authentizität kann zu Auseinandersetzungen um die so entstandenen Bilder führen, wie unlängst beim Stauffenberg-Film Operation Walküre (vgl. Borcholte 2008). Umso seltener verzichtet eine Serie bewusst auf diese Authentifizierungsstrategie und riskiert stattdessen, einer altbekannten historischen Persönlichkeit ein neues Gesicht zu verleihen. Ebendies versucht die Showtime-Produktion The Tudors (2007), bei der Drehbuchautor Michael Hirst einen jungen Heinrich VIII. in den Mittelpunkt einer historischen Seifenoper stellt, deren Produktionsziele ich im ersten Teil dieses Artikels näher beleuchten werde. Da das Format der Soap Opera und das Genre des (Kostüm-)Geschichtsfilms dennoch beide nach authentischen Figuren und glaubwürdigen ›Geschichten‹ verlangen, nutzt die Sendung andere Authentifizierungsstrategien, die in Teil zwei besprochen werden.

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Die hieraus entstehende Authentizitätsfiktion und ihr Umgang mit der Tudor-Geschichte wie auch der Ikone Heinrich VIII. wurde infolgedessen sowohl von Rezensenten und Historikern als auch den Zuschauern heftig diskutiert, wobei besonders die Kommentare des renommierten britischen TV-Historikers David Starkey die Debatte anheizten.

Histosoaps als neues Genre Während Romanzen mit historischem Hintergrund in Buchform schon lange als wichtiger Teilbereich der formula fiction wie auch der Populärliteratur im allgemeinen gelten, ist die Seifenoper mit historischem Hintergrund (im Folgenden: Histosoap) ein relativ neues Genre, das auf Serien wie The Caesars (1968, ITV) und I, Claudius (1976, BBC) zurückgeht. Allerdings erfuhr dieses Genre in den 2000ern durch Rome (2005, BBC/HBO/RAI) einen neuen Aufschwung. Charakteristisch für diese Histosoaps sind die auf wenige Charaktere konzentrierte Handlung, das Sendeformat (meist 45- bis 60-minütige Primetime-Ausstrahlungen am Wochenende) und der vergleichsweise hohe Produktionsaufwand von mehreren Million Euro pro Sendestunde. Der Drehbuchautor Michael Hirst selbst bezeichnete seine Aufgabe bei der Produktion von The Tudors als »to turn the Tudor dynasty into a soap opera for TV« (Hirst 2007b: 0'13''). Als Orientierung dienten ihm dabei andere Sendeformate wie The Sopranos oder The West Wing (ebd.: 0'31''). Seine Strategie bei der Dramatisierung sei es gewesen, die ersten Regierungsjahre Heinrichs VIII. in ein neues Licht zu rücken: »I wanted a new Henry. If it was worth doing it would have to be different. It would have to show the Tudor court, it would have to show the king in a different way« (ebd..: 0'57''). Hirst, der bereits für die Kassenschlager über Heinrichs Tochter Elizabeth (Elizabeth [1998] und Elizabeth: The Golden Kingdom [2007]) verantwortlich war, beschrieb den sich aus eingehender Recherchearbeit ergebenden Konflikt mit älteren Darstellungsweisen wie folgt: »Of course there’s a cliché about Henry. It’s that he’s a big fat bearded fellow eating chicken wings, belching and cutting his wives’ heads of. And I knew from my reading that this wasn’t the whole picture« (ebd.: 1'04''). Doch die Produktionsstrategie beruhte nicht allein darauf, Heinrich VIII. ein neues Gesicht zu verleihen und so neue Facetten einer bekannten Persönlichkeit aufzuzeigen. Um die Sendung für ein amerikanisches Massenpublikum attraktiv zu machen, sollte sie nicht wie ein »museum piece« (ebd.: 1'58'') daherkommen, sondern »a tough contemporary resonance« (ebd.: 1'53'') haben. Mittel zu diesem Zweck waren die Charak-

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tere, die dem Publikum Identifikationspotential bieten sollten: »He [Henry VIII] was young, once, and in love; he had issues about divorce and money like everyone else does and it was a huge attempt to make it real, to make it identifiable and sympathetic and real and human« (ebd.: 3'09''). Damit folgt die Serie einem Trend, der allgemein für die Aufbereitung von Geschichte im Fernsehen diagnostiziert wird. So stellt Rainer Wirtz starke Tendenzen zur Personalisierung, Dramatisierung und Emotionalisierung von Geschichte fest: »Erotik und tiefe Gefühle bauen die Brücke zur Gegenwart von einer Vergangenheit, die akribisch in Kostümen, Ausstattung und Drehorten rekonstruiert wird ï authentisch sagen die Macher dazu« (Wirtz 2008: 16). Ähnliche Beobachtungen werden auch von angelsächsischen Kritikern wie Rosenstone getroffen: »film tends to highlight individuals rather than movements or the impersonal processes that are often the subject of written history« (Rosenstone 1988: 1177). Deshalb scheint die Brücke zur Seifenoper, zu deren Charakteristika ebenfalls melodramatische Elemente gehören, nicht allzu weit gespannt. Auch sie pflegt in ihrer konventionellen Form die Fokussierung auf wenige Einzelpersonen, deren Handeln den Plot voranbringt oder bewirkt, dass er sich im Kreis dreht – wie manche Kritiker dem Format vorwerfen: »Stereotype Charaktere und ständig sich wiederholende Rollenklischees bilden die Folie, auf der die Personalisierung von Themen und Konflikten in den Soaps aufbaut [...] Intimisierung und Emotionalität gehören bei der Problemschilderung und Konfliktdarstellung ebenfalls eng zusammen und bestimmen oftmals die inhaltliche Ausrichtung der Geschichten. Auch hier bilden Liebe, Eifersucht und Hass die vorwiegenden Dimensionen, mit denen Ereignisse eingeleitet werden« (Göttlich/Nieland 2000: 172-173).

Die Handlung der Tudors scheint genau dieser Formel zu folgen. Sie konzentriert sich auf den Königshof und wenige Charaktere wie Heinrich VIII., Thomas Wolsey, Anne Boleyn und einen kleinen Kreis intriganter Adeliger, der um Aufmerksamkeit und Gunst des Königs buhlt. Das unaufdringliche continuity editing ebenso wie ständig wiederkehrende Themen – die Sorge des Königs um einen Erben, die aufkeimende Reformation, homines novi – tragen zu einer leicht verständlichen storyline bei. Mehr als der Inhalt der Serie interessiert hier allerdings, wie sie Bezüge zur Vergangenheit herstellt und ihre Inhalte entsprechend authentifiziert.

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A u th e n ti f i z i e r u n g s s tr a t e g i e n i n T h e T u do r s Jegliches Genre des Geschichtsfernsehens muss dem Zuschauer seine Geschichtlichkeit irgendwie glaubhaft machen. Neben Filmtitel oder eingeblendeten Texten als eine Art Analogon des gedruckten »Paratexts« (vgl. Genette 1989) spielen dabei vor allem visuelle Codes wie Kostüme und Kulisse, also die mise-en-scène, eine entscheidende Rolle. Die Bedeutung ›passender‹ Kulissen scheint, vor allem durch den vermehrten Einsatz von Computertechnik, ständig zu wachsen (vgl. Pierson 2005). Dabei ist deren Fülle nicht unbedingt entscheidend: »there must be details, not necessarily many of them, to set the action in a period which the audience unhesitantly places in the past« (Sorlin 1980: 19). Es existieren bestimmte, durch ihre Verwurzelung im kulturellen Gedächtnis privilegierte Objekte, Ereignisse und Personen, die Sorlin als Teil der cultural heritage auffasst und die dem Zuschauer eine schnelle Zuordnung ermöglichen: »it is enough to select a few details from this for the audience to know that it is watching an historical film and to place it, at least approximately« (ebd.: 20). Wie schon in der Einleitung erwähnt, werden häufig authentisch kostümierte und historischen Bildvorlagen angenäherte Schauspieler als solche Einordnungshilfen verwendet. Daher stellt sich The Tudors gerade auf diesem Feld einer schwierigen Aufgabe. Hirst meinte, man habe den jungen Heinrich »because of the iconography« (2007a: 1'40'')1 ï vor allem wegen des berühmten Holbein Porträts ï bisher gemieden: »we see him in a certain way. There is a kind of nervousness about showing him in other ways« (1'56''). Um eine überzeugende Darstellung der Zeit Heinrichs VIII. liefern zu können, war es für die Sendung daher besonders wichtig, für den Zuschauer zwischen dem ›neuen‹ jungen und dem schon bekannten, alten Heinrich eine Verbindung herzustellen. The Tudors etabliert diese Verbindung bereits mit dem vor jeder Episode eingespielten Vorspann. Zunächst werden die Zuschauer mit einer Leerstelle, nämlich dem verwaisten Thron samt Krone, konfrontiert, der mit dem extradiegetischen Ton »You think you know a story« von einer männlichen Stimme kommentiert wird (0'50''-1'01''). In schneller Abfolge prasseln danach die altbekannten, mit Heinrich VIII. assoziierten Bilder auf sie ein (1'01''-1'03''; Abb. 1). Hiernach verkündet dieselbe Stimme: »but you only know how it ends«, und nach einer kurzen schwarzen Blende blitzt ein Bild Anne Boleyns auf (1'05''), das vielen Zuschauern wohl bereits aus dem Kassenschlager The Other Boleyn Girl (2003) bekannt ist. Derart wird das tradierte (Bild-)Wissen zunächst einmal in Frage ge-

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Die folgenden Kommentare von Hirst beziehen sich alle auf (2007a).

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stellt. »To get to the heart of the story«, verkündet die Stimme nach einer Kunstpause, »you have to go back to the beginning«. Dabei werden nach dem ersten wie auch dem zweiten Satzteil abermals bekannte HeinrichBilder gezeigt, die schließlich im Gesicht Jonathan Rhys Meyers’ kulminieren, auf dem die Kamera zur Ruhe kommt (1'09''-1'10''; Abb. 2). Abbildung 1: Eingangssequenz – Historisches Porträt

Quelle: Videostill The Tudors – Erste Staffel Abbildung 2: Eingangssequenz – Jonathan Rhys Meyer

Quelle: Videostill The Tudors – Erste Staffel Durch diesen kurzen Vorspann, der hauptsächlich aus einer Montage von wohlbekannten Heinrich-Bildern mit dem Gesicht des Hauptdarstellers besteht, wird eine Verbindung zwischen dem alten und dem neuen, dem bekannten und dem unbekannten Heinrich, den historischen Quellen und dem Fiktiven hergestellt. Diese Konstruktion suggeriert dem Betrachter eine Kontinuität zwischen den ›beiden‹ Repräsentationen Heinrichs und

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betont die hohe Relevanz der anschließend erzählten Geschichte vom jungen König zum besseren Verständnis des alten. Mehr noch: Erst durch ein neues Unterfangen (»go back to the beginning«) kommt man wie angekündigt zum Herz der Geschichte. Diese Nutzung von Bildern ist einerseits althergebracht: »The use of paintings from the past is another element in the common discourse about film authenticity [...] paintings have been, of course, a major source for motives, gestures, clothing, and customs of earlier periods« (Davis 2009: 18). Andererseits aber stellen sie eine innovative Lösung für Hirsts Vermittlungsproblem dar und ›verbürgen‹ die Authentizität der filmischen Darstellung, indem diese als Vorgeschichte des den Zuschauern bereits Bekannten legitimiert wird. Doch nicht allein Charaktere bieten Orientierung bei der zeitlichen Verortung von historischen Fiktionen. Die gesamte mis-en-scène trägt wesentlich zur Glaubwürdigkeit eines Films oder einer Serie bei (vgl. Hughes-Warrington 2009: 3). Zitate aus einer bekannten Bilderwelt genügen dabei bereits, zu viel staginess dagegen kann die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen: »an overdone period look is static« (Davis 2009: 18). Im Falle der Tudors konnte die ohnehin renommierte Kostümschneiderin Joan Bergin für das Projekt gewonnen werden (und gewann 2007 und 2008 zwei Emmys für ihre Arbeit). So erstrahlen die Tudors in Kleidern, die auf den ersten Blick alle Erwartungen an einen Kostümfilm inklusive der Korsetts, Ballonkleider, Zierärmel, Schulterwülste und Puffhosen erfüllen. Auf den ersten Blick wirken diese Kleider, abgesehen von einzelnen Kostümierungen Rhys Meyers’, die wohl primär der Betonung seines Bizeps oder seines perfekt enthaarten Oberkörpers dienen, recht überzeugend (vgl. Abb. 3 sowie Teil 3) Abbildung 3: Kostüme der ersten Staffel

Quelle: Videostill The Tudors – Erste Staffel

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Erst eine genauere Auseinandersetzung mit Renaissancemoden (deren Kenntnis dem Durchschnittspublikum allerdings abgehen dürfte) lässt erkennen, dass die Kleidung einer Art ›Über-Renaissance‹ entstammt. Die Designerin Bergin bemerkt hierzu: »They [die Produzenten] didn’t want a rigid BBC costume drama. [...] Henry was a Rock Star of his time. So we use a lot of leather and a lot of fabrics which are almost modern. The cut of the collar is high and flattering, with garments cut close to the body to accentuate his physique« (Tudorswiki 2009). Der Drehbuchautor Hirst ergänzt: »We didn’t want another Royal Shakespeare company or ›Masterpiece Theatre‹ kind of thing – all these English actors in period costumes with elaborate and totally contrived mannerisms. We wanted them to be and sound real and think real« (ebd.). Diese Suche nach dem für die Zuschauer überzeugend Realen, das ihm einen Bezugspunkt zur Geschichte bietet, erscheint aber nicht als blinder Produktionsopportunismus. Die Kostümbildnerin Bergin selbst sieht den neu kreierten Stil als eine Dekonstruktion der inzwischen selber zum Klischee gewordenen Bilderwelten: »The thinking behind the costumes was to present a deconstructed Tudor [image so] that the clothes wouldn’t be purist and odd for a contemporary audience [...]. I wanted the clothes to say to a modern audience: ›how sexy‹ or ›how magnificent‹ or whatever – not to be strange. So that meant taking the Tudor garments and adding touches that allow you to relate to them in a modern way« (ebd.).

Das Ziel der Macher von The Tudors besteht also nicht darin, eine möglichst akkurate englische Renaissance abzubilden, die für den an Quellen messenden Historiker authentisch wäre. Vielmehr bemühte man sich, eine Vergangenheit heraufzubeschwören, zu deren Charakteren und Lebenswelt die Zuschauer leichten Zugang finden. Dieser Versuch, etwas ›EchtAuthentisches‹ zu schaffen, das eine innere Kohärenz besitzt, wird von Rainer Wirtz als »Authentizitätsillusion« bezeichnet – ein Begriff, der Kritik an solchen Darstellungsformen bereits impliziert (Wirtz 2009: 13; vgl. auch ebd.: 75).

» S h a m e o n t h e B B C f o r p r o d u c i n g i t« : D i e K r i ti k e r Viele der obigen Authentifizierungsstrategien wurden von den ersten Rezensionen der Sendung aufgegriffen. Eine New York Times-Kritikerin bemerkte: »Mr. Rhys Meyers is a gifted actor and works the shadows of his character with gusto, even though he is an odd fit for the larger-than221

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life role of Henry [...] his build and coloring are so different from the way the king was depicted by Holbein and other painters« (Stanley 2007). Zwar übt die Rezensentin in ihrem Artikel auch Kritik an der Spielweise Rhys Meyers’, signifikant erscheint aber vor allem ihr Verweis auf die mangelnde Ikonizität (vgl. Teil 2). Die gleiche Unzufriedenheit mit der Körperlichkeit des Schauspielers zeigt ein britischer Sunday Times-Kolumnist: »As played by Jonathan Rhys Meyers, Henry is a rather unconvincing king. He might have chest muscles you could crack walnuts on, and, yes, women’s magazines will soon be publishing supplements devoted to the way he eats a pomegranate, but he’s just not scary and powerful enough« (White 2007). Doch auch umgekehrt begrüßten Rezensenten – hier des Guardian – die Entscheidung der Produzenten, mit den alten Heinrich-Bildern zu brechen: »This new series should not be missed. For starters, it has opted to dispense with the idea of Henry as a fat bloke with a ginger beard who spends most of his time flinging turkey legs over his shoulder« (Wilde 2007). In einer Preview der Sunday Times konnte man hierzu lesen: »Although the king’s image has been immortalised in the surviving portraiture as a bloated, middle-aged tyrant, the makers of The Tudors insist Rhys Meyers, 29, is not mere Hollywood casting, but a fitting choice to play the young and apparently once sexy king of 16th-century Tudor England. ›A number of sources testify that as a young man, Henry was the handsomest prince in Christendom‹ says Brian Kirk, the Irish director who is shooting episodes five and six. ›Jonny utterly epitomises the chivalric ideal‹« (The Sunday Times 2007).

Diese Gespaltenheit zwischen der Inauthentizität verglichen mit historischem Bildmaterial und der Freude an der Innovation fasst eine weitere New York Times-Kritikerin zusammen: »For a guy playing Henry VIII, Jonathan Rhys Meyers was looking very skinny in his jeans.« Zugleich beschreibt sie The Tudors aber als ein Programm »which critics could take or leave but many viewers are eating up (the costumes! the sets! the sex scenes!)« (Gates 2008). Die Kostüme bieten einen weiteren Anlass zur Kritik. Eine Journalistin der New York Times bemerkte: »The Tudors has always struggled to calibrate a tone, both aural and visual, that might feel true to its period without seeming absurdly anachronistic« und kritisierte zugleich: »The show lets modernity blaze through in the form of implausibly wellgroomed faces« (Bellafante 2008). Die Historikerin Anne Whitelock, selbst Autorin von Büchern über die Tudor-Geschichte stellte im Guardian die Frage, ob Heinrich nun wirklich ein »Einfaltspinsel in Lederhosen« gewesen sei und antwortet im Artikel selbst:

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»The costumes are inaccurate – apparently intentionally. Joan Bergin, the Emmy-winning designer, sought to present a ›deconstructed Tudor‹ [...], but perhaps she underestimates the historical sensibilities of the viewer. The king’s traditional cloak, doublet and hose is replaced by leather trousers and there is a preponderance of plunging necklines and tight bodices« (Whitelock 2007).

Im Resümee eines umfassenden Artikels, der den Mangel an historischer Authentizität kritisiert, bemerkt sie allerdings: »The dialogue is at times farcical, the characters absurdly glamorous, the chronology confused and the factual errors glaring [...] This is doubtless history sexed up, and dumbed down. But beyond the bodice-ripping, the furtive looks and whispered asides, there is a version, though heavily glamorised, of political reality; a sense of the fragility of royal favour, the sexual powerplay of court life« (Whitelock 2007).

Whitelock scheint die Absichten der Produzenten zumindest teilweise anzuerkennen. Einerseits bemängelt sie aus historiographischer Perspektive den losen Umgang mit dem historischen Stoff. Andererseits honoriert sie den Versuch der Serie, wesentliche Merkmale einer Epoche für ein modernes Publikum zu aktualisieren. Unkritischer hielt es dagegen die New York Times: »The Tudors looks wonderful; the sets and costumes are magnificent, the cinematography is luminous and lush. The fragility of life in 16th-century Europe is vividly rendered« (Stanley 2007). Mit Blick auf das Genre wiederum schreibt Jon Wilde im Guardian: »The Tudors, already screened in America to critical acclaim, is not intended to be an authentic, documentary piece and there is little respect for historical fact [...] In effect, what we get is Henry VIII as the first rock star. About time too« (Wilde 2008). Weitere Kritik zielte ï wie wohl bei den meisten erfolgreichen Geschichtsdramen und Histosoaps ï auf den leichtfertigen Umgang mit historischen Fakten. The Tudors ordnet nicht nur auf der visuellen Ebene, sondern auch in der Storyline die Faktentreue häufig dramatischen Zwecken unter. Möglich gemacht wird dies natürlich erst durch die mit überzeugend wirkenden Bildern hervorgebrachte Authentizitätsfiktion, welche die Geschichtlichkeit des Geschehens suggeriert. Allein die erste Staffel weicht aber an zahlreichen Punkten von der historischen Vorgabe ab. Auf dem von den Produzenten für Fans gewarteten und von diesen mit Inhalten versehenen Tudorswiki werden in einer offenen Liste mehr als 50 Divergenzen geführt. Diese reichen vom Gebrauch falscher Musketen über eine gestauchte Zeitlinie bis hin zur Verfremdung historischer Personen. Hier sei nur der letztlich komplett fiktive Charakter Margaret Tudor erwähnt, die in der Serie als Heinrichs einzige Schwester auftritt 223

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und zunächst den König von Portugal, später dann den Höfling Charles Brandon heiratet. Diese Rolle ist ein Amalgam zweier historischer Persönlichkeiten: Mary Tudor, Heinrichs jüngere Schwester, ehelichte zunächst den König von Frankreich und anschließend eben jenen Charles Brandon, während seine ältere Schwester Margaret Tudor Jakob den Vierten von Schottland heiratete und schließlich zur Großmutter Maria Stuarts wurde. Hirst begründet sein Umschreiben der Geschichte mit den Produktionsbedingungen: »I didn’t want two Princess Marys on the call sheet [...] because it might have confused the crew« (Gates 2008). Kein Wunder also, dass ein derart kreativer Umgang mit Geschichte starke Reaktionen hervorrief. Verschiedene Rezensenten kritisierten die Serie: »The king’s physical appearance may be a minor point, really, when you consider the historical facts that The Tudors have played fast and loose with« (Gates 2008).2 In derselben Rezension verteidigt Hirst sein Vorgehen: »Showtime commissioned me to write an entertainment, a soap opera, and not history [...] And we wanted people to watch it« (ebd.). Dieser Kompromiss zwischen erzählbarer story und Faktentreue ist charakteristisch für viele Geschichtsdramen. Denn die Umsetzung einer Erzählung in ein primär visuelles Medium unterliegt besonderen Gesetzen. Diesbezüglich merkte der amerikanische (Fernseh-)Historiker Rosenstone an: »the inevitable thinning of data on the screen does not for itself make for poor history« (Rosenstone 1988: 1177), führt allerdings an gleicher Stelle weiter aus: »film tends to highlight individuals rather than movements or the impersonal processes that are often the subject of written history« (ebd.). Doch natürlich bergen solche Tendenzen auch Gefahren für die filmische Geschichtsdarstellung: »woe to those aspects of history that can neither be illustrated nor quickly summarised« (ebd.: 1178). Die Schwelle dieser medienimmanenten Reduktionsleistung scheint für die Tudors relativ niedrig angesetzt gewesen zu sein. Ein Leserbrief im Daily Telegraph kommentiert die Figur Margaret Tudor ironisch: »My reference books have disgracefully failed to record the marriage of a Tudor princess, Margaret, to a Portuguese king whom she subsequently suffocated, as portrayed in The Tudors, now running on BBC2 [...] Where is Dr David Starkey when we need him?« (Meikle 2007).

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Vgl. auch: »The Tudors [...] plays a game of historical hopscotch. Timelines are abbreviated, papacies are rearranged, and while the show’s creators have adequately defended these practices as a means of narrative efficiency, they have yet to be held accountable for producing a version of Tudor England that appears to have been spritzed with Febreze« (Bellafante 2008).

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Eben jener Dr. Starkey, der Geschichtspapst des britischen Fernsehens, gilt als Garant für historische Authentizität und Faktentreue. Seine Programme wie The Monarchy (2004-2006) oder The Six Wives of Henry VIII (2004) erreichen ein Millionenpublikum. Zudem macht er regelmäßig durch kontroverse Kommentare auf sich aufmerksam, so etwa die mit der Behauptung, Schottland, Wales und Irland seien »feeble little countries« (BBC 2009), oder die neue Geschlechtergeschichte trivialisiere die Vergangenheit (Adams 2009). Im Falle der Tudors musste obiger Telegraph-Leser sich allerdings noch ein Jahr gedulden, bis Starkey angesichts der zweiten Staffel von The Tudors umso öffentlichkeitswirksamer Einspruch erhob: »›The Tudors is terrible history with no point,‹ Starkey said at the Cheltenham literature festival. ›It’s wrong for no purpose. I’ve got no problem with getting history wrong for a purpose – Shakespeare often got things wrong for a reason. But it’s the randomised arrogance of ignorance of The Tudors. Shame on the BBC for producing it‹« (zitiert nach Kennedy 2008)

Abgesehen davon, dass die BBC nur die Rechte für die Serie erworben hatte, traf diese Kritik in dieselbe Kerbe wie bereits andere Rezensenten in den vorhergehenden Monaten, wobei Starkey sie öffentlichkeitswirksam in mehreren nachfolgenden Interviews wiederholen konnte: »In this film the costumes belong to a Tudor never-never land, and the modes of transport were clearly bought lock, stock and barrel from a Jane Austen leftover as all the Tudors seem to go around in hackney cabs« (zitiert nach Martin 2008). Wie andere nahm auch er an der fiktiven Hochzeit Margarets mit dem König von Portugal Anstoß: »There’s only one reason for that: so that she can have a bonkorama in a supposed ship’s cabin with the hunk who plays the Duke of Suffolk« (ebd.). Der Historiker wehrte sich vor allem gegen das Seifenoperformat und die entsprechenden Plotelemente: »Speaking later to The Times, Dr Starkey said that the corporation had translated the Tudors into the crass world of the American soap series« (Foster 2008). Diese sind für ihn gleichbedeutend mit der Amerikanisierung (sprich: Verdummung) des britischen Fernsehpublikums: »The series was made with the original intention of dumbing it down so that even an audience in Omaha [in Nebraska] could understand it« (zitiert nach Martin 2008). Mit diesem Vorwurf verband er einen unmittelbaren Angriff auf die britischen Rundfunkgebühren (Starkeys eigene Produktionen laufen auf dem privaten Sender Channel 4): »Whoever is responsible for it should be carpeted. People should address these issues publicly. At a time when they are agitating about the licence fee and their status as a public service broad-

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caster, this is as great a scandal in magnitude as Jonathan Ross’s contract« (Foster 2008). In der Debatte, die von den großen britischen Tageszeitungen wie Guardian, Daily Mail, Daily Telegraph und Times publiziert wurde, meldete sich auch die BBC selbst zu Wort. So erklärte eine Sprecherin des Senders: »The Tudors was acquired not as a drama-documentary but a highly authored and entertaining interpretation of events in a period in history, which has always been made clear. Executive producer and writer Michael Hirst is an acclaimed screenplay writer with films such as Elizabeth starring Cate Blanchett to his credit, so the production has a huge amount of respected talent behind it« (Foster 2008).

Schon im Juli desselben Jahres hatte Heinrich-Darsteller Rhys Meyers die Dramatisierungen der Serie verteidigt (vgl. Alleyne 2008). Ob es The Tudors nun gelingt, das Gefühl einer Epoche für ein modernes Publikum einzufangen und eine neue Seite Heinrichs VIII. zu zeigen, oder aber die Serie eine »dumbed down version« britischer Geschichte ist, wird keine Feuilletondebatte entscheiden können. Inwiefern die auf visueller Ebene zunächst überzeugende Authentizitätsfiktion The Tudors dem Geschichtsbewusstsein des Fernsehpublikums durch zu starke Fiktionalisierung schadet, ist nicht zu vorherzusagen. Letztlich stellt sich die Frage, wie die Zuschauer mit solchen Medienprodukten umgehen.

»Thank you for pointing out the i n a c c u r ac i e s« : D i e Z u sc h au e r r e a k t i o n e n Die Reaktion von Zuschauern auf die Serie lässt sich über Kommentare im Internet zu oben bereits zitierten Zeitungsartikeln exemplarisch bestimmen. Leider bieten nur Guardian und Daily Mail diese Funktion an, aber es finden sich auch auf Themenseiten wie Tudorswiki Beiträge zur Debatte. Natürlich gilt es zu bedenken, dass eine solche Auswahl nie repräsentativ sein kann, sondern lediglich die Meinung einzelner, im Internet präsenter und zudem überdurchschnittlich interessierter Nutzer wiedergibt. Dennoch lassen sich auf dieser rein qualitativen Ebene im Wesentlichen vier verschiedene Reaktionen auf Starkeys Kritik unterscheiden. Eine leichte Mehrheit der Nutzer (vor allem des Guardian) schließt sich in mehr oder minder differenzierter Weise dem Urteil des Historikers an. Dabei nehmen manche Kommentatoren den Vorfall zum Anlass, Pauschalkritik an als »amerikanisch« wahrgenommenen Geschichtsfor226

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maten zu üben: »It may seem trivial to some but a widespread belief in a past which is largely fantasy offers itself up as easy prey to manipulating politicians. The ultimate result is the USA where ignorance of history and/or the rest of the world revolves around the likes of John Wayne and Mel Gibson« (F101Voodoo 17.10.2008, vgl. auch columbus 17.10. 2008). Die Tudors werden als Symptom eines allgemeinen Trends wahrgenommen: »I think the problem here is that David Starkey has a point, simply because people will believe what they are watching – and the same goes for recent historical films/novels I’ve read« (Redmond 16.10.2008). In einer abgemilderten Spielart folgen andere User der Kritik, betonen dabei aber, dass Dramatisierung und auch Vereinfachung an sich legitim seien. Allerdings seien in der Serie Fehler gemacht worden, die über künstlerische Freiheit hinausgingen und schlichtweg Geschichte verfälschen: »The sad thing about all of this is that one can do good drama and good history at the same time. [...] There is nothing wrong with elaborating and creating fictional scenes that go beyond what is known in history, but there is something basically wrong with distorting history and presenting untruths« (RCS 17.10.2008). Dabei spricht nach Ansicht dieser Fraktion die Summe vieler kleiner und einiger großer Fehler gegen die Serie: »They give the game away. Good research would have picked up these details. But it seems to me the makers of The Tudors didn’t do really good research, because they didn’t really care« (columbus 17.10.2008). Die Dramatisierung, die nach Meinung der Produzenten den Stoff einem heutigen Publikum erst zugänglich macht, wird von diesem Teil der Zuschauer als Willkür gesehen: »the liberties are purely wanton: the real thing was just as, if not more, innately dramatic, so why bother to get it wrong when it was just as easy to get it right?« (belmont 17.10. 2008). Eine dritte große Gruppe an Usern hingegen ist der Meinung, dass der mündige Konsument in der Lage sei, zwischen Fakten und Unterhaltung – und damit auch verschiedenen Fernsehformaten – zu unterscheiden. Sie betonen häufig, die Serie sei für sie und andere erst der Ausgangspunkt, sich eingehender mit Tudor-Geschichte auseinanderzusetzen: »Thank you to Mr. Starkey for pointing out the inaccuracies of this fine semi historical drama. However, as other readers have pointed out, it is good entertainment and it also causes one to search out more of English history. I, for one, have read far more about Englands [sic] history than I may ever have intended« (Densley 17.10.2008). Geschichtswissen, so diese Position, muss einen nicht daran hindern, The Tudors als Unterhaltungssendung zu genießen:

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»It’s a Drama, not a magical porthole into the past. Of course there will be inaccuracies. I find the Tudor period fascinating but I’m not stupid enough to be watching this in the belief that its [sic] a documentary« (Rebecca 24.10.2008). »I know a lot about Tudor history and so was aware of the many diversions from the truth in the series. I would like to say how much I enjoyed it though. It was absorbing, passionate drama, and thoroughly entertaining. Since seeing the Tudors I have researched further and know even more about the time« (Jane 17.10.2008).

Diese Kommentare scheinen weitgehend mit der Meinung der Macher selbst überein zu stimmen: »Mr. Hirst decided that any confusion created by the changes is outweighed by the interest the series may inspire in the period and its figures. To that end, he wants to emphasize the similarity to the current era« (Gates 2008). Doch diese Position erregt selbst im Fanlager Bedenken. Kritische User haben dabei eine schweigende Mehrheit im Kopf, die – so ihre Befürchtungen – den fiktionalen Charakter der Serie nicht einschätzen kann. Sie geben an, die Serie als reine Unterhaltung zu sehen, sind sich aber zugleich nicht sicher, ob alle anderen Zuschauer derart differenzieren: »The problem is there will be some people who will believe that the inaccurate events in this show are true and go around thinking they are historians« (DuchessGrey 29.5.2009). Diese Kommentare können als Selbstzeugnisse gesehen werden, die uns Auskunft über die Forennutzer selbst geben. Diese sehen sich als besonders aktiven und informierten Teil des Publikums: »I agree that we should enjoy the Tudors for what it is [...] But, there are a larger pool of people who won’t take their interest any further than their living room. They’ll assume that what took place on the show is what took place in reality« (Brunet 18.10.2008). Obwohl in solchen Äußerungen ein gewisser Paternalismus mitschwingt, der auch Kritikern wie Starkey zueigen ist, zeigen sie dennoch, dass ein Teil – aber eventuell eben doch nur ein Teil – des Publikums zu kritischer Rezeption in der Lage ist. Die Auswertung der Forenbeiträge lässt zumindest eines erkennen: Viele Fernsehzuschauer sind keineswegs nur passive Konsumenten, sondern sind sich des Genres und der Qualität ihrer Programmauswahl durchaus bewusst. Zudem sind sie bereit und werden teils sogar vom Fernsehen dazu angeregt, andere Medien zu ausgesuchten Sachthemen zu konsultieren. Und dennoch scheint David Starkey keineswegs als Einziger der Ansicht zu sein, dass die Dramatisierung in The Tudors historische Geschehnisse zum Teil mehr als nötig verflacht und der Balanceakt zwischen Gegenwartsrelevanz und Faktentreue mit Vorsicht zu genießen ist.

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Authentisch? Und wenn ja, für wen? Der geschilderte Konflikt scheint aus verschiedenen Ansprüchen an die Authentizität einer Primetime-Histosoap zu erwachsen. Auf der einen Seite der Auseinandersetzung stehen Produzenten, die einen hohen Grad an Authentizität vor allem über visuelle Codes definieren, die es dem Zuschauer ermöglichen, sich der Geschichte anzunähern und die erzählte Story als für sich relevant zu erleben. The Tudors versucht so mit innovativen Mitteln das alte Holbein-Bild um das eines jungen, attraktiven Heinrich zu ergänzen, wie ihn im Übrigen auch zahlreiche Quellen des 16. Jahrhunderts schildern (vgl. Das 2007). Dennoch bleibt die resultierende Histosoap natürlich (r)eine Fiktion: »even if it appears to show the truth, it in no way claims to reproduce the past accurately« (Sorlin 1980: 21). Dagegen definiert der Historiker Authentizität zunächst als Faktentreue im Hinblick auf die richtigen Fuhrwerke und Waffen, aber auch die richtigen Personen und Zeitlinien. Er vergleicht ebenso wie kritische Rezensenten und Zuschauer die audiovisuelle Erzählung zuerst mit den Geschichtsbüchern, wobei letztere immer noch einen privilegierten Platz einnehmen: »no matter how serious or honest the filmmakers and no matter how deeply committed they are to rendering the subject faithfully, the history that finally appears on the screen can never fully satisfy the historian as historian (although it may satisfy the historian as filmgoer)« (Rosenstone 1988: 1173). Das Argument, dass eine Vereinfachung der Geschichte in diesem Genre zugleich eine Verdummung des Konsumenten dieser Produkte bedeutet, scheint dabei allerdings angesichts der differenzierten Mediennutzung (vgl. Teil 4) nicht zwangsläufig zu greifen. Ein letztgültiges Urteil ist hier allerdings ohne eine weitere Binnendifferenzierung des Publikums unmöglich. Dieser wohl unauflösbare Widerstreit zwischen einer »inneren Authentizität« einerseits, die durch Bilderwelt und Plot entsteht, und einer »äußeren Authentizität« andererseits, die eine Histosoap im Vergleich zur Faktenfülle defizitär erscheinen lässt, stellt keinen singulären Konflikt dar (vgl. etwa Wirtz 2009: 14). Eine ambivalente Grundhaltung gegenüber solchen populären Geschichtsdarstellungen ist wohl – gerade beim Fachhistoriker – nicht auszumerzen. Sie kann letztlich nur noch durch simplifizierende Popularisierungs- und Authentifizierungsstrategien der Medienmacher verschärft werden.

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Z I R K E L S C H L Ü S SE D E R A U T H E N T I Z I T Ä T : D A S E R L E B E N V O N G E S C H I C H T E I M AU S T R A L I S C H E N TV-R E E N A C T M E N T O U T B A C K H O U S E ANJA SCHWARZ Im Juli 2005 nahm eine der jüngsten Debatten um Australiens postkoloniale Geschichtsschreibung ihren Anfang. Die Autorin Kate Grenville war eingeladen worden, im »Books and Writing Program« des Senders Radio National ihr jüngstes Buch The Secret River (2005) vorzustellen. Der Roman orientiert sich, wenn auch nur lose, an der Lebensgeschichte von Grenvilles Vorfahren Solomon Wiseman, der 1817 aus London als Sträfling in die Kolonie New South Wales gebracht worden war und nach Ableisten seiner Strafarbeit schließlich sehr erfolgreich eine Fährstation am Hawkesbury River betrieben hatte. Die gastgebende Journalistin Ramona Koval war voll des Lobes und beurteilte The Secret River abschließend als »a wonderful and disturbing novel, full of detail about life and work in the colony […], and daring descriptions of the land and the strangeness of the encounters between black and white people« (Koval 2005). Der Streit, der Autoren und Historiker über Monate beschäftigen sollte, entfachte sich dann auch weniger an Grenvilles Roman denn an deren Antwort auf die Frage Kovals, wo sie ihr Buch in Bezug auf die australischen ›History Wars‹ positionieren würde.1 Die ›History Wars‹, Debatten um Inhalt und Form der Kolonialgeschichtsschreibung Australiens, haben spätestens seit den geschichtspolitischen Interventionen der von 1996 bis 2007 regierenden Koalition unter Premierminister John Howard australische Historiker und Intellektuelle entzweit und in zwei Lager – eine ›Black Armband‹-Fraktion auf der linken und eine ›White Blindfold‹-Gruppe auf der rechten Seite des politischen Spektrums – gespalten.2 Zunächst schien es so, als wolle Grenville

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»So, where would you slot your book, if you were laying out books on the history wars? Whereabouts would you slot yours?« (Koval 2005). Hierbei handelt es sich jeweils um Zuschreibungen des politischen Gegners. Siehe Blainey (1993) und Reynolds (in Attwood/Foster 2003: 16).

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mit ihrer Antwort auf Kovals Frage sich und ihren Roman aus diesen Diskussionen heraushalten: »Mine would be up on a ladder, looking down on the history wars. […] [A] novelist can stand up on a stepladder and look down at this, outside the fray, and say there is another way to understand it […] actually experiencing what it was like, the choices that those people had. […] The historians are doing their thing, but let me as a novelist come to it in a different way, which is the way of empathising and imaginative understanding of those difficult events. Basically to think, well, what would I have done in that situation, and what sort of a person would that make me?« (zitiert nach Koval 2005).

Grenvilles Aussage brachte eine Reihe von Historikern auf die Barrikaden, die es nach eigener Aussage leid waren, sich einer ständig wachsenden Anzahl von Schriftstellern gegenüber zu sehen, die sich als Historiker gerierten und für ihre fiktiven Texte den Status von Geschichte beanspruchten. Mark McKenna beklagte entsprechend »the rise of the novelist as historian, of fiction as history« (McKenna 2005). So wurde zunächst Grenvilles Anspruch auf einen anderen, möglicherweise ertragreicheren Zugriff auf die Vergangenheit (»outside the fray and say[ing] there is another way to understand it«) als Versuch der Schriftstellerin gewertet, sich auf ein Territorium vorzuwagen, das für sie tabu sein müsste. Inga Clendinnen, Grenvilles härteste Kritikerin, unterstellte der Autorin in einem wütenden Kommentar dann auch, auf fremdem Territorium zu wildern und das Vorhaben zu verfolgen, Historiker aus dem ihnen angestammten Feld zu vertreiben (Clendinnen 2006: 16).3 Grenville beschreibt ihren ›anderen‹ Zugang zur Vergangenheit als erfahrungsgeleitet: Körperliche und sinnliche Erfahrungen sollen Informationen darüber vermitteln, wie die Autorin und ihre Leser sich selbst im 19. Jahrhundert verhalten hätten. Auch hier waren die Einwände der Historiker zahlreich. So wies Clendinnen darauf hin, dass Grenville unter den veränderten historischen Bedingungen nicht die gleiche Person gewesen wäre und eine derartige imaginäre Zeitreise somit unmöglich sei

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Eine Zusammenfassung der Debatte findet sich in Macintyre, S. and A. Clark (2003). The History Wars. Melbourne: Melbourne University Press. Grenville hat sich seitdem mit dem Hinweis verteidigt, sie habe mit der im Radiointerview gewählten Metapher keinesfalls einem Gefühl der Überlegenheit Ausdruck geben wollen. Vielmehr sei es ihr darum gegangen, ihren Zugang ausdrücklich als literarisch zu kennzeichnen: »[I pictured myself] perched up high on a removed vantage point where I could watch [the history wars] but not be involved« (Grenville 2007: 70, 72).

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(Clendinnen 2006: 20).4 Ähnlich hatte schon John Hirst in seinem Sense and Nonsense in Australian History argumentiert: »Kate Grenville cannot imagine how she would have behaved on the Hawkesbury frontier […] The pioneer settlers are not ourselves« (Hirst 2005: 87). Ich habe diesen Aufsatz mit einem kurzen Einblick in die Debatte um The Secret River begonnen, weil sie epistemologische Fragestellungen berührt, die denen, die von historischen Reenactments aufgeworfen werden, nicht unähnlich sind. Wie Grenville behaupten diese Geschichtsdarstellungen einen anderen und möglicherweise unmittelbaren Zugang zu den Vergangenheiten, die ihre Teilnehmer nacherleben; wie von Grenville für ihre schriftstellerische Arbeit beansprucht werden auch im Reenactment Einsichten in die Vergangenheit über sinnliche und körperliche Erfahrungen gewonnen. So behaupteten Teilnehmer von Outback House (ABC, 2005), eines im Erscheinungsjahr von The Secret River ausgestrahlten australischen Living History-Formats, das im Folgenden im Zentrum meiner Betrachtungen stehen soll, sie gehörten zu jener seltenen Sorte Menschen, die tatsächlich in der Vergangenheit gelebt hätten.5 Russell, einer der ›Farmarbeiter‹ des Programms, fügt erläuternd hinzu: »What you’ve got to think about is that we lived it. We actually lived 1861. It was three-dimensional for us« (Outback House 2005: Seq. 8, 47'27''). Outback House teilt diese Betonung eines körperlichen Erlebens von Vergangenheit mit einer ganzen Reihe von Living History-Formaten des Fernsehens wie beispielsweise The Ship (ABC/BBC 2, 2002) und The Colony (SBS, 2005) in Australien, The Trench (BBC 2, 2002), 1900 House (Channel 4, 2000) und 1940’s House (Channel 4, 2001) in Großbritannien oder Die Bräuteschule 1958 (ARD, 2007),6 Abenteuer 1927: Sommerfrische (ARD, 2005) und Steinzeit: Das Experiment. Leben vor 5000 Jahren (ARD/SWR, 2007) in Deutschland, die ihren Zuschauern ebenfalls einen affektiven, erfahrungsgeleiteten Zugang zur Vergangenheit versprechen. Diese Programme bestehen formal aus einem regelrechten Mix verschiedenster TV-Genres und greifen unter anderem auf die populärkulturelle Tradition des historischen Reenactments, auf Konventionen des Dokumentarfernsehens und auf die zuerst bei Big Brother 4 5

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»Grenville would not have been Grenville in ›that situation‹. We cannot post ourselves back in time« (Clendinnen 2006: 20). »[We are] the very rare people who have actually lived in the past, which no-one can really do as we have done.« So die Aussage von Bernie, der die Rolle des Schäfers der Farm übernommen hatte, in einem retrospektiv geführten Interview« (Outback House 2005: Seq. 8, 46'05''). Vgl. zur ARD-Reihe Die Bräuteschule 1958 den Beitrag von Christa Klein im vorliegenden Band.

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etablierte Laborsituation vor laufenden Kameras zurück, um die Illusion eines tatsächlichen Erlebens von Geschichte zu gewährleisten. Der Sender ABC vermarktete Outback House dementsprechend als »[an] incredible experience of living history«,7 das eine Gruppe von Australiern dokumentarisch auf einer Zeitreise in die Vergangenheit begleitet, wo sie drei Monate lang eine Schaffarm genau so bewirtschaften sollten, wie es ihre Vorfahren im 19. Jahrhundert getan hatten. Wie der oben stehende Kommentar des zeitreisenden Farmarbeiters Russel zeigt, lohnt es sich, die Authentizitätsbehauptung von Programmen dieser Art auf Gemeinsamkeiten mit der Debatte um Kate Grenvilles Roman hin zu untersuchen. Dabei gehen deren Ähnlichkeiten über das Privilegieren eines körperlichen Zugangs zur Vergangenheit und die entsprechende Zurückweisung von wissenschaftlicher Quellenanalyse und -interpretation als Mittel des historischen Erkenntnisgewinns hinaus: Das Narrativ von Outback House lässt eine Motivation für die Beschäftigung mit der australischen Kolonialgeschichte sichtbar werden, die der Kate Grenvilles ähnelt. Wie ich zeigen möchte, artikulieren beide den Wunsch nicht-indigener Australier, sich in die Geschichte des fünften Kontinents fest einzuschreiben. Während bereits darauf hingewiesen wurde, dass australische Reenactments sich primär mit der Kolonialgeschichte des Landes auseinandersetzen (Agnew 2007: 301-302) und dabei meist den psychologischen Bedürfnissen der Nachfahren weißer Kolonisten Ausdruck geben (Arrow 2007; Elders 2007), so möchte ich diese Programme mit Grenvilles Aussagen zu ihrer schriftstellerischen Praxis in Beziehung setzen, um zu zeigen, wie beide dieses Projekt mit bestimmten Authentizitätsbehauptungen verknüpfen. Während ich im Folgenden zunächst Grenvilles Verständnis von »empathising and imaginative understanding« genauer untersuche, geht es mir in einem zweiten Schritt um jene Szene, um die sowohl Grenvilles Roman als auch das historische Reenactment von Outback House permanent zu kreisen scheinen: dem vorgestellten Ur-Moment des Kulturkontakts, von dem aus die Geschichte der Rassenbeziehungen des Kontinents ihren Anfang nahm. Diese imaginäre Rückkehr an einen (vermeintlichen) Anfang ist von besonderem Interesse, da sie eine Zeitschleife – einen Zirkelschluss der Authentizität – schafft, der einer bestimmten Version von Australiens Vergangenheit geschichtliche Autorität zuspricht, die im Kontext der ›History Wars‹ nicht unschuldig sein kann. Das von Grenville und Outback House entwickelte Narrativ zeigt letztendlich ein Australien, das immer schon erfolgreich besiedelt ist; oder

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Das Zitat findet sich auf dem Umschlag der DVD der Serie, die von ABC vertrieben wird. Alle Zeitangaben im Text beziehen sich auf diese DVD.

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besser (um der für Reenactments charakteristischen Zeitschleife gerecht zu werden): erfolgreich zu besiedeln sein wird.

»What it must have been like« In einer Reihe von Interviews hat Kate Grenville die Bedeutung von körperlichen Erfahrungen sowohl für ihre Arbeit als Autorin historischer Romane als auch für ihre Leser hervorgehoben. Es sei ihr explizites Ziel gewesen, so Grenville, The Secret River zu einem Text zu machen, den man schmecken, riechen und berühren könne. Die Autorin charakterisiert sich selbst als überzeugte Vertreterin eines erfahrungsgeleiteten Verständnisses schriftstellerischer Arbeit8 und hat wiederholt beschrieben, wie sie Einsichten in den historischen Kontext ihres Romans gewinnen konnte, indem sie sich so oft wie möglich körperlich in die Situation ihrer Charaktere begeben und versucht habe, deren Erfahrungen nachzuempfinden.9 So funktionierte sie beispielsweise einen in Tierfett getauchter Stofffetzen zu einer ›Slush-Lamp‹ um, wie sie im 19. Jahrhundert gebräuchlich waren. Erst mit dem Entzünden der Lampe habe sie begreifen können, wie es sich nachts in einer Baumrindenhütte im Outback, umgeben von Dunkelheit, Rauch und den entsprechenden Gerüchen, angefühlt haben müsse.10 Erfahrungen wie diese, davon ist die Autorin überzeugt, haben ihr tiefere Einsichten in den Alltag der Strafkolonie New South Wales um 1817 eröffnet, als akademische Texte es ihr je hätten vermitteln können.11 Eine ähnlich grundsätzliche Abhängigkeit von der »evidence of experience« (Scott 1991: 773-797) lässt sich auch für die schon beschriebenen Living History-Formate des Fernsehens ausmachen. So rekurriert Outback House immer wieder auf die sinnlichen Eindrücke seiner Teilnehmer. Wie Grenville behauptet auch das Fernsehprogramm, dass akademisches Wissen nicht ausreichen kann,12 wenn es um ›wirkliche‹ Ein8

»I am a great believer in the experiential theory of writing« (in Koval 2005). 9 So beispielsweise in Searching for the Secret River. Vgl. auch Grenville in Koval (2005). 10 »When I turned the lights off and lit it [die Lampe], I suddenly understood what it must have been like in a bark hut at night – the dimness, the darkness, the smell and the smoke« (Grenville zitiert nach Brown 2005: 10). 11 »[I learned] more about life in a bark hut on the Hawkesbury in 1817 than all the books in the world could have told me« (ebd.: 12). 12 »[B]ook research can only take you so far« (Grenville zitiert nach Sullivan 2006: 12).

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sichten in die Vergangenheit geht. Obwohl die jeweils im Abspann von Outback House genannten Historiker dem Programm wissenschaftliche Autorität verleihen, hängt das in den einzelnen Episoden vermittelte Wissen um die Vergangenheit weniger von deren Beitrag ab, sondern wird vielmehr über die Erfahrungen der Teilnehmer in der ›Vergangenheitsumgebung‹ des 19. Jahrhunderts performativ hergestellt. Das Programm beginnt mit der Darstellung einer Zeitreise in die Vergangenheit, die für die Fernsehbilder in eine Bewegung im Raum übersetzt wird. So erreichen die Teilnehmer das Jahr 1861, in dem ihr Reenactment angesiedelt ist, erst nachdem sie eine Reihe von Schwellen überschritten haben, die sie von dieser simulierten Vergangenheit trennen. Zunächst wird gezeigt, wie Mitglieder der Familie Allcorn, die die Rolle der Squatter Familie übernehmen werden, ihr Haus in Sydney verlassen und zu einem Trainingscamp auf dem Land fahren, welches die Teilnehmer im Sinne einer Zeitschleuse auf die Vergangenheit vorbereiten soll. Zusammen mit der designierten Köchin des Programms, dem Aufseher, dem Schäfer und den Farmarbeitern trainieren die Allcorns verschiedenste landwirtschaftliche Fähigkeiten und erhalten Unterricht in viktorianischer Etikette. Der eigentliche ›Übertritt‹ in das Jahr 1861 erfolgt schließlich mitten in der Nacht, als die Teilnehmer in ein zur Umkleidekabine umfunktioniertes Zelt geführt werden, und mit der neuen Kleidung auch die Identität der historischen Charaktere annehmen, deren Rollen sie für den Rest des Programms nacherleben sollen. Schließlich marschiert die Gruppe auf ein Gatter zu, das hinter ihr geschlossen wird, um so, wie der Kommentar hervorhebt, die Gegenwart hinter sich zu lassen. Schließlich in der Vergangenheit ›angekommen‹, lassen die sinnlichen Erfahrungen des Simulacrums der Schaffarm des 19. Jahrhunderts die Teilnehmer zu Informanten über das Leben um 1861 werden. Marita Sturken hat für Schauspieler in Historienfilmen einen ähnlichen Prozess beobachtet, deren Aussagen zur Vergangenheit ein Wahrheitsgehalt zugesprochen wird, der demjenigen der Aussagen von überlebenden Zeitzeugen ähnlich ist. »Survivors«, so beschreibt Sturken diese Schauspieler, »tell us the real story, one wrought from experience« (Sturken 1997: 68). Analog wird auch den Geschichtsdarstellern von Outback House aufgrund ihrer körperlichen Erfahrung der Vergangenheitsumgebung der Schaffarm Oxley Downs die Autorität zugesprochen, wahre Aussagen über das Leben im australischen Outback des 19. Jahrhunderts zu machen. Historisch adäquaten Kleidungsstücken kommt bei der Herstellung dieser auf Erfahrung rekurrierenden Erkenntnisse eine wichtige Rolle zu, und hier, wie auch in weiteren TV-Reenactments des 19. Jahrhunderts,

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ist die Unterwerfung des weiblichen Körpers unter ein viktorianisches Kleidungsregime von besonderer Bedeutung für die Authentizitätsbehauptung des Programms (Müller/Schwarz 2008). So informiert uns der Kommentar, während wir sehen, wie sich die weiblichen Programmteilnehmerinnen umziehen: »1861 was the age of the tight corset, the crutchless pantaloon and the looped crinoline. Our wardrobe department has recreated everything down to the finest period detail« (Outback House 2005: Seq. 1, 8'20''). Viktorianische Kleidungsstücke werden somit als Instrumente der Disziplinierung von Frauenkörpern des 21. Jahrhunderts in Szene gesetzt, die im Sinne von Zeitreisemaschinen funktionieren: Sie passen nicht nur das Aussehen dem 19. Jahrhundert an, sondern reglementieren über Korsett und ähnlich körperformende Wäschestücke sogar Körperumrisse und -haltungen. Julie Allcorn kommentiert ihre Verwandlung in diesem Sinne: »I’ve got my stockings on […] the corset – and this is the beginning. [Während sie einen Unterrock anzieht:] Look at this lacework! Unbelievable. [Nach einer Reihe weiterer Unterröcke:] I’m getting bigger, I’m getting bigger here. [In vollem Kostüm, sich him Spiegel betrachtend:] Wow. You feel like a princess. That’s beautiful. Absolutely stunning« (Outback House 2005: Seq. 1, 8'45''9'25'').

Im Foucaultschen Sinne könnte man den Körper Julie Allcorns als »totally imprinted by history« (Foucault 1977: 148) beschreiben; als Verkörperung einer Identität, die von der disziplinierenden viktorianischen Unterwäsche erst hervorgebracht wird. Es besteht jedoch ein grundlegender Unterschied zwischen einem Identitätsverständnis, das diese wie Foucault als Resultat machtvoller Einschreibungen begreift und dem permanenten Rekurs auf körperliche Erfahrungen, wie er von Outback House angeboten wird: Hier werden die Körper der Teilnehmer als Instrumente inszeniert, mit deren Hilfe sich authentische Einsichten in die Vergangenheit gewinnen lassen, während ihre Identität davon unangetastet bleibt. Mehr noch: Gerade die als stabil angenommene Identität der ›Zeitreisenden‹ ist es, die vermeintliche Einsichten in die Vergangenheit erst möglich macht.

» Y o u w a n t to g o b a c k 2 0 0 y e a r s« Die Kategorie der Erfahrung ist zentral für die Authentizitätsbehauptungen von Reenactments. Nun bleibt zu fragen, welche spezifische Perspektive auf die Vergangenheit unter Rekurs auf Erfahrung autorisiert und authentisiert wird. 239

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Outback House war ein Publikumserfolg. Fünftausend Australier hatten sich um eine Teilnahme an dem »experiment in living history« beworben, und darüber hinaus beteiligte sich eine große Anzahl von Zuschauern auf der das Programm begleitenden Website lebhaft an Diskussionen zu den wöchentlichen Episoden. Ein Großteil dieser Kommentare drückte Enttäuschung darüber aus, dass es dem Programm scheinbar nicht gelingen wollte, das 19. Jahrhundert historisch korrekt darzustellen: »Why is it so hard for people«, so die Frage eines Diskutanten (›rural‹), »to ›think‹ themselves back to the 1860s and to try to react accordingly?« (ABC 2005: Message Boards). Kommentare dieser Art deckten ein breites Spektrum ab, das Kritik an der historisch nicht adäquaten Architektur der Gebäude und Ausstattung ebenso umfasste wie am fälschlichen Gebrauch von Vornamen durch die Teilnehmer und am wahrgenommenen Mangel an dem 19. Jahrhundert angemessenen Umgangsformen. Nach jeder Episode wurde die Liste dieser Fehler durch kritische Zuschauer erweitert, die so ihr Fachwissen zum viktorianischen Zeitalter in Australien unter Beweis stellten. Trotz Diskussionen dieser Art, welche die Authentizitätsbehauptung des Programms in Frage zu stellen schienen, waren gerade diese Zuschauer dem Programm positiv zugetan und gaben häufig Gefühlen von Nostalgie Ausdruck, die den Eindruck eines Verlangens nach dem vermeintlich einfacheren Leben im 19. Jahrhundert entstehen lassen: »I suddenly realised that I had lost something living in the 21st century urban Australia, and that is a sense of ›community‹«, beginnt ein Beitrag von ›ASHNIC‹ vom 7. August 2005. »Despite our modern technology and easy lifestyle, ›community‹ is something that seems to have been lost somewhere between 1861 and 2005« (ebd.). Kommentare dieser Art lassen die gegenwärtige Popularität von Living History-Formaten im australischen Fernsehen als Ausdruck eines generellen Wandels im Verhältnis nicht-indigener Australier zu ihrer Kolonialgeschichte sichtbar werden; ein Wandel, den Ian Baucom (1999: 164-189) und Paul Gilroy (2004) in Bezug auf Großbritannien im Sinne einer postkolonialen Melancholie beschrieben haben, die sich, wenn auch in abgewandelter Form, auch in ehemaligen ›Settler Colonies‹ wie Australien und Neuseeland beobachten lässt. In Bezug auf die globalen Dimensionen dieses populärkulturellen Interesses an Geschichte stellte Andreas Huyssen schon im Jahr 2000 fest, dass Fragen nach dem kulturellen Gedächtnis zu einem der zentralen Anliegen westlicher Gesellschaften geworden seien (Huyssen 2000: 21). Er versteht diesen gegenwärtigen Boom der ›Gedächtnisindustrie‹ als konservative Reaktion auf mit der Globalisierung einhergehende Prozesse von Deterritorialisierung. So drücke die gegenwärtige Konjunktur von Gedächtnisdiskursen ein Begehren nach räumlicher und zeitlicher Verankerung in einer Welt aus,

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deren Konturen aufgrund immer engerer Verflechtungen von Raum und Zeit zunehmend in Fluss geraten seien (ebd.: 36). Charakterisiert wird diese Entwicklung, so Huyssen, nicht allein durch vermehrte Versuche, historische Artefakte und Quellen zu erhalten (»Total recall seems to be the goal«, ebd.: 25); vielmehr komme es gleichzeitig zu einer wachsenden Popularität von Geschichtsrepräsentationen, die – wie beispielsweise Outback House – alternative Versionen zum hegemonialen Geschichtsverständnis anböten: »›Original remakes‹ are in, and as cultural theorists and critics we are obsessed with representation, repetition, replication, and the culture of the copy, with or without original« (ebd.: 31). Audiovisuellen Repräsentationen von Geschichte kommt hierbei nach Meinung Marita Sturkens eine besondere Bedeutung zu, da ihre Darstellungen von Vergangenheit den Zuschauern das Gefühl vermitteln, bestimmte historische Ereignisse selbst ›erfahren‹ zu haben. Als Produkte, welche die Grenzen zwischen historischen Fakten und ihrer Repräsentation verschwimmen lassen, haben der Historienfilm und das historische Fernsehspiel daher eine wichtige Funktion in der Etablierung nationaler Erinnerungsgemeinschaften (Sturken 1997: 66). Welche Perspektiven auf die Vergangenheit werden in den aktuellen Geschichtsrepräsentationen weißer Australier angeboten? Wie verhalten sich diese zu dem von Huyssen beobachteten Verlangen nach räumlicher und zeitlicher Verankerung? Kate Grenvilles Ausführungen zu ihrer Motivation, beim Schreiben ihres Romans körperliche Erfahrungen des 19. Jahrhunderts zu suchen, sind in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse. Sowohl in Interviews als auch in dem ausführlichen Schreibtagebuch Searching for the Secret River (Grenville 2007a) gibt die Autorin dem Unbehagen darüber Ausdruck, wie fundamental ihr Heimatgefühl (»sense of ›belonging‹«) als weiße Australierin der fünften Generation durch die Kolonialgeschichte des Landes belastet sei. Dies sei nicht immer so gewesen. Vielmehr sei ihre Verwurzelung in Australien erst durch die seit mehr als zehn Jahre andauernden politischen Debatten um die koloniale Vergangenheit ausgehöhlt worden. Diese koloniale Vergangenheit gelte es zu bearbeiten, um Möglichkeiten für eine gemeinsame Zukunft von weißen und schwarzen Australiern auszuloten: »In a situation like that, the only thing you can do is go back to the point where it went wrong« (zitiert nach Koval 2005). Mit Bezug auf jene Konflikte und Gewaltakte, die das Leben in der Strafkolonie New South Wales im frühen 19. Jahrhundert bestimmten, fügt sie hinzu: »You want to go back 200 years and say to the settlers, ›Look, this is how the Aborigines are,‹ and to the Aborigines, ›Look, this is why the settlers are behaving the way they are. Let’s understand this. There’s no need for all this brutality‹« (in Koval 2005).

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Wie schon bei den zuvor diskutierten Äußerungen Grenvilles verärgerten auch diese Aussagen der Autorin die Zunft der Historiker. »[I]f Aborigines had earlier understood the settlers’ intentions, there would have been more violence sooner«, so beispielsweise der Einwand John Hirsts (2005: 84).13 Es erscheint mir allerdings wenig produktiv, künstlerischen Darstellungen von Vergangenheit wie Grenvilles Roman die historische Unmöglichkeit der sie untermauernden Fantasien (in diesem Fall: einer friedlichen Kolonialisierung) nachzuweisen. Vielmehr möchte ich die Frage Mark McKennas nach den Gründen für die unzähligen Darstellungen von Australiens Kolonialgeschichte in jüngerer Zeit aufgreifen.14 Gerade in der von Grenville geäußerten Motivation für eine imaginäre Rückkehr zur Vergangenheit lassen sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit dem Narrativ von Outback House entdecken. So führt die Autorin in einem weiteren Interview ihre Fantasie einer intervenierenden Zeitreise weiter aus: »you […] go back to the point where it went wrong [...] and you unpick it, like knitting, you’ve got to undo the whole thing, all those 20 rows, to where you went wrong, where you dropped the stitch, work out why you dropped it, what your choices were, and then you go on« (The Canberra Times 2005: 12).

Grenville, dies verdeutlicht ihre Wahl der Metapher des Strickens, geht von einem bestimmten historischen Ereignis aus, von dem aus sich die Gegenwart erklären ließe. Dieses gilt es ›in Ordnung zu bringen‹, um das verlorene Heimatgefühl nicht-indigener Australier wieder herzustellen. Selbstverständlich ließe sich mit John Hirst einwenden, dass sich eine solche Friedensfantasie der Realität von Australiens gewaltvoller Kolonialgeschichte »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke 1824: vi) stellen muss.15 Auch die Literaturwissenschaftlerin Eleanor Collins merkt in Hinblick auf Grenvilles Metapher des Strickens kritisch an, dass australische Geschichten des Kulturkontakts zwingend immer auch von Miss-

13 Siehe auch Clendinnen (2006: 19) und McKenna (2005). 14 »Almost every writer feels that they can’t understand the country in which they live without first confronting the history of dispossession« (McKenna 2005). Allerdings muss McKenna sich und Inga Clendinnen in diese Beobachtung mit einschließen, haben beide Historiker doch in jüngerer Zeit ebenfalls ihre Versionen des kolonialen Kulturkontakts in Australien veröffentlicht. Auf diese Tatsache weist auch Elizabeth Collins hin (2006: 40). 15 »Grenville wants there to have been peace, but she knows there was war« (Hirst 2005: 85).

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verständnissen und Angst, von Brutalität und Leid handeln müssen.16 So berechtigt sie sein mögen, können diese Einwände jedoch nicht erklären, warum befriedende Interventionen in die Vergangenheit derzeit eine solche Konjunktur haben. In ihrer Analyse von Outback House hat Catriona Elder darauf hingewiesen, dass auch diesem Programm die Fantasie einer Rückkehr zu jenen Ereignissen, die ›schief gelaufen‹ sind, zu Grunde liegt. Ähnlich der inhärenten Logik von Grenvilles Metapher des Strickens versteht sie diese imaginären Zeitreisen als performative Antworten auf die Unsicherheit im Selbstverständnis weißer Australier, zu dem Ereignisse wie die Proteste zur 200-Jahr-Feier europäischer Besiedlung (1988), die jüngsten Entscheidungen australischer Gerichte zu den Landrechten von Aborigines (Mabo 1992; Wik 1996), der Bringing Them Home Report zu den sogenannten ›Stolen Generations‹ (HREOC 1997)17 und die schon beschriebenen ›History Wars‹ beigetragen haben. Während Outback House, wie auch Grenville, einem wachsenden Bewusstsein nichtindigener Australier um die Gewalt, die Australiens indigener Bevölkerung angetan wurde, Ausdruck geben, so partizipieren sie zugleich an einem Prozess, der von Elder als ›Re-fixing‹ beschrieben wird. Ähnlich dem Argument Andreas Huyssens, der die gegenwärtige Konjunktur von Gedächtnis und Erinnerung als Ausdruck eines Bedürfnisses nach räumlicher und zeitlicher Verankerung begreift, versteht Elder Outback House als Versuch, eine feste Verbindung zwischen nicht-indigenen Australiern und dem Kontinent, den sie für ihre Nation beanspruchen, wieder herzustellen.18 Jedoch können weder das Fernsehprogramm noch Grenville dieses Narrativ durchgängig aufrecht erhalten, da sie sich in ihrem Anspruch, die Vergangenheit authentisch darzustellen, immer wieder mit der historischen Realität von Angst, Brutalität und Leid konfrontiert sehen müssen, die sich nicht in dieses beheimatende Narrativ einpassen lässt.

16 »[…] the stories of first contact with which white Australian history must begin are almost always stories of division: of misunderstanding and fear, of brutality and suffering« (Collins 2006: 40). Ein ähnliches Argument bringt auch Ghassan Hage in seiner Beschreibung des australischen Gedächtnisdiskurses (Hage 2001: 349-350). 17 Der Begriff ›Stolen Generations‹ bezeichnet verschiedene Generationen von indigenen Kindern, die die australische Regierung von 1901 bis ungefähr 1970 zwangsweise aus ihren Familien entfernt und in die Obhut von staatlichen und kirchlichen Institutionen oder weißen Pflegefamilien übergeben hat. 18 Bei der Entwicklung ihres Konzepts des ›Re-fixings‹ greift Elder auf Vorarbeiten von Allain Cerwonka zurück (vgl. Cerwonka 2004:3).

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In den acht Episoden von Outback House lassen sich eine Reihe von Momenten des ›Re-fixing‹ ausmachen, die zwar das Leid der indigenen Bevölkerung anerkennen, nicht-indigene Australier aber gleichzeitig auf dem australischen Kontinent beheimaten. Am auffälligsten ist diese argumentative Doppelbewegung in der Darstellung eben jener Momente des Kulturkontakts, in denen dem Narrativ der Sendung zufolge alles seinen Anfang nahm. Interessanterweise gerät die Erzählung der Serie gerade an diesen Stellen mehrfach seltsam ›ins Stottern‹.

S to t t e r n d e A n f ä n g e Der erste dieser wiederholten Anfänge ereignet sich unmittelbar nachdem die Teilnehmer ihre historische Kleidung angezogen haben. Zunächst sind es nämlich nur Paul Allcorn und seine männlichen Farmarbeiter, die sich auf der Farm einrichten. Im 19. Jahrhundert, so der Kommentar, sei es gängige Praxis gewesen, dass Männer die neue Farm zunächst herrichteten, bevor Frauen und Kinder nachkamen. Als diese schließlich nachreisen, werden sie von Malcolm Burns begleitet, der als Mitglied der Wiradjeri People innerhalb des Programms die Rolle eines indigenen Farmarbeiters übernehmen soll. Der Kommentar erklärt, dass er zurückgeblieben ist, um Frauen und Kinder auf ihrer Reise »through his traditional land« (Outback House 2005: Seq. 1, 48'50'') zu begleiten. Anders als seine Vorfahren also, deren historische Position er im Rahmen des Programms nachempfinden und bezeugen soll, kommt Malcolm erst nach den weißen Siedlern auf dem Gelände der Farm an und wird dort von Paul Allcorn und dessen Männern willkommen geheißen. Diese konnten wiederum ein Land vorfinden und in Besitz nehmen, welches frei von (ver)störender vorgängiger indigener Besiedlung war. Malcolm selbst kann das für indigenes Protokoll wichtige Ritual des »Welcome to Country« auf seinem traditionellen Land daher nur anderen Spätankömmlingen gegenüber durchführen. So begrüßt er beispielsweise Russell, der in der vierten Episode als weiterer Geschichtsdarsteller hinzukommt, während Familie Allcorn und ihre Arbeiter an dieser Zeremonie nicht als Gäste, sondern in der Rolle der Gastgeber teilnehmen (ebd.: Seq. 4, 8'10''). In einen noch seltsameren Zirkelschluss verstrickt sich die historische Rahmung des Programms, als der Anglo-Australier Russell schon kurz nach seiner Ankunft erklärt, eines Tages ›hier‹ begraben sein zu wollen (»I want to be burried here!«, ebd.: Seq. 4, 8'48''). Nur: wo ist »hier«? Das allochronistische Verlangen Russels, sich für seinen zukünftigen Leichnam ein Grab auf dem Gelände einer Farm in der Vergangenheit zu wünschen, ist ein besonders deutliches Beispiel für den von Elder

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beschriebenen Prozess des ›Re-fixing‹. Im Sinne Elders ließe sich der Wunsch Russels dahingehend deuten, er wolle mit diesem Begräbnis seine eigene Geschichte mit der einer Schaffarm des 19. Jahrhunderts verknüpfen und seine Herkunft somit untrennbar in das Land des Outbacks einschreiben. Damit beansprucht er für sich einen Status von Heimat und Herkunft, wie er von allen Teilnehmern des Programms allein Malcolm zukommt. Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass keiner der wiederholten Anfänge, die in Outback House inszeniert werden, den tatsächlichen ›Ur-Moment‹ des Kulturkontakts, »the point where it went wrong« (Grenville) selbst nachstellt. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Teilnehmer auf Oxley Downs ankommen, ist die indigene Bevölkerung nicht mehr da, das Land gerodet und ein Haus gebaut, das nur darauf zu warten scheint, bewohnt zu werden. Die möglicherweise brutale koloniale Vergangenheit der Farm wird hingegen auf einen nicht näher beschriebenen Vorbesitzer projiziert, der Oxley Downs aufgrund finanzieller Schwierigkeiten aufgegeben musste. Allein durch das von ihm zurückgelassene Farmtagebuch deutet das Programm eine Vorgeschichte an, die von jenen Verhältnissen geprägt ist, die den kolonialen Kontakt im Australien des 19. Jahrhunderts bestimmt haben. Wie Grenville entwickelt Outback House somit ein Narrativ der kolonialen Vergangenheit, das der gedanklichen Logik eines Re-fixing folgt. Es stellt eine gewünschte friedliche Vergangenheit dar, bezeugt aber gleichzeitig Kenntnis davon, dass diese Vergangenheit nicht so friedlich gewesen sein kann. Die Spannung zwischen diesen zwei Formen historischen Wissens, die in diesen Szenen wie auch in den Statements Kate Grenvilles zum Ausdruck kommt, erscheint typisch für eine bestimmte Form des gegenwärtigen Diskurses zur australischen Kolonialgeschichte. Dieser artikuliert ein Bewusstsein von der gewaltvollen Vergangenheit, die in einem Nietzscheanischen Akt des »aktiven Vergessens« gleichzeitig an- und aberkannt werden muss, um das Selbstverständnis weißer Australier als Nachfahren der kolonialen Täter nicht zu gefährden (Nietzsche 1994: 209-285). Der erste Eindruck, den Julie Allcorn von Oxley Downs gewinnt, als sie das Haupthaus betritt und somit zumindest metaphorisch in die Fußstapfen des unbekannten Vorbesitzers tritt, kann im Sinne eines solchen Aktes des aktiven Vergessens gelesen werden. So stellt sie beim Betreten des Gebäudes fest, dass dieses viel dunkler sei, als sie erwartet habe. In einem optimistischen Tonfall, den das Programm als »the true spirit of a squatter’s wife from the 1860s« (Outback House 2005: Seq. 4, 2'18'') charakterisiert, fügt sie jedoch zugleich hinzu, dass das Haus ein schönes Heim für sie und ihre Familie werden wird (ebd.: Seq. 1, 53'20'').

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D a s T ag e b u c h v o n O x l e y D o w n s Die letzte Episode des Programms beginnt mit einem idyllischen frühmorgendlichen Panorama des Lebens auf Oxley Downs, das alle Farmbewohner bei ihren inzwischen gewohnten Aufgaben zeigt und so den visuellen Beweis für deren tatsächliche Immersion im 19. Jahrhundert liefert. Zusammen mit diesen Bildern hören wir die Stimme Julie Allcorns, die den letzten Eintrag in das Farmtagebuch, das ihren Aufenthalt auf Oxley Downs begleitet hat, vorliest. Sie bleibt auch hier in ihrer historischen Rolle: »Boxing Day, 26th of December 1861: up at five thirty am to the noise of Claire having a discussion with Molly [the cow] about entering the kitchen. Bernie is raking the hay out at the front of the house. Hopefully the fire is being lit because I need a coffee quite badly. […] We need to wash up all the glasses and tidy up the house before we go. The flies are up and it is sticky, so it will be hot. There is so much to do, so I will dress quietly and help clean up. Dan has arrived to help as well. I shall leave this place with memories that are both happy and sad. This has probably been the most emotionally traumatic roller coaster ride I have ever been on with my children. Maybe next year will bring a new adventure. Happy New Year« (ebd. Seq. 8, 40'41''-41'46'').

Mit diesen Neujahrswünschen bietet Julie den Zuschauern eine Lesart der Ereignisse auf Oxley Downs an, nach der die Farm im 19. Jahrhundert zurück bleibt, während die Teilnehmer in die Gegenwart zurück kehren werden. Das Tagebuch selbst – dies zeigen die folgenden Bilder – verbleibt ebenfalls auf der diegetischen Ebene des 19. Jahrhundert und wartet so auf neue Bewohner des Hauses und ein neues Abenteuer im Jahr 1862. Es funktioniert damit scheinbar als Medium der Kommunikation zwischen den verschiedenen Generationen von Bewohnern der Schaffarm und lässt sich zugleich als Botschaft der Vergangenheit an die Gegenwart lesen. Abschließend ist anzumerken, dass das Tagebuch auf dreifache Weise zu einem Symbol für das historiographische Projekt des Reenactments von Outback House selbst wird: Erstens verfügt der mit Feder und Tinte auf handgeschöpftem Papier geschriebene Tagebucheintrag über eine ›Vergangenheitsästhetik‹, die Julies Aufzeichnung der Ereignisse des zweiten Weihnachtsfeiertags den Status einer historischen Quelle erlangen lässt, aus der sich Einsichten in das Leben im australischen Outback des 19. Jahrhunderts ablesen lassen. Das Tagebuch legt Zeugnis ab und erzählt eine wahre Geschichte, »one wrought from experience« (Sturken 1997: 68). 246

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Zweitens hat das Tagebuch an jener temporalen Verdopplung Anteil, die für das Narrativ von Outback House typisch ist. Auf der einen Seite verfasst Julie Allcorn ihren Eintrag zu den Ereignissen des Weihnachtsmorgens im Präsenz und unterstützt somit die für Reenactments charakteristische Behauptung eines direkten Zugangs zur Vergangenheit. Eine weitere zeitliche Ebene wird jedoch in den auf den Tagebucheintrag folgenden Bildern des Abschieds von der Farm aufgerufen. Während die Teilnehmer sich langsam von der Farm entfernen erklingt plötzlich die Glocke des Hauptgebäudes. Noch einmal blicken alle zurück auf das verlassene Gelände. Es folgen Bilder der in der Luft schwingenden Glocke, von einer Tür, die in ihrem Schloss klappert, einem gebrauchten Paar Arbeitsschuhen, von Kinderspielzeug auf dem Fußboden und einer Vase frischer Schnittblumen auf dem Küchentisch. Die Bilder deuten die Möglichkeit einer anhaltenden, geisterhaften Präsenz von viktorianischen Bewohnern an, die das Gebäude der Farm im 21. Jahrhundert heimsuchen.19 Oxley Downs wäre somit außerhalb einer linearen Vorstellung von historischer Zeit positioniert: Das 19. Jahrhundert der Farm ist nicht vergangen, sondern existiert in Gleichzeitigkeit und Ko-Präsenz mit der Gegenwart; und auf dieser Grundannahme fußte ja auch tatsächlich acht Folgen lang das Narrativ von Outback House. Drittens ist dieser Zirkelschluss der Authentizität, der die Bewohner eines im 21. Jahrhundert rekonstruierten historischen Farmgeländes zu Zeitzeugen des 19. Jahrhundert werden lässt, im Kontext der australischen ›History Wars‹ von besonderer Bedeutung. Der Tagebucheintrag Julie Allcorns stellt den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den geschichtswissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umgang mit der australischen Kolonialgeschichte eine authentisch erlebte Version des Geschehenen entgegen. Somit trägt auch das Tagebuch zu jenem Prozess des ›Re-fixing‹ bei, welcher nicht-indigene Australier positiv in die Geschichte ihres Kontinents einschreibt. Ähnlich dem Wunsch des Farmarbeiters Russel, ›hier‹ begraben zu werden, stellt auch das Tagebuch diese Vergangenheit weniger als Ort der kolonialen Brutalität denn als Heimat für weiße Australier dar. In diesem Zusammenhang ist der letzte Kommentar Paul Allcorns von besonderem Interesse, verdeutlicht er doch zum einen das Potential von als real erlebten Authentizitätsfiktionen und weist zum anderen auf die ideologische Wirkmacht eines derartigen körperlichen Erfahrens von Vergangenheit hin. Auf die Frage, was ihm das Erlebte im Nachhinein

19 Ich diskutiere die Bedeutung eines ›Gothic Mode‹ in Bezug auf ein anderes TV-Reenactment in Schwarz (2007).

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bedeutet antwortet er: »It’s not just a memory. We are our memory. We are what we experience« (Outback House 2005: Seq. 8, 54'28'').20

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DAS ERLEBEN VON GESCHICHTE IN OUTBACK HOUSE

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SCHWEISS, NEUE TRADITIONEN, EHRWÜRDIGE ERZÄHLER: AUTHENTISCHES ERINNERN ALS SYMBOLISCHES KAPITAL DANIEL SCHLÄPPI Einleitung In Bern (Schweiz) existieren bis zum heutigen Tag sog. ›Gesellschaften‹ (auch ›Zünfte‹ oder ›Zunftgesellschaften‹ genannt).1 Sie haben ihre Ursprünge in spätmittelalterlichen Traditionsverbänden, überstanden die »Dekorporierungsprozesse« des 19. Jahrhunderts (Kocka 1990: 33) aber weitgehend unbeschadet und behaupten bis ins 21. Jahrhundert den Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Unter dem Dach der sog. ›Burgergemeinde‹, einer Nachfolgeorganisation der Stadtgemeinde des Ancien Régime, bilden die Führungsgruppen der 13 Gesellschaften ein über persönliche Verflechtungen verbundenes konservatives Netzwerk (vgl. Arn 1999). Namentlich bürgerliche Aufsteiger sind daran interessiert, sich in einen der historischen Personenverbände einzukaufen (vgl. Schläppi 2001: 215-219). Die Zugehörigkeit zur ›Burgerschaft‹, der Summe der Angehörigen aller Gesellschaften, eröffnet Zugänge zu diversen Kapitalsorten, die in den burgerlichen Institutionen kondensieren. So bieten ein ausgedehnter Land- und Immobilienbesitz sowie erhebliche private und körperschaftliche Vermögen ambitionierten Architekten, Unternehmern, Finanzfachleuten und Juristen interessante Handlungsfelder für auf Beziehungshandeln beruhende Geschäfte (vgl. Rieder 2008: 283-287, 414436). Obwohl ab und zu Kritik an der informell ausgeübten Politik burgerlicher Kreise oder der Vorwurf der Schattenwirtschaft laut wird, genie-

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Die vorliegenden Ausführungen beruhen auf mehr als einem Jahrzehnt Forschung im Feld korporativer Personenverbände. Als themenzentrierte Synopse sind sie in dieser Form in den bisherigen Publikationen des Autors nicht angedacht worden (vgl. einschlägige Publikationen in der Bibliographie).

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ßen die traditionsreichen Korporationen in der Öffentlichkeit einen makellosen Ruf. Das positive Image beruht wesentlich auf ihrem ausgeprägten Traditionsbewusstsein und ihrer geschichtsbezogenen Selbstdarstellung. In der allgemeinen Wahrnehmung handelt es sich bei den burgerlichen Institutionen um harmlose Traditionsverbände, die ihr geschichtliches Erbe pflegen und in der bzw. von der Erinnerung an die ruhmreiche Geschichte des Alten Bern leben.2 Dieses Renommee resultiert aus engagierter Erinnerungsarbeit in unterschiedlichen Dimensionen. So werden aus burgerlichen Vermögen und Stiftungen wissenschaftliche Forschungen zu ausgesuchten Themen der bernischen Geschichte unterstützt, und es erscheinen regelmäßig aufwändig aufgemachte Publikationen.3 Die ›Zunftgesellschaften zu Schmieden‹ und ›zu Metzgern‹ haben vom Autor dieses Beitrags vor Jahren wissenschaftliche Studien schreiben lassen (vgl. Schläppi 2001; 2006). Derzeit arbeiten Studierende an der Universität Bern im Auftragsverhältnis die jüngere Geschichte der ›Zunft zu Zimmerleuten‹ auf. Der innere Zirkel der ›Burgerschaft‹, so die Selbstbezeichnung der Angehörigen aller Korporationen, identifiziert sich vorbehaltlos mit dem historischen Herkommen und sieht in allem Historischen einen nicht hinterfragbaren Wert. Eine essentialistische Position, die mit der wissenschaftlich-kritischen Definition von Geschichte als einem ›weiten Feld voller offener Fragen‹ nicht viel anfangen kann. Sie versteht Geschichte vielmehr als etwas Wesenhaftes und verlangt nach ›authentisch‹ aufbereiteter Vergangenheit, denn ›authentisch‹ wird in der Regel mit ›echt‹ und mit einem für Laien einfach greif- bzw. nachvollziehbaren Darstellungsmodus gleichgesetzt. Der Begriff ist pragmatisch und positiv besetzt (vgl. Schlanstein 2008: 206). Im Gesellschaftsleben der burgerlichen Gruppenverbände werden denn auch viele »historische« Rituale zelebriert (Rieder 2008: 508f.). Für diese ›Traditionen‹ gilt das Gebot der ›Authentizität‹. Sie sind meist durch (mehr oder weniger belegbare) Bezüge zu historischen Begebenheiten inspiriert. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich viele von ihnen als invented traditions im Sinn des Konzeptes von Eric Hobsbawm. Als solche transportieren sie fiktive Inhalte (vgl. Hobsbawm 1983; Schläppi 2001: 23f., 452). 2 3

Zur Bedeutung von Geschichte für die burgerlichen Korporationen vgl. Schläppi (2005). Vgl. Rieder (2008: 445). Burgerliche Geldgeber beteiligten sich maßgeblich an den in der Reihe Berns Zeiten erscheinenden, reich bebilderten Bänden. Im Jahr 2008 flossen namhafte Summen auch in die Feierlichkeiten zum dreihundertsten Geburtstag des Berner Gelehrten Albrecht von Haller (1708-1777).

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Authentizität verklärt und beglaubigt die Fiktion Der Leitbegriff der in diesem Band dokumentierten Tagung lautete ›Authentizitätsfiktionen‹. Diese Wortverbindung ist streng genommen widersprüchlich. Wie soll etwas gleichzeitig authentisch (echt) und fiktiv (erfunden) sein? Das vermeintliche Oxymoron löst sich auf, weil ›echt‹ in populären Formen historischen Erinnerns keineswegs synonym zu ›objektiv wahr‹ steht. Vielmehr wird das Attribut ›echt‹ Dingen zugeordnet, die den Eindruck von Ursprünglichkeit erwecken. Es werden jene Darstellungen, Inszenierungen und sachkulturellen Objekte für ›echt‹ gehalten, die suggestiv vermitteln, dass es so gewesen sein könnte wie sie vorgeben. Es müssen eben nicht genau die Kanonen sein, mit denen der Tross des feindlichen Heerführers in der Entscheidungsschlacht ausradiert wurde. Der Schall und Rauch irgendeines Geschützes genügt vollkommen, um das auf ›Authentizität‹ getrimmte Publikum zu beeindrucken. Rainer Wirtz zitiert den Fall einer Ausstellung mit nicht als solche deklarierten Fälschungen (2008b: 189). Die Besucher nahmen an der Täuschung keinen Anstoß und waren vielmehr mit dem »Echt-Authentischen« zufrieden, weil der »schöne Schein des Echten, die Authentizitäts-Illusion« meist akzeptiert werde. Für das Prädikat ›authentisch‹ gelten weichere Kriterien als für ›sachliche Korrektheit‹. Wenn heterogen zusammengesetzte Gruppen nach Verbindendem in der Geschichte suchen, bietet ›authentisches‹ Nachempfinden ein ideales Instrument der Sinnfindung. Nach Siegfried J. Schmidt orientieren sich Menschen an Sinnoptionen, wenn sie »eigene und fremde Handlungen mit einem gesellschaftlich kommunizierbaren Sinn belegen« (Schmidt 2003: 45). Dabei konstruieren sie über »narrative Strategien der Selbstvergewisserung und Geschichtsschreibung« Differenz zu Außenstehenden. Als wirkungsvolle Strategie dient dabei aktive Gedächtnispolitik, die Vergangenheit »als Agent gegenwärtigen Selbstbewusstseins« zurichtet (ebd.: 112f.). Obwohl dieser Erinnerungsmodus erfundene Elemente verwendet und tradiert, ist er zunächst historischer Faktennähe verpflichtet. Wenn es aber darum geht, eine lückenhafte Überlieferung zum stimmigen Blendwerk zu modellieren, kommen zwingend Fiktionen ins Spiel, auch wenn sich die Fiktionalisierung als solche auf ›kreativen‹ Umgang mit Fakten beschränken sollte. Loser Faktenbezug in Verbindung mit ›authentischer‹ Inszenierung beglaubigt die Historizität des Erfundenen. Versatzstücke aus dem historischen Fundus legitimieren sogar auf den ersten Blick als Mythen erkennbare Erzählungen.

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Sabine Schindler weist darauf hin, dass etablierte Geschichtsdeutungen ihre Akzeptanz »der politischen, kulturellen und ökonomischen Dominanz von Eliten verdanken« (Schindler 2003: 6). Die retrospektiven Rituale, wie sie im angesprochenen Milieu zu beobachten sind, dokumentieren, wie eine potente Sozialgruppe ein eigenes Geschichtsverständnis kreiert, am Leben erhält und nachhaltigen Nutzen daraus zieht. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage nach der Definitionsmacht in gedächtnispolitischen Diskursen. Macht manifestiert sich dann, wenn bestimmte Akteure über Inklusion oder Exklusion anderer gesellschaftlicher Gruppen entscheiden. Eine konsistente und konsequente Identitätsdarstellung erlaubt es, Themen zu diktieren oder solche zu verweigern und missliebigen Diskutanten Missverstehen zuzuschreiben (vgl. Danelzik 2008: 60).

G e s e l l sc h af tl i c h e s L e b e n i m Z e i c he n a u t he n t i sc h e r A n sp i e l u n g e n Für das burgerliche Milieu stellt aus historischen Bräuchen abgeleitetes Gruppenhandeln im Kreis von Freunden und Bekannten eine zentrale Form der Soziabilität dar.4 Gemeinsam ist diesen Handlungsformen, dass sie über sinnliche Erfahrung und physische Aktivität positive Emotionen und authentische Erlebnisse auslösen sollen. So werden zu wichtigen Schlachtjubiläen Märsche zu historischen Kampforten unternommen. Man erhebt sich ›wie ein Mann‹ und fällt lauthals mit ein, wenn die ersten Takte des Berner Marsches erklingen. Für Feste werden historische Gebäude gemietet. Ausflüge führen die Teilnehmenden an Erinnerungsorte der Berner Geschichte.5 Bei Renovierungsarbeiten werden die Gesellschaftshäuser aufwändig auf antik getrimmt oder mit sublimen Anspielungen auf die Tradition modern gestylt (vgl. Schläppi 2001: 197, 309-311, 472-474, 550f.). Zur Vernissage eines Prachtbandes über eine Berner Ebenisten-Dynastie (Fischer 2001) tanzt die Belegschaft des burgerlichen Archivs nach wochenlangem Proben vor großem Publikum mit Puder, Perücken und Roben nach Vorbild der Zeit getarnt ein Menuett 4

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Wo nicht anders vermerkt, sind die genannten Beispiele anhand der Nachweise im Text nachzulesen bei Schläppi (2001; 2006). Dort sind sie mit Quellenzitaten und Hinweisen auf Archivstandorte dokumentiert. In der 2001 erschienen Publikation hilft ein breit angelegtes Sachregister beim Auffinden einschlägiger Themen (vgl. Schläppi 2001: 543-561). Für Schindler dienen historische Stätten insbesondere dazu, »Geschichte zum einen authentisch und zum anderen sinnlich erfahrbar zu präsentieren« (2003: 1).

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und löst damit Begeisterungsstürme aus.6 Man lässt auf die Korporation dichten und komponieren oder trotzt gemeinsam der winterlichen Kälte auf dem historischen Handwerkermarkt, der über Monate vorbereitet wurde. Weil man nicht weiß, welches Handwerk die Mitglieder der ehemaligen Adligenzunft darstellen sollen, übernehmen sie im Umzug die Rolle der ›Chronisten‹ und werden so zu inkarnierten Chiffren des Historischen. Es werden Beziehungen zu modernen ›Zünften‹ aus anderen Städten gepflegt, die sich historisch nicht begründen lassen. Unter der sengenden Sommersonne steht man stundenlang Spalier, präsentiert stolz schwere Fahnen (vgl. Schläppi 2001: 201f., 304, 325-329, 337, 498f.; 2006). Man lässt zu Lebzeiten verstoßene Berühmtheiten posthum hochleben (vgl. Zunftgesellschaft zu Metzgern 2006: 273-298). Zum jährlichen ›Zunftschießen‹ werden von Hand Bleikugeln für schwere Vorderlader gegossen. Die ehemalige Bäckergesellschaft – sie kokettiert mit der lateinisch inspirierten Selbstbezeichnung ›Pfistern‹ – stellt ihr Zunftemblem als Spezialität her. In Schmiedekursen werden heiße Eisen mit Hammerhieben bearbeitet, bis die Arme schmerzen; in der neu eingerichteten Webstube fliegt das Schiffchen, bis die Augen flirren (vgl. Schläppi 2001: 470-473, 492; 2006: 469, 473).7 Damit gemeinschaftliche Rituale sinnstiftende Wirkung entfalten, sind sinnliche Erfahrung, physische Anwesenheit und körperliche Anstrengung vieler Beteiligter notwendig. Erst derart kondensiertes Erleben stimuliert authentisches Empfinden, denn erst physische Mühsal adelt historisches Nachempfinden. Körperliche Erinnerung gilt als authentisch

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Ich arbeitete damals als Teilzeitangestellter der Burgerbibliothek auf der Empore im würdigen Lesesaal, auch ›Hallersaal‹ genannt. Sobald am Abend jeweils die letzten Benutzer das Feld geräumt hatten, wurden über Wochen die schweren Massivtische beiseite geschoben, um Platz für Tanzübungen zu schaffen. Bei der Aufführung im ›Casino‹ saß ich selbstverständlich im Publikum. Wenn ich diese Handlungsformen als ›Fiktionen‹ einstufe, heißt das nicht, dass sich die involvierten Akteure nicht nach Kräften um historische Richtigkeit bemühen. Rainer Wirtz räumt ein, dass auch bei TV-Dokumentationen die »historical correctness« groß geschrieben werde, indem zur Beglaubigung des Gezeigten Fachexperten bemüht würden (2008a: 28). Analog halten es die Organisatoren historischer Events im burgerlichen Milieu, indem sie für ihre Erinnerungsarbeit – mindestens in jüngerer Zeit – professionelle Historiker beiziehen. Dessen ungeachtet ist es unmöglich, selbst durch noch so präzise Nachstellung eine historische Begebenheit ›authentisch‹ nachzuerleben. Allein das Wissen darum, dass ein Ereignis bereits stattgefunden hat, schafft eine fundamental andere Ausgangslage als beim ersten Mal.

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und emotional, angelesenes Buchstabenwissen als distanziert und intellektuell. Allerdings kann das körperliche und innerpsychische Emotionsgeschehen von Individuen nur über synchronisierte »Modi der Performanz« (Schmidt 2005b: 27) für ganze Gruppen relevant werden. Um gruppenbildend zu wirken, knüpft Performanz an eine Vorgeschichte an, die sich als »Erwartungen an neue Performanzen« niederschlägt.8 Daraus erklärt sich, warum nachdrücklich auf historischer und namentlich sachkultureller Authentizität insistiert wird: sei es in Form der Verwendung alter Trinkgefäße und alter Gegenstände, sei es über das Tragen von (oft neu gefertigten) Kostümen, über flächendeckende Präsenz von Wappen und Symbolen aus früher Zeit oder durch den Konsum bestimmter Speisen und Getränke; sei es über einen antiquierten Soziolekt, bis hin zur Wahl der Vornamen der Kinder, oder über Anspielungen auf nur eingeweihten Insidern bekannte Vergangenheitstopoi (vgl. Schläppi 2001: 86f., 109, 200, 306, 327, 335, 344). Stete Bezüge auf eine von den Beteiligten analog verinnerlichte Historie schließen an eine allseits bekannte Vorgeschichte an und geben ein Raster vor, in dem die Gemeinschaft einerseits sich selbst erkennt und andererseits individuelle Befindlichkeit verorten kann. Auch wenn kollektive Geschichtsbilder nur implizit und nonverbal kommuniziert werden, reduzieren sie individuelle Ausdrucksmöglichkeiten auf den allgemein akzeptierten Code. Gerade der Sachkultur wohnt ein »vermeintlich neutraler Wahrheitscharakter« inne, der »durch die physische Unmittelbarkeit« des Sichtbaren getragen wird (Schindler 2003: 228). Unpassendes Mobiliar, die falsche Materialwahl oder Farbgebung bei Kleidern und Interieurs entlarven den Parvenü, der in Unkenntnis der Tradition das verbindliche Zeichensystem missversteht und das Gebot der Authentizität verletzt. Tischreden von Gästen oder Neumitgliedern, die sich mit unbedarften historischen Bezügen anbiedern wollen, werden irritiert registriert und als Frevel am auf Authentizität fokussierten Gruppenbefinden empfunden, denn sie zerstören die ›Aura der Geschichte‹.9 Im Rahmen von ›Jugendfesten‹ – unterhaltsame Spielnachmittage, zu deren Höhepunkt die Kinder der Gesellschaftsmitglieder mit teurem, aus der Vereinskasse bezahltem Spielzeug beschenkt werden – wird der Nachwuchs mit authentischen Geschichtsbildern konfrontiert. Verdiente Honoratioren rufen mit einfachen rhetorischen Mitteln und kindgerechter 8

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Insofern stehen historisch unterfütterte Rituale zwingend in ihrer eigenen Tradition, was erklärt, wie sich neue Anlässe innerhalb weniger Jahre als ›neue Traditionen‹ im Festkalender verankern können. Zur Bedeutung der Sachkultur als »materialisierte Geschichte« vgl. Schläppi (2001: 325-328).

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Symbolik den Stellenwert des historischen Herkommens in Erinnerung. Zwar müssen Jugendliche heutzutage nicht mehr auf den Verband schwören, wenn sie ins Stimmrecht aufgenommen werden, einige Gesellschaften erwarten aber, dass ein Gelübde geleistet wird (vgl. Schläppi 2001: 465-269; 2006: 128-130). Dieses feierliche, für jahrhundertealt gehaltene Ritual weckt das Gefühl, man sei historisch auserwählt und stehe in einer besonderen Verantwortung. Namentlich ehemalige Patriziergeschlechter legen Wert auf eine geschichtsbewusste Sozialisierung und ein Gespür für das authentisch Historische. Den exklusiven Eifer für Familiengeschichte dokumentieren diverse unlängst erschienene Publikationen (Braun 2004; von Erlach 1989). Fiktionale Momente manifestieren sich am deutlichsten in Ritualen, welche die Botschaft der Historizität mit sich tragen, obwohl ihre Ursprünge und ihre Bedeutung anhand der schriftlichen Überlieferung nicht geklärt werden können. Exemplarisch hierfür steht das ›Schaumkellenessen‹ der ›Zunftgesellschaft zu Schmieden‹. Weder die ›Schaumkelle‹ noch der ›Daumenbecher‹ – beide Objekte sind wichtig für ein Trinkritual, das Männer als Initiation durchlaufen müssen – lassen sich in den Gesellschaftsakten dingfest machen. Und obwohl heute behauptet wird, den Brauch der ›Schaumkelle‹ habe es »schon immer« gegeben, dürfte das Ritual in der bekannten Form erst im Zuge der Verbürgerlichung der Trinksitten im 19. Jahrhundert entstanden sein (vgl. Schläppi 2001: 325, 361, 496f.). Historisch belegt werden kann das ›Rüblimahl‹ der ›Zunftgesellschaft zu Metzgern‹. Es dürfte sich aus spätmittelalterlichen, ritualisierten Armenspeisungen im Verlauf der frühen Neuzeit zu einem bedeutenden Ereignis im geselligen Jahr der burgerlichen Korporationen entwickelt haben. Immerhin tritt Ulrich Bräker (1735-1798), der berühmte »Arme Mann aus dem Toggenburg«, als historischer Zeuge auf (Bräker 1998 [1777-1788]: 522f.). Er wurde 1795 von einem Freund zu dieser Mahlzeit eingeladen und beschreibt einen Fauxpas, der ihm bei einem derben Trinkritual unterlief: Jeder Gast musste unter den Augen der versammelten Tischgesellschaft in einem Zug einen Becher Wein leeren. Bräker vergaß sich, setzte zwischendurch ab und zog sich so den Spott der heiteren Männerrunde zu. Bemerkenswert ist, dass schon die munteren Tischgesellen Bräkers im 18. Jahrhundert nicht so genau wussten, was es mit dem ›Rüblimahl‹ auf sich hatte. So entging Bräker die ursprüngliche karitative Dimension des Anlasses. Vielleicht war die synchron zum Festschmaus ablaufende Essensabgabe an Arme für die Geladenen im Jahr 1795 überhaupt nicht sichtbar, so dass sich Bräker vergeblich nach dem edlen Stifter des Festschmauses fragte. Auch ahnte er nicht, dass nur 50 Jahre früher kontro-

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verse Auseinandersetzungen über das ›Fleisch-‹ bzw. ›Metzgermahl‹ geführt worden waren. Ständig waren die Kosten aus dem Ruder gelaufen und von den Vorgesetzten der Korporation (vergeblich) Aufwandbeschränkungen erlassen worden. Die Gesellschaft hatte Mitte des 18. Jahrhunderts sogar eine Kommission ins Leben gerufen, welche die historischen Ursprünge der Mahlzeit erforschen sollte, dabei aber zu keinem Ergebnis kam. Eine ironische Wendung nahm diese wichtigste Tradition der Metzgergesellschaft in den kurzen Revolutionsjahren, nachdem 1798 französische Truppen in die Eidgenossenschaft eingefallen waren. Aus Kostengründen wurde das Traditionsritual damals kurzerhand abgeschafft (vgl. Schläppi 2006: 109f., 186f.). Wenn Akteure Rituale verbindlich reglementieren, sehen sie gerne darüber hinweg, dass sich reale Geschichte bei näherem Hinsehen immer als Abfolge von Auseinandersetzungen präsentiert. Dieses Faktum blendet auch die Metzgergesellschaft aus, wenn sie sich bezüglich des ›Rüblimahls‹ an Dokumenten aus den 1950er Jahren orientiert, die den damals üblichen Ablauf knapp beschrieben. Um die Schlüsselereignisse des Festtages für die Nachwelt zu dokumentieren, ist in einem unlängst erschienenen Buch (Zunftgesellschaft zu Metzgern 2006: 201-225) die ›Rüblimahl-Küche‹, die »älteste Küche« Berns, abgebildet, wo der Koch, »einziger Metzger unserer Zunftgesellschaft« (!), für weit über 100 Personen auf einem rudimentären Holzherd kocht. Man muss annehmen, solche Selbstkasteiung diene dazu, die historische Lebensnähe des Events zu steigern (ebd.: 212, 299). Allerdings hätten die Akteure älterer Zeiten ohne Not kaum eine veraltete Infrastruktur verwendet. Ganz anders die Verantwortlichen des 21. Jahrhunderts, die sogar an der ritualisierten Abgabe von Mahlzeiten an Bedürftige festhalten, obwohl es immer schwerer fällt, überhaupt Abnehmer für überschüssiges Essen zu finden. Dass sich die Altvorderen darüber gestritten haben, ob sie sich kulinarische Karitas auf Kosten der Korporationskasse überhaupt leisten konnten oder wollten, ist irrelevant. Historisch authentische Selbstinszenierung mit großer gemeinnütziger Geste ist schmeichelhafter als der historisch differenzierte Befund, dass wiederkehrend widersprüchliche Auffassungen und lausige Ausgabendisziplin den Willen zur Wohltätigkeit hatten erlahmen lassen. Insofern liegt Schindler mit der Feststellung richtig, dass das Nachstellen historischer Sachverhalte auf »Fiktionalisierung« angewiesen ist, die nicht unbedingt »ein neutrales und genuines Abbild vergangener Lebenswelten« zu liefern braucht (2003: 241, 243). Für kollektive Rückerinnerung sei vielmehr entscheidend, dass der Vergangenheit »retrospektiv eine einfache, visuell und narrativ ästhetisierte, gleichsam nicht-entfremdete Ur-

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sprünglichkeit zugeschrieben« werde, welche die dankbaren Rezipienten in ihrer eigenen Gegenwart vermissten (ebd.).

Besonderes Engagement von ›neuen Familien‹ Für Schmidt systematisieren Wirklichkeitsmodelle »den Umgang mit allen für lebenspraktisch wichtig gehaltenen Handlungs- bzw. Bezugnahmebereichen in gesellschaftlichen Interaktionen« (2003: 34f.). Diese Modelle verfestigen sich »als symbolisch-semantische Ordnung« und stabilisieren unter Einbezug »semiotischer Materialitäten (Zeichen)« Wertehaltungen innerhalb der Gruppe. Authentisch aufbereitete Geschichte stellt ein komplexes Zeichensystem dar, das aus einer Innenbzw. Außenperspektive je unterschiedlich interpretiert wird und sich in einem steten Wandel befindet. Nur die stetige Einbindung aller historischer Bezüge in die gleiche Welt gibt die Gewissheit, dass in der Gruppe im Prinzip alle über dasselbe Wissen verfügen. Deshalb müssen die geltenden Sinnzuschreibungen durch die aktiv Beteiligten beständig aufgefrischt oder auch neu erzeugt werden. Kollektives Wissen – und dazu gehört die Fähigkeit, Authentizitätsfiktionen adäquat zu rezipieren – wird über Sozialisationsprozesse vermittelt. Intuitiv würde man annehmen, dass als Sozialisierungsinstanzen alteingesessene Familien auftreten müssten, die den Korporationen seit Jahrhunderten angehören. Sie nehmen kulturell und symbolisch eine hegemoniale Stellung ein, da ihnen die Historie in den Stammbaum geschrieben ist. Tatsächlich lässt sich quantitativ und qualitativ belegen, dass sich sog. ›neue Familien‹, die teilweise erst wenige Jahre einem Traditionsverband angehören, in historischen Belangen besonders engagieren und überproportional an authentisch gelebter Geschichte partizipieren (vgl. Schläppi 2001: 472-474; 2006: 122f.). Weil kollektives Wissen und Selbstbilder permanent neu geschaffen und an strukturellen und lebensweltlichen Wandel angepasst werden müssen, eröffnen sich den spät berufenen ›Neuburgern‹ unerwartet attraktive Handlungsfelder, in denen sie sich einbringen und profilieren können. Dass sie dabei auf andere Vergangenheitstopoi rekurrieren als dies die Nachkommen der ehemals mächtigen Aristokratengeschlechter tun, liegt auf der Hand. So ist etwa die Handwerkstradition aus der Warte patrizischer Abkömmlinge uninteressant, spielte sie doch in der eigenen Familiengeschichte kaum eine Rolle. Überhaupt waren berufskorporative Belange für die wichtigen Berner Zünfte nur von marginaler Bedeutung. Doch für die Neulinge sind diese Themen genau deshalb anziehend, weil hier historisches

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Brachland authentisch besetzt werden kann.10 Weil sich fehlende Abstammung und der mangelnde geschichtliche Leistungsausweis der eigenen Familie nicht durch Sachwissen kompensieren lässt, wird die fehlende Ahnentafel durch authentisches und strapaziöses Nacherleben aufgewogen. Die Entbehrungen der Altvorderen müssen nachempfunden, posthum am eigenen Leib erfahren werden, selbst wenn die nachträglichen Demutsbezeugungen möglicherweise wenig sachlichen Untergrund in der Vergangenheit haben. Novizen bezahlen für den Einkauf in eine burgerliche Korporation hohe Summen (vgl. Schläppi 2001: 209-215). Neben sozialen Verkehrsund einträglichen Geschäftskreisen erwerben sie damit auch einen imaginären Anteil am Nimbus der bernischen Heldenhistorie. Dieses symbolische Kapital wirft die gewünschte Rendite nur ab, wenn die ›Neuburger‹ nicht bloß als Zaungäste an Ritualen und Traditionen partizipieren, sondern mit aktiver Performanz in die Domäne der Eingesessenen eindringen. Mit dem begeisterten Ethos von Konvertiten tauchen Neulinge in Geschichtsinszenierungen ein und prägen diese aktiv mit. So machen sie eine wenig geschichtsträchtige Abstammung zwar nicht vergessen, immerhin veredeln sie damit aber das gekaufte symbolische Kapital (vgl. Rieder 2008: 528-534).

G e sc hi c h t e m a c he n : A hn e n k u l t u n d a u t he n t i sc h e T r ad i t i o n e n ›Neue Familien‹ historisieren ihre zu späte Einburgerung über intensive Ahnenforschung und suchen nach frühen Erwähnungen ihres Namens in historischen Quellen (vgl. Arn 1999: 62-64). Dass sie die in Archiven ausgegrabenen Begebenheiten manchmal zu wahrhaftigen Berner Legenden ausschmücken, obwohl diese möglicherweise nur wenig mit bernischer Geschichte zu tun haben, ist für die selbst ernannten Histori10 Hierin verfolgen die heutigen Aufsteiger übrigens die gleichen Strategien wie die Bildungsbürger, die den Anschluss an die ständischen Personenverbände schon im 19. Jahrhundert realisierten. Im Geist des Historismus wurde viel Quellenmaterial zur Handwerksgeschichte aufgearbeitet. Ein entsprechendes Selbstbild war die Folge. Im Fall von ›Schmieden‹ beispielsweise führte das revidierte Selbstverständnis trotz vehementen Widerstands von historisch gebildeten Honoratioren aus ehemals patrizischem Milieu dazu, dass sich der Verband von ›Gesellschaft‹ in ›Zunftgesellschaft‹ umbenannte und damit ein Etikett schuf, das zwar authentischhistorisch klingt, gleichzeitig aber ignoriert, dass diese Bezeichnung in den Quellen nirgends auftaucht (vgl. Schläppi 2001: 17).

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ker nebensächlich – genau wie die oft unschlüssige Überlieferungslage. Das Jahr archivalisch nachweisbarer Erstnennung ist die zentrale Information (vgl. Schläppi 2001: 90; 2006: 191f.). Einer analogen Logik entsprang im 19. Jahrhundert die Mode, dass burgerliche Familien ohne bedeutendes Herkommen von ihren ›Stammvätern‹ – also dem ältesten vermuteten Vertreter des Geschlechts – Fantasieporträts malen ließen. Damit bezweckten sie, ihr ›Familienalter‹ eindrücklich zu dokumentieren. Hing das Bild des Urahns erst an der Wand, war das ein authentischer Fingerzeig auf eine bedeutende Familiengeschichte. Wenn das historische Herkommen faktisch nicht zu beweisen war, diente die fiktive Ahnengalerie als symbolisches Äquivalent für einen beglaubigten Stammbaum.11 Mitunter stifteten arrivierte ›Neuburger‹ ihren Korporationen neue ›Traditionen‹ (vgl. Schläppi 2006: 130). Häufig knüpften sie an ihre Geschenke Auflagen, mit denen sie diese in den Kontext lebendiger und – wie sie hofften – langlebiger Traditionen stellten. Hierin verhielten sie sich ähnlich, wie dies schon die Menschen des konfessionellen Zeitalters getan hatten (17. Jahrhundert). Gaben an die Nachwelt bezweckten, einen guten Ruf durch das Image des Wohltäters zu festigen und sich späteren Generationen so in bester Erinnerung zu halten (vgl. Essmann 2007: 15, 95; Zunftgesellschaft zu Metzgern 2006: 287f.; Schläppi 2001: 320; 2006: 34f.). Dass mit Stiftungen authentisches Erinnern angestrebt wird, dokumentiert die ›Rüblimahl-Kassette‹, die der damalige ›Obmann‹ seiner ›Zunftgesellschaft zu Metzgern‹ im Jahr 2003 schenkte (Zunftgesellschaft zu Metzgern 2006: 287: Schläppi 2006: 136-139). In Silberblech gearbeitet, stellte sich das Objekt äußerlich in die Tradition gestifteter silberner Trinkgefäße, die im Gesellschaftsleben und in der burgerlichen Sachkultur große Bedeutung haben. Neben erheblichem Materialwert verkörpert die Kassette vor allem ein Kondensat an symbolischem Kapital. Sie war mit den Wappen der damaligen Angehörigen des Zunftrates, dem Führungsgremium der Korporation, und jenem der Gesellschaft geschmückt. Damit wurden die mehrheitlich aus ›neuburgerlichen‹ Geschlechtern stammenden Zunftratsmitglieder symbolisch in Verbindung mit dem zeitlosen (weil übergenerationellen) Traditionsverband gebracht. 11 Die Berner Burgerbibliothek verfügt über eine umfassende Dokumentation bernischer Porträts. Fantasiebilder finden sich unter folgenden Objektnummern: O770-772, O779-779, O824f., O828, O833, O838-840, O860, O873f., O906, O910-912, O914f., O917-921, O923, O1268f., O1503, O1974, O2036, O2120, O2165, O2360, O2362, O2398, O2410, O2443, O2447, O2515, O2596, O3033, O3516, O4432, O4436, O4438, O4494, OO4586, O4813, O5415.

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Als heraldische Momentaufnahme für die Nachwelt zunächst wertlos, soll die Kassette ihre historische Dimension mit zeitlicher Distanz entwickeln. Spätere Generationen sollen sie als Ausdruck einer geeinten und tatkräftigen Führungsriege verstehen und – so die Hoffnung aller Stifter – die Ahnen in Ehren halten. Etwas Historizität auf Vorschuss bekam die Kassette schon bei ihrer Einweihung verliehen. Noch ungebraucht, wurde sie in einem feierlichen Akt dem Direktor des Historischen Museums zur Aufbewahrung im Fundus anderer, jahrhundertealter Silberschätze übergeben und fand so in Rekordtempo Eingang ins Korpus historischer Sachkultur. Laut dem vom Gönner definierten Verwendungszweck sollen in der Kassette genaue Beschreibungen aller »Anlässe, Riten, Sitten und Gebräuche« aufbewahrt und damit deren »traditionelle Form« für die Nachwelt konserviert werden (»Rüblimahl-Kassette« 2001: 6). Ein geheimer Schließmechanismus unterstreicht, dass das Objekt als Gral für authentische Traditionen gedacht ist. Bemerkenswert ist die Motivation des Mäzens zu seinem Vermächtnis: Als aufmerksamer Beobachter hatte er festgestellt, dass »in der heutigen Zeit sogenannte Traditionen höchstens zwei Generationen überdauern« (ebd.). Hier kapitulierte jemand, für den authentische Traditionen zu den höchsten Gütern zählten, vor der Realität, indem er einsah, dass es authentisches Kulturerbe im Sinne von ›so wie früher‹ gar nicht geben konnte, denn ›historisch echt‹ überlieferten sich offenbar nicht einmal ›heilige‹ Traditionen. Authentizität adelt also nicht nur die Fiktion, sie ist vielmehr zwingend fiktiv. Letztlich spielte es aber keine Rolle, dass die Kassette kurzlebiges Kollektivwissen konservierte, das schnell keinen praktischen Wert mehr haben würde. Als Kondensat kollektiver Identität verkörperte der Inhalt der Kassette einen unschätzbaren Symbolwert. In der »Schatztruhe« – so bezeichnete der Stifter die Kassette – lag das kulturelle Kapital des Traditionsverbandes endlich materiell greifbar vor: Anleitungen für authentische Traditionen, die mit ›Geschichte‹ gleichgesetzt werden können.

Geschichte haben: Authentizität im altbernischen Milieu Bisher war viel vom Engagement ›neuer Familien‹ im Feld fingierter Authentizität die Rede, das als Streben nach sozialer Integration und als Ausdruck des Bemühens, am symbolischen Kapital der bernischen Geschichte aktiv zu partizipieren, zu verstehen ist. Damit ist aber nicht gesagt, dass die altbernischen Geschlechter, die Nachkommen des einstigen Herrenstandes, nicht auch ihre Fiktionen pflegten.

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Die ›Grande Société‹ (Grosse Gesellschaft) – ein in das Ancien Régime zurückreichender Verein, der vorwiegend von Angehörigen ehemals patrizischer Familien, ausländischen Diplomaten und Vertretern aus der konservativen städtischen Oberschicht gebildet wird – hat ihren Stammsitz im traditionsreichen ›Hôtel de Musique‹ (vgl. Hôtel de Musique 2009). In repräsentativen Räumlichkeiten aus dem 18. Jahrhundert finden unter dem Jahr viele gesellschaftliche Anlässe statt. Auf den letzten Montag im November fällt in Bern der ›Zibelemärit‹ (Zwiebelmarkt), das wichtigste und größte Berner Volksfest. Am Abend des Festtags veranstaltet die ›Grande Société‹ jedes Jahr für einen ausgesuchten Kreis ihrer Angehörigen – es gibt kein Recht auf Teilnahme, und eingeladen wird selektiv – das sog. ›Zwiebelkuchenessen‹. Dass die gehobene Gesellschaft einen populären Jahrmarkt zum Anlass für eine exquisite Festivität nimmt, ist auf den ersten Blick erstaunlich, lässt sich aber einfach erklären: Schon im vorrevolutionären Bern gab das Patriziat viel auf volkstümliche Nähe zum Bauernstand. Mindestens im Geiste fühlten sich die Aristokraten ihren bäuerlichen Untertanen im Territorium des Stadtstaates verbunden. Faktisch dürfte diese Verbundenheit vor allem auf finanziellen Verflechtungen beruht haben, verfügten die meisten Patrizier doch über ausgedehnten Landbesitz, Anteile an rentablen Alpweiden und einen eigenen Gutsbetrieb. Das paternalistische Selbstbild verzeichnete die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und herrschaftlichen Hierarchien als idealisierte Volksnähe. Die rurale Verwurzelung der altbernischen Landesherren war wohl schon im Ancien Régime eine Fiktion. Von harter körperlicher Arbeit in der Landwirtschaft leben zu müssen, galt für Patrizier als nicht standesgemäß. Anlässlich des besagten Zwiebelmarktes kann in der ›Grande Société‹ eine bizarre Szenerie beobachtet werden (vgl. Hôtel de Musique 2009: 72-75). Statt mit üppigem Blumenschmuck, der die Gäste üblicherweise schon im Eingangsbereich empfängt, sind das Treppenhaus und die anderen Räume mit rustikalen Gestecken aus Zwiebeln, Knoblauch oder Äpfeln dekoriert. Statt mit einem reichhaltigen Buffet wartet die Küche mit einer einfachen Mahlzeit auf. Aufgetragen werden kleine Käse- und Zwiebelküchlein und einfach zubereiteter Salat. Getrunken wird ein unprätentiöser Tischwein von einem patrizischen Weingut. Statt Frack, Zweireiher oder Nadelstreifenanzug tragen viele Männer eine Bauerntracht oder den ›Chüjer-Mutz‹, ein schlichtes, mit aufgenähter Edelweißbordüre dekoriertes, blaues oder rotes Überziehhemd. Die meisten Frauen machen ihre Aufwartung in einer Berner Sonntagstracht. Der Anlass rekurriert äußerlich auf die schwer nachweisbare patrizische Verbundenheit mit dem Landvolk. Allerdings zog die Aristokratie schon im 18. Jahrhundert die Spitzenerzeugnisse der Pariser Modewelt

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den bäuerlichen Trachten vor. Wenn die modernen Platzhalter altbernischen Befindens noch im 21. Jahrhundert die agrarische Tradition hochhalten und als Bauern verkleidet über das Tanzparkett gleiten, bezeugt dies die Persistenz von Authentizitätsfiktionen. Eine quellenkritische Beobachtung in einer soeben erschienenen Festschrift der ›Grande Société‹ verweist auf einen spannenden Aspekt im Zusammenspiel von Fiktion und Authentizität: Der Verfasser dieses Beitrags hatte schon zweimal das Vergnügen, am ›Zwiebelkuchenessen‹ dabei zu sein – allerdings nicht als geladener Gast, sondern als Bassist des Tanzorchesters. In dieser Funktion ist er in der genannten imposanten Publikation abgebildet, dies jedoch nicht in der mehrere Seiten umfassenden Bilderfolge zum geschilderten Anlass, sondern am Ende der Dokumentation über den ›Weihnachtsball‹ (Hôtel de Musique 2009: 296f.). Ein unbedeutender Lapsus, absolut verzeihlich und die Authentizität des Bildmaterials in keiner Weise schmälernd, im Gegenteil: Er steigert dessen Aussagekraft noch, indem er verdeutlicht, dass ›authentisch‹ nicht gleichzusetzen ist mit ›faktisch richtig‹. Hinter jeder authentischen Darstellung steht die Intention ihrer Macher, für das Publikum eine stimmige Narratio zu kreieren. Und in der Tat: Gepflegte Musiker in Anzügen und Schlips passen besser in die Szenerie eines ›gewöhnlichen‹ Balles als in das rustikale Trachtenfest.12 Zeitzeugen sind selten so nahe dran wie im gerade beschriebenen Fall. Ihr ›faktischer‹ Nutzen steht weit hinter jenem zurück, den sie als ›authentische‹ Gewährsleute erbringen, wenn sie bestehende Darstellungen beglaubigen. Anders im burgerlichen Milieu, das viel auf personifizierte Geschichte hält. Tatsächlich wurden bis vor nicht allzu langer Zeit historische Darstellungen mehrheitlich von verdienten Persönlichkeiten aus geschichtsträchtigen Geschlechtern verfasst. Eine eindrückliche, über Jahrhunderte zurückreichende Familiengeschichte prädestiniert den altgedienten Doyen als höchste Instanz in Sachen Vergangenheit. Wer einer ›alten Familie‹ entstammt, kann qua seiner Person als Zeitzeuge für Jahrhunderte auftreten, denn er verkörpert das historische Herkommen. Wenn nachweislich direkte Vorfahren die Geschicke des Staates gelenkt oder auf Schlachtfeldern ihr Leben verloren haben, liegt deren Nachfahren die Geschichte im Blut, und deshalb sind sie die geschaffenen Geschichtenerzähler (vgl. Gesellschaft zu Pfistern 1996). Nach Schlanstein stellen Erzählungen eine »geradezu archaisch verwurzelte Kommunikationsform« dar (2008: 220f.). Erst eine erzählte Ge12 Zur dekontextualisierten Verwendung verfestigter Bilder vgl. Schlanstein (2008: 211). Allerdings hätte ein Flügel in der ansonsten antik ausstaffierten Szenerie authentischer gewirkt als das scheppernde Elektroklavier, auf dem der Pianist am besagten Abend spielte.

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schichte verleihe »der Gesamtheit Sinn«. Gleichzeitig diagnostiziert Schlanstein eine »zunehmende Bedeutung des Privaten und Persönlichen« in den »derzeit virulenten Vorstellungen von ›authentischer‹ Geschichtsdarstellung« (ebd.). Authentischer als aus dem Mund des fabulierenden Doyens kann Geschichte gar nicht dargestellt werden. In Verbindung mit einer glorreichen Familiengeschichte verleiht die private Erinnerung beinahe unbeschränkte Definitionsmacht über das Vergangene – frei nach der Devise: Besser, man hat ›Geschichte‹, als dass sie hinterfragt oder verstanden wird.

E r g e b n i ss e Die geschilderten Erscheinungen lassen sich im Sinn generellerer Gedanken wie folgt zusammenfassen: Authentizitätsfiktionen bilden wichtige Bausteine kollektiver Rückerinnerung und eignen sich ideal zur rückwärtsgewandten Selbstvergewisserung von sozial heterogenen Personenverbänden. Anders als wissenschaftlich aufbereitete Historie können sie Widersprüche und soziale Friktionen ausblenden und lassen sich inhaltlich und medial auf das kulturelle und ständische Profil der intendierten Rezipienten abstimmen. Die authentische Fiktion passt sich der Nachfrage an, zu deren Befriedigung sie dient. Artikulieren sich Authentizitätsfiktionen über Gruppenaktivitäten, bieten sie ideale Plattformen für vergemeinschaftende Rituale und kollektives Symbolhandeln. Besonders nachhaltig ist ihre sinn- und bewusstseinsstiftende Wirkung, wenn sie sich über physische Anstrengungen, körperliche Entbehrung und Emotionen in die subjektive Erinnerung einschreiben. Authentizitätsfiktionen lassen unterschiedliche Gruppen an ›historischem Erbe‹ partizipieren, also auch jene, die nicht über ruhmreiche Ahnen und auch sonst über keinerlei vorzeig- bzw. nachweisbares Herkommen verfügen. Die integrative Kraft von Authentizitätsfiktionen beruht auf dem Glauben, dass etwas so und nicht anders gewesen sei. Aufgrund dieses transzendentalen Zuges entziehen sie sich kritischen Diskursen und entwickeln unabhängig von der Epoche legitimatorisches Potential, denn sie diffundieren ungeachtet ihrer Plausibiliät und Faktizität als erratische Erzählungen ins kollektive Bewusstsein.

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F I K T I O N , D I E Z EU G E N S C H A F F T : N A C H B I L D E R D ES VERSCHWINDENS IN DER ZEITGENÖSSISCHEN A R G E N T I N I S C H EN L I T E R A T U R KAROLIN VISENEBER

»Der Erinnerungstisch ist reich gedeckt« (Frei 2009: 51) – eine Diagnose, die sich von Deutschland ohne weiteres auch auf viele andere Erinnerungsgemeinschaften übertragen lässt. Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Erinnerns1 widmet sich eine Vielzahl zeitgenössischer Medien explizit dem Vergangenheitsbezug: Geschichtsdarstellungen und -inszenierungen stehen ebenso hoch im Kurs wie Erinnerungsthematiken und sind immer auch mit bestimmten erinnerungspolitischen Bestrebungen verbunden. In den letzten Jahren hat besonders das Interesse an Formen und Strategien der Auseinandersetzung mit traumatischen Vergangenheitserfahrungen zugenommen, das sich vielerorts in öffentlichen Diskussionen um Mahnmale, Gedenktage und Erinnerungsarchitektur manifestiert.2 Der vorliegende Beitrag fragt 1

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Die vielfältigen Erklärungsansätze, warum die Thematik der ›Erinnerung‹ in den letzten Jahrzehnten so einen bedeutenden Stellenwert eingenommen hat, werden ergänzt durch verschiedene sich bisweilen widersprechende theoretische Konzeptionen, Beschreibungsstrategien und Analysemethoden, mit denen sich die unterschiedlichsten Disziplinen derselben genähert haben. Stellvertretend für eine Vielzahl von Einzelstudien sei auf die Einführung Erlls (2005) sowie das interdisziplinäre Lexikon von Pethes und Ruchatz (2001) verwiesen. Die Problematik der Festlegung von Gedenktagen beschreibt etwa Pethes, wenn er aufzeigt, dass eine Entscheidung für oder gegen einen Feiertag immer auch eine politische Selektion ist: »Die Entscheidung, ob eine Revolution oder deren Niederschlagung feierlich begangen wird, regelt über die Unterscheidung von Erinnerung und Vergessen das ideologische Selbstverständnis einer Gruppe« (2008: 86). Vgl. exemplarisch zu verschiedenen Erinnerungsarchitekturen wie dem Parque de la Memoria in Buenos Aires oder verschiedenen Bauwerken in Berlin etwa Huyssen (2003); Leggewie/Meyer (2005) haben die Diskussionen um das Berliner Mahnmal Eisenmanns für die ermordeten Juden Europas nachgezeichnet. Zu einem

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in Bezug auf die letzte argentinische Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983, inwieweit literarische Texte und die damit verbundenen narrativen Strategien als Produzenten von Erinnerungsdiskursen interpretiert werden können. Der Machtapparat des argentinischen Militärs versuchte durch das Verschwindenlassen und Beseitigen potentieller Feinde des Regimes sich einer politischen Opposition zu entledigen und kritisches Denken bereits im Ansatz zu ersticken, wodurch letztendlich jedoch das Gegenteil erreicht wurde: Die Erinnerung an die Verschwundenen ist bis heute lebendig und gegenwärtig.3 Nach Schätzungen verschiedener Menschenrechtsorganisationen wurden bis zu 30.000 überwiegend junge Menschen entführt, gefoltert und getötet, derer heute auf verschiedenste Arten gedacht wird.4 Genaue Zahlen sind noch immer nicht bekannt, die Familienangehörigen und Freunde sind bisher nicht über den Verbleib der Verschwundenen oder ihrer Körper aufgeklärt worden und die Täter von damals wurden größtenteils in den 1990er Jahren begnadigt, wenn sie überhaupt zur Verantwortung gezogen wurden. Die Vergangenheitspolitik nach dem Ende der Diktatur zeigt verschiedene Phasen auf (vgl. Fuchs/Nolte 2006):5 So schloss an eine erste Phase der Aufarbeitung, in der Strafverfahren gegen einige ranghohe Militärs stattfanden, eine Phase des (Be-)Schweigens an, die mit einem politischen und gesellschaftlichen Diskurs der Versöhnung einherging. Erst ab Mitte der 1990er Jahre begann eine erneute Auseinandersetzung mit der Zeit der Diktatur: Wichtige Militärmitglieder brachen ihr Schweigen, und die Kinder von Verschwundenen organisierten sich und setzten sich mit der politischen Vergangenheit ihrer Eltern auseinander.6 In den letzten Jahrzehnten wurden

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Vergleich der Erinnerungsdiskurse in den Städten Berlin und Buenos Aires vgl. Huffschmid (2006). Vgl. etwa Röttger (1997); Schindel (2002). Wie Huyssen hervorhebt, zeigt sich in der Figur des Verschwundenen auch eine globale Dimension der Erinnerung: »We are not remembering heroes of the war or martyrs for the fatherland. We are remembering students and workers, women and men, ordinary people who had a social vision at odds with that of the ruling elites, the church, and the military, a vision shared by many young people across the globe at that time, but that led to imprisonment, torture, rape, and death only in a few countries of the world« (2003: 104). Für eine ausführliche Darstellung der Vergangenheitspolitik der Regierungen unter Alfonsín und Menem vgl. Fuchs (2003). Eine Selbstdarstellung des Zusammenschlusses der Kinder Verschwundener mit dem Namen HIJOS findet sich unter: www.hijos-capital.org.ar (Zugriff am 20.5.2009), zur Entstehungsgeschichte der Gruppe vgl. zum Beispiel Bonaldi (2006). 1997 beginnt die von ihnen initiierte Praxis der

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den Verschwundenen verschiedene Rollen zugeschrieben, die von wehrlosen Opfern über terroristische Dämonen bis hin zu Revolutionsikonen reichten und je nach Kontext zu einer Mythisierung oder pauschalen Verurteilung führen konnten.7 Am Beispiel der Erinnerungsdebatte im postdiktatorischen Argentinien erweisen sich Fragen nach der Inszenierung von Erinnerung als besonders virulent, da sich in der Figur der Verschwundenen die Problematik der Erinnerung selbst manifestiert: die Präsenz der Abwesenheit. Wie Schindel betont, müssen »[a]lle Versuche, das Trauma der jüngsten argentinischen Vergangenheit zu fassen, [...] sich nicht nur mit der politischen Dimension des Themas auseinandersetzen, sondern auch mit den künstlerischen Anforderungen dieser undurchdringlichen Zone des Verschwindens, die sich allen konventionellen Darstellungsversuchen zu entziehen scheint« (Schindel 2002: 124).

In der hier untersuchten Literatur, einer zeitgenössischen Form der historischen und politischen Literatur in Argentinien, die sich mit der argentinischen Vergangenheit während der Diktatur sowie den Auswirkungen auf die Gegenwart beschäftigt, steht die Inszenierung von Vergangenem im Vordergrund. Ab Mitte der 1990er Jahre zeigt sich darin außerdem eine zunehmende Auseinandersetzung mit problematischen Themen, etwa mit den Diskursen der Folterer oder dem Schweigen derjenigen Argentinier, die kollaboriert oder zumindest keinen Widerstand geleistet haben.8 Es lässt sich fragen, wie in den Romanen die Abwesenheit darge-

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escraches, eine öffentliche Form des Protestes gegen die Straflosigkeit der Mörder und Folterer ihrer Eltern, bei der es neben dem systematischen Outen von Mittätern der Diktatur, die noch immer ohne Strafe sind und anonym ein ganz normales Leben führen, um das Bewusstmachen von Straflosigkeit im Alltag oder, wie Huffschmid treffend formuliert, »ein öffentliches Sichtbarmachen von Schuld an nicht öffentlichen Orten« (2006: 15) geht. »Escrache ist ein Wort aus dem Oberitalienischen, das in der argentinischen Umgangssprache ›markieren, demaskieren‹ bedeutet« (Schindel 2002:124f.). Zu den verschiedenen Rollen der Verschwundenen vgl. etwa Straßner (2006) Schindel (2002) und Oberti (2004). Wie Borsò anhand von Borges zeigt, ist mit jeder Gedächtnisform eine Ausgrenzung verbunden: »Jeder Gedächtnisakt, der eine zeitüberdauernde Identität postuliert, ist ein Gewaltakt, weil die Fixierung symbolischer Zeichen des Gedächtnisses alle anderen möglichen Formen ausgrenzt« (2004: 80). Vgl. Schindel (2002). Die Jahre 1995/96 sind vielfach als Wendepunkt in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Militärdiktatur bezeichnet worden, vgl. auch Dalmaroni (2003) und Tappata de Valdéz (2002).

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stellt und mit welchen narrativen Mitteln das Verschwinden inszeniert wird, ohne die Verschwundenen zu mythisieren oder zu verurteilen. Anhand des Romans Dos veces junio (2002) des argentinischen Autors Martín Kohan (in der deutschen Übersetzung Zweimal Juni)9 soll eine der möglichen Strategien des Umgangs mit dem Phänomen des Verschwindens gezeigt werden, eine Ästhetik, die eben nicht versucht, einen dauerhaften Sinn zu stiften, sondern die gerade durch Momente der Präsenz Irritationen und Uneindeutigkeiten hervorbringt, und so zu Fragen und Zweifeln anregt. Young (2002) hat in Hinblick auf die Erinnerung an die Ereignisse der Shoah in einer Generation, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, den Terminus »Nach-Bilder« geprägt. Was Young unter anderem in Abgrenzung zur Testimonialliteratur als »Vergangenheit aus zweiter Hand« bezeichnet, ist der Umgang mit einer traumatischen Vergangenheitserfahrung, die immer schon als vermittelt wahrgenommen wird und nie zu einer Abgeschlossenheit findet. So folgert Young, dass diese Werke nicht an »erlöserischen Qualitäten« zu messen, sondern geradezu dezidiert antierlöserisch seien. Zudem bestünden sie nicht mehr in dem Versuch der Aufzeichnung von Ereignissen, sondern würden gerade den Prozess der Weitergabe an folgende Generationen mitbeachten: »Das Nach-Leben der Erinnerung ist in Nach-Bildern der Geschichte repräsentiert: wie in den visuellen Eindrücken, die das innere Auge von einer Wahrnehmung zurückbehält, nachdem das Wahrgenommene längst verschwunden ist« (Young 2002: 10). Der Gedanke an Benjamins Erinnerungskonzept in den so genannten ›Geschichtsthesen‹ liegt hier nahe. Die aufblitzenden Bilder der Vergangenheit sind für immer verloren und stehen gleichzeitig für die Präsenz des Verlustes in der Gegenwart, wodurch nicht zuletzt eine – wenngleich auch fragmentarische – Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt wird: »Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. Nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit eben aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten« (Benjamin 1974: 695). Im Moment des Aufblitzens ist das Bild bereits Vergangenheit, Nachbild, und kann nur noch als Nachträglichkeit im Zeitfluss wahrgenommen werden. Damit wohnt einem Bezug auf Vergangenes bereits die Möglichkeit des nachträglichen

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Martín Kohans Roman Dos veces junio erschien zuerst im Juni 2002. Bei spanischen Zitaten im Text wurde die Taschenbuchausgabe von 2005 verwendet, die Kohan (2005) zitiert wird, die deutsche Übersetzung von Peter Kultzen wird als Kohan (2009) zitiert.

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Kommentars inne und zugleich ist darin auch eine Perspektivierung enthalten.10 Eine Vermitteltheit von Wahrnehmung, die den Prozess des Erinnerns und den nachträglichen Kommentar mit einbezieht und reflektiert, zeigt sich auch in der zeitgenössischen argentinischen Literatur. Hier geht es nicht vorrangig um persönliche Erinnerungen, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung mit Erinnerungsdiskursen und somit um tradierte Erfahrungen und institutionalisierte Geschichtsbilder. Martín Kohans Roman Dos veces junio erzählt die Militärdiktatur aus einer in der postdiktatorischen argentinischen Literatur eher ungewöhnlichen Perspektive,11 der eines conscripto, eines einfachen Rekruten, vergleichbar mit einem Wehrdienstleistenden. Kohan situiert seinen Protagonisten zwar auf der Seite des Militärs und damit auf der Seite der Täter, jedoch betont er auch die Zufälligkeit der Zugehörigkeit zum System und zeigt so die Ambivalenz des Protagonisten, der nicht einfach als gut oder böse eingestuft, also nicht eindeutig positioniert werden kann. Der Roman bietet kein Entlastungsangebot und keine erlöserische Vergangenheitsversion, sondern hinterfragt vielmehr moralisch jeden Einzelnen, der geschwiegen hat und möglicherweise auch immer noch schweigt. So wird nicht zuletzt auch die Frage nach der Verantwortlichkeit und Kollektivschuld einer Gesellschaft fokussiert. Bezeichnenderweise ist der Protagonist keiner der Mächtigen, sondern ein kleines Rädchen im Getriebe,12 einer unter vielen, der zufällig ausgelost wurde, um den Wehrdienst anzutreten. Nach der Grundausbildung wird der Protagonist Fahrer für einen Militärarzt, der an den Folterungen in den geheimen Folterzentren der Diktatur beteiligt ist. Der Roman beginnt mit der verstörenden Frage: »¿A partir de qué edad se puede empesar [sic] a torturar a un niño?« (Kohan 2005: 11), »Ab wieviel Jahren kann man ein Kind folltern [sic]?« (Kohan 2009:

10 Borsò hat anhand von Benjamins Überlegungen zur Reproduzierbarkeit des Mediums deutlich gemacht, dass darin bereits eine »Reflexion des Rahmens [enthalten ist], das Sichtbarwerden der Kadrierung selbst, d.h. jener Operation, die ein Bild aus dem Fluss der Zeit trennt, den Ausschnitt festlegt und in den Bildraum auch das Außen – die Differenz – einschreibt. Das Sichtbarmachen der Kadrierung macht auch deutlich, dass jenseits des Sichtbaren andere Räume bestehen, Räume, die das Dispositiv des Auges nicht erreichen kann« (2004: 81). 11 Eine ähnliche Perspektive ist zum Beispiel in dem bereits 1995 in Buenos Aires erschienenen Roman Villa von Luis Gusmán zu sehen. 12 Das belegt auch die Vorstellung des Protagonisten, der sich und seine Kollegen als »engranajes de una máquina que nunca falla« (Kohan 2005: 45) ansieht, als »Teile eines jederzeit reibungslos funktionierenden Mechanismus« (Kohan 2009: 42).

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11). Diese Notiz eines Telefongespräches findet der Protagonist an seinem Arbeitsplatz. Anstatt jedoch auf die Frage zu reagieren, sorgt er sich darum, ob jemand bemerken könnte, dass er heimlich den Rechtschreibfehler im Satz korrigiert hat. Bereits auf der graphischen Ebene wird eine Fragmentierung des Erzählten deutlich, da der Roman in eine Vielzahl von Kurzkapiteln zerfällt. Durch die Nummerierung der einzelnen Absätze entsteht der Eindruck von beinahe krankhaftem Ordnungswillen,13 der sich möglicherweise auch als Zeichen für den ausschließenden kohärenzstiftenden und nationalistischen Diskurs des Militärs lesen lässt. Das achronologische Aneinanderreihen von Episoden zeigt bereits die Unmöglichkeit einer festen Bezüglichkeit auf Vergangenes. Die Romanhandlung besteht aus zwei großen Zeitabschnitten: Anhand der Fußballniederlagen 1978, die schließlich doch in einem Triumph des argentinischen Teams und somit in einer Unterstützung des Militärregimes endete, und 1982, die für den verlorenen Falklandkrieg und den beginnenden Machtverlust des Regimes steht, wird die politische Situation des Landes gezeigt. Die verschiedenen Zeitabschnitte, in denen Spiller zwei nationale Mythen repräsentiert sieht (2006: 92), zeichnen sich durch eine Parallelisierung der historischen und sportlichen Ereignisse aus. Den ersten Teil des Romans bestimmt also die Fußballweltmeisterschaft von 1978 in Argentinien, die ein Gefühl des nationalen Zusammenhalts hervorrief und damit das diktatorische System in seiner Macht bestätigte. Doch gleichzeitig wird ein anderes Argentinien gezeigt, in dem Verhaftungen, Demütigungen, Menschenraub und geheime Folterzentren an der Tagesordnung sind. Die erstaunlich neutral gehaltene Erzählperspektive, die die Gedanken des Soldaten fokalisiert, ermöglicht einen Einblick in den Diskurs der Täter, ohne diese ins Monströse zu überzeichnen – es zeigt sich das, was Hannah Arendt (2007) als »Banalität des Bösen« bezeichnet hat.14 Der Roman wählt jedoch als historischen Kontext bewusst nicht einen Moment des 13 Dalmaroni spricht von einer »obsesión de orden numérico« (2003: 39), alles in Dos veces junio werde kalkuliert, gelistet und nummeriert, vgl. auch Spiller (2006: 90f.). 14 »Die Banalität des Bösen liegt für Hannah Arendt also darin, daß es NichtPersonen sind, die sich in NS-Deutschland schuldig machten, Leute eben, die willentlich ›auf alle persönlichen Eigenschaften verzichteten.‹ Daß sie dies gar nicht taten, sondern vor Gericht Masken aufsetzten, hat sich heute halbwegs herumgesprochen. Hannah Arendts Wendung von der ›Banalität des Bösen‹ trifft dennoch den Nagel auf den Kopf – nur daß es keine Nicht-Personen waren, die diese Taten verübten, sondern Jedermänner«. So der Kommentar von Franziska Augstein im Nachwort »Taten und Täter« zu Hannah Arendts Über das Böse, vgl. (2007: 177-195, hier 190).

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Triumphes der argentinischen Fußballnationalmannschaft, die schließlich im Endspiel gegen die Niederlande gewann, sondern die einzige Niederlage der Argentinier während der ersten Gruppenphase gegen Italien. Unterbrochen wird die Haupthandlung immer wieder von Einschüben: entweder von bürokratischen Aufzählungen, zum Beispiel Listen der verschiedenen Spieler des argentinischen Fußballteams, oder von Fragmenten, in denen Bilder der Folter und des Grauens anhand der Figur einer Gefangenen in einem der geheimen Folterzentren gezeigt werden. Calveiro (2001) hat darauf hingewiesen, dass die militärische Macht in Argentinien eher als bürokratische Repressionsstruktur denn als Kriegsapparat funktionierte, dies zeigt sich sowohl formal als auch inhaltlich in Kohans Roman. Gleichzeitig wird jedoch auf den politischen Diskurs der Zeit rekurriert, der in der Theorie der Dos Demonios, das heißt der Vorstellung von zwei sich im bewaffneten Kampf gegenüberstehenden Gruppen, noch lange nachwirkte. Durch die bipolare Aufteilung in Freund und Feind ließ sich jedes Vorgehen rechtfertigen: »Dijo el sargento que las cosas había que hacerlas con la mayor responsabilidad, que en los días que corrían los errores se pagaben muy caro; dijo que el enemigo estaba esperando cualquier distracción nuestra para golpear, y que en tiempos de guerra era imprescindible afrontar cada hecho con absoluta seriedad« (Kohan 2005: 35). »Alle hätten ihre Aufgaben mit der größtmöglichen Sorgfalt zu erledigen, sagte Feldwebel Torres, in Zeiten wie dieser könne jeder Fehler teuer zu stehen kommen, der Feind warte nur darauf, daß wir eine Unvorsichtigkeit begingen, um loszuschlagen, im Krieg dürfe man sich bei keiner Gelegenheit auch nur die geringste Leichtsinnigkeit erlauben« (Kohan 2009: 33).

Innerhalb dieser Logik des »Ausnahmezustands« (Agamben 2004),15 die auf der Ausgrenzung und Auslöschung des Anderen, der als Feind die 15 Den modernen Totalitarismus definiert Agamben als »die Einsetzung eines legalen Bürgerkriegs, der mittels des Ausnahmezustands die physische Eliminierung nicht nur des politischen Gegners, sondern ganzer Kategorien von Bürgern gestattet, die, aus welchen Gründen auch immer, als ins politische System nicht integrierbar betrachtet werden« (2004: 8). »Ausgehend von Foucaults Biopolitik und von Arendts These, dass die Menschenrechte immer schon an eine Staatsbürgerschaftszuweisung, an ein politisches Leben gekoppelt sind, beschreibt Agamben die Lager als Ausnahmezustand, in dem sich die Souveränität durch die Ausgrenzung eines Teils der Menschen als homo sacer begründet. Die Ausgrenzung ist also das Fundament der Macht, dies ist die Basis, die Agamben von Foucault übernimmt. Der homo sacer hat die Ambivalenz der Zone: es ist heiliges Leben, das getötet werden kann, aber nicht geopfert werden darf« (Borsò 2004: 77).

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eigene Sicherheit bedroht, beruht und die mit dessen Degradierung zu unwürdigem Leben16 einhergeht, wird ein Handeln möglich, das Folter rechtfertigt – eine Diskussion, die auch heute nicht an Aktualität verloren hat. Die Foltersequenzen des Romans zeichnen sich durch eine distanzierte und gleichzeitig technisch-medizinische Sprache aus, die den Körper der Gefangenen zu einem »objeto inerte«, einem toten, leblosen Objekt macht: »Le bastaron dos minutos a ese médico para palparla, como quien toca un objeto inerte, y para soltar con indolencia sus recomendaciones. Todo lo hizo sin pedir que la desataran y en cierto modo sin considerar que estaba ahí« (Kohan 2005: 34, Hervorhebung K.V.). »Der Arzt brauchte nicht mehr als zwei Minuten, um sie abzutasten, was er tat, als hätte er einen leblosen Gegenstand vor sich. [...] Er verlangte nicht einmal, man solle sie losbinden, eigentlich benahm er sich, als wäre sie gar nicht da« (Kohan 2009: 32).

Besonders explizit zeigt sich dies in den Szenen, in denen es um den Missbrauch der Gefangenen geht und die Militärs als »interesados«, hier übersetzt mit »Beteiligte«, umschrieben werden, wenn »uso«, das heißt Gebrauch, von der Gefangenen gemacht wird: »El doctor Padilla recomendó, ante todo para evitar un mal momento a los interesados, que nadie hiciera uso de la detenida, hasta tanto no pasaron unos treinta días desde el alumbramiento. Aclaró que a sus palabras había que tomarlas como una recomendación general, pero que luego cada uno era dueño de su vida« (Kohan 2005: 28, Hervorhebungen K.V.). »Doktor Padilla hatte geraten, sich die Gefangene frühestens dreißig Tage nach der Geburt wieder vorzunehmen, vor allem, um den Beteiligten mögliche unangenehme Situationen zu ersparen. Seine Worte seien als allgemeine Empfehlungen aufzufassen, fügte er hinzu, davon abgesehen, könne jeder nach Gutdünken verfahren« (Kohan 2009: 26).17

16 Calveiro (2001) hat gezeigt, inwiefern die Sprache der Militärs zu dieser Degradierung beigetragen hat. 17 Neben den Folterszenen der Gefangenen gibt es noch verschiedene andere Abschnitte, die in Gewalt gegen Frauen enden. Hervorzuheben ist besonders auch eine der pornographischen Szenen, in der ein junges Mädchen von fünf Soldaten vergewaltigt wird. In diesem Ausgeliefertsein ohne Hoffnung auf Hilfe lässt sich ein Bezug zu der Lage der Gefangenen herstellen, die in dem Folterzentrum den Demütigungen und Vergewaltigungen ihrer Wächter ausgesetzt ist. »Vergewaltigung ist uneingeschränkte Kontrolle, willkürlicher und freier, souveräner Willensakt, dessen Möglichkeitsbedingung die Vernichtung äquivalenter Attribute im Anderen ist.

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Der Körper der Gefangenen gehört ihr nicht mehr, er wird vielmehr zu einem Gebrauchsobjekt, einer Kriegsbeute, er wird vereinnahmt, wodurch gleichzeitig eine Analogie zwischen (Frauen-)Körper und besetztem Territorium gezogen wird: »Porque en la guerra los cuerpos ya tampoco son de nadie: son pura entrega, son puro darse a una bandera y a una causa [...] cuando en la guerra se acciona sobre un cuerpo, se está accionando sobre algo que ya no pertenece a nadie« (Kohan 2005: 120). »Denn auch im Krieg gehört ein Körper niemandem mehr: Er wird zu bloßer Hingabe, opfert sich auf für eine Fahne, für eine Sache. [...] Wenn man im Krieg auf einen Körper einwirkt, wirkt man auf etwas ein, das niemandem mehr gehört« (Kohan 2009: 114).

Und doch ist es am Ende die Körperlichkeit der Frau, die Widerstand leistet und gegen die Macht aufbegehrt. Die Gefangene bittet den Protagonisten um Hilfe und hält sich dabei an ihm fest, eine Berührung, die diesem so unangenehm ist, dass er nicht den Mut hat, sich dem Griff zu entziehen und so alle Details der Folterungen anhören muss, die sie ihm erzählt. Mit ihrer »voz ronca« (Kohan 2005: 137), ihrer heiseren Stimme – hier liegt der Gedanke an Roland Barthes’ (1990) »grain de la voix«18 und die damit verbundene Materialität des Körpers nahe – scheint sie sich der dominanten Macht des Militärs zu widersetzen: »La voz traspasaba la puerta como si la puerta no existiera. De este lado de la puerta estaba yo. La voz traspasaba la puerta para contarme las cosas que pasaban« (Kohan 2005: 138). »Die Stimme durchdrang die Tür, als gäbe es die Tür nicht. Auf dieser Seite der Tür war ich. Die Stimme durchdrang die Tür, um mir zu erzählen, was hier vor sich ging« (Kohan 2009: 130).

Die verschiedenen Foltermethoden im Roman scheinen Zeugenberichten entnommen zu sein, durch ihre indirekte Schilderung erhalten sie eine Distanz, welche die Vermitteltheit der Geschehnisse aufzeigt: »El doctor Padilla detectó un intenso silbido respiratorio y calculó la existencia de agua acumulada en los pulmones. Por tales motivos recomendó la suspenDarüber hinaus ist Vergewaltigung Ausdruck der Potenz, das Opfer als Index der Andersartigkeit und als andersartiges Subjekt zum Verschwinden zu bringen« (Segato 2007: 178). 18 Die »Rauheit« der Stimme ist »[…] die Materialität des Körpers, der seine Muttersprache spricht: vielleicht der Buchstabe; fast mit Sicherheit die Signifikanz« (Barthes 1990: 302).

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sión temporaria de las técnicas interrogativas de inmersión, siempre y cuando existiera la necesidad de preservar la vida de la detenida« (Kohan 2005: 30). »Doktor Padilla stellte ein auffälliges Pfeifgeräusch beim Ein- und Ausatmen fest und schloß daraus auf eine Wasseransammlung in der Lunge. Aus diesem Grund empfahl er, bei dem Verhör zeitweilig auf die Technik des Untertauchens zu verzichten, immer vorausgesetzt, es bestehe die Notwendigkeit, die Gefangene am Leben zu erhalten« (Kohan 2009: 9).

Besonders deutlich wird dies anhand des bereits zitierten Anfangssatzes, da er tatsächlich Zeugenaussagen entnommen wurde.19 Darüber hinaus erfährt man von der Gefangenen, dass diese bereits einen Namen für ihr Kind ausgesucht habe, das sie in der Gefangenschaft geboren hat und das später dem Vorgesetzten des erzählenden Soldaten gegeben wird20 – jenes Kind, auf das sich der Anfangssatz des Romans bezieht. Der Name, den die Gefangene für ihr Kind ausgewählt hat, kehrt am Ende des Romans wieder, wenn der Soldat weiß, dass das Kind, das bei der Familie seines Vorgesetzten aufwächst, eigentlich einen anderen Namen tragen müsste21 – und so schreibt sich hier eine Geste des (Über-)Lebens22 ein,

19 So Kohan in einem Interview zitiert nach Schindel (2005: 259), vgl. hierzu: http://www.segundapoesia.com.ar/2004/06/martin-kohan-dos-veces-junio/ (Zugriff am 20.5.2009). Ein wichtiger Schritt, der unter der ersten demokratischen Regierung eingeleitet wurde, war die Gründung einer Wahrheitskommission, der CONADEP (Comisión Nacional sobre la Desaparición de Personas), die sich mit der Aufdeckung der unter der Diktatur begangenen Verbrechen beschäftigte und im Anschluss daran 1984 in Buenos Aires den Bericht Nunca más herausgab, dieser ist auch im Internet einzusehen unter: http://www.desaparecidos.org/arg/conadep/nuncamas/nunca mas.html (Zugriff am 20.5.2009). 20 Diese Geschichte weist auf eine gängige Praxis während der Militärdiktatur hin, bei der schwangere weibliche Gefangene bis zur Geburt am Leben gehalten wurden, um die Neugeborenen später an kinderlose Militärfamilien zu geben. 21 »›¡Antonio!‹. Un chico de pelo castaño, que se llama Guillermo, se asoma y pregunta qué pasa« (Kohan 2005: 178). »Cuando al chico, al que llaman Antonio, se le pregunta cuántos años tiene, él dobla con fuerza el pulgar hacia adentro, y muestra con orgullo, la mano en alto, los otros dedos extendidos« (ebd. 179). »›Antonio!‹ Ein kleiner Junge mit braunen Haaren – er heißt Guillermo – erscheint auf der Terrasse und fragt, was los ist« (Kohan 2009: 168). »Fragt man den Jungen, den die anderen Antonio nennen, wie alt er ist, knickt er mühsam den Daumen ab, hebt die Hand und zeigt stolz vier ausgestreckte Finger« (ebd. 170). 22 In Anlehnung an Agambens Konzeption der Geste: »Wenn wir das, was bei jedem Akt des Ausdrucks unausgedrückt bleibt, Geste nennen, dann

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da das Einzige, was nach der Auslöschung des Lebens der Mutter übrig bleibt, der Name ihres Kindes ist. Bezeichnend ist außerdem, dass im Gegensatz zu dem Jungen, der zwei Namen hat, sowohl der Protagonist als auch die Gefangene im Roman namenlos bleiben. Einerseits steht damit ihr Grauen auch für viele andere, andererseits wird deutlich, dass es über das Schicksal der Verschwundenen keine Klarheit gibt, da sie im Sinne Agambens »Zeugen«23 sind, die keine Sprache mehr haben, um ihre Erfahrungen mitzuteilen. Die Namenlosigkeit des Protagonisten erzeugt Ungewissheit, da es – bis heute ist ein Großteil der Militärs straffrei geblieben – keine Gewissheit darüber gibt, wer in welchem Maße an den Verbrechen der Diktatur beteiligt war. Für den Protagonisten schreibt sich hier dennoch die ungenutzte Möglichkeit ein, das Schweigen zu brechen, eben nicht »wie die Anderen« zu sein und vollständig in deren Ordnung einzutreten24 – das ist es auch, was die Gefangene dem Protagonisten immer wieder zuflüstert: »Vos no sos uno de ellos« / »Du bist keiner von ihnen«. In diesem Sinne ermöglicht der Roman eine Geste des Sagens und eine Zeugenschaft im Sinne Agambens (2003), dafür können wir sagen, daß genau wie der Infame, der Autor im Text nur in einer Geste gegenwärtig ist, die den Ausdruck in dem Maß möglich macht, wie sie in seiner Mitte eine Leere erstellt« (Agamben 2005: 62), zu der Terminologie »Gesten des Lebens« siehe auch Borsò (im Druck). 23 So definiert Agamben mit Levi in Bezug auf die Auslöschung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs: »Die ›wirklichen‹ Zeugen, die ›vollständigen Zeugen‹ sind diejenigen, die kein Zeugnis abgelegt haben und kein Zeugnis hätten ablegen können. Es sind die, die ›den tiefsten Punkt des Abgrunds berührt haben‹« (2003: 30). Agamben zitiert hier aus Primo Levi (1993 [1986]): Die Untergegangenen und die Geretteten, übersetzt von Moshe Kahn, München: DTV, hier 85f. Auch Spiller zeigt, dass die Gefangene als ›Zeuge‹ angesehen werden kann: »Sie ist eine Grenzfigur, noch nicht tot, aber auch nicht mehr lebendig. […] Die sterbende Mutter, von der nur noch die Stimme zu vernehmen ist, bleibt unsichtbar, sie repräsentiert den ›wahren Zeugen‹« (Spiller 2006: 94). 24 Spiller hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Protagonist keine moralischen Zweifel habe: »Ihm kommen keine moralischen Zweifel, denn sein Handeln bleibt im Rahmen dessen, was ihm als moralisch richtig gilt. Das zeigt sich vor allem in seinem Ausruf: ›No ayudo a los extremistas [Extremistinnen helfe ich nicht, Anmerkung K.V.]‹. Von daher ist verständlich, dass ihn die Möglichkeit, helfen zu können, ohne dabei selber in Gefahr zu geraten, nicht anspricht« (Spiller 2006: 96). Nicht zuletzt auch, weil er die Vorstellungen des Militärs übernimmt und sich so dem ausgrenzenden Diskurs anschließt, steht er für »die schweigende Mehrheit, für die Mitläufer, die selbst nicht an den Morden oder Folterungen beteiligt waren, jedoch Bescheid wussten und schwiegen« (ebd.: 100).

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spricht auch eine Ambiguität des literarischen Diskurses, die Spuren des Verdrängten und Verschwundenen aufscheinen lässt, wie etwa in der nachfolgenden Passage. Als der Protagonist in der geisterhaften Leere der Stadt während des Fußballspiels an einer unbewohnten Fläche entlanggeht, auf der nur Bauschutt und Unkraut zu finden sind, erwacht diese in der menschenleeren Stadt zum Leben – in dieser gespenstischen Stadtlandschaft begegnen ihm noch verschiedene andere irritierende Figuren: ein Hund, der mit einem Ring spielt,25 in den zwei Namen eingraviert sind; ein Mädchen, das um ihr Leben rennt, obwohl kein Verfolger zu sehen ist; oder ein Mann, der in eine Radioübertragung vertieft scheinbar dem Fußballspiel lauscht, dieses auch kommentiert, obwohl er, wie sich später zeigt, klassische Musik hört. Die Geräusche, die in dieser gespenstischen Stille zu hören sind, könnten ebenso von Ratten oder Menschen stammen. Da der Protagonist jedoch in seiner Ordnungskonformität davon ausgeht, dass an diesem Ort nur Ratten sein können, interpretiert er die Geräusche auf die denkbar einfachste Weise. Diese Zone der Ambiguität, in der nicht zwischen Ratten und Menschen unterschieden werden kann, spielt auf die Existenz eines möglichen geheimen Folterzentrums an, wodurch sich die geisterhafte Präsenz der Abwesenden in die Stadt einschreibt und die Verschwundenen als das Verdrängte den kohärenten Diskurs perturbieren. Das Rekurrieren auf real existierende historische Personen, zum Beispiel die Fußballspieler der argentinischen Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 1978, Orte – etwa Quilmes, Banfield, Lanús, La Plata – oder Institutionen wie die ESMA, die Escuela de Mecánica de la Armada, eines der größten Folterzentren während der Diktatur, hat in diesem Roman die Funktion, den Erzähler in einem historischen Raum zu positionieren und die literarische Kommunikation mit einer historischen Verantwortung auszustatten. Dadurch werden bestimmte Ordnungssysteme und die Politik der Geschichtsschreibung des Militärs und des historischen Gedächtnisses sichtbar. Gleichzeitig entsteht aber auch die Möglichkeit, diese Politik zu irritieren und zu stören, indem auf verschiedenen Ebenen das Ausgelöschte als Nachbild aufblitzt. Etwa wenn anhand eines Kommentars über die Landschaft eine Technik des Verschwindenlassens des Militärs deutlich wird, bei der die Gefangenen betäubt über dem Rio de la Plata abgeworfen wurden:26 25 Selbst dieses Spiel wirkt in dem Augenblick unnatürlich: »Era la manera en que suelen jugar los gatos, no los perros« (Kohan 2005: 62). »So spielen eigentlich Katzen und nicht Hunde« (Kohan 2009: 59). 26 Zu den Erkenntnissen über diese Technik des Verschwindenlassens haben besonders die Aussagen des Korvettenkapitäns Scilingo Mitte der 1990er Jahre beigetragen, der als erster Militärangehöriger seit Ende der Diktatur

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»Se veía un cielo casi blanco ahora, más nítidos los bordes de los barcos derruidos, el otro puente más claro, más diáfano con el sol del mediodía. Pero el agua sucia, siempre quieta y espesa, se veía igual. ›Lo que se hunde ahí‹, dijo el doctor Mesiano señalando hacia abajo, ›no se encuentra nunca más‹« (Kohan 2005: 153). »Der Himmel war jetzt fast weiß, die Umrisse der abgewrackten Schiffe hoben sich deutlicher ab, die andere Brücke war in der Mittagssonne heller, fast durchsichtig. Nur das schmutzige Wasser sah aus wie immer, trübe und reglos. ›Was da reinfällt‹, sagte Doktor Mesiano und deutete nach unten, ›ist weg, für immer‹« (Kohan 2009: 144).

Zugleich werden verschiedene symbolische Räume entworfen, wie beispielsweise der Ort des Lagers, der durch Ausgrenzungen funktioniert und eigenen Gesetzen unterliegt und der in Kohans Beispiel in die Provinz, den bedeutungsträchtigen Ort Quilmes, verbannt ist: Die Ethnie der Quilmes wurde im 17. Jahrhundert von den Spaniern in die Provinz von Buenos Aires deportiert und starb dort schließlich aus, worauf in Kohans Roman explizit verwiesen wird. Das Trauma des gewaltsamen Verschwindens zieht sich also auf verschiedenen Ebenen durch den Roman, wodurch traditionelle Nationaldiskurse gestört werden. Wie Röttger zeigt, sind es gerade Gewalttaten, die in der offiziellen lateinamerikanischen Geschichtsschreibung immer wieder »verschwiegen oder heroisiert« (Röttger 1997: 41) wurden, was mit einem totalisierenden und homogenisierenden Nationaldiskurs einhergehe, der auf Kontinuität und Linearität basiere. Die Wahl eines Militärangehörigen als Protagonist zeigt in Kohans Roman einerseits den ausgrenzenden Nationaldiskurs des diktatorischen Systems, gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass dieses nur wegen der Komplizenschaft, des Wegsehens und Schweigens der Gesellschaft funktionieren kann. Durch das Kind der Gefangenen wird ein Bezug zum heutigen Argentinien geschaffen, in dem immer noch viele Kinder unter falschem Namen leben. In der antierlöserischen Romankonzeption27 wird gerade durch die Stimme der Gefange-

von den Vorgängen während der Diktatur berichtete: den organisierten Verfolgungen und Ermordungen der Oppositionellen und den Todesflügen, bei denen die Gefangenen betäubt über dem Fluss abgeworfen wurden, siehe hierzu Verbitsky (1995). 27 Eine etwas andere Lesart schlägt zum Beispiel Spiller vor, der trotz der verstörenden Elemente eine heilsame Funktion von Literatur herausstellt, weshalb er anhand des Romans von Kohan auch zu der Schlussfolgerung kommt: »[G]erade solche Konstruktionen der Erinnerung können zum Entwurf von Zukunftsperspektiven und damit auch einer Therapie durch Vergessen beitragen« (2006: 101).

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nen28 sowie weitere ambivalente Figuren und Szenen eine irritierende, beunruhigende und Unbehagen auslösende Lesart der Geschichte möglich. Pontzen (2007: 101) beispielsweise hat in Bezug auf die Shoah gezeigt, dass das Rekurrieren auf bestimmte den Genozid evozierende Wörter in literarischen Texten zu einer Materialisierung der verdrängten Vergangenheit und der verleugneten Toten führen kann.29 Auch Mersch zeigt die Doppelfunktion von Zeichen, »die zwar etwas zu bezeichnen oder zu bedeuten vermögen, das abwesend ist, die aber dabei dennoch notwendig ihrer eigenen Präsenz bedürfen, um das A-präsente, die Absenz zu re-präsentieren. Ihre eigene Gegenwart behaupten sie vorzugsweise durch ihre Materialität, durch den Laut der Sprache, die Spur, die als Abdruck eines Vorübergegangenen dessen Gewesenheit aufbewahrt« (2002: 11).

Wie auch anhand von Benjamins Erinnerungskonzeption gezeigt wurde, beruht auch das Erinnern immer auf einer Erfahrung des Verlustes und der Nachträglichkeit. Die Positionierung des Protagonisten in einem historischen Raum – und die damit verbundene Referenz auf historische Orte, Personen, Zeugenaussagen etc. – geht indes über die Frage nach der Inszenierung von Authentizität hinaus. Im Sinne von Authentizitätsfiktionen mag der Roman die Faktizität der Narrative suggerieren, doch zusätzlich zu dieser Suggestion von Authentizität der Verbrechen und Katastrophen der Vergangenheit, ist es der Akt des Erzählens selbst, der durch die Materialisierung des Auslöschens nach einer Ethik und Politik 28 Vgl. hierzu auch Dalmaroni, der in der Stimme der Gefangenen den Grund dafür sieht, dass der Roman politisch und moralisch nicht inakzeptabel wird: »esa voz, entonces, es el lugar donde una perspectiva que no es la del narrador principal se desplaza al nivel de la narración y reasegura una interpretación para que la novela no se torne política y moralmente inaceptable« (2003: 40). 29 Diese Art der Doppellektüre, die Pontzen für die Texte Jelineks vorschlägt, funktioniert ihrer Meinung nach jedoch nur bei einem bestimmten Rezipientenkreis: »Bei wem das Lexem Lager in Verbindung mit der Beschreibung von Schuhbergen nicht die Assoziation von Vernichtungslagern weckt, dem kann keine nachträgliche Vermittlung erfahrbar machen, dass die verstörende Wirkung des Textes sich daraus ableitet, dass dem Leser der Verlust seiner Unschuld zu Bewusstsein gebracht wird« (Pontzen 2007: 99). Gleichzeitig weist sie jedoch auf die Gefahr hin »Zeugnisse für umso authentischer zu halten, je typischer sie sind, d.h. desto mehr sie für den Leser wiedererkennbare Versatzstücke des Genres Lager-Literatur enthalten« (ebd.).

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des Erinnern verlangt. So können diese literarischen Nachbilder einerseits zur Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Diskursen der argentinischen Militärdiktatur anregen, andererseits aber auch aktuelle Erinnerungsdiskurse mit einbinden und etwa über die Präsenz der Stimme, des Körpers und der Geräusche gerade das Ausgelöschte, Verdrängte und Verstörende im Inneren des ordnenden und ausgrenzenden Diskurses der Macht sichtbar werden lassen.

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DAS ECHTE IM FALSCHEN: DIE ANGEBLICHE REKONSTRUKTION DER KRIEGE I M L I B A N O N I N DE N A R B E I T E N D E R A T L A S G R O U P PHILIPP SCHULTE D i e L e c tu r e P e r f o r m a n c e s v o n Wal i d R aa d Als künstlerisch-kritische Reflexion von kollektiver Identität mittels einer Etablierung von Authentizitätsfiktionen können die unter dem Label Atlas Group veröffentlichten Arbeiten des libanesischen Medien- und Performancekünstlers Walid Raad betrachtet werden. Die Atlas Group, eine fiktive künstlerische Gruppierung, deren womöglich einzig reales Mitglied Raad selbst ist, widmet sich der Aufgabe, in Form von Fotos, Videos und Texten ›Dokumente‹1 über den libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1991 zu sammeln, aber auch selbst zu kreieren und im so genannten Atlas Group Archive zu archivieren.2 Seit Ende der 1990er Jahre stellt der Performer die in diesem Archiv gesammelten Dokumente in Foto- und Videoausstellungen sowie Lecture Performances3 auch vor Publikum vor. Hierzu tritt er in schwarzem Anzug und »mit leiser, bestimmter und dennoch höflicher Stimme mit leicht nahöstlichem Akzent und in wissenschaftlichem Tonfall« sprechend auf (Lepecki 2006: 33) und bedient sich der üblichen Bühneneinrichtung einer Lecture Performance: Meist sitzt er hinter einem Tisch und spricht durch ein Mikrofon, 1

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Im Folgenden wird im Anschluss an Raads eigene Terminologie der Ausdruck ›Dokumente‹ verwendet, auch wenn hiermit nicht Dokumente im historisch-wissenschaftlichen Sinn gemeint sind. Im Gegenteil: Die zum Teil große Unglaubwürdigkeit der Fakten, die die Dokumente des Atlas Group Archives zu belegen behaupten, ist Bestandteil des Konzeptes Raads, den Begriff des ›Dokuments‹ als solchen zu hinterfragen. Die im Atlas Group Archive gesammelten Arbeiten sind im Internet zugänglich unter http://www.theatlasgroup.org/. Eine Lecture Performance ist eine theatrale Performance, die sich der Darstellungskonventionen eines akademischen Vortrages bedient; sie ist somit eine Mischform zwischen künstlerischer und quasi-wissenschaftlicher Präsentation.

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sein Laptop vor ihm, neben dem Tisch eine Leinwand, auf die er die Fotos, Videos und Textdokumente, über die er spricht, projiziert. Die Titel dieser Performances setzen sich jeweils zusammen aus einem fingierten poetischen Zitat, oftmals in der ersten Person, und einem zweiten Teil, der der Arbeit einen dokumentarisch-akademischen Charakter verleiht. Raad bedient sich in diesen Performances der Form des wissenschaftlichen Vortrags und führt nach einer einführenden Vorstellung der Atlas Group und ihres Archivs unterschiedliche Bild-, Video- und Textdokumente bzw. -arbeiten vor, die jeweils als Einzelstücke auch in den von ihm veranstalteten Ausstellungen zugänglich sind. Zum Bestand des Archivs zählt beispielsweise die Fotoserie Notebook volume 38: Already been in a lake of fire (1999), welche 145 Fotografien von Autos zeigt, ausgeschnitten und aufgeklebt auf das Papier eines Notizbuchs, daneben Notizen, die offenbar technische Daten über die Automobile verraten, außerdem Datum und Ortsangaben im Libanon, eine Anzahl von Verletzten und Toten und schließlich die Bezeichnung eines Sprengstoffs. Bei den Bildern handelt es sich angeblich um Fotos von Automodellen, die an dem jeweils angegebenen Datum für die Detonation einer Autobombe verwendet wurden. Ein weiteres Dokument ist das etwa fünf Minuten lange Video I only wish that I could weep (2002). Auf diesem Videoband wird die Geschichte eines Nachrichtenoffiziers der libanesischen Armee erzählt, dessen Aufgabe darin bestand, eine Beiruter Uferpromenade mit Kamera zu überwachen, der aber im Jahre 1997 beschlossen hatte, nur noch Sonnenuntergänge aufzunehmen. Nach einer These des Kulturanthropologen André Lepecki ist es gerade die Form der Performance, die die interessanteste und angemessenste Präsentation der Einzelarbeiten gewährleistet. Dies liegt an der körperlichen – und vor allem stimmlichen – Präsenz des Performers Raad und daran, dass seine Anwesenheit die ansonsten fragwürdige Authentizität der von ihm getroffenen Aussagen zu belegen scheint: Die lose Reihung der im Archiv angesammelten Dokumente erhält durch den Vortrag eine zusammenhängende und somit identitätsstiftende Kontinuität; die Selektionsleistung, die im Rahmen der Archivierung erfolgt ist, wird ergänzt durch den Akt der Kombination, den Raad im Verlauf einer Vortragsperformance vollzieht. Lepecki zufolge »präsentiert die Atlas Group die Bestände ihres Archivs am erfolgreichsten in Auftritten und nicht in Büchern oder an Ausstellungswänden; in sorgfältig inszenierten Vorträgen, bei denen Walid Raad die Bilder weg von ihrer Selbstpräsenz in einen widerhallenden Raum aktiver Vorstellungskraft treibt. Raads Stimme rahmt die Fotografien und die bewegten Bilder neu, befreit sie aus den orthogonalen Linien der Leinwand und lässt sie durch den Nebel sprachlicher

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Bedeutung wandern. Diese fließende Wirkung erreicht Raad durch seine Erzähltechnik« (Lepecki 2006: 35).

Im Folgenden wird der Prozess der Herstellung von Authentizitätsfiktionen und deren anschließender Unterwanderung am Beispiel einiger Arbeiten aus dem Werk Raads eingehender untersucht. Hierbei lassen sich zwei Formen der Authentizitätssuggestion unterscheiden. Zunächst geht es um die Identität des Archivs, welches Einheit und Kohärenz behauptet, indem es eine ordnende Dokumentierung mannigfaltiger und unzusammenhängender Ereignisse vorspiegelt. Die so entstehende ArchivFiktion findet auf einer anderen Ebene ihre strukturelle Entsprechung in der Fiktion einer alternativen nationalen Identität; diese entwickelt Raad in seinen Arbeiten als Gegenmodell zu einer vorherrschenden Konstruktion libanesischer Identität, welche auf der medialen Dokumentation und Geschichtsschreibung eines größtenteils westlichen Machtdiskurses zu basieren scheint. Dies geschieht jedoch nicht in der Absicht, dieses Alternativmodell in seiner Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit mit dem vorherrschenden Identitätsverständnis wetteifern zu lassen, sondern im Gegenteil darin, durch die leicht erkennbare und gezielte Entblößung der Konstruiertheit dieses Modells Rückschlüsse auf die Fiktionalität seines Gegenstücks, der so genannten Realität, zu ermöglichen.

H e r s t e l l u n g v o n A u t h e n t i z i tä ts f i k t i o n e n Über den Bestand des Atlas Group Archives, in dem Raad seit Ende der 1990er Jahre seine bis dahin entstandenen und weiterhin entstehenden künstlerischen Arbeiten zusammenfasst und ordnet, informiert der Künstler auf vielen seiner Ausstellungen mittels einer komplexen Übersichtstafel, die in Form eines Baumdiagramms die Ordnung des Archivs aufzeigt. So verwies eine solche Tafel bei der Ausstellung The Atlas Group (1989-2004). A Project by Walid Raad 2006/07 im Hamburger Bahnhof in Berlin darauf, dass zu diesem Zeitpunkt sechzehn Dokumente in dem Archiv aufbewahrt wurden, die sich insgesamt acht Dateien zuordnen ließen, welche wiederum nach drei Kategorien unterschieden wurden (vgl. Nakas/Schmitz 2006: 5f.). Die drei Aktenkategorien legten jeweils fest, welche Art von Dateien sie beinhalteten: Kategorie A umfasste vier Dateien, die einem – erfundenen oder realen – Namen zugeordnet wurden (Fakhouri, Traboulsi, Bachar oder Raad selbst); Kategorie FD verwies auf Found Documents, angeblich aufgefundene Dokumente, deren Urheber unklar blieben; und unter der Kategorie AGP, ›Atlas Group Projects‹, wurden Dokumente zusammengefasst, die sich der Atlas

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Group selbst zuordnen lassen und somit auch von vornherein eher als künstlerische Arbeiten erkennbar sind. Das Label des Archivs schafft den Eindruck einer Einheitlichkeit und Kohärenz der unter ihm zusammengefassten Kunstwerke, eine Einheitlichkeit, die in anderen Zusammenhängen häufig durch die Urheberschaft, nämlich den Namen des Künstlers erzeugt wird. Indem Raad aber die zu seinem eigenen Namen alternativen Autoren-Identitäten des Archivs etabliert, erzeugt er Unsicherheit in der Frage, ob tatsächlich alle Dokumente, die sich im Archiv befinden, auf die Urheberschaft Raads zurückgehen. Mit anderen Worten: Die Konstitution seines Archivs erleichtert es Raad, eigene künstlerische Arbeiten bzw. selbst erzeugte Dokumente anderen, wahrscheinlich fiktiven Autoren zuzuordnen, ohne dabei die Kontrolle (z.B. der Veröffentlichung, der Ausstellung) über sie zu verlieren, sich also »der Verantwortung der Urheberschaft zu entziehen« (Göckede 2006: 198), ohne dabei deren Vorzüge aufzugeben. So sind z.B. die Notizen, Filme und Fotografien der Fakhouri-Datei einem libanesischen Historiker, Dr. Fadl Fakhouri, zugeordnet, über den der Zuschauer nicht mehr erfährt als das wenige, was die Dokumente über ihn verraten. Dafür, dass Raad diese Dokumente selbst geschaffen oder zumindest arrangiert hat, findet sich kein verbindlicher Hinweis. Im Gegenteil: Die 24-teilige Serie von Schwarzweißfotos Civilizationally, we do not dig holes to bury ourselves (1958-1959) spitzt diese Unklarheit der Urheberschaft auf rätselhafte Weise noch zu. Alle Bilder dieser Serie zeigen einen Mann, der im Begleittext als Dr. Fakhouri ausgewiesen wird. Ebenso informiert der Begleittext darüber, dass diese Fotos in den Jahren 1958 und 1959 entstanden sind, was in Einklang steht mit dem fotografischen Stil, in dem sie gehalten sind. Wer die Fotos von Fakhouri angefertigt hat, ob ein Fotoapparat mit Selbstauslöser – nur wenige der Bilder vermitteln diesen Eindruck, da der Mann oft nicht in die Kamera schaut und zufällig getroffen zu sein scheint – oder eine weitere Person, bleibt unklar. Die angegebene Entstehungszeit der Bilder scheint den erst 1967 geborenen Raad jedenfalls als Fotografen auszuschließen, und andere Dokumente aus der Fakhouri-Datei weisen explizit auf den Historiker als Urheber hin. Ein Effekt von Raads Archivfiktion liegt also in einer Verschleierung der Urheberschaft der in ihm beinhalteten Dokumente. Ebenso irreführend ist der Name des Künstlerkollektivs Atlas Group, der darüber hinwegtäuscht, dass Raad selbst bei diesem Projekt federführend bzw. einziger kreativ Beteiligter ist. Damit einher geht ein zweiter Anschein, den das Archiv während der Lecture Performances erweckt: jener der undurchschaubaren Komplexität. Auch wenn die bei einigen Ausstellungen verwendete erwähnte Übersichtstafel Aufschluss darüber gibt, dass das Archiv

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lediglich eine prinzipiell überschaubare Anzahl von etwa sechzehn Projekten verwaltet, so entsteht doch durch die Tatsache, dass der Zuschauer immer nur einen Teil des gesamten Archivs betrachten kann, der Eindruck eines sehr viel größeren Umfangs, als es tatsächlich vorweisen kann. Vor allem in den Performances wird er bestärkt dadurch, dass das Vorzeigen der Archivübersicht auf der Leinwand hier nur für einen kurzen Moment erfolgt, der kaum ausreicht, um sich einen Überblick zu verschaffen. Auch das komplizierte und für die Zuschauer kaum nachvollziehbare Nummerierungssystem, welches Raad anwendet, unterstützt diesen Effekt: Die beschriebene 24-teilige Fotoserie trägt zum Beispiel den einordnenden Untertitel »[cat. A]_Fakhouri_Photographs_962-986« (vgl. Nakas/Schmitz 2006: 84), eine rätselhafte Bezeichnung, da die Seite tatsächlich 25 statt nur 24 Nummern beinhaltet und zudem die Frage aufkommen lässt, wieso die Zählung erst mit 962 beginnt bzw. auf welche Dokumente die Zahlen vor 962 verweisen.4 Indem das Atlas Group Archive mit solchen Zählmustern operiert, erzeugt es den Effekt von Komplexität und ahmt auf diese Weise die Undurchschaubarkeit nicht-fiktionaler Archive nach, von denen zwar auch immer nur ein Teil einzusehen ist, aber die durch Kenntlichmachung eines Ordnungssystems auf die Existenz weiterer Dokumente größeren Ausmaßes verweisen. Zu diesem Effekt passt der Name, den Raad dem Archiv gegeben hat: Der Begriff ›Atlas‹ stammt aus dem späten 16. Jahrhundert und bezeichnet eine Sammlung von geografischen und astronomischen Beobachtungen in Buchform. Die erste Publikation eines Atlanten stammt von Gerhard Mercator aus dem Jahre 1595 und zeigt die bekannte Abbildung der griechischen Gottheit Atlas mit dem Globus auf den Schultern. Seither beinhalten Atlanten eine schier unüberschaubare Menge an – z.T. vereinfachten, aber auch inkorrekten – Beobachtungen, deren Zugänglichkeit zudem, wie z.B. im Falle militärischer Informationen, geregelt und somit beschränkt ist. Auch in Raads Lecture Performances spielt diese Zugangsbeschränkung eine Rolle: Nur er, der Performer, bestimmt, welche Dokumente er dem Publikum zugänglich macht. Die Kollektividentität des Archivs zeigt sich so in der Darstellung einer Anzahl ent-äußerter Dokumente, die gleichzeitig den Eindruck erzeugen, nur ein kleiner Teil dessen zu sein, was die niemals ganz fassbare Gesamtidentität ausmacht. Obwohl sie vorgibt, gerade das Gegenteil 4

Die übrigen im Archiv gesammelten Dokumente geben darauf eine weniger hilfreiche als vielmehr verunsichernde Antwort. So haben beispielsweise die beiden Filmdokumente der Fakhouri-Datei die Nummern 238 und 239 (vgl. Nakas/Schmitz 2006: 80), während die drei zu dieser Datei gehörigen Notizbücher die ergänzenden Titel ›Volume 38‹, ›Volume 57‹ und ›Volume 72‹ erhalten haben.

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erreichen zu wollen, zeigt sich die Archiv-Identität als unüber- und undurchschaubar, und gleichzeitig als unabgeschlossen, insofern immer neue Dokumente aufgenommen werden können. Alle diese exemplarisch vorgestellten Arbeiten und Bestandteile der Lecture Performances verwenden das oben angeführte Verfahren: Sie schaffen personale Urheberidentitäten, die sich von der Raads zu unterscheiden vorgeben. Gerade die Anonymität und teilweise große Unglaubwürdigkeit der von Raad angegebenen Urheber der Dokumente verdeutlichen, dass wir es mit äußerst schwachen personalen Identitätskonstruktionen zu tun haben, nicht in der Lage, den Verdacht ihrer Fiktionalität ganz auszuräumen, die – durch die Unmöglichkeit jeglicher Beweisbarkeit – deshalb umso mehr des Schutzes der übergeordneten Fiktion des Archivs bedürfen. Die Glaubwürdigkeit, die sie qualitativ, also allein durch ihre Eigenschaften, nicht erwirken können, wird stattdessen auf quantitative Weise verstärkt durch die unübersichtlich erscheinende Fülle an Archivmaterialien, die gleichsam einen Mikrokosmos bilden, bei dem jedes Element durch alle anderen gestützt und belegt zu werden scheint. Die Etablierung des Archivs hat also klar einen fiktionsunterstützenden Effekt, der die schwachen Urheberidentitäten stabilisiert, ohne ihnen tatsächlich weitere Informationen hinzuzufügen; der fingierende Akt der Kombination täuscht, u.a. durch die Fingierung von Größe und Relevanz, über die unter Gesichtspunkten der Glaubwürdigkeit mangelhafte Selektion teilweise hinweg.5 Die von Raad je nach Darbietungsform gelegentlich vorgenommenen Veränderungen in der Datierung und weiterer Merkmale der Dokumente hat dabei einen zugleich fiktionsverstärkenden wie auch -entblößenden Effekt: Einerseits erleichtert dies dem aufmerksamen Betrachter seiner Arbeiten, deren Fiktionalität zu erkennen, andererseits aber trägt es auch zu der scheinbaren Komplexität des Archivs bei. Raad ist keineswegs der einzige libanesische Künstler, dessen Arbeiten auf quasi-dokumentarische Weise entstehen und faktisches und fiktives Material ununterscheidbar miteinander vermischen. Diese »Privilegierung der Dokumentarform« (Göckede 2006: 191) geschieht zumeist in direkter Auseinandersetzung mit nicht-künstlerischen und westlichen Dokumentationen und Archivierungsprojekten, die die politische Landschaft des Libanons in seiner jüngeren Geschichte geprägt haben. So steht Raads Projekt in einer langen Reihe von Projekten, die den meist 5

Folgt man Wolfgang Isers Konzeption des Fiktionsbegriffes, zeichnet sich dieser in der Regel durch eine Dreischrittigkeit aus: Fiktionen bilden sich durch die drei fingierenden Akte der Selektion, der Kombination und schließlich der Entblößung einer einmal gesetzten Fiktion. Vgl. Iser (1993: 24ff.).

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künstlerisch ausgerichteten Versuch der Etablierung einer alternativen Geschichtsschreibung des Libanons und der so genannten libanesischen Bürgerkriege darstellen, welche sich – wenn auch kaum formal und in der Art der verwendeten Medien, so doch deutlich in Bezug auf die Selektion und Kombination der aufbewahrten und repräsentierten Dokumente – abzusetzen versucht von den sich widerstreitenden Perspektiven, die allgemein vorherrschen.6 Göckede bezeichnet das Verhältnis der fiktionalen Dokumentation zur Dokumentation mit historisch-politischem Gültigkeitsanspruch als »Akt der Mimikry«: »Das Archiv der Atlas Group ist eher ein Akt der Mimikry des Archivs. Als sein Repräsentant macht Raad Fragmente sehr heterogener individueller Erinnerungen öffentlich, die keinen Weg in die offizielle Geschichtsschreibung fanden. Dabei ist es weniger wichtig, ob sie erfunden sind oder nicht. Das Ereignis erhält erst durch seine performative Rekonstruktion die Autorität eines historischen Dokuments« (Göckede 2006: 196).

Raad selbst formuliert diesen Sachverhalt ganz ähnlich: »Die geopolitische Geschichtsschreibung des aktuellen Libanon […] ließ so viele Aspekte aus, die ich für meine eigenen Erfahrungen jener Ereignisse hielt. Allein die Möglichkeit, ungehindert von West- nach Ost-Beirut zu gehen, ohne an Kontrollstellen festgehalten zu werden, wäre vor 15 Jahren eine undenkbare Erfahrung gewesen. Ich wollte Dokumente schaffen, die ein Bewusstsein hierfür in sich tragen« (zit. nach Kaplan 2004: 134).

Die Form des Atlas Archivs nimmt also mimetisch Bezug auf außerästhetische Konstruktionsversuche kollektiver Identitäten und greift auf diese Weise ein sehr brisantes Thema auf, folgt man den Ausführungen des dänischen Libanonforschers Sune Haugbølle, der von gescheiterten Identifikationen rund um den Begriff einer libanesischen Nation spricht (vgl. Schmitz 2006: 13). Er beschreibt einen Prozess der Verdrängung einer Aufarbeitung des Bürgerkrieges, welche von der libanesischen Öffentlichkeit, die für die fünfzehn Jahre andauernden Auseinandersetzungen vereinfachend das Wort »Ereignisse«7 verwendet, weitgehend verweigert wird:

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Weitere Künstler sind hier z.B. Rabih Mroué, Akram Zaatari oder auch das großangelegte Bildarchiv FAI (www. fai.org.lb). Auf diese Bezeichnung nahm Raad 1996 in einer prototypischen Vorform des Atlas-Archivs Bezug, die er The Beirut al-Hadath Archive (Das Beiruter Ereignis-Archiv) nannte (vgl. Göckede 2006: 194f.)

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»[J]ede Darstellung [ist] mit syrischen, israelischen, saudi-arabischen, amerikanischen Interessen verwoben [...]. So lernt und vermittelt jeder praktischerweise das, was sein Clan oder seine Religionsgemeinschaft lehrt. Die Geschichtsbücher enden mit der Unabhängigkeit im Jahre 1943, und sämtliche Themen, die zum Zwist zwischen den Konfessionen führen könnten, werden ausgeklammert. Erst kürzlich scheiterte der Versuch, ein neues Geschichtsbuch für den Schulunterricht herauszugeben, weil man sich über die Darstellung des Bürgerkriegs nicht einigen konnte« (Schmitz 2006: 14).

Derartig machtpolitisch motivierten Versuchen der Herstellung einer nationalen Identität unter Ausschließung kritischer, weil nicht konsensfähiger Faktoren setzt nun Raad die Alternative eines offenen und somit ideologiefreien Archivsystems gegenüber, welches sich aus vor allem auf persönlich-individueller Ebene beobachteten, zunächst deshalb vielleicht für eine größere Gruppierung unwesentlich erscheinenden, teilweise offensichtlich unglaubwürdig-fiktionalen ›Dokumenten‹ zusammensetzt. Besonders Elemente, die in der offiziellen Geschichtsschreibung ausgeklammert werden, finden ihren Platz in Raads Archiv, werden dadurch einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht und somit eingespeist in einen allgemeinen Diskurs – eine »Auseinandersetzung mit den (Ausschluss-) Mechanismen kultureller Bedeutungsherstellung und Identitätskonzeptionen im Spannungsfeld von Macht und (medialer) Repräsentation« (Göckede 2006: 190). Wenn Raad in seinem Versuch der Konstitution einer Authentizitätsfiktion unwesentlich erscheinende Faktoren integriert, bringt er so direkt oder mittelbar jene als problematisch erachteten, weil an die Konflikte erinnernden und somit Konfliktpotential bergenden persönlichen Tendenzen zur Sprache. So verhält es sich beispielsweise mit den Videoaufnahmen der Sonnenuntergänge des anonymen Operators #17 in I only wish I could weep (2002): Die Sonne geht im Westen unter und kann von dem im Osten der geteilten Stadt Beirut aufgewachsenen Sicherheitsagenten nur betrachtet und aufgenommen werden, wenn er – autorisiert durch seine berufliche Aufgabe – die politische Grenze überschreitet. Raad thematisiert anders als die um Konsens bemühten und regelmäßig scheiternden Identifikationsversuche Aspekte der jüngeren libanesischen Vergangenheit, die – obwohl sie erfunden sind – weit geeigneter sind für eine Aufarbeitung der ›Ereignisse‹ als der offizielle Diskurs. Diesen ideologisch motivierten offiziellen Identifikationsversuchen hat das künstlerisch motivierte Archiv der Atlas Group voraus, dass es offen und reflektiert mit seinen eigenen fiktionalen Anteilen umgeht. Es ist gerade die Anzeige dieser Fiktionalität, die eine Offenheit und Ideologiefreiheit des Archivs gewährleistet, die es vor anderen, dogmatischeren Versuchen einer Identitätsstiftung auszeichnet. Und dennoch: Raads Er294

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klärung, die Dokumente des Atlas Group Archive selbst hergestellt zu haben, wurde lange Zeit weitgehend überhört – vor allem dann, wenn das Archiv sich in Form einer Ausstellung präsentierte, wo die Anzeige des Fiktionalen meist nur in Form von Begleittexten oder Hinweistafeln stattfand. Auffälliger ist hingegen die Entblößung der Identitätsfiktion, die Raad in seinen Lecture Performances durchführt.

F i k ti o n s e n tb l ö ß e n d e S tr a t e g i e n b e i R a a d In seinen Aufführungen weist Raad von vornherein auf die Konstruiertheit der ›Dokumente‹ hin, wenn er sie – wie bei fast jeder Aufführung – mit dem Satz beginnt: »Die Atlas Group ist eine 1999 gegründete, imaginäre Stiftung mit Sitz in New York und Beirut, deren Zweck darin besteht, Dokumente über die libanesischen Bürgerkriege zwischen 1975 und 1991 zu sammeln, zu erzeugen und zu archivieren« (zit. nach Lepecki 2006: 33). Das Adjektiv »imaginär« sowie das Verb »erzeugen«, die Raad in seinem einleitenden Satz verwendet, sind erste Anzeichen dafür, dass der präsentierte Archivinhalt nicht auf beobachtbaren Fakten beruht. Noch expliziter ereignet sich die Entblößung in der sich an die Lecture jeweils anschließenden Diskussion zwischen Raad und dem Publikum. Auf die Nachfragen der Zuschauer hin betont Raad regelmäßig und deutlich den fiktiven Charakter des Archivs und lässt keinen Zweifel daran, dass das Publikum es mit einem Kunstwerk und keiner historisch korrekten Recherche zu tun hat: »Bei Ausstellungen und Vorträgen erwähne ich [...] immer, dass die Dokumente der Atlas Group von mir erzeugt wurden und ich sie verschiedenen imaginären Einzelpersonen zuordne. Aber trotz dieser Erklärung ist für die Leser oder das Publikum die fiktive Natur der Atlas Group und ihrer Dokumente oft nicht offensichtlich« (zit. nach Lepecki 2006: 35).

Besonders an dieser Frage der Offenlegung der Authentizitätsfiktion als Fiktion zeigt sich nun die spezielle Relevanz der Aufführungssituation für das Atlas Group Archive. Die selbst-anzeigenden Merkmale der Fiktion spielen in den Performances eine größere und erkennbarere Rolle als in den Ausstellungen, was vor allem in der Performerpersönlichkeit Walid Raads, seiner körperlichen Präsenz, seinem Tonfall und seiner Erzähltechnik, sowie dem gewählten Repräsentationsmodus begründet liegt. In gleich bleibendem, ruhigem Tonfall geht Raad von der Erzeugung der Fiktion zu deren Offenlegung über, ohne diesen Übergang auf besondere Weise zu markieren. Mit derselben Überzeugungskraft, die er kurz zuvor aufgebracht hat, um die von ihm vorgestellten Dokumente zu authentifi295

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zieren, entlarvt er alles bislang Gesagte als eigene Erfindung, als Kunstprodukt. Aus diesem Grund fällt es dem Zuschauer schwer, diese gleich bleibende Intensität der Glaubwürdigkeit beider Teile gegeneinander auszuspielen oder einen der Teile über den jeweils anderen zu stellen; er wird verunsichert in seiner Entscheidung darüber, was als erfunden und was als faktisch anzunehmen ist. Dies zeigt sich in der Rezeption: Raad weist in Interviews immer wieder auf zahlreiche Publikumsäußerungen während der Diskussionen hin, die darauf schließen lassen, wie wenig die von Beginn jeder Performance an explizit mitgeteilte Fiktionalität des Atlas Archivs akzeptiert, geradezu ignoriert werde (vgl. Nakas 2006: 21). Das glaubwürdige, seriös erscheinende Auftreten des Vermittlers Raad täuscht über die Widersprüchlichkeit seiner Vorträge hinweg. Indem Raad Fiktion und ihre Offenlegung auf dieselbe Stufe stellt und in diesem Zuge nicht in sozusagen brechtscher Manier erstere durch letztere zum Lehrobjekt instrumentalisiert, verleiht er seinen Arbeiten einen doppelten Reiz. Zum einen fiktionalisiert er das, was als Realität angenommen wird – zumindest für den jeweiligen Zeitraum, während dem der Zuschauer ihm seine Geschichten glaubt und die Dokumente für authentisch hält; zum anderen gibt er auf diese Weise aber auch Anlass zu einer kritischen Überprüfung weiterer, als real angenommener Dokumente und so genannter Fakten auf deren mögliche Fiktionalität hin. Diesen oszillierenden Blick macht sich Raad zu Nutze, um die Konstitution von Identitätskonstrukten schlechthin zu hinterfragen – personalen wie kulturellen, historischen wie politischen. Auf diese Weise führt er gleichzeitig eine Art Authentifizierung des Archivs und der vorgestellten Ereignisse herbei wie auch deren Entlarvung als Fiktion; die Wahrnehmung des Zuschauers unterliegt einer Art Oszillationseffekt. Einerseits selektiert und kombiniert Raad die präsentierten Materialien in Form fingierender Akte: Er führt eine »performative Rekonstruktion« pseudo-faktischer Ereignisse durch, die so die »Autorität [...] historische[r] Dokument[e]« erhalten (Göckede 2006: 196): »Wenn sie [die Dokumente des Atlas Group Archives] als normale ›Kunstwerke‹ ausgestellt werden [...], und wenn sie nicht von Walid Raads Stimme unterstützt werden, wird eine performative Kraft zunichte gemacht, nämlich die Kraft, die ihnen durch Raads Stimme verliehen wird. Erst die Präsentation als virtuelle Dokumente im Rahmen eines seriösen Vortrags verleiht ihrer Darstellung einen performativen Ausdruck. Erinnern wir uns, dass man von einer performativen Äußerung nicht behaupten kann, sie sei richtig oder falsch; sie ist vielmehr eine Äußerung, die etwas tut, die durch den einfachen Akt, geäußert zu werden, eine reale Wirkung erzeugt« (Lepecki 2006: 37).

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Auf der anderen Seite verstärken sich aber auch die Elemente der Offenlegung in der Präsentationsform der Performance. Zum einen geschieht dies, wie bereits erwähnt, auf inhaltlicher Ebene, wenn Raad es seinem Publikum explizit zu Beginn und in der abschließenden Diskussion mitteilt. Zum anderen birgt sich aber auch in der vergänglichen Natur des gesprochenen Worts und der von Raad verwendeten Bildschirmpräsentation eine Flüchtigkeit, die im klaren Gegensatz zu nicht-künstlerischen, allgemein zugänglichen Archiven steht. Im Verlauf der Lecture Performances bestimmt allein Raad, was der Zuschauer in welcher Reihenfolge und Gewichtung zu sehen bekommt. Seine Vortragshaltung stilisiert ihn als seriösen Zeugen der von ihm vorgestellten Archivdokumente – doch der Zuschauer kann sich auf nichts anderes stützen als das Wort des Performers und die digitalen Zeugnisse, die er via Leinwandprojektionen ablegt. Raad bezeugt, was er erzeugt, und es wird umso deutlicher, dass die Glaubwürdigkeit der Archivfiktion allein von seiner Überzeugungskraft abhängt. Die Materialität der Gegenstände, die dem Zuschauer in den Ausstellungen noch zu Verfügung steht, schwindet in den Performances völlig. Und auch die Illusion der freien Zugänglichkeit wird ihm in der Aufführungssituation genommen: Hier ist es allein Raad, der die gezeigten Dokumente und deren Kombination auswählt, der Zuschauer hat nicht die Möglichkeit, ›stichprobenartig‹ die scheinbare Komplexität des Archivs zu überprüfen. Freilich obliegt es genauso Raads Entscheidung, welche Dokumente in den jeweiligen Ausstellungen präsentiert werden; doch durch die größere Dichte an Materialien dort und die museums- und archiv-übliche Freiheit des Betrachters, Dauer und Reihenfolge seiner Rezeption weitgehend selbst zu bestimmen, wirkt die Archivfiktion intensiver und verhüllt besser ihre fiktionsentblößenden Grenzen. In den Performances dagegen übernimmt Raad diese pseudo-authentifizierende Funktion und lenkt allein den Blick des Zuschauers und das Timing der Aufführung. Die Glaubwürdigkeit des Archivs steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit seiner Darstellung und seiner Person, und dies ermöglicht es ihm, sie je nach momentanem Bedarf in unterschiedlich starkem Ausmaß zu erzeugen – oder eben zu unterwandern. Neben der expliziten sprachlichen Enttarnung in Einleitung und Diskussion nutzt Raad zwei weitaus subtilere Methoden, um die konstruierte Fiktion in Abgrenzung zu faktischen Ereignissen als Fiktion erkennen zu lassen. So besteht eine zweite Vorgehensweise, auf die Raad fiktionsentblößende Tendenzen in seine Lecture Performances integriert, in dem entspektakularisierten Charakter der von ihm vorgestellten Dokumente. Auffällig ist, dass ihre Sicht der Ereignisse der libanesischen Bürgerkriege aus einer ungewohnten Perspektive erfolgt, indem sie den Blick, anders als in der üblichen medialen Berichterstattung, auf scheinbar neben-

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sächliche, in jedem Fall kaum sensationelle Geschehnisse lenken. Die Kunstwissenschaftlerin Kassandra Nakas nennt diesen Blick einen »Blick der Devianz«, eine »›verkehrte‹ Wahrnehmung des Wesentlichen« (Nakas 2006: 23), die immer dann augenfällig wird, wenn gleichzeitig auf ein offenbar nicht-anwesendes Anderes verwiesen wird. So setzen die Historiker um Dr. Fakhouri in Missing Lebanese Wars (1989) nicht auf das Siegerpferd, sondern auf die Genauigkeit des Fotografen, in My neck is thinner than a hair: Engines (2003- ) werden nicht die Orte der Autoexplosionen dokumentiert, sondern die teilweise weit davon entfernten Fundorte der Motoren; I only wish that I could weep (2002) zeigt nicht die strategischen Aufnahmen des Operators #17, sondern Sonnenuntergänge; We decided to let them say »we are convinced,« twice (2002) behauptet, eine Serie von Fotonegativen zu sein, die die Zerstörung West-Beiruts durch israelische Flugzeuge zeigen, doch die Bilddokumente sind derart zerkratzt, dass der angeblich sensationelle und spektakuläre Bildinhalt nur mit Mühe zu erkennen ist; die Serie Secrets of the open sea (1994) setzt große Flächen intensiver Blautöne direkt neben winzige Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Personen, die vorgeblich während der Bürgerkriege im Meer ertrunken sind. Am deutlichsten aber ist diese Verdeckung des vermeintlich Wesentlichen, des Spektakulären zu erkennen in der Fotoserie Let’s be honest, the weather helped von 1998: Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Aufnahmen von Gebäuden und Objekten in Beirut, die sich laut Raad auf Schauplätzen von Straßenkämpfen befinden und entsprechendem Beschuss ausgesetzt waren. Die tatsächlichen Einschusslöcher sind aber auf den Bildern nicht zu sehen, da sie von bunten Punkten verdeckt werden, deren jeweilige Größe und Farbgebung Auskunft geben über Größe und Herstellungsland der entsprechenden Patronen und Geschosse. Raad, der diese Fotos in seiner Jugend angefertigt zu haben behauptet, bemerkt dazu lakonisch: »Erst nach 25 Jahren wurde mir bewusst, dass in meinen Notizbüchern alle 23 Länder vertreten waren, die den verschiedenen an den libanesischen Kriegen beteiligten Milizen und Armeen Waffen und Munition geliefert hatten [...]« (zit. nach Nakas/Schmitz 2006: 126). Gerade in der Tatsache, dass Raads Arbeiten das Skandalöse gezielt umschiffen, liegt der Versuch, ihm repräsentativ gerecht zu werden – und zwar in der bitteren Einsicht, sich den Schrecknissen des Krieges, der Gewalt, des Kampfes keineswegs mit einer spektakulären Darstellungsweise annähern zu können. Anstatt sich also vergeblich zu bemühen, jene traumatischen Einbrüche des Realen adäquat abzubilden, verdeckt Raad vielmehr jede Spur von ihnen – und kennzeichnet sie dadurch in besonderer Deutlichkeit.

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REKONSTRUKTIONEN DER ATLAS GROUP

Indem Raad das Skandalöse und Spektakuläre des Krieges aus seinen Darstellungen ausklammert, unterstreicht er die Nicht-Darstellbarkeit des Schreckens und verweist auf ein unsagbares Abwesendes, und darauf, dass eine rationale Einbettung der Ereignisse in eine wie auch immer geartete künstlerische oder dokumentarische Abbildung zum Scheitern verurteilt ist: Jede Darstellung, die vorgibt, den Einbruch des Realen angemessen zu schildern, muss als haltlose, ja ideologische Fiktion betrachtet werden, die ihre eigenen Grenzen leugnet. Die Form der Entspektakularisierung dagegen, die Raad anwendet, kann als Taktik der Offenlegung verstanden werden: Indem seine Fiktionen klar erkennbare Lücken und Aussparungen vorweisen, verweisen sie deutlich auf die Grenzen ihrer illusionären Kraft und ihrer Darstellungsmöglichkeiten. Fiktion gerät hier gerade deshalb nicht in die Gefahr, ideologisch zu wirken, da innerhalb ihrer Grenzen offen mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit umgegangen wird. Der letzte Aspekt einer Unterwanderung von Raads Authentizitätsfiktion lässt sich tentativ als Selbst-Anzeige durch ›hysterische‹ Wiederholung beschreiben. Das Atlas-Archiv füllt einen als faktisch angenommenen Rahmen der Geschehnisse der libanesischen Bürgerkriege mit dem »hochgradig Fiktive[n] und Manipulierbare[n]«, um so »Fragen nach geschichtlichen Kontexten zu überspitzen« (Schmitz 2006: 14). Derselbe akribische Eifer, der angewandt wird, um in herkömmlichen Archiven vermeintlich authentische Dokumente zusammenzutragen, wird im Atlas-Archiv darauf verwendet, fiktionale Konstruktionen serienmäßig anzusammeln und zu präsentieren. Diese Serienmäßigkeit der fiktionalen Atlas-Dokumente gehört zu den auffälligsten Merkmalen des Archivs: Statt z.B. bei der Vorstellung des Civilizationally-Dokuments nur eine Fotografie des fiktiven Historikers Fakhouri auf Reisen zu zeigen, präsentiert Raad gleich eine ganze Reihe von ihnen – durch die beständige Iteration wird die jeweilige Fiktion erweitert und im performativen Sinne intensiviert. Einhundert Fotografien von Motoren explodierter Fahrzeuge enthält die Engines-Reihe; die Serie Notebook volume 38: Already been in a lake of fire besteht aus 145 ausgeschnittenen Bildern von Automodellen, die durch Bomben zerstört wurden. Die von Raad so bezeichneten »hysterical documents« (zit. nach Schmitz 2006: 14) des Atlas-Archivs sind folglich nicht aufgrund ihres Inhalts hysterisch, sondern aufgrund ihrer Iteration. Das schier endlose Umkreisen des Unsagbaren durch das Aufzeigen von absurden Nebenschauplätzen und -wirkungen der Kriege gleicht dem Verarbeitungsprozess eines erlittenen Traumas: Solange das Reale nicht eingeholt wird durch die symbolische Ordnung der Sprache, kann die Wiederholungsschleife nicht enden. Die ausführliche und teilweise durch übertriebene Wiederholung redundante

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PHILIPP SCHULTE

Präsentation von Bildern, Videos und Textfragmenten und die Fülle der von Raad vorgestellten Dokumente aus immer wieder anderen und sich doch kaum voneinander unterscheidenden Perspektiven, hat nicht ausschließlich den Effekt der Steigerung ihrer Glaubwürdigkeit zur Folge, sondern offenbart gleichzeitig eine Hilflosigkeit des Performers und das Defizit, keine tatsächlich authentische Weise der Darstellung der Ereignisse finden zu können. Diese Hinweise auf Formen der subversiven Offenlegung einmal gesetzter Authentizitätsfiktionen verdeutlichen, dass Raads künstlerisches Schaffen zu Recht als politisch einzustufen ist. Der spielerische Charakter der Konstruktion und Entblößung von Authentizitätsfiktionen erlangt seine ernsthafte, ja kämpferische Komponente spätestens bei der Betrachtung außerästhetischer, ideologisch motivierter Identitätskonstrukte, z.B. im nationalpolitischen oder religiösen Bereich. Die jüngere Geschichte des Libanons veranschaulicht die Dringlichkeit der Aufgabe, die die gegenwärtige Performancekunst des Landes teilweise zu übernommen haben scheint: nämlich sein Publikum zu beständiger Reflexion und kritischer Prüfung seiner Wahrnehmung aufzufordern – in ästhetischen wie auch in außerästhetischen Kontexten.

L i t e r at u r Göckede, Regina (2006): »Zweifelhafte Dokumente: Zeitgenössische arabische Kunst, Walid Raad und die Frage der Re-Präsentation«. In: Dies./Alexandra Karentzos (Hg.), Der Orient, die Fremde: Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur, Bielefeld: transcript, S. 185-203. Iser, Wolfgang (1993): Das Fiktive und das Imaginäre: Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag Kaplan, Janet A. (2004): »Flirtations with Evidence«. Art in America 92, S. 134-138. Lepecki, André (2006): »Im Nebel des Ereignisses: Performance und die Aktivierung der Erinnerung im Archiv der Atlas Group«. In: Nakas/Schmitz (2006), S. 33-37. Nakas, Kassandra (2006): »Bilder der Verfehlung, fehlende Bilder«. In: Dies./Schmitz (2006), S. 21-24. Nakas, Kassandra/Britta Schmitz (Hg.) (2006): The Atlas Group (19892004): A Project by Walid Raad, Köln: Walther König. Schmitz, Britta (2006): »Nicht auf der Suche nach Wahrheit«. In: Nakas/Schmitz (2006), S. 13-18.

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AUTORINNEN

UND

AUTOREN

Christian Heuer ist Lehrer und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau. Derzeit arbeitet er zu den Forschungsschwerpunkten »Ego-Dokumente und Sinnbildung«, »Visual History – Geschichte und Film« und zur »Aufgabenkultur historischen Lernens«. Marco Kircher studierte in Freiburg, Grenoble, Dublin und Basel Vorderasiatische Archäologie, Urgeschichtliche Archäologie und Ethnologie. Er beschäftigte sich bereits während des Studiums mit medienspezifischen Bereichen und arbeitet derzeit an der Universität Freiburg an seiner Dissertation über gegenwärtige populäre Darstellungsweisen von Archäologie. Christa Klein studierte Neuere und Neueste Geschichte, Politik und Gender Studies in Freiburg und Dublin. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Dissertation zum Thema »Geisteswissenschaften und Öffentlichkeiten an der Universität Freiburg 1945-1970«. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Universität Freiburg und an einem Projekt der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« beteiligt. Thorsten Leiendecker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Englischen Seminar der Universität Freiburg sowie der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart«. Er studierte Englisch, Philosophie und Germanistik in Bonn, Dublin und Freiburg und schreibt an einer Dissertation zum Thema »The Postmodern State of High-/Pop Culture«. Schwerpunkte seiner Forschung liegen im Bereich der Kulturtheorie und der populären Kultur der Gegenwart. Tim Neu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Münster. Er studierte Geschichte, Philosophie und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Bonn und Münster und arbeitete zunächst im Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 »Symbolische 301

AUTORINNEN UND AUTOREN

Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme«. Er forscht schwerpunktmäßig zur Ständegeschichte, Kulturgeschichte des Politischen sowie zur Geschichtstheorie und arbeitet derzeit an seiner Dissertation zum Thema »Sitz und Stimme. Die ›Landständische Verfassung‹ als frühneuzeitliche politische Institution«. Eva Ulrike Pirker studierte Neuere Englische Literatur, Amerikanistik und Philosophie an der Universität Tübingen. Sie promovierte im Fach Englische Philologie an der Universität Freiburg über Repräsentationen einer schwarzen britischen Geschichte in Text, Film und Kunst. Sie ist Mitarbeiterin am Englischen Seminar der Universität Freiburg und beteiligt an einem Projekt der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart«. Henje Richter bereitet am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen eine Dissertation zum Thema »Authentizität musealer Objekte« vor. Er hat Neuere und Neueste Geschichte sowie Kommunikationswissenschaften in Berlin studiert. Neben und nach dem Studium war er an verschiedenen Ausstellungsprojekten in Berlin und Lübeck beteiligt. Mark Rüdiger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« und am Historischen Seminar der Universität Freiburg, wo er bereits Neuere und Neueste Geschichte und Politikwissenschaft studierte. Zur Zeit verfasst er eine Dissertation zum Thema »Geschichtsbilder der 1950er Jahre im bundesrepublikanischen Fernsehen 1959-2009«. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichts- und Erinnerungskulturen, Mediengeschichte und Visual History. Achim Saupe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Lehrbeauftragter der Universität Potsdam. Er studierte Neuere und Neueste Geschichte, Philosophie und Politologie an der Freien Universität Berlin. Seine Dissertation erschien 2009 unter dem Titel Der Historiker als Detektiv – der Detektiv als Historiker. Historik, Kriminalistik und der Nationalsozialismus als Kriminalroman (transcript). Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichtstheorie (19. und 20. Jahrhundert), mediale und populäre Geschichtsvermittlung sowie die Kulturgeschichte des Sicherheitsdenkens in der Moderne.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Daniel Schläppi ist Projektleiter des an der Universität Bern angesiedelten SNF-Forschungsprojektes »Gemeinbesitz, kollektive Ressourcen und die politische Kultur der alten Eidgenossenschaft (17. und 18. Jahrhundert)«. Er studierte Geschichte, Neuere deutsche Literatur und Philosophie an der Universität Bern und promovierte mit einer Arbeit über die Zunftgesellschaft zu Schmieden zwischen 1795 und 1995. Er forscht epochenübergreifend zu folgenden Themen: Außenpolitik in der frühen Neuzeit, soziale Eliten, korporative Personenverbände, Lebensmittelhandel und -versorgung in der Vormoderne, Emotionen sowie die Helvetische Revolution von 1798. Philipp Schulte studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Bergen (Norwegen) und an der Universität Gießen, wo er 2005 als Diplom-Theaterwissenschaftler abschloss und zum Thema »Identität als Experiment« promovierte. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität Gießen (seit 2007 als Mitglied des Exzellenzprogramms des International Graduate Center for the Study of Culture und seit 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft) arbeitet er seit 2007 als Referent für die Hessische Theaterakademie in Frankfurt am Main sowie als freier Autor und Dramaturg. Anja Schwarz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Literaturwissenschaften der Universität Konstanz. Sie studierte Kulturwissenschaften an den Universitäten Lüneburg, Brisbane und Melbourne und promovierte 2008 am Institut für Englische Philologie der Freien Universität Berlin über den Strand als Gedächtnisort in Australien. Neben ihrem Interesse für Praktiken des Reenactments arbeitet sie zu postkolonialer Theorie, Gedächtnis, Gender und Migration. Miriam Sénécheau studierte Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, Neuere Geschichte und Mittelalterliche Geschichte in Tübingen, Aix-enProvence und Freiburg. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit der Darstellung von Themen der Ur- und Frühgeschichte in Schulbüchern, Unterrichtsfilmen und der Kinder- und Jugendliteratur. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« mit einem Projekt über populäre Repräsentationen von Kelten, Römern und Germanen und deren Funktionen in Prozessen politischer Sinnstiftungen. Jonas Takors studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie an den Universitäten Freiburg und Basel sowie an der University of Ulster. Ne-

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AUTORINNEN UND AUTOREN

ben seinem Referendariat am Gymnasium ist er assoziiertes Mitglied der Freiburger DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« und promoviert in diesem Rahmen zum Thema »Henry VIII in Popular Culture«. Karolin Viseneber, Diplom-Übersetzerin, ist seit 2009 wissenschaftliche Angestellte am Romanischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie studierte in Düsseldorf und Straßburg Literarisches Übersetzen (Romanistik/Germanistik) und arbeitet derzeit an einem Dissertationsprojekt über argentinische Literatur. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen zeitgenössische lateinamerikanische Literaturen und Gedächtnistheorien.

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REGISTER Ästhetisierung 258 Atlas Group 287-300 Atmosphäre/Stimmung 17, 22f., 35-37, 39, 41, 148, 152, 154, 158f., 162, 166f., 176 Aufführung 66, 160, 203, 255, 295, 297 Aura 17-19, 25, 38, 50, 56, 94, 222, 256 Aushandlung 21, 23, 82, 123, 141 Ausstattung 94, 102, 129, 160f., 217, 240 Ausstellung 11, 13, 22, 31-46, 48, 57, 106, 108, 149f., 253, 287-290, 295, 297 Ausstellungskatalog 33, 39f., 44 Australien 233-250 Authentizität - als Mythos 80 - des Ortes 17-19, 40, 65, 94, 107, 189, 199, 217, 280 - dokumentarische 80, 83, 114, 129f., 142, 154, 165, 183 - fingierte 22, 62, 66, 68, 175, 181, 262, 288, 292, 296 - gefühlte 15, 17, 19, 23, 48, 113, 160, 167 - innere 229 - intertextuelle 178f. - literarische 24, 173-193, 195213, 282f. - visuelle 78, 215-232, 241, 246 - Objekt- 16f., 20, 22, 55

19. Jahrhundert 49, 105, 123, 194, 234, 236-241, 244-247, 251, 257, 261 50er Jahre 23, 123-146, 147171, 199, 258 affektiv 64, 67, 85, 112, 136, 235 Agentenliteratur 173 Ägypten 37-39 Ähnlichkeit 47, 51-54, 185, 236, Alltag 34, 65, 126, 128, 130, 133f., 140, 147, 151, 157161, 164, 167, 176, 197, 237 Alterität, das ›Andere‹ 13, 16, 35, 56, 69, 275, 298 Ambivalenz 13, 18, 47f., 54f., 126f., 210, 273, 282 Aneignung 18, 124f., 127, 137, 142, 149, 183 Antike/antik 96, 99, 102f., 107, 109, 112, 114, 254 Archäologie 15, 19, 22f., 31-46, 93-121 Archiv 25, 76, 254, 287-300 Archivmaterial 129f., 163, 167, 175, 260 Arendt, Hannah 274f. Argentinien 25, 269-285 Arminius 103, 107, 109-111 Artefakt 13, 22, 53, 107, 125, 129, 133, 205, 241 Assmann, Aleida 151 Ästhetik 15, 17, 50, 70, 84, 107, 127, 129, 188, 246, 272, 300 305

AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

- typisch/Typenauthentizität 17, 41, 68, 147, 149, 155-159, 161-164, 167, 282 - ungefiltert 112 - ungeschminkt 114 - ungestellt 113 - unmittelbar 19, 50f., 64, 82, 84, 93, 124, 126, 185, 235, 244, 256 - unverfälscht 49, 93, 114 - unvermittelt 18, 49 - unverstellt 49 - verbürgt 103, 161, 178, 215, 220 - wahr 13, 16, 32-35, 42, 68f., 80f., 94, 123f., 138, 140, 166, 175, 196, 199, 201, 205, 209, 211, 238, 246, 253, 256, 272, 279 - wahrhaftig 16, 49, 260 - wirklich 14, 18f., 21, 32, 37, 42, 50, 53, 61, 77f., 82f., 94, 100, 107, 113, 115f., 123, 136, 138, 174f., 177f., 180, 185, 222, 237, 279 - Authentifizierung/Authentisierung 20-24, 94, 98, 101, 111-113, 123, 129f., 135, 142, 157, 175, 189, 196, 198, 201, 204f., 208, 215, 217, 221, 229, 295-297 Authentische Wende 77 Authentizitäts- anspruch 14, 19, 25, 31, 33, 68, 83, 85, 94, 104, 123f., 134, 143, 148, 167, 174, 186f., 243 - behauptung 49, 55, 143, 185f., 235f., 239f., 296 - effekt 20, 23, 42, 48, 123, 166, 173-176, 184, 189, 195-197, 205, 208-211, 290-292, 300

- Referenz- 198 - Subjekt- 17, 20, 24, 233-250 authentisch (Begriffsfeld) - akkurat 221 - direkt 22, 49, 68, 123, 126, 134, 148, 151, 154, 157, 185, 247, 294 - echt 13-15, 17f., 22, 25, 37, 42, 48, 62, 68, 78, 109, 113, 129f., 134, 161f., 175, 183185, 198, 200, 221, 252f., 262, 287 - eigentlich 49f., 117, 123, 185, 197, 242 - genau 20, 38, 65, 78, 98, 103, 107f., 116, 123f., 129, 160, 167, 185, 221, 236, 253, 257, 262, 298 - genuin 258 - glaubhaft 100, 107, 113, 205, 211, 218 - korrekt 16, 78, 98, 208, 240, 253, 295 - natürlich 42, 196 - neutral 55, 205, 208, 256, 258, 274 - objektiv 41, 43, 55, 61, 123, 142, 161, 165, 253 - original 13, 17, 19, 22, 38, 47, 65, 93f., 104, 123, 130, 160, 225, 241 - pseudoreal 197f., 201, 204, 211 - realistisch 37, 113, 130, 148, 173, 180, 185, 189, 196-198, 201 - repräsentativ 156, 263, 298 - richtig 49, 66, 103, 114f., 229, 255, 264, 296 - sachlich 114, 116, 163, 208, 253, 260 - seriös 113, 200, 296f.

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REGISTER

Barbaren-Topos 99, 102f., 110, 113 Barthes, Roland 185, 277 Baudrillard, Jean 18 Beglaubigung 79, 81, 84, 94, 177, 205, 253, 255, 261, 264 Beleg/Beweis 80, 93f., 96, 99, 101, 103-111, 175, 181, 199, 201, 204, 206f., 210, 246, 290, 292 Belletristik 84 Benjamin, Walter 18f., 57, 272 Besucher 31-46, 48f., 55, 57, 106, 253 -zahl 13, 31 Bildung 32, 42, 44, 64, 113, 137 Biographie 82, 151, 156, 200, 204, 209 Bräuteschule 1958, Die (ARD/ SWR, 2007) 23, 123-146 Brief 75, 83f., 203f. Bundesrepublik Deutschland (BRD) 123-146, 147-171 Burger/Burgerschaft 24, 251267

- erwartung 16, 18, 20f., 113f., 164 - erzeugung 17, 19, 22, 24, 26, 113 - fiktion 11-30, 61f., 69, 81, 83f., 94, 123-125, 133, 135, 141-143, 147f., 154, 159, 175, 179, 185-187, 196-198, 201, 216, 223, 226, 247, 253, 259, 264f., 282, 287, 289, 293-295 - grad 13, 78, 84, 229 - illusion 111, 113, 221, 253, - nachweis 23, 63, 76, 78-80, 82f., 101, 104, 111, 123, 129, 135, 175, 181, 198f., 252, 288 - signal/markierung 77-84, 179 - suggestion 111 - versprechen 14, 20f., 113, 124 - vorstellung 16, 21, 41, 66, 148, 166, 211, 265 - wirkung 15, 22, 26, 33, 38, 57, 69f., 96-98, 111, 113, 125, 156 Autobiographie/Autobiographisches Erzählen 75-77, 82-85, 150, 182 Autorität 18, 48f., 55, 178, 196, 198, 208, 236, 238, 293, 296 Autorisierung 208, 211, 239, 294 Autorschaft (s. auch Urheberschaft) 14, 49, 177, 195, 199f.

Carter, Howard 37, 39 Christentum 51, 65, 205 Conscience of the King, The 201-205 cultural turn 15 Da Vinci Code, The 205f., 209 Dabeisein/Liveness 19, 36, 185 Dänemark 96, 99-101 Daughter of Time, The 182 Definitionsmacht 254, 265 Denkmal 11, 84, 106-109 Detail/-genauigkeit/-treue 20, 23, 38, 40, 81, 98, 109, 114, 116, 123, 126, 133, 142, 158, 161f., 167, 176, 185,

Baader-Meinhof-Komplex, Der (D 2008) 23, 185, 185, 197 Babylon: Mythos und Wirklichkeit [Ausstellung] 32-35, 41, 44 Bacon, Francis 195, 199, 202f., 207

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AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Entdeckung/-er 36f., 106, 175, 180-183, 211 entertainment (s. Unterhaltung) Erfahrung (s. Geschichtserfahrung) Erinnerung (s. Gedächtnis) Erinnerungs- arbeit 24, 252, 255 - debatte 25, 271 - diskurs 11, 270, 273, 283 - gemeinschaft 177, 184, 241, 269 - kultur 76, 132, 136, 140-143, 175 - ort 135, 141, 254 Erkenntnis 14f., 23, 40, 50, 53, 84, 93, 104, 117, 126f., 142, 165, 180, 210, 236, 238, 280 Erlebnis 17, 20, 22, 24, 26, 32, 36f., 41-44, 50, 54, 62, 6770, 76, 78, 82f., 127f., 151153, 155, 159, 166f., 185, 229, 233, 235f., 238, 247, 254f., 260 Erlebniserzählung 76 Erzählen 75f., 78, 81, 83f., 96, 106, 109-112, 130, 195, 197, 208-211, 246, 274, 282, 288 Erzählung (s. auch Narrativ) 21, 24, 81, 93, 96, 99f., 104f., 116, 150, 155, 162, 175-177, 184, 189, 201-204, 208, 224, 229, 244, 248, 253, 264f. Erzähl- fernsehen 115 - instanz/Erzähler 14, 82, 156, 164, 180, 209, 264, 280 - schema 106, 173, 184, 189, 208 - technik 85, 189, 201, 289, 295 Erziehung 54, 68, 131f. Essenzialismus 19, 136, 252

187, 189, 206, 218, 227, 233, 239 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 174 Deutschen, Die (ZDF, 2008) 21, 61, 70 Didaktik (s. Geschichtsdidaktik) Dokument/Dokumentation 25, 39, 76, 79f., 83, 86, 95, 106, 114, 126, 128-130, 142, 154, 156f., 160, 163, 165f., 175, 181, 183, 185, 196, 207f., 236, 258, 261, 287-300 Doku- drama 20, 82, 113 - fiction 23, 105, 111, 113, 126 - History 177 - soap 20, 126, 133f., 137, 141143, 146 - tainment 84 Dokumentarfilm, Fernseh-/ TVDokumentation 20f., 23, 78f., 86, 93-121, 127, 131, 188, 235, 255 Dos veces junio/Zweimal Juni 272-281 Dramatisierung 97, 109f., 216f., 226-228 Dramaturgie 93, 96, 99, 109f., 126, 129, 188, 223 Echtheit (s. authentisch/echt) Edutainment 32, 40, 42f. Ego-Dokument 22, 75-91 Einschaltquote 61, 112, 147 Einzigartigkeit 48, 66, 108 Emotionalität/Emotionalisierung 20-22, 36, 42-44, 76, 85, 97, 109f., 112f., 130, 136, 177, 189, 217, 254, 256 England (s. Großbritannien)

308

REGISTER

Fernseh-/TV- genre/format 20, 23f., 112, 123, 126f., 137, 148, 153, 160f., 164f., 215f., 218, 223, 227-229 - kritik 148, 165-167 - programm 127, 153, 161, 222, 237 - redaktion 20, 113, 127, 137 - sendung 61, 95, 107, 116, 137143, 147-167, 215-218, 221, 227, 244 - serie 106, 112, 116, 123-146, 148, 153, 166, 215-232, 236, 244 - spiel/film 147-172, 186, 241 Fetisch, Fetischismus 16, 22, 47-60, 65-67 Fiktion, Fiktionalität, fiction, fiktiv 13f., 23-25, 68f., 78, 80, 83f., 105f., 117, 165, 174189, 195-211, 219f., 223, 225f., 228f., 252f., 255, 257, 261-265, 269, 287-300 Fiktionalisierung 24f., 183, 226, 253, 258, 296 Film (s. Dokumentar-, Historien-, Spiel-, Living History-) Fingierung, fingiert 22, 62, 66, 68, 175, 181, 195, 262, 288, 292, 296 first-person-interpreters 125, 129 Fischer-Lichte, Erika 19, 42, 58 Fotografie 26, 39, 94, 175, 186, 287-291, 298f. Foucault, Michel 124, 136, 239, 275 Frauenbewegung 128, 140 Frauenbild 128, 130, 133f., 135, 139-141 Freilichtmuseum (s. Museum) Freizeit 43f. 149

Ethik 16, 23, 183, 282 Ethnie 99f., 102, 110, 281 Ethnologie 16, 39, 51, 58, 179 Event 11, 42f., 255, 258 Experiment/experimentell 126, 128, 153, 157, 208, 240 Experimentelle Archäologie 104 Experteninterview 94f. Fachwissen (s. Wissen) Fachwissenschaft (s. Geschichtswissenschaft) Fakt 14, 16, 49, 61, 64, 69, 76, 81, 103, 111, 113, 116f., 164, 166f., 175, 178, 180f., 183, 196, 200f., 205, 211, 223f., 227, 229, 241, 253, 287, 292, 295-297, 299 Faktentreue 77, 83, 113f., 175, 215, 223-225, 228f., 253, 264 Faktizität/factuality 13, 17, 23, 48, 77f., 80, 111, 124, 182f., 185, 188f., 265, 282 Fälschung 13f., 26, 48, 173, 227, 230, 253, 256 falsch 13, 25, 70, 99, 114f., 173, 223, 240, 281, 287, 296 Familiengedächtnis (s. Gedächtnis) Fantasie/fantasy 183, 196, 211, 227, 242f., 261 Fatherland 23, 180-183 Fehler 107, 114f., 223, 227, 240, 274f. felt history (s. Geschichtserfahrung) Feminismus 140, 142 Fernsehen 20f., 23f., 80, 95, 102f., 107, 112-117, 127, 137, 147-172, 177, 215-250, 255

309

AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Germanen, Die (WDR/ARD, 2008) 98, 105, 108-110 Geschichte/Vergangenheit - erlebte G. 62, 69, 152, 159, 247, 247 - personifizierte/personalisierte 39, 85, 97, 217 - Umgang mit 11, 14, 67, 75, 77, 81, 105-110, 216, 223, 224, 247, 253, 259, 272 Geschichtlichkeit (s. Historizität) Geschichts- bewusstsein 11, 14, 61, 67, 69, 77, 80, 81, 83-85, 243, 245, 253, 265 - bezug 125, 126, 140 - bild 12, 21, 22, 24, 31, 80, 82, 85, 96, 103, 105, 108, 110, 115, 123, 124, 135, 136, 139, 141-143, 256, 273 - boom/konjunktur 11, 12, 149, 150, 167, 173, 240, 243 - darsteller 94, 100, 128, 134, 219, 226, 238, 244 - didaktik 11, 22f., 61-70, 77, 80f., 83f., 115f., 136, 148 - erfahrung 13, 17, 19, 22, 25, 40, 42-44, 48, 55, 62, 66-70, 82, 84, 127, 130, 133, 138, 142, 150-153, 177f., 189, 234-241, 246, 254f., 269, 272f., 279, 282, 293 - kultur 11, 16, 19, 21, 23, 26, 61, 75-77, 80-86, 124f., 143, 147-150, 158-160, 167, 177 - krimi (s. Kriminalroman) - politik 150, 269f. - repräsentation/darstellung 11f., 14, 19-22, 31f., 61, 82, 84, 93, 115, 123-125, 147f., 224, 229, 238, 241, 265, 269

Freud, Sigmund 51-54 Frühmittelalter 66, 97 Fund 23, 33f., 37, 39, 93-117 FWU 95, 114 Gedächtnis/Erinnerung 23, 25, 42, 73, 75-91, 134f., 137, 138f., 139, 141, 142, 148, 150-154, 158-162, 164, 166f., 175f., 177, 184, 215, 240, 243, 243, 251-267, 269273, 280, 293, 178, 207, 281-283, - autobiographisches 82f., 85 - Familien- 76, 151 - kollektives 21, 24, 25, 135, 181, 265, 258 - kulturelles 85, 151, 215, 218, 240 Gedächtnis- industrie 246 - ort (s. Erinnerungsort) - politik (s. auch Geschichtspolitik) 253f. - raum 125, 138, 140f. Gedenktag/Jahrestag 84, 150, 269 Gefühl (s. Emotionalität) Gegenwart/Gegenwärtigkeit 23, 25, 35, 41, 67, 75, 76, 78, 80, 83-86, 93, 94, 107, 113, 123-143, 150, 156, 173f., 207f., 211, 217, 228, 238, 240, 242f., 245-247, 253, 259, 270-272, 279, 282, 300 Generation 12, 85, 115, 138, 142, 150-156, 159, 162, 241, 243, 246, 261f., 272 Gender (s. Geschlecht) Germanen 23, 96-99, 102-105, 107-111

310

REGISTER

149f., 184-188, 197, 200, 215, 217f., 220, 224-227, 238, 241 Historiker (s. Geschichtswissenschaft) Historiographie (s. Geschichtsschreibung) historische/r/s - Bedeutung 18, 113 - Distanz 158, 201 - Stoff 223 - Wahrheit 14f., 24, 78f., 196 Historisierung 17, 150, 157, 165, 260 Historizität 136, 178, 218, 223, 253, 257, 262 ›History Wars‹ 233-236, 243, 247 Hochschule (s. auch Universität) 81, 84 Holocaust/Shoah 166, 174, 180183, 269, 272, 279, 282 Huyssen, Andreas 240-243, 269f.

- schreibung/Historiographie 25, 79, 151, 167, 175, 179, 180, 182, 223, 233, 246, 253, 280f., 289, 293f. - unterricht (s. Unterrichtsfilm, Schule) - vermittlung/Wissensvermittlung 17, 43, 54, 113, 115, 137, 220, 282 - version 23, 117, 124, 134f., 142f. - wissenschaft (s. auch Wissenschaft) 14f., 38 Geschlecht/Gender 130, 133, 138, 140-142, 161, 206, 225 Gewalt/Brutalität 23, 103, 109, 173, 176, 184, 188f., 241247, 276f., 281, 298 Gott/Gottheit 33, 64, 291 Grab 36-38, 199, 205, 210, 244, 247 Grabung 39, 44, 94, 106-108, 113 Grenville, Kate 24, 233-237, 241-245 - The Secret River 233-237, 241 - Searching for the Secret River 241 Großbritannien/britisch (England) 24, 34, 126, 189, 199, 202, 205, 215f., 219, 222, 224-227, 235, 240

Identifikation 112, 115, 137, 162, 180, 217, 252, 293f. - sfigur 178 Identität 16, 67f., 136, 195, 198211, 238f., 271, 289-300 - falsche 173 - Geschlechts- 140f. - historische 176 - kollektive 262, 287, 293 - nationale 150, 157, 167, 289, 294, 300 - regionale 176 Identitäts- darstellung 254 - diskurs 16, 157 - entwurf 123, 136, 140, 142, 294

Handlungsorientierung 66-69 Heimat 31, 96f., 149, 241-247 Heinrich VIII. 24, 215-232 Herkunft 49, 100, 173, 245 Hemannsschlacht/Varusschlacht 23, 96, 105-110 historic site 20 Historienfilm/Geschichtsfilm (s. auch Spielfilm) 23, 77-85,

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AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Interpretation 14f., 18, 63, 67f., 76, 79, 81-83, 85, 98f., 101, 105, 108, 110-113, 115, 117, 125f., 129, 134, 140, 149151, 160, 173, 176, 179f., 182, 185, 189, 197, 226, 236, 254, 259, 270, 280, 282 Intertextualität 23, 178f. invented tradition 252

- fiktion 295 - konstruktion 82, 167, 292, 296, 300 - stiftung 12, 22, 288, 294 - suche 76 - verständnis 289 Ideologie 25, 124, 133, 136, 185, 247, 269, 294, 299f. Ikone 21, 24, 215f., 271 Illusion 41, 51f., 54, 56, 83, 111, 113, 115, 123, 125, 133, 173, 185, 198, 201, 211, 221, 236, 253, 297, 299 Imagination 24, 86, 197, 234236, 242f., 260, 295 Imitation/imitatio naturae 185 Inauthentizität/unauthentisch 177, 222 Indiz 93, 106, 175, 181, 184 Information/Sachinformation 16, 32, 35f., 39, 48, 63, 75, 93f., 96f., 102-105, 111-113, 115, 128, 153, 157, 163-166, 185, 204-209, 228, 234, 238f., 261, 289-292 Instrumentalisierung 24, 99, 201, 296 Inszenierung/Inszeniertheit 19, 23, 26, 34, 40-42, 47f., 50, 57f., 65-70, 77, 79, 83-85, 94, 101, 103f., 123f., 126f., 134-136, 143, 148, 156f., 161f., 164, 175f., 185f., 188f., 201, 239, 245, 253, 258, 260, 269, 271f., 282, 288 Intention 69, 112, 166, 188, 223, 225, 227, 242f., 264f. Intermedialität 186 Internet 36, 76, 134, 137, 202, 226, 240, 278, 287

Jahrestag (s. Gedenktag) Janes, J. Robert 176, 184 Journalismus 39, 112, 114, 152, 186, 222, 233 Juden 55, 174, 181, 183, 269, 279 Jugendkultur 149 Kalkriese 105-108 Kapital - kulturelles 262 - symbolisches 251, 260-262 Katalog (s. Ausstellungskatalog) Kimbern 96-104 Klischee 23, 41, 96, 99, 102105, 117, 217, 221 Knopp, Guido 20, 84, 116, 177 Kollektives Gedächtnis (s. Gedächtnis) Kolonialgeschichte/Kolonialismus 24, 233, 236, 240242, 245, 247 konkret/Konkretion 32, 36, 65, 112, 128f., 136, 138, 204, 207 Konservierung 38, 47, 57, 96, 262 Konservator 40, 57 Konstruktion/Konstruktivismus/ Konstruktionsarbeit 16, 21f., 25, 31, 44, 67, 80, 82, 84, 116f., 124, 135f., 142f., 157,

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REGISTER

Kunst/Künstler 15, 22, 25, 33, 35, 48-50, 54f., 57, 75, 84, 149, 180, 188f., 195, 227, 242, 271, 287, 287-300 Kunstgeschichte 15 Kurator 33, 35, 48f., 55

167, 179f., 182, 188, 200, 219, 281, 289, 292f., 296, 299f. Konsum 147, 151, 158-159, 256 Konsument (s. auch Rezeption) 43, 227-229 Kontextualisierung 21-23, 37, 68, 82, 94, 97, 99, 104, 110112, 124, 140, 143, 148 Kontinuität 130, 133, 143, 161, 164, 219, 281, 288 Kontrafaktizität 61, 174, 180, 248 Kopie 13, 17, 19, 38f., 48, 163, 185, 241 Körper 42, 54, 67, 102, 109, 126, 128, 133, 175, 220, 234-239, 241, 247, 255f., 263, 265, 270, 276-277, 283, 288, 295 Körperlichkeit 222, 277 Kostüm/Perücke/Tracht 25, 64f., 78, 129, 148, 215, 217f., 220-222, 239, 254, 256, 263f. Krieg 12, 25, 107-108, 155, 163, 165, 181, 272, 274f., 277, 279, 287, 293-295, 297299 Kriminalroman/Krimi 23, 173184, 189, 209 Künstlichkeit 42, 57, 127, 185 Kulisse/Hintergrund (s. auch Szenerie) 20, 94, 129, 158161, 167, 179, 218 Kulturgeschichte/kulturhistorisch 31-32, 36, 41, 47-49, 58, 148 Kulturkontakt 236, 242, 244f. Kulturtheorie 47, 53, 58 Kulturwissenschaft 53, 75, 173

Laie 24, 105f., 125, 134, 252 Lebenswelt 17, 31f., 34, 42, 61f., 69, 93, 158, 221, 258 Lecture Performance 287-300 Legitimation/Legitimität 22, 38, 182, 198, 220, 227, 253, 265 Libanon 25, 287-300 Linearität 147, 201, 247 Literaturgeschichte 195, 205 Living History 104, 125f., 233250 - Serie 23, 123-146 Lokalkolorit 176 Lowenthal, David 16f. Lücke 93, 104, 175f., 189, 253, 299 Magie/Zauber 48, 51-57, 63 Mannoni, Octave 47, 51f., 55f. Marketing 33, 205 Marlowe, Christopher 195, 199204, 207 Marxismus 51f., 58 Materialität/Materialisierung 15, 18, 256, 259, 277, 282, 297 Mauss, Marcel 53, 56 Mäzen/Mäzenatentum 32, 262 Medialität 18-21, 51, 82 Memoiren 75 Metahistorie 174 Mimikry 293 Mimesis 125, 180, 185, 189, 196f., 293 Moderne 15, 50

313

AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Norm 51, 112-113, 115, 117, 126, 128-130, 133-134, 136, 141-142, 156 Nostalgie 139, 141, 149, 153, 159-161, 166-167, 240 Non-Fiktion 165, 175, 200f. Normalverbraucher, Otto F. 155-157

Montage 100, 103, 130, 163f., 175, 197, 219 Moorleichen 96-99, 105, 111 Mündigkeit 85f., 227 Mütterschule 131f. Museum 13, 16f., 20, 31-46, 4760, 84, 93, 106, 262, 297 - Freilicht- 32 - Living History- 20 - kulturhistorisches 32, 47, 58 Museumspädagogik 125 Musik 95, 97, 129, 149, 155, 160f., 164, 264, 280 Mythos/mythisch 32-35, 80, 99, 111, 113, 157, 188

Objekt 15-22, 33f., 37-40, 4760, 93-121, 149, 162, 196f., 218, 253, 257, 261f., 298 Objektauthentizität (s. Authentizität) Objektivation 83, 85 Objektivität/objektiv (s. authentisch) Öffentlichkeit 13, 40, 76, 78, 95, 133, 149, 185, 188, 195, 225, 269, 293f. Original (s. authentisch) Original- objekt 13, 17, 20, 34, 38 - ort 94, 107f., 199, 254, 280f., 288 - schauplatz 25, 65, 94, 106f., 112, 129, 298 Originalität 18f., 25, 161 Outback House (AUS 2005) 233-250

Nachempfindung 67, 130, 244, 253, 255, 260 Nacherleben 61f., 67-69, 235, 238, 260 Nachrichten 21, 163f. Nachrichtenwert 107, 112 Nachstellen (s. auch Reenactment) 22, 61-62, 64-70, 186, 255, 258 Nachweis (s. Beleg) Narration/Narrativ (s. auch Erzählung) 15, 18, 21, 24, 26, 77, 84, 93, 112, 117, 130, 143, 150, 157, 167, 174, 177, 184, 189, 208, 224, 236, 242-245, 247, 253, 258, 264, 270, 272, 282 Narrativität/narratologisch 25, 84f., 151, 179 Nation 11, 21, 241, 243, 274, 280f., 289, 293-294, 300 Nationalsozialismus 78, 131, 133, 164, 166, 174, 176, 179, 184, 186, 274

pastness 19 Paratext 175f., 218 Performativität/Performanz 19, 63f., 68, 136, 238, 243, 256, 260, 293, 296, 299 Performance 19, 25, 135f., 140, 287-300 Pergamonmuseum 32, 35 Personalisierung 85, 97, 217 Perspektive 12, 40, 47, 51, 56f., 79, 106, 110, 114, 116,

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REGISTER

Qualität 20, 40, 51, 68, 108, 114, 138, 226, 228, 259, 292 Quelle 14f., 17, 23, 41, 66, 7579, 82-85, 93-121, 123, 131f., 149-151, 154, 175, 181, 185, 198, 204, 207-211, 219, 221, 229, 236, 241, 246, 254, 260 Quellenkritik 14, 108, 117, 181, 264

124f., 135, 155, 177-180, 188, 208, 239, 241, 259, 273f., 297 - multiperspektivisch 99, 115, 136 - monoperspektivisch 85, 99 Plastizität 47, 100, 109 Plausibilität 17, 19f., 114, 124, 208, 222, 265 Pluralität 43, 115-117, 137, 139 Popularität 11f., 19-22, 31, 61, 75-77, 80f., 93, 96, 103f., 108, 137, 158, 173, 177, 183, 195, 200-205, 211, 229, 240f., 253, 263 Populärkultur 112, 149, 167, 216, 235, 240 postkolonial (s. Kolonialismus) Postmoderne 12, 19, 42, 50, 76, 185, 201 Praktik/Praxis 15f., 43, 57f., 61, 124, 137, 139, 182, 236 Präsenz 22, 25, 47, 50, 63, 94, 107f., 123, 141, 161, 247, 256, 271f., 280-283, 288, 295 Presse 13, 26, 35, 40, 80, 137, 147f., 200 Produktion/Produzent 12, 1922, 36, 43, 55, 61, 76, 79, 81f., 95, 111, 114f., 126f., 148, 152-155, 161, 184, 186188, 215f., 222-226, 229 Propaganda 48, 163f. Protagonist 76, 128, 130, 134, 140, 174-175, 177-181, 189, 197, 200, 202, 206-210, 215, 260, 273f., 277, 279-282 Psychologie 15, 180, 185, 197, 236 Publikum (s. Rezeption)

Raad, Walid 25, 287-300 Radio 35, 155, 159, 162, 164, 234, 280 Rassenbeziehungen 236 Rationalität/Irrationalität 15, 42, 51, 58, 299 Rätsel/ungelöste Fragen 116, 182, 200, 203-204, 207, 290291 Raumzeit 175, 178 ›Re-fixing‹ 243-245, 247 Realität (s. authentisch) Realitäts- entwurf 123, 136, 140, 142 - illusion 123, 125 - partikel 175, 181 - referenz 23, 175, 181 Reality TV 126 Reenactment (Spielszenen) 17, 20, 24, 64, 67, 94, 96, 100, 102-104, 108-112, 126, 186, 233-239, 246f. Referenz/Verweis 21, 23, 31, 63, 78-80, 83, 117, 123f., 129f., 135, 141, 162, 175179, 181, 184, 189, 198, 200, 204, 206-208, 211, 264, 291, 299 Reflexion/Reflexivität 23, 41, 69, 81, 85, 115, 123-146, 273, 287, 294, 300

315

AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Römer/römisch 62f., 97, 99f., 102-111 Rote Armee Fraktion (RAF) 174, 186-188

Rekonstruktion 15, 25, 34, 36, 38, 50, 78f., 81f., 94, 97, 100, 109, 113, 130, 134, 148, 152, 160, 162, 167, 175, 217, 247, 287-300 Religion 34, 51, 54f., 126, 205, 294, 300 Reliquie 53, 112 Remake 241 Renaissance 65f., 221 Requisite (s. auch Kulisse) 185 Replik 13, 15-19, 38-40, 93f. Reportage 21, 35 Repräsentation 12f., 18, 24, 50, 61, 64, 76, 114, 149, 151, 177, 179, 189, 201, 219, 241, 294 Repräsentationsform 12 Repräsentativität 298 Reproduktion 18, 48, 61, 127, 185 Restauration 47 Rezensent/Kritiker 48, 76, 115, 148f., 155-158, 160, 163, 165f., 178, 183, 185, 188, 216f., 221-225, 228f., 234 Rezeption/Rezipient 12, 14, 18, 20-22, 32, 35, 54, 61, 76-80, 82-84, 97, 103, 105, 109, 112-117, 136f., 140-143, 147f., 159, 161f., 165, 167, 184f., 188, 215f., 218, 220f., 226-229, 235, 240f., 246, 259, 265, 282, 290f., 295297 Ritual 13, 22, 24, 61-65, 67-70, 244, 252, 254-258, 260, 265 Roman/novel 23-24, 153, 173179, 181-184, 195f., 201211, 227, 233f., 236f., 241f., 271-282

Sachkultur 253, 256, 261f. Sakralisierung 50, 56f. Schamoni, Ulrich 147f., 153, 155, 160 Schein 23, 53, 76, 79f., 83, 100, 111f., 123, 183, 253, 292, 297 Schmerz 23, 184, 187, 189, 255 Schmidt, Siegfried J. 13, 19, 21, 61, 68f., 105, 112f., 253, 256, 259 Schrift 19, 34, 38, 76, 93, 100f., 103, 105, 112, 183, 210, 257 Schulbuch 11, 85f., 129 Schule 22, 61, 65f., 80f., 83-85, 95, 104, 115, 126, 128, 131f., 138, 151, Schweiz 36, 251 Sehgewohnheiten/Wahrnehmungsgewohnheiten 44, 82, 115 Sekundärliteratur 175, 208f. Selbst 15f., 22, 25, 35, 70, 75f., 81f., 151, 252f., 258-260, 263, 265, 269, 295, 299 Selbstreferenz 23, 178f. Selbstreflexion 124 Selbstzeugnis 75, 228 Sensation 106-109, 298 Serie (s. Fernsehserie) Seriosität 113, 200, 296-297 Shakespeare, William 24, 195210, 225 Shakespeare Chronicles, The 208-211 Shakespeare Secret, The 205208

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REGISTER

Symbol 62-65, 68, 78, 107, 135, 138, 140, 151, 246, 251, 256f., 259-262, 265, 271, 281, 299 Szenerie (s. auch Kulisse) 77f., 100, 263f.

Simulacrum 19, 238 Simulation 19, 21, 42, 70, 127, 196, 238 Sinnbildung 76f., 83-85, 126 Sinnstiftung 15, 18, 24f., 255 Skandal 13, 156, 298f. »so ist es gewesen« 82, 84, 102, 104, 116, 130, 160 Sowjetunion/UDSSR 174, 180 Spannung 105f., 112, 116, 177, 180, 184, 209, 264 Spektakel 42, 48 Spiel 17, 26, 53f., 64-67, 70, 126f., 134, 173, 178, 180, 186, 200, 222, 256, 275, 280, 300 Spielszene (s. Reenactment) Spielfilm/Kinofilm (s. auch Historienfilm) 20, 23, 32, 78f., 85, 126f., 143, 149, 153-156, 160, 165, 187 Spionageroman/spy fiction (s. auch Agentenliteratur) 173, 202, 204 Spur/Spurensuche 48, 50, 57, 76, 101, 106, 108, 117, 127, 174, 177, 280, 282, 298 Stereotyp 139, 141, 203, 217 Stimmung (s. Atmosphäre) Sturm über Europa (ZDF, 2002) 96-108, 111 Subjektauthentizität (s. Authentizität) Subjekt 17, 26, 67, 277 Subjektivität 15f., 22, 43f., 55, 84, 112, 136, 150, 155, 177f., 180, 265 Subversion 25, 300 Suggestion (s. auch Authentizitätssuggestion) 17, 20, 81f., 86, 115, 253

Tabu 57, 234 Täuschung 25, 49, 52, 202, 206, 253, 292 Tagebuch 75f., 80-84, 130, 181, 210, 241, 245-247 Tatsache 22f., 33f., 57, 81, 84, 103, 117, 123, 156, 196 Terrakottaarmee von Xian 13, 17, 25f. Theater 57, 195, 202-204, 207 Themenpark 11, 20, 32 Third-Person-Interpreters 126, 134 Thriller 173-177, 180, 184, 200, 203, 205f. Totalitarismus 174, 275, 281 Tourismus 12, 16, 19, 37 Tradition 13, 20, 22, 24f., 32, 34, 40, 43f., 53, 75, 131, 157f., 173, 177, 180, 184, 202, 223, 235, 244, 251f., 254, 256, 258-264, 281 Trauma 25, 76, 246, 269, 271f., 281, 298f. Tudors, The (BBC, 2007) 24, 215-229 Tutanchamun: Sein Grab und die Schätze [Ausstellung] 31-44 TV (s. Fernsehen) Überlieferung 33, 50, 96, 99101, 103, 106, 253, 257, 261-262 Überrest 100, 105, 108-111

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AUTHENTIZITÄTSFIKTIONEN

Vergangenheit (s. Geschichte) Vergegenwärtigung 17, 50, 149, 157 Verifikation 208 Vermarktung 19f., 236 Vermittlung (s. Geschichtsvermittlung) Verschwinden 25, 203, 207, 270-273, 277, 280f. Verschwörung 200, 202, 205, 207 Video 26, 76, 219f., 287f., 294, 300 Visualität 19, 49, 78, 94, 125, 155, 163, 173, 218, 222-224, 226, 229, 241, 246, 258, 272 Visualisierung 149, 155, 187 Voice over/Kommentar 95f., 102, 109, 123, 127-129, 134, 142, 163, 238f., 244 Volk (s. auch Ethnie) 97-100, 107, 110, 263 Völkerwanderung 99-104 Völkerwanderung (FWU, 2002) 96, 99, 100-102, 104-108, 111 Vormoderne 22, 61-65, 67, 69 Vorwissen 21, 112, 160

Überzeugung/-skraft 19, 25, 113, 199, 206, 209, 223, 226, 295, 297 UdSSR (s. Sowjetunion) Unikat 17, 38 Universität (s. auch Hochschule) 40, 81, 84, 195, 200, 252 Untergang, Der (D 2004) 23, 77f., 80f., 85, 184f., 188 Unterhaltung/Entertainment 32, 36, 41, 112, 115, 127, 147, 153f., 158, 160f., 165-167, 177, 185, 197, 201, 209, 224, 226-228 Unterrichtsfilm/Unterrichtsmedien 95-104, 106f., 109, 114-117 Ur- und Frühgeschichte 112, 114 Urheberschaft (s. auch Autorschaft) 24, 195, 199, 202, 289-292 Urheberschaftsdebatte 195-213 Ursprung/Ursprünglichkeit 18f., 37f., 66, 68, 251, 253, 257f. USA (s. Vereinigte Staaten von Amerika) Validation 198, 207 Varusschlacht, Die (ZDF, 1999) 106-110 Verbrechen 85, 173, 176-179, 184f., 189, 278f., 282 de Vere, Edward, Earl of Oxford 195-210 Vereinigte Staaten von Amerika 11, 16, 20, 116, 149, 155, 162, 180f., 195, 197, 199, 205, 207, 216, 224-227, 294 Verfremdung 25, 62, 143, 153, 198, 223 vergangen (s. historisch)

Wahrheit/wahr (s. authentisch, s. historische W.) Wahrheitsanspruch 80, 195 Wahrnehmung 12, 44, 82, 84, 125, 133-135, 141f., 150, 252, 272f., 296, 298, 300 Was wären wir ohne uns (ARD/ SDR, 1979) 147-167 WBF 95, 114 Weblog 76 Weiblichkeit 52, 128, 131, 206, 239, 278 Wendel, Pablo 25f.

318

REGISTER

Wissensproduktion 15, 124 Wochenschau 130f., 147, 154, 160, 163-165

Werbung 33, 39, 130, 158, 161 »wie es eigentlich gewesen« (s. »so ist es gewesen«) Winckelmann, Johann J. 15 Winnicott, Donald W. 53f. Wirklichkeit (s. authentisch/ wirklich) Wirkung/Wirkmacht/Wirksamkeit 11f. 15, 17f., 22, 24-26, 33f., 38, 56f., 62-65, 69, 76, 79, 81, 96-98,100, 102, 104, 107, 109, 111, 113, 125, 130, 133, 136, 139-141, 143, 149f., 153, 156, 161f., 167, 175, 178-180, 184, 189, 208, 217, 223, 225, 247, 253, 255f., 264f., 271, 275, 277, 280, 282, 289, 296f., 299 Wirtschaftswunder 155, 157, 159, 162, 167 Wirtz, Rainer 217, 221, 253, 255 Wissen/Fachwissen 14f., 23, 33, 43f., 52-54, 65, 68, 80, 83, 85, 100, 123f., 133, 135-137, 139, 142f., 150f., 155, 164f., 167, 175, 177, 178, 180, 189, 196, 201, 205-207, 210, 218, 237f., 245, 255f., 259f., 262 Wissenschaft (s. auch Geschichtswissenschaft) 16, 32, 34, 42f., 52f., 57, 64, 69, 75, 93f., 99, 101, 104-111, 114, 116f., 150, 173, 179, 200, 204, 206, 254, 298 Wissenschaftlichkeit 15f., 17, 21, 39, 43, 70, 80, 83, 86, 95, 98-102, 104, 106, 113f., 116, 189, 196, 198, 201, 207, 209-211, 236, 238, 252, 265, 269, 287f.

Young, James E. 272 YouTube 26 Zeitgeschichte 20, 76, 94, 114, 150, 167, 173, 176, 178, 186 Zeitreise/time travel 37, 127f., 132, 135, 185, 234, 236, 238-239, 242f. Zeitschleife 236-237 Zeitung (s. Presse) Zeitzeugen 12, 17f., 20, 22, 76, 79, 82, 96, 102f., 111f., 123, 138, 152, 177, 179, 181, 187, 189, 238, 247, 257, 264, 269, 278f., 282, 297 - erinnerung 152, 154 Zeugenbericht 277 Zeugnis 14, 17, 23, 26, 33, 75, 79, 93f., 99-101, 117, 123, 199, 228, 246, 279, 282, 297 Zirkelschluss 236, 244, 247 Zitat 15, 83, 102f., 111f., 153, 183, 185f., 198, 204, 207, 209, 215, 220, 254, 288 Zunft 24, 251f., 255, 257f., 260f. Zuschauer (s. Rezipient) Zuschreibung/-sprozess 13, 1719, 82f., 151, 199, 203, 207, 211, 233, 259, 271

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