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German Pages 161 [160] Year 2010
GERHARD BESIER
KIRCHE, POLITIK UND GESELLSCHAFT IM 19. JAHRHUNDERT ENZYKLOPADIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 48 OLDENBOURG
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 48
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 48 HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL IN VERBINDUNG MIT PETER BLICKLE ELISABETH FEHRENBACH JOHANNES FRIED KLAUS HILDEBRAND KARL HEINRICH KAUFHOLD HORST MÖLLER OTTO GERHARD OEXLE KLAUS TENFELDE
KIRCHE, POLITIK
UND GESELLSCHAFT IM 19. JAHRHUNDERT VON GERHARD BESIER
R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 1998
Die Deutsche Bibliothek
CIP-Einheitsaufnahme -
Enzyklopädie deutscher Geschichte / hrsg. von Lothar Gall München : Oldenbourg Verbindung mit Peter Blickte
in
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ISBN 3-486-53691-5 Bd. 48. Bester, Gerhard: Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. 1998 -
Besier, Gerhard: Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert / von Gerhard München : Oldenbourg, 1998 (Enzyklopädie deutscher Geschichte : Bd. 48)
Besier.
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ISBN 3-486-55709-2 Kart. ISBN 3-486-55710-6 Gew.
© 1998 R. Oldenbourg Verlag, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen. Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55710-6 (geb.) ISBN 3-486-55709-2 (brosch.)
Vorwort Die
„Enzyklopädie deutscher Geschichte" soll für die Benutzer
Fach-
historiker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien ein Arbeitsinstrument sein, mit dessen -
Hilfe sie sich rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte informieren können. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden: Der Geschichte in der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Staates in seinen inneren und äußeren Verhältnissen wird ebenso ein großes Gewicht beigemessen wie der Geschichte der Religion und der Kirche, der Kultur, der Lebenswelten und der Mentalitäten. Dieses umfassende Verständnis von Geschichte muß immer wieder Prozesse und Tendenzen einbeziehen, die säkularer Natur sind, nationale und einzelstaatliche Grenzen übergreifen. Ihm entspricht eine eher pragmatische Bestimmung des Begriffs „deutsche Geschichte". Sie orientiert sich sehr bewußt an der jeweiligen zeitgenössischen Auffassung und Definition des Begriffs und sucht ihn von daher zugleich von programmatischen Rückprojektionen zu entlasten, die seine Verwendung in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder begleiteten. Was damit an Unscharfen und Problemen, vor allem hinsichtlich des diachronen Vergleichs, verbunden ist, steht in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch einer zeitübergreifenden Festlegung ergäben, die stets nur mehr oder weniger willkürlicher Art sein könnte. Das heißt freilich nicht, daß der Begriff „deutsche Geschichte" unreflektiert gebraucht werden kann. Eine der Aufgaben der einzelnen Bände ist es vielmehr, den Bereich der Darstellung auch geographisch jeweils genau zu bestimmen. Das Gesamtwerk wird am Ende rund hundert Bände umfassen. Sie folgen alle einem gleichen Gliederungsschema und sind mit Blick auf die Konzeption der Reihe und die Bedürfnisse des Benutzers in ihrem Umfang jeweils streng begrenzt. Das zwingt vor allem im darstellenden Teil, der den heutigen Stand unserer Kenntnisse auf knappstem Raum zusammenfaßt ihm schließen sich die Darlegung und Erörterung der Forschungssituation und eine entsprechend gegliederte Auswahlbiblio-
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VI
Vorwort
starker Konzentration und zur Beschränkung auf die Vorgänge und Entwicklungen. Besonderes Gewicht ist daneben, unter Betonung des systematischen Zusammenhangs, auf die Abstimmung der einzelnen Bände untereinander, in sachlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die übergreifenden Fragestellungen, gelegt worden. Aus dem Gesamtwerk lassen sich so auch immer einzelne, den jeweiligen Benutzer besonders interessierende Serien zusammenstellen. Ungeachtet dessen aber bildet jeder Band eine in sich abgeschlossene Einheit unter der persönlichen Verantwortung des Autors und in völliger Eigenständigkeit gegenüber den benachbarten und verwandten Bänden, auch was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht.
graphie
an
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zu
zentralen
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Lothar Gall
Inhalt Vorwort des Verfassers
/.
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Enzyklopädischer Überblick. Untergang der alten Reichskirche 1806 bis zum Beginn der Reichseinigung 1866. 1.1 Politische und geistesgeschichtliche Umbrüche. 1.2 Restauration und neue Frömmigkeit.
XI
1
1. Vom
1.3 Katholische.Kirchenreform in Zeiten eines aufgeklärten Absolutismus. 1.4 Ultramontane Restauration. 1.5 Die Kirchen vor der 1848er Revolution.
2. Die Kirchen während der Reichseinigung und in der Bismarckära (1866-1890)
.
2.1 Die Herausbildung des Ultramontanismus in der katholischen Kirche 2.2 Der Kulturkampf. 2.3 Die katholische Kirche vor der sozialen Frage: Die katholisch-soziale Bewegung 2.4 Die evangelischen Kirchen vor der sozialen Frage: Diakonie, Innere Mission und evangelisch-soziale .
Bewegung
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16 16 20
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30
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich: Sozialprotestantische Kulturreligion und katholischer Antimodernismus (1890-1919) 3.1 Die christlich-soziale Bewegung im Protestantismus 3.2 Von der Vermittlungstheologie zum Kultur-
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protestantismus
33 33
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3.3 Biblische Theologie. 3.4 Der gesellschaftlich-kulturelle Aufbruch des deutschen Katholizismus 3.5 Integralismusstreit und Antimodernismus. .
38 40 41 43
VIII
Inhalt
3.6 Allianz- und Gemeinschaftsbewegung, Weltmission und Kolonialimperialismus 3.7 Die Kirchen Europas und Amerikas im Ersten Weltkrieg: Eine Stabilisierung der „inneren Front"
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Grundprobleme und Tendenzen der Forschung. 1.
Historiographischer Überblick: Programme und ihre Umsetzung (evangelische Kirchengeschichtsschreibung) 1.1 Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts als „kirchliche Zeitgeschichte" 1.2 Geschichte der Kirchen- und Theologiegeschichte
45
49
53 53
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53
des 19. Jahrhunderts 58 1.2.1 Kirchengeschichtsschreibung des ^.Jahrhunderts in der Ära der „Wort-Gottes-Theologie" 58 (1921-1968) 1.2.2 Kirchengeschichtsschreibung des ^.Jahrhunderts als ökumenische Religionsgeschichte des Christentums. 63 1.2.3 Kirchengeschichtsschreibung des ^.Jahrhunderts im Zeichen der „Politischen Theologie" der 60er, 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts 66 1.2.4 Kirchengeschichte im Spannungsfeld von 68 Eschatologie, Protologie und Prolepse 1.2.5 Kirchengeschichtsschreibung des ^.Jahrhunderts in der Ära der „Christentums70 theologie" (1968 bis heute) .
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2.
Historiographischer Überblick: Programme und ihre Umsetzung (katholische Kirchengeschichtsschreibung)
73 .
3. Kirche und Religion in überkonfessionellen, historischen Darstellungen der Gegenwart
allgemein-
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3.1 Sozialhistorische Darstellungen katholischer Historiker 79 3.2 Die Berücksichtigung von Kirche und Theologie in der 82 neuesten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts .
4. Neuere methodische Ansätze in der kirchlichen Historio-
graphie
85 .
_Inhalt_IX 4.1
Christentumsgeschichte als Geschichte von Milieus und Mentalitäten im religiös-kirchlichen Vereins- und Partei wesen
4.2 5.
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Biographie, Lebenslaufforschung und Psychohistorie
Innerprotestantische Unionen als geistes-, sozial- und theologiegeschichtliche Phänomene.
6. Zur Forschungsgeschichte des 7. Freikirchen und
///.
Kulturkampfes.
neupietistisch-evangelikale Bewegungen
86 98 101 107 112
Quellen und Literatur.. 115 Themen und Autoren. 135
Vorwort des Verfassers Mit dem Thema „Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert" ist ein Komplex bezeichnet, der die bewegte Geschichte beider großer Volkskirchen und deren Rolle im Kontext der gesellschaftlichen Transformationen umfaßt. Es gibt christliche Impulse wie Beharrungskräfte, Wechselwirkungen zwischen Politik und Kirche und gegenseitige Abhängigkeiten, mentale Differenzen zwischen Christen unterschiedlicher Milieus und politisch-weltanschaulicher Bindungen. An den Rändern der evangelischen wie der katholischen Kirche kommt es zu Abspaltungen und Neuformationen, im Zuge emanzipatorischer Bestrebungen und parlamentarischer Entwicklungen zu christlichen Vereinsund Parteibildungen. Das Betrachten der verschiedenen Handlungsebenen lenkt den Blick auf den theologisch-ethischen Referenzrahmen des jeweiligen Politik- und Gesellschaftsverständnisses der Agierenden. Wie verhalten sich kognitive Ideengebäude zu den emotionalen Vorverständnissen und inwieweit bestimmen beide das Verhalten von Gruppen und einzelnen? Bei der Suche nach Antworten mußte naturgemäß das Ernstnehmen theologischer Ansprüche und ihrer Einlösung von großer Bedeutung sein. Schließlich ist auch die Geschichtsschreibung der Kirchen im 19. Jahrhundert von unterschiedlichen politisch-weltanschaulichen Grundannahmen und Standortbindungen bestimmt. Sie zu entschlüsseln soll dem Leser die eigene Urteilsbildung erleichtern. An erster Stelle schulde ich Elisabeth Fehrenbach, der Betreuerin dieses Bandes im Rahmen der EdG, Dank für zahlreiche Anregungen, Ratschläge und Kommentare. Mein Kollege Gerhard Ringshausen (Lüneburg) hat sich die Mühe gemacht, das Manuskript kritisch gegenzulesen und mir Ergänzungs- bzw. Streichungsvorschläge zu unterbreiten. Meinen Mitarbeitern Annette Biebricher, Christian Binder, Kai-Uwe Dosch, Gerhard Lindemann, Andreas Lüder, Grazia F. Piombo und Stefanie Winter danke ich für viele Verbesserungen und Korrekturen. Mein besonderer Dank gilt Christian Binder, der mir beim Konzipieren und Schreiben stets mit Engagement, Fleiß und Sachverstand zur Seite stand. Schließlich danke ich Adolf Dieckmann, dem
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Lektor des
Vorwort des Verfassers
Verlages, für die sorgfältige Schlußlektorierung des Manu-
skriptes. München, im November 1997
Gerhard Besier
I.
Enzyklopädischer Überblick
1. Vom Untergang der alten Reichskirche 1806 bis zum Beginn der Reichseinigung 1866 1.1 Politische und geistesgeschichtliche Umbrüche Die gesellschaftspolitischen Umbrüche im Gefolge der Französischen Französische Revolution von 1789 brachten auch das seit dem Westfälischen Frieden Revolution (1648) gültige Staatskirchensystem zum Einsturz. Unter französischer Herrschaft erfuhren die linksrheinischen Gebiete 1797 die Säkularisation des Kirchengutes und das neue revolutionäre Verständnis von Religionsfreiheit so unmittelbar wie der französische Katholizismus. Die deutschen Fürsten wurden auf rechtsrheinischem Territorium durch die Auflösung geistlicher Fürstentümer, Bistümer, Klöster und Stifte entschädigt (Reichsdeputationshauptschluß von Regensburg, 1803). Der Verlust von Landeshoheit und Grundbesitz stürzte die katholische Kirche nach den geistlichen Verunsicherungen während des 18. Jahrhunderts in eine schwere ökonomische Krise. Durch die neuen Ländergrenzen verloren die Territorien ihre im Multikonfessionali wesentlichen monokonfessionelle Struktur, auf die das Staatskirchen- tat und Toleranz system aufgebaut war; gleichzeitig bewirkte die französische Herausforderung eine Motivation für die Einheit der deutschen Nation. Die Forderungen der Aufklärung nach Toleranz, religiöser Gleichberechtigung und kirchlicher Anspruchsminderung, zu deren Vollstreckung sich Napoleon berufen fühlte (Einführung des französischen Zivilgesetzbuches: Code Napoleon), wurden nun zu praktischen Geboten staatspolitischer Klugheit. Mit der Einführung des Zivilstandsregisters und der Zivilehe hielt die Säkularisierung des bürgerlichen Lebens in den Rheinbundstaaten vollständig (Berg, Westfalen) oder modifiziert (Baden, Frankfurt) Einzug, nach dem Abbau der klerikalen Macht wurde allerdings „die Autorität des pater familias verstärkt" (Fehrenbach). Die Aufklärung als sozialer Prozeß hatte eine laisierte Kultur und Kommunikationsstruktur hervorgebracht, die einer Rückbindung an die Institution Kirche nicht mehr bedurfte. Das Leben als Bürger und
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Enzyklopädischer Überblick
das als Christ fielen nicht mehr ohne weiteres zusammen, Glaube war nicht mehr selbstverständlich, sondern ein Akt individueller Entscheidung. Die nunmehr aus der Provinz des Privaten ins Öffentliche wirkende christliche Existenz differenzierte sich noch einmal aus nach unterschiedlichen religiösen, politischen und sozialen Überzeugungen. Mit dem Untergang des Alten Reiches 1806 gingen in DeutschVernunft und Offenbarung jan(j aucjj dje geistigen Impulse jener Epoche zur Neige, die seinen Einsturz inspiriert hatten. Die Auflösung der christlichen Religion in Vernunft und Moral vermochte die Spannung zwischen Vernunft und Offenbarung nicht zu beseitigen. Die einst mächtige Aufklärungstheologie zerfiel in die voneinander getrennten Richtungen des Rationalismus und Supranaturalismus. Den einen war Jesus nur noch ein beispielhafter Mensch, dessen Auferstehung als Scheintod interpretiert wurde, den anderen war die Vernunft nur insoweit ein nützliches Instrument, als sie die orthodoxe Lehre von der rechtfertigenden Gnade des Gottessohnes bestätigte. Dazwischen behaupteten sich in Anlehnung an frühere neologische Entwürfe Kompromißpositionen. Es blieb die Aufgabe der Gläubigen, ihre Religiosität mit einer säkularisierten und in funktionell eigenständige Systembereiche ausdifferenzierten Welt in Ein-
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klang zu bringen.
Während die Klassik den emotionalen Abstand zu gelebter Christlichkeit eher noch erhöhte, verdankten sich Neuentwürfe den existentiellen Wiederentdeckungen von Religion unter dem Einfluß von (Früh)romantik und deutschem Idealismus. Nicht zufällig vor pietistischem Hintergrund wies Johann Georg Hamann (1730-1788) die Absolutsetzung der Menschenvernunft zurück und lenkte den Blick auf das Vernehmen der Anrede Gottes. Auch bei Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Friedrich Daniel Emst Schleiermacher (1768-1834) gewann Religion ihre Macht als lebendige, den Menschen überwältigende Erfahrung zurück, als Erlebnis und „Anschauung des Universums", das den einzelnen ins Ganze hineinzog. Schleiermacher Mit Schleiermacher, im pietistischen Geist der Herrnhuter Brüdergemeine erzogen, beginnt die Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts; sein von den Berliner Salons der Romantik ausgehender Einfluß sollte das ganze Jahrundert spürbar bleiben. Er gilt als Begründer der modernen Universitätstheologie. Mit seinem epochemachenden Werk „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern"
Frühromantik und Idealismus
(1799, 41831) gab er der Religion
ihr Eigenrecht zurück. Sie ist weder Denken noch Handeln, sondern „Anschauung" und „Gefühl", „Sinn und Geschmack fürs Unendliche". Aus seinen individualisierenden Frömmigkeits- und religiösen Bildungsvorstellungen folgt die Forde-
1. Von der Reichskirche bis
zur
Reichseinigung
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rung nach einer Kirchenreform im Sinne der Trennung von Staat und Kirche, damit sich die starre Anstalt selbständig neu mit Leben fülle. Theologie wird auf Basissätzen der Ethik als „positive Wissenschaft" für ein „christliches Kirchenregiment" bestimmt. Im Zentrum seiner „Glaubenslehre" (1821/22; 21830/31) steht die Christologie: „Es gibt keine andere Art, an der christlichen Gemeinschaft Anteil zu erhalten, als durch den Glauben an Jesum als den Erlöser." Das Wesen der Frömmigkeit besteht im „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit". Vor dem Hintergrund seiner theologisch-philosophischen Arbeiten und seines Engagements bei der Gründung der neuhumanistischen Reformuniversität in Berlin 1810 geriet der preußisch-deutsche Patriot und Prediger der Freiheitskriege alsbald ins Visier der Restauration. 1.2 Restauration und neue
Frömmigkeit Der Wiener Kongreß (1814/15) lenkte vom religiös-patriotischen Auf- „Heilige Allianz''
schwung der Freiheitskriege zur Restauration zurück, indem er Europa im Zeichen des Legitimitätsprinzips zu den Verhältnissen vor Napoleons Eingreifen zurückführen wollte. Die Proklamation einer „Heiligen
Allianz" zwischen den Monarchen Rußlands, Österreichs und Preußens gab den wiederhergestellten alten Machtkonstellationen einen ökumenisch-religiösen Anstrich: Ein Undefiniertes Allgemeinchristentum aus
Orthodoxie, römischem Katholizismus und Protestantismus diente der
„Heiligen Allianz" als Bündnisideologie. Reformerische Kräfte aus den Zeiten der vaterländischen Erhebung gerieten dabei ins Hintertreffen. Das restaurative „System Metternich" scheiterte jedoch am Partikularismus der süddeutschen Länder, „einem Motor der Konstitution" (Nipperdey), und zerbrach schließlich infolge des griechischen Unabhängigkeitskrieges (1821-1829). Während Österreich den Legitimismus des türkischen Sultans unterstützte, vertrat Rußland mit England und Frankreich die Unabhängigkeit Griechenlands. Vom Gedanken der nationalen Befreiung begeistert, waren viele Studenten freiwillig in den Befreiungskampf gegen Napoleon gezogen. Ihre Hoffnungen auf Einheit und Freiheit wurden jedoch durch die Restauration der alten fürstlichen Regime enttäuscht. Seit 1815 bildeten sich an den deutschen Universitäten Burschenschaften, die sich dem Ideal eines geeinten christlich-deutschen Vaterlandes verschrieben hatten, teilweise wiesen sie auch einen judenfeindlichen Charakter auf. Anläßlich der 300-Jahrfeier der Reformation und im Gedenken an die Leipziger Schlacht von 1813 feierten die Burschenschaften in zeittypischer Verkoppelung von nationalen und protestantischen Gedanken
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Enzyklopädischer Überblick
Mitte Oktober 1817 auf der Wartburg ein großes Fest. Als symbolische Geste wurde auch eine Anzahl antinationaler Bücher verbrannt, was der Zusammenkunft eine revolutionäre Note gab. Das Wartburgfest sowie die Ermordung des Dichters August von Kotzebue durch den Burschenschaftler Karl Sand (1819) veranlaßten die Fürsten zum Einschreiten gegen die „revolutionären Umtriebe". Auf der von Metternich einberufenen Karlsbader Konferenz (August 1819) wurden die Burschenschaften verboten, die Universitäten einer Polizeiaufsicht unterstellt und sogenannte „Demagogen" verfolgt. Zu den Verdächtigten gehörte auch der Berliner Theologe Friedrich Schleiermacher, dessen Predigten überwacht wurden. Im Dezember 1817 wies ihn Hardenberg an, seine politischen Vorlesungen, über die „der König sich mehrmals mißfällig [...] geäußert" (Lenz) habe, zu lassen und sich auf sein theologisches Lehrfach zu beschränken. Hingegen verlor Schleiermachers Kollege Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780-1849) seine Professur, nachdem sein Trostbrief an die Mutter Sands von der Zensur ab-
gefangen worden war. Erweckung
Schleiermachers „Reden" hatten auch Persönlichkeiten wie dem Kieler Propst Claus Harms (1778-1855) und dem Berliner Kirchenhistoriker August Neander (1789-1850) Impulse gegeben, die für die Frömmigkeitsbewegung der Erweckung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung waren. Die Erweckungsbewegung war ein europäisches und nordamerikanisches Phänomen mit verzweigtem religiösem Wurzelwerk, das breite Schichten erfaßte. Neben dem altpietistischen Erbe in Württemberg und am Oberrhein spielte etwa in der 1780 in Basel gegründeten „Deutschen Christenthums-Gesellschaft" (Mitglieder u.a. Jung-Stilling, Oberlin, Lavater) Kritik am aufklärerischen Gedankengut eine wichtige Rolle. Luthers Schriften erfuhren eine neue Hochschätzung. Im bayerischen Zentrum der Erwekkung, Erlangen, erschien seit 1826 eine große Luther-Ausgabe. Auch die Schriften der alten Mystiker, wie Johann Tauler und Jakob Böhme, wurden wiederentdeckt. In ihrer Frühzeit bis 1815 zeichnete diese Bewegung eine große Offenheit in ökumenischer, ideengeschichtlicher und nationaler Hinsicht aus. Ein Beispiel dafür ist der aus dem reformierten Pietismus stammende Augenarzt Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817). Zugleich konnte die Erweckung mit ihrer antirationalistischen Zielsetzung eingehen in den religiös-patriotischen Geist der Befreiungskriege (Ernst Moritz Arndt, 1769-1860) und sich mit dem Idealismus für die Neuordnung Preußens und Deutschlands verbinden. Zwischen 1815 und 1830 wurde aus dem religiösen Aufbruch eine Volksbewegung mit -
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Religiöser Aufbruch
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sozialdiakonischen Aktivitäten sowie Bibel- und Missionsgesellschaften; im Rahmen der Universität konnte vor allem August Friedrich Tholuck (1799-1877) durch die seelsorgerliche Betonung von Sünde und Erlösung eine tiefe Wirkung entfalten. In einigen Regionen mündete die Erweckung nach 1830 in einen Konfessionalismus mit kirchenpolitischen Parteiinteressen. Insbesondere die bayerisch-fränkischen und märkisch-pommerschen Zentren wurden zu Hochburgen des lutherischen Konfessionalismus. Adolf von Harleß (1806-1879), Theodor Kliefoth (1810-1895), Hans Ernst von Kottwitz (1757-1843) oder Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869) besaßen während der Restauration das Ohr der Fürsten und verschafften ihrer Partei in Kirchenleitungen und auf Universitätskathedern großen Einfluß. Die Konfessionalisierung der Frömmigkeitsbewegung kann unter anderem auch als Reaktion auf die innerprotestantischen Unionsbildungen (siehe unten) verstanden werden. In den Erweckungszentren am Niederrhein und im Württembergi- Zentren der sehen blieb der überkonfessionelle Grundzug erhalten. Da Johann AI- ErwecKung brecht Bengel (1687-1752) für 1836 den Anbruch des Tausendjährigen Reiches vorhergesagt hatte, lebten in Württemberg chiliastische Erwartungen auf, die zum Teil zu Separation und Emigration führten. Die Reich Gottes-Hoffnungen von Johann Christoph Blumhardt (18051880) gehören in diesen apokalyptischen Kontext. Um die Jahrhundertmitte konnte die pietistisch-erweckliche Bewegung in das württembergische Kirchenregiment eindringen und sich dort über Generationen
behaupten.
Daß die religiöse Erweckung auch in engem Zusammenhang mit sozialen Protesten stehen konnte, zeigt die Entwicklung im MindenRavensberger Land. Von Anfang an erzeugten die religiösen Versammlungen („Konventikel") des „frommen Gesindels" politisches Mißtrauen auf Seiten der staatlichen und kirchlichen Obrigkeit; ihre Andachts-„Stunden" wurden mit Geldstrafen und Vernehmungen geahndet. Einige Erweckungsprediger spitzten ihre Bußaufrufe chiliastisch zu, kündigten das baldige Herannahen des Jüngsten Tages an und prophezeiten bei der bevorstehenden Wiederkunft Christi eine Umkehrung der herrschenden Ordnung. Die sozialen Trägergruppen der Erwekkungsbewegung waren Kleinbauern, Heuerlinge, Handwerker und Stricker. Auch die führenden Pastoren der Erweckungsbewegung stammten meist aus unteren Gesellschaftsschichten. Im Unterschied zu der dörflich-kirchlichen Öffentlichkeit sonst spielten Frauen eine relativ bedeutende Rolle und übernahmen im Kirchenkreis Minden sogar die Funktion der „Stundenhalterin".
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I.
Enzyklopädischer Überblick
Eine Vermittlung zwischen der aufklärerisch-rationalistischen Religion der Jahrhundertwende und ihrer Herzens- und Gnaden-Frömmigkeit erschien den „Neopietisten" unmöglich. Für die Erweckung im östlichen Preußen widersprach Adolf v. Thadden-Trieglaff (17961882) vehement Schleiermachers ,,seelenmörderische[r], arrogantefr] Lehre von der Kongruenz der Vernunft und Gnade". Konfessionelle Aufklärung und Rationalismus, Schleiermachers ReformtheoloUmonsbildungen gje uncj ^ frjjne Erweckungsbewegung hatten zu einem Verlust des Konfessionsbewußtseins geführt, so daß es in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts möglich erschien, die Spaltung des Protestantismus zu beenden. Politische Überlegungen, die „Heilige Allianz" oder das Kalkül der Landesfürsten, mit einem konfessionell einheitlichen protestantischen Kirchenregiment und Kirchenvolk lasse sich besser regieren, spielten wie in Brandenburg-Preußen auch eine Rolle. Entsprechend den unterschiedlichen Traditionen, die zur Unionsbildung führten, kamen einerseits restaurativ-absolutistische, andererseits wie in der Pfalz oder Baden liberal-konstitutionelle Bestrebungen zum Tragen. Insofern genügt es nicht, bei den Unionsbildungen in Nassau (1817), Preußen (1817), der Pfalz (1818), Hanau (1818), AnhaltBernburg (1820), Baden (1821), Waldeck-Pyrmont (1821) und RheinHessen (1822) zwischen Verwaltungs-, Kultus- und Konsensusunion zu unterscheiden. Wo aus politischen und kirchenpolitischen Erwägungen der Zusammenhang von Unionsfrage, Verfassungs- und Gottesdienstreform mißachtet und dem Willen der Bevölkerung nicht Rechnung getragen wurde, konnte sich wie in Preußen der ganze Komplex zu einer innenpolitischen Sprengladung entwickeln. Als der preußische König 1822 eine neue Agende oktroyierte, entfachte er einen Streit, der zu Gewaltmaßnahmen, Emigration und der altlutherischen Separation führte und zur Rückbildung der Union auf das Niveau einer bloß gemeinsamen kirchenregimentlichen Verwaltung zwang. Aus Sorge vor analogen politischen Forderungen wurden die Kirchenverfassungspläne Schleiermachers und seiner Gesinnungsfreunde nicht -
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ausgeführt.
Der enge Zusammenhang von religiös-theologischen und poliVerbindung von hgiosen und poh- tisch-gesellschaftlichen Optionen ist schon im Pietismus und in der tischen Impulsen Aufklärung angelegt. Indem die konservative wie auch die liberale Bewegung religiöse Legitimationsmuster und theologische Programme politisch in Anspruch nahmen, spalteten sich die bürgerlich-protestantischen Eliten nach Überwindung des Gegensatzes zwischen Lutheranern und Reformierten „in zwei neue Konfessionen" (Nipperdey). Die Religiosität des Bürgertums ging eine enge Verbindung mit den kon°
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1. Von der Reichskirche bis
zur
Reichseinigung
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kurrierenden politischen Aspirationen der Zeit ein und bildete protestantisch-konservative bzw. -liberale Milieus (Graf). Das neupietistisch-aristokratische Milieu um Senfft von Pilsach, Hans Hugo Kleist-Retzow, Puttkamer und die Gerlachs ging im östlichen Preußen eine enge bruderschaftliche Verbindung mit breiten Volksschichten ein und bildete eine kirchenkritische, religiöse Bewegung, in der sich altständisch-aristokratischer Pietismus, frommes Handwerkertum, Herrnhuter Missionseifer und sozialer Reformwille zusammenfanden. Es ist das Milieu, aus dem Bismarck kam. 1.3 Katholische Kirchenreform in Zeiten eines aufgeklärten Absolutismus Die Entwicklungen an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert relativierten nicht nur innerprotestantische Differenzen; sie verschoben auch die Gewichte zwischen der katholischen und den reformatorischen Kirchen zugunsten des Protestantismus. Dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches und der katholischen Kirchenorganisation waren geistige Umbrüche vorausgegangen, die auf eine tiefgreifende Veränderung des Kirchenkörpers hinzielten. Die klerikal-machtpolitischen Bestrebungen des Jesuitenordens widersprachen den aufklärerischen Postulaten und dem Absolutismus so sehr, daß die Jesuiten in katholischen Ländern bekämpft wurden und der Papst den Orden 1773 schließlich aufhob. Joseph II. (1780-1790) versuchte, die Kirche unter die Herrschaft des Staates zu bringen; 1781 wurde den Protestanten in .Josephinismus" den habsburgisehen Ländern das Recht auf Religionsausübung garantiert. Unter dem Pseudonym Justinus Febronius vertrat der Trierer Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim (1701-1790) die Auffassung, daß der Bischof von Rom nicht alleiniger, sondern nur erster Träger der Kirchengewalt sei, und verlangte eine größere Gleichberechtigung zwischen den Bischöfen und dem Papst. Dieser mit nationalkirchlichen Bestrebungen verbundene „Febronianismus" wurzelte in der „Febronianismus" katholischen Aufklärungstheologie, die mittels des Vernunftelements eine stärkere Verdiesseitigung der religiösen Gedankenwelt bewirkt hatte. Die Aufnahme von Volkstum und Volkskunde bezog den Laien ein. Das Mirakulöse wurde gemildert, Heiligenverehrung, Wallfahrten und Prozessionswesen eingeschränkt. Der „christkatholische Gottesverehrung" genannte Gottesdienst verringerte den Abstand zur protestantischen Schwesterkirche. Die Emser Punktation von 1786 faßte die
Reformforderungen zusammen.
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I.
Enzyklopädischer Überblick
1.4 Ultramontane Restauration Rettung des Vatika- Die Köpfe der katholischen Reformbewegung, der Konstanzer Genenischen Staates ralvikar Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg (1774-1860) und der letzte Kurerzkanzler des Reiches, Karl Theodor Freiherr von Dalberg (1744-1817), wollten mit Hilfe Napoleons eine deutsche Nationalkirche schaffen, doch der Wiener Kongreß setzte diesen Plänen ein Ende. Durch geschickte Verhandlungsführung rettete der römische Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi (1757-1824) das Papsttum und den nunmehr „einzigen Priesterstaat" (F. Schnabel) für ein halbes Jahrhundert. Es gelang ihm jedoch nicht, in die Bundesakte des Deutschen Bundes (1815-1866) Richtlinien für das Verhältnis von Staat und Kirche einzubringen, so daß Regelungen in Gestalt von Konkordaten bzw. Parallelgesetzgebungen (Zirkumskriptionsbullen und Staatsgesetze) mit den einzelnen Partikularstaaten nötig wurden. Kuriale Forderungen nach einer Rückgabe des säkularisierten Kirchengutes wie nach der Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reiches scheiterten. In zum Teil schwierigen Einzelverhandlungen kam es zwischen Konkordate 1817 und 1830 zu Konkordaten und Parallelgesetzgebungen mit Bayern, Preußen, Baden, Württemberg und Hannover. Von den Staaten wurde auch von katholischen Laien in den Behörden die staatskirchenrechtliche Auffassung vertreten, daß der Staat die „iura in sacra" (innere geistliche Leitung im Blick auf Glauben und Kultus) der Kirche überlassen könne, die „iura circa sacra" (Sorge für die äußere kirchliche Ordnung) jedoch selber wahrnehmen oder wenigstens beaufsichtigen müsse. Die Konkordatslehre verstand dagegen Staat und Kirche als zwei souveräne und unabhängige Mächte, die verschiedene Gebiete beherrschen, aber zum Wohl der Nation kooperieren. Die Frage der staatlichen Mitwirkungsrechte bei Bischofswahlen sollte sich zu einem schwelenden Konflikt entwickeln. Die katholische Kirche konnte ihren geistlichen HerrschaftsanKurialer Machtzuwachs spruch im Wege der kompromißbereiten Aufnahme moderner Verwaltungs- und Sozialstrukturen letztlich behaupten. Durch die Errichtung territorial kleinerer, administrativ durchstrukturierter Landeskirchen erfuhr die römische Kurie einen erheblichen Machtzuwachs, den sie durch eine klare Kompetenz-Zentralisierung noch ausbaute. Der Kirchenstaat selbst wandelte sich vom „Feudalstaat in einen modernen zentralistischen Staat" (Schatz). Diese bürokratisch-zentralistische Herrschaftsstruktur lag in den Händen einer in bischöflichen Priesterseminaren (vgl. päpstliche „Esposizione" von 1819) erzogenen, streng hierarchisierten Elite, wobei die habituelle Absonderung von den Laien -
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1. Von der Reichskirche bis
durch
zur
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Reichseinigung
partizipative und plebiszitäre Elemente mit hoher sozialer Mas-
sen-Attraktivität, wie Großwallfahrten (Trierer Wallfahrt
von
1844),
ein Netz katholischer Vereine und Verbände sowie Protestbewegungen ergänzt wurde. Mit der Reorganisation des katholischen Kirchenwesens ging Katholische im Zeitalter der Romantik und Restauration eine innere Erneuerung Erneuerung einher, die zunächst in Verbindung mit der protestantischen Erwekkungsbewegung stand. Novalis (1772-1801) verklärte das katholische Mittelalter als christliche Einheitskultur und artikulierte damit die Sehnsüchte vieler nach Geschlossenheit angesichts einer auseinanderfallenden Welt. Eine auf Glaubenstiefe und tätiges Christentum ausgerichtete katholische Frömmigkeit zog zahlreiche Protestanten an (z.B. Friedrich Schlegels [1772-1829] Konversion 1808), wie vordem das rationale Denken des Protestantismus während der Aufklärung viele Katholiken zur Konversion veranlaßt hatte. Zentren des katholischen Aufbruchs waren Landshut, Münster, Wien, Mainz, München, Tübingen und Bonn. An der Universität Landshut lehrte Johann Michael Sailer (1751-1832) Praktische Theologie und Erziehungskunde. Vom Standpunkt eines frommen, antischolastischen Katholizismus aus nahm er die Auseinandersetzung mit der Aufklärung auf. In Münster sammelte die Fürstin Amalie von Gallitzin (1748-1806) Gleichgesinnte um sich, in Wien wirkte Clemens Maria Hofbauer (1751-1820) im Sinne einer Stärkung des kirchlich-kurialen Selbstbewußtseins. In Mainz begründete Bischof Johann Ludwig Colmar (1760-1818) eine neuscholastische theologische Schule mit deutlich ekklesiologischem Akzent gegen Protestantismus und Aufklärung. Im „Mainzer Kreis" besaß der Ultramontanismus seine stärkste Stütze. Zu den Neuberufungen der 1826 von Landshut nach München verlegten Universität gehörte Joseph von Görres (1776-1848), der bei der Überwindung des Dualismus von Glauben und Wissen wie der katholischen Inferiorität publizistische Hilfe leistete. An der Universität Tübingen begründeten Johann Sebastian von Drey (1777-1853), Johann Adam Möhler (1796-1838) und Johann Baptist Hirscher (1788-1865) in Anlehnung an Schelling und Schleiermacher die spekulativ-reformtheologische „Tübinger Schule". Die Bonner Schule von Georg Hermes (17751831) und die Wiener Schule von Anton Günther (1783-1863) nahmen Impulse aus der Philosophie Kants und des deutschen Idealismus auf. Der „vernünftige Glaube" ist Hermes „das höchste Ziel aller Philosophie"; an diesen natürlichen Glauben muß sich pflichtgemäß ein übernatürlicher anschließen. Doch erst der „Herzensglaube" der Gesinnung und des Gemüts erwirkt das eigentliche Heil. -
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Lehrverurteilungen
I.
Enzyklopädischer Überblick
1832, ein Jahr nach Hermes' Tod, eröffnete Papst Gregor XVI. beim Heiligen Officium einen Lehrprozeß gegen ihn, der 1835 mit einer Verurteilung endete. Daraufhin wurden bis 1852 Hermes' Schüler („Hermesianer") von den Lehrstühlen verdrängt. Im selben Jahr eröffnete die römische Indexkongregation das Verfahren gegen Anton Günther, weil er angeblich die verbotenen Lehren von Hermes neu belebt hätte. Anfang 1857 erließ Papst Pius IX. das Verurteilungsdekret. Der Ultramontanis-
führte den zunächst ökumenisch orientierten katholischen Aufbruch in Apologetik und Polemik gegen den Protestantismus zurück. Wer seine Lehren nicht in das scholastische Weltbild einfügte, mußte mit Verurteilung rechnen. Ein wichtiger Träger des ultramontanistischen Geistes, der für den Einfluß der katholischen Kirche auf das gesellschaftliche Leben bei gleichzeitiger Freiheit der Kirche gegenüber dem Staat kämpfte, war der 1814 wiedererstandene Jesuitenorden. Die ultramontane Forderung nach Unabhängigkeit vom Staat Konflikte mit dem Staat fünrte jn den 20er und 30er Jahren zu Konflikten mit der preußischen und bayerischen Regierung („Kölner Kirchenstreit" und „bayerischer mus
Kniebeugungsstreit"). Nach dem Tod des „hermesianisch" orientierten Kölner Erzbischofs Ferdinand August Graf Spiegel (1764-1835) beendete sein ultramontaner Nachfolger Clemens August von Droste-Vischering (1773-1845) die bei „Mischehen" bis dahin übliche Praxis, die Kinder in der Konfession des Vaters zu erziehen, und löste mit seiner Rückkehr zum strengen kanonischen Eherecht den „Kölner Kirchenstreit" aus. Als er sich weigerte, dem königlichen Befehl zum Verlassen seiner Diözese nachzukommen, wurde er 1837 in der Feste Minden arrestiert. Görres machte ihn in seiner Flugschrift „Athanasius" (1838) daraufhin zum Märtyrer und löste eine bis dahin unbekannte katholische Volksbewegung aus, der die preußische Regierung schließlich nachgab. Die Auseinandersetzungen bewirkten in ganz Deutschland eine Rekonfessionalisierung und begründeten die politisch-kulturelle Rivalität zwischen München und Berlin. Der Konflikt vertiefte auch den bestehenden Gegensatz zwischen den protestantisch-konservativen und überwiegend agrarisch strukturierten Provinzen im Osten Preußens und den 1815 neu hinzugewonnenen katholisch-konstitutionellen und industriereichen Landesteilen im Rheinland. Nach seinem Regierungsantritt 1840 bemühte sich Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) auch dadurch um eine Beilegung des Konfliktes, daß er 1842 die Wiederaufnahme der Bauarbeiten am Kölner Dom als feierlichen Aufbruch in eine neue Zeit nationalen und konfessionellen Friedens zelebrieren ließ und am katholischen Hochamt teilnahm.
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Zu einem nicht unerheblichen Konflikt zwischen der evangelischen Kirche und dem bayerischen Staat kam es im Zusammenhang mit dem sogenannten „Kniebeugungsstreit" (1838-1845). Durch eine Order des bayerischen Kriegsministeriums vom 14. August 1838 wurde festgelegt, daß alle Soldaten, gleich welcher Konfession, bei Fronleichnamsprozessionen und auf Wache beim Vorübertragen des Allerheiligsten die Knie zu beugen hätten. Daraufhin kam es zu heftigen Protesten seitens der evangelischen Bevölkerung und der evangelischen Pfarrerschaft, die Reaktion des Staates führte zu einigen Strafversetzungen. Erst 1845 wurde die Order zurückgenommen; die Auseinandersetzungen hatten das Selbstbewußtsein der protestantischen Minderheit in Bayern gestärkt. Die Wallfahrt von 500000 Gläubigen zum Heiligen Rock nach Katholische VolksTrier 1844 bildete ein Gegenstück zum Fest der Fürsten in Köln 1842 frömm'gkeit und eine Demonstration katholischer Volksfrömmigkeit. Die Gläubigkeit im Westen führte freilich auch zu einer schismatischen Gegenströmung im Osten (Schlesien und Sachsen): dem theologisch rationalistischen Deutschkatholizismus. Aus ihm ging 1845 die Deutschkatholische Kirche hervor, mit vorübergehend 70000 Gemeindegliedern. Auch in Baden konnten die Deutschkatholiken Anhänger gewinnen. Doch ähnlich der viel kleineren Abspaltung der aufklärerisch-protestantischen „Lichtfreunde", mit denen die Deutschkatholiken enge Verbindung unterhielten, verfügte die Bewegung nicht über genügend homogene sozial-religiöse Bindekräfte und konzise Theorieelemente, um gegen äußere Widerstände eine dauerhafte Klientelbildung zu erreichen. Nach anfänglicher Unterstützung durch den preußischen Staat waren die Deutschkatholiken wie die Lichtfreunde behördlichen Repressalien ausgesetzt, weil sie demokratisch-liberales Gedankengut po-
pularisierten.
1.5 Die Kirchen vorder 1848erRevolution
Zwischen den Polen der neupietistisch-erwecklichen „Christenthums- Protestantische Gesellschaft" (1780) und den aus der liberal-rationalistischen „Licht- Vereinsbildung freunde"-Bewegung hervorgegangenen „Freien Gemeinden" (1846) hatten sich auf unterschiedlichen Ebenen und nach Organisationsstrukturen wie Regionen verschieden eine Reihe von religiösen Vereinen und Assoziationen unabhängig von den verfaßten Kirchen gebildet. Sie verfolgten missionarisch-karitative, kirchen- oder theologiepolitische Ziele, waren von den gesellschaftlichen Strömungen der Zeit beeinflußt und stützten bzw. delegitimierten kirchliche und gesell-
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Vermittlungstheologie
Enzyklopädischer Überblick
Anliegen. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Situation und der Synodalentwicklung gelangte der Verbandsprotestantismus erst nach der Revolution zu seiner vollen Entfaltung und Ausdifferenzierung. Dennoch wirkten diese Gruppen bereits deutlich auf Einstellungen zu den Märzereignissen ein. Als Massenveranstaltungen wirkten im Vormärz etwa die überaus erfolgreichen evangelischen Missionsfeste. Sie speisten sich aus einer erwecklichen Aufbruchsstimmung, wie sie in Pommern, im Bergischen Land und in Württemberg als Reaktion auf den religiösen Rationalismus entstanden war. Aus der gemeinsamen Gegnerschaft zur rationalistisch-liberalen Theologie entwickelte sich zwischen diesen Kreisen und dem politischen Konservativismus eine gemeinsame religiös-politische Front zum Schutz des Überkommenen. In diese Interessenkonstellation gehörten auch der Ende 1848 gegründete „Patriotische Verein" und der „Verein zur Wahrung und Förderung der evangelischen Kirchengemeinschaft". Wie im Falle der pietistisch-erwecklichen und lutherisch-orthodoxen Gruppen so lassen sich auch für andere religiöse Gruppierungen Affinitäten zwischen theologischen und politischen Programmen nachweisen. Das Vereinswesen im Vorhof von Parteien und Parteibildungen bediente sich zur Absicherung seiner politischen Konzepte der religiösen Legitimationsmuster. Umgekehrt konnte eine politische Beeinflussung ursprünglich religiöserGruppierungen ebenfalls nicht ausbleiben, zumal eine klare Unterscheidung zwischen Personen und religiösen bzw. politischen Anliegen gar nicht möglich oder auch nur intendiert war. Die Verbindungen zwischen erwecklichen und kirchen- bzw. verfassungspolitisch konservativen Strömungen, wie sie sich etwa im Preußen Friedrich Wilhelms IV. entwickeln konnten, hatten freilich Grenzen. Im Kirchenkreis Bielefeld gehörten pietistische Pastoren 1847 zu den Mitbegründern des „Hauptvereins zur Aufrechterhaltung der Fabrikation von Leinen aus reinem Handgespinst" und waren 1850 maßgeblich an dem Massenprotest gegen die Errichtung einer Maschinenspinnerei beteiligt. Konservativ motivierte Unruhen in pietistischen Gemeinden, die in dem sozialökonomischen Strukturwandel ihre Ursachen hatten, mußten von Berlin aus durch verstärkte Ausgaben für Armenpflege und Reformen beigelegt werden. Erst die Abwanderung von Unterschichten aus den ländlichen Gebieten und die städtische Industrialisierung sorgten für eine Entspannung in agrarischen Regionen und die Wiederherstellung eines „religiös legitimierten Paternalismus zwischen Bauern und ländlicher Unterschicht" (Mooser). Aus den Freunden und Schülern Schleiermachers war durch Aufnahme von Hegels Philosophie eine Gruppe erwachsen, die ihr Anlieschaftliche
Religiöse Treue und loyale Rebellion
I.
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gen 1827 als „Vermittlungstheologie" bezeichnete. Sie sammelten sich die „Theologischen Studien und Kritiken". Ihr um eine Zeitschrift Ziel war die innere Versöhnung zwischen dem modernen wissenschaftlichen Bewußtsein und der christlichen Offenbarung durch die Zurückführung nur relativer Gegensätze auf ihre ursprüngliche Einheit, um zu dem „höheren Standpunkt" einer christlich-liberalen Kulturreligion zu kommen. Als profilierteste Vertreter gelten Carl Immanuel Nitzsch (1787-1868) und Richard Rothe (1799-1867), der beim ersten Protestantentag 1865 als Ziel die „Versöhnung von Religion und Kultur" nannte. Die vermittlungstheologisch orientierten Kreise teilten die gesellschaftpolitischen und verfassungsrechtlichen Anliegen der bürgerlich-liberalen Revolution von 1848, ohne freilich diese selbst als legitimes Veränderungsinstrument anzuerkennen. Konservative Lutheraner wie Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869), die Gebrüder Gerlach oder Friedrich Julius Stahl (18021861) optierten antirevolutionär, indem sie seit 1831 in der „Evangelischen Kirchenzeitung" (EKZ) lutherische Traditionen politisierten, die monarchische Ordnung als „göttliches Recht der Herrscher" religiös qualifizierten und oft in Auseinandersetzung mit der zu „liberalen" Regierung die Aufrichtung des „christlichen Staates" als Schranke gegen Rationalismus und Liberalismus, Revolution und Unglauben forderten. Wie sie den inneren Zusammenhang zwischen der gegnerischen Theologie und dem politischen Aufruhr („Sünde der Empörung") postulierten, verstanden sie ihre Position als politisch-konservative Gegentheologie zum Umsturz. „Der Radikalismus erhebt in den großen Städten von Deutschland sein Haupt und thut seine Machtansprüche, die er Bitten nennt, trotzend und drohend Deutschen Obrigkeiten, Deutschen Fürsten kund", schrieb am 18. März 1848 die EKZ und warnte vor Kompromissen: „Die Schwertträger Gottes beugen sich in den Staub vor den alliierten Priestern der deutschen Radikalen". Mit Ausnahme dieser Gruppierung war die religiöse Vereinskultur protestantisch-unionistisch und antikatholisch ausgerichtet. Letzteres galt für nahezu alle Assoziationen mit vermittlungstheologischem Umfeld, besonders für den 1832 gegründeten Gustav-Adolf-Verein, der die evangelischen Gemeinden in der Diaspora unterstützen wollte. Im Unterschied zum katholischen Klerus, der gestützt auf den vorausgegangenen Wahlkampf der katholischen Bewegung und eine intensive Programmarbeit im Frankfurter Parlament eine überfraktionelle, im Katholischen Klub (seit 14. Juni 1848) organisierte Gruppe von etwa 60-70 Abgeordneten bildete und für die Unabhängigkeit aller Religionsgesellschaften vom Staat eintrat, fehlte eine protestantische -
Konservatives Luthertum
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Antikatholische Affekte
Katholiken und Protestanten im Frank-
furter Parlament
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I.
Enzyklopädischer Überblick
Gruppierung ebenso wie ein Programm. Die über die Fraktionen verteilten evangelischen Abgeordneten standen dem Gustav-Adolf-Verein nahe, gehörten zum Kreis um den Württemberger Christoph Hoffmann (1815-1885) oder hatten Verbindung zu den „Lichtfreunden" bzw. Deutschkatholiken. Trotz dieser Heterogenität bestanden Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Argumente und Ziel vorstellungen. Für eine Unabhängigkeit von Kirche und Staat sprachen sich nahezu alle protestantischen Abgeordneten aus, wobei die wenigsten an eine strikte Trennung dachten. Bei den meisten spielten Kontinuitätsüberlegungen, die Wahrung von Korporationsrechten der Kirche oder die Sicherung der sittlichen Grundlagen des Gemeinwesens durch institutionalisierte Religion eine maßgebliche Rolle. Selbst diejenigen, die den Religionsgesellschaften nur noch Vereinscharakter zubilligen wollten, anerkannten die bestehenden, engen Beziehungen von Staat, Volk und Kirche. Wie die mit den Landesherren eng verbundene hohe evangelische Katholische Vereinsbewegung und Geistlichkeit lehnte auch die Mehrheit der katholischen Bischöfe den Milieubildung Umsturz ausdrücklich ab. Dennoch bildete die Revolution einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des deutschen Katholizismus, weil die neuen „Märzfreiheiten" zum Programm der Laien-Vereinsbewegung wurden. Mit den „Pius"-Vereinen, deren Vertreter sich zu landesweiten Generalversammlungen trafen, wurde ein neuer Typus gesellschaftlichen Engagements für die Kirche und deren kulturelle wie soziale Anliegen geschaffen. Während im zergliederten Protestantismus von einer Milieubildung eigentlich noch nicht die Rede sein kann, ist das katholische Milieu ein Produkt der Konstituierungsprozesse der Vereinsbewegung. Die katholischen Vereine organisierten sich trotz deutlich bekundeter Treue unabhängig von Papsttum und Hierarchie und trugen mit ihrer breiten sozialen Struktur und volksnahen Arbeitsweise den gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen der Zeit mehr Rechnung, als das die katholische Kirche konnte. Das Modell zur Gründung kam vom Mainzer Kreis; es wurde ein Beitrag erhoben, der wie später bei der SPD während der Versammlungen eingezahlt werden konnte. Auf der ersten Mainzer Generalversammlung im Herbst 1848 schlössen sich die einzelnen Vereine zum „Katholischen Verein Deutschlands" zusammen, gaben sich eine Satzung, die insbesondere die soziale Verpflichtung hervorhob, und bekräftigten in einer Adresse an den Papst ihre politische Unabhängigkeit im Blick auf mögliche Staatsformen. Zu einem erheblichen Teil über die Pius-Vereine wurden Massenpetitionen genutzt, um auf die Verfassungsarbeit der Parlamente insbesondere in der Schulfrage Einfluß zu nehmen. Unter dem Eindruck einer faktischen Benachteiligung des katholischen Be-
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völkerungsteils bildete sich in der Zweiten Preußischen Kammer 1852 eine förmliche „katholische Fraktion". Mit dieser seit 1859 „Zentrum" genannten Partei hatte sich der politische Katholizismus ein wirkungsvolles, dem konstitutionellen Staat entsprechendes Organ zur Durchsetzung seiner gesellschaftspolitischen Interessen geschaffen. Eine solche Parteigründung ist dem Protestantismus trotz mancher Ansätze (vgl. unten S. 32 ff.) nicht gelungen. Die Impulse der Revolution wirkten sich auf den Protestantismus wittenberger schwächer aus. Im September 1848 trat auf Anregung der 1846 in Ber- Kircnentag lin abgehaltenen Deutsch-Evangelischen Kirchenkonferenz der Wittenberger Kirchentag unter Leitung des Altliberalen Moritz August v. Bethmann-Hollweg (1795-1877) und des Konservativen Friedrich Julius Stahl zusammen, um die Bildung eines evangelischen Kirchenbundes für Deutschland zu beraten. Die Konföderation scheiterte jedoch an Partikularinteressen, vor allem auch an der Furcht vor einer preußischunierten Majorisierung des Protestantismus. Ähnlich wie bei der Mainzer Generalversammlung der katholischen Vereine spielte auch beim Wittenberger Kirchentag die soziale Frage eine wichtige Rolle. Die programmatische Rede des Hamburger Leiters des Rauhen Hauses, Johann Hinrich Wichern (1808-1881), führte zwar nicht zur Reform des deutschen Protestantismus, aber doch zur Errichtung des Centraiausschusses für Innere Mission, so daß wenigstens für die christliche Caritas eine evangelisch-kirchliche Einheit erreicht wurde. Wicherns Programm auf dem durchaus antirevolutionär gestimmten Kirchentag ist als die „protestantische Antwort auf das kommunistische Manifest'" (Shanahan) bezeichnet worden. Bis zum Ende der Kirchentagsbewegung (1872) fanden mit den Kirchentagen auch die Kongresse für die Innere Mission statt. Auch der politische Schub der Reichsgründung hatte die innere Zersplitterung des deutschen Protestantismus nicht überwinden können. Die politische Verfassungsbewegung gab auch den Kirchenver- Kirchenverfasfassungsplänen, die seit Schleiermachers „Vorschlag zu einer Verfas- s"ngsentwickiung sung der protestantischen Kirche im preußischen Staat" (1808) im Prinzip fortbestanden, aber wegen ihrer „demokratischen" Elemente verworfen worden waren, neue Anstöße. Der Grundsatz kirchlicher Selbstverwaltung (§ 147 der Paulskirchenverfassung) ging auch in die Länderverfassungen ein, wurde aber nach dem Scheitern der Revolution nur schleppend umgesetzt. In Preußen wurde zwar 1850 die evangelische Abteilung des Kultusministeriums zu einem eigenständigen Evangelischen Oberkirchenrat umgebildet, aber bis zum Abschluß der -
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Synodalverfassung verging noch ein Vierteljahrhundert. Bis zum Ende
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Kirchliches Parteiwesen
I.
Enzyklopädischer Überblick
des Jahrhunderts setzte sich in allen deutschen Landeskirchen die gemischt konsistorial-presbyteriale Synodalverfassung nach dem Modell der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung von 1835 durch. Im Gefolge der „Kirchenparlamente" entwickelte sich das kirchenpolitische Parteiwesen. Sein Spektrum reichte vom rechten Flügel der Neu-Lutherisch-Konfessionellen bis zur kirchlichen Linken, dem liberalen Protestantenverein. Dazwischen plazierte sich die kirchliche Mittelpartei. In der preußischen Generalsynode entstand als vierter Typus die politisch und theologisch äußerst konservative, aber unionistische „Positive Union" („Hofpredigerpartei").
2. Die Kirchen während der Reichseinigung und in der Bismarckära (1866-1890) 2.1 Die Herausbildung des Ultramontanismus in der katholischen Kirche Das sozialmoralische Milieu des Katholizismus
Nach der reaktionären Stagnation der 50er Jahre schien sich um 1860 überall in Deutschland ein neuartiger politischer Liberalismus Bahn brechen zu wollen. Gleichzeitig wies die kuriale Kulturpolitik alles zurück, was den Menschen „Modernität" und „Fortschritt" bedeutete. In seinem „Syllabus" von 1864, auf den Tag genau 10 Jahre nach der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Marias, verurteilte Papst Pius IX. eine Reihe liberaler Grundsätze des kirchlichen und staatlichen Lebens als Indifferentismus und den Sitten der Völker verderblich [siehe oben S. 9 f.]. Diese Haltung traf sich mit einer Tendenz des politischen Katholizismus, der von der antikatholischen Kirchenpolitik des Liberalismus enttäuscht und über die wachsende Säkularisierung der Gesellschaft entsetzt stärker zu ultramontanen Positionen neigte. Dazu trug auch die den Kirchenstaat bedrohende italienische Nationalbewegung bei, die sich ebenfalls liberalen Antrieben verdankte. Auch im Vereinskatholizismus entwickelte sich eine Tendenz zur Verkirchlichung. Soziale und volksbildende Aufgaben im Interesse der Kirche führten zu einer Ausdifferenzierung des Vereinswesens für spezielle Zwecke. Gemeinsam war die „Ausbildung eines sozialmoralischen Milieus", das sich „am besten als ,ultramontan' charakterisieren läßt" (W. -
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Loth). Nationalprotestantismus
Die Kluft zwischen „ultramontan"-großdeutsch und „national"kleindeutsch trennte den katholischen und protestantischen Bevölkerungsteil; denn diesem schienen liberal-theologisch vorbereitet die -
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2.
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Reichseinigung und Bismarckära
Anliegen des Christentums mehr und mehr in der nationalen Gesellschaft aufgehoben, während jener auf der Unabhängigkeit beider Grö-
ßen beharrte. Wie für viele Altliberale so war auch für den Schleiermacher- „Neue Ära" Schüler Carl Immanuel Nitzsch die „Neue Ära" zwischen 1858 und 1862 eine Zeit der politisch-kulturellen Verwirklichung dessen, was der Kreis um den preußischen Kultusminister August von Bethmann-Hollweg erstrebt hatte und später in der „Mittwochsgesellschaft" zu konservieren trachtete. Im März 1848 hatte Nitzsch an seinen Sohn geschrieben: „[...] daß das Königtum gefallen ist, das bloß auf den Spitzen der Bajonette schwebte, das ist mir ganz recht". Unter dem Eindruck der Erfolge Bismarcks gab jedoch die Mehrheit der Altliberalen ihre legitimistisch-großdeutsch-föderative Position auf und schloß sich den Nationalliberalen an. Preußens Sieg über Österreich 1866 galt als Sieg des modernen, protestantisch-liberalen Prinzips über den rückständigen Katholizismus. In der katholischen Bevölkerung machte sich eine eher resignative Stimmung breit, die auch durch neue Vereinsaktivitäten und die Gründung eines ständigen Zentralkomitees 1869 kaum aufgefangen werden konnte. Dem entgegenzuwirken versuchte Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteier, Bischof von Mainz, indem er 1867 die Katholiken zur Mitwirkung an der kleindeutschen Lösung aufforderte. In Wirklichkeit war dieses „Zweite Reich" weder liberal noch Konfessionell neuevangelisch-christlich. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 traler Bismarckstaa war zwar als ein Feldzug „für Religion und Vaterland" geführt und „durch Gottes Führung" gewonnen worden. Das nationale „BismarckReich" erinnerte aber mehr an die Restitution des vorchristlich-germanisch-mittelalterlichen Wahlkönigtums, als daß es an die europäische Tradition der übernational-deutschen Kaiserwürde des „Heiligen Römischen Reiches" von 962 bis 1806 anknüpfte. Nicht nur im Zusammenhang mit der Kaiserkrönung vermied man religiöse Elemente und Symbole; auch die Reichsverfassung hielt sich frei von Kirche und Gottesgnadentum. Kaiser, Kronprinz und Reichskanzler ordneten ihre persönlichen religiösen Überzeugungen diesem politischen Konsens unter. Das hinderte freilich nationalliberal-protestantisch-unionistische Kreise nicht, die „Mission Preußens" zu beschwören eine politische und religiöse Einigung Deutschlands auf dem Fundament des deutschlutherischen Protestantismus. Eine Überwindung der evangelischkirchlichen Zersplitterung auf nationalstaatlicher Grundlage scheiterte jedoch auf der nach Berlin einberufenen Oktoberversammlung 1871 an den kirchenpolitisch-verfassungsrechtlichen wie konfessionellen Differenzen. -
18 Erstes Vatikanisches Konzil
I.
Enzyklopädischer Überblick
Mit dem Verlust der weltlichen Herrschaft ging der Versuch des Papstes einher, seinen geistlichen Einfluß auszudehnen (s.o. S. 16). Konnte davon das Verhältnis von Staat und Kirche nicht unberührt bleiben, so mußte erst recht die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem Ersten Vatikanischen Konzil zu schweren Irritationen bei den deutschen Regierungen führen zumal sich zunächst achtzehn der vierundzwanzig deutschen Bischöfe und Erzbischöfe gegen diesen Schritt ausgesprochen hatten. Doch kam die von Bayern im Vorfeld des Konzils angeregte gemeinsame Aktion gegenüber der Kurie nicht zustande, weil sich insbesondere Preußen einer direkten Stellungnahme enthielt und lediglich feststellte, es werde jedem kirchlichen Übergriff auf das staatliche Rechtsgebiet energisch entgegentreten. Im Unterschied zu Bayern und Baden vertrat Preußen nach Verkündung des neuen Dogmas (19. Juli 1870) die Ansicht, es handele sich dabei um eine rein innerkirchliche Angelegenheit; seine Bekanntmachung in den bischöflichen Amtsblättern bedürfe darum auch keines staatlichen Plazets. Die oppositionellen deutschen Bischöfe, die sich zuerst gegen die Dogmatisierung ausgesprochen hatten, unterwarfen sich bis April 1871 dem Konzilsabschluß. Die preußische wie die Regierung des Deutschen Reiches bemühten sjcn zunächst, den anhaltenden Streit um die päpstliche Unfehlbarkeit als ausschließlich innerkirchlichen Konflikt zu behandeln. Doch da die oppositionellen Theologieprofessoren, Militärgeistlichen, Anstaltsgeistlichen und Religionslehrer sich zugleich im Staatsdienst befanden und der Breslauer Fürstbischof Heinrich Förster (1799-1881), der Kölner Erzbischof Paulus Melchers (1813-1895) wie der Ermländische Bischof Philipp Krementz (1819-1899) Kultusminister Heinrich von Mühler um sein Eingreifen ersuchten (Zurechtweisung, Verhinderung von Veröffentlichungen) bzw. eine Vorlesungssperre (Entzug der missio canonica) oder gar den großen Kirchenbann verhängten, mußte der Staat Stellung nehmen. Das Kultusministerium ließ sich aber zu einem Einschreiten gegen die Theologieprofessoren und Religionslehrer nicht bewegen, bekräftigte vielmehr deren Stellung als preußische Staatsbeamte und verfügte ihre Weiterbeschäftigung. Daraufhin wandte sich der preußische Gesamtepiskopat mit einer Immediateingabe (7. September 1871) an Wilhelm I., doch der König bestätigte die Regierungsakte; Heinrich v. Mühler ging im Schreiben vom 25. November 1871 erstmals auch auf das inhaltliche Problem ein: Die Konzilsentscheidung habe die katholische Glaubenslehre verändert, und der Staat könne den Gläubigen, die an der ursprünglichen Lehre festhielten, seinen Schutz nicht entziehen. -
Konflikte mit dem Staat
2.
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Reichseinigung und Bismarckära
Ein weiteres Konfliktfeld zwischen der preußischen Regierung Das Zentrum und dem Katholizismus war die Neubildung der katholischen Partei „Zentrum" im November 1871. Aus dem Namen der Partei nach „Zentrum" war „(Verfassungspartei)" hinzugesetzt und dem Parteiprogramm ging eindeutig hervor, daß es sich um eine überkonfessionelle, politisch oppositionelle Organisation handelte, die wie August Reichensperger formulierte den „monopolistischen Begehrlichkeiten des falschen Liberalismus" entgegentreten wollte. Wie das neue Zentrum über die Reichsgründung dachte, wurde daran deutlich, daß die beiden wichtigsten Zentrumsabgeordneten, Hermann von Mallinckrodt (1821-1874) und Ludwig Windthorst (1812-1891), bei der letzten Sitzung des norddeutschen Reichstages gegen die „Versailler Verträge" gestimmt hatten. Mallinckrodt begründete seine Haltung mit einem Mangel an Rechtsgarantien für die Religionsfreiheit und einer unklaren Trennung zwischen Reichsgewalt und Staatsgewalt. „Mit diesen Verträgen", so führte er aus, werde „der sichere Weg zum Militarismus und Imperialismus betreten". Nachdem ein Versuch Bismarcks gescheitert war, den Heiligen Stuhl zu einer Stellungnahme gegen die Politik des Zentrums zu veranlassen, entschloß sich der Kanzler, den politischen Katholizismus mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dabei betrachtete er die Auseinandersetzung als einen innenpolitischen Vorgang, der die katholische Kirche allenfalls mittelbar betraf. Eine dritte Variante des politischen Katholizismus, die zum „Kul- Katholische turkampf' mit Preußen führte, betraf die polnische Minderheitenfrage. Mlr|derheiten Bei der Beratung der Reichsverfassung hatten die preußischen Polen den Antrag gestellt, die „unter preußischer Herrschaft stehenden polnischen Landesteile nicht in das deutsche Reichsgebiet einzubeziehen", um ihre „nationale Sonderstellung" gegenüber Deutschland hervorzuheben. Schon Jahre zuvor hatte Bismarck mit Sorge die in seinen Augen deutschfeindliche Propaganda des katholischen Klerus in den polnischen Landesteilen beobachtet. Eine politische Koalition zwischen Zentrum, dem katholisch-polnischen Nationalismus und den hannoverschen Weifen betrachtete er als latente Infragestellung des jungen deutschen Nationalstaates. Über der illegitimen Annexion des weifischen Königtums Hanno- windthorst als ver durch Preußen und der Absetzung König V. im Jahre 1866 •Gegenspieler' ° Georgs ° Bismarcks war der großdeutsch gesinnte Windthorst zum entschiedenen Gegner des emporgekommenen Hohenzollernstaates geworden. Bismarck hatte ihm das „Vaterland" genommen. Zeitlebens vertrat er die Interessen des untergegangenen Königshauses, übernahm die Verhandlungen mit Preußen über den Weifenfonds und blieb die Symbolfigur des groß-
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L
Enzyklopädischer Überblick
Widerstandes gegen das preußisch-deutsche Kaiserreich. Bismarck nahm diese Gegnerschaft in ihrer Gesamtsymbolik an und stilisierte sie auch religiös. Windthorst hielt ihm zu Anfang des Kulturkampfes am 14. Mai 1872 vor, die Schwierigkeit, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu lösen, liege nicht bei der katholischen, sondern bei der evangelischen Kirche. Diese sei so eng mit dem Staat verbunden, daß „die Lösung dieses Bandes kaum möglich ist, ohne die evangelische Kirche schwer, tief, vielleicht tödlich zu treffen". Darauf antwortete der gegenüber dem evangelischen Staatskirchentum kritisch eingestellte Bismarck: „Ich habe dem Herrn Vorredner als Minister in dieser Beziehung weiter nichts zu sagen; als evangelischer Christ aber habe ich ihm noch zu sagen: wenn er glaubt, daß die Trennung der evangelischen Kirche vom Staate für die evangelische Kirche tödtlich sei, so muß ich ihm, was ich seiner ganzen Haltung nach voraussehen konnte, entgegnen, daß ihm zu meinem Bedauern der wahre Begriff des Evangeliums noch nicht aufgegangen ist!"
deutsch-legitimistischen
2.2 Der Kulturkampf
Kulturkampf als Die Auseinandersetzungen zwischen dem liberalen Staat und dem Kaumfassender tholizismus in seiner religiösen, politischen und sozialen Ausprägung Modernisierungs- sind Teil eines umfassenderen konflikt Modernisierungsschubs, der lange vor den eigentlichen, legislativ und massenpsychologisch geführten Kämpfen begann und mit der „Beilegung" des Kulturkampfes nicht abgeschlossen war. In diesen Prozeß gehören die Konflikte um Religionsedikte und Konkordate aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, die im Zuge der Revolution von 1848 wieder auflebten. Auf Seiten des Episkopats schien die verfassungsrechtlich veränderte Situation günstig, um Revisionen des bisher gültigen Staat-Kirche-Verhältnisses im Sinne größerer kirchlicher Freiheit in ihrer Verwaltung, in der Ausbildung ihres Klerus, in Kultus und religiösem Leben zu fordern und den Einfluß auf das allgemeine Erziehungs- und Unterrichtswesen wieder zu erweitern. Ein entsprechender Vorstoß des bayerischen Episkopats im Jahre Bayern 1850 wurde von der Kurie lebhaft begrüßt, stieß aber in der Abgeordnetenkammer auf entschiedenen Widerspruch. Umgekehrt verlangte die bayerische Regierung 1851 vom Klerus einen Treu- und Verfassungseid sowie eine Eidesformel, wonach die Geistlichen erklärten, sich keiner verbotenen oder geheimen Gesellschaft anzuschließen. Diese Fragen konnten 1853/54 durch wechselseitiges Entgegenkommen gelöst werden. Nach dem Krieg von 1866 kam es unter dem libe-
2.
ralen Kabinett des
Reichseinigung und Bismarckära
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Ministerpräsidenten Chlodwig zu Hohenlohe-Schilneuen Schulge-
lingsfürst (1819-1901) über einem 1867 vorgelegten, setzentwurf
zu
schweren Konflikten, da dieses Gesetz durch die Ab-
geistlichen Schulaufsicht auf die Entkonfessionalisierung und Entklerikalisierung des bayerischen Schulwesens abzielte. Nach dem Sieg der katholisch-partikularistischen Patriotenpartei Mitte April 1869 war an eine Durchsetzung dieses Gesetzes jedoch nicht schaffung
der
zu denken. Auch in Baden lebten nach 1852 die Auseinandersetzungen zwisehen Staat und Kirche wieder auf. Die unter der Führung des Freiburger Erzbischofs Hermann v. Vicari (1773-1868) stehenden Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz meinten nach 1848 die Beseitigung der staatlichen Kirchenhoheit fordern zu können. Durch zwei Bischofs-Denkschriften von 1851 und 1852 suchten sie auf die oberrheinischen Regierungen einzuwirken, erreichten aber nur eine gemeinsame Entschließung der Länder Baden, Württemberg, Hessen und Nassau vom 5. März 1853, wonach die landesherrlichen Verordnungen nur modifiziert, nicht aber aufgehoben wurden. Ungeachtet dessen lehnte das erzbischöfliche Ordinariat mit Schreiben vom 10. Juni 1853 jede Mitwirkung staatlicher Stellen bei der Pfarrstellenbesetzung ab. Als sich die Staatsbehörde (katholischer Oberkirchenrat) weigerte, gegen staatliche Verordnungen zu verstoßen, drohte Vicari ihren Mitgliedern im Falle ihres kirchlichen Ungehorsams die Exkommunikation an. Nachdem Vicari schließlich die Prüfungen zur Aufnahme in das Priesterseminar sowie die Besetzung von Pfarrstellen ohne staatliche Beteiligung vornahm, setzte die badische Regierung einen staatlichen Spezialkommissar zur Gegenzeichnung der erzbischöflichen Anordnungen ein. Vicari antwortete mit einem Hirtenbrief (11. November 1853) und verhängte über den Staatskommissar wie über die Mitglieder des katholischen Oberkirchenrats den großen Kirchenbann. Papst Pius IX. unterstützte das Vorgehen des Freiburger Erzbischofs ohne Einschränkung. Verhandlungen zwischen der badischen Regierung und dem Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteier (1811-1877) im Auftrag der katholischen Kirche führten nicht zur Verständigung, zumal der preußische Bundestagsgesandte von Bismarck im Auftrag seiner Regierung den badischen Prinzregenten zu einer unnachgiebigen Haltung veranlaßte (26. Januar 1853). Durch die Zweite Badische Kammer bestärkt, forderte die Regierung als Vorbedingung für weitere Verhandlungen eine Rücknahme der Kirchenstrafen, was Vicari zurückwies. Im Frühjahr 1854 leitete die Regierung direkte Verhandlungen mit der Kurie ein. Diese führten erst nach einem konservativen Ka-
mehr
Baden
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L
Enzyklopädischer Überblick
binettswechsel (Mai 1856) zu dem Ergebnis einer Konvention (28. Juli 1859), der Großherzog Friedrich ohne Mitwirkung der Kammern zustimmte. Damit provozierte er den Widerspruch der liberalen Mehrheit in der Zweiten Kammer gegen das Konkordat. Sie verwarf es am 30. März 1860 mit großer Mehrheit, so daß der Großherzog seinen Rücktritt von der Konvention erklären mußte und das konservative Kabinett entließ. Die neue liberale Regierung legte Ende Mai 1860 den Kammern eine Reihe von Gesetzentwürfen vor, die das Staat-KircheVerhältnis regeln sollten. Diese Gesetze traten am 9. Oktober 1860 in Kraft, nachdem die Kammern ihnen zugestimmt hatten. Sie nahmen zwar vieles aus dem Konkordat auf, regelten etwa die bürgerliche Standesbeamtung in Ausnahmefällen, das Erziehungsrecht der Kinder in bezug auf die Religion und garantierten die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, folgten dem Konkordat in der vorgesehenen Einschränkung der akademischen Lehrfreiheit aber nicht. Mitte Dezember 1860 legte Pius IX. Verwahrung gegen den einseitigen Rücktritt der badischen Regierung vom Konkordat ein, fügte sich aber wie Vicari auch den einseitig erlassenen Staatsgesetzen. Die darauf fußenden staatlichen Verordnungen über Kirchen- und Schulangelegenheiten in den Jahren 1862/63 nahmen durch die Schaffung des Oberschulrats eine Verstaatlichung der Schulaufsicht vor und ergänzten in den folgenden Jahren die oberste Schulaufsichtsbehörde durch mittelinstanziiche und örtliche Schulbehörden. Da diese Maßnahmen den Einfluß der Geistlichen auf die Schule empfindlich einschränkten, legte Vicari in dem Hirtenbrief vom 19. Juli 1864 gegen die Verstaatlichung der Schulaufsicht Protest ein und verbot seinen Geistlichen den Eintritt in die Ortsschulräte sowie jede Zusammenarbeit mit den staatlichen Schulorganen. Nach einem Kabinettswechsel 1866 setzte der neue badische Innenminister Julius Jolly (1823-1891) ein Gesetz über die allgemein-wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen („Kulturexamen") und ein dreijähriges Universitätsstudium („Triennium") durch. Vicari sah in dem Gesetz, das Anfang September 1867 in Kraft trat, einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Kirche und untersagte allen Theologen die Teilnahme an der Staatsprüfung, was wiederum eine staatliche Anstellungssperre für junge katholische Geistliche zur Folge hatte. Das badische Volksschulgesetz vom 8. März 1868 unterstrich den staatlichen Charakter der Schule und leitete den Übergang zur Simultanschule ein, indem es die Umwandlung von Konfessionsschulen in Gemeinschaftsschulen gestattete. Kurz vor seinem Tod legte Vicari gegen das Gesetz feierliche Verwahrung ein. Die vom Domkapitel nach Vicaris Tod präsentierte Kandidatenliste wurde von der badischen Regierung zurückgewiesen,
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Reichseinigung und Bismarckära
da die Erzbischofsanwärter allesamt ultramontan ausgerichtet und/oder keine badischen Staatsangehörigen waren. Da keine Seite nachgab, blieb das Freiburger Erzbistum bis 1882 vakant und wurde in dieser Zeit von Weihbischof Lothar Kübel (1823-1881) interimistisch vertreten. Einen entscheidenden Schritt zur weiteren Beschränkung des geistlichen Einflusses auf das öffentliche Leben stellte das badische Zivilehegesetz vom 21. Dezember 1869 dar, mit dem Baden nach der Freien Stadt Frankfurt und vor der preußischen wie reichsgesetzlichen Regelung die obligatorische Zivilehe einführte. Vor der im engeren Sinne „Kulturkampf genannten Auseinandersetzung, die im wesentlichen von der bis dahin eher zurückhaltenden preußischen Staatsregierung geführt wurde, gab es also bereits auf regionaler Ebene analoge Konflikte, zu deren Lösung entsprechende legislative Maßnahmen ergriffen worden waren. Die Kulturkampfgesetzgebung war das Werk des nationallibera- Kulturkampflen preußischen Kultusministers Adalbert Falk (1827-1900). Der Auf- g^etzgebung bau des umfangreichen legislativen Netzwerks begann zur Jahreswende 1871/72 und war im Juni 1876 abgeschlossen. Mit wenigen Ausnahmen handelte es sich um Gesetze des preußischen Staates. Die erste Ausnahme war das Reichsgesetz vom 10. Dezember 1871, das auf Veranlassung Bayerns gegen den Mißbrauch der Kanzel zu politischen Zwecken gerichtet war, die zweite betraf das Zivilehegesetz vom 6. Februar 1875. Am IL März 1872 sprach das preußische Schulgesetz die Aufsicht „über alle öffentlichen und Privat-Unterrichtsanstalten dem Staate" zu. Da die konservative Partei Bismarck hier nicht folgte, kam es endgültig zum Bruch mit den ehemaligen Bundesgenossen. Dem 22. am Januar 1872 die Entlassung des konwar Schulaufsichtsgesetz servativen preußischen Kultusministers Heinrich von Mühler vorausgegangen. Er wurde durch den nationalliberalen Juristen Adalbert Falk ersetzt. Als Hegelianer vertrat Falk die Dominanz des Staates gegenüber den Kirchen. Aufgrund des Dissenses mit den Konservativen mußte sich der Kanzler fortan noch stärker auf die Liberalen stützen. Auf Initiative des Reichstags, insbesondere des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, schloß am 4. Juli 1872 ein Reichsgesetz den Jesuitenorden und verwandte Orden „vom Gebiete des Deutschen Reiches" aus. Das Gesetz vom 5. April 1873 änderte die kirchenpolitischen Artikel 15 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 und schuf so die Voraussetzungen für die Maigesetzgebung des Jahres 1873, den gesetzgeberischen Höhepunkt des Konflikts. Das erste Maigesetz vom 11. Mai 1873 enthielt eine Neuregelung der -
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L Enzyklopädischer Überblick
„Vorbildung und Anstellung der Geistlichen". Das zweite vom 12. Mai 1873 betraf die „kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten". Das dritte 13. Mai 1873 nannte „die Grenzen des Rechts zum Gebrauche kirchlicher Straf- und Zuchtmittel". Das vierte vom 14. Mai 1873 regelte „den Austritt aus der Kirche". Am 9. März 1874 wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt eine Maßnahme, die auch den Protestantismus ganz empfindlich traf. Im Mai 1874 wurden drei Gesetze verabschiedet, die sich auf die Maigesetze des Vorjahres bezogen. Wiederum ein Jahr später folgten vier Strafgesetze wegen Nichtbefolgung der bisherigen Kirchengesetze. Das Gesetz vom 4. Juli 1875 regelte „die Rechte der altkatholischen Kirchengemeinschaften an dem kirchlichen Vermögen". Im Jahre 1876 wurde die Kulturkampfgesetzgebung mit zwei weiteren Gesetzen abgeschlossen. Aus dem gesamten Gesetzgebungswerk ergibt sich, daß es sich nicht nur um einen politischen Kampf der Regierung gegen das Zentrum handelte, sondern um die Zurückdrängung der katholischen Kirche aus dem öffentlichen Leben unter eindeutig liberalem Vorzeichen. Von den paritätischen Staatsmaßnahmen insbesondere zu dem Religionsunterricht und der Zivilstandsgesetzgebung war auch die evangelische Kirche auf das schwerste mitbetroffen. Staatskirchenrechtlich bedeutete die Kulturkampfgesetzgebung einen Rückschritt vor die Preußische Verfassung von 1850, da sie beiden Kirchen die zugestandene Selbständigkeit wieder nahm und sie erneut unter die Oberaufsicht des Staates stellte. Mit der Unterordnung kirchlicher Ausbildungsanstalten unter die staatliche Aufsicht, dem oktroyierten Staatsexamen („Kulturexamen") für Geistliche und dem Einspruchsrecht des Staates bei der Anstellung von Geistlichen war man ganz der liberalen Rechtsstaatsidee im hegelianischen Sinne gefolgt. Von der praktisch-politischen Zielsetzung her ging es letztlich um die Auflösung der „ultramontanen" Strukturen der römisch-katholischen Kirche zugunsten einer national-katholischen Staatskirche. Mit der Weigerung des preußischen Episkopats vom 26. Mai 1873, „zum Vollzuge der [...] publicirten Gesetze mitzuwirken", kam es zum offenen Konflikt zwischen Staat und Kirche, in den das Zentrum mit Appellen zum passiven Widerstand eingriff. Beeinflußt durch die katholische Partei und ihre Priester, stand die katholische Bevölkerung Preußens treu zum Klerus, dieser zum Episkopat und der Episkopat zum Papst. Die Entschlossenheit der Gläubigen, unverbrüchlich an ihrer Kirche festzuhalten, brachten die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus 1873 und vor allem die Reichstagswahlen 1874 zum vom
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Zurückdrängung der Konfessionen
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Kirchliche Ausbil-
dung unter staat-
licher Oberaufsicht
Innere Einheit des Katholizismus
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Reichseinigung und Bismarckära
Ausdruck, bei denen das Zentrum seinen Stimmenanteil nahezu
ver-
doppelte. Der Höhepunkt lag bei den Reichstagswahlen von 1881: Mit 23,8% aller abgegebenen Stimmen hatten 86,3% aller katholischen
Wähler dem Zentrum ihre Stimme gegeben. Der deutsche Katholizismus identifizierte sich mit der Zentrumspartei und war über den Kämpfen zu einer massenreligiösen Formation mit stabilen mentalen Grundzügen geworden. Auch die zweite Säule der „katholischen Bewegung", die Generalversammlung des katholischen Vereinswesens, war „ein offenes Forum der papst- und zentrumstreuen Katholiken geworden" (Hurten), das nicht mehr nur die Vereine, sondern unmittelbar „alle erwachsenen deutschen katholischen Männer" repräsentierte. Mit dem Kulturkampf war eingetreten, was Bismarck hatte verhindern wollen: die nationale Spaltung nach Konfessionen. Die Bereinigung der Staat-Kirche-Verhältnisse suchte Bismarck am Zentrum vorbei in direkten Verhandlungen mit Papst Leo XIII. Mit den beiden „Friedensgesetzen" von 1886 und 1887 wurden Kompromisse vereinbart, die den Zentrumsführern als Desavouierung erschienen, da sie sich mit der Mehrheit der deutschen Katholiken nicht zu solchen Zugeständnissen bereitgefunden hatten. Für den Begründer des deutschen Nationalstaats blieb das Zentrum „reichsfeindlich" und rückte an die Seite der Sozialdemokratie, da, wie Bismarck ausführte, „beide das gemeinsam haben, daß sie ihre Gegnerschaft gegen die nationale Entwicklung in internationaler Weise betätigen, daß sie Nation und nationale Staatenbildung bekämpfen". Verlauf und mehr noch Ausgang des Kulturkampfes mit dem innenpolitischen Ende der „liberalen Ära" 1878/79 führten auch zu einer weiteren Politisierung des Protestantismus, wobei sich unter der Losung, es gelte jetzt, die evangelische Freiheit und den wertpolitisch aufgeladenen deutschen Nationalstaat zu verteidigen antikatholische mit nationalreligösen Attitüden vermischten. Antiultramontane Vereinsaktivitäten reichten von regionalen Zusammenschlüssen wie Heinrich v. Sybels (1817-1895) „Deutschem Verein für die Rheinprovinz" bis zu Willibald Beyschlags (1823-1900) „Evangelischem Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen". Das zentralistisch organisierte nationalprotestantische Vereinsnetz des Evangelischen Bundes unterschied sich deutlich von der ansonsten eher föderalistischen Vereinskultur des Kulturprotestantismus mit seinen politischen Pastoren. Die praktisch-karitative oder bildungsorientierte Vereinstätigkeit des Protestantismus blieb dem liberalen oder konservativen sozial-moralischen Gesinnungs-Milieu verhaftet. Für das kulturprotestantisch-liberale Milieu besaßen der Deutsche Protestantenverein, der Evangelisch-
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Friedensgesetze
Politischer und konfessioneller Internationalismus
Politisierung des Protestantismus
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I
Soziale
Enzyklopädischer Überblick
Kongreß und die Freunde der Christlichen Welt Orientierungs-
funktion, blieben aber auf zahlenmäßig kleine bürgerliche Eliten be-
Mitgliedszahlen des Evangelischen Bundes stiegen von 83000 im Jahr 1891 auf 510000 im Jahr 1913, der Protestantenverein von 22000 im Jahr 1888 auf 50000 im Jahr 1908, der Evangelisch-Soziale Kongreß von 600 im Jahr 1890 auf 1950 im Jahr 1913 und die Freunde der Christlichen Welt von 860 im Jahr 1904 auf 1415 im Jahr 1913. Im konservativen Milieu des pietistisch-konfessionalistischen Luthertums suchten der Hofprediger Adolf Stoecker (1835-1909) und sein Schwiegersohn, der Berliner Pfarrer Reinhard Mumm (1873— 1932), ihre Anhänger unter den Handwerkern, im Kleinbürgertum und in der Arbeiterschaft. Gemeinsam mit dem Berliner Theologen Reinhold Seeberg (1859-1935) organisierte Mumm die antiliberal, antisozialistisch und antisemitisch gestimmte Sammlungsbewegung der wilhelminischen .Neuen Rechten'. Obwohl Mumms konservative Aktivitäten eine höhere Publizität besaßen als etwa die bildungsbürgerlichen des Evangelisch-Sozialen Kongresses, blieben die Erfolge des Konservativismus in städtisch-gewerblichen Gebieten in den 80er und 90er Jahren „eher begrenzt" (Schwentker), da auch er sein Milieu nie hat überspringen können. In das konservative Spektrum gehören auch die Jünglings- und Jungfrauenvereine sowie der 1899 gegründete DeutschEvangelische Frauenbund (DEF). Letzterer geht auf vorbereitende Initiativen Stoeckers zurück, der das politische Potential dieser Gruppe klar erkannte. Ein knappes Jahr nach der Gründung zählten 1300 Mitglieder und 18 Ortsgruppen zum DEF, 1914 waren es 134 Ortsgruppen mit 156000 Mitgliedern. schränkt. Die
2.3 Die katholische Kirche
vor
der sozialen
Frage: Die katholisch-
soziale Bewegung Katholische Soziallehre
Baader
Die christlich-soziale
Bewegung
innerhalb des deutschen Katholiziskonkreten Erfahrungen und einer tiefen Frömmigkeit, die sich an den romantischen Vorstellungen einer organischen Gesellschaft und an der katholischen Soziallehre orientierten. Zu den Vätern der ersten Jahrhunderthälfte gehören Adam Müller (1779— 1829), Benedikt Franz Xaver v. Baader (1765-1841) und Franz Josef v. Büß (1803-1878). Baaders Kritik am Wirtschaftsliberalismus und seine Forderung nach einer gerechten Gesellschaftsordnung auf der Grundlage der christlichen Ethik mündeten in das Konzept korporativer Berufsstände, um den Arbeiter organisch in die Gesellschaft einzugliedern. Das Bemus war
getragen
von
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Reichseinigung
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und Bismarckära
sondere dieser frühen katholischen Sozialreformer war, daß sie dem kapitalistischen Liberalismus nichts anderes entgegenzusetzen wußten als ein ständisch geordnetes Gesellschaftssystem, in das auch der Arbeiterstand mit verbrieften Vertretungsrechten und unter priesterlicher Begleitung eingegliedert werden müsse. Dabei besaßen sie aber einen analytischen Blick für die sozialen Mißstände und genug Zivilcourage, sie auch ungeschminkt beim Namen zu nennen. Während diese Einzelinitiativen ohne Folgen blieben, wiesen Kolping Adolf Kolpings (1813-1865) Gesellenvereine dem sozialen Katholizismus den Weg. 1849 gründete Kolping in Köln einen katholischen Gesellenverein, um den Handwerksgesellen in der Kirche eine Heimat zu geben. Bald folgten weitere Vereinsgründungen, so daß 15 Jahre später in Deutschland bereits 420 Vereine mit 60000 Mitgliedern bestanden. Unter dem Wahlspruch „Religion und Tugend, Arbeitsamkeit und Fleiß, Eintracht und Liebe, Frohsinn und Scherz" sammelten sie katholische Gesellen und Meister mit dem Ziel, im Bereich von Religion, Familie und Beruf ihren Glauben weiterzutragen und wirken zu lassen. In den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts spielte Wil- Ketteier heim Emanuel v. Ketteier (1811-1877), seit 1850 Bischof von Mainz, für den sozialen Katholizismus eine bahnbrechende Rolle. Ketteier ging es ebenfalls um den Erhalt der alten ständischen Gesellschaftsordnung, in der Ehe und Familie das Fundament bildeten, damit eine christlich-katholische Erziehung diese Werte auch vermittelte. Von hier aus erklärt sich seine scharfe Ablehnung nicht nur des Wirtschaftsliberalismus als Prinzip des Laisser-faire, das den Arbeiter den Bedingungen des „Ehernen Lohngesetzes" ausliefere, sondern auch der emanzipatorischen Bestrebungen liberaler Kreise. Der Mainzer Bischof zählte zu denen, die gegen eine extensive Kettelers liberaler Interpretation der antiliberalen päpstlichen Enzykliken die Tradition Kathollzlsmus der bürgerlichen Toleranz im Katholizismus hochhielten. Aus diesem katholischen Liberalismus ergaben sich innerkirchliche Konflikte mit Konservativen, aber auch solche mit dem deutschen Liberalismus, der anders als etwa in Frankreich das „Produkt einer protestantischrationalistischen bzw. -idealistischen Doktrin" (Birke) darstellte. Nachdem im politischen Liberalismus der 50er und 60er Jahre das Eintreten für eine Begrenzung staatlicher Macht durch allgemeine Grundrechte schwächer, dafür der staatlichen Souveränität gegenüber dem gesellschaftlichen Bereich ein immer höherer Stellenwert eingeräumt wurde und einzelne Staaten kulturkämpferische Maßnahmen ergriffen (siehe oben, S. 20f.), steigerte sich Kettelers Distanz gegenüber dieser weltanschaulichen Ausrichtung zur Gegnerschaft. Er verurteilte den -
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Enzyklopädischer Überblick
sich antikatholisch verstehenden liberalen Humanismus, die kleindeutsch-überhöhte, protestantische Staatsauffassung und das liberale
Wirtschaftsprinzip.
Christlich-soziale Vereine
Von dieser Position aus drängte Ketteier darauf, Produktionsgenossenschaften einzurichten, und ließ sich hierin von Ferdinand Lassalle (1825-1864) beraten, mit dem er in der Kritik am Liberalismus voll übereinstimmte. Freilich unterschieden sich beide in der Frage, wie die Genossenschaftsprojekte zu verwirklichen seien. Während Lassalle die notwendigen finanziellen Mittel vom Staat erwartete, gab Ketteier der Privatinitiative den Vorzug. Doch als die erwarteten Spenden der katholischen Gläubigen ausblieben, suchte auch der Bischof vorsichtig nach staatlicher Hilfe. Auf dem Boden der von Ketteier entwickelten Vorstellungen entstanden einzelne christlich-soziale Vereine, die unter der Leitung sozial engagierter Kapläne standen. Sie bildeten den Anfang der mächtigen katholischen Arbeitervereinsbewegung und schufen erste Kredit-, Spar- und Unterstützungskassen für Arbeiter. 1915 erlebte diese Bewegung mit 1086 Vereinen und knapp 116000 Mitgliedern ihren
Höhepunkt.
Kettelers Forderungen höherer Lohn, kürzere Arbeitszeit, Ruhetage, das Verbot von Kinder-, Frauen- und Mädchenarbeit in Fabriken -
gingen in die Sozialpolitik der Zentrumspartei ein. Die Zentrumsabgeordneten Georg v. Hertling (1843-1919)
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und politik Franz Hitze (1851-1921) führten ihre Partei in den 80er und 90er Jahren zu einer aktiven katholischen Sozialpolitik und Sozialismuskritik, indem sie Kettelers Gedanken ökonomisch fundierten und intellektuell systematisierten. Erstmals verließen sie das durch Papst Leo XIII. vorgegebene neuscholastische Denkmuster und begegneten der sozialdemokratischen Konkurrenz und den freien Gewerkschaften mit einer der Lage angemessenen sozialpolitischen Argumentation, die ihre Wertmaßstäbe aus dem Katholizismus bezog. Man analysierte zwar die Ursachen der sozialen Not in aller Schärfe, lehnte aber die radikalen Vorschläge der Sozialdemokratie zur Veränderung der Verhältnisse ab. Franz Hitze, der unter dem Einfluß der „Haider Thesen" Karl von Verein für Sozialpolitik Vogelsangs (1818-1890) eine Rückkehr zur ständischen Gesellschaftsordnung des Mittelalters forderte, stand dem „Verein für Sozialpolitik" nahe und wandelte Adolf Wagners (1835-1917) staatssozialistischen Entwurf zugunsten des katholisch-ständischen Denkens ab. Während Hertling zunächst die von Hitze dem Staat zugewiesene Aufsichtsfunktion und eine staatliche Kontrolle ablehnte, näherten sich die Positionen der beiden in den 80er und vor allem 90er Jahren zunehmend an, da
Katholische Sozial-
2.
Reichseinigung und Bismarckära
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Hertling einsehen mußte, daß nur eine staatliche Sozialgesetzgebung die soziale Misere beenden konnte. Durch den Kulturkampf erfuhr die katholisch-soziale Bewegung Katholikentage und einen Rückschlag, da die Arbeitervereine mit ihren etwa 30000 Mit- christliche Gewerkschaften gliedern aufgelöst wurden. Erst in den 80er Jahren konnte man an die Bemühungen im Sinne Kettelers wieder anknüpfen. Als Forum dienten die seit 1848 regelmäßig abgehaltenen Katholikentage, auf denen Franz Hitze für die katholisch-soziale Bewegung warb. 1880 gründete der Fabrikant Franz Brandts (1834-1914) mit anderen sozial-karitativ denkenden katholischen Industriellen die sozialreformerische Hilfseinrichtung „Arbeiterwohl"; ihr Sekretär war Franz Hitze. Indem die Sozialreformer auf breiter Grundlage entsprechende Aktivitäten in Gang setzten, erlangten sie nicht nur eine vom Staat weitgehend unabhängige Handlungsfreiheit, sondern schufen auch ein weitgespanntes Netz sozialkatholischer Organisationen. Die verschiedenen Bestrebungen wurden 1890 in dem Katholischen Volksverein zusammengefaßt. Hinzu kamen in den 90er Jahren christliche Gewerkschaften, die bald eine große Ausbreitung erreichten. 1899 erfolgte der Zusammenschluß der christlichen Einzelgewerkschaften zu einer Gesamtorganisation der christlichen Gewerkschaften mit programmatischen Richtlinien. 1912 zählten die christlichen Gewerkschaften 350000 Mitglieder. Seit 1902 diente ihnen Adam Stegerwald (1874-1945) als Generalsekretär. In innerer Distanz zum Kaiserreich besaß der deutsche Sozialkatholizismus weit bessere Voraussetzungen für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der sozialen Frage als die evangelischen Christen. Für den Durchbruch zu einer aktiven katholischen Sozialpolitik Sozialpolitik des hatte 1891 die Enzyklika „Rerum novarum" Papst Leos XIII. beigetra- Vatikans gen. Obwohl sie noch ganz den Geist von Kettelers Sozialkonservativismus atmete, bedeutete sie eine Sensation. Ablehnung erfuhr sie vom sozialistischen Standpunkt wegen der angestrebten Harmonie zwischen Kapital und Arbeit; vom Liberalismus und konservativen Kreisen wurde sie ebenfalls verworfen, weil sie dem Umsturz Vorschub zu leisten schien. Leo XIII. sprach sich für die Anerkennung von Privateigentum in jeder Form, gleichzeitig jedoch für einen Staatsinterventionismus aus, um arbeitsrechtliche Regelungen zugunsten der Arbeiter durchzusetzen und zu überwachen. Er befürwortete die Selbsthilfeorganisationen als Ergänzung zu staatlichen Hilfsmaßnahmen, lehnte aber das Streikrecht kompromißlos ab. Schließlich empfahl er Möglichkeiten zur Vermögensbildung für Arbeiter nicht zuletzt, um ihnen den Gedanken an Umsturz weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Unverkennbar bediente sich die Kurie beim Prozeß der gesellschaftlichen -
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Ghettoisierung des Katholizismus also auch moderner Methoden, indem sie allerdings selektiv Errungenschaften der Zeit in ihr System integrierte. Dieser „Antimodernismus mit modernen Mitteln" barg freilich die Gefahr in sich, daß die Methoden nicht ohne Auswirkungen auf die Sache blieben. -
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Auf Leo XIII. ist es auch zurückzuführen, daß der deutsche SoziTheologische Begründungen aikatholizismus sich überwiegend innerhalb des kirchlich-theologischen Denkmusters der Neuscholastik bewegte. Als Reaktion auf die religiös-weltanschaulichen Umwälzungen seit dem 16. Jahrhundert hatte Leo XIII. gezielt auf das System Thomas v. Aquins zurückgegriffen, die ganze spätere Entwicklung beiseite geschoben und durch die Festlegung auf den Neuthomismus eine geistige Ghettosituation geschaffen, so daß die katholische Kirche auch in Deutschland nicht in einen Dialog mit der modernen Kultur und den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts eintreten konnte. Leo XIII. unterstützte deshalb alle konservativen Allianzen von Kaisertum und Episkopat, verwarf schon 1878 die „Sekte des Sozialismus" als „todbringende Seuche" und verurteilte den Liberalismus mit seinen Gedanken über die Gleichheit der Menschen, die Denk-, Presse-, Schul- und Religionsfreiheit als Wegbereiter der Anarchie. Wie Ketteier war ihm die herrschende liberale Klasse der eigentliche Gegner von Kirche und Volk, während die sozialistischen Arbeiter als die bedauernswerten Verführten erschienen, die es zur wahren christlichen Moral zurückzuführen galt. 2.4 Die evangelischen Kirchen vor der sozialen Frage: Diakonie, Innere Mission und evangelisch-soziale Bewegung Kottwitz
Sozialdiakonisches Anstaltswesen
Vorläufer der evangelisch-sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts ist die diakonische Liebesarbeit an Armen, Waisen und Kranken, die aus Aufklärung und Erweckungsbewegung erwuchs. Baron Hans Emst v. Kottwitz (1757-1843) gründete 1807 in Berlin die „Freiwilligen-Armen-Beschäftigungsanstalt" für Arbeitslose, um statt Almosen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Bei seinen Aktivitäten kamen ihm seine Herkunft aus dem schlesischen Adel und seine engen Beziehungen im erwecklichen „Kottwitz-Kreis" zu den führenden Familien (Gebrüder Gerlach, Hengstenberg u. a.) zugute. Dennoch stammt der soziale Impetus von Kottwitz nicht aus der Erweckungsbewegung, sondern aus der Aufklärung. Im zweiten Jahrzehnt entstanden „Rettungshäuser" für entwurzelte Jugendliche. Johannes Falk (1768-1826) gründete den Lutherhof
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Reichseinigung und Bismarckära
in Weimar, Adalbert Graf von der Recke-Volmerstein (1791-1878) Haus Overdyk bei Bochum und Düsselthal bei Düsseldorf. Christian Friedrich Spittler (1782-1867) und Christian Heinrich Zeller (17971860) gaben 1820 mit der „Freiwilligen Armenschullehrer- und Armenkinderanstalt" den Anstoß für die süddeutsche Rettungshaus-Bewegung. Nach dem Vorbild katholischer Barmherziger Schwestern errichtete der rheinische Pfarrer Theodor Fliedner (1800-1864) 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf die erste Diakonissenanstalt. In den Spuren Kottwitz' und Falks gründete Johann Hinrich Wi- wichern ehern (1808-1881) 1833 das Hamburger „Rauhe Haus". Neben der Erziehungsanstalt umfaßte das Werk eine „Gehilfenanstalt" zur Ausbildung männlicher Diakone und eine Verlags-Druckerei. Mit seinen „Fliegenden Blättern aus dem Rauhen Hause" warb Wichern für das „Bekenntnis des Glaubens durch die Tat der rettenden Liebe" sein Programm der „Inneren Mission". Wichern sah die Ursachen des Pauperismus im Zerfall der Familien. Deshalb sollten die Menschen aus ihrem geistlichen und materiellen Elend herausgeführt und wieder in die bestehenden Ordnungen eingegliedert werden. Buße und Sündenvergebung aller gehörten zu den unerläßlichen Voraussetzungen einer -
gesellschaftlichen Erneuerung. Ebenfalls vom Standpunkt
konservativ-christlicher Liebesarbeit Bodelschwingh übernahm 1872 Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) die Leitung der unter ihm ausgebauten und 1873 in Bethel umbenannten Epileptikeranstalt bei Bielefeld, die sein Sohn zur weltbekannten „Stadt der Barmherzigkeit" ausbaute. Andere Wege ging Gustav Werner (1809-1887), der mit seiner Gustav Werner und „christlichen Fabrik" den Versuch unternahm, trotz des industriellen Vlctor Aime Huber Umbruchs familiäre Strukturen christlicher Arbeits- und Lebensgemeinschaft zu erhalten. Victor Aime Huber (1800-1869), seit 1843 Professor für neuere Philologie und Literaturgeschichte in Berlin, setzte sich theoretisch für die „Selbsthilfe der arbeitenden Klassen durch Assoziationen" ein. Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften sollten dem Arbeiterstand zu menschenwürdigen Lebensverhältnissen verhelfen. Darüber hinaus regte er die betriebliche Mitbestimmung und eine Gewinnbeteiligung für die Arbeiter an. Seine Ideen überzeugten weder Wichern noch die Freunde von der Konservativen Partei. Resigniert zog er sich zurück. Erst Rudolf Todt (1839-1887), Landpfarrer in Brandenburg, über- Tbdt wand die traditionellen Denkkategorien und schritt von der rettenden und helfenden zur gestaltenden Liebe fort. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auf sein Kirchenverständnis zurückzuführen. Kirche war für ihn aus
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Enzyklopädischer Überblick
„zeichenhaft ein Stück Reich Gottes, indem sie ihr inneres Leben nach
Zentralverein für Sozial reform
den Maßstäben des Evangeliums ordnet und das äußere zu beeinflussen sucht" (Kandel). Mit seinem Buch „Der radikale deutsche Sozialismus und die christliche Gesellschaft" begann er 1873 als erster deutscher Theologe den Dialog mit dem radikalen Sozialismus der 1870er Jahre. Auf der Grundlage einer marxistischen Gesellschaftsanalyse und der Lehren des Evangeliums entfaltete Todt eine christliche Sozialethik, die ihn mit innerer Konsequenz zu einem christlichen Sozialismus hinführte, der sich in vielem dem radikalen Sozialismus annäherte. Dessen atheistisches Gedankengut hielt er für akzidentiell. Zusammen mit Rudolf Meyer, Adolf Wagner und Adolf Stoecker gründete Todt 1877 den „Zentralverein für Sozialreform", dessen religiöse und konstitutionell-monarchische Grundlagen in seiner Satzung
festgelegt waren. Stoecker
Evangelischer
Oberkirchenrat gegen christliche
Sozialpolitik
Stoeckers Versuche einer evangelischsozialen Partei-
bildung
Adolf Stoecker, seit 1874 Hof- und Domprediger in Berlin, gehörte für einige Wochen Todts Zentralverein an und ließ auch einige Reden durch Vereinsflugschriften publizieren. Doch 1878 gründete er seine „Christlich-soziale Arbeiterpartei", der sich im Dezember des Jahres der Zentralverein als formell zunächst selbständige Organisation anschloß, bis er 1881 schließlich vollständig in ihr aufging. Der Zentral verein wie die Christlich-soziale Arbeiterpartei begegneten der entschiedenen Ablehnung des preußischen Evangelischen Oberkirchenrates. Schon 1863 hatte er die Pfarrer vor den „Parteileidenschaften" gewarnt und die These verworfen, man könne „aus dem Evangelium die Lösung der konkreten politischen Fragen entnehmen". Im November 1877 brachte der EOK seinen Erlaß von 1863 erneut in Erinnerung und unterstrich ihn 1879 aus Anlaß der beiden Attentate auf den Kaiser und der Auseinandersetzung um das Sozialistengesetz. Trotz Verbots der Sozialdemokratie Ende 1878 gelang Stoecker nicht der Einbruch ins Wählerreservoir der Arbeiterschaft. Er vollzog eine allmähliche Wende der 1880 in „Christlich-Soziale Partei" umbenannten Gruppierung hin zum kleinbürgerlichen Mittelstand. Hier gewann sein ökonomisch-politisch motivierter Antisemitismus programmatische Bedeutung. Nach einer erneuten Wahlniederlage schloß sich die Stoecker-Partei 1881 der Deutsch-konservativen Partei als selbständige Gruppe an. 1896 kam es zur Neugründung der Christlich-sozialen Partei durch die jüngeren Christlich-Sozialen um Friedrich Naumann (1860-1919) (siehe unten, S. 36f.). „Die Ein- und Umbrüche des Industriezeitalters haben Adolf Stoecker als orthodox-konservativen Vertreter der evangelischen Kirche und der deutschkonservativen Partei zu einem Reformator, gelegentlich auch über die eigene Überzeugung hin-
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
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gemacht. Sehr oft war sein Denken und Handeln nicht konsequent angelegt. Zu oft versuchte er neue Wege, um alte Ziele zu erlangen, auch politischer Opportunismus war ihm nicht fremd" (Koch). Neben der evangelisch-sozialen Bewegung entstand im süddeutsehen Raum ein vom schwäbischen Pietismus geprägter religiöser Sozialismus. Der jüngere Christoph Blumhardt (1842-1919) verstand den Sozialismus als von Gott gewirkte Bewegung zur Herbeiführung des Reiches Gottes. Als sozialdemokratischer Abgeordneter gehörte er von 1900 bis 1906 dem Württembergischen Landtag an. 1882 verließ der Bergmann Ludwig Fischer aus Gewissensgründen den unter katholischer Führung stehenden christlich-sozialen Araus,
Blumhardt
Evangelische
Arbeitervere11
beiterverein und sammelte mit dem Lehrer Bischof den ersten evangelischen Arbeiterverein in Gelsenkirchen. 1890 gründete Pfarrer Ludwig Weber (1846-1922) aus Mönchengladbach mit Stoeckers Unterstützung den „Gesamtverband Evangelischer Arbeitervereine Deutschlands". 1900 gab es 95 Vereine mit ca. 28000 Mitgliedern. Ludwig Fischer wurde 1906 Sekretär der Nationalliberalen Partei fortan dafür ein, daß die Arbeitervereine „mehr die religiöse trat und und patriotische Seite des Programms zu pflegen hätten, während eine intensive soziale Betätigung ein Spielen mit dem Streikfeuer bedeute, das für die gewaltige rheinisch-westfälische Industrie und für das Wohl des ganzen Vaterlandes von unabsehbaren Folgen werden könne". Weder im Vereinswesen noch in der Arbeiterbewegung und Parteibildung war der Protestantismus auch nur annähernd so erfolgreich wie der Katholizismus. Aber „es darf nicht übersehen werden, daß ihre [seil, der Arbeitervereine] Äußerungen und Diskussionen einen Lernprozeß förderten, der den deutschen Protestantismus zur Einsicht bewog, daß die soziale Frage nicht mit den Mitteln der Seelsorge und Diakonie, sondern nur durch Sozialpolitik und Sozialreform zu lösen war" (Hofmann).
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich: Sozialprotestantische Kulturreligion und katholischer
Antimodernismus
(1890-1919)
3.1 Die christlich-soziale Bewegung im Protestantismus Das Jahr 1890 markiert eine personelle, politische, ökonomische und religiöse Zäsur in der deutschen Geschichte. Die politischen und kirchliehen Funktionsträger der Reichsgründungszeit Bismarck wie der -
Die politische und klrcnllcne Zasur
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Enzyklopädischer Überblick
konservative Hofprediger Rudolf Kögel (1829-1896) mußten die politische Bühne verlassen, der liberale Theologe Adolf v. Harnack (1851-1930) wurde (schon im September 1888) nach Berlin berufen, der Transformationsprozeß vom Agrar- zum Industriestaat war abgeschlossen, der Fall der Sozialistengesetze setzte die politische Konkurrenz um den Wähler frei. Die „Sozialmilieus" bildenden religiösen bzw. weltanschaulichen Gruppierungen Katholiken, Sozialdemokraten, Protestantisch-Konservative und Protestantisch-Liberale kämpften um eine politische und kulturelle Hegemonialstellung. Neue Vereinsgründungen wie der katholische Volksverein oder der EvangelischSoziale Kongreß bzw. Neuformierungen wie der Zusammenschluß kolonialer und völkischer Vereine zum Alldeutschen Verband beförderten die Bildung gesinnungspolitischer Subkulturen. Die im Blick auf den inneren Zusammenhalt „schwächste Säule" war die „Verbindung von Kulturliberalismus und Kulturprotestantismus" (G. Hübinger). In der Spannung zwischen der Idee vom universalen Kulturstaat und der politischen Durchsetzung von partikularen Interessen sorgten die kulturprotestantischen Vereins- und Parteieliten selbst für eine Diversifizierung ihrer Subkultur. Doch die neue Zeit schien zunächst nicht weitere Zersplitterung Kirchbaubewegung zu bringen, sondern sichtbare kirchliche Einheit, vielleicht am symbolträchtigsten repräsentiert in dem von Wilhelm II. und seinem sozialkonservativen Hofprediger Adolf Stoecker initiierten Kirchbauprogramm. Die Kirchen sollten den entwurzelten Großstadt-Arbeitern ihre christliche Heimstatt fernab von der atheistischen Sozialdemokratie zurückgeben und im Stadtbild von der deutschen christlichen Kultur künden. Unter der Führung des Hofmarschalls Freiherr von Mirbach (1844-1925) begann der 1890 gegründete Kirchbauverein seine Tätigkeit, die Berlin bis 1924 75 neue Kirchen sowie zahlreiche Umbauten und Erweiterungen an älteren Kirchengebäuden bescherte. Zwischen 1800 und 1890 hatte man es nur auf 27 neue Kirchbauten gebracht. Die spektakulärsten und von vornherein umstrittensten Neubauten waren der Berliner Dom und die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Im Zuge der Baumaßnahmen machte allmählich die mittelalterlichen Stilen nachempfundene Neogotik empfohlen auf der Eisenacher Kirchenkonferenz von 1861 („Eisenacher Regulativ") neuen Urbanen Formen Platz; im Inneren verschwand die neulutherische Sakralisierung zugunsten modemer, antikatholisch-kulturprotestantischer Gemeindekir-
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chen-Vorstellungen.
Im Klima des sozialpolitischen Aufbruchs wollte der rastlos tätige Evangeiisch-Sozialer Kongreß stoecker alle Christlich-Sozialen zu einem neutralen Arbeitsforum ver-
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
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einigen. Zusammen mit dem Nationalökonomen Adolf Wagner, Pfarrer Ludwig Weber, dem Führer der evangelischen Arbeitervereine, und Hermann Kropatschek (1875-1917), dem Schriftleiter der konservativen „Kreuzzeitung", lud er zu einem Evangelisch-Sozialen Kongreß zu Pfingsten 1890 nach Berlin ein. Daß es Stoecker mit dem Plan ernst war, die verschiedenen kirchenpolitischen und theologischen Strömungen zur Erörterung der sozialen Probleme zusammenzuführen, geht u.a. daraus hervor, daß er, ungeachtet aller politischen und theologischen Differenzen, auch Adolf v. Harnack eine Einladung zuschickte. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß die 780 Tei lnehmer des Kongresses zu einer Agitation gegen die Sozialdemokratie kaum zu gebrauchen waren, sondern ihre Aufgabe darin sahen, „die sozialen Zustände unseVolkes vorurteilslos zu untersuchen, sie an dem Maßstabe der sittlichen und religiösen Forderungen des Evangeliums zu messen und dieses selbst für das heutige Wirtschaftsleben fruchtbarer und wirksamer zu machen als bisher" (Satzung des Evangelisch-Sozialen Kongresses res
von
1891).
Die offene und konstruktive Kongreßatmosphäre führte zur Installierung einer jährlichen Hauptkonferenz, auf denen Referenten alle wesentlichen Fragen einer praktischen Sozialpolitik und christlichen
Kongreßarbeit
Ethik in der modernen Welt mit hohem Sachverstand verhandelten. Es
gelang dem Kongreßvorstand, namhafte Nationalökonomen in ihre Arbeit einzubeziehen. Neben Max Weber (1864-1920) engagierten sich Adolph Wagner, Karl Oldenberg und Wilhelm Stieda (1852-1933), die bei den Jahresversammlungen Vorträge hielten und auch in akademischen Kursen Geistliche mit Nationalökonomie, insbesondere Börsen-
fragen und Agrarpolitik, bekanntmachten. Max Weber wurde durch seinen Vetter Otto Baumgarten (1858- Max Webers 1934) und Pfarrer Paul Göhre (1864-1928), den Verfasser der berühm- E"&8e™nt ten Sozialreportage „Drei Monate Fabrikarbeiter" (1891), für den
Evangelisch-Sozialen Kongreß gewonnen. Der 1890 in Jena lehrende liberale Theologe Baumgarten gab die Schriftenreihe „Evangelisch-soziale Zeitfragen" heraus, die dem Evangelisch-Sozialen Kongreß nahestand; er wollte wie Weber den politischen Liberalismus stärker für soziale Fragen und eine staatliche Sozialpolitik gewinnen. Bis 1897 nahm Weber regelmäßig an den Jahresversammlungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses teil und gehörte 1892 sogar dessen engerem Ausschuß an. Darüber hinaus publizierte er in den seit 1891 monatlich erscheinenden „Mitteilungen des Evangelisch-Sozialen Kongresses" und arbeitete in der 1886 gegründeten Zeitschrift „Die Christliche Welt" mit, die der liberale Theologe Martin Rade (1857-
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Enzyklopädischer Überblick
1940) herausgab. Gerade der wissenschaftliche Austausch im Evange-
Kongreß war wohl ein wichtiges Moment für Webers Engagement. Besonders intensive Kontakte unterhielt Weber zu den Theologen Martin Rade, von 1892 bis 1899 Pfarrer in Frankfurt/M., danach Systematischer Theologe in Marburg (bis 1921 ohne etatmäßige Professur), und seinem Heidelberger Kollegen Emst Troeltsch (18651923). Auf dem Evangelisch-Sozialen Kongreß des Jahres 1904, der sich Troeltschs religiös-soziologischer Fragestellung einer lebensweltlichen Einbindung des Christentums in eine moderne Gesellschaft als Forum anbot, hielt er seinen Vortrag über „Politische Ethik und Chrilisch-Sozialen
stentum". Darin führte er noch aus, daß das wahre Christentum den „Blendungen des Naturrechts und der Gleichheitsidee" widerstehe. Es werde „die Persönlichkeit stets nur in dem sittlich gehaltvollen Menschen anerkennen" und „die klassenkämpferische Identifikation dieser Ideale mit dem Geist des Proletariats, mit dem Gegensatz gegen herrschende Klassen, niemals billigen". Webers Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des KapiTroeltsch talismus" (1905) zu den Beziehungen zwischen Puritanismus und Kapitalismus übte entscheidenden Einfluß auf Emst Troeltsch aus. Von Webers Prämissen aus führte Troeltsch, die Thesen seines Kollegen religionsgeschichtlich ausbauend und in seiner sozialhistorischen Methoden folgenden Arbeit „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen" (1912) eindrucksvoll belegend, diese eigenständig und doch in großer innerer mit Weber fort, der wegen langjähKrankheit seine Studien Thema zum nicht mehr vervollständigte. riger In einer Reflexion über „Meine Bücher" aus dem Jahr 1921 schreibt Troeltsch: „Die ganzen geschichtsphilosophischen und entwicklungstheoretischen Ideen, die bisher einseitig ideologisch gewesen waren, [...] verwandelten sich [...] Zugleich geriet ich in den Bannkreis einer so übermächtigen Persönlichkeit wie Max Weber, dem diese für mich aufdämmernden Wunder längst Selbstverständlichkeit waren. Und von da her ergriff mich die Marxistische Unterbau-Überbaulehre mit der größten Gewalt." Naumann Ebenso wie die liberalen Theologen aus der Schule Albrecht Ritschis (1822-1889) [siehe unten S. 38 ff.] Max Webers Interesse und Freundschaft durch ihre umfassende Bildung und streng wissenschaftliche Arbeitsweise gewannen, schlugen sie auch Friedrich Naumann (1860-1919), Schüler Stoeckers und als Wortführer der „jüngeren" Christlich-Sozialen sein Rivale, in ihren Bann. Obwohl kein ausgesprochener Anhänger der liberalen Schule des Theologen Albrecht Ritsehl, gebrauchte Naumann deren Terminologie und Konzepte und verwandte
Übereinstimmung
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3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
den Reich-Gottes-Begriff als theoretische Systematisierungshilfe. Seit 1890 als Vereinsgeistlicher der Inneren Mission in Frankfurt/M. tätig und mit Martin Rade nicht nur verschwägert, sondern auch durch gemeinsame evangelisch-soziale Überzeugungen und die Arbeit an der Lösung der „Sozialen Frage" in der dynamisch expandierenden Mainmetropole verbunden, gründete Naumann im Dezember 1894 für „Arbeiter, Handwerker, Landleute" die Wochenschrift „Die Hilfe" (Untertitel bis 1902: „Gotteshilfe, Selbsthilfe, Staatshilfe, Bruderhilfe"). Sie bildete das Sprachrohr der jüngeren Christlich-Sozialen und wurde obwohl sie erst „in zweiter Linie Gebildete [ansprach], die sich für eine volkstümliche Behandlung der sozialen Frage interessieren" durch Darlehen namhafter Theologieprofessoren (unter anderem Harnack) und eine größere Bürgschaft Max Webers gestützt. Während sich Naumann vor allem dem Wohnungsproblem zuwandte und Arbeiterwohnsiedlungen konzipierte, konzentrierte sich Rade auf die Sammlung der Arbeiterschaft in evangelischen Arbeitervereinen. Anders als Stoecker suchte Naumann eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit den Lehren der Sozialdemokratie und formulierte als Grundsatz für die Sozialpolitik: „Ein biblisches Programm gibt es nicht, aber es gibt biblische Motive zur Behandlung sozialpolitischer Probleme." Unter dem Einfluß der Kritik Max Webers wie der des Rechtshistorikers und Kirchenrechtslehrers Rudolf Sohm (1841-1917) wandelte sich Friedrich Naumann vom Christlich-Sozialen zum NationalSozialen, gründete 1896 mit Paul Göhre, 1891-1894 Generalsekretär des Evangelisch-Sozialen Kongresses, den „Nationalsozialen Verein" und ging Ende 1897 nach Berlin. Rade verfolgte den Weg Naumanns mit einer gewissen Skepsis, „was jedoch keine gesinnungsmäßige Entfremdung bedeutete" (A. Chr. Nagel). Göhre wurde 1899 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, trat aus der Kirche aus, wurde Reichstagsabgeordneter (1910-1918), Unterstaatssekretär im preußischen Kriegsministerium (1918-1919) und Staatssekretär im preußischen Innenministerium (1919-1923). Nach der Wahlniederlage des Nationalsozialen Vereins im Jahre 1903 ging Naumann mit einigen Freunden zur linksliberalen „Freisinnigen Vereinigung". Er gehörte der Verfassunggebenden Nationalversammlung von Weimar an und wurde der erste Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Hier begegnete er vielen der liberalen „Gelehrtenpolitiker" aus dem Evangelisch-Sozialen Kongreß der Wilhelminischen Ära: Unter anderen Ernst Troeltsch, Max Weber und Martin Rade. Der Weg Göhres und Naumanns markiert den Ausklang der christlich-sozialen Bewegung, die sich schon Mitte der 90er Jahre in Bewegung -
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I.
Enzyklopädischer Überblick
die „älteren" und „jüngeren" Christlich-Sozialen gespalten hatte. Während Stoecker und seine Anhänger daran festhielten, daß die konservativen Kreise für eine Sozialreform gewonnen werden müßten, die Sozialdemokratie aber „unpraktisch, unpatriotisch und unchristlich" sei, gelangten Naumann und seine Freunde zu der Überzeugung, christlichsozial und konservativ schlössen sich gegenseitig aus und zur Sozialdemokratie und ihren Theorien müsse ein kritisch kooperatives Verhältnis hergestellt werden. Im Zusammenhang mit der schließlich gescheiterten UmsturzvorSozialpolitischer lage vom Dezember 1894 eine Erklärung gegen diese hatten auch Otto Baumgarten und Max Weber mitunterzeichnet vollzogen die Staatsregierung wie der preußische Oberkirchenrat im Dezember 1895 endgültig eine scharfe politische Kehrtwendung. Der Kaiser hatte seine arbeiterfreundliche Politik aufgegeben und geriet unter den Einfluß des Großindustriellen Karl Freiherr v. Stumm (1836-1901), der Naumann und die Christlich-Sozialen für noch gefährlicher hielt als die Sozialdemokratie. Der preußische Evangelische Oberkirchenrat forderte Mitte Dezember 1895 die Geistlichen auf, sich bei ihren sozialpolitischen Bemühungen Zurückhaltung aufzuerlegen und in sozialpolitischen Versammlungen nicht öffentlich aufzutreten. -
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3.2 Von der Albrecht Ritsehl und der Kultur-
Vermitüungstheologie zum Kulturprotestantismus Die dritte Generation liberaler Theologie ist durch die Schule Albrecht
Ritschis (1822-1889) geprägt, die nicht mehr nur in Deutschland, sondern auch in Nord- und Westeuropa sowie den Vereinigten Staaten prägend wurde. Von seinem akademischen Lehrer Nitzsch herkommend, gelangte Ritsehl über die „Tübinger Schule" Ferdinand Christian Baurs (1792-1860) zu einer theologischen Theoriebildung, in deren Mittelpunkt ein ethizistisches Reich-Gottes-Verständnis steht. Dieses Reich Gottes als eine in Liebe gebildete, sittliche Gemeinschaft ist Endzweck der durch Jesus gestifteten Gemeinde. Für Ritsehl war das Christentum eine weltbejahende, gestaltende Kraft; die „Berufstreue" des Christen bestand darin, vom universalen Reich-Gottes-Verständnis her an den partikularen kulturellen Aufgaben der Zeit mitzuarbeiten. Die sich aus dem Ritschlianismus entwickelnde „ReligionsgeReligionsgeschichtliche Schule schichtliche Schule" Albert Eichhorn (1856-1926), William Wrede Hermann Gunkel (1862-1932), Wilhelm Bousset (1865(1859-1906), Johannes Weiß 1920), (1863-1914), Emst Troeltsch u. a. unterschied sich vom „Kulturprotestantismus" Wilhelm Bornemann (18581946), Adolf v. Harnack, Martin Rade, Friedrich Loofs (1858-1928)
protestantismus
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3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
allem durch ihr Verhältnis zur Kirche. So hielt der Kulturprotestantismus an der Forderung Schleiermachers und Ritschis fest, daß „die Theologie überhaupt nur im Dienste der religiösen Gemeinschaft des Christentums denkbar [ist]" (A. Ritschl). Demgegenüber arbeitete die „Religionsgeschichtliche Schule" mit Maßstäben und Fragestellungen, die außerhalb der kirchlichen Sphäre im Bereich des „unvoreingenommenen" Religionsvergleichs lagen. Ihr Eintreten für eine exklusive Rolle der christlichen Religion Christentum als oberhalb aller Religionen lag für Kulturprotestanten in dem hohen Re- Elitereligion flexionsgrad dieser Religion begründet. Auf die Niederungen der „wild wachsend wuchernden Frömmigkeit der Massen" (Deissmann) mochten sie sich nicht begeben. Auch den Anhängern der Religionsgeschichtlichen Schule war alles „Vermaßte" und Rohe so auch die Sozialdemokratie mit ihrer proletarischen Massenpsychologie zuwider. In diesem Bildungsverständnis lag ein wichtiger Grund für die fehlende Resonanz der liberalen Theologie im kirchlichen und auch im weiter gefaßten christlichen Raum. Ihre Abneigung gegen alles „Folkloristische" und ihr Streben nach Sublimierung und Rationalisierung des Religiösen machte sie zu einem bloß artifiziellen Gedankenspiel für bürgerliche Intellektuelle (siehe auch unten Apostolikumsstreit S. 41). Für die ausbleibende Massenwirkung der liberalen Theologie Auflösung des hatte schon der liberale Heidelberger Theologe Richard Rothe (1799- Christentums in die Gesellschaft 1867) eine Erklärung geboten. Er deutete die wachsende Kirchenferne bürgerlicher Eliten als Emanzipation von dem restaurativen Kirchenmilieu und als Entschränkung des Christentums, um den Staat insgesamt zu durchsäuern und ihn zum Kulturstaat zu transformieren. Für beide liberal-theologischen Schulen Kulturprotestanten wie Erster Weltkrieg als Religionsgeschichtler bedeutete der Erste Weltkrieg und besonders theologische Zäsur die Niederlage der Deutschen einen tiefen Einschnitt. Diese Zäsur erkannte der Schweizer Theologe Karl Barth (1886-1968) bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges. In Ernst Troeltsch, von 1894 bis 1915 Professor für Systematische Theologie in Heidelberg, dann Philosoph an der Universität Berlin, sahen die „Wort-Gottes-Theologen" den wichtigsten Repräsentanten einer prinzipiellen Fehlorientierung protestantischer Theologie als modernitätsoffener, historischer Kulturwissenschaft. Auch Troeltsch war zunächst wie Baumgarten, Harnack, Rade und die meisten Kulturprotestanten in den „Ideen von 1914" befangen gewesen und betrachtete die militärische Auseinandersetzung als „Kulturkrieg" des westeuropäischen Rationalismus gegen den deutschen Sonderweg der sittlichen Autonomie der Persönlichkeit, wie sie in Konservativismus und Historismus ihren spezifischen Ausdruck gefunu. a.
vor
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Enzyklopädischer Überblick
den habe. Er arbeitete dann aber wie viele andere liberale Theologen für grundlegende demokratische Reformen und einen Verständigungsfrieden. In den ersten Jahren der Weimarer Republik übernahm er inzwischen Philosophieprofessor in Berlin und von 1919-1921 nebenamtlicher Unterstaatssekretär für evangelische Angelegenheiten im preußischen Kultusministerium politische Verantwortung in der linksliberalen DDP und trat 1922 für eine „europäische Kultursynthese" zum Erhalt normativer Leitvorstellungen in Europa (unter Einschluß der USA und Rußlands) ein. Der Wandel in seinen politischen Auffassungen führte auch zu veränderten theoretischen Positionen. In seinem Hauptwerk „Der Historismus und seine Probleme" (1922) läßt sich eine „grundsätzliche Neubewertung der analytischen und explizierenden Leistungskraft der marxistischen Methode" (M. Marquardt) nachweisen, ohne daß er sich theoretisch dem Marxismus angeschlossen hätte. Diese philosophisch-politische Wendung hatte jedoch keinen Einfluß auf das Urteil der „Dialektischen Theologie", da für sie die kulturtheologisch-politischen Irrtümer nur Symptom eines viel tiefer reichenden, seit der Aufklärung bestehenden Schadens waren. -
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3.3 Biblische
Theologie
Neben der konfessionellen Theologie, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vorübergehend in den Hintergrund trat, bildete die biblische Theologie einen Widerpart zum Kulturprotestantismus. Von den biblizistischen und heilsgeschichtlichen Traditionen des Pietismus Albrecht Bengels herkommend, entwickelte der Tübinger Theologe Johann Tobias Beck eine ihrem Anspruch nach allein auf den biblischen Quellen basierende Offenbarungstheologie. Der Hallenser Theologe Martin Kähler (1835-1912) stellte sich Martin Kähier als biblischer Theologe den Problemen der historisch-kritischen Forschung. In seinem berühmten Vortrag über den „Sogenannten historischen Jesus und den geschichtlichen biblischen Christus" (1892) vertrat er die Überzeugung, daß nicht der historische Jesus der LebenJesu-Forschung Gegenstand des christlichen Glaubens sei, sondern das apostolische Zeugnis vom gekreuzigten und auferstandenen Christus. Der Neutestamentier Adolf Schlatter (1852-1938) bezog seine Adolf Schlatter Exegese ganz auf die „Geschichte des Christus" und verband seine Auslegung mit lebendiger, gelebter Frömmigkeit. Er sprach in diesem Zusammenhang von der objektiven, auf Wahrnehmung („Denkakt", „Sehakt" und „Lebensakt") gegründeten Wirklichkeitserkenntnis als
Johann Tobias Beck
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
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Voraussetzung der Gotteserkenntnis. Eine Loslösung des Glaubens vom Erkennen stand für Schlatter im offensichtlichen Gegensatz zum Neuen Testament. In seinem Kommentar zum Römerbrief setzte sich Schlatter mit dessen zentralem Thema „Gottes Gerechtigkeit" auseinander, wobei er sich von Luthers Deutung abgrenzte: Luthers Verständnis der Gerechtigkeit Gottes als von Gott bewirkte, geschenkte, zugerechnete und als gültig anerkannte sei zwar nicht falsch, aber unzureichend, „weil sie die Gerechtigkeit einseitig als Empfang des göttlichen Erbarmens beschreibe, nicht aber zugleich den liebenden Gehorsam als Frucht der göttlichen Gerechtigkeit zum Ausdruck bringe" (Neuer). Im Zusammenhang mit dem Zweiten Apostolikumsstreit wurde ApostoiikumsSchlatter 1892 auf eine neu errichtete Professur nach Berlin berufen. stre" Zuvor hatte Harnack den liturgischen Gebrauch des Apostolischen Glaubensbekenntnisses für problematisch erklärt, weil für diejenigen, die das Bekenntnis als Ausdruck ihres Glaubens verwenden sollten, sich aber von der Wahrheit des Satzes von der Jungfrauengeburt nicht überzeugen könnten, ein Gewissensnotstand eintrete. In einer indirekten Stellungnahme betonte Schlatter gegen den Historismus vor allem der liberalen Theologie den unmittelbaren Glauben an Gottes Wort. Anders als die liberale erreichte die biblische Theologie weite Teile der gläubigen Kirchenchristen und bestimmte die subkulturelle Atmosphäre wie den Frömmigkeitsstil im binnenkirchlichen Raum. -
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3.4 Der gesellschaftlich-kulturelle Aufbruch des deutschen
Katholizismus Auch dem Katholizismus gab der „Neue Kurs" des jungen Kaisers Volksverein für das katholische Hoffnung; die politischen Konstellationen schienen sich zu ändern, und Deutschland und das sozialpolitische Programm des Monarchen bot Windthorst und sei- Katholikentage ner Zentrumspartei manchen Ansatzpunkt für einen Neubeginn. In diese Aufbruchsbewegung fiel die Gründung des „Volksvereins für das katholische Deutschland" am 24. Oktober 1890 in Köln. Er sollte neben den katholischen Arbeitervereinen, den christlichen Gewerkschaften und den Katholikentagen zu einer weiteren Säule des deutschen Katholizismus werden und verstand sich zugleich als Dachverband für die katholische Vereinsarbeit. Der Massenverein sollte die katholische Speerspitze gegen die Sozialdemokratie bilden, von der man mit Recht erwartete, daß sie nach Aufhebung der Sozialistengesetze im Oktober 1890 ihre atheistisch-sozialistische Agitation verstärken bzw. wieder aufnehmen würde. Im Vorfeld der Gründung „erzwang" Windthorst „mit der Drohung, von allen politischen Ämtern zurückzutreten"
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I.
Enzyklopädischer Überblick
(G. Klein), daß der Zusammenschluß nicht
zu einem apologetischen Katholikenverein in kulturkämpferischer Frontstellung gewissermaßen zum Gegenstück des Evangelischen Bundes wurde. Ebenfalls auf Windthorsts hartnäckige Bitten hin wurde der Mönchengladbacher Tuchfabrikant Franz Anton Brandts, der bereits den katholischen Verband „Arbeiterwohl" führte, auch Vorsitzender des „Volksvereins". Außer ihm kam die Hälfte des Volksvereins-Vorstandes aus dem „Arbeiterwohl". Mit den Statuten und der personellen Zusammensetzung des Vorstandes war sichergestellt, daß der Verein keiner grundlegenden Sozialreform dienstbar gemacht werden sollte, das kapitalistische System grundsätzlich akzeptierte und lediglich Verbesserungen in dem gegebenen Rahmen anstrebte. Durch eine flächendeckende, effektive Organisation entwickelte sich der Volksverein zum „Generalstab aller katholischen Vereine". Bis zum Jahr 1914 stieg die Mitgliederzahl auf 805000, davon 41 773 Frauen, die seit 1908 Mitglied werden konnten. Neben einer reichen publizistischen Tätigkeit bot der Verein seinen Anhängern auch „praktisch-soziale Kurse" an, die Geistliche und Laien insbesondere auf dem Gebiet der Kultur und Volkswirtschaft für zukünftige Leitungsaufgaben heranbilden sollten. Im Jahre 1906 gab sich der Volksverein eine neue Satzung. Aufgrund der verschärften Kirchenaustrittspropaganda proletarischer Freidenkerverbände wandte sich der Volksverein im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verstärkt der Vulgäraufklärung und populären Apologetik zu. Eine neues apologetisches Dezernat gab die „Apologetische Korrespondenz" und die „Apologetischen Flugblätter" heraus und gründete mehrere Schriftenreihen. Neben dem sozialpolitischen Engagement entwickelte auch der Gesellschaftspolitisch-kulturelles kulturpolitische Katholizismus im Zeichen der allgemeinen AufbruchsEngagement stimmung neue Initiativen. Nach gut zwei Jahrzehnten Ghettoexistenz im Bismarck-Reich strebten führende Zentrumspolitiker nach einer höheren Repräsentanz des Katholischen in Wissenschaft, Kultur und Politik. Der Kölner Zentrumspolitiker und Publizist Julius Bachem (1845-1918) gab dem 1906 in einem Artikel in den „Historisch-politischen Blättern" Ausdruck, der den programmatischen Titel trug: „Wir müssen aus dem Turm heraus!" Ganz dieser Intention entsprach die -
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schon drei Jahre zuvor erfolgte Gründung der katholischen Kulturzeitschrift „Hochland" durch Carl Muth (1867-1944). Die geistige Spannweite und das intellektuelle Niveau dieser Zeitschrift standen vergleichbaren protestantischen Organen in nichts nach und symbolisierten den kulturell-gesellschaftlichen Aufbruch und Gestaltungswillen des deutschen Katholizismus. Bald darauf erfolgte als Gegengründung
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eine Zeitschrift, die allein aus dem binnenkatholischen Raum heraus wirken wollte. Das neue gesellschaftspolitisch-kulturelle Engagement führte zu interkonfessionellen Kooperationen, zur Rezeption auch nichtkatholischer geistiger Impulse und mußte Spannungen zwischen reformkatholischen Kräften und jenen verursachen, die um den Erhalt des katholischen Propriums willen einen nach innen „integralen", nach außen eher abschirmenden Weg vorzogen.
„Der Gral"
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3.5
Integralismusstreit und Antimodernismus
Ein wichtiges Einfallstor für die interkonfessionelle, das spezifisch Ka- Der Streit um die Konfessionstholische relativierende Entwicklung waren die christlichen Gewerk- bestimmtheit der schaften. Hervorgegangen aus der 1891 entstandenen „Vereinigung der christlichen Gekatholischen Arbeitervereine Süddeutschlands" und dem 1903 gebilde- werkschaften ten „Verband katholischer Arbeitervereine Westdeutschlands", überschritten sie 1919 die Millionengrenze. Zu dieser Zeit hatten die sozialdemokratischen Gewerkschaften freilich schon 5,5 Millionen Mitglieder, die liberalen „Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine" erst knapp 190000. Zwischen den 1900 zum „Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands" zusammengeschlossenen Arbeitervereinen des west- und süddeutschen Verbandes und dem ostdeutschen „Verband der katholischen Arbeitervereine" mit Sitz in Berlin war der Fortgang der christlichen Gewerkschaftsarbeit umstritten. Während der konservative ostdeutsche Verband unter Franz v. Savigny (1859-1917) wegen der Gefahr einer konfessionell-weltanschaulichen Indifferenz die Bildung christlicher Gewerkschaften ablehnte und für soziale Fachabteilungen innerhalb der katholischen Arbeitervereine votierte, setzten sich die südwestdeutschen christlichen Gewerkschaften unter Generalsekretär Adam Stegerwald für eine moderne, nicht auf die katholische Konfession beschränkte Gewerkschaftspolitik ein. „Mir", so Stegerwald, „waren die christlichen Gewerkschaften zu schade, um sie indirekt als klerikales Spielzeug gebrauchen zu lassen." Diese Diskussion betraf das Zentrum ebenso wie den Volksverein. Auf Initiative des Oberhausener Kaplans Edmund Schopen, der sich zum Sprecher derjenigen machte, die als Bewahrer des katholischen Glaubens vor den Gefahren des Interkonfessionalismus warnten, trafen sich im Jahre 1909 fünf Zentrumspolitiker, um die „Integralen" in der Partei zu formieren und deren Forderungen durchzusetzen: Rekonfessionalisierung der christlichen Gewerkschaften und der Zentrumspartei sowie eine klare Unterordnung des Volksvereins unter den Episkopat.
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I.
Enzyklopädischer Überblick
In der
folgenden Diskussion stellte sich zwar bald heraus, daß die „Integralen" in der Minderheit waren, aber die zutage getretenen Gegensätze in der Zentrumspartei führten bei den Reichstagswahlen des Jah-
1912 zu Stimmverlusten (von 19,4% auf 16,4%). In den Streit um die christlichen Gewerkschaften griffen auch der Episkopat und der Vatikan ein, wobei eine Mehrheit der Bischöfe zu ihren Gunsten, Papst Pius X. (1835-1914) aber mit der „Gewerkschafts"Enzyklika „Singulari quadam" (1912) im einschränkenden Sinne Stellung bezog: „An erster Stelle ist dafür zu sorgen, daß katholische Arbeiter, die Mitglieder solcher Gewerkschaften sind, zugleich jenen katholischen Vereinigungen angehören, welche unter der Bezeichnung Arbeitervereine bekannt sind." Das Ende des Pontifikats Pius X. und der Kriegsausbruch drängten den Konflikt in den Hintergrund, zumal der neue Papst Benedikt XV. (1854-1922) gegenüber den christlichen Gewerkschaften eine andere Position als sein Vorgänger einnahm. Eine ausdrückliche lehramtliche Billigung der Christlichen Gewerkschaften erfolgte jedoch erst im Jahr 1931 durch die von Pius XI. verantwortete Enzyklika „Quadragesimo anno". Die kleine „integralistische" Berliner Richtung der Zentrumspar„Integralismus" tei unter Führung des Abgeordneten Hermann Roeren (1844-1920) fühlte sich in ihrer Opposition auch durch die Verurteilung des „Modernismus" bestärkt, die Papst Pius X. durch den neuen Syllabus „Lamentabili" vom 3. Juli 1907 und die Enzyklika „Pascendi dominici gregis" vom 8. September 1907 aussprach. Auch mit der Verordnung, die scholastische Philosophie zur Grundlage der theologischen Studien zu machen, setzte der konservative Reformpapst die Kirchen- und Theologiepolitik seines Vorgängers fort. Leo XIII. (1810-1903) hatte in einer Reihe von Lehrschreiben Päpstliche Lehrentscheidungen die Enzykliken „Diuturnum illud" von 1881, „Immortale Dei" von 1885, „Liberias praestantissimum" von 1888 und „Sapientiae christianae" von 1890 scharfe Kritik am Menschenrechtsgedanken sowie an dem individualistischen Freiheitsstreben des Liberalismus geäußert und an die christlichen Bürgerpflichten erinnert, da für die Katholiken der Gehorsam gegenüber der Kirche Vorrang vor allen anderen Verpflichtungen besitze. Schließlich lehnte Leo XIII. in der Enzyklika „Providentissimus Deus" vom 18. November 1893 die „fortschrittliche" Bibelexegese der katholisch-theologischen Erneuerungsbewegung ab. Diese seit etwa 1890 hervortretende Reformtheologie rezipierte die historisch-kritischen Methoden, die in der evangelischen und anglikanischen Theologie bereits Eingang gefunden hatten, wandte sich Ansätzen der Religionsphilosophie zu und ging den Fragen perres
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sönlicher Religiosität nach. Neben französischen (Alfred Loisy, 18571940), britischen und italienischen Theologen waren von der Verurteilung der in Würzburg Apologetik und christliche Kunstgeschichte lehrende Hermann Schell (1850-1906) sowie der Freiburger Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus (1840-1901) betroffen.
3.6 Allianz- und Gemeinschaftsbewegung, Weltmission und
Kolonialimperialismus
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts eröffneten die modernen Transport- und Alhanzbewegung
Kommunikationsmöglichkeiten (Dampfschiffahrt, Eisenbahn, Telegraphie) eine neue Dimension für internationale Begegnungen, Zusammenschlüsse und Weltbünde. Eine der frühen ökumenischen Organisationen war die Evangelische Allianz. Durch einen Aufruf des schottischen Theologen Thomas Chalmers (1780-1847) an Kirchen und Denominationen in England, Wales und Irland nahm die Allianzbewegung ihren Ausgang. Das Programm des überkonfessionell und übernational geplanten christlichen „Brüderbundes" bestand einerseits in einer Abwehr des Papsttums und der protestantischen Irrtümer, andererseits in einer Förderung biblischen Christentums. Vom 19. Mai bis 2. September 1846 fand in London die konstituierende Versammlung des Bundes statt. Zu dem Treffen kamen 800 Gläubige aus 50 kirchlichen Gemeinschaften in Europa und Nordamerika. Sie akzeptierten neun Lehrpunkte, die das Selbstverständnis der „Evangelical Alliance" ausmachen, darunter die göttliche Inspiration, Autorität und Suffizienz der Heiligen Schrift und die gänzliche Verderbtheit der menschlichen Natur infolge des Sündenfalls. Die Bedeutung persönlicher Frömmigkeit, evangelistischen Zeugnisses und missionarischen Handelns bestimmte die Aktivitäten der Vereinigung. Seit 1847 gab sie die Zeitschrift „Evangelical Christendom" heraus, trat für die Glaubensfreiheit von Minderheitsgruppen in Europa ein, führte Erhebungen über das Glau-
bensleben in Amerika durch und förderte eine Reihe von Missionstreffen, die in der Edinburgher Weltmissionskonferenz (siehe unten, S. 48 f.) gipfelten. Der deutsche Zweigverein verbreitete sich zusammen mit der Gemeinschaftsbewegung, die seit 1875 durch den Einfluß der angelsächsischen Heiligungsbewegung auf die frommen Kreise in Deutschland aufblühte. Die Gemeinschaftsbewegungen entstanden aus dem Zusammen- Gemeinschaftsgehen unterschiedlicher Strömungen pietistischer und erwecklicher bewegung Provenienz. Sie verstanden sich als innerkirchliche Reformbewegung und lebten aus dem neu-erwecklichen Bewußtsein, in einer letzten Zeit
46
Gnadauer Konferenz
L
Enzyklopädischer Überblick
vor der Wiederkunft Christi zu leben. Soziale Verwerfungen im Gefolge der Industriellen Revolution und Nachrichten über gewaltige Erweckungen in den Missionsgebieten speisten diese endzeitlichen Erwartungen und förderten Sammlungsbewegungen der Gläubigen zur Missionierung der Zweifler im eigenen Land und der Heiden in der Welt. Als erste deutsche Ausbildungsstätte für Evangelisten und Gemeinschaftspfleger entstand 1883 das Johanneum in Bonn (seit 1886 Wuppertal-Barmen). Das neue Vereinsrecht in Preußen ermöglichte 1888 den organisatorischen Zusammenschluß der Gemeinschaftskreise
in der Gnadauer Konferenz, die zunächst alle zwei Jahre, dann (seit 1906) jährlich zusammenkam und mit ihrer Arbeit dem „Aufbau des Reiches Gottes" dienen wollte. Als Koordinationsinstrument für die verschiedenen Initiativen wurde der Gnadauer Verband gegründet. Nachdem das Deutsche Reich unter Bismarck im Jahre 1884 seine Anfänge evangelischer Mission weltpolitische Zurückhaltung und Kolonialabstinenz aufgegeben hatte, begann für die evangelische wie die katholische Kirche eine neue Phase ihrer Missionsgeschichte, die nationale Kolonialmission. Für die erste evangelische Missionsgeneration der alten Missionsgesellschaften stellte die veränderte Situation eine schmerzliche Zäsur dar. Zu den älteren Missionsgesellschaften, auf dem Boden der ErAlte und neue Missionsgesellschaften weckungsbewegung entstanden, gehörte die reformierte Rheinische 1828 in Barmen Missionsgesellschaft, gegründet, die Basler Missionsdie Norddeutsche gesellschaft, Missionsgesellschaft, deren Anfänge auf das Jahr 1818 zurückreichen, und die Neuendettelsauer Missionsgesellschaft. Mit dem Eintritt ins Kolonialzeitalter vollzogen sie z.T. erhebliche Strukturveränderungen und traten in Konkurrenz zu den kolonialistischen Missionsneugründungen der 80er Jahre. Meist auf Druck aus ihren jeweiligen Mitglieder- und Förderkreisen beteiligten sich in den 90er Jahren auch die Herrnhuter Brüdergemeine, die Berliner Missionsgesellschaft, die Leipziger Missionsgesellschaft und die Goßnersche Mission an der deutschen Kolonialmission. Unter den miteinander konkurrierenden evangelischen MissionsProbleme der Kolonialmission gesellschaften kristallisierten sich allmählich sieben Fragenkomplexe heraus: Erstens: Sollten deutsche Missionsgesellschaften sich künftig auf die deutschen Kolonien konzentrieren, um nicht für andere Nationen „Kulturarbeit" zu leisten? Zweitens: Hinderte nicht die koloniale Begeisterung die „Reich-Gottes-Arbeit"? Drittens: Wie konnten die Missionsgesellschaften dem Mißverständnis der Eingeborenen vorbeugen, ihre Missionare seien nur Sendboten der fremden europäischen Zivilisation und bereiteten den Boden für Kolonialherrschaft und Kolonialwirtschaft? Viertens: Sollte man in Konfliktfällen zwischen Einhei-
47
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
mischen und Kolonialmacht als Vermittler oder gar Anwalt der Einheimischen auftreten und gegebenenfalls die Kollision zwischen geistlicher Autorität und weltlicher Macht riskieren? Fünftens: Sollte man auf die Wünsche der Kolonialwirtschaft eingehen und die „Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit" in den Missionsschulbetrieb integrieren? Sechstens: Was konnten die evangelischen Missionsgesellschaften gegen die „drohende Islamgefahr" unternehmen? Siebtens: Wie war der katholischen Konkurrenz zu begegnen? Die Antworten auf diese Fragen fielen entsprechend der kirchlichen und gesellschaftspolitischen Einbindung der Gesellschaften höchst unterschiedlich aus. Im Unterschied zum Protestantismus existierten auf dem Reichs- Katholische Missioterritorium zu Beginn der deutschen Kolonialexpansion keine ausge- nen auf deutschem Kolonialgebiet sprochen katholischen Missionen, die in den neuen deutschen Kolonien hätten tätig werden können. Aufgrund noch geltender Kulturkampfgesetze war es den katholischen Orden nicht möglich, ihre Tätigkeit im alten Umfang wieder aufzunehmen, geschweige denn neue Niederlassungen zu begründen. Der erfolgreichste katholische Missionsorden, der Jesuitenorden, stand bis 1917 unter Verbot. Aus der Sicht des Deutschen Reiches durfte die katholische Kolonialmission aber nicht unter dem Einfluß ausländischer Missionare stehen. Vor dem Hintergrund des Aufstandes im deutschen Schutzgebiet Prestigegewinn Ostafrika Ende August 1888 gewann die Reichsregierung den Ein- der katholischen Mission druck, daß von den katholischen Missionsgesellschaften und dem Ende 1888 in Köln gegründeten „Afrika-Verein deutscher Katholiken" „eine weit wirksamere Förderung der Kolonisationsbestrebungen erwartet [werden könne], als die evangelischen Missionsgesellschaften" sie je zu leisten imstande seien. Der bayerische Gesandte in Berlin, Graf Lerchenfeld, von dem diese Einschätzung stammte, vermutete sogar, daß in Zukunft eine Verstärkung der katholischen Missionstätigkeit, insbesondere auch durch die im Reich verbotenen Spiritaner, vom Reichskanzler „nicht nur nicht bekämpft, sondern von demselben sogar begünstigt werden" würde. Ende 1889, nach nur fünf Jahren deutscher Kolonialgeschichte, Gleichbehandlung erklärte sich die Reichsregierung bereit, alle katholischen Orden ein- von katholischer und evangelischer schließlich der Jesuiten unter den gleichen Bedingungen wie die deut- Mission schen protestantischen Missionsgesellschaften zur Missionsarbeit zuzulassen. Das galt auch für die ausländischen katholischen Missionen, wenn die katholischen Missionare die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und unter deutscher Leitung standen. Konsequent hatte man einen Standortwechsel vorgenommen und das konfessionelle Prinzip gegen das nationale vertauscht. Die Kurie zeigte gegenüber dieser -
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48
I.
neuen
Haltung
Enzyklopädischer Überblick
der deutschen
Regierung großes
Verständnis und tat
alles, um deren Wünschen entgegenzukommen. „Hand-in-HandArbeit" von Staat und Kirche
Trotz
gelegentlicher
Konflikte dominierte das einvernehmliche
„Hand-in-Hand-Arbeiten" zwischen dem Reich und den Missionsge-
sellschaften. Ihre besondere Stellung dem Kolonialreich gegenüber nutzten die Missionsgesellschaften aus, um die Obrigkeit gegen den Islam einzunehmen und auf diese Religion als den „Todfeind" der deutschen Kolonialherrschaft und die eigentliche „afrikanische Gefahr" hinzuweisen. Eine Bedrohung für Mission und Kolonisation bildete die aufkeimende nationale und soziale Emanzipationsbewegung, die den nationalen wie religiösen Prioritätsanspruch des Abendlandes gegenüber der afroasiatischen Welt zunehmend in Frage stellte. Nicht zuletzt das kulturideologische Dogma von der Superiorität des „christlichen" Europa förderte und festigte das „Hand-in-Hand-Gehen" zwischen Mission und Kolonisation. Die Unterlegenheit indigener Religionen, verbunden mit der Doktrin, daß die trägen und faulen Eingeborenen erst zur Arbeit erzogen und ihr Hochmut gebrochen werden müsse, bildete eine wesentliche Grundlage dieser Kooperation. Mission als Dessenungeachtet erwiesen sich die Missionen für die kolonisierBildungsschub ten Völker auf drei Gebieten als hilfreich: Nach Kolonialkriegen oder bei Hungersnöten halfen in erster Linie die Missionsgesellschaften. Auch leisteten sie medizinische Hilfe und sorgten für eine Schulausbildung der Eingeborenen, die es diesen in der Phase der Entkolonialisierung immerhin ermöglichte, die politische und soziale Führung ihrer Länder zu übernehmen. Mit dieser Erziehung war freilich auch der Keim für ein National- und Gemeinschaftsbewußtsein gelegt, das emanzipatorische Kräfte freisetzen sollte. Vor diesem Hintergrund bildete die Weltmissionskonferenz in Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 eine wichtige Schnittstelle zwischen der noch durch 1910 Edinburgh das christliche Abendland beherrschten Welt und dem Aufbruch der „jungen" Kirchen. Im Vergleich zu den Missionskonferenzen von 1888 und 1900 trug Edinburgh ein offizielles Gepräge und wurde von eigens ernannten Delegierten aus den Missionsgesellschaften beschickt. Trotz der nach wie vor dominierenden Rolle der Angelsachsen wirkte Edinburgh ökumenischer als die vorangegangenen Konferenzen. Zu den Initiatoren und Organisatoren der Weltmissionskonferenz CVJM zählten Persönlichkeiten, die aus der Evangelischen Allianz, aus dem 1855 gegründeten Weltbund der Christlichen Vereine Junger Männer (CVJM) bzw. aus dem aus diesem herausgewachsenen, 1895 gegründeten Christlichen Studentenweltbund hervorgegangen waren: John
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
49
Mott (1865-1955), Joseph H. Oldham (1874-1966) und Karl Fries (1861-1943). Die internationalen christlichen Jugendverbände besaßen auch zentrale Bedeutung für die Stockholmer und später die
Raleigh
Genfer Ökumene. Zur Weltmissionskonferenz im Juni 1910 trafen sich 1335 Dele- Zusammensetzung Edinburgher gierte für zehn Tage in Edinburgh; unter den Teilnehmern befanden der Konferenz sich nur 17 einheimische Vertreter aus den Missionsländern Asiens. Afrikaner waren nicht entsandt worden, Lateinamerikaner hatte man nicht eingeladen, da die Missionsarbeit auf diesem Kontinent unter dem Verdacht des konfessionellen Proselytismus stand. Zu den orthodoxen Kirchen und zu Rom hatte die Konferenzleitung keinen Kontakt aufgenommen. Die kontinentaleuropäischen Missionsgesellschaften waren mit 175 Delegierten vertreten. Trotz der erdrückenden eurozentrischen bzw. angloamerikani- Eurozentrismus sehen Dominanz, die den Eindruck erwecken mußte, als sei die Mission ausschließlich eine Sache der abendländischen Christenheit, bedeutete Edinburgh auch den Beginn einer Integration der werdenden jungen Kirchen in die Gemeinschaft der Christenheit. Überdies gab die Konferenz den Anstoß für die beiden großen Zweige der ökumenischen Bewegung „Faith and Order" und „Life and Work". Insofern wurde der Grund gelegt für die Überwindung des „nationalen Prinzips" zugunsten einer Weltkirche. Der Erste Weltkrieg sollte freilich diese hoffnungsvollen ökumenischen Ansätze noch einmal auf das Niveau nationalkirchlicher Enge und Selbstsüchtigkeit zurückwerfen.
3.7 Die Kirchen Europas und Amerikas im Ersten Eine Stabilisierung der „inneren Front" Bei Ausbruch des Ersten
Weltkrieg:
Weltkrieges
verließen die ausländischen De1914 überstürzt die Konstanzer ökumenische Kirchenkonferenz; im Verlauf des Krieges fielen sie in nationalpatriotische Positionen zurück. Angesichts der neuen ethischen Bewertung ihrer Handlungsweise durch die Haager Abrüstungskonferenzen 1899 und 1907 standen die kriegführenden Mächte vor dem Problem, den Krieg nicht nur militärisch, sondern auch moralisch gewinnen zu müssen. Darum wurden z. B. militärstrategische Maßnahmen wie Deutschlands Bruch der belgischen Neutralität von Seiten der Entente-Mächte als vorsätzlich begangene, verabscheuungswürdige Verfehlungen deklariert. Auf beiden Seiten schrieb man dem Gegner die Verantwortung für den Kriegsausbruch zu und bezichtigte ihn einer barbarischen Kriegführung. Der
legierten Anfang August
Militärische und moralische Siege
50
I.
Enzyklopädischer
Überblick
Krieg selbst erschien als moralische Mission zur Verteidigung des Vaterlandes oder zur Rettung der abendländischen Kultur. Für die Theologen und Kirchenmänner der kriegführenden Staaten schien es selbstverständlich, ihrem Land in dem vermeintlich aufgenötigten Verteidigungskrieg beizustehen. In Erklärungen und Aufrufen lieferten sie sich gegenseitig papierene Schlachten um das moralische Recht ihres Landes. Nicht nur die großen Kirchen und Verbände der europäischen Staaten, sondern auch verschiedene christliche Denominationen und Laienbewegungen in den USA beteiligten sich an dem „Kreuzzug" für die geistigen Werte der westlichen Zivilisation gegen die „blood-thirsty huns" (M. E. Marty). Wie die reformierte Minderheit in Frankreich mußten sich die lutherischen Kirchen in Amerika, obwohl viertgrößte Denomination, durch erhöhte Loyalität gegen den Verdacht der Kollaboration mit den Deutschen wehren. Im Unterschied zu Europa verschwanden diese Attitüden freilich nach dem 11. November 1918 so schnell wieder, wie sie aufgekommen waren. Allerdings überdauerten die in den USA über den Kriegsereignissen aufgeschossenen christlichen Einheitsvisionen den Friedensschluß ebensowenig. Die verschiedenen Friedensinitiativen der Kurie und des skandinavischen Erzbischofs Nathan Söderblom (1866-1931) scheiterten nicht zuletzt an den nationalen Eigeninteressen der Kirchen in den kriegführenden Ländern. Auch der deutsche Katholizismus nahm voll Anteil an der KriegsKrieg als einheitsstiftender Impuls begeisterung. Nach der Erklärung Wilhelms IL, er werde in Zukunft „keine Parteien mehr" kennen, sondern nur noch Deutsche, schien der endgültigen Integration des Katholizismus in den deutschen Imperialstaat, einer Versöhnung des evangelischen mit dem katholischen Volksteil, nichts mehr entgegenzustehen. Beide Konfessionen begriffen den Krieg als sittliche Erneuerung und Rechristianisierung der Gesellschaft. Angesichts der nationalen Empfindungen und auch der Tatsache, daß endlich die Gleichberechtigung der Katholiken erreicht zu sein schien, stand auch das Zentrum nicht nach und übte strikte Loyalität, indem es alle Kriegsanstrengungen der Reichsleitung unterstützte. Der katholische Philosoph Max Scheler (1874-1928) umriß im „Hochland" begeistert die neue Aufgabe des deutschen Katholizismus in und nach dem Krieg. Mit dessen Verlauf wurde der politische wie konfessionelle „Burgfrieden" allerdings immer fragiler; 1917 zerbrach er in den Auseinandersetzungen um innere Reformen und Kriegsziele. Nicht historische Forschungsergebnisse, sondern der Ausgang des Versailles Krieges entschieden zunächst darüber, wessen nationale Interpretation des Geschehenen höhere moralische Glaubwürdigkeit besaß. Als ei-
3. Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich
51
im Sinne der berühmten Alleinschuldthese wurden in Deutschland das Ultimatum der Entente vom 16. Juni 1919 sowie die begleitende Note Georges Clemenceaus (1841-1929) aufgefaßt. Diese auf dem Höhepunkt der Friedensverhandlungs-Kontroversen formulierte alliierte Stellungnahme warf den Regierungen der Mittelmächte vor, um der Vorherrschaft in Europa willen fortgesetzt eine Politik mit dem Ziel betrieben zu haben, „Eifersucht, Haß und Zwietracht unter den Nationen zu säen" (Mantelnote). Fortan sollte der „Kampf gegen Versailles" und für eine differen- Schuldfrage ziertere Sicht der Schuldproblematik zum unabdingbaren Bestandteil jeder deutschen Regierung der Weimarer Republik, aber auch offizieller kirchlicher Aktivitäten werden. Adolf Deißmann (1866-1937), Berliner Neutestamentier, hatte am 15. November 1918 einen Appell an die Kirchenführer der Entente-Staaten gerichtet, „ein Zeitalter gegenseitiger Vergebung und Versöhnung" mit heraufzuführen. Aber die Church of England wie auch die Federation Protestante de France insistierten auf „strenger Gerechtigkeit" und vollständiger Wiedergutmachung zur Abschreckung Deutschlands vor künftigen Aggressionen. Nicht nur die konservativen, sondern auch die liberalen Theologen lehnten Deutschlands Alleinschuld am Ausbruch des Weltkrieges ab. Deißmanns Berliner Kollege Harnack sah den Konflikt „als Resultat [einer] [...] egoistischen Grundhaltung" (J. Jantsch) aller Gruppen und vertrat demzufolge den Standpunkt, daß „alle schuldig oder doch mitschuldig" seien.
gentliche Anklage
IL
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Konfessionelle betrieben. Die
Historiographie wird durch Theologen wie Historiker „evangelische" und GeUnterscheidung in „evangelische" und „katholische" „katholische" schichtsschreibung Geschichtsschreibung trägt dem Sachverhalt Rechnung, daß viele sich dem Gegenstand zuwendende Allgemeinhistoriker auch eine konfessionelle Standortbindung besitzen, was u.a. durch die Kooperation in konfessionsspezifischen Historischen Kommissionen und in der exklusiven historischen Erforschung nur einer Konfession zum Ausdruck kommt.
Historiographischer Überblick: Programme und ihre Umsetzung (evangelische Kirchengeschichtsschreibung) 1.
In der kirchlichen wie in der allgemeinen Historiographie fallen nicht selten die Geschichtsschreibung und ihre Theorie auseinander [vgl. 316: Selge, Einführung]. Es gibt zahlreiche brillante Kirchengeschichtsdarstellungen ohne theoretische Reflexion und umgekehrt theoriegesättigte Programme, die historiographisch nie eingelöst wurden. Nur sehr vereinzelt kam es zu kirchenhistorischen Theoriebildungen, die dem Risiko ausgesetzt wurden, sich am historischen Stoff zu bewähren oder zu scheitern. Im folgenden werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit Theorien und Darstellungen besprochen, die für die kirchliche Historiographie des 19. Jahrhunderts mittelbar oder unmittelbar von Bedeutung sind. -
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1.1 Kirchen- und
Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts als
„kirchliche Zeitgeschichte" Wie in allen Epochen begann die kirchliche Historiographie des Historiographie 19. Jahrhunderts in einer Art historisch-politisch-theologischer Inter- durch Zeugenos pretation durch die Zeitgenossen selbst. Als Beispiele hierfür sind Her-
54 Hermann Wangemann
Reinhold Seeberg
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Theodor Wangemanns (1818-1894) „Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte" [116] zu nennen, in denen der von der pommerschen Erweckungsbewegung stark beeinflußte Verfasser aus seiner lutherisch-konfessionellen Perspektive „den Kampf um die lutherische Kirche" nach Einführung der preußischen Union 1817 darstellt. Reinhold Seebergs (1859-1935) „Die Kirche Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert" [106] ruht in Distanz zur neulutherischen Orthodoxie [aaO„ Vf.] auf den Fundamenten des Luthertums und zeigt sich wie der Verfasser gegenüber der freien kirchlichen Tätigkeit, insbesondere auf sozialem Gebiet, sehr aufgeschlossen. Adolf Zahns (1834-1900) „Abriß einer Geschichte der evangelischen Kirche auf dem europäischen Festland im 19. Jahrhundert" [121] setzt bei der Erweckung ein. Von seinem reformierten Standpunkt aus beurteilt der Verfasser zwei Kirchen als „durch ihre Eigentümlichkeit bemerkenswerthe [...] die schwäbische und die reformirte" [aaO., 3]. „Drei mächtige Ströme durchziehen offenbar verderblich die Gegenwart: der Presse und Börse schlau besitzende Judaismus, der das arbeitende Volk immer weitgreifender mit Polypenarmen umstrickende Socialismus, der allein als Kirche sich gebärdende, die Welt wie er sich rühmt regierende Romanismus. Daneben erlischt mehr und mehr wahre evangelische Erkenntniss" [aaO., 66]. Durch den Historismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat auch die Kirchengeschichtsschreibung wesentliche Impulse erhalten. Dessen Methodenbewußtsein führte die kirchliche Historiographie von einer eher spekulativen zu einer historisch-kritischen Betrachtungsweise, deren Arbeitsformen sich von denen der Allgemeingeschichte nicht mehr unterschieden. Seeberg würdigt den Aufschwung, den die kirchliche Historiographie im Zeichen des Historismus nimmt, kritisiert aber, daß sie durch die Fülle der angeregten Spezialuntersuchungen „eine Verkümmerung des echten historischen Sinnes" [273: Meinhold, Geschichte, Bd. II, 421 ] zur Folge habe. Eine christlich-interreligiöse Kirchengeschichtsschreibung mit der Absicht, den Verfasser „hinter die Thatsachen gänzlich zurücktreten" [58: Hase, Kirchengeschichte, XIX] zu lassen, verfolgte der Jenenser evangelische Theologe Karl August von Hase (1800-1890). Geprägt von der Burschenschaftsbewegung und bestrebt, „den Rationalismus mit dem Schwünge der Phantasie und der Wärme des Herzens zu verbinden", erwarb sich der Vermittlungstheologe mit seinem Lehrbuch der Kirchengeschichte, das 1834-1900 über 12 Auflagen erlebte, bleibenden Ruhm. „Nicht das Erbauliche im Volksleben [...], sondern immer nur das religiös charakteristische" wollte Hase historiographisch mann
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AdolfZahn
Historismus
Karl August von Hase
I.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibung
55
festhalten. Von Auflage zu Auflage schrieb er sich jeweils bis an die Schwelle seiner Gegenwart heran. Im Vorwort zur 11. Auflage (1886) heißt es: „Die neueste Geschichte der Kirche ist allmälig den neuen Ausgaben von 1834 bis 1886 hinzugekommen. Solch eine neuste Geschichte ist freilich ein unvollständig Ding. Indeß kann sie auch wahrhaft und unparteiisch sein, und da ist doch in der Ordnung, daß unsre jungen Theologen als die Träger der nächstkünftigen Kirchengeschichte auf dieses Gegenwärtige und Werdende hingewiesen werden; auch pflegen wir von der Geschichtsschreibung des Altertums und des Mittelalters nicht deßhalb geringer zu denken, weil sie etwa Genossen der Zeit gewesen sind, welche sie beschrieben haben." [58: Hase, Kirchengeschichte, XXI f.] Friedrich Nippold (1838-1918), der 1884 Hase auf dem Jenenser Lehrstuhl folgte, stellte seine „Geschichte der Kirche im deutschen Protestantismus" [96] in den Dienst der ,,volle[n] Anerkennung des religiös-kirchlichen Faktors der Gesamtkultur" [aaO., 15]. Er gehörte zu den Gründern des Evangelischen Bundes, stützte die Altkatholische Kirche gegen den „Vatikanismus" [aaO., 4] und plädierte neben der kirchen- und personenbezogenen Historiographie für eine Gedes protestantischen Vereinswesens. Das „Wesen schichtsschreibung des ,Christusglaubens'" [aaO., 10] erschloß sich dem liberalen Theologen nicht durch den „Verwaltungsapparat" [aaO., 6] der verfaßten Kirche, sondern in den „geistlichen Gaben" und „himmlischen Gütern" [aaO., 11]. In Nippolds Geschichtsschreibung spiegelte sich das Programm des kirchlichen Liberalismus. Die „Geschichte der evangelischen Kirche Deutschlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts" des Schweizers Christian Tischhauser [113] hat es sich zur Aufgabe gemacht, „dem religiösen und sittlichen Leben die höchste Aufmerksamkeit zu widmen" [aaO., III]. Nicht wie vor allem Seeberg, aber auch Nippold leitende Persönlichkeiten auf akademischen Lehr- und Bischofsstühlen interessieren ihn, sondern wie es „weiter unten, im Kirchenleben des Volks zugeht". Mit Wangemann verbindet ihn sein Interesse an den „im Volksleben sich vollziehenden religiösen Erregungen, die sich hier offenbarenden kirchlichen und sittlichen Interessen" [aaO., V].
Friedrich Nippold
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Christian Tisch hauser
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In allgemeinhistorischen zeitgeschichtlichen Darstellungen wie aiigemeinhistoriHeinrich von Treitschkes (1834-1896) „Deutsche Geschichte im sehe Darstellungen Neunzehnten Jahrhundert" findet sich ein Kapitel „Die Parteiung in der Kirche" [114: Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. 5, 270-361], das unter eher politikgeschichtlichen Gesichtspunkten die Entwicklung der Kirchenverfassungen mit den sie bedingenden kirchenpolitischen Aus-
56
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
schildert. Heinrich von Sybel (1817-1895), bei dem Wissenschaft und Politik aufs engste verflochten waren, schenkt in seinem Werk „Die Begründung des Deutschen Reiches" der evangelischen Kirche gar keine Aufmerksamkeit und verhandelt den Katholizismus unmittelbar nach der „Communistischen Bewegung" als die „klerikale Erhebung" [200: Sybel, Begründung, Bd. 7, 98-108]. Im allgemeinen ist zu sagen, daß die vom Historismus der zweiten Einfluß des Historismus Hälfte des 19. Jahrhunderts beeinflußte Kirchengeschichtsschreibung den eindeutigen Schwerpunkt ihrer Forschungsbemühungen nicht auf die gerade zurückliegenden Jahrzehnte, sondern auf die Felder Alte Kirche und Reformationszeit legte. Das gilt für Adolf von Harnack (1851-1930) ebenso wie für Karl Holl (1866-1926) und deren Schulen. Eine allerdings wichtige Ausnahme bildet der Holl-Schüler Emanuel Hirsch Emanuel Hirsch (1888-1972), dessen „Geschichte der neuern evangelischen Theologie" [62] sich dezidiert auch dem 19. Jahrhundert widmet. Für Hirsch stellt das Jahr 1789 den tiefsten und folgenschwersten Einschnitt in der Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche dar, auch wenn die Veränderungen nicht sofort sichtbar geworden seien. Die Spätfolgen seien um 1914 deutlich geworden. „Bei den meisten sogenannten christlichen Völkern ist der Staat eine jenseits der Kirche, jenseits des Christentums, jenseits der Religion stehende Größe geworden. Daß er der große Unparteiische sei, welcher sich aus dem Streite der Geister um Religion und Weltanschauung heraushalte und auf dem ihm eigentümlichen Gebiete von dem Bekenntnis seiner Bürger möglichst keine Kenntnis nehme, gilt in der öffentlichen Meinung als das allein Richtige" [61: Hirsch, Staat und Kirche, 11]. Allerdings schreibt Hirsch die Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts auch nicht mehr als „kirchliche Zeitgeschichte". Das ist bei der Schleier„Von macher zu Ritsehl" Theologiegeschichte des Ritschl-Schülers Ferdinand Kattenbusch (1851-1935) anders. Seine Rechenschaftsablage des theologischen Weges „Von Schleiermacher zu Ritsehl" (1892) [68] und spätere Umarbeitungen („Die deutsche evangelische Theologie seit Schleiermacher", 31926) gehören ins vorige Jahrhundert. Das trifft auch für Martin Kählers (1835-1912) Theologiegeschichte seines Jahrhunderts zu, die als Vorlesungsnachschrift [67: Kahler, Geschichte] erhalten geblieben ist und den Stoff anders als der liberale Kattenbusch aus biblisch-theologischer Perspektive präsentiert. Nach den Prolegomena über die „geschichtlichen Voraussetzungen der protestantischen Theologie" beginnt auch Kahler mit dem „Begründer der neueren Dogmatik [...] Schleiermacher", endet aber „mit Absicht" [aaO., 263] nicht bei Ritsehl, sondern bei seinem „feindlichen Zwillingsbruder" Richard
einandersetzungen
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I.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibung
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Lipsius (1830-1892). Letzterer kehrte seit 1884 zur Präexistenz-Christologie zurück und polemisierte „gegen die Beseitigung aller objektiven Dogmen" durch Ritschi. 1931 legte der Ritschis Schule theologisch nahestehende Horst
Adelbert
Stephan (1873-1954)
mit Hans Leube (1896-1947) eine seines 22 Jahre zuvor erschienen Bandes über völlige Neubearbeitung „Die Neuzeit" in Gustav Krügers Handbuch der Kirchengeschichte vor [110]. Das Buch setzt mit 1689 ein, läßt den „zweiten Zeitraum" der Neuzeit mit dem Wiener Kongreß (1814) beginnen und endet mit der Stockholmer Bewegung (1925). Seine Vorzüge bestehen in einer interkonfessionellen Betrachtung des Protestantismus, des Katholizismus und der Orthodoxie in Europa und Nordamerika und in der integrierten Darstellung kirchenhistorischer, theologie- und ideengeschichtlicher Vorgänge. In der Epoche von Ritsehl bis Harnack galt die evangelische Kirchengeschichtsschreibung als eine wichtige und unentbehrliche theologische Disziplin, denn es entsprach der allgemeinen Überzeugung dieser Zeit, daß ohne „geschichtliches Wissen und kritisches Nachdenken" (Harnack) ein rechtes Verstehen der Bibel unmöglich sei. Auf der Grundlage historistischer Forschung suchte dieser theologische Liberalismus nach einer Synthese von Christentum und Kultur. Doch Harnacks wie auch Emst Troeltschs historiographischer Ansatz „zwischen Theologie und Soziologie" [197: Molendük, Zwischen Theologie und Soziologie] blieben wie der für Troeltschs Denken und die historische Sozial Wissenschaft insgesamt bedeutsame Max Weber (1864-1920) [193: Kocka, Max Weber] für die Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts vorerst ohne Bedeutung, obwohl Troeltsch in seinem Vortrag „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt" [23] eine Interpretationslinie vom obrigkeitsstaatlichen Luthertum zur konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts zog. In den 20er Jahren begegnete der alte Harnack der „Wort-Gottes Theologie", die mit den bis zur Aufklärung zurückreichenden kirchlich-historiographischen Traditionen bricht. Trotz massiver theologischer Kritik hielt er an den Prinzipien seiner Geschichtserkenntnis fest, wonach der Historie zwar nicht das letzte, wohl aber das erste Wort zukomme. zusammen
Von Ritsehl bis Harnack
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Ernst Troeltsch
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II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
1.2 Geschichte der Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts Kurt Leese
Ganz gegen den theologischen Zug der Zeit legte Kurt Leese 1941 unter dem Titel „Der Protestantismus im Wandel der neueren Zeit. Texte und Charakteristiken zur deutschen Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte" des 18. und 19. Jahrhunderts vor [76], die sich der neuprotestantischen Geschichtsschreibung verpflichtet wissen. Das Buch beginnt mit Lessing (1729-1781) und endet mit einer Vorstellung Paul Tillichs (1886-1965) und Erich Seebergs (1888-1945). Karl Barth und die „Wort-Gottes-Theologie" kommen nicht vor.
Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in der Ära der „Wort-Gottes-Theologie" (1921 -1968) Mit dem Aufkommen der „Wort-Gottes-Theologie" in den 20er Jahren verliert die Kirchengeschichtsschreibung ihre im Zeitalter der liberalen Kulturtheologie gewonnene, das theologische Denken und Urteilen beherrschende Rolle. Die neue „dialektische Theologie" betonte vielmehr das Offenbarungsgeschehen als Krisis des Geschichtlichen und als eschatologisches Ereignis. Die Souveränität Gottes gegenüber allen menschlichen Leistungen in der Geschichte wird nach dieser Theologie deutlich, wenn man sich vor Augen führt, „daß Gott der ,Ganz Andere' ist und der Mensch Gott da nur wirklich begegnet, wo er mit allen seinen Möglichkeiten völlig zunichte wird" [313: Schmithals, Theologie Rudolf Bultmanns, 7]. Nachdem im theologischen Liberalismus die Wissenschaftlichkeit der Theologie in der Anerkennung und Anwendung historischer Methoden bestand, erhält die Theologie jetzt wieder ihre Ortsbestimmung von der Dogmatik her, ohne sich um deren Akzeptanz im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb zu scheren. Rudolf 1.2.1
Diaiektische
Theologie
Christus, das Ende der Geschichte
Bultmann (1884-1976), Karl Barth (1886-1968) und Emil Brunner (1889-1966) stehen für diese theologische Wende, die bei manchen Unterschieden im einzelnen letztlich zu einem doppelten Geschichtsbegriff führt. Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus bildet den ,Abschluß [...] aller menschlichen Geschichte, das Vergehen dieses Äons, de[n] Ablauf der Zeit, deren Pendel jetzt gewissermaßen im Ausschwingen ist, so daß es nur noch offenbar werden muß, daß sie [die Kirchengeschichte] schon abgelaufen ist [...] keine zweite Geschichte mit weiteren Vollbringungen, keine Kirchengeschichte als weitere Heilsgeschichte, keine .christliche Aera'." [37: K. Barth, KD III/2, christus ist also das Ende der Geschichte, und nicht die Historizität des Christentums ist Gegenstand der Kirchengeschichte, sondern
1.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibunr.
59
die „Geschichte der Auslegung und damit der immer neu drohenden Vergewaltigung des Wortes Gottes" [37: K. Barth, KD 1/2, 764]. „[...] die eigentliche Geschichte vollzieht sich nunmehr in der Verwirklichung der menschlichen Geschichtlichkeit; die jetzt noch sich ereignende Weltgeschichte ist nicht Heilsgeschichte, sondern Profangeschichte, deren Ende den Glauben nicht interessiert" [313: Schmithals, Theologie Rudolf Bultmanns, 319]. „Geschichtlichkeit" beschreibt nur mehr das Wesen des Menschen und ist kein historischer, sondern ein anthropologischer Begriff. Seiner „Vorgeschichte und [...] Geschichte" der „protestantische[n] Theologie im 19.Jahrhundert" [36: Barth: protestantische Theologie] stellt Barth „methodische" Überlegungen voran, in denen seine Sicht der Dinge noch einmal scharfe Akzentuierungen erfährt. „Ausgeschlossen, nicht kompetent", Kirchen- und Theologiegeschichte zu schreiben, ist für Barth „nicht der irrende Theologe und auch nicht der Gegner der Theologie", sondern „der müßige Zuschauer, der etwas zu sehen und von etwas reden zu können meint, das ihn nicht angeht" [aaO., 2]. „Wir können auch hinsichtlich der Theologie nicht in der Kirche sein, ohne der Theologie der Vorzeit so gut wie der unserer Gegenwart verantwortlich gegenüberzustehen. Augustin, Thomas, Luther, Schleiermacher und alle die Andern sind nicht tot, sondern lebendig [...] Sie haben vor uns je in ihrer Gegenwart um derselben kirchlichen Aufgabe willen dieselbe Besinnung geleistet, die heute von uns gefordert ist. [...] Die Theologie jeder Gegenwart muß stark und frei genug sein, nicht nur die Stimmen der Kirchenväter, nicht nur Lieblingsstimmen, nicht nur die Stimmen der klassischen Vorzeit, sondern die Stimmen der ganzen Vorzeit ruhig, aufmerksam und offen anzuhören. Gott ist der Herr der Kirche. Er ist der Herr auch der Theologie. Wir können nicht vorwegnehmen, welche Mitarbeiter der Vorzeit uns bei unserer eigenen Arbeit willkommen sind, welche nicht. Es kann immer so sein, daß wir dabei ganz unvermutete und unter diesen zunächst ganz unwillkommene Stimmen in irgend einem Sinne besonders nötig haben. So also kommt die Geschichte, die Kirchen-, Dogmen- und Theologiegeschichte in die theologische Werkstatt. So wird sie zur theologischen Aufgabe" [aaO., 3]. Auch dem Theologen des 19. Jahrhunderts sei es letztlich um nichts anderes gegangen, „als eben um Erkenntnis und Bekenntnis der christlichen Offenbarung. Mögen wir gegen Schleiermacher und Ritsehl mit Recht oder Unrecht einwenden, was wir wollen, wir sind jedenfalls nicht befugt, [...] sie von einem andern Thema aus zu verstehen, als von dem [...], von dem aus wir selber verstanden sein möchten." [aaO., 13].
Karl Barth
60 Korrekturen des Barthschen Ansatzes
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Im Betonen der grundsätzlichen allerdings wiederum in zahlreichen Varianten vorgetragenen Erkenntnis, daß auch eine Theologie des Wortes Gottes nicht davon absehen könne, daß das biblische Zeugnis dem Hörer immer als durch die Geschichte vermitteltes Wort begegnet, erfuhr Barths theologiegeschichtlicher Ansatz in der Folgezeit manche methodologische Korrektur so bei Gerhard Ebeling, Heinrich Karpp, Karl Kupisch, Walther von Loewenich, Kurt Dietrich Schmidt, Ernst Wolf u.a. -, ohne daß dadurch freilich sein inhaltliches theologisches Anliegen prinzipiell in Frage gestellt worden wäre [vgl. dazu 323: Uhlig, Funktion, 41 ff; 322: Storck, Kirchengeschichtsschreibung, 45 ff.]. Alle hielten sie an einer konfessionell ausgerichteten Kirchengeschichtsschreibung fest, betonten den inneren Zusammenhang ihres Fachs mit der Systematischen Theologie und wiesen das Verständnis, Kirchengeschichte sei eine Spezialdisziplin der Allgemeingeschichte, entschieden zurück. Bis Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts blieben die Denkformen der „Wort-Gottes-Theologie" auch für die Kirchengeschichtsschreibung dominant. Allerdings konzentrierte sich die von der „dialektischen" Theologie beeinflußte Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung vor allem auf die Epoche der Reformation. Walther von Loewenich (1903-1992) veröffentlichte 1938 eine „Geschichte der Kirche. Von den Anfängen bis zur Gegenwart" [81 ], in der eingangs über den „Sinn der Kirchengeschichte" reflektiert wird. Danach ist es die Aufgabe des Faches, im Einvernehmen mit der zeitgenössischen „dialektischen" Theologie darzulegen, „was man in der Vergangenheit in der Welt der Kirche als Wort Gottes, Evangelium und Verkündigung betrachtete" [aaO., 13]. Später vollzog Loewenich freilich eine sukzessive Annäherung an die liberal-historistische Geschichtsschreibung [vgl. 83: Loewenich, Erlebte Theologie, 84 f.; 167], ohne seine theologischen Grundsätze im Sinne einer „Erneuerung des alten Liberalismus" [82: Loewenich, Luther, 5] zu modifizieren. Gerhard EßELINGS (geb. 1912) Habilitationsvortrag „Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift" [232] knüpft an die inhaltlichen Bestimmungen des Faches durch Barth und Loewenich an und bestimmte bis in die Gegenwart den Diskurs über die Kirchengeschichtsschreibung [vgl. 216: Besier/Ulrich, Von der Aufgabe kirchlicher Zeitgeschichte]. 1954 präzisierte Ebeling die missionarische Aufgabe der Kirchengeschichtsschreibung als „die Weitergabe des Zeugnisses von Jesus Christus zur Eröffnung der Möglichkeit des Glaubens" [230: Ebeling, Die Geschichtlichkeit der Kirche, 80f.]. „Das Studium der Kirchengeschichte eröffnet [...] den Zugang zu den -
-
-
Walther von Loewenich
Gerhard Ebeling
I.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibunr
61
unüberholten grundlegenden Entscheidungen im Verständnis des christlichen Glaubens und darum zu einem Theologietreiben, das in die Tiefe letzter Fragestellungen führt, das zu einem Verstehen der eigenen Herkunft und der Besonderheit der gegenwärtigen kirchlichen und theologischen Lage und zu innerer Freiheit gegenüber der Vergangenheit verhilft und das so zu selbständiger Wahrnehmung der eigenen theologischen Verantwortung anhält" [231: EßELING, Diskussionsthesen,
454].
Insgesamt geht die Korrektur des Barthschen Ansatzes dahin, zwischen der nicht spezifisch theologischen historisch-kritischen Methode der Kirchengeschichtsschreibung und ihrem theologischen Gegenstand zu unterscheiden. „Gegenstand der kirchengeschichtlichen Wissenschaft ist die mannigfach gegliederte Kirche in ihrem dialektischen Verhältnis zum Reich Gottes" [257: Karpp, Kirchengeschichte, 155]. Allein der Nichttheologe und Berliner Historiograph der Beken-
nenden Kirche, Karl Kupisch (1903-1982), beharrt stärker als die anderen aus dem dialektisch-theologischen Umfeld auf einem Eigenrecht der Kirchengeschichte ohne alle geschichtstheologische Ausrichtung und Spannung zwischen Historismus und Dogmatismus [267: Kupisch, Freude; 268: Kupisch, Ächtung]. Gegenstand der Kirchengeschichtsschreibung ist für ihn „die Kirche Jesu Christi in ihrer sichtbaren Gestalt", von der er bekennt, „daß sie trotz aller menschlichen Untreue und Irrtümer allein von der vergebenden Gnade ihres Herrn lebt" [72: Kupisch, Idealismus, 8], Trotz der signifikanten Abweichungen von der Historik der „Wort-Gottes-Theologie" war es Kupisch, der in der von Kurt Dietrich Schmidt und Ernst Wolf seit 1961 gemeinsam herausgegebenen Reihe „Die Kirche in ihrer Geschichte" den Band über das 19. und 20. Jahrhundert schrieb [73: Kupisch, Die deutschen Landeskirchen]. Diese bis heute unabgeschlossene Reihe war als Gegenstück zu dem von Hubert Jedin (1900-1980) herausgegebenen katholischen Standardwerk „Handbuch der Kirchengeschichte" gedacht. Der Historiograph des lutherischen Flügels der Bekennenden Kirche, Heinrich Hermelink (1877-1958, München), legte zwischen 1951 und 1955 ein dreibändiges interkonfessionelles Werk über „Das Christentum in der Menschheitsgeschichte" vor [59], das von der Französischen Revolution bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges reicht. Es fußt z.T. auf Vorarbeiten des Bonner Kirchenhistorikers Karl Seil (1845-1914). Im Vorwort äußert sich Hermelink kaum über seine Geschichtsschreibung. „Es ist nicht von ungefähr, daß gerade Seil in seinen Bemühungen um die Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts auf das Problem gestoßen ist: Kirchengeschichte oder Christen-
Karl Kupisch
Heinrich Herme"NK
62
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
tumsgeschichte? Die Aufgabe bleibt, darzustellen, wie die Offenbarung Gottes in Christus in der Geschichte der Menschheit gewirkt hat und aufgenommen worden ist" [aaO., Bd. 1, VII]. Nach Franz Schnabel S. 74) handelt es sich um die bis heute materialreichste der Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts. Sie sollte Darstellung durch einen nicht mehr erschienenen vierten Band über die Zeit von 1914 bis 1945 abgeschlossen werden, für den Hermann Mulert als Autor vorgesehen war. Der kirchenhistorischen Darstellung Hermelinks korrespondiert vom lutherisch-württembergischen Bezugsfeld her die protestantische Theologiegeschichte Helmut Thielickes (1908-1986), die dieser erst 1983 veröffentlichte [112: Thielicke, Glauben und Den-
(siehe
unten
ken]. Weiterleben des Historismus
Trotz der dogmatischen Dominanz der „Wort-Gottes-Theologie" lebten in der Kirchengeschichtsschreibung historistische Elemente früherer Schulen fort, wie das Werk der Holl-Schüler Hanns Rückert (1901-1974) und Heinrich Bornkamm (1901-1977) zeigt, das freilich für die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts nur wenig Einschlägiges enthält. Zu dem Wenigen zählt H. Bornkamms „Staatsidee im Kulturkampf [163]. Der im Neudruck [mit Nachwort 1969] Hans Rothfels (1891-1976) gewidmete, der neokonservativen historischen Schule verpflichtete Beitrag schildert vor dem Hintergrund des ideengeschichtlichen Politik-Potentials Bismarcks pragmatische Kulturkampf-
politik.
Den Versuch, historistische wie offenbarungstheologische TradiVerbindung von Offenbarungs- tionen für die Kirchengeschichtsschreibung fruchtbar zu machen, untheologie und historistischer Methode ternahm Kurt Dietrich Schmidt (1896-1964), indem er seine theozentrische Geschichtsschau mit der historistischen Methode verband. In seinem erstmals 1949 veröffentlichten „Grundriß der Kirchengeschichte" definiert er Kirchengeschichte „als die Geschichte des in der Welt fortwirkenden Christus. Christus aber wirkt Kirche. Deshalb bildet die Kirchengeschichte auch einen unaufgebbaren Bestandteil der Theologie" [103: K. D. Schmidt, Grundriß, 9]. Als den „Urzwiespalt des 19. Jahrhunderts" bezeichnet Schmidt das „Gegeneinander von Idealismus und Erweckung" [aaO., 470]. Martin Schmidt (1909-1982) geht ebenfalls vom „Wort" als dem „Urdatum des Christentums" aus; Kirchengeschichte ist mithin „als Geschichte der Verkündigung und der Gestaltwerdung der Verkündigung zu begreifen" [309: M. Schmidt, Art. Kirchengeschichte I, 1421 ]. Dem Wort Gottes ordnet er andererseits den Begriff der „Fremdlingschaft" zu, um das Spannungsverhältnis des Fachs zwischen „Dynamismus und Institutionalismus" [310: M. Schmidt, Ursprung, 15] zu
1.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibunj
63
charakterisieren. M. Schmidts Überarbeitung der „Geschichte der deutschen Evangelischen Theologie seit dem deutschen Idealismus" von Horst Stephan [109] zeigt seine historisch-theologische Positionierung. „Je stärker er [der Gegensatz zwischen Aufklärungschristentum und Pietismus] wurde, desto leichter entartete das extensive Christentum zum ,Kulturprotestantismus', das Intensive zum Verzicht auf die
Weltsendung
und Lebenstotalität des
evangelischen
Glaubens"
[aaO.,
7 f.].
vergleichbarer Diktion, jedoch kürzer gefaßt, legt Gottfried (geb. 1927) im dritten Band des von Carl Andresen herausgegebenen „Handbuchs der Dogmen- und Theologiegeschichte" [63: Hornig, Lehre und Bekenntnis] eine Theologie- und PhilosophiegeIn Hornig
schichte des 19. Jahrhunderts
gelungene Verbindung
von
vor
[aaO., 147-220], die sich durch eine Sach- und Personenge-
theologischer
schichte auszeichnet, aber eben auch durch eine entsprechende Darstellung der in sie verwobenen philosophischen Strömungen und der sie tragenden Persönlichkeiten.
1.2.2
Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als ökumenische Religionsgeschichte des Christentums Obwohl ein konfessionskundlicher Kenner der Kirchen Europas und Amerikas, war M. Schmidt kein ökumenischer Christentumshistoriograph. Als Wegbereiter einer solchen Christentumshistoriographie, die religionsgeschichtlich vergleichend arbeitet, kann der von Rudolf Otto (1869-1937) beeinflußte Ernst Benz (1907-1978) gelten. Geprägt von christlicher Spiritualität und einer intensiven Beschäftigung mit den Ostkirchen, spannt er einen universalgeschichtlichen Horizont auf, unter dem die konfessionellen Differenzen im Interesse ihrer Beseitigung ebenso thematisiert werden wie die Frömmigkeitsbewegungen und charismatischen Gestalten des kirchlichen Lebens [vgl. 212: Benz, Studium; 211: Benz, Beschreibung des Christentums]. Unter Verzicht auf eine spezifische christliche Geschichtstheologie wie eine explizite historiographische Theorie legte der amerikanische Missionswissenschaftler Kenneth Scott Latourette (1884-1968) eine „Geschichte der Ausbreitung des Christentums" [105] vor. Benz, von Latourette beeinflußt, charakterisierte dessen Universal-Kirchengeschichte als eine „Synthese zwischen kritischer Geschichtsforschung und christlichem Geschichtsverständnis" [213: Benz, Kirchengeschichte als Universalgeschichte]. Daraus ergibt sich historiographisch eine „Beschreibung des Christentums" [211: Benz, Beschreibung des Christentums]
Ernst Benz
64
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
enzyklopädischem Anspruch, schwankend zwischen einer Darstellung seiner Kulturbedeutung und seinem „Wesen". mit
Die von Heinzgünther Frohnes, Hans-Werner Gensichen und Georg Kretschmar 1974 gestartete Reihe „Kirchengeschichte als geschichte Missionsgeschichte" bewegte sich auf dieser Linie fort, gelangte aber nicht bis ins 19. Jahrhundert. Gensichen (geb. 1915) realisierte aber 1961 [236: Gensichen, Missionsgeschichte] sein Programm einer Kirchengeschichte als „Missionsgeschichte der neueren Zeit" in der Reihe „Die Kirche in ihrer Geschichte". Ihm geht es auch in religionsgeschichtlicher Perspektive um die emanzipatorische Wahrnehmung der „Jungen Kirchen" und um eine Überwindung des konfessionalistisch-christlichen Eurozentrismus [vgl. 237: Gensichen, Toleranz]. Peter Meinhold (1907-1981), Verfasser einer zweibändigen Meinhold Peter „Geschichte der Kirchlichen Historiographie" [273], geht dem Verhältnis der für ihn theologischen Disziplin Kirchengeschichte zur Weltund Heilsgeschichte nach [vgl. 274: Meinhold, Weltgeschichte, Kirchengeschichte, Heilsgeschichte, 280f.], wobei er die ökumenische wie missions- und konfessionsgeschichtliche Dimension des Unternehmens betont [vgl. auch 87: Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten, 17f.]. Die Schwerpunkte der Kirchengeschichte des ^.Jahrhunderts setzte er bei Schleiermacher, Union, Agende und kirchlichen Verfassungen, bei der Regeneration der katholischen Kirche, der sozialen Frage, dem Ersten Vatikanischen Konzil und dem Kulturkampf. Dabei vertritt er die These, daß das „eigentlich kirchliche Leben innerhalb des Protestantismus [...] sich nicht in der verfaßten Kirche, sondern an ihrem Rande [...] entwickelt hat" [87: Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten, 218]. Die immer wieder geforderte „ökumenische Kirchengeschichte" Ökumenische Kirchengeschichte im Sinne einer integrativen Darstellung verschiedener konfessioneller Denominationen gibt es bis heute nicht. In der von Bernd Moeller (geb. 1931) und Raymond Kottje (geb. 1926) herausgegebenen, dreibändigen ökumenischen Kirchengeschichte wird lediglich die Geschichte der beiden großen Kirchen in Deutschland geboten, und zwar getrennt durch Fachleute aus der jeweiligen Konfession. Die Herausgeber urteilen: „Das von Latourette und Benz empfohlene und praktizierte Verfahren einer ökumenischen Kirchengeschichte erscheint uns [...] als schwierig, vorerst obendrein unsachgemäß, ja mehr oder weniger unmöglich. Wir können nicht, wie sie, so vorgehen, daß wir mit einer prinzipiellen Bejahung des Pluralismus der christlichen Kirche anfangen, zunächst das diesem zugrunde liegende Gemeinsame des christlichen Glaubens sehen und die Geschichte dieses christlichen
Kirchengeschichte als Missions-
-
-
L
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreiburif.
65
Glaubens wie der von ihm aus sich bildenden kirchlichen Institutionen als Ausfluß ein und derselben Quelle gleichrangig erforschen und darstellen" [89: Moeller/Kottje, Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 3, 377]. Am ehesten wird noch Leif Granes (geb. 1928) „Kirche im 19. Jahrhundert" [54] den Aspirationen auf eine „ökumenische Kirchengeschichte" gerecht. Der Verfasser wählt die westeuropäisch-interkonfessionelle Perspektive und integriert die kirchenhistorischen Ereignisse und Zustände in den allgemeinhistorischen Kontext. Bemerkenswert ist auch die verhältnismäßig breite Würdigung theologiegeschichtlicher Entwürfe und Entwicklungen. Innerhalb dieses Komplexes wiederum nimmt Ernst Troeltsch, was Umfang und Ort anlangt, eine zentrale Position ein. Troeltsch wird gegenüber Harnack als derjenige gesehen, „der in Übereinstimmung mit den Protestströmungen gegen den Relativismus und Positivismus des 19. Jahrhunderts die Untergangsstimmung spürte, bevor die große Katastrophe Wirklichkeit wurde" [aaO., 273]. Ausdrücklich und mehrfach [aaO., 271 f.] betont Grane, Barth und seine Freunde hätten den Problemkomplex „Glaube und Geschichte", „mit dem Troeltsch gekämpft hatte" [aaO., 273], nicht gelöst, sondern „ignoriert". Einige dieser Probleme „existieren noch immer, nicht selten sogar in einer Gestalt, die erstaunlich an die Erscheinungsform dieser Probleme im 19. Jahrhundert erinnert" [aaO.,
Leif Grane
274].
Die hier zum Ausdruck kommende nicht nur historische, sondern auch systematische Nähe zu christentumsgeschichtlichen Fragestellungen läßt sich bei Hans-Walter Krumwiedes (geb. 1921) „Geschichte des Christentums III" [70] weniger deutlich finden. Formal gleichgeordnet nennt er Gogarten, Harnack, Dilthey, Troeltsch, Barth und Bonhoeffer als Leitfiguren im Erkenntnisprozeß des Phänomens „Neuzeit" und theologischer Reaktionen hierauf. Der Verfasser des sich über den Zeitraum von drei Jahrhunderten erstreckenden Bandes verzichtete aus Raumgründen auf einen Exkurs zur Theologiegeschichte. Ihre schärfste Profilierung erhält die Arbeit darum weniger vor dem Hintergrund historisch-theologischer, sondern theologisch-ethischer Fragen, zumal solcher der politischen Ethik. Dabei übt sich der Protestant Krumwiede für das 19. Jahrhundert gegenüber der katholischen Kirche in relativer Zurückhaltung, während das soziale und politische Handeln der evangelischen Kirche als überwiegend von reaktionärer Obrigkeitshörigkeit geprägt erscheint. Als „das methodische Apriori einer Kirchengeschichte der Neuzeit" formuliert Krumwiede die Leitfrage, „wer Christus im Bekenntnis, in der Glaubensreflexion, in der Motivation für das
Hans-Walter Krumwiede
66
ii-
Grundprobleme
und Tendenzen der f orschung
Handeln und Hoffen der Christen, wer er im Zweifel und Feindschaft sowie im Angriff auf die Kirche in den Jahrhunderten der,Neuzeit' gewesen ist" [aaO., 4]. Die theologiegeschichtliche Entwicklung behandelt in der gleichen Reihe aus der Perspektive eines milden Barthianismus der Erlanger Systematiker Friedrich Mildenberger (geb. 1929)
[88: Mildenberger, Geschichte]. Eine gute
Ergänzung zu Krumwiedes faktenreicher, dichtgedrängter Handbuchdarstellung bieten die von ihm u.a. bearbeiteten Bände der „Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen" [71 ]. 1.2.3
Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts im Zeichen der „Politischen Theologie" der 60er, 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts Politische Auf Seiten des „linken" Flügels der Barthianer verlagerte sich die theoTheologie i0gjsche Debatte seit Mitte der 60er Jahre auf die Weltverantwortung der einzelnen Christen und der Kirche. Die Veränderung des theologischen Denkens zeigten 1964 die Ernst Bloch (1885-1977) aufnehmende „Theologie der Hoffnung" von Jürgen Moltmann (geb. 1926) [277] und 1965 „Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem Tode Gottes" von Dorothee Solle (geb. 1929) [319]. Beide Theologen, der eine von Karl Barth, die andere von Friedrich Gogarten herkommend, suchten eine neue Praxis des Glaubens als Parteinahme und kamen zu einer auch von dem katholischen Theologen Johann Baptist Metz (geb. 1928) zur Diskussion gestellten „politischen Theologie" [276: Metz, Zur Theologie der Welt; 291: Peukert, Diskussion], die Anstöße der Befreiungsbewegungen und der Jürgen Moltmann Basisgemeinden der „Dritten Welt" aufnahm. Für Moltmann ist die Geschichte als Ablauf von der Auferstehung bis zur Wiederkunft Christi unumkehrbar auf die Zukunft hin ausgerichtet. „Wird nun von den Osterzeugen verkündet, daß Gott diesen toten Jesus ,von den Toten auferweckt' habe, so wird nichts Geringeres behauptet, als daß diese Zukunft der neuen Welt der Gerechtigkeit und Gegenwart Gottes mitten in dieser Geschichte des Todes an diesem Einen schon angebrochen sei" [278: Moltmann, Der Gekreuzigte Gott, 157]. Von dieser Zielvorgabe von läßt sich im Blick zurück nur „parteiisch" urteilen. Kirchengeaus „Perspektive unten schichte aus der „Perspektive von unten" beförderte bestimmte Themen wie „Kirche und Soziale Frage" etc., die in den 60er Jahren Konjunktur hatten [vgl. Breipohl; Brakelmann; Bredendiek; Greschat]. Es ging darum, „zu einem verantwortlichen Urteil über die politischgesellschaftliche Rolle des Protestantismus innerhalb der Geschichte des deutschen Volkes zu kommen" [17: Brakelmann, Protestantismus
1.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibunj
67
1917; 191: Greschat, Protestantismus 1918/19, 7]. Auch die Annäherung der hier zitierten „Arbeitsgemeinschaft" an die Traditionen der liberalen Geschichtsschreibung Anfang der 80er Jahre ließ den ethischpolitischen Impetus mit gesellschaftsverändernder Zielrichtung in der Gegenwart nicht ganz verblassen. Thomas Nipperdey (1927-1992) Einseitigkeiten [282: Nipperdey, Rez. Greschat, Zeitalter] hielt Greschats Darstellung über „Das Zeitalter der Industriellen Revolution" [55] für „eine schreckliche Verkürzung des universalgeschichtlichen Ansatzes wie des Begriffs der Gesellschaft" [282: Nipperdey, Rez. Greschat, Zeitalter, 652], weil er sich wenn auch im intereuropäischen Kontext auf Kirche und soziale Frage beschränkt habe. Nipperdeys harsche Kritik an den „Einseitigkeiten" des Buches hängt mit jener gesellschaftspolitischen Positionierung zusammen, die dem liberalen Münchner Historiker gar nicht behagte: „Die Perspektive ist kritisch und progressiv, christlich-sozial, ein andermal vom schlechten Gewissen der Bürger gegenüber der Arbeiterschaft bestimmt. Danach lassen sich die good guys und die bad guys unterscheiden, die Herrschenden zuerst und die Liberalen sodann sind die Negativbegriffe, die konservative oder die bürgerliche Kirche ist angepaßt und sich anpassend" [ebd.]. Der Inhalt des Buches mußte darum überraschen, weil es als erster Band einer Reihe erschien, die unter einem ganz anderen Programm firmierte. Das Konzept der Reihe Wiederaufnahme „Christentum und Gesellschaft" knüpft dezidiert bei dem religionsge- des religions- Progeschichtlichen schichtlichen Programm der liberalen Theologie um die Jahrhundert- gramms wende an. 1988 startete die programmatisch ähnlich ausgerichtete Reihe „Konfession und Gesellschaft". Gerhard Ringshausen (geb. 1939) [298: Rez. Doering-Manteuffel/Nowak, 207] urteilt über eine gemeinsame methodische Arbeit [227: Doering-Manteuffel/Nowak, Kirchliche Zeitgeschichte] des Kreises: „Den ,inneren Gegenstandsbezug' der Theologie, den das Vorwort [227: Doering-Manteuffel/Nowak, aaO., 10] [...] fordert, hat Greschat auf ethisch-politische Grundwerte verkürzt und Nowak in Religionsgeschichte aufgehoben". Auch Kurt Nowaks (geb. 1942) „Geschichte des Christentums [...] vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts" [97] weist keine sozialismusaffine Linienführung mehr auf, sondern folgt nun in Anlehnung an Trutz Rendtorffs (geb. 1931) Christentumsgeschichte „theologischem Aufklärungsgeist und (Früh-)Liberalismus". Dabei kommt Theologie „nur am Rande und funktional beurteilt in den Blick" [Ringshausen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 8 (1995), 227 f.]. Carl Friedrich Bahrdts scharfe Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern richtet Nowak als „Mahnzeichen für die Wut und Wucht der wechsel-
-
-
-
68
seitigen
II.
Grimdprobleme
Polemiken"
auf, kämpft aber
und Tendenzen der
Forschung
[97: Nowak, Geschichte des Christentums, 20]
die „Wort-Gottes-Theologie" Karl Barths und seines Kreises geht selbst vergeblich um Contenance. Auf der Suche nach einer ,,veritable[n] Theologie der Demokratie" [aaO., 214] trifft er nur auf die „so arg gescholtenen kulturprotestantischen Väter", während die dialektisch-theologisch orientierten Söhne „mit ihren geistesrevolutionären Potentialen ein Bestandteil des neu angebrochenen Zeitalters der Apokalypsen und emphatischen Heilslehren" [ebd.] bilden. Daß die Wort-Gottes-Theologie mit ihrem Ansatz liberale Denkformen paralysiert habe, behaupten auch T. Rendtorff und F.-W. Graf (geb. 1948) [vgl. 214: Besier, Widerstand im Dritten wenn es um
-
-
Reich]. 1.2.4
Gerhard Sauter
Kirchengeschichte im Spannungsfeld von Eschatologie, Protologie und Prolepse Während für die „Politischen Theologen" und „Befreiungstheologen" Eschatologie zur religiös-politischen Handlungstheorie für die Gegenwart mutiert und die zeitgeschichtlichen Hoffnungen der Unterdrück-
moralischen Betroffenheits-Maßstab für die in diesem Sinne „parteiischen" Urteile über die Christentumsgeschichte werden, beschreitet der Bonner Theologe Gerhard Sauter (geb. 1935) einen anderen Weg. Mit der „Wort-Gottes-Theologie" hält er daran fest, daß theologisch begründete Einsichten sich nicht aus Situationsanalysen ableiten lassen. Der „Entdeckungszusammenhang" Geschichte dürfe nicht zum „Begründungszusammenhang" erhoben werden [304: Sauter, Freiheit, 174-190]. Das Nachdenken über die Zukunft beinhaltet auch die Einbeziehung der protologisch ausgerichteten Geschichtserfahrung mit ihren Kontingenzen [305: Sauter, Einführung]. Gerade auf das Kontingente, Nichtdeterminierte und Ereignishafte jn (jer Geschichte, die von der Auferstehung aus induktiv nach vorne weitergedacht wird, richtet Wolfhart Pannenberg (geb. 1928) sein Interesse. Mit Gottes Ansage eines Geschehens in der Geschichte Israels, das in der Auferweckung Jesu auch eintritt, ist das Bewußtsein der Geschichte vom Wirken Gottes in der Welt entstanden. In der Auferstehung Jesu Christi ereignet sich proleptisch das Weltende und ermöglicht es uns, das Ende der Geschichte überhaupt zu denken. Die in Jesus Christus mikrokosmisch offenbar werdende lebensgeschichtliche Sinneinheit begründet die Hoffnung auf die universale Einheit Gottes mit allen Menschen bei der „noch ausstehenden tatsächlichen Ankunft der Gottesherrschaft in ihrer ganzen Kraft und Herrlichkeit" [286: Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 573]. Das proleptische Ereignis der ten zum
Wolfhart Pannenberg
1.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibung
69
Auferstehung Jesu Christi gibt eine Denkorientierung, die kontingente Sinnmomente in der Geschichte zu einem Sinnganzen integrieren kann. In seinen „Epochen der Kirchengeschichte" [92] hat der Göttinger Kirchenhistoriker Ekkehard Mühlenberg (geb. 1938) Elemente der Pannenbergschen Geschichtstheologie aufgenommen. „Die Kirchengeschichte ist eine Teilaufgabe der systematischen Theologie" [aaO., 17], heißt es in seiner methodologischen Vorrede, und: „Die Sinneinheit
Ekkehard MühlenBERC
menschlichen Lebens nenne ich Gott [...] Der Mensch ist darauf aus, die Einheit mit sich selbst zu verwirklichen; er rechtfertigt sein eigenes Handeln und versteht sein eigenes Erleiden im Vorgriff auf die Wirklichkeit des Guten, sofern sich ein Sinn überhaupt erfassen läßt. Gott ist die Macht des Guten, die in Treue zu sich selbst ihre Wahrheit bewirken soll, weil sie dem einzelnen Menschen wie auch der Menschheit in ihrer konkreten Verfassung vorausliegt, ihr transzendent ist" [aaO., 18]. Mit den beiden Revolutionen in Nordamerika (1776) und Frankreich (1789) läßt Mühlenberg die „Neuzeit" unter dem Titel „Gott als Überwinder menschlicher Selbstversklavung" beginnen. Im Unterschied zu anderen zeitgenössischen in Deutschland nimmt er den amerikanischen „Denominationalismus" mit seinen Bekehrungsbewegungen als eigenes Kapitel auf. Der Pannenberg-Schüler Achim Dunkel [229: Dunkel: Christlicher Glaube] hat einen theologischen Geschichtsbegriff entwickelt, der einen konstitutiven Zusammenhang von Geschichts- und Gottesverständnis nachzuweisen sucht. Pannenberg selbst legte 1997 eine Theologiegeschichte der letzten beiden Jahrhunderte vor. „Für die Bestimmung des Rahmens, in welchem sich deren Entwicklung vollzog", schlägt er „einen Mittelweg" zwischen Emanuel Hirschs affirmativer Ideengeschichte des Christentums und der offenbarungstheologischen Gegenkonzeption Karl Barths [287: Pannenberg, Problemgeschichte, 31 f.] ein. Seiner aus einer eigenwilligen Interpretation der Geschichts- „Offenbarung als wie Religionsphilosophie Hegels gewonnenen Theologie der Ge- Gescrllcnte schichte gemäß [288: Pannenberg u. a., Offenbarung als Geschichte], läßt Pannenberg seine Darstellung der neueren Theologiegeschichte in den Diskussionen um die Offenbarungsqualität der Geschichte des Christentums in der spekulativen Theologie des Rechtshegelianismus gipfeln. Hierdurch arbeitet die Theologiegeschichtsschreibung der Systematischen Theologie zu, denn „der Aufgabe einer Theologie der Geschichte kann sich keine systematische Darstellung der christlichen Lehre ganz entziehen" [aaO., 355]. Beinahe gleichzeitig mit Pannenberg präsentierte auch sein Münchner Kollege Jan Röhls (geb. 1949) den ersten Band seiner „Pro- Jan Röhls
Überblicksdarstellungen
70
IL
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
testantischen Theologie der Neuzeit" [99], der von der Renaissance bis zum Ende der Bismarck-Ära reicht. Der Verfasser steht ganz in der kulturprotestantischen Tradition, die er abgesehen von den Vorläufern Renaissance und Humanismus mit Troeltsch und anderen bei der läßt. In Barths „neoorthodoxem" Ansatz, der Aufklärung beginnen Anleihen nur neuprotestantische verleugne, sieht Röhls im Strom der Theologiegeschichtsschreibung lediglich eine Episode. Indem er auch die außerdeutsche theologische Entwicklung in seine Darstellung integriert, erhält der Neuprotestantismus einen westeuropäisch-nordamerikanischen Zuschnitt. -
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Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in der Ära der „Christentumstheologie" (1968 bis heute) Im Jahr 1968 hundert Jahre nach dem Tode Nitzschs und im Todesjahr Karl Barths veröffentlichte Wilhelm Schmidt zusammen mit Trutz Rendtorff die Texte einer im Jahr zuvor im Deutschlandfunk ausgestrahlten Sendereihe. Das Buch trug den Titel „Unbefangenes Christentum" und stellte vornehmlich „liberale" Leitgestalten des deutschen Protestantismus von Lessing bis Tillich vor [311]. 1972 folgte Rendtorffs „Theorie des Christentums" sein Programm [293]. Ausgehend von der Weber-Troeltsch-Theorie, wonach der Protestantismus zum Entstehen der modernen Welt und zur Durchsetzung ihrer eigentümlichen Form von Rationalität Entscheidendes beigetragen habe, schließt die Christentumsgeschichte alle unmittelbaren und mittelbaren christlich-religiösen Lebensäußerungen der säkularen Gesellschaft als ein Ergebnis der „Wirkungsgeschichte des Christentums" in ihre Betrachtungen mit ein. Im Prozeß der religiösen Emanzipation löst sich das Selbstbewußtsein der Moderne von der institutionell vermittelten, konfessionsbestimmten Religion; „was das Wesentliche und aktuell Wirkliche der christlichen Religion sei", wurde „der alleinigen Zuständigkeit der Kirche und ihrer Theologie streitig gemacht. Der Begriff .Christentum' kennzeichnet eine Position, die sich dieser Zuständigkeit entzog" [295: T. Rendtorff, Art. Christentum, 772]. Die Freiheit und Würde des Menschen, „aus der die Moderne ihre Kraft zieht" [296: T. Rendtorff, Religion in der Moderne, 571], kann nach Rendtorff aber nur dann „wahrhaft zur Geltung" kommen, wenn sie als unmittelbare und unbedingte, jeder fremden Verfügung entzogene und anderweitiger Begründungen enthobene Freiheit begriffen wird. „Die Gewißheit dieses Grundvertrauens" nennt Rendtorff als notwendige Bedingung für das Projekt der Moderne, die es darum auch nicht „in sich selbst aufheben" kann. Über die „konsensfähigen Humanisierungsversprechen im 1.2.5
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Trutz Rendtorff
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I.
Historiographischer Überblick (ev. Kirchengeschichtsschreibung
71
Modernisierungsprozeß" [303: Rüsen, Zeit und Sinn, 251] spannt Rendtorff also deren unbedingte, sie freilich auch transzendierende und relativierende Affirmation in Gestalt der „Wahrheit des Glaubens", Diese wird freilich zur „ethischen Theologie" als „Bezugsrahmen für eine der Lebenswirklichkeit angemessene Fragestellung" [294: T. Rendtorff, Ethik, Bd. 1, 14]. Der letztlich funktionalen Deutung des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche im Interesse der Letztbegründung einer ebenso vernünftigen wie universalen Ethik der Freiheit für die Gegenwart korrespondiert historisch die überlieferungsgeschichtliche Rekonstruktion [vgl. 293: T. Rendtorff, Theorie des Christentums, 40]. Diesem Ziel dienen weitgespannte historisch-theologische Forschungsanstrengungen z.B. die Kongresse der 1981 gegründeten „Ernst-Troeltsch-Gesellschaft" [vgl. 297: Renz/Graf (Hgg.), TroeltschStudien], die auf drei Bände angelegten „Profile des neuzeitlichen Protestantismus" [52: Graf, Profile], die „Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte" (seit 1994) [vgl. Editorial, Bd. 1,1994] sowie die Reihe „Religiöse Kulturen der Moderne". Eine „differenzierte, historisch-systematische Erschließung der Theologien von Ritsehl, Harnack, Troeltsch, Rade, Baumgarten [sind] auch als Versuche zu sehen, theologische Kategorien zur Deutung jenes existierenden Kulturprotestantismus zu gewinnen, der die volkskirchliche Realität im bundesdeutschen Protestantismus trägt" [53: Graf, Art. Kulturprotestantismus, 239]. Gleichwohl sieht Pannenberg hierbei „die spezifische Sache der Theologie" ins Abseits geraten [287: Pannenberg, Problemgeschichte, 6]. Diese historisch-theologische „Rückkehrbewegung" zur Ära Weber/Troeltsch/Harnack hat freilich die alten Einwände der „Wort-Gottes-Theologie" nicht entkräften können. Sie steht in der Gefahr, durch ihren Christentumsbegriff die Kirche unerkennbar zu machen und in Emanzipations- und Kulturbewegungen aufzulösen, denen sozialwissenschaftliche System- und Modernisierungstheorien zugrunde liegen [vgl. 326: Wehler, Die Gegenwart als Geschichte, 13 ff.]. Sie grenzt zudem die Erfahrung aus. daß Menschen diese Welt nicht nur gestalten, sondern auch auf deren Verfaßtheit und auf sie selbst konstituierende Bedingungen außerhalb ihrer selbst stoßen, die kein „permanenter ethischer Diskurs" [294: T. Rendtorff, Ethik, Bd. 1, 111 auflösen kann. Sie grenzt schließlich aus, daß Christen jenseits ihrer Lebenswirklichkeit auf eine Freiheit und Gerechtigkeit setzen, die schon vor ihnen war und nach ihnen sein wird, und die deshalb ihr Handeln und ihre Lebensführung im Glauben als sinnvoll wissen, ohne rationalisierende Beweise zu bemühen, aber in Erwartung von Gottes Urteil und Erbarmen. Diese
ethische Theologie
Rückkehr zum KulturProtestant|smus
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Kritik der „Chri-
*tentumstheoiogie"
72
Reinhart Staats
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Aspekte einer Kirchengeschichte unter offenbarungstheologischen Prämissen entfallen in der Christentumsgeschichtsschreibung. Andererseits besitzt sie den großen Vorteil der religiösen wie historiographischen „Kultursynthese", an deren Ende die Vision einer Verschmelzung von Universal- und Christentumsgeschichte steht. Nach einer kritischen Abgrenzung gegenüber Pannenberg und Rendtorff formuliert Reinhart Staats (geb. 1937) [321: Staats, Kaiserreich] vor dem Hintergrund der außerordentlich kritischen Besprechung von Wehlers „Kaiserreich" [118: Wehler, Das deutsche Kaiserreich] drei evangelische Prinzipien für eine theologische Beurteilung kirchenhistorischer Anstrengungen: 1. „Kirchengeschichte ist wesentlich Universalgeschichte" insofern als das Bekenntnis zu Christus dem Herrn der Welt gilt [321: -
Staats, Kaiserreich, 89]. 2.
„Kirchengeschichte ist wesentlich die Darstellung der Wirkungsgeschichte des Evangeliums. Ihre Werturteile sind mehr oder weniger
der Christusanamnese ihres Autors bestimmt" [aaO., 92]. Ihre Kontinuität erhält Kirchengeschichte dadurch, daß sie zentral über die „Wirkungsgeschichte des Evangeliums von Jesus Christus" handelt. 3. „Der Kirchenhistoriker und der Allgemeinhistoriker kann sich bei der Darstellung von Geschichte einüben in die evangelische Lehre von der Rechtfertigung, so daß seine Darstellung tolerant wird" von
[aaO., 94]. Geschichtsschrei-
bung und Rechtfertigungsgedanke
Zusammenfassung
Staats auf der Grundlage des evangelischen Rechtfertigungsgedankens formulierte Prinzip schließt auch einen Gesichtspunkt ein, den Karin Bornkamm (geb. 1928) insbesondere solchen Allgemeinhistorikern als Lernziel nahelegt, die eine innere Nötigung zu umfassenden, weltgeschichtlichen Sinnstiftungen in sich verspüren: „Einer der wesentlichsten Beiträge des christlichen Glaubens zur Geschichtswissenschaft könnte darin bestehen, die Geschichtsbetrachtung von dem eingebildeten Zwang zu befreien, einen universalen und sinndurchlässigen Gesamtzusammenhang entwerfen zu müssen. Der christliche Glaube könnte dazu verhelfen, den Grenzen menschlicher Erkenntnis standzuhalten und auch in einer nur lückenhaft durchschauten Welt getrost und im Vertrauen auf einen allein bei Gott stehenden Sinn zu leben und verantwortlich zu handeln" [217: K. Bornkamm, KirDas dritte,
von
chenbegriff, 464]. In der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung herrscht Unklarheit über das Verhältnis von Dogmatik und Historie, Theologie und Kirche, Regionalität und Universalität vor allem aber über den Ge-
2.
Historiographischer Überblick (kath. Kirchengeschichtsschreibun
73
der Betrachtung: Die Kirche. Zu Recht formuliert Steffen Storck: „Eine eindeutige und konsensfähige Definition des Gegenstandes der Kirchengeschichtsschreibung ist im Blick auf die Dialogfähigkeit der evangelischen mit der römisch-katholischen Kirche ein dringendes Desiderat" [322: Storck, Kirchengeschichtsschreibung,
genstand
304].
Historiographischer Überblick: Programme und ihre Umsetzung (katholische Kirchengeschichtsschreibung) 2.
Das 19. Jahrhundert war für Franz Xaver Kraus (1840-1901) das Jahrhundert der Revolutionen; diesen Revolutionen und Restaurationen (Schmidlin) wie dem nationalen Rechtsstaat steht die römisch-katholische Kirche gegenüber (Hergenröther, Kirsch). In der Glaubensspaltung der Reformationszeit hat sie als erste eine Revolution durchgemacht; die „geistige Revolution" des 19. Jahrhunderts ist letztlich nur eine Frucht jener religiösen Revolution des 16. Jahrhunderts. Ludwig Andreas Veit (1879-1939), Professor für (katholische) Kirchengeschichte an der Universität Freiburg i. Br., definiert das 19. Jahrhundert als Zeitepoche des Individualismus. In ihm sieht er „Quelle und Ursprung der geistigen Säkularisierung" [115: Veit, Kirche im Zeitalter des Individualismus, Bd. 2, V]. „Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der große Entscheidungskampf in der Menschheit geführt wird zwischen der Kirche als der von Gott gesetzten Leiterin der sittlich-religiösen Ordnung und dem sich dieser Ordnung entziehenden oder gar selbst vergottenden Individuum, sowohl im einzelnen wie in der Gesellschaft" [ebd.]. Diese geschichtstheologische Position ist das Ergebnis des Modernismusstreites, der Überwindung von Positivismus und Historismus durch eine „historische Theologie". Mit dem Tübinger Theologen Karl Adam (1876-1966) formuliert Veit einen historischen Dreischritt in den Verfall: Von der „Los-von-der-Kirche"Bewegung des 16. Jahrhunderts geht es über die „Los-von-Christus"Bewegung des 18. Jahrhunderts zur „Los-von-Gott-Bewegung" des 19. Jahrhunderts. Unter Berufung auf Albert Ehrhard (1862-1945) bekräftigt Veit, die Stellung der katholischen Kirche „im Rahmen der Kulturfaktoren der Zeit" zeige, daß sie eine nur marginale Bedeutung besessen habe, weil das Jahrhundert „ein spezifisch antikatholisches Gepräge" trug. Ehrhard hatte daraus den Schluß gezogen, „daß die ka-
Ludwig Andreas Veit
74
Grenzlinie gegen den Protestantismus
LT.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
tholische Kirche allein das eigentliche Bollwerk des Christentums ist". Einigkeit bekundet Veit auch mit Gustav Krügers 4. Band des Handbuchs der Kirchengeschichte [110: Stephan/leube, Handbuch, Bd. 4]. Die Verfasser Horst Stephan und Hans Leube hatten darin die Überzeugung vertreten, daß sich die Französische Revolution nicht als Wendepunkt eigne, sondern die Zäsur „um 1814" zu setzen sei [aaO., 9; 7]. Die Ära Napoleon rechnen sie insofern zum 18. Jahrhundert, als „sie doch zunächst die geistige Bewegung der vorhergehenden Zeit in die Tat" [aaO., 9] umsetzt. Ansonsten zieht Veit eine scharfe Grenzlinie gegen den Protestantismus, wie schon der Aufbau seines Werkes verdeutlicht. Die Stellung der römisch-katholischen Weltkirche wird zunächst in deutscher Perspektive im Kontext der politischen und geistigen Herausforderungen der Zeit dargestellt. Hierauf folgt der „Orbis catholicus". Unter der Gesamtüberschrift „Kirche und Kirchen. Neuzeitliches Sektenwesen" kommt schließlich auch die Geschichte des Protestantismus zur Sprache. Sekten sind für Veit mit J. A. Möhler [3: Möhler, Symbolik, 4] „nur weitere Expositionen des ursprünglichen Protestantismus" und dokumentieren den „Sieg des religiösen Individualismus" [115: Veit, Kirche im Zeitalter des Individualismus, Bd. 2, 431]. Der Begriff „Kirche" wird weltweit für protestantische Denominationen vermieden; neben Rom kommt allein der Orthodoxie diese -
-
-
Franz Schnabel
ekklesiologische Dignität zu. Ende der 20er Jahre begann
nach dem preußisch-nationalistisch orientierten Treitschke als erster wieder der aus süddeutsch-katholischem Milieu stammende und die Weimarer Republik ausdrücklich bejahende Allgemeinhistoriker Franz Schnabel (1887-1966) eine „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert" vorzulegen [104]. Den 1937 erstmals erschienenen 4. Band seiner Geschichte widmete er den religiösen Kräften und betrat auch damit Neuland. Die im übrigen getrennte Darstellung der Entwicklung der katholischen und evangelischen Kirche von der Säkularisation bis zur Revolution von 1848 gehört bis heute zu den wichtigsten Studien in der Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Schnabel legt besonderes Gewicht auf die problemorientierte Darstellung der ideengeschichtlichen, geistigen Entwicklung in Deutschland und Europa, bezieht dieses Anliegen aber auch immer wieder auf gesellschaftliche und politische Strukturen und
Ereignisse. Programmatik der katholischen Kir-
chengeschichtsschreibung
Am 7. September 1955 sprach Pius XII. vor dem X. Internationalen Historikerkongreß die zentralen Programmpunkte der römisch-katholischen Kirchengeschichtsschreibung an [292: Pius XII, Das geschichtliche Selbstverständnis der Kirche]. Danach soll das irdische
2.
Historiographischer Überblick (kath. Kirchengeschichtsschreibun
75
Wirken der Weltkirche im Zusammenhang mit dem Weltgeschehen zur Darstellung kommen, wobei deutlich werden soll, daß „Gott in der Geschichte seine Ziele erreicht". In gewisser Weise entsprach das ideengeschichtliche Gesamtkonzept von Joseph Lortz (1907-1975) diesem Programm einer „Ge- Joseph Lortz schichte als ,opus dei'" [Lautenschläger] als der modernen römischkatholischen Kirchengeschichte. Der Schüler von Albert Ehrhard und Sebastian Merkle (1862-1945) ging mit seiner „Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher Betrachtung. Eine Sinndeutung der christlichen Vergangenheit in Grundzügen" [271] von dem ekklesiologischen Maßstab seiner Kirche aus, an dem er alle Ideen mißt. Obwohl durch die Lutherrezeption in seiner eigenen Reformations-Darstellung mit vorbereitet [84: Lortz, Reformation], sah Lortz die ökumenische Öffnung im Gefolge des IL Vatikanischen Konzils als Substanzverlust, als oberflächlichen „Ökumenismus ohne Wahrheit" [Conzemius, Neue Züricher Zeitung Nr. 267 vom 13./14.10.1976], Im sog. „Positivismus- Positivismusstreit streit" mit Hubert Jedin (1900-1980) beharrt Lortz auf dem vorläufigen Charakter der kirchlichen Entwicklung, während Jedin von der Sichtbarkeit des Reiches Gottes ausgeht. Er betreibt Kirchengeschichtsschreibung als „historische Ekklesiologie" [vgl. 285: Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 374f.]; sie soll die „Verwirklichung des Wesens der Kirche in Zeit und Raum" [254: Jedin, Art. Kirchengeschichte, 209] verständlich machen und ist zugleich theologisch und geschichtlich bestimmt [255: Jedin, Kirchengeschichte ist Theologie und Geschichte, bes. 34]. Ihr Gegenstand ist „die von Christus gestiftete und vom Heiligen Geist geleitete Kirche" [ebd.], ihre Methoden sind die der Allgemeingeschichte auch. Nur ein gläubiger Katholik kann das äußere wie innere Leben der Kirche angemessen erfassen. In seinem „Handbuch der Kirchengeschichte" schreibt Jedin im Vorwort Hubert Jedin zum 19. und 20. Jahrhundert [66: Jedin, Handbuch, Bd. VI/1], die Kirche sei in dieser Zeit „faktisch" geworden, „was sie ihrem Anspruch nach stets war: Weltkirche". Um den Blick „universalkirchlich zu weiten", nimmt die Schilderung der kirchlichen Verhältnisse außerhalb Deutschlands, besonders des romanischen Katholizismus, breiten Raum ein; diese Ausdehnung des Blickfeldes spart jedoch, wie in dem die Zeit seit 1648 behandelnden Vorgängerband der Reihe, den Protestantismus aus. Für die Beschränkung auf den katholischen Bereich wird als formale Begründung das „differenzierte Bild der Kirchen der Reformation" genannt; der Verzicht auf eine allzu knappe Darstellung des Protestantismus soll als ein „Ausdruck ökumenischer Haltung verstanden" werden. Insgesamt soll das Handbuch den durch das Zweite
76
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Vatikanum GeorgMay
eingetretenen „Traditionsverlust [...] eindämmen" [252: JeLebensbericht, 190]. Zwei Jahre vor Erscheinen des Handbuches hatte der katholische Kirchenhistoriker Georg May (geb. 1926) eine Studie über den „Interkonfessionalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts" [145] vorgelegt. Hier betrachtet er den Simultangebrauch von Kirchen und Friedhöfen, nimmt gemeinsame Feiern und din,
Gottesdienste in Augenschein und geht auf das simultane Unterrichtswesen ein. Mit der Rekonfessionalisierung Anfang der 40er Jahre hörten diese interkonfessionellen Kontakte indes wieder auf. „An die Stelle dogmatischer Indifferenz war strenge Glaubensüberzeugung getreten. Mit dem Aufhören der Indifferenz war auch der Interkonfessionalismus zu Ende, denn auf ihr hatte er in der Regel beruht" [aaO., 68]. Für Oskar Köhler (geb. 1909) treffen in der KirchengeschichtsOskar Köhler schreibung die Weltgeschichte als Taten der Menschen und die Heilsgeschichte als z.T. auch übergeschichtliche Taten Gottes aufeinander; Kirchengeschichte stellt etwas „Mittleres" dar [vgl. 263: Köhler, Der Gegenstand der Kirchengeschichte]. Die heilsgeschichtliche Dimension allein kann nur im Glauben erfaßt werden [264: Köhler, Die Kirche als Geschichte, 587]. Nicht zuletzt aus Wahrung des göttlichen Geheimnisses kann der Kirchenhistoriker seinen Gegenstand nur als Profangeschichte betreiben. Als Theologe bleibt er sich freilich der Grenzen wissenschaftlicher Geschichtserkenntnis bewußt. Die Geschichte des Glaubens geschieht an einem bestimmten Ort und in einer „besonderen Weise" als „die weltliche Geschichte der Kirche" [aaO., 589]. Mit Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) beginnt für Köhler „die nachchristliche' Zeit". „Bewegend [...] ist es zu sehen, wie der Abschied von ihm [seil, dem christlichen Glauben] genommen wird" [69: Köhler, Kleine Glaubensgeschichte, 371]. Nach Erwin Iserloh (1915-1996) hat die KirchengeschichtsErwin Iserloh schreibung keinen Offenbarungscharakter, wohl aber die Funktion, das Geheimnis der Offenbarung durch „die dazwischenliegende Geschichte der Kirche" in „Drangsal und Sünde" zu verdeutlichen [251: Iserloh, Kirchengeschichte]. Kirchengeschichte kann daher nur als eiKirchengeschichie genständige „theologische Wissenschaft" betrieben werden; zwischen als theologische und Geschichte läßt sich keine Trennunge vornehmen. Heilsgeschichte 6 Wissenschaft Das Deutungsprinzip der Kirchengeschichtsschreibung liegt im christlichen Glauben der römisch-katholischen Kirche begründet und rechnet mit Gottes Eingreifen in die Geschichte. „Christentumsgeschichte" ohne eine ekklesiologische Grundlegung, wie er sie in manchen protestantischen Entwürfen zu sehen meint, lehnt Iserloh ab [250: Iserloh, Kirche, Bd. 2]. -
2.
Historiographischer Überblick (kath. Kirchengeschichtsschreibun
77
Anders als Iserloh, der sich den Kirchenbegriff nicht von der Dogmatik vorschreiben lassen wollte, geht Karl Rahner (1904-1984) wie Jedin [253: Jedin, Handbuch, Bd. 1/2] davon aus, daß sich eine Kirchengeschichte nur im Rahmen einer dogmatischen Ekklesiologie entwickeln lasse [vgl. 314: Seeliger, Kirchengeschichte, 118 ff.]. Auch das programmatische Referat des Tübinger Systematikers und Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper (geb. 1933), über die „Kirchengeschichte als historische Theologie" [259] stellt die Kirchengeschichte in ein theologisches Konzept. Das Verhältnis zwischen Dogmatik und Kirchengeschichte ist durch die Aufgabe dieser bestimmt, zu einem „erneuten und vertieften Verständnis dogmatischer Aussagen" zu führen. Andererseits gibt es ein theologisches Vorverständnis der Kirchengeschichtsschreibung, das von der Menschwerdung Gottes und seinem Eingehen in die Geschichte ausgeht: dies bedeutet „die endgültige Annahme der Geschichte als Ort des Evangeliums" [258: Kasper, Glaube und Geschichte, 217]. Historische Theologie hat sich mit dem Wesen der Kirche und ihren Wandlungen in der Geschichte zu befassen. Allen diesen Positionen ist die Betonung des theologischen Charakters der Kirchengeschichte gemeinsam, die ekklesiologische Fragen ausdrücklich mit einbezieht. Diesen Weg verfolgt bis in die Gegenwart Klaus Schatz (S.J., geb. 1938) weiter. Der theologische Charakter der Kirchengeschichtsschreibung kann nur von einem innertheologischen Standort aus geklärt werden. Aus der Sicht des „bloßen Historikers" [307: Schatz, Ist Kirchengeschichte Theologie?] läßt sich nur entscheiden, ob die Geschichtswissenschaft sich einem theologischen Verständnis von Geschichte öffnen will oder nicht. Schatz zufolge ist in der römisch-katholischen Kirche der theologische Grundcharakter der Kirchengeschichte unumstritten; es geht in den unterschiedlichen Konzepten allein um die Kompetenz und Reichweite des Fachs. Andererseits bedeute die klare Einordnung in den Kanon theologischer Fächer nicht, daß die Kirchengeschichte lediglich als „angewandte Dogmatik" [aaO., 502] zu verstehen sei. Kirchengeschichtsschreibung ist „Theologie des geschichtlichen Selbstvollzuges der Kirche"; der historische Theologe sucht den Weg des Glaubens auf allen seinen geschichtlichen Stationen unter der Leitfrage darzustellen: „Was ist an den geschichtlichen Erscheinungen der Kirche historische Konkretisierung des Evangeliums, und was ist objektiv als Verfälschung und als Abfall vom Evangelium -
-
anzusehen ?" [aaO., 509]. Das „historisch Faktische" wird am „Normativen" der christlichen Botschaft gemessen. Entsprechend diesen Kriterien hat Schatz u.a. eine weit verbreitete „Kirchengeschichte der Neu-
„Kirchengeschichte als historische
Theologie"
Theologischer
Charakter der Kir-
chengeschichte
Klaus Schatz
7S
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
[306: Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit, Bd. 2; vgl. 100: Schatz, Zwischen Säkularisation und Zweitem Vatikanum] verfaßt. Mit zeit"
ähnlicher Begründung wie Jedin verzichtet er auf eine Darstellung der reformatorischen Kirchen. Die Epoche des 19. Jahrhunderts bedeutet ihm einerseits „Abschied von der Christenheit", andererseits „kirchliche Identitätsfindung im Rückzug auf sich selbst". Die Zeit zwischen dem I. und II. Vatikanum (1870-1965) charakterisiert er dann als „Neubesinnung und Aufbruch". Auffällig ist, daß sich in den Literaturempfehlungen am Schluß des Buches kein Hinweis auf Heinz Hürten [64: Kurze Geschichte] und Karl-Egon Lonne [80: Politischer Katholizismus] findet. Schatz' Ausgangspunkt der Zeit zwischen 1870 und 1965 das l. Vatikanum Erste Vatikanische Konzil ist auch Gegenstand einer dreibändigen, über 1000 Seiten starken Untersuchung aus seiner Feder [183: Vatikanum I]. Darin sucht der Verfasser den Gegensatz zwischen Infallibilisten und Anti-Infallibilisten aus dem unterschiedlichen Kirchenverständnis zu erklären und demgegenüber politische Überlegungen in den Hintergrund treten zu lassen [aaO., Bd. 1, 287 ff.]. Das Unfehlbarkeitsdogma ist für Schatz „irreversibel", muß aber die „Integration bisher vergessener Aspekte und verdrängter Traditionslinien" nicht hindern [aaO., Bd. 3, 311]. Norbert Brox (geb. 1935) hatte gegen das Verständnis der DisziKirchengeschichte als nichttheologials Glaubenswissenschaft eingewandt, daß das p]jn Kirchengeschichte sehe Disziplin Fach seiner wissenschaftlich-theologischen Aufgabe nur gerecht werden könne, wenn sie nicht von vornherein durch einen dogmatisch festgelegten Kirchenbegriff eingeengt würde [219: Brox, Kirchengeschichte]. Sein Gegenstand ist das „Phänomen der institutionellen und Viktor Conzemius soziologisch greifbaren Kirche" [aaO., 62]. Seit 1975 setzte sich der Schweizer Kirchenhistoriker Victor Conzemius (geb. 1929) dezidiert dafür ein, die Kirchengeschichte als „nichttheologische Disziplin" zu verstehen [vgl. 223: Conzemius, Kirchengeschichte als „nichttheologische" Disziplin; 225: Conzemius, Kirchengeschichte als „nichttheologische" Disziplin]. Bei der kirchenhistorischen Arbeit möchte er im Rahmen seiner Interpretation durchaus nicht auf theologische Kriterien verzichten, wohl aber auf die dogmatischen Grundlegungen des Fachs. Ohne die Disziplin Kirchengeschichte zu einer freischwebenden Christentums- und Religionsgeschichte umgestalten zu wollen, plädiert Conzemius doch für die Rezeption auch sozialgeschichtlicher Fragestellungen und Methoden [224: Conzemius, Kirchengeschichte als Sozialgeschichte]. Gegen Conzemius gewandt, hielt Jedin daran fest, die Aufgabe der Kirchengeschichte bestehe darin, „die Kirche des Glau-
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r
3. Kirche und
Religion in Darstellungen der Gegenwart
79
bens auf ihrem
Weg durch die Geschichte zu verfolgen" [256: Jedin, Kirchengeschichte als Theologie und Geschichte]. Hans-Reinhard Seeliger (geb. 1950) greift Conzemius' Fragen auf und bemüht sich um eine wissenschaftstheoretische Klärung des historischen wie theologischen Standorts der Disziplin Kirchengeschichte. Mit Hilfe kommunikations- und handlungstheoretischer Ansätze möchte Seeliger im Interesse „einer Korrespondenztheorie der Wahrheit" [314: Seeliger, Kirchengeschichte, 234] die polare Diskussion Heils- oder Profangeschichte aufbrechen und pragmatische Kombinationen von beidem ermöglichen, die den Kommunikationszusammenhang Kirche im historischen Reflex für die Theologie fruchtbar
machen können. Seit Beginn der 80er Jahre [vgl. Römische Quartalsschrift 80 (1985)] gibt es in der römisch-katholischen Kirchengeschichtsschreibung hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Konsequenzen, aber auch hinsichtlich der Gegenstände eine Tendenz zur Teilung: Katholische Allgemeinhistoriker befassen sich unter Präferenz sozialgeschichtlicher Fragestellungen und Methoden mit der Geschichte des sozialen und politischen Katholizismus [Hürten, Lonne, Loth]. Kirchenhistoriker an Theologischen Fakultäten [120: Weitlauff, Katholische Kirche; 51: Fries, Katholische Theologen] wenden sich dagegen mehr -
-
spezifisch theologiegeschichtlichen Fragen zu.
3. Kirche und
Religion in überkonfessionellen, allgemeinhistorischen Darstellungen der Gegenwart 3.1 Sozialhistorische
Darstellungen katholischer Historiker
In seinem instruktiven
Überblick über die
neuere historische KatholiDer deutsche Katholizismus] konstatiert zismusforschung [269: Lill, der Karismher Historiker Rudolf Lill (geb. 1934) unter Hinweis auf Wolfgang Schieder (geb. 1935) und Gottfried Korff (geb. 1942) [vgl. 101: Schieder (Hg.), Volksreligiosität] -, daß in der allgemeinen Historiographie der „Sinn für das Proprium von Kirche, Religion und mit Religiosität" [aaO., 42] geschwunden sei. In dem Schweizer Historiker Urs Altermatt (geb. 1942) [31: Katholizismus, 65-77] macht er dafür das bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts dominierende Geschichtsbild des II. Reiches und in der Gegenwart das nachlassende Interesse an religiösen Phänomenen namhaft. -
Übereinstimmung
Hans-Reinhard Seeligfr
80
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Schieders Urteil über die „Amtskirche" [308: Schieder/Sellin, Sozialgeschichte, Bd. 3, 11] und ihre Geschichtsschreibung („historische Legitimation der getrennten christlichen Religionsgemeinschaften" [ebd.]) sowie von der „sozialwissenschaftlich orientierte[n] Geschichtsschreibung [...] neomarxistischer Manier" [31: Altermatt, Katholizismus, 66], hier keinen Ansatz für eine angemessene historische Katholizismusforschung sieht [aaO., 44f.], nimmt Altermatt ohne die „Werthaltungen" dieser Schule zu rezipieren deren Anregungen positiv auf und postuliert eine „umfassende Sozial- und Kulturgeschichte der katholischen Religiosität" Aber während Lill, beeinflußt
Urs Altermatt
von
-
-
[aaO., 67].
katholische Kultur und Mentalität
Für den Schweizer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert (mit dem Anspruch, die Befunde könnten „auf Länder wie etwa Deutschland oder die Niederlande übertragen werden") [31: Altermatt, Katholizismus, 16] hat Altermatt dieses Postulat inzwischen realisiert. Methodisch versucht er mittels des ,,sozialgeschichtliche[n] Interpretationsmodellfs] der Subkultur [...] die analytische Schärfe der Gesellschaftsgeschichte mit der konkreten Anschaulichkeit der Alltags- und Kulturgeschichte zu verbinden" und damit die Subkultur einerseits und die „Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten auf der mikrohistorischen Ebene der konkreten Lebenswelten" andererseits miteinander zu verknüpfen [aaO., 18; vgl. auch V. Conzemius, in: Neue Züricher Zeitung vom 20.12.1990, 33; 301: Roes, Katholizismus und Moderne]. „Die Säkularisierung war im 19. und 20. Jahrhundert kein linearer Vorgang und verlief in zyklischen Wellenbewegungen von religiösen Krisen und Erneuerungen" [31: Altermatt, Katholizismus, 17]. Neben der „Außensejte" katholischer Volksreligiosität lenkt Altermatt den Blick „auf die Innenseiten des Katholischseins: Auf Kultur und Mentalität" [aaO., 87]. Altermatts Perspektive entspricht einer seit Mitte der 80er Jahre allgemein zu beobachtenden Wendung der Sozialgeschichte hin zu einer historischen Kulturwissenschaft [vgl. 318: Sieder, Sozialge-
schichte]. Zwar vertritt auch R. Lill, unter Hinweis auf Jonathan Sperber [185: Sperber, Popular Catholicism], die Auffassung, sozialgeschichtliche Ansätze könnten „durchaus die Fronten auflockern, über frühere ideengeschichtliche Betrachtungen hinausführen und die realen Dimensionen der katholischen Bewegung [...] verdeutlichen" [269: Lill. Defizite der For- Der deutsche Katholizismus, 45], aber diese Bewertung stellt die Soschung zJaigeschichte nur neben andere methodische Zugangsweisen zum Gegenstand und räumt ihnen keine besondere oder gar heute allein mögliche Position (Kirchengeschichte als Religionsgeschichte) ein. Als in-
3. Kirche und
81
Religion in Darstellungen der Gegenwart
haltliches wie methodologisches Defizit gegenwärtiger Forschung benennt Lill deren einseitige Konzentration auf die Institutions- und Organisationsgeschichte und, damit verbunden, auf das Verhalten kirchlicher Amtsträger. „Es fehlen Studien zur Geschichte der Mentalität, zur gelebten und durchdachten Religiosität wie zu neuen religiösen Bewegungen; es fehlt an jener Kombination von religiöser und sozialer Geschichte, wie sie in Frankreich und Italien im Dialog christlicher und nichtchristlicher Forscher nicht selten gelingt" [aaO., 53]. An Gesamtdarstellungen liegen für den deutschen Katholizismus Gesamtneben der Arbeit von Schatz zwei neuere Darstellungen vor [vgl. darstel|ungen dazu 265: Köhler, Glück und Unglück]. Heinz Hürtens (geb. 1928) „Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800-1960" [64] bietet eine geraffte, gut lesbare Darstellung, deren Schwerpunkt eindeutig auf dem 19. Jahrhundert liegt. In seiner Akzentuierung repräsentiert das Heinz horten Werk die meisten der hier genannten Spezialstudien. Untersucht wird das historische Phänomen des sozialen und politischen Katholizismus als einer religiösen Volksbewegung, die sich im katholischen Vereinswesen und dem Zentrum organisierte. Dabei bleibt für Hurten! der Zusammenhang dieser Bewegung zur katholischen Kirche insofern gewahrt, als dieser Katholizismus „die katholische Kirche als relevante Größe in den Mechanismen der nachrevolutionären Gesellschaft [...] repräsentierte" [aaO., 9]; die „Ausbildung des Phänomens Katholizismus" ist für Hürten nur eine „Reaktion der Kirche auf die Probleme der nachrevolutionären Zeit" [aaO., 10]; darum erhebt er auch nicht den Anspruch, mit seinem Buch eine Kirchengeschichte Deutschlands vorzulegen. Die katholische Kirche tritt in Hürtens Darstellung wohl in den Hintergrund, bleibt aber als Impulsgeber dennoch präsent. Das gilt nicht im gleichen Maße von der Kurie, die als geschichtsmächtige Größe auch für die Gestalt des deutschen Katholizismus eigentlich kaum mehr in Erscheinung tritt. Aus dieser Perspektive betrachtet, gewinnt der Katholizismus vornehmlich als demokratische Verfassungsbewegung mit sozialem Impetus klare Konturen, während die theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der katholischen Kirche und ihres Klerus zu einem Randphänomen schrump-
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fen.
Die andere Gesamtdarstellung, ebenfalls aus dem Jahr 1986, dem Düsseldorfer Historiker Karl-Egon Lonne (geb. 1933) und nimmt einen Vergleich zwischen dem Politischen Katholizismus in Deutschland, Italien und Frankreich vor [80]. Obwohl der Verfasser schreibt, der politische Katholizismus sei „hinsichtlich des Willens zu definieren, Politik aus der Bindung und Selbstbindung an stammt von
Karl Egon Lonne
82
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
die katholische Lehr- und Glaubensgemeinschaft, an ihre Bedürfnisse und Ziele zu gestalten" [aaO., 11 f.], wird der Zusammenhang von katholischem Glauben und Politik eigentlich kaum erhellt. Vielmehr richtet Lonne seine Aufmerksamkeit auf den vergleichend-sozialgeschichtlichen Aspekt und zeigt in dieser Betrachtungsweise größere Nähe zu H. Hürtens Perspektive als zu der von K. Schatz.
von Kirche und Theologie in der neuesten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts Thomas Nipperdey (1927-1992) hat bisher als einziger in einer modernen Historiographie des 19. Jahrhunderts den ,,Phänomene[n] der Religion" die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Sein 1988 erschienenes Buch „Religion im Umbruch" [95], das im Rahmen seiner
3.2 Die Berücksichtigung Thomas Nipperdey
„Deutschen Geschichte" entstanden ist, wurde in überarbeiteter Form in deren II. Teilband [94: Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2, 428-
530] integriert. Die erklärte Absicht des Verfassers ist es, über die Phä-
Religion zu berichten und sie zu analysieren, „eine Perspektive auf die allgemeine Geschichte zu bieten Religion als ein Stück Deutungskultur, die die ganze Wirklichkeit der Lebenswelt konnomene
der
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stituiert, das Verhalten der Menschen und ihren Lebenshorizont, ihre
Lebensinterpretationen prägt, gesellschaftliche Strukturen und Prozesse, ja auch die Politik". Dabei möchte er Religion „in einem weiteren Sinne verstehen: als Orientierungsmacht der etablierten Kirchen gewiß, dann aber auch als Prägung gesellschaftlicher und politischer Strukturen, und endlich als Gegenstand der wilden Negation oder des sanften Abbaus oder der säkularen Zivilreligion" [95: Nipperdey, Religion im Umbruch, 7 f.]. Die Ergebnisse des Buches nehmen sich einerseits aus wie die historiographische Bestätigung des universalen Integrationsmodells Christentumsgeschichte, andererseits verneinen sie implizit dessen Anspruch, als „theologisches Programm" in den Diskurs einzugehen. Denn die „protestantische Kultur und die protestantische Sozialmoral", die in ihrem Geltungsbereich „selbst über die Grenzen der Randkirchlichen hinausgriff' [aaO., 154], erscheint in erster Linie nicht durch die inhaltliche Tradierung grundlegender reformatorischer Glaubenswahrheiten konstituiert, sondern durch einen „konfesAntagomsmus sjoneiien Antagonismus", dem die theologisch begründete Differenz der Konfessionen längst verlorengegangen war. Die Chiffre „protestantisch" bzw. „katholisch" diente vielmehr nur noch als sozialpsychologisch zu deutendes Stereotyp zur Bezeichnung der Eigen- oder
konfessioneiier
3. Kirche und
83
Religion in Darstellungen der Gegenwart
Fremdgruppe, wobei sekundäre Merkmale beispielsweise eben religiöse Sitten und Bräuche als das die (Vor)urteile verstärkende Unterscheidungskriterium ideologisiert wurden. „Bei den schlichteren Gemütern unter den geborenen Protestanten, die jene esoterischen Kultur-
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theorien
Max Weber oder Thomas Mann nicht teilen konnten, der schrumpfte nicht mehr eigentliche Protestantismus [sie!] auf Antikatholizismus zusammen; beides hielt dann einander am Leben: Weil man protestantisch geboren war, blieb man anti-katholisch und weil man anti-katholisch war, fühlte man sich .protestantisch'." [aaO., 155]. In Wahrheit bildete sich nach dieser Darstellung aus dem wirren emotionalen Konglomerat eine gesellschaftspolitisch hochwirksame Zivilreligion, die zwar als „Protestantismus" firmierte, doch den reformatorischen Kirchenbegriff längst hinter sich gelassen hatte. Mit Nipperdeys ganz historisch-kulturgeschichtlich ausgelegtem Programm einer Religionsgeschichte und seiner glänzenden Durchführung ist auch wenn man die definitorischen Prämissen nicht teilt vorerst ein Höhepunkt der historiographischen Wiederentdeckung von „Religion" erreicht, nachdem Anfang der 70er Jahre eine feindlich-ablehnende, das „Phänomen" eher verdrängende als angemessen würdigende Allgemeingeschichtsschreibung vorherrschte. Den vorläufigen Tiefpunkt der historiographischen Ausblendung bzw. der einseitig pejorativen Bewertung „religiöser Phänomene" markierte Hans-Ulrich Wehlers (geb. 1931) Buch über „Das deutsche Kaiserreich" [118]. (Zur Kritik der Allgemeinhistoriker an diesem Buch vgl. jetzt Th. Haussmanns „Fallstudie" [243: Erklären und Verstehen, 240-322]). Der Kieler Kirchenhistoriker Reinhart Staats hat in einer eingehenden Miszelle [321: Staats, Kaiserreich] daraufhingewiesen, daß die Darstellung der Kirchen in diesem Buch auf mehreren Ebenen unangemessen erscheint. Wie nahe übrigens die „kritischen" Ansätze der progressiven Sozialgeschichte dem nationalliberalen Geschichtsbild eines Treitschke kommen können [vgl. auch 281: Nipperdey, Wehlers „Kaiserreich", bes. 542. 546], zeigt Wehler in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte" [119: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, 459^177; vgl. 283: Nipperdey, Wehlers Gesellschaftsgeschichte, 406], in der er von der Kritik am „Kaiserreich" offenbar wenig berührt die den alten ganz ähnlichen, einseitig verkürzten Urteile über Religion und Kirche vornimmt. Unter anderem bezeichnet er dort die geistlichen Staaten des alten Reiches unzutreffend als „theokratisch" [119: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, 469] ganz so wie der ihr Ende kommentiert: fratzenhafte Treitschke, „Die Lüge der von
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Hans-Ulrich Wehler
Treitschke und wenler
84
Ausblendung der
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Theokratie war endlich beseitigt" [114: Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. 1, 181]. Trotz breiter Kritik, die seine historiographische Ausblendung
Religion [,zw
einseitig pejorative Bewertung „religiöser Phänomene"
erfahren
hat, ist Wehler in dieser Hinsicht seinem Konzept über 25 Jahre hinweg treu geblieben. Das liegt nicht zum mindesten an seinem Kulturbegriff. Darunter versteht er in direktem Gegensatz zu Nipperdey „deren Institutionen und Vermittlungsagenturen, nicht oder zumindest nur in Ausnahmefällen deren Inhalte" [234: Gall, Deutschlands Weg, 136]. Gegen einen solchen Zugriff ließe sich nichts sagen, und eine Analyse der großkirchlichen Strukturen, Funktionsmechanismen und gesellschaftlichen Wirkungsweisen wäre gewiß erhellend, „wenn nicht persönliche Überzeugungen zu stark ins Spiel" [ebd.] gekommen wä-
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ren.
Wie in den vorangegangenen Bänden gilt auch im dritten Band seiner Gesellschaftsgeschichte [119: Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3] Wehlers entschiedene Verachtung der katholischen Kirche mehr noch als der protestantischen. Aufgrund welcher Maßstäbe er zu seinem Urteil über den „erstickenden Druck der Amtskirche" [aaO., 384] gelangt, läßt sich nur mittelbar aus der positiven Erwähnung der „autonomen Aktivität in freien Assoziationen" entnehmen, die Wehler im „englisch-amerikanischen Calvinismus" [ebd.] entdeckt. Daß sich dort trotz der ganz anderen Struktur ein den deutschen Verhältnissen nicht unähnlicher Pastoren-Nationalismus entwickeln konnte [s.o., S. 49f.], bleibt in dem harten Urteil über die „Amtskirchen" unberücksichtigt. Welche Elemente der Kirchlichkeit Wehler für „zukunftsweisend" hält oder mindestens aus der „Position eines nichtgläubigen Sympathisanten der evangelischen Lebenswelt [...] als attraktivstes Phänomen", geht aus seiner positiven Würdigung der „belebenden Impulse des Kulturprotestantismus" [aaO., 1181] hervor.
Jenseits der historiographischen Pole Nipperdey und Wehler liegen von deren metatheoretischen Kraftfeldern meist beeinflußt zahlreiche Arbeiten, die freilich oft eines gemeinsam haben: Trotz des Anspruchs, umfassende Darstellungen vorlegen zu wollen, nehmen darin die Themenkomplexe Kirche und Religion nur recht wenig Raum ein und gehören darum nicht mehr in den Kontext dieses Buches. -
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4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
8?
4. Neuere methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie Immanuel Kant war noch davon überzeugt, daß jede Wissenschaft eiihr eigentümlichen Gegenstand haben müsse, „widrigenfalls die Grenzen aller Wissenschaften ineinanderlaufen". Seit Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts ist das anders geworden. Die Sozial-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften geben den ehemaligen „Geisteswissenschaften" Fragestellungen, Forschungsstrategien und Interpretationsregeln vor. Nicht mehr der Diskurs über positives Wissen und die Deutung von Sachverhalten, sondern der Streit über Begriffe. Denkmuster, Kategorien, Erklärungskonzepte und Problemzusammenhänge bestimmt die fachwissenschaftliche Diskussion. Anfang der 70er Jahre Soziologisierung Geschichtsbegannen mit der Hinwendung zur Sozialgeschichte Max Webers der wissenschaft methodologische Positionen und deren Weiterentwicklung für die Geschichtswissenschaften eine größere Bedeutung zu gewinnen. Die in den 80er Jahren folgenden Debatten um die Stellung mentalitätsgeschichtlicher, kulturanthroplogischer und alltagsgeschichtlicher Orientierungen verstärkten diese methodologische Besinnung noch [vgl. 290: Peukert, Rezeption]. Merkwürdigerweise bleibt der Einspruch von wissenschaftstheoretischer Seite etwa gegen die Soziologisierung der Geschichtswissenschaft unbeachtet [vgl. 315: Seiffert, Wissenschaftslehre, Bd. 2 und 262: Kocka, Annäherung]. Hans-Ulrich Wehler hat in scharfer Auseinandersetzung mit dem jüngsten politikgeschichtlichen Werk Klaus Hildebrands (geb. 1941) über die deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler [60: Hildebrand, Das vergangene Reich] zusammengefaßt, was die „Historische Sozialwissenschaft" [vgl. 302: Rürup, Historische Sozialwissenschaft; 261: Kocka, Sozialgeschichte] seit fünfundzwanzig Jahren unter zeitgemäßer Historiographie versteht [328: Wehler, „Moderne" Politikgeschichte?] und bei resistenten Zunftgenossen einklagt [vgl. 245: Hildebrand, Geschichte oder „Genen
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sellschaftsgeschichte"?]
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Seit etwa fünfzehn Jahren gibt es solche historiographischen Kon- Sozialgeschichte und Kirchentroversen unterlegt mit unterschiedlichen theologischen Positionen geschichte auch in der Kirchengeschichte, ohne daß die Beteiligten immer anmerken, wo sie ihre methodischen „Standards" entlehnt haben und welcher theologischen Denkform sie den Vorzug geben. Dabei wird neuerdings auch von Kirchenhistorikern „unter Sozialgeschichte nicht eine Teildisziplin neben anderen" [242: Greschat, Bedeutung, 73] verstanden, was -
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86
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
angesichts des allseits akzeptierten Methodenpluralismus im protestantischen Bereich noch nachvollziehbar wäre, sondern es geht „um die Betrachtung und Interpretation der gesamten Geschichte unter einem sozialgeschichtlichen Blickwinkel" [aaO., 73]. Christentumsgeschichte als Geschichte von Milieus und religiös-kirchlichen Vereins- und Parteiwesen 1966 veröffentlichte der Soziologe M. Rainer Lepsius (geb. 1928) einen Aufsatz über „Parteiensystem und Sozialstruktur" [77]. Dabei gelangte er u. a. zu folgenden Ergebnissen: „Stabilität und gradlinige Entwicklung des deutschen Parteiensystems scheinen auf sozialen Strukturbedingungen und politischen Ordnungskonzeptionen beruht zu ha-
4.1
Mentalitäten im
von derart einschneidenden Geschehnissen [seil, wie dem Ersten Weltkrieg] nicht unmittelbar und grundlegend verändert sozialmoralische wurden" [aaO., 31 f.]. Die Konservativen in den östlichen Provinzen Milieus Preußens beispielsweise „bleiben die Repräsentanten eines protestantischen, agrarischen, regional abgeschlossenen und traditionell paternalistischen Leitbildern folgenden Sozialmilieus. Die Koinzidenz von regionaler politischer Tradition, Konfession und sozio-ökonomischer Lebenslage gibt diesem Milieu eine Stabilität, die auch durch große politische Veränderungen nicht unmittelbar betroffen wird" [aaO., 32f.]. Den Begriff „sozialmoralisches Milieu" zog Lepsius gegenüber dem „Klassenbegriff' vor, weil jener „einen explizit weiter gesteckten Bezugsrahmen" [aaO., 38] besitze. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Sozialmilieu und Partei spielte in Lepsius' Untersuchung das Zentrum mit seinem katholischen Milieu eine besondere Rolle. Seine Thematisierung des lebensweltlichen Zusammenhangs von sozialökonomischer Lage und ideellen Interessen unter Aufnahme von Max Weber [vgl. 194: Lepsius, Interessen und Ideen] hat der „historischen Sozialwissenschaft" wesentliche Forschungsimpulse gegeben. Seit Mitte der 70er Jahre befassen sich einige Sozialhistoriker katholische Volks- auch mit dem bis dahin vernachlässigten Milieufaktor Kirchen und Rereligiosität ligionen. Dabei stand zunächst der Themenkomplex katholische
ben, die selbst
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„Volksfrömmigkeit" im Mittelpunkt des sozialgeschichtlichen Interes-
Wolfgang Schieders Aufsatz über „Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844" [150; vgl. die scharfe Kritik von R. Lill, in: 142: Kirche und Revolution] stimulierte die kontroverse Diskussion über Methode und Gegenstand. 1986 ging es Schieder u. a. weniger um das traditionelle Problem der „Kirchenfrömmigkeit" [101: Schieder, Volksreligiosität, 10], also nicht um die ses.
4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
87
Priesterelite" [ebd.] „theologisch normierte Relium das ganze Feld der „populären Religiosisondern gion" [aaO., 12], tät" und der Wechselwirkungen zwischen dieser Volksreligiosität und den historisch-politischen Einflußfaktoren der Zeit. In der von Reinhart Koselleck (geb. 1923) und M. Rainer Lepsius herausgegebenen Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte erschien 1993 ein von W. Schieder herausgegebener Sammelband zu „Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert". In seiner Einleitung korrigiert Schieder den 1987 [vgl. 308: Schieder/Sellin, Sozialgeschichte, Bd. 3] entstandenen Eindruck, er habe der „Kirchengeschichtsschreibung kein wissenschaftliches Eigenrecht zubilligen" [102: Schieder, Religion und Gesellschaft, 11] wollen. Er möchte vielmehr die „begrenzten Erkenntnisspielräume" der traditionellen Kirchengeschichtsschreibung durch sozialgeschichtliche Fragestellungen und Methoden erweitern und die interdisziplinäre Methodendiskussion vorantreiben. Eine größere Bereitschaft dazu nimmt er eher auf Seiten der evangelischen als der katholischen Kirchenhistoriker wahr. Der Essener Allgemeinhistoriker Wilfried Loth (geb. 1948) Ausdifferenzierung des katholischen zu den Forschungsergebnissen der 80er Jahre zeigte im Widerspruch r Milieus z.B. 40: W. Minderheit als daß seit dem NachBecker, [vgl. Mitte] -, lassen der Bedrohung durch den Kulturkampf auch das katholische Milieu (der ultramontane Katholizismus) sich in „regional und sozial unterschiedlich akzentuierte Sozialmilieus" [86: Loth, Soziale Bewegungen. 282] ausdifferenzierte und mit seiner Rechts-Links-Polarisierung ebenfalls den Klassenstaat konservierte [196: Loth, Katholiken im Kaiserreich]. Neben Modernisierungsschüben aus dem katholischen Bürgertum habe es im Zentrum auch antiliberal-populistische Bestrebungen und die katholische Arbeiterbewegung gegeben. Dieser Befund lasse nur begrenzte Möglichkeiten der Verallgemeinerung in der Interpretation von kleinteiligen regionalen Milieustudien zu. Sowohl diese methodischen Beobachtungen als auch die daraus gezogenen historisch-politischen Konsequenzen provozierten deutlichen Widerspruch. Loths Katholizismusbild erschien ähnlich zerrissen wie das protestantische: „Heftige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen sozialen und politischen Strömungen waren die Folge und ein Abbröckeln der Parteibindung an den Rändern, das zwar vergleichsweise langsam vonstatten ging, aber nicht mehr umzukehren war. Der Ultramontanismus verlor an Einfluß; und mit der Zeit verlor der politische Katholizismus überhaupt seine Handlungsfähigkeit" [86: Loth, Soziale Bewegungen, 266]. Hans Maier monierte den „Zwang vorgegebener Bevon
der
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,,religiöse[n]
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II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
griffe und Denkschemata" und fordert einen „größeren Schuß Respektlosigkeit vor fremden Autoritäten" [Maier, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.9.1992; vgl. dagegen 246: Holzem, Geßlerhüte der kulturelle Dominanz der katholischen Kirche
Theorie, 273]. Den Sachverhalt, daß die katholische Kirche ihre konfessionelle
kulturelle Dominanz trotz sozioökonomisch unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit katholischer Gläubiger auch nach der äußeren Bedrohung durch den Kulturkampf zunächst aufrechterhalten konnte, sucht Raymond C. Sun [111: Sun, Arbeiter] unter Anwendung des Modells von Antonio Gramsci [241: Gramsci, Gefängnishefte] über kulturelle Hegemonie zu erklären. Gramsci entwickelte seine Theorie als Modell zur Erklärung des Sachverhalts, daß die italienischen Arbeiter im Gegensatz zu ihren „objektiven" Klassengesichtspunkten das faschistische Regime unterstützten. Sie waren von kulturellen und ideologischen Faktoren dominiert, die ihre „Lebensart" beherrschten, ohne daß ihnen diese auf Alltagserfahrung und gesundem Menschenverstand basierenden Einflüsse unbedingt „offen und bewußt" gewesen sein müssen. Sie konnten diesen Normen sogar kritisch gegenüberstehen und ihnen mitsamt den politischen Konsequenzen doch folgen. Auch die katholische Arbeiterschaft als „potentiell oppositionelle" Gruppe habe katholische Kernwerte verinnerlicht und selbst an deren Aufrechterhaltung und Verbreitung teilgehabt. Auf die Herausforderung der Sozialdemokratie habe die katholische Kirche „mit der bewußten Konstruktion eines eigenständigen sozio-kulturellen Milieus" reagiert, „in dem die spezifischen Bedürfnisse der Arbeiter" ankatholische gesprochen werden konnten. „Institutionelles Hauptinstrument für Arbeitervereine diesen Prozeß der Milieubildung waren die katholischen Arbeitervereine, die 1884 auf Anregung Franz Hitzes [...] gegründet wurden [...] Vorrangiger Zweck der Vereine war, den religiösen Glauben der Arbeiter zu stärken und sie wieder unter effektive kirchliche Aufsicht zu bringen [...] sie ,katholisierten' die Werte und Normen in den wichtigsten Bereichen der Arbeiterkultur: Familie und Nachbarschaft, Arbeit und Freizeit" [Sun, aaO., 158]. Die angloamerikanische Kritik an der sozialgeschichtlichen Reliangloamerikanische Kritik gionsforschung in Deutschland zielt auf zwei Bereiche. David Blackbourn (geb. 1949) und Geoff Eley [43: Blackbourn/Eley, Pecularities] gehen wie Jonathan Sperber [185: Sperber, Popular Catholizism] weiterhin von einer eher stabilen katholischen Subgesellschaft ein Phänomen, das Loth [196: Loth, Katholiken im Kaiserreich; aus 85: Loth, Deutscher Katholizismus] aufgrund seines segmentierenden Ansatzes widerlegt zu haben meint. Sperber betont dabei mehr die an-
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4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
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timodernistische Rechristianisierung der katholischen Bevölkerung nach den Säkularisierungstendenzen der Aufklärung und konstatiert um 1870 ein konfessionalisiertes, klerikalisiertes Milieu [185: Sperber, Popular Catholicism, 36]; Blackbourn unterstreicht dagegen die Modernisierungsbemühungen des bürgerlichen Katholizismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts [43: Blackbourn/Eley, Pecularities, 183 f.]. Die Windthorst-Biographin Margaret Lavinia Anderson (geb. 1947) hat Blackbourns Vorbehalte hinsichtlich der deutschen sozialgeschichtlichen Katholizismus-Forschung wiederholt [210: Anderson, Piety and Politics; vgl. 33: Anderson, Limits] und um eine weitere Kritik ergänzt. Obwohl die deutschen Historiker behaupteten, allein Sozialgeschichtler und nicht Kirchenhistoriker zu sein, hätten sie intentionalistische Nebenabsichten. „[A]n inevitable consequence of this conception is that the Catholic people often appear to be putty in the clergy's hands, too dumb to know what is good for them" [33: Anderson, Limits, 651; vgl. 157: Anderson, Windthorst, 4ff.], was in der sozialgeschichtlichen Forschung häufig auf Bildungsdefizite der katholischen Bevölkerung zurückgeführt wird [vgl. 221: Burger, Religionszugehörigkeit, 338f.; 272: Maier, Ungleichgewichte]. Im Unterschied zu den angloamerikanischen und vielen deutsehen Sozialgeschichtlern mit katholischem ..background" plädiert W. Schieder [102: Schieder, Religion und Gesellschaft] für eine flächendeckende, nicht nach Konfessionen, Kirchen, Freikirchen und Säkularreligionen segmentierte religionsgeschichtliche Sozialforschung, die vor allem auch intereuropäisch betrieben werden solle. Schieder möchte sich bei seinem Forschungsprogramm „ganz auf das 19. Jahrhundert [...] konzentrieren" [102: Schieder, Religion und Gesellschaft, 18], um die religionssoziologische Säkularisierungstheorie zu entkräften, die im Gefolge der modernisierungstheoretischen Ansätze in der Religion im 19. Jahrhundert keine Antriebskraft des gesellschaftlichen Wandels mehr erkennen konnte. So recht greifbar wird der Einfluß von Religion auf die Gesellschaft „beim gegenwärtigen Forschungsstand" [ebd.] aber nur „innerhalb der kirchlich verfaßten Religion" [ebd.] und dort im Katholizismus weit präziser als im Protestantismus, der sich gerade im 19. Jahrhundert konfessionell, strukturell und politisch weiter ausdifferenzierte. Der religiöse Aufbruch in Teilmilieus vitalisierte seit dem Vormärz bei gleichzeitiger Entkirchlichung die Religiosität in mehreren Schüben „neuer Frömmigkeitsfor-
men" (Wallfahrtswesen, Heiligenkulte etc.) [102: Schieder, Religion und Gesellschaft, 25]. Dabei beschränken sich Schieder und die anderen Beiträger des Bandes nicht nur auf den nationalen, sondern jeweils -
Wolfgang ScHIEDER
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Sozialgeschichte Erweckungsbewegungen
der
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
meist auch auf einen monokonfessionellen und oft genug auf einen regional eingegrenzten Bereich. Anders als in der bisherigen Gesellschaftsgeschichte redet Josef Mooser (geb. 1946) nicht von „Massenreligiosität" [233: Ebertz, Massenreligiosität], sondern von katholischer „Erweckungsreligion" [91: Mooser, Katholische Volksreligion, 148]. Mit diesem Konzept knüpft er an die 1989 herausgegebene Arbeit über die evangelische Erweckungsbewegung in Ostwestfalen und Lippe an. Seine sozialgeschichtliche Betrachtung der Erweckungsbewegung „fragt nicht nach der Wahrheit der Erscheinungsformen der Religion", sondern „wie die Religion durch überindividuelle wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zustände und Prozesse geprägt wurde und wie sie umgekehrt diese beeinflußte" [176: Mooser, Frommes Volk, 10]. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, daß im Unterschied zur „rationalistisch" beeinflußten die Äußerungsformen erweckter Frömmigkeit „ein Amtskirche Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühl" stifteten und die Möglichkeit boten, „in der Sprache der Religion die leidvollen Erfahrungen von Zeit und Alltag auszudrücken" [aaO., 12]. Anders als die Liberalen hätten die Erweckten als Ausweg aus ihrer sozialen Misere keine Veränderung der Gesellschaft im demokratischen Sinne angestrebt, sondern eine konservative Reform gewollt: „Die zentrale Norm christlicher Nächstenliebe mahnte den Reichen an seine Pflichten gegenüber dem Armen und sollte Gerechtigkeit für alle schaffen; die Diakonie suchte den hilflosen Armen und Kranken zu helfen, und ein konservativer, monarchischer Staat sollte die politischen Voraussetzungen für eine Rechristianisierung der Gesellschaft und den christlichen Staat' gewährleisten" [aaO., 13]. Ähnlich wie Altermatt und Anderson übt Mooser Kritik an der älteren katholischen Milieuforschung, indem er einen umfassenderen Milieubegriff als den in der praktischen Historiographie berücksichtigten einfordert: „Es macht noch immer die Stärke der These über das katholische Milieu aus, daß sie auf die enge Verflechtung von Religion, sozialen Normen und kultureller Orientierung, von wirtschaftlicher Lage, regionalen Traditionen und dem schichtenspezifischen Profil der intermediären Gruppen verweist, die das Milieu nach außen und innen repräsentieren sowie dessen Selbstverständnis artikulieren. Mit anderen Worten: Die Geschichte der Katholiken muß immer auch die Religions- und Kirchengeschichte einschließen" [90: Mooser, Volk, 260]. Als einen Grund für seinen methodischen Ansatz nannte Mooser sein Interesse an „den breiteren Schichten des Volkes" [176: Mooser, Frommes Volk, 10]. Um die „Religiosität der Vielen" geht es ihm auch -
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Josef Mooser
katholische Volks-
religion
4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
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in seinem Beitrag über „Katholische Volksreligion [...]" aus dem Jahr 1993. Dabei gelangt er in seinen Thesen zu dem Ergebnis, daß die „klerikal formierte Massenreligiosität" die Kirche in polemischer Abgrenzung gegen die „ungläubige bürgerliche Gesellschaft" zunächst stabilisiert und ihren „säkularisierungsbedingten Funktionsverlust" wettgemacht habe [91: Mooser, Katholische Volksreligion, 154]. In ihrer Gestalt einer „bürgerlichen Volksreligion in der christlichen Arbeiterbewegung" bewirkte die katholische Volksreligion eine „Labilisierung der bürgerlichen Gesellschaft", indem sie diese aus christlich-proletarischer Perspektive („Jesus als Arbeiterpatron") in Frage stellte. Andererseits bildeten „Autorität und kontrollierte Sexualität die Zentralachsen der christlichen Sozialisation" [aaO., 156]. Schieder vergleicht Moosers Ergebnisse für den katholischen VerbandsBereich mit dem religiösen Aufschwung der neupietistischen evangeli- protestantlsmus sehen Erweckungen, die schließlich in das protestantische Vereinswesen einmündeten und endlich in einer ,,zweite[n] große[n] Erneuerungswelle" [102: Schieder, Religion und Gesellschaft, 26] zur Ausbildung des „Verbandsprotestantismus" als einem Konglomerat von „Gesinnungsvereinen" führten. Ein gemeinsames Merkmal zwischen protestantischer und katholischer Religiosität sieht Schieder in der gegenseitigen „Konservierung stereotyper konfessioneller Vorurteile" [aaO., 26; vgl. 32: Altgeld, Katholizismus], die dem Kulturkampf seine weltanschauliche Schärfe gegeben hätten. Schon Langewiesche (geb. 1943) bezeichnete den Kulturkampf als „Ringen um ein Weltanschauungsmonopol" zwischen Liberalismus, Katholizismus und Teilen der evangelischen Kirchen [74: Langewiesche Liberalismus, 181]. Eine dritte Gemeinsamkeit bestehe in der „Feminisierung der Religion" [172: Krumeich, Jeanne d'Are-Kult, 321] und damit ihrer emanzipatorischen Intensivierung zunächst außerhalb, dann, als Modernisierungsschub, auch innerhalb der verfaßten Kirchen. Grafs Thema ist die „Spaltung des Protestantismus" seit dem Spaltung des Vormärz „in zwei religiös wie politisch tiefgreifend verschiedene Mi- K,rchen" lieus" [133: Graf, Spaltung, 158] den „konfessionalistischen Kir- protestantimus chenprotestantismus" und den „liberalen Bildungsprotestantismus" [aaO., 159]. Im Zentrum seiner Untersuchung steht der lutherische Konfessionalismus seit dem 2. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Dabei arbeitet er den Widerspruch dieser Gruppe heraus, einerseits einen -
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hochkirchlich, dogmatisch verfestigten Kirchenbegriff zu propagieren, sich aber andererseits im Zusammenhang mit missionarischer und diakonischer Arbeit auch dem modernen Vereinsgedanken zu öffnen [aaO., 188 f.]. Obwohl das konfessionelle Neuluthertum eine innere
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Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Differenzierung der Kirche ablehnte und gegen ihre Pluralisierung durch liberaltheologische Kräfte kämpfte, bediente es sich selbst moderner Gesellungsformen, wurde also Transporteur von Modernisierungspotential und förderte damit wider Willen die innere Pluralisierung in Kirche und Gesellschaft, Obwohl die meisten milieugeschichtlichen Arbeiten ihren Stoff protestantisches Vereinswesen aus reiigiös-kirchlichen Vereinswesen beziehen, finden frühere Arbeiten zum Gegenstand nur wenig Berücksichtigung. Pönnighaus' nützliche Kategorisierung des Vereinswesens [147] Vereine zur Lösung sozialer Probleme, Vereine im Dienst der Gesamtkirche (Bibelgesellschaften, Missionsvereine etc.), Vereine im Dienst der Gemeinden (Predigerkonferenzen, Lehrervereine, Jünglingsvereine etc.) und Vereinigungen von Christen zu nicht glaubensorientierten Zwecken (Landwirtschaftliche Vereine, Volksvereine etc.) gibt einen Eindruck von der Komplexität des Phänomens, das er allein für das Fürstentum Lippe erhoben hat. Pönnighaus hebt wie Gäbler [131: Auferstehungszeit] hervor, daß der Sozietätsgedanke der Erweckungsbewegung durch die Aufklärung wesentliche Impulse erhalten hat und insofern nicht ohne diese gesehen werden kann. Auch Wilhelm Gunderts „Geschichte der deutschen Bibelgesellschaften" [57] kommt zu dem Ergebnis, daß dieser besondere Vereinstyp „das ganze breite Spektrum [...] von der Aufklärung bis zur beginnenden Erweckungsbewegung" zur geistigen Voraussetzung hat. Für jede Phase der Geschichte der deutschen Bibelgesellschaft kann Gundert die eigentümliche Verbindung zwischen Frömmigkeitsmerkmalen, theologischen Impulsen und geschichtlichen Zeitumständen namhaft machen. So spielt für die Frühzeit das „endzeitliche Bewußtsein" der Erweckungsbewegung im Blick auf die Mobilisierung der Massen eine entscheidende Rolle [vgl. aaO.. 51 ff.]. In der Wahrnehmung der Zeitgenossen hatte mit dem Sieg über Napoleon Gottes Reich über das Reich der Welt triumphiert und damit ein evidentes Faustpfand für sein Wirken in der Geschichte gegeben. Es ermutigte dazu, in seinem Namen zu handeln und Wagnisse einzugehen. In dem von Theodor Strohm und Jörg Thierfelder herausgegeDiakonie benen Sammelband über „Diakonie im Deutschen Kaiserreich" [186] wird ein anderer protestantischer Verband mit Geschichtsmächtigkeit vorgestellt, dessen Äußerungsformen und Arbeitsweisen sich ihrer Zeit so anschmiegten, „daß die Diakonie im Kaiserreich mehr und mehr in die deutsch-nationale Isolation mithineingezogen wurde und die große Breite, die insbesondere die Erweckungsbewegung in Europa bis hin zu Wichern kennzeichnete, allmählich einbüßte" [aaO., 53]. -
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4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
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Reinhard Freese geht einer anderen Vereinsgriindung Wicherns nach: der Deutschen Seemannsmission [50]. Wie die Innere Mission geriet auch sie in den Mahlstrom konfessioneller und kirchenpolitischer Interessen einerseits und föderativer Anliegen andererseits. Auch Fritz Mybes' Geschichte des „Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins und seiner Frauenhilfe" [93] sieht den Anstoß für die Gründung dieser Frauenorganisation in einem Wiederaufleben der sozialdiakonischen Gedanken Wichems. Ursula Baumann [39: Protestantismus und Frauenemanzipation] untersucht die „protestantische Auseinandersetzung mit der .Frauenfrage'" [aaO.. 12] von 1850 bis 1920. Sie sieht in der Inneren Mission ein Instrument zur „Übertragung des bürgerlichen Familienmodells auf die Gesellschaft insgesamt", um einer „Enthierarchisierung des Geschlechtsverhältnisses" [aaO., 270] zu wehren. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entstand „mit dem von den evangelischen Sittlichkeitsvereinen initiierten Deutsch-Evangelischen Frauenbund dann die Organisation, die bis zum Ende der Weimarer Republik den institutionellen Kern der evangelischen Frauenbewegung bildete"
die „Frauenfrage" im Protestantismus
[ebd].
Claudia Lepps Geschichte des deutschen Protestantenvereins der deutsche Prote[ 173: Aufbruch] gibt Auskunft über die frühen Kämpfe der Landesver- stantenverein bände untereinander und ihrer kritischen Opposition gegen die verfaßten Landeskirchen. Nach 1871 wurde dann „nicht allein um Gestalt von Kirche und Religion, sondern auch um die innere Ausgestaltung des neuen Kaiserreichs gerungen. Denn gerade auch in ihren Vorstellungen von Staat, Gesellschaft und Kultur sowie deren Verhältnis zur Kirche und Religion unterschieden sich Kirchlich-Liberale und OrthodoxKonservative fundamental" [aaO., 416]. Der Reichsgründung wollten die Protestantenvereinler „eine idealistisch-sakrale Aura verleihen"; darum verfolgten sie den „Plan eines Volks- und Kirchenfestes mit stark zivilreligiösen Zügen. Mit einem solchen nationalen Fest sollte die emotionale Bindung an die Nation und einen liberal gedachten Staat gefördert werden, nicht zuletzt in Konkurrenz zu katholisch-kirchlichen Bindungen" [aaO., 417], Über die kirchlichen Reaktionen auf die Arbeiterbewegung in Protestantismus und Mannheim hat Eckehart Lorenz eine Arbeit vorgelegt [195], in deren Arbeiterbewegung Mittelpunkt das sozialdiakonische Engagement des Pfarrers Ernst Josef Lehmann (1861-1948) zur Gründung von Genossenschaften und Arbeitervereinen zur Bekämpfung der sozialen Not steht. Klaus Martin Hofmann legte 1988 eine Untersuchung über die „Evangelische Arbeitervereinsbewegung 1882-1914" vor [166]. Er schildert, wie sich aus Selbsthilfeorganisationen der „Gesamtverband Evangelischer Arbeiter-
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Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
vereine Deutschlands" mit sozialpolitischer Programmatik und in deutlicher Differenz zum wirtschaftsliberalen Naumann-Kreis entwickelt. In dem „Gewerkschaftsstreit" von 1899 zwischen Nationalliberalen, National-Sozialen und Christlich-Sozialen gewannen schließlich letztere die Oberhand. In der Reihe „Religiöse Kulturen der Moderne" (hg. von FriedMentaiitäten- rich Wilhelm Graf und Ganüolf Hübinger) erschien der von Olaf geschiente Blaschke (geb. 1963) und Frank-Michael Kuhlemann (geb. 1955) besorgte Band „Religion im Kaiserreich. Milieus Mentalitäten Krisen" [44], der sich vor allem durch eine methodische Reflexion des Milieu- und Mentalitätenkomplexes auszeichnet. Unter Berufung auf Pe ter Burke (geb. 1937) [222: Burke, MentalitätengeschichteJ beschreiben Blaschke und Kuhlemann im einleitenden Forschungsüberblick Mentalitätengeschichte als den Versuch, „sowohl Phänomene des Denkens als auch des sozialen Handelns miteinander zu verbinden" [aaO., 12] und so die Alternative zwischen Geistes- und Sozialgeschichte zu überwinden. In diesem Geflecht besteht die ideelle Aufgabe der Religion darin, die spezifischen Lebenserfahrungen der Gläubigen zu deuten. Mentalitäten, so heißt es im Anschluß an Theodor Geiger [235: Masse] und Nipperdey [280: Dimension], beschrieben im Unterschied zur Ideologie eine „geistig-seelische Haltung", einen „vorgängigen Interpretationshorizont", der eine das Verhalten determinierende Disposition [317: Sellin, Mentalität] dargestellt. Eine Beschränkung auf das nichthabituelle. nicht reflektierte Verhalten wie bei der großen Mehrzahl der französischen Mentalitäten-Historiker [239: Le Goff, Rückeroberung, 13IT.; vgl. allg. 228: Dosse, New History in France] halten Blaschke/Kuhlemann im Blick auf ihren Untersuchungsgegenstand Elitenmentalitäten für eine Verkürzung [44: Blaschke/ Kuhlemann, Religion im Kaiserreich, 16]. Auf die Frage nach der zeitlichen Beständigkeit von Mentalitäten, ihrer Dichte und Geschlossenheit lassen sich den Autoren zufolge noch keine hinreichenden Antworten geben. Sie verweisen auf Denkmuster wie „Dualismus", Einheits- und Fortschrittsvorstellungen, die auch kontingente bzw. abweichende Erfahrungen zu integrieren in der Lage seien. Sind Gruppenzugehörigkeiten Folge von Mentalitäten oder sorgt die kollektive geistige Struktur für die Bildung von Gruppen? Blaschke/Kuhlemann sind der Auffassung, daß die empirische Arbeit dies erweisen müsse. In den empirischen Sozialwissenschaften gilt die experimentell validierte Erkenntnis, daß Verhalten Einstellungen prägt [vgl. 249: Irle, Lehrbuch]. Da Mentalitäten sich überschneiden können, aufweichen, innerhalb eines (konfessionellen) Milieus auch differieren etc., wollen die -
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4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
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Autoren zunächst nur die „dominierende Struktur einer .Lebenswelt'" erheben. Sie verkennen nicht die Schwächen ihres historiographischen Ansatzes, den sie gleichwohl als neues Integrationsmodell moderner Geschichtswissenschaft begreifen. Die „osmotische Struktur von Mentalitäten befrachtet alle mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen von vornherein mit der schweren Hypothek, unscharfe Begriffe zu verwenden" [44: Blaschke/Kuhlemann, Religion im Kaiserreich, 20]. Um Lepsius' Konzept zu erweitern, bildete Karl Rohe (geb. 1935) den Begriff des „Lagers" [98: Rohe. Wahlen], eine Gruppierung, in der auch heterogene Milieus sich zu kulturellen Koalitionen zusammenfinden können. Im Interesse einer historisch-gesellschaftlichen Grundlagen-Analyse des von Lepsius entwickelten Konzepts traditioneller Milieuparteien im Blick auf Lebensweise, Mentalität und Deutungskultur nutzte Rohe im Anschluß an Adam Wandruszka und andere [325: Wandruszka, Österreichs politische Struktur] den Begriff des „Lagers" [98: Rohe, Wahlen, 19 ff.]. „Ein politisches Lager lebt in seinem Zusammenhalt im Unterschied zu einem Milieu stärker von der Abgrenzung gegen andere als von eigenen positiven Gemeinsamkeiten und kann deshalb im Prinzip sogar sehr heterogene Milieus enthalten [...] Ein politisches Lager kann nicht nur verschiedene Parteien, sondern auch unterschiedliche sozialmoralische Milieus umschließen, darüber hinaus Menschen, die aus lokalen und überlokalen Milieuzusammenhängen überhaupt herausgefallen sind" [98: Rohe, Wahlen, 21 f.]. Damit verbindet er das sog. „Cleavage"-Konzept, eine Theorie zur Erfassung der Hauptspannungslinien in einer politisierten Sozialkultur [79: Lipset/Rokkan, Party Systems]. Lipset (geb. 1922) und Rokkan (1921-1979) gehen davon aus, daß „in den Prozessen der Nationalstaatsbildung und der Industrialisierung, die alle europäischen Gesellschaften durchlaufen, typischerweise vier Zentralkonflikte auftreten: der zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Staat und Kirche, zwischen agrarischem und industriellem Sektor sowie zwischen Arbeitern und Unternehmern" [98: Rohe, Wahlen, 23]. Diesen Theoriekomplex ziehen Blaschke/Kuhlemann [44: Religion im Kaiserreich, 28 f.] zur Kritik an Loths [86: Loth, Soziale Bewegungen] Fragmentierung des katholischen Makromilieus in drei soziale Teilmilieus heran. Hiergegen wenden sie ein, die entscheidende Frage bleibe, warum gerade „soziale, ökonomische und regionale Interessengegensätze der Mesoebene auf einer Makroebene überbrückt werden konnten". Sie ziehen Altermatts [109: Subgesellschaft] ZweiKomponenten-Theorie einer Subgesellschaft (Substruktur und Subkultur) heran, um zu verdeutlichen, daß trotz sozial-ökonomischer Friktio-
Lager
„Cleavage"Konzept
Fragmentierung
des katholischen Milieus
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II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
zwischen Teilmilieus die katholische Subgesellschalt auf einer gemeinsamen „weltanschaulich-religiös fundiertefn] Basis" [31: Altermatt, Katholizismus, 104] aufruhte, also religiöse Gemeinsamkeiten sozio-ökonomische Unterschiede zu überbrücken vermochten. Darüber hinaus spricht Altermatt auch von einer sozial-mentalen „Kommunikationsgemeinschaft" des katholischen Milieus, hält also tendenziell gegen Loth an der sozialen, politischen, religiösen und kulturellen Einheit der katholischen Subgesellschaft fest. Auf einer „niedrigeren Aggregatebene" als im Katholizismus hätMilieustrukturen ten sich, so Blaschke/Kuhlemann [44: Religion im Kaiserreich, 35], auch im Protestantismus des 19. Jahrhunderts „Milieustrukturen" herausgebildet. Im Blick auf den Forschungsstand fügen sie freilich hinzu, daß „dabei sowohl in theoretischer Perspektive als auch hinsichtlich der empirischen Bewährung mehr Fragen offenbleiben als beantwortet werden" [ebd.]. Während Nipperdey dem „innerkirchlichen Pluralismus" des Protestantismus noch keine eigenständige Milieu-Qualität zuerkennen Hübinger mochte [95: Religion im Umbruch, 155], unterscheidet Hübinger [248: Protestantische Kultur, 174-191] zwischen einer „kulturellen Versäulung" des konservativen wie liberalen Protestantismus innerhalb eines „subkulturell labilen Milieus" [167: Hübinger, Kulturprotestantismus, 306]. Er untersucht die „schwächste Säule" die Verbindung von Kulturliberalismus und Kulturprotestantismus und bezeichnet deren Leitformel als „reflektierte Weltaneignung" [aaO., 307]. Die „Ideale des protestantischen Kulturstaates" sollten nicht in verbandspolitischer Freiheit von diesem, sondern durch seine „zivilreligiöse Imprägnierung" [aaO., 309] verwirklicht werden. Zu den Auflösungserscheinungen des Bildungsbürgertums nach dem Ersten Weltkrieg habe dann gehört, daß die leitenden Kulturwerte, markiert durch die positive Begrifflichkeit „Individualismus, Liberalismus und Rationalismus", in negative Begriffe umgeformt und dem vergangenen Kaiserreich zugeordnet wurden. An den einschlägigen Arbeiten Grafs [133: Graf, Spaltung] kritisieren Blaschke/Kuhlemann [44: Religion im Kaiserreich, 38], daß er ähnlich wie Klessmann [260: Sozialgeschichte] „ohne theoretische Klärung des Milieubegriffs" zu seinen Konstrukten gelangt sei. Die Frage, ob es sich bei dem liberalen wie konservativen ProteAusdifferenzierung ies protestantischen stantismus um die zwei Seiten einer kulturell bestimmenden MehrMiheus heits-Bürgerkirche gehandelt habe oder ähnlich wie im Katholizismus um ein Abgrenzungsphänomen im Zuge der kulturellen und nationalen Modernisierung [65: Janz, Bürger], muß zu weiteren Ausdifnen
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4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
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ferenzierungen des protestantischen Milieus führen. So ist die biblischpietistische Subkultur mit einer ihrerseits beträchtlichen Variationsbreite und eigenen Gesellungsformen gewiß nicht einfach dem protestantisch-konservativen Teilmilieu zuzurechnen [133: Graf, Spaltung, 163] es sei denn, man urteilt aus einer Perspektive, deren Fortschrittsprämisse nur den schmalen Spalt von der Aufklärungs- bis zur liberalen Theologie freigibt [vgl. Nowaks Rezension der Schlatter-Biographie Neuers, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.6.1996]. Für milieugeschichtliche Betrachtungen rücken Schlatter und seine Subkultur -
nahe an modernitätsferne katholische Teilmilieus. Auf der anderen Seite läßt sich kaum ein anderes Segment der modernen bürgerlichen Gesellschaft benennen, das inniger die Zeitgenossenschaft repräsentierte als der liberale Protestantismus. Werner Neuer zeigt mit seiner Biographie des Harnack-Antipoden Adolf Schlatter (1852-1938) den Facettenreichtum evangelischer Theologie und Frömmigkeit [198]. Schlatter läßt sich weder in ein erwecklich-pietistisches (Mooser), noch in ein konfessionalistisch-lutherisches (Graf) Milieu-Cluster zutreffend einordnen. Als theologischethischer Impulsgeber für die Gründung des „Christlichen Volksdienstes" gehört er politisch in die evangelische Tradition einer „christlichen Demokratie", die dem Liberalismus ebenso abhold war wie dem neolutherisch-konfessionalistischen „christlichen Staat". Blaschke/Kuhlemann stellen einen eigenen milieutheoretischen Ansatz vor, der von Georg Simmels Modell der „Konzentrität" [107: Simmel, Soziologie] ausgeht. Sie unterscheiden zwischen Mikro-, Meso- und Makromilieus [vgl. 247: Hradil, Strukturanalyse], die in konzentrischen Kreisen die engen, regionalen und umfassenderen Lebensbezüge bezeichnen. Binnenkonfessionelle Gruppenbildungen lassen sich über alle Bezugsebenen hinweg nachweisen. Sofern „sie eine eigene Substruktur und Subkultur ausbildeten, [können] sie als Teilmilieus definiert werden. Sie stellen quasi eine horizontale Differenzierung in der vertikalen Ordnung der einzelnen Milieuebenen dar" [44: Blaschke/Kuhlemann, Religion im Kaiserreich, 49]. Den Milieuebenen ordnen die Autoren verschiedene Mentalitäten-Ebenen zu. Das Individuum weiß sich „vorrangig einer Formation verbunden" [aaO., 52], wobei es zu Konflikten sowohl innerhalb eines Milieus als auch zwischen unterschiedlich geprägten Milieuebenen kommen kann, wenn der einzelne beiden angehört und konträren Ansprüchen begegnet, die er in einer Art „Relevanzhierarchie" für sich ordnen muß. Umgekehrt sind auch milieuübergreifende Koalitionen gegen einen gemeinsamen Gegner denkbar.
Adolf Schlatter
Konzentrität von M'üeustrukturen
98 wissenschaftstheoretische Anfragen
ii.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Wie andere Theorien der empirischen Sozialwissenschaft wird auch dieser Theorienkomplex nach den Regeln der Wissenschaft. aus der er entlehnt ist, bewähren müssen. Er überführt funktionale und korrelative Aussagen im Bereich individuellen und kollektiven Verhaltens in nomothetische Aussagen. Aus diesen lassen sich Hypothesen, d.h. Erwartungen über das Eintreffen von historischen Beobachtungsergebnissen, ableiten. Aber sind, anders als in experimentellen Designs, die in der Lage sind, theoriegeleitete Vorhersagen über Verhalten zu verifizieren oder zu falsifizieren, in rückwärtsgewandten Untersuchungsdesigns wirkliche Falsifizierungen möglich? Wehler [327: Wehler, Sozialgeschichte und Gesellschaftsgeschichte, 41] sieht in dem komparativen Ansatz einen gewissen Ersatz für das experimentelle Design in den Sozialwissenschaften. Welche Wissenschaftslehre haben die Autoren ihrem Theoriekomplex zugrunde gelegt? Die angestellten Beobachtungen sollten jedenfalls intersubjektiv nachprüfbar sein. Wie groß ist die Erklärungskraft des milieutheoretischen Ansatzes für welchen Gegenstandsbereich der Christentums- bzw. Kirchengeschichte, und für welchen Ausschnitt von Wirklichkeit bietet er keinen Erkenntnisfortschritt gegenüber älteren Forschungsstrategien? Vor dem Hintergrund der LoTHSchen Studien [196: Lora, Katholiken im Kaiserreich; 85: Loth, Deutscher Katholizismus] waren eine Reihe von Zusatzannahmen notwendig, um auszuschließen, daß der Theoriekomplex zu einander widersprechenden Ergebnissen führt. Schmiechen-Ackermanns [312: Großstädte] These von einer Erosion der Milieus schon in der Weimarer Zeit, in der sich nach Kaiser [Die Formierung des protestantischen Milieus. Konfessionelle Vergesellschaftung im 19. Jahrhundert, in: 44: 257-289] protestantische Milieus doch erst recht ausbildeten, wird womöglich weitere Theorieschleifen erforderlich machen. Mit solchen Strategien begibt man sich leicht auf den Weg von Scheinbewährungen. Über diese Gesichtspunkte wird der Diskurs geführt werden müssen. slcn
Biographie, Lebenslaufforschung und Psychohistorie Die biographische Geschichtsschreibung hat in den letzten Jahren eine „phänomenale Wiedergeburt" [240: Le Goff, Biographie, 103] erlebt. Die alltagsgeschichtliche Hinwendung von den kollektiven Verhaltens-
4.2 Renaissance der
Biographie
weisen zu den individuellen muß nicht als Bruch, sondern kann auch als Vervollständigung der Analyse von Sozialstrukturen verstanden werden [238: Gestrich u.a., Biographie]. Der Erklärungswert biographischer Methoden sollte sich nicht in der intensivierten Kenntnis über
4. Methodische Ansätze in der kirchlichen
Historiographie
99
ein Individuum
erschöpfen, sondern zum besseren Verständnis von Gesamtzusammenhängen führen. Die moderne Psychohistorie bedient sich überwiegend des Freudschen Hypothesenkomplexes [270: Loewenberg, Decoding the Past; 266: Kohut, Psychohistory], Über den aktuellen Stand der psychohistorischen Forschung informiert der Überblick von Hedwig Röckelein [300: Psychohistorie(n); vgl. auch 299: Röckelein, Biographie]. Die vorliegenden psychohistorischen Arbeiten behandeln meist Persönlichkeiten aus Epochen vor dem ^.Jahr-
hundert. Eine methodisch wie inhaltlich bemerkenswerte Ausnahme stellt die Arbeit von Dirk Blasius (geb. 1941) über Friedrich Wilhelm IV [126: Blasius, Friedrich Wilhelm IV] dar. Obwohl erden „psychohistorical approach" wählt, vermag er eine kritische Distanz zu diesem Hypothesenkomplex zu halten [aaO., 22-24]. Die Lebensphasen Friedrich Wilhelms IV. werden mit den Begriffen „Entwicklung", „Reifung", „Bewährung", „Krise" und „Erstarrung" charakterisiert. „Revolutionsfurcht" und „soziale Ängste" bilden Blasius zufolge in kollektiver Perspektive „zeittypische Stimmungs- und Empfindungslagen" [aaO., 243]. Der König hatte teil an diesen Sentiments, freilich in „Übersteigerungen [...], die den Rahmen des Zeittypischen" sprengten. Als traumatisches Urerlebnis erscheint die Französische Revolution, die er mit dem Tier aus dem Abgrund der biblischen Apokalypse verglich. Die Diagnose des Historikers lautet: „Friedrich Wilhelm IV. war eine psychopathische Persönlichkeit, eingelassen in das Merkmalsdreieck von Selbstunsicherheit, depressiver Lebensgrundstimmung und einer vermehrten Anfälligkeit für stimmungslabile Krisen" [aaO., 244]. Zwei Jahre vor Blasius' Psychopathologie des spätromantischen Preußen-Königs und „Laien-Theologen" erschien Walter Bussmanns (1914-1993) Biographie. Auch Bussmann suchte sich in Friedrich Wilhelms IV. Persönlichkeit „hineinzuleben" [127: Zwischen Preußen und Deutschland, 9]. Dennoch nimmt der psychologische Komplex nur einen kleinen Raum ein, der vor allem am Schluß des Buches konzentriert ist und den Bulletins der Ärzte folgt. Erst im Mai 1856 notiert Generaladjutant Leopold von Gerlach ein befürchtetes „Sinken der Geisteskräfte" [aaO., 413] des exaltierten Königs; Mitte Juli 1857 erlitt der Monarch einen leichten Schlaganfall, der mit Sprachstörungen verbunden war. Es folgten Gedächtnisverlust und Zustände geistiger Verwirrtheit. Ebenfalls 1990 legte Frank-Lothar Kroll (geb. 1959) eine Arbeit über „Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik" vor, die dem Bild Heinrich Heines (1797-1856) und David Friedrich Strauß' (1808-1874) von dem gefühlsseligen, irrationalen und unzeitgemäßen Phantasten entschieden widersprach. Vielmehr be-
Psychohistorie
Dirk Blasius
Friedrich Wilhelm iv.
Walter Bussmann
Frank-Lothar Kroll
100
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
einflußte die romantische Staats- und Politikauffassung des auch praknationale tisch denkenden Staatsmannes Friedrich Wilhelm IV. und Staatsverbin„Deutschlandpolitik" „christlich-gesamteuropäische dung" [140: Kroll, Friedrich Wilhelm IV, 182] für zwei Jahrzehnte die preußisch-deutsche wie die mitteleuropäische Geschichte entscheidend. 1995 brachte David Barclay (geb. 1948) seine Arbeit über die preußische Monarchie unter Friedrich Wilhelm IV. heraus. Sein Interesse galt ebenfalls nicht so sehr der Biographie als den konservativen Bewegungen und ihren Versuchen, sich den Prozessen kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandels anzupassen, ohne die monarchischen Institutionen zu gefährden, und so ein gegenrevolutionäres Europa zu stabilisieren. Das Projekt Friedrich Wilhelms IV. einer auf ständischen Grundlagen restituierten, sakralen Monarchie, in deren Dienst nicht zuletzt auch eine entsprechend umgebaute Kirche stehen sollte wurde 1848 erschüttert und war 1856 gescheitert. Aber das Gefühl, verloren zu haben, überwältigte ihn erst 1857 [122: -
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David Barclay
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Barclay, Anarchie, 389]. Die Gefahr der Psychohistorie liegt in einer verengten, auf das Pathologische fokussierten Perspektive. Gerade in Grenzfällen wie dem Friedrich Wilhelms IV. besteht überdies die Gefahr, eine Lebensgeschichte von ihrem Ausgang her als psychiatrische Leidensgeschichte zu schreiben und in entsprechende Theoriekomplexe einzuordnen. Dieser einschränkenden Sichtweise fällt Blasius nicht zum Opfer. Wie bei anderen aus den Nachbarwissenschaften entlehnten Methoden auch wird die Geschichtswissenschaft allerdings nach dem Stellenwert, der empirischen Abgesichertheit und der Erklärungskraft psychoanalytischer Verfahren im Kontext der modernen Psychologie zu fragen haben. Von Seiten der hier bestimmenden kognitiven und lerntheoretischen Verfahren gibt es im Blick auf die empirische Überprüfbarkeit des tiefenpsychologischen wie psychoanalytischen Hypothesenkomplexes vernichtende Urteile [vgl. 289: Perrez, Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft?]. Andere Wege als die Psychohistorie wählte die sozialwissensozialwissenschaftliche Biographie- schaftliche Biographie- und Lebenslaufforschung [vgl. 324: Voges, forschung Methoden]. In seiner Definition berücksichtigen Lebensläufe die objektiven soziologischen Gegebenheiten des Individuums, während die Biographie eine subjektive Rekonstruktion darstellt. Nassehi [279: Form der Biographie] thematisiert die biographische Kommunikation von Lebensläufen zu Lebensverläufen. Neben die „Sach- und Sozialdimension (Wer bin ich, und zu wem gehöre ich?)" tritt die „Zeitdimension (Wer bin ich geworden, und wer werde ich sein?)" [aaO., 46].
methodologische Anfragen
5.
Innerprotestantische
Unionen
101
Einmal abgesehen von methodischen Überlegungen kann es keiZweifel unterliegen, daß es mit charakteristischen Unterschieden seit jeher ein theologisches Interesse an der biographischen Kultur gab [vgl. 320: Sparn, Wer schreibt meine Lebensgeschichte?]; schon deshalb gehören Biographien in den Forschungskanon der Kirchengeschichte [vgl. auch 284: Nowak, Biographie]. Es fällt allerdings auf, daß weder die neueren kirchenhistorischen Arbeiten zu Persönlichkeiten aus Theologie und Kirche [135: Haubold, Karl Friedrich Göschel; 180: Nabrings, Friedrich Julius Stahl; 143: Maser, Kottwitz; 190: Drescher, Ernst Troeltsch; 189: Brakelmann, Krieg und Gewissen; 188: v. Bassi, Otto Baumgarten; 198: Neuer, Adolf Schlatter] noch die biographischen Sammelwerke [56: Greschat, Gestalten der Kirchengeschichte; 52: Graf, Profile; 226: Deppermann, Protestantische Profile] sich auf eine Diskussion über die Probleme der Biographik einlassen. Sie folgen entweder einer ausschließlich theologiegeschichtlichen Linienführung [z.B. Graf], historisch-lebensgeschichtlichen Interessen [z.B. 190: Drescher, Emst Troeltsch] oder frömmigkeitsgeschichtlichen Vorgaben der betreffenden Gestalt [135: Haubold, Karl Friedrich Göschel; 143: Maser, Kottwitz; 144: Maser, „Berathung der nem
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Armuth"].
5.
Innerprotestantische Unionen als geistes-, sozial und theologiegeschichtliche Phänomene
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Darstellungen wird für gewöhnlich die Unionsbildung in Abfolge von drei Phasen dargestellt. Entsprechend den realen Machtverhältnissen und in Anlehnung an die durchaus volkstümlichen Verehrungsrituale gegenüber den regierenden Fürsten läßt sich diese Unterteilung einprägsam nach den Regenten vornehmen: Markgraf, Kurfürst (1803) und Großherzog (1806) Karl Friedrich regierte von 1746 bis 1811, Großherzog Karl von 1811 bis 1818 und Großherzog Ludwig von 1818 bis 1830. Karl Friedrich von Baden regierte sein zunächst kleines Musterland nach den Grundsätzen des aufgeklärten Absolutismus, was eine tolerante Kirchen- und Konfessionspolitik einschloß. Der absolutistische HerrIn den älteren
Baden als
scher ordnete den neu errichteten Kirchenrat im Stil der Zeit freilich so in seine Verwaltungsbehörden ein, daß die Kirche letzte Elemente ihrer Selbständigkeit verlor. Wie in anderen Territorien auch wurden die Pfar-
Phasenmodell der badischen Union
Markgraf Karl Friedrich
102
IL
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Agenten für Moralerziehung im Interesse des Staates. Aufklärungstheologien orthodoxer bis rationalistischer Spielart bestimmten zunächst Lehre und Verkündigung auf Kathedern und Kanzeln. Relativ früh rer zu
erweckliche Elemente hinzu, die den rationalistischen einen milden Glanz bibelgläubiger Frömmigkeit gaben und die Zügen theologische „Neigung zum Mittelweg" [ 124: Benrath, Entstehung, 57] noch verstärkten. Als 1796 die französischen Truppen den Rhein überschritten und in die obere Markgrafschaft einfielen, war mit der staatlichen auch die kirchliche Ordnung des Landes in Gefahr. Zur Sicherung des kirchlichen Bestandes verfaßte der Leiter des Kirchenrats, der konservative Jurist Johann Nikolaus Friedrich Brauer (1760-1813), die Kirchenratsinstruktion von 1797. In dieser suchte er die Lehrfreiheit in der öffentlichen Verkündigung einschränkend zu egalisieren wie begrifflich zu präzisieren und von der weiter gefaßten persönlichen Glaubensfreiheit zu unterscheiden. In der erwecklichen Atmosphäre „menschenfreundlicher und christlicher Duldung" [124: Benrath, Entstehung, 57] wuchs 1803 mit der Abtretung der rechtsrheinischen Gebiete des pfälzischen Kurfürstentums an Baden der Gedanke einer Unionsbildung beider Kirchen. Wie die Theologen der preußischen Union [155: Wappler, Unionsurkunde; 132: Geck, Schleiermacher] konnten sich nicht wenige Geistliche schnell über das „Wesentliche des Christentums" einigen. Dennoch kam es bis 1807 in Konkordanz zu den beiden Organisationsschüben aufgrund territorialer Erweiterungen und rechtlicher Veränderungen in Zentraleuropa nur zu einer stufenweisen Zentralisierung der kirchlichen Verwaltung und der Bildung eines gemeinsamen Oberkirchenrates in Karlsruhe, so daß allenfalls in einem sehr rudimentären Sinn von „Verwaltungsunion" gesprochen werden kann. Sie blieb auf die Verwaltung der Kirchengewalt des Regenten beschränkt. Die Maßnahmen des Oberkirchenrates aus dem Jahr 1808 gemeinsamer Bußund Bettag, gemeinsame Ordnung für die Kirchenvisitation, Besetzung der Vikariate ohne Rücksicht auf die Konfession und andere Aktivitäten scheinen auf eine konsequente Unionspolitik hinzuweisen. In die Regierungszeit des Großherzogs Karl (1811 -1818) fiel der Abschluß der kirchlichen Organisation im Jahr 1812. Die Kirchenbelange ressortierten jetzt in dem nach französischem Vorbild organisierten Mittelstaat bei der evangelischen Kirchensektion im zweiten Departement des Innenministeriums. Fünf Jahre nach dieser staatlichen und kirchlichen Reorganisation fand überall in Deutschland unter theologisch-rationalistischen Vorzeichen [vgl. 146: v. Meding, Kirchenverbesserung] das dreihunderttraten dann auch
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Großherzog Karl
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5.
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Innerprotestantische Unionen
1817 statt. Unter dem Eindruck des Reformationsfestes hatten sich die protestantischen Kirchenunionen in Nassau und in Preußen gebildet, in der benachbarten linksrheinischen Pfalz bahnte sich die Union an. Das Jubelereignis, so der Mainzer Kirchenhistoriker Gustav zweite UnionsAdolf Benrath (geb. 1931), habe auch in Baden den zweiten Schub bewegungnach I o 17 für die Unionsbildung gegeben. Im Unterschied zum ersten Anstoß sei nun die „Union von unten" in Gang gekommen, die man sich freilich nicht „als breite Volksbewegung vorstellen" dürfe [248: Benrath, Ent-
jährige Reformationsjubiläum von
stehung, 77]. Es ist schon von der zeitlichen Nähe her nicht zu übersehen, daß diese zweite Unionsbewegung mit der badischen Verfassungsbewegung im Großherzogtum zusammenfällt. Überdies wurden aus dem Raum der Kirche Stimmen laut, die eine „Liberalisierung der Kirche", also den Abbau staatskirchlicher Verhältnisse und die Einführung eines konstitutionell-synodalen Systems fordern. Damit wiederum im Zusammenhang stehen nicht nur in Baden innerprotestantische Einigungsbestrebungen zur Stärkung der kirchlichen Position. Badische Theologen mit Sitz im neuen Landtag betrieben sowohl die Konstitutionalisierung wie die Vereinigung ihrer Kirche. Dabei äußerten sie die Zuversicht, der „Geist der Zeit" werde über alle Hindernisse hinweghelfen [vgl. 125: Benrath, Die Evangelische Kirche in -
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Baden, 308].
Johannes Ehmann hat in seinem Buch „Union und Konstitution" [128: Ehmann, Union] die Drei-Phasen-Rekonstruktion der älteren Forschung in Zweifel gezogen. Die Vorstellung eines in sich kohärenten, motivgeschichtlichen Weiterschreitens von der theologischen über die obrigkeitsstaatliche zur bürgerlichen Phase läßt in der Tat die epochalen gesellschaftspolitischen Umbrüche der Zeit zwischen 1771 und 1821 außer acht und folgt vornehmlich geistesgeschichtlichen Paradigmen.
Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, daß von biographie- bis weltgeschichtlichen Rekonstruktionen die Kontingenz des
Geschehenen stets sinnhaft-deutend überboten wird. Wer seine Lebensgeschichte erzählt, wird sie nicht als zusammenhanglose Aneinanderreihung von Zufälligkeiten verstehen wollen, sondern im nachhinein ein sinnvolles Ganzes erkennen können [215: vgl. Besier, Psychophy-
siologie]. So redet denn auch Ehmann nicht einfach einer Zersplitterung das
Wort, sondern nimmt einen Perspektivwechsel vor, der den Zusammen-
hang
der Geschehnisse
nun
nicht mehr
so
sehr
aus
den
geistesge-
Johannes Ehmann
104
politische Notwendigkeit der Union
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
schichtlichen Gegebenheiten der „frommen Aufklärung" rekonstruiert, sondern aus der politischen Notwendigkeit einer dynastisch-territorialen Konsolidierung des neuen Staates. Diesem Ziel diente auch die fortschrittliche, freilich das monarchische Prinzip verankernde Verfassung. Daß diese Verfassung im Gefälle liberalen Denkens emanzipatorische Begehrlichkeiten freisetzen werde, lag zunächst nicht im Blickfeld. In dieser Perspektive erscheinen sowohl die sog. „Verwaltungsunion" von 1807 wie die „Konsensusunion" von 1821 als unerläßliche Teil-Akte einer staatlich-gesellschaftlichen Stabilisierung. Diente jene der administrativen Integration, so diese der mentalen Integration des in sich heterogenen Staatsvolkes. Die notwendige „Staatsunion" sollte durch eine „Kirchenunion" gefördert werden [38: Bauer, Geschichte des Be-
kenntnisstandes, 10]. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß neben diesen staatspolitischen Integrations-Motiven eine zweite Motivations-Linie verläuft, die vor dem Hintergrund erwecklich-aufklärerischen Denkens auf die innerprotestantische Union hindrängt [vgl. 128: Ehmann, Union, 99]. Zumal dann, wenn beide Linien durch ein und dieselbe Person vertreten werden, erscheint die Konstruktion eines unverbundenen Nebeneinander schwierig selbst dann, wenn zwischen staatspolitischen und theologischen Aussagen Spannungen zu konstatieren sind. Zu dem immer wieder positiv beschworenen „Geist der Zeit" gehörte das ganze Gedanken-Konglomerat. Welche Gedanken- und Maßnahmen-Stränge dominant, welche eher rezessiv waren, läßt sich aufgrund der unterschiedlichen Motiv- und Handlungsebenen nur sehr schwer entscheiden. Auch nebeneinander bestehende, unterschiedliche Unionsverstatisches und prozessuales ständnisse ein statisches, das davon ausgeht, die Vereinigung müsse Unionsverständnis hergestellt werden, und ein prozessuales, das die Vereinigung als innerkirchliches, geistiges Geschehen begreift, bei dem äußere Einwirkungen nur stören können sprechen nicht gegen die große Faszination des Unionsgedankens an sich. Das statische Unionsdenken führte zur Bildung einer dritten Konfession, die sich kirchenpolitisch und theologisch ähnlich gebärdete wie das konfessionelle Luthertum. Man beharrte auf dem „Konfessionsstand" der Union. Dem prozessual-dynamischen Unionsgedanken gehörte dagegen die theologische Zukunft, weil er der Geschichtlichkeit christlicher Religion Rechnung trug. Inwieweit dieser dynamische Unionsbegriff im Austausch mit dem (Früh)liberalismus mit dafür sorgte, einmal gewährte politische Freiheiten stets nur als Angeld für die Vision einer bürgerlichen wie kirchlichen Freiheit zu begreifen, ist eine interessante Frage, die freilich weiterer Untersuchungen bedarf.
theologische Motivation der Union
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5.
Innerprotestantische Unionen
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Auch die geistige Vision von der religiösen Einheit und die staatspolitische Notwendigkeit der Transformation zu einem Staatsvolk können sich gegenseitig befördert haben. Dabei ist allerdings zu beachten, welche Transmitter solche „Wechselwirkungen" befördert haben. Patriotismus und später Nationalismus gehören jedenfalls dazu. Was unterscheidet die Badische Union von anderen Unionen? Ein scharfer Kontrast ergibt sich zwischen der preußischen und der badischen Union. Anders als der neubadische Revolutionsstaat verstand sich der preußische als auf reichsrechtlichem Legitimitätsprinzip basierend. Es bedurfte in Preußen also nicht einer nachrevolutionären partizipatorischen Integration neu hinzugekommener Bevölkerungsgruppen in das Staatsvolk wie in Neubaden. Ungeachtet ihres unterschiedlichen Selbstverständnisses war beiden Staaten gemeinsam, daß aufgrund der napoleonischen Neuordnung Europas Umstrukturierungen und Verwaltungsreformen nötig wurden, die den kirchlichen Bereich mit umfaßten. In Preußen wirkte die Einführung städtischer Selbst verwaltungsformen belebend auf den Bürgersinn. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen sollte nach dem Willen des Freiherrn vom Stein eine stärkere Beteiligung der Gemeinde auch das kirchliche Leben aktivieren [48: Duntze, Kirche, 38 f.]. Gemeinsam sind auch die kirchlichen Einigungsvisionen vor dem Hintergrund erwecklich-aufklärerischer Theologie. Das „Wesentliche des Christenthums" schien zumindest die protestantischen Konfessionen nicht mehr zu trennen. Schleiermachers „Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staate" aus dem Jahr 1808 [6] ging von einer protestantischen Kirche aus und erkannte die enge Verbindung von Verfassungsreform, Gottesdienstreform und Unionsfrage. Der Berliner Theologe scheiterte mit seinen Vorschlägen an den politischen Vorbehalten des Monarchen. In seinem insgesamt positiven Urteil über die badische Union aus dem Jahr 1827 spricht Schleiermacher noch einmal indirekt seine Kritik an dem preußischen Vorgehen aus [vgl. 124: Benrath, Entstehung]. Der Zusammenhang von Kirchenverfassung, Liturgie und Union wurde im Preußen der Restauration zum Schaden der Union aufgelöst, weil man befürchtete, presbyteriale Elemente könnten demokratischrevolutionäre Denkformen befördern. Der neubadische, nach modernen französischen Prinzipien strukturierte Staat ging aus innenpolitischen Gründen den konstitutionellen Weg und zeigte daher zunächst auch keine Vorbehalte gegen das Synodalprinzip. Für die altpreußische Union kam eine Generalsynode erst 1846 zustande, wurde unter dem
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II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Eindruck der konstitutionellen Weiterungen vertagt und nicht wieder einberufen. Über die heftigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Agendenstreit der Einführung der Berliner Agende in Westfalen berichtet Jürgen Kampmann [136: Berliner Agende]. Da die Neuerungen in den Kernbereich kirchlichen Lebens gehörten, provozierten Zentralismus und Zwangsmaßnahmen sogar bei königstreuen Theologen deutlichen Widerstand, der Friedrich Wilhelm III. zu Kompromissen zwang. Offenbar erst bei dem Versuch der konkreten Ausgestaltung der „latenten" zu einer „explikativen Konsensusunion" im Zusammenhang mit der Ausarbeitung eines „Unionskatechismus" wurden die nach wie vor noch bestehenden Lehrdifferenzen wieder deutlich, wie Dirk Schneider am Beispiel des Katechismusprojektes der märkischen Gesamtsynode nalutherische
Separation
Union und Luthertum
helegt [151: Katechismen], Eine Auswirkung der oktroyierten Union in Preußen bildete die iutherische Separation [vgl. 137: Kiunke, Johann Gottfried Scheibel]. Werner Klan schrieb die Geschichte der „evangelisch-lutherischen Immanuelsynode in Preußen" [138], die sich 1864 vom lutherischen Oberkirchenkollegium trennte und sich 1904 wieder mit der Lutherischen Kirche in Preußen vereinigte. Zusammen mit M. Roensch gab der Verfasser 1987 „Quellen zur Entstehung und Entwicklung selbständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in Deutschland" heraus [139]. Die Auflösung des Zusammenhangs von Kirchenverfassung, Union und Liturgie in Preußen spielte auch als wirkungsgeschichtlicher Faktor im Blick auf die unterschiedliche Strukturierung des Luthertums in beiden Ländern eine wichtige Rolle. Das altbadisch-liberale Luthertum ging mit dem starken pfälzisch-synodalen Reformiertentum im neubadischen Staat trotz einiger Irritationen in der Union eine gemeinprotestantisch-konstitutionelle Verbindung ein, die zu einer beidseitigen theologisch-politischen Modernisierung führte. Die ganz überwiegend lutherisch geprägte Altpreußische Union dagegen steuerte unter Friedrich Wilhelm IV. einen rekonfessionalisierenden theologischpolitischen Kurs mit ausgesprochen konservativ-antirevolutionären und antikonstitutionellen Zügen [vgl. 130: Friedrich. Vormärz]. Sie fa-
-
vorisierte den unveränderbaren christlichen Einheits-Staat mit den gott-
gewollten Institutionen Königtum und Kirche. Gemeinsam sind allen Unionsbildungen im wesentlichen die geistes- und theologiegeschichtlichen Voraussetzungen. In der Perspektive sozial- und gesellschaftsgeschichtlicher Fragestellungen hingegen erscheint das Bedingungsgeflecht für das Zustandekommen der Unionen in nahezu allen Regionen höchst unterschiedlich. Es geht auf verschie-
6. Zur Forschungsgeschichte des
Kulturkampfes
107
dene religiöse Subkulturen zurück. Baden nimmt zwischen den Extremvarianten Preußen und der Pfalz hier erhielt die Kirchenunion durch die Volksabstimmung sogar einen ausgesprochen plebiszitär-demokratischen Zug, an der Kaiserslauterner „Unionssynode" (1818) wirkten Laien (reformierte Kirchenälteste) mit einen kirchenpolitisch gemäßigt liberalen Standort ein. Der pfälzischen Unionsgeschichte geht der von Richard Ziegert pfälzische Union herausgegebene Sammelband „Vielfalt in der Einheit" nach [156]. Hier verfolgt Benrath in Anlehnung an den für die Reformationsgeschichte entwickelten Forschungsansatz der „Stadt" „die allgemeinen Voraussetzungen und den Vollzug der Union in Speyer" als ein Stadtphänomen. Otto Böttcher beschreibt die theologischen Auseinandersetzungen um die Abendmahlslehre vor dem Hintergrund des exegetischen Kenntnisstandes jener Zeit. Bernhard H. Bonkhoff gibt in zwei Bänden eine Gesamtdarstellung der „Geschichte der Vereinigten Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche der Pfalz" von 1818 bis 1918 [45]. Zusammen mit Sonja Schnauber veröffentlichte Bonkhoff 1993 ein „Quellenbuch zur Pfälzischen Kirchenunion und ihrer Wirkungsgeschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts" [148], in dem die Herausgeber das Besondere der Pfälzischen Union im Blick auf ihre konstitutionelle und gemeindetheologische Schubkraft über die Region hinaus dokumentieren. -
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6. Zur Forschungsgeschichte des
Kulturkampfes
Kulturkampf bietet nicht nur ein Kaleidoskop [181: Pflanze, Bis- Kulturkampfforals Spiegel marck, Bd. 2, 1990, 179], das je nach Blickwinkel in veränderter Kon- schung der MethodenDer
J
stellation erscheint. Er spiegelt auch exemplarisch die verschiedenen methodischen Phasen historischen Arbeitens in den letzten hundert Jahren wider. Die Interpretation und der methodische Zugriff setzen bei der nationalliberalen, antikatholischen Tradition der kleindeutsch-protestantischen Mehrheitskultur ein. Das Geschehen erscheint als Auseinandersetzung zwischen Bismarck, dem Vatikan und der Zentrumspartei. Das Bild von den „ultramontanen Reichsfeinden" wurde zunächst vom Evangelischen Bund getragen, überlebte das „Dritte Reich" und beeinflußte noch die Geschichtsschreibung der 50er und 60er Jahre [vgl. für die Zeit zwischen 1945 bis 1964: 177: Morsey, Bismarck; 178: Morsey, Probleme]. In dieser Tradition steht auch die materialreiche Dar-
diskussion
108
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
Erich Schmidt-Volkmars [184: Kulturkampf]. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, daß im Schatten dieser historiographischen Tradition aus der Zahl katholischer Allgemeinhistoriker schon in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts historische Werke von bleibender Bedeutung entstanden sind, die nicht unter der genannten Schlagseite leiden: Johannes Kisslings (1876-1928) dreibändige Geschichte des Kulturkampfes [168], Ludwig Fickers Augenzeugenbericht [164: Kulturkampf] und Karl Bachems (1858-1945) neunbändige Geschichte der Deutschen Zentrumspartei [35]. Obwohl selbst vom Evangelischen Bund herkommend, setzte Heinrich Bornkamm mit seinem Aufsatz „Die Staatsidee im Kultur-
Stellung
kampf [163]
dessen
historiographische
Tradition nicht fort
[siehe
oben, S. 62].
Eine wesentliche Zäsur in der Kulturkampfforschung bildete der Aufsatz Lothar Galls über „Die partei- und sozialgeschichtliche Problematik des badischen Kulturkampfes" [165]. Er zeigte, daß nicht die staatliche Schulpolitik allein als Auslöser für die umfassende Opposition gegen die liberale Regierung gelten kann, sondern daß sie zu einem Konglomerat gehört, in dem die wirtschaftliche Unzufriedenheit der Landbevölkerung eine wichtige Rolle spielte. Wirtschafts-, Kirchenund Schulpolitik sowie kleindeutsch-preußenfreundliche Außenpolitik verbanden sich schließlich zu einem Widerstandskomplex, in dem für beide Seiten die Schulpolitik lediglich eine Art Signal- und Integrationsfunktion einnahm. Gall nannte für seine These, „daß der badische und vielleicht auch [...] der preußisch-deutsche Kulturkampf seine Dynamik und seinen besonderen Charakter aus anderen Bereichen als dem der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche erhalten hat" [aaO., 195], folgende Beobachtung: Nicht die Durchsetzung der staatlichen Bildungspolitik gegen die Kirche führte die Liberalen aus der politischen Sackgasse, sondern eine veränderte Wirtschafts- und Sozialpolitik, die den Problemen der unteren Schichten Rechnung trug. Auf Seiten der katholischen Historiographie [vgl. 179: Morsey, Kulturkampf als gesamteuropäi- Kulturkampf; 174: Lill, Art. Kulturkampf; 187: Weber, Kirchliche :hes Phänomen ? Politik; 160: J. Becker, Liberaler Staat und Kirche; 123: W. Becker, Kulturkampf] wurde seit den 70er Jahren hervorgehoben, daß es sich nicht um einen isolierten Konflikt zwischen Staat und Kirche in Deutschland handele, sondern um „Resultate des Zusammenstoßes verschiedener Emanzipationsbewegungen" [160: J. Becker, Liberaler Staat und Kirche, 3], die sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten ließen [z.B. 78: Lill, Katholizismus zwischen Kulturkampf und 1. Weltkrieg, 29], kaum auf konfessionelle Differenzen zuLothar Gall
r
r
6. Zur Forschungsgeschichte des
Kulturkampfes
109
rückzuführen und weder in Deutschland noch in Europa auf die Zeit der 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts einzuschränken seien. Mit dieser These verschiebt sich der Konflikt von einer charakteristisch mitteleuropäischen Konfrontation zwischen den beiden großen Konfessionen in ihrem Verhältnis zum Staat zu einem gesamteuropäischen Phänomen, in dem der konfessionelle Gegensatz allenfalls eine nachgeordnete Rolle spielt. Becker sieht in dem „doktrinären Anspruch des postabsolutistischen Staates auf Formierung einer Staatsgesellschaft" [123: W. Bekker, Kulturkampf, 444] die Legitimität des Hervortretens „christlicher Kräfte und Parteien im nationalen parlamentarischen Rahmen und ihren Willen auf Mitbeteiligung an einer als einseitig empfundenen Willensbildung im Staat" [aaO., 445]. In dieser Perspektive erscheint die
Gründung des Zentrums nicht mehr so sehr als die politische Formation des Katholizismus zur Verteidigung bzw. Gewinnung von Rechten einer konfessionellen Minderheit im protestantisch geprägten Staatsgebilde. Vielmehr wird ein weltanschaulicher Gegensatz hypostasiert, der, jenseits konfessioneller Verschiedenheiten, auf der einen Seite den weltanschaulichen Liberalismus als Staatsideologie und auf der anderen Seite überkommene christliche Wertvorstellungen als die entscheidenden Antipoden sieht. Für Becker ist der Kulturkampf „ein begrenzter Modernisierungskonflikt", eine Auseinandersetzung, die bis an die Schwelle der 30er Jahre dieses Jahrhunderts reicht. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß die konfessionellen und nationalen Eigentümlichkeiten mit ihrem jeweiligen besonderen Motivationsgeflecht es nicht erlauben, den Kulturkampf als gesamteuropäischen Weltanschauungskampf zu begreifen, den die Kirchen führen mußten, um sich gegen die unabhängig von den Religionsgesellschaften gestalteten ideologischen Grundlagen des Staates zu behaupten. Die ethischen Grundlagen des modernen preußisch-deutschen Staates besaßen vielmehr eine klare kulturprotestantische Prägung im Sinne eines weltlichen Christentums und unterschieden sich damit charakteristisch von den ideologischen Grundlagen anderer europäischer Staaten [vgl. dazu 161: Besier, Kulturkampf]. Unter mentalitätsgeschichtlichen Aspekten untersuchte G. Korff [171: Korff, Kulturkampf] die Bedeutung der Volksfrömmigkeit im Kulturkampf. Während die populären, lokal-regional entstandenen Wallfahrts- und Votivtraditionen z.B. die Marienerscheinungen in Marpingen 1876 nicht nur vom preußischen Staat, sondern auch von -
der offiziellen Kirche mißtrauisch bis ablehnend behandelt wurden, -
er-
Volksfrömmigkeit ,m kulturkampf
110
II.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
hielten andere, vatikanisch legitimierte Kirchenkulte (Lourdes, HerzJesu-Devotion) wichtige Funktionen für eine popularisierte Religion,
mit deren Hilfe gegen die „ausschließlich materialistisch-naturwissenschaftliche Weltdeutung" [aaO., 145] protestiert und päpstliche Dekrete ins Bild gesetzt werden konnten. „Die Josefs-Devotion, die HerzJesu-Andacht, der Schutzengelkult und der Kult um den Guten Hirten setzen das Verhältnis Kirche Laien deutlich ins Bild. Infantilität und Infallibilität verweisen aufeinander" [aaO., 150]. Dabei stützte die Fülle von Devotionalien in Bild- und Textform den Privatkult des Gläubigen, während die katholischen Vereine und Verbände „das institutionelle Rückgrat für den öffentlich-demonstrativen Kult bildeten" [aaO., 151]. Als die sozialpsychologisch hoch wirksamen Funktionen dieser Frömmigkeitsformen nennt Korff eine verhaltensmäßig manifestierte Identifikation mit der Kirche, Dekoration des „katholischen Ghetto" und Mittel zur „geistigen Immunisierung" gegen die moderne Umwelt. Der katholischen Historiographie [vgl. z.B. 269: Lill, Der deutsche Katholizismus, 42] erscheint diese ein Phänomen isolierende Betrachtungsweise unangemessen. Tatsächlich nimmt es wunder, daß manche historischen Sozialwissenschaftler oft über die begrenzte Aussagekraft ihrer Forschungsergebnisse kaum ein Wort verlieren und damit das Mißverständnis provozieren, sie meinten, mit den erhobenen Einzelphänomenen und ihrer nicht voraussetzungslosen Beschreibung schon das Ganze der betreffenden Religion erfaßt zu haben. Unter Bezugnahme auf Korff und in weitgehender Übereinstimmung mit Anderson [158: Anderson, The „Kulturkampf] notierte Wolfgang Altgeld 1992: „Es gibt erstaunliche Kontinuitäten von der liberalen Auffassung katholischer Frömmigkeit im Konflikt des 19. Jahrhunderts zu den Interpretationen moderner sozialgeschichtlicher Volksfrömmigkeitsforschung" [32: Altgeld, Katholizismus, 196, Anm. 3], Die deutsche Sozialgeschichtsschreibung vermag, gerade wenn es um den Katholizismus geht, nicht zu verbergen, daß sie in der geistesgeschichtlichen Tradition des liberalen Kulturprotestantismus steht. Adäquatere Zugänge zum sozialen, politischen und im engeren sinne _reiigiösen" Katholizismus eröffneten A. M. Birke (geb. 1939) [162: Bischof Ketteier], Altermatt [31: Katholizismus] und Anderson [157: Windthorst; vgl. 317: Anderson, Liberalismus], indem sie nicht nur den Gegenstand des „Katholischen" angemessen berücksichtigten, sondern auch dessen sozial-liberale Elemente. So kamen die politischen wie sozialen Modernisierungsimpulse, die vom Katholizismus ausgingen, ebenso in den Blick wie die neue Identifikationsleistung überkommener religiöser Symbole angesichts einer sich rasant -
Kulturkampf als
lodernisierung^
6. Zur Forschungsgeschichte des
III
Kulturkampfes
verändernden Welt. „Vordergründig präsentierte er [seil, der Kulturkampf] sich zwar als Konflikt zwischen Staat und Kirche, hintergründig spielte der technologische und soziale Wandel eine zentrale Rolle, sozialer Wandel und DeutungsDas industriell-städtische Wachstum erhöhte die soziale Mobilität, religiöse muster was zur Folge hatte, daß zahlreiche Menschen traditionelle Orientierungshilfen verloren und sich nun um so mehr an die religiösen Deutungsmuster klammerten. Auf diese Weise erhielten die Symbole und Rituale der katholischen Religiosität einen wichtigen Stellenwert" [31: Altermatt, Katholizismus, 69]. Umgekehrt förderte die Modernisierung eine Internationalisierung des Katholizismus, was zur Ausbildung einer auch transnationalen religiösen Kultur führte und Abwehrreaktionen auf seiten der protestantisch-liberal geprägten Nationalkulturen in Mitteleuropa provozierte. 1993 faßte Lill die Diskussion zusammen: „Generell ist zu sagen, daß die Kulturkämpfe Modernisierungskrisen waren, Entscheidungs- oder Kulminationsphasen im langen Prozeß der Säkularisierung, welcher konstitutiv für die Ausprägung des modernen Europas gewesen ist. Ein zweifacher Hintergrund wirkte in die konkreten Konflikte hinein, ein historisch-kultureller infolge dieses Gesamtprozesses und ein sozialer, der auf spezifischen Klassendifferenzen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruhte" [175: Lill/Traniello, Kulturkampf, 8]. Die Vielgesichtigkeit des Katholizismus stand quer zu den politisch-kulturellen Strukturen der Nationalstaaten. „Die Zentrumspartei [...] war interklassistisch, so- Zentrumspartei zialpolitisch aktiv und zumindest partiell demokratisch", d.h. sie stellte die „Frage nach der Existenz und Anerkennung von Rechten und Werten" [175: Lill/Traniello, 9; 12], römische Kirche und Papsttum kämpften gegen liberale Modernisierungsbestrebungen für die Erhaltung überkommener Autoritäten. Die Haltung der Kurie bewirkte neben gesellschaftlichen Konflikten auch theologische Auseinandersetzungen zwischen der „ultramontanen" und der „deutschen" dogmatischen bzw. historisch-theologischen Tradition. Dieses Spannungsfeld besaß über Schulen und Universitäten wiederum staatskirchliches Konfliktpotential. Schließlich war die katholische Bevölkerung durchaus nicht durchgängig auf das Zentrum fixiert (Anderson gegen Lepsius), sondern wählte nur dann die „katholische" Partei, wenn sie meinte, aufgrund der politischen Verhältnisse ihrer Kirche beistehen zu müssen [159: Anderson, Liberalismus, 110]. Während das Zentrum von den Phänomenen der Massendemokratie (Wahlrecht des Deutschen Reiches 1871) profitierte, fürchtete der Liberalismus in seiner Verachtung der Massen die moderne Demokratie; er konnte wohl bildungsbürgerliche Eliten, nicht aber „das Volk" mo-
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-
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-
112 Milieuthese
ii.
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
bilisieren
[vgl. ebd.]. Anderson kritisiert an Lepsius' Milieuthese die Voraussetzung, daß bereits lange vor Gründung des Bismarck-Reiches
drei stabile sozialmoralische Milieus (konservativ, liberal, katholisch) bestanden [157: Anderson, Windthorst, 196], und sucht demgegenüber zu zeigen, daß diese Konstellationen erst als Ergebnis des „antikatholischen Kreuzzuges" anzusehen sind. Smith nimmt die These der sehr viel dynamischeren Entwicklung auf und sieht in dem „populären Nationalismus" protestantisch-antikatholischer Liberaler, wie er nach der Beilegung des Kulturkampfes im Evangelischen Bund als Gegenbewegung zu den politischen Ergebnissen der Auseinandersetzung gepflegt wurde, einen pluralismusfeindlichen Versuch national-kultureller Identitätsbildung [108: Smith, Nationalism, 235 f.]. Damit behinderten diese Kreise die Bemühungen der Regierung, den Katholizismus zu integrieren und eine überkonfessionelle, national-kulturelle Reichseinheit herzustellen. [Vgl. insgesamt den Überblick über die katholische Milieuforschung in der Kulturkampf-Zeit bei 169:
Klöcker, Milieu].
7. Freikirchen und
neupietistisch-evangelikale Bewegungen
Die recht unterschiedlichen
evangelischen Freikirchen haben heute in Deutschland zusammen nur etwa 370000 Mitglieder. Sie unterscheiden sich erheblich von dem europäischen Staats- bzw. Landeskirchentum. Zwischen den Frei- und den Großkirchen besteht ein „Unverhältnis" [202: Geldbach, Freikirchen, 109], dessen Geschichte durch Unterdrückung und Demütigung der kleinen Denominationen durch die offiFreikirchen als zielle „Heilsanstalt" charakterisiert ist. Wegen der geringen Größe der Nischenthema der Freikirchen in Deutschland blieb auch ihre Geschichte wie die GeKirchengeschichte schichte des Nebeneinanders von Groß- und Freikirchen bisher ein Nischenthema. Michael Weyer [208: Heiligungsbewegung] hat eine Arbeit über „methodistische Frömmigkeitsgeschichte" vorgelegt, in der er die These vertritt, daß die Heiligungsbewegung in Verbindung mit dem Methodismus und nicht wie in der Kirchengeschichtsschreibung üblich mit der Gemeinschaftsbewegung gesehen werden müsse. Seit 1996 gibt die „Gesellschaft für Freikirchliche Theologie und Publizistik" eine „Zeitschrift für Theologie und Gemeinde" (Neckarsteinach) heraus, die auch Forschungsergebnisse zur freikirchlichen -
-
Geschichte veröffentlicht.
7. Freikirchen und
neupietistisch-evangelikale Bewegungen
113
Auch die evangelikalen bzw. neupietistischen Bewegungen wer- neupietistischden von den Großkirchen meist als unbequeme Randsiedler betrachtet evangelikaie Bc wc°un2cn und selten nur in die Kirchengeschichtsschreibung einbezogen, obwohl sie mit ihren erwecklichen Impulsen immer wieder für spirituelle Erneuerung in den Großinstitutionen sorgten. Jörg Ohlemacher behandelt kirchenhistorisch die für solche Fragestellungen bedeutsame „Vorgeschichte und Theologie der deutschen Gemeinschaftsbewegung" [205: Reich Gottes]; aus ganz anderer, nämlich mentalitätshistorischer Perspektive schildert Christoph Ribbat die „religiöse Erregung" [206] durch evangelikaie Frömmigkeitsbewegungen. Nicht nur als Gegenstand sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Analysen, sondern auch als frömmigkeitsgeschichtliche Ausdrucksform verdienen sie eine ein-
gehende Betrachtung.
Über die ökumenischen, sozialen und politischen Wirkungen des Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert geben die in der Festschrift für Andreas Lindt wiedergegebenen Aufsätze [207: Schindler u.a., Hoffnung] Auskunft. Einen personengeschichtlichen Zugang die Darstellung von sechs Erweckungspredigern aus fünf Ländern wählte Ulrich Gabler [131: Auferstehungszeit], um die kontinentaleuropäische, „im Wesen antiaufklärerische (Erweckungs)Bewegung" zu charakterisieren, deren Höhepunkt er um das Jahr 1830 sieht. Über die Verbindung von erwecklicher Frömmigkeit und „nationalpolitischem Credo" während der Befreiungskriege 1813 bis 1815 hat Gerhard Graf [134: Gottesbild] eine Studie vorgelegt, deren Ergebnisse erneut zu einem Vergleich religiöser Interpretationen von kriegerischen Auseinandersetzungen (1864; 1866; 1870/71; 1914/18) einladen [siehe auch 203: -
-
Hammer, Kriegstheologie]. Hans Hauzenberger [204: Einheit] schildert das „Wesen und Allianzbewegung Werden der Evangelischen Allianz" von der vorbereitenden Konferenz in Liverpool 1845 bis zur Allianz-Weltkonferenz 1867, die weiteren Weltkonferenzen und die Väter der Bewegung. Die von Hauzenberger aus Allianz-Perspektive thematisierte Problematik der Polarisierung zwischen Evangelischer Allianz und Ökumenischem Rat der Kirchen wird von Peter Beyerhaus [201: Auftrag] fortgeführt.
III.
Quellen und Literatur
Die Abkürzungen entsprechen dem rischen Zeitschrift.
A. /.
Abkürzungsverzeichnis der Histo-
Quellen
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1. J. W.
v.
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Hamburger Ausgabe. Bd. 2. 7. Aufl. Hamburg 1965, 7-270.
2. C. Harms, Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers theuren Andenkens. Zum besonderen Abdruck besorgt und mit anderen 95 Sätzen als mit einer Übersetzung aus Ad. 1517 in 1817, in: Ders., Ausgewählte Schriften und Predigten. Bearb. v. G. E. Hoffmann. Hrsg. v. P. Meinhold. Bd. I. Flensburg 1955, 209-225. 3. J. A. Möhler, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. 7. Aufl. Regensburg 1909. 4. Novalis, Europa oder die Christenheit, in: Ders., Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Hrsg. v. P. Kluckhohn und R. Samuel. Bd. 3. 2. Aufl. Darmstadt 1968, 507-524. 5. F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), in: Ders., Kritische Gesamtausgabe. Bd. 1/2. Berlin/New York 1984, 185-326. 6. Ders., Vorschlag zu einer Verfassung der protestantischen Kirche im preußischen Staate (1808), in: Ders., Kleine Schriften und Predigten. Bd. 2. Berlin 1969, 117-136. 7. Ders., Kurze Darstellung des Theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1819). Hrsg. v. H. Scholz. 4. Aufl. Darmstadt 1977. 8. Ders., Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evan-
116
III.
Quellen und Literatur
(21830/31).
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gelischen
2.
Die Kirchen während der Reichseinigung und in der Bismarckära
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Die Kirchen im Wilhelminischen Kaiserreich: Sozial-
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B. Literatur
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/.
München 1982.
30.
Bibliographie zur kirchlichen Zeitgeschichte, in: geschichte 1 ff. (1988 ff.; jeweils in Heft 2).
Kirchliche Zeit-
Übergreifende Darstellungen, Aufsatzsammlungen, zusammenfassende Literaturberichte 31. U. Altermatt, Katholizismus und Moderne. Zur Sozialgeschichte und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im
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118
III.
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120
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258. W. Kasper, Glaube und Geschichte. Mainz 1970. 259. Ders., Kirchengeschichte als historische Theologie, in: Römische Quartalsschrift 80 (1985) 174-188. 260. C. Klessmann, Zur Sozialgeschichte des protestantischen Milieus in der DDR, in: GG 19 (1993) 29-53. 261. J. Kocka, Sozialgeschichte. Begriff Entwicklung Probleme. 2. Aufl. Göttingen 1986. 262. Ders., Annäherung und neue Distanz. Historiker und Sozialwissenschaftler seit den fünfziger Jahren, in: Nation und Gesellschaft in Deutschland. Hrsg. v. M. Hettling u. P. Nolte. München 1996, 15-31. 263. O. Köhler, Der Gegenstand der Kirchengeschichte, in: HJb 77 (1958) 254-269. 264. Ders., Die Kirche als Geschichte, in: Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik. Bd. IV/2. Hrsg. v. J. Feiner u. M. Löhrer. Zürich/Einsiedeln/Köln 1973, 527-691. 265. Ders., Glück und Unglück im deutschen Katholizismus, in: Stimmen derZeit 205 (1987) 177-194. 266. T. A. Kohut, Psychohistory as Hi story, in: AHR 91 (1986)336-354. 267. K. Kupisch, Die Freude an der Geschichte, in: Ders., Durch den Zaun der Geschichte. Berlin 1964, 11-25. 268. Ders., Wider die Ächtung der Geschichte, in: Wider die Ächtung der Geschichte. FS H.-J. Schoeps. Hrsg. v. K. Töpner. München 1969, 107-128. 269. R. Lill, Der deutsche Katholizismus in der neueren historischen Forschung, in: Der deutsche Katholizismus in der zeitgeschichtlichen Forschung. Hrsg. v. U. v. Hehl u. K. Repgen. Mainz 1988, 41-64. 270. P. Loewenberg, Decoding the past. The psychohistorical approach. New York 1983. 271. J. Lortz, Geschichte der Kirche in ideengeschichtlicher Betrachtung. 4. Aufl. Münster 1936. 272. H. Maier, Katholisch Protestantische Ungleichgewichte in in: Staat und Parteien. FS R. Morsey. Hrsg. v. K.D. Deutschland, Bracher u.a. Berlin 1992, 275-282. 273. P. Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie. 2 Bde. Freiburg/München 1967. -
-
-
132
III.
Quellen und Literatur
274. Ders., Weltgeschichte, Kirchengeschichte, Heilsgeschichte, in: Saec. 9(1958) 261-281. 275. Th. Mergel/Th. Welskopp (Hrsg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte. München 1997. 276. J. B. Metz, Zur Theologie der Welt. Mainz 1968 (5. Aufl. 1985). 277. J. Moltmann, Theologie der Hoffnung. München 1964 u.ö. 278. Ders., Der gekreuzigte Gott. 6. Aufl. München 1993. 279. A. Nassem, Die Form der Biographie, in: Bios 7 (1994) 46-61. 280. Th. Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: G. Schulz (Hrsg.), Geschichte heute. Göttingen 1973, 225-255. 281. Ders., Wehlers „Kaiserreich". Eine kritische Auseinandersetzung, in: GG 1 (1975) 539-560. 282. Ders., Rez. v. M. Greschat, Das Zeitalter der Industriellen Revolution. Stuttgart 1980, in: HZ 238 (1984) 651-654. 283. Ders., Wehlers Gesellschaftsgeschichte, in: GG 14 (1988) 403415. 284. K. Nowak, Biographie und Lebenslauf in der neueren und neuesten Kirchengeschichte, in: Verkündigung und Forschung 39 (1994) 44-62. 285. W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. Frankfurt/ M. 1977. 286. Ders., Systematische Theologie. Bd. 3. Göttingen 1993. 287. Ders., Problemgeschichte der neueren Theologie in Deutschland. Von Schleiermacher bis zu Barth und Tillich. Göttingen 1997. 288. Ders. u.a., Offenbarung als Geschichte. Göttingen 1961. 289. M. Perrez, Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft? 2. Aufl. Bern/Stuttgart 1979. 290. D. J. K. Peukert, Die Rezeption Max Webers in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland, in: [ 193:264—275]. 291. H. Peukert, Diskussion zur politischen Theologie. Mainz/München 1969. 292. Pius XII., Das geschichtliche Selbstverständnis der Kirche, in: Herder Korrespondenz 10 (1955/56) 74-78. 293. T. Rendtorff, Theorie des Christentums. Gütersloh 1972. 294. Ders., Ethik. Bd. 1. Stuttgart/Berlin/Köln 1980(2. Aufl. 1990). 295. Ders., Art. Christentum, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 1.
Stuttgart 1973,772-814. 296. Ders., Die Religion in der Moderne, die Moderne in der Religion. Zur religiösen Dimension der Neuzeit, in: Theologische Literatur-
zeitung 110(1985)561-574.
B. Literatur
133
297. H. Renz/F. W. Graf (Hrsg.), Troeltsch-Studien. Gütersloh 1983 ff. 298. G. Ringshausen, Rez. von A. Doering-Manteuffel/K. Nowak (Hrsg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Stuttgart/Berlin/Köln 1996, in: Kirchliche Zeitgeschichte 10 (1997) 206-208. 299. H. Röckelein (Hrsg.), Biographie als Geschichte. Tübingen 1993. 300. Dies., Psychohistorie(n) zur Religions- und Kirchengeschichte, in: Kirchliche Zeitgeschichte 7 (1994) 11-25. 301. J. Roes, Katholizismus und Moderne oder der veruntreute Himmel und seine postmoderne Relevanz, in: Kirchliche Zeitgeschichte 4 (1991) 278-284. 302. R. Rürup, Historische Sozialwissenschaft. Göttingen 1977. 303. J. Rüsen, Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens. Frankfurt/M. 1990. 304. G. Sauter, In der Freiheit des Geistes. Theologische Studien. Göttingen 1988. 305. Ders., Einführung in die Eschatologie. Darmstadt 1995. 306. K. Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit II. 2. Aufl. Düsseldorf 1995. 307. Ders., Ist Kirchengeschichte Theologie?, in: ThP 5 (1980) 481513. 308. W. Schieder/V. Sellin (Hrsg.), Sozialgeschichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zusammenhang. 4 Bde. Göttingen 1986-87. 309. M. Schmidt, Art. Kirchengeschichte I: Kirchengeschichtsschreibung, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3. 3. Aufl. Tübingen 1959, 1421-1433. 310. Ders., Ursprung, Gestalt und Reichweite der Kirchengeschichte nach evangelischem Verständnis. Mainz 1963. 311. W. Schmidt (Hrsg.), Unbefangenes Christentum. München 1968. 312. D. Schmiechen-Ackermann, Großstädte und Nationalsozialismus 1930-1945, in: Nationalsozialismus in der Region. Hrsg. v. H. Möller/A. WirschingAV. Ziegler. München 1996, 253-270. 313. W. Schmithals, Die Theologie Rudolf Bultmanns. Eine Einführung. Tübingen 1966. 314. H. R. Seeliger, Kirchengeschichte-Geschichtstheologie-Geschichtswissenschaft. Düsseldorf 1981. 315. W.Seiffert, Einführung in die Wissenschaftslehre. Bd. 2. 10. Aufl. München 1997. 316. K.-V Selge, Einführung in das Studium der Kirchengeschichte. Darmstadt 1982.
134
III.
Quellen und Literatur
317. V.
Sellin, Mentalität und Mentalitätsgeschichte, in: HZ 241 (1985) 555-598. 318. R. Sieder, Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft?, in: GG 20 (1994) 445-468. 319. D. Solle, Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem „Tode Gottes". Stuttgart 1965 (erw. Neuaufl. 1982). 320. W. Sparn (Hrsg.), Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Gütersloh 1990. 321. R. Staats, Das Kaiserreich 1871-1918 und die Kirchengeschichtsschreibung, in: ZKiG 92 (1981) 69-96. 322. St. Storck, Kirchengeschichtsschreibung als Theologie. Aachen 1997. 323. Chr. Uhlig, Funktion und Situation der Kirchengeschichte als theologischer Disziplin. Frankfurt/Berlin/New York 1985. 324. W. Voges (Hrsg.), Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung. Opladen 1987. 325. A. Wandruszka, Österreichs politische Struktur, in: Geschichte der Republik Österreich. Hrsg. v. H. Benedikt. München 1977, 290-312. 326. H.-U. Wehler, Die Gegenwart als Geschichte. Essays. München 1995. 327. Ders., Sozialgeschichte und Gesellschaftsgeschichte, in: Sozialgeschichte in Deutschland. Bd. 1. Hrsg. v. W. Schieder u. V. Sellin. Göttingen 1986, 33-52. 328. Ders., „Moderne" Politikgeschichte? Oder: Willkommen im Kreis der Neorankeaner vor 1914, in: GG 22 (1996) 257-266.
[Stand Juli 1997]
Register Absolutismus 6f., 101 Adam, Karl 73
Aufklärung
Afrika 49
Augustinus
1 f., 4, 6 f., 9, 30, 40, 57, 63,67, 70, 89, 92, 101, 113
Agendenstreit 64,
106 Alldeutscher Verband 34
Allgemeingeschichtsschreibung
Baader, Benedikt Franz Xaver von 53 ff.,
60, 72, 74f., 77, 79, 83, 108 Alltagsgeschichte 80, 85, 98 Alte Kirche
(Antike) 55 f.
Altermatt, Urs 79 f., 90, 95 f., 1 lOf. Altgeld, Wolfgang 110 Altkatholische Kirche 18, 24, 55 Altlutheraner 6 Anderson, Margaret Lavinia 89 f., 110 ff. Andresen, Carl 63 Anglikanismus 44 Annalt-Bernburg 6 Antikatholizismus 13, 16, 25, 28, 34, 73, 83, 107, 112
Antiliberalismus, politischer 26ff., 30, 44, 87, 106 Antimodernismus 16,30,44,88 f., 97, 110
Antipluralismus
112 Antisemitismus/Judenfeindschaft 3, 26, 32, 54
Apokalyptik 5,68,92,99 Apologetik, kath. 10,42 Apostolikumsstreit 39,41 Arbeiterbewegung, kath. 87,91
s. auch Gewerkschaften, christl.: Vereinswesen, kath. ArbeiterschaftAbewegung 26ff., 44, 67, 88, 93 f. Arbeitervereine, ev. 93 f. s. auch Gewerkschaften, christl.; -
Vereinswesen, prot. 12
-
Armenpflege
Arndt, Ernst Moritz 4 Asien 49 Atheismus 32,34,41 Auferstehung 2, 66, 68 f.
59
26 f.
Bachem, Julius 42 Bachem, Karl 108 Baden 1,6, 8, 11, 18, 20ff., 36, 101 ff. Bahrdt, Carl Friedrich 67 Barclay, David 100 Barth, Karl 39, 58ff., 65 f., 68ff. Basel 4 Basler Missionsgesellschaft 46 Bassi, Hasko von 101 Baumann, ursula 93 Baumgarten, Otto 35, 38f., 71, 101 Baur, Ferdinand Christian 38 Bayerischer Kniebeugungsstreit lOf. Bayern 4f, 8ff., 18, 20f., 23, 47 Beck, Johann Tobias 40 Becker. Josef 108 Becker, Winfried 87, 108 f. Befreiungskriege 3 f., 74, 113 Bekennende Kirche 61 Bekenntnis, christl. 31, 59, 65, 72 Belgien 49 Benedikt XV. 44 Bengel, Johann Albrecht 5, 40 Benrath, Gustav Adolf 103,107 Benz, Ernst 63 f. Berg 1 Bergisches Land 12 Berlin 2ff., 10, 15, 17, 26,30ff, 34f., 37, 39ff.,43f., 47, 51, 105 Berliner Missionsgesellschaft 46 Bethel 31 Bethmann-Hollweg, Moritz August von
15, 17
Bevölkerung, ev. 11,39,41,55 Bevölkerung, kath. 10, 17, 24 f., 28, 88L, 111 Beyerhaus, Peter 113
136
Register
Beyschlag, Willibald
25
Bettag 102 Bußgedanke 5,31 Büß- und
Bibel 37
Bibelexegese
40 f., 107
Bussmann. Walter 99
Bibelgesellschaften 5, 92 Biblische Theologie 40f.
Calvinismus 84
Biblizismus 40,45,97 Bielefeld 12,31 Bildungsbürgertum 96
Bildungsgedanke 2f.,16, 25, 39, 91, 108
Biographische Geschichtsschreibung 98 ff.
Bischofswahlen, kath. 8
Bismarck. Otto von 7. 17,19ff.,23ff„ 33 f., 42, 46f., 62, 70, 85, 107, 112 Blackbourn, David 88 f. Blaschke, Olaf 94 ff. Blasius, Dirk 99 f. Bloch. Ernst 66
Blumhardt, Christoph d. J. 33 Blumhardt, Johann Christoph d. Ä. 5 Bochum 31
Bodelschwingh, Friedrich von d.Ä. 31
Böhme, Jakob 4 Böttcher, Otto 107 Bonhoeffer, Dietrich 65 Bonkhoff, Bernhard H. 107 Bonn 9,46,61
Bonner Schule 9 Bornemann, Wilhelm 38 Bornkamm, Heinrich 62, 108 Bornkamm, Karin 72 Bousset, Wilhelm 38 Brakei.mann, Günter 66,101 Brandenburg (Stadt) 31 Brandts, Franz Anton 29, 42 Brauer, Johann Nikolaus Friedrich 102 Bredendieck. Walter 66 Breipohl, Renate 66 Breslau 18 Brox, Norbert 78 Brunner, Emil 58 Bürgertum 6, 39, 67, 87, 89, 105 Bürokratie 8 Bultmann, Rudolf 58f. Burke, Peter 94 Burschenschaften 3 f.. 54 Büß. Franz Josef von 26 f.
Christentumsgeschichtsschreibung. auch ökumen.
70ff., 76, 78, 82
61 ff., 65, 67 f.,
Christentumstheologie
Birke, Adolf Martin 110 Bischof (Lehrer) 33
Bodelschwingh, Friedrich von d. J.
Chalmers, Thomas 45 Chiliasmus 5 Christentum und Gesellschaft 67
31
70 ff. Christliche Vereine Junger Männer (CVJM) 48 f. Christliche Welt/Freunde der CW 26, 35 f. Christlicher Studentenweltbund 48 f. Christlicher Volksdienst 97 Christlich-soziale Arbeiterpartei/Partei 32, 34 f., 37 f., 94 Christologie 2f., 40, 57 f., 62,65f., 77 Clemenceau, George 51 Clemens XIV. 7 Colmar, Johann Ludwig 9 Consalvi, Ercole 8 Conzemius, Victor 78 f.
Dalberg, Karl Theodor Freiherr von
8
Deißmann, Adolf 51 Demokratie 40, 97, 111 f. Deppermann, Klaus 101
Deutsch-Evangelische renz
1846
Kirchenkonfe-
15
Deutsch-Konservative Partei 32 Deutsche Bundesakte 8 Deutsche Christenthums-Gesellschaft 4, 11 Deutsche Demokratische Partei (DDP) 37,40 Deutscher Bund 8 Deutschkatholische Kirche 11,14 Diakone/Diakonissen 31 Diakonie 30f.. 33, 90ff. vgl. auch Innere Mission -
Dialektische
Theologie
s.
auch Wort-
Gottes-Theologie 40 Dilthey, Wilhelm 65
-
Dogmatik/Glaubenslehre 3, 18. 56ff.. 76 ff.
Dogmen, päpstliche 16,18
Drescher. Hans-Georg 101
Drey. Johann Sebastian von Drittes Reich/NS-Staat
107
9
Register Droste-Vischering, Clemens August 10 Düsseldorf 31 Dunkel, Achim 69 von
Ebeling, Gerhard 60 f.
Edinburgh, Weltmissionskonferenz 1910 45,48f. Ehmann, Johannes 103f.
Ehrhard, Albert 73 ff.
Eichhorn, Albert 38 Eisenacher Kirchenkonferenz 1861 34
31 f., 61, 75ff, 91 Eley, Geoff 88 Elite, kath. 8f., 94 Elite, liberale 30 Eliten, bildungsbürgerliche 111 Eliten, bürgerlich-protestantische 6, 26, 34, 94 Emanzipation, politische 27, 104, 108
Ekklesiologie
Emanzipation, religiöse Emigration 5 f.
70
Emser Punktation 7
Endzeitvorstellung 45 f. England 3, 51 Entkonfessionalisierung 21, 23 f., 70 Enzykliken 27,29,44 Episkopat, deutscher 14, 18, 20, 43 f. Erlangen 4 Ermland 18 Ernst-Troeltsch-Gesellschaft 71 Erster Weltkrieg 39f., 44,49ff, 61,
65,96
Erweckung, kath. 9, 90 Erweckung/Erweckungsbewegung,
prot. 4ff., 9, 11 f., 30,45 f., 54, 62 f., 69, 90 ff., 97, 102, 104 f., 113 Erziehung, christl. 27, 30f., 102 Eschatologie 66, 68 Ethik, theol./christl. 3,26, 35f., 65,71 Europa 3f., 17,40,45, 50, 57,63,67, 74, 92, 100, 105, 108f„ 111 ff. Evangelisch-Sozialer Kongreß 25 f., 34 ff.
Evangelische Allianz 45,48,113 Evangelische Kirchenzeitung 13 Evangelischer Bund 25f., 42, 55, 107f„ 112 Evangelistisch/Evangelisten 45 f. Evangelium 32, 35, 60, 72, 77 Falk, Adalbert 23 Falk, Johannes 30 f.
137
27,31,88,93 Febronius, Justinus/Febronianismus 7 Ficker, Ludwig 108 Fischer, Ludwig 33 Fl iedner, Theodor 31 Familie
Förster, Heinrich 18 Frankfurt/M. 1,23, 36 f. Frankreich 1, 3, 6, 17, 27, 45, 50L, 74,81, 102, 105 Französische Revolution 1,56,61,69, 74, 99 Frauen 5,26,28,31,42,91,93 Freese, Reinhard 93 Freiburg 21 ff., 45 Freidenkerbewegung 42 freier Protestantismus 11, 45. 48 Freiheitsgedanke 70 f. Freikirchen 112f. Freud, Sigmund 99 Friedrich L, Großherzog von Baden 21 f. Friedrich Wilhelm III. von Preußen 4. 6, 10, 105 f. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 10, 12,99f„ 106 Fries, Heinrich 79 Fries, Karl 49
Frömmigkeit 2ff., 9, 26, 39, 41, 44f., 55,63,68,90, 92,97, 101 ff. Frohnes, Heinzgünther 64 Gabler, Ulrich 92,113 Gall, Lothar 108 Gallitzin, Amalie von 9 Geiger, Theodor 94 Geistesgeschichte 94, 103 f. Gelsenkirchen 33
Gemeinschaftsbewegung 45 f., Gemeinschaftsgedanke 39, 90
112 f.
Genossenschaften 28, 31, 93 Gensichen. Hans-Werner 64 Georg V. von Hannover 19 Geschichtsphilosophie 36, 69
Geschichtstheologie 61, 63, 69, 73, 92 Gerlach, Ernst Ludwig von 7, 13, 30 Gerlach, Leopold von 7,13, 30, 99 Gesellschaft für Freikirchliche Theologie und Publizistik 112 Gesellschaftsgeschichte 80, 83 f., 90, 106 Gesellschaftswissenschaften 85 Gestrich, Andreas 98
138
Register
Gewerkschaften, christliche 29, 41, 43 f.
Gewerkschaften, freie 28,43 Gewissen 41 Glaube, christlicher 2,9, 27, 31,40 f., 55, 59,61,63ff.,71f.,76f., 82 Gleichheit 30,36 Gnadauer Konferenz 46 Gnadauer Verband 46 Göhre, Paul 35,37 Görres, Joseph von 9 f. Göschel, Karl Friedrich 101 Goff, Jacques Le 98 Gogarten, Friedrich 65 f. Goßnermission 46 Gottesdienst, christl. 6 f., 10, 76, 105 Graf, Friedrich Wilhelm 68, 71, 91 f., 94,96f, 101 Graf, Gerhard 113 Gramsci, Antonio 88 Grane, Leif 65 Gregor XVI. 10 Greschat, Martin 66 f., 85f., 101 Griechenland 3 Großbritannien 45 Grundrechte, individuelle 27, 30,44 Günther, Anton 9 f. Gundert, Wilhelm 92
Gunkel, Hermann 38 Gustav-Adolf-Verein 13 f.
Haager Abrüstungskonferenz
49
Halle 40
Hamann, Johann Georg 2
Hamburg 15,31
Hanau 6 Handwerker 5, 7, 26 f. Hannover 8, 19 f. Hardenberg, Karl August Freiherr von 4 Harleß, Adolf von 5 Harms, Claus 4 Harnack, Adolf von 34f., 37ff., 41,
51,56f.,65,71,97
Hase, Karl August von 54 f. Haubold, Arndt 101 Haussmann, Thomas 83 Hauzenberger, Hans 113
Hegel, Georg Wilhelm
Friedrich 12,
69
Hegelianismus 23 f. Heidelberg 36,39 „Heilige Allianz" 3, 6
Heiligenverehrung 7, 89 Heiliges Officium 10 Heiliges Römisches Reich 1, 7 f., 17, 83 f.
Heiligungsbewegung 45 Heilsgeschichte 40, 58 f., 64, 76, 79 Heine, Heinrich 99
Hengstenberg, Ernst Wilhelm 5,13, 30
Herder, Johann Gottfried 2 Herero-Aufstand 47
Hergenröther, Joseph 73 Hermelink, Heinrich 61 f. Hermes, Georg 9 f. Heimhut 2,7,46
Hertling, Georg von
28f.
Hessen 21
Hildebrand, Klaus 85 Hirsch, Emanuel 56, 69 Hirscher, Johann Baptist 9 Historismus 39ff., 54, 56f., 60ff, 73 Hitler, Adolf 85 Hitze, Franz 28 f., 88 Hochland 42,50 Hofbauer, Clemens Maria 9 Hoffmann, Christoph 14 Hofmann, Klaus Martin 93 f.
Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig
Fürst zu 21,23 Holl, Karl 56, 62 Hontheim, Johann Nikolaus von 7 Hornig, Gottfried 63 Huber, Viktor Aime 31 Hübinger, Gangolf 94, 96 Hürten, Heinz 78 f., 81 f. Humanismus 70
Idealismus
2,4, 9, 27, 62 f.
Ideologien 36,56,94, Imperialismus 19, 50
109
Individualismus 73 f., 96
Industrialisierung 10, 12, 31 ff., 46, 67, 95, 111
Industrie(gebiet), rheinisch-westfälisches 33
Industriegesellschaft
34 Innere Mission 15, 31, 37, 92 f. Iserloh, Erwin 76 f. Islam 47 f. Italien 16,45,81,88
Jedin, Hubert 61, 75 ff. Jena 35, 54 f.
139
Register Jesuitenorden 7,10,23,47 Jolly, Julius 22 Joseph II. von Österreich (Josephinismus) 7 Junge Kirchen 48 f., 64 Jungfrauengeburt 16, 41 vgl. auch
Marienfrömmigkeit Jung-Stilling. Johann Heinrich -
4
Kahler, Martin 40, 56 f. Kaiser, Jochen-Christoph 98 vgl. auch Konfession und Gesellschaft Kaiserslautern 107 Kaiserswerth 31 Kampmann, Jürgen 106 Kant, Immanuel 9, 85 Kanzelparagraph 23 Karl, Großherzog von Baden 101 f. Karl Friedrich, Großherzog von Baden 101 f. Karlsbader Beschlüsse 4 Karlsruhe 102 Karpp, Heinrich 60 Kasper, Walter 77 -
Katholikentage 29,41 Katholische Erneuerung 9, 80, 90
Katholischer Klub 13 Katholischer Verein Deutschlands 14f. Katholischer Volksverein 29 Kattenbusch, Ferdinand 56 Ketteier, Wilhelm Emmanuel Freiherr von 17, 21, 27 ff., 110 Kirchbaubewegung 34 Kirche 38f., 44, 73f. vgl. auch
Ekklesiologie
-
Kirchenaustritt 24, 37, 42 Kirchenfeindschaft 66
Kirchengeschichtsschreibung, allg. 53 f.,58 f., 85 ff., 98
Kirchenparteien (inkl. Vorformen) 5, 11
f., 16, 55f.
Kirchenrecht 37 Kirchenstaat 8, 16, 18 Kirchenväter 59 Kirchenverfassung 6, 12, 15 f., 55f., 64, 103, 105 f. Kirsch, Johann R 73 Kissling, Johannes 108 Klan, Werner 106
Klassenkampf 36 Kleinbürgertum 26, 32 Kleist-Retzow, Hans Hugo 7
Klerus, kath. 13, 20, 24, 28, 42, 101 f. Klessmann, Christoph 96 Kliefoth, Theodor 5 Kögel, Rudolf 34 Köhler, Oskar 76 Köln 18, 27,41 f., 47 -Dombaufest 10 f. Kölner Kirchenstreit 10 Kohut, Thomas A. 99 Kolonialismus 34, 46ff. Kolping, Adolf 27 Konfession und Gesellschaft 67 Konfessionalismus/konfess. Theo-
logie 5, 10,25,40,76,82,89,91, 93, 104, 108 f. -Überwindungsversuche 5, 43, 50, 63 f., 76, 105, 112 Konkordate 8, 20, 22 Konservative Partei 23,31 Konservativismus, polit.-sozial 10, 12,23, 26,29, 34, 38 ff., 86,90, 100, 112
Konservativismus, theol.-kirchl. 6f., 12f., 27, 31 ff., 44, 51, 93, 96f., 106
vgl. auch Orthodoxie Konstanz 8,49 -
Konstitutionalismus, 13ff., 81,90, 103
politischer 10,
Konversionen 9
Korff, Gottfried 79, 109 f. Koselleck. Reinhart 87 Kottje, Raymond 64 f. Kottwitz, Hans Ernst von 5, 30f., 101 Kotzebue, August von 4 Kraus, Franz Xaver 45, 73 Krementz. Philipp 18 Kretschmar, Georg 64
Kreuzzeitung 35 Krieg 1866 17, 19ff., 113
Kritik, historische 40,44,54,58,61
vgl. auch Bibelexegese
Kroll, Frank-Lothar 99 f. -
Kropatschek. Hermann
35
Krüger, Gustav 57, 74 Krumwiede, Hans-Walter 65 f. Kübel, Lothar 23 Kuhlemann, Frank-Michael 94 ff. Kultur 30, 42, 73, 82, 84, 88, 90, 93, 112
Kulturgeschichte 80. 83, 85 Kulturideologie 48 Kulturkampf 18 ff., 27, 29,42,47,62, 64, 87 f., 91. 107 ff.
140
Register Loewenich, Walther von 60
Kulturliberalismus 96
Kulturprotestantismus
25 f., 34 ff.,
38ff., 46, 55, 57 ff., 63, 68, 70f„ 84, 94, 96, 109 f.
Kulturstaat 39 Kupisch, Karl 60 f. Kurie/Heiliger Stuhl/Vatikan 8f., 16,
18ff., 29f.,44,47ff.,55, 81, 107, 11 Of.
Lagerbegriff
95
„Laien" 7f., 14, 42, 99, 105, 107, 110 1 Landflucht 12
Laisierung
Landgebiete/ bevölkerung 5, 10, 12, 108 Landshut 9
Langewiesche, Dieter 91 Lassalle, Ferdinand 28 Latourette, Kenneth Scott 63 ff. Lateinamerika 49 Lavater, Johann Kaspar 4 Leese, Kurt 58 Lehmann, Ernst Josef 93 Lehrverurteilungen 45
45 London 45 Loofs, Friedrich 38 Lorenz, Eckehart 93 Lortz. joseph 75 Loth, Wilfried 79, 87 f., 95 f., 98 Lourdes 110 Ludwig, Großherzog von Baden 101 Luther, Martin 4,41,59,75 Lutheraner 6, 50 Luthertum, liberales 106 Luthertum, orthodoxes/konfessionelles 12f, 16, 26, 54, 91 f., 97, 104, 106
Maier, Hans 87 f. Mainz 9, 14f, 17,27 Mainzer Kreis 9, 14 Mallinckrodt, Hermann Mann, Thomas 83
von
19
Mannheim 93 f. Marburg/Lahn 36
Leipziger Missionsgesellschaft
46 Leo XIII. 25, 28 ff., 44 Lepp, Claudia 93 Lepsius, M. Rainer 86 f., 95, 111 f. Lerchenfeld, Hugo Graf von 47 Lessing, Gotthold Ephraim 58,70,76 Leube, Hans 57, 74 Liberale Theologie 39 f.
Liberalismus, politischer 11, 13, 16, 19 ff., 23 ff., 27 ff., 35,37,56,67,92, 96f, 104, 108 ff. Liberalismus, theol.-kirchl. 6f., 12f, 16f.,27, 34ff.,44,51,55ff.,60, 67 f., 70, 90 ff.,96 f., 103, 106 f.
vgl. auch Kulturprotestantismus
Liberalismus, wirtschaflicher 26ff, -
Marienfrömmigkeit 16, 109 Mark Brandenburg 5,106 Marpingen 109 Maser. Peter 101
Massenpsychologie
39
May, Georg 76 Meinhold, Peter 64 Melchers, Paulus 18 Menschenrechte 44 Menschenwürde 70
Mentalitätsgeschichte
80 f., 85, 94 f.,
97, 109, 113 Merkle, Sebastian 75 Methodismus 112 Metternich, Klemens Fürst von 3 f. Metz, Johann Baptist 66 Meyer, Rudolf 32 Mikrohistorie 80 Mildenberger, Friedrich 66
Milieu(s), katholische(s) 14, 34, 74,
94 Lichtfreunde II, 14
Liebesgebot 41,90
Lill, Rudolf 79 f., 108, 111 Lindt, Andreas 113 Lippe 90,92 Lipset, Seymour M. 95
Lipsius, Richard Adelbert Liturgie 41, 105 f. Liverpool 113
Loisy, Alfred
56 f.
Lonne. Karl-Egon 78 f., 81 f. Loewenberg, Peter 99
86ff., 94ff, 112 Milieu(s), protestantische(s) 6, 25 f., 34, 86, 91, 94 ff. Militarismus 19 Minden 10
Minden-Ravensberg 5, 90
Mirbach, Ernst Freiherr von 34 „Mischehen" 10 Mission, katholische 47f. Mission, protestantische 5, 11 f., 45 ff., 64, 91 f.
141
Register
Missionsgeschichte 64 Mitbestimmung, betrieb!.
31
Mittelalter 9, 17,28,34,55 Mittelpartei 16 Mittwochsgesellschaft 17 Modernisierung 20, 35 f., 39, 45, 57, 70 f., 73, 87, 89, 91 f., 96, 100, 106, 109ff. vgl. auch Antimodernismus Möhler, Johann Adam 9, 74 Moeller, Bernd 64 f. Mönchengladbach 33, 42 Moltmann, Jürgen 66 Monarchie 13, 17, 57, 90. 100, 104, 106 Mooser, Josef 90 f., 97 Moraltheologie/Ethizismus 2, 38 Morsey, Rudolf 108 Mott, John Raleigh 48 f. Mühlenberg, Ekkehard 69 Mühler, Heinrich von 18,23 Müller, Adam 26 f. München 9 f. Münster 9 Mulert, Hermann 62 Mumm, Reinhard 26 Muth,Carl 42 Mybes, Fritz 93 Mystik 4 -
94,96 Nippold, Friedrich 55 Nitzsch, Carl Immanuel 13, 17, 38,70 Nordamerika 4, 45, 49 ff., 57, 63, 70 Norddeutsche 46
Missionsgesellschaft
Nordeuropa 38 Novalis (Friedrich Freiherr von Hardenberg) 9 Nowak, Kurt 67f.,97, 101 Oberlin. Johann Friedrich 4 Oberrhein 4, 21
Ökumene/ökumenisch 3 f., 10 ökumenische Bewegung/ökumenische Öffnung 45, 48f., 51, 75f., 113 ökumenische Kirchengeschichtsschreibung 64f. vgl. auch Christentumsgeschichtsschreibung, ökumen. Ökumenischer Rat der Kirchen 113 Österreich 3,7,17 -
Offenbarung(stheologie) 2, 13, 40,
Nabrings, Arie 101
Napoleon Bonaparte 1,3,8, 74, 92, 105 Nassau
Neues Testament 41 Neuluthertum 34, 54, 91 f. Neuprotestantismus 70 Neuscholastik 9 f., 28, 30,44 Niederlande 80 Niederrhein 5 Nipperdey, Thomas 3, 6, 67, 82 ff.,
6, 21, 103
Nassehi, Armin 100
58 f., 62,69, 71 f., 76 Ohlemacher, Jörg 113
Oktoberversammlung 1871 Oldenberg, Karl 35 Oldham, Joseph H. 49
17
Nationalgedanke/-bewegung, deut-
Orthodoxe Kirchen 49, 57, 63, 74 Orthodoxie 3, 32 Ostafrika 47 Ostpreußen 10, 86 Otto, Rudolf 63
Nationalökonomie 35
Papsttum 7f„ 14, 18,25,45, 110 Parteien, politische 86 Parteien, protestantische (inkl. Vorformen) 13 f., 16, 32
schet/) 1, 3 f., 10, 16f., 25, 50, 100 Nationalismus 49,112 Nationalkirche, kath. 7 f., 24 Nationalliberale (Partei) 17, 23, 33, 83,94. 107 f.
Nationalprotestantismus
16 f., 25, 28,
49 ff.,92, 113 Nationalsozialer Verein 37 Naturrecht 36 Naumann, Friedrich 32, 36ff.,94 Neander, August 4 Neologie 2 Neue Ära 17 Neue Rechte 26 Neuendettelsauer Missionsgesellschaft 46 Neuer, Werner 97, 101
Paulskirchen-Parlament/-Verfassung 13ff.
Pannenberg, Wolfhart 68 f., 71 f. Patriotischer Verein 12 Patriotismus 3f., II Pauperismus 30 f. Perrez, Meinrad 100 Pfalz 6, 102f., 106f. Pfarrer, ev. 5, 11 f., 32, 38, 101 f.
142
Register
Pietismus 2, 4 ff., 12, 33, 40, 45, 97, 113 vgl. auch Erweckung Pius VII. 8 Pius IX. 10, 14, 16, 18, 21 f., 24 PiusX. 44 Pius XI. 44 Pius XII. 74 f. „Pius"-Vereine 14 -
Pluralisierung 92,96
Pönnighaus. Klaus 92 Polen
19
politischer Katholizismus 13ff.,
19ff.,28ff.,4!ff., 79, 81 f., 87 f., 108f, III
politischer Protestantismus 25 f., 32 f., 40, 65 ff.
politische Theologie 66. 68
Pommern 5, 7 f., 10, 12,54,86 Positive Union 16 Positivismus 73,75 Praktische Theologie 9 Predigt/Verkündigung 3 ff., 60,62,92, 102, 113 Preußen 3 f., 6, 8, 10 ff., 15 ff., 23 f., 32, 37 ff., 46, 54, 74, 100, 102f, 105 ff. Privateigentum 29 Protest, sozialer 5,12 Protestantentag 13 Protestantenverein 16, 25 f., 93 Protestbewegungen, kath. 9 Prozessionen 7, 11 Psychohistorie 99 Puttkamer, Robert Viktor von 7
Rade, Martin 35 ff 71 Rahner, Karl 77 Rationalismus 2, 4, 6, 9. 12f, 27, 39, 54, 63, 90, 96 f., 102 ff. Reaktion 16, 100 Rechristianisierung 50, 90 Recht, kanonisches 10 ,
Rechtfertigung 2,41,61,72
Recke-Volmerstein, Adalbert Graf von der 31
Reformation(szeit) 3, 30, 56, 60, 73, 103 reformatorische
Theologie 82f. Reformgedanke, kirchl.-theol. 3,6 ff., 15, 43 ff, 105
Reformgedanke, polit. 3, 50, 105 Reformgedanke, sozial 7, 12, 26ff., 42
Reformierte 4, 6, 46, 50, 54, 106 f. Reich-Gottes-Gedanke 5, 32 f., 37 f.,
46,61,68, 75,92
Reichensperger, August 19 Reichsdeputationshauptschluß 1 Reichsgründung 1870/71 15,17,19, 33 f., 93
Reichstag 23f., 44 Religiöser Sozialismus 33 Religion 82f., 89f., 93 f., 104, 110 Religionsfreiheit 1. 7, 19, 30, 45, 102 Religionsgeschichte 36, 63 f., 78, 80, 83,90
Religionsgeschichtliche Schule
38 f.,
67
Religionsphilosophie 44, 69 Religionssoziologie 36, 57 Religiosität 2f, 6f, 45, 79ff, 84, 88, 91
Rendtorff, Trutz 67f.,70ff. Renaissance 70 Restauration 3 ff., 9, 73, 105 Rettungshäuser 30 f. Revolution 13, 29, 73, 81, 99, 105 f. Revolution 1848 12 ff., 17,20,74, 100 Rhein-Hessen 6 Rheinbundstaaten 1 Rheinisch-Westfälische Kirchenordnung (1835) 16 Rheinische Missionsgesellschaft 46 Rheinland 10f. 25 Ribbat, Christoph 113 Ringshausen, Gerhard 67 Ritsehl, Albrecht 36ff.. 56f., 59, 71 Röckelein, Hedwig 99 Römerbrief 41 Roensch, Manfred 106 Roeren, Hermann 44 Rohe, Karl 95 Röhls, Jan 69 f. Rokkan, Stein 95 Romantik 2, 9, 26, 99 f. Rothe, Richard 13,39 Rothfels. Hans 62 Rückert, Hanns 62 Rußland 3,40
Sachsen, Königreich 11 Säkularisation 1, 7 f., 74 Säkularisierung 1 f., 16, 70, 73, 80, 82, 89, 91, 111 Sailer, Johann Michael 9 Sand, Karl Ludwig 4
Register Sauter, Gerhard 68
Savigny, Franz von
43 Schatz, Klaus 77 f., 81 f. Scheler. Max 50 Schell, Hermann 45 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 9 Schieder, Wolfgang 79 f.. 86 f.. 89 ff. Schlatter. Adolf 40f., 97, 101 Schlegel, Friedrich 9 Schleiermacher, Friedrich Daniel
2ff.,6,9, 12ff., 17,39.56, 59. 64, 102, 105 Schlesien 11,30 Schmidlin, Joseph 73 Schmidt, Kurt Dietrich 60 ff. Schmidt, Martin 62 f. Schmidt, Wilhelm 70 Schmidt-Volkmar, Erich 108 Schmiechen-Ackermann, Detlef 98 Schnabel, Franz 8, 62, 74 Schnauber, Sonja 107 Schneider, Dirk 106 Ernst
Schopen, Edmund 43 Schulfrage 14, 20ff., 30, 76, 108,
111 Schweiz 39, 55, 80 Seeberg, Erich 58 Seeberg. Reinhold 26, 54 f. Seeliger, Hans-Reinhard 79 Seelsorge 5, 33 Seemannsmission 93 Sekten 74 Sell, Karl 61 f. Senfft von Pilsach, Ernst von 7 Separation, lutherische 106 Simmel, Georg 97 Sinnstiftung 72 Sittlichkeit/Moral 14,36,39f.. 50,55, 73,91,93, 102 Smith, Helmut Walser 112 Söderblom, Nathan 50 Solle, Dorothee 66 Sohm. Rudolf 37 Soziale Frage 15, 26ff., 64, 66f., 90. 99, 111 sozialer Katholizismus 14,16,20, 26ff.,41ff., 79, 81,88, 110 sozialer Protestantismus (inkl. Vorformen) 5, 11, 19, 25 f., 30ff.. 54, 65 ff., 90, 92 ff. Sozialethik, christl. 32 Sozialgeschichte 78ff., 85ff 94, 106, 108, 110, 113 ,
143
Sozialgesetzgebung
28 f.
Sozialismus/Kommunismus/sozialistische Bewegung/Sozialdemokratie/ Marxismus 14, 25f., 28ff., 32ff., 54, 56, 88 Sozialistengesetzgebung 32, 34, 41 Sozialmoral, protestantische 82 Sozialpolitik 28, 33 ff., 41 f., 94, 108, III
Sozialwissenschaft(en), empirische
85, 94, 98 Sozialwissenschaft, historische 57. 80, 85f., lOOf., 110
Soziologie
86
Sparn, Walter 101 Sperber, Jonathan 80, 88 f. Speyer 107 Spiegel. Ferdinand August Graf 10
Spiritaner 47 Spittler, Christian Friedrich
31
Staat, christl.
13,97,106 Staat-Kirche-Verhältnis 3,8, 10. 13 f.. 18, 20ff., 56. 95, 108 Staats, Reinhart 72, 83 Staatssouveränität 27 Städte/Stadt 26,34, 105 Ständische Vorstellungen/Stände-
gedanke 26 ff., 100 Stahl, Friedrich Julius 13, 15, 101 Stegerwald. Adam 29, 43 Stein, Karl Freiherr vom 105 Stephan, Horst 57, 63, 74 Stieda, Wilhelm 35 Stockholmer Bewegung (1925) 50. 57 Stoecker, Adolf 26, 32 ff. Storck, Steffen 73 Strauß, David Friedrich 99 Streikrecht 29,33 Strohm, Theodor 92 Studenten 3 Stumm-Halberg, Karl Freiherr von 38 Subkultur, religiöse 80, 95f., 107 Süddeutschland 3,31,33,74 Sündengedanke 5, 45, 76
Sündenvergebung
31
Supranaturalismus
2
Sun, Raymond C. 88
Sybel, Heinrich von 25, 56 Syllabus „lamentabili" 44 Synoden 12, 16
Systematische Theologie Systemtheorie 71
60
144
Register
Tauler, Johann 4 Technik
Vicari, Hermann
45
Thadden-Trieglaff, Adolf von
6
Thielicke, Helmut 62 Thierfelder, Jörg 92
Tholuck, August Friedrich 5 von Aquin 30 (Neuthomismus), 59 Tillich, Paul 58,70 Tischhauser, Christian 55 Todt, Ernst Rudolf 31 f. Toleranz 27,72, 101 Treitschke, Heinrich von 55 f., 74, 83 Trier 7.9,11,86 Troeltsch, Ernst 36 ff., 57, 65, 70 f., Thomas
101
Tübingen 9, 40, 73 Tübinger Schule 9,38 Türkei 3
Ultramontanismus 8 ff., 16ff.- 23 ff.. 54f.,64, 87. 107, III Unfehlbarkeit, päpstliche 18, 78 „Unglaube" 13 Union, konfessionelle 5 f., 13, 15 ff., 54, 64, 101 ff. Universität 3 ff. Universitätstheologie/Theol. als Wissenschaft 2f.,9f, 18, 22, 38ff, 44f.,97, III Unterschicht 5, 12, 108
VatikanumI 18,64,78 Vatikanumll 75 f., 78 Veit, Ludwig Andreas 73 f.
Verbalinspiration 45 Verein für Sozialpolitik 28 Verein zur Wahrung und Förderung der evangelischen Kirchengemeinschaft 12
Vereinigte Staaten von Amerika
(USA) 4,38,40,50,69 Vereinswesen, katholisches 9, 14ff.. 25,27 ff., 33f.,41ff., 47,81,88, 110 Vereinswesen, protestantisches 11 ff., 16.25 f., 32ff,42,45f., 48.55,91 ff. Verfassungsstaat/Rechtsstaat 15,73, 104f.
vgl. auch Konstitutionalismus, polit. -
Vermittlungstheologie Vernunftreligion 2 Versailler
12 f., 38 ff., 54
Friedensvertrag
50f.
von 21 f. Völkerschlacht zu Leipzig 3 Völkische Bewegung 34 Vogelsang, Karl von 28 Voges, Wolfgang 100
Volksbewegung, kath. 10 Volksfrömmigkeit, kath. 11, 80ff.,
86ff.,94ff, 109ff. Volkskirche 71 Volksverein für das kath. Deutschland 41 f. Vormärz 11 ff., 74, 89, 91
Wagner, Adolf 28,32,35 Waldeck-Pyrmont 6
Wallfahrtswesen 7, 9, 11, 86f., 89, 109 Wandruszka, Adam 95 Wangemann, Hermann Theodor 53 ff.
Wartburgfest
4
Weber, Christoph 108 Weber, Ludwig 33,35,38 Weber, Max 35ff., 57, 70f, 83, 85f. Wehler, Hans-Ulrich 72, 83 ff., 98 Weimar 31 Weimarer Nationalversammlung 37 Weimarer Republik 40, 51, 74, 93,98 Weiß, Johannes 38 Weitlauff, Manfred 79 Werner, Gustav 31 Wessenberg, Ignaz Heinrich Freiherr von 8 Westeuropa 38f., 49, 51, 65, 70 Westfalen I, 106 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 4 Weyer, Michael 112 Wichern, Johann Hinrich 15,31,92 f. Wien 9 Wiener Kongreß 3, 8, 57 Wiener Schule 9 Wilhelm I. von Preußen (dt. Kaiser) 18, 32 Wilhelm IL von Preußen (dt. Kaiser)
34,38,41.50
Wilhelminismus 26
Windthorst. Ludwig 19 f., 41 f., 89, 110
Wissenschaft, moderne 13, 30,42, 58, 110 Wissenschaftstheorie 79, 85 Wittenberger Kirchentag 15
145
Register Wolf, Ernst 60 f.
Wort-Gottes-Theologie 39f., 57ff.,
65,68,71 Wrede, William 38
Württemberg 4f., 8, 12, 14, 21, 33, 54, 62
Würzburg Wuppertal
45 46
Zahn, Adolf 54
Zeitschrift für Neuere Theologie-
geschichte
71
Zeller, Christian Heinrich 31 Zentralismus 8 Zentralkomitee der dt. Katholiken 17 Zentrum 14f., 19, 24f., 28, 33, 41 ff., 50, 81, 86 f., 107 ff., Ulf. Ziegert, Richard 107 Zivilehe 1,23 f. Zivilreligion 82f., 93, 96
Enzyklopädie deutscher Geschichte Themen und Autoren Mittelalter Gesellschaft
Demographie des Mittelalters (Neithard Bulst) Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Werner Rösener) 1992. EdG 13 Adel, Rittertum und Ministerialität im Mittelalter (Werner Hechberger) Die Stadt im Mittelalter (N.N.) Armut im Mittelalter (Otto Gerhard Oexle) Die Juden im mittelalterlichen Reich (Michael Toch) 1998. EdG 44
Wirtschaft
Wirtschaftlicher Wandel und
(Ludolf Kuchenbuch) Kultur, Alltag,
Mentalitäten
Wirtschaftspolitik im Mittelalter
Wissen als soziales System im Frühen und Hochmittelalter (Johannes Fried) Die geistige Kultur im späteren Mittelalter (Johannes Helmrath) Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters (Werner Paravicini) 1994. EdG 32 Die materielle Kultur des Mittelalters (N. N.)
Religion und Die mittelalterliche Kirche (Michael Borgolte) 1992. EdG 17 Kirche Religiöse Bewegungen im Mittelalter (Matthias Werner) Formen der Frömmigkeit im Mittelalter (Arnold Angenendt) Politik. Staat. Die Germanen (Walter Pohl) Verfassung Die Slawen in der deutschen Geschichte des Mittelalters (N.N.) Das römische Erbe und das Merowingerreich (Reinhold Kaiser)
2. Aufl. 1997. EdG 26 Das Karolingerreich (Bernd Schneidmüller) Die Entstehung des Deutschen Reiches (Joachim Ehlers) 2. Aufl. 1998. EdG 31 Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (Egon Boshof) 2. Aufl. 1997. EdG 27 Der Investiturstreit (Wilfried Hartmann) 2. Aufl. 1996. EdG 21 König und Fürsten, Kaiser und Papst nach dem Wormser Konkordat (Bernhard Schimmelpfennig) 1996. EdG 37 Deutschland und seine Nachbarn 1200-1500 (Dieter Berg) 1996. EdG 40 Die kirchliche Krise des Spätmittelalters (Heribert Müller) König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Karl-Friedrich Krieger) 1992. EdG 14 Fürstliche Herrschaft und Territorien im späten Mittelalter (Ernst Schubert) 1996. EdG 35
Frühe Neuzeit Gesellschaft
Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie
1500-1800 1994. EdG 28 Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigem Krieg (Andre Holenstein) 1996. EdG 38
(Christian Pfister)
Themen und Autoren
147
Bauern 1648-1806 (Werner Troßbach) 1992. EdG 19 Adel in der Frühen Neuzeit (Rudolf Endres) 1993. EdG 18 Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit (Rainer A. Müller) 1995. EdG 33 Die Stadt in der Frühen Neuzeit (Heinz Schilling) 1993. EdG 24 Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit (Wolfgang von Hippel) 1995. EdG 34 Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800 (Peter Blickle) 1988. EdG 1 Geschichte des Judentums vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
(Friedrich Battenberg) Die deutsche Wirtschaft im 16. Jahrhundert (Franz Mathis) 1992. EdG 11 Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620-1800 (Rainer Gömmel) 1998. EdG 46 Landwirtschaft in der Frühen Neuzeit (Walter Achilles) 1991. EdG 10 Gewerbe in der Frühen Neuzeit (Wilfried Reininghaus) 1990. EdG 3 Handel, Verkehr, Geld und Banken in der Frühen Neuzeit (Michael North)
Wirtschaft
Medien in der Frühen Neuzeit (Stephan Füssel) Bildung und Wissenschaft im 15. und 16. Jahrhundert (Notker Hammerstein) Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650-1800 (Anton Schindling) 1994. EdG 30 Die Aufklärung (Winfried Müller) Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit (Bernd Roeck) 1991. EdG 9 Kultur und Mentalitäten der unterbürgerlichen Schichten in der Frühen Neuzeit
Kultur, Alltag,
(Robert
Friedeburg) Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (N.N.) Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Heinrich Richard Schmidt)
Mentalitäten
von
Religion und Kirche
1992. EdG 12 Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert (Michael Maurer) 1999. EdG 51 Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit (Hans-Jürgen Goertz) 1993. EdG 20
Das Reich in der Frühen Neuzeit (Helmut Neuhaus) 1997. EdG 42 Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit (Winfried Schulze) Die Entwicklung der landständischen Verfassung (Kersten Krüger) Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (Walter Demel) 1993. EdG 23
Politik. Staat
Das Reich im Kampf um die Hegemonie in Europa 1521-1648 (Alfred Kohler) 1990. EdG 6 Altes Reich und europäische Staatenwelt 1648-1806 (Heinz Duchhardt) 1990. EdG 4
Staatensystem,
und
Verfassung
internationale
Beziehungen
19. und 20. Jahrhundert Demographie des 19. und 20. Jahrhunderts (Josef Ehmer) Umweltgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (Arne Andersen)
Geschichte des deutschen Adels im 19. und 20. Jahrhundert (Heinz Reif) Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert (Andreas Gestrich) 1998. EdG 50
Gesellschaft
148
Themen und Autoren
Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert (Klaus Tenfelde) Soziale Schichtung, soziale Mobilität und sozialer Protest im 19. und 20. Jahrhundert (N.N.) Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (Lothar Gall) 1993. EdG 25 Die Angestellten im 19. und 20. Jahrhundert (Günter Schulz) Die Arbeiterschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Gerhard Schildt) 1996. EdG 36 Die Juden in Deutschland 1780-1918 (Shulamit Volkov) 1994. EdG 16 Die Juden in Deutschland 1914-1945 (Moshe Zimmermann) 1997. EdG 43 Wirtschaft
Kultur, Alltag und
Mentalitäten
Die industrielle Revolution in Deutschland (Hans-Werner Hahn) 1998. EdG 49 Die Entwicklung der Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Wilfried Feldenkirchen) 1998. EdG 47 Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Stefan Brakensiek) Gewerbe und Industrie im 19. und 20. Jahrhundert (Toni Pierenkemper) 1994. EdG 29 Handel und Verkehr im 19. Jahrhundert (Karl Heinrich Kaufhold) Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert (Christopher Kopper) Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert (Eckhard Wandel) 1998. EdG 45 Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert (bis 1914) (Rudolf Boch) Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Gerold Ambrosius) 1990. EdG 7 Kultur.
Bildung und Wissenschaft im
19. Jahrhundert
(Rüdiger vom Bruch)
Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert (Frank-Lothar Kroll)
Lebenswelt und Kultur des
(Andreas Schulz)
Bürgertums im
19. und 20. Jahrhundert
Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Kaschuba) 1990. EdG 5
Religion und
Formen der Frömmigkeit in einer säkularisierten Gesellschaft (Werner K. Blessing) Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert (Gerhard Besier) 1998. EdG 48 Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert (Gerhard Besier)
Politik, Staat,
Der Deutsche Bund und das
Kirche
Verfassung
(Wolfram Siemann)
politische System der Restauration
1815-1866
Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815-1871 (Elisabeth Fehrenbach) 1992. EdG 22 Die innere Entwicklung des Kaiserreichs (Hans-Peter Ullmann) Die innere Entwicklung der Weimarer Republik (Andreas Wirsching) Nationalsozialistische Herrschaft (Ulrich von Hehl) 1996. EdG 39 Die Bundesrepublik Deutschland. Verfassung, Parlament und Parteien (Adolf M. Birke) 1996. EdG 41 Die Innenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik
(Günther Heydemann)
Staatensystem. Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871 internationale (Anselm Doering-Manteuffel) 1993. EdG 15 Beziehungen Deutsche Außenpolitik 1871-1918 (Klaus Hildebrand) 2. Aufl. 1994. EdG 2 Die Außenpolitik der Weimarer Republik (Gottfried Niedhart)
Themen und Autoren
149
Die Außenpolitik des Dritten Reiches (Marie-Luise Recker) 1990. EdG 8 Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (N N.) Die Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik (Hermann Wentker)
Hervorgehobene Titel Stand:
(Juni 1998)
sind bereits erschienen.
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 48
DER AUTOR DIESES BANDE« GERHARD BESIER
IST PROFESSOR FÜR HISTORISCHE THEOLOGIE UND KONFESSIONSKUNDE AN DER THEOLOGISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT HEIDELBERG
R. OLDENBOURG VERLAG ISBN 3-486-55709-2