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German Pages 273 [278] Year 2015
Heinrich Christ
Zwischen Religion und Geschäft Die Basler Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihre Unternehmensethik, 1859–1917 Geschichte Franz Steiner Verlag
Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte – 103
Heinrich Christ Zwischen Religion und Geschäft
beiträge zur europäischen überseegeschichte vormals: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte
Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte herausgegeben von Markus A. Denzel, Hermann Joseph Hiery und Eberhard Schmitt Band 103
Heinrich Christ
Zwischen Religion und Geschäft Die Basler Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihre Unternehmensethik, 1859–1917
Franz Steiner Verlag
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühlingssemester 2012 auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Jörg Fisch und Frau PD Dr. Heidrun Homburg als Dissertation angenommen. Umschlagabbildung: Ziegelstein der Commonwealth Trust India mit dem Label „Basel Mission“ © Heinrich Christ, Jeppo bei Managlore (Indien) 2009 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11083-9 (Print) ISBN 978-3-515-11084-6 (E-Book)
VORWORT Die Beschäftigung mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft führte in fremde Welten – seien es Reisen nach Afrika und Indien, sei es das „Eintauchen“ in das lange 19. Jahrhundert, die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Welthandel oder eine Reise in das Herz des „frommen Basels“. Der Einbezug unternehmensethischer und wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen ergab lehrreiche Abstecher in die Welt ökonomischer und philosophischer Theorien. Ich danke allen, die mir auf dem Weg geholfen haben. Mein Doktorvater Prof. Dr. Jörg Fisch ermunterte mich zu diesem Projekt und bestärkte mich darin, meiner Fragestellung unbeirrt zu folgen. Meine Frau Claudia, meine Eltern Hieronymus und Christine Christ-von Wedel, meine Brüder Tobias, Georg und Benedict Christ und meine damaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner sorgten für andauernde ideelle und inhaltliche Unterstützung. Meine Kolleginnen und Kollegen am Historischen Seminar der Universität Zürich, insbesondere Beat Brügger Crugnola, Sarah Reimann, Gabrielle Walker, Dr. Ramon Leemann, Dr. Astrid Meier und Dr. Stephan Sander-Faes gaben spannende Denkanstösse und halfen bei der redaktionellen Überarbeitung. Das Team des Archivs der Mission 21 mit Dr. Guy Thomas, Barbara Frey Näf und Claudia Wirthlin öffnete mir die Türen zum reichhaltigen Quellenmaterial der Missions-HandlungsGesellschaft. Vertreter der Church of South India zeigten mir die Spuren der Missionsindustrie in Managlore; Samuel Hugentobler führte mich durch Kamerun. Dr. Andrea Franc, PD Dr. Christof Dejung, Jens Amrhein und PD Dr. Heidrun Homburg gaben wertvolle fachliche Hinweise. Prof. Dr. Hermann Hiery nahm meine Arbeit schliesslich in die Reihe der Beiträge zur Europäischen Überseegeschichte auf. Gabi Krampf erfasste und setzte den Text für den vorliegenden Band. Der Forschungskredit der Universität Zürich unterstützte die Entstehung des Dissertationsprojekts mit einem grosszügigen Beitrag. Frauenfeld, im Dezember 2014
Heinrich Christ
INHALT Vorwort
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1. Einleitung 1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft Das unternehmensethische Spannungsfeld der Missions-HandlungsGesellschaft Möglichkeiten und Probleme unternehmensethischen Handelns Fragen an die moralisch-religiöse Ausrichtung der MissionsHandlungs-Gesellschaft Die Missions-Handlungs-Gesellschaft als unternehmensethisches Fallbeispiel? 1.2 Die Missions-Handlungs-Gesellschaft als Teil eines unternehmensgeschichtlichen und religionsgeschichtlichen Kontexts Unternehmensgeschichte Multinationale Handelsunternehmen Der neuere Pietismus Die Basler Mission Pietismus und wirtschaftliche Tätigkeit Missionshandel und Kolonialismus 1.3 Forschungsstand 1.4 Quellen 1.5 Aufbau und Vorgehen
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) 2.1 Vorgeschichte Die Anfänge in Indien seit 1853 Die Anfänge an der Goldküste seit 1854 2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859 Erste Pläne für eine Finanzierungsgesellschaft Die Gründung der Aktiengesellschaft Missions-Handlungs-Gesellschaft und Basler Mission „Civilization, Commerce and Christianity“ Die Missions-Handlung als pietistisches Unternehmen? 2.3 Entwicklungen auf strategischer Ebene Fokussierung auf den Grosshandel und das Voltageschäft Bescheidener Ausbau der Stationen in Indien Der Rücktritt Zellwegers 1864 Die Geschäftsordnung von 1864 Die Statuten von 1869
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Inhalt
Missionsschiffe und neue Stationen 2.4 Finanzierung Entwicklung der Bilanz Aktionäre und Obligationäre als „ethische Investoren“? Die Basler Mission als Aktionärin 2.5 Operatives Geschäft Das Handelsgeschäft in Afrika Das operative Geschäft in Indien Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft Die Missions-Handlungen als Dienstleister der Mission „Einleitung in den christlichen Handelsbetrieb“ Missionsarbeit der Missionskaufleute 2.6 Personal Die Handlungskommission als Verwaltungsrat Die Angestellten der Zentrale Die Missionskaufleute Einheimische Mitarbeiter in Afrika und Indien 2.7 Gewinnverteilung 2.8 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
61 64 64 68 70 72 72 75 76 79 80 84 86 86 88 90 101 102 105
3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899) 3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene Die Statuten von 1880 Die Fusion von Handlung und Missionsindustrie Ein Blick zurück: Die Entwicklung der Industrien bis 1882 Missionsinspektor Schotts Kritik an der Missions-HandlungsGesellschaft Die Statutenreform von 1887 und die Diskussion um die Übergabe der Missions-Handlung an die Mission Stagnation des Handelsgeschäfts und die Diskussionen um die Einschränkung der afrikanischen Geschäfte Trendwende im afrikanischen Handelsgeschäft Die strategische Entwicklung der Industriebetriebe 3.2 Finanzierung Entwicklung der Bilanz Passive Aktionäre 3.3 Operatives Geschäft Das Handelsgeschäft Verzicht auf Branntwein- und Waffenhandel Direkt gemeinnützige Tätigkeiten der Handlungen Die Industriebetriebe Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft der Industriebetriebe? Direkt gemeinnützige Aktivitäten der Industriebetriebe Die Missionswerkstatt an der Goldküste
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Inhalt
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3.4 Personal Handlungskommission, Geschäftsleitung und Verwaltung Die Missionskaufleute und Industriebrüder Einheimische Angestellte 3.5 Gewinnverteilung 3.6 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914) 4.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene Das Handelsgeschäft Die Diskussion der „Handlungsfrage“ 1906 bis 1909 Industrie und Werkstätten Statutenrevision von 1912 4.2 Finanzierung Entwicklung der Bilanz Alte und neue Investoren 4.3 Operatives Geschäft Die Handelsgeschäfte Preiskartelle und die „Volta Transport Company“ Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft Direkt gemeinnützige Tätigkeiten Industrie und Werkstätten Direkt gemeinnützige Aktivitäten von Industrie und Werkstätten 4.4 Personal Handlungskommission, Geschäftsleitung und Verwaltung Missionskaufleute und Industriebrüder Einheimische Angestellte 4.5 Gewinnverteilung 4.6 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
171 171 171 173 178 180 181 181 184 186 186 187 195 197 199 200 202 202 205 213 215 218
5. Ende und Neuanfang: Von der Missions-Handlungs-Gesellschaft zur Basler Handelsgesellschaft (1914–1999) 5.1 Der Erste Weltkrieg und das Ende der Missions-Handlungs-Gesellschaft Die Entwicklung der Missions-Handlung bis 1917 Das Ende der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft 1917 5.2 Ausblick: Entwicklung der Nachfolgefirmen nach 1918 Enteignung durch die britischen Behörden Verhandlungen mit den britischen Behörden Die Gründung der Union Trading Company 1920 Entwicklung bis in die Gegenwart Die BHG in der Tradition der Missions-Handlungs-Gesellschaft?
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6. Schlusswort Geld oder Mission? – das unternehmensethische Spannungsfeld
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Inhalt
Reibungen und Entscheidungen – Diskussionen um die unternehmensethische Ausrichtung Klammer und Autorität – die Mission als Kern der unternehmensethischen Bemühungen Formen gemeinnützigen Schaffens
241 244 246
7. 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Bibliographie Archivquellen Gedruckte Quellen Darstellungen Zeitungsartikel Internetseiten
249 249 250 251 258 259
8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
Anhang Diagramme Organigramm Karten Bilder Biographische Angaben Zusammensetzung der Handlungskommission (1859–1917) Chronologie der wichtigsten Ereignisse
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1. EINLEITUNG 1.1 DIE VERBINDUNG VON MISSION UND GESCHÄFT Im Juni 1859 genehmigte der Kleine Rat des Kantons Basel die Gründung einer merkwürdigen Aktiengesellschaft. Bereits der Name liess aufhorchen: Es ging um die Gründung einer Missions-Handlungs-Gesellschaft.1 Der Name lässt an die Evangelische Missionsgesellschaft in Basel2, eine der grossen protestantischen Missionsgesellschaften im deutschsprachigen Raum denken. Tatsächlich stand bei dieser Firmengründung die Basler Mission Pate. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft entstand als eine Art Spin-off der Mission aus Bedürfnissen der Missionsarbeit heraus – verfolgte aber gleichzeitig geschäftliche Absichten. Für potentielle Investoren hiess das, falls diese fantastisch anmutende Idee tatsächlich funktionieren sollte, dass sie „ebensowohl als getreue Haushalter wie als fröhliche Geber [für] die Zwecke des Reiches Gottes“3 agieren konnten. Ein verlockendes Konzept. Das Zusammengehen von Missionstätigkeit und Geschäft erklärt sich nicht von selbst. Wie gelang es, in ein und derselben Unternehmung religiöse (auf die Mission ausgerichtete) Interessen mit Gewinnstreben zu verbinden? Es geht hier um die unternehmensethische Grundfrage, ob und wie moralische4 oder religiöse (primär nicht gewinnorientierte) Ziele mit ökonomischen (primär gewinnorientierten) Absichten vereinbar sind. Im Folgenden werden wir der Geschichte der Basler Missions-HandlungsGesellschaft von ihren bescheidenen Anfängen an der Goldküste5 und in Indien in den 1850er- und 1860er Jahren über die Etablierung als stolzer Industrie- und Handelskonzern bis zur Trennung von der Basler Mission im Jahr 19176 folgen. Stets 1 2 3 4
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ABM/UTC 4205: Beschluss des Kleinen Raths des Kantons Basel-Stadt vom 29. Juni 1859 über die Genehmigung der M.H.G. Im Folgenden „Basler Mission“. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1866, 3. Die Begriffe Moral und Ethik können unterschiedlich voneinander abgegrenzt werden. Während die Umgangssprache die beiden Begriffe oftmals synonym gebraucht, hat sich in der Fachliteratur zur Unternehmensethik die Unterscheidung zwischen Moral als geltender gesellschaftlicher Norm und Ethik als wissenschaftlicher Re flexion darüber eingebürgert. (Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 44; Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 9 f.) Dem heutigen Ghana. In einem kursorischen Ausblick (Kapitel 5) wird die Geschichte der Nachfolgerfirmen der Basler Handels-Gesellschaft und Union Trading Company bis in die Gegenwart weitererzählt. Die Trennung von der Basler Mission wird bisweilen fälschlicherweise auf das Jahr 1928 angesetzt, das Jahr, in dem die Nachfolgerin der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft ihren Namen in Basler Handels-Gesellschaft änderte. (So etwa im entsprechenden Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz (Stettler, Basler Handelsgesellschaft (2002).) Tatsächlich trennte sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit den neuen Statuten von 1917 endgültig von der Basler Mission. (Vgl. ABM/UTC 4574: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung vom
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1. Einleitung
wird uns dabei die Fragen begleiten, ob und in welcher Weise es diesem Unternehmen, das sich selbst immer als Teil der „Missionsfamilie“ verstand, gelang, seine religiösen und geschäftlichen Ziele miteinander zu vereinen. Was aber bedeutet es, religiöse oder moralische Ziele zu verfolgen und in welchem Zusammenhang steht dies zu den geschäftlichen Absichten? Im Hinblick auf diese Fragen wird ein Analyseraster entworfen, das sich (im Vorgriff auf die zu erzählende Geschichte) an den Forderungen der ersten Zweckbestimmungen der Missions-Handlungs-Gesellschaft orientiert. Anschliessend wird dieser Raster in den grösseren Zusammenhang unternehmensethischer Konzepte eingeordnet. Das unternehmensethische Spannungsfeld der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864 legte eine Geschäftsordnung erstmals explizite Zweckbestimmungen der Missions-Handlungs-Gesellschaft fest. Es werden darin moralisch-religiöse Absichten neben das gewinnorientierte Ziel, eine Rendite zu erwirtschaften, gestellt: Es handelt sich um die Aufgaben, (1) die Stationen und Betriebe der Basler Mission in Übersee mit europäischen Waren zu versorgen, (2) die Einheimischen in den Missionsgebieten durch Einführung in den Handel „sittlich zu heben“, (3) zur Finanzierung der Mission beizutragen und (4) einen explizit „christlichen Handelsbetrieb“ zu führen.7 Bei den ersten drei Punkten geht es um freiwillige, die Gewinnorientierung ergänzende Tätigkeiten und Geldspenden im Sinne und zugunsten der Mission. In Gegenüberstellung zu den gewinnorientierten Zielen eines Unternehmens soll dieser Bereich im Folgenden als Gemeinnützigkeit oder als gemeinnützige Ziele bezeichnet werden.8 Trotz vergleichbaren Intentionen ist es allerdings nicht dasselbe, ob man sich mit seiner Arbeitskraft für eine Sache einsetzt oder Geld dafür spendet. Im Rahmen dieser Studie werden diese zwei für die Missions-Handlungs-Gesellschaft gleichermassen wichtigen Varianten gemeinnütziger Tätigkeit in direkte Gemeinnützigkeit (Dienstleistungen für die Mission und „zivilisatorische“9 Tätigkeit) und delegierte Gemeinnützigkeit (Zahlungen an die Basler Mission) unterschieden.
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20. November 1917 sowie ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917. In Kap. 5.1 wird eingehend auf die Trennung eingegangen.) ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 2. Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, [1869], § 1; Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 1; Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1887, Art. 2; Stauten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1912, Art. 2. Der Begriff Gemeinnützigkeit bzw. gemeinnützig bietet sich unter anderem deshalb an, weil er gemeinhin weltliche Philanthropie und religiöse Bemühungen gleichermassen umfasst. In diesem Sinne scheint er wie zugeschnitten auf die Missions-Handlungs-Gesellschaft, die sich ja sowohl im religiösen als auch philanthropischen Bereich engagierte. Einen interessanten Überblick über die Spannweite dessen, was heute alles mit gemeinnützig bezeichnet werden kann, bieten die Internetseiten der Stiftung ZEWO, die gemeinnützige Organisationen in der Schweiz zertifiziert. ( [22. November 2011]) Dieser Begriff aus der Zeit soll im Folgenden für direkt gemeinnützige Tätigkeiten der Missions-Handlungs-Gesellschaft, die nicht in einem primär religiösen Zusammenhang stehen, be-
1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft
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Diagramm 1: Das unternehmensethische Spannungsfeld der Missions-Handlungs-Gesellschaft
Gewinnorientierung, delegierte Gemeinnützigkeit und direkte Gemeinnützigkeit stehen aus ihrer inneren Logik heraus in einem spannungsreichen Verhältnis: Von der primären Absicht her besteht ein Gegensatz zwischen den gemeinnützigen Zielen auf der einen Seite und den gewinnorientierten Zielen auf der anderen Seite. Dagegen gleichen sich die gewinnorientierten und die delegiert gemeinnützigen Ziele insofern, als es in beiden Fällen zuerst darum geht, Geld zu verdienen. Es tun sich damit zwei Entscheidungslinien auf, die von unterschiedlicher Seite her angegangen werden können: Entweder (primär strategisch gedacht) durch die hintereinander gekoppelten Fragen, wie viel Gemeinnützigkeit in den Unternehmenszielen enthalten sein soll und welcher Art zweitens diese Gemeinnützigkeit sein soll, delegiert oder direkt? Oder (primär betriebswirtschaftlich gedacht) durch die Doppelfrage, wie viel Aufwand erstens für direkt gemeinnützige Tätigkeiten und wie viel für das Erwirtschaften eines Betriebsgewinns getätigt werden soll und wie zweitens das verdiente Geld gebraucht werden soll: zur Verfolgung gewinnorientierter oder delegiert gemeinnütziger Ziele? Der vierte Punkt in den Zweckbestimmungen von 1864, die Forderung nach einem „christlichen Handelsbetrieb“, kann als die Forderung nach der Wahrnehmung einer religiös geprägten unternehmensethischen Verantwortung im Zusammenhang der täglichen Geschäfte verstanden werden. Hierein fallen etwa die Behandlung und Bezahlung der Mitarbeiter, faire Geschäftspraktiken oder im spezielnutzt werden. Zu den im 19. Jahrhundert im Deutschen noch weitgehend synonym benutzten Begriffen Zivilisation und Kultur vgl. Fisch, Zivilisation (1992); zum Gebrauch im kolonialen Kontext als Ausdruck eines „europäischen Selbstbewusstseins“ insbesondere 740–759.
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1. Einleitung
len Fall der Missions-Handlungs-Gesellschaft die Anpassung der geschäftlichen Aktivitäten an die Ziele der Mission. Direkt gemeinnützige Tätigkeit, delegiert gemeinnützige Zahlungen und die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung können sowohl weltlich als auch religiös motiviert und konnotiert sein. Auf eine systematische Unterscheidung wird im Folgenden verzichtet. Christliche Konzepte von Unternehmensethik unterscheiden sich in ihren Hauptaussagen nicht von weltlichen Konzepten. Basierend auf gemeinsamen Grundlagen (Gebot der Nächstenliebe, Goldene Regel und Reziprozität) laufen sie auf Forderungen nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder Transparenz heraus.10 Der Unterschied liegt allerdings darin, dass eine streng christliche Unternehmensethik diese Werte nicht über Vernunftüberlegungen oder einen Dialog erarbeitet, sondern aus den gegebenen biblischen Geboten ableitet.11 Für den einzelnen Akteur bleibt es wohl oft unklar, ob seine moralische Leitlinie christlichen oder weltlichen Ursprungs ist.12 Gleichwohl kann man fallweise danach fragen, ob sich in bestimmten Zusammenhängen doch eine spezifisch christlich fundierte Un ternehmensethik festmachen lässt. Möglichkeiten und Probleme unternehmensethischen Handelns Bevor wir, ausgehend vom oben skizzierten Raster, Fragen an die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft stellen, soll der Fokus nochmals geöffnet werden. Die folgende Diskussion gibt einen Überblick über das moderne Verständnis unternehmensethischen Handelns und die damit verbundenen Probleme. Unser Überblick orientiert sich an einer Einteilung des St. Galler Wirtschaftsethikers Peter Ulrich. Ulrich wird wegen seines aufklärerischen Impetus’ und seiner anti„ökonomistischen“ Fundamentalkritik kontrovers diskutiert.13 Sein Werk eignet 10
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Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 61–64; Hannsmann, Unternehmensethik (2010), 13. Die Goldene Regel (Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst!) kann über den christlich-abendländischen Kontext hinaus als ein Basiswert grundsätzlich aller Weltreligionen gesehen werden. (Vgl. Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 310 f.) Hannsmann, Unternehmensethik (2010), 13. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die pragmatische Haltung des Basler Unternehmers Karl Sarasin (1816–1885), bei dem, so die Beschreibung von Josef Mooser, „das religiöse Motiv [...] immer vorhanden war, aber in seiner Handlungsrelevanz sich auch verändert hat und in anderen, eigenständigen Zusammenhängen stand. Dazu zählten die bürgerliche Philanthropie, in der sich Religion und Aufklärung verschränkten, und der ökonomische Realismus. Wie seine Einstellung zur staatlichen Sozialpolitik deutlich macht, hat er diese traditionell gegebenen Kontexte überschreiten können.“ (Mooser, Unternehmer (2002), 91; vgl. auch Köppli, Protestantische Unternehmer (2012), 111–158.) Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008). Für eine umfassende Kritik Ulrichs vgl. Kohl, Holistische Wirtschaftsethik (2009), 46–77. Die Unternehmensethik ist Gegenstand zahlreicher Publikationen. Für diese Studie waren neben Peter Ulrichs „Integrativer Wirtschaftsethik“ insbesondere folgende Titel von Nutzen: Karmasin/Litschka, Wirtschaftsethik (2008); Pies/Sardison, Einführung (2006); Herms, Wirtschaft (2004); Kreikebaum, Unternehmensethik (1996); Steimann/Löhr, Unternehmensethik (1994) und aus einer etwas anderen Perspektive: Comte-
1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft
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sich trotzdem als Leitplanke, weil er seine Idee einer „integrativen“, „Sachzwänge“ der Marktwirtschaft hinterfragende Wirtschaftsethik als Kritik der herkömmlichen Wirtschaftsethik entwickelt. Daraus ergibt sich eine einleuchtende Systematik unternehmensethischen Handelns, die wiederum mit unseren Kategorien verglichen werden kann. Je nach ihrem Verhältnis zur Gewinnorientierung, lassen sich nach Ulrich grundsätzlich vier (sich gegenseitig nicht ausschliessende) Möglichkeiten von Unternehmensethik unterscheiden: (1) Die Karitative Unternehmensethik. Sie läuft darauf hinaus, dass ein Teil des Unternehmensgewinns (im Sinne einer nachträglichen Einschränkung der Gewinnorientierung) für gemeinnützige Zwecke gespendet wird.14 Problematisch an dieser Variante von Unternehmensethik ist, dass immer neu entschieden werden muss, ob nicht doch besser ein grösserer Teil des Gewinns reinvestiert werden sollte, um dann in Zukunft allenfalls noch grössere Spenden tätigen zu können. Dies kann zu einer Reduktion der unmittelbaren Wohltätigkeit führen.15 Eine weitere Spielart dieses corporate giving könnte darin bestehen, an Stelle von Geld Dinge oder Arbeitszeit zu spenden, etwa indem man Mitarbeiter und Infrastruktur für Entwicklungshilfeprojekte oder zur Betreuung kranker Kinder freistellt.16 Diese Art von unternehmensethischem Handeln hat sowohl im religiösen als auch im weltlichen Zusammenhang eine lange Tradition. Man denke an den im Mittelalter und der frühen Neuzeit nach erfolgreichen Vertragsabschlüssen gespendeten Gottespfennig,17 Calvins Aufruf zu Gemeinsinn und Opferbereitschaft gegenüber den Armen oder das Mäzenatentum in den Metropolen des 19. Jahrhunderts.18 Die karitative Unternehmensethik entspricht der – für die Missions-Handlungs-Gesellschaft wenigstens dem Anspruch nach zentralen – Gemeinnützigkeit, die im Rahmen dieser Studie entsprechend der doppelten Ausprägung in den Zweckbestimmungen in delegierte Gemeinnützigkeit und direkte Gemeinnützigkeit unterschieden wird. (2) Die Korrektive Unternehmensethik. Sie setzt bereits beim unternehmerischen Handeln selbst an und korrigiert, beziehungsweise vermeidet, allfällige negative Auswirkungen der geschäftlichen Aktivität durch moralisch sinnvolle Regeln. Oder anders ausgedrückt: Die einzelnen Sach- beziehungsweise Zwischenziele der Unternehmung werden ethisch reflek tiert und entsprechende Massnahmen eingeleitet.
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Sponville, Kapitalismus (2009). Einen Überblick über die aktuellen Überlegungen im angelsächsischen Raum bietet Brenkert/Beauchamp (Hg.), Business Ethics (2010); darin insbesondere Green/Donovan, Methods (2010); einen Fokus auf christliche Wirtschaftsethik legen unter anderem Hannsmann, Unternehmensethik (2010); Stackhouse et al. (Hg.), Moral business (1995); Ruppel, Theologie und Wirtschaft (1999). Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 456–459. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 457. Ulrich erwähnt diese Möglichkeit nicht. Zu den verschiedenen Möglichkeiten karitativer Unternehmensethik als eines „Corporate-Citizenship-Mix“, der beispielsweise auch „Volunteering“ der Mitarbeiter beinhalten kann vgl. Mecking, Corporate Giving (2008), 308; Karmasin/ Litschka, Wirtschaftsethik (2008), 153. Sellert, Gottespfennig (1978), 1766–1768. Zum Fortleben dieses Brauchs in der frühen Neuzeit vgl. Hatje, Armenfürsorge (2006), 210. Vgl. Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 108.
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1. Einleitung
Das ökonomisch begründete Hauptziel des Erwirtschaften eines möglichst hohen Gewinns bleibt dabei aber grundsätzlich unangetastet. Im Hinblick auf dieses übergeordnete Ziel werden dann möglicherweise auch vorgebliche Sachzwänge des wirtschaftlichen Umfelds unkritisch akzeptiert.19 Zur korrektiven Unternehmensethik gehören Massnahmen wie faire Bezahlung der Mitarbeiter, umweltschonendes Wirtschaften oder der Verzicht auf Kinderarbeit. Die Idee einer korrektiven Unternehmensethik passt zur Tradition der christlichen beziehungsweise protestantischen Wirtschaftsethik. Sie lehnt Gewinnstreben nicht von vornherein ab, will es aber in einen vernünftigen, beziehungsweise aus religiöser Perspektive vertretbaren Rahmen fassen.20 Das Gros der aktuellen Forschungs- und Ratgeberliteratur befasst sich oftmals unter dem Begriff Corporate Social Responsibility mit dieser Variante der Unternehmensethik.21 In Anlehnung an die englische Begrifflichkeit benutzt diese Untersuchung für korrektive Ansätze die Bezeichnung Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung. Ein grundsätzliches Problem bei der Umsetzung einer korrektiven Unternehmensethik besteht darin, dass ein Unternehmen selten für sich allein steht. Das Problem von moralischen Idealen innerhalb einer Konkurrenzsituation kann anhand des so genannten prisoner’s dilemma22 diskutiert werden: Es würde sich beispielsweise für die Gesamtheit aller Unternehmen lohnen, Umweltverschmutzung mit Blick auf die Zukunft tunlichst zu vermeiden. Aus Angst, ein Konkurrent könnte sich als moralischer Trittbrettfahrer durch das Nichtbeachten des Umweltschutzgedankens einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, werden indes nach der Logik des prisoner’s dilemma alle Unternehmen weitgehend auf entsprechende Massnahmen verzichten. Damit verlieren sie langfristig aber alle, da sie ihre natürlich Lebensgrundlage zerstören. Als Ausweg aus diesem unternehmensethischen Dilemma fordern Ökonomen, die eine Lösung qua marktkonformem Verhalten fördern wollen, 19
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Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 459–462. Zu den das ökonomische Denken bestimmenden „Sachzwängen“ vgl. ebd. 141–174; 437–439; sowie Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 48 f. Dabei gilt: Je eher Märkte als perfekt funktionierende „mechanische Systeme“ betrachtet werden, desto weniger Platz bleibt (im „Sachzwang“-Denken) für unternehmensethische Probleme. (Vgl. Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 131 f.) Vgl. etwa Hannsmann (2010). Im gleichen Sinn für den (globalen) Welthandel unter christlichen Gesichtspunkten: Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 24–27. Interessant auch Stückelbergs Verweis auf Calvin, der im Zusammenhang mit der Erlaubnis, Geld gegen Zinsen zu verleihen, dazu ermahnt, diese Art Geschäfte in einem moralisch vertretbaren Rahmen zu behalten. (Ebd. 170 f.) Im deutschsprachigen Raum am prominentesten Steinmann/Löhr, Unternehmensethik (1994). Das klassische Beispiel zur spieltheoretischen Figur des prisoner’s dilemma erzählt von zwei Gefangenen, die einen Ausbruch planen. Während der Planung des Ausbruchs bekommen beide Gefangenen Angst, der jeweils andere könne ihn verraten. Beide Gefangenen wissen, dass sie nach einem misslungenen Ausbruch eine verlängerte Strafe absitzen müssen, sich ihre Bestrafung bei einem Verrat ihres Kameraden aber verkürzt. Nach der (ökonomischen) Logik der Spieltheorie entscheiden sich beide dafür, ihr Gegenüber zu verraten (was ihnen wenigstens den zweitbesten Ausgang der beschriebenen Situation garantiert). Die für beide Gefangenen optimale Lösung (ein gelungener Ausbruch) kommt dagegen aus Angst vor Verrat, also auf Grund des fehlenden gegenseitigen Vertrauens nicht zustande. (Vgl. Kuhn, Prisoner’s Dilemma (2007).)
1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft
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den Erlass von Gesetzen. Allerdings werden entsprechende Normen während des vorangehenden Gesetzgebungsprozesses mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Abschwächung erfahren oder gar zum Spielball politischer Partikularinteressen werden.23 Ulrich selbst favorisiert (3) eine so genannt integrative Unternehmensethik. Sie ist als Weiterentwicklung der korrektiven Unternehmensethik zu verstehen. Vor dem Hintergrund seiner Kritik an „ökonomistischen“ Denkweisen versucht sie einen Reflexionsstopp vor vorgeblichen ökonomischen Sachzwängen, insbesondere dem Zwang, um jeden Preis den Gewinn zu maximieren, zu vermeiden. Sie wendet sich damit deutlich gegen eine „zwei-Welten-Konzeption“ mit einer Sphäre, in der ethische Massnahmen möglich sind und einer zweiten Sphäre, die von ökonomischen Sachzwängen geprägt ist und in der ethische Reflexion keinen Platz hat. Ein Verständnis, wie es insbesondere mit der Verwissenschaftlichung und Mathematisierung der Ökonomie zur Ökonomik gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen sei.24 Die integrative Unternehmensethik versucht, die Unternehmensziele von vornherein und permanent auf eine moralische Legitimationsbasis zu stellen. Statt zu korrigieren geht es darum, ethische und geschäftliche Ansprüche letztendlich miteinander zu versöhnen. Die Kernpunkte der integrativen Unternehmensethik liegen dem nach in der Fokussierung auf eine ethisch reflektierte „Wert schöpfungsaufgabe“ als Unternehmenszweck, der Wahrnehmung gesellschaftlicher Mitverantwortung und der Umsetzung einer dialog-orientierten Unternehmenspolitik.25 (4) Die instrumentalistische Unternehmensethik. Sie vollzieht ethische Massnahmen im Unterschied zu den anderen Varianten nicht als Selbstzweck, sondern lediglich als Zwischenziel im Hinblick auf das eigentlich verfolgte Gewinnstreben. Bestimmte unternehmensethische Massnahmen, so die Überlegung, können (etwa im Sinne der Imagepflege oder der Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit) langfristig gewinnbringend sein und sollten deshalb auch aus strategischen Erwägungen heraus verfolgt werden. Das Problem der instrumentalistischen Unternehmensethik liegt aus moralischer Perspektive darin, dass sie die Augen vor all jenen Situationen verschliesst, in denen „sich Ethik auch langfristig nicht rechnet.“26 23
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Vgl. Pies/Sardison, Wirtschaftsethik (2006), 272–280. Die Idee, unternehmensethische Probleme mit Hilfe gesetzlicher Normen in den Griff zu kriegen, taucht in der Geistesgeschichte der Unternehmensethik immer wieder auf. (Vgl. Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 56; 107; 155 f.) Eine andere – idealistischere – Möglichkeit bestünde darin, auf freiwilliger Basis branchenweit gültige Richtlinien festzulegen und durchzusetzen. (Ebd. 260 f.) Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 111–113. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 464–493. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 453–456. Zu verschiedenen betriebswirtschaftlich positiven Effekten von Unternehmensethik vgl. Karmasin/Litschka, Wirtschaftsethik (2008), 154. Auch die Stakeholder-Ansätze, die im Grundsatz versuchen, die Anliegen aller Gruppen, die ein Unternehmen beeinflussen oder von ihnen beeinflusst werden, in die Diskussion der Unternehmensstrategie miteinzubeziehen, argumentieren oft instrumentalistisch. (Vgl. programmatisch Freemann, Strategic Management (1984).) Es lässt sich fragen, ob eine „instrumentalistische Ethik“ überhaupt einen moralischen Wert besitzt, da sie ja gerade nicht aus moralischen Erwägungen heraus erfolgt. (Vgl. dazu die Kritik bei Comte-Sponville, Kapitalis-
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1. Einleitung
Die instrumentalistische Unternehmensethik oder strategic corporate social responsibility27 grenzt sich von den anderen unternehmensethischen Varianten nicht dem Inhalt nach, sondern von der Intention her ab. Während die ersten drei Varianten aus moralischen Erwägungen das Gewinnstreben einschränken, verhält es sich in diesem Fall gerade umgekehrt. Vom Ergebnis her kann allerdings nur noch schwer zwischen instrumentalistischer und moralisch hehrer Unternehmensethik unterschieden werden. Es ist bei allen Varianten nicht zwingend von einem ständigen trade-off zwischen gewinnorientierten und moralischen Unternehmenszielen auszugehen. Vielmehr sind – ganz abgesehen von der ursprünglichen Intention – gegenseitig positive Verstärkungen zwischen Moral und Geschäft immer wieder möglich.28 Auch aus einer moralischen Intention hervorgehendes unternehmensethisches Handeln kann langfristig positive Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf haben.29 Oft ist aber damit zu rechnen, dass nicht nur das Ziel einen Gewinn zu erwirtschaften in einem Gegensatz zu moralischen Zielen steht, sondern dass sich auch verschiedene moralische Ziele gegenseitig behindern. Hier ist etwa an das bekannte Dilemma zwischen ökologischen und sozialen Forderungen zu denken. So kann es für ein Unternehmen im Hinblick auf die Mitarbeiterzufriedenheit sinnvoll sein, Klimaanlagen zu benutzen, was aber gleichzeitig ökologisch unerwünschte Folgen hat.30 Manche Ökonomen lehnen alle unternehmensethischen Überlegungen ab; auch ethisches Handeln aus strategischen Erwägungen. Für sie stellt der funktionierende Markt nicht nur die effizienteste, sondern gemä ss dem Utilitaritätsprinzip31 auch
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mus (2009), 46–51.) Je nach Kontext kann diese Art Unternehmensethik sogar nicht nur moralisch „wertlos“, sondern mo ralisch geradezu verwerflich sein. Dazu Peter Ulrich: „Geht es dabei um die Instru mentalisierung der moralischen Empfindungen anderer Personen durch einen selbst nicht moralisch, sondern strikt strategisch orientierten Akteur, so ist das allerdings ein geradezu zynischer Umgang mit anderen Menschen, da er nur so lange funktioniert, wie die instrumentalisierten Personen die Ausbeutung ihrer Moralität nicht durchschauen.“ (Ulrich, Integrative Unternehmensethik (2006), 116 f.) Ohne moralische Begründung kommt das Sponsoring aus, welches grundsätzlich ähnlich wie die instrumentalistische Unternehmensethik funktioniert. Es handelt sich dabei um einen finanziellen Transfer, der offen aus Marketingüberlegungen geschieht, gleichzeitig aber gesellschaftlich wertvolle Aktivitäten etwa im Kulturbereich unterstützen kann. (Zur Unterscheidung von Corporate Giving als reiner Spende und Sponsoring vgl. Mecking, Corporate Giving (2008).) Vgl. Werther/Chandler, Strategic corporate social responsibility (2006). Dies betonen etwa (die insgesamt eher „instrumentalistisch“ argumentierenden) Pies/Sardison, Wirtschaftsethik (2006), 267–272. Vgl. Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 210. Eine solche Feststellung kann dann ein Stück weit wieder instrumentalistisch werden, wenn sie allzu sehr dazu benutzt wird, für unternehmensethisches Verhalten zu werben. So etwa bei Hannsmann, der mit dem Versprechen auf mehr Erfolg seine Unternehmensethik auf christlicher Grundlage beliebt machen möchte. (Hannsmann, Unternehmensethik (2010), 69–76.) Vgl. zum Problem der „Pflichtenkollision“ auch Hannsmann, Unternehmensethik (2010), 25– 27 sowie Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 7. Oder wie in jüngerer Zeit manchmal vorgebracht: dem Streben nach einem Pareto-Optimum, also einem Zustand wo sich für niemanden mehr etwas gewinnen lässt ohne jemand anderem aktiv zu schaden.
1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft
19
die gerechteste und moralisch wertvollste Organisationsstruktur der menschlichen Gesellschaft dar. Auf die Verantwortung der Unternehmen bezogen läuft das auf die Aussage hinaus, die einzige moralische Pflicht eines Unternehmens sei es, marktkonform zu funktionieren, also Gewinn zu erzielen.32 In die selbe Richtung argumentiert vordergründig auch der französische Philosoph André Comte-Sponville, der die Unternehmen einer durch die Marktlogik dominierten „technowissenschaftlichen Ordnung“ verhaftet sieht.33 Er stellt die Notwendigkeit moralischen Handelns allerdings keineswegs in Abrede, sondern fordert dies stattdessen von den einzelnen Menschen, den Mitarbeitern und Entscheidungsträgern einer Firma, die sich als menschliche Wesen eben nicht bloss in der technowissenschaftlichen Ordnung, sondern auch in der rechtlichen, moralischen und ethischen Ordnung bewegen können und sollen.34 Ob man nun Comte-Sponvilles Argumentation folgt oder nicht, sicherlich ist es nützlich, die Aktivitäten eines Unternehmens – auch die De finition und Umsetzung moralischer oder religiöser Unternehmensziele – auf einer persönlichen Ebene zu betrachten. So könnte etwa – um im Sinne Comte-Sponvilles zu argumentieren – die spezielle unternehmensethische Ausrichtung der Missions-Handlungs-Gesellschaft schlicht als der Ausdruck eines merkwürdigen, aber durchaus legitimen Aktionärswillens verstanden werden. Das Unternehmen würde dann nur den Willen der Besitzer umsetzen, ohne selbst eine besondere Unternehmensethik zu besitzen.35 In dieser Arbeit wird im Sinne eines partiellen methodologischen Individualismus immer wieder versucht, unternehmensethisches Handeln auf einer persönlichen Ebene, etwa aus der Sicht der Investoren oder der Mitarbeiter, darzustellen und zu verstehen.36 Insgesamt scheint es allerdings zu kurz gegriffen, die Ausgestaltung eines Unternehmens mit einer bestimmten Unternehmensethik lediglich als die Summe persönlicher Entscheide zu begreifen. Werden doch viele Entscheide aus einer institutionellen Logik oder bestimmten Moden heraus getroffen. Natürlich geht es auch in solchen Situationen um die Gedanken und Entschlüsse einzelner Menschen. Sie treten aber auf Grund des sozialisierten Kontextes (man 32
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Diese radikale Haltung wurde am prominentesten von Milton Friedmann in einem Essay mit dem programmatischen Titel „The social responsibility of business is to in crease its profits“ (erschienen am 13. September 1970 im New York Times Magazin) vertreten. (Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 433–435.) Seither wird Friedmans Statement (das aus der Perspektive der Eigentumsrechte der Aktionäre durchaus auch moralisch begründet werden kann) von verschiedenen neoliberalen Epigonen unkritisch und oftmals zusammenhangslos als Aufforderung zum Ignorieren moralischer Bedenken bei der Gewinnmaximierung ins Feld geführt. (Vgl. Green/Donovan, Methods (2010), 24.) Comte-Sponville, Kapitalismus (2009), 53–57. Comte-Sponville, Kapitalismus (2009), z. Bsp. 134; vgl. zu diesem Einwand auch Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 4. Comte-Sponville, Kapitalismus (2009), 240 f.; 246 f. Eine auf die einzelne Person bezogene Fragestellung liegt Michael Heisters Arbeit über Gottlieb Duttweiler und die Geschichte der Migros zu Grunde. Sie fragt, wie sich Duttweilers Motivation und Antrieb zwischen der Orientierung am Eigennutz und am Gemeinwohl entwickelt hat. (Heister, Migros (1991).) Zur Deutung der Unternehmermoral zwischen methodologischem Individualismus und Gesellschaftsgeschichte vgl. auch Tilly, Unternehmermoral (1995), 36 f.
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1. Einleitung
denke etwa an Tabus, Denkverbote oder Gruppendruck – die die Akteure umgebenden und bestimmenden Mentalitäten, Strukturen und Diskurse) so stark in den Hintergrund, dass sie auch den Handelnden selbst nicht mehr immer bewusst, geschweige denn für den Historiker oder die Historikerin fassbar werden. Fragen an die moralisch-religiöse Ausrichtung der Missions-Handlungs-Gesellschaft Ausgehend von unserem zu Beginn definierten Analyseraster mit seinem Nebeneinander von gewinnorientierten, direkt gemeinnützigen und delegiert gemeinnützigen Zielen sowie der Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung sollen nun Fragen an die Geschichte der MissionsHandlungs-Gesellschaft gestellt werden. Der Unternehmenshistoriker Toni Pierenkemper schlägt vor, unternehmensgeschichtliche Forschung an betriebswirtschaftlichen Kategorien auszurichten, um sie so in einen ergiebigen Zusammenhang mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen und Forschungsergebnissen bringen zu können.37 Im Sinne dieser Forderung gliedern sich die folgenden Fragen anhand verschiedener betriebswirtschaftlicher Rubriken. (1) Die Ebene der strategischen Entscheide. Wie veränderte sich die unternehmensethische Ausrichtung mit ihren oben skizzierten Kategorien direkte Gemeinnützigkeit, delegierte Gemeinnützigkeit und Gewinnorientierung? Welche Vorgaben wurden für den Umfang und die Ausgestaltung der direkten Gemeinnützigkeit gemacht? Wie stand es um die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung auf strategischer Ebene? Lassen sich in der Vorgabe und Umsetzung dieser unternehmensethischen Massnahmen allenfalls Ansätze einer integrativen Unternehmensethik im Sinne Ulrichs ausmachen? Inwiefern wurde bei der strategischen Entwicklung des Unternehmens auf das besondere unternehmensethische Spannungsfeld achtgegeben? Wo kam es zu Reibungen und Dilemmata? Wie wurde in Auseinandersetzungen argumentiert? Wie gestaltete sich das Verhältnis zur Basler Mission als moralisch-religiösem Sinngeber? In welcher Weise profi tierten die beiden Institutionen voneinander? Oder schadeten sie sich gegenseitig? Wie stabil war die als besondere Unternehmenskultur verstandene unternehmensethische Ausrichtung? (2) Die Ebene der Finanzierung. Wie verhielten sich die Investoren in Bezug auf die moralisch-religiösen Besonderheiten? Erwuchsen der Missions-HandlungsGesellschaft daraus allenfalls Vorteile? (3) Die Ebene des operativen Geschäfts. Inwiefern beeinflussten die religiös moralischen Besonderheiten das tägliche Geschäft? Wie gestaltete sich die direkte Gemeinnützigkeit? War sie ausschliesslich auf die missionarische Tätigkeit im engeren Sinn ausgerichtet oder finden sich auch Belege für „zivilisatorische“ Bemühungen, die allenfalls auf Ideen heutiger Entwicklungszusammenarbeit hinweisen?38 37 38
Pierenkemper, Unternehmensgeschichte (2000), 83–247; vgl. auch Berghoff, Wozu Unternehmensgeschichte? (2004), 138–141. Es geht in dieser Untersuchung allerdings nur um die „zivilisatorischen“ Bemühungen der
1.1 Die Verbindung von Mission und Geschäft
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Wie stand es um die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung im täglichen Geschäft? Welchen Dilemmata sahen sich die einzelnen Mitarbeiter gegenübergestellt? (4) Das Personalwesen. Wie verhielten sich die Mitarbeiter gegenüber den unternehmensethischen Besonderheiten des Unternehmens? Was wurde von ihnen erwartet? Inwieweit trugen sie die besondere Unternehmensethik der MissionsHandlungs-Gesellschaft mit? Was motivierte sie zur Mitarbeit in der MissionsHandlungs-Gesellschaft? Steigerte die religiös-moralische Ausrichtung das Engagement (und damit die Effizienz) der Mitarbeiter oder führte sie zu Ineffizienz und zusätzlichen Kosten?39 (5) Die Gewinnverteilung: Wie verteilte sich der Gewinn zwischen den Aktionären (gewinnorientierte Ausschüttungen) und der Basler Mission (delegiert gemeinnützige Ausschüttungen)? Welchen Beitrag leistet die Missions-HandlungsGesellschaft an die Finanzierung der Basler Mission?40 Diese Fragen zielen sowohl auf die inhaltliche Ausgestaltung des unternehmensethischen Spannungsfelds als auch auf die formalen Aspekte und formalen Probleme der speziellen unternehmensethischen Ausrichtung der Missions-HandlungsGesellschaft. Wie sich zeigen wird, war die Missions-Handlungs-Gesellschaft über lange Zeit hinweg sehr eng mit der Basler Mission verbunden. In diesem Sinn würde sich die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft ebenso gut als Teil der Missionsgeschichte erzählen lassen. Im Hinblick auf die in den Vordergrund gestellten Fragen nach der unternehmensethischen Ausrichtung bietet sich aber die Perspektive eines grundsätzlich eigenständigen Unternehmens an. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft als unternehmensethisches Fallbeispiel? Das Spannungsfeld zwischen moralischen Überlegungen und Gewinnorientierung betrifft nicht allein die Missions-Handlungs-Gesellschaft. Grundsätzlich stellen sich diese Fragen jedem Unternehmen, aber auch öffentlichen und gemeinnützigen
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Missions-Handlungs-Gesellschaft, nicht aber um die entsprechenden Tätigkeiten der Basler Mission. Diese fanden mehrheitlich unabhängig und ausserhalb der Missions-Handlungs-Gesellschaft statt. So etwa Landwirtschaftsprojekte, Schulen und Spitäler der Mission. (Vgl. Rennstich (1981) und (1985), der selbst weniger klar zwischen Mission und Mission-Handlungs-Gesellschaft unterscheidet.) Die principal-agent-Theorie hat sich unter anderem mit den Reibungsverlusten im Zusammenhang von Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Demnach entstehen bei der Übertragung von Aufgaben vom Arbeitgeber/Besitzer (principal) auf Angestellte (agents) wegen gegenseitigem Misstrauen und unvollständiger Information über die Absichten und Qualitäten des Vertragspartners Transaktionskosten. (Vgl. Stiglitz, Principal (2006).) Die moralisch-religiöse Ausrichtung der Missions-Handlungs-Gesellschaft könnte durch die Schaffung eines starken gemeinsamen Ziels (Stärkung der Mission o. ä.) dazu beigetragen haben, das gegenseitige Misstrauen und allfällige Irreführungen abzubauen und damit mit dem principal-agent-Problem verbundene Kosten einzusparen. Vgl. dazu auch die allgemeinen Überlegungen in Tschudi-Barbatti, Halbatzen-Kollekte (1991), 126–138.
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1. Einleitung
Institutionen. Letzteren insbesondere dann, wenn gewinnbringende Einheiten in die gemeinnützige Institution integriert sind.41 Bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft gewannen die unternehmensethischen Fragen auf Grund der speziellen Stellung als eine Art Spin-off der Basler Mission besonderes Gewicht. Unternehmensethische Ziele sind von Anfang an das konstitutive Merkmal dieser Firma. (Damit erinnern sie an Ulrichs integrative Unternehmensethik.) Üblicherweise ergibt sich das Bedürfnis nach Unternehmensethik dagegen erst ex post, gewissermassen als Antwort auf problematische Aspekte des Gewinnstrebens.42 Die Wurzeln in der Mission führten zu einer ganz besonderen inhaltlichen Ausprägung der Unternehmensethik der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Sie ist, wie sich zeigen wird, weder eine typisch weltliche noch eine typisch christlich Unternehmensethik, sondern vor allem eine Ausrichtung auf die Ziele der Basler Mission. Sie stellt damit einen Spezialfall dar.43 Damit besteht die Gefahr, dieses aussergewöhnliche Unternehmen über Gebühr als Fallbeispiel einer allgemeinen Fragestellung zu strapazieren. Der deutliche Charakter der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer explizit auf die Ziele der Mission ausgerichteten Firma erlaubt es aber, das Untypische dieser Firma relativ leicht kenntlich zu machen und das Unternehmen damit wieder besser vergleichbar zu machen.44 Auch wenn man nicht so weit geht, dem Beispiel der Missions-Handlungs-Gesellschaft aufklärerischen Wert beizumessen, so ergibt sich aus der Beschäftigung mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft im besten Fall doch nützliche „Orientierung“ im Umgang mit unternehmensethischen Problemen.45 In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich zu beachten, dass der Begriff „Unternehmensethik“ in Bezug auf die Missions-Handlungs-Gesellschaft ein Anachronismus ist. In der deutschsprachigen Fach-Diskussion kam dieser Begriff erst im Laufe der 1980er Jahre in Gebrauch. Immerhin ist der aus den USA stammende englische Begriff der „business ethics“, wenn auch nicht im wissenschaftlichen Bereich, seit Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich. Im Deutschen findet sich seit 41
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So muss sich ein genossenschaftlich organisiertes Detailhandelsunternehmen wie etwa die Migros entscheiden, ob es zur Erfüllung seines Hauptziels (Bereitstellung günstiger Lebensmittel für die Bevölkerung (vgl. Statuten Migros Genossenschaftsbund, 27. Oktober 2007, Art. 3.) vor allem günstig Lebensmittel verkaufen (und damit auf Einnahmen verzichten) oder ob es (entgegen der Absicht möglichst billige Lebensmittel bereitzustellen) Geld verdienen soll, welches dann für weitere gemeinnützige Zwecke (z. Bsp. Kulturförderung) oder Investitionen in neue Filialen (was ja langfristig ebenfalls wieder dem Hauptzweck zugute kommt) verwendet werden kann. Es geht also – in den Begriffen dieser Arbeit gesprochen – um die Frage, ob gemeinnützig oder doch eher in die Zukunft und zukünftige gemeinnützige Ziele investiert werden soll. Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 12; 427–430. Auch im Missionskontext gab es nur wenig vergleichbare Versuche. (Siehe die Aufzählung in Kap 1.2 im Abschnitt „Pietismus und wirtschaftliche Tätigkeit“.) Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 4, der im Zusammenhang der Missions-HandlungsGesellschaft von einem „kontrollierbaren Spezialfall“ spricht. Vgl. Kocka, Erinnern (2005), 72. Nach Megone kann die Beschäftigung mit Fallstudien zur Unternehmensethik die theoretische Diskussion beflügeln, das ethische Urteilsvermögen schärfen, aber auch für „virtuous motivation“ (Motivation zur Tugenhaftigkeit) sorgen. (Megone, Case histories (2002).)
Die Missions-Handlungs-Gesellschaft
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Ende des 19. Jahrhunderts vorerst dessen Übersetzung „Geschäftsethik“.46 Als Analyseinstrument scheint der Begriff aber allemal nützlich: Wie die Gegenüberstellung aktueller unternehmensethischer Kategorien mit der Geschäftsordnung der Missions-Handlungs-Gesellschaft aus den 1860er Jahren gezeigt hat, scheint es durchaus sinnvoll, den modernen Begriff und die modernen Überlegungen in einen Zusammenhang mit unserem historischen Beispiel zu setzen – auch wenn die damaligen Akteure ihr Handeln anders benannt und sich vielleicht auch nicht leichthin mit den aktuellen Kon zepten von Unternehmensethik identifiziert hätten. 1.2 DIE MISSIONS-HANDLUNGS-GESELLSCHAFT ALS TEIL EINES UNTERNEHMENSGESCHICHTLICHEN UND RELIGIONSGESCHICHTLICHEN KONTEXTS Die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihrer unternehmensethischen Besonderheiten ist in verschiedene historische Zusammenhänge eingebettet. Die Geschichte handelt von Basler Grossbürgern und afrikanischen Händlerinnen, Württemberger Pietisten und indischen We bern, Missionskaufleuten, die sich zugleich als Missionare fühlten, und Kunden und Kundinnen in den Läden der MissionsHandlungsGesellschaft. Wir befinden uns mitten in der dynamischen Erneuerung der Schweizer Wirtschaft, mitten im Prozess der kolonialen Expansion, mitten in einem Aufblühen des Welthandels, mitten in der pietistischen Erweckung Europas, mitten in der missionarischen Durchdringung Asiens und Afrikas – mitten in der „Verwandlung der Welt“47. Es geht um Fragen der Unternehmensgeschichte und der kolonialen und globalen Wirtschaftsgeschichte sowie um Aspekte der Religions- und Missionsgeschichte. Soweit als nötig und möglich wird die folgende Geschichte auch als Teil dieses Kontexts betrachtet. Aus den verschiedenen Zusammenhängen ergeben sich weitere Fragen, die – den zuvor skizzierten Hauptfragen nachgeordnet – im Hinterkopf behalten werden sollen. Unternehmensgeschichte Unternehmen und Unternehmer fanden sowohl in der Wirtschaftswissenschaft als auch in der Geschichtswissenschaft lange Zeit wenig Beachtung. Erst die „Historische Schule der deutschen Nationalökonomie“ gestand den Unternehmern innerhalb des wirtschaftlichen Geschehens eine tragende Rolle als Risikoträger und In46
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So das Ergebnis einer rudimentären Erhebung in „Google Books“. Ein regelmässiger Gebrauch des Begriffs „business ethics“ ab den 1850er Jahren findet sich etwa im amerikanischen „The Merchants’ magazine and commercial review“. Den Begriff „Geschäftsethik“ nutzt gelegentlich (aber nicht systematisch) auch der berühmte Soziologe Max Weber, der dem seit anfangs des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen Begriff „Wirtschaftsethik“ zu Ruhm verholfen hat. (Vgl. etwa Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1980), 620.) Osterhammel, Verwandlung (2009); vgl. auch Bayly, Birth (2004); Mann (Hg.), 19. Jahrhundert.
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1. Einleitung
novatoren zu.48 Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter spitzte die Idee des ehrgeizigen, kreativen, Innovationen zum Durchbruch verhelfenden „Superunternehmers“ zu.49 Weniger euphorische Denker gestanden den Unternehmern zumindest eine zentrale Rolle als Entscheidungsträger zu, die in einem wirtschaftlichen Umfeld, welches – entgegen den Annahmen der klassischen Ökonomie – durch weitgehend mangelhafte Informationen gekennzeichnet ist, schwierige Entscheide zu treffen haben. Im 20. Jahrhundert gab dann die neue Institutionenökonomie Anregungen, sich vertieft mit Unternehmern und Unternehmen als Bewältigern von Transaktions- und Koordinationsproblemen in einem unvollständigen Markt sowie als Organisatoren effizienter Teamarbeit zu befassen.50 Aus dieser wirtschaftswissenschaftlichen Beschäftigung mit Unternehmen erwuchs allmählich ein vermehrtes Interesse an Unternehmensgeschichte, die über historische Einzelstudien hinausging. Grundlegend waren die Untersuchungen von Alfred D. Chandler. In seinen drei Hauptwerken „Strategy and Structure“, „The visible Hand“ und „Scale and Scope“ entwarf er ein Modell des werdenden Grossunternehmens. In Anlehnung an die neue Institutionenökonomie zeigte er, dass viele Unternehmen nicht nur auf Grund der Nutzung von Skalenerträgen in ihrem Kerngeschäft wuchsen, sondern auch dadurch, dass sie sich vertikal integrierten, also die Produktion von Vorprodukten und den Absatz ihrer Produkte innerhalb eines Unternehmens vereinten. Durch optimale Abstimmung innerhalb des Unternehmens konnten die (sonst auf dem Markt anfallenden) Transaktionskosten verringert werden. Gleichzeitig benötigten solche Unternehmen einen höheren Organisationsgrad mittels mehr oder weniger selbständiger Divisionen unter einer zentralen Unternehmensleitung. In diesen komplexen Unternehmen übernahmen angestellte „Manager“ immer mehr Marktfunktionen und gewannen so an Einfluss, während die Eigentümer-Unternehmer an Bedeutung verloren.51 Im Zusammenhang mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft interessiert, inwieweit die mit dem Wachstum einhergehenden organisatorischen Änderungen mit Chandlers Beobachtungen übereinstimmen und inwieweit diese Veränderungen Auswirkungen auf die unternehmensethische Ausrichtung der Firma hatten. Schliesslich gewannen Unternehmen im Laufe des 20. Jahrhunderts vermehrt an Bedeutung als Akteure der allgemeinen Geschichte. Der deutsche Unternehmenshistoriker Hartmut Berghoff sieht Unternehmensgeschichte in erster Linie als Gesellschaftsgeschichte. Demgemäss interessiert er sich vor allem für die Interaktion zwischen Unternehmensentwicklung und gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.52 Indem die Missions-Handlungs-Gesellschaft immer auch als Teil 48 49 50 51 52
Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 33–35. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 36–38. Hier ist vor allem auf die Arbeiten von Mark Casson hinzuweisen. (Casson, Unternehmer (2001); Casson Entrepreneur (2003).) Vgl. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 39–52; Dejung, Intermediäre (2010), 146. Vgl. Chandler, Strategy and structure (1990); Chandler, Visible hand (2002); Chandler, Scale and Scope (2004); sowie Galambos, Identity (2003), der sich würdigend, aber auch kritisch zu Chandlers Dominanz in der unternehmensgeschichtlichen Forschung äussert. Vgl. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), insbesondere 22–29.
Die Missions-Handlungs-Gesellschaft
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eines weiteren Kontexts betrachtet wird, wird versucht, dieser Perspektive gerecht zu werden. Multinationale Handelsunternehmen53 In der frühen Neuzeit prägten mit der britischen und der niederländischen Ostindienkompanie frühe Grossunternehmen den Überseehandel und die Kolonisierung Aussereuropas.54 Nach dem Niedergang dieser Gebilde im 18. und 19. Jahrhundert begann eine Ära kleinerer Handelshäuser. Anders als von Chandlers Modell prognostiziert blieben viele Handelshäuser lange Zeit relativ schwach integrierte Familienunternehmen. Mit zunehmender Grösse mussten aber auch sie immer mehr auf modernes Management und strengere Kontrollen setzen. Durch Diversifi kation in verwandte Gebiete wie das Bankwesen oder das Reedereigeschäft konnten diese lockerer organisierten Unternehmen Skalenerträge vor allem in Bezug auf ihre Informationskompetenz wahrnehmen.55 Auch in der Schweiz bildeten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben der Missions-Handlungs-Gesellschaft verschiedene grössere multinationale Handelsunternehmen mit eigenen Einkaufs- und Verkaufsorganisationen. Der Forschungsstand bezüglich der Schweiz ist bislang allerdings noch eher „disparat“.56 In mancher Hinsicht mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft vergleichbar waren das Winterthurer Handelshaus Gebrüder Volkart, das wie die Missions-HandlungsGesellschaft seit den 1850er Jahren im Kolonialwarenhandel vor allem mit Baumwolle tätig war und das bis heute bestehende Zürcher Handelshaus Diethelm-Keller, das seit den 1880er Jahren im Asienhandel tätig ist.57 In Bezug auf die Erforschung von Schweizer Handelsfirmen im 19. Jahrhundert nennt Christof Dejung als besonders vielversprechende Ansätze den Fokus auf die politische Ökonomie des internationalen Handels, die Thematisierung globaler ökonomischer Ungleichheit durch (oder trotz) Handel, den Zusammenhang mit der Ausbildung exportorientierter Industrieunternehmen und schliesslich die kulturelle Dimension des Handels im aussereuropäischen Kontext.58 Die kulturelle Dimension scheint bezüglich der
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Jones versteht darunter Unternehmen, die Handelsgeschäfte zwischen unterschiedlichen Ländern tätigen und Aktiven in mehreren Ländern besitzen. (Jones, Merchants (2000), 1.) Nagel, Abenteuer Fernhandel (2007). Hierzu unter anderen: Chapman, Merchant enterprise (1992); Jones, Merchants (2000); vgl. Dejung, Intermediäre (2010), 145–147. Dejung, Intermediäre (2010), 144–146; vgl. auch Jones, Multinationals (2003), 361. Zu Volkart vgl. Dejung, Fäden (2013); Dejung, Hierarchie (2007); sowie aus dem Umfeld dieses Unternehmens Rambousek et al., Volkart (1991). Zur Diethelm-Gruppe vgl. Eggenberger, Diethelm (1987) und die reich illustrierte neuere Publikation Bartu, Fan Tree Company (2005). Einen Überblick über die Geschichte der fünf grössten Schweizer Welthandelsunternehmen im 20. Jahrhundert (die aus der Missions-Handlungs-Gesellschaft hervorgegangene BHG/UTC-Gruppe, Volkart, André, Diethelm-Keller und die Marc-Rich-Gruppe) gibt Guex, Development (1998). Dejung, Intermediäre (2010), 150–152.
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1. Einleitung
Missions-Handlungs-Gesellschaft auf Grund der Verbindung mit der Basler Mission besonders interessant. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft bewegte sich als Welthandelsunternehmen im Kontext der kolonialen und globalen Wirtschaft. Als Händlerin vermittelte sie zwischen Marktteilnehmern auf verschiedenen Kontinenten, schuf neue Märkte und trug zur Kommerzialisierung traditioneller Gesellschaften bei.59 Sie bietet damit ein Beispiel einer interessanten (zeitlich und räumlich begrenzten) globalen Verflechtung und Interaktion.60 In Afrika stellt insbesondere die Zeit zwischen dem Ende des Sklavenhandels und dem Beginn einer etablierten Kolonialherrschaft eine interessante Phase wirtschaftlicher Globalisierung mit aktiven afrikanischen und europäischen Akteuren dar.61 Der Anbau und weltweite Verkauf tropischer Produkte, wie etwa Palmöl, liess einheimische Akteure – durch Vermittlung immer stärker dominierender multinationaler Handelshäuser – bereits vor der kolonialen Durchdringung Teil einer globalisierten Welt werden. Gleichzeitig bedeuteten die erwachenden Handelsinteressen eine Konkurrenz für den einheimischen (Fern-) Handel. Schliesslich verstärkten die Handelsinteressen auch die kolonialen Ambitionen der europäischen Mächte.62 Auch wenn die hier verwendeten Quellen tendenziell die Innensicht der Missions-Handlungs-Gesellschaft bevorzugen, soll die Missions-Handlung soweit möglich auch als Teil weiterreichender Prozesse betrachtet werden. Im Kontext des globalen Handelsgeschehens stellt sich etwa die klassische Frage, ob ungerechte Strukturen anhaltende Armut in den Ländern des Südens begründen (Dependenztheorie) oder eine allmähliche Modernisierung und Entwicklung Armut allmählich verschwinden lassen wird (Modernisierungstheorie).63 Inwieweit stellte sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft, etwa durch die Schaffung von fairen Handels-Strukturen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen bestimmte Ungerechtigkeiten? Inwieweit begünstigte sie sie? Inwiefern lässt sich modernisierungstheoretisches Denken festmachen? Der neuere Pietismus Die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft ist Teil der Geschichte des neueren Pietismus. Der neuere Pietismus und die damit verbundene Erweckungsbewegung knüpften an die pietistische Tradition insbesondere der Herrnhuter Brüdergemeine an.64 Grundsätzlich handelte es sich dabei um eine gesellschaftlich konservative und tendenziell anti-liberale Bewegung, die insbesondere nach 1848 im59 60 61 62 63 64
Vgl. Dejung, Intermediäre (2010), 148; Roy, India (2000), 131–133; Franc, Schokolade (2008), 13. Vgl. zu diesem offenen Ansatz von Globalgeschichte Conrad/Eckert, Globalgeschichte (2007), 24–39. Vgl. Speitkamp, Afrika (2007), 147–165. Vgl. Hopkins, Economic history (1973), 142–167; ders., New economic history (2009), 169 f.; Reynolds Gold Coast (1975). Zum „Streit der ‚grossen Theorien‘“ vgl. Nuscheler, Entwicklungspolitik (2005), 214–219. Vgl. etwa Ehmer, Herrnhut (2010).
Die Missions-Handlungs-Gesellschaft
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mer mehr auch politisch konservative Züge trug.65 Gleichzeitig betonte der Pietismus – in durchaus moderner Weise – die Individualität des Glaubens, was ihn gerade für so genannte Kleinbürger attraktiv machte.66 Aus dem Zusammengehen von (klein-) bürgerlichem Individualismus und konservativer Geisteshaltung ergab sich gemäss Thorsten Altena ein ländlich-handwerkliches Ideal, eine „Selbstbeschränkung auf das Dörfliche“, der vielleicht am konsequentesten in den pietistischen Gemeindegründungen in Herrnhut und Korntal nachgelebt wurde.67 Der neue Pietismus des 19. Jahrhunderts kann in diesem Sinn als eine konservative Antwort auf die Herausforderungen von Aufklärung, politischen Neuerungen und industrieller Revolution gesehen werden.68 Gleichzeitig war der neue Pietismus aber auch Teil einer neuen Zeit: In der erwähnten Betonung des individuellen Glaubens, aber auch in seiner Orientierung an Grossbritannien und den USA und in seinem (religiösen) Optimismus war er selbst ein Kind der Aufklärung69 und er wurde, ebenso wie die Strömungen, denen er sich entgegenstellte, eine Variante des bürgerlichen Wegs in die Moderne. Dieser konnte neben Säkularisierung eben auch Re-Christianisierung beinhalten.70 Auch die besonders stark ausgeprägte pietistische Bewegung im „frommen Basel“ des 19. Jahrhunderts kann als eine Reaktion auf revolutionäre Kräfte und den Verlust der Untertanengebiete in der Basler Landschaft (1832) gesehen werden,71 was auch die besonders starke Verbreitung des Pietismus in der Basler Oberschicht erklären würde.72 Der neuere Pietismus des 19. Jahrhunderts zeichnete sich durch seine Nähe zu den reformierten und lutherischen Landeskirchen aus.73 In besonderem Mass traf dies auf Basel zu.74 Trotz diesen integrativen Tendenzen kam es aber auch in Basel zur Gründung zahlreicher neben der Landeskirche stehender Institutionen. Am bekanntesten sind die Gründung der Christentumsgesellschaft (1780) und der Basler Mission (1815), die Basel zu einem Zentrum des neuen Pietismus werden liessen.75 Diesen international ausstrahlenden Institutionen folgten im Laufe des Jahrhunderts weitere Gründungen mit eher regionaler Ausstrahlung: so eine Bibelgesellschaft, ein Kinderspital, die Pilgermission St. Chrischona oder das Diakonissen65 66 67 68 69 70 71 72
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Lehmann, Lage (2010) 10; Gleixner, Pietismus (2005), 407; Wehling, Pietismus (2008), 178 sowie Scharfe, Religion (1980), 162. Wehling, Pietismus (2008), 169. Altena, Häuflein (2003), 233–238; vgl. auch Lehmann, Lage (2000), 14; 21; Scharfe, Religion (1980), 125. Vgl. Scharfe, Religion (1980), 134. Lehmann, Lage (2000), 7 f. Gleixner, Pietismus (2003), 393. Vgl. Hebeisen, leidenschaftlich (2005), 64 f. Hebeisen selbst will den Basler Pietismus des 19. Jahrhunderts allerdings nicht auf eine blosse konservative Reaktion verkürzt wissen. Die pietistische Ausrichtung von Teilen des Grossbürgertums, beziehungsweise des städtischen Patriziats war allerdings keine Basler Besonderheit, wie Studien zu Bern (Vgl. Rieder, Netzwerke (2008), 108–110.) oder London (Vgl. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 9–11.) zeigen. Lehmann, Lage (2000), 22. Huppenbauer, Menschenliebe (2010), 64; Hebeisen, leidenschaftlich (2005), 48–50. Lehmann, Lage (2000), 3.
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1. Einleitung
haus in Riehen.76 Bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestand in Basel eine aktive Sozietät der Herrnhuter Brüdergemeine.77 Die Basler Mission 1815 entstand aus dem Umfeld der Christentumsgesellschaft die Evangelische Missionsgesellschaft in Basel (Basler Mission). Vorerst betrieb die Basler Mission lediglich eine Ausbildungsstätte für Missionare, die später für andere Missionsgesellschaften arbeiteten.78 Nach kurzlebigen Versuchen im Kaukasus und in Liberia wurden 1828 erstmals Missionare an die Goldküste ausgesandt. Es folgten Gründungen in Indien (1834), China (1847) und Kamerun (1885).79 Die Basler Mission war juristisch gesehen eine einfache Gesellschaft eines meist zwölfköpfigen, sich selbst konstituierenden Missionskomitees. Unter den Komiteemitgliedern fanden sich vor allem Basler Pfarrer und Vertreter des Basler Grossbürgertums. Die Missionare der Basler Mission rekrutierten sich dagegen überwiegend aus den pietistischen Kreisen Württembergs.80 Gründung und Tätigkeit der Basler Mission waren stark von den pietistischen Idealgemeinden in Korntal und Herrnhut geprägt.81 Neben der eigentlichen Bekehrsungstätigkeit verfolgte die Basler Mission auch eine Form von „zivilisatorischer“ Mission mit eigenen Landwirtschaftsprojekten, Schulen und Spitälern.82 Ausgehend von der gesellschaftlich konservativen Haltung vieler Missionare und Komiteemitglieder ergab sich dabei – in Übertragung der oben beschriebenen „Selbstbeschränkung auf das Dörfliche“ – eine von Altena als „Utopie im Sinne einer idyllisch-missionarischen Provinz“ bezeichnete Forcierung eines traditionellen landwirtschaftlich-handwerklichen Lebensstils.83
76 77 78
Hebeisen, Vergesellschaftung (2004), 201. Hebeisen, Vergesellschaftung (2004), 196. Zum folgenden Abriss der Geschichte der Basler Mission vgl. (veraltet aber ausführlich und informativ) Schlatter, Basler Mission, I–III (1916). Einen aktuelleren Überblick bietet Jenkins, Basler Mission (1989). 79 Ab den 1840er Jahren kann man von einer eigentlichen Hochphase der Mission sprechen, die neben der mit einer exotischen Faszination behafteten „äusseren“ Mission in Übersee gleichzeitig auch eine „innere“ Mission innerhalb Europas hervorbrachte. (Vgl. Lehmann, Lage (2000), 4.) 80 Vgl. Miller, Religious Zeal (1994), 37 f. 81 Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 25–36; vgl. auch Jenkins, Basler Mission (1989), 10–13, der besonders auch auf die daraus resultierende Ökumene von reformierter und lutheranischer Glaubensrichtung hinweist. 82 Vgl. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985); Rennstich, Basler Mission (1981). Zu den landwirtschaftlichen Entwicklungsprojekten der Basler Mission an der Goldküste während des 19. Jahrhunderts vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 164–167. 83 Altena, Häuflein (2003), 271–279. Vgl. auch Jenkins, Basler Mission (1989), 6, der im Zusammenhang mit der Basler Mission vom Aufbau einer „christlichen Dorfkultur“ spricht; Schweizer, Mission (2002), 131; Hauser, Pastor and pioneer historian (2009), 66 und Speitkamp, Afrika (2007), 188; 311. Die Bevorzugung der Landwirtschaft vor dem Handel findet sich bereits bei Luther. (Vgl. Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 109.)
Die Missions-Handlungs-Gesellschaft
29
Inwiefern repräsentierte auch die Missions-Handlungs-Gesellschaft die konservative Weltsicht des neuen Pietismus und der Basler Mission? Wie verhielt sie sich im Spannungsfeld zwischen dem ländlich-kleinbürgerlichen Pietismus (dem, wie wir sehen werden, auch die meisten Mitarbeiter entstammten) und der grossbürgerlichen Basler Variante? Wie gestalteten sich die Beziehungen zur Basler Mission? Inwiefern trug sie zum Aufbau einer „idyllisch-missionarischen Provinz“ bei? Pietismus und wirtschaftliche Tätigkeit Die Wirkungen des Pietismus auf die Sphäre des wirtschaftlichen Handelns sind klein geblieben. Pietistische Unternehmer unterschieden sich von ihren weltlichen Konkurrenten oft lediglich dadurch, dass sie regelmässiger und umfangreicher spendeten, in unserer Terminologie also überdurchschnittlich stark delegiert gemeinnützig tätig waren und in manchen Fällen eine ihren Werten entsprechende meist patriarchalisch geprägte unternehmensethische Verantwortung wahrnahmen.84 So engagierten sich etwa der Freiburger Seidenfabrikant Karl Mez85 oder der Basler Unternehmer Karl Sarasin86 in der (nicht unbedingt pietistisch motivierten) Arbeiterfürsorge. In Grossbritannien entstand im 19. Jahrhundert das von einer Quäker-Familie gegründete und und nach religiösen Grundsätzen geführte Lebensmittelunternehmen Cadbury.87 Ein prominentes Beispiel für eine weitergehende Verbindung religiöser und ökonomischer Unternehmensziele sind die in den 1850er Jahren entstandenen Unternehmungen des ehemaligen Pfarrers Gustav Werner in Reutlingen. Er gründete verschiedene Industriebetriebe, die einerseits (in direkt gemeinnütziger Weise) Beschäftigung für Waisenkinder boten, anderseits aber auch die Finanzierung weiterer gemeinnütziger und religiöser Programme sicherstellen sollten. 1866 musste Werner seine Werke wegen eines drohenden Konkurses einer Aktiengesellschaft übergeben; später wurden sie durch eine bis heute bestehende Stiftung übernommen.88 Ein interessantes ökonomisches Modell verfolgten die pietistischen Gemeinden in Herrnhut und Korntal mit ihrem Ideal einer kommunalen Selbstversorgung.89 Diese Beispiele blieben jedoch Ausnahmen: „Eine besondere Form des ‚christlichen‘ Betriebs entstand jedoch“, wie Hartmut Lehmann festhält,
84 85 86 87 88 89
Lehmann, Lage (2000), 14; vgl. auch Kriedke, Wirtschaft (2004), 585–604; Köppli, Protestantische Unternehmer (2012), 61–74. Scharfe, Religion (1980), 115–118; vgl. auch Huppenbauer, Menschenliebe (2010), 57. Mooser, Unternehmer (2002); vgl. auch Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 188 f., der die Rolle Karl Sarasins und des damaligen Präsidenten des Missionskomitees, Adolf Christ, bei der Schaffung einer modernen Arbeitergesetzgebung hervorhebt. Dellheim, Cadburys (1987). Zur gegenseitigen Beeinflussung frommer britischer Geschäftsleute und kirchlicher Kreise im Allgemeinen vgl. Jeremy, Capitalists (1990). Zu Gustav Werners Unternehmen vgl. Götzelmann, Soziale Frage (2000), 297 f.; Benrath, Erweckung (2000), 237; Scharfe, Religion (1980), 118–122 und Oswald, Bruderhaus (2009). Vgl. Homburg, Herrnhuter Brüdergemeine (2008); dies., Glauben und Rechnen (2012); Mettele, Weltbürgertum (2009), 63 f.; 71–74; Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 55; Wehling, Pietismus (2008), 176 f. und Scharfe, Religion (1980), 107–109.
30
1. Einleitung
„nicht.“90 Es ist zu prüfen, inwiefern auch die Missions-Handlungs-Gesellschaft alten Formen verhaftet blieb, oder ob sie tatsächlich eine neue Art und Weise pietistisch geprägter wirtschaftlicher Tätigkeit darstellte. Ausgehend von den Vorbildern in Herrnhut und Korntal schien die ökonomische Betätigung von Missionsgesellschaften zumindest nicht abwegig. Tatsächlich führte das Problem der Versorgung der Missionare und die Hoffnung auf eine gewisse Selbstfinanzierung an verschiedenen Orten zur Gründung und Förderung kleinerer Missions-Geschäfte, die allerdings nirgends den Umfang und die Bedeutung der Missions-Handlungs-Gesellschaft erreichten. Pioniercharakter kam der Handelstätigkeit der Missionare der Herrnhuter Brüdergemeine zu, die ihr in der Heimat gelebtes Selbstversorgungsideal auf ihre missionarische Tätigkeit übertrugen und an verschiedenen Orten kleinere Handelsunternehmen im Besitz der Brüdergemeine gründeten.91 Anders als im Falle der Missions-Handlungs-Gesellschaft waren die Geschäfte enger mit der eigentlichen Mission verbunden. Dies betraf auch die Mitarbeiter dieser Handlungen, die in manchen Fällen gleichzeitig ordinierte Missionare waren. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu Versuchen einer organisatorischen und personellen Trennung.92 Von den Strukturen her der Missions-Handlungs-Gesellschaft am ähnlichsten war die Rheinische Missions-Handels-Aktien-Gesellschaft. Diese entstand nach dem Vorbild der Basler Missions-Handlungs-Gesellschaft und betrieb von 1869 bis 1881 Handelsgeschäfte in Südwestafrika und auf Borneo.93 Andere Missionsgesellschaften standen immerhin in einem lockeren Zusammenhang mit Handels- oder Industrieunternehmen.94
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92 93 94
Lehmann, Lage (2000), 14. Vgl. Homburg, Herrnhuter Brüdergemeine (2008); dies., Glauben und Rechnen (2012); Danker, Profit (1971). Eine ähnliche (und oftmals kritisierte) Form der teilweisen Selbstfinanzierung durch Handel und in diesem Fall auch Immobiliengeschäfte und Kreditvergabe betrieb die (zum damaligen Zeitpunkt allerdings an den meisten Orten bereits verbotene und aufgehobene) Mission der Jesuiten in Übersee. (Lederle, Mission und Ökonomie (2009), 207–216.) Ähnlich auch die Schottische Mission im Nyasaland (Malawi). (Porter, Religion (2004), 94 f.; 269.) sowie die stark auf „Zivilisations“-Projekte und Handelstätigkeit abstützende Mission Philafricaine in Angola (Péclard, Ethos 1995). Homburg, Glauben und Rechnen (2012), 192–194; Danker, Profit (1971), 26. Braun, Missionshandel (1992). Aus Teilen der liquidierten Missions-Handels-Aktien-Gesellschaft ging der bis 1958 bestehende Rheinisch-Bornesische Handelsverein hervor, der jedoch keine formelle Verbindungen mehr zur Rheinischen Missionsgesellschaft unterhielt. Das Bankhaus Frutiger als Vertrauter der Pilgermission (Vgl. Frutiger, Johannes Frutiger (2008); Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, Basel 1912.), die 1878 gegründeten Livingstonia Central African Trading Company, später African Lakes Company im Kontext der schottischen Mission (Vgl. Baker, Chipembere (2008), 233–238.), die Akim Trading Co. im Kontext der afroamerikanischen Zion Mission (Vgl. Franc, Schokolade (2008), 108.) sowie Missionsindustrien der Heilsarmee (Vgl. Berry, Salvation Army (2008), 243 f.; Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 32.) und katholischer Missionen (ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Oktober 1885.) in Indien.
1.3 Forschungsstand
31
Missionshandel und Kolonialismus Spätestens seit David Livingstones berühmtem Diktum von Christianity, Civilization and Commerce95 als den drei Säulen wirtschaftlicher Entwicklung in Übersee hat die Frage nach der Verknüpfung von Handel, Zivilisation und Mission in der Kolonial- und Missionsgeschichte viel Tradition. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft betätigte sich – im Windschatten der Basler Mission – in allen drei Bereichen. Hier lässt sich fragen, wo innerhalb dieser sich gegenseitig beeinflussenden, aber auch unabhängig und gegeneinander stehenden Bereiche die Missions-Handlungs-Gesellschaft stand. Verstärkten oder behinderten sich im Fall der MissionsHandlungs-Gesellschaft die Förderung des Handels, der Zivilisation und des Christentums? Zum Beispiel könnte die Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft eine Ausdehnung der missionarischen Wirkungssphäre vom geistlichen auf den lebensweltlichen Bereich bedeutet haben, indem die Basler Mission über die Kaufläden der MissionsHandlung die Möglichkeit erhielt, Einfluss auf das Konsumverhalten ihrer Missionsobjekte zu nehmen.96 Die Parallelität von Handel und Mission inspirierte möglicherweise in verstärktem Mass zur Nachahmung europäischer Gewohnheiten. Gleichzeitig schuf sie auch neue Möglichkeiten zur gegenseitigen kulturellen Beeinflussung und zur Schaffung hybrider Identitäten auf beiden Seiten der kolonialen Interaktion.97 In einem breiteren kolonialgeschichtlichen Kontext geht es um die seit dem 19. Jahrhundert kontrovers diskutierte (und über die Frage nach der Verknüpfung von Mission und Handel hinausgehende) Frage nach der Rolle der Missionen und des Handels als Wegbereiter des europäischen Imperialismus und die vielschichtigen Rolle von Handel und Mission im Rahmen einer (möglicherweise durchaus auch altruistisch motivierten98) europäischen „Zivilisierungsmission“.99 1.3 FORSCHUNGSSTAND Verschiedene Forscher haben sich mit der Geschichte der Missions-HandlungsGesellschaft, und der später aus ihr hervorgegangenen Basler Handelsgesellschaft (BHG) und Union Trading Company (UTC) beschäftigt. 1959 veröffentlichte der Basler Historiker Gustav Adolf Wanner im Auftrag der BHG eine umfassende Jubi95 96 97 98 99
Siehe ausführlicher in Kap. 2.2. Zum Verhältnis von Handel und Mission im Allgemeinen vgl. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 85–123; Stanley, Commerce and Christianity (1983). Vgl. Klein, Mission (2010); zur postkolonialen Sichtweise auf die Kolonialgeschichte vgl. Conrad/Randeria, Geteilte Geschichten (2002) oder – kritisch – Reinhard, Kolonialgeschichtliche Probleme (2010). Vgl. Osterhammel, Great Work (2005), 372. Vgl. etwa Habermas, Mission (2008); Etherington, Missions and Empire (2005); Porter, Religion versus Empire (2004); Barth/Osterhammel (Hg.), Zivilisierungsmissionen (2005). Näher an diesem Forschungsfeld bewegt sich Andrea Francs Arbeit zum Kakaohandel der Basler Handelsgesellschaft. (Franc, Schokolade (2008).)
32
1. Einleitung
läumsschrift.100 Die Schwerpunkte dieser vor allem auf gedruckten Quellen basierenden Arbeit liegen in der Schilderung des Handelsgeschäfts während der ersten sechzig Jahre der Missions-Handlungs-Gesellschaft und einer ausführlichen Darstellung der Rechtsstreitigkeiten zwischen der Missions-Handlungs-Gesellschaft und den britischen Behörden nach der Expropriation des Unternehmens im Jahr 1918. Nur noch kursorisch wird auf den Wiederaufbau der Firma in der Zwischenkriegszeit eingegangen. 1978 befasste sich Peter Fischer in einer soziologisch geprägten Dissertation mit der Rekrutierung und Disziplinierung der Arbeiterschaft in den seit 1882 durch die Missions-Handlungs-Gesellschaft geführten Industriebetrieben der Basler Mission in Südindien.101 Eine wichtige Ergänzung erfuhr sein Werk 1990 durch eine Monographie des indischen Forschers Jaiprakash Raghaviah, der die Geschichte der Basler Missionsindustrien in Südwestindien bis zum Ersten Weltkrieg aus indischer Perspektive beleuchtete.102 2002 nutze Andrea Franc das seit 2001 der Öffentlichkeit zugängliche Unternehmensarchiv für eine Lizenziatsarbeit zum Kakaohandel der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Afrika zwischen 1893 und 1914.103 Ausgehend davon verfasste sie eine Dissertation zum Kakaohandel der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der späteren BHG während des Zeitraums von 1893 bis 1960.104 Franc versucht anhand des Kakaohandels zu erörtern, inwieweit von einem Schweizer Imperialismus gesprochen werden kann. Mit dieser übergreifenden Frage reiht sie sich in die Tradition der Westschweizer Überseegeschichte ein. Insbesondere in der Teilnahme der Missions-Handlungs-Gesellschaft an kartellartigen Preisabsprachen zwischen den verschiedenen europäischen Kakaoeinkäufern an der Goldküste, die sich auch gegen die afrikanische Konkurrenz richteten, sieht Franc imperialistisches Verhalten einer Schweizer Firma. Die Quellen dieser Untersuchung bestehen vor allem aus der Korrespondenz der verantwortlichen Mitarbeiter an der Goldküste mit der Direktion in Basel. Inspirierende Hinweise für die Konzeption dieser Untersuchung boten unter anderem die am Rande eingebrachte Charakterisierung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als eines im weitesten Sinn ethisch besonders verantwortlich und engagiert handelnden Unternehmens105 sowie der Abschnitt „Ideologie“ im Schlusswort von Francs Studie. Dort wird neben der Beurteilung der Kartelle auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Handlung und Mission aufgeworfen.106 Neben diesen grösseren Arbeiten erschien auch eine Reihe kleinerer Publikationen zu einzelnen Aspekten und Episoden der Firmengeschichte. 1981 veröffentlichte der Missionshistoriker Karl Rennstich einen Artikel zum Verhältnis zwischen
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Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959). Fischer, Missionsindustrie (1978). Raghaviah, Basel Mission Industries (1990). Franc, Kakaohandel (2002). Zwei Jahre später erschien in einem Sammelband eine Zusammenfassung ihrer Lizenziatsarbeit: Franc, Kakaohandel (2004). 104 Franc, Schokolade (2008). 105 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 36 f.; 73; 229. 106 Franc, Schokolade (2008), 234–241.
1.3 Forschungsstand
33
Basler Mission und Missions-Handlungs-Gesellschaft.107 1983 folgte ein Aufsatz der amerikanischen Historikerin Margaret Gannon, die sich aus britischer Perspektive mit den Rechtsstreitigkeiten zwischen der Missions-Handlungs-Gesellschaft und den britischen Behörden nach der Expropriation der Gesellschaft Ende des Ersten Weltkriegs befasste.108 1984 veröffentlichte Gustav Wanner in der populären Reihe „Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik“ ein Kondensat seiner Firmengeschichte mit besonderem Fokus auf die beiden langjährigen Präsidenten der Missions-Handlungs-Gesellschaft, Eduard und Wilhelm Preiswerk.109 1996 untersuchte Giorgio Miescher im Rahmen einer später veröffentlichten Seminararbeit die Person des ersten Missionskaufmanns Hermann Ludwig Rottmann und die Auswirkungen von dessen Ehe mit einer einheimischen Frau auf die Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft.110 Einen speziellen Aspekt der Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft beleuchteten Veit Arlt und Ernst Lichtenhahn 2002 in ihren Aufsätzen über die Tätigkeit der UTC in Ghana als Produzentin einheimischer Musik.111 Schliesslich verweisen verschiedene Publikationen in einzelnen Abschnitten auf die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft. So eine 1971 erschienene Diplomarbeit des amerikanischen Theologen William Danker, der in einer vergleichenden Studie die ökonomischen Aktivitäten der Mission der Herrnhuter Brüdergemeine und der Basler Mission im 19. Jahrhundert untersuchte und sich aus einer explizit christlichen Perspektive positiv über die Arbeit der Missions-HandlungsGesellschaft äusserte.112 René Lenzin stützte sich in seiner weitgehend auf Oral History beruhenden Arbeit über das Leben der Schweizer Kolonie in Ghana in den 1960er Jahren unter anderem auf Aussagen ehemaliger UTC-Mitarbeiter.113 Ein kurzer Abriss zur Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der UTC bis in die Gegenwart findet sich in einem 1998 erschienenen Artikel von Sébastien Guex über die vier grössten Schweizer Welthandelsunternehmen im 20. Jahrhundert.114 Zwei neuere Publikationen streifen im Zusammenhang mit der Geschichte der Basler Mission die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft: Peter A. Schweizers „Mission an der Goldküste“ aus dem Jahr 2002 und die Essay-Samm-
107 Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981). Weitere Erwähnungen der Missions-HandlungsGesellschaft finden sich in: Rennstich, Mission und wirtschaftliche Entwicklung (1978) und Rennstich, Handwerker-Theologen (1985). 108 Gannon, Basle Mission Trading Company (1983). 109 Wanner, Eduard und Wilhelm Preiswerk (1984). 110 Miescher, Rottmann (1999). 111 Arlt, Vermächtnis (2002) und Lichtenhahn, Populäre Musik (2002). Ein Teil der Originalaufnahmen aus den 1930er-, 1940er- und 1950er Jahren sind im Archiv der Basler Mission erhalten geblieben. 112 Danker, Profit (1971). 113 Lenzin, Afrika (1999). 114 Guex, Swiss trading companies (1998). Kürzere Bemerkungen zur Missions-Handlungs-Gesellschaft und Basler Handelsgesellschaft im Zusammenhang der Schweizer Kolonial- und Wirtschaftsgeschichte finden sich bei Stucki, Imperium (1969), 129–133 und Debrunner, Schweizer (1991), 113–118.
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1. Einleitung
lung „Basel – Porträt eines Lebensraums“ aus dem Jahr 2009.115 In beiden Texten wird allerdings auf eine eigenständige Wertung der Missions-Handlungs-Gesellschaft verzichtet und deren Tätigkeit undifferenziert als ein Teil der „zivilisatorischen“ Bemühungen der Basler Mission dargestellt. 2008 erschien – wiederum in der Reihe „Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik“ – eine von Hugo Salvisberg verfasste Biographie des ersten Präsidenten der Missions-Handlungs-Gesellschaft, Ulrich Zellweger.116 Die Aufzählung ergibt eine stattliche Reihe unterschiedlicher Arbeiten zur Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Die komfortable Forschungslage lässt sich einerseits auf das hohe Interesse an der Geschichte der Basler Mission und ihres Umfeldes und andererseits auf die vergleichsweise gute Quellenlage117 zurückführen. Die bisherigen Arbeiten beschränken sich bis auf die Jubiläumsschrift Wanners allesamt auf die Untersuchung einzelner Teilaspekte der Unternehmensgeschichte. Was bis heute noch nicht geschrieben worden ist, ist eine umfassende moderne Unternehmensgeschichte im Sinne Hartmut Berghoffs oder Toni Pierenkempers118, also eine historische Analyse des Unternehmens anhand theoretisch fundierter wirtschafts-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Kategorien. Die spezielle Situation der Missions-Handlungs-Gesellschaft zwischen Mission und Geschäft, die im Folgenden genauer untersucht werden soll, ist bislang noch nicht ausführlich kommentiert worden. Eine Ausnahme bilden die vergleichenden Überlegungen Dankers, die sich allerdings vor allem auf gedruckte Quellen stützen.119 Der komfortable Forschungsstand erlaubt es, in verschiedenen Bereichen auf Vorarbeiten zurückzugreifen und die eigene Quellenarbeit entsprechend zu reduzieren. In diesem Sinne sieht sich diese Studie als Teil eines dynamischen Research-Clusters, der mit Wanners Firmengeschichte zum hundertjährigen Jubiläum seinen Anfang nahm und im neuen Jahrtausend mit den neu zugänglichen Archivquellen frische Nahrung gefunden hat. 1.4 QUELLEN Der ältere Teil des ehemaligen Firmenarchivs der Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihrer Nachfolgefirmen gelangte im Jahr 2000 anlässlich der Überführung der Basler Handels-Gesellschaft in die Welinvest in das Archiv der ehemaligen Basler Mission. Es handelt sich bei diesen Beständen um die Akten der MissionsHandlungs-Gesellschaft aus der Zeit von 1859 bis 1917 (1928)120 und Akten der 115 Schweizer, Mission (2002); ausserdem zwei Jahre zuvor auf Englisch: Schweizer, Survivors (2000); Währen/Ryser/Ryser, Basel (2009). 116 Salvisberg, Salomon und Ulrich Zellweger (2008). 117 Siehe dazu die Ausführungen zur Quellenlage im folgenden Kap. 1.4. 118 Vgl. Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte (2004); Berghoff, Ansätze und Perspektiven (2005); sowie Pierenkemper, Unternehmensgeschichte (2000). 119 Danker, Profit (1971). 120 Die Neukonstituierung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als eine von der Mission unabhängige Firma erfolgte 1917; die Umbenennung in „Basler Handelsgesellschaft A.G.“ (BHG) 1928. 1920 wurde die Betriebsgesellschaft Union Trading Company (UTC) gegründet.
1.5 Aufbau und Vorgehen
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Nachfolgefirmen, die bis in die 1950er Jahre reichen. Die jüngeren Teile des Archivs verblieben – öffentlich nicht zugänglich – im Besitz der Welinvest in Basel. Bei den im Archiv der Basler Mission zugänglichen Dokumenten handelt es sich um Bestandteile verschiedener in sich nur teilweise geordneter Sammlungen, die sich in manchen Fällen als persönliche Ablagen einzelner Mitarbeiter identifizieren lassen. Insgesamt sind über tausend Quelleneinheiten (Ordner, Mappen, Bücher etc.) erhalten geblieben. Darunter finden sich handschriftliche Korrespondenzen, Protokolle, Reiseberichte, Denkschriften, biographische Hinterlassenschaften, Buchhaltungsakten sowie Druckstücke aus allen Zeitabschnitten. Verschiedene Schlüsselquellen, wie die Jahresberichte, Verwaltungsratsprotokolle, Aktionärslisten und Buchhaltungsakten stehen seriell über einen längeren Zeitraum zur Verfügung. Die Bestände der Missions-Handlungs-Gesellschaft sind in den letzten Jahren durch das Archiv der Basler Mission grob erfasst und mit Signaturen versehen worden. Sie warten aber noch auf eine umfassende inhaltliche Erschliessung. Ergänzend zu den Dokumenten im Firmenarchiv lassen sich einzelne Quellen mit Bezug zur Missions-Handlungs-Gesellschaft im Hauptbestand des Archivs der Basler Mission und im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel finden. Sehr informativ sind auch die unter anderem zu Werbezwecken verfassten Zeitschriften und die Traktate-Literatur aus dem Umkreis der Mission, die sich gelegentlich mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft befasste. Gerade die biographischen Texte innerhalb dieser Traktate-Literatur bilden eine interessante Quellengattung.121 Sofern kritisch gelesen, erzählen sie uns einiges über die Ideale und Ideen der pietistischen Ego-Autoren. Insgesamt ist die Quellenlage zur Geschichte der MissionsHandlungs-Gesellschaft im Vergleich zu anderen privatwirtschaftlichen Unternehmen sehr gut. Das Problem bei der Durchführung dieser Studie war also nicht ein Mangel an Quellen, sondern die Schwierigkeit, eine repräsentative Auswahl zu treffen. 1.5 AUFBAU UND VORGEHEN Im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung wurde vor allem die Hinterlassenschaft der Unternehmensleitung in Basel analysiert, namentlich die Protokolle der Handlungskommission (Verwaltungsrat) und die dazugehörenden Memoranden, einzelne Protokolle des Missionskomitees, die Jahresberichte des Unternehmens, die in den Jahresberichten publizierten Jahresrechnungen und die Jahresbilanzen. Nur oberflächlich verwendet wurden die Korrespondenzen zwischen den Missionskaufleuten und der Unternehmens und Missionsleitung und die detaillierten Buchhaltungsakten (Hauptbücher etc.). Die Perspektive einzelner Mitarbeiter und ein Einblick in das tägliche Geschäfts lässt sich – in zugegebenermassen pragmatischer Weise – aus biografischen Quellen und indirekt aus den Beschlüssen der Handlungskommission rekonstruieren. 121 Das Schreiben über sich selbst und die persönliche Glaubenserfahrungen war ein wichtiger Bestandteil des pietistischen Selbstverständnisses (Vgl. Gleixner, Pietismus (2005), 394 f.), was zu einer hohen Dichte solcher Quellen geführt hat.
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1. Einleitung
Die verschiedenartigen Quellen ermöglichen unterschiedliche methodische Zugänge. Jahresabschlüsse, Bilanzen sowie die Angaben zu den Mitarbeitern lassen sich quantitativ auswerten. Andere Quellen, wie Protokolle, Briefwechsel oder biographische Schriften lassen sich mit offenem historisch-kritischen Blick auf relevante Entwicklungen, Strukturen und Diskurse hin untersuchen. Im Idealfall erhalten wir so in einem ersten Schritt empirische Befunde, die in einem zweiten Schritt durch eine Analyse von weiteren Quellen, wie etwa Sitzungsprotokollen oder für die Öffentlichkeit bestimmten Berichten ergänzt, überprüft und interpretiert werden können. Der historisch-kritische Analyseschritt führt gegebenenfalls auch direkt zu normativen Aussagen: also Äusserungen darüber, wie sich das Unternehmen aus der Perspektive verschiedener Akteure im Hinblick auf die hier verfolgte Fragestellung verhalten und entwickeln wollte. Die Geschichtswissenschaft interessiert sich sowohl für vergangenen Zustände (systematische Querschnitte) als auch für Veränderungen in der Zeit (chronologische Längsschnitte). Um diesem doppelten Anspruch zu genügen, gliedert sich die vorliegende Studie in einer Mischform aus Chronologie und Systematik. In einem ersten Schritt wird die Erzählung in drei, jeweils etwa zwanzig Jahre umfassende Abschnitte unterteilt. Die Bildung dieser drei Phasen geschieht anhand folgender Zäsuren: (1) Der Gründung im Jahr 1859, (2) der neuen Statuten von 1880, die unter anderem den Modus der Gewinnverteilung fundamental veränderten und der bald darauf im Jahr 1882 erfolgten Übernahme der Missionsindustrie, (3) des Beginns des Kakaobooms an der Goldküste um 1900, der ein starkes Wachstum des Unternehmens in Afrika auslöste und schliesslich (4) dem Beginn des Ersten Weltkriegs, der 1917 die Neukonstituierung und die Trennung von der Basler Mission mit sich brachte. Innerhalb dieser Zeitabschnitte wird die Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft anhand der erwähnten (betriebswirtschaftlichen) Kategorien der strategischen Entwicklung, der Finanzierung, des operativen Geschäfts, des Personalwesens und der Gewinnverteilung abgehandelt. Die chronologische Gliederung in drei Phasen ist allein schon angesichts des Wachstums des Unternehmens angebracht: Während sich in den Jahren nach der Gründung nicht mehr als eine Handvoll Kaufleute um den Aufbau der Geschäfte bemühte, haben wir es vor dem Ersten Weltkrieg mit einem Grossunternehmen mit einer millionenschweren Bilanz und mehreren tausend Mitarbeitern zu tun. In diesem Sinne lohnt es sich, dreimal dieselben Fragen an das sich stets wandelnde Unternehmen zu richten.
2. VON DER GRÜNDUNG ZUR STATUTENREFORM (1859–1879) 2.1 VORGESCHICHTE Die Anfänge in Indien seit 1853 Ihren einen Anfang nimmt die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1853 an der Südwestküste Indiens. In Mangalore, Cannanore1 und Calicut2 betrieb die Basler Mission seit den 1840er Jahren verschiedene Werkstätten und Webereien. Sie waren aus der Absicht entstanden, den durch die Konversion zum Christentum kastenlos gewordenen Mitgliedern der Basler Missionsgemeinden Arbeit und Verdienst zu verschaffen.3 1852 schuf das Missionskomitee zur besseren Betreuung der Industriebetriebe eine besondere „Industriekommission“.4 Diese entschloss sich 1853, den jungen Kaufmann Gottlob Pfleiderer aus Waiblingen als kaufmännischen Leiter der Missionsbetriebe nach Indien zu schicken.5 Mit dieser Aufgabe verband die Industriekommission aber auch weitere Ziele: „Damit [mit der Berufung eines Kaufmanns] verknüpfen wir die Hoffnung, dass durch dessen Hand auch jene kleinen Handelsoperationen könnten eingeleitet werden, wozu die Verhältnisse, Gelegenheiten und das Vorbild der Brüdergemeine längst schon einluden und wofür Geld vorzuschiessen einige Freunde unseres Werkes sich anerboten haben.“6
Von Beginn an ging es bei Pfleiderers Aussendung auch um die Möglichkeit, dereinst Handel im Namen der Mission zu betreiben. Die Idee dazu stammte, wie en passant erwähnt wird, von der Herrnhuter Brüdergemeine, die auf ihren Missionsstationen kleine Läden für die Missionare und die Gemeindeglieder betrieben.7 Pfleiderer liess sich in Mangalore im Norden des südindischen Missionsgebiets nieder. Mangalore (Distrikt South Canara) und Calicut (Distrikt Malabar), wo ebenfalls Basler Missionare wirkten, gehörten beide zur britischen „Madras Presidency“, die sich von den nördlichen Präsidentschaften unter anderem durch eine vergleichsweise geringe administrative Durchdringung unterschied.8 Im Mai 1857 begann Pfleiderer mit einem „Shop in Papier, Büchern, Zucker & einigen anderen Artikeln
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Heute Kannur. Heute Kozhikode. Auf die Ursprünge der Missionsindustrie wird ausführlicher in einem Exkurs in Kapitel 3.1 eingegangen. Vgl. Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 190. ABM/UTC 4936: Jahresbericht der Industriekommission von 1853, 13 f.; ABM Q-1: Komiteesitzung vom 14. Dezember 1853. ABM/UTC 4936: Jahresbericht der Industriekommission von 1853, 14. ABM/UTC 4936: Jahresbericht der Industriekommission von 1853, 14. Zur Verbindung von Handel und Mission durch die Herrnhuter Brüdergemeine siehe die Ausführungen in Kap. 1.2. Kulke/Rothermund, Indien (2010), 323.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
im Kleinen [...], der schon im Dez. einen Gewinn von Rupp. 500 ergab“.9 Das Kapital für diese erste Handelsaktivität stammte von einem der Mission zugetanen Engländer.10 Im September 1858 wurde die Errichtung des Ladens im Nachhinein durch das Missionskomitee gut geheissen. Zur Begründung dieses Schritts führte Inspektor Josenhans zwei Argumente an, die auch später immer wieder verwendet wurden: die direkt gemeinnützige Unterstützung der Mission und eine potentielle Vorbildfunktion der Missionskaufleute: „Neben unserer Weberei müsse nothwendig ein Kaufladen hergehen, um erstere zu stützen. Eine christliche Kaufmannschaft im heidnischen [Umfeld] sei zugl. ein practischer Anschauungsunterricht wie man ohne Betrug und Übervortheilung den Leuten verkaufe nach den Grundsätzen des Evangeliums.“11
Die Versorgung der Webereien mit den relativ teuren Garnen als Vorprodukt, aber auch die Finanzierung des Verkaufsladens benötigten immer grössere finanzielle Mittel. Um die Geschäfte weiter ausbauen und die Versorgung der Missionsindustrien garantieren zu können, bat Pfleiderer deshalb Anfang 1859 das Missionskomitee um Erweiterung seines finanziellen Spielraums.12 Die Anfänge an der Goldküste seit 1854 Die andere Wurzel der Missions-Handlungs-Gesellschaft liegt in Afrika. In Christiansborg13 im heutigen Ghana stand seit Dezember 1854 der Hamburger Kaufmann Hermann Ludwig Rottmann als kaufmännischer Mitarbeiter im Dienst der Basler Mission.14 Die damalige „Goldküste“ war Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt vom Abflauen des Sklavenhandels, christlichen Missionsbemühungen und einem erstarkten kolonialen Interesse der Briten, die Christiansborg vier Jahre vor Rottmanns Ankunft von den Dänen gekauft hatten und ihren Einfluss allmählich ausdehnten.15 Der gelernte Kaufmann Rottmann wollte ursprünglich als gewöhnlicher Missionar in die Basler Mission eintreten.16 Auf Wunsch des Missionskomitees sollte er nun als professioneller Generalkassier die finanziellen Angelegenheiten der Basler Missionare an der Goldküste erledigen und die Spedition europäischer Produkte nach den im Land verstreuten Missionsstationen organisieren. Ausserdem wurde ihm (ähnlich wie Pfleiderer in Indien) aufgetragen, die Möglichkeiten für ein Han-
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ABM Q-1: Komiteesitzung vom 20. Mai 1857. Vgl. die (später entstandene) Abbildung 4 im Anhang. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. September 1858. Es handelt sich um einen nicht näher spezifizierten „Anderson“. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. September 1858. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. März 1859. Heute ist Christiansborg ein Stadtteil von Accra in Ghana. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 11. September 1854; Miescher, Rottmann (1999), 345. Vgl. Gocking, Ghana (2006), 29–32. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 28. September 1853.
2.1 Vorgeschichte
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delsgeschäft zu erkunden.17 Tatsächlich vermochte die Erledigung der kaufmännischen Geschäfte der Mission Rottmann nicht vollständig auszufüllen. Wie in seiner Instruktion vorgesehen, stellte er im Frühling 1855 dem Missionskomitee den Antrag, einen kleinen Kaufladen betreiben zu dürfen, was ihm umgehend gestattet wurde.18 Damit kam man auf eine Idee zurück, die zuvor bereits vom Basler Handelsherrn und Komiteemitglied Daniel Burckhardt geäussert worden war. Dieser hatte gleichzeitig ein Darlehen im Umfang von 5000 Franken für die Eröffnung eines Kaufmannsladens in Aussicht gestellt.19 Mit Hilfe dieses Darlehens eröffnete Rottmann noch im selben Jahr seinen „Shop“ in Christiansborg.20 Die Aufsicht über diesen Laden wurde 1855 der Industriekommission übertragen.21 Schon bald beschäftigte Rottmann mehrere einheimische Hilfskräfte. Von Anfang an dachte Rottmann neben dem Verkauf von Zucker, Tee, Kaffee und Reis im Einzelhandel bereits über die Möglichkeiten (des später verwirklichten) Gross- und Exporthandels nach.22 Wie in Indien scheinen auch hier die Läden auf den Missionsstationen der Brüdergemeine als Vorbild gedient zu haben. So berichtete Rottmann 1854 in einem Brief an das Missionskomitee fasziniert vom System der Brüdergemeine, welches darauf hinauslaufe, die Bestellungen für die Missionare nur einmal im Jahr in Europa zu ordern und die europäischen Waren gleichzeitig in einem öffentlichen Laden auf den Missionsstationen zu verkaufen.23 Als die Industriekommission im folgenden Jahr über den Missionsladen in Christiansborg berichtete, verwies sie erstmals auf die miteinander verbundenen „zivilisatorischen“ und missionarischen Ziele dieser Institution. „Bei Begründung eines solchen Geschäftes ist es nicht nur das Aufsuchen und Auffinden einer regelmässigen Kundschaft, sondern auch das Heranziehen von Gehilfen, sei es auch nur von Leuten zu untergeordneten Verrichtungen [...]. Doch dürfen wir in keinem Fall übersehen, dass bei allen und jeden solchen Unternehmungen, Förderung des Reiches Gottes und somit der Interessen der Mission erster Zweck sein muss.“24
Ein solches Unternehmen müsse ausserdem nachhaltig angelegt sein, was – als Gegenentwurf zu anderen Handelsunternehmen – durchaus als Wahrnehmung einer bestimmten unternehmensethischen Verantwortung bezeichnet werden kann: „Es darf unser Handelsgeschäft nie in der Weise jener Kaufleute betrieben werden, die auf irdischen Gewinn allein ausgehend, nur temporär ihre Zelte an solchen Orten aufschlagen, sondern 17 18
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Miescher, Rottmann (1999), 345 f. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 11. April 1855. Zur gleichen Zeit hatte auch eine Konferenz der Basler Missionare an der Goldküste die Gründung eines Missionsladens gut geheissen. (Braun, Rheinische Missionsgesellschaft (1992), 20.) Vgl. (die später entstandene) Abbildung 1 im Anhang. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 11. April 1855. Es ist unklar, ob es sich bei Burckhardt um einen der auch im Zusammenhang mit Pfl eiderers Aussendung genannten Investoren aus dem Umfeld der Mission handelte. ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 11. April 1855 und 18. April 1855; vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 27–29. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 5. September 1855. Mischer, Rottmann (1999), 348–350. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 8. November 1854. ABM/UTC: 4936: Jahresbericht der Industriekommission 1855, 17.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) wir hoffen zu Gott, dass diese der Mission dienende kommerzielle Wirksamkeit mit dieser auf immer vereint und so lange blühen werde, als es Gott gefällt, sein Licht in jene bisher dunklen Länder leuchten zu lassen.“25
Rottmanns Laden brachte der Mission bereits vom ersten Jahr an Gewinne von rund zehn Prozent auf das eingesetzte Kapital von 50 000 Franken ein.26 Wenig später schlug Rottmann vor, in den Handel mit tropischen Produkten einzusteigen.27 Nun mehrten sich allerdings innerhalb des Missionskomitees die Stimmen, die – trotz des für die Mission vorteilhaften Gewinns – die Verwendung von Missionsgeldern für die riskanten Handelsgeschäfte nicht mehr gutheissen wollten.28 Das Missionskomitee entschied darauf, den Betrieb des „Shops“ in Christiansborg über einen speziellen Fonds zu finanzieren, den man mit 30 000 Franken aus einem Legat des berühmten Christoph Merian,29 mit 5000 Franken aus dem bestehenden Darlehen Daniel Burckhardts und mit einem Kredit über 40 000 Franken aus der Missionskasse ausstattete. So konnte das Handelsgeschäft in finanzieller Hinsicht klarer von der Basler Mission getrennt werden.30 Gleichzeitig wurde die Personalunion zwischen dem Generalkassier und dem Leiter des „Shops“ aufgehoben und Elias Schrenk zur Entlastung Rottmanns als neuer Generalkassier nach Afrika gesandt.31 Ende 1858 übertrug das Missionskomitee die Kontrolle des Ladens von der Industriekommission an eine eigens dafür bestimmte Kommission für die Leitung des Kaufladens in Christiansborg. Sie war befugt, zusätzliche finanzielle Mittel über Kredite oder Spenden zu generieren. Letzteres allerdings – um die Finanzierung der Mission nicht zu gefährden – nur bis zu einem Umfang von hundert Franken.32 Im Februar 1859 trat die neu gebildete Kommission, bestehend aus dem Bankier und Komiteemitglied Ulrich Zellweger, Missionsinspektor Friedrich Josenhans und Theodor Braun, dem kaufmännischen Verwalter der Basler Mission, erstmals zusammen und beriet sich über die zukünftigen Möglichkeiten in Afrika.33
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ABM/UTC: 4936: Jahresbericht der Industriekommission 1855, 17; vgl. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 72. So die Angaben von Rottmann selbst. (ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. November 1859.) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. September 1856. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 19. Januar 1859. Christoph und Margaretha Merian-Burckhardt spendeten der Basler Mission 1856 und 1858 zweimal je 100 000 Franken. (Labhardt, Merian (2011), 249.) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 19. Januar 1859; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 29–31. ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 19. Januar 1859 und 16. September 1858. Schon einige Monate zuvor war moniert worden, dass Rottmann die Rechnung der Mission und des „Shops“ miteinander vermischt habe. (ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. September 1858.) Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 31. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Februar 1859.
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
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2.2 DIE GRÜNDUNG DER AKTIENGESELLSCHAFT 1859 Erste Pläne für eine Finanzierungsgesellschaft Die Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer Aktiengesellschaft kam unerwartet zu Stande. Am 1. März 1859 besprach die Industriekommission Pfleiderers Bitte, seinen finanziellen Spielraum in Indien zu erweitern. Sie wollte seinen Wünschen wenigstens teilweise nachkommen. Tags darauf, kurz vor der Sitzung des letztendlich verantwortlichen Missionskomitees, brachte Zellweger, Komiteemitglied und Präsident der kurz zuvor gegründeten „Handlungskommission für die Geschäfte in Afrika“, einen gänzlich neuen Plan ins Spiel: Er anerbot sich, auch die Verantwortung für die kaufmännischen Geschäfte Pfleiderers in Indien in die Obhut der von ihm präsidierten Handlungskommission zu übernehmen. Die nötigen Mittel für die Weiterführung der indischen Geschäfte – das ist der entscheidende Schritt für die Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft – wollte er durch die Gründung einer Aktiengesellschaft generieren, „wozu auch nicht nur nähere Missionsfreunde sondern überhaupt betriebsame Handelsleute ins Interesse zu ziehen wären.“34 Dieser Vorschlag stiess beim Komitee, obwohl überraschend und weitreichend, spontan auf Anklang, und Zellweger wurde aufgefordert, seine Idee auszuarbeiten.35 Dies erstaunt umso mehr, als es sich bei der Aktiengesellschaft um eine neuartige Rechtsform handelte. Erst 1847 hatte beispielsweise der Kanton Basel ein erstes Gesetz über Aktiengesellschaften erlassen.36 Bereits am 30. März 1859 konnte Zellweger dem Missionskomitee einen Vorschlag für die Statuten einer Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 200 000 Fr. präsentieren, der von den übrigen Komiteemitgliedern gutgeheissen wurde.37 Zellwegers Entwurf, der schliesslich in dieser Form umgesetzt wurde, enthielt insbesondere folgende Bestimmungen: (1) die Festsetzung einer minimalen Dividende von sechs Prozent auf das eingezahlte Aktienkapital38 (2) die Regelung, dass der nach Ausbezahlen der ersten Dividende verbliebene Gewinn je zur Hälfte zwischen der Basler Mission und den Aktionären aufgeteilt werden sollte und (3) – was nach dem damaligen kantonalen Recht möglich war39 – die Übertragung der Leitung 34 35
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ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. März 1859. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. März 1859. Wanner spricht – wohl um den Gegensatz zwischen dem in seinen Augen besonders dynamischen Zellweger und dem Missionskomitee hervorzuheben – davon, dass Zellwegers Vorschlag vorerst „mehr fragendes Kopfschütteln als begeisterte Zustimmung“ ausgelöst habe. Wie er zu dieser Information kommt ist unklar. (Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 36.) Gesetz über Commanditen und anonyme Gesellschaften, [Basel] 6. Dezember 1847. Immerhin war der Begriff „Aktie“ in Basel bereits früher im Zusammenhang gemeinnütziger Tätigkeiten aufgetaucht. So finanzierten sich während der Hungerkrisen Mitte des 19. Jahrhunderts 1846 und 1854 zwei gemeinnützige Vereine für Fruchteinkäufe über den Verkauf von „Aktien“. Es handelte sich hierbei aber um ausschliesslich gemeinnützige Vereinigungen. (Vgl. Labhardt, Merian (2011), 195 f.) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 30. März 1859. In den Quellen wird diese Vorzugsdividende als „Zins“ bezeichnet. Vgl. Gesetz über Commanditen und anonyme Gesellschaften, [Basel] 6. Dezember 1847, § 7,
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
und Kontrolle der Geschäfte an die Handlungskommission, ein Gremium, welches einzig durch das Missionskomitee und nicht durch die Aktionäre bestimmt werden sollte.40 Mit der Kompetenz des Missionskomitees, die Unternehmensleitung zu bestimmen und der Institutionalisierung der delegiert gemeinnützigen Zahlungen wurde das geplante Unternehmen in doppelter Hinsicht an die Basler Mission gekoppelt. Weiter einigte sich das Komitee in der selben Sitzung darauf, dass die Geschäfte der Handelsgesellschaft sowohl in Basel als auch in Übersee durch Angestellte der Basler Mission geführt werden sollten. Ebenso sollte die Missionsgesellschaft, gegen eine angemessene Miete, die nötigen Gebäude zur Verfügung stellen. Dafür sei ja, wie in der Diskussion hervorgehoben wurde, die Mission am Gewinn beteiligt und vom Risiko der Geschäftstätigkeit befreit. Damit war der Weg frei zur Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft, die aber, wie Zellweger bemerkte, „ein blosser Versuch“ sein sollte, „dessen Gelingen von dem Herrn abhänge, den er um seinen Segen angefleht [habe].“41 Von der Gründung der Gesellschaft nicht betroffen war der Kaufladen in Afrika, welcher vorläufig weiterhin dem besonderen Betriebsfonds basieren sollte. Die Gründung der Aktiengesellschaft Im April 1859 trat die „Handlungskommission“ der Basler Missionsgesellschaft an die Öffentlichkeit und forderte die der Mission traditionell wohlgesinnten Basler Bürger dazu auf, Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft zu zeichnen: Seit einiger Zeit sei die Basler Mission in Indien und an der Goldküste industriell und kaufmännisch tätig. Nun seien diese Betriebe zu einer solchen Grösse herangewachsen, dass man neue finanzielle Mittel benötige, die aber nicht den zu Missionszwecken gespendeten Geldern der Basler Mission entnommen werden dürften: „Der Handlungskommission ist nun vom Missionskomitee der Auftrag geworden, sich mit der Frage zu beschäftigen, auf welche Weise die nötigen Geldkräfte in den Bereich ihres Wirkungskreises könnten beigezogen werden.“ Nach reiflicher Überlegung seien die Unterzeichnenden zum Schluss gekommen, es liesse sich die Verbindung der Missionszwecke mit der zu erzielenden Ertragsfähigkeit des Kapitals am besten in einer Aktiengesellschaft verwirklichen, die – in Abschwächung von Zellwegers ursprünglichen Plänen – den Charakter eines Privatvereins wohlwollender Freunde der Mission tragen solle.42 Zum Schluss wurde auf den möglichen missionarischen beziehungsweise „zivilisatorischen“ Nutzen und damit auf eine unternehmensethische Besonderheit des geplanten Unternehmens eingegangen: Es
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worin den Gesellschaftern einer „anonymen Gesellschaft“ frei gestellt wird, ob und in welcher Weise sie einen „Ausschuss“ zur „Unterstützung und Beaufsichtigung der eigentlichen Geschäftsführer“ bestellen. ABM/UTC 4936: Statut der Missionshandlungsgesellschaft vom Mai 1859. Der Entwurf der Statuten findet sich unter ABM Q1: Komiteesitzung vom 30. März 1859. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 30. März 1859. Prospekt zur Zeichnung von Aktien der Missions-Handelsgesellschaft 1859, zitiert nach: Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 34.
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
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sei eine „[…] wirksame Gehülfin, um dem Christentum die Bahn zu ebnen; es liegt in nützlicher Betätigung bestimmt ein mächtiger Einfluss, um ein Volk für die Wahrheiten des Christentums empfänglich zu machen und es durch Sittenmilderung für dasselbe vorzubereiten.“43 Innert weniger Wochen gelang es, die zur Gründung nötige Hälfte der hundert Aktien à zweitausend Franken unterzubringen. Am 29. Juni 1859 genehmigte der Kleine Rat in Basel die Gründung der Aktiengesellschaft.44 Handelte es sich bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft tatsächlich um einen „Privatverein wohlwollender Freunde“, wie ihn der oben zitierten Prospekt anpries? Ein Blick in das erste Aktienregister zeigt, dass es sich bei den ersten Aktionären grösstenteils um Mitglieder wohlhabender Familien der Basler Oberschicht handelte. Direkt oder über verwandtschaftliche Beziehungen waren insbesondere die Basler Familien Burckhardt, Bischoff, Forcart, Merian, Ryhiner, Staehelin und Sarasin prominent vertreten.45 Diese Familien standen der Mission tatsächlich traditionell nahe und unterstützen die Basler Mission regelmässig durch Spenden und persönlichen Einsitz im Missionskomitee.46 Der Befund eines homogenen Investorenkreises darf allerdings nicht überinterpretiert werden: Grundsätzlich waren im 19. Jahrhundert kleinräumig finanzierte Aktiengesellschaften allgemein üblich.47 Die Gründung der Aktiengesellschaft für den Missionshandel wurde nur im kleinen Kreise publik gemacht. In der Basler Missionszeitschrift „Der evangelische Heidenbote“ begnügte man sich mit folgender dürren Information, die, um die schlussendlich offenbar doch potentiell aufsehenerregende Nachricht zu entschärfen, explizit auf das Vorbild der Herrnhuter Brüdergemeine verwies, zugleich aber die Gründung einer unter anderem auch gewinnorientierten Aktien-Gesellschaft verschwieg: „Zu den wichtigsten [Punkten der Komiteebeschlüsse] gehörte die Berathung über die Gründung einer ostindischen Missionshandlung nach Art der Brüdergemeine; es soll dadurch theils unseren ostindischen Gemeinden aufgeholfen, teils der Mission unter Gottes Segen ein pekuniärer Gewinn erzielt werden. Das Unternehmen soll aber nicht Sache der Komitee sein, sondern den Händen einer von derselben unabhängigen kaufmännischen Kommission anvertraut werden. Der Herr lasse es in Gnaden gelingen.“48
43
Prospekt zur Zeichnung von Aktien der Missions-Handelsgesellschaft 1859, zitiert nach: Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 34. 44 ABM/UTC 4205: Beschluss des Kleinen Raths des Kantons Basel-Stadt vom 29. Juni 1859 über die Genehmigung der M.H.G; vgl. auch ABM/UTC 4934: Jahresberichte der MissionsHandlungs-Gesellschaft 1859 und 1860. 45 ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1859–1869. Eine ausführliche Analyse der Aktionäre, ihrer Verbindungen zur Mission und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander findet sich bei Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 544–546 (Fussnote 45). Zur Bestimmung des traditionell religiös eingestellten Basler Grossbürgertums und dem Wesen des so genannten „Daigs“ vgl. Sarasin, Bürger (1997); zur auch andernorts üblichen pietistische Prägung des Grossbürgertums vgl. Rieder, Netzwerke (2008), 108–110; Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 9–11. 46 Vgl. Schlatter, Geschichte (1916), I, 261–268. 47 Vgl. Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 40–54; Pierenkemper, Finanzierung, 88 f. 48 [Mitteilungen aus dem] Komitee, in: Der evangelische Heidenbote, Mai 1859, 44 f.
44
2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Das Nebeneinander der durch einen Betriebsfonds finanzierten afrikanischen Handlung und der durch die Aktiengesellschaft finanzierten indischen Handlung war nur von kurzer Dauer. Bereits im Juli 1859 beschloss die Handlungskommission, beim Missionskomitee zu beantragen, fortan beide Geschäftszweige im Rahmen der neuen Aktiengesellschaft abzuwickeln. Von den 30 000 Franken, die die Basler Mission anfangs 1859 in das afrikanische Geschäft investiert hatte, sollten 15 Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft gekauft werden.49 Das Komitee der Basler Mission hiess diesen Vorschlag Ende August 1859 gut.50 Mit einem Aktienanteil von 15 Prozent wurde die Basler Mission auf einen Schlag zur grössten Aktionärin der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Missions-Handlungs-Gesellschaft und Basler Mission Die Vorläufer der MissionsHandlungsGesellschaft – die „Shops“ von Pfleiderer und Rottmann in Indien und Afrika – entstanden als Teil der Mission und aus deren Bedürfnissen heraus. Pfleiderer und Rottmann sollten in erster Linie die Missionsstationen und die Industriebetriebe der Mission mit europäischen Produkten versorgen. Gewissermassen als Nebeneffekt ergab sich die Möglichkeit, die Geschäfte einem weiteren Publikum zu öffnen und in delegiert gemeinnütziger Weise Geld für die Basler Mission zu verdienen. Die Basler Mission folgte dabei dem Vorbild der Mission der Herrnhuter Brüdergemeine. Die Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer Aktiengesellschaft ist aus der Perspektive der Basler Mission vor allem als ein Abwälzen der mit den Handelsoperationen verbundenen Risiken zu verstehen:51 Die in den Geschäften stehenden Gelder hatten anfangs 1859 einen derart grossen Umfang erreicht,52 dass das Missionskomitee Zellwegers Angebot – durch Schaffung einer Aktiengesellschaft „für Herbeischaffung der nöthigen Gelder zu sorgen [...] ohne Schaden befürchten zu müssen, da die Commission [also die Leitung der zu gründenden Firma] die Verantwortung übernimmt“53 – nur zu gerne annahm. Lediglich eine untergeordnete Rolle spielte zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung auf einen delegiert gemeinnützigen Beitrag an die Kosten der Mission. (Ein Gedanke der bei den ursprünglichen Läden nach dem Vorbild der Brüdergemeine noch im Vordergrund gestanden hatte.54) Allfällige finanzielle Beiträge der Handlung an die Mission hatten nun auch eine andere Qualität. Sie entstammten nicht mehr eigentlichem Missionshandel (Handel durch die Mission), sondern waren das Ergebnis eines Unternehmens, das Handel für die Mission trieb.
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ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 16. Juli 1859. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. August 1859. Vgl. ähnlich Braun, Missionshandel (1992), 22; Salvisberg, Zellweger (2008), 77. ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 2. März 1859 und 30. März 1859. Erwähnt werden etwa Bestellungen von Garn im Wert von 36 000 Franken. 53 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. März 1859. 54 Vgl. Danker, Profit (1971), [17].
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
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Das Verhältnis zwischen der Basler Mission und der Missions-Handlungs-Gesellschaft wurde als eine für beide Beteiligten lohnende (geschäftliche) Beziehung gesehen, bei der die Handlungs-Gesellschaft die nötigen Mittel aufbrachte, das immer grössere Risiko übernahm und dafür die Aktionäre entschädigte. Die Basler Mission stellte im Gegenzug Arbeitskräfte und Know-how zur Verfügung und erhielt eine Gewinnbeteiligung und allenfalls weitere Dienstleistungen von der neuen Firma.55 In diesem Sinne bemerkte Adolf Christ, der Präsident des Missionskomitees, anlässlich der Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft, dass „nach s. Überzeugung das richtige Mass sei angenommen worden im Betreff der Leistungen der Miss. Gesell. u. der Gegenleistung der Actiengesellschaft. Für das was die Mission thue, sei es billig, dass ihr ein Antheil (resp. die Hälfte) am Gewinn zukomme, sobald derselbe 6 % des Betriebs Capitals übersteige.“56
Die Gründung einer Aktiengesellschaft erfolgte nicht aus einer inneren Notwendigkeit. Ebenso wäre eine Weiterführung der „Shops“ im bisherigen Rahmen denkbar gewesen. Nochmals eine andere Lösung des Versorgungsproblems wählte die Norddeutsche Missionsgesellschaft, die zu diesem Zweck mit dem Bremer Handelshaus Vietor & Söhne zusammenarbeitete.57 Die neuartige Form der Aktiengesellschaft erlaubte zwar ein Abwälzen der geschäftlichen Risiken, brachte aber auch eine gewinnorientierte Komponente mit ins Spiel, mit der sich die Missionsgesellschaft und das neu gegründete Unternehmen fortan auseinandersetzen mussten. Gleichzeitig bedeutete die Gründung der juristisch selbständigen Aktiengesellschaft auch eine institutionelle Distanzierung, welche die naheliegende Kritik an einer Vermischung von Mission und Geschäft auch verstummen lassen konnte. Zumindest in Basel schien das (vorläufig) zu funktionieren. Problematischer sah es, wie wir sehen werden, für die Mitarbeiter der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Übersee aus. Auch Kommentatoren ausserhalb Basels war diese Verbindung nicht immer geheuer: So hiess es in einem polemischen Leserbrief über die Missions-Handlungs-Gesellschaft in der in London erschienenen „African Times“ aus dem Jahr 1868: „The temptations trade and profit offer, a missionary ought not in any way connect himself with, as the work itself is of a competing nature, often creating jealousy and misunderstanding. A man of a missionary spirit should be free and exempt from it.“58
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So die Argumentation von Inspektor Josenhans in ABM Q-1: Komiteesitzung vom 30. März 1859. 56 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 30. März 1859. 57 Altena, Häuflein (2003), 46; Braun, Missionshandel (1992), 13 f.; 25 f.; vgl. auch ABM Q1: Komiteesitzung vom 3. September 1856, wo darauf verwiesen wird, wie Rottmanns Bruder Christian in ähnlicher Weise wie Ludwig Rottmann für die Firma Vietor und die Norddeutsche Missionsgesellschaft nach Keta an der Voltamündung ausgesandt worden war; sowie Ustorf (Hg.), Mission (1986), wo in verschiedenen Beiträgen auf die informellen Verknüpfungen zwischen der Firma und der Norddeutschen Missionsgesellschaft verwiesen wird. 58 The African Times, 22. August 1868, 22. Für das Zurverfügungstellen von Scans der „African Times“ danke ich Trevor R. Getz von der San Francisco State University.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
„Civilization, Commerce and Christianity“ Die Verbindung von Mission, Handel und „zivilisatorischen“ Zielen erfolgte bei der Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft mehr aus praktischen als ideologischen Gründen. Es ergibt sich aber eine auffallende zeitliche Nähe zur von David Livingstone beflügelten theoretischen Diskussion über die Vermischung von „Civilization, Commerce and Christianity“ innerhalb britischer Missionskreise.59 Während eine solche Verbindung anfangs des 19. Jahrhunderts meist noch sehr kontrovers diskutiert worden war,60 sahen Livingstone und andere „commercial development“ des britischen Empires im Geiste einer durch Vorsehung und endzeitliche Heilserwartung geprägten Religiosität immer mehr „as an integral feature of the divine strategy for the redemption of the heathen world“.61 Es finden sich keine Hinweise auf eine direkte Inspiration der Basler durch Livingstone. Es ist aber zumindest für Zellweger, der als junger Mann in London und Nordamerika seine religiöse Erweckung erlebte und gut mit dem angelsächsischen Geistesleben vertraut war,62 wahrscheinlich, dass er die britische Diskussion über die Vermischung missionarischer und philanthropischer Ziele wahrgenommen hatte. Die britischen Missionsgesellschaften hielten allerdings trotz der kolonialen Verlockungen daran fest, ihren Missionaren den Handel zu untersagen.63 Auch die Basler Mission wollte, stärker als die Mission der Brüdergemeine, Missionsarbeit und Handelstätigkeit voneinander getrennt wissen. Mit der Gründung der MissionsHandlungs-Gesellschaft als einer Aktiengesellschaft fand sie einen originellen und neuartigen Weg, Handel und Mission auf Distanz miteinander zu verbinden. Brian 59
60 61 62 63
Vgl. Stanley, Commerce and Christianity (1983), 93. Die prägnante Formel von „Civilization, Commerce an Christianity“ hat David Livingstone in mehreren Vorträgen im Laufe der 1850er Jahren verwendet. So etwa in der Formulierung, er wolle die Gebiete am oberen Lauf des Zambesi erschliessen „that civilization, commerce and Christianity might find their way there.“ (Dr. Livingstone’s Cambridge lectures, London 1858, 40.) oder der Bestimmung von „Christianity and commerce“ als „pioneers of civilization“. (Dr. Livingstone’s Cambridge lectures, London 1858, 21; vgl. Stanley, Commerce and Christianity (1983), 81–84.) „Christianity, Civilization and Commerce“ scheint allerdings bereits zuvor ein mehr oder weniger stehender Begriff gewesen zu sein. So etwa in der Eingabe des vermögenden Thomas Thompson an die Wesleyan Methodist Missionary Society vom 11. Februar 1842, die feststellte, dass „Christianity, Civilization & Commerce are only synonymous terms.“ (zit. nach: Stanley, Commerce and Christianity (1983), 71.), in den Schriften des berühmten Abolitionisten Thomas Fowell Buxton, wo von „civilisation and Christianity“ und der Dreiheit „commerce, cultivation and Christianity“ die Rede ist (Buxton, Thomas Fowell: The African slave trade and its remedy, London 1839, xiii) oder beim schottischen Missionar John Philip, der bereits 1828 im Untertitel seines Buches über Südafrika programmtisch auf „the influence of Christianity in promoting civilization“ verwies (Philip, John: Researches in South Africa illustrating the civil, moral and religious condition of the native tribes, London 1828, [Titelseite]). Zu Livingstone und der Verbindung von „Civilization, Commerce an Christianity“ vgl. auch Nkomazana, Livingstone (1998) und Ross, Livingstone (2002), 24 f. Zu dieser frühen Diskussion vgl. Porter, Religion (2004), 93–101. Stanley, Commerce and Christianity (1983), 93. Zur zeitgenössischen Diskussion vgl. auch Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 111–113. Vgl. Salvisberg, Salomon und Ulrich Zellweger (2008), 64–68. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 98; vgl. Porter, Religion (2004), 95.
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
47
Stanleys Feststellung – „The mercantile response to Livingstone’s propaganda in 1857 appears to have been enthusiastic in theory but minimal in practice.“64 – muss also zumindest in Bezug auf die deutschsprachige Missionsbewegung korrigiert werden. Einige Jahre später folgte die Rheinische Mission dem Basler Vorbild.65 In Grossbritannien fand die Idee einer Verbindung von Handel und Mission nach dem Vorbild der Missions-Handlungs-Gesellschaft auch später kaum Nachahmer. Das Zusammengehen blieb dort, wie Schwegmann zusammenfasst, Episode: „Die Zusammenarbeit zwischen Mission und Handel war aber zeitlich sehr begrenzt, nie sehr intensiv und beschränkte sich nahezu ausschliesslich auf Afrika.“66 Die Missions-Handlung als pietistisches Unternehmen? Inwieweit passte die Missions-Handlungs-Gesellschaft in den Pietismus und in die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, von der sowohl die Basler Mission, als auch die Aktionäre der Missions-Handlungs-Gesellschaft und die späteren Missionskaufleute geprägt waren? Der Pietismus verhielt sich, wie dargestellt, grundsätzlich neutral zur wirtschaftlichen Lebenswelt. Zumindest die Sorge für die eigene Subsistenz war, wie die Beispiele der Herrnhuter Brüdergemeine und der Gemeinschaft in Korntal zeigte, unbestritten.67 Pietistische Unternehmer sahen sich aber einem besonderen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, was zu besonders vorbildlichem unternehmerischen Verhalten (Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung) oder der Gründung karitativer Stiftungen (delegierte Gemeinnützigkeit) führen konnte. Eine allgemein positive Wertung erfuhren im Pietismus der Fleiss und der Wert der Arbeit an und für sich, Bestandteile eines westlichen Arbeitsethos also, der zur Grundlage „zivilisatorischer“ Projekte werden konnte.68 Die Missions-Handlungs-Gesellschaft konnte also an mehreren Punkten an die pietistische Tradition anknüpfen. Von der Handlung her gedacht konnte die Institutionalisierung der delegierten Gemeinnützigkeit als eine karitative Rechtfertigung verstanden werden. Die biblische Begründung liegt auf der Hand: Die alttestamentarische Forderung nach der Abgabe des Zehnten.69 Auf die entsprechenden Bibelstellen wird im Zusammenhang der Missions-Handlung zwar nicht explizit verwiesen, die Praxis des Spendens eines „Zehnten“ war aber in den pietistischen Kreisen, auch in Basel, durchaus üblich.70 64 65 66
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Stanley, Commerce and Christianity (1983), 93. Vgl. dazu Braun, Missionshandel (1992), 60. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 118; vgl. auch ebd., 114; Stanley, Commerce and Christianity (1983), 93 f. Als Ausnahme wäre etwa die Verbindungen der schottischen Mission mit der 1878 gegründeten Livingstonia Central African Trading Company, später African Lakes Company zu nennen. (Baker, Chipembere (2008), 233–238.) Siehe Kap. 1.2 Vgl. Kriedke, Wirtschaft (2004), 585–604; Lehmann, Lage (2000), 14; Mettele, Weltbürgertum (2009), 68. 3. Mose, 27, 30–33. So wird etwa von dem der Basler Mission nahe stehenden Unternehmer Karl Sarasin berichtet,
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Von der Basler Mission her gedacht bedeutete das Erwirtschaften delegiert gemeinnütziger Beiträge durch „ihre“ Handlungs-Gesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Selbsterhaltung. Eine biblische Begründung der delegierten Gemeinnützigkeit aus der Sicht der Basler Mission als Investorin und Nutzniesserin findet sich in der Vorgeschichte der MissionsHandlung: Anlässlich der Aussendung Rottmanns im Herbst 1854 hielt Komiteepräsident Adolf Christ eine Ansprache, der er folgende Ermahnungen des Apostel Paulus an eine der ersten christlichen Gemeinden zu Grunde legte: „Denn ihr wisset, wie ihr uns sollt nachfolgen. Denn wir sind nicht unordentlich unter euch gewesen, haben auch nicht umsonst das Brot genommen von jemand; sondern mit Arbeit und Mühe Tag und Nacht haben wir gewirkt, dass wir nicht jemand unter euch beschwerlich wären. Nicht darum, dass wir es nicht in der Macht haben, sondern dass wir uns selbst zum Vorbilde euch gäben, uns nachzufolgen. Und da wir bei euch waren, geboten wir euch solches, dass, so jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen. Denn wir hören, dass etliche unter euch wandeln unordentlich und arbeiten nichts, sondern treiben Vorwitz. Solchen aber gebieten wir und ermahnen sie durch unsern HERRN Jesus Christus, dass sie mit stillem Wesen arbeiten und ihr eigen Brot essen.“71
Aus diesen Versen leitete Christ eine Art Selbstversorgungsideal ab, welches auch für die Mission seine Gültigkeit habe.72 Die Möglichkeit, dass Rottmann dereinst mal Gewinne für die Mission erwirtschaften könnte, wird so andeutungsweise mit der biblischen Aufforderung, selbst für seine leiblichen Bedürfnisse zu sorgen, fundiert. Wenn es der Mission demnach angelegen sein soll, selbst für sich zu sorgen, dann dürfte es gemäss der gleichen Argumentation auch kein Problem dargestellt haben, wenn sich die Mission durch ein ihr sehr nahe stehendes Unternehmen finanzierte. Ebenfalls leicht mit der pietistischen Tradition vereinbar war ein am westlichen Arbeitsethos orientiertes „zivilisatorisches“ Programm. Schwieriger scheint es, die Geschäftsaktivitäten selbst, den Welthandel, mit den rückwärtsgewandten gesellschaftlichökonomischen Konzepten der „Selbstbeschränkung auf das Dörfliche“ und der Schaffung „idyllisch-missionarischer Provinzen“73 zu verbinden. Die Verbindung von Mission, Handel und „zivilisatorischen“ Bemühungen könnte auch durch die Tätigkeit der Basler Mission selbst inspiriert worden sein. Seit ihren Anfängen war die Basler Mission an der Goldküste und in Indien neben der eigentlichen Missionsarbeit auch „zivilisatorisch“ tätig.74 Schon 1815 wurde in einer Sitzung des Missionskomitees von Missionaren „als Verbreiter einer wohltätigen Zivilisation“ gesprochen.75 Es wird im Verlauf dieser Arbeit zu klären sein, inwieweit sich auch die Missions-Handlungs-Gesellschaft, wie etwa von Peter A.
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dass er auf Grundlage dieser biblischen Aufforderung zu religiösen Zwecken gespendet habe. (Wanner, Sarasin (1979), 117.) 2. Thess. 3, 7–12. (Lutherbibel 1912) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 11. September 1854. Siehe Kap. 1.4. Vgl. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985); ders., Basler Mission (1981). Komiteesitzung vom 13. November 1815, zit. nach: Huppenbauer, Menschenliebe (2010), 120. Siehe auch Kap. 1.2.
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
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Schweizer suggeriert,76 in dieser Tradition betätigt hat. Auch das Nebeneinander verschiedener direkt gemeinnütziger und delegiert gemeinnütziger Tätigkeiten wurde im ersten Jahresbericht der Industriekommission der Basler Mission aus dem Jahr 1853 bereits angedacht: Die Industrien trachteten demnach nicht nur danach, Beschäftigungsmöglichkeiten für die frisch konvertierten Christen zu schaffen und diesen ein abendländisches Arbeitsethos vorzuleben, sondern „[...] nebenbei kleine commerzielle Operationen zu versuchen, deren Ergebnis vielleicht die Ausgaben für unsere nächsten Zwecke zum Vortheil der Missionscassa überwiegen könnten.“77 2.3 ENTWICKLUNGEN AUF STRATEGISCHER EBENE Fokussierung auf den Grosshandel und das Voltageschäft Im Sommer 1859 begann die vom Missionskomitee mit der Verwaltung des Unternehmens beauftragte Handlungskommission mit ihrer Arbeit.78 Als erste Neuerung beschloss die Handlungskommission, die Geschäfte in Afrika auf den Grosshandel mit europäischen Waren und tropischen Produkten zu fokussieren. Dafür sollte Rottmann auf den Betrieb des eigentlichen Kaufmannsladens, der in Christiansborg aus dem Speditionsbüro der Mission heraus entstanden war, verzichten. Der Betrieb dieses „Shops“ schien den Mitgliedern der Kommission zu riskant, da in einem umfassenden und stets zu aktualisierenden Warenbestand allzu umfangreiche Geldmittel gebunden schienen.79 1863 bekräftigte die Handlungskommission ihre Forderung, soweit als möglich auf Grosshandel zu setzen.80 Gleichzeitig sollte der Handel auf weitere Stützpunkte an der Goldküste ausgedehnt werden. Diese Pläne scheinen weitgehend vom initiativen Präsidenten Zellweger ausgegangen zu sein. Jedenfalls gab es gemäss Protokollbuch der Handlungskommission zwischen 1860 und 1862 keine ordentlichen Kommissionssitzungen mehr. Erst nachdem das Missionskomitee in dieser Angelegenheit interveniert hatte, wurden ab Anfang 1863 wieder regelmässige Kommissionssitzungen durchgeführt.81 Nun informierte Zellweger sowohl im Missionskomitee als auch in der 76 77 78 79 80 81
Schweizer, Mission (2002), 130–138. ABM/UTC 4936: Jahresbericht der Industrie-Commission der Evangelischen Missionsgesellschaft in Basel, 1853, 3 f. Zur schematischen Struktur der Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihrem Verhältnis zur Basler Mission vgl. das Organigramm im Anhang. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 16. Juli 1859. Kurz darauf wurde dieser Beschluss vom Missionskomitee bestätigt. (Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. August 1859.) ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. November 1863. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Januar 1863. Dort heisst es: „Nachdem längere Zeit hindurch nur selten eigentliche Sitzungen gehalten wurden u. an diesen leider kein förmliches Protocoll geführt worden war, wird auf Verlangen der Committee fortan regelmässig ein Protocoll geführt werden u. damit begonnen in der Sitzung vom: 9. Januar 1863 [...].“
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Handlungskommission erstmals über seine ehrgeizigen Pläne: Im Kern ging es darum, im grossen Stil in den Baumwollhandel einzusteigen. Dieser verlief von den Anbaugebieten im Landesinnern auf dem Volta an die Küste. Neben geschäftlichen Erfolgen versprach sich Zellweger davon einen Beitrag zur Eindämmung des immer noch virulenten Sklavenhandels an der Goldküste.82 Der Baumwollanbau und -handel sollte die Arbeitskräfte an die Goldküste binden und den Sklavenhandel so unrentabel machen: „Der Negersklave an der Küste wird zu 50 bis 60 Dollars verkauft, in dieser Wohlfeilheit allein findet der Sklavenhandel unter jetzigen Verhältnissen die Möglichkeit seines Betriebs; nun ist es aber leicht zu berechnen, wie durch die geringste Bethätigung der Arbeitskräfte der Werth der Sklaven um das drei & vierfache gesteigert würde; in dieser Vertheuerung der Sklaven, durch Bethätigung ihrer Arbeitskräfte liegt daher das wirksamste Mittel, um mit Erfolg gegen den Sklavenhandel anzukämpfen.“83
Sehr wahrscheinlich liess sich Zellweger von den entsprechenden Ideen des weit herum rezipierten britischen Sozialreformers und Abolitionisten Thomas Fowell Buxton inspirieren.84 Es handelt sich bei Zellwegers Plänen um eine interessante Verbindung zwischen einer geschäftlich möglicherweise rentablen Strategie und einem gemeinnützigen Ziel. Der moralische Nutzen würde sich danach aus der Handelstätigkeit selbst ergeben. Geht die Idee auf, braucht es hier kein besonderes (neben dem Gewinnstreben stehendes) direkt gemeinnütziges Engagement. Andererseits birgt diese (schlussendlich eben doch von moralischen Überlegungen ausgehende) Strategie ein geschäftliches Risiko. Im Eingehen dieses Risikos liegt dann womöglich doch ein direkt gemeinnütziges Engagement. Was den transatlantischen Handel betrifft, mochten Zellwegers Überlegungen zutreffen. Allerdings kann man fragen, unter welchen Bedingungen und wie frei die in Afrika verbliebenen Sklaven weiter gelebt hätten.85 Erste Priorität bei der Umsetzung von Zellwegers Plänen hatte die Gründung einer Handelsstation in Ada an der Mündung des Voltas.86 Dieser verkehrsgünstig gelegene Hafen war eines der Zentren des Handels an der Goldküste. Allerdings war die Basler Mission bislang noch nicht in Ada präsent. Der in der Handlungs-
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Zur Endphase des transatlantischen Sklavenhandels, der sich mindestens bis Mitte der 1860er Jahre hinzog vgl. Fyfe, Reform (1974). Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1860, 8. Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 7. Januar 1863; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1861, 6 f. Vgl. Buxton, Thomas Fowell: The African slave trade and its remedy, London 1840; vgl. auch Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 102–106; Drescher, Abolition (2009), 279 f. Später hat unter anderem David Livingstone die Ideen Buxtons aufgenommen und verbreitet. (Vgl. Nkomazana, Livingstone (1998), 47.) Vgl. auch Péclard, Ethos (1995) 24; 69–73, der auf ähnliche Pläne der Mission Philafricaine in Angola verweist. Wie Untersuchungen zum Palmölhandel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen, konnte die Etablierung von ökonomischen Alternativen zum Sklavenhandel aber auch zu zynischen Ergebnissen führen, dass mit den neuen Produkten die durch den Sklavenhandel geschaffene Handels- und Herrschaftsstrukturen gerade gestärkt wurden. (Vgl. Lynn, Commerce (1997), 189; Harding, Langes Jahrhundert (2009.) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 7. Januar 1863.
2.2 Die Gründung der Aktiengesellschaft 1859
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kommission sitzende Missionsinspektor Josenhans stand deshalb einer Neugründung kritisch gegenüber: „Es ist – sagt er [Josenhans]– eine gewagte Sache, Europäer alleine hinzustellen, weil sie als Kaufleute, die sich mit so vielen schlechten Leuten abgeben müssten, in besonderer Gefahr stehen Schaden zu nehmen, so vorteilhaft sonst ihre Position für den Handel seyn mag. Wenigstens sollten es in einem solchen Fall zwei seyn, damit einer den anderen stütze. Auch darf durch die Handlungsinteressen und den materiellen Verkehr die Mission selbst bei den Leuten nicht in Misscredit kommen.“87
Schliesslich stimmte nicht nur die Handlungskommission, sondern auch das Missionskomitee, welches ebenfalls in dieser Sache befragt worden war, der Gründung einer Handelsstation in Ada trotz der Bedenken zu. Zellweger argumentierte im Komitee mit der besonderen geschäftlichen Bedeutung Adas. „Um der besonderen Umstände willen“ wurde die Gründung denn auch gut geheissen.88 Hier findet sich erstmals ein später immer wiederkehrendes Argumentationsmuster: Auf Grund von vorgeblichen Sachzwängen (hier: die geschäftliche Bedeutung Adas als „besondere Umstände“) wird von moralischen oder religiösen Zielsetzungen (hier: Schutz der Mitarbeiter und Gefährdung des Rufs der Mission) abgewichen. Dahinter steckt die in der Einleitung erwähnte Denkfigur, wonach in der wirtschaftlichen Sphäre Sachzwänge bestünden, die ethische Abwägungen in bestimmten Zusammenhängen unnötig machten, da es um die (an das Erwirtschaften eines Gewinns gekoppelte) Existenz des wirtschaftlichen Akteurs an und für sich gehe.89 Mit dem bald darauf erschienenen Jahresbericht über das Jahr 1862 wurden auch die Aktionäre über die Gründung einer Station in Ada befragt.90 Bis auf drei Enthaltungen stimmten sie alle der Ausdehnung zu.91 Nach einigen Verzögerungen kam es 1866 schliesslich zur Gründung der Station in Ada.92 In einem zweiten Schritt wollte Zellweger am Volta eine Station für den Einkauf und die Reinigung von Baumwolle errichten.93 Im Laufe des Jahres 1863 nahmen auch diese Pläne Gestalt an. Nachdem sich Kpong und Dawromadan als ungünstige Standorte für den Ankauf von Baumwolle und den Betrieb der bereits aus Europa eingeführten Baumwollreinigungsmaschinen94 herausgestellt hatten, einigte sich die Handlungskommission auf den Standort Anum, von wo aus schliesslich regelmässig grössere Mengen Baumwolle nach Europa gelangten.95 Auch diese Erweiterung wurde im Missionskomitee verhandelt. Um eine alleinstehende Handelsstation wie in Ada zu verhindern, plante man nun ein Zusammengehen mit 87 88 89 90 91 92 93 94 95
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Januar 1863. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Januar 1863. Vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 71. Siehe Kap. 1.1. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1862, 4. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 25. Februar 1863. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. November 1866; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1867, 3. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1861, 6. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1862, 3. ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission 17. Januar 1864.
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der Basler Mission, die sich ebenfalls am Volta entfalten wollte.96 1864 kam es schliesslich zur Gründung einer ständig besetzten Handelsstation in Anum, zu der sich im folgenden Jahr eine Missionsstation gesellte.97 Bei der Wahl des Standorts konnte sich nach einigem Hin und Her die Missions-Handlung gegen die Wünsche der Missionare durchsetzten. Diese hätten statt im geschäftigen Zentrum lieber etwas abseits auf einem Hügel gebaut.98 Das Missionskomitee stand Zellwegers zugleich entwicklungspolitischen wie auch abolitionistischen Plänen insgesamt skeptisch gegenüber. Inspektor Josenhans, der Kraft seines Amtes sowohl im Missionskomitee wie auch in der Handlungskommission Einsitz hatte, äusserte sich an einer Sitzung des Missionskomitees verärgert über das eigenwillige Vorgehen: „Er [Josenhans] habe sich die Aufgabe der Handlungs Commission etwas anders & minder ausgedehnt gedacht, nun aber sei die Baumwollcultur u. Civilisation unserer afrikan. Gebiets überhaupt ins Auge gefasst worden, ohne dass er von allen Vorgängen eine vollständige Kenntnis gehabt habe, worüber ihm indess nach & nach, da er seiner Stellung gemäss den Ueberblick über das ganze festzuhalten habe, einige Zweifel aufstiegen [...]“99
Für zusätzlichen Zündstoff in der damaligen Auseinandersetzung sorgte die wohl im Umfeld einer Komiteesitzung gefallene Bemerkung, die Missions-Handlung sei „geldsuchende Krämerei.“100 Erbost antwortete Zellweger in einem Brief an das Missionskomitee auf diesen Vorwurf. Er verwies auf die finanziellen Bedürfnisse der Missionsindustrien als ursprüngliches Gründungsmotiv der Handlung, betonte nochmals die Möglichkeiten im Kampf gegen den Sklavenhandel und führte schliesslich die delegiert gemeinnützigen Leistungen zu Gunsten der Mission ins Feld, durch die die Mission ja ebenfalls vom Wachstum des Unternehmens profitieren könne: „Dass der Herr unsere Zwecke fördere ist mein beständiges Gebet; gibt der „Herr Herr“ überdrein materiellen Nutzen, nun so danke ich auch besonders für diese Zugabe, die wieder als Mittel zur Förderung von ausserordentlichen Werthe ist.“101
Das Missionskomitee kommentierte Zellwegers Brief nicht. Nach weiteren Diskussionen über diese Frage beschloss das Missionskomitee im August 1863, die Zahl der mit Europäern besetzten Stationen in Afrika vorläufig auf drei (Christiansborg, Ada und Anum) zu beschränken. Während im Falle Adas und Anum noch auf die besonderen „Umstände“ als vorgebliche Sachzwänge geachtet worden war, hielt man nun fest, dass künftige Ausweitungen der Handlungen „zu regulieren & in bestimmte Schranken zu weisen“ seien. Fortan wolle man das Erwirtschaften einer gewinnorientierten (aber auch delegiert gemeinnützigen) Rendite den übrigen Zielen hintenanstellen und von der „Maxime“ ausgehen, 96 Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 31. August 1863. 97 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 4. Mai 1864; vgl. auch Schlatter, Geschichte (1916), III, 71. 98 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 4. Mai 1864. 99 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 7. Januar 1863. 100 ABM Q-1: Zellweger: Brief an das Komitee, 25. Februar 1863. 101 ABM Q-1: Zellweger: Brief an das Komitee, 25. Februar 1863.
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„dass die Handlungs Commission, weil mit der Mission & deren Arbeitsfeld im Zusammenhang, langsam und vorsichtig vorangehen müsse, damit letztere Schritt halten könne; auch dürfe nicht ein zweifaches Regiment seyn; der pekuniäre Gewinn dürfe nicht als die Hauptsache angesehen werden, sondern das Exempel einer christlichen Verfahrungsweise auf dem Handlungsgebiet & die Heranziehung von Christen zu diesem Geschäft.“102
Im folgenden Jahr stellte sich das Missionskomitee tatsächlich gegen eine weitere Ausdehnung des Unternehmens und lehnte eine von Zellweger geforderte Kapitalerhöhung ab.103 Anders als im Jahr zuvor setzte sich das Missionskomitee nun gegen eine ökonomische (Sachzwang-) Argumentation durch. Zumindest Missionsinspektor Josenhans blieb aber weiterhin skeptisch.104 Der Station in Anum war wenig Glück beschieden: 1869 wurde sie im Gefolge einer Auseinandersetzung zwischen dem mit den Briten verbündeten Königreich der Fante und dem Königreich der Ashanti geplündert und zerstört. Die anwesenden Europäer wurden durch Krieger der Ashanti entführt.105 Bis Anfang 1873 blieben Missionskaufmann Kühne, Missionar Ramseyer sowie deren Familie als Geiseln des Ashanti-Königs in dessen Hauptstadt Kumasi.106 Als Missionskaufmann Ernst Preiswerk 1879 zusammen mit Missionar Ramseyer nach Anum zurückkehrte, konnte er nur noch „den damals vergrabenen Baarvorrath [hervorholen], der nach Abzug der darauf verwendeten Reisekosten mit Fr. 900.12 in den Einnahmen erscheint.“ Die Station selbst war nur noch eine „von Gesträuchen überwucherte unkenntliche Ruine, deren Wiederaufbau in keiner Weise zeitgemäss erscheint.“107 Bescheidener Ausbau der Stationen in Indien Wenig spektakulär war die Entwicklung in Indien. Hier betrieb Pfleiderer neben seinem Amt als Generalkassier der Basler Mission einen kleinen Missionsladen in Mangalore. Ausserdem versorgte er die Missionsindustrien in Indien mit Garnen aus Europa. Als die Baumwollausfuhren aus den Vereinigten Staaten während des Amerikanischen Bürgerkriegs stockten, verlor das Garnimportgeschäft an Bedeutung. Die Missionswebereien setzten nun vermehrt auf indische Baumwollprodukte.108 Bereits im November 1858 war Carl Schlunk als zweiter Kaufmannsbruder 102 103 104 105
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 31. August 1863. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Oktober 1869. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1869, 1; ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 26. Dezember 1869; vgl. Edgerton, The Fall (1995), 96. 106 Jahresbericht der MissionsHandlungsGesellschaft 1873, 5. Bei Wanner findet sich eine ausführliche Darstellung der Entführung Kühnes und Ramseyers sowie der erfolglosen Versuche, die Missionsleute freizukaufen. (Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 505–515.) Vgl. auch Edgerton, The Fall (1995), 131 f.; Schweizer, Mission an der Goldküste (2002), 82–85. 1875 veröffentlichten Ramseyer und Kühne ihre Tagebücher aus jener Zeit. (Ramseyer, Friedrich August und Kühne, Johannes: Vier Jahre in Asante. Tagebücher der Missionare aus der Zeit ihrer Gefangenschaft, 1875.) 107 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1879, 6. 108 ABM Q-1: Zellweger: Brief an das Komitee, 25. Februar 1863. Zu den stimulierenen Auswir-
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zur Beaufsichtigung der Missionsindustrie in Cannanore und zur Führung eines allfälligen weiteren „Shops“ nach Indien ausgesandt worden. 1859 gründete er dort wie vorgesehen einen weiteren Laden.109 Schlunk fand Gefallen an seiner Aufgabe und machte sich noch im selben Jahr daran, grössere Mengen europäischer Waren zu bestellen. Dies führte im September 1859 zu einer ersten Ermahnung durch das Missionskomitee, welches befürchtete, dass Schlunk wegen seiner Handelsgeschäfte seine Verpflichtungen gegenüber der Missionsindustrie vernachlässigen könnte.110 Im Dezember 1862 wurde Carl Schlunk sein Bruder Franz zur Mithilfe zugewiesen.111 Zusammen zeigten die beiden Brüder noch mehr Eigeninitiative, was zu Ausständen bei Lieferanten in Europa führte. Nach einer längeren Auseinandersetzung mit der Handlungskommission wurde der Laden in Cannanore 1864 geschlossen.112 1867 entstanden zwei neue Missions-Handlungen in Mercara und in Calicut. Anders als in Afrika gingen diese Gründungen auf Hinweise des Missionsinspektors zurück. In Calicut stand von Anfang an die Unterstützung der Missionsindustrie im Vordergrund.113 Eine Vergrösserung der Handlung in Mercara scheiterte 1872 daran, dass die Erlaubnis zum Ankauf eines zum Verkauf stehenden Grundstücks nahe der Handelsstation zu spät in Indien anlangte.114 1876 entstand eine Filiale in Vythri am Fuss der westlichen Ghats, die allerdings bereits 1882 wieder geschlossen wurde.115 In den 1870er Jahren intensivierte sich die Zusammenarbeit mit den Industriebetrieben der Basler Mission. Neben der Belieferung mit Vorprodukten übernahm die Missions-Handlungs-Gesellschaft 1872 auch den Verkauf der Produkte der
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kungen des amerikanischen Bürgerkriegs auf die indische (Textil-) Industrie vgl. Roy, India (2000), 161. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 3. November 1858. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 7. September 1859. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Dezember 1862. Im Dezember 1863 war es zu Problemen im Zusammenhang mit den Geschäften der Gebrüder Schlunk gekommen: Nachdem die Geschäftsleitung in Basel Bestellungen der Schlunks in Hamburg bezahlen musste, von denen sie nichts gewusst hatte, wurden die Gebrüder Schlunk im Frühling 1864 aufgefordert, ihr Geschäft in Cannanore zu liquidieren. Darauf entspann sich eine längere Auseinandersetzung zwischen der Leitung in Basel und den aufmüpfigen Brüdern, die (wohl in gutem Glauben) verlustreiche Geschäfte sowohl zu Lasten der Mission als auch auf eigene Rechnung getätigt hatten. Schliesslich traten die Brüder Schlunk 1864 aus der Handlung aus, um sich in Indien dem Betrieb einer Kaffeeplantage zu widmen, die sie nebenbei aufgebaut hatten. Der Handlung blieben sie grössere Beträge schuldig. Erst zwei Jahre später anerkannten die Brüder Schlunk ihre Schuld. (Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 11. April 1864; 19. September 1864; 8. Dezember 1864 und 9. November 1866.) ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 5. April 1866; 30. August 1866 und 12. Juni 1868. „Mercara“ ist die anglisierende Bezeichnung für das heutige Madikeri. ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 29. August 1872 und 2. November 1872. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1876, 7; ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 26. Oktober 1881 und 24. November 1882.
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Missionsindustrie.116 Diese Handreichungen geschahen auf Kommissionsbasis.117 1877 übernahm die Zentrale in Basel die administrativen Tätigkeiten der Industriekommission in Basel. In diesem Fall verzichtete man auf einen Unkostenbeitrag, da die Industrie pekuniär schlechter dastehe als die Missions-Handlungs-Gesellschaft. Mit ihrem Beschäftigungsprogramm für konvertierte Inder118 achte sie anders als die (nur teilweise gemeinnützig orientierte) Handlung nicht „in erster Linie darauf, ob ein Unternehmen gleich von vornherein gut rentiere [...]“.119 Es wird sich zeigen, ob sich die hier noch als deutlich anders beschriebene Handlungslogik der Missionsindustrie über die sich bereits anbahnende Fusion der beiden Unternehmen hinaus erhalten konnte. Der Rücktritt Zellwegers 1864 Im Laufe des Jahres 1863 hatte sich das Verhältnis zwischen Zellweger und seinen Kollegen in der Handlungskommission und dem Missionskomitee zusehends verschlechtert. Im Februar 1864 entzündete sich der schwelende Konflikt an einer Diskussion über das Missionsschulwesen in Indien, einer Frage also, die nichts mit der Missions-Handlung zu tun hatte. Zellweger beharrte in der aus Sicht seiner Kollegen im Missionskomitee offenbar müssigen Frage, ob die von der Mission unterstützten traditionellen „Heidenschulen“ vor den eigentlichen Missionsschulen bevorzugt würden, auf seiner kritischen Haltung gegenüber den „Heidenschulen“. Schliesslich wurde ihm vom Präsidenten das Wort entzogen und er verliess wortlos die Sitzung des Komitees.120 Auf Vorschläge für eine freundschaftliche Lösung des Konflikts – unter Anerkennung der Autorität des Komiteepräsidenten Adolf Christ – mochte Zellweger nicht mehr eingehen. Am 15. Februar 1864 trat er aus dem Missionskomitee aus.121 Gleichzeitig verliess er die Handlungskommission.122 Trotz der kurzen Dauer seiner Präsidentschaft sollte Zellwegers Einfluss auf die weitere Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft nicht unterschätzt werden. Er war der Kopf hinter der Idee der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft. Mit seinem eigenwilligen Vorgehen legte er den Grundstein für die spätere Entwicklung in Richtung eines relativ selbständigen Welthandelsunternehmens, das nicht nur den Verkauf von europäischen Waren in Übersee, sondern ebenso den Handel mit tropischen Produkten forcierte. Es wäre allerdings falsch, Zellweger, wie in Wanners Firmengeschichte von 1959, den Wunsch nach einer „äussere[n] Trennung“ der Missions-Handlungs-Gesellschaft 116 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juli 1872. Vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1874, 7. 117 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. November 1876. 118 Mehr dazu in Kap. 3.1 und 3.3. 119 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 15. Oktober 1877. 120 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 13. Februar 1864. Zum Nebeneinander der „Heidenschulen“ und Missionsschulen vgl. Schlatter, Basler Mission (1916), II, 137 f. 121 ABM Q-1: Zellweger, Brief an das Missionskomitee, 15. Februar 1864. 122 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864.
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von der Basler Mission zu unterstellen. Ebenso abwegig ist es, ihn in eine Reihe mit dem prominentesten späteren Kritiker der Missions-Handlungs-Gesellschaft, Missionsinspektor Schott, zu stellen.123 Abgesehen von seinem nur am Rande eingebrachten und sofort verworfenen Vorschlag, einen Mitarbeiter auf eigene Kosten auszusenden,124 finden sich keinerlei Hinweise auf konkrete Trennungsabsichten. Das hätte auch gar nicht zu Zellwegers Frömmigkeit und Missionssinn gepasst. Es ging ihm im Falle der Missions-Handlung nicht darum, irgendein Unternehmen aufzubauen (das hatte er zuvor schon erfolgreich getan!), sondern vielmehr um die Vision, ein religiöses und philanthropisches Unternehmen im Geiste der Mission zu schaffen. Zellwegers Nachfolger wurde Eduard Preiswerk, ein Kaufmann aus Basel, der bereits Mitglied des Missionskomitees war.125 Der Übergang zu Preiswerk bedeutete keinen tiefen Einschnitt in die Entwicklung des Unternehmens. Zwar gehörten nun Zellwegers weitreichende Visionen im Kampf gegen den Sklavenhandel der Vergangenheit an; die Versuche im Baumwollhandel wurden aber ebenso wie die anderen Geschäfte nahtlos weitergeführt.126 Anlässlich Preiswerks Amtsantritt wiederholte das Komitee allerdings nochmals vorsorglich das im Jahr zuvor ausgesprochene Regelung, wonach sich die MissionsHandlung vorläufig auf Basis des bestehenden Betriebskapitals zu entwickeln habe.127 Die Geschäftsordnung von 1864 Kurz darauf erliess das Missionskomitee, um künftige Missverständnisse zwischen Mission und Missions-Handlungs-Gesellschaft zu vermeiden, eine Geschäftsordnung für die von ihm bestellte Handlungskommission. Die Geschäftsordnung sollte die Statuten ergänzen. Die Entwicklung des Unternehmens wurde darin deutlich den Zielen der Mission untergeordnet.128 Man erkannte das Potential der Handlungs-Gesellschaft und wollte verhindern, dass eine allzu starke Handlung das Wesen der Mission gefährden könnte: „Es soll durch die Handelsunternehmungen weder die Einheit unseres Missionswerks, noch der Friede und die Eintracht der Missionsfamilie gestört werden. Es soll weder der Geist, der in unserer Mission lebt, durch die Handelsunternehmungen alteriert, noch die Disciplin im Kreis unserer Missionare und heiden-christlichen Gemeinden aufgelockert werden.“129
123 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 49. Später wurde die Darstellung, Zellweger sei ein Art Vorläufer von Schott gewesen, unter anderem von Rennstich (Rennstich, HandwerkerTheologen (1985), 185) unkritisch übernommen. (Zu Schotts Kritik an der Missions-Handlungs-Gesellschaft vgl. Kap. 3.1.) 124 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Juni 1863. 125 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. 126 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864. 127 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. 128 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 71–74. 129 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3.
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Die „Einheit des Werkes“ bezog sich vor allem auf die Missionskaufleute. Um Ungleichheiten zwischen ordinierten und nicht-ordinierten Mitgliedern der „Missionsfamilie“ zu verhindern, sollten sie den ordinierten Missionaren bezüglich ihrer finanziellen Ansprüche, aber auch der an sie gestellten religiösen und charakterlichen Anforderungen gleichgestellt werden.130 Weiter enthielt die Verordnung die Bestimmung, dass der Präsident der Handlungskommission zwingend Mitglied des Missionskomitees sein müsse.131 Ausserdem erhielten alle Mitglieder der Handlungskommission die Möglichkeit eines „suspensiven Vetos“, welches bewirkte, dass jedes Kommissionsmitglied ein Geschäft im Zweifelsfall dem Missionskomitee zur abschliessenden Behandlung weiterreichen konnte.132 Da der Missionsinspektor Kraft seines Amtes Einsitz in die Handlungskommission nahm, war der Missionsleitung damit die Möglichkeit gegeben, alle Entscheidungen an das Missionskomitee weiter zu ziehen. Diese Bestimmung sorgte – auch wenn sie nicht aktiv angewandt wurde – für eine stete Anpassung an die Ziele und Wünsche der Mission. Weiter ging es in der Geschäftsordnung auch um einen neuen Kostenschlüssel für die Finanzierung der Mitarbeiter der Missions-Handlungen, die fortan (mit Ausnahme je eines Mitarbeiters in Afrika und Indien) durch die Missions-HandlungsGesellschaft selbst übernommen werden sollte.133 Schliesslich definierte die Geschäftsordnung von 1864 erstmals den Unternehmenszweck der Missions-Handlungs-Gesellschaft: „a. Die Missionsstationen in Afrika mit den Bedürfnissen zu versehen, welche sie aus Europa zu beziehen genötigt sind. b. Die zum Betrieb der Werkstätten der Mission und der Christengemeinden nöthigen Rohstoffe unter möglichst vortheilhaften Bedingungen herbei zu schaffen. c. Die Heidenchristen und Heiden durch Einleitung in den christlichen Handelsbetrieb sittlich zu heben. d. Die zum Betrieb der eingerichteten Missionshandlungen nöthigen Kapitalien aufzubringen und zu verzinsen. e. Die Mission bis zu einem gewissen Grad finanziell selbständig zu machen, oder diese Verselbständigung wenigstens einigermassen anzubahnen.“134
Diese Zweckbestimmungen, die in den Statuten von 1859 noch fehlten, die dem Inhalt nach aber von Anfang an bestanden,135 bezeichnen, wie in der Einleitung dargestellt, erstmals ganz deutlich die nebeneinander gestellten direkt gemeinnützigen (a., b. und c.), delegiert gemeinnützigen (e.) und gewinnorientierten (d.) Zielsetzungen der Missions-Handlung und die undeutlicher formulierte unternehmensethische Verantwortung (c.) als „christliche[r] Handelsbetrieb“.136 130 131 132 133
ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3. ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 5. ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 9. ABM/UTC 4936: Beschluss des Komitee vom 9. März 1964, 4b. Vgl. auch ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. 134 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 2. 135 Andeutungen auf direkt gemeinnützige Ziele finden sich bereits im Prospekt zur Zeichnung von Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft. (Aktien-Emissionsprospekt der Missionshandlungsgesellschaft vom 15. April 1859.) 136 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.5 weiter unten. Interessant ist, wie in Schweizers Buch über „The Basel missionaries in colonial Ghana“ die Forderung nach der „Einleitung in den christlichen Handelsbetrieb“ unversehens zu „training people in fair trading practices“ wird. (Schweizer, Basel missionaries (2000), 102.) In Stückelberges Buch über „ethischen
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In der Geschäftsordnung von 1864 wurde die der Missions-Handlungs-Gesellschaft zugedachte Rolle als Dienstleister und „Entwicklungshelfer“ biblisch nicht begründet. Hinweise auf eine mögliche theologische Fundierung liefert uns aber die damals bereits einige Jahre zurückliegende Feier zur Aussendung des ersten Missionskaufmanns Pfleiderer, anlässlich der auf zwei Stellen in der Apostelgeschichte verwiesen wurde.137 Im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte wird im Zusammenhang mit der Bildung der ersten christlichen Gemeinde eine (hier individualbesitzlose) gemeinschaftliche Organisation der äusseren Lebensnotwendigkeiten als Ideal aufgezeichnet: „Alle aber, die gläubig waren geworden, waren beieinander und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus unter alle, nach dem jedermann Not war. Und sie waren täglich und stets beieinander einmütig im Tempel und brachen das Brot hin und her in Häusern, nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen und hatten Gnade beim ganzen Volk.“138
Anfangs des sechsten Kapitels, die Gemeinden hatten sich inzwischen weiterentwickelt, geht es darum, dass die Gemeinschaften für ein effizientes Funktionieren, neben den Gemeindeleitern auch Diakone für die Regelung weltlicher Belange bestellten, was auf eine zunehmende Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung innerhalb der Gemeinde hinauslief: „In den Tagen aber, da der Jünger viele wurden, erhob sich ein Murmeln unter den Griechen wider die Hebräer, darum dass ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es taugt nicht, dass wir das Wort Gottes unterlassen und zu Tische dienen. Darum, ihr lieben Brüder, sehet unter euch nach sieben Männern, die ein gut Gerücht haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, welche wir bestellen mögen zu dieser Notdurft. Wir aber wollen anhalten am Gebet und am Amt des Wortes. Und die Rede gefiel der ganzen Menge wohl; und sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen von Antiochien.“139
Missionsinspektor Josenhans interpretierte diese beiden Bibelstellen in seiner Ansprache folgendermassen: „Bereits die apostol. Gem. [habe sich] die Richtigstellung auch der irdischen Angelegenheiten ihrer Glieder namentl. der ärmeren unter denselben [...] einen Gegenstand der Sorge & der Welthandel“ wird dann daraus mit Verweis auf Schweizer „Ausbildung in fairen Handelspraktiken“. (Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 23.) Damit nähren sie das weitverbreitete Missverständnis, die Missions-Handlungs-Gesellschaft sei ein Pionier des Fair-Trade gewesen. Ohne Angabe von Quellen findet sich diese unzutreffende Charakterisierung auch bei Salvisberg, Zellweger (2008), 10 [Einleitung von Bernhard Ruetz] und hinten auf dem Umschlag, bei Baur, Afrika (2006), 139 und im Artikel zur Basler Mission im Historischen Lexikon der Schweiz (Jenkins, Basler Mission (2009)). Auf die unpassende Bezeichnung hat bereits Franc, Schokolade (2008), 36; 73; 214 hingewiesen. Für eine mögliche Definition von FairTrade als ganzheitlicher Ansatz zu einer gerechteren Ausgestaltung von Handelsbeziehungen vgl. Stükkelberger, Ethischer Welthandel (2001) 135; 179. 137 Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 19. Dezember 1853. 138 Apg, 2, 44–47. (Lutherbibel 1912) 139 Apg. 6, 1–5. (Lutherbibel 1912)
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Berathung seyn lassen. Aus der Wahl der zur Ordnung der zeitlichen Gemeindebedürfnisse bestellten Männer [...] erhelle sich zur Genüge, wie grossen Werth die apostol. Gem. auf die richtige Besorgung dieses Geschäftszweiges gelegt habe – & das mit vollem Recht, da gerade über derlei Dinge auch die, welche in dem HErrn Eins sind, so leicht auseinander gelegene Ansichten hegen & über der Bethätigung derselben uneins werden.“140
Die Bestellung der Diakone durch die Apostel rechtfertige aber, so Josenhans, nicht nur eine sinnvolle Spezialisierung innerhalb der Gemeinde, sondern sie weise darüber hinaus auch auf eine sozialpolitische beziehungsweise „zivilisatorische“ und wohltätige Aufgabe der Mission hin, welche nun durch den Einsatz Pfleiderers als eines weltlichen Mitarbeiters gezielter verfolgt werden könnte: „Es sei nicht damit gethan, dass wir den Heiden nur das Evangelium geben und die Erledigung der in Folge des angenommenen Evangeliums sie betreffenden Bedrängnisse ihnen selbst überlassen; sondern es gelte, ihnen auch darin brüderl. Beihilfe zu leisten. Der Vorgang der apostolischen Gem. sei uns auch hierin völlig massgebend & widerlege entgegenstehende Ansichten. Es sei ein StephanusAmt also, was der l. Br. Pfleiderer übernehme, was ihm unausgesetzt die reichste Gelegenheit zu gesegneter geistlicher Einwirkung auf die neuen pflegebedürftigen Christen darbiete. Zu diesem heiligen göttl. geordneten Amt wolle der HErr dem scheidenden Bruder & angehenden Missionsarbeiter auch die Stephansgaben der Weisheit & des hl. Geistes in Gnaden verleihen!“141
Das ideelle Nebeneinanders von geistlichen und weltlichen Aufgaben innerhalb der Missionsarbeit findet immer wieder Erwähnung in der Selbstdarstellung der Missions-Handlungs-Gesellschaft. So heisst es etwa im Jahresbericht 1871 in Anspielung auf das bekannte Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde“, in dem Jesus seine Jünger dazu auffordert, sich als Vorbilder zu verhalten,142 über die Missionskaufleute: „Allen aber wünschen wir, dass sie immer mehr ein Salz werden, das die Heidenvölker durchwürze und dass, wenn sie mit einer Hand recht fleissig die äussere Arbeit verrichten, sie noch viel mehr mit der anderen die Waffen des Geistes handhaben im Kampf gegen die Finsternis, bis dass allen Völkern das Evangelium gepredigt wurde.“143
140 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 19. Dezember 1853. 141 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 19. Dezember 1853. 142 Matt. 5, 13–16: „Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man‘s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn das man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Lutherbibel 1912) 143 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1871, 9. Ähnlich heisst es 1879 in Anspielung auf das Gleichnis vom Sauerteig (Matt. 13.33): „[...] und wir bitten Ihn [den Herrgott], dass er auch ferner durch Wort, Wandel und Arbeit unsere im Felde stehenden 15 Brüder einem Sauerteige gleich möge wirken lassen [...].“ (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1879, 8.)
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Die Statuten von 1869 1869 wurde die Missions-Handlungs-Gesellschaft für weitere zehn Jahre konstituiert. Die Fortführung der Handlung als Aktiengesellschaft an und für sich stand ausser Frage. Für uns interessant, gab die Neukonstituierung Anlass zur Überarbeitung der Statuten: Neu waren (1) die Erwähnung der aus der Geschäftsordnung von 1864 bereits bekannten Gesellschaftszwecke,144 (2) die Erhöhung des Aktienkapitals von 200 000 auf 600 000 Franken,145 (3) die Herabsetzung der garantierten Aktionärsdividende von sechs auf fünf Prozent des nominellen Aktienwertes146 und (4) die Bestimmung, dass vor der Verteilung des restlichen Gewinns zwischen Aktionären und Basler Mission solange zehn bis dreissig Prozent des Gewinns als Reserve ins Unternehmen fliessen sollten, bis die Reserven einen Drittel des Aktienkapitals betragen würden.147 Zusammen mit der Erweiterung des Aktienkapitals bedeutete diese letzte Bestimmung mittelfristig eine deutliche Ausdehnung des Anteils des Eigenkapitals an der Gesamtbilanz.148 (5) enthielten die neuen Statuten eine Neuformulierung des Aufsichtsrechts des Missionskomitees über die Handlungs-Gesellschaft: Während bis anhin die oberste Leitung des Unternehmens bei der (allerdings allein durch das Missionskomitee bestimmten) Handlungskommission gelegen hatte, wurde die oberste Aufsicht nun explizit dem Missionskomitee zugewiesen: „Die Gesellschaft übt ihr Oberaufsichtsrecht über das ganze Unternehmen durch die Committee der evangelischen Missionsgesellschaft aus.“149 Insgesamt wurde die Missions-Handlung mit den neuen Statuten noch deutlicher als 1864 in den Rahmen der Basler Mission eingebunden. In all ihrem Tun sollte die Handlung versuchen, „die Bestrebungen der evangelischen Missionsgesellschaft in Basel [...] zu fördern.“150 Über die Statuten hinaus nutzten Handlungskommission und Missionskomitee die Neukonstituierung, um ihre gegenseitiges Verhältnis in mehreren Verträgen zu ordnen. Dies betraf zum einen die Rolle der Basler Mission als Aktionärin der Handlungs-Gesellschaft. Hier wurde beschlossen, den Anteil der Mission am Aktienkapital kontinuierlich zu erhöhen, indem fortan die Hälfte der Dividenden, die die Mission als Aktionärin erhielt und die Hälfte des zusätzlichen Gewinnanteils der Mission zu fünf Prozent verzinst bei der Handlung liegen bleiben und zum Ankauf von Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft benutzt werden sollten.151 Gleichzeitig strebte das Komitee eine klarere Trennung zwischen Mission und MissionsHandlung an, indem die MissionsHandlung sich dazu verpflichtete, den 144 145 146 147 148
ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 1. ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 4. ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 12. ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 12. Vgl. dazu auch die Ausführung in Kap. 2.4. Ähnliche Bestimmungen waren auch andernorts üblich. (Vgl. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 78.) Mit dem Schweizer Obligationenrecht von 1911 wurde später die Äufnung einer Reserve von mindestens zwanzig Prozent des Akteinkapitals auch gesetzlich vorgeschrieben. (OR Art. 671 C, I, 1.) 149 ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 6. 150 ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, § 1. 151 ABM/UTC 4936: Neue Verordnungen die Missionshandlungen betreffend, April 1869, § 5.
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finanziellen Unterhalt aller ihrer Mitarbeiter zu übernehmen und alle von ihr benutzten Gebäude der Mission in Übersee zu kaufen.152 Ein Jahr später forderte das Missionskomitee die Missions-Handlung dazu auf, sich eigene Büros ausserhalb des Missionshauses zu suchen.153 Schon im folgenden Jahr bezog die MissionsHandlung einen Neubau am Nonnenweg 21 in Basel,154 eine Lokalität, die immerhin noch in unmittelbarer Nähe zum Missionshaus lag. Im gleichen Jahr kam es auch zur Gründung von eigenständigen Kindererziehungs- und Invalidenkassen der Missions-Handlungs-Gesellschaft.155 Unabhängig davon schuf die Handlung im gleichen Jahr ein eigenes „Assekuranzkonto“ für Feuerschäden, da die europäischen Versicherungsgesellschaften die Stationsgebäude in Indien und Afrika nur zu sehr ungünstigen Konditionen versicherten.156 Mit dem verstärkten Engagement der Mission als Aktionärin ging also gleichzeitig eine administrative Distanzierung einher. Aus der Sicht der Mission erscheint diese Ambivalenz durchaus vorteilhaft: Sie vermochte mit den Änderungen von 1864, 1869 und 1870 ein Mehr an Kontrolle und Teilhabe (Verankerungen der direkt gemeinnützigen Leistungen und des Oberaufsichtsrechts des Missionskomitees in den Statuten) mit einer Reduktion ihrer eigenen Leistungen und Risiken (Liegenschaften und Personal) zu verbinden. Missionsschiffe und neue Stationen Mit der Ausdehnung der Geschäfte in Afrika reifte in der Handlungskommission die Idee, ein eigenes Schiff anzuschaffen.157 In Absprache mit dem Missionskomitee, das auf diese Weise seine Missionare günstiger auszusenden hoffte, kaufte die Missions-Handlungs-Gesellschaft im Sommer 1866 in Bremen das Segelschiff „Palme“.158 In den folgenden Jahren wurde die Afrika-Flotte weiter ausgebaut: Nachdem sich das erste Schiff bewährt hatte, kaufte die Missions-Handlung in den Jahren 1873 und 1874 zwei weitere Segelschiffe. 1875 wurde die „Palme“ durch ein eisernes Segelschiff ersetzt. 1879 kam ein letztes Segelschiff dazu.159 Der Aus152 ABM/UTC 4936: Neue Verordnungen die Missionshandlungen betreffend, April 1869, §§ 2 f. 153 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juli 1869. Entsprechende Forderung nach mehr Distanz und Professionalisierung in der Führung der Missions-Handlung hatte Inspektor Josenhans bereits 1863 anlässlich einer Diskussion um die Erhöhung des Aktienkapitals gestellt. (Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 1. [September] 1863.) 154 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1870, 3. 155 ABM/UTC 4936: Weitere Verordnungen die Missionshandlung betreffend, 1870, Art. B.3. Siehe auch Kap. 2.6. 156 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 4. November 1870; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 188 f. 157 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 4. April 1864; 7. Mai 1864; 16. März 1866; 7. April 1866. Bereits 1856 hatte Rottmann in einem Schreiben an das Komitee die Idee eines Schiffskaufs aufgebracht. (Miescher, Rottmann (1999), 348.) Vielleicht bezog er sich dabei – ähnlich wie bei den Missionsläden – auf das Vorbild der Herrnhuter, die ebenfalls eigene Schiffe unterhielten. (Vgl. Huppenhauer, Menschenliebe (2010), 98.) 158 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 15. Juni 1866. 159 Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1873–1875 und 1879. Eine ausführliche
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bau der Flotte erfolgte tendenziell gegen den Willen von Missionsinspektor Josenhans. Er sprach sich im Zusammenhang mit dem Mangel an Missionskaufleuten 1871 gar für einen Rückzug aus dem Reedereigeschäft aus, da man so nicht mehr unter dem Druck stünde, das Schiff in beide Richtungen immer wieder zu füllen und mit einem kleineren Mitarbeiterstab auskommen könne. Mit dem betriebswirtschaftlichen Argument, dass sich mit eigenen Schiffen das Exportgeschäft effizienter abwickeln lasse, setzten sich die anderen Mitglieder der Handlungskommission in diesem Fall gegen die Bedenken des Missionsinspektors durch.160 1885 wurde das letzte Segelschiff, das kaum noch mit der Konkurrenz der Dampfschiffe mithalten konnte, verkauft. 1890 wurde über den Kauf eines eigenen Dampfschiffs nachgedacht; auf Grund der immer günstigeren Frachtraten der Dampferlinien wurde die Idee aber nicht mehr weiter verfolgt.161 Ende 1865 beschloss die Handlungskommission, auf ihren Beschluss von 1859 zurückzukommen und das Detailgeschäft in Afrika wieder aktiv aufzunehmen.162 Der Betrieb von kleineren Kaufmannsläden wurde damit neben dem Verkauf europäischer Waren an Zwischenhändler163 und dem Handel mit tropischen Landesprodukten wieder zu einem zentralen Bestandteil der Geschäfte. Josenhans schlug sogar vor, nach dem Vorbild der Mission der Herrnhuther Brüdergemeine zusätzliche kleine Läden auf den Missionsstationen selbst zu errichten.164 Dieser Vorschlag, der eine weitere Annäherung an die Mission und möglicherweise eine Stärkung der direkt gemeinnützigen Tätigkeiten der Missionskaufleute im missionarischen und „zivilisatorischen“ Bereich bedeutet hätte, wurde allerdings nicht weiter verfolgt. 1872 ergab sich an der Goldküste die Möglichkeit, eine Handelsstation der Bremer Firma Vietor & Söhne im Zentrum von Accra zu kaufen.165 Das Missionskomitee kam nun auf sein Moratorium von 1863 und 1864 zurück und erlaubte der Handlungskommission, die Vietorschen Faktorei in Accra, der werdenden Metropole an der Goldküste, zu übernehmen. Der Regel, dass keine Handelsstationen ohne missionarische Betreuung errichtet werden sollten, wurde insofern genüge getan, als dass Accra in missionarischer Hinsicht als Filiale des nahe gelegenen Christiansborg gelten sollte.166 Im Dezember 1872 kaufte die Missions-HandlungsGesellschaft die Station für 3000 £167; anfangs 1873 konnte die neue Station eingeweiht werden.168 Schon drei Jahre zuvor war es zur Gründung einer von einheimiFlottengeschichte findet sich bei Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 127–160. 160 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 21. April 1871. 161 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 140. 1906 tauchte dann nochmals der Gedanke auf, gemeinsam mit der Firma Vietor in Bremen eine Konkurrenzlinie zur dominierenden Woermannlinie zu gründen. (Vgl. Franc, Schokolade (2008), 111.) 162 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 28. November 1865. 163 Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864, 2. 164 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Oktober 1865. 165 ABM/UTC: 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 14. September 1872 und 2. November 1872. 166 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 13. November 1872, § 498. 167 Dies entsprach einem Preis von circa 70 000 Franken. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. September 1872) 168 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 20. Dezember 1872 und 4. Feb-
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schen Angestellten besetzten Filiale in Prampram gekommen.169 1874 entstand ein Aussenposten in Winneba.170 1874 wurde die Goldküste zur britischen Kolonie erklärt. Nach dem vorläufigen Abflauen der Auseinandersetzung zwischen den Briten und den Ashanti hatte sich der Handel am Volta Mitte der 1870er Jahre wieder belebt.171 Nun drängten die Missionskaufleute auf den Kauf eines Flussdampfers für den Volta und die Gründung einer zusätzlichen Filiale am oberen Volta. An die Stelle der seit 1869 verwaisten Station in Anum, die mit dem Ende des Baumwollhandels ihre kaufmännische Bedeutung verloren hatte, sollte eine Station in Akuse treten.172 Angesichts der bisherigen Erfahrungen und dem knappen Personal stand die Handlungskommission diesen Ideen anfänglich skeptisch gegenüber. Schliesslich löste der Hinweis auf die sich bereits etablierende Konkurrenz anderer europäischer Firmen einen Meinungsumschwung aus. Die Konkurrenzsituation wurde zum Sachzwang: Angesichts der Konkurrenten „gelangten wir aber zu der Überzeugung, dass wir nicht dahinten bleiben dürfen, wenn wir nicht eine bedeutende Schädigung unseres Geschäftes in Afrika riskieren wollten.“173 Nur Missionsinspektor Josenhans blieb misstrauisch. Er befürchtete, dass ein mit der Handlung verbundenes Missionsprojekt im Handelsort Akuse wenig Chancen hätte und hätte es bevorzugt, „wenn der entsprechende neue Handelsposten nicht in Akuse sondern wenigstens etwas entfernt gebaut würde, wo die Mission abseits der anderen Europäer eher eine Chance habe.“174 Anders als die übrigen Kommissionsmitglieder, die aus der Konkurrenzsituation einen Zwang zum Wachstum ableiteten,175 stellte er die dem zuwiderlaufende Grundsatzfrage nach dem Sinn steten Wachstums: „Sind wir überhaupt berechtigt, unser Unternehmen [...] Jahr für Jahr auszudehnen? Können wir nicht durch ein Geschäft im kleineren Massstab dieselben Resultate erzielen ohne ein so grosses Capital zu beanspruchen? Ist nicht in erster Linie darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Missionsgesellschaft im Stande sei, durch Besetzungen unserer kaufmännischen Stationen mit einem ordinierten Bruder mit unseren Unternehmungen Schritt zu halten? Haben wir nicht zu fürchten, dass wir, wenn wir anfangen, neue Unternehmungen unserer Concurrenten nach zu machen, immer weiter & weiter von ihnen gedrängt werden & mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln & Kräften nicht mehr ausreichen?“176
ruar 1873. Siehe Abbildung 2 im Anhang. 169 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 5. Oktober 1869; 26. Dezember 1869 und 17. April 1874. 170 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 7. Mai 1874. 171 Zu den Auseinandersetzungen zwischen den Briten und den Ashanti siehe ausführlich Edgerton, Asante (1995). 172 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 29. Oktober 1875. Schon 1867, als Anum kriegsbedingt von der Küste abgeschnitten war, wurde (ohne den Plan später umzusetzen) über die Besetzung des nahe Akuses gelegenen Orts Kpong nachgedacht. (Vgl. ABM/ UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 25. Oktober 1867.) 173 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 29. Oktober 1875. 174 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Oktober 1876. 175 Zur Idee des „Wachstumszwanges“ vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 156 f. 176 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 6. Oktober 1876.
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Es blieb bei der rhetorischen Frage. Im Herbst 1876 beschloss die Handlungskommission, einen Flussdampfer zu erwerben und eine Filialstation in Akuse zu gründen.177 Immerhin sah sich die Handlungskommission genötigt, im folgenden Jahresbericht die von Josenhans geäusserten Bedenken indirekt zu thematisieren. Im Sinne der geschäftlichen Logik der Missions-Handlungs-Gesellschaft hielt sie fest, dass der Zwang zum Erwirtschaften eines betriebswirtschaftlichen Gewinns geradezu die Grundlage der direkt gemeinnützigen Tätigkeiten sei: „Wir schliessen unsere geschäftsmässige Berichterstattung indem wir betonen, dass es nicht der financielle Gewinn ist, den wir bei unserer Arbeit suchen, obwohl wir desselben nicht entbehren können, und ihn deshalb pflegen müssen, sondern dass wir aus Erfahrung wissen, dass 15 kaufmännisch ausgebildete Arbeiter, wenn sie von der Liebe zu ihrem Gott beseelt sind, nicht nur der Mission im Allgemeinen manche Handreichung bieten können [...], sondern auch sie durch Wort und Wandel einen Einfluss auf ihre Umgebung ausüben, welcher der directen Missionsarbeit einen wesentlichen Nachdruck verleiht.“178
Im Laufe des Jahres 1877 nahm der Flussdampfer „Pionier“ den Betrieb auf.179 1878 entstand eine Filiale von Akuse in Kpong.180 Anders als in den 1860er Jahren war es den expansiv denkenden Kaufleuten in der Handlungskommission nun gelungen, sich gegen die weiterhin bestehenden Bedenken – vor allem von Seiten Josenhans’ – durchzusetzen. So konnte der Bestand in Afrika entgegen dem Moratorium von 1863/1864 beträchtlich erweitert werden. 2.4 FINANZIERUNG Entwicklung der Bilanz Mit der Ausdehnung der Geschäfte wuchs die Bilanzsumme der Missions-Handlungs-Gesellschaft: vom 1863 erstmals erfassten Wert von rund 600 000 Franken auf einen Betrag von rund 2,8 Millionen Franken im Jahr 1879.181 Die Aktiven der Missions-Handlung setzten sich während dem ganzen Zeitraum relativ unverändert aus den Buchwerten der Warenlager in Afrika und Indien und in kleinerem Umfang dem Wert der Liegenschaften der Missions-Handlung in Basel und in Übersee, dem
177 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 6. Oktober 1876. 178 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1876, 9. 179 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1877, 6. Zur Geschichte des „Pioniers“ und der weiteren Voltadampfer der Missions-Handlungs-Gesellschaft vgl. ausführlich Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 155–160. 180 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1878, 7. Eine ausführliche Darstellung der Stationsgründungen seit 1859 findet sich bei Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 109–126. 181 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Diese Entwicklung verlief vor dem Hintergrund einer nur sehr schwach inflationären Preisentwicklung. (Vgl. , Konsumentenpreisindex.) Zum Umgang mit historischen Geldwerten und dem Problem der unterschiedlichen Preisindizes vgl. Pfister/Studer (2010).
2.4 Finanzierung
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Buchwert der Schiffe, sowie Guthaben bei Geschäftspartnern zusammen.182 Dynamischer zeigte sich die Verteilung der Passiva, die darauf verweist, wie die MissionsHandlungsGesellschaft ihr Wachstum finanzierte. Die durch die Ausgabe der Aktien im Jahr 1859 gebildete Kapitalbasis von 200 000 Franken mochte den Anforderungen der Geschäfte schon bald nicht mehr zu genügen. Anfangs 1863 beschloss die Handlungskommission deshalb, dass „Obligationen bis zum Betrag von Fr. 100000.– zu fünf Prozent verzinslich, auf 4 Monate kündbar ausgegeben werden“ sollen.183 Nach dem Ausscheiden Zellwegers schrieb das Missionskomitee vor, dass vorerst keine weiteren Gelder mehr aufgenommen werden sollten.184 Aber bereits ab 1865 nahm die Handlungs-Gesellschaft wieder Obligationen auf, deren Gesamtsumme bis 1869 auf rund 300 000 Franken anstieg.185 In den Jahresberichten machte die Missions-Handlungs-Gesellschaft unter ihren Aktionären Werbung für die Obligationen. So 1866, als explizit auf die Sicherheit einer solchen Anlage verwiesen wurde: „[Wir] möchten [...] sie freundlich bitten, sich unsres Obligationen-Conto’s zu erinnern und denselben auch gleichgesinnten Bekannten zu empfehlen. Wir nehmen dankbar jede Summe als Darlehen an [...]. Bei der Höhe einerseits des Actien-Capitals, des Reserve-Conto’s und einer schon ganz in Abschreibung gebrachten Baurechnung von Fr. 60 000.–, welche alle den Obligationenbesitzern zur Sicherheit dienen, und andererseits bei der Regelmässigkeit der bisherigen Netto-Erträgnisse, die nicht auf Wagnissen, sondern auf einer naturgemässen Entwicklung beruhen, halten wir schon – ganz kaufmännisch gesprochen – eine solche Anlage zum mindesten ebenso solid, als diejenigen, welche täglich in andern Unternehmungen, an Regierungen, ja selbst auf Hypotheken placirt werden.“186
Mit der Ausgabe von Obligationen allein konnte der steigende Kapitalbedarf allerdings nicht gedeckt werden. Bis 1868 erhöhten sich die übrigen (im Vergleich zu den Obligationen durchschnittlich teurer zu verzinsenden)187 Schulden der Missions-Handlung auf knapp eine halbe Million Franken.188 Unter den Kreditgebern fanden sich neben Banken auch verschiedene Personen aus dem Umfeld der Mission, wie etwa Adolf Christ, der Präsident des Missionskomitees, der der Missions-
182 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. 183 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Januar 1863. Der Zinssatz von fünf Prozent entsprach dem damaligen Diskontszinsatz der Basler Kantonalbank von 4.97 %. (Vgl. www.fsw.uzh.ch/histstat O.18b.) Die Zeichnung der Obligationen verlief zügig. Für 1863 wurde unter den Passiva bereits eine Obligationenschuld von 100000 Franken aufgeführt. (Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883.) 184 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. 185 ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. 186 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1866, 3; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864, 4. 187 Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1871, 7. Dort heisst es bezüglich der Vorzüge von Obligationen gegenüber Bankkrediten: „Bei dem langsamen Umsatz, der mit überseeischen Geschäften verbunden ist, kommen wir immer noch in den Fall, den öffentlichen Banquier-Credit in Anspruch zu nehmen, eine weitere Vermehrung der Obligationen-Kapitals wäre uns somit namentlich im Hinblick auf Zeiten knapperen Geldmarktes erwünscht.“ 188 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Handlungs-Gesellschaft (zu vermutlich freundschaftlichen Bedingungen) einen Kredit gewährte, der bis 1868 auf insgesamt immerhin 56 000 Franken anstieg.189 Dieser für die Missions-Handlung unglücklichen Entwicklung hin zu einer immer grösseren Abhängigkeit von Banken (und wohlmeinenden Einzelnen) konnte unter anderem mit den zwei erwähnten Neuerungen in den Statuten von 1869 entgegengewirkt werden. Die Erhöhung des Aktienkapitals von 200 000 auf 600 000 Franken und die Verpflichtung zur Bildung einer Reserve sollten die Eigenkapitalbasis stärken.190 Die Zeichnung des zusätzlichen Aktienkapitals verlief ohne Schwierigkeiten und war innert Kürze abgeschlossen.191 Auch dem Plan zur Bildung einer Reserve aus einem Teil des jährlichen Gewinns war Erfolg beschieden; deren Wert stieg bis 1879 relativ kontinuierlich von rund 50 000 auf circa 180 000 Franken an. Dazu gesellten sich bis 1879 als Reserven in einem weiteren Sinn die Einlagen in die Vorsorgeeinrichtungen für die Mitarbeiter (knapp 100 000 Franken), ein „LiegenschaftsAmortisationskonto“ (75 000 Franken) und die Rücklagen der internen Feuerversicherung (knapp 200 000 Franken).192 Ob es daneben auch zur systematischen Bildung von stillen Reserven kam, bleibt offen. Auf der Grundlage des 1869 vergrösserten Aktienkapitals fiel in den 1870er Jahren auch die Ausgabe von Obligationen leichter. Im Jahresbericht von 1871 wurde zufrieden darauf verwiesen, dass die Obligationen der Missions-HandlungsGesellschaft unterdessen auch von den Vormundschaftsbehörden als sichere Anlage empfohlen worden seien.193 Bis 1877 wuchs das Obligationenkapital von rund 380 000 rasch auf knapp eine Million Franken. Bereits Mitte 1876 scheint die Nachfrage nach Obligationen die Bedürfnisse der finanziell unterdessen besser gestellten Missions-Handlungs-Gesellschaft übertroffen zu haben. Die Handlungskommission konnte es sich dementsprechend leisten, den Zinssatz ihrer Obligationen 1876 von fünf auf 4,75 Prozent zu senken.194 Diese Massnahme zeigte aber offenbar nur eine geringe Wirkung und die Handlungskommission sah sich dazu gezwungen, im 189 ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Vgl. auch ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 25. Oktober 1867. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft kam so zu einem Kredit, der (die Kosten von „Zinsen, Banquier-Provisionen und Coursdifferenzen“ zusammengenommen) durchschnittlich weniger als 7 % jährlich kostete. Denkt man sich die Provisionen und Kursverluste weg und setzt man für die Bankkredite einen Zins von mindestens 5 % an, so deutet das auf eine sehr günstige Verzinsung der Darlehen der „Missionsfreunde“ hin. 190 ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1869, §§ 4 und 12. Der Zusammenhang zwischen der wachsenden Abhängigkeit vom Finanzmarkt und den Änderungen von 1869 ergibt sich alleine aus der Chronologie; in den Protokollen der Handlungskommission finden sich keine Hinweise darauf, dass die Kapitalerhöhung tatsächlich als Reaktion auf die wachsenden Schulden des Unternehmens zu verstehen waren. 191 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juli 1869. 192 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Die Finanzierung über die Vermögenswerte der betriebseigenen Sozialwerke war im 19. Jahrhunderts auch anderswo üblich. (Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 75.) 193 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1871, 8. Noch zwei Jahre zuvor 194 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 15. Juni 1876. Gleichzeitig sind die Zinsen in der Schweiz ab Mitte der 1870er Jahre auch allgemein am sinken. (Vgl. www.fsw. uzh.ch/histstat O.18b.)
2.4 Finanzierung
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nächsten Jahresbericht mit der folgenden Bitte direkt an das Publikum zu treten und ihnen eine Kündigung der Obligationen der Missions-Handlungs-Gesellschaft nahe zu legen: „Wir ergreifen daher diese Gelegenheit, um alle diejenigen Obligationenbesitzer, welche eine bessere Verwendung für ihre Capitalien kennen, zu bitten, sich in Bezug auf Belassung oder Aufstundung bei uns sich nur nach ihrer eigenen Convenienz zu richten.“195
In den folgenden Jahren verharrte der Umfang des Obligationenkapitals bei Werten um eine Million Franken.196 Auch der Anteil der übrigen Schulden an der Bilanzsumme verblieb bei Werten um 600 000 Franken.197 Darunter fanden sich nun neben kleineren Krediten bei Geschäftsbanken und Privaten vermehrt auch kleinere Beträge von Missionaren, die ihr Geld bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft als Depositoren anlegten.198 Diesen Guthaben wurde ein jährlicher Zins von vier Prozent gutgeschrieben,199 was im Vergleich zu den weniger flexiblen Obligationen wohl eine faire Vergütung war. Es bleibt aber doch bemerkenswert, wie die Missionare ihre Ersparnisse – vermutlich aus einer Mischung pragmatischer und idealistischer Überlegungen heraus – der durchaus mit Risiken behafteten MissionsHandlungs-Gesellschaft anvertrauten.
Diagramm 2: Zusammensetzung der Passiva 1863–1879
Zusammengefasst verringerte sich der Prozentsatz des Aktienkapitals zwischen 1863 und 1879 von anfangs rund dreissig Prozent auf unter zwanzig Prozent; mit 195 196 197 198 199
Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1876, 8. Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. So die Ergebnisse einer Analyse der Veränderung der Guthaben zwischen den Stichjahren 1888/1889 und 1894/1895. (Berechnung auf Grundlage von: ABM/UTC 4655: RechnungsAbschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897.) Trotz insgesamt sinkenden Zinsen (Vgl. www.fsw. uzh.ch/histstat, O18b) dürfte der Zinssatz auch in den 1870er Jahren zumindest nicht unter vier Prozent gelegen haben.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
der Erweiterung des Aktienkapitals stieg er auf knapp vierzig Prozent, um in den folgenden Jahren mit dem Wachstum der Gesamtbilanz wieder auf rund zwanzig Prozent zu sinken. Der Anteil der Obligationen stieg in der selben Zeit von gut zehn Prozent auf einen Anteil von rund 35 Prozent. Einen schwankenden Verlauf verzeichnete der Anteil der übrigen (durch Banken und Private bereitgestellte) Kredite, der bis 1868 von rund dreissig Prozent auf gegen fünfzig Prozent anstieg und sich bis 1879 wieder auf circa zwanzig Prozent verringerte. Die unternehmenseigenen Reserven spielten anfangs eine untergeordnete Rolle. Nach 1870 steigerte sich deren Anteil (inklusive den Vorsorgeeinrichtungen und der Feuerassekuranz) an der Bilanzsummer auf knapp zwanzig Prozent.200 Nach 1870 gelang es der MissionsHandlung, sich vor allem aus eigenen Kräften (Bildung von Reserven) und mit der Hilfe von relativ günstigem Kapital (Aktienkapital und Obligationen) zu finanzieren. Aktionäre und Obligationäre als „ethische Investoren“? Aus welchen Gründen investierten Aktionäre, Obligationäre und die weiteren privaten Investoren in die Missions-Handlungs-Gesellschaft? Die zumeist aus dem Basler Grossbürgertum stammenden rund sechzig Aktionäre der ersten Stunde201 standen in einer christlich-frommen und missionsfreundlichen Tradition. Mitglieder derselben Familien finden sich auch unter den Mitgliedern des Missionskomitees und den Spendern der Mission.202 Somit könnte der Kauf der Missions-Handlungs-Gesellschafts-Aktien einfach eine weitere Spende bedeutet haben. Trotzdem handelte es sich beim Kauf von durchschnittlich knapp zwei Aktien im Wert von je 2000 Franken203 um einen Betrag, den man auch als vermögende Person nicht ziellos ausgab und für den man grundsätzlich einen Gegenwert erwartete. Sah man die Missions-Handlungs-Gesellschaft als ein lohnendes Geschäft oder betrachtete man den Kauf einer Aktie eher als eine Spende an die Mission à fonds perdu? Oder handelten die Investoren frei nach dem Motto, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden? Am wahrscheinlichsten ist Letzteres. Die Idee einer Verbindung von Geschäft und Mission, wie sie in dieser Arbeit genauer untersucht wird, scheint bei den Investoren trotz ihrer Neuartigkeit auf guten Anklang gestossen zu sein. In diesem Sinne kann man mit Hugo Salvisberg tatsächlich von einem „ethischen Investment“ sprechen.204 Die weiter unten genauer zu betrachtenden Renditen von jährlich 200 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; sowie die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Für einen Überblick über die Entwicklung der Bilanzsumme während des gesamten Unterzeitraums siehe Diagramm 8 im Anhang. 201 Vgl. dazu ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1859–1879. 202 Vgl. Schlatter, Geschichte (1906), I, 261–268. 203 Vgl. ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1859– 1879. Der durchschnittlichen Investitionssumme von rund 4000 Franken würde nach dem heuti gen Gegenwert eine Investition von mindestens 50 000 Franken entsprechen. (Vgl. , Konsumentenpreisindex.) 204 Salvisberg, Salomon und Ulrich Zellweger (2008), 77; vgl. auch Wanner, Basler Handels-Ge-
2.4 Finanzierung
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durchschnittlich über zehn Prozent machten die Investition zumindest im Nachhinein aber auch ökonomisch sinnvoll. Der Jahresbericht 1869 thematisiert genau diesen Sachverhalt. Dass die „ethischen Investoren“ profitierten, wird nun allerdings in einen religiösen Zusammenhang gestellt: „Sie haben vor zehn Jahren durch Betheiligung an unserem Unternehmen eine That des Glaubens und der Liebe begangen und der Herr hat sie dafür innerlich durch die Freude erfolgreichen Gedeihens und äusserlich durch ein Erträgnis von durchschnittlich 12 ½ % per Jahr freundlich gesegnet [...]“205
Noch deutlicher als die Aktionäre kann man die für die Finanzierung der ersten Jahre wichtigen privaten Geldgeber aus dem Umfeld der Mission als „ethische Investoren“ bezeichnen. Anlässlich der Neukonstituierung der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der Aufstockung des Aktienkapitals im Jahr 1869 veränderte sich das Bild der Aktionäre nur marginal: Die Zahl der Aktionäre vermehrte sich trotz der Verdreifachung des Aktienkapitals lediglich um rund zwanzig auf circa 80. Die neuen Aktionäre entstammten denselben Kreisen wie die bisherigen Aktionäre.206 Die schnelle Unterbringung des erweiterten Aktienkapitals deutet auf ein anhaltend hohes Interesse an den Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft hin.207 Eine Investition fiel unterdessen auch aus geschäftlichen Überlegungen leichter: das Unternehmen war inzwischen weitgehend gefestigt, hatte im ersten Jahrzehnt regelmässig Gewinne abgeworfen und barg ein deutlich geringeres Risiko als zu Beginn. Auch die Obligationäre als zweiter Kreis von Investoren setzte sich aus missionsnahen Vertretern der Basler Oberschicht zusammen.208 Zwar waren zur Unterbringung der Obligationen anfangs noch Werbemassnahmen nötig; schliesslich konnte sich die Missions-Handlung aber auch hier auf ihre „ethischen Investoren“ verlassen. Die Missions-Handlung verfügte von Beginn an über eine loyale Gruppe von Investoren, welche sie bis 1880 immer unabhängiger von konventionellem Fremdkapital, etwa in Form relativ teurer Bankkredite, machte. Für diese der Mission zugetanen Investoren war es offenbar attraktiv, mit ihrer Investition gleichzeitig Geld zu verdienen (oder dieses zumindest seriös anzulegen) und eine gemeinnützige Sache zu unterstützen. Ganz wie es potentiellen Investoren im Jahresbericht 1866 suggeriert wurde. Als Fortsetzung der weiter oben zitierten Werbung für Obligationen heisst es dort: „[...] halten wir schon – ganz kaufmännisch gesprochen – eine solche Anlage zum Mindesten ebenso solid, als diejenigen, welche täglich in andern Unternehmungen, an Regierungen, ja selbst auf Hypotheken placirt werden. Wenn Sie aber hier Gelegenheit haben, eben sowohl als sellschaft (1959), 44 f.; Franc, Schokolade (2008), 72. 205 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1869, [2]. 206 ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. Siehe auch Kap. 2.2. 207 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juli 1869. 208 ABM/UTC 4554: Liste der Obligationäre, [undat.]. Diese Einschätzung wird in einer einige Jahre später stattfindenden Sitzung der Handlungskommission bestätigt, wo von „Obliga tionaire[n], von denen die meisten der Mission sehr nahe stehen [...]“ die Rede ist. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 5. Februar 1883.)
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) getreue Haushalter wie als fröhliche Geber die Zwecke des Reiches Gottes auf so klare Weise zu fördern, so werden sie nicht anstehen, uns je nach Dienlichkeit sofort oder etwas später durch Gewährung unsrer Bitte zu neuer Freudigkeit anzuspornen.“209
Trotz aller Beteuerungen seitens der Missions-Handlung waren die Aktionäre und Obligationäre mit ihrem finanziellen Engagement in den spekulativen Überseehandel vor allem in der Anfangszeit ein beträchtliches Risiko eingegangen. Auch die Leitung der Missions-Handlungs-Gesellschaft wusste um dieses Risiko und dankte den Aktionären 1879 – nun eher als Gönner denn als Investoren angesprochen – rückblickend „für die Unterstützung, die Sie uns gewährt hatten zu einer Zeit, wo man noch nicht wissen konnte, ob das Unternehmen sich auch äusserlich günstig werde rechtfertigen können.“210 Für die MissionsHandlungsGesellschaft bedeutete dieses doppelte, finanzielle und moralisch-religiöse Interesse, dass ihre Bonität bei diesem speziellen Investorenkreis nicht nur von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern mindestens ebenso sehr von ihrer gemeinnützigen Ausrichtung und ihrer Nähe zur Mission abhing. Gelang es, den moralisch-religiösen Mehrnutzen glaubwürdig zu kommunizieren, konnte die spezielle unternehmensethische Ausrichtung der MissionsHandlungs-Gesellschaft handfeste Vorteile bei der Kapitalbeschaffung bringen. Wenigstens im lokalen Basler Umfeld ist es der Missions-Handlungs-Gesellschaft gelungen, diese Möglichkeit zu nutzen. Ein Vorteil, der nicht unterschätzt werden sollte. Gilt doch die Ausgangshöhe des Eigenkapitals und eine angemessene Erhöhung der Eigenkapitalbasis in der Nachgründungsphase als entscheidender Erfolgsfaktor von Unternehmensgründungen.211 Bei den Investoren stand im Hinblick auf die gemeinnützigen Motive die Unterstützung der Mission im Vordergrund. Trotzdem ist die Investition der MissionsHandlungs-Gesellschafts-Aktionäre auch aus entwicklungspolitischer Hinsicht interessant. Tätigten sie doch durch die Form des multinationalen Unternehmens indirekt Investitionen in aussereuropäische Gebiete, die dort potentiell entwicklungsfördernd wirken konnten.212 Die Basler Mission als Aktionärin In welchem Umfang sollte die Mission sich als Aktionärin der Handlungs-Gesellschaft engagieren? Durch ein Engagement als Aktionärin konnte die Mission einerseits die Missions-Handlungs-Gesellschaft enger an sich binden und andererseits das Verhältnis zwischen den Geldflüssen an die Mission und an die privaten Investoren zu ihren Gunsten beeinflussen. (Am Verhältnis zwischen den gewinnorientierten und den delegiert gemeinnützigen Zahlungen, wie es weiter unten ausführlicher diskutiert wird, änderte sich damit streng genommen nichts, da die Mission als 209 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1866, 3. 210 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1879, 8. 211 Pierenkemper, Finanzierung (1990), 95, der sich dabei vor allem auf Industrieunternehmen im 19. Jahrhundert bezieht. 212 Vgl. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 129.
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Investorin ihr Geld auch anderswo hätte anlegen können; gefühlt konnte es aber durchaus einen Unterschied machen!) Im Sommer 1859 hatte die Basler Mission als Gegenwert für ihr bislang ins afrikanische Geschäft investierte Kapital 15 Aktien erhalten, womit sie von Beginn an 15 Prozent des Aktienkapitals hielt.213 Bis 1861 vermehrte sich der Anteil der Mission durch Zukäufe und Schenkungen auf 23 Prozent.214 Kurz nach Zellwegers Rücktritt diskutierte die Handlungskommission im März 1864, den Anteil der Basler Mission am Aktienkapital systematisch zu erhöhen. Zu diesem Zwecke sollte die Mission einen Teil ihres Gewinnanteils zu fünf Prozent verzinst bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft liegen lassen, um dieses Guthaben, immer wenn Anteile frei würden, allmählich in Aktien umzuwandeln. Ob bei diesen Überlegungen die von Rottmann geäusserte Kritik an den Dividenden zu Gunsten der privaten Investoren215 eine Rolle spielte, ist unklar. Vor allem ging es wohl darum, aus der Sicht der Mission „so überhaupt allmählich sich in kaufmännischer Beziehung von fremdem Geld möglichst unabhängig zu machen“ und die Handlung damit wieder enger an die Mission zu binden.216 Vor die Wahl gestellt, jährlich sogleich verfügbare Mittel zu erhalten oder allmählich seinen Einfluss auf und Besitz an der Missions-Handlung zu vergrössern, entschied sich das Missionskomitee schliesslich für einen Kompromiss: Grundsätzlich sei derjenige Teil der jährlichen Zahlungen, welcher 10 000 Franken übersteige, zum Kaufe von Aktien bei der Handlung zu belassen.217 Bei durchschnittlichen Gewinnanteilen von rund 11 000 Franken veränderte sich damit vorläufig nur wenig. Bis 1866 konnte die Mission ihren Anteil am Aktienkapital aber immerhin auf 28 Prozent erhöhen.218 1869 ergab sich mit der Neukonstituierung die Möglichkeit für eine tiefer greifende Änderung der Besitzverhältnisse. Die die neuen Statuten begleitende „Neue Verordnung die Missionshandlungen betreffend“ vom April 1869 legte fest, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft der Basler Mission alle bisher von ihr benutzten Gebäude abkaufen und die Mission dafür im Sinne einer Sacheinlage mit neu ausgegebenen Aktien der Handlungs-Gesellschaft entschädigen sollte. Ausserdem sollte die Hälfte des für die Mission vorgesehenen jährlichen Gewinnanteils zu fünf Prozent verzinst bei der Handlung liegen bleiben und bei Gelegenheit in weitere Aktien umgetauscht werden.219 Bis 1880 baute die Mission auf diesem Wege ihren Anteil an den Aktien auf fast vierzig Prozent des gesamten Aktienkapitals aus.220 Damit veränderte sich natürlich auch das Verhältnis zwischen den Geldflüssen an die gewöhnlichen Aktionäre und den Zahlungen an die Mission in der Weise, dass die Mission – ihre Dividenden und die delegiert gemeinnützigen Zahlungen 213 214 215 216 217 218 219
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. August 1859. Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 27. März 1861. Mehr dazu im Kap. 2.7. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. März 1864. Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 4. April 1864. ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1859–[1866]. ABM/UTC 4936: Neue Verordnung die Missionshandlungen betreffend 1869, §§ 4 f. Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. April 1869. 220 ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 2. Vgl. auch ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1870 bis 1928.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
zusammengenommen – bis 1880 jeweils gut die Hälfte der jährlich ausgeschütteten Gewinne erhielt.221 Das wachsende Engagement bedeutete aber auch, dass die Mission wieder stärker am Risiko der Handlungs-Gesellschaft beteiligt war. 2.5 OPERATIVES GESCHÄFT Das Handelsgeschäft in Afrika Missionskaufmann Rottmann, dem Pionier der kaufmännischen Tätigkeit an der Goldküste, missfiel die Gründung der Aktiengesellschaft und die damit einhergehende Anweisung, sich auf den Grosshandel zu konzentrieren.222 Obwohl er selbst den Einstieg in den Grosshandel angeregt hatte, empfand er die Abkehr vom Detailgeschäft als Kritik an seiner bisherigen Arbeit und seinem persönlichem Engagement. Dementsprechend setzte er den Beschluss nur teilweise und unter Protest um.223 Vor allem aber missbilligte er die Organisation der Missions-Handlung als Aktiengesellschaft und die damit verbundenen Dividendenzahlungen an private Investoren. Er stiess sich an der Ergänzung der gemeinnützigen Ziele seiner Arbeit durch eine gewinnorientierte Komponente.224 Trotzdem blieb das Geschäft vorläufig ganz auf die charismatische Person Rottmanns gestellt. Auf Geheiss der Handlungskommission gab er ihm bis 1872 mit der Firma „H. L. Rottmann et Comp.“ auch seinen Namen.225 Erst 1863 gelangten drei weitere Missionskaufleute nach Afrika, die Rottmann beim geplanten Ausbau der Geschäfte beistehen sollten.226 Nach längerer Diskussion in der Handlungskommission wurde Rottmann 1865 gestattet, das Detailgeschäft in Afrika wieder auszubauen.227 Fortan blieb der Betrieb von Kaufmannsläden neben dem Verkauf von europäischen Waren an Zwischenhändler228 und dem Handel mit tropischen Landesprodukten das Kerngeschäft der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Die Missions-Handlung verkaufte in Afrika eine Vielzahl europäischer Gebrauchswaren. Zu nennen sind Baubedarf wie Kalk, 221 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Siehe auch Kap. 2.7. 222 Siehe Kap. 2.3. 223 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. 3. 1861. 224 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. 11. 1859. 225 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 4. April 1864. Diese Benennung ging (wie ähnliche Benennungen in Indien) von der Handlungskommission aus. Damit verlieren Mieschers (im Übrigen durchaus interessanten) Überlegungen von einem durch Rottmann geleiteten, relativ selbständigen euro-afrikanischen Handelshaus, für die er unter anderem die Firmen-Bezeichnung „H. L. Rottmann und Co.“ als Indiz herbeizieht, ein Stück weit an Aussagekraft. (Vgl. Miescher, Rottmann (1999), 359.) 1872 wurden die Handelsstationen dann in „Basle Mission Factory“ (Goldküste) und „Mercantile Mission Branch“ (Indien) umbenannt. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juli 1872.) 226 ABM/UTC 4748: Instruction für die Brüder Maier, Schönenhuth und Fetzer, 17. Februar 1866. 227 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 28. November 1865. 228 Vgl. dazu Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864, 2. Auch Miescher erwähnt afrikanische Agenten, welche auf Kommissionsbasis für Rottmann arbeiten. (Miescher, Rottmann (1999), 357.)
2.5 Operatives Geschäft
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Zement, Asphalt und Bleche und die entsprechenden Werkzeuge, die unter anderem für den Bau der Missionsstationen gebraucht wurden. Eine weitere Gruppe bildeten konservierte Esswaren aus Europa sowie Bier, Wein und Tabak. Dazu gesellten sich Textilien aller Art und eine ganze Palette von Haushaltsgegenständen von Zündhölzern bis zur Wanduhr, die gleichermassen auf die einheimische Kundschaft wie auf die Missionarsfamilien zielten.229 Die meisten Waren stammten aus Grossbritannien,230 zumindest zu Beginn wurde aber auch in der Schweiz eingekauft, unter anderem bei Ullrich Zellwegers Bruder Salomon, der in Trogen als Textilhändler tätig war.231 Grösstenteils bestand das Sortiment aus alltäglichen Gegenständen, die als inferiore Güter nur geringen Nachfrageschwankungen ausgesetzt waren. Die Auswahl des Warenangebots war eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht zuletzt viel kulturelles Wissen über die einheimische Kundschaft voraussetzte.232 Bezüglich der Nachfrage nach den angebotenen Waren konnte die Missions-HandlungsGesellschaft – freilich nicht nur sie alleine – indirekt von der Arbeit der Missionare profitieren, indem diese insbesondere im Bereich der Kleidung entsprechende Bedürfnisse unter den Missionierten schufen.233 Auf der anderen Seite importierte die Missions-Handlung Palmöl, Affenfelle, Pfeilwurz234 und Baumwolle nach Europa.235 Die Verbindung von Export- mit Importhandel lag nahe. Einerseits konnten die Handelswaren aus Europa direkt gegen tropische Produkte getauscht werden. Anderseits konnte das Personal in Übersee sein spezifisches kulturelles Wissen so doppelt nutzen.236 Ende der 1860er Jahre kam der Handel mit Palmkernen, den so genannten Kernel, dazu.237 Die tropischen Produkte wurden in London, Bremen und Basel verkauft.238 Im Laufe der 1860er 229 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 174–177. Siehe auch Abbildung 4 im Anhang. 230 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 175. 231 Salvisberg, Zellweger (2008), 27 f.; 80. 232 Vgl. Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 185. Zur Notwendigkeit sich spezifisches kulturelles Wissen anzueignen vgl. auch ABM/UTC 4748: Instruction für die Brüder Maier, Schönenhuth und Fetzer, 17. Februar 1866. 233 Vgl. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 113. 234 Aus dem Pfeilwurz (Arrow Root) wird das stärkehaltige Pfeilwurzmehl gewonnen, welches zum Eindicken von Speisen verwendet werden kann. 235 Vgl. ausführlich Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 191–225. Vgl. auch ABM Q-1: Sitzung des Missionskomitees vom 15. September 1858, anlässlich der Rottmann erstmals auf die Möglichkeiten des Exporthandels aufmerksam macht. Zum westafrikanischen Palmölhandel allgemein vgl. Lynn, Commerce (1997). 236 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 187; 191. Ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgten im 19. Jahrhundert die Schweizer Handelsunternehmen Diethelm und Gebrüder Volkart. (Vgl. Eggenberger, Diethelm (1987), 35; Dejung, Hierarchie (2007), 77) 237 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 26. Dezember 1869. Aus den Palmkernen, die bislang als ein Abfallprodukt betrachtet worden waren, wurde in Europa (das nicht mit gewöhnlichem Palmöl identische) Palmkernöl raffiniert. Damit konnte die Rentabilität der Palmengärten gesteigert werden. (Vgl. Lynn, Commerce (1997), 124–127; sowie Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 64 und Wanner, Basler-Handelsgesellschaft A.G. (1959), 200 f., die dem Basler Missionar Simon Süss eine wichtige Rolle bei der Entdeckung des Kernels als Handelsprodukt zugestehen.) 238 Die Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft sprechen von (Verkaufs-) „Courtagen
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Jahre wurden die Geschäfte mit den regelmässigen Dampfschiffverbindungen nach Westafrika schneller und deutlich umfangreicher. Dadurch konnten einheimische Zwischenhändler, die Mühe bekundeten, die nötigen finanziellen Mittel für den wachsenden Handel zu besorgen, aus dem Geschäft gedrängt werden.239 Lange bevor 1885 die erste Telegraphenleitung die Goldküste erreichte und sich echte Weltmarktpreise entwickelten, hatte sich der Einkauf der Waren bereits nach den schwankenden Rohstoffpreisen der europäischen Handelsplätze auszurichten.240 Dabei erwies sich die kommunikationstechnisch schlechte Anbindung Afrikas aber als ständiges Problem. 1873 beteuerte die Unternehmensleitung ihren Aktionären nach einem Verlust im Exporthandel: „Wir sind sorgfältig bemüht, die englischen Notierungen unserer Importartikel unseren Brüdern zur Grundlage ihrer Einkaufspreise mit jedem Steamer zu übermitteln, da aber die Reisedauer der letzteren circa 30 Tage beträgt, so werden wir uns von Folgen starker Abschläge niemals ganz schützen können.“241
Schwierigkeiten bereiteten während der 1860er Jahre verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen an der Goldküste, die damals durch die Briten erst oberflächlich beherrscht wurde. Der Kriegszustand schlug sich sowohl auf den Umsatz der Läden als auch die Möglichkeiten im Produktenhandel nieder.242 Einen anschaulichen Eindruck des täglichen Geschäfts in Afrika und der damit einhergehenden Interaktionen zwischen den europäischen Missionskaufleuten und den einheimischen Kunden und Lieferanten in Ada während der 1870er Jahre liefert uns der aus Basel stammende Missionskaufmann Ernst Preiswerk in einem Brief an seine Familie in der Heimat: „Unsere Handlungshäuser, mitten in geräumigen Gehöften stehend, welche letztere von hohen Mauern abgeschlossen werden, bieten einen fremdartigen Anblick. Da geht es zu, wie in einem Bienen-Schwarm, besonders weil oft ein einziger Käufer zwei oder drei Gesellen als Rathgeber mitbringt. Hat einer vollends eine Bitte vorzubringen, so wird er selten allein kommen. – Oelund Palmkerne werden herbeigeschleppt oder gerollt und dagegen Zeuge, Töpfe, KorallenSchnüre und dergleichen davongetragen.“243
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in Basel, Bremen und London“. Vgl. auch Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 192; 198 f. Vgl. Lynn, Commerce (1997), 189 f. Dass damals auch in Europa noch Preisunterschiede bestehen konnten, belegt etwa eine Äusserung in der Handlungskommission aus dem Jahr 1874, wonach sich der Kauf eines zusätzlichen Schiffes deshalb doppelt lohne, weil man so Bremen ansteuern könne, wo die besseren Preise als in den englischen Häfen zu realisieren wären. (Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 20. November 1874.) Vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 203 f., der auf das Problem hinweist, dass sich die Menge der vor Ort eingekauften tropischen Produktewegen der durch den Tauschhandel gegebenen Koppelung von Import- und Exporthandel schlecht steuern liess. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1873, 6. Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. November 1866; Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1865–1868. Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 40 (Brief aus Ada an seine Eltern, 5. Juli 1877).
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Die Produzenten des damals wichtigsten Exportprodukts Palmöl waren Familienbetriebe, die das Öl auch selbständig vermarkteten: „Die arbeitsamen Kroboer244 nehmen ihre Kinder sehr frühe in den Busch, und machen mit ihrer Hilfe das Palmölgeschäft. Männer und Knaben stampfen Nüsse aus, während die Weiber das Oel nach Pong und Akuse tragen und dort dem Meistbietenden verkaufen.“245
Im Laufe der 1870er Jahre setzte sich in Westafrika allmählich die Bezahlung mit europäischem Geld anstelle des Tauschhandels beziehungsweise der Bezahlung mit Kauri-Muscheln (darauf beziehen sich die im ersten Zitat erwähnten „KorallenSchnüre“) durch, was aber nach Preiswerk mit mancherlei Problemen verbunden war: „Im Kroboland liegen jedenfalls Haufen Geldes vergraben, denn seit Jahren sind Tausende von Pfunden bares Geld eingeführt und nur Landesprodukte ausgeführt worden. Im Verkehr findet man nur den kleinsten Teil jener Summe, zudem ist im Kleinhandel auch noch das Muschelgeld in Gebrauch; es kann deshalb nicht anders sein, als dass die Leute ihr Geld vergraben haben.“246
Ob und in welchen Umfang ein solches Sparverhalten tatsächlich zu Tage trat, muss hier offen bleiben. Das operative Geschäft in Indien Während sich die Import- und Exportgeschäfte in Afrika verschiedenen Widrigkeiten zum Trotz kontinuierlich entwickelten, stagnierte das Geschäft in Indien, das dort unter dem Namen „PfleidererRiehm“ arbeitete.247 Die damaligen Verantwortlichen führten die Schwierigkeiten auf die starke Konkurrenz an den indischen Standorten zurück,248 die sich möglicherweise mit der Eröffnung des Suezkanals im Jahr 1869 verstärkt hatte. Das Sortiment der Läden in Indien war weniger umfangreich als jenes in Afrika. Man konzentrierte sich hier auf Produkte des täglichen Bedarfs, Bücher und Schreibwaren. Exportgeschäfte wurden nur am Rande betrieben. Bis auf einen gescheiterten Versuch mit Pfeilwurz, handelte es sich dabei um wenig umfangreiche Verschiffungen von Kaffee aus der Gegend um Mercara.249 In den 1870er Jahren begann eine engere Zusammenarbeit mit den Industriebetrieben der Basler Mission. 1872 übernahm die Handlung in Calicut neben der 244 Eine ethnische Gruppe im Süden des heutigen Ghana. 245 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 89 f. (Brief aus Akropong an seine Eltern, 25. April 1881). 246 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 74 (Brief aus Christiansborg an seine Eltern, 28. September 1879); zu den Kauri-Muscheln als Zahlungsmittel und den Problemen bei der Einführung von Münz- und Papiergeld vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 174–177. 247 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 29. 248 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1872, 6 f.; Jahresbericht der MissionsHandlungs-Gesellschaft 1878, 8. 249 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 251–256; Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 36 f.
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Belieferung der Missionsindustrien mit Vorprodukten auch den Verkauf und die Vermarktung ihrer Waren.250 Ausserdem versorgten die Missions-Handlungen die Industriebetriebe vor Ort zu einem Zinsfuss von fünf Prozent mit kurzfristigen Krediten.251 Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft Die Geschäftsordnung und die Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft äusserten sich nicht ausdrücklich zur unternehmensethischen Verantwortung. Mit der Formulierung vom „christlichen Handelsbetrieb“252 enthalten sie aber doch den Hinweis darauf, dass sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft in ihrem täglichen Geschäft an einer irgendwie gearteten christlichen Geschäftsethik orientieren sollte. Andeutungen, was darunter zu verstehen war, finden sich in einem Artikel in der Missionszeitschrift „Der evangelische Heidenbote“, in dem Missionskaufmann Theodor Elsässer über die Stellung der Missions-Handlung innerhalb der Mission referiert. Darin äusserte er sich auch darüber, wie er diesen christlichen Handelsbetrieb grundsätzlich verstanden haben wollte: „So wird daher auch unsere Missionshandlung eine nicht zu verachtende Missionsaufgabe erfüllen, wenn ihr der Herr die Gnade schenkt, dass sie jederzeit im täglichen Leben, unter allen Umständen, in einfachen und verwickelten Fällen die klaren Vorschriften Seines Wortes hochhalte und als Richtschnur allen Handelns dienen lasse.“253
Elsässer skizziert hier die Idee einer fundamentalistisch an der Bibel orientierten Lebensweise, die sich auch auf das Geschäftsleben beziehen sollte. Eine Vision, die gut zum pietistischen Hintergrund der Basler Mission und der Missionskaufleute passte. Unklarer sind die konkreten Auswirkungen einer solchen, an der Bibel orientierten Geschäftsführung. Am deutlichsten wird das Thema der Ehrlichkeit verhandelt.254 Etwas nebulös führt Elsässer dazu im selben Artikel aus: „Die neue und ganz andere Art und Weise des Handels im gegenseitigen Verkehr nöthigt den Leuten unwillkürlich Vertrauen und Achtung ab, und öfters wird durch dieselbe bei ihnen sogar Befremden erregt, weil sie den Gegensatz zwischen dieser und ihrer eigenen Handlungsweise oft nicht recht begreifen und sich zurecht legen können; sehen zu müssen, dass man auch auf anderem Wege als durch die bei ihnen eingebürgerten lichtscheuen Berechnungen zum Ziel gelangen kann; ist Ihnen offenbar oft eine überraschende Thatsache [...]“255
250 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juli 1872. Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 255; 274 f. 251 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 29. Oktober 1875. 252 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 2. 253 Elsässer, Theodor: Gedanken eines Missionskaufmanns über die Stellung einer Missionshandlung innerhalb der Mission, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 6, Juni 1870, 65. 254 Es handelt sich um die Anweisung nicht zu lügen, wie sie mehrfach im Alten Testament gegeben wird. Am prominentesten als Teil der Zehn Gebote: 5. Mose, 5,20. 255 Elsässer, Theodor: Gedanken eines Missionskaufmanns über die Stellung einer Missionshandlung innerhalb der Mission, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 6, Juni 1870, 66.
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– um dann, gewissermassen als Erklärung und Beleg für seine Andeutungen, zu erzählen, wie die lokalen kolonialen Behörden nach einem Betrugsfall den Verkauf von „Stempelpapieren“ für notarielle Beglaubigungen an die Missions-HandlungsGesellschaft übertragen habe.256 Hinter dem Hervorheben des Gegensatzes zwischen dem Handel, wie ihn die Missions-Handlungs-Gesellschaft betreibe und den „lichtscheuen Berechnungen“ der Einheimischen steckt wohl mehr als die von rassistischen Vorstellungen genährte Unterstellung, dass sich unter den Indern besonders viele unehrliche Personen befänden. Hier schwingen auch kulturelle Differenzen bezüglich der täglichen Handelsgeschäfte mit: nämlich die Frage, inwieweit das „Feilschen“, also das Aushandeln eines Preises, eine ehrliche Tätigkeit sei. Hierzu äussert sich auch ein weiterer Artikel im „Evangelischen Heidenboten“. Der Verzicht auf das Aushandeln eines Preises wird dort – wenigstens andeutungsweise – mit einer ehrlicheren Kommunikation in Verbindung gebracht: „Wir schauen jetzt dem Einkaufen einer stattlichen Gruppe Kurgmänner zu. Der eine, unter seines Gleichen es nicht anders gewöhnt, versucht am Preis der Ware etwas abzuhandeln; jedoch ehe der Ladendiener seine Erwiderung darauf geben kann, bekommt jener von einem seiner Landsleute die Auskunft: „Hier – in diesem Laden – ist nur ein Wort,“ das heisst: man führt nur eine Sprache, sagt gleich den nächsten Preis [...]“257
Man fragt sich, inwieweit den Autoren dieser Artikel bewusst war, dass sich feste Preise zu ihrer Zeit im christlich geprägten Europa zwar im Einzelhandel allmählich durchsetzten,258 auf dem Rohstoff-, Aktien- und Finanzmarkt (an dem ja auch die Missions-Handlungs-Gesellschaft teil hatte) aber (damals wie heute) stets neu ausgehandelte Preise der Normalfall waren. Die in den Quellen als Folge ehrlichen Verhaltens präsentierten Festpreise müssen überdies nicht unbedingt Ehrlichkeit entspringen. Sie können sich ebenso gut aus Eigennutz des Verkäufers durchsetzten, da man mit festen Preise viel Zeit und damit Transaktionskosten sparen kann.259 Die fixen Warenpreise und die damit verbundene Idee von mehr Ehrlichkeit wurde aber nicht nur in einen christlichen Kontext gesetzt, sondern allgemein als ein Beitrag zur Missionsarbeit betrachtet. So in einer zurückblickenden Veröffentlichung über die Missions-Handlungs-Gesellschaft aus dem Jahr 1884: „Es soll darum nicht vergessen sein, welche die Mission fördernde Wirkung der ehrliche, christlich geführte Handel geübt hat. Welches Aufsehen machte es, als die Missionshandlung verkündigte, sie werde nur zu festen Preisen verkaufen! Die Hindus meinten, das sei nicht möglich, das werde sie nie halten, oder aber zu Grunde gehen; und keines von beidem geschah. „Man kann in diesen Shop auch ein Kind schicken, es wird nicht betrogen“, das war das Ehrenzeugnis, das die Bevölkerung dem Missionsladen gab.“260 256 Theodor Elsässer: Gedanken eines Missionskaufmanns über die Stellung einer Missionshandlung innerhalb der Mission, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 6, Juni 1870, 66. 257 Müller, Johannes: Der Missionsladen in Merkara, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 1, Januar 1869, 11; ähnlich berichtet Pfleiderer bereits 1855 in einem Brief an seine Familie. (Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 22.) 258 Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 344. 259 Vgl. Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 345. 260 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 6.
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Auch wenn die Ehrlichkeit hier implizit als eine Besonderheit des „christlichen Handelsbetriebs“ dargestellt wird, muss sie nicht unbedingt in einem religiösen Kontext gesehen werden. So galt die Tugend der (Vertrauen unter Geschäftspartnern fördernden) Ehrlichkeit auch als zentraler Bestandteil der geläufigen weltlichen Unternehmermoral.261 Ob sich hinter der Idee einer am pietistischen Glauben ausgerichteten Lebensund Geschäftsweise noch andere Besonderheiten (zu denken wäre etwa an eine besonders faire Preisgestaltung o. ä.) versteckten, lässt sich schwer sagen. Es hat aber zumindest den Anschein, als ob sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft in der Anfangszeit bezüglich ihrer unternehmensethischen Verantwortung im täglichen Geschäft nicht wesentlich von ihren weltlichen Konkurrenten unterschied. Dabei hätten Ideen entsprechend dem späteren Fair-Trade im Missionskontext durchaus existiert: Etwa in einer Schreiben Rheinischer Missionare an ihre heimatliche Leitung von 1858262 oder in einer Eingabe des Basler Missionars und berühmten Erweckungspredigers Elias Schrenk an die britische Regierung von 1865, in der Schrenk im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung zwischen Palmölbauern und britischen Kaufleuten (wenigstens indirekt) klare und faire Handelsbedingungen forderte.263 Ein gewichtiger Beitrag zur Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung etablierte sich erst mit dem Verzicht auf den Handel mit Spirituosen und Waffen seit spätestens 1878.264 Im Jahresbericht für 1878 hiess es dazu: „Trotz der Verlockung eines schönen Gewinns wollen wir auch nicht durch Einfuhr von Pulver und Branntwein in die Heidenländer Mordlust und Unmässigkeit befördern, wenngleich dadurch nur unsre Konkurrenten desto freieres Spiel haben.“265 Dieser Verzicht ist ein klassisches Beispiel von unternehmensethisch sensiblem Verhalten. Typisch für unternehmensethische Normen betraf er ein Gebiet, in dem bereits staatliche Regeln bestehen (etwa Einfuhrbeschränkungen für Waffen), die durch zusätzliche freiwillige Regeln im Sinne einer umfassenderen Unternehmensethik weiter ausgedehnt werden können. Am Schluss des oben stehenden Zitats wird auf das für unternehmensethische Bemühungen symptomatische Problem hingewiesen, dass solche Massnahmen oft nur bei einer vollständigen Teilnahme aller Mitbewer261 Vgl. Tilly, Unternehmermoral (1995); Kreikebaum, Unternehmensethik (1996), 33 f. Fixpreise wurden auch im Zusammenhang mit den Geschäften der Herrnhuter Brüdergemeine als missionsgemässes Verhalten hervorgehoben. (Homburg, Glauben und Rechnen (2012), 209.) 262 Braun, Missionshandel (1992), 35. 263 Schrenk, Elias: What shall become of the Goldcoast? 1865: Zit. nach: Ein wichtiges Dokument aus der Geschichte der Goldküste: das Memorandum vom Basler Missionar Elias Schrenk, 1865. In Übers. wiedergegeben von Fritz Raaflaub, in: Evangelisches MissionsMagazin, 102, 1958, 35–38. Vgl. auch Klemm, Schrenk (1961), 91 f. 264 Diese Datierung beruht auf der ersten mir bekannten Erwähnung des Verzichts auf den Handel mit Waffen und Spirituosen im Jahresbericht für das Jahr 1878; es ist gut möglich, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft bereits früher auf den Handel mit diesen Waren verzichtet hatte. Schlatter, Basler Mission (1916), I, 389, berichtet, dass bereits 1861 beschlossen wurde, kein Bier mehr zu liefern. Diese Bestimmung richtete sich aber wohl eher gegen Kunden unter den Missionaren. 265 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1878, 6.
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ber sinnvoll sind. Nur dann ist es möglich, ein bestimmtes Ziel, etwa eine waffenlose Welt, zu erreichen. Wenn sich aber nur einer oder wenige Teilnehmer dieser Absicht verweigern, ist einerseits das angestrebte Ziel gar nicht mehr oder nicht mehr vollständig zu verwirklichen; gleichzeitig bedeutet dann der Verzicht einen Wettbewerbsnachteil.266 Umso stolzer (und werbewirksamer) konnte die MissionsHandlung in ihren Jahresberichten von ihrem Abseitsstehen beim Handel mit Branntwein und Waffen berichten. Beim Verzicht auf den Handel dieser beiden Güter handelte es sich um ein allgemein philanthropisches Projekt, das angesichts des weit verbreiteten Alkoholkonsums an der Goldküste auch über die Mission hinaus auf Anklang gestossen sein dürfte.267 Die Missions-Handlungen als Dienstleister der Mission Die Missions-Handlung versorgte die Basler Missionsstationen in Afrika und die Missionsindustrien in Indien zu günstigen Bedingungen mit europäischen Waren. Zu Beginn berechnete sich der Preis aus dem Einkaufs- und Transportpreis bis Afrika und Indien und einer Kommission von zehn Prozent für die Abwicklung der Spedition auf die Missionsstationen.268 1876 wurde die Kommission einhergehend mit einer Neuregelung der unternehmensinternen Abrechnung auf fünf Prozent reduziert,269 was in Anbetracht der auf Grund der fehlenden Strassen hohen Transportkosten im Landesinnern sicherlich ein attraktiver Preis war. Die Lieferungen an die Missionare und die Missionsindustrien machten im ersten Jahrzehnt rund einen Viertel der gesamten Verschiffungen nach Übersee aus. Rund zwei Drittel dieser Verschiffungen ging an die Missionsstationen an der Goldküste; etwa ein Drittel an die Missionsindustrien in Indien.270 Nachdem anfangs noch unklar war, ob der Transport der Waren von der Missionsfaktorei in Christiansborg zu den Missionsstationen im Landesinneren durch die Agenten der Missions-Handlungs-Gesellschaft oder die Vertreter der Mission zu erfolgen hatte,271 wurde 1864 festgelegt, dass die Auslieferung ab 1864 vollständig durch die Missions-Handlung in Christiansborg ausgeführt werden sollte.272 Zur eigentlichen Spedition gesellten sich wei266 In der Literatur zur Wirtschaftsethik wird dieses Phänomen gelegentlich anhand des aus der Spieltheorie bekannten prisoner’s dilemma diskutiert. (Siehe Kap. 1.1.) 267 Zur sozialgeschichtlichen Bedeutung des Alkoholkonsums in Ghana, auch im vorkolonialen Kontext, vgl. Akyeampong, Drink (1996). 268 Von einer solchen Kommission von zehn Prozent auf den Einkaufspreis als Entschädigung für die Missions-Handlung ist im Herbst 1865 die Rede. An der selben Stelle werden diese zehn Prozent von Rottmann als zu hoch bewertet, was aber von den Mitgliedern der Handlungskommission verneint wird. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 28. November 1865.) 269 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 12. April 1876; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 186. 270 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1861– 1872. Später wurden diese Werte nicht mehr gesondert aufgeführt. 271 ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 19. Juni 1860; 21. November 1860 und 6. August 1862. 272 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 4. April 1864. Der Preis für den Transport war wohl in den
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tere kleinere Dienstleistungen im Geld- und Postverkehr sowie Hilfestellungen bei der Organisation der Heimreisen der Missionare.273 Die administrativen Dienstleistungen für die Industrie gewannen laufend an Bedeutung und führten in einem speziellen Fall sogar dazu, dass eine eigentlich unrentable Station im Hinblick auf die Bedürfnisse der Mission weiterbetrieben wurde.274 Zumindest die Leitung der Missions-Handlungs-Gesellschaft war stolz darauf, mit diesen Dienstleistungen dafür zu sorgen, dass die „ordinierten Missionare für den direkten Missionsdienst freiere Hand erhielten.“275 „Einleitung in den christlichen Handelsbetrieb“ Die Formulierung „Einleitung in den christlichen Handelsbetrieb“ in der Geschäftsordnung von 1864 lässt offen, ob damit die Ausbildung von Afrikanern und Indern zu Kaufleuten oder die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in globale Handelsbeziehungen gemeint ist. Pfleiderer erwähnte 1856 in einem privaten Brief nach Hause, dass der Missionsinspektor bei der Ausreise davon gesprochen habe, er solle doch auch „junge Leute zu tüchtigen Kaufleuten heranziehen.“ Im gleichen Brief berichtete er – nun auf die Missionsindustrien bezogen – von den mit dieser Aufgabe verbundenen Problemen. Es geht um das Dilemma zwischen betriebswirtschaftlicher Effizienz und den direkt gemeinnützigen Ausbildungsbemühungen: „Die beiden Zwecke zu vereinigen: einerseits das Geschäft so gut als möglich umzutreiben, andererseits ihm den Charakter als Hilfsmittel für die Mission zu erhalten, ist viel schwieriger, als man sich die Sache von Europa aus ansieht. In einem Geschäft in Europa, das vorteilhaft betrieben werden soll, sieht man sich zuerst nach Leuten um, die einem dazu tauglich scheinen. Ganz anders hier bei uns: die Leute, mit denen wir es zu diesem Resultat bringen sollen, haben wir nicht auszuwählen, sondern wir sollen dazu nehmen, wer da ist, das heisst diejenigen, die bereits Christen geworden sind oder werden wollen, ohne Rücksicht auf ihre Fähigkeiten.“276
In den privaten Briefen Ernst Preiswerks ist von verschiedenen einheimischen Angestellten die Rede, die als kaufmännische Hilfskräfte, Küfer, Bootsleute und Hilfsarbeiter bei der Missions-Handlung arbeiteten.277 Wir finden aber keine Hinweise auf irgendwie geartete Ausbildungsbemühungen zugunsten der einheimischen Angestellten. Ohnehin handelte es sich bei einem Grossteil der Angestellten, wie Preiswerk in einem früheren Brief bemerkt, um kurzfristig beschäftigte Wanderarbeiter mit eigenen Vorarbeitern.278 Dass in der Anstellung von einheimischen Arbeitern immerhin oben diskutierten 10 %-Marge inbegriffen. 273 Schlatter, Basler Mission (1916), III, 192. 274 Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 25. Oktober 1881, wo deswegen für die Beibehaltung der Handlung in Calicut votiert wurde. 275 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1875, 5 f. 276 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 23 f. 277 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 92 (Brief aus Akropong an seine Eltern, 25. April 1881). 278 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 46 (Brief aus Ada an seine Eltern, 10. Juli 1877).
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eine ernsthafte „zivilisatorische“ Möglichkeit gesehen wurde, zeigt eine Bemerkung anlässlich der Diskussion um die Wiederaufnahme des Detailgeschäfts im Jahr 1865, als argumentiert wurde, dass durch die Eröffnung von mehr Kaufläden die „Natives besser [für die Mitarbeit] verwandt werden können“.279 Andere Quellen weisen darauf hin, dass vor allem die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in (global vernetzte) marktwirtschaftliche Strukturen als das primäre „zivilisatorische“ Ziel der Mission-Handlung verstanden wurde: So bemerkte bereits der Jahresbericht für das Jahr 1861, dass der Warenimport den Arbeitseifer unter den Einheimischen anhebe.280 Missionskaufmann Ernst Preiswerk führte dieses mehrmals wiederkehrende Argument in einem seiner Briefe folgendermassen aus: „Wir sorgen [...] dafür, den Leuten Bedürfnisse zu schaffen, und um diese zu befriedigen, müssen sie arbeiten und Geld verdienen. Dies ist ein Stück von indirekter Missionsarbeit. Wir lassen z. B. eine Partie Petroleum- Tisch- und Hängelampen kommen. Bisher brannte der Neger seine stinkende, rauchende Palmöl-Lampe. Diese neue Lampe gefällt ihm; er kauft sie, ohne zu überlegen, dass er kein Petroleum hat. Bald gewöhnt er sich daran, dass er’s nicht mehr lassen kann: er braucht aber Jahr aus, Jahr ein alle 2–3 Wochen eine Flasche Steinöl zu 1 Schilling. Noch vor wenig Jahren waren die englischen Bisquits hier unbekannt; jetzt verkaufen wir in Akuse monatlich eine Kiste voll. [...] Hand in Hand mit der Erstarkung des Christenthums gehen die Erfolge der Civilisation.“281
Preiswerk verstand die Schaffung marktwirtschaftlicher Nachfrage explizit als Zivilisations- und Missionsarbeit. Er propagierte damit die Idee einer Art „Entwicklungshilfe“ durch (markt-)wirtschaftliches Agieren per se, wie sie als Teil der modernisierungstheoretischen Entwicklungskonzepte in Formulierungen wie „Handel ist die beste Entwicklungshilfe“ oder allgemeiner „Entwicklung durch Wachstum“ zu Tage treten.282 Ein weiteres Beispiel für solche durch wirtschaftliche Tätigkeit hervorgebrachte Entwicklungs-Effekte gibt uns Missionskaufmann Johannes Müller in einem Artikel im „Evangelischen Heidenboten“ über die Missionshandlung in Mercara in Indien. Es geht um den Ausspruch eines Kunden, die Missions-Handlung umfasse eigentlich zwölf Geschäfte in einem: „Aber nicht im Gedanken an die Waren machte der Mann seine Bemerkung, sondern er meinte den Umtrieb ausser dem Ladengeschäft. Eigentlich unbewusst und ungesucht ist da noch eine Industrie, zu der die Noth des Mangels an Handwerksleuten in Merkara getrieben hat. Ein Beamter oder ein Pflanzer kauft Stoff zu einem Anzug und fragt, ob man ihm die Kleidung 279 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 28. November 1865. 280 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1861, 7. 281 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 63 (Brief aus Akropong an seine Eltern, 30. November 1878). Vgl. Debrunner, Schweizer (1991), 117. 282 Die Konzepte von „Entwicklung durch Wachstum“, welche insbesondere in den 1960er Jahren populär waren, beruhen auf der Annahme, dass mehr Handelsbeziehung und ein Einbezug möglichst vieler Länder in die Weltwirtschaft zu Wachstum führen würden. Zu Beginn meist unter den Reichen einer Gesellschaft wirksame Wachstumsimpulse sollen später über so genannte trickle-down-Effekte an die Ärmsten einer Gesellschaft durchsickern. (Nuscheler, Entwicklungspolitik (2005), 78 f.) Vgl. hierzu auch Salvisberg, Zellweger (2008), 80, der die Formulierung „Entwicklungshilfe durch Marktwirtschaft“ benutzt; sowie Franc, Schokolade (2008), 214.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) nicht machen lassen könne. Ein Schneider, der gerade im Hause schafft, übernimmt die Arbeit; der Schneider bittet, man möchte ihm im Hause gegen Monatslohn Geschäfte geben; es geschieht. Frau M. lehrt ihn die Nähmaschine gebrauchen; Bestellung auf Bestellung kommt; der Schneider muss noch einen, zwei Gehilfen bringen und ist bald als der Missionsschneider bekannt. [...] Aber nun wurde die Unruhe zu gross und der Meister mit seinen Gesellen und der Nähmaschine, die er inzwischen gekauft hatte, mussten aus dem Hause geschickt werden; in der Nähe baut er sich jetzt ein eigenes Haus.“283
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft zumindest theoretisch in diesem Sinne wirkte und Märkte für den Warenverkauf und den damit verknüpften Handel mit tropischen Landesprodukten schuf.284 In diesem Zusammenhang ist auch an die oben erwähnten einheimischen Zwischenhändler zu denken, die als Kleinunternehmer auf Kommissionsbasis für die Handlungs-Gesellschaft arbeiteten285 und direkt von einer solchen Markterschliessung profitieren. Der Einbezug einheimischer Händler war aber kein unbestrittenes „zivilisatorisches“ Vorgehen. So forderte etwa Missionar Johann Mader 1865 eine Verminderung afrikanischen Einflüsse in der MissionsHandlung.286 Allerdings bedeutete die ökonomische Aktivität der Missions-Handlungs-Gesellschaft nicht nur Entwicklungsimpulse, sondern gleichzeitig auch eine Konkurrenz zum einheimischen Handel. Im schlimmsten Fall konnte dadurch einheimisches Engagement erstickt werden. Diesen Zusammenhang thematisierte 1868 der in einem anderen Zusammenhang bereits zitierte polemische Leserbrief eines anonymen „Old Accras“ in der (in Grossbritannien erscheinenden) „African Times“. Unter dem Titel „The injurious trading operations of the Basle Missionaries“ heisst es dort im Rückblick auf die Anfänge der Missions-Handlungs-Gesellschaft an der Goldküste: „And beside which they [die Missions-Handlungs-Gesellschaft] are doing no material good in point of trade, but harm. Since they established themselves here as merchants they have been imitators and not inventors; they have not conferred any boon on the public by introducing any industrial development of fresh resources here. They have not lent their energy by adding to the natural wealth of this country. There is not now one educated native buying palm-oil in this place. With their large means they undersell everyone here, and by that means have wrested the trade from our hands. We go to Kpong, they follow us there; we go to Addah, they come there; we go to the far interior (Krepee), they come there. B. was in Krepee in ’60, ’61, ’62, ’63 buying cotton for their benefit; they were not satisfied till they went there and established factories in opposition to him. With them “Live and let live” is not the motto. They get their goods first hand from Germany and go far to the interior. Of course they will not take the lead in anything; they go for all the profit without any intermedium, for they want all the profit for
283 Müller, Johannes: Erfahrungen und Gedanken eines Missionskaufmanns. Brosamen aus dem Geschäftsleben der Missionshandlung in Merkara, in: Der evangelische Heidenbote, 46. Jahrgang, Nr. 10, Oktober 1873, 81. 284 Zur Schaffung eines Absatzmarktes für tropische Produkte als eines „zivilisatorischen“ Projekts vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959) 191 f. 285 Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1864, 2; Miescher, Rottmann (1999), 356 f. 286 Ebd., 357, Fussnote 37.
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themselves. In fact they have all the country. Even the latest (palm-nut kernel) trade they have taken from our hands.“287
Dieser Leserbrief stammt wohl kaum von einem einheimischen Goldküstenbewohner, sondern viel eher von der britischen Konkurrenz.288 Der Vorwurf, die MissionsHandlungs-Gesellschaft sei ein wenig innovativer Trittbrettfahrer, der sich lediglich auf Grund seiner Grösse und Geschäftsbeziehungen durchsetzen kann, lässt sich allerdings nicht gänzlich von der Hand weisen. Hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem von „Entwicklungshilfe“ durch wirtschaftliches Handeln per se: Bevor sie allfällig segensreiche Wachstumsimpulse aussenden kann, haben sich deren Agenten bereits als übermächtige Konkurrenten der eigentlich gewünschten einheimischen Wirtschaftstätigkeit etabliert.289 Ist eine rein auf Marktkräfte vertrauende Entwicklungshilfe, die ja keine unmittelbar moralisch motivierte Aktivität beinhaltet, eine gemeinnützige Aktivität im Sinne unseres Rasters? Eigentlich handelt es sich bei dieser Idee ja lediglich um die Behauptung, dass die inhärenten Vorteile marktwirtschaftlichen Handelns schlussendlich allen zu Gute kämen.290 Anderseits ist darauf hinzuweisen, dass die Rolle als Wegbereiter bei Erschliessung neuer Märkte – wenn man dies wirklich war – nicht nur besondere Chancen, sondern auch besondere Kosten und Risiken beinhaltete. Die Übernahme solcher Kosten und Risiken könnte man in einem weiten Sinn als gemeinnützige Tätigkeit interpretieren.291 Die Missionskaufleute standen mit der zugleich passiven und optimistischen Idee, „durch lebendiges Beispiel ein frommes und ehrbares Verkehrsleben unter den Heiden zu begründen“,292 zumindest nicht für sich allein. Gerade in den 1860erund 1870er Jahren finden sich auch in britischen Missionskreisen Belege für eine (wohl immer noch auf die breite Rezeption Livingstones zurückgehende) positive Wertung der Verbindung von Mission, Zivilisationsbemühungen und Handel.293 In 287 The African Times, 22. August 1868, 22. [Hervorhebung im Original] Zu dieser Kritik am mitunter auch destruktiven Vorgehen der Missions-Handlungs-Gesellschaft vgl. auch Seth, Missionary Practices (2007), 29; Reynolds, Trade (1974), 148–150; ders. Gold Coast (1975), 109 f. 288 Hierfür spricht etwa die falsche Behauptung, der Grossteil der von der Missions-HandlungsGesellschaft verkauften Waren würde aus Deutschland stammen. 289 Geradezu zur Entwicklungsverhinderung wird fremde Handelsaktivität, wenn aktiv darauf hin gearbeitet wird, die lokalen Zwischenhändler auszuschalten, wie es etwa Heiko Möhle für deutsche Firmen in Kamerun zeigte. (Möhle, Branntwein und Gewehr (1999), 40–42.) 290 Die Darstellung von Handel (oder wirtschaftlicher Tätigkeiten im allgemeinen) als entwicklungspolitischen und gesellschaftlichen Heilsbringer erinnert ein Stück weit an die in der Einleitung diskutierte instrumentalistische Unternehmensethik, die besagt, dass auf Grund der angeblich gerechtesten und effizientesten Verteilfunktion des marktwirtschaftlichen Systems im Geldverdienen selbst die beste Möglichkeit, sich ethisch zu betätigen, liege. (Vgl. Kap. 1.1.) 291 Vgl. Casson, Unternehmer (2001), 542, wo auf die Mehrkosten einer Markterschliessung hinwiesen wird. Für die nachfolgende Konkurrenz sei es dann viel leichter, Profit zu generieren. 292 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1868, 2. 293 Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 111–113; Stanley, Commerce and Christianity (1983). Siehe auch Kap. 2.2. Interessant ist die doppelte Bedeutung von Marktwirtschaft innerhalb eines „zivilisatorischen“ Projekts: sie kann zugleich Grundlage als auch Ziel einer „Zivilisierungsmission“ sein. (Vgl. Petersson, Markt (2005).)
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ein modernisierungstheoretisches Muster passen auch die oben diskutierten Pläne Zellwegers für den Kampf gegen den Sklavenhandel.294 Diese grundsätzlich areligiöse Idee von Entwicklungshilfe stand teilweise in einem Gegensatz zu den „zivilisatorischen“ Bemühungen der Basler Mission, die neben Ausbildungstätigkeit auch medizinische Unterstützung oder Investitionen in die Infrastruktur beinhalteten konnten.295 Während der 1850er- und 1860er Jahren baute die Basler Mission eine Strasse von Christiansborg ins Kroboland.296 Die Missions-Handlungs-Gesellschaft zeigte offenbar nur wenig Interesse an der Nutzung der erst teilweise fertig gestellten Strasse, da das Umladen auf einen Handkarren zusätzliche Kosten verursachte und der Transport durch Träger immer noch günstiger war. Erst auf Bitte des Missionsinspektors zeigte sich die Handlungskommission dazu bereit, Anweisung zu geben die Strasse zu benutzen und damit indirekt zu deren Instandhaltung beizutragen.297 Dahinter steht ein anderes Problem von „Entwicklungshilfe“ durch wirtschaftliches Agieren per se: Da sie vor allem auf kurzfristige Gewinne als Wachstumsimpule hinarbeitet, besteht die Gefahr, dass sie langfristige Investitionen vernachlässigt, die ja nicht zuletzt auch wieder dem wirtschaftlichen Wachstum zu Gute kämen. Trotz oder gerade wegen ihrer schlechten Fassbarkeit wurden die „zivilisatorischen“ Bemühungen der Missionshandlung in der Selbstdarstellung der MissionsHandlung gerne in den Vordergrund gerückt. So hiess es bereits 1859 am Schluss des Prospekts zur ersten Aktienausgabe, dass die Missions-Handlung über konkrete Hilfestellungen gegenüber der Mission hinausgehend „[...] wirksame Gehülfin [sei], um dem Christentum die Bahn zu ebnen; es liegt in nützlicher Betätigung bestimmt ein mächtiger Einfluss, um ein Volk für die Wahrheiten des Christentums empfänglich zu machen und es durch Sittenmilderung für dasselbe vorzubereiten.“298 In den Jahresberichten wurde diese Zielsetzung wieder und wieder – immer noch ohne eine genauere Definition, was darunter zu verstehen sei – wiederholt: „Er [der Herrgott] wolle ihnen Allen [den Missionskaufleuten] den rechten Missionssinn erhalten und mehren, damit sie nicht nur die äusseren Arbeiten mit Treue und Eifer versehen, sondern durch ihr Wort und Beispiel die noch schwachen Heidenchristen zu geordneter Thätigkeit heranbilden und den Heiden zum Glauben an die Kraft des Evangeliums verhelfen.“299
Missionsarbeit der Missionskaufleute Neben den „zivilisatorischen“ Bemühungen gehört nach unserer Definition auch allfällige missionarische Tätigkeit zu den direkt gemeinnützigen Aktivitäten. Obwohl in den Zweckbestimmungen von 1864 und 1869300 nicht aufgeführt, bildete 294 295 296 297 298 299 300
Siehe Kap. 2.3. Vgl. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985); ders., Basler Mission (1981). Ebd. 195 f. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Oktober 1868. Aktien-Emissionsprospekt der Missionshandlungsgesellschaft vom 15. April 1859. Hier: Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1873, 8. ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864 und: Statu-
2.5 Operatives Geschäft
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dieser Bereich für die damaligen Missionskaufleute ein wichtiges Motiv für ihr Engagement in der Missions-Handlungs-Gesellschaft.301 Ernst Preiswerk erzählte in seinen Briefen, wie er, wenn es die Zeit zulasse, Andachten unter seinen Mitarbeitern abhalte.302 Allerdings bemerkte er selbst einschränkend in einem der Briefe: „Was meine direkte Missionsarbeit betrifft, so ist sie allerdings auf einem kleinen Fleck beisammen; aber so viel als ein Schulbruder kann auch ein Kaufmann wirken.“303 Konkret mochte das Morgen- und Abendandachten mit den Mitarbeitern oder die Beteiligung an Bibelstunden bedeuten.304 Mehr Zeit für die direkte Missionsarbeit blieb unter Umständen den Frauen der Missionskaufleute. So ist etwa von Pfleiderers Frau überliefert, dass sie in der Mädchenschule der Basler Mission in Mangalore mitwirkte.305 Eine etwas subtilere und näher mit dem Handelsgeschäft verbundene Art der Missionsarbeit erwähnte ein „Heidenbote“-Artikel über die Geschäfte in Indien. Dort verkauften die Läden der Missions-Handlung auch Bibeln und andere Bücher christlichen Inhalts, die sie von der (nicht zur Missions-Handlungs-Gesellschaft gehörenden) Missionsbuchhandlung in Mangalore, von indischen Verlagen und der indischen Vertretung der Londoner Traktate- und Bücher-Gesellschaft bezog.306 In Ergänzung zur klassischen Missionsarbeit konnte die christliche Botschaft auf diesem Weg unterschwellig und scheinbar nebenbei verbreitet werden. In einem Bericht heisst es dazu: „Zu einer anderen Zeit interessieren sich einige Kurgleute für den gerade mit Schreiben beschäftigten Europäer; sie treten zu ihm her und machen unter Verbeugung ihren Salam. [...] Ich nutze die Gelegenheit, den Leuten Traktate anzubieten.“307 Irgendwo im Bereich zwischen „zivilisatorischen“ Bemühungen und Missionsarbeit lag die oben bereits erwähnte Vorbildfunktion, die die Missions-Handlung durch das Hochhalten spezifisch christlicher Werte im „christlichen Handelsbetrieb“ verwirklichen wollte. Der Jahresbericht für das Jahr 1866 nannte die Absicht „durch ehrliche christliche Thätigkeit und durch sittliches Beispiel im äusseren Wandel und Beruf der direkten Predigt des Wortes Gottes unter den Heiden mehr und mehr Eingang zu verschaffen“ gar als „innerstes Motiv“ der Missions-Handten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft [1869]. 301 Vgl. dazu Kap. 2.6. 302 Vgl. Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882. 303 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 81 (Brief aus Ada an seine Eltern, 1. Juli 1880). 304 Vgl. auch: Zur Erinnerung an Hermann Ludwig Rottmann, weiland Missionar der Basler Missionsgesellschaft, Basel 1899, 6 f. oder Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 23. 305 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 46; 62. 306 Müller, Johannes: Erfahrungen und Gedanken eines Missionskaufmanns. Brosamen aus dem Geschäftsleben der Missionshandlung in Merkara, in: Der evangelische Heidenbote, 46. Jahrgang, Nr. 10, Oktober 1873, 81. 307 Müller, Johannes: Der Missionsladen in Merkara, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 1, Januar 1869, 11.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
lungs-Gesellschaft.308 Allerdings bleibt es weitgehend unklar, was genau unter dieser christlichen Geschäftsmoral zu verstehen ist.309 Mit dieser Vorbildfunktion im Zusammenhang steht die Verpflichtung der Missionskaufleute zu einer christlichen Lebensweise. Gemäss der Geschäftsordnung von 1864 sollten an sie „keine geringeren sittlichen und religiösen Forderungen“ als an die Missionare gestellt werden.310 Es ging dabei auch darum, den zu Missionierenden zu zeigen, dass ihnen durch den Übertritt zum Christentum (der vor allem in Indien gleichzeitig mit dem Verlust sozialer Verbindungen einher gehen konnte) und dem Nachleben christlicher Moralvorstellungen keine ökonomischen Nachteile erwachsen mussten, sondern, wie es in einem Artikel im „Evangelischen Heidenboten“ beschrieben wurde, sogar zum Vorteil gereichen konnte: „Es ist ja doch eine herrliche Sache, den Leuten im täglichen Geschäft zeigen und beweisen zu dürfen, wie freundlich der Herr und wie reich und mannigfaltig Seine Gnade sei, ob sie sich vielleicht reizen lassen, dies selbst auch im eigenen Leben kennen lernen und erfahren zu dürfen.“311
Letztlich waren die Missionskaufleute aber keine Missionare. Ihre missionarische Kapazität blieb beschränkt. Ausserdem waren die konkreten Erfolge in diesem Bereich schwer zu bemessen. Dies gestand man auch selbstkritisch ein: „Was ausserdem durch Wandel und Wort an den Seelen der Heiden gewirkt werden kann, entzieht sich meist der Beobachtung, soll aber von keinem unserer Arbeiter für nebensächlich gehalten werden.“312 2.6 PERSONAL Die Handlungskommission als Verwaltungsrat Die Leitung und strategische Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft oblagen der durch das Missionskomitee bestimmten Handlungskommission.313 Sie setzte sich aus den Mitgliedern der bereits Anfang 1859 gegründeten „Kommission für die Missions-Handlung in Christiansborg“ mit dem Präsidenten Zellweger, Missionsinspektor Josenhans und dem Geschäftsführer Braun sowie dem nach der Gründung der Aktiengesellschaft dazu gestossenen Basler Kaufmann Andreas Bischoff zusammen.314 Während der ersten Jahre unter Zellweger scheint die Hand308 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1866, [2]. 309 Siehe die Ausführungen zur unternehmensethischen Verantwortung weiter oben in diesem Kapitel. 310 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3. 311 Elsässer, Theodor: Gedanken eines Missionskaufmanns über die Stellung einer Missionshandlung innerhalb der Mission, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 6, Juni 1870, 65. Eine ähnliche Wirkung vermutet Miescher auch im Zusammenhang mit den erfolgreichen Geschäften Rottmanns. (Miescher, Rottmann (1999), 358.) 312 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1875, 5 f. 313 ABM/UTC 4936: Statut der Missions-Handlungs-Gesellschaft vom Mai 1859, Art. 4–6. 314 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 16. Juli 1859.
2.6 Personal
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lungskommission, wie erwähnt, keine grosse Rolle gespielt zu haben. Die Entscheidungen traf Zellweger meist allein.315 Später hielt die Handlungskommission regelmässig rund fünf Sitzungen pro Jahr ab. 1864 ersetzte Eduard Preiswerk den zurückgetretenen Gründungspräsidenten Zellweger.316 1870 starb der Geschäftsführer Theodor Braun, der diesen Posten neben seiner Tätigkeit als Missionsverwalter ausgeführt hatte. Sein nun vollamtlicher Nachfolger als Geschäftsführer wurde der aus Indien heimgekehrte Missionskaufmann Gottlob Pfleiderer.317 Als dieser 1872 vorübergehend nach Indien zurückkehrte, wurde er durch Missionskaufmann Karl Riehm ersetzt.318 1876 trat der Basler Kaufmann Heinrich Pfisterer an die Stelle des verstorbenen Andreas Bischoff.319 Bis auf Missionsinspektor Josenhans und die Geschäftsführer entstammten die Mitglieder der Handlungskommission (Zellweger über seine Frau) aus der vermögenden Basler Oberschicht, aus der auch die Aktionäre stammten. Wie viele konservative Basler jener Zeit, standen sie direkt mit dem Pietismus in Berührung: Während Zellweger in England und den USA mit den dortigen Spielarten des Pietismus in Berührung gekommen war,320 war Preiswerk von Geburt an Mitglied der Basler Herrnhuter Sozietät.321 Pfisterer war neben seiner Tätigkeit für die Missions Handlungs-Gesellschaft in zahlreichen weiteren kirchlichen und privaten pietistischen Gremien tätig.322 Preiswerk engagierte sich neben seinem religiösem Engagement in der lokalen Politik.323 Das stellte keine Besonderheit dar, sondern war geradezu kennzeichnend für das Selbstverständnis dieser Männer. Religiöser und politischer Einsatz und die Arbeit für das eigene Unternehmen zeigen sich in den Biographien bekannter konservativpietistischer Basler jener Zeit, wie etwa der einflussreichen Komiteemitglieder Adolf Christ und Karl Sarasin, nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzungen.324 Noch weiter gefasst waren die Interessen von Kommissionsmitglied Bischoff, der weniger als engagierter Bürger und frommer Christ, denn als Insektensammler berühmt geworden ist.325
315 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Januar 1863, anlässlich der genau dieser Sachverhalt kritisiert wurde. 316 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. März 1864. 317 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juli 1870. 318 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juli 1872. 319 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 19. August 1876. 320 Salvisberg, Zellweger (2008), 64–68. 321 Wanner, Preiswerk (1984), 16. 322 Zur Erinnerung an Herrn Heinrich PfistererStockmeyer, Basel 1902, 6. 323 Wanner, Preiswerk (1984), 18–21. 324 Vgl. Labhardt, Merian (2011), 210 f.; Mooser, Unternehmer (2002); Wanner, Sarasin (1979); Raith, Christ (1979). 325 Rütimeyer, L.: Erinnerung an Andreas Bischoff-Ehinger, in: Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft Basel, 1878, 549–554. Bischoff hat es mit seiner später dem Naturhistorischen Museum in Basel vermachten Käfersammlung immerhin zu (englischsprachiger) WikipediaBerühmtheit gebracht. ( [5. Juli 2010].)
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Die Mitglieder der Handlungskommission arbeiteten – mit Ausnahme des Geschäftsführers – ehrenamtlich.326 Was brachte die vielbeschäftigten Männer dazu, sich für die Missions-Handlung zu engagieren? Vom Bild des nutzen-maximierenden homo oeconomicus der klassischen Ökonomie ausgehend liessen sich so genannt weiche Faktoren des persönlichen Nutzens wie etwa Prestigegewinn, ein gutes (religiöses) Gewissen oder innere Befriedigung denken. Ebenso gut können aber auch tatsächlich altruistische Motive aufgeführt werden. Gerade für Zellweger und Preiswerk, die beiden ersten Präsidenten der Handlungskommission, die einen grossen Teil ihrer Zeit und Kraft in die Leitung der Missions-Handlung steckten, scheint eine nur vom persönlichen Nutzen ausgehende Beurteilung zu kurz zu greifen. Ihr Engagement stand kaum in einem „effizienten“ Verhältnis zum erwarteten Prestigegewinn etc. Das Engagement der Kommissionsmitglieder oder – um einen Begriff aus der Zeit zu benutzen – ihre „innere Berufung“, war wohl zugleich religiös als auch philanthropisch motiviert.327 Beispielhaft sei an dieser Stelle Zellweger angeführt, der seine philanthropischen Ziele (die Eindämmung des Sklavenhandels) in einen deutlich religiösen Zusammenhang stellte: „[...] so unbedeutend auch unsere kleine Gesellschaft neben so mächtigen Interessen erscheint, mag sie doch in ihren geringen Kräften berufen sein, in das grosse Triebwerk mit einzugreifen, wodurch endlich Afrika von dem Fluche des Sklavenhandels befreit werden soll. Das wollte der Herr!“328
Zumindest im Denken Zellwegers scheint es kein entweder oder zwischen religiösen und weltlichen Motiven zu geben; vermutlich betrachtete er auch seine philanthropischen Ziele als „Gott gewollt“. Die Angestellten der Zentrale Die Führung der gesamten Geschäfte in Basel oblag zu Beginn dem Missionsverwalter Theodor Braun, der gleichzeitig Einsitz in der Handlungskommission nahm. In Personalfragen erhielt er Unterstützung des ebenfalls in der Handlungskommission einsitzenden Inspektors der Basler Mission.329 Auf Braun folgten Pfleiderer und Riehm.330 Bewusst entschied sich die Handlungskommission zur Berufung ehemaliger Missionskaufleute auf diese Führungsposition, da so am besten der „Missionssinn“ der Handlungs-Gesellschaft gewahrt bleiben würde.331 Spätestens nach Brauns Tod und dem Bezug eines eigenen Gebäudes im Jahr 1870332 bestand 326 Dies legten erstmals die Statuten von 1869 ausdrücklich fest. (Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft, [1869], § 7.) Es ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung auch für die Anfangszeit dem Sinn nach gegolten hat. 327 Siehe Kap. 1.1. 328 ABM Q-1: Zellweger: Brief an das Missionskomitee, 25. Februar 1863. 329 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 5. 330 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 12. Juli 1870 und 13. Juli 1872. 331 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Januar 1871. 332 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1870, 3.
2.6 Personal
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keine direkte Verbindung mehr zwischen der Missionsverwaltung und der Verwaltung der Missions-Handlung in Basel. Neben den Geschäftsführern arbeiteten verschiedene kaufmännische Hilfskräfte als so genannte „Kommisse“ in der Basler Verwaltung. Erstmals wurde im Sommer 1863 angesichts der sich ausdehnenden Geschäfte beschlossen, die Geschäftsführung mit einer Hilfskraft auf dem Büro zu verstärken.333 Später ist dann von mindestens einem Kommiss der Missions-Handlung,334 beziehungsweise von einer „Kommissstelle auf der Handlung“ die Rede, welche „wieder besetzt werden sollte, da die Geschäftsführung nicht immer nur an einem Mann [dem Geschäftsführer] hängen dürfe, der dann immer gebunden ist.“335 Bis Ende der 1870er Jahre blieb es wohl bei dieser einen kaufmännischen Hilfskraft. Dazu gesellten sich immer wieder junge Missionskaufleute, die zur Probe einige Monate auf dem Büro in Basel arbeiteten, bevor sie nach Übersee ausgesandt wurden.336 Wie verhielt es sich mit der Motivation und den Interessen der Angestellten in Basel? Anders als die Mitglieder der Handlungskommission bezogen der Geschäftsführer und die kaufmännischen Hilfskräfte marktübliche Löhne.337 Ihre Grundmotivation lag also in der Arbeit selbst und deren Entlohnung. Darüber hinausgehende religiöse oder philanthropische Motive sind aber nicht auszuschliessen: Zumindest bei denjenigen Geschäftsführern, die als ehemalige Missionskaufleute in die Geschäftsführung eintraten, dürften auch Idealismus und religiöse Überzeugung mit im Spiel gewesen sein.338 Eine weitere Gruppe von Angestellten bildeten die aus Norddeutschland stammenden Kapitäne und Mannschaften der Schiffe der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Anders als bei den Missionskaufleuten spielte die religiöse Gesinnung bei der Anstellung der Seeleute keine besondere Rolle.339 Bei ihnen dürfte demgemäss auch weniger Identifizierung mit den speziellen Zielen der MissionsHandlungs Gesellschaft zu erwarten sein. Ebenfalls in einem gewöhnlichen Anstellungsverhältnis standen die Maschinisten der Volta-Dampfer.340
333 334 335 336 337
ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 1. [September] 1863. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Januar 1871. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juni 1871. Vgl. etwa ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Oktober 1865. So wird etwa für Geschäftsführer Riehm 1872 ein Jahreseinkommen von 4000 Franken nebst freier Logis im Lokal der Missions-Handlung vereinbart (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juli 1872.). Bezüglich der Gehilfen findet sich aus dem Jahr 1869 ein Beleg für ein Jahreseinkommen von 1500 Franken nebst freier Logis (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 26. Dezember 1869.). Das entspricht in etwa der Schätzung von Durchschnittslöhnen von kaufmännischen Angestellten in der Schweiz für das Jahr 1890 von 125 Franken pro Monat für Kommisse und 180 Franken pro Monat für den Gesamtdurchschnitt. (König et.al., Die Angestellten (1985), 140.) Diese Angaben können auf Grund der relativ stabilen Preisentwicklung auch für die 1870er Jahre als Richtwert dienen. 338 Zur primär religiösen Motivation der Missionskaufleute vgl. das folgende Kapitel. 339 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 134 f. 340 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 6. November 1876.
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Die Missionskaufleute341 Die Zahl der aus Europa stammenden Missionskaufleute in Übersee wuchs von 1859 bis 1879 von zwei auf 17, die zu etwa gleichen Teilen in Afrika und Indien arbeiteten.342 Die im Umfeld der Basler Mission rekrutierten Missionskaufleute teilten ihre Herkunft mit den Missionaren der Basler Mission: In beiden Fällen kam circa die Hälfte aus Württemberg, etwa ein Fünftel aus der Schweiz, der Rest aus Baden, anderen deutschen Staaten und dem übrigen Europa. Wie die Missionare entstammen viele einem eher kleinstädtisch-ländlich geprägten Umfeld.343 In biographischen Quellen wird oft ein frommer familiärer Hintergrund betont.344 In manchen Fällen erhielt dieser durch eine religiöse „Erweckung“ im Erwachsenenalter eine zusätzliche pietistische Qualität.345 Die Anstellungsbedingungen der Missionskaufleute entsprachen der Regelung für die Missionare der Basler Mission. Gemäss der Geschäftsordnung von 1864 sollte die Missions-Handlungs-Gesellschaft ausdrücklich „[...] darauf verzichten, ihren Agenten, Angestellten und Arbeitern Freiheiten einzuräumen und Beneficien zu verleihen, welche die Komitee ihren Arbeitern nicht gleicherweise zugestehen kann und darf [...].“346 Ausgehend von dieser Formulierung galt das „Verwilligungssystem“ der Basler Mission auch für die Missionskaufleute. Das „Verwilligungssystem“ beruhte auf dem Grundsatz der „[...] unbedingte[n] Hingebung auf Seiten der Missionare und väterlicher Fürsorge auf Seiten des Komitees, im Unterschied von aller juridischen Feststellung des gegenseitigen Verhältnisses [...].“347 Dementsprechend gab es, wie Schlatter in seiner Geschichte der Basler Mission bemerkt, auch keine bindende Regelung der Entlohnung: „In Betreff des Unterhalts der aktiven Missionsmitarbeiter wurde für das Nötige gesorgt. [...] Fester Gehalt wurde zwar nicht ausgesetzt, wohl aber erhielt jeder eine seinen Verhältnissen 341 Der hier verwendete Begriff Missionskaufmann/Missionskaufleute wird in den zeitgenössischen Quellen nur unsystematisch verwendet. Dort findet sich vor allem auch die Bezeichnung „Handlungsbruder“. Die m. W. früheste Verwendung des hier auf Grund seiner Prägnanz durchgängig verwendeten Begriffs „Missionskaufmann“ erfolgte im Juni 1868 während einer gemeinsamen Sitzung der Handlungs- und Industriekommission. (ABM/UTC 4748: Gemeinsame Sitzung der Handlungs- und Industriekommission, 12. Juni 1868.) 342 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft pro 1872 bis 1879 und ABM/UTC 4721: Personalia I. 343 ABM/UTC 4721: Personalia I. Zur Herkunft der Missionare der Basler Mission vgl. Miller, Religious Zeal (1994), 43; 48; Altena, Häuflein (2003), 197, 202–212; Schweizer, Mission an der Goldküste (2002), 35. 344 Vgl. etwa: Zur Erinnerung an Gottlob Fr. Pfleiderer, Geschäftsführer der Missionshandlungsgesellschaft in Basel, Basel 1898, 5; Zur Erinnerung an Hermann Ludwig Rottmann, weiland Missionar der Basler Missionsgesellschaft, Basel 1899, 4 oder Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 14. 345 Vgl. Zur Erinnerung an Hermann Ludwig Rottmann, weiland Missionar der Basler Missionsgesellschaft, Basel 1899, 4 oder Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 48. 346 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3. 347 So eine „Verordnung, die persönliche Stellung der Missionare betreffend“ aus der Zeit von Missionsinspektor Josenhans. (Zit. nach: Schlatter, Geschichte (1916), I, 233.)
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angemessene, jährliche Verwilligung; was er davon erübrigte, gehörte der Mission, ebenso, was der einzelne direkt von Missionsfreunden in der Heidenwelt oder für irgendwelche Dienstleistungen erhielt.“348
Bei diesen „Verwilligungen“ handelte es sich also um eine Art Spesen, mit denen der unmittelbare Lebensunterhalt gedeckt, aber keine Ersparnisse angelegt werden konnten. Für aussergewöhnlichen Fälle, etwa notleidende Eltern, gewährte die Handlungskommission ausnahmsweise zusätzliche „Verwilligungen“.349 Daneben waren die Missionskaufleute wie die Missionare gegen Tod und Invalidität versichert. Ausserdem kam die Unternehmensleitung für die Erziehung der Kinder in der Heimat auf. Bis 1870 waren die Missionskaufleute zu diesen Zwecken auf Kosten der Handlungs-Gesellschaft bei der Kinder- und der Invalidenkasse der Basler Mission versichert. Die jährliche Einlage betrug beträchtliche 500 Franken pro Mitarbeiter.350 1870 beschloss das Missionskomitee gegen den Willen der Handlungskommission, die Mitarbeiter der Missions-Handlungs-Gesellschaft aus ihren Versicherungsfonds auszugliedern. Der Handlungskommission wurde ein Teil der nicht benutzten Einlagen zurückerstattet und der Auftrag erteilt, selbst entsprechende Vorsorgefonds zu schaffen.351 Dies geschah und bis 1879 wuchsen die in den Passiva der Missions-Handlungs-Gesellschaft verbuchten Kinder- und der Invalidenfonds auf die beträchtliche Höhe von je knapp 50 000 Franken an.352 Auch hier galt wie bei den gewöhnlichen Entschädigungen der Grundsatz, dass die Zahlung dieser „Versicherungsleistungen“ auf Vertrauensbasis erfolgte.353 Diese Massnahmen zu Gunsten der Missionskaufleute können nach unserem Raster als Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern bezeichnet werden. Angesichts der beträchtlichen gesundheitlichen Risiken eines Tropenaufenthalts sind diese Bemühungen aber auch naheliegend. Zusammengefasst erscheint die Entschädigung der Missionskaufleute als eine Art „Kost und Logis“, welche die Missionskaufleute zwar ihrer täglichen Sorgen enthob, es ihnen aber nicht ermöglichte, Geld für die Zukunft zu sparen und sie ganz dem Wohlwollen der Handlungskommission aussetzte. Beim Austritt aus der Missions-Handlung legte die Handelskommission eine individuelle Abschiedsentschädigung fest.354 Ein gewisser Schutz vor Missbrauch bestand dadurch, dass der Missionsinspektor nach der Geschäftsordnung 348 Schlatter, Geschichte (1916), I, 242–243. Vgl. auch Miller, Religious Zeal (1994), 94–97; Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 76. 349 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 16. Februar 1866 und 14. September 1872. 350 ABM/UTC 4936: Weitere Verordnungen die Missionshandelsgesellschaft betreffend vom Jahr 1870, Art A; vgl. auch ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. Januar 1863. 351 ABM/UTC 4936: Weitere Verordnungen die Missionshandelsgesellschaft betreffend vom Jahr 1870, Art B 2–3. 352 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1879, 13. 353 Vgl. Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 70. 354 Von solchen Abgangsentschädigungen ist an den Sitzungen der Handlungskommission gelegentlich die Rede. So einigte sich die Kommission 1874 darauf, dem krank aus Afrika zurückgekehrten Missionskaufmann Johann Jakob Fischer (1844–1925) eine Abgangsentschädigung
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von 1864 eine gewisse Kontrollfunktion über das Personalwesen der MissionsHandlungs-Gesellschaft ausüben sollte.355 Die besonderen Anstellungsbedingungen waren von Anfang an umstritten. Bereits vor der Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft wandte sich der Vater des ersten Missionskaufmanns Pfleiderer in dieser Sache an Missionsinspektor Josenhans. Er nannte dabei ein Argument gegen die Gleichstellung von Missionaren mit Missionskaufleuten, welches fünfzig Jahre später anlässlich der Diskussion der „Handlungsfrage“356 wieder auftauchen sollte: Abgesehen von den mannigfachen Gefahren, denen sein Sohn ausgesetzt sei, verwies er vor allem auf die mangelnde Sicherheit bezüglich der Zeit nach dem Dienst in der Missions-Handlung: „Sie schreiben zwar, es müsse alles im Glauben geschehen. Ob sein Glaube schon stark ist, kann ich nicht beurteilen. Der Herr wolle ihn vorbereiten, kräftigen, gründen! – Und nun, was ich gar nicht reimen kann: er soll in den persönlichen Verhältnissen denen eines Missionars gleichgestellt werden, das heisst soviel erhalten als er braucht. Denken Sie selber darüber nach, ob dieses recht und billig wäre. Ein Missionar wird vorher in Basel auf Rechnung des dortigen Komitees zu einem evangelischen Prediger herangebildet; er kann nach mehreren Jahren, wenn er das Klima nicht mehr vertragen kann, sonst sein Auskommen als evangelischer Prediger in Deutschland finden. Dagegen meinen Sohn habe ich auf meine Kosten die Kaufmannschaft erlernen lassen, seine bisherige Ausbildung ging auf Rechnung seines eigenen Geldes. Nun soll er ganz einem Missionar gleichgestellt werden, eine gute vorteilhafte Stellung verlassen und in ein heisses, ungesundes Klima wandern, das ihm nicht zuträglich sein kann, und vielleicht nach sechs bis acht Jahren mit einem siechen Körper zurückkehren. Seine etwa daselbst erworbenen kaufmännischen Kenntnisse würden ihm in Deutschland wenig nützen, sein eigenes Vermögen als Kaufmann ist gering – und nun, womit soll er sich und seine Familie ernähren?“357
Auch später hielt die Kritik an den in dieser Hinsicht gerade im Vergleich zu den Missionaren schwierigen Anstellungsbedingungen an. Als Ludwig Rottmann 1879 – inzwischen 47-jährig – für einen Urlaub nach Basel kam, ging es ihm wahrscheinlich genau darum, als er sich bei der Handlungskommission darüber beklagte, dass ihm keine angemessene (Alters-) Stellung in der Heimat angeboten worden sei. Es ging wohl um die Geschäftsführerstelle der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, die sein langjähriger Kollege (und Konkurrent) Pfleiderer erhalten hatte. Als Ersatz pochte er auf eine Agentenstelle in London oder Bremen. Die Handlungskommission ging nicht weiter auf diese Forderung ein. Einzelne Mitglieder – vor allem Heinrich Pfisterer – mokierten sich sogar über Rottmanns Erwartungshaltung, während Preiswerk immerhin ein gewisses Verständnis zeigte.358 Rottmann liess sich davon nicht entmutigen und schlug Kommissionspräsident Preiswerk im Sommer des selben Jahres vor, feste Gehälter für die Missionskaufleute einzuführen. (Was ihnen erlaubt hätte, selbst Vorsorge für ihr Alter zu treffen.) Diese rund 25 Jahre später nochmals diskutierte Forderung ging aber auch Preiswerk deutlich zu von 300 £ zu bewilligen. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. April 1874.) 355 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 5. 356 Siehe Kap. 4.1. 357 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 6 f. 358 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juli 1879.
2.6 Personal
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weit: Mit Hinweis auf die negativen Erfahrungen der Rheinischen Missions-Handlungs-Gesellschaft wies er diesen Vorschlag von vornherein ab.359 Die Handelsgesellschaft der Rheinischen Mission, sie sich ansonsten stark an der Basler MissionsHandlungs-Gesellschaft orientierte, unterschied sich in diesem Punkt tatsächlich vom Basler Vorbild: Ihre Kaufleute waren bezahlte Mitarbeiter.360 Diese Position mochte mit dazu geführt haben, dass die Rheinischen Missionskaufleute verglichen mit ihren Basler Kollgen von Beginn an einen schwereren Stand innerhalb ihres Missionsverbands hatten.361 Zum Status als Missionar gehörte umgekehrt auch die Verpflichtung auf die sittliche Ordnung der Basler Mission. Die Geschäftsordnung von 1864 forderte, an die Mitarbeiter der Missions-Handlungs-Gesellschaft „keine geringeren sittlichen und religiösen Forderungen [zu stellen] als die Missionsgesellschaft sie an alle ihre Arbeiter stellt.“362 Zu diesen religiösen Ansprüchen gehörte nicht nur eine fest verwurzelte christliche Gesinnung, sondern auch die Bereitschaft, sich den sittlich-religiösen Anordnungen der Mission zu unterstellen.363 Neben einem frommen Lebenswandel ging es dabei vor allem auch um das Sexualleben der Missionskaufleute, die von den „Versuchungen“ einer ausserehelichen Beziehung mit einheimischen Frauen zu „schützen“ seien. Hierzu galt der Grundsatz, dass ledige Handlungsbrüder nicht alleine stationiert werden sollten.364 Der afrikanische Pfarrer Carl Christian Reindorf erwähnt in seiner berühmten Geschichte der Goldküste, wie schwierig es gerade für die Missionskaufleute sei, sich in dieser Beziehung als Missionar zu erweisen. Ein besonders gutes Zeugnis stellt er dem ersten Missionskaufmann Rottmann aus. Rottmann habe viele Zeitgenossen mit seiner Einfachheit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit davon überzeugt, „[...] that he was indeed a missionary. We say convinced, because the general opinion on the Gold Coast is, that a merchant nolens volens becomes a wordling, a polygamist and lover of luxury.“365 Eine allfällige Heirat der Missionskaufleute unterstand – wie bei den Missionaren – der Zustimmung des Missionskomitees, das sich das Recht vorbehielt eine „Heiratserlaubnis“ zu erteilen oder zu verweigern.366 Zu Konflikten führte dies, wenn ein Missionskaufmann vor Ort eine Frau kennenlernte und sich damit der Kontrolle des Komitees entzog. So sorgte 1857 die Ehe zwischen Hermann Ludwig Rottmann und Regine Hesse, der in Afrika aufgewachsenen Tochter eines Europäers und einer Afrikanerin, für Missstimmung unter den Missionaren und der Missi359 360 361 362 363
Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 19. August 1879. Braun, Missionshandel (1992), 74; 91 f. Vgl. Braun, Missionshandel (1992), 75–90; 98–102. ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3. Zur Verbindung von „Zivilisierungsmission“ und Selbstdisziplinierung vgl. Osterhammel, Great Work (2005), 388. 364 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 4. Februar 1873 und 17. Januar 1878. 365 Reindorf, Carl Christian: The history of the Gold Coast and Asante, 1896 [Reprint 1966], 221. Zu Reindorf und seinem Verhältnis zur Basler Mission zwischen Beeinflussung und intellektuellen Eigensinn vgl. Hauser, Pastor and pioneer historian (2009). 366 Ausführlich zum missionarischen Heiratswesen und den „Missionsbräuten“ siehe Konrad, Missionsbräute (2001).
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onsleitung. Das Missionskomitee akzeptierte nach einigem Zögern Rottmanns Heiratswunsch, verlangte aber, dass er für sich und allfällige Kinder auf alle Ansprüche auf Unterstützung in der Heimat verzichte.367 Gemäss Giorgio Miescher, der die Spuren von Rottmanns frühen Jahren an der Goldküste untersucht hat, erwies sich diese Heirat im Nachhinein möglicherweise als grosser Vorteil für die MissionsHandlungs-Gesellschaft, konnte Rottmann doch von den Geschäftsverbindungen seiner afrikanischen Verwandtschaft profitieren.368 Einen ähnlichen Effekt könnte man auch den interkulturellen Ehen anderer Pioniere der „zivilisatorischen“ Arbeit der Basler Mission zuschreiben. Hier ist etwa an den Landwirt-Missionar Johannes Zimmermann in Afrika oder den Industriepionier Johannes Haller in Indien zu denken.369 Das Missionskomitee war aber durchaus gewillt, seine Autorität in dieser Sache gegebenenfalls auch tatsächlich zu beweisen, wie das Beispiel von Missionskaufmann Rudolf Spengler zeigt: Spengler verliebte sich Mitte der 1870er Jahre in die afrikanisch-europäische Tochter des eben erwähnten Missionars Zimmermann, die zuvor offenbar bereits eine andere aussereheliche Beziehung gepflegt hatte. Das Missionskomitee stellte sich gegen diese Ehe. Spengler dagegen beharrte auf seinem Wunsch. Der Handlungskommission, die vorläufig auf Spengler als Arbeitskraft angewiesen war, blieb nichts anderes übrig, als Spengler als Missionskaufmann aus dem Missionsverband zu entlassen und ihn (analog zu den einheimischem Angestellten) als Angestellten mit bescheidenem Lohn anzustellen.370 Spengler blieb noch drei Jahre bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft.371 Die Missionskaufleute setzten sich grossen gesundheitlichen Risiken aus. Abgesehen von der Anpassung an das ungewohnte Klima sahen sie sich mit Tropenkrankheiten wie Malaria und Gelbfieber konfrontiert. Während der 1860er und 1870er Jahre starb über ein Drittel der Missionskaufleute während ihres Aufenthalts an der Goldküste (acht von 21), die meisten wenige Monate nach ihrer Ankunft. Besser sieht die Bilanz für die Mitarbeiter in Indien aus: Hier lag die Mortalität bei weniger als einem Fünftel aller ausgesandten Mitarbeiter (drei von 17).372 Dazu gesellten sich sowohl in Afrika wie in Indien nicht tödlich verlaufende Tropenkrankheiten, von denen kaum ein Mitarbeiter verschont blieb. So heisst es etwa im Jahresbericht für 1865: „Alle unsre Brüder in Afrika hatten theils abwechselnd, theils sogar gleichzeitig mit Krankheiten zu kämpfen und wir mussten uns auch das verflossene Jahr daran gewöhnen, bei der
367 Miescher, Rottmann (1999), 351–353. Später kam das Missionskomitee allerdings auf ihren Beschluss zurück und gewährte Rottmann verschiedene Unterstützungsleistungen. (Miescher, Rottmann (1999), 359 f.; ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 26. April 1898.) 368 Miescher, Rottmann (1999), 353–356; vgl. auch Harding, Langes Jahrhundert (2009), 223. 369 Vgl. Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 193; 200 (Fussn. 55); zu Zimmermann vgl. auch Hauser, Pastor and pioneer historian (2009) 67. 370 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 12. April 1876; 15. Juni 1876; 19. August 1876. 371 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Mai 1879. 372 ABM/UTC 4721: Personalia I. Zu den Biographien (eines Teils) der verstorbenen Mitarbeiter vgl. den Anhang „In memoriam“ in Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 516–518.
2.6 Personal
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Vergleichung der afrikanischen Arbeitsfähigkeit mit derjenigen von Europa den Einflüssen des Klimas Rechnung zu tragen.“373
Die gesundheitlichen Gefahren Westafrikas waren in Europa durchaus bekannt. In der ursprünglich aus einem Reisebericht über Sierra Leone herrührenden Formulierung des „White Man’s Grave“ war sie zum stehenden Begriff geworden.374 Die unsicheren Kenntnisse über die Verbreitung von (Tropen-) Krankheiten verliehen dem Aufenthalt in Übersee eine zusätzliche, unheimliche Komponente. Bis Robert Koch 1876 den Nachweis erbrachte, dass Bakterien zum Ausbruch verschiedener Krankheiten führten, gab es konkurrierende Modelle, die Übertragung von Krankheiten zu erklären: Neben den bakteriologischen Theorien waren bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus miasmatische Vorstellungen anerkannt. Diese gingen davon aus, dass sich Krankheiten über übel riechende, aus Sümpfen aufsteigende Gerüche verbreiteten.375 Folgendes Beispiel aus der landeskundlichen Beschreibung der britischen Kolonien von Robert Gordon Latham von 1851 widerspiegelt die diffusen Ängste, die auch manchen Missionskaufmann auf seinem Weg nach Afrika begleitet haben dürften. In einem Abschnitt über die Goldküste heisst es dort: „If this [der Harmattan, ein trockener Nordostpassat] is not blowing, the atmosphere is loaded with moisture; and this is, combined with the effluvia engendered by the decay of an over luxuriant vegetation, which makes Western Africa the white man’s grave.“376
Immerhin prüfte die Handlungskommission potentielle Missionskaufleute auf ihren Gesundheitszustand und wies zu schwach erscheinende Kandidaten regelmässig ab.377 Ein Fall ist bekannt, bei dem das Missionskomitee die Ausreise von zwei Missionskaufleuten nach Indien mit Hinweis auf die heisse Jahreszeit um einige Monate hinausschob.378 Ansonsten war wenig vom Schutz der Mitarbeiter die Rede. Gesundheitliche Gefahren gehörten in der Frühzeit der Missions-HandlungsGesellschaft zu den selbstverständlichen Berufsrisiken des Missionskaufmanns. Die besonderen Anstellungsverhältnisse und die (den Missionskaufleuten wohl durchaus bekannten)379 gesundheitlichen Gefahren wirken eher abschreckend. Was bewog die Missionskaufleute dazu, trotzdem in die MissionsHandlungsGesellschaft einzutreten? Wie bei den Mitgliedern der Handlungskommission bietet es sich an, nach so genannt „weichen“ Faktoren zu suchen. Solche Motive können wiederum ebenso gut eigennütziger wie auch rein altruistischer Natur sein. Thorsten Altena nennt in seiner ausführlichen Untersuchung der Motivationsstruktur deutscher Missionare zwischen 1884 und 1918 als mögliche eigennützige, sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motivierte „intraindividuell-profane Motivationen“ 373 374 375 376
Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1865, [2]. Rankin, F. Harrison: The White Man’s Grave. A Visit to Sierra Leone in 1834, London 1836. Vgl. Curtis, Dirt (2007), 662. Latham, R[obert] G[ordon]: The Ethnology of the British Colonies and Dependencies, London 1851, 44. 377 Vgl. z. Bsp. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. Januar 1878. 378 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 7. März 1873. 379 Vgl. ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 21. April 1871, wo von Geografiekenntnissen als Voraussetzung für die Berufung zum Missionskaufmann die Rede ist.
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den (mit den gesundheitlichen Risiken zusammenhängenden) Status als potentieller Märtyrer, Wissensdurst, Neugier und die soziale Sicherheit im Missionssystem.380 Die ersten Punkte werden auch für die Missionskaufleute gegolten haben; der letzte Punkt, wie ausgeführt, wohl nur unter Vorbehalten. Oft wird auch die Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg, beziehungsweise die Chance auf persönliche Entfaltung vor dem Hintergrund der prestigeträchtigen Mission als möglicher Antrieb der Missionare genannt.381 Dies ist sicherlich auch für die Missionskaufleute von Bedeutung, die in Afrika oder Indien bereits als junge Männer umfassende geschäftliche Verantwortung übernehmen konnten. Allerdings hatten die Missionskaufleute als ausgebildete Kaufleute auch ausserhalb der Mission zumindest eine Chance auf soziale Mobilität.382 Die „intraindividuell-profanen Motivationen“ mögen die Beweggründe der Missionskaufleute ein Stück weit erklären. Mehr noch als bei den Mitgliedern der Handlungskommission (man denke nochmals an die gesundheitlichen Risiken) sind im Falle der Missionskaufleute auch altruistisch verstandener religiöser Eifer und philanthropischer Idealismus als intrinsische Motivation ernst zu nehmen. Ein weiteres Mal dient uns hier Ernst Preiswerk als Zeuge: In einem Brief, den er vor seiner Zeit als Missionskaufmann aus Marseille an seinen Vater schrieb, hielt er fest: „[...] dass es mir darum zu thun ist, meine ganze Zeit und Kraft so anzuwenden, dass das Reich Gottes und sein Kommen möglichst viel dabei gewinnt. Als Kaufmann bleibt mir nur meine Freizeit übrig [...] Hingegen wünsche ich, dass meine Arbeit irgend einem Reich-Gottes Zweck zu Gute komme. [...] Abgesehen davon, dass ich gerne arbeite, wo es mir am nöthigsten scheint, habe ich noch eine besondere Neigung dazu, den Menschen das Evangelium zu bringen, die es nicht kennen. Was nun meine Begabung anbelangt, so weiss ich, dass ich sehr wenig Gaben zum Missionsberuf habe, und da ich nun einmal Kaufmann bin und es sich hier um eine Lebensentscheidung handelt, so wünsche ich doch, ehe ich den entscheidenden Schritt thue, noch etwas Genaues über die Missionshandlung zu hören.“383
Aus diesem Zitat wird einerseits die offensichtlich religiöse Motivation Preiswerks deutlich; andererseits wird darauf verwiesen, dass die Missions-Handlung für Preiswerk letztlich nur zweite Wahl war. Sie kam nur deshalb in Betracht, weil ihm die „Gaben zum Missionsberuf“ fehlten. Es konnte aber wie im Falle Rottmanns auch so sein, dass ein junger Mann, der sich aus religiöser Überzeugung bei der Mission meldete, gerade wegen seines kaufmännischen Vorwissens gefragt war und deshalb statt zum Missionar zum Missionskaufmann „gemacht“ wurde, was für Rottmann (wenigstens im Rückblick) eine Ideallösung darstellte: so fand er „Verwendung im Missionsdienst ohne Aufgabe seines kaufmännischen Berufs“.384 Nochmals anders lag der Fall des ersten Missionskaufmanns in Indien, Gottlob Pfleiderer, der von der Basler Mission direkt angefragt worden war, als Kaufmann 380 Altena, Häuflein (2003), 279–295. 381 Vgl. Miller, Religious Zeal (1994), 50–54; Schweizer, Mission (2002), 39 f. 382 Vgl. König et.al., Die Angestellten (1985), 458. 383 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 20 (Brief aus Marseille an seine Eltern, 31. Mai 1876). 384 Zur Erinnerung an Hermann Ludwig Rottmann, weiland Missionar der Basler Missionsgesellschaft, Basel 1899, 5.
2.6 Personal
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für die Mission zu arbeiten. Der wenig schwärmerisch veranlagte Pfleiderer – „Wie als Geschäftsmann war er auch als Christ solid und reell“385 – überlegte sich die Sache gut.386 Von einer religiösen Berufung ist später nur noch am Rande die Rede: „Die Sache war mir nicht ganz neu, da mir schon während meines Aufenthalts in Leonberg zu Ohren kam, dass das Missionskomitee jemand für solche Zwecke suchte, und ich damals schon daran dachte, ob vielleicht der Herr mich noch zu so etwas brauchen könnte.“387
Im Einzelfall lässt sich die Motivationsstruktur der Missionskaufleute nur schwer aufschlüsseln. Äussere Beeinflussung und eigennützige, religiöse und altruistische innere Motive überschnitten sich auf einer persönlichen Ebene so stark, dass eine Trennung nur schwer zu konstruieren und wegen der damit verbundenen überhöhten moralischen Ansprüche an die historischen Personen wenig sinnvoll wäre. Immerhin kann man bis heute den Mut und die Bereitschaft, sich in einem solchen Umfang für ideelle oder religiöse Ziele einzusetzen, bewundern. Skeptischer äusserte sich in dieser Hinsicht die damalige Unternehmensführung in Basel. So hiess es im Jahresbericht für 1878 über abgewiesene Bewerber: „[...] es ist aber nicht die Liebe zum HErrn, die in Seinem Dienst auch Ungemach und Opfer zu erdulden willig wäre, die sie zur Meldung treibt, sondern [...] Wanderlust. Solche Leute taugen nicht in unsere Kreise [...].“388 Die strengen sittlich-religiösen Anforderungen zielten aus Sicht der Mission und der Unternehmensleitung denn auch darauf, nur wirklich religiös motivierte Bewerber zu Missionskaufleuten zu machen. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft konnte mit ihrer gemeinnützig-religiösen Ausrichtung unter Umständen auch einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt ausspielen, indem sie gezielt religiös motivierte Mitarbeiter rekrutieren konnte, die zu (finanziell) günstigen Bedingungen für die MissionsHandlung arbeiteten. Das doppelte religiöse und professionelle Anforderungsprofil bedeutete aber gleichzeitig auch eine stark eingeschränkte Auswahl. Die zahlreichen Abweisungen von Bewerbern (bei gleichzeitigem Personalmangel) verweisen darauf, wie schwierig es war, Kandidaten zu finden, die dem doppelten Anspruch genügten.389 Diese doppelten Anforderungen verbunden mit den finanziell unattraktiven Anstellungsbedingungen und den vielen Todesfällen führten zu einem chronischen Personalmangel. Die desolate Situation im Personalbereich beschäftigte die Handlungskommission immer wieder. Zum Beispiel im April 1871:
385 Zur Erinnerung an Gottlob Fr. Pfleiderer, Geschäftsführer der Missionshandlungsgesellschaft in Basel, Basel 1898, 5. 386 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 5. 387 Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 5. 388 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1878, 9; vgl. auch ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. Januar 1867, wo auf die Notwendigkeit eines aktiven persönlichen Glaubensentschluss als Grundlage der Berufung zum Missionskaufmann hingewiesen wird. 389 Vgl. dazu ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission. Die Behandlung von Bewerbungen nahm in den Sitzungen regelmässig viel Raum ein.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) „[Der] Präsident lenkt die Berathung auf die Verhältnisse in Christiansborg und die durch dieselben gebotene Aussendung neuer Kräfte. Die Arbeiter in Christiansborg seien so zusammengeschmolzen, dass man nothwendig an neue Aussendungen denken müsse, da das Geschäft darunter leide. Da Br. Rottmann in Ada stehe [...] so bleiben für Christiansborg nur die Brüder Binder, der flechtenkrank und öfter arbeitsunfähig ist, Fischer, der gleichfalls nicht stark ist, und Br. Marchand als Spediteur, der aber seine Entlassung bei der Kommittee eingereicht hat. Da in Christiansborg mindestens drei ganze Kräfte erforderlich seien, so müsse Verstärkung gesendet werden.“390
In der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass eigentlich nur zwei Kandidaten für eine Aussendung überhaupt in Frage kamen. Der eine schien weder in religiöser noch fachlicher Hinsicht genügend qualifiziert, während der andere, Paul Simonet, „das ungetheilte Vertrauen aller Lehrer und Brüder besitze, ein tiefes Christenthum und regen Missionssinn bekunde, offen und ernst sei und hinreichende Kenntnisse habe.“ Er war allerdings zu jenem Zeitpunkt erst 18 Jahre alt. Schliesslich entschloss sich die Kommission, ihn trotz seines jugendlichen Alters auszusenden.391 Die Anstellung Simonets bedeutete aber – um seiner Biographie noch ein Stück weit zu folgen – nur eine kurzfristige Lösung. Bereits zwei Jahre nach seiner ersten Aussendung gelangte Simonet, dessen der Mission zugetane Gesinnung in Basel ja ausdrücklich gelobt worden war, mit der Bitte an das Komitee, man möge ihm gestatten, den Kaufmannsberuf abzulegen und ein predigender Missionar zu werden.392 Die Handlungskommission attestierte Simonet darauf, dass er „[...] mehr für die directe Missionsarbeit eingenommen & begabt [sei], als für den Kaufmannsberuf“ und man ihn „auch nicht hindern [wolle], sobald die Umstände es erlauben, in den directen Missionsdienst überzutreten“; allerdings könne ihm „sein sofortiger Austritt wegen des Arbeitermangels nicht gestattet werden, auch erscheint es für ihn selbst von Werth, dass er sich zuvor neben seiner kaufmännischen Arbeit in der directen Missionsarbeit als brauchbar u. treu bewähre, ehe ihm der Übertritt in die letztere gestattet wird.“393
Simonet war nicht bereit, auf dieses vage Angebot einzugehen und trat 1874 aus der Missions-Handlungs-Gesellschaft aus.394 Angesichts solcher Situationen sah sich die Missions-Handlung schon früh dazu genötigt, gezielt Personal anzuwerben. Dabei stützte sie sich auf das bestehende Netzwerk der Basler Mission, indem man etwa im Herbst 1865 den Geschäftsführer Braun damit beauftragte, „[...] die uns nahe stehenden kaufm. Freunde in der Heimat um Unterstützung im Geschäft der Ausfindigmachung für Afrika zu sendenden Leute zu bitten [...].“395 Zum selben Zweck fanden sich später auch regelmässig Aufrufe in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft396 390 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 21. April 1871; vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Mai 1879. 391 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 21. April 1871; vgl. ABM/UTC 4721: Personalia I, 17. 392 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Juli 1873. 393 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Juli 1873. 394 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 17. April 1874. 395 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Oktober 1865. 396 Vgl. etwa die Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1871, 9; 1874, 8.
2.6 Personal
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und Inserate in der breit gestreuten Missionszeitschrift „Der evangelische Heidenbote“, worin die Handlungskommission „alle jungen christlichen Kaufleute“ dazu aufforderte, „es vor dem Herrn sich zu überlegen, ob sie nicht ihre Gaben und Kräfte diesem Zweig der Missionsarbeit zu widmen berufen sind.“397 Auch im Missionshaus selbst wurde während der 1860er Jahre angeworben. So übernahm die MissionsHandlung im Frühling 1863 die beiden Missionskaufleute Robert Klaus und Karl Schönfeld aus dem Kreis der Missionsschüler in Basel. Von den Betroffenen wurde dies als ein schweres Los aufgenommen, da sie befürchteten, so ihrer religiösen Berufung nur unzulänglich gerecht werden zu können.398 Das Missionskomitee nahm dies zur Kenntnis und bemerkte 1863 zu Handen der Handlungskommission: „Die Brr. Schönfeld & Klaus haben sich zwar herbeigelassen, der Mission als Kaufleute zu dienen, wären aber lieber im Haus geblieben, um einst als ordinierte Missionare auszugehen. Für einmal aus Noth habe sich die Com. dazu verstanden, diesen zuzureden, aber in selber Weise fortzufahren, sei nicht zulässig.“399
Sehr schnell zeigte sich, dass die (systematische) Indienstnahme religiös motivierter Mitarbeiter zu einem problematischen Widerspruch auf persönlicher Ebene führen konnte: die tatsächliche Tätigkeit der Gesellschaft mit ihrem Nebeneinander gemeinnütziger und gewinnorientierter Tätigkeiten korrelierte nur teilweise mit der primär religiösen Motivation der Missionskaufleute. Als erster Kritiker in dieser Sache meldete sich noch im Jahr der Gründung Ludwig Rottmann von der Goldküste. Als er im Sommer 1859 von der Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer Aktiengesellschaft erfuhr, sah er seine bisherige Arbeit und Position in Gefahr: „Er sei vor 5 Jahren in den Dienst der Basler Miss. Gesell. getreten, zwar als Laienbruder, aber doch mit der Absicht, so weit es die Zeit erlaube, bei der eigentlichen Missionsarbeit mithelfen zu dürfen. Nun aber scheine diese Stellung alteriert zu werden, was ihm nicht genehm wäre. Er wünsche im Gegentheil, im Dienst der Basler Mission zu verbleiben & seinen inneren Missionsberuf zu wahren. Dazu gehöre auch, dass er an einem Geschäft zu arbeiten habe, deren ganzer und voller Nutzen unverkürzt der Mission zufalle, was bei der Handlungs Commission, welche mit vorgeschossenen Capitalien agiere, nicht der Fall seyn könne.“400
Ausgehend von seinem Selbstverständnis als (Laien-)Missionar verwahrte sich Rottmann gegen die Vermischung gemeinnütziger und gewinnorientierter Ziele. Das Missionskomitee glaubte aber, über Rottmanns Bedenken hinweg gehen zu können und beschloss: „Rottmann ist über seine Stellung in einem freundlichen Brief aufzuklären, mit der Weisung auf s. Posten zu bleiben [...]. Das Entlassungsgesuch, weil im jetzigen Moment unmöglich, kann nicht angenommen werden, im Gegentheil soll Rottmann als Arbeiter der Basler Miss.
397 Aufforderung an junge christliche Kaufleute, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 5, Mai 1871, 64. 398 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 9. August 1863; vgl. auch ABM Q-1: Komiteesitzung vom 3. September 1863. 399 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 31. August 1863. 400 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. November 1859.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879) Gesellschaft den Beschlüssen der Verwaltungs & der HandlungsCommission Folge zu leisten sich angelegen sein lassen.“401
Später wiederholte Rottmann seine Kritik an den Aktionärsgewinnen noch zweimal.402 Der Konflikt zwischen Rottmann und der Leitung in Basel weist auf ein grundlegendes Problem der Missions-Handlung hin: den Gegensatz zwischen dem finanziell zwar riskanten aber durchaus auch gewinnbringenden Engagement der Aktionäre und dem in hohem Masse moralisch-religiös motivierten und gleichzeitig lebensgefährlichen Einsatz der Missionskaufleute in Übersee. Dem persönlichen Wunsch, sich möglichst stark an der Missionsarbeit zu beteiligen und damit direkt gemeinnützig tätig zu sein, standen die durch das Nebeneinander verschiedener Unternehmensziele gegebenen Zwänge gegenüber, sich mindestens ebenso sehr gewinnorientiert beziehungsweise delegiert gemeinnützig zu betätigen. Missionskaufleute, die sich bei der MissionsHandlung meldeten, weil sie glaubten, sich dort in religiöser Weise betätigen zu können, wurden enttäuscht, wenn sich vor Ort ergab, dass die tägliche Arbeit mindestens ebenso sehr aus gewinnorientierter beziehungsweise der abstrakteren delegiert gemeinnützigen Tätigkeit bestand. Missionskaufmann Ernst Preiswerk erwähnte diese Enttäuschung bereits in einem seiner ersten Briefe nach Hause: „Gar viele Fragen erscheinen hier in anderem Lichte, und ich habe verstehen zu lernen, dass es schwer hält, neben dem Geschäft noch viel direkt zu missionieren.“403 In einem späteren Brief brachte er sein Dilemma noch bildhafter auf den Punkt, wenn er von seinen Bemühungen erzählt, sich „vom „Oelgeist“ nicht zu sehr einnehmen zu lassen, sondern unseren höheren Beruf im Auge zu behalten.“ Dieser Aufgabe gerecht zu werden fiel ihm allerdings nicht leicht, denn: „Es ist freilich schwer, Kaufmann und Missionar zugleich zu sein.“404 Ein anderer Hinweis auf diese latente Unzufriedenheit sind die Bitten von Missionskaufleuten, in den direkten Missionsdienst übertreten zu dürfen.405 Offenbar fühlten sich die Missionskaufleute der Anfangszeit in vielen Belangen mehr als Missionare denn als Kaufleute. Dies hing wohl nicht zuletzt mit den gleichen Anstellungsbedingungen für Missionare und Missionskaufleute zusammen, die letzteren die gleiche Opferbereitschaft abverlangten und sie wenigstens ideell auf die selbe Ebene mit den Missionaren stellte. Die Verbindung von pietistischem Hintergrund und Kaufmannsberuf (die zumindest Pfleiderer und Rottmann durchaus gelegen kam) hatte auch auf einer weltanschaulichen Ebene etwas Widersprüchliches: Während wirtschaftliche Aktivität durch den Pietismus zwar nicht grundsätzlich abgelehnt wurde, dürfte der stark mit dem Liberalismus und modernen Entwicklungen zusammenhängende moderne Welthandel von manchen frommen Kreisen eher skeptisch betrachtet worden
401 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. November 1859. 402 ABM/UTC 4748: Sitzungen der Handlungskommission vom 5. April 1867 und 7. Mai 1875. 403 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 41 (Brief aus Ada an seine Eltern, 5. Juli 1877). 404 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 73 (Brief aus Ada an seine Eltern, 7. Juli 1879). 405 Vgl. etwa ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Juni 1873.
2.6 Personal
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sein.406 Anders als die pietistischen Missionare, die mit Ihrem Gang nach Übersee hoffen konnten, dort zur Schaffung einer „idyllisch-missionarischen Provinz“ im Sinne ihres eher konservativen Weltbilds beizutragen,407 mussten sich die Missionskaufleute damit arrangieren, zwar zur Mission zu gehören, gleichzeitig aber Teil einer anderen, moderneren Welt zu sein. Einheimische Mitarbeiter in Afrika und Indien Zu den Missionskaufleuten in Afrika und Indien gesellten sich lokale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Einheimische „Hilfskräfte“ spielten eine wichtige Rolle für den Betrieb der Missionsfaktoreien in Indien und Afrika. Ernst Preiswerk erwähnte in seinen Briefen Einheimische, die sich als Kommisse, Küfer, Bootsleute und gewöhnliche Arbeiter bei der Mission verdingten.408 Johannes Müller berichtete aus der Missions-Handlung in Mercara von einem einheimischen „Ladendiener“.409 Die verantwortungsvollsten Posten übernahmen die einheimischen Leiter der Zweigfilialen.410 Ende der 1870er Jahre arbeiteten insgesamt schätzungsweise rund zweihundert einheimische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Indien und Afrika.411 Zumindest ein Teil davon dürfte allerdings in einem nur lockeren Verhältnis zur Missions-Handlung gestanden haben. So die oben erwähnten „Krooboys“, die als selbständige Wanderarbeiter organisiert waren.412 Über Art und Umfang der Bezahlung der einheimischen Angestellten ist für die erste Phase der Unternehmensgeschichte wenig bekannt. Da nie von einem Mangel an einheimischem Personal oder Problemen mit der Rekrutierung neuer Arbeiter die Rede ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Missions-Handlung im Minimum ein durchschnittlich attraktiver Arbeitgeber war. In Indien dürfte eine Anstellung in einem der Missionsläden für konvertierte Inder auch eine Möglichkeit gewesen sein, sich nach dem Verlust der angestammten Kaste wieder ökonomische Sicherheit zu verschaffen.413 Von einer Altersvorsorge oder der Versicherung gegen Invalidität, wie sie für die Missionskaufleute in Form des Kinder und Inva-
406 Zur kritischen Beurteilung des Liberalismus durch pietistische Kreise vgl. Lehmann, Weltsichten (1998), 92 f. 407 Altena, Häuflein (2003), 271–279. 408 Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 92 (Brief aus Akropong an seine Eltern, 25. April 1881). 409 Müller, Johannes: Der Missionsladen in Merkara, in: Der evangelische Heidenbote, Nr. 1, Januar 1869, 11. 410 Vgl. etwa Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 122. 411 Diese Schätzung beruht auf der Annahme, dass das für die Zeit nach 1898 belegte Verhältnis zwischen den einheimischen und europäischen Mitarbeitern in den Handlungen in Übersee von circa 10:1 (Siehe Kap. 4.4.) auch für die frühere Zeit zutrifft. 412 Vgl. Preiswerk, Ernst: Briefe eines Missionskaufmanns, Basel 1882, 46 (Brief aus Ada an seine Eltern, 8. August 1877). 413 Zur Rolle der Missions-Handlungs-Gesellschaft als Arbeitsbeschaffer für konvertierte Inder siehe Kap. 3.1; 3.3.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
lidenfonds bestand, ist im Zusammenhang mit den einheimischen Mitarbeitern keine Rede. Für mache einheimische Angestellte mag die Missions-Handlungs-Gesellschaft als Sprungbrett für eine Karriere als Kaufmann gedient haben. Nicht zuletzt mochte eine Anstellung bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft auch eine Karriere innerhalb der Missionskirche ermöglicht haben. So erzählte Wilhelm Duisberg später das Beispiel des Afrikaners Carl Quist, der nach einem Verstoss gegen die Sittenvorschriften (wahrscheinlich einer ausserehelichen Beziehung) aus dem Predigerseminar entlassen worden war. Reuig geworden wurde Quist „in der Missionshandlung ein untergeordneter Dienst als Hilfsarbeiter“ angeboten.414 Dort bewährte er sich und machte Karriere, was ihm schliesslich den Weg zurück in den Kirchendienst ebnete: „Nachdem er sich so erprobt und bewiesen hatte, dass seine Busse eine durchgreifende echte war, lag es nahe, dass, als man für die damals neu gegründete Handelsstation Anum, die besonders dem Einkauf von Baumwolle diente, einen zuverlässigen Gehilfen verlangte, man keinen besseren als den jungen Quist zu schicken wusste. Und wie treu hat er sich in dieser Stellung bewährt! Als man ihm nach Verlauf von drei Jahren nahelegen konnte, dass man ihn wieder gerne ins Predigerseminar zurücknehmen würde, wie glänzte sein Auge und mit welchem Dank gegen Gott und die Missionare trat er in seine frühere Laufbahn zurück.“415
Offen bleibt die Frage, inwieweit sich einheimische Mitarbeiter der MissionsHandlungs-Gesellschaft aus religiösen oder gemeinnützigen Idealen heraus für eine Mitarbeit bei der Handlungs-Gesellschaft entschieden. Zu denken wäre hier etwa an ehemalige Missionsschüler, die eine Stelle bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft antraten.416 2.7 GEWINNVERTEILUNG Von 1859 bis 1879 entwickelte sich der jährliche Reingewinn von Werten von knapp 50 000 Franken auf schwankende Werte um 100 000 Franken. Mindestens zwei Drittel davon erwirtschafteten die Geschäfte in Afrika, während der Umsatz der Handlungen in Indien schon bald zu stagnieren begann.417 Das Erwirtschaften einer Rendite für die Aktionäre bildete die gewinnorientierte Komponente innerhalb der Unternehmensziele der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Nach den Statuten stand den Aktionären eine Mindestdividende von sechs Prozent (ab 1869: fünf Prozent) auf ihr Aktienkapital zu.418 Der Rest des Reingewinns kam je zur Hälfte den Aktionären und der Basler Mission zu. 1869 änderte sich dieser Modus: Vor der Teilung des 414 Duisberg, Wilhelm: Licht aus Afrika, Basel 1911, 7. 415 Duisberg, Wilhelm: Licht aus Afrika, Basel 1911, 8. 416 Ein Beispiel dafür wäre wiederum Carl Quist. (Vgl. Duisberg, Wilhelm: Licht aus Afrika, 1911, 5.) 417 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 418 Die Garantie einer Mindestdividende war im 19. Jahrhundert z. Bsp. im Zusammenhang mit staatlich geförderten Eisenbahnprojekten nicht unüblich. (Vgl. Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 42; 56.)
2.7 Gewinnverteilung
103
restlichen Gewinnbetrags wurden zehn bis dreissig Prozent zur Bildung einer Reserve abgezogen.419 Die Aktionäre der Missions-Handlungs-Gesellschaft erzielten so zwischen 1860 und 1869 durchschnittliche Jahresrenditen um rund zwölf Prozent auf den nominellen Wert ihrer Aktien. Nach der Statutenreform von 1869 verringerte sich die durchschnittlich Rendite – auch auf Grund des insgesamt etwas weniger erfolgreichen Geschäftsgangs – auf durchschnittlich knapp sieben Prozent von 1869 bis 1879. Im Durchschnitt über die ganzen zwanzig Jahre betrug die jährliche Rendite etwas mehr als zehn Prozent.420 Offen ist, ob ein Teil dieser Renditen von den Aktionären wiederum für gemeinnützige Zwecke – etwa die Unterstützung der Basler Mission – eingesetzt wurde. Angesichts der engen Beziehungen zwischen den Aktionären und der Trägerschaft der Mission scheint dies durchaus möglich. Preiswerk meinte jedenfalls in einem Memorandum von 1880 rückblickend, dass das Aktienkapital „zum grössten Theil in Händen von Freunden sich befindet, welche die Dividenden ganz oder theilweise, sofort oder gelegentlich, direkt oder indirekt wieder der Mission zufliessen lassen.“421 Eine weitere Möglichkeit gewinnorientierter Aktivität liegt in der Realisierung eines gesteigerten Shareholder Value. Wie verhielt es sich damit in Bezug auf die Missions-Handlungs-Gesellschaft? Die Aktien der Missions-Handlung waren übertragbar,422 womit ein gewinnbringender Handel mit den Aktien grundsätzlich möglich gewesen wäre. Allerdings zeigt ein Blick in die Aktienregister, dass die Aktionäre kaum Gebrauch davon machten. Übertragungen erfolgten hauptsächlich im Zusammenhang mit Erbschaften.423 Möglicherweise kam es dann auch zu einer Schätzung des Werts der Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft und damit zur Realisation eines Wertgewinns. Eine weitergehende Verwertung des Wertgewinns fand aber nicht statt. Die Definition des Unternehmenszwecks in der Geschäftsordnung von 1864 endete mit der Formulierung, die Missions-Handlungs-Gesellschaft habe den Zweck, „die Mission bis zu einem gewissen Grad selbständig zu machen.“424 Dahinter steckte der in den Statuten von 1859 und 1869 institutionalisierte delegiert gemeinnützige Gewinnanteil der Basler Mission (Die Hälfte des nach Ausbezahlens der garantierten Dividende und der Verbuchung einer Reserve verbliebenen
419 Vgl. dazu ABM/UTC 4936: Statut der Missionshandlungsgesellschaft vom Mai 1859, Art. 9 und 10; ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft [1869], § 12. 420 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Das dürfte auch im Vergleich zu anderen Aktiengesellschaften eine attraktive Rendite dargestellt haben. (Vgl. Goetzmann et al, Long-term global market (2001), 34, Table 2, wo für den Zeitraum 1872 bis 1889 eine durchschnittliche Gesamtaktienrenditen (inkl. Wertgewinn!) von 5.3 % (Grossbritannien), 7 % (USA), 7,1 % (Frankreich) und 6,9 % (Deutschland) angegeben ist. In diesem Vergleich steht die reine Dividendenrendite der Missions-Handlungs-Gesellschaft von über 10 % jedenfalls gut da.) 421 ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 2. 422 ABM/UTC 4936: Statuten für die Missions-Handlungs-Gesellschaft, April 1869, § 4. 423 Vgl. ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1859– 1869 und ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. 424 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 2.
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
Gewinns).425 Diese an keine weiteren Bedingungen geknüpften delegiert gemeinnützigen Zahlungen betrugen in der Zeit zwischen 1859 und 1879 zwischen null und gut 30 000 Franken pro Jahr; im Durchschnitt beliefen sie sich auf jährlich knapp 11 000 Franken. Trotz insgesamt höherer Gewinne stagnierten die Beiträge an die Mission nach 1869.426 Der Grund dafür lag im Aufbau einer Reserve und den mit der Erhöhung des Aktienkapitals absolut gesehen höher gewordenen Ausschüttungen an die Aktionäre.427 Mit den Beiträgen der Missions-Handlung konnte die Basler Mission während der 1860er- und 1870er Jahre im Schnitt weniger als zwei Prozent ihrer jährlichen Unkosten im Umfang von 650 000 bis 900 000 Franken decken.428 Das Ziel, die Mission „bis zu einem gewissen Grad finanziell selbständig zu machen“429 wurde weit verfehlt. Die Basler Mission blieb auf umfangreiche Spenden ihrer privaten Gönner angewiesen.430
Diagramm 3: Dividenden und delegiert gemeinnützige Zahlungen 1863–1879
425 ABM/UTC 4936: Statut der Missionshandlungsgesellschaft vom Mai 1859, Art. 10 und ABM/ UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft [1869], § 12. 426 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. (Der Durchschnittswert der Zahlungen an die Mission zwischen 1860 und 1869 (circa 13 000 Franken) lag sogar leicht über dem Durchschnittswert des zweiten Jahrzehnts (knapp 10 000 Franken).) 427 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft [1869], §§ 4 und 12. 428 Schlatter, Geschichte (1916), I, 220. 429 ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 2. 430 Vgl. Schlatter, Geschichte (1916), I, 220. Erfolgreicher war vorerst die ebenfalls in den 1850er Jahren nach dem Vorbild der britischen Christian Mission Society entstandene Halbbatzenkollekte, die sich zum Ziel setzte, von möglichst vielen (auch weniger vermögenden) Gönnern, wöchentlich fünf Rappen für die Basler Mission zu sammeln. Schon zu Beginn kamen so jährliche Beiträge von circa 70 000 Franken zusammen. Bis zum 1. Weltkrieg entwickelten sich diese Beiträge auf jährlich rund eine halbe Million Franken. (Vgl. ausführlich Tschudi-Barbatti, Halbatzen-Kollekte (1991) sowie Schlatter, Basler Mission (1916), I, 223 f.; Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 43 f.; Miller, Religious zeal (1994), 39.)
2.8 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
105
Das Verhältnis zwischen delegiert gemeinnützigen und gewinnorientierten Ausschüttungen betrug zwischen 1859 und 1879 im Durchschnitt 1:3 zu Gunsten der gewinnorientierten Ausschüttungen (1859 bis 1869: 1:2; 1870–1879 (nach Erhöhung des Aktienkapitals): 1:4).431 Die Gewinnausschüttungen an die Aktionäre wurden, wie erwähnt, vor allem durch Rottmann, den Pionier der Missions-Handlung in Afrika, kritisiert.432 Keine Rolle spielte für ihn die Überlegung, dass die Aktionäre mit ihrem Engagement auch die Risiken der Handelsgeschäfte übernahmen, was schliesslich ein wichtiges Argument für die Gründung der Aktiengesellschaft gewesen war. Weder das Missionskomitee noch die Handlungskommission gingen zu diesem Zeitpunkt auf Rottmanns Bedenken ein. 1867 wiederholte Rottmann seine Kritik. Nun zeigte sich die Handlungskommission etwas verständnisvoller, vertröstete Rottmann aber auf das Jahr 1869, in dem die Gesellschaftsdauer ablaufen würde und neue Statuten gemacht werden könnten.433 Die Statuten von 1869 behoben indes das von Rottmann beanstandete Missverhältnis nicht. Im Gegenteil: mit der Erhöhung des Aktienkapitals floss anteilsmässig mehr Geld an die Aktionäre. Eine gewisse Korrektur brachte dagegen – je nach Sichtweise – das wachsende Engagement der Basler Mission als Aktionärin der Handlungs-Gesellschaft. Bis 1880 baute die Mission ihren Aktienanteil auf knapp vierzig Prozent des gesamten Aktienstocks aus.434 Damit veränderte sich auch das Verhältnis zwischen den Geldflüssen an die Aktionäre und den Zahlungen an die Mission. Die Mission – ihre Dividenden und die delegiert gemeinnützigen Zahlungen zusammengenommen – erhielt so Ende der 1870er Jahre jeweils gut die Hälfte des jährlich ausgeschütteten Gewinns,435 was letztlich aber nur wenig am von Rottmann kritisierten Missverhältnis von gemeinnützigem und gewinnorientiertem Engagement änderte, da die Basler Mission in ihrer Rolle als Investor ja lediglich ihr Vermögen gewinnbringend anlegte, was sie natürlich auch andernorts hätte tun können. 2.8 ZUSAMMENFASSUNG, ZUSAMMENHÄNGE UND ENTWICKLUNGEN In der ersten Phase der Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft dominierten die gewinnorientierten vor den gemeinnützigen Aktivitäten; der jährliche Aktionärsertrag von durchschnittlich zehn Prozent spricht für sich.436 Daneben nahmen 431 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Für einen Überblick über das Verhältnis zwischen Dividenden und delegiert gemeinnützigen Zahlungen während des gesamten Untersuchungszeitraums siehe Diagramm 9 im Anhang. 432 Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. November 1859. 433 ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 5. April 1867. 434 ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 2. Vgl. auch ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1870 bis 1928. 435 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 436 Zum selben Urteil kamen die Basler Steuer-Behörden: Während diese bei der Gründung 1859 noch darüber nachgedacht hatten, die Missions-Handlungs-Gesellschaft als wohltätige Institution zu behandeln, lehnten sie 1879 einen Antrag auf Steuerbefreiung mit Verweis auf die Profite der Aktionäre ab. (Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 41; 60–62.)
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2. Von der Gründung zur Statutenreform (1859–1879)
gemeinnützige Ziele und Tätigkeiten dennoch von Anfang an ihren Platz ein. Darunter sind anfangs allerdings weniger die noch bescheidenen delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Mission als die direkte Missions- und „Zivilisationsarbeit“ sowie die Warenlieferungen an die Missionsstationen zu verstehen. Keine grössere Rolle spielte die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung im Rahmen der täglichen Geschäfte. Auch wenn man in der Eigendarstellung eine besonders „ehrliche“ Geschäftsführung betonte, scheint sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft in diesem Bereich abgesehen vom Verzicht auf den Waffen- und Spirituosenhandel kaum von vergleichbaren Firmen unterschieden zu haben.437 Diese Gewichtung der Unternehmensziele stand im Gegensatz zur Motivation von Mitarbeitern wie Ernst Preiswerk oder Ludwig Rottmann: Sie verstanden sich explizit als Missionskaufleute, die auch in der direkten Missionsarbeit tätig sein wollten. Somit ergab sich ein Konflikt zwischen der auf direkt gemeinnützige Tätigkeiten ausgerichteten Motivationsstruktur und der tatsächlichen Arbeit der Missionskaufleute. Neben diesem problematischen Widerstreit auf persönlicher Ebene erwuchsen der Missions-Handlungs-Gesellschaft aber auch Vorteile aus ihrer unternehmensethischen Ausrichtung: Einmal im Bereich der Finanzierung des Unternehmenswachstums, wo vieles darauf hindeutet, dass die regelmässig problemlos und schnell ablaufende Zeichnung von Aktien und Obligationen, auf die weitgehende Ausrichtung der Tätigkeit auf die Mission und die Ausnutzung des Netzwerks der Mission zurückzuführen ist. Ausserdem profitierte die MissionsHandlung dank ihrer gemeinnützigen Ausrichtung von kostengünstigen Mitarbeitern, die sich anstelle von finanziellen Anreizen mit der Hoffnung, missionarische oder philanthropische Ziele zu verwirklichen, zufrieden gaben. Zur Gewinnung dieser religiös motivierten Mitarbeiter konnte die Missions-Handlung ein weiteres Mal auf das Netzwerk der Mission zurückgreifen. Allerdings waren die mit der Ausrichtung auf die Mission verbundenen doppelten professionellen und religiösen Anforderungen gleichzeitig auch ein Hemmschuh bei der Personalrekrutierung. Die Verbindung von gewinnorientierten und gemeinnützigen Unternehmenszielen entstand aus der Überlegung heraus, dass die Mission als eine von Spendern getragene Institution die geschäftlichen Risiken der Missionsläden und der Belieferung der Missionsindustrien nicht mehr selbst tragen dürfe. Die als Antwort darauf entstandene Aktiengesellschaft brachte dann – ein Stück weit als Entschädigung für die Übernahme des unternehmerischen Risikos durch die Aktionäre – eine gewinnorientierte Komponente ins Spiel. Erst mit der Geschäftsordnung von 1864 sah sich das vorgesetzte Missionskomitee dazu genötigt, dieses Nebeneinander von gewinnorientierten und gemeinnützigen Zielen genauer zu definieren. Mit dem (neben die Aktionärsrendite gestellten) Programm, die Missionsstationen zu versorgen, die „Heidenchristen und Heiden“ in den Handelsbetrieb einzuleiten (worunter vor allem der Einbezug in marktwirtschaftliche Beziehungen verstanden wurde) und die Mission finanziell zu unterstützen, wurde die MissionsHandlungsGesellschaft immer mehr zu einer Art Dienstleisterin der Mission. Gleichzeitig verlor die Funk437 Ähnlich für die Rheinische Missions-Handels-Actien-Gesellschaft: Braun, Missionshandel (1992), 178 f.
2.8 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
107
tion als Risikoträgerin mit dem Wachstum und der gedeihlichen Entwicklung der Handelsstationen an Bedeutung. Die Basler Mission profitierte nun tatsächlich in verschiedener Hinsicht von der Missions-Handlungs-Gesellschaft: Sei es die Versorgung der Missionsstationen, die religiösen und „zivilisatorischen“ Bemühungen oder die – in dieser Phase allerdings noch unbedeutenden – delegiert gemeinnützigen Zahlungen. Die Basler Mission befand sich in einer komfortablen Lage: Ohne weitere Verpflichtungen und ohne ein grösseres Risiko, aber mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, profitierte sie auf verschiedene Weise von ihrer Missions HandlungsGesellschaft. Trotz dieser beneidenswerten Situation finden sich Hinweise darauf, dass diese Leistungen als ein zwiespältiges Geschenk aufgefasst wurden. Sorgen bereitete den Vertretern der Mission in der ersten Phase weniger das Nebeneinander von gemeinnützigen und gewinnorientierten Aktivitäten als die Eigendynamik und das schnelle Wachstum der Missions-Handlung. Das im Hinblick auf die gewinnorientierten, aber auch die delegiert gemeinnützigen Ziele gerechtfertigte Streben nach einer Maximierung von Umsatz, Marktanteil und Betriebsgewinn stand immer wieder in einem Gegensatz zu den Intentionen des Missionskomitees. Insbesondere in den Auseinandersetzungen um die Gründung neuer Stationen am Volta zeigt sich, wie das Missionskomitee das Wachstum der HandlungsGesellschaft in Einklang mit der Entwicklung der Mission zu bringen versuchte. Letztendlich konnten (und wollten?) das Missionskomitee und ihr Leiter Josenhans ein über die direkten Bedürfnisse der Mission hinausgehendes Wachstum allerdings nicht verhindern. Sie befanden sich bei dieser Frage potentiell vor einem Dilemma: Ihrer Skepsis vor einer allzu dynamischen Missions-Handlungs-Gesellschaft stand die Hoffnung auf möglichst hohe delegiert gemeinnützige Zahlungen gegenüber. Dieses ambivalente Verhältnis zeigte sich nicht zuletzt in der Darstellung nach aussen: In der an ein breiteres (Spender-)Publikum gerichteten Missionszeitschrift „Der evangelische Heidenbote“ sind bis 1879 lediglich drei Berichte über die MissionsHandlungsGesellschaft zu finden. Bezeichnenderweise handelten diese drei Artikel alle von den für das Gesamtunternehmen eher weniger bedeutenden und weniger innovativen indischen Geschäften. Keine Rede war dagegen von den riskanten Import- und Exportgeschäften in Afrika, die die (allerdings noch bescheidenen) delegiert gemeinnützigen Zahlungen ermöglichten. Inwieweit es dabei um das Verschleiern der delegiert gemeinnützigen Erfolge aus Angst vor einem Spendenrückgang oder ob es um eine grundlegende Skepsis ging, muss offen bleiben. Ganz anders die Darstellung durch die Missions-Handlungs-Gesellschaft selbst: Deren Leitung betonte fast mantrahaft „unsere engste Verbindung mit der Basler Missionsgesellschaft, ihren Grundsätzen, Einrichtungen und Verhältnissen [...]“438. Diese Seite schien den Spagat zwischen Religion und Geschäft problemlos zu bewältigen.
438 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1879, 7.
3. VON DER STATUTENREFORM BIS ZUM KAKAOBOOM (1880–1899) 3.1 ENTWICKLUNGEN AUF STRATEGISCHER EBENE Die Statuten von 1880 Die zweite Phase der Unternehmensgeschichte beginnt 1880 mit der Neukonstituierung der Gesellschaft für weitere zwanzig Jahre. Eduard Preiswerk, der Präsident der Handlungskommission, nahm dies zum Anlass, sich grundsätzliche Gedanken über das Wesen und die Zukunft der Missions-Handlung zu machen. In einem vertraulichen Memorandum an die Mitglieder der Handlungskommission und des Missionskomitees stellte er die Frage, ob man die Missions-Handlung wie bisher weiterführen, oder das Verhältnis zwischen Aktionären und Mission – und damit die delegiert gemeinnützigen Unterstützung der Mission – neu ordnen wolle.1 Damit kam er auf die Kritik an den hohen Aktionärsgewinnen, wie sie unter anderem Ludwig Rottmann immer wieder vorgebracht hatte,2 zurück. Preiswerk selbst trat für eine Änderung ein. Die Missionskaufleute in Übersee hätten seiner Meinung nach grundsätzlich recht, wenn sie sich „mehr theoretisch als praktisch, aber ganz consequent immer dahin aussprechen, dass die Aktionäre [...] daraus pecuniären Nutzen ziehen, dass sich die Missionskaufleute um des Herrn willen mit den sehr bescheidenen Verwilligungsnormen begnügen.“3
Er schlug deshalb vor, dass sich die Aktionäre künftig mit einer jährlichen Dividende von lediglich fünf Prozent auf ihr nominelles Aktienkapital ohne zusätzliche Gewinnbeteiligung zufrieden geben und ausserdem zugunsten der Basler Mission auf alle Ansprüche an künftig erwirtschafteten Reserven verzichten sollten. Immerhin könnten „ängstliche Gemüter“ dadurch entschädigt werden, dass ihnen die Fünf-Prozent-Dividende gegebenenfalls durch einen Dividendenverzicht der Mission oder eine Auszahlung aus den Reserven garantiert würde.4 Der nach Auszahlung der Dividende übrig gebliebene Gewinn sollte fortan zu mindestens zwanzig Prozent den unternehmenseigenen Reserven zugeschlagen und der Rest ungekürzt der Basler Mission zur Verfügung gestellt werden.5 Die Idee, die Dividende an den nominellen Wert der Aktie zu koppeln, war keine Exklusivität der MissionsHandlungs-Gesellschaft. So kannte etwa das „Preussische Gesetz betreffend die 1 2 3 4 5
ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 1 f. Siehe Kap. 2.7. ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 2. ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 4; vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 14. ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 4; vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 12.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
gemeinnützigen Aktiengesellschaften vom 2. März 1867“ die Bestimmung, dass (gemeinnützige) Aktiengesellschaften für sozialen Wohnungsbau, die nicht mehr als fünf Prozent Dividende auf den nominellen Wert der Aktien ausbezahlen, teilweise steuerbefreit seien.6 Zum Schluss seines Memorandums erwähnte Preiswerk als Radikalvariante die Möglichkeit, die Basler Mission zum alleinigen Aktionär der Missions-Handlung zu machen. Diesen extremen Schritt lehnte er selber aber aus einer pragmatischen Überlegung heraus von vornherein ab: Die Glaubwürdigkeit der Missions-Handlung bei ihren Gläubigern würde nach einer vollständigen Übergabe an die Mission auf Grund der notorisch desolaten Finanzlage der Basler Mission Schaden nehmen.7 Die ausnahmsweise durch verschiedene weitere Vertreter des Missionskomitees verstärkte Handlungskommission stellte sich ohne weitere Diskussion hinter Preiswerks Vorschlag.8 Offenbar hatte Rottmanns regelmässige Kritik am Aktionärsnutzen ihre Wirkung zu guter Letzt nicht verfehlt.9 Bei gleicher Gelegenheit beschloss die Handlungskommission, das Aktienkapital von 600 000 Franken auf 750 000 Franken zu erhöhen und den momentanen Aktienanteil der Basler Mission von vierzig Prozent als Minimum festzulegen. Das Aktienkapital sollte nicht durch die Ausgabe zusätzlicher Aktien, sondern durch eine Erhöhung des Nominalwerts der einzelnen Aktien aufgestockt werden. Buchhalterisch übertrug man dazu einen Teil der zwischen 1859 und 1880 erwirtschafteten Reserven auf die einzelnen Aktien.10 Zukünftig erwirtschaftete Reserven sollten dann gemäss der neuen Statuten der Basler Mission gehören, sobald diese Reserven den Umfang des gesamten Aktienkapitals erreicht hätten.11 Ausserdem erhielt die Basler Mission neu das Recht, „jederzeit die Änderung dieser Statuten oder die Liquidation der Gesellschaft [zu] beschliessen.“12 Insgesamt gewann die „Mutterinstitution“ damit nach den Neuerungen von 1864 und 1869 nochmals deutlich mehr Einfluss auf die HandlungsGesellschaft. Nachdem auch das Komitee der Basler Mission die neuen Statuten und die von Preiswerk formulierten Übergangsbestimmungen gutgeheissen hatte,13 konnte die Gesellschaft rückwirkend auf den 1. Januar 1880 ihre Tätigkeit aufnehmen.14 Die Fusion von Handlung und Missionsindustrie Auf die Statuten von 1880 folgte schon bald ein weiterer Schritt der Annäherung an die Mission. Ausgehend von einem Brief der Missionskaufleute in Mangalore, die 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. Droege, Gemeinnützigkeit (2010), 32 f. ABM/UTC 4555: Confidentielle Mittheilung vom November 1880, 3, 5. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 16. November 1880. Siehe Kap. 2.7. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft von 1880, § 4. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft von 1880, § 13. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft von 1880, § 16. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 24. November 1880. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 8. Dezember 1880; vgl. auch ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
111
sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen Handlung und Missionsindustrie aussprachen,15 berief Preiswerk Ende Mai 1882 eine gemeinsame Sitzung der Industrie- und Handlungskommission ein, um über die Möglichkeiten einer Eingliederung der Missionsindustrie in die Missions-Handlungs-Gesellschaft zu beraten.16 Ein Blick zurück: Die Entwicklung der Industrien bis 1882 Das gewerbliche Engagement der Basler Mission entstand in den 1840er Jahren aus der Beobachtung heraus, dass der Übertritt zum Christentum auch soziale Konsequenzen hatte: „In Indien [...] heisst die Kaste verlieren so viel als Freunde, Versorger, Familie, Vermögen, Credit, Anstellung, Arbeit zu verlieren. Mag dies auch in neuerer Zeit an manchen Ort sich etwas gemildert haben, so ist doch die Lage eines solchen Ausgestossenen noch hart genug [...].“17
Daraus ergab sich im Selbstverständnis der Missionare die „Verpflichtung“, den missionierten indischen Christen Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten. Für viele Konvertiten scheint dieses Problem tatsächlich bestanden zu haben. Raghaviah erläutert in seiner Studie, dass in der Thiya-Kaste, aus der die meisten Konvertierten stammten, der Übertritt zum Christentum den Verlust des Anteils am Familienbesitz bedeutete, da eine Teilung des Besitzes auf individueller Basis nicht vorgesehen war. Die Mitglieder der unter den Konvertiten ebenfalls breit vertretenen Cheruman-Kaste waren zum grossen Teil arme Landarbeiter, die nach einer Konversion womöglich ihre (prekären) Arbeitsmöglichkeiten verloren.18 Das Problem verschärfte sich dadurch, dass die Basler Mission im Gegensatz zu anderen Missionen darauf verzichtete, Massenkonversionen durchzuführen. Solche hätten die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen dadurch abgemildert, dass die mit den Kasten verbundenen sozialen Strukturen über die Konversion hinaus hätten fortbestehen können.19 Gemäss Raghaviah verhielt sich die Basler Mission im Vergleich zu den katholischen Missionen, aber auch zur englischen Church Mission Society und zur London Mission Society als besonders kastenkritisch.20 Insofern verschärfte die Basler Mission mit ihrer radikalen Haltung das von ihr beklagte Problem zusätzlich selbst. Ähnlich wie die Basler Mission unternahmen auch einige
15 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1882. 16 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungs & Industriekommission vom 30. Mai 1882. 17 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 1. Zum Wesen und zur Geschichte des indischen Kastenwesens im Allgemeinen und der Rolle der Europäer bei der Ausdifferenzierung und Festsetzung des Konstrukts Kaste vgl. Bayle, Caste (1999). Zur prekären Stellung der konvertierten Christen in Südindien vgl. Mallampalli, Christians (2004). 18 Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 22 f.; 56 f.; Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 180; vgl. Mallampalli, Christians (2004), 37; 196. 19 Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 21 f. 20 Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 27; 56–59.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
britische und katholische Missionen (allerdings weniger umfangreiche) Versuche, Arbeitsplätze für die Konvertierten zu schaffen.21 Andere Motive für den Aufbau der Missionsindustrien werden in den aus den 1860er Jahren stammenden Statuten der Industriekommission genannt: die Anleitung der missionierten Christen „zu christlichem Betrieb des irdischen Berufs“, die Erziehung zu Fleiss, Tüchtigkeit und Sparsamkeit, die Verbesserung der materiellen Existenz, die Unterstützung der Missionare und die Sicherung eines „immer umfassenderen und tiefergehenden Einflusses auf das Volksleben der Heiden länder“.22 Hier treffen also etwas diffuse „zivilisatorische“ Ziele, wie wir sie auch von der Missions-Handlung kennen, auf den deutlicher mit der Mission verbundenen Auftrag zur Arbeitsbeschaffung. Der Missionshistoriker Karl Rennstich nennt die Missionsindustrien in diesem Zusammenhang später sogar „die erste zentral organisierte wirtschaftliche Hilfe“ in der „Dritten Welt“, die er durchaus auch sozial motiviert sieht.23 Es ist noch zu zeigen, inwieweit die Tätigkeit der Missonsindustrie tatsächlich eine wohlverstandene wirtschaftliche (Entwicklungs-) Hilfe (im Sinne eines empowerment zu ökonomischer Selbständigkeit) war. Die gewerbliche Arbeit der Basler Mission in Indien begann in den 1840er Jahren mit einer Industrieschule und einer Tischlerei in Mangalore sowie kurzfristigen Versuchen mit einer Schlosserei und einer Uhrenmanufaktur.24 Ein anderer in der Anfangszeit verfolgter Ansatz war die Vergabe von modern anmutenden (Mikro-) Krediten an lokale Unternehmer in den 1850er Jahren im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe. Dieser erfolgreiche Versuch blieb allerdings Episode.25 Neuen Auftrieb erhielt die Idee einer Missionsindustrie im Anschluss an eine Inspektionsreise von Josenhans. 1852 regte er die Gründung einer Industriekommission unter dem Vorsitz des bekannten Basler Industriellen Karl Sarasin an.26 Finanziert wurden die Aktivitäten der Industriekommission durch private Geldgeber, die man mit Hilfe eines „Aufruf[s] an die Freunde der Mission“ fand. Das so generierte Kapital belief sich freilich auf einen (im Vergleich mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft) bescheidenen Betrag von lediglich 10 000 Franken, der 1873 um weitere 50 000 Franken Spendengelder erweitert wurde.27 Die Missionsindustrie führte eine von der Missionskasse separate Rechnung. Grundsätzlich sollte sie selbsttragend arbeiten.28
21 22 23 24 25 26 27 28
Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 114–116; vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Oktober 1886. ABM/UTC 4936: Statut für die Industrie-Commission der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel [undatiert, wohl um 1866], § 2. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 88 f. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 28–31. Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 120–124. ABM/UTC 4936: Jahresbericht der Industrie-Commission der Evangelischen Missionsgesellschaft in Basel, 1853. Vgl. auch Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 88 f. Im Rückblick berichtet darüber: Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1911, 10. ABM/UTC 4936: Statut für die Industrie-Commission der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel [undatiert, wohl um 1866]. Das Ziel der Selbstfinanzierung wurde gemäss Schlatter, Basler Mission (1916), II, 161 anfangs der 1870er Jahre erreicht.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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1852 gründete Johannes Haller als Handwerkerbruder der Basler Mission eine Weberei in Mangalore.29 Er führte die ersten flying shuttles (Schnellschützenwebstühle) in Südwestindien ein und machte sich einen Namen als Entwickler und erster Produzent des von Sir Henry Lumsden inspirierten Khakistoffs, einem dichten Baumwollgewebe, welches er mit Hilfe der Rinde des Markfruchtbaums einfärbte. Später wurde der Khaki aus Mangalore zum Standardstoff der britischen Uniformen.30 Der Weberei in Mangalore folgten weitere Betriebe in Cannanore (1852), Calicut (1859) und Tellicherry (1860) sowie verschiedene kleinere Filialbetriebe. 1856 wurden die Webereien um eine Schreinerei in Calicut erweitert.31 Später entstanden drei Ziegelfabriken in der Umgebung von Mangalore (1865 und 1873) und Calicut (1882). 1874 richtete die Mission eine mechanische Werkstätte in Mangalore ein.32 Die Gründung der Industriebetriebe an der indischen Westküste fand in industriellem Neuland, weit abseits der sich langsam etablierenden industriellen Zentren um Bombay und im Norden Indiens, statt.33 Die Basler Mission wurde damit, wie Konrad Specker in seiner Untersuchung zur südindischen Textilindustrie im 19. Jahrhundert schreibt, zu „einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Südwestindien.“34 An der Goldküste bestand in Christiansborg seit 1878 eine kleine Missionswerkstatt, in der Schreiner- und Wagnerarbeiten ausgeführt wurden.35 Die Missions-Handlungs-Gesellschaft arbeitete von Beginn an eng mit der Missionsindustrie zusammen. In immer grösserem Umfang unterstützte sie diese in Verkauf und Einkauf sowie Verwaltung und Finanzierung ihrer Betriebe.36 An diese Tradition der engen Zusammenarbeit knüpfte Preiswerk 1882 in seinem Plädoyer für eine Fusion an: Eigentlich handle es sich nur um eine saubere Regelung und eine Vereinfachung der sowieso schon bestehenden Zusammenarbeit. Skeptischer zeigten sich der Präsident der Industrie-Kommission, Theodor Sarasin sowie Heinrich Pfisterer. Sie gaben zu Bedenken, dass die Handlung das Ziel habe, in delegiert gemeinnütziger Weise Geld für die Mission zu verdienen, während die primär direkt gemeinnützige Industrie eigentliche Missionsarbeit leiste. Bereits
29 30 31 32
33 34 35 36
Fischer, Missionsindustrie (1978), 12. Vgl. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 32; Lobo, Khaki (2007); Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 201 f. Erste Anfänge der Schreinerei in Calicut gehen wohl bereits auf das Jahr 1851 zurück. (Vgl. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 30.) Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 33; 39; vgl. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 2–3; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft, 1912, 11. Bei der Gründung dieser Betriebe ging es möglicherweise auch darum, zu verhindern, dass die christlichen Gemeinden zu allzu homogenen „christlichen Weberkasten“ wurden. (Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 205.) Vgl. Mann, Südasien (2010), 96 f., wo in einer kursorischen Aufzählung der im 19. Jahrhundert von Industrialisierung erfassten Gebiete in Indien die Südwestküste nicht einmal erwähnt wird. Specker, Weber (1984), 11; vgl. auch ebd. 146. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 11 f. Ein ähnlicher Betrieb hatte schon länger bestanden. Dieser war bis dahin allerdings von einem der Mission zugetanen europäischen Handwerksmeister auf eigene Rechnung betrieben worden. Siehe Kap 2.1; 2.3 und 2.5.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899) „Herr Inspector Josenhans habe sich bei verschiedenen Veranlassungen dahin geäussert: Handlung und Industrie können nicht zusammengehen, da jene Geld machen müsse, und diese Hand in Hand mit der Mission zu gehen habe.“37
Schliesslich setzten sich Preiswerks praktische Argumente, wie sie auch der ursprüngliche Antrag aus Mangalore vorgetragen hatte, gegen die Bedenken durch. Die Handlungs- und Industriekommission einigten sich darauf, beim Missionskomitee die Übernahme der Industrie durch die Handlungs-Gesellschaft zu beantragen.38 Kurz darauf stimmte auch das Missionskomitee der Fusion zu.39 Bereits im Herbst 1882 war die Vereinigung der beiden Institutionen vollzogen. Die Industrie brachte ein Betriebskapital von 400 000 Franken in die Gesellschaft ein, welches in der Bilanz der Missions-Handlungs-Gesellschaft im Sinne einer zusätzlichen Reserve als „Industriekonto“ aufgeführt wurde. Ausserdem trat Theodor Sarasin, der Präsident der mit der Fusion aufgelösten Industriekommission, der Handlungskommission bei.40 Interessant in Bezug auf die Fragestellung dieser Studie ist die Frage, ob sich auf Grund des Zusammenschlusses eine Neuorientierung der Industrien im Spannungsfeld zwischen direkter Gemeinnützigkeit, delegierter Gemeinnützigkeit und Gewinnorientierung ergab: Bislang waren die Missionsindustrien – ähnlich wie vergleichbare Institutionen britischer Missionen41 – mit dem Ziel geführt worden, bestenfalls selbsttragend zu sein.42 In der hier verwendeten Terminologie bedeutete das, dass sie bislang gewissermassen delegiert gemeinnützig in eigener Sache waren. Mit der Fusion öffneten sich die Missionsindustrien auch gewinnorientierten und ausserhalb der eigenen Arbeit liegenden delegiert gemeinnützigen Zielen. Missionsinspektor Schotts Kritik an der Missions-Handlungs-Gesellschaft Die Geschäftsordnung von 1864, die Statuten von 1869 und 1880 und die Fusion von 1882 brachten eine engere Anbindung der Missions-Handlungs-Gesellschaft an die Mission. Diese Nähe konnte die Skepsis, mit der Teile der Missionsleitung der Missions-Handlung von Anfang an begegnet waren, ein Stück weit ausräumen. Umgekehrt konnte gerade diese neue Nähe zum Anlass anderer Kritik werden, wie sie von prominenter Seite Missionsinspektor Otto Schott formulierte. Schott war seit 1879 als Nachfolger von Inspektor Josenhans im Amt. Er hatte die Aufgabe nur widerwillig übernommen und sah sich weniger als pragmatischen Direktor denn als Theologe.43 Nach vier Jahren im Amt verfasste er im Dezember 1883 eine Denk37 38 39 40 41 42 43
ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungs & Industriekommission vom 30. Mai 1882. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungs & Industriekommission vom 30. Mai 1882. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Juni 1882. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. November 1882. Schwegmann, Protestantische Mission (1990), 115. Darauf wird etwa in den Statuten von 1866 hingewiesen, wo die Gewinne der einzelnen Betriebe als Teil der Betriebsmittel bezeichnet werden. (Vgl. ABM/UTC 4936: Statut für die Industrie-Commission [1866], § 4.) Vgl. auch Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 261. Schlatter, Geschichte (1916), I, 303 f.; vgl. auch Bieder, Erfahrungen (1991), 51 f.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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schrift in Sachen Missions-Handlungs-Gesellschaft, die hohe Wellen schlagen sollte. Unmittelbarer Anlass seines Memorandums waren verschiedene Schreiben aus Indien: (1) ein Antrag des Handlungsbruders Fieg um Aufnahme in den direkten Missionsdienst, (2) Klagen über den Verkauf von Wein und Bier in den indischen Missionsläden, (3) Klagen der Missionare in Mangalore, nicht in die Planung der neuen Ziegelfabrik mit einbezogen worden zu sein, (4) der Antrag, das Predigerseminar in Mangalore in die Räumlichkeiten der Missions-Handlung zu verlegen und schliesslich (5) die Anträge der Missionare im MalabarDistrikt, die Kaufläden der Missions-Handlung in Indien aufzulösen und den Begriff Mission aus dem Namen aller Handlungen und Industriebetriebe zu streichen.44 Schott kannte die Missions-Handlung und die Missionsindustrie in Indien von seiner Visitation in Indien im Jahr 1881 auch aus eigener Erfahrung.45 In seiner Denkschrift verband er die Anliegen aus Indien mit seinen persönlichen Eindrücken zu einer grundsätzlichen Kritik an der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Handel und Industrie waren für Schott ganz prinzipiell keine Missionsaufgaben, sondern Sache der örtlichen Gemeinden: „Die Industrie will & soll, das ist ihre schöne Aufgabe, den Gemeinden dienen; sie will die eingeborenen Christen an Arbeit gewöhnen, den armen Christen Arbeitsverdienst gewähren & einen Handwerkerstand heranziehen, der im Stande sein soll, durch Arbeit sein eigen Brod zu verdienen. So schön diese Aufgabe ist, so ist sie keine Aufgabe für die Mission, sondern für die Gemeinde. Das ist der Grund, weshalb ich dafür gestimmt habe, dass die Industrie aus dem unmittelbaren Verhältnis zur Mission entlassen & mit der Handlung verschmolzen werde. Dass die Handlung keine Missionssache ist, sollte an sich deutlich sein; als Shop-Geschäft hat sie die Aufgabe, ein christliches Handlungswesen darzustellen, ist also ebenfalls Sache der Gemeinde oder hat einen allgemein christlichen Charakter ohne Beziehung zu Mission; als Exportgeschäft, wie dies in Afrika besteht, soll sie allerdings auch christlich sich benehmen, im übrigen aber ist sie dann auf Geldgewinn ausgelegt, & das hat mit Mission nichts zu schaffen.“46
Das Problem bestand für Schott aber nicht nur auf der übergeordneten Ebene des Verhältnisses zwischen Mission, Missionsgemeinden und der Missions-HandlungsGesellschaft, sondern ebenso auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter und den doppelten Anforderungen an sie: „Der eine Bruder fühlt, dass ihm Geschick, Gabe & Trieb zur eigentlichen Missionsarbeit mangelt, & er bewegt sich lieber in seinem Geschäft – ganz recht, er verdient keinen Vorwurf, denn er dient dem Herrn in seinem Beruf, aber wir sollen ihm auch nicht zumuten, darüber hinauszugehen, nur um unser, nicht sein, Missionsgewissen zufrieden zu stellen. Der Andere hat Lust & Trieb zur Heidenarbeit, & nun gibt er sich alle Mühe, in den directen Missionsdienst zu kommen, wie Br. Halbrok & Fieg, weil er eben auch einsieht, dass er diesen Drang seines Herzens nicht genügen kann, wenn er seinen kaufmännischen Beruf daneben fortsetzen muss.“47
Weiter führt Schott aber auch ganz alltägliche Probleme an, die sich aus dem Zusammenhang von Mission und Geschäft ergäben. So etwa das Problem, dass sich die Missions-Handlung auf Grund der Konkurrenzsituation gezwungen sehe, Wer44 45 46 47
ABM, Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 1. Schlatter, Geschichte (1916), II, 167–169. ABM, Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 2. ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 4.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
bung zu machen. Dies führe soweit, dass auf dem Briefpapier der Missions-Handlung „amerikanische Harmoniums“ oder gar „Damenkleider nach der neusten Mode“ beworben würden.48 Es werde in Indien zudem nicht zwischen der Mission und der Missions-Handlungs-Gesellschaft unterschieden und die Basler Mission gelte deshalb fälschlicherweise als eine besonders reiche Institution.49 Schotts Kritik bezog sich aber nicht nur auf die Handlung, sondern auch auf die Missionsindustrie. Wie eingangs deutlich wurde, zweifelte er nicht grundsätzlich an ihrer Wirksamkeit und bezeichnete es sogar als eine „schöne Sache“, armen Christen Arbeit zu verschaffen. In missionarischer Hinsicht sprach er den Betrieben der Missionsindustrie aber jeden Nutzen ab: Die Mehrheit der Mitarbeiter seien, wie er selbst festgestellt habe, Heiden, Moslems oder Katholiken. „Und doch“, fuhr er fort, „trägt jeder Ziegelstein die Firma der Mission [...]“50 Allfälligen Widerspruch vorwegnehmend verneinte er auch, dass die Industrie die Menschen an die Mission heranführen könne: „Man wende mir nicht ein, dass ja in diesen Ziegeleien die Heiden näher dem Einfluss des Christentums & des Evangeliums kommen. Sind wir soweit herunter gekommen, dass wir die Beschäftigung von Taglöhnern Mission heissen? Das gibt im besten Fall Reischristentum, vor dessen Pflege wir uns nachgerade schämen sollten.“51
Schott spielt hier auf die weit verbreitete zeitgenössische Kritik am „Reischristentum“ an. Der dahintersteckende Vorwurf besagte, dass die missionierten Taufkandidaten vor allem aus materiellen Gründen (Reis, Bildungsangebote etc.) und weniger aus religiöser Überzeugung zum Christentum übertreten würden.52 Wenn schon hätte man, so Schott indem er die Missionsthematik mit einer konservativen Industriekritik53 verband, auf kleine Werkstätten setzen sollen, die vermehrt die Ausbildung von Handwerkern im Auge gehabt hätten: „Die Brüder hatten eine Schreinerei & Schlosserei im kleinen Massstab gewünscht, die Leute heranzögen, welche später als „Bastler“ im ganzen Land ihr Brod selbständig verdienen könnten [...] wir [aber] haben nun, statt unsere Christen selbständig zu machen, ein Fabrikvolk herangezogen, das für immer abhängig bleiben muss von seinem Brodherrn.“54
Auch das Argument, dass die Missions-Handlung auf Grund ihrer delegiert gemeinnützigen Zahlungen eigentliche Missionsarbeit leiste, verwarf Schott: 48 49
ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 5. ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 6 f. Der gleiche Vorwurf wurde anfangs des 20. Jahrhunderts bezüglich der Handelsunternehmen der Herrnhuter Brüdergemeine in Surinam laut. (Homburg, Glauben und Rechnen (2012), 206.) 50 ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 5. Dieser Befund gilt bis in die Gegenwart: Noch Ende des 20. Jahrhunderts wurden dem Vernehmen nach durch das Unternehmen „Commonwealth Trust“ Ziegelsteine mit dem Label „Basel Mission“ produziert. Vgl. Abbildung 10 im Anhang. 51 ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 6. 52 Eine frühe Verwendung des Begriffs „ReisChristen“ findet sich etwa 1840 im Zusammenhang „oberflächlicher“ portugiesischer und niederländischer Missionsversuche im in Basel erscheinenden „Magazin für die neueste Geschichte der evangelischen Missions- und Bibel-Gesellschaften Missionsgeschichte“ (erstes Quartalsheft, 1840, 167.). 53 Vgl. dazu die Ausführungen zur pietistischen Weltsicht in Kap. 1.2. 54 ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 6.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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„Hier ist nun der Ort, ein Wort auch über die in unserer Zeit so sehr steigende Gewinne dieser Geschäfte zu sagen. Es ist ein schöner Zweck, den Reingewinn ganz oder teilweise der Mission zu schenken, & es fehlt mir nicht an Dankbarkeit gegen die Handlung, wenn ich daran denke, wie schwer ein Missionsdeficit gerade auf unser einem lastet. Aber dieses Zweck berechtigt sie doch noch nicht, sich den Missionsnamen beizulegen, wie auch die Werkstätten durch ihren gemeindeerzieherischen Zweck noch kein Recht zum Missionsnamen haben. Wehe uns, wenn wir uns durch den Blick auf das Geld blenden liessen, dass wir etwa sprächen: Wir können nicht darauf verzichten, darum können wir auch den Missionstitel nicht mehr davon ablösen. Nein, die Mission ist Sache des Glaubens; wir müssen glauben können, dass uns der Herr gibt, was wir brauchen, & wenn wir diesen Glauben nicht mehr festhielten, hätten wir die Hand von der Mission zu thun.“55
Ausgehend von seiner Überzeugung, dass die Handlung und Industrie keine eigentliche Missionssache seien und seiner allgemeinen Kritik an der Tätigkeit der Missions-Handlungs-Gesellschaft kam Schott zum Schluss, dass diese Institutionen – unabhängig von ihrer Nähe zur Mission – keinesfalls das Label Mission tragen dürften. Dieser Punkt bildete den zentralen Bestandteil von Schotts Anträgen, die er zum Schluss seines Memorandums als Antwort auf die ursprünglichen Anfragen aus Indien formulierte: „Meine Anträge sind folgende: [...] 5., die Zurücknahme des Missionstitels sowohl in den Firmen als in den Producten unserer indischen und afrikanischen Geschäfte, & die Ersetzung durch einen anderen Titel wird als eine Pflicht erkannt; folgerichtig hat dann auch die Handlungsgesellschaft in Basel selbst auf den Missionstitel zu verzichten.“56
Ausserdem sollte (1) dem Missionskaufmann Fieg und auch künftigen Antragstellern aus dem Kreis der Handlungs-Gesellschaft gestattet werden, in den direkten Missionsdienst zu wechseln, sofern diese eine Prüfung in der Landessprache und in theologischen Grundkenntnissen bestanden hätten, (2) der Verkauf von Bier und Wein in Indien (im Sinne der Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung) fortan unterlassen werden, (3) der Bau der Ziegelei in Kudroli bei Mangalore ohne vorherige Absprache mit der Mission als ein Versehen bedauert werden, (4) die Handlung die völlige Aufhebung der „Shops“ in Indien in die Wege leiten, (6) die Personalunion zwischen dem Leiter der Handlung und dem Generalkassier der Mission in Indien (trotz der oben unter fünftens geforderten Namensänderung) fortbestehen und (7) von einer Übernahme der Geschäftsräumlichkeiten in Mangalore durch das Predigerseminar abgesehen werden, da die Liquidation des Verkaufsgeschäfts noch längere Zeit in Anspruch nehmen werde.57 Schotts radikale Forderungen führten zu einer grundsätzlichen Diskussion um die Zukunft der Missions-Handlung, die in einem vertraulichen Spezialprotokoll der entsprechenden Komiteesitzungen dokumentiert worden ist.58 Die Beratungen entpuppten sich schnell als wenig ergiebig: Die Kollegen im Missionskomitee konnten Schotts Kritik zwar in einzelnen Punkten (etwa was die Reklamen der Läden, das Problem des Wein- und Bierverkaufs, die Gefahr eines zu starken 55 56 57 58
ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 7. ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 10. ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 10 f. ABM: Spezialprotokoll I. In diesem Spezialprotokoll wurden auch andere vertrauliche (z. Bsp. das Personalwesen betreffende) Beschlüsse und Erörterungen festgehalten.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Wachstums der Fabriken und die Entstehung eines „Fabrikproletariats“ betraf) folgen – in seinem zentralen Punkt, der Namensfrage und der damit verbundenen Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Verbindung von Handel, Industrie und Mission argumentierten sie in eine ganz andere Richtung: Wiederholt hielten sie fest, dass insbesondere die Industrie (an den Shops wollte nur noch ein Teil der Komiteemitglieder festhalten) eine wertvolle erzieherische und soziale Aufgabe für die Mission wahrnehme und in diesem Sinne auch Bestandteil der Mission sei und deren Name tragen solle.59 Ausserdem warnten mehrere Komiteemitglieder vor den personellen Konsequenzen einer allfälligen Namensänderung: Es sei notwendig, „dass der Missionsname im Titel aufgenommen ist [...], da wir ja nur Leute hinaussenden wollen, die im Missionsgeist stehen [...].“60 Preiswerk verteidigte seitens der Handlungskommission den von Schott kritisierten „Geldgewinn“: „Das, was als Hauptabsicht der Handlung hingestellt wird, der Gewinn, wurde nie als Hauptzweck von der Handlung betrachtet; Gewinn wurde nur erstrebt, um der Mission nicht zur Last zu fallen.“61 Hinter dieser Aussage steckt der Umstand, dass die Mission und die Missions-Handlungs-Gesellschaft (auch wenn man sie vor allem als gemeinnütziges Projekt verstand) verschiedenen Handlungslogiken unterlagen. Während erstere in pietistischem Gottvertrauen auf die Finanzierung durch Spenden setzte, waren Missionsindustrie und Missions-Handlungen von Anfang an zumindest als selbsttragende Werke aufgebaut, die – ganz abgesehen von der Diskussion um eine allfällige Gewinnorientierung – zum Selbsterhalt auf einen Betriebsgewinn hinarbeiten mussten. Mit einer Gegenstimme (Schott) beschloss das Missionskomitee Ende 1883, der Handlungs-Gesellschaft weiterhin den Namensbestandteil „Mission“ zuzugestehen. Allenfalls sollte überlegt werden, in Übersee den Geschäftsnamen „Mercantile Mission Branch“ so abzuändern, dass die Hilfsfunktion der Handlung mehr zur Geltung komme; als Vorschlag fiel der Name „Mission Aid Company“. In allen anderen Punkten folgte das Missionskomitee grundsätzlich Schotts Anträgen. Nur die Liquidation der „Shops“ in Indien wollte man nicht beschliessen, ohne zuerst die Meinung der Missionare vor Ort und der Handlungskommission einzuholen.62 Schott genügte das nicht. Nachdem sein Antrag auf Namensänderung abgelehnt worden war, reichte er am 3. Januar 1884 seinen Rücktritt als Missionsinspektor ein.63 Damit legte er das Gewicht seiner ganzen (weit herum anerkannten) Persönlichkeit in die Waagschale. Der Basler Mission war tatsächlich viel daran gelegen, Schott als Leiter zu behalten. Schliesslich gelang es dem Missionskomitee, ihn dazu zu bewegen, vorläufig in seiner Stellung zu verbleiben; allerdings mit dem Zugeständnis, dass er seinen Einsitz in der Handlungskommission abgeben dürfe. Sein Nachfolger im Führungsgremium der Missions-Handlungs-Gesellschaft 59 60 61 62 63
ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzungen vom 12. Dezember 1883 und 19. Dezember 1883. Komiteemitglied Bernoulli in seinem Votum zur Zukunft der Missions-Handlungs-Gesellschaft. (ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 19. Dezember 1883.) ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 19. Dezember 1883. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzungen vom 19. Dezember 1883 und 2. Januar 1884. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 26. März 1884; vgl. auch Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 17.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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wurde Pfarrer Adolf Kinzler, der als theologischer Lehrer am Missionshaus wirkte und ebenfalls im Missionskomitee sass.64 Im Frühling 1884 gingen die Ergebnisse der Ende 1883 durch das Missionskomitee angeordneten Umfrage unter den Missionaren in Indien ein. Die Befragung brachte kein klares Votum: 27 Missionare waren dafür, die „Shops“ der MissionsHandlungs-Gesellschaft beizubehalten, 26 dagegen.65 Davon ausgehend machte sich auch die Handlungskommission daran, einen eigenen Vorschlag über die zukünftige Gestaltung ihrer Aktivitäten auszuarbeiten. In einer Sitzung anfangs Mai 1884 hielt sie folgende Punkte in einer Vorlage an das Missionskomitee fest: (1) sei die Industrie gemäss den Aussagen des Komitees ein wichtiger Teil der Mission; (2) könne die Industrie ohne die Hilfe einer kaufmännischen Organisation nicht bestehen; (3) habe die Umfrage unter den indischen Missionaren ergeben, dass zumindest das Bedürfnis nach einem Speditionsdienst für die Missionsstationen vorhanden sei. Aus den vorangegangenen Punkten folge (4), dass man weiterhin Missionskaufleute in Indien beschäftigen müsse. (5) sei die Handlungskommission dazu bereit, ihre „Shops“ in Indien weiter zu verkleinern und gegebenenfalls eine Liquidation ins Auge zu fassen. Da aber wie bereits festgestellt sowieso eine Mindestzahl an Missionskaufleuten gebraucht werde, spreche (6) auch nichts dagegen, weiterhin einige nötige Artikel zu verkaufen. Diese Absicht werde (7) auch durch 27 Voten aus Indien gestützt. (8) könnten im Falle einer Verkleinerung die Kosten für das kaufmännische Personal nicht mehr durch die „Shops“ getragen werden, (9) soll bezüglich der Industriebetriebe und Werkstätten von einer Namensänderung abgesehen werden. Bezüglich dem Namen der Handlungen würde man sich (10) am ehesten mit einer Umbenennung in „Basel Mission Mercantile Agency” oder „Basel Mission Agency” abfinden. (11) wäre man, sollte das um des Friedens willen nötig sein, auch dazu bereit, den Namensbestandteil „Mission“ im kaufmännischen Bereich ganz fallen zu lassen und die Handlungen in Basel Mercantile Establishment umzubenennen. (12) solle die Stellung der Missionskaufleute gegenüber der Mission keine Änderung erfahren.66 Ausgehend von dieser Vorlage befasste sich das Missionskomitee anfangs Juni 1884 nochmals in drei Sitzungen mit der Zukunft der Handlungs-Gesellschaft. Schon in der ersten Sitzung zeichnete sich ab, dass weiterhin keine Einigung zwischen Schott und den übrigen Komiteemitgliedern zustande kommen würde. Die Situation nahm sich gleich aus wie ein halbes Jahr zuvor: Um die Handlung und Industrie aus dem Schussfeld der Kritik zu nehmen und Schott in seinem Amt zu halten, waren die meisten Komiteemitglieder zu Kompromissen wie etwa einer Reduktion der Verkaufsläden bereit, – eine Streichung des Begriffs „Mission“ und die Verselbständigung der Handlungs-Gesellschaft lehnten sie dagegen ab. Sie wollten Handel und Industrie als Teil der Mission beibehalten. Man wolle eine „Reinigung des Baums der Handlung und Industrie, nicht ihn umhauen.“67 64 65 66 67
ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 26. März 1884. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Mai 1884. ABM/UTC 4555: Vorlage an das Missionskomitee, 7. Mai 1884; vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Mai 1884. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 4. Juni 1884; vgl. ABM: Spezialprotokoll I,
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Am 5. Juni 1884 wurde die Diskussion dadurch verschärft, dass Schott ein weiteres Mal ein Entlassungsgesuch aus Gewissensgründen einreichte.68 In der Sitzung vom 11. Juni 1884 hielten alle Komiteemitglieder ausser Schott weiterhin am Begriff „Mission“ im Namen der Handlungen und Industriebetriebe fest, zeigten sich aber zu Konzessionen bereit, wenn es damit gelänge, Schott von seinem Rücktritt abzubringen. Schliesslich wurde Schott von Preiswerk als letzter Versuch zur Einigung dazu aufgefordert, die Vision einer Handlungs-Gesellschaft zu skizzieren, die sich mit seinem Gewissen vereinbaren liesse.69 Eine Woche später reichte Schott tatsächlich ein weiteres Memorandum ein. Darin forderte er (ähnlich wie im Dezember 1883), die „Shops“ in Indien nicht nur zu reduzieren, sondern zu schliessen, den Begriff „Mission“ aus dem Namen der Industriebetriebe zu streichen, deren Wachstum zu beschränken und sie mittelfristig an die einheimischen Gemeinden zu übertragen. Ausserdem forderte er – was in seinem Memorandum von Ende 1883 noch keine konkrete Forderung war – klar zu unterscheiden zwischen den Laienbrüdern der Mission und den Mitarbeitern der Industrie und Handlung, welche in den Missionsgremien vor Ort nur noch ein beschränktes Stimmrecht haben sollten. Schott schloss mit der Bemerkung, dass diese „Beschlüsse aus Überzeugung gefasst werden [müssten], nicht als schweres Opfer gegen Überzeugung, nur um mich zu halten, dastehen [dürften].“70 Spätestens jetzt war klar, dass Schott nicht mehr an einem Kompromiss interessiert war. Dem Komitee, das sich in den vergangenen Monaten wiederholt dafür ausgesprochen hatte, die Missions-Handlungs-Gesellschaft als Missions-Handlungs-Gesellschaft beizubehalten, blieb nichts anderes übrig, als Schott die „nachgesuchte Entlassung zu gewähren.“71 Über eine Änderung des Namens von Handlung und Industrie wurde nicht mehr weiter verhandelt.72 Es blieb für die Missions-Handlung mehr oder weniger alles beim Alten. Das Missionskomitee trug der Handlungs-Gesellschaft einzig auf, die (für das gesamte Unternehmen sowieso nur unbedeutenden) Handelsgeschäfte in Indien langfristig zu reduzieren. Grössere Auswirkungen hatte die „Affäre Schott“ hingegen im heimatlichen Missionsumfeld. Die Umstände des Rücktritts des Inspektors wurde insbesondere in Schotts Württemberger Heimat als Skandal empfunden.73 Das Missionskomitee entschloss sich, den Rücktritt Schotts und die Ergebnisse der vorangegangenen Diskussionen relativ offen zu kommunizieren. Einerseits sprach Christoph Riggenbach als Präsident des Missionskomitees Ende August 1882 öffentlich am Missionsfest in Stuttgart über die Angelegenheit;74 an68 69 70 71 72 73 74
Komiteesitzung vom 11. Juni 1884. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie (1884), 17; vgl. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 11. Juni 1884. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 11. Juni 1884. ABM: Spezialprotokoll I, Anträge [Schott], 18. Juni 1884. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung beim Präsidenten am 20. Juni 1884. Ende Juni wurde ein weiterer Versuch unternommen, Schott doch noch umzustimmen; was aber scheiterte. (ABM: Spezialprotokoll I, Specialkonferenz vom 30. Juni 1884.) Vgl. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzungen im Juni 1884. Vgl. Schlatter, Basler Mission (1916), I, 314 f. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzungen vom 20. August 1884 und 10. September 1884.
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dererseits beauftragte das Missionskomitee Riggenbach und Missionslehrer Kinzler „Vertrauliche Mitteilungen an die Freunde über die Ursache der Trennung“ zu verfassen und darin einen kurzen Überblick über die Auseinandersetzung zu geben.75 Letztlich bewirkte die langwierige und sehr ernsthaft geführte Diskussion nur wenig. Dies liegt in der Natur von Schotts Kritik: Die heiklen Punkte, die Schott ins Feld führte (die Erziehung zur Unselbständigkeit, unreflektiertes Gewinnstreben, die Beschäftigung von „Heiden“ und der mangelnde Bezug zu den Gemeinden), waren für ihn nicht primär Kritikpunkte an der Tätigkeit der Missions-HandlungsGesellschaft selbst, sondern vor allem Belege dafür, dass dieser Arbeitsbereich nicht zur Mission gehöre. So präsentierte er denn auch kein echtes Alternativkonzept für die Arbeitsbeschaffung, die „zivilisatorische“ Arbeit oder die Finanzierung der Mission. Er forderte stattdessen die administrative und vor allem begriffliche Trennung von der Mission – in diesem letzten Punkt, einer „Prinzipienfrage“ und „Gewissensfrage“, wie er mehrmals betonte, blieb er sich bis zum Schluss treu. Seine Kollegen im Missionskomitee wollten ihm aber genau in diesem Punkt nicht folgen. Handlung und Industrie sollten, auch dem Namen nach, bei der Mission bleiben. Dass Schott schlussendlich keinen Rückhalt im Missionskomitee fand, dürfte für die Missions-Handlung eine Stärkung ihrer Position innerhalb des Missionskontexts bedeutet haben. Noch ein Jahr zuvor hatte die Missions-Handlung die Anerkennung durch die Mission als ein Wunsch formuliert: „Wir möchten unsrem ganzen Geschäft immer mehr den Stempel der Missions-Handlung aufgedrückt sehen, und diesen Namen, der uns hie und da in der Heimat streitig gemacht werden will, [...] verdienen.“76 Karl Rennstich, der sich in mehreren Publikationen mit der Rolle der Mission als „Entwicklungshelferin“ befasste, weist in einem Artikel über die „Basler Handelsgesellschaft“ auf Schotts erfolglose aber im Bezug auf unsere Zeit sehr hellsichtige Kritik an der mitunter zur Unselbständigkeit erziehenden Industrie hin. Im Hinblick auf Schotts Forderung, die wirtschaftlichen Aktivitäten den Missionsgemeinden zu übergeben, bedauert er: „Der ‚Ruf zur Busse‘ verhallte ungehört, die Gesinnungsänderung fand nicht statt. Zum grossen Unglück der Mission und der heute de jure selbständig gewordenen Kirchen in Indien und Afrika! Zumindest für Indien hat sich Schotts Voraussage der Heranziehung eines von ‚seinem Brodherrn‘ abhängig bleibenden Christenvolkes bewahrheitet.“77
75
76 77
ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung beim Präsidenten am 27. Juni 1884. Dieser Bericht wurde bald darauf als „Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie“ veröffentlicht. Das dünne Bändchen geht auf Schotts Kritik an der Missions-Handlungs-Gesellschaft ein und skizziert die Auseinandersetzungen, die schliesslich zum Rücktritt Schotts führten. (Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884.) Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft (1882), 7. Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 213.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Die Statutenreform von 1887 und die Diskussion um die Übergabe der Missions-Handlung an die Mission Das ab dem 1. Januar 1888 für alle Aktiengesellschaften verbindliche neue Schweizer Obligationenrecht von 1881 nötigte die Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887 zu einer Statutenrevision. Unter anderem sah die neue Gesetzgebung zwingende Aktionärsrechte, wie die Wahl eines Verwaltungsrats oder die Bestimmung der Dividende, und eine Generalversammlungen der Aktionäre als oberstes Organ der Aktiengesellschaft vor.78 Ähnlich wie 1880 nutzte Preiswerk die äusseren Umstände, um – drei Jahre nach der „Affäre Schott“ – erneut eine grundlegende Diskussion über die Zukunft der Missions-Handlungs-Gesellschaft anzustossen. Anlässlich einer Extrasitzung der Handlungskommission mit Vertretern des Missionskomitees brachte Preiswerk wie bereits 1880 nochmals die (von ihm allerdings immer noch nicht unterstützte) Idee vor, die Missions-Handlung gänzlich an die Mission zu übertragen.79 Die Diskussion erinnert in ihrer Suche nach klaren Strukturen an die Auseinandersetzung mit Schott wenige Jahre zuvor; allerdings unter anderen Vorzeichen: nun sollte sich die Handlungs-Gesellschaft nicht von der Mission distanzieren, sondern sich vielmehr mit ihr vereinigen. Für die Aufhebung und die Übergabe der Geschäfte an die Mission wurden folgende Argumente eingebracht: Man könne so einer Kontrolle der Gesellschaft durch die Aktionäre, wie sie das neue Obligationenrecht forderte, entgehen, Dividenden an die Aktionäre könnten gespart werden und Steuerzahlungen würden wegfallen, da die Mission als gemeinnütziges Werk steuerbefreit sei. Ausserdem würde die Kritik an der Handlung verstummen, wenn die Handlung Teil der Mission würde. Umgekehrt merkte Preiswerk aber auch an, dass sich die Kritik (wie bei Schott) gerade daran entzünden könnte, dass Handel und Mission allzu sehr vermischt würden. Weitere Argumente gegen eine Auflösung der Aktiengesellschaft waren: Die Befürchtung, dass nach der Übernahme der Handlung die Spendenfreudigkeit im Umfeld der Mission nachlassen könnte, die alte Sorge, dass die Handlung in Verbindung mit der Mission an Kreditwürdigkeit verlieren könnte und schliesslich rechtliche Probleme bei der Übertragung der umfangreichen Geschäfte an die Missionsgesellschaft.80 Die Bezüge zur „Affäre Schott“ sind unverkennbar: Die Angst vor weiterer Kritik wurde sowohl als Argument für eine Fusion von Mission und Handlung (das Geschäft würde so diskreter ablaufen) als auch gegen ein Zusammengehen (die alte Kritik könnte sich so auch wieder intensivieren) angeführt. Schliesslich sprachen sich nur Eduard Bernoulli als ausserordentlicher Vertreter des Missionskomitees und (ohne grosse Überzeugung) Missionsinspektor Oehler für eine Fusion aus. Während Oehler dabei an eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Mission und der Missionsindustrie dachte, ging es Bernoulli um eine 78 79 80
Bundesgesetz über das Obligationenrecht (vom 14. Brachmonat 1881), Art. 629–648. Vgl. Pahud de Mortagnes, Rechtsgeschichte (2007), 221–226. Zur gleichen Zeit kam es auch zu einer Änderung des deutschen Aktienrechts. (Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 77.) ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887. ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887.
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generelle Klärung des Verhältnisses zwischen Mission und Handlung. Er forderte in seiner Stellungnahme vor allem ein konsequenteres Verhalten: Falls die Handlung ihre Form als Aktiengesellschaft behalten sollte, müssten die Aktionäre wieder direkt an der Gewinnentwicklung beteiligt werden. Nur so könne man eine „principielle Lösung des Verhältnisses der Actionäre“ herbeiführen!81 Offenbar missfiel ihm die seit der Statutenrevison von 1880 kompromissartig angelegte Struktur der Missions-Handlung mit ihren „Schein-Actionairen“, die in der Tat eine Merkwürdigkeit darstellte. Auf diesen radikalen Vorschlag wurde, vielleicht in Erinnerung an Rottmanns Kritik aus der Anfangszeit,82 erwidert, dass es die Kaufleute in Afrika und Indien kaum gutheissen würden, Leben und Arbeitskraft für Aktionäre aufs Spiel zu setzen.83 Für den Fall, dass die Missions-Handlung als Aktiengesellschaft bestehen bleiben sollte, schlug Preiswerk folgende Statutenänderung vor:84 Wie vom neuen Obligationenrecht vorgesehen, sollte eine Generalversammlung der Aktionäre eingeführt werden, die unter anderem anstelle des bisher zuständigen Missionskomitees die Mitglieder der „Handlungskommission“ im Sinne eines Verwaltungsrats wählen und über Statutenänderungen und Kapitalerhöhungen befinden sollte.85 Um einen Ausgleich zwischen den (gesetzlich vorgesehen) Rechten der Aktionäre und den Interessen der Mission zu finden, sollte die Bestimmung gelten, dass die Aktien der Mission höchstens einen Fünftel der Stimmen an einer Generalversammlung ausmachen durften. Gleichzeitig musste mindestens ein Fünftel der Aktionäre vertreten sein, womit eine Majorisierung durch die Mission als Grossaktionärin verunmöglicht wurde. Umgekehrt erhielt die Mission das Recht, „über ihr nicht genehme Beschlüsse eine zweite General-Versammlung anzuberaumen“.86 Ausserdem durfte das Missionskomitee gemäss einer weiteren Sonderbestimmung zwei von maximal sechs Mitgliedern der Handlungskommission direkt entsenden.87 Schliesslich sollte die Mission zusätzlich zur Möglichkeit, die Liquidation der Firma einzuleiten, das Recht erhalten, die Handlung (nach Auszahlung der Aktionäre) jederzeit zu übernehmen.88 Als Nachtrag zur Übernahme der Missionsindustrie wurden die Zweckbestimmungen um das Ziel ergänzt, gewerbliche und industrielle Unternehmungen im Missionsgebiet der Basler Mission zu fördern und zu unterhalten.89 Das Missionskomitee stellte sich anfangs Mai 1887 hinter den Antrag, die Aktiengesellschaft gemäss den vorgeschlagenen Statuten zu erneuern (und auf ein Zusammengehen mit der Mission zu verzichten).90 Vorläufig änderte sich mit den neuen Statuten 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90
ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887. Siehe Kap. 2.7. ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887. ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887. Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1887, Art. 6–8. Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1887, Art. 8. Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1887, Art. 9. Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1887, Art. 15. Vgl. 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel 1887, Art. 2. ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 27. April 1887, § 211 und 4. Mai 1887, § 235. Vgl. ABM/ UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Mai 1887.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
nichts an der Zusammensetzung der Handlungskommission und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Die neu konstituierte Generalversammlung begnügte sich in den folgenden Jahrzehnten mit der Gutheissung der Anträge der Handlungskommission als neuem „Verwaltungsrat“.91 Stagnation des Handelsgeschäfts und die Diskussionen um die Einschränkung der afrikanischen Geschäfte Während sich die Führung der Missions-Handlungs-Gesellschaft wiederholt mit grundsätzlichen Fragen auseinandersetzte, stagnierte das traditionelle Handelsgeschäft.92 Die Gründe für die im Vergleich zur vorangegangenen Phase bescheidenen Ergebnisse in Afrika lagen in der lang anhaltenden allgemeinen Flaute im weltweiten Palmölhandel während der 1880er Jahre93, grösserer Konkurrenz durch andere europäischer Handelsfirmen94 und der bis 1896 andauernden Auseinandersetzung zwischen dem Königreich der Ashanti und der britischen Kolonialmacht.95 In dieser angespannten Situation agierte die Handlungskommission zurückhaltend: 1880 wurde die älteste der Missionsfaktoreien, die Station in Christiansborg, zur Filiale von Accra degradiert;96 1886 verkaufte die Handlung ihre seit 1884 bestehende Filiale in Cape Coast an Hermann Ludwig Rottmanns Bruder Christian;97 1887 schloss sie auf Grund schlechten Geschäftsgangs zwei Aussenposten in Apam und Winneba;98 1889 wurde Akuse zu einer Zweigfiliale von Ada herabgestuft und die definitive Schliessung der Zweigfiliale in Christiansborg angeordnet.99 Im Einklang mit den Beschlüssen im Nachgang der „Affäre Schott“ stagnierte auch in Indien der Umsatz der Missions-Handlungen in Mangalore, Calicut und Mercara.100 Ein von Rottmann unterstützter Vorschlag von Missionsinspektor Prätorius, an der Goldküste in den Aufbau von Plantagen zu investieren, wurde nicht weiter
91 Vgl. ABM/UTC 4574: Protokollbuch der Generalversammlungen 1887–1928. Eine Ausnahme bildete eine abgelehnte Motion zur finanziellen Besserstellung der Missionskaufleute im Jahr 1890, die allerdings Episode bleiben sollte. (ABM/UTC: 4574: Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 16. Mai 1890.) Siehe auch Kap. 3.4. 92 Vgl. die etwas inkonsistenten Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 93 Vgl. Lynn, Commerce (1997), 11–114. Vgl. dazu auch die Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1885, 6 f. und 1887, 7. 94 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 182 f. 95 Zu den Auseinandersetzungen zwischen den Briten und den Ashanti vgl. Edgerton, Asante (1995). 96 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 19. August 1880. 97 ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 17. Juni 1884 und 3. Juni 1886. 98 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Februar 1888. 99 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 22. März 1889. 100 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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verfolgt.101 Ebenso wenig ging die Handlungskommission auf entsprechende Vorschläge indischer Missionare ein.102 Der wenig rentable Geschäftsgang sowie die zahlreichen Todesfälle unter den Missionskaufleuten an der Goldküste führten immer wieder zu Kritik am Afrikageschäft. Im Frühling 1885 forderte Theodor Sarasin ein erstes Mal, die Station in Akuse am Volta zu schliessen, die er auf Grund der vielen Todesfälle unter den dort stationierten Europäern als besonders gefährlich einschätzte. Zur weiteren Entlastung der Missionskaufleute schlug er vor, in Basel angehende Missionare als Missionskaufleute anzuwerben.103 Nach längerer Diskussion wurde dieser Vorschlag mit dem Hinweis auf die missionarische Bedeutung der Station in Akuse und die Tatsache, dass die Studenten im Missionshaus nur ungern Missionskaufleute anstatt Missionare werden würden, abgelehnt.104 Nachdem die Handlungen in Afrika 1885 und 1886 zweimal hintereinander mit deutlichen Defiziten abgeschlossen hatten,105 wurden Sinn und Nutzen der Handlung auch im Missionskomitee in Frage gestellt. Im Hinblick auf das gesamte Unternehmen ging es auch um den Vorwurf, dass die Gewinne der Industrieunternehmungen durch die Verluste der riskanteren Handelsgeschäfte in Afrika wieder getilgt würden. Preiswerk bestritt dies, und auch der in der Heimat weilende Missionskaufmann Johann Binder gab zur Verteidigung zu Protokoll, „dass [die Handlungen] im Allgemeinen einen guten Einfluss ausüben“ und insbesondere auf deren Beitrag zur „Sonntagsfeier, die nur durch das Beispiel unserer Handlungen aufrecht erhalten werde“, hinwies.106 Ein Jahr später wurde das „Voltageschäft“ auf Grund des schlechten Geschäftsgangs erneut zum Traktandum im Missionskomitee. Preiswerk erklärte die Probleme im Missionskomitee mit dem Mangel an geeignetem Personal. Für eine rentable Geschäftsführung am Volta benötige man rund zwölf Mitarbeiter, die sich nicht mehr finden liessen, wenn man bei der Rekrutierung weiterhin bloss auf Gottvertrauen setze: „Hat man früher gesagt, dass man das Handelsgeschäft fortführen wolle, so lange Gott uns die Brüder dazu zuführe und auch einen Ertrag der Arbeit gewähre, so ist nun zu sagen, dass es an Brüdern immer mehr zu fehlen beginnt [...].“107 Ändere sich nichts, bleibe nichts anderes übrig, als die afrikanischen Geschäfte zu schliessen. Als Ausweg schlug er – mit Hinweis auf einen aus Afrika eingegangenen Vorschlag Rottmanns108 – vor, künftig neben den „Handlungsbrüdern“ auch bezahlte „Kommisse“ nach Afrika zu senden. Dieser Vorschlag stiess im
101 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Juni 1883; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 166. 102 ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 4. März 1892 und ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 10. April 1896. 103 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Mai 1885. 104 ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 22. Mai 1885 und 16. Juni 1885. 105 Vgl. Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1885, 10 f. und 1886, 12 f. 106 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Mai 1887. 107 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. Mai 1888, § 278. 108 Einen ähnlichen Vorschlag hatte Rottmann bereits 1879 eingebracht. (Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 19. August 1879.)
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Missionskomitee erwartungsgemäss auf Bedenken. Die Beratungen in dieser Sache wurden schliesslich vertagt.109 Ende 1888 stellte Missionssekretär Römer dann den Gegenantrag, von der Anstellung bezahlter Kommisse weiterhin abzusehen und die Handelsstationen am Volta aufzugeben. Die Hilfe der Handlungs-Gesellschaft bei der Missionsarbeit sei zwar anerkennenswert, stehe aber in keinem Verhältnis zum getätigten (personellen) Aufwand.110 Die Diskussion dieser Anträge erstreckte sich über mehrere Sitzungen. Einfach zu klären war die Frage nach den Kommissen. Nur eine Minderheit mochte auf Preiswerks Argumentation eingehen, wonach gewöhnliche Angestellte tendenziell geschäftstüchtiger, leichter zu disziplinieren und wegen geringerer „Ausrüstungskosten“ (gemeint sind wohl die Ausbildungskosten) nicht unbedingt teurer wären. Das implizierte, dass die primär religiöse Motivation der Mitarbeiter eben auch Ineffizienz und geschäftliche Nachteile bedeuten konnte. Die Mehrheit des Missionskomitees befürchtete dagegen ein Auseinanderbrechen des „Brüderkreises“ und wollte nichts von bezahlten Mitarbeitern wissen. Nur Pfr. Ecklin sprach etwas enigmatisch davon, dass die Anstellung von Kommissen auch eine „Reinigung des Werkes“ bedeuten könne. Vielleicht meinte er damit eine klarere Trennung zwischen Mission und Handlung, wie es zuvor Schott und Bernoulli gefordert hatten.111 Kontroverser wurde die Frage der Aufhebung des Voltageschäfts behandelt: Preiswerk und andere Komiteemitglieder führten den „zivilisatorischen“ und missionarischen Nutzen der Handelsstationen in Ada und Akuse im Sinne einer etwas diffus umschriebenen Vorbildfunktion und die Dienstleitungen zugunsten der Mission als Argumente für die Beibehaltung an. Preiswerk verwies ausserdem auf die (delegiert gemeinnützige) Gewinnbeteiligung der Mission. Er argumentierte aber nicht nur mit dem moralisch-religiösen Nutzen im Hinblick auf die Mission: Das Voltageschäft sei überdies eine geschäftliche Notwendigkeit. Voll (vielleicht auch bewusst etwas übertriebenem) AfrikaOptimismus meinte er: „Ada am Ausfluss des Voltas ist eine Art strategisches Bedürfnis, ähnlich wie hierfür in China Hong Kong [...].“112 Gegen die Stationen am Volta sprachen für Theodor Sarasin und weitere Komiteemitglieder vor allem die unbefriedigende Situation der dort stationierten Missionskaufleute. Einerseits seien sie am Volta gesundheitlich besonders gefährdet. Andererseits müssten sie in der dortigen Konkurrenzsituation zu sehr Kaufleute sein, was ihnen die Möglichkeit zu missionarischer Arbeit nehme. Schliesslich wurde, im Widerspruch zu Preiswerk, auch der missionarische Nutzen des VoltaGeschäfts bezweifelt. Das Missionskomitee stand in seiner Entscheidung vor einem (unternehmensethischen) Dilemma. Es musste zwischen dem Schutz der Mitarbeiter vor körperlichen Gefahren und religiöser Enttäuschung (Wahrnehmung unternehmensethische Verantwortung) und direkt gemeinnütziger und delegiert gemeinnütziger Hilfe 109 110 111 112
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 2. Mai 1888, § 278. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Dezember 1888, § 773. ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 12. Dezember 1888, § 773; 19. Dezember 1888, § 778. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Dezember 1888, § 773.
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zu Gunsten der Mission entscheiden. Der Zwiespalt tritt etwa im Votum von Eduard His zu Tage: „Hr. His bekennt, dass die Gewissensfrage ihm auch am meisten zu schaffen gemacht habe; besonders drücke ihm die Enttäuschung für den, der in solchem Beruf von Krankheit heimgesucht werde, doppelt schwer. Indessen müsse er dem Votum von Hr. Preiswerk im wesentlichen Punkten Recht geben u. erkenne in der Erleichterung der ordinierten Brüder einen wesentlichen Vorteil.“113
Die Entscheidung musste davon abhängen, wie hoch die Komiteemitglieder den „Missionswert“ der Handelsstationen am Volta tatsächlich einschätzten. Schliesslich bahnte Missionslehrer Kinzler einen Kompromiss an. Er schlug vor, nur die Station in Akuse, nicht aber die in Ada zu schliessen. In der weiteren Diskussion konnte Preiswerk diesen Vorschlag nochmals abschwächen: „Da aber die Mitglieder der Handlungscommission es noch für möglich halten, einen Versuch zu machen, ob Akuse nicht, ohne dauernde Anwesenheit eines Europäers notwendig zu machen, von Negern verwaltet werden kann, so schien das allgemein die befriedigendste Lösung.“114
So war man schliesslich zu einer Einigung gekommen, die dem Schutz der europäischen Mitarbeiter zu Gute kam und das Geschäft der Missions-Handlung nicht allzu sehr beeinträchtige. Um sich vor der Konkurrenz keine Blösse zu geben, wurde beschlossen, diese Änderung „aus geschäftlichen Gründen“ nicht weiter bekannt zu machen.115 Letztlich bewirkte dieser Kompromiss – ungewollt – ein aus heutiger Perspektive wertvolles Empowerment der einheimischen Mitarbeiter, die fortan in Akuse die Verantwortung übernehmen sollten. Zahlreiche Todesfälle unter den Missionskaufleuten116 und der schleppende Geschäftsgang liessen die Diskussion um die Zukunft der afrikanischen Geschäfte Mitte der 1890er Jahre erneut aufflammen. Angesichts der Erfahrung, dass „manche Brüder unter der rein äusserlichen Arbeit des Kaufmanns & den besonderen ungünstigen Einflüssen des Lebens in den Tropen innerlich gelitten haben“, stellte Theodor Sarasin im Frühling 1896 im Missionskomitee den radikalen Antrag, die Geschäfte in Afrika, soweit sie nicht direkt der Versorgung der Missionare dienten, vollständig aufzuheben. Dahinter steckte wiederum die Überlegung, „dass der von ihm [Sarasin] nicht hoch taxierte Missionswert der Handlung den religiösen und moralischen Schaden, den die Handlungsbrüder leiden u. die [...] Gefahr an Menschenleben nicht aufwiege.“117 Die Handlungskommission wehrte sich – in Abwesenheit Sarasins – gegen diesen erneuten Angriff auf den Bestand der Handlungs-Gesellschaft und verfasste ein entsprechendes Memorandum zuhanden des Missionskomitees. Es stimme nicht, dass die afrikanischen Geschäfte keinen Ertrag mehr abwerfen würden, vielmehr 113 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 12. Dezember 1888, § 773. 114 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 11. Dezember 1889, § 693. 115 Die ganze Diskussion unter: ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 12. Dezember 1888, § 773; 19. Dezember 1888, § 778; 4. Dezember 1889, § 674 und 11. Dezember 1889, § 693. 116 Vgl. ABM/UTC 4721: Personalia I; sowie Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1895, 6, wo berichtet wurde, dass kurzfristig sogar zwei Missionare der Handlung aushelfen mussten. 117 ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 29. April 1896, § 348 und 10. Juni 1896, § 490.
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hätten sie immerhin rund 80 000 Franken jährlich eingebracht. Weiter sei der Vorwurf, die Missionskaufleute täten nichts zur religiösen Hebung ihrer Angestellten, ungerecht, weil es ja vor allem darum gehe – diese Formulierung kennen wir bereits aus der Gründungszeit des Unternehmens –, „durch redlichen Handel & Wandel für die Gesamtbevölkerung ein gutes Beispiel zu geben.“ Zum Schluss verwies das Memorandum auf die vorbildliche Wahrnehmung einer christlich geprägten unternehmensethischen Verantwortung im Vergleich zu den Konkurrenzunternehmen: „In diesem Nachtbild stellen unsere MissionsHandlungen, die Concubinat & Branntwein ausschliessen, doch einen Lichtblick dar; [...]“118 Zur gleichen Zeit traf in Basel das Protokoll einer Konferenz der Basler Goldküstenmissionare ein, die sich ebenfalls mit der Situation der Handlungs-Gesellschaft befasst hatte. Darin wurde der Geschäftsführung in Basel vorgeworfen, dass sie sich zu wenig um die Rekrutierung neuer Mitarbeiter bemühe. Statt einer Beschränkung der Geschäfte wurde gefordert, dass man mit allen Mitteln gegen die Konkurrenz kämpfen müsse. Nur ein Missionar widersprach diesem Votum für eine Vorwärtsstrategie und „warnt vor dem Konkurrenzgeist, der Weltgeist sei u. mahnt zur Einschränkung [...].“119 Unterstützung erhielt Sarasin von Hermann Christ. Auch er bemühte die merkwürdige Variante des „Weltgeists“, der sich der Handlungsbrüder im Zusammenhang der spekulativen Geschäfte bemächtige: „Man stelle an die Handlungen idealere Anforderungen als sie erfüllen können, da Spekulation eben Welt sei & der Weltgeist der Mehrheit der Kaufmannsbrüder gefährlich werde. [...] Die Leute, die wir hinausschicken, seien den Gefahren nicht gewachsen, der Missionswert halte den Gefahren [...] nicht die Waage.“120
Die Mehrheit des Komitees einschliesslich des Missionsinspektors widersprach dieser Befürchtung nicht. Sie gewichtete aber die moralischen Vorteile der Missions-Handlung höher. In leichter Abwandlung der Diskussion in den Jahren 1888 und 1889 wurden nun (wie bereits von der Handlungskommission) die Erfolge der Missions-Handlung im Kampf gegen den Schnapshandel ins Feld geführt: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft sorge dafür, dass sich (nicht alle) Einheimischen ihre Produkte mit Branntwein bezahlen liessen.121 Ein Komiteemitglied votierte in eine andere – interessante – Richtung. Eduard Bernoulli widersprach dem Gedankengang, dass die Teilnahme am Exporthandel 118 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. April 1896; vgl. auch ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Juni 1896, § 490. In fast den selben Worten wurde dann im folgenden Jahresbericht die Entscheidung, in Afrika zu verbleiben, begründet. (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1896, 7.) 119 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Juni 1896, § 490. 120 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Juni 1896, § 490. Damit lag er ganz auf Sarasins Linie, der bereits Jahre zuvor vor Spekulationsgeschäften in Indien gewarnt hatte. (ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 19. Februar 1885.) Ähnliche Warnungen vor spekulativen Geschäften erhielten während der 1890er Jahre auch die Mitarbeiter in den ÜberseeHandelsgeschäften der Herrnhuter Brüdergemeine. (Homburg, Glaube und Rechnen (2012), 195.) 121 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Juni 1896, § 490.
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zwingend ein Abgleiten in den „Weltgeist“ bedeuten müsse. Er entwarf vielmehr die Idee einer integrativ im Sinne der Mission ausgestalteten Handlungs-Gesellschaft: „Man sollte wohl die Handlung behalten, aber dann einen bestimmten Arbeitsgeist vorschreiben. Man könne auch ein Geschäft abweisen, wie man zu Haus Sonntags den Laden schliesse. [...] Sollten uns richtig stehende Leute zugeführt werden, so haben wir keinen Anlass zurück zu gehen. Die Brüder sollen sich nicht der Welt gleich stellen.“122
Mit der lapidaren, grundsätzlich aber richtigen Bemerkung, man könne zum Beispiel am Sonntag auch einmal ein Geschäft abweisen (ohne wirtschaftlich zu Grunde zu gehen), stellte Bernoulli vorgebliche Sachzwänge des wirtschaftlichen Umfelds (man müsse mit der Konkurrenz mithalten) in Frage. Sein nur oberflächlich skizziertes Konzept erinnert an eine – natürlich religiös interpretierte – integrative Unternehmensethik im Sinne Peter Ulrichs.123 In der darauf folgenden Sitzung nahm Inspektor Oehler Bernoullis Vorschlag dahingehend auf, dass er vorschlug, das Exportgeschäft zwar zu behalten, aber zum Schutz der Mitarbeiter und zur Förderung des missionarischen Geists verbindliche Arbeitszeiten festzulegen und für einen besseren Kontakt zwischen den Handlungsbrüdern und den ordinierten Missionaren zu sorgen. Die anderen Komiteemitglieder verwarfen diesen Vorschlag, da sie befürchteten, dass zu viele Regeln und Gebote kontraproduktiv wären.124 An der Idee eines ganz auf die Mission ausgerichteten Geschäftskonzepts wurde nicht mehr weitergedacht, was man bedauern kann: Vielleicht hätten sich hieraus alternative Konzepte im Sinne des heutigen Fair-Trade entwickeln können. (Ideen, wie sie der Missions-Handlungs-Gesellschaft später fälschlicherweise immer wieder zugeschrieben wurden.125) Obwohl sich eine Mehrheit für die Beibehaltung des Exportgeschäfts aussprach, entschloss sich das Komitee, zusätzlich die Meinung des leitenden Missionskaufmanns Duisberg an der Goldküste einzuholen.126 Dieser bat in seiner Antwort darum, wie bisher aber in zurückhaltender Weise weiterarbeiten zu dürfen. Diesem Antrag wurde stattgegeben.127 Die Diskussion endete damit ohne konkrete Ergebnisse.
122 123 124 125
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 10. Juni 1896, § 490. Siehe dazu die Ausführungen in der Einleitung, Kap. 1.1. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Juni 1896, § 504. Die im Zusammenhang mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft unzutreffende Bezeichnung des „FairTrade“ findet sich bei Salvisberg, Zellweger (2008), 10 [Einleitung von Bernhard Ruetz] und hinten auf dem Umschlag; Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 23; Schweizer, Mission (2002), 145; Baur, Afrika (2006), 139; Jenkins, Basler Mission (2009). Auf die unzutreffende Charkterisierung hat bereits Franc, Schokolade (2008), 37; 73; 214 hingewiesen. 126 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Juni 1896, § 504. 127 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 18. November 1896, § 908.
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Trendwende im afrikanischen Handelsgeschäft Nur wenig später kam es zu einer Trendwende im afrikanischen Geschäft.128 Die allgemein bessere Konjunktur in Westafrika und die allmählich sich etablierende Kakaoproduktion an der Goldküste erweiterten die Möglichkeiten der MissionsHandlung im Exportgeschäft und stärkten die Kaufkraft der einheimischen Kunden.129 1897 wurden im Zuge dieser Entwicklung die Geschäfte in Apam und Winneba, die Ende der 1880er Jahre geschlossen worden waren, wieder eröffnet.130 Ein Jahr später wurde Winneba als selbständige Faktorei wieder mit einem europäischen Missionskaufmann besetzt.131 Im gleichen Jahr expandierte die Handlungs-Gesellschaft nach Kamerun. Der Anstoss dazu kam seitens des Missionskomitees, welches bereits im Jahr 1896 den Wunsch an die Handlungskommission gerichtet hatte, sie möge die Warenspedition für die seit 1886 als „bewusste Kolonialmission“132 entstandenen Missionsgebiete in Kamerun auf eigene Rechnung übernehmen. Eher widerwillig kam die Handlungskommission anfangs 1898 diesem Wunsch nach und liess sich in Duala nieder. Von der Gründung einer weiteren Handlungsstation auf der Missionsstation Victoria wurde im Hinblick auf den immer noch akuten Personalmangel vorerst abgesehen.133 Anders als bisher üblich ging die Ausdehnung der Geschäfte in diesem Fall nicht von der Missions-Handlung, sondern von der Basler Mission selbst aus, die so auf administrative Entlastung hoffen konnte. 1899 kam es angeblich zu „moralischen Verfehlungen“ des einheimischen Filialleiters in Akuse. Dies nahmen die Missionskaufleute zum Anlass, die Wiederbesetzung Akuses mit europäischen Missionskaufleuten zu beantragen. Angesichts des sich stark entwickelnden Volta-Handels stimmten Handlungskommission und Missionskomitee diesem Antrag ohne weitere Diskussionen zu.134 Immerhin gingen die gesundheitlichen Bedenken, die ja gut zehn Jahre zuvor zum Abzug der europäischen Mitarbeiter geführt hatten, nicht ganz vergessen. So wurde vorgesehen, dass die neu ausgesandten Missionskaufleute nicht in Akuse, sondern im circa zwölf Kilometer entfernten Kpong wohnen sollten.135 Zu Beginn des Jahres 1900 128 Vgl. dazu die in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft publizierten Zahlen, die für die afrikanischen Handlungen nach mehreren schlechten Geschäftsabschlüssen ab 1897 wieder stark steigende Gewinne auswiesen. 129 Im Jahresbericht über das Jahr 1899 findet Kakao neben Palmöl und Palmkernen erstmals Erwähnung als ein „Hauptausfuhrartikel“. (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 6.) Zur Entwicklung der Kakaoproduktion und des Kakaohandels an der Goldküste vgl. Franc, Schokolade (2008). 130 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 29. Oktober 1897; vgl. auch ABM/ UTC 4555 Sitzung der Handlungskommission vom 13. März 1888, in der bereits einmal eine Reaktivierung Winnebas in Erwägung gezogen wurde. 131 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juni 1899. 132 Altena, Häuflein (2003), 39; vgl. auch Jenkins, Basler Mission (1989), 8. 133 ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 19. November 1896 und 7. Januar 1898. 134 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Juni 1899; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4. 135 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
131
war die die Missions-Handlung damit an insgesamt zehn Orten präsent: an der Goldküste mit drei Hauptstationen (Accra, Ada, Winneba) und drei Filialstationen (Prampram, Akuse, Apam), in Kamerun mit der Station in Duala und in Indien mit den drei im kleinen Rahmen fortgeführten Handlungen in Mangalore, Calicut und Mercara.136 Die strategische Entwicklung der Industriebetriebe Die Missions-Handlungs-Gesellschaft übernahm mit der Missionsindustrie ein spezielles Unternehmen. Anders als die Handlungen, die abgesehen von ihrem delegiert und direkt gemeinnützigen Engagement und Ansätzen unternehmensethischer Verantwortung weitgehend wie gewöhnliche Unternehmen funktionierten, waren die Industrien viel stärker auf ein nicht gewinnorientiertes Unternehmensziel ausgerichtet: Es ging um das Gewissen der Mission. Angesichts ihrer Gemeindeglieder, die durch die Konvertierung und dem damit einhergehenden Kastenverlust verarmt waren, fragte sich die Mission: „Wie [aber] soll man sich solcher Elenden annehmen? Almosen oder Arbeit?“137 Als Antwort hatte man, wie oben dargelegt, die Missionsindustrien als Arbeitsbeschaffungsprogramm für die frisch konvertierten Christen geschaffen. Dieses Programm kann man als eine direkt gemeinnützige Dienstleistung für die Mission bezeichnen: Es ging darum, unerwünschte Nebeneffekte der Missionstätigkeit zu beseitigen oder abzumildern. Weiter gedacht, kann man die von der Mission aufgebauten Industriebetriebe als Beispiele für die Implementierung einer (allerdings auf den Missionskontext beschränkten) integrativen Unternehmensethik im Sinne Peter Ulrichs verstehen. Das Ziel, möglichst viele Konvertierte zu beschäftigen, wäre dann die „gesellschaftliche Funktionsorientierung“, die eine sinnvolle „unternehmerische Wertschöpfungsgabe“ ausmachen könnte.138 Die Schaffung von Arbeitsplätzen für die Konvertierten in Indien war durchaus erfolgreich: Zwischen 1880 und 1899 stieg die Zahl der durch die Missionsindustrien geschaffenen Arbeitsplätze von 900 auf rund 2200. Davon waren im Jahr 1899 rund vier Fünftel Mitglieder der Missionsgemeinden.139 Damit beschäftigte die Missionsindustrie über zehn Prozent aller Gemeindeglieder, beziehungsweise rund zwanzig Prozent der erwachsenen „Kommunikanten“.140 Der hohe Anteil der Angestellten der Missionsindustrie unter den Gemeindegliedern lässt darauf schliessen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Missionsindustrie tatsächlich einem Bedürfnis entsprochen hat. Die weitaus grössere Zahl von ausserhalb der Missionsindustrie Beschäftigten, also ökonomisch selbständigen Gemeindegliedern, zeigt aber auch, dass die zum Christentum konvertierten Inder auch alterna-
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Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 4. Vertraulichen Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 1. Vgl. Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 465–469. Vgl. dazu die Zahlen in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Jahresbericht der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel 1899, 107.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
tive Einkommensmöglichkeiten fanden oder im Rahmen der gewohnten Strukturen weiterleben konnten. Grundsätzlich kann man den Missionsindustrien den Erfolg ihres Beschäftigungsprogramms nicht absprechen. Auch Rudolf Fischer bestätigt in seiner Untersuchung zur Rekrutierung und Motivierung der Mitarbeiter in der Missionsindustrie, dass die Missionsindustrien die Funktion als Arbeitsbeschaffer ernst genommen hätten, was sich etwa darin zeigt, dass sie teilweise älteren oder kranken Christen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt Mühe bekundet hätten (und wohl ganz besonders auf die sozialen und ökonomischen Sicherheiten des Kastensystems angewiesen gewesen wären), Arbeit beschafften.141 Andererseits hatten die Industriebetriebe auch ihre eigene Dynamik. Sie sollten als Missionsprojekte wachsen und vor der Konkurrenz bestehen und – seit der Übernahme durch die Missions-HandlungsGesellschaft auch delegiert gemeinnützige Gewinne erwirtschaften. In diesem betriebswirtschaftlichen Kontext waren die christlichen Arbeiter nicht mehr bloss Nutzniesser eines „Arbeitsbeschaffungsprogramms“, sondern gleichzeitig einfach nutz- und fassbare Arbeitskräfte. In diesem Sinn kann man die direkt gemeinnützige Rolle als Arbeitsbeschaffer durchaus auch kritisch sehen. Die Erfolge bei der Schaffung von Arbeitsplätzen beruhten einerseits auf dem Ausbau der bestehenden Betriebe in Mangalore (Weberei, Ziegelei und mechanische Werkstätte), Calicut (Weberei, Ziegelei und Schreinerei) und Cannanore (Weberei) sowie den kleineren Filialwebereien in Mulki und Tellicherry.142 Andererseits kam es zur Gründung neuer Ziegeleien in Kudroli nahe Mangalore (1883)143, Udupi (1884), Kodakkal (1890)144 und Palghat (1894).145 Ausserdem entstanden bis Ende der 1890er Jahre Filialwebereien in Chombala und Kodakkal.146 Der einzige Rückzug betraf die Schreinerei in Calicut, die ab 1888 (ganz im Sinne Schotts) an einen einheimischen Meister verpachtet wurde, womit sie aus der Reihe der eigentlichen Missionsbetriebe ausschied.147 Ende 1899 betrieb die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Indien damit sieben weitgehend auf Handarbeit beruhende Webereien (davon vier so genannte „Filialwebereien“), sechs Ziegelfabriken und eine mechanische Werkstätte.148 Ausserdem hatte die Missions-Handlung mit der Übernahme der Missionsindustrien auch die Verantwortung für die Missionswerk-
141 Fischer, Missionsindustrie (1979), 35; 237 f.; 254. An anderer Stelle berichtet Fischer allerdings auch von einer Entlassung älterer christlicher Mitarbeiter aus betriebswirtschaftlichen Gründen. (Ebd. 182.) 142 Vgl. zum Beispiel ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 26. August 1887 und 24. März 1893; ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 11. Juni 1895. 143 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1883. Siehe auch Abbildung 9 im Anhang. 144 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1890, 6 f. 145 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1893, 8. Es handelt sich um das heutige Palakkad. 146 Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1884, 8 und 1898, 4. 147 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. März 1888. 148 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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statt in Christiansborg übernommen.149 Die Arbeit der dortigen Schlosserei und Schreinerei blieb allerdings mit einem europäischen Industriemissionar und rund vierzig mehrheitlich christlichen Arbeitern und Lehrlingen auf einem relativ bescheidenen Niveau.150 Die Fusion mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft erlaubte der Missionsindustrie ein forscheres Vorgehen beim Ausbau ihrer Standorte, da nun deutlich mehr Mittel für den schnellen Ausbau, insbesondere der kapitalintensiven Ziegelfabriken zur Verfügung standen.151 Der schnelle Ausbau und die damit verbundenen Skaleneffekte ermöglichten (über die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze hinaus) auch regelmässige Betriebsgewinne. Solche wurden bis 1882 jeweils für den weiteren Ausbau der Industrien benutzt. Die Übernahme durch die Missions-Handlungs-Gesellschaft bedeutete in diesem Zusammenhang eine Neuerung: Nun konnte der Betriebsgewinn auch für delegiert gemeinnützige Ausschüttungen genutzt werden. Tatsächlich flossen seit 1882 alljährlich Beträge zwischen 50 000 und 100 000 Franken an die Zentrale in Basel, die dann mit in die Ausschüttungen an die Basler Mission flossen.152 Die Missionsindustrien wurden also ziemlich schnell auch delegiert gemeinnützig und, was die Ausschüttungen an die Aktionäre betraf, gewinnorientiert tätig. Die insgesamt grösseren Betriebsgewinne sind wohl kaum auf eine aktive Neugewichtung zwischen direkt gemeinnütziger und delegiert gemeinnütziger Tätigkeit zurückzuführen. Wenigstens wurde vom Präsidenten der Handlungskommission Preiswerk berichtet, dass er kurz vor seinem Tod die Maxime ausgegeben habe: „Trachten Sie nicht darauf einen hohen Gewinn zu erzielen, sondern darauf, dass unsere Christen etwas lernen fürs Leben.“153 Viel eher übertrug sich das in den Handlungen übliche Ziel, einen Betriebsgewinn zu erzielen, eher unbewusst auch auf die Industrien. Dazu kam ein womöglich effizienteres Management. Diese grundlegende Veränderung stellte in etwas irreführender Weise auch Karl Rennstich fest. Ohne die delegierter gemeinnützige Leistung zu anerkennen, bedauerte er die Entwicklung der Missionsindustrien in den 1880er- und 1890er Jahren: „Die Ausdehnung der Missionsindustrie ging nach Schotts Kritik dennoch weiter. Sie wurde damit zur Grossindustrie und der Profit zum Massstab des Geschäftes.“154 Bei der Gründung neuer Industriebetriebe in Indien befand sich die MissionsHandlungs-Gesellschaft in einem Dilemma: Einerseits sollte sie dort Arbeitsplätze schaffen, wo sich auch die meisten Missionierten befanden. Andererseits sollten die Betriebe – auch im Hinblick auf die delegierte Gemeinnützigkeit – rentabel sein, was einen betriebswirtschaftlichen Standortentscheid nahe legte. 1884 kritisierte etwa „Industriebruder“ Carl Hüttinger den Bau einer zweiten Ziegelei bei Mangalore, die offensichtlich aus rein geschäftlichen Überlegungen und nicht (dem dort
149 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 7. Juni 1883. 150 Vgl. dazu die Angaben in Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft; sowie Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 167–171. 151 Vgl. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 42 f. 152 Vgl. dazu die Angaben in Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 153 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. November 1895. 154 Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 213.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
bereits gestillten) Bedürfnis der Mission heraus erfolgt war.155 Er sah darin in zweierlei Hinsicht einen Bruch mit den Prinzipien der Missionsindustrie: „Einmal darin, dass in Mangalore selbst eine zweite Ziegelei errichtet worden sey, während vom Missions-Standpunkt aus kein Grund dazu vorhanden gewesen sey; man hätte besser in Udepy etwas errichten sollen; Folge davon sey 2tens auch die Anstellung einer grösseren Anzahl Heiden, weil in Mangalore selbst kein Bedürfnis zur Beschäftigung weiterer Christen gewesen [sei].“156
Dieser Vorfall scheint aber eher die Ausnahme gewesen zu sein. So belegen verschiedene auf den Wunsch der dortigen Gemeinden zurückgehende Neugründungen, dass grundsätzlich durchaus auf die Bedürfnisse der missionierten Christen eingegangen wurde.157 1886 hielt die Handlungskommission etwa explizit fest: „Nicht die Nachfrage nach einem Artikel, sondern das Bedürfnis der Mission und der Gemeinde [...] ist für unser Vorgehen massgebend.“158 Das Primat der Arbeitsbeschaffung musste auch nicht zwingend in einem Gegensatz zu einer gedeihlichen Entwicklung der Industriebetriebe stehen. So vermutet Fischer, dass genau diese primär auf Beschäftigung ausgelegte Strategie in einer „weitsichtigen[n], von allen spekulativen Elementen freie[n] Unternehmenspolitik [mündete], die auf langfristige solide Profitabilität der Betriebe angelegt war“, welche wiederum „der traditionell auf Sicherheit bedachten Basler Unternehmermentalität“ entsprach.159 Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts scheint sich ein Paradigmenwechsel abzuzeichnen. Nun wurden Anträge für neue Industriebetriebe immer öfter aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgelehnt. Ein Vorgehen, welches man (in Abgrenzung zu schwärmerischem Idealismus) ebenfalls von Gott gelenkt wissen wollte: „Der Zuwachs der Gemeinden in Indien macht es nämlich sehr wünschenswert, dass neue Erwerbszweige für die Christen aufgefunden werden, und es stellt sich deshalb an manchen Orten das Bedürfnis heraus, auch noch weitere Industrien einzuführen. Wir müssen aber mit den uns zu Gebote stehenden Kräften rechnen, dürfen unsere Mittel nicht zu zweifelhaften Unternehmen hergeben und möchten uns auch hierin vom Herrn leiten lassen.“160
Fünf Jahre später wurde dieses Vorgehen dann mit einer Priorisierung von „zivilisatorischen“ Zielen erklärt: „Sodann hat sich herausgestellt, dass durch die zahlreichen Übertritte aus den Heiden mehr Leute in unsern Ziegeleien angestellt worden sind, als nötig sind. Da wir von dem bisher verfolgten Grundsatz, dass unsere Werkstätten Erziehungs- und keine Versorgungsanstalten sein sollen, nicht abgehen wollten, so mussten wir auf Beseitigung dieser Missstände hinarbei155 Es handelt sich dabei um das selbe Projekt, welches bereits von Inspektor Schott kritisiert worden war. 156 ABM/UTC 4555: Protokoll einer Besprechung in Riehen am 17. Mai 1884. 157 So etwa die Gründungen einer Ziegelfabrik in Udipi und von Webereien in Chombola und Kodakal 1884 (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1884, 8) oder die Gründung einer Ziegelfabrik in Kodakal 1890 (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1890, 6 f.). 158 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Oktober 1886. 159 Fischer, Missionsindustrie (1978), 287. 160 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1895, 7 f.; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1889, 9.
3.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
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ten. [...] Sie sehen, wie an uns in mannigfacher Hinsicht Anforderungen herantreten, die die Konkurrenz nicht kennt und wie wir in der Fürsorge für unser christliches Arbeiter-Personal gerne so weit als möglich gehen, aber den erzieherischen Zweck doch in erste Linie stellen möchten.“161
Die Vermischung von Mission und Industrie liess die Basler Mission Teil eines allgemeinen industriellen Modernisierungsprozesses werden. Interessant sind in diesem Zusammenhang Fischers auf Milton Singer zurückgehende Überlegungen, dass die Arbeit in einem Industriebetrieb möglicherweise zu einer Art „rituellen Neutralisierung“ in Bezug auf das traditionelle Kastensystem geführt habe.162 In diesem Sinne stellte die Beschäftigung in einem Industriebetrieb eine geeignete Ergänzung zur Missionierung dar, die ja explizit einen Bruch mit den alten Traditionen forderte. Mehr noch als die zu Beginn verfolgte Beschäftigung in kleineren Handwerksbetrieben (die zwar eher zum „zivilisatorischen“ Ideal der Basler Mission gepasst hatte)163 forcierte sie die von der Basler Mission geforderte Neuorientierung der Konvertiten ausserhalb ihres angestammten sozialen Rahmens. Die Missionsindustrien verstanden als ein Art Arbeitsbeschaffungsprogramm waren regelmässig der Kritik ausgesetzt, dass sie die missionierten Christen durch Beschäftigung als Fabrikarbeiter in eine unnatürliche Abhängigkeit von der Mission führten, anstatt sie zur Selbständigkeit zu erziehen. Im besten Fall führe das zu „Reischristentum“.164 In den „Vertraulichen Mitteilungen“ von 1884 antwortete das Missionskomitee darauf in einer durchwegs modern interpretierbaren Weise,165 dass die Arbeiter in den Missionsindustrien immerhin vom Druck des landwirtschaftlichen Pachtwesens befreit würden und so überhaupt erst die Möglichkeit erhielten, sich (ökonomisch) weiter zu entwickeln: „kommen Sie [die Missionierten] allmählig zu einem netten Eigentum und geordneten Familienleben, wie es der Augenschein zeigt, so wachsen sie dem Selbständigwerden entgegen.“166 Duisberg, der sich in einer 1902 veröffentlichten Schrift zu den Missionsindustrien äusserte, sieht das Problem in einem grösseren Zusammenhang: Was die fehlende Selbständigkeit betreffe, so müsse man auf die allgemeine, weltweite Tendenz hin zur Lohn161 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 9; vgl. auch ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 25. Januar 1900. 162 Fischer, Missionsindustrie (1978), 39.; vgl. auch ebd. 44 f. 163 Zum eher modernisierungskritischen Entwicklungskonzept der Basler Mission im Sinne der „Selbstbeschränkung auf das Dörfliche“ und der Schaffung einer „missionarischen Provinz“ vgl. die Ausführungen in der Einleitung Kap 1.2. 164 Am prominentesten in: ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 6; vgl. auch ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 9. November 1888; Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 14. 165 Verschiedene aktuelle Entwicklungsstrategien betonen die Bedeutung gestillter Grundbedürfnisse als Grundlage weiterer Entwicklung. (Vgl. Nuscheler, Entwicklungspolitik (2005), 229– 233.) Daraus können Forderungen nach Armutsbekämpfung, Mikrokrediten oder nach ökonomischen Bürgerrechten in einem weiteren Sinn, etwa einem bedingungslosen Grundeinkommen oder ein Recht auf Arbeit, erwachsen. (Zu den „Wirtschaftsbürgerrechten als Grundlage realer Freiheit“ vgl. den erhellenden Abschnitt in Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), 279–308; spezifisch zum bedingungslosen Grundeinkommen vgl. programmatisch Franzmann, Bedingungsloses Grundeinkommen (2010).) 166 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 15.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
arbeit verweisen, der man sich im Sinne eines Art Sachzwangs zu beugen habe.167 Hinter dem Vorwurf des „Reischristentums“ verbirgt sich aber auch die Frage, ob die Arbeiter der Missionsindustrien aus (unerwünschten) ökonomischen statt religiösen Gründen konvertierten. Diese Angst schwang etwa bei Inspektor Oehler mit, als er 1889 nach einer Inspektionsreise nach Indien anmerkte, dass ihm die Ziegelfabriken lieber seien als die Webereien, da erstere auf Grund der schlechteren Bezahlung „weniger ein Lockmittel sind zum Uebertritt aus den Heiden.“168 Auch Fischer geht davon aus, dass ökonomische und (abhängig von der Kastenzugehörigkeit) soziale Gründe entscheidend für eine Konversion sein konnten.169 Gegen diese Vermutung spricht allerdings, dass grundsätzlich auch Nicht-Christen in der Missionsindustrie arbeiten konnten und damit sowohl von den ökonomischen Vorteilen als auch der „rituellen Neutralisierung“ profitierten. Die Möglichkeit echter religiöser Beweggründe sollte in diesem Zusammenhang nicht leichtfertig durch eine (unterstellte) homo oeconomicus-Rationalität ersetzt werden. Nach 1880 begannen die Industriebetriebe mit einer relativ zurückhaltenden Mechanisierung und technischen Optimierung verschiedener Produktionsabläufe. Zu nennen wären der Kauf einer Dampfmaschine für die Ziegelei in Mangalore170 oder die Installation von motorbetriebenen Zwirnmaschinen in den Webereien in Calicut und Cannanore.171 In der Tuchherstellung hielt man dagegen vorläufig an der Handarbeit fest. Die Frage nach der Mechanisierung war für die MissionsHandlung nicht einfach zu klären: Einerseits ging es dabei um ökonomische Überlegungen, nämlich die Frage, ob Investitionen in die Technik bei den geringen Arbeitskosten in Indien überhaupt sinnvoll seien. Andererseits warf die Technisierung auch eine ideologische Frage auf: Inwieweit war es bezüglich der „erzieherischen“ Aufgabe und dem Kernauftrag, Arbeitsplätze zu schaffen, überhaupt wünschenswert, handwerkliche durch maschinelle Arbeit zu ersetzen? Diese Unsicherheit führte zu einem (für einen Industriebetrieb) merkwürdig zurückhaltenden Umgang mit technischen Neuerungen, wie er etwa im Jahresbericht für 1900 zu Tage tritt: „Um unsere Webereien der stets wachsenden Konkurrenz gegenüber leistungsfähiger zu erhalten, werden wir uns [...] zur Anschaffung einiger weiterer Maschinen entschliessen müssen. Die daraus resultierenden Erfahrungen werden uns dann zeigen, in welchem Umfang und in welcher Weise wir die moderne Technik in unserem Betrieb verwenden können, so dass unsere Werkstätten ihrem Missionszweck nicht entfremdet werden.“172
Nicht zuletzt stellte die Mechanisierung auch einen Gegensatz zur pietistischen „Selbstbeschränkung auf das Dörfliche“ dar.173 Nicht umsonst findet sich auf dem bekannten und in pietistischen Kreisen weit verbreiteten Stich „Der breite und der 167 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienste der Basler Mission, Basel 1902, 23. 168 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Dezember 1889. 169 Fischer, Missionsindustrie (1978), 49 f. Zur Möglichkeit sozialer Mobilität durch die Arbeit in den Industrien, welche auch Witwen mit einschloss vgl. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 59–63. 170 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Juni 1883. 171 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 14. Juni 1894. 172 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 9. 173 Vgl. dazu die Ausführungen in der Einleitung Kap. 1.2.
3.2 Finanzierung
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schmale Weg“ nach Charlotte Reihlen die Eisenbahn als Sinnbild der Mechanisierung und Technologisierung des 19. Jahrhunderts auf der Seite des ins Verderben führenden breiten Wegs.174 Die trotz allem wachsende Bedeutung der Technik zeigte sich 1893 in der Anstellung des ehemaligen Industriebruders und Ingenieurs Carl Hüttinger als Mitglied der Geschäftsleitung in Basel. Als technischer Fachmann sollte er das oberste Management und die Handlungskommission in technischen Fragen beraten.175 Langfristig blieb der Missions-Handlung auch keine andere Wahl. Je weiter die Mechanisierung in Europa und Nordamerika voranschritt, desto weniger konkurrenzfähig wurden – trotz tieferer Arbeitskosten – die weitgehend auf Handarbeit beruhenden Betriebe, was sich auch im Rückgang der traditionellen indischen Textilindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte.176 3.2 FINANZIERUNG Entwicklung der Bilanz Zwischen 1880 und der Jahrhundertwende wuchs die Bilanzsumme der MissionsHandlungs-Gesellschaft um jährlich circa drei Prozent von rund 2,8 Millionen Franken auf über 5,3 Millionen Franken. Die Aktiva der Missions-Handlungs-Gesellschaft setzten sich Ende 1880 zu rund der Hälfte aus dem Buchwert der Warenbestände in Afrika und zu kleineren Teilen in Indien und Europa, dem Wert der Liegenschaften in Europa und Übersee, dem Wert der eigenen Schiffe, Wertpapieren und Wechseln und einer Reihe kleinerer Guthaben bei Geschäftspartnern zusammen. Bis 1900 trat das Wertpapierportfolio mit einem Buchwert von knapp 1,3 Millionen Franken als zweitgrösster Posten neben die Warenlager in Afrika.177 Eine dynamischere Entwicklung durchliefen wiederum die Passiva. Mit der Statutenrevision von 1880 kam es zu einer Erhöhung des Aktienkapitals von 174 Vgl. Scharfe, Religion (1980), 123. Reproduktionen des erwähnten Stichs finden sich unter [5. Juli 2011] 175 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. November 1893. 176 Vgl. Specker, Weber (1984). Specker weist (etwa auf den S. 199–205) allerdings darauf hin, dass die traditionelle Handweberei mit der Integration in den kolonialen Weltmarkt nicht vollständig verschwand, sondern im Sinne einer „strukturellen Heterogenität“ durchaus fortbestand. Im 20. Jahrhundert warfen indische Ökonomen und Historiker den britischen Kolonialbehörden – ob zu recht oder unrecht bleibe hier dahingestellt – die Politik einer retardierenden wirtschaftlichen Entwicklung vor. Demnach habe zwar eine gewisse Industrialisierung stattgefunden, die sich allerdings auf tiefen technischem Niveau und auf einige wenige Sektoren (vor allem Bergbau und Textilindustrie) beschränkt habe, was trotz z. Bsp. mit Japan vergleichbarer Ausgangsbedingungen in eine ökonomische Unterentwicklung geführt habe. (Vgl. Kulke/Rothermund, Indien (2010), 336 f.; Specker, Weber (1984), 1–4; Albertini, Kolonialherrschaft (1976), 65–68.) 177 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
600 000 auf 750 000 Franken. Diese wurde (ohne Zufluss neuer Mittel) durch eine Umwandlung der bisher erwirtschafteten Reserven in neues Aktienkapital und eine Überschreibung desselben an die Aktionäre finanziert.178 Einen Zufluss neuer Mittel brachte 1882 die Fusion mit der Missionsindustrie, welche ein Vermögen von rund 400 000 Franken einbrachte. Dieses wurde als separates Reservekonto in der Bilanz weitergeführt.179 Bereits vor diesem Zuschuss verfügte die Missions-Handlung über ausreichend eigene Mittel, was es erlaubte, an eine Reduktion des bis 1880 auf eine Million Franken angewachsenen Obligationenkapitals zu denken. 1880 kündigte die Handlung eine weitere Senkung des Obligationenzins’ um 0,25 Prozent auf nun noch 4,5 Prozent an, in der Hoffnung, dass sich ein Teil der Investoren zurückziehen würde.180 Im folgenden Jahr wurden die Besitzer der Obligationen direkt dazu aufgefordert, ihre Darlehen zu kündigen,181 was aber nicht die erhoffte Wirkung zeigte. Um die Obligationäre, die ja weitgehend aus dem Kreis der Aktionäre stammten, nicht zu sehr vor den Kopf zu stossen, entschloss sich die Handlungskommission, einen Teil des überschüssigen Kapitals in Wertpapieren anzulegen.182 Bis 1887 konnte die unnötig gewordene Obligationenschuld gänzlich abgebaut werden.183
Diagramm 4: Zusammensetzung der Passiva 1880–1899
Weitere (externe) Mittel flossen der MissionsHandlungsGesellschaft durch die vermehrte Verwaltung von Sparguthaben aus dem Umfeld der Mission in Afrika und Indien zu. Die Zahl dieser Depositoren stieg von 1880 bis 1899 auf rund achtzig mit einem Gesamtvermögen von knapp einer halben Million Franken, welches 178 179 180 181 182 183
Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883. Siehe auch Kap 3.1. Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. November 1882. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, 9. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1881, 8 f. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 5. Februar 1883. Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1886, 8; 1887, 14.
3.2 Finanzierung
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zu vier Prozent verzinst wurde.184 Auch die Basler Mission hatte bei der Handlungsgesellschaft Guthaben bis zu 100 000 Franken.185 Während sich mit dem Abbau der Obligationen die Abhängigkeit von den traditionellen, missionsnahen Geldgebern verminderte, band sich die Missions-Handlung durch ihre ausgedehnte Tätigkeit als „Hausbank“ der Mission und „Sparkasse“ der Missionare in anderer Weise an die Mission und deren Umfeld. Schliesslich wies die Missions-Handlung auch gewöhnliche kurzfristigere Kredite bei Geschäftspartnern und Geschäftsbanken aus. Die Summe der derart im Geschäft stehenden Gelder stieg von knapp einer halben Million Franken im Jahr 1880 auf rund 1,3 Millionen Franken (davon gut 270 000 Franken „Bankvorschuss“) im Jahr 1899.186 Die Finanzierung von Unternehmenswachstum über Bankkredite war im deutschsprachigen Raum inzwischen allgemein üblich geworden.187 Abschliessend ein Blick auf die Entwicklung der Reserven und die Versicherungsfonds der Missions-Handlung: Gemäss den Statuten von 1880 sollten rund zwanzig Prozent des nach Ausbezahlen der Dividenden verbliebenen Gewinns zum Aufbau einer Reserve benutzt werden, die grundsätzlich der Mission gehören und zum Kauf von frei werdenden Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft benutzt werden sollte. Diese Regelung galt solange, bis dass die Reserve den Umfang des Aktienkapitals erreichte.188 Bis 1887 häufte sich so eine Summe von knapp 400 000 Franken an. Mit den neuen Statuten von 1887 entfiel dann die Pflicht zur Schaffung der sogenannten „Missions-Reserve“, und die bisherigen Gelder wurden als sogenannter „Garantiefonds“ im Umfang von 400 000 Franken im Geschäft belassen.189 Zusätzlich flossen auch die verschiedenen unternehmenseigenen Versicherungen als Reserven in einem weiteren Sinn in die Passiva ein. Es handelte sich dabei um die Vermögenswerte der Transport-, der Feuer-, der Witwen- und Invalidenversicherung sowie den Kindererziehungsfonds. Seit 1883 bestand zusätzlich ein „Unterstützungs Conto für Native-Angestellte“. Insgesamt entwickelte sich die Summe dieses Versicherungsvermögens von rund 430 000 Franken auf 1,6 Millionen Franken im Jahr 1899.190 184 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912. 185 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912. 186 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912. 187 Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 66–68; 78. 188 Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 13. 189 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912. 190 Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4655: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1884–1897 und ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschlussund Bilanz-Buch, 1898–1912. Zur Finanzierung über die Vermögenswerte der betriebseigenen Sozialwerke vgl. Frien, Unternehmensfinanzierung (2004), 75. Für einen Überblick über die
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Zusammenfassend kann für die Phase von 1880 bis 1899 von einer zurückhaltenden und auf Sicherheit bedachten Unternehmensfinanzierung gesprochen werden, was in Anbetracht der spekulativen kolonialen Handelsgeschäfte wohl durchaus sinnvoll war.191 Im Zuge der allgemeinen Annäherung an die Mission finanzierte man die Geschäfte aus eigener Kraft und blieb so unabhängig von privaten Investoren – und seien es auch nur die alten Missionsfreunde. Passive Aktionäre Die Statuten von 1880 legten ein unveräusserliches Aktienpaket der Mission im Umfang von vierzig Prozent des Aktienkapitals fest.192 Die Basler Mission wurde so statutarisch festgelegt zur Grossaktionärin. Damit die Missions-Handlung den Charakter einer echten Aktiengesellschaft nicht verlieren würde, beschloss die Handlungskommission 1881 im Gegenzug, dass es vorläufig bei diesen vierzig Prozent bleiben sollte.193 Der Kreis der übrigen Aktionäre hatte sich seit der Erhöhung des Aktienkapitals im Jahr 1869 nicht verändert.194 Eine (potentielle) Änderung erfuhr aber die Motivationsstruktur der Aktionäre: Während gewinnorientierte Komponenten bis 1880 durchaus eine Rolle gespielt hatten, begnügten die Aktionäre sich nun mit einer festen Dividende von fünf Prozent auf den Nennwert ihres Aktienkapitals.195 Damit wies ein Engagement als Aktionär eine ähnliche Rentabilität wie die Investition in Obligationen auf.196 Angesichts des im Vergleich zu einer Kassenobligation immer noch beträchtlich höheren Risikos der Missions-Handlungs-Gesellschaft kann das Investitionsverhalten der Aktionäre weiterhin als ein teilweise gemeinnütziges Engagement beurteilt werden. Die Aktionäre entschieden sich allerdings nicht bewusst dafür, da ja keine neue Aktien ausgegeben wurden und sie nicht an der Entscheidung zur Neukonstituierung beteiligt waren. Immerhin verzichteten sie auf eine Abstimmung mit den Füssen: die alten Aktionäre blieben der Missions-Handlungs-Gesellschaft treu.197 Die im Zuge des neuen Schweizer Obligationenrechts von 1883 nötig gewordene Statutenänderung bewirkte – wenigstens theoretisch – eine Ausdehnung der Aktionärsrechte: Nach den neuen Statuten erhielt die Missions-Handlungs-Gesellschaft eine Generalversammlung der Aktionäre, die über Statutenänderungen, die Erhöhung und Verminderung des Aktienkapitals, die Genehmigung der Jahresrechnung und des Jahresberichts, die jährlichen Dividenden, die Wahl der Handlungs-
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Entwicklung der Bilanzsumme während des gesamten Unterzeitraums siehe Diagramm 8 im Anhang. Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 287. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 4. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Juli 1881. Vgl. dazu ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. Siehe Kap. 3.1. Die wenig riskanten Kassenobligationen der Schweizer Kantonalbanken wurden um 1880 zu rund vier Prozent verzinst. (Vgl. www.fsw.uzh.ch/histstat, O.18c.) Vgl. ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925.
3.3 Operatives Geschäft
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kommission und die Liquidation der Gesellschaft befinden konnte.198 Diese Bestimmungen wurden im Fall der Missions-Handlungs-Gesellschaft allerdings durch die direkte Entsendung von zwei Missionsvertretern in die Handlungskommission und die auf fünf Prozent des nominellen Aktienwerts beschränkte Dividende wieder weitgehend beschränkt.199 Darüber hinaus fehlte den Aktionären, die, wie Theodor Sarasin an anderer Stelle festhielt, in den meisten Fällen „Missionsfreunde“ waren,200 auch der Wille, sich gegen das missionsnahe Unternehmen zu stellen.201 3.3 OPERATIVES GESCHÄFT Das Handelsgeschäft Das tägliche Geschäft in den afrikanischen Handlungen veränderte sich nach 1880 wenig. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft verkaufte weiterhin europäische Handelswaren auf ihren Stationen im Einzelhandel und en gros an afrikanische Zwischenhändler, die die Waren in eigenen kleinen Läden oder als fahrende Händler weiterverkauften. Gleichzeitig betrieb sie Handel mit tropischen Landesprodukten. Hauptexportartikel blieben Palmöl und Palmkerne, die allerdings während der 1880er Jahre eine Preisflaute erlebten. Daneben trat in den 1890er Jahren vorübergehend Naturgummi und ab 1893 allmählich der Kakao.202 Nach dem Ersten Weltkrieg, als sich der Kakao längst als Hauptausfuhrartikel und wichtigste Einnahmequelle an der Goldküste etabliert hatte, versuchten die Basler Handelsgesellschaft und die Union Trading Company (die Nachfolgegesellschaften der Missions-Handlungs-Gesellschaft) die bedeutende Rolle der Basler Mission und der Missions-Handlungs-Gesellschaft bei der Etablierung des Kakaos an der Goldküste hervorzuheben.203 Tatsächlich hatten Basler Missionare – allerdings völlig unabhängig von der Missions-Handlung – bereits in den 1850er Jahren erste Versuche mit Kakaopflanzungen unternommen. Diesen war aber kein längerer 198 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 9. Juni 1887, Art. 6–8. 199 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 9. Juni 1887, Art. 9 und 13. 200 ABM/UTC 4555: Extrasitzung der Handlungskommission vom 25. April 1887. 201 Vgl. zu dieser passiven Rolle ABM/UTC 4574: Protokollbuch der Generalversammlungen 1887–1928. 202 Vgl. dazu Duisberg, Wilhelm: Ein Tag in der Missionshandlung in Ada auf der Goldküste, in: Der evangelische Heidenbote, 61. Jahrgang, Nr. 5, Mai 1888, 35 f., worin Duisberg einen „typischen“ Tag in der Missionshandlung in Ada beschreibt; sowie die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Zu den einheimischen Zwischenhändlern vgl. Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 29. Oktober 1897; zu den einheimischen Leitern der Filialen vgl. etwa ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 18. April 1890. 203 So ein unpublizierter Bericht von Max Preiswerk: ABM/UTC 4145: Preiswerk, Max: Cacao Cultivation in Ghana 1858–1968 oder Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 207–223; vgl. Franc, Schokolade (2008), 82–84.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Erfolg beschieden gewesen.204 Ende der 1870er Jahre gelangten dann aus den portugiesischen Plantagen im Golf von Guinea erneut Kakaopflanzen an die Goldküste, die sich als langlebiger erwiesen.205 Die Missions-Handlung war dann 1893 die erste europäische Firma, die Goldküstenkakao nach Europa verkaufte.206 Diese Markterschliessung kann im Sinne der weiter oben diskutierten „Entwicklungshilfe“ durch Handel per se als ein Art Entwicklungsbeitrag der Missions-Handlungs-Gesellschaft gesehen werden.207 Die Inbetriebnahme einer Telegrafenleitung an die Goldküste im Jahr 1885208 veränderte die Geschäftsabläufe. Die Überwindung der zeitlichen Dimension in der Kommunikation mit Europa rückte die Produktionsgebiete von tropischen Handelsprodukten näher an die Produktemärkte in Europa und Nordamerika. Die Möglichkeit, ständig aktuelle Preise auszutauschen, führte zur Bildung (sich ständig verändernder) Weltmarktpreise,209 was auch die Missionskaufleute im täglichen Geschäft zu spüren bekamen: „Im afrikanischen Geschäft hat sich im vergangenen Jahr namentlich der Gummi-elasticum bemerklich gemacht und einen grossartigen Aufschwung veranlasst, an welchem teilzunehmen auch uns gestattet war. Zu Ende des Jahres trat allerdings eine bedenkliche Stockung ein und nötigte uns, die Segel ziemlich rasch einzuziehen. Der Telegraph, der nun auch unser westafrikanisches Arbeitsfeld mit der Heimat in schnelle Verbindung gebracht hat, machte es aber möglich, zwischen dem Einkauf draussen und dem Verkauf in Europa eine engere Fühlung herzustellen und dies kam uns in dieser Sachlage wesentlich zu statten.“210
Gegen Ende des Jahrhunderts änderte sich der Ablauf des Handels mit tropischen Produkten auch in organisatorischer Hinsicht. Während die Missionskaufleuten vor Ort bislang im Produkteinkauf relativ frei gewesen waren, wurde dieser Geschäftszweig nun auf Grundlage der neuen Kommunikationsmöglichkeiten zentral von Basel aus gesteuert.211 Das Handelsgeschäft in Indien hatte mit Problemen zu kämpfen. Bereits der Jahresbericht für das Jahr 1883 erwähnte „bedeutende Reductionen“ des Sortiments und der Lagerbestände, auf Grund neuer Konkurrenz: Es „sollen schwierigere Artikel, oder solche die sich nun in den Bazars eingebürgert haben, ganz aufgegeben werden.“212 Weitere Konkurrenz bildeten so genannte „Europäer-Clubs“, die ihre Mitglieder zu Vorzugspreisen mit westlichen Waren versorgten und damit Kunden aus den Läden der Missions-Handlung abzogen.213 Im Nachgang der Kritik von Missionsinspektor Schott wurde ab 1884 auf den Verkauf von Wein und Bier ver204 205 206 207 208 209 210 211 212 213
Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 208–215; Schweizer, Mission (2002), 136–137. Franc, Schokolade (2008), 78 f. Franc, Schokolade (2008), 80. Vgl. Franc, Schokolade (2008), 242 f. Vgl. Glover, Cable Timeline (2010). Zwischen Indien und Europa bestand bereits seit 1870 eine Telegrafenverbindung. (Butlin, Geographies (2009), 491.) Hartmann, Medienkultur (2006), 73; vgl. auch Chapman, Merchant (1992), 193. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1890, 5. Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 23. Mai 1898 und 13. Juni 1899. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1883, 8. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 7. November 1890.
3.3 Operatives Geschäft
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zichtet.214 Eine bescheidene Konjunktur erlebte das Geschäft mit indischen Landesprodukten: 1880 beteiligte sich die Missions-Handlung in Mercara an einer Kaffeeplantage und konnte im Kaffeehandel einigen Erfolg erzielen.215 Verzicht auf Branntwein- und Waffenhandel Kern des „christlichen Handelsbetriebs“216 der Missions-Handlungs-Gesellschaft blieb weiterhin der Verzicht auf den Branntwein- und Waffenhandel. Anders als vor 1880 wurde diese unternehmensethische Besonderheit nun in der Selbstwahrnehmung und -darstellung der Missions-Handlung stärker hervorgehoben.217 Gleichzeitig war die Missions-Handlungs-Gesellschaft unterdessen Teil einer weiter reichenden Bewegung geworden. So liest man im Jahresbericht über das Jahr 1884 im Zusammenhang mit einer öffentlich geführten Diskussion in Deutschland: „Durch die Congo-Conferenz und durch die deutsche Colonial-Politik ist überhaupt Afrika im letzten Jahr stark in den Vordergrund getreten. Es thut uns nur sehr leid, zu sehen, dass der deutsche Handel mit Afrika in grossem Masse sich mit Sprit beschäftigt und dass dies sogar im Reichstag nicht nur auf keine Bedenken gestossen, sondern als ziemlich unschädlich dargestellt wurde. Wir sahen uns deshalb veranlasst, im Anschluss an unsere Missions-Committee uns an einer Eingabe beim deutschen Reichskanzler zu betheiligen, in welcher das Verderbliche solchen Verfahrens nachgewiesen, um thunlichste Beschränkung der Branntwein-Einfuhr durch möglichst hohe Besteuerung gebeten, und gezeigt wurde, dass es möglich sei, in Afrika auch ohne Branntwein ein Geschäft zu machen.“218
Die hier vorgeschlagene Massnahme, Alkoholika zu besteuern, hätte ihre Wirkung – das Durchbrechen des weiter oben beschriebenen prisoner’s dilemma219 – kaum verfehlt; allerdings wäre der Verzicht auf den Alkoholverkauf dann auf einem gesetzlichen Weg erreicht worden und hätte damit seine Qualität als moralische Entscheidung (im Sinne eines „christlichen Handelsbetriebs“ o. ä.) verloren.220 Die Eingabe von 1885, an der sich neben Missionskreisen und sozialdemokratischen Gruppierungen auch die aus der Anfangszeit der Missions-Handlung bekannte Bremer Firma Vietor & Söhne beteiligte, hatte (wie ähnliche Vorstösse 1897 und 1908)
214 Siehe Kap. 3.1. 215 ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 13. Mai 1880 und 15. März 1884. 216 Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 1 und Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel [1887], Art. 2. 217 So etwa in den Jahresberichten oder in den Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 9. 218 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1884, 7. 219 Siehe Kap. 1.1 und Kap. 2.5. 220 In der Literatur zur Unternehmensethik werden bisweilen genau solche rechtliche Massnahmen neben vertraglichen Bindungen zur Lösung von moralischen prisoner’s dilemmata (In diesem Fall: Jeder wäre prinzipiell zum Verzicht auf Alkoholhandel bereit, traut aber den anderen nicht zu, dass sie sich an eine gemeinsame moralische Abmachungen halten und fürchtet ökonomische Nachteile.) empfohlen. (Vgl. Pies/Sardison, Wirtschaftsethik (2006), 272–280.)
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keinen Erfolg. Zu mächtig war die Lobby der mit Branntwein handelnden Handelshäuser.221 Mit dem Verzicht auf den Branntwein- und Waffenhandel stemmte sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft – anders als in anderen Fällen – gegen den Zwang, um jeden Preis mit der Konkurrenz mitzuhalten. (Ohne daran zu Grunde zu gehen, wie das obige Zitat bestätigt.) Trotzdem gestand man der Konkurrenz die Vorteile eines Sortiments, das auch Alkohol enthält, nur ungern zu. So etwa im Zusammenhang einer weiteren Forderung nach Verboten Mitte der 1890er Jahre, die nun die britischen Kolonien betraf: „Die Konkurrenz wird nachgerade recht empfindlich beim Einkauf und Verkauf und oben an stehen die mit Schnaps handelnden Firmen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn die beteiligten Regierungen sich dahin vereinigen könnten, auf diesen für die Negervölker so verderbenbringenden Artikel einen recht hohen Zoll zu legen. Wir haben uns bei einer hierauf abzielenden Aktion beteiligt.“222
Die stete Betonung des Verzichts auf den Branntwein- und Waffenhandel ist sicher kein Zufall: Offenbar liess sich dieser sowohl im christlichen als auch im philanthropischen Sinn wertvolle Verzicht – nach dem Motto „Tue Gutes und sprich darüber“223 – leichter kommunizieren als die übrigen direkt und delegiert gemeinnützigen Tätigkeiten, welche eigentlich viel eher die Besonderheit der MissionsHandlungs-Gesellschaft ausmachten. Bedingung für das Herausstreichen dieses unternehmensethisch verantwortungsvollen Verzichts war natürlich eine tadellose und konsequente Umsetzung. In diesem Sinn stellte Theodor Sarasin im Februar 1883 (noch vor der Auseinandersetzung mit Schott) den Antrag, den Verkauf von Bier in den Kaufläden der Missions Handlung in Indien einzustellen, da die Missions-Handlung „mit einem Artikel, der so viel Missbrauch unterworfen ist, nicht handeln [sollte], um keinen Anstoss & Aergerniss zu geben.“224 Der selbst vielleicht eher dem Bier zugetane Inspektor Schott forderte darauf, dass, wenn der Verkauf von Bier verboten werde, auch der Verkauf von Wein eingestellt werden sollte, da er „Wein für gefährlicher als Bier, namentlich das leichte aus Bremen eingeführte“ halte. Die Kommission stimmte diesen Anträgen zu, beschränkte das Verbot aber auf Indien, da in Afrika Wein und Bier fast ausschliesslich von den Missionaren der Basler Mission bezogen wür221 Gründer, Kolonien (2004), 131 f. Nicht ohne Ironie, dass auch auf Seiten der Befürworter des Spirituosenhandels mit einem unternehmensethischen Argument hantiert wurde – dem bis heute reichlich strapazierten Schlagwort, es gehe dabei um den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland. (Vgl. Möhle, Branntwein und Gewehr (1999), 44 f.) Es lässt sich darüber streiten, inwiefern der Erhalt von Arbeitsplätzen in diesem Zusammenhang ein sinnvolles ethische Argument ist. Dahinter steckt die Frage, ob man ein (Menschen-)Recht auf Arbeit oder eher ein allgemeines Recht auf Wohlergehen höher gewichtet. Gerade für (neo-) liberal Gesinnte ist das Argument problematisch, da man ja eigentlich dem (Arbeits) Markt selbst die effizienteste Verteilung der Arbeitsplätze zugestehen möchte. 222 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1895, 7. 223 Was noch nicht heissen muss, dass dieser Verzicht von vornherein als Form einer instrumentellen Unternehmensethik im Hinblick auf einen späteren Imagegewinn beziehungsweise als reine Werbemassnahme intendiert war. Siehe Kap. 1.1. 224 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 5. Februar 1883.
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de.225 (Offenbar waren diese vor den Gefahren des Alkoholismus gefeit.) Wie konsequent die Missions-Handlung in diesem Bereich sein wollte, zeigt auch ein Beschluss der Handlungskommission von 1899, die sich in ihrem Besitz befindlichen Aktien einer Schweizer Brauerei zu verkaufen.226 Direkt gemeinnützige Tätigkeiten der Handlungen Die Missions-Handlung in Afrika blieb weiterhin – im Sinne einer direkt gemeinnützigen Dienstleistung – Spediteur für die Basler Mission.227 Ausserdem walteten Mitarbeiter der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Indien und (ab 1881) an der Goldküste als Generalkassiere der jeweiligen Missionsfelder der Basler Mission.228 Diffuser blieben die gemeinnützigen Aktivitäten der Missions-Handlungs-Gesellschaft im Sinne von (religiöser) Missions- oder (philanthropischer) Entwicklungsarbeit. Das missionarische Engagement der Kaufleute scheint sich – auch was den Einbezug der Frauen der Missionskaufleute in den Missionsdienst betraf229 – in ähnlichen Bahnen wie bisher bewegt zu haben. So erzählte etwa Missionskaufmann Duisberg 1888 in einem Artikel im „Evangelischen Heidenboten“, wie er tägliche Morgenandachten abhielt, die abwechselnd von ihm oder einem einheimischen Katechisten geleitet würden. Dazu gesellten sich zweimal wöchentlich abendliche Bibelstunden durch den Katechisten. Alle diese Veranstaltungen würden in der an der Küste üblichen Ga-Sprache gehalten, und seien, was die Morgenandachten betraf, für die Ga-sprechenden „Hausbewohner“ obligatorisch.230 (Die von auswärts kommenden Wanderarbeiter waren von diesen Missionierungsversuchen durch mangelnde Sprachkenntnisse wohl meist ausgeschlossen.) Von einer „zivilisatorischen“ Tätigkeit, die über den Handel selbst hinausging, etwa Ausbildungsarbeit oder Investitionen in die lokale Infrastruktur, ist weiterhin keine Rede. Einem systematischen Wissenstransfer war nur schon durch die man225 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 5. Februar 1883. 226 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 23. Mai 1899. 227 Im Jahresbericht von 1892 werden dazu für die Goldküste folgende Zahlen genannt: ein vollamtlicher, als Spediteur tätiger Missionskaufmann in Accra organisierte und verbuchte pro Monat durchschnittlich 250 Lasten à sechzig Pfund nach den Missionsstationen der Basler Mission. (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1892, 6 f.) Die Basler Mission soll dank dieser Hilfeleistung in den Jahren vor 1884 jeweils rund 10 000 Franken jährlich gespart haben. (Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 9.) Anlässlich der Diskussionen über die Zukunft der Handlungs-Gesellschaft in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts tauchen noch höhere Schätzungen auf: Danach sparte die Basler Mission jährlich zwischen tausend und zweitausend britische Pfund, also rund 20 000 bis 50 000 Franken pro Jahr. (ABM/ UTC 4105: Götz, Johannes: Brief an das Missionskomitee, 14. März 1908, 18. (Wechselkurse gemäss www.fsw.uzh.ch/histstat, O.33.)) 228 Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 26. Oktober 1881 und 18. April 1890. 229 Vgl. Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 172. 230 Duisberg, Wilhelm: Ein Tag in der Missionshandlung in Ada auf der Goldküste, in: Der evangelische Heidenbote, 61. Jahrgang, Nr. 5, Mai 1888, 35.
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gelnden Sprachkenntnisse der Missionskaufleute enge Grenzen gesetzt. Da ihnen im Gegensatz zu den ordinierten Missionaren die Zeit für das Erlernen der einheimischen Sprachen meist fehlte, bedienten sie sich im täglichen Umgang des Englischen, das sowohl die meisten „Goldcoaster“ als auch die Wanderarbeiter verstanden. Selbstkritisch meinte Duisberg dazu: „Da ich aber weiss, dass man den Leuten dadurch ungleich näher kommt, wenn man in ihrer Sprache mit ihnen verkehren kann, so habe ich mir doch das Ziel gesteckt, mit Gottes Hilfe auch noch das Ga zu bewältigen.“231 Einem Wissenstransfer innerhalb der Missions-Handlungen dürfte ausserdem das mangelnde Vertrauen gegenüber den Afrikanern im Wege gestanden haben, wie etwa folgende Anmerkung im Jahresbericht von 1892 nahe legt: „[...] denn wenn man auch eine Anzahl eingeborner Gehilfen, Bootsleute und Tagelöhner hat, so muss der Europäer doch alles überwachen und leiten.“232 Ähnlich wenig Vertrauen hatte man zu den Mitarbeitern in Indien, was Versuche, Lehrlinge in den Missionsläden auszubilden, im Sand verlaufen liess: „[...] eine grosse Zahl [ist] der Versuchung unterlegen, die in einem Laden voll von so mancherlei Artikeln für ein lüsternes und in der Unredlichkeit aufgewachsenes Geschlecht enthalten war.“233 Am ehesten dürften sich für die einheimischen Leiter der Zweigfilialen an der Goldküste die Möglichkeit eines gewissen Wissenstransfers im kaufmännischen Bereich eröffnet haben. Eine andere Art der Hilfe wurde in den indischen Handlungen wenigstens diskutiert. Es ging darum, dem einheimischen Gewerbe mit Hilfe der Missionsläden Absatzkanäle zu erschliessen. Als anlässlich der grossen indischen Hungersnot von 1896 entsprechende Anfragen der indischen Gemeinden eingingen, hielt die Handlungskommission grundsätzlich fest, dass man nicht aus der Not heraus die Produktion des einheimischen Gewerbes aufkaufen und auf eigenes Risiko wieder verkaufen könne. Immerhin eröffnete sie den Handlungen in Indien aber die Möglichkeit, einheimische Produkte vorübergehend auf Provisionsbasis zu verkaufen.234 Ähnliche Ideen bestanden auch für die Geschäfte in Afrika. Der an aktuelle Entwicklungszusammenarbeit erinnernde Vorschlag von Basler Missionaren, die christlichen Gemeinden durch „[...] Anweisung zur richtigen Herstellung der Produkte [zum Beispiel Palmöl] für den Europäischen Markt, und dann durch Ankauf derselben [...]“ zu fördern,235 wurde seitens der Missions-Handlungs-Gesellschaft allerdings nicht weiterverfolgt. Die Missionskaufleute waren sich des beschränkten Umfangs und der mangelnden Qualität ihrer direkt gemeinnützigen Tätigkeit durchaus bewusst. Zur Ehrenrettung konnte Duisberg in unten stehender Beurteilung immerhin auf die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung „im Kleinen“ und die delegiert gemeinnützige Förderung der Mission verweisen:
231 Duisberg, Wilhelm: Ein Tag in der Missionshandlung in Ada auf der Goldküste, in: Der evangelische Heidenbote, 61. Jahrgang, Nr. 5, Mai 1888, 35. 232 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1892, 6. 233 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 6. 234 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Dezember 1896. 235 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891.
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„Aber möchte jemand fragen, „ist denn das auch Missionsarbeit?“ – „Nein und ja!“ – Nein, in Hinsicht auf die Arbeit selbst, denn die wird in anderen Geschäften und Faktoreien wohl auch ähnlich betrieben. – Ja, in Hinsicht auf den, der uns, der mir diese Arbeit aufgetragen hat; er verlangt von mir nur Treue im Kleinen in dem Beruf, den Er mir angewiesen hat und dem such ich, freilich in Schwachheit, nachzukommen. Will er dann unsere Arbeit mehr oder weniger im direkten Dienst an Seinem Reich verwerten, das ist seine Sache, nicht die unsere.“236
Die Industriebetriebe Die Missionsindustrie wuchs im Gegensatz zu den Handlungen zwischen 1880 und 1899 relativ kontinuierlich und wies regelmässig Betriebsgewinne aus.237 Die Missionsindustrien fertigten ein beachtliches Sortiment. Der Jahresbericht von 1887 nannte „Kleiderstoffe für Herren und Frauen, Taschentücher, Handtücher, Tischtücher, Servietten, Tisch- und Bettdecken, alles was die Europäer in dem heissen Klima eben brauchen.“238 Neben den eigentlichen Webereien betrieb man auch eine Färberei und eine Hängemattenknüpferei.239 Später kamen Schneidereien dazu.240 Die Ziegelfabriken produzierten vor allem Dachziegel, Backsteine, Röhren und Bodenplättchen.241 Zur Qualität der Ziegel bemerkte derselbe Jahresbericht weiter unten: „Da die ungemein heftigen tropischen Stürme und der zuweilen wolkenbruchartige Regen starke Ansprüche an die Leistungen der Ziegel machen, so können wir uns nur mit dem besten Produkte, das überhaupt hergestellt werden kann, zufrieden geben und wir dürfen sagen, dass der Herr die Bemühungen unserer Brüder mit Erfolg gekrönt hat. Unsere Ziegel dürfen sich neben den besten, die in Europa gemacht werden ohne Scheu sehen lassen, und so hat auch die englische Regierung in Indien dieselben für eine Reihe von Jahren patentiert.“242
Ein Problem war die Abhängigkeit von der Entwicklung der konjunkturanfälligen Baubranche.243 Die Ziegelfabriken erhielten ausserdem immer mehr Konkurrenz. Unter den neu gegründeten Konkurrenzbetrieben befand sich auch eine Ziegelfabrik einer katholischen Mission.244 Gegen Ende des Jahrhunderts versuchten die Ziegeleien ihre Produktepalette auszuweiten und stiegen in die Zementproduktion 236 Duisberg, Wilhelm: Ein Tag in der Missionshandlung in Ada auf der Goldküste, in: Der evangelische Heidenbote, 61. Jahrgang, Nr. 5, Mai 1888, 35 f. 237 Vgl. dazu die Angaben in der Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Zum geschäftlichen Umfeld der Missionsindustrie vgl. Specker, Weber (1984). 238 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 239 Fischer, Missionsindustrie (1978), 1970. 240 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1896, 8. 241 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 242 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 243 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 244 Wir wissen davon, weil die Betriebsleister vor Ort und die Handlungskommission darüber diskutierten, ob die katholischen Betriebe auch von den Dienstleitungen der Missionswerkstatt profitieren dürften. Man entschied sich aus Konkurrenzüberlegungen (und entgegen einem ökumenischen Missionsgedanken) dagegen. (Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Oktober 1886.) Namentliche Erwähnung findet später die Bremer Firma Henkel. (ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 6. April 1897.)
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ein.245 Die Ziegel, aber auch gewisse Stoffe der Missionsindustrien, fanden ihren Absatz über Indien hinaus auch in Ostafrika, Arabien, Burma, Borneo und Australien.246 Die mechanische Werkstatt in Mangalore diente in erster Linie als Reparaturwerkstatt für die übrigen Industriebetriebe. Daneben engagierte sie sich im Brückenbau und in der Reparatur von Wagen und Möbeln.247 Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft der Industriebetriebe? Abgesehen vom weiter unten diskutierten Personalbereich lässt sich die Wahrnehmung einer besonderen unternehmensethischen Verantwortung durch die Industrien nicht nachweisen. Die zumindest in der Eigendarstellung hervorragende Qualität der Produkte der Missionsindustrien,248 könnte womöglich als Versuch der Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung bezüglich der Produktequalität gedeutet werden. Die folgende Episode ist weniger für die operativen Geschäfte der Industriebrüder in Indien als für die umfassende christliche Sicht Theodor Sarasins bezeichnend. Sarasin war zu Ohren gekommen, dass „ein Götzen Tempel in Kalase, durch die Regierung repariert, mit Ziegeln unserer Werkstätten bedeckt worden sey.“249 Er hielt dies für äusserst unpassend und rang seinen Kollegen in der Handlungskommission, die darauf hinwiesen, dass man grundsätzlich keinen Einfluss auf die Verwendung der verkauften Ziegel nehmen könne, die Zusage ab, dass die Verkäufer in Indien im Sinne einer missionsgemässen unternehmensethischen Verantwortung in Zukunft den Verkauf von Ziegeln zu verweigern hätten, wenn sie wüssten, dass diese für den Bau nichtchristlicher Kultstätten verwendet würden.250 Direkt gemeinnützige Aktivitäten der Industriebetriebe Die Übernahme der Missionsindustrie brachte eine neue Qualität direkt gemeinnütziger Arbeit in die Missions-Handlungs-Gesellschaft. Während im Handelsgeschäft direkte Gemeinnützigkeit primär Dienstleistungen für die Mission und erst in zweiter Linie eigenständige Entwicklungs- oder Missionsarbeit bedeutete, verstand sich die Missionsindustrie viel eher als ein – zwar selbsttragendes – aber direkt gemeinnützig orientiertes Entwicklungs- und Missionsprojekt.251 In erster Linie beinhal-
245 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 16. November 1896. 246 Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 34; 40. Vgl. auch ABM/UTC 4555 Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891. 247 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 248 Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. 249 ABM/UTC 4555: Besprechung nach der Generalversammlung vom 16. Mai 1890. 250 ABM/UTC 4555: Besprechung nach der Generalversammlung vom 16. Mai 1890. 251 Vgl. etwa Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1883, 8.
3.3 Operatives Geschäft
149
tete dies die Schaffung von Arbeitsplätzen für Konvertiten.252 Die Industriebrüder vor Ort waren sich dieser strategischen Hauptvorgabe bewusst. Darauf verweist etwa eine Bemerkung aus dem Jahr 1891, wie die Industriebrüder in Kudroli die Gasfeuer in der Ziegelei vorläufig durch Strohfeuer ersetzt hätten, um so die Arbeit zu verlangsamen, beziehungsweise um so für genügend Arbeit zu sorgen.253 Anlässlich einer Inspektionsreise lobte Missionsinspektor Oehler vor allem die Ziegelfabriken, die zahlreiche Beschäftigung böten ohne (auf Grund allzu attraktiver Bedingungen) zu falschen Missionsanreizen zu führen.254 Trotz des Grundauftrags, möglichst viele Konvertierte zu beschäftigen, waren die Betriebsleiter grundsätzlich frei anzustellen, wen sie wollten. Es galt der Grundsatz so viele Arbeiter als möglich, aber auch nur so viele als nötig zu beschäftigen.255 Jedenfalls bestand kein „Recht auf Arbeit“ für Konvertiten.256 Ebenso wenig sollte der Entzug des „sicheren Arbeitsplatzes“ als Mittel zur Bestrafung „unzüchtiger“ Gemeindeglieder missbraucht werden.257 Als lokale Missionare verstärkt Einfluss auf die Anstellung und Entlassung insbesondere der christlichen Arbeiter nehmen wollten, bestätigte eine Weisung des Komitees von 1894 die Kompetenz der Betriebsleiter. Sie hatten Entlassungen der örtlichen Gemeindeleitung weiterhin lediglich anzuzeigen.258 Die Missionsindustrien verfolgten vor Ort – ähnlich wie die Handlungen – auch weitere direkt gemeinnützige Ziele, auf die bereits das im 1866 entstandene „Statut für die Industrie-Commission der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel“ verweist. Dort wird die etwas verklausulierte Aufforderung, Arbeitsplätze für Konvertiten zu schaffen mit missionarischen und „zivilisatorischen“ Zielen verknüpft: Ziel der Missionsindustrien sei es „1) Christen aus den Heiden einerseits zu christlichem Betrieb des irdischen Berufs anzuleiten, sie zur Auskaufung der Zeit, zu regem Fleiss, gewerblicher Tüchtigkeit und Sparsamkeit, sowie überhaupt zu bürgerlichen Christentugenden zu erziehen; andererseits ihnen zu einer besseren, und, soweit es möglich ist, zu einer selbständigeren äusseren Existenz zu verhelfen; 2) Durch Einführung der nothwendigen Gewerbe in den noch uncivilisirten Missionsländern den Missionaren theils ihr physisches Leben, theils die Missionsarbeit zu erleichtern, andererseits der Mission selbst einen immer umfassenderen Einfluss auf das Volksleben der Heidenländer zu sichern.“259
Die Missionsindustrien wollten also nicht nur Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, sondern gleichzeitig in einem allgemeinen wie christlichen Sinn erzieherisch tätig sein. Dazu gehörte konkrete berufliche Ausbildung, die Vermittlung eines 252 253 254 255 256 257 258
259
Siehe Kap 3.1. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891. Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Dezember 1889. ABM/UTC 4555: Instruktion für Vorsteher von Missionsindustrien in Indien vom 14. Dezember 1894. Fischer, Missionsindustrie (1978), 289. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Dezember 1889. Fischer, Missionsindustrie (1978), 289. 1898 wurde diese Regelung dahingehend erweitert, dass der Entscheid über eine Entlassung bei Uneinigkeit vom leitenden Missionskaufmann (Generalagenten) der Missions-Handlungs-Gesellschaft rückgängig gemacht werden konnte. (ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 11. November 1898.) ABM/UTC 4936: Statut für die Industrie-Commission [1866], § 2.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
abendländischen Arbeitsethos und anderer „Christentugenden“ und schliesslich die Unterstützung der Mission durch eine indirekte Beeinflussung der Bevölkerung. Zweifellos hatte eine Anstellung in einem der im lokalen Vergleich modernen Betriebe einen Ausbildungseffekt im Sinne eines Technologie- und Wissenstransfers. In manchen Fällen war ein solcher Transfer auch ausdrücklich intendiert. So etwa 1887 mit dem Plan, die „Töpferei in Angriff zu nehmen, in der besseren, namentlich glacierten Ware, mit dem Zweck, solche als Hausindustrie in unseren Christengemeinden einzuführen und einzubürgern.“260 Technologietransfer fand aber auch unbeabsichtigt statt. So sollen etwa indische Weber im südlich gelegenen Coimbatore die Hemdenstoffe der Missionsindustrie imitiert haben.261 Auch Raghaviah erwähnt im Zusammenhang mit der Missionsindustrie den Transfer von Technologien und so genannten management skills (etwa die Fähigkeit überregional zu exportieren oder Buchhaltungswissen). Er schliesst aber nicht aus, dass das lokale Gewerbe gleichzeitig auch unter der Konkurrenz der Missionsindustrien gelitten habe, so etwa das Baugewerbe, welches sich auf den Bau mit Ziegeln einstellen musste.262 Ausserdem verweist er auf die ethnischen Barrieren innerhalb der Firmenhierarchie, die einheimische Arbeiter nie über den Rang eines Vorarbeiters hinaus aufstiegen liessen.263 Trotzdem urteilt er zum Schluss relativ positiv: „Altogether, it is seen that the Basel Mission industrial activities helped substantially in the field of transfer of technology though impaired by their own racist attitudes. A not too inconsiderate amount of technical know-how was available to the general population of Malabar and South Canara. [...] As a result, there was systematic application of these new technical knowledge in later indigenous industrial activities.264
Abgesehen von diesem passiven Technologietransfer investierte die Missionsindustrie auch aktiv in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Vor allem die Webereien bildeten Lehrlinge aus. Nach der Arbeit besuchten die Lehrlinge Abendschulen, in denen etwa Englisch und die regionale Verkehrssprache Kannada unterrichtet wurden.265 Noch stärker im Zentrum stand die Lehrlingsausbildung in der mechanischen Werkstatt in Mangalore, der ebenfalls eine Abendschule angegliedert war. Dieser Betrieb wies dementsprechend auch einen schlechteren Kostendeckungsgrad aus.266 Wer die Ausbildung als eine direkt gemeinnützige Tätigkeit einstuft, sollte nicht vergessen, dass die Ausbildung von Industriearbeitern in den meisten Fällen gleichzeitig auch betriebswirtschaftlich sinnvoll war. Es kommt hier also zu einer positiven Relation zwischen unternehmensethischen Aspekten und gewinnorientierten Zielen. Da eine minimale Ausbildung nachgerade eine unternehmerische Notwendigkeit darstellte, muss man sich sogar fragen, ob es überhaupt Sinn 260 261 262 263 264 265
Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887, 9. Vgl. Specker, Weber (1984), 112. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 70–75. Vgl. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 76. Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 75. Fischer, Missionsindustrie (1978), 149 f.; 165 f.; vgl. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 4. 266 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 3 f.; vgl. Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 207.
3.3 Operatives Geschäft
151
macht, in diesem Zusammenhang von unternehmensethischem Engagement zu sprechen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Verbreitung eines christlichen Arbeitsethos, das hinter der Aufforderung steht, die Arbeiter „zur Auskaufung der Zeit, zu regem Fleiss, gewerblicher Tüchtigkeit und Sparsamkeit, sowie überhaupt zu bürgerlichen Christentugenden zu erziehen.“267 Duisberg umschrieb diese ambitiöse Zielsetzung und die damit verbundenen Herausforderungen in seinem Traktat über die Missions-Handlungs-Gesellschaft folgendermassen: „Die industriellen Anstalten üben aber auch einen erzieherischen Einfluss aus, der in einem Land wie Indien nicht zu unterschätzen ist. Hier erhalten die Leute Gelegenheit, sich an Regelmässigkeit, Ausdauer und ehrbare Arbeit zu gewöhnen, wodurch sie sowohl sozial wie moralisch gehoben werden. Das ist keine geringe Sache in einem Lande, wo die Würde der Arbeit unbekannt ist, wo Handarbeit und mechanischer Betrieb als entwürdigend angesehen wird und die Trägheit, Bettelei, falscher Stolz und Kriecherei nicht als schändlich gelten. So kann sich z. B. ein Schulknabe schämen, eine Bank wegzuheben, weil es nicht seines Amtes ist. Ein starker gesunder Mann zahlt lieber einem Kuli ein paar Pfennige für das Tragen eines kleinen Päckchens, als dass er es selbst thäte. Die Mühe kommt dabei nicht in Betracht, aber es verstösst gegen seine Würde. Gegenüber solchen Verkennungen des Wertes der Arbeit dienen jene Stätten [die Missionsindustrien] dazu, die Handarbeit in den Augen der eingeborenen Christen e h r e n w e r t zu machen.“268
Die Hochschätzung von Arbeit passt auch zu einer „integrierten Industriegesellschaft“ ausserhalb des Missionskontexts. Abgesehen von einem allfälligen „zivilisatorischen“ Nutzen kommen sie vor allem der Produktivitätssteigerung zu Gute.269 Auch hier ergibt sich also eine positive Relationen zwischen unternehmensethischem Engagement und wirtschaftlichem Erfolg. Um einen solchen „genuin christlich begriffenen abendländischen Arbeitsethos“ zu verbreiten setzten die Industriebrüder bis in die 1870er Jahre vor allem auf positive Anreize. Später wurden immer öfter auch Strafen als negative Anreize eingesetzt.270 Wie die Missionskaufleute versuchten auch die Industriebrüder, sich missionarisch zu betätigen. Über die passive Beeinflussung der Bevölkerung hinaus konnte dies auch sehr konkrete Formen annehmen, wie es etwa die „Vertraulichen Mitteilungen“ von 1884 beschreiben: „Aber die Leiter haben noch einen weiteren Segen im Auge. Morgen- und Abendandachten werden in allen diesen Werkstätten gehalten. Alle Arbeiter sind dazu eingeladen, und werden, wenn sie etwa nachlassen, von Zeit zu Zeit wieder ermahnt.“271 In Abgrenzung von der Arbeit der eigentlichen Missionare heisst es weiter unten aber einschränkend: „Die europäischen Meister, welche ihre Aufgabe recht verstehen, meinen nicht, sie müssen halbe Pfarrer sein, freuen sich aber ihres erweiterten Hausvateramtes und üben nach Kräften Seelsorge 267 ABM/UTC 4936: Statut für die Industrie-Commission [1866], § 2. 268 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, Basel 1902, 24. [Hervorhebung im Original.] 269 Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 222; 227; 304. 270 Fischer, Missionsindustrie (1978), 295 f. 271 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 4. Vgl. auch Fischer, Missionsindustrie (1978), 147; 214. In einem Fall soll der Zwang zur Morgenandacht gar zu einem vorübergehenden Streik geführt haben. (Ebd. 147.)
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
an den Einzelnen.“272 Die Bedeutung der Andachten in der Wahrnehmung der Mitarbeiter spiegelt sich auch in der regelmässigen Erwähnung dieser missionarischen Tätigkeiten in den Berichten an die Geschäftsleitung in Basel.273 Insgesamt dürfte die Betreuung und Kontrolle der bereits konvertierten Christen wirkungsvoller gewesen sein als die eigentlichen Missionsversuche im Umfeld der Industriebetriebe.274 In manchen Fällen wurden die Industrien zu einem Art Testfeld für so genannte Taufkandidaten, in dem diese die Ernsthaftigkeit ihrer Konversionsabsicht unter Beweis stellen konnten.275 Die mit dem „Hausvateramt“ verbundenen Versuche, auf das Privatleben der Arbeiter einzuwirken, konnten aber auch zu grösseren Unstimmigkeiten führen. So etwa, wie von Fischer erzählt, als die Bitte um einen Urlaub für ein Hochzeitsfest (innerhalb der Christengemeinde!) mit der Begründung abgelehnt wurde, dass dort sowieso nur zu viel gegessen und getrunken werde.276 Noch problematischer tritt uns die Rolle als „erweiterte Hausväter“ in ihrer unkritischen Verschränkung mit industrieller Disziplinierung in diesem (für eine breite Öffentlichkeit bestimmten) Zitat entgegen: „Etwa um ½ 7 ertönt die Pfeife, damit die Fernerwohnenden sich allmählich auf den Weg machen. Mittlerweile hat der Türhüter den Nachtwächter abgelöst und die Leute kommen nun nacheinander, geben beim Portier die Kontrollmarke ab und begeben sich in die Halle. Kurz vor 7 ertönt die Pfeife noch einmal und mit dem Schlag Sieben wird das Tor geschlossen. Alle haben sich nun versammelt und warten auf den Beginn der Andacht. Diese wird abwechselnd vom Leiter, einem ordinierten Missionar oder Katechisten gehalten und dauert ¼ Stunde. Gleich nach Schluss gehen alle Arbeiter an ihre angewiesenen Plätze. Ein kurzer Pfiff der Maschine zeigt an, dass auch sie bereit ist, und gleich darauf setzen sich die Räder in Bewegung und die Arbeit beginnt.“277
Die Missionswerkstatt an der Goldküste Die Missionswerkstatt an der Goldküste glich vom Umfang und der Ausgestaltung her am ehesten der mechanischen Werkstätte in Indien. Seit 1885 beschäftigte die Missions-Handlungs-Gesellschaft dort einen Handwerker-Bruder, zum dem sich 1898 ein zweiter europäischer Mitarbeiter gesellte.278 1899 arbeiteten 36 Einheimische in der Christiansborger Werkstätte, wovon zwanzig Mitglieder der Missionsgemeinde waren.279 In der Missionswerkstatt wurden vor allem Schlosser-, Schrei272 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 4. 273 Vgl. etwa ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 19. November 1896. 274 Zu den lediglich marginalen Missionserfolgen innerhalb der Industriebetriebe vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 108. 275 Fischer, Missionsindustrie (1978), 173 f. 276 Die Arbeiter hielten sich nicht an das Verbot des Betriebsleiters und wurden darauf mit der Schliessung der Weberei für einen Tag (beziehungsweise dem damit einhergehenden Lohnverlust) bestraft. (Fischer, Missionsindustrie (1978), 196.) 277 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 2. Aufl. 1908, 25, zit. nach: Fischer, Missionsindustrie (1978), 216 f. 278 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 279 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4.
3.3 Operatives Geschäft
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ner- und Wagnerarbeiten ausgeführt. Die Basler Mission blieb auch nach der Übergabe an die Missions-Handlungs-Gesellschaft Hauptkunde der Werkstatt. So bauten deren Mitarbeiter Gebäude für die Mission und sie beteiligten sich an der Erschliessung der teilweise sehr abgelegenen Stationen mit Wegen und Brücken.280 Die kostengünstigen Arbeiten für die Mission stellten analog zum Speditionsdienst der Handlungen eine Form von direkt gemeinnütziger Dienstleistung dar. Die wichtigste direkt gemeinnützige Aktivität der Missionswerkstatt in Christiansborg an der Goldküste war die Ausbildung von Lehrlingen zu selbständigen Handwerkern nach europäischem Vorbild.281 Die Lehrlinge machten rund drei Viertel der circa vierzig einheimischen Mitarbeiter aus.282 Offenbar hatte diese Ausbildung einen guten Ruf, was dazu führte, dass Lehrlinge noch vor Ablauf der Lehrzeit abgeworben wurden. Um das zu verhindern, verlangte man von den Lehrlingen ein Depot von fünf britischen Pfund, welches sie nach Abschluss ihrer Lehrzeit zurückerhielten.283 Hier gelang es offenbar, die von Schott gewünschten „Bastler“ heranzuziehen, die sich nach Abschluss der Lehrzeit umgehend selbständig machen konnten.284 Anders als von den anderen Geschäftsbereichen, wurde von der Missionswerkstatt in Afrika kein delegiert gemeinnütziger Beitrag an die Zentrale erwartet. Sie konnte dementsprechend relativ frei von betriebswirtschaftlichen Überlegungen und Wachstumsdruck arbeiten. In der Broschüre „Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission“ von 1902 hiess es dazu: „Dass das Geschäft, wenn es meist mit ungeübten Lehrlingen betrieben werden muss, nur in besonders günstigen Jahren rentiert, ist leicht zu verstehen. Es zeigt dies aber, dass es der gewerblichen Mission nicht in erster Linie darum zu thun ist, Geld zu verdienen, sondern vielmehr dem Lande und seinen Bewohnern auf die eine und andere Weise nützlich zu sein.“285
Tatsächlich kam dieser (für das ganze Unternehmen allerdings wenig bedeutende) Arbeitsbereich dem am nächsten, was man heute als Entwicklungszusammenarbeit bezeichnen würde.286
280 Duisberg, Wilhelm: Handel und Industrie im Dienst der Basler Mission, 1902, 11–14; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1884, 7 f. 281 Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 11. 282 Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juni 1900. 283 Duisberg, Wilhelm: Handel und Industrie im Dienst der Basler Mission, 1902, 36. 284 Vgl. ABM: Spezialprotokoll I, Denkschrift Schott, 5. Dezember 1883, 6. 285 Duisberg, Wilhelm: Handel und Industrie im Dienst der Basler Mission, 1902, 36. 286 Die Erfolge der Christiansborger Missionswerkstatt blieben offenbar auch den britischen Behörden nicht verborgen: 1898 bat der britische Gouverneur in Lagos die Missions-HandlungsGesellschaft, in der Nachbarkolonie Nigeria ähnliche Einrichtungen zu gründen. Dies wurde mit Verweis darauf, dass die Mutterinstitution Basler Mission dort nicht tätig sei, abgelehnt. (Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1898, 7.)
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
3.4 PERSONAL Handlungskommission, Geschäftsleitung und Verwaltung 1879 starb Missionsinspektor Josenhans, der seit 1859 an der Entstehung und Entwicklung der Missions-Handlungs-Gesellschaft beteiligt gewesen war. Seinen Platz in der Handlungskommission nahm ex officio dessen Nachfolger Otto Schott ein.287 Schon im Herbst 1881 gab dieser sein Amt an den neu gewählten Co-Inspektor Prätorius ab288, den er dann nach dessen Tod im Frühling 1883 wieder ersetzen musste.289 Bald darauf setzte Schott zu seiner grundsätzlichen Kritik an der Missions-Handlungs-Gesellschaft an.290 Nachdem er sich mit seinen Forderungen nicht durchgesetzt hatte, liess er sich vorerst von Missionslehrer Kinzler vertreten.291 Im Juni 1884 trat er dann von allen seinen Missionsämtern zurück.292 Sein Nachfolger als Missionsinspektor und Mitglied der Handlungskommission wurde Theodor Oehler.293 Im Zuge der Fusion mit der Missionsindustrie trat 1882 der Basler Unternehmer Theodor Sarasin in die Handlungskommission ein. Sarasin war gleichzeitig Mitglied des Missionskomitees, Redakteur des Christlichen Volksboten und Gönner weiterer pietistischer und philanthropischer Projekte.294 Weiterhin nahmen die Geschäftsführer Einsitz in der Handlungskommission. Bereits 1878 war der frühe Geschäftsführer Karl Riehm gestorben. Vorübergehend übernahm darauf der aus Indien zurückgekehrte Missionskaufmann Johannes Müller die Leitung.295 1880 wurde MissionsHandlungsPionier Gottlob Pfleiderer zum zweiten Mal zum Geschäftsführer ernannt. Müller verblieb als Prokurist in der Geschäftsleitung.296 Lange Zeit blieb es nun bei dieser Zusammensetzung, an der auch die neuen Statuten von 1887 nichts änderten. Die Mitglieder der Handlungskommission arbeiteten nach wie vor ehrenamtlich für die Missions-Handlungs-Gesellschaft.297 Im April 1895 starb Kommissionspräsident Preiswerk. Die zuständigen Gremien setzten auf eine möglichst kontinuierliche Nachfolgelösung: Neuer Präsident (und neues Komiteemitglied) wurde Eduard Preiswerks drittältester Sohn Wil287 288 289 290 291 292
ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Mai 1879. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 26. Oktober 1881. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 7. Juni 1883. Siehe Kap. 3.1. ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 26. März 1884. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 17; vgl. auch ABM: Spezialprotokoll I, Komiteesitzung vom 11. Juni 1884. 293 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 19. Februar 1885. 294 Vgl. Meili, FEG, Teil 2. 295 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 16. Januar 1879. 296 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Mai 1880. 297 Zumindest finden sich in den untersuchten Quellen weiterhin keine Hinweise auf eine Bezahlung der Kommissionsmitglieder. Allerdings fehlte in den Statuten von 1880 anders als in den Statuten von 1869 eine explizite Bestimmung, die eine Entlohnung der Kommissionsmitglieder ausschloss. Anders urteilt Fischer: Er schreibt (allerdings ohne Angabe einer Quelle), dass der Präsident der Handlungskommission als „Direktor“ der Missions-Handlungs-Gesellschaft ein Salär bezogen habe. (Fischer, Missionsindustrie (1978), 14.)
3.4 Personal
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helm.298 Wilhelm Preiswerk kannte nicht nur die Geschäfte der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, sondern auch die Arbeitsgebiete in Übersee aus eigener Erfahrung. 1880 und 1882 bis 1883 hatte er die Missionsinspektoren Schott und Prätorius als Sekretär auf ihren Inspektionsreisen nach Indien und an die Goldküste begleitet. Wie sein Vater war er Mitglied in der Basler Brudersozietät. Angeblich wollte er in jungen Jahren gar selbst Missionskaufmann werden. Später stieg er in das familiäre Kolonialwarengeschäft Preiswerk-Söhne ein. Wie viele fromme Basler seiner Zeit war er gleichzeitig auch in politischen Ämtern und wirtschaftlichen Interessenvertretungen tätig.299 Mit dem Wachstum der Gesellschaft ergab sich eine Verschiebung der Gewichte von der ehrenamtlich tätigen Handlungskommission hin zu fest angestellten Geschäftsführern und Prokuristen im Basler Büro. Ein erstes Indiz dafür sind die Jahresberichte, die seit 1880 nicht mehr vom Präsidenten der Handlungskommission, sondern vom Geschäftsführer Pfleiderer unterzeichnet wurden.300 Ausserdem arbeiteten nun mit Pfleiderer und Johannes Müller zwei vollamtliche Kaufleute in der Verwaltung. Wichtige Entscheide wurden oftmals nur noch dem Präsidenten der Handlungskommission vorgelegt.301 Ab den 1890er Jahren erfolgte dann eine kontinuierliche räumliche und personelle Erweiterung des Basler Büros: 1891 wurden die Büroräumlichkeiten am Nonnenweg vergrössert;302 1892 trat Gottlieb Pfleiderers Bruder Karl, langjähriger Leiter der Missions-Handlung in Indien, als weiteres Mitglied in die Geschäftsleitung ein;303 im folgenden Jahr wurde die Geschäftsleitung schliesslich um Carl Hüttinger, früherer Industriebruder der Basler Mission in Indien, als technischem Leiter der Industriebetriebe in Indien ergänzt.304 Die Missionskaufleute und Industriebrüder Die Rekrutierung von genügend Missionskaufleuten war, vielleicht noch stärker als in den Jahrzehnten zuvor, mit zahlreichen Problemen verbunden. Während der 1880er- und 1890er Jahre blieb der Personalmangel wiederkehrendes Thema in den Sitzungen der Handlungskommission.305 Es ging dabei um die altbekannten Fragen: (1) die hohe Sterblichkeit und die vielen Erkrankungen unter den Missionskaufleuten. Zwischen 1880 und 1900 starben rund dreissig Mitarbeiter in Übersee
298 ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 9. April 1895 und 30. April 1895. 299 Wanner, Preiswerk (1984), 52–55. 300 Vgl. die Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft ab 1880. 301 Vgl. Pfleiderer, Hermann: Gottlob Pfleiderer, der erste Basler Missionskaufmann in Indien. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage am 28. September 1929, Stuttgart [1929], 75. 302 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1891, 9. 303 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 4. März 1892. 304 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. November 1893. 305 Immer wieder wird der Personalmangel in den Sitzungen der Handlungskommission und in den Jahresberichten der Missions-Handlung thematisiert. Vgl. zum Bsp. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 7. April 1891 oder die Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1886, 9 f. und 1894, 6.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
(ein Drittel der ausgesandten Mitarbeiter), der grösste Teil davon in Afrika.306 (2) die doppelte Anforderung an potentielle Missionskaufleute, sowohl beruflich befähigt als auch religiös berufen zu sein. Dies konnte zur Folge haben, dass die teilweise religiöse Motivation schwer mit den (auch gewinnorientierten) Unternehmenszielen zu vereinbaren war. Besser sah die Personalsituation bei der Missionsindustrie aus. Die Tätigkeit als so genannter „Industriebruder“ war in zweierlei Hinsicht attraktiver als die Mitarbeit als Missionskaufmann: erstens versprach eine Anstellung in der Missionsindustrie mehr Chancen, direkt gemeinnützig tätig zu sein, was sowohl einer altruistischen Motivation als auch der Suche nach innerer Befriedigung zu Gute kommen konnte. Zweitens herrschten in Indien (was auch für die dortigen Missionskaufleuten galt) erträglichere klimatische Bedingungen. Trotz der anhaltenden Probleme gelang es aber, den Bestand an Missionskaufleuten in Afrika zwischen 1880 und 1899 von circa zehn auf rund zwanzig zu verdoppeln. In Indien reduzierte sich der Bestand der Missionskaufleute mit der Reduktion der Läden im selben Zeitraum von acht auf fünf. Die Zahl der Industriebrüder entwickelte sich zwischen 1882 und 1899 von neun auf achtzehn.307 Die Missionskaufleute arbeiteten weiterhin auf Basis des „Verwilligungssystems“ als primär religiös motivierte Laienmissionare für die Missions-HandlungsGesellschaft.308 Für einzelne mag gegen Ende des Jahrhunderts – zusätzlich zu den weiter oben genannten Gründen309 – die Angst vor Arbeitslosigkeit310 einen Beweggrund für die Bewerbung als Missionskaufmann abgegeben haben. Für die Anwerbung neuer Missionskaufleute nutzte die Handlungskommission weiterhin Publikationen aus dem Missionsumfeld.311 Dass die vorwiegend religiösen Motive nicht unbedingt als Selbstverständlichkeit betrachtet wurden, zeigt ein Vorschlag des Aktionärs Benedikt Stähelin an der Generalversammlung der Aktionäre im Jahr 1890. Er sprach sich, als „Ermuthigung für die Brüder“, dafür aus, „den Brüdern auf dem Arbeitsfeld, welche ihre Kraft und Gesundheit für unsere Sache einsetzen, einen Gewinn Antheil oder ein Geschenk in irgend welcher Form zu kommen zu 306 Vgl. dazu die Angaben in ABM/UTC 4721: Personalia I. Zu den Biographien der verstorbenen Mitarbeiter vgl. den Anhang „In memoriam“ in Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 518–526. 307 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 308 An den in Kap. 2.6 beschriebenen Anstellungsbedingungen und den möglichen Motivationsstrukturen hatte sich grundsätzlich nichts geändert. 309 Siehe Kap. 2.6. 310 Die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei kaufmännischen Personen war Ende des 19. Jhs. eher gering, existenzielle Angst um den Arbeitsplatz war aber auf Grund einzelner negativer Erfahrungen seit den 1880er Jahren verbreitet. (Vgl. König et.al., Angestellte (1985), 448.) 311 Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Dezember 1884, anlässlich der ein entsprechendes Inserat im Heidenboten und in der pietistischen Basler Wochenzeitung „Christlicher Volksbote“ angeordnet wurde; ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 10. April 1896 oder Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1894, 6. Ausserdem dürften nun die überall in Europa entstehenden christlichen Jünglingsvereine (CVJM) eine immer wichtigere Rolle bei der Anwerbung gespielt haben. (Vgl. Altena, Häuflein (2003), 266–270; Zum Gedächtnis an Martin Binhammer, geboren 27. November 1876, gestorben 5. Februar 1947, [Basel] 1947, 6.)
3.4 Personal
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lassen.“312 Preiswerk verwarf diesen Vorschlag mit dem Hinweis auf die Geschäftsordnung von 1864, wonach die Missionskaufleute nicht besser gestellt werden dürften als die Missionare.313 Für tendenziell bessere Stimmung unter den Missionskaufleuten dürfte die Statutenreform von 1880 gesorgt haben. Die zuvor mehrmals von Rottmann, dem Senior der Missionskaufleute, geäusserte Kritik am Missverhältnis zwischen dem beträchtlichen Aktionärsnutzen und dem unentgeltlichen Engagement der Missionskaufleute wurde 1880 endlich ernst genommen. Die neuen Statuten rückten anstelle des Aktionärsnutzens die delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Mission in den Vordergrund.314 Offenbar hat diese Änderung ihre Wirkung auf die Zufriedenheit der Missionskaufleute nicht verfehlt. Das Fehlen von grösseren Unstimmigkeiten und die trotz allem mehr oder weniger erfolgreiche Rekrutierungspraxis sind auch damit zu erklären, dass die Handlungskommission die Probleme der Mitarbeitergesundheit und Mitarbeitermotivation unterdessen offener diskutierte. Insbesondere die Häufung von Todesfällen am Volta rief Bedenken hervor und die Handlungskommission stellte sich ab den 1880er Jahren vermehrt die Frage, in wie weit und unter welchen Bedingungen sie ihre Mitarbeiter den beträchtlichen Risiken des tropischen Klimas und den damit verbundenen Tropenkrankheiten aussetzen durfte.315 Einen besonderen Fürsprecher erhielten die Missionskaufleute in dieser Sache in Theodor Sarasin. Grundsätzlich schon skeptisch gegen die Handelsgeschäfte in Afrika eingestellt, bedauerte und kritisierte er regelmässig die Gefährdung der europäischen Missionskaufleute: Nachdem in der ersten Hälfte der 1880er Jahre innert kurzer Zeit fünf Missionskaufleute in Afrika gestorben waren, darunter auch der oben mehrmals zitierte Ernst Preiswerk (einer der wenigen Basler unter den Missionskaufleuten),316 bemerkte Sarasin anlässlich der Fusionsverhandlungen von 1882: „Es habe ihn bei der Handlung wehe gethan, [...] dass die Brüder überarbeitet seyen.“317 Im zur gleichen Zeit erscheinenden Jahresbericht über das Jahr 1881 nannte es die Missions-Handlung denn auch als ihr „Anliegen“, besser auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu achten, insbesondere dadurch, dass man mehr Personal aussenden wollte, „damit es leichter möglich wird, den der Erholung Bedürftigen die Arbeit abzunehmen, und damit keiner nöthig hat, sich über Gebühr anzustrengen, auch damit die dazu Befähigten im Stande sind, sich manchmal an direkter Missionsarbeit zu beteiligen.“318 Ein Versprechen, dass nicht eingelöst wurde. Im Sommer 1884 sprach Sarasin in der Sitzung der Handlungskommission noch deutlicher von „dem ihm öfters wiederkehrenden Gedanken, ob wir es wagen 312 ABM/UTC: 4574: Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 16. Mai 1890. 313 ABM/UTC: 4574: Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 16. Mai 1890; vgl. ABM/UTC 4936: Geschäftsordnung für die Handlungskommission, 16. März 1864, § 3. 314 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft von 1880, § 12. 315 Siehe Kap. 3.1. 316 Vgl. dazu die Angaben in ABM/UTC 4721: Personalia I. Dies bei einem durchschnittlichen Bestand an europäischem Personal in Afrika von nur knapp zehn Missionskaufleuten! (Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.) 317 ABM/UTC 4555. Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1882. 318 Jahresbericht der Mission-Handlungs-Gesellschaft 1881, 7.
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dürfen, Kaufleute, die keine directe Missions Arbeit thun, in den Tod zu senden.“ 319 Knapp ein Jahr später stellt er dann angesichts des eklatanten Personalmangels erstmals den Antrag, die Station in Akuse zu schliessen.320 Die damalige Situation beschrieb Duisberg in einem autobiographischen Traktat von 1912. Die Situation war drastisch, gab aber gleichzeitig Gelegenheit für heroisches Verhalten, wie es zum Ideal des Missionars (und Missionskaufmanns) als Märtyrer321 passte: „Während sonst mindestens zwei, meist aber drei und vier Kaufmannsbrüder in der Faktorei tätig waren, traf es sich durch Todesfälle, Krankheiten u. a. im Jahre 1886, dass ich nahezu das ganze Jahr hindurch ganz allein gestellt war und somit auch alle Arbeit allein besorgen musste. Oft war ich matt und fieberisch, aber ich konnte und durfte nicht nachgeben, ich nahm eine Dosis Chinin und arbeitete mit heissem Kopf und zitternder Hand weiter. Es musste gehen und mit Gottes Hilfe ging es auch.“322
Vielleicht bewog gerade die (hier im Rückblick heraufbeschworene) Leidensbereitschaft der Missionskaufleute die Handelskommission dazu, nicht weiter auf Sarasins Vorschlag einzugehen.323 Drei Jahre später, inzwischen war es zu drei weiteren Todesfällen in Afrika gekommen,324 wurde die Aufhebung von Akuse auch im Missionskomitee zum Thema. Sarasin setzte sich auch dort vehement für eine Schliessung ein. Er fand Gehör, und Ende 1889 wurde beschlossen, die gesundheitlich besonders gefährliche Station in Akuse fortan nur noch als eine durch einen einheimischen Mitarbeiter geführte Zweigstation zu betreiben.325 Mit diesem Erfolg gab sich Sarasin allerdings nicht zufrieden. Immer wieder griff er das Thema der Mitarbeitergesundheit auf: 1891 schlug er in der Generalversammlung vor, einen Teil des Jahresgewinns zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in den Handelsstationen zu verwenden. Sein Antrag wurde mit Hinweis auf die Gleichbehandlung aller Missionsangehörigen verworfen.326 Zahlreiche weitere Todesfälle liessen ihn 1896 den Antrag stellen, die afrikanischen Geschäfte bis auf den Speditiondienst zu schliessen. In seiner Begründung betonte er, dass angesichts der bescheidenen missionarischen und geschäftlichen Erfolge der Handlungen die menschlichen Opfer nicht gerechtfertigt seien.327 Auch dieses mal konnte er sich allerdings nicht durchsetzen.328 Sarasins patriarchalischer Idealismus machte zu guter Letzt auch vor seinem eigenen Hause nicht halt: 1899 bot er der aus
319 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 17. Juni 1884. 320 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Mai 1885. 321 Zum Ideal des Missionars als Märtyrer vgl. Altena, Häuflein (2003), 279–287. 322 Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 160. 323 ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 22. Mai 1885 und 16. Juni 1885. 324 Vgl. dazu die Angaben in ABM/UTC 4721: Personalia I. 325 ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 12. Dezember 1888, § 773; 19. Dezember 1888, § 778; 4. Dezember 1889, § 674 und 11. Dezember 1889, § 693. Siehe ausführlich Kap. 3.1. 326 ABM/UTC: 4574: Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 5. Mai 1891. 327 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. April 1896. 328 ABM Q-1: Komiteesitzungen vom 29. April 1896, § 348; 10. Juni 1896, § 490; 17. Juni 1896, § 504; 18. November 1896, § 908. Siehe ausführlich Kap. 3.1.
3.4 Personal
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Afrika heimkehrenden Familie Duisberg eine Alterswohnung bei sich in Riehen an.329 Der wachsende Bedarf an sowohl religiös motivierten als auch professionell qualifizierten Missionskaufleuten konnte, wie es etwa Missionskaufmann Duisberg beklagte, zur Anwerbung von ungeeigneten Mitarbeitern führen.330 Dieses Problem lag in der Struktur der Missions-Handlungs-Gesellschaft begründet und liess sich nicht ohne weiteres beheben. Duisberg selbst empfahl, im Zweifelsfall die religiöse Berufung stärker zu gewichten: „Fehlt es aber nicht an der richtigen, inneren Herzensstellung, lebt der junge Bruder im Gebetsumgang und unter der Zucht des heiligen Geistes, dann wird er auch bei äusserer geringer Begabung bald seinen Posten auszufüllen imstande sein, während vielleicht ein anderer, kaufmännisch begabter, aber mit weniger richtigem inneren Glaubensleben, sich und anderen viel Not macht.“331
Die doppelte Anforderung führte aber auch zur Frage, wie viel Zeit und Kraft die Missionskaufleute für die missionarische Arbeit einsetzten sollten. Sarasin trat dafür ein, dass die direkte Missionsarbeit für Missionskaufleute und Industriebrüder mehr als nur Nebensache sei. Dafür war er auch bereit, mehr Personal als dringend nötig auszusenden, was allenfalls auch bedeutete, auf eine grössere delegiert gemeinnützige Ausschüttung zu verzichten: „Noch wichtiger scheine ihm, dass die Brüder das Recht bekommen, directe Missionsarbeit zu treiben. Es sey ein Wendepunkt dadurch eingetreten, dass wir finanziell so dastehen, dass mehr Leute angestellt werden können, damit Handlung & Industrie sich mehr an directer Missionsarbeit betheiligen kann.“332
In diesem Punkt wurde Sarasin insbesondere von Missionsinspektor Prätorius unterstützt, der die Handlungskommission 1883 dazu aufforderte, ihre jüngeren Mitarbeiter in Afrika dazu anzuhalten, sich als Beitrag zur direkten Missionsarbeit am Aufbau von christlichen Jünglingsvereinen zu beteiligen.333 Dieses Anliegen teilte grundsätzlich auch Kommissionsmitglied Pfisterer. Er wollte dem missionarischen Engagement aber klare Grenzen setzen. Vor allem wandte er sich energisch gegen den Wunsch einiger Missionskaufleute, in den direkten Missionsdienst überzutreten oder im Rahmen ihrer Arbeit deutlich mehr direkte Missionsarbeit leisten zu können.334 Stattdessen betonte er die eigenständige Rolle und die eigenständigen Wirkungsmöglichkeiten der nicht-ordinierten Missionsangehörigen. Seine in ihrer
329 Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 175. 330 Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 161 f. 331 Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 161; vgl. auch ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 6. April 1894, in der Inspektor Oehler moralisches Fehlverhalten einzelner Missionskaufleute bemängelt. 332 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1882. 333 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 7. Juni 1883. 334 Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Oktober 1881.
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Weise durchaus positive Sicht der Missionskaufleute und Industrie brüder formulierte er folgendermassen: „[...] Kaufleute sollen Kaufleute, und Handwerker sollen Handwerker bleiben, haben sie freie Zeit, so können sie directe Missionsarbeit treiben. Die Missionskaufleute stehen ihm fast höher da, als ordinierte Missionare, da manche der ersteren eine Stellung aufgegeben, was bei letzteren selten der Fall sey; er finde, dass ein christlicher Kaufmann oder Industrie Bruder draussen etwas so grosses sey, dass man dies [den Übertritt in den direkten Missionsdienst] nicht unterstützen dürfe. Das Exempel sey grösser als die Predigt – Aber das Umsatteln draussen sey von Uebel.“335
Einheimische Angestellte Die Zahl der einheimischen Fabrikarbeiter in Indien wuchs von 1882 bis 1899 von circa 800 auf rund 2600. Der Anteil der Gemeindeglieder betrug 1899 hohe achtzig Prozent.336 In den Industriebetrieben arbeiteten auch zahlreiche Frauen.337 Die Anstellungsbedingungen der Missionsindustrie können gemäss Fischer als relativ gut bezeichnet werden. Die Missionsindustrien bezahlten nach 1882 grundsätzlich marktübliche Löhne, was ein Leben knapp über der Armutsgrenze ermöglichte.338 (Die Übernahme durch die Missions-Handlungs-Gesellschaft hatte hier einen Bruch bedeutet: Zuvor hatten die Missionsindustrien offenbar sogar Löhne über dem Marktniveau bezahlt.)339 Die Bezahlung erfolgte für die Arbeiter in den Ziegeleien normalerweise im Wochenlohn;340 in den Webereien war dagegen meist ein Stücklohn üblich.341 Die Missionsindustrie verzichtete – wohl auch aus moralischen Überlegungen heraus – auf das damals in Indien vielerorts übliche „contracting“ an „managing agencies“,342 welches die Behandlung und Bezahlung der Arbeiter an einen Kontraktnehmer outsourcte, was kaum zum Vorteil der Arbeitnehmer gereichte. Erst im Laufe der 1890er Jahre wurde von einigen Betriebsleitern in Indien über einen Wechsel zu einem ähnlichen System nachgedacht. Aus Sorge um den Missionscharakter der Betriebe wurde diese Vorschläge aber vorläufig nicht weiter verfolgt.343 Christliche und nichtchristliche Arbeiter erhielten grundsätzlich denselben Lohn. Allerdings waren die nichtchristlichen Arbeiter insofern benachteiligt, als dass sie in Übereinstimmung mit dem Unternehmensziel, möglichst viele Gemein335 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1882. 336 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4. 337 Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 64, der auf die Frauen in den Webereien verweist. Fotos zeigen, dass auch in Ziegelfabriken Frauen gearbeitet haben (vgl. Abbildung 5 im Anhang). 338 Fischer, Missionsindustrie (1978), 33; 242; 266. 339 Fischer, Missionsindustrie (1978), 33; vgl. auch Raghiavh, Basel Mission Industries (1990), 46. 340 Fischer, Missionsindustrie (1978), 152; 159; 272. 341 Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 216. 342 Fischer, Missionsindustrie (1978), 288. Zu den „managing agencies“ vgl. Kulke/Rothermund, Indien (2010), 335 f. 343 Fischer, Missionsindustrie (1978), 298 f.
3.4 Personal
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deglieder zu beschäftigen, als eine Art „Konjunkturpuffer“ gebraucht und bei fehlendem Bedarf entlassen wurden.344 Ein Lohnunterschied bestand zwischen den Arbeitern in den Ziegeleien und den besser bezahlten Webern, unter denen sich auch deutlich mehr Gemeindeglieder befand.345 Insgesamt bedeutete die Lohngleichheit in gewisser Hinsicht sogar einen tieferen Lebensstandard für die Christen, da diese auf Grund von Kleidervorschriften, (Missions) Schulpflicht der Kinder, Kirchensteuer und dem Leben in einer Kleinfamilie tendenziell höhere Lebenskosten hatten.346 Relativ fortschrittlich zeigte sich die Missionsindustrie bezüglich der Arbeitszeiten: Im Normalfall wurde an sechs Tagen neun oder zehn Stunden gearbeitet. Sonn- und andere Feiertage wurden – was im Missionskontext nahe lag347 – streng eingehalten. Damit war die Situation vergleichbar mit den Bedingungen in fortschrittlichen europäischen Fabriken,348 jedenfalls aber deutlich besser als in anderen indischen Industriebetrieben, die solche Regelungen erst nach dem Ersten Weltkrieg einführten.349 Ähnlich wie in Afrika, wo etwa beim Beladen und Löschen von Schiffen keine Rücksicht auf die Sonntagsruhe genommen wurde,350 beugte man sich auch beim sonntäglichen Betrieb der Fabriken ausnahmsweise geschäftlichen Sachzwängen. So berichtet der Jahresbericht über das Jahr 1896 aus Indien: „Die Arbeitseinstellung am Sonntag versteht sich von selbst, auch wird beim Brennen in den Ziegeleien die Arbeit mit der Unterhaltung des Feuers auf das Allernötigste beschränkt.“351 Die Sorge um die Sonntagsruhe ging aber noch weiter: „Um nun weitere, auch häusliche Hindernisse hinwegzuräumen, ist z. B. früherer Arbeitsschluss an den Samstag Nachmittagen, und Verlegung des Zahltags auf einen anderen Wochentag eingeführt worden, letzteres um Einkäufe am Sonntag zu verhindern.“352 Abgesehen von den äusseren Anstellungsbedingungen dürften auch andere Faktoren für die Mitarbeit in den Missionsindustrien gesprochen haben. Die Arbeit in den Webereien konnte für einen Konvertierten, je nach ursprünglicher Kastenzugehörigkeit, eine beträchtliche Statuserhöhung bedeuten.353 Umgekehrt war es schwer, konversionswillige Mitglieder der Weberkasten (die bereits das nötige Berufswissen mitgebracht hätten) anzuwerben, da sie bereits über einen relativ hohen Status verfügten.354 Die Hoffnung auf eine mögliche Karriere innerhalb der Betriebe dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Der Karriereschritt zum einheimischen „maistry“ (Vorarbeiter) war allerdings meist mit einem Wechsel zwischen 344 345 346 347 348 349 350 351
Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 172. Raghiavh, Basel Mission Industries (1990), 41; 44–46. Fischer, Missionsindustrie (1978), 245. Vgl. Klein, Mission (2010), 150. Vgl. Fisch, Europa (2002), 264; 267; Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 193. Fischer, Missionsindustrie (1978), 190; 227. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 16. Juni 1885. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1896, 8. Vgl. auch ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891 und 13. März 1888. 352 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1896, 8. 353 Fischer, Missionsindustrie (1978), 36 f. 354 Fischer, Missionsindustrie (1978), 54 f.; 62.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
verschiedenen Missionsbetrieben verbunden. Die Möglichkeit innerbetrieblicher Karrieren blieb gering.355 Schliesslich kann hier nochmals die Idee einer „rituellen Neutralisierung“ durch die Arbeit in einem modernen Industriebetrieb genannt werden, welche manchem Arbeitswilligen als zusätzlicher Anreiz gedient haben mag.356 Unter den christlichen Arbeitern könnte die Nähe zur Mission einen zusätzlichen Anreiz zur Arbeit in der Missionsindustrie abgegeben haben. Von einem mit der Konversion einhergehenden Zwang, in der Industrie zu arbeiten, kann allerdings nicht gesprochen werden. Die grosse Zahl der ausserhalb der Missionsindustrie tätigen Christen357 zeigt, dass auch für die kastenlosen Christen alternative Betätigungsfelder vorhanden waren. Ein rühmliches Kapitel in der Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft ist die Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung gegenüber den Arbeitern in Indien. Ganz im Geiste der Zeit358 versuchte die Missions-Handlungs-Gesellschaft, den Arbeitern in den Industriebetrieben in Indien ein möglichst vollständiges Programm christlich-philanthropischer Arbeiterfürsorge nach europäischem Vorbild zu bieten.359 Der Kern dieser Bemühungen lag im Aufbau von betrieblichen Krankenkassen, die bereits Ende der 1860er Jahre an allen Standorten vorhanden waren.360 Der Aufbau der Kassen war Sache der einzelnen Betriebe.361 Gut dokumentiert ist das Beispiel der Krankenkasse in Cannanore, welche in der Handlungskommission mehrmals zum Thema wurde, sei es wegen der regen Benutzung, Missbräuchen oder dem von der Handlungskommission vehement abgelehnten Wunsch der Arbeiter, die Guthaben der Krankenkasse in Sparguthaben umzuwandeln.362 Erst 1896 kam es zur Verabschiedung einer allgemein gültigen Krankenkassenordnung für alle Betriebe.363 Unklar ist, ob die Missions-Handlungs-Gesellschaft auch eine Art Arbeitgeberbeitrag in diese Kassen einbezahlte oder ob sie sich lediglich auf deren Verwaltung beschränkte. Im Gegensatz zu den weiteren Institu-
355 Fischer, Missionsindustrie (1978), 267; 277–284. 356 Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 39. 357 Gegen Ende des Jahrhunderts mehr als drei Viertel der Gemeinde. (Vgl. Jahresbericht der evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel 1899, 107; Jahresbericht der Missions-HandlungsGesellschaft 1899, 4.) 358 Zu einem möglichen Vorbild vgl. Amstutz/Strebel, Seidenbande (2002), 49–51; 63 f. 359 Zur Verschränkung privater pietistischer und weltlich-bürgerlicher Initiativen zur Lösung der „sozialen Frage“ vgl. Gleixner, Pietismus (2005), 404; Labhardt, Merian (2011), 210. 360 Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 99 f.; vgl. auch Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 4. Nach Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 192, ging die Initiative zum Aufbau dieser Sozialwerke auf Missionsinspektor Josenhans zurück, der anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien im Jahr 1852 die Notwendigkeit solcher Institutionen erkannt haben soll. 361 Jedenfalls finden sich aus den 1880er Jahren keine Hinweise auf ein gemeinsames Krankenkassensystem. 362 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. November 1895; ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 16. Oktober 1883; 3. Juni 1886 und 16. Dezember 1887. 363 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 21. November 1896.
3.4 Personal
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tionen der Arbeiterfürsorge waren in die Betriebskrankenkassen auch die NichtChristen mit eingeschlossen.364 Neben die Krankenkassen traten 1891 einheitliche Armenunterstützungsfonds für die in der Missionsindustrie tätigen Mitglieder der Missionsgemeinden. Diese allein durch die MissionsHandlungsGesellschaft finanzierten Fonds entstanden aus der Idee heraus, die Armenkassen der Missionsgemeinden zu entlasten. Die Missions-Handlung bewilligte dazu Beträge von jährlich einer Rupie pro angestelltem Gemeindeglied. Für die Vergabe von Fürsorgebeträgen aus diesen Fonds waren die jeweiligen Betriebsleiter zuständig, die sich dabei nach eigenem Gutdünken von der örtlichen Gemeindeleitung beraten lassen konnten. Grundsätzlich waren diese Fonds für die christlichen Mitarbeiter bestimmt.365 Nichtchristlichen Arbeitern wurden bei Invalidität nur in Einzelfällen Unterstützungsbeträge ausbezahlt.366 Die Mittel der Spar- und Krankenkassen wurden ausser zur Unterstützung der Industriearbeiter auch zur Förderung von Wohneigentum der Industriearbeiter genutzt: „[...] ausserdem ist unseren Brüdern ein Anliegen, ihren Arbeitern so viel als möglich zu einem eigenen, wenn auch kleinen Heim behilflich zu sein; wir erwähnen gerne, dass in dieser Hinsicht schon manches ist erreicht worden.“367 Wie diese Hilfe konkret aussehen konnte, wird aus einem Bericht über die Ziegelei in Kudroli aus dem Jahr 1891 ersichtlich. Über den dort tätigen Industriebruder Heinrich Altenmüller heisst es, er habe: „[...] zu 13 Häusern Vorschuss gegeben, unter Hypothek Versicherung, die innerhalb 4–7 Jahren zurück bezahlt werden sollen.“368 Der an gleicher Stelle angebrachte Hinweis, Altenmüller versuche, „[...] die Gemeindeglieder auch wohnlich zu concentrieren [...]“369, lässt darauf schliessen, dass diese Wohnbauförderung nicht nur soziale, sondern auch Ansprüche der Mission befriedigte, indem sie die bekehrten Inder leichter fassbar machte.370 Insgesamt zeigte die Missions-Handlungs-Gesellschaft ein beachtliches Engagement, welches den Vergleich mit zeitgenössischen Firmen in Europa nicht scheuen musste und manchem Betrieb in Europa voraus war. Über den Transfer von Wissen, Technologien und der christlichen Religion hinaus gelangten so Ideen philanthropischer Arbeiterfürsorge im Geiste des 19. Jahrhunderts nach Indien.371
364 365 366 367 368 369 370 371
Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 192. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 25. November 1892. Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Dezember 1896. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1896, 8; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 283 f. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891. Ähnliche Pläne für eine „Wohnkolonie“ bestanden auch für die Ziegeleien in Calicut. (ABM/ UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Oktober 1891.) Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 285. Im Hinblick auf die Zeit vor 1882 vermerkt Rennstich in diesem Zusammenhang, dass damit dem engagierten Sozialreformer und ersten Präsidenten der Missionsindustrien, Karl Sarasin, die Verwirklichung seiner sozialen Ideen schneller als in Basel gelungen sei. (Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 46; 100; Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 192.). Cooper / Stoler, Tensions of empire (1997), 5, führen in solchen Zusammenhängen den Begriff „laboratories of modernity“ an.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Von der Entlohnung bis zu den Sozialwerken zeigte sich die Missionsindustrie als relativ attraktiver Arbeitgeber. Das bedeutet aber nicht unbedingt, die Arbeit in der Missionsindustrie sei tatsächlich besonders beliebt gewesen: In einem klassischen Entscheidungsmodell könnten pull-Kräfte in Bezug auf den Entscheid des einzelnen Arbeiters (relativ vorteilhafte und langfristige Anstellungsbedingungen und der Genuss der Sozialleistungen) durch entsprechend grössere barriers (etwa die strengere Disziplin, die Pflicht zum Andachtsbesuch oder die allgemein fremde christliche Umgebung)372 wieder abgeschwächt worden sein.373 Die Vorteile dürften aber überwogen haben. Bis auf wenige Ausnahmen stellte die Rekrutierung von genügend einheimischen Arbeitern in Indien kein Problem dar.374 In der Missionswerkstatt an der Goldküste arbeiteten 1899 36 Lehrlinge, wovon knapp zwei Drittel Gemeindeglieder waren.375 Ähnlich wie ihre Kollegen in Indien konnten sie mit dem „Unterstützungs-Conto für Native-Angestellte“ von einem Fürsorgeprogramm der MissionsHandlungsGesellschaft profitieren. Dieser Fonds war mit 10 000 bis 18 000 Franken dotiert.376 Die Handelsstationen beschäftigten 1899 rund 360 einheimische Arbeitskräfte. Von den rund vierzig Mitarbeitern in den indischen Handlungen waren bis auf eine Ausnahme alles Gemeindeglieder. In Afrika war etwa ein Viertel der Angestellten Gemeindeglieder.377 Die Rekrutierung von genügend einheimischem Personal für die Handlungen stellte weiterhin keine Schwierigkeit dar.378 Man kann davon ausgehen, dass eine Anstellung in den Handelsstationen zumindest durchschnittlich attraktiv war. Für Sozialwerke analog den Industriebetriebe und der Werkstatt finden sich keine Hinweise. Anders als im Zusammenhang mit der Missionsindustrie wurde die Zusammenarbeit mit Einheimischen immer öfter mehr als notwendiges Übel denn als „zivilisatorisch“ oder missionarisch wertvolles Projekt beschrieben. So etwa in folgenden abschätzigen (für die Öffentlichkeit bestimmten) Bemerkungen: „Was nun die schwarzen Angestellten anlangt, so finden sich unter ihnen wohl einige, die treu und zuverlässig sind; die meisten hingegen erheben sich nicht über die Durchschnittsstufe der afrikanischen Handlungsgehilfen. Je laxer die Kontrolle, desto grösser ist für diese die Versuchung zum Diebstahl. Und daran ist nicht wenig das eitle, aufgeblasene Leben an der Küste schuld.“379
372 373 374 375 376
Siehe Kap. 3.3. Vgl. Fischer, Missionsindustrie (1978), 40. Fischer, Missionsindustrie (1978), 40; 127. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4. Vgl. ABM/UTC 4654: Bilanz-Buch vom Jahr 1865 [1862] bis 1883; ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912. Es ist nicht ganz klar, ob dieser Fonds tatsächlich nur für die Mitarbeiter der Werkstatt bestimmt war. Die erstmalige Erwähnung in der Bilanz zusammen mit der Übernahme der Werkstatt 1883 und die geringe Ausstattung weisen aber darauf hin. 377 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1899, 4. 378 Zumindest wird das Thema in den Protokollen der Handlungskommission nicht thematisiert. 379 Vertrauliche Mitteilungen, 1884, 10; ähnlich auch im Jahresbericht der Mission-HandlungsGesellschaft 1893, 6.
3.5 Gewinnverteilung
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Zur Beschwichtigung des Missionspublikums, welches wohl das in der Mission verbreiteten Idealbild des missionierten Bauern und Handwerkers380 vor Augen hatte, wurde (immerhin in impliziter Anerkennung des kaufmännischen Talents der Küstenbewohner) hinzugefügt: „Unrichtig wäre es, der Missionshandlung vorzuwerfen, sie entreisse ihre Angestellten solideren Verhältnissen und veranlasse sie, an der Küste mit all ihren sittlichen Gefahren einen versuchungsvollen Beruf zu ergreifen. Denn der Neger hat einen so ausgesprochenen Sinn für den Handel, dass jedweder, der lesen und schreiben kann und sich nicht dem Dienst der Mission widmet, eben an der Küste eine Stelle sucht, gleichviel ob nun eine Missionshandlung da sei oder nicht. Um so besser dann, wenn einmal Einer aus den Vielen von ihr angestellt wird.“381
Eine besondere Gruppe innerhalb der einheimischen Angestellten in Afrika bildeten die Söhne von Rottmann und Missionar Zimmermann und deren afrikanischen Frauen. Die afrikanisch-europäischen Angestellten hatten nicht zuletzt angesichts der zeitgenössischen rassistischen Ideen einen schweren Stand innerhalb der Firma. So ärgerte sich Missionsinspektor Schott über die 1879 durch Vermittlung von Rottmann senior erfolgte Anstellung von Hermann Rottmann junior382: „Die Mulatten sind eben unberechenbar in ihren Leidenschaften. Das ist der Uebelstand. Ich traue ihnen nicht auf die Dauer, lieber ganze Neger wie David Asante.“383 Später erhielt Rottmann junior trotz seiner dunkleren Hautfarbe die Verantwortung über eine Filiale übertragen.384 3.5 GEWINNVERTEILUNG Zwischen 1880 und 1900 wuchsen die zur Verteilung gelangenden Gewinne von Werten um 100 000 Franken auf Beträge um 300 000 Franken.385 Dies bedeutete bei gleichzeitig eher deflationärer Preisentwicklung in der Schweiz386 ein beachtliches Wachstum, das vor allem auf die positive Entwicklung der Industriebetriebe in Indien zurückging. Wie wurden diese Gewinne, dieser „greifbare Segen“, wie sie Duisberg einmal nennt,387 verteilt? Die Statuten von 1880 brachten eine grundlegend neue Verteilung zwischen delegiert gemeinnützigen und gewinnorientierten Ausschüttungen, wie sie aus Sicht der Mitarbeiter längst überfällig war.388 Indem 380 381 382 383
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap 1.2. Vertrauliche Mitteilungen über Handel und Industrie, 1884, 10. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission von 19. August 1879. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission von 14. Juni 1883. Zur Biographie David Asantes, der zu den ersten in Basel ausgebildeten einheimischen afrikanischen Missionaren gehörte vgl. Abun-Nasr, Afrikaner (2003). 384 ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission von 17. Juni 1884. 385 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 386 Vgl. , Konsumentenpreisindex. 387 „Alles wurde recht und rechtzeitig besorgt, nichts wesentliches wurde versäumt und der Herr schenkte auch nach den vorhergegangenen schlechten Jahren wieder einen greifbaren Segen.“ (Duisberg, Wilhelm: Lose Blätter aus den Aufzeichnungen eines alten Missionskaufmanns, 2. Aufl., Basel 1912, 162.) 388 Siehe Kap. 3.1.
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3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
die Aktionäre auf eine echte Erfolgsbeteiligung verzichteten,389 wurde die Basler Mission auf einen Schlag zum Hauptbegünstigten des Geschäftserfolgs: Anstelle der vor 1880 üblicherweise ausbezahlten jährliche Beträge zwischen 6000 und 18 000 Franken traten nun weit höhere Summen, die sich von 50 000 Franken im Jahr 1880 auf Werte um die 200 000 Franken in den 1890er Jahren entwickelten. Von 1880 bis 1899 erhielt die Mission jährlich durchschnittlich 130 000 Franken beziehungsweise insgesamt knapp 2,7 Millionen Franken.390 Damit konnte die Basler Mission zwischen zehn und zwanzig Prozent ihrer jährlichen Gesamtkosten decken.391
Diagramm 5: Dividenden und delegiert gemeinnützige Zahlungen 1880–1899
Trotz der Neuordnung von 1880 blieb die Frage, wie viel vom Jahresergebnis (delegiert gemeinnützig) ausgeschüttet und wie viel reinvestiert werden sollte. 1891 und 1892 hatten sich zweimal hintereinander Beiträge von 200 000 Franken ergeben. Das Jahr 1893 versprach noch höhere Gewinne. In diesem Moment trat Preiswerk mit dem Vorschlag an die Handlungskommission, es fortan beim Betrag von 200 000 zu belassen, um übertriebene Erwartungen seitens der Mission zu vermeiden. Für den Fall dass der Geschäftsgang diesen Beitrag eigentlich nicht ermöglichen würde, sollten ausnahmsweise die Gewinne der unternehmenseigenen Versicherungsfonds zur Aufstockung des Beitrags an die Mission verwendet werden.392 389 390 391 392
ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 12. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Vgl. Schlatter, Basler Mission (1916), I, 335. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. März 1893. Für das Rechnungsjahr 1879 hatte man bereits in diesem Sinn auf die Reserven zurückgegriffen, um neben den Dividenden an die Aktionäre eine kleine delegiert gemeinnützige Zahlung an die Mission zu ermöglichen. (ABM/UTC 4748: Sitzung der Handlungskommission vom 13. Mai 1880.)
3.5 Gewinnverteilung
167
1891, nach dem Rückgang des Beitrags der Missions-Handlung um rund 50 000 Franken sei nämlich auf Grund solcher falscher Erwartungen ärgerlicherweise bereits argumentiert worden: „[...] das Deficit der Mission sey desshalb grösser, weil der Gewinn der Handlung kleiner sey.“393 Die Handlungskommission folgte Preiswerks Vorschlag, und bis 1898 beliess man es mit einer Ausnahme bei diesem Betrag.394 Im sehr erfolgreichen Geschäftsjahr 1893 griff man ohne Not auf die Erträge der Versicherungskonten zurück, um eine zusätzliche Spende an das Kinderheim der Mission in Basel im Umfang von 50 000 Franken zu gewähren, was man aus den oben genannten Gründen als tunlicher empfand als die Auszahlung eines höheren Gewinnanteils.395 Im folgenden Jahr musste dann ein erstes Mal auf die Gewinne des Versicherungsfonds zurückgegriffen werden, um den Beitrag von 200 000 Franken an die Mission ermöglichen zu können.396 Der Umfang der delegiert gemeinnützigen Beiträge an die Mission wurde mit diesem neuen Modus ein Stück weit vom Geschäftsverlauf losgekoppelt. Das neue Vorgehen ist als eine Antwort auf Probleme der seit 1880 forcierten delegierten Gemeinnützigkeit zu verstehen: Die delegiert gemeinnützigen Zahlungen brachten die Basler Mission in eine relativ starke Abhängigkeit von der MissionsHandlung. Umgekehrt entstand dadurch auch eine Art Verpflichtung der Missions HandlungsGesellschaft, diese Geldflüsse nicht stoppen zu lassen. Diesem problematischen Zusammenhang konnte man mit der oben beschriebenen Fixierung der Auszahlungen auf jährlich gleichbleibende und budgetierbare 200 000 Franken begegnen. Gleichzeitig war damit die Frage nach dem Verhältnis zwischen Reinvestitionen und Gewinnausschüttungen geklärt, was sich in höheren Gewinnvorträgen und relativ hohen Abschreibungen während der 1890er Jahre niederschlug.397 Nachdem die Missionsschreinerei in Calicut 1887 an einen einheimischen Meister verpachtet worden war, erhielt sie direkt einen kleineren delegiert gemeinnützigen Betrag an die Unkosten der Lehrlingsausbildung.398 Mitte der 1890er Jahre wurde diese Unterstützung dann zu einer generellen Förderung der gewerblichen Lehrlingsausbildung in den indischen Missionsgemeinden ausgeweitet.399 Der Umfang dieser Unterstützung belief sich bis 1898 allerdings lediglich auf marginale Beträge um 600 Franken pro Jahr. Später verdoppelten sich die jährlichen Zahlungen auf Beträge um 1200 Franken.400 Die Stärkung der delegiert gemeinnützigen Zahlungen bedeutete gleichzeitig einen Rückgang der gewinnorientierten Ausschüttungen. Die Aktionäre erhielten nun – unabhängig von der Entwicklung der Geschäfte – eine auf fünf Prozent des nominellen Aktienwerts fixierte Dividende.401 Mit dem seit 1880 unveränderten 393 394 395 396 397 398 399 400 401
ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. März 1893. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 24. November 1893. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1894, 8. Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. ABM/UTC 4555: Sitzung der Handlungskommission vom 26. August 1887. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1894, 8. Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1895–1899. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 12.
168
3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
Aktienkapital von insgesamt 750 000 Franken ergab das eine jährliche Summe von 37 500 Franken.402 Belief sich das Verhältnis zwischen den Ausschüttungen an die Aktionäre und den delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Basler Mission anfangs der 1880er Jahre noch auf einen Wert von 1:1,3 stand dieser Wert seit den 1890er Jahren bei rund 1:5 zugunsten der delegiert gemeinnützigen Ausschüttungen.403 Die MissionsHandlungsGesellschaft erwirtschaftete ihren Profit nun überwiegend und vor allem zu Gunsten der Basler Mission. 3.6 ZUSAMMENFASSUNG, ZUSAMMENHÄNGE UND ENTWICKLUNGEN Mit den neuen Statuten von 1880 veränderte sich erstmals grundlegend die Relation zwischen Gemeinnützigkeit und Gewinnorientierung: Anstelle einer gewinnorientierten und teilweise an den Geschäftsverlauf gekoppelten Aktionärsrendite trat nun die delegierte Gemeinnützigkeit als Hauptziel der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 1882 brachte die Fusion mit der Industriekommission und die Übernahme der Missionsindustrien kurz darauf eine Stärkung der direkt gemeinnützigen Aktivitäten. Zusammenfassend kann die Missions-Handlungs-Gesellschaft spätestens ab 1882 als ein deutlich gemeinnützig orientiertes Unternehmen bezeichnet werden. Während die delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Mission stiegen und sich auf einem hohen Niveau stabilisierten, blieben die direkt gemeinnützigen Tätigkeiten schwerer fassbar. Hier finden sich die Beschäftigungsmassnahmen der Missionsindustrien, verschiedene nur ansatzweise verfolgte Tätigkeiten im Bereich der Ausbildung und Missionierung und die Rolle als kostengünstiger Finanz- und Speditionsdienstleister der Mission. Mit der neuen Ausrichtung der Missions-HandlungsGesellschaft verschob sich der grosse Zielkonflikt weg von der Frage nach der Gewichtung von gemeinnütziger und gewinnorientierter Aktivität hin zur Frage nach dem Verhältnis zwischen direkt gemeinnütziger und delegiert gemeinnütziger Tätigkeit, wie sie etwa im Zusammenhang der strategischen Entwicklung der Industriebetriebe zu Tage trat. Die Missionskaufleute und Industriebrüder zeigten sich zufrieden mit der neuen Ausrichtung der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Mit der Stärkung der delegiert gemeinnützigen Aktivitäten in den Statuten von 1880 wurden die alten Einwände der Mitarbeiter ernst genommen. Gleichzeitig begann sich die Missions-HandlungsGesellschaft in den Jahren nach 1880 – nicht spezifisch auf die Mission ausgerichtet – vermehrt Gedanken zur unternehmensethischen Verantwortung gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern zu machen. Theodor Sarasin war ein regelmässiger Fürsprecher der Missionskaufleute, die seiner Meinung nach über die bereits bestehenden Versicherungen hinaus auch vor einer übermässigen Arbeitslast und den Gefahren des tropischen Klimas geschützt werden sollten. Der vorübergehende Abzug der europäischen Mitarbeiter von der gesundheitlich besonders heiklen Sta402 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 403 Für einen Überblick über das Verhältnis zwischen Dividenden und delegiert gemeinnützigen Zahlungen während des gesamten Untersuchungszeitraums siehe Diagramm 9 im Anhang.
3.6 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
169
tion Akuse im Jahr 1889 war das Resultat seiner unermüdlichen Bemühungen. Die Handlungskommission und das Missionskomitee standen bei dieser Entscheidung vor dem moralischen Dilemma, dass ein Mehr an unternehmensethisch wertvollem Mitarbeiterschutz eine Schwächung der gemeinnützigen Tätigkeiten (Versorgung der Mission) oder des unternehmensethischen Engagements gegen den Schnapshandel bedeutete. In Indien engagierte sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit Kranken- und Armenkassen sowie Wohnbauprogrammen auch für ihre Industriearbeiter, wobei allerdings ein Teil dieser Arbeiterfürsorge nur die christlichen Angestellten betraf. Ganz davon ausgeschlossen waren die einheimischen Mitarbeiter im Handelsgeschäft, die an manchen Stellen auch eher als ein notwendiges Übel, denn als im „zivilisatorischen“ oder missionarischen Sinne lohnende Objekte beschrieben wurden. Mit der Ausrichtung des Unternehmens auf das Nebeneinander von direkt gemeinnützigen, delegiert gemeinnützigen und stark beschränkten gewinnorientierten Zielen und dem Ausbau der unternehmensethischen Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern ging eine engere Anlehnung an die Mission einher, wie sie sich anlässlich der neuen Statuten von 1880, der Fusion mit der Missionsindustrie 1882, der Diskussion um die Übergabe der Handlung an die Mission im Jahr 1887 oder auch der Diskussion um das Voltageschäft zeigte. Im Gegensatz zur dynamischeren Gründungsphase gab es in dieser zweiten Phase weniger Reibungen zwischen der Mission und der Missions-Handlungs-Gesellschaft, die nun viel defensiver vorging, sich an den vorhandenen finanziellen und personellen Kräften ausrichtete und auch vor einem begrenzten geschäftlichen Rückzug nicht zurückschreckte. Missionsinspektor Schotts prominente Forderung nach einer Trennung von Handel und Mission steht als Fremdkörper in dieser allgemeinen Entwicklung. Schotts Kritik ergab sich trotz oder gerade wegen der Annäherung an die Mission. Für Schott war es mit einer engeren Bindung an die Mission nicht getan. Ganz im Gegenteil: Gerade die Verbindung von geschäftlichen und missionarischen Aktivitäten unter ein und demselben Namen war ihm ein Dorn im Auge. Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung der Missionierten war ihm zwar ein Anliegen; in durchaus moderner Weise hielt er dies aber für eine Aufgabe der jeweiligen Missionsgemeinden selbst, bei der sie nicht durch die Mission bevormundet werden sollten. Schott traf mit seiner Kritik den wunden Punkt der Missions-Handlungs-Gesellschaft: Die Verbindung von direkt gemeinnützigen, delegiert gemeinnützigen und gewinnorientierten Zielen barg Konfliktpotential und konnte, wenn sich die gewinnorientierten oder die nach aussen ähnlich ausstrahlenden delegiert gemeinnützigen Komponenten zu deutlich zeigten, ein schiefes Licht auf die Mission selbst werfen. Mit seinem Votum für mehr Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Missionsgemeinden vertrat Schott eine heute gängige Position – die aber nicht zum kolonialen Selbstverständnis der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der Basler Mission passte. Anlässlich der Kritik Schotts waren sich das Missionskomitee und die Handlungskommission einig, am Zusammengehen von Mission und Handlungs-Gesellschaft festzuhalten. Das darf aber nicht über die Gegensätze innerhalb der Handlungskommission und des Missionskomitees hinwegtäuschen. Vereinfacht gesagt
170
3. Von der Statutenreform bis zum Kakaoboom (1880–1899)
lassen sich zwei, allerdings nicht klar umrissene Ideen von Missionshandel ausmachen: Auf der einen Seite standen Eduard und Wilhelm Preiswerk sowie Heinrich Pfisterer. Sie wollten die MissionsHandlungsGesellschaft mit selbstbewussten, vorbildlich christlichen Missionskaufleuten erfolgreich am Markt etablieren, der Mission gewisse Dienstleistungen erbringen und soweit möglich die Mission finanziell unterstützen. Insbesondere bei der Diskussionen um die richtige Ausdehnung des – vor allem delegiert gemeinnützigen – Handelsgeschäfts traten sie für eine grundsätzlich wachstumsorientierte Missions-Handlungs-Gesellschaft ein. Auf der anderen Seite standen Theodor Sarasin und verschiedene Komiteemitglieder. Sie wollten die Tätigkeiten der Missions-Handlung auf die Bedürfnisse und die Ideen der Mission ausrichten, die Gesundheit der Mitarbeiter schonen und den Missionskaufleuten auch die Möglichkeit geben, über das Kaufmännische hinaus direkt gemeinnützig und missionarisch tätig zu sein. Möglicherweise lag diesen gegensätzlichen Positionen für mehr oder weniger Ausrichtung auf die Mission ein Fortleben des alten Gegensatzes zwischen der Missionsindustrie und der Handlungsgesellschaft zu Grunde. Diese beiden Institutionen brachten bei der Fusion 1882 unterschiedliche Kulturen in die neue Missions-Handlungs-Gesellschaft ein, die nicht ohne weiteres miteinander zu verbinden waren. Bis zur Jahrhundertwende konnte sich keine Position durchsetzen. Ungeachtet Schotts Kritik wurde versucht, einen Ausgleich zwischen Missionshandel und Handel für die Mission zu erzielen.
4. VOM BEGINN DES KAKAOBOOMS BIS ZUM ERSTEN WELTKRIEG (1900–1914) 4.1 ENTWICKLUNGEN AUF STRATEGISCHER EBENE Das Handelsgeschäft Die Missions-Handlungs-Gesellschaft erlebte zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg ein schnelles Wachstum, welches die bisherige Entwicklung des Unternehmens bei weitem in den Schatten stellte. Nachdem die Dynamik in den zwanzig Jahren zuvor eher von der Missionsindustrie ausgegangen war, übernahmen nun die afrikanischen Handlungen wieder die Führungsrolle.1 Grundlage dieser Entwicklung war der Durchbruch der Kakaokultur an der Goldküste, der nun zum entscheidenden Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Kolonie wurde.2 Die neuen geschäftlichen Möglichkeiten in Afrika führten zu zahlreichen Stationsgründungen. 1904 entstand eine neue Handelsstation in Kumasi, dem Hauptort des ehemaligen Ashantireichs, welches sich zu einem Zentrum des Kakaohandels entwickelt hatte und seit 1904 durch eine Eisenbahn direkt mit einem neuen Seehafen in Sekondi verbunden war.3 Der damalige leitende Missionskaufmann Martin Binhammer gründete diese Station, ohne vorher eine Bewilligung aus Basel einzuholen. Die Handlungskommission hiess – wohl angesichts der vielversprechenden Möglichkeiten – dieses früher undenkbare4 Vorgehen im Nachhinein gut.5 1910 entstand eine eigenständige Handlung in Saltpond westlich von Accra.6 Gleichzeitig erweiterte die Missions-Handlung ihren Spielraum an der Goldküste durch die Gründung neuer Zweigfilialen in Kpong bei Akuse (1903), Dodowa, Anima und Pokoasi (1904), Somanya (1906), Apasari, Nsawam, Koforidua und Beraku (1911), Parakuo (1912), Tenkon, Swedru, Akrokerri und Bekwai (1913). Nur die Filiale in Prampram wurde 1908 aufgegeben.7 Ein Vergleich mit dem Netz 1 2 3 4 5
6 7
Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Franc, Schokolade (2008), 59–61. Die jährliche Kakaoproduktion an der Goldküste stieg (im Fünfjahresschnitt) von fünf Tonnen anfangs der 1890er Jahre auf gegen 15 000 Tonnen in der zweiten Hälfte der 1910er Jahre (Speitkamp, Afrika (2007), 280.) ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 25. März 1904. Man denke etwa an die Diskussionen um die Gründung und Fortführung des Voltageschäfts in den 1860er-, 1880er- und 1890er Jahren. (Siehe Kap. 2.3 und 3.1.) Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 25. März 1904. Während sich die Handlungskommission in ihrer Sitzung überrascht von Binhammers schnellem und eigenmächtigem Vorgehen zeigte, wird im folgenden Jahresbericht die Ausdehnung nach Kumasi zusätzlich mit „einem lebhaften Wunsche unserer Missionare in Asante“ begründet. (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1904, 13.) Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1911, 7. Vgl. die Angaben in den Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft; sowie Franc, Schokolade (2008), 114–116.
172
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
der Missionsstationen der Basler Mission an der Goldküste zeigt keine direkte Übereinstimmung, die Handelstationen entstanden vielmehr an verkehrsgünstigen Orten rund um die Missionsgebiete herum. Ganz offensichtlich liess sich die Missions-Handlung beim Ausbau ihres Filialnetzes nach der Jahrhundertwende in erster Linie von wirtschaftlichen Kriterien lenken. Umgekehrt kommunizierte die Mission auch kein Bedürfnis nach Missions-Handlungen auf ihren Stationen. Manche Missionare wehrten sich im Gegenteil sogar dagegen, wenn sich Handel und Mission räumlich zu nahe kamen.8 Ein gemeinsames Vorgehen wie in der Anfangszeit war kein Thema mehr. Die Stationsgründungen können, wie bereits für die Gründungszeit diskutiert, als ein unternehmensethisch wertvoller, durchaus auch mit Risiken verbundener Entwicklungsimpuls für die Etablierung von Handelsgeschäften gesehen werden. Andererseits zeigte sich schnell, dass die einheimischen Händler auf Grund mangelnder Kapitalisierung auch unter den Idealbedingungen des Kakaobooms wenig Chancen hatten, gegen die wachsende europäische Konkurrenz zu bestehen.9 In Kamerun folgte Anfang 1905 auf Wunsch des Missionskomitees die Gründung einer Handlung in Victoria, einem kleineren Ort an der Atlantikküste, südlich des Kamerunbergs, in dem auch die Basler Mission eine Missionsstation unterhielt.10 1912 erweiterte die Handlungs-Gesellschaft ihre Geschäfte in Kamerun um je eine Handlung an den beiden kolonialen Stichbahnen in Edéa (östlich von Duala) und Nkongsamba (nördlich von Duala, auf halbem Weg zu den von der Basler Mission besetzten „Graslands“ in Westkamerun).11 In Kamerun richtete sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft anders als an der Goldküste nach der Basler Mission und konnte dabei von ihrer Arbeit profitieren. So empfahlen die Missionare in Fumban dem dortigen Mfon (Herrscher), nur noch mit den Vertretern der MissionsHandlungs-Gesellschaft zusammenzuarbeiten, da ihnen das angeblich unsittliche Verhalten der anderen Kaufleute missfiel. Tatsächlich entschied sich der Mfon, der gleichzeitig Grossproduzent tropischer Produkte war, fortan mit der MissionsHandlung Geschäfte zu treiben.12 Während die bereits in Fumban ansässigen europäischen Händler von den Missionaren als abträglich für die Schaffung ihrer „idyllisch-missionarischen Provinz“ dargestellt wurden,13 konnte die Missions-Handlung als missionsgemässe Alternative einspringen. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterhielt die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Afrika insgesamt sechs Hauptstationen mit 14 von Einheimischen besetzten Zweigfilialen an der Goldküste und vier Handlungen in Kamerun.14 Die Missions-Handlungen in Indien, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung
8 9 10
Vgl. Franc, Schokolade (2008), 85. Gocking, Ghana (2005), 47. Vgl. auch Dejung, Intermediäre (2010), 149. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905. Es handelt sich bei diesem Platz um das heutige Limbe. 11 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1912, 9. 12 Altena, Häuflein (2003), 347 f. 13 Altena, Häuflein (2003), 348. 14 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913, 6.
4.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
173
verloren hatten, wurden im neuen Jahrhundert weiter reduziert.15 1908 schloss die Handlung in Calicut.16 Die Diskussion der „Handlungsfrage“ 1906 bis 1909 Von 1906 bis 1909 beschäftigten sich die Unternehmensleitung und das Missionskomitee in Basel mit der so genannten „Handlungsfrage“.17 Es ging dabei einmal mehr um die Zukunft der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Afrika. Ausgelöst wurde die Diskussion durch Martin Binhammer, den leitenden Missionskaufmann an der Goldküste. Im Januar 1906 kritisierte er in einem Brief an die Unternehmensleitung in Basel die Organisation der Handlungen in Afrika.18 Vor allem bemängelte er, dass einerseits zu wenig und anderseits oft nicht das richtige Personal nach Afrika ausgesandt werde. Auslöser seiner Überlegungen waren Verfehlungen des Missionskaufmanns Bossaller in Akuse, die, so Binhammer, „[...] die Grenze des Entschuldbaren weit überschritten haben & bereits zur Sphäre der kriminellen Vergehen gerechnet werden müssen [...]“.19 Bossaller hatte, wie Binhammer bereits zuvor nach Basel gemeldet hatte, wiederholt ungenügend verbürgte Kredite vergeben und die sich daraus ergebenden Ausstände in der Buchhaltung zu vertuschen versucht.20 Binhammer ging allerdings nicht nur mit der Person Bossallers ins Gericht, sondern kritisierte gleichzeitig die Strukturen der Missions-Handlungs-Gesellschaft an sich. Die Hauptursache aller Probleme sei der – altbekannte – Widerspruch zwischen den idealistischen Absichten der Missionskaufleute und der tatsächlichen Arbeit in den afrikanischen Handlungen. Die Missionskaufleute würden bei ihrer Rekrutierung im Glauben gehalten, sie könnten einen mehr oder weniger direkten Beitrag zur Missionsarbeit leisten. Dies führe zur Rekrutierung von ungeeignetem Personal und bald darauf zur Enttäuschung der Missionskaufleute, wenn diese, kaum in Afrika angekommen, realisierten, dass sie viel eher Kaufleute als Missionare seien. Der erhöhte Personalbedarf nach der Ausdehnung der Geschäfte seit der Jahrhundertwende habe ein weiteres Problem hervorgerufen: „Sie [die Geschäftsleitung in Basel] konnten nicht mehr sichten wie früher, sie mussten nehmen, wer sich meldete. Und so geschah es, dass wir eine ganze Reihe Leute bekamen, die sich geschickt die Christenmaske vorzustecken wussten.“21 Ausgehend von diesem Befund skizzierte Binhammer folgenden Vorschlag zur Neugestaltung der Missions-Handlungs-Gesellschaft: Er möchte das umfangreiche 15 16 17
18 19 20 21
Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juni 1900. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 19. Mai 1908. Die Diskussion der „Handlungsfrage“ ist unter anderem in den Akten des damaligen Geschäftsführers Carl Pfleiderer gut dokumentiert. (ABM/UTC 4105.) Eine Sammlung mit weitgehend identischen Dokumente zur „Handlungsfrage“ findet sich auch im Archiv der Basler Mission. (ABM Q-6.3.) ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 1. ABM/UTC 4009: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 19. Januar 1906. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 2.
174
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
Handelsgeschäft der Missions-Handlung in Westafrika, von dem direkt gemeinnützigen Ballast befreien und sich auf eine rein delegiert gemeinnützige Ausrichtung beschränken, was seiner Meinung nach eigentlich sowieso schon der Fall sei.22 An die Stelle der als Laienmissionare ausgesandten bisherigen Missionskaufleute wollte er vertraglich angestellte Mitarbeiter setzen. So könnten auch Missstände wie im Falle Bossallers auf einer anderen, härteren Ebene geahndet und verhindert werden. Konkret schlug Binhammer vor, nicht unbedingt die „Verwilligungen“ zu erhöhen oder einen Lohn einzuführen, sondern zuhause eine Art Pensionfonds oder eine ähnliche Rücklage zu schaffen. So würde der Unterschied zu den Missionaren vor Ort nicht zu sehr hervorgehoben.23 Die vergleichsweise scharfen Worte Binhammers führten zu verschiedenen Reaktionen aus dem Umfeld der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der Basler Mission. Die Binhammer teils unterstützenden teils kritisierenden Voten brachten einen zweiten (von Binhammer nicht thematisierten) Streitpunkt in die Diskussion ein: die Frage nach der moralischen Dimension kartellartiger Preis- und Qualitätsabsprachen, die die Missions-Handlung spätestens seit 1902 mit anderen Firmen vor Ort eingegangen war und die Frage, ob es vertretbar sei, die Schifffahrt auf dem Volta gemeinsam mit anderen europäischen Firmen zu organisieren. Im Folgenden wird ein Überblick über die Diskussion der „Handlungsfrage“ gegeben. Später wird dann nochmals ausführlich auf die Frage der Kartelle (im Zusammenhang mit dem operativen Geschäft, Kapitel 4.3) und die Personalfrage (im Zusammenhang mit dem Personalwesen, Kapitel 4.4) eingegangen. Im Verlaufe der Auseinandersetzung bildeten sich zwei Parteien: Auf der einen Seite standen Binhammer und der Präsident der Handlungskommission, Wilhelm Preiswerk (der überdies der Onkel von Binhammers Frau war)24, die für eine marktübliche Bezahlung, die Abschaffung des Status der Missionskaufleute als Laienmissionare und eine organisatorische Abtrennung des afrikanischen Handelsgeschäfts eintraten. Gleichzeitig beurteilten sie die Bildung der Preiskartelle und die Zusammenarbeit mit den anderen Firmen als notwendig und moralisch vertretbar. Die unternehmensethische Besonderheit einer künftig weitgehend unabhängigen Missions-Handlungs-Gesellschaft sollte vor allem in der delegiert gemeinnützigen Unterstützung der Mission liegen.25 Später dachte Preiswerk auch über die vollständige Trennung von der Mission nach, da er den Erwartungen seitens der Missionare und des Komitees nicht mehr nachkommen wollte.26 Eine Trennung forderte auch Missionar Wilhelm Dietrich, der – ähnlich wie Schott zwanzig Jahre zuvor –
22 23 24 25
26
ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 3 f. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel vom 25. Januar 1906, 5 f. Franc, Schokolade (2008), 97. Vgl. vor allem folgende programmatische Voten: ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906; ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Missions Handlung in ihrer Stellung zu den anderen westafrikanischen Firmen, [undat.] und ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Votum zu dem Protokoll des General Conf. Ausschusses in Akropong, den Schreiben der Brr. Jäger und Fincke, 9. April 1907. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908, § 90.
4.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
175
die Verbindung von Handlungs-Gesellschaft und Mission aus prinzipiellen Gründen ablehnte.27 Auf der anderen Seite standen, angeführt von Hermann Fincke, einem früheren Missionskaufmann und damaligen Mitarbeiter der Geschäftsleitung in Basel, verschiedene Missionare und Missionskaufleute, die zwar eine bescheidene finanzielle Besserstellung der Missionskaufleute guthiessen, im Übrigen aber am bisherigen System festhalten wollten. Das bedeutete: die Missionskaufleute sollten weiterhin als Laienmissionare ohne Lohn ausgesandt werden, die Handlungs-Gesellschaft eng mit der Mission verknüpft bleiben und im Sinne der Mission auch direkt gemeinnützig tätig sein. Ausserdem wandten sich verschiedene Vertreter dieser Gruppe entschieden gegen die Teilnahme an den Preiskartellen und die Beteiligung an der Volta Transport Company.28 Noch im selben Jahr beschäftigte sich auch das Missionskomitee mit den angesprochenen Fragen. Es kam zum Schluss, dass bezüglich der Personalfrage vorläufig alles beim Alten bleiben solle. Ausserdem hielt das Missionskomitee fest, dass die Beteiligung an den Preiskartellen und der gemeinsamen Transportfirma zwar unschön, aber offenbar notwendig seien. Ähnlich hatten es in der Heimat weilende Missionare mit dem Hinweis auf geschäftliche „Umstände“, also vorgebliche marktwirtschaftliche Sachzwänge29 (Sicherung des Marktanteils etc.), auf einer eigens zu diesem Thema einberufenen Konferenz festgehalten: „[...] unter diesen Umständen [sei] das Vorgehen der Handlung begreiflich, wenn es auch nicht einem idealen Zustand entspricht.“30 In zwei Briefen kommunizierte Missionsinspektor Oehler diese Beschlüsse den Missionskaufleuten an der Goldküste.31 Damit wollte das Missionskomitee Binhammers Kritik an der bisherigen Rekrutierungspraxis und die von seinen Gegnern geäusserte Kritik an den Kartellen gleichzeitig zum Verstummen bringen. Damit war die „Handlungsfrage“ allerdings noch nicht geklärt. Verschiedene Personen aus dem Umfeld der Missions-Handlungs-Gesellschaft meldeten sich zu Wort und bereits im November 1907 wurden die „afrikanischen Handlungsangelegenheiten“ ein weiteres Mal im Misssionskomitee traktandiert. Preiswerk warnte nun drohend davor, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft, falls sie aus den Kartellen aussteigen müsse, massiv schrumpfen würde oder gar liquidiert werden müsse und dann, wie deutlich impliziert war, auch keine delegiert gemeinnützigen Beiträge an die Basler Mission mehr zahlen könne.32 Die Frage nach den Kartellen 27 28
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ABM/UTC 4105: Dietrich, Wilhelm: Votum zu den von Br. Binhammer vorgeschlagenen „Reformen“, 23. April 1906. Vgl. dazu unter anderem ABM/UTC 4105: Fincke, Hermann: Votum zu Br. Binhammers Bericht vom 25. Januar 1906, 1. März 1906 und ABM/UTC 4105: Jaeger, Gotthilf: Brief an den Missionsinspektor Oehler, 16. September 1906, worin die Preiskartelle besonders deutlich verurteilt werden. Zu Sachzwang-Argumentationen im Bereich der Unternehmensethik vgl. Kap. 1.1. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 27. Oktober 1906. ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: Brief an die Brüder auf der Goldküste, 8. November 1906 und ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: Brief an die Brüder im Dienst der Missionshandlung auf der Goldküste, 27. November 1906. ABM/UTC 4105: Bericht über die Komiteesitzung zur Vorbereitung der afrikanischen Han-
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
war von da an kein Thema mehr. In Anbetracht weiterer kritischer Berichte, die in Basel eingegangen waren, beschloss das Missionskomitee eine Konferenz von Missionaren und Missionskaufleuten an der Goldküste einzuberufen, die sich nochmals mit den offenen Fragen, insbesondere der finanziellen Stellung der Missionskaufleute befassen sollte.33 Folgende Vorschläge dieser Konferenz erreichten die Zentrale in Basel Anfang März 1908 per Telegramm: Die Missionskaufleute sollten Angestellte mit marktüblichen Löhnen werden und sich hierarchisch strenger organisieren, im Übrigen wollten die Kaufleute und Missionare der Goldküste am alten Namen und am Zusammengehen mit der Mission festhalten.34 Ausgehend von diesen Empfehlungen versuchte das Missionskomitee, die „Handlungsangelegenheit“, beziehungsweise die damit verbundene Personalfrage endgültig zu klären. Dass die Missionskaufleute (nicht aber das Personal der Industriebetriebe) vor allem mit Blick auf die Zeit nach ihrer Rückkehr aus Afrika besser als bisher bezahlt werden sollten, war inzwischen unbestritten. Die Missionskaufleute sollten anstelle der bisherigen spesenartigen „Verwilligungen“ einen vertraglich geregelten Lohn beziehen.35 Unterschiedliche Meinungen bestanden aber darüber, welche organisatorischen Änderungen mit der finanziellen Besserstellung zu verbinden seien. Hier standen sich im Dezember 1908 drei Anträge gegenüber: (1) Der Vorschlag Preiswerks, eine von der Mission gänzlich unabhängige und mit einem neuen Namen versehene Handlungs-Gesellschaft zu gründen, die die Handlungsgeschäfte in Afrika übernehmen sollte. So würde die Kritik an der Geschäftstätigkeit (zum Beispiel die Teilnahme an den Kartellen) nicht mehr auf die Mission abfärben. Die übrigen Geschäftsfelder (vor allem die Industrie) sollten in einer missionsnahen Gesellschaft verbleiben. (2) Der Vorschlag Inspektor Oehlers, der ebenfalls vorsah, das Unternehmen in eine Handlungs- und eine Industriegesellschaft aufzuteilen; beide Teile aber weiterhin so mit der Mission verbunden wissen wollte, dass es dem Missionskomitee möglich sei „[...] direkt auf den moralischen Charakter der Geschäfte einzuwirken.“ (3) Der Vorschlag des Komiteepräsidenten Alfred Sarasin, der darauf hinauslief, abgesehen von den neuen Anstellungsbedingungen grundsätzlich alles beim Alten zu belassen. Er sah lediglich vor, die Aktivitäten der Missions-Handlungs-Gesellschaft auf zwei Departements zu verteilen, damit die Industriebrüder in Indien weiter problemlos nach den bisherigen Bedingungen angestellt werden könnten.36 Das Missionskomitee wurde sich in der anschliessenden Diskussion schnell einig, dem Vorschlag des Präsidenten zu folgen, da, wie Sarasin nochmals ausführte, die Mission, solange sie von den Gewinnen einer Handlungs-Gesellschaft profitiere, eben auch für deren Handeln mitverantwortlich sei, gleichgültig wie der
33
34 35 36
dels-Angelegenheiten am Freitag, 1. November 1907. Vgl. ABM/UTC 4105: Vorlage zu einer Beratung der Handlungsangelegenheit durch die Brüderkonferenz auf der Goldküste (zweite gültige Ausgabe), 18. Dezember 1907; sowie ABM/ UTC 4105: Oehler/Preiswerk: Rundschreiben an sämtliche Stationen und Faktoreien auf der Goldküste, 20. Dezember 1907. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Telegramm an Basel, 7. März 1908. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908, § 1353. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908, § 1353.
4.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
177
Name laute. Sarasins Votum verweist auf die Grenzen der moralischen Trennbarkeit von Wohltätigkeit und der Finanzierung derselben: Genauso wenig wie sich eine Firma durch delegiert gemeinnützige Zahlungen von moralischer Verantwortung frei kaufen kann, kann der Adressat einer Spende deren Herkunft ignorieren – weil Geld eben manchmal doch stinkt! Ausserdem beharrten mehrere Votanten auf dem Standpunkt, dass es entgegen Binhammer durchaus möglich sei, nach christlichen Massstäben Handel zu treiben. So vermerkte etwa Missionssekretär Pfr. Anstein: „Da vielmehr erfahrungsgemäss auch nach christlichen Grundsätzen Handel getrieben werden kann, brauche es nicht notwendig eine Trennung von Handel & Mission [...].“37 In Folge dieser Beschlüsse schloss die Handlungskommission in den folgenden Monaten Verträge mit ihren Mitarbeitern an der Goldküste, die rückwirkend per 1. Januar 1909 in Kraft traten.38 Ansonsten blieb die Missions-Handlungs-Gesellschaft in ihrer bisherigen Form bestehen. Trotz des deutlichen Entscheids zugunsten der Tradition bedeutete die neuen Anstellungsverhältnissen auch einen gewissen Erfolg für Preiswerk und Binhammer, die ja vor allem die Neuordnung der Anstellungsverhältnisse gefordert hatten und sich in eben diesem Punkt durchsetzen konnten. Später wurde Binhammer von einem Direktor der späteren Basler Handels-Gesellschaft im Rückblick als visionärer Neuerer gefeiert, der – in enger Zusammenarbeit mit Preiswerk – die Zeichen der Zeit (im Sinn von Sachzwängen) erkannt habe: „Er erkannte die im Lande und im Geschäft damals noch schlummernden gewaltigen Entwicklungsmöglichkeiten. [...] Es wurde ihm klar, dass Weiterungen und eine tiefgreifende Neuordnung notwendig geworden waren. Im Verein mit seinem Präsidenten, Herrn Wilhelm Preiswerk-Imhof, mit dem ihn herzliche Freundschaft und tiefes Verstehen verband, wurden diese Fragen auf manchem sonntäglichen Nachmittagsspaziergang durchdiskutiert und durchberaten und schliesslich die Lösung gefunden, die – bei aller Wahrung der ursprünglichen Zweckbestimmungen des Unternehmens und seiner Grundprinzipien – den Forderungen der Wirklichkeit und der Zeit auch in kommerzieller Hinsicht Rechnung zu tragen geeignet waren.“39
Hinter der „Handlungsfrage“ steckten vermutlich auch tieferliegende ideologische Unterschiede zwischen der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der Basler Mission. Die (bereits früher zuweilen bröckelnde)40 Vorstellung, dass die MissionsHandlungs-Gesellschaft zwar ein weltlicher Arm der Mission, aber doch ein Teil einer eher rückwärtsgewandten „idyllisch-missionarischen Provinz“ sei, konnte vor dem Hintergrund der schnell gewachsenen Geschäfte kaum mehr aufrecht erhalten werden. Die Diskussion der „Handlungsfrage“ zeigte, wie sich die beiden Institutionen auseinander gelebt hatten.41 Symptomatisch für diese Entfremdung brach nun auch der alte Gegensatz zwischen religiös-ideellen Vorstellungen und der ge37 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908, § 1353. 38 ABM/UTC 4105: Pfleiderer, Carl: Brief an die Missionskaufleute auf der Goldküste, 26. Mai 1909. 39 Zum Gedächtnis an Martin Binhammer, geboren 27. November 1876, gestorben 5. Februar 1947, [Basel] 1947, 19. 40 Man denke an die Kritik Schotts und die Auseinandersetzung um das afrikanische Geschäft während der 1880er und 1890er Jahren. (Siehe Kap. 3.1.) 41 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 100 f.
178
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
schäftlichen Realität der Missionskaufleute wieder auf. Offenbar war aber weiterhin eine Mehrheit der Verantwortlichen daran interessiert, grundsätzlich am Zusammengehen festzuhalten. Industrie und Werkstätten Die Industriebetriebe in Indien wuchsen zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg weiter; allerdings verlief deren Entwicklung etwas weniger dynamisch als in Afrika. Die an die Zentrale in Basel abgehenden Erträge steigerten sich von Werten um 100 000 Franken um die Jahrhundertwende auf (schwankende) Werte um 200 000 Franken in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.42 Das Wachstum der Industrie ging vor allem auf die bestehenden Betriebe zurück. Ausnahme war die Neugründung einer Ziegelfabrik in Feroke bei Calicut im Jahr 1906.43 In Afrika übernahm die Missions-Handlung 1900 die Missionswerkstatt in Duala.44 Weiterhin stellte sich in Indien die Frage, ob und wie die Industriebetriebe weiter mechanisiert werden sollten. Der Verzicht auf eine durchgängige Mechanisierung ging aus der Sicht der Missionsindustrie auf die traditionelle Verpflichtung zur Arbeitsbeschaffung zurück: „Wenn wir der mannigfachen Anregung, von der Hand- zur Maschinen-Weberei überzugehen, bislang keine Folge gegeben haben, so geschah das mit Rücksicht auf unsere indischen Missionsgemeinden und unter Hintansetzung mancher rein geschäftlicher Gesichtspunkte. [...] Die mechanische Weberei würde zu einer Reduzierung der Betriebe und wohl auch der Arbeiterzahl führen. Dazu können wir uns nur im Notfall entschliessen, wenn die weitere Entwicklung der Produktions- und Absatzverhältnisse eine solche Entscheidung zur unabwendbaren Notwendigkeit machte.“45
Die Scheu vor (unaufhaltsamen) technischen Veränderungen trug zusätzlich zur strategischen Zurückhaltung bei: Mehrere Male wurden Gesuche christlicher Gemeinden, neue Filialwebereien einzurichten abgelehnt, mit dem Hinweis auf eine mögliche Mechanisierung, die gerade die kleinen Betriebe am härtesten treffen würde.46 Die zurückhaltende Praxis führte nach der Jahrhundertwende zu einer vorübergehenden Reduktion des Personalbestands in den indischen Fabriken.47 Im Jahr 1900 unternahm der technische Leiter Carl Hüttinger eine Inspektionsreise. Er sollte sich ein Bild über die Situation in Indien machen, die Gründe für den besseren Erfolg der lokalen Konkurrenz eruieren und überprüfen, ob und in welchem Ausmass die Missionsindustrie zu viele Mitarbeiter beschäftigte. Ausserdem sollte 42 43 44 45 46 47
Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900– 1910. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1906, 12. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 25. Januar 1900. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1903, 10; vgl. auch ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Januar 1903. ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 9. Mai 1903 und 27. Januar 1905. Der Rückgang des einheimischen indischen Personals um circa 300 Personen dauerte bis 1902, später wuchs der Personalbestand wieder. (Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.)
4.1 Entwicklungen auf strategischer Ebene
179
er sich ein Urteil über die geschäftlichen Möglichkeiten im Bereich der Zementproduktion bilden.48 Hüttinger zeichnete ein positives Bild der Missionsindustrien. Die Handlungskommission bleib aber vorsichtig und bekräftigte im folgenden Jahresbericht die bereits Ende des 19. Jahrhunderts geäusserte Einschränkung bezüglich der Arbeitsbeschaffungsfunktion der Industrien, die „[...] Erziehungs- und keine Versorgungsanstalten sein sollen [...].“ Verschwiegen wurde dabei, dass die Industrien schon längst vor allem delegiert gemeinnützig tätig waren. Dazu passten auch die folgenden Massnahmen der Leistungs und Effizienzsteigerung: „Wir haben nun die Löhne, welche sich natürlich nach der Leistung zu richten haben, etwas erhöht, ebenso unsere Beiträge an die Armenkasse; desgleichen haben wir im Interesse des Betriebs und der Disziplin angeordnet, dass nicht mehr Arbeiter als nötig sind beschäftigt werden [...]“
Immerhin sei es das Ziel, „[...] dass das Personal in möglichst schonender Weise nach und nach reduziert werden soll.“49 Anfragen von Missionaren im südlichen Missionsgebiet, weitere Industriebetriebe zu gründen, wurden mit dem Hinweis darauf, „dass wir es nicht für Aufgabe halten und es auch nicht in unserer Macht steht, allen zum Christentum Übertretenden für ihr äusseres Fortkommen behilflich zu sein“ abgelehnt.50 Auch die Pläne zur Errichtung einer Zementfabrik bei Mangalore wurden fallen gelassen51 Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Frage nach der Mechanisierung insbesondere der Webereien nochmals aufgegriffen.52 In Absprache mit Preiswerk forderte Pfleiderer die Industriebrüder in Indien mit folgenden klaren Worten zu einem Umdenken auf: „[...] Die Handweberei in unseren Betrieben steht vor dem Ruin und die dazu angestellten Handwerker werden brotlos. [...] Es bleibt nichts anders übrig als Uebergang zum mechanischen Grossbetrieb, der er ermöglicht, eine weitere Zahl unserer Weber auf die Dauer zu beschäftigen. [...] [Es ist] ein Schritt mehr zum Grossbetrieb in vollendeter Form mit allen seinen Schattenseiten und Gefahren. [...] Wollen sie lieber, dass wir den Hauptbetrieb aufgeben und alle Arbeiter bei uns arbeitslos werden? Oder wollen sie den modernen Grossbetrieb acceptieren als rettende Lösung und in der Erwägung, dass ein solcher Grossbetrieb durch seine verschiedenen Zwischenstufen doch wieder eine grössere Arbeitsmannigfaltikeit ruft? [...] Sind sie aber für den mech. Grossbetrieb unsererwegen als das kleinere Uebel in unserer unvollkommen Welt, so gilt es uns freie Bahn zu lassen, denn dann muss [...] dieser Betrieb technisch und kaufmännisch tip top sein, soll er sich mit der Konkurrenz der ganzen Welt erfolgreich messen können. [...] wird er leistungsfähig, so sind wir [...] im Stande aus dem Schiffbruch des Alten möglichst viel herüberzuretten. [...]“53
Einmal mehr wird hier auf Sachzwänge der wirtschaftlichen Entwicklung verwiesen, die zum Handeln drängen würden: Wenn man an der gemeinnützigen Aufgabe 48 49 50 51 52
ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juni 1900. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 9. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1901, 9 f. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Januar 1904. Man denke an die Kritik Schotts und die Auseinandersetzung um das afrikanische Geschäft während der 1880er und 1890er Jahren. (Siehe Kap. 3.1.) 53 ABM/UTC 4377: Pfleiderer, Carl: Brief an Generalagent Hofmann in Calicut, 18. November 1910. [Unterstreichungen im Original.]
180
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
der Arbeitsbeschaffung festhalten wolle, dann in marktkonformer Weise, was allerdings eine Reduktion der Arbeiterzahl und eine offenbar ungeliebte Verschiebung vom Handwerk zur Grossindustrie54 mit sich bringen würde.55 Wie dringender Handlungsbedarf tatsächlich vorhanden war, ist fraglich. Wurde doch gerade in Südindien im Sinne einer „strukturellen Heterogenität“ noch weit ins 20. Jahrhundert hinein in grossem Umfang Handweberei betrieben.56 Mit Zustimmung des Missionskomitees beschloss die Handlungskommission schliesslich, die aus „missionarischen“ Gründen hinausgeschobene Mechanisierung nun doch an die Hand zu nehmen. Den Anfang sollte der zweitgrösste Betrieb, die Missionsweberei in Cannanore, machen.57 In den folgenden Jahren begann die Umrüstung aller Webereien vom Handbetrieb hin zu mechanischen und mit Lochkarten programmierbaren Jacquardwebstühlen.58 Statutenrevision von 1912 Das schnelle Wachstum der Gesellschaft erforderte 1912 eine Erhöhung des Aktienkapitals. Dafür mussten zwingend auch die Statuten angepasst werden. Ähnlich wie 1880 und 188759 hätte die Statutenrevision für eine grundsätzliche Debatte genutzt werden können. Wenige Jahre nach dem Streit um die „Handlungsfrage“ lag den Verantwortlichen in der Handlungskommission und dem Missionskomitee aber wahrscheinlich wenig an weiteren Diskussionen. So begnügte sich Preiswerk damit, die Kapitalerhöhung Ende Dezember 1911 in verschiedenen Briefen mit dem Hinweis auf das Wachstum der Gesellschaft zu begründen.60 Eine (theoretische) Besserstellung der Mission brachte die gleichzeitig vorgesehene Abschaffung der 1880 eingeführten Bevorzugung der Aktien im Privatbesitz vor den Aktien der Mission, wonach die Dividende der Privataktionäre auf Kosten der Dividende der Mission garantiert worden waren.61 Diese Bestimmung, die dank der durchwegs erfolgreichen Jahresergebnisse nie zur Geltung gekommen war, sollte nun entfallen. Eine wenigstens symbolisch wichtige Änderung bewirkte der nebenbei eingebrachte Vorschlag, die Zweckbestimmungen der Missions-Handlung in § 2, Absatz b.) zu ändern. An Stelle der Formulierung, die Missions-Handlung trachte danach, die Mission unter anderem, „durch Einführung der Heidenchristen und Heiden in 54 55 56 57 58 59 60
61
Vgl. die Ausführungen zur „idyllisch-missionarischen Provinz“ in Kap. 1.2. Vgl. zu diesem Dilemma auch Witschi, Basler Mission (1965), 36. Specker, Weber (1984), 189–204. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1910, 11 f. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1912, 10; vgl. auch Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 32; vgl. die Abbildungen 7 und 8 im Anhang. Siehe Kap. 3.1. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Exposé über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911; ABM/UTC 4573: Brief Preiswerks an die Mitglieder der Kommission vom 27. Dezember 1911. Vgl. Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1880, § 14.
4.2 Finanzierung
181
den christlichen Handelsbetrieb“62 zu unterstützen, sollten die Worte „durch Handelsbetrieb und Einführung der Heidenchristen und Heiden in denselben“ treten.63 Damit wurde dem Handelsbetrieb an und für sich und der damit verbundenen delegierten Gemeinnützigkeit ein eigener Wert zugesprochen. Gleichzeitig verlor der „Handelsbetrieb“ die christliche Spezifizierung. Wenigstens im Rückblick im Rahmen dieser Untersuchung ist es ja auch nie ganz klar geworden, was es mit dem spezifisch christlichen Handelsbetrieb auf sich hatte. Das Missionskomitee nahm die Änderungsvorschläge ohne Diskussion zu Kenntnis.64 Die letztlich für die Statutenänderung zuständige Generalversammlung akzeptierte Preiswerks Formulierung am 23. Februar 1912 in folgender Variante, die durch die Hinzufügung des Adjektivs „solide“ eine nicht mehr spezifisch christliche, sondern eine allgemein moralische Note trug: „Der Zweck der Gesellschaft ist, die Bestrebungen der evangelischen Missions-Gesellschaft in Basel zu fördern [...] b) durch soliden Handelsbetrieb und Einführung der Heidenchristen und Heiden in denselben; [...]“65 4.2 FINANZIERUNG Entwicklung der Bilanz Mit dem Wachstum der Geschäfte vergrösserte sich die Bilanzsumme um durchschnittlich rund zwölf Prozent pro Jahr von knapp sechs Millionen im Jahr 1900 auf knapp 23 Millionen Franken im Jahr 1913.66 Diese beachtliche Entwicklung wird auch durch die Einbeziehung der schwachen Inflation in der Schweiz nur leicht nach unten korrigiert.67 Wie bislang setzten sich die Aktiva aus dem buchhalterischen Wert der Handlungen und Industriebetriebe und der sich darin befindlichen Waren (1900: 3,6 Millionen Franken; 1913: 18,9 Millionen Franken), den Wertschriften im Besitze der Handlungs-Gesellschaft (1900: 1,3 Millionen Franken; 1913: 2,8 Millionen Franken ), den Liegenschaften in Basel und in Übersee (1900: 300 000 Franken; 1913: 200 000 Franken) sowie kleineren Guthaben bei Dritten und etwas Bargeld zusammen.68
62 63 64 65
Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1887. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Januar 1912, § 94. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Januar 1912, § 94. AMB/UTC 4574: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung vom 23. Februar 1912; vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1912, Art. 2. 66 Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912; ABM/UTC 4657: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1913–1935. 67 Vgl. , Konsumentenpreisindex. 68 Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912; ABM/UTC 4657: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1913–1935.
182
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
Diagramm 6: Zusammensetzung der Passiva 1900–1914
Bis 1912 erfolgte die Finanzierung des Wachstums durch den Ausbau des Fremdkapitals (Bankkredite, Schulden bei Geschäftspartnern und Guthaben von Depositoren aus dem Umfeld der Mission). Das Fremdkapital stieg in einem für die Missions-Handlungs-Gesellschaft noch nie da gewesenen Ausmass an: 1900 betrug es rund 2,1 Millionen Franken (rund vierzig Prozent der Bilanzsumme), bis 1911 stieg es auf rund 10,8 Millionen (über 65 Prozent der Bilanzsumme) an.69 Den Grossteil dieses Fremdkapitals machten Schulden bei Dritten aus. Allein der Schweizerischen Kreditanstalt schuldete die Handlungs-Gesellschaft Ende 1911 2,56 Millionen Franken; insgesamt machten die Bankkredite über zwanzig Prozent der Bilanzsumme aus.70 Das Eigenkapital mit dem Aktienkapital, den Guthaben der unternehmenseigenen Sozial- und Versicherungsfonds und weiteren Reserven wuchs im gleichen Zeitraum lediglich von rund 2,5 Millionen (knapp fünfzig Prozent der Bilanzsumme) auf knapp 5,8 Millionen Franken (nur noch rund 35 Prozent der Bilanzsumme).71 Die sich steigernde Abhängigkeit von geliehenem Geld führte dazu, dass 1912 nach Jahren des Wachstums aus eigener Kraft eine Erhöhung des Aktienkapitals wieder zum Thema wurde. Preiswerk wandte sich in dieser Sache zuerst an zwei Spezialisten aus dem Missionskomitee: die beiden Bankiers Alfred Sarasin und Karl Zahn, denen er Ende Dezember 1911 ein Memorandum mit seinen Überlegun69 70 71
Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912. Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912; ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die Missions-HandlungsGesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 1. Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912; ABM/UTC 4657: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1913–1935. Für einen Überblick über die Entwicklung der Bilanz während des gesamten Untersuchungszeitraums siehe Diagramm 8 im Anhang.
4.2 Finanzierung
183
gen zusandte.72 Etwas später trug er das Anliegen in die Handlungskommission.73 Preiswerk schlug vor, das Aktienkapital um 750 000 Franken zu erhöhen und gleichzeitig zu 4,5 Prozent verzinste Obligationen im Umfang von 1,5 Millionen Franken auszugeben. Die gestiegenen finanziellen Bedürfnisse begründete Preiswerk mit dem boomenden Kakaohandel.74 Während der Kakaosaison im Winter würden die in den afrikanischen Geschäften stehenden Gelder vorübergehend auf bis zu neun Millionen Franken ansteigen.75 Preiswerk sah keine Alternative darin, mit weniger Geld zu arbeiten: „Angesichts der günstigen Möglichkeiten, die sich uns speziell in der Haute Saison darbieten, ist es absolut notwendig, dass wir zu keiner Zeit auch nur momentan in unseren Finanzen gehemmt sind. Denn gerade in solchen Zeiten, wo unerwartet & urplötzlich gewaltige Mengen Produkte auf den Markt kommen & den Meisten das Geld ausgegangen ist, wollen wir Herr der Situation sein.“76
Der einzige Ausweg liege darin, die Kapitalbasis durch die Ausgabe von Aktien und Obligationen zu erhöhen. Einmal mehr argumentiert Preiswerk hier mit Sachzwängen, die sich aus dem volatilen Kakaomarkt ergäben und die allfällige Bedenken – zum Beispiel, dass sich das Unternehmen so weiter von der Mission und den mit ihr verbundenen unternehmensethischen Zielen entferne – im Keim ersticken sollten. Die Ausgabe der Aktien sollte „im Stillen“ geschehen, da „es der vielen engherzigen Leute wegen nicht empfehlenswert sei, dass das Häflein am Nonnenweg [also die Missions-Handlungs-Gesellschaft] aufgedeckt werde.“77 Es ist nicht ganz klar, wen Preiswerk hier ansprach. Vielleicht fürchtete er sich vor Kritikern, die angesichts des tatsächlichen Umfangs der Handlungs-Gesellschaft höhere delegiert gemeinnützige Zahlungen an die Mission erwartet hätten? Jedenfalls schien es ihm besser, sich bedeckt zu halten: „Die Eier wollen wir jedes Jahr zeigen, aber die Henne & ihr Verschlag soll im Hintergrund bleiben!“78 Aus diesem Grund schlug er vor, alle neuen Aktien an ein von ihm gegründetes privates Konsortium zu verkaufen, welches für den Weiterverkauf an interessierte Personen besorgt sein sollte. So 72 73 74 75 76 77 78
ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 2 f. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Brief an die Mitglieder der Kommission vom 27. Dezember 1911. 1911 löste die Goldküste Brasilien als weltgrössten Kakaoproduzenten ab. (Franc, Schokolade (2008), 116.) ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 2 f. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 3 f. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Geselschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 5. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Iselin, 19. Dezember 1911, 5.
184
4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
sei die Handlung selbst „[...] aller Auskunft enthoben.“79 Die Kollegen in der Handlungskommission und im Missionskomitee folgten Preiswerks Argumentation und befürworteten die Kapitalerhöhung ohne weitere Diskussionen.80 Nur Preiswerks Vorschlag, die Erhöhung des Aktienkapitals zu verheimlichen, fand schon bei den Empfängern seines ersten Exposés keine Zustimmung und wurde nicht mehr weiter verfolgt.81 Schliesslich stimmte auch die Generalversammlung der Erhöhung des Aktienkapitals zu.82 Die Aktien und die über zehn Jahre laufenden83 Obligationen waren in kurzer Zeit gezeichnet.84 Nach der Kapitalerhöhung von 1912 betrug der Anteil des Aktienkapitals, der im Jahr 1900 rund fünfzehn Prozent der Bilanzsumme ausgemacht hatte und bis 1911 auf unter fünf Prozent gesunken war, wieder acht Prozent (1913: knapp sieben Prozent).85 Da mit den Aktien gleichzeitig Obligationen ausgegeben wurden und die Geschäfte weiter wuchsen, ergab sich durch die Neuerungen keine Veränderung im Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital; letzteres betrug jetzt sogar rund 67 Prozent. Allerdings bestand es nun zu einem Teil aus langfristigen und verhältnismässig günstigen Obligationen.86 Alte und neue Investoren Die 1912 neu zeichnenden Aktionäre lassen sich in drei Gruppen unterscheiden: (1) Vertreter der alten grossbürgerlichen Basler Familien wie Sarasin, Iselin oder Burckhardt, die bereits bei der Gründung und Erweiterung der Aktiengesellschaft 1859 und 1870 eine tragende Rolle gespielt hatten.87 (2) Eine neue Gruppe von Aktionären aus dem näheren Umkreis der Missions-Handlung. Zu nennen sind verschiedene Mitglieder der Familien Preiswerk und Pfleiderer und führende Mitarbeiter der Handlungs-Gesellschaft wie Binhammer oder der Agent der Missions-Handlung in London, Paul Werner. (3) Institutionen und Personen aus dem engeren Umfeld der Mission: Zum einen der Pensionsfonds und die Invalidenkasse der Basler Mission, die zusammen 28 Aktien zeichneten. Aber auch zahlreiche Basler Pfarrer (die in manchen Fällen gleichzeitig auch zur ersten Gruppe gehörten) und andere 79 80 81 82 83 84 85 86 87
ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Expose über eine Kapitalbeschaffung für die MissionsHandlungs-Gesellschaft zu Handen Alfred Sarasin-Iselin und K. Zahn-Sarasin, 19. Dezember 1911, 6 f. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Brief an die Mitglieder der Kommission vom 27. Dezember 1911, bzw. die als Zeichen der Zustimmung darunter gesetzten Unterschriften der Kommissionsmitglieder; ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Januar 1912, § 97. Vgl. ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Brief an die Mitglieder der Kommission vom 27. Dezember 1911, worin dessen ursprünglicher Vorschlag bereits keine Erwähnung mehr findet. AMB/UTC 4574: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung vom 23. Februar 1912. Vgl. ABM/UTC 4105: Prospekt. 4,5 % Anleihe von Fr. 1 500 000 der Missions-HandlungsGesellschaft in Basel, 5. Februar 1912. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Juni 1912. Vgl. ABM/UTC 4656: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1898–1912. ABM/UTC 4657: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1913–1935. Siehe Kap. 2.2 und 2.4.
4.2 Finanzierung
185
der Mission nahestehende Personen. In allen Gruppen finden sich nun auch zahlreiche Frauen. Insgesamt machten sie rund einen Drittel der neuen Aktionäre aus.88 Was trieb diese Investoren und Investorinnen an, beträchtliche Beträge von im Schnitt immerhin 7500 Franken89 zu investieren? Die Verbundenheit der Aktionäre mit der Mission, aber auch der hohe Frauenanteil90 lassen darauf schliessen, dass die Investition in die Missions-Handlungs-Gesellschaft auch 1912 noch als ein wohltätiges Engagement wahrgenommen wurde. Daneben garantierte die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit der auf fünf Prozent festgelegten Dividende und dem Obligationenzins von 4,5 Prozent eine Verzinsung des Geldes, die (wenigstens für weniger riskante Projekte) im üblichen Rahmen lag.91 Es ist anzunehmen, dass – wie für die Anfangszeit vermutet92 – ein doppelter Anreiz für diese Anlage bestand: Man konnte sein Geld bescheiden nutzbringend anlegen und gleichzeitig die Sache der Mission unterstützen. Auf den Nutzen für die Basler Mission wird denn auch in der Broschüre zur Zeichnung der Aktien von 1912 nochmals explizit hingewiesen: „Diese [delegiert gemeinnützigen] Zuwendungen sind der Evangelischen Missions-Gesellschaft bei dem steten Anwachsen ihrer Ausgaben sehr zu statten gekommen.“93 Die problemlose Kapitalerhöhung verweist auf die immer noch bestehende positive Korrelation zwischen der gemeinnützigen Aktivität und der Möglichkeit, sich im Kreis der Missionsfreunde relativ günstig und schnell Geld zu verschaffen. Ein Blick auf die Handelsunternehmen der Herrnhuter Brüdergemeine bestätigt die Bedeutung dieser besonderen Investoren. So scheiterte der forcierte Ausbau der Handelsgeschäfte der Herrnhuter in Surinam anfangs des 20. Jahrhunderts unter anderem daran, dass die Gesamtunität der Brüdergemeine als alleiniger Besitzer (und Investor) nicht mehr bereit war, ihren Handelsgeschäften weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies obwohl die Mission der Brüdergemeine – ähnlich wie die Basler Mission – regelmässig von delegiert gemeinnützigen Zahlungen des Handelsgeschäfts profitieren konnte.94 Die juristische Trennung zwischen Mission und Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel erlaubte dagegen eine relativ passive Rolle der Basler Mission bei der Aktienerhöhung von 1912. Sie beteiligte sich am neuen Aktienkapital nur über ihren Versicherungsfonds. Ihr Anteil am gesamten Aktienkapital verringerte sich dadurch von rund 40 Prozent auf knapp 25 Prozent.95
88 89 90 91 92 93 94 95
ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. Nach heutigem Wert entspräche dies immerhin gut 75 000 Franken. (Vgl. , Konsumentenpreisindex.) Zur Wohltätigkeit als kompensatorisches Tätigkeitsfeld von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft vgl. Blosser/Gerster, Töchter (1985), 122. Die Zinssätze für (vergleichsweise allerdings viel weniger riskante) Kassenobligationen der Kantonalbanken lagen 1912 bei rund 4.25 %. (Vgl. www.fsw.uzh.ch/histstat O.18b.) Siehe Kap. 2.2 und 2.4. ABM/UTC 4105: Prospekt zur 4½ % Anleihe der Missions-Handlungs-Gesellschaft (Entwurf), Februar 1912. Vgl. Homburg, Glauben und Rechnen (2012), 209 f. Die bisherigen Aktien der Basler Mission, die nun noch zwanzig Prozent des Aktienkapitals
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
Der indische Forscher Raghaviah betont eine über die Unterstützung der Mission hinausgehende Rolle dieser zweiten Generation von Investoren: Die Aktionäre hätten mit ihrem guten Namen die Kreditwürdigkeit der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel allgemein erhöht, was riskante aber entwicklungsrelevante Projekte, wie die Gründung neuer Industriebetriebe in Indien, möglich gemacht habe.96 4.3 OPERATIVES GESCHÄFT Die Handelsgeschäfte Die Entwicklung der Missions-Handlungen an der Goldküste nach der Jahrhundertwende war geprägt vom Kakaoboom. Bei einem insgesamt steigenden Umsatz im afrikanischen Exportgeschäft überholte der Kakao anfangs des 20. Jahrhunderts Palmöl als wichtigstes Exportprodukt der Missions-Handlung.97 Auf einen Einstieg in den ebenfalls aufblühenden Goldhandel wurde dagegen verzichtet.98 Mit der positiven Entwicklung des Exportgeschäfts ging auch eine positive Entwicklung des Warenverkaufsgeschäfts einher.99 Offenbar konnten die Läden davon profitieren, dass der Kakaoboom auch die Kaufkraft der einheimischen Bevölkerung stärkte. Die Handlungen in Afrika erwirtschafteten – abgesehen vom äusserst schlecht verlaufenen Jahr 1906 – jährliche Betriebsgewinne zwischen 200 000 und 400 000 Franken. (In diese Zahlen nicht mit eingerechnet sind die intern verrechneten Provisionen für die Verschiffungen nach Afrika, die als weitere indirekte Einnahmen aus dem Afrikageschäft in das Jahresergebnis mit einflossen. Diese Provisionen stiegen von Werten um 100 000 Franken zur Jahrhundertwende kontinuierlich in Richtung 300 000 Franken jährlich.)100 Trotz vermehrter Konkurrenz101 gehörte die Missions-Handlungs-Gesellschaft damit zu den grössten europäischen Firmen an der Goldküste. Um die Jahrhundertwende ging rund ein Drittel der Kakaoexporte durch ihre Hände; bis 1911 verkleinerte sich dieser Anteil auf immer noch beachtliche 18 Prozent.102 Mit dem Kakao verloren Palmöl, Palmkerne und Gummi an
96 97 98 99
100 101 102
ausmachten und die durch den Pensions- und Invalidenfonds zugekauften Aktien. (Zum Ausbleiben einer Diskussion vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 17. Januar 1912, § 97.) Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 37. Diesem Befund ist umso eher zuzustimmen, wenn man den chronischen Kapitalmangel im kolonialen (Süd-)Indien bedenkt. (Vgl. Specker, Weber (1984), 207.) Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 20. März 1902; 22. Januar 1904, sowie Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1907, 9. Vgl. Franc, Schokolade (2008), 88. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft zu den Provisions-Einnahmen für nach Afrika versendete Produkte, die sich zwischen 1900 und 1910 mehr als verdoppelten. (Nach 1910 stehen uns diese Zahlen nur noch als Gesamtsumme zusammen mit Indien zur Verfügung; es lässt sich aber weiterhin eine positive Entwicklung feststellen.) Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 183 f. Franc, Schokolade (2008), 65.
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Bedeutung.103 Als neues Verkaufsprodukt etablierte sich in allen Arbeitsgebieten das Fahrrad,104 welches sich gerade für die Missionsarbeit als nützlich erwies.105 In Kamerun war vor allem das Verkaufsgeschäft von Bedeutung. Das Sortiment blieb relativ stark auf die Bedürfnisse der Missionare ausgerichtet. Der Export tropischer Produkte wurde nur nebenbei betrieben.106 Um den umständlichen Transport von Kakao107 und anderen Produkten zu erleichtern, nahm die MissionsHandlungsGesellschaft 1905 als erste Handelsfirma an der Goldküste einen Motorlastwagen in Betrieb. Er sollte die Verbindung zwischen den verschiedenen Stationen und den Einschiffungsorten an der Küste erleichtern. Nachdem sich der relativ schwere Wagen der Neuen Automobilgesellschaft Berlin auf den schlecht ausgebauten Strassen nicht bewährt hatte, setzte man ab 1908 auf leichtere Modelle von Daimler. Zu Beginn des Ersten Weltkrieg hatte die Missions-Handlungs-Gesellschaft an der Goldküste fünf Lastwagen in Betrieb.108 Gleichzeitig setzten die Handelsfirmen grosse Hoffnungen in den von den Kolonialbehörden vorangetriebenen Bau der Eisenbahnen von Sekondi nach Kumasi (Baubeginn 1903) und von Accra Richtung Norden nach Parakuo und Koforidua (Baubeginn 1908).109 Andere technische Verbesserungen betrafen die Verfahren zur Fermentierung und zum Trocknen des Kakaos in den Produktionsgebieten. Hier nutzten die Handlungen das Knowhow der firmeneigenen Missionswerkstatt in Christiansborg, die 1910 eine „Kakaotrocknerei nach unserm eigenen System“ konstruierte.110 Preiskartelle und die „Volta Transport Company“ Seit der Jahrhundertwende kam es zu Preis- und Qualitätsabsprachen zwischen den europäischen Kakao-Exporteuren an der Goldküste, darunter auch der MissionsHandlungs-Gesellschaft.111 Die Absprachen bezogen sich auf den Einkaufspreis und die Qualität von tropischen Produkten, darunter vor allem Kakao und die An103 104 105 106 107 108
Vgl. Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft, 9. Vgl. Abbildung 4 im Anhang. Vgl. Jenkins, Basler Mission (1989), 16. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 245 f. Vgl. Franc, Schokolade (2008), 94 f. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 232–239. Die Investition in Lastwagen zum Eigenbedarf kann als Ursprung des nach dem Ersten Weltkrieg von den Nachfolgefirmen der Missions-Handlung etablierten Motorwagengeschäfts gesehen werden. Schon vor der Missions-Handlungs-Gesellschaft benutzten die Goldminengesellschaften an der Goldküste motorisierte „Lokomobile“. 109 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 231 f. 110 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1910, 10. Vgl. auch Franc, Schokolade (2008), 102, wo auf Binhammers Überlegungen über die optimale Trocknung des Kakaos verwiesen wird. 111 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Januar 1903; vgl. Franc, Schokolade (2008), 92–95, die auf bereits 1900 stattgefundene Qualitätsabsprachen zwischen Binhammer und der Firma Swazy hinweist.
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teile an der Gesamternte, die den beteiligten Firma je zustanden.112 Diese kartellartige Zusammenarbeit zwischen den europäischen Firmen stellt ein zentrales Thema, nicht nur der Geschichte der daran beteiligten Firmen, sondern auch der Geschichte der Goldküste dar.113 Die Leitung der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel unterstützte das Vorgehen ihrer Kaufleute vor Ort. Anlässlich der Besprechung der neusten Zahlen aus Afrika hielt sie anfangs 1904 fest: „Nur beim Kakao hat der tiefe Preisstand die Factoreien willig gemacht, sich an einen bestimmten Einkaufspreis zu binden & die ganze hereinkommende Ernte pro rata der beiden letztjährigen Einkäufe unter sich zu vertheilen, so dass mit ziemlicher Sicherheit auf einen angemessenen Gewinn gerechnet werden darf. Durch rechtzeitiges Nachgeben neben thatkräftigem Handeln hat Br. Binhammer zweifellos zum Gelingen dieses Abkommens, das auch für Akuse + Winnebah gilt, beigetragen. Eine Conventionalstrafe von £ 500 sichert gegen vorschnellen Bruch des Übereinkommens. Solange der Missionscharacter unserer Factoreien durch derartiges Hand in Hand-Gehen mit den übrigen Firmen nicht gefährdet ist, werden wir solche Bestrebungen gerne unterstützen.“114
Ein Jahr später wurden die Kartellabsprachen nach Verhandlungen in London und Basel in Form eines fünf Jahre gültigen und nun auch den Gummihandel miteinbeziehenden Abkommens auf eine festere Basis gestellt.115 Die Missions-HandlungsGesellschaft war mit Binhammer, ihrem Leiter vor Ort, sehr aktiv an der Bildung dieser Preisabsprachen beteiligt. Ohne die Worte „Kartelle“ oder „Preisabsprache“ zu erwähnen, hiess es später in einer Ansprache anlässlich von Binhammers Beerdigung: „Schon früh wurde sich Binhammer der Wichtigkeit einer Verständigung mit anderen Handelsunternehmungen bewusst. Er fand den Weg, um die Konkurrenz, mit der er im übrigen scharf die Waffen kreuzte, in Fragen, die die Entwicklung und Förderung des Landes und dessen Handels betrafen, von der Nützlichkeit gemeinsamer Massnahmen zu überzeugen und diese zu treffen. Das bedingte zahlreiche Reisen ins Ausland, von denen er angeregt und von neuen Gedanken erfüllt und erfrischt heimkehrte [...].“116
Im Jahresbericht über das Jahr 1905 erläuterte die Geschäftsleitung ihre positive Sicht der Preiskartelle einem breiteren Publikum. Dabei wird weniger auf die Durchsetzung tieferer Preise denn auf die positiven Nebeneffekte – stetigeres Geschäft, gemeinschaftliche Organisation des Transports und eine gemeinsame Politik der Qualitätsverbesserung – hingewiesen: „Eine heilsame Wirkung hat das Zusammengehen der Firmen gehabt, die früher in heftigem Konkurrenzkampf mit einander gestanden sind. Die Arbeit ist eine stetigere geworden, der jähe Wechsel zwischen verlust- und gewinnbringenden Jahren ist ausgeglichen und die persönli112 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Januar 1904. 113 Je länger je mehr wurden diese Absprachen von den einheimischen Kakaobauern und Zwischenhändlern zu Recht als ungerecht empfunden. Ihr Ärger entlud sich dann in der Zwischenkriegszeit in verschiedenen Lieferanten-Boykotts. Die Erfahrungen dieser Protestbewegung dürften wiederum von Bedeutung für die spätere Unabhängigkeitsbewegung geworden sein. (Vgl. Ehrler, Handelskonflikte (1977), 315; Franc, Schokolade (2008), 151–164.) 114 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Januar 1904. 115 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905. 116 Zum Gedächtnis an Martin Binhammer, geboren 27. November 1876, gestorben 5. Februar 1947, [Basel] 1947, 20.
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chen Interessen sind zurückgedrängt worden vor der Aufgabe, gemeinsam die Hilfsquellen des Landes zu erschliessen und zu entwickeln. Es gilt dies in Fragen des Wegebaus und Verkehrs sowohl als in unserem Verhalten gegenüber den Eingeborenen, die wir u. a. immer mehr zu einer besseren Bearbeitung ihrer Bodenprodukte anhalten müssen.“117
Ähnliche Vereinbarung bestanden auch in Kamerun. Dort verzichtete die MissionsHandlungs-Gesellschaft allerdings auf eine Teilnahme.118 Zur gleichen Zeit gründeten die europäischen Firmen an der Goldküste eine gemeinsame „Volta Transport Company“, die den mühsamen und verlustreichen Transport auf dem Volta effizienter abwickeln sollte. Die MissionsHandlungsGesellschaft beteiligte sich mit einer Anleihe von 7500 £ an dieser Firma und verkaufte der neuen Gesellschaft ihren Voltadampfer, um ihre Transporte fortan von diesem Unternehmen zu „bestmöglichsten Bedingungen“ durchführen zu lassen.119 Aus Angst, von den anderen Firmen benachteiligt zu werden, wandelte die Missions-Handlung ihre Anleihe später in eine Aktienbeteiligung um.120 Die Beteiligung an den Kartellen und an der gemeinsamen Transportfirma an der Goldküste wurde als Teil der „Handlungsfrage“121 kontrovers diskutiert. Den Anfang machte die Handlungskommission selbst. Sie bewilligte die von Binhammer seit 1902 regelmässig ausgehandelten Preisabsprachen beim Kakaoeinkauf, unter der oben bereits zitierten Einschränkung: „Solange der Missionscharacter unserer Factoreien durch derartiges Hand in Hand-Gehen mit den übrigen Firmen nicht gefährdet ist, werden wir solche Bestrebungen gerne unterstützen.“122 Dabei bleibt unklar, was genau gegen den „Missionscharakter“ verstossen könnte. War es eine Kritik an der Kartellbildung an sich, welche die einheimischen Produzenten in ihrer unternehmerischen Freiheit beschränkte und allenfalls strukturell benachteiligte? Oder lag das Problem für den „Missionscharakter“ darin, dass die MissionsHandlungs-Gesellschaft zum Verbündeten von „weltlichen“, missionsfernen Firmen wurde? Später formulierten einzelne Missionare und Missionskaufleute konkretere Bedenken. Missionar Dietrich, der zu jener Zeit an der Goldküste tätig war, kritisierte 117 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1905, 9 f. 118 Das Abseitsstehen der Missions-Handlung in Kamerun brachte ihr in Geschäftskreisen Kritik ein. In einer Sitzung der Handlungskommission wurde berichtet, wie Binhammer bei einer Unterredung mit Woermann in Hamburg Vorwürfe gemacht worden seien, dass die MissionsHandlung einem „Syndikat“ in Kamerun nicht beigetreten sei. (ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905.) Vgl. auch ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 23. Mai 1905, wo auf die „schwankende Haltung“ der Mitarbeiter gegenüber den „Syndikaten“ in Kamerun die Rede ist; ABM/UTC 4105: Dietrich: Votum zu den von Br. Binhammer vorgeschlagenen „Reformen“, [undat., wohl 1906]; sowie Rennstich, Handwerker-Theologen (1985), 189. 119 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905. Nach damaligem Wechselkurs entsprach dies einer Investition von über 180 000 Franken. (Wechselkurs nach www.fsw.uzh.ch/histstat O.33.) 120 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Missions Handlung in ihrer Stellung zu den anderen westafrikanischen Firmen, [undat., wohl 1906]. 121 Siehe Kap. 4.1. 122 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Januar 1904.
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in einem Memorandum zu Handen des Missionsinspektors die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Firmen: „Die Verbindung zwischen den Missionsfaktoreien und den „weltlichen“ Faktoreien ist zum Teil so stark geworden, dass die Grenzlinien verwischt sind. Ich bin kein Gegner davon. Ich glaube, es musste so kommen. Aber die Frage ist, kann die Missionsfaktorei unter diesen Umständen auf den Titel Mission noch Anspruch machen? Hier aussen nicht. Dass z. B. unsere Faktorei in der Volta Transport Co sehr stark vertreten ist, weiss hier jedes Kind, ebenso, dass eine enge Verbindung zwischen ihr und den anderen Faktoreien besteht. Vielleicht ist man sich zu Hause darüber noch nicht klar geworden.“123
Es geht hier um die Gefahren der offenen Zusammenarbeit zwischen der MissionsHandlungs-Gesellschaft und weltlichen Firmen, die auf die Mission abfärben könnten. Diffuser ist Dietrichs Haltung gegenüber den Kartellen an und für sich. Einerseits akzeptierte er die Zusammenarbeit in einer Art Sachzwang-Argumentation mit dem Hinweis „Ich glaube, es musste so kommen.“ Andererseits erschienen ihm die Kartelle doch nicht ganz missionsgemäss, wie er es weiter unten im selben Memorandum ausführte. Gleichzeitig verwässerte er seine ablehnende Haltung mit Hinweis auf die angebliche Erwartungshaltung der Einheimischen: „Es hat mich gewundert in einem Rundschreiben (?) an die Missionsfreunde auf die Anklagen der kolonialen Missionsgegner hin zu lesen, dass die Faktoreien [in Kamerun], z. B. um den Eingeborenen einen guten Preis für ihre Produkte zu sichern, sich in keine Verbindung mit anderen Faktoreien eingelassen haben. War das in Kamerun richtig, so nicht auf der Goldküste. Hier treten unsere Faktoreien in Verbindung mit den übrigen, sie schliessen mit ihnen „Agreements“, doch gewiss nicht um den Eingeborenen einen möglichst hohen Gewinn zukommen zu lassen?! Es kommt mir vor, als werde mit zweierlei Mass gemessen. Ich sage nicht, dass die Eingeborenen hier zu kurz kommen infolge der Agreements – diese glauben es ja alle – sie bekommen was ihnen zukommt von Rechtswegen. Aber eigentümlich ist doch, dass was in Kamerun verpönt ist, aus Missionsprinzip, hier ohne weiteres geschieht.“124
Deutlicher wandte sich Missionskaufmann Gotthilf Jäger in einem Brief an Missionsinspektor Oehler gegen die Kartelle. Er kritisierte sowohl die Kartelle als solche als auch die damit einhergehende Zusammenarbeit mit den „Schnapsfirmen“: „Schon das christliche Gewissen, ja sogar ein gewisser Geschäftsstolz, sollte doch der Missions Handlung es sagen, dass ein Ring mit diesen Schnapsfirmen [...] einfach unmöglich ist. Das Ziel der anderen Firmen ist Geld & wieder Geld & immer Geld, das Ziel der Missions Handlung ist in erster Linie, laut Statuten, Mission & erst in 2. Linie Geld. Lässt sich aber die Leitung in der Heimat vom Geldstandpunkt leiten und nötigt die Brüder hier draussen darnach zu handeln [...] so fällt sie in dasselbe Ausbeutungssistem [!], dessen sich die anderen Firmen schuldig machen, daran ändern auch alle Beschönigungen & künstlichen Darstellungen in dem Jahresbericht der Missionshandlung nichts. [...] Also nicht Trennung von Handlung & Mission, von der man jetzt dann & wann hört, ist es was nötig & heilsam ist, dagegen klare Scheidung & wäre es auch mit augenblicklichen Verlusten, von den Schnapsfirmen, sowohl aus Geschäfts wie aus Missionsinteresse. Der § 1 der Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft zeigt doch auch im Geschäftsleben & Verkehr mit der Welt klar und deutlich Zweck und Ziel der
123 ABM/UTC 4105: Dietrich, Wilhelm: Votum zu den von Br. Binhammer vorgeschlagenen „Reformen“, [undat., wohl 1906], 5. 124 ABM/UTC 4105: Dietrich, Wilhelm: Votum zu den von Br. Binhammer vorgeschlagenen „Reformen“, [undat., wohl 1906], 5.
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Handlung, und auf Grund dessen sollte es auch nicht so schwer sein immer wieder die Grenzlinie zu finden, wo 2. Kor. 6. 14–16125 als Warnungstafel steht. [...]“126
Diese Vorwürfe blieben nicht ohne Widerrede. Der Standpunkt der angegriffenen Geschäftsleitung lässt sich einer Denkschrift Preiswerks entnehmen. Preiswerks Argumentation lief darauf hinaus, dass die Missions-Handlung ebenso wie die Basler Mission spätestens mit der ersten von ihr gecharterten Dampferpassage schon gegen das Prinzip des Alleingangs als christliche Firma verstossen habe. Die Zusammenarbeit in der Volta Transport Company und die Preisabsprachen seien nur die logische Fortsetzung einer langfristigen Entwicklung: „Das Segelschiff „Palme“ war das Missionsschiff. Es gehörte der Handlung. Kapitän und Mannschaft waren wohlgesinnte Leute. Pulver und Schnaps waren nicht unter der Ladung. Es brachte nichts Böses nach Afrika. Was Böses nach Afrika kam, kam auf anderen Schiffen. Wir haben Distanz markiert! Das hat längst aufgehört. Jetzt reisen unsere Geschwister auf dem Dampfschiff und beziehen ihre Bedürfnisse mit dem Dampfschiff. Die Handlung ebenso. Mission und Handlung füllen mit ihren Leuten und Waren zusammen wohl jährlich 5 bis 6 Ozeandampfer und helfen damit einen Verkehr alimentieren, der neben dem Guten auch das Böse nach Afrika bringt.“127
Das Zusammengehen mit den nicht spezifisch christlichen Firmen sei in der jetzigen Zeit unvermeidlich, wolle man nicht das Rad der Zeit radikal zurückdrehen. Überdies sei es nicht ersichtlich, weshalb gerade der Kontakt mit den Briten besonders verwerflich sei, wo man doch ebenso mit Heiden und Moslems in geschäftlichem Verkehr stehe. Dieser geschäftliche Realismus bedeutete für Preiswerk allerdings nicht, dass man sich mit seinen Geschäftspartnern auch identifizieren müsse. Im Gegenteil: Er sah es als Herausforderung der Missionskaufleute, sich in der Welt als Christ zu erweisen: „Es erwächst damit den Handlungsbrüdern eine neue Aufgabe: Verkehren wohl, aber nicht sich mit ihnen identifizieren. Und da gebe ich zu, dass dieser Verkehr besondere Anforderungen stellt. Im Grunde nichts anderes als die Aufgabe, vor die sich ein jeder Christ in der Heimat gestellt sieht. Sich als Christ behaupten und erweisen. Das geschieht aber nicht damit, dass wir diese Welt, diese böse Welt, in die wir nun einmal gesetzt sind, fliehen. Nie ist Mission, wenigstens evangelische Mission, Weltflucht.“128
Ähnlich wie die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Afrika könne zum Beispiel auch die Missions-Buchhandlung in Basel nicht völlig losgelöst von ihrer Umwelt funktionieren und habe sich etwa aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus der 125 2. Korinther, 6, 14–16: „Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen. Denn was hat die Gerechtigkeit zu schaffen mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr. Wie stimmt Christus mit Belial? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? Was hat der Tempel Gottes für Gleichheit mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: ‚Ich will unter ihnen wohnen und unter ihnen wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.‘“ (Lutherbibel 1912) 126 ABM/UTC 4105: Jaeger, Gotthilf: Brief an den Missionsinspektor, 16. September 1906. 127 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Mission Handlung in ihrer Stellung zu anderen westafrikanischen Firmen, [1906], 1 f. [Unterstreichung im Original.] 128 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Mission Handlung in ihrer Stellung zu anderen westafrikanischen Firmen, [1906], 7. [Unterstreichung im Original.]
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Schweizerischen Buchhändler-Vereinigung angeschlossen. Damit beteilige sie sich auch an den Buchpreisbindungen und den gemeinsamen Transportgelegenheiten. Und so komme es, dass „jede Woche [...] ein Bücherwagen von 200 bis 300 Centner direkt nach Basel [rollt]. Christus & Antichrist, das blaue und das weisse Kreuz und der Simplicissimus im selben Wagen.“129 Die Zusammenarbeit mit anderen Firmen stellte Preiswerk zufolge eine moralisch vertretbare Notwendigkeit dar, eine Forderung der neuen Zeit an das ganze Wirtschaftsleben, der sich auch ein Christ zu stellen habe: „Die heutige Zeit [...] wirft den einen unter den andern. Der individualistische Zug hat dem Gemeinschaftszug vielfach Platz gemacht. Ueberall, auch im Geschäftsleben ist Zusammenschluss Parole. Die Anforderungen an den einzelnen sind zu gross; nur in Verbindung mit andern kann er denselben gerecht werden & sich behaupten. [...] Dieser Zeit und Weltentwicklung haben wir auch nachgeben müssen.“130
Die Kartelle im Besonderen hätten auch bereits (ökonomisch) ihre Wirkung gezeigt und die guten Abschlüsse der vorangegangenen Jahre ermöglicht. Von Ausnützung könnte dabei trotz Klagen einzelner einheimischer Zwischenhändler keine Rede sein. Nicht ohne Zynismus und eine gewagte Verschränkung von „Missionsstandpunkt“ und eigennützigen Überlegungen heisst es dazu: „Dann, ja dann, würden wir den Missionsstandpunkt verleugnen, wenn wir uns mit den anderen Firmen zu einem Monopol vereinigt hätten, das die Eingeborenen wirklich schädigte. Aber davon ist keine Rede. Wir werden immer dafür einstehen, dass das Huhn, das die Eier legt, am Leben bleibt und der Anreiz zur Arbeit, zur Produktion bestehen bleibt.“131
Noch deutlicher legte die Geschäftsleitung ein Jahr später in einem Memorandum zu Handen des Missionskomitees ihre Sicht dar. Die Teilnahme an den Kartellen wurde nun (die aktive Rolle der Missions-Handlung bei der Gründung dieser Kartelle ignorierend) als ein geschäftlicher Sachzwang dargestellt, dem die Gesellschaft als Ganze ausgeliefert sei, was (implizit) weitere moralische Überlegungen ausschliesse: „Haben die Gegner bisher darauf hinweisen können, dass sich Geschäfte, die nicht an den Pools beteiligt waren, halten konnten und dass es demgemäss auch die Missionshandlungsgesellschaft werde tun können, so betont die Leitung der Handlung mit allem Nachdruck, dass ihr Austritt aus den Pools und die strenge Durchführung des Prinzips, getrennt von den übrigen Firmen zu marschieren, ihre Position auf die Dauer derart schwächen würde, dass darunter ihr Geschäftsumfang sich zusehends vermindern würde, was einer allmählichen Liquidation gleich käme, von der nur die übrigen Goldküsten-Geschäfte den Nutzen hätten.“132
129 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Mission Handlung in ihrer Stellung zu anderen westafrikanischen Firmen, [1906], 8. 130 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Mission Handlung in ihrer Stellung zu anderen westafrikanischen Firmen, [1906], 1. 131 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Die Mission Handlung in ihrer Stellung zu anderen westafrikanischen Firmen, [1906], 6; vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1904, 12, wo berichtet wird, dass man die gesunkenen Preise in Europa nur teilweise auf die Einkaufspreise überwälzt habe, um die „Verwilderung“ von Plantagen zu verhindern. 132 ABM/UTC 4105: Vorlage zu einer Beratung der Handlungsangelegenheit durch die Brüderkonferenz auf der Goldküste (zweite gültige Ausgabe), 18. Dezember 1907, 2 f.
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Diese Argumentation setzte sich schlussendlich gegen alle Bedenken durch. Das Missionskomitee im November 1906 folgte Preiswerks Sachzwang-Argumentation: Um im Sinne der Mission tätig sein zu können, müsse die Handlung „auf dem Plan“ bleiben. Eine Diskussion über die moralischen Implikationen der Kartelle hatte sich damit scheinbar erübrigt. Inspektor Oehler wurde beauftragt, den Entschluss des Komitees an die Missionare und Missionskaufleute an der Goldküste zu kommunizieren.133 Interessant ist nun, wie Oehler diese Aufgabe wahrnahm: An die Stelle von Preiswerks pragmatischer (aber ehrlicher) Sachzwang-Argumentation treten nun vorgeblich „ethische“ Überlegungen. (Meines Wissens wird hier im Zusammenhang mit der Missions-Handlungs-Gesellschaft erstmals das Adjektiv „ethisch“ verwendet.) In Anspielung auf Preiswerks gleichzeitig versandte Denkschrift zu den Kartellen erläuterte Oehler eingangs, dass „[...] weniger die geschäftliche Zweckmässigkeit als die ethische Berechtigung derselben in Frage stehe.“ Statt auf die eigentliche Kritik einzugehen, idealisierte Oehler die Kartelle nun als etwas moralisch Wertvolles, indem er auf rassistische Negativ-Vorstellungen des unselbständigen, arbeitsscheuen und habgierigen Afrikaners zurückgriff: Die Kartelle seien ein Gewinn im Hinblick auf die damit verbundene Eindämmung des Konkurrenzkampfes und der Vergabe von Vorschüssen, was beides eine – nicht näher ausgeführte – „demoralisierende und den Raufhandel fördernde Wirkung“ auf die Afrikaner habe. Zwar, fuhr er fort, stecke in den Kartellen die Gefahr der Benachteiligung der Produzenten. Dass es aber nicht soweit komme, dafür sorge der Afrikaner selbst. Sei es doch so, „dass der Charakter der Neger genügend Bürgschaft bieten wird, dass sie den Bau der Exportartikel aufgeben werden, wenn sie nicht mehr genügend bezahlt werden.“ (Was sie stattdessen tun sollten, liess er offen.) Auch gegen die Volta Transport Company sei grundsätzlich nichts einzuwenden, da sie wegen langjähriger Probleme mit der Volta-Schifffahrt entstanden sei und den Schnapshandel selbst nicht direkt fördere.134 Hintergrund der unkritischen Beurteilung der Kartelle durch die Vertreter der Mission war wohl ein gespaltenes Verhältnis zur neuen Kakaokultur. Der Anbau von Kakao und die damit verbundene Chancen für die Kleinbauern wurde im Sinn der Schaffung einer „missionarisch-idyllischen Provinz“ grundsätzlich positiv bewertet.135 Kritischer begegnete die Mission der damit einhergehenden Migration von Teilen der Bevölkerung.136 Vor allem aber misstrauten die Vertreter der Mission dem afrikanischen Zwischenhandel. In der 1916 erschienenen „Geschichte der Basler Mission“ von Wilhelm Schlatter heisst es entsprechend, dass die MissionsHandlungs-Gesellschaft sich an den Preisabsprachen „gern“ beteiligte, wenn sie sich nicht gegen die Kakaobauern richte und als Ergebnis „die Faktoreien möglichst direkt mit ihnen [den Bauern] verkehrten [...]“ Auf diese Weise – unter Ausschal133 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 31. Oktober 1906. 134 ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: Brief an die Brüder auf der Goldküste, 8. November 1906. 135 So etwa im Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1902, 8. Vgl. Schlatter, Basler Mission (1916), III, 191; Huppenbauer, H[ans]: Handel und Industrie in der Mission?, in: Die Reformierte Schweiz, 8, 1944, 37; vgl. Kap. 1.2. 136 Franc, Schokolade (2008), 69; 85.
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tung des Zwischenhandels – sei es möglich geworden, dass „gewisse Urzustände im afrikanischen Handelswesen, z. B. das demoralisierende Vorschusswesen, umgestaltet oder abgeschafft werden.“137 In diesem Punkt deckten sich die Ideen der Mission mit den Absichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft, die dem Zwischenhandel weniger aus missionarischen, denn auch geschäftlichen (Konkurrenz-) Überlegungen heraus kritisch gegenüberstand.138 So hatte die Handlung etwa 1904 im Bezug auf Kamerun explizit ein „einheitliche[s] Vorgehen der europäischen Firmen“ gegen die „ungesunde [...] Stellung [...] der eingeborene[n] Händlerklasse zu den eingeborenen Produzenten und den europäischen Exporteuren“ gefordert.139 Eine andere Rechtfertigung aus der Zeit der „Handlungsfrage“ spielte ebenfalls auf vorgebliche Mängel der Einheimischen an, diesmal in Bezug auf die Kakaobauern und die Qualität ihrer Produkte. Der ehemalige Missionskaufmann Götz sah zwar die Gefahr der Ausnützung, betrachtete die Kartelle aber doch als eine Notwendigkeit, da man damit nicht nur Höchstpreise, sondern auch Qualitätsstandards festlegen könne: Die Gründung der Kartelle geschehe nicht aus „Übermut“, sondern: „[u]nser Pool wurde nötig wegen der Skrupellosigkeit der Neger, der Kakao wurde nicht zweckmässig genug behandelt, nicht genügend getrocknet, das Palmöl enthielt zu viel Wasser, die Palmkerne viel zu viele Schalen, der Kautschuk war mit zu viel Unreinigkeiten vermischt. Ich bin überzeugt, dass der Pool in dieser Richtung segensreich gewirkt hat.“140
Im weiteren Verlauf der Diskussionen um die „Handlungsfrage“ kam das Missionskomitee nicht mehr auf seinen Entscheid zurück. Was angesichts der oben zitierten Liquidations-Drohung Preiswerks und dem gespaltenen Verhältnis der Mission zum Kakaohandel nicht weiter verwundert. Ausserdem hatte die Mission als Begünstigte der delegiert gemeinnützigen Zahlungen der Handlungs-Gesellschaft auch handfeste Interessen an einem guten Geschäftsgang. In welchem Umfang die Kartelle (abgesehen von der Schwächung des einheimischen Zwischenhandels) tatsächlich zu einer Benachteiligung der einheimischen Produzenten führte, ist rückblickend schwer zu klären. Immerhin ist überliefert, dass sich die Kakaobauern in Härtefällen durchaus zu wehren wussten. So hielten die Produzenten 1904 und 1908 jeweils ihre Ernten zurück, um so höhere Preise zu erzielen.141 Die positive Beurteilung der Kartelle durch Handlungskommission und 137 Schlatter, Basler Mission (1916), III, 194. Das Vorschusswesen als Argument gegen den Zwischenhandel und für die Kartelle zieht sich weiter bis in die Firmengeschichte Wanners von 1959, wo der Autor die „neuen Formen des Handels“ mit beinahe den selben Worten kommentiert. (Wanner, Basler Handelsgesellschaft A.G. (1959), 223.) Die Kartelle könnten, wie Franc andeutet, im Sinne der Mission ausserdem als eine positive Möglichkeit, mehr Einfluss auf die einzelnen Kakaoproduzenten im Hinblick auf eine paternalistischen Förderung des Bauernstands zu nehmen, verstanden worden sein. (Vgl. Franc, Schokolade (2008), 235.) 138 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 95; 250. 139 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1904, 13 f. 140 ABM/UTC 4105: Götz, Johannes: Brief an das Missionskomitee, 14. März 1908. 141 Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1904, 12; 1908, 9; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 225. Die Lieferstopps hatte an der Goldküste eine gewisse Tradition. Bereits in den 1860er Jahren war es zu einem Lieferboykott von Palmölbauern gekommen. (Vgl. Franc, Schokolade (2008), 58)
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Missionskomitee widerspiegelte ein Stück weit die vorherrschende zeitgenössische Haltung gegenüber Kartellen in Europa. Während in den USA mit dem ShermanAnti-Trust-Act bereits seit den 1890er Jahren eine Anti-Kartell-Gesetzgebung in Kraft war, entstanden entsprechende Gesetze in Grossbritannien erst während und im übrigen Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Insbesondere in Deutschland wurden Kartelle und Preisabsprachen als eine stabilisierende Massnahme lange Zeit mehrheitlich positiv bewertet.142 Anders urteilten diejenigen Missionare und Missionskaufleute, die die Kartelle auch im damaligen Kontext als ein Mittel der Ausbeutung der einheimischen Kakaowirtschaft durch die europäischen Exporteure kennzeichneten.143 Mit ihnen kann man – wie bereits von Franc postuliert144 – fragen, inwieweit die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit der Teilnahme an den Einkaufs-Kartellen der einheimischen Wirtschaft an der Goldküste und auch ihrem eigenen Ruf geschadet hat. Unternehmensethische Verantwortung im täglichen Geschäft In den Statuten von 1912 wurde die Ausübung einer moralisch korrekten Handelstätigkeit, nun allerdings nicht mehr dem Label „christlich“ sondern der allgemeineren Bezeichnung „solide“ verpflichtet, als eigenständiges Ziel aufgeführt.145 Unter „christlichem Handelsbetrieb“ oder eben später „solidem Handelsbetrieb“ wurde weiterhin vor allem der Verzicht auf den Handel mit Branntwein und Waffen verstanden. Eine kreative Ergänzung zum Verzicht auf den Verkauf von Alkohol fanden die Handlungen in Kamerun, indem sie im Jahr 1903 die Produktion von Limonade aufnahmen und diese als Alternative zu alkoholischen Getränken auf den Markt brachten.146 Zwei Forderungen, die nach 1900 im Zusammenhang mit dem Warenhandel in Westafrika diskutiert wurden, liegen in der Grauzone zwischen einer spezifisch christlichen und einer weltlichen Handelsethik: der Verkauf von Waren zu festen Preisen und die restriktive Vergabe von Vorschüssen. Die Festpreise wurden nun – ähnlich wie bereits früher in Indien – auch in Afrika als eine Möglichkeit betrachtet, den einheimischen Kunden gegenüber eine besonders hohe Redlichkeit an den Tag zu legen: 142 Vgl. Motta, Competition Policy (2004), 1–6; 9–11; Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 96 f. Die kritische Beurteilung von Kartellen reicht allerdings weiter zurück: So bemerkte bereits Adam Smith in seinem berühmten Werk über den Reichtum der Nation: „People of the same trade seldom meet together, even for merriment and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in some contrivance to raise prices.“ (Smith, Adam: An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, London 1778, I, 160.) 143 Ein weiterer prominenter zeitgenössischer Kritiker der hier zur Debatte stehenden Kartelle soll der damalige britische Gouverneur an der Goldküste, John Pickersgill Rodger, gewesen sein. (Franc, Schokolade (2008), 122. 144 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 230–233; 251. 145 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 23. Februar 1912, Art 2. 146 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1903, 9.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914) „Auf die eingeborenen Kunden macht schon die Tatsache der festen Preise einen Eindruck. Wie manches Mal können wir ihnen den Beweis liefern, dass wir sie nicht belügen und übervorteilen, auch wenn wir sehr wohl Gelegenheit dazu hätten.“147
In Verkennung der einheimischen Handelskultur und -tradition wurde den afrikanischen Konkurrenten unterstellt, ihr Feilschen beziehungsweise das Aushandeln eines Kaufpreises, sei ein Übervorteilen und die als „dumm verkauften“ Kunden hätten keine Gelegenheit, sich dagegen zu wehren.148 Umgekehrt könnte man in klassisch ökonomischer Manier ja auch argumentieren, dass genau das Aushandeln eines Preises sowohl dem Kunden wie auch dem Händler die Chance gebe, sich gegen einen unfairen Handel zur Wehr zu setzen, während bei Festpreisen das Festlegen eines angemessenen Preises allein dem Verkäufer überlassen wird. In einen ähnlichen Bereich fallen die Argumente gegen die Vergabe von Vorschüssen. Offenbar war es lange Zeit üblich gewesen, den Produzenten von Kakao oder Palmöl Vorschüsse auf ihre Ernten zu gewähren.149 Dem durch diese Vorschüsse ermöglichten Leben auf Kredit wurde nun eine „demoralisierende“ Wirkung zugeschrieben, gegen die die europäischen Firmen gemeinsam vorgehen sollten.150 Auch hier geht die Argumentation vom typischen patriarchalischen Bild des labilen Afrikaners aus, der – wie ein Kind – vor den Gefahren der Geschäftswelt, in diesem Falle dem Aufnehmen von Krediten, geschützt werden muss. Gerade umgekehrt könnte man die Vergabe von Vorschüssen, wie von Andrea Franc vorgeschlagen, als eine entwicklungspolitisch ausdrücklich wertvolle Institution im Sinne der Vergabe von Mikrokrediten betrachten.151 Über die fürsorgliche Absicht hinaus, dürfte es der Missions-Handlungs-Gesellschaft aber auch darum gegangen sein, die eigenen Risiken des Vorschussgeschäfts zu vermindern, was diesen Bemühungen gleichzeitig geschäftlich sinnvoll erscheinen liess. Die Beschränkung der Vorschüsse – ob aus eigennützigen oder gemeinnützigen Motiven heraus – konnte nur im Zusammengehen mit anderen europäischen Firmen erreicht werden. Für einen Einzelnen wäre die Verweigerung von Vorschüssen im Sinne des prisoner’s dilemma mit massiven Nachteilen, in diesem Falle dem Verlust von Lieferanten von Landesprodukten, verbunden gewesen. In diesem Sinn konnten die Preiskartelle auch für das Verhindern von Vorschüssen genutzt werden: war die Konkurrenzsituation beim Kakaoeinkauf einmal beseitigt, brauchten sich die Exportfirmen auch nicht mehr mit günstigen Konditionen oder eben der Vergabe von Vorschüssen beliebt zu machen. Dieser Nebeneffekt der Preiskartelle
147 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1905, 12. 148 Dazu kommt, dass das Aushandeln eines Preises in anderen Zusammenhängen auch in Europa durchaus verbreitet war und ist. (Siehe auch Kap. 2.5) 149 Vgl. etwa ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905. 150 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1903, 8; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1906, 10. 151 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 214; 245. Verschiedene auch entwicklungspolitisch motivierte Institutionen (etwa die durch die Vergabe des Friedensnobelpreises bekannt gewordene Grameen Bank in Bangladesch) hoffen durch die Vergabe von Kleinkrediten ein ökonomisches Empowerment benachteiligter Gruppen zu ermöglichen.
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wurde dann auch, wie oben dargestellt, als ein (vorgeblich moralisches) Argument für die Kartelle angeführt. Direkt gemeinnützige Tätigkeiten Als Kernstück ihrer direkt gemeinnützigen Tätigkeiten betrieb die Missions-Handlung in Afrika weiterhin eine Spedition für die Mission: „In der Spedition, von wo aus alle europäischen Lebensmittel bestellt und versandt werden, geht’s nicht minder geschäftig zu.“152 Als weitere Hilfeleistung für die Mission begann sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft spätestens anfangs des 20. Jahrhunderts auch als eine Art Treuhänderin der Basler Mission zu engagieren. Preiswerk erwähnte in einem 1907 verfassten Memorandum die Abwicklung des internationalen Geldverkehrs, die Verwaltung von Fonds und schliesslich die Vergabe von kurzfristigen Krediten an die Basler Mission „bis in die 100 000de“.153 In einen ähnlichen Bereich fällt die im Zusammenhang mit der Finanzierung bereits erwähnte Rolle der Missions-Handlungs-Gesellschaft als einer Art „Sparkasse“ für Personen aus dem Umfeld der Mission.154 Die Möglichkeit, Gelder zu vier Prozent verzinst anzulegen, wurde nun auch auf das einheimische Publikum an der Goldküste und in Kamerun ausgeweitet. Die Tätigkeit als Sparkasse war verbunden mit dem „zivilisatorischen“ Ziel, „die Eingeborenen zur Sparsamkeit zu erziehen“.155 Dieses, wenn man so will, direkt gemeinnützige Engagement war aber gleichzeitig auch eine Möglichkeit, sich relativ günstig mit Kapital zu versorgen. Die mit dem Kakaoboom gestiegene Arbeitslast an der Goldküste schwächte die traditionelle „zivilisatorische“ und missionarische Arbeit. Der Jahresbericht über das Jahr 1902 gestand recht freimütig: „Je mehr der Geschäftsbetrieb ins Grosse wächst, desto schwieriger wird die Aufgabe unserer Brüder draussen [...] durch persönliches Leben und Vorleben auf die Eingeborenen ein[zu]wirken und in das zügellose afrikanische Geschäftsleben einen christlichen Ton [zu] bringen.“156
Trotz dieser pessimistischen Selbsteinschätzung spielte die missionarische Arbeit in der Darstellung nach aussen weiterhin eine tragende Rolle. Traugott Brugger erwähnte in einem Artikel im „Evangelischen Heidenboten“ kurze Morgenandachten unter Ausschluss der „Krujungs, die weder die Akrasprache noch englisch verstehen, [und inzwischen] mit Palmwedeln den weiten Hof [reinigen]“157 und er berichtete, wie sich Missionskaufleute während ihrer abendlichen Freizeit am
152 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 77. 153 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Votum zu dem Protokoll des General Conf. Ausschuss in Akropong, den Schreiben der Brr. Jäger und Fincke, 9. April 1907, 10. 154 Vgl. ABM/UTC 4826: Depositoren Buch Nro. 1, 1900–1911. 155 Schlatter, Basler Mission (1916), III, 329; vgl. auch Franc, Schokolade (2008), 76. 156 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1902, 7. 157 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 76.
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Christlichen Jünglingsverein beteiligten.158 Die Mitarbeit in den örtlichen Sektionen des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) und die Hausandachten fanden auch in Duisbergs Bericht über Handel und Mission Erwähnung: „Um den jüngeren noch unverheirateten eingeborenen Leuten, sowohl den in unserer als in andern Faktoreien und den von der Regierung angestellten mehr nachzugehen, wurde in Akra in den letzten Jahren ein sich sehr erfreulich entwicklender ‚Christlicher Verein junger Männer‘ gegründet, der von einem Basler Kaufmannsbruder geleitet und von den anderen treu unterstützt wird. In der Faktorei wurde ihnen ein passendes Versammlungslokal mit gut ausgestattetem Lesezimmer eingerichtet.“159
Der CVJM, der vielen Missionskaufleuten aus der Heimat bekannt war, konnte zu einer verbindenden Komponente zwischen Europäern und Afrikanern werden. Gerade die zentrale Rolle der Laienarbeit im CVJM160 passte zur Situation der Missionskaufleute. In den Jünglingsvereinen konnten sie sich abseits der Konkurrenz (und der Kontrolle) der Missionare in christlichem Sinn betätigen. Im Bereich der „zivilisatorischen“ Tätigkeiten gewannen die Karrieremöglichkeiten für Afrikaner mit dem Wachstum der Geschäfte an Bedeutung. Einheimische Produkteeinkäufer traten nun als weitere verantwortungsvolle einheimische Mitarbeiter neben die Leiter der Zweigfilialen.161 Aber auch in der Hauptstation in Accra arbeiteten immer mehr Einheimische in verantwortlichen Positionen. Brugger sprach von einem „erste[n] eingeborenen Schreiber“ als Assistenten des Chefbuchhalters, der unter anderem auch die Schreibmaschine bediente. Im täglichen Geschäft wurde weitgehend auf Einheimische vertraut: „Im dritten Bureau, wo die kleineren Geschäfte und Aufträge ihre Erledigung finden und die Nebenbücher besorgt werden, arbeiten nur eingeborene Kommisse.“162 Darüber hinaus scheint den einheimischen Angestellten – seien es die Verkäufer in den Läden, die Küfer oder die „Kroo-Boys“ – weiterhin wenig Vertrauen entgegengebracht worden zu sein. Insbesondere Brugger liess sich in seinem Artikel mehrmals despektierlich über die Unpünktlichkeit, Trägheit und Unehrlichkeit der afrikanischen Angestellten aus. So etwa in der ironischen Bemerkung, dass der Glockenschlag um elf, „den Angestellten Gelegenheit [gibt] zu zeigen, dass sie wenigstens im Niederlegen der Arbeit pünktlich sind.“ 163 Oder in den folgenden – nun völlig unironischen – Bemerkungen: „Daneben gilt es auch, überall ein wachsames Auge zu haben, nicht nur auf die Kunden, sondern ebenso sehr auf die schwarzen Angestellten, die die Kunden bedienen. Man macht leider immer wieder die Erfahrung, dass es allen Negern sehr schwer wird, genauen Unterschied zu 158 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 78. 159 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 37; vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 7. 160 Vgl. Ohlemacher, Gemeinschaftschristentum (2000), 414. 161 Franc, Schokolade (2008), 80 f.; 115. 162 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 77; vgl. auch ABM/UTC 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 3, der ebenfalls von einem einheimischen Buchhalter erzählt. 163 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 78.
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machen zwischen Mein und Dein. Das traurigste aber ist es, dass die eigenen Angestellten, die doch grossenteils unsere Missionsschulen durchlaufen haben, immer wieder auf kleineren oder grösseren Veruntreuungen ertappt werden. Um so dankbarer sind wir, wenn wir an unseren Leuten hie und da auch erfreuliche Erfahrungen machen dürfen.“164
Ohne vergleichbare Berichte kann nicht beurteilt werden, inwieweit diese zumindest dem Zeitgeist durchaus entsprechende kollektive Verurteilung der Afrikaner von den anderen Missionskaufleuten oder der Geschäftsleitung in Basel geteilt wurde. Jedenfalls lässt das hier gezeichnete Bild der Einheimischen an der Ernsthaftigkeit bei der „Einführung der Heidenchristen und Heiden in den christlichen Handelsbetrieb“165 zweifeln. Vielleicht versuchte man mit solchen rassistischen Diagnose aber auch einfach vom eigenen („zivilisatorischen“) Misserfolg abzulenken.166 Mit der Abschaffung des Missionarsstatus nach der Diskussion der „Handlungsfrage“ verlor die direkt gemeinnützige Tätigkeit der Handlungen an der Goldküste allem Anschein nach weiter an Bedeutung. Das zeigte sich nun auch in der Darstellung nach aussen. In einer 1912 publizierten Broschüre wird anders als früher über erzieherische oder missionarische Tätigkeiten der Missionskaufleute geschwiegen. Der gemeinnützige Nutzen wird nun – neben den ebenfalls erwähnten delegiert gemeinnützigen Zahlungen – vor allem in der bereits früher propagierten Idee von Entwicklung durch Handel an sich gesehen: „Und in Afrika ist der bedürfnislose und darum indolente Neger mit der Zeit eifrig und regsam geworden, und wir erleben es zur Zeit der Ernte, dass Arbeitsleistungen auf den Pflanzungen und in den Faktoreien verrichtet werden, die nicht nur an europäische Tätigkeit heranreichen, sondern diese vielfach übertreffen.“167
Industrie und Werkstätten Seit der Jahrhundertwende hatten die Missionsindustrien in Indien mit Absatzproblemen zu kämpfen.168 Diese Probleme wurden mitunter mit der wachsenden lokalen aber auch globalen Konkurrenz auf den kolonialen Absatzmärkten in Süd- und Südostasien sowie Afrika begründet.169 Zur lokalen Konkurrenz gehörten neben zahlreichen teilweise von Einheimischen betriebenen Ziegelfabriken170 auch Webe164 Brugger, Traugott: Ein Tag in der Missions-Faktorei in Akra, in: Der evangelische Heidenbote, Oktober 1906, 78. 165 ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel vom 9. Juni 1887, Art. 2. 166 Vgl. Osterhammel, Great Work (2005), 371. 167 Mitteilungen über Handel und Industrie in der Basler Mission, 1912, 13; vgl. Kap. 2.5. 168 Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 25. Januar 1900; 19. Februar 1901; Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 8; 1908, 11 169 Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juni 1900; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913, 10. Zu den sich ausdehnenden Absatzgebieten vgl. Jahresbericht der Handlungskommission 1907, 12 f.; Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 289. 170 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1902, 10.
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reien amerikanischer und britischer Missionsgesellschaften171 was für den Vorbildcharakter der Missionsindustrie als Missionsprojekt sprach. Anfangs des 20. Jahrhunderts entstand in Indien die Swadeshi-Bewegung, die im Sinne eines anti-kolonialen Programms ökonomische Selbständigkeit und eine Stärkung der indischen Industrieproduktion propagierte.172 Die damit einhergehenden Boykotte ausländischer Waren wirkte sich positiv auf die Missions-Handlungs-Gesellschaft aus. Sie wurde mehrheitlich als einheimische Produzentin betrachtet und profitierte zusammen mit den einheimischen Betrieben vom Wegfall der ausländischen Konkurrenz.173 Als Neuerung eröffnete sie Missions-Handlungs-Gesellschaft 1905 eine Stickereischule in Calicut.174 Auch die Entwicklung der Werkstätte in Afrika stagnierte.175 1903 vermeldete die Werkstätte in Christiansborg gar, es falle schwer, genügend Lehrlinge zu finden, da in den Goldminen und anderswo attraktivere Arbeitsplätze angeboten würden.176 1909 scheint sich die Lage, trotz neuer Konkurrenz durch eine von der Regierung gegründete Technikerschule in Accra, wieder gebessert zu haben: „Je mehr die Neger fortschreiten in allgemeiner Bildung, desto mehr lernen sie den Wert einer gründlichen, gewissenhaften Ausbildung in irgendeinem Handwerk erkennen und schätzen [...]“177 Die Tätigkeit blieb weiterhin auf die Belieferung der Mission und Missions-Handlungs-Gesellschaft ausgerichtet – sei es im Wagenbau oder im Bauwesen, wo die Werkstatt Versuche mit eigenen Ziegeln und dem Bau von Wasserpumpen unternahm.178 Direkt gemeinnützige Aktivitäten von Industrie und Werkstätten Die direkt gemeinnützigen Tätigkeiten der Missionsindustrie und -werkstatt bestanden traditionell aus einem Beschäftigungs- bzw. Arbeitsbeschaffungsprogramm für mittellose Christen in Indien, Erziehungs- und Ausbildungsarbeit und direkter Missionsarbeit. Die Erfolge des Beschäftigungsprogramms im neuen Jahrhundert lassen sich einfach quantifizieren: Im Jahr 1900 arbeiteten in der indischen Missionsindustrie rund 2500 Personen. Davon waren circa 2100 Mitglieder der Missionsgemeinden und rund 400 „Katholiken u. Heiden“.179 Damit beschäftigten die Missionsindustrien einen beträchtlichen Anteil von knapp 15 Prozent der Gemeindeglie171 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission 23. Januar 1902. Insgesamt sollen vor dem Ersten Weltkrieg allein in Mangole über dreissig Ziegelfabriken im Betrieb gewesen sein. (Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 288.) 172 Vgl. Sames, Swadeshi (1998). 173 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1905, 13 f.; vgl. Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 278 f. 174 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 295. 175 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 176 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. März 1903; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1903, 8. 177 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1909, 11. 178 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 169. 179 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1900, 4.
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der (Kinder und Alte eingerechnet).180 Bis Ende 1913 stiegen diese Zahlen auf rund 3600 Angestellte, davon rund 2700 Gemeindeglieder (14 Prozent aller Gemeindeglieder).181 Insgesamt verlor das Ziel der Beschäftigung möglichst vieler Christen, wie oben dargestellt, an Bedeutung.182 Umso mehr wurden die „zivilisatorischen“ Ziele hervorgehoben. Weiterhin verstanden die Industriemissionare unter „zivilisatorischer“ Entwicklungsarbeit eine Art Erziehungsarbeit mit dem Ziel, den Missionierten über die Arbeit in den Fabriken ein christlich-abendländisch geprägtes Arbeitsethos zu vermitteln. Über diese allgemeine Beeinflussung hinaus leisteten die Betriebe der Missionsindustrie in Indien weiterhin vielfältige Ausbildungsarbeit.183 Positiv können auch bezüglich dieser Phase die Bemühungen der afrikanischen Missionswerkstatt in der Lehrlingsausbildung gewertet werden. Nach Abschluss ihrer Ausbildung waren die Lehrabgänger offenbar „an allen westafrikanischen Küstenplätzen [...] wegen ihrer Brauchbarkeit geschätzt“.184 Dieser Erfolg konnte aber auch die Organisatoren selbst irritieren: „Der Weg zur Meisterschaft und Unabhängigkeit ist in Afrika eben leichter als in Indien.“185 vermerkte Duisberg zur Lehrlingsausbildung in Afrika, und es wird nicht ganz klar, ob er dies wehmütig oder hoffnungsvoll meinte. Der Aufbau und der Betrieb der Industrien bewirkten zudem einen (passiven) Technologietransfer, der besonders in der Zeit nach 1900 auf fruchtbaren Boden fiel. Insbesondere traf dies auf die Ziegeleien zu. Mit Bezug auf die Swadeshi-Bewegung hielt der Jahresbericht für 1906 stolz fest: „Die vielen Ziegeleien von Eingeborenen in Mangalur und im südlichen Malabar sind alle später als unsere Etablissements entstanden und haben sich unsere Produktionsweise zum Muster genommen.“186 Daneben versuchten die Missionsindustrien und Werkstätten, auch im neuen Jahrhundert ihren Beitrag zur Missionsarbeit zu leisten. Auf diese Weise werde „die Zahl der Missionsarbeiter vermehrt, ohne dass auch zugleich die Ausgaben der Missionskasse vermehrt werden.“187 Die unterschiedlichen gemeinnützigen Tätigkeiten vom Beschäftigungsprogramm über „zivilisatorische“ Bemühungen bis hin zur eigentlichen Mission entsprach einem weiter bestehenden Ideal von umfassender Mission, wie es Missionar Mall 1908 in einem Artikel im „Evangelischen Heidenboten“ erläutert: „Nun was durch unsere Missionsziegeleien bezweckt werden soll, ist, gerade diese armen, geringen, aus den Heiden gewonnenen Glieder Christi zu speisen, zu tränken und zu kleiden und uns ihrer in Liebe anzunehmen. [...] Dabei ist aber dieses ebenfalls ganz gewiss, dass es sich nicht nur um das leibliche Wohlergehen unserer Arbeiter handelt, [...] sondern auch für 180 Jahresbericht der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel 1900, 97. 181 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913, 6; Jahresbericht der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel 1913, 180. 182 Siehe Kap. 4.1. 183 Vgl. Duisberg, Wilhelm, Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 31 f.; Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1906, 11. 184 Mitteilungen über Handel und Industrie, 1912, 8; vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 169 f. 185 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 36. 186 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1906, 11. 187 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 25.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914) die Seelen soll gesorgt werden. Diese schwachen Glieder Christi sollen zur Arbeit, zum Fleiss, zur Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Tugend e r z o g e n werden. Die christlichen Arbeiter in unsern Ziegeleien sollen nicht nur darum sich bemühen, dass ihre Ziegel gut werden, sondern sie selber sollen auch gut werden, sollen dazu kommen, das ihnen anklebende heidnische Wesen durch die Kraft von oben abzulegen und dagegen das neue Wesen des Geistes Christi anzuziehen.“188
Soweit die positive Eigendarstellung. Daneben gab es auch kritische Stimmen, die den harschen Umgang mit den Arbeitern in der Missionsindustrie kritisierten und am missionarischen Nutzen des ganzen Unterfangens zweifelten. Eine weit gestreute Kritik verfasste der später als Schriftssteller bekannt gewordene Waldemar Bonsels, der nach zwei Jahren Dienst als Missionskaufmann in Indien die Missions-Handlungs-Gesellschaft enttäuscht verliess. Bonsels schätzte nicht nur die direkt gemeinnützige Wirkung der Missionsindustrie gering ein, sondern verneinte auch ihren delegiert gemeinnützigen Nutzen: „Eine einzige Rs.“, kolpotiert er die Aussage eines „alten Mangaloer Missionars“, „die in unseren Industrien auf eine Art verdient wird, die uns nur in den leisesten Widerspruch mit unseren eigentlichen Missionsabsichten bringt, kann mehr Schaden anrichten, als 1000 Rs. Nutzen bringen, die aus der Heimat gesandt werden.“189 Das Geldverdienen (auch in gemeinnütziger Absicht) führe zu einer falschen und negativen Wahrnehmung der Mission. Dies zeige sich etwa im unter den Indern kursierenden Spruch: „Die Missionare in Mangalore wollen nicht Wasser zur Taufe, sondern Hindus zum Wassertragen.“190 4.4 PERSONAL Handlungskommission, Geschäftsleitung und Verwaltung Die Unternehmensführung in Basel erfuhr in den Jahren nach 1900 eine weitere Professionalisierung. Verschiedene Wechsel in der Unternehmensleitung liessen das ehrenamtliche Element zurücktreten: Anfangs 1902 starb Heinrich Pfisterer auf dem Heimweg von einer Sitzung der Handlungskommission. Er hatte die Geschicke der Missions-Handlungs-Gesellschaft für beinahe ein Vierteljahrhundert mitgeprägt. Seine Stelle blieb vorerst unbesetzt.191 1909 starb mit Theodor Sarasin ein weiteres langjähriges Kommissionsmitglied. Sein Nachfolger wurde Missionsinspektor Frohnmeyer, womit neu zwei Vertreter der Basler Mission in der Handlungs188 Mall, D.: Basler Missionsziegel, in: Der evangelische Heidenbote, Juli 1908, 50 f. [Hervorhebung im Original.] 189 Bonsels, Waldemar: Mein Austritt aus der Basler Missions-Industrie und seine Gründe, München 1904, 6. 190 Bonsels, Waldemar: Mein Austritt aus der Basler Missions-Industrie und seine Gründe, München 1904, 12. 191 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 20. März 1902. Die Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft legten die Grösse der Kommission auf fünf bis sechs Mitglieder fest, was es der Kommission ermöglichte, vorläufig keinen Ersatz für Pfisterer zu suchen. (Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft von 1887.)
4.4 Personal
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kommission vertreten waren.192 Die Idee, mit dem Bankier Karl Zahn wieder eine Person aus dem Basler Unternehmertum zu rekrutieren, verlief 1910 im Sand.193 1913 wurde die Handlungskommission schliesslich um Anton Schaeffer als „Delegierten der Geschäftsleitung“ ergänzt.194 Während Frohnmeyer primär für eine Annäherung an die Mission stand, wurde Schaeffer als erfahrener Manager von aussen angeworben. Mit ihm trat erstmals eine Person in die Leitung der Missions-Handlung ein, die bis dahin keinerlei Verbindung zum Unternehmen oder der Mission hatte und primär auf Grund seines Know-hows als Manager im Textilgeschäft in die Geschäftsleitung und Handlungskommission berufen wurde.195 Kurz darauf trat Schaeffer allerdings auch dem Missionskomitee bei und gehörte damit bald auch zum innersten Kreis der Basler Mission. Vor dem Ersten Weltkrieg waren damit alle Mitglieder der Handlungskommission ausser dem Präsidenten Preiswerk gleichzeitig Angestellte der Missions-Handlungs-Gesellschaft oder der Basler Mission. Die sich bereits in den 1890er Jahren abzeichnende Professionalisierung des Managements hatte damit (bis auf die Position des Komissionspräsidenten) ihren Abschluss gefunden. Der Unternehmenshistoriker Alfred D. Chandler hat dem allerorten sich etablierenden professionellen Management den prägnanten Namen „The Visible Hand“ gegeben. Demnach entstanden im Gefolge neuer Kommunikations-, Transport- und Produktionstechniken relativ unübersichtliche Grossunternehmen. In diesen übernahmen immer mehr professionelle, aber finanziell unbeteiligte Manager Allokations-Entscheide, die bislang ausserhalb des Unternehmens im freien Markt geregelt worden waren.196 In Martin Binhammer, der zuerst als Leiter der Geschäfte vor Ort in Afrika und später als Manager in Basel Führungsfunktionen übernahm,197 können wir einen selbstbewussten Vertreter dieser neuen Manager erkennen. Diese Gruppe hatte ihr eigenes Interesse am Bestehen des Unternehmens. Wie etwa Binhammers Engagement in der „Handlungsfrage“ zeigt, ging es ihm bei seiner Intervention nicht primär um das Erwirtschaften eines Gewinns oder andere (etwa religiöse) Ziele, sondern vor allem um den Erhalt des Unternehmens an und für sich. Mit der Professionalisierung der Unternehmensführung verloren die Sitzungen der Handlungskommission an Bedeutung. Diese Tendenz zeigt sich unter anderem darin, dass ab 1906 bis auf eine Ausnahme jeweils nur noch eine statt der bislang üblichen drei bis vier Kommissionssitzungen pro Jahr stattfanden.198 Offenbar wurde ein Grossteil der Entscheide von der Geschäftsführung getroffen. Unklar ist, inwieweit die beiden Vertreter der Mission weiter in die Entscheidungen involviert waren und welche Rolle Preiswerk, der Präsident der Handlungskommission, als letztes ehrenamtliches Mitglied der Handlungskommission spielte. Auf den ersten Blick scheint seine Bedeutung mit den selten gewordenen Sitzungen der Handlungskommission abgenommen zu haben. Die aktive Einflussnahme im Zusam192 193 194 195 196 197 198
Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1909, 9. Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Juni 1910. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1913. Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 30. Mai 1913. Chandler, Visible Hand (1977). Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Vgl. ABM/UTC 4573.
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menhang mit der „Handlungsfrage“ und der Kapitalerhöhung von 1912 weisen aber in die andere Richtung: Preiswerk zeigte sich stets gut informiert und aktiv beteiligt. Allem Anschein nach gelang es ihm, die Fäden in der Hand zu behalten.199 Bezüglich der Motive innerhalb der obersten Leitung kann man nun drei Gruppen unterscheiden: Erstens die Ehrenamtlichen, zu denen zum Schluss nur noch Wilhelm Preiswerk gehörte. Bei ihm kann weiterhin von einer grundsätzlich moralisch-religiösen Motivation ausgegangen werden. Sein engagiertes Vorgehen in der „Handlungsfrage“ weist auf ein zusätzliches Motiv hin: eine persönliche Verbundenheit mit dem Unternehmen. Der Erhalt des Unternehmens an und für sich scheint ihm ein persönliches Anliegen geworden zu sein. Eine zweite Gruppe bildeten die Vertreter der Mission, die von Amts wegen Mitglieder der Handlungskommission waren. Ihnen war wohl vor allem daran gelegen, die Interessen der Mission so gut wie möglich zu vertreten. Eine letzte Gruppe setzte sich aus denjenigen Mitgliedern der Handlungskommission zusammen, die zugleich Angestellte der MissionsHandlungsGesellschaft waren (Pfleiderer, Müller und Schaeffer). Auch sie waren grundsätzlich Kraft ihres Amtes in der Handlungskommission vertreten. Ihr spezieller Ansporn dürfte neben allfälligen religiösen und altruistischen Motiven (die zumindest für Pfleiderer und Müller als ehemalige Missionskaufleute nahe liegen), ähnlich wie bei Preiswerk, im Erhalt des Unternehmens an und für sich gelegen haben. Aus diesen Überlegungen heraus wird der Ausgang der „Handlungsfrage“ erklärlicher: Den aus moralischer und religiöser Perspektive berechtigten Forderungen nach einem Verzicht auf die Preisabsprachen und einem angemessenen Platz des direkt gemeinnützigen Engagements stand für die Geschäftsführung (neben dem Blick auf die delegiert gemeinnützigen Zahlungen) ein starkes Interesse am Erhalt und Fortbestand des Unternehmens an sich gegenüber. Parallel zur Professionalisierung der Handlungskommission kam es nach 1900 zu einem raschen Ausbau des mittleren Managements und der gesamten Verwaltung in Basel. Die Zahl der in den Jahresberichten aufgeführten Mitarbeiter des mittleren und oberen Kaders (inklusive Geschäftsführer und Delegierten des Verwaltungsrats) stieg von 1900 bis 1913 von drei auf 14. Bis auf wenige Ausnahmen handelte es sich dabei um ehemalige Missionskaufleute200, deren religiöser Idealismus wohl auch in der neuen Stellung wirksam blieb. Dazu kamen mehrere Bürohilfen.201 Das Wachstum der Verwaltung in Basel lässt sich auch anhand deren Gesamtkosten zeigen: Diese Kosten für „Bureauspesen, Courtage, Porti, Stempel, Telegramme, Telephon, Steuern, Reisen Saläre [und] Hausreparaturen“ stiegen von 199 Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die weiter oben zitierten „Spaziergänge“ mit Binhammer, während denen strategische Fragen gewälzt wurden. (Zum Gedächtnis an Martin Binhammer, geboren 27. November 1876, gestorben 5. Februar 1947, [Basel] 1947, 19.) 200 Vgl. dazu die Angaben in Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913, 2; sowie ABM/UTC 4721: Personalia I. Bei den Ausnahmen handelte es sich um den schon mehrfach erwähnten Anton Schaeffer als Delegierten der Handlungskommission, zwei technische Mitarbeiter, sowie Personalchef G. Josenhans-Riehm, der bis 1913 als Missionar an der Goldküste gearbeitet hatte. 201 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Im Jahresbericht von 1899 werden ausnahmsweise zwei „Comisse“ erwähnt, deren Anzahl wohl entsprechend dem Anstieg der vorgesetzten Mitarbeiter angestiegen ist.
4.4 Personal
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1900 bis 1913 von rund 33 000 Franken um mehr als das Fünffache auf über 170 000 Franken (gleichzeitig vervierfachten sich Bilanzsumme und Jahresgewinn).202 Missionskaufleute und Industriebrüder Auch der Stab der europäischen Missionskaufleute in Afrika und Indien vergrösserte sich mit dem Wachstum der Geschäfte. Zwischen 1900 und 1913 stieg der Bestand von 19 auf 67. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der europäischen Industriebrüder in Indien und Afrika von 16 auf 26.203 Insgesamt arbeiteten somit vor dem Ersten Weltkrieg über neunzig europäische Mitarbeiter in den Betrieben der MissionsHandlung in Übersee. Weiterhin fiel es schwer, genügend europäisches Personal für die wachsenden Geschäfte zu finden.204 Wenigstens nahm die Mortalität unter den europäischen Kaufleuten in Übersee dank der Fortschritte der Tropenmedizin deutlich ab.205 Die Diskussion der „Handlungsfrage“206 führte ab 1906 zu einer breiten, vom Missionskomitee angeführten Auseinandersetzung um die richtige Anstellung und Behandlung der Missionskaufleute, die sich im „Verwilligungssystem“207 der Missions-Handlungs-Gesellschaft bis anhin mehr oder weniger kostenlos zur Verfügung gestellt hatten. Binhammer kritisierte anfangs 1906 in seinem bereits mehrfach zitierten Schreiben nach Basel, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit dem „Verwilligungssystem“ falsche Anreize setzte. Die Missions-Handlung präsentiere sich in der Heimat fälschlicherweise als ein vornehmlich missionarisches und direkt gemeinnütziges Unternehmen, was entsprechend religiös motivierte Mitarbeiter anziehe. Umso schlimmer sei für die ehrlich christlich gesinnten Kaufleuten die Ernüchterung (eine Ernüchterung wie wir sie bereits aus Ernst Preiswerks Briefen aus den 1870er Jahren kennen)208 beim Antritt der Arbeit in Afrika: „Der Kontrast, der zwischen der Art der Aussendung & der Arbeitsweise hier existiert, muss jedem Denkenden zu denken geben, muss ihn wenn er fern von Gefühlsduselei & ein Wahrheitssucher ist, dem es nicht auf den Schein sondern auf das Sein ankommt, dahin führen, dass er sich sagt: Missionar das bin ich nicht, darunter verstehe ich etwas viel Höheres & Tieferes, etwas ganz anderes als Kakao & Palmöl einkaufen, sich den ganzen Tag, müde im Geschäft zu springen, zu jagen nach Erfolg & Gewinn.“209 202 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 203 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 204 Vgl. dazu zum Beispiel die Aufrufe in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1901, 7; 1906, 11. 205 Vgl. ABM/UTC 4721: Personalia I. Zu den Biographien der doch zwölf zwischen 1900 und 1914 verstorbenen Mitarbeiter vgl. den Anhang „In memoriam“ in Wanner, Basler HandelsGesellschaft (1959), 526–529. Vgl. Jenkins, Basler Mission (1989), 14; 16. 206 Siehe Kap. 4.1. 207 Also von der Geschäftsleitung individuell bestimmten Beiträge an den Lebensunterhalt. (Vgl. Kap. 2.6.) 208 Siehe Kap. 2.5 und 2.7. 209 ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 2 f. [Unterstreichung im Original] Zu Ernst Preiswerks unerfüllten Erwartungen siehe die Ausführungen am Schluss von Kap. 2.6.
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Folglich müsse die vor einiger Zeit an ihn gerichtete Frage, wie die Missionskaufleute Befriedigung in ihrer Arbeit finden könnten, mit einem Verweis auf die delegiert gemeinnützigen Zahlungen beantwortet werden. Die Befriedigung liege „[...] allerdings nicht darin, dass sie Missionare betitelt werden, was mit der Wirklichkeit und Wahrheit in Widerspruch steht, aber darin dass sie sich als Kaufleute fühlen & als solche zum besten der Missionscasse arbeiten. [...] Daraus folgert von selbst, dass unsere Factoreien im eigentlichen Sinn des Wortes keine Missionsfactoreien sind, sondern Geschäfte zum besten der Mission & ich denke wir haben allen Grund dankbar zu sein, dass sie doch das sind.“210
Verschärft würde das Problem der falschen religiösen Anreize durch den chronischen Personalmangel, was dazu geführt habe, dass unfähige Kaufleute, die sich vordergründig als Christen verkauften, aufgenommen worden seien.211 Die doppelten religiösen und beruflichen Anforderungen, die die Handlungskommission seit der Gründung an ihre Mitarbeiter gestellt hatte, sieht er als Irrweg: „Die ideele [also der direkten Missionsarbeit verpflichtete] Verfassung bedingt in erster Linie Arbeitskräfte, die auf diesem Boden stehen & sie nicht bloss zur Schau tragen. Sie müssen [aber] zugleich mit bedeutenden Fähigkeiten ausgerüstet sein, um den Anforderungen, die unsre Arbeit stellt, genügen zu können. Und Leute von dem Schlag haben sie nicht, auch nie gehabt – Ausnahmen zugegeben – und ob Sie sie in der Zahl, wie sie heute nötig sind, je bekommen werden, glaube ich, gestützt auf meine 16jährige Erfahrung, nimmer. Leute, die nur fromm & gut sind, das wissen Sie selbst, taugen nicht für die hiesige Arbeit.“212
Anstelle von primär religiös motivierten Mitarbeitern, die oftmals nur durch „Eigendünkel, äusseres Glänzen und Strebertum“ auffallen, forderte Binhammer Mitarbeiter, die ihre „persönliche Verantwortung“ wahrnehmen. Es ging ihm um einen Wandel von einer unbestimmten, womöglich religiös konnotierten zu einer persönlichen und einlösbaren Verantwortung: „Sie [die persönliche Verantwortung] war seither ein blosses Geschwätz & konnte keinen Eindruck hervorrufen. Sie muss so angewandt werden, dass sie dem Einzelnen spürbar & fühlbar wird.“213 Wie sich ein solcher Paradigmenwechsel vollziehen liesse, lag für Binhammer auf der Hand: „Dass mit all dem Gesagten eins Hand in Hand gehen muss, wird sich auch ihnen aufgedrängt haben. Es ist die Besserstellung oder Sicherstellung Ihrer Angestellten. Wenn sie auch hier aussen nicht [an der Bezahlung] zu rütteln wagen sollten – ich bin selbst nicht dafür, ausser dass den Agenten ein Extrazuschuss ausgesetzt wird – so doch zu Hause & und zwar in Form einer fixen Rücklage oder Pension gemäss der Stellung des Einzelnen.“214
Zusätzlich zu den bisherigen „Verwilligungen“ sollte eine Art Altersvorsorge aufgebaut werden. Es ging um die Äufnung eines Startkapitals für die berufliche Zukunft nach der Zeit bei der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Den damit verbundenen Bruch mit der traditionellen Gleichbehandlung mit den Missionaren begründete Binhammer mit zweierlei Unterschieden zu den Missionaren:
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ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 3. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 2. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 4. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 5. ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 5 f.
4.4 Personal
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„Wo selbst die Missionare diesen Mangel empfinden & es aussprechen: ein Arbeiter ist seines Lohnes wert, ihm sollte werden, was recht ist – und nicht mit Gnadengaben sollte er abgespeist werden, wie viel mehr wir Kaufleute! Wir, die wir das Geld verdienen & nicht von Missionsgaben abhängig sind! Es liegt in der Behandlung der Kaufleute eine gewisse Ungerechtigkeit, welcher Tatsache bei richtigem Hinsehen auch Sie sich nicht verschliessen können. Und dann beim Kaufmann machts nicht der Kopf allein. Will er nach den Zufälligkeiten, denen das Leben hier ausgesetzt ist, sich zu Hause eine selbständige Stellung erringen, um nicht auf der Schreibstube ein armseliges Leben fristen zu müssen & das ist keinem zu verargen, der hier in Stellung war – muss er mindestens über ein kleines Kapital verfügen, das es ihm ermöglicht etwas anzufangen oder irgendwo einspringen zu können.“215
Unklar ist, inwieweit Binhammers Vorschlag nur eine Forderung nach mehr kaufmännischer Effizienz war oder ob dahinter auch ein Bedürfnis nach einer besseren Bezahlung steckte. Die Missionskaufleute als „Laienbrüder“ hätten sich wohl gescheut, eine solche Forderung direkt zu stellen, was aber nicht bedeutet, dass sie diese, einmal ausgesprochen, nicht doch willkommen hiessen. Wahrscheinlich ging es Binhammer aber vor allem um Effizienz und die Schaffung klarer Verhältnisse. Die Vermischung von Mission und Handel, auch im Personalbereich, konnte eben immer noch irritieren. Damit befand sich Binhammer mit Schott in bester Gesellschaft. Auch wenn sich das Missionskomitee vorläufig nicht mit Binhammers Vorschlägen einverstanden erklärte,216 besass seine Stimme soviel Gewicht, dass verschiedene Mitarbeiter und Missionare nach ihrer Meinung befragt wurden. Die Umfrage ergab ein heterogenes Bild: Während viele nichts von einer Neuordnung der Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen Distanzierung zwischen Mission und Handlung wissen wollten,217 unterstützten manche Binhammers Forderungen nach einer besseren Bezahlung. Insbesondere das bereits aus der Anfangszeit bekannte Argument, die Missionskaufleute bräuchten eine Art Altersvorsorge, fand Anklang.218 J. P. Werner, der Agent der Missions-Handlungs-Gesellschaft in London, begründete sein Votum für die Schaffung einer vom Arbeitgeber mitfinanzierten Altersvorsorge mit der problematischen Motivationsstruktur der Missionskaufleute, die „[...] zum Teil sich ganz aufs Geschäft beschränken und in ihrer Arbeit nicht ganz dieselbe innere Befriedigung finden, die der Missionar in seiner geistlichen Arbeit hat [...].“219 Eine Art Pensionskasse sei demgemäss gerechtfertigt und biete sich vor allem deshalb an, weil die Schaffung eines gewöhnlichen Lohnverhältnisses als „[...] Störung des brüderlichen Verhältnisses zwischen den beiden Arten des Missionsberufs empfunden würde [...].“220 215 ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Brief an Basel, 25. Januar 1906, 6. 216 ABM Q-1: Komiteeprotokoll vom 28. März 1906, § 316. 217 Insbesondere ABM/UTC 4105: Fincke, Hermann: Votum zu Br. Binhammers Bericht vom 25. Jan. 06, 6. März 1906 und ABM/UTC 4105: Jaeger, Gotthilf: Brief an den Missionsinspektor, 16. September 1906; ABM/UTC 4105: Götz, Johannes: Brief an C. Pfleiderer, 14. Oktober 1906. 218 So der Geschäftsführer Pfleiderer und der Agent der MissionsHandlungsGesellschaft in London, J. P. Werner. (ABM/UTC 4105: Pfleiderer, Carl: Gutachten zu Br. Binhammers Bericht, [undat., wohl März 1906]; ABM/UTC 4105: Werner (London): Brief an Basel, 17. März 1906.) 219 ABM/UTC 4105: Werner (London): Brief an Basel, 17. März 1906. 220 ABM/UTC 4105: Werner (London): Brief an Basel, 17. März 1906. Offenbar zeigte sich Wer-
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Es ging aber nicht nur um unterschiedliche Befriedigung in der Arbeit, sondern – auf einer handfesteren Ebene – auch um die berufliche Zukunft nach der Rückkehr aus Übersee. Bereits der Vater des ersten Missionskaufmanns Pfleiderer hatte das Problem thematisiert, dass die Kaufleute anders als die Missionare, die im Alter leicht eine Arbeit als Pfarrer fänden, schlecht abgesichert seien.221 So forderte Traugott Brugger die Schaffung von zusätzlichen Missionsbetrieben in Europa nach dem Vorbild der Brüdergemeine, die die älteren Kaufleute beschäftigen könnten.222 In eine ähnliche Richtung gingen die Vorschläge einer Konferenz im Oktober 1906 mit acht in der Heimat weilenden Goldküstenmissionaren, den Missionskaufleuten Brugger und Binhammer sowie einem der Missionsinspektoren. Zusätzlich zur Idee einer Pension oder Abschiedsgratifikation, die den Missionskaufleute nach dem Austritt aus der Mission einen beruflichen Neuanfang ermöglichen sollte, wurde nun auch eine Erhöhung der „Verwilligungen“ während der Heimaturlaube vorgeschlagen.223 Auch Missionskaufmann Fincke, einer der erbittertesten Kritiker Binhammers, der grundsätzlich am bisherigen System festhalten wollte, anerkannte den altbekannten Zwiespalt der Missionskaufleute. „Unser System krankt in der That. Manche unserer Brüder können nicht recht befriedigt sein.“224 Er wollte das Ungleichgewicht zwischen religiöser Motivierung und geschäftlicher Realität aber nicht mit Hilfe eines Gehalts entschärfen. Die Lösung lag für ihn darin, die Missionskaufleute daran zu erinnern, „[...] dass der Zweck der Missions Handlungs Gesellschaft ein idealer ist. Die Missionare sollen in den Kaufleuten Handlanger am Werk haben & in das sittenlose Treiben der Europäer an der Küste soll durch unsere Factoreien ein christlicher Ton gebracht werden. In irgendeiner Weise mitzuarbeiten am Bau des Reiches Gottes ist eine ideale Aufgabe, die eine ideale Berufsauffassung voraussetzt. Unsere Kaufleute draussen, wenigstens die führenden, müssen in ihrem inneren Leben zur Reife gelangt sein, welche sie zu dem Entschluss befähigt: um Jesu willen bin ich bereit, nicht mehr nur meinen eignen Vortheil in der Welt zu suchen, sondern mein Bestes daran zu setzen wahre Civilisation nach Westafrika zu bringen.“225
Genau jene Tätigkeiten, die im Rahmen dieser Untersuchung als direkt gemeinnützig bezeichnet werden, sollten wieder ins Zentrum der Tätigkeit der Missionskaufleute rücken. Ganz ähnlich äusserte sich etwas später unter Berufung auf Fincke
221 222
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ner auch dazu bereit, selbst zu einer solchen Pensionskasse für die Missionskaufleute beizutragen. Die Handlungskommission antwortete ihm, dass nicht die Finanzierung selbst das Problem sei und empfahl ihm, wenn er spenden wolle, direkt die Basler Mission zu unterstützen. (ABM/UTC 4753: Sitzung der Handlungskommission vom 22. Mai 1906.) Siehe Kap. 2.6. ABM/UTC 4105: Brugger, Traugott: Votum zu Br. Binhammers Bericht vom 25. Januar 1906, [undatiert, wohl März 1906]. Die Herrnhuter Brüdergemeine betrieb nicht nur in ihren Missionsgebieten, sondern auch in ihren Heimatgebieten gewerbliche und kaufmännische Unternehmen. (Homburg, Herrnhuter Brüdergemeine (2008), 54 f.) ABM Q-1: Komiteesitzung vom 27. Oktober 1906. ABM/UTC 4105: Fincke, Hermann: Votum zu Br. Binhammers Bericht vom 25. Jan. 06, 6. März 1906, 1. ABM/UTC 4105: Fincke, Hermann: Votum zu Br. Binhammers Bericht vom 25. Jan. 06, 6. März 1906, 2.
4.4 Personal
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auch Missionsinspektor Oehler. Die Missionswirkung der Handlung liege in der immer wieder bemühten Vorbildfunktion: „[...] das grosse Ziel eines Missionskaufmanns [bestehe] darin, sich draussen in der heidnischen und Gott-entfremdeten Welt durch den Wandel als ein Christ zu beweisen. Das Komitee mache keine weiteren Ansprüche auf direkte Missionstätigkeit der Handlungsbrüder, aber wenn sie in der von Fincke bezeichneten Weise gesinnt seien, werde ein heilsamer Einfluss von ihnen auf die christliche & heidnische Umgebung ausgehen.“226
Eine weitere Konferenz in dieser Sache wurde unter den Missionskaufleuten an der Goldküste abgehalten. Diese unterstützten die Forderung ihrer in der Heimat weilenden Kollegen nach einer Schlussgratifikation und speziellen „Verwilligungen“ während des Heimaturlaubs, was aber nichts an der Stellung der Missionskaufleute als vollwertige Mitglieder des Missionsverbands ändern sollte. In diesem Sinne forderten sie gleichzeitig – nun wieder ganz im Sinne Fincks – eine bessere Ausbildung, die Möglichkeit zum Erlernen der Landessprache und „mehr Rücksichtnahme auf die geistigen Bedürfnisse der Kaufleute“. Ausserdem sollten die Kaufleute vor ihrer Aussendung besser über ihre Arbeit informiert werden.227 Bei letzterem Punkt ging es um das Verhindern von Enttäuschungen im Zusammenhang mit dem hinlänglich bekannten Widerspruch zwischen direkt gemeinnütziger Motivation und delegiert gemeinnütziger Praxis. Das Missionskomitee, welches letztlich über diese Personalangelegenheit zu entscheiden hatte, sah sich nach Abschluss der Befragungen mit folgenden Varianten konfrontiert: (1) Dem Vorschlag Binhammers, finanzielle Anreize an die Stelle der unerfüllten Hoffnungen auf religiös-idealistische Betätigung zu setzen, (2) dem Vorschlag Finckes, den Wunsch nach „innerer Befriedigung“ dadurch zu erfüllen, dass die Missions-Handlung nahe bei der Mission verbliebe und die Missionskaufleute vermehrt Gelegenheit zu direkt gemeinnütziger Tätigkeit erhielten; und (3) dem Vorschlag der Missionskaufleute an der Goldküste, das Problem von beiden Seiten gleichzeitig anzupacken, im Übrigen aber nichts an der Stellung der Missionskaufleute zu ändern. Das Missionskomitee sah zum Schluss allerdings gar keinen Handlungsbedarf und entschloss sich, vorläufig nichts zu ändern.228 Damit lag es noch am ehesten auf Finckes Linie. In einem Brief an die Kaufleute an der Goldküste wurde einleitend festgehalten: „Das Komitee und Handlungskommission halten nach wie vor den Standpunkt fest, dass Sie im Dienst der Mission stehen und um der Mission willen in der Handlung in Afrika arbeiten und also auch dem Brüderkreis auf der Goldküste angehören.“229 In kaum verdeckter Kritik an der Anspruchshaltung einzelner Missionskaufleute schloss das Schreiben mit folgendem Plädoyer für das „Verwilligungssystem“, welches eben nicht nur auf Vertrauen gegenüber den Vorgesetzten in Basel, sondern ebenso auf Vertrauen gegenüber Gott beruhe: 226 227 228 229
ABM Q-1: Komiteesitzung vom 28. März 1906, § 315. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 21. November 1906, § 1092. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 21. November 1906, § 1092. ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: An die Brüder im Dienst der Missionshandlung auf der Goldküste, 27. November 1906, 1.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914) „Und liegen denn Erfahrungen vor, die Sie nötigen, statt wie bisher der Leitung der Handlung, beziehungsweise dem Komitee, das Zutrauen zu schenken, [...] Garantien für Ihre Zukunft zu verlangen? Wo ist denn der verdiente Missionskaufmann, der nun darbt, weil man sich seiner Verpflichtungen gegen ihn nicht bewusst blieb? [...] Ich hoffe, dass es nicht missverstanden wird, wenn ich darauf hinweise, dass seit einiger Zeit, allerdings nicht bloss unter Ihnen, sondern auch unter anderen Brüdern, sich eine Neigung zeigt, statt im Glauben seine Zukunft in Gottes Hand zu legen, materielle Garantien zu suchen. Sie ist begreiflich, weil sie menschlich ist, aber natürlich-menschlich. Aber sie ist nicht dem Glauben gemäss. Und das führt noch auf einen prinzipiellen Grund, warum das Komitee auf die Vorschläge nicht eingehen kann. Es will die alte Glaubensgrundlage unserer Mission auch für die Brüder von der Handlung festhalten. Wenn sie die Sache von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so werden sie vielleicht gerne dem Komitee zustimmen und sich mit ihm auf den Boden des Glaubens stellen.“230
Im Übrigen zeigte das Missionskomitee doch einiges Verständnis für die unbefriedigende Situation der Missionskaufleute, verwahrte sich aber dagegen, dass die Schuld dafür bei der Leitung in Basel liege. Die Missionskaufleute seien stets offen über ihre zukünftige Tätigkeit informiert worden. Die Pflege des eigenen „geistigen Lebens“ sei ausserdem in erster Linie Sache des einzelnen Missionskaufmanns selbst. Lediglich in Bezug auf das Erlernen des Englischen sowie der einheimischen Landessprachen, räumte das Missionskomitee ein, dass seitens der Mission und Handlung mehr getan werden könnte.231 Damit schien die Angelegenheit vorerst entschieden. Vorerst. Schon bald zeigte sich nämlich, dass das Problem der unzufriedenen Mitarbeiter mit Worten allein nicht gelöst werden konnte. Das hatte auch damit zu tun, dass die anderen mit der „Handlungsfrage“ verknüpften Diskussionspunkte, die Teilnahme an den kartellartigen Preisabsprachen und das allgemeine Verhältnis zur Mission, ebenfalls noch im Raum standen. Dazu gesellte sich das Problem des weiterhin chronischen Personalmangels.232 Im Herbst 1907 kam die „Handlungsfrage“ mit all ihren Verwicklungen im Missionskomitee nochmals zur Sprache. In der Sitzung vom 1. November 1907 prophezeite Preiswerk in düsteren Worten das Ende einer Missions-HandlungsGesellschaft ohne Kartellteilnahme und brachte als Alternative die gänzliche Trennung von der Mission ins Spiel, welche auch völlig neue Anstellungsbedingungen und damit vielleicht eine leichtere Rekrutierung neuen Personals ermöglicht hätte.233 Angesichts dieser Maximalforderung Preiswerks begannen nun einige Komiteemitglieder in ihrer ablehnenden Haltung zu schwanken.234 Die neue Unentschlossenheit trat zum Beispiel in folgendem Antrag Präsident Sarasins zu Tage. Er schlug vor 230 ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: An die Brüder im Dienst der Missionshandlung auf der Goldküste, 27. November 1906, 6 f. 231 ABM/UTC 4105: Inspektor Oehler: An die Brüder im Dienst der Missionshandlung auf der Goldküste, 27. November 1906, 2–6. Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 21. November 1906, § 1092. Das Erlernen der Landessprache war nicht nur ein Vorteil für die direkt gemeinnützige Arbeit, sonder konnte selbstverständlich auch einen geschäftlichen Vorteil bedeuten. (Vgl. Dejung, Hierarchie (2007), 80.) 232 Vgl. etwa Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1906, 11. 233 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 1. November 1907. 234 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 1. November 1907.
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„[...] die Verbindung zwischen dem afrikanischen Geschäft und der Mission noch nicht zu lösen, im Gegenteil die Kaufmannsbrüder noch mehr als bisher an die Mission anzuschliessen. Man lasse sie häufiger als bisher nach Hause kommen, bessere, was sich bessern lasse, nehme die Gehaltsfrage in wohlwollende Berücksichtigung und suche, den Geist der Unzufriedenheit dämpfend, den alten Geist wieder zu beleben. [...] Es wird zu diesem Antrag noch geltend gemacht, dass ein Entgegenkommen in der Gehaltsfrage bereits eine Trennung bedeute und dass zur Beseitigung der Unzufriedenheit und Belebung des Missionsgeistes eben Erlernung der Landessprache und Mitarbeit an der eigentlichen Missionstätigkeit nötig wäre, wogegen von verschiedener Seite wieder der Mangel an Leuten geltend gemacht wurde.“235
Die „wohlwollende Berücksichtigung“ der Gehaltsfrage wurde schliesslich an eine Konferenz von Missionaren und Missionskaufleuten an der Goldküste delegiert.236 Diese empfahl, nun ganz im Sinne Binhammers, die Missionskaufleute von „Laienmissionaren“ in Angestellte umzuwandeln und ihnen fortan marktübliche Löhne zu bezahlen.237 Das klare Votum aus Afrika brachte den definitiven Meinungsumschwung. Die finanzielle Besserstellung der Kaufleute war von nun an unbestritten. Am 16. Dezember 1908 bestätigte das Missionskomitee den Antrag aus Afrika im Grundsatz.238 Im Januar 1909 wurde die Angelegenheit nach den Vorschlägen Preiswerks dahingehend spezifiziert, dass die Missionskaufleute zu Angestellten mit fixen, marktüblichen Löhnen wurden, die sich lediglich auf Grund ihres „christlichen Charakters“ mit der Mission verbunden wussten.239 Binhammer hatte sich endgültig durchgesetzt. Es lässt sich fragen, welche Rolle die Anstellungsbedingungen der Missionskaufleute in der Diskussion der „Handlungsfrage“ insgesamt gespielt haben. Ähnlich wie die Frage nach der moralischen Zulässigkeit der Kartelle scheint auch dieser Diskussionspunkt ein Stück weit Teil einer Manövriermasse im Aushandeln eines umfassenden Kompromisses zwischen den emanzipatorischen „Reformern“ rund um Preiswerk und Binhammer und der traditionell eingestellten Komiteemehrheit gewesen zu sein. Um am engen Verhältnis zwischen Mission und Handlung im Grundsatz festhalten zu können, zeigte sich eine Mehrheit der konservativen Gruppe schliesslich bereit, das alte „brüderliche“ Personalstatut fallen zu lassen. Die Bedeutung dieses Schritts ist nicht zu unterschätzen: Damit verlor das moralisch-religiöse Engagement, welches bisher nicht nur von der Firma selbst, sondern auch von den Mitarbeitern (und den Aktionären) getragen worden war, ein Stück weit die Verankerung auf der persönlichen Ebene. Die Neuerungen von 1909 ermöglichten in den folgenden Jahren dann tatsächlich einen schnellen Ausbau des europäischen Personals von knapp siebzig im Jahr 235 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 1. November 1907. 236 ABM/UTC 4105: Vorlage zur Beratung der Handlungsangelegenheit durch die Brüderkonferenz auf der Goldküste (zweite gültige Ausgabe), 18. Dezember 1907 und ABM/UTC 4105: Oehler/Preiswerk: Rundschreiben an sämtliche Stationen und Faktoreien auf der Goldküste, 20. Dezember 1907. 237 ABM/UTC 4105: Binhammer, Martin: Telegramm an Basel, 7. März, 1908. 238 ABM Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908. 239 ABM/UTC 4105: Preiswerk, Wilhelm: Vorlage an das Komitee, 18. Januar 1909; ABM/UTC Q-1: Komiteesitzung vom 16. Dezember 1908; ABM/UTC 4105: Finanzielle Stellung der Kaufleute auf der Goldküste, [undat. wohl Januar 1909].
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1909 auf rund hundert Personen Ende 1913.240 Allerdings konnte auch mit der neuen Regelung der immer wiederkehrende Personalmangel nicht ganz behoben werden.241 Neben allenfalls fortbestehende religiös-idealistische Motive trat nun, wie bei den Angestellten der Verwaltung in Basel, das legitime aber moralisch neutrale Motiv, Geld zu verdienen. Die 1909 festgelegten Jahreslöhne betrugen für gewöhnliche kaufmännische Angestellte aus Europa zwischen 90 und 230 £, für Filialleiter zwischen 130 und 290 £ und für die Leiter der Hauptfaktoreien zwischen 200 und 450 £.242 Bei besonders guten Leistungen konnten ausnahmsweise auch Gratifikationen ausbezahlt werden. Die Verträge mit den in Übersee tätigen Kaufleuten vereinbarten zusätzlich eine Art Lebensversicherung für Frauen und Kinder in Form einer lebenslänglichen Pension für die Ehefrauen im Umfang von 1800 Franken jährlich und 200 Franken jährlich pro minderjährigem Kind. Zu diesen festen Löhnen kam – allerdings nur für die Leiter der Hauptstationen – eine Gewinnbeteiligung von fünf Prozent auf den Gewinn der jeweiligen Geschäfte nach Abzug aller Kosten.243 Es handelte sich bei alldem um eine mehr oder weniger marktübliche Bezahlung.244 In den kleineren Handelsgeschäften in Kamerun wartete die Handlungskommission mit der Einführung der neuen Anstellungsbedingungen noch ab. Entsprechende Verträge wurden dort erst Ende 1913 eingeführt. Unterdessen war es auch für Kamerun immer schwerer gefallen, genügend Missionskaufleute zu rekrutieren.245 Die Gewinnanteile für Filialleiter und die ebenfalls gewinnabhängigen Gratifikationen führten zu einer Stärkung der delegiert gemeinnützigen und gewinnorientierten Unternehmensziele. Sie sollten, wie Binhammer im Sommer 1912 gegenüber der Handlungskommission festhielt, potentiell zu einem Anreiz führen, sich für eine Maximierung des Betriebsgewinns zu engagieren (was umgekehrt weniger Platz für direkt gemeinnütziges Engagement liess): „Diese Vergütung hat ihre Berechtigung darin, dass jeder Einzelne noch mehr am Interesse des Geschäftes beteiligt wird.“246 Die bisherigen Mitarbeiter akzeptierten die neue Regelung und verblieben im Unternehmen.247 Ende 1913 gehörten allerdings auf Grund der üblichen Wechsel bereits drei Viertel der Mitarbeiter zu denjenigen, die von Beginn ihres Dienstes an
240 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 241 Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 12. Juni 1912. 242 ABM/UTC 4105: Finanzielle Stellung der Kaufleute auf der Goldküste. In Franken umgerechnet waren das 2200–5800 Fr. für gewöhnliche Angestellte, 3000–7500 Fr. für Filialagenten und 5000–11000 Fr. für die Agenten der Hauptfaktoreien. (Wechselkurse nach www.fsw.uzh.ch/ histstat, O.33.) 243 ABM/UTC 4105: Finanzielle Stellung der Kaufleute auf der Goldküste; vgl. auch ABM/UTC 4895: Gehälter und Personallisten, 1909–1924. 244 In der Schweiz wurden 1905 dem kaufmännischen Personal durchschnittliche Löhne von 220 Fr./Monat, bzw. 139 Fr./Monat für Anfänger bezahlt. (Vgl. König et al., Die Angestellten (1985), 140.) Eine etwas höhere Bezahlung für die riskantere Stellung im Ausland scheint nicht ungewöhnlich. 245 ABM/UTC 4105: Protokoll einer Sitzung am 18. November 1913. 246 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Juni 1912. 247 Vgl. ABM/UTC 4721: Personalia I.
4.4 Personal
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als Angestellte ausgesandt worden waren.248 Obwohl bei der Auswahl des Personals dem Anspruch nach immer noch auf eine christliche Gesinnung geachtet werden sollte, veränderte sich nun wohl auch das Selbstverständnis der Missionskaufleute. Als Beispiel kann der 1913 nach Westafrika ausgesandte Christian Spörri genannt werden. In seinen Memoiren erwähnt er, wie er zur Freude seiner frommen Eltern im CVJM auf die damalige Missions-Handlungs-Gesellschaft aufmerksam gemacht worden war. Es sei aber, wie Spörri freimütig eingesteht, der „berufliche Faktor, die Möglichkeit in die grosse Welt hinausziehen zu können“ neben dem christlichen Umfeld der wichtigere Grund gewesen, sich bei der Missions-Handlung zu verpflichten.249 Die Handlungskommission zeigte sich bereits nach einem Jahr zufrieden mit der Neuerung. Sie erleichterte nicht nur die Rekrutierung, sondern soll auch – wie von Binhammer intendiert – zu einer verbesserten Geschäftsablauf geführt haben. Im Juni 1910 hielt die Handlungskommission in diesem Sinne fest: „Es darf darf hier auch erwähnt werden, dass die Neuorganisation die gute Wirkung hat, dass unsere Kaufleute auf der Goldküste vorsichtiger geworden sind und die Geschäfte rationeller betrieben werden.“250 Nicht betroffen von der Diskussion der „Handlungsfrage“ waren die europäischen Mitarbeiter in Indien und die Leiter der Missionswerkstätten in Afrika. Sie blieben Laienbrüder, die im „Verwilligungssystem“ auf einer Vertrauensbasis für die Missions-Handlungs-Gesellschaft arbeiteten. In ihrem Fall deckten sich auch die Motivation zur Aussendung besser mit der tatsächlichen Arbeit: die als direkt gemeinnützige Arbeit verstandene Führung der Industriebetriebe, aber auch die Arbeit in den kleineren indischen Missionsläden brachte anscheinend die erhoffte religiös-idealistische Erfüllung. Dass die Industriebetriebe darüber hinaus schon länger auch als Zuträger für delegiert gemeinnützige und anderweitige Gewinnausschüttungen dienten, störte hierbei offenbar nicht. Einheimische Angestellte Die Zahl der einheimischen Angestellten in Afrika verdreifachte sich zwischen 1900 und 1913 von gut dreihundert auf knapp tausend. In Indien stieg die Zahl der einheimischen Mitarbeiter im gleichen Zeitraum um ca. fünfzig Prozent von rund 2550 auf rund 3700. In Indien waren über drei Viertel aller einheimischem Mitarbeiter Mitglieder der Missionsgemeinden. In Afrika betrug der Anteil der Gemeindeglieder nur etwa ein Drittel.251 Verschiedene personalintensive Tätigkeiten, wie etwa das Rollen von Kakaofässern aus den Produktionsgebieten in die Zentren, wurden zusätzlich an nur lose mit der Handlungs-Gesellschaft verbundene Wanderarbeiter delegiert.252 Wir können davon ausgehen, dass den einheimischen Mitarbeitern der Missions-Handlungs-Gesellschaft weiterhin marktübliche Löhne und 248 249 250 251 252
Vgl. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913, 3 f. ABM/UTC 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 1. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 3. Juni 1910. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Vgl. Franc, Schokolade (2008), 107.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen zugestanden wurden.253 Anfangs des 20. Jahrhunderts wurde die in den Webereien bereits übliche (und für das Personal tendenziell prekäre) Akkordarbeit allmählich auf die Ziegelfabriken ausgedehnt. Man erhoffte sich damit einen „erzieherischen Einfluss“ im Bezug auf die persönliche Leistung. Die Betriebe gingen aber nicht so weit, das Einfordern von Leistungsvorgaben wie andernorts in Indien üblich an so genannte „managing agencies“ zu outsourcen.254 Weitere Konkretisierung erfuhr das System der betriebseigenen Krankenvorsorge in Indien. Weiterhin dienten die Ersparnisse der Krankenkasse zugleich auch als Sicherheiten für Hypotheken. Bei dieser Art der Wohnbauförderung trat immer wieder das Problem auf, dass die Arbeiter ihr über die Krankenkasse finanziertes Haus, ein weiteres Mal als Sicherheit für zusätzliche Kredite angaben und die durch die Krankenkasse mitfinanzierten Häuser so in die Hände fremder Kreditgeber geraten konnten.255 Ein anderes Problem bestand darin, dass offenbar nicht schlüssig festgelegt worden war, ob austretende Arbeiter Anrecht auf eine Auszahlung ihrer Versicherungseinlagen hatten. Anfangs 1905 versuchten entlassene Arbeiter der Missionsindustrie vor Gericht die Auszahlung ihrer Einlagen zu erzwingen.256 Anlässlich der Revision der Statuten der Krankenkassen in Indien im Jahr 1910 setzten die europäischen Mitarbeiter in Indien schliesslich gegen den Willen der Geschäftsleitung durch, dass austretenden Arbeitern ihre Ersparnisse ausbezahlt wurden.257 Damit entschied man sich für ein Versicherungssystem, welches eher den Charakter einer obligatorischen Sparkasse für Krankheitsfälle als einer klassischen Kollektivversicherung trug. Duisberg bezeichnet die Krankenkassen in seinem Bericht über „Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission“ von 1902 denn auch viel allgemeiner als „Spar-, Kranken- und Alterskassen“. Seine Erklärungen verweisen auf den weitergehenden „zivilisatorischen“ Nutzen dieses unternehmensethischen Engagements, das Elemente einer modern anmutenden Grundbedürfnisstrategie mit dem paternalistisch-rassistischen Menschenbild seiner Zeit verbindet: „Der gewöhnliche Eingeborene hat nicht die Gewohnheit etwas von seinen Einnahmen für die Tage der Krankheit und des Alters, oder für seine Kinder zurückzulegen. Entweder lebt er von der Hand in den Mund, oder er macht Schulden. Diese Sparkassen helfen mit, Sparsamkeit und Unabhängigkeit zu pflanzen, sodass die Leute zu etwas Eigenem kommen. So werden auch Darlehen dargereicht, um ein Häuschen zu bauen oder ein eigenes Grundstück zu kaufen. [...] Nur dann, wenn die Christen aus der Armut in eine behaglichere Lebensstellung emporgehoben werden, können sie auch dafür erzogen werden, ihren Pflichten gegen die Familie nachzukommen, den Kindern eine angemessene Erziehung zu geben, sowie an den Kosten für Schule und Kirche beizutragen.“258
253 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 26; Fischer, Missionsindustrie (1978), 190. 254 Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1902, 11. 255 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 23. Januar 1902. 256 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 27. Januar 1905. 257 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 4. März 1910. 258 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 24 f.
4.5 Gewinnverteilung
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4.5 GEWINNVERTEILUNG Zwischen 1901 und 1913 vervierfachte sich der jährlich erwirtschaftete Nettogewinn um durchschnittlich knapp 14 Prozent pro Jahr von rund 300 000 Franken auf knapp 1,2 Millionen Franken. 1914 sank der Gewinn mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder auf rund 500 000 Franken.259 Nachdem in den 1890er Jahren auf eher informeller Basis beschlossen worden war, die Zahlungen an die Mission beim Betrag von 200 000 Franken zu stabilisieren,260 kam man um die Jahrhundertwende von diesem Modus ab und passte den Umfang der delegiert gemeinnützigen Zahlungen wieder dem effektiven Geschäftsverlauf an.261 Der gute Geschäftsgang im afrikanischen Handelsgeschäfte ermöglichte laufend neue Rekordausschüttungen an die Basler Mission: Die jährlichen Zahlungen entwickelten sich dabei von Werten um 300 000 Franken nach der Jahrhundertwende mehr oder weniger kontinuierlich auf den Rekordbetrag von 1,2 Millionen Franken für das Jahr 1913, bevor die jährlichen Beiträge kriegsbedingt wieder auf Werte unter einer halben Million Franken zurück fielen. Insgesamt flossen im Zeitraum von 1900 bis 1914 über sieben Millionen Franken an die Basler Mission.262
Diagramm 7: Dividenden und delegiert gemeinnützige Zahlungen 1880–1899 259 Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 260 Siehe Kap. 3.5. 261 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft seit 1900. Was zu dieser Änderung führte, ist ungewiss. Da in der entsprechenden Sitzung der Handlungskommission keine (protokollierte) Diskussion darüber geführt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass dieser Wechsel grundsätzlich unbestritten war. (Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 21. Mai 1900, in der bedauert wird, auf Grund der nötigen Abschreibungen der Generalversammlung nur noch 195 000 Franken an die Basler Mission überweisen zu können. Ein Jahr darauf (ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 23. April 1901) wird dann unter „herzlichem Dank an den Herrn“, im übrigen aber kommentarlos ein delegiert gemeinnütziger Beitrag von 294 000 Franken beantragt.) 262 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
Die Missions-Handlungs-Gesellschaft deckte damit in dieser Phase durchschnittlich rund einen Viertel der jährlichen Ausgaben der Basler Mission im Umfang von circa 2 Millionen Franken.263 Die Zahlungen verteilten sich seit 1901 auf zwei Kategorien: die herkömmlichen ungebundenen Zahlungen an die Generalkasse der Basler Mission und ausserordentliche zweckgebundene Zahlungen.264 Die traditionellen Zahlungen entwickelten sich von jährlich circa 200 000 Franken auf jährlich rund 550 000 Franken. Die ausserordentlichen, stets zweckgebundenen Gewinnausschüttungen begannen mit kleinen Beträgen, die sich allmählich steigerten. Zum Schluss konnten sie bis zum Doppelten der ungebundenen Beträge ausmachen. Die Zweckbestimmungen bildeten das ganze Spektrum der Missionsprojekte der Basler Missionsarbeit ab: der Bau von Missionsstationen, Missionsspitälern, Missionsschulen, Landwirtschaftsprojekte in Indien, China und Afrika sowie Einrichtungen der Basler Mission in der Heimat.265 Ein Zusammenhang zwischen den Zwecken dieser Spenden und der Arbeit der Missions-Handlungs-Gesellschaft ist nicht ersichtlich. Es ging der Handlungskommission wohl nicht darum, mehr Einfluss auf die Verwendung ihrer delegiert gemeinnützigen Zahlungen zu nehmen, sondern viel eher darum, die Blanko-Zahlungen an die Generalkasse der Mission zu beschränken. So konnte man – ähnlich wie mit der 200 000-Franken-Beschränkung in den 1890er Jahren – vermeiden, dass sich die Mission bei ihrer Budgetierung auf allzu hohe Beiträge der Handlungs-Gesellschaft verliess. Hierfür spricht der Verzicht auf zweckbestimmte Beiträge während der geschäftlich schwachen Jahre von 1905 bis 1908.266 Umkehrt verzichtete sie zur Sicherung einer mehr oder weniger regelmässigen (ordentlichen) delegiert gemeinnützigen Ausschüttung in Ausnahmefällen auf Abschreibungen und den Ausbau der Reserven.267 Die zweckbestimmten delegiert gemeinnützigen Beiträge könnten auch in einem Zusammenhang mit der Motivation der eigenen Mitarbeiter gestanden haben. So schlug etwa Pfarrer Ernst Miescher – offenbar in Unkenntnis der bereits bestehenden Praxis – in einem Memorandum zur „Handlungsfrage“ vor: „Wenn man den Handlungsgewinn mehr für bestimmte Zwecke verordnete, so hätten sie [die Missionskaufleute] mehr das Gefühl für etwas Bestimmtes im Rahmen der Mission zu arbeiten.“268 1913 trat ein mögliches drittes Motiv zu Tage: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft spendete in diesem Jahr zweckgebunden an den Bau eines neuen Missions-Spitals an der Goldküste. Preiswerk stellte in der Handlungskommission den Antrag, am neuen Spital eine Gedenktafel anzubringen, die auf die Gabe der Missi263 Vgl. Schlatter, Basler Missions (1916), I, 334. 264 Einen ersten Versuch mit zweckgebundenen Spenden unternahm die Missions-Handlung bereits 1893 mit der Spende an das Kinderhaus der Mission. (Vgl. ABM/UTC 4555: Sitzungen der Handlungskommission vom 24. November 1893.) 265 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 266 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. 267 So für das Rechnungsjahr 1906. (Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juni 1914.) 268 ABM/UTC 4105: Memorandum Miescher, [Dezember, 1907], 12.
4.5 Gewinnverteilung
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ons-Handlungs-Gesellschaft verwies. Man hoffe, dass das Projekt so „einen günstigen Eindruck machen werde auf die Bewohner wie auch auf die Regierung der Goldküste.“269 Die delegiert gemeinnützige Zahlung wurde so zu einer Art Sponsoring; aus einem karitativen Engagement (corporate giving) wurde ein strategisches Engagement.270 Dies passt – zusammen mit dem forschen Auftreten anlässlich der „Handlungsfrage“ und der Erhöhung des Aktienkapitals – zu einem neuen Selbstverständnis als selbstbewusstes, effizientes und der Mission nicht unter, sondern gleichgestelltes Welthandelsunternehmen. Zurückhaltender blieb die Darstellung der delegiert gemeinnützigen Erfolge in der Heimat. In den offiziellen Publikationen der MissionsHandlungsGesellschaft nehmen sie in merkwürdigem Gegensatz zum tatsächlichen Umfang weiterhin eine untergeordnete Rolle ein. So heisst es etwa in den 1912 veröffentlichten „Mitteilungen über Industrie und Handel in der Basler Mission“ zum Zusammenhang von delegierter und direkter Gemeinnützigkeit: „Die finanziellen Ergebnisse sind trotz mancher Schwankungen im Geschäftsbetrieb wachsende gewesen, sodass wir der Missionsgesellschaft jährlich einen namhaften Gewinnertrag zuwenden und ihr, die immer grösserer Mittel und Kräfte bedarf, eine wesentliche Hilfe bieten konnten. Doch darf dieser finanzielle Ertrag nicht ausschliesslich ins Gewicht fallen, er ist vielmehr die Folgeerscheinung der gesamten Tätigkeit, die unsere Unternehmungen ausüben, dadurch, dass sie ein mächtiger Erziehungsfaktor sein sollen nach dem Sinn der Begründer unserer Gesellschaft.“271
Diese Zurückhaltung musste aber nicht bedeuten, dass man sich des Geldverdienens schämte. So stellt Duisberg in seinem Bericht über die Tätigkeit der MissionsHandlungs-Gesellschaft die rhetorische Frage, ob Gelderwerb unter dem Namen der Mission überhaupt gerechtfertigt und sinnvoll sei. Ja, sagt er, und verweist auf Paulus, der mehrmals sich dessen gerühmt haben soll, selbst für sein tägliches Brot aufgekommen zu sein. Also müsse sich auch die Mission nicht schämen, wenn in ihrem Namen Geld verdient würde.272 Die an die Aktionäre ausbezahlte jährliche Dividende von fünf Prozent blieb unverändert. Mit der Verdoppelung des Aktienkapitals im Jahr 1912 veränderte sich allerdings der Umfang der Dividendenzahlungen. Bis 1911 flossen jährlich 37 500 Franken, ab 1912 jährlich 75 000 Franken an die Aktionäre. Insgesamt wurden von 1900 bis 1914 675 000 Franken Dividende ausbezahlt.273 Trotz der Verdoppelung des absoluten Werts der Dividendenzahlungen ab 1912 veränderte sich auf Grund der gleichzeitig steigenden Zahlungen an die Mission das Verhältnis zwischen den gewinnorientierten Ausschüttungen und den delegiert gemeinnützigen Zahlungen nur marginal. Dieses belief sich anfangs des Jahrhunderts auf einen Wert von 1:8 zugunsten der delegiert gemeinnützigen Zahlungen. Bis 1911 verringerte sich die269 Vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juni 1914. 270 Zur Unterscheidung von corporate giving als reiner Spende und Sponsoring vgl. Mecking, Corporate Giving (2008). 271 Mitteilungen über Handel und Industrie, 1912, 13. 272 Duisberg, Wilhelm: Industrie und Handel im Dienst der Basler Mission, 1902, 28. Duisberg führt als Beleg Apg. 18, 3 und 20, 24 sowie 1. Kor. 4, 12–13 an. Siehe auch Kap. 2.1. 273 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
ser Wert auf ein Verhältnis von 1:20; mit der Erhöhung des Aktienkapitals sank er auf ein Verhältnis von 1:7 und stieg dann für das Rekordjahr 1913 wieder rund 1:16.274 Damit erhielt die Mission als Nutzniesserin der delegiert gemeinnützigen Zahlungen zwischen 1900 und 1914 nicht nur absolut, sondern auch relativ die höchsten Zahlungen seit der Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Gleichzeitig verloren die fix an das Aktienkapital gekoppelten gewinnorientierten Ausschüttungen nochmals an Bedeutung.275 Dies wurde auch dadurch nicht aufgewogen, dass im Nachgang der „Handlungsfrage“ eine neue Form von Gewinnorientierung ins Spiel kam: die (bescheidene) Gewinnbeteiligung einzelner Mitarbeiter.276 4.6 ZUSAMMENFASSUNG, ZUSAMMENHÄNGE UND ENTWICKLUNGEN Die Jahre nach der Jahrhundertwende waren eine Phase des schnellen Wachstums. Die geschäftlichen Erfolge führten eher unbeabsichtigt zu einer Stärkung der (unterdessen wieder an den Betriebsgewinn gekoppelten) delegiert gemeinnützigen Zahlungen. Für missionarische und „zivilisatorische“ Tätigkeiten liessen die neuen Verdienstmöglichkeiten im Kakaogeschäft immer weniger Platz. Diese Verschiebung im unternehmensethischen Spannungsfeld verlief nicht ohne Reibungen. Zum einen führte der Anspruch, im grossen Stil am Kakaogeschäft zu partizipieren, dazu, dass sich die Missions-Handlung ernsthaft mit der Wahrnehmung ihrer unternehmensethischen Verantwortung im täglichen Geschäft auseinanderzusetzen hatte. Durfte sie an den gegen die einheimischen Produzenten und Zwischenhändler gerichteten kartellartigen Preisabsprachen teilnehmen? Während die Unternehmensleitung die Kartelle ausdrücklich als Massnahmen zur Marktberuhigung begrüsste und die Mehrheit des Missionskomitees sie als Sachzwang akzeptierte, erkannten verschiedene Missionare und Missionskaufleute die Gefahr, dass sich die Kartelle negativ auf die einheimischen Produzenten auswirken könnten. Zum anderen flammte die Diskussion um die Rolle der Missionskaufleute wieder auf. Binhammer kritisierte die Rekrutierung von religiös motivierten beruflich aber ungenügend qualifizierten Mitarbeitern. Dies führe zu Enttäuschungen auf persönlicher Ebene, da so – dieses Problem ist grundsätzlich seit der Anfangszeit der Mission-Handlungs-Gesellschaft bekannt – religiöse Motivierung und tatsächliche Tätigkeiten in einem Missverhältnis stehen konnten. Gleichzeitig implizierte Binhammers Kritik an den unter religiösen Gesichtspunkten rekrutierten Mitarbeitern, dass religiös (statt professionell) motivierte Mitarbeiter möglicherweise weniger effizient arbeiteten als gewöhnliche Kaufleute, in diesem Sinne also versteckte 274 Für einen Überblick über das Verhältnis zwischen Dividenden und delegiert gemeinnützigen Zahlungen während des gesamten Untersuchungszeitraums siehe Diagramm 9 im Anhang. 275 Eine gewinnorientierte Tätigkeit durch Handel von Aktien scheint weiterhin keine Rolle gespielt zu haben. (Vgl. ABM/UTC 4554: Actien-Register der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel.) 276 Siehe Kap 4.4.
4.6 Zusammenfassung, Zusammenhänge und Entwicklungen
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Opportunitätskosten generierten. Für ein beschauliches Nebeneinander von direkt und delegiert gemeinnützig schien die Zeit vorbei. Binhammer schlug vor, die Schwierigkeit durch eine „Flucht nach vorne“ im Sinne einer weitgehenden „Verweltlichung“ der Firma zu lösen. Andere teilten seine Beurteilung der Situation, plädierten aber gerade umgekehrt für eine Verstärkung der missionsnahen Komponenten, die besser zur traditionell religiösen Motivierung gepasst hätten. Bald darauf verknüpfte sich die Diskussion der Personalfrage mit den Fragen nach der moralischen Berechtigung der Kartelle zur „Handlungsfrage“, bei der es schliesslich auch um das Verhältnis zwischen der Mission und der Handlung an sich ging. Grundsätzlich standen sich in der „Handlungsfrage“, quer durch die beteiligten Institutionen hindurch, zwei Gruppen gegenüber: Auf der einen Seite die „Reformer“ um Preiswerk und Binhammer, die die Zukunft der Missions-HandlungsGesellschaft in einer möglichst unabhängigen, an den Kartellen teilhabenden und in erster Linie delegiert gemeinnützig tätigen Gesellschaft mit marktüblich entschädigten Kaufleuten ohne Missionarsstatus sahen. Auf der anderen Seite standen die „Traditionalisten“, eine Gruppe von Komiteemitgliedern, Missionaren und einzelnen Missionskaufleuten, die möglichst an den herkömmlichen Strukturen und an einem distanzierten Verhältnis zu den anderen Handelshäusern festhalten wollten. Obwohl die „Traditionalisten“ im Missionskomitee in der Mehrheit waren, zeigten sie sich angesichts der unleugbaren Probleme im Personalbereich und Preiswerks geschickt platzierten Hinweisen auf vorgebliche Sachzwänge des Handelsgeschäfts schliesslich zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Vereinfacht gesagt lief der Ende 1908 geschlossene Kompromiss darauf hinaus, dass zum Preis eines weiterhin engen Verhältnisses zwischen Mission und Handlung erstens die Teilnahme an den Kartellen und die Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Handelshäusern akzeptiert wurde und zweitens der traditionelle Missionarsstatus der Missionskaufleute zu Gunsten von regulären Arbeitsverträgen aufgehoben wurde. Die Ausrichtung des Unternehmens auf die delegiert gemeinnützige Arbeit, die ja bereits im Gang war, wurde nicht ausdrücklich, aber praktisch bestätigt. Die Verantwortlichen der Mission befanden sich bei diesen Entscheidungen im Dilemma, dass ein Mehr an direkt gemeinnütziger Aktivität und unternehmensethischer Verantwortung ein Weniger an delegiert gemeinnützigen Zahlungen bedeutete (und umgekehrt). Auf diesen Zusammenhang machte Preiswerk denn auch immer wieder aufmerksam, wenn er in düsteren Farben den Niedergang einer Missions-Handlung ohne professionelle Angestellte und ohne Teilnahme an den Kartellen herauf beschwor. Die immer grösser werdenden delegiert gemeinnützigen Zahlungen dürften es den Verantwortlichen der Mission schliesslich auch leichter gemacht haben, sich auf einen Kompromiss einzulassen. Obwohl sich Preiswerk und Binhammer mit ihren zentralen Forderungen durchgesetzt hatten, kann das Ergebnis der „Handlungsfrage“ nicht unbedingt als Entfremdung zwischen der Basler Mission und der Missions-Handlungs-Gesellschaft gesehen werden.277 Das Komitee betonte immer wieder, dass es die Handlungs-Gesellschaft bei der Mission halten wolle. Der Verlockung einer völlig unab277 Anders Franc, Schokolade (2008), 101: Franc wertet die „Handlungsfrage“ stärker als Zäsur.
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4. Vom Beginn des Kakaobooms bis zum Ersten Weltkrieg (1900–1914)
hängigen Gesellschaft, die gegebenenfalls noch weit höhere delegiert gemeinnützige Zahlungen leisten würde, wurde bewusst nicht nachgegangen. Die HandlungsGesellschaft verblieb innerhalb des Missionskosmos, wurde darin aber immer mehr zu einem Fremdkörper. Abgeschwächt wurden die Neuerungen dadurch, dass sie sich auf Westafrika beschränkten, während in Indien alles beim Alten blieb. Dort deutete die lange aufgeschobene Mechanisierung vorläufig eher noch auf ein Primat der missionsnahen direkt gemeinnützigen Tätigkeiten hin. Die Beilegung der „Handlungsfrage“ bedeutete allerdings nicht das Ende von Preiswerks und Binhammers Reformdrang. Dafür spricht die Erhöhung des Aktienkapitals ohne Beteiligung der Mission im Jahr 1912 oder die Praxis der selbstbewussten Vergabe von zweckbestimmten delegiert gemeinnützigen Zahlungen in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Vielleicht stand hinter diesen zweckgebundenen Gaben die Vision, die zum Grossunternehmen gewordene MissionsHandlungs-Gesellschaft dereinst als gleichberechtigten Partner nicht unter, sondern neben der Mission zu wissen. In diesem Sinne würde die 1914 am Missionsspital in Aburi angebrachte Messingtafel – „Erected by the Basel Mission Factories of the Goldcoast in Commemoration of the Century Jubilee of the Basel Evangelical Mission“278 – eine zusätzliche Bedeutung gewinnen. In aller Öffentlichkeit offenbarte sich hier ein neues Rollenverständnis der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft: Eine moderne und eigenständige Handlungs-Gesellschaft, die nicht mehr bloss Handlanger, sondern eigenständiger Gönner und gleichberechtigter Partner der Mission sein wollte.
278 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 9. Juni 1914.
5. ENDE UND NEUANFANG: VON DER MISSIONS-HANDLUNGS-GESELLSCHAFT ZUR BASLER HANDELSGESELLSCHAFT (1914–1999) 5.1 DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER MISSIONSHANDLUNGS-GESELLSCHAFT Die Entwicklung der Missions-Handlung bis 1917 Der Erste Weltkrieg bedeutete für die Missions-Handlungs-Gesellschaft ein geschäftliches1, vor allem aber ein politisches Problem. Bald nach Kriegsbeginn wurden die deutschen Mitarbeiter in Indien und an der Goldküste interniert.2 Damit verringerte sich der Mitarbeiterbestand in Übersee von rund hundert auf etwa dreissig Missionskaufleute und Industriebrüder.3 Immerhin gelang es der Unternehmensführung, dieses Defizit durch die forcierte Rekrutierung neuer schweizerischer Mitarbeiter etwas zu entschärfen, was angesichts der damaligen Beschäftigungssituation in der Schweiz leicht gefallen sein dürfte.4 Auch nach der Internierung der deutschen Mitarbeiter befürchteten die Verantwortlichen in Basel, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft auf Grund ihrer Nähe zur Basler Mission als eine deutsche Firma betrachtet werden und ihr Zwangsmassnahmen drohen könnten. Anders als die Basler Mission, die bewusst zu ihrer deutschen Verwurzelung stand,5 versuchte die Missions-Handlungs-Gesellschaft in den folgenden Jahren, sich konsequent von ihrer deutschen Verflechtungen zu distanzieren. Ein erster Schritt bestand darin, die Handlungskommission als rein schweizerisches Gremium zu konstituieren. Anfang November 1914 traten die deutschen Kommissionsmitglieder Müller, Pfleiderer, Oehler und Frohnmeyer aus der Handlungskommission aus.6 Als Ersatz wählte eine ausserordentliche Generalversammlung am 11. Dezember 1914 Alfred Sarasin und den im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung von 1912 bereits in Erscheinung getretenen Basler Bankier Karl 1
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Zur Lage der Schweizer Wirtschaft im Ersten Weltkrieg vgl. Rossfeld/Straumann (Hg.), Wirtschaftskrieg (2008). Die Missions-Handlungs-Gesellschaft teilte allerdings bloss einen Teil der Kriegserfahrungen (halbstaatliche Kontrollen, Rohstoffprobleme usw.) mit den typischen Schweizer Unternehmen, da sie ausserhalb der Schweiz produzierte und ein Grossteil der Handelsoperationen ausserhalb der Schweiz stattfand. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1914, 5. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1913 und 1914. So zählte das Unternehmen Ende 1915 immerhin bereits wieder rund 45 Mitarbeiter in Übersee. (Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1915, 3 f.) Vgl. Witschi, Basler Mission (1965), 59–78. ABM/UTC 4573: Rücktrittsgesuche Müller, Pfleiderer, Frohnmeyer, 4. November 1914; vgl. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 4. Dezember 1914.
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5. Ende und Neuanfang
Zahn.7 Zweiter Vertreter des Missionskomitees neben Preiswerk wurde Missionsinspektor Oettli. Gleichzeitig wurde den leitenden deutschen Angestellten in Basel ihre Prokura entzogen.8 Sie verblieben aber vorläufig im Unternehmen.9 Die Angst vor britischen Eingriffen schlug sich auch auf das tägliche Geschäft nieder. So wurden etwa Briefe nach Übersee von einem eigens dafür eingerichteten „Zensurbüro“ kontrolliert, um Probleme mit den britischen Behörden zu vermeiden.10 Inzwischen waren als direkte Folge der britischen Invasion die Geschäfte in Kamerun verloren gegangen. Sowohl die deutschen als auch die schweizerischen Mitarbeiter wurden nach der erzwungenen Schliessung der dortigen Geschäfte des Landes verwiesen.11 In Indien blieben die kurz vor dem Krieg beschlossenen Modernisierungsmassnahmen auf der Strecke. Die Webereien hatten ausserdem Schwierigkeiten, die notwendigen Vorprodukte zu besorgen. Die Ziegelfabriken waren von einer kriegsbedingten Rezession des Baugewerbes betroffen. Als Kriegsmassnahme wurde die Buchhaltung in Indien einem britischen Beamten unterstellt.12 An der Goldküste liefen die Geschäfte relativ ungestört weiter. Die Kriegsumstände führten dazu, dass die Missions-Handlungs-Gesellschaft Kakao vermehrt direkt in die Schweiz lieferte, anstatt an den etablierten Kakaomärkten zu handeln.13 1914 bis 1916 konnte die Missions-Handlungs-Gesellschaft noch regelmässig Gewinne von rund einer halben Million Franken ausweisen.14 Ein Teil dieser Erträge wurde im Hinblick auf weitere kriegsbedingte Verluste vorsorglich als Reserven angelegt.15 Ein Problem stellte die Auszahlung des delegiert gemeinnützigen Gewinnanteils an die deutsch geprägte Basler Mission dar. Um alliierten Zwangsmassnahmen vorzubeugen, beschloss die Handlungskommission, die Zahlungen an die Basler Mission vorerst auf ein separates Konto zu leiten16, sofern sie nicht direkt innerhalb der Missionsgebiete in Indien und Afrika ausbezahlt werden konnten.17 Ende 1916 übergab die Missions-Handlung die der Mission gehörenden Gelder einer Basler Treuhandgesellschaft.18
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ABM/UTC 4574: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung vom 11. Dezember 1914. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 4. Dezember 1914. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Vgl. ABM Q-1: Komiteesitzung vom 21. Oktober 1914, § 1443. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1914, 6. Jahresberichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1914, 5 und 1915, 5. Vgl. Franc, Schokolade (2008), 118–120. Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Die Ergebnisse wurden allerdings durch die allgemein inflationäre Entwicklung etwas abgeschwächt. (Vgl. , Konsumentenpreisindex.) ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission vom 5. Juli 1915 und 15. September 1916. ABM/UTC 4573: Sitzungen der Handlungskommission 15. September 1916 und 18. Juni 1917; vgl. auch Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1916, 6. Jahresbericht der Missions-Handlungs-Gesellschaft 1915, 6. In Indien wurden so während des ganzen Krieges insgesamt über eine halbe Million Franken direkt überwiesen. (Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 79.) ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 19. Dezember 1916.
5.1 Der Erste Weltkrieg und das Ende der Missions-Handlungs-Gesellschaft
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Trotz dieser Massnahmen blieb die Missions-Handlungs-Gesellschaft im Verdacht der Deutschfreundlichkeit. Im Sommer 1916 ist in Basel die Rede von einer „Schwarzen Liste“, auf der das Unternehmen verzeichnet sei.19 Als weitere vorbeugende Massnahme eröffnete die Missions-Handlungs-Gesellschaft darauf eine Filiale in London, deren Leitung dem langjährigen Londoner Agenten J. P. Werner übergeben wurde.20 Im September 1916 überredete man die wenigen deutschen Aktionäre, ihre Aktien an Schweizer zu verkaufen.21 Zur selben Zeit trat als Zeichen der weiteren Distanzierung von der Mission Missionsinspektor Oettli aus der Handlungskommission aus.22 Seit 1916 fanden die Generalversammlungen der Missions-Handlungs-Gesellschaft nicht mehr im Missionshaus statt.23 Das Ende der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft 1917 Alle diese Massnahmen reichten indes nicht aus, um von den „schwarzen Listen“ der britischen Behörden gestrichen zu werden. Insbesondere störte die Kontrollbehörden wohl, dass die Basler Mission und ihre Pensionskasse weiterhin Aktien der Missions-Handlungs-Gesellschaft besassen.24 Im Herbst 1917 sah sich die Leitung der Missions-Handlungs-Gesellschaft deshalb zu einem letzten radikalen Schritt genötigt. In Absprache mit dem Missionskomitee stellte sie den Aktionären an einer ausserordentlichen Generalversammlung den Antrag, sich ganz von der Mission zu trennen. Die Änderung der Statuten wurde einstimmig gutgeheissen, während die Mission gleichzeitig auf alle ihre Rechte an der Missions-HandlungsGesellschaft verzichtete.25 Die neuen Statuten enthielten keine Verbindung mehr zur Basler Mission.26 Verschiedene der Mission nahe stehende Schweizer aus dem Umfeld der alten Aktionäre übernahmen Ende 1917 die rund 150 Aktien der
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ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission 15. September 1916. Zu den „Schwarzen Listen“ vgl. auch Rossfeld/Straumann, Fronten (2008), 33. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission 15. September 1916; Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 306 f. Um die Verankerung im britischen Hoheitsgebiet zusätzlich zu unterstreichen, wurde in der Aktivseite der Bilanzen der grösste Teil der bisher unter „Handlungen“ verbuchten Warenwerte neu unter „London Filiale“ verbucht. (Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Missions-Handlungs-Gesellschaft.) ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 19. Dezember 1916. Vgl. ABM/UTC 4574: Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 25. September 1916 sowie die folgenden Protokolle. Vgl. Gannon, Basle Mission Trading (1983), 504. ABM/UTC 4574: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung vom 20. November 1917. Im Vergleich zu den Statuten von 1912 fehlen in den Zweckbestimmungen insbesonde (1) ein Hinweis auf die Mission, (2) das Recht der Mission, zwei Mitglieder der Handlungskommission zu bestimmen, (3) das Anrecht auf den Grossteil des jährlichen Gewinns und (4) die der Mission zugestandene Möglichkeit, im Falle einer Liquidation das Unternehmen zu übernehmen. (Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1912 und ebd. Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917.)
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5. Ende und Neuanfang
Basler Mission.27 Was von der Idee der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft übrig blieb, war die grundlegende Idee eines Nebeneinanders von gewinnorientierten, delegiert gemeinnützigen und direkt gemeinnützigen Unternehmenszielen. Zum einen betraf dies die Beschränkung der Dividende der Aktionäre auf fünf Prozent des Nominalwerts der Aktien und die delegiert gemeinnützige Verteilung des Rests des Gewinns zur „Förderung der Bestrebungen evangelischer ReichsGottes-Werke“ durch ein „Komitee von Treuhändern“.28 Dieses Treuhänderkomitee sollte sich aus „drei bis fünf Schweizern von Geburt“ zusammensetzen und war in der Wahl der Zahlungsempfänger dadurch eingeschränkt, dass es keine Gesellschaft unterstützen durfte, „deren Leiter Angehörige von Ländern sind, die sich mit Grossbritannien und dessen Alliierten im Krieg befinden [...].“29 Eine Unterstützung der Basler Mission, die davon abgesehen hatte, sich von ihrem deutschstämmigen Direktor Oehler zu trennen,30 war damit vorläufig ausgeschlossen. Neben den Zahlungen sahen die Statuten auch die „Förderung der Bestrebungen evangelischer Reichs-Gottes-Werke [...] durch anderweitige Unterstützungen“ vor.31 Inwieweit die Verwirklichung dieses unternehmensethischen Programms gelingen sollte, wird der folgende Ausblick zu zeigen versuchen. Die Geschichte der alten, stets auf die Mission bezogenen Missions-Handlungs-Gesellschaft ging mit der Trennung allerdings zu Ende. Die unter dem Druck der britischen Behörden vollzogene Trennung beförderte gleichzeitig die Emanzipationsbemühungen der Gruppe von „Reformern“ rund um Preiswerk und Binhammer. Es ist möglich, dass die Entwicklungen ein Stück weit den Intentionen dieser Männer entsprachen. Preiswerk zu unterstellen, er hätte die mit den Kriegsereignissen verbundenen Befürchtungen aktiv dazu benutzt, die Handlungs-Gesellschaft von der Mission wegzuführen, wäre allerdings allzu weit hergeholt. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft hatte aber unterdessen soviel Eigendynamik entwickelt, dass Preiswerk und andere Verantwortliche der HandlungsGesellschaft den Fortbestand des Unternehmens dem Verbleib im Missionskontext schlussendlich vorzogen und die Trennung klaglos akzeptierten. Etwas stärker bedauert wurde die Trennung seitens der Mission. Missionssekretär Hans Huppenbauer hielt 1944 in einem Artikel in der „Reformierten Schweiz“ mit Blick auf den „Weltgeist“ fest: „Das ganze Wirtschaftsleben steht heute viel stärker unter der Herrschaft des Geistes dieser Welt und entzieht sich dementsprechend mehr einem bestimmenden Einfluss vom Evangelium her.“ Insofern können nicht „geleugnet werden, dass je länger desto mehr die Problematik dieser Verbindung [zwischen Mission und Handel] offenbar und als Spannung auch fühlbar wurde und zwar stärker auf dem Gebiet des Handels als der Industrie.“ Folglich müsse „Die praktische Frage der Trennung [...] bejaht werden [...].“ Eine Ideallösung sei das allerdings nicht gewesen, denn, so bedauert er: „Die Mission hat damit den Brückenkopf auf der Weltseite einfach geräumt, offenbar, weil sie die Kraft und 27 28 29 30 31
ABM/UTC 5005: Actien-Register der Missions-Handlung Gesellschaft, 1870–1925. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917, §§ 2 und 12. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917, § 12. Witschi, Basler Mission, (1965), 77. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917, § 2.
5.2 Ausblick: Entwicklung der Nachfolgefirmen nach 1918
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Vollmacht nicht hatte, um ihn fest in der Hand zu halten und gegen jegliche Infiltration zu schützen.“32 5.2 AUSBLICK: ENTWICKLUNG DER NACHFOLGEFIRMEN NACH 1918 Enteignung durch die britischen Behörden Die Trennung von der Mission sollte die Missions-Handlungs-Gesellschaft vor britischen Zwangsmassnahmen schützen. Es ist eine Ironie der Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft, dass dieser radikale Schritt umsonst war. Im Februar 1918 erklärten die britischen Behörden an der Goldküste die Handlungs-Gesellschaft zusammen mit der Basler Mission als unerwünscht. Gleichzeitig wurden die Schweizer Mitarbeiter (wie auch die Missionare) des Landes verwiesen.33 Im Frühling 1919 wurde auch der Besitz in Indien konfisziert.34 Was die britischen Behörden dazu bewog, zu diesem späten Zeitpunkt noch gegen die Missions-HandlungsGesellschaft und die Basler Mission vorzugehen, ist nicht ganz klar. Die Historikerin Magrit Gannon, die sich mit der Enteignung der Missions-Handlungs-Gesellschaft aus britischer Sicht befasste, nennt folgendes Motiv: Angeblich hätten vier Schweizer Mitarbeiter der Missions-Handlung im Dezember 1917 lautstark die Versenkung des britischen Schiffs „Apah“ durch ein deutsches U-Boot vor der Goldküste gefeiert.35 Im Kreise der Missions-Handlung wurde dieser Vorwurf stets bestritten. So meint etwa Missionskaufmann Christian Spörri in seinen Memoiren, die vier Schweizer seien an jenem Abend nur zufälligerweise „fröhlich singend beisammen“ gesessen.36 Als weitere Gründe, die eher das Verhalten der Basler Mission betreffen, führt Gannon die Jubiläumsschrift einer Missionsschule an der Goldküste, in der eine lobende Passage über die britische Verwaltung gestrichen worden sei, abfällige Bemerkungen von Basler Missionaren über die Briten und schliesslich die von der britischen Botschaft in Bern kolportierte pro-deutsche Haltung der Missionsleitung in Basel an.37 Anfänglichen Bedenken innerhalb des Colonial Office, ob diese Gründe für eine Enteignung reichten, wurden beiseite gewischt. Schliesslich wurde der Missions-Handlungs-Gesellschaft der Status einer neutralen Firma abgesprochen und die Enteignung vollzogen.38 Vielleicht dürfte ausserdem Lobbying der Konkurrenz, wie es der indische Autor Raghaviah im Zusammenhang mit der Konfiskation der Industriebetriebe in Südwestindien vermutet,39 die Entscheidung zuungunsten der Missions-Handlungs-Gesellschaft 32 33 34 35 36 37 38 39
Huppenbauer, H[ans]: Handel und Industrie in der Mission?, in: Die Reformierte Schweiz, 8, 1944, 38 f. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 310–318; Schweizer, Mission (2002), 96. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 377 f. Gannon, Basle Mission Trading (1983), 505. ABM/UTC 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 1961, 10. Gannon, Basel Mission Trading (1983), 505. Gannon, Basel Mission Trading (1983), 505 f. Raghiavh, Basel Mission Industries (1990), 49.
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5. Ende und Neuanfang
mit beeinflusst haben. Das gleichzeitige Vorgehen gegen die Mission und die Missions-Handlungs-Gesellschaft zeigt, dass die beiden Gesellschaften trotz aller Massnahmen zur Distanzierung weiterhin als eine Einheit begriffen wurden. Nachdem die Missions-Handlungs-Gesellschaft ihre Warenlager – angeblich zu Schleuderpreisen – liquidiert hatte,40 übertrugen die Behörden die beschlagnahmten Liegenschaften an der Goldküste und in Indien an die eigens zu diesem Zwecke gegründete Aktiengesellschaft Commonwealth Trust Ltd. Diese Firma sollte die Geschäftstätigkeit der Missions-Handlungs-Gesellschaft unter Verzicht auf den Handel mit Spirituosen, Pulver und Waffen in philanthropischem Sinne weiterführen. Hinter der neu gegründeten Firma standen das International Missionary Council in London und weitere Personen aus britischen Kirchen- und Missionskreisen, die die Gunst der Stunde nutzen und die offenbar prestigeträchtige Arbeit der Missions-Handlungs-Gesellschaft fortführen wollten.41 Allerdings gelang es der neuen Gesellschaft kaum, Gewinne zu erwirtschaften, die in delegiert gemeinnütziger Weise zu Gunsten der einheimischen Bevölkerung hätten verwendet werden können.42 Verhandlungen mit den britischen Behörden Auf die Enteignungen folgte eine über Jahre andauernde Auseinandersetzung zwischen der Missions-Handlungs-Gesellschaft und dem Colonial Office sowie dem India Office in London.43 Die Verhandlungen zogen immer weitere Kreise. Auf der Seite der MissionsHandlungsGesellschaft standen einflussreiche Bekannte Wilhelm Preiswerks, allen voran der Oberhausabgeordnete Viscount Templetown und Vertreter des Schweizer Politischen Departements.44 Auf der anderen Seite standen britische Missionsfreunde, die sich um den Erhalt des von ihnen initiierten Commonwealth Trust bemühten. Einen ersten Erfolg erzielte die Missions-HandlungsGesellschaft 1921 mit der Rückerstattung des wenig umfangreichen Besitzes in Kamerun, die nun zur Hälfte in französischem und zur Hälfte in britischem Mandats-Gebiet lagen. Die Auseinandersetzung um die vom Commonwealth Trust übernommenen Besitzungen an der Goldküste dauerte bis 1928. Das britische Colonial Office stand dabei in einem Dilemma zwischen völkerrechtlichen Überlegungen, die für eine Rückgabe der Besitzungen an die im juristischen Sinn niemals deutsch gewesene Missions-Handlungs-Gesellschaft sprachen und der Rücksichtnahme auf den durch britische Missionskreise unterstützten Commonwealth Trust.45
40 41 42 43 44 45
Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 313 f. Gannon, Basle Mission Trading (1983), 508 f.; Wanner, Preiswerk (1984), 72 f. Gannon, Basel Mission Trading (1983), 510. Zum Folgenden vgl. ausführlich Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 314–373; sowie teilweise auf Grundlage zusätzlicher Quellen Wanner, Preiswerk (1984), 73–83. „Eidgenössisches Politisches Departement“ war die damalige Bezeichnung für das schweizerische Aussenministerium. Vgl. Gannon, Basel Mission Trading (1983), 510.
5.2 Ausblick: Entwicklung der Nachfolgefirmen nach 1918
227
Nach zahlreichen Eingaben Templetowns und anderer Parlamentarier bei den zuständigen Behörden und einer Anfrage im britischen Oberhaus, gelangte der Konflikt im Frühling 1928 über Leserbriefe auch an die Öffentlichkeit. Darauf entschloss sich das Colonial Office, die Angelegenheit durch Vermittlung zweier unabhängiger Persönlichkeiten schlichten zu lassen. Die Missions-Handlungs-Gesellschaft willigte im April 1928 schliesslich in einen Kompromiss ein, der die Rückgabe ihrer Liegenschaften an der Goldküste und eine Entschädigungszahlung von 250 000 £ vorsah. Dieser Kompromiss stellte gemäss Gannon ein Skandal dar: Die Entschädigungszahlung von 250 000 £ und ein Betrag von 55 000 £, der dem Commonwealth Trust für die Weiterführung seiner Arbeit versprochen worden war, wurden – gegen den Widerstand der afrikanischen Vertreter im „Legislative Council“ der Goldküste – dem „Gold Coast reserve fund“ entnommen, obwohl beide Gesellschaften genau mit der gedeihlichen Entwicklung dieses Landes argumentiert hatten.46 Anders beurteilt der amerikanische Missionshistoriker William Danker die Zahlung: Seiner Meinung nach lief alles rechtens, da das „Legislative Council“ seiner Zeit die Massnahmen gegen die Missions-Handlungs-Gesellschaft gutgeheissen habe. Ausserdem hätten die Verhandlungen dazu geführt hätten, dass schlussendlich zwei Firmen bestanden, die gemäss Statuten einen Teil ihres Gewinnes der Goldküste haben zugute kommen lassen.47 Noch schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen um die konfiszierten Besitzungen in Indien, die in den Zuständigkeitsbereich des von den übrigen Kolonialbehörden unabhängigen India Office fielen. Sie dauerten durch den Zweiten Weltkrieg verzögert bis 1951. Eine Rückgabe im unterdessen unabhängigen Indien konnte nicht mehr erreicht werden. Die Handlungs-Gesellschaft musste sich mit einer Entschädigungszahlung von 125 000 £ begnügen.48 Der Commonwealth Trust besteht in Indien bis heute und betreibt immer noch einzelne Ziegelfabriken.49 Die Gründung der Union Trading Company 1920 Um die Geschäfte unbelastet von den Verhandlungen mit den britischen Behörden weiterführen zu können,50 gründete Preiswerk 1920 mit Mitteln der MissionsHandlungs-Gesellschaft die Union Trading Company (UTC), mit einem Aktienkapital von 250 000 Franken. Die ersten Mitarbeiter entstammten der alten Missions46 Gannon, Basel Mission Trading (1983), 512–515. 47 Danker, Profit, 1971, 64. Danker liegt hier insofern falsch, als dass sich die von der Mission unabhängige MissionsHandlungsGesellschaft lediglich dazu verpflichtet hatte, nicht näher bestimmte „Reich-Gottes-Werke“ zu unterstützen, die aber nicht zwingend an der Goldküste tätig sein mussten. (Vgl. ABM/UTC 4936: Statuten der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basel, 1917, § 2.) 48 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 378–421; Ders., Preiswerk (1984), 88–95. 49 Raghaviah, Basel Mission Industries (1990), 50. Die Ziegelei in Jeppo bei Mangalore zeigte sich anlässlich eines persönlichen Augenscheins im Jahr 2009 im Verfall begriffen. Mindestens die ehemalige Missionsziegelei in Calicut soll gemäss Auskünften von Vertretern der ehemaligen Missionskirche zu damaligen Zeitpunkt noch in Betrieb gewesen sein. 50 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 193 f.
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5. Ende und Neuanfang
Handlungs-Gesellschaft.51 Die ehemaligen Missionskaufleute konnten gemäss Wanner auf das Wohlwollen der Bevölkerung an der Goldküste zählen, die die UTC als legitimen Nachfolger der traditionsreichen Missions-Handlungs-Gesellschaft akzeptierte.52 Die „UTC-Pioniere“ mieteten sich in Accra in einem geeigneten Lokal ein und begannen mit dem Import europäischer Waren. Die Geschäfte entwickelten sich rasch, und in den folgenden Jahren wurden Filialen an den Handelsplätzen in Winneba, Kumasi, Saltpond, Sekondi und Koforidua gegründet und mit europäischen Mitarbeitern besetzt.53 Nachdem verschiedene Versuche der Geschäftsleitung in Basel, über afrikanische Mittelsmänner wieder am Kakaohandel zu partizipieren, zunächst wenig Erfolg gebracht hatten, stieg die UTC in den 1920er Jahren langsam auch wieder in den Kakaohandel ein. Allerdings erreichte die UTC erst 1926 wieder die Liefermengen der Missions-Handlungs-Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg.54 Bei der UTC handelte es sich bis in die 1950er Jahre um eine Art Schwesterfirma der MissionsHandlungsGesellschaft, die offiziell, um die laufenden Verhandlungen mit den britischen Behörden nicht zu stören, als unabhängige Firma auftrat. Das mit Geldern der MissionsHandlungsGesellschaft finanzierte Aktienkapital der UTC wurde zu diesem Zwecke auf verschiedene Manager der MissionsHandlungs-Gesellschaft verteilt, die gleichzeitig den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung der UTC bildeten.55 Diese „Aktionäre“ walteten als eine Art Treuhänder der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Um im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit dem India Office jede formelle Bindung zur alten Missions Handlungs-Gesellschaft zu verschleiern, wurde diese Regelung 1928 dahingehend geändert, dass die Aktionäre durch einen „Konsortialvertrag“ dazu verpflichtet wurden, die Gewinne, parallel zur Missions-Handlungs-Gesellschaft, delegiert gemeinnützig im Sinne der Missions-Handlungs-Gesellschaft zu verwenden.56 Die Zusammenarbeit der beiden Gesellschaften, die beide parallel im Import und Exportgeschäft tätig waren, wurde in Betriebsverträgen geregelt.57 Faktisch arbeiteten die beiden Gesellschaften gemeinsam und unter einer Führung.58 Ein wichtiger Berater beider Gesellschaften blieb Martin Binhammer, der zwar auf Grund seiner deutschen Staatsbürgerschaft nicht mehr Teil der Geschäftsleitung war, aber doch zum „spiritus rector“ des Wiederaufbaus wurde.59 Die undurchsichtige Gesell51 52
Wanner, Preiswerk (1984), 83 f. Vgl. auch ABM/UTC 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 17, wo auf den „angestammten Goodwill“ verwiesen wird. 53 Wanner, Preiswerk (1984), 84. 54 Franc, Schokolade (2008) 121–135. 55 Vgl. ABM/UTC 4846: Anwesenheitslisten der UHG-Generalversammlungen 1924–1951. 56 Erwähnung findet diese Vereinbarung in einer vertraulichen Denkschrift Max Preiswerks zur Zukunft der BHG aus den 1930er Jahren. Vgl. ABM/UTC 4140: Die B.H.G. als Holding, 1. 57 Vgl. BM 4140: Abschrift Vereinbarung zwischen BHG und UTC, 1938. 58 So zeigen etwa Notizen zur Gewinn und Ausgabenverteilung vor dem offiziellen Rechnungsabschluss, dass im täglichen Geschäft nur unscharf zwischen den beiden Gesellschaften unterschieden wurde. (Vgl. ABM/UTC 5013: BHG / Bilanzen, (1861)–1938.) 59 Zum Gedächtnis an Martin Binhammer, geboren 27. November 1876, gestorben 5. Februar 1947, [Basel] 1947, 21 f.
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schaftsstruktur, über die übrigens auch die Leser der bisherigen Firmengeschichten weitgehend im Unklaren gelassen werden, erlaubte es der Missions-HandlungsGesellschaft, mit bewährtem Personal unter neuem Namen schnell wieder aktiv zu werden, ohne die Verhandlungen mit den britischen Behörden in London zu stören. Das komplizierte Verhältnis zwischen den beiden Schwesterfirmen bereitet aber nicht nur dem Historiker Kopfzerbrechen, sondern sorgte bereits damals für Verwirrung. So meinte BHG-Direktor Max Preiswerk, ein Sohn von Wilhelm Preiswerk, in einer undatierten Denkschrift zur Zukunft der Handlungs-Gesellschaft aus den 1930er Jahren, dass die Geschäfte der beiden Unternehmen vor allem an der Goldküste nur schwer auseinander zu halten seien. Ausserdem sei die „[…] Gewinnverteilung zwischen beiden Gesellschaften und die Aufstellung der Jahresrechnung allzu sehr eine Ermessensfrage geworden […].“60 Entwicklung bis in die Gegenwart 1928 erfolgte als letzter Schritt der Lösung von der Basler Mission eine Namensänderung. Auf Wunsch der Mission wurde die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basler Handels-Gesellschaft A.G. (BHG) unbenannt.61 Im gleichen Jahr erhielt die BHG ihre 1918 konfiszierten Liegenschaften an der Goldküste zurück. Während zuerst noch an eine Geschäftsaufnahme parallel zur UTC gedacht worden war, zeigte sich schnell, dass ein Nebeneinander der miteinander verbundenen Firmen zu Doppelspurigkeiten führen würde. Die Unternehmensleitung entschloss sich, alle Filialen in Afrika durch die UTC betreiben zu lassen.62 Zu den Geschäften an der Goldküste gesellten sich im Laufe der 1920er Jahre weitere Tochtergesellschaften in aller Welt. Am langlebigsten waren die neu geschaffenen Agenturunternehmen in London (1926), New York (1929) und Hamburg (1935), die im Einkauf westlicher Waren und im Verkauf von afrikanischen Produkten tätig wurden.63 Von 1924 bis 1927 versuchte der ehemalige Missionskaufmann Max Bayer erfolglos, ein Warengeschäft in Hongkong zu etablieren. Wenig Erfolg verzeichneten auch ähnliche Unternehmungen in Argentinien (1922– 1927) und in Jugoslawien (1926–1937).64 In der Hoffnung, die Industriebetriebe in Indien dereinst wieder übernehmen zu können, kaufte die BHG verschiedene Textil- und Ziegelunternehmen in Deutschland und der Schweiz, um so das technische Wissen für die Führung der immer noch konfiszierten Industriebetriebe in Indien zu erhalten. Die zur Gruppe gehörende Textildruckerei Hollenstein in Ennenda im Kanton Glarus wurde später für ihre Batikdrucke für den afrikanischen Markt be60
61 62 63 64
ABM/UTC 4140: Die B.H.G. als Holding, 2. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff „Union“ im Namen der UTC. Bezieht sich „Union“ auf die Einheit zwischen BHG und UTC die in Personalunion geführt werden oder gar um die geistige Einheit zwischen den Gesellschaftern und Jesus Christus, dem sie sich bezüglich der UTC verpflichtet fühlten? Witschi, Geschichte (1970), 34; Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 84. Wanner, Preiswerk (1984), 85 f. Wanner, Preiswerk (1984), 86; Franc, Schokolade (2008), 136–141. Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 427 f.
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kannt.65 1933 übernahm die BHG im Auftrag der Basler Mission vorübergehend die Führung der Konservenfabrik Bischofszell, die der Basler Mission vom kinderlose Firmengründer vermacht worden war. Die Risiken dieses Geschäftsfelds bewog die Basler Mission allerdings dazu, die Konservenfabrik 1945 an den Migros Genossenschaftsbund zu verkaufen.66 Offenbar bestand zu diesem Zeitpunkt immer noch ein gewisses Vertrauen zwischen der Basler Mission und der neuen HandlungsGesellschaft.67 Der Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929 wirkte sich umgehend auch auf die Weltmarktpreise für Kakao aus. Als die europäischen Firmen in Afrika ihre Einkaufspreise nach unten anpassten, fühlte sich ein grosser Teil der einheimischen Produzenten um ihren Arbeitsertrag betrogen, was Ende 1930 zu einem Boykott der europäischen Exportunternehmen führte, der bis in den Frühling 1931 anhielt.68 Anders als im europäischen Umfeld wurden die Folgen der Weltwirtschaftskrise in Westafrika relativ schnell überwunden; 1934 stiegen die Preise im Kakaogeschäft wieder an.69 1931 beschloss die Unternehmensführung eine Ausdehnung der westafrikanischen Geschäftsaktivitäten nach Nigeria.70 Nach einer schwierigen Startphase etablierte sich die UTC auch dort im Produkte- und Warenhandel.71 1937 kam es zu einem neuerlichen Verfall der Kakaopreise an den Weltmärkten. Die Farmer an der Goldküste reagierten mit einem weiteren Boykott der europäischen Firmen, die sich wie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in einem Kartell organisiert hatten.72 Dieser zweite grosse Boykott trug deutlich politische Züge und ist ein Eckpunkt in der Geschichte der Dekolonisation der Goldküste.73 Auf Vermittlung einer Kommission des britischen Colonial Office wurde im März 1938 eine Einigung zwischen den afrikanischen Farmern und den europäischen Handelshäusern gefunden. Die europäischen Firmen verpflichteten sich, in Zukunft auf Preisabsprachen im Ein- und Verkauf74 zu verzichten. Wie Andrea Franc zeigt, haben sich die UTC und die anderen europäischen Firmen allerdings nicht daran gehalten.75 Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden grosse Teile des weltweiten Handels unter staatliche Kontrolle gestellt.76 Die BHG in Basel arbeitete eng mit den schweizerischen Behörden zusammen und leistete als Teil verschiedener kriegswirtschaftlicher Syndikate wie der „Chocosuisse“ oder der „Oelfet“ einen 65 66
Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 428–436. Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 437. Vgl. auch die Spuren dieser Episode im ehemaligen Firmenarchiv: ABM/UTC 4299-4318. 67 Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 437. 68 Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 442 f. 69 Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 443 f. 70 Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 439. 71 Vgl. ABM/UTC 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 1961, 24–29. 72 Franc, Schokolade (2008), 151–158; vgl. auch Ehrler, Handelskonflikte (1977). 73 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 154 f. Ähnlich Ehrler, Handelskonflikte (1977), 325 f. 74 Parallel zum „Produce-Pool“ bestanden nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen des so genannten „Merchant-Agreement“ auch Preisabsprachen im Bereich des Warenverkaufs. 75 Franc, Schokolade, (2008), 157. 76 Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 448 f.; Franc, Schokolade (2008), 176–182.
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Beitrag zur Versorgung des Landes mit Kolonialwaren. Gemäss Franc konnte die BHG zwischen 1942 und 1944 über Spanien und Portugal insgesamt rund 8500 Tonnen Kakao in die Schweiz einführen.77 Wilhelm Preiswerks Söhne William und Max, die inzwischen in die Leitung der Firma eingetreten waren, liessen sich in London beziehungsweise New York nieder, von wo sie den Grossteil der Handelsgeschäfte abgewickelten.78 William Preiswerk amtete in London gleichzeitig als Diplomat der Schweizer „Division spéciale chargée des intérêts étrangers à la Légation de Suisse à Londres“.79 Während des Zweiten Weltkriegs kontrollierten die britischen Behörden den Kakaohandel. Den europäischen Handelshäusern wurden, ähnlich wie bei deren Absprachen untereinander, wieder fixe Ernteanteile und (von oben verordnete) Einkaufspreise vorgegeben.80 Auch im staatlich kontrollierten Rahmen konnten im Kakaohandel weiterhin Gewinne erzielt werden.81 Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich das politische und gesellschaftliche Umfeld in Afrika. 1948 kam es zu Unruhen an der Goldküste: Ein Einkaufs-Boykott blockierte das Geschäftsleben, und es ereigneten sich gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nach Unabhängigkeit strebenden Afrikanern und der Polizei. Auch die Geschäfte der BHG waren von diesen „Riots“ betroffen.82 Die BHG vollzog daraufhin eine tief greifende Reorganisation ihrer afrikanischen Geschäfte. Im Laufe der 1950er Jahre zog sich die UTC weitgehend aus dem traditionellen Ladengeschäft in Afrika zurück. An dessen Stelle sollten nun vermehrt der Grosshandel und der Warenverkauf in einigen wenigen modernen Warenhäusern treten. Den Beginn machte der „Departement Store“ in Accra, der am Standort der während der „Riots“ von 1948 beschädigten Hauptfiliale errichtet wurde. Einen kräftigen Aufschwung erlebte das Motorwagengeschäft.83 1956 gründete die UTC eine technische Ausbildungsstätte in den Räumlichkeiten der ehemaligen Filiale in Winneba. In dieser „UTC Technical School“ wurden unter Leitung von Schweizer Fachleuten afrikanische Automechaniker ausgebildet.84 Im Laufe der 1950er Jahre zog sich die UTC aus dem inzwischen staatlich regulierten Kakaogeschäft zurück; betrieb aber weiterhin die weltweite Vermarktung von Goldküstenkakao.85 Gleichzeitig kam es während der 1950er Jahre zu einer Umstrukturierung des Mutterhau77 78
79 80 81 82 83 84 85
Franc, Schokolade (2008), 176–180. ABM/UTC 4928: Erhebung über den schweizerischen Transit- und Welthandel, 1954; vgl. auch Franc, Schokolade (2008), 185. Ähnlich wie die BHG verfuhr auch die im Baumwollhandel tätige Firma Volkart, die während des 2. Weltkriegs gar ihren Hauptsitz offiziell von Winterthur nach London verlegte und einen leitenden Angestellten nach New York delegierte (Rambousek et.al., Volkart (1991), 145). Zur „Division spéciale“ vgl. DODIS – Diplomatische Dokumente Schweiz. Franc, Schokolade (2008), 182–185. Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 448; vgl.BM 4968: Spörri, Christian: Memoiren, 1961, 43. Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 451. Lenzin, Afrika (1999), 121–125; Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 453 f.; Stucki, Imperium (1969), 339 f. Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 453; vgl. ABM/UTC 4421: Berichte und Korrespondenz der UTC Technical School in Winneba, 1956–1963. Franc, Schokolade (2008), 204–207; Preiswerk, William: Entwicklungshilfe ohne Staatsgelder, in: Schweizer Spiegel, August 1966, 24.
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ses in Basel. Die BHG gliederte nun ihre zahlreichen Beteiligungen in einer klar strukturierten Holdinggesellschaft, in der die BHG zur Muttergesellschaft wurde.86 Das komplizierte Nebeneinander von BHG und UTC hatte damit ein Ende. In den 1960er- und 1970er Jahren erfolgte – wie es damals im Trend lag87 – eine weitere Diversifikation. Einen grossen Teil der Geschäftstätigkeiten machten nun weltweite Investitionen aus, die keinen Bezug mehr zum traditionellen Westafrikageschäft hatten. In Afrika konnten aber, etwa während des Erdölbooms der 1970er Jahre in Nigeria, immer noch hohe Gewinne erwirtschaftet werden. 1977 wurde die BHG im Rahmen ihrer Diversifikationsstrategie Mehrheitsaktionärin des bekannten Zürcher Warenhauses Jelmoli. Der unterdessen rund achtzig unterschiedliche Unternehmen umfassende Konzern geriet in den 1980er Jahren durch den Kollaps der nigerianischen Ölförderung in eine schwere Krise, von der sich das Unternehmen nie mehr ganz erholte.88 Die offenbar zu stark diversifizierte Unternehmensgruppe musste die verschiedenen Tochtergesellschaften und die meisten Beteiligungen im Laufe der 1990er Jahre abstossen.89 Das ehemalige Kernstück des Unternehmens, die Geschäfte in Ghana, gingen 1997 an eine Gruppe afrikanischer Investoren über.90 2000 übernahm die Basler Investmentfirma Welinvest schliesslich die BHG.91 Die BHG dient seitdem als Managementgesellschaft innerhalb der Welinvest-Holding, die Beteiligungen und Immobilien in der Schweiz und anderen Ländern hält.92 Der Bilanzwert des Unternehmens stieg bis in die 1970er Jahre auf buchhalterische Werte von über dreissig Millionen Franken.93 Das Aktienkapital wurde bloss bescheiden erweitert: 1928 von 1,5 auf 2,5 Millionen Franken; 1976 von 2,5 auf drei Millionen Franken.94 Mit der Kapitalerhöhung von 1928 näherte sich die BHG wieder ein Stück weit dem Missionskontext: 1929 übergab sie die Hälfte der neuen Aktien (immerhin zwanzig Prozent des gesamten Aktienkapitals) an die eigens dafür gegründete missionsnahe Stiftung „Paulus-Fonds“. Die dazu nötigen Mittel von
86 87 88 89
Wanner, Basler Handelsgesellschaft (1959), 438–441. Vgl. Jones, Merchants (2001), 346–347; Berghoff, Unternehmensgeschichte (2004), 19; 111. Guex, Swiss trading companies (1998), 163 f. UTC trennt sich von Jelmoli, in: NZZ, 21. August 1996, 19. Der Wirtschaftsjournalist Heinz Bitterli kommentiert in diesem Artikel die Strategie der BHG seit den 1970er Jahren mit folgenden Worten: „Die Diversifikationsübungen der siebziger Jahre erfolgten mit – ausserhalb Afrikas – wenig Erfahrung, auf beschränkter Grundlage und konzeptarm. Mitte der achtziger Jahre verfügte die UTC International über ein Konglomerat von rund 80 Firmen mit etwa 40 verschiedenen Aktivitäten, nicht aber über eine valable Gruppenstrategie oder ein organisiertes Management und Berichtswesen.“ Bsp. gescheiterter Diverifikationsstrategien finden sich auch bezüglich anderer Handelsunternehmen. (Vgl. Jones, Merchants (2001), 347.) 90 Schweizer, Mission (2002), 150. 91 Franc, Schokolade (2008), 16. 92 Vgl. [Stand: 28. Januar 2011] 93 Vgl. dazu die Angaben in den Jahresberichten der BHG. Den grössten Teil der Bilanzsumme machten seit der Organisation der BHG als Konzern die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften aus. 94 Vgl. dazu ABM/UTC 4657: Rechnungs-Abschluss- und Bilanz-Buch, 1913–1935 sowie die Angaben in den Jahresberichten der BHG.
5.2 Ausblick: Entwicklung der Nachfolgefirmen nach 1918
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einer halben Million Franken erhielt der Paulus-Fonds als einmalige (delegiert gemeinnützige) Spende der UTC.95 Der Paulus-Fonds setzte sich folgende Zwecke: „Förderung und Unterstützung evangelischer christlicher Kirchen und evangelischer christlicher gemeinnütziger Werke (wie Spitäler, Schulen, Ausbildungs- und Betreuungsanstalten) in Übersee und der mit ihnen zusammenarbeitenden Missionen und Hilfswerken (äussere Mission) und die evangelische kirchliche und freikirchliche Evangelisations- und Missionstätigkeit in der Schweiz (innere Mission), insbesondere mit Zuwendungen für die Besoldung und für die Berufsvorsorge von Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der inneren und äusseren Mission sowie ihrer Hinterbliebenen.“96
Der dreiköpfige Stiftungsrat setzte sich aus je einem Vertreter der Basler Mission und der BHG sowie einem externen Mitglied zusammen.97 Die Stiftung besteht bis heute. Bis zum Ende der BHG hielt sie zwanzig Prozent des BHG-Aktienkapitals.98 Sie ist somit die langlebigste ideelle Nachfolgerin der alten Missions-HandlungsGesellschaft. Bis in die 1950er Jahre wurden die übrigen Aktien im Normalfall innerhalb der Familien der traditionellen Investoren weitervererbt.99 Später wurden die Aktien der BHG dann auch als nicht kotierte Aktien gehandelt.100 Personell bestand einige Kontinuität zwischen der alten Missions-HandlungsGesellschaft und der späteren BHG. Zum einen betraf dies den langjährigen Präsidenten der Handlungskommission, Wilhelm Preiswerk. Nachdem er die treibende Kraft bei der Trennung von der Mission im Jahr 1917 gewesen war, verblieb er weiterhin im Verwaltungsrat. Das unerschrockene Vorgehen bei der Trennung von der Basler Mission und der unermüdliche Kampf für die Rückgabe beschlagnahmten Güter weisen darauf hin, dass ihm die Geschicke der Missions-Handlungs-Gesellschaft mehr und mehr zu einem persönlichen Anliegen geworden waren. Dies musste aber nicht bedeuten, dass er die Vergangenheit der Handlungs-Gesellschaft als eines unternehmensethisch sensibilisierten Missions-Unternehmens leugnete. Kurz vor seinem Tod hinterliess er seinen beiden unterdessen in die Firma eingetretenen Söhnen William und Max 1938 eine Denkschrift zum Wesen der BHG, die explizit auf diese historische Verwurzelung verwies und das ethische Ideal einer Art Treuhänderschaft entwarf: „Wem gehört die Gesellschaft am Nonnenweg [die BHG]? [...] Tatsächlich befinden wir uns in einem Dualismus. Der wahre Eigentümer wäre Jesus-Christ, der im Laufe eines Jahrhunderts oder noch länger die Opfer der ehemaligen Missionskaufleute entgegengenommen und zu solchen Werten hat ansteigen lassen, wie sie tatsächlich bestehen. Das andere Glied dagegen 95 ABM/UTC 4988: Erste Sitzung des Verteilungskomitees der U.H.G., 17. Mai 1929; vgl. ABM/ UTC 4140: List of the shareholders of the Basle Trading Company Ltd. at Basel, 19. September 1939. 96 [Stand: 15. März 2010]. 97 Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 80. 98 Firmennachrichten, in: NZZ, 4. Juni 1998, 28. 99 Vgl. ABM/UTC 5006: Basler Handels-Gesellschaft A.G., Aktienübertragungen, 1929–1959. 100 Vgl. Nicht kotierte Schweizer Aktien / Im Windschatten der Börse / Tourismuswerte weiter im Luftloch, in: NZZ, 16. November 1996, 33, wo festgehalten wird: „Von Investoren gesucht – teilweise aber ohne Relevanz für die Kurse – waren die Scheine von Perlen, NZZ, Metallwaren Zug, Freilager Zürich und der Basler Handelsgesellschaft.“
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5. Ende und Neuanfang in diesem Dualismus sind die Formierungen äusserer rechtsverbindlicher Art. Diesen beiden Gebilden gehört die Missionshandelsgesellschaft an und ist ihnen verantwortlich. Am Nonnenweg sind wir verantwortlich dafür, dass beide ein und die selbe Einheit bilden. Wir sind die Verwalter, aber nicht die Eigentümer dieser Mittel.“101
Neben Preiswerk verblieb bei der Trennung 1917 nur Anton Schaeffer im Verwaltungsrat der Missions-Handlung. Neu trat der Basler Seidenbandfabrikant Alfred Iselin in den Verwaltungsrat ein.102 Wie seine Vorgänger war auch er ein Vertreter des Basler Grossbürgertums, welches die Geschicke der Firma seit 1859 geprägt hatte. Als Wilhelm Preiswerk 1938 starb, ging das Präsidium an Wilhelms Sohn William Preiswerk über. William war seit 1917 Prokurist in der Geschäftsleitung und seit 1928 Verwaltungsrat.103 Gleichzeitig trat dessen Bruder Max, der schon seit Anfang der 1930er Jahre in der Direktion der BHG tätig war, in den Verwaltungsrat ein.104 Die persönlichen Verbindungen zwischen der Familie Preiswerk und der ehemaligen Missions-Handlungs-Gesellschaft blieben so in der dritten Generation bestehen. Auch beim Management in Basel bestand eine weitgehende Kontinuität zwischen der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft und der BHG. Bis auf William und Max Preiswerk bestand die Geschäftsleitung aus ehemaligen Missionskaufleuten.105 Das Gleiche galt anfangs für die Kaufleute in Übersee.106 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer grundlegenden Erneuerung des Mitarbeiterstabes. Über die Motivationen der Mitarbeiter und Kader in der neuen Unternehmung lässt sich ohne genauere Untersuchungen nur spekulieren. Es ist davon auszugehen, dass zumindest für die von der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft übernommenen Kaufleute religiöse oder philanthropische Motive noch eine gewisse Rolle gespielt haben mögen. In den Lebenserinnerungen Hans Busers, der von 1956 bis 1960 als Autohändler für die UTC in Ghana tätig war, spürt man viel persönliches Interesse an und Mitgefühl mit seinem afrikanischen Gastland und dessen Bewohnern. Anders als bei den alten Missionskaufleuten scheint sein Verantwortungsgefühl (welches ihm später den Ehrentitel eines „Chiefs“ einbrachte) aber weniger vom Unternehmen, als von ihm selbst ausgegangen zu sein. Von einer besonderen philanthropischen oder gar religiösen Engagement der damaligen UTC und BHG in Afrika ist in seinen Erinnerungen jedenfalls kaum die Rede.107
101 ABM/UTC 4295: Brief Wilhelm Preiswerk an seine Söhne William und Max, 30. Januar 1938. Eine ähnliche Idee, dass geschäftlicher Reichtum, von Gott anvertraut sei, findet sich auch bei quäkerischen Unternehmern. (Vgl. Chapman, Merchant (1992), 295–296.) 102 ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 20. Februar 1918. 103 Jahresbericht Basler Handels-Gesellschaft 1928, 3; ABM/UTC 4573: Sitzung der Handlungskommission vom 8. Juli 1917. 104 Jahresbericht Basler Handels-Gesellschaft 1938. 105 Etwa die ehemaligen Missionskaufleute Binhammer, Opferkuch oder Sieber. 106 Vgl. ABM/UTC 4721: Personalia I. 107 Buser, Hans: Ein Schweizer Kaufmann in Ghana, Basel 2009.
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Die BHG in der Tradition der Missions-Handlungs-Gesellschaft? Aus der Tradition der Missions-Handlungs-Gesellschaft und den verschiedenen personellen Kontinuitäten ergaben sich auch für die BHG verschiedene unternehmensethische Besonderheiten. Als direkt gemeinnützige Tätigkeiten sind an erster Stelle die oben erwähnten Bemühungen der UTC in der Lehrlingsausbildung zu nennen, die in die Gründung der Technischen Schule in Winneba mündeten. In Anlehnung an die Tradition der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft setzten sich die Verantwortlichen der BHG in einem internen Memorandum weiterhin das Ziel, „als Kulturfaktor an der christlich-sittlichen und wirtschaftlichen Hebung des Negervolkes mit[zu]arbeiten.“108 Diese „zivilisatorische“ Mission wurde auch über die Unabhängigkeit der Goldküste hinaus weiterverfolgt. Als Antwort auf öffentliche Kritik an der BHG als Welthandelsunternehmen109 erinnerte William Preiswerk an die Vorbildfunktion der europäischen Mitarbeiter in Afrika. Unter dem programmatischen Titel „Entwicklungshilfe ohne Staatsgelder“ erzählte er 1966 in der Zeitschrift „Schweizer Spiegel“, wie man bei der Beurteilung des europäischen Personals auf besondere Werte achte: „[...] seriöse Arbeit, Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Verantwortung für die ihnen anvertrauten Werte und Aufgaben, Verantwortung gegenüber dem Arbeitgeber, gegenüber Arbeitskollegen und Untergebenen, Verantwortung gegen die Behörden und den Staat, gegenüber sich selbst und last but not least gegenüber dem lieben Gott.“110
Damit wusste er sich im Prinzip immer noch eins mit den Zielen der Basler Mission: „Das sind nichts anderes als die Grundlagen, auf denen unsere christliche Zivilisation beruht, und das ist es, was die Mission sich verpflichtet fühlt in Wort und Tat und in zahlreichen Schulen und Erziehungsanstalten zu verkünden.“111
Nachdem die Basler Mission 1925 wieder an die Goldküste zurückgekehrt war,112 versorgte die UTC die Basler Missionare wieder günstig mit europäischen Waren.113 Keine Rolle mehr spielten dagegen direkte Missionsbemühungen der Kaufleute. Im Sinne von Entwicklungshilfe durch wirtschaftliches Handeln per se erwähnt Franc die Erfolge der BHG in der Markterschliessung und der Schaffung
108 ABM/UTC 4283: Aufnahme-Bedingungen der Basler Handels-Gesellschaft A.-G., [undat., wohl nach 1928]. 109 Vgl. Franc, Schokolade (2008), 239 f. 110 Preiswerk, William: Entwicklungshilfe ohne Staatsgelder, in: Schweizer Spiegel, August 1966, 20. 111 Preiswerk, William: Entwicklungshilfe ohne Staatsgelder, in: Schweizer Spiegel, August 1966, 20 f. 112 Witschi, Geschichte (1970), 304. 113 Vgl. ABM/UTC 4283: Aufnahme-Bedingungen [für kaufmännische Mitarbeiter] der Basler Handels-Gesellschaft A.-G., [undat., wohl nach 1928]. In welchem Umfang solche günstige Belieferungen dann tatsächlich stattgefunden haben und welche Rolle sie angesichts der sich stets entwickelnden Infrastruktur an der Goldküste noch spielten, ist nicht klar.
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5. Ende und Neuanfang
qualifizierter Arbeitsplätze. Ehemalige einheimische Angestellte konnten ihr berufliches Wissen bei der Etablierung eigener Aussenhandelsfirmen nutzen.114 Bezüglich der Übernahme unternehmensethischer Verantwortung im täglichen Geschäft zeigte sich ein ähnliches Bild wie bei der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft. Man verzichtete weiterhin auf den Handel mit Branntwein,115 unterschied sich im Übrigen aber nicht von der Konkurrenz. Die BHG/UTC beteiligte sich in der Zwischenkriegszeit weiterhin aktiv an den seitens der Einheimischen im deutlicher kritisierten Einkaufskartellen der europäischen Handelshäuser.116 In Beantwortung ihrer Forschungsfrage nach der Rolle der BHG zwischen Imperialismus und Entwicklungshilfe117 bezeichnet Franc die Beteiligung an den Kartellen denn auch als ein „[...] klar politisches beziehungsweise imperialistisches Verhalten [...]“ welches zwar als Positivum einen gewissen Qualitätsstandard geschaffen, insgesamt aber vor allem dazu gedient habe, die Produzentenpreise zu drücken.118 Positive Signale setzte die BHG im Zusammenhang mit postkolonialer Korruption. Der ehemalige UTC-Mitarbeiter Hans Buser erzählt in seinen Lebenserinnerungen die Anekdote, wie ein UTC-Direktor die Einberechnung einer „Kommission“ an die Regierungspartei mit den Worten „Kein Geschäft ist auch ein Geschäft“ ablehnte.119 Buser relativiert diese positive Einschätzung allerdings an anderer Stelle, wenn er auf die „Doppelmoral“ der UTC anspielt120 oder leicht spöttisch den „Basler-UTC-Heiligenschein“ erwähnt.121 Franc erzählt, wie die UTC als „Hoflieferant“ Kwame Nkrumahs 1960 für die Lieferung eines goldenen Schwertes zu dessen Einsetzung als Staatspräsident auf eine Vermittlungs- und Liefergebühr verzichtete.122 Schliesslich führte die BHG die Tradition der delegiert gemeinnützigen Zahlungen fort. Die Gewinne des Mutterhauses BHG ermöglichten, wie in den Statuten vorgesehen, über die Dividenden hinaus Zahlungen an „Reich-Gottes-Werke“. Zwischen 1920 und 1959 betrugen die delegiert gemeinnützigen Ausschüttungen im Schnitt rund 125 000 Franken jährlich,123 was im Vergleich zu früher einen sehr bescheidenen Betrag darstellte. Empfänger waren verschiedene christliche Institutionen (Missionsgesellschaften, Hilfswerke, der CVJM etc.) in der Schweiz und im Ausland. Nachdem 1928 die Streitigkeiten mit den britischen Behörden bezüglich der afrikanischen Besitzungen beigelegt worden waren, zählte auch die Basler Mission wieder zu den Nutzniessern dieser Beiträge.124 Parallel zu den Zahlungen der BHG schüttete auch die UTC delegiert gemeinnützige Beiträge aus. Das Protokoll114 Franc, Schokolade (2008), 243 f. 115 ABM/UTC 4283: Aufnahme-Bedingungen der Basler Handels-Gesellschaft A.-G., [undat., wohl nach 1928]. 116 Franc, Schokolade (2008), 151–158. 117 Franc, Schokolade (2008), 41–44. 118 Franc, Schokolade (2008), 230 f. 119 Buser, Hans: Ein Schweizer Kaufmann in Ghana, Basel 2009, 71; 76. 120 Buser, Hans: Ein Schweizer Kaufmann in Ghana, Basel 2009, 42. 121 Buser, Hans: Ein Schweizer Kaufmann in Ghana, Basel 2009, 77. 122 Franc, Schokolade (2008), 210–212. 123 Vgl. Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 79. 124 ABM/UTC: 4295: Korrespondenz mit Treuhändern. 1928 kam es ausserdem zu einer im Jahresbericht nicht deklarierten einmaligen Spende an die Basler Mission „voraus vergabt“ im
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buch der dafür zuständigen „Verteilungs-Kommission der U.H.G.“ enthält allerdings nur zwei Einträge: die oben erwähnte Spende von einer halben Million Franken an den Paulus-Fonds (1929) und die Verteilung des nunmehr bescheideneren Beitrags von 80 000 Franken an verschiedene christliche und philanthropische Institutionen in Europa, nicht aber die Basler Mission, im Jahr 1930.125 Ob die UTC auch später noch als delegiert gemeinnütziger Spender auftrat, ist unklar. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Usus durch, dass der Gesamtbetrag der delegiert gemeinnützigen Beiträge der BHG der Gesamtsumme der Dividendenzahlungen an die Aktionäre entsprach. Das Verhältnis zwischen den gewinnorientierten Ausschüttungen an die Aktionäre und den delegiert gemeinnützigen Zahlungen, welches sich von Werten von 3:1 in der Gründungszeit über Werte von 1:5 in den 1880er- und 1890er Jahren hin zu Werten von 1:16 zu Gunsten der delegiert gemeinnützigen Zahlungen vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt hatte, pendelte sich nun beim Verhältnis von 1:1 ein.126 Gleichzeitig kam die BHG mit den Statuten von 1928 von der Fixierung der Aktionärsdividende auf fünf Prozent des nominellen Aktienkapitals ab.127 Nun wurde die Dividende – falls der Lauf der Geschäfte es zuliess – laufend erhöht; seit 1940 betrug die Dividende stets über sechs Prozent des nominellen Aktienkapitals, ab den 1970er Jahren stiegen die Dividenden auf Rekordwerte von 18 Prozent des nominellen Aktienkapitals. Dadurch erhielten die Aktionäre (ebenso wie die von der BHG bedachten Institutionen) jährlich insgesamt rund 540 000 Franken.128 In jüngerer Zeit wurden die Aktien der BHG dann auch vermehrt gehandelt129 und gewannen so potentiell nochmals an Rentabilität. Was blieb schliesslich von der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft erhalten? Am deutlichsten ist die Kontinuität der grundsätzlich delegiert gemeinnützigen Ausrichtung. Abgesehen davon lässt sich nur noch wenig unternehmensethische Sensibilisierung ausmachen. Die gewichtigste Änderung bezüglich der delegierten Gemeinnützigkeit bestand darin, dass diese Zahlungen teilweise von der Basler Mission losgelöst wurden. Die Empfänger der jährlichen Spenden – darunter seit 1928 auch wieder die Basler Mission – waren durch keinerlei formale und wohl auch weniger informelle und persönliche Verbindungen an die Handlungs-Gesellschaft gebunden. Das scheint den Ansporn zu delegiert gemeinnützigen Zahlungen gemindert zu haben. Der Hauptzweck des Unternehmens bestand nun ganz offensichtlich nicht mehr in der Unterstützung der Mission oder anderer gemeinnütziger Werke, sondern – verstärkt durch die Auseinandersetzungen mit den britischen Be-
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Umfang von 100 000 Franken. (Vgl. ABM/UTC 5013: BHG / Bilanzen, (1861)–1938, Mappe B.H.G. Vor 1929, Zusammenstellung.) ABM/UTC 4988: Protokoll der Verteilungs-Kommission der U.H.G, 1929–1930. Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Basler Handels-Gesellschaft. ABM/UTC 4553: Statuten der Basler Handels-Gesellschaft A.-G. in Basel, 4. Dezember 1928. (Nach § 6e erhielt neu die Generalversammlung das Recht, frei über die Festlegung der Dividende und der delegiert gemeinnützigen Beträge zu bestimmen.) Vgl. die Angaben in den Jahresberichten der Basler Handels-Gesellschaft Vgl. Nicht kotierte Schweizer Aktien / Im Windschatten der Börse / Tourismuswerte weiter im Luftloch, in: NZZ, 16. November 1996, 33.
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5. Ende und Neuanfang
hörden – immer mehr im Gedeihen der Firma an sich. Immerhin gründete die BHG/ UTC mit dem Paulus-Fonds eine nachhaltige „Gönnerin“ der Basler Mission. Aus der fehlenden institutionellen Verbindung zwischen Geber und Empfänger der delegiert gemeinnützigen Zahlungen ergab sich möglicherweise eine unternehmerisch kritische Konstellation. Es fehlte eine kontrollierende Instanz, die gegebenenfalls auf den Verwaltungsrat des Unternehmens hätte Einfluss nehmen können. Während diese Funktion üblicherweise den Besitzern beziehungsweise den Aktionären zukommen sollte, hatte bei der alten Missions-Handlungs-Gesellschaft das Missionskomitee als wichtigster Stakeholder diese Rolle inne. Die BHG hatte weder das eine noch das andere: Die Empfänger der Spenden wurden zu einer passiven und anonymen Gruppe, während die Aktionäre weiterhin passiv blieben, da sie diese Investition wohl immer noch als ein eher unbedeutendes von der Tradition her gemeinnütziges Engagement betrachteten. Stellt man nun Vermutungen über die „konzeptarme“130 und wenig erfolgreiche Diversifikationsstrategie der 1970er und 1980er Jahre an, so könnte diese fehlende Kontrolle das Ihre zur misslungenen strategischen Entwicklung beigetragen haben. Schliesslich bedeutete das Fehlen aktiver Share- oder Stakeholders nicht nur fehlende Kontrolle, sondern es führte auch dazu, dass die Gewinne des Konzerns in einem geringeren Umfang abgeschöpft wurden, was dem Management viel Spielraum für eine teure und riskante Diversifikation liess. Eine schwache Position der Aktionäre führte hier nicht zur Bereicherung einzelner Gruppen,131 sondern zu einer (im Rückblick) allzu riskanten Strategie. Eine Firma kann ohne aktive Shareholder durchaus funktionieren, solange ein anderer starker Akteur – die Öffentlichkeit, die Mitarbeiter oder eben, wie in unserem Fall bis 1917, die Basler Mission als Nutzniesser der delegiert gemeinnützigen Zahlungen – an deren Stelle tritt. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr einer langfristig ungesunden Entwicklung.
130 UTC trennt sich von Jelmoli, in: NZZ, 21. August 1996, 19. 131 Zu nennen wären etwa Löhne und Boni von so genannten Topmanagern. Solche Zahlungen sollten allerdings nicht allein auf persönliches Gewinnstreben zurückgeführt werden. Sie beruhen vielmehr auf der merkwürdig ökonomistischen (und m. E. irrigen) Annahme, dass sich der Wert einer Persönlichkeit oder einer erwarteten persönlichen Leistung in Zahlen oder gar einem Marktpreis fassen liesse. In diesem Sinn geht es den Empfängern dieser Zahlungen wohl vor allem um Selbstbestätigung – oder in einem weiter gefassten Sinn um „innere Befriedigung“. Damit schliesst sich der Kreis: Auch die alten Missionskaufleute suchten „innere Befriedigung“ – sie setzten dabei allerdings nicht auf Boni, sondern auf Gotteslohn.
6. SCHLUSSWORT Geld oder Mission? – das unternehmensethische Spannungsfeld Diese Studie orientierte sich an einem als unternehmensethischer Analyseraster vorgestellten Nebeneinander von gewinnorientierten, delegiert- und direkt gemeinnützigen Unternehmenszielen und der Kategorie der unternehmensethischen Verantwortung im Bezug auf die Art und Weise der wirtschaftlichen Aktivität. Im Folgenden soll ein Überblick über die Entwicklungen innerhalb dieses unternehmensethischen Spannungsfelds gegeben werden. In einem zweiten Abschnitt wird auf die besonderen Probleme bei der Umsetzung des unternehmensethischen Programms eingegangen. Ein dritter Teil beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Missions-Handlungs-Gesellschaft zur Mission und der Frage, was die Missions-Handlungs-Gesellschaft sechzig Jahre lang zusammengehalten hat. Schliesslich soll die Missions-Handlungs-Gesellschaft als besondere Form gemeinnütziger und wirtschaftlicher Wertschöpfung kritisch gewürdigt werden. Die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft und ihrer unternehmensethischen Ausrichtung beginnt mit der Basler Mission. Um die Mission von den geschäftlichen Risiken ihres Handelsgeschäfts zu entlasten, gründeten Personen aus dem Umfeld der Basler Mission die Missions-Handlungs-Gesellschaft. Die Übernahme des Geschäftsrisikos der Mission bedeutete ein direkt gemeinnütziges Engagement durch private Investoren. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass dieses „ethische Investment“ auch gewinnorientierten Ansprüchen genügte. Die moralisch-religiösen Bemühungen nahmen sich in der Anfangsphase noch relativ bescheiden aus: Zu nennen wären als direkt gemeinnützige Aktivitäten die Versorgung der Missionsstationen und bescheidene Ansätze missionarischer „zivilisatorischer“ Arbeit. Als Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung sticht der Verzicht auf den Branntwein- und Waffenhandel hervor. Eine Besonderheit stellte das Entwicklungsprojekt gegen die Sklaverei dar, welches Ulrich Zellweger, der erste Präsident der Gesellschaft, forcierte. Sein Projekt kam allerdings nie richtig zum Tragen. Mit den neuen Statuten von 1880 änderte sich die Situation grundlegend: Die delegierte Gemeinnützigkeit gewann stark an Bedeutung, während gleichzeitig die Aktionärsrendite eingeschränkt wurde. Kurz darauf übernahm die Missions-Handlungs-Gesellschaft mit den Missionsindustrien ein etabliertes Missions- und Entwicklungsprojekt, das vor allem als Beschäftigungsprogramm ausgeprägt direkt gemeinnützig tätig war. Ausserdem spielte nun die Wahrung unternehmensethischer Verantwortung eine immer grössere Rolle. Neben dem weiterhin hochgehaltenen Verzicht auf den Waffen- und Spirituosenhandel betraf dies vor allem die Wahrnehmung von unternehmensethischer Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Daraus resultierten Sozialwerke für die Industriearbeiter in Indien und eine
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6. Schlusswort
Sensibilisierung für die gesundheitlichen Risiken, die die europäischen Mitarbeiter eingingen. Bis zur Jahrhundertwende zeigte sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft als ein sowohl delegiert als auch direkt gemeinnütziges (beziehungsweise der Mission nützliches) und ihre unternehmensethische Verantwortung reflektierendes Unternehmen. Durch seine ureigene Aufgabe (der Mission auf die eine oder andere Weise zu nützen) hob es sich deutlich von seinen Konkurrenten ab. Das heisst aber nicht, dass die Missions-Handlung zum „Pionier der Entwicklungs-Zusammenarbeit“ oder gar „frühe[n] Verfechter [...] des ‚Fair Trade‘“1 wurde. Referenzpunkt ihrer moralischen Ausrichtung war allein die Mission. Entwicklungs-Zusammenarbeit war allenfalls ein Nebeneffekt; Handel wurde von den Verantwortlichen der Handlungs-Gesellschaft aus einem wirtschaftsliberalen Selbstverständnis heraus per se als gerecht und nützlich empfunden. Über die Fairness von Handelsbeziehungen wurde soweit ersichtlich nicht nachgedacht. Bei der hier eher zurückhaltenden Bewertung der direkt gemeinnützigen Tätigkeiten und der Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung im täglichen Geschäft sollte nicht vergessen werden, dass die im Rahmen dieser Studie bearbeiteten Quellen in diesem Bereich nur oberflächliche Aussagen erlauben. Unter Berücksichtigung der Korrespondenz zwischen den Mitarbeitern in Übersee und der Unternehmensführung in Basel ergäben sich hier zusätzliche Möglichkeiten. Gleichzeitig könnte man anhand dieser Quellengruppe allenfalls auch eine fundiertere Verortung der Missions-Handlungs-Gesellschaft innerhalb des europäischen Kolonialismus und der kolonialen Gesellschaften vornehmen. Der Kakaoboom an der Goldküste seit der Jahrhundertwende war für die Missions-Handlungs-Gesellschaft Segen und Fluch zugleich. Einerseits bot der Kakaohandel enormes geschäftliches Potential, welches die Missions-Handlung gut zu nutzen wusste. Andererseits begann mit dem einhergehenden Wachstum des Unternehmens und dem neuen Selbstbewusstsein der Unternehmensführung der immer wieder neu definierte Ausgleich zwischen Unternehmertum und Missionsorientierung zu bröckeln. Als Ergebnis der Diskussion der „Handlungsfrage“ zwischen 1906 und 1909 ergab sich eine Änderung der Rekrutierungspraxis. Die MissionsHandlungsGesellschaft verblieb zwar Teil der Mission; die Missionskaufleute wurden aber zu gewöhnlichen Angestellten. Ihr persönliches Engagement für die Mission verlor damit an Bedeutung. Gleichzeitig argumentierte die Unternehmensleitung mit der Gutheissung der Einkaufskartelle gegen moralische Bedenken verschiedener Missionare und Missionskaufleute, die im Verzicht auf Kartelle ein unternehmensethisch verantwortliches Handeln gesehen hätten. Eine Stärkung erfuhr 1
So die Bezeichnungen bei Salvisberg, Zellweger (2008), 10 [Einleitung von Bernhard Ruetz] und hinten auf dem Umschlag. Die gleiche Verkürzung machen u. a. auch Stückelberger, Ethischer Welthandel (2001), 23; Schweizer, Mission (2002), 145 und 139; Jenkins, Basler Mission (2009). (Auf die unpassende Bezeichnung hat bereits Franc, Schokolade (2008), 36; 73; 214 hingewiesen.) Zu einem Pionier des Fair-Trade wurde – wenn schon – die von der MissionsHandlungs-Gesellschaft völlig unabhängige Missionsbuchhandlung, die spätestens seit den 1890er Jahren direkt importieren Tee aus den Missionsgebieten verkaufte. (Vgl. die entsprechende Annonce im Jahresbericht der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel, 1894, 87.)
Reibungen und Entscheidungen
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dagegen die delegierte Gemeinnützigkeit. Sie wurde zum Hauptzweck der Missions-Handlungs-Gesellschaft. Jährliche Zahlungen an die Mission von über einer Millionen Franken sprechen für sich. Nach der kriegsbedingten Trennung verlor auch die delegierte Gemeinnützigkeit an Bedeutung. Insgesamt überwogen im hier untersuchten Zeitraum die gemeinnützigen Aktivitäten zu Gunsten der Mission (zum Schluss vor allem durch delegiert gemeinnützige Zahlungen). Bei der delegierten und direkten Gemeinnützigkeit handelte es sich um eine karitative Form der Unternehmensethik, die die Art und Weise der Gewinnerwirtschaftung nicht in Frage stellten. Demgegenüber spielte die Wahrnehmung einer bestimmten unternehmensethischen Verantwortung, im Sinne einer korrektiven Beschränkung der Geschäftstätigkeit eine untergeordnete Rolle.2 Reibungen und Entscheidungen – Diskussionen um die unternehmensethische Ausrichtung Die Gewichte in der unternehmensethischen Ausrichtung der Missions-HandlungsGesellschaft verschoben sich nicht von alleine. Oft handelte es sich um bewusste Entscheide, denen Reibungen im unternehmensethischen Spannungsfeld vorangegangen waren. Grundsätzlich lassen sich zwei Herangehensweisen an das Entscheidungsproblem zwischen gewinnorientierten, delegiert- und direkt gemeinnützigen Aktivitäten unterscheiden: Entweder geht es um die hintereinander gekoppelten Fragen, wie viel Gemeinnützigkeit (neben der Gewinnorientierung) in den Unternehmenszielen enthalten sein soll und welcher Art zweitens diese Gemeinnützigkeit sein soll, delegiert oder direkt? Oder um die Doppelfrage, wie viel Aufwand für direkt gemeinnützige Tätigkeiten und wie viel für das Erwirtschaften eines Betriebsgewinns getätigt werden soll und wie das so verdiente Geld gebraucht werden soll: zur Verfolgung gewinnorientierter oder delegiert gemeinnütziger Ziele? Für die Missions-Handlungs-Gesellschaft hatten beide Zugänge ihre Bedeutung. Ohne dass die Aktionäre Druck ausgeübt hätten, arbeitete die Missions-Handlungs-Gesellschaft in den ersten Jahren vor allem auf einen Betriebsgewinn hin, der gemäss den ursprünglichen Statuten mehrheitlich den Aktionären zu Gute kam. Dies weckte verständlicherweise den Unmut der Missionskaufleute, die zum „Gotteslohn“ für die Handlungs-Gesellschaft arbeiteten. Ihr eigenes moralisch-religiöses Engagement stand in einem Widerspruch zu den Zielen des Gesamtunternehmens. Nachdem man lange Zeit über diesen Widerspruch hinweggeblickt hatte, reagierte das Unternehmen in den neuen Statuten von 1880 darauf. Die Aktionäre verzichteten fortan – nicht aktiv, aber auch ohne sich zu wehren – auf eine gewinnabhängige Rendite und begnügten sich mit der bescheidenen Verzinsung ihrer Aktien analog zu Obligationen. Die Entscheidung im unternehmensethischen Spannungsfeld wurde damit vereinfacht: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft brauchte sich – abgesehen von der Frage, wieviel vom Gewinn reinivestiert werden sollte – 2
Dies kann man durchaus kritisch sehen. So fordert etwa Stückelberger in seiner „Ethik des Welthandels“ die Priorität der Wahrnehmung unternehmensethischer Verantwortung vor (delegierter) Gemeinnützigkeit. (Stückelberger, Welthandel (2001), 177.)
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6. Schlusswort
nur noch zwischen direkt gemeinnützigem und delegiert gemeinnützigem Engagement zu entscheiden. Lange Zeit setzte man auf ein nebeneinander beider Aspekte. Auf einen abschliessenden Entscheid wurde verzichtet. Theodor Sarasins Perspektive auf die unternehmensethische Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern brachte ein neues Dilemma ins Spiel: Wie sollte zwischen dem Schutz der Mitarbeiter und dem Nutzen der gemeinnützigen Tätigkeit gewichtet werden? Während der 1880er- und 1890er Jahre entschied man sich immer wieder für einen Ausgleich auch zwischen diesen beiden Aspekten. Die Möglichkeit, mit dem Kakao bisher ungeahnte Gewinne zu erwirtschaften, liess den Gegensatz zwischen delegierter und direkter Gemeinnützigkeit wieder aufbrechen. Die Motivation, die Vernetzung und das Wissen der Missionskaufleute und Industriebrüder sprachen für die direkte Gemeinnützigkeit. Für die bis 1908 mehr oder weniger unentgeltlich arbeitenden Mitarbeiter war dieser Aspekt zentral. Auf der anderen Seite sprachen Effizienzüberlegungen dafür, als Handelsunternehmen vor allem delegiert gemeinnützig zu sein. Dem ist nicht viel entgegenzuhalten: Tatsächlich ist eine Handelsgesellschaft natürlich vor allem darauf ausgelegt, Geld zu verdienen. Die Basler Mission war dagegen darin besonders kompetent, die delegiert gemeinnützigen Spenden im gewünschten, missionarischen oder „zivilisatorischen“ Sinn zu verwenden. Nachdem die Gewinnmöglichkeiten in Afrika die Gewichte nach 1900 vorerst eher unbeabsichtigt in Richtung delegierte Gemeinnützigkeit und Wachstum verschoben hatten, sprach Martin Binhammer das altbekannte Problem der (seiner Meinung nach falschen) religiösen Mitarbeitermotivation 1906 offen an. Tatsächlich blieb wohl für religiöse und philanthropische Tätigkeiten des einzelnen Missionskaufmann immer weniger Platz. Gleichzeitig wurde nun auch angedeutet, dass die vor allem religiös motivierten Mitarbeiter kaufmännisch möglicherweise nicht besonders effizient waren und höhere Erträge zu Gunsten der delegiert gemeinnützigen Ausschüttungen verhinderten. Handlungskommission und Missionskomitee standen vor einer wichtigen Entscheidung: Entweder musste die unternehmensethische Ausrichtung den direkt gemeinnützigen Intentionen der Mitarbeiter angepasst werden oder die Rekrutierung der Mitarbeiter den delegiert gemeinnützigen Zielen. Indem man die religiös motivierten und zum „Selbstkostenpreis“ arbeitenden Missionskaufleute durch bezahlte Angestellte ersetzte, entschied man sich für den zweiten Weg. Die neu geschaffenen Lohnzahlungen und Gratifikationen brachten durch die Hintertür auch wieder eine Art gewinnorientierte Komponente mit ins Spiel. Gleichzeitig mit der Personalfrage tauchte anfangs des 20. Jahrhunderts das Problem auf, inwieweit man in Bezug auf die sich an der Goldküste etablierenden Kartelle eine unternehmensethische Verantwortung wahrzunehmen habe. Trotz der Bedenken einzelner Missionare und Missionskaufleute glaubten die Leitungsgremien der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der Basler Mission, dass man dem Sachzwang der „Zeit- und Weltentwicklung“ im Rahmen der Konkurrenzsituation nachgeben müsse. Diese im unternehmensethischen Diskurs innerhalb und ausserhalb der Missions-Handlungs-Gesellschaft immer wieder vorgebrachte Argumentation, wurde hier allerdings nicht zur Begründung von Gewinnorientierung, sondern zur Sicherung der delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Basler Mission be-
Reibungen und Entscheidungen
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nutzt. Auch die Basler Mission folgte in diesem Fall der Sachzwang-Argumentation. Dies fiel ihr insofern leichter, als dass sie die Kartelle als eine Massnahme weniger gegen die Kakaobauern als gegen die Gepflogenheiten des Zwischenhandels betrachtete. Ausserdem ging es der Mission bei der Unterstützung dieser Massnahme um ihre eigene finanzielle Sicherheit, die in ihrer Sicht ja wiederum der Goldküste zu Gute kommen sollte. Auch wenn der Ausgang der Diskussionen um die „Handlungsfrage“ den afrikanischen Geschäftsbereich faktisch immer mehr zu einer rein delegiert gemeinnützigen Veranstaltung machte, bedeutete das nicht, dass die alte Idee eines Nebeneinanders von direkt gemeinnützigem und delegiert gemeinnützigem Engagement sowie die Wahrung unternehmensethischer Verantwortung gänzlich verschwanden. Keine Veränderung des unternehmensethischen Spannungsfeldes brachte die prominent angebrachte Kritik von Missionsinspektor Schott anfangs der 1880er Jahre. Sie ist weniger als Kritik an der Gewichtung einzelner Aspekte denn als Fundamentalkritik am System „Missions-Handlungs-Gesellschaft“ an sich zu verstehen. Schott wollte keine Änderungen im Spannungsfeld, sondern eine Trennung von Mission und Handel und – in visionärer Weise – eine Übertagung der „zivilisatorischen“ Entwicklungsarbeit an die einheimischen Gemeinden selbst. Er scheiterte; an der Ausrichtung des Unternehmens änderte sich nichts. Ein wiederkehrender Punkt in den Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der Missions-Handlungs-Gesellschaft ist die Situation der Mitarbeiter. Inwieweit sollte man diese in den gemeinnützigen Kontext miteinbeziehen? Ausgehend von ihren Wurzeln in der Mission hatte die Missions-Handlungs-Gesellschaft hier einen klaren Weg eingeschlagen: Sie basierte auf Mitarbeitern, die Teil des Missionsverbands waren, die den gemeinnützigen, religiösen Kontext als primäre Motivation ihrer Arbeit betrachteten und weitgehend auf finanzielle Anreize zu verzichten bereit waren. Dies schliesst nicht aus, dass dahinter auch eigennützige Motive wie Eitelkeit, Geltungsdrang oder Abenteuerlust steckten. Der stete Mangel an Missionskaufleuten zeigt allerdings auch die Grenzen dieses Vorgehens auf. Die zahlreichen Todesfälle machen gleichzeitig auf die unter anderem von Theodor Sarasin monierte moralische Fragwürdigkeit dieses Vorgehens aufmerksam. Neben der Minimierung der gesundheitlichen Gefahren bestand das Hauptproblem über den ganzen untersuchten Zeitraum hinweg denn auch darin, dass die (direkt) gemeinnützige Motivation sich in einer nur bedingt direkt gemeinnützigen Institution nicht über Gebühr strapazieren liess – auch wenn die Firma schlussendlich (nur) delegiert gemeinnützig und nicht primär gewinnorientiert tätig war. Die neuen Anstellungsbedingungen von 1909 waren das Eingeständnis, dass das für die Zufriedenheit der Missionskaufleute essentielle Gleichgewicht zwischen direkt gemeinnütziger und delegiert gemeinnütziger Tätigkeit nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Je nach Sichtweise kann man natürlich argumentieren, dass die delegierte Gemeinnützigkeit gerade so nützlich wie die direkte Gemeinnützigkeit sei, im Sinne der Effizienz vielleicht sogar besser. Das mag stimmen. Delegierte Gemeinnützigkeit reicht aber nicht unbedingt aus, Menschen dazu zu bewegen, sich aktiv für etwas zu engagieren. Gemeinnütziges Verhalten konstituiert sich eben zu einem grossen Teil aus dem persönlichen Engagement und weniger aus der Effizienz oder der Wirkung.
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Neben diesen Reibungen ergaben sich aus dem moralisch-religiösen Engagement der Missions-Handlungs-Gesellschaft von Anfang an auch positive Korrelationen. Zum einen sind die Vorteile im Personalwesen zu nennen: Aufgrund der Ausrichtung der Unternehmensziele auf die Mission konnte man bis 1909 von relativ günstigen, von der Mission begeisterten Mitarbeitern profitieren. Wie dargestellt, erwies sich dieser vermeintliche Vorteil aber als Bumerang: Auf diese Weise motivierte Mitarbeiter hatten auch ganz bestimmte Ansprüche an das Unternehmen, die nicht immer erfüllt wurden. Unter Umständen waren sie ausserdem kaufmännisch betrachtet weniger effizient als über den gewöhnlichen Arbeitsmarkt rekrutierte Mitarbeiter. Unproblematischer waren die positiven Korrelationen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Unternehmens. Es gelang der Missions-HandlungsGesellschaft immer wieder, loyale Investoren im Umkreis der Basler Mission zu finden, die die Unterstützung eines gemeinnützigen Projekts mit einem bescheidenen Profit verbinden wollten. Eine offene Frage wäre, inwieweit die Grosszügigkeit der Aktionäre nur im Kontext eines Unternehmens in Übersee funktionierte. Vielleicht hätten sie sich anders verhalten, wenn sie die direkt gemeinnützigen Tätigkeiten und die delegiert gemeinnützig finanzierte Tätigkeit der Basler Mission mit allen ihren Inkonsequenzen und Misserfolgen mit eigenen Augen vor Ort hätten beobachten können.3 Klammer und Autorität – die Mission als Kern der unternehmensethischen Bemühungen Angesichts der zahlreichen Diskussionen und Unsicherheiten über die Ausrichtung des Unternehmens kann man sich fragen, was die Missions-Handlungs-Gesellschaft sechzig Jahre lang zusammenhielt. Was liess sie als gemeinnützig-gewinnorientiertes Mischwesen überleben? Vieles spricht dafür, dass sich die Nähe zur und Ausrichtung auf die Basler Mission stabilisierend auf die Missions-Handlungs-Gesellschaft auswirkte. Die Basler Mission stellte den eigentlichen Daseinsgrund der Missions-Handlungs-Gesellschaft dar. Sie gab der Missions-Handlung Glanz und Namen. Im Falle von Identitätskrisen verfügte sie gleichzeitig über genügend Autorität, um eine Trennung oder Abspaltungen zu verhindern. Offensichtlich stand bis zum Ersten Weltkrieg stets eine deutliche Mehrheit der Verantwortlichen beider Institutionen hinter einer Verbindung der Handlungs-Gesellschaft mit der Mission. Sie war Objekt der unternehmensethischen Bemühungen und moralisch-religiöse Sinngeberin in einem. Die moralisch-religiöse Autorität der Mission wurde durch das in den Statuten verankerte Aufsichtsrecht auch formell abgestützt. Bis zum Schluss unterstellte sich die Handlung dem Urteil der Mission, was aber nicht bedeuten musste, dass die MissionsHandlungsGesellschaft keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Mission nehmen konnte. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass die Mission in vielerlei Hinsicht von der HandlungsGesellschaft profitierte: Die Handlungs-Gesellschaft übernahm die geschäftlichen Risiken in der An3
Die selbe Frage kann man sich heute bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit stellen.
Klammer und Autorität
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fangsphase, sie bezahlte delegiert gemeinnützige Beiträge an die Finanzierung der Mission und versah verschiedene Dienstleistungen für die Mission. Insbesondere die delegiert gemeinnützigen Zahlungen, die zum Schluss über einen Viertel der Einnahmen der Mission betrugen, machten die Mission unabhängiger von Spendern, brachte sie aber gleichzeitig in eine Abhängigkeit von „ihrer“ HandlungsGesellschaft. Umgekehrt war aber auch die Handlungs-Gesellschaft in gewisser Weise von der Mission abhängig, profitierte sie doch vor allem im Bereich der Personalrekrutierung und der Finanzierung vom guten Ruf der Basler Mission in Basel. Noch enger wurde die Verbindung durch den praktischen Umstand, dass sie weitgehend an den gleichen Orten tätig war. Das vielleicht stärkste Bindeglied waren die Mitarbeiter, die sich auf Grund ihres persönlichen Hintergrunds, ihrer religiösen Motivierung und ihres Verzichts auf eine finanzielle Entschädigung als Teil der Mission verstanden und als „Handlungs- und Industriebrüder“ auch als Teil der „Missionsfamilie“ betrachtet werden wollten. Können wir von einer win-win-Situation für alle Beteiligten sprechen? Ja; allerdings zum Preis einer einer teilweise ungewollten gegenseitigen Abhängigkeit. Dafür spricht die lange Abfolge von Spannungen zwischen Mission und Handlung. Seitens verschiedener Vertreter der Mission wurde die Verbindung von Handel und Mission skeptisch bis ablehnend beurteilt. Während Inspektor Schott in den 1880er Jahren eine vollständige Trennung forderte, wollten Inspektor Josenhans oder Theodor Sarasin am Zusammengehen festhalten, das Wachstum der MissionsHandlungs-Gesellschaft aber in bestimmte Schranken verweisen. Aber auch seitens der Handlungs-Gesellschaft gab es von Zellweger bis zu Wilhelm Preiswerk immer wieder Versuche, sich mehr Autonomie zu verschaffen. Insgesamt überwogen über alle Differenzen hinweg die Stimmen, die – in welcher Form auch immer – an das Zusammengehen von Handel und Mission und damit eine auf die Mission ausgerichtete Handlungs-Gesellschaft glaubten.4 Die win-win-Situation liess das Zusammengehen natürlich umso leichter erscheinen. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der Mission und der MissionsHandlungs-Gesellschaft lag, einmal abgesehen vom naheliegenden Argwohn gegenüber einem Unternehmen, das unter dem Namen der Mission relativ riskante Geschäfte betrieb, in einer völlig unterschiedlichen (ökonomischen) Handlungslogik. Während erstere soviel Geld ausgab, wie sie mit Spenden aufbringen konnte, sollte und wollte letztere (auch wenn man sie als gemeinnütziges Projekt betrachtete) zumindest selbsttragend sein. Der Missions-Handlungs-Gesellschaft gelang dies. Schlussendlich konnte sie Ihre unternehmensethischen Ziele, gerade weil sie als Unternehmen sehr erfolgreich war, wirksam umsetzen. Eine weitere Quelle des Misstrauens könnte im Gegensatz der „zivilisatorischen“ Aktivitäten von Mission und Handlung liegen. Die Entwicklungsprojekte der Basler Mission förderten freie Bauern und einfache Handwerker im Sinne der Schaffung einer konservativen „missionarischen Provinz“ oder einer „christlichen Dorfkultur“. Sie war im Kern ein modernisierungskritisches Projekt – ganz im Un4
Vgl. Franc, Schokolade (2008), 234; Rennstich, Basler Handelsgesellschaft (1981), 213 f.; Wanner, Basler Handels-Gesellschaft (1959), 77 f.; 80–83, die im Gegensatz zu dieser Wertung alle eher das Bild eines langfristigen Ablösungsprozesses zeichnen.
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terschied zum der Sache nach modernisierungsfreundlichen, liberalen und weltoffenen Entwicklungskonzept der Missions-Handlungs-Gesellschaft, das vor allem auf „Entwicklungshilfe“ durch freien Welthandel und den Aufbau von Industriebetrieben setzte. (Die verzögerte Mechanisierung der indischen Webereien deutet aber gleichzeitig auch auf eine Orientierung an traditionellen Vorstellungen der Arbeitswelt hin.) Weniger kritisch wurden die Missionierungsversuche der Handlungsbrüder betrachtet. Vielleicht wurden diese Versuche seitens der Missionare auch gar nicht besonders ernst genommen. Freilich finden sich bezüglich der „zivilisatorischen“ Projekte auch ideologische Gemeinsamkeiten: So etwa die Hochschätzung eines strengen Arbeitsethos oder die rassistisch aufgeladenen Vorstellungen vom Afrikaner als einem labilen „Kind“, das man bevormunden sollte. Trotz Differenzen, Skepsis und Emanzipierungsversuchen – die Basler Mission waltete bis zum Schluss als Sinngeberin und ideologischer Rahmen der MissionsHandlungs-Gesellschaft. Sie blieb bei allen Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung des unternehmensethischen Spannungsfelds der wichtigste Bezugspunkt und vermochte in kritischen Momenten für tragfähige Kompromisse zu sorgen. Innerhalb des unbestrittenen Rahmens der Basler Mission wurden die verschiedenen Konflikte – einmal abgesehen vom radikalen Antrag Schotts – lediglich zu Justierungen in der Versuchsanordnung „Missions-Handlungs-Gesellschaft“, die uns auf die besonderen Probleme dieses Experiments aufmerksam machen, den Bestand der Missions-Handlungs-Gesellschaft aber niemals ernsthaft gefährdeten. Die Bedeutung der Basler Mission als ideologische Klammer zeigt sich schliesslich auch mit Blick auf die weitere Entwicklung der Nachfolgefirmen der Missions Handlungs-Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Nun verloren nicht nur die direkt gemeinnützigen Aktivitäten, sondern auch die delegiert gemeinnützigen Zahlungen schnell an Bedeutung. Ohne Bezug zum Empfänger der Spende wurde die delegierte Gemeinnützigkeit zu einer Reminiszenz aus vergangenen Tagen. Grund dafür war wohl weniger der fehlende Wille der verantwortlichen Führungskräfte als der fehlende Bezug zu den potentiellen Empfängern der delegiert gemeinnützigen Hilfe. Formen gemeinnützigen Schaffens Die Idee einer unternehmensethisch auf die Mission fokussierten Missions-Handlungs-Gesellschaft funktionierte im Grossen und Ganzen. Im Fall der MissionHandlungs-Gesellschaft hing der Erfolg der Idee vor allem davon ab, dass die Mission als ideologischer Rahmen und Sinngeberin genügend stark blieb und dass die Rolle und die Motivation der Mitarbeiter mehr oder weniger mit der unternehmensethischen Ausrichtung im Einklang stand. Hätte es alternative Organisationsformen gegeben, die sich angesichts äusserer Umstände – wie den Ereignissen des Ersten Weltkriegs – als stabiler erwiesen hätten? Eine denkbare Variante wäre – falls die Aktionäre und die Mission zugestimmt hätten – die Überführung des Besitzes der Missions-Handlungs-Gesellschaft in eine Stiftung gewesen. Damit hätte der gemeinnützige Bezug und die Einschränkung gewinnorientierter Aktivitäten
Formen gemeinnützigen Schaffens
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dauerhaft festgelegt werden können.5 Mit der Gründung des Paulus-Fonds im Jahr 1929 tat man genau das. Allerdings wurden dieser Stiftung bloss zwanzig Prozent der ehemaligen Missions-Handlungs-Gesellschaft übertragen. So konnte sie keinen Einfluss auf die Geschichte des Unternehmens nehmen, sorgte aber immerhin dafür, dass bis heute relativ bedeutende Summen – unabhängig von den Vorlieben einer Unternehmensleitung – im Sinne der Mission verwendet werden. Probleme einer Stiftung können allerdings darin liegen, dass sie nur bedingt auf die unternehmensethische Qualität der Wertanlagen in ihrem Besitz Einfluss nehmen kann und darauf vertrauen muss, dass die von ihr bedachten gemeinnützigen Werke in ihrem Sinne arbeiten.6 Eine andere Möglichkeit, sich von der Basler Mission als Sinngeberin unabhängig zu machen, hätte vielleicht darin bestanden, die Unternehmensziele und die Unternehmensorganisation unter den bestehenden Besitzverhältnissen im Sinne der von Peter Ulrich propagierten integrativen Unternehmensethik konsequent auf eigenständige missionarisch-religiös-moralische Ziele auszurichten.7 In mancher Hinsicht erinnert die Verbindung von Gemeinnützigkeit und Gewinnorientierung, wie sie sich die Missions-Handlungs-Gesellschaft zum Ziel setzte, an einen solchen integrativen Ansatz. Freilich sind im Fall der Missions-Handlungs-Gesellschaft (abgesehen vielleicht von den Missionsindustrien in Indien) Geschäftstätigkeit und gemeinnützige Ziele gedanklich und praktisch doch meist deutlich voneinander getrennt. Im Sinne einer religiös verstandenen integrativen Ethik taucht aber doch immer wieder die Idee auf, dass ein – richtig ausgeführtes – Handels- oder Industriegeschäft an sich eine eigene religiös-moralische Wertschöpfung im Sinne der Mission beinhalte. Es gibt sicherlich weniger widersprüchliche Möglichkeiten, Gewinnorientierung und Gemeinnützigkeit miteinander zu verbinden, als den Weg der MissionsHandlungs-Gesellschaft. Schlussendlich blieb die Missions-Handlungs-Gesell5
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In Basel bestand ein zeitgenössisches Vorbild für eine Stiftung: die seit 1886 bestehende Merian-Stiftung mit der Christoph und Margaretha Merian-Burckhardt ihr Vermögen der Stadt Basel für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt hatten. (Labhardt, Merian (2011), 259– 266.). Auch im pietistisch-missionarischen Umfeld fand die Form der Stiftung Beachtung. So übertrug die Herrnhuter Brüdergemeine ihre Handlungsgesellschaft in der Heimat kurz vor dem Weltkrieg an eine Stiftung; 1928 wurde auch ihr Handelsunternehmen in Surinam einer Stiftung übertragen. (Homburg, Glauben und Rechnen (2012), 227; Danker Profit (1971), 33.) Der Schweizer Industrielle und Philanthrop Stephan Schmidheiny begegnete solchen Befürchtungen 2004 mit der Gründung eines dreiteiligen Konstrukts: Am Anfang seines gemeinnützigen Konglomerats steht die Holdinggesellschaft Grupo Nuevo, die (im Rahmen ihrer unternehmensethischen Verantwortung) gewinnorientiert arbeitet. Besitzer dieser Firma ist eine Stiftung, die die Holding kontrolliert und das Ausmass der jährlichen Ausschüttungen festlegt. Darüber hinaus hat sie den alleinigen Zweck, eine weitere Stiftung delegiert gemeinnützig zu unterstützen. Diese ist schliesslich direkt gemeinnützig in Lateinamerika tätig. Hier sind die drei Bereiche der Gewinnorientierung, delegierten Gemeinnützigkeit und direkten Gemeinnützigkeit formal strikt voneinander getrennt: Während sich die Grupo Nuevo nach ökonomischen Gesichtspunkten verhalten darf und soll, können sich die Stiftungen ganz auf ihre delegiert und direkt gemeinnützigen Ziele konzentrieren. Vgl. [Stand: 15. November 2011] Vgl. Kap. 1.1.
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schaft ein Kind des 19. Jahrhunderts. Dies betraf zum einen die unbedingte Anlehnung an die Basler Mission, zum anderen die Verbindung von geschäftlicher, gesellschaftlicher und religiöser Lebenssphäre innerhalb ein und desselben Unternehmens. Eine Vermischung, wie sie für fromme bürgerliche Autoritäten des 19. Jahrhunderts allgemein üblich war: Sie organisierten ihr Leben in einem ganzheitlichen Sinn und kümmerten sich nicht um die Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit, Privatleben und Geschäft und Christentum und Gesellschaft. Trotzdem fand die Idee der religiös-moralischen Aktiengesellschaft, die sich über unternehmensethisch verantwortungsvolles Handeln hinaus für gemeinnützige Ziele engagierte, nur wenig Nachahmer.8 Die Geschichte der Missions-Handlungs-Gesellschaft blieb eine Episode. Ihr Versuch, gemeinnützige Ziele und verantwortliches Verhalten mit wirtschaftlicher Wertschöpfung zu verbinden, ist aber auch aus aktueller Perspektive von Interesse. Auch wenn man die moralisch-religiösen Ziele im Einzelnen anzweifeln möchte und die unkritische Anlehnung an die Basler Mission oder den Umgang mit den Mitarbeitern bedauert: Unternehmensethik war im Beispiel der Missions-Handlungs-Gesellschaft mehr als eine Ergänzung oder gelegentliche Korrektur der Gewinnorientierung. Sie war vielmehr zentraler Baustein eines insgesamt durchaus funktionierenden Unternehmens. Damit regt sie zum Nachdenken über Alternativen zu den gewohnten Formen der Wertschöpfung an.
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Die Missions-Handlungs-Gesellschaft wurde immerhin für die 1870 gegründete Rheinische Missions-Aktien-Gesellschaft zum direkten Vorbild. (Braun, Missionshandel (1992), 60.) Gemäss Schlatter inspirierte sie ausserdem zur Gründung der Livingstonia Central African Trading Company im Jahr 1878. (Schlatter, Basler Mission (1916), I, 391.)
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7.5 Internetseiten
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7.5 INTERNETSEITEN www.bmpix.org [Bilddatenbank des Archivs der Basler Mission] www.dodis.ch [Diplomatische Dokumente der Schweiz] www.fsw.uzh.ch/histstat [The swiss economic and social history online database] www.moneyhouse.ch [Schweizer Firmendaten] www.swistoval.hist-web.unibe.ch [Swiss Historical Monetary Value Converter] www.welinvest.ch [Homepage der Welinvest AG] www.wikipedia.com www.zewo.ch [Schweizerische Zertifizierungsstelle für gemeinnützige Organisationen] [Online publizierte Aufsätze und Quellen erscheinen in den entsprechenden Kategorien weiter oben.]
8. ANHANG 8.1 DIAGRAMME
Diagramm 8: Zusammensetzung der Bilanz (1863–1914)
Diagramm 9: Entwicklung der Dividenden und der delegiert gemeinnützigen Zahlungen an die Basler Mission (1860–1914)
262
8. Anhang
8.2 ORGANIGRAMM
8.3 Karten
8.3 KARTEN
Karte 1: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft an der Goldküste (1859–1917)
Karte 2: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Kamerun (1898–1917)
263
264
8. Anhang
Karte 3: Die Missions-Handlungs-Gesellschaft in Indien (1859–1914)
⌂ = Industriebetrieb = Handelsstation • = Zweigstationen Kartengrundlage: Marble Project / Gestaltung durch den Autor
8.4 Bilder
265
8.4 BILDER 1
Abbildung 1: Hof der Handelsstation in Christiansborg (Goldküste) (bmpix QD-30.011.0067)
Abbildung 2: Hof der Handelsstation in Accra (Goldküste) (bmpix QL-30.013.0114) 1
Die hier gezeigten Bilder aus dem Archivs der Basler Mission. (www.bmpix.org) sind meist undatiert. (Enstehungszeitraum ca. 1880–1914)
266
8. Anhang
Abbildung 3: Einheimische Händler und Missionskaufmann Georg Hoffmann vor dem Verkaufslokal in Duala (Kamerun) (bmpix E-30.34.016)
Abbildung 4: Laden der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Mangalore (Indien) (bmpix QQ-30.021.0052)
8.4 Bilder
Abbildung 5: Die Ziegelfabrik in Kudrolli (Indien) mit Belegschaft, September 1913 (bmpix QU-30.043.0010)
Abbildung 6: Ziegelstein der Commonwealth Trust India mit dem Label „Basel Mission“, gesehen 2009 in Jeppo bei Managlore (Indien) (Foto des Autors)
267
268
8. Anhang
Abbildung 7: Die mechanisierte Spinnerei in der Weberei in Cannanore (Indien) (bmpix QU-30.016.0041)
Abbildung 8: Der Dampfantrieb in der Weberei in Cannanore (Indien), kurz vor dem Ersten Weltkrieg (bmpix QC-30.018.0021)
8.5 Biographische Angaben
269
8.5 BIOGRAPHISCHE ANGABEN Altenmüller, Heinrich (1851–1913) ...............Industriebruder in Indien Anstein, Hans (1863–1940) ...........................Pfarrer, Missionssekretär Asante, David (1834–1892) ...........................Einheimischer Missionar an der Goldküste Bayer, Max (*1885) .......................................Missionskaufmann, später Angestellter der BHG Bernoulli, Eduard (1819–1899) .....................Mitglied des Missionskomitees Braun, Theodor († 1870) ................................Missionsverwalter, erster Geschäftsführer der Missions-Handlungs-Gesellschaft Bischoff, Andreas (1812–1875) .....................Basler Kaufmann, Mitglied der Handlungskommission Binder, Johann (1843–1909) ..........................Missionskaufmann an der Goldküste Binhammer, Martin (1867–1947) ..................Missionskaufmann, Geschäftsleiter an der Goldküste, später Prokurist der Missions-Handlungs-Gesellschaft Bonsels, Waldemar (1880–1952) ...................Missionskaufmann in Indien, späterer Bestsellerautor, bekannt als Schöpfer der „Biene Maja“ Bossaller, Karl (1877–1945) ..........................Missionskaufmann an der Goldküste Brugger, Traugott (1870–1954) .....................Missionskaufmann an der Goldküste Burckhardt, Daniel (1805–1879) ...................Gönner der Mission Buser, Hans (*1934) ......................................Angestellter der UTC Buxton, Thomas Fowell (1786–1845) ...........Britischer Unternehmer, Politiker, Sozialreformer, Kämpfer gegen den Sklavenhandel Casson, Mark (*1945) ....................................Britischer Ökonom Chandler, Alfred D. Jun. (1918–2007) ...........US-amerikanischer Unternehmenshistoriker Christ, Adolf (1807–1877) .............................Basler Unternehmer, Politiker, Präsident des Missionskomitees Christ, Hermann (1833–1933) .......................Basler Botaniker, Jurist und Mitglied des Missionskomitees Dietrich, Wilhelm (1867–1945) .....................Missionar an der Goldküste Duisberg, Wilhelm (1837–1916) ....................Missionskaufmann an der Goldküste Ecklin, Wilhelm († 1906) ...............................Pfarrer, Mitglied des Missionskomitees Elsässer, Theodor (1844–1893) .....................Missionskaufmann in Indien Fieg, Julius (1851–1903) ...............................Missionskaufmann in Indien Fincke, Hermann (1865–1959) ......................Missionskaufmann an der Goldküste, später Mitarbeiter in der Verwaltung in Basel Frohnmeyer, Johannes (1850–1921) ..............Missionar in Indien, später Missionsinspektor Götz, Johannes (1870–1951) .........................Missionskaufmann an der Goldküste Halbrok, Ernst (1856–1924) ..........................Missionskaufmann in Indien Haller, Johannes (*1825) ...............................Missionar, Pionier der Industriemission in Indien, Entwickler des „Khaki“-Tuchs His, Eduard (1857–1924) ...............................Mitglied des Missionskomitees Hoffmann, Georg (1874–1961) ......................Missionskaufmann in Kamerun Hüttinger, Carl (1848–1914) ..........................Industriebruder in Indien, später technischer Leiter in der Geschäftsleitung Huppenbauer, Hans (1888–1976) ..................Missionar in Togo, später Missionssekretär in Basel Iselin, Alfred (1863–1924) .............................Basler Seidenfabrikant, Mitglied des Verwaltungsrats der Missions-Handlungs-Gesellschaft Jäger, Gotthilf (1860–1934) ...........................Missionskaufmann an der Goldküste Josenhans, Friedrich Joseph (1812–1884) ......Missionsinspektor (Leiter der Basler Mission) Kinzler, Adolf (1841–1926) ...........................Pfarrer, Lehrer am Missionshaus, Mitglied des Missionskomitees
270
8. Anhang
Klaus, Robert (1841–1868) ............................Missionskaufmann an der Goldküste Kühne, Johannes (1842–1902) .......................Missionskaufmann an der Goldküste Latham, Robert Gordon (1812–1888) ............Englischer Ethnologe Livingstone, David (1813–1873) ...................Schottischer Missionar, Afrikaforscher Mader, Johann (1826–1882) ..........................Missionar an der Goldküste Mall, Daniel (1878–1962) ..............................Leiter des Missionsbuchladens in Indien Marchand, Heinrich (*1845) ..........................Missionar an der Goldküste, vorübergehend in der Spedition der Missions-Handlungs-Gesellschaft tätig Merian, Christoph (1800–1858) .....................Gönner der Mission, Stifter der Merian-Stiftung Merian-Burckhardt, Margarethe (1806–1886) Gönnerin der Mission, Stifterin der Merian-Stiftung Metz, Karl (1808–1877) .................................Pietistischer Unternehmer in Freiburg i. Br. Miescher, Ernst (1848–1930) .........................Pfarrer, Präsident des Missionskomitees Müller, Johannes (1845–1925) ......................Missionskaufmann in Indien Nkrumah, Kwame (1909–1972) ....................Afrikanischer Staatsmann, erster Präsident Ghanas Oehler, Theodor (1850–1915) ........................Missionsinspektor (Leiter der Basler Mission) Oettli, Walter (1879–1931) ............................Missionsinspektor (Leiter der Basler Mission) Pfisterer, Heinrich (1844–1902) .....................Basler Kaufmann, Mitglied der Handlungskommission Pfleiderer, Gottlob (1829–1898) ....................Erster Missionskaufmann in Indien, später Geschäftsführer der Missions-Handlungs-Gesellschaft Pfleiderer, Karl (1850–1919) .........................Missionskaufmann, später Geschäftsführer der Missions-Handlungs-Gesellschaft Prätorius, Hermann (1852–1883) ...................Co-Missionsinspektor unter Schott Preiswerk, Eduard (1829–1895) ....................Basler Unternehmer, Mitglied des Missionskomitees, Präsident der Handlungskommission Preiswerk, Ernst (1854–1881) .......................Missionskaufmann an der Goldküste Preiswerk, Max (1895–1994) .........................Direktor der Basler Handels-Gesellschaft (Sohn von Wilhelm Preiswerk) Preiswerk, Wilhelm (1858–1938) ..................Basler Unternehmer, Mitglied des Missionskomitees, Präsident der Handlungskommission (Sohn von Eduard Preiswerk) Preiswerk, William (1893–1974) ...................Verwaltungsratspräsident der Basler Handels-Gesellschaft (Sohn von Wilhelm Preiswerk) Quist, Carl (*1843) ........................................Einheimischer Angestellter der Missions-Handlung an der Goldküste, später Pfarrer in der Missionsgemeinde Ramseyer, Friedrich (1840–1914) .................Missionar an der Goldküste Reindorf, Carl Christian (1834–1917) ...........Afrikanischer Pfarrer und Historiograph Reihlen, Charlotte (1805–1868) .....................Stuttgarter Pietistin und Diakonisse Riehm, Karl (1833–1878) ..............................Missionskaufmann in Indien, später Geschäftsführer der Missions-Handlungs-Gesellschaft Riggenbach, Christoph (1818–1890) .............Professor für Theologie an der Universität Basel, Präsident des Missionskomitees Rodger, John Pickersgill (1851–1910) ...........Britischer Gouverneur an der Goldküste Römer, Christian (1854–1920) ......................Missionssekretär Rottmann, Christian († 1897) ........................Kaufmann in Afrika (Bruder von Hermann Ludwig Rottmann) Rottmann, Hermann Ludwig (1832–1899) .....Erster Missionskaufmann in Afrika Rottmann, Hermann (jun.) .............................Angestellter der Missions-Handlungs-Gesellschaft (Sohn von Hermann und Regine Rottmann-Hesse) Rottmann-Hesse, Regine (1832–1898) ..........Lehrerin am Missionsseminar (Frau von Hermann Ludwig Rottmann) Sarasin, Adolf (1802–1885) ...........................Pfarrer, Mitglied des Missionskomitees
8.6 Zusammensetzung der Handlungskommission (1859–1917)
271
Sarasin, Alfred (1865–1953) ..........................Basler Bankier, Mitglied und kurzzeitiger Präsident des Missionskomitees Sarasin, Karl (1815–1886) .............................Basler Unternehmer, Mitglied des Missionskomitees, erster Präsident der Industriekommission Sarasin, Theodor (1838–1909) .......................Basler Unternehmer, Förderer pietistischer Vereinigungen, Mitglied der Industriekommission, Mitglied des Missionskomitees, Mitglied der Handlungskommission Schaeffer, Anton (1860–1941) .......................Delegierter der Geschäftsleitung in der Handlungskommission, Mitglied des Missionskomitees Schlunk, Carl (1831–1879) ............................Missionskaufmann in Indien Schlunk, Franz (1841–1905) ..........................Missionskaufmann in Indien Schmidheiny, Stephan (*1947) ......................Schweizer Unternehmer und Philanthrop Schönfeld, Karl (1841–1919) .........................Missionskaufmann an der Goldküste Schott, Otto (1831–1901) ...............................Missionsinspektor (Leiter der Basler Mission) Schrenk, Elias (1831–1913) ...........................Missionar an der Goldküste und berühmter Erweckungsprediger Schumpeter, Joseph (1883–1950) ..................Österreichischer Ökonom Simonet, Paul (*1852) ...................................Missionskaufmann an der Goldküste Spengler, Rudolf (*1852) ...............................Missionskaufmann an der Goldküste Spörri, Christian (*1894) ...............................Angestellter der Missions-Handlungs-Gesellschaft und der UTC an der Goldküste und in Nigeria Stähelin, Benedikt (1825–1891) ....................Aktionär der Basler Mission Templetown, Viscount Henry Edward ............Englischer Politiker, Freund der Missions(1859–1939) ............................................Handlungs-Gesellschaft Ulrich, Peter (*1948) .....................................Schweizer Wirtschaftsethiker Werner, Gustav (1809–1887) .........................Pfarrer, Gründer der Wernerschen Anstalten Werner, J. Paul ...............................................Agent der Missions-Handlungs-Gesellschaft in London Zellweger, Ulrich (1804–1871) ......................Bankier, Mitglied des Missionskomitees, erster Präsident der Missions-Handlungs-Gesellschaft Zahn, Karl (1877–1952) .................................Basler Bankier, Mitglied des Missionskomitees, Verwaltungsrat der BHG Zimmermann, Johanna (*1852) .....................Angestellte der Missions-Handlung in Christiansborg, (Tochter von Johannes Zimmermann; Frau (?) von Rudolf Spengler) Zimmermann, Johannes (1825–1876) ...........Missionar an der Goldküste Zimmermann, Gottfried (1861–1891) ...........Angestellter der Missions-Handlungs-Gesellschaft an der Goldküste (Sohn von Johannes Zimmermann)
8.6 ZUSAMMENSETZUNG DER HANDLUNGSKOMMISSION (1859–1917) Präsidenten der Handlungskommission / des Verwaltungsrats: 1859–1864...............Ulrich Zellweger 1864–1895...............Eduard Preiswerk 1895–1917...............Wilhelm Preiswerk / Preiswerk verblieb nach 1917 als Verwaltungsratspräsident im Unternehmen.
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8. Anhang
Mitglieder der Handlungskommission / des Verwaltungsrats: 1859–1879...............Missionsinspektor Friedrich Josenhans 1859–1870...............Theodor Braun (als Geschäftsführer) 1859–1876...............Andreas Bischoff 1870–1872...............Gotttlob Pfleiderer (als Geschäftsführer) 1872–1878...............Karl Riehm (als Geschäftsführer) 1876–1902...............Heinrich Pfisterer 1878–1914...............Johannes Müller (als Geschäftsführer) 1879–1881/1883 .....Missionsinspektor Otto Schott 1880–1898...............Gottlob Pfleiderer (als Geschäftsführer) 1881–1883...............Missionsinspektor Hermann Prätorius 1882–1909...............Theodor Sarasin 1884 Missionslehrer Adolf Kinzler 1884–1914...............Missionsinspektor Theodor Oehler 1898–1914 ..............Karl Pfleiderer (Geschäftsführer) 1909–1914...............Missionsinspektor Johannes Frohnmeyer 1913–1917...............Anton Schaeffer (als Delegierter der Geschäftsleitung) / Schaeffer verblieb nach 1917 als Verwaltungsrat im Unternehmen. 1914–1916...............Missionsinspektor Walter Oettli 1914–1917...............Karl Zahn 1914–1917...............Alfred Sarasin
8.7 CHRONOLOGIE DER WICHTIGSTEN EREIGNISSE 1852 ........................Gründung erster Webereien in Mangalore und Cannanore (Indien) 1853 ........................Aussendung von Missionskaufmann Pfleiderer nach Mangalore (Indien) 1854 ........................Aussendung von Missionskaufmann Rottmann nach Christiansborg (Gold küste) 1859 ........................Gründung der Missions-Handlungs-Gesellschaft als Aktiengesellschaft mit einem Aktienkapital von 200 000 Franken .........................Gründung eines Ladenlokals in Cannanore (Indien); besteht bis 1864 .........................Gründung einer Weberei in Calicut (Indien) 1860 ........................Gründung einer Weberei in Tellicherry (Indien) 1863 ........................Gründung einer Handelsstation in Anum (Goldküste); besteht bis 1869 1864 ........................Austritt von Kommissionspräsident Zellweger .........................Erlass einer Geschäftsordnung für die Missions-Handlungs-Gesellschaft; erstmalige Definition eines Unternehmenszwecks 1866 ........................Gründung einer Handelsstation in Ada (Goldküste) 1867 ........................Gründung eines Ladenlokals in Calicut (Indien) .........................Gründung eines Ladenlokals in Mercara (Indien) 1869 ........................Neue Statuten; Erhöhung des Aktienkapitals auf 600 000 Franken 1873 ........................Kauf der Vietorschen Faktorei in Accra (Goldküste) 1876 ........................Gründung eines Ladenlokals in Vythri (Indien); besteht bis 1882 1877 ........................Gründung einer Handelsstation in Akuse (Goldküste) 1880 ........................Neue Statuten; Begrenzung der jährlichen Aktionärsrendite auf 5 %; Erhöhung des Aktienkapitals auf 750 000 Franken 1882 ........................Fusion mit den Missionsindustrien 1883/1884 ..............Affäre „Schott“ 1887 ........................Neue Statuten; gemäss dem neuen Schweizer Obligationenrecht wird die
8.7 Chronologie der wichtigsten Ereignisse
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Handlungskommission durch eine Generalversammlung der Aktionäre bestimmt. 1898 ........................Gründung einer Handelsstation in Duala (Kamerun) ca. 1900 ..................Bildung erster Preiskartelle zwischen den europäischen Handelshäusern an der Goldküste 1904 ........................Gründung einer Handelsstation in Kumasi (Goldküste) 1905 ........................Gründung einer Handelsstation in Victoria (Kamerun) 1906–1909 ..............Diskussion der „Handlungsfrage“ 1911–1913 ..............Gründung von insgesamt acht Zweigfilialen an der Goldküste und zwei weiteren Stationen in Kamerun 1912 ........................Neue Statuten; Erhöhung des Aktienkapitals auf 1,5 Millionen Franken 1917 ........................Trennung von der Mission 1920 ........................Gründung der Union Handels-Gesellschaft (UTC) 1928 ........................Umbenennung der Missions-Handlungs-Gesellschaft in Basler Handels-Gesellschaft (BHG)
b e i t r äg e z u r e u ro pä i s c h e n ü b e r s e e g e s c h i c h t e bis Band 88: Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte
Im Auftrag der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte herausgegeben von Markus A. Denzel, Hermann Joseph Hiery und Eberhard Schmitt.
Franz Steiner Verlag
ISSN 0522–6848
55. Anita Müller Schweizer in Alexandrien 1914–1963 Zur ausländischen Präsenz in Ägypten 1992. 226 S., 1 Kte. und 8 Taf. mit 16 s/w-Fot., kt. ISBN 978-3-515-06167-4 56. Klaus H. Rüdiger Die Namibia-Deutschen Geschichte einer Nationalität im Werden 1993. VI, 191 S. und 4 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06375-3 57. Jochen Meißner Eine Elite im Umbruch Der Stadtrat von Mexiko zwischen kolonialer Ordnung und unabhängigem Staat 1993. XII, 424 S., kt. ISBN 978-3-515-06098-1 58. Maurus Staubli Reich und arm mit Baumwolle Exportorientierte Landwirtschaft und soziale Stratifikation am Beispiel des Baumwollanbaus im indischen Distrikt Khandesh (Dekkan) 1850–1914 1994. 279 S., 4 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06490-3 59. Eno Blankson Ikpe Food and Society in Nigeria A History of Food Customs, Food Economy and Cultural Change 1900–1989 1994. XI, 287 S., kt. ISBN 978-3-515-06567-2 60. Rolf Tanner ‘A Strong Showing’ Britain’s Struggle for Power and Influence in South-East Asia 1942–1950 1994. 299 S., kt. ISBN 978-3-515-06613-6 61. Boris Barth Die deutsche Hochfinanz und die Imperialismen Banken und Außenpolitik vor 1914 1995. VII, 505 S., kt. ISBN 978-3-515-06665-5 62. Astrid Meier Hunger und Herrschaft Vorkoloniale und frühe koloniale
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Hungerkrisen im Nordtschad 1995. X, 303 S., kt. ISBN 978-3-515-06729-4 Horst Drechsler Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft Die großen Land- und Minengesellschaften 1996. 360 S., kt. ISBN 978-3-515-06689-1 Annerose Menninger Die Macht der Augenzeugen Neue Welt und Kannibalen-Mythos, 1492–1600 1995. 334 S., kt. ISBN 978-3-515-06723-2 Dieter Brötel Frankreich im Fernen Osten Imperialistische Expansion in Siam und Malaya, Laos und China, 1880–1904 1996. XVIII, 890 S., kt. ISBN 978-3-515-06838-3 Christian Büschges Familie, Ehre und Macht Konzept und soziale Wirklichkeit des Adels in der Stadt Quito (Ecuador) während der späten Kolonialzeit, 1765–1822 1996. 318 S., kt. ISBN 978-3-515-06908-3 Ralph Dietl USA und Mittelamerika Die Außenpolitik von William J. Bryan 1913–1915 1996. 496 S., kt. ISBN 978-3-515-06914-4 Paul Schenck Der deutsche Anteil an der Gestaltung des modernen japanischen Rechts- und Verfassungswesens 1997. 396 S., geb. ISBN 978-3-515-06903-8 Beate Rosenzweig Erziehung zur Demokratie? Amerikanische Besatzungs- und Schulreformpolitik in Deutschland und Japan 1998. 246 S., kt. ISBN 978-3-515-06874-1
70. Andreas Eckert Grundbesitz, Landkonflikte und kolonialer Wandel Douala 1880 bis 1960 1999. XI, 504 S., kt. ISBN 978-3-515-06777-5 71. Steven Wedema „Ethiek“ und Macht Die niederländisch-indische Kolonialverwaltung und indonesische Emanzipationsbestrebungen 1901–1927 1998. XIV, 353 S., kt. ISBN 978-3-515-07264-9 72. Claudia Linda Reese Neuseeland und Deutschland Handelsabkommen, Außenhandelspolitik und Handel von 1871 bis 1973 1998. XXVI, 378 S., kt. ISBN 978-3-515-07387-5 73. Ulrike Kirchberger Aspekte deutsch-britischer Expansion Die Überseeinteressen der deutschen Migranten in Großbritannien in der Mitte des 19. Jahrhunderts 1999. V, 508 S., kt. ISBN 978-3-515-07439-1 74. Gisela Cramer Argentinien im Schatten des Zweiten Weltkriegs Probleme der Wirtschaftspolitik und der Übergang zur Ära Perón 1999. X, 395 S. mit 62 Tab., 5 Abb. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-07148-2 75. Thomas Beck / Horst Gründer / Horst Pietschmann / Roderich Ptak (Hg.) Überseegeschichte Beiträge der jüngeren Forschung. Festschrift anläßlich der Gründung der Forschungsstiftung für vergleichende europäische Überseegeschichte 1999 in Bamberg. Für Eberhard Schmitt zum 60. Geburtstag 1999. XVI, 304 S., geb. ISBN 978-3-515-07490-2 76. Hendrik L. Wesseling Teile und herrsche Die Aufteilung Afrikas 1880–1914. Autorisierte Übersetzung aus dem Niederländischen von A. Pistorius 1999. 386 S. mit 136 Abb. und 11 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-07543-5 77. Rolf Peter Tschapek Bausteine eines zukünftigen
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deutschen Mittelafrika Deutscher Imperialismus und die portugiesischen Kolonien. Deutsches Interesse an den südafrikanischen Kolonien Portugals vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 2000. 475 S., kt. ISBN 978-3-515-07592-3 Michael Mann Bengalen im Umbruch Die Herausbildung des britischen Kolonialstaates 1754–1793 2000. 469 S., kt. ISBN 978-3-515-07603-6 Urs Olbrecht Bengalens Fluch und Segen Die indische Juteindustrie in spätund nachkolonialer Zeit 2000. 288 S., kt. ISBN 978-3-515-07732-3 Horst Pietschmann Mexiko zwischen Reform und Revolution Vom bourbonischen Zeitalter zur Unabhängigkeit 2000. XII, 304 S., kt. ISBN 978-3-515-07796-5 Silvia Brennwald Die Kirche und der Maya-Katholizismus Die katholische Kirche und die indianischen Dorfgemeinschaften in Guatemala 1750–1821 und 1945–1970 2001. 289 S., kt. ISBN 978-3-515-07705-7 Christian Koller ,Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt‘ Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930) 2001. 476 S., geb. ISBN 978-3-515-07765-1 Martin Stäheli Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad Balanceakte im globalen Umbruch 2001. 574 S. mit 7 Ktn., geb. ISBN 978-3-515-07867-2 Cornelia Pohlmann Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und öffentlicher Resonanz 1720–1897
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2002. 373 S., kt. ISBN 978-3-515-08054-5 Carl Jung Kaross und Kimono „Hottentotten“ und Japaner im Spiegel des Reiseberichts von Carl Peter Thunberg (1743–1828) 2002. 323 S. mit 5 Abb. und 2 Faltktn., kt. ISBN 978-3-515-08120-7 Michael Schubert Der schwarze Fremde Das Bild des Schwarzafrikaners in der parlamentarischen und publizistischen Kolonialdiskussion in Deutschland von den 1870er bis in die 1930er Jahre 2003. 446 S., kt. ISBN 978-3-515-08267-9 Dawid Danilo Bartelt Nation gegen Hinterland Der Krieg von Canudos in Brasilien: ein diskursives Ereignis (1874–1903) 2003. 408 S. und 6 Taf., kt. ISBN 978-3-515-08255-6 Christian Rödel Krieger, Denker, Amateure Alfred von Tirpitz und das Seekriegsbild vor dem Ersten Weltkrieg 2003. XI, 234 S., kt. ISBN 978-3-515-08360-7 Teresa Pinheiro Aneignung und Erstarrung Die Konstruktion Brasiliens und seiner Bewohner in portugiesischen Augenzeugenberichten 1500–1595 2004. 355 S., kt. ISBN 978-3-515-08326-3 Frank Becker (Hg.) Rassenmischehen – Mischlinge – Rassentrennung Zur Politik der Rasse im deutschen Kolonialreich 2004. 378 S., kt. ISBN 978-3-515-08565-6 in Vorbereitung Markus A. Denzel (Hg.) Vom Welthandel des 18. Jahrhunderts zur Globalisierung des 21. Jahrhunderts Leipziger Überseetagung 2005 2. Auflage 2009. 147 S., kt. ISBN 978-3-515-09378-1 Alexander Keese Living with Ambiguity Integrating an African Elite in French and Portuguese Africa, 1930–1961
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2007. 344 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09032-2 Nikolaus Böttcher Monopol und Freihandel Britische Kaufleute in Buenos Aires am Vorabend der Unabhängigkeit (1806–1825) 2008. 198 S. mit 3 Ktn. und 5 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09185-5 Eva Maria Stolberg Sibirien: Russlands „Wilder Osten“ Mythos und soziale Realität im 19. und 20. Jahrhundert 2009. 392 S., kt. ISBN 978-3-515-09248-7 Christian Haußer Auf dem Weg der Zivilisation Geschichte und Konzepte gesellschaftlicher Entwicklung in Brasilien (1808–1871) 2009. 349 S., kt. ISBN 978-3-515-09312-5 Mark Häberlein / Alexander Keese (Hg.) Sprachgrenzen – Sprachkontakte – kulturelle Vermittler Kommunikation zwischen Europäern und Außereuropäern (16.–20. Jahrhundert) 2010. 421 S. mit 4 s/w Abb., 6 farb. Abb. und 10 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09779-6 Thomas Fischer Die Souveränität der Schwachen Lateinamerika und der Völkerbund, 1920–1936 2012. 459 S. mit 39 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10077-9 Niels Wiecker Der iberische Atlantikhandel Schiffsverkehr zwischen Spanien, Portugal und Iberoamerika, 1700–1800 2012. 286 S. mit 14 Abb. und 16 Diagr. ISBN 978-3-515-10201-8 in Vorbereitung Matthias Schönhofer Letters from an American Botanist The Correspondences of Gotthilf Heinrich Ernst Mühlenberg (1753–1815) 2014. 604 S. mit 29 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10796-9 Bernhard Olpen Johann Karl Vietor (1861–1934) Ein deutscher Unternehmer zwischen Kolonialismus, sozialer Frage und Christentum 2015. 624 S. mit 21 Abb. und 12 Tab., kt. ISBN 978-3-515-10837-9
Sie glaubten an Gott und Geld – und gründeten ihr Unternehmen darauf. Heinrich Christ erzählt die besondere Geschichte der Basler Missions-Handlungs-Gesellschaft. Das Welthandels-Unternehmen entstand 1859 als Aktiengesellschaft aus der Basler Mission heraus, war ein selbständiges Unternehmen und blieb doch eng mit der Mission verbunden. Auf den Missionsfeldern in Afrika und Indien verkaufte die Gesellschaft europäische Waren und erstand tropische Produkte wie Palmöl und später Kakao. In Indien betrieb sie die Ziegelfabriken und Webereien der Mission. Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs die Missions-Handlungs-Gesellschaft zu einem Großunternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitenden und Millionenum-
sätzen. Das Unternehmen stand in einem Spannungsfeld zwischen religiös-gemeinnützigem und gewinnorientiertem Handeln. Wie ging es damit um? Wie sah sein gemeinnütziges Verhalten im Hinblick auf die Mission aus? Wo kam es zu Reibungen? Mit Blick auf Unternehmensstrategie, Finanzierung, tägliches Geschäft, Personalwesen und Gewinnverteilung beleuchtet der Autor die Besonderheiten des Unternehmens und stellt sie in den Zusammenhang moderner unternehmensethischer Diskussionen. Mit ihrer besonderen Form der Wertschöpfung verband die Missions-Handlungs-Gesellschaft scheinbar widersprüchliche Welten. Das funktionierte im Kontext jener Zeit – und vermag bis heute zu inspirieren.
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ISBN 978-3-515-11083-9