Dresden 1945-1948: Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft 9783666369018, 9783525369012, 9783647369013, 3525369018


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Dresden 1945-1948: Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft
 9783666369018, 9783525369012, 9783647369013, 3525369018

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Gerhard Besier Band 25

Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Thomas Widera

Dresden 1945–1948 Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft

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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-36901-8 Umschlagabbildung: Pflanzaktion auf den Grünflächen am Zwingerteich 1946 Fotograf: Erich Höhne (Deutsche Fotothek Dresden) © 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands diktatorische Herrschaftsstrukturen. Dieser in der historischen Forschung weitgehend unbestrittenen Feststellung steht die kontrovers diskutierte Frage nach den Ursachen einer solchen Entwicklung gegenüber, die mit ihren tiefgreifenden gesellschaftlichen, politischen und weltanschaulich-normativen Umbrüchen die Bedeutung einer revolutionären Zäsur hatte und nicht allein mit den internationalen politischen Rahmenbedingungen erklärt werden kann. Eine Untersuchung der Verantwortlichkeiten für den politischen Transformationsprozess wird sich immer auf die Intentionen und das Handeln der maßgeblichen Akteure konzentrieren: auf die sowjetische Besatzungsmacht und auf die von ihr unterstützten deutschen Kommunisten. Gewiss wäre die politische Entwicklung ohne die unbedingte Absicht kommunistischer Funktionäre zur Besetzung der Machtpositionen und die rücksichtlose Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruches anders verlaufen. Doch hätte dieser Wunsch allein ausgereicht, gehörte die Unterstützung sowjetischer Besatzungsoffiziere nicht zu den entscheidenden Stabilisierungsbedingungen der Herrschaftssicherung und der Festigung des Machtapparates? Jedenfalls ermöglichten sie die Ausschaltung der anderen Optionen des Neuanfangs, die von den Vertretern einer demokratischen Politik ausgingen. Zudem ist ohne die Erfahrungsdimension derer, die das Objekt der Herrschaft gewesen sind, die Analyse des politischen Systems unvollständig; ihre Reaktionen spiegeln dessen Reichweite und Grenzen wider. Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke regte mich zur Erforschung dieses Themenkomplexes an, er unterstützte meine Bemühungen um die Bereitstellung der materiellen Ressourcen und betreute mit seiner nicht nachlassenden kritischen Geduld die Dissertation. Für die intensiven Gesprächsrunden sowie die Möglichkeit zum Meinungsaustausch über sämtliche Fragen und Probleme des Untersuchungsgegenstandes danke ich ihm ebenso wie dem Zweitgutachter der Arbeit, PD Dr. Winfrid Halder, der mich immer wieder zu deren Fortsetzung ermutigte. Die konstruktive Kritik beider ist ebenso wie die des Außengutachters meiner Dissertation, Prof. Dr. Hermann-Josef Rupieper, der Druckfassung zugute gekommen. Zur Durchführung des Forschungsvorhabens fand ich außerordentlich günstige Arbeitsbedingungen am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. (HAIT) an der TU Dresden. Dem Institut und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die zur Finanzierung des Projektes eine Qualifizierungsstelle bewilligte, verdanke ich großzügige Unterstützung, ohne die ich die Arbeit nicht hätte schreiben können. Besonders wichtig war die kreative Diskussionsatmosphäre am HAIT: Dr. Clemens Vollnhals und Dr. Mike Schmeitzner fanden immer wieder die Zeit, Teile des Manuskripts zu lesen und mit mir zu diskutieren, sie steuerten zahlreiche Ratschläge und wertvolle Hinweise bei. Auch die anderen Kolleginnen und © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Vorwort

Kollegen, insbesondere Silke Schumann, Dr. Rainer Behring, Dr. Jörg Osterloh, Dr. Michael Schneider und Dr. Peter Skyba bereicherten mit sachkundigen Anregungen meine Überlegungen und begleiteten die Suche nach Antworten. Großen Anteil an der Realisierung des Forschungsprojektes haben außerdem die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive mit ihrer ausgezeichneten Betreuung; sie erleichterten mit Sachkenntnis und Ausdauer die oftmals schwierige Quellenrecherche. Nicole Kühn und Pirmin Hauck erstellten das Register. Christine Lehmann und Walter Heidenreich verwandelten durch Satz und Layout das Manuskript in ein Buch, dessen Druck durch die Aufnahme in die Reihe „Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung“ ermöglicht wurde. Bei ihnen allen und bei den vielen nicht ausdrücklich Genannten möchte ich mich bedanken. Mein ganz persönlicher Dank gilt meiner Frau und meinen Kindern, die die zeitraubende Arbeit an dem Projekt geduldig ertragen und mit Zuspruch gefördert haben. Ihnen widme ich dieses Buch. Dresden, im September 2004

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Thomas Widera

Inhalt I.

Einleitung

9

Der Untersuchungsgegenstand Fragestellung und Aufbau der Studie Forschungsstand Quellenlage

12 15 17 20

II.

Der Weg aus dem Krieg

25

1. 2. 3. 4.

Die Endphase Die Zerstörung Nach der Katastrophe Kriegsende

26 34 39 51

III.

Neubeginn nach dem 8. Mai 1945

65

1. 2. 3. 4. 5.

Die Bildung der „Antifa-Ausschüsse“ und ihre Beseitigung Neuanfang in der Dresdner Stadtverwaltung Die Reorganisation der kommunistischen Partei Die Wiedergründung der Sozialdemokratie Die bürgerlichen Parteien

68 86 99 109 119

IV.

Der Beginn der politischen Säuberung

135

1. 2. 3. 4.

Entnazifizierungsvorstellungen deutscher Gegner des Nationalsozialismus Die politische Praxis in der ersten Phase der Entnazifizierung Personalpolitik und Entnazifizierung in der Stadtverwaltung Die personalpolitische Bilanz in der Stadtverwaltung Ende 1945

137 150 162 171

V.

„Sicherheit“: Eine politische Polizei für Dresden

183

1. 2. 3. 4. 5.

Die Anfänge der deutschen Polizei Struktur und Ziele der Dresdner Ordnungspolizei Institutionen politischer Sicherheit Die Praxis der Herrschaftssicherung Vorläuferstrukturen einer politischen Geheimpolizei

184 191 198 205 211

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8

Inhalt

6.

Die Kommandohaftlager im Kontext des Repressionssystems

222

VI.

Transformationspolitik „entsprechend den Instruktionen“

231

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Die Einbindung der Parteien in die Blockpolitik Taktisches Vorgehen der KPD Repressionspolitik in der Ernährungskrise Die Entfernung des Oberbürgermeisters Der erzwungene Weg zur Einheitspartei Das Ende der SPD: „uns als Organisation zu zerschlagen“

233 239 246 253 260 270

VII.

Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

283

1. 2. 3. 4. 5.

Die gescheiterte Reorganisation der Lebensmittelversorgung Ökonomische Rekonstruktion Sowjetische Beute- und Reparationspolitik Vorbereitungen zur wirtschaftspolitischen Transformation Der Volksentscheid zur entschädigungslosen „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ am 30. Juni 1946

286 293 301 314 324

VIII. Festigung der Macht

339

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Wahlkampf und Parteienkonkurrenz Nach der Wahlniederlage der SED „Klassenkampf“ in kommunaler Perspektive Praktizierter „Anti-Faschismus“ Entnazifizierung nach Kontrollratsdirektive Nr. 24 Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201? Ergebnisse der Entnazifizierung

342 353 365 379 386 396 405

IX.

Zusammenfassung

415

X.

Anhang

429

1. 2. 3. 4. 5.

Unveröffentlichte Quellen Gedruckte Quellen und Erinnerungen Literatur Abkürzungen Personenregister

429 433 439 464 467

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I.

Einleitung

In der folgenden Darstellung wird erstmalig für Dresden und darüber hinaus gleichfalls erstmalig für die gesamte Sowjetische Besatzungszone (SBZ) der Versuch unternommen, am Beispiel einer deutschen Großstadt die Ereignisse unmittelbar im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg zu schildern, die auf der Mikroebene der Gesellschaft stattfanden, und das Geschehen unter der Verfügungsgewalt der sowjetischen Besatzungsmacht zu analysieren. Das hat nicht seine Ursache darin, dass dies nicht zuvor schon versucht worden wäre, im Gegenteil: Zeit ihres gesamten Bestehens diente der Partei- und Staatsführung der DDR die historische Aufarbeitung als Mittel zur Legitimation der Parteiherrschaft. So verspürten auch zwanzig Jahre nach den Begebenheiten Funktionäre der SED in Dresden das Bedürfnis, mit Hilfe der Geschichtswissenschaft am Gründungsmythos weiterzubauen in der Absicht, „aus der Erzählung über die Vergangenheit [...] Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur Bewältigung der Zukunft“ zu bestärken.1 Im Jahr 1968 schlug der Beirat des Museums für Geschichte der Stadt Dresden die Durchführung einer wissenschaftlichen „Tagung zu Fragen der Geschichtsforschung und Geschichtspropaganda über die Zeit von 1945 bis 1949“ vor. Der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erschien jedoch das Thema zu wichtig, um es den Wissenschaftlern zu überlassen, und die Bezirksleitung der Partei in Dresden wollte zuvor eine parteipolitische Konferenz veranstalten. Infolgedessen wurde die Tagung der Wissenschaftler auf einen späteren Termin verlegt, da „man einer solchen Beratung der Bezirksleitung nicht vorgreifen sollte“, wie der pensionierte ehemalige Dresdner Oberbürgermeister Walter Weidauer2 bemerkte.3 Es ging bei diesen Fragen um die Verortung der SED in der Geschichte. Das erfordere die „richtige“ Darstellung der Vergangenheit, so der Altkommunist Otto Schön,4 ehemaliger Kreisvorsitzender der SED in Dresden und langjähri-

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Münkler, Antifaschismus, S. 29. Walter Weidauer 1899–1986, Zimmermann, USPD, seit 1922 KPD, verschiedene politische Funktionen. 1924–1928 Stadtverordneter in Zwickau, 1932/33 Mitglied des Reichstages. 1933–1935 mehrmals verhaftet, anschließende Emigration in Prag und Dänemark, dort 1941 verhaftet und an Deutschland ausgeliefert. 1945 KPD, 1. Bürgermeister in Dresden, 1946–1958 Oberbürgermeister, 1958–1961 Vorsitzender des Rates des Bezirkes Dresden. 1946–1952 Mitglied des Landtages Sachsen. [Nur diejenigen Personen, auf deren Handeln sich die Studie im Wesentlichen konzentriert, werden, soweit sich biographische Angaben ermitteln ließen, in einer Kurzbiographie vorgestellt.] Vgl. Hermann, Oberbürgermeister Walter Weidauer. Weidauer an Schön vom 11. 3.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V /2.052.152, nicht paginiert). Otto Schön 1905–1968, Angestellter, Schweißer, seit 1925 KPD, Funktionär bis 1933, inhaftiert 1933–1937, 1942/43 Kriegsdienst, Verwundung. Nach Kriegsende Sekretär KPD-KL Leipzig, bis 1947 Vorsitzender SED-Kreisvorstand Dresden. 1946–1950 Stadt© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einleitung

ger Büroleiter im Politbüro des Zentralkomitees der SED. Er hatte der „Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung“ einen „unverzeihlichen geschichtlichen Fehler“ vorgehalten. Die Historiker hatten bisher nicht den Nachweis erbracht, „wie die wenigen deutschen Kräfte nach dem Zusammenbruch des Faschismus mit Hilfe und Unterstützung der sowjetischen Genossen den Weg für ein neues Deutschland frei gemacht haben“. Er forderte seinen früheren Dresdner Mitstreiter Weidauer auf, die „verantwortlichen Genossen“ der Wissenschaft im Sinne der Partei zu instruieren.5 Auch der hochrangige kommunistische Funktionär Fritz Selbmann,6 gleichfalls einer der Dresdner Akteure, wollte eine „anständige Parteigeschichte mitschreiben helfen“, damit das vergangene Geschehen „in seiner Entwicklung richtig“ dargestellt werde.7 Die Ansätze dieser Funktionäre, jeder auf seinem Betätigungsfeld der Stadt und ihrer Geschichte verbunden, unterschied nichts in ihrem Bemühen um die Interpretation der Vergangenheit und den Entwurf eines passenden Geschichtsbildes. Otto Schön kritisierte die „Genossen der Pädagogischen Hochschule“ am Ort und trug den Studenten des Faches Geschichte auf, sich mit „den ersten Schritten zur Neugestaltung des Lebens in der DDR und in diesem Falle in Dresden“ auseinander zu setzen.8 Als Bürochef im Politbüro, dessen Autorität durch seine Dresdner Zeitgenossenschaft noch gewann, erteilte er eindeutige Hinweise, damit die Studenten, die Historiker und die Adressaten des zu entwerfenden Geschichtsbildes die „ganze Größe der Aufgaben, die damals vor uns standen“, auch wirklich begriffen. Die bloße Schilderung der „prächtigen deutschen Genossen und deutschen Menschen“ und der Arbeit der „sowjetischen Organe“ genüge nicht, da es in jenen Jahren darum gegangen sei, „ein völliges Umdenken der Menschen zu erreichen“ und ihnen „das richtige Verhältnis zur Demokratie klar zu machen“. Auch der damalige Chef der Informa-

5 6

7 8

verordneter Dresden, 1947–1950 Landesleitung SED Sachsen. 1950–1968 Mitglied des ZK der SED und Leiter des Büros des Politbüros des ZK der SED, 1958–1968 Abgeordneter der Volkskammer. Schön an Weidauer vom 4.12.1967 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V /2.052.062, nicht paginiert). Fritz Selbmann 1899–1975, Bergmann, USPD, seit 1922 KPD, verschiedene politische Funktionen, 1928/29 Besuch der Lenin-Schule in Moskau. 1930–1932 Abgeordneter des Preußischen Landtags, 1932/33 Mitglied des Reichstages, 1933 Verhaftung und langjährige Zuchthausstrafe, 1940–1945 Konzentrationslager. 1945 KPD-Kreisleitung Leipzig, seit September 1945 Vizepräsident der Landesverwaltung Sachsen für Wirtschaft, 1946–1948 Minister für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung, 1946–1948 Mitglied des Landtages Sachsen. 1948/49 stellvertretender Vorsitzender der DWK, hohe Regierungs- und Parteiämter in der DDR bis 1958, Verlust seiner Funktionen in Verbindung mit der sogenannten „Schirdewan-Wollweber-Fraktion“. Erinnerungen von Fritz Selbmann, o. D. [wahrscheinlich während eines Gesprächs in den sechziger Jahren angefertigte Aufzeichnungen] (SAPMO-BArch, SgY 30 1098/2, Bl. 348). Schön an Weidauer vom 14. 5.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V /2.052.062, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Einleitung

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tionsabteilung der sowjetischen Stadtkommandantur in Dresden, Hauptmann Anatoli B. Waks, gebeten, über seine Erinnerungen an die ersten Nachkriegsjahre zu berichten, wurde von Schön gerügt, weil er den „Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus“ zu wenig berücksichtigt habe.9 Damit machte Schön gegenüber der Sowjetunion den Gestaltungsanspruch seiner eigenen Partei geltend. Kurz darauf entschuldigte sich Waks für seinen „nicht gründlich genug geschriebenen Artikel“.10 Ein Manuskript des früheren Stadtkommandanten Oberst Ilja Spiridonow11 hielt man ebenfalls wegen unerwünschter Äußerungen zurück.12 Schön sprach bei seinen Belehrungen die ideologischen Widrigkeiten an, mit denen sich die SED im Umgang mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sah: „Mussten wir nicht selbst auch in der Partei um das richtige Verhältnis zur Sowjetunion und um die Notwendigkeit der Anerkennung der DSF kämpfen? Die ganze Diskussion, die wir führen mussten über die Oder-Neiße-Grenze, über das abgegebene Ostpreußen, über die Bekämpfung der Schwierigkeiten beim Aufbau des neuen Lebens, waren das nicht Probleme, mit denen wir uns tagtäglich“ hatten abgeben müssen?13 Der in Königsberg geborene Funktionär, der seine verlorene Heimatstadt mit viel Sympathie schilderte,14 sprach damit auch die schmerzlichen Verluste an, die er gleich anderen Funktionären der SED mit vielen Menschen in der DDR teilte. Er ersetzte Selbmanns Forderung durch eine für Differenzierungen offenere Fragestellung. Doch auch er formulierte unumwunden den Anspruch seiner Partei, die Erinnerung an die Vergangenheit durch parteiische Geschichtsschreibung zu determinieren.

9 Schön an Weidauer vom 4.1.1968 (ebd., nicht paginiert). 10 Waks an Schön vom 2. 3.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V/2.052.152, nicht paginiert). 11 Ilja Spiridonow, geb. 1894, Realschulabschluss, Studium am Technologischen Institut Petrograd, 1916 Offiziersschule, seit 1917 Funktionen in der Roten Armee, Teilnahme am Bürgerkrieg. Zwischen 1924 und 1941 Ökonom im Staatsdienst, zuletzt Leiter für Investitionsvorhaben im Staatlichen Plankomitee beim Rat der Volkskommissare der Usbekischen SSR. Während des Zweiten Weltkrieges zuletzt Leiter eines Divisionsstabes, im August 1945 Versetzung zur SMAD, Kommandant des Militärbezirkes Dresden, November 1945 bis November 1946 Stadtkommandant in Dresden, anschließend in Chemnitz bis 1949. Mai 1950 Rückkehr in die Sowjetunion, 1956 Pensionierung. 12 Weidauer an Borominskaja vom 3.11.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V/ 2.052.065, nicht paginiert); vgl. Spiridonow, Erinnerungen. 13 Schön an Weidauer vom 4.1.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden V/2.052.062, nicht paginiert); DSF-Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. 14 Vgl. Erinnerungen von Otto Schön, o. D. [1967] (SAPMO-BArch, NY 4077, Band 36, Bl. 4–76). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einleitung

Der Untersuchungsgegenstand An der Deutungshoheit der SED-Führung ließen selbst temporär für Differenzierungen geöffnete Darstellungen keinen Zweifel. Die Geschichte des Neuanfangs in Dresden nach 1945 wurde, noch während sie sich entfaltete, mit parteiischen Deutungen besetzt. Die Quellen weisen zahllose Beispiele interessengeleiteter Interventionen und politischer Vorgaben auf. Den Mitwirkenden war die ideologische Dimension ihrer Art der Geschichtsschreibung sehr bewusst.15 Sie beteiligten sich an einer speziellen Auswahl und Darstellung der Ereignisse, an gezielten Eingriffen, an bewusster Desinformation und an Fälschungen.16 Als Angehörige von Organisationen und Institutionen waren sie nicht allein in die Vorgänge involviert, sondern auch in deren Tradierung eingeschlossen. Sie verhielten sich parteiisch, apologetisch, und ihre Erinnerung an die Ereigniszusammenhänge folgte den von der SED dominierten kollektiven und individuellen Deutungsstrategien.17 Eine „anständige“ Parteigeschichte schloss rivalisierende Interpretationen aus. Zahlreiche Funktionäre verfassten Erinnerungsberichte und Memoiren nicht zuletzt in der Absicht, eigenes Handeln zu rechtfertigen und ihre Person in ein günstiges Licht zu stellen.18 Über die traditionellen quellenkritischen Methoden der Forschung19 hinaus eröffneten Resultate der jüngsten neurologischen Forschung für die Historiker neue Zugänge zum Problem der Reflexivität dieser Quellengattung.20 Die Untersuchung befasst sich mit den Wirkungsmechanismen der Diktaturtransformation vom nationalsozialistischen zum kommunistischen Regime und ihren Deutungsmustern. Wir sind heute gut informiert über die Ebenen, auf der die Weichenstellungen politischer Entscheidungen fielen. Wir wissen über die Kommunikation zwischen den kommunistischen Parteiführern und Stalin eben15 Vgl. Betrachtung über die politische Information vom 15.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 978, nicht paginiert). 16 Vgl. Protokoll der Sitzung der Polizeileiter vom 12.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 57, Bl. 38). 17 Vgl. Owzar, gewerblich-industrieller Mittelstand, S. 31 ff.; wenn Doernberg heute von einer lediglich einseitigen Überbetonung der Rolle der Sowjetunion durch die DDR-Geschichtsschreibung spricht, ist auch dieses die eigenen Arbeiten einbeziehende Eingeständnis ein die Realität verzerrender Euphemismus, Aufarbeitung und Versöhnung, S. 175. 18 Für den nach einem Gehirnschlag pensionierten Walter Weidauer war es bitter, 1961 jeglicher Macht entsagen zu müssen, und er interpretierte in den folgenden Jahren besonders eigenwillig die Vergangenheit in Lebenserinnerungen (SächsHStAD, SED-BL Dresden V /2.052.054 bis V /2.052.059) und Darstellungen, vgl. Weidauer, Inferno Dresden. Er erfand auch die These von dem beabsichtigten Abwurf einer Atombombe auf Dresden durch die amerikanische Luftwaffe, siehe Schreiben von Zatonskij an Weidauer, 27.1.1968 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.065, nicht paginiert). 19 Vgl. die exzellente Analyse von Rusinek, Gesellschaft, S. 50–74. 20 Vgl. Fried, Erinnerung und Vergessen; Geulen/Tschuggnall, Lesarten; Markowitsch, Autobiographisches Gedächtnis; Markowitsch, Formen des Erinnerns; Markowitsch, Erinnerung von Zeitzeugen; Neumann, psychologische Erinnerungsarbeit; Platt, Gedächtnis; Welzer, das autobiographische Gedächtnis; Welzer, Interview. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Untersuchungsgegenstand

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soviel wie über die Planungen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in ihrem Moskauer Exil.21 Doch wir kennen kaum die politische Alltagspraxis, jene Interdependenz von Herrschenden und Beherrschten, die erst den anscheinend irreversiblen ostdeutschen Weg in die Geschichte und seine „Trennung vom Westen“22 ermöglichte. „Nur die energisch begrenzte Untersuchung am konkreten Fall, die minutiöse Verfolgung der Entwicklung im Detail vermag über die Gemeinplätzigkeit hinauszuführen, die sich allmählich aus einer allzuoft wiederholten Darlegung ‚großer Entwicklungslinien‘ zu ergeben droht.“23 Diese nach wie vor gültige Forderung ist in der modernen Diktaturforschung aktueller denn je, und die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, im spezifischen Detail das Allgemeine sichtbar zu machen und dabei die Durchsetzung und die Funktionsmechanismen einer totalitären Diktatur herauszuarbeiten.24 Der Fokus richtet sich auf die historischen Prozesse der Mikroebene von Politik und Gesellschaft nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Der Begriff der „Diktaturdurchsetzung“, der dieser Arbeit zugrunde liegt, impliziert, dass zur Errichtung einer Diktatur die Bereitschaft der Gesellschaft herbeigeführt werden musste, nicht legitimierte Herrschaft hinzunehmen.25 Mit Hilfe dieses analytischen Instruments werden am Beispiel Dresdens Aufbau und Ausbau der für die Diktaturdurchsetzung notwendigen Herrschaftsstrukturen dargestellt. Zur „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“26 bediente sich die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) deutscher Gegner des Nationalsozialismus, unter denen sie die Kommunisten von Anfang an massiv bevorzugte. Vor der Errichtung zentraler Instanzen begannen politischer Umbau und Machtsicherung auf der Ebene kommunaler Verwaltungsorgane. Dresden ist als Untersuchungsgegenstand auch deswegen besonders geeignet, weil von der sächsischen Landeshauptstadt entscheidende politische Impulse ausgingen. Die Hauptstadt des Landes Sachsen mit seiner zentralen Bedeutung für die sowjetische Besatzungspolitik als industrielles Kernland der SBZ27 hatte Pilotfunktion bei der Herausbildung modellhafter Strukturen. Die Dresdner Stadtverwaltung war Nukleus und Ausgangsbasis der sächsische Landesverwal-

21 Vgl. Badstübner/Loth, Pieck – Aufzeichnungen; Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler; Keiderling, Gruppe Ulbricht; Wettig, Bereitschaft; Wilke, Anatomie. 22 Vgl. Henke, Trennung vom Westen. 23 Fromme, Ordnung, S. 213. 24 Schneider, Nationalsozialismus und Region, S. 439; Wirsching, Nationalsozialismus in der Region, S. 27 und 38; das bekannteste Beispiel dafür ist das „Bayern-Projekt“ des Instituts für Zeitgeschichte Broszat/Fröhlich, Bayern in der NS-Zeit II. 25 Vgl. Behring/Schmeitzner, Einleitung, S. 9–12. 26 So der offizielle Terminus in der DDR, vgl. Doernberg, Geburt, S. 450, der ebenso der Verschleierung tatsächlicher Gegebenheiten und Machtverhältnisse diente wie die Umschreibungen „antifaschistisch-demokratisch“ und „antifaschistisch geprägte Gesellschaft“ heute bei Badstübner, Reich, S. 72 und 546; dazu auch Wettig, Kontrastprogramm. 27 Vgl. Halder, Demontagen, S. 176. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einleitung

tung. Anders als in der Viermächtestadt Berlin28 wurden in dieser von den westlichen Alliierten weitgehend unbeeinflussten Stadt Instrumente der Diktaturdurchsetzung entwickelt und getestet. Analysiert werden insbesondere der Neuaufbau kommunaler Verwaltungsstrukturen, die Entstehung und Fortentwicklung der politischen Parteien, die Entnazifizierung in Verwaltung und Wirtschaft, der Aufbau der Polizei, die Kommunalwahl 1946 und die Enteignungspolitik. Dabei zeigte sich, dass hier „Grundlagenforschung“ im Sinne des Begriffes betrieben werden musste, um die Voraussetzungen für die Errichtung der kommunistischen Herrschaft angemessen darzulegen. Das verlangte eine Schwerpunktsetzung in diesen Bereichen. Andere, wie die Endphase der nationalsozialistischen Diktatur und die Konstruktion einer „anti-faschistischen“ Ideologie konnten nur gestreift, wieder andere – wie die Bildungs- und Jugendpolitik, Kultur und Kunst oder die Diskussion um den Wiederaufbau von Dresden29 – gar nicht berücksichtigt werden. Ebenso finden die justitielle Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen30 oder die sowjetischen Internierungslager31 nur am Rande Erwähnung. Eckdaten der Untersuchung sind das „Epochenjahr“ 1945 und das Jahr 1948, in dem der Konsolidierungsprozess der kommunistischen Parteidiktatur seinen ersten Abschluss fand. Die mit Kriegsende und militärischer Besetzung erfolgte Zäsur ist in der Historiographie wegen der daraus folgenden fundamentalen Veränderung des Ordnungsrahmens unstrittig. Doch auch für das Eckdatum 1948 sprechen gewichtige Einschnitte auf der politischen wie der ökonomischen Ebene.32 Zu den bedeutenden Entscheidungen in der SBZ gehören der offizielle Abschluss der Entnazifizierung, die Zentralisierung der Wirtschaftspolitik bei der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) und die Bildung des Deutschen Volksrates, der sich faktisch zum Vorparlament der DDR entwickelte. Auch die entscheidenden Schritte zur Stalinisierung der SED wurden 1948 vollzogen.33 Auf der Ebene lokaler Politik bewirkte zudem die Verschiebung der für 1948 vorgesehenen Neuwahl der Kommunalparlamente einen weiteren Einschnitt, der den Betroffenen die Alternativlosigkeit zur Herrschaft der SED deutlich vor Augen führte.

28 Vgl. Hurwitz, Neubeginn konservativer Politik; Hurwitz / Sühl, Demokratiepotential; Reibe, Kommunalpolitik. 29 Vgl. Lerm, Abschied; Nadler, Denkmalpflege. 30 Vgl. Meyer-Seitz, Verfolgung von NS-Straftaten; Pohl, Justiz; Weinke, Verfolgung; Wentker, Justiz. 31 Vgl. Erler, Wirkung der sowjetischen Militärtribunale; Haase/Oleschinski, Torgau-Tabu; Lipinsky, Speziallager; Morré, Speziallager; Mironenko/Niethammer/Plato, Speziallager; Müller, Terror; Possekel, Lagerpolitik; Reif-Spirek / Ritscher, Speziallager; Schmidt, Strafjustiz. 32 Vgl. Halder, Deutsche Teilung. 33 Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 422–454. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Fragestellung, Aufbau der Studie

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Fragestellung und Aufbau der Studie In der SBZ/DDR wurde ein den Westzonen diametral entgegengesetztes Politikmodell realisiert. Die empirisch angelegte Untersuchung soll mittels einer Verknüpfung von Ereignis- und Strukturgeschichte in verschiedenen Längs- und Querschnitten herausfinden, in welchem Maß Konsens und Loyalität aufgebaut werden konnten, wie die gesellschaftspolitische Umgestaltung gelang, welche Voraussetzungen dafür vorlagen und welche Bedingungen erst noch geschaffen werden mussten. Über die Frage nach der Integrations- und Mobilisierungsfähigkeit des politischen Systems sowie nach dessen Organisations- und Problemlösungskapazitäten ist zur Herrschaftswirklichkeit vorzudringen. Dabei wurden sowohl die Konstituierung der Parteien wie ihre demokratischen Wurzeln und ihre Verankerung in der Bevölkerung in den Blick genommen, die Vorgaben der sowjetischen Besatzungspolitik, der Spielraum deutscher Politiker und die Zwänge, denen sie unterlagen, aber auch ihr eigenes Wollen, ihr Selbstverständnis und ihre Bereitschaft zum Neuanfang. Hier ist das begriffliche Raster Diktaturdurchsetzung wegen seines allgemeineren Charakters dem der Sowjetisierung34 oder Stalinisierung für die quellennahe Analyse des politischen Systems vorzuziehen. Mittels seiner größeren Trennschärfe können die exogenen von den autochthonen Faktoren getrennt und Ausmaß sowie Stellenwert ermittelt werden, „den die Sowjetisierung innerhalb der deutschen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen, vielleicht auch mentalen Strukturen erreicht hat“.35 Die Komplexität des Untersuchungsgegenstands erlaubt oft nicht die chronologische Schilderung der Ereignisse, generell wurde dies angestrebt, doch strukturelle Längsschnitte waren ebenso erforderlich. Die thematischen Schwerpunkte wurden in den zeitlichen Ablauf eingeordnet. Am Anfang steht eine Bilanz am Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch wird man in Dresden vor allem nach dem prägenden Einschnitt des Jahres 1945, dem 13./14. Februar, fragen müssen. Die Vernichtung der bis dahin als „Elbflorenz“ beschriebenen Altstadt hinterließ in der Bevölkerung, die gehofft hatte, verschont zu bleiben, ein dauerndes Trauma. Welchen Stellenwert hatten die sozialen und politischen Erfahrungen vor 1945 in den Monaten des Umbruchs? Diese Frage liegt besonders dem dritten Kapitel, das den Neuaufbau der städtischen Verwaltungsgremien und die Gründung der Parteien behandelt, und dem anschließenden vierten Kapitel zugrunde, das die unterschiedlichen Interessen und Positionen untersucht, die den Beginn der politischen Säuberung prägten. Der darauf folgende Abschnitt beschreibt die Anfänge des Sicherheitsapparates. Die Parteiherrschaft der KPD/SED beruhte neben der Machtbasis in der Verwaltung in hohem Maß auf repressiven Methoden. Die Ordnungspolizei wurde zum Handlanger der Besatzungsmacht und zur Ausgangsbasis für die po34 Lemke, Einleitung; Lemberg, Sowjetisches Modell. 35 Behring/Schmeitzner, Einleitung, S. 11. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einleitung

litische Geheimpolizei der KPD/SED. Die Transformation demokratischer Gestaltungsansätze in eine zentralistische Parteidiktatur fand in der gewaltsamen Eliminierung alternativer Politikentwürfe ihren Abschluss. Die sowjetische Besatzungsmacht bediente sich dabei der leitenden Funktionäre aller Parteien und setzte mit der „Blockpolitik“ ihre politischen Ziele wirkungsvoll um. Im sechsten Kapitel sind das demokratische Potential der SPD und die Qualität der Demokratisierungsmöglichkeiten sowie die Funktion der KPD / SED im Prozess der Neugestaltung in den Blick zu nehmen. Wie erfolgte ihr Umbau in ein schlagkräftiges Machtinstrument, die Eliminierung der Sozialdemokratie und die Instrumentalisierung von LDP und CDU? Kam die partizipationsfeindliche „Stellvertreterpolitik“ der SED mit ihren fertigen gesellschaftspolitischen Mustern den Bedürfnissen einer verunsicherten Bevölkerung entgegen? Lag der Diktaturtransformation das Angebot der deutschen Kommunisten an sie zugrunde, sich gemeinsam mit ihnen auf die Seite der Sieger zu stellen? Entsprechend der kommunistischen Doktrin war der in Kapitel VII geschilderte Umbau der Wirtschaftsordnung eine Hauptaufgabe zur Etablierung und Sicherung politischer Macht. Eine Beschreibung der versorgungs- und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen gehört ebenso dazu wie die Bemühungen der Sowjetunion um die Eintreibung von Reparationen, wobei auch auf die vielfältigen Unstimmigkeiten und Differenzen in der sowjetischen Besatzungspolitik eingegangen werden muss.36 Von besonderem Interesse war ebenfalls der nur in Sachsen durchgeführte Volksentscheid, in dem sich frühzeitig die Rigorosität der von KPD / SED und Besatzungsmacht angestrebten Enteignungen zeigte. Die Intensität der Gestaltungsabsichten einer totalitären Partei kann an der Gesamtheit ihrer Strategien zur Herrschaftssicherung, den verschiedenen Formen der aktiven Unterstützung, der Anpassungsbereitschaft oder Resistenz sowie den Plänen, Erwartungen und Wünschen der Menschen gezeigt werden. In Kapitel VIII bilden die Kommunalwahl und die Konkurrenz der Parteien in der Dresdner Stadtverordnetenversammlung einen Schwerpunkt. Ihre Auseinandersetzungen drehten sich um die Eckpunkte der als demokratisch apostrophierten Gesellschaftsordnung, die von der sowjetischen Schutzmacht und ihren deutschen Helfern gemeinsam errichtet wurde. Wie versuchte die KPD / SED ihren Machtanspruch zu legitimieren? Wie kompensierte die Besatzungsmacht die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung, wie die KPD/SED ihre Legitimationsdefizite? Diese Fragen führen zur Funktionalisierung der Entnazifizierung bei der Schaffung einer „anti-faschistischen“ Legitimationsideologie. Denn wenn auch die tabuisierten nationalsozialistischen Symbole zunächst rasch verschwanden, reichten doch gesellschaftliche und persönliche Prägungen aus der Vergangenheit weit in die Gegenwart. Gelang es den Kommunisten, eine skeptische Bevölkerung zur Übernahme ihrer Wertvorstellungen zu bewegen?

36 Vgl. Bonwetsch, Sowjetische Politik, S. XXIX. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Forschungsstand

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Forschungsstand Wie erwähnt, kann die Dresdner Lokalstudie auf keinen vergleichbaren Arbeiten aufbauen. Regionalgeschichtliche Untersuchungen wie die von Paul Erker und Hans Woller37 existieren für die Nachkriegsgesellschaft in der SBZ/DDR bislang ebenso wenig wie ein Pendant für die vielen lokalhistorischen Arbeiten über westdeutsche Großstädte.38 Helge Matthiesens Analyse der konservativen Eliten Greifswalds erstreckt sich über einen Zeitrahmen von neunzig Jahren und widmet sich daher der Nachkriegszeit nur in einem Ausschnitt.39 Natürlich setzt der auf den engen geografischen Rahmen Dresdens umgrenzte Untersuchungsgegenstand die Berücksichtigung übergreifender Zusammenhänge voraus. Dafür liegen in Sachsen mit einer Reihe neuer Forschungsergebnisse günstige Voraussetzungen vor. Zu nennen ist insbesondere die Studie zur „KPD/SED in Sachsen 1945–1952“, der „Partei der Diktaturdurchsetzung“, von Stefan Donth und Mike Schmeitzner, die erstmalig im Anschluss an die einschlägigen Monographien von Harold Hurwitz und Andreas Malycha40 die Entwicklung der KPD zur stalinistischen Kaderpartei in einer konzentrierten Fallanalyse verfolgt. Beide Verfasser sprechen von einer Scharnierfunktion der KPD zwischen Bevölkerung und Besatzungsmacht, wobei ihnen die kommende Staatspartei als „maßgebliche Instanz der Diktaturdurchsetzung“ gilt.41 Breiten Raum nimmt in dieser Schilderung die Eliminierung sozialdemokratischer Positionen innerhalb der SED ein sowie deren Umformung zu einer „Partei neuen Typus“, die auf diese Weise ihre führende Rolle in Staat und Gesellschaft verwirklichte. Von vergleichbarer Bedeutung ist der gleichnamige Sammelband von Rainer Behring und Mike Schmeitzner.42 Er operationalisiert in einer Reihe quellengesättigter Spezialuntersuchungen das Konzept der Diktaturdurchsetzung und diskutiert auch in theoretischer Hinsicht dessen Reichweite. Winfrid Halder betont gleichfalls die Besonderheit der sächsischen Entwicklung und stellt in den Mittelpunkt seines „Modell für Deutschland“ benannten Fazits zur sächsischen Wirtschaftspolitik, dass die sowjetisch-sozialistische Herrschaftsordnung das von SMAD und SED gleichermaßen anvisierte Ziel war.43 Während Halder im Detail die von der SED improvisierte Wirtschaftsplanung analysiert und beim Aufbau der Wirtschaftsverwaltung bis 1948 auf die Rolle des eigenwilligen sächsischen Wirtschaftsministers Fritz Selbmann eingeht, rekonstruiert Gerd R. Hackenberg auf empirischer Grundlage den ökono37 Erker, Nachkriegsgesellschaft; Woller, Gesellschaft und Politik. 38 Vgl. Barbian/Heid, Kriegsende und Wiederaufbau; Billstein/Illner, Köln 1945; Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe; Irek, Mannheim. 39 Matthiesen, Greifswald, S. 449–532; nach Beendigung der Arbeit an dem Manuskript erschien die fundierte Lokalstudie von Sperk, Entnazifizierung Köthen/Anhalt. 40 Hurwitz, Stalinisierung; Malycha, SED. 41 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 532. 42 Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung. 43 Halder, Modell, S. 607. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mischen Wiederaufbau in Sachsen.44 Den Schlüsselressorts der sächsischen Landesverwaltung wendet sich Andreas Thüsing zu.45 Er setzt einen besonderen Akzent auf den Aufbau der Behörde des Ministerpräsidenten, des Ministeriums des Innern und des Justizministeriums um nachzuweisen, wie die SEDHerrschaft durch die Besetzung und Umbildung wichtiger Funktionen im Verwaltungsapparat durchgesetzt wurde, ehe Sequestrierungs- und Enteignungspolitik sie untermauerten. Freilich war in dieser Zeit die SMAD unangefochten das bestimmende Element, wie Jan Foitzik detailliert belegt.46 Sowjetische Offiziere steuerten uneingeschränkt das Geschehen auf allen politischen Ebenen und griffen vor Ort direkt ein. Ohne Verständnis von Struktur und Funktion der sowjetischen Besatzungsbehörden blieben ihre handlungsleitenden und die Entwicklung determinierenden Interessen verborgen, zumal der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bis Mitte 1947 in den Ländern der SBZ lag.47 Den ausschlaggebenden Einfluss sowjetischer Offiziere an einer Vielzahl sächsischer Beispiele haben Stefan Creuzberger und Alexandr Haritonow48 herausgearbeitet, dasselbe ist Ralf Thomas Baus in seiner Studie über die „Christlich-Demokratische Union Deutschlands“ gelungen. Er weist nach, dass – überraschend für die SMAD und die deutschen Kommunisten – mit der Gründung der CDU die Überwindung der konfessionellen Spaltung und Integration des bürgerlichen Lagers gelang. Die Blockpolitik verhinderte allerdings jedwede demokratische Entwicklung. Eine „Zerstörung der Demokratie“ fand insofern nicht statt, da für ein Entstehen demokratischer Strukturen und eine „demokratische Vorgeschichte der DDR“ keinerlei Voraussetzungen bestanden.49 Die Besatzungsmacht übte vollkommene Kontrolle über alle politischen Parteien aus. Handlungsspielräume ließ sie nur dort zu, wo ihr dies nützlich erschien. Von einem Teil der älteren Forschung zwar anhand zahlreicher Indizien längst vermutet,50 festigte nicht zuletzt die bahnbrechende Untersuchung Norman M. Naimarks diese Erkenntnis.51 Entscheidend dafür wurde der Zugang zu den sowjetischen Archiven. Trotz der anhaltenden Einschränkungen bei der Nutzung sowjetischer Akten vollzog sich seit 1990 eine „kopernikanische Wende“ in der Deutschlandforschung. Dabei konnte sie auf den Ergebnissen der älteren Forschung aufbauen, die, wie etwa die Studie von Michael Richter zur CDU zwischen 1948 und 1952,52 nach wie vor grundlegend sind. 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Hackenberg, Wiederaufbau. Thüsing, Landesverwaltung. Foitzik, SMAD. Vgl. Arlt, Truppen in Deutschland; Doernberg, Sowjetische Militäradministration; Naimark, Frage des Stalinismus; Raschka, Sowjetisierung; Strunk, Militäradministration. Creuzberger, sowjetische Besatzungsmacht; Haritonow, Hochschulpolitik. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 467 und 469. Vgl. Fischer, Einfluß der SMAD. Vgl. Fischer, Neubeginn 1945. Naimark, Russen. Richter, Ost-CDU. Vgl. Richter, Transformation des Parteiensystems. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Forschungsstand

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Die zentrale Bedeutung der Entnazifizierung für strukturelle Veränderungen und Zugriffsmöglichkeiten sowie für eine konsequent parteiliche Personalpolitik der KPD / SED bestätigte Damian van Melis am Beispiel der Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern.53 Obwohl der politische Umsturz nach Kriegsende auf dem flachen Land nicht mit demselben Tempo wie in Sachsen vorangetrieben wurde, gab es in der Verwaltung im Norden der SBZ Ende 1945 gleichfalls keine NSDAP-Mitglieder mehr. Zu diesem Befund einer über den umfassenden Elitenaustausch rasch vollzogenen Neuprägung der Gesellschaft war bereits Helga A. Welsh für die von ihr untersuchte „Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen“ gekommen.54 Sie betonte den Doppelcharakter der Entnazifizierung, die mit der Ausschaltung von Nationalsozialisten aus fast allen wichtigen Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft politische, ökonomische und soziale Veränderungen grundsätzlicher Natur ermöglichte. Auf weitere Literatur55 wird jeweils im Anmerkungsapparat verwiesen. Dies gilt auch für die von der Partei- und Staatsführung der DDR gesteuerten Ergebnisse der marxistischen Geschichtswissenschaft, deren wissenschaftliche Dienlichkeit zu diskutieren den Rahmen sprengen würde. Sie stellten das Zusammenwirken von sowjetischen Besatzungsorganen und deutschen Verwaltungen zwar völlig undifferenziert dar, verleugneten jedoch nicht die Einflussnahme der Sieger auf die Umgestaltungsprozesse in der SBZ.56 Ungeachtet der seit 1990 erfolgten Öffnung der Archive halten einige in der DDR sozialisierte Wissenschaftler weiterhin an ihren monolithischen Geschichtsbildern fest, denen zufolge die Entwicklung in der SBZ vornehmlich als Reaktion auf politische Entscheidungen im Westen anzusehen sei.57 Die generell erforderliche Skepsis hinsichtlich ideologiegebundener Forschung gebietet gegenüber ihren Resultaten eine gewisse Zurückhaltung.58 Nach wie vor ist das SBZ-Handbuch, der 1990 zusammengefasste Wissensstand der westdeutschen DDR-Forschung, eine unentbehrliche Arbeitsgrundlage.59 Einen umfassenden Überblick vermittelt auch das von Wolfgang Benz 53 Melis, Entnazifizierung. 54 Welsh, Wandel. 55 Vgl. auch den Forschungsüberblick bei Braun, Neue Literatur; Braun, Neue Forschungen; Braun, Spiegel der Forschung; Bouvier, Forschungen; Sattler, Wirtschaftsordnung S. 24–40; Schroeder, SED-Staat, S. 621–632. 56 Vgl. exemplarisch Meinicke, Entnazifizierung; Gräfe/Wehner, Politik der Sowjetischen Militäradministration; Gräfe/Wehner, führende Rolle der KPD; Wehner, Unterstützung der sowjetischen Militärorgane; Wehner, Befreiung Dresdens vom Faschismus. 57 „Die Gründung der Bundesrepublik provozierte die ungewollt/gewollte Gründung der DDR.“, behauptete beispielsweise unlängst der ehemalige Bereichsleiter am Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Badstübner, zum doppelten Deutschland, S. 14. Vgl. Müller, Zweierlei Geschichtsschreibung. 58 Exemplarisch spiegelt die Aussage des ehemaligen Direktors des Instituts für Zeitgeschichte [der DDR] Stefan Doernberg eine um Wahrheitsfindung bemühte ideologische Befangenheit wider, siehe Aufarbeitung und Versöhnung, S. 171–177; ebenso Doernberg, Fronteinsatz. Vgl. Halder, Modell, S. 226; Steinbach, Wissenschaftlichkeit und Politik. 59 Broszat/Weber, SBZ-Handbuch. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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herausgegebene Handbuch „Deutschland unter alliierter Besatzung 1945– 1949/55“,60 ergänzt von einem Kompendium zur SED von Andreas Herbst, Gerd-Rüdiger Stephan und Jürgen Winkler.61 Zahlreiche Studien, Einzelaufsätze und Quellenbände zur Geschichte der Parteien und der Blockpolitik,62 zum politischen System und der Gründung der SED63 vervollständigen und erweitern das bisher entstandene Bild von der SBZ. Ebenso wie Entnazifizierung,64 Volksentscheid,65 Reparationen,66 die Vertriebenen-,67 die Sozial- 68 und die Wirtschaftspolitik69 oder der Aufbau der Polizei70 fanden dabei weitere für die sowjetische Besatzungspolitik71 bedeutsame Aspekte auf der Basis jetzt zugänglicher Dokumente Beachtung.

Quellenlage Die Grundlage der Untersuchung bilden die Akten des Dresdner Stadtarchivs (StadtAD). Mit ihrer Hilfe kann die nach außen reibungslos erscheinende Transformation der ersten deutschen Diktatur in die zweite Diktatur transparent gemacht werden. Die vorrangig benutzten Bestände Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden mit den Sitzungsprotokollen der Stadtverordnetenversammlung und des Stadtrates; die der Dezernate Oberbürgermeister, Innere Verwaltung, Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, Volksbildung, 60 Benz, Deutschland. 61 Herbst/Stephan/Winkler, SED; siehe auch Baumgartner/Hebig, Handbuch der SBZ/ DDR. 62 Biefang, Wiedererstehung; Bode, Liberal-Demokraten; Bouvier, Ausgeschaltet!; Fischer /Agethen, CDU; Großbölting, SED-Diktatur; Müller, Entstehung und Transformation; Suckut, LDP(D) in der DDR; Walter/Dürr/Schmidtke, SPD; Weber, Entwicklung des Parteiensystems; Wilde, SBZ-CDU; Zeidler, Entwicklung der Ost-CDU. 63 Faulenbach/Potthoff, Zwangsvereinigung; Klein/Otto/Grieder, Repression und Opposition; Malycha, Weg zur SED; Müller, Gründung der SED; Weber, Entwicklung des Parteiensystems. 64 Hartisch, Enteignung; Henke, Trennung von Nationalsozialismus; Kappelt, Entnazifizierung; Niethammer, Schule der Anpassung; Rößler, Entnazifizierungspolitik; Vollnhals, Entnazifizierung; Welsh, politische Säuberung; Wille, Entnazifizierung. 65 Halder, Prüfstein; Halder, Volksentscheid; Creuzberger, Klassenkampf. 66 Fisch, Reparationen; Karlsch, Allein bezahlt? 67 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge; Schwartz, Umsiedler. 68 Boldorf, Sozialfürsorge; Hoffmann, Sozialpolitische Neuordnung. 69 Hoffmann, Planwirtschaft; Owzwar, gewerblicher Mittelstand; Sattler, Wirtschaftsordnung; Steiner, Länderpartikularismus. 70 Belling, Entwicklung der polizeilichen Aufgaben; Bessel, Grenzen des Polizeistaates; Naimark, Suche nach Sicherheit; Spors, Aufbau des Sicherheitsapparates. 71 Altrichter, Ein- oder mehrdeutig?; Fischer/Rissmann, Deutschland als Gegenstand; Foitzik, Verhältnis zwischen SED und Besatzungsmacht; Haritonow, SED und SMAD; Lemke, Sowjetisierung der SBZ/DDR; Merker, Landes- und Zentralverwaltungen; Müller; Stalin und die Demokratie; Naimark, Sowjetische Militäradministration; Scherstjanoi, Absichten der UdSSR; Scherstjanoi, Sowjetische Besatzungspolitik; Steiniger, Die Alliierten und Deutschland; Wettig, Stalins Deutschland-Politik. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Quellenlage

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des Stadtbauamtes und insbesondere der Bezirksverwaltungen bieten einen umfassenden Fundus. Darüber hinaus wurde das von der Interessengemeinschaft 13. Februar 1945 e. V. gesammelte und inzwischen dem Stadtarchiv übergebene Material verwendet.72 Diese biographischen Aufzeichnungen und Originalhandschriften kompensieren einige der durch die Vernichtung von Unterlagen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstandenen Verluste. Doch neben den eingangs ausgeführten Einschränkungen hinsichtlich des Aussagewertes der Akten traten bei ihrer Sichtung Lücken hervor, die nicht nur aus dem willkürlichen Umgang mit Archivgut in der DDR und einer teilweise unkontrollierten Kassation von Dokumenten resultierten.73 Sie sind auch auf die mündliche Kommunikation der handelnden Akteure zurückzuführen. In der Regel wurden die politisch relevanten Anweisungen den deutschen Verwaltungen von der Besatzungsmacht nicht schriftlich mitgeteilt. Sie untersagte die Anfertigung von Aufzeichnungen,74 eine Praxis, die auch die an konspirative Methoden der Parteiarbeit gewohnten kommunistischen Kader beibehielten. Aus diesem Grund war die Nutzung zentraler Archive geboten. Von besonderer Bedeutung sind die Bestände im Bundesarchiv Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO-BArch), wobei wegen des lokalen Bezugs vorrangig die Nachlässe von Anton Ackermann, Otto Buchwitz, Kurt Fischer, Richard Gladewitz, Wilhelm Koenen, Hermann Matern, Otto Schön, Fritz Selbmann, Walter Ulbricht sowie Unterlagen der sächsischen KPD/SED, der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle und des Landesverbandes Sachsen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) beziehungsweise der Opfer des Faschismus (OdF) in Betracht kamen. Einen vergleichbaren Stellenwert wie das ehemalige zentrale Parteiarchiv der SED haben das Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), das Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) und das Archiv des Deutschen Liberalismus (ADL). Das ACDP bewahrt die Bestände des Landesverbandes Sachsen der Ost-CDU auf, das ADL die des sächsischen LDP-Landesverbandes. Während auf Seiten der CDU für den Kreisverband Dresden im Forschungszeitraum keine Quellen überliefert sind, befinden sich korrespondierend zum Material des LDP-Landesverbandes Sachsen im ADL auch Akten des LDP-Kreisverbandes Dresden und solche aus dem Nachlass von Johannes Dieckmann. Die Bestände der CDU und der LDP lassen sich zudem durch die genannten des Bundesarchivs ergänzen. Während diese Archive für die Entstehungsgeschichte von CDU und LDP wie für den konfrontativen Prozess ihrer Wandlung von Bedeutung sind, ist die Geschichte der Dresdner SPD nicht in gleicher Weise dokumentiert. Ihre Unterlagen gelangten weitestgehend in die SED-Archive. Das AdsD verfügt über 72 Vgl. Neutzner, bis die Russen kommen. 73 Vgl. zu Quellenproblemen Foitzik, Fragen der sowjetischen Außenpolitik, S. 329; Potthoff, Umgang mit den Akten. 74 Foitzik, Inventar, S. 20 f. und 28 f.; Haritonow, Hochschulpolitik, S. 8. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Interviews, die 1974 und 1975 im Zusammenhang mit dem SBZ-Projekt75 durchgeführt wurden. Die wenigen Berichte zu Dresden aus dem Ostbüro der SPD76 sind wegen ihres konspirativen Charakters nur eingeschränkt aussagefähig. Die fast durchgängig ohne Angaben zu Datum oder Verfasser angefertigten Aufzeichnungen müssen ebenso wie die in einem Abstand von 30 Jahren zu den Ereignissen entstandenen Interview-Protokolle mit Quellen anderer Provenienz korreliert werden. Hervorzuheben sind in dem Zusammenhang die Bestände des Sächsischen Hauptstaatsarchivs (SächsHStAD) in Dresden, weil hier die vorhandenen Dokumente der sächsischen SPD aufbewahrt werden. Allerdings wurden die Akten in großem Umfang bereinigt, die des SPD-Unterbezirks Dresden fehlen vollständig. Die Geschichte der SPD in Dresden erschließt sich somit hauptsächlich aus den Protokollen zentraler Leitungsgremien, aus Rundschreiben und Erinnerungsberichten. Verwendung fanden neben Erinnerungen, Nachlässen und Kaderakten in erster Linie die Bestände Bezirksleitung der KPD, Landesgruppe der SPD, Aktions- und Arbeitsgemeinschaft KPD/SPD sowie SED-Landesleitung Sachsen. Das Archivgut enthält Berichte, Statistiken, Personal- und Entnazifizierungsakten. Die Überlieferung der Landesbehörde der Volkspolizei (LBdVP) im SächsHStAD erwies sich als eine unerschöpfliche Fundgrube. Trotz einer derzeit eingeschränkten Nutzbarkeit wegen unvollständiger Findhilfsmittel,77 eines restriktiv ausgelegten Schutzes von Persönlichkeitsrechten betroffener Personen der Zeitgeschichte, einer deutlichen Selektion der Quellen und der unzureichenden Qualität ihrer Überlieferung auf stellenweise nicht lesbarem Filmmaterial, sind die Polizeiakten aufgrund der institutionellen Verankerung der Vorläufer einer politischen Geheimpolizei im Dresdner Polizeipräsidium von großem Gewicht für die Erforschung oppositionellen und widerständigen Verhaltens. Im Unterschied dazu waren für den Zeitraum der frühen Jahre 1945–1948 in der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU) lediglich zentrale Dokumente von eher geringer Aussagekraft zu finden. Darüber hinaus werden im Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten des Bundesarchivs große Teile der erhaltenen Entnazifizierungsakten, der so genannten NS-Datei des Dresdner Einwohnermeldeamtes aufbewahrt. Für jede Forschungsarbeit zur SBZ stellt sich die Frage, inwiefern ein Rückgriff auf russische Quellen erforderlich wird. Nach wie vor ist aber der Zugang zu den Archiven der Russischen Föderation problematisch und die gezielte Quellenrecherche nur eingeschränkt möglich.78 Generell sind Einblicke in Motivationen und Hintergründe zur sowjetischen Politik zu erwarten, zugleich aber fand das Handeln der Besatzungsmacht einen Spiegel in den zentralen wie den peripheren deutschen Institutionen. Entscheidend für den Verzicht auf den 75 76 77 78

Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung. Vgl. Buschfort, Ostbüros. Halder, Modell, S. 30. Vgl. Zarusky, Archivsituation. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Quellenlage

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Besuch russischer Archive waren Stichproben in Quellenbeständen aus dem Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF).79 Aus ihnen ergab sich ein überwiegend globaler Inhalt generalisierender Aussagen, zu denen sich die sowjetischen Offiziere gezwungen sahen. Ihre Berichte an vorgesetzte Dienststellen waren bedingt von den an sie gestellten Erwartungen und den ihnen zur Verfügung stehenden Informationen. Findmittel für eine systematische Suche nach Akten in russischen Archiven fehlen. In Anbetracht des zu erwartenden Nutzens wurde der erforderliche Aufwand für nicht vertretbar gehalten. Da neben den archivarischen Quellen unterschiedlicher Provenienz auf zahlreiche gedruckte Dokumente80 sowie biographische Äußerungen von Zeitgenossen und andere Zeitzeugnisse zurückgegriffen werden konnte,81 stand eine überbordende Fülle verschiedenster Unterlagen zur Verfügung, und die der Studie zugrunde gelegte Quellenlage kann als sehr gut bezeichnet werden.

79 Für die Einsichtnahme in Akten der sowjetischen Stadtkommandantur in Dresden danke ich Dr. Mike Schmeitzner vom HAIT. 80 Vgl. Befehle des Obersten Chefs; Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen; Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung; Dokumente und Materialien; Was wurde bisher getan? 81 Vgl. Buchwitz, Brüder; Feurich, Lebensbericht; Gniffke, Jahre; Wir sind die Kraft; Klemperer, Tagebücher; Leonhard, Revolution; Mischnick, Von Dresden nach Bonn; Wenn wir brüderlich; Beginn eines neuen Lebens; Tjulpanow, Deutschland; Tjulpanow, Rolle der SMAD; Weidauer, Kommunalpolitik; Welz, Stadt; Wir erlebten die historische Stunde. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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II.

Der Weg aus dem Krieg

„Gerade wir“, schrieb Erich Kästner nach seinem ersten Besuch in der zerstörten Heimatstadt, „müssten heute wie nie vorher und wie kein anderes Volk die Wahrheit und die Lüge, den Wert und den Unfug unterscheiden können“.1 Wer kurz nach dem 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation, dem Tag des Zusammenbruchs, dem Tag der Befreiung in eine beliebige deutsche Stadt kam, fand eine Realität vor, die mittlerweile schwer vorstellbar geworden ist. Unter allen verwüsteten Städten aber hebt sich Dresden wie Hiroshima besonders symbolhaft von anderen Bildern der Vernichtung ab.2 Doch war der Tag des Kriegsendes tatsächlich ein Einschnitt, oder wiesen Kontinuitätslinien aus dem Krieg in die Nachkriegszeit, begünstigten gar Konstellationen der Diktatur die kommunistische Machtübernahme in der SBZ? Denn auch aus Mentalitäten, aus Selbst- und Fremdbildern sowie einschneidenden historischen Erfahrungen speisen sich die persönlichen Grundhaltungen der Bürger, die wiederum die Identifikationsprozesse mit dem jeweiligen politischen System prägen und beeinflussen.3 Zur Klärung dieser Zusammenhänge liegt die Bedeutung historischer Zäsuren und übergreifender Kontinuitäten auf der Hand. Welche Rolle spielte das historische Datum des Kriegsendes in Dresden oder dominierten hier andere Ereignisse jene vielerorts apostrophierte „Stunde Null“? Was besagt die Zuschreibung „unbesiegbare Stadt“4 in der Nachkriegs-„Politik mit der Erinnerung“5 ? Diese Fragen erfordern es, eine Untersuchung über die Zeit nach dem Ende des Krieges in Dresden mit einer knappen Bestandsaufnahme zu eröffnen. Mit der Niederlage von Stalingrad hatte 1943 die Serie deutscher Kriegserfolge ihr Ende gefunden. Die Luftherrschaft fiel an die Alliierten, die von SSEinsatzgruppen und der Wehrmacht in den überfallenen Staaten entfesselte Gewalt schlug auf Deutschland zurück. Aber die nationalsozialistische Herrschaft, auch wenn mit der Verringerung ihres Einflussbereiches ihre wirtschaftlichen Ressourcen ständig zurückgingen und das Kriegspotential dahinschmolz, brach nicht von innen her zusammen, sondern musste von außen beseitigt werden. Die schwachen Kräfte der Opposition im Land entbehrten weitgehend des Rückhalts in der Bevölkerung, nicht zuletzt wegen der zwischen vielen Deutschen und ihrer Führung bestehenden „Komplizenschaft“6 : Mitglieder der NSDAP, zahlreiche Angehörige der Wehrmacht und weite Teile der Bevölkerung hatten von der Politik „profitiert“.7 1 2 3 4 5 6 7

Kästner, Dresden, S. 114. Buruma, Erbschaft der Schuld, S. 117–141. Vgl. Wendt, Deutschland 1933–1945, S. 634. Seydewitz, Stadt. Reichel, Politik mit der Erinnerung. Vgl. Münkler, Gedächtnis der DDR. Herbst, Deutschland 1933–1945, S. 453. Nolzen, Verhältnis NSDAP und Wehrmacht, S. 96. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Weg aus dem Krieg

Weshalb rafften sich die Bewohner deutscher Städte zu keinem nennenswerten Widerstand auf und klammerten sich trotz sinkender Zuversicht an jede noch so geringe Hoffnung? Ermöglichte eine Situation, die ihnen Opfer abverlangte, sich selbst als Opfer zu fühlen? Wann konstituierte sich im Alltagsbewusstsein das Selbstverständnis einer weitgehend unschuldigen und zum Opfer des Krieges gewordenen Bevölkerung? Welche Faktoren des Erinnerns begünstigten die Fixierung eines solchen Blickwinkels? Belastete, erschwerte oder verhinderte er die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit? Da eine Untersuchung zur Geschichte Dresdens im Zweiten Weltkrieg bislang nicht vorliegt, wird das folgende Kapitel die Ausgangslage bei Kriegsende festhalten und dabei der Rezeptionsgeschichte der Ereignisse Raum lassen, beginnend mit der Schilderung von Aktivitäten des nationalsozialistischen Regimes in der Endphase des Krieges, der Zerstörung der Stadt und ihrer Einnahme durch die sowjetischen Truppen.

1.

Die Endphase

1944 signalisierten annähernd 100 Fliegeralarme den vom Krieg verschonten Dresdnern eine anwachsende Gefahr. Doch wer so häufig umsonst vor ihr gewarnt und in den Luftschutzkeller geschickt wurde, missachtete sie. „Die Stumpfheit oder Abgestumpftheit der Phantasie! Ich bin so an die Nachrichten von bombenzerstörten Städten gewöhnt, dass mir das gar nichts ausmacht. Gestern [...] ergriff mich ein Brief, [...] Königsberg [...] ist zu 75 Prozent zerstört, nach amtlichen Berichten sind 5 000 Menschen tot und 20 000 verwundet; der Schreiber und seine Frau hatten nichts gerettet, als was sie auf dem Leibe trugen, drei Verwandte des Mannes, eines alten Amtsrichters, sind tot. Das erschütterte mich, und wie ich morgens – purpurnstes, glühenddunkles Morgenrot – beim Abwaschen auf die Carolabrücke und die Häuserreihe drüben hinaussah, stellte ich mir immerfort vor, diese Reihe bräche vor meinen Augen plötzlich in sich zusammen – wie das ja tatsächlich in jeder Stunde geschehen könnte und ähnlich alle Tage irgendwo in Deutschland wirklich geschieht. Aber wenn nicht gerade in den nächsten Stunden Alarm kommt, sinkt diese Vorstellung natürlich zurück, und ich hoffe weiter auf ‚Churchills Tante‘. Bisher ist ja Dresden selber wirklich verschont worden, das bedrohlich helle Krachen neulich ging nicht von Bomben aus, sondern von eigener Flak.“8

Was auf den Tagebuchschreiber Victor Klemperer zutraf, den unermüdlichen Chronisten der Barbarei, galt für viele Einwohner der Stadt. Die Verantwortlichen verfügten über umfassende Informationen zum Luftkrieg, zogen aber keine Konsequenzen daraus, sondern blieben in Kompetenzstreitigkeiten verwi8

Tagebucheintrag vom 15. 9.1944. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 584. Über mögliche Gründe, weshalb Dresden als einzige deutsche Großstadt bislang vom Bombenkrieg verschont geblieben war, kursierten unter den Einwohnern verschiedene Mutmaßungen, unter anderem die von einer hier wohnenden Tante des britischen Premierministers Churchill, vgl. Beevor, Berlin 1945, S. 99. Zu den Luftkriegslegenden in Dresden Bergander, Gerücht. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ckelt und arbeiteten nicht effektiv im Interesse eines wirkungsvollen Schutzes der Bevölkerung zusammen.9 Sie stellten keine Mittel bereit, weil der Krieg sämtliche Ressourcen verschlang.10 Obwohl der deutschen Führung die grundsätzliche Gefährdung der Zivilbevölkerung im Luftkrieg und die Unzulänglichkeit aller seit 1933 getroffenen Vorkehrungen bekannt war,11 führte der sächsische Gauleiter der NSDAP, Reichsstatthalter und Reichsverteidigungskommissar Martin Mutschmann, Todesopfer unter der Zivilbevölkerung bei Bombenagriffen zynisch auf die „unverantwortliche Sorglosigkeit unserer Volksgenossen“ zurück. Die „schnelle und beste Befolgung aller Maßnahmen der Partei und des Staates“ verhüte das Schlimmste, verkündete er, und wer gegenüber den Ermahnungen taube Ohren zeige, habe kein Recht sich zu beklagen.12 Doch die nationalsozialistische Führung rechnete inzwischen fest mit Luftangriffen auf sächsische Städte,13 hatte auch in Dresden ein Kriegsschädenamt einrichten und Eltern auffordern lassen, ihre Kinder an sichere Orte außerhalb der Stadt zu evakuieren. Wer konnte, hielt sich auf dem Land auf.14 Die von Partei und Staat angeordneten Maßnahmen waren simple Übungen. Die Beteiligten befolgten sie mit mehr oder weniger Ernst, ein „komisches Spiel“, wenn auch „nicht ganz ohne belehrenden Wert“ – er wisse jetzt „allerhand von Brandbekämpfung und Bomben, von der Organisation des Luftschutzes“, schrieb der Chronist Klemperer. Ein Stein stellte die Stabbrandbombe dar, die einer mit der Schaufel aus dem Zimmer trug, während die Gruppe aufgeregter Menschen das Löschen des fiktiven Brandes spielte: zuerst die Gardinen herunter reißen und anschließend die brennbare Zimmereinrichtung vom Brandort entfernen. Alle wussten, dass aus dem Spiel im nächsten Augenblick bereits „grausiger Ernst“ werden könnte und sie versuchten, wenn nicht sich selbst, wenigstens ihre wertvollen persönlichen Dinge in Sicherheit zu bringen.15 Klemperer, dem die Manuskriptblätter seines Tagebuches die unersetzliche „Balancierstange“ im diskriminierten Alltag des von den Nationalsozialisten verfolgten Juden bedeuteten, ließ sie, sich gleichzeitig das „Schildbürgerhafte“ seines Tuns eingestehend, im nahen Pirna bei einer Freundin der Familie verstecken16 – wo sie wider Erwarten den Krieg überdauerten. 9 Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 111; er überliefert einen authentischen Bericht über die tatsächlichen Schutzvorkehrungen ebd., S. 90. 10 Vgl. Gedächtnisbericht über die militärischen Ereignisse in und um Dresden vom Januar 1945 bis zur Kapitulation Mai 1945 von Oberstleutnant a. D. Eberhard Matthes, September 1989–Oktober 1992 [künftig Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes] (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 4). 11 Vgl. Pommerin, Zur Einsicht bomben?, S. 335. 12 Reichert, Verbrannt, S. 45. 13 Vgl. Behring, Kriegsende in Sachsen, S. 227. 14 Vgl. Schreiben von Ilse und Kurt Liebermann an Walter Weidauer vom 13. 2.1965 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden V/2.052.018, nicht paginiert). 15 Stabel, Palucca, S. 130 f. Vgl. Barnouw, Ansichten, S. 110; Lebenszeichen, S. 73–81. 16 Tagebucheintrag vom 29. 9.1944. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 593 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dresden befand sich lange Zeit in dem außerhalb der Reichweite alliierter Flugzeuge gelegenen Osten des Deutschen Reiches. Bis zum 7. Oktober 1944 hatten die Dresdner gehofft, davonzukommen, und hielten an dem irrationalen Glauben fest. Dann fielen in die hellen Mittagsstunden dieses klaren Herbsttages westlich des Stadtzentrums zwischen der Hamburger Straße und dem Postplatz die ersten Bomben, innerhalb von zwei Minuten verloren über 200 Menschen, unter ihnen 28 ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, ihr Leben und 2 755 wurden obdachlos. Neben 166 zerstörten oder beschädigten Wohnhäusern wies die Schadensbilanz des Tages auch Treffer in mehreren repräsentativen Gebäuden wie dem Stallhof, dem Stadthaus Theaterstraße, dem neuen Speicher, der Wettinschule und weiteren aus.17 Klemperer konstatierte „ein sehr verändertes Grundgefühl“. Drei Tage zuvor hatte er einen Zeitungsartikel gelesen, der den Glauben an ein „Wunder“ hinsichtlich der scheinbar aussichtslosen Kriegssituation nährte und sich dabei gefragt, wie die aktuelle Lage einzuschätzen sei, wenn solche Beiträge gedruckt würden.18 Dieser Angriff jetzt bestätigte ihm seine skeptische Beurteilung der Erfolgsaussichten des Regimes. Wenn nun nicht einmal das bisher als sicher geltende Dresden von den alliierten Bomben verschont blieb, hoffte er mit größerer Berechtigung, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu überleben, und schöpfte aus dem Angriff neuen Mut, während die Hoffnungen anderer Dresdner sanken. Das Wunder von Dresden jedenfalls war ausgeblieben. Gleich vielen anderen Dresdnern erhielten die Juden eine polizeiliche Aufforderung, sich gemeinsam mit den dazu abgestellten Kriegsgefangenen an den Trümmerorten einzufinden. Noch erhielten die Verpflichteten die Werkzeuge zur Schuttberäumung an ihren Einsatzorten gestellt und mussten sie nicht selbst mitbringen. Noch ging alles sehr geordnet und organisiert zu, die Feuerwehr war zum Löschen der Brände ausgefahren, Ärzte und Schwestern versorgten die Verwundeten in den Krankenhäusern. Eine Panne unterlief den Behörden bei dem Aufruf zu den Aufräumarbeiten, sie versandten ihn auch an verschiedene bereits deportierte und ermordete jüdische Einwohner der Stadt – ein Menetekel für die bevorstehende Auflösung der Ordnung? Bald waren die Ruinen gesichert oder abgetragen, die zerstörten Rohrleitungen und Kabel repariert und die Straßen wieder frei für den Verkehr. In der vom Oberbefehlshaber des Ersatzheeres verkündeten Aufstellung eines „Volkssturms“ sahen die aufmerksamen Zeitgenossen zwar ein weiteres Symptom der sich zuspitzenden Kriegslage,19 doch deswegen rückte die Bevölkerung nicht vom Regime ab. Einzelne gingen still auf Distanz und die Minderheit politischer Gegner20 bemühte sich um Unauffälligkeit. 17 Vgl. Neutzner, Bombenkrieg, S. 35–43; Reichert, Verbrannt, S. 41 f. 18 Tagebucheintrag vom 5.10.1944. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 597 f. 19 Tagebucheintrag vom 21.10.1944. In: ebd., S. 605 f. 20 Vgl. Stöver, Volksgemeinschaft, S. 403. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Im Gegensatz zu ihnen hatte das von gesellschaftlichen Normen abweichende Verhalten mancher Kinder und Jugendlicher schon frühzeitig die Aufmerksamkeit obrigkeitlicher Kontrolleure auf sich gezogen. Trotz des sehr hohen Organisationsgrades in der Hitlerjugend (HJ)21 verweigerten während der Kriegsjahre vermehrt junge Menschen ihre aktive Teilnahme. 1944 registrierten die Behörden reichsweit gehäuft Zusammenschlüsse Jugendlicher in Cliquen mit angeblich kriminell-asozialen und politisch-oppositionellen Absichten. Diese Cliquen führten außerhalb der HJ ein nicht mit den nationalsozialistischen Grundsätzen konformes Sonderleben und lehnten die ihnen verordneten „Pflichten innerhalb der Volksgemeinschaft“ ab. Justiz, Gestapo und Erziehungsbehörden forderten hinsichtlich der kriegsbedingten Abwesenheit vieler Väter eine verstärkte Überwachung.22 Die nicht nur in den Großstädten des Ruhrgebietes23 in Erscheinung getretenen informellen Gruppen rebellierten gegen Bevormundung. Ihr subkultureller Protest speiste sich nur in seltenen Fällen aus einer politischen Widerstandshaltung. Aber Gestapo und Justiz ahndeten bereits kleinere Vergehen hart. Sie verkannten die Realität, reagierten unangemessenen und trugen so zum Entstehen oppositioneller Haltungen bei.24 Da die Nationalsozialisten im Hinterland der Front nichts so sehr fürchteten wie Sabotage und Partisanen, konstruierten sie die Gefahr einer gegen sie gerichteten Untergrundbewegung in der Endphase des Krieges. Die rebellierenden Jugendlichen in Dresden waren zwischen fünfzehn und siebzehn Jahre alt und fielen dadurch auf, „dass sie statt eines kurzen Haarschnittes mit Vorliebe lange Haarmähnen trugen, betont flegelhaft auftraten, Jazzlieder sangen, Aufforderungen zum HJ-Dienst ignorierten und sich selbst als ‚Woitzer‘, ‚Broadwa-Gangster‘ oder ‚Mob‘ bezeichneten“. Die Staatsanwaltschaft Dresden erhob Ende 1944 Anklage gegen sechzehn Jungen und ein Mädchen wegen „Herumtreiberei“, „staatsfeindlicher Bandenbildung“, „Arbeitsbummelei“ und „Wehrkraftzersetzung“. Weil Zeugenaussagen eine politische Interpretation des Geschehens nahelegten, strafte die Justiz unnachsichtig, obwohl es sich lediglich um Auseinandersetzungen verfeindeter Jugendgruppen mit gegenseitigen Handgreiflichkeiten und Drohungen handelte. Sie hatten einander aufgelauert und verprügelt. Die Mitglieder der HJ schnitten den langhaarigen Jugendlichen gewaltsam die Haare. Diese wiederum belästigten die Mädchen, deren Gruppenführerin aussagte, sie hätten sie festgehalten und unsittlich berührt. Einem HJ-Führer drohten sie brieflich Rache: „An den Unter-

21 Gotschlich, Reifezeugnis, S. 188. 22 Vgl. Klönne, S. 280 f.; Klönne, Jugendkriminalität und Jugendopposition. 23 Peukert, Edelweißpiraten. Vgl. Freyberg/Bromberger/Mausbach, Kinder und Jugendliche, S. 135–161; Rusinek, Gesellschaft, hier besonders S. 75–93. 24 Kenkmann, Jugend, S. 310. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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bannführer und seine Streifendienstjodler. Wir werden euch die Schnauze noch stopfen. Prottwebande.“25 Die Selbstbezeichnung und die langen Haare kennzeichnen eine von der nationalsozialistischen Ideologie abgewandte jugendliche Subkultur mit Vorliebe für angloamerikanische Musik, die zwar Protest und Opposition beinhaltete, aber keinen aktiven politischen Widerstand gegen die Diktatur. Deren Instanzen stellten das Verhalten der Jugendlichen als Ausdruck ihrer politischen Einstellung dar wegen der gegen die HJ-Angehörigen gerichteten Handlungen, weil einige von ihnen sich durch Selbstverstümmelung der Arbeitsdienstpflicht entziehen wollten und einer der Angeklagten einen Sowjetstern getragen hatte. Das Gericht verurteilte kurz vor Weihnachten elf der Angeklagten zu Haftstrafen bis zu einem Jahr und drei Monaten Jugendgefängnis, obwohl die Jugendhilfe mehrheitlich auf Erziehungsmaßnahmen plädierte. Einer entzog sich dem Richterspruch mit einer Verpflichtung zum Dienst in der Waffen-SS. Die Weihnachtstage verbrachten die Verurteilten im Gefängnis am Münchner Platz. Währenddessen ragten unversehrt die schlanken Türme der Sophienkirche in den Himmel über der Stadt an der Elbe, von der Kuppel der Frauenkirche läuteten die Glocken, und die sechste Kriegsweihnacht begingen die Dresdner in mittlerweile vertrauter Gewohnheit. Friedlich wollten sie die Erinnerung bewahren, obwohl der gesamte Alltag vom Krieg sprach: Sandsäcke vor den Fenstern des Grünen Gewölbes, das mitten in den Altmarkt gegrabene Löschwasserbecken, Splitterschutzgräben und Militärfahrzeuge in den Straßen, die Aufschriften an öffentlichen Gebäuden mit Hinweisen auf Sammelstellen, ebenso Bilder aus anderen zerstörten Städten. Den gemeinsamen Krieg erfuhren die Deutschen auf sehr unterschiedliche Weise.26 Die Dresdner nahmen ihn weithin wahr aus der berichtenden Distanz und gewöhnten sich fünf lange Jahre an ihn. Distanzierung begünstigte bei einem großen Teil der Bevölkerung die Zustimmung zur Politik des Regimes.27 Krieg bedeutete für sie die Bomben auf Hamburg und Berlin und die toten Angehörigen an der Front. Wäre dieser Krieg so zu Ende gegangen, hätte die abstrahierende Distanz in der Erinnerung vieler Dresdner aus dem Krieg einen völlig anderen werden lassen, so wie die Ostpreußen oder die Westfalen einen jeweils anderen Krieg erinnern. Viele von ihnen wollten den längst mitten in ihrer Stadt wütenden Krieg nicht sehen und fragten nicht nach ihren Mitbewohnern, den „ausgesiedelten Juden“.28 Deren Möbel und Hausrat standen für den Fall eines Luftangriffs zur Verfügung geschädigter Dresdner bereit.29 25 Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dresden vom 15.12.1944 (SächsHStAD, StAW Dresden 580, nicht paginiert); zur drastischen Bestrafung Jugendlicher Klönne, Jugend, S. 247 ff. und 293 ff. Vgl. Rusinek, Gesellschaft, S. 419–440. 26 Vgl. Koselleck, Erinnerungsschleusen. 27 Neutzner, Wozu leben wir noch?, S. 8. Vgl. Ruppert/Riechert, Herrschaft und Akzeptanz, S. 248 f.; Steinert, Deutsche im Krieg; Zimmermann, Kämpfe gegen die Westalliierten. 28 Goldenbogen, Vernichtung der Dresdner Juden 1938–1945. 29 Reichert, Verbrannt, S. 47. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Ende 1944 hielten viele den Ausgang des Krieges für noch nicht entschieden und wiegten sich in Sicherheit.30 Was sie nicht wussten: Generaloberst Guderian, der Chef des Generalstabes des Heeres, hatte die Errichtung des „Verteidigungsbereiches Dresden“ zum 1. Januar 1945 befohlen. Die Geheimhaltung der Pläne sollte einer Demoralisierung der Bevölkerung vorbeugen. Die nationalsozialistische Führung bangte um die Loyalität, und die verantwortlichen Generäle wollten keinesfalls erkennen lassen, dass sie mit einem Vordringen der alliierten Truppen bis in die Mitte des Deutschen Reiches rechneten. Sie planten eine Verteidigungslinie entlang der Elbe von Hamburg bis Prag und ließen im Januar 1945 den Bau von Verteidigungsstellungen in und um Dresden beginnen.31 Teilstücke eines Panzergrabens verliefen schließlich im nördlichen Stadtgebiet von Mickten bis zum Kasernengelände in der Albertstadt, im Westen und Süden Dresdens zogen sich die Gräben mit verschiedenen Unterbrechungen vom Ortsteil Plauen bis zum Großen Garten hin. Panzersperren sollten die Einfallsstraßen und Elbbrücken sichern. Zwischen Dresden und Meißen wurden Geschützstellungen errichtet.32 Trotz ihrer Zweifel am Sinn des Unterfangens verschlossen die Offiziere im Stab des Verteidigungsbereiches Dresden ihre Augen vor der Realität. Auch diejenigen, die vielleicht eine andere Meinung haben mochten, wagten keinen Widerspruch.33 Ein Beispiel für die weit verbreitete allgemeine Zuversicht in die Fähigkeiten der nationalsozialistischen Führung zur Herbeiführung einer Kriegswende bietet Klemperer selbst, der Anfang Januar 1945 entmutigt notierte: Die „ungeheure Zähigkeit und immer neue Erfindungskraft“ der Regierung zur Weiterführung des Krieges stehe fraglos fest, mit Recht werde vom „deutschen Wunder“ gesprochen, und er sei sich „wahrhaftig ihrer Niederlage nicht mehr so gewiss“.34 Noch wenige Wochen zuvor hatte er denselben Wunderglauben und die vermehrten mythologischen Anleihen der Propaganda als Anzeichen für die verzweifelte deutsche Lage an den Fronten gedeutet. Auch nach dem Abwurf der Bomben auf Dresden im Herbst mobilisierten weder die NSDAP noch die zivilen Behörden der Stadt die vorhandenen Möglichkeiten für den Schutz der Einwohner,35 obwohl die höchste Führung und Hitler persönlich mit weiteren Luftangriffen auf die Stadt rechneten.36 Selbst diese offensichtliche Missachtung ihrer Sicherheitsinteressen bewirkte kein grundsätzliches Umdenken, Kritik an der Führung äußerten die Dresdner nur verhalten, gegenseitiges Misstrauen und Angst vor einer Denunziation ließ sol30 Tagebucheintrag vom 10.12.1944. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 625. 31 Rahne, Festung Dresden, S. 8. 32 Fleischer/Wetzig, Kriegsende, S. 75. 33 Vgl. Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 4); Müller/Ueberschär, Kriegsende, S. 58. 34 Tagebucheintrag vom 4.1.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 636. 35 Hermann, Oberbürgermeister Nieland und Kluge, S. 196. 36 Tagebücher von Joseph Goebbels Band 14, S. 467. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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che Stimmen verstummen.37 Wer mit klarem Verstand die Bemühungen beim Bau von Gräben und Panzersperren betrachtete, musste ihre Unzulänglichkeit bemerken. „Vor Weißig und auf dem Weißen Hirsch, da schanzen sie schon mächtig. Es ist zum Lachen.“ Ohne eine Lösung zu wissen („Richard folge mir und melde Dich mal krank“) resignierte eine Dresdnerin, die das Vertrauen in die nationalsozialistische Führung wie manch anderer verloren hatte: „Man darf gar nicht daran denken, wenn man im Keller sitzt und wartet so auf den Tod. Die anderen haben ihre Bunker, da kommt keiner ran. [...] Unser Hitler weiß schon, was er will. O Gott in dieser Zeit muss man leben.“38 Solche Äußerungen verließen selten die Sphäre des Privaten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein zweiter Luftangriff den Optimismus der Dresdner nochmals gedämpft. Bomben trafen am 16. Januar 1945 im westlichen Stadtgebiet erstmals auch Bahnanlagen und töteten 334 Menschen. Offenbar beschleunigten Schutzlosigkeit vor Kriegseinwirkungen und Lagemeldungen über die unaufhaltsam näherrückenden Frontlinien einen Stimmungswandel in Dresden. In die Freude, die Bomben überlebt zu haben, mischte sich bei vielen der Gedanke an ein nahes Ende, doch auf die Zeit danach konnten sie sich nicht umstellen und verboten sich das Nachdenken darüber. Von einer Erhebung gegen das Regime des Nationalsozialismus weit entfernt, klammerten sie sich an den Gedanken, dass bisher noch kein „Räumungsbefehl“ ergangen sei, denn wenn erst „die Russen in Dresden sind, dann ist doch sowieso alles futsch“.39 Mutlosigkeit machte sich breit. Viele wähnten sich „hilflos den wüsten Horden ausgeliefert“, legten sich einen Strick bereit oder hofften auf ein Wunder und mussten sich dabei eingestehen, nicht zu wissen, „was uns noch retten könnte“.40 Klemperer wiederum hörte beim Kohlenhändler „lauter und rückhaltloser schimpfen, als sonst gewagt“ wurde,41 und zwei Tage darauf erlebte er den unglaublichen Vorgang, dass ihm ein deutscher Polizist die Hand reichte. Die häufigen Wohnungskontrollen boten sonst den Gestapobeamten einen willkommenen Anlass zu willkürlicher Demütigung und bewusster Beleidigung. Jetzt äußerte der in seine Wohnung eintretende Polizist entschuldigend: „Also guten Abend, Herr Professor. Das kommt schon wieder anders, sie werden ihr Amt zurückerhalten!“ Doch die eingetretene „Katastrophenstimmung“ bedeutete für Klemperer als „Sternträger“ nicht allein Hoffnung auf das Ende seiner Bedrohung, sondern zugleich ein erhöhtes Risiko. Wie er wusste, wurde eine Ermordung durch die Nationalsozialisten, denen an einer Beseitigung der Zeugen 37 Tagebucheintrag vom 10.1.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 638. Vgl. Steinert, Deutsche im Krieg, S. 482 f. 38 Brief Frida Mehnerts vom 12. 2.1945. In: Reichert, Verbrannt, S. 48. 39 Schreiben Annelies Himmstädts vom 7. 2.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 004, nicht paginiert). 40 Schreiben Dora Baumgärtels vom 11. 2.1945 (ebd., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 008, nicht paginiert). 41 Tagebucheintrag vom 27.1.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 647. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ihrer Verbrechen lag, dadurch wahrscheinlicher.42 Befürchtungen überlagerten die Sympathiebekundungen. Eine ihm völlig unbekannte Frau schenkte ihm eine Brotmarke, die Verkäuferin in der Fleischerei artikulierte im allerdings leeren Geschäft ihre „langjährige Judenfreundschaft“43 – viele Deutsche schienen sich jetzt auf diese Weise absichern zu wollen. Seine Position inmitten all derjenigen, die jetzt ihren „Mantel nach dem Wind“ drehten, schätzte er realistisch bis zum Schluss als sehr unsicher ein.44 Während für die Mehrheit der Dresdner Einwohner die Gefahren des Luftkrieges überwogen, kam für die in Dresden internierten Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlinge die Bedrohung durch die nationalsozialistischen Repressionsinstanzen hinzu.45 In den Rüstungsbetrieben ersetzten längst kriegsgefangene Soldaten und ausländische Zwangsarbeiter die fehlenden deutschen Facharbeiter.46 Klemperer beschrieb im August 1942 die damals noch deutschjüdische Leidensgemeinschaft mit den ausländischen Arbeitssklaven in einem der größten Dresdner Rüstungsbetriebe, der Zeiss-Ikon AG. Dort habe man erneut „einen Schub ganz junger, halbkindlicher Russinnen eingestellt und hält sie von den jüdischen Arbeiterinnen fern. Aber man hat vergessen, dass unter den Juden viele russisch sprechen, und so besteht Konnex. Die Mädchen sind zum Dienst gepresst und fühlen sich als verschleppte Gefangene. Sie hungern in ihrem Massenquartier, morgens und abends ein Topf Kaffee mit einer Schnitte Brot, mittags nur eine dünne Suppe. Sie hungern so, dass ihnen auch die jüdischen Kameraden zu Hilfe kommen. Das ist verboten; aber man lässt eine Schnitte unter den Tisch fallen, nach einer Weile bückt sich die Russin und verschwindet dann mit dem Brot aufs Klosett. (Die Juden erhalten eine Hauptmahlzeit in der Kantine.) – Zeiss-Ikon soll ein ‚Völkergemisch‘ beschäftigen; polnische, französische, dänische etc. Arbeiterinnen.“47

Dem Rassismus der Nationalsozialisten galt das Leben der so genannten „Fremdarbeiter“ aus dem Osten nichts, sie ließen sie hungern und misshandelten sie. Der Druck auf die knappen wirtschaftlichen Ressourcen nahm weiter zu und veranlasste im Herbst des Jahres 1944 die SS, in Dresden neue Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg mit vielen Hundert, überwiegend

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Tagebucheintrag vom 29.1.1945. In: ebd., S. 649 f. Tagebucheintrag vom 8. 2.1945. In: ebd., S. 654. Vgl. Tagebucheintrag vom 1. 5.1945. In: ebd., S. 761. Zusammenfassung des Sektionsprotokolls vom 11. 5.1948 (SAPMO-BArch, DY 55–V 278/4/58, nicht paginiert). Vgl. Behring, Kriegsende, S. 231. 46 Schreiben der Firma Mende an die Heeresbetriebstelle Albertstadt vom 31. 3.1942 (StadtAD, Dezernat Finanzen 237, Bl. 166); Schreiben der Heeresbetriebstelle Albertstadt an die Wehrkreisverwaltung IV vom 16.11.1943 (ebd., Bl. 110); Tagebucheintrag vom 8. 9.1942. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 237. Vgl. Starke, Industriegelände, S. 180 ff. 47 Tagebucheintrag vom 6. 8.1942. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 194. Hervorhebung im Original. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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weiblichen, Häftlingen zu errichten.48 Allein die Zeiss-Ikon AG beschäftigte – nach der schon im Frühjahr 1943 auf Betreiben der lokalen NSDAP-Führung erfolgten Deportation und Ermordung des Großteils ihrer jüdischen Arbeiter – im letzten Kriegsjahr mindestens 1 000 Lagerhäftlinge und weitere 2 600 Zwangsarbeiter in ihren verschiedenen Betriebsteilen bei der Herstellung von Zündern und Bombenzielgeräten.49 Bekannt ist die Zahl der größeren KZ-Außenlager in Dresden, zehn Lager mit etwa 4 500 männlichen und weiblichen Häftlingen, die Vielzahl der über das gesamte Stadtgebiet verteilten Baracken für die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter hingegen nicht.50 Insgesamt beschäftigten in Dresden mindestens 780 Betriebe weit über 30 000 ausländische Arbeitskräfte.51 In der Endphase der nationalsozialistischen Herrschaft standen einer großen Anzahl von Arbeitssklaven, die nichts außer ihrem Leben besaßen, in nur noch geringem Umfang Bewacher gegenüber. Die Angst vor Unruhen war also durchaus berechtigt,52 auch wenn der im Frühjahr 1945 in Dresden durchgeführte Lehrgang „zur Bekämpfung erwarteter Aufstände von Fremdarbeitern oder sonstigen Widerstandsgruppen“ wohl eher der Ausbildung von Frontsoldaten für den Straßenkampf diente.53

2.

Die Zerstörung

Ein junger Soldat aus Dresden, Absolvent der Dreikönigsschule, dem zweitältesten Gymnasium der Stadt, schrieb nach fünf Jahren Krieg einem früheren Klassenkameraden: Es gelte nun, den „Feind“ mit „deutscher Gründlichkeit“ spüren zu lassen, was „Bombenterror“ bedeute. „Auge um Auge, Zahn um Zahn! Oder man geht zugrunde. Nur der Stärkere kommt zu seinem Recht.“54 Er bediente sich gängiger Vokabeln. 48 Herbert Hilse: Das Netz der Konzentrationslager und Arbeitslager in Dresden, 18. 7. 1950 (SAPMO-BArch, DY 55–V 278/2/29, nicht paginiert). Vgl. Fischer, Ideologie und Sachzwang, S. 12–26. 49 Bundeszentrale für politische Bildung, Gedenkstätten Band II, S. 649 f. und 657; zur Geschichte des Lagers Hellerberg vgl. Gryglewski, Judenverfolgung in Dresden; zur kriegswirtschaftlichen Bedeutung der feinmechanischen Industrie in Dresden Lindner, Kamera- und Photoindustrie; die Zeiss Ikon AG hatte die Anzahl ihrer Dresdner Beschäftigten in den Kriegsjahren fast verdreifachen können, ebd. S. 161. 50 Verzeichnis der Baracken im Dresdner Stadtgebiet, o. D. [1945] (StadtAD, Dezernat Aufbau 72, Bl. 164–181); Gruppenarbeit an der Kreisparteischule Dresden, Lebensbild Werner Rosenboom, o. D. (SächsHStAD, SED BPA Dresden V/6.219, nicht paginiert); Balzk, Zwangsarbeiter in Dresden; Goldenbogen, Vernichtung der Dresdner Juden, S. 108 f.; Starke, Industriegelände. 51 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 42 f. (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 52 Tagebucheintrag vom 8. 2.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 656. Vgl. Ruppert/Riechert, Herrschaft und Akzeptanz, S. 245. 53 Schreiben Johannes Gerbers vom 21. 4.1996 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftliche Berichte 0219, nicht paginiert). 54 Gotschlich, Reifezeugnis, S. 238 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Victor Klemperer begann seinen Tagebucheintrag am 13. Februar 1945 mit den Worten „Odysseus bei Polyphem“. Er hatte am Vormittag in der Stadt Briefe ausgetragen, die fast allen der noch verbliebenen Dresdner Juden für den Freitag in drei Tagen den Abtransport ankündigten, bezeichnet als „auswärtiger Arbeitseinsatz“. Die Angeschriebenen hätten sich „im Arbeitsanzug mit Handgepäck, das eine längere Strecke zu tragen sei,“ am angegebenen Treffpunkt „mit Proviant für zwei bis drei Reisetage“ einzufinden. Er musste diese Schreiben persönlich gegen Unterschrift aushändigen und traf auf seinen Gängen mit den verschiedensten Menschen zusammen, kleinen Leuten, wie er sie nannte, die voller Verzweiflung reagierten, oder sehr gefasst wie die damenhafte Frau mittleren Alters, die erst laut weinte, nachdem sie die Korridortür wieder geschlossen hatte. Andere fragten ratlos, was denn aus ihren Kindern werden solle, und äußerten Selbstmordabsichten. Er redete ihnen zu, sprach davon, dass die Rote Armee bereits an der Neiße sei. Doch Zuversicht vermochte er nicht zu vermitteln, weil die von ihm registrierten Zusammenhänge eine andere Einsicht zwingend machten. „Mordabsichten“ stünden dahinter,55 sagte er sich selbst. „Wir setzten uns am Dienstag Abend gegen halb zehn zum Kaffee, sehr abgekämpft und bedrückt, denn tagsüber war ich ja als Hiobsbote herumgelaufen, und abends hatte mir Waldmann aufs bestimmteste versichert (aus Erfahrung und neuerdings aufgeschnappten Äußerungen), dass die am Freitag zu Deportierenden in den Tod geschickt“ würden und allen anderen eine Galgenfrist von acht Tagen bliebe.56 Erfahrung ist eine Frage der Perspektive, wie etwa die anhaltende Diskussion um das Kriegsende 1945 in Deutschland zeigt.57 Der 8. Mai 1945 hat sich in der Erinnerung der Dresdner kaum eingeprägt, da die Erfahrung des Kriegsendes in der Stadt von jener der Zerstörung überlagert wird. Klemperer sah in der Katastrophe von Dresden „Jahwes Veranstaltung zur Errettung der Juden, insbesondere der auf der Deportationsliste vermerkten“. So oft er in den folgenden Tagen an den „Schutthaufen Zeughausstraße 1 und 3 dachte,“ vertraute er dem Tagebuch das „atavistische Gefühl“ an: „Jahwe! Dort hat man in Dresden die Synagoge niedergebrannt.“58 Tausenden brachte der alliierte Luftangriff am 13./14. Februar den Tod. Für Klemperer und die anderen 173 Juden in Dresden verhinderte er die Mordabsichten der Nationalsozialisten.59 Der Bezug auf den griechischen Mythos in seinem Tagebuch ist von einer Prägnanz, dass sich der Gedanke, er könne nachträglich eingefügt sein, aufdrängt. Denn aller Mut der nichtjüdischen Ehefrau Klemperers, all die bisher von ihr um seinetwillen 55 Tagebucheintrag vom 13. 2.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 657 ff. Vgl. Schreiben des Vertrauensmannes der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland für den Bezirk Dresden, Dr. Ernst Neumark, an Henny Wolf vom 12. 2. 1945. In: Haase/Jersch-Wenzel/Simon, Erinnerung, S. 180. 56 Tagebucheintrag vom 22.–24. 2.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 661. 57 Vgl. Müller, 1945. 58 Bericht Victor K., 22.–24. Februar 1945. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 188. 59 Vgl. Gryglewski, Judenverfolgung, S. 144. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ertragenen „Beschimpfungen, Drohungen, Schläge, Bespuckungen“, Erniedrigungen und Entbehrungen hätten ihn nicht vor der Deportation bewahrt.60 Er konnte mit ihr gemeinsam nach dem 13. Februar untertauchen. Der Londoner Rundfunk hatte angeblich vor einem schweren Angriff gewarnt, doch wer die Warnung gehört haben mochte, schenkte ihr kaum Glauben.61 Unbehelligt von deutscher Luftabwehr flogen die 243 britischen Lancaster-Bomber das ihnen für den 13. Februar vorgegebene Zielgebiet im Schutz der Nacht an. Kurz nach 22 Uhr Ortszeit warfen sie ihre Bomben über Dresden ab, mit denen sie wegen der sträflichen Vernachlässigung der Luftschutzmaßnahmen durch die Behörden eine verheerende Wirkung erzielten.62 Die in großen Mengen eingesetzten Stabbrandbomben erzeugten aufgrund ihres Magnesiumgehalts in der dicht bebauten Innenstadt riesige Flächenbrände. In den engen Straßen und schmalen Gassen entwickelte sich dabei ein enormer Sauerstoffbedarf. Der Sog bewirkte das Entstehen von Feuerstürmen, die im weiten Umkreis alles Brennbare verzehrten und ein Stadtgebiet von 15 Quadratkilometern vernichteten. Bei der Schilderung eines solchen Ereignisses, bei dem Wasser und Asphalt verdampften, Steine und Metalle verglühten, versagt die Sprache: „Es gab nichts Angemessenes zu sagen“, wird später der amerikanische Kriegsgefangene Kurt Vonnegut berichten. „Eines war klar: Man nahm einfach von jedermann in der Stadt an, dass er tot war, gleichviel um wen es sich handelte, und dass jemand, der sich in ihr bewegte, einen Fehler im Muster darstellte.“63 Als nach 1 Uhr in der Nacht wiederum die Sirenen heulten, konnten die in der Innenstadt mit dem Löschen ihrer Häuser und auf der Suche nach Hausrat beschäftigten Menschen die Warnung nicht hören, da hier keine Alarmanlage funktionierte. Die im Vergleich zum ersten Angriff verdoppelte Anzahl britischer Flugzeuge steigerte das Inferno zur Apokalypse. Darin starben, entgegen anderslautenden Angaben, einschließlich der zwei amerikanischen Tagesangriffe am nächsten und am übernächsten Tag, etwa 25 000 Menschen, wie die städtischen Archivakten schlüssig belegen.64 Diese Angaben waren seit 1948 bekannt.65 Schon nach dem ersten Angriff konnten die örtlichen Einsatzkräfte kaum koordinierte Hilfe leisten. Die Feuerwehr arbeitete sporadisch, noch in der Nacht brach jegliche Organisation zusammen. Die Fahrzeughalle der Dresdner Luft-

60 Klemperer, LTI, S. 13. Vgl. Traverso, Klemperers Deutschlandbild, S. 309. 61 Erlebnisbericht Walther Dietrich vom 11.10.1954 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden V /2.052.017, nicht paginiert); Bergander, Gerücht, S. 605 f. 62 Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 128; Friedrich, Brand, S. 358–363. Vgl. Müller/ Ueberschär, Kriegsende, S. 38. 63 Vonnegut, Schlachthof, S. 175. 64 Reichert, Verbrannt, S. 61. 65 Schreiben Weidauers vom 14. 2.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 97, Bl. 141); um so unverständlicher ist es, dass neuere Abhandlungen die übertriebenen Zahlen der älteren Literatur heute noch zitieren, auch Friedrich, Brand, S. 358 spricht, ohne eine Quelle zu benennen, „von insgesamt vierzigtausend Personen“. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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schutzpolizei ging mit dem gesamten Fahrzeugpark in Flammen auf, in ihrer Befehlsstelle unter dem Albertinum funktionierte kaum ein Telefon. Die Einsatzleitung im Tiefkeller schien nicht einmal den Ernst der Lage zu begreifen.66 Löschgerät fehlte, die Helfer bildeten Ketten, um sich mit Eimern Wasser aus dem Fluss zur Bekämpfung der gewaltigen Brände zuzureichen.67 Der zweite Angriff führte zum Chaos. Wegen des Ausfalls der Stromversorgung erfolgte keine Luftwarnung. Die Hilfstrupps in den Trümmern, unterwegs zur Bergung der in den Kellern Eingeschlossenen, wurden nun selbst von den Bomben überrascht. Die Luftschutzkeller erwiesen sich als tödliche Fallen, aus diesen vermeintlich sicheren Orten konnte das draußen sich entwickelnde Geschehen nicht überblickt werden. Vielen wäre nach dem ersten Angriff ein Entkommen aus der Innenstadt möglich gewesen, doch sie erkannten nicht die Bedrohung der sie einschließenden Flammen. Hilfe kam mit den Sanitätsbereitschaften aus Halle, Leipzig und Chemnitz, sie trafen in den Vormittagsstunden des 14. Februar ein; sie bargen Verwundete und Tote in den Trümmern, sie versorgten die ihren zerstörten Häusern Entkommenen in provisorisch eingerichteten Auffangstellen, häufig genug jedoch im Freien, sie leisteten erste Hilfe. Erst nach drei oder vier Tagen arbeitete eine im Lockwitzgrund eingerichtete Befehlsstelle, von wo aus nun der Geschäftsführer des Interministeriellen Luftkriegsschäden-Ausschusses, der Duisburger Oberbürgermeister Theodor Ellgering, die Maßnahmen koordinierte.68 Er leitete die eintreffenden Hilfslieferungen, Arzneimittel, Verpflegung, Kleidung und das Betreuungspersonal in die am Stadtrand eingerichteten Auffangstellen weiter.69 Die lokalen Stadtbezirksverwaltungen und Ortsgruppen der NSDAP konnten den Ausfall der zentralen Institutionen nicht kompensieren und kapitulierten vor der Menge der Hilfesuchenden und Umherirrenden, die meist erst in den umliegenden Gemeinden eine notdürftige Unterkunft fanden.70 Viele der Ausgebombten begaben sich auf den Weg in die am Stadtrand eingerichteten Unterkünfte, mussten sie allerdings bald wegen Überfüllung wieder verlassen. Sie weigerten sich aus Furcht vor der Nähe der Roten Armee, den Aufforderungen der Behörden zur Evakuierung in die östlich Dresdens gelegenen Ortschaften Folge zu leisten und wählten den Weg nach Westen. Offiziere der militärischen Führung vor Ort veranlassten ebenfalls in den Tagen nach den schweren Luftangriffen Hilfeleistungen, sie gaben Lebensmittel aus Wehrmachtsbeständen frei, Soldaten halfen bei der Bergung der Toten und Verwundeten.71 Doch der vorhandene Wille zur Bewältigung der Katastrophe kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der gesamte Einsatz völlig desorganisiert und chaotisch erfolgte. Militäreinheiten, die rasch zu Einsatztrupps hätten 66 67 68 69 70 71

Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 168 ff. Neutzner, Bombenkrieg, S. 79. Hermann, Oberbürgermeister, S. 198. Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 179. Neutzner, Bombenkrieg, S. 81. Rahne, Festung Dresden, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zusammengestellt werden können, blieben im Schutz der Kasernen; stattdessen fuhr die Feldpolizei auf der Suche nach Militärangehörigen durch Dresden und forderte sie alle auf, sich beim Verteidigungsstab zu melden. Rechtzeitig eintreffenden Bergungstrupps gelang es häufig, Verschütteten zu Hilfe zu eilen und Eingeschlossene lebend zu retten. Tausende Einwohner hingegen erstickten und verbrannten in den unzulänglich gesicherten Kellern, die zu spät eingesetzten Wehrmachtskompanien konnten oft nur Tote bergen. Die Totenkartei nennt als häufigste Todesursache „erstickt“ und „erschlagen“,72 ein Beleg dafür, dass die Toten in den unzulänglich ausgestatteten Schutzräumen den Versäumnissen der nationalsozialistischen Politik zum Opfer fielen.73 Schwere Räumtechnik fehlte und der Stand möglicher Hilfeleistung befand sich auf niedrigstem Niveau.74 Wie die anderen Retter arbeiteten in verschiedenen Kommandos auch alliierte Kriegsgefangene, holten Verschüttete aus den Kellern und stapelten Tote fertig zum Abtransport zu Barrikaden aufeinander.75 Häftlingskolonnen beteiligten sich gleichfalls an den Bergungsarbeiten.76 An die 7 000 Bombenopfer verbrannte ein mit der Technologie der Massenvernichtung vertrautes SS-Kommando auf dem Altmarkt.77 Ein großer Teil der geborgenen und nicht identifizierten Toten erhielt auf dem Heidefriedhof in Massengräbern eine letzte Ruhestätte.78 Die Vorbereitungen für den von den Nationalsozialisten propagierten „Endkampf“ um die Ruinen liefen nach der Katastrophe von Dresden weiter. Soldaten, Angehörige des Volkssturms und Zivilisten beräumten zuerst die militärisch wichtigen Durchgangsstraßen79 und setzten bald darauf den begonnenen Stellungsbau fort. Seit Mitte März existierten Panzersperren an den Brücken.80 Tausende von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern arbeiteten nicht nur in der Rüstungsindustrie, sondern auch direkt beim Bau von Panzergräben und Artilleriestellungen.81 Anfang April ließ der Oberbürgermeister für einen Tag die Behörden schließen und beorderte die Mitarbeiter der Verwaltung zum Stellungsbau. Eine Woche später gab er bekannt, dass jeden Samstag die Dienststellen geschlossen und die Angestellten zu Befestigungsarbeiten verpflichtet seien.

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Reichert, Verbrannt, S. 60. Vgl. Friedrich, Brand, S. 387. Neutzner, Dresdner Bevölkerung, S. 11. Schreiben Alfred Kühnerts vom 23. 2.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftliche Berichte 0201, nicht paginiert); Schreiben von Brunhilde C. John vom 14.12.1994 (ebd., Schriftliche Berichte 0209, nicht paginiert); Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 177 f. Vgl. Vonnegut, Schlachthof, S. 175 f. Vgl. Brenner, KZ-Zwangsarbeit, S. 59. Arndt/Scheffler, Massenmord an Juden, S. 562 f. Fußnote 48. Aufzeichnungen von Obergärtner Zeppenfeld, Heidefriedhof o. D. (SächsHStAD, SEDBPA Dresden V/2.052.018, nicht paginiert). Neutzner, Bombenkrieg, S. 85. Schreiben Herta Baumgärtels vom 16.–18. 3.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 030). Rahne, Festung Dresden, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Schließlich forderte er im Namen des Festungskommandanten sämtliche verfügbaren Einwohner zum täglichen Stellungsbau auf.82

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Die in der Tat mörderische Praxis der alliierten Luftkriegführung, der zahlreiche deutsche Städte noch in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges zum Opfer fielen, war mörderisch wie andere Strategien zur Vernichtung von Gegnern. Sie resultierte aus der deutschen Entscheidung zur Fortsetzung des Krieges zu einem Zeitpunkt, an dem die Niederlage längst absehbar war. Im Zentrum von Hitlers Weltanschauung stand Zerstörung,83 die Führung der Wehrmacht folgte ihm84 wie die zivile Führung in Dresden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit galt es als eine allgemein akzeptierte Tatsache, dass Dresden durch „Hitlers verbrecherische Kriegführung noch fünf Minuten nach zwölf“ vollständig in Asche gesunken sei.85 „Eine der schönsten Städte der Welt wurde von einer längst besiegten Horde und ihren gewissenlosen militärischen Lakaien unverteidigt dem modernen Materialkrieg ausgeliefert“, kommentierte Erich Kästner.86 Nach der Erfahrung der schweren Abwehrkämpfe, die Millionen von Menschen mit ihrem Leben bezahlten, mussten die Alliierten noch Anfang 1945 mit länger andauernden Kämpfen auf deutschem Boden rechnen. Infolgedessen zielte ihre Strategie auf eine nachhaltige Schwächung der deutschen Verteidigungskraft, um die eigenen Verluste zu minimieren. In den letzten zehn Monaten vor dem Ende führte die Entscheidung zum forcierten Luftkrieg gegen deutsche Städte zum Tod von cirka 135 000 zivilen Opfern und zur Zerstörung von 250 000 Wohngebäuden.87 Die Feststellung, „unbestreitbar“ seien die „verheerenden Flächenbombardierungen offener deutscher Städte gegen Ende des Krieges gravierende Kriegsverbrechen gewesen“,88 bezieht sich nicht auf Städte wie Dresden, die fester Bestandteil militärischer Stellungen gewesen sind. Kriegsrechtlich gesehen bombardierten die Alliierten eine Verteidigungsanlage,

82 Anweisung von Bürgermeister Kluge vom 5. 4.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung IV D / I/3, nicht paginiert); Anweisung von Bürgermeister Kluge vom 12. 4.1945 (ebd.); Anweisung von Bürgermeister Kluge vom 21. 4.1945 (ebd.). 83 Vgl. Fest, Untergang, S. 147–159. 84 Vgl. Schwendemann, Programm der Regierung Dönitz. 85 Bericht des 1. Vizepräsidenten der Landesverwaltung Sachsen, Kurt Fischer, über „Sechs Monate demokratischer Neuaufbau im Bundesland Sachsen“, Dezember 1945. In: Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen, S. 169–172, hier 169. 86 Kästner, Dresden, S. 116; der Einwand von Friedrich, Brand, S. 463, das „Bunker- und Evakuierungsprogramm zusammengerechnet gewährte jedem dritten Bedrohten einen gequetschten, doch absoluten Schutz“, kann nur als zynisch bezeichnet werden, weil ein statistisch errechneter Platz im Bunker nicht vor realen Bomben geschützt hat. 87 Boberach, Stimmung in Deutschland im letzten Kriegsjahr, S. 21. Vgl. dazu die völkerrechtsphilosophische Reflexion von Jäger, Vergleichbarkeit staatlicher Großverbrechen. 88 Merkel, Nürnberger Prozeß, S. 129. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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und ein international anerkannter Vertrag zur Beschränkung des Luftkriegs existierte nicht.89 Unter militärischem Aspekt galt Dresden ebenfalls wegen seiner modernen Rüstungsindustrie als legitimes Angriffsziel. Die Zerstörung von über 20 teilweise sehr großen kriegswichtigen Betrieben im Stadtzentrum, in denen mehrere Tausend Arbeitskräfte neben anderem Kriegsgerät die für die Komplettierung der Waffen unerlässlichen optischen Zielgeräte herstellten,90 beeinträchtigte die Rüstungsproduktion in einem ihrer sensiblen Kernbereiche. Außer diesem bislang von der Forschung nicht wahrgenommenen Detail war die Unterbindung deutscher Truppenbewegungen ein weiteres vorrangiges Ziel des strategischen Luftkrieges der Alliierten. Dies konnte am wirksamsten durch die Zerschlagung von Verkehrsknotenpunkten erreicht werden. Der Tod von Zivilisten wurde aus militärischer Sicht gebilligt, zumal die Nationalsozialisten mit der totalen Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg von sich aus jede Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten aufgehoben hatten. Besonders die rasch erfolgte Reparatur der Gleisanlagen nach den schweren Angriffen auf Dresden hat in Verbindung mit den vielen Todesopfern zu heftiger Kritik an der alliierten Luftkriegstrategie geführt und zu der Ansicht, dass die Bombardierung alle Anzeichen sinnlosen Terrors getragen habe. Gleichwohl stellt die unter dem plakativen Titel „Dresden 1945 – Symbol für Luftkriegsverbrechen“ vorgetragene Überzeugung, „dass die Vernichtung Dresdens und die Tötung eines großen Teils der städtischen Zivilbevölkerung im Februar 1945 militärisch sinnlos und nicht durch die allgemeinen Regeln des Kriegsvölkerrechts gedeckt waren“, nur eine Position in der Diskussion um den Bombenkrieg dar.91 Übereinstimmend betrachten Luftkriegshistoriker trotz der Verfehlung verschiedener taktischer Ziele und vieler Grenzüberschreitungen den strategischen Bombenkrieg als ein wichtiges Element der Kriegführung. Für die westlichen Alliierten bildeten Bombenangriffe anfangs die einzige Möglichkeit, Deutschland direkt anzugreifen und ihren Willen zur Fortsetzung des Krieges zu demonstrieren. Die schließlich errungene Lufthoheit trug zu einer radikalen Schwächung der deutschen Kampfkraft, zur Verkürzung der Kampfhandlungen und Verringerung der Opferzahlen auf beiden Seiten bei.92 „Niemals ging es um Terror als Selbstzweck, auch wenn die Folgen zweifellos schrecklich waren.“93 89 Pommerin, Zur Einsicht bomben?, S. 234. Einen kurzen Abriss der kontroversen Diskussion zur kriegsrechtlichen Beurteilung des strategischen Luftkrieges bei Kohn, Kommentar. 90 Liste der im Krieg beschädigten Großbetriebe (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1008, Bl. 13 f.); Lindner, Kamera- und Photoindustrie, S. 162–167. 91 Ueberschär, Dresden 1945, S. 392. Der Tagungsband des Historikertreffens 1988 in Freiburg von Boog, Luftkriegführung, enthält weitere Aufsätze zu den verschiedenen Dimensionen des Luftkrieges. Die breite Palette der Debatte um den Bombenkrieg in Kettenacker, Volk von Opfern? 92 Müller, Bombenkrieg, S. 229 ff. Vgl. Boog, Luftkrieg über Europa; Overy, Wurzeln des Sieges. 93 Overy, Barbarisch, aber sinnvoll, S. 186. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Gefragt werden muss auch, ob jenseits der historischen Debatte die Charakterisierung der Bombardierung deutscher Städte als alliiertes Kriegsverbrechen einer Bagatellisierung deutscher Kriegs- und NS-Verbrechen und der Entlastung des Gewissens dienen soll?94 Nach anfänglichem Zögern instrumentalisierte die nationalsozialistische Presse auf Weisung des Propagandaministeriums die Zerstörung Dresdens.95 Adorno bezeichnete den 1954 in seinen Untersuchungen beobachteten Mechanismus der Schuldabwehr als Projektion: „Man verkehrt die eigene Schuld in die der anderen, indem man Fehler, welche diese begangen haben oder begangen haben sollen, zur Ursache dessen erklärt, was man selbst getan hat.“ Unmerklich gleite „die Neigung, Sündenböcke zu suchen“, über „zur Bestreitung der Schuld“.96 In Dresden verbrannten die „zwei Feuer der Schuld und des Leids“, so Kästner, eine gemeinsame Welt von Verantwortlichen, Tätern, Mittätern, Zuschauern und Unbeteiligten. Die Erfahrungen der Menschen in dieser Nacht der Zerstörung entsprachen durchaus jener biblischen Überlieferung, auf die er sich bezieht, „als liefe man im Traum durch Sodom und Gomorrha“.97 Die Dramatik ist noch erkennbar in den Verzeichnungen, denen die reflektierende Erinnerung des unsagbaren Geschehens auf ihrem Weg in die Sprache unterlag. Im Großen Garten, so hieß es in einem drei Wochen später verfassten Bericht, hätten die in jener Nacht aus dem Zoo ausgebrochenen Tiere die fliehenden Menschen bedroht. Sie „lagen am Boden, die Hände vor die Augen gepresst, die Bären usw. liefen über sie hinweg. Noch heute hängen die Affen in den umliegenden Straßen an den paar Bäumen, die noch stehen, z. B. Wienerstraße, und springen herunter. Auf der Güntzstraße lebt ein Lama, die irrsinnigen Dresdner lassen das Viehzeug leben, sie haben wohl alle den Kopf verloren.“98 Mit dem Abstand zum Ereignis selbst verdichtete sich die erinnerte Realität zu Metaphern, die den Betroffenen halfen, in einer Strategie des „aktiven Vergessens“ die Unausgewogenheit ihrer „internen Wertebilanz“ auszugleichen.99 Was schließlich zu beliebig abrufbaren literarischen Wechselbälgern mutier-

94 Vgl. Timm, Schüsse in Reutlingen, belegt, dass dies im Osten wie im Westen versucht wurde. 95 Sparing, Tod von Dresden, S. 204 f. Vgl. Friedrich, Brand, S. 488. 96 Adorno, Schuld und Abwehr, S. 232 f.; eine riskante Gratwanderung zwischen Relativierung und Revisionismus unternimmt Jörg Friedrich in seiner umfassenden Schilderung des alliierten Luftkriegs, die mit militär- und pyrotechnischen Beschreibungen besticht, jedoch den Zusammenhang zu dem von Deutschland entfesselten rassistischen Lebensraumkrieg nicht ausreichend herstellt, und mit Bemerkungen wie, Deutschland sei die erste Nation gewesen, „an der die losgelassene Kriegsfurie der Lüfte gründlich, konsequent und bis zur Verwüstung erprobt wurde“, emotionalisierte Opfermythen bedient, ohne den historischen Sachverhalt in den politischen Rahmen zu stellen, Friedrich, Brand, S. 76. 97 Kästner, Dresden, S. 114. 98 Schreiben Dora Baumgärtels vom 7. 3.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 024). Vgl. Stabel, Palucca, S. 129. 99 Emrich, Notwendigkeit des Vergessens, S. 58. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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te,100 beschrieben nach sieben Jahren die Maler Lea und Max Grundig im Stil einer nicht zu hinterfragenden Tatsache.101 „Menschen und Tiere, auch Löwen und andere Raubtiere, drängten, ohne die Menschen anzufallen, sich schutzsuchend unter den Bäumen“ im Großen Garten, wo die „anglo-amerikanischen Flieger“ sich als die „schlimmsten Bestien“ erwiesen. Sie hätten die „hilflosen und von Angst gejagten Menschen zwischen den Bäumen dieses herrlichen Parkes“ mit ihren Bordwaffen beschossen. Aber ist die mit politischer Propaganda durchsetzte poetische Imagination allein das Resultat einer psychischen Fehlleistung zur Vermeidung kognitiver Dissonanzen und der Bewältigung von Kontingenz, sondern nicht auch der Ausdruck einer veränderten politischen Lage? Vor dem ersten Jahrestag der Zerstörung hatten Kommunisten in Dresden die Initiative zur Durchsetzung ihrer Interpretation ergriffen. Auf ihre Anfrage bei der sowjetischen Besatzungsmacht stimmte deren örtliche Führung, lange vor dem offiziellen Bruch zwischen den Alliierten, dem Wunsch zu, das auf die USA und Großbritannien gerichtete nationalsozialistische Feindbild wiederzubeleben: „Die Administration hat gestattet, dass der Bevölkerung klargemacht wird, dass der Angriff auf Dresden ein völlig unbegründeter Terrorangriff der Engländer und Amerikaner war, da der Krieg bereits entschieden war“, wurde Anfang Februar 1946 Parteifunktionären mitgeteilt.102 Auch das Anprangern völkerrechtswidriger Tieffliegerangriffe auf Zivilisten stand in diesem Kontext.103 Betroffene sind ungenaue Zeugen, wenn sie, noch dazu unterstützt von der Politik, in einer „kollektiven Amnesie“ auf die Konfrontation mit der Wirklichkeit reagieren,104 und das Geschehene als „kreativ deutende Vergegenwärtigung“ neu konstruieren.105 Im Verlauf solcher Rekonstruktionsprozesse entstehen selten präzise Abbilder der Erinnerung, vielmehr bilden sie individuelle und kollektive Darstellungs-, Deutungs- und Verarbeitungsstrategien ab, zumal Legenden106 und politische Absichten die Ereignisse schon frühzeitig überlagerten.107 100 „Es waren meine Verwandten, die hilflos mit ansehen mussten, wie brennende Menschen in die Elbe stürzten und stromabwärts weiterflackerten. Ausgebombte Zoolöwen legten sich ängstlich neben Menschen nieder.“ Mlynkec, Drachentochter, S. 129. 101 Schreiben von Lea und Max Grundig an Oberbürgermeister Weidauer vom 6. 2.1952 (StadtAD, Dezernat Aufbau 11, Bl. 157). 102 Bericht über die UBL-Sitzung in Dresden, 7. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/124, Bl. 20 f.). 103 Schreiben von Lea und Max Grundig an Oberbürgermeister Weidauer, 6. 2.1952 (StadtAD, Dezernat Aufbau 11, Bl. 157). 104 Enzensberger, Europa in Ruinen, S. 9. Vgl. Brumlik, Deutschland; Greiner, Zwiespältiger denn je, S. 146. 105 Emrich, Notwendigkeit des Vergessens, S. 61. Vgl. Welzer, Krieg der Generationen; Welzer, Verfertigen von Vergangenheit. 106 Eine umfassende Widerlegung der vorgeblichen Tieffliegerangriffe auf Personen bei Schnatz, Tiefflieger. 107 Vgl. Seydewitz, Stadt; Weidauer, Inferno Dresden. Kritisch resümierend hingegen Reichert, Rezeptionsgeschichte des 13. Februar 1945. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Bombardierung Dresdens beabsichtigte neben der materiellen Zerstörung die physische und psychische Zermürbung der Bevölkerung. Tatsächlich prägten Unruhe und Angst, Sorge um die eigene Existenz das Leben der Dresdner in erheblichem Ausmaß.108 Nicht erst später entstanden rückblickend und erinnernd die Chiffren des Versagens, der Verletzbarkeit und Wehrlosigkeit von Menschen, die „sich nicht nur moralisch schuldig gemacht, sondern ihrerseits ein schweres Kriegstrauma erlitten haben, das ihnen die Einfühlung in die Opfer praktisch verstellte“.109 Der für diese Einfühlungsverweigerung von Alexander und Margarete Mitscherlich geprägte Begriff „Unfähigkeit zu trauern“110 beschrieb auch die Situation unmittelbar nach den Bombenangriffen: Das überdimensionale Entsetzen ließ den Menschen für individuelle Trauer kaum Raum. Die später gern beschworene Solidarität der Gemeinschaft fand Grenzen. Während die einen ihre gerettete Habe in Sicherheit zu bringen suchten, verwehrten andere Hilfesuchenden die Unterstützung. Wer die schützende Gemeinschaft nächster Angehöriger verloren hatte, sah sich unvermittelter Hartherzigkeit ausgesetzt: „Der schrie um Hilfe, tja, da hieß es nur, rette sich, wer kann.“ Soldaten der Wehrmacht und Kriegsgefangene trugen Tote aus verschütteten Kellern, Tausende Einwohner Dresdens suchten nach vermissten Familienmitgliedern, zwischen ihnen nutzten manche die Situation zur persönlichen Bereicherung: „Ein Stück weiter lagen 2 Frauen und ein Mann mit gespaltenem Schädel und daneben war ein Schild aufgestellt: So bestraft man Leichenfledderer. Mich hats gleich geschüttelt, aber es gab tatsächlich viele solcher Leute, die sich an anderen bereicherten. So wie die einen die Sachen gerettet haben, haben es andere gleich weggeschleppt. Aber wer dabei erwischt wurde, wurde hart bestraft. Ist ja auch schlimm, die Not der anderen auszunützen. – Ich habe dort jedenfalls nichts mehr gefunden. Von nun an bin ich immer hin und her, war auch noch einmal in der Stephanienstraße. [...] Von hinten konnte man ganz bequem in den Keller. Da hatten sie der Mutter von der Frau schon den Pelzmantel ausgezogen und die Ringe gestohlen. Waren also schon vor mir welche drinne. Da bin ich schnell fort, denn es waren ja auch überall Kontrollen, und am Ende wäre ich auch noch in Verdacht geraten, weil ich nicht dort hingehörte.“

Dieser in seiner schroffen Darstellung vereinzelt dastehende Bericht verweist auf eine sonst in den erzählten Erinnerungen weitgehend ausgeblendete Dimension; ein dramatischer Zerfall von Wertvorstellungen begleitete den Zusammenbruch der äußeren Ordnung. Hier ist kein Platz für Spekulationen über ansonsten Verschwiegenes und zwischen den Zeilen Mitgeteiltes. Die Ausdruckskraft der Sprache skizziert den desolaten Zustand der Gesellschaft und ihre fortschreitende Brutalisierung. Der später, nachdem er seine Angehörigen gefunden hatte, ebenfalls zur Leichenbergung eingesetzte Mann berichtete, er habe wie die anderen die Toten mit Mistgabeln auf Leiterwagen geladen: „Ich muss 108 Vgl. Schreiben Herta Baumgärtels vom 16.–18. 3.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 030). 109 Brumlik, Deutschland, S. 418. 110 Mitscherlich, Unfähigkeit zu trauern. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Ihnen freilich sagen, wir haben da nicht viel Federlesens gemacht. Die wurden mit der Gabel angespießt und raufgeschmissen, und oben hat sie einer verstaut.“111 Viele verloren in den traumatischen Erfahrungen ihre Illusionen, mussten nun endgültig an einem glimpflichen Ausgang des Krieges zweifeln und sich auf ein bislang jenseits aller Vorstellungen liegendes „Danach“ einstellen. Die in jenen Tagen geschriebenen Verse des Arztes Rainer Fetscher zeugen von einer anhaltenden Verstörung, die nicht nur den Intellektuellen, sondern alle ergriffen hatte. „Der Du über Sternen thronst, Der Du richtest, strafst und lohnst, Der Du die Verirrten leitest, Zeitlos durch die Zeiten schreitest, Nimm Dich unser gnädig an! Sieh in unsrer Seelen Nöten Uns hier knien und beten, beten, Wie wir es noch nie getan.“112

Seine Verzweiflung und seine Mutlosigkeit teilte der Naturwissenschaftler mit vielen Menschen. Der von Normalität weit entfernte Alltag entsprach vorzivilisatorischen Bedingungen: „Wir müssen nämlich das Wasser [...] ziemlich weit herholen. Zum Waschen nehmen wir es aus den Teichen dicht unterhalb der Zschertnitzhöhen. Das Leben beginnt sich wieder etwas einzurichten.“ Fetscher schrieb, er wolle auch zu arbeiten beginnen, doch möglicherweise komme „noch etwas dazwischen, denn augenblicklich haben wir alle das Gefühl völliger Unsicherheit. Man lebt nur in den Tag und tut halt das Nötigste.“113 So erging es der Mehrheit der Dresdner Einwohner. Vier Luftangriffe hatten innerhalb von 48 Stunden nach jenem Abend des 13. Februar die Altstadt von Dresden ausgelöscht, Tausende Menschen getötet, die Infrastruktur komplett ausgeschaltet, unschätzbare Kunstwerke vernichtet. Während Luftschutzpolizei, Kriegsgefangene, Technische Nothilfe, das Rote Kreuz und andere Helfer wie Fetscher versuchten, Verwundeten zu helfen, Brände zu löschen, Verschüttete zu befreien und sich auf vielfältige Weise um Hilfe und um eine Wiederherstel111 Interview, 1987 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interviews J0045, nicht paginiert). Vgl. Baumgartner, Frauen, sie schlussfolgert auf S. 209, dass sich die eigene Beteiligung an Plünderungen „nur aus Andeutungen und verschoben auf andere erschließen“ lasse; die quellenkritische Interpretation subjektiver biographischer Deutungsmuster analysieren in differenzierter Perspektive Geulen/Tschuggnall, Lesarten; zur Chaotisierung der sozialen Verhältnisse in den vom Bombenkrieg betroffenen Städten Rusinek, Gesellschaft, S. 94–122. 112 Gedicht Rainer Fetschers nach dem Angriff im Februar 1945. In: Rainer Fetscher Gedenkschrift, S. 73. 113 Brief Rainer Fetschers an seinen Sohn Iring vom 22. 2.1945. In: ebd., S. 76. Vgl. Stabel, Palucca, S. 129 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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lung der Lebensgrundlagen bemühten, verließen Zehntausende Dresdner die tödlich getroffene Stadt, die ihnen nicht länger Obdach und Sicherheit bot.114 Sie blickten auf eine kilometerweite Trümmerwüste skelettierter Gebäude zwischen Nürnberger Platz und Albertplatz, „Hügel und Täler aus Schutt und Steinen. Eine verstaubte Ziegellandschaft. Gleich vereinzelten, in der Steppe verstreuten Bäumchen stechen hier und dort bizarre Hausecken und dünne Kamine in die Luft.“115 Nach der Zerstörung der kommunalen Verwaltungszentrale im Neuen Rathaus an der Ringstraße musste die Verwaltung auf einer dezentralen Zwischenstufe neu organisiert werden. Zu diesem Zweck fasste man die arbeitsfähig gebliebenen 20 Stadtbezirke zu sechs Bezirksverwaltungen zusammen.116 Diese Umstrukturierung ging verhältnismäßig rasch und reibungslos vonstatten, was vermuten lässt, dass Planungen für einen solchen Fall vorlagen.117 Verständlicherweise traten dennoch erhebliche Probleme auf, und noch acht Tage nach dem Angriff berichten städtische Dienststellen von einer „völlig zum Erliegen“ gekommenen Tätigkeit.118 Vorübergehend arbeiteten verschiedene Abteilungen der Stadtverwaltung in den Kasematten unterhalb der Brühlschen Terrasse, ehe sie wieder in das Erdgeschoss des schwer beschädigten Rathauses einzogen.119 Außerdem erhielt die Zentralverwaltung provisorische Arbeitsräume auf der Neustädter Elbseite in der unzerstörten Schule in der Melanchthonstraße. Anstelle der zerstörten Stadtbezirksdienststellen des 1. bis 6. Stadtbezirks wurde eine Auskunftsstelle im Kunstgewerbemuseum in der Günzstraße eingerichtet. Gegen Ende des Krieges ließ die Arbeitsdisziplin der Verwaltungsangestellten nach. Darin zeigten sich nach den traumatischen Erfahrungen der Bombennächte zum einen die Folgen mentaler Überforderung, zum anderen Auflösungserscheinungen. Die so genannte „Gefolgschaft“ dachte keineswegs über Gehorsamsverweigerung oder offene Auflehnung nach, doch ihre Loyalität wurde brüchig.120 Am wichtigsten war in dieser Situation die Arbeit des Vermisstennachweises, der als eine der ersten Dienststellen am 14. Februar seine Arbeit aufnahm. Nicht allein unzählige Kinder waren, manche gewiss für immer, von ihren Eltern getrennt worden, Zehntausende suchten Angehörige und konnten sie nicht finden.121 Keiner wusste vom anderen, wer noch lebte. Täglich gingen in der Zentrale und den bald darauf eingerichteten Bezirksstellen bis zu 10 000 114 Neutzner, Dresdner Bevölkerung, S. 7 f. 115 Kästner, Dresden, S. 114. 116 Verwaltungspolizeidirektion Dresden, Verzeichnis der Dienststellen der Stadtbezirke, 15. 3.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 15, nicht paginiert). 117 Vgl. Reichert, Verbrannt, S. 46. 118 Bericht der Bezirksstelle Strehlen an den Oberbürgermeister vom 21. 2.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17 Band I, Bl. 2). 119 Hermann, Oberbürgermeister Nieland und Kluge, S. 198. 120 Vgl. Verwaltungspolizeidirektion Dresden, Dienstanweisung Nr. 8 vom 27. 3.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 15, nicht paginiert). 121 Bericht des Jugendamtes der Bezirksverwaltung VI, o. D. [März 1945] (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17 Band I, Bl. 8 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Suchmeldungen ein. Diese sollten mit den von der Polizei und den Krankenhäusern erstellten Totenlisten abgeglichen werden – eine Sisyphusarbeit, wie sich herausstellte.122 Die auch nur annähernd korrekte Zahl der Opfer zu ermitteln erwies sich aus mehreren Gründen als sehr problematisch. Die Dienststellen des Vermisstennachweises erhielten oft keine Rückmeldung über wieder gefundene Angehörige. Abgesehen von den Dresdner Einwohnern, die sich in den Tagen des Angriffs auswärts aufhielten und oft fälschlicherweise vermisst wurden, wusste keiner über die Anzahl der Flüchtlinge Bescheid, die sich während der Angriffe in der Stadt aufgehalten hatten. Die Identität vieler Toter konnte nicht ermittelt werden, da sie ohne erkennbare Überreste verbrannt waren. Der unverhältnismäßig hohe Umfang mehrerer Hunderttausend Vermisstenanzeigen – wegen einer Person gingen oft bis zu 20 Anfragen ein – ist ein weiterer Grund für die übertrieben hohen Opferzahlen.123 Unter den Einwohnern Dresdens herrschte eine gleichermaßen aggressive wie gedrückte Atmosphäre.124 Ursache dafür waren die besorgniserregenden Meldungen von der Front, die Gereiztheit nach schlaflosen Nächten wegen des fortwährenden Luftalarms, die Trauer um verlorene und die Sorge um lebende Angehörige; zu alldem traten Hunger und Mangel.125 Zwar hatte die Absetzungsbewegung der Bevölkerung vom nationalsozialistischen System begonnen,126 aber nach außen blieb die innere Einstellung der Menschen fast immer wegen der damit verbundenen persönlichen Risiken unsichtbar.127 Verweigerungshaltungen mehrten sich und die städtischen Dienstkräfte erschienen zu den befohlenen Schanzarbeiten oft nur widerwillig oder gar nicht,128 doch zu erheblichen „Schwierigkeiten mit der Zivilbevölkerung“ wie in Chemnitz kam es in Dresden nicht.129 Allerdings riefen fanatisierte Nationalsozialisten dazu auf, „Gerüchtemacher“, „Verräter“ und „Plünderer“ aus den Reihen der Bevölkerung ohne Rücksichtnahme zu erschießen. Das Dresdner Sondergericht am Münchner Platz ließ Ende März die Information über die Hinrichtung eines siebenundsechzigjährigen Dresdners auf Plakaten in der ganzen Stadt verbreiten. Der alte Mann wurde beschuldigt, ein „Volksschädling“ zu sein, der sich in den Tagen nach der 122 Neutzner, Bombenkrieg, S. 83 f. 123 Bericht des Leiters des Vermisstennachweises Gustav Schmiedel (Abschrift) vom 4. 4.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0046, nicht paginiert). 124 Schreiben der Bezirksverwaltung III an Bürgermeister Dr. Kluge vom 7. 3.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 10, nicht paginiert). 125 Vgl. Boberach, Deutschland im letzten Kriegsjahr, S. 28. 126 Henke, Trennung vom Nationalsozialismus, S. 30 f. Vgl. Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zu Stimmung und Lage der Bevölkerung von Ende März 1945. In: Frei, Führerstaat, S. 216–225. 127 Vgl. Nieden, Alltag der Tyrannei. 128 Verwaltungspolizeidirektion Dresden, Dienstanweisung Nr. 10 vom 9. 4.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 15, nicht paginiert). 129 Behring, Kriegsende in Sachsen, S. 234; zur Situation in Leipzig vgl. Heß, Leipzig. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Zerstörung an fremdem Eigentum bereichert habe. Tatsächlich aber hatte er drei aus dem Polizeigefängnis entflohenen Zwangsarbeitern zu einem Versteck verholfen. Diese Information hielten die Behörden zurück. Die drei Männer verbargen sich nach ihrer Flucht in einem Grundstück am Stadtrand und ernährten sich von Lebensmitteln, die sie in zerstörten Wohnhäusern fanden. Nur einem von ihnen gelang es, der Gestapo zu entkommen.130 Bis einschließlich März ermordete die nationalsozialistische Justiz in Dresden mindestens 62 Menschen.131 Noch hatten die Behörden die Verluste der Februarangriffe nicht vollzählig registriert, auf dem Altmarkt fand die Einäscherung der Leichen auf riesigen Rosten kein Ende, noch konnten die wichtigsten Durchgangsstraßen nicht passiert werden, da lag Dresden erneut im Visier amerikanischer Flugzeuge. Die Bahnanlagen in Dresden, ein Schlüsselglied der Nord-Süd-Achse Berlin-Prag, der letzten intakten Verkehrsverbindung auf deutschem Territorium, hatten am 13. und 14. Februar nur kurzzeitig ausgeschaltet werden können.132 In den Vormittagsstunden des 2. März entluden 406 amerikanische B-17 ihre Bomben über dem gesamten Stadtgebiet.133 Bald nach diesem Angriff kreuzten Züge die Stadt auf den wiederum reparierten Gleisen mit Soldaten und Material für die immer näher rückenden Fronten. Die Bedeutung der Nachschublinien heben auch sowjetische Darstellungen hervor, in denen Dresden „als wichtiger Verkehrsknoten- und starker Stützpunkt der faschistischen Verteidigung bezeichnet“ wird.134 Die sowjetische Militärführung erbat zur Unterstützung ihres Vormarsches wiederholt die Bombardierung der mitteldeutschen Verkehrsknotenpunkte und Verbindungslinien.135 Dieser Hintergrund bildete wohl den Anlass für den letzten schweren Angriff auf Dresden am 17. April. An diesem sonnigen Frühlingstag bombardierten fast 600 Flugzeuge beinah eineinhalb Stunden lang in erster Linie Verkehrseinrichtungen wie den Güterbahnhof Friedrichstadt, den Hauptbahnhof und die Marienbrücke. Allein der Friedrichstädter Bahnhof erhielt beinah 1 000 Bombentreffer. Mit diesem Angriff traf die amerikanische Luftwaffe den Lebensnerv der 130 Umfassend dazu die Ermittlungen der Justizorgane in SächsHStAD, StAW Dresden 682, nicht paginiert. 131 Informationsdienst Nr. 2 des Nachrichtenamtes vom 13.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert). Vgl. zu sogenannten „Ostarbeiter-Banden“ Rusinek, Gesellschaft, S. 341–391. 132 Neutzner, Eisenbahn in Dresden, S. 217 f. Vgl. Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 346. 133 Reichert, Verbrannt, S. 42; davon abweichende zeitgenössische Angaben belegen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Quellenkritik, vgl. Protokoll der Einsatzbesprechung beim Gauleiter vom 3. 3.1945, 9. 3.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 32, nicht paginiert). 134 Gräfe/Wehner, Dresden neu geboren, S. 39; die Autoren beziehen sich auf die Meldung einer sowjetischen Frontzeitung, die Dresden einen „wichtigen Verkehrsknotenpunkt und starken Stützpunkt der deutschen Verteidigung“ nennt, Nachrichtenblatt für die deutsche Bevölkerung vom 10. 5.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 1, S. 19; Friedrich, Brand, S. 312. 135 Pommerin, Zur Einsicht bomben?, S. 242 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Wehrmacht, schwächte die Kampfkraft der deutschen Truppen und trug zur Verkürzung des Krieges bei.136 Trotz der offenkundigen Agonie des Regimes vollzog sich die Einberufung der 16- und 17-jährigen männlichen Jugendlichen ohne nennenswerte Proteste.137 Die um Zeitgewinn kämpfende Wehrmachtsführung hoffte auf den Bruch der Anti-Hitler-Koalition – eine mörderische Illusion für die in sinnlose Kämpfe gejagten jungen und unerfahrenen Soldaten. Einerseits machten diese später geltend, sie seien im Glauben an den „Endsieg“ in den Krieg gezogen, weil anderes für sie nicht vorstellbar gewesen sei und sie in Ermanglung verlässlicher Nachrichten daran glaubten. Sie hätten damals „in den Tag hineingelebt“ und mit Hilfe der „von der Führung genährte[n] Hoffnung auf eine Wunderwaffe“ den Gedanken an das Ende verdrängt.138 Andererseits sprachen die Dresdner über den Anmarsch von amerikanischen Truppen, die bereits vor Wilsdruff, und über die sowjetischen Einheiten, die in Meißen stehen sollten.139 Tatsächlich hatten, veranlasst durch das Auftauchen amerikanischer Aufklärungsverbände, Pioniere einer SS-Einheit die zwei Autobahnbrücken westlich von Dresden am Abend des 26. April 1945 gesprengt.140 Flüchtlinge kamen mit Nachrichten von der Front in die Stadt.141 Währenddessen setzte die nationalsozialistische Presse ihre antisowjetische Propaganda fort, und „Russenangst“ beherrschte die Gespräche in der Öffentlichkeit.142 Die ohnehin kaum zu beantwortende Frage nach der Akzeptanz der nationalsozialistischen Herrschaft in der Endphase kann auch für Dresden keine abschließende Antwort erhalten. Sicherlich wünschten viele Menschen in den letzten Wochen noch immer eine Wende im Kriegsverlauf herbei.143 Eine solche erwarteten sie weniger von den versprochenen „Wunderwaffen“ als vielmehr von den ebenfalls in Dresden kolportierten Separatfriedensplänen mit den Westmächten.144 In diesbezüglichen Äußerungen schwang stets die Hoffnung 136 Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 250 ff. und 261 ff. Vgl. Bericht des Bezirksstellenleiters im 9. Stadtbezirk vom 19. 4.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 10, nicht paginiert). 137 Rahne, Festung Dresden, S. 23 f. Vgl. auch StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Bericht 0319 und Gestellungsbefehl für Roger Rössing vom 27.1.1945. In: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, S. 39; Hoch, Tagebuch, S. 63–66; Klönne, Jugend, S. 42. 138 Rahne, Festung Dresden, S. 17. 139 Vgl. Tagebuch von Anna-Luise Würth vom 24. 4.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0039, nicht paginiert). 140 Fleischer/Wetzig, Kriegsende, S. 73. 141 Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 279. 142 Schreiben von Dore an Leni vom 21. 2.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Handschriften 0019, nicht paginiert); Schreiben Dora Baumgärtels vom 24. 4. 1945 (ebd., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 058, nicht paginiert). Vgl. Gotschlich, Reifezeugnis, S. 255; Tagebucheintrag vom 4.1.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 636. 143 Vgl. Zimmermann, Kämpfe gegen die Westalliierten, S. 131 f. 144 Tagebuch von Anna-Luise Würth vom 22. 4.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0039, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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auf eine amerikanische Besetzung mit. Die im Februar eingerichteten Standgerichte zur raschen Aburteilung von Straftaten, die die „Kampfentschlossenheit“ gefährden könnten, und die wenig später noch zusätzlich befohlenen „Sondergerichte zur Bekämpfung von Auflösungserscheinungen“ unterstreichen die fehlende Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, den Nationalsozialisten in den Untergang zu folgen.145 Zweifellos sollte das in Dresden verhängte drastische Todesurteil gegen den alten Mann wegen einiger Kilogramm Kartoffeln und Mehl sowie der Mord an sogenannten „Defätisten“ und „Plünderern“ abschreckend auf die Öffentlichkeit wirken und die gezielte Information darüber den inneren Erosionsprozess des Herrschaftssystems aufhalten. In überzogenen Reaktionen antwortete das Regime auf die von ihm erkannten Auflösungserscheinungen, obwohl eine „grundsätzliche Friktion“ zwischen der Bevölkerung und der nationalsozialistischen Führungsschicht aus den Quellen nicht zu erschließen ist.146 „Plünderung“ oder „Gerüchtemacherei“ stellte einen häufigen Vorwurf gegenüber Menschen dar, die sich in irgendeiner Weise dem Zugriff der NSDAP, der Wehrmacht und anderer Institutionen entzogen, ihren Weisungen zuwider handelten und sich gegen den Krieg aussprachen. Manche Personen wie der noch im April 1945 unter der Anschuldigung der Wehrkraftzersetzung von der Gestapo verhaftete Direktor der Dresdner Straßenbahn AG, Alfred Bockemühl, entgingen nur knapp dem Tod.147 Wie viele Menschen infolge des Terrors vor Kriegsende ihr Leben verloren, ist unbekannt. Es wird von 250 nach den Luftangriffen von SS und Gestapo erschossenen „Plünderern“ berichtet.148 Im August 1945 fand sich auf dem Heidefriedhof ein Massengrab mit 179 Toten, bei denen es sich um kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee ermordete Personen, unter ihnen 24 Frauen, handelte.149 Bis Mitte März hatte die Polizei in Dresden nach eigener Angabe „79 Plünderer festgenommen“ und die „größere Anzahl bereits hingerichtet“.150 Neben den vielen desillusionierten und von Sehnsucht nach Frieden erfüllten Menschen gab es große Gruppen zum Durchhalten Entschlossener,151 doch keinen organisierten Widerstand und keine umfassende Absetzungsbewegung. Kriegsmüdigkeit erzeugte verschiedene Formen von Unwillen und Abneigung, mitun-

145 Müller/Ueberschär, Kriegsende, S. 50. 146 Vgl. Ruppert/Riechert, Herrschaft und Akzeptanz, S. 247. 147 Lebenslauf Alfred Bockemühls vom 5. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 145a, Bl. 15 f.). 148 Weidauer, Inferno Dresden, S. 194 ff. Vgl. Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 6). 149 Schreiben der Bezirksverwaltung I an den Bezirkskommandanten vom 16. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 32, nicht paginiert); Schreiben der Bezirksverwaltung I an den Bezirkskommandanten vom 20. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 150 Vgl. Schlussmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar 1945 vom 15. März 1945 (originalgetreue Abschrift). In: Weidauer, Inferno Dresden, S. 230–248. 151 Behring, Kriegsende, S. 231. Vgl. Ruppert/Riechert, Herrschaft und Akzeptanz, S. 242. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ter auch eine Hinwendung zu den Opfern, in den wenigsten Fällen allerdings politische Opposition oder Widerstand gegen das Regime.152 Einen unerlässlichen Stabilisierungsfaktor bildete die unbedingte Loyalität der Wehrmachtsführung.153 Trotz gebotener Zweifel am Sinn des aufwendigen Stellungsbaus, den auch manche Stabsoffiziere des Verteidigungsbereiches in Frage stellten, führten Militär und Volkssturm alle Befehle zur Verlängerung des Krieges aus und fügten sich den Anordnungen – zwar mitunter widerwillig, doch ohne sie zu verweigern. Soldaten und Offiziere fühlten sich nicht allein an ihren Eid gebunden, sie kämpften mit besonderer Erbitterung gegen die Rote Armee.154 An eine wirkungsvolle Verteidigung der Stadt glaubte indessen niemand, und die Durchhalteparolen bewirkten keinen Zusammenhalt, keine Siegeszuversicht. Ein Großteil der Menschen zog sich zurück auf die eigene Identität und in die unmittelbaren Lebens- und Arbeitszusammenhänge, bei vielen verhinderte Angst die offene Auflehnung. Zwiespältig hielt Klemperer fest: „Angst haben alle. Die Juden vor der Gestapo, die sie ermorden könnte vor dem Eintreffen der Russen; die Arier vor den Russen, Juden und Arier vor der Evakuierung, vor dem Hunger [...] und Jud und Christ fürchtet auch gemeinsam die Bombenangriffe.“155 Die Soldaten und Volkssturmmänner in der Stadt wünschten nichts sehnlicher als ein Ende des Krieges und die Chance, sich selbst in den Frieden hinüberzuretten.156 Alle fürchteten den näherrückenden unberechenbaren Feind und schauten sich nach sicheren Orten um.157 Trotzdem blieben sie bei ihrer abwartenden Haltung und beteiligten sich an den „Schanzarbeiten“ nicht nur wegen der großzügig gewährten Zusatzverpflegung:158 Die Unterstützung der Verteidigungsanstrengungen durch die Dresdner Einwohner bis in die buchstäblich letzte Stunde des Krieges ist neben ihrer Angst vor den „fliegenden Standgerichten“ der SS und ihrer Furcht vor dem Bolschewismus159 vor allem mit dem vielfach geäußerten Wunsch zu erklären, dadurch unter eine amerikanische Besatzung zu kommen.160

152 153 154 155 156 157 158 159 160

Vgl. Beispiele aus der Fülle der Literatur bei Szepansky, Frauenleben, S. 108 ff. Vgl. Kunz, Wehrmacht. Vgl. Cyž-Ziesche, Befreiung der Lausitz, S. 78. Tagebucheintrag vom 8. 2.1945, Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 653 f. Vgl. Gruppenarbeit an der Kreisparteischule Dresden, Lebensbild Werner Rosenboom, o. D. (SächsHStAD, SED BPA Dresden V/6.219, nicht paginiert); Bericht Otto G. von August 1945. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 214. Schreiben Gustav Schmiedels an den Leiter des Stadtarchivs vom Dezember 1966 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0046, nicht paginiert). Schreiben der Bezirksverwaltung III an das Zentralamt vom 4. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 23, nicht paginiert). Boberach, Deutschland im letzten Kriegsjahr, S. 26 ff. Abschrift aus einem Brief von Anna-Luise Würth, o. D. (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0039, nicht paginiert). Vgl. Brief Albert Wiltzschs vom 19. 4.1945. In: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, S. 39. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Entgegen aller politischen und militärischen Vernunft verlangte Gauleiter Mutschmann am 16. April 1945, Dresden wie geplant mit allen Mitteln zu verteidigen.161 Die Dresdner Garnison besaß eine Reihe einsatzbereiter Kräfte, insgesamt etwa 20 000 Soldaten verschiedener Truppenteile.162 Der Verteidigungsstab bereitete trotz des Mangels an schweren Waffen die Verteidigung vor. Der Bau des Grabens befand sich in einem fortgeschritten Stadium; Munition, Verpflegung und Treibstoff lagerte in Schiffen zwischen Dresden und Bad Schandau; Panzersperren wurden an Brücken errichtet, Minenfelder und Artilleriestellungen an den Ausfallstraßen angelegt. Zum Stellungsbau befahl die militärische Führung neben dem Volkssturm nun täglich sämtliche Einwohner, die dazu Hacken, Schaufeln und Spaten von zu Hause mitbringen mussten. Straßensperren errichteten sie aus den Trümmerresten der Häuser. Geschützrohre ragten aus den Kellern am Altstädter Ufer und entlang der Kaimauer standen Panzerabwehr-Kanonen.163 Eine Wende des Kriegsausgangs war mit diesen völlig unzulänglichen Mitteln nicht zu bewirken. Die Verteidiger hätten niemals die Übermacht der hochgerüsteten gegnerischen Armeen aufhalten, sondern nur das Sterben verlängern können.164 Die amerikanischen Truppen nahmen am 18./19. April Leipzig ein und besetzten das sächsische Territorium westlich der Zwickauer Mulde bis hin zu den Vororten von Chemnitz und Teile des Westerzgebirges. Von Osten her näherte sich die 1. Ukrainische Front der Roten Armee gemeinsam mit polnischen Militäreinheiten und lieferte sich im ostsächsischen Raum um Bautzen schwere Gefechte mit der von dem fanatischen Nationalsozialisten Schörner befehligten Heeresgruppe Mitte.165 Der Kamenzer NSDAP-Kreisleiter befahl am 20. April die Räumung seiner etwa 30 Kilometer nordöstlich von Dresden gelegenen Stadt.166 Der Kommandierende General des Verteidigungsbereiches Dresden, General Freiherr von und zu Gilsa, entschloss sich schließlich zur Vermeidung von Straßenkämpfen. Er entsandte die motorisierten Verbände zusammen mit vier MG-Bataillonen in Omnibussen der Dresdner Verkehrsbetriebe Richtung Bautzen zur Unterstützung des letzten deutschen Gegenstoßes. Diese Einheiten wehrten sich hartnäckig gegen die Übermacht der gegnerischen Streitkräfte.167 161 162 163 164

Rahne, Festung Dresden, S. 8. Ebd., S. 17 ff. Bericht Otto G. von August 1945. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 214. Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 11). Vgl. Marschner, Kriegsgeschehen in Sachsen, S. 12 ff. 165 Eine präzise Beschreibung des Kriegsverlaufs an der ostsächsischen Front von KarlHeinz Gräfe in Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 20–40. 166 Räumungsbefehl für die Stadt Kamenz vom 20. 4.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 3, S. 21. 167 Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 12). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Seit dem 28. April hörte man im Dresdner Westen den Artilleriebeschuss auf Meißen.168 Am 6. Mai, nach dem Beginn der sowjetischen Offensive in Richtung Prag, befahl Feldmarschall Schörner dem Chef des Verteidigungsbereiches Gilsa die kampflose Räumung Dresdens.169 Der Befehl Schörners trug der Situation Rechnung, dass ein Kampf um Ruinen die Verteidiger in eine ungünstige Ausgangsposition versetzen und innerhalb eines dichtbesiedelten Gebietes mit zahllosen zivilen Todesopfern verbunden sein würde; dies ersparte Dresden entgegen anderslautenden Behauptungen die erbitterten Straßenkämpfe und das unsinnige Gemetzel wie in Berlin,170 bedeutete aber gleichwohl nicht die kampflose Einnahme.171 Vor der sowjetischen Offensive flohen die deutschen Truppen auf der ganzen Linie zwischen Spree und Mulde nach Süden. Zuvor sprengten sie Geschützstellungen, Munitionslager und die auf dem Gelände des Flughafens in Klotzsche stehenden Flugzeuge.172 Die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage veranlasste diejenigen unter den wirtschaftlichen und politischen Eliten zur Flucht, die über gute Beziehungen zu den Nationalsozialisten verfügten.173 Erst am 7. Mai ordnete der amtierende Oberbürgermeister Kluge174 die Beurlaubung sämtlicher nicht wehrpflichtiger städtischer Angestellter an. Er rief sie zum Verlassen der Stadt auf, nachdem an die Bevölkerung eine gleichlautende Aufforderung ergangen war. Zurückbleiben sollten Angehörige der Wehrmacht und des Volkssturms, um mit der Zerstörung kriegswichtiger Einrichtungen und der Brücken den Vormarsch der Roten Armee aufzuhalten; sie sprengten schließlich vier der fünf Dresdner Elbbrücken. Danach, so lautete die Anweisung, hätten sie Dresden ebenfalls zu verlassen. Damit setzte Kluge den Befehl des inzwischen geflohenen Gauleiters Mutschmann zur Verteidigung Dresdens nur teilweise außer Kraft.175 Der Oberbürgermeister unternahm nichts, um dem beispiellosen Disziplinierungs- und Durchhalteterror von NSDAP-Dienststellen und SS-Einheiten gegen 168 Tagebuch von Anna-Luise Würth vom 22. 4.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0039, nicht paginiert). Vgl. Neutzner, Bombenkrieg, S. 105. 169 Rahne, Festung Dresden, S. 23 f. 170 Sehr anschaulich beschrieben von Fest, Untergang. 171 Salut für die 5. Garde. Interview mit Armeegeneral A. S. Shadow, Oberbefehlshaber der 5. Gardearmee, Sächsische Zeitung vom 3./4. 5.1975; Rodimzew, Kriegstage, S. 97. Vgl. Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 281f. 172 Vgl. Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 15 f.). 173 Schreiben Hermann Hildebrands an die Treuhand-Vereinigung AG vom 13.11.1945 (SächsHStAD, StAW Dresden 1062, Bl. 6/7); Erlebnisbericht Walther Dietrichs vom 11.10.1954 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden V/2.052.017, nicht paginiert). 174 Dr. Ferdinand Rudolf Kluge 1889–1945, Jurist, Rechtsanwalt in Dresden. NSDAP-Mitglied seit 1928, Obersturmbannführer im NSFK, 1937 Gauamtsleiter im Rechtsamt der NSDAP Sachsen. 1930 Stadtverordneter, 1933 Vorsteher des Stadtverordneten-Kollegiums, seit 1934 2. Bürgermeister und amtierender Oberbürgermeister von 1937–1940 sowie nach dem 19. 2.1945, Flucht am 7. 5.1945, kurz darauf wahrscheinlich Suizid. 175 Hermann, Oberbürgermeister Nieland und Kluge, S. 198 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Soldaten und Bevölkerung Einhalt zu gebieten. Auch wenn er im Unterschied zu dem als Reichsverteidigungskommissar fungierenden Gauleiter Mutschmann über eine eingeschränkte Weisungsbefugnis verfügte, hätte ein wirkungsvoller Schutz der Dresdner Einwohner in ihrer rechtzeitigen Evakuierung bestanden oder darin, in Verhandlungen mit der Wehrmachtsführung und dem für Dresden zuständigen Höheren SS- und Polizeiführer ein kampfloses Einrücken der Roten Armee zu ermöglichen. Kluge hingegen ließ vor dem Verlassen der Stadt Pistolen an die Verwaltungsangestellten austeilen.176 Einer Aufforderung zur bedingungslosen Kapitulation folgte er nicht.177 Nachdem seit Tagen Flüchtlingstrecks und Militärtransporte das Fortkommen auf den Straßen erheblich erschwerten,178 brach ein Chaos aus, als die Bevölkerung von der Flucht der Führung erfuhr. Tausende Frauen und Kinder, alte Leute und rasch zu Zivilisten gewordene Soldaten versuchten zu Fuß, mit Handwagen, auf Fahrrädern und anderen Transportmitteln die Stadt zu verlassen. Andere entsorgten ihre Vergangenheit, verbrannten Dokumente und Unterlagen, warfen Handfeuerwaffen und Panzerfäuste in die Elbe, versenkten Orden und Parteiabzeichen in Brunnen.179 Am 7. Mai erreichten Einheiten der Roten Armee Radebeul, sie besetzten am Nachmittag die nördlichen Stadtbezirke und bekämpften die letzten deutschen Verteidiger.180 Diese hatten sich auf der Neustädter Seite hinter „mannshohe[n] Verteidigungsbarrikaden aus Eisenträgern und Steinen“ verschanzt.181 Am späten Nachmittag standen sowjetische Panzer in der Nähe des Albertplatzes einer SS-Einheit und Volkssturmangehörigen gegenüber. Noch ehe der letzte deutsche Militärangehörige über die Carolabrücke an das linke Elbufer gelangte, explodierten die Sprengladungen an der Brücke.182 In der Nacht und am frühen Morgen überquerten sowjetische Einheiten unter Umgehung des Stadtzentrums die Elbe, weil hier noch Wehrmachts- und Volkssturmangehörige Gegenwehr leisteten.183 Nach einem kurzen, intensiven Artillerieeinsatz besetzten die Truppen am Vormittag des 8. Mai die westlich der Elbe gelegenen Stadtteile, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.184 Deutsche Soldaten beschossen sie

176 Fragebogen mit Anlage vom 25. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 136, Bl. 181–186). 177 Rodimzew, Kriegstage, S. 97 f.; Schulmann, Kapitulation Dresdens, S. 24–26. 178 Vgl. Flucht aus der Heimat, Chronik von Oskar Poldrack, Preske 1952. In: Sächsische Landeszentrale, Erinnerungen an das Kriegsende, S. 280–317. 179 Vgl. Süß, Tagebuch; Hoch, Tagebuch. 180 Bericht des 13. Stadtbezirks, 31. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, nicht paginiert). 181 Bericht Otto G. von August 1945. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 216. 182 Hering, Sprengung der Carolabrücke, S. 53–55. Vgl. Marschner, Russen, S. 28. 183 Protokoll der Kriminalpolizei vom 2. 7.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert); Protokoll der Kriminalpolizei vom 23. 7.1945 (ebd., nicht paginiert). 184 Rodimzew, Kriegstage, S. 98. Vgl. auch Gräfe/Wehner, Politik der Sowjetischen Militäradministration, S. 899, Anmerkung 9; Marschner, Russen, S. 31. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vereinzelt und diejenigen Einwohner Dresdens, die weiße Fahnen gehisst hatten.185 Bei einem solchen Schusswechsel kam auch der Arzt und Wissenschaftler Rainer Fetscher ums Leben. Fetscher soll gemeinsam mit einer Gruppe von Widerstandskämpfern auf dem Weg zu den sowjetischen Truppen gewesen sein, um über die Einstellung der Kampfhandlungen zu verhandeln.186 Zu den Bemühungen von „Antifa-Komitees“ um die kampflose Übergabe der Stadt, ähnlich wie drei Wochen zuvor im nahen Leipzig,187 existieren lediglich widersprüchliche Angaben in persönlichen Erinnerungen.188 Der Versuch einer Widerstandsgruppe, Dresden an die Rote Armee zu übergeben, lässt sich in den Quellen nicht nachweisen und muss auf Grund der Fakten in das Reich der Legendenbildung verwiesen werden.189 Deren Ursprung geht auf Anton Ackermann zurück, der sich auf die in Dresden kursierenden Gerüchte stützte und vier Wochen nach Kriegsende in Moskau berichtete: Fetschers Organisation habe „ungefähr auf der Linie des Nationalkomitees ‚Freies Deutschland‘“ gelegen und mit Intellektuellen, Polizeibeamten und einer „illegalen kommunistischen Gruppe“ zusammen gearbeitet. Fetscher selbst und ein Polizeimajor seien „2 Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee von der Gestapo erschossen worden“. Diese Organisation habe „wirkliche Aktivität“ gezeigt, Flugblätter verbreitet und „illegale Zeitungen“ vorbereitet, „Stadtbezirks-Abteilungen“ gegründet und darüber hinaus versucht, „entsprechend unseren Ratschlägen, die Wehrmacht und die SS-Verbände daran zu hindern, Dresden zu verteidigen und es dadurch endgültig zu zerstören“.190 Doch Fetscher fuhr zusammen mit dem Kommunisten Hermann Eckardt191 im Morgengrauen des 8. Mai der Roten Armee entgegen und könnte, eine weiße Fahne tragend, aufgrund dessen von abrückenden SS-Leuten ermordet worden sein. Auf dem Weg durch die Stadt gaben sowjetische Soldaten gleichfalls Schüsse auf ihn ab und es erscheint in der unübersichtlichen Situation gleichfalls möglich, dass der tödliche Schuss aus ihren Waffen kam.192 Eckardt selbst berichtete, er habe am Morgen des 8. Mai Fetscher in der Wohnung abgeholt und ihn in dessen Auto begleitet. „In der Nähe des Richard-Strauß-Platzes wur185 Vgl. Interview mit Anna-Luise Würth, 1987 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0039, nicht paginiert). 186 Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 25 ff. 187 Schmollinger, NKFD in Leipzig, S. 232. Vgl. Matthiesen, Greifswald, S. 427–431. 188 Vgl. Frölich/Gute, Händedruck; Welz, Stadt, S. 69. 189 Vgl. zu Greifswald Matthiesen, Kriegsende 1945. 190 Stenogramm der Mitteilungen der Genossen Ackermann, Ulbricht und Sobottka über die Lage in Deutschland vom 7. 6.1945, zitiert nach Laufer, Genossen, S. 359. 191 Hermann Eckardt, geb. 30. 6.1901, Buchdrucker, Mitglied der Arbeiterjugend, später SAP, nach 1933 mehrjährige Haft, Verbindung zur illegalen KPD. 192 Die Überlieferungen geben häufig Informationen aus zweiter Hand weiter und sind in sich widersprüchlich, der nachträglich angefertigte Bericht des einzigen Augenzeugen Hermann Eckardt wurde in einer redigierten Version publiziert. In: Frölich/Gute, Händedruck, S. 60 f. Vgl. Pommerin, Anpassung und Widerstand, S. 17 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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den wir von der kämpfenden Truppe mit Schüssen“ empfangen und gefangen genommen. Sowjetische Soldaten hätten sie anschließend zur Kommandantur bringen wollen. Doch ehe dies geschah, sei Fetscher „aus einem offenen Personenwagen mit der Maschinenpistole“ von der SS ermordet worden.193 Am Ende dieses Krieges ging es für alle Menschen um das nackte Überleben und den sowjetischen Soldaten sahen sie mit Angst und Schrecken entgegen. „Als es hieß, die Russen kämen, am 7. Mai, bin ich vom Bahnhof nach Hause gelaufen,“ berichtet eine am Neustädter Bahnhof eingesetzte Rotkreuzschwester. „Die weißen Fahnen hingen schon überall aus den Fenstern. SS und SA rissen die Fahnen wieder runter und drohte zu schießen. In Radebeul war auch bereits meine Mutter aus Meißen eingetroffen. Die Nacht vom 7. zum 8. Mai verbrachten wir im Keller.“ Die damals fünfunddreißigjährige Frau beschrieb nach vier Jahrzehnten ihre Eindrücke: Luftangriffe und Zerstörungen hätten „die Bevölkerung demoralisiert. Aber die Angst vor den Russen war noch größer. Als wir die ersten sahen, haben wir uns gewundert, dass die wie Menschen aussahen und teilweise sogar deutsch sprechen konnten, höflich und anständig waren.“194 Die nationalsozialistische Propaganda hinterließ bei vielen eine tief sitzende Fremdenfeindlichkeit,195 selbst bei Personen, die eine innere Distanz wahrten. Die in ihrer Jugend dem „Wandervogel“ zugehörige Frau hatte sich nach dessen Auflösung geweigert, dem BDM beizutreten. Um der Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen zu entgehen, trat sie in das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ein und ließ sich zur Schwester ausbilden. Gegen Ende des Krieges stellte ihr Betrieb sie von der Arbeit frei zur Flüchtlingsbetreuung auf dem Hauptbahnhof, wo sie den Angriff am 13. Februar miterlebte. Ursprünglich ebenfalls auf eine amerikanische Besetzung hoffend, musste sie sich nun mit den Soldaten der östlichen Macht abfinden, die zwar höflich und kinderlieb sein konnten, aber auch grob und gewalttätig, wie sie bald erfuhr. Der Morgen des 8. Mai 1945 soll sonnig gewesen sein. Die Ankunft der Eroberer erwarteten die Bewohner Dresdens im Keller. „Als wir in die Stadt einzogen waren die Häuser weiß geflaggt. Die Straßen waren menschenleer. Die Einwohner hatten sich zumeist in ihren Häusern versteckt,“ erinnerte sich der Stellvertreter des Stadtkommandanten für politische Angelegenheiten, Oberstleutnant Solowjow.196 Nach dem Gefechtslärm der vorangegangenen Nacht kehrte Ruhe ein, über die Wachsbleichstrasse vor dem Friedrichstädter Krankenhaus lief ein einzelner sowjetischer Soldat mit einer Maschinenpistole auf

193 Bericht Hermann Eckardt vom 30. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1027, Bl. 103 ff.). 194 Interview mit Herta B., 1987 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0022, Bl. 3). Vgl. Tonbandprotokoll Herta B. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 176. 195 Vgl. Tagebucheintrag vom 1. 8.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 62; Süß, Tagebuch; Bericht Helga S., 1988. In: Neutzner, Martha Heinrich, S. 152. 196 Solowjow, Eindrücke. Vgl. Gedächtnisbericht Oberstleutnant Matthes (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0036, Bl. 15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die Spirituosenfabrik Bramsch zu. Ein junger Deutscher sinnierte: „Das also ist die Eroberung, sagte ich mir, Panzer hast du erwartet und Sturmtruppen, und da kommt ein einzelner Iwan und ergreift Besitz von der Fabrik und thront wie selbstverständlich im Sessel des Herrn Direktors und lässt sich den guten Bramsch Korn im Wasserglas servieren.“197 Doch diese Wahrnehmung kann nicht verallgemeinert werden; die Stadt fiel nicht in die Hände eines „freundlichen Feindes“.198 Der Tag des nominellen Kriegsendes fiel in Dresden auf den Tag der deutschen Kapitulation und wurde für die Sieger zu einem Fest. Das Gros der sowjetischen Truppen zog stundenlang über das „Blaue Wunder“, die unzerstört gebliebene Loschwitzer Elbbrücke. Zielstrebig besetzten die sowjetischen Soldaten am 8. Mai 1945 große Einrichtungen wie Verwaltungsgebäude und Wirtschaftsbetriebe, womit sie die um sich greifenden Plünderungen, an denen sich Deutsche gemeinsam mit ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen beteiligten, eindämmen konnten.199 Zu den an der städtischen Peripherie gelegenen militärischen Objekten wie dem Flugplatz Klotzsche gelangten sie, nun selbst mit der Ausplünderung der Zivilbevölkerung befasst, später.200 Sie drangen in kleineren Gruppen in die Häuser ein und suchten in den Wohnungen nach Waffen. Uhren, Radios und Schmuck nahmen sie mit.201 Die Eroberung war keine friedliche Inbesitznahme, die fremden Soldaten befanden sich in Feindesland; Zurückhaltung im Umgang mit ihnen schien der besiegten Bevölkerung dringend geboten. Auch an nicht umkämpften Orten begleiteten Gewaltexzesse das unmittelbare Kriegsende. Die Berichte über Vergewaltigungen und Sexualverbrechen sind zu zahlreich, um sie als Einzelfälle abzutun.202 Indessen ist eine Quantifizierung unmöglich, da die Verdrängung des Problems – begünstig durch die Rechtslage203 – frühzeitig begann; die Quellen lassen keine Zahlenangaben zu, und schon die frühen Berichte äußern sich nicht konkret.204 Wichtiger ist die da197 Bergander, Erlebnisse und Erkenntnisse, S. 132. 198 Henke, Der freundliche Feind. 199 Schreiben an Walter Hildebrand vom 25. 6.1945 (SächsHStAD, StAW Dresden 1061, nicht paginiert). Vgl. Rodimzew, Kriegstage, S. 98. 200 Tätigkeitsbericht der Betriebstechnischen Gruppe Fliegerhorst Klotzsche vom 8. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 12, Bl. 206–208). 201 Bericht Gerta Schulzes, o. D. (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0044, nicht paginiert). 202 Globalisierend und umfangreich hierzu Naimark, Russen, S. 86–168; analytisch anspruchsvoller Mühlhauser, Vergewaltigungen; generell zu den Folgen kriegsbedingter sexueller Beziehungen zwischen Besatzungssoldaten und Frauen Johr, Ereignisse in Zahlen; eine zwar für Österreich getroffene, jedoch sehr differenzierte Aussage mit großer Allgemeingültigkeit zur Situation der Bevölkerung unter den Bedingungen der sowjetischen Besatzungsherrschaft Prinz, Rekonstruktion und Deutung. 203 Vgl. Bader, Nachkriegskriminalität, S. 37–43; Poutrus, Abtreibungspolitik. 204 Jahresbericht 1947 der Pflegestellenberatung vom 21.12.1947 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 123, nicht paginiert); Jahresbericht 1948 des Gesundheitsamtes [Dezember 1948] (StadtAD, Dezernat Gesundheitswesen 5, nicht paginiert). Vgl. Adam, Entwicklung des Gesundheitswesens, S. 40–50. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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durch erfolgte qualifizierende Prägung der historischen Erinnerung. Die Kinderfreundlichkeit sowjetischer Soldaten ist ebenso vielfach bezeugt wie die von ihnen ausgehende, empfindungslos erscheinende sexuelle Gewalt, in der sich neben dem Selbstverständnis des Siegers auch eine kulturell bedingt andere Haltung gegenüber Frauen ausdrückte.205 Eine junge Dresdnerin schilderte, wie sie den 8. Mai erlebte: „Da kamen auch schon zwei übel aussehende Kerle zur Tür herein, zerrten an mir und Hilde herum und wollten uns mitnehmen. Ich riss meinen Jungen aus seinem Bettchen und drückte ihn fest an mich und versuchte, mich von den Russen loszureißen. Ich glaube, das Kind in meinen Armen zwang ihnen doch etwas Achtung ab. Sie ließen mich los und nahmen nur Hilde mit, der wir auch nicht helfen konnten.“206 Die Vergewaltigungen entsprachen in gewissem Sinn einer Erwartungshaltung der deutschen Öffentlichkeit. Sie bedienten das Klischee, das die nationalsozialistische Propaganda von den sowjetischen Siegern gezeichnet hatte, und wurden auch als Rache begriffen.207 Sie ereigneten sich vor aller Augen und weitgehend ohne Gegenwehr, weil alle die Gewalttätigkeit der Rotarmisten fürchteten, zumal die Frauen. Sie ersannen Listen und Verhinderungsstrategien.208 Ein junger Dresdner berichtete von eigens in den Gärten geschaffenen Zaundurchgängen, um Mädchen und Frauen die Flucht zu ermöglichen. Er beobachtete außerdem sexuelle Übergriffe auf die weiblichen Angehörigen der Besatzungstruppen: „Mittags fahren viele Kettenfahrzeuge auf den Blasewitzer Elbwiesen auf und biwakieren auch da. Die Mannschaften werden zusammengerufen, ein Offizier verkündet irgend etwas, was mit lautem ‚Hurra‘ quittiert wird. Einzelne werden ausgezeichnet und dann von den Soldaten hochgeworfen. Siegestaumel! Auf Schifferklavieren spielen sie Tanzweisen, andere tanzen dazu einen originellen Volkstanz in Kauerstellung. Abteilungsweise entkleiden sie sich und baden in der Elbe, auch die Kommissarinnen, die anschließend im Gras die Liebe der Soldaten ‚stillen‘.“ Sein Bericht handelt von dem, was er in der Ferne gesehen haben könnte und von dem, was er unmittelbar erlebte: „Auf Umwegen kommen währenddessen die Conertmädchen; wir verstecken sie in einem Dachstuhlturm, schieben eine Kommode davor.“ Noch nach Tagen sei der „Topfdeckelalarm“, der die Frauen vor herannahenden Rotarmisten warnte, in der Nachbarschaft zu hören gewesen.209 Die Rekonstruktion der Ereignisse muss wegen des jahrelangen Schweigens fragmentarisch bleiben,210 viele Frauen erlitten neben der psychischen Erniedrigung organische Verletzungen und bleibende Schäden. Ungezählt sind die 205 Vgl. Gespräch mit Woldemar Weber, Januar 1992. In: Sander/Johr, Befreier und Befreite S. 96–106; Naimark, Russen, S. 92 f. 206 Bericht, o. D. (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., schriftliche Berichte 0044, nicht paginiert). Vgl. Adam, Vergewaltigungen in Dresden. 207 Vgl. Baumgartner, Frauen, S. 200 ff.; Hurwitz, Neubeginn konservativer Politik, S. 121. 208 Schmidt-Harzbach, Vergewaltigung als Massenschicksal, S. 25 ff. 209 Hoch, Tagebuch, S. 65. Vgl. Beevor, Berlin 1945, S. 144 f.; Naimark, Russen, S. 141. 210 Sander, Erinnern/Vergessen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Schwangerschaftsabbrüche und die ungewollt geborenen Kinder, ungezählt die Fälle, in denen Frauen mit ihren Erlebnissen nicht weiter leben konnten: „ich weiß von 6, die sich erhängt haben“.211 Die Politische Hauptverwaltung der sowjetischen Streitkräfte konstatierte „zahlreiche Fälle individuellen oder gemeinsamen Selbstmordes der Einwohner aus Furcht vor der Roten Armee“.212 Im ganzen Land setzten Tausende oft in Panik schon vor den ersten Kontakten mit sowjetischen Soldaten ihrem Leben ein Ende. Im Mai 1945 gab es in Dresden unter den über 1 000 Todesfällen mindestens 350 Selbstmorde.213 In ihrer bedrohlichen Lage konnten die Deutschen bei Verhandlungen mit den Eroberern aber auch unerwartete Unterstützung seitens der vielen aus dem Gebiet der Sowjetunion zwangsverschleppten Arbeitskräfte erhalten.214 Die Befreiung vom Nationalsozialismus war untrennbar mit Gewalt verbunden. Die Befreiung musste von außen geschehen und sie erfolgte durch Zerstörung.215 Im Fall von Dresden unterlag sie einer Symbolisierung. Die sowjetischen Soldaten kamen in eine von den Auswirkungen des Krieges furchtbar betroffene Stadt – ein Schicksal, das Dresden mit beinah allen deutschen Großstädten teilte. Auch in den Städten des Ruhrgebiets etwa hatten Bombenkrieg und Artilleriebeschuss der letzten Kriegswochen Wohnviertel und Fabriken in Trümmer gelegt,216 die allerdings bei weitem nicht jene eindrückliche Symbolkraft entfalteten wie die der sächsischen Landeshauptstadt. Der seit August 1945 für den Dresdner Kommandanturbereich verantwortliche Oberst Ilja Iwanowitsch Spiridonow stilisierte, was er später von seiner ersten Begegnung mit den Ruinen erinnerte – als sei er mit einem Architektur-Reiseführer im Gepäck nach Deutschland gekommen: „Da war der durch den Brand zerstörte Zwinger, von Pöppelmann erbaut im Stile des späten deutschen Barocks. Daneben die verkohlten Wände und leeren Fensterhöhlen der Dresdner Sempergalerie und die geborstenen Mauern des Schlosses, der Hofkirche und des Opernhauses. Auf dem weiten Platz stand die Statue irgendeines sächsischen Herrschers, und dahinter floss majestätisch die Elbe, breit und wasserreich. Ein wenig erinnerte sie mich an die Newa.“217 Die siegreichen Soldaten, Tausende Kilometer durch ein verwüstetes Europa unterwegs gewesen, erschreckten vor den Trümmern von Dresden nicht; sie 211 Interview mit Herta B., 1987 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0022, Bl. 3). 212 Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands (Auszug) vom 5. 7.1945. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8 ff. Vgl. Beevor, Berlin 1945, S. 125. 213 Daten über die Sterblichkeit in Dresden, Bericht des Hauptgesundheitsamtes vom 9. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 92 ff.). 214 Bergander, Erlebnisse und Erkenntnisse, S. 132 ff. 215 Vgl. Kleßmann, Befreiung durch Zerstörung. 216 Vgl. Pietsch, Militärregierung und kommunale Politik. 217 Spiridonow, Kommandant in Dresden, S. 158; generell zur Bildung von Legenden über die Besatzungszeit vgl. Staadt, Bersarin. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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hatten anderes gesehen. Im Gegenteil, die vorgefundenen Ruinen werden manch einen mit Genugtuung erfüllt haben, da sie ihn wie Spiridonow an die eigene, von deutschen Soldaten zerstörte Heimat erinnerten. Sie kannten weder Sempergalerie noch Frauenkirche, die weltberühmten Gebäude bedeuteten ihnen lediglich verkohlte Wände und leere Fenster, Zeugen des Krieges eben wie überall: „Die Stadt Dresden bot ein furchtbares Bild. Auf den Straßen konnte man weder fahren noch gehen. Es war warmes Frühlingswetter und in den Trümmern zersetzten sich schon die Leichen.“218 Jetzt wollten die Rotarmisten ihren Sieg feiern und ihr Überleben, sie wollten den Schmerz um die toten Kameraden und das ungewisse Schicksal ihrer Familien vergessen. Was sie zur Siegesfeier suchten, fanden sie in den weniger zerstörten Außenbezirken Dresdens. Auch die anfänglich noch geschonte Spirituosenfabrik Bramsch plünderten sie. Anscheinend zog sie wegen ihrer großen Alkoholvorräte die sowjetischen Soldaten wie magnetisch an: „Der Fabrikhof glich einem Feldlager. Die Sonne brannte auf die staubige kampierende Masse, Kutscher wollten ihre Pferde tränken, auf den Panjewagen türmten sich Kisten und Säcke, Sofakissen, Teppiche, Ziehharmonikas, Waffen, Munition und als kostbarstes Gut Zwanzigliter-Ballonkorbflaschen mit Branntwein.“ Ein junger Offizier setzte eine Wache ein und ernannte sich zum Kommandanten der Fabrik, um sich und seiner Mannschaft einen Anteil am Sieg zu sichern. Er hatte eine junge Frau mitgebracht und meldete ausgesprochen „zivile“ Bedürfnisse an: „Der Leutnant verlangte Unterkunft im Büro für sich und eine junge Frau in geblümtem Kleid, die er bei sich hatte, frische Wäsche für sich und sie, heißes Badewasser und ein Radio.“219 Manch ein Sieger hatte ein nachvollziehbares Bedürfnis nach Ruhe, nach einem heißen Bad, nach sauberer Wäsche. Soldaten nahmen sich, was sie bekommen konnten. Sie richteten ihr Verlangen nicht allein nach deutschen Frauen, wie es die überwiegende Zahl der vorliegenden Berichte suggerieren könnte. Die auf dem Foto ängstlich wirkende Frau, sicherlich eine „Kriegsbeute“, teilte nolens volens das Schicksal vieler verschleppter Zwangsarbeiterinnen. Endlich befreit aus der Gewalt der verhassten Deutschen, ging sie mit den Siegern, deren Sprache sie verstand, um ihren Sieg zu feiern. Überdies dauerte es nicht lange, da reisten die ersten Familien der sowjetischen Besatzungsoffiziere an.220 Deutsche Frauen wiederum wissen auch von manchem Erfolg: „Von den Russen haben wir persönlich nicht allzuviel gespürt, bis auf einen, der durchaus (in der Wohnung) ‚uno momiento mit mir schlafen wollte‘, den ich aber trotz Androhung von Schießen und Kaputtmachen im letzten Augenblick noch los wur-

218 Bericht des Genossen Solowjow. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 7, S. 23. Vgl. Deutscher, Reportagen, S. 116. 219 Bergander, Erlebnisse und Erkenntnisse, S. 136. 220 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II an den Rat der Stadt Dresden vom 2. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 69–75). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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de.“221 Mehrheitlich teilten sie die Erfahrung von Plünderung und Vergewaltigung. Der Zusammenbruch der deutschen Verwaltung, die beschriebenen Auflösungserscheinungen und die um sich greifende Gewalt ließen das sowjetische Militär zum wichtigsten potentiellen Ordnungsfaktor der kommenden Wochen werden. Doch die Umwandlung der Roten Armee von einer Kampftruppe zur Besatzungsmacht, die sich um die Herstellung von Sicherheit und die Ankurbelung des Wirtschaftslebens bemühte, und damit die eigene Versorgung und die der Bevölkerung sicherte, ging nur langsam vonstatten. In der Übergangsphase während der Besetzung behinderte sie in Dresden eher die Tätigkeit deutscher Institutionen.222 Weiterhin sorgten gegenläufige Wanderungsbewegungen unterschiedlicher Menschenströme für Unübersichtlichkeit. Der überwiegende Teil der sowjetischen Truppen zog nach kurzem Aufenthalt weiter nach Süden, die in das Erzgebirge geflohenen Einwohner kehrten zurück, aus östlicher und südlicher Richtung suchten Flüchtlingskonvois die Stadt zu erreichen, die sich mit dem Strom der aus dem Westen heimkehrenden Zwangsarbeiter kreuzten. Insgesamt hielten sich am Ende des Krieges in dem Gebiet zwischen Elbe und Oder zusätzlich zur einheimischen Bevölkerung mindestens 2,5 Millionen Vertriebene und Evakuierte, ein bis zwei Millionen sowjetische Soldaten sowie 1,5 Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auf.223 Die lokale Machtausübung im eroberten Gebiet oblag traditionell demjenigen Militärbefehlshaber, der diejenigen Einheiten anführte, die die Stadt besetzten.224 Zur Einrichtung der Dresdner Stadtkommandantur beschlagnahmte die Rote Armee die Pestalozzischule am Riesaer Platz, eine weitere Dienststelle der Stadtkommandantur befand sich in der Hospitalstraße.225 Stadtkommandanten in Dresden wurden bis zur Etablierung der sowjetischen Besatzungsverwaltung im Juli der Kommandeur des 33. Gardeschützenkorps, Generalleutnant Lebedenko, und sein Stellvertreter Oberst Gorochow, die erste Befehle veröffentlichen und das Stadtgebiet in vorerst dreizehn einzelne Rayonkommandanturen unterteilen ließen.226 Die Zuständigkeiten der einzelnen Kommandanten waren nicht in jedem Fall klar umrissen, wie kurze Zeit später die Ernennung eines 221 Schreiben Herta Baumgärtels vom 25. 5.1945 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Schriftverkehr Herta Baumgärtel 060, nicht paginiert). Hervorhebung im Original. 222 Vgl. 13. Stadtbezirk, Bericht über die Tätigkeit in der Zeit vom 7.5. bis 31. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, nicht paginiert). 223 Foitzik, Militäradministration, S. 61. 224 Kowalczuk/Wolle, Roter Stern, S. 41; Raschka, Sowjetisierung, S. 1455. Vgl. Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 39 ff. 225 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungen beim Oberbürgermeister vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 376 f.). Vgl. Althus / Gräfe / Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 47. 226 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungsleiter und Bezirksbürgermeister vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 373 ff.). Vgl. Wehner, Befreiung Dresdens, S. 13. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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weiteren stellvertretenden Stadtkommandanten, des für die Versorgung zuständigen Majors Wostropjalow, nahelegte.227 Die genannten Offiziere befanden sich nur kurze Zeit in Dresden. Im Juli löste Generalleutnant Dobrowolsky den bisherigen Stadtkommandanten Lebedenko ab.228 Gorochow blieb bis August 1945 in Dresden,229 Dobrowolsky bis in den September des Jahres.230 Dessen Nachfolger Oberst Spiridonow wiederum bekleidet das Amt des Stadtkommandanten von November 1945 bis November 1946, nachdem er bereits am 8. August 1945 zum „Kommandanten des Bezirkes Dresden“ ernannt worden war.231 Die genaue Rekonstruktion der Kompetenzen im sowjetischen Machtbereich ist nicht möglich. Fehlende Instruktionen zwangen die sowjetischen Militärbehörden häufig zu Improvisationen,232 zudem erforderte es die mangelnde Abgrenzung der Arbeitsbereiche, ständig neue Festlegungen zu treffen.233 Spiridonow bemerkte nebulös, „dass die Kommandanturen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland im Unterschied zu gewöhnlichen Kommandanturen weitreichende Rechte besaßen, die aus dem Potsdamer Abkommen der Regierungschefs der Antihitlerkoalition hervorgingen“.234 Die regelmäßig praktizierte mündliche Weitergabe von Befehlen verhinderte bei deutschen Instanzen die Kenntnis des originalen Wortlautes, was den selbstherrlichen Tendenzen örtlicher Kommandanten Vorschub leistete.235 Die eingeschränkte Schriftlichkeit in den Kommandostrukturen trug ihrerseits dazu bei, die Konzeptionslosigkeit der Besatzungspolitik lange Zeit verbergen zu können. Über diese anfangs häufigen Veränderungen hinaus aber war die sowjetische Militär-

227 Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung vom 24. 5.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 9, S. 25. 228 Vgl. Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (SächsHStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 229 Vgl. Schreiben Weidauers an Matern vom 15. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 34). 230 Vgl. Schreiben Weidauers an Fischer vom 8. 9.1945 (ebd., Bl. 54); Haritonow, Hochschulpolitik, S. 46. 231 Lebenslauf Oberst Ilja Spiridonow vom 31.10.1970 (SStAC, SED-BPA V/7/603, nicht paginiert); dem Kommandanten des Dresdner Bezirkes waren bis zur Bildung zweier Bezirkskommandanturen im September 1945 die ostsächsischen 17 Militärkommandanturen unterstellt, vgl. Haritonow, Hochschulpolitik, S. 44; Spiridonow, Kommandant in Dresden, S. 161. 232 Vgl. Wolkow, Stalins Sicht, S. 48 f. 233 Das Verwirrspiel um die administrativen Strukturen der Militärverwaltung ging so weit, dass dem Historiker Stefan Doernberg, selbst Offizier der Roten Armee und intimer Kenner der internen Verhältnisse, die „falsche Darstellung der Aufgabe einer Stadtkommandantur“ vorgeworfen wurde, Schreiben (wahrscheinlich von Weidauer) an Genossen Iwanowitsch Spiridonow vom 3.11.1968 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.067, nicht paginiert); siehe auch Creuzberger, sowjetische Besatzungsmacht, S. 35. 234 Lebenslauf Oberst Ilja Spiridonow vom 31.10.1970 (SStAC, SED-BPA V/7/603, nicht paginiert). 235 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 31; Michelmann, Aktivisten, S. 129 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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verwaltung „zu keinem Zeitpunkt ein nach einheitlichen Kriterien organisierter, monolithischer Besatzungsapparat“.236 Die wichtigste Funktion in der Kommandantur, die des „Polit-Stellvertreters des Dresdner Stadtkommandanten“, besetzte Oberstleutnant Alexander A. Solowjow. Ihn hielten seine Vorgesetzten in der Politischen Hauptverwaltung der 1. Ukrainischen Front für besonders geeignet, umgehend mit der „Entmilitarisierung und Demokratisierung“ in Dresden zu beginnen.237 Den Besatzungsalltag dominierten politische Instrukteure wie er, die unmittelbar der Politischen Hauptverwaltung der sowjetischen Streitkräfte unterstellt, ihre Anweisungen direkt aus dem Zentrum der Macht erhielten.238 Solowjow trat besonders im Zusammenhang mit der bald erfolgenden Gründung der Parteien hervor. Ihm zur Seite stand seit September 1945 Hauptmann Anatoli B. Waks, Leiter der Informationsabteilung der Dresdner Stadtkommandantur, später auch Abteilung Agitation und Propaganda genannt. Waks kontrollierte bis 1949 die „politische Tätigkeit der städtischen Selbstverwaltungsorgane, der Kultur- und Bildungseinrichtungen, der Parteien und anderer gesellschaftlicher Organisationen“.239 Doch seine Aufgabe war nicht eine unparteiische Kontrolle der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern vielmehr die „aktive Unterstützung“ jener politischen Kräfte, die der Politik der Sowjetunion im Besatzungsgebiet dienten.240 Hauptmann Waks unterstand einerseits dem Dresdner Stadtkommandanten und mittelbar dem Chef der Sowjetischen Militäradministration Sachsen (SMAS), Generalmajor Dubrowski; seine direkt vorgesetzte Dienststelle aber war die Informationsabteilung der SMAS.241 Die Verantwortlichkeit der Angehörigen der Informationsabteilung wie Waks, der zu den wenigen Offizieren in Dresden gehörte, die die deutsche Sprache beherrschten, erstreckte sich auf das gesamte politische Leben.242 Neben dem in der sowjetischen Hierarchie gültigen Prinzip der Mehrfachunterstellung zeigte sich in der Mehrgleisigkeit der Besatzungspolitik, die in der Ernennung von NKWD-Beauftragten einen beson236 Creuzberger, sowjetische Besatzungsmacht, S. 40. 237 Solowjow, Eindrücke, S. 106, spricht auch davon, dass Oberst Gorochow, der seinerseits Befehle an die Dresdner Bevölkerung unterzeichnete, zum alleinigen Stadtkommandanten ernannt worden sei; dem steht der niedrigere militärische Rang desselben und ein Bericht des Dresdner Stadtkämmerers entgegen, Schreiben Meißners an Oberbürgermeister Friedrichs, 4. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 10 f.). 238 Vgl. Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands vom 5. 7.1945. In: Bonwetsch/Bordjugow / Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8 ff.; Haritonow, Hochschulpolitik, S. 45 und 54 ff.; Michelmann, Aktivisten, S. 130 f. 239 Artikel des Genossen Waks, S. 2 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.066, nicht paginiert). Vgl. Heinemann, Hochschuloffiziere, S. 229 ff. 240 Waks, Proletarischer Internationalismus, S. 245. 241 Haritonow, Hochschulpolitik, S. 47. 242 Ebd., S. 61 f.; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 34 f.; teilweise verfügten selbst hochrangige Besatzungsoffiziere über keine deutschen Sprachkenntnisse siehe Haritonow, Hochschulpolitik, S. 51. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ders charakteristischen Ausdruck fand, der grundsätzliche Unterschied der sowjetischen Militärverwaltungsorgane gegenüber denen der Westalliierten.243 Die Einwohner der Stadt nahmen davon vorerst wenig zur Kenntnis, sie plagten andere Sorgen. Während örtliche politische Eliten mit den sowjetischen Offizieren und kommunistischen Remigranten über die Konstituierung einer neuen deutschen Verwaltungsspitze verhandelten, Kommunisten und Sozialdemokraten an der Basis die Chance zur Bildung „Antifaschistischer Aktionsausschüsse“ ergriffen und die Selbsthilfe organisierten, mussten sie sich neben den Erfordernissen des Lebens und Überlebens neu orientieren. Grundstürzende Schlüsselerfahrungen der Gewalt verheerender Zerstörungen und eines tausendfachen Todes begleiteten das Ende des „Dritten Reiches“: Einmarsch der Sieger, Durchhalteterror und Ende des Nationalsozialismus, der Untergang ihrer Stadt. Die Erfahrung der mit den unterschiedlichen Ereignissen verbundenen Gewalt wirkte in den Menschen und ihrem Verhalten fort. Die Zerstörung Dresdens, das zeitlich vor den anderen liegende Ereignis, prägte die Erinnerung nachhaltiger. Im unmittelbaren Anschluss daran hatte die nationalsozialistische Propaganda der unter dem Eindruck des Geschehens stehenden Bevölkerung einen Deutungsrahmen dargeboten, der von ihr mit vermeintlichen und tatsächlichen „Fakten“ gefüllt und mit Versatzstücken individuellen Erlebens angereichert, erfolgreich den jeweiligen politischen Bedingungen entsprechend „gewechselt“ werden konnte. Aus Deutungsmustern gewannen die Menschen eine Bestätigung ihrer Identität, weil sie „aus der kollektiven Identität das Negative ausschließen und dieses in der Konsequenz auf andere projizieren“ konnten.244 Der 8. Mai 1945, für die wenigsten ein Tag der Befreiung, für viele ein Tag des Zusammenbruchs, brachte ihnen einen weitreichenden Verlust des national-politischen Bezugsrahmens und persönliche Deprivation. Die Besiegten erfuhren als Angehörige eines besiegten Volkes und besiegte Individuen den doppelten Verlust der kollektiven wie der individuellen Identität. Vom Ende des Krieges erhofften sie sich ein Ende der Gewalttätigkeit und den Beginn einer friedlichen Zukunft. Das Setzen einer solchen Zäsur und ihre Verankerung in der Erinnerung gelang jedoch nicht. Obwohl keine Bombe und kein mörderischer Krieg noch Menschenleben forderte, dauerte die Gewalt an. Die Menschen fühlten sich ohne Schutz und Hilfe der Willkür der Eroberer ausgeliefert. Verblasste unter dem Eindruck gegenwärtiger Gewalt die Erinnerung an die vergangene Schreckensherrschaft? Konstituierte sich aus diesem Selbstverständnis, Opfer einer Kontinuität von Gewalt zu sein, Nachkriegsbewusstsein? Begünstigend könnte bei den Dresdnern gewesen sein, dass sie lange Zeit nicht direkt vom Krieg betroffen waren und sich unter Bezug auf den 13. Februar als Opfer zu sehen begannen. Diese Stilisierung wirkte in zweifacher Hinsicht. Als Opfer des Krieges konnten sie sich einer kritischen Auseinan243 Foitzik, Militäradministration, S. 81 f. Vgl. Donth, Vertriebene und Flüchtlinge, S. 33–41. 244 Paul, Brücken der Erinnerung, S. 288. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dersetzung mit der eigenen Vergangenheit entziehen. Teilhabend am Nimbus der Opfer des Nationalsozialismus ging von der Einebnung der Begrifflichkeit langfristig eine neutralisierende Wirkung und die Dispensierung jeglicher Mitschuld und Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen aus.245 Solche „Opferkonstruktionen und Umkehrungen der historischen Täter- und Opferrollen“ reichen aus der Nachkriegszeit bis weit in die Gegenwart. Immer wieder passieren Erzählungen von Zeitzeugen mühelos die „kritischen Wahrnehmungsfilter“ von Zuhörern sogar dann, wenn sich Erzähler „zu Opfern in Situationen machten, in denen sie, bei Lichte betrachtet, Zuschauer oder Täter waren“.246 Um wie viel mehr noch mag dies auf Zustände zugetroffen haben, in denen sie sich mit guten Gründen als Opfer fühlten? Das am Beispiel von Dresden dargestellte Verhalten stellt somit keineswegs eine Besonderheit der Einwohner der Stadt dar und aus den hier vorhandenen Faktoren lässt sich die These ableiten, sie könnten die andernorts in Deutschland wirksamen Konnotationen exemplarisch verdeutlichen. Auf diese Überlegungen wird in den folgenden Kapiteln der Untersuchung zurückgegriffen werden, um sie an den Entwicklungen der Nachkriegsjahre zu überprüfen.

245 Vgl. Faulenbach, Antifaschismus. 246 Welzer/Moller/Tschuggnall, Familiengedächtnis, S. 82. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

III. Neubeginn nach dem 8. Mai 1945 Im Februar 1945 brachten die Alliierten auf der Konferenz von Jalta ihren Willen zum Ausdruck, „den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder [...] den Weltfrieden“ stören könne.1 Diese Absichtserklärung, kleinster gemeinsamer Nenner ihrer Politik, ließ ihnen in Deutschland weitgehend freie Hand. Im Sommer des Jahres 1945 überraschte die Sowjetunion die anderen Verbündeten mit der Zulassung von Parteien in ihrem Besatzungsgebiet und erklärte, damit die „endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der Grundlagen der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten“2 vorantreiben zu wollen. Es wurden vier Parteien gegründet, die dem Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht zufolge „antifaschistisch-demokratisch“ sein sollten: die kommunistische KPD, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die Christlich-Demokratische Union (CDU) und die Liberal-Demokratische Partei (LDP).3 Doch welche Voraussetzungen lagen für einen demokratischen Neubeginn vor und worin drückte sich dessen antifaschistischer Charakter aus? Ausgehend von diesen Überlegungen sollen zuerst die Exilplanungen der KPD und die ihnen teilweise entgegenstehenden autochthonen Erneuerungsbemühungen in Dresden, weiter der Neuaufbau der Verwaltung und die Gründung der Parteien beschrieben werden. Exemplarisch wird am Beispiel der LDP im Detail die umfassende Behinderung und Einflussnahme durch sowjetische Offiziere geschildert,4 die einen Neuanfang bürgerlicher Politik verhinderten. Denn die Zukunft war nicht offen,5 da die aus dem Moskauer Exil zurückkehrenden deutschen Kommunisten konkrete, mit der Kreml-Führung abgestimmte Vorstellungen für eine fundamentale Umgestaltung der Gesellschaft 1 2

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Erklärung der Alliierten von Jalta (Auszug) vom 11. 2.1945. In: März, Dokumente zu Deutschland, S. 73 f. Befehl Nr. 2 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über die Zulassung antifaschistischer Parteien und Organisationen vom 10. 6.1945. In: Friedrich / Friedrich, Dokumente, S. 6 f. Vgl. die verfassungsrechtliche Problematisierung dieser Bestimmungen bei Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 246–319. Aus Gründen der Einheitlichkeit werden diese Namen für die jeweilige Partei benutzt, auch wenn die LDP in den frühen Akten bereits mitunter LDPD abgekürzt wird. Durchgehend wurde die Bezeichnung Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) erst seit ihrem vierten Parteitag (30. 6.-2. 7.1951) gebraucht. Die in Berlin mit gesamtdeutschem Anspruch unter dem Parteinamen Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDUD) gegründete Partei firmierte in den lokalen Akten ebenfalls unter beiden Namen. Die Konzentration der Studie auf Protagonisten des sächsischen Landesverbandes oder des Kreisverbandes Dresden der Partei, die relativ autonom gegenüber der zentralen Führung handelten, rechtfertigt die Verwendung der Bezeichnung CDU. Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 18 f., Fußnote 42. Zu den Methoden und Formen politischer Einflussnahme besonders Bonwetsch, Sowjetische Politik in der SBZ, S. XXXIX-L. Behring, Zukunft. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mitbrachten,6 die sie mit Hilfe der Roten Armee realisieren wollten. Lange vor Kriegsende steckte die Moskauer KPD-Führung den thematischen Rahmen einer künftigen Zusammenarbeit aller „antifaschistischen Kräfte“ unter dem Stichwort „Block der kämpferischen Demokratie“7 ab. Daraus leitete sie die „Blockpolitik“8 ab, ein unter kommunistischem Einfluss gebildetes Mehrparteiensystem ohne Gültigkeit des Mehrheitsprinzips. Unter „Demokratie“ verstanden die Exilkommunisten ein dem demokratisch-parlamentarischen System entgegengesetztes Konzept – die „Volksherrschaft“ unter ihrer Führung, und nicht Gleichheit aller Bürger, Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit und die Garantie von Grundrechten.9 Auf dem Fundament einer Kampfpartei der deutschen Arbeiterklasse unter kommunistischer Führung wollten sie eine „antifaschistischdemokratische Einheitsfront für Frieden, Freiheit und Wohlstand“ schaffen: Einheitsfront – nicht Einheitspartei, und die Vereinigung aller „antifaschistischen Kräfte“, einschließlich der „bürgerlichen“. Mit der „Blockpolitik“ konzipierten die Exilkommunisten eine formaldemokratische Politik ohne Opposition. Sie strebten in einem von sowjetischen Truppen besetzten Deutschland die Führungsrolle an und betrachteten sich als das „führende Zentrum in dem künftigen Block der kämpferischen Demokratie“.10 Die neue Rolle sollte auch in der Mitgliederstruktur der Partei deutlich werden, weshalb die KPD eine Erweiterung der sozialen Basis um Ingenieure, Lehrer und Intellektuelle anstrebte. Neben anderen Aspekten ist das kommunistische Werben um Offiziere und Soldaten der Wehrmacht in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern und der Aufbau des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ (NKFD) auch in diesen Kontext einzuordnen.11 Ein breit angelegtes und wenig prononciert abgefasstes Manifest versprach auch dem Bürgertum eine gesicherte Perspektive im künftigen Staat. Die Propagierung einer demokratischen Gesellschaftsordnung bedeutete für die KPD-Führung in Moskau nicht den Verzicht auf ihr sozialistisches Endziel, sondern eine taktische Notlösung hinsichtlich der deutschen Probleme und der Rücksichtnahme auf sowjetische Interessen.12 Sie musste zunächst die administrativen Strukturen beherrschen, aber auch die Gewerkschaften, die wichtigste Massenbasis der SPD unter den

6 Vgl. dazu auch den Überblick in der Studie von Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 45–60. 7 Erler, Zur programmatischen Arbeit, S. 77. 8 Kaiser, Gleichschaltung des Parteiensystems; Keiderling, Scheinpluralismus; Podewin, Blockpolitik; Richter, Transformation des Parteiensystems. 9 Vgl. Beyme, Demokratie, S. 1111. 10 So Wilhelm Pieck in einer Rede vor Moskauer Parteimitgliedern anlässlich des 25. Jahrestages der KPD am 16.1.1944. In: Erler, Zur programmatischen Arbeit, S. 99. 11 Vgl. Bliembach, Flugblattpropaganda; zur Gründungsgeschichte des Nationalkomitees ausführlich Morré, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees, S. 28–59; eine kompakte Skizze der politischen Ziele in der klassischen Studie von Sywottek, Volksdemokratie, S. 123–147. 12 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 49. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Arbeitern, denen sie eine Transmissionsfunktion bei der Durchsetzung ihrer Politik zudachte.13 Das nahende Ende des Krieges erforderte eine rasche Vorbereitung derjenigen Genossen, die in drei verschiedenen Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern, in Berlin und in Sachsen unmittelbar hinter den Linien der Roten Armee zum Einsatz kommen und in deren Frontstäben als Hilfsorgan fungieren sollten.14 Am 6. Februar 1945, noch während Stalin, Roosevelt und Churchill auf der Krim tagten, erhielt der Parteivorsitzende Wilhelm Pieck den Auftrag zur Auswahl der für den Einsatz in Deutschland vorgesehenen Kader.15 Deren zentrale Anbindung an die sowjetische Militärführung bildete die Basis der Neuordnung auf deutschem Boden zur Wahrung der sowjetischen Interessen. Die sowjetischen Militärkommandanten erhielten von der Kreml-Führung relativ unverbindliche Richtlinien,16 denen zufolge die Verwaltungsgewalt bei ihnen, deren verantwortlicher Vollzug jedoch bei den Deutschen liegen sollte.17 Im besetzten Gebiet mussten umgehend die Schlüsselpositionen in den örtlichen Verwaltungen mit geeigneten Personen besetzt werden. Deren Auswahl sollte durch ein Personalamt unter der Anleitung eines Genossen erfolgen, der „in den letzten Jahren außerhalb Deutschlands als antifaschistischer Funktionär gearbeitet hat. Für die Funktionen in der Gemeindeverwaltung werden Antifaschisten herangezogen, die schon vor 1933 antifaschistischen Organisationen angehört haben und während des Hitlerregimes am Kampf gegen die Naziherrschaft und gegen den Hitlerkrieg teilgenommen haben; verantwortungsbewusste, entwicklungsfähige Kräfte aus den Reihen der Intelligenz, die nicht der Nazipartei oder der Hitlerjugend angehört haben. Es ist besonders zu prüfen, wer von den Intellektuellen, Ingenieuren, Ärzten und Lehrern herangezogen werden kann, die zwar in den letzten Jahren der Nazipartei beigetreten waren, aber keine aktive Tätigkeit ausgeübt haben. Frauen, deren Männer Mitglied der Nazipartei waren, können nicht zu Funktionen herangezogen werden.“18

Die politische Führung konnte nach kommunistischer Auffassung nur in den Händen der in der Sowjetunion lebenden Emigranten liegen. Insbesondere das wichtigste Amt, das des Personalleiters, sollte ein aus der sowjetischen Emigration kommender Genosse ausüben. Die im westlichen Exil lebenden Kommunisten hingegen müssten ebenso wie diejenigen, die noch in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern des nationalsozialistischen Deutschlands gefangen waren, erst ihre „politische Zurückgebliebenheit“ überwinden. Wegen des ek13 „Der Wiederaufbau der Gewerkschaften“ – Handschriftliche Ausarbeitung Hermann Materns für sein Schlußwort zur Diskussion zum 4. Thema der Arbeitskommission, auf der Sitzung am 26. 6.1944 vorgetragen. In: Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler, S. 207. 14 Vgl. Keiderling, „Gruppe Ulbricht“. 15 Erler, Zur programmatischen Arbeit, S. 115. 16 Foitzik, Militäradministration, S. 41 und S. 81; Michelmann, Aktivisten, S. 67 ff.; Sywottek, Volksdemokratie, S. 184. 17 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 46. 18 „Richtlinien für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet“ vom 5. 4.1945. In: Erler / Laude / Wilke, Nach Hitler, S. 383. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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latanten Mangels der Partei an geeigneten Personen für Spitzenpositionen19 durften wichtige Fachkräfte, wenn sie nominelle Parteigenossen, also nicht aktiv gewesen waren, nach einer Überprüfung eingestellt werden. Doch ehe die Richtlinien in Politik umgesetzt werden konnten, mussten sich die Exilkommunisten mit einem anderen Phänomen auseinandersetzen.

1.

Die Bildung der „Antifa-Ausschüsse“ und ihre Beseitigung

Bei Kriegsende entstanden in Dresden wie in vielen Orten des besetzten Landes „antifaschistische Ausschüsse“ oder lokale „Hilfskomitees“. Personen mit einem häufig kommunistischen oder sozialdemokratischen Hintergrund beanspruchten, Kernzellen einer neuen staatlichen Organisation zu sein.20 Eine unüberschaubare Vielfalt des Bemühens um einen Neuanfang nach dem Ende des nationalsozialistischen Zugriffs auf die deutsche Bevölkerung kennzeichnete die Situation,21 die mit einer großen Zahl „antifaschistischer Ausschüsse“, „AntifaKomitees“ oder „Hilfskomitees“ in den einzelnen Dresdner Stadtteilen kaum unterschiedlicher sein konnte. Die synonyme Verwendung der Begriffe „Antifa -Ausschüsse“ und „Hilfskomitees“ folgt dem Sprachgebrauch der handelnden Personen, die mit jenen Selbstbezeichnungen keine Unterschiede verbanden. Der Terminus „Anti-Faschisten“ bezeichnet nachfolgend all diejenigen, die sich an der Besetzung und Beseitigung nationalsozialistischer Dienststellen beteiligten, die Funktionen übernahmen und ihr Handeln als „antifaschistisch“ bezeichneten. Der zeitgenössische Begriff wird, ohne ihm eine analytische Bedeutung beizumessen, apostrophiert gekennzeichnet, um ihn vom Antifaschismus-Begriff der kommunistischen Terminologie abzuheben.22 Nach der Zerstörung waren zentrale Verwaltungskompetenzen an untere Behörden übergegangen. Den neu geschaffenen sieben Verwaltungseinheiten mit ihren jeweiligen Bezirksverwaltungsämtern wurden die sechsundzwanzig Stadtbezirke unterstellt. Generell richtete sich das Interesse der „Anti-Faschisten“ auf diese mittleren und unteren Verwaltungen. Einer von ihnen erklärte sich einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee kurzerhand zum Behördenchef in Dresden-Cotta, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen.23 Der Verwaltungsleiter sah es wohl nicht ungern, wenn ihm jemand die Verantwortung abnahm. Im Stadtteil Friedrichstadt ergriffen drei Kommunisten die Initiative und begannen nach dem Einmarsch der Roten Armee ein „Hilfskomitee“ aufzubauen. „Nach einer durch Aufruf zur Mitarbeit einberufenen Versammlung, es waren unge19 Vgl. Erler, Heeresschau. 20 Vgl. Benser, Antifa-Ausschüsse; Gräfe/Wehner, Hilfe der sowjetischen Militärorgane, S. 220; Neuhof, Parole; Tittmann, Machtorgane, S. 137. 21 Vgl. Henke, amerikanische Besetzung, S. 30; Schmollinger, NKFD in Leipzig. 22 Vgl. Grunenberg, Antifaschismus; Kessler/Peter, Antifaschisten. 23 Bericht der Bezirksverwaltung III vom 2. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/ A/1.006, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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fähr 100 Anwesende vorhanden, in welcher Genosse Feistkorn sprach, begann der Aufbau des anti-faschistischen Hilfskomitees. Es wurde eine Leitung gewählt, als politischer Leiter Genosse Feistkorn.“ So oder ähnlich erfolgte in vielen Stadtteilen die Bildung der „Antifa-Komitees“. Männer und Frauen, oft aus dem linken Spektrum24 wie der 1892 geborene Schlosser Karl Feistkorn, ein nach 1933 mehrmals verhafteter Kommunist,25 besetzten die Gebäude der Bezirksverwaltungsämter sowie die Dienststellen der Stadtbezirke und ersetzten einen Teil des Personals. Sie verpflichteten alle Angestellten, vorrangig die Abteilungsleiter auf ihre politische Linie: „Alle Ressortleiter haben in streng antifaschistischem Sinne zu arbeiten und sind dem politischen Leiter des Komitees darüber verantwortlich. Alle Arbeiten gelten dem Ziel für ein freies, sozialistisches Deutschland.“26 „Antifa-Komitees“ besetzten Verwaltungsdienststellen in den Wohnquartieren, nachdem nationalsozialistische Ortsgruppenleiter und Funktionsträger des Regimes die Stadt vor dem Eintreffen der sowjetischen Eroberer verlassen und die amtierenden Bezirksbürgermeister die Büros geschlossen hatten: „Am 7. 5. 1945 wurde die Tätigkeit im 13. Stadtbezirk und der Lebensmittelkartenstelle bis zum Eintreffen der ‚Roten Armee‘ normal ausgeübt und erst im Laufe des Nachmittags eingestellt. Infolge der militärischen Ereignisse blieb der Bezirk mit der Kartenstelle am 8. und 9. 5. geschlossen. Am 10. 5. wurde die Tätigkeit von mir mit den erreichbar gewesenen Beamten und Angestellten wieder aufgenommen.“27 Meist erschienen bald sowjetische Offiziere und erteilten Befehle, die in erster Linie die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln betrafen.28 Deutsche „Anti-Faschisten“ betonten eigenständige Aktivitäten,29 doch die Mehrzahl nachweisbarer anti-nationalsozialistischer Initiativen erfolgte in Dresden erst nach dem Eintreffen der Roten Armee.30 Kommunistische Funktionäre vermerkten gern in ihrer Biographie eigene Beiträge zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes. Eine von ihnen, die 1909 als sechstes Kind eines Schneiders geborene Kontoristin Charlotte Dietrich,31 war seit 1928 Mitglied 24 Vgl. Naimark, Russen, S. 299 ff. 25 Personalliste, o. D. [August 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 308, Bl. 10–18). 26 Bericht des 9. Stadtbezirks vom 8. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 10, nicht paginiert). Der Verfasser des frühen Berichtes war sich der Akzentuierung des Begriffs offensichtlich bewusst, da er mit Bindestrich „anti-faschistisch“ voneinander trennte. 27 13. Stadtbezirk, Bericht über die Tätigkeit in der Zeit vom 7.5.-31. 5.1945 vom 31. 5. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, nicht paginiert). 28 Bericht der Bezirksverwaltung VI vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F / I/17 Band I, Bl. 36) 29 Bericht über die Tätigkeit der bisherigen Bezirksbürgermeisterei Trachau-Trachenberge vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 208). 30 Vgl. Gräfe/Wehner, Politik der Sowjetischen Militäradministration, S. 900 f. 31 Charlotte Dietrich-Smolorz, 1909–1985, 1945 stellvertretende Leiterin der Bezirksverwaltung II, danach Leiterin der Bezirksverwaltung II, 1946 Stadtverordnete, Stadträtin und bis 1950 Leiterin des Personalamtes, in dieser Eigenschaft Vorsitzende der Entnazifizierungskommission Dresden; anschließend Funktionen im Regierungsapparat der DDR, 1954 nach schwerer Krankheit ausgeschieden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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der KPD. Nach Abschluss der Volksschule arbeitete sie als Hauswirtschafterin, um sich das Schuldgeld für den Besuch der Handelsschule zu verdienen. Die kaufmännische Kontoristin wurde 1929 Sekretärin von Hans Neuhof 32 im Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit. Sie übte in der KPD verschiedene Funktionen aus, war Frauenleiterin und seit 1932 Referentin für Kommunalfragen. 1933 wurde sie in die Dresdner Stadtverordnetenversammlung gewählt und im selben Jahr wieder von den Nationalsozialisten entlassen. In den Jahren bis 1945 arbeitete sie wiederum als Angestellte und darüber hinaus für die illegale KPD; durch ihr „besonderes Geschick entzog sich die Genossin Dietrich einer Verhaftung“.33 Sie erlebte den Einmarsch der Roten Armee in Dresden-Rochwitz und schrieb: „Bereits am 7. Mai 1945 waren alle Funktionen, die die Nazis besetzt hatten, im Ort unter Bewachung und am 8. Mai 1945 früh haben wir den Faschisten die Schlüssel zu ihren Organisationsräumen abgenommen [...]. Ich gehörte von diesem Tag an dem Antifa-Ausschuss bzw. der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz als Aktivistin an.“34 Was sie als revolutionären Impuls in ihren Lebenslauf zu integrieren versucht, spiegelt der Bericht aus dem 18. Stadtbezirk nicht wider: Denn auch in diesem Stadtbezirk waren „sämtliche Dienststellen von dem bisherigen Beamtenstab des Hitler-Regimes verlassen worden“ und erst am Tag des „Einmarsches der Roten Armee“ trafen alte Genossen aus „KPD und SPD zusammen und bildeten antifaschistische Komitees“.35 Weit entfernt von einer aktiven Vertreibung der Nationalsozialisten, konstituierten sich die „antifaschistischen, aufbauwilligen Kräfte“ auch im benachbarten 17. Stadtbezirk erst nach dem Eintreffen der Roten Armee zur „Antifa“.36 Zusammen mit dem 19. Stadtbezirk umfassten die Stadtbezirke jenes Gebiet der Bezirksverwaltung II, für das Hans Neuhof behauptet, eine kleine Gruppe bewaffneter Genossen habe in dem Territorium gewacht, „um einen eventuellen letzten Nazistreich zu verhindern“. Doch er schreibt nur wenige Zeilen später, dass zu dem Zeitpunkt bereits die „braunen Bonzen, ein großer Teil der Stadtverwaltung, die höheren und mittleren Beamten“ verschwunden waren.37 Die Waffen verdankten die Genossen ihrer Zugehörigkeit zum Volkssturm, sie verteidigten damit Panzersperren und Schützengräben gegen die herannahenden sowjetischen Truppen. Ständigem 32 Hans Neuhof 1897–1961, Ziseleur. KPD, Stadtverordneter 1927–1933, 1933 „Schutzhaft“, er arbeitete aufgrund einer aus dem Ersten Weltkrieg stammenden schweren Verletzung bis 7. 5.1945 in der Spitzen- und Gardinenmanufaktur. 1945 Bezirksverwaltungsleiter, 1946 kurzzeitig Leiter des Dresdner Wohnungsamtes, 1946 Direktor der Sozialversicherungsanstalt Sachsen, nach seiner Ablösung Abteilungsleiter im Rat des Bezirkes Dresden. 33 Beurteilung von Charlotte Dietrich-Smolorz vom 23.10.1956 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/581, nicht paginiert). 34 Lebenslauf Charlotte Dietrich-Smolorz vom 15.10.1946 (SächsHStAD, LRS MdI 2024, nicht paginiert). 35 Bericht der SED-Betriebsgruppe des 18. Stadtbezirks vom 21. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4806 f.). 36 Bericht des 17. Stadtbezirks vom 20. 7.1949 (ebd., Bl. 4813 f.). 37 Neuhof, Parole, S. 63. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, konstruierten viele aufrechte Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Nachhinein Legenden des Widerstands, da die Moskau-Kader mit inquisitorischen Methoden die Vergangenheit der im Land gebliebenen Genossen durchforsteten. Tatsächlich hatte, wie sich die Kommunistin Charlotte Dietrich erinnerte, der erste Schritt auf dem „Weg zu einer künftigen Macht der Werktätigen“ in der profanen Kontaktaufnahme „mit unseren erfahreneren Klassenbrüdern“ bestanden und darin, dass sie wie andere Dresdner am 8. Mai, einem Dienstag, die einrückende Rote Armee erwartete: „Lange habe ich an der ‚Eule‘ gestanden und immer wieder versucht, einen Soldaten oder Offizier aus dem unaufhaltsam vorüberflutenden Strom auf mich aufmerksam zu machen. Doch mein Russisch reichte nicht weit, und die Truppe musste weiter, weiter. Endlich lösten sich zwei Offiziere aus der Kolonne, einer verstand Deutsch. Ich geleitete die beiden eilig in das ehemalige Kinderheim. Dort hatten wir im Schein der Petroleumlampe eine kleine bronzene Büste Lenins auf einem Tisch aufgestellt, umgeben von Erinnerungsbildern der Arbeiterdelegationen, die in der Sowjetunion vor 1933 zu Besuch gewesen waren.“38 Hans Neuhof, ebenfalls Zeuge, beschrieb die Begegnung im Stil einer mythologisierenden kommunistischen Terminologie: „Über 80 Mann haben sich allein in dem kleinen Ort Rochwitz dem antifaschistischen Komitee zur Verfügung gestellt. Abends gegen sieben Uhr waren die Antifaschisten des Ortes schon zum zweiten Male zusammengerufen worden. Im halbdunklen, nur durch eine Petroleumlampe notdürftig erleuchteten Versammlungsraum gruppieren sie sich um einen Tisch, auf dem eine kleine Bronzebüste Lenins steht. Ich hatte sie zwölf Jahre lang versteckt gehalten. Im blakenden Licht der Petroleumlampe huschte es wie ein triumphierendes Lächeln über die Gesichtszüge des großen Revolutionärs. Die Künder jener großen Erkenntnis, dass der Zusammenschluss der Arbeiter aller Länder zum ewigen Frieden und zur Befreiung aus der Tyrannei kapitalistischer Ausbeuter führt, haben recht behalten. Die kleine Bronzebüste soll uns Symbol für die Zukunft sein. [...] Plötzlich erscheinen im Versammlungsraum zwei Offiziere der Roten Armee. Genossin Dietrich hat sie hergeführt.“39

Die an eine religiöse Versammlung erinnernde Szene, das Warten der Genossen in dem dunklen Raum, die Bangigkeit der jungen Frau vor der Reaktion der sowjetischen Offiziere, das alles offenbart vielmehr die verständliche Hilflosigkeit der sich gern aktiv gerierenden Zeitgenossen. Zahlreiche Gegner der nationalsozialistischen Diktatur engagierten sich in den „Antifa-Komitees“. Der 1943 in Dresden von der Gestapo wegen Wehrkraftzersetzung verhaftete vierzigjährige Sozialdemokrat Peter Nienhaus schlug sich nach der Befreiung aus dem Zuchthaus Zwickau durch amerikanische Streitkräfte am Ende des Krieges in seine Heimatstadt durch und gründete mit Gesinnungsgenossen einen „antifaschistischen Verwaltungsausschuss“.40 Wal38 Dietrich-Smolorz, Episoden, S. 175 f. 39 Neuhof, Parole, S. 64. 40 Lebenslauf von Peter Nienhaus vom 15.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 145a, Bl. 53). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ter Weidauer, ebenfalls ein ehemaliger Häftling, gehörte auch einem „AntifaAusschuss“ an.41 Er geriet bei seinem ersten Kontakt mit der, wie er damals annahm, lokalen sowjetischen Kommandantur, an einen Hochstapler: „In einer Villa ging es im Erdgeschoss ziemlich lebhaft zu. Dort, so wurde mir versichert, sitzt der Kommandant. Beim Eintritt schlug mir eine Parfüm-, Rauch- und eine noch widerlichere Alkoholdunstwolke entgegen. Zwei Frauen rauchten mit langen Spitzen Zigaretten und waren ebenso wie der an einem Schreibtisch sitzende Zivilist, der sogenannte Kommandant, vom Alkohol ein bisschen mehr als nur beschwingt. Nach kurzer Information meinerseits, wer ich bin, woher ich komme, setzte Corda – so hieß der bulgarische Staatsbürger, der sich selbst zum Kommandanten ernannt hatte – mich sofort als seinen Stellvertreter ein. Nach buchstäblich fünf Minuten hatte ich unter irgendeinem Vorwand fluchtartig die Villa“ verlassen.42

Weidauer retuschierte in der Erinnerung den Kommandanten zu einem „bulgarischen Staatsbürger“ – es könnte ein befreiter Kriegsgefangener, ein ehemaliger Zwangsarbeiter, ein Angehöriger der „Wlassow-Armee“ oder ein regulärer Rotarmist gewesen sein.43 Diese Begegnung hat ihn noch nach Jahren peinlich berührt. Sichtlich bemüht, keinen falschen Eindruck zu erwecken, betonte er seine persönliche Integrität. Von Anbeginn bestimmte sowjetischer Einfluss die Entwicklung. Offiziere der Roten Armee initiierten häufig die Entstehung der „Antifa-Komitees“.44 So erteilten sie einem Einwohner den Auftrag, „alle Kommunisten zusammenzurufen. Das habe ich getan und am 9. Mai wurde die Sitzung in der Wohnung des Genossen Rammig durchgeführt. Der einzige Tagesordnungspunkt war: Bildung eines antifaschistischen Ausschusses.“45 Ob in Dresden, Chemnitz oder an anderen Orten: Im sowjetisch besetzten Gebiet standen sämtliche anti-nationalsozialistische Aktivitäten unter Vorbehalt der Besatzungsmacht. Wenn Dresdner Einwohner „Antifa-Komitees“ gründeten, erbaten sie deren Erlaubnis und „bildeten den Antifa-Ausschuss.“ Unter dem Schutz der Kommandantur versuchten ehemalige Mitglieder der KPD, der SPD und andere zusammen mit den Soldaten der Roten Armee die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Sie besorgten Lebensmittel, druckten neue Lebensmittelkarten, ehrenamtlich und uneigennützig, wie sie nicht müde wurden, zu beteuern.46 Vereinzelt nur fanden Aktionen vor dem Einrücken der sowjetischen Truppen statt. In einem Außenbezirk der Dresdner Neustadt wollten nationalsozia41 42 43 44 45 46

Fragebogen Walter Weidauer vom 6. 5.1946 (SächsHStAD, LRS MdI 2024, nicht paginiert). Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 5 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). Vgl. Welz, Stadt, S. 89. Vgl. Werner, Neuaufbau, S. 71–76. Bräuer, Im Antifaschistischen Ausschuß, S. 87 f. Vgl. Behring, Zukunft, S. 158. Bericht des 22. Stadtbezirks vom 20. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4797). Vgl. Bericht des Ernährungsamtes der Bezirksverwaltung I vom 5. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 19, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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listische Behörden vor ihrer Flucht den Lebensmittelverkauf freigeben, um die, wie es hieß, „geordnete Versorgung“ zu stören. Angehörige des dortigen Komitees stellten gemeinsam mit der örtlichen Polizei die Lebensmittel sicher.47 Doch meist geschah es wie im Stadtteil Trachau: „Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Dresden wurden von einigen Genossen sofort sämtliche Dienststellen der NSDAP in Beschlag genommen und alles Inventar sichergestellt.“ Sie verständigten sich mit dem sowjetischen Kommandanten im Stadtbezirk und suchten darüber hinaus Rückversicherung bei dem neuen Oberbürgermeister. Ausgestattet mit dieser doppelten Autorisierung schützten sie die Lebensmittel- und Warenlager und gingen sogar daran, geplündertes „Volksgut“ aufzuspüren und zurückzuholen. Sie bemühten sich um die Bereitstellung von Lebensmittelkarten, die Verteilung von Nahrung, die Quartierbeschaffung, die Beräumung der Straßen, die Gesundheits- und Sozialfürsorge und vieles mehr. Allerdings konnten sie nicht verhindern, dass „immer wieder Einwohner unseres Bezirks von Soldaten der Roten Armee aus anderen Bezirken festgehalten und zur Arbeit in auswärtige Bezirke fortgebracht wurden.“48 Die Zusammenarbeit der „Antifa-Komitees“ mit den anfänglich pragmatischen Militärkommandanten funktionierte von Tag zu Tag schlechter, weil diese sich nicht den veränderlichen Gegebenheiten anpassten und der zunehmenden Normalisierung Rechnung trugen. Die Besatzungsoffiziere handelten gezwungenermaßen nach eigenem Ermessen, da ihnen keine verbindlichen Anweisungen vorlagen.49 Die Uneinheitlichkeit führte zu Unstimmigkeiten zwischen 47 Bericht des 15. Stadtbezirks vom 20. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4819–4820). 48 Bericht über die Tätigkeit der bisherigen Bezirksbürgermeisterei Trachau-Trachenberge vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 208–212). 49 Gräfe/Wehner, Hilfe der sowjetischen Militärorgane, S. 220 f.; Oberst Ilja I. Spiridonow, der am 8. August 1945 als Nachfolger von Generalleutnant Dobrowolsky nach Dresden gekommene Stadtkommandant, bestätigt das Fehlen zentraler Direktiven für den Sommer 1945 und schreibt in seinen Erinnerungen, dass er auf die diesbezügliche Frage eines Offiziers geantwortet habe: „Ich kann Ihnen auch nicht mehr sagen, aber probieren wir, uns zurechtzufinden, um so mehr, da mich ähnliche Fragen bedrücken.“ Spiridonow, Erinnerungen, S. 27; Stefan Doernberg, der 1945 als Leutnant der Roten Armee an den Kämpfen um Berlin teilnahm und anschließend bis 1947 bei der SMA Mecklenburg-Vorpommern arbeitete, bekräftigte bei einer Anhörung 1995 diese Feststellung: „Die UdSSR verfügte im Mai 1945 nicht über eine detailliert ausgearbeitete Konzeption ihrer Besatzungspolitik. Ich kannte eine solche 1945 nicht, und auch alle späteren Nachforschungen, darunter Gespräche mit Verantwortlichen, die es wissen müssten, ergaben, dass es eine solche Konzeption nicht gab.“ Aufarbeitung und Versöhnung, S. 173. Vgl. auch Naimark, Russen, S. 299; die Beobachtung Wolfgang Leonhards, dass die „politischen Offiziere [...] in Moskau für ihre Aufgabe sorgfältig ausgebildet worden“ seien, widerspricht dem nicht, weil er ihre politische Qualifikation im Blick hat, Leonhard, Revolution, S. 428; in Übereinstimmung damit spricht Tjulpanow davon, dass die Offiziere der Informationsverwaltung „ihre Tätigkeit unmittelbar in Erfüllung von Direktiven des Zentralkomitees der KPdSU“ ausübten und als langjährige Parteimitglieder das Denken in „Kategorien einer gesellschaftspolitischen Betrachtung ihrer Umwelt und ihrer Aufgaben“ gewohnt waren. Allerdings „bedeutete die Arbeit in der SMA eine völlig neue Aufgabe, für die es keine vorher ausgearbeiteten Richtlinien, © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Truppenkommandeuren und Stadtkommandantur. So forderte die Rote Armee von den Dresdner Arbeitsämtern mehrere tausend Arbeiter, lokale Kommandanten verlangten wiederum von den Bezirksverwaltungen die Gestellung von Arbeitskräften.50 Diese konnten häufig nicht ausreichend Arbeiter finden, worauf Soldaten die Straßenbahnen anhielten und die Passagiere zur Arbeit zwangsverpflichteten.51 Die „Antifa-Ausschüsse“ organisierten gleichfalls Aufräumarbeiten. Sie teilten mitunter die ihnen bekannten „Nazis“, die keinen gültigen Arbeitsnachweis besaßen, zur „Wiedergutmachung“ in Arbeitskommandos ein, ganze „Nazi-Hundertschaften“ gelangten so zum Einsatz.52 Ein zweiter, nicht weniger pragmatisch orientierter Strang vieler AusschussAktivitäten zielte auf die Übernahme der Polizeigewalt. „Mit dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes hatte auch die Polizei aufgehört zu bestehen. Jedoch schon kurze Zeit nach dem Einmarsch der Roten Armee hatten sich aktive Antifaschisten gefunden und den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung übernommen.“ Überall in den Stadtbezirken fanden sich selbsternannte Polizeiorgane in den früheren Polizeiwachen zusammen und verrichteten „neben den Aufgaben der Ordnungspolizei auch Kriminaldienst, der politische Verbrechen einschloss“.53 Die Stadtbezirke betrachteten sie als Exekutivorgane und der sowjetische Stadtkommandant forderte sie auf, „Hilfe zu leisten bei der Wiederherstellung der Ordnung in den Bezirken“.54 Ein nicht näher bezeichnetes „Antifa-Komitee Dresden“, eine Gruppierung im Dresdner Westen, dem Bereich der Bezirksverwaltung III, rief am 17. Mai 1945 dazu auf, „geeignete Genossen“ in die Polizeireviere zu entsenden: „An alle Zellenleiter! Betr. Neuerrichtung einer Stadtpolizei. In Dresden wird neben der vorläufigen Wiedereinsetzung der unteren Polizeiorgane der Aufbau einer Stadtpolizei aus Antifaschisten geplant.“ Jede „Stadtbezirkszelle“ sollte drei „geeignete“, das heißt Genossen ohne Vorstrafen entsenden.55 Solche eigenmäch-

50 51 52 53 54 55

keine spezifische Ausbildung, keine Lehrbücher und keine Lehrmeister“ gab, folglich entstand „das methodische Rüstzeug [...] in der Arbeit selbst“, weil es „keine detailliert ausgearbeitete Konzeption sozialistischer Besatzungspolitik gab und Leiter wie Mitarbeiter diese Konzeption erst im Prozess der Arbeit selbst schufen und ständig weiterentwickelten“, Tjulpanow, Deutschland, S. 321 f. Schreiben des Arbeitsamtes an die Bezirksverwaltungen vom 8. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 2, nicht paginiert). Schreiben der Bezirksverwaltung VII an das Arbeitsamt vom 7. 6.1945 (ebd., nicht paginiert). Vgl. Sitzung der Bezirksverwaltungen vom 16. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 38, Bl. 2 f.). Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden von Mai bis Oktober 1945 vom 16.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Protokoll der Dienstbesprechung des Dresdner Oberbürgermeisters mit den Leitern der Bezirksverwaltungen vom 25. 5.1945. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 397 ff. Schreiben des Antifa-Komitees Dresden vom 17. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tigen Tendenzen beunruhigten die sowjetischen wie die deutschen Kommunisten.56 Sie benötigten disziplinierte Genossen für den Kampf um die Herrschaft. Eingerichtet als so genannte Außendienstabteilungen der Bezirksverwaltungen nannten sich die Gruppen völlig unbekümmert „Polizei“ und legten sich die Professionalität vortäuschende Berufsbezeichnung „Kriminalsekretär“ zu. Die deutsche Bevölkerung respektierte sie, zumal sie einvernehmlich mit dem sowjetischen Militär auftraten. Sie nahmen Anzeigen auf und verfolgten Anschuldigungen, sie sanktionierten und bestraften, was sie als „Unrecht“ definierten. So requirierten sie etwa, dessen Beruf ignorierend, die Vorräte eines Bäckermeisters, da diese „bei weitem über das allgemein übliche Maß“ hinausgingen und „keinesfalls als normale Aufsparungsbestände einer dreiköpfigen Familie bezeichnet werden“ könnten. Bei ihrem Vorgehen beriefen sie sich auf nationalsozialistische Bewirtschaftungsverordnungen. Die Waren zogen sie, weil sie meldepflichtig seien, kurzerhand ein und übergaben sie dem „Sonderlager“ der Bezirksverwaltung. Der Bäcker wagte nicht zu widersprechen. Der den Vorgang bearbeitende „Kriminalsekretär“ bemühte sich um den Anschein von Professionalität, er nahm zu der Durchsuchung Kollegen als Zeugen mit und gestattete dem Bäcker ebenfalls, einen Zeugen hinzuzuziehen. Anschließend stellte er über die eingezogenen Waren eine „Empfangsbescheinigung“ aus und fertigte ein Protokoll an. Die von ihm benutzte polizeiliche Terminologie verlieh seiner Autorität ebenso Nachdruck wie die Drohung „mit besonders strenger Bestrafung seitens der Roten Armee“.57 Eine ungebrochene Denunziationsbereitschaft58 weiter Kreise der Bevölkerung konfrontierte die Striesener „Kriminalsekretäre“ auch mit unsinnigen Anzeigen, doch sie gingen jedem Verdacht nach. Sie stellten „Sachverhalte“ fest und konstatierten im Fall eines des Plünderns verdächtigten Handwerkers, der eine Rundfunkreparaturwerkstatt betrieb, die „vollständige Haltlosigkeit“ der Anschuldigungen. Der Radiofachmann war angezeigt worden, weil mehrere Apparate in seiner Werkstatt standen, doch glücklicherweise konnten mehrere befragte Personen bestätigen, dass ihnen der Handwerker „seit Jahren als Radiofachmann bekannt sei und er zur Zeit ihre Geräte zur Reparatur angenommen“ habe. Weil keine strafbare Handlung vorlag, so ihre Feststellung, wurden weitere „kriminalpolizeiliche Erörterungen nicht vorgenommen“.59 56 Dresdner Polizei 1945–1946. Ein Jahr im Neuaufbau (Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden von Juni 1945 bis Juni 1946), o. D. wahrscheinlich Juni 1946 [künftig Dresdner Polizei 1945–1946], S. 64 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 57 Kriminalanzeige Bezirksbürgermeisteramt Dresden-Striesen, Abteilung Polizei vom 1. 6.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert); Aktennotiz Bezirksverwaltung V, Abteilung Außendienst vom 6. 6.1945 (ebd., nicht paginiert). 58 Generell dazu Diewald-Kerkmann, Denunziation, S. 21 und 87. Vgl. Gellately, Gestapo, S. 51; Müller-Hohagen, Psychogramme, S. 214. 59 Kriminalanzeige Bezirksbürgermeisteramt Dresden-Striesen, Abteilung Polizei vom 28. 5.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert); Aktennotiz Abteilung Polizei vom 30. 5.1945 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Als die Striesener Polizei im Zuständigkeitsbereich eines anderen „AntifaKomitees“ eine Lageraufseherin verhaften wollte, musste sie unverrichteter Dinge wieder umkehren, weil „ein Mitglied des antifaschistischen Komitees der Frau Dolmetscherin erklärt haben sollte, dass eine Polizei nicht besteht, sondern erst im Aufbau begriffen sei“.60 Die regulären Ordnungskräfte drohten schließlich jenen mit Verhaftung, die sich die Ausführung polizeilicher Aufgaben wie Hausdurchsuchungen und Verhaftungen anmaßten.61 Der Polizeipräsident meinte zwar nachsichtig, die „Anti-Faschisten“ seien „mit gesundem Empfinden“ ausgestattet gewesen,62 doch in den unübersichtlichen Gruppierungen wuchs ein elementares Sicherheitsproblem heran, da sie „unkontrolliert schalteten und walteten“. Um dies auch in Dresden künftig zu unterbinden galt es, ähnlich wie in Berlin, die „Antifa-Ausschüsse“ schnellstens unter Kontrolle zu bringen oder zu „liquidieren“.63 Die Selbstjustiz der „Anti-Faschisten“ unter dem Deckmantel des „Anti-Faschismus“ behinderte das Entstehen neuer Ordnungsstrukturen. Mit Blick darauf forderte der Dresdner Polizeipräsident ein „sofortiges Eingreifen der Polizei, da sich in allen Stadtteilen sogenannte ‚Hilfsorganisationen‘ gebildet hatten“. Eine Begründung für das polizeiliche Einschreiten und die damit verbundene Notwendigkeit einer neuen Polizei hatte er bei der Hand: „Diese Organisationen waren nicht immer von einwandfreien Leuten besetzt“. Darum, so seine Argumentation, mussten sie aufgelöst werden, und lediglich diejenigen Personen, „die wirklich zuverlässig und geschickt waren, wurden in die Ordnungspolizei übernommen“.64 Einem sowjetischen Bericht zufolge begründete Ackermann die Notwendigkeit der Auflösung illegaler Ausschüsse damit, dass in der Dresdner Weinerstraße 8 ein solcher Ausschuss eine „Kommandantur“ eingerichtet und sich unter anderem mit „Schießübungen“ beschäftigt habe. In Dresden existierte allerdings eine Straße dieses Namens nicht.65 Die sowjetischen Berichte, die zudem 1948 retrospektiv verfasst wurden,66 haben aufgrund ihrer politischen Zweckbestimmung nur einen begrenzten Wahrheitsgehalt: Ackermann, der lediglich mittelbar an den Dresdner Ereignissen beteiligt war, suchte ähnlich wie der Polizeipräsident nach einer plausiblen Begründung für die Beseitigung aller nicht unter Kontrolle der Exilkommunisten befindlichen „Antifa-Komitees“.

60 Polizeipräsidium Dresden Einwohnermeldeamt, Bericht vom 29. 5.1946 (ebd, nicht paginiert); Schreiben der 2. Wache Dresden-Striesen an die Bezirksbürgermeister Striesen-Blasewitz vom 5. 6.1945 (ebd., nicht paginiert). 61 Meldung des 10. Polizeireviers an die Bezirksverwaltung III vom 26. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). 62 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 88 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 63 Walter Ulbricht an Georgie Dimitroff vom 9. 5.1945. In: Keiderling, „Gruppe Ulbricht“, S. 323. 64 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 64 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 65 Michelmann, Aktivisten, S. 137 f. 66 Ebd., S. 18. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Am 11. Mai 1945 beauftragte der für Dresden zuständige Hermann Matern67 den aus dem Zuchthaus befreiten und soeben in Dresden eingetroffenen Erich Glaser68, der vor seinem Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg in der illegalen Arbeit und im Abwehr-Apparat der KPD tätig gewesen war, in der Bautzner Str. 2 ein Büro zur Überwachung der vielen „Hilfsstellen“ einzurichten:69 „Von hier ging nun die weitere Anleitung und Koordinierung der notwendigen Aufgaben aus.“ Matern habe, so erinnerte sich Glaser, „diese Kommunalen Hilfsstellen als die ersten gesellschaftlichen Organe nach dem Zusammenbruch“ bezeichnet und unterstrichen, „dass die Hauptinitiatoren der Bildung dieser Hilfsstellen offensichtlich die Genossen der KPD seien. Er gab mir Hinweise über die politische Bedeutung“, denn Matern zufolge seien „KPD- und SPD-Genossen, also die Arbeiterklasse, als erste“ hervorgetreten.70 Die Art und Weise, wie Matern die Initiative deutscher Kommunisten und Sozialdemokraten betonte, zeigt sein Bestreben, die „Antifa-Komitees“ in das Geschichtsbild der SED zur Legitimierung ihres Herrschaftsanspruchs zu integrieren. Im Unterschied dazu gestaltete sich das Zusammentreffen einheimischer Sozialdemokraten und Kommunisten mit der KPD-Führung aus dem Exil konfliktreich. Bei dem von Glaser mit „Anleitung und Koordinierung“ der Komitees bezeichneten Auftrag handelte es sich um die Unterstellung der „Antifa-Ausschüsse“ unter die von Exilkommunisten kontrollierte zentrale Verwaltung und folglich um die Beseitigung eigenständiger Aktivitäten. Die Moskauer Remigranten betrachteten die Entwicklung mit Sorge, doch sie mussten die Initiativen zur pragmatischen Neuorientierung und -organisierung am Anfang gewähren lassen. Sie waren, weil sie nicht alles selbst in die Hand nehmen konnten, wie die sowjetischen Militärdienststellen auf die Menschen vor Ort angewiesen. „Wir brauchen führende antifaschistische Kräfte, eine antifaschistische Einstellung eines jeden einzelnen.“ Von Beginn an bemühten sich die deutschen Kommunisten um Kontrolle: „Wer sich weigert zu lernen und wer sich jetzt weigert, sich mit den großen politischen Problemen auseinander zu setzen, der weigert sich, ein neuer und besserer Mensch zu werden.“ Nicht Menschen, die ein „revolutionäres Reiterleben“ führten, würden benötigt, sondern „politische führende Köpfe“, die sich an der vorgegebenen Parteilinie orientierten, um gesetzlose Zu67 Hermann Matern 1893–1971, SPD, seit 1919 KPD, verschiedene politische Funktionen, 1933 illegale Arbeit, Haft bis 1934, anschließend Emigration, seit 1941 UdSSR, 1945/46 Vorsitzender BL KPD Sachsen, 1945 ZK der KPD, anschließend Zentralsekretariat/Politbüro SED bis 1971, 1948–1971 Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission SED. 68 Erich Glaser 1901–1984, Schriftsetzer, 1928 KPD, 1933 Emigration, nach Teilnahme an spanischen Bürgerkrieg Internierung in Frankreich, 1943–1945 Zuchthaus Waldheim. Rückkehr nach Dresden Anfang Mai 1945, Mitglied der KPD-BL Sachsen, verschiedene Parteifunktionen. 1949–1957 Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Dresden des MfS, danach Funktionen im Staatsdienst. 69 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 64. 70 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 260 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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stände zu beenden.71 Wer sich anpasste, wurde in die Verwaltung übernommen.72 Viele der „Anti-Faschisten“ nutzten ihre Mitarbeit in den Ausschüssen als Ausgangspunkt für eine neue berufliche Karriere. Sie strebten nach einer Anstellung in der Stadtverwaltung, weil sie darin eine Chance für sozialen Aufstieg sahen.73 So konnten im Einzugsbereich der Bezirksverwaltung I nach der Entlassung zahlreicher NSDAP-Mitglieder und der „Auflösung der Kommunalen Hilfsstellen“ aus diesen weit über 100 neue Arbeitskräfte in die „Bezirksverwaltung und die einzelnen Stadtbezirke“ übernommen werden.74 Eine gewichtige Rolle bei der Vermittlung dieser Arbeitskräfte spielte das Koordinations- und Überwachungsbüro in der Bautzner Straße 2. Dessen Funktion bestand neben der Koordinierung von Zuständigkeiten75 darin, bei den lokalen „Antifa-Komitees“ Informationen über dort bekannte Personen einzuholen.76 Die Korrespondenz bewältigten kommunistische Genossen und Genossinnen wie Elsa Frölich.77 Die sie erreichenden Anfragen und Bewerbungen leitete sie an das Personalamt der Stadtverwaltung weiter. Bei der Verdrängung der Ausschüsse ging es den Kommunisten um die Durchsetzung ihres zentralistischen Organisationsprinzips. Den Anordnungen der Zentrale musste an der Peripherie Geltung verschafft und der Einfluss lokaler Ordnungsgewalten zurückgedrängt werden.78 Die Dichotomie von Behörden und „Antifa-Komitees“ störte im Juni 1945 erkennbar den Wiederaufbau.79 Es gestaltete sich schwierig, die „Antifa-Komitees“ zu beseitigen, stützten sie sich doch auf gute Beziehungen zu sowjetischen Offizieren und auf ein Netzwerk gleichgesinnter Genossen. Aber es musste unter allen Umständen durchgesetzt werden, dass die zuständigen Dezernate wieder die Maßnahmen treffen 71 72 73

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Rede Weidauers über die politischen Aufgaben der Angestellten und Beamten des Wohnungsamtes auf der 2. Arbeitstagung des Wohnungsamtes der Stadt Dresden am 15. 7. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 5, nicht paginiert). Bericht des 14. Stadtbezirks vom 19. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4823 f.). Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Mockritz an die Kommunale Hilfsstelle Bautzner Straße vom 13. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 21); Fragebogen und Lebenslauf Willy H. (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 102, nicht paginiert). Bericht der Bezirksverwaltung I vom 10. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17 Band I, Bl. 38–45). Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Bautzner Straße an die Bezirksverwaltung V vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 46). Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Bautzner Straße an die Kommunale Hilfsstelle Reick vom 22. 6.1945 (ebd., Bl. 3); Charakteristik der leitenden Mitarbeiter in der Landesverwaltung Sachsen von Smolka vom 24.10.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/186, Bl. 209). Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Bautzner Straße an Stadtrat Matern vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 76 f.); Elsa Frölich, geboren am 4. 8.1898, seit 1925 Mitglied der KPD, 1945 Mitarbeiterin der Dresdner Stadtleitung der KPD und der OdF. Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 35 f. Tittmann, Machtorgane, S. 140. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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könnten, „die bisher teils ohne jede Mitwirkung der Stadtverwaltung durchgeführt worden sind und zu einem Dualismus in der Verwaltung geführt haben, der im Interesse eines reibungslosen Wiederaufbaus der Stadtverwaltung unbedingt vermieden werden muss“.80 Auch Weidauer weigerte sich anfänglich, das von ihm geleitete Komitee aufzulösen. Als ihn Elsa Frölich ersuchte, „auf Anordnung des Genossen Eckardt [...] den Ausschuss aufzulösen“, stieß sie auf Ablehnung: „Auf die Frage eines Genossen, in wessen Namen der Genosse Eckardt eine solche Anordnung gebe, sagte Elsa Fröhlich, er spreche im Namen der Partei. Da sprudelten sofort vier bis fünf Genossen los, dass das unmöglich sei, denn Eckardt könne nie im Namen der KPD, die noch gar nicht existiere, sprechen, da er selbst von der SAP komme. Elsa Fröhlich hatte nichts erreicht.“81 Neben dem Konflikt zwischen Einheimischen und Exilanten kommt bei Weidauer außerdem das kommunistische Vorurteil gegenüber Sozialdemokraten zur Sprache wie in dem Fall des der abgespaltenen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) angehörenden Genossen. Doch bald darauf fügte er sich. Entscheidend erwies sich bei der Zentralisierung, den Leitern der Bezirksverwaltungen und der Stadtbezirke die ihren Dienststellen angegliederten Polizeireviere zu entziehen. Die Unterstellung der aus den „Antifa-Komitees“ hervorgegangenen Polizei unter die zentrale Befehlsgewalt des Dresdner Polizeipräsidenten beziehungsweise des Kommandeurs der Ordnungspolizei ging vergleichsweise rasch vonstatten. Nachdem der Dresdner Stadtkommandant am 11. Juni 1945 die deutsche Ordnungspolizei genehmigt82 und deren Kommandeur ernannt hatte, bestand dessen erste Amtshandlung darin, die Weisungsbefugnis der Verwaltungen aufzuheben. Gleichzeitig verwies er auf die Notwendigkeit, umgehend „alle antifaschistischen Ausschüsse und sonstige nicht gesetzmäßigen Organisationen entweder in die rechtmäßigen Verwaltungsorgane“ zu überführen oder sie aufzulösen.83 Das auf den 14. Juni 1945 datierte Schreiben des Kommandeurs der Ordnungspolizei lag vier Tage später dem Leiter der Bezirksverwaltung III vor. Hier war der fünfzigjährige Kommunist Fritz Dämmig,84 ein Aktivist der „Antifa-Ausschüsse“, kurz nach seiner offiziellen Einführung aus dem Amt des Bezirksver80 Protokoll der Besprechung der Leiter der Bezirksverwaltungsleiter und Bezirksbürgermeister vom 23. 5.1945, (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, nicht paginiert). 81 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 13, S. 8 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 82 Befehl Nr. 3 des Stadtkommandanten vom 11. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 11). 83 Rundschreiben 1/1945 der Kommandantur der Ordnungspolizei Dresden, 14. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). 84 Fritz Dämmig, geb. 27.1.1895, Arbeiter, Mitglied der SPD seit 1913, Übertritt zur USPD und Soldatenrat, 1920 Eintritt in die KPD. 1927 Mitglied der Dresdner KPD-Leitung und Mitarbeiter der BL Sachsen, nach 1933 mehrjährige Haft, wegen Wehrunwürdigkeit keine Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, lebte 1944/45 illegal. 1945 KPD, 1946 Mitarbeiter des SED-Landesvorstands. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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waltungsleiters entfernt worden, da er sich mit der geforderten Disziplin nicht abfand.85 Der neue Leiter der Bezirksverwaltung III hielt die Dienststellen und Institutionen an, jedes Vorgehen gegen Personen, das in Persönlichkeitsrechte eingreife, zuvor mit ihm abzusprechen. Die Polizei forderte er zur Verfolgung von Amtsmissbrauch auf. Doch diese zeigte sich vorerst machtlos.86 Ohne Anweisung der Verwaltung oder der Polizei wurden weiterhin Wohnungen durchsucht und Personen verhaftet.87 Immer noch nahm der aktive Gegner der NS-Diktatur Dämmig in seinem Stadtbezirk Lebensmittelkontrollen und -beschlagnahmungen vor, er beschaffte und verteilte Bedarfsgegenstände; dabei gab er an, im Auftrag der KPD und der Verwaltung zu handeln. Seine in Absprache mit einem sowjetischen Offizier der örtlichen Kommandantur und dem Leiter des Wohnungsamtes der Bezirksverwaltung aufgestellte „schnelle Eingreiftruppe“ übte Selbstjustiz. In einem besonders gravierenden Fall verschaffte er sich Zutritt zu einer Wohnung und räumte Lebensmittel, Kleidungsstücke sowie andere Dinge des täglichen Bedarfs aus. Dabei bediente sich das „Räumungskommando“ aus den Vorräten der Frau und prangerte sie öffentlich der Hamsterei an.88 Der von den Vorgängen verständigte Oberbürgermeister ordnete eine Überprüfung an. Doch der KPD-Parteisekretär des III. Bezirks stellte sich schützend vor Dämmig,89 der sich gegen Macht- und Prestigeverlust sowohl durch gute Verbindungen zur lokalen Militärkommandantur und als auch zur KPD erfolgreich hatte wehren können. Mit dem von ihm geführten Komitee drangsalierte er die Bevölkerung und diskreditierte mit seinem Handeln die Stadtverwaltung. Da er sein Unwesen im Einklang mit den örtlichen Kommunisten und unter Rückendeckung sowjetischer Offiziere trieb, blieb er lange unbehelligt. Gemeinsam war den „Antifa-Ausschüssen“, dass sie das am Ende des Krieges entstandene Machtvakuum nutzten, um Interessen durchzusetzen, die bisher die staatlichen, polizeilichen und militärischen Ordnungsgewalten unterdrückt hatten. Ihre Aktivität irritierte die Besatzungsmacht und sie ergriff „Maßnahmen zur Beseitigung der begangenen Irrtümer und Fehler“.90 Ein gewaltsames Vorgehen gegen die Ausschüsse ist in Dresden nicht bekannt, auch 85 Schreiben der Bezirksverwaltung III an das Rechtsamt vom 21. 5.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 26, nicht paginiert); Verzeichnis der leitenden Beamten der Bezirksverwaltung III vom 11. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 5, nicht paginiert); Protokoll der Ratssitzung vom 28. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 38, Bl. 10). 86 Rundschreiben der Bezirksverwaltung III vom 31. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). 87 Schreiben des 10. Polizeireviers an die Bezirksverwaltung III vom 26. 6.1945 (ebd., nicht paginiert). 88 Eingabe an Oberbürgermeister Dr. Müller vom 22. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 47 ff.). 89 Schreiben der KPD-Stadtteilleitung III an Egon Rentzsch vom 28. 9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 48, nicht paginiert). 90 Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands (Auszug) vom 5. 7.1945. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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wenn kommunistische Angehörige der „Antifa-Ausschüsse“ mitunter verhaftet wurden.91 In der alltäglichen Praxis überwog auf Seiten der Besatzungsmacht gegenüber den Ausschüssen wohlwollende Aufmerksamkeit.92 Ausschussmitglieder im Umfeld der „Kommunalen Hilfsstelle“ Rochwitz-Loschwitz wurden im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme am Volkssturm verhaftet.93 Ihr Beispiel wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die generelle Haltung sowjetischer Dienststellen. Ein Gesuch um ihre Freilassung lehnte der Stadtkommandant mit der Begründung ab, „dass zuverlässige Leute auch unter den Gefangenen notwendig sind“.94 Ob diese zynische Bemerkung tatsächlich auf den sowjetischen Stadtkommandanten zurückgeht oder ob ihr Urheber nicht vielmehr der Verfasser des Antwortschreibens selbst gewesen ist, muss offen bleiben. Die Beseitigung der „Hilfskomitees“ und „Antifa-Ausschüsse“ verzögerte sich. Weidauer äußerte noch im Dezember 1945 sehr ungehalten: „Was ist das für ein antifaschistischer Aktionsausschuss in Strehlen? [...] Die Zeit der unklaren und willkürlichen Bezeichnungen muss ein für alle Mal vorbei sein. Man muss heute bei jedem Schreiben immer wissen, in wessen Namen wird es gesandt, wer steht dahinter.“95 Nur schrittweise konnte sich die Zentralgewalt durchsetzen und die „Kommunalen Hilfsstellen“ umfunktionieren.96 Daran hatte die Koordinierungs- und Kontrollstelle in der Bautzner Straße ebenso Anteil wie der Einsatz der Funktionäre in den Stadtbezirken.97 Behutsames Vorgehen war wichtig, da die mit den örtlichen Gegebenheiten vertrauten Mitarbeiter der „Hilfskomitees“ und „Antifa-Ausschüsse“ ein „wichtiges Reservoir von Kadern“98 für die neuen Verwaltungen darstellten und NSDAP-Mitglieder in den Bezirks- und Stadtbezirksverwaltungen ersetzen konnten; doch bei weitem ließen sich nicht alle auf diese Weise in die Verwaltung integrieren.99 Voraussetzung dafür war die Unterwerfung unter die Kontrolle der KPD. Deren Misstrauen teilte auch die sowjetische Militärverwaltung, die alle Gruppierungen mit Besorgnis betrachtete, da sie ihrer Ansicht nach häufig nur „äußerlich einen antifaschistischen Charakter“ trugen. Die Politische Hauptverwaltung der Roten Armee (GlawPURKKA) sah sich zu einem abschließenden Urteil außerstande,

91 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II vom 17. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 46–49). 92 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 259 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). 93 Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz an den sowjetischen Stadtkommandanten vom 19. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 167 f.). 94 Fischer an die Kommunale Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz vom 21. 6.1945 (ebd., Bl. 170). 95 Weidauer an die Bezirksverwaltung VII vom 5.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 97). 96 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 260 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). 97 Vgl. Dietrich-Smolorz, Episoden, S. 178. 98 Benser, Antifa-Ausschüsse, S. 793. 99 Anders Michelmann, Aktivisten, S. 165 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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befürchtete jedoch, die Gruppen seien in Wirklichkeit mit „provokatorischem Ziel“ gegründete Vereinigungen „profaschistischer Elemente“.100 Nach der Beseitigung der „Antifa-Komitees“ wandelte die KPD das Koordinations- und Überwachungsbüro in der Bautzner Straße in eine „Kommunale Hilfsstelle für die Opfer des Faschismus“ um. Allerdings sollte auch diese Einrichtung nur von kurzer Dauer sein und keine festen Organisationsstrukturen annehmen.101 Die Fähigkeiten der in der Bautzner Straße tätigen Genossin Frölich jedenfalls nutzte die KPD zur Überprüfung ihrer Mitarbeiter.102 Neben dem unbedingten Rückhalt bei der Besatzungsmacht begründete dieses Informations- und Wissensmonopol die Vormachtstellung der KPD-Führung. Sie setzte ihre Macht ein zur Interpretation der Vergangenheit,103 erteilte konkrete Richtlinien und verlangte eine spezifische Sicht auf das Geschehen.104 So sorgte der verantwortliche Innenressortleiter in Dresden Kurt Fischer für die entsprechende Filterung der Informationen, indem er einen der erhaltenen Berichte mit folgender Bemerkung an die Dezernenten der Stadtverwaltung weiterreichte: „Anbei der volle Wortlaut des Wochenberichtes des Leiters der Bezirksverwaltung III, Herrn Dämmig. Dieser Bericht bringt viele Vorschläge und Einzelheiten, die jedem der Herren Dezernenten wahrscheinlich zu Anregungen dienen können.“105 Die überlieferte Textpassage offenbart ungeachtet ihres Informationsgehaltes ein politisches Konzept: Nur selten wird in den zum Zweck der Erzeugung eines entstellten Geschichtsbildes manipulierten Quellen in so deutlicher Weise ausgesprochen, dass es über die plumpe Praxis der Vernichtung von Archivmaterial hinaus weitaus diffizilere Methoden zur Einflussnahme auf die spätere historische Erklärung gibt. Die „Überzeugungskraft“ der „totalitären Staaten dieses Jahrhunderts“ beruhte zu einem großen Teil auf dem Gebrauch einer „machtsteigernden Verfälschung der Geschichte“. Um die fehlende Legitimität ihrer Herrschaft zu kompensieren, bedienten sich auch die Ideologen der KPD/ SED „in durchaus perfider Weise gezielt eben jener Verformungsmittel, die das menschliche Gedächtnis seit je bereit hält: der zeitlichen Dislokation, der Selektion, der manipulierenden Konstruktion, des Vergessens und Verdrängens, Beschönigen und Verschweigens“.106 Akten sind jedenfalls keineswegs zuverläs100 Informationsbericht vom 27. 7.1945 an die VII. Verwaltung der GlavPURKKA. In: Creuzberger, Liquidierung antifaschistischer Organisationen, S. 1278. 101 Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle für die Opfer des Faschismus vom 17. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 48, nicht paginiert). 102 Rat der Stadt Dresden, Schreiben des Personalamtes an die KPD-UB Dresden vom 3. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 50). 103 Vgl. Herf, Erinnerung, S. 46. 104 Vgl. Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 260 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). 105 Schreiben des 1. Bürgermeisters an den 2. Bürgermeister vom 5. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 4, Bl. 45–48). 106 Fried, Erinnerung und Vergessen, S. 592. Vgl. Kowalczuk, Legitimation, insbesondere S. 24–30. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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siger als das menschliche Gedächtnis und die Hinterlassenschaften der Parteibürokratie sehr oft Produkte einer ideologischen Falschmünzerei. Nationalsozialismus in Fischers Lesart hinterließ Chaos und Not, die Rote Armee brachte Befreiung und Brot.107 Die Hagiographen lernten unverzüglich. 1949 berichtete einer von ihnen über die ersten Wochen nach Kriegsende: „Am Tage des Einmarsches der Roten Armee bildeten sich überall im Stadtgebiet von Dresden Antifa-Komitees oder kommunale Hilfsstellen, die wegen des Zusammenbruchs der Verwaltung sofort die Tätigkeit derselben übernahmen und als erstes an die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung herangingen. Diese Stellen arbeiteten vollkommen unabhängig und ohne jede Verbindung untereinander [...] selbständig mit den eingesetzten Rayonkommandanten der Besatzungsmacht.“ Das klingt glatt und unproblematisch, und es ist nicht grundsätzlich falsch, wenn abschließend behauptet wird, „dass der Verwaltungsvollzug in der Stadt Dresden vom Antifa-Komitee oder kommunaler Hilfsstelle aus [...] alle ihm gestellten Aufgaben in klarer Erkenntnis des notwendigen demokratischen Neuaufbaus getroffen und durchgeführt hat und sich in seinen Reihen noch eine ganze Anzahl Aktivisten der ersten Stunden befinden“.108 Aber es ist genau so wenig richtig. Der Satz beschreibt einen divergierenden Sachverhalt aus einer globalen Perspektive und unterschlägt zahlreiche Facetten der Realität. Dieser Interpretation der Ereignisse um die „Antifa-Komitees“, die zur Grundlage der DDR-Geschichtsschreibung wurde, kann ebenso wenig zugestimmt werden wie jener, die in ihnen die „Ursache für die teils chaotischen Zustände im Lande“ sieht.109 Die in den Gruppen zusammen gekommenen Frauen und Männer reagierten in der Not auf die von den Nationalsozialisten verursachte und hinterlassene Situation. Die „Antifa-Ausschüsse“ verfügten in keiner Weise über die Mittel, dieses Chaos zu bewältigen. Extremsituationen wie jene hätten kaum von einer funktionierenden Zivilverwaltung beherrscht werden können und am Ende des Krieges existierten lediglich Rudimente der ehemaligen Behörden. Allenfalls militärische Formationen könnten angemessen auf einen solchen Ausnahmezustand reagieren, doch die Führung des in die Abwehrkämpfe verstrickten deutschen Militärs versuchte allein die eigene Haut zu retten. Sie ließ die Durchhaltebefehle befolgen und unternahm keinen Versuch zur kampflosen Übergabe von Dresden. Die „Antifa-Komitees“ oder „Hilfsstellen“ entstanden nach der Flucht nationalsozialistischer Amtsinhaber, um der Auflösung entgegenzuwirken und die Grundversorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten oder wieder in Gang zu setzen.110 107 Vgl. Bericht der Bezirksverwaltung III vom 2. 6.1945 (SächsHStAD (SED-BPA Dresden, II/A/1.006, nicht paginiert). 108 Tätigkeitsbericht des Verwaltungsvollzugs vom 22. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4852 ff.). 109 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 53 f. 110 Bericht des Leiters des 9. Stadtbezirks vom 14. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 10, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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In vielen Stadtbezirken gründeten „bis 1933 aktiv in der Arbeiterbewegung“ gewesene Personen die „Antifa-Komitees“. Sie übernahmen, gestützt auf die Erfahrung der alten Wohlfahrtsbeamten, ehrenamtlich – wie sie betonten – die Arbeit, und entließen in den kommenden Wochen Schritt für Schritt die Nationalsozialisten aus der Verwaltung.111 Wenige Gruppierungen entstanden unabhängig von sowjetischem und kommunistischem Einfluss auf der sozialen Basis eines erweiterten Begriffs von Arbeiterklasse, der Intellektuelle und Teile des Bürgertums einschloss.112 Generell trafen Menschen mit politischen und ethischen Visionen auf manch einen, „der jede Situation bis zu einem bestimmten Grade für seine Zwecke nutzt und [...] nicht die geistigen Fähigkeiten besitzt, um sich in die gesamten Probleme unserer Weltanschauung hineinzudenken“.113 Diese Formulierung umschrieb die oft fließende Grenze zwischen gesellschaftspolitischen und persönlich-eigennützigen Anliegen der Mitglieder von „Antifa-Komitees“. Darüber hinaus stellten sie, das verrät ein Begriff wie „freies, sozialistisches Deutschland“, mitunter einem radikal-revolutionären Potential die Plattform. Manche linken Sozialdemokraten und Kommunisten zielten auf eine bolschewistische Revolution, auf eine „Diktatur des Proletariats“ oder sogar auf die mögliche Gründung einer deutschen Sowjetrepublik.114 Dem traten Exilkommunisten wie Besatzungsmacht energisch entgegen, weil das nicht ihren Interessen entsprach. Die sowjetische Seite bediente sich der Deutschen, um mit ihrer Hilfe die durchzuführenden Aufgaben bei der Errichtung des Besatzungsregimes zu bewältigen. Die Rote Armee lieferte aus eigenen Beständen und aus beschlagnahmten Lagern mit eigenen und beschlagnahmten Fahrzeugen die Nahrungsmittel wie etwa das Mehl zum Backen von Brot und die dazu erforderlichen Kohlen. Im Gegenzug verlangte sie die Registrierung der deutschen Bevölkerung als notwendigen ersten Schritt vor der Ausgabe neuer Lebensmittelkarten und von der deutschen Bevölkerung selbst die Beseitigung der Trümmer und Straßensperren. Die erforderlichen Arbeiten kamen teilweise nur schleppend in Gang.115 Dienststellenleiter beklagten ein unübersichtliches Nebeneinander von „Antifa-Komitees“ und Verwaltungsdienststellen und die Unfähigkeit der eigenen Leute.116 Murrende Einwohner forderten teilweise die Umbildung der Ko-

111 Bericht des 23. Stadtbezirks vom 22. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4796). 112 Vgl. Beobachtungen zur politischen Szene in Berlin, Field Intelligence Study vom 19.10.1945. In: Borsdorf/Niethammer, Analysen des US-Geheimdienstes, S. 203. 113 Schreiben von Polizeipräsident Opitz vom 12. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/032, nicht paginiert). 114 Vgl. Naimark, Russen, S. 298–319. 115 Bericht der kommunalen Hilfsstelle Dresden-Wachwitz vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, nicht paginiert). 116 Tätigkeitsbericht des 13. Stadtbezirks vom 8.–14. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mitees mit der Behauptung, dass dort ehemalige Nationalsozialisten mitarbeiteten,117 was tatsächlich zutreffen konnte.118 Eine konkrete Aussage zur Anzahl der Ausschüsse und Komitees in Dresden würde deren innerer Struktur nicht gerecht. Es gab keine festen Organisationsformen. In jedem Stadtviertel, teilweise in jeder Straße fanden sich Menschen zu konkretem Handeln zusammen, mitunter nur für wenige Tage, und nicht zur Diskussion weiterführender Ziele. Strategiepapiere wie etwa in Leipzig spielten in Dresden keine Rolle.119 In Leipzig gewann das NKFD die Legitimation aus seiner Widerstandstätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus.120 In Dresden gab es am Ende des Krieges nur vereinzelte gegen die Diktatur gerichtete Aktivitäten und es entstand kein zentraler „Antifa-Ausschuss“. Das kommunistische „Hilfskomitee“ in der Bautzner Straße erhob den Anspruch, diese Zentrale zu sein, war aber eine Einrichtung der KPD, die in Zusammenarbeit mit der Polizei die Auflösung der „Antifa-Ausschüsse“ betrieb. Sowjetische Besatzungstruppen und die aus Moskau zurückgekehrten Kommunisten der „Gruppe Ackermann“ dominierten die Entwicklung. Divergierende Strukturen zwischen Verwaltungsdienststellen und Ausschüssen erschwerten die Normalisierung und die „Antifa-Komitees“ mussten beseitigt werden, darüber bestand zwischen Exilkommunisten und der neu eingesetzten Stadtverwaltung Einigkeit.121 In Berlin ließ Walter Ulbricht die „AntifaKomitees“ von seinen Mitarbeitern unmittelbar nach Kriegsende auflösen.122 Die in Dresden hauptsächlich von Hermann Matern mit Unterstützung der Polizei betriebene Auflösung der Komitees dauerte bis in den Herbst 1945.123 1947 erließ die sächsische Regierung eine Verordnung über die generelle Einstellung von Disziplinarmaßnahmen für Straftaten, die zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 1. September 1946 „anlässlich von Maßnahmen begangen worden sind, durch die der Täter im antifaschistischen Sinne das gemeine Wohl fördern oder öffentliche Gewalt ausüben wollte“. Denn einige der in den Komitees aktiven Personen gelangten in wichtige Funktionen. Bereits eingeleitete Diszip-

117 Schreiben Johannstädter Einwohner an den Oberbürgermeister vom 30. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 1, Bl. 60). 118 Lebenslauf von Arnold T., o. D. [Juni 1945] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 7). 119 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 62. 120 Schmollinger, NKFD in Leipzig, S. 234 ff. und 237. 121 Ein grundsätzliches Missverständnis Michelmanns besteht darin, zwischen „Antifa-Ausschüssen“ und „Kommunalen Hilfsstellen“ zu unterscheiden, sie schlussfolgert eine Differenz zwischen den Exilkommunisten und der Dresdner Stadtverwaltung in dieser Frage, vgl. Michelmann, Aktivisten, S. 165. 122 Walter Ulbricht an Georgi Dimitroff vom 9. 5.1945. In: Keiderling, „Gruppe Ulbricht“, S. 323. 123 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 vom 16.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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linarmaßnahmen wurden aufgehoben, „soweit sie nicht auf Anordnung der Besatzungsmacht beruhen“.124

2.

Neuanfang in der Dresdner Stadtverwaltung

Bis zur Bildung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) ging jegliche Gewalt vor Ort in die Hände von Armeeeinheiten über, die sich für die Ausführung ihrer Befehle der von ihnen eingesetzten zivilen Behörden bedienten.125 Noch am Tag der Besetzung Dresdens durch Einheiten der Roten Armee am 8. Mai 1945 befahl der sowjetische Stadtkommandant eine Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, die Einhaltung der Verdunkelung, ein Übernachtungsverbot für ortsfremde Personen, die Fortsetzung der Arbeit in den Betrieben, die Abgabe von jeglichem Kriegsgut und aller Druckapparate. Außerdem beabsichtigte der Kommandant, ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu registrieren.126 Kurz darauf verfügte er in Befehl Nr. 2 die Auflösung aller nationalsozialistischen Organisationen, die Registrierung aller Personen in führenden Stellungen und aller Angehörigen der Wehrmacht. Er verbot den Besitz von Waffen, erlaubte jetzt das Betreten der Straßen zwischen 5 Uhr und 23 Uhr, auch die Öffnung von Gaststätten und Kirchen während der Zeit.127 Beide Befehle glichen den in anderen Orten erlassenen und bildeten die Handlungsgrundlage der örtlichen Behörden für die ersten Wochen nach Kriegsende. Mit dem Auftrag, eine deutsche Selbstverwaltung einzurichten, kamen Hermann Matern, Kurt Fischer128 und Heinrich Greif129 von der „Gruppe Ackermann“ sowie Helmut Welz130 vom NKFD im Gefolge sowjetischer Soldaten 124 Präsidiumsbeschluss der Landesregierung Sachsen, Abschrift des Oberbürgermeisters an alle Dienststellen vom 4. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 24, Bl. 4189). 125 Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands (Auszug) vom 5. 7.1945. In: Bonwetsch / Bordjugow / Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8–10. Vgl. Keiderling, „Gruppe Ulbricht“, S. 25–104; Reibe, Kommunalpolitik. 126 Befehl Nr. 1 des Ortskommandanten von Dresden vom 8. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 9). 127 Befehl Nr. 2 des Stadtkommandanten, o. D. [Ende Mai 1945] (ebd.). 128 Kurt Fischer 1900–1950, seit 1919 KPD, 1921 UdSSR, Mitglied KPdSU(B), Studium Militärakademie Frunse, Geheimdiensttätigkeit, 1934 in Wien verhaftet, 9 Monate Haft, 1939–1941 sowjetische Militärbehörde, 1945/46 1. Vizepräsident LV Sachsen, anschließend Innenminister Sachsen, Landesvorstand SED Sachsen, 1948/49 Präsident Deutsche Verwaltung des Innern, 1949/50 Generalinspekteur VP. 129 Heinrich Greif 1907–1946, Schauspieler, Schriftsteller, 1933 Emigration nach Paris, KPD, seit 1934 UdSSR, 1945 im Mai/Juni Stadtrat für Kultur und Volksbildung in Dresden, anschließend Deutsches Theater Berlin. 130 Helmut Welz, geb. 20. 8.1911, Diplom-Chemiker, 1933/34 Mitglied der SA, seit 1934 Berufsoffizier, Pioniermajor, 1943 Gefangenschaft, anschließend Antifa-Schüler und Mitglied des NKFD, 1945 Stadtrat Kommunale Betriebe und Bauverwaltung Dresden, 1946 Generaldirektor DREWAG. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nach Dresden. Elsa Fenske131 teilte ein sowjetischer Offizier der Gruppe zu, nachdem die Rote Armee sie aus einem Zuchthaus befreit hatte.132 Der Ingenieur Welz verkörperte die zum Neuanfang in der zerstörten Stadt erforderliche technische Kompetenz der Gruppe. Er spielte gemeinsam mit dem vergleichsweise farblosen Schauspieler Greif eine nachgeordnete Rolle. Vielmehr unterstreicht der Einsatz zweier so ranghoher Funktionäre wie Matern und Fischer den hohen politischen Stellenwert der Entwicklung in Dresden für die Besatzungsmacht.133 Matern, im Exil entscheidend an der Programmdiskussion zur Besatzungsherrschaft beteiligt, stieg in der SBZ/DDR rasch in hohe Parteifunktionen auf. Später leitete er die 1948 geschaffene Zentrale Parteikontrollkommission der SED, die in seinen Händen zum entscheidenden innerparteilichen Disziplinierungsinstrument und so zu einer wesentlichen Stütze ihrer Macht wurde. Fischer hingegen blickte auf eine lange Karriere im sowjetischen Geheimdienst zurück und war von Anbeginn der wichtigste deutsche Gewährsmann der Besatzungsmacht für die innere Sicherheit.134 Wie die Gruppe um Walter Ulbricht, die wohl teilweise mit vorbereiteten „Listen von Hitlergegnern“ in ihrem Operationsgebiet Berlin eintraf,135 suchten die Exilkommunisten im Auftrag der Besatzungsmacht auch in Dresden nach geeigneten Personen für das Amt des Oberbürgermeisters und den Magistrat. Mit der Auswahl begründeten sie die beherrschende kommunistische Position.136 Angewiesen auf die Zusammenarbeit mit örtlichen Kommunisten wie El131 Elsa Fenske 1899–1946, Buchhalterin, illegale Tätigkeit, seit 1938 in Haft, 1945 KPD/ SED, Stadträtin Soziale Fürsorge in Dresden, Ende 1946 Tod bei einem Autounfall. 132 Charakteristik über Frau Stadtrat Elsa Fenske vom 15. 8.1946 (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 133 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 63. 134 Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 66–99. 135 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 48; abweichend von Baus, der sich auf Ulbricht bezieht, beschreibt Leonhard dessen findiges Vorgehen in Berlin bei der Zusammenstellung oder Vervollständigung der „Listen“: „Pagel, der sich als Sozialdemokrat vorstellte, zeigte uns eine Liste von Neuköllner Antifaschisten, Sozialdemokraten und Kommunisten, die schon zur Unterstützung der Verwaltung herangezogen wurden. [...] Ulbricht schaute sie nur ganz flüchtig an und meinte lässig: ‚Nein, ich interessiere mich nur für die Verwaltung.‘ Wir verabschiedeten uns freundlich. Der Wagen fuhr ab. Ulbricht hatte eine Adresse genannt. ‚Wohin geht’s denn jetzt?‘ Ulbricht grinste. ‚Na, zu den Genossen natürlich. Ich habe mir doch schnell zwei Adressen aus der Liste gemerkt.‘ Ich staunte – auf diesem Gebiet war ich wirklich noch ein Laie.“ Bei aller quellenkritisch gebotenen Zurückhaltung gegenüber den Berichten von Zeitzeugen ist der Darstellung Leonhards gegenüber Ulbrichts offizieller Version der Vorzug zu geben, Leonhard, Revolution, S. 431. 136 Matern, demokratische Verwaltung, S. 112–123; Welz, Stadt, S. 52. Vgl. Michelmann, Aktivisten, S. 127–167; Schmeitzner, Rolle der sächsischen Parteien und Gewerkschaften, S. 142; Schmeitzner / Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 61–84, für das von Donth erwähnte Eintreffen Ackermanns in Dresden bereits am 2. Mai 1945 kann kein Nachweis gefunden werden; für die Tatsache eines Aufenthalts von Ackermann in der Stadt vor ihrer Besetzung durch die Rote Armee am 8. Mai 1945 sprechen außer seiner eigenen Erinnerung keine sonstigen Hinweise; dass sich ausgerechnet der Leiter der Initiativgruppe in eine solche Gefahr begeben haben sollte, ist wenig wahrscheinlich. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sa Frölich und Hermann Eckardt, deren Vorschlag, den Sozialdemokraten und promovierten Juristen Friedrichs zum Oberbürgermeister zu machen, sie aufgriffen,137 führten sie die Anweisungen der Besatzungsarmee aus und überprüften die avisierten Personen.138 Helmut Welz beobachtete das Verfahren: „Stunden später sitzen sie auf Stühlen im Korridor – die möglichen Oberbürgermeister –, eine Reihe grauhaariger Männer, die von freiwilligen Helfern aus ihren Wohnungen und Zufluchtsstätten herbeigeholt worden sind. Sie warten, und wir warten. Nur einer hat zu tun: Hermann Matern. Unermüdlich geht er auf und ab, sprechend, fragend, und bisweilen fällt unter den buschigen Augenbrauen ein abschätzender Seitenblick auf den andern, wenn dieser seine Ansichten entwickelt. Das kostet viel Zeit. Aber schließlich scheint der Richtige gefunden zu sein, ein grauhaariger Mann mit energischem Mund, knappen Gesten und aufrechtem Gang. Er wird untergehakt, dann schreiten die beiden Grauköpfe zur Treppe. Jetzt muss der Stadtkommandant entscheiden.“139

Die „Zusammensetzung der Stadtverwaltung in Dresden unter Oberbürgermeister Dr. Friedrichs“ erfolgte nach Absprache der „in Dresden eingesetzten Genossen gemeinsam mit der Politverwaltung der Ersten Ukrainischen Front“.140 Ackermanns Äußerung unterstreicht die Unterstellung und Anbindung der Kommunisten an das höchste politische Gremium der Besatzungsmacht vor Ort, sie handelten auf sowjetischen Befehl. Der Nominierung von Friedrichs gingen Gespräche mit sowjetischen Offizieren voran, bei denen, wie im Fall Hermann Brills in Weimar gegenüber dem amerikanischen Militärgouverneur, auch politische Konzeptionen eine Rolle spielten.141 Die Armeeführung verließ sich auf die bessere Vertrautheit ihrer kommunistischen Verbündeten mit den örtlichen Gegebenheiten und übertrug ihnen die Verantwortung für politische Pannen. 1. Stellvertreter von Oberbürgermeister Rudolf Friedrichs,142 einem Mitglied der ehemaligen SPD mit Sympathien für die KPD,143 wurde Kurt Fischer. Mit diesem Schachzug unterstellten die remigrierten Kommunisten den sozialdemokratischen Verwaltungsfachmann Friedrichs der Kontrolle des KPD-Kaders

137 138 139 140 141 142 143

Vgl. hierzu die Aussage von Oberstleutnant Solowjow, der berichtet, er sei am 8. Mai 1945 mit Ackermann und den anderen Mitgliedern der Initiativgruppe in der Politverwaltung der 1. Ukrainischen Front zusammengetroffen und von dort gemeinsam mit ihnen nach Dresden gefahren, Solowjow, Eindrücke, S. 106. Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 47. Vgl. Rothe/Woitinas, Matern, S. 78. Vgl. Leonhard, Revolution, S. 434. Welz, Stadt, S. 52. Vgl. Matern, Die Partei wies uns den Weg, S. 43. Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945, 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 115). Vgl. Solowjow, Eindrücke, S. 108. Vgl. Overesch, Buchenwald, S. 178–185. Dr. Rudolf Friedrichs 1892–1947, Jurist, 1922 SPD, 1927 Stadtrat Dresden, Regierungsrat Innenministerium Sachsen, 1933 entlassen, 1945 SPD/SED, 1945–1947 Präsident der Landesverwaltung Sachsen. Richter / Schmeitzner, Einer von beiden, S. 54. Vgl. zur Biographie von Rudolf Friedrichs ebd., S. 35–66. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Fischer. Hermann Matern übernahm im Einklang mit den Moskauer Richtlinien das Personalamt und die Allgemeine Verwaltung. Das Auswahlverfahren zur Besetzung der anderen Ressorts dauerte einige Tage, um Personen mit den erforderlichen Kompetenzen zu finden. Der Verwaltungsfachmann Dr. Karl Albrecht144 leitete schließlich das Versorgungs- und der Jurist Dr. Gerhard Meißner145 das Finanzwesen, der frühere Unternehmer Dr. Rudolf Pollack,146 gleichfalls ein Jurist, das Ressort für Handwerk, Industrie und Handel, der Arzt Dr. Eduard Grube147 das Gesundheitswesen. An der Auswahl dieser vier Personen beteiligte sich Friedrichs und trug Sorge, diese Positionen mit Männern, die wenigstens zum Teil auf gewisse Erfahrungen in der Verwaltung blickten, zu besetzen.148 Das gezielte Handeln von Matern und Fischer in Zusammenarbeit mit den Besatzungsoffizieren, das sich an den Moskauer „Richtlinien“ vom 5. April 1945 orientierte, garantierte eine richtungsweisende Kaderauswahl und verhinderte konzeptionslose Fehlentscheidungen wie etwa in Plauen.149 Die beiden Juristen Albrecht und Meißner wurden bald ausgetauscht. Da Grube und Pollack nach der Gründung der Parteien der KPD beitraten, dominierten entgegen den „Richtlinien“ mit Elsa Fenske (Sozialamt), Heinrich Greif (Bildungswesen) und Helmut Welz (Kommunale Betriebe) die Kommunisten unter Führung von Matern und Fischer die deutsche Auftragsverwaltung. Unter Bezug auf diese kommunistische Dominanz im Rat betonte Ackermann die Mustergültigkeit der ersten Dresdner Stadtverwaltung.150 Die Besatzungsmacht genehmigte die Besetzungen und band die deutsche Verwaltung mit der Übertragung von Verantwortung eng an ihre Interessen.151 Aufgeteilt in acht Dezernate, unterstand sie nominell Friedrichs in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister und Fischer als dessen Stellvertreter152 – in der Realität hingegen der sowjetischen Kommandantur. 144 Dr. Karl Albrecht, geb. 27. 4.1886, Jurist, seit 1913 Beamter der Dresdner Stadtverwaltung in verschiedenen Dezernaten, 1922 Wahl als Stadtrat, von 1922–1933 Direktor der Straßenbahn, 1933 kurze Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten. 145 Dr. Gerhard Meißner, geb. 28.1.1894, Rechtsanwalt, im Mai und Juni 1945 Stadtrat für Finanzen in Dresden. 146 Dr. Rudolf Pollack, geb. 21. 2.1891, Jurist, Rechtsanwalt in Dresden bis 1938, nach der erzwungenen Aufgabe seiner Anwaltspraxis Inhaber eines Gartenbaubetriebes, 1945 Eintritt in die KPD, Stadtrat für Wirtschaft, 1946–1947 Ministerialrat im Ressort Wirtschaft und Wirtschaftsplanung der Landesverwaltung Sachsen. 147 Dr. Eduard Grube, geb. 3. 9.1896, bis 1933 Stadtarzt in Freital, anschließend frei praktizierend in Dresden. 1919/20 KPD, 1931–1933 SPD, 1945 KPD und Stadtrat für Gesundheitswesen, 1946–1948 Ministerialdirektor Landesregierung Sachsen, 1948–1952 Landesberatungsarzt der Landesversicherungsanstalt, 1952–1960 Kreisarzt und Leiter der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen Rat der Stadt Dresden, 1960 Ärztlicher Direktor der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“. 148 Vgl. Welz, Stadt, S. 53 und 66–75. 149 Krone, Plauen 1945 bis 1949, S. 54. 150 Ackermann, Geburt einer neuen Staatsmacht, S. 673. Vgl. Gräfe/Wehner, führende Rolle der KPD, S. 311. 151 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 54 ff. 152 Protokoll der Verhandlung vom 12. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 4 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Informationen über interne Diskussionen, weshalb die Wahl auf Friedrichs fiel, fehlen ebenso wie Hinweise auf die Motive von Friedrichs selbst.153 Die prinzipielle Voraussetzung für das Amt, nicht durch eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten oder Zugehörigkeit zu einer ihrer Organisationen kompromittiert zu sein, erfüllte er. Nach einer kurzen Inhaftierung und seiner Entlassung aus dem sächsischen Staatsdienst 1933 baute er sich zunächst eine berufliche Existenz im Lebensmittelhandel auf und arbeitete nach der erzwungenen Schließung des Geschäftes als juristischer Berater mehrerer Firmen. Neben seinen außerordentlichen juristischen Fähigkeiten wird er als selbstbewusst und durchsetzungsfähig beschrieben.154 Die sowjetische Besatzungsmacht schätzte an dem ersten der drei Dresdner Nachkriegs-Oberbürgermeister155 die „richtigen Formen“ seiner Amtsführung und seine Unterordnung unter die SMA. Er erwecke durch die „geschickte Leitung der deutschen Selbstverwaltungsorgane [...] bei der Bevölkerung nicht den Eindruck, die Weisungen der SMA einfach nur auszuführen“.156 In der Position des Oberbürgermeisters musste eine integre Persönlichkeit der politischen Mitte unter Berücksichtigung der sowjetischen Dominanz die unterschiedlichen Interessen aus dem Lager der Exilkommunisten wie dem derjenigen von ehemaligen KPD- und SPD-Genossen in Dresden sowie dem der bürgerlichen Kräfte zusammenführen. Nur eine ausgleichende Persönlichkeit, die in Rudolf Friedrichs gefunden schien, bot die Integration jener in Übereinstimmung mit den Wünschen der Besatzungsmacht, der sich Friedrichs Zeit seines Lebens zu großem Dank verpflichtet fühlte.157 Einen solchen repräsentativen Mann mit einem starken Stellvertreter aus den eigenen Reihen zu flankieren, entsprach kommunistischer Taktik. Getreu der Devise „Kommunisten als Bürgermeister können wir nicht brauchen“, so instruierte Leonhard zufolge Ulbricht seine Mitarbeiter, suchten die Kommunisten oft für die Arbeiterbezirke Sozialdemokraten und für die bürgerlichen Viertel ehemalige Zentrumspolitiker oder Demokraten.158 Die Spitze der ersten Dresdner Stadtverwaltung bestand im Frühsommer 1945 aus überwiegend neuem Personal. Unter den 67 Dienststellenleitern der Stadtverwaltung befanden sich 53 „neue Männer“. 36 von ihnen verfügten zumindest teilweise über Verwaltungserfahrungen oder entsprechende Qualifikationen, sie hatten während des Nationalsozialismus biographische Einschnitte wie Haft, Entlassung oder andere berufliche Nachteile erfahren. 15 weitere Per153 Vgl. Rudolph, Ausschaltung der SPD, S. 177. 154 Richter / Schmeitzner, Einer von beiden, S. 35–48. Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 40 f.; Welz, Stadt, S. 71. 155 Vgl. Hermann, Oberbürgermeister Friedrichs, Müller, Leißner. 156 Auskunft des Chefs der Abteilung der SMA-Verwaltung des Landes Sachsen, Oberstleutnant Watnik, über Rudolf Friedrichs vom 27. 3.1947. Streng geheim! In: Richter / Schmeitzner, Einer von beiden, S. 302 f. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 145 f. 157 Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 49 f. 158 Leonhard, Revolution, S. 439. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sonen kamen hingegen aus verwaltungsfremden Berufen. In den Führungspositionen der Stadtverwaltung arbeiteten also nur noch 14 ehemalige Dienststellenleiter. Ähnlich sah das Verhältnis im Bereich der Stellvertreter aus. Von 61 stellvertretenden Dienststellenleitern waren 20 auch zuvor schon in leitenden Stellungen der Verwaltung beschäftigt gewesen. Die anderen wechselten zum großen Teil aus fremden Berufen in eine Verwaltungstätigkeit und viele von ihnen hatten in der Vergangenheit politische Repressalien erdulden müssen. Im Vergleich zur Zentral- und Innenverwaltung herrschte bei den Führungskräften der städtischen Werke, in der Gesundheits- und Bauverwaltung, im Versorgungs- und Finanzwesen eine größere Kontinuität vor, also dort, wo eine fachliche Ausbildung unverzichtbar war. Von den ausnahmslos neu ins Amt gekommenen sieben Bezirksverwaltungsleitern und ihren Stellvertretern wiederum waren allein acht nationalsozialistischer Repression ausgesetzt oder in Haft gewesen, von den 33 Leitern der Stadtbezirke und ihren Stellvertretern 14 gemaßregelt worden.159 Am Beispiel der Führungspositionen wird der für die beabsichtigte Umgestaltung erforderliche enorme Personalbedarf sichtbar. Für viele belastete Amtsinhaber konnte rasch Ersatz gefunden werden. Bei anderen dauerte es länger, weil geeignete Personen mit der entsprechenden Qualifizierung fehlten, und bei Angestellten in nachgeordneten Positionen, auf die später im Zusammenhang mit der Entnazifizierung einzugehen ist, dauerte es noch länger bis zu ihrer Entlassung. Den Oberbürgermeister erreichten oft Angebote ehemaliger Sozialdemokraten und Kommunisten zur Mitarbeit in der Verwaltung wie jenes der Buchhalterin Dorothea Wettengel, die ihr früheres SPD-Mandat in der Dresdner Stadtverordnetenversammlung erwähnte und mit kritischem Unterton anmerkte, dass in ihrem Stadtteil bereits die Kommunisten dominierten.160 Die 1892 geborene Tochter eines Kaufmanns war 1920 von der USPD in die KPD eingetreten und seit 1924 Stadtverordnete. Motive für ihren 1928 vollzogenen Wechsel zur SPD sind nicht bekannt. Es gab jedoch offenbar Gründe für die von den Nationalsozialisten verfolgte engagierte Kommunalpolitikerin, die nach dem Ende des Krieges in einem der vielen „Antifa-Komitees“ mitwirkte, sich beim Oberbürgermeister zu dem Zeitpunkt als ehemaliges SPD-Mitglied einzuführen, ehe sie bald darauf zur KPD konvertierte.161 In vielen Positionen konzentrierte sich bald ein deutlich erkennbares Potential politisch aktiver Personen, das die Führungsmannschaft im Dresdner Rathaus an wichtigen Stellen platzierte. So ge159 Liste der leitenden Angestellten, ohne Datum [September 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 308, Bl. 10–18). 160 Schreiben Dorothea Wettengels an Oberbürgermeister Friedrichs vom 24. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 17); Dorothea Wettengel 1892–1966, Hausfrau, zwischen 1924–1933 Stadtverordnete für die KPD bzw. seit 1929 für die SPD, nach 1933 mehrmals „Schutzhaft“, seit 1946 SED-Mitglied und Stadtverordnete in Dresden. 161 Vgl. Fragebogen und Lebenslauf von Dorothea Wettengel vom 11. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 229–233); Personalakte von Dorothea Wettengel (StadtAD, Personalakten Innere Verwaltung W 554, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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langte auch manch ehemaliger SPD-Politiker und Gewerkschaftsfunktionär in eine herausgehobene Verwaltungsposition.162 Parteipolitische Präferenzen ließen sich jedoch im Mai 1945 nicht unbedingt erkennen. Der Sozialdemokrat Peter Nienhaus, ein Gegner des Nationalsozialismus, begann seine Nachkriegskarriere im „antifaschistischen Verwaltungsausschuss“, aus dem die neue Verwaltung des 25. Stadtbezirks hervorging. Am 19. Mai 1945 offiziell als dessen Leiter eingesetzt, übertrug der Oberbürgermeister dem gelernten Kaufmann vier Wochen danach die Leitung des gesamten Verwaltungsbezirks V in Dresden-Blasewitz.163 Den beinamputierten Ziseleur und ehemaligen Betriebsrat Hans Neuhof, kommunistischer Gegner der Diktatur und gleichfalls Mitbegründer eines „Antifa-Komitees“, setzte der Oberbürgermeister im II. Verwaltungsbezirk ein. Seit dem Herbst des Jahres leitete der Kommunist das zentrale Wohnungsamt in Dresden.164 Die Anwendung von Entnazifizierungsbestimmungen veränderte zunehmend die soziale Struktur innerhalb der Verwaltung und die parteipolitische Orientierung potentieller Bewerber trat im Herbst in den Vordergrund. Die Stellenbesetzung in den Ämtern geriet immer mehr in die Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Einer später angefertigten Statistik zufolge beschäftigte die Stadt Dresden im Sommer 1945 einschließlich der Krankenhäuser und städtischen Betriebe 15 198 Personen, von denen 8 958 in der Verwaltung arbeiteten – das entsprach fast exakt dem Personalstand vom 1. Juli 1944 – und 6 240 in städtischen Betrieben. Im Verwaltungsdienst befanden sich etwa 20 Prozent in einem Beamten- und 50 Prozent in einem Angestelltenverhältnis, die restlichen 30 Prozent der Beschäftigten waren technische Kräfte. Die Altersgruppe der 30–50-Jährigen überwog mit 47 Prozent die der übrigen Kohorten, ihr folgte diejenige der Beschäftigten im Alter zwischen 50 und 65 Jahren mit 34 Prozent. Das Durchschnittsalter städtischer Beamter lag bei 54 Jahren, das der Angestellten bei nur 41 Jahren, eine insgesamt deutlich überalterte Belegschaft, der Nachwuchskräfte fehlten. Der Anteil weiblicher Beschäftigter in der städtischen Verwaltung befand sich mit 47 Prozent im Vergleich zum letzten Kriegsjahr bereits im Sinken.165 Insgesamt zeigte die Verwaltung der Stadt Dresden in ihren Amtsstuben wie in den Betrieben ein deutlich vom Krieg gezeichnetes Bild. Viele männliche Fachkräfte der jüngeren und mittleren Jahrgänge befanden sich noch in der Gefangenschaft. Ihre Arbeitsplätze nahmen oft geringer qualifizierte Frauen und Männer ein, letztere häufig Kriegsversehrte, oder ältere, aus dem Ruhestand zu162 Lebenslauf von Otto Fischer vom 24.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 91 f.). 163 Lebenslauf von Peter Nienhaus vom 15.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 145a, Bl. 53). 164 Fragebogen und Lebenslauf von Hans Neuhof vom 29.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 136–140). 165 Personal der Stadtverwaltung mit Stand vom 1. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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rückgeholte ehemalige Kollegen. Auch wenn manche von ihnen sicherlich in der alltäglichen Routine der Arbeit einen guten Lehrmeister fanden, verkörperten letztendlich die noch in der Kaiserzeit sozialisierten Beamten das Fachwissen der Behörden. Die Zahlen geben einen Einblick in die Grundstruktur des Neuaufbaus. Vorerst erfolgte lediglich in den Führungspositionen der radikale Schnitt. Kontinuitäten prägten die Verwaltung stärker, als es propagandistische Formeln wie diejenige von der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ später zugeben wollten. Vor dem sowjetischen Einmarsch waren zahlreiche der höheren Beamten geflohen, andere aber blieben und erschienen bald wieder an ihrem Arbeitsplatz. Die Unsicherheiten des Lebens schlossen ein massenhaftes Untertauchen aus: Wer ein Dach über dem Kopf hatte und meinte, nichts befürchten zu müssen, vergrößerte nicht freiwillig das notleidende Heer der Ausgebombten und Vertriebenen. Wer Lohn und Brot hatte, zog das Elend der kärglichen, aber bis dahin gesichert erscheinenden Versorgung in der Stadt dem größeren Elend und der Schutzlosigkeit einer ungewissen Flucht vor. Viele der kleinen und mittleren Angestellten gaben später die Tage unmittelbar nach dem 8. Mai 1945 als Datum ihres Wiedereintritts in die städtische Verwaltung an. Die Kommunisten der „Gruppe Ackermann“ besetzten leitende Funktionen auch mit Personen ohne fachliche Qualifikation. Ihre politische Qualifizierung gab den Ausschlag. Jemand, den die Nationalsozialisten nachweislich verfolgt oder gemaßregelt hatten, schien zur Bekleidung einer Führungsposition geeignet zu sein. Alte Funktionsträger mit Fachwissen, auf die man nicht verzichten konnte, befanden sich häufig in der zweiten Reihe auf Stellvertreterposten und auf der Ebene des mittleren Fachpersonals. In den Stadtbezirks- und Bezirksverwaltungen wiederum ersetzten die mit vordringlichen Versorgungsaufgaben befassten „Antifa-Komitees“ das alte Personal. Sie nahmen die Lebensmittelverteilung und die Unterbringung Wohnungsloser in die Hand, wozu sie Personen benötigten, die in ihrem Sinne handelten. Auf Fachkenntnisse legten sie dabei weniger Wert. Dringend musste das organisatorische Chaos durch einen zügigen Neuaufbau der Verwaltung überwunden werden.166 Dazu war es erforderlich, die unmittelbar nach den Luftangriffen in die sieben Bezirksstellen und Stadtbezirke ausgelagerten Verwaltungsaufgaben Schritt für Schritt wieder in der zentralen Stadtverwaltung zu konzentrieren. Für zusätzliche Verwirrung sorgte die sowjetische Neugliederung Dresdens in dreizehn Verwaltungsbezirke. Friedrichs erklärte jede nicht von ihm „eingesetzte städtische Zivilverwaltung [...] für ungesetzlich“,167 wovon sich die „Antifa-Komitees“ nicht beeindrucken ließen. Sie hoben Anordnungen der Zentralverwaltung auf oder änderten sie ab. Ohnehin tendierten die unteren Dienststellen zu Eigenmächtigkeiten und ignorierten die 166 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 54. 167 Bekanntmachung des Oberbürgermeisters vom 12. 5.1945. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 29. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Weisungen der Zentrale.168 Die Aktivisten der „Antifa-Komitees“ in den Stadtbezirken und Bezirksverwaltungen verstärkten diese Tendenzen mit ihren teilweise „revolutionären“ Ambitionen. Die neue kommunale Zentralgewalt bemühte sich um deren Eindämmung und ihre Einbindung in kommunale Verwaltungsaufgaben.169 Friedrichs untersagte den Dienststellen im Rathaus die Zusammenarbeit mit den Komitees und bestellte die Bezirksbürgermeister zu einer Aussprache, um ihre Autonomie beenden.170 Die fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Zentralverwaltung begünstigte Eigenmächtigkeiten der „Antifa-Komitees“, aber der Zentralverwaltung fehlten auch Problemlösungskapazitäten. Verwaltungsdienststellen und „Antifa-Komitees“ arbeiteten parallel zueinander, mitunter waren sie identisch, und die sowjetischen Rayonkommandanten fanden in den einen wie in den anderen Ansprechpartner.171 Ebenso erschwerte die von der sowjetischen Kommandantur geforderte neue Verwaltungsstruktur Dresdens erste Zentralisierungsbemühungen. Erst am 21. Mai 1945 informierte der Oberbürgermeister offiziell über die Bildung einer neuen Dresdner Stadtverwaltung.172 Auf der gemeinsamen Sitzung mit den Bezirksverwaltungsleitern und Stadtbezirksbürgermeistern am 23. Mai 1945 dankte er allen freiwilligen und den von sowjetischen Offizieren ernannten „Bezirksbürgermeistern“ der Ausschüsse für die bisherige Arbeit. Künftig sollten die von ihm legitimierten Personen die zentralen Verwaltungsmaßnahmen durchsetzen.173 Mit der Zentralisierung befasste sich der inzwischen als Stadtdirektor im Hauptamt der Stadtverwaltung tätige Hermann Eckardt, dessen Aufgabe wie die des Koordinationsbüros Bautzner Straße 2 darin bestand, die „spontan entstandenen kommunalen Hilfsstellen in den geordneten kommunalen Selbstverwaltungskörper überzuführen oder dafür zu sorgen, dass sie ihre Funktion nach der Erfüllung ihrer Aufgabe einstellten“.174 Das konnte nur geschehen, wenn der Stadtkommandant von seiner unsinnigen Forderung nach einer Neugliederung Dresdens abrückte und die nachgeordneten Kommandanturen in den Stadtteilen anwies, mit den offiziellen städtischen Dienststellen zu kooperieren. 168 Schreiben des Hauptamtes zur Organisation der Stadtverwaltung vom 10. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 74 ff.). 169 Anweisung für die Verteilung der neuen Lebensmittelkarten vom 19. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 23, nicht paginiert). 170 Schreiben des Oberbürgermeisters vom 19. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 372). 171 Vgl. Tätigkeitsbericht der Kommunalen Hilfsstelle des Bürgermeisters Dresden-Wachwitz vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 11); Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 30. 172 Bekanntmachung über die Bildung der Dresdner Stadtverwaltung vom 21. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 3). 173 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungsleiter und Bezirksbürgermeister vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 373 ff.). 174 Bericht von Hermann Eckardt vom 30. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1027, Bl. 103 ff.). Vgl. Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 13, S. 8 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.054, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dazu erklärte er sich schließlich Ende Mai bereit, doch die „gemeinsame Besprechung der Unterkommandanten mit den Bezirksleitern“ über die offenen Fragen konnte nicht stattfinden.175 Um die Autorität der neuen Dienststellenleiter zu stärken, ging der Oberbürgermeister Anfang Juni dazu über, sie im Rahmen eines kleinen Festaktes in Anwesenheit der sowjetischen Offiziere in ihr Amt einzuweisen.176 Die städtische Verwaltungspolizeidirektion erhielt einen neuen Namen, und die Umbenennung der „Direktion der Verwaltungspolizei“ in „Zentralstelle der Stadtbezirke“177 verweist auf deren veränderte Kompetenzen. Nunmehr beinhaltete die Aufgabe der Dienststelle nur noch die Weitergabe von Anweisungen aus dem Hauptamt des Oberbürgermeisters oder den verschiedenen Dezernaten an die Stadtbezirke. Das stieß vorerst auf erhebliche Widerstände. Grundsätzlich sollten Bezirksverwaltungen und Stadtbezirke keine eigenen Anordnungen treffen, sondern nur im Rahmen der ihnen von der Zentrale erteilten Anweisungen tätig werden. Gleichfalls einer strafferen Anbindung dienten die wöchentlich abzufassenden Berichte der Stadtbezirksleiter an die Bezirksverwaltungsleiter und an den Oberbürgermeister.178 Außerdem mussten die Bezirksverwaltungen Unterschriftsberechtigte festlegen und ihre Personalbefugnisse an das Personalamt abtreten.179 Diese Forderung der Zentralverwaltung korrespondierte mit der nach einer endgültigen Auflösung antifaschistischer Gruppierungen, deren Kontakte zu lokalen Militärkommandanten eine Quelle latenter Konflikte bildeten.180 Die administrativen Kompetenz- und Koordinierungsprobleme zwischen deutscher und sowjetischer Verwaltung stellten ein anhaltendes Ärgernis dar. Oft kannten die deutschen Dienststellen ebenso wenig wie die sowjetischen den richtigen Ansprechpartner der jeweils anderen Seite, obwohl sie auf die „vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bezirksverwaltungen“ mit den lokalen Militärdienststellen besonderen Wert legten.181 Da aber der sowjetische Stadtkommandant die Befehle einerseits an den Oberbürgermeister und außerdem über seine Unterkommandanten an die Leiter der Stadtbezirke richtete, versickerten die Forderungen oft im Durcheinander der Zuständigkeiten oder überschnitten sich. Im Übrigen verlangten die Zerstörungen im Stadtzentrum und die Eingemeindung einiger Randbezirke in das Stadtgebiet eine Strukturveränderung. 175 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungen beim Oberbürgermeister vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 376 f.). 176 Vgl. Hermann, Oberbürgermeister Friedrichs, Müller, Leißner, S. 209. 177 Dienstanweisung Nr. 3 der Zentralstelle der Stadtbezirke, 7. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 3, nicht paginiert). 178 Schreiben des Hauptamtes zur Organisation der Stadtverwaltung vom 10. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 74 ff.). 179 2. Rundschreiben der Zentralverwaltung vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 98, nicht paginiert). 180 Schreiben des Ortsausschusses Bühlau an Oberbürgermeister Friedrichs vom 21. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 43, Bl. 1). 181 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungsleiter und Stadtbezirksbürgermeister vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Bald erfolgte die Zusammenlegung die ehemaligen Stadtbezirke 3 und 4 zum 3./4. Stadtbezirk und die der früheren Stadtbezirke 1, 2, 5 und 6 zum Verwaltungsbezirk Mitte.182 Friedrichs bestand gegenüber dem Stadtkommandanten auf der zugesagten Angleichung der sowjetischen Strukturen, die jener Anfang Juni 1945 mit der Auflösung der dreizehn Rayonkommandanturen vollzog. Nunmehr bestanden sieben Verwaltungsbezirke mit insgesamt 22 Stadtbezirken. Nach der Berliner Deklaration der Siegermächte vom 5. Juni 1945 begann die SMAD ihre Tätigkeit, sie trat die oberste Regierungsgewalt in ihrer Zone an. Die Gründung dieser Institution ermöglichte politische Entscheidungen von großer Tragweite wie den am 10. Juni 1945 erlassenen Befehl Nr. 2 zur Bildung von Parteien. Die zentrale sowjetische Militärregierung ernannte am 9. Juli 1945 eine Sowjetische Militäradministration in Sachsen (SMAS). Über die geographisch-politische Gliederung des Besatzungsgebietes existierten bis dahin nur vage Vorstellungen; manche meinten, es werde keine Landesregierung, sondern eine Aufteilung in Kreishauptmannschaften unter der Leitung von Regierungspräsidenten geben.183 Nun mussten die Vorbereitungen zum Aufbau einer deutschen Zivilverwaltung in Dresden beschleunigt zu Ende gebracht werden, da man mit deren Einrichtung „in nächster Zukunft“ rechnete.184 Schließlich wechselten Friedrichs und Fischer aus dem Rat der Stadt Dresden an die Spitze der von der SMAD bereits am 4. Juli 1945 bestätigten zivilen sächsischen Landesverwaltung.185 Matern übernahm die Landesleitung der KPD. Mit der erforderlichen Umbildung der Stadtverwaltung wurde der promovierte Jurist Johannes Müller,186 ein ehemaliger Landgerichtsdirektor, Oberbür182 Dienstanweisung Nr. 2 der Verwaltungspolizeidirektion vom 31. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 3, nicht paginiert); Dienstanweisung Nr. 4 der Zentralstelle der Stadtbezirke vom 8. 6.1945 (ebd., nicht paginiert); es gab nicht „fast doppelt so viele Stadtteile“ wie Bezirksverwaltungen, sondern der eigensinnige sowjetische Versuch zur Neuordnung der Verwaltungsstruktur bildete im Zusammenhang mit erforderlichen Eingriffen die Ursache der bestehenden Unklarheiten, vgl. Michelmann, Aktivisten, S. 144. 183 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 2 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.054, nicht paginiert); Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungsleiter und Bezirksbürgermeister vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 373). 184 Notiz Walter Gäblers über eine Besprechung beim Oberbürgermeister am 12. 6.1945 (SächsHStAD, Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge 6, Bl. 72). Vgl. Oberlandesgerichtsrat Dr. Widtfeldt an den Oberbürgermeister vom 28. 5.1945 (ebd., Bl. 107 ff.). 185 Umfassend zu Vorarbeiten und Aufbau der Landesverwaltung Sachsen Thüsing, Landesverwaltung, S. 44–75. 186 Dr. Johannes Müller, 1892–1971, Jurist. Richter am Dresdner Landgericht, 1936 gemaßregelt wegen der nationalsozialistischen Rassegesetze, 1937 Versetzung an das Amtsgericht und Verbot spruchrichterlicher Tätigkeit, seit 1944 Zwangsarbeit. Oberbürgermeister in Dresden vom 5. 7.1945 bis 26.10.1945, Amtsenthebung. Seit 1.1.1946 Senatspräsident am Oberlandesgericht Dresden, im November 1949 Flucht in die Bundesrepublik, bis zur Pensionierung Senatspräsident am Oberlandesgericht Frankfurt am Main. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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germeister im Dresdner Rathaus. Einen Tag nach seiner Bestätigung als Präsident der Landesverwaltung wies Friedrichs seinen Nachfolger ein. Ihn hatten die Nationalsozialisten 1936 seines Amtes enthoben, da er sich ihrem Druck nicht beugte und sich nicht von seiner jüdischen Ehefrau trennte. Er arbeitete in jenen Jahren als Schweißer und Lagerarbeiter.187 Friedrichs verabschiedete außerdem Fischer und Matern aus ihren Ämtern sowie den bisherigen 2. Bürgermeister, den Finanzdezernten Meißner, für den Dr. Erich Goslar188 die Nachfolge antrat. Der Kommunist Arthur Kunath,189 zuvor Stadtbezirksleiter in Dresden-Leuben,190 wurde neuer Personalamtsleiter, da Matern bereits seit Juni die sächsische KPD führte. Besonders mit der erforderlichen Neubesetzung im Amt des 1. Bürgermeisters gelang den Kommunisten die Konsolidierung ihrer bisher erreichten Positionen.191 Infolge des Wechsels von Fischer in das Innenressort der Landesverwaltung übernahm Walter Weidauer dessen Nachfolge und vereinte im Amt des 1. Bürgermeisters („das sogenannte politische Dezernat“) die Personalkompetenz für die städtische Verwaltung mit der Weisungsbefugnis eines Bürgermeisters. Ohnehin als Stellvertreter des Oberbürgermeisters mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, baute ihn die KPD mit der Rückendeckung Fischers und Materns zur dominierenden Persönlichkeit in der Dresdner Stadtverwaltung auf. Matern erteilte ihm „Ratschläge“ für die Personalpolitik, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. „Die neue Stadtverwaltung,“ so instruierte er Weidauer, „sei personell so zu besetzen, dass die Verwirklichung des Aufrufes der KPD vom 11. Juni 1945 nach Geist und Inhalt maximal gewährleistet“ werde, da „die sowjetischen Klassenbrüder gerade diese Aufgabe als eine der wichtigsten und entscheidenden ansahen“.192 Matern übertrug Weidauer sowohl die volle Verantwortung für den Verlauf der Entnazifizierung als auch für die Umsetzung der Parteipolitik und erklärte ihm, er könne von dem bürgerlichen Juristen Müller nicht erwarten, dass er „die Politik der Partei“ seiner Tätigkeit zu Grunde lege: „Aber von Dir verlangt die Partei, dass unsere Beschlüsse für die

187 Personalliste, o. D. [August 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 308, Bl. 10–18). 188 Dr. Erich Goslar, 26. 2.1903, Banklehre und Jura-Studium, Referendar, 1933 aufgrund nationalsozialistischer Rassegesetze aus dem Staatsdienst entlassen, 2. Staatsprüfung 1945, parteilos. 189 Arthur Kunath 1890–1956, Volksschule, Metallarbeiter, 1909 SPD, seit 1921 KPD, Funktionär im Dresdner Sachsenwerk. Nach illegaler Arbeit Verhaftung 1933, mehrere Monate „Schutzhaft“ und Zuchthaus. Nach dem 8. Mai 1945 stellvertretender Leiter der Bezirksverwaltung III, seit Juli Personalchef und Stadtrat in Dresden. 1946 bis 1948 Personalreferent der Landesverwaltung Sachsen im Gesundheitswesen. 190 Verzeichnis der Dienststellen der Stadtbezirke, 12. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 15). 191 Protokoll der Ratssitzung vom 5. 7.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 49). 192 Weidauer, Matern und Buchwitz, S. 145. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Arbeit des Rates der Stadt Dresden bestimmend sind. [...] Deshalb werden wir uns immer an Dich wenden.“193 Das Selbstbewusstsein, mit dem die Kommunisten zu dem Zeitpunkt agierten, verdeutlicht die Art und Weise der von Fischer in die Wege geleiteten Ernennung Müllers zum Oberbürgermeister: „Herr Dr. Müller ist sowohl von mir, als auch von den Genossen Matern, Weidauer und Friedrichs als der geeignete Oberbürgermeister angesprochen worden, zumal er Demokrat ist und die Besetzung des Dresdner Oberbürgermeisters durch einen Demokraten der Politik des gemeinsamen Blockes aller antifaschistischen Kräfte entsprechen würde. Seine Berufung ist bereits auch nach Berlin mitgeteilt worden.“194 Die Führung der sächsischen Kommunisten besaß offenbar in Karlshorst bei der SMAD direkte Ansprechpartner, die sie unter Umgehung lokaler sowjetischer Kommandostrukturen kontaktierte.195 Weiter zielte die Ernennung Müllers deutlich auf die Einbindung der soeben im Entstehen begriffenen bürgerlichen Parteien in die Blockpolitik – die Kommunisten hofften über Personen, die sie in der Verwaltung an repräsentativer Stelle platzierten, die bürgerliche Parteipolitik beeinflussen zu können. Allerdings verrechneten sie sich im Fall Müllers, den die sächsischen Liberaldemokraten zwar für ihre Partei warben, der es jedoch vorzog, parteilos zu bleiben.196 Darüber hinaus belegt das Schriftstück den steilen Aufstieg von Walter Weidauer in das Zentrum der Macht:197 Dem vor zwei Monaten aus dem Zuchthaus am Münchner Platz entlassenen Kommunisten, der am Anfang orientierungslos beinah einem Scharlatan aufgesessen wäre, bereitete das Befolgen der Parteidisziplin zuerst Mühe. Bald fand er in Matern und Fischer einflussreiche Förderer, die seine Ambitionen im Dienst der Partei in die richtigen Bahnen lenkten. So schadete ihm auch die „unerklärliche Zurückhaltung des Genossen Dr. Rudolf Friedrichs“ nicht. Matern hatte es nicht für nötig gehalten, Friedrichs über die „personellen Festlegungen anlässlich der Beratung im Stab des Marschalls Konjew“ zu informieren und versäumte bei der eigenmächtigen Ernennung Weidauers zu seinem Nachfolger im Personalamt des Rathauses die Rück-

193 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 17, S. 1 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 194 Charakteristik von Dr. Müller vom 5. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 321, Bl. 38). 195 Die ausschließliche Zuständigkeit lokaler Besatzungsoffiziere für die Personalpolitik, wie von Haritonow, Hochschulpolitik, S. 54 hervorgehoben, lässt sich im Fall der kommunistischen Spitzenfunktionäre der Initiativgruppen nicht nachweisen. 196 Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 197 Er sei auch bei der Auswahl von Kandidaten für das Amt des Präsidenten der sächsischen Landesverwaltung befragt worden, weil sowjetische Offiziere auf sein „Urteil großen Wert“ legten, Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 19, S. 1 (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, V/2.052.059, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sprache mit dem Oberbürgermeister. Friedrichs fühlte sich brüskiert und begegnete dem neuen Personalchef der Verwaltung verständlicherweise kühl.198 Exemplarisch begann die Nachkriegskarriere einer „Herrschernatur“, wie ihn einer seiner nachmaligen Kritiker bezeichnete,199 in einem „Antifa-Ausschuss“. Über die Zwischenstufe als Bezirksbürgermeister gelangte der zum Vertrauten Materns avancierte Weidauer in das Personalressort der sächsischen Landeshauptstadt, wo er weiteren verantwortungsvollen Tätigkeiten entgegen sah. Der Anfang Juli 1945 zum Aufbau der Parteiorganisation nach Dresden entsandte Kommunist Fritz Große hielt ihn sogar für befähigt, eines Tages Fischers Nachfolge im Innenressort der Landesverwaltung Sachsen anzutreten.200

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In ihrem auf den 11. Juni datierten und zuerst in Berlin veröffentlichten Aufruf201 forderte die KPD die Errichtung einer parlamentarisch-demokratischen Republik und verurteilte Bestrebungen, „Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen“. Sie präsentierte sich, zu einem so frühen Zeitpunkt völlig unerwartet, der deutschen Öffentlichkeit als demokratische Partei, die zum entscheidenden Integrationsfaktor des Parteiensystems werden und allen anti-nationalsozialistischen Kräften eine Basis bieten wollte. Die Moskauer Remigranten vertraten die Auffassung, „dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland [...] den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer antifaschistisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ zwingend nahe legten.202 Diese Äußerung verursachte Missverständnisse und stieß unter den kommunistischen Anhängern auf Unverständnis, viele von ihnen hielten die „demokratischen Losungen“ der Kommunisten für „eine taktische Zweckmäßigkeit [...], für deren Beibehaltung nach dem Einmarsch der Roten Armee keine Notwendigkeit mehr bestünde“.203 In zahlreichen Diskussionen mit der Parteibasis stellte die Dresdner KPD-Führung klar, dass es keine sozialistische Revolution und keine Einheitspartei der Arbeiterklasse geben werde.204 198 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 16, S. 5 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 199 Bericht über die Stadt Dresden, Datum unleserlich [1953/54] (AdsD, 0311 C, nicht paginiert). 200 Mählert, Lage der SED, S. 245. 201 Vgl. Schroeder, SED-Staat, S. 30. 202 Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 8–16. 203 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 118). 204 Bericht der Bezirksleitung der KPD über die Propagierung des Aufrufs des ZK der KPD vom 11. 6.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 25, S. 41. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Sie befürchtete bei einem vorzeitigen Zusammengehen mit den Sozialdemokraten, ihnen gegenüber ins Hintertreffen zu geraten und eine Einheitspartei nicht kontrollieren zu können. Doch auch wenn sie die Öffentlichkeit und manchen Anhänger mit diesem neuen Kurs überraschte, die kommunistische Parteiführung hatte längst die Weichen gestellt und entsprechende Vorkehrungen getroffen.205 Sofort nach ihrem Eintreffen Anfang Mai knüpften die Exilkommunisten der „Gruppe Ackermann“ Verbindungen zu einheimischen Kommunisten und Sozialdemokraten und riefen sie umgehend zu internen Versammlungen zusammen, die in Gegenwart sowjetischer Offiziere stattfanden. Am 10. Mai 1945 versammelte sich in der Pestalozzischule am Riesaer Platz, dem Sitz der Stadtkommandantur, erstmalig eine ausgewählte Gruppe von Kommunisten und Sozialdemokraten, zu denen der sowjetische Stadtkommandant Lebedenko sprach.206 Im Anschluss an den Offizier erläuterten Fischer und Matern auf dieser Zusammenkunft, von Beteiligten später als „die erste Parteiversammlung“ bezeichnet, die bevorstehenden Aufgaben gemäß den Richtlinien.207 Egon Rentzsch,208 den eine „kleine illegale Parteizelle“ aus der Schandauer Straße zur sowjetischen Kommandantur geschickt hatte, befand sich unter den Versammelten, die erstaunt vernahmen, „dass es zunächst keine Partei gäbe, sondern nur ANTIFA-Komitees zu bilden seien. Nach ersten politischen Instruktionen aufgrund der Ausarbeitungen des ZK unserer Partei in Moskau zogen wir ab, jeder zu seiner Gruppe irgendwo in Dresden.“209 Rentzsch reproduzierte mit der vorgeblichen Anweisung zur Bildung von „Antifa-Komitees“ jene bereits erwähnte, die Ausschüsse ideologisch vereinnahmende offizielle Sprachregelung. Tatsächlich zielten wie bereits dargelegt die „politischen Instruktionen“ auf die Mitarbeit in den Verwaltungen. Rentzsch ordnete sich als gehorsamer Genosse der Parteidisziplin unter. Seine ursprüngliche Hoffnung, nach der „Befreiung Deutschlands vom Hitlerjoch“ nun unverzüglich zum „Aufbau eines sozialistischen Deutschlands“ zu schreiten, begrub er damit nicht.210 Für Matern bedeutete die Aufgabe, in „Dresden und darüber 205 Morré, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees, S. 166. 206 Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 47. Vgl. Kleine DresdenChronik, S. 6; Welz, Stadt, S. 51 f. 207 Frölich/Gute, Händedruck, S. 60. 208 Egon Rentzsch 1915–1992, kaufmännischer Angestellter. 1930 Mitglied des KJVD, Jugendfunktionär, Verhaftung 1933, Verurteilung und anschließend Haft in Bautzen, Sachsenhausen und Buchenwald bis 1939, als wehrunwürdig eingestuft Monteur und Lagerist in Dresden bis 1945. Nach dem 8. 5.1945 leitende Funktionen in der Dresdner Stadtverwaltung, ab 1.10.1945 Besuch und danach Leiter der Landesparteischule Fritz Heckert in Ottendorf. 1946 Stadtrat für Volksbildung in Dresden, 1950–1953 Abteilungsleiter in ZK der SED, wurde wegen eines Fehlers von seiner Funktion entbunden, zur SED-Bezirksleitung Rostock versetzt und zum FDGB. 209 Egon Rentzsch: Zu einigen Fragen kommunistischer Geschichtsbetrachtung. Diskussionsbeitrag auf dem wissenschaftlichen Kolloquium „Befreiung und Neubeginn in Dresden“ am 26.10.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.152, nicht paginiert). 210 Lebenslauf von Egon Rentzsch, 27. 5.1945 (StadtAD, Personalakten Innere Verwaltung R 473, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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hinaus die Partei aus der Illegalität herauszuführen“ sowie den Genossen organisatorische und politische „Hinweise und Anregungen zu geben“, eine Gratwanderung.211 Einerseits musste das unkontrollierbare Entstehen eigenständiger Gruppen verhindert, andererseits die Aktivierung von „Antifaschisten aus den Reihen der örtlichen Bevölkerung“ nicht allein zugelassen, sondern sogar gefördert werden.212 Die eigene dünne Personaldecke erforderte es, den Neuaufbau auf eine breite Basis zu stellen und die Sozialdemokraten so fest in die Zusammenarbeit einzubinden, dass die spätere Einheitspartei nicht „den Keim einer neuen Spaltung in sich tragen“ würde.213 Ohne abzuwarten traten in Dresden zahlreiche Kommunisten „aus der Illegalität heraus und bildeten hier und da Parteigruppen“,214 oder trafen sich mit Sozialdemokraten zu einer „gemeinsamen Funktionärsitzung“.215 Die voreilige Initiative dieser Genossen „dämpften nicht nur die sowjetischen Freunde“,216 sondern auch von Matern ausgesuchte einheimische Kommunisten wie Erich Glaser, weil die „Vorstellungen und Verhaltensweisen nicht immer den augenblicklichen Aufgaben“ entsprachen.217 Im Kern ging es darum, vorerst Parteigründungsinitiativen an der Basis zu verhindern, um zu einem späteren, geeigneten Zeitpunkt die KPD von oben nach einheitlichen zentralistischen Strukturen zu errichten. Schließlich wies Matern Ende Mai 1945 Erich Glaser und die Dresdnerin Olga Körner218 an, „Vorbereitungen für die offizielle Legalisierung der KPD in Dresden“ zu treffen.219 Autorisiert von Matern traten sie „im Namen der Partei“ auf 220 und nutzten ihre Kontakte zu Mitgliedern ein211 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 262 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). 212 Aufzeichnung des Leiters und des Ersten Stellvertretenden Leiters der Abteilung für internationale Information des ZK der KPdSU (B) G. Dimitrov und A. Panjuskin für V. Molotov und G. Malenkov über die politische Arbeit in Deutschland, März 1945. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 3–7. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 66. 213 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 121). 214 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 263 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). Vgl. Belegschaftsvertreter der Seidel & Naumann AG auf einer Tagung der KPD Sachsen, o. D. [Ende 1945] (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 855, Bl. 67). 215 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 114). 216 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 1 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 217 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 263 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). 218 Olga Körner 1887–1969, Köchin. 1911 SPD, 1917 USPD, 1920 KPD, 1929–1933 Mitglied der Bezirksleitung Ostsachsen, 1930 MdR / MdL Sachsen. Nach 1933 illegale Arbeit, Zuchthaus, 1939–1945 KZ Ravensbrück. Seit 1945 Mitglied der KPD-Bezirksleitung Sachsen und 1946 im Landessekretariat der SED. Mitglied des sächsischen Landtags, 1954–1967 Abgeordnete des Bezirkstags Dresden. 219 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 263 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 65. 220 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 13, S. 8 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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heimischer „Antifa-Komitees“, um „aus den vielen Gruppen [...] einen Kader auszuwählen, der bei der Legalisierung der Partei die Führung übernehmen sollte“.221 Die Einzelheiten der Überprüfung aller „Kommunisten und Antifaschisten, die für die Mitgliedschaft der KPD in Frage kommen“, regelte eine im Moskauer Exil fixierte Anweisung Ulbrichts.222 Materns Eingreifen verhinderte in Dresden weitgehend die andernorts stattfindende Bildung autochthoner Parteizellen. Immer wieder mussten die Moskaukader „Fehlentwicklungen“ wie beispielsweise in Meißen entgegensteuern, wo der eilig hinbeorderte Ackermann die entgegen den „Weisungen des sowjetischen Oberkommandos“ vom örtlichen Stadtkommandanten zugelassene „revolutionäre Partei“ auflöste.223 Er und andere Beauftragte der Initiativgruppe reisten im sowjetisch besetzten sächsischen Gebiet umher und „liquidierten [...] schiedlich-friedlich“ in der Region entstandene „lokale Sowjetrepubliken“.224 Die Wortkombination „schiedlich-friedlich“ in Verbindung mit dem unmissverständlichen Terminus „liquidieren“ beschreibt die eindeutige Drohgebärde. In straffer Anbindung an die Besatzungsmacht organisierten überall im Land die aus Moskau eingereisten Führungskader gezielt einen Aufbau der Parteistrukturen von oben, begutachteten inquisitorisch potentielle Mitglieder,225 banden die „Antifa-Komitees“ in die Alltagsarbeit ein und vermittelten den Genossen die für alle geltende politische Linie.226 Dabei standen sie unter permanenter sowjetischer Bewachung, selbst Ackermann reiste „stets in Begleitung“ eines speziell ihm „beigegebenen sowjetischen Verbindungsoffiziers“,227 und es wird nicht klar, ob dies zu Ackermanns Schutz oder zu seiner Kontrolle geschah. Sicher diente es beidem. Entscheidend trugen sowjetische Offiziere dazu bei, so genannte „falsche Auffassungen bei den sozialdemokratischen Genossen“ wie bei den Kommunisten bereits im Entstehen zu verhindern: „Wir machen eine Aussprache. Holen Sie dazu die sozialdemokratischen und kommunistischen Genossen zusammen.“228 Mit solchen und ähnlichen Worten riefen sowjetische Offiziere ehemalige Mitglieder von KPD sowie SAP und SPD zu einer „politischen Schulung“ zusammen, wobei sie die Deutschen häufig einer eingehenden Überprüfung un221 Lebenslauf von Erich Glaser vom 28.1.1953 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/454, nicht paginiert). 222 Anweisungen Ulbrichts für die Anfangsmaßnahmen zum Aufbau der Parteiorganisation vom 15. 2.1945. In: Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler, S. 327 f. 223 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 115). Vgl. Michelmann, Aktivisten, S. 195–207; Naimark, Russen, S. 311 ff. 224 Persönliche Erinnerungen an den 8. Mai 1945 von Anton Ackermann vom 25.1.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 89 f.). 225 Vgl. Stößel, Positionen und Strömungen, S. 58 f. 226 Vgl. Leonhard, Revolution, S. 411–500; Stößel, Positionen und Strömungen, S. 26–32. 227 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 115). 228 Werner, Neuaufbau, S. 75; Frölich/Gute, Händedruck, S. 60 f.; Wagner, Das erste Brot. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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terzogen.229 Später bemühten sich die deutschen Kommunisten ihr Verhältnis zu den sowjetischen Kommunisten immer als ein „echtes dialektisches Wechselverhältnis“ darzustellen. Die sowjetischen Genossen hätten ihnen keine „widersinnige Besatzungspolitik aufgezwungen“. Jederzeit sei „ein Veto möglich, allerdings in nur wenigen Fällen notwendig“ gewesen230 – auch dies eine beschönigende spätere Beschreibung. Tatsächlich räumten die Kommunisten frühzeitig Schwierigkeiten in ihrem Verhältnis zur Besatzungsmacht ein, es sei „eine Tatsache, dass die russischen Vertreter nicht immer einer Meinung bei Verhandlungen mit uns sind“.231 Über welch geringen Spielraum sie verfügten, gab Walter Weidauer unbeabsichtigt preis, als er ohne Ironie, sondern in dogmatischer Verklärung „mit dreißig Jahren Abstand“ an die klugen „Ratschläge“ der sowjetischen Genossen damals erinnerte. Er habe manchmal gezweifelt und sich gefragt, ob der Weg richtig sei. Doch ganz gleich, ob es sich um „Fragen der Kommunalpolitik“ oder der „Bündnispolitik“ und „besonders in der Entwicklung und Bildung der Einheit der Partei“ gehandelt habe, heute lasse sich „überzeugt nachweisen, wie richtig sie damals uns [sic] beraten haben“. Abschließend betont er, die sowjetischen Genossen hätten niemals mittels ihrer „Bajonette, sondern [durch] ihre feste marxistisch-leninistische Überzeugung“ auf die deutsche Entwicklung eingewirkt.232 Sie hätten keine Befehle ausgesprochen, sondern immer „freundlich ihre Ratschläge als Empfehlungen dargelegt. Aber sie waren fast alle so gründlich und allseitig durchdacht und mit guten Argumenten begründet, dass nur ein Narr oder ein Feind solche Ratschläge hätte ablehnen können.“233 Wer wollte schon ein Narr oder ein Feind sein? Auch Egon Rentzsch stellte fest, dass „die prinzipiellen Hinweise und konsequenteren Empfehlungen sich schließlich als richtig erwiesen“.234 Ein solches Selbstverständnis schloss Widerspruch prinzipiell aus, und wenn er doch erfolgte, blieb er ohne Wirkung.235

229 Gräfe/Wehner, führende Rolle der KPD, S. 313. 230 Egon Rentzsch: Zu einigen Fragen kommunistischer Geschichtsbetrachtung. Diskussionsbeitrag auf dem wissenschaftlichen Kolloquium „Befreiung und Neubeginn in Dresden“ am 26.10.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.152, nicht paginiert). 231 Bericht über die kommunale Tagung in Dresden, o. D. [13. 9.1945] (SächsHStAD, SEDBPA Dresden I/B/124, Bl. 76). 232 Beitrag des Genossen Walter Weidauer. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 10, S. 26 f. Vgl. Behring, Zukunft, S. 163. 233 „Mit Freunden im Bunde“, Artikel Walter Weidauers für „Stadt und Gemeinde“ Nr. 5/70 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.055, nicht paginiert). Diese apologetische Fiktion halten die beteiligten Zeitzeugen auch nach Jahrzehnten aufrecht, etwa der Chef der Informationsabteilung in der Dresdner Stadtkommandantur, Hauptmann Anatoli B. Waks: „Wir arbeiteten sehr vorsichtig mit den politischen Parteien, diktierten ihnen nie unseren Willen.“, Heinemann, Hochschuloffiziere, S. 272. 234 Egon Rentzsch: Zu einigen Fragen kommunistischer Geschichtsbetrachtung. Diskussionsbeitrag auf dem wissenschaftlichen Kolloquium „Befreiung und Neubeginn in Dresden“ am 26.10.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.152, nicht paginiert). 235 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 38 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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In Versammlungen und Aussprachen, selbstverständlich mit der zuvor eingeholten Zustimmung der Besatzungsmacht,236 brachten die Exilkommunisten den Dresdnern das Konzept der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ nahe. Am 21. Mai vertraute Anton Ackermann erstmals einem größeren Kreis von Dresdner Funktionären die „Grundgedanken der antifaschistisch-demokratischen Entwicklung“ Moskauer Lesart an und begründete, warum vorerst politische Parteien nicht zugelassen seien.237 Gleichzeitig betonte er, die Kommunisten hätten als einzige politische Kraft vor dem heraufziehenden Nationalsozialismus gewarnt. Somit stünde ihnen jetzt die Führungsrolle zu. Dieser immer wieder hervorgehobene Umstand sollte das kommunistische Auftreten, dem von vornherein das Odium einer „Statthalterschaft“ im Dienste der Besatzungsmacht anhaftete, in den Augen der Bevölkerung rechtfertigen. Ackermann lenkte die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf die Mitarbeit in den Verwaltungsgremien. Er argumentierte mit der Vordringlichkeit des Verwaltungsaufbaus, deshalb müsse die Bildung von Parteien vorerst zurückgestellt werden. Doch vielmehr existierten nicht die erforderlichen Voraussetzungen, da in der unüberschaubaren Situation „die Gefahr einer Beschmutzung unserer Partei durch negative Elemente“ nicht auszuschließen sei. Das zielte auf die anstehenden Überprüfungen der Genossen hinsichtlich ihrer Haltung unter der nationalsozialistischen Diktatur. Jeder werde gefragt nach seinen Handlungen in der Vergangenheit und danach, wo er gestanden habe, „als es um alles ging“. Jeder müsse „die Wahrheit bekennen“. Insbesondere fürchtete Ackermann „Karrieristen und Postenjäger“ in den eigenen Reihen. Die Partei brauche „aktive Kämpfer“ und „disziplinierte Genossen“. Wenn sie auch vorerst von der Parteigründung absahen, so blieb doch auf seinem Platz selbstredend jeder ein „Kommunist der Anschauung nach“.238 Ackermann betonte immer wieder „die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Einheit aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte im Kampf um die Aufrichtung einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Ordnung“. Vordringlich seien die „Sofortmaßnahmen zur Normalisierung des Lebens und zur Ingangsetzung der Wirtschaft“.239 Um bei Neueinstellungen im Verwaltungsapparat Fehlgriffe zu vermeiden, müsse unbedingt darauf geachtet werden, zum einen nur „ortsbekannte Personen“ und darüber hinaus solche aus einem breiten politischen Spektrum in die Arbeit einzubeziehen: „Keine Verwaltungen nur aus alten Kommunisten“ lautete das Motto. Man benötige dringend bürger236 Referat Materns über die Neubildung der Partei vom 13. 6.1945 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 50, Bl. 5). 237 Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 32 f. Vgl. Stichworte Ackermanns für die Versammlung in der Bautzner Straße in Dresden am 21. 5.1945, (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 1–25); Anton Ackermann: Rededisposition für die Versammlung von Antifaschisten – Aktivisten der ersten Stunde – in der Bautzner Straße, Dresden 21. 5. 1945, nachträglich am 6.12.1965 ausformuliertes Referat, (ebd., Bl. 27–38). 238 Ebd., Bl. 33. 239 Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 9.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 115). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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liche Fachleute, die selbstverständlich keine „Naziaktivisten“ sein dürften. Die anleitende Rolle der Kommunisten ihnen gegenüber und eine „systematische politische Arbeit“ bezeichnete er als unumgänglich, doch warnte Ackermann nachdrücklich vor Anleihen am sowjetischen Gesellschaftssystem. Dem trat er ebenso entschieden entgegen, wie er Tendenzen zurückwies, bei der Besetzung der Verwaltung ausschließlich fachliche Maßstäbe anzulegen.240 Abschließend forderte er die Genossen auf, nicht vorwiegend Agitation und Propaganda zu betreiben, sondern in der Verwaltungsarbeit ein Aufgabenfeld zu übernehmen und vor allen Dingen die falschen alten „Vorstellungen unserer politischen Losungen aus der Zeit vor 1933“ zu überwinden.241 Diese früheren, inzwischen als „sektiererische Ansichten“ verdammten politischen Positionen, galten der kommunistischen Exilführung als großes Problem. Die einheimischen Genossen in Dresden zeigten sich wie die im übrigen Deutschland weitgehend uninformiert über den in Moskau vollzogenen Kurswechsel242 oder besaßen allenfalls „rudimentäre Kenntnisse“ darüber.243 Mit der Zerschlagung einer illegalen Dresdner KPD-Führung 1943, den Massenverhaftungen nach dem gescheiterten Attentat im Juli 1944244 und der Verhaftung einer Gruppe mit Verbindungen zu Georg Schumann in Leipzig,245 hatte die Gestapo die Dresdner Kommunisten weitgehend isoliert. Ihr Widerstand während der letzten Wochen und Monate des Krieges beschränkte sich im Wesentlichen darauf, untereinander Kontakt zu halten und das Regime zu überleben.246 Äußerungen wie die von einer Gruppe im Dresdner Randgebiet Rochwitz, „die sich darauf vorbereitete, nach dem Zusammenbruch des Faschismus die Leitung von Staat und Wirtschaft zu übernehmen“, klingen übertrieben und unglaubwürdig. Solche Berichte sind wie der bereits erwähnte Versuch, die Zugehörigkeit der Männer zum Volkssturm als Organisation eines bewaffneten Selbstschutzes zur Verhinderung von Zerstörungen darzustellen, wohl eher eine Umdeutung angepassten Verhaltens.247 Widerständiger Alltag jenseits von Konzentrationslagern und Zuchthausmauern war unspektakulär. Der kommunistische Jugendfunktionär Egon 240 Anton Ackermann: Rededisposition für die Versammlung von Antifaschisten – Aktivisten der ersten Stunde – in der Bautzner Straße, Dresden 21. 5.1945, nachträglich am 6.12.1965 ausformuliertes Referat, (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 34 f.). 241 Ebd., Bl. 37. 242 Matern, Die Partei wies uns den Weg, S. 44. Vgl. Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 32; Weidauer, Hermann Matern und Otto Buchwitz, S. 151. 243 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 62. 244 Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 16 f. Vgl. Seifert/Weineck, Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes. 245 Lebenslauf von Hildegard Lehmann, o. D. [Oktober 1949] (SächsHStAD, Bezirkstag/ Rat des Bezirkes Dresden VdN 4561, nicht paginiert). 246 Leppi, Aktionseinheit, S. 85 f.; Zum Höchsten der Menschheit, S. 63–69; generell zu politischer Opposition und Formen des Widerstands in Sachsen Schmeitzner, Gegner des NS-Systems. 247 Lebenslauf von Hedwig Neuhof, 1961 (SächsHStAD, Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden VdN N 9/4726, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Rentzsch verbreitete, nach den Erfahrungen vormaliger illegaler Parteiarbeit und langjähriger Haft zurückhaltender geworden, seine „politischen Grundsätze unter kulturellem Deckmantel“ weiter.248 Andere Genossen beteiligten sich vorsichtig an „Aussprachen und Diskussionen kleiner Gruppen von Antifaschisten“ und führten Gespräche mit „ihnen bekannten parteilosen Arbeitern und Arbeiterinnen“.249 Sie trafen sich „in Gartenvereinen und Sportorganisationen“, wurden verschiedentlich „auf einige Tage eingesperrt“ oder bekamen auf andere Weise die „Misshandlungen des Nazistaates zu spüren“ – erst das „Herannahen der Roten Armee brachte auch eine stärkere revolutionäre Entwicklung der Antifaschistischen Bewegung mit sich“.250 Unerwähnt blieb die Passivität der Mehrheit. Neben wenigen „Oppositionellen, die offen oder versteckt gegen das Hitlerregime gekämpft hatten,“ fanden sich „erbärmliche Mitläufer“.251 Viele begradigten die Vergangenheit, sie stilisierten ihr Verhalten nachträglich entsprechend den Richtlinien der illegalen Arbeit. Kommunisten wie Ackermann leisteten der späteren Heroisierung Vorschub. Er übertrieb aus naheliegenden Gründen anlässlich seines Berichtes in Moskau maßlos und sprach von mehreren in Dresden bestehenden Widerstandsorganisationen, diese hätten sich in einem Fall sogar „erhoben und die SS zum Abzug gezwungen“.252 Daraus leitete sich das später entworfene Geschichtsbild ab, das aus Rechtfertigungszwängen ehemaliger KPD- und SPDMitglieder und dem von der SED-Bezirksleitung in Auftrag gegebenen „Maßnahmeplan“ zur „Erarbeitung eines marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes über den heroischen Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen den Faschismus“ resultierte. Ausdrücklich verlangte die SED eine Darstellung, die sich von „den Verfälschungen bzw. der Negierung des antifaschistischen Widerstandskampfes durch die Historiker und Politologen der BRD“ abhob.253 Daraus entstand ein ideologisches Konstrukt des Widerstands, das sich nur schwer entzerren lässt. Völlig frei von falschem Pathos bekannte Hermann Eckardt frühzeitig, ihre „organisatorische Bindung als Kommunisten“ hätten sie oft nur „mehr oder we-

248 Lebenslauf von Egon Rentzsch vom 27. 5.1945 (StadtAD, Personalakten Innere Verwaltung R 473, nicht paginiert). Vgl. Hurwitz/Sühl, Demokratiepotential, S. 206. 249 Schreiben von Arthur Schliebs vom 27.11.1950 (SächsHStAD, Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden VdN 4561, nicht paginiert). 250 Lebenslauf von Erhard Neubert vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 321, Bl. 35). 251 Padover, Lügendetektor, S. 244. Vgl. Paul/Mallmann, Milieus und Widerstand, S. 529; Stöver, Loyalität. 252 Stenogramm der Mitteilungen der Genossen Ackermann, Ulbricht und Sobottka über die Lage in Deutschland vom 7. 6.1945. In: Laufer, Genossen, S. 359; von den „heroischen Leistungen des Widerstandskampfes deutscher Antifaschisten“ schrieben pauschal Gräfe/Wehner, führende Rolle der KPD, S. 313. 253 Seifert / Weineck, Erforschung des Widerstandskampfes, S. 75. Vgl. Münkler, Antifaschismus. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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niger“ aufrecht halten können.254 Sozialdemokraten und Kommunisten sprachen sich gegenseitig Mut zu und tauschten „Flugschriften und Mitteilungen ausländischer Sender aus“.255 Viele informierten sich über die aktuellen Entwicklungen im „Deutschen Volkssender“ von Radio Moskau, dessen Sendungen einen hohen Stellenwert in der illegalen Arbeit einnahmen.256 Doch der Informationsfluss scheint allenfalls stockend, wenn nicht sogar völlig blockiert gewesen zu sein. Die Moskauer Taktik des vorläufigen Verzichts auf weitergehende sozialistische Forderungen zugunsten demokratischer Freiheiten ohne damit das Ziel, die Beseitigung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, aufzugeben, kannten viele Dresdner Kommunisten nicht. Offenbar sprachen sie darüber miteinander kaum und gaben solche Informationen nicht gezielt weiter. Andere, die sich wie der künftige Dresdner Polizeipräsident Max Opitz257 informiert zeigten, hatten im Radio davon gehört.258 Weidauer hingegen, wie Opitz in Haft, meinte, zwar sei auch im Zuchthaus „einiges durchgesickert, aber über das, was nach der Befreiung kommen sollte“, habe er lediglich Vermutungen anstellen können.259 Nachdem die sowjetische Führung grünes Licht gegeben hatte, informierten im sächsischen Hauptquartier der Roten Armee in Radebeul Offiziere schon am 10. Juni 1945 eine Gruppe ausgewählter Kommunisten über die praktischen Konsequenzen des SMAD-Befehls Nr. 2 zur Wiederaufnahme des politischen Lebens.260 Anschließend gab ihnen Ackermann den in Moskau vom Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) genehmigten Aufruf der KPD bekannt und sie konnten damit an die deutsche Öffentlichkeit treten. „Die Erfahrungen der sowjetischen Genossen hatten bei der Formulierung des Aufrufes gewissermaßen Pate gestanden,“ umschrieb Weidauer später euphemistisch die von Stalin diktierten Bedingungen für den Aufbau der KPD. In Hinblick auf das „Kardinalproblem des Aufrufes“ teilte ihm Matern definitiv mit: Zur „Schaffung einer parlamentarisch-demokratischen Republik“ bestehe kei-

254 Lebenslauf von Hermann Eckardt, o. D. [1947] (SächsHStAD, Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden VdN 1224, nicht paginiert). 255 Lebenslauf von Alfred Findeisen vom 30.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 79 f.). 256 Vgl. Kraushaar, Wirkung des „Deutschen Volkssenders“, S. 116–133; Stößel, Positionen und Strömungen, S. 14 und 21. 257 Max Opitz 1890–1982, Tischler, ab 1919 KPD, verschiedene Funktionen, nach 1933 illegale Tätigkeit, 1933–1945 Haft, 1945–1949 Polizeipräsident Dresden, 1949–1951 Oberbürgermeister Leipzig, 1951–1960 Chef der Präsidialkanzlei und Staatssekretär beim Präsidenten der DDR. 258 Vgl. Glondajewski/Rossmann, Dokument des illegalen antifaschistischen Kampfes. 259 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 3 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 260 Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 59; Rothe/Woitinas, Matern, S. 83; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 85. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ne Alternative, ehe nicht die „Arbeiterklasse [...] eine organisierte Kraft“ geworden sei.261 Nach dem Gründungsaufruf der KPD am 11. Juni 1945, aber noch ehe die Genossen in Dresden diesen gedruckt nachlesen konnten, begründete Hermann Matern die vorgegeben Linie: „Die Frage der Errichtung der Diktatur des Proletariats ist im gegenwärtigen Moment unrichtig“, die Situation verlange schlechterdings ein Programm, das jeder Demokrat unterschreiben und um das sich „das ganze Volk“ scharen könne. Damit wende die Partei sich nicht von ihren Zielen ab: „Natürlich wollen wir den Sozialismus, aber das steht nicht im Vordergrund, da es jetzt dafür noch keine Voraussetzungen gibt.“262 Reichlich zwei Wochen später führte er drastisch und nicht ohne Ironie aus, welche Voraussetzungen dies seien: „Die Genossen haben die Entwicklung der Partei nicht in lebendiger Verbindung mitmachen können“ und bewegten sich darum noch in den alten Gedankengängen. Jetzt gelte: „Demokratische Republik! Alles andere ist keine Politik, sondern Quatsch. Das war die Schlussfolgerung, die die Partei aus der Niederlage 1933 gezogen hat. Und, Genossen, denkt Euch heute hier einmal die Rote Armee weg, und wir wollten die Diktatur des Proletariats errichten! (Gelächter!) Wäre also die Losung: Diktatur des Proletariats heute richtig? Nein! Weil wir ein kleines Häuflein wären, das diese Diktatur erkämpfen will.“263 Die KPD entwickelte sich vom ersten Tag ihrer Wiedergründung zu einer zentralistischen Kaderpartei, deren politische Führung ihre Entscheidungen mit Instrukteuren direkt an die Basis durchstellte. Insofern stellte die KPD das ideale Herrschaftsinstrument der SMAD, weil der in ihr angestrebte reibungslose Informationsfluss von der Spitze bis an die Peripherie die rasche und einheitliche Verbreitung von Befehlen sowie deren Umsetzung ermöglichte.264 Zur Durchsetzung ihres Führungsanspruchs widmeten die Moskau-Kader dem Aufbau des Parteiapparates größte Sorgfalt.265 Erst nach eingehender Überprüfung wurden „bewährte“ Genossen in leitende Funktionen eingesetzt. Zur ersten Stadtleitung der KPD in Dresden bestimmte Matern neben seinen beiden Beauftragten Körner und Glaser mit Herbert Gute und Fritz Schälicke zwei weitere Moskau-Kader, außerdem den langjährigen Funktionär Arthur Schliebs sowie weitere Genossen.266 261 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 6 f. (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 65; Morré, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees, S. 166–177. 262 Referat Materns über die Neubildung der Partei vom 13. 6.1945 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 50, Bl. 1 und 4). Vgl. Gniffke, Jahre, S. 33. 263 Referat von Hermann Matern auf der Funktionärstagung in Omsewitz vom 1. 7.1945 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 50, Bl. 33 und Bl. 49), Hervorhebung im Original. Vgl. Rothe/Woitinas, Matern, S. 86; Sywottek, Volksdemokratie, S. 205; zu Materns Demokratieverständnis siehe Behring, Zukunft, S. 166. 264 Vgl. zu Praxis, Umfang und Intensität der sowjetischen Einflussnahme die Interpretation von Badstübner/Loth, Pieck – Aufzeichnungen, S. 23–45. 265 Vgl. Donth, KPD, S. 110–115. 266 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 65. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Für eine rasche Aufnahme der Parteiarbeit und die Gründung von Stadtteilgruppen der KPD nach dem 11. Juni 1945 bestanden jedenfalls nach der gründlichen Vorarbeit in den von Kommunisten gebildeten kommunalen Verwaltungen und in den von ihnen kontrollierten „Antifa-Komitees“ beste Ausgangsbedingungen.267 Die in den Behörden platzierten „Vertrauensleute“ betätigten sich als Organisatoren der Parteigruppen und konnten sich auf die Arbeitskapazitäten des Verwaltungsapparates stützen.268 Daraus erwuchs der KPD unter den Bedingungen des extremen Mangels neben der vorbehaltlosen Unterstützung durch die Besatzungsmacht ein von ihrer sozialdemokratischen Rivalin nicht aufholbarer Vorsprung. Die SPD konnte auf „kein Büro, keine Schreibmaschine, kein technisches Hilfspersonal“ zurückgreifen und verfügte weder über „Zeitung noch Geld“.269

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Die Moskauer Remigranten hielten an ihrem in der Emigration gefassten Beschluss fest270 und vertagten den Aufbau einer linken Einheitspartei, sie beugten sich dem Wunsch Stalins, der eine mittlerweile anderslautende Konzeption Ulbrichts zur raschen Vereinigung von KPD und SPD ablehnte.271 Denn die Sozialdemokraten, so führte Matern später im Vorfeld der SED-Gründung aus, wollten nicht „eine Partei besonderen Typus schaffen, wie wir sie auffassen, sondern wie sie 1914 war“, und um das zu verhindern, fühlte sich die KPD-Führung noch nicht stark genug.272 Vielmehr zeigte sie großes Interesse am Entstehen einer sozialdemokratischen Partei, da eine bedingungslose Anerkennung marxistisch-leninistischer Prinzipien durch die Sozialdemokraten die entscheidende Voraussetzung der Einheitspartei bildete.273 Die kommunistische Parteiführung ging auf die Sozialdemokraten in Dresden zu, um sie für den Aufbau einer eigenen Partei zu motivieren; sie beteiligte sich selbst aktiv daran und im Hintergrund zog die SMAS die Fäden. Sozialdemokratisch eingestellte Arbeiter sahen keine Veranlassung, „eine eigene Partei zu bilden“, weil sie das kommunistische Aktionsprogramm als

267 Bericht über die Tätigkeit der Kommunalen Hilfsstelle Trachau vom 8.-18. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 167 f.). 268 Matern, Die Partei wies uns den Weg, S. 44. 269 Buchwitz, Vereint, S. 125. Vgl. Rudolph, Ausschaltung der SPD, S. 175. 270 Beratung der KPD-Führung vom 5.12.1943. In: Erler / Laude / Wilke, Nach Hitler, S. 100; „Strategie und Taktik der Machtübernahme. Notizen Sepp Schwabs zu einem Referat Walter Ulbrichts vom 24. 4.1944. In: ebd., S. 168. 271 Vgl. Laufer, Genossen, S. 357. 272 Referat von Hermann Matern „Über die Schaffung der Einheitspartei“ in der Hofewiese vom 19.1.1946 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 52, Bl. 66 f.). 273 Vgl. Schmeitzner / Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 66; Stößel, Positionen und Strömungen, S. 64. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„Grundlage zur Bildung einer einheitlichen Arbeiterpartei“ auffassten.274 Im Gegensatz zu anderen sozialdemokratischen Gründungszentren wie Leipzig und Magdeburg, wo die Wiedergründer stärker an die Weimarer Traditionen der Partei anknüpften, fand in den unter sowjetischem Einfluss stehenden Regionen wie Dresden die Konzeption einer sozialistischen Einheitspartei eine breite Zustimmung.275 Manch früheres SPD-Mitglied trat der kommunistischen Partei bei.276 Der Freitaler Oberbürgermeister Arno Hennig sprach von dem „elementaren Willen der Arbeiter“, nach dem Ende des Krieges die „sozialistische Einheitsfront“ herzustellen: „Wir waren jedoch genötigt, die Sozialdemokratische Partei zu gründen, nachdem die kommunistische Bruderpartei eine Woche vorher vorangegangen war.“277 Dresdner Sozialdemokraten trafen sich zu Beratungen, doch bis zum Aufruf zur Wiedergründung der KPD am 11. Juni 1945 ergriff keiner von ihnen die Initiative zum Wiederaufbau der eigenen Partei. Allerdings hatte im Bewusstsein der Sozialdemokraten die Partei in der Illegalität weiterbestanden278 und sie dachten an den Aufbau einer „gemeinsamen Partei“, die „von der sozialdemokratischen geschichtlichen Vergangenheit geprägt sein sollte“.279 Einer der maßgeblichen Sozialdemokraten in der sächsischen Landeshauptstadt, der langjährige Stadtverordnete und Stadtverordnetenvorsteher, der Lehrer Clemens Dölitzsch,280 gehörte seit 1919 der SPD an und war 1929 bis 1933 im Parteibezirk Dresden-Ostsachsen 2. Vorsitzender gewesen. Die Nationalsozialisten hatten ihn vom Dienst suspendiert und eingesperrt, zuletzt mehrere Monate im Konzentrationslager Sachsenhausen. Von dort Anfang Februar 1945 entlassen, war der jetzige Stadtschulrat einer der Initiatoren der SPD in Dresden.281

274 Bericht der Bezirksleitung der KPD über die Propagierung des Aufrufs des ZK der KPD vom 11. 6.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 25, S. 41. 275 Stenogramm der Mitteilungen der Genossen Ackermann, Ulbricht und Sobottka über die Lage in Deutschland vom 7. 6.1945. In: Laufer, Genossen, S. 361; Stein, Gegner der Vereinigung. Vgl. Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 68; Müller, Sozialdemokratische Partei, S. 463; Rudolph, Ausschaltung der SPD, S. 174. 276 Vgl. Lebenslauf von Willy N., o. D. [Ende 1946/Anfang 1947] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 145a, Bl. 58); Müller, Sozialdemokratische Partei, S. 466. 277 Sozialdemokratische Partei, Verhandlungen des Landes-Parteitages, S. 7. 278 Grebing, Probleme einer Neubestimmung, S. 55. 279 Interview mit A. W. [Arno Wend] vom 31.10.1972. In: Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, S. 230. 280 Clemens Dölitzsch 1888–1953, Volksschullehrer, seit 1919 Mitglied der SPD, 1922– 1933 Stadtverordneter in Dresden, seit 1927 Stadtverordnetenvorsteher. 1933 Schutzhaft, Amtsenthebung, mehrmals verhaftet, 1944–1945 KL Sachsenhausen und KL Oranienburg. 1945 SPD-Landesvorstand Sachsen, 1946–1948 Landesvorstand SED, seit Mai 1945 Stadtschulrat in Dresden, 1946–1950 Stadtverordnetenvorsteher, legte im Mai 1950 das Amt aus gesundheitlichen Gründen nieder. 281 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 543. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Gegen seinen Willen gehörte der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete im preußischen Landtag Richard Woldt282 gleichfalls zu diesem Gründungszirkel. Der im Selbststudium zum Ingenieur und „Gewerkschaftsprofessor“ gewordene Metallarbeiter hatte lange Jahre neben seiner Tätigkeit im Preußischen Kultusministerium an verschiedenen Hochschulen gelehrt. Nach seiner Entlassung 1933 und einer kurzen Verhaftung 1937 zog er sich nach Dresden zurück, um ungestört wissenschaftlich zu arbeiten. Jetzt vertrat er die Ansicht, dass jüngere Personen „in die Arena kommen“ sollten, doch offenbar müsse auch mancher im „inzwischen vorgerückten Alter [...] für diese oder jene Sonderaufgabe“ zur Verfügung stehen.283 Bei seiner reservierten Einstellung verwundert es nicht, dass Woldt sich im Herbst 1945 rasch aus der SPD wie auch aus dem Wirtschaftsressort der sächsischen Landesverwaltung zurückzog.284 Oberbürgermeister Friedrichs, bereits damals unter der „geschickten Lenkung“ Hermann Materns stehend,285 bewegte Woldt und Dölitzsch, die organisatorischen Vorbereitungen zur Wiedergründung der SPD in die Hände zu nehmen.286 Sie trugen Adressen zusammen und knüpften Kontakte. Anfang Juni traf der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Otto Buchwitz,287 den die Nationalsozialisten in der dänischen Emigration verhaftet hatten, in Dresden ein und erhielt durch Friedrichs Verbindung zu Elsa Fenske. Die Kommunistin ersuchte Buchwitz, sich in den Gründungsprozess der SPD aktiv einzuschalten und dort „dazu beizutragen, dass wieder eine geeinte Arbeiterbewegung zustande käme“.288 Diese auf vielfältige Weise von Kommunisten gelenkten Sozialdemokraten trafen sich zu Vorbesprechungen, bei denen die unterschiedlichen Standpunkte zur Frage der Wiedergründung der SPD oder der Neugründung einer Einheitspartei nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden konnten. Nach Veröffentlichung des Befehls Nr. 2 legte Hermann Matern in der Privatwohnung von Oberbürgermeister Friedrichs dem Gründerzirkel die Notwendigkeit einer eigenständigen sozialdemokratischen 282 Richard Woldt 1878–1952, Mechaniker und Techniker, Mitglied der SPD, Hochschullehrer, Ministerialrat im Preußischen Kultusministerium. Entlassung 1933, 1945 kurzzeitig Vizepräsident für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr der Landesverwaltung Sachsen, Professor an der TH Dresden. 283 Lebenslauf Richard Woldt, o. D. [Juni/Juli 1945] (SächsHStAD, LRS Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge 6, Bl. 43–46). 284 Vgl. Tagebucheintrag vom 14. 8.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 289; Halder, Modell, S. 80 f. 285 Charakteristik der leitenden Mitarbeiter in der Landesverwaltung Sachsen von Smolka vom 24.10.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/186, Bl. 204). 286 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 113. 287 Otto Buchwitz 1879–1964, Metallarbeiter, seit 1898 SPD, 1907–1914 Gewerkschaftsangestellter. 1919–1933 Sekretär des Bezirks Niederschlesien der SPD, 1924–1933 Reichstagsabgeordneter 1933 Emigration nach Dänemark, 1940 verhaftet und an Deutschland ausgeliefert. 1945/46 Landesvorsitzender der SPD Sachsen, 1946–1948 Landesvorsitzender der SED Sachsen, 1947–1952 Abgeordneter und Präsident des Landtages Sachsen. Seit 1946 Parteivorstand / ZK der SED, verschiedene politische Funktionen, Abgeordneter und Alterspräsident der Volkskammer. 288 Buchwitz, Brüder, S. 23. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Partei dar.289 Er forderte die Genossen um Dölitzsch, Woldt und Buchwitz zur Gründung der SPD auf, obwohl sie dies „grundsätzlich“ ablehnten und „nur einer geeinten Arbeiterpartei ihre Mitarbeit zusagten“. Da Matern allerdings mit diesbezüglichen Wünschen der Besatzungsmacht argumentierte, und weil sie wollten, „dass die SPD von wirklichen Sozialisten gegründet werden“ solle, verschlossen sie sich seinem Ansinnen nicht länger.290 Die KPD-Führung und sowjetische Offiziere verhinderten einen eigenständigen innerparteilichen Willensbildungsprozess der Sozialdemokraten und wirkten zudem verzögernd auf den Gründungsprozess in Dresden ein. Paul Gärtner, ein weiterer Dresdner Sozialdemokrat, wandte sich an Kurt Fischer, den für Genehmigungsfragen zuständigen Bürgermeister, wegen einer Zusammenkunft ehemaliger SPD-Mitglieder „mit dem Ziel der Wiederaufnahme der legalen politisch organisatorischen Arbeit“. Diese Zusammenkunft zur Formierung der SPD sollte am 15. Juni 1945 stattfinden. Fischer vermerkte am Rand des Schreibens, ein solches Treffen könne „vorläufig nicht gestattet werden“.291 Fischer verbot dieses, um das Zusammentreten eines nicht unter kommunistischem Einfluss stehenden Kreises von Sozialdemokraten zu verhindern. Verschiedentlich traten auch andere Kommunisten in Dresdner Stadtbezirken gegen den Aufbau sozialdemokratischer Ortsgruppen auf.292 Die von ihnen in der Stadtverwaltung besetzten Schlüsselpositionen ermöglichten nicht allein die gezielte Aufbauarbeit ihrer Partei, sondern auch die massive Behinderung der anderen.293 Deswegen entstand die SPD in Dresden später als in anderen sächsischen Orten wie etwa in Chemnitz, wo sich die Partei bereits am 16. Mai 1945 konstituierte.294 Nach neuerlichen Vorbesprechungen unter Beteiligung von Friedrichs, Woldt, Dölitzsch und Buchwitz bildeten die Dresdner Sozialdemokraten am 25. Juni 1945 einen „Vorbereitenden Ausschuss“, der die Wiedergründung der Partei beschloss.295 Die Gründung der SPD für das Land Sachsen erfolgte am Tag darauf in der Dresdner Tonhalle mit dem Aufruf, den die sowjetische Kommandantur kurz zuvor genehmigt hatte. Die Sozialdemokraten forderten die „Zusammenarbeit aller antifaschistisch und antimilitaristisch gesinnten und damit aller anständig denkenden und anständig fühlenden Menschen“ und be289 Vgl. Malycha, Weg zur SED, S. XLIII; Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 52 f. 290 Gründung der SPD im Bundesland Sachsen, o. D. [wahrscheinlich Frühjahr 1946] ohne Verfasser (SAPMO-BArch, DY 28 II 3/4/1, Bl. 17). 291 Paul Gärtner an Kurt Fischer vom 13. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 9); Fischer an Gärtner vom 15. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.03.002, nicht paginiert). Vgl. Müller, Sozialdemokratische Partei, S. 465. 292 Vgl. Glöckner, Partei, S. 101 f. 293 Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 49. 294 Gründung der SPD im Bundesland Sachsen, o. D. [wahrscheinlich Frühjahr 1946] ohne Verfasser (SAPMO-BArch, DY 28 II 3/4/1, Bl. 17); nach anderen Angaben erfolgte die Gründung dort am 16. 6.1945, Schmeitzner / Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 125. 295 Protokoll über die Beratung eines Vorbereitenden Ausschusses zum Aufbau der SPD Sachsen in Dresden am 25. 6.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 54 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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grüßten ausdrücklich den Aufruf des Zentralkomitees der KPD. Auch wenn sie den „Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Hunger, [...] für Demokratie und Freiheit“ in den Vordergrund ihrer Arbeit stellten, wandten sie sich noch vor der Proklamierung ihrer eigenen politischen Ziele an die Repräsentanten der erwarteten anderen Parteien mit dem Wunsch, gemeinsam mit ihnen in einem festen „Block“ den „Faschismus“ und die „Reaktion“ zu bekämpfen. Die dieser Prämisse folgenden Forderungen der SPD wie die restlose „Vernichtung aller Spuren des Hitler-Regimes“, die „Sicherung des lebensnotwendigen Bedarfs“ und die nach einem „Wiederaufbau der Wirtschaft“ und einer „Verstaatlichung“ von Großunternehmen wirkten demgegenüber beinah untergeordnet. Das „eigensüchtige Parteiengezänk, wie es das politische Schlachtfeld der Weimarer Republik erfüllte“, fürchteten die Sozialdemokraten mehr als anderes.296 Mit ihren Ressentiments gegenüber der parlamentarischen Demokratie von Weimar öffnete sich die SPD nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur dem Zweckbündnis mit der KPD.297 Die Mehrheit der Dresdner Gründungsversammlung lehnte die Änderungsvorschläge zu diesem Aufruf mit dem Argument ab, er sei schließlich nur in dieser Form von der sowjetischen Kommandantur genehmigt worden. Auch Dölitzsch griff die vorhandenen Bedenken nicht auf und verwies hingegen auf die „zwingende Notwendigkeit“ zur Gründung der SPD. Die Arbeiterschaft erwarte zwar, so führte er aus, „dass eine geschlossene Arbeiterbewegung [...] entstehen“ werde, sie müsse sich „jedoch mit den gegebenen Verhältnissen“ abfinden. Der gleichfalls anwesende Matern erwiderte, es sei wichtig, „nicht in alte Fehler zu verfallen, sondern aus der Vergangenheit zu lernen und [...] gemeinsam den Kampf gegen den Nazismus, Militarismus und Imperialismus aufzunehmen“.298 Die Präsenz Materns demonstrierte die omnipotente Funktion der KPD bei der Gestaltung künftiger Politik.299 Seit dem 26. Juni 1945 gab es in Dresden den als „engeren Ausschuss“ bezeichneten Führungszirkel um Otto Buchwitz, Felix Kaden,300 Dölitzsch und weitere Altgenossen für die SPD in ganz Sachsen, doch entgegen den traditionellen Organisationsprinzipien nicht die Bezirksvorstände und keine Vorsitzenden der Partei. Ehe die SMA die Genehmigung erteilte, verlangte sie in Dresden 296 Aufruf der sächsischen SPD: Männer und Frauen Sachsens, Jugend in Stadt und Land! vom 26. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002.1, nicht paginiert). 297 Vgl. Aufruf des Zentralausschusses der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 15. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 17–21. 298 Gründungsversammlung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für das Land Sachsen am 26. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II / A /1.002.1, nicht paginiert). 299 Vgl. Buchwitz, Brüder, S. 34. 300 Felix Kaden 1892–1964, Schriftsetzer, 1910 Mitglied der SPD, 1920–1933 Parteisekretär, zwischen 1933 und 1945 mehrmalige Haft. 1945–1946 Mitglied des geschäftsführenden sächsischen SPD-Landesvorstandes, danach bis 1948 Mitglied des SED-Landessekretariats, 1946–1948 Abgeordneter des sächsischen Landtages, 1950 kurzzeitig Landwirtschaftsminister, Entlassung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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von der sächsischen SPD zusätzlich zur herkömmlich üblichen Bezirksgliederung die Bildung eines Landesverbandes, ein ihren Vorstellungen entsprechendes zentralistisches Element. Außerdem mussten sich die Sozialdemokraten mit den Kommunisten auf die Bildung eines gemeinsamen Aktionsausschusses verständigen. Am Tag darauf trafen sie sich mit der KPD-Führung und verabredeten die Zusammenarbeit entsprechend den zwischen KPD und SPD auf Zonenebene getroffenen Vereinbarungen vom 19. Juni 1945. Die statt der Einheitspartei dort propagierte „Aktionseinheit“ sollte oppositionelle Bestrebungen in der SPD abblocken und die Partei selbst in die kommunistische Politik einbinden. Noch lag eine sowjetische Zulassung lediglich für den sozialdemokratischen Gründungsaufruf vor. Erst nach Herstellung der „Aktionseinheit“ genehmigte die Kommandantur die Parteigründung.301 Der aus dem „engeren Ausschuss“ hervorgegangene sächsische Landesvorstand der SPD wählte am 9. Juli 1945 auf Drängen der Kommunisten Otto Buchwitz zum Vorsitzenden.302 Buchwitz teilte ihre Überzeugungen303 und erleichterte die spätere Vereinigung der Parteien. Der gleichfalls am Gründungsprozess der Partei beteiligte Arno Haufe,304 ein Gegenspieler von Buchwitz, wurde einer seiner Stellvertreter und Vorsitzender des Bezirksverbandes Dresden. Friedrichs übernahm keine Funktion in der SPD-Führung und trat der Partei erst später auf dringenden Wunsch von Matern bei.305 Arno Wend,306 der ursprünglich aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft nach Erfurt zurückgekehrt war, nahm seine Tätigkeit als Sekretär des SPD-Unterbezirks Groß-Dresden am 1. August 1945 auf. Er gehörte mit Dölitzsch, Buchwitz, Friedrichs, Haufe und einer großen Zahl anderer Sozialdemo301 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 115. 302 Vgl. Bouvier, Rolle der Sozialdemokratie, S. 453 und Fußnote 223; Malycha, Weg zur SED, S. XLIV. 303 Vgl. Buchwitz, Brüder, S. 36 f. 304 Arno Haufe 1884–1962, Mitglied der SPD seit 1906, verschiedene Funktionen, Teilnahme an der Revolution 1918/19 in Sachsen, 1923 Regierungsrat bei der Kreishauptmannschaft Dresden. 1933 Illegalität, mehrfache Verhaftung. 1945 Mitbegründer der SPD und stellvertretender Landesvorsitzender in Sachsen, 1946 Landessekretär der SED, Verlust aller Ämter im September 1947. Verhaftung 1948, 1950 Verurteilung zu 25 Jahren Gulag durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT), 1956 vorzeitige Entlassung in die Bundesrepublik Deutschland. 305 Auskunft des Chefs der Abteilung der SMA-Verwaltung des Landes Sachsen, Oberstleutnant Watnik, über Rudolf Friedrichs vom 27. 3.1947. Streng geheim! In: Richter / Schmeitzner, Einer von beiden, S. 302 f. 306 Arno Wend 1906–1980, Notariatsangestellter. Seit 1925 Mitglied der SPD, Bezirksvorsitzender der Jungsozialisten Ostsachsen und 1932/33 Stadtverordneter in Dresden, nach 1933 mehrfache Verhaftung und zeitweilige Arbeitslosigkeit, 1940–1945 Wehrmacht. Im Juli 1945 Rückkehr nach Dresden, Mitglied des SPD-Landesvorstandes. 1946 Mitglied des SED-Landesvorstandes, Leiter der Personalpolitischen Abteilung des SEDLandessekretariats – von dieser Funktion wurde er bereits Ende September 1946 entbunden, Stadtverordneter in Dresden. Im November 1947 Ausschluss aus der SED, Hospitant der CDU-Stadtverordnetenfraktion, Verhaftung im Juli 1948. 1950 Verurteilung zu 25 Jahren Gulag durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT), Ende 1955 vorzeitige Entlassung, Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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kraten zu jenen, die gleich ihren kommunistischen Leidensgenossen von den Nationalsozialisten verfolgt und gemaßregelt worden waren, und sich jetzt aktiv am politischen Gestaltungsprozess beteiligten. In seinem Lebenslauf vermerkte er unter der Rubrik „illegale Arbeit 1933–1945“ lediglich sehr zurückhaltend: „Fortsetzung der SPD. Aufrechterhaltung der Verbindung mit den Mitgliedern der Partei. Wiederholter Aufenthalt im Auslande, vor allem in der CSR“, was eine Anklage wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ veranlasste.307 Der aus Zittau stammende Verwaltungsfachmann und Kommunalpolitiker, durch die Nationalsozialisten 1933 vom Posten eines Abteilungsleiters im Dresdner Arbeitsamt entfernt, trat gleichfalls für eine Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung ein. Die Voraussetzung dafür bestand seiner Meinung nach in einer selbstbewussten und organisatorisch intakten, mitgliederstarken SPD, die auf diese Weise eine Schwerpunktverlagerung zur sozialdemokratischen Tradition bewirken konnte.308 Häufig bauten alte, entweder selbst in der Weimarer Republik aktiv gewesene oder durch ihre Familien hineingewachsene und von der Arbeiterbewegung geprägte Sozialdemokraten die Parteigruppen in ihren Stadtbezirken auf.309 Sie arbeiteten in Gremien, die sich mit der Lösung von Alltagsproblemen befassten, und bekleideten oft wichtige Funktionen in Versorgungs- und Wohnungsverwaltungen oder Genossenschaften. Helmut Schneider, ein 1910 geborener Verwaltungsangestellter und engagierter sozialdemokratischer Jugendleiter in Dresden, arbeitete seit Juni 1945 als Personalamtsleiter des Dresdner Zentralwohnungsamtes. 1933 hatte er nach seiner Entlassung zusammen mit zwei anderen Sozialdemokraten, Fritz Heinicke und Albert Meier, mittels einer von ihnen gegründeten Großhandlung ein illegales Verteiler- und Kuriernetz aufgebaut. Die 1935 nach ihrer gemeinsamen Verhaftung erhobene Anklage wegen der Vorbereitung zum Hochverrat musste wegen fehlender Beweise fallengelassen werden. Nach ihrer Freilassung hielten die Genossen ihren Kontakt aufrecht und konnten andere verfolgte Sozialdemokraten unterstützen.310 Fritz Heinicke gründete 1945 den SPD-Ortsverein Dresden-Omsewitz. Er wurde Verbindungsmann von Oberbürgermeister Friedrichs bei der Gründung der SPD. Er leitete das Dresdner Sportamt und danach das Landessportamt; Fischer entließ ihn im September 1945. Bis zu seiner Verhaftung 1948 und anschließenden Verurteilung durch ein sowjetisches Sondertribunal arbeitete er im SPD- und später im SED-Landesvorstand.311 Albert Meier war vor seiner Tätigkeit im SPD-Landesvorstand Stadtdirektor des Zentralwohnungsamtes, da-

307 Lebenslauf von Arno Wend vom 7. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 221 f.). 308 Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 240 f. 309 Vgl. ebd., S. 255. 310 Lebenslauf von Helmut Schneider vom 15. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 142, Bl. 356 f.). 311 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 549. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nach Parteisekretär und paritätischer Vorsitzender des SED-Bezirks Ostsachsen, ehe er 1947 von allen Ämtern zurücktrat.312 Wie sie bekleidete im Mai 1945 der nachmalige sächsische Arbeitsminister Walther Gäbler313 eine Position im Dresdner Rathaus und befasste sich mit den Vorbereitungen zum Aufbau der Landesverwaltung.314 Die fünfundvierzigjährige Lehrerin Marianne Wirthgen hingegen wurde erst 1945 Mitglied der SPD und ein Jahr später Stadtverordnete. 1933 von den Nationalsozialisten aus einer Dresdner Reformschule entlassen, arbeitete sie jetzt in einer pädagogischen Arbeitsgemeinschaft der Lehrergewerkschaft und in einem Frauenausschuss.315 Der 1895 geborene Arbeiter Alfred Findeisen, im Unterschied zu ihr schon frühzeitig in der SPD und in der Gewerkschaft organisiert, baute 1945 eine SPD-Ortsgruppe auf, wurde Betriebsratsvorsitzender und 1946 gleichfalls in die Dresdner Stadtverordnetenversammlung gewählt.316 Den 1884 geborenen Installateur und SPD-Landtagsabgeordneten Otto Fischer hatten die Nationalsozialisten aus seinem Amt als Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes in Dresden entlassen. Ihm übertrug Friedrichs im Mai 1945 die kommissarische Leitung der von den Gewerkschaften in Freital gegründeten Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft.317 Ein sozialdemokratischer Dresdner Theologe bemühte sich um die Erneuerung der evangelischen Kirche.318 Gleich ihnen beteiligten sich zahlreiche Sozialdemokraten am gesellschaftlichen Neuaufbau in kommunalen Arbeitsgebieten und in der Gewerkschaftsarbeit, an der Reorganisation der sächsischen SPD und am Neuaufbau der Verwaltung. Die Wiedergründung der sächsischen Sozialdemokratie erfolgte unabhängig vom Berliner Zentralausschuss der SPD.319 Persönliche Kontakte zwischen Berliner und Dresdner Funktionären gab es relativ spät, wahrscheinlich erst Ende August 1945.320 Dieser die Dresdner Isolation betonende Umstand unterstreicht die eingangs erwähnte gravierende Benachteiligung der SPD. Sie verfügte weder über die Kommunikationsmöglichkeiten noch über Fahrzeuge, um 312 Ebd., S. 554. 313 Walther Gäbler 1900–1974, SPD, 1933 Entlassung aus dem Staatsdienst, Wirtschaftsberater, 1945 Vizepräsident der Landesverwaltung Sachsen Ressort Landwirtschaft, Handel und Versorgung, 1946 Minister für Arbeit und Sozialfürsorge. 314 Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 138. Vgl. Charakteristik der leitenden Mitarbeiter in der Landesverwaltung Sachsen von Smolka vom 24.10.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/186, Bl. 207); Notizen Gäblers zu einer Besprechung am 12. 6.1945 (SächsHStAD, Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge 6, Bl. 10); Notiz Gäblers über eine Besprechung beim Oberbürgermeister am 12. 6.1945 (ebd., Bl. 72). 315 Lebenslauf von Marianne Wirthgen vom 3. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 244). 316 Lebenslauf von Alfred Findeisen vom 30.1.1947 (ebd., Bl. 79 f.). 317 Lebenslauf von Otto Fischer vom 24.1.1947 (ebd., Bl. 91 f.). 318 Schreiben von Vikar Dr. Starke an Friedrichs vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 84). 319 Vgl. Protokoll über die Beratung eines Vorbereitenden Ausschusses zum Aufbau der SPD Sachsen in Dresden am 25. 6.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 54 f. 320 Ebd., S. XLIV. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Verbindungen aufnehmen zu können. Die verschiedenen sächsischen Ortsgruppen entstanden unabhängig vom Landesvorstand, regionale und lokale Besonderheiten prägten sie. Diese eigenständige Ortsgruppen- und Bezirksverbandsgründung wiederum entsprach dem sozialdemokratischen Selbstverständnis, die Gründung eines sächsischen Landesverbandes jedoch nicht.321 Diese SPDOrtsgruppen, von der Basis her aufgebaut, praktizierten innerparteiliche Demokratie und wählten ihre Vorsitzenden und die Delegierten für die nächsthöheren Parteigremien. Die so gewählten blieben ihren Parteigruppen verpflichtet. Doch die eigenständigen Bestrebungen der sozialdemokratischen Basis liefen den kommunistischen Absichten zuwider. Wie in Dresden schalteten sich in ganz Sachsen Kommunisten in den Aufbau der SPD ein.322 Von Matern in „instruktiver Weise“ darauf eingeschworen, „den sozialdemokratischen Genossen zu erklären, warum es notwendig sei, dass die SPD-Genossen ihre Partei auch aufbauen müssten“,323 gründeten sie teilweise selbst die sozialdemokratischen Ortsgruppen. Der nachmalige Kirchenrat und kommunistische Dresdner Stadtverordnete, der Theologe Werner Meinecke, 1945 Pfarrer in einem Erzgebirgsdorf, berichtete, er sei nach Absprache mit seinen „Freunden in der KPD“ der SPD beigetreten und habe als stellvertretender Ortsvorsitzender die Partei in seinem Dorf aufgebaut.324 In Zittau griff die KPD mittels eines übergetretenen Sozialdemokraten in den Gründungsprozess der örtlichen SPD ein.325 Andernorts beauftragte der sowjetische Kommandant den kommunistischen Parteisekretär mit dem Ausschluss der in die KPD eingetretenen SPD-Mitglieder, damit diese eine SPD-Ortsgruppe bildeten.326 Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten erfreute sich die SPD eines großen Zuspruchs.327 Die sozialdemokratischen Ortsgruppen, verstärkt von zurückkehrenden Kriegsteilnehmern, wuchsen kontinuierlich. Am 1. August 1945 gehörten 2 629 Männer und 1 308 Frauen zur Dresdner SPD, einen Monat später 3 620 Männer und 1801 Frauen. Der sehr hohe Frauenanteil in den ersten Wochen nach der Wiedergründung der Partei resultierte daraus, dass durch Verfolgung und Krieg besonders die Männer unter den Altmitgliedern reduziert wurden. Die SPD erreichte in Dresden Ende September 7100 und Ende Oktober 9 700 Mitglieder.328 321 Malycha, SED, S. 66. 322 Donth, Gründung der SED. 323 Erlebnisbericht Erich Glasers vom 10. 2.1976, S. 266 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.041.002). Vgl. Bericht der Bezirksleitung der KPD über die Propagierung des Aufrufs des ZK der KPD vom 11. 6.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 25, S. 41. 324 Lebenslauf von Werner Meinecke vom 10.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 129 f.). Vgl. Stößel, Positionen und Strömungen, S. 42 f. 325 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 137 f. 326 Vgl. Leonhard, Revolution, S. 499. 327 Vgl. Hurwitz/Sühl, Demokratiepotential, S. 193. 328 Vgl. Entwicklung der Mitgliederzahlen in Dresden Stadt, Stand 1. 8.1945, 1. 9.1945, 1.10.1945, 1.11.1945, (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/2.010, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Freiräume zur Entwicklung sozialdemokratischer Identität und Eigenständigkeit blieben für die in die „Aktionseinheit“ mit den Kommunisten hinein gegründeten Sozialdemokraten gering. In Berlin band am 19. Juni 1945 die kommunistische Parteiführung die SPD, schon vier Tage nach deren Gründungsaufruf, in den auf eine kommunistische Initiative zurückgehenden „AktionseinheitsAusschuss“ ein.329 Die von Spitzenfunktionären beider Parteien getroffene Vereinbarung über die Zusammenarbeit und die Bildung gemeinsamer Arbeitsausschüsse setzte sämtlichen Ortsgruppen der SPD einen engen Rahmen. Die Sozialdemokraten in Dresden kamen nicht umhin, am 3. Juli eine gleichlautende Vereinbarung mit den Kommunisten zu unterzeichnen, in der diese den „Aufbau einer antifaschistischen, demokratisch-parlamentarischen Republik“ offerierten.330 Arglose Sozialdemokraten wie der Dresdner Jugendamtsleiter Hans Pawlowitsch hofften noch lange Zeit auf eine ehrliche Zusammenarbeit mit der KPD.331 In den lokalen Arbeitsausschüssen hingegen setzten Kommunisten die Sozialdemokraten mit einem Hinweis auf die Wünsche der Besatzungsmacht unter Druck und verfolgten ausschließlich ihre Interessen. Eine Schlüsselrolle bei der Blockade pluralistischer Strukturen in der SPD und der traditionell demokratischen Kontrolle ihrer Führungsgremien spielte der Landesvorsitzende Otto Buchwitz selbst. Wend, der „in Buchwitz den schlechtesten Mann, den wir bekommen konnten“ sah, meinte, jener lebe „in der Illusion, man brauche nur ein guter Kamerad zu den Kommunisten zu sein, dann sei die ganze Sache schon erledigt“.332 Die von den Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit bewirkte Schwächung der pro-kommunistischen Position des sächsischen Parteivorsitzenden veranlasste Matern, „den Genossen Otto Buchwitz zu unterstützen“ und ihm gegen seine innerparteilichen Widersacher den Rücken zu stärken.333 Matern brüstete sich offen damit, Buchwitz an der Spitze der sächsischen Sozialdemokratie installiert zu haben.334 Offenkundig instrumentalisierte er ihn für die Ziele der KPD-Führung.335 Buchwitz konnte nicht allein wegen der ihm nachgesagten politischen Illusionen bezüglich der Einheit der Arbeiterklasse kaum als Sachwalter der SPD auftreten, er zeigte sich sehr empfänglich gegenüber kommunistischen Korrumpierungsversuchen.336 Er bat den „lieben Genossen Weidauer“ neben Schuhen für 329 Müller, Gründung der SED, S. 14. Vgl. Schroeder, SED-Staat, S. 31. 330 Vereinbarung der Landesgruppe Sachsen der SPD mit der Bezirksleitung Sachsen der KPD vom 3. Juli 1945 über die Bildung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses. In: Dokumente und Materialien, S. 45 f. 331 Interview mit Hans Pawlowitsch vom 18. 6.1974 (AdsD, SBZ-Projekt, S. 13). 332 Interview mit A. W. [Arno Wend] vom 31.10.1972. In: Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, S. 231. 333 Matern, Die Partei wies uns den Weg, S. 46. 334 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 120 f. Vgl. Interview mit T. S. [Stanislaw Trabalski] vom 22.11.1973. In: Bouvier / Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, S. 211. 335 Buchwitz, Brüder, S. 96 f. 336 Vgl. Rudolph, Ausschaltung der SPD, S. 176 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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seine Frau und seine Tochter auch um Benzin und Zigaretten und um „einige von jenen Paketen [...], welche Du uns freundlicherweise einmal abgelassen hast“.337 Mit den Zuwendungen aus dieser Quelle versorgte er auch seine nähere Umgebung.338 Infolgedessen musste Buchwitz an einem guten Verhältnis zu Weidauer gelegen sein, der ihn wiederum in seine Konflikte mit Sozialdemokraten einschaltete und von Buchwitz verlangte, mäßigend auf die Vertreter kritischer Positionen einzuwirken. Andernfalls drohte er mit einer Abkühlung der Beziehung.339 Dass Buchwitz den Kurs der KPD-Führung unterstützte, ist wenig verwunderlich. Die Persönlichkeit des Dresdner Oberbürgermeisters Friedrichs hingegen entzieht sich der eindeutigen Beurteilung. Eine von persönlichen Erfahrungen in der Weimarer Demokratie getragene Skepsis hinsichtlich des parlamentarischen Parteiensystems steht der Tatsache gegenüber, dass er sich während seiner Amtstätigkeit als sächsischer Ministerpräsident von Illusionen entfernte, die seine Zusammenarbeit mit den Kommunisten veranlassten. Zuletzt vertraute er nur noch den Sozialdemokraten in seiner Umgebung.340 Bereits im Herbst 1945 wurden die von ihm geübten „Rücksichten auf die Politik seiner Partei“ kritisiert. Im Zentrum des Angriffs standen die „Bestrebungen derjenigen Elemente [...], die gern aus der Einheitsfront ausbrechen möchten“. Friedrichs persönliche Bindungen an sie würden sich „hemmend auf seine Arbeit auswirken“.341 Die demokratisch-pluralistische Tradition ihrer Partei verkörperten Wend, Hennig, Haufe und andere Funktionäre der SPD.342 Sie konnten sich allerdings zu keinem Zeitpunkt mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg gegen die aus Kommunisten und Besatzungsmacht bestehende Allianz zur Wehr setzen.

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Im Gegensatz zu SPD und KPD stellten die beiden Parteien LDP und CDU Neugründungen mit Bezügen auf liberal-konservative demokratische Traditionen des deutschen Bürgertums dar. Unabhängig voneinander und losgelöst von den jeweiligen Berliner Parteizentralen entstanden auf lokaler Ebene verschiedene Gruppierungen einer bürgerlichen Sammlungsbewegung mit eigenen Statut- und Programmentwürfen.343 Ihre Dresdner Mitbegründer wie Hugo Hick337 Schreiben von Buchwitz an Weidauer, o. D. [August 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, nicht paginiert). 338 Buchwitz an Weidauer vom 25. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 339 [Weidauer] an Buchwitz vom 13. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 340 Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 135 ff. 341 Charakteristik der leitenden Mitarbeiter in der Landesverwaltung Sachsen von Smolka vom 24.10.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/186, Bl. 204). 342 Schmeitzner, Schulen der Diktatur, S. 71. 343 Vgl. Benz, Potsdam 1945, S. 146 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mann,344 Johannes Dieckmann345 und Walter Thürmer346 kamen aus dem breiten Spektrum ehemaliger demokratischer und liberaler Parteien der Weimarer Republik. Sie hatten ihre politische Laufbahn bei der DVP (Deutsche Volkspartei), der Rechtsanwalt und spätere sächsische LDP-Landesvorsitzende Hermann Kastner347 hingegen bei der DDP (Deutsche Demokratische Partei) begonnen. Der 6. Juli 1945 gilt in der Literatur als Gründungsdatum der liberalen Partei in Dresden, sie verabschiedete an jenem Tag ihren Gründungsaufruf.348 Dem waren in den Wochen seit dem sowjetischen Befehl Nr. 2 intensive Beratungen vorausgegangen. Jedoch erst am 15. August 1945 registrierte die sowjetische Militärverwaltung den sächsischen Landesverband der LDP.349 Nach dem 344 Hugo Hickmann 1877–1955, Theologe, ab 1908 Professor für Religionswissenschaft an der Universität Leipzig, 1919 DVP, seit 1922 Abgeordneter des Sächsischen Landtags. 1933 Versetzung in den Ruhestand, Berufsverbot. Seit 1945 Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Sachsen, 1946 Vizepräsident des Sächsischen Landtags, Ämter im Vorstand der CDU in der SBZ, 1949 Vizepräsident der Provisorischen Volkskammer der DDR. Ende Januar 1950 von der SED erzwungene Niederlegung aller öffentlichen Ämter, Parteiausschluss. 345 Johannes Dieckmann 1893–1969, Studium der Nationalökonomie und Philologie, 1918 DVP, 1919–1933 Redakteur und Parteisekretär regionaler Organisationen, 1929–1933 Abgeordneter des Sächsischen Landtags. 1933 Geschäftsführer kohlewirtschaftlicher Verbände in Sachsen. 1945 Mitbegründer der LDP und Mitglied des Landesvorstandes Sachsen, 1946 des Zentralvorstandes der LDP, 1946–1952 Vorsitzender der LDP-Fraktion und Mitglied des Präsidiums des Sächsischen Landtags, 1948–1950 Minister für Justiz und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Sachsen, 1949 Präsident der Provisorischen Volkskammer und anschließend der Volksammer der DDR, weitere Partei- und Staatsämter, hohe Auszeichnungen. 346 Dr. Walter Thürmer 1896–1971, Lehrer und Unternehmer, 1926–1933 DVP, 1929– 1933 Stadtverordneter in Dresden. 1945 Mitbegründer der LDP in Sachsen, verschiedene Funktionen im Landesvorstand, ab 1949 geschäftsführender Zentralvorstand. 1946 Stadtverordneter, 1948/49 Stadtrat und stellvertretender Oberbürgermeister in Dresden, 1950/51 Minister für Gesundheitswesen und stellvertretender Ministerpräsident der Landesregierung Sachsen, ab 1952 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TH Dresden. 347 Dr. Hermann Kastner 1886–1957, Jurist, seit 1918 DDP Vorsitzender von Ostsachsen, 1919 Rechtsanwalt in Dresden, 1922–1933 Abgeordneter des Sächsischen Landtags. Zwischen 1933 und 1945 mehrmals inhaftiert, Verbindung zum Widerstand um Rainer Fetscher. 1945–1947 Landesvorsitzender LDP Sachsen, Funktionen im Zentralvorstand der LDP, 1946–1950 Abgeordneter des Sächsischen Landtags, 1946–1948 Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident Sachsen, 1948–1950 verschieden Funktionen in DWK und Regierung der DDR, 1949/50 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer und der Volkskammer der DDR, 1950 Parteiausschluss. 1951 Rehabilitierung und Wiederaufnahme, 1956 Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. 348 Niederschrift über die Gründungsversammlung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 6. 7.1945. In: Manuskript von Dr. Wolfgang Hoffmann, Gründung der „Demokratischen Partei Deutschlands“ in Dresden, mit einem Vorwort von Volkskammerpräsident Johannes Dieckmann und Dokumentenanhang, o.J. [1965] (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–334, Bl. 73 f.). 349 Niederschrift über die 4. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 9. 8.1945 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert); unter dem Namen „Demokratische Partei Deutschlands“ seit ihrer Gründung aufgetre© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Selbstverständnis der liberalen Parteigründer in Dresden existierte die Partei somit zu einem Zeitpunkt, an dem die zuständige Besatzungsbehörde sie noch gar nicht akzeptierte. Die Vorgeschichte dieser Parteigründung offenbart das gesamte Ausmaß eines grundlegenden Missverständnisses: Demokraten im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands hielten sich für befugt, nach dem Wortlaut des SMAD-Befehls Nr. 2, der die „freie gesellschaftliche und politische Tätigkeit der deutschen Bevölkerung“ zusagte, eine auf demokratischen Prinzipien basierende Partei ins Leben zu rufen. Obwohl die Besatzungsmacht „die Bildung und Tätigkeit aller antifaschistischen Parteien zu erlauben“ ausdrücklich vorgab,350 beabsichtigte sie dies keineswegs. In Chemnitz gründete der Demokrat Hermann Schiersand unter Berufung auf den sowjetischen Befehl bereits am 12. Juni 1945 eine demokratische Partei, der jedoch der Stadtkommandant die Legitimation vorenthielt.351 Vergleichbare Vorgänge sind neben anderen Orten auch für Berlin belegt.352 Amerikanische Geheimdienste legten dem Entstehen von CDU und LDP einen „ausdrücklichen Befehl der Russen“ zugrunde, da „denen offensichtlich nachträglich einfiel, dass es sinnvoll sei, als Gegengewicht zu den beiden Arbeiterparteien zwei bürgerliche Parteien zu haben“.353 Wie aus den Aufzeichnungen von Wilhelm Pieck ersichtlich wird, enthielt diese grundsätzlich zutreffende Annahme einen Irrtum im Detail: Der Aufbau der Parteien folgte strengen Weisungen aus Moskau und beruhte keineswegs auf Improvisationen.354 Sowjetische Offiziere behinderten die Entfaltung freier politischer Aktivitäten und steuerten die Gründung der Parteien über direkte Absprachen mit einzelnen Personen. In Dresden verzögerte der Politstellvertreter des Stadtkommandanten, Oberstleutnant Solowjow, den Aufbau der anderen Parteien, wobei er eng mit den Kommunisten Fischer und Matern kooperierte: „Wenn sie sich an mich wandten, half ich ihnen jederzeit. Insgesamt vollzog sich die Bildung der KPDOrganisation bedeutend schneller und erfolgreicher als die der anderen Partei-

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ten, wurde die Partei schließlich am 15. 8.1945 registriert als LDP Landesverband Sachsen, Dähn, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 546 f. Befehl Nr. 2 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über die Zulassung antifaschistischer Parteien und Organisationen vom 10. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 6. Vgl. Aufruf der Deutschen Sozialliberalen Partei, Entwurf Johannes Dieckmanns vom 1. 7.1945. In: Manuskript von Dr. Wolfgang Hoffmann, Gründung der „Demokratischen Partei Deutschlands“ in Dresden, mit einem Vorwort von Volkskammerpräsident Johannes Dieckmann und Dokumentenanhang, o. J. [1965] (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–334, Bl. 69–72). Aufzeichnung über die Gründung der Deutschen Demokratischen Fortschrittspartei von Chemnitz und Umgebung vom 12. 6.1945. In: Agsten/Bogisch, Gründung der LiberalDemokratischen Partei, S. 1278 f. Vgl. Behring, Zukunft, S. 161. Vgl. Krippendorff, Gründung der liberal-demokratischen Partei; Louis/Sommer, Dokumente zur Gründung der LDP. Beobachtungen zur politischen Szene in Berlin, Field Intelligence Study vom 19.10. 1945. In: Borsdorf / Niethammer, Analysen des US-Geheimdienstes, S. 203. Vgl. Fischer, Einfluß der SMAD. Beratung am 4. 6.1945 um 6 Uhr bei Stalin, Molotov, Shdanov. In: Badstübner/Loth, Pieck – Aufzeichnungen, S. 50–53. Vgl. Behring, Zukunft, S. 161. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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en.“355 Der Leiter der Propaganda-Abteilung der Stadtkommandantur, Hauptmann Waks, bestätigte sowohl seine eigene Beteiligung als auch die der SMAS am Aufbau des Parteiensystems.356 Die sowjetische Stadtkommandantur in Dresden beauftragte Ernst Scheiding357 mit der Gründung einer Partei liberaler Demokraten.358 Sie kam damit – ähnlich wie in Leipzig und anderen Orten – einer sich anbahnenden und möglich erscheinenden Verständigung zwischen Hickmann und Dieckmann über die Bildung einer übergreifenden Sammlungspartei des bürgerlich-konservativen Lagers zuvor.359 Die Basis für ein solches Zusammengehen bildete nicht allein die frühere Zugehörigkeit beider zur DVP. Nach der Ernennung Müllers zum Oberbürgermeister in Dresden bot sich eine Chance, der kommunistischen Vorherrschaft mit einer starken konservativen Partei entgegen zu treten. Müller, von dem nicht bekannt ist, welcher Partei er in der Weimarer Republik angehört und ob er sich an den Sondierungen beteiligt hatte, befürwortete solche Überlegungen. Er erhoffte sich davon, den „politischen Einfluss der radikalen Linken“ in der Verwaltung eindämmen zu können.360 Scheiding informierte den liberalen Gründungszirkel am 6. Juli 1945 über seinen Auftrag. Dieser beschloss daraufhin die Gründung der Partei. Der geschäftsführende Vorstand beauftragte den designierten Vorsitzenden Kastner gemeinsam mit Scheiding, einen Gründungsaufruf und eine Satzung der Partei umgehend bei der Kommandantur einzureichen. Dabei trat ein entscheidendes Hindernis zutage. Es lag in der Hand des führenden sächsischen Kommunisten Matern, den Gründungsprozess der liberalen Partei zu beeinträchtigen. Kastner hatte noch „vor Einreichung des Aufrufs bei der Kommandantur“ diesen zur „Einsichtnahme an Matern gegeben“ und um „dessen Stellungnahme“ gebeten. Dies schien sicherlich im Interesse eines einvernehmlichen Handelns der Parteien geboten, offenbart aber das schon vor der Parteigründung bestehende Abhängigkeitsverhältnis. Der geschäftsführende Vorstand der liberalen Partei konnte oder wollte „aus besonderen und zwingenden Gründen“ dem sowjetischen Vertreter in der Dresdner Stadtkommandantur nicht ohne eine diesbe-

355 Solowjow, Eindrücke, S. 111. 356 Artikel des Genossen Waks, S. 2 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.066, nicht paginiert). 357 Ernst Scheiding, Redakteur, 1945–1947 stellvertretender Landesvorsitzender der LDP Sachsen. 358 Niederschrift über die 1. Arbeitssitzung des Geschäftsführenden Vorstandes vom 13. 7.1945, (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert). 359 Schreiben Dieckmanns an Hickmann vom 28. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18538, nicht paginiert); Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 110 ff. und 176. Vgl. Papke, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 31; Richter, Entstehung und Transformation, S. 2516 f. 360 Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zügliche Aussage Materns gegenüber treten und versuchte nun dringend, „diese im Laufe des heutigen Tages oder des nächsten Vormittags“ zu erhalten.361 Der angestrebte Termin am 14. Juli 1945 bei Oberstleutnant Solowjow, dem Stellvertreter des Dresdner Stadtkommandanten für politische Angelegenheiten, kam ebenso wenig zustande wie der Kontakt zu Matern.362 Aber bei dem Treffen von Scheiding und Kastner mit dem sowjetischen Offizier am 16. Juli entwickelten sich zu ihrer Überraschung die Verhandlungen über die Zulassung der Partei „in den denkbar angenehmsten Formen“. Solowjow bemängelte an dem Aufruf lediglich den darin enthaltenen Wunsch nach einer beschleunigten Rückkehr der Kriegsgefangenen. Er bezeichnete das Gründungsdokument insgesamt als „sehr gut aufgesetzt“ und erteilte, vorbehaltlich einer Überprüfung der russischen Übersetzung anhand des deutschen Originals, die Genehmigung, in Dresden eine „Demokratische Partei Deutschlands“ (DPD) mit einem eigenen Aufruf zu gründen. Da er die Frage nach dem Aufbau der Partei in ganz Sachsen und nach einer Aufnahme von Verbindungen „mit gleichgerichteten politischen Gremien auch im übrigen russischen Besatzungsgebiet“ positiv beschied, konnten die Dresdner in diesem Moment von einer erfolgreichen Parteigründung ausgehen. Solowjow erklärte, die von ihm ausgesprochene Zulassung gelte für Sachsen und er werde Ausweise sowie Passierscheine und Fahrgenehmigungen für die erforderliche Parteiarbeit der Vorstandsmitglieder ausstellen lassen. Grundsätzlich stimmte er auch dem Aufbau eines Zeitschriften- und Druckunternehmens zu, Genehmigungen für öffentliche Versammlungen jedoch müssten in jedem einzelnen Fall eingeholt werden. Entgegen aller zuvor aufgekommenen Bedenken erhob der sowjetische Offizier kaum Einwände gegen die Vorstellungen der Dresdner DPD-Gründer. In der von ihnen als freundlich wahrgenommenen Gesprächsatmosphäre übersahen diese allerdings eine wesentliche Nuance der sowjetischen Verhandlungsführung. Nicht vertraut mit den Feinheiten und Abstufungen der Terminologie, betrachteten sie die von Solowjow angemerkte Kritik hinsichtlich der Kriegsgefangenen als gegenstandslos. Denn er hatte auf die von ihnen vorgetragenen Argumente lediglich geantwortet, es läge im Interesse der Partei selbst, „auf diesen Passus zu verzichten; er fordere dies von sich aus jedoch nicht“.363 Diese hier sich offenbarende Unkenntnis im Umgang mit der Besatzungsmacht erklärt viele der Hoffnungen und Irrtümer, denen die Demokraten in der SBZ erlagen, weil sie die „Wünsche“ der Besatzungsoffiziere nicht als deren Befehle erkannten. Umgehend verständigten die Verhandlungsführer Oberbürgermeister Müller „von der soeben erfolgten Zulassung der DPD durch die russische Komman361 Niederschrift über die 1. Arbeitssitzung des Geschäftsführenden Vorstandes vom 13. 7. 1945, (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert). 362 Schreiben Scheidings an Dieckmann vom 14. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18538, nicht paginiert). 363 Aktennotiz über die Verhandlungen mit Oberstleutnant Solowieff (Solowjow) vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). Vgl. „Mit Freunden im Bunde“, Artikel Walter Weidauers für „Stadt und Gemeinde“ Nr. 5/70 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.055, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dantur“, trugen ihm ihre Unterstützung sowie einen Sitz im Vorstand der Partei an und verhandelten mit ihm über die Platzierung von Mitgliedern der DPD in der städtischen Verwaltung.364 Müller wünschte seinerseits die Mitarbeit der DPD und forderte sie auf, für die Verwaltung „geeignete demokratische Kräfte zur Verfügung zu stellen“. In diesem Zusammenhang wies er auf die Gefahr hin, die aus Bestrebungen der KPD erwuchs, „in die Kurse zur Schulung von Hilfskräften für den Neuaufbau des Schulwesens in erster Linie Kommunisten zu schicken“, um so ihre dominante Stellung in der Verwaltung zu festigen. Da die Dresdner Liberaldemokraten auf demokratische Umgangsformen bauten, setzten sie auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den anderen Parteien. Ausgehend von einer gegebenen Nähe zu den Christdemokraten, wollten sie sich allein darauf nicht festlegen lassen, sondern hofften in Sachfragen ebenso auf ein Zusammengehen mit der SPD. Dies bezog sich insbesondere auf die Zusammenarbeit im Parteienblock in Fragen der Entnazifizierung. Sie setzten sich für die rasche Aufnahme der „Arbeit im Antifaschistischen Ausschuss“ mit den Vertretern der anderen Parteien ein, um so eventuell die Vormachtstellung der KPD begrenzen zu können.365 Auch dieser Optimismus beruhte auf einem Missverständnis. Die von der DPD-Führung zu jenem Zeitpunkt gebrauchte Bezeichnung „Antifaschistischer Ausschuss“ für den von den Kommunisten angestrebten Block der Parteien verweist auf die weit verbreitete Ansicht, die Blockpolitik sei lediglich die Weiterführung der „Antifa-Ausschüsse“ in einer formalisierten Organisation. Der „Antifaschistische Landesausschuss“, so die einstimmige Auffassung des Parteivorstandes, solle „sofort konstituiert werden“. Ebenso befürwortete er die Arbeitsaufnahme in den „örtlichen antifaschistischen Ausschüssen“. Lediglich eine einzelne Stimme innerhalb des Vorstandes erhob Bedenken und verwies auf das zwar von beiden Seiten vorliegende, „politisch jedoch verschiedenartige Interesse der KPD und SPD an der Aufnahme unserer Arbeit im Antifaschistischen Ausschuss“.366 Die Dresdner Liberalen sahen sich in ihren hochfliegenden Hoffnungen getäuscht, als am 23. Juli 1945 Oberstleutnant Solowjow die wenige Tage zuvor ausgesprochene Erlaubnis zum Parteiaufbau mit der Begründung widerrief, der Aufruf enthalte verschiedene Punkte, die er beanstande, und verwies unter anderem auf eine Formulierung zur „Mitarbeit im Antifaschistischen Aus-

364 Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 365 Aktennotiz über die Besprechung mit Oberbürgermeister Dr. Müller vom 23. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18542, nicht paginiert); Schreiben Dieckmanns an Hickmann vom 28. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18538, nicht paginiert). 366 Niederschrift über die 2. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 19. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18542, nicht paginiert). Vgl. Feurich, Lebensbericht, S. 120. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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schuss“.367 Zwar hatte sich die Verzögerung „bei der formalen Bestätigung der Registrierung der Partei durch die Stadtkommandantur“ inzwischen abgezeichnet, doch dies schien mit der erst jetzt bekannt gewordenen „Gründung der Liberaldemokratischen Partei in Berlin“ zusammenzuhängen und nicht derart grundsätzlicher Natur zu sein.368 Offenbar erfuhren die Dresdner erstmalig am 15. Juli 1945 über den Rundfunk von den in Berlin stattfindenden Bemühungen über den Aufbau einer nichtmarxistischen demokratischen Partei.369 Die Dresdner Parteigründer bemühten sich daraufhin um Kontakt zur Berliner LDP-Führung und um die Abstimmung der Parteiarbeit und der Zielsetzung. Dabei wollten sie die „Übernahme des Dresdner Parteinamens auf die Berliner Parteigründung mit aller Entschiedenheit“ anstreben, erklärten sich aber aus „politischen Gründen“ gegebenenfalls zur „Preisgabe des Dresdner Namens“ bereit und dazu, innerhalb einer „Gesamtpartei nur als Landesgruppe Sachsen zu fungieren“.370 Ihre Kompromissbereitschaft half den Dresdnern im Moment nicht weiter. Offenbar erhielt Solowjow Weisungen, die den Risiken einer politischen Fragmentierung der Parteienlandschaft Rechnung trugen.371 Solowjows unentschiedene Haltung während des Sommers 1945 ist auch deswegen verständlich, weil seine vorgesetzte Dienststelle innerhalb der sächsischen Militärregierung erst im August entstand.372 Er jedenfalls machte einen Übersetzungsfehler während der Verhandlungen für den von ihm verursachten Fauxpas verantwortlich, der Vorstand der DPD vertrat hingegen einhellig die Auffassung, „dass die KPD absichtlich die Zulassungsverhandlungen [...] solange wie möglich hinauszuziehen bemüht sei“, um das öffentliche Auftreten der Partei zu verhindern. Die von Solowjow als Voraussetzung für ihre Zulassung in Dresden geforderten Verhandlungen mit der Berliner LDP-Führung verzögerten sich, weil die Dresdner einfach nicht die Möglichkeit erhielten, nach Berlin zu fahren. Doch nicht allein der Umstand, dass sowjetische Dienststellen ihnen die für eine Fahrt nach Berlin erforderliche Reisegenehmigung vorenthielten, ließ sie an eine kommunistische Intrige glauben.373 Solowjow schlug ihnen vor, sie sollten sich „mit Herrn Ma-

367 Aktennotiz II über die Verhandlungen mit Oberstleutnant Solowieff (Solowjow) vom 23. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 368 Niederschrift über die 2. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 19. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18542, nicht paginiert). 369 Krippendorff, Gründung der liberal-demokratischen Partei, S. 296. 370 Niederschrift über die 2. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 19. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18542, nicht paginiert). 371 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 113; Dähn, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 546 f. 372 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge, S. 36 f.; Haritonow, Hochschulpolitik, S. 47. Vgl. Raschka, Sowjetisierung. 373 Niederschrift über die 3. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 27. 7.1945, (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tern, der ja bei Stalin gewesen sei, über den Aufruf unmittelbar aussprechen“, um auf diesem Weg bestehende Differenzen auszuräumen.374 Dieser Hinweis des sowjetischen Politoffiziers, der direkt der politischen Hauptverwaltung der 1. Ukrainischen Front und später der Politabteilung der SMAS unterstand,375 mag wohl zum Teil Camouflage gewesen sein. Doch er spiegelt einen interaktiven Prozess der Entscheidungsfindung und die tatsächlichen Machtverhältnisse wider. Der Stellvertreter des „Kommandanten für politische Angelegenheiten“ unterstand der Weisungsbefugnis der militärischen „Politorgane“, die ihrerseits mit den „Organen der Gegenspionage“ der sowjetischen Staatssicherheit zusammenarbeiteten.376 Eingebunden in die örtlichen militärischen Strukturen, bekam der Politoffizier seine Befehle von Vorgesetzten, die ihre Anweisungen von außerhalb der eigentlichen Armeeführung befindlichen Dienststellen erhielten. Diese sowjetischen Behörden waren ausführende Organe der kommunistischen Partei der Sowjetunion, der KPdSU. Der unmittelbare Zugang des deutschen Kommunisten zu Stalin gebot dem Besatzungsoffizier dringende Vorsicht im Umgang mit den politischen Konkurrenten der Kommunisten. Als diese noch am gleichen Tag um „die Sache zum Abschluss zu bringen“ bei Matern im Parteibüro vorsprechen wollten, ließ jener sie wiederum abweisen, „weil er in einer Sitzung und nicht abkömmlich sei“.377 Matern spielte sich die Bälle mit Solowjow geschickt zu und behinderte den Aufbau der politischen Konkurrenz. Solowjow kommentierte jene Vorgänge später lakonisch: „Die Entwicklung der bürgerlich-demokratischen Parteien verlief nicht reibungslos.“378 Auf seine eigene Rolle dabei ging er nicht ein. Scheiding zog in einer Unterredung mit Dieckmann einen bemerkenswerten Schluss: „Die politische Machtlage sei insofern wohl klar, als alle letzten politischen Entscheidungen jetzt von Matern getroffen würden, der das Ohr Stalins habe und dem offenbar selbst die russischen Befehlshaber gehorchten.“ Er folgere hieraus die Unmöglichkeit für jegliche programmatische Politik. Es gelte jetzt, die Existenz der „Partei bis an die Grenze [...] des ihr politisch erträglich Erscheinenden“ aufrecht zu erhalten bis zu einem Zeitpunkt, an dem sie „ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen könne“. Dieckmann trat ihm entgegen mit der Überzeugung, eine Partei „könne und dürfe ihre Grundsätze“ nicht derartig verleugnen, weil sie damit das Vertrauen, das sie erst aufbauen müsse, bereits

374 Aktennotiz II über die Verhandlungen mit Oberstleutnant Solowieff (Solowjow) vom 23. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 375 Haritonow, Hochschulpolitik, S. 54. 376 Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands vom 5. 7.1945. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8 ff. 377 Aktennotiz II über die Verhandlungen mit Oberstleutnant Solowieff (Solowjow) vom 23. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 378 Solowjow, Eindrücke, S. 111. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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in den Anfängen zerstöre. Sollte sie „wirklich dazu gezwungen werden“, müsse sie sich auflösen und den Zeitpunkt für einen Neuanfang abwarten.379 Obgleich die Mikroperspektive lokaler Politikentscheidungen der Rolle Materns eine zu große Bedeutung beimisst, erfassten seine beiden Kontrahenten exakt das politische Dilemma. Gleich ob die Entscheidungen von Matern oder von sowjetischen Besatzungsoffizieren getroffen würden, in jedem Fall verkörperten sie den Willen Stalins. Die Zusammenarbeit mit den sowjetischen Offizieren bedeutete für Matern eine Selbstverständlichkeit und der persönliche Kontakt mit allen Ebenen der Besatzungshierarchie schuf nicht nur Vertrauen, sondern eröffnete Spielräume zur Umsetzung eigener Vorstellungen ohne vorherige Konsultationen.380 Unter diesen Umständen wurde die Realisierbarkeit für eine an demokratisch-parlamentarischen Grundüberzeugungen orientierte Politik ebenso fraglich wie die Chance für einen demokratischen Sozialismus.381 Die Registrierung der liberalen Partei in Dresden durch die Besatzungsverwaltung zog sich hin. Erst nachdem sie den „Anregungen“ Solowjows nachkommend tatsächlich den Namen LDP angenommen382 und „auf Ersuchen des Herrn Matern“ ihre Mitarbeit „im Block der antifaschistischen Parteien“ zugesagt hatten, konnten die Liberalen Mitte August ihre politische Wirksamkeit entfalten.383 Doch ihre Abhängigkeit von den mit der Besatzungsmacht verbündeten Kommunisten musste der liberalen Parteiführung in Dresden zu dem Zeitpunkt deutlich geworden sein. Von einer Gestaltung der Politik weit entfernt, beschränkte sich ihre politische Mitarbeit auf Proteste und Anträge sowie kraftlose Forderungen wie die nach einer paritätischen Besetzung der kommunalen Verwaltung.384 Die Zahl ihrer Mitglieder wuchs allerdings rasch, im September 1945 zählte sie etwa 80 im Land entstandene Ortsgruppen und in Dresden über 1 000 Mitglieder.385 Bis Ende 1945 registrierte die LDP in Sachsen annähernd 20 000 Mitglieder und Dresden stellte nach Leipzig den mitgliederstärksten Kreisverband. Seit Jahresbeginn 1946 verdoppelte sich im LDP-Kreisverband Dresden 379 Aktennotiz über eine Aussprache zwischen Scheiding und Dieckmann vom 2. 8.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18538, nicht paginiert); Bode, Liberal-Demokraten, S. 49. 380 Zum Einfluss von Matern auf die Gestaltung der politischen Neuordnung Behring, Zukunft, Fußnote 29 S. 162. Vgl. Papke, Liberal-Demokratische Partei, S. 29; Rothe/Woitinas, Matern, S. 89; Schwartz, Besatzer und Vertriebene, S. 195. 381 Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 19. 382 Schreiben Dieckmanns an die SMAS vom 21. 8.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 383 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 14. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). Vgl. Dähn, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 566. 384 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 4. 9.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 385 Niederschrift über die 9. Vorstandssitzung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands vom 21. 9.1945 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–265, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die Zahl der Mitglieder von knapp 3 000 auf 5 600 Ende September 1946.386 Die liberale Partei übte besonders auf junge Menschen eine große Anziehungskraft aus, was sich in einem Anteil von beinah 23 Prozent ausdrückte.387 Unter vergleichbar schwierigen Umständen konstituierte sich in Dresden die CDU. Erst für den 8. Juli 1945, also vier Wochen nach dem sowjetischen Befehl Nr. 2 und beinah zwei Wochen nach dem Gründungsaufruf der Berliner CDU,388 ist die erste gemeinsame Versammlung ehemaliger Anhänger des Zentrums und evangelischer Christen für Dresden belegt, die einen Ausschuss zur Gründung einer überkonfessionellen Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) ins Leben rief. Die wichtigste Entscheidung dieses Tages bestand darin, in Dresden nicht die Zentrumspartei wieder zu gründen und somit die konfessionelle Spaltung zu überwinden.389 Mit Sicherheit haben bis zu diesem Tag verschiedene getrennte Beratungen katholischer und evangelischer Gruppierungen stattgefunden, die das Für und Wider der getrennten und der interkonfessionellen Parteigründung erörterten. Wegen der großen Zeitspanne, die zwischen der Bekanntgabe des sowjetischen Befehls vom 10. Juni und der Entscheidung zur Parteigründung am 8. Juli liegt, muss davon ausgegangen werden, dass neben der in Dresden diskutierten Option für die Gründung einer großen bürgerlichen Sammlungspartei erhebliche Bedenken gegen die Bildung einer gemeinsamen Partei von Katholiken und Protestanten vorlagen, die schließlich überwunden werden konnten.390 Hickmann unterbreitete dem Arbeitsausschuss einen Entwurf für die Richtlinien der Partei.391 Die Diskussion in den Dresdner Unionskreisen um die Richtlinien und die Fassung für einen öffentlichen Aufruf spiegelt eine große Vielfalt der Meinungen und ebenso die Isolation örtlicher Gründungszirkel wider. Am 21. Juli 1945 berieten in Dresden die Teilnehmer einer Versammlung der „Freunde der Christlich-Sozialen Volkspartei“ auf der Grundlage des Entwurfes von Hickmann ergebnislos den öffentlichen Aufruf zur Parteigründung, setzten aber den Arbeitsausschuss als geschäftsführenden Vorstand eines künftigen Landesverbandes Sachsen ein.392 Als der Arbeitsauschuss kurz darauf erneut zusammentrat, diskutierte er über den möglicherweise erst jetzt bekannt gewordenen Aufruf der Berliner CDU.393 Auch wenn die Versammlung keine 386 Tabelle der Mitgliederzahlen LDPD-Landesverband Sachsen 1946–1947 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–307, nicht paginiert). 387 Schreiben an Hermann Kastner vom 26. 6.1946 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–375, nicht paginiert). 388 Vgl. Kaff, Volkspartei, S. 73. 389 Niederschrift über die am 8. 7.1945 im Hause Gottfried-Keller-Str. 50 stattgefundene Besprechung zur Gründung der Christlich-sozialen-Volkspartei. In: Weber, Parteiensystem, S. 132. Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 99 ff. 390 Vgl. Baus, Gründung der CDUD in Sachsen, S. 85 f. 391 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 10. 7.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 392 Vgl. Wilde, SBZ-CDU, S. 49. 393 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 26. 7.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einigkeit über eine endgültige Fassung der Richtlinien der CSV erzielte, verabschiedete sie der Arbeitsausschuss am 31. Juli 1945 und ließ sie einem größeren Kreis zur Information zukommen.394 Diese Richtlinien kursierten nun in mehreren Fassungen, die sich zwar nicht grundlegend voneinander unterschieden, jedoch neben den Gemeinsamkeiten voneinander abweichende Akzente setzten. Den Mittelpunkt der Überlegungen zum Neubeginn bildete die Rückbesinnung auf christliche Werte. Grundsätzlich sollte die Erneuerung „aus christlichem Geist auf der Grundlage einer demokratischen Verfassung“ vonstatten gehen. Die einhellige Ablehnung von „NaziSystem“ und „Willkürherrschaft“ korrespondierte mit der Forderung nach Rechtssicherheit, Glaubens- und Gewissenfreiheit sowie einer gerechten Sozialordnung. Das Recht auf Arbeit sollte die wirtschaftliche Sicherstellung der Arbeitnehmer, die freie Entfaltung der Wirtschaftskräfte hingegen den raschen Wiederaufbau ermöglichen. Während die einen Richtlinien auf der Basis des Christentums eine „christlich-soziale Erneuerung“ betonten und bei der Besetzung öffentlicher Ämter auf „moralische Sauberkeit“ Wert legten, zeigten sich die anderen insgesamt pluralistischer und riefen zum Schutz der Familie und des Privateigentums auf.395 Christliche wie liberale Demokraten sparten die Jugend vorerst völlig aus und äußerten sich auch nach ihrer Gründung diesbezüglich wenig konkret.396 Wie bei der LDP verzögerte sich die Gründung der Partei. Zum einen verhinderten die Kommunisten Anfang August das Erscheinen einer Pressenotiz der CSV, zum anderen hielten die Dresdner immer noch an ihrem Namen fest und wollten bei der Besatzungsbehörde ihren Aufruf auch unter dem eigenen Namen einreichen. Bewegung kam in den Gründungsprozess erst durch die Einigung, im „Falle der Ablehnung“ doch den Berliner Aufruf zu übernehmen.397 Doch noch vor einer Zulassung erhielt der Arbeitsausschuss der CSV die von der Dresdner LDP-Führung übermittelte Aufforderung Materns, Vertreter in den „antifaschistischen“ Block der Parteien zu entsenden.398 Auf diese Weise in den Parteienblock quasi hinein gegründet, verzichteten die Dresdner Christdemokraten schließlich auf den Namen, obwohl sie damit ursprünglich ihre Eigenständigkeit hatten unterstreichen wollen. Unter sowjetischem Druck schlossen sie sich am 21. August 1945 der „Berliner Parteibezeichnung Christlich-Demokratische Union“ an. Auch den eigenen Aufruf zogen die Dresdner zurück und 394 Vgl. Baus, Gründung der CDUD in Sachsen, S. 104. 395 Richtlinien für die Christlich-soziale Volkspartei, o. D. [vermutlich August 1945] (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–061, nicht paginiert); Richtlinien für die Christlich-Demokratische Union Deutschlands – Landesverband Sachsen, o. D. [vermutlich August 1945]. In: Weber, Parteiensystem, S. 132 f.; Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 128 f. 396 Vgl. Mählert, Freie Deutsche Jugend, S. 33. 397 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 7. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 398 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 14. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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übernahmen den Wortlaut des Berliner Gründungsaufrufs. Der Landesvorstand setzte Martin Richter399 als kommissarischen Geschäftsführer des Kreisverbandes Dresden ein.400 Somit registrierte die zuständige sowjetische Besatzungsbehörde am 22. August 1945 die sächsische CDU in Dresden einen Monat später als ursprünglich geplant. Zu CDU und LDP stießen viele Kriegsheimkehrer, jüngere Männer also, die, wie Wolfgang Mischnick401 ohne parteipolitische Neigung dem „Dritten Reich“ und der nationalsozialistischen Ideologie häufig distanziert gegenüber gestanden hatten, jetzt nach einer politischen Orientierung suchten. Völlig zu Unrecht diffamierte ein Polizeispitzel Menschen wie ihn als ehemalige „Hitlerjugendführer, entlassene Wehrmachtsangehörige voll von faschistischer Ideologie, keinen Begriff von Demokratie“.402 Mischnick fand Kontakt „zu den sich bildenden Parteien“ und trat im August in die LDP ein, die ihn schon bald als ihren Vertreter in den städtischen Jugendausschuss entsandte.403 Seinen Entschluss bestimmten, wie sicher bei vielen anderen, neben bewussten Entscheidungen auch Zufälligkeiten: Zurück in Dresden verdiente Mischnick sein Einkommen in der Enttrümmerung am Hygienemuseum, einer harten Arbeit, die ihn bei seiner Anfälligkeit für Asthma zu sehr anstrengte. Auf dem Weg zu der im Luftwaffen-Generalkommando in Dresden-Strehlen untergebrachten sächsischen Landesverwaltung, bei der er sich nach einer beruflichen Möglichkeit erkundigen wollte, kam er in der Wasastraße an der Tür einer Villa mit der Aufschrift „Deutsche Demokratische Partei“ vorbei. In der Geschäftsstelle der nachmaligen LDP traf er Dieckmann, Thürmer und den Generalsekretär Ernst Mayer und fand schließlich hier seine berufliche und politische Heimat.404 Während für jüngere Personen wie ihn dieser Kontakt eine neue politische Erfahrung darstellte, war für ältere Mitglieder wie den Juristen und promovierten Nationalökonom

399 Martin Richter 1886–1954, Arbeiter und Sekretär in der Christlichen Gewerkschaft bis 1933. 1933–1945 arbeitete er für den Pfarrernotbund und die Bekennende Kirche. 1945 CDU, Landesgeschäftsführer Sachsen, Vorsitzender der CDU-KL Dresden, 1945– 1950 Vorsitzender des Landesausschusses der Volkssolidarität Sachsen. 1946–1954 Stadtverordneter Dresden, 1946–1950 Bürgermeister Dezernat Arbeit und Sozialfürsorge. 1951/52 Mitglied des Landtages Sachsen, 1952–1954 Mitglied der CDU-BL Dresden. 400 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 21. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert); Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 130. 401 Wolfgang Mischnick 1921–2002, Abitur, 1939–1945 Kriegsdienst. 1945 LDP, ab 1947 Mitglied des Zentralvorstandes und des Landesvorstandes Sachsen, Jugendsekretär. 1946–1948 Stadtverordneter in Dresden. Flucht nach Frankfurt a. M., Mitglied der FDP. 1954 Bundesvorstand, 1955 parlamentarischer Geschäftsführer, 1957 Mitglied des Bundestages, 1961–1963 Bundesminister für Vertriebene. 402 Bericht über die Versammlung der LDP vom 26. 2.1946 (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 403 Lebenslauf von Wolfgang Mischnick, o. D. [Anfang 1947] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 144, Bl. 54–57). 404 Mischnick; Von Dresden nach Bonn, S. 202 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Alfred Thust, der den Begründer der DDP Friedrich Naumann noch persönlich kennen gelernt hatte, der Eintritt in die LDP eine Selbstverständlichkeit.405 Unter den jüngeren Parteimitgliedern der nichtmarxistischen demokratischen Parteien herrschte gewiss ein eklatanter Mangel an politischem Wissen. Selbst wenn sie wie der angehende Leipziger Theologiestudent Werner Ihmels, der sich als „Christ mit politischer Verantwortung“ bezeichnete, in der Demokratie „bei richtiger Durchführung [...] die vernünftigste Regierungsform“ sahen,406 konnten sie 1945 aus eigener Anschauung über demokratische Erfahrungen nicht verfügen. Die Generation der Parteigründer hingegen besaß solche Erfahrungen, die wesentlich ihre Motive beim Eintritt in die Politik mitbestimmten. Allerdings mussten nicht nur Scheiding und Dieckmann recht bald ihre geringen Gestaltungsmöglichkeiten zur Kenntnis nehmen. Seit dem Sommer 1945 beobachteten trotz der eingeschränkten Informationsmöglichkeiten und einer behinderten Kommunikation viele Menschen in der SBZ die totalitären Ansprüche einer neu entstehenden Diktatur. Der sächsische CDU-Landesvorsitzende Hickmann meinte, die spezifisch „östliche“ Demokratie sei „einer Diktatur gleichzusetzen“.407 Sie alle aber verbanden mit solchen Feststellungen die Hoffnung, die Einschränkungen seien den Schwierigkeiten des Neuanfangs geschuldet und würden in Zukunft Schritt für Schritt aufgehoben werden. Denn anti-nationalsozialistische Grundhaltungen verklammerten die unterschiedlichsten politischen Ansätze. Vertreter aller Parteien glaubten sich in Übereinstimmung mit der Sowjetunion, und verstanden unter der im „Potsdamer Abkommen“ festgelegten Wiederherstellung demokratischer Freiheiten408 „Antifaschismus“. Sie nannten sich „Antifaschisten“ und gründeten „Antifa-Komitees“, und in manchen lokalen Ausschüssen trafen die Gründungsmitglieder aus den Ortsgruppen der späteren Parteien zusammen.409 Dieses indigenen „Antifaschismus“ bediente sich die kommunistische Propaganda und entwarf eine monokausale Legitimationsstrategie, die mittels einer „Umwertung der Vergangenheit“ aus der Niederlage der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Nationalsozialismus eine Teilnahme an der Geschichte der Sieger konstruierte. Die Anziehungskraft der Ideologie des „Anti-Faschismus“ speiste sich aus der Faszination des kommunistischen Exkulpationsangebotes an die Bevölkerung, durch aktive Mitarbeit am Aufbau die Schuld der Vergangenheit abzutragen.410

405 Lebenslauf von Alfred Thust vom 5. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 144, Bl. 103 f.). 406 Tagebucheintrag von Werner Ihmels vom 30. 8.1945. In: Räderwerk, S. 31. 407 Bericht über die Vollversammlung der CDU-Landesvertreter für den Landesparteitag vom 23. 2.1946 (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). Vgl. Behring, Zukunft, S. 167 f. 408 Vgl. Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 251 ff. 409 Vgl. Allgemeiner Bericht über die Entnazifizierung in Sachsen, o. D. (SächsHStAD, LRS MdI 2038, Bl. 31); Weidauer, Kameradschaftliche Zusammenarbeit. 410 Grunenberg, Antifaschismus, S. 131 ff. und 184. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dem kamen die unüberhörbaren Vorbehalte der sozialdemokratischen Führung in Bezug auf die parlamentarische Demokratie von Weimar entgegen, die deutlicher als alles andere ihr nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur zutiefst gestörtes Selbstbewusstsein aufzeigen. Offensichtlich konzeptionslos, abgeschnitten von den Diskussionen des Exils, ging sie an den Neuaufbau. Ihre Geringschätzung der vergangenen Demokratie teilte die Sozialdemokratie mit deren Feinden; und die fehlerhafte Analyse der Ursachen für das Scheitern jener ersten deutschen Republik führte dazu, dass die stärkste politische Kraft in der SBZ im Sommer 1945 der KPD den Vortritt ließ bei der politischen Gestaltung der Nachkriegsverhältnisse. Die KPD-Führung ihrerseits war sich im Klaren darüber, dass sie ohne die „Bajonette“ der Besatzungsmacht auf verlorenem Posten stand. Sie band ihre eigenen Machtinteressen an die Wahrung sowjetischer Sicherheitsinteressen in Deutschland und sah sich in einem von sowjetischen Truppen besetzten Deutschland in der Führungsrolle. Unter der Ägide sowjetischer Offiziere gestalteten Matern und Fischer die Politik in Dresden. Sie realisierten in der städtischen Verwaltung ein Grundkonzept der gesellschaftlichen Transformation, das auf politische Alternativentwürfe der anderen Parteien keine Rücksicht nahm und an dem sich die geplante Umstrukturierung landesweit orientierte. Sie errichteten im Personalamt der Stadt die Schaltstelle für die kommunistische Machtübernahme in Sachsen und besetzten alle entscheidenden Positionen und damit die „Kommandohöhen im Staatsapparat in kürzester Frist durch zuverlässige Antifaschisten“.411 Sie zogen im Einvernehmen mit der sowjetischen Führung die Fäden im Hintergrund und der Stadtkommandant vor Ort ließ ihnen in ihren Entscheidungen weitgehend freie Hand. Matern erinnerte sich, er habe als Dresdner „Stadtrat für Personalpolitik [...] praktisch alle Stadtverwaltungen und Landratsämter in Sachsen mit aufgebaut“.412 Gleichwohl ist aus diesen Umständen nicht auf eine hohe Entscheidungsbefugnis der deutschen Kommunisten zu schließen. Der sowjetischen Führung ging es ausschließlich um unterstützende Funktionen bei der Ausübung des Besatzungsregimes.413 Sowjetische Instrukteure beim Stab der 1. weißrussischen Front trafen sämtliche wichtigen Entscheidungen und lenkten den gesamten Einsatz der „Kadergruppen aus Moskau“.414 Lange bevor im November 1945 innerhalb der SMAS eine Propagandaverwaltung entstand, existierte die Abteilung „Agitation und Propaganda“ der Stadtkommandantur in Dresden. Ihre Sonderstellung erwarb sie sich in der Steuerung des politischen Lebens der Lan411 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 8 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 412 Matern, Die Partei wies uns den Weg, S. 43. Vgl. Behring, Zukunft, S. 161 f. 413 Morré, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees, S. 157 u. S. 165 f. 414 Vgl. Aufzeichnung des Leiters und des Ersten Stellvertretenden Leiters der Abteilung für internationale Information des ZK der KPdSU (B) G. Dimitrov und A. Panjuskin für V. Molotov und G. Malenkov über die politische Arbeit in Deutschland, März 1945. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 3–7. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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deshauptstadt, die von der SMAS zur politischen Zentrale Sachsens erhoben wurde. Die SMAS-Propagandaabteilung lenkte und zensierte mit ihren für Presse und Rundfunk, Parteien, Gewerkschaften, Frauen und Jugend sowie für die Kultur zuständigen Referaten landesweit die deutsche Öffentlichkeit. Der Apparat wuchs bis 1948 auf etwa 130 Mitarbeiter in Sachsen, als Leiter amtierte Oberstleutnant Watnik.415 Die in Anbetracht des Steuerungsbedarfs viel zu gering bestückte Propagandaverwaltung überforderte die Offiziere. Oft waren sie aufgrund ihrer geringen Sprachkenntnisse der Arbeit nicht gewachsen und auf die von deutscher Seite ihnen zugetragenen Informationen angewiesen. Die Dresdner Informationsabteilung nahm auch deswegen eine herausragende Stellung ein, da sie in Hauptmann Waks über einen Mitarbeiter mit hervorragenden Deutschkenntnissen verfügte, der deswegen für seine Vorgesetzten in politisch schwierigen Fragen als Dolmetscher fungieren konnte.416 Die Aufgabe deutscher Kommunisten war die „Unterstützung der Roten Armee beim Aufbau der Verwaltungen“ im Besatzungsgebiet, um „politische Schaltstellen“ zu übernehmen und den „Wiederaufbau der KPD“ zu betreiben.417 Nicht nur die Ausformulierung von Richtlinien einer deutschlandpolitischen Neuordnung beeinflusste die sowjetische Seite entscheidend, sie regelte ihre Umsetzung bis in die kleinen Alltäglichkeiten, und für jede neue Initiative mussten die deutschen Kommunisten ihre Zustimmung einholen.418 Mit der „Blockpolitik“ verwirklichten die Exilkommunisten eine formaldemokratische Politik ohne Opposition. Eine solche Bündnispolitik gegenüber den „fortschrittlichen Kräften“ trug einerseits der internationalen Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Rechnung und hielt die Optionen der sowjetischen Besatzungspolitik offen, doch weit mehr erschwerte sie den Sozial-, den Liberal- und den Christdemokraten in der SBZ das Erkennen der kommunistischen Absichten und ließ viele von ihnen zu Kollaborateuren der Diktatur werden.

415 Donth, Vertriebene und Flüchtlinge, S. 36 f. und 40. 416 Vgl. Protokoll der Sitzung mit Vertretern der SMA (Oberst Pjatkin und Kapitän Waks) zur Entnazifizierung vom 20.1.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 994, Bl. 140 ff.). 417 Kubina, Aufbau des zentralen Parteiapparates, S. 55. Vgl. Erler, Moskauer KPD-Führung, S. 116 f.; Morré, Hinter den Kulissen des Nationalkomitees, S. 161. 418 Vgl. Wilke, Kommunismus in Deutschland, S. 16 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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IV. Der Beginn der politischen Säuberung Die politische Säuberung in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Territorium galt im Verständnis ihrer Hauptakteure als formal „nachgeholte Revolution“ und hatte eine strukturelle wie personelle Zielrichtung.1 In der spezifischen Perspektive des Jahres 1945 wurden unter dem Begriff Entnazifizierung drei voneinander scharf zu trennende Ziele subsumiert, die aber unter den politischen Bedingungen in der SBZ, auch in der Wahrnehmung der Betroffenen, häufig zu einem einzigen Komplex verschmolzen. Zum einen waren dies Maßnahmen der Besatzungsmacht zur Befriedung des eroberten Gebietes. Zum anderen galt es, nationalsozialistische Verbrecher zu verfolgen und ihrer Strafe zuzuführen.2 Drittens musste der von den deutschen Funktionseliten getragene und verkörperte Nationalsozialismus aus den Institutionen und den sozialen Interaktionen der Gesellschaft eliminiert werden. Das ist das umfassendste der Entnazifizierungsziele, und es entspricht zugleich der Definition einer politischen Säuberung.3 Der Chef der SMAD-Propagandaverwaltung Tjulpanow sprach später von der Entnazifizierung zutreffend als einem kompletten „System verwaltungstechnischer Maßnahmen [...], um ehemalige und vor allem aktive Nationalsozialisten aus allen Organen des öffentlichen Lebens auszuschließen und sie nicht in den neu entstehenden deutschen Verwaltungsorganen mitarbeiten zu lassen“.4 Deutsche Kommunisten und die sowjetische Besatzungsmacht personalisierten die drei genannten Einzelkomplexe der Entnazifizierung generalisierend in der Person des „Faschisten“ und dessen Antipoden, eines so genannten „AntiFaschisten“.5 Um dem von ihrer Partei erhobenen Führungsanspruch Geltung zu verschaffen, verlangte die Frau des sächsischen Landesvorsitzenden der KPD, die Sozialpolitikerin Jenny Matern, im Herbst 1945, „dass die Opfer des Faschismus in den Behörden und anderen Dienststellen verankert sein müssen, um die Stellung zu haben, die ihnen zukommt“.6 Mit dieser Forderung bediente sie viele Erwartungen der von den Nationalsozialisten Verfolgten.7 Außerdem entsprach dies der von der KPD gemeinsam mit der sowjetischen Führung entwickelten Parteilinie, Verwaltungspersonal aus solchen „aufrechten Antifaschis-

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Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 80 ff. Niethammer, Internierungslager, S. 106 f.; einen Überblick zur sowjetischen Internierungspraxis bei Plato, Speziallager; zur Klärung des Begriffs sehr prägnant Renz, Schutz der Mörder. Vgl. Bramke, Neuordnung. Tjulpanow, Deutschland, S. 166. Vgl. Grunenberg, Antifaschismus, S. 120–144. Konferenz der Ausschüsse der Opfer des Faschismus in Leipzig am 27./28.10.1945 (SAPMO-BArch, DY 54 V 277/1/1, Bl. 77). Schreiben der „Kommunalen Hilfsstelle“ Mockritz an Elsa Frölich vom 13. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 21). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten“ zu rekrutieren, „die schon vor 1933 antifaschistischen Organisationen angehört [...] und während des Hitlerregimes am Kampf gegen die Naziherrschaft und gegen den Hitlerkrieg teilgenommen haben“.8 Der stringente Zusammenhang von Entnazifizierung und Transformationspolitik9 wurde in der Formulierung des für die inneren Angelegenheiten des Landes Sachsen zuständigen Vizepräsidenten Fischer deutlich, als er den Erfolg der „Entnazifizierungsarbeit in Sachsen“ bilanzierte: „In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wurde in fast dreijähriger Arbeit, unter aktivster Mithilfe der Sowjetischen Militärverwaltung, eine feste Grundlage einer antifaschistischen, demokratischen Ordnung geschaffen.“10 Der für die Entnazifizierung der SBZ verantwortliche Tjulpanow11 stellte mit bemerkenswerter Offenheit die Strategie und Taktik der SMAD klar: „Natürlich gab es in unserer Bewertung der Verantwortung des deutschen Volkes für die faschistische Aggression immer einen klassenmäßigen Aspekt und – im Unterschied zur Position der westlichen Besatzungsmächte – ein differenziertes Herangehen an den Grad der Verantwortung der verschiedenen Klassen. In jener Zeit aber war es notwendig und historisch richtig, die allgemeine Verantwortung hervorzuheben.“12 Über ein detailliertes Programm zur Entnazifizierung verfügte die sowjetische Besatzungsmacht allerdings genauso wenig wie die KPD.13 Was geschah in jenem ersten Jahr, in dem begonnen wurde, die feste „Grundlage einer antifaschistischen, demokratischen Ordnung“ in der SBZ zu errichten? Wie reagierten Deutsche auf die von den Alliierten nachdrücklich geforderte politische Säuberung und die Bestrafung der Kriegsverbrecher? Den Parteien erteilte die SMAD offiziell den Auftrag, „sich die endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus und die Festigung der Grundlage der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten“ zum Ziel zu setzen.14 Darum sollen zuerst die Vorstellungen der in Dresden am Neuaufbau beteiligten politischen Kräfte hinsichtlich bestehender Differenzen und möglicher Übereinstimmungen in Bezug auf die zentralen Gründungsaufrufe ihrer Parteien skizziert werden, ehe die Praxis der Säuberung in jener ersten Phase der Entnazifizierung im Mittelpunkt der Darstellung steht, die gleichwohl unter Aufsicht sowjetischer Offiziere, aber vor Erlass von Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 von den Richtlinien deutscher Verwaltungen geprägt wurde. Polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen, 8 „Richtlinien für die Arbeit der deutschen Antifaschisten in dem von der Roten Armee besetzten deutschen Gebiet“ vom 5. 4.1945. In: Erler/Laude/Wille 1994, S. 383. 9 Vgl. Benz, Potsdam, S. 174 f. 10 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen, o. D. [etwa März 1948] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 80–89). 11 Vgl. Naimark, Russen, S. 32. 12 Tjulpanow, Deutschland, S. 335 Anmerkung 36. 13 Vollnhals, Säuberung als Herrschaftsinstrument, S. 127. 14 Befehl Nr. 2 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über die Zulassung antifaschistischer Parteien und Organisationen vom 10. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 6 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die zwar ebenfalls bereits in dieser Periode einsetzten und somit als gedankliche Folie präsent sein sollen, sind aus methodischen Überlegungen Inhalt eines späteren Abschnitts.

1.

Entnazifizierungsvorstellungen deutscher Gegner des Nationalsozialismus

Auf deutscher Seite bemühten sich die Parteien innerhalb der von ihnen getragenen politischen Willensbildungsprozesse um eine ausgewogene Bewertung der Vergangenheit, wie an ihren programmatischen Aufrufen abzulesen ist. Der am 6. Juli 1945 von der internen Gründungsversammlung der DPD in Dresden verabschiedete Aufruf „An das deutsche Volk“ sprach sehr allgemein von einer notwendigen Abrechnung. Es müsse Rechenschaft gefordert werden „von denen, die sich zu unseren Führern aufwarfen – und von uns selbst“. Dem könne sich niemand entziehen. Gleichzeitig erfolgte ein weitreichender Versuch zur Distanzierung: „Eine unermessliche Schuld hat dieses Hitlerdeutschland auf uns geladen. Und wir haben es geschehen lassen und müssen nun bezahlen!“ Die Dresdner Liberaldemokraten differenzierten zwischen „Hitlerdeutschland“ und den Deutschen15 und orientierten sich an der in jenen Tagen häufig zitierten, Stalin zugeschriebenen Vorstellung, „dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk“ bleiben werde.16 Sie gingen von einer Mitverantwortung der Deutschen aus, weil sie mehrheitlich dem „Verführer nachgelaufen“ seien und sich von seinen Befehlen willenlos in den Zweiten Weltkrieg hätten „hineintreiben lassen“. Bei Zubilligung des Putativnotstandes für die Mehrheit müssten diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, „die Hitler zur Macht verhalfen und seine Herrschaft gestützt haben“. Das kam einem Freispruch der übrigen gleich. Die frühen Entnazifizierungsvorstellungen des Aufrufs der Dresdner Liberalen zielten auf eine nicht näher definierte politische Elite. Für die Masse des Volkes sollte es genügen, „den Faschismus in keiner Form und keiner Verkleidung jemals wieder zuzulassen“ und sich uneingeschränkt zur Demokratie zu bekennen „als der alleinigen Grundlage für jede wahre Volksgemeinschaft“.17

15 Vgl. Kielmannsegg, Schatten, S. 62. 16 Zitiert nach Welsh, Wandel, S. 33. Vgl. Stichworte Ackermanns für die Versammlung in der Bautzner Straße in Dresden vom 21. 5.1945, (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 4). 17 Gründungsaufruf der Demokratischen Partei Deutschlands, Dresden o. D. In: Wolfgang Hoffmann, Gründung der „Demokratischen Partei Deutschlands“ in Dresden (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–334, Bl. 76–79). Vgl. hierzu auch Gründungsaufruf der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands vom 5. 6.1945. In: Friedrich / Friedrich, Dokumente, S. 31–34, wo nur eine Bestrafung derjenigen gefordert wird, die sich gegen „Gesetz und Menschlichkeit vergangen haben“; Papke, Liberal-Demokratische Partei, S. 31. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die hier deutlich werdende fehlende „Bereinigung des eigenen Sprachstils“ war keine Dresdner Besonderheit und keineswegs auf liberale Demokraten begrenzt.18 Der katholische Chemnitzer Pfarrer und CDU-Mitbegründer Ludwig Kirsch hielt seinem Dresdner Parteifreund Hugo Hickmann gleichfalls vor, den Terminus „Volksgemeinschaft“ unüberlegt anzuwenden.19 Der zeitgenössische amerikanische Sozialwissenschaftler Daniel Lerner wies darauf hin, dass der Gebrauch auch anderer „Nazibegriffe“ wie etwa die von Goebbels geprägte Sprachregelung „Terrorangriffe“ für alliierte Luftangriffe „ein wichtiger Hinweis auf die tiefsitzende Beeinflussung durch die Nazizeit“ sei.20 Andere Zeitgenossen fragten, ob „eine demokratische Erneuerung [...] mit nazistischen Superlativen“ begonnen werden könne.21 Offenbart die alte Sprache tief verwurzelte antidemokratische Einstellungen und Ressentiments aus der Zeit der Weimarer Republik?22 Einer der führenden sächsischen Sozialdemokraten vermutete jedenfalls, künftige Sprachforscher würden „ein gutes Material aus dieser Zeit vorfinden“.23 Die unbedacht geäußerte, im Arsenal der nationalsozialistischen Ideologie jedoch eindeutig bewertete Vokabel „Volksgemeinschaft“, hatte die Funktion, in der Diktatur die „Illusion einer allumfassenden Solidarität aller Deutschen, [...] unabhängig von Klassenzugehörigkeit oder sozialem Hintergrund“, zu erzeugen.24 Das Festhalten vieler Deutscher an Postulaten des Nationalsozialismus lässt vermuten, dass sie deren stringenten Zusammenhang mit der Vernichtungspolitik nicht erkannten.25 In sächsischen Jugendausschüssen sprachen die aktiv mitarbeitenden Jugendlichen „in nazistischen Begriffen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein“.26 Wie fundiert vor diesem Hintergrund liberales 18 Vgl. Barbian, Zwischen Gestern und Morgen, S. 11; Greiner, 200 Tage, S. 31. 19 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 125. 20 Notizen von einer Reise durch das besetzte Deutschland (Anfang April 1945) von Daniel Lerner. In: Borsdorf / Niethammer, Analysen des US-Geheimdienstes, S. 27–40, hier 39. Vgl. Bergander, Dresden im Luftkrieg, S. 174. 21 Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, S. 76. Vgl. Tagebucheintrag vom 26. 7.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 63. 22 Vgl. Barkai, Volksgemeinschaft. Er meint, die Bedeutung des Begriffs werde auch heute noch teilweise unterschätzt, „Volksgemeinschaft“ sei die nationalsozialistische Antwort auf die von den Marxisten postulierte klassenlose Gesellschaft gewesen (ebd. S. 134). Vgl. Adorno, Schuld und Abwehr, S. 263–288; Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 760 f. 23 Vortrag von Oberbürgermeister Hennig in der Betriebsversammlung der TH Dresden am 17.1.1946: Die Hochschule im neuen Staat (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/ A /1.006, nicht paginiert). 24 Barkai, Volksgemeinschaft, S. 136. Vgl. Heer, Mentalität der Volksgemeinschaft; zur Sozialisation im Nationalsozialismus und der durch das nationalsozialistische Erziehungswesen bewirkten Reduktion zwischenmenschlicher Verhaltensmuster Hennigsen, Nazi. 25 Vgl. Diewald-Kerkmann, Denunziation, S. 38–43; Gerhardt, Herrschaft und Massenmord; unfreiwillig dienten der erfolgreichen Verdrängung von nationalsozialistischen Verbrechen auch eigentlich der Aufklärung verpflichtete Schriften wie die der 1918 geborenen Kabarettistin Isa Vermehren, die 1944 nach Ravensbrück kam und unmittelbar nach Kriegsende über ihre Haft im Konzentrationslager berichtete, vgl. Vermehren, Reise. 26 Mählert, Freie Deutsche Jugend, S. 74. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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und demokratisches Denken während des Frühsommers 1945 war, kann nicht gesagt werden. Die Formulierungen des Dresdner Aufrufs der DPD, obwohl sie hinausgehen über die des zentralen Berliner Dokuments, lassen eine eindeutige Orientierung beim Umgang mit der Vergangenheit vermissen und unterstützten das Streben zur Flucht aus der Verantwortung.27 Diesen Eindruck bestätigt auch der „Vortrag des Gründerkreises der Demokratischen Partei Deutschlands vor der Sowjetischen Hauptkommandantur in Dresden“. Am 1. Juli 1945 referierten führende Repräsentanten der liberal-demokratischen Politik ihre Gedanken zu den Aufgaben der Partei, die sie zu gründen beabsichtigten. Zur wichtigsten Aufgabe erklärten sie es, die „Welt davon zu überzeugen, dass das deutsche Volk in seinem Kern und in seiner großen Mehrheit von der Irrlehre des Hitlerismus unberührt geblieben“ sei. Sie gestanden ein, es gebe „Reste“ dieser Ideologie unter der Bevölkerung, habe doch das Gros der Deutschen Hitler „mit Hugenbergs Wahlstimmenhilfe an die Macht“ gebracht. Den offensichtlichen Widerspruch konnten die liberal-demokratischen Politiker nicht auflösen. Als wichtigsten Programmpunkt ihrer Partei bezeichneten sie die endgültige „Ausrottung der Reste des Faschismus“ und ließen offen, wo diese zu finden seien. Zur Frage der Schuld der Deutschen äußerten sie, diese unterscheide sich graduell nach ihrer Passivität oder der aktiven Beteiligung an „Auschwitz, Theresienstadt oder Buchenwald“. Politisches Versagen aller Parteien habe auf den Weg dahin geführt und mancher, der „hinter verschlossenen Türen gegen die Nazis gewettert hat, sich aber vor der offenen Tür von ihnen und ihrem Regime berufliche oder geldliche Vorteile hat gefallen lassen, ist kaum minder mitschuldig am jetzigen Schicksal des deutschen Volkes“.28 Die Dresdner Liberaldemokraten sprachen im Unterschied zum Berliner Gründungsaufruf der LDP die nationalsozialistischen Verbrechen in den Konzentrationslagern und die Beteiligung aller Deutschen daran an, gleichzeitig warben sie um Verständnis. Eine bloße Mitgliedschaft in der NSDAP wollten sie nicht als entscheidendes Kriterium der Abrechnung gelten lassen. Aber eine konkrete Äußerung zum Umgang mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus ließen sie vermissen. Wie sich die DPD den Umgang mit den „ungezählten Helfern und Helfershelfern“ Hitlers dachte geht auch nicht aus dem Referat Johannes Dieckmanns, eines ihrer Mitbegründer in Dresden, vor dem Ortsverband der Partei hervor. Obwohl der Zweck der Zusammenkunft Anfang August einer Darlegung der politischen Ziele und Aufgaben dienen sollte, blieben diese sehr allgemein hinter der Formel von der „Schaffung der Demokratie Deutschlands“ verborgen. „Startbahn“ in die demokratische Zukunft sei „das antifaschistische Bekenntnis“ jedes Einzelnen. Allerdings, so Dieckmann, seien alle diejenigen für den 27 Vgl. Greiner, Zwiespältiger, S. 148 f.; Sommer, Liberal-Demokratische Partei, S. 47 ff. 28 Vortrag des Gründerkreises der Demokratischen Partei Deutschlands vor der Sowjetischen Hauptkommandantur in Dresden am 1. 7.1945. In: Wolfgang Hoffmann, Gründung der „Demokratischen Partei Deutschlands“ in Dresden, Manuskript S. 80–88 (ADL, L5–334, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„demokratischen Aufbau unbrauchbar“, die aus den schweren politischen Fehlern der Vergangenheit nicht lernten. Wer gar meine, als ehemaliges NSDAPMitglied in seiner Partei eine neue politische Heimat zu erhalten, befände sich auf der „falschen Beerdigung“.29 Die aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Abgrenzung vom Nationalsozialismus wurden zu parteipolitischen Normen erhoben, ohne allerdings zum Umgang mit den belasteten Personen in öffentlichen Stellungen Position zu beziehen. Ähnliches galt für den Personenkreis, der über die Gründung einer überkonfessionellen Christlich-Sozialen-Volkspartei beriet und dabei die Rückbesinnung auf christliche Werte in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zum Neubeginn stellte.30 Der spätere sächsische CDU-Landesvorsitzende Hickmann entwarf Richtlinien, über die die Dresdner Christdemokraten ebenso wie über die in Chemnitz entworfenen Leitsätze diskutierten.31 Der restriktive Umgang der Besatzungsmacht wurde bei den Umständen der Gründung der bürgerlichen Parteien ersichtlich, gleiches galt für ihre Vorstellungen bezüglich einer Neugestaltung Deutschlands.32 Die örtlichen Offiziere steuerten das politische Leben in Dresden33 und die Christdemokraten konnten möglicherweise hier weniger als an anderen Orten ihre Ansichten zur Abrechnung mit den Nationalsozialisten frei formulieren. Sie schlossen sich unter den gegebenen Umständen der in Berlin formulierten Sprachregelung einer großen „Schuld weiter Kreise unseres Volkes“ an, die darin bestanden habe, zu „Handlangern und Steigbügelhaltern“ Hitlers geworden zu sein. Diese Schuld verlange Sühne und alle Mitschuldigen sollten zur Rechenschaft gezogen werden, aber dem getäuschten Volk und der missbrauchten Jugend müsse nachsichtig begegnet werden, sie seien „Opfer einer wahnwitzigen Führung“ geworden. Mit keinem Wort fanden die Verbrechen der Nationalsozialisten Erwähnung, lediglich das Unrecht der „Hitlerzeit“.34 Im Unterschied dazu verlangte der CDU-Vorsitzende Andreas Hermes auf der Gründungskundgebung am 22. Juli 1945 in Berlin die konsequente Ahndung der Verbrechen.35 In der CDU unterschied man zwischen Volk und Führung und vermied es, generalisierend die Anhänger der Nationalsozialisten mit deren Verbrechen in Zusammenhang zu bringen. Es wurde von notwendiger Sühne „in rechtlich geordneten Bahnen“ gesprochen. Neben der politischen Führung sollten „aktivistische Förderer und Vorkämpfer des Nationalsozialismus“ zur Rechenschaft gezogen werden: Auch über den „Kreis dieser Personen hinaus tragen alle jene 29 Referat Dieckmanns am 6. 8.1945 „Demokratische Existenz heute!“ (ADL, L5–261, nicht paginiert). 30 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 179. 31 Vgl. Wilde, SBZ-CDU, S. 49. 32 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 98–132. 33 Vgl. Donth, Militäradministration und die CDU, S. 111 ff. 34 Gründungsaufruf der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands vom 25. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 35 Vgl. Wilde, SBZ-CDU, S. 286. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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eine ernste Verantwortung in unserem Volke, die das Hitlerregime durch Parteimitgliedschaft oder sonst irgendwie gefördert und unterstützt haben“. Eine abgestufte und nicht allein auf die politische Führung bezogene Verantwortlichkeit wurde angestrebt, da nicht sämtliche NSDAP-Mitglieder flächendeckend bestraft werden könnten. Vielmehr sollten diese „Volksgenossen“ ihre ganze Kraft zum Aufbau des Landes einsetzen, um sich auf diese Weise zu rehabilitieren. Falsch wäre es, „Mitläufer des Naziregimes dauernd unter ein Ausnahmerecht zu stellen“, sie müssten „sich von den nazistischen Irrlehren aus voller Überzeugung“ abwenden und den Weg zur Demokratie finden.36 Die Christdemokraten schienen sich des Dilemmas der deutschen Gesellschaft bewusst zu sein und suchten nach einem Ausweg, der die Vergangenheit im Blick behielt und den Weg in die Zukunft offen ließ. Die Chance eines gerechten Ausgleichs zwischen Opfern und Tätern eröffnete ihnen die christliche Ethik. Kircheninterne Diskussionen jener Zeit ermöglichen einen Einblick in die innerhalb der CDU diskutierten politischen Positionen.37 Ohne die Dresdner Christdemokraten mit der Sächsischen Landeskirche zu identifizieren, denn ebenso wie evangelische Christen gründeten Katholiken und Konfessionslose die CDU, galt das protestantische Element im traditionell evangelischen Sachsen als wichtige Basis der interkonfessionellen neuen Partei.38 Die sowjetische Besatzungsmacht hielt die Verankerung der Partei in den Kirchen sogar für eine Gefahr.39 Aufschluss über die in den Dresdner kirchlichen Kreisen kursierenden Vorstellungen zum Umgang mit belasteten Nationalsozialisten gibt ein von hier an die sächsischen Pfarrer ergangener Rundbrief. Einem Schreiben des an der Martin-Luther-Kirche amtierenden Franz Lau40 waren Richtlinien über die „Stellung zu den ehemals deutschchristlichen Amtsbrüdern“ beigefügt.41 Darin hieß es, dass einerseits ein „Neubau der Kirche“ fällig sei, andererseits ein „neues klares, brüderliches Verhältnis“ zu den „DC-Pfarrern“42 gefunden werden müsse. Christen, so der Dresdner Pfarrer, sollten ohne Rache und Vergeltung „mit Liebe handeln“. Es komme darauf an, „die DC-Brüder zurückzubringen in die kirchliche Gemeinschaft und ihnen in ihrer vielfach sehr bedrängnisvollen inneren Lage zu helfen“. Wenn er somit Amtspersonen zugestand, ihre Nähe zur nationalsozialistischen Diktatur als inneren Konflikt auszutragen, ohne hieraus 36 „Unser Weg“. Ausführungen von Dr. Walther Schreiber, o. D. [wahrscheinlich Ende Juli oder Anfang August 1945] (SAPMO-BArch, DC 1–2632, nicht paginiert). 37 Vgl. Vollnhals, Kirche und Entnazifizierung, S. 52 ff. 38 Vgl. Feurich, Lebensbericht, S. 123 ff. 39 Donth, Sowjetische Militäradministration und CDU, S. 113. 40 Lic. Franz Lau, der von den Deutschen Christen aus seinem Amt als Studiendirektor des Predigerseminars Lückendorf entfernt worden war, hatte gemeinsam mit dem Konsistorialrat Erich Kotte die interimistische Führung der sächsischen Landeskirche übernommen. Feurich, Lebensbericht, S. 112 f. 41 2. Rundbrief an die Pfarrer vom 15. 6.1945. In: Seidel, Wiederaufbau und Entnazifizierung, S. 483–486. 42 Vgl. Hehl, Kirchen in der NS-Diktatur. DC ist die Abkürzung für Deutsche Christen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Konsequenzen ziehen zu müssen, konnte diese „Generalabsolution“ auch jeder andere für sich beanspruchen. Allenfalls Personen in kirchlichen Leitungsfunktionen legte er einen Rücktritt nahe. Der Verfasser sah primär bei der Kirche deren Integrationsfunktion und stellte erleichtert fest, die Kirche sei „nicht mit hineingezogen in den Zusammenbruch“. Dem folgt die dringende Empfehlung an die Pfarrer, Aufforderungen von Kommandanten der Roten Armee zur Zurückhaltung in politischen Fragen selbstverständlich zu befolgen: „Die Pfarrer müssen alles Politische in ihrer Verkündigung vermeiden.“43 Auf Vergebung und Verzeihen beruhend konnte die Kirche nicht umhin, das zur Erlangung von Gerechtigkeit notwendige Strafprinzip anzuerkennen. Die Formulierung „brüderliches Verhältnis“ legt den Zwiespalt offen, in dem sich Christen befanden, und relativiert die Forderung nach einem Neuaufbau kirchlicher Institutionen beträchtlich. Sie verweist auf die vorhandene und immer wieder kritisierte Bereitschaft der Kirche, Verfehlungen der Vergangenheit mit dem „Mantel christlicher Nächstenliebe“ zu verhüllen.44 Nicht allein Kirchenführer, auch viele Mitglieder der Gemeinden hegten Vorbehalte gegenüber einer weltanschaulich pluralistischen und demokratisch verfassten Gesellschaft und lehnten schließlich das im Herbst 1945 veröffentlichte „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ erbittert ab.45 Auch in Dresden hintertrieben kirchliche Würdenträger die Säuberung der Kirche.46 Die aus verschiedenen Quellen ersichtliche Unsicherheit bei der Positionsbestimmung äußerte sich als Unfähigkeit zur Abrechnung. Das fehlende Unrechtsbewusstsein, verstärkt von tradierten Orientierungen, blockierte die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.47 Bereits an der Jahreswende von 1942 zu 1943 hatte, damals noch in Freiheit, der Theologe Dietrich Bonhoeffer die Befähigung zu schonungsloser Aufrichtigkeit des Neuanfangs bezweifelt.48 Kann das Lavieren demokratischer Kräfte zwischen den Positionen der Täter, der Opfer und der Besatzungsmacht als Indiz dafür gewertet werden, dass vielen Menschen die eigene Verstrickung in die Verbrechen der Nationalsozialisten bewusst gewesen ist, dass ein Bekunden von Sympathie mit den Opfern keine ausreichende Unterstützung gewesen war und die Schuld nicht minderte?49 Nicht nur angesichts der Zahl der Opfer ist von einer Diffusion des Wissens über die Morde in weite Kreise der Bevölkerung auszuge43 3. Rundbrief an die Pfarrer vom 29. 6.1945. In: Seidel, Wiederaufbau und Entnazifizierung, S. 487–491. 44 Dr. Starke an Oberbürgermeister Friedrichs vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 84). 45 Vgl. Vollnhals, Kirche und Entnazifizierung, S. 20 und 37. 46 Amtsgerichtsdirektor Weiland an Oberbürgermeister Friedrichs vom 16.6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 81). 47 Vgl. Henke, Trennung vom Nationalsozialismus, S. 63 f. 48 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, S. 31; ein Beispiel für die irritierende Verunsicherung gerade unter Intellektuellen ist Ricarda Huch: Öffentlicher Aufruf von März/ April 1946. Für die Märtyrer der Freiheit. In: Schwerin, Frauen im Krieg, S. 221 f. 49 Vgl. Barkai, Volksgemeinschaft, S. 145 f.; Gryglewski, Judenverfolgung, S. 123; Schlink, Bewältigung von Vergangenheit, S. 97 f.; Traverso, Deutschlandbild, S. 337 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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hen.50 Frühzeitig befürchteten Soldaten und Offiziere der Wehrmacht, sich für die unter ihrer Beteiligung in der Sowjetunion begangenen Verbrechen verantworten zu müssen.51 Auch der in einem Dresdner „Judenhaus“ weitgehend von Kommunikationsmitteln abgeschnittene Klemperer wusste um die Erschießung von Juden.52 Schuldbewusstsein könnte somit ein Motiv für viele gewesen sein, jetzt keine klare Position zu beziehen.53 Die Lethargie vieler Männer, so hieß es aus Dresden, erkläre sich aus ihrem Schuldgefühl.54 Aber auch übermächtige Alltagssorgen könnten sie davon abgehalten haben, sich für Politik oder für den Aufbau demokratischer Strukturen zu interessieren.55 Nur wenige Deutsche setzten sich aktiv mit der eigenen Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinander. Bestenfalls mündete die kollektive Weigerung, die Dimensionen der Verbrechen zur Kenntnis zu nehmen, in der „Beschwörung einer über allen lastenden Schuld, unter der alle irgendwie schuldig seien, kaum einer aber konkret dieses oder jenes Verbrechens schuldig und aburteilbar gewesen sein wollte“.56 Das Bewusstsein, „mit dem Schicksal der Nationalsozialisten auf Gedeih und Verderb verbunden zu sein“, prägte die ambivalente Einstellung von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zur Ideologie des Regimes, auch wenn die Schrecken von Kriegserleben und Kriegsende dies vorerst überdeckten.57 Bei vielen verknüpfte sich die Erinnerung an die Diktatur mit der ökonomischen Prosperität nach der Weltwirtschaftskrise und besonders bei heimatlosen und hungernden Menschen bestand das Risiko, dass sie dem „neuen demokratischen Deutschland“ ablehnend oder feindlich gegenüberstanden.58 50 Vgl. Adorno, Schuld und Abwehr, S. 154 f.; neuere Untersuchungsergebnisse zum Umfang des Wissens der Bevölkerung über die nationalsozialistischen Verbrechen bei Reuband, Gerüchte und Kenntnisse; wenn Reuband den Befund dahingehend zusammenfasst, „dass offenbar eine Minderheit der Deutschen vor Ende des Krieges etwas vom Massenmord an der jüdischen Bevölkerung“ erfahren habe, so schränkt er diese Aussage ein mit dem Hinweis, die fehlenden Kenntnisse bezögen sich auf die Systematik des Massenmordes, und dass die geringe Relation gleichwohl mehrere Millionen Menschen umfasse, Reuband, Ignoranz, S. 56. 51 Beevor, Berlin 1945, S. 337. 52 Tagebucheintrag vom 15. 9.1944. In: Klemperer, Tagebücher 1942–1945, Band 2, S. 584. 53 Konferenz der Ausschüsse Opfer des Faschismus in Leipzig am 27./28.10.1945 (SAPMO-BArch, DY 54–V 277/1/1, Bl. 57). Vgl. Grunenberg, Antifaschismus, S. 131; Melis, Entnazifizierung, S. 24; Padover, Lügendetektor, S. 17. 54 Bericht von der UBL-Sitzung vom 25.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I / B /124, Bl. 60). Vgl. die Beobachtungen zur politischen Szene in Berlin, Field Intelligence Study vom 19.10.1945. In: Borsdorf/Niethammer, Analysen des US-Geheimdienstes, S. 199–207, hier 202. 55 Vgl. Barbian, Zwischen Gestern und Morgen, S. 14. 56 Reemtsma, Jahrhundert, S. 50. Vgl. Boberach, Deutschland im letzten Kriegsjahr, S. 30; Piel, Spuren; Overesch, Buchenwald, S. 106–109. 57 Herbst, Deutschland, S. 453. 58 Bericht der Bezirksverwaltung I vom 30. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 42, nicht paginiert). Vgl. Holtmann, SPD und HJ-Generation; Hurwitz, Neubeginn konservativer Politik, S. 122. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Nationalsozialistische Einstellungen waren vorerst gänzlich inopportun und wurden nicht geäußert, dennoch beeinflussten sie die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im konservativen wie im linkssozialistischen Lager.59 Bestandteile von Ideologie und Praxis der Nationalsozialisten „wie der übersteigerte Nationalismus, die Negierung gesellschaftlicher Interessenkonflikte und die auf Ausgrenzung von Minderheiten beruhende Betonung der Gemeinschaft oder die Pflege ideologischer Feindbilder [...] hatten schon vor 1933 Konjunktur gehabt und verbanden noch in der deutschen Nachkriegsgesellschaft viele Gegner mit ehemaligen Anhängern des Nationalsozialismus“.60 In der juristischen Aufarbeitung und in der Publizistik wurden Führungspersönlichkeiten und „sadistische Mitglieder von KZ-Wachmannschaften vorgeführt, der Rest der Bevölkerung [kam] nicht vor und mit ihr der Betrachter mit dem Schrecken und moralisierenden Ermahnungen davon“.61 Auch die Sozialdemokraten wollten den politischen Neuanfang nicht mit einer Mehrheit von Schuldigen beginnen.62 Der Aufruf der SPD in Dresden am 26. Juni 194563 verzichtete völlig auf die Forderung nach einer Abrechnung und differenzierte bereits im ersten Satz zwischen Nationalsozialisten und dem deutschen Volk: „Der Nazi-Faschismus hat das deutsche Volk in tiefster seelischer Qual, in unvorstellbarer Not zurückgelassen.“ Dem verbreiteten Wunsch nach einer allgemeinen Absolution kamen die sächsischen Sozialdemokraten am weitesten entgegen, indem sie die Frage nach der Schuld der Bevölkerung aussparten und die Verantwortung für die Verbrechen Hitler und dem „Faschismus“ allein zuwiesen. Sie entpersonalisierten jede individuelle Verantwortlichkeit oder grenzten sie auf Hitler ein: „Die Not grinst dem Volke aus den Ruinen der Wohnstätten, aus den Schuttmassen der Straßen, aus zerstörten Fabriken, aus verwüsteten Bauernhöfen, aus vernichteten Kulturstätten entgegen. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Hunger sind die Folgen 12-jähriger Hitler-Herrschaft. Durch die Politik der Gewalt entstand der grausamste Krieg aller Zeiten, eine Völkervernichtung noch nie da gewesenen Ausmaßes. Die ganze Welt stürzte in unbeschreibliches Unglück. Annexionen, Eroberungen und Unterdrückungen friedlich lebender Länder und schließlich der wortbrüchige Überfall auf die Sowjet-Union waren ein überlegtes Werk Hitlers. So schändeten Marodeure und wahnwitzige Machtpolitiker den Namen des deutschen Volkes und entehrten den deutschen Menschen in der ganzen Welt. Der Faschismus war der Feind des werktätigen Menschen.“64

Auch wenn die sozialdemokratischen Politiker in Dresden den zentralen Aufruf der SPD teilweise kannten und Auszüge daraus sogar in den eigenen Entwurf 59 Vollnhals, Kirche und Entnazifizierung, S. 119. Vgl. auch die Briefe an das Dresdner Schwurgericht während des so genannten „Euthanasie“-Prozesses gegen Ärzte und Pflegepersonal. In: Hohmann, „Euthanasie“- Prozeß, S. 429 ff. 60 Rauh-Kühne, Entnazifizierung, S. 41. 61 Brink, Ikonen der Vernichtung, S. 164. 62 Vgl. Behring, Außenpolitik für Deutschland, S. 250. 63 Vgl. Malycha, Weg zur SED, S. XLIII f. 64 Aufruf der sächsischen SPD vom 26. 6.1945: Männer und Frauen Sachsens, Jugend in Stadt und Land! (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002.1, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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einarbeiteten, zeichneten sie eigenverantwortlich für die Formulierungen ihres Dokuments.65 Sie lehnten sich insgesamt eng an die Vorlage des Berliner Aufrufs an und betonten wie dessen Autoren die Opfer der Bevölkerung im Krieg.66 Das sollte denen, die zum „Volke“ dazugehörten, den Eindruck vermitteln, auch sie zählten zu den Opfern, und leistete einem „Opferbewusstsein“67 Vorschub. Die sächsische Sozialdemokratie betrachtete die „militaristische Raubgier des deutschen Imperialismus“ als Feind der Arbeiterbewegung und rief das „schaffende Volk in seiner Gesamtheit [...] zum Kampf gegen Faschismus, preußischen Militarismus und Reaktion“ auf. Primärforderung bei dem Aufbau eines neuen Staates war die „restlose Vernichtung aller Spuren des Hitler-Regimes, seiner Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung“. Das konnte als eine Aufforderung zur Abrechnung verstanden werden, ebenso aber auch als Appell, die Spuren von Schmach und Schande zu tilgen.68 Abstrakte Begrifflichkeit unterstützte das Bemühen um Distanzierung. Allein die Kommunisten sprachen konkret die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Mitwirkung des deutschen Volkes an.69 Sie verwiesen auf die Millionen Wähler, die 1932 für Hitler votiert hatten und bezeichneten nicht nur die Kriegführung als verbrecherisch, sie benannten unmissverständlich den massenhaften Mord: „Millionen Kriegsgefangene und nach Deutschland verschleppte ausländische Arbeiter wurden zu Tode geschunden, starben an Hunger, Kälte und Seuchen.“ Damit der Hinweis auf die Schuld von Hitler, Göring, Himmler und Goebbels sowie die der „aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei“ nicht als Aufforderung zur Distanzierung verstanden werden konnte, schrieben die Kommunisten: „Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden!“ Sie nannten das deutsche Volk ein „Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber“. Sie riefen den Zeitgenossen ins Bewusstsein, „dass das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen“70 trage und bewegten sich ganz auf der Linie der sowjetischen Propaganda, die eine „Anerkennung der Verantwortung des deutschen Volkes für die Verbrechen des Faschismus“ verlangte.71 65 Protokoll über die Beratung eines Vorbereitenden Ausschusses zum Aufbau der SPD Sachsen in Dresden vom 25. 6.1945, ebd. In: Malycha, Weg zur SED, S. 54 f. 66 Vgl. Aufruf des Zentralausschusses der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands, 15. Juni 1945. In: Friedrich /Friedrich, Dokumente, S. 17–21. 67 Vgl. Assmann/Frevert, Geschichtsvergessenheit, S. 158 ff. 68 Aufruf der sächsischen SPD vom 26. 6.1945: Männer und Frauen Sachsens, Jugend in Stadt und Land! (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002.1, nicht paginiert). 69 Bramke, Neuordnung, S. 594. Vgl. Plakat der KPD. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 9. 70 Vgl. Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. 6. 1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 8–16. 71 Aufzeichnung des Leiters und des Ersten Stellvertretenden Leiters der Abteilung für internationale Information des ZK der KPdSU (B) G. Dimitrov und A. Panjuskin für V. Molotov und G. Malenkov über die politische Arbeit in Deutschland von März 1945. In: © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Von der KPD existiert nur der zentrale, am 11. Juni 1945 in Berlin veröffentlichte Aufruf. Dieser Umstand verweist auf eine zwingende Einschränkung: Die Bandbreite der Meinungen unter den Parteimitgliedern und -anhängern drückte der mit Stalin abgestimmte Aufruf nicht aus. Er war das Produkt der Zusammenarbeit des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands mit dem Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.72 Weidauer bezweifelte nicht, „dass vorher eine Beratung oder Abstimmung des politisch-programmatischen Inhaltes des Aufrufes mit den sowjetischen Genossen erfolgt sein musste“.73 Eine eventuell stattfindende Diskussion unter den Kommunisten in Deutschland bewegte sich folglich innerhalb des von der sowjetischen Seite vorgegebenen Rahmens. Die gleiche Diktion prägte die Erklärung, die der von der KPD dominierte Rat der Stadt Dresden aus Anlass des Jahrestages des Kriegsbeginns gegen die Sowjetunion veröffentlichte. Rassenwahn und Eroberungssucht hätten „Adolf Hitler und seine plutokratischen Hintermänner zu dem schmählichen Verrat am russischen Volke“ getrieben. Dem eigenen Volk hingegen sei vorgelogen worden, die Rote Armee wolle Deutschland überfallen. „Die besten Antifaschisten in Deutschland hatten schon vor Hitlers Machtübernahme deutlich vor aller Welt verkündet: Hitler bedeutet Krieg.“ Hitlers verbrecherische Politik habe Zerstörung und Verwüstung über andere Länder und Deutschland selbst an den Rand der Katastrophe gebracht. Wenn Dresden heute nicht hungere „und nicht im Chaos versunken ist, so verdanken wir das der Großmut des Siegers. Diese in der Geschichte ohne Beispiel dastehende Tat ist umso erstaunlicher, als die breitesten Schichten des deutschen Volkes in verblendetem Chauvinismus Hitler zur Durchführung seiner verbrecherischen Pläne die Hand geboten hatten. Heute muss klar und deutlich ausgesprochen werden: Ohne die Mitbeteiligung breiter Schichten des deutschen Volkes wäre der Machtwahn Hitlers im Keime erstickt worden.“ Von dieser Schmach müsse sich das Volk reinigen durch die restlose Austilgung der nationalsozialistischen Ideologie. „Nur die völlige Überwindung des Nazismus und des preußisch-deutschen Militarismus, ihre Ausrottung mit der Wurzel, kann das deutsche Volk wieder in die Familie der Völker zurückführen.“74 Die Entnazifizierung war aus sowjetischer Perspektive ein Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen und deswegen flexibel zu handhaben. Das beeinflusste sichtbar die politischen Statements der Parteien. Bald einigten sich KPD und SPD auf der zentralen Ebene in Berlin über Sühnemaßnahmen für Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 3–7. Vgl. Stößel, Positionen und Strömungen, S. 86. 72 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 65; Erler, Arbeit der Moskauer KPD-Führung, S. 120 ff. 73 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 14, S. 5 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 74 Beschluss des Rates der Stadt Dresden vom 22. 6.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 36 ff.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„aktive“ Nationalsozialisten in Form zusätzlicher Arbeit und Kürzung von Rationen, ihre Entfernung aus leitenden Positionen und Berufseinschränkungen in politisch relevanten Bereichen. Sie sprachen sich für ein generelles Beschäftigungsverbot aller Mitglieder der NSDAP und vergleichbarer Organisationen im gesamten öffentlichen Dienst aus.75 Mit diesen Forderungen unterschied sich die im sowjetischen Besatzungsgebiet anvisierte Säuberung kaum von der amerikanischen Direktive JCS 1067, die eine Entlassung aller nicht nur nominell der NSDAP angehörenden Personen aus öffentlichen Ämtern in Verwaltung und Wirtschaft vorsah.76 Die KPD propagierte die Maximen der sowjetischen Besatzungs- und Entnazifizierungspolitik ihren potentiellen Anhängern und früheren Mitgliedern.77 Zu dem Zweck waren die führenden Kommunisten unermüdlich im Land unterwegs und legten ihnen wie Anton Ackermann die kommunistische Lesart der Abrechnung dar.78 Eine Mischung aus Schuldzuweisung und Integrationsangebot kennzeichnete ihre Propaganda.79 Ackermann hielt den Genossen vor, dass kein ehrlicher Mensch behaupten könne, nichts von den wirklichen Absichten und den Verbrechen der Nationalsozialisten gewusst zu haben. Zudem hätten die Deutschen jetzt einen schlechten Start, weil „die faschistische Diktatur nicht durch die Tat des werktätigen deutschen Volkes gestürzt“ worden, sondern „die Befreiung [...] von außen, durch den Kampf und die Opfer der Roten Armee“ gekommen sei. Nun müsse zuerst der Frieden hergestellt und gesichert werden. Denn die „vom Faschismus überfallenen, gequälten und ausgeplünderten Völker“ benötigten eine Garantie dafür, dass „in Deutschland der Nazismus ausgerottet“ werde. Diese Garantie könne nur in der Haltung des deutschen Volkes zu seiner Vergangenheit erkennbar werden. Das deutsche Volk müsse sich der Aufgabe der „Vernichtung des Nazismus und des Militarismus“ stellen und dabei „zwischen den aktiven und den nichtaktiven Nationalsozialisten, den sogenannten Mitläufern“ unterscheiden. Die „aktiven Nazis“, besonders diejenigen von ihnen, die im Verborgenen weiter arbeiteten, seien aufzuspüren und zu isolieren.80 Ackermann ließ keinen Zweifel daran, wer künftig entscheidende Positionen einnehmen werde, und propagierte eine pragmatische Politik der Abrechnung, des Neuanfangs und der Versöhnung. Ohne auf die Mitgliedschaft in der NSDAP einzugehen sprach Ackermann von der erforderlichen Bestrafung all 75 76 77 78

Suckut, Blockpolitik, S. 70 ff. Vgl. Wilde, SBZ-CDU, S. 287. Vgl. Vollnhals, Kirche und Entnazifizierung, S. 45 ff. Vgl. Gräfe/Wehner, Rolle der KPD, S. 314; Melis, Entnazifizierung, S. 31. Anton Ackermann: Über meine Erlebnisse und Erfahrungen in Meißen im Mai 1945 vom 15. 5.1965 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 5, Bl. 119). 79 Vgl. Assmann/Frevert, Geschichtsvergessenheit, S. 168. 80 Anton Ackermann: Rededisposition für die Versammlung von Antifaschisten – Aktivisten der ersten Stunde – in der Bautzner Straße, Dresden 21. 5.1945, nachträglich am 6.12.1965 ausformuliertes Referat (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 27–30). Vgl. auch Stichworte Ackermanns für die Versammlung in der Bautzner Straße in Dresden vom 21. 5.1945, (ebd., Bl. 1–25). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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derer, die eine aktive Rolle im nationalsozialistischen Deutschland gespielt hatten, unabhängig von ihrer Stellung in der Hierarchie. Dabei gestand er den Aktivisten auch nicht zu, sich auf einen „Befehlsnotstand“ zu berufen oder darauf, lediglich Anordnungen ausgeführt zu haben. Sein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Nationalsozialisten war deren aktive Mittäterschaft, wobei er offen ließ, was er unter „aktiv“ verstand.81 Weiterhin drohte er allen mit Vergeltung, die unverbesserlich an den Idealen des Nationalsozialismus festhielten. Sie würden unweigerlich in den Untergang gerissen. Den umkehrwilligen Deutschen zeigte er, auf Stalin verweisend, den Ausweg: „Die Hitlerbanditen werden vernichtet, das deutsche Volk aber wird leben!“82 Ackermann blickte nach vorn auf die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung und sprach von den nächsten Aufgaben, den Versorgungs- und Verkehrsproblemen und dem Aufbau von Verwaltungen. Er sicherte allen, die daran mitzuwirken bereit waren, ihren Platz in der neuen Ordnung zu, und offerierte den „Mitläufern“, sie könnten ihre Verfehlungen der Vergangenheit durch tatkräftigen Neuaufbau sühnen.83 Seine Rhetorik zielte darauf, die Gesellschaftsutopie der KPD breitenwirksam einem größeren Publikum nahe zu bringen. Die dahinterstehenden Absichten der Besatzungsmacht blieben seinen Zuhörern verborgen. Sie ahnten nicht, in welchem Umfang Ackermann sowjetische Ziele vertrat. Insofern ist es fraglich, ob die Parteien Anfang September 1945 in Dresden mit ihren Richtlinien über die Neuaufnahme solcher Mitglieder, die zuvor nationalsozialistischen Organisationen angehört hatten, eigene Gedanken zur Entnazifizierung vorstellten oder ob sie sich lediglich den von deutschen Kommunisten vorgetragenen sowjetischen Anordnungen anpassten.84 An zentraler Stelle herrschte darüber längst Konsens: „Mitglieder der NSDAP oder der Organisationen NSKK, NSFK, NSDStB, NS-Frauenschaft, HJ, BDM, SA, SS, SD [...] können bis auf weiteres nicht Mitglieder von Parteien des Antifaschistisch-Demokratischen Blocks“ werden. „Funktionäre oder sonst wie aktive Faschisten“ sollten von einer Mitgliedschaft dauernd ausgeschlossen bleiben. Hingegen galten frühere Mitglieder beruflicher und anderer Organisationen, die in die 81 Vgl. Bestrafung der Naziverbrecher. Kommissions-Entwurf vom 31. 7.1945 für die Beschlußfassung im Plenum am 3. 8.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 76–79, dessen Bestimmungen in Bezug auf „aktivistische Nazis“ bei der vorgenommenen Konkretisierung mit seinem letzten Passus weitreichende Eingriffsmöglichkeiten eröffnete: „Aktivistische Nazis sind [...] alle diejenigen Personen, die sich noch nach dem 1. September 1939 in Wort und Schrift öffentlich als Vertreter oder Verfechter nazistischer Anschauungen betätigt oder fortgesetzt auf ihre Umgebung oder die ihnen unterstellten Personen im gleichen Sinne eingewirkt haben.“ 82 Stichworte Ackermanns für die Versammlung in der Bautzner Straße in Dresden vom 21. 5.1945 (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 12). 83 Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 74; Welsh, Wandel, S. 36. 84 In der Gründungssitzung des zentralen Parteien-Blocks hatte Ulbricht den entsprechenden Antrag auf generelle Nichtzulassung von NSDAP-Mitgliedern gestellt, vgl. Gedächtnisprotokoll der Gründungssitzung am 13./14. 7.1945 von Erich W. Gniffke. In: Suckut, Blockpolitik, S. 62 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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NSDAP eingegliedert worden waren, oder aus politischen Gründen ausgeschlossene oder ausgetretene Mitglieder der NSDAP, im Sinne dieser Richtlinien nicht als deren Mitglieder. Das traf ebenfalls auf ehemalige SA-Angehörige zu, die mit dem „Stahlhelm“ geschlossen überführt worden waren und danach keine Ämter bekleidet hatten. Nominelle Mitglieder der genannten Organisationen konnten von den Parteien „in einer besonderen Liste registriert werden“, wenn sie „mindestens zwei einwandfrei antifaschistisch-demokratische Bürgen“ stellten, die beweisen könnten, „dass sie sich in keiner Weise faschistisch betätigt“ hätten. Nur wer im Auftrag einer der „illegalen antifaschistisch-demokratischen Organisationen“ in die NSDAP eingetreten war oder sich als deren Mitglied „nachweislich und zweifelsfrei“ als „antifaschistischer Aktivist“ betätigt hatte und dabei in politische Haft oder in ein Konzentrationslager gekommen war, durfte sofort in eine der neuen Parteien eintreten. Eine Kommission aller Parteien sollte über Anwendung und Auslegung der Richtlinien entscheiden und alle von den Parteien vorgelegten Anträge bearbeiten, Zweifelsfälle seien einer Landeskommission vorzulegen.85 Neben den Richtlinien veröffentlichten die Parteien wenig später die Eckpunkte hinsichtlich der Bestrafung von nationalsozialistischen Verbrechen. In der auf sowjetische Anweisung geänderten Fassung der Richtlinien vom 3. August 194586 verabschiedeten sie am 30. Oktober 1945 die „Entschließung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien“:87 Deutsche Gerichte sollten Straftaten aburteilen, Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei die Ermittlungen führen, um sämtliche Verbrechen des „Hitlerregimes und seiner Anhänger“ restlos zu sühnen. Es müssten nicht nur bestehende Gesetze ausgeschöpft, sondern auch neue juristische Grundlagen geschaffen werden für Tatbestände, die bisher nicht verfolgt werden konnten. Das gelte besonders für die Verfolgung von Menschen wegen ihrer politischen Überzeugungen. Ferner wurde eine Aussetzung der Verjährungsfrist gefordert sowie ein Gesetz zur Festlegung von Sühnemaßnahmen für „aktivistische Nazis“, die von öffentlichen Stellungen ausgeschlossen bleiben und mit zusätzlichen Arbeits-, Sach- und Geldleistungen belegt werden sollten. Doch auch die „nichtaktivistischen Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen“ hätten als „Anhänger dieser Terror-, Mordund Kriegspartei [...] schwere politische und moralische Schuld auf sich geladen“. Sie seien von einer Strafe oder Sühneleistung nur befreit in der Erwartung, „dass sie mit ihrer politischen Vergangenheit vollkommen brechen und sich mit ihrer ganzen Kraft am Wiederaufbau“ beteiligen würden. 85 Richtlinien der Antifaschistisch-Demokratischen Parteien in Sachsen für das einheitliche Verhalten in der Frage der ehemaligen Mitglieder der NSDAP vom 5.9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 13, nicht paginiert). 86 Mitteilungen Semjonows vom 25. 8.1945. In: Badstübner/Loth, Pieck – Aufzeichnungen, S. 54 f. 87 Entschließung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien über die Bestrafung der Naziverbrecher und gerechte Sühnemaßnahmen gegen aktive Nationalsozialisten vom 30.10.1945. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 186–189. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Erklärung implizierte Rechtsstaatlichkeit und täuschte der Öffentlichkeit einen Konsens der Parteien vor, obwohl im Hintergrund erregt über Schuldkriterien debattiert wurde;88 sie ermöglichte den Mitgliedern der Parteien den Glauben, die Zukunft sei von ihnen gestaltbar. Allerdings entsprachen diese schließlich in die Praxis umgesetzten Postulate zur Entnazifizierung in hohem Maß kommunistischen oder sowjetischen Vorstellungen und weniger dem Selbstverständnis liberaler, christ- oder sozialdemokratischer Politik. Sie folgten den zentralen Verlautbarungen des Parteienblocks in Berlin, wobei sich nicht allein die organisatorischen und ideologischen, sondern auch die Informationsvorsprünge der KPD auswirkten. Die Führung der Partei in Berlin benachrichtigte ihre Funktionäre an der Basis rasch über die zentralen Vereinbarungen.89 Dies und ihr Rückhalt bei der Besatzungsmacht ermöglichten ein erheblich selbstbewussteres Agieren. Das überraschte besonders LDP und CDU, aber auch Sozialdemokraten sahen sich in die Defensive gedrängt. Noch während die Parteien sich über die Grundsätze der Entnazifizierung verständigten, hatten deutsche Kommunisten und sowjetische Offiziere längst begonnen, vollendete Tatsachen zu schaffen.

2.

Die politische Praxis in der ersten Phase der Entnazifizierung

Während im Herbst des Jahres 1945 die Vorstellungen über den Umgang mit den Überresten des Nationalsozialismus in Deutschland langsam Konturen gewannen, waren davon unmittelbar nach Kriegsende kaum Umrisse zu erkennen. Die Dresdner Stadtverwaltung richtete im Mai 1945 einen „Kommissarischen Außendienst“ ein und beauftragte ihn mit der „Liquidation aller NSOrganisationen“, doch die von dieser Institution angestrebte Koordinierung der politischen Säuberung kam über Anfänge nicht hinaus.90 Auch die von der sowjetischen Stadtkommandantur verfügte Meldepflicht für nationalsozialistische Eliten entfaltete aus sich heraus keine Wirkung.91 Hingegen schien sich fast jeder Anhänger ehemaliger Linksparteien zur politischen Abrechnung mit der Vergangenheit berufen zu fühlen und dementsprechend vielfältig war die Palette der Säuberungsmaßnahmen. Die „Antifa-Komitees“ stellten für die in den Stadtbezirken erforderlichen Aufräumarbeiten „Nazi-Kontingente“ zusam-

88 Vgl. Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 89 Vgl. Weidauer an Buchwitz vom 27. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 80). 90 Bekanntmachung des Kommissarischen Außendienstes der Stadt Dresden vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 385). Vgl. Donth, sächsische KPD, S. 80. 91 Vgl. Befehl Nr. 2 des Stadtkommandanten, o. D. [Mai/Juni 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 9). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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men.92 Trotz der offiziellen Argumentation, beschäftigungslose Nationalsozialisten sollten „Wiedergutmachung“ leisten, zogen die „Arbeitseinsatzleiter“ auch Personen aus festen Arbeitsverhältnissen dazu heran.93 Eine im Juni mit der Begründung, sie sei BDM-Führerin gewesen, zu Aufräumarbeiten verpflichtete junge Verkäuferin verlor dadurch Arbeitsstelle und Einkommen. Ihren Einwand, sie habe lediglich ein Dreivierteljahr vertretungsweise eine Mädchengruppe der Organisation in ihrem Stadtteil geleitet, ließ das Arbeitsamt nicht gelten.94 Das von einem Sozialdemokraten geleitete Dresdner Arbeitsamt versuchte den Spagat, flächendeckend den Zwangsarbeitseinsatz ehemaliger NSDAP-Mitglieder zu organisieren und der Wirtschaft ihre Arbeitskräfte zu erhalten.95 Die Rote Armee, die wahllos von der Straße weg Arbeitskolonnen rekrutierte, erschwerte dies.96 Außerdem zogen die Bezirks- und Stadtbezirksverwaltungen die Einwohner zu Zwangsarbeiten heran.97 So erging die Anweisung, im Zuständigkeitsbereich des Bahnhofs Dresden-Reick „jeden Sonnabend eine Arbeitsbereitschaft aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP zu bilden“, um ankommende Transporte sofort entladen zu können.98 Nationalsozialisten sollten die Hinterlassenschaften des „Dritten Reiches“ beseitigen. Dazu gehörte neben der Trümmerberäumung, der Reparatur von Brücken, Gleisanlagen und zerstörten Versorgungseinrichtungen99 auch die Exhumierung der in Massengräbern verscharrten Opfer des nationalsozialistischen Terrors.100 Ebenso sollten die Familienangehörigen ehemaliger Nationalsozialisten Sühneleistungen erbringen, wobei Abstufungen vorgenommen wurden: Das Arbeitsamt Strehlen forderte im Juni sämtliche Einwohner auf, dreimal in der Woche frühmorgens um 6.30 Uhr zum „Pflichtarbeitseinsatz“ zu erscheinen. Mitglieder der NSDAP und ihre Ehefrauen hingegen sollten sich täglich melden bei angedrohtem Entzug der Lebensmittelkarte. Ausgenommen seien nur die Beschäftigten anerkannt lebenswichtiger Betriebe sowie Frauen mit Kindern un92 Vgl. Sitzung der Bezirksverwaltungen vom 16. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 38, Bl. 2 f.). 93 Später hieß es ausdrücklich, solche Arbeiten seien „neben sonstiger Arbeit durchzuführen“, vgl. Bestrafung der Naziverbrecher. Kommissions-Entwurf vom 31. 7.1945 für die Beschlußfassung im Plenum am 3. 8.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 78. 94 Schreiben an die Bezirksverwaltung V vom 10. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/15 Band 1, nicht paginiert). 95 Schreiben des Arbeitsamtes an die Bezirksverwaltungen vom 8. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 2, nicht paginiert). 96 Vgl. Beevor, Berlin 1945, S. 351. 97 Bericht über die Tätigkeit der bisherigen Bezirksbürgermeisterei Trachau-Trachenberge vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 208–212). 98 Schreiben der Bezirksverwaltung VII an den 24. Stadtbezirk vom 21. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 92). 99 Tätigkeitsbericht Nr. 1 Dresden-Wachwitz vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 11). 100 Weidauer an die Wirtschaftskammer Sachsen vom 27. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 653, Bl. 164). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ter zwei Jahren und Kriegsversehrte ab Stufe II.101 Fragt man nach den Kontrollmöglichkeiten zur Befolgung solcher pauschalen Aufforderungen und nach dem Vollzug der angedrohten Sanktionen, ist zu diesem Zeitpunkt behördliches Versagen zu registrieren. Eine flächendeckende Kontrolle war nicht durchführbar, Sanktionen wurden willkürlich in Einzelfällen exekutiert. Damit öffneten die behördlichen Verfügungen privater Missgunst und Bosheit Tür und Tor. Erfolgversprechender konnten allenfalls Aufrufe zum freiwilligen Arbeitseinsatz sein.102 Moralisch-materielle „Wiedergutmachungsleistungen“ erwog die Stadtverwaltung ebenfalls. Der Stadtrat beriet im Juli einen Spendenaufruf zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Die Argumentation der Dezernenten zielte auf „die am Kriege Mitschuldigen, also ehemalige Mitglieder der NSDAP“, sie sollten „ihre Bereitwilligkeit“ zur Mitwirkung am Wiederaufbau unter Beweis stellen. Die Aufforderung zur Zusammenstellung von Listen mit den „Adressen vermögender Nationalsozialisten“ zielte auf Erpressung. Noch gingen die Meinungen der Stadträte darüber auseinander, „ob bei den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP die freiwillige Sammlung oder die Beschlagnahme richtiger sei“. Vorerst einigten sie sich auf den Grundsatz „freiwilliger Mitarbeit“.103 Ehemalige Angehörige der NSDAP mussten mit Kürzung ihrer Rationen rechnen104 und im Herbst stellte die Sozialverwaltung die Unterstützungsleistungen für „aktive“ NSDAP-Mitglieder und deren Ehefrauen gänzlich ein.105 Die Sanktionen geschahen praktisch in einem rechtsfreien Raum. Besatzungsrecht deckte sie nur teilweise und mitunter schritten sowjetische Offiziere dagegen ein.106 Die revolutionären Umverteilungsphantasien linksradikaler „Aktivisten“107 wurden auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt in der schwer zerstörten Stadt besonders sichtbar. Der Bedarf an Wohnungen war groß. Viele Dresdner hatten kein eigenes Dach über dem Kopf und lebten in fremden Wohnungen. Eingesessene Bewohner mussten enger zusammenrücken. Die hinzukommenden Flüchtlinge fanden kaum Platz, die sowjetischen Behörden benötigten Diensträume und Unterkünfte und befahlen mitunter die kurzfristige Räumung von Wohnungen oder von kompletten Straßenzügen.108 101 Aufruf des Arbeitsamtes Strehlen vom 22. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 64, nicht paginiert). 102 Bekanntmachung des 25. Stadtbezirks vom 9. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 86). 103 Bericht über die Ratssitzung vom 14. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 77 ff.). 104 Schreiben der Bezirksverwaltung VI an Bürgermeister Weidauer vom 10.8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 9). 105 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung VI vom 22.10.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17a Band I, Bl. 1–7). 106 Schreiben der Nachrichtenstelle des 12. Stadtbezirks an das Nachrichtenamt vom 18. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 17). 107 Vgl. Welsh, politische Säuberung, S. 90. 108 Amtsgerichtsdirektor Weiland an Oberbürgermeister Friedrichs vom 7.6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 94). Vgl. auch Kommunale Hilfsstelle DresdenWachwitz, Tätigkeitsbericht Nr. 1 vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 11). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Zusätzlich belastete die angespannte Situation, dass die kommunistischen Kader der neuen Verwaltungsorgane angemessen untergebracht werden wollten. Die Wohnungsämter bildeten ein vorrangiges Betätigungsgebiet der Kommunisten. Von den 72 im Einzugsbereich der Bezirksverwaltung III im Herbst 1945 mit der Vergabe von Wohnraum befassten Personen gehörten 40 der KPD an.109 Sie nötigten die in den Stadtbezirken bekannten Mitglieder der NSDAP zum Verlassen ihrer Wohnungen, um sie an kommunistische Funktionäre zu vergeben.110 Gelegentlich gelang so ein doppelter „Entnazifizierungseffekt“, wie der Anzeige des sächsischen KPD-Funktionärs Arthur Schliebs zu entnehmen ist: „Am 18. Oktober erschien bei mir der frühere Oberindentanturrat (sic) P., dessen Wohnung ich vom Wohnungsamt der Stadt Dresden zugewiesen erhalten hatte. Bei dem Einzug in diese Wohnung habe ich eine Menge Material sichergestellt, aus dem hervorgeht, dass P. an dem Krieg gegen Russland teilgenommen hat und für die Ausplünderung und den Terror gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten mitverantwortlich ist.“111 Solches Belastungsmaterial lieferte der Kriminalpolizei Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen. Es diente aber auch der Ausschaltung von Konkurrenten und „Angehörige der KPD [...], die auf der Suche nach Ämtern, ihre Vorgänger mit Gewalt und Plünderung beseitigen wollen“, veranlassten deren Verhaftung durch die Kommandantur.112 Kommunisten wie Sozialdemokraten versuchten, die Kandidaten der jeweiligen Gegenseite zu diskreditieren, damit möglichst ein Mitglied der eigenen Partei auf einen begehrten Posten gelangen konnte.113 Für viele dieser Maßnahmen war die Entnazifizierung ein Vorwand. Das Konfiszieren von Wohnungen und Einrichtungsgegenständen geschah ohne ordnungsgemäße Rechtsgrundlage, frühere Eigentümer forderten die Rückgabe.114 Obwohl die Polizei 1945 beschönigend davon sprach, Menschen würden ihre „Sachen zurückfordern, die sie im Sturm der Ereignisse [...] verloren haben“, verlangte sie von der Landesverwaltung ein Gesetz, das solche Ansprüche verwirkte,115 um langwierige juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden.116 109 Personalliste der Bezirksverwaltung III [Ende September 1945] (StadtAD, Bezirksverwaltung III 1, nicht paginiert). 110 Vgl. Bericht des Kriminalamtes Dresden vom 24. 6.1946 (SächsHStAD, LBdVP 395, nicht paginiert). 111 Schliebs an die Kriminalpolizei Dresden vom 20.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/016, nicht paginiert). 112 Schreiben der Bezirksverwaltung VI an Stadtrat Weidauer vom 18. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 8). 113 Vgl. Buchwitz an Grotewohl vom 23. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II / A /1.002.1, nicht paginiert). 114 Weidauer an den Landesvorstand der SPD vom 28. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 87 f.); Schreiben der Rechtsabteilung des zentralen Wohnungsamtes an die KPD-Kreisleitung Dresden vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 55). 115 Protokoll der Sitzung der Polizeileiter vom 23.10.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 116 Vgl. Schreiben der Rechtsanwälte Bahrmann und Hennig an die Bezirksverwaltung VI vom 18. 7.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 391, Bl. 24). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Eine Ratsanordnung vom 16. Juli 1945 räumte dem Wohnungsamt lediglich die Möglichkeit ein, Möbel und Hausrat vorübergehend Bedürftigen zu überlassen.117 Beschlagnahmungen mussten die deutschen Verwaltungen im Interesse der inneren Stabilisierung unterbinden.118 Doch wie vielfache Beschwerden zeigten, wurden sie weiter praktiziert.119 An fremdem Eigentum vergriffen sich ausgebombte Dresdner und heimatlos gewordene Flüchtlinge, Kommunisten richteten ihre Parteibüros in besetzten Räumlichkeiten ein, und entrüstet verwahrte sich die Ortsgruppe der KPD Dresden-Leutewitz gegen die Forderung der Stadtkämmerei, in Besitz genommene Möbel zu bezahlen.120 Da aber die Stadtkämmerei „Anspruch auf Bezahlung“ habe und in der Stadtverwaltung nicht nur Kommunisten, „sondern auch bürgerliche Leute“ beschäftigt seien, empfahl der um Beistand gebetene Weidauer den Genossen, einen Antrag auf kostenlose Überlassung zu stellen.121 Viele Einwohner der Stadt sahen in den Sanktionen ein über Unschuldige hereinbrechendes „Strafgericht“. Die Übergriffe und Plünderungen seitens der Besatzungssoldaten verstärkten das Gefühl der Rechtlosigkeit. Außerdem stieß die planlose Verhaftung ehemaliger Angehöriger der NSDAP sowie die „von Angehörigen antifaschistischer Gruppen, ja alter Mitglieder der KPD“ in der Bevölkerung auf wenig Verständnis. Rache und Strafe sollten die Nationalsozialisten treffen, weil sie für alles Unglück verantwortlich seien.122 Die allgemeine Empfindung drückte die Beschwerde eines Dresdners an den Oberbürgermeister aus, dessen Frau und Tochter Soldaten der Roten Armee vergewaltigt hatten: „Wenn das schon sein soll, dann soll man dafür doch die Frauen und besseren Töchter der Nazis zur Verfügung stellen.“123 Es gab auch andere fragwürdige Sühneangebote, die der „Hilfsstelle für die Opfer des Faschismus“ zugingen: „In der Anlage überreiche ich Dir die Anschrift eines ehemaligen NSDAP-Mitgliedes. Der Betreffende hat sich bereit erklärt, einen Konzentrationär bei sich

117 Vgl. Schreiben des Oberbürgermeisters vom 9. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 309, nicht paginiert). 118 Vgl. Weidauer an den Präsidenten der Wirtschaftskammer vom 27. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 653, Bl. 164). 119 Vgl. Schreiben des Oberbürgermeisters an den Lebensmittelhändler W. vom 22. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 110). Vgl. Schreiben des Polizeireviers in der Bezirksverwaltung VII an Bezirksbürgermeister Neubert vom 18.9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/IX/2, nicht paginiert); Schreiben der KPD-Stadtteilleitung III an Egon Rentzsch vom 28. 9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 48, nicht paginiert). 120 Schreiben der KPD Leutewitz an Bürgermeister Weidauer vom 17. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 63). 121 Weidauer an die KPD Leutewitz vom 2.10.1945 (ebd., Bl. 52). 122 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II vom 17. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 46–49). 123 Willy G. an Oberbürgermeister Friedrichs vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 1 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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aufzunehmen und zu verpflegen. Darüber hinaus will er diesem KZ-Häftling sein Herrenzimmer schenken.“124 Wollten Deutsche mit der bereitwilligen Auslieferung von „Nazis“ und ihrer Angehörigen an die Besatzungsmacht deren Rache von sich ablenken? Beteiligten sich darum Dresdner an der Aufstellung von „Nazilisten“ und an der Suche nach politisch belasteten Personen, so wie jene junge Frau, die den „Kontrolloffizier“ bei der Jagd nach „Nazis“ unterstützte?125 Neuere Untersuchungen relativieren das gesamte Ausmaß der Denunziation im Nationalsozialismus,126 dennoch hatte erst die latente Bereitschaft zur Denunziation die totalitäre Durchdringung der Gesellschaft ermöglicht.127 Auch jetzt entsprang das Verhalten der Menschen einem Bedürfnis nach Abrechnung oder emotional aufgeladenen persönlichen Konflikten. Die „Nazis“ sollten büßen, weniger für die Verbrechen, vielmehr für die von ihnen verursachte Zerstörung und Vernichtung, für den verlorenen Krieg, für den Verlust von Angehörigen, von Besitz und von Heimat. Die den ersten Aktionen innewohnende Emotionalität löste bald der Wunsch nach Distanzierung ab. Die von vielen lautstark geforderte Bestrafung der „großen Nazis“ begleitete eine still betriebene gegenseitige Absolution. So wie in anderen Regionen Deutschlands ausländische Beobachter verwundert nach den Nationalsozialisten suchten,128 sagte auch Ackermann von den Dresdnern, dass keiner von ihnen „ein Nazi gewesen sein“ wollte.129 Die politische Säuberung begann im sozialen Umfeld nationalsozialistischer Akteure. Diejenigen, die zusammen in einer Straße wohnten, wussten, wer in den vergangenen zwölf Jahren von einer Verbindung zu führenden Nationalsozialisten profitieren konnte, wer in der NSDAP, der SA oder SS gewesen war, wer nationalsozialistische Ideale vertreten, eifrig den Hitler-Gruß gezeigt oder andere denunziert hatte.130 Missgunst und Begehrlichkeit fanden im Klima gegenseitiger Verdächtigungen ein Ventil.131 Von den Kommunisten erhobene pauschale Vorwürfe wie die, dass diejenigen Großhändler „Nazis“ gewesen seien, die jetzt „durch Sabotage die größten Schwierigkeiten bereiten“,132 be124 Weidauer an Elsa Frölich vom 18. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 36). 125 Vgl. Lebenslauf Helga S., o. D. [1946] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 23). 126 Hensle, Denunziation und Diktatur, S. 158. 127 Vgl. Marszolek, Denunziation im Dritten Reich. 128 Martha Gellhorn, April 1945. In: Enzensberger, Augenzeugenberichte, S. 87–97; Arendt, Besuch in Deutschland. Vgl. Ruppert / Riechert, Herrschaft und Akzeptanz, S. 11. 129 Anton Ackermann: Rededisposition für die Versammlung von Antifaschisten – Aktivisten der ersten Stunde – in der Bautzner Straße, Dresden 21. 5.1945, nachträglich am 6.12.1965 ausformuliertes Referat (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 31). 130 Schreiben der Bezirksverwaltung VI an die Lebensmittelkartenverteiler vom 30. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 10). 131 Schreiben an Bürgermeister Weidauer vom 24.10.1945 (ebd., Bl. 59). 132 Schreiben der Transportleitstelle der Bezirksverwaltung I vom 29. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dienten Umverteilungswünsche. In der durch Krieg und allgemeine Zerstörung zu weiten Teilen zwangsnivellierten Gesellschaft wurden bereits diejenigen zur Zielscheibe von Begehrlichkeiten, denen das Schicksal von Ausgebombten und Flüchtlingen und somit die größte Not erspart geblieben war. Neider wünschten eine Umverteilung von Besitz, um eigene Verluste zu kompensieren, und nutzten ihre Verbindungen zur Besatzungsmacht zu privaten Beutezügen: „Die Beschlagnahmung wurde im Auftrag der russischen Kommandantur des VI. Verwaltungsbezirkes im Beisein von 1 Feldwebel und 1 Dolmetscher der Roten Armee durchgeführt.“133 Oft betätigten sich Personen aus dem Spektrum linker Parteien einvernehmlich in den Stadtbezirksverwaltungen, und der Fall eines Pieschener Kaufmanns zeigt, wie wenig die Praxis der Entnazifizierung an eine politische Selbstreinigung, wie viel mehr sie an die Umverteilung von Besitz gekoppelt war. Im August 1945 ließ die KPD-Ortsgruppe dessen Geschäft durchsuchen mit dem Ziel, die Räume in den Besitz des Konsumvereins zu bringen. Unter dem Vorwurf, er halte ungemeldete Warenbestände zurück, habe von Geschäftsbeziehungen zur Wehrmacht profitiert und sei Mitglied der NSDAP gewesen, beschlagnahmten die Männer Lebensmittel und Ladeneinrichtung. Um ihrer Aktion einen offiziellen Charakter zu verleihen, ließen sie sich von einem Polizisten begleiten. Der Kaufmann und seine Frau gaben zu Protokoll: „Die Männer forderten von mir die Öffnung der Büchsen, weil sie Hunger hätten und etwas zu essen haben wollten. Meine Frau und ich haben ihnen Brot und Fleischkonserven zur Verfügung gestellt. Sie haben sich dann unter Mitnahme je einer Schachtel Zigaretten entfernt. Die Warenbestände sind nach und nach von der Bezirksverwaltung I abgefahren worden und zwar durch dieselben Personen.“134 Die Aktion hatten Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam organisiert, das von ihnen gebildete „Antifaschistische Aktionskomitee“ residierte unter der gleichen Anschrift wie die Geschäftstelle der KPD.135 Der Kaufmann vermutete hinter der Schließung seines Geschäfts eine böswillige Verleumdung. In seiner Existenz bedroht, zumal ihm und seiner Frau „auf Anordnung der KPD“ die Lebensmittelkarten entzogen wurden, versuchte er aus seiner Nachbarschaft, von Kunden und Angestellten günstige Leumundszeugnisse zu erhalten.136 Ein ehemaliger politischer Häftling bescheinigte ihm, in der Zeit seiner Haft seine Familie mit Lebensmitteln unterstützt und anderen „Genossen Lebensmittel unentgeldlich zur Verfügung gestellt“ und „freiwillig für die Partei geopfert“ zu haben. Weitere ehemalige Häftlinge bezeugten die Hilfsbereitschaft des Kaufmanns. Einer seiner früheren Angestellten begründete das Vorhanden133 Beschlagnahmungsprotokoll vom 12.12.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/IX/6, Bl. 6). 134 Kriminaldienststelle 14. Polizeirevier an die Kriminalabteilung Polizeipräsidium vom 30. 8.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). 135 Vgl. Schreiben des Einzelhandelskontrolleurs der Bezirksverwaltung I an den Rat der Stadt, Abteilung Ernährung, vom 9. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 136 Sämtlich im Vorgang Aktenzeichen KP II 231/45 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sein der gefundenen Vorräte damit, dass der Kaufmann sie aus Wehrmachtslieferungen abgezweigt habe für den Zeitpunkt, „wenn es in Pieschen mal ganz schlecht gehen sollte“. Das bestätigte auch ein Nachbar. Ein Geschäftsfreund, Mitglied der KPD, sprach sich für den Kollegen aus: Er kenne ihn schon sehr lange und könne darum für ihn bürgen, er habe mit ihm ausländische Rundfunksender gehört und die „Meinung über die Kriegslage“ ausgetauscht, woraus immer seine „antifaschistische Gesinnung“ hervorgegangen sei. In die NSDAP sei der Kollege aus „Geschäftsgründen“ eingetreten, um sich damit lediglich dem „allgemeinen Rahmen“ anzupassen. Außerdem wisse er aus eigener Erfahrung, wie schwer es für Geschäftsleute im Krieg gewesen sei, allen gerecht zu werden, und es werde „immer Kunden geben, die mit ihrem Kaufmann unzufrieden sind“. Auch er, der langjährige Haftstrafen im Zuchthaus und im Konzentrationslager verbüßt habe, befürworte die „Beseitigung der Nazis aus dem öffentlichen Leben“, aber Recht müsse Recht bleiben und „man muss den Fall im einzelnen überprüfen“.137 Doch die Männer des „Aktionsausschusses“ ließen nicht locker. Sie verlangten von der Polizeidienststelle, den Händler und dessen Frau zu verhaften, weil sie sich weigerten, eine andere Arbeit anzunehmen. Außerdem könne wegen der „Empörung der Pieschener Einwohner“ ihre Sicherheit nicht garantiert werden.138 Den Mann ließen sie vorübergehend in einem „Kommandohaftlager“ internieren.139 Der „politische Leiter“ der örtlichen KPD wiederum distanzierte sich von dem Vorgehen.140 Der Prozess vor dem Dresdner Amtsgericht zog sich über zwei Jahre hin und endete mit einem Freispruch des Kaufmanns. Die Ladeneinrichtung erhielt er zurück, sein ebenfalls konfiszierter Lieferwagen blieb allerdings verschwunden.141 Die Palette der gegen vermeintliche und tatsächliche Nationalsozialisten angewandten repressiven Maßnahmen reichte von der Mobilisierung der öffentlichen Meinung bis hin zur Einschaltung der Justiz, wobei der Einsatz nichtjustizieller Zwangsmittel die Repressalien wesentlich kennzeichnete. Die in dem geschilderten Fall erwähnten Bescheinigungen gingen auf die Initiative aller Parteien zurück, die den so genannten „nominellen“ NSDAPMitgliedern freigestellt hatten, für ihr Verhalten während der Zeit des Nationalsozialismus Bürgen beizubringen. Diese, auf eine politische Integration abzielende Geste, mobilisierte bald die gesamte Gesellschaft auf der Suche nach Zeugen, die unterschiedslos für belastete wie für unbelastete Personen aussagten. Auf diese Weise entstand eine Fülle von mitunter außerordentlich fragwür137 Eidesstattliche Erklärung von Alfred Althus vom 14. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 138 Schreiben der KPD Ortsgruppe Pieschen an das 14. Polizeirevier vom 1. 9.1945 (ebd., nicht paginiert). 139 Weidauer an das Polizeipräsidium vom 15. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 145). 140 Aktennotiz an die Abteilung N vom 3. 9.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). 141 Schreiben des Polizeipräsidiums an das Kriminalamt vom 21. 6.1948 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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digen Entlastungsbescheinigungen.142 In Dresden begann im Juni die Jagd auf so genannte „Nichtigkeitserklärungen“ für den angeblich erzwungenen Parteieintritt.143 Oft wandten sich NSDAP-Mitglieder an vordem Verfolgte wie Victor Klemperer. Der Prokurist einer Firma, bei der er während des Krieges Zwangsarbeit geleistet hatte, schenkte ihm eine Tüte Puddingpulver und erbat im Gegenzug für seinen Sohn ein Leumundszeugnis. Dem wollte sich Klemperer nicht verschließen, weil er und die anderen Juden in dem Betrieb damals anständig behandelt worden waren. Andererseits empfand er „dieses Winseln um Zeugnisse“ widerwärtig. Einen Fleischer, der fürchtete, wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP seinen Laden zu verlieren, schickte Klemperer unverrichteter Dinge wieder fort, weil er ihn nicht kannte und nie von ihm Hilfe erfahren hatte. Eine Musiklehrerin wiederum, die zu ihrer Entlastung angab, im Unterricht mit ihren Schülerinnen Musik von Mendelssohn-Bartholdy gespielt zu haben, fand seine Sympathie und erhielt das Zeugnis.144 Auch der Bürgermeister von Dölzschen, jener Gemeinde im Dresdner Westen, in der Klemperer ein eigenes Haus bewohnte, ehe ihn die Nationalsozialisten zwangen, in ein „Judenhaus“ im Dresdner Zentrum unter unwürdigen Wohnbedingungen umzuziehen, erhielt von Klemperer die erbetene Erklärung: „Herr Gerhard Christmann hatte als Bürgermeister von Dölzschen Anfang 1942 über mein Grundstück Am Kirschberg 19 mit mir zu verhandeln. Das Haus, aus dem ich vertrieben war, sollte einem Pg. zugeschlagen werden. Ich weigerte mich, auf den Verkauf einzugehen. Es hätte eines Anrufes bei der Gestapo bedürft, und ich wäre zum Verkauf gezwungen worden. Christmann hat diesen Zwang nicht ausgeübt, er hat mir erklärt, er werde gegen meinen Willen nichts in dieser Sache unternehmen und er hat mir damit auch Wort gehalten. Sein Verhalten war also durchaus menschlich und stand im Gegensatz zu dem, was damals von ihm erwartet wurde. Ich bestätige dies an Eides statt.“145

Der örtliche KPD-Leiter bescheinigte dem Bürgermeister gleichfalls „menschliches Verhalten“ in einer unmenschlichen Zeit. Er habe sich für seine Freilassung eingesetzt und, als das nicht glückte, veranlasst, dass seine Frau eine höhere Fürsorgeunterstützung erhielt während der sechs Jahre, die er in Buchenwald inhaftiert war.146 Trotz der Interventionen musste der invalide Mann mit seiner Familie die Wohnung räumen und in eine kleine Mansardenwohnung einziehen.147

142 Vgl. Vollnhals, Kirche und Entnazifizierung, S. 267; ausführlich zu Belastungskriterien und Entlastungsstrategien Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, S. 218–246. 143 Rundschreiben Nr. 2 des Oberbürgermeisters vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 397). 144 Tagebucheintrag vom 21. 6.1945, S. 15; Tagebucheintrag vom 21. 7.1945, S. 52; Tagebucheintrag vom 6. 9.1945, S. 94; Tagebucheintrag vom 18. 9.1945, S. 109; Tagebucheintrag vom 31.10.1945, S. 134. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1. 145 Schreiben Klemperers vom 28. 2.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/17 Band 1, nicht paginiert). 146 Erklärung vom 16.11.1945 (ebd., nicht paginiert). 147 Schreiben des Zentralwohnungsamtes an das Bezirkswohnungsamt VI vom 28. 2.1946 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Das Bemühen, im Einzelfall diskreditierte Nationalsozialisten zu entlasten, wurzelte in dem verbreiteten Wunsch nach einer gerechten Einzelfallprüfung. Der Leiter des Dresdner Arbeitsamtes Otto Nehls, Vorsitzender der SPD im 25. Stadtbezirk, bescheinigte seinem Friseur, dass er „sehr unter dem Druck der Nazis zu leiden hatte“, weil seine Spenden für das SPD-Volkshaus bekannt geworden waren. Er könne eidesstattlich bezeugen, dass der Friseur, obwohl Mitglied der NSDAP, „niemals Faschist war“.148 Otto Buchwitz intervenierte wegen eines Kaufmanns und fragte, ob es möglich sei, ihn vor der „Wegnahme seines Geschäftes zu bewahren“. Der Mann sei kein „aktiver Faschist“ gewesen, sondern habe aus Angst oder Sorge um seine Existenz eine „Gastrolle bei den Nazis“ gegeben und in der Zeit seiner Haft die Familie „hin und wieder“ unterstützt.149 Auch andere prominente Sozialdemokraten verwendeten sich häufig für Personen, die ihrer Meinung nach zu Unrecht von Sanktionen betroffen wurden.150 Teilweise schienen die Menschen zu glauben, es sei möglich, unter Vorlage entsprechender Unterlagen oder Bürgschaften von einer Mitgliedschaft in der NSDAP „freigesprochen“ oder aus ihren Listen gestrichen zu werden, was Weidauer energisch zurückwies.151 Bei der Aufrechterhaltung dieses Irrglaubens entwickelte er allerdings eine bemerkenswerte Doppelzüngigkeit. Eine generelle Amnestierung barg das Risiko eines unkontrollierten Zulaufs von Anhängern der Nationalsozialisten zu allen Parteien, das galt es zu verhindern. Gegen die Millionen zählende Anhängerschaft der NSDAP wiederum konnte die neue Gesellschaft nicht errichtet werden und die KPD wollte die Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen für ihre Zwecke mobilisieren. „Die kleinen Pg.’s der großen Masse“, so referierte Weidauer, „sind aus unserem Leben nicht auszuschalten“. Es sei nicht möglich, komplett die Mitglieder der NSDAP zu Gegnern zu erklären. Darum sei es erforderlich, jede Person einzeln zu begutachten und dabei von Fall zu Fall zu prüfen, „ob und wieweit dieser und jener Pg., insbesondere die Frauen, bei uns zur Mitarbeit einzureihen sind“. Er trat frühzeitig dafür ein, aus ehemaligen nationalsozialistischen Anhängern kommunistische Proselyten zu machen.152 Eine Dresdner Ortsgruppe der KPD demonstrierte das Vorgehen. Anhand eines Fragebogens ermittelte ein „Kontroll-Ausschuss“ ehemalige Angehörige nationalsozialistischer Organisationen, die sich in einer öffentlichen Versamm148 Beurteilung vom 22.11.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung IV D / IV /15b, nicht paginiert). 149 Buchwitz an Weidauer vom 25. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 79). 150 Schreiben des Schulamtes an Oberbürgermeister Dr. Müller vom 29. 8.1945 (ebd., Bl. 95); Bescheinigung vom 1. 9.1945 (ebd., Bl. 82); Bescheinigung vom 17. 9.1945 (ebd. Bl. 96). 151 Weidauer an Max I. vom 31. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 143). 152 Bericht über die kommunale Tagung in Dresden vom [13. 9.1945], o. D. (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I/B/124, Bl. 77). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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lung den Fragen der Ausschuss-Mitglieder stellen mussten. Die Kommunisten fragten die Geladenen „in Form eines Gerichtsverfahrens“ nach ihrem Verhalten in der Vergangenheit, ob sie etwa Personen „politisch denunziert“ oder „zum Hitlergruß ermahnt“ hätten. Für ihre Aussagen sollten sie mehrere Bürgen beibringen. Die wichtigste der an sie gestellten Fragen war die nach ihrer Bereitschaft, „bei der Erforschung aktiver Nazis mitzuwirken“. Fielen die Antworten zur Zufriedenheit des Auditoriums aus, stand einer „Mitarbeit“ nichts im Wege, und die meisten Befragten erklärten sich nach „längerer Unterredung“ dazu bereit.153 Das Prinzip der Entnazifizierung in der SBZ verdeutlicht ein Schreiben Weidauers, der einem Petenten vielsagend antwortete, er müsse „sich wegen der Annullierung“ seiner Mitgliedschaft in der NSDAP „an eine der politischen Parteien wenden“, die dafür dann „die politische Verantwortung“ zu übernehmen habe.154 Es ging weniger um den Inhalt der Richtlinien als um ihre Interpretation. Deutungshoheit besaß, wer sie formulierte. Die in Sachsen geltenden Entnazifizierungsrichtlinien hatte der kommunistische Spitzenfunktionär Matern in Absprache mit sowjetischen Besatzungsoffizieren ausgearbeitet. Demzufolge entschied die KPD in strittigen Fällen. Doch der Makel jener Personen, deren Verhalten in der Vergangenheit keine Entschuldigung fand, fiel auf diejenige Partei zurück, die den Antrag unterstützt hatte. Viele Antragsteller baten eine der Parteien oder den örtlichen „Block der antifaschistischen Parteien“ um eine „Rehabilitierungsbescheinigung“, wie sie einem Arzt ausgestellt wurde. Der Leiter des Polizeireviers, der Stadtbezirksleiter und der Leiter der Bezirksverwaltung sowie die „antifaschistischen Parteien“, ein kommunistisch dominiertes Gremium, prüften dessen Anliegen und sicherten ihm nach Einsicht in die Unterlagen zu, aus seiner Zugehörigkeit zur NSDAP würden ihm „keinerlei Nachteile irgendwelcher Art“ erwachsen.155 Bei dem Arzt hatte offensichtlich eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Haltung vorgelegen. Aufgrund von Konflikten mit dem Regime sah er sich genötigt, den Rat des möglicherweise wohlmeinenden Ortsgruppenleiters, zu seinem Schutz in die NSDAP einzutreten, zu befolgen. Andere Antragsteller brachten zu ihren Gunsten Sympathiebekundungen allgemeiner Art vor. Angaben wie die „Ablehnung des Hitler-Grußes oder das Nichtzeigen der Hakenkreuzfahne oder das Abhören fremder Sender“ wurden als nicht ausreichend angesehen.156 In manchen Fällen war der Ausschuss mit der Überprüfung von Angaben überfordert und bemühte die Kriminalpolizei, das Dickicht gegenseitiger Anschuldigungen zu klären.157 Das Grundmuster glich mit Einzelfallprüfung 153 Bericht von der UBL-Sitzung vom 20. 9.1945 (ebd., Bl. 69). 154 Weidauer an B. vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 651, Bl. 118). 155 Schreiben des Blocks der antifaschistischen Parteien an Dr. G. vom 23.11.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 56, nicht paginiert). Vgl. Feurich, Lebensbericht, S. 120. 156 Vgl. Referat Fischers auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 86 f.). 157 Kriminaldienststelle des 7. Polizeireviers an den 7. Stadtbezirk vom 26.11.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 54, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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und Zeugenanhörung weitgehend der Spruchkammerpraxis in den westlichen Besatzungszonen. Hier wie im Westen stand am Ende ein von politischen Erwägungen geleitetes Abschlussurteil. Die darauf Einfluss nehmende Politik der östlichen Besatzungsmacht war freilich eine völlig andere und für die Betroffenen besaß die Rehabilitierungsbescheinigung aufgrund der intensiven Überprüfung des öffentlichen Dienstes immense Bedeutung. Alle Parteien verzeichneten regen Zulauf. Im November 1945 beklagte der CDU-Kreisverband Dresden-Stadt eine Zunahme der „Anträge auf Entgiftung“. Gleichzeitig bestätigte er die vertraulich zu behandelnden Richtlinien des Parteien-Blocks vom September, wonach alle Personen, „die von einer anderen Organisation zwangsweise in die NSDAP überführt worden sind“, und solche, „die auf Grund ihrer politischen Überzeugung wieder ausgetreten, ausgeschlossen oder ausgestoßen“ wurden, in die Parteien aufgenommen werden könnten.158 Damit war es vier Wochen später vorerst vorbei. Die SMAD verlangte die „restlose Reinigung aller Verwaltungsbehörden von früheren NSDAP-Mitgliedern“ und ein Ende der Diskussion um die Behandlung nomineller Parteimitglieder. Der SMAD-Chef Marschall Shukow persönlich beendete die Debatte, in dem er sagte, der bisherige Verlauf der Säuberung habe erwiesen, dass „das deutsche Volk noch nicht die genügende Reife“ habe, um den „Faschismus mit seiner Wurzel auszurotten“. Mitglieder der NSDAP seien generell zu entlassen, bis auf drei Ausnahmen: Zum einen die amnestierten Jugendlichen; des Weiteren aktive „Kämpfer gegen den Faschismus“, die ihren Widerstand mit Haft in Gefängnissen oder Konzentrationslagern hatten bezahlen müssen; sowie diejenigen, die im Auftrag der Partei innerhalb der NSDAP „Zersetzungsarbeit“ geleistet hätten.159 Die Landesverwaltung Sachsen verfügte, dass ungeachtet aller „Streichungen, Rehabilitierungen, Bescheinigungen“ die betreffenden Personen „als ehemalige Mitglieder der NSDAP zu betrachten sind“.160 Unter dem Druck der Besatzungsmacht erklärten die vier Parteien auf der Landesebene die ausgestellten Bescheinigungen für ungültig. Die Aufnahme „ehemaliger Nazis in eine der Parteien der Einheitsfront“ wurde gestoppt. Ausgenommen wurden von der Revision der bisherigen Praxis allein die unter die Jugendamnestie fallenden „nominellen ehemaligen Mitglieder der nationalsozialistischen Organisationen“. Gleichzeitig erklärte sich der „Landesblock“ der Parteien zur allein zuständigen Instanz für die Prüfung von Anträgen zur „Anerkennung einer während der Hitlerzeit erfolgten antifaschistischen Tätigkeit“. Die Ortsgruppen der Parteien durften lediglich die Anträge entgegennehmen. Mit diesem Beschluss vom 25. November 1945, die Kompetenzen auf eine höhere zentrale Ebene zu 158 Schreiben des CDU-Kreisverbands Dresden-Stadt an die Bezirksgruppen vom 6.11. 1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–093, nicht paginiert). 159 Referat Fischers auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 86 f.). 160 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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verlagern, verlor das personell fundierte Geflecht der gegenseitigen „Weißwäscherei“ einen großen Teil seiner Wirkung.161 Doch die Entnazifizierung wurde nicht auf objektivere Grundlagen gestellt, lediglich dem kommunistischen Einfluss sollte besser Geltung verschafft und dem unkontrollierten Treiben vor Ort ein Riegel vorgeschoben werden. Das oben erwähnte Schreiben der Landesverwaltung zur Entnazifizierung legte fest, dass Ausnahmen allein bei Vorliegen einer schriftlichen „Stellungnahme des Personalamtes der Landesverwaltung“ anerkannt werden könnten.162 Neben den möglichen nationalsozialistischen Gegnern des „Neuaufbaus“ richtete sich die Entnazifizierung auf eine Beschneidung des Einflusses der potentiell im Lager der anderen politischen Parteien vermuteten Gegner einer kommunistischen Diktatur.

3.

Personalpolitik und Entnazifizierung in der Stadtverwaltung

Der Hauptstoß der Säuberungsmaßnahmen galt im Sommer 1945 dem Personal der Stadtverwaltung. Für die sowjetischen Besatzungsoffiziere und ihre kommunistischen Verbündeten besaß die Personalpolitik, bei allem Interesse an einer Stabilisierung der Lage vor Ort,163 oberste Priorität. Aus der Forderung des Chefs der sowjetischen Propagandaverwaltung in Karlshorst, Sergej Tjulpanow, ehemalige Nationalsozialisten aus den deutschen Verwaltungen zu entfernen,164 spricht ein essentielles Interesse an der Entnazifizierung. Weidauer zufolge lag in der Entnazifizierung „der Hauptteil der gesamten damaligen Kaderpolitik“, um die gewaltigen rasanten, politischen kadermäßigen Veränderungen in fast allen Organen“ durchführen zu können.165 Insofern musste im Rahmen des Neuaufbaus der Verwaltung die Ausformulierung der Entnazifizierungskriterien von erheblicher Bedeutung sein. Am 8. Mai 1945 gehörte jeder Dritte der 15 000 städtischen Dienstkräfte der NSDAP an.166 Vorrangig ging es deutschen Kommunisten und sowjetischen Besatzungsoffizieren um die Entfernung von Nationalsozialisten aus den Leitungsfunktionen in den Schlüsselbereichen. Darüber hinaus wollten sie ihren Herr161 Beschluss der Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 26.11. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung IV D/IV/18, nicht paginiert). Vgl. zur Diskussion um die Jugendamnestie in den westlichen Besatzungszonen Boll, Suche nach Demokratie, S. 134. 162 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). 163 Melis, Entnazifizierung, S. 68. 164 Tjulpanow, Deutschland, S. 166. 165 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 17, S. 1 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). 166 Statistik, Personal der Stadtverwaltung [Anfang November 1945] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 18 f.); Statistik, Personal der Stadtverwaltung vom 1. 5.1946 (ebd., Bl. 48). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Personalpolitik und Entnazifizierung

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schaftsanspruch bis in den letzten Zweig der Verwaltung ausdehnen. Bei all dem musste die Kontinuität der Verwaltungsarbeit gewährleistet und eine Grundversorgung der Bevölkerung in den primären Bereichen Nahrung, Kleidung, und Wohnung aufrecht erhalten bleiben. Zudem waren öffentliche Sicherheit, Bauverwaltung, Verkehrs- und Kommunikationssysteme sowie Gesundheitsversorgung und Hygiene in einer zerstörten Großstadt äußerst sensible und komplexe Aufgabenfelder, die nicht von Fachleuten entblößt werden durften. Die politische Säuberung der Verwaltung war eine Herausforderung, die vernünftige Kompromisse und Fingerspitzengefühl verlangte.167 Für einen umfassenden Elitenwechsel fehlte ausgebildetes Fachpersonal. Zwar zog die KPD in großem Umfang Arbeiter aus den Betrieben ab, doch diese erwiesen sich oft für die Tätigkeit in der Verwaltung nicht ausreichend qualifiziert und den Betrieben wiederum fehlten die Fachkräfte in der Produktion. 80 Arbeiter allein aus einem einzigen Dresdner Betrieb hatten neue Aufgaben in der Verwaltung und in der Polizei übernommen.168 Auch andere Betriebe beklagten den Abzug von Facharbeitern und der Personaltransfer wurde zu einem Problem.169 Die ersten Entnazifizierungsvorschriften in der Dresdner Stadtverwaltung trugen die politische Handschrift des deutschen Kommunisten Hermann Matern. Er war für Personalfragen und somit für die in einen umfangreichen Personalaustausch mündende Entnazifizierung zuständig. In dem Konflikt zwischen den Erfordernissen der sowjetischen Besatzungspolitik, der an einer funktionierenden Verwaltung gelegen sein musste, und der von seiner Partei konstatierten generellen Verstrickung des deutschen Volkes in den Nationalsozialismus, verlangten es wiederum die politischen Interessen der KPD, mit Hilfe der Entnazifizierung die Schlüsselpositionen in der Verwaltung zu übernehmen. Da im Hinblick auf die Personalpolitik die anderen Parteien Einwände erhoben, entbrannte die Diskussion um die Formulierung der Entlassungskriterien.170 Ein vorläufiger Kompromiss musste gefunden werden. Matern entwarf im Mai 1945 ein kommunistisches Positionspapier. Demzufolge sollten zunächst alle SS- und SA-Angehörigen und diejenigen NSDAP-Mitglieder, die der Partei vor dem 30. Januar 1933 beigetreten waren, aus städtischen Diensten entlassen werden. Damit wies er scheinbar die Richtung in eine auf formalen Kriterien beruhende Entnazifizierung und befand sich im Widerspruch zu dem wenig später veröffentlichten Aufruf seiner Partei, wonach nicht lediglich die Zugehörigkeit zur NSDAP und anderen Organisationen den Ausschlag geben sollte.171 Denn die politische Säuberung konnte nicht zugleich 167 Tittmann, Machtorgane, S. 138. 168 Diskussionsbeitrag eines Genossen der Firma Seidel&Naumann, o. D. (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 855, Bl. 65–68) 169 Bericht über die kommunale Tagung in Dresden vom [13. 9.1945], o. D. (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I/B/124, Bl. 77). 170 Vgl. Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7. 1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 171 „Restlose Säuberung aller öffentlichen Ämter von den aktiven Nazisten.“ In: Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Beginn der politischen Säuberung

nach verbindlichen Merkmalen und der im Einzelfall zu prüfenden aktiven Teilnahme der Betroffenen an einer Durchsetzung der nationalsozialistischen Politik erfolgen. Die offenkundige Differenz zwischen Materns Definition der Entlassungsforderungen und dem Aufruf stellte ein taktisches Täuschungsmanöver der KPD-Führung dar. Matern verlangte vorerst von den Dezernaten und Bezirksverwaltungen lediglich Entlassungsvorschläge. Aus einer Personalaufstellung sollte hervorgehen, in welchem Zeitraum die Betreffenden den Organisationen angehörten und wer, auch ohne Mitglied gewesen zu sein, „sich in besonderer Weise für die NSDAP eingesetzt hat“.172 In dieser Formulierung deutete sich die spätere Praxis an, über jede Organisationszugehörigkeit hinaus die Entnazifizierungsrichtlinien individuell und willkürlich politisch zu interpretieren. Am 30. Mai 1945 erließ der Dresdner Rat Entnazifizierungsrichtlinien für den Zuständigkeitsbereich der Stadtverwaltung. Mitglieder der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen konnten generell fristlos entlassen werden, vorrangig diejenigen, die der NSDAP vor dem 30. Januar 1933 beigetreten waren, desgleichen Spitzel, Denunzianten und später eingetretene Mitglieder, die durch ihr aktives Eintreten zur Festigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen hatten. Als „Aktivisten“ galten sämtliche Inhaber eines Parteiamtes vom Kreis- und Ortsgruppenleiter der Partei aufwärts, aber auch deren Vertrauens- und Verbindungsleute. Was für die NSDAP galt, bezog sich auf alle Gliederungen der Partei und sonstige Organisationen, insbesondere SA, SS und die Geheime Staatspolizei. Diese Kriterien wurden im Rahmen einer allgemeinen Verwaltungsreorganisation mit der Forderung nach einer generellen Personalreduzierung verknüpft und auf Veranlassung Fischers jeglicher Personalpolitik zugrunde gelegt.173 Die von Matern für die Dresdner Verwaltung herausgegebenen Richtlinien entsprachen denen, die kurze Zeit später die SMAD der Entfernung von Nationalsozialisten aus Schlüsselpositionen der Deutschen Reichsbahn zugrunde legte.174 Die zur Anwendung kommenden Kriterien waren identisch, das spricht für das Vorhandensein sowjetischer Vorgaben, denen die deutschen Kommunisten folgten. Beispielgebend für die Säuberungspolitik in der SBZ sollten die Behörden der künftigen sächsischen Landeshauptstadt vorangehen, doch das Gegenteil trat ein.175 In den von Mitgliedern der „Antifa-Komitees“ besetzten Bezirks- und

172 173 174 175

Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 13. Rundschreiben des Personalamtes vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). Protokoll der Ratssitzung vom 30. 5.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 9). Vgl. Meinicke, Entnazifizierung, S. 182. Thüsing, Landesverwaltung, S. 125; in Mecklenburg fand eine deutlich raschere und vergleichsweise durchgreifendere politische Säuberung der Verwaltung statt, vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 80–111. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Personalpolitik und Entnazifizierung

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Stadtbezirksverwaltungen Dresdens spiegelt sich signifikant eine fehlende Dynamik des Personalaustauschs wider. In der Bezirksverwaltung III im Dresdner Westen arbeiteten Anfang April 1945 insgesamt 350 Beamte und Angestellte.176 Diese Zahl kann der Personalziffer der Dienststelle am 8. Mai 1945 zugrunde gelegt werden, auch eine Ende September erstellte Liste weist die gleiche Anzahl der Beschäftigten aus.177 Der neue kommunistische Verwaltungsleiter des III. Bezirks hatte nach Kriegsende hier eine intakte Dienststelle direkt aus den Händen seines Vorgängers übernommen.178 Den bisherigen Chef, einen erfahrenen städtischen Beamten, behielt er als Stellvertreter. Die elf weiteren Abteilungsleiter der verschiedenen Ressorts179 beließ er vorerst wie die anderen der insgesamt 131 NSDAP-Mitglieder auf ihren Posten. In dieser und in drei weiteren Bezirksverwaltungen wurde im Mai kein Personal entlassen. In zwei der insgesamt sieben Bezirksverwaltungen erfolgten im Mai einmal zwei, in dem anderen Fall drei Entlassungen ehemaliger Mitglieder der NSDAP. Ausgenommen die 150 Entlassungen der insgesamt 250 Nationalsozialisten in der Bezirksverwaltung II spielte die Entfernung von Anhängern der nationalsozialistischen Diktatur aus ihren Ämtern am Beginn der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ in den städtischen Bezirksverwaltungen keine Rolle. Die „Antifa-Komitees“ arbeiteten parallel zu den Verwaltungen oder sie infiltrierten die Dienststellen, meist ließen sie pragmatisch das Personal unter ihrer Aufsicht weiterarbeiten. Der Pragmatismus resultierte aus der Vertrautheit jener Personen mit den örtlichen Verhältnissen und schien durch die anfängliche Bereitschaft der Militärkommandanten zu einer differenzierten Haltung in der Entnazifizierungsfrage gefördert zu werden.180 Erst im Monat Juni, nach Ernennung der leitenden Funktionäre der Komitees zu Stadtbezirksund Bezirksverwaltungsleitern und dem Erlass der Entnazifizierungsrichtlinien, setzte eine umfangreiche Säuberungswelle ein – wobei Fachpersonal weiterhin auch in leitenden Funktionen belassen wurde. In der gesamten Dresdner Stadtverwaltung verloren im Mai nur 624 Mitglieder der NSDAP ihre Arbeit.181 Weniger die Absicht eines Umsturzes, vielmehr kennzeichnete ein hohes Maß an Kontinuität die anfänglich „gebremste“ revolutionäre Umgestaltung. Diese Tendenz missfiel der KPD-Führung. Um sie wirkungsvoll zu beeinflussen, musste sie die Personalhoheit für die gesamte Stadtverwaltung durchset176 Beamte in der Bezirksverwaltung III vom 12. 4.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 25, nicht paginiert); Angestellte in der Bezirksverwaltung III vom 3. 4.1945 (ebd., nicht paginiert). 177 Personalliste der Bezirksverwaltung III [Ende September 1945], o. D. (StadtAD, Bezirksverwaltung III 1, nicht paginiert). 178 Bericht der Bezirksverwaltung III vom 2. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/ A/1.006, nicht paginiert). 179 Leitendes Personal der Bezirksverwaltung III, o. D. [Mai/Juni 1945] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 103, Bl. 23); Beamte der Bezirksverwaltung III vom 12. 4.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 25, nicht paginiert). 180 Vgl. Welsh, Wandel, S. 26 und S. 33. 181 Nachweis entlassener NSDAP-Mitglieder vom 7.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 39). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Beginn der politischen Säuberung

zen. Nur so bestand eine Möglichkeit, trotz des kompromisshaften Charakters der Entlassungsvorschriften die Verwaltung, wie von ihnen angestrebt, vollständig zu durchdringen.182 Sie wollten alle Beschäftigten in der Dresdner Stadtverwaltung eingehend prüfen, weil sie glaubten, dass alle eine Verstrickung in Schuld und Verbrechen bestreiten und verbergen würden. Die Überprüfung der Beschäftigten sollte ein aus drei bis fünf Personen bestehender Ausschuss vornehmen, das Personalamt hingegen die Entlassungen vornehmen.183 Eine nachgeschobene Anweisung zur Ausgabe neuer Dienstausweise beabsichtigte die lückenlose Erfassung des Personals.184 Das gelang in der zentralen Stadtverwaltung eher als in den Stadtbezirken. Die KPD betrieb die politische Säuberung in Dresden systematisch. Der Entlassung von 624 Stadtangestellten im Mai folgten 806 weitere im Juni.185 Diese Zahlen relativieren die von der DDR-Historiographie kritisierte amerikanische Säuberungspolitik in Leipzig. Dort entließen die Amerikaner bis zu ihrem Abzug Anfang Juli mit etwa 1 000 von insgesamt 7 539 städtischen Angestellten einen deutlich höheren Prozentsatz.186 Die Säuberungsbilanz der zwei Monate währenden amerikanischen Besatzungszeit übertrifft mit 13,3 Prozent die bei knapp 10 Prozent liegende Bilanz der ersten beiden Monate unter sowjetischer Besatzung in Dresden. Im August zielte die sächsische Landesverwaltung auf eine landesweite Vereinheitlichung der politischen Säuberung und erließ eine Verordnung über den „personellen Neuaufbau“. Sie basierte auf den frühen Dresdner Anweisungen und entstand unter der Federführung derselben Personen.187 Nach einer ersten, von der Landesverwaltung bereits am 9. Juli verabschiedeten „Verordnung über die Beschäftigung im öffentlichen Dienst“, ging es ihr nun um die „Bildung eines neuen demokratischen Verwaltungsapparates“. Jene in der zweiten Julihälfte veröffentlichte Verordnung schuf die juristische Grundlage für Entlassungen, indem sie alle Beschäftigungsverhältnisse für „fristlos frei widerruflich“ erklärte.188 Damit verschärfte die Landesverwaltung die Entlassungsbestimmungen, um sie auf alle Mitglieder der NSDAP, ungeachtet eines Beitrittsdatums oder anderer Einschränkungen anwenden zu können. Sie erstreckten sich außerdem auf 182 Rundschreiben des Personalamtes vom 1. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). 183 Richtlinien für die Entlassung von Beamten und Angestellten aus dem Dienste der Stadt Dresden vom Juli 1945 (Neufassung), (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, nicht paginiert). 184 Rundschreiben des Personalamtes vom 15. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert); Rundschreiben des Personalamtes vom 30. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 98, Bl. 7). 185 Nachweis entlassener NSDAP-Mitglieder vom 7.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 39). 186 Vgl. Henke, Besetzung, S. 700; Welsh, Wandel, S. 32 f. und 42 f. 187 Vgl. Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 66 f.; Welsh, Wandel, S. 34. 188 Verordnung über die Beschäftigung im öffentlichen Dienst vom 24. 7.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 5). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Personalpolitik und Entnazifizierung

167

alle früheren Dienststellenleiter der ehemaligen nationalsozialistischen Besatzungsverwaltungen, auf alle Polizeibeamten und auf „diejenigen, die sich durch die Ausübung ihrer öffentlichen oder beruflichen Tätigkeit in besonders starkem Maße [...] schuldig gemacht haben“. Zur Entlassung seien außerdem Verwaltungsangestellte vorgesehen, die „vor oder nach der Einstellung der Feindseligkeiten Maßnahmen getroffen, angeordnet oder durchgeführt haben“, deren Ziel die „Zerstörung öffentlichen Eigentums oder anderer Werte“ war. Dies bedeutete eine Option auf die unbegrenzte Ausweitung der Entnazifizierung, zumal auch den im obigen Sinn unbelasteten Mitarbeitern aus ihrer „Zugehörigkeit zur früheren Verwaltung [...] kein Anspruch auf Wiederverwendung“ erwachse. Vielmehr sollten bevorzugt die von den Nationalsozialisten verfolgten und gemaßregelten Personen eingestellt werden, insbesondere diejenigen, „die für die Befreiung des deutschen Volkes von der Naziherrschaft gekämpft“ und deswegen Gefangenschaft, „Verfolgungen und Misshandlungen erlitten haben“. Der KPD-Führung ging es um die Gewinnung von Personen mit einer so genannten „fortschrittlichen Gesinnung“. Eine Einstellung der „von den Nationalsozialisten aus politischen, religiösen, weltanschaulichen und rassischen Gründen Gemaßregelten“ im öffentlichen Dienst sah die Verordnung nur vor, wenn es sich bei ihnen „um freiheitliche und fortschrittliche Elemente“ handelte.189 Diese Formulierung drückt die Absicht eines weitreichenden Personaltransfers aus, um die Verwaltungen mit kommunistischen Gefolgsleuten zu durchsetzen. Zu dem Zweck behielt sich die KPD vor, über die Eignung potentieller Bewerber im Verwaltungsapparat selbst zu entscheiden, da die „politischen, religiösen, weltanschaulichen und rassischen“ Motive eines von den Nationalsozialisten Verfolgten durchaus kommunistischen Zielen entgegen stehen konnten.190 Die hingegen von der „Einheitsfront“ geforderte „Entfernung aller mehr als nominellen ehemaligen Mitglieder der nazistischen Partei [...] aus den öffentlichen und halböffentlichen Ämtern“ blieb ohne Auswirkung.191 Die Entscheidungsvollmacht lag in jedem Fall beim Personalamt im Innenressort der Landesverwaltung. Eine Dynamisierung des Austausches von Verwaltungspersonal bewirkte die Verordnung nicht. Die abnehmende Tendenz der Entlassungen setzte sich in Dresden fort und es folgten die Monate Juli mit 426, August mit 366 sowie September und Oktober mit 334 und 333 aus städtischen Diensten entlassenen Personen.192 Die Schwierigkeiten, den von der Landesverwaltung aufgestellten Kriterien in sämtlichen Verwaltungsbereichen gleiche Geltung zu verschaffen, zeigt die 189 Verordnung der Landesverwaltung Sachsen über den Neuaufbau der öffentlichen Verwaltungen vom 17. 8.1945. In: Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 175 ff. Vgl. Welsh, Wandel, S. 177 f. 190 Vgl. Haury, Antisemitismus, S. 305–311. 191 Beschluss der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 20. 8.1945. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 399 ff. 192 Nachweis entlassener NSDAP-Mitglieder vom 7.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 39). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Beginn der politischen Säuberung

Aufstellung konkurrierender Entwürfe. Problematisch erwies sich die ungeklärte Abgrenzung aktiver Nationalsozialisten von so genannten Mitläufern. Ein vom September 1945 stammender Entwurf aus dem Wirtschaftsressort der Dresdner Stadtverwaltung definierte erstmals vergleichsweise exakt den „politisch nicht tragbaren“ Personenkreis, der aus Leitungspositionen in der Wirtschaft ausscheiden sollte. Er umfasste: a) vor dem 1. Januar 1936 der NSDAP beigetretene Mitglieder, es sei denn, umfangreiche anti-nationalsozialistische Tätigkeiten oder Handlungen würden nachgewiesen, b) Funktionäre der NSDAP, Aktivisten oder von der Partei begünstigte Personen, c) Angehörige von SA und SS mit der Einschränkung bei der Waffen-SS, hier sollten die Umstände des Eintritts geprüft werden, d) Spitzel und Denunzianten, e) Ehegatten von Personen, auf die diese Kriterien zutrafen.193 Er unterschied sich von den bis dahin geltenden Richtlinien in zwei wichtigen, die Rechtsförmigkeit betonenden Punkten: Jene „nominellen“ NSDAP-Mitglieder, die nach dem 1. Januar 1936 der NSDAP beigetreten waren, erhielten das Recht zugesprochen, eine eventuelle anti-nationalsozialistische Tätigkeit nachweisen zu dürfen. Getilgt wurde der Passus über die aus „sonstigen Gründen als politisch untragbar“194 betrachteten Personen und ersetzt durch die konkreteren Kriterien Aktivismus und Begünstigung durch den Nationalsozialismus sowie Spitzeltätigkeit für die Gestapo. Diese Anordnungen der Dresdner Stadtverwaltung zeichnen sich formal aus durch ein Bemühen um ein rechtsförmiges Überprüfungsverfahren und eine differenzierte Fallbeurteilung – entgegen den auf Entgrenzung zielenden Kriterien der Landesverwaltung. Doch es blieb ein chancenloser Versuch. Den Widerspruch zwischen der Transparenz konkreter Kriterien und ihrer flexibel-willkürlichen Handhabung konnten und wollten diese Grundsätze nicht lösen. Die von der KPD-Führung diagnostizierte Schuld des deutschen Volkes bot die Möglichkeit zu einer grenzenlosen Ausweitung der Entnazifizierung. Auf die Annahme der Entnazifizierungsrichtlinien durch den Stadtrat am 30. Mai 1945 folgte zunächst die Überprüfung aller leitenden Angestellten auf Mitgliedschaft in der NSDAP, den Gliederungen der Partei und anderer nationalsozialistischen Organisationen. Der allerdings ursprünglich vorgesehene Prüfungsausschuss wurde nicht wirksam, da seit Beginn der Entnazifizierung das Prinzip der persönlichen Verantwortlichkeit des jeweiligen Dienststellenleiters und letztlich des Dresdner Oberbürgermeisters galt. Die Verordnung vom 193 Entwurf vom 21. 9.1945: Anordnung des Rates zu Dresden über das Verfahren zur Betriebsüberprüfung (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, nicht paginiert); zum „Ehefrauen-Trick“ vgl. Woller, Region, S. 105. 194 Richtlinien für das Verfahren zur Betriebsneuordnung vom 8. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Personalpolitik und Entnazifizierung

169

17. August 1945 schrieb diese persönliche Verantwortung gesetzlich fest.195 Schließlich durften auch „Angehörige des Opferringes der SS und der NSDAP“196 in der Dresdner Stadtverwaltung keine leitenden Stellungen behalten. Die KPD-Führung konnte problemlos die Schlüsselressorts und die Mehrheit der Ratssitze mit ihren Mitgliedern besetzen. Der Rückhalt bei der Besatzungsmacht ermöglichte es, Konkurrenten anderer Parteien auszuschalten. Sechs der zehn Ratsmitglieder waren in der KPD organisiert und zwei in der SPD, zwei weitere waren parteilos. Von insgesamt 58 leitenden Angestellten gehörten 18 der KPD und 25 der SPD an, lediglich zwei gehörten der LDP, drei der CDU und zehn weitere keiner Partei an. Die größere fachliche Kompetenz fand sich dabei auf Seiten der SPD, die unter 15 Stadtwerksdirektoren neun ihrer Mitglieder hatte.197 An der Peripherie zeigten die zentralen Verordnungen wegen des vorhandenen Pragmatismus nur verzögert Wirkung und die Personalerneuerung verlief dort schleppend. Im Dresdner Rathaus hingegen beschwor die Personalpolitik schon frühzeitig die Gefahr einer „Lahmlegung des städtischen Verwaltungsapparats“ herauf,198 zumal die Neueinstellung von Personal grundsätzlich auf Widerruf erfolgte.199 Versuche des Oberbürgermeisters, mit Unterstützung von CDU und LDP der kommunistischen Expansion entgegen zu wirken, blockierte die sowjetische Besatzungsmacht, indem sie die Zulassung der beiden Parteien hinauszögerte. Nachdem die Landesverwaltung am 17. August 1945 die verbindlichen und allgemeingültigen Richtlinien zur Säuberung der Verwaltungen erlassen hatte, konnte Weidauer das städtische Personalamt mit der nochmaligen Überprüfung sämtlicher Beschäftigter beauftragen. Seitens des städtischen Innenressorts forderte er dabei einen generellen Personalabbau um 20 Prozent, später sogar um 25 Prozent.200 Am 30. August 1945 verlangte die Stadtkommandantur einen detaillierten Bericht über die Entlassung der NSDAP-Mitglieder. Ihr Hauptinteresse galt den Dienststellenleitern unter ihnen.201 Die KPD-Führung weitete die politische Säuberung der Verwaltung kontinuierlich aus. Einen deutlichen Hinweis auf einen Personalaustausch im großen 195 Vgl. Verordnung der Landesverwaltung Sachsen über den Neuaufbau der öffentlichen Verwaltungen vom 17. 8.1945. In: Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 175 ff. 196 Anweisung des Personalamtes vom 2. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). 197 Parteizugehörigkeit der leitenden Angestellten, o. D. [Ende 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 324, nicht paginiert). Vgl. Meldung des Personalamtes vom 30. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, Bl. 2). 198 Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). 199 Rundschreiben des Personalamtes vom 28. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). 200 Protokoll der Ratssitzung vom 7. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 45). 201 Rundschreiben des Personalamtes vom 30. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 98, Bl. 13). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

170

Beginn der politischen Säuberung

Stil gibt ein – allerdings unvollständiges – Personalverzeichnis der Bezirksverwaltung III von Anfang Oktober.202 Parallel dazu verlief ein grundlegender Umbau der Behörde. Anfang Dezember standen von den einst 350 Angestellten der Bezirksverwaltung III noch 245 in einem Beschäftigungsverhältnis und unter ihnen lediglich 57 aus dem alten Verwaltungsapparat übernommene Mitarbeiter. Drei Viertel des Personals war in den sechs Monaten seit Kriegsende ausgetauscht worden. Unter den 186 neu Eingestellten befanden sich 167 Mitglieder von KPD und SPD.203 Tabelle 1: Entlassung von NSDAP-Mitgliedern aus den Bezirksverwaltungen bis 30.11.1945 Bezirksverwaltung I

31. 5. 30. 6. 31. 7. 31. 8. 30. 9. 31.10. 30.11.

insgesamt

Rest

3

87

19

7

19

16

29

180

1

151

43

4

18

6

4

21

247

3

III

0

*41

24

16

10

8

29

128

3

IV

0

18

0

3

1

0

7

29

0

V VI

0 0

29 72

58 34

11 12

2 0

8 3

0 23

108 144

0 0

VII

2

17

2

7

4

1

38

*71

1

156

307

141

74

42

40

147

907

8

II

insgesamt

Quelle: StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 39, Nachweis entlassener NSDAP-Mitglieder 7. 12. 1945, * Rechenfehler im Original.

Am Jahresende war von insgesamt fast eintausend NSDAP-Mitgliedern in den Bezirksverwaltungen trotz der Schwierigkeiten, geeigneten Ersatz für sie zu finden, nur ein verschwindend kleiner Rest übriggeblieben. Bis auf eine signifikante Ausnahme in der Bezirksverwaltung II folgte die politische Säuberung in den nachgeordneten Instanzen der zentralen Stadtverwaltung einem einheitlichen Muster. Die „Antifa-Komitees“ in den Dresdner Stadtteilen betrieben mitnichten eine revolutionäre Umgestaltungspolitik im Sinne der KPD-Führung. Lediglich die im Bereich der Bezirksverwaltung II tätigen Komitees um Hans Neuhof entließen im Mai mit 151 NSDAP-Mitgliedern den überwiegenden Teil von ih202 Personalliste der Bezirksverwaltung III vom 4.10.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 1, nicht paginiert). 203 Personalliste der Bezirksverwaltung III vom 1.12.1945 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Stadtverwaltung Ende 1945

171

nen aus der Verwaltung. Im Juni hingegen setzte in allen Stadtteilen eine keineswegs radikale, jedoch gründliche Entlassungspolitik ein, und mit 307 wurde ein Drittel aller in den Bezirksverwaltungen tätigen Nationalsozialisten entlassen. Die maßvollen Entlassungswellen der Sommermonate ebbten seit August ab und es zeichnete sich der dauerhafte Verbleib eines offenbar gering belasteten Anteils von Angestellten ab. Im November änderte sich das schlagartig. Die von der sowjetischen Besatzungsmacht angewiesene und von den kommunistischen Personalämtern exekutierte Entlassung des restlichen Personals mit NSDAPMitgliedsbuch vollzogen die Bezirksverwaltungen bis auf wenige Ausnahmen.

4.

Die personalpolitische Bilanz in der Stadtverwaltung Ende 1945

Durchaus vergleichbar mit dem scharfen Vorgehen der amerikanischen Besatzungsbehörden konzentrierte sich die Säuberungsenergie auf den öffentlichen Dienst. Die kommunistische Parteiführung betrieb in Abstimmung mit den sowjetischen Besatzungsbehörden den Austausch der Beschäftigten entsprechend den ideologischen Grundsätzen. Am 17. September 1945 hob die SMAD das bis dahin geltende Beamtengesetz von 1937 auf.204 Sie legalisierte mit diesem Schritt die bisher von den Personalämtern geübte Einstellungs- und Entlassungspraxis und hob eine weitere Beschränkung der Transformationspolitik auf. Im Übrigen flankierte dieser sowjetische Befehl die zentralistischen Tendenzen der Personalpolitik ebenso wie die wiederholt an alle Verwaltungsabteilungen gerichtete Aufforderung, eine komplette Statistik der Arbeitskräfte mit dem Vermerk ihrer früheren Parteizugehörigkeit anzufertigen.205 Nachdem die sowjetischen Behörden auf eine systematische Entnazifizierung drängten, setzte sich die Tendenz der Vermeidung konturierter Definitionen und eine Verschärfung der Vorschriften durch. In einer vertraulichen Mitteilung verlangte die Landesverwaltung die Erfassung aller ehemaligen NSDAP-Mitglieder in einer Zentralkartei.206 Wenig später bekräftigte die Anweisung, über den Fortgang der „Säuberung“ künftig dreimal monatlich zu berichten, die Forderung der SMA nach Entlassung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder.207 Insgesamt war mit 1136 KPD-Mitgliedern und 1198 Sozialdemokraten die anti-nationalsozialistische Position unter dem Personal der Dresdner Verwaltung Anfang Oktober 1945 vergleichsweise schwach ausgeprägt. Ihnen standen noch immer 2 072 ehemalige NSDAP-Mitglieder gegenüber. Insgesamt 7,8 Pro204 Vgl. Benz, Reform des öffentlichen Dienstes, S. 218 f.; Niethammer, Neuordnung, S. 183. 205 Rundschreiben des Personalamtes vom 30. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 98, Bl. 13). 206 Vertrauliche Mitteilung der Landesverwaltung Sachsen, Zentralkartei, an das Personalamt der Stadt Dresden vom 21. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, nicht paginiert). 207 Rundschreiben des Personalamtes vom 18. 9.1945 (ebd., Bl. 15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zent KPD und 8,3 Prozent SPD gegenüber 14,3 Prozent ehemaligen NSDAPMitgliedern – die bloßen Zahlen bilanzieren zu dem Zeitpunkt keine beeindruckende Entnazifizierung, was jedoch eine genauere Betrachtung relativiert. Denn Spitzenpositionen waren von „neuen“ Kräften besetzt und es dürfte sich bei den anderen kaum um überzeugte Nationalsozialisten gehandelt haben, sondern eher um solche, die aus Gründen der Opportunität äußerem Druck nachgegeben und den Eintritt in die NSDAP vollzogen hatten. Unter den Angestellten war stets der Anteil weiterbeschäftigter Nationalsozialisten höher als unter den Arbeitern der Stadtverwaltung. Das verweist auf deren nicht zu ersetzende Professionalität, vielen Gegnern des Nationalsozialismus fehlte die erforderliche Qualifikation für eine Verwaltungstätigkeit. Der politische Umbruch im Frühjahr/Sommer 1945 beschleunigte zunächst Karrieren von Angestellten unterer Ebenen, die sich in weniger exponierter Stellung nicht kompromittiert hatten. Die starke Position beider Arbeiterparteien zeigte sich besonders in der Besetzung der leitenden Funktionen.208 Die verschärfte Entnazifizierungsanordnung Anfang November setzte eine Entlassungswelle in Gang und den Anteil ehemaliger Nationalsozialisten am Verwaltungspersonal drastisch herab. Am 3. November 1945 verlangte die von der SMAS darauf verpflichtete Landesverwaltung vom Rat der Stadt die Entlassung sämtlicher NSDAP-Mitglieder zum 15. November 1945. Vizepräsident Fischer, als Leiter des Innenressorts verantwortlich für die Entnazifizierung, warf den Behörden vor, sie beschäftigten zu viele Nationalsozialisten. Die Stadtverwaltung erteile unangemessene Ausnahmegenehmigungen und berücksichtige nicht die Bewerbungen von „antifaschistischen und politisch einwandfreien Kräften“. Seit Erlass der Verordnung vom 17. August sei ausreichend Zeit vergangen, um Ersatz für belastetes Fachpersonal zu finden, zumal ausreichend Bewerbungen vorlägen. Die Weiterbeschäftigung auf Grund der Ausnahmebestimmungen werde hingegen so expansiv praktiziert, dass „in einzelnen Fällen über die Hälfte der Beschäftigten noch ehemalige Mitglieder der NSDAP“ seien. Ausnahmegenehmigungen werde künftig ausschließlich die Landesverwaltung und nur in außergewöhnlichen Einzelfällen erteilen, da für sie eine sowjetische Genehmigung erforderlich werde. Eine entsprechende Anordnung des „Chefs der SMA für das Bundesland Sachsen“ verlange den Eingang einer Vollzugsmeldung bei der Landesverwaltung bis zum 17. November 1945.209 Daraufhin erreichte die Entlassungswelle im November mit 1 537 Personen ihren Höhepunkt.210 Als äußerst wirkungsvoll erwies sich die Annullierung

208 Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 324, nicht paginiert); Personalstatistik vom 25.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, nicht paginiert). 209 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). Vgl. Welsh, Wandel, S. 179 f. 210 Nachweis entlassener NSDAP-Mitglieder vom 7.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 39). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sämtlicher von den Parteien ausgestellter Rehabilitierungsbescheinigungen. Die Landesverwaltung erklärte sie für irrelevant, insofern „nicht eine schriftliche Stellungnahme des Personalamtes der Landesverwaltung“ für jeden einzelnen Fall vorläge. Gleichzeitig widerrief sie die „bisher erteilten Bescheide zur vorübergehenden Weiterbeschäftigung“ und erschwerte die Voraussetzungen, unter denen „Anträge auf Anerkennung der Ausnahmebestimmungen“ noch gestellt werden könnten. Da diese Anträge keine aufschiebende Wirkung im Sinne der Verordnung haben sollten, sanken die Chancen zur Weiterbeschäftigung ehemaliger NSDAP-Mitglieder.211 Während für die britische Säuberungspolitik ein funktionsfähiger deutscher Verwaltungsapparat Vorrang hatte und auch die amerikanischen Militärbehörden bei allem Säuberungseifer dessen Effizienz im Blick behielten, erschwerten die sowjetischen Verfügungen die Verwaltungsarbeit. Die Dresdner Ratsmitglieder betonten, dass die umfangreichen Entlassungen gerade jetzt vor dem Winter sich äußerst negativ auswirken könnten. Sie wollten einer drohenden Arbeitsunfähigkeit durch eine Intervention bei Landesverwaltung und SMAS entgegenwirken.212 Ihre Bedenken wies die Landesverwaltung ebenso wie die hinsichtlich einer Entprofessionalisierung entschieden zurück. Sie meinte gleich den Behörden in Mecklenburg auf die Kompetenz von Fachleuten verzichten zu können.213 Ein von der Dresdner Stadtverwaltung direkt mit der SMA geführtes Gespräch brachte Klarheit darüber, dass Fischer mit vollständiger sowjetischer Unterstützung handelte. Die Dresdner erfuhren auf ihre Anfrage, Anträge müssten sie direkt an Generalmajor Dubrowski, den Stellvertretenden Chef der Militärverwaltung, stellen.214 Im Unterschied zu den westlichen Besatzungszonen löste die forcierte Entnazifizierung eine frühzeitige politische Mobilisierung aus. Das Statistische Amt begleitete die Entlassungsaktion im November mit einer eidesstattlichen Befragung der Verwaltungspersonals zur Organisationszugehörigkeit. Es sei, so hieß es im Dezember, „deutlich zu erkennen, dass die Aktion der eidesstattlichen Versicherung auf die parteiliche Bekenntnisfreudigkeit des städtischen Personals mobilisierend gewirkt“ und insgesamt 669 Neuanmeldungen zu einer der Parteien bewirkt habe. Mittlerweile gehöre ein Sechstel der städtischen Belegschaft der KPD und ein Viertel der SPD an. Die „Kategorie der Parteilosen“ sei seit der Erhebung von Anfang Oktober des Jahres von 70 Prozent auf 57 Prozent zurückgegangen.215 Auf der „Beliebtheitsskala“ lag die SPD mit 427 Neu211 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 95, nicht paginiert). 212 Protokoll der außerordentlichen Ratssitzung vom 15.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 90). 213 Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 67. 214 Aktenvermerk über die Unterredung mit Leutnant Resnitschenko vom 15.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 23). 215 Parteizugehörigkeit der städtischen Dienstkräfte vom 15.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 12–15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Beginn der politischen Säuberung

zugängen weit vor der KPD, die auf lediglich 153 neue Anmeldungen kam, gefolgt von LDP mit 50 und CDU mit 39. Konsequent verknüpfte die KPD ihre Personalpolitik mit der Entnazifizierungspolitik. Sie konnte auf immerhin 11 Prozent zulegen. Allerdings vergrößerte sich der Abstand zur SPD drastisch, die jetzt mit insgesamt 20 Prozent über beinah doppelt so viele Mitglieder wie die KPD verfügte (vgl. Tabelle 3a). Auch unter der Arbeiterschaft der Stadtverwaltung fanden die Kommunisten im Gegensatz zur SPD weniger Anhänger. Der Anteil sozialdemokratischer Parteimitglieder überwog in allen Dezernaten den der Kommunisten:216 Tabelle 2: Gesamtpersonal der Stadtverwaltung 25.12.1945 insgesamt KPD Zentralverwaltung Versorgungswesen Finanzwesen Gewerbeamt Bauwesen Gesundheitswesen Sozialfürsorge Schulamt Kulturamt DREWAG Straßenbahn Bezirksverwaltungen insgesamt

SPD

LDP CDU NSDAP* parteilos

917

276

363

10

7

40

223

323

40

87

10

2

13

171

362 46 1140

35 10 134

74 24 349

22 0 31

11 3 11

34 1 59

186 8 566

3 019

95

255

29

32

355

2 253

1 375 477 652 2 342 4 240

166 28 21 260 467

204 67 49 776 1 031

48 8 14 23 8

38 6 7 22 3

53 45 184 101 257

866 323 377 1160 2 474

1171

396

372

45

17

43

298

16 064

1928

3 651

248

159

1173

8 905

Quelle: StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, Personalstatistik 25.12.1945, nicht paginiert, * inklusive Dienstverpflichtete. 216 In einer von Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 506 publizierten Quelle zum Personal der Dresdner Stadtverwaltung werden für denselben Zeitraum andere Zahlen genannt. Sie finden aus verschiedenen Gründen bei der folgenden Analyse keine Verwendung, wobei einige grundsätzliche Bemerkungen zum Datenmaterial angebracht sind: 1.) In der Zeit des Neuaufbaus der Dresdner Verwaltung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden in kurzen Abständen Erhebungen zum Personal durchgeführt, deren Angaben beträchtliche Differenzen aufweisen können, was nicht an fehlender Professionalität der Leiterin des Statistischen Amtes der Stadt Dresden, Frau Dr. Johanna Heß, vielmehr an den fehlenden professionellen Arbeitsbedingungen lag. Sie war auf zum Teil gar nicht ausgebildete oder unzureichend qualifizierte Mitarbeiter © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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In den Bezirksverwaltungen dominierten am Jahresende mit 33,8 Prozent die KPD und mit 31,8 Prozent die SPD. In der Zentralverwaltung sah es mit 30 Prozent Kommunisten und 40 Prozent Sozialdemokraten ähnlich aus. Unter insgesamt 16 064 Beschäftigten der Dresdner Stadtverwaltung gab es immerhin 12 Prozent KPD-Mitglieder und 22,3 Prozent SPD-Mitglieder, aber nur 1,5 Prozent Mitglieder von LDP und 1 Prozent solche der CDU. Deutlich weniger einheitlich präsentierte sich im Gegensatz zu dem positiven Gesamteindruck die Situation in den einzelnen Dezernaten. Abgesehen von den städtischen Betrieben DREWAG und Straßenbahn, die beide zusammen mit 5 255 Arbeitern unter ihren 6 582 Beschäftigten das Gesamtbild verzerren würden und darum bei der Analyse unberücksichtigt bleiben, waren in einzelnen Teilbereichen der städtischen Verwaltung Anteile ehemaliger NSDAP-Mitglieder von mitunter erheblicher Größenordnung verblieben: Angeführt vom Kulturamt mit 28,2 Prozent folgten mit 11,8 Prozent das Gesundheitswesen, mit jeweils 9,4 Prozent das Schulamt und das Finanzdezernat, mit 5,2 Prozent das Stadtbauamt, mit 4 Prozent das Amt für Versorgung, mit 3,8 Prozent das Amt für Sozialfürsorge und mit 2,2 Prozent das Gewerbeamt. In der Zentralverwaltung waren 4,1 Prozent und in den Bezirksverwaltungen 3,7 Prozent ehemaliger NSDAP-Mitglieder beschäftigt. Bezogen auf das gesamte Personal war ihr Anteil seit dem 9. Oktober 1945 von 14,3 Prozent auf 7,3 Prozent gesunken, er zeigte allerdings seit dem Stichtag 30. November 1945 sowohl relativ als auch absolut eine leicht ansteigende Tendenz, wobei die Zahl offiziell beschäftigter ehemaliger NSDAPMitglieder um 100 gesunken war (vgl. Tabelle 3a). Die forcierte Entnazifizierung im November 1945 bewirkte einen sichtbaren Entlassungsschub, jedoch waren im Unterschied zu den städtischen Betrieben in den Dienststellen der Verwaltung prozentual und absolut mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder beschäftigt. Seit November wurde belastetes Personal unterschieden in „Parteigenossen“ und Dienstverpflichtete. Letztere Kategorie existierte bis dahin nicht. Dienstverpflichtung bedeutete tatsächlich, was der Name besagt: Die offiziell angewiesen. Auch waren Erhebungskriterien nicht einheitlich. Die Verwaltung unterlag einem Prozess ständiger Umstrukturierung, wodurch eine Fortschreibung von Statistik unmöglich wurde und Erhebungen oft unvollständig blieben. Generell bewirkte zudem der Einbezug der kommunalen Betriebe mit überwiegendem Anteil von Arbeitern eine Verzerrung der Statistik. Quellenkritik legt die Vermutung nahe, dass für Ende 1945 erstmals gesicherte Zahlenangaben vorliegen. 2.) Die von Baus publizierte Tabelle StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124 entstand unter erheblichem Termindruck auf der Basis einer eidesstattlichen Befragung. Sie musste am 14. Dezember 1945 auf Anforderung der sowjetischen Besatzungsbehörden abgeschlossen werden, die ein ausschließliches Interesse an der aktuellen Parteizugehörigkeit des Personals hatte, was bei einem annähernd identischen Endergebnis zu internen Ungenauigkeiten führte. 3.) Die von mir herangezogene Quelle StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106 ist wesentlich umfangreicher und wurde auf der Basis einer gründlicheren Recherche erstellt. Das ermöglicht eine konkrete innere Differenzierung, etwa die jeweils getrennte Betrachtung von städtischen Arbeitern und Angestellten, und Angaben über die Verteilung ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der Stadtverwaltung. – Zu den mangelhaften verwaltungstechnischen Standards außerdem Melis, Entnazifizierung, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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entlassene Person erschien in keiner Statistik. Sie war nicht angestellt, musste aber wie bisher ihren Dienstverpflichtungen nachkommen. Sie konnte von einem Tag zum anderen entlassen werden. Eine nicht unbedeutende Anzahl ehemaliger NSDAP-Mitglieder entließ man somit lediglich auf dem Papier.217 Auch in der amerikanischen Besatzungszone blieben zahlreiche Angestellte mit einer Ausnahmegenehmigung offiziell im Dienst, aber in der für die sowjetischen Besatzungsbehörden erstellten Version des Berichtes las sich das so: „Die Säuberung der Stadtverwaltung von Parteigenossen der ehemaligen NSDAP hat diese Personengruppe bis auf 861 Personen herabgedrückt.“218 Das entspricht 5,2 Prozent und war, wenn schon keine gravierende Fälschung, eine gern in Kauf genommene Ungenauigkeit. Ein ähnliches Resultat erbringt eine Analyse der Statistik hinsichtlich der Parteien. Der überdurchschnittliche Anteil ehemaliger Angehöriger der NSDAP in Kulturamt, Gesundheitswesen, Schulamt und Finanzdezernat resultierte aus einem Mangel an Fachkräften, was auch die mit 3,2 Prozent, 3,1 Prozent, 5,9 Prozent und 9,7 Prozent vergleichsweise geringe kommunistische Präsenz in diesen Zweigen der Verwaltung erklärt. Zwar auch deutlich unter ihrem Durchschnitt von 22,3 Prozent, lag die SPD mit 7,5 Prozent, 8,4 Prozent, 14 Prozent und 20,4 Prozent ihrer Mitglieder in jenen Fachbereichen eindeutig vor der KPD. Diese Tendenz setzt sich fort im Stadtbauamt mit 11,8 Prozent Kommunisten und 30,6 Prozent Sozialdemokraten, im Amt für Versorgung mit jeweils 12,4 Prozent und 26,9 Prozent, im Amt für Sozialfürsorge mit 12,1 Prozent Kommunisten und außergewöhnlich niedrigem Anteil von 14,8 Prozent Sozialdemokraten sowie im Gewerbeamt mit 21,7 Prozent und 52,2 Prozent: Fachkräftemangel in den Dezernaten steht in direktem Verhältnis zur Weiterbeschäftigung ehemaliger NSDAP-Mitglieder, deren Anteil wiederum sich reziprok zur Mitgliederzahl der Linksparteien in den Fachbereichen verhält. Im Gegensatz zu einigen Fachverwaltungen waren am Jahresende die politisch sensiblen Schlüsselbereiche Zentralverwaltung und Bezirksverwaltungen weitestgehend von Nationalsozialisten gesäubert und fest in der Hand von KPD und SPD (vgl. Tabelle 2). Dieser Trend tritt noch klarer hervor, wenn man Arbeiter und Angestellte der Verwaltung getrennt betrachtet. Unter den 6 621 Verwaltungsangestellten waren 679 KPD-Mitglieder, 1 380 SPD-Mitglieder sowie 195 Angehörige der LDP und 125 der CDU.219 Auch hier weist die auf Veranlassung der sowjetischen Militärverwaltung erstellte Statistik für die KPD mit 16,5 Prozent und für die SPD mit 23,8 Prozent ein günstigeres Bild auf.220 Die Mitgliederzahlen der Parteien entwickelten sich in den Herbstmonaten wie folgt: 217 Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung vom 25.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, nicht paginiert). 218 Parteizugehörigkeit der städtischen Dienstkräfte vom 15.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 12–15). 219 Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung vom 25.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, nicht paginiert). 220 Parteizugehörigkeit der städtischen Dienstkräfte vom 15.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 12–15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Tabelle 3a: Personalveränderung (Gesamtpersonal) zwischen 9.10.1945 und 25.12.1945 9.10.1945 Personal insgesamt KPD SPD LDPD CDU Dienstverpflichtete NSDAP

30.11.1945

25.12.1945

100,0 %

14 502

100,0 %

15 775

100,0 %

16 064

7,8 % 8,3 % 0,1 % 0,0 %

1136 1198 12 5

11,0 % 20,0 % 1,3 % 0,8 %

1729 3152 202 125

12,0 % 22,7 % 1,5 % 1,0 %

1928 3 651 248 159



3,3 %

528

4,3 %

698

2 072

3,7 %

577

3,0 %

475

– 14,3 %

Quelle: StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 324, Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung 9.10.1945, nicht paginiert; StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, Personalstatistik 25.12.1945, nicht paginiert.

Tabelle 3b: Personalveränderung (Bezirksverwaltungen) zwischen 9.10.1945 und 25.12.1945

Bezirksverwaltungen 9.10.1945 Bezirksverwaltungen 25.12.1945

insgesamt

KPD

SPD

LDP CDU NSDAP parteilos

1 325

299

124

1

0

189

712

1171

396

372

45

17

43

298

Quelle: StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 324, Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung 9.10.1945, nicht paginiert; StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, Personalstatistik 25.12.1945, nicht paginiert.

Die von der DDR-Geschichtsschreibung durchaus zu Recht als Erfolg gewürdigten Ergebnisse der Entnazifizierung dürfen nicht den Blick für Wesentliches verstellen. Die Entnazifizierung diente zur Durchsetzung der kommunistischen Personalpolitik. Das zeigte das Beispiel der zwei bürgerlichen Parteien in der Dresdner Stadtverwaltung. Der zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten geführte Verdrängungswettbewerb, der Ende 1945 trotz Protektion durch die Besatzungsmacht eindeutig zuungunsten der KPD auszugehen drohte, bewirk© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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te eine progressive Marginalisierung von CDU und LDP. Zwar konnten sie einen geringen absoluten Zuwachs unter dem städtischen Personal für sich verbuchen, doch der Durchbruch aus der Randposition in eine ihrem politischen Gewicht adäquate Stellung gelang ihnen nicht. Daran hatte folgender Umstand wesentlichen Anteil: Die Rote Armee hatte keine den amerikanischen entsprechenden Richtlinien mitgebracht, sondern deren Ausarbeitung und Umsetzung weitgehend ihren kommunistischen deutschen Verbündeten überlassen.221 Das nutzten diese für sich und führten gemeinsam mit der sie protegierenden sowjetischen Militärverwaltung die politische Säuberung durch; anders als in den Westzonen, wo die Entnazifizierung 1945 ausschließlich in den Händen der Militärverwaltungen lag und erst zu einem späteren Zeitpunkt den deutschen Spruchkammern übertragen wurde. Entnazifizierung bedeutete Personalaustausch – von den 98 Kommunisten in der Bezirksverwaltung III Anfang Dezember waren allein 87 nach dem 8. Mai 1945 neu in die Verwaltung eingetreten. Bei den 69 Sozialdemokraten war das Verhältnis zwischen neuem und altem Verwaltungspersonal 50 zu 19. Im Vergleich zu ihnen existierten Vertreter der beiden bürgerlichen Parteien praktisch nicht, die LDP hatte vier und die CDU nur eines ihrer Mitglieder in dieser Stadtteilverwaltung. Bis auf eine Ausnahme, den Leiter der Grundsteuerstelle, ein Mitglied der LDP, besetzten Kommunisten und Sozialdemokraten komplett die Führungsebene der Bezirksverwaltung III: In deren Hauptabteilung, der Allgemeinen Verwaltung, arbeiteten bis auf einen parteilosen „Schildermaler“ ausschließlich Mitglieder von KPD und SPD. Der Leiter der Bezirksverwaltung III war Kommunist, der Leiter der Personalabteilung, sogar die Sekretärin und der Fahrer des Bezirksleiters – lediglich der Leiter der Allgemeinen Verwaltung war Mitglied der SPD. Die Leitungspositionen der vier Stadtbezirke befanden sich in den Händen von Kommunisten, ebenso – bis auf einen Sozialdemokraten – die Funktionen ihrer Stellvertreter. Dienststellenleiter und Technischer Leiter der Transportleitstelle waren Kommunisten, auch die Abteilungsleiter von Bezirkskasse, Steueramt, Grundstücks- und Wirtschaftsamt und der Leiter der Abrechnungsstelle des Ernährungsamtes, der Leiter des Ernährungsamtes und nicht zuletzt der des Amtes für Information und Presse.222 Hunderte einfacher Mitglieder der KPD okkupierten die Führungspositionen des städtischen Verwaltungsapparates. Kurt Fischer und Hermann Matern sicherten diese kommunistischen Positionen und die Transformation der Verwaltung durch ihre Nähe zu den Führungsoffizieren der Besatzungsarmee, der „kurze Dienstweg“ garantierte eine rasche Kommunikation.223 Die Gesamtbilanz fiel allerdings nicht zu deren Zufriedenheit aus. In der Folge wurde die Statistik manipuliert und zu einer politischen Mogelpackung. Ehemaligen NSDAP221 Vgl. Meinicke, Entnazifizierung, S. 93 f.; Niethammer, Internierungslager, S. 105 ff.; Vollnhals, Politische Säuberung unter alliierter Herrschaft, S. 372 ff. 222 Personalliste der Bezirksverwaltung III vom 1.12.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 1, nicht paginiert). 223 Melis, Entnazifizierung, S. 90. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Mitgliedern kündigte man und meldete sie als solche den Besatzungsbehörden, zum Dienst verpflichtet weiterbeschäftigt belasteten sie die Statistik nicht. Trotz der Besetzung von Leitungspositionen in der Verwaltung ruhten die kommunistischen Herrschaftsansprüche auf tönernen Füßen. Immer mehr Angehörige der Verwaltung traten in die SPD ein, die Tendenz wies die Kommunisten in eine der SPD nachgeordnete Position. Vor diesem bedrohlichen Hintergrund war die von ihnen forciert betriebene Vereinigung mit den Sozialdemokraten eine zwingende Notwendigkeit. Am Jahresende arbeitete nur in den Bezirks- und Stadtbezirksverwaltungen eine breite kommunistische Basis. Für die Führungskader in der Verwaltung war abzusehen, dass sie sich auf Dauer gegen die Sozialdemokraten nicht würden halten können. Einzig das sowjetische Militär und der neu aufgebaute Polizeiapparat schützten ihre Stellung: Weit mehr als die Hälfte der Dresdner Ordnungspolizisten gehörten der KPD und weniger als ein Viertel der SPD an.224 Mit der ersten Entnazifizierungsverordnung vom 30. Mai 1945 war die Verwaltungsreorganisation übergeleitet worden in einen gezielten Umbau der städtischen Administration zu einem kommunistischen Herrschaftsinstrument. Die von sowjetischen Anordnungen geprägten strukturellen Eingriffe fanden im Rahmen der erforderlichen Entnazifizierung statt. Die Moskauer Planungen der KPD konnten in Dresden zum großen Teil realisiert und in der Entnazifizierung weiterentwickelt werden; bis auf generelle Forderungen hielt sich die sowjetische Besatzungsmacht weitgehend zurück.225 Die Entnazifizierungsrichtlinien wurden auf den Erwerb der Macht ausgerichtet und zu flexiblerer Brauchbarkeit verschärft. Es ging bei ihrer Anwendung nicht um Wahrheitsfindung oder Fragen der Schuld, sondern um den von Tjulpanow herausgestellten „klassenmäßigen Aspekt“. Kommunisten praktizierten die Entnazifizierung als eine Technik des Machterwerbs. Instrumente des Machterwerbs waren sowjetische Befehle und deutsche Verwaltungsinstanzen. Das Wegbrechen von fachlicher Kompetenz war zwangsläufig die Folge der politischen Säuberung, mit ihr wurde der Keim für die nichtbewältigten Krisen der nachfolgenden Jahre gelegt. Die in der Forschung betonte Zäsur zwischen einer ersten – geprägt von lokalen Besonderheiten – und einer zweiten Phase der Entnazifizierung, die im August 1945 mit dem Erlass zentraler Säuberungskriterien seitens der Landesverwaltung zu einer Vereinheitlichung der Entnazifizierung im Landesmaßstab geführt habe,226 kann für Dresden nicht nachvollzogen werden. Dem unverkennbaren Bemühen des Innenressorts der sächsischen Landesverwaltung um eine Zentralisierung der Kompetenzen zum Trotz, bewahrten untere Verwaltungsinstanzen ihre widerstrebende Eigenständigkeit bis 224 Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung vom 25.12.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 106, nicht paginiert); zum Polizeiaufbau auch Naimark, Russen, S. 449 ff. – er spricht von einer SPD-Vorherrschaft im Polizeiapparat. Vgl. Kapitel V.2. 225 Vgl. Welsh, Wandel, S. 29. 226 Meinicke, Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone, S. 969 ff.; unveränderter Nachdruck des Aufsatzes in Eckert/Plato/Schütrumpf, Wendezeiten, S. 33–52. Vgl. Welsh, Wandel, S. 18 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Beginn der politischen Säuberung

weit in den Herbst des Jahres hinein. Die erste Phase der politischen Säuberung dauerte infolgedessen je nach den örtlichen Besonderheiten länger und die zweite Phase auf der Basis landesweit gültiger Bestimmungen begann später aufgrund mangelnder Durchsetzungsfähigkeit der zentralen Politik. Eine zäsurbildende Wirkung des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Dezember 1945227 wie in den anderen Besatzungszonen228 ist nicht zu erkennen, die Säuberungspraxis war geprägt von den Richtlinien deutscher Verwaltungen, die diese unter sowjetischer Aufsicht erlassen hatten. Doch ihnen fehlte die Durchschlagskraft. Erst mit den massiven Eingriffen der sowjetischen Besatzungsverwaltung im November setzte die zweite Phase der Entnazifizierung ein. Sie brachte die KPD-Führung ihrem Ziel näher. Die politische Säuberung der Dresdner Stadtverwaltung war zum Jahreswechsel 1945/46 abgeschlossen.229 Die relative parteipolitische Zusammensetzung des Verwaltungspersonals verschob sich nach 1945 nur wenig. So wie der Anteil derjenigen Angestellten, die in den Mitgliederlisten von LDP und CDU geführt wurden, unverhältnismäßig gering blieb, änderte sich 1946 auch kaum die Zahl der in der Verwaltung verbliebenen ehemaligen NSDAP-Mitglieder. Tabelle 4: Personalentwicklung der Angestellten der Stadtverwaltung 1946 31. 5.1946 30. 6.1946 30. 9.1946 Verwaltungs-Angestellte 100,0 % 10 670 100,0 % 10 865 100,0 % 11179 SED 53,2 % 5 674 53,4 % 5 807 53,4 % 5 969 LDP 4,4 % 472 4,6 % 504 5,1 % 572 CDU 2,8 % 297 2,9 % 315 3,2 % 360 ehem. NSDAP 5,9 % 632 5,5 % 593 5,3 % 598 Quelle: StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Personalentwicklung der Stadtverwaltung bis 30. 9.1946, nicht paginiert.

Die von sowjetischen Anordnungen geprägten strukturellen Eingriffe leiteten im Rahmen der erforderlichen politischen Säuberung den gezielten Umbau der Stadtverwaltung in ein kommunistisches Herrschaftsinstrument ein.230 Der politische Transformationsprozess nach dem 8. Mai 1945 – geprägt von einem unübersehbaren personellen Bruch mit der Vergangenheit – beschleunigte oder ermöglichte berufliche Karrieren von Personen, die zuvor häufig aus politischen Gründen an sozialem Aufstieg gehindert waren. Angehörige nationalsozialistischer Funktionseliten verloren ihre Arbeit (viele wechselten 1945 zwangsweise in die Baubranche), im Gegenzug rückten frühere Produktionsar227 228 229 230

Vgl. Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 20. Vgl. Henke, Säuberung unter französischer Besatzung, S. 14 f. Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 111. Vgl. ebd., S. 67. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Stadtverwaltung Ende 1945

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beiter an ihre Stellen, ohne jedoch die den nationalsozialistischen Organisationen angehörenden Personen vollständig zu verdrängen. Der relative Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder aller in der Dresdner Stadtverwaltung beschäftigten Arbeiter und Angestellten lag Ende 1945 bei 7,3 Prozent und fiel bis 1949 nur noch geringfügig auf 5,4 Prozent.231 Ein Vergleich zwischen Arbeitern und Angestellten belegt die unter letzteren mit größerer Intensität durchgeführte Säuberung; bei ihnen war die „gute saubere anständige politische Gesinnung“ Voraussetzung einer Weiterbeschäftigung.232 Entnazifizierung diente zudem häufig als Vorwand zur Veränderung bestehender Besitzverhältnisse, zu Übergriffen und Eingriffen in die Privatsphäre und zur Vergabe lukrativer Arbeitsplätze an die eigenen Anhänger. Die KPDFührung begünstigte ihre Gefolgschaft und band sie mit der Entnazifizierung an sich. Darüber hinaus nutzte sie ihren erheblichen Argumentationsvorsprung gegenüber SPD, CDU und LDP, um die Fundamente ihrer Herrschaft zu errichten: Die aus Moskau nach Deutschland zurückgekehrte Parteiführung betonte im Unterschied zu den anderen Parteien die schuldhafte Verstrickung von Millionen Deutschen in die nationalsozialistische Herrschaft und sah sich in dieser Grundtendenz trotz bestehender inhaltlicher Differenzen in Einzelfragen von der Argumentation sämtlicher Alliierten unterstützt. Mit ihrer an die sowjetische Parteiführung angelehnten Definition der Entnazifizierungskriterien verfügte sie über einen erheblichen Theorievorsprung, den sie als Herrschaftswissen bei der gesellschaftlichen Neugestaltung in eine Hegemonie gegenüber anderen politischen Kräften umsetzte. Die Betonung von Schuld begleitete ein Integrationsangebot, das die Inklusion der Bevölkerung in den Transformationsprozess ermöglichte.233 Darin von der Besatzungsmacht unterstützt, erwuchs der KPD trotz des schwindenden Vertrauens immer noch ein erhebliches Maß an Legitimität. Zudem wirkte der von sowjetischen Sicherheitskräften ausgeübte Terror: Wirklich geschützt vor Nachteilen, die ihnen aus ihrer Vergangenheit entstehen konnten, wähnten sich schuldige Personen, wenn sie einer der zugelassenen Parteien angehörten – was sich häufig in Konfliktfällen als Illusion herausstellte. Die KPD setzte sich rücksichtslos gegenüber den anderen Parteien durch.

231 Personalstandsbericht vom 30.11.1949 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1081, nicht paginiert). 232 Vgl. Referat von Weidauer am 11.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 334, Bl. 3). 233 Melis, Entnazifizierung, S. 76. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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V.

„Sicherheit“: Eine politische Polizei für Dresden

Die zentrale Säule der Transformationspolitik in der SBZ war die Entnazifizierung. Diese spezifisch ausgeprägte Form der politischen Säuberung, die sich grundlegend von derjenigen in dem westlichen Besatzungsgebiet unterschied, ist in ihrer komplexen Funktion für die Umgestaltung der Gesellschaft ohne ihre polizeilichen Instrumente nicht zu verstehen. Doch eine getrennte Betrachtung der ideologisch-politischen und der machtpolitisch-repressiven Inhalte der Säuberungspolitik, beides war unabdingbare Voraussetzung für die Diktaturdurchsetzung, erwies sich aus methodologischen Erwägungen erforderlich: Nur so lassen sich die Intentionen der KPD-Führung und die repressiven Maßnahmen der Besatzungsmacht auseinander halten. Beide gingen eine Symbiose ein, die ideologische Intention erzeugte staatliche Repression, Terror wiederum beschleunigte die Dynamik des gesellschaftspolitischen Transformationsprozesses. Der Aufbau einer deutschen Polizei in den Großstädten unmittelbar nach Kriegsende diente zum einen berechtigten Sicherheitsinteressen. Den Zusammenbruch der Ordnung begleiteten vielfältige Entbehrungen des Alltags, fundamentale Not und immense materielle Verluste. Obwohl das dramatisch gesunkene Lebensniveau auf die Menschen in allen besetzten Gebieten vereinheitlichend wirkte, teilte ein Riss die Gesellschaft unüberbrückbar in die einen, die alles, und die anderen, die weniger verloren hatten. Gegensätze kulminierten in den städtischen Ballungszentren zu sozialen Brennpunkten. Diesen Ursachen, verstärkt von ungeklärten Rahmenbedingungen und einer ungewissen Zukunft, hätte mit ausreichend materiell ausgestatteten Institutionen der Wohlfahrts- und Sozialpolitik entgegen gewirkt werden müssen. Dazu fehlten überall im Land die Mittel und die Antwort auf den Anstieg der Kriminalität bestand im Aufbau der Polizei. Über den Zeitpunkt, an dem die Tätigkeit deutscher Polizeikräfte im Mai 1945 in Dresden begann, herrscht keine Unklarheit; auch nicht über das Datum, an dem die sowjetische Besatzungsmacht die Einrichtung einer deutschen Polizei genehmigte. Doch dazwischen liegt eine zeitliche Differenz, die Fragen aufwirft. Warum erfolgte die Genehmigung erst im Juni, während es schon im Mai bei der „Gruppe Ackermann“ konkrete Überlegungen zur Einrichtung von deutschen Sicherheitskräften gab? Wieso erteilte der Kommunist Matern kurz nach der Besetzung Dresdens am 15. Mai 1945 eine Anweisung zum Polizeiaufbau, obwohl der Oberbürgermeister noch mit sowjetischen Dienststellen darüber verhandelte?1 Welche Absichten verfolgten die Kommunisten? Um eine Antwort auf diese und andere damit in Verbindung stehende Fragen zu erhalten, ist die Entstehungsgeschichte des Polizeiapparates in Dresden Gegenstand des folgenden Kapitels. Es werden die Strukturen und Ziele der Poli1

Dresdner Polizei 1945–1946, S. 22 f. (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Vgl. Reinke, Anfänge der Volkspolizei, S. 53. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zeiorganisation beschrieben, ihre repressive Praxis und anschließend die in Dresden errichteten Vorläuferstrukturen einer politischen Geheimpolizei. Abschließend wird exemplarisch mit den Kommandohaftlagern die prinzipiell grenzenlose Expansionsfähigkeit totalitärer Machtapparate gezeigt. Die Überformung polizeilicher Funktionen mit politischen Interessen steht im Zentrum der Fragestellung; der Aufbau herkömmlicher Polizeiorganisation und -funktion findet Erwähnung, wie es zum Verständnis der Entnazifizierungspolitik erforderlich ist.2

1.

Die Anfänge der deutschen Polizei

Noch während des Einmarsches der Roten Armee besetzten „Anti-Faschisten“ einige der Dresdner Polizeireviere, um teils in Kooperation mit der Polizei oder in eigener Regie für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.3 Doch die wie auch immer gestaltete „Zusammenarbeit“ zwischen alten und neuen Kräften konnte nur von kurzer Dauer sein. In Bezug auf die Polizei galten andere Maßstäbe als bei den Bediensteten der Verwaltung. In den Ordnungspolizisten sah man kompromittierte Träger der alten Ordnung. Für Gegner des Nationalsozialismus musste der Gedanke an eine noch so begrenzte Gemeinsamkeit mit den Feinden von gestern unerträglich sein. Nach dem 8. Mai 1945 konstituierten sich im Umfeld der „Antifa-Ausschüsse“ in verschiedenen Dresdner Stadtbezirken selbsternannte Polizeikräfte. In der Situation des Machtvakuums geschah das ohne Komplikationen, wie einer der Akteure schilderte: „Mit dem ersten Tage des Einmarsches der Roten Armee suchte ich die mir bekannten Genossen zusammen, um eine Hilfspolizei ins Leben zu rufen und den 9. Polizeibezirk zu besetzen.“4 Häufig sicherten sie sich ab bei lokalen Militärbefehlshabern der Roten Armee, verbündeten sich mit ihnen und richteten mit deren Billigung einen „Sicherheitsdienst“ ein.5 Sie versuchten, Unterlagen der früheren Ordnungspolizei zu retten und sukzessive deren Aufgaben zu übernehmen.6 Dabei sahen sie sich erheblichen Schwierigkei2 3 4 5 6

Vgl. Spors, Aufbau des Sicherheitsapparates. Bericht des 15. Stadtbezirks vom 20. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4819 f.). Bewerbungsschreiben vom 12. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung Personalunterlagen G 541, nicht paginiert). Vgl. Dresdner Polizei 1945–1946, S. 88 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 173); Bericht der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz vom 30. 5. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 10, Bl. 30). Vgl. Tantzscher, Vorläufer, S. 135. Schreiben des Antifa-Komitees Dresden vom 17. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert); Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert) – dieser Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 be© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten gegenüber. Die im Untergang des „Dritten Reiches“ nur mühsam aufrecht erhaltene öffentliche Ordnung brach mit dessen Ende weg,7 die Hüter der Ordnung selbst suchten das Weite. Nach der Flucht vieler ihrer Vorgesetzten mit Teilen der Wehrmacht8 und Führungskräften der städtischen Verwaltung hatten zahlreiche Polizisten unter Vernichtung wichtiger Unterlagen am 7. Mai 1945 die Dienststellen verlassen.9 Neben diesen bewussten Akten der Zerstörung erschwerte der Verlust eines großen Teils der Unterlagen bei dem verheerenden Angriff am 13. Februar die Situation, weiterhin die Requirierung verbliebener Dokumente durch sowjetisches Militär.10 In enger Verbindung zu den lokalen Verwaltungsdienststellen bemühten sich in diesem Vakuum Aktivisten der „Antifa-Komitees“ um „Schutz und Sicherheit der Bevölkerung“, sie verrichteten zudem „neben den Aufgaben der Ordnungspolizei auch Kriminaldienst [...], der politische Verbrechen einschloss“.11 Die politische Nuancierung ihres Kriminaldienstes resultierte aus dem Selbstbild der handelnden Akteure. Sie verstanden sich als „Anti-Faschisten“ und bezichtigten diejenigen, die ihnen gegenüber feindlich auftraten, der Verbindung zum Nationalsozialismus, oder denunzierten sie bei sowjetischen Dienststellen der Teilnahme an einer Verschwörung: „Ich halte P. für ein kriminelles Element, das versucht, Spitzeldienste für die Amerikaner zu leisten, um dadurch persönliche Vorteile zu erlangen. Gleichzeitig versucht er, als Provokateur aufzutreten, in dem er die mit uns arbeitenden und von uns beauftragten und kontrollierten Helfer gegenüber den Besatzungsbehörden als Faschisten hinstellt.“12 Äußerungen wie diese bezogen sich auf „unsaubere Elemente“ in den eigenen Reihen,

7 8 9

10 11 12

steht aus einer großen Anzahl von Einzelberichten und Anlagen, die in den verschiedenen Versionen des im Aktenbestand Landesbehörde der Volkspolizei (LBdVP) an mehreren Stellen abgelegten Gesamtberichts teilweise nicht enthalten sind; wegen der besseren Übersicht hinsichtlich der gelegentlich voneinander abweichenden Aussagen der Einzelberichte wird jeweils in Klammern die betreffende Teilüberschrift angegeben. Bericht der Kommunalen Hilfsstelle des 14. Stadtbezirks vom 8. 6.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 73, nicht paginiert). Tätigkeitsbericht der Betriebstechnischen Gruppe Fliegerhorst Klotzsche vom 8. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 12, Bl. 206). Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Anlage 7 zum Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert); Bericht des 22. Stadtbezirks vom 20. 7.1949 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 30, Bl. 4797). Vgl. Interview mit Ella Neumann, 1987 (StadtAD, Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V., Interview J0057, nicht paginiert); Sparkassendirektors Dr. Schwendler an den Oberbürgermeister vom 16. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 45, Bl. 3); Verhandlung mit Sparkassendirektor Dr. Schwendler vom 14. 5.1945 (ebd., Bl. 4 ff.). Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 175 f.). Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Vgl. Kapitel 2.1. Bericht der Geschäftsstelle Sebnitzer Straße an Polizeikommandant Vogt vom 3. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 72); Bericht des Kommandanten der Ordnungspolizei an die Stadtkommandantur vom 4. 6.1945 (ebd., Bl. 71). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„Gesindel, das sich zum Teil Polizeifunktionen anmaßte“.13 Vorbestraften Personen und Mitgliedern der NSDAP im Polizeidienst wurde es als „politisches Verbrechen“ angelastet, wenn sie belastende Umstände ihrer persönlichen Vergangenheit bei der Einstellung verschwiegen. Die unklare Vergangenheit mancher Polizeiangehöriger beeinträchtigte den Anspruch der Polizei, der „Sicherung des Wiederaufbaus“ eine Stoßrichtung gegen „politische Drahtzieher und verbrecherische Elemente“ zu geben.14 Aktivisten in den Reihen der „Antifa-Komitees“ wiesen frühzeitig auf das Problem hin, doch Vorschläge von ihnen fanden mitunter wenig Gehör. Der „Kommunalen Hilfsstelle Leubnitz-Neuostra“ unterbreitete ein früherer Polizeioffizier, wahrscheinlich einer der 1933 vom Dienst suspendierten Sozialdemokraten, das Angebot, den „beabsichtigten Aufbau der Polizei im allgemeinen und der Kriminalpolizei im besonderen für die Stadtteile Strehlen und Leubnitz-Neuostra“ zu organisieren. Er erachtete es als dringend erforderlich, der Bevölkerung „polizeilichen Schutz durch unsere Genossen und wirkliche Antifaschisten“ zukommen zu lassen. Der „Antifa-Ausschuss“ des betreffenden Stadtteils unterstützte ihn. Doch nicht allein der zuständige Bezirksverwaltungsleiter ignorierte seine Vorschläge, auch die Kommandantur der Polizei zeigte sich nicht interessiert.15 Der am Hilfsangebot uninteressierte Bezirksbürgermeister war der Kommunist Walter Weidauer. Eine unüberschaubare Zahl von Flüchtlingen und Ausgebombten, ehemaligen Zwangsarbeitern, befreiten Kriegsgefangenen, deutschen und sowjetischen Soldaten gefährdete die Sicherheit.16 Zahllose Plünderungen, Diebstähle und Überfälle erforderten die rasche Aufstellung einer Polizei.17 In zerstörten Grundstücken und verlassenen Wohnungen suchten Menschen nach Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen; allein oder gemeinsam mit Verwandten und

13 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert); Matern, Partei wies uns den Weg, S. 44. 14 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der neuen Polizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 15 „Nach meinem Eindruck war dem Bezirksbürgermeister der Antrag einer Kommunalen Hilfsstelle nicht wichtig genug, um ihn weiterzuleiten.“ Bericht vom 7. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/IX/1, nicht paginiert). Hervorhebung im Original. 16 Schreiben der Reichsbahndirektion Dresden an den Oberbürgermeister vom 23. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 42, nicht paginiert). 17 Vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 11, nicht paginiert); Verhandlung mit Sparkassendirektor Dr. Schwendler vom 14. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 45, Bl. 4 ff.); Schreiben des 3./4. Stadtbezirks vom 22. 6.1945 (ebd., Bl. 251); Aktennotiz Stadtkämmerer Meißner vom 4. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 58, Bl. 4); Dienstanweisung Nr. 7 der Zentralstelle der Stadtbezirke vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 3, nicht paginiert); Bericht der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz vom 30. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 10, Bl. 30). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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anderen Personen brachen sie in Verkaufs- und Lagerräume ein,18 teilweise bildeten sie Banden.19 Ihnen standen vor den Geschäften nur „ein paar handfeste Männer“ gegenüber, um für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen.20 Frühzeitig sprach der Dresdner Oberbürgermeister bei der sowjetischen Kommandantur vor, um ein Mindestmaß an Schutz für die Bevölkerung zu erreichen.21 Eine Einigung gestaltete sich schwierig, erst nach längeren Verhandlungen erteilte der sowjetische Stadtkommandant am 11. Juni 1945 die offizielle Genehmigung zum Aufbau der Ordnungspolizei. Er befahl die Aufstellung einer dem Oberbürgermeister unterstehenden Ordnungspolizei, die, unterstützt von der Roten Armee, von Deutschen an Deutschen begangene Verbrechen und Verletzungen der öffentlichen Ordnung verfolgen sollte. Gekleidet in eine graue Uniform, am linken Arm eine gelb-schwarze Binde, blieb die deutsche Polizei vorerst unbewaffnet.22 Die für Dresden genehmigten 500 Ordnungspolizisten reichten in keiner Weise aus und umgehend suchte die deutsche Seite um eine Aufstockung nach.23 Ende Juli verfügte die Ordnungspolizei über 705, drei Wochen später über 731 Angehörige.24 Doch im Mai 1945 warteten die deutschen Kommunisten nicht die Entscheidungen der Besatzungsmacht ab. Matern wies kurz nach Kriegsende die Vorbereitungen zum Polizeiaufbau an25 und Ackermann forderte Funktionäre seiner Partei auf, „unverzüglich eine uniformierte Polizei“ aufzustellen.26 Einer Äußerung des Polizeipräsidenten ist zu entnehmen, dass der Polizeiaufbau ohne eine sowjetische Genehmigung begann: „Die Genossen Vogt, Schliebs, Männ18 Vernehmung von Margarete M. vom 20. 7.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, nicht paginiert). 19 Schreiben des Oberbürgermeisters an den Stadtkommandanten vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 68); Schreiben an das XI. Polizeirevier vom 30.1.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/IX/6, Bl. 12). 20 Bericht über die Tätigkeit der bisherigen Bezirksbürgermeisterei Trachau-Trachenberge – Bericht der Abteilung Ernährung vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 213 f.). 21 Anweisung von Oberbürgermeister Friedrichs vom 22. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 22). 22 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Befehl Nr. 3 des Stadtkommandanten von Dresden, 11. 6.1945) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert); Opitz, Aufbau der deutschen Volkspolizei, S. 50; anders Belling, Entwicklung der polizeilichen Aufgaben, S. 126 und 177, der von der Gründung einer Deutschen Volkspolizei am 1. Juli 1945, also einer zentralen Polizei, spricht, für deren Errichtung jedoch zu dem angegebenen Zeitpunkt keinerlei administrative Voraussetzungen existierten. 23 Schreiben des Kommandanten der Ordnungspolizei an den Oberbürgermeister vom 17. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 91). 24 Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 367, nicht paginiert); Bericht des Polizeipräsidenten über die Neugründung des Polizeiapparates vom 17. 8.1945 (ebd.). 25 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 22 f. (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 26 Anton Ackermann: Rededisposition für die Versammlung von Antifaschisten – Aktivisten der ersten Stunde – in der Bautzner Straße, Dresden 21. 5.1945, nachträglich am 6.12.1965 ausformuliertes Referat (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 10, Bl. 34). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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chen wurden zunächst von der Stadtverwaltung beauftragt, die Polizei neu zu organisieren.“ Zu dieser Zeit verhandelte jedoch Oberbürgermeister Friedrichs noch mit der Kommandantur. Demzufolge handelten die Kommunisten im Auftrag der Partei und nicht der Stadtverwaltung, und wie Opitz berichtete, habe die Polizei bereits „am 25. Mai ihre Arbeit“ aufgenommen. Schließlich ernannte ihn die „Partei in Verbindung mit den Stadtbehörden am 12. Juni zum Polizeipräsidenten der Stadt Dresden“.27 Gleich Opitz gehörte der am 14. Juni 1945 eingesetzte Kommandeur der Ordnungspolizei Hermann Vogt, ein ehemaliger Berufssoldat, der während des Krieges im NKFD auf Seiten der Roten Armee gekämpft hatte, der KPD an.28 Unmittelbar nach Kriegsende betrieb die KPD-Führung den Aufbau der Polizei,29 besetzte die Spitzenfunktionen mit zuverlässigen Genossen und erhielt das Einverständnis möglicherweise von einer höheren sowjetischen Dienststelle. Denn die Existenz deutscher Polizeikräfte in Dresden vor dem offiziellen Gründungstermin war den sowjetischen Besatzungsbehörden bekannt gewesen.30 Die späte Information der Öffentlichkeit31 verfolgte ebenso wie die anderslautende Angabe in der Dresdner Stadtchronik32 allein den Zweck, zu verheimlichen, dass die Führung von KPD und Roter Armee im Einvernehmen die eingesetzte deutsche Verwaltung beim Polizeiaufbau übergangen hatte. Dies war möglich gewesen, weil in der Frage deutscher Sicherheitsorgane wie auch zu anderen Komplexen der Besatzungspolitik zentrale sowjetische Vorgaben fehlten. Die Armeeführung erteilte keine Anweisungen und die lokalen Militärbefehlshaber der Roten Armee blieben ohne verbindliche Instruktionen.33 Deswegen verfuhren einige von ihnen pragmatisch und ließen angesichts der enormen Sicherheitsdefizite den von engagierten deutschen Einwohnern organisierten Selbstschutz zu. Der größte Unsicherheitsfaktor waren die marodierenden, unkontrolliert umherziehenden Besatzungssoldaten. Es kam regelmäßig zu Schießereien, Waffen befanden sich ausreichend in Umlauf. Allerdings konnten die Kommandeure der Armee nicht eine die Machtfrage tangierende und den alliierten Beschlüssen zuwiderlaufende Bewaffnung deutscher Sicherheitskräfte zulassen. Da die Ordnungskräfte der „Antifa-Komitees“ in den Stadtbezirken unbewaffnet und somit auf das Wohlwollen der Besatzungssoldaten angewiesen waren, blieb die einheimische Bevölkerung ohne wirksamen

27 Bericht des Polizeipräsidenten über die Neugründung des Polizeiapparates vom 17. 8. 1945 (SächsHStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 28 Politische und fachliche Beurteilungen vom 20.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 29 Vgl. Naimark, Russen, S. 415. 30 Aktennotiz Stadtkämmerer Meißner vom 4. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 58, Bl. 4). 31 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 59 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 32 Kleine Dresden-Chronik, S. 8 f. 33 Kowalczuk/Wolle, Roter Stern, S. 43; Mählert, Lage der SED, S. 223. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Schutz. Zwar mussten die Armeeoffiziere schon im eigenen Interesse an Ordnung innerhalb der Truppe interessiert sein, doch die Formulierung, „Truppenteile und Dienststellen der Roten Armee [...] haben die Tätigkeit der Ordnungspolizei nicht zu behindern“, verweist auf die Vergeblichkeit der bisherigen Disziplinierungsbemühungen. Die Rotarmisten störten in erheblichem Umfang die in „Antifa-Ausschüssen“ agierenden Ordnungshüter, die ohne Waffen über keinerlei Mittel der Sanktionierung von Straftaten verfügten und außerdem nicht gegen die Soldaten vorgehen durften.34 Partielle Vereinbarungen verdeutlichen die Grenzen der Handlungsfähigkeit: „Herr Kapitän Kultschunow betonte, dass keinerlei Übergriffe auf Viehbestände oder Ernten von Seiten der Roten Armee oder der Zivilbevölkerung geduldet würden.“ Zur Sicherheit der „Geschäftsleute gegen Übergriffe“ würde überdies „jedes Lebensmittelgeschäft innerhalb der Bezirksverwaltung II mit einem Ausweis versehen“, der die russisch sprechenden Soldaten darüber aufklären sollte, dass die Waren für die Zivilbevölkerung bestimmt seien und nicht angetastet werden dürften. Diese Unterredung zwischen dem Kommunisten Neuhof und dem für den Bereich seiner Bezirksverwaltung zuständigen Kommandanten des 2. Rayons fand einen Monat nach Kriegsende statt: Für die Deutschen gehörte die Unsicherheit längst zum Alltag.35 Wenn sie Rotarmisten bei Straftaten antrafen, mussten sie sowjetische Hilfe anfordern. Offenkundig zeigte die Führung der Streitkräfte vor Ort wenig Neigung, den Aufbau einer konkurrierenden Ordnungsmacht zu fördern. Sie fügte sich erst einer höheren Anweisung, als die Unsicherheit im Besatzungsgebiet Wirtschaft und Versorgung gefährdete und die Disziplinschwierigkeiten mit den Soldaten nicht nachließen. Deutsche Exilkommunisten und die Führungsspitze der Besatzungsbehörden verbanden hingegen mit der Einrichtung einer Polizei die Option für den Aufbau einer politischen Polizei unter kommunistischer Regie. Sie handelten, um eigene Parteigänger in den Schlüsselpositionen zu verankern, weil allein sie über die „richtige Perspektive“ und die „richtige Politik im Kampf gegen den Faschismus“ verfügten.36 Der Mann an der Spitze des Dresdner Polizeipräsidiums, der aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen befreite Max Opitz, beschrieb sie als die „aktivsten Kräfte aus den Reihen der Antifaschisten“, die ohne jede „polizeiliche Fachkenntnis [...] den Aufbau und die Organisierung der neuen Polizei“ bewerkstelligten.37 Nach der Einwilligung des Dresdner Stadtkommandanten bestand die erste Amtshandlung des Kommandeurs der Ordnungspolizei darin, die Polizeireviere der Weisungsbefugnis der Bezirksverwaltungen zu entziehen und sich zu un34 Schreiben des Kommandanten der Ordnungspolizei an den Oberbürgermeister vom 17. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 91). Vgl. Raschka, Sowjetisierung, S. 1455 f. 35 Neuhof, Parole, S. 65 f. 36 „Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9) 37 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 12 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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terstellen. Er wies die Leiter der Polizeireviere an, mit den städtischen Verwaltungsstellen weiterhin zusammenzuarbeiten, bedeutete ihnen allerdings, dass eine Befehlsgewalt der Verwaltung über die Polizei nicht bestehe.38 Vorerst blieb die Reichweite seiner Befehle begrenzt, da die „Antifa-Komitees“ in den einzelnen Stadtteilen „unkontrolliert schalteten und walteten“.39 Die inzwischen seit fünf Wochen relativ autonom agierenden Gruppen hatten zwar nicht gegen Besatzungswillkür helfen, doch der Bevölkerung das Gefühl von Unterstützung vermitteln können. Nun musste der Polizeichef, um seine Autorität herzustellen, diese autonomen Gruppierungen ausschalten oder integrieren. Darum griff er bei der Aufstellung der Ordnungspolizei auf Personen aus den „Antifa-Ausschüssen“ zurück. Eine Überprüfung geschah zunächst nicht. Die Einstellung erfolgte „ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer antifaschistischen Gesinnung und Tätigkeit“. Darum konnte auch jeder freigekommene Strafgefangene oder Lagerhäftling, der politische Gründe für seine Verhaftung angab, mit einer Anstellung bei der Polizei rechnen. Da bis November Polizeiangehörige die Schwerarbeiterkarte erhielten,40 galt der Dienst trotz seiner Risiken aufgrund der lukrativen Zusatzversorgung erstrebenswert. Opitz musste generelle Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von fachlich geschultem Personal einräumen. Wobei er betonte, dass die „wenigen Beamten, die der alten Polizei noch gedient hatten, [...] im Verlauf der Neuordnung der Polizei entlassen worden“ seien.41 Die neuen Polizeikräfte „waren Arbeiter oder ehemalige Kriegsgefangene“ aus den „Frontschulen“, zwar ohne „praktische Erfahrungen im Polizeiwesen“,42 doch sie garantierten die ihm wichtige „antifaschistische Stoßrichtung der neuen Polizei“. In einer Säuberungsaktion im Herbst entließ er diejenigen, die das „Ansehen der Polizei“ schädigten.43 Mit der Einrichtung einer Wache im provisorischen Rathaus Melanchthonstraße, der rasch vergleichbare Einrichtungen in den städtischen Wasserwerken und anderen wichtigen Versorgungsobjekten folgten, begann der zentrale Polizeiaufbau. Materielle Probleme belasteten diese Aufbauphase außerordentlich. Die im Juni zur regulären Behörde erhobene Polizeizentrale bezog mit dem

38 Rundschreiben 1/1945 der Kommandantur der Ordnungspolizei Dresden vom 14. 6. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). 39 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 40 Befehl der Kommandantur der Ordnungspolizei 90/45 vom 22.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 61, Bl. 72). 41 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der neuen Polizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 42 Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 43 Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 173). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Hansa-Hotel am Neustädter Bahnhof ein eigenes Gebäude,44 dort mangelte es an allem: Abgesehen von den verschollenen Unterlagen existierten weder Telefonverbindungen noch Kraftfahrzeuge, weder Ausrüstung noch Bekleidung. Mit einem Notizbuch und einigen Schulbänken habe alles angefangen und selbst dann, als die sowjetische Militärverwaltung aus den Lagerbeständen der ehemaligen Polizei Uniformen freigab, bereitete das einheitliche Einfärben der Kleidungsstücke größte Schwierigkeiten, da blaue Farbe fehlte.45 Zur Anfertigung von Hosen ließ die Wirtschaftsabteilung der Polizei Mäntel zerschneiden, wegen des fehlenden Leders für Schuhwerk trat sie erfolglos an die sowjetische Kommandantur heran. Material und Ausrüstungen lagerten in den von der Roten Armee beschlagnahmten diversen Wehrmachtsbeständen, auch die in einer Kaserne gefundenen Stiefel durften die deutschen Polizisten nicht tragen.46 Noch im Herbst war nur ein Teil der Polizeiangehörigen mit der notwendigsten Kleidung ausgestattet.47 Der Kommandeur der Ordnungspolizei empörte sich, dass „sogenannte junge Damen [...] in Pelzwesten herumlaufen, bei denen einwandfrei festgestellt werden kann, dass sie aus Wehrmachtsbeständen stammen“. Er verlangte, diese Kleidungsstücke für die Polizei zu requirieren.48

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Die KPD-Führung schuf eine Polizei, die, getrennt vom zivilen Verwaltungssektor und in enger Anbindung an die sowjetische Militärverwaltung, künftig über ihre herkömmlichen Aufgaben hinaus einer vorrangig politisch definierten „Sicherheit“ dienen sollte. Die Ordnungspolizei bestand anfänglich aus einer Abteilung Kommandantur einschließlich des Stellvertreters und eines Adjutanten des Kommandeurs, dem die 22 Polizeireviere sowie die Verkehrs- und die Wasserschutzpolizei unterstanden; dazu die Personalstelle, die Kurierstelle, die Sachbearbeitungsstelle, die Verwahrstelle, der Schulungsleiter, das Fundbüro, die Fahrbereitschaft, die Auskunft und das Quartieramt.49 Während einer kur44 Referat von Polizeipräsident Opitz auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 102). Vgl. Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 12 ff. 45 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 23 ff. (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 46 Schreiben der Antifaschistischen Freiheitsbewegung Breslau an die Landesverwaltung Sachsen vom 31. 7.1945 (SAPMO-BArch, SgY 26/1, Bl. 19); Bericht über die Tätigkeit der Kommunalen Hilfsstelle Trachau vom 8. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 180–183). 47 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Wirtschaftsabteilung) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 48 Befehl der Kommandantur der Ordnungspolizei 92/45 vom 27.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 61, Bl. 77 f.). 49 Es war auch Aufgabe der Ordnungspolizei, Quartiere für Angehörige der Besatzungstruppen in Privatwohnungen zu requirieren, vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zen Anfangsphase gehörte das Einwohnermeldeamt noch nicht zur Polizei, sondern zur Stadtverwaltung. Das zentrale Bindeglied zwischen Besatzungsbehörden und deutscher Polizei wurde die Institution der Verbindungsoffiziere. Die dienstrechtlich zwar der deutschen Polizei, de facto jedoch den Besatzungsbehörden unterstehenden und von ihnen angeleiteten sieben deutschen Verbindungsoffiziere in den Dresdner Verwaltungsbezirken und der Verbindungsoffizier im Polizeipräsidium50 übermittelten Befehle und Informationen zwischen Besatzungsmacht und Polizei: „Bei allen Vorkommnissen in den Verwaltungsbezirken werden die Bezirkskommandanturen durch die Verbindungsoffiziere unmittelbar benachrichtigt und um Abhilfe bei irgendwelchen Zwischenfällen gebeten.“ Zudem unterstützten die Verbindungsoffiziere die Ordnungspolizei bei „Zwischenfällen mit Angehörigen der Besatzungsbehörde“.51 Dem Dresdner Polizeipräsidium unterstanden die Ordnungspolizei und deren Kommandeur, die Feuerlöschpolizei, die Wasserschutzpolizei, die Verkehrspolizei und die Kriminalpolizei. Letztere befasste sich neben ihrem traditionellen Betätigungsfeld, der Verfolgung krimineller Delikte, damit, „besondere Figuren aller Gliederungen der NSDAP namhaft zu machen“.52 Zum Polizeipräsidium gehörte eine Wirtschaftsabteilung, eine Personalabteilung, das Polizeigefängnis und schließlich auch das Einwohnermeldeamt. Im Monat August lagen erstmals für die einzelnen Fachgebiete der Polizei genaue Zahlen vor: In der Ordnungspolizei arbeiteten wie schon erwähnt 731 Polizeikräfte, weitere 41 bei der Wasser- und 250 bei der Feuerschutzpolizei, 105 bei der Kriminalpolizei und 71 bei der Verkehrspolizei. Neben der seit Juni 1945 gegen viele Widerstände aufgebauten „weiblichen Verkehrspolizei“ bearbeiteten im Kriminalamt von jeher auch Frauen Fälle, in die Kinder und weibliche Jugendliche involviert waren.53 Während die Weibliche Kriminalpolizei an eine Tradition aus der Weimarer Republik anknüpfte, stellte die Rekrutierung von Frauen für den Außendienst der Polizei ein Novum dar.54 Die „gleichberechtigte Teilnahme der Frau an der Gestaltung der neuen gesellschaftlichen Ordnung“ resultierte aus der Notwendigkeit, genügend Personal für den Polizeidienst zu finden. Trotz bestehender Vorurteile wurde erstmals eine männliche Domäne geöffnet und in Dresden über den Rahmen der Verkehrspolizei hinaus auch bei der Ordnungspolizei weibliches Personal eingesetzt.55 Von Dresden als dem Sitz zentraler sowjetischer Dienststellen gingen entscheidende Impulse für die Entwicklung in ganz Sachsen aus. Orientiert am 50 Ebd. (Bericht der Präsidialkanzlei). 51 Ebd. (Bericht der Ordnungspolizei). 52 Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 53 Vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 54 Vgl. Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 30 ff. 55 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 9 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Vgl. Bessel, Volkspolizistinnen; Nienhaus, Weibliche Polizei. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dresdner Vorbild entstanden in den anderen von der Roten Armee besetzten sächsischen Orten lokale Ordnungspolizeien.56 Der Dresdner Polizeipräsident Opitz bemühte sich um richtungsweisende Organisationsstrukturen und -prinzipien, wobei die politischen Inhalte, auch in der Arbeit der Kriminalpolizei, im Vordergrund standen. Er stellte bevorzugt Mitglieder der KPD ein, weil sie die „fortschrittlichsten und revolutionärsten Kräfte“ seien, und gestaltete so im Auftrag der KPD die städtische Polizei zu deren Machtinstrument.57 Neben der Einstellungspraxis verweist der Schulungsplan auf die politische Funktion der neuen Polizei.58 Den neuen Kräften fehlte eine Fachausbildung und ihr berufliches Qualifikationsprofil blieb mangelhaft, obwohl die kritische Problemlage in der Nachkriegszeit eine Professionalisierung verlangt hätte. Der gelernte Former, so spottete Klemperer, solle nun „Kriminalbeamter“ sein.59 Hochrangige Kader der sächsischen Bezirksleitung der KPD hielten hingegen „weltanschauliche Kurse“ und „Lektionen über die gegenwärtige politische Lage und über die Aufgaben der Antifaschisten“.60 Opitz dachte in den Dimensionen des Berufsrevolutionärs. Aus der revolutionären Ideologie seiner Vorstellungswelt erschließt sich die spezifische Dynamik des Erneuerungsprozesses der Polizei: Die taktischen Fragen müssten „unter dem Blickfeld der revolutionären Strategie gelöst werden“, nur so sei „eine revolutionäre Arbeit“ möglich. Da es der deutschen Arbeiterklasse nicht gelungen sei, selbst das Hitlerregime“ zu stürzen, habe das „Endziel“ bisher nicht verwirklicht werden können. Die Polizei sei das „Exekutivorgan“ zur Lösung der „Tagesaufgaben“, deswegen besetzten Kommunisten diesen „entscheidenden Apparat“. Vorerst seien „keine grundlegenden Veränderungen im ökonomischen Unterbau“ geschehen, doch inzwischen rücke der Zeitpunkt für die Arbeiter heran, die „Grundlagen der kapitalistischen Welt nicht nur unterminieren“, sondern umbauen zu müssen. Die Polizei müsse den „Klassenfeind“ im „Kapitalismus“ zurückschlagen und die Brücke zu jenen sozialdemokratischen Arbeitern beschreiten, die wie die Kommunisten die „richtige Politik“ erkannt hätten. Doch nicht nur rechte, auch linke „Feinde“ verleumdeten die Sowjetunion und hetzten die Menschen gegen sie auf. Deren Position offenbare sich in Forderungen wie denen nach einer Angliederung der sowjetischen Zone an die Sowjetunion oder der Vereinigung beider Arbeiterparteien zu einer einzigen kommunistischen Partei. Solcher „Trotzkismus“ richte sich sowohl gegen die

56 Reinke, Anfänge der Volkspolizei, S. 53 f. 57 „Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9) 58 Vgl. auch Naimark, Russen, S. 419; Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 15 ff. 59 Tagebucheintrag vom 9. 3.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 209. 60 Bericht des Polizeipräsidenten über die Neugründung des Polizeiapparates vom 17. 8. 1945 (SächsHStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Sowjetunion als auch gegen die eigene Partei und sei eine bewusste Provokation und Diffamierung der Politik.61 Die Ausführungen des dynamischen Revolutionärs Opitz dürften bei den Dresdner Polizisten aufgrund ihres sozialen und parteipolitischen Profils auf Zustimmung gestoßen sein. Anders als in Berlin war hier die Besetzung von Führungspositionen durch die Kommunisten nie in Frage gestellt.62 Vorwiegend rekrutierte sich das Polizeipersonal aus den Kreisen der Industriearbeiterschaft. Die bis November 1945 auf 1106 „Mann“ angewachsene Ordnungspolizei beschäftigte 587 Kommunisten, 182 Sozialdemokraten und 337 parteilose Polizisten. Im Gesamtbestand der Dresdner Polizei mit 1478 Polizeiangehörigen (Feuerwehr und Kriminalpolizei nicht inbegriffen) lag der Anteil der KPD-Mitglieder bei 48,6 Prozent, derjenige der SPD-Mitglieder bei 15,7 Prozent.63 Bis zum Jahresende verschoben sich die Proportionen weiter zugunsten der Kommunisten: Der Bestand der Ordnungspolizei wuchs auf 1 286 Personen an, der Anteil parteiloser Polizisten hingegen schrumpfte auf 241; 756 gehörten jetzt der KPD an und 288 der SPD. In der gesamten Dresdner Polizei fand sich lediglich ein Mitglied der CDU und eines der LDP.64 In Dresden wurden nur wenige ehemalige Mitglieder der NSDAP in die neue Polizei aufgenommen.65 Trotzdem berichtete die kommunistische Unterbezirksleitung Dresden über die Säuberung der Polizei und forderte „starke Genossen“ aus Radebeul als Ersatz an.66 Unter dem Vorwand der erforderlichen Säuberung ersetzten Kommunisten häufig parteilose Polizisten. Das stieß auf Widerstände der anderen Parteien, insbesondere der SPD, die sich gegen die kommunistische Präsenz im Polizeiapparat zur Wehr setzte. Gegenüber der Besatzungsmacht sprach der Polizeipräsident von einem Übergewicht der SPD in führenden Stellungen der Polizei, was in keiner Weise der Realität entsprach. Vielmehr behinderte er die Einstellung von SPD-Mitgliedern in der Dresdner Polizei. Erst nach einer langen Kontroverse erreichte die SPD die Einsetzung eines sozialdemokratischen Stellvertreters des Polizeipräsidenten, wogegen sich

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„Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9). Vgl. zum gezielten Aufbau des Polizeiapparates als Instrument der Politik Schmeitzner, Formierung. Vgl. Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 4 ff. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Personalabteilung mit Stand vom 3.11.1945) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Parteizugehörigkeit mit Stand 31.12.1945 vom 4.1.1946 (SächsHStAD, LBdVP 370, nicht paginiert). Vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Personalabteilung mit Stand 3.11.1945) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Bericht über die UBL-Sitzung vom 4.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I / B /124, Bl. 70). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Opitz heftig wehrte.67 Er argumentierte mit „Sparmaßnahmen im Verwaltungsapparat“ gegen eine paritätische Besetzung.68 Sozialdemokraten wurden systematisch aus der Ordnungspolizei in die politisch weniger relevante Feuerwehr verdrängt.69 Opitz zeigte sich bereits im Herbst zufrieden mit der Personalpolitik, nicht ohne dabei die enge „Anlehnung an die Besatzungsbehörde“ zu betonen: Die Dresdner Polizei sei „völlig nazirein“ aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden und deren Unterstützung bei der Bereinigung der Polizei.70 Doch das Resultat war neben der Säuberung auch die Ausschaltung von Sozialdemokraten. Der eingegrenzte Wirkungsradius der deutschen Polizei erweiterte sich schrittweise durch innere Differenzierung. Die anfänglich einfache Struktur der Zentralbehörde mit ihren acht Arbeitsbereichen erreichte im Laufe eines Jahres dreißig Struktureinheiten. Neben verschiedenen politischen71 entstanden neue polizeitechnische Abteilungen.72 Der Polizei in Dresden kam in mancherlei Hinsicht eine Vorreiterrolle für den Aufbau der übergeordneten Landespolizei zu.73 Die KPD-Führung errichtete Strukturen mit exemplarischem Charakter und Dienststellen, die wenig später komplett in die Zentralbehörde eingingen. Letztere griff zur Auffüllung ihres Personals oft auf Dresdner Polizeiangehörige zurück. Der Polizeipräsident, selbst ohne fachliche Kenntnisse, schuf unter weitgehendem Verzicht auf vorhandene Fachkräfte strukturell und personell völlig neue Sicherheitsorgane,74 wobei die rasche Folge vieler organisatorischer Veränderungen auf der fehlenden beruflichen Professionalität beruhte. Ein Problem blieb die Sicherheit der Polizisten selbst. Der Mord am Fahrdienstleiter im Kommando der Ordnungspolizei durch zwei sowjetische Offizie67 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 25. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 57, Bl. 80–83). Vgl. Auseinandersetzung um den Vizepräsidenten der Berliner Polizei in Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 49 ff. 68 Opitz an die Bezirksleitung der KPD vom 18.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I/A/016, nicht paginiert). 69 Opitz an Weidauer vom 18.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 322, Bl. 99). 70 Referat von Polizeipräsident Opitz auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 102). 71 Überwachungsstelle für Tanz-, Kino-, Varieté- und sonstige Veranstaltungen; Abteilung für Organisations- und Versammlungsüberwachung; Druckereiüberwachung; außerdem eine „Abteilung zur Ausgestaltung der Polizeireviere mit Propagandamaterial und zur Schulung der Polizeiangehörigen“; Dresdner Polizei 1945–1946, S. 61 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 72 Sachbearbeitungsstelle für Personalangelegenheiten; Fundbüro; Abteilung für polizeiliche Berichterstattung; Abteilung zur Bearbeitung von Beschlagnahmungen, Gesuchen und Abstrafungen; Pressestelle; statistische Abteilung; Stelle zur Erfassung und Weiterleitung von Flüchtlingen und ehemaligen Kriegsgefangenen; Leichenbergungskommando; Waffeninstandhaltung; Hundeabrichteanstalt; Dolmetscherbüro; Telefonzentrale; berittene Abteilung; Rechnungsstelle; Alarmkommando; Transportkommando; Abteilung zur Bearbeitung von Kraftfahrzeugbeschlagnahmen, Sanitätsstelle; ebd. 73 Schmeitzner, Instanzen der Diktaturdurchsetzung, S. 176. 74 Vgl. Opitz, Aufbau der Volkspolizei, S. 52; Reinke, Anfänge der Volkspolizei, S. 58. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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re, die er in dienstlichem Auftrag nach Pirna chauffieren sollte,75 verdeutlichte die kritische Situation der deutschen Polizisten während ihres Dienstes, da ihnen die sowjetischen Behörden das Tragen von Waffen untersagten. Häufig nur mit Knüppeln ausgestattet, konnten sie sich der Angriffe bewaffneter Krimineller ebenso wenig erwehren wie der marodierender Soldaten oder Banden ehemaliger Zwangsarbeiter. Soldaten der Besatzungsmacht akzeptierten Uniformen und Dienstausweise der Polizisten nicht und hinderten sie an der Ausübung ihrer Dienstpflichten. Die im Herbst eingeführten gemeinsamen Streifengänge und Razzien mit Angehörigen der Roten Armee schufen nur geringfügig Abhilfe. Oft waren bewaffnete Rotarmisten Risikofaktoren. Im November wurden die ersten 158 Polizeiangehörigen mit Waffen ausgerüstet.76 Auch das Zögern der sowjetischen Besatzungsverwaltung, eine Verordnung über das Polizeiwesen zu erlassen, erschwerte den Neuanfang. Die sächsische Landesverwaltung erarbeitete eine Polizeiverordnung und legte sie im September der SMAS zur Genehmigung vor.77 Die SMAS hielt eine gesetzliche Basis nicht für erforderlich und behandelte die Vorlage dilatorisch. Gründe, die Gegenzeichnung der Gesetzesvorlage zu versagen, sind nicht bekannt, sie sind auch für den weiteren Verlauf der Ereignisse weniger relevant. Wichtig allein ist das Faktum des sowjetischen Zögerns, das hier wie in vielen anderen Fällen der Besatzungspolitik eine Strategie der generellen Vermeidung konkreter und damit bindender Festlegungen zeigte. Solche und andere Verzögerungen sprach die deutsche Seite wiederholt an, ohne dass sich etwas änderte.78 Die gesamte Polizei, eingeschlossen die Kriminalpolizei, unterstand deswegen weiterhin der kommunalen Verwaltung und nur mittelbar dem Innenressort der Landesverwaltung, das eine Zentralisierung der Polizei verfolgte, um über ein schlagkräftiges Machtinstrument zu verfügen. Die sowjetische Militäradministration verweigerte ihre Zustimmung, so dass noch längere Zeit „kleine Bürgermeister die Herren der Polizei waren und die Chefs der Polizei weniger Einfluss hatten“. Die „Nichtgenehmigung unserer Verordnungen“ blockierte auch noch im folgenden Jahr eine reibungslose „Koordinierung zwischen der Ordnungspolizei und der Kriminalpolizei“.79 Als Grund dafür vermutete der Chef der sächsischen Polizei paradoxerweise eine Unterwanderung der SMAD-Finanzabteilung in Karlshorst durch „sehr viele reaktionäre Kräfte, zum Teil sogar Nazis“.80 75 Bericht der Kommandantur der Ordnungspolizei, 28. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 57, Bl. 3 ff.). 76 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Bericht der Ordnungspolizei) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 77 Verordnung über das Polizeiwesen im Bundesland Sachsen vom 23.10.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 9, Bl. 184–191). 78 Vgl. Mählert, Lage der SED, S. 223 und S. 238. 79 Protokoll über die Konferenz der Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern mit den Chefs der Polizei der Länder und Provinzen in der sowjetischen Besatzungszone und den Vertretern der SMAD vom 30.10.1946 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 1, Bl. 52). 80 Ebd., Bl. 69. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Verordnung über das Polizeiwesen, die das Innenressort der Landesverwaltung schließlich Ende Oktober vorbehaltlich der sowjetischen Zustimmung im Entwurf den nachgeordneten Polizeibehörden zukommen ließ, schrieb die Rechte der Kriminalpolizei fest, die direkt in die Verfügungsgewalt des Landes übergehen sollte. Die Verordnung übertrug dem Chef der sächsischen Polizei die Zuständigkeit für alle Polizeibehörden, dem Landeskriminalamt die Befehlsgewalt über die Kriminalpolizei und der Besatzungsmacht ein übergeordnetes Weisungsrecht. Weiter besagte die Bestimmung, dass der Kriminalpolizei „zur Ausübung ihres Dienstes außer ihren eigenen Beamten die Beamten der Kreis-, Strom- und Gemeindepolizei zur Verfügung“ zu stehen hätten. Das bekräftigte die bisher praktizierte Unterstellung von Angehörigen der Ordnungspolizei unter die Kriminalpolizei. Ihre Aufgabe sei die „Verfolgung aller Verbrechen und Vergehen“. Da das Landeskriminalamt die „planmäßige Zusammenarbeit aller kriminalpolizeilichen Organe“ koordinierte, bestand eine generelle Weisungsbefugnis der Landespolizei für sämtliche unteren Polizeiorgane. Allein die Landesjustizbehörden konnten die Zuständigkeit der Landespolizei noch einschränken, weil bei einer Strafverfolgung die Kriminalpolizei die Ermittlungen im Auftrag der Justiz zu führen hatte.81 Polizeipräsident Opitz sprach sich allerdings mehrfach gegen die Zentralisierung kriminalpolizeilicher Kompetenzen aus, die seinen Einfluss beschnitt.82 Er hielt die „Verstaatlichung der Kriminalpolizei“ in der „gegenwärtigen politischen Lage“ für falsch.83 Trotz früherer Zusagen, wonach er weiterhin die Möglichkeit behalten sollte, „in die Arbeit der Kriminalpolizei selbst einzugreifen“, sei er „vollkommen ausgeschaltet“ worden. Mit Stolz verwies er auf den unter seiner Führung entstandenen neuen Polizeiapparat. Dem Personalbestand der Dresdner Polizei gehörten am 3. November 1945 lediglich ein ehemaliges NSDAP-Mitglied und ein SA-Mann an. In der Hand deutscher Kommunisten bildete diese Polizei ein schlagkräftiges Instrument der Kontrolle und Unterdrückung und zeigte sich besser als im übrigen Besatzungsgebiet für eine Durchsetzung ihres Machtanspruchs geeignet.84

81 Verordnung über das Polizeiwesen im Bundesland Sachsen vom 23.10.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 9, Bl. 184–191). 82 Vgl. „Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9). 83 Opitz an die Bezirksleitung der KPD vom 19.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I/A/016, nicht paginiert). 84 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 vom 16.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Vgl. Bessel, Grenzen des Polizeistaates, S. 228. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Institutionen politischer Sicherheit

Die überwiegend aus der KPD rekrutierte Polizei stand unter sowjetischer Befehlsgewalt.85 Die obligatorische Zusammenarbeit der Polizei mit dem NKWD geschah nicht nur „im Einvernehmen mit der GPU“;86 sie unterstand dem sowjetischen Geheimdienst, der Militärgerichtsbarkeit sowie einer „Inspektion der Kommandanturen im Bundesland Sachsen“. Die bereits erwähnten Verbindungsoffiziere heben diese Unterstellung besonders hervor. Dem Vernehmen nach existierte im Dresdner Polizeipräsidium ein NKWD-Verbindungsbüro.87 Verhalten artikulierte Schwierigkeiten „hinsichtlich der Verständigung mit den Besatzungsbehörden aus sprachlichen Gründen“ sind ein Indiz der Missverständnisse im Umgang miteinander und der ungelösten Sicherheitsprobleme. Es entsprach einem „dringenden Wunsche der Dresdner Bevölkerung“, besonders nachts die Patrouillen der Ordnungspolizei mit Militärstreifen der Roten Armee zu verstärken.88 Die deutsche Polizei war nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen; das konnte mit 158 bewaffneten Polizisten auch nicht beabsichtigt gewesen sein. Vielmehr diente die Polizei der SMAD zur Herrschaftssicherung und Machtdurchsetzung. Weisungsbefugt war auch das NKWD.89 Unmittelbar nach der Besetzung begann die Rote Armee in Dresden mit der Verhaftung nationalsozialistischer Funktionsträger und Angehöriger der Wehrmacht. Sie ging bei der Internierung ohne differenzierende Kriterien vor, praktisch jeder konnte betroffen sein. Grundlage war der „Befehl Nr. 00315 des Volkskommissars für innere Angelegenheiten der UdSSR“ vom 18. April 1945, der den als Sicherheitsrisiko eingestuften Personenkreis festlegte.90 Das Misstrauen der Besatzungsmacht richtete sich gegen alle, die sie in irgendeinen Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen System brachte.91 In die Lager gelangten politische und administrative Funktionsträger ebenso wie tatsächliche und vermeintliche Kriegsverbrecher oder einfache Wehrpflichtige. Die Bestimmungen des Befehls Nr. 00315 erfuhren beliebige Auslegungen.92 Der sowjetische Stadtkommandant verbot in Dresden die NSDAP und alle nationalso85 Vgl. 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 85–166); Naimark, Russen, S. 416. 86 Bericht der Geschäftsstelle Sebnitzer Straße an Polizeikommandant Vogt vom 3. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 72). Vgl. Kubina, Sicherheitsapparate, S. 363. 87 Stößel, Positionen, S. 199. 88 Referat von Polizeipräsident Opitz auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 102–111). 89 Häufig wurde die Bezeichnung „NKWD“ synonym für die nicht innerhalb der Armeestrukturen arbeitenden Offiziere des sowjetischen Innenministeriums bzw. des Staatssicherheitsdienstes verwendet, vgl. Finn, Speziallager, S. 340, Anmerkung 6. 90 Niethammer, Internierungslager, S. 106 f.; Plato, Speziallager. 91 Beevor, Berlin 1945, S. 451; Naimark, Russen, S. 444. Vgl. dazu die amerikanische Internierungspraxis bei Lipinsky, Speziallager; sowie Niethammer, Internierungslager und Schick, Internierungslager. 92 Badstübner, Vom „Reich“ zum doppelten Deutschland, S. 238 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zialistischen Organisationen. Das Verbot ergänzte er mit einem Befehl zur Registrierung der leitenden Verwaltungsangestellten sowie aller Soldaten und Offiziere, die somit dem potentiellen Zugriff der Besatzungsbehörden unterlagen.93 Diese zielten zwar auf die Funktionseliten, verhafteten aber Volkssturmangehörige ebenso. Interventionen bewirkten nichts, selbst wenn die Verhafteten Kommunisten waren: „Heinrich K. ist 13 Jahre Mitglied der KPD gewesen, die beiden Brüder C. waren ebenfalls immer Antifaschisten und alle drei haben sich vom ersten Tage nach dem Einmarsch der Roten Armee an aktiv an der Arbeit im Verw.-Ausschuss Rochwitz-Loschwitz beteiligt. Die bisherigen Versuche, die Freilassung der drei Kameraden zu erwirken, sind fehlgeschlagen.“94 Während die allumfassende Zuständigkeit des Geheimdienstes bei der Besatzungsmacht eine eindeutige Differenzierung verschiedener Verfolgungsinstanzen erschwert, lassen sich bei der Polizei mehrere der hauptsächlich mit Überwachung und Verfolgung befassten Dienststellen benennen. Die Polizei ahndete nicht allein die Übertretung von Gesetzen, ihr Auftrag gebot ihr, „unverbesserliche Nazi-Elemente, Saboteure und verbrecherische Spekulanten auszumerzen“95 und die Bevölkerung zu kontrollieren. Der Dresdner Polizeipräsident ließ eine „Überwachungsstelle für Theater, Kinos, Kabaretts“ sowie diverser anderer Vergnügungs- und Sportstätten einrichten. Überdies interessierten Gerüchte sowie die „Stimmung in nazistischen und reaktionären Kreisen“ und was die „antifaschistische Bevölkerung über die Maßnahmen der Landesverwaltung“ dachte oder wie sie die „Tätigkeit der führenden Beamten im dortigen Bezirk“ beurteilte.96 Die Passabteilung des Polizeipräsidiums sollte „eine politische Stoßrichtung haben“ und „in enger Verbindung mit der Kriminalabteilung stehen“. Die Polizei betrieb die Beschaffung von Informationen und die gezielte Desinformation der Bevölkerung. Die Dresdner Polizeiangestellten, angewiesen, „keinerlei Auskünfte irgendwelcher Art zu erteilen“, durften besonders die Fragen von Angehörigen nach verschwundenen Familienmitgliedern nicht beantworten: „Alle Anfragen von Seiten der Bevölkerung über Angehörige, die von der Roten Armee verhaftet worden sind, bleiben unbeantwortet.“97

93 Befehl Nr. 2 des Stadtkommandanten, o. D. [Mai 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 9). Vgl. Tagebucheintrag vom 14. 9.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 102. 94 Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz an den Oberbürgermeister vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 166). Vgl. Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II, 17. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 46–49). 95 Rundschreiben 1/1945 der Kommandantur der Ordnungspolizei Dresden vom 14. 6. 1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 52, nicht paginiert). 96 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Registratur für die Zusammenstellung der Wochen-, Monatsevtl. Vierteljahresberichte) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 97 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 11.10.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). Vgl. Naimark, Russen, S. 441. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Lücken in der Einwohnermeldekartei boten den Protagonisten der „antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung“ den Vorwand, auf der Grundlage des zu rekonstruierenden Einwohnermelderegisters eine „NS-Kartei“ der gesamten Bevölkerung zu erstellen. Bereits die „Antifa-Komitees“ hatten sporadisch mit einer „Feststellung der ortsansässigen Parteimitglieder der NSDAP“98 und „Erfassung der Faschisten“99 begonnen. Seit Juni ließen die Polizeidienststellen flächendeckend in die Haushalte Meldebogen austeilen, in denen sie neben Angaben zur Person die Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen abfragten.100 In einem ersten Schritt legten die Bezirksmeldeämter, unterstützt von „Block-, Straßen- und Hausobleuten“, Einwohnerlisten an: „Die Erfassung der Dresdner Einwohner erfolgte anhand von Fragebogen und Hauslisten. Jede über 16 Jahre alte Person ist verpflichtet, einen Fragebogen auszufüllen, so dass für alle über 16 Jahre alte Personen Karteikarten angelegt werden können.“ Das zentrale Einwohnermeldeamt im Polizeipräsidium sammelte die Unterlagen und erfasste die Daten in der „NS-Karteistelle“.101 Bei Rückgabe des Meldebogens erhielt der Betreffende einen neuen Meldeschein. An diesen war die Ausgabe der Lebensmittelkarten gekoppelt, Lebensmittelmarken erhielten die Dresdner nur noch gegen Vorlage eines gültigen Einwohnermeldescheins ausgehändigt.102 Das Verfahren ermöglichte eine fast lückenlose Erfassung der Bevölkerung; in Dresden konnten exemplarisch für die SBZ zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt belastete Personen aus der Bevölkerung herausgefiltert werden. Unter erheblich größerem Aufwand wurde das ein halbes Jahr später in der amerikanischen Besatzungszone mit dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ versucht.103 Um der Meldepflicht Nachdruck zu verleihen, machten die Behörden in den westlichen Besatzungszonen mitunter gleichfalls den Erhalt neuer Lebensmittekarten von der Vorlage der Meldebogenquittung abhängig.104 Die Dresdner Aktion konnte zügig ausgeführt und schon Ende November 1945 abgeschlossen werden.105 Die Dresdner Polizei und die sowjetische Besatzungsmacht verfügten mit der Kartei über ein effekti98 Bericht der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz vom 30. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 10, Bl. 30). 99 Bericht über die Tätigkeit der bisherigen Bezirksbürgermeisterei Trachau-Trachenberge vom 1. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, Bl. 208). 100 Vgl. Tagebucheintrag vom 9. 8.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 69. 101 Anlage 7 zum Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). Vgl. Tagebucheintrag vom 19. 8.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945– 1949, Band 1, S. 77 f. 102 Dienstanweisung Nr. 53 der Abteilung Versorgungswesen vom 21.11.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 85, Bl. 105). 103 Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 16 ff. Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 119. 104 Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, S. 54 f. 105 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes der Stadt Dresden vom 20.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 117 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ves Instrument zur potentiellen Kontrolle der Gesellschaft, ohne ihre Absicht vorerst durchsetzen zu können.106 Anfänglich überwogen Aufgaben mit vorwiegend defensivem Charakter wie dem Sammeln und Systematisieren von Informationen; aber bei dieser Zuträgerfunktion der Dresdner Polizei blieb es nicht. Die sowjetischen Besatzungsbehörden offenbarten bald den mit der Fragebogenaktion verbundenen politischen Ansatz, der sich grundsätzlich von dem des später in der amerikanischen Zone angewendeten Verfahrens unterschied. Sie schalteten die als „Abteilung mit vorwiegend politischem Charakter“107 charakterisierte Polizeidienststelle „NS-Kartei“ noch vor dem Erlass einschlägiger Verordnungen in die Entnazifizierung ein und beauftragten sie mit der Überprüfung der deutschen Bevölkerung: „Sämtliche Fragebogen werden durch besonders zuverlässige Hilfskräfte beim Bezirksmeldeamt auf ordnungs- und wahrheitsgemäße Beantwortung der gestellten Fragen geprüft. Ganz besondere Aufmerksamkeit gilt den ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und deren Gliederungen. Wenn erforderlich, werden Erörterungen angestellt.“108 Der dem Polizeipräsidenten unterstehende Verbindungsoffizier koordinierte dies in sowjetischem Auftrag.109 Er ließ die vom Einwohnermeldeamt erhaltenen Informationen bearbeiten und die Mitglieder der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen, Ende des Jahres 45 000 Personen, erfassen.110 Insgesamt registrierten die Behörden schließlich in Dresden etwa 85 000 Personen als Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen,111 die allesamt davon ausgehen mussten, bei politisch unliebsamem Verhalten aufgrund der in den Fragebögen enthaltenen Angaben als ehemalige „Nationalsozialisten“ verhaftet zu werden. Während also „die Amerikaner am Ende der Sackgasse“ ihrer Fragebogenüberprüfung angekommen, die Entnazifizierung in die Hände der Deutschen legten, wo die Fragebögen die Grundlage des Spruchkammerverfahrens bildeten,112 stützte sich im sowjetischen Machtbereich die politische Geheimpolizei bei der Unterdrückung von widerständigem Verhalten auf die persönlichen Daten. Das Dresdner Einwohnermeldeamt überprüfte die Angaben und zog ähnlich wie in Berlin die erreichbaren Unterlagen nationalsozialistischer Dienststellen heran.113 Ein „Erörterungsdienst“ korrelierte die Angaben der Meldebogen mit anderen Informationen, um Unstimmigkeiten herauszufinden. Er konnte „we106 Bessel, Grenzen des Polizeistaates, S. 234. 107 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 40 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 108 Anlage 7 zum Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 vom 18.11.1945 (ebd., nicht paginiert). 109 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 14 (ebd., nicht paginiert); Schmeitzner, Formierung, S. 214. 110 Monatsbericht der Dresdner Polizei 1.–31.12.1945 vom 15.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 62, Bl. 12). 111 Jahresbericht der Dresdner Polizei für 1946, o. D. [Ende 1946] (SächsHStAD, LBdVP 1, Bl. 13). 112 Henke, Trennung von Nationalsozialismus, S. 36 ff. 113 Vgl. Kubina, Sicherheitsapparate, S. 346. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sentlich zur Aufklärung verschwiegener oder unwahrer Angaben“ beitragen und feststellen, „dass eine große Anzahl der Registrierten falsche Angaben gemacht haben, hier erfolgt Bestrafung. Bisher konnten RM 15 000,- an vereinnahmten Strafen verbucht werden.“114 Einfache Falschangaben wie die verschwiegene Zugehörigkeit zur SA hatten in der Regel ein Bußgeld von 75 Reichsmark zur Folge.115 Das geschah auch, wenn der Betroffene sich selbst anzeigte wie im Fall eines ehemaligen SA-Angehörigen. Er war einer Vorladung gefolgt, weil Verdachtsmomente gegen ihn vorlagen, und beteuerte erneut die Angaben seines Fragebogens, dass er „niemals der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört“ hatte. Er habe sich, ohne Mitglied zu sein, lediglich an Wehrsportübungen der SA beteiligt. Am selben Tag noch erschien er freiwillig erneut auf der Dienststelle und gab an, in den fraglichen Jahren 1933 und 1934 doch der SA angehört zu haben, bestritt allerdings weiterhin, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, obwohl die Polizei ihm seine Mitgliedskarte vorlegte.116 Verschwiegene Umstände oder bewusste Angabe falscher Tatsachen ahndete die Polizei aber nicht immer nur als Ordnungswidrigkeit und belegte sie mit einer Geldbuße, sie konnten auch eine Verhaftung nach sich ziehen. Erschienen die Angaben des Beschuldigten hingegen glaubhaft, sah die Polizei von einer weiteren Strafverfolgung ab. Das änderte sich, sobald Zeugenaussagen vorlagen. Das Einwohnermeldeamt konnte bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige „wegen falscher Angaben“ erstatten, auch ohne Unterlagen beizubringen, wenn sich der Verdacht lediglich auf so zweifelhafte Aussagen von Nachbarn gründete wie in diesem Beispiel: „Er ist ein Denunziant übelster Sorte. Im Gespräch hat er einmal geäußert, dass er mit der Gestapo zusammen arbeite. Sein Benehmen war stark nazistisch.“117 Mit der Einrichtung der „NS-Kartei“ zeichnete sich das bei dem Aufbau der deutschen Polizei von den Militärbehörden anvisierte Ziel deutlich ab. Sie benötigten die Vorleistungen der deutschen Polizei, weil diese allein die erforderliche Informationsbasis aufbauen konnte. Sowjetische Militärorgane beabsichtigten mit dem Einbeziehen der deutschen Polizei in die Überwachung der Deutschen noch vor der Schaffung juristischer Grundlagen, in ihrem Besatzungsgebiet geheimpolizeiliche Strukturen nach sowjetischem Vorbild einzurichten.118 Zuerst erfolgte die Herauslösung der Einwohnermeldeämter aus der Zuständigkeit der zivilen Verwaltungsbehörden, anschließend die komplette Erfassung der Bevölkerung bei der Polizei unter einheitlichen Kriterien. Die erstellte Kartei bildete die Arbeitsgrundlage der völlig neu entstandenen politischen Polizeiabteilung „Erörterungsdienst“. Die Verantwortlichkeit dafür lag 114 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 40 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 115 Fragebogen mit Anlage vom 18. 8.1945 (BArch, ZwArch Dahlwitz-Hoppegarten ZA VI 4283, Bl. 213 ff.). 116 Fragebogen mit Anlage vom 3. 7.1946 (BArch, ZwArch Dahlwitz-Hoppegarten ZA VI 4282, Bl. 40–44). 117 Fragebogen mit Anlage vom 10. 9.1945 (BArch, ZwArch Dahlwitz-Hoppegarten ZA VI 4283, Bl. 85–89). 118 Vgl. Naimark, Russen, S. 423. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vorerst in sowjetischen Händen, doch sie konnte bei Bedarf in die der kommunistischen Parteiführung übergehen.119 Entscheidend erwies sich der Einbezug deutscher Schlüsselpersonen in den Aufbau polizeilicher Strukturen. Auch wenn es im Bericht an den sowjetischen Stadtkommandanten vorerst zurückhaltend hieß, dass die beim Dresdner Polizeipräsidium angesiedelte Kriminalpolizei im Juli 1945 nicht berechtigt gewesen sei, weder „Vernehmungen noch irgendwelche Bestrafungen durchzuführen“,120 gingen ihre Befugnisse wesentlich weiter. Die Tätigkeit des oben beschriebenen „Erörterungsdienstes“ war ohne Vernehmungen nicht denkbar und die Kriminalpolizei ermittelte längst gegen die Dresdner Justiz.121 Eine mit der Aufklärung von „Verbrechen und Vergehen politischen Ursprungs“ beauftragte „Sonderstelle“ der Kriminalpolizei existierte ebenfalls bereits im Juli 1945.122 Sowjetische Ermittler und Geheimpolizisten handelten ohne Einschränkungen und bedienten sich des deutschen Polizeiapparates, der seinerseits in eigener Initiative innerhalb des Rahmens der politischen Säuberung selbständig Maßnahmen durchführte, die wiederum die sowjetische Seite zuließ. Daraus entstand eine zunehmend intensivere Kooperation. Die deutsche Polizei erhielt ständig weitere Aufgaben zugewiesen und resümierte zufrieden: „Unsere Arbeit mit den Dienststellen der Roten Armee hat in der letzten Zeit bedeutend an Umfang zugenommen – und unsere Bestrebung ist, weiterhin auf der gleichen Basis mit den Dienststellen der Roten Armee zusammenzuarbeiten.“123 Die politische Verantwortung für die Verfolgung lag hingegen bei den sowjetischen Organen: „Alle politischen Angelegenheiten im Kampfe gegen den Nazismus und Militarismus sind Aufgaben der Militärbehörden.“124 Der Unterschied dieser politischen Polizei zu vergleichbaren Einrichtungen in den Westzonen bestand in ihrer Unterstellung unter die SMAD und in ihren grundsätzlich erweiterten Kompetenzen. Die Ermittlungsorgane der Spruchkammern besaßen keinerlei polizeiliche Befugnisse und durften keine Hausdurchsuchungen oder Festnahmen durchführen.125 In Dresden beauftragte die Besatzungsmacht die deutsche Polizei frühzeitig mit der Verhaftung von Personen. Offiziell nahm die Dresdner Polizei das teilweise zerstörte Gefängnis in der

119 Jahresbericht über die Arbeit der Kriminalpolizei 1946 vom 17.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 114, Bl. 4). 120 Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 121 Protokoll vom 25. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 148, Bl. 40 f.). 122 Vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Sonderstelle der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 123 Ebd. 124 Polizeipräsident Opitz an Stadtkommandant Dobrowolsky vom 26. 7.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 125 Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, S. 88 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Schießgasse am 11. Juni 1945, dem Tag der Zulassung der Polizei, in Betrieb.126 Nachweislich verhaftete sie schon vor diesem Stichtag im Auftrag sowjetischer Dienststellen speziell bezeichnete Deutsche, teilweise anhand von Listen, bald aber handelte sie auch aus eigener Initiative.127 Über die in Dresden während der Sommermonate 1945 existierenden Hafteinrichtungen und die darin festgehaltenen Personen ist wenig bekannt.128 In einigen der früheren Lager für ausländische Gefangene wie dem großen Lager an der Bodenbacher Straße internierte die Rote Armee deutsche Kriegsgefangene.129 Neben dem alten Polizeigefängnis in der Schießgasse und dem erst später vom Oberlandesgericht mit Untersuchungshäftlingen belegten früheren Militärgefängnis in der Fabricestraße nutzte die Rote Armee verschiedene kleinere Haftorte. Ihre beiden zentralen Gefängnisse waren der Kreuzbau am Landgericht Münchner Platz und die Gebäude im Kommandantur-Komplex an der Bautzner Straße. Von beiden Einrichtungen, die gleichermaßen als Verhör- und Untersuchungshaftorte dienten, nahmen Tausende auch von außerhalb stammende Personen aller Altersgruppen ihren Weg in die Speziallager.130 Zwischen Juni 1945 und Juni 1946 bearbeitete die zuständige deutsche Dienststelle mehr als 3 000 Vorgänge, zuzüglich einer weiteren Anzahl für die Militärverwaltung zu erledigender Aufträge.131 Allein das Dresdner Polizeigefängnis registrierte 543 Verhaftete mit politischem Hintergrund,132 ein anderer Bericht informiert über 400 politische Häftlinge von Juni bis Oktober 1945.133 Diese Zahlen markieren nur eine untere Grenze. Die weitaus meisten Gefangenen verschwanden hinter der Mauer eines Gefängnisses ohne eine greifbare Spur in den Akten zu hinterlassen. Darum ist vergleichsweise wenig über die Gründe einer Verhaftung bekannt und auch der Unterschied zwischen Haft und Internierung oft nicht zu erkennen.

126 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Polizei – Gefängnis) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 127 Bericht des Kommandanten der Ordnungspolizei an die Stadtkommandantur vom 4. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 71); Schreiben des Polizeipräsidenten vom 15. 8.1945 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 369, nicht paginiert). 128 Müller, Münchner Platz, S. 174 f. Vgl. Naimark, Russen, S. 450. 129 Schreiben des Hochbauamtes an die Bezirksbauverwaltung VII, 28. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Aufbau 72, Bl. 83). 130 Vgl. Herkt, Münchner Platz. 131 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 90 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 132 Ebd., S. 54. 133 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Polizei – Gefängnis) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Vgl. Polizeipräsident Opitz an den Rat der Stadt Dresden vom 27.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 259). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anfang Juli befanden sich im Dresdner Polizeigefängnis 22 unbedeutende Funktionsträger der NSDAP wie Ortsgruppen-, Propaganda- und Kassenleiter und als Aktivisten bezeichnete NSDAP-Zellenleiter. Auffällig ist an diesen Personen, die mit einer Ausnahme aus einem Stadtteil stammten, dass bei fast allen der Zusatz „Aktivist“ nicht fehlte.134 Schubweise verhafteten deutsche Polizisten im Auftrag des NKWD einfache NSDAP-Mitglieder, Blockleiter und andere Funktionäre der Partei, der SA und der SS. Allein an zwei Tagen im August nahmen die Polizisten des 20. Reviers vierundzwanzig Männer und eine Frau fest. Bis auf zwei Personen hatten sie alle der NSDAP angehört, einige zudem der SA oder der SS. Einer der fünfundzwanzig war ein Kreisredner und ein anderer ein Politischer Leiter der Partei, zwei waren Ortsgruppenleiter, drei Blockleiter und die übrigen einfache Mitglieder gewesen.135 Mit Ausnahme eines SS-Hauptsturmführers handelte es sich bei diesen Inhaftierten um gering belastete Personen, denen möglicherweise Denunzianten eine aktivistische Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus nachsagten. Wenig später belief sich der Häftlingsbestand der Dresdner Polizei auf 130 Personen, 50 Männern und einer Frau wurden politische Delikte angelastet.136 Personen in höheren NS-Funktionen finden in den Quellen wenig Erwähnung, das sagt aber über die Verfolgungsabsichten wenig aus, hatten doch Angehörige dieses Personenkreises Dresden mehrheitlich verlassen und übriggeblieben waren die „kleinen Fische“.137 Die sowjetischen Sicherheitsorgane verhafteten alle, von denen sie annahmen, sie seien Nationalsozialisten;138 doch oft kannten sie sich nicht aus in der Struktur der Apparate, gegen die sie vorgehen mussten, und verfügten über unzureichende Informationen. Außerdem sagen Belegungszahlen nichts aus über die Frequentierung der Haftanstalten, und es bleibt unklar, in welchem Umfang die deutsche Polizei Gefangene an die sowjetischen Organe weitergab. Eine exakte Bestimmung im Verhältnis krimineller und politischer Häftlinge ist unmöglich. Eine klar umrissene Definition politischer Vergehen existierte nicht, darunter fielen Verstöße gegen die aktuellen Bewirtschaftungsbestimmungen ebenso wie eine Unterstützung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Der überwiegende Teil aller Gefangenen der Dresdner Polizei waren Männer, auch unter den politischen Häftlingen stellten Frauen und Jugendliche die Minderheit. In den Weihnachtstagen des Jahres 1945 befanden sich im Dresdner Polizeigefängnis 141 Häftlinge, 94 Männer und 29 134 Sammelbericht des Polizeipräsidiums vom 4. 7.1945 (SächsHStAD, LBdVP 369, nicht paginiert). 135 Ordnungspolizei Dresden, Liste der im Auftrag des NKWD vorläufig festgenommenen Personen vom 24. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/IX/2, nicht paginiert). 136 Fragebogen Nr. 2: Polizeigefängnisse und Inhaftierte vom 29. 8.1945 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 137 Ermittlungsbericht der Zentralstelle H vom 30. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 144, Bl. 58). Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 27. 138 Vgl. Stößel, Positionen und Strömungen, S. 106. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Frauen sowie 18 Jugendliche bis zum Alter von einundzwanzig Jahren. 64 von ihnen, also knapp der Hälfte, wurden politische Vergehen zur Last gelegt.139 Wegen der generellen Geheimhaltung erfuhren die Angehörigen der Inhaftierten oft monatelang nichts über deren Verbleib.140 Die Geheimhaltungspraxis sollte das Ausmaß der engen Zusammenarbeit deutscher und des sowjetischer Sicherheitsorgane und die Haltlosigkeit vieler Anschuldigungen verbergen. Deutsche Polizisten verhafteten zahllose Personen häufig allein aufgrund ihrer registrierten Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer anderen Organisation.141 Generalisierend als politische Vergehen bezeichnet, konnten sich die Anklagen auf die zurückliegende nationalsozialistische Vergangenheit von Personen wie auf ihr gegenwärtiges Verhalten beziehen. Mithin fielen unter den Begriff „Entnazifizierung“ tatsächliche und vermeintliche Nationalsozialisten oder Kriminelle sowie Personen, die sich nicht den von der sowjetischen Besatzungsmacht diktierten Normen des „Neuaufbaus“ fügten, und völlig schuldlose Menschen. Eine zunehmende Politisierung des Alltags erzeugte neue Formen von Devianz und bislang unverdächtige Verhaltensweisen unterlagen einer sukzessiven Kriminalisierung.142 Personen, die in eine Beziehung zu prominenten Nationalsozialisten gebracht wurden, waren ebenso gefährdet143 wie Anhänger bürgerlicher Parteien, Kommunisten und Sozialdemokraten.144 Die Verhaftung Jugendlicher erfolgte vorzugsweise unter dem Verdacht der Werwolftätigkeit.145 Eine Verhaftung konnte aus unterschiedlichstem Anlass erfolgen. Im Dresdner Polizeigefängnis saßen SS-Leute neben „Wirtschaftssaboteuren“, Kriminelle neben Personen, die sich als politische Häftlinge ausgegeben und auf diese Weise Vorteile verschafft hatten. Einer von ihnen hatte sich in Dresden zweimal polizeilich gemeldet und daraufhin doppelte Lebensmittelrationen erhalten. Im Juli nahm die Dresdner Polizei einen Wehrmachtsarzt fest, der im Fragebogen die Zugehörigkeit zur NSDAP und zur SA verschwiegen hatte. Sie warf ihm vor, die Folterung politischer Gefangener durch die SA medizinisch überwacht und später einen militärischen Vorgesetzten bei der Gestapo denunziert zu haben. Dem Direktor des Dresdner Schlachthofs wurden Unterschlagungen und Kompensationsgeschäfte zur Last gelegt. Zwei führende Mitarbeiter der Dresdner 139 Polizeigefängnis Dresden vom 26.12.1945 (SächsHStAD, LBdVP 369, nicht paginiert). 140 Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Rochwitz-Loschwitz an den sowjetischen Stadtkommandanten vom 19. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 652, Bl. 167 f.). Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 50 f.; Müller, Münchner Platz, S. 177. 141 Vgl. Ordnungspolizei Dresden, Liste der im Auftrag des NKWD vorläufig festgenommenen Personen vom 24. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G / IX /2, nicht paginiert); Bericht zur Überprüfung des Polizeigefängnisses vom 5.1.1946 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 369, nicht paginiert). 142 Müller, Münchner Platz, S. 179 ff. Vgl. Reinke, Anfänge der Volkspolizei, S. 62 f. 143 Kriminalpolizei Dresden, Bericht über die bisherigen Ermittlungen zum Aufenthalt des früheren Oberbürgermeisters Dr. Kluge vom 1. 2.1946 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 398, nicht paginiert). 144 Vgl. Naimark, Russen, S. 450. 145 Referentenschulung Melanchthonstraße vom 2. 6.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, Bl. 17e). Vgl. Ochs, Werwölfe; Prieß; Schicksale. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Transport-Leitstelle befanden sich in Untersuchungshaft wegen Verdunklungsgefahr. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen sie wegen persönlicher Bereicherung, der Unterschlagung von Steuergeldern, Sabotage und Ausnutzung der Amtsstellung. SA-Mitglieder waren wegen der Misshandlung politischer Gegner inhaftiert. Einen anderen Dresdner verhaftete die Polizei, weil sie bei ihm Pistolen und Munition fand; seine Akte übergab sie den Besatzungsbehörden, die sich aber für den Mann vorerst nicht interessierten. Den Fall eines fünfzigjährigen SS-Obersturmführers hatte die Polizei bereits zweimal den Besatzungsbehörden vorgelegt, wobei diese jedes Mal eine Bearbeitung ablehnten. Einen früheren Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald, inzwischen in einer höheren Verwaltungsposition tätig, beschuldigten andere Buchenwaldhäftlinge, nach der Befreiung für die Amerikaner gearbeitet zu haben und seine jetzige Stellung ausnutzen zu wollen, „die Verwaltung zu sabotieren bzw. der amerikanisch-englischen Besatzungsbehörde Spitzeldienst zu leisten“. Obwohl für die Anschuldigungen keine Beweise vorlagen, überstellte die Polizei den wahrscheinlich einer Intrige zum Opfer gefallenen Mann der Besatzungsmacht. Ein bis 1933 in der KPD-Unterbezirksleitung Dresden tätiger Schlosser wurde verhaftet wegen seiner von der Gestapo erpressten Aussagen. In Haft befanden sich weiterhin ein Fleischermeister, der Konserven vergraben, und ein Betriebsleiter, der Gelder veruntreut hatte, der Dresdner Reichsbahnpräsident, dem eine Mitverantwortung an den Brückensprengungen zur Last gelegt wurde, und zwei Aufseherinnen des Dresdner Außenlagers des Konzentrationslagers Ravensbrück. Die Liste ließe sich fortsetzen über den Gestapospitzel bis zum SSBrigadeführer, den NSDAP-Ortsgruppenleiter, der Gefangene misshandelt hatte, bis zu dem für den Tod unschuldiger Menschen verantwortlichen Denunzianten. Sie alle galten ohne Unterschied als „politische Häftlinge“.146 Die politische Säuberung und die Verfolgung mutmaßlicher Beteiligter an nationalsozialistischen Verbrechen verliefen unkoordiniert und unsystematisch. Am 16. Juli 1945 veranlasste der sowjetische Stadtkommandant in Heidenau bei der dortigen Polizei die Verhaftung des zwei Tage zuvor entlassenen Leiters der Kriminalpolizei in Pirna. Der 1904 geborene hatte 1924 seine Laufbahn als Polizeianwärter in der Polizeischule in Meißen begonnen und lange Jahre der Dresdner Bereitschaftspolizei angehört. 1935 war er zur Kriminalpolizei gekommen und von seiner Dienststelle 1939 zur Geheimen Staatspolizei abkommandiert worden. Eigenen Angaben zufolge hatte er sich um seine Rückversetzung bemüht, was ihm im folgenden Jahr gelang. Anschließend wurde er Leiter der Kriminaldienststelle Heidenau und Ende 1944, nach dem Tod des bisherigen Amtsinhabers, Leiter der Pirnaer Kriminalpolizei. Bei Kriegsende war er in Pirna geblieben. Von der neuen Verwaltung aufgefordert, seinen Dienst wieder aufzunehmen, wurde er dann am 14. Juli entlassen. Bei seiner Entlassung sei 146 Kriminalpolizei Dresden Sonderstelle, Berichte über die inhaftierten politischen Häftlinge vom 24.11.1945 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 357, Bl. 10–16). Vgl. hierzu auch den Bericht eines im Sommer 1945 in Thüringen verhafteten und im Anschluss daran in Buchenwald internierten Sozialdemokraten in Overesch, Buchenwald, S. 211 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ihm allerdings versichert worden, dass politisch gegen ihn nichts vorläge und er seinerzeit zwangsweise „bei der Gestapo Dienst verrichten musste und alles versucht habe, um wieder zur Kripo zurückzukommen“. Er wurde noch am Tage seiner Verhaftung an das Dresdner Polizeipräsidium überstellt. Hier führte die „Sonderstelle“ die Ermittlungen und ließ ihn nach vier Wochen wieder frei, weil ihm eine Beteiligung an Straftaten nicht zur Last gelegt werden konnte und er bei Kollegen wie bei der Pirnaer KPD einen guten Leumund hatte. Dessen ungeachtet verhaftete ihn die sowjetische Militärverwaltung erneut und nahm selbst die Ermittlung auf.147 Über seinen weiteren Weg ist nichts bekannt, doch es ist aufgrund der Vergleichbarkeit seines Falles mit dem des ersten Kommandeurs der Berliner Schutzpolizei anzunehmen, dass den Leiter der Pirnaer Kriminalpolizei nach seiner erneuten Verhaftung ein ähnliches Schicksal erwartete: Jener, obwohl Mitglied der SPD, war im Sommer 1945 nach einer nur wenige Wochen währenden Amtszeit an der Spitze der Berliner Schutzpolizei von sowjetischen Sicherheitskräften verhaftet worden und im Herbst desselben Jahres in einem Internierungslager verstorben.148 Der Pirnaer Kriminalsekretär konnte nach den geltenden formalen Kriterien zwar nicht im Dienst verbleiben, doch die „Sonderstelle“ der deutschen Polizei hielt ihn für unbelastet, da „bei der Kripo sowie der Partei“ gegen ihn nichts vorlag, „was eine weitere Inhaftierung“ gerechtfertigt hätte.149 Seine Entlassung geschah im Sinne der Entnazifizierung, die weitere Internierung hingegen war ein Akt der Willkür und nicht zu begründen. Anders lagen die Dinge bei einer ehemaligen Aufseherin des Zwangsarbeitslagers des Dresdner Zeiss-Ikon-Werkes, ihre Internierung schützte sie lange Zeit vor einer Strafverfolgung durch die deutsche Polizei. Die Rote Armee verhaftete die alleinstehende Frau und Mutter zweier Kinder unmittelbar nach Kriegsende; unter allerdings auch den Zeitgenossen unklaren Umständen beschäftigte sie der sowjetische Kommandeur des Dresdner Stadtteils Blasewitz als seine „Hausangestellte“. Die dortige Bezirksverwaltung entsandte, als ihr die Identität der Frau bekannt wurde, zu ihrer Festnahme ein Polizeikommando, welches allerdings unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, da die Blasewitzer Kommandantur die Zuständigkeit der deutschen Polizei anzweifelte.150 Falls man überhaupt von Haft sprechen kann, wurde die Frau wohl vergleichsweise komfortabel festgehalten, alles deutete eher auf eine Art „Schutzhaft“ hin. Sie blieb unbehelligt, die frühere Oberaufseherin des Arbeitslagers hingegen

147 Ermittlungsakte, abgeschlossen am 19.11.1948 (BArch, ZwArch Dahlwitz-Hoppegarten ZA 789/54, nicht paginiert). 148 Vgl. Steinborn/Krüger, Berliner Polizei, S. 51 ff. 149 Polizeipräsidium Dresden, Abschlußbericht der Kriminalpolizei Abteilung H vom 20. 8. 1945, in: Ermittlungsakte, abgeschlossen am 19.11.1948 (BArch, ZwArch DahlwitzHoppegarten ZA 789/54, nicht paginiert). 150 Schreiben der 2. Wache Dresden-Striesen an den Bezirksbürgermeister Striesen-Blasewitz vom 5. 6.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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verhaftete die deutsche Polizei im Herbst.151 Obwohl bei der „Hausangestellten“ mit Zugehörigkeit zum SS-Lagerpersonal ein schwerwiegendes Belastungskriterium vorlag, verfolgte die sowjetische Behörde sie nicht und entließ sie Ende 1945. Auch das Einwohnermeldeamt der Dresdner Polizei, bei dem sich die Frau wegen der Lebensmittelkarten und dem Wohnungsmeldeschein anmelden musste, registrierte sie vorerst lediglich. Ermittlungen kamen nur schleppend in Gang und fast ein halbes Jahr dauerte es, bis sie eine Vorladung der Polizei erhielt.152 Die politische Säuberung nutzten kommunistische Funktionäre in Schlüsselpositionen, um alte und neue „offene Rechnungen“ zu begleichen. In das Dresdner Polizeigefängnis in der Schießgasse war auf Veranlassung des Polizeipräsidenten ein ehemaliger Konzentrationslagerhäftling eingeliefert worden, Ende November 1945 befand sich der vierzigjährige Kommunist seit mehr als einem Viertel Jahr in Haft. Opitz hatte ihn, einen früheren Mitgefangenen in Sachsenhausen, bei den sowjetischen Besatzungsbehörden angezeigt. Der Mann habe, laut Opitz, im Auftrag der SS ausländische Mithäftlinge misshandelt. Nach der Befreiung war er infolge seiner Biographie als Kommunist und KZ-Häftling in einer kleinen sächsischen Gemeinde Bürgermeister geworden. Opitz erhielt von einem regionalen „Antifa-Ausschuss“ einen Hinweis, wurde sofort aktiv und ließ den Mann verhaften. Dies teilte er den sowjetischen Dienststellen mit und ersuchte sie, „darüber zu entscheiden, ob dieser Häftling von den Militärbehörden oder von uns selbst zur Abstrafung übernommen wird“.153 Der sowjetische Sicherheitsapparat zeigte kein Interesse an einer Verfolgung und die Akte wurde ebenfalls der Dresdner Staatsanwaltschaft übergeben.154 Auch Walter Weidauer denunzierte ihm unliebsame Personen bei den Sicherheitskräften.155 Im Fall eines Dozenten der Technischen Hochschule Dresden wandte er sich direkt an den Chef der sächsischen Innenverwaltung, Kurt Fischer. Der Mann habe sich, schrieb Weidauer, „aktiv daran beteiligt, als in den letzten Tagen einige russische Soldaten in Unkenntnis der Sache mich und meine Frau auf das gründlichste beleidigten, bedrohten und meinen Wagen beschlagnahmten“. Er beschuldigte den Dozenten und dessen Frau, „die russischen Soldaten auch aufgehetzt [zu] haben, meine Frau persönlich zu attackieren“. Er erwartete von Fischer als Dienstherrn, den betreffenden, „der ein 1933er Parteimitglied der NSDAP ist und sich besonders frech aufführt, sofort

151 Kriminalpolizei Dresden Sonderstelle, Berichte über die inhaftierten politischen Häftlinge vom 24.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 357, Bl. 10–16). 152 Bericht des Einwohnermeldeamtes im Polizeipräsidium Dresden vom 29. 5.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). 153 Schreiben des Polizeipräsidenten vom 15. 8.1945 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 369, nicht paginiert). 154 Kriminalpolizei Dresden Sonderstelle, Berichte über die inhaftierten politischen Häftlinge vom 24.11.1945 (SächsHStAD Dresden, LBdVP 357, Bl. 10–16). 155 Vgl. Weidauer an Polizeipräsident Opitz vom 6. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 94). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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fristlos zu entlassen“.156 Weidauer war das Opfer marodierender Rotarmisten geworden. Dieser Übergriff der sowjetischen „Freunde“ muss ihn schwer getroffen haben und er konnte den Vorfall wegen der schadenfrohen Passanten um so weniger verwinden. Inwiefern hier ein Nachbarschaftsstreit hineinspielte, bleibt nur zu vermuten. Mit großer Wahrscheinlichkeit verlor der Denunzierte nicht allein seinen Beruf, sondern auch seine Freiheit. In einem anderen Fall brachte Weidauer einen freiberuflichen Buchhalter hinter Gitter, der Betriebsinhaber vertrat, denen eine Sequestrierung drohte.157 Oft veranlassten Denunziationen aus zweifelhaften Motiven, dass Menschen in den Lagern der sowjetischen Militärbehörden ohne Lebenszeichen auf Jahre oder auf immer verschwanden.158 Die deutsche Polizei nahm nicht nur Verhaftungen vor. Sie führte gemeinsam mit Rotarmisten unter sowjetischem Kommando Razzien durch, um ehemalige „Mitglieder der faschistischen Partei, die sich der Registrierung entzogen haben, Spione und Saboteure, Militärpersonen, die sich unberechtigterweise in der Garnison Dresden aufhalten“ und andere „ausfindig zu machen“. Bei Durchsuchungen überprüften die Sicherheitskräfte nicht nur die Besucher von Gaststätten und Kinos, sie drangen auch in Privatwohnungen ein und kontrollierten die Registriervermerke in den Personalpapieren der Bewohner. Die in Gesellschaft von Besatzungssoldaten angetroffenen Frauen inhaftierten sie und lieferten sie in das Polizeigefängnis Schießgasse ein.159 Zahlreiche der im Polizeigefängnis Inhaftierten ließen sich die Besatzungsbehörden ausliefern, obwohl deutsche Untersuchungsorgane gegen sie ermittelten. Einen ehemaligen Mitarbeiter der Gestapo, in dessen Wohnung die Polizei bei der Suche nach Hamsterware Teile von Wehrmachtsfunkgeräten fand, übernahmen nach seiner Verhaftung die sowjetischen Sicherheitsorgane. Ein weiterer Gestapobeamter konnte nicht an die Bautzener Polizei überstellt werden, bei der belastendes Material gegen ihn vorlag, weil schon vor Wochen die Besatzungsmacht Anspruch auf ihn erhoben hatte.160 Generell endete die Verfügungsgewalt der deutschen Polizei, sobald ein Angehöriger der Besatzungsmacht dagegen auftrat. Das Wachpersonal des Gefängnisses hatte auch nicht die Möglichkeit, sich Auslieferungsforderungen sowjetischer Soldaten zu widersetzen, die offensichtlich nicht Sicherheitsaspekten dienten. Es geschehe häufig, lautete eine Beschwerde, „dass in das Polizeigefängnis Angehörige der Roten

156 Weidauer an Kurt Fischer vom 21. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 322, Bl. 3). 157 Weidauer an das 11. Polizeirevier vom 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 653, Bl. 20). 158 Vgl. Thonfeld, Anzeige und Denunziation. 159 Verbindungsoffizier im VII. Verwaltungsbezirk an den Kommandanten des VII. Rayons, Bericht über die Großaktion am 27./28.12.1945 vom 29.12.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/IX/2, nicht paginiert). 160 Kriminalpolizei Dresden Sonderstelle, Berichte über die inhaftierten politischen Häftlinge vom 24.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 357, Bl. 10–16). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Armee kommen und die Herausgabe irgendeines Mädchens oder einer Frau verlangen, mit der sie einmal in näherer Verbindung gestanden haben“.161 Dienstliche Verfehlungen, moralisch und auch politisch unkorrektes Verhalten beschränkte sich keineswegs auf die sowjetische Seite. Die Unterschlagung dreier Kisten illegalen Alkohols durch seinen Adjutanten gemeinsam mit einem Offizier des sowjetischen Geheimdienstes konnte der Kommandeur der Dresdner Ordnungspolizei noch vertuschen.162 Doch das Aufsehen, das ein betrunkener Ordnungspolizist in einem Lokal mit abfälligen Äußerungen gegenüber der Obrigkeit erregte, endete mit einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Denn als die alarmierte Polizei anrückte, um ihren Kollegen zu verhaften, solidarisierten sich die anwesenden Gäste mit dem Delinquenten und es kam zwischen ihnen und der Staatsgewalt zu einer Massenschlägerei.163 Andere Vergehen wie Schwarzmarktdelikte ahndete der Disziplinar-Ausschuss.164

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Der Zuwachs an Aufgaben erforderte die Untergliederung der bestehenden Polizeiabteilungen. Die Ausdifferenzierung geschah nicht infolge einer zugrundeliegenden Systematik, der Apparat reagierte auf Erfordernisse des Alltags und der Politik. Aus den Meldestellen der Polizei entstand die „NS-Kartei“ und der „Erörterungsdienst“, die Kriminalpolizei richtete in Reaktion auf ihre bisherige Ermittlungspraxis und die gestiegenen sowjetischen Anforderungen im Sommer 1945 die Dienststelle für die politische Verfolgung ein.165 Diese bereits erwähnte „Sonderstelle der Kriminalpolizei“ oder „Kriminalpolizei N“ sollte gegen „faschistische, militaristische und reaktionäre Verbrecher“ ermitteln und „Verbrechen und Vergehen politischen Ursprungs“ aufklären. Bald existierten in den Kriminaldienststellen der Stadtbezirke ebenfalls „Sonderstellen“. Die „Kriminalpolizei N“ erhob mit zuerst 20, später 30 Polizisten, den Anspruch einer umfassenden „Kontrolle aller faschistischen und militaristischen Elemente in Dresden“. Was auf die Realität bezogen maßlos übertrieben wirkt, beschrieb das angestrebte Ziel, den tendenziell expandierenden Überwachungsapparat. Der 161 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 12.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 162 Bericht von Oberleutnant Maseberg vom 16.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 58, Bl. 17); Schreiben des Kommandeurs der Ordnungspolizei, 17.10.1945 (ebd., Bl. 16). 163 Tätigkeitsbericht der Ordnungs- und Kriminalpolizei vom 5. 7.1946, Polizeipräsidium Dresden Rapportstelle vom 6. 7.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 67, Bl. 164 f.). 164 Schreiben der Kommandantur der Ordnungspolizei an den Rat der Stadt vom 23.11. 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 59, Bl. 8). 165 Die in den westlichen Besatzungszonen mitunter gleichfalls eingerichteten Kriminalsonderdienste zur Ermittlung gegen nationalsozialistische Verbrechen blieben Bestandteil der Kriminalpolizei, vgl. Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, S. 183. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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umfassende Anspruch bewirkte eine Ausweitung der Kompetenzen: „In jedem Polizeirevier wurden Kriminalposten eingesetzt, die politische Erörterungen durchzuführen haben und auch rein kriminalistische Fälle bearbeiten.“166 Mit der Bildung einer eigenständigen Unterabteilung „zur ständigen Überwachung und Überprüfung“ aller Dresdner Vereine begann die Polizei, ihre Kontrollkompetenz auf sämtliche gesellschaftliche Aktivitäten auszuweiten.167 Die unspezifische Arbeitsweise verringerte die Effektivität der Verfolgung ehemaliger Nationalsozialisten, forcierte aber die Expansion der politischen Aufgaben und die Durchdringung des gesamten Polizeiapparates damit. Weil das Personal der Kriminalpolizei sie nicht allein bewältigen konnte, wurde die gesamte Ordnungspolizei potentiell mit einbezogen. Bei der Suche nach ehemaligen Nationalsozialisten nahmen die „Sonderstellen“ zudem die Hilfe der VVN in Anspruch, die sonst für die KPD nachrichtendienstliche Aktivitäten entfaltete.168 Die Polizisten in den Stadtteilen besuchten die Versammlungen der Parteien des Zuständigkeitsbereichs ihrer Reviere, sie protokollierten Anwesenheit, Stimmung, zentrale Aussagen der Referenten und den Verlauf der Diskussion. Die Berichte über die Versammlungen von LDP und CDU sollten der zentralen kommunistischen Parteibürokratie ein Bild über die Situation im Lande und im Vorfeld der Gründung der Einheitspartei über die Stimmung an der Basis der SPD vermitteln.169 Diese Berichte der Vereins- und Versammlungsüberwachung der Ordnungspolizei enthielten nicht nur Angaben über die Anzahl der Versammlungsbesucher und der Diskussionsredner; Auftrag der Polizei war es, besonders die kritischen Stimmen festzuhalten und dabei möglichst den Namen dessen zu vermerken, der sich kritisch geäußert hatte.170 Auch mitunter vorgetragene abfällige Bemerkungen bezüglich kommunistischer Spitzenpolitiker registrierte sie.171 Die im Polizeipräsidium eingehenden Informationen bildeten die Grundlage der Berichterstattung an die KPD-Führung und an die sowjetische Besatzungsverwaltung.172 Da die wenigen Offiziere der Propaganda-Abteilung mit der Aufgabe, sämtliche Versammlungen im gesamten Stadtgebiet zu besuchen, überfor-

166 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Sonderstelle der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Vgl. zum Verständnis der politischen Motive die Rede von Wilhelm Koenen am 7. 4.1946: „Mit gesammelter Kraft tritt die Arbeiterklasse auf den Plan!“ 167 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 15.10.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 168 Bericht der Sonderstelle der Kriminalpolizei Dresden vom 11.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 55 V 278/2/29, nicht paginiert). Vgl. Kubina, Sicherheitsapparate, S. 354. 169 Vgl. Auszüge aus den Versammlungsberichten, o. D. [Ende Januar 1946] (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 170 Versammlungsbericht über eine Versammlung der CDU im Ernemannwerk vom 24. 2. 1946 (ebd., nicht paginiert). 171 Versammlungsbericht 1946 (ebd., nicht paginiert). 172 Polzeipräsident Opitz an Ulbricht vom 21. 2.1946 (BStU, MfS-AS 400/66, Bl. 174). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dert gewesen wären, mussten sie auf der Basis der Polizeiberichte die von ihnen geforderten Einschätzungen an ihre vorgesetzten Dienststellen anfertigen.173 Mit ihren Berichten erhielten die Führungskräfte der Dresdner Polizei einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die sowjetische Politik.174 Kommunisten wie der Dresdner Polizeipräsident Opitz und sein Verbindungsoffizier, über deren Tische alles ging, was die sowjetischen Dienststellen erreichte, konnten durch entsprechende Auswahl und Akzentuierung von Informationen deren Sicht auf die deutschen Dinge so lenken, dass die kommunistische Politik davon profitierte. Die Antizipation sowjetischer Reaktionen ermöglichte ihnen die Behinderung der anderen politischen Kräfte und den Ausbau der eigenen Stellung. Die „N-Sachbearbeiter“ der Polizei überprüften Angehörige der neu zugelassenen Parteien. Sie ermittelten im Auftrag des Polizeipräsidiums in der Wohngegend von bezeichneten Personen. Sie befragten Lebensmittelkartenverteiler und Hausbewohner über das Privatleben von CDU- und LDP-Politikern und deren persönliche Lebensumstände.175 Die eingezogenen Erkundigungen dienten der Diskreditierung der Betroffenen und der Sammlung von Belastungsmaterial über vermutete politische Widersacher. Während die „politische Überprüfung“ eines Landesfunktionärs der CDU neben Hinweisen auf dessen Familie den Vermerk enthielt, dass er nicht vorbestraft sei, wurden zur Person eines weiteren CDU-Funktionärs Informationen weitergegeben, die diesen „charakterlich wie politisch“ als eine „dunkle Gestalt“ beschrieben: Der Betreffende neige „zu Schiebereien, Aufschneiderei“ und Renommiergehabe. Im Familienkreis unbeliebt, habe er sich „mit seinem Vater überworfen, weil er dem Vater vor Jahren eine größere Summe Geld gestohlen hatte, mit der er nach Spanien geflohen ist, um den großen Mann zu spielen. Diese Tat hat ihm KZ-Haft eingebracht. Dies ist auch der Grund, warum er noch nie einen Beweis über seine Strafe erbracht hat, ebenso wenig einen gültigen [OdF-]Ausweis zeigen konnte.“ Die hier erteilten Auskünfte endeten mit dem Hinweis auf einen Genossen mit noch intimeren Kenntnissen, da er über Beziehungen zu den Verwandten des Genannten verfüge.176 Üble Nachrede und persönliche Verleumdungen waren Mittel in der politischen Auseinandersetzung. Eine konstruierte kriminelle Vergangenheit diente dazu, den Angehörigen der konkurrierenden Parteien den Status von im Nationalsozialismus politisch Verfolgten zu entziehen und ihren Ruf zu schädigen.

173 Vgl. Diskussionsbeitrag von Egon Rentzsch auf dem Kolloquium „Befreiung und Neubeginn in Dresden“ vom 26.10.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden V/2.052.152, S. 14). 174 Vgl. Mählert, Lage der SED, S. 223. 175 Schreiben Kriminalamt Dresden 18. Revier an die Kriminalpolizei-Sonderstelle vom 5.12.1945 (SächsHStAD, LBdVP 370, nicht paginiert); Schreiben 24. Kriminalamtdienststelle an das Polizeipräsidium vom 12.12.1945 (SächsHStAD, LBdVP 370, nicht paginiert). 176 Schreiben 13. Kriminalstelle an die Sonderstelle im Polizeipräsidium vom 14.12.1945 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Spitzeltätigkeit der Polizei überschritt bei weitem den von der Besatzungsmacht erteilten Auftrag. Die zentrale Dresdner Überwachungsstelle der Ordnungspolizei extrahierte alle relevanten Informationen aus den eingegangenen Berichten und legte gezielt Dossiers zu Politikern der anderen Parteien an. So befand sich der Jugendreferent der LDP, Wolfgang Mischnick, immer wieder im Visier der Überwacher. Er galt ihnen als „ein eifriger Nazi“, weil ein Verwandter von ihm Gauredner und Mitglied der NSDAP seit 1923 gewesen war. Da es ihnen nicht gelang, weitere belastende Informationen über ihn zusammenzutragen, bezichtigten sie Mischnick des Umgangs mit einem früher im selben Haus wohnenden HJ-Stammführer, der sich ihrem Zugriff allerdings schon längst entzogen hatte. Um ihre Behauptung zu untermauern, legten sie ein aus einer illegalen Quelle bezogenes Foto bei, das Mischnick in Wehrmachtsuniform zeigte.177 Weil ihm seine politischen Gegner keinerlei Nähe zum Nationalsozialismus nachweisen konnten, argumentierten sie mit seinem Offiziersrang, um ihm politisch integres Verhalten abzusprechen.178 Zunehmend durchdrang die Repression den Alltag der Bevölkerung. Nicht wählerisch in der Anwendung ihrer Mittel, bevorzugte die „Kriminalpolizei N“ öffentlichkeitswirksame und „abschreckende Maßnahmen“ bei ihrem Vorgehen gegen die so genannten „faschistischen Hamsterer und Lebensmittelschieber“ und führte als Beispiel die „öffentliche Vernehmung“ eines Fleischermeisters an.179 Unter dem Vorwand der Verfolgung von Nationalsozialisten unterdrückte sie oppositionelle Regungen jeglicher Couleur. Generalisierend subsummierte sie unter der Rubrik „Faschistentätigkeit“ das Abreißen von Plakaten, das Verbreiten von Parolen, die Verteilung illegaler Zeitungen und Flugschriften oder Sabotage. Selbst von Gerüchten meinte sie, diese würden gezielt „durch die Faschisten“ gestreut und die Kräfte der „Reaktion“ versuchten so, „Unzufriedenheit zu verbreiten“.180 Äußerungen der Volksmeinung spiegelten häufig Misstrauen gegenüber der Besatzungsmacht oder den politischen Maßnahmen ihrer kommunistischen Verbündeten wider, die viele als gegen die eigenen Interessen gerichtet empfanden.181 Die Menschen erhofften allgemein von einem Wechsel der Besatzungsmacht eine Verbesserung ihrer Lage.182 Im Oktober 1945 konnte auf Dresdens Straßen vernommen werden, 177 Ermittlungsbericht der Zentralstelle H vom 30. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 144, Bl. 58). 178 Mischnick, Von Dresden nach Bonn, S. 208. 179 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Sonderstelle der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 180 Tätigkeitsbericht des Kriminalamtes Sonderstelle vom 23.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert); Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (Sächs HStAD Dresden, SED-BPA Dresden I/B/124, Bl. 9). Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 71 und 105. 181 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II vom 17. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung II B/I/10, Bl. 46–49). 182 Tagebucheintrag vom 31. 8.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 92. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„die Rote Armee bekäme anlässlich ihres Feiertages pro Kopf mehrere Liter Alkohol und die Bevölkerung solle während der Dunkelheit nicht auf die Straße gehen. Die in der ersten Novemberhälfte ausgelieferte Butter stamme vom Engländer, und die Rote Armee hätte alles versucht, die Butter zu beschlagnahmen. Die KPD wolle zum 7. November eine Demonstration veranstalten und dabei bei allen Nazigeschäftsleuten die Schaufensterscheiben einschlagen. Als die russische Kommandantur von diesem Vorhaben Kenntnis erhielt, habe sie diese Demonstration sofort verboten.“183

Die „Sonderstelle“ der Kriminalpolizei in Dresden begegnete den „Faschisten“, die Gerüchte verbreiteten, „mit härtesten Maßnahmen“. So sei der „Sonderstelle“ eine junge Frau zugeführt worden, die „beim Schlangestehen den Leuten erzählte, die jetzt ausgegebene Butter käme von den Amerikanern, nicht von den Russen, die Amerikaner hätten schon oft Lebensmittel geschickt, diese wären aber immer von den Russen beschlagnahmt worden. – Wir haben gegen die M. eine neue Methode angewandt. Sie musste dreimal an dem Geschäft oder anderen Geschäften, wo sie ihre unwahren Gerüchte verbreitete, diese Gerüchte widerrufen und sagen, dass sie gelogen hätte.“184 Die Polizei nahm schon im Herbst 1945 die Bestimmungen von Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorweg und ging offensiv gegen die Verbreitung von Gerüchten vor. Der Abschnitt III des Artikels III der Direktive sollte im Oktober 1946 festlegen: „Aktivist ist auch, wer nach dem 8. Mai 1945 durch Propaganda für den Nationalsozialismus oder Militarismus oder durch Erfindung und Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes oder den Frieden der Welt gefährdet hat oder möglicherweise noch gefährdet“.185 Eine klare Definition dessen, was ein „den Frieden der Welt“ gefährdendes Gerücht darstellen und somit den Tatbestand aktivistischer Propaganda für den Nationalsozialismus erfüllen sollte, blieben die Alliierten ebenso schuldig wie die Kommunisten. Diese konnten sich allerdings nachträglich bestätigt fühlen in ihrer auf eine sowjetische Anweisung von Sommer 1945 zurückgehende Verfolgung öffentlicher Meinungsäußerungen.186 Vizepräsident Fischer bezichtigte Personen, die Gerüchte verbreiteten, generell der nationalsozialistischen Propaganda und erklärte auf der sächsischen Landeskonferenz der Polizei am 27. November187 die in Dresden praktizierte öffentliche Bloßstellung zu einer verbindlichen Methode des politischen Kamp183 Informationsdienst Nr. 3 vom 22.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert). 184 Tätigkeitsbericht des Kriminalamtes Sonderstelle vom 23.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert). Vgl. Reinke, Anfänge der Volkspolizei, S. 61 f. 185 Direktive Nr. 38 des Kontrollrats vom 12.10.1946. Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 97–123, hier 102. Vgl. Diewald-Kerkmann, Denunziation, S. 154; Tantzscher, Vorläufer, S. 134. 186 Auskunft der Politischen Hauptverwaltung der Streitkräfte der UdSSR über die politische Arbeit unter der Bevölkerung Deutschlands (Auszug) vom 5. 7.1945, abgedruckt in Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 8 ff. 187 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 85–166). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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fes. Die „restlose Reinigung aller Verwaltungsbehörden von früheren NSDAPMitgliedern“ sei momentan die wichtigste Aufgabe, erläuterte Fischer die neuesten Instruktionen der SMAD hinsichtlich des sich verschärfenden Kampfes „mit dem überlebenden Faschismus“. Die „Werwölfe“ versuchten jetzt, die Durchführung des für 1946 beschlossenen Produktionsplanes zu „sabotieren“. Dem müsse in den Anfängen begegnet werden und dabei spiele der Kampf gegen die „Gerüchtemacherei“ eine wichtige Rolle. Er begründete den nicht auf den ersten Blick ersichtlichen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus damit, dass es nationalsozialistische Propaganda sei, wenn immer gesagt werde, die Russen zögen ab und dann kämen die Engländer und die Amerikaner. Das seien Versuche, Apathie zu verbreiten und „die Leute an der aktiven, an der positiven Mitarbeit zu hindern“. Bei näherer Betrachtung „werden wir sofort feststellen, dass das die Fortsetzung der alten Linie der Goebbels-Propaganda ist, die darauf ausging, die Sowjetunion zu isolieren“. Die „Sonderstellen“ der Kriminalpolizei müssten jeweils den Ausgangspunkt eines Gerüchts feststellen und als „Agentur des Feindes“ aufdecken.188 Die Polizei beanspruchte für sich, nicht nur Überwachungs- und Verfolgungsinstrument, sondern auch eine Erziehungsagentur zu sein. Sie entlehnte eine von den „Antifa-Komitees“ bereits angewandte Form, die Öffentlichkeit in die „Entnazifizierung“ einzubeziehen und Druck auf beschuldigte Personen auszuüben. In öffentlichen Verhören beschuldigten die den späteren westlichen Spruchkammern189 vergleichbaren „Kontroll-Ausschüsse“, allein auf der Basis zugetragener Informationen und ohne jede gesetzliche Grundlage, ehemalige Angehörige nationalsozialistischer Organisationen und befragten sie über ihr Verhalten in der Vergangenheit.190 Diese Praxis führten die „Sonder- bzw. Zentralstellen“ der Kriminalpolizei Dresden weiter, häufig in Zusammenarbeit mit Ortsgruppen der KPD: „Sechs öffentliche Vernehmungen wurden von der Zentralstelle durchgeführt, bei denen der Öffentlichkeit nahegebracht werden sollte, in welch skrupelloser Weise Angehörige der Nazipartei gegen die antifaschistische Bevölkerung vorgegangen sind und wie sie trotz einwandfreier Nachweise die von ihnen begangenen Verbrechen abzuleugnen versuchen.“ Darüber hinaus sollten auf diese Weise die Lücken der „zur Zeit bestehenden Gesetze“ aufgedeckt und die Bevölkerung „zur politischen Aktivität“ erzogen werden.191 Wie umstritten eine solche Vorgehensweise allerdings nicht nur bei den politischen Kontrahenten sondern auch unter den sowjetischen Verbündeten der Kommunisten war, zeigt ein Fall, in dem ein Offizier die öffentliche „Anprangerung“ einer „Lebensmittelschieberin“ unterband und „diese Methode als eine faschistische“ bezeichnete. „Selbst der Stadtteilleiter der KPD konnte den Kom188 Referat Fischers auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (ebd., Bl. 87 f.). 189 Vgl. Woller, Gesellschaft und Politik, S. 116 ff. 190 Vgl. Bericht über die UBL-Sitzung vom 20. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I / B/124, Bl. 69). 191 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 90 (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mandanten nicht überzeugen, dass diese Anprangerung unbedingt notwendig ist, weil die nazistischen Lebensmittelschieber unsere Aufbaubemühungen im zunehmenden Maße sabotieren.“ Der eifrige Funktionär bat daraufhin die KPD-Kreisleitung, „bei der Stadtkommandantur vorstellig zu werden, damit derartige Aktionen in Zukunft ungehindert durchgeführt werden können“. Von der Richtigkeit seines Handelns durchdrungen, widersetzte er sich sogar dem „Befehl des Ortskommandanten“. Er ließ die „angeprangerte Schieberin“ nicht wie verlangt frei, sondern übergab sie der Kriminalpolizei.192 Die Unterstellung der Kriminalpolizei unter die Landesverwaltung im Oktober 1945 löste sie vom kommunalen Polizeiapparat. Die damit verbundene Reorganisation des Apparates separierte gleichzeitig die „Sonderstelle N“ von der übrigen Kriminalpolizei. Nach ihrer Zuordnung zur „Zentralstelle H“ entstand mit dieser innerhalb des Landeskriminalamtes eine eigenständige Institution. Sie verfolgte im Auftrag von Besatzungsbehörden und Landesverwaltung: „1. Faschistische und reaktionäre Organisationen und Bekämpfung derselben. 2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 3. Wirtschaftssabotage.“193 Auf dem Gebiet der Wirtschaft, so die Vermutung, werde in „Zukunft das Hauptbetätigungsfeld“ der Gegner liegen.194 Der Dresdner Polizeipräsident wehrte sich heftig gegen diese Beschneidung seiner Machtfülle. Sein Protest hatte insofern Erfolg, als die für das oben bezeichnete Aufgabenfeld unerlässliche „NS-Kartei“ in seinem Zuständigkeitsbereich verblieb. Weiterhin gründete er die Abteilung IV im Polizeipräsidium Dresden zum Zweck einer engen „Zusammenarbeit mit den Polizeirevieren in allen politischen Angelegenheiten“. Ihr übertrug er die „Überwachung sämtlicher Organisationen und Parteien und ihrer Versammlungen“, eine zuvor bei der „Sonderstelle N“ angesiedelte Teilaufgabe.195 Zudem belegen die Akten eine enge Kooperation jener Abteilung IV und der „Sonderstelle N“.196 Mit der Errichtung einer Mittelinstanz, eines neu geschaffenen Kriminalamtes in Dresden, erhielt er die Zugriffsmöglichkeit auf die politische Polizei teilweise zurück. Seit Anfang 1946 bearbeitete das „IX. Kommissariat“ im Kriminalamt Dresden das bisherige Aufgabengebiet der „Sonder- bzw. Zentralstellen“.197 Nach einer erneuten Umstrukturierung im Jahre 1946 Fachabteilung VI genannt, zeichneten sich die Konturen der Institution deutlich ab. Inzwischen 192 Schreiben der Bezirksverwaltung VI an das Nachrichtenamt vom 18. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 17). 193 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 88 ff. (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 194 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Sonderstelle der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). 195 Bericht des Polizeipräsidiums Dresden vom 20. 2.1946 (BStU, MfS-AS 400/66, Bl. 196). 196 Vgl. Schreiben der Abteilung Innere Verwaltung an die Abteilung N vom 1.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). 197 Aufbau und die Arbeit der Kriminalpolizei Dresden vom 1. Juli 1945 bis 15. Februar 1946 vom 21. 2.1946 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 2, Bl. 354–361). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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auch räumlich vom Kriminalamt Dresden getrennt, residierte sie im Bezirkspolizeipräsidium. Mit 27 Sachbearbeitern und vier Schreibkräften nicht eben üppig ausgestattet, bestand ihre offizielle Aufgabe darin, die „letzten Reste der Kriegsverbrecher und Verbrecher gegen die Menschlichkeit ihrer gerechten Strafe zuzuführen“. Daneben führte sie „nicht zur Registrierung“ kommende Ermittlungen für die Besatzungsbehörden durch und sollte „reaktionäre Umtriebe“ verhindern. Das galt besonders im Hinblick auf den Volksentscheid und die Wahlen des Jahres, wobei sie ihre „Aufmerksamkeit illegalen Flugblattverteilern und Gerüchtemachern“ widmete. Arbeitsgrundlage der Fachabteilung VI, die neben der institutionellen Kontinuität auch personell an die „Sonderstelle N“ der Dresdner Kriminalpolizei anknüpfte, blieb weiterhin die „NS-Kartei“ des zentralen Einwohnermeldeamtes. Gemäß ihres geheimpolizeilichen Anspruchs strebte die Fachabteilung VI danach, diese „NS-Kartei“ im Jahr 1947 zu „übernehmen und dadurch die Arbeit noch weiter zu verbessern“.198 In den Dresdner „Sonder- bzw. Zentralstellen“ des Jahres 1945 liegen die Anfänge des späteren, für die Verfolgung politischer Straftaten zuständigen Referats K 5 der sächsischen Kriminalpolizei, der Vorläuferinstitution des MfS, nicht in einer „Überwachungsabteilung des Personalamtes der Stadtverwaltung“ in Dresden.199 Dieser bislang vertretenen Annahme liegt der „Jahresbericht Dezernat K 5 im Lande Sachsen“ für 1947 zugrunde, laut dessen Information eine solche Überwachungsabteilung bestanden haben soll. Da dieser im Januar 1948 verfasste Jahresbericht aber eine globale Sicht auf die Entwicklung präsentiert, sind solche später verfertigten Mitteilungen aus dem Apparat der Geheimpolizei, für die in der betreffenden Zeit selbst keine weiteren Nachweise vorliegen, nur begrenzt aussagekräftig. Das städtische Personalamt erhob im Sommer 1945 den Anspruch auf allumfassende Zuständigkeit in Personalfragen,200 konnte diesen allerdings erst dann durchsetzen, nachdem die „Sonderstelle N“ und die „Zentralstelle H“ unter dem Dach der Polizei längst bestanden. Die Zuständigkeit des Personalamtes erstreckte sich auf die Dresdner Stadtverwaltung, während das städtische Einwohnermeldeamt, das die Fragebogenaktion zur Registrierung der Bevölkerung gestartet hatte, aus den kommunalen Behörden ausgegliedert und dem Polizeipräsidium zugeordnet wurde. Eine als „Überwachungsabteilung des Personalamtes der Stadtverwaltung“ bezeichnete Dienststelle hat nicht existiert. Dem Sachverhalt nach könnte sich die beschriebene Tätigkeit allenfalls auf das Einwohnermeldeamt beziehen, wird damit aber dessen eigentlicher Bedeutung nicht gerecht. Wenn nicht Unwissenheit über die tatsächlichen Vorgänge, lag den entsprechenden Ausführungen im

198 Jahresbericht über die Arbeit der Kriminalpolizei 1946 vom 17.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 114, Bl. 19 f.). 199 So Tantzscher, Vorläufer, S. 136 f.; was Naimark, Russen, S. 420, von ihr übernimmt. 200 Vgl. Richtlinien für die Entlassung von Beamten und Angestellten aus dem Dienste der Stadt Dresden vom Juli 1945 (Neufassung), (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„Jahresbericht Dezernat K 5 im Lande Sachsen“ eine bewusste Verschleierungstaktik zugrunde. Gleichfalls beanspruchte der Leiter des im Mai in der zentralen Dresdner Stadtverwaltung eingerichteten „Kommissarischen Außendienstes“, ein Vorläufer der „Politischen Polizei“ zu sein.201 In dieser Einrichtung ist der Nukleus des städtischen Nachrichtenamtes zu finden. Dieses im Juni 1945 in der Dresdner Stadtverwaltung gegründete Nachrichtenamt202 mit Zuständigkeit für die politische „Kontrolle der Druckereien, des Rundfunkgewerbes und des Buchhandels“,203 spielte eine herausragende Rolle bei der Anfertigung von Berichten über die politische Stimmung unter der Bevölkerung. Die Anfänge der Geheimpolizei hingegen lagen in den mit politischen Aufträgen und unspezifischer Zuständigkeit versehenen Spezialabteilungen der Polizei mit Zugriff auf die aus den Meldekarteien des Einwohnermeldeamtes extrahierte „NS-Kartei“. Die Besonderheit dieser „Abteilungen mit vorwiegend politischem Charakter“ bestand in ihrem externen Sonderstatus. Sie waren herausgenommen aus den polizeilichen Befehlsstrukturen und über die Person des Verbindungsoffiziers im Dresdner Polizeipräsidium an die sowjetische Geheimpolizei gekoppelt. Dieser erste Verbindungsoffizier Helmut Gennys, gleich Wolfgang Leonhard und anderen deutschen Kommunisten Absolvent der Kominternschule,204 koordinierte sämtliche sicherheitspolizeiliche Aktivitäten. Ihm oblag die „Gewährleistung des Zusammenwirkens der Kriminalpolizei mit den Besatzungsbehörden, die Sichtung und Übersetzung von Aktenmaterial über Naziverbrecher, das von den Besatzungsbehörden angefordert wurde; Teilnahme an Aktionen gegen Nationalsozialisten, an kriminalpolizeilichen Erörterungen und an verschiedenen Sondereinsätzen als Beauftragter des Polizeipräsidenten, sowie die Durchführung von Kontrollen in den Außenstellen“. Der Verbindungsoffizier verfügte über umfassende Kompetenzen. Dem Polizeipräsidenten unterstellt, arbeitete er in dessen Auftrag, erhielt seine Weisungen jedoch unmittelbar von den Besatzungsorganen. Die Doppelunterstellung des Verbindungsoffiziers bewirkte eine unmittelbare Ausrichtung der deutschen Polizei auf den sowjetischen Geheimdienst und ihre Einbeziehung in dessen Aktivitäten. In seiner Person liefen die Informationen aus der „NS-Kartei“ und aus den Ermittlungen der „Sonderstelle N“, später der „Zentralstelle H“, zusammen, die er dann an die sowjetischen Dienststellen weiterleitete. Er verantwortete deren Aufträge, koordinierte die daraus resultierenden Aufgaben der entsprechenden Abteilungen innerhalb der deutschen Polizei und verknüpfte die aus den Ermittlungen gewonnenen In201 Bekanntmachung des Kommissarischen Außendienstes der Stadt Dresden vom 29.5.45 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 385). 202 Ansprache [Liebermanns] zum „Geselligen Abend“ anlässlich des zweijährigen Bestehens des Nachrichtenamtes vom 29. 6.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 968, Bl. 245 f.). 203 Bericht über die Reorganisation des Nachrichtenamtes vom 15. 4.1947 (ebd., Bl. 193–198). 204 Vgl. Leonhard, Revolution, S. 234 und 243. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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formationen zu Erkenntnissen. Über ihn griff die sowjetische Seite auch in die Personalpolitik ein; seine „Teilnahme an Besprechungen und Verhandlungen mit verantwortlichen Offizieren der Roten Armee, die in der Zeit der Schaffung der Dresdner Polizei einen bedeutenden Platz einnahmen“, sicherte deren Einfluss. „Insbesondere, da Personalfragen noch im Vordergrund standen und bis ins kleinste gemeinsam gelöst werden mussten“, bedeutete dieser häufige Kontakt eine ständige Rechenschaftslegung seinerseits mit der Möglichkeit einer Intervention der sowjetischen Offiziere. Er veranlasste die Verhaftung „verantwortlicher Gestapobeamter und Nazifunktionäre“ und bereitete mit sowjetischen Offizieren den „Radeberger Prozess“ vor.205 Der Dresdner Verbindungsoffizier spielte von Anbeginn die entscheidende Rolle beim Aufbau der Sicherheitsorgane. Da die hier skizzierten Strukturen, ehe andernorts vergleichbares entstand, zuerst in Dresden aufgebaut wurden, kann der heute in Moskau lebende206 Helmut Gennys als der erste deutsche Geheimpolizist im sowjetischen Besatzungsgebiet gelten. Paranoide Vorstellungen, die immer paradoxere Aktionen veranlassten, beherrschten zunehmend die Wahrnehmungsstruktur auf Seiten der kommunistischen Parteiführer. Ihr Sicherheitsbedürfnis bewirkte die Einschaltung der „Sonderstellen“ in die Ermittlungen bei einer Verwicklung von Rotarmisten in Straftaten207 oder bei Kompensationsgeschäften.208 Der Polizeipräsident bekundete, „dass aus politischen Erwägungen heraus Pgs. weder Radiogeräte, Fotoapparate noch Schreibmaschinen besitzen“ dürften, da man laut „Aussagen von Fachmännern [...] aus jedem Radiogerät einen Sender machen“ könne. Das gäbe ihnen nicht allein die Möglichkeit, sich zu informieren, sondern versetze sie ebenso wie der Besitz von Fotoapparaten in die Lage zu einer feindlich zersetzenden Tätigkeit „gegenüber der neuen Behörde“. Schreibmaschinen wiederum ermöglichten den Aufbau eines weitverzeigten Untergrundnetzes und einer „gesteigerten Wehrwolftätigkeit“.209 Der Polizeipräsident verlangte zur Durchführung eines Präventivschlags vom Rat der Stadt eine generelle Vollmacht der Polizei. Dabei konnte von einer gesteigerten „Werwolftätigkeit“210 im Sommer 1945 keinesfalls die Rede sein. Sowjetische Sicherheitsanalysen konstatierten in jenen Wochen bis auf einzelne Fälle eine abwartende Haltung der vermuteten illegalen Organisationen und deren Verzicht auf „aktive Diversions- und Terrorakte“, dagegen rechneten sie mit einer zunehmenden „Flüsterpropaganda und

205 Dresdner Polizei 1945–1946, S. 14 f. (SächsHStAD, LBdVP 11, nicht paginiert). 206 Schmeitzner, Formierung, S. 214, Fußnote 57. 207 Kriminalpolizei Sonderstelle, Vernehmung vom 2.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 396, nicht paginiert). 208 Bericht der Sonderstelle an Weidauer vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 201). 209 Schreiben des Polizeipräsidenten an den Oberbürgermeister vom 28. 8.1945 (SächsHStAD, LBdVP 369, nicht paginiert). 210 Auerbach, Organisation des „Werwolf“; Beevor, Berlin 1945, S. 194–197; Naimark, Russen, S. 446. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anwerbung neuer Mitglieder“.211 Die Bilanz der Ermittlungen in Dresden fiel eindeutig aus: „In Bezug der politischen Delikte konnte eine organisierte Faschistentätigkeit in den letzten Wochen nicht festgestellt werden.“212 Zu der von kommunistischen Funktionären geforderten flächendeckenden Aktion der Polizei gegen das Dresdner Bürgertum und zur Beschlagnahmung von Schreibmaschinen und Rundfunkgeräten kam es nicht.213 Ein solcher Eingriff wäre auf erheblichen Widerspruch der anderen Parteien gestoßen und bei den Besatzungsbehörden kaum auf Beifall gestoßen. Hinweise auf Straftaten hätte die Polizei den sowjetischen Sicherheitskräften mitteilen und bei ihrer Verfolgung mit der Dresdner Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten müssen. Gegenüber der deutschen Justiz bestanden allerdings Vorbehalte214 und sie war 1945 weniger in die politische Säuberung eingebunden.215 Der Prozess gegen das Personal des „Arbeitserziehungslagers Radeberg“216 vom 25. bis 28. September fand vor einem eigens dafür eingesetzten „Volksgericht“ in Dresden statt.217 Dieses verhängte noch vor der Eröffnung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse hohe Haftstrafen und zweimal die Todesstrafe. Die Hinrichtung der beiden Hauptschuldigen am 2. Oktober 1945 führte der Bevölkerung ein halbes Jahr nach dem Ende des Krieges erstmalig die Absicht der Siegermächte, nationalsozialistische Verbrecher unnachsichtig zu bestrafen, drastisch vor Augen.218 Dennoch kritisierte Polizeipräsident Opitz, dass es nicht gelungen sei, dem Prozess einen politischen Inhalt zu geben und das „System der Vergangenheit“ in seinen Mittelpunkt zu stellen. Künftig müssten Kommunisten solche Prozesse besser vorbereiten und deren Verlauf beeinflussen.219 Die Ermittlungen der „Sonderstelle N“ im so genannten „Radeberger Prozess“ hatten indes nicht zum Auffinden der drei Hauptschuldigen, dem Lagerführer, einem Polizeioffizier und dem Lagerarzt, geführt.220 211 Bericht des NKWD-Bevollmächtigten in Deutschland an L.P. Berija über Werwolf-Aktivitäten vom 22. 6.1945. In: Plato, Speziallager, S. 138 f. 212 Bericht des Kriminalamtes Dresden über die Fahndungstätigkeit, 24.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 213 Vgl. Elsa Frölich an Matern vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 76 f.). 214 Vgl. Amtsgerichtsdirektor Weiland an Oberbürgermeister Friedrichs vom 16.6.45 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 81). 215 Vgl. Meyer-Seitz, Verfolgung von NS-Straftaten; Weinke, Dresdner Prozesse. 216 Vgl. Schröder, Durchführung des Volksentscheids, S. 54, Fußnote 165. 217 Volkszeitung vom 25. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 976, Bl. 1); Weinke, Dresdner Prozesse, S. 155. 218 Volkszeitung vom 2.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 976, Bl. 6 f.); Bericht der Nachrichtenstelle der Bezirksverwaltung III vom 2.10.1945 ( StadtAD, Bezirksverwaltung III 57, nicht paginiert). Werkentin datiert die Urteilsvollstreckung auf den 1. November 1945, vgl. Werkentin, Münchner Platz, S. 200. 219 „Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9) 220 Vgl. Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Sonderstelle der Kriminalpolizei) vom 18.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Kommandohaftlager im Kontext des Repressionssystems

Zur Realisierung eines weiteren Unterdrückungs- und Repressionsinstruments bot sich Opitz im Alltag der Nachkriegssituation eine Gelegenheit. Zahlreiche Jugendliche zeigten nach dem Wegfall staatlicher Zwangsmaßnahmen nur ein geringes Interesse an körperlich schwerer und schlecht bezahlter Arbeit und in allen Besatzungszonen gab es Bemühungen, sie „von der Straße zu bringen“.221 Drei Gründe waren für die geringe Attraktivität bezahlter Arbeit ausschlaggebend: Ein tariflich bezahltes Beschäftigungsverhältnis reichte häufig nicht, um das Überleben eines Menschen oder einer Familie zu sichern, geschweige denn zum Erwerb lang entbehrter Luxusgüter. Bezahlte Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt brachte ungleich weniger ein als eine Betätigung auf dem „Grauen“ oder dem „Schwarzen Markt“.222 Beschwernisse des Alltags wie zu lange Arbeitswege und ein hoher Bedarf an Zeit bei der schwierigen Lebensmittelbeschaffung beanspruchten die persönlichen Ressourcen und eine bei vielen ohnehin strapazierte Gesundheit über Gebühr. Deutsche Behörden bedienten sich tradierter Methoden der Disziplinierung von Arbeitsverweigerern, die in mancherlei Hinsicht mit denen der nationalsozialistischen Repressionsinstanzen übereinstimmten, nicht jedoch in Bezug auf deren terroristische Konsequenz. Der Dresdner Polizeipräsident griff auf ein System zurück, das er selbst aus der Erfahrung seiner zwölfjährigen Haft zur Genüge kannte, das Lager. Heute in der Öffentlichkeit oftmals wenig beachtet, existierte im Nationalsozialismus neben dem System der Konzentrationslager223 ein weitverzweigtes Netz kleinerer Arbeits- und Disziplinierungslager der SS.224 Das nicht erst in der Nachkriegszeit entstandene Problem der Arbeitsverweigerung beschäftigte auch nationalsozialistische Behörden. Eine zeitlich begrenzte, „Arbeitsscheu Reich“ genannte Aktion im Jahre 1938 richtete sich noch ausdrücklich gegen arbeitsunwillige Männer.225 Während des Krieges etablierten sich die damals eingerichteten Lager zu festen, nunmehr gegen Personen beiderlei Geschlechts eingesetzten Institutionen der Repression. Für Fälle besonders hartnäckiger und wiederholter Renitenz hatte der Reichsführer-SS neben der Lagerhaft einen speziellen Jugendarrest sowie gezielte Arbeitsauflagen geschaffen.226 Diese Institutionen belebten die Behörden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges teilweise wieder.

221 Boll, Suche nach Demokratie, S. 111. Vgl. Bericht über die Kontrolle im Lokal Ernemann-Werke, o. D. [August 1946] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 22, Bl. 116 ff.); Vortrag des Jugendamtsleiters Pawlowitsch vom 28. 3.1947 (StadtAD, Dezernat Volksbildung 290, nicht paginiert); Badstübner-Peters, Nachkriegskindheit. 222 Vgl. Hurwitz, politische Kultur der Bevölkerung, S. 40. 223 Vgl. Drobisch/Wieland, Konzentrationslager; exemplarisch Pelt/Dwork, Auschwitz. 224 Vgl. Weinmann, Lagersystem. 225 Buchheim, Aktion „Arbeitsscheu Reich“. 226 Auerbach, Arbeitserziehungslager. Vgl. Klönne, Jugendkriminalität. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die sowjetische Besatzungsmacht ließ den deutschen Verwaltungen bei der Bestrafung von Arbeitsbummelanten weitgehend freie Hand. In Dresden regte der Polizeipräsident deren Internierung an. Ein Beschluss des Dresdner Stadtrates sah die Errichtung von Arbeitslagern „zur Bekämpfung aller Elemente, die dem Wiederaufbau entgegenarbeiten“, vor.227 Bei der Suche nach geeigneten Orten sprachen Vertreter der Polizeibehörde von „Möglichkeiten zur Unterbringung von Nazis“.228 Im August kündigte die „Volkszeitung“ an, in wenigen Tagen werde „mit der Festnahme gewisser Elemente begonnen“. Noch habe jeder die „Gelegenheit, sich beim Arbeitsamt zu melden. Die Barackenlager Provianthofstraße und Fabricestraße würden zur Zeit zur Aufnahme mehrerer tausend Kommandohäftlinge vorbereitet, das Wach- und Aufsichtspersonal ist bestimmt worden.“ Keiner solle denken, es werde ihm gelingen, sich drücken zu können. „Nein, die Erfassung wird schonungslos und absolut gründlich durchgeführt!“229 Aufschlussreich ist in diesem Kontext die Argumentation des Polizeipräsidenten, der betonte, nur Nationalsozialisten und deren Nutznießer könnten sich mit einem Keller voller gehorteter Lebensmittel dem Aufbau entziehen.230 Seit dem Frühherbst 1945 setzte die Polizei Personen ohne Arbeitsnachweis231 unter dem Verdacht der „Arbeitsbummelei“ fest.232 In den später in „Arbeitsverpflichtung“233 umbenannten „Kommandohaftlagern“ sah der Kommunist Opitz eine Methode, ohne Einschaltung der Gerichte in Schnellverfahren vorgebliche und tatsächliche Arbeitsverweigerer zu disziplinieren und umzuerziehen. Die Ordnungspolizei konnte eine Einweisung bis zu drei Monaten verfügen. Lediglich ein Ausschuss der Polizei überprüfte unter Einbeziehung eines Gewerkschaftsvertreters und des Lagerführers die Entscheidung. Sie lag letztendlich beim Polizeipräsidenten selbst. Die von ihm „Erziehung durch Arbeit“ genannte Repressionsmaßnahme sollte die „anti-faschistische“ Ideologie flankieren und die politische Umerziehung besonders unter der Jugend vorantreiben, denn in deren Verhalten sah der Polizeipräsident eine Gefahr für die neu zu schaffende Ordnung. Die den Krieg verherrlichende Propaganda der Nationalsozialisten habe die Kinder gegen fremde Völker aufgehetzt und zu Verbrechen verführt. Von den „Tyrannen“ zu „Übermenschen“ erhoben, stünden die 227 Protokoll der Ratssitzung vom 7. 8.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 105 ff). 228 Schreiben der Antifaschistischen Freiheitsbewegung Breslau an die Landesverwaltung Sachsen vom 31. 7.1945 (SAPMO-BArch, SgY 26/1, Bl. 19). 229 Abschrift Volkszeitung vom 17. 8.1945, „Baracken für Kommandohäftlinge in Vorbereitung“ (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 68, Bl. 17). 230 Polizeipräsident Opitz vom 27. 8.1945: Kommandohaft (SächsHStAD Dresden, LBdVP 359, Bl. 4). 231 Bericht über die Kommandohaft vom 21.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 68, Bl. 39 f.). 232 Einleitung des Polizeipräsidenten Opitz zum Bericht über die Kommandohaft vom 17.1.1946 (ebd., Bl. 3 ff.). 233 Monatsbericht der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom 10. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 63, Bl. 4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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jungen Leute heute vor den Trümmern einer Katastrophe. Jetzt lägen ihre bisherigen Ideale zerstört am Boden, doch von Demokratie besäßen sie keinerlei Vorstellungen. Sie hätten zwar davon gehört, doch nun müssten die Kommunisten ihre Fragen beantworten und mit den nationalsozialistischen Hinterlassenschaften aufräumen und der Jugend ein neues Ziel vorgeben.234 Die Belegung der zwei Dresdner Arbeitslager, Barackenunterkünfte ehemaliger Zwangsarbeiter, bewegte sich zwischen einhundert und zweihundert Personen, zunehmend Frauen und immer häufiger Jugendliche.235 Opitz schuf in den Lagern ein ihm persönlich unterstehendes Instrument, mit dem er seine gesellschaftsreformerischen Erziehungsabsichten in reale Politik umzusetzen gedachte. Seine Ambitionen mussten mit dem städtischen Jugendamt kollidieren, das der Sozialdezernentin unterstand. Elsa Fenske forderte die Einschaltung des Jugendamtes, wenn Jugendliche und Kinder von der Polizei aufgegriffen würden. Außerdem verlangte sie die Entscheidungsbefugnis für ihre Behörde in jenen Fällen, die an die Gerichte weitergegeben werden sollten. Denn die bisher auf Drohung und Zwang beruhende Erziehung sei heute abzulösen durch eine ungebrochene Entfaltung und Entwicklung der „jugendlichen Seele“ und des sittlichen Empfindens auf der Basis von Güte und Überzeugung. Das Jugendamt müsse in Schwierigkeiten helfen und dazu beitragen, die Kinder zu geraden und aufrechten Charakteren zu erziehen.236 Das Jugendamt bevorzugte Erziehungshilfe anstelle der Bestrafung, weil zuerst die durch Krieg und Nationalsozialismus geschaffenen Bedingungen, die zur Straffälligkeit führten, zu beseitigen seien. Wie Opitz sah man im städtischen Jugendamt die Ursachen für das Verhalten der Jugendlichen in den Auswirkungen von Nationalsozialismus und Krieg. Allerdings wollte man nicht wie er repressiv, sondern in sozialpädagogischer Absicht präventiv eingreifen.237 Der Polizeipräsident betrachtete Arbeitsverweigerung als eine Form von Straffälligkeit. Eine Überlegung, Jugendliche könnten nach Jahren der Fremdbestimmung eigene Wege der Orientierung suchen, akzeptierte er ebenso wenig wie die Tatsache, dass ihnen häufig Schuhe fehlten, um zur Arbeit zu gehen.238 Ihm galt als Anhänger der alten Ordnung, wer nicht am Aufbau der neuen Ordnung mitarbeitete. Nach dem simplen Umkehrschluss, ein Gegner des Neuaufbaus sei jemand, der nicht tatkräftig Trümmer beräume, appellierte die kommunistische „Volkszeitung“ in einer Offenheit, die Rückschlüsse auf die erwartete Akzeptanz zulässt, an die Denunziationsbereitschaft ihrer Leser: „Wer Arbeitsscheue meldet, ist kein Denunziant.“ Die so präventiv erteilte Ge234 „Der Jugend eine Gasse zur neuen Zeit“, Artikel von Polizeipräsident Opitz vom 18. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 121, nicht paginiert). 235 Vgl. Naimark, Russen, S. 445 ff. 236 Dienstbesprechung des Jugendamtes vom 26. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 6, nicht paginiert). 237 Entwurf des Jugendamtsleiters Pawlowitsch vom 1.11.1945 (StadtAD, Dezernat Sozialund Wohnungswesen 121, nicht paginiert). Vgl. Thöns, Krise. 238 Bericht der Polizei der Landeshauptstadt Dresden 1.–30. 9.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 64, Bl. 14). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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neralabsolution richtete sich besonders an die Adresse der Haus- und Straßenobleute und der anderen „Gutgesinnten“, denen eine „zeitgemäße Aufgabe“ erwachse, indem sie „Arbeitsscheue und mogelnde nazistische Krämer melden, das ist Hilfe am Wiederaufbau, denn nur dann, wenn alle wirklich anfassen, können wir aus den Trümmern herauskommen“.239 Die erste Nummer der sozialdemokratischen „Volksstimme“ veröffentliche ebenfalls diesen Artikel des Polizeipräsidenten – fraglich, ob dies ein Zugeständnis der örtlichen Sozialdemokratie an die Besatzungsmacht war, damit diese endlich ihr Presseorgan genehmigte, oder ob sie diese Überzeugung teilte: „Die Herren Pg. und deren Frauen, die Nutznießer des zwölfjährigen faschistischen Regimes waren, sie haben ihre Keller noch voller Lebensmittel und anderer Dinge.“ Die „neue Erziehungsmethode“ öffne jedem die Möglichkeit, „sich der neuen Zeit anzuschließen und sich in die neue Arbeit unserer Zeit einzureihen“.240 Was hier Sozialdemokraten und Kommunisten vorbehaltlos begrüßten, verurteilten Liberaldemokraten scharf als Rückfall in die Methoden des Nationalsozialismus.241 In den zwei Monaten nach Eröffnung des ersten Lagers am 25. August 1945242 verbüßten insgesamt 370 Personen kürzere oder längere Haftstrafen unter zweifelhaften hygienischen und sozialen Bedingungen. Mitte November 1945 befanden sich insgesamt 81 Menschen, zu einem großen Teil Jugendliche, die zu fünf oder sechs Monaten Haft verurteilt worden waren, in Baracken, die erst winterfest gemacht werden mussten, ohne die notwendigen sanitären Anlagen oder die Möglichkeit, sich mit warmem Wasser zu waschen. Das unterschied ihre Situation zwar nicht von der großen Zahl anderer Dresdner, aber es rechtfertigte ein behördliches Eingreifen noch viel weniger. Beschäftigt wurden die Kommandohäftlinge neben dem weiteren Ausbau ihres Lagers bei der Enttrümmerung. Einige Frauen arbeiteten in der lagereigenen Nähstube, auch die Einrichtung einer Schuhmacherwerkstatt war geplant. Dennoch sah sich die Dresdner Polizei erheblicher Kritik ausgesetzt.243 Neben den prekären sanitären Zuständen forderte besonders die Situation der inhaftierten Frauen Proteste heraus. Die sowjetischen Besatzungsbehörden veranlassten die deutschen Verwaltungen im Sommer 1945 zu einem verschärften Vorgehen gegen die Prostitution, weil deutsche Frauen ihrer Meinung nach die sprunghafte Ausbreitung venerischer Infektionen unter den Soldaten verursachten, für deren Bekämpfung keine geeigneten Medikamente zur Verfügung standen. Auch unter der deutschen Bevölkerung beobachteten die Ärzte eine 239 Abschrift Volkszeitung vom 17. 8.1945, „Baracken für Kommandohäftlinge in Vorbereitung“ (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 68, Bl. 17). 240 Volksstimme vom 11. 9.1945 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, S. 4). 241 Schreiben Weidauers vom 27. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, nicht paginiert). 242 Vgl. Protokoll der Polizeileitersitzung vom 24. 9.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 243 Bericht über den Aufbau und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden vom Mai bis Oktober 1945 (Kommandohaft) vom 18.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Zunahme von Geschlechtskrankheiten. Die eigene Bevölkerung erreichte sie allerdings mit sozialhygienischen und medizinischen Maßnahmen besser, die sowjetischen Soldaten hingegen entzogen sich einer Registrierung wie auch ärztlicher Behandlung. Sie unterlagen Besatzungsrecht und demzufolge der Disziplinargewalt vorgesetzter Offiziere, die mit den örtlichen deutschen Gesundheitsbehörden nicht zusammenarbeiteten. Generell begünstigte der Verlauf der Krankheit ein solches Vermeidungsverhalten; bei Männern führt sie zu weniger schweren Symptomen. Deutsche Männer scheuten wie die sowjetischen Soldaten den Gang zum Amtsarzt. Frauen begaben sich häufiger in Behandlung. Trotzdem beschuldigten die Besatzungsbehörden sie, für die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten verantwortlich zu sein. Ein fehlendes Arbeitsrechtsverhältnis begründete in den Augen der Offiziere den Verdacht der Prostitution. Demzufolge sollten Frauen, insofern sie keine Beschäftigung nachweisen konnten, in die Kommandohaftlager eingeliefert werden. Hier erfolgte obligatorisch eine ärztliche Kontrolle und, bei nachgewiesener Infektion, die Behandlung im Krankenhaus. Ansonsten galt für die inhaftierten Frauen die Arbeitspflicht, normalerweise in Arbeitskommandos außerhalb des Lagers. Das hatte sich rasch unter den Soldaten der Roten Armee herumgesprochen, wie der Lagerleiter bereits nach vier Wochen meldete: „In letzter Zeit erscheint regelmäßig jeden Morgen ein Russe und verlangt eine Kommando. Ich verweigere dies immer, indem ich ihm erkläre, dass wir keine Leute frei haben. Manchmal lässt er sich abweisen, doch manchmal erscheint er wieder mit irgendeinem Kommandeur, der mir erklärt, dass es nur einmalig sei, dass die Leute zu essen bekämen, dass er nicht viele Leute brauchte usw. Wenn ich nun ein Kommando zur Verfügung habe, gebe ich es ihm mit. Es ist nun vorgekommen, dass sich Frauen mit russischen Soldaten den ganzen Tag einschließen ließen, und die Russen haben auch zwei solchen Frauen zur Flucht verholfen. Eine ist schon wieder aufgegriffen worden, die zweite ist in einem Russenlager in Dippoldiswalde, wird aber auch in den nächsten Tagen geholt werden.“244

Die deutschen Behörden konnten zwar ihren Anspruch auf Kontrolle nicht verwirklichen, sie zeigten sich energisch in der Bekämpfung von Syphilis und Gonorrhöe im eigenen Interesse. Abgesehen von sonstigen Folgen drohten die Kosten einer seuchenartigen Ausbreitung der Infektionen unermesslich zu steigen. Ihre Maßnahmen wurden allerdings von der Unfähigkeit der verantwortlichen Besatzungsoffiziere unterlaufen, die Kontrolle der Soldaten durchzusetzen, die die Rechtlosigkeit der inhaftierten Frauen ausnutzten. Obwohl die deutschen Polizeioffiziere diesen Zustand wiederholt ansprachen, änderte sich nichts. Bei einer Kontrolle des Lagers im Sommer des Jahres 1946 wurde festgestellt, dass fast alle weiblichen Häftlinge auf Anforderung der Roten Armee in deren Dienststellen zur Arbeitsleistung abgestellt würden und „eine beträchtliche Anzahl“ von ihnen sich „durch gewollten, teils durch ungewollten Geschlechtsver244 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 24. 9.1945 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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kehr mit Angehörigen der Roten Armee“ infiziert habe. Zwar versuche die Lagerleitung den Arbeitseinsatz der Frauen bei der Besatzungsmacht zu verhindern, das sei aber bisher vergeblich gewesen.245 Zudem gelang es den Wachmannschaften oft nicht einmal, die internierten Frauen innerhalb des Lagers vor den nächtlichen Nachstellungen sowjetischer Soldaten schützen.246 Die Internierungspraxis verhinderte nicht die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten, sie bewirkte keine Eindämmung der Prostitution und lieferte zudem unschuldige Personen den Übergriffen der Besatzungssoldaten aus. Überdies zeigte sich in der Kommandhohaft die geschlechtsspezifische Sicht der kommunistischen Akteure. Unter den wegen Unzucht, Kuppelei und Zuhälterei im Herbst 1945 verhafteten 237 Personen befanden sich nur 18 Männer. Die Frauen wurden bei einer vorliegenden Infektion stationär behandelt. Nach deren Abschluss kamen diejenigen, die „weder polizeilich noch beim Arbeitsamt gemeldet sind und sich ausschließlich ihren Unterhalt durch Unzuchtsverkehr verschafft haben“, in das Kommandohaftlager, obwohl sie aufgrund von Kriegsfolgen und nicht durch Eigenverschulden „heimat-, arbeits-, mittel- und wohnungslos geworden“ waren.247 Die Unterlagen der Lager weisen auch während des gesamten Jahres 1946 kontinuierlich mehr Frauen als Männer und eine große Anzahl jugendlicher Personen zwischen 14 und 21 Jahren auf.248 Opitz regte an, den Leitungsgremien der Arbeitshaftlager gerichtliche Befugnisse zu übertragen. Sie sollten permanent tagen und im Schnellverfahren Einweisungen aussprechen können.249 Die von ihm realisierten Haftlager sind Ausdruck der geringen Problemlösungskapazitäten der Polizei. Anstatt für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen, was ein deutliches Vorgehen gegen gewalttätige Besatzungssoldaten erfordert hätte, zielte der Polizeipräsident auf eine Erweiterung seiner außerrechtlichen Befugnisse. „Was jetzt passiert, kann uns aber auf viele Jahre Schande bringen.“250 Mit dieser Kritik sprach der ranghohe kommunistischer Funktionär Fritz Große die auch noch ein Jahr nach Kriegsende anhaltenden Sicherheitsdefizite im sächsischen Besatzungsgebiet an – die Gewaltakte sowjetischer Offiziere und Soldaten beeinträchtigten wie anderenorts den Alltag der Dresdner in einer Weise, dass die kommunistische Politik erheblichen Schaden davon trug. Genaue Zah245 Hauptgesundheitsamt, Zentrale zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten an den Polizeipräsidenten vom 12. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Gesundheitswesen 79, nicht paginiert). 246 Tätigkeitsbericht der Ordnungs- und Kriminalpolizei vom 3./4. 8.1946, Polizeipräsidium Dresden Rapportstelle vom 5. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 67, Bl. 108 ff.). 247 Tätigkeitsbericht der Sittenabteilung vom 23.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 248 Tätigkeitsbericht der Ordnungs- und Kriminalpolizei vom 29./30. 6.1946, Polizeipräsidium Dresden Rapportstelle vom 1. 7.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 67, Bl. 174 ff.). 249 Schreiben von Polizeipräsident Opitz vom 4. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 65, Bl. 33 ff.). 250 Mählert, Lage der SED, S. 228. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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len sind aufgrund der gezielten Desinformation nicht überliefert. Die Fülle der in Polizeiakten und verschiedenen Berichten dokumentierten Ereignisse deutet lediglich die Spitze eines Gebirges von Gewalt und Verbrechen an und wirft zwangsläufig die Frage auf, ob im ersten Nachkriegssommer für jene davon betroffenen Menschen der Krieg tatsächlich zu Ende – oder doch noch nicht vorüber war. Verbittert suchten sie nach Gerechtigkeit. Die Dresdner Polizei, die Ansätze zu einer solchen Gerechtigkeit hätte schaffen sollen, zeigte sich nicht nur personell, strukturell und materiell überfordert, sondern viel zu sehr mit Aufgaben der politischen Sicherung befasst. Die Sicherheit ihres Alltags blieb den Dresdnern selbst oder dem Zufall überlassen. Als ein betrunkener Soldat in das Grundstück eines Schuhmachers eindringen und dieser ihn daran hindern wollte, schoss der Soldat auf den Mann und nur ein glücklicherweise herbeieilender Offizier konnte den Marodeur entwaffnen. Andere hatten weniger Glück, besonders Frauen waren weder in der Öffentlichkeit noch in ihren eigenen vier Wänden sicher. Einen Tag nach dem Vorfall auf dem Grundstück des Schuhmachers brachen zwei betrunkene Soldaten in ein Haus ein und forderten die dort wohnende Frau auf, zur Kommandantur mitzukommen – um sie auf dem Weg dahin zu vergewaltigen. Anderen Frauen folgten die Rotarmisten von der Straße in die Wohnungen und vergewaltigten sie dort. Glück im Unglück hatte eine Dresdnerin, die nur ihren Schmuck und ihr Geld einbüßte, nachdem sie den „Antrag des russischen Soldaten, sich von ihm gebrauchen zu lassen“, abgelehnt hatte. Die Übergriffe erstreckten sich auf Zivilisten und auf Ordnungspolizisten gleichermaßen, deren Uniformen und Ausweise die sowjetischen Soldaten nicht akzeptierten. Unbewaffnet blieben sie Bewaffneten gegenüber hilflos.251 Die Gewalt auf der Straße begünstigte die Verfestigung bestehender Ressentiments. Obgleich die Gewalt der Eroberer sich gegen jeden und jede richtete, so doch überwiegend gegen Frauen,252 und die Empörung darüber, dass sich die sowjetischen Soldaten immer wieder an ihnen und sogar an schulpflichtigen Mädchen vergriffen, war groß. Deren Vorgesetzte hingegen wiesen jegliche Anschuldigung als völlig unbegründet zurück: „Die Rotarmisten kümmerten sich überhaupt nicht um Frauen und Mädchen. Wo es einmal geschehen sei, würde es sich um einen [einzelnen] Übergriff handeln, und wenn die Betreffenden zur Anzeigen kämen, würden sie bestraft.“253 Auch wenn sich die deutschen „AntiFaschisten“ ehrlich bemühten, die „Mentalität des russischen Soldaten zu verstehen“; die Überfälle, Vergewaltigungen und Plünderungen brachten sie zur Erkenntnis, dass sich die Bevölkerung aus Angst vor den Besatzern „loyal“ verhielt. In ihren zurückhaltenden Formulierungen zeigt sich das Entsetzen über 251 Bericht der Kommandantur der Ordnungspolizei Dresden vom 28. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 67, Bl. 3 ff.). Vgl. Tagebucheintrag vom 14. 8.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 74 f. 252 Vgl. Kowalczuk/Wolle, Roter Stern, S. 35 ff. 253 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes der Stadt Dresden vom 14. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 125). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die in vieler Hinsicht der „nationalsozialistischen Gräuelpropaganda“ entsprechende Realität des Besatzungsalltags.254 Übergriffe, Sanktionen, Festnahmen und Internierungen förderten das Klima der Angst. Angst sollte möglich erscheinenden Widerstand gegen die sowjetische Besatzungsherrschaft im Keim ersticken und die Errichtung des kommunistischen Herrschaftsapparates flankieren. Dem diente auch der Aufbau der Polizei. Zwar mussten die deutschen Kommunisten zuerst an den lokalen Militärbehörden der Besatzungsmacht vorbei agieren und verschiedene Friktionen in Kauf nehmen wie die Aktivitäten der „Antifa-Komitees“ zur Eindämmung von Sicherheitsdefiziten, doch schließlich errichteten sie in Dresden sehr früh neben dem regulären einen politischen Sicherheitsapparat, der bereits die Grundmuster der späteren Geheimpolizei enthielt. Die politische Polizei diente der Ausschaltung von nationalsozialistischen Gegnern des „Neuaufbaus“ ebenso wie der Eliminierung von potentiell im Lager der anderen Parteien vermuteten Gegnern der Diktatur. Die Zusammenarbeit mit der sowjetischen Besatzungsmacht und ihre ultimative Unterstellung machte die deutsche Polizei zu einem Instrument der Desinformation und der Flankierung des sowjetischen Terrors.255 Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand nicht der Schutz der Bevölkerung vor Kriminellen. Den Ausschlag gaben die Absichten der Sowjetunion, die deutsche Polizei zu einem wichtigen Faktor ihrer Besatzungsherrschaft zu machen. Die ausschließliche und einseitige Unterordnung unter die sowjetischen Sicherheitsinteressen bedingte nicht nur ihre strukturelle Ableitung aus dem sowjetischen Sicherheitsapparat. Mit der Polizei schufen sowjetische und deutsche Kommunisten ein Instrument zu dem Zweck, eine Herrschaft zu errichten, die sich nicht auf die Loyalität der Beherrschten stützte: „Die Polizei soll das Machtinstrument des Staates werden“,256 so formulierte es im Herbst 1945 der Chef der sächsischen Landespolizeibehörde Arthur Hofmann.257 Um dieses Ziel zu erreichen, führte die KPD die von den sowjetischen Kommunisten übernommene Praxis, Polizeiorgane für politische Zwecke einzusetzen, fort. Sie konzipierte sie zu Instrumenten der politischen Säuberung. Nur wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann in Dresden eine 254 Stimmungsbericht des 14. Polizeireviers vom 9. 8.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 73, nicht paginiert). 255 Vgl. Finn, Speziallager, S. 345. 256 Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 179). Vgl. Tantzscher, Vorläufer, S. 130 ff. 257 Artur Hofmann 1907–1987, Schlosser, 1923 Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes, 1931 Eintritt in die KPD. Seit 1931 UdSSR, Arbeit in der Industrie, 1943/44 Sonderlehrgang der KPD-Schule, anschließend Propagandist in Kriegsgefangenenlagern, Partisan in Polen. 1945 Mitglied der „Gruppe Ackermann“, bis Oktober 1945 Stellvertreter des Bürgermeisters bzw. des Landrates in Görlitz, danach bis 1949 Chef der VP-Landesbehörde Sachsen, 1949–1951 Innenminister. Weitere Funktionen im Parteiapparat, seit 1953 Mitarbeiter des MfS und 1957–1967 Stellv. Operativ der Bezirksverwaltung Dresden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Entwicklung, die folgerichtig zum so genannten „Schild und Schwert der Partei“, dem späteren Ministerium für Staatssicherheit (MfS) führte. Obwohl die SMAD offiziell den Parteien den Auftrag zur Beseitigung nationalsozialistischer Überreste erteilt hatte, spielten sie eine untergeordnete Rolle bei der anti-nazistischen Säuberung der Gesellschaft. Die deutsche Polizei, ein Herrschaftsinstrument mit Anspruch auf Totalität, vervollständigte neben den Personalämtern der Verwaltungen und den sowjetischen Sicherheitsorganen die Entnazifizierungstrias der politischen Neuordnung: 1.) Die gezielte Herstellung der neuen Einwohnermeldekartei, auf die später auch das MfS noch zurückgriff, bildete die Basis für den ersten groß angelegten Versuch zum Aufbau eines flächendeckenden Überwachungssystems. 2.) Die effektive Erfassung von 85 000 Angehörigen der nationalsozialistischen Organisationen unterstreicht eindrucksvoll die dem kommunistischen Machtapparat innewohnende repressive Potenz, die das Mobilisierungspotential demokratisch verfasster Gesellschaften bei weitem übersteigt. 3.) Die Einrichtung von Kommandohaftlagern und die uneingeschränkte Verfügung über Disziplinierungsmittel in der Hand weniger Personen demonstriert ein Modell zur sozialrepressiven Konditionierung der Nachkriegsgesellschaft mit deutlichen Anleihen bei der nationalsozialistischen Diktatur. 4.) Die für die unmittelbare Nachkriegszeit untersuchte polizeiliche Praxis in Dresden, die nur bedingte Gemeinsamkeiten mit der sonst üblichen Tätigkeit einer Polizei aufweist, resultierte aus den Gründungsumständen dieser Polizei, deren Aufbau auf Anweisung kommunistischer Parteifunktionäre und unter ihrer maßgeblichen Beteiligung erfolgte. Auf Fachkompetenz bewusst verzichtend, stellten sie bevorzugt Anhänger ihrer Partei ein und benachteiligten andere Bewerber. 5.) Unter Polizeipräsident Opitz entstanden in Dresden bereits im Frühsommer 1945 Vorläuferstrukturen einer politischen Polizei, die das Vorbild abgaben für den später auf Landesebene erfolgten Aufbau der für die Verfolgung politischer Straftaten zuständigen Kommissariate 5, der K 5. Über den Verbindungsoffizier unterstanden diese formal zur deutschen Kriminalpolizei gehörenden Abteilungen faktisch dem sowjetischen Geheimdienst. 6.) Die Unberechenbarkeit des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die vermeintlichen und tatsächlichen politischen Gegner verstärkte die an sich schon bestehende Angst der Bevölkerung vor der Besatzungsmacht. Die Furcht vor dem Terror begünstigte die kommunistische Diktaturdurchsetzung.

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VI. Transformationspolitik „entsprechend den Instruktionen“ In dem Aufruf vom 11. Juni 1945 formulierte das Zentralkomitee der KPD abschließend recht vage, das vorgestellte „Aktionsprogramm“ könne der künftigen „Schaffung eines Blocks der antifaschistischen, demokratischen Parteien“ als Grundlage dienen. Ein derartiger Block, so die von den kommunistischen Parteiführern vertretene Auffassung, sei geeignet, die „feste Grundlage im Kampf für die völlige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes und für die Aufrichtung eines demokratischen Regimes bilden“.1 Mit diesem Junktim der doppelten Grundlage stellten die Kommunisten entgegen ihrem moderaten Auftreten beiläufig ihren Führungsanspruch bei der anzustrebenden politischen Entwicklung heraus: Das kommunistische Programm müsse die Grundlage der gemeinsamen Politik der Parteien sein, der Parteienblock seinerseits bilde die Grundlage der Demokratie, ergo bestimmte die KPD-Führung den Kurs der Demokratie.2 Vor Dresdner Arbeitern formulierte es Hermann Matern wesentlich bestimmter: „Das Aktionsprogramm unserer Partei hat die Voraussetzungen geschaffen für die Zusammenarbeit der beiden Arbeiterparteien mit den bürgerlich-antifaschistisch-demokratischen Parteien, es bildet die Grundlage für den Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien.“ Die Stringenz dieser Schlussfolgerung sahen freilich im Sommer jenes Jahres Sozialdemokraten auf der einen und LDP- sowie CDU-Politiker auf der anderen Seite nicht, denn die ihnen gegenübertretenden Kommunisten verhielten sich moderat. Und mit deren lauthals verkündeter Absicht, demokratische Rechte und Freiheiten wiederherzustellen, stimmten sie überein. Doch für Matern stand fest, dass seine Partei mit ihrem „Aktionsprogramm“ der „demokratischen Erneuerung“ die Konturen verlieh, nur so werde die „wirklich demokratische Entwicklung“3 möglich. Das lief auf eine bedingungslose Unterwerfung hinaus und Klemperer erwartete nach internen Gesprächen, die KPD werde sich zum „Block“ ebenso verhalten, wie seinerzeit „die NSDAP dem Stahlhelm“ und anderen Parteien gegenüber.4 Zum einen lag der Zusammenarbeit der Parteien die eindeutige Absichtserklärung der KPD-Führung zugrunde, doch CDU und LDP willigten häufig aus eigenem Antrieb darin ein. Die Überzeugung, dass die Nachkriegsnot nur mit gemeinsamen Anstrengungen zu überwinden sei, bestärkte die Parteien bei die1 2 3 4

Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 8–16. Vgl. Wettig, Kontrastprogramm, S. 104 f. Referat von Hermann Matern vor den Arbeitern des Gaswerkes Reick vom 17.10.1945 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 51, Bl. 24). Tagebucheintrag vom 16. 9.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 107. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Transformationspolitik „entsprechend den Instruktionen“

sem Entschluss ebenso wie der Wunsch, die politische Entwicklung in Ermanglung demokratischer Institutionen auf diesem Weg zu beeinflussen. Ihrer Struktur nach stellten die Gremien der Blockpolitik, die paritätisch besetzten „Einheitsfront-Ausschüsse“, einen „Ersatz für das fehlende Parlament“ dar.5 Eine Weisungsbefugnis höherer an untere Blockausschüsse bestand nicht, demnach schienen voneinander abweichende Entscheidungen der einzelnen Ebenen möglich. Der von Andreas Hermes auf der ersten Sitzung des „Gemeinsamen Ausschusses der vier Parteien“ in Berlin erhobene Einspruch gegen die Bezeichnung „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ stieß zwar auf heftigen Widerspruch Wilhelm Piecks, doch die von dem vermittelnden Wilhelm Külz als Variante vorgeschlagene Bezeichnung „Einheitsfront“ akzeptierten schließlich alle Anwesenden.6 Die hier ausgeräumten, jedoch grundsätzlichen Befürchtungen von Hermes, der im Block „eine zu feste Bindung“ an die von den anderen Parteien vertretene Politik und ein Hindernis bei der „Errichtung einer parlamentarischen Demokratie“ sah,7 sollten sich in der weiteren Entwicklung bewahrheiten. Vorerst beschlossen die vier Parteien die „Bildung einer festen Einheitsfront [...], um mit vereinter Kraft die großen Aufgaben zu lösen“, ausdrücklich unter „gegenseitiger Anerkennung ihrer Selbständigkeit“.8 Mit ihrer Zustimmung zum Konsensprinzip bei der politischen Entscheidungsfindung in der „Einheitsfront“ verließen hingegen SPD, LDP und CDU die Basis des Parlamentarismus und ermöglichten der KPD mit Hilfe der Blockpolitik die Steuerung des Parteiensystems.9 Denn die von den Parteien gebilligte Geschäftsordnung des zentralen Ausschusses erklärte die „auf dem Wege der Vereinbarung, somit nicht durch Abstimmung“ zustande gekommenen Beschlüsse zu obligatorischen Parteibeschlüssen.10 Mit dem Prinzip der Einstimmigkeit verzichteten Demokraten auf das wichtigste Element der parlamentarischen Demokratie und ließen sich in ihrer Handlungsfreiheit beschneiden.11 Im Mittelpunkt des kommenden Abschnitts wird die politische Praxis der Blockpolitik stehen. Das Zögern von Hermes in Berlin zeigte, dass den Funktionsträgern von LDP und CDU der Geburtsfehler der „Einheitsfront“ nicht verborgen geblieben ist. Sie betraten nicht blind die politische Arena. Andererseits 5 Vertrauliche Instruktion der LDP-Führung für die Ortsgruppenbildung vom 24. 7.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 186 ff. Vgl. Bode, Liberal-Demokraten, S. 43; Malycha, SED, S. 70; Richter, Entstehung und Transformation, S. 2518. 6 Gniffke, Jahre, S. 52. 7 1. Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses der vier Parteien vom 14. 7.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 299 ff. Vgl. Keiderling, Scheinpluralismus und Blockparteien, S. 290 ff. 8 Kommuniqué über die Bildung der Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 14. 7.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 301 f. 9 Vgl. Malycha, SED, S. 57; Schroeder, SED-Staat, S. 33; Thüsing, Landesverwaltung, S. 167. 10 Geschäftsordnung des Zentral-Ausschusses der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 27. 7.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 304. 11 Vgl. Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 283 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Einbindung der Parteien in die Blockpolitik

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entstand für die KPD-Führung, die zwar in der Dresdner Stadtverwaltung entscheidende Positionen mit linientreuen Funktionären besetzt hatte, durch das Konsensprinzip in den „Einheitsfront-Ausschüssen“ das Risiko von Zugeständnissen an die anderen Parteien. Diese gingen mit einer diesbezüglichen Erwartungshaltung in die Beratungen mit den Kommunisten, die ihrerseits hingegen nicht Kompromisse eingehen, sondern eine entstehende Opposition verhindern wollten. Besonders deutlich zeigte sich das in der Personalpolitik im Dresdner Rathaus. Hier konnten die kommunistischen Funktionäre ihr Programm zur Erringung der Herrschaft überraschend schnell umsetzen und mit der Vereinigung von KPD und SPD zur SED eine entscheidende Etappe auf dem Weg ihrer Transformationspolitik zurücklegen.

1.

Die Einbindung der Parteien in die Blockpolitik

Wie zuvor schon in Berlin stellte auch die hiesige KPD-Führung vor der Gründung des Parteienblocks in Dresden die so genannte „Aktionseinheit“ mit der SPD her.12 Der zu diesem Zweck am 3. Juli gebildete gemeinsame Aktionsausschuss vereinbarte die enge Zusammenarbeit beider Parteien beim Wiederaufbau des Landes und legte die erforderlichen Schritte fest, um mit den anderen Parteien „einen festen Block“ zu bilden.13 Einen entsprechenden Aufruf leitete die KPD umgehend der Presse zu. Die Sozialdemokraten bemerkten das vereinnahmende Taktieren offenbar nicht, Bedenken gegen die Bezeichnung „Block“ trugen sie nicht vor. Fixiert auf das Trauma des Nationalsozialismus, das sich nicht wiederholen dürfe, wollten sie, wenn sie nicht eine gemeinsame Arbeiterpartei aufbauen sollten, die Kooperation mit der KPD. Die Ideologie des „Anti-Faschismus“ erwies sich als Prokrustesbett für die sozialdemokratische Politik. Die KPD-Führung wollte lediglich die Einbindung der Sozialdemokraten und deren Einwilligung in die Zusammenarbeit erreichen, den organisatorischen Aufbau der Partei behinderte sie mit Unterstützung maßgeblicher sozialdemokratischer Einheitsbefürworter wie Otto Buchwitz und Rudolf Friedrichs.14 Ihren eigenen Gründungsaufruf durfte die SPD erst „nach Genehmigung durch die Kommandantur“ veröffentlichen, von dem Beschluss zur Zusammenarbeit beider Parteien erfuhr die Dresdner Öffentlichkeit schon Tage zuvor.15 Damit entstand nicht nur der Eindruck einer engen Anbindung der Sozialdemokraten an die KPD, sondern ein erheblicher Gleichschaltungsdruck,

12 Vgl. Malycha, SED, S. 67. 13 Vereinbarung der Landesgruppe Sachsen der SPD mit der Bezirksleitung Sachsen der KPD vom 3. 7.1945 über die Bildung eines gemeinsamen Arbeitsausschusses. In: Dokumente und Materialien, S. 45 f. 14 Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 58. 15 Gründung der SPD im Bundesland Sachsen, o. D. [wahrscheinlich Frühjahr 1946] ohne Verfasser (SAPMO-BArch, DY 28 II 3/4/1, Bl. 18 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Transformationspolitik „entsprechend den Instruktionen“

mittels dessen die kommunistischen Funktionäre das Wiederaufleben regionaler Eigenständigkeiten in der SPD verhinderten.16 Die kommunistischen Parteiführer veranlassten im Sommer 1945 gleichfalls den Zusammenschluss aller Parteien im „Landesausschuss Sachsen des antifaschistisch-demokratischen Blocks“ und analog dazu in lokalen Einheitsfrontausschüssen.17 Sie erwirkten von der SMA, dass die jeweils örtlich zu erteilende Genehmigung für die Parteigründung an die Zusage zum Eintritt in die lokalen Blockausschüsse gebunden wurde.18 Aufgetretene Verzögerungen beruhten wesentlich auf Materns Interventionen bei der Besatzungsmacht, der mit dem Argument, Liberal- und Christdemokraten müssten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekräftigen, den Vorsprung seiner Partei ausbaute.19 Die Gründungssitzung der „Einheitsfront“ aller vier Parteien auf Landesebene fand in Dresden am 16. August 1945 statt,20 fünf Tage ehe die Besatzungsmacht der CDU die Lizenz zur Parteigründung erteilt und zwei Tage nachdem die LDP ihre Arbeit tatsächlich aufgenommen hatte. Von einer Freiwilligkeit konnte hier jedenfalls nicht gesprochen werden. Tatsächlich befürchteten liberaldemokratische Politiker, von der kommunistischen Seite nicht als gleichberechtigte Mitglieder behandelt zu werden und zögerten, das Bündnis zu akzeptieren. Bedenken über das möglicherweise grundsätzlich entgegengesetzte „Interesse der KPD und SPD an der Aufnahme unserer Arbeit im Antifaschistischen Ausschuss“21 entkräftete Oberbürgermeister Müller, der sich vom Zusammenwirken der Liberaldemokraten mit KPD und SPD in den Ausschüssen eine Korrektur der radikalen Säuberungspolitik versprach.22 Diese Überzeugung teilte schließlich auch der Dresdner Vorstand der zu dem Zeitpunkt noch unter der Bezeichnung DPD firmierenden liberalen Partei. Der „eigentliche Kampf um die Macht“, konstatierte er Ende Juli 1945, spiele sich „innerhalb der Antifaschistischen Ausschüsse ab“ und er werde sich daran beteiligen. Der Parteivorstand entschied die unter den Liberalen entbrannte Diskussion zugunsten einer Kooperation und wollte „jede sich bietende Möglichkeit zur Herstellung und Vertiefung der politischen Fühlungnahme mit den anderen Parteien wahrnehmen“. Auf die Bildung „einer engeren Ar-

16 17 18 19

Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 60 f. Vgl. Zillig, Mitarbeit, S. 24. Wilde, SBZ-CDU, S. 148. Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 14. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 163. 20 Thüsing, Landesverwaltung, S. 171. 21 Niederschrift über die 2. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 19. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18542, nicht paginiert). 22 Aktennotiz über die Besprechung mit Oberbürgermeister Dr. Müller vom 23. 7.1945 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Einbindung der Parteien in die Blockpolitik

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beitsgemeinschaft“ von KPD und SPD reagierte der Vorstand mit dem Entschluss zur verstärkten Zusammenarbeit mit den Christdemokraten.23 Umgehend teilte der Liberaldemokrat Dieckmann seinem früheren Parteifreund Hickmann mit, zwischen beiden Parteien werde „alles etwa Trennende zurückgestellt und das Gemeinsame und Gemeinschaftliche in den Vordergrund gerückt“. Seine Partei habe die sofortige Zulassung beantragt, damit die „Antifaschistischen Ausschüsse baldigst in ihrer vorgesehenen vollen Besetzung“ mit der Arbeit beginnen könnten. Von einem Zusammengehen mit den Christdemokraten erhoffe er sich „positive und segensreiche Ergebnisse für die vor uns stehende unendlich schwierige Gemeinschaftsarbeit zum geistigen, geistlichen und leiblichen Wohle unseres so schwer geschlagenen lieben Volkes“.24 Die Haltung Dieckmanns drückte das Dilemma aus, das die demokratischen Politikansätze gefangen hielt. Um politische Verantwortung wahrnehmen zu können, musste die Kooperation mit den anderen gestaltenden Kräften gesucht sowie der vernünftige Kompromiss mit der konkurrierenden KPD und mit der Besatzungsmacht gefunden werden. Bei allem Bemühen um den Konsens, so Dieckmann, dürfe die Partei aber nicht die Grenze zur Preisgabe oder Verleugnung ihrer politischen Grundsätze überschreiten, da sie sonst ihre Existenzberechtigung verliere.25 Entgegen seinen inneren Zweifeln bekundete Dieckmann öffentlich Zustimmung. Die kommunistische „Volkszeitung“ zitierte ein enthusiastisches Bekenntnis Dieckmanns zur „Einheitsfront“.26 Auch wenn eine entstellte Wiedergabe der Äußerung nicht auszuschließen ist, ging Dieckmann in seinem Selbstbetrug die Fähigkeit, zwischen Kompromiss und Opportunismus zu unterscheiden, in der Folgezeit verloren, und er gab seine demokratisch-parlamentarischen Grundüberzeugungen zunehmend auf. Der spätere sächsische Ministerpräsident Max Seydewitz schilderte den nachmaligen DDR-Volkskammerpräsidenten Dieckmann als einen überzeugten „Vertreter ehrlicher Blockpolitik, der immer mit der SED auf der richtigen Seite stand“.27 Er entwickelte gleich anderen führenden Politikern von LDP und CDU ein spezifisches Verständnis der Blockpolitik, jenseits der Prinzipien einer parlamentarischen Demokratie, in denen er „formalistisch-demokratisches Denken“ erblickte.28 Das öffnete ihm in der DDR eine politische Karriere, in der er bis zu einem der stell23 Niederschrift über die 3. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 27. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert). 24 Schreiben von Dieckmann an Hickmann vom 28. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18538, nicht paginiert). 25 Vgl. Aktennotiz über eine Aussprache zwischen Scheiding und Dieckmann vom 2. 8.1945 (ebd., nicht paginiert). 26 Vgl. Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 73. 27 Seydewitz, Lebenserinnerungen Band 2, S. 260; zu Dieckmann auch Bode, Liberal-Demokraten, S. 166; Sommer, Liberal-Demokratische Partei, S. 98–109 und 158–165; Zeidler, Johannes Dieckmann. 28 Richter, Entstehung und Transformation, S. 2519. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vertretenden Vorsitzenden des Staatsrates avancierte. Zwar ließen ihn die Offiziere der Besatzungsverwaltung überwachen, weil sie ihm nicht trauten, aber ihre Befürchtung, er könne einen „reaktionären Kurs“ einschlagen,29 schadete seiner Karriere nicht. Anpassungsbereite Politiker von LDP und CDU spielten bei der Ausschaltung innerparteilichen Widerstands eine verhängnisvolle Rolle, weil sie ein einheitliches Auftreten gegenüber totalitären Anmaßungen verhinderten. Der Begriff Blockpolitik bezeichnete eine gegen parlamentarische Strukturen gerichtete Politik, an der die KPD-Führung stets festhielt, auch wenn sie sich anfänglich der offiziellen Formel „Einheitsfront“ bediente. Hermes umschrieb bereits Ende Oktober 1945 resigniert die Abstimmungspraxis in der „Einheitsfront“ als „Vorherrschaft einiger Richtungen“. An die Adresse der SMAD richtete er die Erwartung, „dass den grundsätzlichen Auffassungen aller Parteien die Möglichkeit uneingeschränkter Entfaltung und Vertretung gewährleistet“ bleiben müsse. Bei einer Beschränkung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit seiner Partei durch die „Einheitsfront“ sah er das Ende der Zusammenarbeit erreicht: „Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ bildeten „Prüfstein und Begrenzung der Einheitsfront“.30 Die Unbeugsamkeit, mit der Hermes diese Auseinandersetzung führte, gipfelte in seiner Absetzung am 19. Dezember 1945. Davon ging ein deutliches Signal aus, mit dem die Besatzungsmacht die Grenze ihrer Toleranz markierte. Anfang August 1945 betrieben die Vertreter der Dresdner LDP mit der Aufnahme in die „Einheitsfront“ energisch ihren Versuch, auf diesem Weg dem kommunistischen Übergewicht in der Stadtverwaltung Paroli zu bieten. Sie erwogen, mit der Aufstellung eines „paritätisch zusammengesetzten ehrenamtlichen Stadtrats“ dem kommunistisch dominierten amtierenden Magistrat entgegenzutreten.31 Dabei wollten sie sich der Zusammenarbeit der noch zögernden Christdemokraten versichern und beeinflussten diese in ihren Entscheidungen. Sie teilten ihnen mit, „dass sie vom Stadtkommandanten registriert [seien] und auf Ersuchen des Herrn Matern (KPD) im Block der antifaschistischen Parteien“ mitarbeiteten. Er habe sie beauftragt, „die CSV um Mitarbeit zu ersuchen, auch wenn die Registrierung noch aussteht“. Der „Antifaschistische Block“ solle auch von ihrer Seite mit drei Vertretern besetzt werden.32 Die Dresdner Christdemokraten verfolgten wohl dieselbe Strategie wie Hermes in Berlin, der zur Wahrung der Entscheidungsfreiheit vor den Gesprächen über ein Zusammengehen der Parteien eine Garantieerklärung über die Unab29 Raschka, Kaderlenkung, S. 72 f. 30 Erklärungen der Parteivorsitzenden zur Einheitsfront auf Fragen der Redaktion der „Täglichen Rundschau“ vom 1.11.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 309 ff. 31 Niederschrift über die 4. Vorstandssitzung der Demokratischen Partei Deutschlands vom 9. 8.1945 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–261, nicht paginiert). 32 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 14. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). Vgl. Baus, zwischen Widerstand und Gleichschaltung, S. 134 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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hängigkeit seiner Partei anstrebte.33 Unter dem Einfluss der LDP setzten sich die zum Einlenken neigenden Dresdner Christdemokraten durch und nominierten Vertreter der Partei, die am 20. August 1945, einen Tag vor ihrer Zulassung, an der ersten gemeinsamen Sitzung des Dresdner Blockausschusses teilnahmen.34 Der von Anbeginn bei den bürgerlichen Parteien wirkende Mechanismus der wechselseitigen Beeinflussung, der die Kommunisten in die Lage versetzte, sie gegeneinander auszuspielen, verringerte noch ihre Möglichkeiten zur Wahrung einer relativen Unabhängigkeit. Doch unzweifelhaft bestand dazu zu keinem Zeitpunkt eine reelle Chance. Den Handlungsspielraum der Parteiführungen begrenzten nicht allein die Vertreter von Besatzungsmacht und KPD. Abgesehen von dem Druck, den sie ausübten, arbeiteten zuvor schon in verschiedenen Dresdner Stadtbezirken Mitglieder aller Parteien in gemeinsamen Gremien unter der Bezeichnung „Antifaschistischer Aktionsausschuss“.35 Die Parteiführungen stellten sich also mit ihren Entscheidungen auf den Boden von offenkundigen Tatsachen, die teilweise in der Kontinuität von „Antifa-Komitees“ bereits existierten. Andererseits fiel die Entscheidung über die Zusammenarbeit der Parteien in Dresden vergleichsweise spät. In Chemnitz etwa erfolgte die „Bildung des antifaschistischen Blockes“ bereits am 26. Juni.36 Den Beschluss von KPD, SPD, LDP und CDU über die Herstellung der „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ in Dresden druckte die kommunistische „Volkszeitung“ am 23. August 1945 ab. Nachdem die Parteien bereits in der Berliner Gründungserklärung der zentralen Einheitsfront am 14. Juli 1945 ein Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und eine Garantie der Geistes- und Religionsfreiheit verankert hatten, fand sich eine solche Formulierung in der Dresdner Erklärung ebenfalls. Die „Einheitsfront“ sah ihre „Hauptaufgabe“ in der „Herstellung voller Rechtssicherheit auf der Grundlage des demokratischen Rechtsstaates“.37 Positive Äußerungen wie diese ließen eine unkritische Haltung zur Blockpolitik entstehen. Wer nicht wie Scheiding, Dieckmann und andere Gründungsmitglieder von LDP und CDU in Dresden einen Blick auf die subtile oder offene Pression hinter den Kulissen werfen konnte,38 sah keinen Grund, der KPD-Führung die demokratische Rhetorik und die politische Läuterung nicht zu glauben.39 So 33 Vgl. Keiderling, Scheinpluralismus und Blockparteien, S. 288. 34 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 21. 8.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 35 Vgl. Bezirksverwaltung VII, Bekanntmachung des Antifaschistischen Aktionsausschusses vom 9. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 86). 36 Gründung der SPD im Bundesland Sachsen, o. D. [wahrscheinlich Frühjahr 1946] ohne Verfasser (SAPMO-BArch, DY 28 II 3/4/1, Bl. 25). 37 Beschluss der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 20. 8.1945. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 399 ff. Vgl. Richter, Entstehung und Transformation, S. 2520. 38 Vgl. zur Steuerung und Kontrolle des politischen Lebens durch sowjetische Organe Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 181–201. 39 Vgl. Henke, Auseinandersetzung, S. 77; Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 252 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ließ die Berliner LDP-Führung an die Basis ihrer Partei durchstellen, trotz der teilweise vorhandenen unterschiedlichen Auffassungen werde man sich mit den anderen Parteien einigen, da das Verhältnis „jedenfalls an der Spitze ein durchaus gutes“ sei.40 CDU und LDP erwarteten eine konstruktive Zusammenarbeit in der „Einheitsfront“ und Korrekturen an der bisher allein von der KPD verantworteten Politik, etwa an der Verordnung zur „Kommandohaft“ oder an überzogenen Sanktionen gegen ehemalige NSDAP-Mitglieder. Auch die Zustimmung der KPD zur Aufstellung von Beiräten bei den Stadtbezirkswohnungsämtern aus Vertretern aller vier Parteien schien ein hoffnungsvoller Anfang zu sein, um künftig Ungerechtigkeiten bei der heftig umstrittenen Vergabe von Wohnraum auszuräumen.41 Überdies hatten die Älteren unter ihnen die Sozialdemokraten als demokratische und pragmatische Politiker der Weimarer Republik in Erinnerung und hielten ein Zusammengehen mit ihnen für möglich.42 Die KPD-Mitglieder in der Verwaltung verhinderten aber weitgehend die Gestaltungsversuche der konkurrierenden politischen Kräfte, auch die im Herbst von der Landesverwaltung vorgesehene Nominierung beigeordneter Gemeindeausschüsse in den Stadträten ignorierten sie. Die während der ersten Wochen gestellten Weichen der politischen Entwicklung beeinflussten entscheidend ihren weiteren Verlauf. Der Lernprozess liberaler und christdemokratischer Parteimitglieder über die in dieser „Demokratie“ geltenden Spielregeln setzte erst spät ein. Die Parteiführungen gaben sich trotz gegenteiliger Anzeichen einer gefährlichen Selbsttäuschung hin, sie schrieben wohl die anfänglichen Friktionen den besonderen Bedingungen der Besatzungspolitik zu und unterstützten die Aufforderung an ihre Mitglieder in den Stadtbezirken, sich gleichermaßen in der „Einheitsfront“ zu organisieren. Während sie sich davon aktive politische Gestaltungsmöglichkeiten versprachen, gingen die Strategen der KPD bereits einen Schritt weiter. Das soeben installierte Instrument der „Einheitsfront“ konnten sie bei Bedarf wirksam einsetzen, SPD, CDU und LDP konzentrierten sich auf die dort erwarteten Auseinandersetzungen. Die KPD ging daran, die Arbeiter und Angestellten in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen für sich zu gewinnen. Ihre dauerhaft erfolgreiche Usurpation der Herrschaft konnte nur bei einer festen Verankerung linientreuer Kommunisten in sämtlichen öffentlichen Bereichen gelingen.

40 Vertrauliche Instruktion der LDP-Führung für die Ortsgruppenbildung vom 24. 7.1945. In: Weber, Parteiensystem, S. 186 ff. 41 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 4. 9.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 42 Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes und des Arbeitsauschusses der SPD vom 7. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.03.002, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Sofort nachdem die KPD den Parteienblock in Dresden hergestellt hatte, mobilisierte sie die anderen Parteien für ihre Propaganda. Gleich der Anfang August in Chemnitz stattgefundenen öffentlichen Trauerfeier für die „Opfer des Faschismus“43 plante sie für September die Veranstaltung mehrerer Großkundgebungen in ganz Dresden.44 Zu diesen beschönigend „Aufklärungsversammlungen“ genannten Propagandaveranstaltungen lud die KPD auch Redner der anderen Parteien.45 Gemeinsam richteten sie eindringliche Appelle an die Dresdner Bevölkerung und forderten sie auf, sich mit reger Beteiligung vom Nationalsozialismus zu distanzieren. Am letzten Samstag im September fand ein von der KPD inszenierter Aufmarsch zu Ehren der „Opfer des Faschismus“ statt. Einen Tag zuvor war unter großem Publikums- und Presseandrang der „Radeberger Prozess“ gegen das Personal eines Zwangsarbeitslagers zu Ende gegangen. Ein „Volksgericht“ hatte hohe Haftstrafen und „die ersten Todesurteile deutscher Gerichte im besetzten Nachkriegsdeutschland“ verhängt.46 Unverkennbar zeigten sich darin Anfänge einer Strategie der Ritualisierung, mit der die KPD-Führung die Trennung vom Nationalsozialismus vorantrieb, um Zustimmung für ihr Gesellschaftssystem zu erlangen. Vorausgegangen waren Überlegungen der „Kommunalen Hilfsstelle“ in der Bautzner Straße 2, die sich nach dem Wegfall ihrer Aufgaben bei der Beseitigung der „Antifa-Komitees“ in der Hilfe für „Opfer des Faschismus“ profilierte.47 Die dort tätigen Kommunisten zielten auf die Verknüpfung von Sozialfürsorge mit politischen Aspekten, um der Hilfsstelle „den richtigen politischen Inhalt und einen breiten Rahmen“ zu geben. Sie erwarteten von den nationalsozialistischen Opfern eine Popularisierung ihrer Politik und schlugen die „Durchführung einer Versammlungs-Kampagne mit dem Ziel einer Groß-Kundgebung über (sic!) ganz Dresden“ vor. Die Kommunisten hielten eine solche Sympathiewerbung für wünschenswert, um über die vor ihnen „stehenden Schwierigkeiten hinwegzukommen“. Sie befürchteten bei den massiv auftretenden Versorgungsproblemen unter den hungernden Einwohnern der Stadt ein Umschlagen der Stimmung spätestens im Winter. Dem wollten sie rechtzeitig begegnen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Schuld an den Verhältnissen bereits den Kommunisten und der Roten Armee zugeschoben wird. Wir müssen

43 Vgl. Behring, Massenaufmärsche, S. 371–409. 44 Bericht von der UBL-Sitzung vom 16. 8.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, nicht paginiert). 45 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 4. 9.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 46 Werkentin, Todesstrafe, S. 200. Vgl. Kapitel V.5. 47 Vgl. Tagebucheintrag vom 5.10.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 120. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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erreichen, dass die Masse anfängt nachzudenken, und ihrem Denken müssen wir die Richtung geben.“48 Wenig später verlangte Matern von den sächsischen Kommunisten, den „ideologischen Kampf gegen den Nazismus mit neuen Mitteln“ zu führen. Der in diesem Jahr erstmalig in Sachsen vorbereitete „Gedenktag für die Opfer des Faschismus“ solle „im nächsten Jahr [...] einheitlich in ganz Deutschland“ stattfinden.49 Auch wenn die Kundgebung am 29. September in Dresden auf dem inzwischen nach Karl Marx umbenannten Platz vor dem Japanischen Palais mit 70 000 Teilnehmern nicht völlig den hochgesteckten Erwartungen entsprach,50 war sie die erste Generalprobe jener für die SBZ/DDR so charakteristischen Inszenierungen.51 Ihr Entgegenkommen brachte die CDU und die LDP keinen Schritt weiter. Die Hoffnungen, die Oberbürgermeister Müller in das Gegengewicht liberaler und christdemokratischer Politiker innerhalb der „Einheitsfront-Ausschüsse“ setzte, erfüllten sich nicht. Die kommunistischen Funktionäre betrachteten sie nicht als gleichberechtigte Partner52 und verwehrten ihnen die versprochenen Sitze im Dresdner Stadtrat und in den Verwaltungsorganen. Entgegen ihren Beteuerungen unterliefen sie eine paritätische Besetzung dieser Gremien, so dass die LDP diesbezüglich eine Petition an die Landesverwaltung richtete.53 Die Auseinandersetzungen gewannen rasch an Schärfe und erschwerten eine konstruktive Politik in den Ausschüssen der „Einheitsfront“. CDU und LDP galten Weidauer als „reaktionäre Kreise, [...] die sich antifaschistisch“ tarnten und versuchten, „die politische Reaktion in die Verwaltung einzuschalten“.54 Er griff politische Kontrahenten an und diffamierte sie,55 womit er von Anbeginn die konstruktive Zusammenarbeit der Parteien erschwerte. Die Belastungen wuchsen auch in den Beziehungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten. Letztere sahen sich unsinnigen Vorwürfen ausgesetzt, wie dem, mit „Faschisten“ zusammenzuarbeiten, sobald sie wie Peter Nienhaus eigene Genossen oder fähige Fachkräfte zur Mitarbeit in der Verwaltung heranzogen.56 Der einzige sozialdemokratische Bezirksbürgermeister in Dresden wie48 Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle für die Opfer des Faschismus vom 17. 8.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 48, nicht paginiert). 49 Rede von Hermann Matern zur erweiterten Bezirksleitungssitzung vom 25. 9.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 54, S. 70 f. 50 „Meilensteine“ vom 25. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 986, Bl. 16); Mitteilungen für Vertrauensleute Nr. 20 vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert). Vgl. Tagebucheintrag vom 30. 9.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 118. 51 Vgl. die anschauliche Darstellung der den Alltag und das Selbstbild prägenden Propaganda bei Vorsteher, Parteiauftrag. 52 Vgl. Donth, KPD, S. 108. 53 Niederschrift über die Sitzung des Arbeitsausschusses vom 4. 9.1945 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–001, nicht paginiert). 54 Weidauer an die KPD-Kreisleitung vom 1. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 44). 55 Weidauer an Matern vom 11.10.1945 (ebd., Bl. 68). 56 Otto Vogler an Weidauer vom 2. 9.1945 (ebd., Bl. 48). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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derum misstraute seinem kommunistischen Stellvertreter wegen der Veruntreuung mehrerer Tausend Reichsmark und die KPD sah sich veranlasst, den Genossen zurückziehen.57 Da gleichfalls der Leiter des 25. Stadtbezirks, ein von Weidauer eingesetzter Kommunist, nach Bekanntwerden seiner kriminellen Vergangenheit entlassen werden musste, konnten die Sozialdemokraten die Obstruktionspolitik der KPD noch weniger verstehen.58 Die Benachteiligung von SPD, LDP und CDU setzte sich im Jugendausschuss der Dresdner Stadtverwaltung fort. Diesen Ausschuss hatte die KPD am 23. Juli 1945 gegründet59 unter Missachtung eines Beschlusses des Dresdner Stadtrates, der vorsah, im Jugendausschuss die „entschiedensten Verfechter und fortgeschrittensten Vertreter der Jugend aller antifaschistischen Kreise“ zu sammeln.60 Nachdem der 2. Vorsitzende des SPD-Landesverbandes Arno Haufe davon erfuhr, richtete er an den Dresdner Oberbürgermeister Müller die Bitte, die SPD zur Mitarbeit im Jugendausschuss hinzuzuziehen.61 Müller leitete das Schreiben an Weidauer weiter, der sich erneut mit den gebrochenen Zusagen seiner Partei konfrontiert sah. Neben der SPD hatten die Gewerkschaften und die Liberaldemokraten gleichfalls Beschwerden an den Oberbürgermeister gerichtet, denn die Funktionäre der KPD besetzten nicht nur den zentralen Jugendausschuss, sie stellten in sechs von insgesamt sieben Jugendausschüssen der Stadtbezirke auch die Vorsitzenden.62 Weidauer trat zum Gegenangriff an. Er erhob Vorwürfe gegen Haufe sowie den Oberbürgermeister und unterstellte beiden, „gegen die proletarischen Parteien“ zu intrigieren. Empört drohte er Buchwitz Konsequenzen für die Zusammenarbeit an, wenn er nicht dagegen einschreite, da gerade er „den allergrößten Wert auf kameradschaftliche Zusammenarbeit lege“.63 Die Redewendung von der „guten kameradschaftlichen Zusammenarbeit“ führte Weidauer in die Hagiographie der kommenden Jahre ein,64 doch gerade er unterlief ständig die vereinbarte Parität bei der Besetzung von Führungspositionen. An den „Unzuträglichkeiten in der Personalpolitik“ änderte auch eine zwischen Buchwitz und Matern getroffene Vereinbarung nichts.65 Von sieben 57 Weidauer an Paul Vogel vom 12. 9.1945 (ebd., Bl. 56); Weidauer an Rentzsch, 13. 9.1945 (ebd., Bl. 32). 58 Weidauer an die KPD-Kreisleitung Dresden vom 10. 9.1945 (ebd., Bl. 55). 59 Aufruf des Antifaschistischen Jugendausschusses der Stadtverwaltung Dresden vom 23. 7.1945 zur Mitarbeit der Jugend am antifaschistischen Neuaufbau. In: Weber, Dokumente und Materialien, S. 69 f. Vgl. Mählert, Freie Deutsche Jugend, S. 46. 60 Richtlinien des Jugendausschusses Dresdens vom 31. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Volksbildung 225, Bl. 76 f.). Hervorhebung im Original. 61 Haufe an Oberbürgermeister Dr. Müller vom 3. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 72). 62 Bericht von der UBL-Sitzung vom 13. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 72). 63 [Weidauer] an Buchwitz vom 8. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 73); [Weidauer] an Buchwitz vom 13. 8.1945 (ebd., Bl. 74). 64 Weidauer, Kameradschaftliche Zusammenarbeit, S. 88–91. 65 Rundschreiben des Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 30. 8.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 66 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dresdner Bezirksverwaltungsleitern gehörten sechs und von 22 Stadtbezirksleitern insgesamt 20 der Kommunistischen Partei an. Weidauer musste eingestehen: „Wir reden immer von einer gemeinsamen Arbeit mit der Sozialdemokratie und verlangen von ihr, dass sie gemeinsam mit uns die Verantwortung für alles tragen soll, verweigern ihr aber in genügendem Maße die Mitarbeit an verantwortlicher Stelle.“66 Es blieb aber bei solchen Beteuerungen, die Praxis änderte sich nicht. Wenig später empörte sich der sozialdemokratische Landesvorsitzende Buchwitz: „Die Personalpolitik in Sachsen ist bald nicht mehr tragbar.“ Die sowjetischen Offiziere seien dazu übergegangen, Sozialdemokraten aus leitenden Positionen abzuziehen, und aus „der Polizei werden fortlaufend unsere Leute entfernt und Kommunisten eingesetzt“.67 Die Taktik der KPD richtete sich nie gegen eine Partei insgesamt, sondern gegen Einzelpersonen, denen sie „reaktionäres Verhalten“ unterstellte.68 Damit rechtfertigte sie die gezielte Ausschaltung von Personen aus ihren Funktionen und die daraus entstehende Benachteiligung von SPD, CDU und LDP. Bemerkungen des Polizeipräsidenten zeigen, dass die Kommunisten sehr genau zwischen dem der nationalsozialistischen Ideologie verhafteten Widerstand gegen ihre Politik und der Opposition demokratischer Kräfte zu differenzieren wussten. Nachweislich fand die Dresdner Polizei erstmals Mitte Oktober in der Stadt ein „handschriftlich geschriebenes Flugblatt am Postplatz“, das sie als „bewusste Provokation“ von Kräften wertete, die kühl und berechnend gegen „unsere gesamte antifaschistische Politik und die SU“ (Sowjetunion) arbeiteten.69 Während des Sommers 1945 existierte in Dresden keine gegen die kommunistische Politik gerichtete nationalsozialistische Propaganda. Vielmehr bewirkten die andauernden Übergriffe der Besatzungsangehörigen auf Zivilisten eine rückläufige Zustimmung zur Politik.70 Die negativen Auswirkungen des Verhaltens der Besatzungssoldaten vergrößerten den Zulauf zu den anderen Parteien, allen voran der SPD. Euphemistisch umschrieb das städtische Nachrichtenamt die wachsende Ablehnung vieler Menschen als abwartende Haltung.71 Die kommunistische Propaganda stieß auf Gleichgültigkeit und verbesserte nicht das beschädigte Image der Roten Armee.72 Die Sozialdemokraten rückten von den 66 Weidauer an Genossen Hasberg, Ortsgruppe Strehlen, vom 13. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 57). 67 Buchwitz an Grotewohl vom 23. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II / A /1.002.1, nicht paginiert). Vgl. Naimark, Russen, S. 451; Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 55 ff. 68 Vgl. Weidauer an die KPD-KL Dresden vom 1. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 44). 69 Schreiben des Polizeipräsidenten an die Bezirksleitung der KPD vom 19.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/016, nicht paginiert). 70 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 190. 71 Monatsbericht des Nachrichtenamtes für September 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1035, nicht paginiert). 72 Bericht des Nachrichtenamtes vom 13. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Kommunisten ab, diese sahen sich zur Annäherung an die SPD gezwungen, um nicht den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Der Bruch zwischen Weidauer und seinem Vorgesetzen, dem parteilosen Oberbürgermeister Müller, der in der KPD die treibende Kraft einer antidemokratischen Politik erkannte, ging tief. Weidauer benötigte deswegen Verbündete, die er im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Vorsitzenden von dessen Landesausschuss, dem Sozialdemokraten Otto Seiffert suchte.73 Dabei ging es ihm aber keineswegs um das Gespräch mit den Sozialdemokraten, sondern darum, ein Zusammengehen der SPD mit LDP und CDU zu verhindern. Seine Strategie zur Aufspaltung der SPD trug er auf der kommunalpolitischen Konferenz der KPD vor, wo er die einheitliche Ausrichtung der Genossen zur Überwindung von „Schwierigkeiten in der Kommunalarbeit“ und das gemeinsame Vorgehen der verantwortlichen Parteifunktionäre gegen die „politische Reaktion“ in der Verwaltung verlangte. Wer die Parteidisziplin verletze, solle „ausgebootet werden“.74 Die Auseinandersetzung der KPD mit den anderen Parteien zur Verankerung ihrer Funktionäre beschränkte sich nicht auf die Verwaltungen. Der ehemalige Leiter der Bezirksverwaltung VI in Dresden-Plauen75 und jetzige Dresdner KPD-Kreissekretär Richard Leppi76 rief die Funktionäre seiner Partei auf, in den Fabriken Betriebsgruppen aufzubauen. Die KPD besaß weder in den Dresdner Betrieben selbst noch auf der Leitungsebene der Gewerkschaftsorganisationen nennenswerten Einfluss. Nur drei von den 17 in Dresden registrierten Gewerkschaftsverbänden leiteten Kommunisten, die anderen befanden sich in der Hand sozialdemokratischer „Reformisten“. Besonders diese wollte die KPD-Führung aus ihren Positionen verdrängen, weil die „rechten Gewerkschaftsführer“ Unterstützung bei LDP und CDU fanden.77 Um die Defensive

73 [Weidauer] an Seiffert vom 17. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 100). 74 Weidauer an die KPD-KL Dresden vom 1. 9.1945 (ebd., Bl. 44); Bericht über die kommunale Tagung in Dresden, o. D. [13. 9.1945] (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 78). 75 Verzeichnis der Bezirksverwaltungen vom 12. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 15). 76 Richard Leppi, geb. 1904, Schlosser, 1918 Mitglied im Bergarbeiterverband, 1923 KJVD und KPD, 1925 Funktionär der KJVD-Bezirksleitung Oberschlesien und 1931 der KPD-Bezirksleitung. 1933 Verhaftung und Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus, anschließend Konzentrationslager, 1938 Entlassung, nach 1939 illegale Tätigkeit in einem Dresdner Betrieb. 1945 Mitarbeit in der KPD-Bezirksleitung Sachsen, Kreissekretär in Dresden bis April 1946, weitere Tätigkeit im Parteiapparat bis 1951, Parteiausschluss. Für diese Informationen danke ich Dr. Mike Schmeitzner. 77 Referat Richard Leppis auf der Kreiskonferenz Dresden vom 30. 9.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/.019/1, nicht paginiert). Vgl. Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 265); Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 182–187. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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der KPD in den Betrieben aufzubrechen78 erteilte die Parteiführung die Order: „Die Betriebsgruppen sind das Fundament der Partei.“79 Gemäß der kommunistischen Theorie, die in den Gewerkschaften „eine entscheidende Transmission der Partei“ im „Kampf um die Gewinnung der Arbeiterklasse“ erblickte,80 wandte sich Matern gegen den Wiederaufbau des bis 1933 bestehenden Organisationsapparates.81 Zuerst verhinderte die KPD mit ihrer Intervention die Bestätigung der Verbandsleitungen durch die Dresdner Kommandantur. Gleichzeitig forderte sie „alle einigermaßen brauchbaren Genossen“ auf, sich für die Gewerkschaftsarbeit registrieren zu lassen, um bei Neuwahlen gegen die bisherigen Sekretäre anzutreten. Eine Verbesserung ihrer schwachen Position in den Betrieben erhoffte sich die KPD von ihren Ortsgruppen und der Gewinnung parteiloser Arbeiter.82 Zu deren Mobilisierung konnte sie sich auf das System der Hausobleute und Frauenausschüsse in den Stadtbezirken stützen. In Dresden wie in anderen sächsischen Städten betrachtete die KPD die „Haus- und Straßenobleute“83 als ein „gewaltiges Hilfsorgan“. Bei einer „strafferen Zusammenfassung [...] und einer größeren Politisierung“ seien sie ein wichtiges Bindeglied zwischen der KPD und der Bevölkerung.84 Ende November 1945 bestanden in Dresden überdies 268 Frauenausschüsse, die nicht allein bei der Betreuung und Versorgung der Kinder oder bei der Sammlung und Verteilung von Kleidungsstücken aktiv wurden. Mittels politischer Schulung erwartete die Kommunistin Olga Körner,85 „noch viel mehr Frauen für unsere Partei zu gewinnen“: „Wir werden in den Betriebsgruppen arbeiten und mit dem Kommunalen Frauenausschuss. Dieser wird die ideologische Umerziehung vornehmen, und die kleinen Ausschüsse werden weiter arbeiten und sorgen für die Bevölkerung.“86 Auch die 1945 gegründete „Volkssolidarität“ diente nicht allein

78 Bericht von der UBL-Sitzung vom 25.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 60). 79 Rundschreiben der KPD-BL Sachsen zu den Aufgaben der Wirtschafts-Abteilung der Partei vom 22.10.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 211). 80 „Der Wiederaufbau der Gewerkschaften“ – Handschriftliche Ausarbeitung Hermann Materns für sein Schlußwort zur Diskussion zum 4. Thema der Arbeitskommission auf der Sitzung am 26. 6.1944. In: Erler/Laude/Wilke, Nach Hitler, S. 207. 81 Konferenz der Bezirksleitung der KPD vom 26.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / A /007, nicht paginiert). Vgl. Schmeitzner, Rolle der sächsischen Parteien, S. 146 f. 82 Bericht von der UBL-Sitzung vom 8.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 56). 83 Vgl. Behring, Massenaufmärsche. 84 Bericht über die kommunalen Selbstverwaltungen, o. D. [Dezember 1945] (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/022, nicht paginiert). 85 Vgl. S. 101 in dieser Arbeit. 86 Redebeitrag von Olga Körner auf der Konferenz der KPD-Bezirksleitung vom 26.11. 1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/007, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Taktisches Vorgehen der KPD

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karitativen Zwecken.87 Mit einer Fassade aus Sozialfürsorge und dem Angebot zur Mitarbeit warb die KPD für ihre politischen Ziele. Gegenüber der SPD wandte die KPD-Führung eine gezielte Strategie zur Unterminierung des traditionellen Gewerkschaftsaufbaus an. Zunächst blockierte sie die Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes „infolge Formfehler“. Die anschließend in allen Berieben einzuberufenden Versammlungen der Betriebsvertrauensleute dienten der Absetzung der Gewerkschaftsleitungen mit der Begründung, diese hätten sich „nicht aktiv genug in den Dienst des Neuaufbaus der Wirtschaft eingeschaltet“. In den daraufhin erforderlichen Neuwahlen sollten die „provisorischen Verbandsleitungen“ nicht aus den sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsverbänden heraus, sondern durch „Urwahlen“ von allen Arbeitern gewählt werden. Eine wiederum von den Belegschaften der Betriebe zu verabschiedende Resolution verlangte die Organisation der Angestellten in den jeweiligen Industrieverbänden und nicht in einer eigenen Angestelltengewerkschaft.88 Trotz dieser Strategie und obwohl die KPD wie in Dresden die Wahlergebnisse fälschte,89 erreichte sie ihr Ziel nicht. In den Betriebsratswahlen Ende 1945 und Anfang 1946 konnte die KPD ihre Position nur leicht verbessern, in Dresden kontrollierte sie ein Drittel der Betriebgruppen.90 Das Eindringen in die bislang von Sozialdemokraten geführten Gewerkschaften bildete dennoch einen wichtigen Schritt im Transformationsprozess des politischen Systems. Zugleich trat das entscheidende Defizit der KPD noch schärfer hervor. Ihr fehlte eine breite Kaderbasis, ausreichend geschultes Personal und nicht zuletzt der Nachwuchs.91 Sie konnte die entscheidenden Positionen nicht mit Fachleuten zu besetzen. Die KPD musste sich auf Personal aus dem alten Beamtenapparat stützen, das die Fähigkeiten zur Lösung der anstehenden Probleme besaß. Darin bestand das Grunddilemma der Personalpolitik. Diese Personen kamen in Konflikte mit inkompetenten kommunistischen Führungskräften, für die nicht die praktikablen Problemlösungen, sondern Machterhalt und die Durchsetzung der Parteiherrschaft im Vordergrund standen.92 Trotz Aktionseinheit mit der SPD, trotz Bündnispolitik im Parteienblock, trotz des erheblichen Organisationsvorsprungs der KPD fehlte ihrer Politik die Überzeugungskraft des

87 Bericht von der UBL-Sitzung vom 1.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 58 f.). Vgl. zu Entstehung und politischer Instrumentalisierung dieser sozialen Einrichtung Springer, Volkssolidarität in der SBZ/DDR. 88 Bericht von der KL-Sitzung vom 15.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 54). 89 Pommerin, Zwangsvereinigung, S. 331. Vgl. Gniffke, Jahre, S. 145 f. 90 Bericht von der KL-Sitzung vom 15.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/124, Bl. 39). 91 Vgl. Bericht von der UBL-Sitzung vom 13. 9.1945 (ebd., Bl. 72). 92 Vgl. Meuschel, Legitimation, S. 59. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Faktischen. Dahingestellt bleibt, ob die Überwindung der Schwierigkeiten im ersten Nachkriegsjahr möglich gewesen wäre. Dadurch allerdings, dass die KPD in der Öffentlichkeit mit einem solchen Anspruch auftrat, baute sie diese Erwartungshaltung auf. Die Ergebnisse jedoch sprachen gegen sie, bewirkten den rapiden Verlust an Vertrauen und die Hinwendung der Bevölkerung zu den anderen Parteien, seit September 1945 besonders zur SPD.

3.

Repressionspolitik in der Ernährungskrise

Neben der propagandistisch inszenierten Sympathiewerbung mit dem Ziel der Einbindung aller gesellschaftlichen Kräfte zur Durchsetzung der kommunistischen Herrschaft muss in der Ausschaltung aller Menschen mit anderen Zukunftsvorstellungen eine zentrale Säule totalitärer Transformationsstrategien gesehen werden.93 Darum begleitete diesen Prozess auch im Verwaltungsapparat eine umfassende Repressionspraxis. Ihr fielen diejenigen zum Opfer, die sich hartnäckig den politischen Vorgaben verweigerten. Ein prägnanter Fall ereignete sich in Dresden während des Sommers 1945, wo der für die Versorgung zuständige Dezernent der Stadtverwaltung, Dr. Karl Albrecht, an der Bewältigung der Ernährungskrise scheiterte. Ohne hier die Versorgungspolitik zu schildern, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Umgestaltung skizziert wird, steht seine Person im Mittelpunkt dieser Betrachtung, da sein Schicksal exemplarisch die zielgerichtete Programmatik kommunistischer Personalpolitik und die gravierenden Auswirkungen politischer Interessen auf individuelle Lebensverläufe deutlich macht. Mangel herrschte nach dem Ende des Krieges überall in Deutschland.94 Nahrungsmittel konnten nicht wie in den vergangenen Jahren aus den okkupierten Ländern eingeführt werden. Die für die Ernährung der deutschen Bevölkerung wichtigen Ostgebiete waren durch Besatzungsgrenzen abgetrennt, zudem viele Felder nicht bestellt und die Transportwege von Sachsen nach Mecklenburg und Vorpommern gekappt. Millionen Flüchtlinge, Soldaten der Okkupationsarmeen und unzählige befreite Zwangsarbeiter mussten zusätzlich ernährt werden.95 In dieser Situation wirkte sich die Blockadepolitik lokaler Militärkommandanten für die Versorgung der Großstadt Dresden besonders verhängnisvoll aus. Sie hielten Ernteerträge zur Verhinderung einer Hungersnot im eigenen Gebiet zurück und verweigerten die Freigabe der Vorräte.96 Die Beschlagnahmung städtischer Speicher und Lebensmittellager durch sowjetische Truppen verschärfte

93 Vgl. Arendt, Elemente, S. 726–766. 94 Gaertner, Versorgung, S. 24–30. Vgl. Gries, Rationengesellschaft; Ziegelmeyer, Ernährung in der Ostzone. 95 Vgl. Foitzik, Militäradministration, S. 92 f.; Melis, Entnazifizierung, S. 49. 96 Vgl. Naimark, Russen, S. 34 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die Lage.97 Der Dresdner Ernährungsdezernent Albrecht unternahm alles, was in seinen Kräften stand, um die Krise abzuwenden. Anfang Juni 1945 erreichte Dresden ein großer Posten Frühkartoffeln. Die Waggons standen auf den Bahnhöfen und mussten rasch entladen werden. Die bisher mit der Beschaffung und Verteilung betrauten Handelsgenossenschaften hatten darauf hingewiesen, dass die Frühkartoffeln wegen ihrer geringen Haltbarkeit besonders rasch vom Erzeuger zum Verbraucher transportiert werden müssten. Sie verfügten allerdings nicht über die zum Transport erforderlichen Fahrzeuge.98 Deswegen veranlasste Albrecht die Einrichtung provisorischer Verkaufsstellen an den Bahnhöfen.99 Am Bahnhof Dresden-Reick lief die Aktion kurze Zeit später an, am Bahnhof Neustadt verhinderte ein sowjetischer Offizier den Verkauf. Auch andernorts scheiterte die Verteilung, obwohl Fäulnis die Kartoffeln bedrohte.100 Die Bezirksverwaltung II entsandte ihren einzigen Lastkraftwagen zum Riesaer Platz: „Das Auto wurde durch die Fahrer fast völlig beladen. Daraufhin wurde von einem russischen Offizier der Befehl erteilt, alles wieder abzuladen.“ Ebenso mussten Dresdner, die mit Handwagen Kartoffeln abholen wollten, diese wieder abladen. Der eilig herbeigerufene Dezernent Albrecht konnte zwar den Offizier umstimmen, aber die eingetretene Verzögerung verhinderte die Auslieferung an diesem Tag.101 Während des ganzen Sommers erhielt Albrecht ständig Meldungen über verderbende Kartoffeln, über die von sowjetischen Soldaten blockierten Transporte,102 und er konnte trotz aller Anstrengungen die strukturelle Blockade nicht aufbrechen. Es traf zu, wie er schrieb, 97 Schreiben des Ernährungsamtes an die Stadtkommandantur vom 29. 5.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert); Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Mickten an den Rayonkommandanten vom 6. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 32, nicht paginiert); Schreiben des Ernährungsamtes an die Bezirksverwaltungen vom 15. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert). 98 Schreiben des Kornhauses Hänichen an das Ernährungsamt vom 29. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 13). 99 Mitteilung des Ernährungsamtes, o. D. [Anfang Juni 1945] (ebd., Bl. 2). 100 Mitteilung an das Ernährungsamt vom 4. 6.1945 (ebd., Bl. 1). 101 Schreiben der Bezirksverwaltung II an den Oberbürgermeister vom 8. 6.1945 (ebd., Bl. 6). 102 Schreiben des Ernährungsamtes vom 30. 5.1945 (ebd., Bl. 12); Schreiben der Kommunalen Hilfsstelle Mickten an den Rayonkommandanten vom 6. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 32, nicht paginiert); Notiz des Ernährungsamtes vom 7. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 3); Schreiben der Bezirksverwaltung II an den Oberbürgermeister vom 8. 6.1945 (ebd., Bl. 6); 4. Wochenbericht der Bezirksverwaltung III vom 25. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 12, nicht paginiert); Notiz des Ernährungsamtes vom 1. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 9); Schreiben der Großhandlung Oehmigen an das Ernährungsamt vom 24. 7. 1945 (ebd., Bl. 46); 8. Wochenbericht der Bezirksverwaltung III vom 24. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 12, nicht paginiert); Schreiben des Ernährungsamtes an die Bezirksverwaltung I vom 25. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert); Notiz für Bürgermeister Dr. Albrecht vom 26. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 48). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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„dass sich einzelne Landkreise nach außen hin abschließen und angeordnet haben, dass Milch nicht ausgeführt werden darf. Teilweise ist dies auch seitens der örtlich zuständigen Kommandanten der Roten Armee geschehen. Von hier aus ist ständig alles getan worden, um diesen Zustand zu beheben. Eine Beseitigung der Hemmungen ist aber nur dadurch zu erreichen, dass seitens der neugebildeten Landesregierung entsprechende Anordnungen an die Landkreise im Einvernehmen mit den überörtlichen Stellen der russischen Besatzungsarmee ergehen. Vorstellungen in dieser Richtung wurden bereits erhoben. Soweit Milch erst verspätet, insbesondere am Nachmittag, nach Dresden geliefert wird, wird es hierseits für richtig gehalten, dass sie sofort zum Verkauf gelangt, selbst wenn dadurch die Bestimmungen über den Ladenschluss nicht eingehalten werden. Es ist von hier aus das Gewerbeamt ersucht worden, die Milchhändler entsprechend zu verständigen.“103

Anordnungen der Landesverwaltung banden ihm die Hände und im Ringen um Zuteilungen befanden sich die Dresdner in einer ungünstigen Position. In der an Schärfe gewinnenden Auseinandersetzung um die Verteilung der knappen Güter organisierten weniger zerstörte und wohlhabendere Orte auf eigene Faust den Handel mit Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte, die sie „gegen besonders begehrenswerte Waren“ eintauschten. Gemeinden wie Freital, klagte man in Dresden, erhielten alle benötigten Nahrungsmittel, weil sie im Tausch dafür Kohle und Seife anbieten könnten.104 Der Oberbürgermeister von Freital habe in verschiedenen für die Versorgung Dresdens infrage kommenden Dörfern der Umgebung „sämtliche Kartoffeln für sich beschlagnahmt“. Zudem hatte die Landesverwaltung offenbar aufgrund einer Falschinformation Dresden für ausreichend versorgt angesehen und die für die Stadt vorgesehenen Kartoffellieferungen umgeleitet.105 Keine Verordnung, weder der SMAS noch der Landesverwaltung, keine Verhandlung auf höchster Ebene besaß eine bis an die Peripherie wirkende Durchschlagskraft. Um die sowjetischen Offiziere in den Dörfern und Gemeinden von ihrem willkürlichen Handeln abzubringen, wurde die Begleitung der Transporte von Dolmetschern erwogen.106 Weidauer beschuldigte die örtlichen Kommandanten, sie hätten das zur Abgabe befohlene Vieh bereits für den eigenen Bedarf geschlachtet und verbraucht. Er beklagte gegenüber Matern, dass nicht einmal der Militärkommandant von Dresden in der Lage sei, die „im Kasernengelände Nickern liegenden Soldaten und Offiziere der Roten Armee“ vom Plündern abzuhalten. Er habe sich „bei der Stadtkommandantur wiederholt mündlich und [...] schriftlich über die dortigen Zustände beschwert“, leider erfolglos. Er bat Matern, das Eingreifen „einer höheren Stelle“ zu veranlassen, damit „das 103 Schreiben des Ernährungsamtes an das Nachrichtenamt vom 10. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 966, nicht paginiert). 104 Notiz für Bürgermeister Dr. Albrecht vom 21. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 36); Notiz für Bürgermeister Dr. Albrecht vom 26. 7.1945 (ebd., Bl. 48). 105 Notiz des Ernährungsamtes vom 24. 7.1945 (ebd., Bl. 45). 106 Bericht des Nachrichtenamtes an den Oberbürgermeister vom 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 962, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Parteigut Nickern für einige Zeit eine Wache der Roten Armee bekommt“, um es vor Plünderung und Diebstahl zu schützen.107 Solche Kritik durfte allerdings niemals an die Öffentlichkeit gelangen, das wusste Weidauer sehr genau. Während er Missstände anprangerte warf er anderen, wenn sie die katastrophale Disziplinlosigkeit der Roten Armee thematisierten, eine sowjetfeindliche Haltung vor. Seit August hungerten viele Dresdner, in manchen Stadtteilen gab es tagelang kein Brot zu kaufen;108 kontinuierlich unterschritten die minimalen Zuteilungen um etwa ein Drittel die auf der Karte vorgesehene Kalorienmenge.109 Im Gegensatz dazu weist die offenkundig geschönte Statistik eine hundertprozentige Belieferung mit Brot aus, aber selbst diese Zahlen belegen, dass im Juli und im August ein Drittel der erforderlichen Kartoffeln fehlte. Die Versorgung mit Fleisch und Fett sank im Juli auf fast die Hälfte der Kartenration, im August brach sie völlig weg. Da keinerlei Kompensationsspielraum bestand, verschärfte sich die akute Krise.110 Gemeinsam mit dem Oberbürgermeister appellierte Albrecht an die sächsische Landesverwaltung, doch ohne Erfolg. Sie konnte an der Willkür der Besatzungsoffiziere nichts ändern und die SMAS machte ihren Einfluss nur unzureichend geltend. Sie habe „einen erneuten scharfen Befehl an die örtlichen Kommandanten in Sachsen herausgegeben, wonach sie sich jeder Einmischung in der Verteilung der Lebensmittel zu enthalten haben“.111 Weidauer nutzte die Krise, anstelle zur Behebung der Missstände beizutragen, zur Ausschaltung des Großhandels.112 Bis zum Kriegsende hatten die im „Reichsnährstand“ zusammengeschlossenen Großhändler den Handel mit Nahrungsgütern organisiert.113 Nachdem sich im Juni 1945 die sowjetische Stadtkommandantur völlig aus der Verantwortung für die Versorgung zurückgezogen und der Verwaltung die alleinige Zuständigkeit übertragen hatte,114 gründeten die Großhändler eine Firma, die mit dem Ernährungsamt zusammenarbeitete.115 KPD-Aktivisten der „Antifa-Ausschüsse“, unter ihnen Weidauer, äußerten bereits Vorbehalte gegenüber dem Handel, weil viele Sozialdemokraten kleine 107 Weidauer an die Bezirksleitung der KPD vom 15. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 34). 108 Weidauer an Fischer vom 8. 9.1945 (ebd., Bl. 54). 109 Protokoll der Ratssitzung vom 2.10.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 233–241). 110 Wagner, Probleme der Ernährung, S. 4 f.; Protokoll der Ratssitzung vom 4. 9.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 149); Beschlussvorschlag für den Rat der Stadt Dresden vom 11. 9.1945 (ebd., Bl. 175). 111 Protokoll der Unterredung mit Präsident Friedrichs vom 12. 9.1945 (ebd., Bl. 173). 112 Protokoll der Ratssitzung vom 11. 9.1945 (ebd., Bl. 157). 113 Kriminalamt Dresden, Protokoll der Vernehmung Albrechts vom 2.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, Bl. 23). 114 Oberst Gorochow an den Oberbürgermeister vom 18. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 34). 115 Protokoll der Sitzung im Ernährungsamt vom 18. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Geschäfte betrieben und Genossenschaften gegründet hatten.116 Die KPD-Führung versuchte den Handel zu kontrollieren, um unter Manipulation der Versorgung die Zustimmung der Bevölkerung für ihre Politik zu erlangen. Verschiedene Funktionäre legten verantwortlichen Personen in der Ernährungsverwaltung die Versorgungsengpässe zur Last und bezichtigten sie, Anhänger des Nationalsozialismus zu sein.117 Das gleiche behaupteten sie von den Großhändlern, die Weidauer als „Sabotagevereinigung“ bezeichnete, um unter diesem Vorwand gegen sie vorgehen zu können.118 Eine von der KPD propagandistisch inszenierte „Sonderaktion“ sollte die Unfähigkeit der Verwaltung demonstrieren. Vorgeblich organisierten kommunistische Funktionäre Nahrungsmittel direkt in den Dörfern. Tatsächlich requirierten sie die Hamsterkäufe von Straßenpassanten und die Lagerbestände von Geschäftsleuten. Ihnen trat der Kommandant der Ordnungspolizei mit der Erklärung entgegen, „dass Parteiorgane keine Beschlagnahmungen weder auf Straßen noch in Geschäften ohne Genehmigung der Kommandantur vornehmen dürfen“, da es der Bevölkerung gestattet war, sich wegen der angespannten Ernährungslage zusätzlich von Bauern Waren zu beschaffen.119 Ob es hingegen der Partei gelang, wie von Weidauer behauptet, mehrere Tonnen Lebensmittel heranzuschaffen,120 ist zu bezweifeln; die Bauern warteten nicht auf die Genossen, sie trieben Tauschhandel mit den Städtern. Falls die KPD irgendein Ergebnis verzeichnen konnte, basierte dieses auf der Anwendung illegaler Zwangsmittel. Jedenfalls steigerte sie das Chaos und gab schließlich die von der städtischen Verwaltung organisierten Lieferungen als eigene Erfolge aus.121 Albrecht hingegen nannte die Verantwortlichen namentlich, er kritisierte die sowjetische Besatzungspolitik wegen der Versorgung der einheimischen Bevölkerung, und dem Chef des Innenressorts der sächsischen Landesverwaltung, Kurt Fischer, warf er vor, die erforderlichen Transportpapiere nicht auszustellen.122 Kurzerhand ließ Fischer am 12. September 1945 Albrecht verhaften.123 116 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 175–182. 117 Vgl. Bericht zur Rede des Oberbürgermeisters vom 22.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 306, Bl. 12–17). 118 Weidauer an Fischer vom 8. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 54); Weidauer an den Chef der Landespolizei vom 8.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 209). 119 Protokoll der Sitzung im Ernährungsamt vom 5. 9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert). 120 Kriminalamt Dresden, Protokoll der Aussage Weidauers vom 10.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 395, Bl. 34 f.). 121 Protokoll der Ratssitzung vom 11. 9.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 157); Kriminalamt Dresden, Protokoll der Vernehmung Albrechts vom 2.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, Bl. 25). 122 Protokoll einer Besprechung in der Landesverwaltung vom 12. 9.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 173). 123 Protokoll der außerordentlichen Ratssitzung vom 12. 9.1945 (ebd., Bl. 170 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Er wollte damit die Kritik zum Verstummen bringen, denn er befand sich selbst in einem Dilemma: Er ließ Dresdner Spediteure Baustoffe für die Landesverwaltung transportieren anstelle der lebensnotwendigen Getreidetransporte, was Weidauer veranlasste, den Spediteuren drastische Strafen anzudrohen.124 Fischer kam Weidauer in dem Konflikt entgegen und nahm den unbequemen Versorgungsdezernenten in Gewahrsam, ohne jedoch den städtischen Fuhrunternehmern die Transportscheine auszustellen.125 Weidauers Interesse am Verschwinden Albrechts resultierte aus der von ihm betriebenen Machtsicherungsstrategie. Seine Aufzeichnungen belegen die vor der Verhaftung Albrechts im Apparat der KPD gefallene Entscheidung zu dessen Ablösung. Albrecht gehöre, so behauptete Weidauer, seiner politischen Einstellung nach „zum reaktionären Teil des deutschen Bürgertums“ und sei heute noch „reaktionär und konservativ“ eingestellt.126 Albrecht habe die Ernährung der Stadt in die Hände von Großhändlern gelegt und damit die Versorgung Dresdens sabotiert. Er habe die Krise bewusst herbeigeführt, damit die Bevölkerung in ihrer Ablehnung der Politik von KPD und Besatzungsmacht bestärkt werde. Da Albrecht nicht Mitglied der NSDAP gewesen war, ließ sich ihm keine Nähe zum Nationalsozialismus vorwerfen. Deswegen bezichtigte Weidauer Albrecht der Illoyalität, er wolle, „dass die Bevölkerung die kommunistische Partei und die Rote Armee für die Schwierigkeiten verantwortlich“ mache.127 Die Anschuldigungen stützten sich ausschließlich auf Behauptungen, über Beweise verfügte Weidauer nicht. Einer genauen Überprüfung konnte der Schuldvorwurf nicht standhalten. Die von disziplinlosen sowjetischen Soldaten und Offizieren verursachten Schwierigkeiten hatte Weidauer vor geraumer Zeit selbst kritisiert und einen Beschluss des Dresdner Stadtrates, die Großhändler weiterhin mit der Versorgung zu betrauen, gleichfalls mitgetragen.128 Alle Vorwürfe an die Adresse Albrechts wegen der von ihm verschuldeten unzureichenden Versorgung der Bevölkerung, wegen seiner vorgeblichen Verantwortungslosigkeit bei der Verteilung verunreinigten Speiseöls sowie der Ablehnung von Personalvorschlägen erwiesen sich als haltlos. Sie konnten nicht bewiesen werden und beruhten nur auf den Aussagen von Beteiligten.129 Das ermittelnde Kriminalamt stellte fest, dass Weidauer im Fall Albrecht alleiniger Hauptzeuge sei. 124 Weidauer an Fischer vom 8. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 54). 125 Bericht der Transportleitstelle vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 981, Bl. 89 f.). 126 Vgl. Charakteristik von Bürgermeister Dr. Albrecht, 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 321, Bl. 23); Charakteristik Wagners, angefertigt von Weidauer am 7. 9.1945 (ebd., Bl. 26). 127 Kriminalamt Dresden, Protokoll der Aussage Weidauers vom 10.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 395, Bl. 34 f.). 128 Protokoll der Ratssitzung vom 9.10.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 259). 129 Kriminalamt Dresden, Schlussbericht vom 19.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Nach „Aussage des Zeugen Weidauer“ habe Albrecht „nicht alles für die Ernährung getan, was er hätte tun können“ und er habe in „vielen Gesprächen“ unverhohlen seine Antipathie „gegen die Besatzungs-Armee“ zum Ausdruck gebracht, was Albrecht seinerseits bestritt. „Beweise für Vergehen des Dr. Albrecht sind durch Unterlagen nicht zu erbringen.“130 Der Präsident des Landeskriminalamtes verfügte am 24. Oktober 1945 die Entlassung Albrechts aus dem Dresdner Polizeigefängnis, wo er sich seit dem 12. September in Untersuchungshaft befand. Drei Tage später verhaftete die Polizei Albrecht erneut, wiederum aufgrund einer Anweisung Fischers, obwohl keine neuen Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Versagen vorlagen und die Verdachtsmomente sich nicht erhärten ließen.131 Vom Tag der erneuten Verhaftung Albrechts allerdings datiert ein mit der Paraphe „vertraulich“ versehenes Dokument, das die Beschuldigungen in Stichpunkten zusammenfasst und den Untersuchungsbeamten als Leitfaden für die von ihnen erwarteten Ermittlungsergebnisse gedient haben könnte.132 Sämtliche Albrecht zugeschriebenen antisowjetischen Äußerungen gingen auf Anschuldigungen Weidauers zurück.133 Auch ist die systematische Ermittlung gegen Albrecht erst seit dem 31. Oktober 1945 nachweisbar, demzufolge war er zuvor sechs Wochen ohne ersichtlichen Grund in Untersuchungshaft gewesen. An einer juristischen Aufklärung bestand somit offenkundig kein Interesse. Es ging einzig und allein um die Beseitigung Albrechts und Fischer erwog, ihn an die sowjetischen Behörden zu überstellen.134 Sein Amtsnachfolger bescheinigte Albrecht, er habe weder vorsätzlich noch fahrlässig die Versorgung sabotiert. Die Versorgung der Bevölkerung blieb auch unter der Amtsführung des Sozialdemokraten Wagner problematisch, weil die Transportmittel weiterhin fehlten. Mehr noch, entgegen aller von der Landesverwaltung und von sowjetischen Dienststellen gegebenen Versprechen requirierten letztere in Dresden wenig später über 2 000 Fahrzeuge. Selbst wenn die Zahl zu hoch gegriffen ist, empörten sich die Betroffenen zu recht, da die fortwährenden sowjetischen Eingriffe in das Transportwesen die Versorgung der Stadt permanent destabilisierten.135 Der Sozialdemokrat Wagner sprach die für eine Akzeptanz der politischen Ordnung grundsätzliche Bedeutung der Nahrungsmittelversorgung an.136 Er 130 131 132 133

Bericht des Kriminalamtes Dresden vom 10.12.1945 (ebd., nicht paginiert). Schreiben des Kriminalamtes Dresden vom 31.10.1945 (ebd., Bl. 20). Aktennotiz vom 27.10.1945 (ebd., nicht paginiert). Kriminalamt Dresden, Schlussbericht vom 19.11.1945 (ebd., nicht paginiert). Vgl. Kriminalamt Dresden, Protokoll der Aussage Weidauers vom 10.11.1945 (ebd., Bl. 34 f.). 134 Kriminalamt Dresden, Schreiben an Präsident Fischer vom 19.11.1945 (ebd., nicht paginiert). 135 Aus der Niederschrift über die Sitzung des erweiterten Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 18.12.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 181–185. 136 Kriminalamt Dresden, Protokoll der Aussage Wagners vom 10.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, Bl. 36). Vgl. Mitteilungen für Vertrauensleute Nr. 20 vom 9.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Entfernung des Oberbürgermeisters

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kritisierte gleich seinem Vorgänger Landes- und Besatzungsverwaltung für ihre Politik, jedoch bei ihm als SPD-Mitglied führte dies nicht zu so verhängnisvollen Folgen.137 Der parteilose Versorgungsdezernent Albrecht hingegen hatte außerhalb der politischen Strukturen gestanden und nicht von der KPD vermittels der Blockpolitik diszipliniert werden können. Er wurde zum Sündenbock gestempelt und blieb trotz der fehlenden Beweisgrundlage in Haft.138 Weidauer schaltete den Widersacher aus, den er als Verbündeten des Oberbürgermeisters ansah. Er installierte einen ihm genehmen SPD-Funktionär, den ehemaligen Tischler und Gewerkschafter Otto Wagner,139 an der Spitze des Ernährungsund Versorgungsdezernates, und kam der dringenden Forderung der SPD nach Beteiligung an der Politik im Dresdner Rathaus nach. Überdies fand Weidauer in Wagner, den er als sehr energisch bezeichnete,140 einen kooperationswilligen Partner, der bald darauf „besonders aktiv für die Vereinigung“ von SPD und KPD eintrat,141 und er kanalisierte mit Albrechts Verhaftung die öffentliche Kritik an den von der KPD mitverantworteten Versorgungsengpässen.142

4.

Die Entfernung des Oberbürgermeisters

Der eigentliche Machtkampf hinter den Kulissen der Stadtverwaltung fand zwischen Weidauer und dem parteilosen Juristen Müller im Amt des Dresdner Oberbürgermeisters statt.143 Weidauer gespanntes Verhältnis zum ihm war grundsätzlicher Natur. Müller ging mit Unterstützung einiger Sozialdemokraten gegen die Veruntreuungen der Kommunisten und ihre unredliche Politik vor. Entschieden bekämpfte er den „politischen Einfluss der radikalen Linken“ in der Personalpolitik144 und zeigte sich nicht wie sein Amtsvorgänger Friedrichs 137 Vgl. Sozialdemokratische Partei des Landes Sachsen, Verhandlungen des Landes-Parteitages, S. 122 ff. 138 Bericht des Kriminalamtes Dresden vom 10.12.1945 (SächsHStAD, LBdVP 395, nicht paginiert). 139 Otto Wagner 1891–1960, Volksschule, Tischler. Mitglied der SPD seit 1909, zeitweise auch USPD, 1918 Mitglied des Arbeiter-und-Soldaten-Rates Sachsen. 1920 Sekretär des Deutschen Holzarbeiter-Verbandes, nach zweijährigem Fachschulbesuch von 1928 bis 1933 dessen Geschäftsführer, danach bis 1945 Kohlenhändler. 1932/33 Stadtverordneter in Dresden, 1933 und 1944 jeweils für einige Zeit in Haft, 14. 5.1945 Abteilungsleiter für die Kohleversorgung im Wirtschaftsamt, am 18. 9.1945 Stadtrat für Versorgung und 2. Bürgermeister, 1950 Finanzdezernent, 1953 stellvertretender Vorsitzender des Rates der Stadt Dresden, 1955 Direktor der Stadt- und Kreissparkasse. 140 Charakteristik Wagners, angefertigt von Weidauer am 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 321, Bl. 26). 141 Einschätzung der bisherigen Arbeit des Bürgermeisters Otto Wagner vom 12.1.1953 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung Personalakte W 940, Bl. 28). 142 Monatsbericht der Abteilung Information für September, o. D. (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1035, nicht paginiert). 143 Mitteilungen für Vertrauensleute Nr. 16 vom 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert). 144 Aktennotiz betreffend Vorsprache bei Oberbürgermeister Dr. Müller vom 16. 7.1945 (ADL, Bestand LDPD NL Dieckmann, 18487, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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bereit, die von der KPD systematisch betriebene Bereicherung an fremdem Eigentum hinzunehmen.145 Über die schon angeführten Beispiele hinaus begleitete seit dem Spätsommer 1945 ein umfangreicher und unkontrollierter Vermögenstransfer die Entnazifizierung. Die errungenen Verwaltungspositionen ermöglichten Eingriffe in die Eigentumsstrukturen auf dem Verordnungsweg. Dem schob Müller Anfang September einen Riegel vor und unterband weitere Übergriffe auf „das Privatvermögen ehemaliger Angehöriger der NSDAP oder ihrer Gliederungen“. Die bislang geltende Verordnung der sächsischen Landesverwaltung, so begründete er seinen Schritt, beträfe nur das Vermögen öffentlicher Körperschaften, die entsprechende privatrechtliche Vorlage werde erst vorbereitet. Damit setzte Müller eine Ratsanordnung vom 16. Juli 1945 über die öffentliche Bewirtschaftung von Wohn- und Geschäftsräumen außer Kraft.146 Obwohl die Bezirks- und Stadtbezirksverwaltungen Müllers Anweisung zur Begrenzung der Rechtsunsicherheit schon im Ansatz unterliefen, erkannte Weidauer die der KPD drohende Beschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten, sollten diese Anordnungen durchgesetzt werden. Weidauer sah sich wegen der von ihm gedeckten Rechtsverletzungen gefährdet147 und intrigierte auf allen Ebenen gegen Müller.148 Müller fand seinerseits in der SPD einflussreiche Mitstreiter, besonders in dem anerkannten Stadtschulrat Clemens Dölitzsch. Dölitzsch litt damals bereits unter seiner angeschlagenen Gesundheit und hatte im Sommer unter anderem deswegen auf die Führung der sächsischen SPD verzichtet,149 forderte aber nachdrücklich die Einrichtung eines eigenen Schuldezernates und einen stimmberechtigten Sitz für sich im Dresdner Stadtrat. Einer solchen Aufwertung des von dem Sozialdemokraten geführten städtischen Schulamtes verweigerte die KPD ihre Zustimmung.150 Der 2. SPD-Landesvorsitzende Arno Haufe unterstützte das Anliegen und bat den Oberbürgermeister, sich für Dölitzsch einzusetzen, da die SPD „entgegen ihrer Stärke, die sich in den ständig wachsenden Mitgliederzahlen erkennen lässt, vorläufig nur durch ein stimmberechtigtes Mitglied im Rat der Stadt Dresden vertreten“ ist.151 Ihre große Popularität eröffnete den Sozialdemokraten, 145 Vgl. Schreiben von Weidauer an die Bezirksverwaltung VII vom 14. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 3). 146 Anordnung des Hauptamtes an die städtischen Dienststellen über die Beschlagnahme nationalsozialistischen Privatvermögens vom 9. 9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17 Band III, nicht paginiert). 147 Vgl. Weidauer an die KPD Leutewitz vom 2.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 52). 148 Weidauer an Matern vom 9. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 27); Weidauer an Matern vom 13. 8.1945 (ebd., Bl. 31); Weidauer an Buchwitz vom 13. 8.1945 (ebd., Bl. 74); Weidauer an Vizepräsident Fischer vom 21. 8.1945 (ebd., Bl. 36). 149 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 543. 150 Protokoll der Ratssitzung vom 16. 7.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 63). 151 Haufe an Oberbürgermeister Müller vom 1.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 89). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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denen die KPD-Führung eine Beteiligung an der Dresdner Ratspolitik verwehrte,152 die Möglichkeit, mit Unterstützung des Oberbürgermeisters ihre Forderungen an die KPD im Blockausschuss vorzutragen. Oberbürgermeister Müller ließ sich nicht wie geplant lenken, den Sozialdemokraten wuchs aus ihrer ständig größer werdenden Parteibasis Selbstbewusstsein zu,153 CDU und LDP erhoben gleichfalls Ansprüche bei der Stellenbesetzung. In dieser Situation nahm die öffentliche Kritik an der kommunistischen Partei, die bisher keines ihrer vielen Versprechen in Bezug auf die Konsolidierung der Versorgung oder die Forcierung des Wiederaufbaus eingehalten hatte, bedrohliche Ausmaße an. Da bot sich neuerlich die Chance für ein Ablenkungsmanöver. Während einer Versammlung im Strehlener „Königshof“ am 22. Oktober 1945 hielt Oberbürgermeister Müller der sowjetischen Besatzungsverwaltung öffentlich ihre ineffektive Besatzungspolitik vor, worauf ihn anwesende Kommunisten beschuldigten, mit „Faschisten“ zu sympathisieren.154 Er sprach über die Lebensmittelversorgung, das Flüchtlingsproblem, über Kinderbetreuung, Jugendkriminalität, den Gesundheitszustand der Bevölkerung, die Gefahr von Seuchen, Geschlechtskrankheiten und Säuglingssterblichkeit. Er beschrieb die Probleme und Erfolge beim Aufbau der Stadt und die Funktion der Militäradministration. Weil er dabei kein Blatt vor den Mund nahm, kam es zum Eklat.155 Der umgehend informierte Fischer suspendierte Müller vom Dienst mit der Begründung, er habe in seiner „Eigenschaft als Oberbürgermeister der Stadt Dresden die Auffassung vertreten, dass die Ursachen für die Schwierigkeiten der Stadt Dresden bei der Kohlenbeschaffung und beim Wiederaufbau in der Tätigkeit der Besatzungsbehörden der Roten Armee“ lägen. Da solche Auffassungen den Tatsachen widersprächen, müssten sie „als Provokation gewertet werden“. Zudem seien sie geeignet, „Misstrauen gegen die Sowjetische Militäradministration zu erwecken und die gute Zusammenarbeit mit der SMA zu stören“.156 Er übertrug Weidauer mit sofortiger Wirkung die Führung der Geschäfte.157 Bei Müller vollzog sich dasselbe Muster wie einige Wochen zuvor bei Albrecht. Die öffentlich geübte Kritik an der sowjetischen Besatzungsverwaltung bot den willkommenen Vorwand zur Entfernung einer unbequem gewordenen Person. Die SPD widersprach nicht, sie versprach sich von der Neubesetzung eine Stärkung ihres Einflusses. Weidauer verfügte bei der Umsetzung der kommunistischen Personalpolitik im Dresdner Rathaus keineswegs über freie Hand.

152 Vgl. Personalliste, o. D. [August 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 308, Bl. 10–18). 153 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 48; Malycha, SED, S. 77. 154 Bericht der „Gruppe Agitprop“ zur Rede des Oberbürgermeisters vom 22.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 306, Bl. 11). 155 Bericht zur Rede des Oberbürgermeisters vom 22.10.1945, o. D. (ebd., Bl. 12–17). 156 Schreiben Fischers vom 26.10.1945, (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 126). 157 Protokoll der Ratssitzung vom 26.10.1945 (ebd., Bl. 125). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Doch die Absetzung des Dresdner Oberbürgermeisters am 26. Oktober 1945158 verschaffte der KPD eine Atempause und die Chance, Dölitzsch weiter hinzuhalten.159 Allerdings konnte der Jurist Müller im Gegensatz zu dem wenige Wochen zuvor verhafteten Ernährungsdezernenten Albrecht in seinen Richterberuf am Dresdner Oberlandesgericht zurückkehren. Zu erklären ist das damit, dass Müller der von den Nationalsozialisten verfolgten Personengruppe, Albrecht jedoch dem alten Verwaltungspersonal angehörte. Die Ausschaltung des Oberbürgermeisters heizte die Personaldebatte im Dresdner Rathaus neuerlich an. Die Kommunisten mussten sich in der Stadtverwaltung mit zunehmend selbstbewusster auftretenden Sozialdemokraten auseinander setzen, dies ließ deren Domestizierung zwingend notwendig werden. Sie benötigten die SPD, um ihre eigene Isolierung aufzubrechen, doch zur Verhinderung einer Annäherung der Sozialdemokraten an die beiden bürgerlichen Parteien mussten sie starke Persönlichkeiten aus deren Umfeld eliminieren. Den von LDP und CDU gewünschten Beirat für Personalfragen aus den Parteien konnten die Kommunisten noch verhindern, doch kurz vor seiner Ablösung hatte Müller einen Ratsbeschluss durchgesetzt, der bei strittigen Entscheidungen des Personalamtes ein Hinzuziehen je eines Vertreters von KPD und SPD vorsah.160 Das schien das Ende der kommunistischen Personalhoheit im Dresdner Rathaus einzuleiten. Weidauer reagierte mit einem programmatischen Referat unter der Überschrift „Die politischen Aufgaben des Angestellten im öffentlichen Dienst“.161 Vor dem Hintergrund der Entnazifizierung im Dresdner Rathaus, die im November 1945 ihren Höhepunkt erreichte, leitete er damit den Vereinigungsprozess von KPD und SPD ein.162 Weidauer entwickelte erste Vorstellungen zur Personalpolitik in Dresden bereits im Juli 1945. Er erklärte das „Zeitalter“ aller „unpolitischen Beamten und Angestellten“ für beendet, weil jede von ihnen getroffene Entscheidung „eine eminente politische Frage“ darstelle.163 Weit ausführlicher fiel am 11. November, wenige Tage vor dem von der SMAS gesetzten Stichtag zur Säuberung der Verwaltung, seine Grundsatzrede vor den städtischen Bediensteten aus. Er berief sich auf den Beschluss der Landesverwaltung vom 29. Oktober 1945, demzufolge es nur noch Angestellte und Arbeiter in den Verwaltungen gebe. Diese sachliche Feststellung der Verwaltungsvorschrift über die Abschaffung des Be158 Die Erinnerung Arno Wends, der meinte, Müller sei Anfang Februar 1946 aus seinem Amt entfernt worden, trügt, vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 216. 159 Protokoll der Ratssitzung vom 23.10.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 272). 160 Protokoll der Ratssitzung vom 16.10.1945 (ebd., Bl. 264). 161 Referat Weidauers vom 11.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 334, Bl. 1–9). 162 Vgl. Malycha, SED, S. 79, er verlegt den Beginn der intensivierten Einheitskampagne auf Ende November 1945. 163 Rede Weidauers über politischen Aufgaben der Angestellten und Beamten des Wohnungsamtes auf der 2. Arbeitstagung des Wohnungsamtes der Stadt Dresden vom 15. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 5, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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rufsbeamtentums kommentierte er politisch und offenbarte ihre eigentliche Stoßrichtung. Nur eine politisch gut qualifizierte Belegschaft könne die Anordnungen der Stadtverwaltung richtig durchführen: „Ein Arbeiter oder Angestellter, der wenig fachliche Kenntnisse und Voraussetzungen mitbringt, aber eine gute saubere anständige politische Gesinnung, ist uns tausendmal lieber, als der eingefuchste alte Fachbeamte mit seiner politischen Gesinnungslosigkeit.“164 Weidauer beunruhigte das rasche Anwachsen der Sozialdemokratie. Zum Zeitpunkt seiner Rede waren 1 234 städtische Angestellte in der KPD organisiert, 1441 in der SPD, 18 LDP- und 6 CDU-Mitglieder. Mitte Oktober hatte die SPD innerhalb von zwei Wochen in der Stadtverwaltung 243 neue Mitglieder hinzugewonnen, die KPD im gleichen Zeitraum nur 98. Die SPD überflügelte nicht nur die KPD, sie baute ihren Vorsprung weiter aus. Sie besaß unter der Arbeiterschaft der Verwaltung die größere Anhängerschaft, fachlich besser ausgebildete Mitglieder und ein großes Mobilisierungsreservoir. Diese drei Punkte zusammengenommen entzogen dem kommunistischen Führungsanspruch jede Legitimation. Die negative Identifikation der KPD mit der Besatzungsmacht bewirkte überdies eine wachsende Erosion ihres Ansehens. Trotz verstärkter parteipolitischer Mobilisierung vergrößerte sich der SPD-Vorsprung weiter. Weidauer bezog sich auf die seiner Meinung nach mangelnde politische Organisation der Angestellten und erklärte: Wer von den 10 000 unorganisierten Mitarbeitern nicht den Mut fände, sich zu einem freien, antifaschistisch-demokratischen Deutschland zu bekennen, habe keinen Platz in der neuen Verwaltung. Denn die Zeit der so genannten unpolitischen Angestellten und Arbeiter, „die jeder klaren politischen Stellungnahme glauben aus dem Wege gehen zu können“, sei vorbei. Nur eine politisch gut qualifizierte Belegschaft könne die Anordnungen der Stadtverwaltung, einer politischen Einrichtung zum Wohle der Einwohner, richtig durchführen: „Dem unpolitischen Angestellten aber ist es möglich, die Durchführung solcher Anweisungen so zu gestalten, dass praktisch das Gegenteil von dem herauskommt, was beabsichtigt ist, und deshalb legen wir so großen Wert auf Ihre politische Mitarbeit und großen Wert auf Ihre politische Zugehörigkeit zu einer der 4 antifaschistischen Parteien. Denn diejenigen, die in eine der 4 Parteien eintreten, verpflichten sich damit gleichzeitig, das einheitliche Aktionsprogramm und die einheitlichen Beschlüsse der 4 Parteien durchzuführen, verpflichten sich damit zum aktiven antifaschistisch-demokratischen Kampf gegen die Reaktion aller Schattierungen. Mir wurde gesagt, dass ein Teil Angestellter der Stadt Bedenken habe, sich politisch zu organisieren, weil sie das Beispiel der Pg.’s schreckt. Wer so denkt, ist ein politischer Hasenfuß, der jetzt schon darauf spekuliert, dass sich eines Tages das Blatt einmal wenden könnte, und, um dort den Anschluss nicht zu verpassen, sich heute politisch farblos hält. Zur Beruhigung ihres Gewissens möchte ich aber diesen politischen Hasenfüßen heute schon sagen: In die Verlegenheit, dass Sie sich einmal vor den Faschisten verantworten müssten, werden Sie niemals kommen.“165 164 Referat von Weidauer am 11.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 334, Bl. 3). 165 Ebd., Bl. 6. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Mit seiner Attacke reagierte Weidauer auf die unter Verwaltungsmitarbeitern verbreitete Scheu vor einer parteipolitischen Bindung. Das Beispiel der NSDAPMitglieder vor Augen, denen ihre Parteizugehörigkeit nach vergleichsweise kurzer Zeit zum Verhängnis geworden war, zögerten in der politisch offen erscheinenden Situation des Jahres 1945 viele Menschen, sich mit einem vielleicht voreiligen Schritt festzulegen. Hinter ihnen lagen Jahrzehnte politischer Instabilität. Diese Erfahrung ließ sie nicht an die Entstehung politischer Verhältnisse in Deutschland von solcher Dauer glauben, wie sie tatsächlich in der Nachkriegszeit heranwuchsen, zumal sich die Krise zwischen den Alliierten abzeichnete. Auch die SPD plädierte, freilich ohne zu drohen, nachdrücklich für ein offenes Bekenntnis politischer Standpunkte.166 Weidauers Rede verstärkte den auf die Angestellten ausgeübten Rechtfertigungsdruck, der seit dem Beginn der Entnazifizierung den Verwaltungsaufbau prägte. Er forderte sie auf, ein „Bekenntnis zu einem freien, antifaschistisch-demokratischen Deutschland“ abzulegen, indem sie einer politischen Organisation beitraten. Weidauer warnte vor Konsequenzen und erwähnte beiläufig die notwendigen Einsparungen im Haushalt. Diesen Zusammenhang konnten seine Zuhörer nicht missverstehen. Irgendwann, wenn sie ihres Arbeitsplatzes auch zukünftig sicher sein wollten, würden sie in eine der Parteien eintreten müssen. Weidauers Rede bewirkte vor dem Hintergrund der verschärften Entnazifizierung höhere Parteieintrittszahlen. Das Ergebnis entsprach allerdings nicht annähernd den kommunistischen Erwartungen. Denn von den absoluten Zahlen profitierte die KPD deutlich weniger als die SPD. Den sowjetischen Behörden gegenüber bemühte sich das Statistische Amt, die KPD in weniger ungünstigem Licht dastehen zu lassen, da „die relativen Zahlen die Verteilung der Parteigenossen“ besser zeigten.167 Die KPD hatte tatsächlich die Zentralverwaltung fest im Griff. Hier und in den Bezirksverwaltungen befand sie sich vor der SPD, die ihrerseits die Fachverwaltungen dominierte. Aber der wesentlichste Vorzug der KPD bestand darin, dass ein großer Teil ihrer in der Stadtverwaltung tätigen Mitglieder Parteifunktionäre waren, die Verwaltungsaufgaben tatsächlich als politisches Amt im Sinn der Partei ausübten. Auch wenn damit die „Kaderfrage“ nicht als gelöst gelten konnte, war der KPD-Führung in hohem Maß parteipolitische Beeinflussung der Verwaltung möglich, da sie die Mehrheit der Führungspositionen mit ihren Mitgliedern besetzte. Die wachsende Attraktivität der SPD indessen musste die Alarmglocken in der KPD-Führung schrillen lassen, ihr Herrschaftsanspruch erodierte im Nach166 Vortrag von Oberbürgermeister Hennig in der Betriebsversammlung der TH Dresden: Die Hochschule im neuen Staat vom 17.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/ A/1.006, nicht paginiert). 167 Der handschriftlich korrigierte Begriff „Parteigenossen“ verweist auf ideologische Unsicherheiten wie auf die fachlichen Qualitäten der Statistikerin, die sich mit Zahlen gut und weniger mit den politischen Termini auskannte, siehe Parteizugehörigkeit der städtischen Dienstkräfte vom 15.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 12–15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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kriegsalltag zusehends. Noch schmiedete ein Zwangscharakter, der Koalitionen ohne oder gegen die KPD ausschloss, die Parteien in den Einheitsblock.168 Aber die Stimmung schlug um zugunsten der anderen Parteien und die Erfolglosigkeit der kommunistischen Politik rechtfertigte deren Ansprüche, die sie auf der Basis ihrer steigenden Mitgliederzahlen erhoben. Anfang Dezember musste die KPD erneut dem Austausch eines ihrer Bezirksverwaltungsleiter gegen einen SPD-Kandidaten zustimmen.169 Dennoch sprach sie die Besetzung wichtiger Positionen keineswegs mit der SPD ab; auch standen der Stadtverwaltung nicht, wie bewusst falsch berichtet, mit den „Ausschüssen der antifaschistisch-demokratischen Parteien und den kommunalen Beiräten“ beratende Organe zu Seite.170 Eine Ratssitzung mit geladenen Vertretern der anderen Parteien fand erstmals kurz vor Jahresende statt.171 Der Weg für Beiräte und paritätisch besetzte Ausschüsse wurde nach einer Intervention von SPD, CDU und LDP bei der sowjetischen Kommandantur im neuen Jahr frei.172 Die Jahreswende 1945/46 sah die KPD in der Defensive, sie hatte unwiderruflich die Chance verspielt, die Bevölkerung von ihrer politischen Vision eines neuen Weges in die Zukunft zu überzeugen. Daran trug sie nicht allein schuld, die Hypothek der Niederlage und eine „unfreundliche“ Besatzungsmacht erschwerten den Start. Demonstrationen der Stärke wie die Entlassung des Dresdner Oberbürgermeisters offenbarten die tatsächliche Schwäche der kommunistischen Parteiführer, die sich zunehmend unfähig erwiesen, angemessen auf die Herausforderungen zu reagieren und eine pragmatische Politik zu entwickeln. Dessen ungeachtet zielte ihre Säuberungspolitik auf die Übernahme von Machtpositionen. Die in den Spitzenfunktionen der Bezirksverwaltungen arbeitenden Kommunisten bauten flächendeckend ein Netz von Parteiorganisationen in ihren Stadtbezirken auf; im Gegenzug dienten die Verwaltungsorgane immer mehr dem administrativen Vollzug der kommunistischen Politik. Zu deren Akklamation wiederum fanden „regelmäßig Sitzungen mit den Blockparteien statt“.173 Primär resultierte die Unfähigkeit, erfolgreich gegen die Ernährungskrise des Sommers 1945 vorzugehen, aus der verfehlten Personalpolitik der KPD. Erforderlich wäre ein Zusammenführen aller politischen Kräfte gewesen. Ein Instrument zur Bekämpfung der Not schienen die „Einheitsfront-Ausschüsse“ zu sein. In der Realität bildeten sie das Kernstück der kommunistischen Strategie zur 168 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 97. 169 Vorlage zur Ratssitzung vom 4.12.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 427). 170 Bericht über die kommunalen Selbstverwaltungen, o. D. [Dezember 1945] (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, I/A/022, nicht paginiert). 171 Vgl. Protokoll der Ratssitzung vom 28.12.1945 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 527 ff.). 172 Protokoll der Ratssitzung vom 7.1.1946 (ebd., Bl. 548). 173 Bericht über die Tätigkeit der Bezirksverwaltung VI vom 15.-28. 2.1946 an den Kommandanten des 6. Rayons vom 28. 2.1946 ( StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17a, Bl. 61–67). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Verhinderung einer möglichen Opposition. Die KPD war mitnichten die einzige Kraft zur Bewältigung der Probleme in Nachkriegsdeutschland; um als solche in der Öffentlichkeit zu erscheinen, nutzte sie entstehende Krisen geschickt und verlegte den anderen Parteien die Möglichkeiten zu deren Lösung. Doch es drohte die Annäherung der Sozialdemokraten an die beiden bürgerlichen Parteien. Zunehmend bedrängte die SPD gemeinsam mit CDU und LDP die Kommunisten in den von ihnen eingenommenen Führungspositionen. Aus dieser misslichen Lage konnte sie nur noch die mit den Sozialdemokraten gebildete Einheitspartei retten.

5.

Der erzwungene Weg zur Einheitspartei

Zwischen kommunistischen Spitzenfunktionären wie Walter Ulbricht, der Basis seiner Partei und zahlreichen Sozialdemokraten bestand in einer Frage Einigkeit, sie sahen nur eine Möglichkeit für eine Machtübernahme in Deutschland durch die „Arbeiterklasse“: Die Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten musste überwunden werden. Unterschiedliche Ansichten bestanden über den Weg hin zu einer von Kommunisten, so jedenfalls wollte es Ulbricht, geführten Einheitspartei. Ob diese sofort gegründet oder ob sie aus einer Verschmelzung von KPD und SPD entstehen sollte, stand bei Kriegsende nicht fest. In der politisch offenen Situation musste in Deutschland mit verschiedenen Optionen auf die entstandene Lage reagiert werden können. Stalin entschied sich anlässlich der Anfang Juni 1945 in Moskau geführten Gespräche gegen die „rasche Vereinigung von KPD und SPD“,174 sein Votum bedeutete keinen Kurswechsel, sondern die Festlegung einer Strategie. Die Kommunisten der Dresdner „Initiativgruppe“ um Ackermann traten nach dem 11. Juni für den Aufbau einer separaten SPD mit derselben Entschiedenheit ein, wie sie zuvor schon den Aufbau der KPD in der Stadt vorangetrieben hatten. Der Zeitpunkt zur „Liquidierung“ sozialdemokratischer Politikinhalte stand nicht von vornherein fest, die Tatsache an sich aber war längst beschlossen.175 Während der darauffolgenden Wochen konzentrierten sich die führenden Kommunisten auf den Ausbau des organisatorischen Vorsprungs ihrer Partei und der daraus resultierenden hegemonialen Stellung gegenüber den rivalisierenden politischen Kräften. Sie hatten vom Sprungbrett der Dresdner Stadtverwaltung aus mit der sächsischen Landesverwaltung „eine der wichtigsten Positionen zur Durchführung des Programms“ der KPD errungen,176 bald jedoch erwies sich die Begrenztheit ihrer Strategie. Die SPD überflügelte im Herbst 174 Kaiser, Gleichschaltung des Parteiensystems, S. 270. 175 Vgl. Schmeitzner / Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 534; Schroeder, SEDStaat, S. 35 f. 176 Redebeitrag Kurt Fischers auf der Konferenz der KPD-Bezirksleitung vom 26.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/007, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Weg zur Einheitspartei

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1945 mit Leichtigkeit die kommunistische Partei an Beliebtheit und die bürgerlichen Parteien standen im Begriff, den bestehenden Vorsprung aufzuschließen. Das hemmungslose kommunistische Machtstreben führte zu erheblichen Konflikten, diese verstärkten bei vielen Sozialdemokraten den Wunsch nach Eigenständigkeit, weil sie sich von der KPD unter Druck gesetzt fühlten.177 Eindeutige Signale wiederum setzten die Wahlen in Ungarn und Österreich, das schlechte kommunistische Abschneiden wurde auch im Dresdner Rathaus aufmerksam registriert.178 Die KPD-Führung und ihre sowjetischen Protektoren erkannten, dass sie bei einem Weiterverfolgen ihres bisherigen Weges bald im Abseits stehen würden. Einen Sinnes- oder Politikwandel hingegen bewirkte das Wahldebakel nicht. Eine solche Annahme entspricht ebenso wenig den historischen Tatsachen wie die gern verbreitete Legende, die kommunistische Wahlniederlage in Österreich habe die sowjetische Besatzungsmacht überrascht.179 Das Tempo des Vereinigungsprozesses beschleunigte sich allerdings in der Folgezeit beträchtlich. Die aufsehenerregende Rede Grotewohls am 14. September 1945 in Berlin, bei der er zum Ärger der KPD-Führung nicht allein Zweifel an deren Demokratiebekenntnis äußerte, sondern den sozialdemokratischen Führungsanspruch im neuen Staat kundtat und die Bildung einer Einheitspartei auf unbestimmte Zeit verschob,180 verstärkte auch in Dresden das Misstrauen der KPD hinsichtlich öffentlicher Auftritte populärer SPD-Funktionäre. Abgesehen von dem Umstand, dass die Referate von Parteifunktionären dem Informationsoffizier der sowjetischen Stadtkommandantur vorgelegt werden mussten,181 ließ die KPDFührung das sozialdemokratische Parteileben von nun an noch intensiver observieren. Matern nannte das „Hilfe“ für die SPD. Er rief in Dresden die kommunistischen Arbeiter auf, der SPD zu „helfen, auf die richtige Klassenlinie zu kommen“. Ab sofort müsse sich das kommunistische Engagement „auf dem Gebiet der Einheit wesentlich verstärken“.182 Häufig nahmen KPD-Funktionäre als Ko-Referenten an sozialdemokratischen Versammlungen teil. Am 11. September konnte erstmals in Sachsen die sozialdemokratische „Volksstimme“ erscheinen.183 Obwohl die Zeitung gleichfalls der sowjetischen Pressezensur unterlag, stärkte ihr Erscheinen die Stimme der SPD in der Öffent177 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 50 f. 178 Bericht der Rapportstelle des Polizeipräsidiums an Weidauer vom 26.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 59, Bl. 10). 179 Vgl. Rathkolb, Sonderfall, S. 368. 180 Malycha, SED, S. 71 f. Vgl. zur Haltung des SPD-Vorsitzenden in der SBZ auch Rede von Otto Grotewohl zum 9. November 1945. In: Malycha, Rede Otto Grotewohls am 11. November 1945, S. 173–180. 181 Vgl. Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 15, S. 4 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.054, nicht paginiert). 182 Referat Materns auf der Kreiskonferenz im Göhle-Werk vom 30. 9.1945, (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/001, nicht paginiert). 183 Vgl. Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 71; Buchwitz, Brüder, S. 79. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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lichkeit, und auch der erste sächsische Landesparteitag war ein Ereignis mit beträchtlicher Außenwirkung. Der Parteitag fand am 6. und 7. Oktober im nahe der Landeshauptstadt gelegenen Freital statt,184 was zum einen den schwierigen Umständen im zerstörten Dresden Rechnung trug, zugleich aber eine Reverenz an eine der ehemaligen sozialdemokratischen Hochburgen war.185 Hier betonte nicht nur der sozialdemokratische Landesvorsitzende Buchwitz die Notwendigkeit einer bald stattfindenden Vereinigung der Parteien. Auch Arno Hennig186 als Oberbürgermeister der gastgebenden Stadt begrüßte die angereisten Sozialdemokraten im Beisein der ebenfalls geladenen KPD-Bezirksleitung mit einem Bekenntnis zur „Einheitsfront des Proletariats“. Die Redebeiträge dienten sozialdemokratischer Positionsbestimmung und der Einschwörung auf die bevorstehenden „sozialen Umwälzungen“, sie demonstrierten sozialdemokratisches Selbstbewusstsein auf der Basis eines demokratischen Weges zum Sozialismus.187 Matern hatte im Vorfeld des Parteitages angekündigt, „die Verbindung zu den sozialdemokratischen Organisationen und Mitgliedern noch tausendmal enger zu gestalten“.188 Das bezog sich auf die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten, und wurde von letzteren durchaus als Bedrohung verstanden. Der heftig beklatschte Diskussionsbeitrag eines der Anwesenden über die Notwendigkeit parlamentarischer Prinzipien in der Demokratie lässt erkennen, dass die SPD-Mitglieder zumindest teilweise die demokratischen Phrasen der Kommunisten durchschauten. Ihnen wie den „teils in Zivil, teils in Uniform“ erschienenen „Abgeordneten von der Sowjetischen Administration“189 zeigte die Äußerung desselben Parteitagsdelegierten, Hitler sei nicht durch die Weimarer Verfassung, sondern gegen sie an die Macht gekommen, den zwischen beiden Parteien liegenden Graben in seiner gesamten Tiefe.190 Robert Wirth, Nestor der sächsischen SPD, warnte eindringlich vor den Folgen einer übereilten Vereinigung.191 Obwohl Buchwitz 184 Vgl. Hurwitz, Zwangsvereinigung, S. 77 ff.; Malycha, Weg zur SED, S. XLV. 185 Vgl. Walter, Freital, S. 39–181. 186 Arno Hennig 1897–1963, Pädagoge, 1917–1928 Lehrer. Mitglied der SPD seit 1920, 1928–1933 Parteisekretär in Freital. 1933 Verhaftung, anschließend Tätigkeit im Verlagswesen. 1945–1946 Oberbürgermeister in Freital, Mitglied des SPD-Landesvorstandes, danach des SED-Landesvorstandes Sachsen. September 1946 Flucht, Kulturreferent der SPD, Mitglied des Bundestags und des hessischen Landtags, 1953–1959 Minister für Erziehung und Volksbildung in Hessen. 187 Sozialdemokratische Partei, Verhandlungen des Landes-Parteitages, S. 14. Vgl. zur abweichenden Datierung des Protokolls Malycha, Weg zur SED, S. 87, Fußnote 7. 188 Rede von Hermann Matern zur erweiterten Bezirksleitungssitzung vom 25. 9.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 54, S. 70 f. 189 Sozialdemokratische Partei, Verhandlungen des Landes-Parteitages, S. 178. Eine der Parteitagsleitung unbekannte Anzahl sowjetischer Offiziere überwachte die Diskussionen; deren Anwesenheit quittierte der aus Berlin angereiste Paul Löbe mit einem auch sarkastisch zu verstehenden Dank „den Vertretern der Roten Armee, die mit solchem Interesse unseren Verhandlungen gefolgt sind“, ebd. 190 Ebd., S. 172. 191 Ebd., S. 177. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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am Konzept einer Vereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten festhielt, musste er dem offenen Unwillen der sozialdemokratischen Parteibasis nachgeben und auf Gleichberechtigung in den Verwaltungen bestehen. Wenige Wochen später sah er wegen der vielen bei ihm eingehenden „Beschwerden und Klagen“ den „Zusammenschluss beider Arbeiterparteien in weite Ferne“ gerückt.192 Das bedeutete aber keinesfalls das Ende der kommunistischen Bemühungen. Zeitgleich mit der Kampagne zur Gründung der Einheitspartei193 startete die KPD eine offensivere Politik gegenüber sämtlichen politischen Kontrahenten. Sie hatte mit ihrer bisherigen Säuberungspolitik viel erreicht, doch konnte sie sich damit nicht zufrieden geben, da sie die erstarkende SPD an der Macht beteiligen musste. Nach der Entlassung des parteilosen Dresdner Oberbürgermeisters Müller beanspruchten die Sozialdemokraten diesen Posten für sich. Die Anfang November im Dresdner Rathaus einsetzende Massenentlassung im Rahmen der forcierten Entnazifizierung ermöglichte der KPD, den Personalaustausch zu ihren Gunsten fortzusetzen und die Sozialdemokraten weiter zu benachteiligen. Parallel zu der dadurch angestoßenen Diskussion fanden neben einer Vielzahl von Propagandaveranstaltungen anlässlich des Feiertages zur Oktoberrevolution wiederum gemeinsame Funktionärsversammlungen von KPD und SPD statt,194 und ein Aufruf der Landesvorstände zur „Einheit der beiden Arbeiterparteien“ erging an die Ortsgruppen.195 Dort war die ursprünglich positive Stimmung umgeschlagen in eine abwartende Haltung, teilweise sogar in offene Ablehnung.196 Widersprüchliche Äußerungen einer apologetischen Geschichtsschreibung spiegeln die heftigen Auseinandersetzungen im Rathaus der sächsischen Landeshauptstadt bei der Besetzung von Verwaltungspositionen.197 Die Sozialdemokraten in Dresden befürchteten, sich in einer Einheitspartei gegenüber aggressiv agierenden Kommunisten nicht behaupten zu können. Andererseits stärkte eine immer größer werdende Massenbasis ihr Selbstbewusstsein und sie wollten ihre demokratischen Prinzipien in die gemeinsame Partei einbringen. Da die Führung der KPD letz-

192 Aus dem Protokoll über die Sitzung des engeren Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 14.11.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 169 f. 193 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 175–213. 194 Bericht von der UBL-Sitzung vom 25.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 60). Vgl. Stein, Gegner der Vereinigung, S. 92–94. 195 Gemeinsame Anweisung der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei, Bundesland Sachsen – An alle Mitglieder und Ortsgruppen der beiden Parteien vom 19.11. 1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 69, S. 84; Gemeinsamer Aufruf der SPD und der KPD, Land Sachsen, vom 19.11.1945 an alle Mitglieder, für die Einheit der Arbeiterbewegung zu wirken. In: Dokumente und Materialien, Band 1, S. 271 ff. 196 Sywottek, Volksdemokratie, S. 208. 197 Vgl. Althus / Gräfe / Kriegenherdt / Wehner, Widerstandskampf, S. 69; Dietze, Kampf; Gräfe/ Wehner, Die führende Rolle der KPD, S. 321; Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 57. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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teres mit aller Macht verhindern wollte, rückte die sozialdemokratische Seite zunehmend von Vereinigungsplänen ab. Anfang Oktober 1945 existierten in Sachsen 766 sozialdemokratische Ortsgruppen.198 Die Mitgliederzahlen von SPD und KPD könnten etwa gleich hoch gewesen sein; ungenauen Angaben zufolge gab es im Kreis Dresden 11 000 eingeschriebene Mitglieder der KPD.199 Die SPD zählte im November in Dresden 9 700 Mitglieder,200 danach ließ sie die KPD rasch hinter sich. Anfang Dezember 1945 gehörten dem SPD-Unterbezirk Groß-Dresden 11736 Personen an, annähernd 9 000 Männer und 3 000 Frauen. Noch überwogen in der Partei die sozialdemokratischen Altmitglieder. Das Verhältnis zwischen alten Mitgliedern und neuen Anhängern der SPD änderte sich seitdem mit jedem hinzukommenden Neumitglied. Innerhalb eines Monats verdoppelten sich die Mitgliederzahlen. Am Jahresende 1945 gehörten 17 300 Männer und 5 500 Frauen zu den Dresdner Ortgruppen, insgesamt 22 800 Mitglieder. Zwar verringerten sich die Wachstumsraten in den folgenden Monaten, doch anlässlich der letzten Mitgliederzählung Anfang April 1946 erfasste die SPD in Dresden 35 000 Mitglieder in ihren Reihen. Mit 26 000 Männern und 9 000 Frauen, 2 500 selbständigen Gewerbetreibenden und Unternehmern, 21 000 Arbeitern, 9 500 Angestellten und 2 000 sonstigen Mitgliedern war die SPD zu einer Partei mit einer breiten Basis in der Mitte der Bevölkerung geworden.201 Positiv wirkte sich die Jugendamnestie für die SPD aus und ihre speziell auf die Zielgruppen Frauen und Jugend gerichtete Öffentlichkeitsarbeit, die aber auch Intellektuelle und Geschäftsleute ansprach.202 Den für 1946 erwarteten Wahlen sah die SPD gelassen entgegen, ihr gehörten offenkundig die Sympathien der Bevölkerung.203 Sie besaß unter den vier Parteien der SBZ die besten Aussichten, in einem künftigen Parlament die stärkste Fraktion zu stellen und sich ihre Koalitionspartner aussuchen zu können. Das befürchtete Matern in Dresden gleichfalls.204 Gestiegenes sozialdemokratisches Selbstbewusstsein und die anlässlich der erwarteten Wahlen nicht länger zu verbergende Schwäche der KPD alarmierten auch die SMAD.205 198 Bouvier, Selbständigkeitsanspruch und Vereinigungstendenz, S. 458; Malycha, Weg zur SED, S. XLV. 199 Bericht von der KL-Sitzung in Dresden vom 15.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/124, Bl. 54 f.). 200 Mitgliederzahlen der SPD in Dresden Stadt, Stand 1.11.1945, (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/2.010, nicht paginiert). 201 Zu den Mitgliederzahlen in Ostsachsen, Berichte vom 8.12.1945, 8.1.1946, 1. 2.1946, 5. 3.1946, 2. 4.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II / A /1.007, nicht paginiert). Vgl. Althus/Gräfe/Kriegenherdt/Wehner, Widerstandskampf, S. 71. 202 Tätigkeitsbericht der SPD im Bezirk Ostsachsen vom 6. 3.1946 (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, II/A/1.007, nicht paginiert). 203 Vgl. Aus der Niederschrift über die Sitzung des erweiterten Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 18.12.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 181–185. 204 Malycha, SED, S. 95. 205 Donth, KPD als Partei der Diktaturdurchsetzung in Sachsen, S. 124 f. Vgl. Wettig, Stalins Deutschland-Politik, S. 33. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Verzögerungstaktik206 der lokalen SPD-Prominenz richtete sich gegen Bevormundung und Willkür, gegen den drohenden Verlust an innerparteilicher Demokratie, Pluralismus und sozialdemokratischer Identität. Arno Wend sprach sich in Dresden für ein langsameres Tempo der Vereinigung aus. Neben ihm arbeiteten auch die anderen „Referenten der SPD [...] fast zu 100 Prozent gegen die schnelle Herstellung der Einheit“. Auch wenn der Kommunist Leppi für Dresden keine grundsätzlichen Verhinderungsabsichten sondern eine Verzögerung konstatierte, sah er in Wend, Haufe, Dölitzsch und anderen Gegner der Einheit.207 Unter Dresdner Sozialdemokraten fand sich längst keine Mehrheit für eine rasche Vereinigung mit der KPD.208 Gleichwohl leisteten Leipziger Sozialdemokraten entschiedener Widerstand gegen die Vereinigung mit der kommunistischen Partei.209 Auch wenn Sozialdemokraten in ihrem Beharren auf eigenen Strukturen und Traditionen mehr den Versuch der Selbstbehauptung sahen, da sie unter „Widerstand“ konspiratives Verhalten verstanden, dessen sie sich nach den Jahren der Diktatur nicht erneut bedienen wollten, unterstellten ihnen ihre politischen Gegner illegale Handlungsweisen,210 und setzten 27 Dresdner SPD-Mitglieder auf eine mit diffamierenden Anmerkungen versehene Liste der „Feinde der Einheit“.211 Der kommunistische Versuch, auf der gemeinsamen „Sechziger-Konferenz“ der KPD- und SPD-Funktionäre in Berlin einen zentralen Beschluss zur Vereinigung herbeizuführen, endete ohne Ergebnis. Nachdem die abwartende Haltung vieler Sozialdemokraten auf der Führungsebene nicht aufgebrochen werden konnte, setzte die KPD auf Massenmobilisierung, „um eine stärkere Beteiligung der sozialdemokratischen Genossen und ein engeres aktives Zusammenarbeiten zu erreichen als bisher“.212 Anfang 1946 kündigten SPD und KPD in Dresden eine Massenkonferenz der sächsischen Funktionäre an, zu der jede der beiden Parteien 1 000 Delegierte entsenden sollte.213 Matern stimmte wie gewohnt sein Vorgehen mit Buchwitz ab214 und forderte dazu auf, „Einheitsfeinde [...] als die Träger der Ideologie des deutschen Imperialismus“ zu brandmar-

206 Vgl. Donth, Weichenstellungen, S. 110–115. 207 Bericht über die UBL-Sitzung in Dresden vom 7. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/124, Bl. 20 f.). Vgl. Hurwitz, Zwangsvereinigung, S. 77–81. 208 Vgl. Bericht von der KL-Sitzung vom 15.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/ B.019/1, Bl. 39). 209 Vgl. Malycha, Weg zur SED, S. XLV–IL; Rudloff, SED-Gründung. 210 Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 334 f. 211 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 574. 212 KPD-Bezirksleitung Sachsen, Rundschreiben Nr. 1 vom 3.1.1946. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 76, S. 93. 213 Gemeinsame Funktionärkonferenz der SPD und KPD, Sächsische Volkszeitung vom 4.1.1946. In: ebd., Dokument 75, S. 92. Vgl. Bericht an das ZK, 30.12.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/043, Bl. 92). 214 Interview mit T. S. [Stanislaw Trabalski] vom 22.11.1973. In: Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, S. 211; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 190. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ken.215 Die KPD-Bezirksleitung startete in Sachsen eine „Kampagne“: Sie legte die gründliche Vorbereitung gemeinsamer Mitgliederversammlungen fest, über die anschließend „begeisternde Berichte an die Presse zu geben“ seien, um eine positive Stimmung unter den Mitgliedern zu verbreiten. Den Besuchern der Parteiversammlungen sollten vorbereitete Zustimmungserklärungen zu den Einheitsbeschlüssen zur Verabschiedung vorgelegt werden. Weiterhin dürften auf gleichermaßen einzuberufenden Gewerkschaftskonferenzen der Kreis- und Landesebene nur „die Anhänger der Einheit“ zu Wort kommen, um die Delegierten zu „veranlassen, sich klar zur Einheit zu bekennen“.216 Mit ihrer Mobilisierungskampagne erhöhte die KPD-Führung den Gleichschaltungsdruck auf die Sozialdemokraten217 und intensivierte die Propaganda- und Schulungsarbeit ihrer Orts- und Straßengruppen in Dresden.218 Ihr Ziel bestand darin, einzelne Parteiverbände aus der geschlossenen Abwehrhaltung der SPD herauszulösen und dadurch einen Dominoeffekt zu bewirken. Das Abstimmungsergebnis der Dresdner Massenkonferenz am 15. Januar 1946 im ehemaligen Goehlewerk, dem Verlagsgebäude der „Volkszeitung“, entsprach den Erwartungen der Kommunisten. Doch nachdem die Manipulation der Abstimmung219 dem SPD-Landesvorstand bekannt geworden war, lehnte dieser kategorisch alle Versuche ab, „die organisatorische Arbeit der SPD in der nächsten Zeit schon mit der KPD zu vereinigen“.220 Das bedeutete nicht die generelle Ablehnung der Einheitspartei, sondern ein „Nein“ zu den von der KPD diktierten Modalitäten, insbesondere des Zeitplans.221 Auf einer von der Dresdner SPD einberufenen Krisensitzung am 20. Januar äußerte Arno Hennig grundsätzliche Vorbehalte hinsichtlich der kommunistischen Bereitschaft zur demokratischen Gestaltung der Parteistrukturen. Wend zweifelte gleichfalls die Aufrichtigkeit der Kommunisten an, da sie mit der weit größeren Anzahl ihrer anwesenden Funktionäre das Abstimmungsergebnis der Massenkonferenz im Goehlewerk zu ihren Gunsten entschieden hatten.222 Zur Rede gestellt widersprachen die KPD-Funktionäre den Anschuldigungen heftig, konnten allerdings

215 Rede von Hermann Matern auf der Sekretär-Konferenz in Dresden vom 7.1.1946 (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 876, Bl. 63). 216 KPD-Bezirksleitung Sachsen, Rundschreiben Nr. 1 vom 3.1.1946. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 76, S. 93. Vgl. Malycha, Weg zur SED, S. 296 ff. 217 Vgl. Malycha, SED, S. 97 f. 218 Schreiben der KPD-Ortsgruppe Seidnitz an die Stadtgruppen-Orgleitung vom 18.1. 1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B.019/1, nicht paginiert). 219 Buchwitz, Vereint und einig, S. 65 ff. 220 Rundschreiben Nr. 20 des Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 16.1.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 304 f. 221 Gniffke, Jahre, S. 136 ff. 222 Konferenz der Sozialdemokratie Groß-Dresdens, Volksstimme vom 22.1.1946. Vgl. Bericht über die SPD-Unterbezirkskonferenz vom 20.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002.1, nicht paginiert); Donth, sächsische KPD, S. 179; Schmeitzner/ Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 191. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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den Vorwurf der Unlauterkeit nicht entkräften.223 Die SPD-Führung bewertete die auf Unübersichtlichkeit angelegte Massenkonferenz als gezieltes kommunistisches Täuschungsmanöver.224 Matern irrte, wenn er davon ausging, allein die SPD-Sekretäre wendeten sich gegen die Einheitspartei.225 Eine SPD-Frauengruppe im Verwaltungsbezirk V forderte, die KPD müsse sich künftig „zu demokratischeren Formen bequemen und ihre jetzige diktatorische Stellung in der Führung revidieren“. Die Sozialdemokraten in Loschwitz befürchteten, die kommunistische Seite würde die Schlüsselstellungen besetzen und „die SPD an die Wand“ drücken. „Die Genossen verlangten erst öffentliche Wahlen, ehe der Zusammenschluss stattfindet.“ Auf einem SPD-Schulungsabend diskutierten die Funktionäre nicht wie vorgesehen das Referat, „sondern behandelten nur das Thema ‚Einheitspartei‘“ und kamen zu dem Entschluss, „die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien so lange wie möglich hinauszuschieben und den aufgezwungenen Weg abzulehnen“. Zu einer anderen gemeinsamen Versammlung der Funktionäre beider Parteien erschienen die Sozialdemokraten erst gar nicht.226 Der Abstimmungsbetrug veranlasste die Dresdner Sozialdemokraten, mit dem Ruf nach einer „Urabstimmung zur Frage der Vereinigung“ an die Öffentlichkeit zu treten. Sie betonten dabei, „alles zu unterlassen, was der organisch wachsenden Einheit abträglich“ sei, warnten aber die KPD vor jedem Versuch, „den organisatorischen Zusammenhang der SPD durch lokale Aktionen der Verschmelzung zu schwächen“. Erstaunlicherweise passierte dieser Dresdner Aufruf die sowjetische Pressezensur und erschien in der „Volksstimme“.227 Erst nach der teilweise erfolgten Auslieferung dieser Nummer wurde „die ‚Volksstimme‘ Nr. 28 vom Sonnabend, 2. 2. 46, auf Anweisung der Militärischen Administration beschlagnahmt“.228 Die Forderung, über die Frage der Vereinigung eine Urabstimmung abzuhalten, hätte ein zu deutliches Signal für den wachsenden Widerstand in der Dresdner Sozialdemokratie und der gesamten SPD abgegeben.229 Sozialdemokratische Ortsgruppen sprachen sich zudem gegen den Aufbau der Einheitspartei auf Basis der von der KPD befürworteten Betriebsgruppen und für eine Entsendung demokratisch gewählter Delegierter zu einem Partei-

223 Aus dem Protokoll über die gemeinsame Sitzung der Landes- und Bezirksleitungen Sachsens der KPD und SPD vom 28.1.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 315–344. 224 Vgl. Werner, wichtige Etappe. 225 Rede von Hermann Matern auf der Sekretär-Konferenz in Dresden vom 7.1.1946 (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 876, Bl. 61). 226 Auszüge aus Versammlungsberichten, o. D. [Ende Januar 1946] (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 227 Entschließung der Unterbezirkskonferenz der SPD Dresden vom 20.1.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 305. Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 58 f. 228 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 4. 2.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). Vgl. Gniffke, Jahre, S. 129. 229 Donth, Gründung der SED, S. 121; Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 22. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tag aus.230 Das in der SPD angesammelte Potential an Vorbehalten und Skepsis wog umso schwerer, da es dem Alltag von Sozialdemokraten und Kommunisten entsprang und die beiderseitige Abneigung wieder belebte. Dennoch nahm aus Angst vor sowjetischen Repressionen kaum ein Sozialdemokrat eine grundsätzlich ablehnende Haltung ein. Potentielle Kritiker fürchteten zu Recht Sanktionen wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Freiheit. Im Verschmelzungsprozess von KPD und SPD zahlte sich erstmals die kommunistische Politik zum Aufbau der Betriebsparteiorganisationen aus.231 Die mit KPD-Einfluss gegründeten sozialdemokratischen Betriebsgruppen unterzeichneten verschiedentlich „Resolutionen gegen die Politik Schumachers“,232 allerdings spiegelten die in großer Zahl in die Presse lancierten so genannten „Entschließungen“ aus Dresdner Betrieben,233 wie selbst Buchwitz wusste, kein Mehrheitsvotum wider.234 Sie kamen ähnlich wie bei der Dresdner Polizei zustande: Bestrebt, im „täglichen Kampf für die Einheit Außergewöhnliches zu schaffen“, stimmten die Dienststellenleiter einem „Vorschlag“ zu, demzufolge „alle Abteilungen des Polizeipräsidiums einschließlich des Kriminalamtes Dresden in Wettbewerb“ miteinander treten sollten.235 Die Anregung dazu erfolgte nach entsprechenden Ausführungen von Polizeipräsident Opitz, der darauf hinwies, „dass die Zusammenarbeit der sozialdemokratischen und kommunistischen Polizeikollegen [...] für die wirkungsvolle Tätigkeit unserer Polizei“ die Voraussetzung sei. Er beteuerte, dass ohnehin „zwischen den sozialdemokratischen und kommunistischen Polizeikollegen keine Gegensätze“ bestünden.236 Der damit angesprochene Dissens zwischen beiden Parteien resultierte nicht zuletzt aus seiner eigenen Haltung: Opitz verweigerte der SPD die seit Monaten geforderte Einsetzung eines Sozialdemokraten als Stellvertreter.237 In dieser verfahrenen Situation bot die KPD-Führung der SPD die Besetzung des seit Monaten vakanten Postens des Dresdner Oberbürgermeisters an. Eine namentlich über Weidauer geführte Beschwerde der Dresdner Sozialdemokraten zielte nicht allein auf die von ihm verhinderte Nominierung Dölitzschs als Stadtschulrat. Nachdrücklich forderte Haufe die paritätische Besetzung der Spitzenpositionen in der Stadtverwaltung,238 wo neben zahlreichen Kommunis230 Notiz zur Mitgliederversammlung der SPD-Ortsgruppen Albertstadt und Neuer Hecht vom 15. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, III/005, Bl. 28). 231 Kanzig, Politik der SED, S. 817; Leppi, Aktionseinheit, S. 85 f. 232 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 28. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 14). 233 Vgl. Dietze, Schaffung der Einheitspartei in Dresden, S. 42 ff.; Malycha, SED, S. 96. 234 Buchwitz an Grotewohl vom 23.1.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 56, Bl. 4 f.). Vgl. Donth, Gründung der SED, S. 121, Fußnote 80. 235 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 19. 2.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 236 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 4. 2.1946 (ebd., nicht paginiert). 237 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 28.1.1946 (ebd., nicht paginiert). 238 Bericht über die SPD-Unterbezirkskonferenz vom 20.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002.1, nicht paginiert); Schreiben des SPD-Unterbezirks Sachsen an Weidauer vom 2. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 34, Bl. 15). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten der Ernährungsdezernent Otto Wagner der einzige Sozialdemokrat war.239 Die SPD-Führung warf Weidauer vor, selbst auf die Nachfolge zu spekulieren, was er energisch bestritt.240 Er behauptete, die sozialdemokratischen Kommunalpolitiker würden „leitende Funktionen in den neu entstandenen Selbstverwaltungsorganen“ ablehnen.241 Matern pflichtete ihm bei und hielt der SPD vor, sie benenne für die seit drei Monaten offene Position keinen geeigneten Kandidaten. Das ist zu bezweifeln, da die SPD mit Haufe, Hennig, Wend und Dölitzsch über erfahrene Kommunalpolitiker verfügte.242 Die Bereitschaft der KPD-Führung, einen dieser Sozialdemokraten, die ihr kritisch gegenüberstanden, in der Funktion des Dresdner Oberbürgermeisters zuzulassen, ist fraglich. Matern nannte Hennig „eines der doppelzüngigsten Elemente, der, wenn er mit uns zusammen ist, alles unterschreibt, mit allem einverstanden ist und dabei die hinterhältigste Konterpolitik“ betreibe, die anderen nannte er gleichfalls „Einheitsfeinde“. „Das ganze Problem ist doch, wenn die Sozialdemokratische Partei für die Besetzung von Funktionen Menschen vorschlägt, die fest auf dem Boden der Einheit stehen, dann ist die Vergebung von Funktionen überhaupt kein Problem.“243 Unmittelbar nach der Erweiterung des Stadtrates um zwei weitere stimmberechtigte Mitglieder, einen Liberaldemokraten und einen Kommunisten,244 wurde innerhalb kürzester Frist ein Chemnitzer neuer Oberbürgermeister von Dresden. Die Berufung des Sozialdemokraten Gustav Leißner,245 von Klempe239 Parteizugehörigkeit der leitenden Angestellten, o. D., [wahrscheinlich November 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 324, nicht paginiert). 240 Protokoll über die gemeinsame Sitzung der Landes- und Bezirksleitungen Sachsens der KPD und SPD vom 28.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, III/009, nicht paginiert). 241 Manuskript Walter Weidauers Ende 1975, S. 8 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V / 2.052.116, nicht paginiert). 242 Hennig wird von kommunistischer Seite unterstellt, er habe den ihm angetragenen Posten des Oberbürgermeisters in Dresden abgelehnt mit den Worten, er wolle abwarten, bis die Kommunisten „abgewirtschaftet“ hätten. Dieser Ausspruch beruht auf einer Aussage von Buchwitz, der behauptet, Hennig Anfang Oktober während des SPD-Parteitages gefragt und („Er entlarvte sich mir gegenüber in einer persönlichen Verhandlung während des Parteitages.“) diese Antwort erhalten zu haben. In: Buchwitz, Brüder, S. 90. Allerdings stand zu diesem Zeitpunkt das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters noch nicht zur Disposition, das lässt auf die verleumderische Absicht der nachträglich angefertigten Aufzeichnungen des sächsischen SPD-Vorsitzenden schließen, vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 149, Fußnote 47; anders Michelmann, Aktivisten, S. 149, die unkommentiert die kommunistisch inspirierte Diffamierung Hennigs übernimmt und schreibt, damit sei „der Weg für Weidauer ins Amt des Oberbürgermeisters frei“ gewesen. 243 Rede von Hermann Matern auf der Sekretär-Konferenz in Dresden, 7.1.1946 (SAPMOBArch, NY 4182 Band 876, Bl. 61 f.). 244 Protokoll der Ratssitzung vom 29.1.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 617). 245 Dr. Gustav Leißner 1890–1982, Jurist, seit 1926 Mitglied der SPD, bis 1933 Stadtrat in Breslau. Entlassung, verschiedene Beschäftigungen, zuletzt Angestellter in einer Chemnitzer Anwaltskanzlei, 1944 mehrwöchige Haft in Sachsenhausen. 1945 Zulassung als © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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rer als „sehr mager, schlank, blond, Mitte 50, vorsichtig aber zwanglos sympathisch“ beschrieben,246 geschah nach den langen Kontroversen völlig überraschend. Er trat das Amt nicht ohne Bedenken an247 und die für den 6. Februar 1946 vorgesehene Einführung musste sogar verschoben werden, da die notwendigen Formalitäten nicht so schnell erledigt werden konnten.248 Drei Tage darauf nahm er seine neue Tätigkeit als Oberbürgermeister in Dresden auf – ein erneutes Interim.249 Heftige Auseinandersetzungen mit Weidauer wegen der kommunistischen Personalpolitik und des Umfangs der Enteignungen beim Volksentscheid prägten seine Amtszeit.250

6.

Das Ende der SPD: „uns als Organisation zu zerschlagen“

Heute noch spricht der damalige Chef der Informationsabteilung in der Dresdner Stadtkommandantur, Hauptmann Waks, davon, dass seine „Beziehungen zu den Sozialdemokraten und der sozialdemokratischen Jugend die allerbesten“ gewesen seien.251 Tatsächlich übten sowjetische Offiziere einen immer stärkeren Druck auf den sozialdemokratischen Parteivorstand und engagierte Sozialdemokraten in Bezirksverbandsleitungen und Ortsgruppen aus.252 Sozialdemokraten fühlten sich von sowjetischen Offizieren bedroht, viele von ihnen berichteten über Vorladungen und andere Versuche der Beeinflussung.253

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Rechtsanwalt und Eintritt in die SPD, vom 9. 2.1946 bis 15.10.1946 Oberbürgermeister in Dresden, danach Landgerichtspräsident in Bautzen. 1948 Ausschluss aus der SED, 1950 Entlassung aus politischen Gründen und Flucht in die Bundesrepublik, ab 1952 Richter am hessischen Verwaltungsgerichtshof. Tagebucheintrag vom 2. 3.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 204. Interview der Dresdner Tagespresse mit Herrn Oberbürgermeister Dr. Leißner, o. D. [Februar 1946] (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.132, Bl. 48). Protokoll der Ratssitzung vom 6. 2.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 663). Vgl. Hermann, Oberbürgermeister Friedrichs, Müller, Leißner, S. 217 ff. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 216. Weidauer an Leißner vom 18. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.132, Bl. 36); Bericht über Herrn Oberbürgermeister Dr. Leißner, 11. 7.1946 (ebd., Band 75). Heinemann, Hochschuloffiziere, S. 230. Vgl. Aus dem Schreiben von Otto Seiffert an Otto Buchwitz vom 22.1.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 307–310; Memorandum S. Tjul’panovs für das ZK der KPdSU (B) „Über die Lage hinsichtlich der Vereinigung der Arbeiterparteien Deutschlands vom 26. 2.1946. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 31 ff.; Malycha, SED, S. 74; Pommerin, Zwangsvereinigung, S. 328 f.; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 203. Interview mit T. S. [Stanislaw Trabalski] vom 22.11.1973. In: Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten, S. 207 f. und 211. Vgl. Bericht über die Vorladung des Sekretärs und des Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Borna zur sowjetischen Kommandantur vom 24. 2.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 314 f.; weitere Beispiele bei Gniffke, Jahre, S. 129–135; Schmeitzner, Schulen der Diktatur, S. 66 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Wenn kommunistische Funktionäre Sozialdemokraten mit der Bemerkung, „die Rote Armee“ werde sich für sie „interessieren“, zum Nachgeben bewogen, erweckte das bei ihnen den Eindruck, sie hätten allein „den Anordnungen und Befehlen der Kommunistischen Partei“ zu gehorchen. Wends aufschlussreiche Zustandsbeschreibung belegt die vollständig vergiftete Atmosphäre zwischen den Parteien in Dresden, auch wenn keine konkret angedrohten oder erfolgten Verhaftungen bekannt sind und Weidauer vehement die Vorwürfe zurückwies.254 Für eine Vertrauensbasis fehlte in beiden Parteien jede Voraussetzung.255 Auch der als „Apostel für den Gedanken der Vereinigung“ geltende Buchwitz kritisierte den von Seiten der „russischen Administration“ ausgeübten Druck, mit dem versucht werde, „die organisatorische Verschmelzung der beiden Arbeiterparteien zu beschleunigen“,256 ohne allerdings seine Haltung prinzipiell zu überdenken. Viele Sozialdemokraten fühlten sich permanent gefährdet. Ihre Bemühungen um die Bewahrung des eigenen Profils, ihre Widersetzlichkeiten und ihr Aufbegehren gegen die Indoktrination blieben vergeblich: Sie standen im Frühjahr 1946 auf verlorenem Posten.257 In keinerlei Hinsicht konnten sie sich gegenüber der KPD behaupten. In der von ihnen für besonders wichtig gehaltenen Frage der Organisationsprinzipien258 gab es nicht den geringsten Spielraum, kategorisch hieß es von kommunistischer Seite, die Einheitspartei werde „nach dem System unserer Partei“ aufgebaut.259 Über den drohenden Verlust an demokratischem Potential täuschte auch der zum damaligen Zeitpunkt für möglich gehaltene „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“ nicht hinweg.260 Dabei sah aufgrund des anhaltenden Zustroms neuer Mitglieder die Situation der SPD von außen betrachtet sogar günstig aus.261 Die KPD versuchte nicht nur in die Betriebe einzudringen, um mit der Bildung von Betriebsparteigruppen auf Betriebsräte und Gewerkschaften Einfluss zu erlangen. Sie erhöhte ihre Aktivitäten in den traditionellen Organisationsschwerpunkten der SPD, den Wohngebieten. Anlässlich des 70. Geburtstags ihres Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck am 3. Januar 1946 eröffnete sie eine Kampagne zur Werbung neuer Mitglieder. Das alles konnte den Trend eines stetigen Zulaufs zur SPD nicht aufhalten. Schließlich verstärkte sie ihre Agitation unter ehemaligen NSDAP-

254 Aus dem Protokoll über die gemeinsame Sitzung der Landes- und Bezirksleitungen Sachsens der KPD und SPD vom 28.1.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 315–344, hier 336 ff. 255 Vgl. Gniffke, Jahre, S. 87. 256 Zimmermann, Brief von Otto Buchwitz, S. 236. 257 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 206 ff. 258 Arno Wend an Otto Buchwitz und Arno Haufe vom 18. 2.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 443 f. 259 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 215. 260 Vgl. Ackermann, Weg zum Sozialismus; Malycha, SED, S. 123; Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 62 f.; Stößel, Positionen und Strömungen, S. 121. 261 Schmeitzner, Rolle der sächsischen Parteien, S. 145. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Mitgliedern. Zur Stärkung der Parteibasis schien sie zu jedem Kompromiss bereit.262 Bereits im Herbst gab es in der KPD erste Bemühungen um die ehemaligen Nationalsozialisten, und sie ging entgegen den zentralen Vereinbarungen mit den anderen Parteien263 in die Offensive. Weidauer propagierte vier Monate nach dem Ende des Nationalsozialismus die Öffnung der KPD für Nationalsozialisten.264 Eine Vereinbarung der KPD mit den anderen Parteien, künftig den Nationalsozialisten „keinerlei Unbedenklichkeitsbescheinigungen auszustellen“,265 sollte den Zustrom potentieller Beitrittskandidaten zur eigenen Partei hin umzulenken. Insgeheim agitierte die KPD weiter, und der unter kommunistischer Regie stehende Jugendausschuss stellte für die polizeiliche Registrierung der NSDAP-Mitglieder einen Mitarbeiter ab, um die direkt von den nationalsozialistischen Jugendorganisationen in die NSDAP eingetretenen Jugendlichen in einer gesonderten Liste erfassen: „Wir benötigen diese Leute, da für die überwiesenen Mitglieder ein Freispruch vor aller Öffentlichkeit erfolgen soll.“266 Ermöglicht hatte dies die Jugendamnestie, die Jugendliche von der sonst für alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder geltenden Schuldvermutung ausnahm. Anfang Januar 1946 kündigte Matern im Dresdner Rathaus die Umorientierung der kommunistischen Politik hinsichtlich der „einfachen“ Parteimitglieder und solcher ohne Funktionen in nationalsozialistischen Organisationen an. Die Details der beabsichtigten Rehabilitierung erläuterte er wenig später den Funktionären seiner Partei. Sie sollten auf diese Personen zugehen, um das Entstehen einer „Kaste von Parias“ und die Bildung eines konterrevolutionären Potentials zu verhindern. Die Partei müsse „sich um diese Leute politisch kümmern, [...] auch zu den Leuten in die Wohnung gehen, mit ihnen reden und ihre Entwicklung“ beobachten.267 Schließlich offerierte Fritz Große in einem Leitartikel der „Volkszeitung“ jedem Nationalsozialisten die Aufnahme in der KPD, wenn er „weder in der NSDAP noch sonst wo sich als aktiver Nazi benommen“ habe.268 Dieses Abrücken von sämtlichen bislang geltenden Absprachen alarmierte die Dresdner Sozialdemokraten. Sie misstrauten einem Vorschlag Richard Leppis, „gemeinsame Mitgliederversammlungen beider Parteien einzuberufen“, um dort über die Aufnahme von NSDAP-Mitgliedern „Abstimmungen herbeizuführen“.269 Sie gingen davon aus, dass die Kommunisten beabsichtigten, hin262 Vgl. Mählert, Lage der SED, S. 232. 263 Vgl. Gedächtnisprotokoll der Gründungssitzung von Erich W. Gniffke, 13./14. 7.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 62 f. 264 Bericht über die kommunale Tagung in Dresden, o. D. [13. 9.1945] (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, I/B/124, Bl. 77). 265 Bericht von der UBL-Sitzung vom 18.10.1945 (ebd., Bl. 65–68). 266 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung VI vom 22.10.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17a Band I, Bl. 1–7). 267 Rede von Hermann Matern auf der Sekretär-Konferenz in Dresden vom 7.1.1946 (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 876, Bl. 71 f.). 268 Fritz Große, Wir Kommunisten und die Pg., Sächsische Volkszeitung vom 2. 2.1946. 269 Bericht von der Polleiter-Sitzung vom 7. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/ B /124, Bl. 20 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ter einer solchen Fassade eine gefügige Massenbasis zu schaffen. Opportunisten boten gute Voraussetzungen für die erwünschte Parteidisziplin und eine unproblematische Anhängerschaft. Sie konnten unter Hinweis auf ihre Vergangenheit leicht unter Druck gesetzt werden. Aktivitäten eines kommunistischen Funktionärs bestätigen die Relevanz solcher Annahmen, auch wenn die sächsische Bezirksleitung der KPD von der Dresdner Kreisleitung die Disziplinierung des übereifrigen Genossen verlangte.270 Die KPD verstärkte die Anstrengungen bei der Exkulpierung ehemaliger NSDAP-Mitglieder besonders wegen ihrer dünnen Personaldecke im Verwaltungsbereich.271 Tatsächlich motivierte das verstärkte Werben manchen, ohne inneren Bezug oder aus opportunistischen Erwägungen einer Partei beizutreten. Teilweise sahen sich die Dresdner Ortsgruppen von KPD und SPD außerstande, die Flut der Aufnahmeanträge zu bewältigen.272 Das Abrücken von der orthodoxen Interpretation der Säuberungsrichtlinien ermöglichte auch dem Direktor der Dresdner Gaswerke Anfang Februar den Eintritt in die KPD. Der zweiundfünfzigjährige Diplomingenieur, NSDAP-Mitglied seit 1938 und bereits seit vielen Jahren in leitender Stellung bei den städtischen Gaswerken, gab zu seiner Entlastung an, 1945 von der Gestapo überwacht und mehrmals über seine „politische Einstellung“ vernommen worden zu sein. Damit wollte er bekunden, dass ihn die Nationalsozialisten als unzuverlässig einschätzten. Er sei trotz „mehrfacher eindringlicher Ermahnungen“ bis 1938 nicht der NSDAP beigetreten. Dann erst habe er den Beitritt zur NSDAP vollzogen, um dem Wunsch seines Vorgesetzten zu entsprechen, weil dieser meinte, ein Leitungsmitglied des Gaswerkes müsse „aus Zweckmäßigkeitsgründen der Partei angehören“. Dabei sei er nur seiner Pflicht nachgekommen, äußerte er, und er werde diese auch künftig erfüllen wie jeder andere „in dieser Gemeinschaft“.273 Die Ausführungen des Direktors folgen dem Prototyp eines in der Nachkriegszeit weit verbreiteten apologetischen Schemas.274 Pflichtbewusstsein betrachteten viele als Entschuldigung und die KPD integrierte aufbauwillige Kräfte wie ihn. Die verstärkte Mitgliederwerbung ermöglichte das „Eindringen unerwünschter Elemente in die Parteien“. Personen mit Vorstrafen waren an einem Untertauchen in der KPD interessiert und schädigten deren Ansehen. Obwohl bereits „laufend solche Elemente“ entfernt würden, sei es „leider nicht möglich, bei Neuaufnahmen so scharf die Qualität“ der Kandidaten überprüfen zu können, 270 Bericht über einen Hausdiskussionsabend vom 19. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/033, nicht paginiert); Schreiben der KPD-BL Sachsen an die KPD-KL Dresden vom 18. 3.1946 (ebd.). 271 Vgl. Belegschaftsvertreter der Seidel & Naumann AG auf einer Tagung der KPD Sachsen, o. D. [Ende 1945] (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 855, Bl. 66 ff.). 272 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 9). 273 Lebenslauf von Georg B. vom 22. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 145 a, Bl. 8 f.). 274 Vgl. Adorno, Schuld und Abwehr, S. 174; exemplarisch für diese Haltung die Erklärung eines Aachener Steueroberinspektors bei Padover, Lügendetektor, S. 116–122. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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da sie „zum großen Teil aus anderen Gebieten“ kämen.275 Die wiederholt erforderlichen Parteiausschlussverfahren veranlassten die KPD-Kreisleitung Dresden zur Einrichtung von Prüfungskommissionen,276 um die „wahllose Aufnahme“ beitrittswilliger Nationalsozialisten zu stoppen.277 Versuche, durch Austausch von Mitgliederlisten und Aufnahmegesuchen mit der SPD „das Eindringen ungeeigneter Elemente weitgehendst“ zu verhindern, stärkten allerdings deren Argwohn hinsichtlich befürchteter Abwerbungen.278 Den kommunistischen Funktionären entglitt die Kontrolle über die Entwicklung an der Basis. Eine weitere „politische Panne“ im Dresdner Süden führte „beinah zu einem ernsten politischen Zerwürfnis“ zwischen den Parteien – so die euphemistische Berichterstattung. Der politische Leiter der kommunistischen Ortsgruppe in der Bezirksverwaltung VII hatte die Funktionäre in den Betriebsgruppen angewiesen, „Charakteristiken über je 5 Einheitsfreunde und 5 Einheitsgegner“ anzufertigen. Einen Skandal sah die KPD-Führung allerdings weniger in der Tatsache an sich, sondern vielmehr darin, dass dieses Schreiben von der SPD „falsch aufgefasst“ wurde.279 Mit ihren Anweisungen zur Bespitzelung und Denunziation von Sozialdemokraten säten die kommunistischen Funktionäre jenes Misstrauen und jene Feindseligkeit unter den Mitgliedern beider Parteien, die der bereits geplanten Ausschaltung opponierender Sozialdemokraten aus der Einheitspartei den Boden bereiteten. Doch hätten hinter der Vereinigung nicht die sowjetischen Besatzer gestanden und sie erzwungen, wäre sie aufgrund der wachsenden Ablehnung gescheitert. Wend sprach auf einer Sitzung des erweiterten Landesvorstandes der SPD die Empfindung vieler Sozialdemokraten aus: „Die Methoden der KPD gehen doch darauf hinaus, uns als Organisation zu zerschlagen.“280 Wend bestritt die von kommunistischer Seite behauptete „historische Notwendigkeit der Vereinigung“ und wehrte sich gegen gemeinsame Listen, mit denen die KPD ihre Minorität verbergen wollte.281 Wends Position war eindeutig: Eine Vereinigung beider Parteien könne nur auf der Basis der Gleichberechtigung erfolgen. Die neuerdings von der KPD vertretene politische Linie, mit der sie vom „Marxismus zum Leninismus, ja sogar zum Stalinismus übergehe“, bringe den „Zusam275 Schreiben der KPD-Ortsgruppe Seidnitz vom 18.1.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B.019/1, nicht paginiert). 276 Schreiben der KPD Stadtteil VII an alle Untergruppen vom 3. 2.1946 (ebd., nicht paginiert). 277 Bericht von der Polleiter-Sitzung vom 14. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/ B/124, Bl. 18). 278 Vgl. Übereinkommen von KPD und SPD zur Zusammenarbeit im Bereich Hepkestr. 145–181 vom 18. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B.019/1, nicht paginiert). 279 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 21. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 15). Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 574. 280 Aus der Niederschrift über die Sitzung des erweiterten Landesvorstandes der SPD Sachsen am 4. 2.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 436. 281 Bericht über die gemeinsame Mitgliederversammlung am 6. 2.1946 von SPD und KPD im Stadtteil V (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B.019/1, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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menschluss nicht näher“. Alarmiert registrierte der Polizeibeobachter die ungeteilte Zustimmung der anwesenden Sozialdemokraten.282 Die Würfel fielen in Berlin, als der zentrale Parteiausschuss am 21. Februar den Vereinigungsbeschluss des Zentralausschusses der SPD billigte.283 Allenthalben äußerten Sozialdemokraten in Dresden ihre Unzufriedenheit, sie verweigerten die Zusammenarbeit und der KPD gelang die Durchbrechung der Blockade nicht. Im Kern der Debatte stand die organisatorische Struktur der neuen Partei.284 Sozialdemokraten wehrten sich gegen eine Übernahme der kommunistischen Parteigliederung, weil sie darin den Untergang ihrer sozialdemokratischen Identität sahen. Die KPD-Führung mutmaßte ihrerseits, die auf Wohnbezirke aufbauenden Parteigruppen würden sich gegen die angestrebten ökonomischen Veränderungen sperren.285 Führende Sozialdemokraten bemühten sich um Korrekturen am vorgesehenen Parteistatut. Noch auf dem letzten Parteitag am 6. April 1946 wurde eine Resolution verabschiedet, die den Ortsgruppen den Vorrang vor den Betriebsgruppen einräumte.286 Sie gaben sich einer Illusion hin. Sie glaubten, die kommunistische Seite zu Änderungen am Entwurf des Parteistatuts bewegen zu können, da in ihren Augen ein Entwurf eine Option unter verschiedenen Varianten bedeutete, dieser „Entwurf“ hingegen war längst beschlossen. Denn die Dresdner Kommunisten hatten alles daran gesetzt, „eine starke Verankerung in den beiderseitigen Betriebsgruppen herzustellen“, um auf diese Weise ihre Organisationsprinzipien durchzusetzen. Gegen etwaige Bedenken von Sozialdemokraten diskutierten die Kommunisten so lange an, bis eine Sprachregelung gefunden wurde, die beiden Seiten einen Interpretationsspielraum eröffnete.287 In dem Glauben, die Frage der Betriebsgruppen vertagen zu können, beschlossen die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag die Vereinigung mit der KPD.288 Fehleinschätzungen dieser Art begleiteten den Weg der SPD in die Einheitspartei. Als eine Illusion erwies sich auch die Zusicherung der SMAD, mit dem Tag der Vereinigung die Demontagen zu beenden.289 In der Tat hatten im Frühjahr 1946 die Demontagebrigaden ihre Aktivitäten verstärkt und die Maschinenparks aus Dresdner Großbetrieben abtransportiert, um im Mai vorläufig den 282 Polizeibericht Ordnungspolizei-Laubegast über die SPD-Versammlung am 4. 2.1946 in Donaths Neue Welt vom 7. 2.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 283 Vgl. Gniffke, Jahre, S. 151 f. 284 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 234 ff. 285 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 9). 286 Protokoll des SPD-Landesparteitages vom 6. 4.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002, Bl. 38). 287 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 21. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 3). 288 Koenen, jahrelanges Ringen, S. 76. 289 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 14. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 7). Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 69 f.; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 235 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Abbau einzustellen.290 Versprechen dieser Art und die allgegenwärtige Präsenz sowjetischer Offiziere zeigten die Nervosität der Besatzungsmacht, die in jenen kritischen Tagen nichts dem Zufall überließ.291 Das Personal der sowjetischen Stadtkommandantur in Dresden musste der SMAS regelmäßig über „die Stimmung der deutschen Genossen und der anderen Bürger“ berichten.292 Die Offiziere überblickten die Situation nicht, weil „Aufschriften und Zettel [...] mit Parolen gegen die Kommunisten, gegen die Rote Armee“ deutlich die politische Stimmungslage ausdrückten und ein Potential an Ablehnung signalisierten, dessen Umfang sie nicht einzuschätzen vermochten.293 Am 31. März fand die „Kreiseinheitskonferenz“ der Dresdner Sozialdemokraten und Kommunisten statt, auf der sie die Delegierten für den Einheitsparteitag nominierten.294 Die Gründung der SED auf Kreisebene erzeugte Konformitätsdruck und präjudizierte die Entscheidung der Parteitagsdelegierten.295 Am 6. April 1946 trafen sich diese nicht gewählten Delegierten der Parteien nochmals zu getrennten Parteitagen. Auf ihrem letzten Landesparteitag lehnten die sächsischen Sozialdemokraten die oktroyierten Kompromisse mit der KPD zunächst ab. Das Delegiertensystem stand als undemokratisch in der Kritik, weil es im Gegensatz zur traditionellen Urabstimmung nicht demokratischer Mehrheitsfindung entsprach.296 Die Erregung der Anwesenden steigerte sich zum Tumult, als vielen zur Gewissheit wurde, dass ihre Parteiführung vor den Kommunisten kapituliert hatte.297 Dies blieb allerdings bei der Abstimmung ohne Konsequenzen, wie das überraschend gute Abschneiden von Buchwitz bei seiner Wahl in das Landessekretariat der künftigen Einheitspartei zeigte.298 Am anderen Tag saßen zwischen den Delegierten des gemeinsamen Parteitages von KPD und SPD in Dresden wiederum die Offiziere der Besatzungsarmee. „Wir waren natürlich auch dabei“, berichtete der „in ziviler Kleidung in290 Informationsdienst Nr. 13 des Nachrichtenamtes vom 4. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert); Informationsdienst Nr. 14 des Nachrichtenamtes vom 17. 5.1946 (ebd., nicht paginiert); Informationsdienst Nr. 17 des Nachrichtenamtes vom 13. 6.1946 (ebd., nicht paginiert). 291 Vgl. zu den sowjetischen Aktivitäten in Berlin den Bericht des stellvertretenden Leiters der Propagandaverwaltung der SMAD Oberstleutnant Zdorov für den stellvertretenden Leiter der Abteilung für Außenpolitik des ZK der KPdSU (B) L. Baranov über die Lage in den Bezirken Berlin im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Vereinigung der Arbeiterparteien vom 14. 3.1946. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 34–37. 292 Waks, Erinnerung, S. 46 f. 293 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 1. 4.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 294 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 12). 295 Malycha, Weg zur SED, S. CVI. Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 235 f. 296 Protokoll des SPD-Landesparteitages vom 6. 4.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, II/A/1.002, Bl. 23 f.). 297 Ebd., Bl. 47. 298 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 238. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mitten unserer deutschen Genossen“ sitzende Hauptmann Waks, der zumindest den Dresdnern bekannte Chef der Informationsabteilung der Dresdner Stadtkommandantur.299 Die in unauffälliges Zivil gekleideten Besatzungsoffiziere bildeten neben den uniformierten Beobachtern für all diejenigen eine bedrohliche Kulisse, die vielleicht bis zu dem Tag an eine freie Abstimmung geglaubt hatten: Ihnen muss Buchwitz’ Erklärung, „von der reaktionären Presse in Berlin und im Westen“ werde behauptet, „die Vereinigung bei uns erfolge unter einem gewissen Druck“, zynisch oder verlogen geklungen haben. Seinen Worten zufolge erzwang der „Druck der Lebenswirklichkeiten“ die Vereinigung von SPD und KPD.300 Womit Buchwitz dieselbe Wahrheit lediglich in andere Worte fasste, da in der SBZ die Besatzungsmacht die Lebenswirklichkeit beherrschte. Selbstverständlich votierte auch Waks bei der Abstimmung für die Einheitspartei, und er berichtete am Abend dem Stadtkommandanten nicht allein über die gelungene Vereinigung der beiden Parteien, sondern auch über die im Anschluss daran stattgefundene, jedoch zuvor nicht bei der sowjetischen Behörde zur Genehmigung beantragte Demonstration. Der Aufmarsch zehntausender Menschen, die gemeinsam mit den sächsischen Parteitagsdelegierten in Richtung Theaterplatz marschierten und „aus ganzem Herzen die Schaffung der Einheitspartei der Arbeiterklasse“ begrüßten, habe keinen Anlass zur Besorgnis gegeben.301 Tatsächlich gab es dazu keine Ursache. Vereinzelt an Häuserwände geschriebene Parolen oder geklebte Zettel drückten mit eher harmlosen Verunglimpfungen der SED mehr den Neid auf die angeblich oder tatsächlich besser versorgten Funktionäre der Partei aus.302 Oppositionelle äußerten sich mit guten Gründen nicht in der Öffentlichkeit.303 Sie fürchteten die Repressionen der Besatzungsmacht. In Bezug auf die Einheit der Arbeiterklasse durchlief die politische Haltung der Sozialdemokraten seit September 1945 zwei Phasen. Die wachsende Ablehnung der kommunistischen Herrschaftspraxis äußerte sich bis Februar 1946 in einer Hinhaltetaktik der SPD, verbunden mit basisdemokratischen Forderungen nach Urwahlen, intensiver Diskussion der Organisationsprinzipien und der Parteistrukturen. In der anschließenden Vereinigungsphase bis April 1946 dominierte die Überzeugung, die Entwicklung nicht mehr aufhalten, sondern nolens volens nur durch eine massive Beteiligung beeinflussen zu können. Die Meinung, damit einem demokratischen Sozialismus zum Durchbruch zu verhelfen, vertraten manche bis zum glanzlosen Ende der SED im Herbst 1989,304 299 Waks, Erinnerung, S. 46 f. 300 Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 62 f. 301 Vgl. Artikel des Genossen Waks, S. 6 f. (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.066, nicht paginiert); Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 63; Kaden, Vereinigungsparteitag, S. 98 ff. 302 Tätigkeitsbericht der Rapportstelle im Polizeipräsidium Dresden vom 22. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 66, Bl. 72 f.). 303 Vgl. Tagebucheintrag vom 9. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 253. 304 Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 498. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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und die simple Zugehörigkeit zur „herrschenden“ Partei besaß außerdem eine gewisse Attraktivität.305 Andere wie Arno Wend und Arno Haufe büßten für ihre Utopie mit langen Jahren im sowjetischen Gulag. Clemens Dölitzsch bezahlte mit seiner Gesundheit und wurde 1950 zum Rücktritt gezwungen.306 Arno Hennig zog noch 1946 mit seiner Flucht sehr frühzeitig die Konsequenzen. Sozialdemokraten, die mit ihnen in Verbindung standen, wurden misstrauisch bespitzelt.307 In der Einheitspartei trat das ein, was Teile des sozialdemokratischen Exils vorausgesehen hatten: Sozialdemokraten verloren ihre politische Freiheit und die Möglichkeit, die deutsche Nachkriegsgesellschaft aktiv mitzugestalten.308 Schumacher warnte vergeblich, er misstraute den Demokratieversprechen der KPD.309 Das anhaltende Trauma der Niederlage der Arbeiterbewegung von 1933 ließ die Sozialdemokraten in der SBZ vermeintliche Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik ziehen. In der Meinung vieler hatte die Spaltung der Arbeiterbewegung für den Sieg Hitlers grundlegende Bedeutung gehabt. Darum wollten sie diese beenden. Darüber hinaus sahen viele alte Genossen in der weitgehenden Beibehaltung der Verwaltungs- und Machtstrukturen des Kaiserreichs einen Kardinalfehler der Novemberrevolution, der den Aufstieg des Nationalsozialismus erheblich begünstigt hatte. Sie standen in einer moralisch fundierten Verpflichtung positiv zur Einheitspartei. Der propagierte „Anti-Faschismus“ erwies sich als ideologische Falle, weil er andere Optionen ausschloss:310 Mit der Gründung der SED suspendierten die Sozialdemokraten demokratische Prinzipien zugunsten eines diktatorischen Sozialismus. Unter der „Kontrolle der Sowjetischen Militärverwaltung“ konnten demokratische Gestaltungsansätze nicht realisiert werden. Die umfassenden Eingriffsmöglichkeiten von Offizieren wie Solowjow und Waks bewirkten, dass sich auch in Dresden das Parteiensystem „entsprechend den von ihr gegebenen Instruktionen“ entwickelte.311 Der Befehl Nr. 2 der SMAD vom 10. Juni 1945 eröffnete für eine demokratische Entwicklung oder einen demokratischen Sozialismus keine reelle Chance. Davon ausgehend gestaltete die KPD-Führung den Transformationsprozess des politischen Systems. „Das Zusammentreffen von stalinistischer Sowjetbesatzung und der Entschlossenheit einer kommunistischen Minderheit führte zu einer nur notdürftig verbrämten Parteidiktatur.“312

305 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 81 f. 306 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 368. 307 Bericht über die Betriebsversammlung am 6. 6.1946 im Lokal Rübezahl vom 14. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/1.002/1, nicht paginiert). 308 Vgl. Behring, Außenpolitik, S. 613. 309 Gniffke, Jahre, S. 152 ff. 310 Münkler, Antifaschismus, S. 25. 311 Befehl Nr. 2 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland über die Zulassung antifaschistischer Parteien und Organisationen vom 10. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 6 ff. 312 Jarausch, Gegengesellschaft, S. 8. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Diese Konsequenzen überschauten die Sozialdemokraten trotz aller seit Anbeginn auftretenden Irritationen im Verhältnis zur KPD und zur Besatzungsmacht nicht.313 Die sowjetischen Offiziere wünschten im Frühjahr 1946 die Vereinigung mit der KPD, so wie sie zu einem früheren Zeitpunkt die getrennten Parteigründungen verlangt hatten. Deren Präsenz auf dem Vereinigungsparteitag signalisierte allen Anwesenden das dringende Interesse der Besatzungsmacht, und über den kommunistischen Alleinvertretungsanspruch täuschte ein demonstrativ verkündeter Pluralismus hinweg. Aber auch traditionelle Parteidisziplin spielte bei manchen einfachen Mitgliedern in ihrer Entscheidung für oder gegen die Einheitspartei eine wichtige Rolle: Sie orientierten sich an der Haltung ihrer Ortsvorsitzenden. Der sächsische SPD-Vorstand wiederum sah gerade in einem massenhaften Zustrom der Sozialdemokraten in die Einheitspartei auf der Grundlage des demokratischen Prinzips eine Garantie zur Wahrung ihrer Interessen.314 Gleichwohl war die Hoffnung, sozialdemokratische Werte in die Einheitspartei retten zu können, eine Illusion. „Möglichkeiten, nach der Vereinigung noch sozialdemokratisches Gedankengut zu vertreten“, existierten in den Dresdner Straßen- und Betriebsgruppen der SED nicht.315 Verbreitet war auch die Auffassung, nach einiger Zeit „zum Aufbau normaler demokratischer Verhältnisse“ zurückkehren zu können.316 Wer von den Sozialdemokraten hingegen konsequent und realistisch dachte, verließ nach der Zwangsvereinigung die Partei, besonders Jugendliche wechselten zur LDP.317 Bis zuletzt fehlte aus den Reihen der SPD eine eindeutig formulierte Ablehnung der Vereinigung mit der KPD. Die Frage, ob die zurückhaltenden Formulierungen einer Taktik, diktiert von der Furcht vor sowjetischen Repressalien, oder inneren Überzeugungen entsprangen, entzieht sich einer abschließenden Antwort. Eine auf freier Willensentscheidung beruhende Bereitschaft zur Einheit bestand wegen des Einflusses von SMA und KPD nicht,318 und sowjetische Sicherheitsorgane warfen auch künftig auf jene Sozialdemokraten ein wachsames Auge, die durch ihre Kritik am Vereinigungskurs der KPD aufgefallen waren.319 Der Schlag der Dresdner Kriminalpolizei im Juli 1946 gegen verschiedene Sozialdemokraten um Arno Hennig in Freital verwies bereits auf die Methode ihrer künftigen Ausschaltung: Die Kommunisten unterstellten den So-

313 Gniffke, Jahre, S. 27; Tjulpanow, Deutschland, S. 31. 314 Niederschrift über die Sitzung des engeren Landesvorstandes der SPD Sachsen vom 13. 2.1946. In: Malycha, Weg zur SED, S. 439–442. 315 Interview Hans Pawlowitsch vom 18. 6.1974 (AdsD, SBZ-Projekt, S. 8). 316 Interview mit P. W. [Walter Pässler] vom 3. 9.1973. In: Bouvier/Schulz, Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, S. 274. 317 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 22. 5.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 65). 318 Vgl. Donth, sächsische KPD, S. 179; Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 44; Müller, Parteiensystem, S. 2342. 319 Malycha, SED, S. 234. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zialdemokraten kriminelle Handlungsweisen.320 Das Vokabular der Verfolgung – „Feinde der Einheit“, „Schumacherleute“, „feindselige Beschlüsse“ der „rechten Feinde“, „Gegner“ – hielten die sowjetischen Offiziere und ihre kommunistischen Verbündeten längst bereit.321 Mit der Gründung der SED konnte die KPD-Führung vorerst erfolgreich ihren fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung verbergen, der zwangsläufig bei den bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen offen zu Tage getreten wäre. Paritätische SED-Kreisvorsitzende in Dresden wurden der erst kürzlich aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Erich Barthel,322 Mitglied der SPD seit 1926, und der langjährige KPD-Funktionär Otto Schön,323 soeben von Leipzig nach Dresden gewechselt.324 Im Lebensweg beider Politiker bedeutete der Nationalsozialismus einen gewaltsamen Einschnitt in der beruflichen und politischen Karriere; beiden brachte das Jahr 1945 die soziale und berufliche Wende. Den gelernten Bankkaufmann Barthel hatten die Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Hohenstein verbracht und ihn nach der Entlassung unter Polizeiaufsicht gestellt. Der Neubeginn führte nach den Repressalien der vergangenen Jahre zur beruflichen Entfaltung; der Berufung in das Parteiamt folgte im Herbst 1946 die Wahl in die Dresdner Stadtverordnetenversammlung, Barthel wurde Stadtrat für Kommunale Betriebe. Exemplarisch lässt sich der aus politischem Engagement erwachsende soziale Aufstieg am Lebensweg des in einfachen Verhältnissen geborenen Otto Schön ablesen. Der Sohn einer ledigen Arbeiterin hatte aufgrund guter schulischer Leistungen einen Freiplatz an der städtischen Mittelschule in Königsberg erhalten. An seine Kindheit in der ostpreußischen Hafenstadt an der baltischen Küste erinnerte er sich zeitlebens gern und mit einer gewissen Wehmut. 1915 heiratete die Mutter, und nach dem Umzug der Familie nach Berlin arbeitete Schön im Anschluss an seine Lehrzeit als Versicherungskaufmann beim Brandenburgischen Sparkassen- und Giroverband. 1928 schied er trotz guter Zeugnisse freiwillig aus und wurde Parteisekretär im sächsischen Freital. 1933 vom Sondergericht in Freiberg zu drei Jahren Haft verurteilt, entließen ihn die National-

320 Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 249; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 289 f.; Walter, Freital, S. 146 ff. 321 Vgl. Memorandum S. Tjul’panovs für das ZK der KPdSU (B) „Über die Lage hinsichtlich der Vereinigung der Arbeiterparteien Deutschlands vom 26. 2.1946. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 31 ff. 322 Erich Barthel, geb. 23.11.1904, Banklehre, SPD seit 1926, 1933 Schutzhaft KZ Königstein und KZ Hohenstein, Polizeiaufsicht. Seit Januar 1946 SPD, danach SED. 323 Otto Schön 1905–1968, Angestellter, Schweißer, seit 1925 KPD, Funktionär bis 1933, inhaftiert 1933–1937, 1942/43 Kriegsdienst, Verwundung. Nach Kriegsende Sekretär KPD-KL Leipzig, 1946–1950 Stadtverordneter Dresden, bis 1947 Vorsitzender SEDKreisvorstand Dresden, 1947–1950 Landesleitung SED Sachsen. 1950–1968 ZK der SED und Leiter des Büros des Politbüros des ZK der SED, 1958–1968 Abgeordneter der Volkskammer. 324 Zusammensetzung des SED-Kreisvorstandes Dresden vom 15. 5.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/5/220, Bl. 24). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sozialisten erst 1937 aus dem Konzentrationslager Sachsenburg. Der Neubeginn führte ihn 1945 in die Kommunalpolitik in Leipzig, hier begann eine steile Karriere: Schön wurde einer der führenden Politiker der sächsischen KPD/ SED, offensichtlich aufgrund seiner Durchsetzungsfähigkeit schickte ihn die Partei im Frühjahr 1946 nach Dresden. Photographien zeigen einen jugendlich wirkenden schlanken Mann, der sich im Laufe der Jahre zu einem fülligen Funktionär wandelte.325 Er gehörte bis 1950 der Stadtverordnetenversammlung und der SED-Landesleitung an, wurde danach Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED und Leiter des Büros des Politbüros beim ZK der SED und Abgeordneter der Volkskammer der DDR von 1958 bis 1968. In der Dresdner Stadtverwaltung blieb die SED unangefochten die stärkste Kraft. Der Zusammenschluss von Kommunisten und Sozialdemokraten beseitigte das Risiko möglicher Koalitionen der SPD mit den anderen Parteien und festigte die dominierende kommunistische Position in der Stadtverwaltung. Drohte seit dem Herbst 1945 die KPD bezüglich der Mitgliederzahl weit abgeschlagen hinter der SPD zu liegen, und letztere mit Verweis auf die Zahl ihrer Mitglieder mehr Einfluss auf Entscheidungen zu verlangen, konnte dieser Unterschied mit der Schaffung der Einheitspartei verwischt werden. Im Mai 1946 blickte Weidauer auf ein „hartes, aber erfolgreiches Jahr“ zurück und erwähnte lobend die „neue Gesinnung“326 der Verwaltung, offenkundig ein Erfolg seiner Disziplinierungsbemühungen. Das Fernziel der Partei war der Sozialismus. Den Weg dahin legten die Kommunisten fest. Gegenwärtig, so sagten sie, befänden sie sich „in der Vorbereitung zur Periode der Diktatur des Proletariats. Durch besondere Maßnahmen und Methoden werden wir diese Periode auch mit demokratischen Mitteln erreichen.“327 Die Mehrzahl der Sozialdemokraten nahm solche Phrasen dankbar entgegen. Allerdings erhielt der Terminus „demokratisch“ zu keiner Zeit eine inhaltliche Definition und die Kommunisten bemäntelten mit diesem Begriff all jene Transformationsaktionen, die der Einführung der Diktatur dienten.328 „Wir“, verkündete der scheidende sächsische KPD-Vorsitzende Hermann Matern auf dem letzten Parteitag siegesgewiss, „nehmen also unsere ganze Tradition, unsere ganze Erfahrung, unsere engste Verbundenheit mit hinein in die SED, um damit unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht zu werden“.329 Raum für sozialdemokratische Traditionen existierte in dieser Konzeption nicht, und Arno Wend bemerkte in der Folgezeit immer neue Versuche der Dresdner Kommunisten, „die ehemaligen sozialdemokratischen Mitglieder an die Wand“ zu

325 Vgl. Persönliche Unterlagen und Zeugnisse von Otto Schön (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 1, Bl. 1–201). 326 Rede Weidauers im Mai 1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 334, Nr. 41). 327 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 9). 328 Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 65. 329 Matern, Niederschrift der Rede am 6. April 1946. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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drücken.330 Aus der Häufigkeit, mit der Sozialdemokraten diese Redewendung gebrauchten, spricht das unter ihnen weit verbreitete Gefühl völliger Ohnmacht. An der Realisierung der von Matern als „geschichtliche Aufgabe“ bezeichneten gesellschaftlichen Umwälzung beteiligten sich alle, wenngleich mit unterschiedlich intensiver Aktivität: Besatzungsoffiziere, Kommunisten, Sozialdemokraten. Die Stellung der Akteure im politischen System bestimmte ihr Gewicht. Die sowjetischen Offiziere traten mit der Autorität der Sieger auf, sie dominierten und korrigierten die Entwicklung, und sie behandelten die Deutschen als Besiegte. Die deutschen Kommunisten verfügten mit der Besatzungsmacht hinter sich über die abgeleitete Autorität von Verbündeten, das ließen sie die Mitglieder der anderen Parteien, gleich ob SPD, CDU oder LDP, spüren. Die Funktion des Einzelnen ist bei globalen Prozessen oft nicht konkret zu bewerten, auf der Mikroebene trat sie bei den in der Untersuchung betrachteten Akteuren hinsichtlich der Ausschaltung demokratischer Optionen deutlich hervor. Teilweise widerstrebend, trugen sie durch ihr Funktionieren innerhalb der von der SMAD vorgegebenen Regeln zur politischen Expansion der Kommunisten bei, und speziell im Fall des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Buchwitz kann man dem Urteil Walter Weidauers unbesehen folgen: Er hat „einen unschätzbaren Beitrag zur Vereinigung von KPD und SPD in Sachsen geleistet“.331

330 Protokoll der Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 17. 9.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 204). 331 Weidauer, Otto Buchwitz. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

VII. Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung Die KPD beabsichtigte trotz aller gegenteiligen Beteuerungen die Inbesitznahme der Produktionsmittel, insofern standen selbst für den in wirtschaftlichen Fragen gänzlich unwissenden Dresdner Polizeipräsidenten Opitz „Veränderungen in den ökonomischen Verhältnissen“ außer Zweifel.1 Offenkundig schritt die Führung der Partei im Frühjahr 1946 zur praktischen Realisierung des Eigentumstransfers, und Matern erwähnte am Vorabend der Gründung der SED die bevorstehenden Veränderungen „in der Produktion, denn die Verwaltung ist nur der Überbau“.2 Die zeitliche Nähe seiner Äußerung mit der Herstellung der Einheitspartei verweist auf den stringenten Zusammenhang dieses Ereignisses mit dem anvisierten Transformationsprozess in der Wirtschaft.3 Die begonnene Veränderung der Besitzverhältnisse sollte weitergeführt und festgeschrieben werden. Noch ein knappes Jahr zuvor, im Juni 1945, hatte sich die KPDFührung ausdrücklich für die „ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative“ auf privatwirtschaftlicher Grundlage ausgesprochen. Allerdings war die Errichtung einer liberalen Wirtschaftsordnung damit nicht zu assoziieren. Unter den Bedingungen der Not musste die Zwangsbewirtschaftung vorerst weiter beibehalten werden. Außerdem hatte die KPD gefordert, die Vermögen der „Nazibonzen und Kriegsverbrecher“ und lebenswichtige Betriebe sowie die von ihren Besitzern verlassenen zu enteignen.4 Abgesehen von der Widersprüchlichkeit der Aussagen5 richtete sich die entscheidende Frage nach der Reichweite der vorzunehmenden Eingriffe. Verständlicherweise vermochten die Zeitgenossen in den Ausführungen der KPD kein konsistentes Wirtschaftsprogramm erkennen, das Antworten auf den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Kriegswirtschaftsordnung und die Vernichtung ökonomischer Grundlagen hätte erteilen können. Wie aber stellten sich die neuen politischen Kräfte in Dresden ganz praktisch den Herausforderungen der Not, nach welchen Vorstellungen wollten sie die Wirtschaft gestalten und wie beeinflusste die Besatzungsmacht die wirtschaftliche Rekonstrukti1 2 3 4 5

Baupolitische Betrachtungen zum Neuaufbau Dresdens von Polizeipräsident Max Opitz vom 28.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 249). Hermann Matern: „Wir vollziehen die Vereinigung beider Parteien freudig, weil wir eine höhere Einheit herstellen!“ Rede am 6. April 1946. In: Jahrbuch 1976 zur Geschichte Dresdens, S. 31–34. Vgl. Halder, Modell, S. 213. Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. 6.1945. In: Friedrich/Friedrich, Dokumente, S. 8–16. Wie präzise der kommunistische Aufruf seinerzeit analysiert wurde, beweist der Brief eines Leipziger Sozialdemokraten, der aufgrund der Beliebigkeit sämtlicher darin enthaltener Versprechen an der Aufrichtigkeit der KPD-Führung zweifelte: Es sei „politischer Unfug, wenn eine sozialistische Partei die Sicherheit des Privatbesitzes“ garantiere, Waldemar Kirbach an Werner Talheim vom 15.10.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 165 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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on, um ihrem Interesse an Reparationen Geltung zu verschaffen? Denn im Gegensatz zu den Westzonen, wo die Weichenstellung in der Wirtschaftsordnung erst nach langen Kontroversen im Jahr 1948 erfolgte,6 begann die Konzeption planwirtschaftlicher Elemente in der SBZ noch 1945. Doch ehe nachfolgend Vorbereitung und Beginn des wirtschaftspolitischen Transformationsprozesses dargestellt werden, ist eine kurze Skizze der sozialen Rahmenbedingungen in Dresden erforderlich. Die Bombardierung am 13. Februar 1945 hatte der Stadt an der Elbe ein Siegel aufgeprägt, durch das sie für kommende Generationen zu einem Symbol der entfesselten Zerstörungsgewalt moderner Kriegführung wurde. Die Herrschaft der Nationalsozialisten hinterließ Tausende Todesopfer und verwüsteter Gebäude. Auf dem Trümmerfeld der ehemals dicht besiedelten historischen Altstadt lebten im Sommer 1945 noch 2 700 Menschen. Allerdings begann der Niedergang der Stadt nicht erst mit der Zerstörung und er betraf nicht allein ihre als nordisches Florenz gepriesenen Barockfassaden. Krankheiten und Mangelernährung bewirkten schon während der Kriegsjahre einen erheblichen Anstieg der Mortalität der Bevölkerung. Die Sterblichkeit, vor dem Krieg bei 12,4 je 1 000 Einwohner gelegen, erreichte während der Kriegsjahre 14 Promille und 1945 26,8 Promille. Nach der Selbstmordwelle im Mai 1945 führte in den Sommermonaten die außergewöhnlich hohe Säuglingssterblichkeit zu einem weiteren Anstieg. Anhaltende Hitze wirkte unter den miserablen hygienischen Umständen wie ein Multiplikator der Infektionsgefahren, und zwischen den Trümmern verwesten ungeborgene Tote. Die Müllabfuhr funktionierte nicht, auf den Straßen häuften sich Unrat und Abfall.7 Die Zerstörung sanitärer Einrichtungen zwang viele Menschen, ihre Notdurft in öffentlichen Anlagen zu verrichten. Ein entsetzlicher Gestank verpestete an manchen Tagen die Luft, Ratten und Fliegen verbreiteten Infektionsherde. Mehrere Wochen verharrte die Mortalität auf einem hohen Niveau. Im Dezember folgte schließlich der von allgemeinen Mangelkrankheiten verursachte absolute Höhepunkt mit 1 577 Todesfällen. Noch im Januar 1946 übertraf die Sterblichkeitsrate der Dresdner Einwohner die des entsprechenden Vorjahresmonats um mehr als ein Drittel.8 12 700 Menschen starben innerhalb eines Jahres in Dresden, diese, bereits um die Kriegstoten bereinigte Zahl, lag weit über der von 1939.9 Die außerordentlich hohe Sterberate betraf alle Altersgruppen. Dennoch konnte 1945 entgegen allen Befürchtungen der Ausbruch von Seuchen eingedämmt werden: Schwere Infektionskrankheiten wie Typhus und Fleckfieber traten endemisch auf, langfristig stieg die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen an. 6 7 8 9

Halder, Teilung, S. 139–150. Schreiben der Dresdner Müllabfuhr GmbH vom 17. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 651, Bl. 136 ff.). Daten über die Sterblichkeit in Dresden, Bericht des Hauptgesundheitsamtes vom 9. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 92 ff.). Dresdner Statistik April 1946, Statistisches Amt (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, Bl. 36). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die unzureichende Ernährung führte bei Kleinkindern zu Rachitis und schweren Erkältungen, bei Erwachsenen zu einer Verminderung der körperlichen und geistigen Spannkraft, und sie verringerte die Stillfähigkeit junger Mütter. Im Winter stellten sich zudem Erfrierungen an Händen und Füßen ein. Neben Hunger und Kälte erhöhte die Überbelegung der Wohnräume die allgemeine Infektionsgefahr, die gemeinsame Nutzung von Betten führte zu GonorrhöeErkrankungen selbst bei Kindern.10 Für die auffällige Verbreitung der Geschlechtskrankheiten waren fortwährende Vergewaltigungen und sozial-ökonomische Umstände verantwortlich. In einer Grauzone von Gewalt, Berechnung und Zuneigung prostituierten sich Frauen, um ihr Überleben und das ihrer Kinder zu sichern.11 In der warmen Jahreszeit bildeten Infektionskrankheiten die größere Gefahr für die leibliche Gesundheit, im Winter Kälte und körperliche Entkräftung. Der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen war, bis auf die deutlich minimierte Lebenserwartung von Säuglingen, relativ gut, gleichfalls der von jüngeren Erwachsenen. Nach dem Sommer 1945 sank auch die Zahl letaler Erkrankungen der mittleren Altersgruppen. Während sich in den folgenden Monaten allgemein die Gesundheitslage der Zwanzig- bis Sechzigjährigen stabilisierte, erkrankten ältere Menschen häufiger. Viele verloren auch den Lebenswillen; düstere Zukunftsaussichten, Sorge um nahe Angehörige und Ungewissheit in jeder Hinsicht verstärkten die ungünstigen materiellen Faktoren. Ein wichtiger Indikator für die individuellen Erwartungshaltungen und sozialen Befindlichkeiten ist die Heiratsfrequenz, die als Ausdruck der Lebensplanung die anhaltende Unsicherheit nach dem Kriegsende abbildet. 1945 wurden in Dresden insgesamt 2 771 Ehen geschlossen; während die Anzahl der Eheschließungen in den Kriegsjahren mindestens doppelt darüber lag, heirateten vor dem Krieg mehr als dreimal so viele Paare.12 1939 wohnten 629 713 Personen in der Elbestadt und Ende 1944 zählte sie 566 738 Einwohner; nach dem Angriff verließen viele die Stadt vorübergehend, andere für immer. Im April 1945 lebten wieder 368 519 Menschen in Dresden, im November des Jahres 455170, eine Zahl, zu der die Eingemeindungen im Sommer 1945 beitrugen und die sich im Verlauf von 1946 bei etwas unter 470 000 einpendelte. Ende 1945 lag der männliche Anteil an der Gesamtbevölkerung bei 39,3 Prozent, ein Jahr später bei 41,4 Prozent; vor dem Krieg hinge-

10 Wiederaufbauzustand des Gesundheitswesens der Stadt Dresden – Stand 19. 2.1946, Bericht von Dr. Grube (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1012, Bl. 102 ff.); Grube, Arbeitsbericht des Dezernats Gesundheitswesen, S. 11 f. und 19 f. 11 Protokoll der Sitzung des Beirates für Geschlechtskrankheiten vom 3. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 84, nicht paginiert). Vgl. Sander, Erinnern/Vergessen, S. 13; Schmidt-Harzbach, Vergewaltigung als Massenschicksal, S. 42 f. 12 Zahl der Eheschließungen, 13. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Gesundheitswesen 23, nicht paginiert); Dresdner Statistik April 1946, Statistisches Amt (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, Bl. 36). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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gen hatte er bei 44,7 Prozent gelegen.13 Die Zahl der Einwohner verringerte sich im Verlauf des Krieges um etwa 160 000, speziell in den jüngeren Jahrgängen gab es zuwenig Männer und insgesamt zuwenig Neugeborene.14 Den Frauenüberhang und die niedrige Einwohnerzahl begleitete ein Absinken der Kinderzahl von 20 Prozent zu Jahresbeginn auf 18,3 Prozent Ende 1946.15 Die Bevölkerung „alterte“. Der drastische demographische Einbruch mit hoher Sterblichkeit, niedriger Geburtenrate und einer geringen Bereitschaft zur Gründung neuer Familien setzte sich fort. Die Bevölkerungsbilanz Dresdens wurde negativ, Wanderungsbewegungen glichen die außerordentlich hohen Gesamtverluste nur geringfügig aus.16 Die dargelegten Faktoren bedingten 1945 eine ungünstige Erwerbs- und Sozialstruktur, die ihrerseits die Grundlage für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftsleben bildete. Doch diese Voraussetzungen erschwerten die Erneuerung und den Wiederaufbau der ökonomischen Infrastruktur deutlich weniger als die spezifische Wirtschaftspolitik. Die Ökonomie als Hebel der politischen Umwälzung steht im Mittelpunkt, wenn anschließend die Ernährungsgrundlagen der Bevölkerung und die ökonomische Ausgangsbasis bei Kriegsende, die Reparationen, die Eingriffe in die Wirtschaftsordnung und das Ausmaß der Strukturveränderungen geschildert werden.

1.

Die gescheiterte Reorganisation der Lebensmittelversorgung

Eine unzureichende Versorgung kennzeichnete die Nachkriegssituation in allen Besatzungszonen und überall mangelte es an Nahrungsmitteln und Bedarfsgegenständen.17 Ein längst nicht mehr funktionierendes Bezugsscheinsystem limitierte die Zuteilung. Selbst unter weniger dramatischen Umständen verfügte eine Großstadt nur über begrenzte Möglichkeiten der Bevorratung, die Kriegsfolgen beschränkten die Kapazitäten zusätzlich. Die Sorge um das tägliche Brot war eine „politische Frage erster Ordnung“,18 da die Bevölkerung jeglichen Mangel den „Russen“ anlastete. Klemperer hielt das in vielen Gesprächen zu hörende Gerücht, es sei bei den „Amys“ besser, für eine „törichte Meinung“, doch es fand verbreitet Zustimmung. „Angst vor Hungersnot“ schlug sich in ei13 Statistischer Jahresbericht, o. D. [Januar 1947] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 69, Bl. 16). Vgl. Starke, Eingemeindungen. 14 Vgl. Dresdner Geburtenstatistik 1927–1937–1947 (Diagramm), o. D. [1947] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1081, Bl. 38). 15 Einwohnerstatistik, o. D. [Januar 1947] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 69, Bl. 1–5). 16 Vgl. Jahn, Deutsche nach Kriegsende. 17 Vgl. Bericht von Moses Abramowitz über seine Reise durch den Westen Deutschlands vom 14. 5.1945. In: Müller/Ueberschär, Kriegsende, S. 196–199. 18 Wortmeldung Otto Wagners auf dem SPD-Parteitag vom 8.10.1945, Sozialdemokratische Partei des Landes Sachsen, Verhandlungen des Landes-Parteitages, S. 123. Vgl. die beschönigende Darstellung der Probleme durch den Dresdner Ernährungsdezernenten Wagner, Probleme der Ernährung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ner schlechten „Stimmung den Russen gegenüber“ nieder, das konnte wiederum „starke politische Folgen“ haben.19 In Dresden war der größere von zwei städtischen Speichern im Zentrum unweit der Elbe nach der Bombardierung völlig ausgebrannt.20 In den Stadtbezirken existierten Ausweichlager, auch die Wehrmacht verfügte über relativ umfangreiche Reserven, und die Stadtbezirks- und Bezirksverwaltungen verteilten die Bestände.21 Mit dem sowjetischen Einmarsch kam die zwar unzulängliche, aber bis dahin vergleichsweise kontinuierliche Belieferung der Geschäfte zum Erliegen. Zudem begann die Bevölkerung zu plündern. Die Rote Armee besetzte die Lager und beschlagnahmte auch sämtliche Vorräte und Konserven auf den insgesamt 13 000 Quadratmetern Lagerfläche im intakten Speicherbau an der Kleinen Packhofstraße.22 Den städtischen Angestellten wurde der Zutritt verweigert und erst Ende Juni 1945 räumten die sowjetischen Soldaten das Gebäude, nachdem sie zuvor die Lebensmittel abtransportiert, die Büroräume verwüstet und den Geldschrank geleert hatten.23 Doch es gab auch Ansätze einer Zusammenarbeit zwischen Besatzungs- und Ernährungsbehörden und einzelne Kommandanten öffneten die Lager, diese Vorräte wurden von den Bezirksverwaltungen an die Bevölkerung verteilt.24 Die Beschlagnahmung sollte die Lebensmittellager vor Plünderern schützen. Doch die Armeeführung versorgte die Truppen nicht ausreichend und die hungernden Soldaten nahmen sich, was sie fanden.25 Auch die KPD-Führung ließ ihre Anhänger unterstützen. Weidauer schrieb bezüglich eines Lockwitzer Schweinemastbetriebes von einer stillen „Übereinkunft zwischen der Stadt und der Partei, dass das Gut und die Schweinemästerei in den Besitz der Partei“ übergehen solle. Ausdrücklich betonte er, dass Matern die getroffene „Übereinkunft“ bevorzuge und nur wenn dies nicht möglich sei, müsse die Rote Armee eine „rechtliche Grundlage für die Schweinemästerei in Lockwitz“ schaffen. Sie werde das Gut „beschlagnahmen und der Partei übereignen“.26 Der von Weidauer „rechtliche Grundlage“ genannte Diebstahl qua Besatzungsgewalt cha19 Tagebucheintrag vom 24. 7.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 55. 20 Schreiben der Speicherverwaltung vom 19. 2.1945 (StadtAD, Stadtbauamt A Nachtrag III, Bl. 22); Schreiben der Speicherverwaltung vom 27. 2.1945 (ebd., Bl. 62). 21 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 78, Bl. 8–11). 22 Bericht über die Städtischen Speicher an Stadtrat Welz vom 21. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 363, Bl. 3 f.). Vgl. Rodimzew, Kriegstage, S. 98. 23 Schreiben des Stadtkämmerers Dr. Meißner an den Stadtkommandanten vom 5. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 363, Bl. 5); Schreiben des Speicherverwalters an den Stadtkämmerer Dr. Meißner vom 28. 6.1945 (ebd., Bl. 23). 24 Schreiben der Bezirksverwaltung I an das Ernährungsamt vom 5. 7.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 37, nicht paginiert). 25 Schreiben der Bezirksverwaltung II an den Oberbürgermeister vom 8. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 94, Bl. 6). Vgl. Weidauer an die KPD-Bezirksleitung Sachsen vom 15. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 235, Bl. 34). 26 Weidauer an die Bezirksverwaltung VII vom 14. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 237, Bl. 3). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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rakterisierte in der Formulierung „stille Übereinkunft zwischen der Stadt und der Partei“ treffend sein Selbstverständnis. Er wahrte den Anschein der Legalität und sicherte mit sowjetischer Unterstützung der KPD den Zugriff auf fremdes Eigentum. Erkennbare Bemühungen des Stadtrates um die Versorgung setzten erst eine Woche nach dem Ende der Kriegshandlungen ein, als er daran ging, Unterlagen für die Lebensmittelversorgung zu beschaffen und neue Lebensmittelkarten drucken zu lassen. Zu dem Zeitpunkt bestand bereits eine akute Versorgungskrise, weil Nachschub fehlte.27 Die Rote Armee blockierte mit der Besetzung von Verwaltungsgebäuden, Lebensmittellagern und Kommunikationszentren sowie der Kontrolle über Transportmittel und Transportwege das gesamte öffentliche Leben. Befehlsgewalt übten verschiedene Rayonkommandanten in den Stadtbezirken und der Stadtkommandant, aber auch die Offiziere militärischer Einheiten aus. Sie sicherten die Versorgung der Bevölkerung zu, ohne jedoch dazu in der Lage zu sein. Der sowjetische Stadtkommandant vernachlässigte diese Fragen; er verließ sich auf seine Unterkommandanten in den Stadtbezirken und ernannte erst spät einen eigens für die Ernährung zuständigen Stellvertreter.28 Ein Treffen der Dresdner Verwaltungsspitze mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, Anastas Mikojan, änderte zunächst wenig an der grundsätzlich misslichen Situation.29 Nach der Zusammenkunft mit Friedrichs, Fischer und Matern am 16. Mai 1945 in Radebeul ließ die sowjetische Armeeführung die künftig geltenden Versorgungssätze festlegen und gab eine Garantieerklärung für die Versorgung der Dresdner Bevölkerung mit Brotgetreide, Kartoffeln sowie Fleisch und Fett aus Militärbeständen ab.30 Ein Vertreter des Dresdner Stadtkommandanten versprach zudem die Räumung der beschlagnahmten Lebensmittellager und der für die Arbeit der Stadtverwaltung dringend benötigten Gebäude wie Rathaus, Polizeipräsidium, Schulen, Schlachthof und Markthalle.31 Vieles davon scheiterte an der widersetzlichen Haltung untergeordneter Kommandanten. 27 Protokoll der Stadtratssitzung vom 15. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 305, Bl. 13); Protokoll der Stadtratssitzung vom 16. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 176). Vgl. Welz, Stadt, S. 66–75. 28 Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung vom 24. 5.1945. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 9, S. 25. 29 Aufzeichnung über ein Gespräch mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare der UdSSR, A. I. Mikojan, betreffend die Lebensmittelsituation in Berlin und Dresden, Mitte Mai 1945. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 43 ff.; Solowjow, Eindrücke, S. 107 f. Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 64 f.; Rothe / Woitinas, Matern, S. 80; Tittmann, Machtorgane, S. 40. 30 Wehner, Dresden in den ersten Jahren, S. 34; Verordnung des Kriegsrates der 1. Ukrainischen Front vom 16. 5.1945. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 388– 392. Vgl. Bericht der Bezirksverwaltung III vom 2. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden II/A/1.006, nicht paginiert). 31 Vermerk über eine Aussprache mit Generalleutnant Meschick vom 15. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 49). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Obwohl die Ursache der Schwierigkeiten in den eigenen Reihen zu finden war, verlangten die sowjetischen Offiziere von der städtischen Verwaltung deren Behebung. Eine konstruktive Zusammenarbeit kam nicht zustande, weil die Befehlsgewalt hochrangiger Offiziere an der Peripherie der Armee ihre Wirkung verlor. Am Beispiel einer zugesagten Lieferung von 1 500 Kühen für den städtischen Schlachthof wird die begrenzte Reichweite sowjetischer Zusagen deutlich. Die angeordnete Räumung des Schlachthofs erfolgte weder am 17. Mai noch am 20. Mai, die Besetzung durch Militäreinheiten dauerte auch am 23. Mai 1945 an.32 Die zugesagten Schlachttiere trafen gleichfalls nicht ein. Das Fleisch aus beschlagnahmten Vorräten konnte nicht verteilt werden, weil der zuständige Kommandant die Unterschrift des Befehls nicht anerkannte; und als die Tiere Dresden endlich erreichten, hatten inzwischen ehemalige Zwangsarbeiter mit sowjetischer Zustimmung im Schlachthofgelände ein Durchgangslager eingerichtet.33 Zwischen dem 19. und 21. Mai verteilten die Stadtbezirksämter neue Lebensmittelkarten, bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine geregelte Versorgung.34 Die Bevölkerung lebte teils von „organisierten“ Nahrungsmitteln, teils von Vorräten oder sporadisch erfolgten Zuteilungen aus zurückgehaltenen Reserven. Die KPD-Führung brachte die Legende von der großzügigen Hilfe der Roten Armee in Umlauf, die den Ausbruch einer Hungerkatastrophe verhindert habe.35 Tatsächlich limitierte die sowjetische Armeeführung die Verteilung sämtlicher Nahrungsmittel, auch der aus beschlagnahmten deutschen Reserven, da sie ihre Soldaten, insgesamt 2,5 Millionen im Besatzungsgebiet, aus dem besetzten Land ernähren musste.36 Die Berechnungen der Stadtverwaltung sahen Mitte Mai pro Person eine tägliche Ration von 21,5 Gramm Fleisch, 18 Gramm Fett, 182 Gramm Brot und 357 Gramm Kartoffeln vor. Einschließlich eines schmalen Quantums an Nährmitteln und Zucker belief sich die Zuteilung auf höchstens 1 000 Kilokalorien.37 Diese minimale, zum Überleben kaum ausreichende Ration, konnte auf lange Sicht nicht garantiert werden.

32 Bericht der Abteilung Ernährung zur Kenntnisnahme an den Oberbürgermeister vom 19. 5.1945 (Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 41 f.); Schreiben der Abteilung Ernährung vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 132, Bl. 58). 33 Bericht des Schlachthofdirektors vom 1. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 392, nicht paginiert). 34 Schreiben des Oberbürgermeisters an das Statistische Amt vom 22. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 26); Ansprachen zur Feier am 11. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 335, Nr. 54). 35 Protokoll der Besprechung der Bezirksverwaltungsleiter und Stadtbezirksbürgermeister vom 23. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, nicht paginiert). Vgl. Beitrag des Genossen Walter Weidauer. In: Löscher, Geschichte des Vereinigungsprozesses, Dokument 10, S. 26 f.; Welz, Stadt, S. 86 f. 36 Foitzik, Militäradministration, S. 44. 37 Anlage zum Schreiben vom 18. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 187 ff.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Schritt für Schritt gingen seit Ende Mai Teile der Gas-, der Elektrizitäts- und der Wasserversorgung sowie die ersten Straßenbahnlinien wieder in Betrieb.38 Der Energieverbrauch musste begrenzt werden, die Kohlevorräte reichten nur wenige Tage, die teilweise aufgenommene Produktion in den Betrieben stagnierte. Um die dringend benötigten Nahrungsmittel zu transportieren, brauchte die Reichsbahn ebenfalls Kohlen. Allerdings konnte sie weder darüber noch über die Waggons und Lokomotiven verfügen, sowjetische Offiziere lenkten deren Einsatz. Zerstörte Brücken und Gleise behinderten den Eisenbahnverkehr, viele Strecken waren unterbrochen.39 Züge aus östlicher Richtung gelangten nach Dresden nur bis zum Neustädter Bahnhof, die aus dem Süden nur bis DresdenReick. Umfangreiche Zerstörungen am Hauptbahnhof und am Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt blockierten die Verkehrsverbindung. Die Eisenbahnlinie zwischen Dresden und Görlitz konnte erst im September 1945 wieder durchgängig befahren werden.40 Verhandlungen deutscher Behörden mit der Militärverwaltung um den Hauptenergieträger Kohle offenbaren eine chaotische Situation. Als die Reichsbahndirektion Dresden nach sowjetischen Zusagen mitteilte, sie werde den Kohletransport übernehmen, verweigerte der Bahnhofskommandant in Niedersedlitz die Abfertigung des bereitstehenden Zuges. Wenig später beschlagnahmte die SMAD das gesamte Niederlausitzer Braunkohlerevier. Daraufhin musste sich die Stadtverwaltung wegen des Liefervertrages nach Karlshorst wenden, und die eigentlich vor der Dresdner Haustür befindliche Kohle rückte in weite Ferne.41 Die Bedingungen im Straßenverkehr waren ähnlich ungünstig.42 Es mangelte an Reifen und Schläuchen für Lastkraftwagen, an Ersatzteilen und Kraftstoff. Unsicherheit und Rechtlosigkeit auf den Verkehrswegen beeinträchtigten Wiederaufbau und Versorgung. Militärstreifen hielten Fahrzeuge auf offener Straße an und beschlagnahmten sie trotz der von sowjetischen Dienststellen ausgestellten Papiere.43 Einen kontinuierlichen Nachschub der für die Existenz erforderlichen Dinge konnte die Stadtverwaltung unter diesen Bedingungen nicht organisieren und 38 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung II vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 78, Bl. 8–11); Wochenbericht der Bezirksverwaltung III vom 5. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 4, Bl. 45–48). Vgl. Welz, Arbeitsbericht des Dezernats Technik und Kommunale Betriebe. 39 Protokoll der Ratssitzung vom 27.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 123 f.). 40 Mitteilung für Vertrauensleute Nr. 17 vom 14. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert). 41 Aktennotiz vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 36). 42 Vgl. Halder, Modell, S. 61. 43 Vgl. Aktennotiz vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 650, Bl. 36); Mitteilung des Nachrichtenamtes vom 4. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1014, nicht paginiert); Schreiben an Stadtkommandant Generalleutnant Dobrowolsky vom 15. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 73); Bericht des Nachrichtenamtes an den Oberbürgermeister vom 7. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 962, nicht paginiert); Referat von Stadtrat Wagner vom 22. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 146 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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somit weder in den ersten Wochen noch in den folgenden Monaten die etwa 500 000 Menschen ausreichend ernähren.44 Sämtliche Bemühungen scheiterten, temporär gewährte Unterstützung der sowjetischen Seite blieb Zufällen unterworfen. Die Oberbürgermeister verhandelten regelmäßig mit dem Stadtkommandanten, der seine Hilfszusagen nicht einhielt, seinerseits aber Forderungen an die deutsche Seite richtete. Sie sollten die Wirtschaftstätigkeit in Gang setzen, die Geschäfte öffnen und die Straßenbahnen in Betrieb nehmen.45 Außerdem verlangte er weitere Unterkünfte für seine Soldaten, deren Anwesenheit neben der Nahrungs- und Wohnsituation besonders die Wasserversorgung und die Müllentsorgung belastete. Immer noch musste sich die Mehrheit der Einwohner das Trinkwasser von öffentlichen Zapfstellen holen, wodurch sich das Risiko eines Seuchenausbruchs erhöhte.46 Eine effiziente Kooperation zwischen Besatzungsbehörden und deutscher Ernährungsverwaltung fand nicht statt und die Krise hielt an, weil sich die Rote Armee aus der Verantwortung zurückzog, als sich die von ihr beschlagnahmten Lager leerten. Der Mangel an Kartoffeln verschärfte die Versorgungslage in den Sommermonaten. Es gelang bis zum Beginn der neuen Ernte nicht, andernorts vorhandene Vorräte gleichmäßig zu verteilen. Die entstandene Lücke hätte kompensiert werden müssen durch kohlehydratreiche Lebensmittel. Die Stadtkommandantur hatte hingegen, weil auch das Brotgetreide nicht ausreichte, die Ausbackquote von 100 Kilogramm Mehl auf 150 Kilogramm Brot festgelegt. Das minderte die Qualität des ausgelieferten Brotes erheblich, da dem Teig für ein Brot mit einem Verkaufsgewicht von zwei Kilogramm etwa 200 Gramm Wasser mehr als sonst zugesetzt werden musste.47 Doch zu Korrekturen am eingeschlagenen Weg der Umgestaltung waren KPD und Besatzungsmacht nicht bereit, die Versorgung blieb politischen Entscheidungen nachgeordnet. Die Verordnung über die Bodenreform demonstrierte im September 1945 trotz der dringend stabilisierungsbedürftigen Lage den unbeirrten Willen zu gravierenden Eingriffen in die Wirtschaftsverhältnisse. „Die Bodenreform erfolgte in einem Augenblick, der politisch so günstig war, wie er für eine so gewaltige Umwälzung wohl nie wieder kommt.“ Der Ernährungswissenschaftler Wilhelm Ziegelmeyer, Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Handel und Versorgung, begrüßte den politischen Zweck der Enteignung des Großgrundbesitzes. Gleichzeitig kritisierte er die Verantwortungslosigkeit, denn es sei „leider nicht abzuleugnen, dass dieser Augenblick, 44 Vgl. Rede Hermann Materns vor Flüchtlingen aus Breslau vom 24. 7.1945 (SAPMOBArch, SgY 26/1, Bl. 11–15); Halder, Modell, S. 72. 45 Schreiben des Oberbürgermeisters vom 22. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 22). 46 Leben in der „toten Stadt“, Artikel Egon Rentzschs vom 5. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 79, Bl. 2 ff.). 47 Kriminalamt Dresden, Protokoll der Vernehmung Albrechts vom 2.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 395, Bl. 23–31). Vgl. Informationsbericht 47/29 des Nachrichtenamtes vom 1.10.1947 (StadtAD, Dezernat OB 1032, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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wirtschaftlich gesehen, einen Tiefpunkt darstellte“.48 Allerdings führte weniger die Enteignung, vielmehr die Zerschlagung der großen Güter zu diesem Tiefpunkt. Die KPD-Führung ging das ökonomische Risiko bewusst ein, da die Bodenreform für sie ein wesentlicher Teil der Veränderung der Wirtschaftsbasis war.49 Die Ernährungsengpässe der folgenden Jahre resultierten aus ihrer agrarpolitischen Grundsatzentscheidung, sämtliches Land an Landarbeiter und Kleinbauern zu verteilen. Die Bodenreform markierte auf dem Weg in die Diktatur eine Zäsur, an der frühzeitig die Unumkehrbarkeit der gesellschaftlichen Veränderungen deutlich wurde.50 Obwohl die CDU eine undifferenzierte entschädigungslose Enteignung ablehnte und nur unter Vorbehalt möglicher Korrekturen ihre Zustimmung signalisierte,51 ließ die SMAS keine Änderung an der Verordnung zu. Ungeachtet aller Zusagen zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten verhallten Proteste der Zonenleitung wie der Ortsverbände gegen die Deportation von adligen Familien, gegen die Übergriffe auf persönlichen Besitz, gegen Willkürmaßnahmen und Ausschreitungen ungehört. Da der im Verlauf des Herbstes angestaute Unmut zur Auflehnung der Führung der CDU und vieler Parteimitglieder führte, verstärkte die Besatzungsmacht ihren Druck. Die Konfrontation gipfelte Ende 1945 in der erzwungenen Absetzung von Andreas Hermes und Walter Schreiber. Widerspruch gegen den Rücktritt der CDU-Führung unterband die SMAD mit der Drohung, die Partei aufzulösen.52 Auch wenn sich die Folgen erst auf die Nahrungsmittelversorgung der kommenden Jahre auswirkten, verbesserte die Bodenreform keineswegs die Chancen einer kurzfristigen Krisenintervention. Zu diesem Zweck wurden vor Beginn des Winters in Dresden öffentliche Küchen und Wärmestuben eingerichtet, um gleich den seit dem Sommer 1945 existierenden „Volksküchen“ denjenigen Menschen zu helfen, die nicht in ihren Unterkünften kochen konnten. Außerdem verabschiedete der Landesblockausschuss seinen Aufruf „Volkssolidarität gegen Wintersnot“53 und initiierte damit die Volkssolidarität als Instrument zur Hilfe in sozialen Notlagen. Doch die Linksparteien wollten vielmehr ihre politischen Ziele propagieren und von der Nutzung kirchlicher Ressourcen profitieren. So richteten sie ihre Fürsorgepolitik zwar nicht gegen die karitative

48 Ziegelmeyer, Ernährung in der Ostzone, S. 115. 49 Referat Materns auf der Sitzung der erweiterten KPD-Bezirksleitung Sachsen vom 25. 9.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/172, Bl. 10). 50 Vgl. Kluge, Bodenreform; Sattler, Wirtschaftsordnung, S. 139–240. 51 Vgl. Protokoll der 8. Sitzung des gemeinsamen Ausschusses der antifaschistisch-demokratischen Parteien Deutschlands vom 22.11.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 102– 105. Vgl. Baus, zwischen Widerstand und Gleichschaltung, S. 136 ff. 52 Ausführlich dazu Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 222–252. 53 Aufruf des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien, Land Sachsen, vom 19.10.1945 zur Aktion „Volkssolidarität gegen Wintersnot“. In: Dokumente und Materialien, Band 1, S. 214 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Tätigkeit der Kirchen, wollten sie aber mittelfristig unterwandern.54 Politische Agitation überlagerte die Hilfsmaßnahmen. Die Folgen der verfehlten Ernährungspolitik zeigten sich besonders nach dem harten Winter 1946/47, der mit Nachtfrösten bis minus 20°C in dem ansonsten milden Elbtalklima ungewöhnlich kalt war. Zu Beginn des Sommers 1947 nannte Bürgermeister Wagner die Lage so schlecht wie nie zuvor.55 Die Menschen bekamen in den Lebensmittelgeschäften anstelle von Kartoffeln Salzgemüse, Sauerkraut und andere Ersatzstoffe zu kaufen. Es gab weder Fett noch Fleisch, Butter wurde nur an Kinder ausgeteilt. Schließlich gelangten immer mehr Surrogate in den Handel: Zwieback anstelle von Brot, Eiweißnährmehl anstelle von Marmelade und Zucker, Quark und Eier anstelle von Fett. Stillende Mütter erhielten Malzextrakt statt Kartoffeln.56 Die Städter fuhren aufs Land, um bei den Bauern Nahrungsmittel einzutauschen. Die Polizei führte Razzien durch und nahm ihnen bei der Rückkehr häufig alles wieder ab.57 Die hilflosen Appelle, mit denen die Funktionäre auf Hunger und Unzufriedenheit antworteten,58 unterstreichen ebenso wie die Furcht der SED vor einer Rebellion der Arbeiter59 das Scheitern der Ernährungspolitik.

2.

Ökonomische Rekonstruktion

Das Ausmaß der Zerstörungen in der Dresdner Wirtschaft lässt sich nach mehr als 50 Jahren nicht genau beziffern und das Verbringen vieler Akten nach Moskau verhindert ein Abschätzen der sowjetischen Demontage- und Beuteaktivitäten und des verbliebenen industriellen Anlagevermögens.60 Generell ist für die SBZ von einem vergleichsweise geringen Umfang vernichteter Industrieanlagen und ökonomischer Kapazitäten auszugehen, überdies hatten militärstrategische Überlegungen in den Kriegsjahren zu hohen Investitionen geführt.61 Die Verluste der sächsischen Industrie werden, gemessen am Stand von 1944, auf 15 Prozent beziffert62 und lagen damit unterhalb der Zuwächse seit 1936. Das gilt 54 Bericht der SPD im 6. Verwaltungsbezirk vom 17.12.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/26/d, Bl. 54). Vgl. Tischner, Wohlfahrtspflege, S. 361 f. 55 11. (17.) öffentliche Sitzung vom 3. 7.1947 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 309 f.). 56 Schreiben des Ernährungsamtes an das Nachrichtenamt vom 15. 7.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 966, nicht paginiert). 57 11. (17.) öffentliche Sitzung vom 3. 7.1947 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 311 ff.). 58 17. (23.) öffentliche Sitzung der Stadtverordneten vom 20.11.1947 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 439 ff.). 59 Information des Nachrichtenamtes über die Sitzung vom 20. 8.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 966, nicht paginiert); Seydewitz, Grundlagen für den sozialistischen Aufbau, S. 266. 60 Vgl. Karlsch, Allein bezahlt, S. 44 ff. 61 Buchheim, Kriegsfolgen. 62 Halder, Modell, S. 191–194; Karlsch, Rekonstruktion und Strukturwandel, S. 92. Vgl. Friedrich, Brand, S. 119. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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auch für die Landeshauptstadt. Die Industriegebiete befanden sich außerhalb des zerstörten Stadtzentrums und nicht im Fadenkreuz der alliierten Geschwader. Tausende Wohnhäuser sanken in Schutt und Asche; doch lediglich 209 gewerbliche Betriebe wurden in den Angriffen zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen. Die Verluste öffentlicher Gebäude von hohem kulturellen Rang und der im Stadtzentrum gelegenen Geschäftshäuser waren weitaus höher als die in den Betrieben der Rüstungsindustrie.63 Eine Liste von 28 Dresdner Großbetrieben veranschaulicht die in den Bombenangriffen vernichteten Produktionskapazitäten und vermittelt außerdem einen Eindruck über die Verstrickung der Wirtschaft in den Krieg. Die angegebenen Prozentwerte beinhalten keine Aussage über die langfristigen Auswirkungen auf die potentiellen Fertigungsmöglichkeiten. Betriebe, die fast ausschließlich für den Kriegsbedarf produzierten, hatten allein aus diesem Grund in der Umstellungsphase langfristige Ausfälle wegen der Demontagen. Allerdings räumt die Tabelle mit der immer wieder kolportierten Legende auf, die Kriegswirtschaft in Dresden wurde angeblich nicht durch den alliierten Bombenkrieg beeinträchtigt. In den genannten Betrieben mit einem Zerstörungsgrad von größtenteils über 70 Prozent stellten etwa 37 000 Arbeitskräfte Munition und Kriegsgerät her. Rechnet man die Beschäftigten anderer Betriebe hinzu, die nach dem Verlust ihrer Wohnungen die Stadt verließen und ihren Arbeitsplätzen längere Zeit fernblieben, ist von einem umfangreichen Ausfall der Kriegsproduktion nach dem 13. Februar 1945 auszugehen. Kurzfristig schalteten die alliierten Bomber die Rüstungsmaschinerie vollständig aus, auch wenn wie im Dresdner Industriegelände der größte Teil der Betriebe unversehrt blieb.64

63 Liste der zerstörten Betriebe (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 91). Vgl. zum Untergang historischer Bausubstanz Lerm, Abschied; Löffler, Dresden. 64 Vgl. Starke, Industriegelände, S. 184. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Tabelle 5: Liste der im Bombenkrieg beschädigten Großbetriebe Zerstörung %

Firma

Zahl der VorkriegsArbeiter produktion

Kriegsproduktion

MG, Granaten, Zünder Zeiss-Ikon 70 20 000 Zünder, Zielgeräte Universelle 100 1 000 Torpedoteile, V 2 Koch & Sterzel 50 1 000 Wehrmachtsbedarf Großmann 60 700 Spezialmaschinen Greiling 60 600 Enteisungsgeräte Arznei, DesinfekLingner-Werke 95 600 Kosmetik tionsmittel Reparaturen Daimler-Benz 100 160 Autogroßreparatur Wehrmachtsbedarf Koh-i-noor 100 500 Druckknöpfe MG-Teile Siebgewebe Louis Hermann 90 300 Bergwerkssiebe Wehrmachtsbedarf Anton Reiche 80 1500 Blech-Emballagen Wehrmachtsbedarf Gleis- u. Gleis- und Stahlbau Thomas 90 200 Signalanlagen Signalanlagen Willy Hiller 80 300 Maschinenbau Kriegsproduktion Ihagee 100 300 Kameras Kameras Georg Wuttig 80 250 Maschinenbau Hinterdrehbänke nicht für die WehrSchiffswerft Übigau 85 200 Schiffsbau macht MaschinenZitkow 90 112 Granaten schraubstöcke Dampfkesselfabrik 40 450 Maschinenbau Sturmboote Gebr. Bühler Freital teilweise 516 Müllereimaschinen Granaten Willy Hiller 90 36 Maschinenbau Granaten Hille-Werke 50 1 300 Maschinenbau Maschinenbau Irmscher & Witte 80 265 Strickmaschinen Granaten Loesch 90 400 Maschinenbau Granaten Laube 80 150 Maschinenbau Granaten Scama 90 390 Maschinenbau Granaten Seelig & Hille 90 20 Maschinenbau Granaten Vogel & Schlegel 100 200 Triebwerke Triebwerke, Granaten Hartwig & Vogel 50 1 000 Schokolade Zünder Seidel & Naumann

80

5 500

Schreib- und Nähmaschinen Kameras Maschinenbau Röntgenapparate Nähmaschinen Zigaretten

Quelle: StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1008, Liste der beschädigten Großbetriebe, Bl. 13 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

In den total und schwer zerstörten Betriebsanlagen ruhte die Produktion zeitweise, doch die Aufräumarbeiten begannen rasch. Eine von Sprengbomben bewirkte Minderung des Bruttoanlagevermögens bedingte nicht zwangsläufig in gleichem Umfang verringerte Produktionskapazitäten. Arbeiter und Betriebsleiter unternahmen beträchtliche Anstrengungen zur Beseitigung der Schäden und zu einer Wiederaufnahme der Produktion.65 Eine Kommission des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsmunition nahm 58 Dresdner Betriebe in eine Dringlichkeitsliste auf,66 die städtische Dringlichkeitsliste verzeichnete ihrerseits 50 Fabriken, darunter auch einige der Nahrungsgüterwirtschaft.67 Produktionsanlagen wurden geborgen und ausgelagert, Baumaterial zur Reparatur der Werkhallen bereitgestellt. Behörden, Unternehmer und Arbeitskräfte versuchten alles, um die Produktion wieder aufzunehmen und buchstäblich bis zum letzten Tag fortzuführen.68 Ihre Aufrechterhaltung bis zum Kriegsende erleichterte den Betrieben im Anschluss den Neuanfang, wie am Beispiel der ortsansässigen Fotoindustrie deutlich wird. Von der Zeiss Ikon AG in Dresden hatten zwei Betriebe Totalschaden erlitten, die unversehrten Produktionsstätten wurden unmittelbar nach Kriegsende vollständig demontiert. Trotzdem begann die Herstellung von Spiegelreflexkameras in den Zeiss-Werken noch vor Ende 1945.69 Andere Großbetriebe wie die Universelle AG konnten anfänglich die Zahl der Beschäftigten steigern, im August 1945 auf 1 090, zwei Monate später gehörten dem Betrieb noch 960 an.70 Die alternierende Anzahl der Arbeitskräfte zeigt, dass die Demontagen zwar zur Einstellung der Produktion und zu zahlreichen Entlassungen, hingegen nur selten zur Schließung einer Firma führten. So reduzierte sich bei Seidel & Naumann die Beschäftigung 1946 nach Beginn der Demontage drastisch von 1639 auf nur 150 Arbeiter.71 Im Vergleich zu diesen Kriegsfolgeeinwirkungen waren die unmittelbaren Kriegseinwirkungen relativ gering gewesen. Allenthalben wurde beklagt, „dass man aus produktiv arbeitenden Betrieben Werkzeuge und Maschinen holt und der Betrieb mit seiner Arbeit ganz stark ins Hintertreffen“ gerate.72 Zahlreiche solcher Beispiele verdeutlichen, dass interne und externe Faktoren wie Reserven an Rohstoffen und Halbfabrikaten, die 65 Vgl. Karlsch, Umfang und Struktur der Reparationsentnahmen, S. 49 f. 66 Schadenskommission des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsmunition, Bericht vom 22. 3.1945 (StadtAD, Stadtbauamt A Nachtrag III, Bl. 153). 67 Dringlichkeitsliste des Leiters der baulichen Sofortmaßnahmen vom 1. 3.1945 (ebd., Bl. 79). 68 Vgl. Neutzner, Martha Heinrich Acht, S. 95–101; Rulc, Chronik, S. 32 ff. 69 Karlsch, Rekonstruktion und Strukturwandel, S. 119. Vgl. Lindner, Kamera- und Photoindustrie. 70 Produktionserhebung August 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1079, nicht paginiert); Produktionserhebung Oktober 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1078, nicht paginiert). 71 Informationsdienst Nr. 13 vom 4. 5.1946 und Informationsdienst Nr. 14 vom 17. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert). 72 Bericht der Abteilung Betriebe vom 7. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / A /031, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Transportsituation und vor allen Dingen Sequestrierung, Demontagen und andere Eingriffe der Besatzungsmacht die industrielle Produktion nachhaltiger bestimmten. Infolgedessen fiel mancher große Industriebetrieb auf ein handwerkliches Niveau. Dennoch entwickelten sich Gewerbe und Industrie in Dresden rasch und verzeichneten in den Monaten September und Oktober erhebliche Steigerungsraten.73 Die Monate August bis Oktober lassen einen wichtigen Trend erkennen: Firmen mit nur wenigen Beschäftigten erzielten anfänglich ein relativ besseres Produktionsergebnis als größere Betriebe. Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten und Kleinbetriebe mit bis zu 50 Beschäftigten überwanden die Kriegs- und Nachkriegskrise rascher, sie erzeugten im August 1945 über die Hälfte der monatlichen Gesamtproduktion der Dresdner Industrie, obwohl sie zusammen weniger Arbeiter beschäftigten als die größeren Betriebe. Augenscheinlich waren sie von Demontage und Sequester weniger betroffen. Kleine Betriebe stagnierten in ihrer weiteren Entwicklung, während große Betriebe produktive Zuwächse verzeichneten. Sie stellten sowohl prozentual als auch absolut weitaus mehr Beschäftige neu ein und steigerten ihre Produktion. Demontage- und Aufräumarbeiten sowie die Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion banden bei großen Betrieben zunächst die Produktionsressourcen, die erst später freigesetzt wurden. Insgesamt befand sich die Wirtschaft in einem Aufwärtstrend, den die Demontagen abbremsten, aber nicht verhinderten.74 Zwischen August und Oktober verzeichneten fast alle Wirtschaftszweige eine sichtbare Vorwärtsentwicklung. Mittleren und großen Firmen fiel die Bewältigung der aus Produktionsumstellungen, Demontagen und anderen produktionshemmenden Faktoren resultierenden Krise der Nachkriegszeit schwerer und sie benötigten dazu längere Zeit als die Klein- und Kleinstbetriebe. Letztere hielten in der Übergangs- und Krisenzeit das wirtschaftliche Leben der Kommune aufrecht und verloren anschließend an Bedeutung. Größere Produktionsstätten produzierten dann wieder effektiver, beschäftigten mehr Arbeiter und erbrachten wesentliche Teile des Wirtschaftsprodukts. Sie rückten, Zeichen einer wirtschaftlichen Normalisierung, Schritt für Schritt an ihre angestammte Stelle als tragende Säule der modernen Industriegesellschaft. Dresden konnte auch nach dem Krieg auf bedeutende ökonomische Potenzen und eine außerordentlich große Bandbreite unterschiedlichster Wirtschaftszweige verweisen. Die skizzierte Entwicklung drückte Disparitäten der Nachkriegsökonomie aus: Neben Handwerksmeistern, denen zuvor die restriktive Zulassungsrege73 Die folgenden Produktionsdaten beziehen sich auf das produzierende Handwerk und die Industrie zusammen, Produktionserhebung August 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1079, nicht paginiert); Produktionserhebung September 1945 und Produktionserhebung Oktober 1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1078, nicht paginiert). 74 Vgl. Halder, Modell, S. 90; Karlsch, Umfang und Struktur der Reparationsentnahmen, S. 58. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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lung der Kriegswirtschaft einen Zugang zur Selbständigkeit verwehrt hatte, beantragten häufig Facharbeiter und Ingenieure der stillgelegten Rüstungsfertigung sowie Personen ohne jede handwerkliche Ausbildung ein Gewerbe.75 Eine erhebliche Anzahl von Inhabern kleiner Betriebe meldete zum Schein ein Gewerbe an, um einen Arbeitsnachweis, eine Zuzugsgenehmigung oder einen besseren Zugang zur Kompensationswirtschaft zu erhalten. Sie firmierten zwar in der Statistik als Betrieb, meldeten jedoch kaum eine nennenswerte Produktion. Wegen der zahlreichen Anträge auf eine Neueintragung in die Handwerksrolle verhängten die Behörden im Herbst 1945 eine zeitweilige Aufnahmesperre. Trotz aller Probleme galt das Handwerk als Hauptträger des Aufbaus von Dresden und schnitt im September 1945 im Vergleich zur Industrie gut ab. Nach der Zerstörung und dem Abbau vieler großer Industriebetriebe bestanden vielerorts Chancen zur Verbesserung von Marktpositionen im produktiven Bereich des Handwerks. Demontagen und eine gestiegene Nachfrage milderten den Konkurrenzdruck.76 Etwa 2 000 Handwerksbetriebe waren ausgebombt. Facharbeitermangel herrschte in allen Gewerken, besonders im Bauhandwerk, so dass die Betriebe sehr viele Hilfskräfte beschäftigen. Schwierigkeiten verursachte der stockende Zahlungsverkehr. Requirierungen bereiteten gleichfalls Sorgen, doch den Kleinund Mittelbetrieben deutlich weniger als großen Firmen. Enorme Hindernisse mussten bei Beschaffung der Rohstoffe, der Produktions- und der Transportmittel überwunden werden. Trotzdem wurden zahlreiche Betriebe neu gegründet, um den großen Bedarf an Verbrauchsgütern sowie an Wiederaufbau- und Reparaturleistungen zu decken. Allein im Bauhandwerk arbeiteten 675 Betriebe mit weit über 6 000 Beschäftigten, es fehlten wie überall Fachkräfte und Material. 435 Klempner und Installateure arbeiteten in 235 Werkstätten, hier und im Malerhandwerk hätten noch zahlreiche Fachkräfte eingestellt werden können. Auch die 252 Kraftfahrzeug-Werkstätten beschäftigten jeweils nur zwei oder drei Mechaniker, zudem mussten sie nach Abschluss eines Zwangsvertrags hauptsächlich für die Rote Armee arbeiten und konnten die dringend erforderlichen Reparaturarbeiten am arg verschlissenen Fuhrpark der Dresdner Transportunternehmer nicht ausführen. Ebenso war die Besatzungsmacht Hauptauftraggeber der 700 Dresdner Schuhmacher. Die Situation unzähliger Glaser, Schlosser, Ofensetzer, der Schneider, Sattler, Seifensieder und Bandagisten, der Pinsel-, Korb- und Stellmacher glich der des gesamten Handwerks.77 Dem großen Bedarf an Leistungen aller nur denkbaren Gewerke setzte ein eklatanter Mangel an Produktionskapazitäten und deren Ausrichtung auf die sowjetischen Wünsche enge Grenzen. Dennoch beschäftigte das Handwerk Ende Oktober 22 000 Personen und die Zahl der Betriebe erreichte mit etwa 12 000 den Stand 75 Informationsbericht Nr. 7 der Bezirksverwaltung III vom 31.1.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 28, nicht paginiert). 76 Vgl. Hurwitz, politische Kultur der Bevölkerung, S. 51. 77 Wirtschaftslage des Dresdner Handwerks Anfang September 1945 vom 21. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 55–64). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vor der Zerstörung.78 Diese Entwicklung überstieg langfristig den Bedarf und bald setzte im Handwerk ein Konzentrationsprozess ein. Den Dresdner Arbeitsmarkt kennzeichnete trotz Folgen von Kriegswirtschaft und Demontage, Flucht und Vertreibung ein deutlicher Aufwärtstrend. Die Arbeitslosenquote sank rasch von 14,9 Prozent im Oktober 1945 auf 7,4 Prozent im Dezember 1945.79 Die Zahl der Dauervermittlungen stieg, ebenso die der offenen Stellen. Unter den 455170 Einwohnern der Stadt waren im November 203 563 und im Dezember 205 996 Beschäftigte.80 Die Beschäftigungsquote näherte sich dem Niveau der Kriegsjahre.81 Ein Jahr später hatte sich das Verhältnis weiblicher und männlicher Beschäftigter vom Vorjahr umgekehrt und die traditionelle Struktur der Dresdner Arbeitnehmerschaft bildete sich wieder aus. Von 162 455 abhängig Beschäftigten waren 96126 Männer und 66 329 Frauen. Arbeiter und Hilfsarbeiter stellten mit 60 Prozent die größte Gruppe. Vor dem Krieg war ihr Anteil etwa ebenso hoch gewesen. Die Tabelle 6 umfasst die abhängig beschäftigten Personen und somit nicht die Gesamtzahl aller Arbeitenden, dennoch zeigt sie ein charakteristisches Abbild der sozialen Gliederung der Dresdner Bevölkerung: Tabelle 6: Dresdner Arbeitsmarkt Oktober 1946 abhängig Beschäftigte Forst- u. Landwirtschaft Arbeiter Hilfsarbeiter Beamte u. Angestellte Techniker u. Ingenieure Kultur u. freie Berufe insgesamt

insgesamt Männer absolut % absolut % 2 356 1,4 984 0,6 69 813 43,0 45173 27,8 26 915 16,6 12 933 8,0 51948 32,0 28 604 17,6 6148 3,7 5 429 3,3 5 275 3,2 3 003 1,8 162 455 99,9 96126 59,1

Frauen absolut % 1 372 0,8 24 640 15,2 13 982 8,6 23 344 14,4 719 0,4 2 272 1,4 66 329 40,8

Quelle: StadtAD, Dezernat Gesundheitswesen 82, nicht paginiert, Monatliche Meldung des Arbeitsamtes Dresden an die Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge für den Monat Oktober (1946).

78 Vgl. Wirtschaftskammer Dresden Abt. Handwerk 11/45: Das Dresdner Handwerk im Rahmen des Neuaufbaus/Halbjahresrückblick, o. D. [November 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 81); Conert/Pollack, Arbeitsberichte der Dezernate Bauwesen und Gewerbewesen. 79 Arbeitsamtsbezirk Stadt Dresden: Statistik Oktober 1945 bis April 1946 vom 7. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 53, nicht paginiert). 80 Ergebnis der Volkszählung vom 3.11.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 35); Statistik des Arbeitsamtsbezirkes Stadt Dresden vom 7. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 53, nicht paginiert). 81 Bericht des Dresdner Arbeitsamtes, o. D. [Oktober 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 65 ff.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Demontagen vernichteten Arbeitsplätze, und die Einsatzfähigkeit vieler Erwerbsloser mit Kriegsverletzungen blieb eingeschränkt.82 Eine wachsende Zahl Unterstützungsbedürftiger belastete die Sozialkassen. Dresden hatte am 30. September 1945 mit über 50 000 weit über 10 Prozent seiner Einwohner als Unterstützungsempfänger zu versorgen.83 Besondere Probleme traten bei der Eingliederung der aus ihren Berufen herausgerissenen Flüchtlinge auf.84 Viele Arbeitnehmer aus der böhmischen Glas- und Textilindustrie, Kleingewerbetreibende und Handwerker fanden in der zerstörten Stadt keine Arbeit. Zudem verdrängten die rückkehrenden Männer die Frauen aus ihren Berufen, Dreiviertel aller Arbeitslosen waren Frauen. Die Bedeutung der Frauen für den Arbeitsmarkt nahm kontinuierlich ab, unterrepräsentiert in qualifizierten Berufen stellten sie überproportional viele Hilfsarbeiter. Dabei mussten sie mit ihren mehrheitlich schlechter bezahlten Arbeitsplätzen durchschnittlich mehr Familienangehörige versorgen als Männer. Die geringe Bedeutung der Landwirtschaft für eine Großstadt liegt auf der Hand; in Dresden als Verwaltungszentrum fiel die Zahl der Beamten und Angestellten mit etwa einem Drittel aller Beschäftigten besonders ins Gewicht. Frauen besetzten insgesamt deutlich weniger Arbeitsplätze, die einen Berufsabschluss erforderten. Die Zahl der Hilfsarbeiterinnen wäre ohne die überdurchschnittlich vielen Arbeitsplätze für Frauen in der Dresdner Verwaltung noch höher gewesen. Hier arbeiteten proportional mehr Frauen als Männer, allerdings waren sie in den besser bezahlten Führungspositionen selten zu finden. Dies war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Folge traditioneller Bildungsverläufe und nicht zwangsläufig ein Ausdruck spezifischer, sondern mehr struktureller Diskriminierung. Nur wenige Frauen verfügten über einen höheren Bildungsabschluss, erkennbar auch an der verschwindend geringen Zahl der Technikerinnen und Ingenieurinnen, Berufe, die eine Fach- oder Hochschulausbildung voraussetzen. Eine Betriebszählung vom 1. Dezember 1945 erfasste die private Wirtschaft mit mehr als 10 000 Industrie- und Handwerksbetrieben und insgesamt 71 360 Beschäftigten, des Weiteren 9 500 Handels- und Verkehrsbetriebe und die Betriebe sonstiger Gewerbetreibender einschließlich der freien Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler mit weiteren 28 000 selbständig und abhängig Beschäftigten.85 Die Verteilung der Arbeitskräfte spiegelte eine charakteristische Nachkriegssituation. Auffallend viele Menschen in der zerstörten Stadt arbeiteten in Bauberufen, in der Nahrungsmittel- und in der Bekleidungsindustrie. Be82 Wirtschaftslage des Dresdner Handwerks Anfang September 1945 vom 21. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 55–64). 83 Bericht zur sozialen Lage, o. D. [Oktober 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 19–23); die Zahl 444 896 Einwohner für September in dieser Quelle weicht ab von der des Arbeitsamtsberichtes, der für September 427 427 Einwohner angibt. Vgl. zu den gestiegenen Armutsrisiken Boldorf, Sozialfürsorge, S. 22 ff. 84 Vgl. Jahn, Deutsche nach Kriegsende; Jahn, Veränderungen wirtschaftlicher und sozialer Strukturen; Wille, Vertriebene, S. 175 ff. 85 Betriebszählung vom 1.12.1945, Anlage 1 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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stimmungen des Potsdamer Abkommens betrafen in größerem Umfang ehemals bedeutende Wirtschaftszweige der Fertigungsindustrie, diese mussten ihre Kapazitäten reduzieren; unter ihnen trat allenfalls mit mehr als 10 000 Arbeitskräften der Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau noch hervor. „Die Wiederingangsetzung der industriellen und handwerklichen Betriebe erfolgte verhältnismäßig schnell und bewegte sich in einer ständig aufsteigenden Linie“, sämtliche Industriezweige verzeichneten ein deutliches Wachstum.86 Allerdings wies die Struktur der Wirtschaft über die oben erwähnten Kriegs- und Kriegsfolgeschäden hinaus gravierende Änderungen auf. Ende 1945 zeigten sich bereits deutliche Folgewirkungen der Politik von Besatzungsmacht und deutschen Kommunisten. Im traditionellen Industriestandort Dresden mit seinen bedeutenden Fertigungszweigen hatten die Enteignungsbestrebungen deutscher Verwaltungen im Zusammenspiel mit der sowjetischen Demontage- und Reparationspolitik einen Eigentumstransfer bewirkt. In privater Hand befanden sich größtenteils nur noch Klein- und Mittelbetriebe, von den größeren Betrieben waren es nunmehr 200 Fabriken mit 50 und mehr Beschäftigten. 40 Prozent aller Privatbetriebe zählten bis 5 Beschäftigte, weitere 45,9 Prozent bis 50 Beschäftigte.87 Diese unterlagen noch nicht der Wirtschaftsplanung, sollten sich aber künftig an der Erfüllung der Wirtschaftspläne beteiligen.88

3.

Sowjetische Beute- und Reparationspolitik

Bei Kriegsende ruhte das Geschäftsleben. Die Reichsbank gab seit Ende April keine Noten aus, die Dresdner Stadtkasse verfügte über keine Reserven. Schließlich schlossen aus Sicherheitsgründen sämtliche Geldinstitute.89 Trotzdem blieben sie von Plünderungen nicht verschont, im aufgebrochenen Tresorraum der Stadtbankhauptstelle in Dresden-Johannstadt fehlten fast 3 Millionen Reichsmark.90 Soldaten der Roten Armee besetzten außerdem die Betriebe, richteten die Produktion auf ihre Bedürfnisse aus91 oder erteilten Anweisungen zum Abtransport der Maschinen.92 Sie rückten in sämtliche großen Betriebe ein und befahlen den Arbeitern, Produktionsanlagen, Werkzeuge, Rohstoffe, Fer86 Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/602/49, Bl. 262– 265). 87 Vgl. Betriebszählung vom 1.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, nicht paginiert). 88 Vgl. Halder, Modell, S. 20, Fußnote 19. 89 Schreiben von Sparkassendirektor Dr. Schwendler vom 16. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 45, Bl. 3). 90 Bericht von Sparkassendirektor Dr. Schwendler vom 24. 5.1945 (ebd., Bl. 249); Schreiben der Zentralstelle der Stadtbezirke vom 16. 6.1945 (ebd., Bl. 251). 91 Vgl. Schreiben an Hermann Hildebrandt vom 25. 6.1945 (SächsHStAD, StAW Dresden 1061, nicht paginiert). 92 Vgl. Beck, Konfiskationen, S. 63; Foitzik, Militäradministration, S. 93 f.; Naimark, Russen, S. 198 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tig- und Halbfertigprodukte auf Bahnwaggons zu verladen. Neben großen Betrieben wie dem Transformatorenhersteller Koch & Sterzel und dem Sachsenwerk Niedersedlitz93 war besonders die Industrieansiedlung in der Dresdner Albertstadt, das so genannte Industriegelände, betroffen. Bei Radio-Mende, in der Turbinenfabrik Brückner, Kanis & Co. sowie bei Kurt Münnich wurden komplett die Betriebseinrichtungen demontiert, anderen wie der Vasanta Maschinenfabrik AG und dem Infesto-Werk blieben geringe Teile ihrer Ausrüstung erhalten. Als Folge der Demontagen ging die Anzahl der Beschäftigten drastisch zurück. Zur Wiederaufnahme der Produktion bedurfte es der Genehmigung durch die Militärbehörden.94 Sowjetische Soldaten blockierten wochenlang zahlreiche Produktionsstätten, um die dort vorhandenen oder vermuteten Werte für ihr Land sicher zu stellen, und hinderten die Beschäftigten am Arbeitsbeginn. Das ermöglichte und erleichterte überdies private Plünderungen der Rotarmisten im Rahmen der offiziellen Beutezüge. Die SMAD ordnete zwar am 28. August 1945 in Befehl Nr. 43 den beschleunigten Aufbau der Industrie an,95 dennoch gingen die Demontagen unvermindert weiter und banden noch im Frühjahr 1946 Tausende Arbeitskräfte.96 Der Stadtkommandant in Dresden hatte schon zuvor die Wiederaufnahme der Arbeit befohlen,97 besaß aber für grundsätzliche Entscheidungen keine Befugnisse und das Fehlen zentraler Anweisungen zwang ihn zur Passivität.98 Um seinem Befehl nachzukommen, benötigten Händler und Geschäftsleute sowie Industrie- und Handwerksbetriebe dringend Bargeld.99 Eine rasche Wiederaufnahme des Zahlungsverkehrs lag im Interesse aller, nicht nur der Wirtschaft. Zur Versorgung der Bevölkerung unerlässlich, mussten die Lebensmittelhändler ihre Läden wieder öffnen. Lohnzahlungen blieben jedoch aus und die Kunden konnten ihre Einkäufe häufig nicht bezahlen. In dieser Situation brachte die Rote Armee Geld von ungeklärter Herkunft in Umlauf, gedrucktes Besatzungsgeld und Reichsmarkbestände aus geplünderten Bankdepots.100 Ungewissheit 93 94 95 96

97 98 99

100

Halder, Demontagen, S. 191. Starke, Industriegelände, S. 187 ff. Foitzik, Inventar, S. 70. Informationsdienst Nr. 14 des Nachrichtenamtes vom 17. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert); Bericht des Arbeitsamtes zur Lage auf dem Arbeitsmarkt vom 4. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 55, nicht paginiert); Bericht über die Demontagen in Sachsen, o. D. [1946] (AdsD, SPD-Ostbüro 0105, nicht paginiert). Schreiben des Oberbürgermeisters vom 21. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 24). Schreiben der Stadtkämmerei vom 24. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 439, Bl. 3). Vgl. Schreiben von Stadtdirektor Vogel an den Oberbürgermeister vom 10. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Aufbau 58, Bl. 4 f.); Referat des Präsidenten der Landesverwaltung Sachsen, Dr. h.c. Rudolf Friedrichs, über „Fünf Monate Landesverwaltung Sachsen“ auf einer Tagung von Gewerkschaftsfunktionären in Leipzig vom 6.12.1945. In: Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen, S. 148–156, hier 148 f. Schreiben der Stadtkämmerei vom 11. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 18, Bl. 9 ff.); Protokoll vom 16. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 45, Bl. 259); der Umfang © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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bestand über die Frage der künftigen Währung im Besatzungsgebiet, ob nun der Rubel, Notgeld oder die Reichsmark Zahlungsmittel werden sollte. Die Umstände nötigten die Stadtverwaltung zum Handeln. Nachdem die Dresdner Kommandantur auf Vorhaltungen des Oberbürgermeisters nicht reagierte, ordnete letzterer die Öffnung der Banken an.101 Danach ließ die sowjetische Antwort nicht lange auf sich warten. Der Stadtkommandant verlangte die Schließung der Banken und die Abgabe sämtlicher Tresorschlüssel. Die Stadt protestierte, denn inzwischen war bekannt geworden, dass eine sowjetische Wirtschaftskommission die Zerschlagung der Privatbanken und ihre Zentralisierung plante. Weil mittlerweile die zur Bewachung der Kreditinstitute und Sparkassen abgestellten Soldaten die Safes und Kassen plünderten, führte die Schließung der Banken zu doppelt kontraproduktiven Wirkungen. Die deutsche Wirtschaft setzte ein funktionierendes Banksystem voraus. Der Stadtkämmerer wies auf die besonderen Geschäftsbeziehungen und Vertrauensverhältnisse zwischen den Unternehmen und den Banken hin und gab „zu bedenken, dass in Dresden bei den meisten Banken geschäftliche Unterlagen im großen Umfange durch die Bombenangriffe vernichtet worden sind. Die Unterlagen werden teilweise ersetzt durch die persönliche Kenntnis der Verhältnisse der Kunden. Diese persönliche Kenntnis würde eine Zentralstelle niemals besitzen.“102 Doch Sondierungsgespräche scheiterten. Die KPD begrüßte die Schließung der Banken als Beitrag zur Schwächung der Großindustrie und beklagte gleichzeitig das fehlende Tempo des Wirtschaftsaufbaus.103 Die Einfrierung der Bankguthaben ließ eine rasche Wiederbelebung der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens nicht zu. Da auch die kommunale Finanzverwaltung über ihre Zahlungsmittel nicht verfügen konnte, ihre Verpflichtungen hingegen weiter liefen, erhielten die Angestellten keinen Lohn. Noch Monate zahlte Dresden lediglich Abschläge auf die Gehälter des städtischen Personals. Zudem meldete die Rote Armee ihrerseits Forderungen an. Entgegen früheren Bekundungen stellte sie jetzt Lebensmittellieferungen und Bauleistungen bei Behebung der Schäden an der städtischen Infrastruktur in Rechnung, sie verwies sogar die von ihr beschäftigten deutschen Arbeitskräfte mit ihren Lohnforderungen an die Stadt. Eine in Betracht gezogene kurzfristige Erhöhung des Notgeldumlaufs verhinderte die Militärverwaltung, sie stellte

erbeuteter Zahlungsmittel wird auf insgesamt 6 Milliarden RM geschätzt, Beck, Konfiskationen, S. 63. Vgl. Laufer, Währungsfrage. 101 Schreiben des Oberbürgermeisters vom 21. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 111). 102 Schreiben des Stadtkämmerers vom 5. 6.1945 (ebd., Bl. 103 f.). Vgl. zur sowjetischen Währungspolitik Zschaler, vergessene Währungsreform. 103 Referat von Leppi auf der KPD-Kreiskonferenz in Dresden vom 30. 9.1945 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, I/B.019/1, nicht paginiert); Bericht von der UBL-Sitzung vom 18.10.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/B/124, Bl. 67). Vgl. Selbmann, Anfänge der Wirtschaftplanung, S. 81. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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eine Anleihe von einigen Millionen Reichsmark in Aussicht.104 Einerseits verstärkte sie mit ihren Eingriffen die Unordnung im kommunalen Haushalt anstatt sie zu lindern,105 zum anderen konnte sie die in der deutschen Wirtschaft bereits sichtbar gewordenen inflationären Tendenzen mit der Geldverknappung aber vorerst abfangen. Die Verhandlungen über den Kredit zogen sich in die Länge und dem Stadtkämmerer fehlte noch nach Wochen das Geld, um die von der Roten Armee in Rechnung gestellten 1,3 Millionen RM für Aufbauarbeiten zu überweisen.106 Die Landesverwaltung erließ eine generelle Kostenregelung erst gegen Ende des Jahres.107 Die SMAD verhängte am 23. Juli 1945 eine generelle Auszahlungssperre und befahl die Überführung der Altbanken in Landesbanken.108 Einen Monat später nahm die Dresdner Stadtsparkasse ihre Geschäfte wieder auf109 und unter Liquidierung privater Geldinstitute wurde die Sächsische Landesbank gegründet. Die Landesverwaltung konfiszierte mit sowjetischer Billigung die noch verbliebenen Vermögenswerte in der Absicht, den Kapitalmarkt zu kontrollieren.110 Diese ersten Schritte in Richtung einer separaten Währungsund Geldpolitik im Besatzungsgebiet widersprachen dem von den Alliierten vereinbarten gemeinsamen Vorgehen in Deutschland und trugen den Keim der künftigen Spaltung in sich.111 Auch die Sequester- und Demontageabteilungen der Roten Armee und der Militärverwaltung gingen weit über den mit den Westmächten ausgehandelten Konsens hinaus. Die kontraproduktiven Auswirkungen der Demontagen offenbarten die Konzeptionslosigkeit der Besatzungspolitik.112 So fehlte nach dem Abbau von Generatoren in den Kraftwerken oft über Stunden die Elektrizität und legte in Dresden ganze Stadtteile vollständig lahm.113 Die Offiziere erhiel104 Aktennotiz der Stadtkämmerei vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 439, Bl. 11). 105 Vgl. Befehl Nr. 51 des Chefs der Verwaltung der SMA für das Bundesland Sachsen vom 28. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 124, Bl. 83 ff.). 106 Schreiben des Stadtkämmerers vom 25. 5.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 14); Schreiben des Stadtkämmerers vom 16. 6.1945 (ebd., Bl. 8); Schreiben des Oberbürgermeisters und des Stadtkämmerers vom 25. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 60, Bl. 89). 107 Lieferverordnung von Besatzungsbedarf vom 1.12.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 66, Bl. 106–109). 108 Beck, Konfiskationen, S. 111. 109 Bericht des Nachrichtenamtes über den Aufbau der Stadtsparkasse, o. D. [August 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 964, nicht paginiert). 110 Referat des Präsidenten der Landesverwaltung Sachsen, Dr. h.c. Rudolf Friedrichs, über „Fünf Monate Landesverwaltung Sachsen“ auf einer Tagung von Gewerkschaftsfunktionären in Leipzig vom 6.12.1945. In: Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen, S. 153. 111 Vgl. Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 84 ff. 112 Vgl. Schreiben des Stadtkämmerers vom 4. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1, Bl. 10 f.); Heinemann, Hochschuloffiziere, S. 290; Tatzkow/Henicke, Praxis der Enteignungen. 113 Vgl. Tagebucheintrag vom 29. 6.1945. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 30. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten im Unterschied zum Stadtkommandanten ihre Anweisungen aus Moskau oder Karlshorst.114 Zudem stellten sie gleich den regulären Besatzungstruppen ihre „Aufwendungen“ den deutschen Verwaltungen in Rechnung.115 Das betraf die Kosten für den Ausbau und den Transport demontierter Anlagen ebenso wie die von den Demontagetrupps in Anspruch genommenen Quartierleistungen, für deren Regelung sich erst im folgenden Jahr Modalitäten durchsetzten.116 Überdies kreuzten sich in Dresden die Befehlswege vier verschiedener, im Ort ansässiger Kommandanturen: die des Stadtkommandanten, des Kommandanten des Bezirks und des Hauptquartiers der SMAS sowie eines stationierten Militärverbandes.117 In dieser Situation kam die Aufstellung eines Reparationsplanes wegen der damit vermuteten Planungssicherheit den deutschen Interessen entgegen. Die kommunale Verwaltung unterstützte die Wirtschaft und verhandelte mit dem sowjetischen Stadtkommandanten, der eine Begrenzung der Demontagen auf 15 Prozent des industriellen Potentials der Stadt und einen Verzicht auf den Abbau lebenswichtiger Betriebe zusagte, des Weiteren eine bessere Lebensmittelversorgung und den erforderlichen freien Güteraustausch in ganz Sachsen.118 Die Wirtschaft benötigte natürlich nicht nur Zusagen ohne Verbindlichkeit, sondern größere Berechenbarkeit für Investitionen.119 Die Landesverwaltung hingegen hielt solche Absprachen für unzulässig und unterband den direkten Verkehr der kommunalen Dienststellen mit der SMAS.120 Aber die Eingriffe der Kommandanten in die Wirtschaft konnte sie nicht verhindern.121 Die unüberschaubare Situation nutzten Mitglieder der KPD, um sich im Schatten sowjetischer Beutekommandos am Vermögenstransfer zu beteiligen. Sie nahmen Räumlichkeiten und Betriebe, Geld und Einrichtungsgegenstände in Besitz, das geschah im Rahmen von Polizeiaktionen oder auf der Grundlage administrativer Anweisungen. Diesen gesetzlosen Zustand sollte das am 10. Oktober 1945 vom Alliierten Kontrollrat erlassene Gesetz Nr. 2 zur „Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen“ beenden;122 es schob zunächst den Beschlagnahmungen deutscher Kommunisten einen Riegel vor. Die sächsische 114 Halder, Demontagen, S. 198. 115 Vgl. Schreiben der Stadtkämmerei vom 18. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Finanzen 24, Bl. 92 ff.); Foitzik, Militäradministration, S. 190. 116 Schreiben der Landesverwaltung, Abt. Finanzen und Steuern, vom 9. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Finanzen 69, Bl. 2); Schreiben der Landesverwaltung, Abt. Finanzen und Steuern, vom 15. 4.1946 (ebd., Bl. 3). 117 Naimark, Russen, S. 23. 118 Sitzungsprotokoll vom 4. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 5, nicht paginiert). Vgl. Karlsch, Allein bezahlt, S. 47 ff. 119 Halder, Demontagen, S. 196. 120 Schreiben des Oberbürgermeisters vom 8. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, nicht paginiert). 121 Schreiben der Bezirkswirtschaftskammer Dresden vom 11. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1050, nicht paginiert). 122 Anlage zum Schreiben des Oberbürgermeisters vom 29.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 38). Vgl. Beck, Konfiskationen, S. 59. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Landesverwaltung ließ laufende Aktionen stoppen, da das Gesetz deutschen Behörden das Recht absprach, „das Nazivermögen zu beschlagnahmen und zu verwalten“.123 Verwaltungsbeamte, die sich an diese Rechtsvorschriften hielten, sahen sich allerdings bald vom Vizepräsidenten der Landesverwaltung Fischer belehrt. Er empfahl, mit den Kommandostellen der Roten Armee zu verhandeln. Offensichtlich wusste er aus einer zuverlässigen Quelle von einer bevorstehenden Verordnung, die die bereits erfolgten Beschlagnahmungen bestätigen würde.124 Die von der SMAD wenig später erlassenen Befehle Nr. 124 und Nr. 126 liefen dem Inhalt des Kontrollratsgesetzes in der Tat zuwider.125 Sie erklärten zwar sämtliches Partei- und Staatseigentum, Eigentum der Behörden und Organisationen sowie der einflussreichen Anhänger der Nationalsozialisten für beschlagnahmt, aber eine Öffnungsklausel besagte, dass nicht näher definierte „Personen, die von dem Sowjetischen Militärkommando bezeichnet werden“, ebenfalls enteignet werden könnten. Zudem müssten die Länderadministrationen den Besitz nicht unbedingt selbst verwalten, sie könnten sich auch der deutschen Auftragsverwaltungen bedienen.126 Die Befehle ermöglichten zwar keine endgültige Besitzübertragung,127 aber die Weiterführung der strukturellen Veränderung. Die juristische Unterfütterung machte bisherige Beschlagnahmungen unangreifbar und die dehnbaren Bestimmungen erlaubten eine extensive und willkürliche Sequestrierung.128 Die sowjetische Besatzungsmacht bevorzugte bei der Umsetzung der Befehle 124 und 126 wie zuvor ein arbeitsteiliges Vorgehen. Teils ließ sie durch ihr Militär Beschlagnahmungen vornehmen, griff aber sehr gern auf die örtlichen Verwaltungen und deren Lokalkenntnis zurück. Die mit der Erstellung von Sequesterlisten beauftragten Mitarbeiter der Stadtbezirke legten ihre Befugnisse sehr weit aus. Allerdings erfassten sie hauptsächlich kleine Betriebe, da die großen Fabriken mehrheitlich unter sowjetischer Kontrolle standen. Menschen, die sich zu Unrecht beschuldigt fühlten, wandten sich hilfesuchend an die sowjetischen Offiziere. Ein sichtlich erregter Stadtkommandant verlangte von Weidauer, die zu Befehl 124 eingegangenen Meldungen sorgfältig zu prüfen. Die Durchführung des Befehls sei eine politische Angelegenheit und die SMAS be123 Schreiben der Stadtkämmerei vom 18.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 40 f.). 124 Schreiben der Landesverwaltung, Abt. Inneres und Volksbildung, vom 25.10.1945 (ebd., Bl. 42). 125 Vgl. Halder, Modell, S. 131–139. 126 Bekanntmachung des Rates der Stadt Dresden vom 5.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 12, Bl. 1 f.); SMAD-Befehl Nr. 126 vom 31.10.1945, (ebd., Bl. 21 f.). Vgl. Befehl 124 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland vom 31.10.1945 über die Beschlagnahme und provisorische Übernahme einiger Eigentumskategorien. In: Dokumente und Materialien, Band 1, S. 242 ff.; Foitzik, Inventar, S. 79 f. 127 Vgl. Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B/124, Bl. 9). 128 Beck, Konfiskationen, S. 89 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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absichtige, den unter diesen Befehl fallenden Personenkreis einzugrenzen. „Ungerechtigkeiten müssen vermieden werden. Prüfen Sie also gründlich und human.“129 Das rigorose Vorgehen von KPD und SMAS führte zur Solidarisierung von Betriebsinhabern und Arbeitern. Die einen fürchteten um ihren Besitz, die anderen um ihren Arbeitsplatz. Betriebsinhaber versuchten dem Befehl zu entgehen, indem sie Firmen liquidierten und unter anderem Namen neu gründeten. Solchen und anderen Versuchen traten die kommunistischen Funktionäre mit „Hilfe der Kommandohöhen [...] in den Verwaltungen“ entgegen.130 Oft setzten sie Betriebe auf die Listen, die eindeutig nicht unter die Bestimmungen des Befehls Nr. 124 fielen, und sie drohten „antifaschistischen Betriebsinhabern“ mit Verhaftung. CDU und LDP protestierten gegen die Übergriffe und bewegten die Landesverwaltung zu einschränkenden Bestimmungen. Wenn sie sich davon allerdings „eine gewisse Bereinigung der überstürzten Maßnahmen“ erwarteten, schätzten sie die hinter den Befehlen stehenden Absichten falsch ein.131 Es handelte sich keineswegs um unüberlegte Schritte. Die SMAD wollte die Reparationen sicherstellen, die KPD-Führung eine ökonomische Basis schaffen. Dies bewirkte noch 1945 die faktische Enteignung der Mehrzahl großer Betriebe. Die Landesverwaltung ordnete für jeden Stadt- und Landkreis die Bildung eines Amtes für Betriebsneuordnung an, das als eine kommunale Dienststelle arbeiten, jedoch dem Land unterstellt sein sollte. Damit sicherte sie sich den direkten Zugriff auf die Betriebe und den zentralen Überblick. Bis Ende 1945 hatten die Ämter für Betriebsneuordnung in Sachsen bereits 2 000 Betriebe mit Treuhändern besetzt.132 Sie sollten die Betriebsinhaber überprüfen, ihren Einsprüchen nachgehen und gegebenenfalls kommissarische Betriebsleiter einsetzen. Allerdings besaßen selbst begründete Einsprüche von Unternehmern keine aufschiebende Wirkung. Fritz Selbmann bevollmächtigte die Überprüfungskommissionen, mit sofortiger Wirkung die Ausübung des Gewerbes zu untersagen,133 und sie betrieben die Rekursverfahren dilatorisch. Deshalb argwöhnte die SMAS, die KPD wolle Besitz an der Besatzungsmacht vorbei transferieren. Sie brachte zum Ausdruck, es seien „offensichtlich große Vermögenswerte von den unteren Behörden verheimlicht worden“. Selbmann warnte daraufhin die kommunalen Verwaltungen, „Vermögenswerte für besondere Zwecke zu reser-

129 Notiz zum Gespräch vom 26.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 12, Bl. 28). 130 Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 265). 131 Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen für Februar 1946 an die SMAS vom 4. 3.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, nicht paginiert). 132 Vgl. Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/602/49, Bl. 262–265). 133 Anweisung des Amtes für Betriebsneuordnung vom 25.10.1945 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 85, Bl. 75). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vieren“.134 Generell sollte der konfiszierte NSDAP-Besitz an die Besatzungsmacht fallen, zum Staatsvermögen hingegen noch eine Entscheidung getroffen werden. Schließlich übertrafen die Aktivitäten der Dresdner Behörden bei weitem das von der Besatzungsmacht beabsichtigte Ausmaß, sie verlangte im Frühjahr 1946 die „Wiedereinsetzung einer ganzen Reihe von Betriebsführern“. Sie bemängelte, dass, obwohl „grundsätzlich nur die Betriebe der Kriegsverbrecher mit Treuhändern besetzt werden“ sollten, inzwischen „fast überall Treuhänder eingesetzt“ worden seien.135 Zu Anfang des Jahres 1946 erhielt die von den Befehlen 124 und 126 ausgelöste Dynamik neue Impulse. Die sowjetische Besatzungsmacht wollte ihren Einfluss auf die Industrie geltend machen und die Ressourcen der deutschen Wirtschaft für die eigenen Belange noch mehr mobilisieren. Allerdings besaß die Entwicklung experimentellen Charakter, keineswegs zwingende Kausalität, und die Dresdner Stadtkommandantur bediente sich wie gewohnt der deutschen Behörden. Unter dem Vorwand einer besseren Kontrolle derjenigen „Betriebe, die eigentlich der Roten Armee gehören“, jetzt aber zugunsten der Stadt Dresden arbeiteten, rief der Kommandant die städtischen Ressortleiter zusammen.136 Unmittelbar darauf überschlugen sich Befehle, Anweisungen und Forderungen. Sie ergingen in dichter Folge von der lokalen Kommandantur an das Zentralamt der Stadtverwaltung und von dort an die ihr unterstellten Bezirksverwaltungen. Gleichzeitig richtete die SMAS direkt über die Landesverwaltung Befehle an städtische Dienststellen. Überdies konkurrierte die Landesverwaltung mit den sowjetischen Behörden in ihren Bemühungen um die Erfassung der Industrie. Zahllose Überschneidungen und Differenzen in den Anweisungen zwangen die Bezirksverwaltungen in Dresden zu außerordentlicher Aktivität.137 Ihre Angestellten überbrachten den Betrieben die Befehle, nahmen die Rückmeldungen entgegen und gaben sie an das Zentralamt weiter. Im Bestreben, den erwarteten sowjetischen Unwillen auf andere abzulenken, reichten die Befehlsempfänger die Verantwortung immer weiter. Die Überforderung der städtischen Dienststellen mit einer unüberschaubaren Flut unterschiedlichster Befehle veranlasste die Instanzen zu gegenseitigen Anschuldigungen. Die Einschaltung weiterer Dienststellen verstärkte diesen Trend. 134 Verfügung der Landesverwaltung, Abt. Wirtschaft und Arbeit, vom 27.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 12, Bl. 31/32). 135 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 28. 2.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 14). 136 Schreiben des Rates der Stadt vom 23.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 12). 137 Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 8.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 827, nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 11.1.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 19.1.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 26.1.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 6. 2.1946 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die SMAS bestand auf Vollständigkeit der Meldungen. Die erweiterte Berichtspflicht führte bei allen Betrieben, besonders aber bei den mit Reparationsaufträgen arbeitenden Betrieben zu einem erheblichen Mehraufwand an Bürokratie.138 Bei Nichterfüllung der Produktions- und Reparationspläne drohten den Vertretern der kommunalen Verwaltungen und der Wirtschaft Sanktionen, der freie Verkauf der für Reparationszwecke bestimmten Waren galt als Sabotage. Die Landesverwaltung kündigte bei geringsten Verstößen Strafen an und die Einsetzung von Treuhandverwaltungen. Gleiches betraf die unteren Verwaltungsbehörden, falls sie ihre Kontrollpflicht vernachlässigten. Von den Wirtschaftsoffizieren der SMAS unter Druck gesetzt, sagte Präsident Friedrichs die erforderliche Härte bei der Durchführung aller Befehle zu, wobei offen blieb, wie die von der SMAS gestellten „Bedingungen restlos, pünktlich und reibungslos“ erfüllt werden könnten.139 Das Zentralamt erließ „Maßnahmen gegen Betriebsinhaber wegen Nichtabgabe der Betriebserhebungs- und Fragebogen“:140 Lebensmittelkarten seien ihnen nur noch bei Vorlage einer Gewerbebescheinigung neueren Datums auszugeben. Zwecks besserer Kontrolle war jeder Betriebsleiter seit geraumer Zeit zur Führung eines Industriepasses verpflichtet141 und wenig später wünschte die Kommandantur die monatliche Erfassung der gesamten Vorräte des Groß- und Einzelhandels.142 Da die sowjetischen Forderungen ohne jegliche Koordination, ohne Beachtung der administrativen Rahmenbedingungen und der wirtschaftlichen Voraussetzungen erfolgten und ihre Adressaten verspätet erreichten,143 verzögerte sich ihre Erfüllung zwangsläufig; die Stadt Dresden geriet mit ihren Reparationslieferungen in Verzug. Unerfüllbar blieben die sowjetischen Befehle, weil ihnen die 138 Verwaltung Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen: „Grundlegende Neuerungen für die Erstattung der laufenden monatlichen Produktionsmeldung“ vom 5. 2.1946, (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 62, nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 8. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 827, nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 11. 2. 1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 12. 2.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 16. 2.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 18. 2.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 19. 2.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 2. 3.1946 (ebd., nicht paginiert). Vgl. Halder, Modell, S. 179 ff. 139 Bericht über die von der Landesverwaltung Sachsen angeordnete Sitzung in den Räumen der Firma Ernemann A.-G. am 15. 2.1946, Schreiben des Zentralamtes an das Hauptamt vom 18. 2.1946, (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 62, nicht paginiert). 140 Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 18. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 827, nicht paginiert). 141 Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 6. 2.1946 (ebd., nicht paginiert). 142 Schreiben der Sowjetischen Stadtkommandantur an den 2. Bürgermeister der Stadt Dresden und den Landrat des Landkreises vom 11. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 62, nicht paginiert). 143 Vgl. Halder, Modell, S. 179. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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für eine Planung erforderlichen Eckdaten fehlten.144 Ein durchschlagender Erfolg konnte sich nicht einstellen, die Produktion stieg nur geringfügig.145 Doch die SMAD verfügte über das erforderliche Drohpotential,146 um gemeinschaftlich mit kommunistischen Wirtschaftsfunktionären in die vorgefundenen ökonomischen Strukturen einzudringen. Sie betonte immerfort den Primat der Politik, weil der marxistischen Ideologie zufolge dieser allein die höchsten wirtschaftlichen Erträge gewährleiste. Ihre Politik in Deutschland zielte auf die deutsche Wirtschaft, um für die Zerstörung ihrer Heimat Entschädigung zu erhalten. Die Besatzungsmacht wollte aus Dresden Fotoapparate, Maschinen, geodätische Instrumente, Kolbenringe, Schuhe, Prothesen, Lötkolben, Brattiegel, Drahtseile, Kabelisolierung und vieles mehr. Dennoch ließ sie Betriebe, die Reparationsaufträge ausführten, demontieren. Damit torpedierte die sowjetische Seite ihre eigene Politik, wie eine alltägliche Situation im Arbeitsamt plastisch vor Augen führt: In der Bezirksstelle Reick des Arbeitsamtes Dresden erschien an einem Freitagnachmittag Anfang Februar „Kapitän Mitzei von der 20. Beute-Brigade und verlangte Arbeitskräfte“. In Ermanglung vorhandener freier Arbeitskräfte musste sein Anliegen abschlägig beschieden werden. Wenig später kam der Abgewiesene in Begleitung eines Majors und zweier bewaffneter Soldaten zurück, nach einem Wortwechsel zwang er unter vorgehaltener Waffe die Arbeitsuchenden zum Bahnhof mitzukommen. Am Samstagmorgen wiederholte sich der Vorgang. Diesmal nahmen „Beamte des hiesigen Polizeireviers mit Soldaten der Roten Armee“ sämtlichen anwesenden Männern die Papiere ab. Vorhaltungen fruchteten nicht und die zur Erfüllung der Reparationsleistungen dringend in den Industriebetrieben benötigten Personen konnte auch der herbeigeeilte Bezirksbürgermeister nicht von der Zwangsverpflichtung befreien. Über 250 Arbeiter gingen der Wirtschaft allein in diesem Fall verloren, und als am Montag erneut ein sowjetischer Offizier „für Demontagezwecke im E-Werk am Wettiner Bahnhof“ Arbeitskräfte forderte, bat der Bezirksstellenleiter dringend um Hilfe, damit in den „wichtigen Betrieben“ die Arbeit nicht gefährdet würde.147 Mit Planmäßigkeit hatte ein so willkürliches Vorgehen nicht im entferntesten zu tun. Es gefährdete vielmehr jeden Ansatz planmäßiger Wirtschaftsentwicklung. Arbeitskräfte wie Betriebe mussten die KPD-Funktionäre ihren sowjetischen Verbündeten regelrecht abhandeln, wie in einem anderen Fall der oben erfolglose Bezirksbürgermeister erfreut meldete: Es sei ihm gelungen, mit dem „Demontage-General Datscheff“ zu verhandeln und 60 Maschinen einer Gardinenfabrik zurückzuhal144 Vgl. Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 14. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 827, nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 16. 3.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Zentralamtes an die Bezirksverwaltungen vom 21. 3.1946 (ebd., nicht paginiert). 145 Kurzbericht zur monatlichen Produktionsmeldung vom 2. 4.1946, (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 62, nicht paginiert). 146 Vgl. Halder, Modell, S. 178. 147 Schreiben der Bezirksstelle Reick des Arbeitsamtes Dresden an die Hauptstelle vom 12. 2.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/I/30, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten. Außerdem werde das Dampfsägewerk in Dresden-Laubegast nicht demontiert.148 Dennoch bezog die Besatzungsmacht beträchtliche Reparationen aus Dresden. Da die Stadt auch nach dem Krieg über ein hohes wirtschaftliches Potential verfügte, verließen im Verlauf eines Jahres allein das Gebiet des 21. Stadtbezirks im Südosten Dresdens Waren im Wert von 44,3 Millionen RM und den benachbarten 20. Stadtbezirk Waren für 17,5 Millionen RM. Zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 31. März 1946 lieferte Dresden für 100 Millionen RM Waren und Reparationsgüter an die Besatzungsmacht, wobei die tatsächlichen Reparationslieferungen nur einen Bruchteil der Gesamtlieferungen bildeten.149 Die Besatzungsmacht bezog aus dem besiegten Land Rohstoffe, Erzeugnisse und Dienstleistungen, sie demontierte Maschinen und betriebliche Einrichtungen, die sie willkürlich veranschlagte.150 Einesteils rechnete sie die Werte auf städtische Verbindlichkeiten für die Aufbauleistungen der Roten Armee nach Kriegsende an, teilweise beglich sie damit Rohstofflieferungen zur Weiterführung der Produktion, die sie anderen Betrieben ohne Rechnung entzog. Sie zeigte insgesamt wenig Neigung, sich auf die wirtschaftlichen Gepflogenheiten im Besatzungsgebiet wie die Zahlung von Steuern, einer für die Kommunen unerlässlichen Einnahmequelle, einzulassen. So entgingen der Stadt Dresden im Sommer 1945 einige Millionen Reichsmark an „Zoll-, Material-, Umsatzausgleich- und Tabaksteuer“ für einen sowjetischen Auftrag an die Zigarettenindustrie.151 Die lokalen Behörden hatten auch die Besatzungskosten zu tragen. Die eigentliche Reparationsschuld berührte das wenig, denn deren Abrechnung erfolgte an zentraler Stelle. Die Perspektive lokaler Archive zeigt erhebliche Differenzen in der Beurteilung der sowjetischen Besatzungs- und Reparationspolitik in der Sicht der deutschen und der sowjetischen Akteure. Die Deutschen verschlossen sich den Wiedergutmachungsforderungen nicht, sie erwarteten allerdings vernünftige Regeln dafür, und weil dies nicht erfolgte, fühlten sie sich ungerecht behandelt. Die Betriebe mussten auf einer angemessenen Bezahlung ihrer Lieferungen an die Sowjetunion bestehen, um Arbeitskräfte und Rohstoffe zu bezahlen.152 Ähnlich verhielt es sich mit den vor Ort anfallenden Besatzungskosten. Ende 1945 wurden Offiziere und Soldaten der Besatzungsmacht verpflichtet, die Quartierleis-

148 Schreiben der Bezirksverwaltung III an Bürgermeister Weidauer vom 26. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 131). 149 Zusammenstellung sämtlicher Warenlieferungen aus dem Stadtgebiet Dresden vom 8. 5.1945 bis 31. 3.1946 vom 1. 7.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 363, nicht paginiert). 150 Vgl. Karlsch, Memorandum, S. 94. 151 Schreiben der Abteilung Handwerk, Industrie und Handel vom 12. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Finanzen 43, Bl. 74). 152 Belegschaftsvertreter der Seidel & Naumann AG auf einer Tagung der KPD Sachsen, o. D. [Ende 1945] (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 855, Bl. 67). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tungen ihren deutschen Quartiergebern direkt zu bezahlen.153 Doch sie verweigerten weiterhin jede Zahlung und die Landesverwaltung war außerstande, Bestimmungen zu erlassen oder durchzusetzen. NKWD-Angehörige sahen sich grundsätzlich nicht „an die Abmachungen [...] zwischen den einzelnen Stäben und den deutschen Verwaltungsorganen“ gebunden.154 Da auch die anderen „Quartiernehmer von Privatquartieren nur zum kleineren Teil“ Miete zahlten, gestattete die SMA den deutschen Verwaltungen, Anträge zu stellen. Dazu mussten die Wohnungseigentümer eine unterzeichnete Zahlungsverweigerung beifügen. Das lehnten wiederum die Besatzungsangehörigen ab und bezichtigten die Deutschen der Spionage, wenn sie von ihnen nach dem Namen gefragt wurden.155 Folglich stellten die Quartiergeber keine Anträge. Die Besatzungsmacht vermied verbindliche Festlegungen, weil dies weder ihrem traditionellen noch ihrem politischen Selbstverständnis entsprach. So verfügte sie über weitaus größere Möglichkeiten, neben „offenen“ auch „verdeckte“ Reparationen zu erheben. Ob sie Steuern zahlte oder nicht, zumal unter den Bedingungen des Kriegsrechts, blieb ihr überlassen. Die Kriterien, nach denen eine Bezahlung oder Verrechnung der Waren erfolgte, erschlossen sich den Deutschen nicht.156 Die Abrechnung der Reparationen wie der Besatzungskosten erfolgte willkürlich.157 Zwar sollten „Lieferungen und Leistungen an die Dienststellen der Besatzungsmacht“ von diesen beglichen werden, doch wenn dies unterblieb, überließ die Landesverwaltung der Stadt die Schulden. Auch „der Aufwand für die Gefangenen der NKWD“ musste von den Kommunen getragen werden.158 Zudem arbeiteten diejenigen Betriebe, die unter sowjetischer Zwangsverwaltung standen, über den Reparationsplan der Stadt Dresden hinaus gleichfalls für die Sowjetunion.159 Insgesamt befand sich die Wirtschaft in einem Aufwärtstrend, den die Demontagen abbremsten, aber nicht verhinderten.160 Im Verlauf des Jahres 1946 stieg die Produktion, ohne allerdings das anvisierte Niveau zu erreichen. Selbmann verwies darauf, dass die Besetzung von Betrieben durch sowjetische „Demontage-Kommandos“ eine „restlose Erfüllung der Reparationsaufträge“ ebenso verhindere wie „auch jede Kontrolle über die etwa schon fertiggestellten

153 Schreiben der Stadtkämmerei vom 18. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Finanzen 24, Bl. 92 ff.). 154 Schreiben der Bezirksverwaltung II vom 3. 9.1946 (StadtAD, Dezernat Finanzen 69, Bl. 81). 155 Schreiben der Stadtkämmerei vom 17. 9.1946 (ebd., Bl. 90). 156 Vgl. Matschke, wirtschaftliche Entwicklung, S. 104. 157 Vgl. Absatz der Dresdner Lebensmittelindustrie vom 7. 2.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 981, nicht paginiert); Starke, Industriegelände, S. 187. 158 Schreiben der Landesverwaltung an den Rat der Stadt Dresden vom 23. 7.1946 (StadtAD, Dezernat Finanzen 69, Bl. 27). 159 Reparationsbericht vom 31. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 363, nicht paginiert). 160 Buchheim, Kriegsfolgen und Wirtschaftswachstum, S. 522 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Sowjetische Beute- und Reparationspolitik

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Waren“.161 Der veranschlagte Reparationsplan des Monats Juli wurde zu etwa 50 Prozent, der für die Zeit bis Ende August 1946 sogar nur mit 31,9 Prozent erfüllt.162 Das Ergebnis des Abschlußberichtes für 1946 zeichnete sich beizeiten ab: Sowjetische Eingriffe verhinderten die Erfüllung des Reparationsplanes.163 Der Plan hätte jedoch erfüllt werden können.164 Die errechnete Summe bezog sich fast ausschließlich auf technische Erzeugnisse und Geräte, sie enthielt keine Lebensmittel, Bauleistungen und sonstige den Besatzungskosten zuzurechnenden Dienstleistungen. Die offiziell angegebenen Reparationslieferungen umfassten nur einen Teil der tatsächlich erfolgten Zahlungen, deren Umfang bedeutend über den schließlich mit Rechnung quittierten Lieferungen lag. Requirierung von Rohstoffen, Demontagen und abgeschnittene Lieferbeziehungen begrenzten die Produktionsgrundlagen der Wirtschaft. Die erbrachten Leistungen reichten auch aus dem Grund nicht zur Erfüllung der Produktionspläne, weil die SMAD die „Übernahmepreise für die gelieferten Waren“ erst nach erfolgter Lieferung festsetzte.165 Das zentrale Problem der deutschen Nachkriegswirtschaft, wie die Kluft zwischen den unterschiedlichen Forderungen der Siegermächte nach Abrüstung, Demontage, Reparationen und Wiederaufbau zu überwinden sei, löste die sowjetische Besatzungsverwaltung nicht. Die SMAS verfügte außer den in Moskau ausgearbeiteten Rahmenstrategien über kein wirtschaftspolitisches Konzept. Die Praxis zeigt, dass von einer geplanten Wirtschaftspolitik nicht gesprochen werden kann.166 Den ökonomischen Aufwärtstrend bremste die sowjetische Beute- und Reparationspolitik ab, zumal sich im Schatten der Beutekommandos auch deutsche Kommunisten am Vermögenstransfer beteiligten. Die Störungen im Wirtschaftskreislauf entzogen den Betrieben zunehmend die Produktionsgrundlagen. Dem hätte die Aufstellung eines verlässlichen Reparationsplanes entgegen wirken können. Dennoch ließen sich die willkürlichen sowjetischen Eingriffe nicht unterbinden und Selbmann beschuldigte die SMAS, damit einen chaotischen Zustand herbeigeführt zu haben, der im Sommer 1946 jegliche Wirtschaftsplanung obsolet werden ließ.167 Andererseits begünstigte eine außerordentlich hohe Regelungsdichte den sowjetischen Zugriff in allen Bereichen des öffentlichen Lebens,168 und neben den völlig unzulänglichen Planungsme161 Stellungnahme zu dem das Ressort Wirtschaft und Arbeit betreffenden Teil des Befehls 57 vom 12. 3.1946 (SAPMO-BArch, NY 4113 Band 16, Bl. 13). 162 Tagesbericht vom 24. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 363, nicht paginiert); Tagesbericht vom 18. 7.1946 (ebd., nicht paginiert); Reparationsbericht vom 31. 8.1946 (ebd., nicht paginiert). 163 Bericht über die Tätigkeit der Abteilung Planung vom 4.1.1947, S. 11 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 86, nicht paginiert). 164 Ebd., S. 8, Gesamtproduktion ohne Lebensmittelbranche. 165 Stellungnahme zu dem das Ressort Wirtschaft und Arbeit betreffenden Teil des Befehls 57 vom 12. 3.1946 (SAPMO-BArch, NY 4113 Band 16, Bl. 11). 166 Vgl. Halder, Modell, S. 591 ff.; Welsh, Wandel, S. 171. 167 Halder, Demontagen, S. 210. 168 Vgl. Aufarbeitung und Versöhnung, S. 197. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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thoden entfaltete die Planungsbürokratie bereits eine weitreichende produktionshemmende Aktivität.169 Die Reparationswünsche kollidierten mit den Enteignungsabsichten. Die Unternehmer waren am Erhalt ihrer Betriebe interessiert,170 aber die sowjetischen und deutschen Kommunisten wollten zu je unterschiedlichen Zwecken über sie verfügen können. An dem Zwiespalt zwischen erforderlichen Konsolidierungsschritten und der rücksichtslosen Plünderung von Ressourcen beziehungsweise dem uneingeschränkten Zugriff auf sie krankte die wirtschaftspolitische Realität. Die Besatzungsmacht hätte die Unternehmer an der Reparationsplanung interessieren müssen, stattdessen unterstützte sie Enteignungskonzepte ihrer kommunistischen Verbündeten. Frühzeitige Überlegungen zu einer ökonomischen Separierung der SBZ171 und die einseitige Wirtschaftspolitik der UdSSR erschwerten den Konsens mit den westlichen Alliierten.172 Die Ursachen der Wirtschaftskrise existierten somit lange vor dem harten Winter 1946/47, der allerdings ihre Auswirkungen beträchtlich steigerte. Viel zu spät erst reagierte die SMAD im Herbst 1947 auf die längst sichtbaren Symptome und appellierte mit ihrem Befehl Nr. 234 an die Leistungsbereitschaft der Arbeiter, ohne jedoch eine grundsätzliche Wende im Umgang mit den ungelösten ökonomischen Problemen zu bewirken, die in erster Linie aus der begonnen Strukturveränderung der Wirtschaftsordnung resultierten.173 Kriegsfolgen und laufende Entnahmen sowie Demontagen zeigten nicht aus sich heraus negative Wirkungen, sondern weil die vorhandenen Chancen, mit effektiven wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Krise zu bekämpfen, nicht ergriffen wurden.

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Vorbereitungen zur wirtschaftspolitischen Transformation

Die Voraussetzungen für einen massiven Wandel der Besitzstrukturen waren 1945 wegen der erforderlichen Enteignung nationalsozialistischer und Kriegsverbrecher außerordentlich günstig. Walter Ulbricht verlangte am 12. Juni 1945, einen Tag nach dem Gründungsaufruf der KPD, die „Enteignung des gesamten Vermögens der Nazibonzen und Kriegsverbrecher; Übergabe dieses Vermögens in die Hände des Volkes zur Verfügung der kommunalen oder provinzialen Selbstverwaltungsorgane“.174 Außerdem sollten die von ihren Besitzern verlassenen Betriebe den Verwaltungen übergeben werden. Hinter ihren Garantieerklärungen für die Privatwirtschaft verbarg die KPD-Führung ihre Absicht einer tiefgreifenden Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Matern erklärte Dresd169 Schreiben des Wirtschaftsamtes an das Nachrichtenamt vom 9.10.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 961, nicht paginiert). 170 Vgl. Welz, Lebenserinnerungen, S. 256 f. 171 Vgl. Foitzik, selbständige Existenz. 172 Vgl. Sattler, Wirtschaftsordnung, S. 814; Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 88 f. 173 Vgl. Halder, Modell, S. 494–502. 174 Einigung aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte! Rede Ulbrichts im Stadthaus Berlin vom 12. 6.1945. In: Ulbricht, Reden Band II, S. 418–421, hier 420. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ner Arbeitern unmissverständlich, es sei die wichtigste Voraussetzung der Demokratie, „dass die Wirtschaft beeinflusst und entscheidend beeinflusst wird durch die Arbeiterklasse“.175 Und wenn Ulbricht beteuerte, die Kapitalisten würden enteignet, weil sie Kriegsinteressenten, und nicht, weil sie Kapitalisten seien, fügte er hinzu, er könne sich allerdings keinen Betriebsleiter vorstellen, der nicht Kriegsverbrecher, Kriegsinteressent oder Förderer des Nazisystems gewesen sei.176 Seit ihrer Gründung vertrat die KPD so rigorose wie beliebig anwendbare Enteignungsforderungen, die sie aus der Entnazifizierung ableitete. Nach Kriegsende entstanden in verschiedenen Fabriken Arbeiterkomitees auf Initiative von Arbeitern, die ihre Lebensumstände positiv beeinflussen wollten. Sie folgten pragmatischen Erwägungen. Radikale Kommunisten wollten hingegen eine „Arbeiterratsbewegung“177 initiieren. In größeren Betrieben wie der Zeiss-Ikon AG wurden von der Stadtverwaltung Betriebsräte eingesetzt zu dem Zweck, die Geschäftsführung zu kontrollieren. Sie verlangten Mitspracherecht von der Konzernleitung178 und forderten sie ultimativ auf, „jetzt mit uns gemeinsam zu arbeiten und das durchzuführen [...], was wir ihnen sagen werden“.179 Gleiches geschah im gesamten Industriekomplex Albertstadt180 und nicht zufällig bildeten die Kommunisten Weidauer, Leppi und Rentzsch unter dem Dach der Zigarettenfabrik „Jasmatzi“ eine „kleine illegale Parteizelle“, um als „Antifa-Komitee“ unmittelbar in die Betriebsleitung einzugreifen.181 In jenen Betrieben, wo die Belegschaften keine eigenen Aktivitäten entfalteten, ergriffen die Genossen aus den Stadtbezirken die Initiative, doch erst nach Gründung der KPD konnten sie ganz offiziell in den Fabriken Versammlungen einberufen und kommissarische Betriebsleitungen einsetzen.182 Das Vorgehen überwiegend betriebsfremder Kommunisten stieß bei den Arbeitern auf Skepsis. Im Mai 1945 175 Referat von Hermann Matern vor den Arbeitern des Gaswerkes Reick vom 17.10.1945 (SAPMO-BArch, NY 4076 Band 51, Bl. 42). 176 Vgl. Die Gewerkschaftswahlen und die Aufgaben der Gewerkschaftsmitglieder beim demokratischen Wirtschaftsaufbau. Aus dem Referat auf der erweiterten Sekretariatssitzung des Zentralkomitees der KPD am 19./20.11.1945. In: Ulbricht, Reden Band II/I, S. 287–308. 177 Richtlinie zur Bildung von Betriebsräten, o. D. [Juni oder Juli 1945] (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, I/A/031, nicht paginiert). Vgl. Stößel, Positionen und Strömungen, S. 95, das von ihm genannte Beispiel bezieht sich auf die im Osterzgebirge gelegenen Zinnerzgruben von Altenberg, nicht „Altenkirchen“. 178 Gottwald, Zeiss-Ikon AG. 179 Belegschaftsvertreter der Seidel & Naumann AG auf einer Tagung der KPD Sachsen, o. D. [Ende 1945] (SAPMO-BArch, NY 4182 Band 855, Bl. 66). 180 Starke, Industriegelände, S. 184 f. 181 Egon Rentzsch: Zu einigen Fragen kommunistischer Geschichtsbetrachtung. Diskussionsbeitrag auf dem wissenschaftlichen Kolloquium „Befreiung und Neubeginn in Dresden“ am 26.10.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2.052.152, nicht paginiert). 182 Schreiben des 22. Stadtbezirks vom 10. 6.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 72, nicht paginiert); Bericht über die Tätigkeit der Kommunalen Hilfsstelle Trachau vom 8.18. 6.1945 (ebd., Bl. 167 f.); Bericht der Bezirksverwaltung I an den Oberbürgermeister vom 10. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 882, Bl. 83–91). Vgl. Suckut, Betriebsrätebewegung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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versuchte ein Kommunist der „Abteilung Betriebe“ aus dem „Komitee Freies Deutschland Hohenzollerstraße“ im Dresdner Westen in den 95 Fabriken des Stadtteils Betriebsräte und kommissarische Verwaltungen zu organisieren und Nationalsozialisten aus leitenden Positionen zu entfernen.183 Er selbst strebte die Integration des Komitees in die Verwaltung an und behauptete, „in Löbtau säße die Zentralstelle für Dresden und er müsse alle Betriebe erfassen“, wodurch er den Beistand der umliegenden Bezirksverwaltungen erlangte.184 Der kommunistische Aktivist rief in den größeren Betrieben die Arbeiter zusammen und forderte sie im Beisein sowjetischer Offiziere auf, Betriebsräte zu bilden und zunächst unter den bisherigen Betriebsleitern weiterzuarbeiten, damit diese „erst mal ihren Saustall und das Chaos, für das sie mitverantwortlich sind,“ wieder in Ordnung brächten. Allerdings musste er die zurückhaltenden Arbeiter zur Aufstellung von Betriebsräten erst überreden, „bissel gepoltert oder auch mal bissel human und dann kommissarisch den Arbeiterrat, respektiv Vertrauensmann eingesetzt“.185 Die Leitung des Dresdner Schlachthofs übertrug er einem so genannten „Vollzugsausschuss“, gegen den sich die Belegschaft zur Wehr setzte, und mit einem Offizier der Roten Armee beschlagnahmte er eine Speditionsfirma. Von einer weiteren Firma trieb er „Instandsetzungskosten“ für Zwangsarbeiter-Baracken ein, die „Nazifrauen“ zuvor auf Anweisung seines „Antifa-Komitees“ reinigen mussten.186 Er täuschte vor, auf Anweisung der Stadtverwaltung zu handeln, und stützte sich auf die Autorität sowjetischer Offiziere. Diese illegale Grauzone von revolutionärem Aktivismus musste die KPD-Führung kanalisieren oder eliminieren, um die schwer kontrollierbare Situation in ein ruhigeres Fahrwasser zu überführen. Zwar befürwortete die KPD die Einsetzung von Betriebsräten, doch sollte dies wegen ihrer „großen Bedeutung“ immer ein „erfahrener, von uns auf seine revolutionäre Haltung geprüfter Genosse“ übernehmen.187 Die Partei verfolgte einen Legalitätskurs. Sie durfte nichts überstürzen, da es im Vorfeld der Potsdamer Konferenz galt, die Interessen der Besatzungsmacht zu wahren, die sich mit Rücksicht auf die westlichen Alliierten bemühte, gesamtdeutsche Optionen offen zu halten. Dem Koordinations- und Überwachungsbüros in der Bautzner Straße 2 blieben die Vorgänge im Dresdner Westen nicht verborgen. Finanzielle Unregelmä183 Bericht der Abteilung Betriebe vom 7. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / A/031, nicht paginiert). 184 Schreiben der Bezirksverwaltung V Abteilung Industrie vom 15. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 48). 185 Richtlinie zur Bildung von Betriebsräten, o. D. [Juni oder Juli 1945] (SächsHStAD, SEDBPA Dresden, I/A/031, nicht paginiert). 186 Schreiben des Personalleiters der Abteilung Kommunale Betriebe der Bezirksverwaltung III vom 2. 6.1945 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des Bevollmächtigten der Firma Union Krafttransport-Betriebe vom 19. 6.1945 (ebd., nicht paginiert); Arbeitsbericht der Kommunalen Selbsthilfe vom 25. 6.1945 (ebd., nicht paginiert). 187 Schreiben von Elsa Frölich vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 49). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ßigkeiten und der aufkeimende Verdacht, die Angaben des kommunistischen Aktivisten über seine Haftzeit im Konzentrationslager bezögen sich womöglich auf keinen politischen, sondern auf einen kriminellen Hintergrund, bereiteten seinem Treiben ein jähes Ende.188 Er wurde wie andere renitente Personen aus dem Umfeld der „Antifa-Ausschüsse“ aus der Verwaltung entfernt, wehrte sich allerdings dagegen und versuchte, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften.189 Schließlich musste er froh sein, dass die „Sonderstelle“ der Dresdner Kriminalpolizei für eine gegen ihn von der KPD-Bezirksleitung erhobene Anklage keine Anhaltspunkte fand.190 Doch das unkoordinierte und chaotische Vorgehen deutscher Behörden, sowjetischer Dienststellen und kommunistischer Aktivisten bewirkte erhebliche Störungen in Industrie und Gewerbe.191 Während die SMAD Kriegsbeute außer Landes schaffte, Betriebe demontierte und sich nicht zu ihren Absichten äußerte, erarbeiteten Kommunisten in der Stadtverwaltung unter Federführung Materns eine Enteignungsverordnung, ehe die Besatzungsmacht Entscheidungen traf. Charakteristisch kommt darin das Bestreben einer Verknüpfung von Beschlagnahmung und Enteignung zur Sprache, für das hiermit eine juristische Grundlage geschaffen werden sollte: „Das gesamte Vermögen der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände, Berufsvertretungen und Wirtschaftsunternehmungen sowie der vorwiegend unter Parteieinfluss stehenden staatlichen und halbstaatlichen Behörden und Dienststellen wird, soweit es sich im Stadtbereich befindet oder Stellen gehört, die ihren Sitz im Stadtbereich hatten, beschlagnahmt und in das Vermögen der Stadt Dresden übergeführt.“ Ausdrücklich wurden kommerzielle „Unternehmungen und Einrichtungen, die ganz oder teilweise mit Mitteln der Partei, ihrer Gliederungen usw. betrieben oder im Auftrage und mit Kredithilfe und sonstiger Unterstützung der Partei usw. geführt werden“, einbezogen.192 Diese durch die Besatzungsmacht genehmigten Richtlinien eröffneten den Behörden Eingriffsmöglichkeiten nicht allein in staatliche oder parteieigene Betriebe, sondern in jegliche Wirtschaftunternehmen, da die erforderliche Voraussetzung, die Verbindung eines Betriebes zur NSDAP, sich aus der Parteimitgliedschaft eines Unternehmers ableiten ließ.193 Daraus konnten weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden wie Einfluss der NSDAP auf die Unterneh188 Schreiben des Personalleiters der Abteilung Kommunale Betriebe der Bezirksverwaltung III vom 16. 6.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/031, nicht paginiert). Vgl. Schreiben von Elsa Frölich vom 20. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 100, Bl. 49). 189 Einspruch von Rudi K. vom 10. 7.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / A /031, nicht paginiert); Schreiben von Rudi K. vom 14. 7.1945 (ebd., nicht paginiert). 190 Schreiben der KPD-Bezirksleitung Sachsen vom 7. 9.1945 (ebd., nicht paginiert); Aktennotiz der Kriminalpolizei vom 12.10.1945 (ebd., nicht paginiert). 191 Schreiben des Arbeitsamtes an die Bezirksverwaltungen und die Außenstellen des Arbeitsamtes vom 6. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 74, Bl. 64). 192 Verordnung des Rates der Stadt Dresden vom 7. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 5), Hervorhebung im Original. 193 Vgl. Hartisch, Enteignung, S. 19 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mensführung oder finanzielle Transaktionen, zumal wenn nachweislich Parteispenden geflossen waren. Die Beweislast zur Ausräumung eines Verdachts lag immer auf Seiten des Unternehmers. Auf Grundlage dieser Verordnung beschlagnahmte zum Beispiel Oberbürgermeister Friedrichs am 25. Juni 1945 das gesamte Industriegelände Albertstadt einschließlich der Gebäude und des Grundbesitzes zugunsten der Stadt Dresden.194 Gemäßigte Kräfte in der Verwaltung wollten Enteignungen in der Hoffnung auf künftig anderslautende alliierte Beschlüsse verhindern, um die labile Versorgungslage nicht zu gefährden.195 Doch die sowjetische Zurückhaltung erweiterte den Handlungsrahmen der KPD, die auf dem Verwaltungsweg begann, eigenverantwortlich gefällte Beschlüsse zu vollstrecken. Friedrichs ernannte persönlich Betriebstreuhänder.196 Die erste Institution, die in wirtschaftliche Eigentumsverhältnisse eingriff, war das Amt für Betriebsneuordnung im kommunalen Wirtschaftsressort, denn der im Mai 1945 eingerichtete „Kommissarische Außendienst“ durfte nur auf das Eigentum der NSDAP und ihrer Organisationen zugreifen.197 Nachdem zuvor unkontrolliert von „antifaschistischen Vereinigungen, Kommunalen Hilfsstellen und dergleichen faschistische Betriebsleiter von ihren Posten entfernt und durch kommissarische Betriebsleiter ersetzt worden“ waren, setzte die zentrale Verwaltungsdienststelle dies fort.198 Das Amt für Betriebsneuordnung überprüfte Betriebseigentümer und leitende Angestellte und ersetzte sie nach Gutdünken durch „antifaschistische Fachkräfte“. Es verfügte über große Vollmachten, orientierte sich an der Entnazifizierungsverordnung der Stadtverwaltung und entfaltete ohne Anweisung des Dezernenten eigene Aktivitäten. Neben der Befugnis zur Einsetzung von Betriebsleitern und ihrer politischen Überprüfung berechtigten die Richtlinien das Amt auch zum Entzug der Gewerbeberechtigung. Das Amt setzte Betriebsleiter kommissarisch ein, wobei die Eigentumsrechte vorerst unverändert blieben, „soweit nicht durch behördliche Verfügung eine andere Regelung angeordnet wird“.199 Die Ämter für Betriebsneuordnung in den Bezirksverwaltungen fungierten als Außenstellen, sie überprüften Betriebsleiter und setzten Treuhänder ein. Verfahren zur Betriebsüberprüfung leiteten sie eigenverantwortlich ein, häufig auf Antrag der Wirtschaftskammer, des Landeshandwerksmeisters oder der Ar194 Starke, Industriegelände, S. 185. 195 Vgl. Schreiben des Hauptamtes vom 9. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 101, nicht paginiert). 196 Charakteristik der leitenden Mitarbeiter in der Landesverwaltung Sachsen von Smolka vom 24.10.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/186, Bl. 205). 197 Vgl. Bekanntmachung des Kommissarischen Außendienstes der Stadt Dresden vom 29. 5. 45 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 4, Bl. 385). 198 Schreiben der Abteilung Handwerk, Industrie und Handel an die Bezirksverwaltungen vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 83, Bl. 6). 199 Rechtsstellung, Befugnisse und Pflichten des kommissarischen Leiters vom 17. 7.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 668, nicht paginiert). Vgl. Rudolf Pollack an den SED-Landesvorstand vom 21. 6.1947 (SAPMO-BArch, NY 4074 Band 168, Bl. 86 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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beitnehmervertretung eines Betriebes. Auf Anweisung der SMAS erhielten die überprüften und registrierten Firmen so genannte Industriepässe.200 Das Amt für Betriebsneuordnung kontrollierte die Geschäftsführung der unter Treuhandschaft gestellten Betriebe, der Betriebsleiter haftete persönlich. Er musste dem Amt Rechenschaftsberichte vorlegen und betriebliche Veränderungen genehmigen lassen, die Behörde konnte jederzeit eingreifen. Die bereits von den „Antifa-Ausschüssen“ veranlassten Veränderungen unterlagen gleichfalls einer neuerlichen Genehmigungspflicht. Diese weitreichenden Vollmachten versuchte Weidauer im August durch eine Ratsvorlage zur generellen Vermögensbeschlagnahme und der Reduzierung bestehender Einspruchsmöglichkeiten auszudehnen. Nachdem sich die Sanktionen anfänglich nur auf die vor 1933 der NSDAP beigetretenen Mitglieder bezogen,201 schlug er vor, ungeachtet des Aufnahmedatums sämtliche Parteimitglieder zugunsten der Stadt zu enteignen. Außerdem wollte er in die Maßnahmen alle so genannten „Kriegsindustriellen“ und „Kriegsgewinnler“ einschließlich derjenigen mit Geschäftsbeziehungen zur Wehrmacht, alle Berufsoffiziere und sonstige in enger Verbindung zum Nationalsozialismus stehende Personen einbeziehen. Hier fällt erneut die unscharfe Formulierung hinsichtlich des fraglichen Personenkreises auf: Die Definition ließ sich auf beinah jeden Industriellen anwenden und bildete ein beliebig einsetzbares Instrument zur Vollstreckung der Enteignungspolitik.202 Doch da die SMAD auch nach dem „Potsdamer Abkommen“ mit der Veröffentlichung einer eigenen Entnazifizierungsverordnung zögerte, stoppte Oberbürgermeister Müller den Vorstoß. Er suspendierte Anfang September die unter seinem Vorgänger erlassenen Regelungen bis auf Weiteres.203 Ihnen fehlte die rechtliche Grundlage, da auch die Landesverwaltung ihre vorbereitete Beschlagnahmeverordnung zurückhielt.204 Doch die in Dresden vorhandene Bereitschaft zur Änderung der Besitzverhältnisse arbeitete den übergeordneten Gremien in die Hand. Am Tag nach Müllers Rede im „Königshof“, die zu seinem Sturz führte, nutzte die kommunistische Ratsmehrheit die Abwesenheit des Oberbürgermeisters. Mit dem Argument, die politische Bereinigung in den Betrieben voranzubringen, beauf200 Schreiben des Gewerbeamtes an die Bezirksverwaltungen vom 6. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 83, Bl. 6). 201 Schreiben der Abteilung Handwerk, Industrie und Handel an die Bezirksverwaltungen vom 11. 6.1945 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 83, Bl. 7). 202 Schreiben des Nachrichtenamtes vom 1. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 962, nicht paginiert); Protokoll der Ratssitzung vom 3. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 160). 203 Anordnung des Hauptamtes an die städtischen Dienststellen über die Beschlagnahme nationalsozialistischen Privatvermögens vom 9. 9.1945 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17 Band III, nicht paginiert); Schreiben des Amtes für Betriebsneuordnung an die Bezirksverwaltungen vom 18. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 83, Bl. 59). 204 Rundverfügung der Landesverwaltung, Abt. Inneres und Volksbildung, vom 22. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 792, Bl. 18); Verordnung der Landesverwaltung Sachsen vom 6. 8.1945 (ebd., Bl. 19 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tragte sie das Amt für Betriebsneuordnung, die Richtlinien auf sämtliche NSDAP-Mitglieder anzuwenden. Diese Generalisierung erlaubte nun die Entlassung der Betriebsleiter ohne konkrete Einzelfallprüfung. Damit ging es nicht mehr um die Bestrafung von NS-Aktivisten.205 Vor Jahresende unternahm der Rat der Stadt einen neuerlichen Vorstoß bei der Landesverwaltung. Begründet mit möglichen Entschädigungsansprüchen der Unternehmer beanspruchte die Stadtverwaltung nicht wie bisher nur die Nutzungsrechte, sondern eine Eigentumsübertragung. Die unklaren Besitzverhältnisse in den treuhänderisch verwalteten Betrieben, so das Argument, hemmten den Aufbau. Die Verwaltung übernahm die Vorreiterrolle und verlangte, die Rückgabe der Produktionsmittel an frühere Besitzer generell auszuschließen.206 Die Verwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Sachsen versuchte seit Ende August 1945, lenkende und planende Instrumente auch im Hinblick auf die zu erwartenden sowjetischen Reparationsforderungen zu installieren.207 Fritz Selbmann, Leiter der Wirtschaftverwaltung, antizipierte mit dem für September den Betrieben auferlegten Produktionssoll einen Schritt zur Verstaatlichung der Industrie.208 Seine Produktionspläne banden die industrielle Fertigung mehr und mehr. Nachdem die eigenen Rohstoffreserven und Halbfertigprodukte der Betriebe verbraucht waren, nahm die Lenkung der Materialströme Steuereigenschaften an. Die KPD-Bezirksleitung intensivierte ihrerseits den personellen Einfluss auf die Wirtschaft und forderte alle Kreisleitungen auf, „geeignete“ Genossen für die Besetzung der Wirtschafts- und Arbeitsämter bereit zu stellen.209 Die schließlich von der SMAD mit den Befehlen 124 und 126 am 30. Oktober 1945 befohlene Beschlagnahme von Staats- und Parteieigentum sowie des Eigentums der „NS-Aktivisten und Rüstungsprofiteure“ legitimierte und beschleunigte den Transformationsprozess der Wirtschaft. In diesem Stadium wurde die Polizei verstärkt in die noch als Beschlagnahmung geltende Enteignung einbezogen.210 Zur Erfüllung der SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 126 griff die Landesverwaltung das Beispiel des in Dresden aufgebauten Amtes für Betriebsneuordnung auf und wies im November die landesweite Gründung solcher Ämter

205 Protokoll der Ratssitzung vom 23.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1010, Bl. 127–130). 206 Schreiben des Rates der Stadt vom 19.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 21, Bl. 138). 207 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen, Abt. Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, vom 27. 8.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 376, nicht paginiert). 208 Schreiben der Wirtschaftskammer Sachsen vom 22. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1050, nicht paginiert). Vgl. Halder, Volksentscheid, S. 107. 209 Rundschreiben der KPD-BL Sachsen zu den Aufgaben der Wirtschafts-Abteilung der Partei vom 22.10.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 210). 210 Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 172). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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an.211 Diese führten die Betriebserhebungen zunehmend systematischer mit einheitlichen Fragebogen durch. Sie registrierten Betriebe, deren Personal und die Produktionskapazitäten und ersetzten Betriebsleiter. Überdies überwachten sie wie die Wirtschaftskammern die gewerbliche Produktion. Eine vom Rat der Stadt erlassene Anordnung über die Bewirtschaftung von Spinnstoffen, Wirtschaftsgeräten und technischen Erzeugnissen gestattete die Bedarfssteuerung. Die Kammerabteilung Handwerk prüfte Bedarfsmeldungen der Handwerker, verteilte Materialen und technische Einrichtungen. Der Neuaufbau der Handwerksrolle zielte auf eine weitere Kontrolloption. Sämtliche Handwerker mussten sich registrieren lassen, ehe sie den Berechtigungsnachweis zur selbständigen Berufsausübung erhielten. Die Kammer prüfte die Anträge und unterstützte sie nur bei „Vorliegen eines volkswirtschaftlichen Bedürfnisses und politischer Zuverlässigkeit des Antragstellers“. Für die Entnazifizierung setzte sie einen besonderen Arbeitsausschuss ein und bestätigte Betriebsleiter erst nach ihrer Überprüfung. Zulassung, Bedarfslenkung und Überprüfungen bildeten ein um die Kontrolle der Ausbildung erweitertes System von Abhängigkeiten.212 Für die SMAD besaß der Zugriff auf die Ressourcen der deutschen Wirtschaft, für die KPD deren Enteignung vorrangige Bedeutung. Dieser elementare Gegensatz verhinderte eine rasche ökonomische Rekonstruktion. Zu dem Zweck hätte eine konzertierte Aktion erfolgen müssen, um den an vielen Stellen unterbrochenen Wirtschaftskreislauf in Gang zu setzen. Das unterblieb. Den grundsätzlichen Bestimmungen des SMAD-Befehls Nr. 9 für die Wirtschaft am Beginn der Besatzungsherrschaft213 folgten seit August detaillierte Anweisungen zur Erfassung der Unternehmen und der vorhandenen Rohstoffe, zur Produktion und deren Verwendung. Die Aufstellung von Wirtschaftsplänen bezweckte neben der Optimierung der Produktion eine umfassende Kontrolle der Rohstoffbewirtschaftung und der Produktion. Eine Umsetzung dieses ehrgeizigen Zieles scheiterte nicht allein an der mangelnden Kompetenz der dafür verantwortlichen Personen, sondern auch an der Fragmentierung des Besatzungsgebietes, die den Warenaustausch blockierte. Die Befehle überwanden nur schwer die Grenzen regionaler und lokaler Zuständigkeitsbereiche sowjetischer Kommandanten.214 Aber die unzähligen Vorschriften, die die Wirtschaft fesselten, bildeten die Grundvoraussetzung für den kommunistischen Zugriff auf das Eigentum.

211 Rundverfügung Nr. 2 der Landesverwaltung Sachsen, Abt. Wirtschaft und Arbeit, zur Durchführung der Befehle 124 und 126 vom 27.11.1945 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 12, Bl. 31 f.). 212 Wirtschaftskammer Dresden Abt. Handwerk 11/45: Das Dresdner Handwerk im Rahmen des Neuaufbaus/Halbjahresrückblick, o. D. [November 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 125, Bl. 78–86). 213 Foitzik, Inventar, S. 65 ff. Vgl. Beck, Konfiskationen, S. 86; Halder, Modell, S. 62 ff. 214 Schreiben der Landesverwaltung Abt. Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, vom 6. 9.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 978, nicht paginiert). Vgl. Karlsch, Rekonstruktion und Strukturwandel, S. 98. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Einig waren sich sozialdemokratische Gewerkschafter mit den „bürgerlichen Parteien in der Kritik des Produktionsplanes, weil er die freie Entfaltung der Unternehmerinitiative“ einengte.215 Überdies entschied die SMA, „in welchem Umfange die materiellen und personellen Produktionsvoraussetzungen zur Verfügung“ gestellt wurden.216 Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte mussten erfasst werden. Die Betriebe befanden sich in der Zwangslage, bei Angabe geringer Produktionsmöglichkeiten zu wenig Rohstoffe zu erhalten, bei überhöhten Ziffern Planauflagen nicht einhalten zu können oder die Aufmerksamkeit sowjetischer Reparationsbrigaden auf sich zu ziehen. Den Wirtschaftskammern wurde die Verantwortung für die Einhaltung der Vorgaben übertragen, ohne sie an ihrer Ausarbeitung zu beteiligen. Die von Matern im September angekündigte Abschaffung der Unternehmerverbände217 realisierte die sächsische Landesverwaltung am Jahresende, indem sie die alten Wirtschaftskammern in neu gegründete Industrie- und Handelskammern überführte.218 Diese neuen Kammern sollten ausdrücklich keine Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft sein. Das Statut legte die Berufung neuer Vorstände in einer drittelparitätischen Besetzung mit Gewerkschaftern, Unternehmern und Verwaltungsangestellten, wobei sie den Kreisen ein Vorschlagsrecht einräumte und ihnen auftrug, die Ernennung des Direktors mit dem Arbeitsauschuss der Blockparteien abzustimmen.219 Dies stand allerdings nur auf dem Papier, die Besetzung der Kammern geschah weitgehend ohne die Beteiligung von CDU und LDP.220 Nach der Ausschaltung einer wirksamen Interessenvertretung der Wirtschaft beschloss der Rat der Stadt die Einrichtung eines eigenständigen Wirtschaftsund Organisationsamtes.221 Es beteiligte sich an der Reparationsplanung und an der Überführung beschlagnahmter Betriebe in städtisches Eigentum sowie der Gründung von Großhandelsfirmen zum Zweck der Rohstoffzuteilung. Es überführte enteignete Betriebe in Kommunaleigentum, organisierte deren Entschuldung, setzte die bisherigen Treuhänder als Betriebsleiter ein und prüfte die Bilanzen. Es bündelte ausgegliederte Aufgaben des Amtes für Betriebsneuordnung und des Dezernates Technik, das die städtischen Betriebe verwaltete. 215 Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 265). 216 Schreiben der Landesverwaltung Sachsen, Abt. Wirtschaft und Arbeit vom 20.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 377, nicht paginiert). 217 Vgl. Referat von Matern auf der Sitzung der erweiterten KPD-Bezirksleitung Sachsen vom 25. 9.1945 (SAPMO-BArch, RY 1 I 3/8–10/172, Bl. 10). 218 Verordnung der Landesverwaltung Wirtschaft und Arbeit über die Bildung von Industrie- und Handelskammern vom 8.12.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 21, Bl. 136). 219 Otto Seifert: Neue Industrie- und Handelskammern. In: Die Wirtschaft, 1. Jg. Nr. 2, Mai 1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/61, Bl. 192 f.). 220 Vgl. Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen an die SMA für Februar vom 4. 3.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, nicht paginiert). 221 Rundschreiben A Nr. 6/1946 vom 19. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 82, Bl. 7). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Aktivitäten der städtischen Wirtschaftsverwaltung festigten kommunistische Machtpositionen und kamen den sowjetischen Reparationsforderungen entgegen. Allerdings verbesserten sie die Produktionsergebnisse nicht. Das Amt für Betriebsneuordnung hatte im Frühjahr 1946 seine Überprüfungsverfahren nicht abgeschlossen, und die Verlagerung der Lenkungskompetenz auf das Wirtschafts- und Organisationsamt bedeutete lediglich einen Schritt der weiteren Bürokratisierung, nicht die gewünschte Änderung der Resultate. Die führenden Funktionäre hingegen vertraten die Meinung, die Planungsinstrumente müssten lediglich verfeinert werden. Mit der Begründung, die Meldungen der Betriebe besser auswerten und kontrollieren zu müssen, forderte im April 1946 das städtische Zentralamt die Einrichtung eines für die Bearbeitung von Wirtschaftssachen zuständigen Amtes für Reparationen und Wirtschaftsführung.222 Diese Anregung griff die Landesverwaltung auf und beauftragte die neue Behörde mit der „Planung und Lenkung der gesamten industriellen Fertigung“.223 Sie glaubte, der sich abzeichnenden Untererfüllung der Reparationspläne durch Bürokratisierung gegensteuern zu können. Doch die Formulierung verdeutlicht das Ausmaß kommunistischer Hybris. Jeder Funktionär hielt sich für befugt, ökonomische Problemlösungen anzubieten, ohne wie der Polizeipräsident Opitz oder der Chef der sächsischen Wirtschaftsverwaltung Selbmann auch nur die Grundzusammenhänge der Wirtschaft zu verstehen.224 Zur Kontrolle der Wirtschaft gebot die kommunale Verwaltung nun über drei Instanzen: Das dem Gewerbeamt unterstellte Amt für Betriebsneuordnung, das dem Hauptamt unterstellte Wirtschafts- und Organisationsamt und das neue Amt für Wirtschaft und Arbeit in der Zuständigkeit des Zentralamtes. Dieser erhebliche Aufwand, verteilt auf drei unterschiedliche, mit jeweils anderen Kompetenzen ausgestatteten Verwaltungsinstanzen im Dresdner Rathaus, brachte keinen erkennbaren Nutzen. Doch die sinkende wirtschaftliche Effizienz hielten die Kommunisten für eine Auswirkung der auf Unternehmerseite vermuteten Sabotage und bestärkte sie, an ihren Absichten zur Enteignung festzuhalten.

222 Schreiben des Zentralamtes vom 26. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 828, nicht paginiert). 223 Protokoll der Ratssitzung vom 4. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1013, Bl. 131). Hervorhebung durch den Autor. 224 Selbmann, Anfänge der Wirtschaftplanung, S. 76. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Der Volksentscheid zur entschädigungslosen „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ am 30. Juni 1946

Wiederholt forderte die KPD die Ersetzung nationalsozialistischer Privatunternehmer durch Treuhänder, die Entfernung der „faschistischen Elemente“ aus Führungspositionen staatlicher Betriebe sowie der Wirtschaftsverbände und -organisationen und die konsequente Enteignung aktiver „Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher“.225 Matern rief seine Partei auf, die „Kommandohöhen der Wirtschaft“ fest in die Hand zu nehmen. „Faschisten“ dürften in den Betrieben keine Rolle mehr spielen und Kriegsverbrecher müssten aus den industriellen Schlüsselpositionen gesäubert werden.226 Die Mitgliedschaft eines Unternehmers in der NSDAP wurde instrumentalisiert und der Befehl Nr. 124 brachte viele Großbetriebe in die Hände von Landes- oder Provinzialverwaltungen, sie bildeten nun den „Kern des Wirtschaftsplanes für das betreffende Land und für die ganze Zone“.227 In Sachsen waren es Ende 1945 um die 2 000 Betriebe.228 Schließlich gab KPD-Sekretär Leppi kurz vor Gründung der SED intern die Durchführung eines Volksentscheids bekannt, um endlich die „Betriebe aus den Händen der vorigen Besitzer [...] in das Eigentum der Selbstverwaltungsorgane“ überführen zu können. Eine „Beschlagnahme der großen Betriebe“ werde die Einführung der „Planwirtschaft auf einem großen Teil des Wirtschaftsgebietes“ ermöglichen. Gleichzeitig solle dies ein deutliches Signal dafür sein, dass sich die Partei auf den „Sozialismus“ zu bewege.229 Von einer gelenkten Wirtschaft erhofften sich viele Verbesserungen bei der Versorgung. Wirtschaftsplanung und Produktionslenkung waren auch in den Augen des Sozialdemokraten Wend geeignete Instrumente zur Behebung der Schwierigkeiten, und von einem Volksentscheid erwartete er eine Stärkung des Wirtschaftsplanes. Gleichzeitig sprach er sich für eine Zusammenfassung der Betriebe mit gleicher Produktionsstruktur aus.230 Die Vorbereitungen für den Volksentscheid begannen frühzeitig: In einem ersten Schritt ging es um die Besetzung von Führungspositionen, anschließend galt es, die Veränderung der Besitzverhältnisse zu legalisieren. Die SED muss225 Rundschreiben der KPD-BL Sachsen zu den Aufgaben der Wirtschafts-Abteilung der Partei vom 22.10.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/49, Bl. 212). Vgl. Schröder, Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheids, S. 54 f., Fußnote 167. 226 Redebeitrag Materns auf der Konferenz der Bezirksleitung der KPD vom 26.11.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/007, nicht paginiert). 227 Die erste Phase des wirtschaftlichen Aufbaus. Schlusswort auf der Konferenz zur Beratung der Richtlinien der KPD für die Wirtschaftspolitik vom 29.12.1945 und 7. Januar 1946. In: Ulbricht, Reden Band II, S. 512 und 517. 228 Bericht der Wirtschafts-Abteilung der KPD-BL Sachsen über den Stand der Wirtschaft im Land Sachsen vom 30.12.1945 (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/602/49, Bl. 262– 265). 229 Protokoll der Polleiter-Sitzung vom 7. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / B /124, Bl. 9). 230 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 25. 4.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 39 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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te behutsam vorgehen und strebte eine „gesetzliche Handhabung“ für ihre im Frühjahr 1946 in Angriff genommenen Pläne zur Umgestaltung der Wirtschaftsordnung an. Für den am 31. Mai 1946 veröffentlichten Text einer „Verordnung über Volksbegehren und Volksentscheid“, datiert auf den 4. April 1946,231 lagen schon im März entsprechende Entwürfe vor.232 Die Landesverwaltung informierte vorab die sächsischen Oberbürgermeister und Landräte über das mit der SMAS abgestimmte Vorhaben und beauftragte sie, „alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen“ und ohne Zeitverzug die Listen aufzustellen.233 Hierbei konnte sie auf die von den Ämtern für Betriebsneuordnung geleisteten Vorarbeiten zurückgreifen, die seit November des vergangenen Jahres die an Treuhänder vergebenen Betriebe in Listen zusammenfassten. Umstritten waren Definitionen der Begriffe „Naziaktivist“ und „Kriegsverbrecher“, „aktivistische Nazis“ und „Kriegsinteressenten“, über die erst am 30. April 1946 eine Beratung der vier Parteien auf Landesebene Einigkeit herstellte. Aufgrund dieser Festlegungen erging an die örtlichen Sequesterkommissionen der Auftrag, zwei Listen anzufertigen. In die Liste A sollten die für eine Enteignung zugunsten des Landes und der Kommunen infrage kommenden Betriebe aufgenommen werden, die Betriebe der B-Liste hingegen noch vor dem Volksentscheid ihren Besitzern zurückgegeben werden. In einer weiteren, vorläufig geheim gehaltenen Liste C erfolgte die Zusammenstellung derjenigen Betriebe, die auch künftig unter sowjetischer Verwaltung blieben und den Grundstock der späteren Sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) bildeten.234 Eine von CDU und LDP verlangte Einzelfallprüfung der zur Enteignung vorgesehenen so genannten „Naziaktivisten“, „Kriegsverbrecher“ und „Kriegsinteressenten“ erfolgte allerdings nicht.235 Daran hatte die SED kein Interesse, sie wollte eine Rückgabe der beschlagnahmten Betriebe möglichst vermeiden und die SMAD sicherte ihr zu, dass dies nur bei Objekten ohne ökonomische Bedeutung geschehen solle.236 Tatsächlich unternahm die SED später alles, um die Rückübertragung zu verhindern. Im Dresdner Stadtrat intrigierte sie erfolgreich dagegen,237 teilweise wurde von manipulierten Belegschaftsversammlungen in den Betrieben die Rückgabe abge-

231 Verordnung über Volksbegehren und Volksentscheid vom 4. 4.1946. In: Gesetze/Befehle, Verordnungen, Bekanntmachungen der Landesverwaltung Sachsen, Sonderausgabe 31. 5.1946, S. 1 f. Vgl. Aus dem Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes der SED am 14.–15. 5.1946. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 83–87. 232 Vgl. Halder, Prüfstein, S. 592. 233 Schreiben der Landesverwaltung, Abt. Inneres, vom 30. 3.1946 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 102, Bl. 31). 234 Beck, Konfiskationen, S. 94–99; Halder, Modell, S. 223 f. und 278–285; Karlsch, Allein bezahlt, S. 110–135. 235 Vgl. Beschluss des Hauptvorstandes der CDU zum Volksentscheid in Sachsen vom 5. 6.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 145 f.; Erklärung der LDP zum Volksentscheid in Sachsen vom 13. 6.1945, ebd., S. 147; Badstübner, Reich, S. 200–210. 236 Halder, Prüfstein, S. 594–598. 237 Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 190 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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wehrt.238 Vorerst allerdings war sie auf die Mitarbeit von LDP und CDU angewiesen und musste zum Schein auf deren Einwände eingehen. Sie sicherte die Überprüfung der erhobenen Einsprüche zu, um eine breite Zustimmung für ihre Enteignungspläne zu erhalten. Während ihr erwartungsgemäß die LDP aufgrund ihrer Ablehnung des Sozialismus größere Widerstände entgegenbrachte, rechnete sie bei der CDU wegen des von ihr vertretenen „christlichen Sozialismus“ mit weniger Widerspenstigkeit. Sie berücksichtigte dabei nicht, dass die CDU eine generelle Enteignung ablehnte und zeigte sich von deren opponierender Haltung offenkundig überrascht.239 Nach langfristiger Vorbereitung erteilte die SMAD die Genehmigung, und im Anschluss an den Vereinigungsparteitag begann im Mai ein groß angelegter Propagandafeldzug zur Durchführung des Volksentscheides, in den die Dresdner Genossen alle verfügbaren Energien investierten.240 Die Agitation zielte besonders auf die so genannten „nominellen“ NSDAP-Mitglieder.241 Die gesamte Stadt sollte mit Werbung überschwemmt werden, keine Straßenbahn ohne Plakat fahren.242 Die Zielvorgabe lautete: „Eine jede Familie muss durch die Partei politisch für den Volksentscheid bearbeitet werden.“ Die Leitungen der Wohnbezirksgruppen erhielten den Auftrag, für jedes Wohnhaus einen verantwortlichen Genossen zu benennen, der Hausversammlungen organisieren und die „Bewohner von der Notwendigkeit der Abgabe ihrer ‚Ja‘-Stimme“ überzeugen sollte. Sämtliche leitenden Funktionäre mussten als Instrukteure in die unteren Parteieinheiten gehen, um die Genossen dort für die Arbeit in den Hausversammlungen zu mobilisieren. Die „Organisationsabteilungen“ der SED wurden zu täglichen Kontrollen über Fortschritte der Agitation angehalten, als deren sichtbare Beweise Fahnen, Transparente, Wandzeitungen und anderes verteiltes Propagandamaterial galten. Für den Tag der Abstimmung waren „Schlepperdienste“ und Sprechchöre in Straßen und Hinterhöfen vorgesehen.243 238 Monatsbericht Februar 1947 der Abteilung landeseigene Betriebe vom 13. 3.1947 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/59, Bl. 121). 239 Charakteristik der drei im Land Sachsen bestehenden antifaschistischen Parteien, o. D. [Anfang 1947] (SAPMO-BArch, NY 4505 Band 2, Bl. 19 ff.). Vgl. Conze, Jakob Kaiser, S. 65 und 84, Halder, Modell, S. 235–243. 240 Tagebucheintrag vom 6. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 252; Referat von Otto Schön auf der Sitzung des SED-Landesvorstandes vom 4./ 5. 7.1946 (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 4, Bl. 328); Bericht über den Organisationszustand des Kreises Dresden vom 12. 8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/5/220, Bl. 42). 241 Referentenschulung Melanchthonstraße vom 2. 6.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, Bl. 17e). Vgl. Anton Ackermann: Der Volksentscheid und die nominellen Pgs. [Mai / Juni 1946] (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 13, Bl. 155 ff.); Rede Otto Grotewohls auf der Sitzung des Parteivorstandes der SED vom 18. bis 20. 6.1946. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 88–93. 242 Protokoll der Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 7. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 80). Vgl. Starke, Industriegelände, S. 192. 243 Vortragsdisposition des SED-Kreisvorstandes Dresden zum Volksentscheid, o. D. [April 1946] (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 102, Bl. 25–28). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Jugendausschüsse hielten im Vorfeld eigene Jugendversammlungen ab, zum Volksentscheid organisierten sie „Radfahrkolonnen, 3 Lkw’s und 2 Pferdewagen mit Sprechchören“.244 Die kommunistischen Funktionäre wollten mit ihrer Werbung auch die Anziehungskraft ihrer Partei auf die Jugendlichen erhöhen, um den seit Wochen dauernden Übertritt in die LDP zu stoppen.245 Die mobilisierten Jugendlichen beeinflussten zudem die Sympathiewerte in der Bevölkerung. Ein Aufruf der Kinder galt als besonders erfolgreich: „Nie wieder Krieg, wir wollen Butter statt Kanonen; darum liebe Eltern, stimmt mit ‚Ja‘.“ Andererseits ließ die Propaganda in Dresden „sehr zu wünschen übrig. Nur einige Stadtteile hatten am Vorabend illuminiert und einen Fackelzug veranstaltet“, wobei das „Fehlen der Kapelle [...] die Wirkung des Fackelzuges“ beeinträchtigte.246 Mit ihrer Agitation, besonders mit den Fackelzügen, knüpften die Kommunisten an die ungebrochen anhaltende Attraktivität und die gemeinschaftsbildende Funktion spezifischer ästhetischer Inszenierungen an, von denen sich bereits im Nationalsozialismus Jugendliche hatten faszinieren lassen.247 In den Vordergrund ihrer Propaganda stellte die SED nicht die Enteignung, sondern die Rückgabe von Betrieben. Sie verschwieg freilich, dass dabei nur an kleine Firmen gedacht war. Vielmehr behauptete sie, den Volksentscheid zugleich als „Kampf [...] gegen Reaktion und Faschismus und neue militärische Abenteuer“ zu führen und sicherte ihm in ihrer Phraseologie einen festen Platz.248 Folglich galt er als „Bekenntnis für die Sicherung des Friedens [...] im Kampf gegen Militarismus und Imperialismus“ und Dienst am „friedlichen und demokratischen Neuaufbau Deutschlands“.249 Abgestimmt werde nicht über die „Sozialisierung oder Enteignung des Privatkapitals“, sondern darüber, ob die Betriebe der „Kriegsverbrecher“ an die sowjetische Besatzungsmacht oder in „die Hände der Selbstverwaltungsorgane“ fallen sollten. Von einem positiven Abstimmungsergebnis versprach sie die Lösung nahezu aller Probleme, sogar eine „Überwindung der so unerhört gesunkenen Moral der deutschen Jugend“. In ihrer Argumentation ermöglichte die „Entmachtung der Kriegsinteressenten und Kriegsverbrecher [...] der deutschen Mutter das Recht der Erziehung ihrer Kinder“ und zugleich „die Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben“.250 244 Monatsbericht Juni 1946, Freie Deutsche Jugend Aufgabengebiet I, vom 15. 7.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 60, nicht paginiert). Vgl. Heinemann, Hochschuloffiziere, S. 272. 245 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 22. 5.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 65). 246 Allgemeiner Stimmungsbericht über den Tag des Volksentscheides vom 1. 7.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 247 Boll, Suche nach Demokratie, S. 69, 97 f. und 152. 248 Protokoll der 7. Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 6. 5.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 41). 249 Aufruf an das sächsische Volk. In: Gesetze/Befehle, Verordnungen, Bekanntmachungen der Landesverwaltung Sachsen, Sonderausgabe 31. 5.1946, S. 3 f. 250 Vortragsdisposition des SED-Kreisvorstandes Dresden zum Volksentscheid, o. D. [April 1946] (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 102, Bl. 25–28). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die Polizei stand gleichfalls im „Kampf gegen die Agitation und Propaganda der Reaktion“. Zu diesem Zweck sollten „nachts Wachen und Beobachtungsposten in den einzelnen Straßen und Plätzen“ patrouillieren.251 Damit wird deutlich, das sich die Friedensrhetorik nicht gegen eine äußere Bedrohung richtete, sondern gegen den vermuteten inneren „Feind“. Doch obgleich die in großer Zahl umlaufenden Gerüchte Unmut der Bevölkerung bekundeten, waren die kommunistischen Befürchtungen hinsichtlich „einer großangelegten Agitation der Reaktion mit Fälschung von Flugblättern und Plakaten“ übertrieben.252 Es blieb ruhig im Vorfeld des Volksentscheids. Die politische Geheimpolizei konnte trotz ihrer verstärkten Aufmerksamkeit kaum „reaktionäre Umtriebe“ feststellen. Allerdings brachte der Volksentscheid für die politische „Fachabteilung VI verstärkten Arbeitsanfall“ mit dem Auftrag zur Ermittlung derjenigen Betriebsinhaber, die „sich während der faschistischen Zeit stark aktivistisch betätigt hatten“, um ihre „Betriebe auf die Liste A setzen zu können“.253 Die SED benötigte die Zustimmung zu ihrer Politik, um sich bei den bevorstehenden Wahlen erfolgreich als „stärkste Kraft“ zu empfehlen. Indem sie die Enteignung von Kriegsverbrechern zum „Volksentscheid zur Sicherung des Friedens“ stilisierte, konnte sie mit hohen Zustimmungsraten rechnen und eine Abstimmung über ihre Politik umgehen. Argumente gegen die Enteignung konterte sie mit dem öffentlich eingeforderten Bekenntnis zum Frieden und der suggestiven Formulierung der Fragen und Forderungen: „Willst Du die Bestrafung der Kriegsverbrecher? Willst Du eine friedliche Zukunft Deiner Kinder? Willst Du die Vorrechte der Rüstungsindustriellen und Konzernherren beseitigen? Willst Du den Kriegsverbrechern die Machtmittel nehmen, um ihnen ein für allemal das Handwerk zu legen? Wenn Du das willst, dann stimme am 30. Juni mit Ja! Dein Ja gilt der Übereignung der Betriebe der Kriegs- und Naziverbrecher an das Volk, an die demokratische Landesverwaltung.“254 So mied die SED die Auseinandersetzung mit dem in der Bevölkerung erwarteten kritischen Potential. Das verfolgten nicht allein ihre sowjetischen Verbündeten, sondern auch die westlichen Alliierten interessiert. Im Juni reisten Pressevertreter nach Dresden, unter ihnen Klaus Mann, der Sohn des im amerikanischen Exils lebenden Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann.255 Auf die internationale Aufmerksamkeit reagierte die Dresdner SED nervös. Buchwitz ver251 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 6. 5.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 252 Protokoll der außerordentlichen Polizeileitersitzung vom 3. 6.1946 (ebd., nicht paginiert). 253 Jahresbericht über die Arbeit der Kriminalpolizei 1946 vom 17.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 114, Bl. 20). 254 Aufruf des Parteivorstandes der SED vom 11. 6.1946 zum Volksentscheid in Sachsen, Neues Deutschland vom 14. 6.1946. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 424 ff. 255 Tagebucheintrag vom 6. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 252. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mutete misstrauisch, aus den westlichen Besatzungszonen würden entlassene Kriegsgefangene und NSDAP-Mitglieder mit gezieltem Auftrag geschickt: „Ich habe die feste Überzeugung, hier rennen eine ganze Menge solche Objekte herum, die versuchen uns die Stimmung zu vermiesen und gegen den Volksentscheid Propaganda machen.“256 Dieses zur Entlastung eigenen politischen Versagens vorgetragene Stereotyp, der jeweiligen Gegenseite die Unterwanderung der öffentlichen Meinung zu unterstellen, kehrte später in der Agitation des Kalten Krieges regelmäßig wieder. Die Dresdner SED-Führung schulte ihre Versammlungsredner.257 Unzählige Broschüren und Flugblätter, eine Vielzahl von Versammlungen und Aufmärschen, die mit Plakaten behängten öffentlichen Verkehrsmittel und Gebäude sollten die Menschen von den wirtschaftlichen und sozialen Missständen ablenken. Die Abhängigkeit der Stimmungslage von der Kriminalität sowjetischer Soldaten und dem Besatzungsterror sahen die sächsischen Kommunisten inzwischen in aller Deutlichkeit. Obwohl sie stets die Zusammenhänge zwischen den Übergriffen und der Zustimmung zur Politik bagatellisierten, hatten sie Ende 1945 „starke negative Stimmen“ eingestanden wegen des, wie es euphemistisch hieß, Verhaltens „einiger Angehöriger der Roten Armee“. Allerdings lautete der damalige Bericht vielsagend weiter, dass unverändert die „Stimmung über die Rote Armee [...] fast noch wie am Anfang“ sei.258 Ein weiteres halbes Jahr Besatzungspolitik hatten daran nichts geändert. Wie überall im Land erschreckte die Menschen die Zügellosigkeit der fremden Soldaten und die Unberechenbarkeit des politischen Terrors.259 Die von den Plünderungen und Übergriffen der Besatzungssoldaten verursachte Unsicherheit beeinträchtigte das Lebensgefühl der Bevölkerung. Die Polizei registrierte im Frühsommer 1946 eine Zunahme der Gewalttaten, nicht nur die Vergewaltigungen und Plünderungen hatten gegenüber den Monaten März und April zugenommen, immer öfter griffen betrunkene Soldaten sogar Polizisten an: „Die vermehrten Zwischenfälle mit Personen in der Uniform der Besatzungsarmee tragen bei der angespannten innen- wie außenpolitischen Lage auf keinen Fall bei, das Verhältnis der Bevölkerung zur Besatzungsbehörde enger zu gestalten.“ Die Dresdner Polizei sah den Erfolg des Volksentscheids gefährdet: „Vor allem werden diese Zwischenfälle von der Reaktion dazu ausgenützt, unseren Kampf, den Volksentscheid zu einem Volksurteil gegen Kriegs-

256 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 20. 6.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 173). 257 Referentenschulung Melanchthonstraße vom 2. 6.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, Bl. 17a-17k). 258 Bericht der KPD-Bezirksleitung Sachsen „über die allgemeinen Stimmungen und Meinungen in den Volksmassen“ vom 31.12.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I / A /043, Bl. 100 f.). 259 Protokoll der Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 7. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 82 ff.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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verbrecher und Kriegsgewinnler werden zu lassen, zu untergraben.“260 Der Dresdner Kreissekretär Leppi berichtete dem Landesvorstand der SED, dass sich 80 Prozent aller Berichte, die er erhalte, „mit Beschwerden von Übergriffen der Roten Armee“ befassten.261 Die Mehrheit der Bevölkerung lehnte die Besatzungsmacht ab, fürchtete aber für den Fall einer massiven Abstimmungsverweigerung eine Zunahme der Repression. Ein anonymes Schreiben berichtete von geplanten „Strafmaßnahmen [...] gegen Gemeinden und Kreise, die schlecht abstimmen“.262 Aus zahlreichen Äußerungen sprach die Angst vor einem weiteren Anstieg der Not und dem erneuten Beginn eines Krieges,263 und sowjetische Offiziere schürten diese Befürchtungen.264 Die Aufstellung der Enteignungs-Listen führte nicht allein zu Kontroversen mit CDU und LDP, wobei deren Proteste nur in seltenen Fällen Änderungen bewirkten.265 Widerspruch regte sich in den Reihen verschiedener Betriebsparteigruppen der SED wegen der vorgesehenen Enteignung ihrer Fabriken.266 Folgen anderer Art hatte das Eintreten von Oberbürgermeister Leißner, der wie andere Parteimitglieder Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Listen geltend machte.267 Verschiedene der unter die Bestimmungen von Befehl Nr. 124 gefallenen Inhaber von Betrieben beauftragten den in der Region Chemnitz bekannten Juristen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Bestens vertraut mit den gesetzlichen Bestimmungen der „Verordnung über Volksbegehren und Volksentscheid“, leitete er gleich anderen der CDU oder der LDP angehörenden Rechtsanwälten268 rechtliche Schritte gegen verschiedene Enteignungen ein. Daraufhin forderte Weidauer von der SED-Landesleitung die Abberufung Leißners aus seinem Amt: „Seine politische Einstellung hat nichts mit der SED zu tun. Er steht der CDU sehr nahe und arbeitet sehr eng mit ihnen zusammen.“269

260 Bericht der Ordnungspolizei vom 4. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 65, Bl. 81). Vgl. Halder, Prüfstein, S. 601. 261 Protokoll der Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 15. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 107). 262 Anonymes Schreiben, o. D. [Mitte Juni 1946], und Begleitschreiben des SED-Kreisvorstandes vom 29. 6.1946 (SächsHStAD, LBdVP 393, nicht paginiert). 263 Gerüchte über den Volksentscheid vom 1. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 264 Vgl. Tagebucheintrag vom 6. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 252; Creuzberger, Klassenkampf, S. 128 f. 265 Vgl. Halder, Prüfstein, S. 596 f. 266 Schreiben der SED im Verwaltungsbezirk VII vom 5. 5.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/XI/1, nicht paginiert). 267 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 4./5. 7.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 199). 268 Vgl. Bericht über eine Unterredung mit Professor Kastner vom 25. 7.1946 (SAPMOBArch, NY 4113 Band 16, Bl. 110). 269 Bericht über Oberbürgermeister Dr. Leißner vom 11. 7.1946 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.132, Bl. 75). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Leißner genoss bei der CDU wegen seines Eintretens für „Rechtlichkeit und Rechtmäßigkeit“270 hohes Ansehen.271 Weidauer sah in Leißner seinen ärgsten Konkurrenten und diffamierte ihn bei der SMAS als eine der „übelsten Gestalten“.272 Er unterstellte Leißner, die Interessen „eines der großen Kapitalisten der Vereinigten Staaten von Nordamerika“ zu vertreten. Durch einen Zufall, so Weidauer, und nicht durch eine gezielte Verletzung des Postgeheimnisses sei er auf Briefe von amerikanischen Offizieren und sächsischen Fabrikbesitzern aufmerksam geworden, und bis zum Volksentscheid „flatterten noch ein Dutzend gleicher Aufträge von allen möglichen Eigentümern von Großbetrieben auf meinen Tisch“. Leißner vertrat offenbar die Ansprüche jüdischer Emigranten, Weidauer erwähnte eine „Reihe von jüdischen Warenhausbesitzern“, deren ehemals „arisierten“ Besitz die Kommunisten nun im Volksentscheid erneut enteigneten.273 Doch auch der Dresdner Jüdischen Gemeinde gelang eine Absetzung jener Betriebe von den Volksentscheids-Listen nicht.274 Verschiedene Betriebe befanden sich nur deswegen auf den Listen, weil Offiziere der Roten Armee verlangten, dass der Betrieb „nicht in die Hände der Aktionäre gelegt wird, sondern dass dies ein staatlicher Betrieb werden soll“. In einem weiteren Fall lag gleichfalls „keine politische Belastung des Betriebsleiters“ vor, doch sei der Betrieb mit viel Mühe vor der Demontage gerettet worden und solle darum „der Einwohnerschaft der Stadt Dresden zugute kommen und nicht dem Nutzen der einzelnen Aktionäre“.275 In solchen Fällen erhoben die Eigentümer berechtigte Einsprüche, da der Wortlaut des Gesetzes eine Enteignung keineswegs rechtfertigte und Leißner bewegte sich bei seinen Einsprüchen völlig legal im gesetzlichen Rahmen. Im Herbst 1946 beendete dieses mutige Eintreten seine politische Karriere im Dresdner Rathaus, die SMAS erhob „Einspruch gegen eine Wiederwahl von Dr. Leißner“ und ebnete Weidauer den Weg in das Amt des Oberbürgermeisters.276 Leißner wurde Präsident am Landgericht Bautzen.277 Er stand der Diktaturdurchsetzung der SED und besonders Weidauer im Weg. Spätere Anschul-

270 Interview der Dresdner Tagespresse mit Oberbürgermeister Dr. Leißner, o. D. [Februar 1946] (ebd., Bl. 48). 271 Tätigkeitsbericht des CDU-Kreisverbandes Dresden für September 1946 an die SMAS vom 1.10.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–153, nicht paginiert). 272 Weidauer, Otto Buchwitz, S. 55. 273 Erinnerungen Walter Weidauers Kapitel 17, S. 5 f. (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V /2.052.054, nicht paginiert). Vgl. Groehler, Verfolgten- und Opfergruppen; Kessler, Wiedergutmachungsdebatten; Timm, Restitution. 274 Schreiben der Israelitischen Religionsgemeinschaft an den CDU-Landesvorstand vom 2. 7.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–203, nicht paginiert). 275 Schreiben der Bezirksverwaltung III an Bürgermeister Weidauer vom 26. 4.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 80, Bl. 131). Vgl. Starke, Industriegelände, S. 192 f. 276 Vermerk zum Bericht über Oberbürgermeister Dr. Leißner vom 11. 7.1946 (Sächs HStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.132, Bl. 76). 277 Hermann, Oberbürgermeister Friedrichs, Müller, Leißner, S. 222. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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digungen sprachen zudem von seiner Beteiligung an der SPD-Fronde.278 Doch er räumte den Stuhl, um nicht zwischen die Fronten zu geraten, von Freiwilligkeit konnte keine Rede sein. Er ging weiteren Konfrontationen aus dem Weg. Ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn wurde erst 1948 eröffnet und nach seiner Entfernung aus dem Justizdienst 1950 verließ er die DDR. Im Sommer 1946 stand Leißner mit seinen juristischen Einwänden nicht allein, überall und besonders in Kreisen der evangelischen Kirche bestanden Zweifel an der Rechtmäßigkeit vieler Enteignungen.279 Dem trat die CDU-Zeitung „Die Union“ entschieden entgegen und flankierte die SED-Propaganda: Jeder Christ könne ohne Zweifel und Gewissensanfechtung den Volksentscheid bejahen.280 Mit Erleichterung konstatierte das SED-Landessekretariat die Unterstützung von LDP und CDU, die im Volksentscheid eine „Friedensaktion“ sahen, wodurch sich die Kirchenleitung beeinflussen ließ.281 Tatsächlich war die Haltung der Dresdner Kirchenleitung der evangelischen Landeskirche Sachsens für den positiven Ausgang des Volksentscheids nicht ohne Bedeutung. Die schwachen Gegenargumente ihres zu einer Unterredung einbestellten Vertreters, des Superintendenten Lau, überwand die Landesverwaltung rasch. Das Landeskirchenamt erklärte sich zur Abfassung eines „Hirtenbriefes“ bereit, dessen Druck und Verbreitung das Landesnachrichtenamt übernahm. Der Aufruf erreichte sämtliche evangelischen Christen. In der traditionell obrigkeitlich orientierten Landeskirche ließen sich viele, die anfänglich eine ablehnende Haltung eingenommen hatten, umstimmen. Diese Unterstützung interpretierte die SED als zustimmendes „Bekenntnis der Landeskirchenleitung“,282 eine Entscheidung, die mit Sicherheit auch der am 1. April 1946 in die Kirchenleitung nach Dresden berufene Landeskirchenrat Werner Meinecke beeinflusste. Meinecke war SED-Mitglied und übernahm zugleich im Landesvorstand seiner Partei das Sachgebiet Religions- und Kirchenfragen und kandidierte für sie im Herbst in der Kommunalwahl.283 Nicht nur die leitenden Mitarbeiter der Stadtverwaltung sollten die „Propagandamaßnahmen für den Volksentscheid“ unterstützen. Die überlasteten „Pro278 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 300 und 370 f. 279 Referentenschulung Melanchthonstraße vom 2. 6.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, Bl. 17i); Manuskript von Anatoli B. Waks, Proletarischer Internationalismus in Aktion (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.066, Bl. 23). 280 Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen an die SMA für Juli vom 1. 7.1946: Volksentscheid und Christentum, Die Union Nr. 50 vom 16. 5.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, nicht paginiert). 281 Protokoll der Sekretariats-Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 7. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 90). 282 Stellung der Kirchen zum Volksentscheid (SAPMO-BArch, NY 4505 Band 2, Bl. 15 ff.). Vgl. Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen an die SMA für Juli vom 1. 7.1946: Die Landeskirche zum Volksentscheid, Die Union Nr. 21 vom 18. 6.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, nicht paginiert); Stanke, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen, S. 44. 283 Meinecke schied 1948 aus dem Landeskirchenamt aus und wurde Pfarrer einer Dresdner Kirche, siehe Feurich, Lebensbericht, S. 159. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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paganda-Sachbearbeiter der Nachrichtenstellen“ bekamen „Helfer aus den Reihen der anderen Angestellten zum Ankleben und Schreiben“ zur Verfügung gestellt. Jeder städtische Angestellte musste Einsatzbereitschaft zeigen und, wenn die „Funktionäre der Parteien nicht genügen“, auch außerhalb der Arbeitszeit.284 Um den beispiellosen Propagandafeldzug zu realisieren und jede Hauswand mit einem Transparent, jede Amtsstube mit einem Plakat auszustatten, bewilligte die Stadtverwaltung eine Personalaufstockung.285 Allein die Bezirksverwaltung VI ließ in ihrem Stadtgebiet 50 000 Plakate kleben und zusätzlich weitere Tafeln aufstellen sowie Spruchbänder befestigen mit dem Aufruf: „Stimmt mit Ja!“286 Doch der Stadtkommandant war unzufrieden. Weidauer, mehrmals aufgefordert, die „außerordentlich saumselige Einstellung verschiedener städtischer Dienststellen“ bei der Durchführung der Propaganda zu verbessern,287 ordnete eine Überprüfung der Öffentlichkeitsarbeit im Rathaus an.288 Dem Dresdner Polizeipräsident befahl die SMAS eine Versammlung der Polizeileiter einzuberufen, um sie im Beisein sowjetischer Offiziere zu instruieren.289 An die Reviere erging die Anweisung, „verlässliche und geschulte Leute unter die Bevölkerung“ zu schicken, um auf diese Weise die Stimmung zu erkunden und entsprechend darauf reagieren zu können.290 Die ausgeschwärmten Informanten der SED registrierten eine große Zahl kritischer Äußerungen und Bemerkungen. Unter der Arbeiterschaft gelang es nicht, Befürchtungen vor weiteren Enteignungen und damit verbundenen Arbeitsplatzverlusten auszuräumen,291 ehemalige Sozialdemokraten äußerten sich skeptisch. Sie wurden von Instrukteuren bespitzelt, die in den Stadtteilsekretariaten der Partei die vermuteten Bestrebungen einer sozialdemokratischen Fraktion verhindern sollten, „im Falle eines Abspringens von der politischen Linie der SED alle bedeutenden Betriebe mit wegzureißen“.292 In zahlreichen „Großkundgebungen“ versuchte die SED die reservierte Haltung vieler Menschen zu überwinden.293 Auch die Vertreter der Besatzungsmacht ließen nichts unver284 Schreiben des Nachrichtenamtes an die Bezirksverwaltungen und städtischen Dienststellen vom 17. 6.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G/XI/1, nicht paginiert). 285 Schreiben des Statistischen Amtes vom 29. 5.1946 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 102, Bl. 39). 286 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung VI vom 1. 7.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17a, Bl. 115–119). 287 Schreiben Weidauers vom 20. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Handel und Versorgung 102, Bl. 57). 288 Bericht des Nachrichtenamtes vom 24. 6.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VII G / XI/1, nicht paginiert). 289 Protokoll der außerordentlichen Polizeileitersitzung vom 3. 6.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 290 Protokoll der Dienstbesprechung vom 19. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 57, Bl. 121–124). 291 Gerüchte über den Volksentscheid vom 1. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). Vgl. Halder, Prüfstein, S. 600–606. 292 Bericht über die Betriebsversammlung im Lokal Rübezahl am 6. 6.1946 vom 14. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, I/A/1.002/1, nicht paginiert). 293 Vgl. Schröder, Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheids, S. 243 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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sucht, sie versprachen eine Beendigung der Demontagen und energisches Durchgreifen bei Übergriffen der Truppe, die Verbesserung der Versorgung und vieles mehr. Besonders die Lieferung ansonsten knapper Lebensmittel war eine von den sowjetischen Offizieren bevorzugt im Vorfeld wichtiger Ereignisse angewandte Taktik zur Beeinflussung der Bevölkerung.294 Victor Klemperer registrierte: „Plötzliche Überschüttung mit Lebensmitteln. Fisch! Sogar Tabak!“295 Er unterstützte die SED mit seinem Auftritt in einem „Werbefilm für den Volksentscheid“296 und Funktionäre von CDU und LDP warben auf öffentlichen Versammlungen um Zustimmung.297 Eine wichtige Funktion in der Agitation hatten die deutschen Verbrechen in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Zahlreiche Druckschriften und Broschüren betonten eine Schuld aller Deutschen an den Mordtaten.298 Exemplarisch demonstrierte die SMAS unmittelbar vor dem Termin des Volksentscheids, wie sie sich wirkungsvolle Propaganda vorstellte. Am 22. Juni 1946 bestellte sie sächsische Pressevertreter in das unweit von Dresden gelegene Zeithain, wo in einem Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht Zehntausende sowjetische Kriegsgefangene den unmenschlichen Haftbedingungen erlegen und in Massengräbern verscharrt worden waren. Die SMAS hatte nach der Befreiung des Lagers zunächst die Aufklärung der dort geschehenen Verbrechen blockiert, um termingerecht im Juni 1946 in Zeithain Grabungen vornehmen zu lassen und der deutschen Öffentlichkeit die Skelettfunde zu präsentieren. Aus Dresden und den umliegenden Wohnorten wurden zahlreiche Menschen mit Lastkraftwagen zum Lager gefahren und in den Zeitungen erschienen Artikel, die darauf hinwiesen, dass beim Volksentscheid diejenigen Unternehmer, die den Nationalsozialisten nahegestanden und von ihnen profitiert hatten, für die Verbrechen von Zeithain zur Verantwortung gezogen werden sollten.299 Der Chef des sächsischen Innenressorts Kurt Fischer sprach „von der gewaltigen Bedeutung“ der Aktion für den Volksentscheid und verlangte, für die Fahrten nach Zeithain alle verfügbaren Transportmittel bereit zu stellen.300 Sarkastisch kommentierte der ehemalige Sozialdemokrat und Dresdner Stadtschulrat Dölitzsch, „die Sache sei propagandistisch organisiert gewesen“.301 Die Redner auf einer FDGB-Kundgebung in Dresden nahmen in Anwesenheit sowjetischer Gewerkschaftsvertreter gleichfalls auf die Massengräber von 294 Vgl. Creuzberger, Besatzungsmacht, S. 107. 295 Tagebucheintrag vom 27. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 259. 296 Tagebucheintrag vom 9. 6.1946. In: ebd., S. 253. 297 Vgl. Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen an die SMA für Juli, 1. 7.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, nicht paginiert). 298 Vgl. Simonow, Vernichtungslager. 299 Osterloh, Totenwald, S. 474. 300 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen, 20. 6.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 147). 301 Tagebucheintrag vom 27. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 258 f. Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 89. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Zeithain Bezug. Eine SED-Genossin erinnerte an die „russischen Soldaten“ und forderte dazu auf, beim Volksentscheid jener Frauen zu gedenken, die vergeblich auf ihre Männer warteten, weil sie „hier in Zeithain von den Nazis unter die Erde befördert wurden. Denken wir an diese Frauen, dann können wir keinen Augenblick zögern, am 30. Juni unser Ja zu geben.“ Der Dresdner FDGB-Vorsitzende Paul Gruner bezeichnete den Volksentscheid als „Volksgericht“ über die Kriegsverbrecher, bei dem die sächsischen Arbeiter ihre politische Reife und ihre Fähigkeit, „politisch demokratisch zu denken“, unter Beweis stellen könnten. Nach weiteren Ansprachen der sowjetischen Gäste und einer Rede von Buchwitz wurde eine „Resolution zum Volksentscheid von den Anwesenden 100%ig angenommen“.302 Eine solche Instrumentalisierung von Kriegsverbrechen diente keineswegs wie bei den westlichen Alliierten der Aufklärung.303 Sie war vielmehr konstitutives Element einer „anti-faschistischen“ Legitimationsstrategie zur Durchsetzung politischer Ziele. Dieses Verständnis der nationalsozialistischen Verbrechen spielte auch während des Wahlkampfes im Herbst eine wichtige Rolle. SED und SMAS galt die Abstimmung gleichermaßen als Stimmungsbarometer; „der Russe will wissen, wie das Volk eingestellt ist“, hieß es in Dresden. Doch die Stimmung war miserabel und das Volk eher skeptisch, die Arbeiter beklagten die schlechte Ernährung und schimpften auf Bauern und Behörden.304 Das Resultat stand keineswegs von vornherein fest. Die SED benötigte einen innenpolitischen Erfolg, der sie in den Augen ihrer sowjetischen Verbündeten aufwerten sollte, und hoffte, das deutsche Volk werde seine politische Läuterung mit einem für sie günstigen Abstimmungsergebnis unter Beweis stellen.305 Zugleich ging es im Volksentscheid um die Wirtschaftsbasis ihrer künftigen Herrschaft und die Erfüllung der Reparationsforderungen. Selbmann schilderte den Wirtschaftsabteilungen der Verwaltungen die sowjetische Sicht. Die Reparationen seien eine politische Angelegenheit, um „dem deutschen Volk begreiflich zu machen, dass man nicht ungestraft Kriege anzetteln kann“. An deren Erfüllung messe die Besatzungsverwaltung die politische Reife des deutschen Volkes. Selbmann kündigte zugleich Befugnisse der sowjetischen Kommandanten zur Beschlagnahmung der Rohstoffe und Fertigwaren an, die den mit Reparationen beauftragten Betrieben zugeführt würden. Jeden künftigen Versuch, Reparati-

302 Gewerkschaftliche Kundgebung mit einer Delegation der Gewerkschaften aus Sowjetrussland vom 21. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 129–138). 303 Vgl. Barnouw, Ansichten, S. 53–201. 304 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes vom 28. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 104). Vgl. Gerüchte über den Volksentscheid vom 1. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert); Memorandum S. Tjul’panovs für M. Suslov über den Ausgang des Volksentscheids in Sachsen (Auszug) vom 9. 7.1946. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. 49 f. 305 Vgl. Referentenschulung Melanchthonstraße vom 2. 6.1946 (SAPMO-BArch, NY 4095 Band 46, Bl. 17e). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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onslieferungen zu hintertreiben, werde die Landesverwaltung mit der Enteignung beantworten.306 Die lange vertretene Ansicht, die „Auflösung des industriellen Großbesitzes“ habe auf einem breiten Konsens geruht und „wurde speziell von der Arbeiterbewegung getragen, aber auch von bürgerlichen Antifaschisten akzeptiert“,307 ist vor dem geschilderten Hintergrund nicht länger aufrecht zu erhalten. Die Enteignung der 4 000 Betriebe in Sachsen geschah unter Zustimmung von 78 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung – doch viele Menschen hielten das Vorgehen für nicht gerechtfertigt. Die hohe Zustimmungsrate war das Resultat der Propaganda, die den Volksentscheid als notwendig für den Erhalt des Friedens darstellte. Außerdem war die Bevölkerung gezielt verunsichert worden in Bezug auf mögliche Sanktionen der Besatzungsmacht. Das zeigte sich in den Stimmungsberichten zum Volksentscheid. Überdies gab es, überraschend für die SED-Führung, teilweise heftigen Widerstand unter den Arbeitern der betroffenen Betriebe. In mehreren Fällen hatten SED-Betriebsräte sich hinter die Unternehmer gestellt, mit Protestresolutionen die falschen Anschuldigungen entkräftet und die Enteignung verhindern können.308 Vermutlich wurden darin nicht zu Unrecht Hinweise auf eine innerparteiliche Opposition ehemaliger Sozialdemokraten gesehen. Unstrittig aber unterstützten verschiedene der LDP und der CDU nahestehende oder angehörende Personen diejenigen Unternehmer, von deren Unschuld sie überzeugt waren. In Dresden standen 61 Firmen auf der C-Liste, darunter Großbetriebe wie die Zeiss Ikon AG, Seidel & Naumann und die Universelle-Werke mit mehreren Tausend Beschäftigten. Sie verblieben unter sowjetischer Zwangsverwaltung und arbeiteten ausschließlich für Reparationszwecke.309 Weiterhin gingen 115 Betriebe der A-Liste rechtskräftig in das „Eigentum des Volkes“ über, das heißt entweder in kommunalen oder Landesbesitz. Damit hatte die KPD/SEDFührung das wichtigste Ziel ihrer seit dem Sommer 1945 verfolgten Wirtschaftspolitik erreicht. Allerdings arbeiteten auch diese Betriebe größtenteils für die sowjetischen Reparationen, die Schiffswerft Übigau etwa war mit 3,1 Millionen RM und die Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur mit 5,2 Millionen RM im Reparationsplan 1946 veranschlagt.310 Letztendlich wurde im Volksentscheid das gesamte zuvor beschlagnahmte und unter Treuhandschaft gestellte Eigentum den ehemaligen Besitzern entzogen. Zwar sollten die anderen „unter Beschlagnahme oder Zwangsverwaltung stehenden Unternehmen“, die nicht 306 Erfüllung der Reparationsleistung vom 3.6.1946 (StadtAD, Ratsprotokolle 4, Bl. 1099 ff.). 307 Staritz, Geschichte der DDR, S. 21. 308 Bericht der Wirtschafts-Abteilung des SED-Landessekretariats Sachsen vom 18. 7.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/15, Bl. 77 ff.). 309 Liste der „unter der Kontrolle der Sowjetischen Militärischen Administration“ stehenden Unternehmen vom 30. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 215, nicht paginiert). 310 Bericht über die Erfüllung des Lieferplanes aus dem Bundesland Sachsen für die 3. Dekade August 1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 363, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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unter die Bestimmungen zum Volksentscheid fielen, ihren „bisherigen Eigentümern zurückgegeben“ werden.311 Doch hierbei handelte es sich um 180 kleine Firmen, größtenteils Handwerksbetriebe wie Fleischereien und Bäckereien, deren Rückübertragung schließlich verhindert wurde.312 Die Missachtung jener ausdrücklichen Forderung, über die im Volksentscheid abgestimmt wurde, stellt einen eindeutigen Rechtsbruch dar. Offiziell bewertete die SED-Führung das Abstimmungsergebnis als Erfolg, intern zeigte sie sich unzufrieden. Die Genossen in Dresden mochten sich wegen ihres überdurchschnittlichen Ergebnisses von 81 Prozent von der Schelte nicht angesprochen fühlen. Dresden hob sich positiv vom Landesdurchschnitt ab. Nur in vier der zweiundzwanzig Dresdner Stadtbezirke lag die Zustimmung zum Volksentscheid unter dem für Sachsen errechneten Durchschnitt.313 Viel zu spät erkannte die SED im Eintreten von „Betriebsbelegschaften für ihren Naziunternehmer beim Volksentscheid“ alarmierende „Gefahrenzeichen“.314 Sie ging mit den Genossen hart ins Gericht und attackierte „starke politische Schwächen [...] unter den Funktionären und Mitgliedern der SED“ wie auch im FDGB. Nicht allein das zur Belastung der Betriebsinhaber erforderliche Material wurde „nur in sehr unzureichender und äußerst oberflächlicher Form, in vielen Fällen sehr verspätet“ und oft genug „mit direkter Absicht“ überhaupt nicht beigebracht. Die SED zeigte sich besorgt, denn „mangelndes Klassenbewusstsein“ und „direkte oder indirekte Korruption“ signalisiere „eine gefährliche politische Schwäche“. Heftig wurden zudem LDP und CDU attackiert, weil sie als „Anwälte der Unternehmer“ operiert hätten.315 Der Dresdner SED-Kreisvorsitzende Schön zielte mit seiner Kritik gleichfalls auf die potentiellen CDU- und LDP-Wähler.316 Tatsächlich hatte die Kooperation der anderen Parteien bei der Durchführung des Volksentscheids die Position der SED erheblich aufgewertet, und Schön verwies auf deren ausdrückliche „Zustimmung, Billigung und Mitbestätigung“.317 Die hingegen von CDU und LDP mit ihrer Kooperationsbereitschaft bezweckten Einflussmöglichkeiten ließen sich nicht umsetzen, die verlangten Korrekturen verschleppten SMAD und

311 Liste A vom 30. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 215, nicht paginiert). Vgl. Halder, Modell, S. 224. 312 Vgl. Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 190–193. 313 Dresdner Statistik Juli 1946, 63. Jahrgang, S. 10 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, nicht paginiert). 314 Richtlinien zur Bearbeitung unserer Betriebsgruppen vom 24.10.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/5/220, Bl. 140). Vgl. Kanzig, Politik der SED, S. 815 f. 315 Bericht der Wirtschafts-Abteilung des SED-Landessekretariats Sachsen vom 18. 7.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/602/15, Bl. 77 ff.). Vgl. Halder, Modell, S. 233 f. 316 Vgl. 2. Sitzung der beratenden repräsentativen Körperschaft vom 3. 8.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 29). 317 „Schutz dem Privateigentum“, Referat von Otto Schön, o. D. [Juli/August 1945] (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 4, Bl. 349). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Umgestaltung der Wirtschaftsordnung

SED.318 Allerdings hätte eine von CDU und LDP verweigerte Beteiligung an der Situation nichts grundsätzlich geändert. Schon vor dem Volksentscheid konnte die KPD-Führung aus einer Position der Stärke entscheidende Eigentumsveränderungen in die Wege leiten. Das affirmativ interpretierte Abstimmungsergebnis verwehrte ihr hingegen die Einsicht, dass dies nicht adäquat einer Wahl Zustimmung signalisierte. Da aber nun die im Schatten sowjetischer Befehle und alliierter Gesetze durchgeführten Enteignungen eine plebiszitäre Legitimität erhielten, verbesserte sich neben der Wirtschaftsbasis auch die Argumentationsbasis der SED entscheidend. An der Versorgungslage der Bevölkerung änderte die Abstimmung nichts. Die zur Entmachtung der ökonomischen Eliten hinzugetretene Enteignung verringerte allgemein die das wirtschaftliche Handeln stimulierenden Anreize, in der Folge traten Gewinnziele hinter Planerfüllungszielen zurück. Die Vorteile der vergleichsweise günstigen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen gestatteten trotz der sowjetischen Eingriffe ein weiteres Wirtschaftswachstum. Raschere Aufbauerfolge verhinderte die anvisierte Planwirtschaft nach sowjetischem Modell.319

318 Vgl. Protokoll der 18. Sitzung des gemeinsamen Ausschusses der Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 26. 7.1945. In: Suckut, Blockpolitik, S. 160 f.; Eingabe des CDU-Landesverbandes an die Landesverwaltung, enthalten im Arbeitsbericht des CDU-Landesverbandes Sachsen für Juli 1946 an die SMAS vom 1. 8.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–006, Bl. 20). Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 297–301. 319 Buchheim, Kriegsfolgen und Wirtschaftswachstum, S. 526. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

VIII. Festigung der Macht In den Ländern der amerikanischen Besatzungszone fanden seit Ende Januar 1946 Gemeindewahlen statt; in Hessen lag der Stimmenanteil der KPD im Landesdurchschnitt unter 10 Prozent. Überragend gewann die SPD mit weit über 40 Prozent der Stimmen sowohl die Kommunalwahlen wie auch die Wahlen zur Verfassungsberatenden Landesversammlung, gefolgt von der CDU mit etwa 37 Prozent.1 Diese Resultate und das der Urabstimmung der SPD über die Fusion mit der KPD am 31. März in den Westsektoren von Berlin signalisierten der KPD-Führung deutlich, auf welch schmaler Basis ihre Politik stand.2 Die SMAD trat die Flucht nach vorn an und erließ im Juni 1946, inmitten der Vorbereitung des „Volksentscheids“, eine „Wahlordnung für die Landtags- und Kreistagswahlen in der SBZ“.3 Diesen ersten Wahlen, in Sachsen lagen die Termine für die Kommunalwahlen auf dem 1. September und für die Landtagswahlen auf dem 20. Oktober 1946, sahen die Verfechter einer demokratischen Politik mit großen Erwartungen entgegen. CDU und LDP gingen davon aus, durch ein Wählervotum zu ihren Gunsten die innenpolitische Situation mit Hilfe einer parlamentarischen Mehrheit grundlegend ändern zu können. Sie erwarteten von den Wahlergebnissen eine neue Zusammensetzung der administrativen Instanzen.4 CDU und LDP forderten eine demokratische Kontrolle der Verwaltung. Beide Parteien, eingebunden in die kommunistische Blockpolitik, blieben von der politischen Mitbestimmung weitgehend ausgeschlossen. Die wichtigen Positionen der städtischen Verwaltung befanden sich in der Hand von Funktionären der KPD oder ihnen nahestehenden Fachleuten. Sowjetische Befehle bildeten die Handlungsgrundlage des Stadtrates. Vorgaben der „Einheitsfront-Ausschüsse“ beeinflussten seine Tätigkeit kaum: Der Verwaltungsapparat habe „noch nicht begriffen, dass er in erster Linie vorhanden ist, um den politischen Willen der vier demokratischen Blockparteien in die Tat umzusetzen,“ lautete Anfang 1946 das Fazit.5 Hinter verbalen Zugeständnissen dieser Art stand nicht der Wille zur Veränderung der Zustände. Die Aufforderung des sowjetischen Stadtkommandanten, „die Blockparteien weitestgehend zur Mitarbeit in politischen Fragen und bei der Überwachung der Tätigkeit der dezentralen Ämter heranzuziehen,“6 ignorierte die KPD. Die Funktionäre wussten sich mit ihm in Überein1 2 3 4 5 6

Lange, Hessen, S. 401. Anton Ackermann: Zum Ergebnis der Teilwahlen in Hessen [Januar / Februar 1946] (SAPMO-BArch, NY 4109 Band 13, Bl. 328 ff.). Foitzik. Inventar, S. 86. Vgl. Gniffke, S. 206; Handbuch für die Land- und Kreistagswahlen 1946. Vgl. Sitzung der Konstituierenden Versammlung vom 27. 7.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 5). Protokollauszug der Ratssitzung vom 7.1.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 77, nicht paginiert). Protokoll der Ratssitzung vom 8.1.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 559). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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stimmung hinsichtlich einer dilatorischen Behandlung dieser Frage und versuchten weiter, ihre Stimmenmehrheit im Stadtrat auszubauen. Nach der Berufung des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Leißner spitzten sich die Auseinandersetzungen zu. Im März, nach einer Brüskierung des Sozialdemokraten Dölitzsch durch die KPD, die an seiner Stelle Egon Rentzsch als Stadtrat für das Kultur- und Bildungsressort durchsetzte,7 kam es zu einer Kraftprobe zwischen Leißner und Weidauer wegen der willkürlich durch das Personalamt ausgesprochenen Entlassung zweier Beamter. Leißner hatte diese Entscheidung mit guten Gründen rückgängig gemacht, Weidauer wiederum den Personalamtsleiter Kunath angewiesen, an der Entlassung der betreffenden Mitarbeiter festzuhalten.8 Daran entzündete sich eine Kontroverse im Stadtrat. Hier demütigte Weidauer neuerlich Stadtschulrat Dölitzsch. Er zwang ihn zum Verlassen der Sitzung des Rates, an dessen Zusammenkünften er ohne Stimmberechtigung teilnahm. Die Ernennung von Dölitzsch zum stimmberechtigten Ratsmitglied war bislang immer am kommunistischen Veto gescheitert. Anschließend wies die von den KPD-Ratsmitgliedern gestellte Mehrheit hinter verschlossenen Türen die vom Blockausschuss aller Parteien ausgesprochene Rehabilitierung der beiden städtischen Angestellten zurück und beharrte auf deren Entlassung. Einer von ihnen „habe sich früher einmal sehr unliebsam über die Kommunistische Partei ausgesprochen“, hieß es. Die kommunistisch dominierte Betriebsvertretung bezeichnete ihn als „reaktionär“ und Personalamtsleiter Kunath erwirkte daraufhin von der sowjetischen Kommandantur die Anweisung zur Entlassung.9 Mit dem Machtwort düpierten Besatzungsmacht und Kommunisten den sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Die Entlassungen behielten Rechtskraft, und der Vorgang demonstrierte hinlänglich, dass die KPD Widerspruch gegen ihre selbstherrlichen Entscheidungen mit sowjetischer Unterstützung zurückweisen würde. Andererseits blieb sie um die Aufrechterhaltung der „Illusion einer demokratischen Verfahrensweise“ bemüht.10 Nach dem Ausräumen der letzten Gegenwehr in den Reihen der SPD gegen die Zwangsfusion wurde auch im Dresdner Rathaus die Anordnung der Landesverwaltung, einen aus Vertretern aller Parteien und der Gewerkschaft zusammengesetzten Verwaltungsausschuss zu bilden, verwirklicht. Am 30. März 1946 tagte erstmalig das neue Gremium, das Ratsbeschlüsse vorbereiten sollte. Am selben Tag stimmten die KPD-Funktionäre gleichfalls der vom SPD-Unterbezirk Dresden geforderten Berufung Dö-

7 Protokoll der Ratssitzung vom 29.1.1946 (ebd., Bl. 617 ff.). Vgl. Tagebucheintrag vom 2. 3.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 205. 8 Weidauer an Leißner vom 18. 3.1946 (SächsHStAD, SED-BL Dresden, V/2.052.132, Bl. 36). 9 Protokoll der Ratssitzung vom 19. 3.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 826 ff.). 10 Erler, Zur programmatischen Arbeit, S. 118. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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litzschs zum vollberechtigten Ratsmitglied zu.11 Allerdings führte dies nicht zu Mehrheiten gegen die KPD-Politik. Gemeinsam mit der SPD setzte die KPD nun die Einbeziehung des FDGB in den kommunalen Verwaltungsausschuss durch. Aufgrund der Parteidisziplin würden sozialdemokratische Stimmen künftig die Machtbasis der Einheitspartei stärken, so das Kalkül der KPD-Führung. Vor diesem Hintergrund musste die Bereitschaft sowjetischer wie deutscher Kommunisten, Wahlergebnisse zu akzeptieren, fraglich erscheinen, doch über die alliierte Bestimmung einer demokratischen Umgestaltung Deutschlands konnten und wollten sie sich nicht offen hinwegsetzen.12 Auf Seiten von CDU und LDP bestand deswegen die Hoffnung auf eine pragmatische Zusammenarbeit mit der SED und mit der SMAD. Da zwischen den Alliierten unüberbrückbare Gegensätze existierten und ein politischer Normenkatalog fehlte, stand es jeder Besatzungsmacht frei zu definieren, was sie unter Demokratie verstand. Die unklare Begrifflichkeit erschwerte den politischen Akteuren in der SBZ die Orientierung. Der „von den Kommunisten in ihrer Dialektik besonders gepflegte Kunstgriff, überlieferte Begriffe, die in ihren Grundzügen feststehen, einem mehr oder minder unmerklichen Bedeutungswandel zu unterziehen“, führte neben manchem aus einem Übersetzungsfehler im Schriftverkehr herrührenden Missverständnis zu einer Konfusion der Sprache. Die „Verwirrung der Köpfe“ vollendete jene dialektische Technik, die selbst geschaffene „Terminologie nach Bedarf“ auszutauschen und „dem Diskussionsgegner mit dem echten Begriff zu dienen“.13 Das entsprach der Maxime von Matern, man solle weniger vom Sozialismus reden, vielmehr danach handeln.14 Jedenfalls würde auch nach den Wahlen die Haltung der Sowjetunion allein, deren Politik aus Zugeständnissen und Repression bislang Widerstand verhindert hatte, den Ausschlag in der weiteren politischen Entwicklung geben. Welche Möglichkeiten boten sich den demokratischen Kräften in der SBZ, ihr gespanntes Verhältnis zur SED und zur Besatzungsmacht zu verbessern? Wie gestaltete sich überhaupt innerhalb der Einheitspartei, wo Dölitzsch und andere Sozialdemokraten „mit Ärger, fast Erbitterung von der KPD“ sprachen,15 das Kräfteverhältnis zwischen demokratischen Sozialisten und dogmatischen Stali11

Bericht über die 1. Sitzung des Hauptverwaltungsausschusses vom 30. 3.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 853 f.); Protokoll der Ratssitzung vom 30. 3.1946 (ebd., Bl. 855 f.). 12 Vgl. Schlusswort [Walter Ulbrichts] auf der 1. Reichskonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands in Berlin vom 2./3. 3.1946. In: Ulbricht, Reden Band II/I, S. 351– 360, hier 353. 13 Leissner, Verwaltung und öffentlicher Dienst, S. 98. Vgl. Bender, Volkskongreßbewegung, S. 22–25; Boldorf, Sozialfürsorge, S. 126 f.; Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 65; Leonhard, Revolution, S. 440; Naimark, Russen, S. 586. 14 Referat von Hermann Matern auf dem Landesparteitag der KPD Sachsen vom 6. 4.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I / A /001, nicht paginiert). Vgl. Behring, Zukunft, S. 166. 15 Tagebucheintrag vom 9. 6.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 253. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nisten? Denn das im März von Winston Churchill konstatierte Faktum eines geteilten europäischen Kontinents und die damit im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands vollzogene „Trennung vom Westen“16 betrachteten im Sommer 1946 die Zeitgenossen keineswegs als eine bereits entschiedene Tatsache. Gleichwohl stellte die Errichtung einer Diktatur in der SBZ und die damit drohende Teilung Deutschlands eine von ihnen wahrgenommene Gefahr dar, und in dem Bemühen, diese zu verhindern, engagierten sich die einen so aufrichtig wie die anderen darin, den Status quo zu verfestigen. Dass der Volksentscheid allerdings nicht den Beginn einer demokratischen Entwicklung mit dem Ziel, ein gestaltungsfähiges parlamentarisches System zu errichten, sondern vielmehr den Abschluss einer Etappe innerhalb der entscheidenden Transformationsperiode zum Zweck der Errichtung einer Diktatur markierte, stellte sich erst im Anschluss heraus. Berechtigte Hoffnungen und vielfältige Illusionen prägten die Jahre nach Kriegsende. Eine Analyse der politischen Strukturen, der Verknüpfung politischer Verfolgung mit der Entnazifizierung sowie der Schritte auf dem Weg der weiteren Machtkonzentration bei der SED erfordern hier abweichend von der bisherigen Arbeitsweise einen anderen Aufbau des abschließenden Kapitels zu der bis 1948 währenden Konsolidierungsperiode. Im Rahmen eines kompakten Überblicks geht es neben Fakten um die Darstellung exemplarischer Schlüsselereignisse wie den Aufbau des Stadtparlaments nach der Kommunalwahl und das Geschehen im Zusammenhang mit dem Abschluss der Entnazifizierung.

1.

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Die Befürworter der Demokratie erblickten in einer Verordnung der sächsischen Landesverwaltung vom 13. Mai 1946 über die Bildung von „beratenden repräsentativen Körperschaften“ den ersten Schritt zu einer demokratischen Entwicklung. Diese „Körperschaften“ zielten auf ein repräsentatives „Vorparlament“ aus Persönlichkeiten der Parteien und des öffentlichen Lebens und sollten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Das lehnte die sächsische SED-Führung ab. Sie betonte unmissverständlich, „dass dieser Apparat kein Parlament sein wird, sondern es sollen beratende Körperschaften sein“, mit dem einzigen Auftrag, „nach neuen Formen der demokratischen Entwicklung“ zu suchen.17 Erst auf Drängen von Oberbürgermeister Leißner18 traf der Dresdner Stadtrat Vorbereitungen und ließ sich von Parteien und Gewerkschaft Personalvorschläge unterbreiten. Am 16. Juli 1946 ernannte der Rat aus einer ihm 16 Henke, Trennung vom Westen. 17 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 25. 4.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 35). Vgl. Creuzberger, sowjetische Besatzungsmacht, S. 111–114. 18 Antrag des Oberbürgermeisters, o. D. [Juni 1946] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1013, Bl. 115). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vorgelegten Liste die 32 Mitglieder einer „Konstituierenden Versammlung der repräsentativen Körperschaft“.19 Vergleichsweise spät trat am 27. Juli 1946 das aus jeweils acht Mitgliedern von SED, CDU, LDP und FDGB bestehende „Vorparlament“ zusammen. In Chemnitz hatte zu dem Zeitpunkt ein solches Gremium bereits drei Sitzungen abgehalten. Die so genannten „neuen Formen der demokratischen Entwicklung“ zeigten sich in der Einbeziehung des FDGB. Mit der Berufung von Gewerkschaftsvertretern in eine parlamentarische Institution demonstrierte die SED, wie sie den klassischen Parlamentarismus auszuhebeln gedachte: Indem sie nach den Worten von Vizepräsident Fischer „konsequente Genossen“ in parlamentarische Gremien berief, wollte sie einen Mechanismus installieren, der ihre Dominanz sicherte.20 Im Gegensatz dazu stellte Oberbürgermeister Leißner in seiner Eröffnungsansprache bewusst die Kontinuität zur Weimarer Republik und ihrer „formalen Demokratie“ her. Diese Übergangsphase kann tatsächlich allenfalls repräsentativ genannt werden, da auch die Vertreter von den Parteien ohne Wahlmandat in die „Konstituierende Versammlung“ entsandt wurden und zudem die vom Stadtrat vorgenommene Auswahl einen weiteren Filter bildete. Für die SED war das hingegen unerheblich. Der bisherigen Tätigkeit des Dresdner Stadtrates und seinen Beschlüssen fehlte, wie Leißner betonte, die „formelle Legitimation“.21 Diesem Makel wollte sie mit der Etablierung einer „repräsentativen Körperschaft“ begegnen, von der sie die nachträgliche Billigung der Politik des Stadtrates erwartete, womit sie eine politische Grundsatzdebatte auslöste. Gegen diese Forderung der SED verwahrten sich CDU und LDP, die sich wegen der grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten in der Personalpolitik allenfalls zu einer Anerkennung, keineswegs zur umfassenden Billigung der Ratstätigkeit bereit finden konnten. Der Konsensvorschlag hätte eine Konfrontation vermeiden können, doch den Kommunisten ging es um die Unterwerfung der Rivalen. Die Entgegnung Weidauers, es habe in der Vergangenheit „keine erheblichen Schwierigkeiten oder Differenzen mit einer der antifaschistischen Parteien gegeben“, musste auf die anwesenden Vertreter von LDP und CDU sarkastisch wirken. Sie waren von allen politischen Entscheidungen ausgeschlossen gewesen und erklärten sich nicht mit der kommunistischen Politik einverstanden. In der heftigen Debatte konnten sie sich nicht behaupten, und um die gerade erst zusammengetretene Versammlung nicht zu sprengen, sahen sie sich genötigt, die anfängliche Erklärung zu akzeptieren und die Ratstätigkeit zu bil-

19 Protokoll der Ratssitzung vom 16. 7.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 1200 ff.). 20 Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 25. 4.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 38). 21 Sitzung der Konstituierenden Versammlung vom 27. 7.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 2). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ligen.22 Die SED führte die symptomatische Auseinandersetzung äußerst kontrovers, sie ging aus ihr siegreich hervor und setzte sich mit dieser Taktik gegen die um Konsens bemühten anderen Parteien durch. Der grundsätzliche Schlagabtausch verdeutlichte das eigentliche Interesse der SED an dem „Vorparlament“. Nach dem Volksentscheid rückten LDP und CDU von ihr ab, und die SED bemühte sich um eine Einbindung der mit ihr um die Wählergunst konkurrierenden Parteien. Sie wollte sich schon vor den kommenden Wahlen ihren Herrschaftsanspruch bestätigen lassen, da interne Analysen des Volksentscheids sie alarmierten und sie ein Erstarken der „Reaktion“ befürchtete.23 Sie verstand bereits damals darunter politische Bestrebungen, die sie später wie folgt definierte: Es gehöre zu den „Kampfmethoden der Reaktion“, unter der „Betonung des guten Willens zur demokratischen Neuordnung und der absoluten Loyalität gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht [...] die wichtigsten praktischen Maßnahmen zur wirklichen demokratischen Neuordnung [...] einer fortschreitenden offener werdenden Kritik“ zu unterziehen.24 Diese Interpretation richtete sich gegen LDP und CDU und schloss einen pluralistischen Meinungsfindungsprozess gleichberechtigter politischer Kräfte aus. An der Wahlwerbung entzündeten sich weitere Auseinandersetzungen. Die SED nahm ihre bisherige Vormachtstellung in Anspruch und tauschte die alten Transparente zum „Volksentscheid“ an den Fassaden der städtischen Verwaltungsgebäude mit ihren Wahlplakaten aus. Diese musste sie nach Protest der LDP entfernen, sie durfte öffentliche Gebäude nicht wie beim Volksentscheid für Parteiwerbung nutzen.25 Die anlässlich des Volksentscheides zur Schau gestellte Einmütigkeit zerbrach, die Gegensätze zwischen der sozialistischen Partei und ihren beiden Kontrahenten traten offen zu Tage. In den Wahlkampf trugen kommunistische Funktionäre, um sich zu profilieren und um ihr eigentliches Profil, das der beharrlich persiflierten „Russenpartei“, zu verwischen, bewusst politische Diffamierungen und persönliche Beleidigungen. So entfalteten sie gegen den Geschäftsführer des CDU-Kreisverbandes Dresden, Martin Richter, wegen seiner angeblichen Verstrickung in die in Zeithain verübten Kriegsverbrechen eine böswillige Verleumdungskampagne.26 Seit August 1946 leitete unter sowjetischer Aufsicht die politische Geheim-

22 Sitzung der Konstituierenden Versammlung vom 27. 7.1946 (ebd., Bl. 5–13). Vgl. Tagebucheintrag vom 30. 7.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 280 f. 23 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 3. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 24 Information der Pressestelle der Deutschen Verwaltung des Innern über den Aufbau einer Abteilung Nachrichten und Information vom 11.11.1947 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 2, Bl. 266). Vgl. Charakteristik der drei im Land Sachsen bestehenden antifaschistischen Parteien, o. D. [Anfang 1947] (SAPMO-BArch, NY 4505 Band 2, Bl. 19 ff.). 25 Protokoll der Ratssitzung vom 2. 7.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 1312 ff.). 26 Osterloh, Stalag, S. 478 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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polizei, inzwischen „Fachabteilung VI des Kriminalamtes Dresden“, die Untersuchungen im Lager Zeithain.27 Richter kam in das Visier der Ermittler, weil er als einfacher Soldat und ausgebildeter Krankenpfleger Sanitäter im Kriegsgefangenenlager gewesen war. Die Vergangenheit der Spitzenfunktionäre von LDP und CDU durchleuchteten schon seit dem Sommer 1945 die sowjetische und die deutsche politische Polizei genauestens. Anfang Dezember 1945 ließ die „Sonderstelle“ des Dresdner Kriminalamtes Richter überprüfen, ohne jedoch Nachteiliges in Erfahrung zu bringen.28 Nun bezichtigte die SED Richter der Beteiligung an Kriegsverbrechen; das verband sie mit einem Appell an die Wähler, der CDU eine Absage zu erteilen.29 Richter, ein christlicher Gewerkschafter und Mitglied des 1933 aufgelösten Christlich-Sozialen Volksdienstes, hatte als Geschäftsführer des Landesbruderrates der Bekennenden Kirche in Sachsen gemeinsam mit dem Dresdner Reimer Mager30 in Verbindung zum Widerstand um Jakob Kaiser gestanden.31 Spätere Ermittlungsergebnisse bestätigten, dass Richter wegen der Herausgabe von Zeitschriften und illegalen Rundbriefen des sächsischen Pfarrernotbundes und der Bekennenden Kirche mehrmals verhaftet und mit Schreibverbot belegt worden war.32 Die Dresdner SED-Führung musste sich zwar aufgrund der Haltlosigkeit der Vorwürfe von dem Hetzblatt distanzieren,33 dennoch beschädigten derartige Kampagnen das Ansehen der betroffenen Personen. Der Anlass für die Ausfälle gegen Richter war ein an Weidauer gerichtetes Schreiben. Er hatte Bedenken gegen die von Weidauer geplante Umbenennung der Albertbrücke in „Brücke der Einheit“ formuliert. Nachdem ein halbes Jahr zuvor eine Behelfsbrücke für Fußgänger freigegeben worden war,34 wollte die 27 Vgl. Jahresbericht über die Arbeit der Kriminalpolizei 1946 vom 17.12.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 114, Bl. 19). 28 Schreiben der Sonderstelle Kriminalamt Dresden vom 3.12.1945 (SächsHStAD, LBdVP 370, nicht paginiert). 18. Revier an die Sonderstelle Kriminalamt Dresden vom 5.12.1945 (ebd., nicht paginiert). 29 SED-Wahlplakat 1946 (SächsHStAD, LBdVP 42, Bl. 72). 30 Reimer Mager 1906–1966, Weber, nach Besuch der Verwaltungsfachschule 1930 Landesgeschäftsführer im Gesamtverband Christliche Gewerkschaften in Dresden, nach 1933 Bekennende Kirche, 1937 zweimal Schutzhaft, Verbindung zum Widerstandskreis um Jacob Kaiser, 1940–1945 Wehrdienst. 1946 Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft, Mitglied der CDU und des Kreisvorstandes Dresden-Stadt, 1946–1950 Stadtverordneter in Dresden, 1950 Parteiaustritt. Ab 1948 Vorsitzender der Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsen und Vorsitzender des Ständigen Synodalausschusses, 1961 erhielt er die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg. 31 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 173; Feurich, Lebensbericht, S. 47; Nebgen, Jakob Kaiser, S. 48. 32 Beurteilung der Stadtverwaltung Dresden durch die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle, o. D. [Ende 1949/Anfang 1950] (SAPMO-BArch, DC 1/119, nicht paginiert). Vgl. Osterloh, Stalag, S. 478 f. 33 Vgl. Tätigkeitsbericht des CDU-Kreisverbandes Dresden für September 1946 an die SMAS vom 1.10.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–153, nicht paginiert). 34 Vgl. Ansprache Weidauers vom 31.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 6 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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SED im Juli mit einem großen Festakt die nun wieder hergestellte Fahrverbindung über die Elbe eröffnen und damit für ihre Aufbauerfolge werben.35 Nach Richters Auffassung würden mit der beabsichtigten Namensgebung nationalsozialistische Gepflogenheiten fortgeführt: Bezeichnungen wie „SA-Straße oder SA-Platz“ seien „früher in Deutschland nicht üblich“ gewesen, sondern „erst durch den Nazismus eingeführt worden“. Aus diesen Überlegungen heraus stimme die CDU dem Namen „Brücke der Einheit“ nicht zu, zumal die neue Bezeichnung „nicht die gesamte Dresdner Bevölkerung, sondern [...] eine Demonstration für die Vereinigung der KPD und der SPD“ im Blick habe. Solle hingegen „die nach dem Zusammenbruch von 1945 erzielte Gemeinsamkeit im politischen Handeln der verschiedenen Parteien zum Ausdruck“ gebracht werden, favorisiere er die Umbenennung der Albertbrücke in „Blockbrücke“.36 Für Richters Ironie zeigte sich Weidauer nicht empfänglich, auf die Anspielung bezüglich der von den Nationalsozialisten praktizierten Neubenennung öffentlicher Straßen und Plätze reagierte er beleidigt. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten erwies sich Anfang August als völlig aufgebraucht. In der 2. Sitzung der „repräsentativen Körperschaft“ sollten soziale Fragen wie die anhaltend hohe Infektionsrate bei venerischen Erkrankungen, die Jugendkriminalität, die Versorgungsprobleme und die Wohnungsnot diskutiert werden. Neben der Personaldebatte war die in Dresden aufgrund der schweren Zerstörungen besonders drängende Wohnungsfrage ein politischer Dauerkonflikt. Das Wohnungsamt, dessen Personal mehrheitlich die SED stellte, stand ständig in der öffentlichen Kritik. Doch die SED reagierte auf Widerspruch von CDU und LDP gemäß den parlamentarisch-demokratischen Verfahrensweisen mit persönlichen Angriffen. Weidauer bezichtigte die CDU, ihre Redner würden die SED „in den Versammlungen ununterbrochen besudeln“ und gleich den Nationalsozialisten die Öffentlichkeit mit einer sozialistisch klingenden Propaganda über ihre wahren Ziele täuschen. CDU und LDP verwahrten sich gegen die Beleidigungen und verurteilten die aggressiven Ausfälle. Angesichts der aufgeheizten Stimmung versuchte der SED-Kreisvorsitzende Schön zu beschwichtigen und beschwor die Gemeinsamkeit. Immer wieder habe die SED die Zusammenarbeit betont, diese sei das Fundament ihrer Politik für den Aufbau Deutschlands.37 Zwar sollte das Entstehen einer Opposition im Wahlkampf verhindert werden38 und die SED-Führung sprach immer wieder davon, die Beziehungen ge35 Conert / Pollack, Arbeitsberichte der Dezernate Bauwesen und Gewerbewesen, S. 9. Vgl. Kleine Dresden-Chronik, S. 33. 36 Richter an Weidauer vom 1. 7.1946 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 932). 37 2. Sitzung der beratenden repräsentativen Körperschaft vom 3. 8.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 16–58). 38 Vgl. Demokratie und „Demokraten“, o. D. [August 1946] (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/5/4994, Bl. 28–41); Rede Otto Grotewohls auf der Sitzung des Parteivorstandes der SED vom 18. bis 20. 6.1946. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 88–93. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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genüber LDP und CDU zu verbessern, doch sie handelte nicht danach. Gezielt suchte sie in den Berichten der Polizei und der Nachrichtenämter nach Hintergrundinformationen zur Diskreditierung der anderen Parteien.39 Die SED verlangte ausführliche Protokolle über die Versammlungen ihrer politischen Kontrahenten, die namentliche Erwähnung von Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie die inhaltliche Wiedergabe zentraler Aussagen. „Der Sinn der Versammlungsüberwachung“ werde von denjenigen „Polizeibeauftragten“, die nur kurz und knapp berichteten, „nicht erfasst“. Die Kontrollen überforderten die Polizei40 und selbst SED-Funktionäre begehrten dagegen auf. Als die Teilnehmer einer Versammlung der SED-Ortsgruppe Strehlen die Aussprache unter Hinweis auf die Anwesenheit eines Polizeibeobachters verweigerten, bemerkten die Parteifunktionäre, „den Bericht schreiben wir selber“.41 Generell reagierte die SED auf jede Kritik allergisch und besonders auf Äußerungen zur Oder-Neiße-Grenze. Obwohl das Wahlprogramm von LDP oder CDU eine Forderung nach Rückgabe der offiziell unter polnischer Verwaltung stehenden Gebiete nicht enthielt, spielte diese Frage in den Diskussionen der Wähler eine wichtige Rolle, und die SED fürchtete, wegen ihrer Anerkennung der deutschpolnischen Grenze Stimmen zu verlieren.42 In den Polizeidienststellen und in den Außenstellen der Bezirksverwaltungen des städtischen Nachrichtenamtes verfügten SED und SMAS über ein dichtes Informationsnetz. Täglich sollten auf Anweisung der sowjetischen Kommandantur bis 10 Uhr je „ein Bericht über die politischen Versammlungen [...] sowie ein Stimmungsbericht der Bevölkerung“ eingereicht werden.43 Bei der Bespitzelung der Parteien und ihrer Wahlveranstaltungen kooperierten Kriminalpolizei und Ordnungspolizei miteinander. Die Zusammenarbeit ergab sich zwangsläufig aus der Dimension der Überwachung, im Stadtgebiet von Dresden fanden allein im August 2 104 Versammlungen statt. Die „Vereins- und Versammlungsüberwachung“, eine Abteilung der Dresdner Ordnungspolizei, überwachte annähernd die Hälfte davon.44 Die zusammengetragenen Informationen gelangten an das Innenressort der sächsischen Landesverwaltung, von da in die Hän39 Versammlungsberichte aus den Wahlversammlungen der LDP, o. D. [Mitte August 1946] (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert); Versammlungsberichte vom 23.– 27. 8.1946 (ebd., nicht paginiert); Bericht der Nachrichtenstelle der Bezirksverwaltung III über die Versammlung der LDP am 20. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 554, Bl. 62 f.). 40 Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 41 Versammlungsbericht einer SED-Versammlung, o. D. [Mitte August 1946] (ebd., nicht paginiert). 42 Vgl. Bericht zur Verbreitung von Wahlpropaganda in der Landesverwaltung vom 3. 8.1946 (SächsHStAD, LBdVP 393, Bl. 5 f.). 43 Tätigkeitsbericht der Bezirksverwaltung VI für die Zeit vom 1.-15. 9.1946 an den Kommandanten des 6. Rayons und an das Hauptamt vom 16. 9.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/17a Band I, Bl. 140–143). 44 Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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de führender SED-Funktionäre und an die sowjetische Informationsabteilung. Letztere richtete ihre Forderungen an die unter dem Dach der Kriminalpolizei agierenden Geheimpolizisten.45 Neben einer Vielfalt von Versorgungsproblemen bildeten Personalpolitik, Durchführung der Bodenreform und Volksentscheid die Hauptthemen der Wahlveranstaltungen. Verschiedentlich kamen Klagen über eine vermeintliche Bevorzugung von Angehörigen der Landesverwaltung und der Polizei hinsichtlich einer besseren Versorgung zur Sprache. Weitere Fragen galten den von der sowjetischen Geheimpolizei verhafteten Personen, der Entnazifizierung, dem Wiederaufbau und dem künftigen Stellenwert des Privateigentums. Während die SED sämtliche bisherigen Aufbauleistungen für sich reklamierte, profilierte sich die LDP mit Aussagen zum Schutz der Privatwirtschaft und gegen den Aufbau einer Planwirtschaft als nicht-sozialistische Partei.46 Sie sprach sich für die Stärkung des Berufsbeamtentums aus, für eine angemessene Beteiligung an der Verwaltung und die Verteilung der „führenden Stellen in den Behörden“ entsprechend den Wahlergebnissen.47 Vertreter von LDP und CDU warnten vor einer Diktatur der SED und versprachen ihren Wählern an deren Stelle Demokratie. Maßnahmen der Besatzungsmacht hingegen kritisierten sie nicht. Die CDU bemängelte gleichermaßen die einseitige Besetzung der Verwaltung und die bei der Bodenreform begangenen Ungerechtigkeiten. Sie verlangte die Rückbesinnung auf christliche Werte, worunter sie neben dem Schutz des Privateigentums den Aufbau eines sozialen, nicht eines sozialistischen Staates verstand. Trotz gewisser Differenzen zwischen beiden Parteien überwogen aus Sicht der Beobachter die Gemeinsamkeiten, zumal sich gelegentlich die Redner für ein Bündnis gegen die SED aussprachen.48 Insgesamt führten CDU und LDP einen zurückhaltenden Wahlkampf und boten der Polizei keinen Anlass zur Auflösung einer ihrer Versammlungen.49 Die „ruhige und sachliche Haltung der Redner und Diskussionsredner“ stand ebenso im Gegensatz zu den Verunglimpfungen der SED wie die deutlich geringeren materiellen und personellen Möglichkeiten der beiden Parteien.50 45 Polizeipräsident an Kriminalpolizei vom 16. 8.1946 (SächsHStAD, LBdVP 367, nicht paginiert). 46 Bode, Liberal-Demokraten, S. 51. 47 Rede von Dr. Thürmer vom 19. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 554, nicht paginiert). Hervorhebung im Original. 48 Vgl. Versammlungsbericht einer SED-Versammlung, o. D. [Mitte August 1946] (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert); Versammlungsberichte aus den Wahlversammlungen der LDP, o. D. [Mitte August 1946] (ebd., nicht paginiert); Versammlungsberichte vom 23.–27. 8.1946 (ebd., nicht paginiert); Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (ebd., nicht paginiert); Versammlungsbericht über die CDU-Versammlung in der Versöhnungskirche vom 6. 9.1946 (ebd., nicht paginiert). Vgl. zum christlichen Sozialismus Kaiser, Rede. 49 Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 50 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes vom 14. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 91 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die geheimpolizeiliche „Fachabteilung VI“ hatte während ihrer „Großeinsätze bei der Gemeinde- und Landtagswahl“ besonders auf „Flugblattverteiler“ und „Gerüchtemacher“ geachtet, doch sie bilanzierte einen in Anbetracht des Arbeitsaufwandes nichtigen Erfolg: Ihr gelang erst nach der Landtagswahl die Festnahme eines CDU-Angehörigen, den sie der Verbreitung maschinenschriftlicher „Handzettel mit reaktionären Parolen“ beschuldigte.51 Die „reaktionären Parolen“ beinhalteten jedoch keinerlei nationalsozialistische Propaganda, den Spottversen konnte lediglich entnommen werden, dass dem Wahlkampf der SED die Glaubwürdigkeit fehlte: „SED, o weh, o weh. Auf den Plakaten könnt Ihr’s lesen, es ist die SED gewesen! Sie baut die Brücken wieder auf, sie war’s allein, verlasst Euch drauf! Auf den Plakaten könnt Ihr’s lesen, es ist die SED gewesen! Sie sorgte, dass Ihr konntet holen, Kartoffeln, Kohl, Briketts und Kohlen! Auf den Plakaten könnt Ihrs lesen, es ist die SED gewesen! Singt nur begeistert Dankeslieder, das Gas auf Euerm Herd brennt wieder! Wenn morgens früh die Sonn aufgeht und abends wieder untergeht, wenn tags sie scheint in heller Pracht, das hat die SED gemacht! Bald wird man’s in den Straßen lesen, es ist die SED gewesen! Sie schafft Euch Eure Atemluft, und wer’s nicht glaubt, der ist ein Schuft! Man frage doch den Rat der Stadt, ob er noch was zu sagen hat! Da doch die SED allein so trefflich sorgt für Groß und Klein! Wenn die Partei schafft alles nur, nennt so was man nicht Diktatur!! Nachdem die Nazis rausgeschmissen, woll’n wir von so was nichts mehr wissen!!! Du, lieber Wähler, gib fein acht, dass man nichts Dummes mit Dir macht! Lass Dich nicht auf den Besen laden, Du hast davon den größten Schaden!!!“ 52

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Jahresbericht über die Arbeit der Kriminalpolizei 1946 vom 17.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 114, Bl. 20). Vgl. Schmeitzner, Formierung, S. 216. 52 Auszug aus den Tagesberichten der Polizeireviere vom 27. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 65, Bl. 114 f.). Vgl. Polizeipräsidium Dresden, „Einige Fälle von faschistischer Tätigkeit“, 22.12.1946 (SächsHStAD, LBdVP 367, nicht paginiert); Gniffke, Jahre, S. 191. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Offiziere der SMAS drängten die SED zu einem offensiveren Wahlkampf. Mit der frei erfundenen Behauptung, LDP und CDU richteten „öffentliche Angriffe gegen die Verwaltung“ und die SED, verlangten sie „aggressiv [...] gegen die Reaktion“ zu kämpfen.53 Auf diese Weise ermuntert, überschüttete die SED ihre Kontrahenten mit Unterstellungen und bezichtigte deren Funktionäre, „unsere Vertreter in den Verwaltungen gehässig und unberechtigt“ anzugreifen. Sie unterstellte den beiden bürgerlichen Parteien, „die legalen Möglichkeiten zum politischen Kampf gegen die ihnen unangenehme demokratische Entwicklung auszunützen“. Folglich sprach sie ihnen eine demokratische Einstellung ab, rückte sie in die Nähe der von ihnen in den westlichen Besatzungszonen beobachteten „reaktionären“ Strömungen und rief die Wähler mit der Parole „Kampf gegen die Reaktion“ auf, der SED die Stimme zu geben. Allein sie stehe für Frieden, für die Einheit Deutschlands und „eine wirklich demokratische Entwicklung“.54 Einen besonderen Propagandaerfolg versprach sich die SED davon, einzelne Mitglieder der anderen Parteien zu einem Übertritt zu bewegen, und als ihr dies bei zwei LDP-Mitgliedern gelang, meldete sie dies unter der Schlagzeile „Die SED ist die Heimat der Demokratie“.55 Sie betonte ihre vorgeblich liberalen und demokratischen Grundsätze in der Absicht, die Bevölkerungsmehrheit für sich zu gewinnen.56 Den kleinen Geschäftsleuten versprach sie die Freiheit der Wirtschaft und den Christen die Freiheit des Glaubens,57 allen versprach sie den Frieden und den Wiederaufbau. Sowjetische Offiziere verboten Plakate, Flugblätter und Publikationen sowie Versammlungen der nichtkommunistischen Parteien. Sie handhabten die Lizenzierung der LDP- und CDU-Ortsgruppen restriktiv; im Unterschied zur sächsischen Landeshauptstadt konnten in vielen kleineren Gemeinden die Parteien nicht zur Wahl antreten, weil ihnen die erforderliche Zulassungsgenehmigung fehlte.58 Diese massive sowjetische Beeinflussung des Wahlkampfes, die einseitige Bevorzugung der SED und die von der SMAD ergriffenen und geförderten restriktiven Maßnahmen gegen CDU und LDP bildeten eindeutige Verstöße ge-

53 Protokoll der SED-Sekretariatssitzung des Bezirks Ostsachsen vom 5. 8.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/2097, nicht paginiert). 54 Referentendispositionen für Häuserblock-Versammlungen zu den Gemeindewahlen vom 12. 8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV /2/5/4994, Bl. 21–27); Demokratie und „Demokraten“, o. D. [August 1946] (ebd., Bl. 28–41). 55 Sächsische Zeitung Nr. 89 vom 16. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 320, Bl. 11). 56 Schutz dem Privateigentum, Referat von Otto Schön o. D. [August 1946] (SAPMOBArch, NY 4077 Band 4, Bl. 348–352). Vgl. Waldemar Kirbach an Werner Talheim in Leipzig, 15.10.1945. In: Malycha, Weg zur SED, S. 165 f.; Tagebucheintrag vom 28. 5.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 250. 57 Vgl. Meinecke, Arbeiterbewegung und die Kirche. 58 Vgl. Wertung der Gemeindewahlen in der SBZ am 1., 8. und 15. September 1946 von Georg Dertinger (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–040, nicht paginiert); Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 329 f.; Krippendorff, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, S. 96 f.; Naimark, Russen, S. 385. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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gen die für eine Abhaltung freier Wahlen geltenden Grundsätze.59 Die SED erhielt nicht allein ausreichend Papier und technische Hilfsmittel. In Dresden agitierte Gardemajor Ljubiansky von der Informationsabteilung für die SED mit einem Referat über „Die friedliebende Politik der Sowjet-Union“. Das Nachrichtenamt der Stadtverwaltung organisierte Versammlungen, die teilweise direkt in Betrieben stattfanden. Auf diese Weise erreichte der sowjetische Offizier mehrere Tausend Menschen, denen er versicherte, die Sowjetunion hege keine Rachegefühle gegenüber dem deutschen Volk, sondern wolle den Aufbau fördern. Diese „Großzügigkeit der UdSSR“ könne das Volk bei der Wahl mit der Stimmabgabe würdigen.60 Sein unmissverständlicher Hinweis auf den Ausgang der Wahl verstärkte unter den Zuhörern bestehende Ängste vor Sanktionen. Die Verhaftung eines CDU-Jugendreferenten während des Wahlkampfes in Dresden durch sowjetische Sicherheitsorgane war eine wirkungsvolle Einschüchterungsmaßnahme.61 Auch maßgebliche SED-Politiker drohten mit Repressionen.62 Sie stellten wie schon beim Volksentscheid den Verwaltungsapparat in ihren Dienst und griffen auf das für diese Zwecke aufgestockte Personal zurück, das städtische Nachrichtenamt ließ Tausende Wahlplakate und Handzettel drucken und verteilen.63 Die SED erhielt zusätzliche Papierkontingente. Sie ließ Plakate der anderen Parteien abreißen oder mit Hakenkreuzen übermalen, streute Gerüchte und blockierte die Freigabe von Räumlichkeiten für die Versammlungen.64 Gleichwohl trog die Wahrnehmung, der SED könnte aus den Gemeinsamkeiten zwischen CDU und LDP eine Gefahr erwachsen. Antiklerikale Äußerungen mancher liberaler Politiker verstimmten die CDU; ein liberaler Redakteur bezichtigte sie des latenten Antisemitismus.65 Ungeachtet dessen befürchtete die SED-Führung, in der parlamentarischen Arbeit würden „LDP und CDU eng zusammenstehen“.66 Auf Grund der zum Teil widersprüchlichen Informationen beurteilten die kommunistischen Führungskräfte ihre Aussichten auf einen Wahlerfolg skeptisch. Den ursprünglichen Auftrag, die Gemeindewahlen noch besser als den

59 Vgl. Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 298 ff. 60 Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 61 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 323 f. 62 2. Sitzung der beratenden repräsentativen Körperschaft vom 3. 8.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 29). Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 89 f. 63 Informationsdienst Nr. 20 vom 10. 9.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1032, nicht paginiert). 64 Versammlungsbericht über die CDU-Versammlung in der Versöhnungskirche vom 6. 9.1946 (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 65 Klare Front!, Abschrift aus Sächsisches Tageblatt vom 6. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 554, Bl. 38 f.). 66 Bericht über eine Unterredung mit Professor Kastner vom 25. 7.1946 (SAPMO-BArch, NY 4113 Band 16, Bl. 110). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Volksentscheid zu organisieren, erfüllte die SED nicht.67 Die mit der Verschmelzung von KPD und SPD einhergehende Neustrukturierung der Parteigruppen hatte zu einem Rückzug „aktiver Genossen“ aus der Parteiarbeit geführt.68 „Die Frist zwischen der Vereinigung und den politischen Kampagnen“, so lautete die kritische Feststellung aus verschiedenen Dresdner Stadtteilen, habe nicht ausgereicht, „um alle organisatorischen Fragen, die sich aus der Vereinigung ergaben, zu bewältigen“.69 Hinter solchen Formulierungen könnte sich eine Distanzierung ehemaliger Sozialdemokraten von der SED-Politik verbergen. Die SED stand unter Erfolgszwang, denn der Ausgang der Gemeindewahlen entschied über die Frage des Vertrauens der Bevölkerung in die Politik. Weil zudem die Besatzungsmacht darin einen „Gradmesser“ für die in ihrem Sinn „demokratische Entwicklung“ erblickte, würden die sowjetischen Parteiführer in Moskau und die Besatzungsoffiziere vor Ort die SED-Funktionäre für einen Misserfolg verantwortlich machen.70 Die Erkenntnis, das Votum könne zugleich ein Urteil über die sowjetische Deutschlandpolitik bedeuten, lag ihnen fern.71 Die von Kriegsängsten und Furcht vor der Besatzungsmacht bestimmte öffentliche Meinung hatte indessen längst entschieden. Gerüchte spiegelten die Hoffnung auf eine politische Veränderung wider und drückten den Wunsch nach einer Befreiung von der sowjetischen Besatzung aus.72 Wie bereits im Vorjahr reagierte die SED auf die „Stimmungskrise“ der Bevölkerung zum einen mit gezielter Versorgungspolitik. Ihrem Wunsch entsprechend ließ die sowjetische Militärverwaltung „auf Antrag der SED“ die Rationen erhöhen und die Dresdner Geschäfte mit zusätzlichen Nahrungsmitteln beliefern. Damit nicht genug, präsentierte die SED-Propaganda in der Ausstellung „Das neue Dresden“ eine Erfolgsbilanz des Wiederaufbaus. Im Auftrag der Partei veranlasste der Kommunale Frauenausschuss „Sonderfahrten mit der Straßenbahn zur Ausstellung für die Hausfrauen“. Auch Funktionäre der Stadtverwaltung hoben die Leistungen hervor.73 Zum Abschluss einer Fülle von Wahlkampfveranstaltungen reiste schließlich Otto Grotewohl nach Dresden und warb „vor 10 000 Einwohnern für die Kandidaten der Einheitspartei“.74 67 Vgl. Allgemeiner Stimmungsbericht über den Tag des Volksentscheides vom 1. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 68 Bericht über den Monat Juli aus dem Gebiet des Kreisvorstandes Dresden vom 2. 8. 1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/5/220, Bl. 78). 69 Bericht vom 12. 8.1946 (ebd., Bl. 42 ff.). 70 Referentendisposition für Häuserblock-Versammlungen zu den Gemeindewahlen vom 12. 8.1946 (SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/5/4994, Bl. 21). 71 Vgl. Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 19. 8.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 464 ff.); Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 75. 72 Vgl. Gerüchte über den Volksentscheid vom 1. 7.1946 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 73 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes vom 14. 8.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 91 ff.). Vgl. Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes der Stadt Dresden, 25. 9.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 28, nicht paginiert). 74 Bericht der Abteilung Vereins- und Versammlungsüberwachung vom 3. 9.1946 (Sächs HStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Nach der Wahlniederlage der SED

Das Auszählen der Stimmen am 1. September 1946 dauerte bis tief in die Nacht und das Wahlergebnis gelangte erst am anderen Tag an die Öffentlichkeit. LDP und CDU behaupteten sich erfolgreich und Klemperer sprach von einer „Wahlkatastrophe“ seiner Partei.75 Auf ganz Sachsen bezogen hatte die SED zwar mit 53,7 Prozent aller Stimmen die absolute Mehrheit und somit in den Kommunalwahlen ihren ersten Wahlsieg erzielt. Doch der durchschlagende Erfolg war ausgeblieben, die SED in Dresden zeigte sich tief enttäuscht von dem Resultat, dass sie mehr noch als die Wahlniederlage wenige Wochen später in Berlin als empfindlichen politischen Rückschlag betrachtete.76 Die Bedeutung, die sie der Dresdner Kommunalwahl beimaß, kommt darin zum Ausdruck, dass hier sechs ihrer Spitzenkandidaten antraten, die sich anschließend erneut zur Wahl in den sächsischen Landtag stellten. Es handelte sich hierbei um so prominente Funktionäre wie den Vizepräsidenten der Handwerkskammer Karl Bischoff (KPD/ SED), die SED-Landessekretärin Gertrud Glöckner (SPD/SED), den Gewerkschaftsfunktionär und FDGB-Landesvorsitzenden Paul Gruner (KPD / SED), die frühere KPD-Landtagsabgeordnete Olga Körner und nicht zuletzt Otto Buchwitz selbst sowie Walter Weidauer. Sie legten wenig später ihr Stadtverordnetenmandat zugunsten ihres Landtagsmandats nieder.77 Wegen der Signalwirkung des Dresdner Wahlergebnisses hatte sich die SED auch um populäre Kandidaten bemüht und zu diesem Zweck die parteilose Tänzerin Gret Palucca aufgestellt, der allerdings mehr an einer Förderung ihrer künstlerischen Reputation gelegen war.78 Die CDU verbuchte es trotz einer gewissen Unzufriedenheit79 ihrerseits als Erfolg, dass die SED nicht die angestrebte hegemoniale „Stellung als Staatspartei erreichen konnte“.80 In Dresden verfehlte die SED die absolute Mehrheit knapp: 39 Sitze gingen an sie, 28 an die LDP und 13 an die CDU.81 Im Stadtkreis Dresden erhielt die SED 48,4 Prozent der Stimmen, in Leipzig nur 46,3 Prozent, in Plauen und Zwickau knapp 42 Prozent, in Chemnitz hingegen 52,4 Prozent und in Görlitz 50,9 Prozent. In der Mehrzahl aller Landkreise lag die SED deutlich über 50 Prozent, teilweise wie in den Kreisen Dippoldiswal75 Tagebucheintrag vom 2. 9.1946. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 297. 76 Stimmungsbericht des Nachrichtenamtes der Stadt Dresden vom 25. 9.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 28, nicht paginiert). Vgl. Deutscher, Reportagen, S. 188. 77 Beschlussprotokoll Nr. 39 der Sekretariatssitzung vom 29.10.1946 (SächsHStA, SEDBPA Dresden, A/778, Bl. 252). 78 Vgl. Beschlussprotokoll Nr. 7 der Sekretariatssitzung vom 27.1.1947 (SächsHStA, SEDBPA Dresden, A/779, Bl. 43); Stabel, Palucca, S. 156 ff. 79 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 274. 80 Wertung der Gemeindewahlen in der SBZ am 1., 8. und 15. September 1946 von Georg Dertinger (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–040, nicht paginiert). Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 331–339. 81 Sitzordnung der Stadträte und Gemeindevertreter 25. 9.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1036, nicht paginiert). Vgl. Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 176– 188. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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de, Hoyerswerda und Niesky über 70 Prozent. Dieses Ergebnis beruhte wesentlich auf Eingriffen der SMAS. In Orten, wo die SED in den Kommunalwahlen bedeutend mehr Wählerstimmen als die bürgerlichen Parteien erhielt, näherte sich in den folgenden Landtagswahlen das Resultat dem Landesdurchschnitt an. Zuvor hatten CDU und LDP oft keine Ortsverbände gründen und somit nicht zur Wahl antreten dürfen. Hingegen wurde die CDU im traditionell evangelischen Erzgebirge, etwa im Landkreis Aue-Schwarzenberg, zur absolut stärksten Partei; hier und im Landkreis Auerbach konnte sie gemeinsam mit der LDP eine überzeugende Mehrheit erringen.82 Beide Parteien bildeten in der Wählergunst eine offensichtliche Alternative zur SED. Aus der Wahlpraxis in Dresden, wo Frauen und Männer in verschiedenen Wahlurnen getrennt voneinander abstimmten, erschließt sich, welche Stimmen beim Wahlergebnis den Ausschlag gaben. Annähernd 62 Prozent der Stimmberechtigten waren Frauen, sie stimmten mit 36,1 Prozent für die LDP und mit 17,8 Prozent für die CDU. In dreizehn der zweiundzwanzig Stadtbezirke votierten für CDU und LDP zusammen mehr Wählerinnen als für die SED, die so von den annähernd 193 000 abgegebenen gültigen weiblichen Stimmen nur 86 500 erhielt.83 Die Frauen entschieden die Wahl für die beiden bürgerlichen Parteien. Die SED-Kommunalpolitiker hatten, obwohl im Besitz aller relevanten Positionen, seit einem Jahr kaum eines ihrer Versprechen eingehalten und nicht für Sicherheit und Ordnung gesorgt.84 In der Situation erwies sich das demographische Übergewicht der Frauen als entscheidend. Sie sahen sich mehrheitlich nicht von der SED, sondern von LDP und CDU vertreten. Über diese Problemlage war sich die SED im Klaren gewesen, ihre Suche nach Lösungswegen gleichwohl vergeblich geblieben.85 Ihre Taktik, mit 36 Frauen mehr als ein Drittel ihrer Listenplätze in Dresden mit Kandidatinnen zu besetzen, um sich im Wahlkampf als Partei der Frauen darzustellen,86 hatte versagt. Schockierend traf sie jetzt, dass sie in den Städten und besonders in den Arbeiterhochburgen nicht jenes Ausmaß an Zustimmung fand, mit dem sie fest rechnete.87 Hier führte die Analyse der Kommunalwahlergebnisse zu Erkenntnissen, die aus dem Abstimmungsverhalten beim Volksentscheid nicht hervor82 Vgl. Braun, Wahlen und Abstimmungen, S. 404 ff. 83 Statistik Gemeindewahl 1. 9.1946 (SächsHStA, SED-Landesleitung Sachsen, Abt. Staatliche Verwaltung, A/921, Bl. 21). Vgl. Dresdner Statistik November 1946, 63. Jahrgang, S. 10 f. (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, nicht paginiert). Vergleichbare Befunde ergaben sich auch in anderen Städten, Matthiesen, Greifswald, S. 520 f. 84 Bericht der Ordnungspolizei vom 4. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 65, Bl. 81). 85 Sekretariatssitzung der SED-Landesleitung Sachsen vom 7. 6.1946 (SächsHStA, SEDLandesleitung Sachsen, Abt. Staatliche Verwaltung, A/778, Bl. 76–98); Sekretariatssitzung der SED-Landesleitung Sachsen vom 15. 6.1946 (ebd., Bl. 105–109). 86 Vgl. Wahlvorschläge für die Gemeindewahl am 1. September 1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 86, Bl. 13 f.). 87 Protokoll der Sitzung des erweiterten Bezirkvorstandes Ostsachsen der SED vom 28. 9.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/2097, nicht paginiert). Vgl. Naimark, Russen, S. 386. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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gegangen waren. Damals hatten die führenden Funktionäre gemeint, die Agitation besonders unter Geschäftsleuten und Handwerkern und in Regionen mit einer starken Verankerung der Bevölkerung in den Kirchen intensivieren zu müssen, sich aber ansonsten der Fiktion einer positiven Aufnahme des Volksentscheids in der Bevölkerung hingegeben.88 In drei repräsentativen Dresdner Arbeiterbezirken mit einer überdurchschnittlichen Zustimmung zum Volksentscheid kam die SED in den Kommunalwahlen kaum über 56 Prozent der Stimmenanteile hinaus. In traditionellen Arbeitervierteln wie Pieschen, Trachenberge und in der äußeren Neustadt erzielten LDP und CDU zusammen noch über 40 Prozent der Stimmen, in der inneren Neustadt standen sich beide Wählerblöcke mit jeweils 49 Prozent stimmengleich gegenüber. In diesem Stadtbezirk stimmten gleichfalls mehr Frauen für CDU und LDP. Ein so hohes Potential an Ablehnung unter den Arbeitern überraschte die SED-Funktionäre. Ihrerseits erreichte sie in den hauptsächlich von Angehörigen des Mittelstands und des Bürgertums bewohnten Stadtvierteln wie Plauen, Bühlau oder Strehlen einen Stimmenanteil von lediglich 35 Prozent, während CDU und LDP mit zusammen 63 Prozent beziehungsweise 64 Prozent die Wahl unzweifelhaft für sich entschieden. In elf der insgesamt zweiundzwanzig Dresdner Stadtbezirke dominierte die SED, in den anderen elf Stadtbezirken errangen LDP und CDU die absolute Mehrheit, wobei die LDP mit einem Stimmenanteil zwischen 28 Prozent und 47 Prozent stets vor der CDU lag. In vier Stadtbezirken wurde sie sogar stärkste Partei.89 Demnach muss für die Ursache dieser Niederlage der SED in den Wohnvierteln der Arbeiter neben den bereits genannten Faktoren oppositionelles Wahlverhalten ehemaliger SPD-Wähler in Betracht gezogen werden, die mit einer Ablehnung der SED die Liquidierung ihrer Partei beantworteten, wie schon eine zeitgenössische Analyse vermutete.90 In einer ersten Bestandsaufnahme ging auch die Dresdner SED-Führung davon aus, dass in der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien und in Spannungen beider Parteilager ein Grund für das schlechte Abschneiden bei der Wahl zu finden sei.91 Von Konsequenzen aus ihrer Einsicht allerdings weit entfernt, versuchte sie, die Realität zu beschönigen.92

88 Vgl. Protokoll der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen vom 4./5. 7.1946 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/754, Bl. 189 f.); Referat von Otto Schön auf der Sitzung des SED-Landesvorstandes vom 4./5. 7.1946 (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 4, Bl. 328). 89 Zahlen aus Dresdner Statistik November 1946, 63. Jahrgang, S. 10 f. (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1080, nicht paginiert). Vgl. Bericht über den Vergleich zwischen Volksentscheid, Gemeindewahlen und Volkskongresswahlen vom 17. 5.1949 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 126, Bl. 48). 90 Wertung der Gemeindewahlen in der SBZ am 1., 8. und 15. September 1946 von Georg Dertinger (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–040, nicht paginiert). 91 Malycha, SED, S. 230. 92 Protokoll der Sitzung des erweiterten Bezirkvorstandes Ostsachsen der SED vom 28. 9.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/2097, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Das Wahlergebnis stellte den Vorsitzenden der SED-Stadtverordnetenfraktion Otto Schön im Stadtparlament vor die schwierige Aufgabe, mit der Minderheit von 39 SED-Abgeordneten, deren er sich im Konfliktfall keineswegs sicher sein konnte, gegen die Mehrheit von 41 Stimmen der anderen Fraktionen die Beschlüsse seiner Partei durchzusetzen. Schließlich befanden sich 19 ehemalige Sozialdemokraten in der SED-Fraktion, unter ihnen mit Arno Wend, Clemens Dölitzsch, dem Geschäftsführer der Handwerkskammer Dresden Bruno Pieper und dem Betriebsratsvorsitzenden Alfred Krill vier so genannte „Feinde der Einheit“.93 Diese generelle Unsicherheit bezüglich des Abstimmungsverhaltens, die parlamentarische Unerfahrenheit vieler Abgeordneter94 und die Heterogenität der Fraktion, deren aktive Mitglieder mit dem Aufstieg ihrer Partei beruflich und sozial arrivierten, schränkte den Herrschaftsanspruch der SED erheblich ein. Die SED musste unter allen Umständen eine geschlossene Oppositionsfront und „die Bildung eines sogenannten Bürgerblocks“ von CDU und LDP verhindern und zu dem Zweck den „Gegner“ spalten in einen „fortschrittlichen demokratischen Teil“ und in einen „reaktionären undemokratischen Teil“.95 Im Gegensatz zu Städten wie Plauen im Vogtland, wo sich die SED in der Stadtverordnetenversammlung in einer ausgeprägten Minderheitsposition befand,96 ließen sich die Verhältnisse in Dresden recht gut überblicken. Andererseits fehlten hier solche Mehrheitsbeschaffer wie Frauenauschüsse, Kulturbund und Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), die der SED im sächsischen Landtag, wo sie mit 49,1 Prozent ebenfalls knapp die absolute Mehrheit verfehlte, zusätzlich drei Stimmen sicherten.97 Die Gegenseite stellte ebenso wenig einen einheitlichen Block dar. CDU und LDP gelang es aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Differenzen nicht, ihre Mehrheit zu einem einvernehmlichen Vorgehen gegen die SED nutzen, zudem verhinderte dies ihre Einbindung in die Blockpolitik. Unter den 28 Abgeordneten der LDP-Fraktion mit ihrem Vorsitzenden Walter Thürmer genossen liberale Anschauungen eine hohe Wertschätzung. Dies galt besonders für die jüngeren wie den 25-jährigen Wolfgang Mischnick, die nach dem Ende von Nationalsozialismus und Krieg individuelle und gesellschaftliche Freiheitsrechte hoch schätzten. Dem politischen Handeln vieler CDU-Mitglieder lagen hingegen mehr traditionell konservative Wertvorstellungen und eine „christliche Verantwortung“ zugrunde. Divergierende Haltungen wie idealistische Motive des Einstiegs in die Politik oder das bei manchen unübersehbare Bedürfnis, an der Macht teilzuhaben und Positionen zu erringen, trugen zur Partikularisierung beider Gruppen bei. Dessen ungeachtet besaß die SED ein homogenes Feind93 Vgl. Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 574. 94 SED-Sitzung vom 22.10.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 256). 95 Referat Weidauers über die Gemeindeordnung, o. D. [Ende September 1946] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 123, Bl. 32). 96 Krone, Plauen, S. 179–192. 97 Braun, Wahlen und Abstimmungen, S. 418; Richter / Schmeitzner, Einer von beiden, S. 91. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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bild: Sie bezichtigte beide Parteien, „der Reaktion eine Möglichkeit zur Sammlung ihrer Kräfte zu verschaffen“. In LDP und CDU versuchten ihrer Meinung nach die „faschistischen Kräfte [...] ihre reaktionären Absichten unter dem Deckmantel der liberalen Demokratie [...] zu verwirklichen“.98 Die Gegensätze innerhalb von LDP und CDU äußerten sich exemplarisch in den beiden Fraktionsführern Walter Thürmer und Reimer Mager. Letzterer, ein gelernter Weber und aktiver christlicher Gewerkschafter, arbeitete nach dem Besuch einer Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung zuerst im Sekretariat des Zentralverbandes Christlicher Textilarbeiter in Zittau, ehe er in eine führende Position des Gesamtverbandes Christliche Gewerkschaften in Dresden aufrückte. 1933 entließen die Nationalsozialisten Mager, sie inhaftierten ihn mehrmals wegen seiner Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche und seiner Kontakte zum Widerstand. 1946 trat er der CDU bei, er gehörte der Partei und dem Stadtverordneten-Kollegium bis 1950 an und war bis zu seinem 1948 erzwungenen Rücktritt vom Fraktionsvorsitz einer der schärfsten Kritiker der SED-Politik.99 Er verkörperte den Typus eines Demokraten, der konsensfähig und zu Kompromissen bereit war, wo es ihm notwendig erschien, der jedoch opportunistische Zumutungen entschieden zurückwies und den bedingungslosen Wandel der CDU zur anpassungsbereiten Blockpartei nicht mit vollzog. Thürmer hingegen, ein promovierter Naturwissenschaftler und Fabrikant, bis 1933 Dresdner Stadtverordneter für die DVP, wurde 1945 Mitglied des sächsischen Landesvorstandes der LDP und Vorsitzender des Stadtverbandes Dresden. Seine politische Flexibilität gegenüber der Besatzungsmacht ebnete ihm den Weg über den Dresdner Stadtrat in die sächsische Landesregierung. Er wurde Vorsitzender der sächsischen LDP sowie Mitglied des Landtages und der Volkskammer der DDR. Sein politischer Ehrgeiz führte ihn 1950 an die Spitze des sächsischen Ministeriums für Gesundheitswesen. Doch in dieser Funktion und in der des stellvertretenden Ministerpräsidenten erreichte er den Höhepunkt seines Aufstiegs. 1952 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TH Dresden, die ihm erst 1966 den Professorentitel verlieh.100 Er gehörte zu denjenigen Fraktionsmitgliedern, die nach Ämtern strebten und dabei ihre Partei Schritt für Schritt der SED unterordneten. Sie ermöglichten der SED das Auswechseln missliebiger und kritischer Politiker. Den Rahmen für die Arbeit der Stadtverordneten setzte neben der soeben in Kraft getretenen Gemeindeordnung die Besatzungsmacht, wie die Anwesenheit des sowjetischen Stadtkommandanten Spiridonow in der ersten Sitzung des Kommunalparlaments am 29. September 1946 demonstrierte. Er beteuerte, die Sowjetunion werde alle Kräfte für die Einheit Deutschlands und für eine Politik der Demokratisierung einsetzen. Aus seinen Worten wie aus denen der ande98 Charakteristik der drei im Lande Sachsen bestehenden antifaschistischen Parteien, o. D. [Anfang 1947] (SAPMO-BArch, NY 4505 Band 2, Bl. 19). 99 Lebenslauf Reimer Mager vom 5. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 143, Bl. 47 f.). 100 Lebenslauf Walter Thürmer vom 14.12.1946 (ebd., Bl. 98). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ren Redner sprach die Wertschätzung der Demokratie.101 Darunter verstand aber jeder etwas anderes. Der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Oberbürgermeister Leißner formulierte in einer späteren Analyse der öffentlichen Verwaltung der SBZ als Quintessenz der eigenen Erfahrungen, dass selten „die willkürliche Umwertung eines Begriffes so eindeutig wie bei dem der ‚Demokratie‘“ hervorgetreten sei.102 Die anwesenden Vertreter der Parteien sprachen von Demokratie, ohne diese Differenzen zu thematisieren. Präsident Friedrichs würdigte ausführlich die in der Gemeindeordnung festgelegten Befugnisse der gewählten Parlamentarier. Die Gemeindevertretung sei „oberstes Willens- und Beschlussorgan der Stadt“, der Stadtrat lediglich deren ausführendes Organ. Er sei an die Beschlüsse der Gemeindevertreter gebunden und ihnen gegenüber verantwortlich. Ein mehrheitliches Misstrauensvotum der Stadtverordneten könne zur Abberufung jedes einzelnen Ratsmitgliedes oder des gesamten Rates führen. Diese Festlegung der neuen Gemeindeverfassung erweitere die Rechte der Stadtverordneten und bedeute eine „Vertiefung der demokratischen Prinzipien und des demokratischen Verantwortungsbewusstseins“.103 Den Sachverhalt an sich stellte Friedrichs richtig dar, den entscheidenden Schwachpunkt der Gemeindeordnung verschwieg er. Da er aus eigener Erfahrung die Praxis der kommunalen Selbstverwaltung wie die der staatlichen Hoheitsverwaltung kannte, und einer stabilen Demokratie, in der staatliche Eingriffe in Selbstverwaltungsrechte unmöglich sein sollten, das Wort redete, hätte er auf die aus Paragraph 21 entstehenden Gefahren hinweisen müssen: Zur kompletten Annullierung des Wahlergebnisses genügte bereits der Antrag eines Drittels aller stimmberechtigten Stadtverordneten. Ein Minderheitenvotum konnte die vorzeitige Auflösung der Stadtverordnetenversammlung und die Durchführung von Neuwahlen erzwingen.104 Die SED schrieb der kommunalen Selbstverwaltung die Rolle einer Grundlage für die demokratische Ordnung zu.105 Folglich hatten sich führende Funktionäre wie Weidauer maßgeblich an der Ausarbeitung einer neuen Gemeindeordnung beteiligt.106 Der Passus zur Parlamentsauflösung in der Gemeindeordnung wies seinen Worten zufolge den Weg, um in denjenigen „Gemeinden und Städten, in denen das gegenwärtige Wahlergebnis uns nicht befriedigt, bei einer guten und geschickten Arbeit unserer Partei, die Auflösung 101 1. Sitzung der Gemeindevertreter vom 25. 9.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 74). 102 Leissner, Verwaltung und öffentlicher Dienst, S. 98. Vgl. zum Verständnis von Demokratie bei Hermann Matern Behring, Zukunft, S. 166 f. 103 1. Sitzung der Gemeindevertreter vom 25. 9.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 73). Vgl. Friedrichs, Parlament; Mielke, Auflösung der Länder, S. 29 ff. 104 Demokratische Gemeindeordnung für das Land Sachsen vom 6. 2.1947. In: Weidauer, Wege der Kommunalpolitik, S. 109–119, hier 113. 105 Vgl. Protokoll der 3. Sekretariatssitzung des SED-Landesvorstandes vom 14. 4.1946 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/778, Bl. 10 f.). 106 Weidauer an Fischer vom 4. 3.1946 (SächsHStAD, LRS MdI Nr. 263, Bl. 14). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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des Parlaments“ herbei zu führen. Weidauer sprach von der Gemeindeordnung als „guter Waffe“ zur Verhinderung bürgerlicher Koalitionen. Aufgabe der Blockpolitik sei es, „die Bildung eines sogenannten Bürgerblocks zu verhindern“ und den „Gegner aufzuspalten“.107 Mit ihrer bewusst in Betracht gezogenen Obstruktionspolitik zielte die SED auf eine autoritäre Lösung und wollte die gewählten parlamentarischen Mehrheiten mit der permanenten Auflösungsdrohung unter Druck setzen. Sie beabsichtigte keineswegs die Installierung einer unabhängigen und vor willkürlichen Eingriffen geschützten demokratischen Ordnung, sondern die Beseitigung des Parlamentarismus mit plebiszitären Methoden. Friedrichs lehnte in Übereinstimmung mit seiner Partei die von ihm „Musterbeispiel einer nur formalen Demokratie“ genannte Weimarer Republik ab,108 und gebrauchte wie die Kommunisten diesen plakativen Terminus, mit dem jene schon immer die demokratische Ordnung geschmäht hatten. Der SED-Fraktionsführer Schön verunglimpfte den Parlamentarismus als „Kretinismus“, und bezog in diesen Vergleich neben der Weimarer Republik ausdrücklich die derzeitigen deutschen Nachbarstaaten mit ein, deren „Parlamentarismus [...] keine Demokratie“ sei.109 Die Konzeption einer solchen als neu apostrophierten Regierungsform war seit dem Sommer 1945 das Ziel der Blockpolitik. Für SMAD und SED-Führung bedeutete Demokratie „die Einheit aller demokratischen Kräfte“, der parlamentarische Prozess der Konsensfindung hingegen die „Zersetzung der Demokratie“.110 Für ein solches Gesellschaftskonzept war die Abhaltung freier und geheimer Wahlen nicht zwingend erforderlich, sondern lediglich ein außen- wie innenpolitisch bedingtes Zugeständnis. Die KPD/SED wollte im Schatten sowjetischer Präsenz an die Macht gelangen und verfolgte zu diesem Zweck die Strategie einer „Umarmung“ konkurrierender politischer Kräfte, um auf friedlichem Weg die Herrschaft zu übernehmen. Der Terminus „kämpferische Demokratie“ beinhaltete die kommunistische Vormachtstellung unter einer bürgerlich-parlamentarischen Fassade.111 Der wichtigste Theoretiker der unmittelbaren Nachkriegszeit, Anton Ackermann, betrachtete die „Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisiert“, als Mittel zur Bekämpfung des Staates. Demzufolge dürfe die „Klasse der Bourgeoisie durch besondere Umstände nicht über den militaristischen und bürokratischen staatlichen Gewaltapparat“ verfügen. Der friedliche 107 Referat Weidauers über die Gemeindeordnung, o. D. [Ende September 1945] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 123, Bl. 16–34). 108 1. Sitzung der Gemeindevertreter vom 25. 9.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 73). Vgl. Bender, Volkskongressbewegung, S. 25 ff. 109 „Marxistische Staatstheorie“, Referat Otto Schöns vom 12. 3.1946 (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 4, Bl. 134). 110 „Der Plan des demokratischen Neuaufbaus.“ Aus der Rede Walter Ulbrichts auf der 1. Reichskonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands in Berlin vom 2./3. 3. 1946. In: Ulbricht, Reden Band II, S. 540–565, hier 554. 111 Vgl. Schroeder, SED-Staat, S. 11. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Übergang zum Sozialismus werde unmöglich, wenn sich der demokratische Staat erneut in ein Gewaltinstrument in den Händen der „reaktionären Kräfte“ entwickle.112 Otto Schön nannte die demokratische Republik nicht das Endziel, sondern eine Etappe auf dem Weg zum Sozialismus.113 Der so verstandene Demokratiebegriff trat als Methode des Klassenkampfes an die Stelle der in der Weimarer Republik propagierten Revolution und beinhaltete weder die Gleichheit aller Bürger, Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit, noch die Garantie von Grundrechten und die Geltung des Mehrheitsprinzips.114 Die geringen „demokratischen Freiheiten“ der Stadtverordneten zeigten sich in der Wahl des Oberbürgermeisters und der Kandidaten für den Stadtrat, die nach einer Absprache im Block der Parteien erfolgte. Die lange Zeitspanne, die zwischen der Kommunalwahl und der Ratswahl Anfang Oktober 1946 verging, war auf die mit der Verdrängung Leißners und der Nominierung Weidauers verbundenen internen Auseinandersetzungen zurückzuführen. Die CDU sprach sich für Leißner aus, da sie befürchtete, an seine Stelle trete „ein Vertreter der SED [...], der eine radikalere Haltung“ einnähme.115 Den ausdrücklichen Wunsch der LDP, den Oberbürgermeister oder zumindest dessen Stellvertreter zu stellen, ignorierte die SED. Weidauer erhielt daraufhin von den 76 anwesenden Stadtverordneten nur 66 Stimmen, er wurde mit acht Stimmenthaltungen und zwei ungültigen Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt. Auch die Vorbehalte gegenüber den anderen Kandidaten der SED waren mit bis zu 23 Stimmenthaltungen deutlich ausgeprägt. Demgegenüber erfolgte die Wahl der Kandidaten von CDU und LDP mit großer Mehrheit. Die Stimmenthaltungen wertete die SED als „Kampfansage“ der bürgerlichen Parteien, in deren Reihen sie die Abweichler vermutete. Diese wiesen jedoch die Vorwürfe mit der Feststellung zurück, dass bei einer geheimen Wahl die Herkunft der Stimmenthaltungen nicht bekannt sein könne.116 Dennoch bekräftigte die SED diese Version, um von innerparteilichen Differenzen abzulenken.117 Erwartungsgemäß dominierte die SED den neuen Dresdner Stadtrat. Sie stellte sieben der vierzehn Ratsmitglieder: Oberbürgermeister Walter Weidauer, den für Versorgung und Ernährung zuständigen ersten Stellvertreter Otto Wagner, den Leiter des Bildungsressorts Egon Rentzsch und die Personalchefin Charlotte Dietrich, den Leiter des Zentralamtes Fritz Dobberke118 und den für die kommunalen Betriebe zuständigen Erich Barthel sowie den Polizeipräsiden112 Vgl. Ackermann, Gibt es einen besonderen deutschen Weg. 113 „Marxistische Staatstheorie“, Referat Otto Schöns vom 12. 3.1946 (SAPMO-BArch, NY 4077 Band 4, Bl. 139). 114 Vgl. Rabl, Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen, S. 252 ff. 115 Tätigkeitsbericht des CDU-Kreisverbandes Dresden für September 1946 an die SMAS vom 1.10.1946 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–153, nicht paginiert). 116 2. Sitzung der Stadtverordneten vom 10.10.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 96 f.). 117 Protokoll der erweiterten SED-Landesvorstandssitzung vom 11./12. 3.1947 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/757, Bl. 140). 118 Fritz Dobberke, geb. 3.10.1910, Druckermeister, SPD seit 1928, 1946 SED. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten Opitz. Die weiteren sieben Ratsmitglieder kamen aus den Reihen von CDU und LDP: Der Wirtschaftsdezernent und zweite Bürgermeister Friedrich Gruhler,119 der Leiter des Gesundheitsamtes Professor Hans Hübner120 und der Wohnungsamtsleiter Otto Weber,121 alle LDP; der dritte Bürgermeister Martin Richter im Sozialamt und der Rechtsamtsleiter Arthur Müller122 waren CDUMitglieder. Auf Vorschlag der CDU blieb der bisherige parteilose Finanzdezernent Erich Goslar123 im Amt, und die LDP sollte nach dem überraschenden Tod des Stadtbaurates Dr. Herbert Conert124 den neuen Leiter des Stadtbauamtes benennen. Die SED stellte den Oberbürgermeister, dessen Stimme bei einem unentschiedenen Votum den Ausschlag gab. Sie behielt sämtliche wichtigen Ressorts und hatte sich mit dem nicht von den Stadtverordneten gewählten, sondern mit Zustimmung der sowjetischen Stadtkommandantur zum Stadtrat ernannten Polizeipräsidenten die Mehrheit gesichert. Sie setzte sich damit über alle Widerstände von LDP und CDU hinweg, deren Reaktionen erkennen ließen, dass sie nur unter dem Druck der Omnipotenz von SED und SMAS zustimmten. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Reimer Mager resümierte resigniert, dass in Verbindung mit der Blockpolitik von „demokratischen Möglichkeiten“ nicht gesprochen werden könne.125 In der Besetzung der Verwaltung bewirkte das Wahlergebnis keine durchgreifende Änderung. Indem sie die Forderungen von CDU und LDP nach einer veränderten personellen Zusammensetzung des Verwaltungspersonals zurückwies, sicherte sich die SED die Loyalität der Angestellten im Dresdner Rathaus, von denen keiner den Arbeitsplatz verlieren wollte. Nun kam es für die SED darauf an, durch geschicktes parlamentarisches Taktieren, wie Schön es im Nachhinein beschrieb, „trotz bürgerlicher Mehrheit“ in der Stadtverordnetenversammlung der angestrebten „Lösung aller fortschrittlichen Probleme“ nachzuhelfen.126 119 Dr. Friedrich Gruhler, geb. 29.8.1890, 1945 LDP, 1946–1948 Leiter des Gewerbeamtes und 2. Bürgermeister in Dresden, danach in einer Anwaltskanzlei in Dresden tätig. 120 Prof. Dr. Hans Hübner, geb. 28.2.1877, 1923 DP, 1912 Professor für Haut- und Geschlechtskrankheiten bis 1914 in Marburg, kriegsbeschädigt (rechte Hand), sozialärztlicher Dienst, Gutachterarzt im Versorgungsamt Leipzig, 1935 Entlassung aufgrund der nationalsozialistischen Rassegesetze, bis 1944 Pensionär, Deportation nach Theresienstadt. 1945 LDP, zunächst Gutachter der Landesversicherungsanstalt Sachsen, 1946 Stadtrat in Dresden. 121 Otto Weber, geb. 3.2.1881, Verwaltungsbeamter, 1919 DPD, 1945 LDP. 122 Arthur Müller, geb. 13.4.1879, 1908 DVP, Verwaltungsbeamter bei der Reichsbahn, 1945 CDU. 123 Dr. Erich Goslar, geb. 26. 2.1903, Banklehre und Jura-Studium, Referendar, wegen der nationalsozialistischen Rassegesetze 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, 2. Staatsprüfung erst 1945, parteilos. 124 Dr. Herbert Conert, 1886–1946, Bauingenieur, seit 1922 in der Stadtverwaltung Dresden. Vgl. Sächsisches Tageblatt und Die Union vom 8. 6.1946 (StadtAD, Dezernat Aufbau 159, Bl. 206). 125 2. Sitzung der Stadtverordneten vom 10.10.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 96 f.). 126 Schön an Weidauer vom 4.12.1967 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden V /2.052.062, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dabei erwies sich die Wahl von Clemens Dölitzsch zum Stadtverordnetenvorsteher als geschickter Schachzug. Der erfahrene Parlamentarier nahm als Schuldezernent weiterhin an den Ratssitzungen teil und leistete seiner Partei unschätzbare Dienste bei der Steuerung schwieriger Verhandlungen in der Stadtverordnetenversammlung. Seinem Geschick verdankte es die SED in erster Linie, dass die Bildung einer geschlossenen Oppositionsfront zwei Jahre lang verhindert werden konnte: Er galt als „Spezialist der parlamentarischen Spielregeln“, der mit seinem sicheren und redegewandten Auftreten den „Verlauf der Stadtverordnetensitzungen [...] vollkommen in seiner Hand“ behielt. Ungeachtet dessen waren seine Entscheidungen mitunter unberechenbar und eigenwillig, da er in „seiner politischen Entwicklung im Wesentlichen auf der Stufe von 1933 stehen geblieben“ sei.127 Das repräsentative Amt band den umtriebigen ehemaligen Sozialdemokraten, dessen Aktivitäten Altkommunisten wie SMAS mit Sorge verfolgten,128 hinlänglich in die kommunistische Politik ein. Dölitzsch verwand zwar seine Zurücksetzung hinter Egon Rentzsch nie ganz, doch die ihm von der sowjetischen Propaganda-Abteilung vorgeworfene illegale Betätigung für die SPD129 fand in seiner Verhandlungsführung keinen Niederschlag. Dölitzsch stand absolut loyal zur SED. Die Partei übte allerdings auch erheblichen Druck auf ihn aus. Mit dem wechselseitigen Einsatz rhetorischer Mittel und verhaltener Drohungen verhinderte die SED während der folgenden Monate das Entstehen einer gemeinsamen Opposition von LDP und CDU, sie band die Fraktionen jeweils in alternierende Koalitionen ein. Anfang Februar 1947 verabschiedete der Sächsische Landtag die Gemeindeordnung, ohne jemals die vorgesehenen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Damit fehlte die zeitliche Begrenzung des Wahlmandats. Die SED trieb die gesellschaftliche Umgestaltung in ihrem Sinn voran und berief nach Paragraph 19 Personen, die ihre Interessen vertraten, in die parlamentarischen Ausschüsse. Diese Ausschüsse erhielten enorme Bedeutung, weil sie über die „Vorbereitung der Beschlüsse der Gemeindevertretung“ hinaus auch „einzelne Aufgaben oder Aufgabengebiete“ eigenverantwortlich im Auftrag der Kommunalparlamentarier beschließen konnten. Da die Gemeindeordnung die Berufung von Personen ermöglichte, die nicht dem Parlament angehörten, konnte die SED das Stimmenverhältnis der ansonsten paritätisch zu besetzenden Ausschüsse zu ihren Gunsten verändern.130

127 Beurteilung der Stadtverwaltung Dresden durch die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle, o. D. [Ende 1949/Anfang 1950] (SAPMO-BArch, DC 1/119, nicht paginiert). 128 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 3. Quartal 1948 vom 2.10.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 229, l. 158). 129 Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 300–303. 130 Demokratische Gemeindeordnung für das Land Sachsen vom 6. 2.1947. In: Weidauer, Kommunalpolitik, S. 112 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Nach der Wahlniederlage der SED

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Übereinstimmend mit den „Dresdner Beschlüssen des Kommunalpolitischen Beirats der SED“131 versuchte Weidauer, „in weitgehendstem Maße für alle Ausschüsse die Vertreter der verschiedensten Organisationen und Schichten der Bevölkerung zur Mitarbeit“ zu gewinnen. Die „reale Demokratie“ unterschied sich in seiner Vorstellung von der bloß „formalen Demokratie“ durch die unmittelbare Einschaltung der Bevölkerung in Verwaltung und Wirtschaft und stellte deshalb die Vorstufe zu einer „sozialistischen Demokratie“ dar. Die angestrebte „Mitarbeit der breitesten Volksschichten an und in der Verwaltung“ zielte auf die Beseitigung der „bürgerlich-demokratischen Prinzipien“.132 Die SED begründete ihre diesbezüglichen Vorstöße mit der „weiteren Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens“.133 Das Argument des verstärkten Einbeziehens der Bevölkerung in die öffentlichen Angelegenheiten sollte den Einfluss von LDP und CDU beschneiden, die okkupierten Machtpositionen sichern und die Durchdringung der Gesellschaft ermöglichen. Die angeblich „überparteilichen“ Organisationen, um die es sich dabei handelte, waren Schöpfungen der SED, und fast immer befanden sich SEDGenossen in Spitzenpositionen. Die gleichermaßen hinzugezogene fachliche Kompetenz verlieh den Ausschüssen die Autorität, durch Gutachten oder Empfehlungen die Beschlüsse der Stadtverordneten zu präjudizieren. Bei der Kooptierung von Vertretern gesellschaftlicher Organisationen ging es darum, die Mehrheitsverhältnisse zu verschieben und den Einfluss der SED auf die paritätisch besetzten und somit teilweise von Vertretern der LDP und CDU dominierten parlamentarischen Ausschüsse auszuweiten. Ihr Wunschziel hatte die SED ungewöhnlich klar formuliert: „Die Vorschläge zur weiteren Demokratisierung der Verwaltung weisen den Weg zur Entwicklung einer umfassenden Kontrolle des gesamten Lebens durch das Volk.“ Die Beschlüsse forderten neben einer verstärkten „Berufung der Einwohner in die Ausschüsse“ auch eine „Ausdehnung der ehrenamtlichen Mitarbeit von Einwohnern in der Verwaltung“ durch die „Einberufung von Einwohnerversammlungen zur Besprechung wichtiger Angelegenheiten“.134 Hinter dem populistischen Gedanken einer scheinbaren Volksherrschaft traten die Konturen der Einparteienherrschaft hervor. Überdies führte die permanente Politisierung der Bevölkerung zwangsläufig zu einem Einbruch der SED in die Privatsphäre. Anfang 1947 wurde der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) aus der Befürchtung heraus gegründet, die SED könne bei neuerlichen Wahlen wiederum eine große Anzahl von Stimmen an die CDU verlieren.135 Das bedeu131 Die Dresdner Beschlüsse des Kommunalpolitischen Beirats der SED. In: Richtlinien der SED. Vgl. Mielke, Auflösung der Länder, S. 59. 132 Weidauer, Kommunalpolitik, S. 47 und 60 ff. Vgl. Bender, Volkskongressbewegung, S. 79. 133 1. (26.) öffentliche Sitzung vom 15.1.1948 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 550). 134 Dresdner Beschlüsse des Kommunalpolitischen Beirats der SED, S. 36. 135 Vgl. Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 115; Weber, Demokratischer Frauenbund Deutschlands. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tete zugleich die Zentralisierung der ehrenamtlichen Arbeit aller bisher bestehenden Frauenausschüsse.136 Wie bei der noch 1945 geschaffenen Volkssolidarität137 und der im folgenden Jahr entstandenen Freien Deutschen Jugend (FDJ)138 ging es neben der Kanalisierung und Ideologisierung von Initiativen um den systematischen Zugriff auf Menschen. Deswegen musste das 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht installierte System der Hausvertrauens- und Straßenobleute139 gestrafft werden. Polizeipräsident Opitz forderte eine in „Volkskontrollausschüssen“ organisierte „Volksinitiative“ zur öffentlichen Überwachung.140 Ähnlich den nach Kriegsende systematisch aufgebauten Frauenund Jugend-Ausschüssen sollte die ehrenamtliche Tätigkeit erweitert und durchorganisiert werden. Bisher bestanden nahezu 40 Blockausschüsse in den Stadtbezirken mit etwa 4 500 ehrenamtlichen Helfern. Die hinzukommenden 20 000 Hausobleute, so das Kalkül, könnten der „Stadtverwaltung buchstäblich vom Oberbürgermeister bis herunter ins einzelne Haus eine enge Verbindung“ ermöglichen.141 Der Einsatz dieser Hausobleute bei administrativen Aufgaben der Stadtbezirke und ihre Unterstellung unter die Weisungsbefugnis der Stadtbezirksleiter bedeutete eine Missachtung grundlegender demokratischer Prinzipien. Dieser Eingriff in die Verwaltungsautonomie schränkte bürgerliche Freiheitsrechte ein. Dagegen erhob die CDU Einspruch, da dies die Wirksamkeit parlamentarischer Beschlüsse der Stadtverordneten in Frage stellen und überdies einem interaktiven Überwachungsauftrag an die gesamte Bevölkerung gleichkommen musste. Allerdings stand sie mit ihrer Ablehnung allein und konnte nicht die Machtkonzentration bei einzelnen Personen und eine Verfälschung des Wählerwillens durch die beliebige Einschaltung gesellschaftlicher Organisationen verhindern.142

136 Vgl. Igel, Nothelferinnen. 137 Boldorf, Sozialfürsorge, S. 173–180. Vgl. Springer, Volkssolidarität; Tischner, Wohlfahrtspflege. 138 Vgl. Mählert, Freie Deutsche Jugend; Noack, Jugendpolitik der KPD. 139 Vgl. Behring, Massenaufmärsche, Arbeitseinsatz, Hausvertrauensleute, S. 400. 140 17. (23.) öffentliche Sitzung der Stadtverordneten vom 20.11.1947 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 473 ff.). Vgl. Behring, Massenaufmärsche, Arbeitseinsatz, Hausvertrauensleute, S. 402. 141 Weidauer, Kommunalpolitik, S. 64 ff. 142 1. (26.) öffentliche Sitzung vom 15.1.1948 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 551 f.) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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In Dresden spiegelten sich wie in anderen Städten die Frontlinien des Kalten Krieges, die bereits 1946 zwischen den Großmächten aufbrachen.143 1947 verhärteten sich die Positionen deutschland- und außenpolitisch weiter; auf „Truman-Doktrin“ und Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz folgte die Verkündung des European Recovery Program, des auf gegenseitiger Abstimmung und Gleichberechtigung der Empfängerländer beruhenden MarshallPlans zum europäischen Wiederaufbau. Nach anfänglichem Zögern wies die UdSSR eine Beteiligung daran zurück und schuf wenig später mit dem Kommunistischen Informationsbüro (Kominform) die Plattform für einen Block osteuropäischer Staaten unter ihrer Führung. Stalin ließ die These der zwei einander unversöhnlich gegenüberstehenden Lager des „Sozialismus“ und des „Imperialismus“ verkünden.144 Die SMAD versuchte im Sommer des Jahres die Teilnahme der ostdeutschen Regierungschefs an der Münchner Ministerpräsidentenkonferenz zu unterbinden und ließ insgeheim die Vorbereitungen zu einer separaten Währungsreform anlaufen.145 Unter der Bevölkerung stieg die Kriegsangst.146 In dieser Situation vollzog die SED im September 1947 auf ihrem 2. Parteitag die Wendung zu einer offenkundig separatistischen Deutschlandpolitik.147 Sie begann den 1. Deutschen Volkskongress vorzubereiten und eröffnete damit die Gründungsphase des volksdemokratischen ostdeutschen Teilstaats innerhalb des sowjetischen Machtbereichs.148 Die Sowjetunion erweiterte ihre Vorherrschaft: Im Februar 1948 beseitigten in Prag die tschechoslowakischen Kommunisten die sozialdemokratische Regierung;149 im September wurde in Nordkorea eine Volksdemokratische Republik proklamiert. Nach der Absage Titos an die Moskauer Führung band sie Ost- und Ostmitteleuropa enger an sich. Auf der anderen Seite forcierte die Londoner Sechsmächte-Konferenz die Integration der westdeutschen Besatzungszonen in einen zu bildenden westeuropäischen Block.150 In den Beratungen über eine effektive Verteilung der Marshall-Plan-Gelder näherten sich die westeuropäischen Staaten einander an. Die Sowjetunion hatte bereits im Vorfeld der Konferenz dagegen protestiert, weil damit eine „Deutschland als Ganzes“ zu behandelnde Frage ohne ihr Beisein zur Diskussion stand. Im März zog sie aus dem Alliierten Kontrollrat aus und 143 Henke, Trennung vom Westen, S. 427 ff. 144 Foitzik, Fragen der sowjetischen Außenpolitik. Vgl. Halder, Teilung, S. 42–46; Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 110–120. 145 Vgl. Laufer, deutsche Währungsfrage, S. 476 ff.; ausführlich zur Münchner Konferenz Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 159–207. 146 Informationsbericht des Nachrichtenamtes 13.–19. 4.1947 vom 22. 4.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1039, Bl. 18 ff.). 147 Vgl. Gniffke, Jahre, S. 253 ff.; Leonhard, Revolution, S. 576 ff. 148 Vgl. Halder, Deutsche Teilung, S. 64 f. 149 Vgl. Sattler, Gründung der DDR. 150 Vgl. Schellenberg, Londoner Sechsmächte-Konferenz. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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beantwortete wenig später die Währungsreform in den Westzonen mit der Berlin-Blockade. Die von der SED seit November 1947 im Auftrag der SMAD vorangetriebene Initiative zum Volkskongress sollte Stalin eine neue deutschlandpolitische Option eröffnen.151 Der gesamtdeutsche Vorstoß der SED polarisierte über der Frage einer Teilnahme am Volkskongress die nichtkommunistischen Parteiführungen und ihre Mitglieder.152 Selbstverständlich standen letztere auch in Dresden dem Gedanken einer gesamtdeutschen Repräsentation positiv gegenüber, teilten aber nicht die offiziellen Verlautbarungen von SED-Funktionären.153 Auch Victor Klemperer, von der SED zur Teilnahme nominiert, sah im Volkskongress eine „reine Demonstration“ seiner Partei, die besonders an einer Mitarbeit nicht parteilich gebundener Persönlichkeiten interessiert war.154 Die Meinungen hinsichtlich der für die politische, kulturelle und wirtschaftliche Einheit Deutschlands erforderlichen Schritte gingen weit auseinander. Mehr noch als in der LDP regte sich in der CDU Widerspruch gegen den SED-Vorschlag, da sie, wie übrigens auch die Parteien im Westen, die kommunistische Initiative als Versuch wertete, die Führungsrolle der SED auf die westlichen Besatzungszonen auszudehnen.155 Sie befürchteten als Reaktion auf die versuchte Erweiterung der sowjetischen Einflusssphäre eine Vertiefung der Spaltung beziehungsweise die Teilung des Landes.156 Daraus speiste sich die Skepsis hinsichtlich der Erwartungen an die Londoner Außenministerkonferenz.157 Im Herbst 1947 schienen viele Menschen bereits jede Hoffnung auf den Erhalt der Einheit aufgegeben zu haben,158 Propagandaveranstaltungen der SED ignorierten sie.159 Anfang 1947 hatte Otto Schön noch darauf spekuliert, die in der LDP und der CDU vorhandenen Spannungen zur Stärkung der eigenen parlamentarischen Position nutzen und Teile der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung auf die Seite der SED ziehen zu können.160 Das stellte sich als Irrtum heraus und die SED registrierte im Herbst, dass sich in den „Blockparteien [...] die rückschrittlichen Kräfte zu eindeutig reaktionären Gruppierungen“ zusam151 Vgl. Bender, Volkskongressbewegung, S. 107 f.; Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 129 ff. 152 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 387–391; Bender, Volkskongressbewegung, S. 119–124; Conze, Kaiser, S. 199 ff.; Gniffke, Jahre, S. 277 f. 153 Vgl. 18. (24.) öffentliche Sitzung der Stadtverordneten vom 4.12.1947 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 484 ff.). 154 Tagebucheintrag vom 1.12.1947. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 466. 155 Bender, Volkskongressbewegung, S. 145 f.; Wettig, Stalins Politik, S. 39 ff. 156 Bode, Liberal-Demokraten, S. 89 und 97; Richter, Ost-CDU, S. 34. 157 Vgl. Merziger, Außenministerkonferenz London. 158 Sonderbericht des Nachrichtenamtes vom 27.11.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1033, Bl. 2). 159 Tagebucheintrag vom 7.12.1947. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 471. 160 Protokoll der erweiterten SED-Landesvorstandssitzung vom 16. 2.1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/757, Bl. 49). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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menschlössen.161 Dazu hatten die personalpolitischen Auseinandersetzungen im Rathaus beigetragen, bei denen die SED versuchte, die Parteien gegeneinander auszuspielen und ihre Stellung im Verwaltungsapparat auszubauen. Der wegen einer Personalaffäre im Ernährungsamt eingesetzte Untersuchungsausschuss brachte Versäumnisse des Personalamtes zur Sprache,162 deren Veröffentlichung die SED-Fraktion der Stadtverordneten nur durch eine Vereinbarung mit den anderen Parteien verhindern konnte. Gegen diesen Beschluss der Blocksitzung protestierte die SED-Betriebsgruppe der Stadtverwaltung und verhinderte die ursprünglich vorgesehene Ablösung des verantwortlichen SEDAbteilungsleiters im Personalamt. Sie stellte sich hinter den Funktionär und sprach davon, „seit Monaten einen erbitterten Kampf um entscheidende Positionen in der Stadtverwaltung“ gegen die „Ansprüche der Bürgerlichen“ zu führen, das sei „Klassenkampf in aller Schärfe“. Auch wenn die SED-Betriebsgruppe hier offenkundig Ursache und Wirkung verwechselte, rückte die SEDFraktion von ihrer Zusage ab,163 wodurch sie wiederum ihre Beziehungen zu LDP und CDU in der Stadtverordnetenversammlung nachhaltig belastete. Aber die Wahrnehmung von „Klassenkampf“ galt nicht nur für die Vorgänge hinter den Kulissen. Das Protestpotential gegen die Politik von SMAD und SED wuchs. Die Anzahl politischer Gefangener war merklich gestiegen seit der Zwangsvereinigung von KPD und SPD und den Wahlen im Herbst 1946.164 In Dresdner Gefängnissen befanden sich unter den mindestens 600 Häftlingen während des Frühsommers 1947 nach Ansicht des evangelischen Seelsorgers der Sächsischen Landeskirche „ein großer Teil aus politischen Gründen inhaftierter Intellektueller“.165 Den Informationen Günther Nollaus zufolge, des späteren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der in seiner Dresdner Anwaltspraxis örtliche Funktionäre der SPD verteidigte, inhaftierten sowjetische Sicherheitskräfte allein im Gefängnistrakt des ehemaligen Landgerichts am Münchner Platz mehrere hundert Sozialdemokraten.166 Diese Schätzungen entsprachen durchaus der Realität, zumal schon das Lesen von Zeitungen wie „Sozialdemokrat“, „Telegraf“ und „Tagesspiegel“, die zur damaligen Zeit legal bezogen werden durf-

161 Information der Pressestelle der Deutschen Verwaltung des Innern über den Aufbau einer Abteilung Nachrichten und Information vom 11.11.1947 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 2, Bl. 267). Hervorhebung im Original. 162 Vgl. Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 193–198. 163 Zentrale Betriebsgruppenleitung der SED in der Stadtverwaltung Dresden an Kreisvorstand Dresden der SED vom 16.12.1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden I/A/030, nicht paginiert). Vgl. Aktennotiz der Personalpolitischen Abteilung des SED-Landesvorstandes vom 10. 2.1948 (ebd., nicht paginiert). 164 Vgl. Morré, Speziallager Bautzen, S. 89 f. 165 Schreiben von Pfarrer Johannes Ungethüm vom 14. 5.1947 (Landeskirchenarchiv Dresden, Bestand 2, 20572 Band 1, Bl. 40). 166 Nollau, Amt, S. 115. Vgl. Gniffke, Jahre, S. 261. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ten, Anlass zu Verfolgung bot.167 Seit Jahresanfang stiegen die Häftlingszahlen in den Dresdner Gefängnissen nachweislich, und proportional erhöhte sich die Anzahl politischer Häftlinge.168 Eine Differenzierung zwischen denjenigen, die unter die Entnazifizierungsbestimmungen fielen und denen, die aufgrund der Kontrollratsdirektive Nr. 24 wegen Widerstandes gegen die neue politische Ordnung festgenommen wurden, ist allerdings wegen der disparaten Aktenlage und der verzerrenden Begrifflichkeit nicht möglich. Denn oppositionelles Verhalten zeigte sich in den verschiedensten Spielarten einer anti-obrigkeitlichen Renitenz. Überwiegend junge Menschen störten Filmvorführungen „durch lautes Lachen und durch Trampeln mit den Füßen“ in den gut besuchten Lichtspielhäusern der Stadt. Der Chef der Ordnungspolizei veranlasste deswegen seit dem Frühjahr 1947 die Kontrolle der Kinos.169 Auf seine Anweisung überwachten „Polizeiangehörige in Zivil die Kinovorstellungen“, wobei sie wiederholt feststellten „dass das Publikum die Szene der Wochenschau Nr. 46, betitelt ‚Der Augenzeuge‘, mit abfälligem Gelächter“ quittierte.170 Die tendenziöse Berichterstattung des so genannten „Augenzeugen“, eines Propagandapendants der früheren „Wochenschauen“ im Vorprogramm von Filmen, war häufig unglaubwürdig. „Während der Vorführung des ‚Augenzeugen Nr. 66‘ erklärte der Sprecher, dass die Lebensmittellage in der sowjetischen Besatzungszone bedeutend besser sei als in den westlichen Zonen. Diese Äußerung hatte zur Folge, dass das anwesende Publikum in starkes Gelächter ausbrach.“171 Aus spöttischen Anmerkungen zu solcher Agitation schlossen die Spitzel auf antisowjetische und antikommunistische Ressentiments. Undifferenziert subsummierte die Polizei diese ebenso wie antijüdische Vorurteile oder „antisowjetische und staatsfeindliche Inschriften“ unter „Neofaschismus“.172

167 Vgl. Bericht über die Belegschaftsversammlung im Straßenbahnhof Reick vom 5.12. 1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 970, Bl. 1 f.); Malycha, SED, S. 271; Schmeitzner, Formierung, S. 149 ff. 168 Bericht der statistischen Abteilung der Dresdner Polizei für das 1. Halbjahr 1947, S. 43 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). Vgl. Monatsbericht Polizeipräsidium Dresden August 1946 vom 10. 9.1946 (SächsHStAD, LBdVP 1, Bl. 71); Monatsbericht Polizeipräsidium Dresden November 1946 vom 10.12.1946 (ebd., Bl. 102); Monatsbericht Polizeipräsidium Dresden Februar 1947 (ebd., Bl. 131); Monatsbericht Polizeipräsidium Dresden April 1947 (ebd., Bl. 157). 169 Schreiben des Kommandeurs der Ordnungspolizei an den Polizeipräsidenten vom 12. 4.1947 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert). 170 Schreiben des Kommandeurs der Ordnungspolizei an den Polizeipräsidenten vom 5. 5.1947 (ebd., nicht paginiert). 171 Bericht des 10. Polizeireviers an das Polizeipräsidium Dresden vom 28. 8.1947 (ebd., nicht paginiert). 172 Vgl. Bericht des 16. Polizeireviers an das Polizeipräsidium Dresden vom 16. 9.1947 (ebd., nicht paginiert); Protokoll der Polizeileitersitzung vom 24. 8.1948 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert); „Neofaschismus 1948“ aus den Tätigkeitsberichten [der Dresdner Polizei] (SAPMO-BArch, DY 55–V 278/4/54, nicht paginiert); Schreiben der VVN-Ortsgruppe „Helmut Gansauge“ an den VVN-Kreisvorstand vom 6.12.1948 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Unzuverlässig und zumeist völlig überfüllt verkehrende Straßenbahnen bildeten ein weiteres Ziel des Missmuts, zumal seit Ende 1946 eine Regelung die bevorzugte Beförderung von Angehörigen der Besatzungsmacht anordnete.173 Gelegentlich brach in aller Öffentlichkeit angestaute Bitterkeit durch. Zwei Polizeiangehörige in Zivil lösten einen Tumult in einer verspäteten Straßenbahn aus, weil sie einem verärgerten Fahrgast eine abfällige Bemerkung über die sowjetischen Reparationsforderungen untersagten. Doch der Mann blieb bei seiner Behauptung, die Verspätungen der Dresdner Straßenbahn würden hervorgerufen durch einen Mangel an Waggons. Das ungeschickte Verhalten der Polizisten bei der Feststellung der Personalien des Mannes provozierte in der vollgestopften Straßenbahn lautes Schimpfen der anderen Fahrgäste auf die Polizei. Besonders bemerkenswert erschien es dem Protokollanten, „dass sich im Wagen auch SED-Mitglieder befanden“, die den in Bedrängnis geratenen Ordnungshütern nicht beisprangen.174 Zunehmend antwortete die SED auf die Kritik mit überzogenen Reaktionen. Eine von der sächsischen Landesleitung 1947 für möglich gehaltene Wiederzulassung der SPD175 bildete zwar keine akute Gefahr, doch ein nach wie vor latentes Risiko für den Bestand der Einheitspartei. Die Polizei fand in Verbindung mit der angeordneten Demonstration zum 1. Mai im Stadtgebiet von Dresden Flugblätter. In ihnen wurden die Arbeiter aufgerufen, gegen die „Versklavung in der Zwangsjacke der GPU“ zu kämpfen und sich von der SED zu trennen, da der „Tag der Befreiung von der Diktatur des Steppensozialismus“ bevorstehe. Die vergleichsweise geringe Anzahl der gefundenen Proklamationen löste eine unverhältnismäßige Beunruhigung wegen der darin angekündigten Wiedergründung der SPD aus. Nach dem Fund von Streikaufrufen in mehreren Dresdner Großbetrieben wurde die Polizei in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Sie sollte, um Tumulte oder Demonstrationen bereits im Keim zu ersticken, die großen Fabriken sowie öffentliche Plätze und Straßen verstärkt überwachen. Der MaiFeiertag verlief dann aber ohne Zwischenfälle.176 Antikommunistische Proteste 173 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 18.11.1946 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 174 Stimmungsbericht an das Kommando der Schutzpolizei vom 30. 6.1948 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert). 175 Protokoll der erweiterten SED-Landesvorstandssitzung vom 16. 2.1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A /757, Bl. 47 f.); Protokoll der 24. Sekretariatssitzung des SEDLandesvorstandes vom 21. 4.1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/779, Bl. 179). Vgl. Bericht des Nachrichtenamtes der Bezirksverwaltung I vom 24. 3.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 27, nicht paginiert); Gniffke, Jahre, S. 228 ff.; Malycha, SED, S. 239 ff.; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 302 f. 176 Schreiben des Polizeipräsidenten an den Chef der Landespolizei vom 24. 4.1947 (Sächs HStAD, LBdVP 357, nicht paginiert); Aufruf zur Hungerdemonstration am 26. 4.1947 (ebd., nicht paginiert); Bericht des Kriminalamtes Dresden vom 24. 4.1947 (ebd., nicht paginiert); Befehl des Polizeipräsidenten, 26. 4.1947 (ebd., nicht paginiert); Meldungen des Polizeipräsidenten vom 30. 4.1947 (ebd., nicht paginiert); Bericht über den Verlauf des 1. Mai 1947 im Stadtgebiet Dresden vom 1. 5.1947 (ebd., nicht paginiert); Bericht über die Sonderaktion 1. Mai 1947 vom 13. 5.1947 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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und die verstärkt vorgetragene Forderung nach der Wiederzulassung einer sozialdemokratischen Partei wiesen auf ein virulentes Oppositionspotential hin. Einige Dresdner Gruppierungen standen in Kontakt mit den Ostbüros der westdeutschen Parteien.177 Gleichwohl blieb die Suche nach der Herkunft der Flugblätter erfolglos, obwohl allein in einer einzigen Nacht im Stadtbezirk Striesen fast 400 solcher Zettel gefunden wurden.178 In der Öffentlichkeit brodelte es weiter. Nach der Flucht des Landespolizeiinspekteurs Schneider im Januar 1948 traf der Polizeipräsident aufgrund neuerlich gefundenerer SPD-Flugblätter wiederum „Sicherungsmaßnahmen für die Maidemonstration“.179 Die Verhaftung einer so genannten „Schumacher-Gruppe“ in Dresden signalisierte der SED-Führung nun deutlich die aus den eigenen Reihen und dem „rechten Flügel der legalen ‚demokratischen‘ Organisationen“ erwachsende Gefahr.180 Die Verbreitung oppositioneller Flugschriften und Handzettel konnte trotz einer verstärkten Fahndung nach den Urhebern nicht unterbunden werden.181 Die sowjetischen Politoffiziere registrierten gleichfalls seit längerem Gefahrenzeichen und veranlassten Gegenmaßnahmen der deutschen Polizei.182 Sie sannen besonders darauf, die von ihnen als „Parteifeinde“ und „gefährliche Gegner“ bezeichneten ehemaligen Sozialdemokraten in die SED einzubinden oder aus der Partei zu entfernen. Im Zusammenhang mit dem Parteiausschluss von Arno Hennig im Oktober 1946 hatten sie neben anderen Funktionären auch Arno Wend von seinen Parteiämtern beurlauben lassen. Der Leiter der Propaganda-Abteilung der SMAS, Oberstleutnant Watnik, warf ihm „Zersetzungsarbeit“ und „Fraktionstätigkeit“ vor. Ihn und weitere „rechte Sozialdemokraten“ nannten die Offiziere „kriminelle Elemente“ und verschleierten mit dem Vorwurf der Unterschlagung die politischen Motive der Säuberungsaktion.183 Die SMAS setzte Anfang 1947 in der sächsischen SED-Führung die Entlassung Wends von seinen Parteiämtern durch.184 Doch zur Niederlegung sei177 Buschfort, Ostbüros, S. 35 und 70 f. 178 K 5 an Polizeipräsident Opitz vom 15.11.1947 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert); Jahresbericht 1947 Dezernat K 5 im Lande Sachsen, Anlagen, Januar 1948 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 3, Bl. 459). Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 162 ff. und 335; Stößel, Positionen und Strömungen, S. 199. 179 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 15. 3.1948 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert). 180 Monatsbericht April 1948, Landeskriminalamt Sachsen Dezernat K 5 vom 10. 5.1948 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 3, Bl. 558). 181 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 4. Quartal 1948 vom 31.12.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 230, l. 204). 182 Bericht der Fachabteilung VI Kriminalamt Dresden vom 19. 4.1947 (SächsHStAD, LBdVP 390, nicht paginiert). 183 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 167 ff.; Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 87 ff. und 260 f.; Schmeitzner/Donth, Partei der Diktaturdurchsetzung, S. 289 ff. 184 Beschlussprotokoll der 8. Sekretariatssitzung des SED-Landesvorstandes vom 28.1. 1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/779, Bl. 51–54). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nes Abgeordnetenmandats in Dresden konnte sie ihn nicht zwingen. Wend trat der CDU-Fraktion bei und nahm eine Stelle als Geschäftsführer an, die ihm Reise- und Kontaktmöglichkeiten bot. Ihm ging es um die Verbindung zu den Sozialdemokraten und nicht um den Aufbau einer illegalen „Organisation“. Am 7. Juli 1948 verhaftete die deutsche Polizei Wend wegen angeblicher Unterschlagung. Nollau wurde mit seiner Verteidigung beauftragt, doch ehe es zum Prozess kam, überstellte ihn die Polizei ohne Begründung an die sowjetischen Sicherheitsorgane. Von einem Sowjetischen Militärtribunal (SMT) verurteilt und nach Sibirien deportiert, kehrte Wend erst 1955 nach Dresden zurück. Kurze Zeit später flüchtete er in den Westen.185 Methoden der Einschüchterung, ausgeübt durch Parteiapparat, politische Polizei K 5 und sowjetische Sicherheitsorgane, schränkten Meinungsfreiheit wie persönliche Freiheit immer weiter ein. Nach Protestaktionen im Mai 1948 gegen die Unterschriftensammlung zum Volksbegehren186 entwarfen die Offiziere der Dresdner Informationsabteilung einen Plan zur Unterstützung ihrer deutschen Verbündeten, allerdings nicht ohne eine geharnischte Kritik an der Dresdner Stadtleitung der SED.187 Es sei an der Zeit, „Maßnahmen“ gegen die „reaktionären Elemente“ innerhalb der CDU wie den Dresdner CDU-Kreisvorsitzenden Rudolf Schmidt188 und den Fraktionsvorsitzenden der CDU-Stadtverordneten Reimer Mager aufzunehmen, um ein positives Verhalten der Dresdner Delegierten auf dem Zonenparteitag zu gewährleisten. Umgehend sollte auch der CDU-Stadtrat Müller von seinem Amt suspendiert werden.189 Ebenso seien in der LDP die „gefährlichsten Gegner der Blockpolitik“ zu bekämpfen und die „progressiven“ Funktionäre der Partei zu unterstützen.190 Die Konfliktlage war schwer zu überschauen. Die LDP-Parteibasis protestierte gegen den zu weitreichenden Zugeständnissen bereiten Parteivorsitzenden Külz.191 Der sächsische Landesparteitag der LDP ersetzte im Oktober 1947 eine opportunistische Landes-Parteiführung. Dagegen schritt die SMA ein. Sie hinderte den zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählten Dresdner 185 Abschrift eines Berichtes des LKA Dresden vom 12. 8.1948 über den Stand der Ermittlungen gegen Wend und weitere Sozialdemokraten (AdsD, SPD-Ostbüro 0301 III, nicht paginiert); Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 240–247. Vgl. Buschfort, Ostbüros, S. 89; Nollau, Amt, S. 97. 186 Bericht über die Kundgebung zum Volksbegehren vom 24. 5.1948 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert); Flugblatt an die VVN vom 4. 5.1948 (SAPMO-BArch, DY 55–V 278/4/54, nicht paginiert). 187 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 265). 188 Rudolf Schmidt 6. 3.1904, Kantor und Lehrer, ab 1945 Schulleiter, CDU. 1946–1948 Stadtverordneter, Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Dresden-Stadt. 1948 kurze Zeit Beisitzer des CDU-Landesvorstandes Sachsen, ehe er nach Kritik am Volkskongress und der Blockpolitik seine Ämter verlor. 189 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 249). 190 Ebd., l. 250 ff. 191 Bode, Liberal-Demokraten, S. 71 und 78 f.; Mählert, Liberale Jugendarbeit, S. 17. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Stadtverordneten und LDP-Jugendreferenten Mischnick, das Amt anzutreten.192 Mitglieder der CDU begehrten auf gegen die Willkür der Besatzungsmacht. Sie hatte im Dezember 1947 mit der Absetzung der Parteivorsitzenden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer eine Politik der Stärke gegenüber renitenten Funktionären demonstriert.193 Ein Teil der Parteifunktionäre verfolgte einen Kurs der Anpassung an das von der SED angestrebte Volksbegehren über die Einheit Deutschlands. Dies provozierte Unruhe in den Ortsgruppen und die Parteibasis debattierte heftig über die Volkskongress-Politik. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Mager gab im Unterschied zum Vorsitzenden der LDP-Stadtverordnetenfraktion Thürmer „keine bindende Zusage“ ab.194 Der Dresdner CDUKreisvorsitzende Schmidt lehnte gleichfalls die mit dem Volkskongress verbundenen Bestrebungen der SED ab, Befugnisse der Parteien als Instrumente der politischen Willensbildung einzuschränken, und erhielt dabei die Unterstützung des auf dem Interzonenkongress der Gewerkschaften in Dresden referierenden Ernst Lemmer.195 Nachdem sich im März 1948 auf Veranlassung der SED der aus dem 2. Volkskongress heraus gebildete „Deutsche Volksrat“ konstituierte,196 lag der Gedanke nahe, dass die 1948 anstehenden Wahlen zugunsten des Volkskongresses ausfallen sollten. Besatzungsmacht und SED gelang es nicht, diesen Verdacht auszuräumen. Indessen sagte der sächsische Landesbischof Hugo Hahn, der im Jahr zuvor erst nach langen Verhandlungen die Zustimmung der SMAD zur Rückkehr nach Dresden erhalten hatte,197 seine Teilnahme am Volkskongress ab. Dies bedeutete für die SED eine unerwartete Niederlage. Sie hatte von der Landeskirche Unterstützung in ihrer Auseinandersetzung mit der CDU erwartet, Hahn hingegen schloss ein Parteiergreifen in politischen Fragen ausdrücklich aus.198 Daraufhin versuchte der für die Kontakte zu den Kirchen verantwortliche Mitarbeiter der SMAD-Informationsabteilung, Oberleutnant Jermolajew, ein Einlenken der sächsischen Landeskirche zu erreichen, und bestellte den bereits genannten sächsischen Landeskirchenrat Meinecke zu einer Unterredung ein: Er bedauere „außerordentlich die Nichtbeteiligung der Kirche am Volkskongress“, weil dadurch „die Gefahr der Missdeutung nicht nur in einer gewissen Presse, sondern auch bei der SMA“ entstehe. Die Ablehnung erschwere es ihm, die An192 Papke, Liberal-Demokratische Partei, S. 36 f. 193 Vgl. Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 251; Creuzberger, Lemmer. 194 Protokoll der Kreisblocksitzung Dresden vom 2. 2.1948 (SAPMO-BArch, NY 4074 Band 175, Bl. 149). 195 Vgl. Rudolf Schmidt an Franz Jensch vom 20. 2.1948 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–022, nicht paginiert); Creuzberger, Lemmer, S. 39. 196 Bender, Volkskongressbewegung, S. 170–179. 197 Vgl. Seidel, Wiederaufbau und Entnazifizierung, S. 320–325; Stanke, Gestaltung der Beziehungen, S. 97 ff. 198 Landesbischof Hahn an den Ausschuss Volkskongress Sachsen vom 14. 2.1948 (Landeskirchenarchiv Dresden, Bestand 2, 313, Bl. 48). Vgl. Stanke, Gestaltung der Beziehungen, S. 54. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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liegen der Kirche erfolgreich zu vertreten. Die Teilnahme der „Prominenz“ am Kongress sei durchaus nicht erforderlich, es würde „vollkommen genügen, wenn einige Pastoren einfach da wären.“199 Nachdem sich die liberale Parteibasis gegen eine Beteiligung der LDP „an den offiziellen Maifeiern“ aussprach,200 nahmen die sowjetischen Offiziere außerordentlich gereizt die Erfolglosigkeit ihrer bisherigen Disziplinierungsmaßnahmen wahr. Ein devotes Bekenntnis des stellvertretenden LDP-Vorsitzenden Hermann Kastner und des neuen CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck in Dresden offenbarte lediglich die Distanz zwischen den Parteiführungen und den Mitgliedern.201 Dresdner CDU-Gruppierungen sprachen sich offen gegen die Vorbereitung und Durchführung der „Volksbefragung“ zur Einheit Deutschlands aus und warfen der Besatzungsmacht Bestrebungen zur Errichtung einer Diktatur vor. Die SMA betrachtete fortan alle gegen den Volkskongress vorgetragenen Bedenken als „antisowjetische Auftritte und provokatorische Handlungen“.202 Sie ging zunehmend rigoroser gegen Personen vor, in denen sie Gegner ihrer Politik vermutete, und die systematische Säuberung erreichte jene, die bislang die Möglichkeiten der Zusammenarbeit wahrgenommen und sich zur Verständigung bereit gezeigt hatten. Anfang April 1948 sah sich Wolfgang Mischnick derart von sowjetischen Offizieren bedroht, dass er mit seiner bevorstehenden Verhaftung rechnete und in die Westzonen floh.203 Wenig später trat der Dresdner Wirtschaftsdezernent Friedrich Gruhler, gleichfalls LDP, unter Protest zurück. Er weigerte sich, die Angestellten des Wirtschaftsamtes zum Besuch einer Festveranstaltung aus Anlass des 8. Mai zu verpflichten. Er könne den Mitarbeitern den Besuch der Veranstaltung empfehlen, jedoch den hierbei von der SED ausgeübten Druck lehne er ab, da dies an das Vorgehen der Nationalsozialisten erinnere.204 Gruhler fand bei seiner weit über den Anlass hinausreichenden Kritik an der SED-Politik nicht die erforderliche Unterstützung der örtlichen Parteiführung, weshalb er zugleich der LDP den Rücken kehrte.205 Diese Vorkommnisse bewirkten, dass sich innerhalb der Dresdner LDP die Ab-

199 Niederschrift über die Besprechung am 4. 3.1948 zwischen Meinecke und Jermolajew in Berlin vom 5. 3.1948 (Landeskirchenarchiv Dresden, Bestand 2, 64, Bl. 41 f.). 200 Schreiben der LDP-Gruppe Bezirksverwaltung II an den Kreisverband Dresden vom 24. 2.1948 (ADL, Bestand LDPD Kreisverband Dresden, 4480, nicht paginiert). 201 Bericht über die Kundgebung zum Volksbegehren vom 24. 5.1948 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 202 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 265). 203 Mischnick, Von Dresden nach Bonn, S. 276. 204 Protokoll der Ratssitzung vom 10. 5.1948 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 2387). 205 Vgl. Fraktionssitzung der SED-Stadtverordneten vom 20. 5.1948, (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 288, Bl. 31). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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wehrstellung gegen die angepassten Funktionäre und die Ablehnung der kommunistischen Volkskongress-Politik verstärkte.206 Von dem der CDU angehörenden Stadtrat Arthur Müller waren der sowjetischen Informationsabteilung im Frühjahr 1948 Äußerungen zur Neugründung der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD) zugegangen. Ein Polizeispitzel berichtete, Müller habe die SED „Vater dieser Partei“ genannt, da sie allein zu dem Zweck gegründet werde, um bei den bevorstehenden Wahlen deren befürchtete Stimmeneinbußen zu kompensieren. Müller sprach zuversichtlich davon, dass seine Partei aus den Wahlen als stärkste Kraft hervorgehen und in absehbarer Zeit in einem vereinten Deutschland die führende Rolle übernehmen, die SED hingegen in der Bedeutungslosigkeit versinken werde.207 Veranlassung zu solchen Mutmaßungen hinsichtlich der neuen Konkurrenzpartei gab der Umstand, dass bereits im März 1948, ein Vierteljahr vor der offiziellen Gründung der NDPD, erstmalig die „Nationalzeitung“, ihr späteres Parteiblatt, in der für damalige Verhältnisse beachtlichen Auflage von 100 000 Stück erschienen war.208 In den Führungsgremien der NDPD, deren Gründung tatsächlich auf eine direkte Anregung Stalins zurückging,209 standen wie an der Spitze der gleichfalls 1948 gegründeten Bauernpartei ehemalige Kommunisten. Diese riefen häufig mit einem SED-Parteiauftrag die Ortsgruppen der neuen Parteien ins Leben, und so war in Dresden bekannt, dass die SED die lokale NDPD-Führung steuerte.210 Erster sächsischer Landesvorsitzender der NDPD wurde 1949 der ehemalige Wehrmachts-Oberst und Referent für weltanschauliche Schulung Wilhelm Adam, Adjutant von Generaloberst Paulus und langjähriges NSDAP-Mitglied, der später zum Leiter der Militärakademie in Dresden avancierte.211 Bei Wahlen hätte sich allerdings die Gründung der neuen Partei kaum ausgewirkt, ihr Aufbau kam nicht so zügig voran wie ursprünglich vorgesehen. In Dresden fand, lange nach ihrer zentralen Lizenzierung durch die SMAD im Juni,212 die erste Mitgliederversammlung Ende August 1948 statt.213 Gedacht als Sammelbecken ehemaliger Anhänger und Sympathisanten der Nationalsozialisten, erhielt die NDPD von ihrer Zielgruppe kaum Zuspruch. Bei so offenkun206 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 250). 207 Versammlungsbericht der CDU-Wohnbezirksgruppenversammlung im Volkshaus Laubegast vom 10. 5.1948, (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 208 Gottberg, NDPD, S. 76. 209 Wolkow, Stalins Sicht, S. 28 f. 210 Bericht der Mitgliederversammlung der LDP-Stadtgruppe Dresden-Plauen vom 18. 6. 1948 (ADL, Bestand LDPD Kreisverband Dresden, 9151, nicht paginiert). Vgl. Bauer, Parteineugründungen; Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 442– 446. 211 Kappelt, Entnazifizierung, S. 105. 212 Vgl. Staritz, National-Demokratische Partei Deutschlands. 213 Bericht über die 1. Mitgliederversammlung der NDP vom 24. 8.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 994, Bl. 198 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dig mangelnder Akzeptanz konnte die SED keine Stärkung ihrer Position erwarten. Der sowjetische Stadtkommandant nötigte CDU-Stadtrat Müller zum Rücktritt, nachdem er sich gegen den im Zusammenhang mit dem Volkskongress von SED-Führungskräften ausgeübten Druck auf Angestellte der Stadtverwaltung wehrte.214 Angestellte des Personalamtes hatten Müller um Unterstützung gebeten, weil Stadträtin Charlotte Dietrich auf einer Belegschaftsversammlung diejenigen mit Entlassung bedrohte, die ihre Unterschrift für das „Volksbegehren für die Einheit Deutschlands“ verweigerten. Eingeschüchterte CDU-Mitglieder wandten sich an Müller, der den CDU-Kreisverband darüber informierte. Dessen Beschwerde bei der sowjetischen Stadtkommandantur löste eine Untersuchung des Vorfalls durch Oberbürgermeister Weidauer aus. Dieser beschuldigte, wie nicht anders zu erwarten, Müller der Verleumdung Dietrichs. Daraufhin zwang der Stadtkommandant die CDU, Müller die weitere Unterstützung zu versagen.215 In den Maßnahmen zur Einschüchterung von Opponenten der SED-Diktatur zeigte sich deutlich die gestiegene Nervosität der Besatzungsmacht. Doch die als Exempel gedachte Ausschaltung des CDU-Stadtrates, der sich gegen den von der SMAD gewünschten Volkskongress ausgesprochen hatte, verfehlte ihre Wirkung. Kurze Zeit später solidarisierten sich auf dem sächsischen Landesparteitag der CDU die Delegierten in Anwesenheit sowjetischer Beobachter mit den Kritikern. Sie wählten demonstrativ den gleichfalls für seine ablehnende Haltung bekannten Dresdner CDU-Kreisvorsitzenden Rudolf Schmidt zum stellvertretenden Landesvorsitzenden neben den zu Kompromissen neigenden Landesvorsitzenden Hugo Hickmann. Umgehend untersagte ihm die SMAS die Annahme dieses Amtes.216 Landesweit regte sich Widerspruch gegen die Politik der SED.217 In Anbetracht dessen entwarf die Dresdner Informationsabteilung den Plan eines konzertierten Vorgehens gegen die opponierenden Parteimitglieder, um deren Stillhalten zu erzwingen. Ganz oben auf ihrer Liste standen Schmidt und Mager von der Dresdner CDU. Die sowjetische Informationsabteilung beabsichtigte Schmidt vor die Alternative zu stellen, entweder in ein „Einheits-Komitee“ einzutreten und damit die Politik demonstrativ zu unterstützen oder in seinen Rücktritt einzuwilligen. Eine ähnliche Politik betrieb sie gegenüber dem in seiner Haltung noch schwankenden LDP-Kreisverband. Die „progressiven“ Funktionäre wie Walter Thürmer wollte die Informationsabteilung im Kampf gegen

214 Außerordentliche 13. (38.) öffentliche Sitzung vom 30. 6.1948 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 783); 14. (39.) öffentliche Sitzung vom 15. 7.1948 (ebd., Bl. 788 ff.). 215 Protokoll der Ratssitzung vom 8. 6.1948 (StadtAD, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2, Bl. 2467 ff.). 216 Richter, Ost-CDU, S. 85 f. und 92 f. 217 Vgl. CDU-Kritik an der SED-Politik vom 14. 7.1948. In: Suckut, Blockpolitik, S. 253. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die „reaktionären Elemente“ unterstützen und die „Gegner“ der Blockpolitik ausschalten.218 Schmidt wurde zur Stadtkommandantur einbestellt und Hauptmann Waks eröffnete ihm, dass für ihn eine Weiterführung der Amtsgeschäfte nicht länger möglich sei. Die Offiziere legten ihm die „antisowjetische Haltung“ der anderen CDU-Vorstandsmitglieder sowie die „Personalangelegenheit Müller“ zur Last.219 Waks zwang ihn, den Vorsitz im Kreisverband Dresden niederzulegen. Dagegen verwahrte sich jedoch die CDU-Basis. Dresdner Christdemokraten wollten sich dem Verdikt der Besatzungsmacht nicht beugen. Sie werteten dieses als neuerlichen Beweis für die von der sowjetischen Behörde ausgeübte Diktatur, denn wenn die „besten Leute auf Befehl der SMA verschwinden müssen, kann von einer gedeihlichen Parteiarbeit nicht mehr die Rede sein und von Demokratie erst recht nicht“.220 Reimer Mager schloss sich dieser Position an.221 Doch der Landesvorstand rückte von Schmidt ab und teilte völlig unverbindlich mit, die gemaßregelten Personen seien „in persönlicher Rücksprache rechtzeitig auf die aus ihrem Verhalten“ resultierenden Sanktionen aufmerksam gemacht worden.222 Nach Mager äußerte sich auch Martin Richter kritisch, und die Besatzungsoffiziere beschlossen nun die Ausschaltung dieser beiden CDUFunktionäre.223 Neben den Disziplinierungsmaßnahmen wirkten besonders Verhaftungen und drakonische Urteile abschreckend auf potentielle Oppositionelle.224 Im Dezember 1947 verurteilte das Sowjetische Militärtribunal in Dresden den einundzwanzigjährigen Theologiestudenten Werner Ihmels zu 25 Jahren Lagerhaft. Er war als Verbindungsmann der sächsischen Landeskirche zur FDJ mit seinem engagierten Eintreten für verhaftete kirchliche Jugendvertreter und mit kritischen Äußerungen zur Jugendpolitik aufgefallen. Nach siebenmonatiger Haft in Dresden kam er in das Sonderlager Bautzen, wo er Mitte 1949 den unmenschlichen Haftbedingungen erlag.225 Der spätere Bildhauer und Schriftsteller Wieland 218 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 249 ff.). Vgl. zu den Methoden der sowjetischen Offiziere Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 426. 219 Rudolf Schmidt an Hickmann vom 5. 7.1948 (ACDP, Landesverband Sachsen, III035–022, nicht paginiert). 220 Schreiben der Bezirksgruppe II an den CDU-Kreisverband Dresden, o. D. [24. 7.1948] (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–022, nicht paginiert). 221 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 3. Quartal 1948 vom 2.10.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 229, l. 165). 222 Schreiben des CDU-Landesvorstandes Sachsen an die Bezirksgruppe II vom 16.81948 (ACDP, Landesverband Sachsen, III-035–022, nicht paginiert). 223 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 3. Quartal 1948 vom 2.10.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 229, l. 165). 224 Vgl. Petzold, Dresdener Oberschüler, S. 201 f. 225 Vgl. Müller, Münchner Platz, S. 190 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Förster, gleichfalls unschuldig in Dresden verhaftet und verurteilt, überlebte die Torturen der Haft, die nächtlichen Verhöre und die Bedrohung der ständigen Todesnähe; er kam 1950 frei.226 Die sowjetischen Besatzungsorgane versuchten über interne Ausdifferenzierung die so genannten „progressiven Elemente“ innerhalb der nichtkommunistischen Parteien zu stärken.227 Beeinflusst von sowjetischen Zusagen oder möglich erscheinenden Optionen rückten wie im Falle von Jakob Kaiser die Landesverbände von der zentralen Parteiführung, oder wie in Dresden die Landesparteiführungen von lokalen Funktionären ab. Die Angst vor einer Isolierung bewirkte eine Fragmentierung und verhinderte ein einheitliches Auftreten der Partei. Deren exponierten Repräsentanten fehlte damit der wirksamste Schutz und die SED-Führung konnte die von ihr als „Gegner“ bezeichneten Personen „liquidieren“.228 Im Zusammenspiel von Besatzungsbehörden und Funktionären der SED wurden CDU und LDP zu Blockparteien, die nicht länger Gegenpole der SED darstellten. Die Flexibilität der Parteiführungen im Umgang mit der Besatzungsmacht zerstörte die innere Geschlossenheit der Parteien. Sukzessives Nachgeben und Einschwenken auf die Positionen der SED erleichterte die Isolierung oppositioneller Mitglieder. 1948 setzten sich unter dem Druck der Besatzungsmacht immer mehr diejenigen durch, die eine politische Unterordnung aus opportunistischen Gründen akzeptierten, und in beiden Parteien vollzog sich ein fundamentaler Wandel. Sie verloren ihre politische Eigenständigkeit.229 Die Politik der SMAD gegenüber den nichtkommunistischen Parteien war Teil ihrer Strategie zur Verhinderung einer geschlossenen Oppositionsfront innerhalb ihrer Besatzungszone. Denn noch blockierten diese Parteien, wichtig im Hinblick auf die von der Sowjetunion verfolgten gesamtdeutschen Optionen, eine reibungslose Diktaturdurchsetzung. Von ihnen ging wie von vielen ehemaligen Sozialdemokraten eine latente Gefahr aus. Trotz der Mechanismen der Blockpolitik verfügten CDU und LDP über politischen Einfluss. Zu dessen Eindämmung veranlassten SMAD und SED im Rahmen der Volkskongressbewegung die Bildung lokaler Volksausschüsse, denen neben den Parteien die Massenorganisationen und parteilose Einzelpersonen angehörten.230 Alles, was die SED in der parlamentarischen Auseinandersetzung an Boden verlor, versuchte sie im Aufbau einer außerparlamentarischen Volksbewegung zu kompensieren. Die anfänglich von ihr in Betracht gezogene Auflösung des Parlaments erlaubte die Deutschlandpolitik der UdSSR, eine Umgehung der Ab226 Vgl. Förster, Nacht der Verhöre, S. 7–110. 227 Vgl. Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 3. Quartal 1948 vom 2.10.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 229, l. 161). 228 Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 5. 8.1948. In: Suckut, Blockpolitik, S. 257–282, hier 273. 229 Vgl. Bode, Liberal-Demokraten, S. 72–82; Matthiesen, Greifswald, S. 509–532. 230 Bender, Volkskongressbewegung, S. 183 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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geordneten die Gesetzeslage nicht. Folglich musste die Bedeutung der Stadtverordnetenversammlung gemindert werden. Neben der Neutralisierung der oppositionellen Kräfte richtete sich die Repression gegen all diejenigen, die sich der Unterwerfung bislang widersetzt hatten. Zwangsläufig begleiteten innerparteiliche Säuberungen der SED die Diktaturdurchsetzung. Zwar veränderte sich 1948 durch den Ausschluss von Arno Wend aus Partei und Fraktion in der Dresdner Stadtverordnetenversammlung ihre numerische Unterlegenheit gegenüber LDP und CDU nur geringfügig, entscheidender war das von dem Beitritt Wends zur CDU-Fraktion ausgehende Signal. Die internen Spannungen zwischen früheren Kommunisten und Sozialdemokraten traten offen in Erscheinung, und die sowjetischen Offiziere drangen auf einen verstärkten Kampf gegen so genannte „Schumacher-Anhänger“.231 In den Auseinandersetzungen spielte die für 1948 vorgesehene Kommunalwahl eine wichtige Rolle;232 an Dresdner Häuserwänden wurden demokratische Wahlen gefordert,233 und die Parteigruppen antworteten auf die Repressionen mit einer Intensivierung ihrer Vorbereitungen zur Wahl.234 Ehemalige Sozialdemokraten nährten Hoffnungen auf eine Wiederzulassung ihrer Partei, LDP und CDU rechneten sich bei Wahlen erhebliche Stimmengewinne zu Lasten der SED aus. Davon gingen auch die Beobachter der Besatzungsmacht aus.235 Sie reagierten mit verstärkten Repressalien gegen die Vertreter von CDU und LDP, beide Parteien näherten daraufhin ihre Positionen einander an. Bisher hatte die SED ein Zusammengehen von LDP und CDU verhindern und mit den Stimmen jeweils einer Partei ihre Politik durchsetzen können. Künftig stimmten LDP und CDU in der parlamentarischen Praxis häufig gemeinsam gegen die SED. Viele, die sich bislang von der deutschlandpolitischen Rhetorik hatten täuschen lassen, durchschauten das von der SED verfolgte Konzept der Einbeziehung von Massenorganisationen. Die SED wollte sich damit gegen eine drohende Wahlniederlage absichern. Erbittert lehnten CDU- und LDP-Stadtverordnete die Erweiterung der parlamentarischen Arbeitsausschüsse um Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und des DFD ab.236 Eine Entschließung des zentralen Blockausschusses der Parteien gegen die Erweiterung der „Einheitsfront“ um die VVN unterstützte sie in ihrer Hal231 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 3. Quartal 1948 vom 2.10.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 229, l. 159 f.). 232 Bundesministerium, Wahlfälschungen, S. 30. Vgl. Richter, Entstehung und Transformation, S. 2539 f. 233 „Neofaschismus 1948“ aus den Tätigkeitsberichten [der Dresdner Polizei] (SAPMOBArch, DY 55–V 278/4/54, nicht paginiert). 234 Bericht der Mitgliederversammlung der LDP-Stadtgruppe Dresden-Plauen vom 18. 6. 1948 (ADL, Bestand LDPD Kreisverband Dresden, 9151, nicht paginiert). 235 Bericht über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 2. Quartal 1948 vom 5. 7.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 227, l. 298). 236 16. (41.) öffentliche Sitzung vom 21. 9.1948, (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 874). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tung.237 Als die SED eine Protestresolution der VVN gegen die Nichtzulassung ihrer Mitglieder in die Ausschüsse inszenierte, beugte sich nach einer längeren Debatte die Mehrheit der Stadtverordneten und nahm den Antrag an.238 Um die Niederlage zu vervollständigen, demonstrierte der sowjetische Stadtkommandant erneut seine Stärke. Er brach den letzten Widerstand der Stadtverordneten von LDP und CDU, indem er sie als „Reaktionäre“ diffamierte, in deren Verhalten der Nationalsozialismus fortwirke. Er werde nicht hinnehmen, wenn „antidemokratische Elemente“ durch die Ablehnung „antifaschistisch-demokratischer“ Organisationen die Demokratisierung des öffentlichen Lebens verzögerten.239 Die Ideologie des „Anti-Faschismus“ erlaubte es dem Stadtkommandanten, demokratische Einstellungen nicht nur als reaktionäres Verhalten zu bezeichnen, sondern überdies oppositionelle Haltungen mit dem Faschismus gleichzusetzen. Zur Bekräftigung der Machtdemonstration bezichtigte er Rudolf Schmidt und Reimer Mager, die Opposition der CDU-Fraktion zu organisieren. Er zwang Schmidt zur Niederlegung seines Mandats und Mager zum Rücktritt von seiner Funktion als CDU-Fraktionsvorsitzender.240 Zudem ordnete er den Ausschluss des LDP-Abgeordneten Arthur Schwärig aus der Stadtverordnetenversammlung und das Ausscheiden des LDP-Abgeordneten Georg Voß aus dem Stadtverordnetenvorstand an.241

4.

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Nur im Kontext von Gewalt und Repression wird die bedingungslose Unterwerfung der oppositionellen Politiker nach einer Phase erbitterten Widerstands verständlich. Wie ihre Parteiführungen auf der zentralen Ebene242 wichen CDU und LDP auf ganzer Linie der Übermacht. Oppositionelle aller Parteien spürten den im September 1947 erfolgten Kurswechsel der SED am offensiven Vorgehen der deutschen und sowjetischen Sicherheitsorgane. Arno Wend, der sich als ehemaliger Sozialdemokrat dem Führungsanspruch der Kommunisten in der SED widersetzt hatte, befand sich seit einem halben Jahr in sowjetischer Haft. Diejenigen seiner Genossen, die mit ihm verkehrt hatten, fürchteten Re237 Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses der zentralen Einheitsfront der antifaschistischdemokratischen Parteien vom 26.10.1948. In: Suckut, Blockpolitik, S. 318–337, hier 332. 238 18. (43.) öffentliche Sitzung vom 28.10.1948 (Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 909 ff.). 239 19. (44.) öffentliche Sitzung vom 25.11.1948 (StadtAD, ebd., Bl. 959 f.). 240 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 4. Quartal 1948 vom 31.12.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 230, l. 170). 241 20. (45.) öffentliche Sitzung vom 9.12.1948 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 987 ff.). Vgl. Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 204–211. 242 Richter, Entstehung und Transformation, S. 2548 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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pressalien.243 Die Stadtverordneten wussten, dass sich Wolfgang Mischnick dem Zugriff des sowjetischen Geheimdienstes nur durch Flucht hatte entziehen können. Sie lebten in dem Bewusstsein, dass es gefährlich war, gegen die SED oder gegen die sowjetische Besatzungsmacht aufzubegehren, und beugten sich den Rücktrittsorderungen. Aber auch ein Mangel an Solidarität mit den Opfern der Repression förderte die Durchsetzung des kommunistischen Herrschaftsanspruchs. Offenkundig wollten viele die repressiven Aspekte der politischen Wirklichkeit zugunsten einer opportunistischen Teilhabe an ihr nicht wahrhaben. Fehlender Gruppenzusammenhalt begünstigte die Disziplinierung; für eine Frontalopposition gegen die Diktaturdurchsetzung konnte von der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Unterstützung gerechnet werden.244 In diesen Begleiterscheinungen des „Anti-Faschismus“ bestanden die „günstigsten Voraussetzungen für die Fortentwicklung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung“.245 Die ausschließliche kommunistische Herrschaft wurde zwar als Ergebnis und nicht bereits zum Anfang des eingeleiteten Prozesses angestrebt. Aber eine parlamentarische Demokratie im westlichen Verständnis war von vornherein ausgeschlossen, obgleich viele Mitglieder der Parteien erst 1948 die Unmöglichkeit einer politischen Kooperation mit kompromissunfähigen Kräften erkannten. Sie täuschte der verschleierte Gegensatz in der begrifflichen Unterscheidung von „realer“ und „formaler“ Demokratie. „Formale Demokratie“ bezeichnete das diskreditierte Weimarer Experiment und dessen Anhänger. Im SED-Verständnis der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ kamen der Rechtsstaatlichkeit, der Garantie der Grundrechte und dem Mehrheitsprinzip keine Bedeutung zu. Sie waren Ziel propagandistischer Manipulationen; versagten diese, kam das Gewaltmonopol der sowjetischen Militärregierung zur Anwendung. Die Unterordnung von CDU und LDP musste erzwungen werden. Verschiedene Vertreter der bürgerlichen Parteien wehrten sich gegen die beabsichtigte Aufweichung der parlamentarischen Demokratie. Ihr Widerstand konnte nur überwunden werden, indem auf sie ein starker indirekter Druck ausgeübt wurde, der sie, wenn nicht um Leib und Leben, so doch um ihre persönliche Sicherheit und politische Freiheit fürchten lassen musste. Das demonstrierten die offenen Drohungen des Dresdner Stadtkommandanten, die von den handelnden Akteuren im Kontext des durch sowjetische und deutsche Sicherheitsorgane ausgeübten Terrors richtig gedeutet wurden.246 Gewalt und Willkür kennzeichneten „die erste Etappe“ einer im euphemistischen Sprachgebrauch „volksdemokratischen Revolution“.247 Die SED konnte allein auf sich gestellt die Ausei243 Hurwitz, Stalinisierung der SED, S. 302. 244 „Reaktionäre Umtriebe“, o. D. [Bericht der Dresdner Polizei Ende 1948] (SächsHStAD, LBdVP 368, nicht paginiert). 245 Weidauer, Kommunalpolitik, S. 43. 246 Vgl. Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 164 ff. und 214 ff.; Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 104 f. 247 Doernberg, Geburt, S. 452. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nandersetzung nicht zu ihren Gunsten entscheiden und unterlag in freien Abstimmungen ihren demokratischen Widersachern. Sowjetische Repression verhalf ihr zur Herrschaft. Im Zusammenhang mit der Überwindung von CDU und LDP ist die starke Binnendifferenzierung der beiden Parteien von Bedeutung, die der SED die Diktaturdurchsetzung wesentlich erleichterte. Während der Volkskongressbewegung und dem „Volksbegehren für Einheit und gerechten Frieden“ entfalteten die Kommunisten eine aufwendige Propaganda, um trotz der weit verbreiteten Ablehnung ihrer Politik eine Legitimationsbasis zu erhalten. Dabei konnten sie auf verschiedene Politiker von LDP und CDU zählen. Der nachmalige Minister für Gesundheitswesen und stellvertretende Ministerpräsident der Landesregierung Sachsen, Walter Thürmer, qualifizierte sich hier für seinen politischen Aufstieg.248 Die Kommunisten belohnten seinen Opportunismus umgehend mit dem freigewordenen Posten des Wirtschaftsdezernenten im Stadtrat. Thürmer isolierte sich zwar zunehmend mit seiner Haltung innerhalb der Partei,249 doch erschwerte er anderen die Selbstbehauptung. Der am 17. und 18. März 1948 in Berlin tagende 2. Volkskongress leitete auf Betreiben der SED eine als gesamtdeutsche Abstimmung getarnte national-patriotische Propaganda-Initiative zur Unterstützung der sowjetischen Deutschlandpolitik ein.250 Der Staatsbildungsprozess in der SBZ trat in seine abschließende Phase.251 Das „Volksbegehren für einen Volksentscheid über die Einheit Deutschlands“ zwischen dem 23. Mai und dem 13. Juni 1948 demonstrierte die Missachtung demokratischer Verfahren durch die SED: Auf die Einrichtung von Abstimmungslokalen wurde von vornherein verzichtet. Die Praxis der Einzeichnung in die vorbereiteten Listen, der gewaltige Personalaufwand in Betrieben, auf Straßen und öffentlichen Plätzen sowie direkt an den Wohnungstüren hatte den Charakter einer Nötigung. Die Aktion genügte wegen der fehlenden Überprüfbarkeit der Einzeichnungslisten keineswegs den Kriterien einer Abstimmung. Allerdings gelang mit der Unterschriftensammlung weder die beabsichtigte Massenmobilisierung noch die entscheidende Schwächung des Protestpotentials in den Reihen von CDU und LDP. Die Risiken einer Wahl aber konnte die SED künftig umgehen. Mit der fadenscheinigen Begründung, die Zeit für eine gründliche Vorbereitung sei zu knapp, verschob im August 1948 die SMAD die Kommunalwahlen,252 und die ein Jahr später für den 3. Volkskongress 1949 konstruierte „Einheitsliste“ exemplifizier248 Delegiertentagung der 2. Kreiskonferenz der Volkskongressbewegung vom 25. 3.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1000, Bl. 55). 249 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 4. Quartal 1948 vom 31.12.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 230, l. 168). 250 Bender, Volkskongressbewegung, S. 234 ff.; Wolkow, Stalins Sicht, S. 31 ff. 251 Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 153 ff. 252 Baus, Christlich-Demokratische Union Deutschlands, S. 446 f.; Braun, Entwicklung der Wahlen, S. 550. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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te das für die spätere DDR gültige Modell: Die nicht innerhalb der Parteien gewählten, sondern im „Einheitsblock“ ernannten Kandidaten wurden auf eine gemeinsame Liste gesetzt.253 Über diese durfte die Bevölkerung abstimmen. Das Plebiszit in der SBZ am 15. und 16. Mai 1949 über die Einheitslisten der Delegierten zum 3. Deutschen Volkskongress brachte der SED trotz der Manipulation der Abstimmung ein vernichtendes Votum.254 In Dresden lag das Gesamtergebnis mit 51,6 Prozent weit unter dem Durchschnitt.255 Besonders hoch war die Ablehnung in bürgerlichen Wohnvierteln. Hier erhielt die Liste teilweise nicht einmal 50 Prozent Zustimmung.256 Die SED-Politik wurde nur von einem Teil der Bevölkerung akzeptiert. Es gelang ihr nicht, die Mehrheit der Bevölkerung von ihrer Zukunftsvision eines „besseren Deutschland“ zu überzeugen, viele Menschen misstrauten der offiziellen Propaganda und lehnten das offerierte Gesellschaftsmodell ab. Sie sahen in der SED einen Handlanger der Besatzungsmacht, der nicht ihre, sondern sowjetische Interessen vertrat. Das mochte sich die Partei selbst und den über ihre Arbeit wachenden sowjetischen Kontrolloffizieren nicht eingestehen. Zwar ermöglichten neben dem Parteiensystem Massenorganisationen eine weitreichende politische Formierung der Bevölkerung und deren Einschaltung in das parlamentarische Gefüge annullierte die Wahlergebnisse – Widerstand gegen ihre Herrschaft konnte die SED nur mittels Repression ausschalten. Abweichendes und unerwünschtes Verhalten drückte Protest, Opposition und Resistenz gegen die kommunistischen Umgestaltungsbemühungen aus, einen organisierten politischen Widerstand verhinderte die Besatzungsmacht. In den ersten drei Jahren der SBZ bildete sich das Grundmuster politischer Verweigerung heraus, das die spätere DDR kennzeichnete: Die Formierung einer Opposition konnte verhindert werden, Wahlen fanden künftig nicht statt, und Einheitslisten paralysierten das demokratische System zugunsten einer „anti-faschistischen“ Umwälzung. Das Spezifische des „Anti-Faschismus“ in der SBZ basierte auf den drei Komponenten Besatzungsmacht, Bevölkerung, Führung von KPD / SED. Die sowjetische Besatzungsarmee traf als dominierende Macht auf wehr- und orientierungslose Menschen, die Sicherheit suchten in den Institutionen einer neuen Staatlichkeit und in einem ideologischen Orientierungsrahmen. So wie sich die essentiellen Interessen der Besatzungsmacht von den elementaren Bedürfnissen der Bevölkerung unterschieden, entwickelten die deutschen Kommunisten als dritter Faktor für ihre Zwecke einen beträchtlichen Eigensinn. Protegiert von sowjetischen Offizieren, die sich ihrer bedienten zur Durchsetzung besatzungs253 Bender, Volkskongressbewegung, S. 251. Vgl. Laufer, SED und die Wahlen. 254 Braun, Delegiertenwahlen. Vgl. Richter, Ost-CDU, S. 182 ff. Schroeder, SED-Staat, S. 78 f. 255 Delegiertenwahl zum 3. Deutschen Volkskongress am 15. und 16. Mai 1949 vom 17. 5. 1949 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1082, Bl. 33). 256 Gegenüberstellung von Arbeiter- und bürgerlichen Wohnvierteln vom 16. 5.1949 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 126, Bl. 48 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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politischer Ziele ihrer Moskauer Führung, stimmten sie trotz gemeinsamen Agierens keineswegs immer mit ihnen überein. Zwischen diesen drei Größen entstanden Verhältnisse gegenseitiger Abhängigkeit. Allein die Waffen der Roten Armee ermöglichten die Errichtung der kommunistischen Herrschaft. Ihrerseits konnte die Sowjetunion die SBZ nur gestützt auf eine in der Bevölkerung verankerte Partei stalinistischer Kollaborateure mit relativer Dauerhaftigkeit ihrem Machtbereich einverleiben und die Hauptziele ihrer Besatzungspolitik, militärische Sicherheit und maximale materielle Entschädigung, erreichen. Die auf den ersten Blick diesen beiden Machtfaktoren ausgelieferten Menschen erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als nicht ausschließlich hilflos Beherrschte. Da die Kosten für eine dauerhaft auf Gewaltmittel und Terror gegründete Fremdherrschaft tendenziell unbegrenzt wachsen können, erfolgten Integrationsangebote, die von weiten Teilen der Bevölkerung bereitwillig und von ihren politischen Eliten mit wachsender Zustimmung aufgegriffen wurden. Die Herrschenden gingen zum Teil auf deren Erwartungen und Wünsche ein, um die Gesellschaft in den Rahmen des politischen Regimes einzufügen und die Reibungsverluste bei der Durchsetzung der Herrschaft zu minimieren.257 Das wichtigste Integrationsinstrument war die Entnazifizierung. Die Verfolgung der mit Schuld beladenen Nationalsozialisten ermöglichte die Eingliederung derjenigen, die von Schuld freigesprochen wurden. Die politische Säuberung in der SBZ beschränkte sich nicht auf die Entlassung ehemaliger Nationalsozialisten aus den Behörden. Die Ausschaltung von Repräsentanten der nationalsozialistischen Herrschaft und gleichzeitig stattfindende gesellschaftspolitische Veränderungen kennzeichnen den „Doppelcharakter“ der Entnazifizierung in der SBZ.258 Den Trägern politischer Verantwortung im kommunistischen Lager ging es nicht primär um die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sondern um die Durchsetzung des Monopolanspruchs ihrer mit dem Nationalsozialismus rivalisierenden Weltdeutung. Die Ahndung von Kriegs- und Menschheitsverbrechen blieb der Herrschaftssicherung untergeordnet und die Verfolgung von Nationalsozialisten schloss die Verfolgung mutmaßlicher anderer Gegner ein.259 „Faschismus“ und „Anti-Faschismus“ bildeten die einprägsamen Metaphern der die gesellschaftspolitischen Weichenstellungen legitimierenden Ideologie.260 In dem Zusammenhang muss nochmals die in der Forschung vorgenommene Einteilung der Entnazifizierung in vier aufeinander folgende Phasen in den Blick genommen werden. Die erste Phase der Säuberung, beginnend mit der Besetzung des jeweiligen Gebietes und geprägt von lokalen Besonderheiten, bei denen örtliche „Antifa-Komitees“ eine wichtige Rolle spielten, habe nur wenige Wochen gedauert. Unterschiedliche Regelungen und Tendenzen der jeweils dominierenden proletarischen oder bürgerlichen Kräfte, Bemühungen um Sicher257 258 259 260

Vgl. Meuschel, Legitimation, S. 24. Welsh, Wandel, S. 11. Kappelt, Entnazifizierung, S. 235. Meuschel, Legitimation, S. 29 f. und 38 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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stellung der Versorgung und Wiederaufnahme der Produktion charakterisierten eine spontane und unsystematische Entnazifizierung, die mit der Einsetzung von Landes- und Provinzialverwaltungen im Juli 1945 endete. In der folgenden zweiten Phase bis Ende 1946 seien durch sowjetische Befehle korrigierte landesweite Säuberungsregelungen mit der Absicht in Kraft getreten, alle belasteten Personen aus öffentlichen Verwaltungen und Dienstellen sowie aus den führenden Positionen in der Wirtschaft zu entfernen. Parallel zu dieser gezielten Ausschaltung von Trägern staatlicher Macht und dem damit verbundenem Ausbau der eigenen Herrschaft habe die SED beabsichtigt, „Mitläufer der Nazipartei in den demokratischen Aufbau“261 einzugliedern. Die Ende 1946/Anfang 1947 einsetzende dritte Phase der Entnazifizierung, zurückgehend auf die Kontrollratsdirektive Nr. 24 von Januar 1946, sollte, so die Forschung, deutschlandweit einheitliche Regelungen durchsetzen. Neben der Angleichung unterschiedlich gehandhabter Regelungen innerhalb ihrer Zone habe die SMAD mit der zwar verspätet, schließlich aber doch umgesetzten Direktive für die bevorstehende Moskauer Außenministerkonferenz eine günstige Verhandlungsposition gegenüber den Westalliierten angestrebt. Der beginnende Kalte Krieg und das Bemühen um stabilere Machtverhältnisse hätten die abschließende vierte Phase bestimmt, die im August 1947 wiederum ein SMADBefehl erstmals mit einer zoneneinheitlichen Verfahrensweise einleitete. Nach der mehrheitlichen Entlassung aller Beamten und Angestellten aus wichtigen Ämtern, ungeachtet ihrer nominellen oder aktiven Belastung, richtete sich das Hauptaugenmerk auf die Verurteilung aktiver Nationalsozialisten. Diese letzte Phase, abgeschlossen im Frühjahr 1948, sollte zugleich die gesellschaftliche Reintegration ehemaliger NSDAP-Mitglieder vorantreiben und die kommunistische Herrschaft stabilisieren.262 Abweichend von dieser Periodisierung zeigten die Säuberungsrichtlinien der sächsischen Landesverwaltung im Sommer 1945 keine Auswirkungen. Die sowjetischen Befehle Nr. 124 und Nr. 126 vom Oktober 1945 markieren aber eine deutliche Zäsur. Sie ermöglichten die Fortführung der begonnenen Enteignungen, und Äußerungen des SMAD-Chefs Marschall Shukow verdeutlichten im November 1945 die wirtschaftspolitische Zielsetzung der Entnazifizierung.263 Die SMAS verlangte nicht zufällig zur selben Zeit von der Landesverwaltung die endgültige Entlassung der verbliebenen NSDAP-Mitglieder aus sämtlichen kommunalen und übergeordneten Verwaltungsinstanzen. Das Personalamt der Dresdner Stadtverwaltung schloss daraufhin binnen kurzer Zeit die politische Säuberung weitgehend ab: Ende 1945 lag der Anteil ehemaliger NSDAP-Mit261 Beschluss des Parteivorstandes der SED vom 20. 6.1946. Zit. nach Kleßmann, doppelte Staatsgründung, S. 385. Vgl. Rede von Otto Grotewohl auf der Sitzung des Parteivorstandes der SED vom 18. bis 20. 6.1946. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 88–93. 262 Vgl. die Periodisierung bei Welsh, Wandel, S. 18 ff.; sie bezieht sich ausdrücklich auf Meinicke, Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone, S. XXIII ff. 263 Referat Fischers auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (SächsHStAD, LBdVP 9, Bl. 86–90). Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 108. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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glieder in der Stadtverwaltung bei 7,3 Prozent. Die bis 1949 folgenden Entnazifizierungsverordnungen beeinflussten diesen Wert nur noch unwesentlich und verringerten ihn auf lediglich 5,4 Prozent, so dass von Säuberungen im eigentlichen Sinn nicht gesprochen werden kann.264 Die Entnazifizierung in Dresden ähnelte zum Jahresende 1945 sowohl an Umfang als auch an Rigorosität der in Mecklenburg-Vorpommern realisierten Säuberungspolitik, wo ebenfalls im November 1945 ein sowjetischer Befehl die Entlassung aller belasteter Nationalsozialisten veranlasste.265 Sie glich auch der amerikanischen Entlassungspolitik, unterschied sich allerdings gravierend hinsichtlich der Neubesetzung freigewordener Stellen. Sie wurden vorwiegend mit Gefolgsleuten der KPD/SED besetzt, in den westlichen Besatzungszonen gelangte Fachpersonal aus dem gesamten politischen Spektrum in politische Ämter und Verwaltungspositionen.266 Die sowjetischen Befehle Nr. 124 und Nr. 126 beendeten die erste Phase der Entnazifizierung und eröffneten ihre zweite Phase, indem sie die über eine unkoordinierte Sequestrierung hinausgehende Enteignung von Privatbetrieben ermöglichten. Die Befehle sanktionierten das bisherige Vorgehen der deutschen Behörden, öffneten den Weg zu planmäßigen Reparationsentnahmen und zur nachhaltigen Änderung der Eigentumsverhältnisse. De facto legten sie den Grundstein für die ökonomische Machtbasis der SED-Parteiherrschaft. Kurz zuvor hatte Opitz bereits die Polizei auf den „Klassenfeind“ eingeschworen und ihr eine wichtige Aufgabe beim Umbau der „Grundlagen der kapitalistischen Welt“ zugedacht.267 Ohne die grundsätzliche Bedeutung der Personalämter zu schmälern, verlagerte sich 1946 der Säuberungsschwerpunkt von ihnen auf die örtlichen Sequester-Ausschüsse und auf die Rehabilitierungskommissionen der Parteien, an die sich die zu Unrecht belasteten Personen wenden konnten. In die Einrichtung solcher entlastenden Instanzen hatte die kommunistische Führung jedoch nur aus Rücksicht auf LDP und CDU eingewilligt. Um deren Zustimmung zum Volksentscheid zu erhalten, musste sie den Enteignungen den Anschein von Rechtmäßigkeit geben. Eine grundsätzliche Revision stattgefundener und beabsichtigter Konfiskationen sollte hingegen vermieden und nur eine beschränkte Anzahl kleinerer Betriebe tatsächlich an ihre Eigentümer zurückgegeben werden. Mit dem Volksentscheid waren ungerechtfertigte Enteignungen nicht verhindert worden, und die Betriebe der so genannten BListe blieben beschlagnahmt.268

264 Personalstandsbericht vom 30.11.1949 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1081, nicht paginiert). 265 Melis, Entnazifizierung, S. 108 ff. 266 Vgl. Halder, Teilung, S. 51 ff.; Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 48. 267 „Referat des Herrn Polizeipräsidenten zu der Betriebsversammlung am 19. Oktober 1945 über den Stand und die Aufgaben der Kommunisten“ vom 19.10.1945 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 56, Bl. 3–9). 268 4. Sitzung der Stadtverordneten vom 21.11.1946 (StadtAD, Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1, Bl. 145). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Entnazifierung nach Kontrollratsdirektive Nr. 24

Bis in den Herbst 1946 gestaltete die SED zwar unter Aufsicht, doch weitgehend ohne nennenswerte Interventionen sowjetischer Besatzungsbehörden den beispiellosen Transformationsprozess in Verwaltung und Wirtschaft. Was aus westlicher Perspektive Anfang 1947 „Versäumnisse in der Entnazifizierung“ darstellten, war die bewusste Umgehung einer Vereinheitlichung, um den „örtlichen ‚Reinigungsausschüssen‘ die Interpretation und Anwendung“ gültiger Richtlinien zu überlassen.269 Eine zentrale Regelung musste zwangsläufig die Stärkung der Berufungsinstanz nach sich ziehen. Die Kontrollratsdirektive Nr. 24 und mehr noch die im Oktober nachgeschobene Direktive Nr. 38 hatten die Festlegung eines klar umrissenen Personenkreises und einen abgestuften Katalog von Sühnemaßnahmen zum Inhalt.270 Eben dies forderten LDP und CDU seit langem. Ihre Position hatte sich nach den für die SED so ungünstig verlaufenen Kommunal- und Landtagswahlen weiter verbessert und sie trugen verstärkt ihr Anliegen vor. Doch dessen Realisierung lag nicht im Sinn von SMAD und SED. Ihnen ging es einzig und allein darum, den auf der zwischenstaatlichen politischen Bühne akzeptierten Vorgang der politischen Säuberung in Deutschland im Sinne des von ihnen durchgeführten „Klassenkampfes“ zu instrumentalisieren. Mit Blick auf die Weltstaatengemeinschaft wurde von ihnen Entnazifizierung und „Anti-Faschismus“ konsequent gleichgesetzt. Wegen dieser internationalen Perspektive ihrer Deutschlandpolitik erließ fast ein Jahr nach Inkrafttreten der Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946271 die SMAS am 21. Dezember 1946 den Befehl Nr. 351, der binnen Monatsfrist die Überprüfung des gesamten Personals im öffentlichen Dienst und der Arbeiter sämtlicher Betriebe anordnete.272 Die befohlene Eile verwundert nur auf den ersten Blick. Die Besatzungsbehörden hatten eine Umsetzung der Direktive bislang vermieden wegen der damit verbunden Präzisierung der Säuberungspolitik. Sie bevorzugten die vagen Formulierungen, um die in Deutschland anvisierte Angleichung der gesellschaftlichen Verhältnisse an die in der Sowjetunion gültigen umso zügiger vorantreiben zu können. Bereits Anfang November 1946 veröffentlichte das Personalamt der sächsischen Landesverwal-

269 Zum Stand der Entnazifizierung. Bericht des Sopade-Informationsdienstes vom 8. Februar 1947. Zit. nach Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 199–203. 270 Direktive Nr. 38 des Kontrollrats vom 12. Oktober 1946. Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 97–124. 271 Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 12. Januar 1946. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. In: ebd., S. 64–81. 272 Protokoll der Sitzung zur Entnazifizierung vom 3.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/2h, nicht paginiert). Vgl. Meinicke, Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone, S. 34. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tung den Wortlaut von Direktive Nr. 24,273 vermutlich veranlasst durch die Bekanntgabe der Kontrollratsdirektive Nr. 38. Der SMAS-Befehl Nr. 351 erklärte einige Wochen darauf die Richtlinien für allgemein verbindlich in ganz Sachsen.274 Die SED verkündete in sowjetischem Auftrag, für „Entscheidungen in der Deutschlandfrage“ seien die Fortschritte des Landes in „seiner Demokratisierung“ entscheidend.275 Das bedeutete die Verknüpfung der Säuberung mit der nationalen Frage. Der sowjetische Vorstoß aktivierte die deutschen Behörden. Bereits in der ersten Woche des neuen Jahres instruierte die Informationsabteilung der Dresdner Stadtkommandantur die Stadtverwaltung über die vorgesehene Neuregelung. Die bisher ausgesprochenen Rehabilitierungen wurden für ungültig erklärt und die sowjetische Seite rechnete deswegen mit Bemühungen der „Reaktion“, die erforderlichen Entlassungen zu „sabotieren“. Die Besetzung der Kommissionen habe aus dem Grund oberste Priorität und es dürften nur „Leute genommen werden, die politisch ganz klar sehen“.276 Umgehend konstituierte Weidauer entsprechend den Vorgaben die neue zentrale Entnazifizierungskommission der Stadt. Neben dem Bürgermeister als Vorsitzenden und dem Personalleiter als dessen Stellvertreter sollten die drei Parteien sowie der FDGB und der Betriebsrat der Stadtverwaltung Vertreter entsenden. Diese Konstruktion sicherte der SED die beherrschende Position, da FDGB und Betriebsrat SED-Mitglieder stellten. Mit Walter Weidauer gehörten der Dresdner Kommission insgesamt fünf SED-Mitglieder an, LDP und CDU waren lediglich berechtigt, je einen Vertreter zu benennen. Nach diesem Muster sollten in den Bezirksverwaltungen sowie in den großen Betrieben gleichfalls Kommissionen zusammentreten. Die Entscheidungen der unteren Kommissionen mussten der städtischen Zentralkommission zum endgültigen Beschluss vorgelegt werden. Die Ergebnisse sollten rechtzeitig vor Beginn der Moskauer Außenministerkonferenz vorliegen und zur Verbesserung der sowjetischen Position bei den Verhandlungen mit den westlichen Alliierten auf der für den März 1947 geplanten Konferenz beitragen. Überdies bezweckte die SMAS neben dem außenpolitischen Aspekt auch innenpolitisch Gelände zu gewinnen und das in ihren Augen völlig unzulängliche Personal auszutauschen, um den Kompetenzzuwachs der Kommissionen abzufangen. Auf die Besatzungsmacht verwies Oberbürgermeister Weidauer nachdrücklich, als er anlässlich der konstituierenden Sitzung der zentralen Kommission die Mitglieder darauf verpflichtete, „ihr Amt so aus273 Direktive des Alliierten Kontrollrates Nr. 24 vom 12.1.1946, veröffentlicht durch das Personalamt der Landesverwaltung Sachsen am 18.11.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 96, nicht paginiert). 274 Vgl. Allgemeiner Bericht über die Entnazifizierung in Sachsen, o. D. [Anfang 1947] (SächsHStAD, LRS MdI 2038, Bl. 37); hier allerdings datiert auf den 9.12.1946, ebenso von Welsh, Wandel, S. 68. 275 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Entnazifizierungskommission vom 4.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 102, Bl. 14 f.). 276 Protokoll der Sitzung zur Entnazifizierung vom 3.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/2h, nicht paginiert). Vgl. Welsh, Wandel, S. 69. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zuüben, wie es von ihrem Auftraggeber“ erwartet werde. Allerdings hegte auch er Zweifel an der Einhaltung des deutlich zu knapp bemessenen Termins.277 Denn trotz aller nachdrücklich gebotenen Eile musste er die Umsetzung der sowjetischen Instruktionen sicherstellen, denen zufolge kein potentieller Gegner der Umgestaltungspolitik Mitglied einer Kommission werden durfte. So wie die Mitglieder der Zentralkommission vom sächsischen Innenministerium überprüft wurden, musste er die auf der Stadtbezirksebene tätigen Entnazifizierungskommissionen inspizieren.278 Der zentralen Dresdner Kommission gehörten aktive Kommunisten und handverlesene Statisten an. Weidauer und die Personalamtsleiterin des Rathauses Charlotte Dietrich waren ein eingespieltes Team. Sie hatte diese in kommunistischer Perspektive wichtige Schlüsselfunktion aufgrund ihrer bedingungslosen Parteiergebenheit erhalten.279 Hildegard Lehmann, eine von den Nationalsozialisten verfolgte und verurteilte kommunistische Funktionärin,280 und FDGB-Kreissekretär Richard Hennig, der seit 1919 der KPD angehörte, ergänzten beide.281 Der Vorsitzende des Betriebsrates der Stadtverwaltung Otto Donth, ein ehemaliger Sozialdemokrat, vervollständigte das SED-Quintett.282 Seitens der LDP gehörte der Stadtverordnete und Gewerbetreibende Friedrich Hörmann der Kommission an.283 Für die CDU war der nachmalige sächsische Finanzminister und derzeitige städtische Lohnbuchhalter, der Stadtverordnete Carl Ulbricht, Mitglied.284 Auffällig ist die mit Anwendung der Kontrollratsdirektive verstärkte ökonomische Stoßrichtung der Entnazifizierung. In Dresden hintertrieb Weidauer erfolgreich die durch den Volksentscheid erforderlich gewordene Aufhebung der Sequesterbeschlüsse285 und intervenierte auf der anderen Seite zugunsten von Genossen bei der sowjetischen Kommandantur.286 LDP und CDU protestierten vergeblich gegen die Verschleppungstaktik, bei der sich die SED auf die vorgeb-

277 Protokoll der konstituierenden Sitzung der Entnazifizierungskommission vom 4.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 102, Bl. 14 f.). 278 Schreiben des Personalamtes der Stadtverwaltung Dresden vom 2.1.1947 (Sächs HStAD, LRS MdI 2024, nicht paginiert). 279 Vgl. Notizen zum Lebenslauf von Charlotte Dietrich-Smolorz vom 6.1.1965 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, V/581, nicht paginiert). 280 Fragebogen Hildegard Lehmann vom 30.12.1946 (SächsHStAD, LRS MdI 2024, nicht paginiert). Vgl. Lebenslauf von Hildegard Lehmann, o. D. [Oktober 1949] (Sächs HStAD, Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden VdN 4561, nicht paginiert). 281 Fragebogen Richard Hennig vom 25.12.1946 (SächsHStAD, LRS MdI 2024, nicht paginiert). 282 Fragebogen Otto Donth vom 30.12.1946 (ebd., nicht paginiert). 283 Fragebogen Friedrich Hörmann vom 30.12.1946 (ebd., nicht paginiert). 284 Fragebogen Carl Ulbricht vom 27.12.1946 (ebd., nicht paginiert). 285 Gruhler an Dr. Thürmer vom 14. 12. 1946 (ADL, Bestand LDPD Landesverband Sachsen, L5–365, nicht paginiert). Vgl. Widera, Begrenzte Herrschaft, S. 190 f. 286 Weidauer an Zentralkommandantur vom 15.11.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 144, Bl. 71). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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lich fehlende Bestätigung der SMAD berief.287 Anfang 1947 erhielten die Entnazifizierungskommissionen der Verwaltungsbezirke, die sich mit der Überprüfung der Betriebe befassten, zusätzlich je ein Mitglied der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer zugewiesen. Die ausgewählten Personen waren bis auf eine Ausnahme Mitglieder der SED.288 Sie untermauerten das ohnehin bestehende Übergewicht der SED in den Entnazifizierungskommissionen der Stadtkreise.289 Die Entnazifizierungskommissionen der Betriebe wurden auf sowjetische Anordnung mit Vorsitzenden aus den Bezirksverwaltungen besetzt.290 Mit Hilfe dieser SED-Mitglieder in den Entnazifizierungskommissionen sollte der von LDP und CDU in der sächsischen Landesverwaltung durchgesetzte Beschluss über die Rückgabe derjenigen Betriebe, die nicht unter die Bestimmungen des Volksentscheides gefallen waren, annulliert werden.291 Bei der zentralen Kommission lag die ausschlaggebende Entscheidungsbefugnis. Ihr mussten die Beschlüsse der betrieblichen und der auf Stadtbezirksebene tätigen Kommissionen sowie die von den Betroffenen erhobenen Einsprüche vorgelegt werden.292 Sie entschied nicht allein nach Sachlage, sondern auf der Basis beigebrachter Informationen über Betriebsinhaber und betriebliches Führungspersonal, die sie auch über interne Kanäle von den Bezirksverwaltungen erhielt.293 Aus dem überlieferten Schriftverkehr wird ersichtlich, dass die nationalsozialistische Belastung sehr häufig einen willkommenen Vorwand bildete; entscheidend für die Entlassung der betroffenen Personen wurde die auf ihrer Seite vermutete Illoyalität.294 Wer sich hingegen dem „Neuaufbau zur Verfügung gestellt“ hatte, verlor seinen Arbeitsplatz nicht.295 Keinen Zweifel an den wirtschaftlichen Motiven lässt die folgende Begründung einer Entnazifizierungskommission: „Bei der Überprüfung oben angeführten Betriebes wurde festgestellt, dass es sich hier nicht um einen Handwerksbetrieb, sondern um einen 287 Protokoll der Sitzung des Landesausschusses der sächsischen Blockparteien und des FDGB vom 3. 3.1947 (SAPMO-BArch, NY 4074 Band 175, Bl. 2). 288 Entnazifizierungskommission an Zentralkommandantur vom 22.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 102, Bl. 16); Entnazifizierungskommission an Zentralkommandantur vom 30.1.1947 (ebd., Bl. 17). 289 Vgl. Schreiben der Entnazifizierungskommissionen an die Zentralkommandantur mit Aufstellung der Kommissionsmitglieder in den Stadtbezirken, jeweils 7.1.1947 (ebd., Bl. 45, Bl. 59, Bl. 70, Bl. 81, Bl. 93, Bl. 97, Bl. 106). 290 Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung V vom 10.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/15 Band I, nicht paginiert). 291 Nebenstelle des Gewerbeamtes der Bezirksverwaltung III vom 26. 2.1947 (StadtAD, Dezernat Wirtschaft und Arbeit 82, Bl. 58). 292 Vgl. Protokoll der konstituierenden Sitzung der Entnazifizierungskommission vom 4.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 102, Bl. 15). 293 Vgl. Sonderbericht der Bezirksverwaltung I zur Entnazifizierung vom 4. 3.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 27, nicht paginiert). 294 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 13. 5.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 51, nicht paginiert). 295 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 7. 2.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 52, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Großbetrieb von cirka 110 Personen handelt, woraus hervorgeht, dass dieser im Rahmen der Wirtschaft und Wirtschaftsplanung schon eine bedeutende Rolle einnimmt.“ Aus diesem Grund müsse der bisherige Betriebsinhaber, Mitglied der NSDAP seit 1933, laut Direktive Nr. 24 entlassen werden.296 Die Entnazifizierung führte wenig überraschend zu einer Dominanz von SED-Mitgliedern in den Betriebsleitungen von Firmen mit großer wirtschaftlicher Bedeutung.297 Die Bezirksverwaltungen fungierten als Aufsichtsorgan und kontrollierten die Entscheidungen der Betriebe.298 Auf diesem Weg eröffneten sich Aufstiegschancen für SED-Mitglieder. Der nach Abschluss der Volksschule zum Werkzeugmacher ausgebildete Alfred P. gehörte seit 1921 dem Metallarbeiterverband und seit 1930 der SPD an. Bei der Zeiss Ikon AG qualifizierte er sich zum Werkzeugkonstrukteur und Sachbearbeiter für Arbeitsvorbereitung. 1945 wurde er mit verschiedenen Aufgaben bei der Demontage des Werkes betraut und anschließend Betriebsleiter des Zweigwerkes in Reick.299 Manchen Entscheidungen lagen Pragmatismus und wirtschaftliche Erfordernisse zugrunde, spezialisierte Fachkräfte konnten häufig ihre Berufe weiter ausüben.300 Die Aussage der Betriebsräte entschied meist über den künftigen Status der nicht entlassenen Mitarbeiter. Einen zwischen 1938 und 1945 der NSDAP angehörenden Ingenieur erklärte die Kommission wegen seiner positiven Einstellung für „tragbar“,301 einen anderen hingegen versetzte sie in den Stand eines Arbeiters, weil er „dem demokratischen Staate negativ gegenüber“ stehe.302 Diese in den Begründungen häufig wiederkehrende Formel verdeutlicht den Einfluss betrieblicher Beziehungsgeflechte auf das zur Anwendung kommende Prinzip der Einzelfallprüfung. Das der offiziellen Sprachregelung entlehnte Stereotyp kaschierte die zwischen den Betriebsangehörigen bestehenden persönlichen Verbindungen. Mitunter scheiterte die SED in den Betrieben an der „nicht klassenbewussten Belegschaft“.303 Doch hartnäckige SED-Funk296 Sitzungsprotokoll der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung V vom 27. 2.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/17 Band I, nicht paginiert). 297 Vgl. Liste des Leitungspersonals der SCAMAG vom 10. 2.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/X/5, nicht paginiert); Leitende Angestellte der Dampfkesselfabrik Übigau vom 15.1.1947 1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/IV/12, nicht paginiert); Welsh, Wandel, S. 73. 298 Sitzungsprotokoll der Prüfungskommission über Entnazifizierungsmaßnahmen in der Mimosa AG vom 29. 4.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/15 Band I, nicht paginiert). 299 Lebenslauf von Alfred P. vom 13. 6.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 55, nicht paginiert); Schreiben an die Blockparteien in Dresden-Briesnitz vom 7. 7.1947 (ebd., nicht paginiert). 300 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 5. 6.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 52, nicht paginiert). 301 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 26. 3.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 53, nicht paginiert). 302 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 26. 2.1947 (ebd., nicht paginiert). 303 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 85). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tionäre in den zentralen Entnazifizierungskommissionen ließen die strittigen Fälle nicht eher ruhen, bis sie zu ihrer Zufriedenheit gelöst wurden.304 Auf die beim Volksentscheid unter sowjetischer Verfügungsgewalt verbliebenen Betriebe hatten sie hingegen keinen Zugriff. Hier befanden sich politische und ökonomische Absichten in einem Zielkonflikt. Die Wirtschaftsoffiziere verfolgten einen anderen Endzweck und unterstanden einer anderen Befehlsgewalt als die Offiziere der Propagandaverwaltung. Die Propagandaverwaltung setzte den für die Säuberung verantwortlichen Leiter der Zentralkommission unter Druck, der reichte den Auftrag an die zuständige Kommission vor Ort weiter. Die Differenzen hätte eine Klärung der Kompetenzen auf sowjetischer Seite lösen müssen. Diese zog es hingegen vor, das Problem auf dem Rücken der Deutschen auszutragen.305 In vielen Fällen hielten sich lokale Vertreter der Besatzungsmacht die Entscheidungsbefugnis offen, und ein abschließender Spruch wurde häufig erst „nach nochmaliger Überprüfung in Übereinkunft mit der SMA“ gefällt.306 Diese Konstellation eröffnete den Betriebsräten einen gewissen Spielraum. Sie lavierten geschickt zwischen den Fronten und erwirkten für manche der zur Entlassung vorgesehenen Mitarbeiter einen Aufschub.307 Hartnäckige Entlassungsforderungen deutscher Kommissionen konnte ein Betriebsrat auch mit direkt herbei geführten Verfügungen sowjetischer Dienststellen abwehren.308 Das erklärt manche Willkür von Entscheidungen der Kommissionen. Betriebsleiter und Firmeninhaber verblieben trotz mitunter langjähriger NSDAP-Mitgliedschaft in ihren Stellungen, gelegentlich mit der Einschränkung versehen, dass sie keinen Einfluss auf Personalentscheidungen haben dürften. Die Entnazifizierungskommission beauftragte dann den Betriebsrat mit der Einstellung eines „antifaschistischen Personalbearbeiters“.309 Andere Betroffene wiederum versuchten gar nicht erst, sich zu rechtfertigen oder sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren, und äußerten unverhohlen ihre Ablehnung der Umgestaltung in der „Ostzone“.310 Ungeachtet der Kohärenz des sowjetischen und des kommunistischen Entnazifizierungsansatzes gingen die entscheidenden Impulse von den Besatzungsbehörden aus. Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung mit der Besatzungsmacht hinsichtlich des Vorgehens in den Betrieben befanden sich Teile der SED 304 Vgl. Schreiben der zentralen Entnazifizierungskommission vom 15. 7.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/17 Band I, nicht paginiert). 305 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 9. 6.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 53, nicht paginiert). 306 Vgl. Schreiben der zentralen Entnazifizierungskommission vom 3. 4.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/17 Band I, nicht paginiert). 307 Vgl. Schreiben der betrieblichen Entnazifizierungskommission der SCAMAG vom 13.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/X/5, nicht paginiert). 308 Betriebsratsvorsitzender der Firma Jasmatzi an die Bezirksverwaltung V vom 21. 3.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/17 Band I, nicht paginiert). 309 Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung V an den Betriebsratsvorsitzenden der Firma Heiser & Co. vom 6. 8.1947 (ebd., nicht paginiert). 310 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 18. 8.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 54, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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im Dissens mit ihr in der Frage der Entnazifizierung der Verwaltung. Sie betonten den, im Gegensatz zu den anderen Ländern der SBZ, in Sachsen eingeschlagenen, besonders rigorosen Weg der Säuberung. Der ehemalige Verwaltungsapparat sei aufgelöst worden und der jetzige bestehe aus überwiegend „neuen Kräften“, die Beschäftigten habe man bei ihrer Einstellung bereits überprüft.311 Auch wenn das Personalamt des sächsischen Innenministeriums versicherte, die neu geschaffenen Entnazifizierungskommissionen würden alle Beschäftigungsverhältnisse nochmals überprüfen, war die Verärgerung deutlich zu hören.312 Die Verständnislosigkeit auf deutscher Seite rührte daher, dass zu einem überwiegenden Teil SED-Mitglieder in den herausgehobenen Positionen der zentralen Verwaltung wie auch in den nachgeordneten Dienststellen der Stadtbezirke arbeiteten.313 Den einbestellten Kommissionsmitgliedern der Dresdner Stadtverwaltung, die Widerspruch einlegten gegen die Entlassung langjähriger Angestellter, entgegneten sowjetische Propaganda-Offiziere, dass sie wohl über strittige Fragen diskutieren dürften, hingegen liege bei der „SMA das Recht der endgültigen Entscheidung“. Nicht berufliches Können der betreffenden Personen, sondern „politische Einstellung“ müsse den Ausschlag geben.314 Sie beschnitten damit den Entnazifizierungskommissionen jeden Handlungsspielraum. Die verantwortlichen Offiziere zeigten kein Verständnis für die Notwendigkeit, dass etwa im Bereich Gesundheitswesen und Sozialfürsorge nur mit Hilfe des erfahrenen medizinischen Personals die nach wie vor drohende Seuchengefahr abgewendet werden konnte.315 Ende 1946 befanden sich unter den 11 000 Angestellten der Stadtverwaltung noch cirka 600 ehemalige Mitglieder der NSDAP, über die Hälfte von ihnen arbeitete im Gesundheits- und Sozialwesen. Die anderen verteilten sich hauptsächlich auf die Bereiche Finanzwesen und kommunale Betriebe, auch 100 Dresdner Theater- und Bühnenkünstler waren darunter. In sämtlichen politisch relevanten Positionen gab es indessen keine durch eine frühere Parteimitgliedschaft belastete Personen.316 Schließlich wurden wegen dieser „besonderen Verhältnisse bei den Ärzten und bei den Künstlern der Staatstheater [...] diese beiden Gruppen“ aus künftigen Aufstellungen 311 Allgemeiner Bericht über die Entnazifizierung in Sachsen, o. D. [Anfang 1947] (Sächs HStAD, LRS MdI 2038, Bl. 39). 312 Bericht über die Entnazifizierung der Verwaltungen des Landes vom 9.1.1947 (Sächs HStAD, LRS MdI 2034, Bl. 62 f.). 313 Personalstandsmeldung der Bezirksverwaltung I vom 15.1.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 114, Bl. 1 ff.). 314 Protokoll der Sitzung mit Vertretern der SMA (Oberst Pjatkin und Kapitän Waks) zur Entnazifizierung vom 20.1.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 994, Bl. 140 ff.). 315 Erster Bericht Monat Februar für Major Nikitin, o. D. [Mitte Februar 1947] (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1039, Bl. 54–59). 316 Vgl. Personalbestand und Parteizugehörigkeit der Stadtverwaltung vom 30. 9.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 105, Bl. 63); Ernst, Ärzte und Hochschullehrer, S. 205, erklärt die Entnazifizierung unter den Ärzten gemessen an ihren Ansprüchen für gescheitert. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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herausgenommen.317 Da die Besatzungsorgane ihrem Urteil längst ausschließlich das formale Kriterium einer Mitgliedschaft in einer nationalsozialistischen Organisation zugrunde legten, ohne eine tatsächlich im Sinn von Kontrollratsdirektive Nr. 24 vorliegende Belastung der betreffenden Person zu prüfen, konnte ihnen mit einer bereinigten Statistik ein günstigeres Bild der Verhältnisse dargestellt werden. Denn unnachgiebig bestanden die Offiziere auf der Entfernung derjenigen, die bislang als amnestiert galten, selbst aus politisch unbedeutenden Randbereichen. Der 1884 geborene Verwaltungsangestellte Paul G., in städtischen Diensten seit 1906, gehörte der NSDAP von 1933 bis 1945 an und war zwei Jahre stellvertretender Blockleiter gewesen. 1945 überstand er die Säuberung der Verwaltung im 12. Stadtbezirk offenbar unbeschadet und Anfang 1946 nahm ihn die SED auf. Der „Sonderausschuss“ aller Parteien attestierte ihm sieben Wochen später den erbrachten Nachweis einer „antifaschistischen Betätigung“. Er sei 1933 entgegen seiner politischen Einstellung der NSDAP unter Druck seiner Vorgesetzten beigetreten und habe in all den Jahren „ein durchaus antifaschistisches Verhalten an den Tag gelegt“. Sein „Verhalten innerhalb der Hausgemeinschaft sowie das korrekte und hilfsbereite Verhalten einer Jüdin und anderen Antifaschisten gegenüber“ lasse eine „nazigegnerische Gesinnung erkennen“, was durch Aussagen von Kollegen und Nachbarn bestätigt werde.318 Auch wenn der städtische Angestellte zu denjenigen Nationalsozialisten gehört haben mag, die anderen Menschen keinen Schaden zugefügt hatten, lässt sich den beigebrachten Leumundszeugnissen eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Einstellung nicht entnehmen. Hunderttausende unbedeutender und „anständiger“ Nationalsozialisten wie er hatten, ohne eine persönliche Schuld auf sich geladen zu haben, das politische System des Terrors stabilisiert. Es ist verständlich, dass den Alliierten in allen Besatzungszonen derartige Rehabilitierungen suspekt waren. Der Verwaltungsleiter wollte trotzdem nicht auf seinen erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiter verzichten. Er schilderte ihn als einen „äußerst pflichtbewussten und gewissenhaften Arbeiter“, der durch „seine Arbeit und seine Einstellung [...] ein brauchbares Mitglied des neuen, demokratischen Staates geworden“ sei. Die gesamte SED-Betriebsgruppe setzte sich für ihn ein und stellte bei der Besatzungsmacht einen Antrag auf Weiterbeschäftigung. In der Entlassung sahen die Genossen keinen Sinn, da ihr Kollege zu den nominellen NSDAP-Mitgliedern zählte und sich inzwischen tatkräftig am

317 Untersuchung über Stellung, soziale Herkunft und politische Zugehörigkeit der Angestellten der Stadtverwaltung Dresden vom 21.10.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 122, Bl. 13). 318 Fragebogen Paul G. vom 13.11.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 114, nicht paginiert); Bestätigung für den erbrachten Nachweis der antifaschistischen Betätigung für Paul G. vom 20. 3.1946 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Neuaufbau beteiligt hatte.319 Doch die Kommission votierte für seine Entlassung.320 Franz H. wiederum hatte von 1920 bis zum 8. Mai 1945 im Dienst der Schutzpolizei gestanden. Er bekundete die Zugehörigkeit zu einer illegalen kommunistischen Gruppe, die nach 1933 Druckschriften aus der Tschechoslowakei nach Deutschland gebracht und verteilt habe. Durch seine berufliche Tätigkeit gedeckt, konnte er lange Zeit ohne Misstrauen zu erwecken die Verbindung zu anderen Gegnern des Nationalsozialismus aufrecht halten und Angehörige verhafteter Genossen unterstützen. Er selbst geriet in Gefahr nach der Verhaftung mehrerer Personen, zu denen er in Kontakt stand, unter ihnen auch seine drei Brüder, von denen einer hingerichtet wurde. Weil er sich davon Schutz versprach, sei er daraufhin im November 1943 der NSDAP beigetreten. Auch ihm bescheinigte der „Sonderausschuss“ der Parteien, den „bewussten Kampf gegen den „Nazismus“ geführt zu haben. Anders als bei Paul G. lässt sich den biographischen Umständen von Franz H. entnehmen, dass er bei seinem Parteieintritt unter erheblichem Zwang gehandelt hatte. Er wurde bereits im Sommer 1945 bei seinem Eintritt in den Verwaltungsdienst Mitglied der KPD.321 Im November 1946 musste auch er sich rechtfertigen. Gleich ihm war Herbert Edel, ein ehemaliger Sozialdemokrat, der seit Anfang September 1946 das Statistische- und Wahlamt der Stadt Dresden leitete, wegen seiner Zugehörigkeit zur Polizei von Entlassung bedroht, obwohl auch ihn die Nationalsozialisten verfolgt hatten.322 Die überwiegend im Herbst 1946 von den städtischen Angestellten ausgefüllten Fragebogen lassen auf eine eigenständige Überprüfungsinitiative des Dresdner Personalamtes schließen. Nach Abschluss des Wahlkampfes nutzte die Stadtverwaltung im Herbst 1946 die Pause und versuchte, den erwarteten sowjetischen Forderungen zuvorzukommen. Bekanntermaßen fand die Direktive Nr. 24 in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit Anfang September Anwendung323 und das Motiv der Dresdner Behörden könnte darin bestanden haben, die eventuell gefährdeten Mitarbeiter präventiv zu entlasten. Das gelang nur zum Teil. Für Franz H. konnte die Kommission lediglich bitten und auf einen Gnadenakt der Besatzungsmacht hoffen.324 Einen rechtmä-

319 Anlage zum Fragebogen von Paul G. vom 14.11.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben des 12. Stadtbezirks vom 14.11.1946 (ebd., nicht paginiert). 320 Entnazifizierungsbescheid der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung VI vom 11.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/2i, nicht paginiert). 321 Fragebogen Franz H. (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 114, nicht paginiert); Bestätigung für den erbrachten Nachweis der antifaschistischen Betätigung für Franz H. vom 28. 2.1946 (ebd., nicht paginiert); Schreiben der Bezirksverwaltung I vom 14.11. 1946 (ebd., nicht paginiert). 322 Mitteilung des Organisationsamtes vom 19.11.1946 (ebd., nicht paginiert). 323 Melis, Entnazifizierung, S. 191. 324 Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 16.1.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 55, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ßigen Anspruch gab es für ihn wie für alle anderen nicht. Der Leiter des Statistischen Amtes verblieb in seiner Position.325 Die Fürsprache der SED begründete in vielen Fällen persönliche Loyalitäten und bekräftigte bestehende Abhängigkeiten. Außerhalb des Herrschaftsgefüges der Besatzungsmacht und der kommunistischen Partei existierte keine Appellationsinstanz und für keine Person ein Anspruch auf Gerechtigkeit. Um Gerechtigkeit musste gebeten werden. Dies wird besonders am Beispiel von Menschen augenfällig, die in der vergangenen Diktatur selbst in Gefahr gewesen und aus Gründen der Selbsterhaltung zu Kompromissen gezwungen waren. Der Arbeiter Paul B., Mitglied der SPD von 1921 bis 1933, gehörte zu diesen doppelt gefährdeten Menschen: politisch und rassisch, da er unter die Nürnberger Gesetze fiel. Eine Verfolgung ist allerdings nicht bekannt. Offenbar gelang es ihm aufgrund seiner unehelichen Geburt bis zum Ende des Krieges seine väterlicherseits jüdische Abstammung zu verbergen. Am Arbeitsplatz versuchte er sich unauffällig und angepasst zu verhalten. 1945 trat er wieder der SPD bei und wurde stellvertretender Abteilungsleiter im Ernährungsamt der Bezirksverwaltung VI. Ende 1946 geriet er in Schwierigkeiten wegen seiner früheren Tätigkeit bei Zeiss Ikon als Werkluftschutzleiter und Aufseher von Zwangsarbeiterinnen. Kollegen in seiner neuen Arbeitsstelle behaupteten, er habe sich besonders im Sinne des Nationalsozialismus betätigt und die Ausländer misshandelt. Die Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung VI beschloss die Entlassung von Paul B., obwohl sein Vorgesetzter ihn in Schutz nahm: „Ein Teil der [...] Angestellten ist nicht gut auf ihn zu sprechen.“ Diejenigen seien aber „vielleicht schlechtere Genossen und Arbeitskräfte als er“.326 Bei Paul B. hatte die Fürsprache des Betriebsrates und des Abteilungsleiters Erfolg, die zentrale Kommission hob den Spruch auf und stellte entgegen den Anschuldigungen fest, dass er nicht Mitglied der NSDAP gewesen sei und seine Angaben belegen konnte. „Seine Erklärung, dass er sich als Werkluftschutzleiter einsetzen ließ und auch den Hitler-Gruß im Betrieb anwendete, um sich als Halbjude zu tarnen, wurde von der Kommission als wahr angenommen.“ Sie zeigte Verständnis, „dass er auf Grund seiner Abstammung seine wahre Einstellung nicht zeigen durfte, um der Gefahr einer Verhaftung zu entgehen“.327 Der ehemalige Sozialdemokrat fühlte sich mit Gewissheit der SED zu Dank verpflichtet, daran änderte auch eine später ausgesprochene Rüge nichts. Da erst der Prozess der politischen Säuberung den Genossen zum „Anti-Faschisten“ läuterte, überdauerten die so entstandenen Bindungen auch temporär möglicherweise auftretende Bedenken. Sämtliche Angestellten, besonders die in mittleren und leitenden Positionen tätigen, befanden sich auch nach dem of325 Personalliste des Organisationsamtes der Stadtverwaltung vom 20. 2.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 141, Bl. 21). 326 Schreiben des Betriebsrates der Bezirksverwaltung VI vom 26.10.1946 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung Personalakten, B 815, Bl. 25). 327 Schreiben der Entnazifizierungskommission Dresden an die Bezirksverwaltung VI, 21. 7.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/2h, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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fiziell verkündeten Abschluss der Entnazifizierung in Rechtfertigungszwang. Der permanente Verdrängungsdruck richtete sich nicht zuletzt gegen die Mitglieder von CDU und LDP.328 Die Säuberung der Verwaltung blieb zwar ohne ein sich deutlich in Zahlen niederschlagendes Resultat, doch trug diese Politisierung „nach einem vorgefassten Plan“,329 worunter das zielgerichtete Handeln unter Dominanz sowjetischer Interessen zu verstehen ist, erheblich zur Entstehung und Festigung loyaler Bindungen bei. Im Sommer 1947 war die „Entnazifizierung der Verwaltung im großen und ganzen durchgeführt“, so Ulbricht gegenüber den verantwortlichen Innenministern der Länder. Allerdings warnte er davor, von ihrem Ende zu sprechen. Neben der Säuberung von Institutionen wie der Industrie- und Handelskammern und des gesamten Justizapparates diene sie der Enteignung.330 Wenig später bekräftigte Ulbricht, „dass es eine ganze Menge noch aktiver Nazi gibt, die Besitzer von Betrieben [...] sind und die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen enteignet werden müssten“.331

6.

Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201?

Auf der Moskauer Konferenz erzielten die alliierten Außenminister keine Einigkeit über die Zukunft Deutschlands, und in der Frage der Entnazifizierung konnte die sowjetische Seite ebenso wenig wie die anderen Besatzungsmächte abschließende Ergebnisse vorlegen.332 Diese Auseinandersetzungen und die in ihrer Besatzungszone geführten Diskussionen hatten in den Augen der SMAD allgemeingültige Ausführungsbestimmungen zu den Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 notwendig werden lassen. Daraus resultierte im August 1947 Befehl Nr. 201, der die politische Säuberung in der gesamten SBZ regeln und zum Abschluss bringen sollte.333 Er erklärte die Bereitschaft nomineller Nationalsozialisten, mit der Ideologie zu brechen und tatkräftig am Neuaufbau mitzuwirken, zur Voraussetzung ihrer Integrationsfähigkeit. Entscheidender aber war die Zentralisierung der Verantwortung für die Säuberung bei den Innenministerien der Länder beziehungsweise die der Justizministerien für die Kriegsverbrecher. Damit stellte die SMAD die Entnazifizierung tatsächlich auf eine einheitliche 328 Vgl. Untersuchung über Stellung, soziale Herkunft und politische Zugehörigkeit der Angestellten der Stadtverwaltung Dresden vom 21.10.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 122, Bl. 13–29). 329 Leissner, Verwaltung und öffentlicher Dienst, S. 259. 330 Aus der Rede Walter Ulbrichts auf der Sitzung der Innenminister vom 1. 6.1947. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 145 f. 331 Stenographischer Bericht über die Innenminister-Konferenz am 11. und 12. 8.1947 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 1, Bl. 2). 332 Bericht des Alliierten Kontrollrates in Deutschland an den Rat der Außenminister, 20. bis 25. 2.1947. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 387–416; Halder, Teilung, S. 42 ff. 333 Vgl. Tägliche Rundschau vom 17. 8.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 117, Bl. 8). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201?

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Grundlage: Der Justiz wurde die strafrechtlich relevante Verfolgung, den neu zu gründenden Landes- und Kreiskommissionen die politische Säuberung zugewiesen.334 Die mit dem Befehl Nr. 201 erlassenen verbindlichen „Richtlinien“ ließen viele auf eine Revision der unrechtmäßig vorgenommenen Entlassungen hoffen. Sozialdezernent Martin Richter (CDU) schlug im Stadtrat vor, all jene Entlassungen städtischer Angestellter vorerst auszusetzen, die nicht mit dem Befehl Nr. 201 und seinen Ausführungsbestimmungen in Einklang stünden. Die Richtlinien des Befehls beinhalteten seiner Meinung nach eine grundsätzliche Änderung bei der Durchführung von Direktive 24. Bisher habe diese auf alle, auch auf „nominelle Mitglieder“ der NSDAP und deren Gliederungen Anwendung gefunden, der Befehl 201 aber verlange ausdrücklich die Entfernung ehemaliger „aktiver Faschisten“. Nun müsse dem Willen der SMAD „mindestens dort Geltung verschafft werden, wo die mit ihm unvereinbaren Entlassungen noch nicht ausgeführt worden sind“.335 Verzögerungen wollte die SED verhindern. Nach einer Rücksprache mit der Landesregierung berichtete Oberbürgermeister Weidauer zufrieden, dass die Entlassungen nach Direktive Nr. 24 nicht hinausgeschoben werden dürften, die Termine müssten strikt eingehalten werden. Die Landesregierung habe darauf hingewiesen, „dass der Befehl 201 nur erlassen werden konnte, weil die Direktive Nr. 24 schon so weit durchgeführt war“. In dem Sinn habe auch der „Landesblock“ entschieden.336 Nach dieser Klarstellung wies er die Auflösung sämtlicher Unterkommissionen an.337 Dies kam Forderungen entgegen, die LDP und CDU seit längerer Zeit erhoben. Sie hatten immer wieder auf die ungleiche Behandlung wenig belasteter NSDAP-Mitglieder in Handel und Gewerbe hingewiesen und darauf, dass vorgebrachte Anschuldigungen häufig Neid und Missgunst entsprangen und einer sorgfältigen Nachprüfung nicht standhielten. Mit Befehl Nr. 201 schien es, als sollten die allzu eifrig entnazifizierenden deutschen Kommunisten von den sowjetischen Kommunisten gebremst werden. Das war ein, freilich beabsichtigtes, Missverständnis. Nach wie vor bestand Klärungsbedarf in der Frage der „nominellen“ Anhänger der NSDAP und ob die bereits aus der öffentlichen Verwaltung entlassenen Personen wieder eingestellt werden könnten.338 Allerdings begrüßte die LDP, 334 Befehl Nr. 201 der SMAD vom 16. August 1947. Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 des Kontrollrats. Ausführungsbestimmungen Nr. 1–3 vom 16. 8.1947. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 147–158. Vgl. Guski, Rechtsfragen; Wentker, Justiz, S. 408–423. 335 Anmeldung zur Ratssitzung wegen der Entlassungen nach Direktive 24, o. D. [August 1947] (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 117, Bl. 3). 336 Rat der Stadt Dresden, Personalamt: Aktennotiz vom 30. 8.1947 (ebd., Bl. 1). 337 Entnazifizierungskommission Dresden an die Bezirksverwaltung VI vom 5. 9.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/IV/10, nicht paginiert); Schreiben der Entnazifizierungskommission der Bezirksverwaltung I vom 8. 9.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung I 53, nicht paginiert). 338 Schreiben des Einheitsfront-Ausschusses an die SMAD vom 17. 2.1947. In: Suckut, Blockpolitik, S. 199. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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dass sich der Befehl mit den von ihr erhobenen Forderungen hinsichtlich der Übertragung der Entscheidungsbefugnisse an zentrale Kommissionen deckte. Dadurch entstehe Rechtssicherheit, meinte sie.339 Die CDU sah in dem Befehl gleichfalls einen Fortschritt hinsichtlich eines vereinheitlichten Verfahrens und einer verbesserten Rechtssicherheit. Die zur Disposition stehenden Kommissionen hätten oft genug Klatsch und unbedeutende Beschwerden behandelt, „die nichts mit der Entnazifizierung zu tun haben und häufig nur dazu dienen, alte persönliche Rechnungen zu begleichen“. Jetzt seien mit Hilfe „der besten Vertreter der antifaschistischen demokratischen Organisationen“ durch objektive und gerechte Entscheidungen Ordnung und Rechtsstaatlichkeit in Eigentumsfragen wiederherzustellen.340 Das beabsichtigte der Befehl Nr. 201 mitnichten und er beendete keineswegs die bestehenden Sanktionen. Der Befehl Nr. 201 besagte lediglich, dass die bisherigen „Verordnungen, Bestimmungen und Instruktionen über die Beschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte“ aufgehoben würden, er besagte nichts über die Aufhebung eingeleiteter Maßnahmen.341 Seine Umsetzung verstärkte vielmehr bereits bestehende Abhängigkeiten und verbreiterte die Basis für Loyalitäten. Selbst wenn gerichtliche Untersuchungen keine Belastungsmomente erbrachten und somit von der Haltlosigkeit der vorgebrachten Anschuldigungen ausgegangen werden musste,342 revidierte der Befehl Nr. 201 nicht die von der politischen Säuberung ausgelöste soziale Deklassierung. Verschiedentlich baten ehemalige NSDAP-Mitglieder um die Gewährung ihrer 1945 eingestellten Rentenzahlung.343 Ein Recht darauf besaßen sie nicht. Der Befehl Nr. 201 machte Menschen zu Parias. Ob für Wohnungszuweisung, Gewerbegenehmigung, Zulassung zum Studium oder Gewährung von Sozialunterstützung, die Verwaltungen forderten von den Bittstellern so genannte „Unbedenklichkeitszeugnisse“ der lokalen Blockausschüsse der Parteien. Die Petenten, teilweise wegen der bloßen Mitgliedschaft in einer Organisation entrechtet, durften lediglich um Gnade bitten. Eine Anweisung für die Dresdner Polizei unterstreicht ihre völlige Rechtlosigkeit:

339 „Sächsisches Tageblatt“ vom 21. 8.1947 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 117, Bl. 16). 340 „Die Union“ vom 20. 8.1947 (ebd., Bl. 18). 341 Befehl Nr. 201 der SMAD vom 16. August 1947. Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 des Kontrollrats. Zit. nach Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 148. Vgl. Matthiesen, Greifswald, S. 487. 342 Blockparteien im 7. Stadtbezirk an Rat der Stadt Dresden vom 7.12.1946 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 54, nicht paginiert); Schreiben an die Blockparteien im 7. Stadtbezirk vom 12. 2.1947 (ebd., nicht paginiert); Schreiben an die Blockparteien im 7. Stadtbezirk vom 10. 3.1947 (ebd., nicht paginiert). 343 Lebenslauf von Arthur G. vom 18. 9.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 56, nicht paginiert); Schreiben an die Blockparteien im 7. Stadtbezirk vom 20.1.1948 (StadtAD, Bezirksverwaltung III 54, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201?

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„Der Befehl Nr. 201 besagt nicht, das Pgs., die eventuell aus ihren Wohnungen entfernt worden sind, nun wieder volle Rechte erhalten, weil sie nach den Ausführungsbestimmungen des Befehls nicht als Aktivisten angesprochen werden können. Der Befehl hat keine rückwirkende Gültigkeit. Auf der anderen Seite sind aber die Personen nicht ausgenommen, die eventuell bereits einmal durch die Besatzungsbehörde in Haft genommen worden sind. Das Gesetz ist ferner auch anzuwenden auf alle die Personen, die für die Alliierten als gefährlich zu betrachten sind, oder für diese gefährlich werden können. [...] Ebenso sind alle von den Personen vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen, ganz gleich, wer der Aussteller dieser Bescheinigung ist, nicht maßgebend, sondern die Fälle sind mit Abschlussbericht der Kriminalpolizei, K 5, zu übergeben.“344

Dieses völlig unabhängig von bisherigen Säuberungsinstanzen agierende Ermittlungsorgan schuf das Innenministerium und baute zu diesem Zweck den bereits bestehenden polizeilichen Überwachungs- und Repressionsapparat K 5 weiter aus.345 Die mit Befehl Nr. 201 in Kraft gesetzten Bestimmungen veranlassten einen Konzentrationsprozess.346 Die „Sonderstellen“ und späteren „Zentralstellen H“ der Kriminalpolizei ermittelten noch unsystematisch. Zwar verfügten sie mit dem Zugriff auf die „NS-Kartei“ über ein wirkungsvolles Arbeitsinstrument, das allerdings außerhalb der Stadtgrenzen von Dresden keinerlei Bedeutung hatte. Nach den vorangegangenen Umstrukturierungen vollzog sich seit Jahresbeginn 1947 analog zur Organisation der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI) auf der Landesebene mit der Zentralisierung der Kriminalpolizei der Ausbau der politischen Polizei. Die Gründung des Dezernats K 5 im Landeskriminalamt Sachsen und den Kommissariaten K 5 der unterstellten Kreiskriminalämter ermöglichte die systematische Erfassung der Informationen aus allen Polizeirevieren und Meldeämtern und die gezielte Verfolgung politischer Straftaten. Aufgrund des organisatorischen Vorsprungs besaß die Entwicklung in Dresden erneut Vorbildfunktion für das Land Sachsen, da hier die K 5 wesentlich zeitiger arbeitsfähig war.347 Die politische Polizei in Dresden hatte in den zwei Jahren ihrer Existenz seit 1945 etwa 2 000 nationalsozialistisch belastete Personen, davon 900 in der Kategorie „Hauptverbrecher“, ermittelt.348 Der Häftlingsbestand politischer Gefangener in Dresden stieg während des ersten Halbjahrs 1947 im Vergleich zu dem zurückliegenden zweiten Halbjahr 1946 auf das Fünffache.349 Bis Ende 344 Protokoll der Besprechung der Inspektions-, Revier- und Abteilungsleiter der Ordnungspolizei Dresden vom 29. 8.1947 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 345 Vgl. Organisations- und Arbeitsplan zur Durchführung des Befehls Nr. 201 im Land Sachsen, o. D. [Herbst 1947] (SächsHStAD, LBdVP 388, nicht paginiert); Polizeiabteilung des Ministeriums des Innern, Durchführungsbestimmungen zu den Ausführungsbestimmungen der DVdI, o. D. [Herbst 1947] (ebd., Bl. 501); Spors, Aufbau des Sicherheitsapparates, S. 267 ff. 346 Vgl. Jahresbericht der K 5 im Land Sachsen für 1948 [Ende 1948] (BStU, MfS-AS 6/60 Band 4, Bl. 3 ff.). 347 Schmeitzner, Formierung, S. 217–222. 348 Tätigkeitsbericht des Polizeipräsidiums Dresden für September 1947 an die SMAS vom 4.10.1947 (SächsHStAD, LBdVP 38, Bl. 66). 349 Bericht der statistischen Abteilung der Dresdner Polizei für das 1. Halbjahr 1947, S. 43 (SächsHStAD, LBdVP 359, nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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1946 überstellte die Polizei in Sachsen offiziell 2 834 führende Mitglieder der NSDAP an die SMA, davon 615 allein in Dresden. Die Dunkelziffer dürfte weit über diesen Angaben gelegen haben. Der Hinweis, dass die deutschen Verfolgungsbehörden das Belastungsmaterial „restlos an die operative Gruppe“ abgeben mussten,350 deutet auf die Zuständigkeit des sowjetischen Geheimdienstes hin. Mit Befehl Nr. 201 blieb die K 5 weiterhin ausführendes Organ der Besatzungsbehörden. An ihrer Abhängigkeit von der sowjetischen Geheimpolizei, euphemistisch „Zusammenarbeit“ genannt,351 änderte sich nichts. Sie erfuhr aber einen beträchtlichen Bedeutungszuwachs und eine Aufstockung ihres Personalbestands.352 In der Hand von K 5 wurden die ansonsten im Rechtssystem unabhängigen Kompetenzen des Untersuchungsorgans und der Anklagebehörde vereinigt, womit das von der SED beherrschte Innenressort der Landesverwaltung die Kontrolle über den gesamten Säuberungsprozess erhielt und die Justiz zur ausführenden Instanz degradierte.353 Die Entnazifizierungskommissionen mussten die ihnen vorliegenden Ermittlungsergebnisse an die K 5 weitergeben. Den Polizeidienststellen wurde gleichfalls aufgetragen, alle „Vorgänge zu sichten, [...] zu überarbeiten und mit einem Gesamtbericht der Kriminalpolizei, Abteilung K 5, zu übergeben“.354 Des Weiteren reorganisierte die DVdI die Informationsbeschaffung. Sie schuf nach einheitlichem Muster auf Landesebene Nachrichtenämter, bei denen die von den nachgeordneten Dienststellen gesammelten „Informationen aus allen politischen Organisationen und Behörden der Ostzone und der Westzone“, aus dem Bereich der Wirtschaft sowie von „Personen des öffentlichen Lebens“ zusammenlaufen sollten.355 In Dresden stützte sich die K 5 zudem auf Unterlagen des Hauptmeldeamtes und der „NS-Kartei“.356

350 Vgl. Sonderbericht über Verhaftungen und Aburteilungen von Kriegs- und Naziverbrechern sowie von Militaristen, Ministerium des Innern der Landesregierung Sachsen, Polizeiabteilung vom 10.1.1947 (SächsHStAD, LRS MdI 2034, Bl. 43 ff.). 351 Vgl. Protokoll über die Konferenz der Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern mit den Chefs der Polizei der Länder und Provinzen in der sowjetischen Besatzungszone und den Vertretern der SMAD am 30.10.1946 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 1, Bl. 53). 352 Vgl. Jahresbericht der K 5 im Land Sachsen für 1948 [Ende 1948] (BStU, MfS-AS 6/60 Band 4, Bl. 5 ff.). 353 Notizen zur Dienstbesprechung zu Befehl Nr. 201 vom 18. 9.1947 (SächsHStAD, LBdVP 388, nicht paginiert). 354 Protokoll der Besprechung der Inspektions-, Revier- und Abteilungsleiter der Ordnungspolizei Dresden vom 29. 8.1947 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 355 Information der Pressestelle der Deutschen Verwaltung des Innern über den Aufbau einer Abteilung Nachrichten und Information vom 11.11.1947 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 2, Bl. 276). Die genannten Aufgaben bildeten nur einen geringen Teil aus einem weit umfangreicheren Katalog. 356 Tätigkeitsbericht des Polizeipräsidiums Dresden für September 1947 an die SMAS vom 4.10.1947 (SächsHStAD, LBdVP 38, Bl. 66). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201?

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Die von der sowjetischen Seite gesetzte Dreimonatsfrist bis zum Abschluss der Säuberung in den Verwaltungen und in der Wirtschaft357 überforderte alle Beteiligten. Die K 5 in Dresden bilanzierte Ende Oktober 1947 knapp 1 200 Aktenvorgänge, tatsächliche bearbeitete sie davon nicht einmal 200. Sie hatte 276 Ermittlungen eingeleitet und 139 Personen vernommen sowie 16 davon festgenommen. Nur fünf Vorgänge konnten von ihr abgeschlossen und an die Dresdner Staatsanwaltschaft, vier weitere an die sowjetischen Militärbehörden übergegeben werden.358 Trotz der selektiven Überlieferung der Ermittlungen von K 5 ist aufgrund der von den sowjetischen Besatzungsoffizieren geforderten Dringlichkeit in diesem Zeitraum von einer überwiegenden Verfolgung tatsächlicher nationalsozialistischer Anhänger und der vermutlich von ihnen begangenen Verbrechen auszugehen. Ein Anfang Oktober von K 5 gegen den Dresdner Staatsanwalt Fritz S. beantragter Haftbefehl gemäß Direktive Nr. 38 in Verbindung mit Befehl Nr. 201 stützte sich auf Unterlagen, denen zufolge dieser im Jahr 1933 für die Schutzhaft zweier Marxisten sowie die Überstellung weiterer zehn Häftlinge in Konzentrationslager verantwortlich gewesen sein soll. Er hingegen bestritt, auch nur „in einem einzigen Falle eine Person wegen ihrer politischen Einstellung“ verfolgt zu haben. Doch konnte der zum damaligen Zeitpunkt in Pirna als Polizeidezernent für die Verhaftungen verantwortliche S. nicht seine Unterschrift auf den ihm vorgelegten Schriftstücken leugnen. Es sei ihm jedoch 1933 keineswegs bewusst gewesen, ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu begehen. Er gab zu Protokoll, als Beamter die Anweisungen der NSDAP ausgeführt zu haben, ohne sich über deren Bedeutung im Klaren gewesen zu sein359 – eine wenig überzeugende Erklärung. Die Ermittler von K 5 bemühten sich um die Rechtsförmigkeit des Verfahrens. Im Falle des Staatsanwalts war dies schon deswegen geboten, weil sich dessen Kollegen nach dem Grund der plötzlichen Verhaftung erkundigten. Darum führte auch der Leiter der Dienststelle von K 5 in Dresden die Vernehmung durch, wobei es ihm angesichts der erdrückenden Beweise nicht schwer fiel, den formalen Kriterien des Befehls Nr. 201 zu genügen. Hingegen demonstriert der Fall einer während des Krieges zerrütteten Familie die in dem Vorgehen von K 5 enthaltenen Optionen zur Vernichtung persönlicher Existenzen und zur Aufrichtung eines Drohpotentials. Eine Ehefrau versuchte sich an ihrem entfremdeten Gatten zu rächen, und zeigte ihn in der Nacht vom 11. auf den 12. November 1947 gegen 22 Uhr auf dem Polizeirevier der damaligen Friedrich-EngelsStraße, der ehemaligen und heutigen Königstraße in der Dresdner Neustadt, 357 Vgl. Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum Befehl Nr. 201 vom 16. 8.1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 38 des Kontrollrats). In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 155. 358 Tätigkeitsbericht des Kriminalamtes Dresden Kommissariat K 5 vom 30.10.1947 (Sächs HStAD, LBdVP 388, nicht paginiert). 359 Schreiben des Kriminalamtes Dresden Kommissariat K 5 vom 1.10.1947 (ebd., nicht paginiert); Protokoll der 2. Vernehmung von Fritz S. durch das Kriminalamt Dresden Kommissariat K 5 vom 3.10.1947 (ebd., nicht paginiert). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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an: Er sei „aktiver Faschist gewesen“ und leide überdies an einer Geschlechtskrankheit. Beide Sachverhalte, der eine aufgrund der Entnazifizierungsbestimmungen, der andere infolge der Gesundheitsverordnungen, sollten behördliches Handeln einfordern. Doch die Kopplung beider verweist neben dem für eine solche Anzeige ungewöhnlichen Zeitpunkt auf einen Ehekonflikt außerhalb der Zuständigkeit von Polizei und K 5. Die Frau war nach jahrelanger Trennung von ihrem Mann überraschend in Dresden eingetroffen und fand ihn nicht unter der angegebenen Adresse. Er wohnte bei einer anderen Frau. Nach einem Streit im Verlauf des Tages erstattete sie Anzeige. Trotz des erkennbaren Zusammenhangs hielt es die Polizei für notwendig, unter Bezug auf die Kontrollratsdirektive Nr. 38 aktiv zu werden, und reichte umgehend einen Bericht an die K 5. Ihrer Meinung nach fiel der Mann in die Kategorie der „Hauptverbrecher“.360 Die empirische Evidenz solcher Fälle lässt sich anhand der unvollständigen Quellenbasis nicht überprüfen; allein die Tatsache, dass die zu nächtlicher Stunde erfolgte Anzeige einer übelwollenden Ehefrau geheimpolizeiliche Ermittlungen auslöste, offenbart die Dimension der Bereitschaft, ungeprüfte Verdächtigungen entgegenzunehmen. Sichtbar wird ein jenseits rechtsstaatlicher Normen befindlicher Typus von Verfolgung. Die K 5 verfolgte die ehemaligen Nationalsozialisten nicht wegen ihrer geplanten oder durchgeführten Handlungen, sie verdächtigte sie allein aufgrund der ihnen zugewiesenen Merkmale. „Gegner“ entstanden durch Zuschreibungen der Politik, ihr Denken und ihre Aktivitäten waren diesen untergeordnet.361 Die Verfolgungsinstanzen verschleiern häufig die tieferen Zusammenhänge, doch sie gingen haltlosen Denunziationen ebenso nach wie begründeten Verdachtsmomenten. Mit Befehl Nr. 201 erhielt die politische Polizei K 5 Kompetenzen wie keine Entnazifizierungskommission. Sie konnte Anklagen aufgrund bloßer Verdächtigungen und einer extensiven Auslegung der Kriterien konstruieren. Die Entlastung war Sache des Beschuldigten, er musste Gegenbeweise erbringen. Die individuellen Konsequenzen für die so belasteten Menschen waren soziale Deklassierung, Verlust von Arbeitsplatz und Besitz, Geldbußen, Gerichtsverfahren und Verurteilung, auch Haftstrafen; langjährige Haftstrafen jedoch und die in einigen Fällen ausgesprochenen Todesurteile beruhten in der Regel auf einer unzweifelhaften Beweislast. Wenn nicht die Verhafteten mitsamt den Ermittlungsunterlagen von K 5 an die Militärbehörden abgegeben werden mussten, gelangten sie nach Abschluss der Untersuchungen in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Justiz. Propagandistisch wirksame Prozesse wie der 1947 in Dresden gegen das Personal sächsischer Pflegeeinrichtungen geführte „Euthanasieprozess“ waren selten. Nach Hinweisen von betroffenen Angehörigen hatte die sowjetische Geheimpolizei bereits im August 1945 mit der Verhaftung von Pflegepersonal und 360 Bericht des 17. Polizeireviers an das Kommissariat K 5 vom 11.11.1947 (BArch, ZwArch Dahlwitz-Hoppegarten ZA VI 4245, nicht paginiert); Schreiben des 17. Polizeireviers an das Kommissariat K 5 vom 12.11.1947 (ebd., nicht paginiert). 361 Vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 877. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Abschluss der Entnazifizierung nach Befehl Nr. 201?

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Ärzten begonnen, die im Verdacht standen, an der Tötungsaktion T 4 beteiligt gewesen zu sein. Einer der Hauptverantwortlichen für den Tod zehntausender Geisteskranker, der Psychiater Professor Dr. Paul Nitzsche – am Beginn seiner medizinischen Karriere Leiter der Dresdner Städtischen Heil- und Pflegeanstalt und bis 1939 der Landesanstalt Sonnenstein bei Pirna – war Medizinischer Leiter von T 4. Ihn und die anderen Verhafteten verhörten anfänglich sowjetische Offiziere, sie überstellten sie aber im Juni 1946 an die deutschen Behörden, und die Monate bis zum Prozessbeginn am 16. Juni 1947 verbrachten sie in der Untersuchungshaftanstalt in Radebeul. Auch wenn die SMAD damit bereits vor Erlass von Befehl Nr. 201 ihr Interesse an einer Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen durch deutsche Gerichte demonstrierte, gab sie nicht die Kontrolle über den Prozessverlauf ab. Sie drängte die deutsche Seite nicht zuletzt wegen des seit Anfang 1947 in Nürnberg stattfindenden „Ärzteprozesses“ auf eine rasche Verurteilung. Am 2. Juli 1947 verhängte das Schwurgericht am Münchner Platz vier Todesurteile und acht zum Teil langjährige Zuchthausstrafen, die Hinrichtungen erfolgten am 23. März 1948.362 Die Besatzungsmacht dirigierte den Prozessverlauf, in dem Urteil des Gerichts äußerte sich dennoch eine ausgewogene und der Dimension des Verbrechens angemessene Entscheidung. Diese stieß nicht nur bei den Angeklagten und vielen ihrer Verteidiger, sondern auch in Teilen der Öffentlichkeit auf Ablehnung. Der Dresdner Rechtsspruch kann als ein Beispiel für die „Lektion des unerbittlichen, zur Trennung vom Nationalsozialismus führenden Anschauungsunterrichts“ gelten, der in der Absicht der alliierten Siegermächte lag.363 Die Resonanz darauf zeigt allerdings, wie wenig Umdenken bislang diese Belehrung bewirkt hatte. Das geringe Verständnis in der Bevölkerung für die Höhe der Strafen lässt Rückschlüsse auf die nach wie vor fehlende Säuberungsbereitschaft zu.364 Die ausufernde Arbeitsweise der politischen Polizei verdeutlicht, dass sie keineswegs auf ein schnelles Ende der politischen Säuberung zielte. Sie arbeitete gleichfalls unter Zeitdruck, doch ihre Funktion bestand in der Errichtung eines dauerhaften Drohpotentials. Die Entnazifizierungskommissionen ihrerseits mussten zum wiederholten Mal die Verwaltungen durchkämmen, die letzten kleinen Betriebe säubern und der Öffentlichkeit die Integrationsofferten der SED antragen. Sie sahen sich wie die Polizei sowjetischen Forderungen ausgesetzt, ohne sie erfüllen zu können. Auch die zentrale Entnazifizierungskommission der Stadt Dresden kam nicht zügig voran. Wie überall im Land zelebrierte sie in der Art großer „Volkstribunale“365 unter oft erheblichem Publikumsan362 Vgl. Hohmann, „Euthanasie“- Prozeß. 363 Henke, Trennung vom Nationalsozialismus, S. 57. 364 Vgl. Tagebucheintrag vom 30.10.1947. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 452. 365 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 83). Vgl. Plenikowski, Entnazifizierung in Deutschland, S. 75 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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drang Belastungsrituale für Kleinunternehmer. Mit solchen Schauspielen wollte die SED die Zustimmung der Bevölkerung zur Weiterführung ihrer Enteignungspolitik erlangen. Seit November 1947 tagte die Kommission unter Vorsitz Weidauers in 40 öffentlichen Verhandlungen, die Mehrzahl der unbelasteten Personen wurde in nichtöffentlichen Verhandlungen freigesprochen.366 Die publikumswirksame Zelebrierung der Be- und Entlastungsrituale blieb nicht unwidersprochen durch die Liberaldemokraten, und die SED konnte nicht wie geplant die öffentlichen Entnazifizierungen zu reibungslosen Demonstrationen ihrer Politik gestalten. Anfang 1948 veranlasste das LDP-Kommissionsmitglied Friedrich Hörmann den Abbruch einer Sitzung. Er deckte während der öffentlichen Verhandlung einer Entnazifizierungskommission Widersprüche in den Aussagen eines Zeugen auf, worauf ihm Weidauer das Wort entzog.367 Dem Kommissionsvorsitzenden Weidauer entglitten erstmalig die Zügel der ansonsten sorgfältig manipulierten Versammlungen. Hörmann protestierte, was ihm umgehend eine Denunziation bei der sowjetischen Besatzungsmacht eintrug, die ihn verdächtigte, mit dem Nationalsozialismus zu sympathisieren: „Das „provokatorische und profaschistische Verhalten“ von Hörmann habe das Ansehen der Kommission geschädigt.368 Hörmann lehnte sich gegen seine Rolle als Statist in einer Inszenierung auf, deren Verlauf größtenteils feststand, und wurde daraufhin aus der Kommission entfernt.369 Die SED wollte vor der Öffentlichkeit Nachsicht gegenüber so genannten „Mitläufern“ demonstrieren, des Weiteren der breiten Mehrheit Integrationsangebote offerieren und unnachsichtiges Vorgehen gegen die „schwarzen Schafe“ beweisen. Ungeachtet dessen dienten die Rituale der Säuberung in erster Linie der Diskreditierung leitender Angestellter in Privatunternehmen und selbständiger Unternehmer, wozu die CDU- und LDP-Mitglieder in den Kommissionen beipflichten sollten.370 Zudem bildete die Entnazifizierung einen willkommenen Vorwand, um in der SED gegen politisch unliebsame, zumeist aus der SPD gekommene Parteimitglieder vorzugehen. Die Suche nach Parteiangehörigen, die ihre Mitgliedschaft in der NSDAP verschwiegen hatten, verband sich mit der Ausforschung ehemaliger Sozialdemokraten.371 366 Vgl. Sitzungsprotokoll der Entnazifizierungskommission Stadtkreis Dresden vom 11.12.1947 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 995, Bl. 6); Abschlussbericht der Entnazifizierungskommission Stadtkreis Dresden vom 12. 3.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1003, Bl. 68 f.). 367 Bericht über die Sitzung der Entnazifizierungskommission Stadtkreis Dresden vom 5.1.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 995, Bl. 8). 368 Bericht der Entnazifizierungskommission über die Vorgänge auf der öffentlichen Sitzung vom 5.1.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1003, Bl. 107 ff.). 369 Bericht über die Sitzung der Entnazifizierungskommission Stadtkreis Dresden vom 16.1.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 995, Bl. 13). 370 Bericht über die Tätigkeit des Kommissionsmitgliedes Hörmann vom 6.1.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1003, Bl. 110 f.). 371 Bericht von Kirpitschew [Chef des Ressorts Information der Verwaltung der Militärkommandantur der Stadt Dresden] an Kusminow über die Arbeit der Informationsabteilung der Stadt Dresden im 4. Quartal 1948 vom 31.12.1948 (GARF, f. 7212, op. 1, d. 230, l. 156). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Die angeführten Einzelbeispiele können eine Entwicklung, deren Hintergründe sich den wenigsten Zeitgenossen erschlossen, nur illustrieren. Die mitunter verwirrend unklaren Strukturen des Säuberungsprozesses in der SBZ trugen ihrerseits nicht zur Aufklärung der Bevölkerung bei, der historische Befund hingegen ist eindeutig: Die Besatzungsbehörden verfolgten Parteigänger der Nationalsozialisten, wobei neben den tatsächlichen Anhängern und nationalsozialistischen Verbrechern auch zahlreiche Personen davon betroffen waren, die lediglich für solche gehalten wurden, und gleichzeitig die Gegner der politischen Umgestaltung. Die Führung der KPD/SED arbeitete in diesem Sinn den sowjetischen Behörden entgegen und bediente sich der Entnazifizierung zur Realisierung der angestrebten gesellschaftspolitischen Transformation. Neben einem an sich in der deutschen Bevölkerung wenig ausgeprägten Bewusstsein für das vergangene Unrecht verstärkten die bei der Entnazifizierung auftretenden Ungerechtigkeiten allgemeine Vorbehalte gegen die politische Entwicklung. Weil die Besatzungsmacht aus diesem Grund mildere Urteile der deutschen Entnazifizierungskommissionen befürchten musste, intensivierte sie mit der Abtretung größerer Kompetenzen zugleich die Kontrolle und veranlasste ein rigoroseres Vorgehen. Sowjetische Offiziere billigten jedes einzelne Mitglied der neuen Kommissionen und ließen sich regelmäßig über den Fortgang der Säuberung berichten, behielten sich aber weiterhin ein Vetorecht vor. Doch die ursprünglich gesetzte Frist von drei Monaten war viel zu kurz, um die große Zahl der Fälle abzuarbeiten. Noch viel weniger konnten die eingereichten Beschwerden und Berufungsanträge einer befriedigenden Lösung zugeführt werden. Aber das sowjetische Konzept sah zum Zweck der innenpolitischen Stabilisierung das offizielle Ende der Säuberung vor, nicht zuletzt auch um damit einer Annäherung der ehemaligen nationalsozialistischen Massenbasis an die politische Opposition zuvorzukommen. Der SMAD-Befehl Nr. 35 legte Ende Februar 1948 den förmlichen Abschluss der Entnazifizierung auf den 10. März 1948 fest und die Einstellung sämtlicher Berufungsverfahren zum 10. April 1948.372 Befehl Nr. 64 bestätigte im April 1948 die Rechtskraft der Enteignungen.373 Mit ihrem Abschlussbericht an die SMAS am 16. April erklärte die Entnazifizierungskommission des Landes Sachsen die politische Säuberung für beendet.374 Die Entnazifizierungskommission Dresden bearbeitete in dieser abschließenden Phase insgesamt 5 000 Fälle, hauptsächlich leitendes Personal von Betrieben. Sie sprach zwar lediglich 56 Entlassungen aus, verhängte jedoch gegen insgesamt 800 Personen Sanktionen und entfernte sie auf diese Weise aus lei372 Sächsische Zeitung vom 28. 2.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 117, Bl. 4). Vgl. Vollnhals, Politische Säuberung und Rehabilitierung, S. 52. 373 Beck, Konfiskationen, S. 106. 374 Vgl. Abschlussbericht der Landesentnazifizierungskommission Sachsen vom 16. 4.1948 (SächsHStAD, LRS MdI 2033, Bl. 328–339). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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tenden Funktionen.375 Für Unternehmer führte ein solcher Spruch zwangsläufig zum Verlust des Betriebes. Eine Weisung der Landesregierung interpretierte die Direktive dahingehend, dass ein belasteter Betriebsinhaber künftig „keinerlei Einfluss auf den Betrieb“ nehmen dürfe. Er müsse daher den Betrieb verkaufen oder verpachten. Geschehe dies nicht, seien die Behörden zur Einsetzung von Treuhändern verpflichtet.376 Doch Gewerbetreibende, denen das Amt für Betriebsneuordnung bereits die Konzession entzogen hatte, erhielten diese auch dann nicht zurück, wenn die Kommission keine Anhaltspunkte für einen Schuldspruch sah.377 Unzweifelhaft war auch, dass die SMAD mit Befehl Nr. 201 nicht die bisherigen Personalentscheidungen zugunsten von CDU und LDP korrigieren, sondern vielmehr die Position der SED in den Entnazifizierungskommissionen stärken wollte. Die Hegemonie der SED in den Verwaltungen galt als „feste Grundlage einer antifaschistischen, demokratischen Ordnung“.378 Auch jetzt wies Kurt Fischer Bestrebungen einer Zurücknahme der Entlassungen mit der Begründung von sich, das könne „zu einer Renazifizierung der Behörden führen“. Wer vor Erlass des Befehls 201 entfernt und nicht als Verbrecher registriert worden sei, gelte als gleichberechtigter Staatsbürger und könne sich wie jeder andere neu um frei gewordene Stellen bewerben. Es bestünde jedoch kein Anspruch, „nun etwa bewährte Antifaschisten aus ihren Posten zu verdrängen“. Fischer betonte: „Die Entnazifizierungsmaßnahmen der letzten zwölf Monate stehen! Revisionen sind nicht angängig und auch nicht nötig.“379 Während sich die Richter am Landgericht noch um individuelle Gerechtigkeit bemühten, zielten die politische Säuberungspraxis der Entnazifizierungskommissionen und die Ermittlungen von K 5 fast unberührt durch die formalen Bestimmungen von Befehl Nr. 201 auf einen pauschalen Entzug des Rechts. In den Jahren 1946 und 1947 wurden im Rahmen der Entnazifizierung hauptsächlich kleinere Betriebe enteignet und ein Ende der Enteignungen war nicht abzusehen. Die SED-Führung hatte deswegen nach Auflösung der „sogenannten Rehabilitierungskommissionen“ gestrebt, damit sich die „bestehenden Entnazifizierungskommissionen [...] ausschließlich mit der Frage der Säuberung der Verwaltung und der Wirtschaft, der Betriebe und öffentlichen Institutionen“ be-

375 Abschlussbericht der Entnazifizierungskommission Stadtkreis Dresden vom 12. 3.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 1003, Bl. 68 f.). 376 Schreiben der Landesregierung Sachsen Wirtschaft und Wirtschaftsplanung vom 19. 3.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung VI F/I/2h, nicht paginiert); Schreiben der Landesregierung Sachsen Ministerium des Innern vom 11. 4.1947 (StadtAD, Bezirksverwaltung V E/IV/15 Band I, nicht paginiert). 377 Schreiben Weidauers vom 10. 3.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 97, Bl. 92); Schreiben Weidauers vom 31. 3.1948 (ebd., Bl. 94). 378 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 80). 379 „Sächsische Zeitung“ vom 28.2.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 117, Bl. 4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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schäftigen könnten.380 Obwohl die „Reinigungsausschüsse und Spruchkammern neben den Personalreferaten der Verwaltung und des Staatsapparates“ noch bis Ende 1946 existierten,381 verschob sich der Schwerpunkt immer mehr zugunsten einer ökonomischen Entnazifizierung und der weiteren Reduzierung von Einspruchsmöglichkeiten. Das Fehlen zentraler Festlegungen sowie einer eindeutigen Definition des betroffenen Personenkreises räumte der SED den größtmöglichen Handlungsspielraum ein.382 Die mit Befehl Nr. 201 an die deutschen Behörden übertragene Zuständigkeit zur Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten endete keineswegs im Frühjahr 1948. Die Geheimpolizei ermittelte und stellte Anklageschriften zusammen, die Staatsanwaltschaft führte die Prozesse.383 Im Herbst 1949, unmittelbar vor Gründung der DDR, zog die K 5 in Dresden Bilanz. Bis zu dem Zeitpunkt hatte sie in 5 000 Fällen ermittelt, letztlich aber nur gegen 496 Personen Anklage erhoben und 331 in Haft genommen. Die Mehrzahl der Verfahren fand bis Ende 1948 statt. Von den 169 Menschen, die 1949 vor Gericht standen, wurden 132 zu Haftstrafen von insgesamt 564 Jahren verurteilt. Außerdem wurde in 89 Fällen das Vermögen eingezogen, darunter befanden sich fünf Betriebe und Betriebsteile.384 Im Hinblick auf den bevorstehenden Abschluss der Entnazifizierung im Frühjahr 1948 gab Weidauer seiner „felsenfesten Überzeugung“ Ausdruck, es würden künftig neben „den Gewerbetreibenden, die die Entnazifizierungskommission untragbar für die Ausübung eines Gewerbes erklärt hat, außerdem noch eine Anzahl Gewerbebetriebe bereinigt“.385 Zugleich bedeutete der Abschluss der Entnazifizierung neben dem Konversionsangebot an Nationalsozialisten die intensivierte Säuberung der SED von den „parteifeindlichen“ Einflüssen. Eine stärkere Kontrolle von Verwaltung und Wirtschaft durch die Partei verlangte deren Orientierung auf den Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung. Von einem „demokratischen Wandel“ kann demzufolge mitnichten gesprochen werden. Doch ohne Zweifel vollzog sich die Entnazifizierung in der SBZ „auf Befehl der Besatzer“.386 Protagonisten der Diktaturdurchsetzung betonten die allgegenwärtige „Mithilfe“ der sowjetischen Offiziere.387 Die Entnazifizierung ermöglichte die Transformation der politisch relevanten Schlüsselbereiche der Gesellschaft. Eine generelle Verdrängung der natio380 Sitzung des Parteivorstandes der SED im Juli 1946. Anlage Nr. 6 zum Protokoll Nr. 17. Zur Frage der ehemaligen nominellen Mitglieder der NSDAP. In: Rößler, Entnazifizierungspolitik, S. 94 ff. 381 Meinicke, Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone, S. 19. 382 Welsh, politische Säuberung, S. 96. 383 Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 251–264. 384 Bericht der Abteilung K 5 im Volkspolizeipräsidium Dresden über die Durchführung von Befehl Nr. 201 vom 2.10.1949 (SächsHStAD, LBdVP 388, nicht paginiert). 385 Schreiben Weidauers vom 10. 3.1948 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 97, Bl. 92). 386 Welsh, Wandel, S. 173. 387 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 80 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nalsozialistischen Anhänger war, wie etwa in der sächsischen Ärzteschaft, nicht immer durchführbar.388 Mit der Übernahme wichtiger Verwaltungsfunktionen realisierte die KPD/SED ihren Führungsanspruch. Doch bedeutete dies lediglich den ersten Schritt des angestrebten Strukturwandels. Aus diesem Grund begann sie rasch, die ökonomischen Eliten in den führenden Positionen der Wirtschaft zu beseitigen. Dabei ging sie weniger von Erwägungen aus, die um eine Schuld ehemaliger Nationalsozialisten kreisten, mehr noch: Die weitgehende Abwesenheit tatsächlicher Gegner389 wirft zwingend die Frage nach den Ursachen der Entnazifizierungspolitik auf.390 Die Antwort lässt die Schlussfolgerung zu, die Säuberung habe sich nur bedingt gegen sie und die ehemaligen Nationalsozialisten gerichtet. Walter Weidauer bestätigte dies in unnachahmlicher Diktion: „Da steht zunächst einmal die Tatsache fest, was gewesen wäre, wenn alle ehemaligen Beamten nicht in der NSDAP gewesen wären – wir hätten trotzdem dreiviertel davon herausschmeißen müssen, um zu den Ergebnissen zu kommen, wo wir heute stehen. (Lebhafte Zustimmung). Gerade die Tatsache, dass wir damit den alten bürokratischen Apparat personell bereinigt haben, hat uns den Weg freigemacht, um zu den Erfolgen zu kommen und um die Ergebnisse zu erreichen, vor denen wir heute stehen.“391 Folglich richtete sich die Stoßrichtung der Säuberung gegen CDU und LDP mit der Begründung, es hätten sich die „aus dem öffentlichen Dienst von vor 1945 übernommenen“ Verwaltungsangestellten überwiegend „den bürgerlichen Parteien“ angeschlossen. Tatsächlich suchte das dem stärker werdenden Konformitätszwang ausgesetzte Verwaltungspersonal Rückendeckung bei CDU und LDP, deren Position jedoch mit 4,5 Prozent beziehungsweise 6,3 Prozent der Verwaltungsangestellten gegenüber der SED mit 42 Prozent schwach gewesen ist.392 Weidauer beunruhigte der 1948 beobachtete Eintritt ehemals parteiloser Angestellter in diese Parteien und darüber hinaus der Übertritt einiger SED-Mitglieder!393 Zudem mangelte es der SED an fähigen Nachwuchskadern. Er stellte gleichfalls fest, dass sich in den leitenden Stellungen mehr von den „Jugendlichen der bürgerlichen Parteien [...] als Jugendgenossen der SED“ befänden. Das sollte denjenigen Genossen zu denken geben, die sich während der Entnazifizierungskampagne im Verwaltungsapparat gegen die Entlassung der alten Beamten ausgesprochen hätten. Die Analyse verlange zwingend eine „bevorzugte Beförderung der proletarischen Elemente in der Verwaltung“.394 Glei388 389 390 391

Vgl. Adam, Entwicklung des Gesundheitswesens, S. 84–87. Vgl. Fricke, Widerstand und Opposition, S. 16. Vgl. Melis, Entnazifizierung, S. 189. Protokoll der erweiterten SED-Landesvorstandssitzung vom 16./17. 4.1947 (Sächs HStAD, SED-BPA Dresden, A/757, Bl. 311). 392 Untersuchung über Stellung, soziale Herkunft und politische Zugehörigkeit der Angestellten der Stadtverwaltung Dresden vom 21.10.1948 (StadtAD, Dezernat Innere Verwaltung 122, Bl. 23). 393 Information der Abteilung Personalwesen an Weidauer vom 9.10.1948 (ebd., Bl. 50). 394 Untersuchung über Stellung, soziale Herkunft und politische Zugehörigkeit der Angestellten der Stadtverwaltung Dresden vom 21.10.1948 (ebd., Bl. 28 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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ches galt für leitende Funktionen in der Industrie: Die SED benötigte dringend „klassenbewusstes“ Personal. Der Druck der Besatzungsmacht auf die deutschen Behörden versetzte die politische Klasse in einen Zustand permanenter Mobilisierung. So blieb auch die Polizei, die bereits 1945 komplett entnazifiziert worden war,395 nicht von der erneuten Säuberung ausgenommen. Polizeipräsident Opitz hatte damals die Polizei in Dresden für „völlig nazirein“ erklärt.396 In seinem Zuständigkeitsbereich fanden sich neben 40 ehemaligen HJ-Angehörigen nun verschiedene nominell belastete so genannte „Grenzfälle“ – Personen, die im Sinn der Direktive Nr. 24 weder als Nationalsozialisten gelten konnten noch den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüber standen. Sie hatten im Gegenteil, mittlerweile inzwischen mehrfach überprüft, auch ihre positive Einstellung zur Politik von SMAD und SED unter Beweis gestellt. Dennoch wurden Entlassungen ausgesprochen.397 Wie viele der insgesamt 490 aus dem Dresdner Polizeidienst ausgeschiedenen Personen unter die Entnazifizierungsrichtlinien fielen, geht aus dem Jahresbericht für 1947 allerdings nicht hervor. 1948 befanden sich unter den 562 entlassenen Polizisten 118 aus politischen Gründen entlassene.398 Obgleich die SMAD neben den erwähnten außenpolitischen und wirtschaftlichen Zielen eine politische Bereinigung des Besatzungsgebietes verfolgte, verstand sie darunter nicht allein die Tilgung der Überreste des Nationalsozialismus. Wie in den Institutionen von Verwaltung und Wirtschaft sollten sich nicht zuletzt die Parteien von denjenigen Personen trennen, die sich ihren Umgestaltungsbemühungen widersetzten. Die Besatzungsmacht selbst agierte im Hintergrund und überließ es ihren deutschen Verbündeten, die Forderungen zu realisieren. Erich Mielke gelangte schon recht bald nach der Vereinigung von KPD und SPD zu der Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zur SED allein keinen „endgültigen Maßstab für die Sicherung des demokratischen Aufbaus“ bilden könne, denn es hätten sich viele „Karrieristen [...] eingeschmuggelt“.399 Kurt Fischer legte seinen Genossen nahe, dass „eine dringende Säuberung unserer Partei in dieser Frage notwendig, ja sogar dringend notwendig“ sei.400 Er regte im sächsischen Landessekretariat der SED an, hinsichtlich der Parteisäuberung, 395 Vgl. Dienstbesprechung beim Chef der sächsischen Polizei vom 15.11.1945 (Sächs HStAD, LBdVP 9, Bl. 178). 396 Referat von Polizeipräsident Opitz auf der 2. Polizeikonferenz der sächsischen Polizei vom 27.11.1945 (ebd., Bl. 102). 397 Protokoll der Polizeileitersitzung vom 3. 3.1947 (SächsHStAD, LBdVP 355, nicht paginiert); Protokoll der Polizeileitersitzung vom 24. 3.1947 (ebd., nicht paginiert). 398 Jahresbericht 1947 der Personalstelle des Polizeipräsidiums Dresden vom 31.12.1947 (SächsHStAD, LBdVP 370, nicht paginiert); Jahresbericht 1948 der Personalabteilung des Polizeipräsidiums Dresden vom 7. 2.1949 (ebd., nicht paginiert). 399 Protokoll über die Konferenz der Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern mit den Chefs der Polizei der Länder und Provinzen in der sowjetischen Besatzungszone und den Vertretern der SMAD am 30.10.1946 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 1, Bl. 93). 400 Beschlussprotokoll der 12. Sekretariatssitzung des SED-Landesvorstandes vom 10. 2. 1947 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, A/779, Bl. 84). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die nicht zuletzt der Disziplinierung ehemaliger Sozialdemokraten diente, nicht erst wieder auf die sowjetischen Anweisungen zu warten. Angestoßen von der sowjetischen Initiative mussten sich alle Parteien dem Reinigungsprozess unterziehen,401 der sich gegen oppositionelle Bestrebungen insgesamt und in der SED hauptsächlich gegen Sozialdemokraten richtete. Sie fielen unter die Kategorie derjenigen „Personen, die für die Alliierten als gefährlich“ galten. Eine interne Instruktion der Dresdner Polizei nahm entgegen den veröffentlichten sowjetischen Ausführungsbestimmungen ausdrücklich Bezug auf diese in der Kontrollratsdirektive Nr. 24 verwendete Formulierung, die den Verfolgungsbehörden eine Handhabe gegen jegliche Gegnerschaft ermöglichte.402 Das sächsische Innenministerium bezog sich gleichfalls darauf mit der Begründung, die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz durchzuführen.403 In Anbetracht dieser Zusammenhänge deckt sich das in der Forschung verwendete Modell einer vierphasigen Periodisierung der Entnazifizierung nicht mit den Befunden für Dresden. Das Konzept ging im Wesentlichen von den Absichten der Akteure aus. Diese stimmten nicht mit der Realität überein, was Meinicke in seiner Studie 1983 angesprochen hatte, ohne allerdings Konsequenzen für die von ihm vorgenommene Einteilung daraus zu ziehen.404 Wer hingegen ergebnisorientiert fragt, gelangt unter Berücksichtigung der konkreten lokalen Bedingungen zu abweichenden Zäsuren. In Dresden dauerte die erste Phase, getragen von den Anweisungen deutscher Behörden, von Frühsommer bis Spätherbst 1945. Vor Jahresschluss endete sie mit einer Säuberung der Verwaltungen, ausgelöst durch die SMAD-Befehle Nr. 124 und 126 von Ende Oktober 1945. Diese Befehle markieren zugleich den Beginn einer zweiten Phase der politischen Säuberung, innerhalb derer sich das Schwergewicht auf den Bereich der Wirtschaft verlagerte. Das Inkrafttreten der Kontrollratsdirektive Nr. 24 innerhalb der SBZ beeinflusste seit Ende 1946 die Bereinigung der Besitzverhältnisse insofern, weil sich mit der Einschaltung der Besatzungsbehörden die Säuberung des betrieblichen Führungspersonals intensivierte. Eine Flankierung der gesellschaftspolitischen Transformation durch sowjetische Interventionen kennzeichnet hingegen den gesamten Prozess der Umgestaltung nach Kriegsende. Eine Zäsur bewirkte dies nicht, sondern jener Befehl Nr. 201 vom August 1947, der auch bislang als zäsurbildend galt. Allerdings liegt seine Bedeutung nicht im tatsächlichen Abschluss der politischen Säuberungsmaßnahmen und der Enteignungen im Frühjahr 1948. Im Herbst 1947 setzte die

401 Vgl. Protokoll der Sitzung des Landesausschusses der sächsischen Blockparteien und des FDGB vom 3. 3.1947 (SAPMO-BArch, NY 4074 Band 175, Bl. 5). 402 Vgl. Protokoll der Besprechung der Inspektions-, Revier- und Abteilungsleiter der Ordnungspolizei Dresden vom 29. 8.1947 (SächsHStAD, LBdVP 357, nicht paginiert). 403 Vgl. Richtlinien des Personalamtes der Landesregierung Sachsen zu Befehl Nr. 201, o. D. [September 1947] (SAPMO-BArch, DY 55–V 278/4/36, nicht paginiert). 404 Vgl. Meinicke, Entnazifizierung, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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verstärkte Umorientierung der politischen Polizei auf die „Blockparteien“ und die dort vermuteten „reaktionären Gruppierungen“ ein.405 Mit dem sowjetischen Befehl Nr. 201 begann die dritte Phase der Entnazifizierung. Seine Wirkungen wurden sichtbar in der Expansion der politischen Geheimpolizei K 5 und in der Systematisierung und im Ausbau ihrer Instrumente.406 Der Befehl bewirkte eine neue Qualität der politischen Verfolgung. Das im Frühjahr 1948 propagierte Ende der Entnazifizierung kündigte nicht den Abschluss der politischen Säuberung an, sondern die Neudefinition des Feindbildes. Künftig gelte es in der Verwaltung nicht länger, die Nationalsozialisten, sondern „eingedrungene Saboteure, Agenten der Monopolkapitalisten und Schieber zu entlarven und ihren Richtern zu überantworten“. Das betreffe alle gesellschaftlichen Bereiche und jeder einzelne werde danach beurteilt, „wie er arbeitet, ob er untätig steht, feindlich lauert, jede reaktionäre Regung unterstützt“.407 Diese Formulierungen, die den „Schlussstrich“ begleiteten, korrespondieren mit der unmissverständlichen Ausdehnung des Repressionsapparates und verweisen nicht auf den Abschluss, sondern auf die anvisierte Permanenz der politischen Säuberung. Das Finale der Entnazifizierung bedeutete das Ende aller für möglich gehaltenen Alternativen zu der inzwischen etablierten kommunistischen Diktatur. Auch wenn sich mit dem Befehl Nr. 201 allgemeine Ziele verwirklichen ließen wie das Zerreißen der Netze persönlicher und verwandtschaftlicher, betrieblicher und sozialer, politischer und konfessioneller Rücksichtnahmen; die SMAD beabsichtigte im Sommer 1947 wie schon zuvor die SMAS mit Befehl Nr. 351 nicht eine objektive Einzelfallbeurteilung, vielmehr sollten die Kriterien der Diktaturdurchsetzung besser zur Geltung kommen. Der Verwaltungsapparat war weitgehend gesäubert, ebenso die Justiz und das Bildungswesen. Jetzt ging es darum, die herausgestellten Merkmale so flexibel zu handhaben, dass sie mehr denn je gegen jeden tatsächlichen und vermeintlichen Gegner zur Anwendung kommen konnten. Den Entnazifizierungskommissionen wurde die Überprüfung derjenigen aktiven ehemaligen Mitglieder der NSDAP übertragen, die sich nicht strafbar gemacht hatten, um diejenigen unter ihnen herauszufinden, die sich der gesellschaftlichen Umgestaltung widersetzten. Da den Kommissionen zudem die abschließende Verantwortung über alle gefällten Urteile oblag, musste sich eine große Anzahl von Personen zum zweiten oder dritten Mal rechtfertigen. Auch die Entlassung des überwiegenden Teils der in sowjetischen Speziallagern der SBZ internierten Häftlinge nach Abschluss der Entna405 Information der Pressestelle der Deutschen Verwaltung des Innern über den Aufbau einer Abteilung Nachrichten und Information vom 11.11.1947 (BStU, MfS-AS 229/66 Band 2, Bl. 267). Hervorhebung im Original. Vgl. dazu die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse vorgenommene Periodisierung bei Matthiesen, Greifswald, S. 482. 406 Vgl. Jahresbericht der K 5 im Land Sachsen für 1948 [Ende 1948] (BStU, MfS-AS 6/60 Band 4, Bl. 4 f.). 407 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 87 f.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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zifizierung 1948 spricht für eine solche Interpretation von Befehl Nr. 201, die damit eine Schwerpunktverlagerung der Verfolgung intendiert sieht: Neben Personen, denen nationalsozialistische Verbrechen zur Last gelegt wurden, blieben hauptsächlich die in Haft, denen die Besatzungsbehörden oppositionelles Verhalten unterstellten.408 Durch die Summe seiner Wirkungen trug Befehl Nr. 201 wesentlich zur Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse in der SBZ bei. Gleichwohl sahen die Richtlinien der SMAD nicht eine Revision der Urteile zugunsten der Betroffenen vor, die ausgesprochenen Entlassungen und andere Sühnemaßnahmen blieben bestehen. Die Einziehung von Besitz und Vermögen führte zu Beschlagnahmungen und Enteignungen aufgrund geringfügiger Belastungen. Entscheidungen fällten die Kommissionen nach den ihnen vorliegenden Unterlagen. Diese bestanden aus den Fragebögen und Lebensläufen der Betroffenen, den beigebrachten Leumundszeugnissen und den Ermittlungsergebnissen sowohl der politischen Polizei als des Kontrollapparates von Partei- und Verwaltungsdienststellen. Der gezielte Einbezug der Öffentlichkeit beabsichtigte das Beibringen neuer Belastungskriterien und einen propagandistischen Nutzen: Öffentliche Verhandlungen waren geeignet, nach außen die Botschaft einer unnachsichtigen Aburteilung der Schuldigen und die Entlastung Unschuldiger zu verbreiten. SMAD und SED signalisierten damit Integrationsoptionen. Doch die Praxis zeigte entgegen verbreiteten Erwartungen, dass die Entlassenen je nach ihren Berufen nur selten an ihre Arbeitsplätze zurückkehren konnten. Auch die Enteigneten erlangten ihren Besitz nur vereinzelt zurück. Hinsichtlich des anvisierten Zieles, dauerhaft den Nationalsozialismus und seinen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft zu beseitigen, unterscheiden sich die Ergebnisse der sowjetischen Säuberungspolitik nur geringfügig von denen in den westlichen Besatzungszonen. Nach 1945 ging von Deutschen keine wesentliche nationalsozialistische Bedrohung aus. Millionen ehemaliger NSDAPParteigenossen und Mitglieder anderer Organisationen integrierten sich in die neuen politischen Ordnungen als loyale Staatsbürger, als angepasste „Anti-Faschisten“ und als rehabilitierte Parteimitglieder. Der „Anti-Faschismus“ war auf seine Weise eine ebenso erfolgreiche Integrationsideologie wie die westliche Demokratie. Grundsätzlich unterschied sich allerdings der sowjetkommunistische Entnazifizierungsansatz von dem der westlichen Alliierten. Während unter deren Aufsicht eine an liberalen Freiheitswerten orientierte demokratische Ordnung entstand, setzte die politische Säuberung im östlichen Deutschland gewaltsam eine sozialistische Parteiherrschaft durch,409 die trotz des Anspruchs, demokratisch zu sein, den Kriterien einer Demokratie nicht genügte. Er wisse, wie verlogen die „demokratische Republik innerlich“ sei, notierte Victor Klemperer im Herbst 1949 unmittelbar nach der Staatsgründung der jungen Republik ins Stammbuch. „‚Die Deutsche Demokratische Republik‘. Das tobt seit gestern im Rundfunk. Die Präsidentenwahl, die Aufmärsche, die Re408 Morré, Speziallager Bautzen, S. 87 f. 409 Vgl. Henke, Auseinandersetzung, S. 76. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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den. Mir ist nicht wohl dabei. Ich weiß, wie alles gestellt und zur Spontaneität und Einstimmigkeit vorbereitet ist. Ich weiß, das es nazistisch genau so geklungen hat und zugegangen ist. Ich weiß, wie wenig Realität dahinter steckt. 20 Millionen sind noch kein Drittel des deutschen Volkes, und von den 20 sind mindestens ein Dutzend antisowjetisch.“410 Klemperer blieb trotz der von ihm erkannten Verlogenheit Mitglied der SED. Seine Skrupel vertraute er dem Tagebuch an, auf „Distanz zur Partei und ihrem Staat“411 ging er nicht. Verlässt man in der Bewertung des Erfolgs oder Misserfolgs der Entnazifizierung die normative Ebene und löst sich von der in den Säuberungskonzepten aufgestellten Forderung nach ihrer vollständigen Realisierung, wird man nicht länger vom Scheitern der Entnazifizierung sprechen können. Richtig ist, dass die unrealistische Forderung nach umfassender Ausschaltung aller NSDAP-Mitglieder nicht gelang. Es war aber den Alliierten in West und Ost klar, der Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung würde nur mit den Deutschen zusammen funktionieren und nicht gegen eine Mehrheit von ihnen. Insofern verknüpften sie die negativen Ausschaltungskennzeichen mit positiven Integrationskriterien. Zu den auffälligsten Erfolgen des Entnazifizierungsprozesses auf beiden Seiten der Frontlinie des Kalten Krieges gehört die nachhaltige Ächtung der wesentlichen Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie innerhalb der deutschen Gesellschaft.

410 Tagebucheintrag vom 12.10.1949. In: Klemperer, Tagebücher 1945–1949, Band 1, S. 692. 411 So Rohlfes, Der Liberale, S. 76. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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IX. Zusammenfassung Neben dem Bruch mit der Vergangenheit prägten Kontinuitäten die Übergangsperiode vom Ende der Diktatur der Nationalsozialisten zur Diktatur der Kommunisten. Lokale Besonderheiten und übergreifende Zusammenhänge beeinflussten die Situation in einem Ort, und in ihrer Bewertung spiegelten sich die Erfahrungen der Bewohner wider. Die Perspektive der Dresdner ist auf den 13./14. Februar gerichtet, die Erfahrung der Zerstörung überlagert das Datum des Kriegsendes am 8. Mai 1945. Der 13. Februar setzte in der Erfahrungs- und Lebenswelt der Dresdner Bürger eine dauerhafte Zäsur. Für die Mehrheit von ihnen verbindet sich mit diesem Datum der entscheidende Bruch, der die Vergangenheit von der Gegenwart abtrennte – erkennbar für jedes Auge an den nicht fassbaren Dimensionen der Verluste. Aber nicht nur denen, die das Geschehen erlitten und miterlebten, stand deutlich vor Augen, das alles, was nach dieser Nacht und dem darauffolgenden Tag kommen würde, das Leben grundlegend ändern müsste. Politische Rahmenbedingungen und persönliche Dispositionen der Involvierung in den Nationalsozialismus begünstigten eine Betrachtungsweise der Ereignisse, die um das eigene Erleben kreiste. Damit geriet aus dem Blickfeld, dass die Bombardierung von Dresden ebenso wie die Luftangriffe auf andere Städte auf das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft zielte, dass die tödliche Bombenlast das jahrelange Morden beenden sollte, dass neben dem Tod von Tausenden Menschen den verbliebenen jüdischen Bewohnern Dresdens eine Chance des Überlebens eröffnet wurde. Dieser individuelle und aus der allgemeinen Geschichte der Stadt lange Zeit ausgeblendete Aspekt ist bezeichnend für den eingeengten Blick auf die Vergangenheit: Im Zentrum des Gedenkens an die Zerstörung Dresdens stehen deutsche Opfer, unterbelichtet ist der Zusammenhang mit dem von Deutschland entfesselten rassistischen Weltkrieg. Die Geschichtsschreibung in der DDR, die als zentraler Bestandteil der Legitimationsstrategie der SED-Führung1 selbst an der Konstruktion bereinigter Geschichtserzählungen beteiligt gewesen ist, befestigte eine solche Sichtweise. Zudem entsprach es der Dichotomie von „gut“ und „böse“ der Nachkriegszeit, die Friedenfrage beliebig zu instrumentalisieren. Nach dem Ende des Krieges erhofften sich alle Menschen ein Ende der Gewalt und den Beginn einer Zukunft, in der sie nicht permanent um ihr physisches Überleben bangen mussten. Diese Zäsur gab es jedoch nicht, die Gewalt dauerte nach dem 8. Mai 1945 an. Die Besiegten fühlten sich schutzlos der Willkür der siegreichen Soldaten ausgeliefert, Vergewaltigungen und Plünderungen prägten ihre Erfahrungen. Die Einwohner Dresdens begannen sich verstärkt als Opfer zu betrachten, wodurch die Erinnerung an den Terror der Nationalsozialisten rascher verblasste, als das wohl sonst der Fall gewesen wäre. Ihr zudem 1

Vgl. Rüsen, Ordnung der Geschichte, S. 84. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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unter Bezug auf den 13. Februar konstituiertes Nachkriegsbewusstsein ließ die Dresdner am Nimbus der Opfer des Nationalsozialismus teilhaben. Sie erhoben den Anspruch, als „Opfer der Verhältnisse“ zu gelten, um den Verdacht, „sie könnten Profiteure oder gar Mittäter des nationalsozialistischen Systems gewesen sein“,2 zu zerstreuen. Sie entzogen sich der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die politische Propaganda der KPD/SED kam ihnen entgegen und förderte in der Absicht, die Bevölkerung in den „anti-faschistischen“ Grundkonsens der Parteidiktatur einzubinden, die Dispensierung von Mitschuld und Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen. Nach dem 13. und 14. Februar 1945, als weite Teile der Dresdner Innenstadt für immer untergingen, wurde Dresden zum Symbol für die irreparablen materiellen Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Den unter dem Eindruck der Realität stehenden Überlebenden war die Kausalität von Kriegführung und Verwüstung bewusst. Sie hielten die unwiderruflich verbrannte Schönheit der Stadt in ihrer Erinnerung lebendig. Diese Erinnerungen wurden das Ziel ideologischer Beeinflussung. Der KPD-Führung stand rasch die Notwendigkeit vor Augen, ihr Aufbaumodell einer neuen Gesellschaftsordnung nicht nur von der Vergangenheit abzuheben, sondern es gegenüber dem westlichen Muster zu akzentuieren. Sie begann noch im ersten Jahr der Nachkriegszeit die Vergangenheit neu zu interpretieren. In der Totalität der Zerstörung fand sich eine einmalige Gelegenheit, die Utopie der neuen Zeit als Kontrast zur ausgelöschten Vergangenheit zu verankern und die Erinnerungen vollständig zu besetzen. Wenn dies gelänge, würde sich vor dem grauenhaften Hintergrund die lichte Zukunftsvision umso leuchtender abheben. Die Mehrheit der Bevölkerung griff trotz ihrer Sympathie für Amerikaner und Engländer dieses Angebot zur Distanzierung vom Nationalsozialismus auf. Künftig galt die Bombardierung Dresdens als militärisch sinnloser „Terrorangriff“ der westlichen Alliierten, ohne nach den sachlichen Voraussetzungen zu fragen. In den zahlreichen Säuberungsaktivitäten der „antifaschistischen Ausschüsse“ oder „Hilfskomitees“ bildete sich ebenfalls der Wunsch ab, sich zu distanzieren: Sie waren Teil einer Überlebensstrategie. Die Vielfalt gesellschaftlich-politischer und individueller Motive dieser Gruppierungen war Ausdruck eines Verlangens, die eigene Lebenssituation positiv zu beeinflussen. Repressionen, Übergriffe und Ausschreitungen, aber auch auf sozialen Netzwerken beruhende Nachsicht begleiteten das Vorgehen gegen Personen, die in irgendeiner, und sei es noch so entfernter Weise, in Verbindung zu den Machthabern im nationalsozialistischen Deutschland gestanden hatten. Vorrangig orientiert auf die praktische Arbeit in den Verwaltungen, zielten außerdem Teile der Gruppierungen auf die Übernahme der Polizeigewalt. Moskauer Polit-Remigranten wie Besatzungsmacht betrachteten die Entwicklung nicht ohne Sorge – einerseits angewiesen auf die tatkräftige Mitarbeit der Aktivisten, fürchteten sie, die 2

Welzer/Montau/Plaß, böse Menschen, S. 158. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Kontrolle über sie zu verlieren. Ob im Alltag, in der Stadtverwaltung, in den Betrieben oder in der Polizei, in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen musste die KPD-Führung die autochthone Säuberungsenergie kanalisieren. Bereits am 11. Mai 1945 ließ Hermann Matern, Personalchef der Dresdner Stadtverwaltung und designierter 1. Sekretär der Bezirksleitung der KPD in Sachsen, eine als Koordinierungsstelle getarnte Zentrale zur Beseitigung der Komitees einrichten. Nach ihrem Eintreffen in Dresden knüpften die Kommunisten der Moskauer Initiativgruppe um Anton Ackermann Verbindungen zu einheimischen Kommunisten und Sozialdemokraten, um ihre Strategie der Bündnispolitik und die Forderung nach Übernahme der Verwaltungen zu propagieren. Es sollte keine sozialistische Revolution, auch keine Einheitspartei der Arbeiterklasse geben, und Matern veranlasste sowohl bei der KPD als auch bei der SPD einen zentral gesteuerten Gründungsprozess von oben. Die KPD entwickelte sich zielstrebig und legte die Sozialdemokratie durch geschicktes Taktieren auf die Bündnispolitik fest. Ein Freiraum für die Entwicklung sozialdemokratischer Identität und Eigenständigkeit existierte nicht. Die Wiedergründung der SPD war wie der Aufbau einer christdemokratischen und einer liberaldemokratischen Partei von kommunistischer Einmischung und sowjetischer Obstruktion beeinflusst. Der Zwangskonsens der Blockpolitik begrenzte jede nicht von der KPD dominierte politische Zielsetzung. Einen zentralen Pfeiler der künftigen SED-Parteiherrschaft bildete die Entnazifizierung. Am 30. Mai 1945 erließ der hauptsächlich von KPD-Mitgliedern gebildete Dresdner Stadtrat Entnazifizierungsrichtlinien, um vorrangig aktive Mitglieder der NSDAP, desgleichen Spitzel und Denunzianten aus der Verwaltung zu entlassen. Auf Veranlassung Kurt Fischers, zu diesem Zeitpunkt noch Dresdner Innendezernent, bestimmten diese Kriterien die gesamte Personalpolitik. Die KPD-Führung begann nach der Besetzung von Schlüsselpositionen mit ihren Parteigängern die Verwaltung zu ihrem Herrschaftsinstrument umzubauen. Im Unterschied zu dieser Zielstrebigkeit konnten die anderen Parteien kaum über das Fehlen einer eindeutigen Orientierung hinwegtäuschen. Ihre Unfähigkeit zur Abrechnung wurzelte in einer weitreichenden Unsicherheit bei der Bestimmung ihrer Position. Allein die Kommunisten sprachen die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Mitwirkung des deutschen Volkes daran an. Ihr radikaler „Anti-Faschismus“ bemäntelte das Ziel der Umgestaltungspolitik. Der große Orientierungsbedarf bedingte den Mangel an politischer Zielstrebigkeit. Als der Freitaler Oberbürgermeister und SPD-Kulturreferent Arno Hennig auf dem Landesparteitag seiner Partei Anfang Oktober 1945 eher rhetorisch fragte, was es bedeute, ein „Antifaschist“ zu sein, blieb er eine Antwort schuldig. „Der Faschismus war der Wille zur Gewalt“, versuchte er aufzuklären. Der Staat müsse zur „Verwirklichung höherer Ziele“ seine Gewaltmittel gegen jene richten, „die selbst inhuman sind und die Humanität mit Füßen treten“. Deshalb sei „harte Entschlossenheit“ nicht allein „gegen die Nazis“ vonnöten, sondern gleichfalls „gegen alle Gewaltanbeter, die ihnen verwandt sind“. Aber die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Forderung nach dem „klaren Bruch mit dem Militarismus“ blieb verschwommen. Hennig präzisierte weder seine allgemein gehaltene Aussage über das Wesen des „Faschismus“, noch grenzte er sich gegenüber der erkennbaren Bereitschaft der KPD, ihre Politik mit Gewalt durchzusetzen, klar ab.3 Solche unbeholfenen Deutungsversuche werden die begriffliche Verwirrung im ersten Jahr nach Kriegsende eher gesteigert als zu einer Orientierung beigetragen haben. Die politische Säuberung setzte eine grundstürzende Veränderung der Gesellschaft in Gang. Anfänglich bremste Pragmatismus die Transformation des Verwaltungsapparates. Doch das Instrument der Entnazifizierung war flexibel genug, um entsprechend den geänderten Rahmenbedingungen an die Strategie der Diktaturdurchsetzung taktisch angepasst zu werden. Personalpolitik in kommunistischer Perspektive war „Klassenkampf“, die Besetzung von Verwaltungspositionen Teil des Kampfes um die Herrschaft. „Anti-Faschismus“ wurde definiert als revolutionärer Kampf des Proletariats gegen das kapitalistisch-imperialistische Gesellschaftssystem schlechthin.4 Bereits die erste Phase der Entnazifizierung besaß einen dezidiert in die Zukunft gerichteten Charakter, der weniger in der Entfernung belasteter Beamter als in der gezielten Neubesetzung der freigewordenen Positionen zum Ausdruck kam. Fragen der Feststellung von Schuld und politischer Verantwortung blieben der Ausschaltung gegenwärtiger Widersacher nachgeordnet. An die Stelle alter Funktionseliten trat ein Geflecht kommunistischer Kader. Im Zuge der bis Ende 1945 weitgehend realisierten Verdrängung der Nationalsozialisten aus der Stadtverwaltung setzte die KPD ihren Führungsanspruch durch. Der propagierte „Anti-Faschismus“ richtete sich verbal gegen die nationalsozialistische Gesellschaftsordnung als der angeblich höchsten Ausprägung des Kapitalismus, zielte aber darauf, ein Wiedererstehen der Demokratie und eine Anknüpfung an die Weimarer Republik zu verhindern. „Anti-Faschismus“ diente der Verschleierung des antidemokratischen Charakters des Machterwerbs und zur Legitimierung der Usurpation. Die inquisitorisch betriebene politische Säuberung verstärkte die ohnehin vorhandene Neigung zeitgenössischer Deutscher zur Rechtfertigung und zur Distanzierung von der eigenen Vergangenheit durch „Derealisation“: Die erinnerte Vergangenheit zerfällt dabei in Einzelsegmente, von denen nur ein Teil in die individuelle Erinnerung aufgenommen wird. Die anderen, in der Regel die unerträglichen Erinnerungspartikel, werden abgespalten und verfallen dem Vergessen, werden von der individuell erinnerten Realität getrennt und „derealisiert“.5 Dieses Verfahren verspricht insbesondere durch eine Inanspruchnahme von Rahmenmerkmalen, die ansonsten Opfern zustehen, hohe Effektivität und 3 4 5

Sozialdemokratische Partei des Landes Sachsen: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Landes-Parteitages, abgehalten am 7., 8. und 9. Oktober 1945 in Dresden (Freital). Dresden, o. J., S. 157 f. Vgl. Wettig, Bereitschaft zu Einheit, S. 24. Vgl. Dahmer, Derealisation. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Dauerhaftigkeit. Wer sich zum Opfer des Systems stilisiert, erhebt sich über den Verdacht, Nutznießer oder Akteur desselben gewesen zu sein. Wirkungsvoll förderte die Ideologie diese Abwehr- und Entlastungsreaktionen. Mit der Option zur Teilhabe an der eigenen „anti-faschistischen“ Tradition verpflichtete sich die KPD/SED-Führung die Bevölkerung zu Dankbarkeit; wer ihren Lehren Glauben schenkte, musste sich nicht schuldig fühlen.6 Die Anziehungskraft der Ideologie des „Anti-Faschismus“ speiste sich aus der Faszination des kommunistischen Exkulpationsangebotes an die Bevölkerung, durch aktive Mitarbeit am Aufbau die Schuld der Vergangenheit abzutragen.7 Die Verantwortung für alle Untaten und Verbrechen wurde den nationalsozialistischen Führern angelastet, das entlastete die Gewissen der Deutschen und sie gaben ihre Vergangenheit auf, „als handele es sich um nichts als einen dummen Reinfall“.8 Repression verstärkte die Notwendigkeit zur Distanzierung. Von Anbeginn war die Polizei diejenige Auftragsbehörde der Besatzungsmacht, die sich rasch zum wichtigsten Vollstreckungsorgan der Diktaturdurchsetzung entwickelte. Ausgebaut zu einem wirksamen Instrument der kommunistischen Herrschaftssicherung, besaß sie einen Doppelcharakter als Ordnungsund als Geheimpolizei. KPD-Führung und Besatzungsbehörden errichteten Abteilungen einer politischen Polizei nach sowjetischem Vorbild, so genannte Sonderstellen, die über externe Befehlsstrukturen der sowjetischen Geheimpolizei direkt unterstellt waren. Die Wurzeln des Referats K 5, der Vorläuferinstitution des MfS, liegen in diesen Sonderstellen der Dresdner Kriminalpolizei. Besatzungsoffiziere beauftragten die deutsche Polizei mit Verhaftungen, wobei sich die ohne Unterschied als politische Vergehen bezeichneten Anschuldigungen auf die zurückliegende nationalsozialistische Vergangenheit ebenso wie auf die Gegenwart bezogen. Somit fielen unter den Begriff „Entnazifizierung“ neben tatsächlichen und vermeintlichen Nationalsozialisten auch Oppositionelle, und das ursprüngliche Feindbild des so genannten „Naziaktivisten“ wandelte sich in das eines „Reaktionärs“, der unabhängig von politischen Konjunkturen zu allen Zeiten verfolgt werden konnte. Geschaffen unter dem Vorwand, vermutete illegale nationalsozialistische Organisationen zu bekämpfen, wurde die Geheimpolizei mit der Eliminierung politischer Gegner betraut. Festnahmen und Internierungen erzeugten eine Atmosphäre der Angst, die den Widerstand gegen die sowjetische Besatzungsherrschaft im Keim ersticken und die Diktaturdurchsetzung flankieren sollte. Darüber hinaus demonstrierte der kommunistische Polizeipräsident mit den modellhaft in Eigenverantwortung eingerichteten Kommandohaftlagern die Absicht seiner Partei zu einer umfassenden sozialrepressiven Disziplinierung der Gesellschaft. Außerdem diente die Polizei der Informationsbeschaffung. Mit der „NS-Kartei“ konnten belastete Personen aus der Bevölkerung herausgefiltert und ihr Pri6 7 8

Vgl. Buruma, Erbschaft der Schuld, S. 225 ff. und 322; Henke, Auseinandersetzung, S. 82 Vgl. Grunenberg, Antifaschismus, S. 131 ff. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 765. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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vatleben mit Hilfe der Polizeiabteilung „Erörterungsdienst“ durchleuchtet werden. Die Polizei berichtete über kritische Stimmen unter der Bevölkerung und in den Parteien. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen erhielten Funktionäre der KPD/SED einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Politik der Besatzungsmacht. In ihren Berichten an sowjetische Dienststellen konnten sie durch Auswahl und Akzentuierung von Informationen deren Sicht in die gewünschte Richtung lenken. Sie antizipierten sowjetische Wünsche und nutzten die Reaktionen der Besatzungsoffiziere zum Ausbau eigener Positionen. Weitreichend identische Interessenlagen in vielen Politikbereichen wie etwa bei der Unterdrückung oppositioneller Regungen ermöglichten ein solches Vorgehen. Unstrittig war unter sowjetischen wie deutschen Kommunisten, dass die Präsenz der Besatzungsmacht die Voraussetzung für den Transformationsprozess bildete. Die Übertragung der Macht an die Führung der KPD, die Transformation des politischen Systems, die Instrumentalisierung der guten Absichten vieler Beteiligter setzte unmittelbar nach der Besetzung Dresdens durch die Rote Armee ein. Entscheidend war die mühelos errungene Kontrolle über die Exekutive. Mit Verwaltungsvorschriften wurden sehr bald politische Aktivitäten der anderen Parteien beschnitten; eingerahmt in die Blockpolitik büßten SPD, CDU und LDP im ersten Nachkriegsjahr Schritt für Schritt immer mehr an Handlungsfähigkeit ein. Das Schlüsselglied der gesamten Umgestaltungspolitik war die politische Säuberung. Da die sowjetische Besatzungspolitik über kein konkretes Entnazifizierungskonzept verfügte, gab sie den deutschen Verbündeten bis Ende 1946 bei der praktischen Umsetzung der Säuberungspolitik freie Hand. Vor diesem Hintergrund muss die Frage, ob die Besatzungsmacht in den Jahren 1945 und 1946 Einheitlichkeit beabsichtigte, verneinend beantwortet werden. Diese Feststellung ist nicht gleichzusetzen mit fehlendem Einfluss der sowjetischen Seite; stets gingen von ihr die entscheidenden Säuberungsimpulse aus. Mit der Umsetzung von Kontrollratsdirektive Nr. 24 trat für die SMAD Anfang 1947 neben außenpolitischen Zielen die grundlegende politische Bereinigung des Besatzungsgebietes in den Vordergrund. Die SED intensivierte ihrerseits die Enteignungspolitik, wobei die sächsischen Kommunisten zunächst versuchten, die Besatzungsoffiziere von weiteren Forderungen im Bereich der Verwaltung abzubringen. Der SMAD-Befehl Nr. 201 von August 1947 gab auch der eingeleiteten Neuformierung der politischen Geheimpolizei K 5 ihren folgenschweren Impuls. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Vorläuferinstitution des MfS zum Hauptinstrument der Säuberung. An der steigenden Zahl politischer Gefangener lassen sich die ausgeweiteten polizeilichen Aktivitäten ablesen. Die Inszenierung der politischen Verfolgung und die damit verbundene „Umwandlung“ der nationalsozialistischen Gegner in Feinde des Neuaufbaus erfolgte unter dem Deckmantel der Entnazifizierung. Der Begriff „Nationalsozialist“ wurde zunehmend weniger gebraucht, eine umso größere Rolle spielte der „Reaktionär“. Gleichzeitig setzte © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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die Säuberung die von den Nationalsozialisten begonnene Auflösung traditioneller Strukturen und Schaffung neuer Bindungen fort. Die öffentlichen Verhandlungen der Entnazifizierungskommissionen verfolgten ein propagandistisches Ziel: Sie sollten die Botschaft einer unnachsichtigen Aburteilung der Schuldigen und die Entlastung Unschuldiger verbreiten und ein weithin sichtbares Integrationssignal setzen. Obwohl Ende Februar 1948 der SMAD-Befehl Nr. 35 den förmlichen Schlussstrich unter die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus zog, endete die politische Säuberung nicht. Extension und Intensität kennzeichneten eine Metamorphose der politischen Verfolgung. Das neudefinierte Feindbild der „Saboteure, Agenten der Monopolkapitalisten und Schieber“9 war universell einsetzbar. Die Säuberung wurde auf immer weitere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt und der Repressionsapparat ausgebaut. Die SED steigerte die Verfolgung aller politischen Kräfte, die sich ihrem Herrschaftsanspruch nicht unterwarfen, seit 1948 insbesondere der Sozialdemokraten und der nicht gleichschaltungswilligen Mitglieder von CDU und LDP. Die Entnazifizierung der Gesellschaft mündete in die Monopolisierung der Macht bei der SED, die ihren Herrschaftsanspruch immer unverhüllter in einem totalitären Habitus manifestierte. Darin äußerte sich der diametrale Gegensatz der politischen Säuberung in der SBZ zur Entnazifizierung in den Westzonen. Die Antwort auf die Frage nach dem Erfolg der Entnazifizierung muss diese Rahmenbedingungen berücksichtigen, komplex gesehen scheiterte sie ebenso wenig wie in den westlichen Besatzungszonen. Die Akzeptanz von Rassismus und Vernichtungskrieg sank rasch, ob dies allerdings auf das Zusammenwirken opportunistischer Einstellungen und erlernter Verhaltensmuster der Unterordnung zurückgeführt werden muss, entzieht sich der empirischen Überprüfung. Jedenfalls bewirkte die Rehabilitierung der entlassenen oder zeitweise internierten Eliten nicht das Wiederaufleben des Nationalsozialismus. Im Osten verwehrte ihnen die SED größtenteils die Wiederbesetzung verlorener Positionen. Allerdings entsprach dem amerikanischen „Reformeifer“10 im Westen bei der Konsolidierung demokratischer Institutionen eine sowjetisch inspirierte Durchsetzungsenergie bei ihrer Demontierung und bei der Ausformung diktatorischer Herrschaftselemente im Osten. Entnazifizierung und der Mythos vom alleinigen kommunistischen Widerstand gegen die NS-Diktatur bildeten zentrale Elemente zur Konstituierung des „Anti-Faschismus“, mit dessen Hilfe die SED-Führung lange Zeit die fehlende Legitimität ihrer Herrschaft ausgleichen konnte. Argwöhnisch musste sie alle Anzeichen einer gegen die Diktatur gerichteten politischen Opposition beobachten und beseitigen. Dominanz in den Verwaltungen bedeutete die Ausgangsbasis für die Herrschaft. Nachdem sich die nichtkommunistischen Kräfte zur Verhinderung dieses Machtstrebens positioniert hatten, wurden Anhänger 9 Bilanz der Entnazifizierungsarbeit in Sachsen von Kurt Fischer, o. D. [März 1947] (SAPMO-BArch, NY 4172 Band 5, Bl. 87 f.). 10 Rupieper, amerikanische Demokratisierungspolitik, S. 214 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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von LDP und CDU zunehmend Opfer der von kommunistischer Seite unter dem Deckmantel der Entnazifizierung inszenierten politischen Verfolgung. Das Kernstück der kommunistischen Konzeption zur Verhinderung einer Opposition bildeten die sogenannten „Einheitsfront-Ausschüsse“ aller Parteien. LDP und CDU ließen sich bei ihrer Einwilligung in die gemeinsame Blockpolitik mit KPD und SPD von der Vorstellung leiten, durch aktive Beteiligung an den paritätisch zusammengesetzten Gremien demokratische Prinzipien in der Politik verankern zu können. Das bündnispolitische Programm der KPD suggerierte die Kompatibilität politischer und gesellschaftlicher Konzeptionen. Ohne die Konsequenzen zu überschauen, begünstigten die Parteiführungen von LDP und CDU mit ihrer Zustimmung zum Konsensprinzip bei der politischen Entscheidungsfindung die dominante Rolle der KPD und gaben irreversibel die Basis des Parlamentarismus auf. Das zeigte sich im Dresdner Rathaus, wo die KPD-Führung ihr Programm zur Erringung der Herrschaft realisieren konnte und anschließend die Vereinigung von KPD und SPD herbeiführte. Gezielt versuchte sie auch, den sozialdemokratischen Einfluss auf die Gewerkschaften durch den Aufbau von Betriebsgruppen einzudämmen, wobei sie jedoch nur mäßigen Erfolg hatte. Sie ging gegen sozialdemokratische Kritiker vor, um schließlich die Vereinigung durch Vorentscheidungen an der Parteibasis zu präjudizieren. Grundsätzlich trennte KPD und SPD die erklärte Absicht letzterer, allein auf demokratischem Weg zum Sozialismus zu gelangen. Eine eindeutig formulierte Ablehnung der Vereinigung gab es in der SPD nicht, eine auf freier Willensentscheidung beruhende Bereitschaft zur Einheit ebenso wenig. Die Besatzungsmacht unterstützte die KPD-Führung und gab damit den entscheidenden Impuls zur Gründung der SED. Die eigenständigen politischen Ansätze der Sozialdemokraten konnte die KPD-Führung nur mit massiver Unterstützung der Besatzungsoffiziere unterlaufen. In der SPD äußerte sich zwischen September 1945 und Februar 1946 die Ablehnung des kommunistischen Machtstrebens in einer Verzögerungstaktik. Die basisdemokratische Forderung nach Urwahlen in der gesamten Partei begleitete einen intensiven Diskussionsprozess der vorgesehenen Organisationsprinzipien und Parteistrukturen. Die KPD-Führung appellierte ihrerseits an die Reformwilligkeit der Sozialdemokraten. Nachdem die Mehrheit der sozialdemokratischen Parteiführung in Dresden zu der Überzeugung gelangt war, die Entwicklung nicht aufhalten, sondern den Charakter der neuen Partei nur durch die Masse ihrer einströmenden sozialdemokratischen Parteimitglieder beeinflussen zu können, stimmte sie der SED-Gründung zu. Die Vereinigungsphase wurde geprägt von einer wachsenden Mitgliederzahl, den fortwährenden Bemühungen zur Korrektur des Parteistatuts und einem scheinbaren Einlenken der KPD-Führung. Doch Hoffnungen und Wünsche der Sozialdemokraten, auf diese Weise dem drohenden Verlust an demokratischem Potential in der neuen Partei entgegenzuwirken, erwiesen sich als Illusionen. Eingebettet in den politischen Transformationsprozess war der Zugriff auf die ökonomischen Ressourcen. Die KPD trat im Sommer 1945 zwar ohne wirt© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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schaftliches Konzept, jedoch wie in der Landwirtschaft auch bezüglich der Industrie mit der Absicht zu umfassenden Enteignungen an. Wirtschaftsmacht bildete in ihren Augen die entscheidende Herrschaftsgrundlage. Von den besetzten Verwaltungspositionen aus griffen Kommunisten in die Eigentumsstrukturen ein und folgten dabei einem scheinbaren Legalitätskurs. Offiziell strebten sie keine Enteignungen, sondern Sequestrierungen an. Doch frühe Äußerungen belegen die mit den Beschlagnahmungen verbundenen Enteignungsabsichten. Die SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 126 von Ende Oktober 1945 gestatteten nur die Beschlagnahmung von Eigentum, dessen ungeachtet setzte sich die Enteignung fort. Im Frühjahr 1946 legte die KPD/SED ihr Konzept eines Volksentscheids zur „Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher“ vor, mit dem sie die deutsche Öffentlichkeit über ihre eigentlichen Ziele hinwegtäuschte. Trotz zahlreicher Versuche, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, ungerechtfertigte Enteignungen zu verhindern, ist die legitimatorische Wirkung des Volksentscheids nicht zu unterschätzen. Die Zusammenarbeit von LDP und CDU bei der Durchführung des Volksentscheids wertete die Position der SED deutlich auf. Die intern geführten Auseinandersetzungen blieben der Öffentlichkeit verborgen, die Zustimmung der Bevölkerung bedeutete eine plebiszitäre Scheinlegitimität der Enteignungen. Die daraus abgeleitete Verrechtlichung von Herrschaft verbesserte neben der Wirtschaftsbasis die Argumentationsbasis der SED entscheidend. Zwei zentrale Aspekte kennzeichneten die sowjetische Besatzungspolitik: erstens die Bemühungen um ein Maximum an Reparationen, zweitens die nie in Zweifel gezogene Zusammenarbeit mit den deutschen Kommunisten. Unter dem selbstverständlichen Blickwinkel grundlegender Sicherheitsinteressen der UdSSR, wozu auch die Arrondierung ihrer Einflusssphäre in Ostmitteleuropa zählte, ordneten sich alle Aspekte der Politik in Deutschland diesen Prämissen unter. Die Gemeinsamkeit der sowjetischen mit den deutschen Kommunisten resultierte aus der ideologischen Übereinstimmung und der Identität ihrer Machtinteressen, sie beruhte auf der grundsätzlichen Ablehnung eines demokratischen Systems nach westlichem Muster. Beide lehnten die pluralistische Gesellschaft mit einer Gewaltenteilung ab. Die von der verharmlosenden Propaganda „antifaschistisch-demokratische Umwälzung“ genannte Durchsetzung der Diktatur besaß den Charakter einer Revolution von oben. Die Führung der KPD/SED beabsichtigte vom ersten Tag an die Machtübernahme. Um aber in Deutschland, und sei es nur in einem Teil davon, herrschen zu können, war sie auf die Besatzungsmacht angewiesen. Das unterschied die Partei von den anderen Parteien der SBZ. Diese verfügten im Gegensatz zur KPD/SED über eine wachsende Massenbasis in der Bevölkerung und wollten im politischen Wettstreit miteinander um die Übernahme der Regierungsgewalt und um die Gestaltung der Gesellschaft ringen. Gerade dadurch wurden Sozial-, Christ- und Liberaldemokraten in den Augen der SMAD zu Unsicherheitsfaktoren. Eine unüberwindbare gesellschaftliche Isolation von Besatzungsmacht und Kommunisten bedingte ihre gegenseitige Abhängigkeit. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Den Erfolg des Volksentscheids konnte die SED in den Kommunal- und Landtagswahlen nicht zu einer sicheren parlamentarischen Machtbasis ausbauen. Sie wurde stärkste Partei, doch wie in Dresden verfehlte sie in den meisten sächsischen Orten, wo sie gegen CDU und LDP hatte antreten müssen, die absolute Mehrheit. Überraschend wurde in vielen Wahlkreisen die LDP zweitstärkste Partei. Von einem Wahlsieg der SED kann nicht gesprochen werden, denn das Ergebnis beschränkte ihren Herrschaftsanspruch. Sie musste unter allen Umständen die geschlossene Oppositionsfront von CDU und LDP verhindern. Beide Parteien blieben nach den Wahlen in die Blockpolitik eingebunden – pro forma an der politischen Mitbestimmung beteiligt, waren sie damit weitgehend von der aktiven Gestaltung der Politik ausgeschlossen. Ihre führenden Politiker gingen mit völlig falschen Vorstellungen an die parlamentarische Arbeit. Selbst wenn Chancen in ihrem einvernehmlichen Zusammengehen gelegen hätten, vergaben sie diese durch Uneinigkeit, es fehlten klare Konfliktgrenzen gegenüber der SED. Deren Repräsentanten instrumentalisierten die Differenzen zwischen den Parteien geschickt zu ihrem Nutzen, sie isolierten die Parteibasis von der jeweiligen Führung und manövrierten oppositionelle Kräfte ins Abseits. Mangelnder politischer Rückhalt der kritischen Funktionäre erleichterte es den Besatzungsoffizieren, sie auszuschalten. Aber auch die Inkaufnahme der repressiven Aspekte der politischen Wirklichkeit zugunsten einer opportunistischen Teilhabe an ihr und die mangelnde Verbundenheit mit den Opfern der Unterdrückung förderte die Durchsetzung der kommunistischen Herrschaft. Für eine parlamentarische Demokratie im westlichen Verständnis gab es keine Chance, weil eine politische Zusammenarbeit mit kompromissunfähigen Kräften ausgeschlossen war. Die Politik der Anpassung erfolgte in vielen Einzelschritten. Zwar zwang der mangelhafte Wahlerfolg die SED, sich wie zuvor auf das Gewaltmonopol der sowjetischen Militärregierung zu stützen, aber die Massenorganisationen ermöglichten eine weitreichende politische Formierung der Bevölkerung. Abweichendes und unerwünschtes Verhalten, Protest, Opposition und Resistenz glaubte die SED mit Hilfe der politischen Geheimpolizei ausreichend kontrollieren zu können. Offiziell gaben CDU und LDP ihre Ansprüche auf eine gleichberechtigte und eigenständige Politikgestaltung erst später auf, zu Satelliten der SED wurden sie bereits 1948. Trotz aller aufgezeigten Grenzen der Beeinflussung und Durchdringung der Gesellschaft erweist der historische Rückblick auf die Nachkriegsjahre deutlich, dass die entscheidenden Weichenstellungen der politischen Transformation – Kontrolle des Verwaltungsapparates, Einrahmung der politischen Parteien, unumkehrbare Eingriffe in die Eigentumsstrukturen – bis zum Sommer 1946 erfolgten. Die weitgehende Zustimmung zum Volksentscheid erwies sich insofern als Glücksumstand für die SED-Führung, weil sie dadurch die Umgestaltung vertiefen und ihre Herrschaft konsolidieren konnte. Auch wenn sich in der Perspektive vieler Zeitgenossen das Jahr 1948 als „Jahr der Entscheidung“ dargestellt haben mag, weil die Versuche zur Organisierung einer parlamentarischen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Opposition endgültig niedergehalten wurden, waren die wichtigsten Entscheidungen längst im Sommer 1946 gefallen. In der Retrospektive bildet die Periode nach dem Volksentscheid eine folgenschwere Konsolidierungsphase der kommunistischen Herrschaft in der SBZ – freilich immer abhängig vom Willen der Besatzungsmacht. Mit ihren sowjetischen Verbündeten im Rücken errichtete die SED Zug um Zug die Einparteienherrschaft. Viele Zeitgenossen setzten nach solchen Erfahrungen die entstehende kommunistische Diktatur mit der überwundenen der Nationalsozialisten gleich. Dies entsprach ihren Wahrnehmungen: Herrschaft einer einzigen Partei über den Staatsapparat, Beschneidung des Rechtssystems und Nichtzulassung demokratischer Institutionen, Installierung eines Terrorsystems. Tatsächlich wies der Vorgang, in dem die KPD/SED die Herrschaft über die Verwaltung errang, neben Übereinstimmungen erhebliche Differenzen zur „Machtergreifung“ von 1933 auf. Der augenfälligste Unterschied bestand in der Tatsache, dass die neuen deutschen Verwaltungsorgane von einer fremden Macht eingesetzt und dauerhaft von ihr gestützt wurden. Die Einschränkung von Freiheitsrechten der deutschen Bevölkerung geschah qua Besatzungsrecht. Die Nationalsozialisten hingegen konnten sich auf eine weitreichende Akzeptanz in der Bevölkerung und anfangs auch auf parlamentarische Mehrheiten stützen. Hier schlug der SED der größte Widerstand entgegen. Die Forderung nach Demokratie konnte sie nur repressiv niederhalten und in Wahlen nicht wieder antreten. Um die Unterdrückung freiheitlicher Regungen nicht prägend werden zu lassen, versuchte sie, die Erinnerung der Zeitgenossen zu besetzen und eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, die auf der ideologisch interpretierten Vergangenheit basierte. Die SED-Führung bediente sich, so eine spätere Formulierung, der „mobilisierenden Kraft“ des Geschichtsbildes und seiner Möglichkeiten, „Parteiverbundenheit, Patriotismus und Internationalismus auszuprägen“.11 Materieller und ideologischer Neuaufbau wurde in der „anti-faschistischen“ Propaganda miteinander verbunden. Das zentrale Motiv der künftigen DDRNationalhymne vorwegnehmend, verlangte der Dresdner Polizeipräsident definitiv den Abriss der Ruinen und die Erbauung einer neuen Stadt. Er wies im Herbst 1946 mit der prägnanten Formulierung, „aber der Semperbau hat überhaupt keinen Sinn und keinen Zweck mehr“, eine Gesamtkonzeption des Wiederaufbaus unter politischen Gesichtspunkten zurück. Hinsichtlich des Opernhauses und der anderen barocken Bauwerke führte er aus: „Sie nützen uns nichts mehr, sie sind unter ganz anderen Voraussetzungen gebaut worden. Semper hat nicht gebaut, wie unsere Stadt aussieht, er hat in unsere Stadt seinen Stil

11

Schlusswort von Ernst Diehl auf der Wissenschaftlichen Konferenz der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Dresden der SED am 26. 5.1983. In: Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung des Bezirkes Dresden, Heft 1, S. 71. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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nur hineingesetzt, hat ihn der Stadt aufzwingen wollen. Dazu war er aber doch nicht groß genug. Aber wenn wir dazu kommen, dass das keine Denkmäler sind, dann müssen wir uns auch diesen Grundsatz zu eigen machen. Dann müssen wir sagen, weg mit diesen Bauten.“12 Der Gedanke der Entsorgung materieller Hinterlassenschaften könnte Menschen unter anderem deswegen fasziniert haben, weil sie sich von dieser Option einen Sprung in die Zukunft erhofften, um der mühseligen geistigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu entkommen. Sie sahen in dem Verdikt des gelernten Tischlers Opitz keine Kompetenzüberschreitung. Seine Vision der neu erbauten Stadt zeigte anstelle des opulenten Barock und verwinkelter Gassen geradlinige Verkehrsachsen und glatte Betonfassaden im Zentrum von Dresden.13 Sollten die überlieferten Spuren der Vergangenheit in der Architektur beseitigt, das Konstrukt der eigenen Traditionslinie unangreifbar in der Erinnerung befestigt und die Erinnerungen an Alternativen in der Geschichte durch den Abbruch von Ruinen ausgelöscht werden?14 Zwischen 1945 und 1948 erschlossen sich den Zeitgenossen die Zusammenhänge der Diktaturdurchsetzung nur teilweise, währenddessen stabilisierte sich die Nachkriegskrise in der Diktatur. Neben anderen Faktoren wirkte der „AntiFaschismus“ bei der Verankerung der kommunistischen Ideologie innerhalb der Gesellschaft in dem Maß als Katalysator, wie die Menschen eine Erkenntnis der Ursachen des Geschehens abwehrten. Die kommunistische Parteiführung bestärkte die Gesellschaft darin, indem sie mittels ihrer angemaßten Deutungshoheit über die Ursachen des Weges in die „deutsche Katastrophe“15 die öffentliche Diskussion der „Schuldfrage“16 wie in den Westzonen blockierte. Aus ihrer Interpretation der Vergangenheit leitete sie die Legitimität ihres Herrschaftsanspruchs ab. Wenn die SED-Führung dabei die Aktivität der Kommunisten in den Anfangsjahren hervorhob, hatte sie die tatsächlich von der Mikroebene ausgehende Veränderungsdynamik im Blick. Überall in der Verwaltung, in der Polizei, in den Betrieben oder in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen bewiesen die Kommunisten eine beachtliche Mobilisierungsfähigkeit und setzten nachhaltig den Transformationsprozess in Gang. Dessen Richtung bestimmte allerdings nur eine kleine Minderheit, eben die Parteiführung, die wiederum das Vorhandensein autochthoner politischer Kräfte aus der Erinnerung tilgen wollte. Niemals gewillt, die Gleichberechtigung der anderen Parteien anzuerkennen, bestand das erklärte Ziel der SED in der Unterwerfung der mit ihr konkurrierenden politischen Kräfte. Ihrer monolithischen Ideologie traten die Parteien 12 SED-Sitzung vom 22.10.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 262). 13 Baupolitische Betrachtungen von Polizeipräsident Opitz zum Neuaufbau Dresdens vom 28.1.1946 (StadtAD, Dezernat Oberbürgermeister 993, Bl. 252). Vgl. hierzu die gegensätzliche Konzeption des Stadtbaurates Herbert Conert, Gedanken über den Wiederaufbau, S. 28 f. 14 Vgl. Buruma, Erbschaft der Schuld, S. 371 ff. 15 Meinecke, Katastrophe. 16 Arendt, Organisierte Schuld; Jaspers, Schuldfrage. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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mit einem demokratischen Selbstverständnis nicht geschlossen gegenüber. Nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD kennzeichnete die Periode der Diktaturdurchsetzung eine charakteristische Handlungsblockade des Demokratisierungspotentials von LDP und CDU und eine nicht überwundene Segmentierung dieser Parteien. Geschickt nutzte die SED Meinungsverschiedenheiten und spielte sie gegeneinander aus. In der Spaltung von Interessenlagen blockierten sich LDP und CDU gegenseitig. Die deutschen Kommunisten kämpften für die Unumkehrbarkeit ihres Umsturzversuchs, die sowjetische Besatzungsmacht bot die Garantie dafür. Mit den von ihr angestoßenen Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verließ die Sowjetunion die gemeinsame Plattform mit den westlichen Alliierten. Sie beschritt einen Sonderweg, der die stets in ihrer Politik enthaltene Option der Abtrennung eines ostdeutschen Teilterritoriums vom Westen und die Gründung eines Separatstaates wahrscheinlicher machte. Im Gegensatz zu den westlichen Alliierten, die sich weitgehend aller Interventionen in die Kompetenzen der demokratisch gewählten deutschen Entscheidungsträger enthielten, griff die sowjetische Besatzungsmacht massiv in sämtliche Belange der von ihr eingesetzten Behörden wie der gewählten Körperschaften ein. Die Einmischung der Besatzungsoffiziere ermöglichte die Transformation der nationalsozialistischen in eine kommunistische Diktatur. Jenseits von staats- und verwaltungsrechtlichen Zäsuren wie der Staatsgründung im Jahr 1949 und der Auflösung der Länder 1952 erfolgte die Trennung der SBZ vom Westen durch die irreversible Entwicklung bis Ende 1948. Die irreführend „antifaschistischdemokratische Umwälzung“ genannte Veränderung der Gesellschaft und ihrer traditionellen Werte konnte lange Zeit als erforderliche Reform verbrämt werden. Dabei besaß sie von Anbeginn alle Merkmale einer antidemokratischen Revolution, dies nahmen die Betroffenen jedoch erst im Verlauf ihrer eigenen Erfahrungen mit der Besatzungsherrschaft wahr.

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X.

Anhang

1.

Unveröffentlichte Quellen

Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) Bestand SMAS (f. 7212) Informationsabteilung (op. 1) d. 227; d. 229; d. 230

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) Nachlass Wilhelm Koenen NY 4074 168; 175 Nachlass Hermann Matern NY 4076 50; 51; 52 Nachlass Otto Schön NY 4077 1; 4; 36 Nachlass Otto Buchwitz NY 4095 46; 56 Nachlass Anton Ackermann NY 4109 5; 10; 13 Nachlass Fritz Selbmann NY 4113 16 Erinnerungen Fritz Selbmann SgY 30 1098/2 Nachlass Kurt Fischer NY 4172 Band 5 Nachlass Walter Ulbricht NY 4182 855; 876 Nachlass Richard Gladewitz NY 4505 Band 2 SPD (SBZ) DY 28 II/3/4/1 SED (Sachsen) DY 30 IV/2/5/220; DY 30 IV/2/5/4994 DY 30 IV/2/602/15; DY 30 IV/2/602/49; DY 30 IV/2/602/59; DY 30 IV/2/ 602/61 KPD Bezirk Sachsen RY 1 I 3/8–10/172; RY 1 I 3/8–10/186 OdF DY 54 V 277/1/1; VVN Landesverband Sachsen DY 55–V 278/2/29; DY 55–V 278/4/36; DY 55–V 278/4/54; DY 55–V 278/4/ 58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle DC 1/119; DC 1–2632 Antifaschistische Freiheitsbewegung Breslau SgY 26/1

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStAD) Bestand Bezirksleitung der KPD I/A/001; I/A/007; I/A/016; I/A/022; I/A/030; I/A/031; I/A/032; I/A/033; I /A/043; I/B/019/1; I/B/124 Bestand Landesgruppe der SPD II/A/1.002.1; II/A/1.006; II/A/1.007; II/A/2.010 Bestand Aktions- und Arbeitsgemeinschaft der KPD/SPD III/005; III/009 Bestand SED-Landesleitung Sachsen A/754; A/778; A/779; A/921; A/2097 Bestand Erinnerungen, Nachlässe, SED-Kaderakten V/2.03.002; V/2.041.002; V/2.052.017; V/2.052.018; V/2.052.054; V/2.052.055; V/2.052.059; V/2.052.062; V/2.052.065; V/2.052.066; V/2.052.067; V/2.052.116; V/2.052.132; V/2.052.152 V/6.219 V/454; V/581 Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden VdN-Akte Hermann Eckardt 1224 VdN-Akte Hildegard Lehmann 4561 VdN-Akte Hans Neuhof N 9/4726 Bestand Landesbehörde der Volkspolizei (LBdVP) 1; 9; 11; 38; 42; 114; 355; 357; 359; 367; 368; 369; 370; 378; 388; 390; 393; 395; 396; 398 Bestand Landesregierung Sachsen, Ministerium des Innern (LRS MdI) 263; 2024; 2033; 2034; 2038 Bestand Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge 6 Bestand Staatsanwaltschaft Dresden (StAW Dresden) 580; 682; 1061; 1062

Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) Bestand CDU Landesverband Sachsen III-035 001; 006; 022; 040; 061; 093; 153; 203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Unveröffentlichte Quellen

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Archiv des Deutschen Liberalismus (ADL) Bestand LDPD Landesverband Sachsen L5 261; 265; 307; 334; 365; 375 Bestand LDPD Kreisverband Dresden 4480; 9151 Bestand LDPD NL Dieckmann 18487; 18538; 18542

Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) Bestand SPD-Ostbüro 0311 C SBZ-Projekt Interview Hans Pawlowitsch

Archiv der BStU MfS-AS 6/60 Band 4; MfS-AS 229/66 Band 1; MfS-AS 229/66 Band 2; MfS-AS 229/66 Band 3; MfS-AS 400/66

Bundesarchiv, Zwischenarchiv Dahlwitz Hoppegarten ZA 789/54 ZA VI 4245; ZA VI 4282; ZA VI 4283;

Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz (SStAC) Bestand SED-Bezirksparteiarchiv Karl-Marx-Stadt V/7/603

Landeskirchenarchiv Dresden Bestand 2 64; 313; 20572 Band 1

Stadtarchiv Dresden (StadtAD) Bestand Archiv IG „13. Februar 1945“ e. V. Bericht 0319 Handschriften 0019 Interviews J0022; J0039; J0045; J0046; J0057 Schriftliche Berichte 0036; 0044; 0201; 0209; 0219 Schriftverkehr Herta Baumgärtel 004; 008; 024; 030; 058; 060 Bestand Bezirksverwaltung I 10; 19; 27; 32; 37; 51; 52; 53; 54; 55; 60; 72; 73; 77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Bestand Bezirksverwaltung II B/I/10 Bestand Bezirksverwaltung III 1; 5; 10; 12; 13; 15; 23; 25; 26; 28; 32; 48; 52; 54; 55; 56; 57 Bestand Bezirksverwaltung IV D/I/3; D/IV/15b; D/IV/18 Bezirksverwaltung V E/IV/15 Band 1; E/IV/17 Band 1; E/X/5 Bestand Bezirksverwaltung VI F/I/2h; F/I/2i; F/I/17 Band I; F/I/17 Band III; F/I/17a; F/I/17a Band I; F/I/ 26/d; F/IV/10; F/IV/12; F/IX/6; Bezirksverwaltung VII G/I/30; G/IX/1; G/IX/2; G/XI/1 Stadtbauamt A Nachtrag III Dezernat Aufbau 11; 58; 72; 159 Dezernat Finanzen 4; 12; 18; 24; 38; 43; 45; 58; 60; 66; 69; 110; 237; 363; 439 Dezernat Gesundheitswesen 5; 23; 79 Dezernat Innere Verwaltung 1; 2; 3; 4; 5; 12; 24; 30; 62; 64; 86; 95; 96; 98; 100; 101; 102; 103; 105; 106; 114; 117; 122; 141; 142; 143; 144; 145a; 148 B 815; G 541; R 473; W 554; W 940 Dezernat Handel und Versorgung 85; 94; 102 Dezernat Oberbürgermeister 1; 21; 22; 34; 56; 57; 58; 59; 61; 62; 63; 64; 65; 66; 67; 68; 69; 74; 78; 79; 80; 82; 97; 123; 124; 125; 126; 132; 235; 237; 288; 305; 306; 308; 309; 321; 322; 324; 334; 335; 363; 376; 377; 391; 392; 554; 650; 651; 652; 653; 668; 792; 827; 828; 882; 961; 962; 964; 966; 968; 970; 976; 978; 981; 986; 993; 994; 995; 1000; 1003; 1008; 1010; 1012; 1013; 1014; 1027; 1032; 1033; 1035; 1036; 1039; 1050; 1078; 1079; 1080; 1081; 1082 Dezernat Sozial- und Wohnungswesen 6; 42; 84; 121; 123 Dezernat Volksbildung 225; 290 Dezernat Wirtschaft und Arbeit 53; 55; 82; 83; 85; 86 Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.1/1 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Gedruckte Quellen und Erinnerungen

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Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt Dresden, Provenienz Abt. Sozialismus 311.01.2 Ratsprotokolle 4 Ausschüsse der Stadtverordnetenversammlung 4

2.

Gedruckte Quellen und Erinnerungen

Ackermann, Anton: Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus? In: Bucher, Nachkriegsdeutschland, S. 111–133. Agsten, Rudolf/Bogisch, Manfred: Dokumente zur Gründung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands 1945. In: ZfG, 19 (1971), S. 1274–1288. Amtliche Nachrichten der Landesverwaltung Sachsen, 1. Jahrgang – Nr. 3. Andreas-Friedrich, Ruth: Schauplatz Berlin. Tagebuchaufzeichnungen 1945–1948, Frankfurt a. M. 1986. Badstübner, Rolf / Loth, Wilfried (Hg.): Wilhelm Pieck – Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, Berlin 1994. Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland. Aus dem Stab der sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Sammelheft 1, 1945, Berlin (Ost) 1946; Sammelheft 2, Januar bis Juni 1946, Berlin 1946. Beginn eines neuen Lebens. Eine Auswahl von Erinnerungen an den Beginn des Neuaufbaus in Dresden im Mai 1945. Hg. vom Museum für Geschichte der Dresdner Arbeiterbewegung, Dresden 1960. Berichte der Landes- und Provinzialverwaltungen zur antifaschistisch-demokratischen Umwälzung 1945/46. Quellenedition, Berlin (Ost) 1989. Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hg. von Eberhard Bethge, München 1954. Bonwetsch, Bernd/Bordjugow, Gennadij/Naimark, Norman M. (Hg.): Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949. Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung (Informationsverwaltung) der SMAD unter Sergej Tjul’panow, Bonn 1997. Borsdorf, Ulrich / Niethammer, Lutz (Hg.): Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdienstes über Positionen und Strukturen deutscher Politik 1945, Wuppertal 1976. Bouvier, Beatrix W./Schulz, Horst-Peter (Hg.): „... die SPD aber aufgehört hat zu existieren“. Sozialdemokraten unter sowjetischer Besatzung, Bonn 1991. Bräuer, Alfred: Im Antifaschistischen Ausschuß arbeiteten wir eng zusammen. In: Wenn wir brüderlich, S. 87 f. Bucher, Peter: Nachkriegsdeutschland 1945–1949, Darmstadt 1990. Buchwitz, Otto: Brüder, in eins nun die Hände, Berlin (Ost) 1956. –: Vereint und einig sind wir stärker! In: Wenn wir brüderlich, S. 59–74. Conert, Herbert: Gedanken über den Wiederaufbau Dresdens. Vortrag am 22.11. 1945, Dresden 1947. – /Pollack, Rudolf: In Dresden wird gebaut und das Gewerbe arbeitet wieder. Arbeitsberichte der Dezernate Bauwesen und Gewerbewesen beim Rat der Stadt Dresden, Dresden 1946. Deutscher, Isaac: Reportagen aus Nachkriegsdeutschland, Hamburg 1980. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

Diehl, Ernst: Schlußwort. In: Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung, Heft 1, S. 70–76. Dietrich-Smolorz, Charlotte: Episoden aus dem ersten Jahr des Neubeginns. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 174–187. Dietze, Gerhard: Der Kampf um die Schaffung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in Dresden 1945–1946 (Kurzer Abriß). In: Wenn wir brüderlich, S. 5–53. Doernberg, Stefan: Die Geburt eines Neuen Deutschland 1945–1949. Die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und die Entstehung der DDR, Berlin (Ost) 1959. –: Fronteinsatz. Erinnerungen eines Rotarmisten, Historikers und Botschafters, Berlin 2004. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 1, Mai 1945–April 1946. Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1959. Enzensberger, Hans Magnus (Hg.): Europa in Ruinen. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944–1948, München 1987. Erler, Peter/Laude, Horst/Wilke, Manfred (Hg.): „Nach Hitler kommen wir“. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berlin 1994. Ernst, Ewald: Ein guter Kampf. Fakten, Daten, Erinnerungen 1945–1954, Sankt Augustin 1998. Feurich, Walter: Lebensbericht eines Dresdner Gemeindepfarrers, Berlin (Ost) 1982. Förster, Rudolf: Erfahrungen und Ergebnisse bei der Erforschung, Darstellung und Propagierung der Geschichte der Stadt Dresden. In: Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung, Heft 1, S. 55–59. Förster, Wieland: Die Ungleichen – In der Nacht der Verhöre. In: Förster, Wieland: Grenzgänge. Zwei Texte mit einem Essay von Walter Jens, Berlin 1995, S. 7–110. Foitzik, Jan: Fragen der sowjetischen Außenpolitik nach dem zweiten Weltkrieg. Aus dem Referat von A. A. Zdanov auf der Gründungskonferenz des Kominform vom 22. bis 27. September 1947. In: ZfG, 41 (1993), S. 329–335. –: Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945–1949. Offene Serie, München 1995. –: „Über die Frage, inwieweit die selbständige Existenz der sowjetischen Zone zweckmäßig ist, muss schnellstmöglich entschieden werden.“ Gutachten aus der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland vom Dezember 1946 mit Bearbeitungsvermerken von Marschall Sokolowski. In: DA, 36 (2003), S. 428–446. Friedrich, Armin / Friedrich, Thomas (Hg.): Ausgewählte Dokumente zur Deutschen Geschichte. Politische Parteien und gesellschaftliche Organisationen der sowjetischen Besatzungszone 1945–1949, Berlin 1992. Friedrichs, Rudolf: Das Parlament als höchstes Staats- und Kontrollorgan. In: Einheit, 1 (1947), S. 30–34. Frölich, Elsa/Gute, Erna: Der erste Händedruck. In: Wenn wir brüderlich, S. 59– 62.

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Gedruckte Quellen und Erinnerungen

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Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung des Bezirkes Dresden, Heft 1. Wissenschaftliche Konferenz der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Dresden der SED am 26. Mai 1983. Hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Dresden der SED 1983. Gesetze/Befehle, Verordnungen, Bekanntmachungen der Landesverwaltung Sachsen, Sonderausgabe 31. 5.1946, S. 1–8. In: Gesetz- und Verordnungsblatt Land Sachsen, Band VI. Glondajewski, Gertrud / Rossmann, Gerhard: Ein bedeutendes politisches Dokument des illegalen antifaschistischen Kampfes der Kommunistischen Partei Deutschlands. In: BzG, 8 (1966), S. 644–675. Gniffke, Erich W.: Jahre mit Ulbricht. Reprint, Köln 1990. Gottwald, Hans: Wie die Konzernherren der Zeiss-Ikon AG vertrieben wurden. In: Jahrbuch 1981 zur Geschichte Dresdens, S. 42–50. Grube, Eduard: Gegen Krankheit und Not für neues Leben. Arbeitsbericht des Dezernats Gesundheitswesen beim Rat der Stadt Dresden, Dresden 1946. Handbuch für die Land- und Kreistagswahlen 1946. Hg. vom Landesvorstand Sachsen der SED, Dresden 1946. Hering, Günter: Die Sprengung der Carolabrücke am 7. Mai. In: Dresdner Hefte, 41 (1995), S. 53 ff. Hoch, Karl-Ludwig: Ende und Anfang in Dresden – aus dem Tagebuch eines Sechzehnjährigen. In: Dresdner Hefte, 41 (1995), S. 63–66. Hohmann, Joachim S.: Der „Euthanasie“-Prozeß Dresden 1947. Eine zeitgeschichtliche Dokumentation, Frankfurt a. M. 1993. Ihmels, Werner: Im Räderwerk zweier Diktaturen. Werner Ihmels 1926–1949. Hg. von Folkert Ihmels, Leipzig 1999. Kaden, Felix: Der historische Vereinigungsparteitag in Sachsen. In: Wenn wir brüderlich, S. 98–100. Kaiser, Jakob: Rede, Auszug, 16. 6.1946. In: Bucher, Nachkriegsdeutschland, S. 179–191. Keiderling, Gerhard (Hg.): „Gruppe Ulbricht“ in Berlin. April bis Juni 1945. Von den Vorbereitungen im Sommer 1944 bis zur Wiedergründung der KPD im Juni 1945. Eine Dokumentation, Berlin 1993. Kleine Dresden-Chronik 1945–49. Hg. vom Institut und Museum für Geschichte der Stadt Dresden, Dresden 1971. Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942– 1945, Band 2, Berlin 1995. –: So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1945– 1949, Band 1, Berlin 1999. Klönne, Arno (Hg.): Jugendkriminalität und Jugendopposition im NS-Staat. Ein sozialgeschichtliches Dokument. Hg. und eingeleitet von Arno Klönne, Münster 1981 [Kriminalität und Gefährdung der Jugend. Lagebericht bis zum Stande vom 1. Januar 1941. Hg. vom Jugendführer des Deutschen Reiches. Bearbeitet von Bannführer W. Knopp unter Mitarbeit von Stammführer Amtsgerichtsrat Dr. Rätz]. Koenen, Wilhelm: Unser jahreslanges Ringen im Sinne des Marxismus-Leninismus trug seine Früchte. In: Wenn wir brüderlich, S. 75–81. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

–: „Mit gesammelter Kraft tritt die Arbeiterklasse auf den Plan!“ (Aus der Rede von Wilhelm Koenen, Politischer Sekretär der KPD-Bezirksleitung Sachsen, auf dem Vereinigungsparteitag der KPD und SPD des Landes Sachsen am 7. April 1946). In: Jahrbuch 1976 zur Geschichte Dresdens, S. 38–43. Lebenszeichen. Dresden im Luftkrieg 1944/45. Hg. von der Interessengemeinschaft „13. Februar 1945“ e. V., 2. überarbeitete und erweiterte Auflage Dresden 1994. Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955. Leppi, Richard: Aktionseinheit im Betrieb. In: Wenn wir brüderlich, S. 85 f. Löscher, Walter: Zur Geschichte des Vereinigungsprozesses von KPD und SPD zur SED im heutigen Bezirk Dresden (1945–1946). Dokumentensammlung, Dresden 1976. März, Peter (Bearbeiter): Dokumente zu Deutschland 1944–1994. Hg. von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2. Auflage München 2000. Malycha, Andreas: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Rede Otto Grotewohls am 11. November 1945. In: BzG, 34 (1992), S. 167–184. –: Auf dem Weg zur SED. Die Sozialdemokratie und die Bildung einer Einheitspartei in den Ländern der SBZ. Eine Quellenedition, Bonn 1996. Matern, Hermann: Gedanken nach 20 Jahren. Rede im Kurhaus am 21. April 1965. In: BzG, 7 (1965), S. 598–605. –: Im Mai 1945 begannen wir mit dem Aufbau eines neuen Deutschlands. In: Vereint sind wir alles. Erinnerungen an die Gründung der SED. Mit einem Vorwort von Walter Ulbricht, Berlin (Ost) 1966. –: „Wir vollziehen die Vereinigung beider Parteien freudig, weil wir eine höhere Einheit herstellen!“ (Nach der Niederschrift der Rede von Hermann Matern, Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD, auf dem letzten Bezirksparteitag der KPD am 6. April 1946). In: Jahrbuch 1976 zur Geschichte Dresdens, S. 31–34. –: So fing die neue demokratische Verwaltung an. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 5–16. –: Die Partei wies uns den Weg. In: Wir sind die Kraft, S. 33–48. Mischnick, Wolfgang: Von Dresden nach Bonn. Erlebnisse – jetzt aufgeschrieben, Stuttgart 1991. Neuhof, Hans: Unsere Parole: Dableiben. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 63–66. Nollau, Günther: Das Amt. 50 Jahre Zeuge der Geschichte, München 1978. Opitz, Max: Die ersten Schritte im Aufbau der deutschen Volkspolizei in Dresden. In: Wir sind die Kraft, S. 283–302. Padover, Saul K.: Lügendetektor. Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45, Frankfurt a. M. 1999. Plenikowski, Anton: Entnazifizierung in Deutschland. In: Demokratischer Aufbau, 3 (1948), S. 75 f. Rainer Fetscher. Gedenkschrift der Technischen Universität Dresden aus Anlaß des 100. Geburtstages, Dresden 1996. Richtlinien der SED für die Kommunalpolitik in Deutschland. Mit einer Einführung von Max Fechner, Berlin (Ost) 1948. Rodimzew, Alexander I.: Die letzten Kriegstage. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 93–104. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Gedruckte Quellen und Erinnerungen

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Rößler, Ruth-Kristin (Hg.): Entnazifizierungspolitik der KPD / SED 1945–1948. Dokumente und Materialien, Goldbach 1994. Rothe, Lya/Woitinas, Erich: Hermann Matern. Aus seinem Leben und Wirken, Berlin (Ost) 1981. Rulc, Siegfried: Unvollständige Chronik 1945–1950. Ein Tagebuch zur Werwolf-Legende. 3. ergänzte Auflage Berlin 1999. Schröder, Otto: Der Kampf der SED in der Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheids in Sachsen. Februar bis 30. Juni 1946. Mit einem Dokumentenanhang, Berlin (Ost) 1961. Schulmann, Ilja B.: Verhandlungen um die Kapitulation Dresdens. In: Jahrbuch 1980 zur Geschichte Dresdens, S. 24 ff. Schwerin, Kerrin Gräfin: Frauen im Krieg. Briefe, Dokumente, Aufzeichnungen, Berlin 1999. Seidel, Jürgen J.: Aus den Trümmern 1945. Personeller Wiederaufbau und Entnazifizierung in der evangelischen Kirche der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Einführung und Dokumente, Göttingen 1996. Seifert, Manfred/Weineck, Hans: Zur Erforschung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes im Bezirk Dresden 1933–1945 (Aus der Arbeit der Geschichtskommissionen). In: Jahrbuch 1974 zur Geschichte Dresdens, S. 74–78. Selbmann, Fritz: Anfänge der Wirtschaftsplanung in Sachsen. In: BzG, 14 (1972), S. 76–82. Seydewitz, Max: Die unbesiegbare Stadt. Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden, Vierte verbesserte Auflage Berlin (Ost) 1961. –: Es hat sich gelohnt zu leben. Lebenserinnerungen eines alten Arbeiterfunktionärs, Band 2, Berlin (Ost) 1978. Simonow, Konstantin: Ich sah das Vernichtungslager, Berlin (Ost) 1946. Solowjow, Alexander A.: Meine ersten Eindrücke als Politstellvertreter des Stadtkommandanten. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 105–111. Sozialdemokratische Partei des Landes Sachsen: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Landes-Parteitages, abgehalten am 7., 8. und 9. Oktober 1945 in Dresden (Freital), Dresden o. J. Sparing, Rudolf: Der Tod von Dresden. Ein Leuchtzeichen des Widerstandes. In: Facsimile Querschnitt durch „Das Reich“ (Deutsche Wochenzeitung), eingeleitet von Harry Pross. Hg. von Hans Dieter Müller, Bern o. J., S. 204 f. Spiridonow, Ilja I.: Erinnerungen an meine Tätigkeit in Dresden. In: Wehner, Dresden 1945, S. 23–33. Stein, Franz: Die Gegner der Vereinigung erhielten eine Abfuhr! In: Wenn wir brüderlich, S. 92 ff. Süß, Jutta: Die Russen kommen – Aus dem Tagebuch 1945. In: Das apokalyptische Jahr – Erinnerungsberichte. Dresdner Hefte, 41 (1995), S. 55–60. Suckut, Siegfried: Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1949. Die Sitzungsprotokolle des zentralen Einheitsfront-Ausschusses. Quellenedition, Köln 1986. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hg. von Elke Fröhlich. Teil II: Diktate 1941–1945, Band 14, München 1996. Tjulpanow, Sergej: Deutschland nach dem Kriege (1945–1949). Erinnerungen eines Offiziers der Sowjetarmee. Hg. und mit einem Nachwort von Stefan Doernberg, Berlin (Ost) 1986. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

Tjulpanow, Sergej Iwanowitsch: Die Rolle der SMAD bei der Demokratisierung Deutschlands. In: ZfG, 15 (1967), S. 240–252. Ulbricht, Walter: Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. 1933–1946, Band II, Berlin (Ost) 1963. –: Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen. 1933–1946, Band II/I, Berlin (Ost) 1966. Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945–1949, Berlin (Ost) 1968. Unauslöschlich. Erinnerungen an das Kriegsende 1945. Ein Lesebuch. Hg. von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Dresden 1995. Vonnegut, Kurt: Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug. 18. Auflage Hamburg 2000. Wagner, Otto: Probleme der Ernährung und Versorgung nach dem Kriege. Arbeitsbericht des Dezernats Versorgungswesen beim Rat der Stadt Dresden, Dresden 1946. –: Das erste Brot. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 67–70. Die Wahlen in der Sowjetzone. Dokumente und Materialien. Hg. vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, 6. erweiterte Auflage Bonn 1964. Wahlfälschungen, Wahlbeeinflussungen, Wahlbehinderungen in der sowjetischen Besatzungszone 1946–1950. Dokumente und Tatsachen. Hg. vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, o. O. o. J. Waks, Anatoli B.: Erinnerung an den Vereinigungsparteitag der KPD und SPD in Sachsen. In: Jahrbuch 1976 zur Geschichte Dresdens, S. 46 f. –: Proletarischer Internationalismus in Aktion. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 231–255. Was wurde bisher getan? Hefte 2–7. Hg. vom Rat der Stadt Dresden, Nachrichtenamt, Dresden 1946/47. Weber, Hermann (Hg.): DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1985, München 1986. Weidauer, Walter: Neue Wege der Kommunalpolitik, Dresden 1948. –: Inferno Dresden. Über Lügen und Legenden um die Aktion „Donnerschlag“, 3. durchgesehene Auflage Berlin (Ost) 1966. –: Hermann Matern und Otto Buchwitz – zwei hervorragende Funktionäre der Arbeiterklasse. In: Wehner, Kampfgefährten – Weggenossen, S. 141–154. –: Otto Buchwitz – wie ich ihn kannte. In: Jahrbuch 1974 zur Geschichte Dresdens, S. 53–56. –: Kameradschaftliche Zusammenarbeit war oberstes Gesetz. In: Wenn wir brüderlich, S. 88–91. –: Mein Freund, der Kommandant. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 34–38. Welz, Helmut: Gas, Wasser und Strom für die ganze Stadt. Arbeitsbericht des Dezernats Technik und Kommunale Betriebe beim Rat der Stadt Dresden, Dresden 1946. –: Die Stadt, die sterben sollte, Berlin (Ost) 1972. Wenn wir brüderlich uns einen. Der Kampf um die Schaffung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in Dresden. Hg. vom Museum für Geschichte der Dresdner Arbeiterbewegung, Dresden 1961. Werner, Alfred: Eine wichtige Etappe auf dem Wege zur Vereinigung – die Konferenz der Dreitausend. In: Wenn wir brüderlich, S. 95–98. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Literatur

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–: Wie wir mit dem Neuaufbau begannen. In: Beginn eines neuen Lebens, S. 71–76. Wille, Manfred (Hg.): Die Vertriebenen in der SBZ, DDR. Dokumente. Hg. und eingeleitet von Manfred Wille unter Mitarbeit von Steffi Kaltenborn, 1. Ankunft und Aufnahme 1945, Wiesbaden 1996. Wir erlebten die historische Stunde. Erinnerungen an den Vereinigungsparteitag der KPD und SPD in Sachsen. In: Jahrbuch 1976 zur Geschichte Dresdens, S. 44–50. Wir sind die Kraft. Der Weg zur Deutschen Demokratischen Republik. Erinnerungen. Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1959. Zimmermann, Fritz: Brief von Otto Buchwitz an Berliner SPD-Funktionäre, 16. März 1946. In: BzG, 33 (1991), S. 235–238. Zum Höchsten der Menschheit. Chronik zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes im Bezirk Dresden 1933–1945. Hg.: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Bezirksleitung Dresden/Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung/Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR – Bezirkskomitee Dresden, Dresden 1977.

3.

Literatur

Adam, Cornelia: Vergewaltigungen in Dresden nach 1945. In: Dresdner Hefte, 53 (1998), S. 60–64. –: Wiederaufbau und Entwicklung des Gesundheitswesens in Sachsen 1945–1947. Diss., Dresden 2003. Adorno, Theodor W.: Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse zum Gruppenexperiment. In: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften Band 9. 2. Soziologische Schriften II. Zweite Hälfte, Frankfurt a. M. 1975, S. 121–324. Agethen, Manfred: Der Widerstand der demokratischen Kräfte in der CDU gegen den Gleichschaltungsdruck von sowjetischer Besatzungsmacht und SED, 1945– 1952. In: Fischer/Agethen, CDU, S. 21–44. Althus, Alfred / Gräfe, Karl-Heinz / Kriegenherdt, Fritz / Wehner, Helfried: Antifaschistischer Widerstandskampf, Befreiung und demokratischer Neubeginn in Ostsachsen, Dresden 1985. Altrichter, Helmut: Ein- oder mehrdeutig? Ziele und Konzeptionen sowjetischer Deutschlandpolitik 1945/46. In: Mehringer/Schwartz/Wentker, Erobert oder befreit?, S. 47–69. Arendt, Hannah: Organisierte Schuld. In: Die Wandlung, I (1945/46), Heft 4, S. 333–344. –: Besuch in Deutschland, Berlin 1993. –: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, 5. Auflage München 1996. Arlt, Kurt: Die militärische und ökonomische Entwaffnung in Sachsen 1945 bis 1948. In: MGM, 52 (1993), S. 371–409. –: Sowjetische (russische) Truppen in Deutschland. In: Diedrich, Torsten/Ehlert, Hans/Wenzke, Rüdiger (Hg.): Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998, S. 593–632. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

Arndt, Ino/Scheffler, Wolfgang: Organisierter Massenmord an Juden in nationalsozialistischen Vernichtungslagern. Ein Beitrag zur Richtigstellung apologetischer Literatur. Mit einer Vorbemerkung von Martin Broszat. In: Bracher, Karl Dietrich/Funke, Manfred/Jacobsen, Hans-Adolf (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945. Eine Bilanz, Bonn 1983, S. 539–571. Assmann, Aleida/Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945, Stuttgart 1999. Auerbach, H.: Die Organisation des „Werwolf“. In: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Band I, Stuttgart 1958, S. 353 ff. –: Arbeitserziehungslager 1940–1944, mit besonderer Berücksichtigung der im Befehlsbereich des Inspekteurs der Sicherheitspolizei und des SD Düsseldorf liegenden, speziell des Lagers Hunswinkel bei Lüdenscheid. In: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Band II, Stuttgart 1966, S. 196–201. Aufarbeitung und Versöhnung. Zur Arbeit der Enquete-Kommission „Leben in der DDR, Leben nach 1989 – Aufarbeitung und Versöhnung“. Anträge, Debatten, Berichte, Band I. Hg. vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 2. Auflage Schwerin 1996. Bader, Karl S.: Soziologie der deutschen Nachkriegskriminalität, Tübingen 1949. Badstübner, Rolf: Vom „Reich“ zum doppelten Deutschland. Gesellschaft und Politik im Umbruch, Berlin 1999. Badstübner-Peters, Evemarie: „... aber stehlen konnten sie ...“Nachkriegskindheit in der Sowjetischen Besatzungszone. In: MKF, 33 (1993), S. 233–272. Balzk, Reinhard: Zwangsarbeiter in Dresden, mit einer Dokumentation zum Geschehen im Stadtrat Dresden im Februar 2001, Dresden 2001. Bankier, David: Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat. Die „Endlösung“ und die Deutschen. Eine Berichtigung, Berlin 1995. Barbian, Jan-Pieter: „Zwischen Gestern und Morgen“. Zur Einführung in einen Tagungsband über eine widersprüchliche Epoche. In: Barbian/Heid, Kriegsende und Wiederaufbau, S. 9–31. – /Heid, Ludger (Hg.): Zwischen Gestern und Morgen. Kriegsende und Wiederaufbau im Ruhrgebiet, Essen 1995. Barkai, Avraham: Volksgemeinschaft, „Arisierung“ und der Holocaust. In: Herzig, Arno/Lorenz, Ina (Hg.): Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 133–152. Barnouw, Dagmar: Ansichten von Deutschland (1945). Krieg und Gewalt in der zeitgenössischen Photographie, Basel 1997. Bauer, Theresia: Krise und Wandel der Blockpolitik und Parteineugründungen 1948. In: Hoffmann/Wentker, Das letzte Jahr der SBZ, S. 65–83. Baumgartner, Gabriele/Hebig, Dieter (Hg.): Biographisches Handbuch der SBZ/ DDR 1945–1990, Band 1, München 1996, Band 2, München 1997. Baumgartner, Marianne: Frauen in der „Umbruchszeit“ 1944–1946. In: Bezemek / Rosner, Niederösterreich 1945, S. 191–214. Baus, Ralf: Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands in Sachsen 1945. In: HPM, 2 (1995), S. 83–117. Baus, Ralf Thomas: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone 1945 bis 1948. Gründung – Programm – Politik, Düsseldorf 2001. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Literatur

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–: Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in Sachsen zwischen Widerstand und Gleichschaltung 1945–1952. In: Behring / Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 129–146. Beck, Stefan von der: Die Konfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949, Frankfurt a. M. 1996. Beevor, Antony: Berlin 1945. Das Ende, München 2002. Behring, Rainer: Demokratische Außenpolitik für Deutschland. Die außenpolitischen Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten im Exil 1933–1945, Düsseldorf 1999. –: Massenaufmärsche, Arbeitseinsatz, Hausvertrauensleute. Die Mobilisierung der Bevölkerung am Beispiel Chemnitz. In: Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 371–409. –: Das Kriegsende in Sachsen. In: Vollnhals, Sachsen in der NS-Zeit, S. 224–238. –: Die Zukunft war nicht offen. Instrumente und Methoden der Diktaturdurchsetzung in der Stadt: Das Beispiel Chemnitz. In: Hilger/Schmeitzner/Schmidt, Instrumente und Methoden, S. 155–168. – /Schmeitzner, Mike (Hg.): Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, Köln 2003. – /– (Hg.): Einleitung. In: Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 7–24. Belling, Dirk: Die Entwicklung der polizeilichen Aufgaben und Befugnisse der Gemeinden in Sachsen, Frankfurt a. M. 2000. Bender, Klaus: Deutschland, einig Vaterland? Die Volkskongreßbewegung für deutsche Einheit und gerechten Frieden in der Deutschlandpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Frankfurt a. M. 1992. Benser, Günter: Antifa-Ausschüsse – Staatsorgane – Parteiorganisation. Überlegungen zu Ausmaß, Rolle und Grenzen der antifaschistischen Bewegungen am Ende des Zweiten Weltkrieges. In: ZfG, 26 (1978), S. 785–802. Benz, Wolfgang: Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, 3. Auflage München 1994. – (Hg.): Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949/55, Berlin 1999. Bergander, Götz: Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte, Zerstörung, Folgen, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage Weimar 1994. –: Prägende Jahre. Erlebnisse und Erkenntnisse eines jungen Mannes in Dresden 1945–1949. In: Dresdner Geschichtsbuch Band 3. Hg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 1997, S. 131–146. –: Vom Gerücht zur Legende. Der Luftkrieg über Deutschland im Spiegel von Tatsachen, Erlebter Geschichte, Erinnerung, Erinnerungsverzerrung. In: StammKuhlmann, Thomas / Elvert, Jürgen / Aschmann, Birgit / Hohensee, Jens (Hg.): Geschichtsbilder. Festschrift für Michael Salewski zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2003, S. 591–616. Bessel, Richard: „Besonders schwierig ... weltanschaulich zu schulen“. Volkspolizistinnen in der SBZ und frühen DDR 1945–1952. In: Fürmetz/Reinke/Weinhauer, Nachkriegspolizei, S. 155–167. –: Grenzen des Polizeistaates. Polizei und Gesellschaft in der SBZ und frühen DDR, 1945–1953. In: Bessel/Jessen, Grenzen der Diktatur, S. 224– 252. – /Jessen, Ralph (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Anhang

Bezemek, Ernst / Rosner, Willibald (Hg.): Niederösterreich 1945 – Südmähren 1945. Zugleich Verbindendes und Trennendes an der Grenze V, Holabrunn, 4.–7. Juli 1994. Die Vorträge des vierzehnten Symposiums des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Wien 1996. Biefang, Andreas: Die Wiedererstehung politischer Parteien in Deutschland nach 1945. In: APuZG, (1995) B 18–19, S. 34–46. Bliembach, Eva: Flugblattpropaganda des Nationalkomitees „Freies Deutschland“. In: Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 488–494. Boberach, Heinz: Die Stimmung in Deutschland im letzten Kriegsjahr. In: Bezemek /Rosner, Niederösterreich 1945, S. 19–31. Bode, Bernard: Liberal-Demokraten und die „deutsche Frage“. Zum politischen Wandel einer Partei in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zwischen 1945 und 1961, Frankfurt a. M. 1997. Boldorf, Marcel: Sozialfürsorge in der SBZ/DDR 1945–1953. Ursachen, Ausmaß und Bewältigung der Nachkriegsarmut, Stuttgart 1998. Boll, Friedhelm: Auf der Suche nach Demokratie. Britische und deutsche Jugendinitiativen in Niedersachsen nach 1945, Bonn 1995. Bonwetsch, Bernd: Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949. Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung (Informationsverwaltung) der SMAD unter Sergej Tjul’panow. Einführung für die deutsche Ausgabe. In: Bonwetsch/Bordjugow/Naimark, Dokumente der Propagandaverwaltung, S. XIX–LV. Boog, Horst (Hg.): Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich, Herford 1993. –: Strategischer Luftkrieg in Europa und Reichsluftverteidigung 1943 bis 1944. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 7. Hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 2001, S. 1–415. Borgstedt, Angela: Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951. Politische Säuberung im Spannungsfeld von Besatzungspolitik und lokalpolitischem Neuanfang, Konstanz 2001. Bouvier, Beatrix: Antifaschistische Zusammenarbeit, Selbständigkeitsanspruch und Vereinigungstendenz. Die Rolle der Sozialdemokratie beim administrativen und parteipolitischen Aufbau in der sowjetischen Besatzungszone 1945 auf regionaler und lokaler Ebene. In: AfS, 16 (1976), S. 417–468. –: Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996. –: Forschungen zur DDR-Geschichte. Aspekte ihrer Konjunktur und Unübersichtlichkeit. In: AfS, 38 (1998), S. 555–590. Bracher, Karl Dietrich/Funke, Manfred/Jacobsen, Hans-Adolf (Hg.): Deutschland 1933–1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, 2. Auflage Bonn 1993. Bramke, Werner: Neuordnung der Nachkriegsverhältnisse in Ostdeutschland aus dem Geist des Widerstandes. In: Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 582–596. – /Heß, Ulrich (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft in Sachsen im 20. Jahrhundert, Leipzig 1998. Braun, Günter: Die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone im Spiegel der Forschung. In: JHK, 1995, S. 275–306. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Literatur

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–: Was wollten die Russen eigentlich? Neue Forschungen zur sowjetischen Besatzungspolitik in Deutschland. In: JHK, 1999, S. 340–391. –: „Schleichende Stalinisierung“. Neue Literatur zu den politischen Weichenstellungen in der Vor- und Frühgeschichte der DDR. In: JHK, 2000/ 2001, S. 472–483. –: Wahlen und Abstimmungen. Der Volksentscheid in Sachsen am 30. Juni 1946. In: Broszat/Weber, SBZ-Handbuch, S. 381–432. –: Die Delegiertenwahlen zum 3. Deutschen Volkskongreß. In: Scherstjanoi, Provisorium, S. 362–368. –: Zur Entwicklung der Wahlen in der SBZ/DDR 1946–1950. In: Weber, Parteiensystem, S. 545–562. Brenner, Hans: KZ-Zwangsarbeit während der NS-Zeit im Dresdner Raum. In: Vorträge und Forschungsberichte. 4. Kolloquium zur dreibändigen Dresdner Stadtgeschichte 2006 vom 18. März 2000, Dresden 2000, S. 53–62. Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998. Broszat, Martin/Fröhlich, Elke (Hg.): Bayern in der NS-Zeit II. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, München 1979. – /Weber, Hermann (Hg.): SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, 2. unveränderte Auflage München 1993. Buchheim, Christoph: Kriegsfolgen und Wirtschaftswachstum in der SBZ / DDR. In: Geschichte und Gesellschaft, Heft 4/1999, S. 515–529. Buchheim, Hans: Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“. In: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Band II, Stuttgart 1966, S. 189–195. Buchstab, Günter/Gotto, Klaus (Hg.): Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten, München 1990. Buddrus, Michael: Anmerkungen zur Jugendpolitik der KPD 1945/46. In: Mehringer/Schwartz/Wentker, Erobert oder befreit?, S. 287–336. Buruma, Ian: Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan, Reinbek bei Hamburg 1996. Buschfort, Wolfgang: Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000. Conze, Werner: Jakob Kaiser. Politiker zwischen Ost und West 1945–1949, Stuttgart 1969. Creuzberger, Stefan: Die Liquidierung antifaschistischer Organisationen in Berlin. Ein sowjetisches Dokument. In: DA, 26 (1993), S. 1266–1278. –: Opportunismus oder Taktik? Ernst Lemmer, die sowjetische Besatzungsmacht und der Umgang mit neuen „Schlüsseldokumenten“. In: Richter, Michael/Rißmann, Martin (Hg.): Die Ost-CDU. Beiträge zu ihrer Entstehung, Weimar 1995, S. 37–46. –: „Klassenkampf in Sachsen“. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) und der Volksentscheid am 30. Juni 1946. In: HPM, 2 (1995), S. 119–130. –: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ, Weimar 1996. – / Görtemaker, Manfred (Hg.): Gleichschaltung unter Stalin? Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944–1949, Paderborn 2002. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

444

Anhang

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Fischer, Alexander: „Antifaschistisch-demokratischer“ Neubeginn 1945. Sowjetische Deutschlandpolitik am Ende des „Dritten Reiches“. In: DA, 8 (1975), S. 362–374. –: Der Einfluß der SMAD auf das Parteiensystem in der SBZ am Beispiel der CDUD. In: DA, 26 (1993), S. 265–272. –: Ideologie und Sachzwang. Kriegswirtschaft und „Ausländereinsatz“ im südostsächsischen Elbtalgebiet. In: Fremd- und Zwangsarbeit in Sachsen. Beiträge eines Kolloquiums in Chemnitz am 16. April 2002. Hg. vom Sächsischen Staatsministerium des Innern, Halle 2002, S. 12–26. – / Agethen, Manfred: Die CDU in der sowjetisch besetzten Zone / DDR 1945– 1952, Sankt Augustin 1994. – /Rißmann, Martin: Deutschland als Gegenstand alliierter Politik (1941–1949). In: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Hg. vom Deutschen Bundestag, Band II Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Frankfurt a. M. 1995, S. 1301–1349. Foitzik, Jan: Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945– 1949. Struktur und Funktion, Berlin 1999. –: Zum Verhältnis zwischen SED und Besatzungsmacht: Konkordanz und Dissidenz. In: Hoffmann/Wentker, Das letzte Jahr der SBZ, S. 55–64. Frauen erzählen. In: Sander/Johr, Befreier und Befreite, S. 83–95. Frei, Norbert: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, 4. Auflage München 1996. Freyberg, Jutta von/Bromberger, Barbara/Mausbach, Hans (Hg.): „Wir hatten andere Träume“. Kinder und Jugendliche unter der NS-Diktatur, Frankfurt a. M. 1995. Fricke, Karl Wilhelm: Widerstand und Opposition von 1945 bis Ende der fünfziger Jahre. In: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Hg. vom Deutschen Bundestag, Band VII Möglichkeiten und Formen abweichenden und widerständigen Verhaltens und oppositionellen Handelns, die friedliche Revolution im Herbst 1989, die Wiedervereinigung Deutschlands und Fortwirken von Strukturen und Mechanismen der Diktatur, Frankfurt a. M. 1995, S. 15–26. Fried, Johannes: Erinnerung und Vergessen. Die Gegenwart stiftet die Einheit der Vergangenheit. In: Historische Zeitschrift, 273 (2001), S. 561–593. Friedrich, Jörg: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945, 2. Auflage München 2002. Frölich, Jürgen (Hg.): „Bürgerliche“ Parteien in der SBZ/DDR. Zur Geschichte von CDU, LDP(D), DBD und NDPD 1945–1953, Köln 1994. Fromme, Friedrich Karl: Zur inneren Ordnung in den westlichen Besatzungszonen 1945 bis 1949. In: VfZ, 10 (1962), S. 206–223. Fürmetz, Gerhard/Reinke, Herbert/Weinhauer, Klaus (Hg.): Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945–1969, Hamburg 2001. Füssl, Karl-Heinz: Die Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945–1955, Paderborn 1994. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Gaertner, Horst: Materielle Versorgung und das Versorgungssystem in der SBZ / DDR 1945 bis 1961/63. Diss., Bochum 1991. Garner, Curt. Öffentlicher Dienst. In: Benz, Deutschland, S. 141–150. Gellately, Robert: Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft. Die Durchsetzung der Rassenpolitik 1933–1945, Paderborn 1993. Gerhardt, Uta: Charismatische Herrschaft und Massenmord im Nationalsozialismus. Eine soziologische These zum Thema der freiwilligen Verbrechen an Juden. In: Geschichte und Gesellschaft, Heft 4/1998, S. 503–538. Geulen, Christian/Tschuggnall, Karoline (Hg.): Aus einem deutschen Leben. Lesarten eines biographischen Interviews, Tübingen 2000. Goldenbogen, Nora: „Man wird keinen von ihnen wiedersehen“. Die Vernichtung der Dresdner Juden 1938–1945. In: Heer, Im Herzen der Finsternis, S. 92–109. Gotschlich, Helga: Reifezeugnis für den Krieg. Abiturienten des Jahrgangs 39 erinnern sich, Berlin 1990. Gottberg, Bernd: Die Gründung und die ersten Jahre der NDPD 1948–1954. In: Frölich, Parteien in der SBZ/DDR, S. 73–87. Gräfe, Karl-Heinz/Wehner, Helfried: Als Dresden neu geboren wurde. Die Befreiung des heutigen Bezirkes Dresden durch die ruhmreiche Sowjetarmee (Erarbeitet von einem wissenschaftlichen Studentenzirkel an der Pädagogischen Hochschule „K. F. W. Wander“), Dresden 1967. – /–: Die führende Rolle der KPD beziehungsweise SED beim Aufbau der Grundlagen der antifaschistisch-demokratischen Staatsmacht. Dargestellt am Beispiel des damaligen Landes Sachsen von April / Mai 1945 bis zum Herbst 1946. In: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, 13 (1971), S. 307–328. – /–: Zur Politik der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen. Die Zusammenarbeit zwischen den sowjetischen Besatzungsorganen und der Landesverwaltung Sachsens 1945 bis 1947. In: ZfG, 23 (1975), S. 897–907. – /–: Die Hilfe der sowjetischen Militärorgane bei der beginnenden antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in Sachsen. In: Militärgeschichte, 24 (1985), S. 214–225. Greiner, Bernd: „Zwiespältiger denn je.“ Victor Klemperers Tagebücher im Jahr 1945. In: Heer, Im Herzen der Finsternis, S. 144–151. –: 200 Tage ... In: 200 Tage, S. 9–45. Gries, Rainer: Die Rationengesellschaft. Versorgungskampf und Vergleichsmentalität: Leipzig, München und Köln nach dem Kriege, Münster 1991. Groehler, Olaf: Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 412. –: Verfolgten- und Opfergruppen im Spannungsfeld der politischen Auseinandersetzungen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen demokratischen Republik. In: Danyel, Jürgen (Hg.): Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S. 17–30. Großbölting, Thomas: SED-Diktatur und Gesellschaft. Bürgertum, Bürgerlichkeit und Entbürgerlichung in Magdeburg und Halle, Halle/Saale 2001. Grunenberg, Antonia: Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbek 1993. Gryglewski, Marcus: Zur Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Dresden 1933–1945. In: Haase, Norbert/Jersch-Wenzel, Stefi/Simon, Hermann (Hg.): Die Erinnerung hat ein Gesicht. Fotografien und Dokumente zur nationalsozialistischen Judenverfolgung in Dresden 1933–1945. Bearbeitet von Marcus Gryglewski, Leipzig 1998, S. 87–150. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

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Literatur

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Koselleck, Reinhart: Erinnerungsschleusen und Erfahrungsschichten. Der Einfluß beider Weltkriege auf das soziale Bewusstsein. In: Koselleck, Reinhart: Zeitschichten. Studien zur Historik, mit einem Beitrag von Hans-Georg Gadamer, Frankfurt a. M. 2000, S. 265–284. Kowalczuk, Ilko-Sascha: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997. – /Wolle, Stefan: Roter Stern über Deutschland. Sowjetische Truppen in der DDR, Berlin 2001. Kraushaar, Luise: Zur Tätigkeit und Wirkung des „Deutschen Volkssenders“ (1941–1945). In: BzG, 6 (1964), S. 116–133. Krippendorff, Ekkehart: Die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands in der SBZ 1945/48. Entstehung, Struktur, Politik, Düsseldorf 1959. Krone, Andreas: Plauen 1945 bis 1949 – vom Dritten Reich zum Sozialismus. Entnazifizierung und personell-struktureller Umbau in kommunaler Verwaltung, Wirtschaft und Bildungswesen. Diss., Chemnitz 2001. Kubina, Michael: „In einer solchen Form, die nicht erkennen läßt, worum es sich handelt ...“ Zu den Anfängen der parteieigenen Geheim- und Sicherheitsapparate der KPD/SED nach dem Zweiten Weltkrieg. In: IWK, 3 (1996), S. 340–374. Kunz, Andreas: Die Wehrmacht in der Agonie der nationalsozialistischen Herrschaft 1944/45. Eine Gedankenskizze. In: Hillmann/Zimmermann, Kriegsende 1945, S. 97–114. Lange, Thomas: Hessen. In: Benz, Deutschland, S. 399–402. Laufer, Jochen: „Genossen, wie ist das Gesamtbild?“ Ackermann, Ulbricht und Sobottka in Moskau im Juni 1945. In: DA, 29 (1996), S. 355–371. Laufer, Jochen: Die UdSSR und die deutsche Währungsfrage 1944–1948. In: VfZ, 46 (1998), S. 455–485. –: Die SED und die Wahlen (1948–1950). In: Scherstjanoi, Provisorium, S. 101– 124. Leissner, Gustav: Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Eine kritische Würdigung aus gesamtdeutscher Sicht, Stuttgart 1961. Lemberg, Hans: Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Resümee einer Diskussion. In: Lemberg, Hans (Hg.): Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien, Marburg 1991, S. 357–366. Lemke, Michael: Die Sowjetisierung der SBZ/DDR im ost-westlichen Spannungsfeld. In: APuZG, (1997) B 6, S. 41–53. – (Hg.): Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der SBZ / DDR (1945–1953), Köln 1999. Lerm, Matthias: Abschied vom alten Dresden. Verluste historischer Bausubstanz nach 1945, Leipzig 1993. Lindner: Helmut: Die Kamera- und Photoindustrie in Dresden von den 1920er Jahren bis zur Wende. In: Dresdner Geschichtsbuch 7. Hg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2001, S. 157–180.

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Anhang

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–: Zur Einsicht bomben? Die Zerstörung Dresdens in der Luftkrieg-Strategie des Zweiten Weltkriegs. In: Pommerin, Reiner (Hg.): Dresden unterm Hakenkreuz, Köln 1998, S. 227–245. –: Zwischen Anpassung und Widerstand. Zum 100. Geburtstag von Prof. Dr. Rainer Fetscher. In: Rainer Fetscher, S. 15–29. Possekel, Ralf: Sowjetische Lagerpolitik in Deutschland. Einleitung. In: Mironenko, Sergej (Hg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, Band 2 Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, eingeleitet und bearbeitet von Ralf Possekel, Berlin 1998, S. 15–110. Potthoff, Heinrich: Zum Umgang mit den Akten eines diktatorischen Systems. In: DA, 27 (1994), S. 337–339. Poutrus, Kirsten: Von den Massenvergewaltigungen zum Mutterschutzgesetz. Abtreibungspolitik und Abtreibungspraxis in Ostdeutschland, 1945–1950. In: Bessel/Jessen, Grenzen der Diktatur, S. 170–198. Prieß, Benno: Erschossen im Morgengrauen. Verhaftet, gefoltert, verurteilt, erschossen. „Werwolf“-Schicksale mitteldeutscher Jugendlicher, Calw 1997. Prinz, Josef: „... und alle sind wieder in die Kirche gegangen.“ Niederösterreich 1945: Rekonstruktion und Deutung – Ein Versuch. In: Bezemek/Rosner, Niederösterreich 1945, S. 307–364. Rabl, Kurt: Die Durchführung der Demokratisierungsbestimmungen des Potsdamer Protokolls in der sowjetrussischen Besatzungszone Deutschlands und später in der DDR. In: Zeitschrift für Politik, 17 (1970), S. 246–319. Rahne, Hermann: „Die Festung Dresden“ von 1945. In: Kriegsschauplatz Sachsen 1945. Daten, Fakten, Hintergründe, o. O. 1995, S. 6–27. Raschka, Johannes: Sowjetisierung in der Region. Die Sowjetische Militäradministration in Sachsen 1945–1949. In: Osteuropa, (2001), Heft 11/12, S. 1453–1469. –: Kaderlenkung durch die Sowjetische Militäradministration in Sachsen. In: Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 51–78. Rauh-Kühne, Cornelia: Die Entnazifizierung und die deutsche Gesellschaft. In: Archiv für Sozialgeschichte, 35/1995, S. 35–70. Reemtsma, Jan Philipp: ... und ein Jahrhundert. In: 200 Tage, S. 46–73. Reibe, Axel: Kommunalpolitik an einem schwierigen Ort. Die acht Bezirke von Berlin (Ost) nach 1945. In: Unverhau, Dagmar (Hg.): Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch 1991 des Landesarchivs Berlin, Berlin 1991, S. 175–242. Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Frankfurt a. M. 1999. Reichert, Friedrich: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. In: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, S. 40–62. Reichert, Friedrich: Zur Rezeptionsgeschichte des 13. Februar 1945. In: Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, S. 150–161. Reif-Spirek, Peter/Ritscher, Bodo (Hg.): Speziallager in der SBZ. Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Berlin 1999. Reinke, Herbert: „Ordnung, Sicherheit und Hilfe“. Die Anfänge der Volkspolizei in den sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden 1945–1947. In: Fürmetz / Reinke/Weinhauer, Nachkriegspolizei, S. 51–70.

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460

Anhang

Starke, Holger: Vom Werkstättenareal zum Industriegelände. Die Entwicklung des Industriegebietes an der Königsbrücker Straße in Dresden von der Entstehung der Albertstadt bis zur Auflösung der Industrieanlagen Nord (1873–1952). In: Dresdner Geschichtsbuch 5. Hg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 1999, S. 150–198. –: Eingemeindungen in Dresden – ein historischer Überblick. In: Dresdner Geschichtsbuch 6. Hg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2000, S. 7–44. Steinbach, Lothar: DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik. Anmerkungen zu unterschiedlichen Forschungsansätzen und kontroversen Bewertungen. In: APuZG, (1998) B 45, S. 31–44. Steinborn, Norbert/Krüger, Hilmar: Die Berliner Polizei 1945–1992. Von der Militärreserve im Kalten Krieg auf dem Weg zur bürgerlichen Polizei? Berlin 1993. Steiner, André: Zwischen Länderpartikularismus und Zentralismus. Zur Wirtschaftslenkung in der SBZ bis zur Bildung der Deutschen Wirtschaftskommission im Juni 1947. In: APuZG, (1993) B 49–50, S. 32–39. Steinert, Marlies G.: Deutsche im Krieg: Kollektivmeinungen, Verhaltensmuster und Mentalitäten. In: Bracher/Funke/Jacobsen, Neue Studien, S. 474–487. Steiniger, Rolf: Die Alliierten und Deutschland 1945–1948. In: APuZG, (1998) B 32–33, S. 3–12. Stößel, Frank Thomas: Positionen und Strömungen in der KPD/SED 1945–1954, Köln 1985. Stöver, Bernd: Volksgemeinschaft im Dritten Reich. Konsensbereitschaft der Deutschen aus der Sicht sozialistischer Exilberichte, Düsseldorf 1993. –: Loyalität statt Widerstand. Die sozialistischen Exilberichte und ihr Bild vom Dritten Reich. In: VfZ, 45 (1995), S. 437–471. Suckut, Siegfried: Die Betriebsrätebewegung in der sowjetischen Besatzungszone (1945–1948), Frankfurt a. M. 1982. –: Die LDP(D) in der DDR. Eine zeitgeschichtliche Skizze. In: APuZG, (1996) B 16–17, S. 31–38. Sywottek, Arnold: Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD 1935–1946, Düsseldorf 1971. Szepansky, Gerda: „Blitzmädel“, „Heldenmutter“, „Kriegerwitwe“. Frauenleben im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1987. Tantzscher, Monika: Die Vorläufer des Staatssicherheitsdienstes in der Polizei der Sowjetischen Besatzungszone. Ursprung und Entwicklung der K 5. In: JHK, 1998, S. 125–156. Tatzkow, Monika/Henicke, Hartmut: Zur Praxis der „Enteignungen der Naziaktivisten und Kriegsverbrecher“ in der SBZ. In: Zeitschrift für offene Vermögensfragen, 1992, S. 182–189. Thöns, Kerstin: Krise ohne Zukunft? Die Jugendfürsorge in der SBZ im Spannungsfeld kommunistischer Programmatik 1945/46. In: Mehringer/Schwartz/Wentker, Erobert oder befreit?, S. 337–347. Thonfeld, Christoph: „Die Grenze erkennen ... ist Sache des politischen Instinkts“. Anzeige und Denunziation in der Sowjetischen Besatzungszone am Beispiel Thüringens. In: Denunziation im 20. Jahrhundert. Zwischen Komparatistik und Interdisziplinarität. Hg. von Inge Marszolek und Olaf Stieglitz, Historical Sozial Research Nr. 2/3. Sonderheft, 26 (2001), S. 86–101. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Literatur

461

Thüsing, Andreas: Landesverwaltung und Landesregierung in Sachsen 1945–1952, Frankfurt a. M. 2000. Timm, Angelika: Der Streit um Restitution und Wiedergutmachung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. In: Babylon, Heft 10–11/1992, S. 125– 138. Timm, Elisabeth: Die letzten Schüsse in Reutlingen. Erzählungen über das Kriegsende in einer süddeutschen Kleinstadt. In: Hillmann/Zimmermann, Kriegsende 1945, S. 203–219. Tischner, Wolfgang: Wohlfahrtspflege zwischen den Diktaturen: Caritas, Innere Mission und Volkssolidarität in SBZ und früher DDR. In: Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 349–369. Tittmann, Rainer: Die Herausbildung und Entwicklung revolutionär-demokratischer Machtorgane in Dresden von Mai bis Juli 1945. In: Sächsische Heimatblätter, 26 (1980), S. 136–143. Traverso, Paola: Victor Klemperers Deutschlandbild. Ein jüdisches Tagebuch. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, 26 (1997), S. 307–344. Ueberschär, Gerd R.: Dresden 1945 – Symbol für Luftkriegsverbrechen. In: Wette, Wolfram / Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 382–396. Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. Die Zerstörung Dresdens 1945. Hg. vom Stadtmuseum Dresden, Dresden 1994. Vermehren, Isa: Reise durch den letzten Akt. Ein Bericht (10. 2. 44 bis 29. 6. 45), Hamburg 1946. Vollnhals, Clemens: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945–1949. Die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, München 1989. – (Hg.): Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991. –: Entnazifizierung. Politische Säuberung unter alliierter Herrschaft. In: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Ende des dritten Reiches – Ende des zweiten Weltkrieges, München 1995, S. 369–392. – (Hg.): Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002. –: Politische Säuberung als Herrschaftsinstrument: Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone. In: Hilger/Schmeitzner/Schmidt, Instrumente und Methoden, S. 127–138. Vorsteher, Dieter (Hg.): Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, München, Berlin 1997. Wagner, Andreas: Mutschmann gegen von Killinger. Konfliktlinien zwischen Gauleiter und SA-Führer während des Aufstiegs der NSDAP und der „Machtergreifung“ im Freistaat Sachsen, Beucha 2001. Walter, Franz: Freital: Das „Rote Wien Sachsens“. In: Walter, Franz/Dürr, Tobias / Schmidtke, Klaus: Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora, Bonn 1993, S. 39–181. Weber, Gerda: Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD). In: Broszat/Weber, SBZ-Handbuch, S. 691–713. Weber, Hermann (Hg.): Parteiensystem zwischen Demokratie und Volksdemokratie. Dokumente und Materialien zum Funktionswandel der Parteien und Massenorganisationen in der SBZ/DDR 1945–1952, Köln 1982. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

462

Anhang

–: Herausbildung und Entwicklung des Parteiensystems der SBZ / DDR. In: APuZG, (1996) B 16–17, S. 3–11. Wehner, Helfried: Die Befreiung Dresdens vom Faschismus und die Tätigkeit der Organe der Sowjetischen Militäradministration (Zur Einführung). In: Wehner, Dresden 1945, S. 7–22. – (Hg.): In Dresden 1945. Beiträge ehemaliger Offiziere der Sowjetarmee über ihre Tätigkeit in Dresden nach der Befreiung der Stadt vom Faschismus, Dresden 1970. –: Die Unterstützung der sowjetischen Militärorgane für die deutschen Antifaschisten im Mai 1945 in Sachsen. In: ZfG, 18 (1970), S. 513–526. – (Hg.): Kampfgefährten – Weggenossen. „Erinnerungen deutscher und sowjetischer Genossen an die ersten Jahre der antifaschistisch demokratischen Umwälzung in Dresden“. In Zusammenarbeit mit Anatoli B. Waks, Berlin (Ost) 1974. –: Dresden in den ersten Jahren des revolutionären Umwälzungsprozesses und die Hilfe der Sowjetunion. In: ders., Kampfgefährten – Weggenossen, S. 16–92. Weinke, Annette: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969 oder: eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2002. –: Dem „Klassengegner“ hingegeben? Die Dresdner Prozesse gegen das SA-Wachpersonal des „Schutzhaft“-Lagers Hohnstein. In: Haase/Sack, Münchner Platz, S. 153–170. Weinmann, Martin (Hg.): Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfurt a. M. 1990. Welsh, Helga A.: Revolutionärer Wandel auf Befehl? Entnazifizierungs- und Personalpolitik in Thüringen und Sachsen (1945–1948), München 1989. –: „Antifaschistisch-demokratische Umwälzung“ und politische Säuberung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. In: Henke / Woller, Säuberung in Europa, S. 84–107. Welzer, Harald: Das Interview als Artefakt. Zur Kritik der Zeitzeugenforschung. In: BIOS 13, 1/2000, S. 51–63. –: Krieg der Generationen. Zur Tradierung von NS-Vergangenheit und Krieg in deutschen Familien. In: Naumann, Klaus (Hg.): Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, S. 552–571. –: Das gemeinsame Verfertigen von Vergangenheit im Gespräch. In: Welzer, Gedächtnis, S. 160–178. – (Hg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001. –: Was ist das autobiographische Gedächtnis und wie entsteht es? In: BIOS 15, 2/2003, S. 169–186. – /Moller, Sabine/Tschuggnall, Karoline: „Opa war kein Nazi.“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Unter Mitarbeit von Olaf Jensen und Torsten Koch, Frankfurt a. M. 2002. – /Montau, Robert/Plaß, Christine: „Was wir für böse Menschen sind!“ Der Nationalsozialismus im Gespräch zwischen den Generationen, Tübingen 1997. Wendt, Bernd Jürgen: Deutschland 1933–1945. Das „Dritte Reich“, Handbuch zur Geschichte, Hannover 1995. Wentker, Hermann: Justiz in der SBZ/DDR 1945–1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen, München 2001. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Literatur

463

Werkentin, Falco: „Die Todesstrafe wird mittels Fallbeil in einem umschlossenen Raum vollzogen.“ Der Münchner Platz als Hinrichtungsstätte 1952–1956. In: Haase/Sack, Münchner Platz, S. 199–211. Wettig, Gerhard: Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische DeutschlandPolitik 1945–1955, München 1999. –: Stalins Politik gegenüber dem besetzten Deutschland. In: Behring /Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung, S. 27–50. –: Stalins Deutschland-Politik 1945–1949 vor dem Hintergrund seines Vorgehens im Osten Europas. In: Creuzberger/Görtemaker, Gleichschaltung, S. 15–44. –: Kontrastprogramm „antifaschistisch-demokratische Ordnung“: Sowjetische Ziele und Konzepte. In: Oberreuter/Weber, Demokratiegründung in Deutschland, S. 101–123. Widera, Thomas: Begrenzte Herrschaft. Die Durchsetzung der Diktatur in der Dresdner Stadtverordnetenversammlung 1946–1948. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 72 (2001), S. 161–213. Wilde, Manfred: Die SBZ-CDU 1945–1947. Zwischen Kriegsende und kaltem Krieg, München 1998. Wilke, Manfred: Kommunismus in Deutschland und Rahmenbedingungen politischen Handelns nach 1945. Zur Einführung. In: Wilke, Anatomie, S. 13–48. – (Hg.): Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998. Willenbacher, Barbara: Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegsfamilie. In: Broszat/Henke/Woller, Von Stalingrad zur Währungsreform, S. 595–618. Wirsching, Andreas: Nationalsozialismus in der Region. Tendenzen der Forschung und methodische Probleme. In: Möller, Horst/Wirsching, Andreas/Ziegler, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996, S. 25–46. Wolkow, Wladimir K.: Die deutsche Frage aus Stalins Sicht (1947–1952). In: ZfG, 48 (2000), S. 20–49. Woller, Hans: Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986. Zarusky, Jürgen: Bemerkungen zur russischen Archivsituation. In: VfZ, 41 (1993), S. 139–147. Zeidler, Erich: Justiz und Politik zwischen Dresden und Berlin. Johannes Dieckmann, Justizminister in Sachsen 1948 bis 1952. In: Justiz in Sachsen. Prozesse, Personen, Gebäude. Sächsische Justizgeschichte Band 2, Dresden 1994, S. 96–132. Zeidler, Stephan: Entstehung und Entwicklung der Ost-CDU 1945–1989. Zum Wandlungs- und Gleichschaltungsprozeß einer Blockpartei. In: APuZG, (1996) B 16–17, S. 22–30. Ziegelmeyer, Walter: Drei Jahre Ernährung in der Ostzone, Berlin (Ost) 1948. Zillig, Hans: In der Mitarbeit gewachsen und gereift. Zur Geschichte des Landesverbandes Sachsen der CDU (1945–1952), Heiligenstadt 1975. Zimmermann, John: Die Kämpfe gegen die Westalliierten 1945 – Ein Kampf bis zum Ende oder Kreierung einer Legende? In: Hillmann/Zimmermann, Kriegsende 1945, S. 115–133.

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464

Anhang

Zschaler, Frank: Die vergessene Währungsreform. Vorgeschichte, Durchführung und Ergebnisse der Geldumstellung in der SBZ 1948. In: VfZ, 45 (1997), S. 191–223. 200 Tage und ein Jahrhundert. Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945. Hg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg 1995.

4.

Abkürzungen

Abt. ACDP ADL AdsD AfS AG APuZG BDM BIOS BL Bl. BPA BStU BzG CDU CSV d. DA DBD DC DDP DDR DFD Diss. DPD DVdI DVP DWK f. FDGB FDJ GARF Gestapo

Abteilung Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Archiv des Deutschen Liberalismus Archiv der sozialen Demokratie Archiv für Sozialforschung Aktiengesellschaft Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ Bund Deutscher Mädel Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen Bezirksleitung Blatt Bezirksparteiarchiv Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Christlich-Demokratische Union Christlich-Soziale Volkspartei delo (Sache, Akte) Deutschland Archiv Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Christen Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Dissertation Demokratische Partei Deutschlands Deutsche Verwaltung des Innern Deutsche Volkspartei Deutsche Wirtschaftskommission fond (Bestand) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Gosudarstvennyi Archiv Rossijskoj Federacii (Staatsarchiv der Russischen Föderation) Geheime Staatspolizei © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

Abkürzungen GlavPURKKA GmbH GPU HA Hg. HJ HPM HZ IG IHK IWK JCS JHK K5 KJVD KL Kominform Komintern KPD KPdSU(B) KZ l. LBdVP LDP(D) LRS MdI MdL MdR MfS MGM Mio. MKF MP NDPD NKFD NKWD NL Nr. NSDAP NSDStB NSFK NSKK NSV

465

Glavnoe političeskoe upravlenie Raboče-krestjanskoj Krasnoj Armii (Politische Hauptverwaltung der Roten Arbeiter und Bauernarmee) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gosudarstvennoe političeskoe upravlenie (Staatliche politische Verwaltung) Hauptabteilung Herausgeber Hitler-Jugend Historisch-Politische Mitteilungen Historische Zeitschrift Interessengemeinschaft Industrie- und Handelskammer Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Joint Chiefs of Staff Jahrbuch für historische Kommunismusforschung Kommissariat 5 Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kreisleitung Kommunistisches Informationsbüro Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Konzentrationslager list (Blatt) Landesbehörde der Volkspolizei Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landesregierung Sachsen Ministerium des Innern Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstags Ministerium für Staatssicherheit Militärgeschichtliche Mitteilungen Millionen Mitteilungen aus der kulturgeschichtlichen Forschung Ministerpräsident National-Demokratische Partei Deutschlands Nationalkomitee Freies Deutschland Narodnyi komissariat vnutrennich del (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR) Nachlass Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistisches Fliegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps Nationalsozialistische Volkswohlfahrt © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525369012 — ISBN E-Book: 9783647369013

466 o. D. OdF o. J. o. O. op. Pg PPA RM SA SächsHStAD SAG SAJ SAP SAPMO-BArch SBZ SD SED SMAD SMAS SMT SPD SS SStAC StadtAD StAW TH UdSSR USPD VdgB VdN VfZ VVN ZfG ZK

Anhang ohne Datum Opfer des Faschismus ohne Jahr ohne Ort opis (Verzeichnis) Parteigenosse der NSDAP Personal-Politische Abteilung Reichsmark Sturmabteilung Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Sowjetische Aktiengesellschaft Sozialistische Arbeiterjugend Sozialistische Arbeiterpartei Bundesarchiv Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetische Militäradministration in Sachsen Sowjetisches Militärtribunal Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz Stadtarchiv Dresden Staatsanwaltschaft Technische Hochschule Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Verfolgte des Naziregimes Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentralkomitee

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Personenregister

5.

467

Personenregister

Ackermann, Anton 21, 54, 76, 89, 102, 104–107, 147, 148, 155, 187, 260, 359, 417 Adam, Wilhelm 374 Albrecht, Karl 89, 246, 247, 249–253, 255, 256

Fischer, Otto 116 Förster, Wieland 376, 377 Friedrichs, Rudolf 88–90, 93, 94, 96–99, 111, 112, 114–116, 119, 188, 233, 253, 288, 309, 318, 358, 359 Frölich, Elsa 78, 79, 82, 87

Barthel, Erich 280, 360 Bischoff, Karl 353 Brill, Hermann 88 Buchwitz, Otto 21, 111–114, 118, 119, 159, 233, 241, 242, 262, 265, 268, 271, 276, 277, 282, 328, 353

Gäbler, Walther 116 Gärtner, Paul 112 Gennys, Helmut 219, 220 Gilsa, Werner Albrecht Freiherr von 51, 52 Gladewitz, Richard 21 Glaser, Erich 77, 101, 108 Glöckner, Gertrud 353 Gorochow, Sergej F. 60, 61 Goslar, Erich 97, 361 Greif, Heinrich 86, 87, 89 Große, Fritz 99, 227, 272 Grotewohl, Otto 261, 352 Grube, Eduard 89 Gruhler, Friedrich 361, 373 Grundig, Lea 42 Grundig, Max 42 Gruner, Paul 335, 353 Guderian, Heinz 31 Gute, Herbert 108

Christmann, Gerhard 158 Churchill, Winston 67, 342 Conert, Herbert 361 Dämmig, Fritz 79, 80, 82 Datscheff 310 Dieckmann, Johannes 21, 120, 122, 126, 130, 131, 139, 235, 237 Dietrich-Smolorz, Charlotte 69–71, 360, 375, 388 Dobberke, Fritz 360 Dobrowolsky (Generalmajor) 61 Dölitzsch, Clemens 110–114, 254, 256, 265, 268, 269, 278, 334, 340, 341, 356, 362 Donth, Otto 388 Dubrowski, Dimitri 62, 173 Eckardt, Hermann 54, 88, 94, 106 Edel, Herbert 394 Ellgering, Theodor 37 Fenske, Elsa 87, 89, 111, 224 Fetscher, Rainer 44, 54 Findeisen, Alfred 116 Fischer, Kurt 21, 82, 83, 86–89, 96–100, 112, 115, 121, 132, 136, 164, 172, 173, 178, 209, 215, 216, 250–252, 255, 288, 306, 334, 343, 406, 409, 417

Hahn, Hugo 372 Haufe, Arno 114, 119, 241, 254, 265, 268, 269, 278 Heinicke, Fritz 115 Hennig, Arno 110, 119, 262, 266, 269, 278, 279, 370, 417 Hennig, Richard 388 Hermes, Andreas 140, 232, 236, 292 Hickmann, Hugo 119, 120, 122, 128, 131, 138, 140, 235, 375 Hofmann, Arthur 229 Hörmann, Friedrich 388, 404 Hübner, Hans 361 Ihmels, Werner 131, 376

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Personenregister

468 Jermolajew, Wsewolod A. 372

Kaden, Felix 113 Kaiser, Jakob 345, 372, 377 Kästner, Erich 25, 39, 41 Kastner, Hermann 120, 122, 123, 373 Kirsch, Ludwig 138 Klemperer, Victor 26–28, 31–33, 35, 50, 143, 158, 193, 231, 269, 286, 334, 353, 366, 412, 413 Kluge, Ferdinand Rudolf 52, 53 Koenen, Wilhelm 21 Konjew, Iwan 98 Körner, Olga 101, 108, 244, 353 Krill, Alfred 356 Kultschunow 189 Külz, Wilhelm 232, 371 Kunath, Arthur 97, 340

Meier, Albert 115 Meinecke, Werner 117, 332, 372 Meißner, Gerhard 89, 97 Mielke, Erich 409 Mikojan, Anastas 288 Mischnick, Wolfgang 130, 356, 372, 373, 380 Mitzei 310 Müller, Arthur 361, 371, 374–376 Müller, Johannes 96–98, 122–124, 234, 241, 243, 253–256, 263, 319 Mutschmann, Martin 51–53 Naumann, Friedrich 131 Nehls, Otto 159 Neuhof, Hans 70, 71, 92, 170, 189 Nienhaus, Peter 71, 92 Nitzsche, Paul 403 Nollau, Günther 367, 371 Nuschke, Otto 373

Lau, Franz 141, 332 Lebedenko, N. F. (Generalleutnant) 60, 61, 100 Lehmann, Hildegard 388 Leißner, Gustav 269, 330–332, 340, 343, 358, 360 Lemmer, Ernst 372 Leonhard, Wolfgang 90, 219 Leppi, Richard 243, 265, 272, 315, 324, 330 Lerner, Daniel 138 Ljubiansky 351

Opitz, Max 107, 188–190, 193–195, 197, 209, 213, 221–224, 227, 230, 268, 283, 323, 361, 364, 409, 426

Mager, Reimer 345, 357, 361, 371, 372, 375, 376, 379 Mann, Klaus 328 Mann, Thomas 328 Matern, Hermann 21, 77, 85–89, 96–102, 107–109, 111–114, 117, 121–123, 125–127, 129, 132, 160, 163, 164, 178, 183, 187, 231, 234, 236, 240, 241, 244, 248, 261, 262, 264, 265, 267, 269, 272, 281–283, 287, 288, 314, 317, 322, 324, 341, 417 Matern, Jenny 135 Mayer, Ernst 130

Rentzsch, Egon 100, 103, 105, 315, 340 Richter, Martin 130, 344–346, 360–362, 376, 397 Roosevelt, Franklin D. 67

Palucca, Gret 353 Paulus, Friedrich 374 Pawlowitsch, Hans 118 Pieck, Wilhelm 67, 121, 232, 271, 373 Pieper, Bruno 356 Pollack, Rudolf 89

Schälicke, Fritz 108 Scheiding, Ernst 122, 123, 126, 131, 237 Schiersand, Hermann 121 Schliebs, Arthur 108, 153 Schmidt, Rudolf 371, 372, 375, 376, 379 Schneider, Hans 370

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Personenregister Schneider, Helmut 115 Schön, Otto 9–11, 21, 280, 281, 337, 346, 356, 359–361, 366 Schörner, Ferdinand 51, 52 Schreiber, Walter 292 Schumacher, Kurt 278 Schumann, Georg 105 Schwährig, Arthur 379 Seiffert, Otto 243 Selbmann, Fritz 10, 11, 17, 21, 307, 312, 313, 320, 323, 335 Seydewitz, Max 235 Shukow, Geogij 161, 384 Solowjow, Alexander A. 55, 62, 121, 123–127, 278 Spiridonow, Ilja 11, 58, 59, 61, 357 Stalin, Josef W. 67, 109, 126, 127, 137, 146, 148, 260, 366, 374 Thürmer, Walter 120, 130, 356, 357, 372, 375, 381 Thust, Alfred 131 Tjulpanow, Sergej I. 135, 136, 162 Ulbricht, Carl 388 Ulbricht, Walter 21, 85, 87, 90, 102, 109, 260, 314, 396

469

Vogt, Hermann 188 Vonnegut, Kurt 36 Voß, Georg 379 Wagner, Otto 252, 253, 269, 293, 360 Waks, Anatoli B. 11, 62, 122, 133, 270, 277, 278, 376 Watnik, Abram P. 133, 370 Weber, Otto 361 Weidauer, Walter 9, 10, 72, 79, 81, 97–99, 103, 107, 118, 119, 146, 154, 159, 160, 162, 169, 186, 209, 210, 241–243, 248–258, 268–272, 281, 282, 287, 306, 315, 319, 330, 331, 333, 340, 345, 346, 353, 358–360, 363, 375, 387, 388, 397, 404, 407, 408 Welz, Helmut 86, 87–89 Wend, Arno 114, 118, 119, 265, 266, 269, 271, 274, 278, 281, 324, 356, 370, 371, 378, 379 Wettengel, Dorothea 91 Wirth, Robert 262 Wirthgen, Marianne 116 Woldt, Richard 111, 112 Wostropjalow 61 Ziegelmeyer, Wilhelm 291

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Ein Bundesland entsteht: Der Freistaat Sachsen 1989/90 Am 3. Oktober 1990 verschwand die DDR von der politischen Landkarte. An ihre Stelle traten fünf neue Bundesländer, darunter der »Freistaat Sachsen«, um dessen Neubildung es 1990 zu erbitterten Auseinandersetzungen kam. Bundes- und DDRRegierung, Sachsens Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern, regionale Akteure, alte und neue Kräfte, aber auch die Bezirke untereinander, rangen um Einfluss auf die Landesbildung. Michael Richter analysiert die Entstehungsgeschichte dieses neuen Bundeslandes aus historischer Sicht und bietet in einer materialreichen Sammlung einen detaillierten Überblick über die Länderbildungspolitik dieser Zeit. Die bislang ungewohnte Perspektive eines Fortgangs von Auseinandersetzungen der friedlichen Revolution bis zum Herbst der deutschen Einheit führt zu veränderten Sichtweisen auf einen Transformationsprozess, der zwar Systemgrenzen überschritten hat und doch im Sinne bundesdeutscher Orientierungen Ziel gerichtet verlaufen ist. Die Studie untersucht die Entstehung des Freistaates Sachsen im Zuge der deutschen Einheit 1989/90.

Michael Richter

Die Bildung des Freistaates Sachsen Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90 Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 24. 2004. 1.184 Seiten mit 16 Abbildungen, 8 Karten und einem Dokumententeil auf CD-ROM, gebunden € 96,– D ISBN 3-525-36900-X

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Die neue internationale Zeitschrift zur Erforschung nichtdemokratischer Systeme Totalitarismus und Demokratie / Totalitarianism and Democracy (TD) ist eine neue Zeitschrift, die sich als internationale Drehscheibe der vergleichenden, historischen wie gegenwartsorientierten Erforschung nichtdemokratischer Systeme und Bewegungen versteht. Ausgehend von den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts sollen Entstehungsbedingungen, Funktionsweisen und Auswirkungen autokratischer Systeme im europäischen und außereuropäischen Raum vergleichend analysiert werden. Darüber hinaus sind historischpolitische, sozialpsychologische und kulturelle Konstellationen, Bedingungen und Dispositionen zu ergründen, die Geist und Wirklichkeit freiheitlichdemokratischer Gesellschaften fördern. Die Zeitschrift versteht sich als ein Forum interdisziplinären Austauschs zwischen Historikern, Politikwissenschaftlern, Soziologen, Psychologen, Pädagogen, Religionswissenschaftlern und Philosophen. Der Herausgeber: Professor Dr. Dr. Gerhard Besier ist Direktor des Hannah-ArendtInstituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. Dem Beirat der Zeitschrift gehören an: Michael Burleigh (London) / Stéphane Courtois (Paris) / Emilio Gentile (Rom) / Eckhard Jesse (Chemnitz) / Peter Graf Kielmansegg (Mannheim) / Juan J.Linz (Yale) / Werner J. Patzelt (Dresden) / Kurt Salamun (Graz) / Hans-Peter Schwarz (München).

Totalitarismus und Demokratie / Totalitarianism and Democracy Zeitschrift für Internationale Diktatur- und Freiheitsforschung / An International Journal for the Study of Dictatorship and Liberty Erscheint 2x im Jahr, je Heft etwa 180 Seiten, kartoniert ISSN 1612-9008 Heft 1 / 2004: Herausforderungen der Demokratie / Challenges of Democracy Heft 2 / 2004: Totalitarismus – Konzepte, Denkformen, Herrschaftspraktiken Heft 1 / 2005: Weltanschauungsdiktaturen im Vergleich (erscheint im April 2005) Heft 2 / 2005: Fluchtpunkt Realsozialismus politische Emigration in Warschauer PaktStaaten (erscheint im September 2005)

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