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German Pages 430 [434] Year 2014
Studies in Ancient Monarchies
Johannes M. Geisthardt
Zwischen Princeps und Res Publica Tacitus, Plinius und die senatorische Selbstdarstellung in der Hohen Kaiserzeit
Alte Geschichte Franz Steiner Verlag
Johannes M. Geisthardt Zwischen Princeps und Res Publica
studies in ancient monarchies Edited by Ulrich Gotter (Konstanz), Nino Luraghi (Princeton) and Kai Trampedach (Heidelberg).
volume 2
Johannes M. Geisthardt
Zwischen Princeps und Res Publica Tacitus, Plinius und die senatorische Selbstdarstellung in der Hohen Kaiserzeit
Franz Steiner Verlag
Diese Arbeit ist als Teilprojekt des Forschungsprojekts 738/07 „Zwischen Tyrannis und Gottesgnadentum. Antike Alleinherrschaften im interkulturellen Vergleich“ im Rahmen des EXC 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz entstanden. Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle Grundlagen von Integration“.
Umschlagabbildungen: Links: King Tiglath-pileser III of Assyria. Stone panel, ca. 728 BCE. From the Central Palace in Nimrud, now in the British Museum. © akg / Bible Land Pictures Mitte: Emperor Justinian. Mosaic, ca. 540 CE. Church of San Vitale, Ravenna. © akg / Bildarchiv Steffens Rechts: Alexander the Great at the Battle of Issos. Mosaic, ca. 100 BCE. From the Casa del Fauno, Pompeii, now in the Museo Archeologico Nazionale di Napoli. © akg / Nimatallah Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 zugl. Dissertation der Universität Konstanz. Satz: DTP + TEXT Eva Burri Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10843-0 (Print) ISBN 978-3-515-10987-1 (E-Book)
VORWORT Dieses Buch ist die leicht veränderte Fassung meiner Dissertation, die im April 2012 vom Fachbereich Geschichte und Soziologie der Universität Konstanz angenommen und am 9. August 2012 von mir verteidigt wurde. An der Entstehung und Fertigstellung dieser Arbeit waren viele Menschen beteiligt und ihnen möchte ich an dieser Stelle von Herzen danken. Als erstem möchte ich meinem Doktorvater, Professor Ulrich Gotter, für die gewährten Freiheiten, sein Vertrauen, seine stete Gesprächsbereitschaft und seine vielfältigen Anregungen meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Herzlich danken möchte ich auch meinem Zweitgutachter, Professor Ingo Gildenhard, für seine Aufgeschlossenheit, die äußerst sorgsame Begutachtung meiner Arbeit und seine konstruktive Kritik sowie Juniordozent Steffen Diefenbach nicht zuletzt für die enorm schnelle und gewissenhafte Erstellung eines Drittgutachtens. Dankbar bin ich auch dem Exzellenzcluster 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“, das mir als akademischem Mitarbeiter auf Doktorandenebene hervorragende Arbeitsbedingungen und einen fruchtbaren interdisziplinären Austausch gewährte. Doch selbst diese ausgezeichneten Rahmenbedingungen wären ohne die Mitglieder des Lehrstuhls für Alte Geschichte an der Universität Konstanz und die freundschaftlich mit ihm verbundenen Kollegen, die mir durch viele Diskussionen, Gespräche und Aufmunterungen hilfreich zur Seite standen, nur halb so viel wert. Mein herzlicher Dank gebührt deshalb Lorand Dészpa, Christian Seebacher, Johannes Wienand, Henning Börm, Wolfgang Havener, Benjamin Biesinger und Fabian Seith und auch den unzähligen, diskussionsfreudigen Hilfskräften sei für ihre wertvollen Fragen und Denkanstöße gedankt. Für einige philologische Hilfestellungen bin ich Benjamin Färber zu Dank verpflichtet. Und auch bei Sven Page möchte ich mich für den anregenden Austausch und die Zur-Verfügung-Stellung seiner sich in Druckvorbereitung befindenden Dissertationsschrift bedanken. Einen etwas ungewöhnlichen, aber um nichts geringeren Dank möchte ich an dieser Stelle meinem Ephorus und Lateinlehrer am evangelischen Seminar Blaubeuren, Herrn Gerhard Klein (Ephorus i. R.), gegenüber aussprechen, der vor 15 Jahren mein Interesse an einem Gegenstand weckte, zu dem ich im Zuge meines Dissertationsprojektes zurückkehren konnte: dem Konsular Tacitus. Danken möchte ich auch den Herausgebern der Reihe SAM (Studies in Ancient Monarchies), Professor Kai Trampedach, Professor Nino Luraghi und Professor Ulrich Gotter für die Aufnahme in ihr Programm und dem EXC 16 für die Finanzierung des Drucks. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau Constanze für ihre unermessliche Unterstützung, ihre bewundernswerte Geduld und so vieles mehr, wofür an dieser Stelle weder Platz noch Worte ausreichen. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern in Dankbarkeit für ihren bedingungslosen Rückhalt und ihr unbeirrbares Vertrauen. Konstanz, im April 2014
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort..............................................................................................................
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I.
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II.
Einleitung .................................................................................................. 1. Viri militares oder die Konstituierung der senatorischen Funktionselite als institutionalisiertes Avancement ............................................. 2. Senatorische Selbstdarstellung ........................................................... Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit ......... 1. Strategien retrospektiver Desintegration – der Agricola des Tacitus .. 1.1 Plinius vs. Certus (Plin. epist. 9,13) – Vergangenheit und aristokratische Konkurrenz in der Zeit der Transition ................. 1.2 Der Agricola des Tacitus .............................................................. 1.3 Der Schatten der Vergangenheit – Domitian in der erzählerischen Gegenwart des Proöms ...................................................... 1.4 Die beiden Antagonisten Domitian und Agricola – der Konsular und sein Kaiser............................................................................. 1.5 Die kollektive Mitschuld der Senatoren und die Vereinzelung des Tyrannen ................................................................................ 1.6 Der antidomitianische Diskurs als Plädoyer für eine kollektive Amnestie ...................................................................................... 2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den OptimusPrinceps-Diskurs.................................................................................. 2.1 Der optimus Princeps des Trajansbogens von Benevent ............. 2.2 Der Panegyrikus als plinianisches Produkt des senatorischen otium ............................................................................................ 2.3 Der optimus Princeps des plinianischen Panegyrikus ................. 2.4 Das Problem der Ernsthaftigkeit des Lobredners ........................ 2.5 Plinius als Repräsentant einer neuen Elite ................................... 3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation – Die Unabhängigkeit des briefeschreibenden Konsulars ................................................ 3.1 Der Princeps von Comum ............................................................ 3.2 Von der Antinomie zur Heterotopie – negotium und otium zwischen Republik und Kaiserzeit............................................... 3.3 Das plinianische otium als Heterotopos wahrer libertas des Konsulars ............................................................................... 3.4 Ein zweifaches Produkt des otium – die Briefsammlung ............ 3.5 Plinius im inneren Widerstand gegen den Tyrannen.................... 3.6 Die Affirmation des optimus Princeps durch den briefeschreibenden Konsular................................................................. 3.7 Das trajanische Vorbild und der selbstbewusste Systemträger ....
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Inhaltsverzeichnis
4. Selbstbewusste Kaisermacher? – Die Funktionselite in den Historien des Tacitus ........................................................................... 4.1 Die Darstellung der Krise ............................................................ 4.1.1 Die Funktionselite der erzählten Welt................................ 4.1.2 Die ultio als Perspektive – Das Proömium 1,2 f. ............... 4.1.3 Der senatorische Sektor und seine Funktionselite ............. 4.2 Die Funktionselite in Aktion ........................................................ 4.2.1 Das Feld militärischen Handelns ....................................... 4.2.2 Hierarchie und Konkurrenz – die Interaktion mit den Standesgenossen ................................................................ 4.2.3 Die Logik der Hierarchie – Die Interaktion mit dem Kaiser ................................................................................. 4.3 Im Dienste des Kaisers? .............................................................. 5. Der Tyrann als Gegenbild – der Optimus-Princeps-Diskurs in den Annalen? ................................................................................... 5.1 Der Fluchtpunkt senatorischen Agierens – Tiberius und die maiestas-Prozesse ........................................................................ 5.2 Der Erzähler der Annalen und sein Publikum .............................
220 225 225 231 237 240 241 261 269 279 288 290 324
III. Senatorische Selbstdarstellung und hierarchische Distinktion – eine Synthese............................................................................................. 349 IV. Appendices ................................................................................................ Appendix 1: Kaiserliche konsulare Statthalter und ihre prätorische Laufbahn 70–235 n. Chr. .................................................... Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius – ein Vergleich zwischen Domitian und den anderen Principes............................................................................. Appendix 3: Senatorentabelle zu den Historien des Tacitus ..................
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V.
Literaturverzeichnis................................................................................... 1. Verwendete Quellenausgaben und Übersetzungen .............................. 2. Verwendete Lexikon- und Wörterbucheinträge ................................... 3. Literatur und Kommentare ..................................................................
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VI. Register ..................................................................................................... 1. Personenregister................................................................................... 2. Sach- und Ortsregister ......................................................................... 3. Quellenregister.....................................................................................
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I. EINLEITUNG 1. VIRI MILITARES ODER DIE KONSTITUIERUNG DER SENATORISCHEN FUNKTIONSELITE ALS INSTITUTIONALISIERTES AVANCEMENT Wohl im Frühjahr des Jahres 84 reiste der abberufene konsulare Statthalter Britanniens nach mehrjährigen, erfolgreichen militärischen Kampagnen in seiner Provinz zurück nach Rom, um dort seine wohlverdienten Ehren entgegenzunehmen.1 ornamenta triumphalia et inlustris statuae honorem waren für ihn beschlossen worden, doch zunächst erwartete ihn ein nächtlich-frostiger Empfang des Kaisers. Der Erzählung des Tacitus zufolge bereiteten Domitian der Ruhm und die Zuneigung, die das Heer Agricola entgegenbrachte, ernsthafte Sorgen. Mit den Auszeichnungen habe der Kaiser seinen Neid und Hass auf den erfolgreichen Heerführer nur verschleiern und diesen nach Rom locken wollen.2 Die Besorgnis des taciteischen Domitian lässt sich nicht nur auf die übersteigerte Ängstlichkeit des topischen Tyrannen zurückführen, sondern besitzt auch einen gewissen Grad situativer Plausibilität: Als man seine Ehrung beschloss, war Agricola immer noch Statthalter von Britannien und somit Heerführer aller dort stationierten Truppen. Subtil wird an dieser Stelle Domitian die Angst vor dem unterstellt, womit er sich, aus Perspektive der erzählten Zeit, fünf Jahr später tatsächlich konfrontiert sehen sollte, vor einer Usurpation.3 Dieses Prinzip des Herrschersturzes setzte den Hebel an einem neuralgischen Punkt des Prinzipats an. Denn das Heer war für seinen Patron, den Kaiser, die zentrale Machtbasis seiner Herrschaft; nicht zuletzt gegenüber der Nobilität. Doch für die Leitung und Lenkung dieser Stütze der imperialen Macht benötigte der Kaiser – wie Agrippa im Dialog mit Augustus und Maecenas in der Erzählung des Cassius Dio einräumt – fähige und zugleich treue Helfer aus eben dieser Aris-
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Dieses erste Kapitel beruht in weiten Teilen auf Geisthardt 2013, 37–56. Zur Datierung siehe A. Birley 2005, 94. Tac. Agr. 39 f. (das lat. Zitat: ebd. 40,1 „… die Triumphabzeichen, die Ehre eines lorbeerbekränzten Standbildes…“). Soweit nicht anders gekennzeichnet, wurde für die lateinischen Zitate sowie die deutsche Übersetzung zurückgegriffen auf: Cornelius Tacitus, Agricola – Germania. Lateinisch und deutsch, hrsg., übers. u. erläutert von Alfons Städele (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 22001. Gemeint ist diejenige des Saturninus im Jahre 89. Denn nichts anderes als diese Angst vor dem worst case für den amtierenden Princeps stellt die Implikation in Tac. Agr. 39,2 dem Rezipienten vor Augen: id sibi [Domitian] maxime formidolosum, privati hominis nomen supra principem attolli („Das aber sei für ihn das furchtbarste, dass der Name eines Privatmannes sich über den des Princeps erhöbe“). Vgl. Tac. ann. 6,30,2–4, wo Gaetulicus in einem angeblichen Brief an Tiberius diesen mit den unter seinem Befehl stehenden germanischen Legionen unter Druck setzt. Mehr zu dieser den Kaiser offen herausfordernden Form des Herrscherwechsels, die u. a. ein Spezifikum des römischen Akzeptanzsystems war, siehe Flaig 1992, v. a. 174–208.
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I. Einleitung
tokratie.4 Nach Agrippas Meinung sei das in einer Alleinherrschaft jedoch nicht zu gewährleisten, da die Besetzung der hohen Heereskommandos zwangsläufig entweder die Sicherheit des Kaisers oder diejenige des Staates gefährde.5 Maecenas hält dem allerdings entgegen, dass es sehr auf die Art und Weise der Herrschaftsausübung ankomme. Wenn diese nämlich καὶ τοῖς ἄλλοις τοῖς ἀρίστοις (zusammen mit den Besten) erfolge, dann würden sowohl die Interessen dieser als auch die des Kaisers bestmöglich gewahrt.6 Das Dilemma, um das sich die Diskussion an dieser Stelle dreht, fasst Brian Campbell pointiert zusammen: „The ideal was to find commanders who combined loyalty and ability.“7 Um derartige, ideale Führungskräfte, salopp formuliert, in Serie zu produzieren, habe es, so die Vertreter der These einer militärischen Spezialisierung, eine institutionalisierte Gruppe von Senatoren gegeben, die in ein hierarchisch strukturiertes Beförderungssystem integriert gewesen seien. Diesen Senatoren gab Ronald Syme in seinem Aufsatz „The Friend of Tacitus“ von 1957 nicht nur eine relativ spezifische Definition, sondern auch eine Bezeichnung, die in den folgenden 20 Jahren Konjunktur haben sollte: „There is an especially favoured class of ‚viri militares‘ – men who pass straight to the consulate after only two posts, viz. a legionary command and a praetorian province.“8 Die Frage nach der Existenz der von Syme damals postulierten viri militares ist insofern von Bedeutung, als man dabei in dem Themenfeld operiert, nach welchen Funktionsmechanismen sich eine transkulturelle Reichselite in den höchsten kaiserlichen Ämtern konstituierte. Es waren die Statthalter des Princeps, die – häufig mit dem Oberbefehl über starke militärische Verbände ausgestattet – vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, über die peripheren Provinzen des Imperium Romanum herrschten, sie gegen Angriffe von außen verteidigten oder auf Befehl des Kaisers erweiterten. Sie hatten für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Durchsetzung der römischen Herrschaft zu sorgen. Doch in welcher Beziehung standen sie zu ihrem Princeps? Durchliefen sie eine bürokratisch-institutionalisierte Laufbahn, welche sie mit einer gewissen Professionalität ausstattete, sie auf die zukünftigen Aufgaben vorbereitete und sie mit einer gewissen Unabhängigkeit gegenüber dem Kaiser versah, da dieser nolens volens auf diese Spezialisten angewiesen war? Oder waren ihre Karrieren personalisierte Kontingenzen, die einem sozio-kulturell bedingten Muster folgten, in dessen Rahmen ihre konkrete Nähe zum Kaiser von wesentlich größerer Bedeutung als Ihre besonderen militärischen Kompetenzen war? Diese Fragen zu den viri militares weisen aber über das militärische Feld hinaus, da ihre Existenz eine zunehmende Ausdifferenzierung der senatorischen Funktionselite in spezialisierte Gruppen auch in anderen Bereichen (Rechtswesen, Finanzen, Baupolitik etc.) nahelegt und die römische Monarchie somit als eine Herrschaftsform zu kennzeichnen wäre, die durch eine bürokratisch institutionalisierte Elite gestützt wurde.
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Cass. Dio 52,8,4. Cass. Dio 52,8,4–9. Cass. Dio 52,14,3. Campbell 1984, 318; zum Sicherheitsproblem des Princeps siehe auch Alföldy 1969, 9. Syme 1957, 134.
1. Viri militares oder die Konstituierung der senatorischen Funktionselite
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Die Idee von den viri militares fand neben Ronald Syme, der diesen Begriff prägte, und Eric Birley, auf dessen Untersuchungen Syme sich stützte, unter anderem in Werner Eck und Geza Alföldy starke Verfechter.9 Die erste substantielle Gegendarstellung zu dieser Problematik lieferte bereits 1975 Brian Campbell mit seinem im Journal of Roman Studies erschienenen Aufsatz „Who were the viri militares?“10 Mit dem Diktum Egon Flaigs aus dem Appendix seiner Habilitationsschrift von 1992, dass nicht nur diese These als erledigt angesehen werden könne, sondern sie gleichzeitig „die vielleicht schwerste Niederlage der sogenannten prosopographischen Methode in der Erforschung der Kaiserzeit“ darstelle,11 hätte man die viri militares ad acta legen können. Denn mittlerweile hatte Eck von seinem anfänglichen Enthusiasmus für die These Abstand genommen12 und Alföldy den Begriff soweit ausgehöhlt, dass er relativ unproblematisch an einem nun nur noch leeren und funktionslosen, im schlimmsten Falle allerdings irreleitenden Begriff festhalten konnte.13 Doch im gleichen Jahr, in dem Flaigs Buch erschien (1992), wurde ein von Anthony R. Birley vor der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften gehaltener Vortrag mit dem Titel Locus virtutibus patefactus veröffentlicht.14 In diesem weist A. Birley Campbell derartige prosopographische Ungenauigkeiten und Fehler bei dessen Gegendarstellung nach, dass diese nicht dazu tauge, die Analysen E. Birleys und Symes über ein spezifisches, quasi institutionalisiertes Avan-
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Maßgeblich für die Begriffsbildung, ohne den Begriff zu verwenden E. Birley 1953, der davon ausgeht, dass die aussichtsreichsten Kandidaten für die obersten Militärkommandos bereits mit dem ersten Amt vor Eintritt in den Senat, dem Vigintivirat (also im Alter von 18 bis 20 Jahren) ausgewählt wurden, um in der Folge nach einem festen Karriereschema befördert zu werden, siehe v. a. ebd. 204 f. Bereitwillige Aufnahme erfuhr der Begriff dann vor allem von Eck 1974, der sich E. Birleys Ansicht einer sehr frühen Auslese zukünftiger Oberkommandierender anschließt, ebd. 173 f. Ein wenig eingeschränkter ist der Zuspruch von Alföldy 1969, 240, der ähnlich wie Syme die Etablierung eines „geregelten Beförderungssystems“ erst ab der Prätur ansetzen möchte. Einen breiten Überblick über Verteidiger und Gegner der viri militares findet man bei A. Birley 1992, 12–15 u. A. Birley 2000b, 109 u. 116 f. Campbell 1975. Flaig 1992, Appendix I, 569–573, das Zitat ebd. 572. Während in Eck 1974, 226 noch die Rede von einer „Art Objektivierung des Cursus“ ist, „die es dem Kaiser nicht erlaubte, ganz nach Willkür mit den Senatoren zu verfahren“, widerruft Eck seine Prämissen quasi vollständig, wenn er in Eck 1995, 22 schreibt: „Man könnte sogar formulieren, den Kaisern und seinen [sic] Beratern habe geradezu daran gelegen, Professionalität zu vermeiden. Tatsächlich liegt die Erklärung aber wohl eher in dem Grundmuster aristokratischen Lebens, das Spezialistentum im professionellen Sinn für sozialinadäquat [sic] hielt.“ Wesentlich ausführlicher gegen jede Art der fachlichen oder regionalen Spezialisierung nimmt er in Eck 2001 Stellung, indem er ebd. 21 feststellt, dass „Generalisten“, nicht Spezialisten auf den höheren Ebenen der staatlichen Verwaltung verlangt worden seien. Alföldy 1987, [Nachträge], 18 schreibt: „Der Begriff ‚viri militares‘ wird hier für Senatoren und Ritter mit militärischer Erfahrung gebraucht, ohne dass dabei an einen geschlossenen Personenkreis mit einer formalisierten Laufbahn zu denken wäre …“ Einen guten Einblick in das ambigue Verhältnis, das Géza Alföldy zum Begriff der viri militares hegt, bietet Flaig 1992, 569–573. A. Birley 1992.
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I. Einleitung
cement zu widerlegen.15 Indem er acht Jahre später Abstand von den Implikationen einer bürokratischen Institutionalisierung der senatorischen Laufbahn nimmt, welche diesem Terminus seit seiner Entstehung als einer Forschungsthese aus der Feder Ronald Symes inhärent sind, tritt A. Birley schließlich in die Fußstapfen Alföldys. Denn auch er möchte trotz der Problematik des Begriffs, die er beiläufig und quasi als belanglos beiseite räumt, unbedingt an ihm festhalten: All the same, leaving aside the question whether there was a favoured group with an accelerated path to the consulship and whether or not these people were thought of as viri militares, some Roman senators certainly served for long years with the armies. One may legitimately describe one of these, Sex. Julius Severus, […] as the very model of a Roman vir militaris.16
Dieses Statement erinnert wieder sehr an ein bürokratisch institutionalisiertes Avancement nach der Definition von Syme und E. Birley. Darüber hinaus wirft A. Birley Campbell bezüglich des Terminus vir militaris, der sowohl in der Republik als auch im Prinzipat genutzt wurde, vor, er habe argumentiert, „that there was no such creature.“17 Doch er tut Campbell damit Unrecht, da dieser nie gegen die Begrifflichkeit an sich, sondern gegen die mit ihr verbundenen Implikationen Stellung bezog.18 An genau derselben Stelle verweist A. Birley auf seinen eigenen Artikel Locus virtutibus patefactus von 1992 sowie auf eine seiner Meinung nach ausgewogenere Ansicht zu dieser Thematik von Tim Cornell19: „In Pliny’s time senators who had military experience and commanded the armies were known as viri militares in contrast to the majority who followed civilian careers.“20 Ohne auf die Äußerung Cornells weiter einzugehen, soll im Folgenden A. Birleys Reanimationsversuch der viri militares von 1992 genauer unter die Lupe genommen werden. Er verbessert die von Campbell aufgestellte prosopographische Liste von 73 Senatoren, die in der Zeit von 69 bis 235 n. Chr. eine konsulare Statthalterschaft inne hatten und deren prätorische cursus bekannt sind, indem er 12 Senatoren (unter anderem und korrekterweise auch die Patrizier) streicht und eine eigene Liste von 20 konsularen Statthaltern, die Campbell übersehen hatte, anfügt. Insgesamt kommt er
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A. Birley 1992, 14 f. Dort aber vor allem Anhang 1, 31–40. A. Birley 2000b, 117. So fasst er ebd. 116 das Anliegen seines Artikels in folgende Worte: „What has been attempted in the present paper is simply to indicate that there were still, under the Principate as in the Late Republic, senators who were regarded as ‚military men‘.“ A. Birley 2000b, 116. Siehe Campbell 1975, 27: „In conclusion, there was no group of specialist ‚viri militares‘ with a distinctive career and special promotion.“ A. Birley 2000b, 116. Siehe Anm. 60 von der man zu Anm. 5 gelangt, wo A. Birley auf die in seinem Artikel (A. Birley 1992) enthaltene, begründete Kritik des Datenmaterials hinweist, auf denen Campbells Artikel von 1975 aufbaut; übrigens verweist A. Birley 2005, 8 in Hinsicht auf die „own rules“ der Kaiser und ihrer Berater bei der Vergabe von den höchsten Posten ebenfalls auf A. Birley 1992. Cornell 1993, 165 f. Cornell scheint mit dieser Debatte nicht besonders vertraut gewesen zu sein: Erstens verweist er direkt auf E. Birley 1953, der diesen Begriff noch nicht benutzte. Zweitens gesteht er in einer Anmerkung ebd. Campell zwar zu, dieser habe zeigen können, dass der betreffende Begriff kein präziser Terminus technicus gewesen sei, doch dessen Argumente, dass es keine viri militares gegeben habe, findet er nicht überzeugend.
1. Viri militares oder die Konstituierung der senatorischen Funktionselite
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zu einer zu analysierenden Liste von 81 Senatoren.21 Von diesen, stellt er fest, weisen 30 eine „schnelle“ Laufbahn auf. Hierunter versteht er ein Legionskommando und maximal ein weiteres Amt vor dem Konsulat. Allerdings betrachtet er dabei entgegen dem oben angeführten Zitat Symes die Statthalterschaft einer prätorischen Provinz nicht mehr als notwendiges Kriterium für die Laufbahn der viri militares.22 A. Birley erhält folglich einen Anteil von 37 Prozent der konsularen Statthalter, die zu den viri militares zu zählen sind. Darüber hinaus kann er sich auch vorstellen, weitere 18 Senatoren zu dieser Gruppe hinzuzurechnen, welche außer einem Legionskommando nur noch zwei weitere prätorische Ämter versehen haben.23 Somit kommt er zu dem Ergebnis, dass „mehr als die Hälfte (30+18) der 81 konsularischen Statthalter, deren prätorische Laufbahn vollständig bekannt ist, das Konsulat nach einem Legionskommando und nicht mehr als zwei weiteren Ämtern erreichte.“24 Dies würde bedeuten, dass ca. 60 Prozent der Konsulare, die in kaiserlichem Dienst die Provinzen verwalteten und die Oberkommandos über die dort stationierten Truppen inne hatten, zu der Gruppe der viri militares zu zählen wären. Vor diesem seiner Meinung nach schlagenden Beweis lasse sich Campbells Argumentation gegen ein institutionalisiertes Avancement – der bei seiner Kalkulation, bei der er sich strikt an Symes Kriterium (siehe oben) hält, eine maximale Menge von 12 Prozent in Frage kommender Senatoren errechnet – nicht aufrecht erhalten.25 Diese Zahlenspiele ließen sich noch weitertreiben. Legt man beispielsweise den Untersuchungszeitraum auf die ersten 70 Jahre des zweiten Jhs. fest – die allgemein als eine relativ stabile Zeit der römischen Monarchie gelten, ja, nach der idyllischen Zeichnung Edward Gibbons das glücklichste Zeitalter der Menschheit darstellen26 –, dann weisen sogar drei Viertel der konsularen Statthalter eine beschleunigte Karriere auf. Für diese Zeit könnte man also bei mehr als acht von elf dieser Amtsträger von militärisch spezialisierten Senatoren sprechen, die ein bürokratisch-institutionalisiertes Avancement erfahren haben.27 Man könnte A. Birley daher zunächst zustim21 22
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Siehe A. Birley 1992, 31–40. Die beiden Listen von Campbell und A. Birley finden sich in kombinierter und erweiterter Form in Appendix 1 zusammengefasst. Siehe A. Birley 1992, 39; die folgenden Nummern beziehen sich auf den Appendix 1, in dem die von A. Birley eindeutig als viri militares identifizierten Senatoren durch Fettdruck markiert sind. Es handelt sich um die Nr.: 1; 5; 9; 12; 16; 17; 27; 32; 33; 35; 36; 37; 41; 42; 43; 45; 48; 49; 51; 54; 55; 56; 62; 69; 70; 74; 77; 78; 80; 81. Dies bedeutet also eine erneute Aufweichung des Syme᾿schen Kriteriums. Hierbei handelt es sich – wiederum auf Appendix 1 bezogen, in welchem die betreffenden Senatoren vor ihrer Nummer mit einer Tilde („~“) versehen wurden – um die Nr.: 2; 3; 10; 22; 24; 28; 31; 34; 46; 53; 57; 59; 60; 61; 64; 66; 72; 75. Dabei gesteht er allerdings ein: „Es wäre bestimmt riskant, alle diese 18 weiteren prätorischen Laufbahnen ohne weiteres wirklich als schnell zu bezeichnen.“ Dies hindert ihn jedoch nicht daran, sie für seine Schlussfolgerung zu nutzen, siehe A. Birley 1992, 40. Siehe A. Birley 1992, 40. Zu den Ergebnissen Brian Campbells siehe Campbell 1975, 12. Siehe A. Birley 1992, 15. Gibbon 2004, 125 f. 42 der konsularen Statthalter, deren Nr. in Appendix 1 grau unterlegt ist, hatten ihr Konsulat zwischen 100 u. 170 n. Chr. inne (Nr.: 1; 2; 3; 5; 9; 10; 11; 12; 14; 17; 19; 20; 23; 24; 27; 28; 37; 40; 41; 42; 43; 45; 49; 51; 52; 53; 54; 55; 56; 57; 58; 60; 61; 62; 63; 64; 66; 68; 70; 72; 74; 81). Davon sind nach den Kriterien von A. Birley (A. Birley 1992, 31–40) 20 Senatoren (1; 5; 9; 12; 17; 27; 37; 41; 42; 43; 45; 49; 51; 54; 55; 56; 62; 70; 74; 81) definitiv und 12 weitere
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I. Einleitung
men, wenn er seine Ergebnisse denen Campbells gegenüberstellt und dessen Artikel von 1975 lapidar mit den Worten bewertet: „Auf solcher Basis aber wird die Analyse E. Birleys und Symes durch diesen Aufsatz keineswegs widerlegt.“28 Stellt man nun aber die divergierenden Ergebnisse Campbells und A. Birleys sowie die Resultate des auf die ersten 70 Jahre des zweiten Jahrhunderts beschränkten Zahlenspiels einander gegenüber, so erhält man ganz unterschiedliche Anteile der kaiserlich-konsularen Statthalter, die zu den viri militares zu zählen wären, nämlich zwischen 12 und 76 Prozent. Auf dieser mehr oder weniger quantitativen Ebene scheint man der Argumentation für oder gegen ein institutionalisiertes Beförderungssystem also schlecht beizukommen, da leicht modifizierte Kriterien und kleine Veränderungen in der prosopographischen Liste zu dem Ergebnis führen können, zu dem man jeweils gelangen möchte. Doch an dieser Stelle soll nicht im Einzelnen auf notwendige oder hinreichende Kriterien eingegangen und deren Tauglichkeit überprüft, sondern die Problematik der an die epigraphischen Quellen gestellten Frage in den Fokus gerückt werden. Denn schon Campbell führte in seinem Aufsatz durchaus stichhaltige Argumente gegen die Existenz der viri militares an.29 Seine Argumentation kann allerdings auf der Basis der Prämissen und der nicht hinterfragten Konsequenzen dieser These erweitert werden, so dass sich die prosopographische Konstruktion der viri militares als nicht haltbar erweisen wird. Angesichts der rechnerischen Ergebnisse von A. Birley oder des obigen, durch das Kriterium der zeitlichen Dimension verschärften Zahlenspiels verwundert es sehr, dass man in den literarischen Quellen keinerlei Hinweise auf eine Institution findet, die militärische Spezialisten produziert hat. Denn selbst an den Stellen, an denen die Bezeichnung vir militaris und verwandte Begriffe in den textuellen Erzeugnissen dieser Zeit auftauchen und nicht auf Offiziere der unteren Ränge bezogen sind, dienen diese lediglich zur individuellen Charakterisierung des betreffenden Senators. So heißt es beispielsweise bei Tacitus über Vespasian kurz vor dessen Entscheidung, in den Bürgerkrieg von 69 einzutreten: versabatur ante oculos Germanici exercitus robur, notum viro militari: suas legiones civili bello inexpertas, Vitellii victrices […].30 Vor allem die dem Begriff vir militaris nachfolgende Einschätzung der spezifischen Situation, der sich der Protagonist im Falle seines Eintritts in den Bürgerkrieg gegenüber sieht, zeigt, dass es hier nicht darum geht, Vespasian als
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Senatoren (2; 3; 10; 24; 28; 53; 57; 60; 61; 64; 66; 72) mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu den viri militares zu zählen. Man erhält also ein Verhältnis von (20+12): 42 und somit einen Anteil von 76 Prozent der konsularen Statthalter dieser Zeit, die zu jener spezifischen Gruppe hinzuzurechnen wären. A. Birley 1992, 15. Siehe Campbell 1975, 12–28, vgl. Campbell 1984, 325–347. Tac. hist. 2,75,1: „Vor Augen stand ihm die Stärke des Heeres aus Germanien, die er als Militär ja kannte. Seine eigenen Legionen hätten noch nicht die Erfahrungen eines Bürgerkrieges hinter sich, die des Vitellius seien sieggekrönt.“ Soweit nicht anders angegeben, stammen die lateinischen Zitate und deutschen Übersetzungen aus: P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Joseph Borst unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 62002. Hervorhebungen in Quellenzitaten (auch Übersetzungen) stammen hier sowie im Folgenden vom Verfasser.
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Mitglied einer bestimmten Gruppe von Senatoren zu zeigen, sondern um dessen individuelle Fähigkeiten auf militärischem Gebiet. An anderer Stelle, in den Annalen, heißt es, dass Corbulo sehr beeindruckend vor der Heeresversammlung sprach: …multa auctoritate, quae viro militari pro facundia erat.31 Auch in diesem Falle handelt es sich, wie sich leicht an dem Verb esse im Imperfekt Singular erkennen lässt, um eine individuelle Beschreibung der charakterlichen Eigenheit des Corbulo, dessen auctoritas sich hauptsächlich auf dessen Erfahrungen und Taten im militärischen Bereich gründet.32 Und selbst der Hinweis bei Cassius Dio, Hadrian habe die militärisch erfahrensten Männer in das Krisengebiet Iudaea berufen, von denen der hervorragendste Iulius Severus gewesen sei,33 deutet lediglich auf ein ad hoc zusammengestelltes Kollektiv hin, insofern als jeder Oberkommandierende eine spezifische Begabung auf diesem Sektor senatorischer Betätigung aufzuweisen hatte, nicht jedoch auf eine institutionalisierte Gruppe, welche ein gemeinsam durchlaufenes Avancement zusammenschweißte und auf eben solche Situationen vorbereitete.34 Daran ändert auch die von A. Birley angeführte scheinbar hohe Anzahl von Belegstellen nichts, in denen der Begriff vir militaris oder ein ähnlicher Verwendung findet.35 Denn weder bei Tacitus noch bei Cassius Dio oder in der Historia Augusta lässt sich trotz teilweiser Benutzung dieser oder ähnlicher Bezeichnungen irgendein Hinweis darauf finden, dass es eine Gruppe kaiserlich-konsularer Statthalter gegeben hat, die ein bürokratisch-institutionalisiertes Avancement durchlief. Es existiert nicht einmal ein Indiz ex negativo, das erklären könnte, wie Senatoren mit mangelhafter militärischer Erfahrung, wie beispielsweise L. Dasumius Tullius Tuscus,36 der lediglich das Militärtribunat versah, oder mit gar keiner, wie 31
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Tac. ann. 15,26,3: „…und durch seine starke Persönlichkeit wirkte, die bei dem Kriegsmann die Beredsamkeit ersetzte“ Soweit nicht anders vermerkt, stammen die lateinischen Zitate und deutschen Übersetzungen aus: P. Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Erich Heller mit einer Einführung von Manfred Fuhrmann (Sammlung Tusculum), Düsseldorf 52005. Vgl. zu diesen beiden Stellen Campbell 1975, 11. Cass. Dio 69,13,2: … τότε δὴ τότε τοὺς κρατίστους τῶν στρατηγῶν ὁ Ἁδριανὸς ἐπ’ αὐτοὺς ἔπεμψεν, ὧν πρῶτος Ἰούλιος Σεουῆρος ὑπῆρχεν, ἀπὸ Βρεττανίας ἧς ἦρχεν ἐπὶ τοὺς Ἰουδαίους σταλείς. („… da erst schickte Hadrian seine besten Generale [sic] gegen sie ins Feld. Die erste Stelle unter ihnen nahm Iulius Severus ein, der von Britannien, seiner Provinz, gegen die Juden abkommandiert wurde“). Griechisches Zitat aus: Dio Cassius, Roman History. Books LXI– LXX. With an English Translation by Earnest Cary, on the Basis of the Version of Herbert Baldwin Foster (The Loeb Classical Library 176), Cambridge, Massachusetts/London 82005. Die deutsche Übersetzung aus: Cassius Dio, Römische Geschichte. Band V. Epitome der Bücher 61–80, übers. von Otto Veh, Düsseldorf 2007. Wenn nicht anders vermerkt, wurden Text und Übersetzung aus den angegebenen Ausgaben übernommen. Einen anderen Blickwinkel auf diese Stelle einnehmend: Alföldy 1969, 11; vgl. aber auch A. Birley 2000b, 102, für den Iulius Severus geradezu den Inbegriff des vir militaris darstellt, siehe ebd. 117. A. Birley 2000b, 100–102. ILS 1081 = CIL XI 3365. Tuscus hatte zwar in seiner Laufbahn außer einem Militärtribunat keine militärische Erfahrung vorzuweisen (weder Legionslegat noch prätorische Statthalterschaft finden sich zwischen Prätur und Konsulat. Sein einziges überliefertes Amt dieser Karrierestufe ist das des praefectus aerarii Saturni). Er wurde aber dennoch von Antoninus Pius
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I. Einleitung
Salvius Iulianus,37 mit dem Oberbefehl über mehrere Legionen betraut werden konnten. Dies hätte angesichts einer Konkurrenz mit den erfahrenen viri militares eine deutliche Provokation von Seiten des Kaisers, in diesen Fällen von Antoninus Pius, bedeutet – eine militärisch spezialisierte Konkurrenz, die nach den Berechnungen A. Birleys und dem obigen Zahlenspiel vor allem in dieser Zeit, der Mitte des zweiten Jhs., drückend gewesen wäre (76 Prozent aller Konsulare). Andererseits verbieten eben die literarischen Quellen die Vorstellung eines militärisch spezialisierten, institutionalisierten Avancements, das ein Senator hätte durchlaufen können: Denn wie man beispielsweise an Agricola sehen kann, gilt ein guter Senator als befähigt, jedes Amt, sei es mit oder ohne militärische Kompetenzen, vorbildlich zu versehen.38 Und selbst „the very model of a Roman vir militaris,“39 Iulius Severus, hat nach Cassius Dio weit mehr zu bieten als eine rein militärische Begabung: „Den Severus aber entsandte der Kaiser nach Bithynien, das keine Heeresmacht, wohl aber einen gerechten, verständigen und angesehenen Statthalter brauchte; all diese Eigenschaften besaß der Mann.“40 Darüber hinaus gab es im Regelfall so etwas wie rein militärische Ämter eigentlich nicht, da selbst ein Legionslegat vor allem in Friedenszeiten auch mit zivilen Aufgaben betraut werden konnte.41 Die konsularen Statthalterschaften selbst bestanden zu großen Teilen aus Verantwortlichkeiten, die dem zivilen Bereich zuzuordnen waren und welche die militärischen Angelegenheiten bei weitem über-
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nicht nur zum Statthalter von Germania superior, sondern in der Folge von Marc Aurel und Lucius Verus auch von Pannonia superior gemacht und war danach comes Augustorum. siehe PIR2 D 16; E. Birley 1953, 208; Alföldy 1977, 237; Eck 1985, 61 f.; A. Birley 1992, 39; A. Birley 2000b, 112, 114. ILS 8973. Trotz keinerlei Berührung mit dem Militär während seiner Laufbahn in kaiserlichen Diensten wurde er Statthalter von Germania inferior und Hispania citerior. Siehe PIR2 S 135; E. Birley 1953, 208 meint das mit der senatorischen Laufbahn des Antoninus Pius erklären zu können; Alföldy 1977, 99–102, 227, 229; A. Birley 2000b, 114; Eck 2001, 7 f. Vgl. Tac. Agr. 9,2 f. u. 19. Ähnliches lässt sich auch aus dem Lob des Vestricius Spurinna in einem Brief des Plinius (Plin. epist. 3,1,12) herauslesen, wo es heißt: nam ille quoque, quoad honestum fuit, obiit officia, gessit magistratus, provincias rexit multoque labore hoc otium meruit („denn auch er hat, solange es ehrenvoll geschehen konnte, seine Pflichten erfüllt, seine Ämter ausgeübt, seine Provinzen geführt und durch viel Arbeit sich diese Ruhe verdient“) Lateinisches Zitat und die Übersetzung stammen – wenn nicht anders angegeben – aus: C. Plinius Caecilius Secundus, Sämtliche Briefe. Lateinisch/Deutsch, übers und hrsg. von Heribert Philips und Marion Giebel, Nachwort von Wilhelm Kierdorf (Reclam), Stuttgart 2005. Vgl. hierzu Campbell 1975, 27 sowie Brunt 1988, 48, der die gesamte Spezialisierungsdebatte für übertrieben hält und lakonisch bemerkt: „Men were freely transferred from one post to another in different regions and with disparate functions. It seems to have been assumed that natural ability and industry would compensate for the lack of specialized training.“ Ausführlich gegen jede Form der Spezialisierung, ob fachlicher oder geographischer Art, argumentiert Eck 2001, 7–21. A. Birley 2000b, 117; siehe oben, S. 12 mit Anm. 16. Cass. Dio 69,14,4 tὸν δέ Σεουῆρον ἐς Βιθυνίαν ἒπεμψεν, ὃπλων μὲν οὐδέν, ἂρχοντος δὲ καὶ ἐπιστάτου καὶ δικαίου καὶ φρονίμου καὶ ἀξίωμα ἒχοντος δεομένην· ἃ πάντα ἐν ἐκείνῷ ἦν. Diese Einschätzung des Iulius Severus folgt direkt im Anschluss an den Bericht seiner erfolgreichen militärischen Operationen im jüdischen Krieg. Siehe Campbell 1975, 20 f.
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stiegen. Denn neben dem allgemeinen Kommando über die in der Provinz stationierten Truppen bestand der Hauptteil der Amtsgeschäfte in vielfältigen Formen der Rechtsprechung – von den Rechtsstreitigkeiten einzelner Personen bis zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Gemeinden –, der Koordinierung von Infrastrukturmaßnahmen sowie der Repräsentation der politischen Macht.42 Auch der cursus der Senatoren selbst bestand im ständigen Wechsel zwischen zivilen und militärischen Ämtern, wobei erstere normalerweise den größeren Anteil ausmachten und letztere, wie bereits angemerkt, in Friedenszeiten keinen sonderlichen Beitrag zu einer spezialisierten Ausbildung leisten konnten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich aus einem cursus honorum in Form einer Inschrift nur äußerst bedingt Schlüsse auf Motivationen, Intentionen und Kontingenzen bezüglich einer spezifischen Laufbahn ziehen lassen. Kurz gesagt: Eine cursus-Inschrift kann der Feststellung dienen, welche Ämter ein Senator während seiner Laufbahn innehatte, aber nicht weshalb.43 Natürlich soll damit nicht angezweifelt werden, dass es einige Persönlichkeiten gab, die aufgrund individueller Leistungsfähigkeit im militärischen Bereich vorwiegend und von den Kaisern gezielt in diesem eingesetzt wurden und nach ihrer Bewährung häufig eine schnelle Beförderung erhielten. Aber diese Karrieren müssen mit Hilfe literarischer und anderer Quellen an ihren spezifischen historischen Kontext rückgebunden werden. Diese Rückbindung ist eine Notwendigkeit, welche prosopographische Analysen zu den viri militares in der Regel nicht leisten können. Doch indem man den historischen Kontext wie beispielsweise Kaiserwechsel, besondere Krisenzeiten oder biographische Details der Senatoren außer Acht lässt, verfälscht man unweigerlich das epigraphische Material. Man übersieht dabei – abgesehen davon, dass cursus-Inschriften auch kein repräsentatives Sample darstellen – die beschränkten Aussagemöglichkeiten der inschriftlichen Zeugnisse.44 Der Versuch, die Hintergründe und Gegebenheiten der Laufbahnen einzelner Senatoren nachzuvollziehen und in die prosopographische Analyse einfließen zu lassen, scheitert allerdings unweigerlich an der Quellenlage – sind die erhaltenen Inschriften 42
Wesentlich ausführlicher hierzu: Eck 2001, 7. Gegen militärische Spezialisierung ebd. 12 f. Dort stellt Werner Eck auch fest, dass Hadrian die militärische Kompetenz des Iulius Severus zwar als weit überdurchschnittlich eingeschätzt haben müsse, dieser aber während seiner vorherigen Statthalterschaften in Dacia, Moesia inferior und Britannia diese Kompetenz eigentlich nicht habe beweisen können, da es nach heutigem Wissensstand dort während seiner Statthalterschaft keine größeren Kämpfe gegeben habe. Überzeugend gegen jede Form der Spezialisierung im militärischen Bereich argumentiert auch Flaig 1992, 144–152; sehr prägnant die Aussage ebd. 146: „Im Heer des Prinzipats wird diejenige Fähigkeit, von der wir anzunehmen geneigt sind, sie müsse erst erworben werden, schlicht vorausgesetzt.“ 43 Vgl. Campbell 1975, 12; Campbell 1984, 328 f.; Eck 1993, 366 f. Dort behandelt er auch die Karriere des Q. Petilius Cerialis [PIR2 P 260 sowie Eck 1985, 135 u. A. Birley 2005, 62–68], über den man dank Tac. ann. 14,32,3 weiß, dass er als Legionslegat in Britannien bei dem versuchten Entsatz Camolodunums eine empfindliche Schlappe (clades) erlitt. Dennoch scheint dies seiner Karriere nicht abträglich gewesen zu sein. Sicherlich hat ihm der Kaiserwechsel von Nero – mit einigen Zwischenschritten – zu Vespasian, mit dem er verwandt war (Tac. hist. 3,59,2), nicht geschadet und wahrscheinlich das seinige dazu beigetragen, dass er bereits im Jahre 74 n. Chr. cos II war. 44 Siehe hierzu: Campbell 1984, 328 f.; Eck 1993, v. a. 366 f.
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doch häufig die einzige Informationsgrundlage über die Karriere eines Senators. Bereits vor diesem Hintergrund lässt sich also konstatieren, dass die Behauptung eines institutionalisierten Avancements jeder belastbaren Grundlage in den Quellen entbehrt. Es stellt sich darüber hinaus die Frage nach dem Nutzen einer derart strukturierten militärischen Elite für den Kaiser. Denn der Hälfte (15 von 30) der von A. Birley als viri militares identifizierten konsularen Statthalter kann man diese prestigeträchtige Herrschaftsbefugnis jeweils nur ein einziges Mal sicher nachweisen, und in der Regel werden sie dieses Amt auch nicht länger als drei Jahre versehen haben.45 Zwar muss man einräumen, dass wir zum Teil nur stark fragmentarische Informationen über die Karrieren dieser Senatoren nach dem Konsulat besitzen und auch die Dauer der einzelnen Statthalterschaften des Öfteren nicht ganz genau bestimmbar ist. Aber es ist doch wohl eher davon auszugehen, dass die bei den oben genannten 15 Senatoren natürlich nicht mitgezählte konsulare Statthalterschaft eines Cn. Iulius Agricola über gut sieben Jahre in Britannia oder die für rund neun Jahre im Osten des Reiches versehenen konsularen Dienste eines C. Avidius Cassius46 in ihrer Länge wohl eher die Ausnahme bildeten. Auch die Gegenprobe hierzu fällt alles andere als überzeugend aus: Bei den von A. Birley eindeutig als viri militares identifizierten Senatoren, gibt es gerade einmal vier Ausnahmen, die mehr als zwei konsulare Statthalterschaften innehatten und länger als neun Jahre die höchsten Kommandostellen der römischen Armee versahen, wobei sie jedoch (was dabei nicht übersehen werden sollte) auch ihre Provinzen zu regieren hatten.47 In einer andern Liste A. Birleys „Senators who held more than two consular military commands“ – zu der er außer der Stellung als comes Aug. noch sämtliche Sonderämter hinzurechnet – befinden sich unter den 29 Senatoren, welche diesem Kriterium entsprechen, lediglich sieben, die von ihm 1992 als militärische Spezialisten bezeichnet worden sind.48 Also nicht einmal ein Viertel der Konsulare, die überdurchschnittlich lange oder häufig in kaiserlichen Diensten militärische Kommandos innehatten, stimmt mit den von ihm identifizierten viri militares überein. Weshalb 45
Hierbei handelt es sich um folgende Nummern aus Appendix 1: 1; 12; 27; 36; 41; 51; 54; 55; 56; 62; 69; 74; 78; 81. Sonderposten als comes Aug. u. ä. wurden hierbei nicht berücksichtigt, da diese „Posten“ eigentlich nicht regulär zu besetzen waren – in einem bürokratisch-institutionalisierten Karriereschema also auch keine Rolle spielen konnten – und es häufig schwer ist, sowohl die Dauer des comitatus als auch die mit ihm verbundenen Aufgaben genauer zu bestimmen. Zur ungefähren Dauer konsularer Statthalteschaften vgl. Eck 1974, 214. 46 Zuerst als Statthalter von Syrien und im Anschluss daran als Oberkommandierender über den Osten des Reiches, siehe Syme 1988, 695. 47 In Appendix 1 die Nr.: 32; 37; 42; 43. Zu Nr. 17 und 70 sollte man anmerken, dass beide zwar mehr als zwei konsulare Provinzen regierten, allerdings keiner von beiden länger als fünf Jahre. Beiden machte eine allgemein-menschliche Grunderfahrung ein längeres Engagement unmöglich: M. Claudius Fronto fiel im Kampf gegen die Jazygen, M. Statius Priscus musste sich wohl seinem relativ hohen Alter geschlagen geben. Für Weiteres siehe Appendix 1 Anm. 3 u. 10. 48 Die Liste befindet sich in A. BIRELY 2000, 111 f. Bei den in dieser Liste auftauchenden sieben viri militares handelt es sich um die in Appendix 1 zu findenden Nr.: 5; 17; 32; 37; 41; 43; 70.
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also, so muss man sich angesichts dieser Befunde fragen, sollte der Kaiser eine derartige Institution pflegen, die ihm militärische Spezialisten zur Verfügung gestellt hätte, wenn er die von ihr produzierten Kapazitäten offensichtlich nicht ausschöpfte? Kommt man noch einmal kurz auf die literarischen Quellen zurück, so verwundert das Fehlen jeglicher Indizien für die Existenz der viri militares eben nicht nur vor dem Hintergrund, dass es in den Quellen keineswegs an der Darstellung militärischer Tüchtigkeit von Senatoren fehlt, sondern auch vor der Folie der machtpolitischen Bedeutung einer solchen Gruppe, wenn es sie denn gegeben hätte. So kann man in den Epitomen des Cassius Dio lesen, dass Licinius Sura und Claudius Livianus im ersten dakischen Krieg als Unterhändler zu Decebalus geschickt wurden,49 dass gleichzeitig zum zweiten dakischen Krieg, Palma, Statthalter von Syrien, den Teil des arabischen Gebietes rund um Petra eroberte,50 dass der Maure Lusius Quietus durch seine militärischen Leistungen einen schnellen Karriereaufstieg erfuhr51 und dass Iulius Severus, der beste Feldherr Hadrians, nach Iudaea geschickt wurde, um dort den jüdischen Aufstand niederzuschlagen.52 Auch in der Historia Augusta ist die Rede davon, wie Lusius Quietus unter Hadrian seines Kommandos enthoben und an dessen Stelle Marcius Turbo eingesetzt wurde, um den Aufstand in Mauretania zu unterdrücken,53 wie Antoninus Pius mit Hilfe seines Legaten Lollius Urbicus die Briten besiegte,54 wie unter Marc Aurel noch vor der großen Krise Statius Priscus einen erfolgreichen Feldzug in Armenia führte55 oder wie Avidius Cassius in Ägypten den Aufstand der Bukolen (Βουκόλοι) niederschlug.56 Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.57 Taucht aber die bekannte Zuschreibung als vir militaris oder eine ähnliche in den Texten auf, so dient diese stets lediglich dazu, individuelle Persönlichkeiten zu charakterisieren und nicht dazu, dem Kaiser eine machtpolitisch nicht unbedeutende Gruppe von viri militares gegenüber oder an die Seite zu stellen. Das Problem des Kaisers bei der Besetzung der höchsten Kommandostellen bewegte sich in einem binären Entscheidungsfeld, das vor dem Hintergrund dieser Debatte eine einseitige Beleuchtung erfährt. Denn war es einerseits das Bestreben des Kaisers, zur Sicherung des Reiches und aus Gründen der Schlagkraft der Truppe fähige Befehlshaber aus den Reihen der Senatsaristokratie zu haben, so bedeuteten eben diese Leute eine nicht unerhebliche Gefährdung für den Herrscher selbst.58 Die notwendige Einbindung der Senatsaristokratie in die Aufgaben des Imperiums und speziell der Armee warfen immer das Strukturproblem auf, einerseits fähige, 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Cass. Dio 68,9,2. Cass. Dio 68,14,5. Cass. Dio 68,34,4 f. Cass. Dio 69,13,2. SHA Hadr. 5,8. SHA Pius 5,4. SHA Aur. 9,1. Cass. Dio 72,4,2; vgl. auch SHA Aur. 21,1. Siehe für eine umfangreichere Auflistung von Quellenstellen A. Birley 2000b, 100–102. Vgl. Tac. Agr. 39 f.; siehe oben, S. 9 mit Anm. 2.
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I. Einleitung
andererseits aber auch loyale Kommandeure zu finden.59 Vor allem in Hinblick auf Oberkommandeure wie Antoninus Pius oder Marc Aurel, deren militärische persona in ihrer Herrschaftsdarstellung und -praxis (zumindest bis 167/68) anscheinend nur eine untergeordnete Bedeutung erfuhr, erhielten die beiden Leitdifferenzen der Loyalität und militärischen Fähigkeit eine virulente Bedeutung. Denn für einen spezialisierten Generalstab hätte die Herrschaft dieser beiden Herrscher eigentlich das ideale Szenario einer Usurpation geboten. Diese spekulative Fährte wieder verlassend kann zusammenfassend konstatiert werden, dass die mit dem Begriff der viri militares verbundenen Vorstellungen von einem in der Kaiserzeit der ersten beiden Jahrhunderte geregelten Beförderungssystem bzw. von einer institutionell geförderten Spezialisierung von Senatoren im militärischen Bereich einer genauen Analyse nicht standhalten. Deshalb sollte man entweder diesen irreführenden Begriff vermeiden oder explizit darauf hinweisen, dass er nicht im Kontext der hier besprochenen Forschungsdiskussion verwendet wird. Denn wie der vergebliche Reanimationsversuch der viri militares von A. Birley zeigt, gab es im monarchischen Herrschaftssystem des frühen und hohen Prinzipats keine bürokratisch institutionalisierte Elite, die auf dem militärischen oder irgendeinem anderen Feld ausdifferenziert worden wäre und eine entsprechende Spezialisierung erfahren hätte.
59
Vgl. Campbell 1984, 318; zum Sicherheitsproblem des Princeps siehe auch Alföldy 1969, 9.
2. SENATORISCHE SELBSTDARSTELLUNG Das Scheitern des vornehmlich quantitativen, prosopographischen Versuchs, eine institutionalisierte Form der Elitenkonstituierung zu konstatieren, rückt die Frage nach den situativen und personalen Kontexten wieder in den Mittelpunkt und fordert somit dazu auf, eher qualitative Analysen durchzuführen. Wie es Mitgliedern einer regionalen Elite durch entsprechende Familienpolitik und Ämterakkumulation gelingen kann, zur Reichselite des Imperium Romanum aufzusteigen und somit einen gewissen Integrationsdruck der Munizipalaristokratie nach oben zu entwickeln, haben H. Halfmann, C. Kokkina, M. Zimmermann und D. Reitzenstein anhand der lykischen Provinzialelite aufgezeigt.60 Während hier dem epigraphischen Material eine ähnlich zentrale Bedeutung zukommt wie bei den viri militares, werden in diesen Arbeiten aber auch die sozio-politischen, historischen und lokalen Kontexte berücksichtigt, um ein möglichst breites Bild über Konstituierung und Aufstieg einer regionalen Elite zu entwerfen. Der anderen Seite der Medaille, dem Phänomen einer sich relativ rasch wandelnden Zusammensetzung der obersten Funktionselite, deren Mitglieder kaum mehr über zwei oder gar drei Generationen in den höchsten Ämtern aufgefunden werden, widmen sich K. Hopkins und G. Burton. Aber auch die Studien von M. Heil und A. Klingenberg zum sozialen Abstieg leisten einen Beitrag für das bessere Verständnis der kaiserzeitlichen Dynamiken der Elitenkonstituierung.61 Doch sowohl beim Aufstieg in die höchsten Reihen der Reichselite als auch beim sozialen Abstieg aus diesem illustren Kreis ist es letztendlich der Kaiser, der dies fördern oder verhindern kann. Als Konsequenz auf das Scheitern der viri militares-Befürworter, ein bürokratisch institutionalisiertes Avancement mit entsprechender Spezialisierung als Model der Elitenkonstituierung nachzuweisen, hat sich in der althistorischen Forschung die Konstatierung eines an der Person des Kaisers ausgerichteten personalen Systems etabliert.62 Dass der Princeps absolut zentral für die Zusammensetzung seiner Funktionselite und die Nähe der einzelnen Mitglieder dieser Elite zu ihrem Kaiser der bedeutendste Statusmarker im kompetitiven aristokratischen Feld um Distinktion ist, haben mit ihrer einschlägigen Forschungsarbeit zum Patronagesystem der frühen Kaiserzeit vor allem R. Saller und A. Wallace60
61 62
Als Beispiele dieser Aufsteigergeschichten aus der lykischen provinzialen Elite siehe Halfmann 1978, 35 f.; 125 Nr. 28 (M. Arruntius Claudianus); 164 f. Nr. 80 (Ti. Claudius Aggripinus); 172 Nr. 91–91a (Q. Vilius Titianus …Quadratus); 184 f. Nr. 107 (Ti. Claudius Flavianus Titianus); 197 Nr. 129 (Ti. Claudius Dryantianus Antoninus); 201 Nr. 137–137a (C. Iulius Maximianus Diophantus, C. Iulius Diophantus). Siehe für mehr zu dieser Elite, ihrer Struktur und Integration in das römische Imperium Kokkinia 2000; Zimmermann 2007, 111–120; Reitzenstein 2011. Vgl. allgemein zu diesem Prozess und seiner herrschaftsstabilisierenden Funktion Hölkeskamp 2007, 9 f. Hopkins – Burton 1983, 120–200; Heil 2005, 295–312; Klingenberg 2011. Vgl. bspw. Dahlheim 2003, 13, 31.
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I. Einleitung
Hadrill aufzeigen können.63 Der Kaiser stellt dabei für R. Saller nicht nur so etwas wie den „Super-Patron“ schlechthin dar, dessen beschränkte Zugänglichkeit durch das Prinzip der Maklerschaft abgefedert werden kann, sondern darüber hinaus den als Makler tätigen Senatoren in seiner Nähe Prestige und Status gewährt.64 Dieses stark funktional ausgerichtete Modell wird durch Studien wie die von D. Barghop, der mit seiner wortsemantischen Analyse des Begriffes der amicitia bei Seneca das Patronagesystem um die Dimension der Kommunikation erweitert, nuancenreicher und differenzierter betrachtet, wodurch seine Prozesshaftigkeit besser verstanden werden kann.65 Wenn das Patronagesystem (mit und ohne Modifikationen und Nuancierungen) als beschreibendes Modell für die sozialen Dynamiken der Elitenkonstituierung im Prinzipat auch in weiten Kreisen etabliert ist,66 stößt das Konzept interessanterweise vor allem bei den (ehemaligen) Vertretern der viri militares-These auf deutlich spürbares Unbehagen. Für W. Eck ist Patronage nur ein Mittel unter vielen, das bei der Vergabe von Posten in kaiserlichen Diensten ausschlaggebend war: „Soweit diese Einflussnahme ohne Bestechung erfolgte, war sie anerkannt und musste bei entsprechenden Nahverhältnissen sogar geleistet werden.“67 Der Einfluss der Patrone sei an Normen und Regeln gebunden und deshalb nur von begrenzter Wirksamkeit gegenüber dem Kaiser gewesen.68 Noch kritischer schätzt A. Birley das Konzept der Patronage ein, das er sogar mit Bestechung und Korruption auf eine Ebene stellt: „No doubt in many cases men canvassed the emperor and his advisers for a particular appointment, but there is little direct evidence. Patronage and bribery probably played less of a role with the most senior posts than at lower levels. The emperors and their advisers generally kept to their own ‚rules‘.“69 Dass er bezüglich dieser Regeln auf seinen oben ausführlich diskutierten Artikel von 1992 verweist, verdeutlicht nur einmal mehr, welche zentrale Rolle die viri militares in der Diskussion um die Funktionsweise der römischen Monarchie und die Rolle der senatorischen Eliten in diesem Herrschaftssystem eingenommen haben. Die beiden als Stellvertreter angeführten Kritiker der Patronage übersehen jedoch, dass der Kaiser, wenn er Posten verteilt und Magistraturen besetzt, selbst als Patron gegenüber den Senatoren agierte.70 Patronage hat dabei nichts mit Korrup63 64
65 66
67 68 69 70
Siehe Saller 1982 und Wallace-Hadrill 1989. Vgl. Flaig 2003, 26 f. Siehe Saller 1982, 32 zum Kaiser als „Super-Patron“ schlechthin; ebd. 74–76 zur Statusbestimmung und Maklerschaft (die im Übrigen auch von anderen Personen im Umfeld des Kaisers und nicht nur von Senatoren übernommen wurde – was natürlich vor allem im Fall von Freigelassenen zu Friktionen mit der Reichsaristokratie führen konnte). Siehe Barghop 1997, 51–70. Vgl. Campbell 1984, 341; Wallace-Hadrill 1989, 63–87; Flaig 1992, 98 f. sowie grundlegend und mit weiterer Literatur Page 2014, 44–47 (Kap. I.2.a. Die neue politische Ordnung des Prinzipats), 188–206 (Kap. V.1 Das Patronatswesen in der Kaiserzeit; V.2 Die politischen Formen des Patronatswesens jenseits der Magistratswahlen und ihre Bedeutung im System des Prinzipats). Eck 1995, 25. Eck 2002a, 137–143. A. Birley 2005, 8. Für den Verweis auf A. Birley 1992 siehe Anm. 12. Vgl. Millar 1977, 313; Saller 1982, 41 f. oder Flaig 1992, 98 f.
2. Senatorische Selbstdarstellung
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tion oder Willkür zu tun, sondern ist das den sozialen Dynamiken zugrundeliegende Prinzip, welches Hierarchien hervorbringt. Dass hierbei bestimmte Regeln und Erwartungen bedient und berücksichtigt werden, wird von den Protegés der Peergroup, die sorgsam darauf achten, nicht übervorteilt zu werden, strengstens überwacht.71 Ein guter Patron lässt einen entsprechenden Verdacht gar nicht aufkommen bzw. weiß einen Regelverstoß diskursiv so zu plausibilisieren, dass dieser nicht nur hingenommen wird, sondern sogar die Akzeptanz des Patrons bei seinen von ihm abhängigen Schützlingen eine Steigerung erfahren kann. Ein schlechter Patron ist ein Tyrann.72 Bemerkenswerterweise bleibt bei all diesen Forschungsansätzen allerdings die Perspektive der senatorischen Elite selbst stark unterbelichtet. Dabei bietet die Analyse ihrer Selbstdarstellung, die über die Ämterlaufbahn in cursus-Inschriften oder ihre anonyme architektonische/künstlerische Repräsentation hinausgeht, eine Möglichkeit, die darin zum Ausdruck kommende Selbstbeschreibung der Elite im Herrschaftssystem der Kaiserzeit herauszuarbeiten. Diese Selbstzuweisung einer Rolle neben und unter dem Princeps stellt ein wichtiges Element nicht nur des aristokratischen Selbstverständnisses, sondern auch der entsprechend dieser mentalen Disposition tatsächlich eingenommenen Funktion der senatorischen Elite dar; wie sich eine Elite selbst wahrnimmt, hat schließlich auch Einfluss auf ihre Handlungsweisen. In dieser Arbeit werde ich an diesem Forschungsdesiderat ansetzen und die senatorische Perspektive auf das zeitgenössische Herrschaftssystem und das daraus resultierende Selbstverständnis der Funktionselite analysieren. Dabei werden sowohl die Bewertung des Prinzipats aus senatorischer Sicht als auch die Selbstzuschreibung der sozialen, politischen und historischen Rolle der senatorischen Elite im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, da sie die beiden Vektoren bezeichnen, in deren aufgespanntem Feld Strategien der Adaption und der Distanz von der kaiserlichen Herrschaftsdarstellung Anwendung finden und die Rolle des senatorischen Aristokraten zwischen Princeps und res publica ausgehandelt wird. Den idealen Gegenstand für dieses Vorhaben stellen die literarischen Werke von Plinius dem Jüngeren und Tacitus dar. Diese Texte, die um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert n. Chr. zum größten Teil in der Herrschaftszeit Trajans entstanden, bieten eine singuläre Dichte literarischer Produktion durch Senatoren im Prinzipat. Die Schriften können nicht nur eindeutig diesen beiden Autoren 71 72
Vgl. zur Notwendigkeit der Angemessenheit von Patronage Saller 1992, 45, 56 f. So lässt bspw. der taciteische Tiberius es zu, dass die Konkurrenz zwischen den Senatoren und die Mittel, mit denen diese ausgetragen wird, unerträglich werden (Tac. ann. 3,65,2 f.). In einem anderen Fall hindert die Figur des Domitian im Agricola den würdigen und fähigen Protagonisten an Einsätzen gegen die Feinde (Tac. Agr. 41) und beraubt ihn der wohlverdienten Ehren (ebd. 42). Aber auch Vitellius macht sich in den Historien eines zu starken Eingriffs in das hierarchische Gefüge der Senatsaristokratie schuldig, indem er Valens und Caecina in seine unmittelbare Nähe zieht und sie zu den einflussreichsten Männern nach ihm im Reiche macht. Damit bietet er Mucian einen bedeutenden Grund, Vespasian zur Usurpation zu überreden (Tac. hist. 2,77,1). Allgemein, meint Plinius hätten fast alle früheren Principes vor Trajan (mit Ausnahme von Nerva) bewusst die falschen Leute gefördert, weil sie selbst schlecht (tyrannisch) gewesen seien (Plin. paneg. 44 f.; v. a. 45,2).
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I. Einleitung
zugewiesen werden, sondern deren Karrieren im Dienst für den Princeps und die res publica ist in großen Teilen bekannt. In beiden Fällen handelt es sich um homines novi, die unter den Flaviern die Karriereleiter emporstiegen und unter Nerva und Trajan in die höchsten Kreise der senatorischen Funktionselite vorstießen. Beide erlebten als Heranwachsende das für die senatorische Elite und die römische Gemeinschaft erschütternde Vierkaiserjahr und wurden nach der Ermordung Domitians im Jahre 96 n. Chr. als Prätorier Zeugen und Beteiligte einer Zeit krisenhafter Regimewechsel, die am Rand des Bürgerkriegs stand. Dieser Umbruch von Domitian zu Nerva und von diesem zu Trajan stellte wie viele ihrer Standesgenossen auch Plinius und Tacitus vor die Herausforderung, ihren Aufstieg unter dem letzten Flavier zu rechtfertigen, um nach dem krisenhaften Herrschaftswechsel ihre erfolgreichen Karrieren fortzusetzen. Nicht zuletzt deshalb schlug sich der Übergang von der Herrschaft Domitians zu den Alleinherrschaften Nervas und Trajans auch sehr deutlich in ihren Texten nieder, die den radikalen Umbruch in der Regierungspraxis der Principes nicht einfach beschreiben, sondern in seiner Diskursivierung mitgestalten und damit grundlegend zum zeitgenössischen Verständnis des trajanischen Prinzipats beitragen.73 Dabei entwerfen sie eine für ihre Zeit typische oder zumindest konsensuelle Selbstdarstellung der Funktionselite, die den Intentionen ihrer konsularen Autoren entspricht. Die Kenntnis der Autoren, ihrer sozialen und politischen Stellung, sowie das Wissen um die Entstehungszeit ihrer Texte ermöglicht nicht nur den Entwurf eines sozialen Raumes, in dem diese Schriften produziert und rezipiert wurden, sondern auch eine Analyse der akteursgebundenen Intentionen, die strukturgeschichtlich ausgewertet werden können. Diesen Vorteil einer nahezu umfassenden Kontextualisierung haben sie vielen anderen Quellen senatorischer Selbstdarstellung wie beispielsweise der Porträtkunst voraus. Denn in den allermeisten Fällen fehlen den kaiserzeitlichen Porträts Zuschreibungen bezüglich der dargestellten Person, und wenn eine Identifizierung einmal möglich sein sollte, ist in der Regel nicht viel über die entsprechende Person bekannt, wodurch Urteile über die Funktionalität einer bestimmten senatorischen Repräsentation erschwert werden.74 Der Umstand, dass für die meisten Porträts der Aufstellungskontext fehlt und häufig nicht rekonstruierbar ist, macht es oftmals unmöglich, das Porträt in einen situativen Kommunikationszusammenhang zu stellen. Auf den Punkt gebracht ist Porträts die Schwierigkeit inhärent, dass man in den 73
74
Es sind nicht zuletzt die Schriften von Tacitus und Plinius dem Jüngeren, die diesen Umbruch überhaupt erst generieren (vgl. unten, Kap. II.1–3), während andere Faktoren, wie bspw. das mit wenigen Ausnahmen gleichbleibende Personal der Funktionselite, eher auf Kontinuität denn auf Wandel zwischen den Prinzipaten des letzten Flaviers und Trajans hinweisen (vgl. Jones 1992, 163–165 sowie Strobel 2010, 64–70, 139–171). Rezeptionsästhetisch fassbar wird diese Tatsache beim Flanieren durch die Porträtsammlungen der römischen Museen oder dem Durchblättern ihrer Kataloge. In den meisten Fällen erhält man nicht mehr Informationen als die Zuordnung eines Porträts in den Zeitraum eines halben Jahrhunderts und das offensichtliche Geschlecht der dargestellten Person wie in der häufigen Bezeichnung „Portrait of a Man“. Erfährt man dann noch etwas über den Fundkontext, weiß man über das entsprechende Porträt mehr als über 80 Prozent der anderen. Vgl. die Prolegomena in Zanker 1983, 251 wo genau diese Schwierigkeiten bei der Analyse von Porträts angesprochen werden. Vgl. ebenfalls Zanker 2003, 290–293.
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allermeisten Fällen nicht genau fassen kann, wer, mit welcher sozialen Zugehörigkeit, sich auf die in dem Porträt realisierte Art und Weise, in welchem öffentlichen oder halb-öffentlichen Raum, welchem Publikum gegenüber präsentieren wollte. Auch die Analyse senatorischer Wohnkultur anhand archäologischer Überreste von Villen, die häufig wiederum nicht einfach datierbar oder deren Erscheinungsbild zu einem bestimmten Zeitpunkt nur schwer rekonstruierbar und deren Besitzer oft genug unbekannt sind, müssen in Bezug auf die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung hinter der relativ deutlich fassbaren Kommunikationssituation von Texten zurückstehen.75 Wenn auch im Zusammenhang mit senatorischen Inschriften eingestanden werden muss, dass diese in einigen Fällen wesentlich besser datierbar sind als literarische Werke, kann ihr Schematismus dazu verleiten, die epigraphischen Zeugnisse quantitativ fassen zu wollen und dabei den situativen Kontext der Entstehung und der intendierten Adressaten zu vernachlässigen – im Grunde also denjenigen Fehler zu begehen, der einigen Vertretern der viri-militares-These vorgeworfen werden kann. Die in dieser Arbeit analysierten literarischen Texte haben gegenüber anderen sich für eine Untersuchung des senatorischen Selbstbildes anbietenden Quellengattungen die Vorteile einer guten Einbettung in einen Kommunikationszusammenhang zwischen relativ genau fassbaren Kommunikationspartnern. Denn sie wurden in einem überschaubaren und zusammenhängenden Zeitraum von etwa 20 Jahren verfasst und sind Teil sehr individueller (also von einem Autor realisierten) Praktiken der Selbstdarstellung. Deshalb können sie als intentionale Produkte ihrer Autoren, als Teil einer Kommunikation zwischen Sender und Empfänger und auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden auktorialen Selbstzuschreibungen sozialer Rollen befragt werden.76 Die Möglichkeit einer relativ direkten Zuweisung der Textaussage an den Autor ohne die Zwischeninstanz des Erzählers liegt dabei in dem deskriptiven Charakter der analysierten Texte begründet, die eben keine fiktive Welt erschaffen, sondern in einem eindeutigen Referenzverhältnis zur realen Welt des Autors stehen: Tacitus schreibt eben keinen Thyestes, sondern betreibt Historiographie zur julisch-claudischen und flavischen Dynastie. Die Texte sind dabei sowohl durch sich selbst (also ihre Gattungszugehörigkeit) als auch durch die Art und Weise ihrer Rezeption als faktuale (im Gegensatz zu fiktionalen) Schriften zu verstehen und stehen somit weitab jeden Fiktionalitätspakts zwischen Autor und Leser, d. h. der Leser der Historien weiß, dass hier der Konsular Tacitus über tatsächliche Ereignisse spricht (wie literarisch und mehrdeutig diese Aussagen und Darstellun75
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Zu den Schwierigkeiten der Analyse von Wohnkultur allgemein vgl. Zanker 2003, 264. Vgl. ebenfalls den von Schneider 1995 verwendeten Kollektivplural Villenbesitzer, der sich selbst einer Ausdifferenzierung nach sozialer Herkunft versperrt, ebd. 17 f. oder die aufwendige Identifizierung der Sabiner Villa von Horaz, die als die Ausnahme bestätigende Regel angesehen werden kann, siehe Frischer 1995, 31–45. Vgl. zur Problematik von Besitzer- und Datierungsfragen auch Mayer 2005, 15–24. Vgl. einführend zum Modell literarischer Kommunikation und ihrer Verschiedenheit von ihrem mündlichen Pendant Fricke 2007, 41–54. Vgl. ebenfalls Genette 2010, 259–270, und die grundlegenden Gedanken zu den innertextuellen und außertextuellen beteiligten Instanzen der Vermittlung.
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gen im Einzelnen auch sein mögen), und der Autor Tacitus weiß, dass sein Leser das weiß. Die Texte wie die zeitgenössischen Rezeptionsgewohnheiten legen also die Identität des Autors historiographischer Texte (zu denen im Horizont dieser Arbeit auch der Agricola gezählt wird) mit dem Namen Tacitus und dem gleichnamigen Senator konsularen Ranges nahe.77 Gleiches gilt sicherlich auch für die als Panegyrikus bekannte Lobrede des Plinius und erst recht für dessen Briefe, die durch ihren Gebrauchsbriefcharakter versuchen, die Kluft zwischen dem Feld literarischer Betätigung (bezüglich Produktion wie Rezeption) und dem Bereich schriftlicher aristokratischer Kommunikation im otium zu schließen. Wenn auch die literarischen Produkte den beiden Konsularen Tacitus und Plinius zugeschrieben werden können und sich in ihnen ihre Strategien der Selbstdarstellung und ihre Intentionen entbergen – die Schriften sozusagen nicht von der soziopolitischen Stellung ihrer Autoren zu trennen sind –, so agieren beide Senatoren mit ihren Schriften in einem spezifischen Raum, in dem sie eine spezifische soziale Rolle einnehmen. Denn die personae, die sie von sich in ihren Texten entwerfen und die sich in diesem Raum entfaltet, richtet sich an ihre Standesgenossen – und auch an den Princeps, da dieser auf literaler Ebene der offiziellen Sprechweise als Standesgenosse anzusehen ist – und orientiert sich an diesen. In anderen sozialen Räumen werden andere Anforderungen an den Akteur gestellt und so kann man sowohl von der historiographischen persona des Tacitus sprechen als auch von derjenigen des Prokonsuls der Provinz Asia, derjenigen des Konsuls, der in seinem Amt die Leichenrede auf Verginius Rufus hält oder derjenigen des juristisch tätigen Konsulars, der gemeinsam mit seinem Standesgenossen Plinius den ehemaligen Prokonsul Africae, Marius Priscus, anklagt. Durch die Verschiedenartigkeit der Aktionsräume können zwischen den spezifischen eingenommenen (oder selbstzugeschriebenen) Rollen Inkonsistenzen oder gar Widersprüche entstehen – beispielsweise zwischen den personae des Plinius wie sie von diesem zum einen in der großen Plinius-Inschrift von Comum, zum anderen aber in seinen Briefen kreiert werden. In der römischen Gesellschaft wurde diese Problematik dadurch kompensiert, dass es relativ deutlich voneinander abgrenzbare Handlungsfelder gab, innerhalb derer bestimmte Rollen ausagiert wurden und auf Akzeptanz trafen, da in Abhängigkeit des sozialen Raumes für alle an der Interaktion Beteiligten Handlungssicherheit entstand.78 Das Feld senatorischer literarischer Betätigung nun ist vornehmlich als inneraristokratischer Kommunikationsraum zu beschreiben. Die in ihm schriftstellerisch tätigen Senatoren wurden von der modernen Forschung dabei sehr häufig als Repräsentanten einer Gruppe von Aristokraten gesehen, die sich ob ihrer geringen Einflussmöglichkeiten enttäuscht von der Politik abwandte und im neuen Feld der literarischen Betätigung ihre Selbstverwirklichung suchte.79 Doch die These einer 77 78 79
Siehe Sailor 2010, 6 f. Vgl. Gotter 2008, 201 f. Vgl. Leppin 1992; Meier 1995; Stein-Hölkeskamp 2003; lefévre 2009. Vgl. für eine ausführliche Darstellung der diesbezüglichen Forschungssituation Page 2014, 59–63 (sowie speziell auf Plinius bezogen ebd., 67; Kap. I.3. Ein Aristokrat seiner Zeit: Plinius der Jüngere), der auch die neuere Ansätze von Stein-Hölkeskamp 2011 Literatur als einen Teil aristokratischer
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zunehmenden Entpolitisierung der Senatsaristokratie ist sowohl für die Beschreibung der Funktion des literarischen Feldes als auch bei derjenigen der Rolle der Senatoren im Herrschaftssystem des Prinzipats unbefriedigend. Denn zum einen konnte die epigraphische und prosopographische Forschung zur Aristokratie des Prinzipats ganz klar zeigen, dass Senatoren durchaus an der Beherrschung des Imperiums teilnahmen. Und zum anderen verfassten Senatoren in diesem Feld literarische Werke, mit denen sie sich an ihre Peergroup wandten, und die in dieser Literatur zum Ausdruck kommende Selbstdarstellung war ein elaboriertes Statement im Aushandlungsprozess aristokratischen Selbstverständnisses. Literatur kann – auch wenn sie, wie oben konstatiert, faktual zu verstehen ist – in diesem Zusammenhang nicht als Abbild von Realität begriffen werden, sondern wird als zeitgenössischer Sprechakt analysiert, der innerhalb der sozialen Praktiken des senatorischen literarischen Feldes realisiert und durch die weiteren soziopolitischen Kontexte restringiert oder beeinflusst wird.80 Konsequenterweise werden in dieser Arbeit bei der Untersuchung des taciteischen Agricola auch nicht die Lebensgeschichte des Protagonisten und der Wahrheitsgehalt der Schrift im Vordergrund stehen, sondern die Motivation und Intention des Tacitus, eine solche Schrift während einer innenpolitisch unsicheren Zeit zu veröffentlichen. Denn dadurch, dass dieses literarische Produkt als Statement eines Konsulars verstanden wird, drückt sich sowohl in seiner auktorialen Selbstdarstellung als auch dem Entwurf der domitianischen Tyrannis sowie der Rolle der senatorischen Elite in der Welt des Textes eine Beziehung zum neuen Machthaber und dessen Regime aus. Um diese Relation deutlich herausarbeiten zu können, ist es vonnöten, neben der aktuellen politischen Situation die Einflüsse der trajanischen Herrschaftsdarstellung auf die Beschreibung von Welt (und also auch der Ausgestaltung des Prinzipats und der Rolle der Senatoren in dieser) in dem taciteischen Text herauszuarbeiten. Oder anders gesagt, gilt es zu analysieren, durch welche kaiserlichen Diskurse über Herrschaft die Darstellung von Tacitus beeinflusst wird, respektive welche Elemente derselben er durch Adaption für seine eigene Selbstdarstellung nutzt. Mit diesen Kontexten (den bei Abfassung und Verbreitung des Textes zeitgenössischen Umständen, der aktuellen Herrschaftsdarstellung sowie dem primären Publikum) wird aber nichts anderes verhandelt als das aktuelle Verständnis der soziopolitischen Rolle der senatorischen Funktionselite sowie der hierarchischen Stellung des Autors als eben diese Rolle erklärende und gestaltende Instanz. Tacitus meldet sich mit seiner auf den ersten Blick unpolitisch und „privat“ erscheinenden Lobschrift auf seinen toten Schwiegervater zu Wort, und da er dies als frischgebackener Kon-
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Betätigung zu verstehen und allgemeiner Eich 2008, der ebd. 127 auf die in der Kaiserzeit verbesserten politischen Partizipationsbedingungen und den nach wie vor hohen öffentlichen Legitimierungsdruck der Funktionsträger hinweist. Wenn Texte als intentionale Produkte ihrer Autoren, als Teil einer Kommunikation zwischen Sender und Empfänger, auf die in ihnen zum Ausdruck kommende auktoriale Selbstzuschreibung sozialer Rollen befragt werden können (vgl. Fricke 2007, 41–54 sowie Genette 2010, 259–270), wie das hier geschieht, ist es nur folgerichtig, sie auch als indirekten Sprechakt zu verstehen, wobei sie als komplexe Sprachhandlungen mehrere illokutionäre Akte in sich bergen können (vgl. Austin 21992 sowie Meibauer 2002, 228–250).
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sular (einer der ersten unter Nerva) tut und in seiner Schrift das gegenwärtige und vergangene Regime sowie die jeweilige Rolle der senatorischen Elite ausführt, nimmt er an dem hochpolitischen Thema der Vergangenheitsbewältigung und der Rollenzuschreibung der Funktionselite unter dem neuen Princeps teil. Entsprechend der Auffassung, dass der Text ein Relikt eines zu seiner Entstehungszeit zeitgenössischen Sprechaktes ist, sind es die literarischen Werke von Tacitus und Plinius d. J., die den zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit darstellen.81 Es gilt aus der Art und Weise, wie Welt in ihnen repräsentiert wird, sowohl über die persona des Autors/Erzählers als auch durch die kontextuellen Bezüge (zu den Herrschaftsdiskursen, dem Princeps, der virtuellen Leserschaft), die Intentionen und Ziele des Autors herauszuarbeiten und sie in Hinblick auf die Selbstdarstellung als Mitglied der senatorischen Funktionselite und dem damit einhergehenden Verständnis des Prinzipats und der eigenen Rolle darin zu analysieren. Den Ausgangspunkt hierfür bietet die Untersuchung des Textes als Ganzem, die mithilfe der Techniken der Hermeneutik und des Close Reading durchgeführt und diskursanalytisch ausgewertet werden.82 Die innerhalb des Textes dargestellte Realität wird dabei nicht in Frage gestellt, sondern in Beziehung zu den zeitgenössischen (Herrschafts-) Diskursen gesetzt, 81
82
Der Text gilt hier aufgrund seines besonderen Merkmals, Teil einer aufgeschobenen Kommunikation zu sein (Koch – Oesterreicher 1985, 19–24), in zweifacher Hinsicht als zentraler Gegenstand sozialer Ereignisse: sowohl im Akt seiner Entstehung als auch im Akt der Rezeption, wobei sich diese idealtypisch getrennten Akte bei der gemeinsamen Redaktion des Textes auch ineinander verschränken können. Zum sozialen Ereignis, das die durch soziale Praktiken vermittelte spezifische Realisierung sozialter Strukturen darstellt, siehe Fairclough 2003, 22–25. Vgl. zum New Historicism und dessen zu der hier vertretenen, ähnlichen Auffassung vom Text als Teil einer sozialen Praktik Greenblatt 1988, 1–20 sowie einführend Schmitz 2002, 177 und Köppe – Winko 2007, 354–357. Vgl. zu den Interpretationstechniken der Hermeneutik allg. Köppe – Winko 2007, 307–309 sowie Spree, Axel, s. v. Werkimmanente Interpretation, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Berlin 2007, 834–837. Zur Diskursanalyse wie sie in dieser Arbeit verstanden und durchgeführt wird siehe Fairclough 2003. Diskurse sind für ihn Möglichkeiten (Aspekte der) Welt darzustellen (ebd. 125; vgl. 35–38; 124–133) und bilden gemeinsam mit dem genre (dem, was man mit den Worten tut; ebd. 31–35, 65–77) und dem style (wie der Autor dazu steht; ebd. 159–163) eine Diskursordnung, die auf sprachlicher Ebene den sozialen Praktiken im praxeologischen Bereich entspricht. Von grundlegender Bedeutung ist, dass der soziale Akteur zwar sowohl durch die sozialen Praktiken in seinem Tun als auch durch die Diskursordnung in seinem sprachlichen Tun beschränkt ist, aber nicht determiniert wird (ebd. 22–24), wodurch es möglich wird, einen weichen, an den Autor gebundenen Intentionalismus mit den diskursiven Kontexten seiner Äußerungszeit auf sprachlicher Ebene zu verknüpfen. In der Bedeutung des sozialen Akteurs und der Fokussierung auf die Realisierung des Diskurses im spezifischen Ereignis bestehen die Hauptunterschiede der Diskursanalyse nach Fairclough im Gegensatz zu einer Foucaultschen Konzeption des Diskursbegriffs (vgl. zu letzterer Schmitz 2002, 156–164; Landwehr 2009, 65–79). Vgl. zur Möglichkeit einer praxeologischen Erweiterung der Foucaultschen Diskursanalyse, die in ähnlicher Weise wie Fairclough, in die Richtung weist, Diskurse als diskursive Praxis zu verstehen, allerdings ohne diesen rezipiert zu haben und ohne seine soziolinguistischen Analyseelemente, welche eine hohe Vergleichbarkeit der Diskurse und die Untersuchung ihrer Wechselwirkungen und Dynamiken ermöglicht, Füssel – Neu, 2010, v. a. 230 f.
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wobei diese sowohl den Autor in der Produktion des Textes beeinflussen als auch durch die von ihm gewählte spezifische Realisierung beeinflusst werden. Die in den Texten realisierten Diskurse, die im Grunde genommen nichts anderes als bestimmte Sprechweisen und Konzeptualisierungen von Welt darstellen, stehen allerdings nie singulär, sondern sind mit anderen Diskursen verknüpft, inkorporieren diese, deuten sie um und bilden somit eine hierarchische Beziehung zueinander aus.83 Beispielsweise kann der Optimus-Princeps-Diskurs als Teil der trajanischen Herrschaftsdarstellung auf den antidomitianischen Diskurs und dessen Repräsentationen zurückgreifen, wobei letzterer hierarchisch untergeordnet ist und die Repräsentationen der düsteren Welt der domitianischen Willkürherrschaft als Kontrast und kausale Basis für die Wiederherstellung der Ordnung durch den optimus Princeps dienen. Die Selektion und Adaption der Diskurse durch den Autor sorgt für die konkrete Art und Weise ihrer Realisierung und Stellung zueinander. Mit Hilfe der dadurch zum Ausdruck kommenden Spezifität der Repräsentation von Welt kann der Autor den Diskursen neue Elemente hinzufügen oder aber zur Genese neuer Diskurse beitragen. Die vom Autor verwendeten Diskurse, deren Arrangement und Gewichtung beanspruchen die hierarchische Vorherrschaft einer bestimmten Sicht auf die Welt, da die von ihnen strukturierten sprachlichen Relationen Sinn und Ordnung derselben artikulieren.84 Diskurse bilden also nicht nur untereinander Hierarchien aus, sondern transportieren in der Behauptung ihrer Deutungshoheit auch den Machtanspruch der sie verwendenden und prägenden Akteure, die Welt zu verstehen und einen Teil zu ihrer Ordnung beitragen zu können. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass vor allem hegemoniale Diskurse (also solche Diskurse, die innerhalb der Diskursordnung eine hierarchisch hochgestellte Position einnehmen und einen letztgültigen Anspruch auf Wirklichkeitsdeutung für sich reklamieren) stark umkämpft sein können. Als Konsequenz dieses Kampfes und ihres übergeordneten Wissens- und Ordnungsanspruchs weisen solche Diskurse eine enorme Fähigkeit auf, opponierende Diskurse in sich zu integrieren und dadurch gestärkt zu werden.85 So entsteht innerhalb des Textes letztendlich eine ganz spezifische Dis83 84
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Zur Differenzierung von Diskursen und ihren hierarchischen Beziehungen siehe Fairclough 2003, 125–127, 134–154. Vgl. auch die folgende Äußerung bei Fairclough 2003, 130, wobei an dieser Stelle der soziale Akteur nicht so stark gemacht wird: „When different discourses come into conflict and particular discourses are contested, what is centrally contested is the power of these preconstructed semantic systems to generate particular visions of the world which may have the performative power to sustain or remake the world in their image, so to speak.“ Vgl. aber die prinzipiell aktive Rolle des sozialen Akteurs (ebd. 22 f.), die in großem Unterschied zur Foucaultschen Diskurskonzeption steht (Schmitz 2002, 161–164) und nicht zuletzt deshalb für die historische Forschung so fruchtbar gemacht werden kann. Vgl. zu diesem Punkt das online zugängliche „Statement zum Thema ‚Hegemoniale Semantiken und radikale Gegennarrative‘“ von Albrecht Koschorke zum Rahmenthema des Kulturwissenschaftlichen Kollegs 2008/09 des EXC 16 [http://www.exc16.de/cms/kolleg-heg-semantiken. html (07.04.12)]. Direkter Zugriff über die URL: http://www.exc16.de/cms/fileadmin/all/downloads/veranstaltungen2009/Koschorke-Heg-Semantiken-090122.pdf; vgl. ebenfalls Börm (in Vorbereitung), 2 mit Anm. 9.
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kursordnung, die in komplexen Relationen zu ihrem sozio-historischen Kontext steht. Die von einem realen Autor innerhalb des Textes selbstzugeschriebene Rolle (als Produzent des literarischen Sprechakts) sowie der im Text angelegte Entwurf eines virtuellen Lesers,86 der im Horizont der zeitgenössischen Textverbreitung einer reale Leserschaft ein ausreichendes Identifikationsangebot unterbreiten muss, sind neben den Diskursen die Verknüpfungspunkte der Realität des Textes mit ihrem Kontext. Auf den Punkt gebracht heißt das nichts anderes, als dass man den Text als Produkt seiner Entstehungszeit ernst nimmt und die Chancen einer möglichst dichten kontextuellen Einbettung nutzt, um sowohl den Text als auch den Kontext besser zu verstehen. Im Falle der literarischen Werke von Tacitus und Plinius heißt dies zu untersuchen, welche Diskurse sie in ihren Texten realisieren, wie sehr sie dabei auf die trajanische Herrschaftsdarstellung zurückgreifen und in welchem Maße sie damit den Erwartungen ihrer potentiellen Leser gerecht werden. Des Weiteren gilt es herauszuarbeiten, was diese beiden politisch ambitionierten Repräsentanten ihres Standes mit ihren Texten tun bzw. was sie zu erreichen suchen. Dabei wird die Frage, mit welchen Mitteln und Strategien sie ihre Selbstdarstellung betreiben und zu welcher auktorialen Selbstbeschreibung ihrer Rolle als Mitglieder der senatorischen Funktionselite im trajanischen Prinzipat das führt, letztendlich eine neue Perspektive auf die Rolle der Aristokratie in der Monarchie eröffnen. Die literarische aristokratische Selbstdarstellung soll auf diese Weise für eine strukturgeschichtliche Analyse des römischen Prinzipats fruchtbar sowie die autointegrativen Strategien und Gestaltungsmöglichkeiten einer alles andere als entpolitisierten Gruppe sichtbar gemacht werden. Schon allein die Anzahl der Einzeluntersuchungen über die im Rahmen dieser Arbeit analysierten Werke ist Legion; ganz zu schweigen von Forschungen zu Teilaspekten dieser Schriften, vergleichenden Studien oder Arbeiten zu ihren Autoren. Dass im Kontext dieser spezifischen Vorgehensweise, wie ich sie in dieser Arbeit verfolge, in keinem Punkt Vollständigkeit angestrebt sein kann, versteht sich von selbst. Immerhin stellt diese Untersuchung, soweit ich das überblicken kann, den einmaligen Versuch dar, alle historiographischen Werke des Tacitus (einschließlich des Agricola) sowie die selbstedierten Werke des Plinius (ohne das zehnte Briefbuch) in Bezug auf die in ihnen verfolgten Strategien der Selbstdarstellung und unter der übergeordneten Fragestellung der selbstzugeschriebenen Rolle der senatorischen Funktionselite im trajanischen Prinzipat zu analysieren. Die chronologische Gliederung der Schriften in meiner Untersuchung liegt vor allem in der historischen Situierung der beiden ersten Texte begründet. Entstand der Agricola des Tacitus in einer von Instabilität und Unsicherheit geprägten Zeit der Transition nach der Ermordung Domitians bis zur Etablierung der Herrschaft Trajans und tastet sich dementsprechend vorsichtig an die selbst noch in der Entstehung begriffene trajanische Selbstdarstellung heran, so lassen sich im Panegyrikus des Plinius schon so gut wie alle bedeutenden diskursiven Elemente derselben aus86
Zum virtuellen Leser (als technisch weniger belasteten Begriff im Vergleich zum impliziten Leser) siehe Genette 2010, 169 f., 255–257.
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machen. Selbstsicher repräsentiert Plinius in der späteren Niederschrift seiner vor dem Senat gehaltenen öffentlichen Rede die Welt des trajanischen Prinzipats, greift auf den schon von Tacitus verwendeten antidomitianischen Diskurs zurück, extrapoliert diesen in die Vergangenheit und leistet seinen Beitrag am Aufblühen des Optimus-Princeps-Diskurses, in den er selbstbewusst eine tragende Funktion für sich als Konsular integriert. Eröffnen diese beiden früh in der Herrschaft Trajans liegenden Schriften also eine Art Entwicklung und Etablierung des Optimus-Princeps-Diskurses, welcher die trajanische Herrschaftsdarstellung maßgeblich konstituiert, liegt die Differenz der nachfolgenden Werke vor allem in der Positionierung des Autors, in der Wahl seiner sozialen Rolle, und der darin zum Ausdruck kommenden Stellung zur zeitgenössischen Welt begründet. Verkürzt ausgedrückt greift Plinius in seiner Selbstdarstellung als vorbildlicher Senator in seinen Briefen auf den senatorischen Randbereich des otium zurück, während Tacitus im Genre der Historiographie vor allem in der Differenz zur Gegenwart und seiner Evaluierungskompetenz der Vergangenheit seine unabhängige senatorische auctoritas den Standesgenossen beispielhaft vor Augen führt. Während in den Historien die Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensoptionen der senatorischen Funktionselite untereinander und in ihrer Beziehung zum Princeps in dieser taciteischen Repräsentation von Welt analysiert werden, sind es in den Annalen das präfigurierende Verhalten des Princeps anhand des Tiberius sowie die erzählerische Selbstdarstellung des Tacitus und die Konzeption seiner virtuellen Leserschaft, die im Fokus der Betrachtungen stehen. In einer abschließenden Synthese dieser immer wieder miteinander verknüpften Einzeluntersuchungen werden die einzelnen Strategien der senatorischen Selbstdarstellung zusammengeführt, um ihre in vielfältigen Relationen zum Optimus-Princeps-Diskurs hervorgebrachte Spezifität für die trajanische Funktionselite herausarbeiten zu können. Damit geht die Frage nach dem Gestaltungsspielraum und dem Selbstverständnis dieser Funktionselite einher, deren Mitglieder und Repräsentanten sich nicht als Diener des Kaisers verstanden und sich genauso wenig aufgrund der totalitären Umstände unter dem Monarchen nach der Republik zurücksehnten und aus der Politik zurückzogen, sondern sich als selbstbewussten Systemträger präsentierten, deren Status und Ansehen sich auf ihre Leistungen für die res publica gründete. Die Senatoren waren in dieser Diskursivierung ihres Selbstverständnisses genauso auf den Princeps angewiesen wie dieser auf sie, da er per definitionem einer von ihnen war und dies auch anerkannte.
II. LITERARISCHE SELBSTDARSTELLUNG VON SENATOREN DER TRAJANISCHEN ZEIT 1. STRATEGIEN RETROSPEKTIVER DESINTEGRATION – DER AGRICOLA DES TACITUS 1.1 Plinius vs. Certus (Plin. epist. 9,13) – Vergangenheit und aristokratische Konkurrenz in der Zeit der Transition Im Frühjahr des Jahres 97 machte sich während einer Sitzung im Senat zunehmende Unruhe breit und in den Zwischenrufen einiger seiner Mitglieder trat deutlich ihre Unsicherheit zu Tage. Auslöser für diese Reaktion war ein junger Prätorier namens Plinius, der sich kurz zuvor vom präsidierenden Konsul das Recht erbeten hatte, extra ordinem sprechen zu dürfen, um, wie er selbst seine Intentionen in einem Brief darlegt, „die Schuldigen zu verfolgen, die Unglücklichen zu rächen und sich selbst einen Namen zu machen.“1 Seine Motivation habe in der Abscheulichkeit eines Verbrechens gelegen (dessen konkreter Tatbestand aber aus diesem Brief nicht eruierbar ist),2 in seiner freundschaftlichen Beziehung zum Opfer und dessen überlebenden weiblichen Verwandten,3 vor allem aber im öffentlichen Interesse, diese Tat nicht ungestraft zu lassen.4 1
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Plin. epist. 9,13,2: insectandi nocentes, miseros vindicandi, se proferendi (Text und Übersetzung stammen, soweit nicht anders angegeben, aus: C. Plinius Caecilius Secundus, Sämtliche Briefe. Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Heribert Philips und Marion Giebel, Nachwort von Wilhelm Kierdorf (Reclam), Stuttgart 2005). Vgl. zur Diskussion über den technischen Ablauf des Verfahrens außerhalb der Tagesordnung zu sprechen Sherwin-White 1966, 494, 495, der die Meinung vertritt, dass alle, die sich zur Rede des Plinius äußerten dies extra ordinem und in Verbindung mit ihrer Meinung zu einem anderen Beratungsthema taten, welches von Plinius nicht genannt wird. Gegenteiliger Meinung, dass der präsidierende Konsul das Anliegen des Plinius als gesonderten Punkt von der Tagesordnung separiert und zum Schluss in einem förmlichen Antrag habe darüber beraten lassen, sind m. E. nach zurecht und nicht nur aus praktischen Gründen Talbert 1984, 231 f. sowie Lefèvre 2009, 70. Dessen Unnennbarkeit wird in der sprachlichen Ausgestaltung durch ein aus drei Elementen bestehendes Polyptoton hervorgehoben, dem ein Chiasmus folgt. Plin. epist. 9,13,2: quod in senatu senator senatori, praetorius consulari, reo iudex manus intulisset („dass im Senat ein Senator einem anderen Senator, ein Richter einen Angeklagten tätlich angegriffen hatte“). Sicherlich geht Plinius dabei nicht gegen den „vermeintlichen Drahtzieher bei der Verurteilung des Helvidius Priscus“ (Beutel 2000, 187) vor – vgl. die berechtigten Einwände SherwinWhite S 1966, 492, dass alle Senatoren in diesem Fall Richter des Priscus waren –, sondern gegen das senatorische Fehlverhalten, „that Publicius Certus attacked a defendant so brutally that he ended by striking him“ (Talbert 1984, 272). Plin. epist. 9,13,3. Plin. epist. 9,13,3: publicum fas et indignita facti et exempli ratio veranlassten ihn zu seinem Vorgehen, wobei der Begriff fas eine kosmologische Dimensionierung besitzt, insofern als die öffentliche Gerechtigkeit an die göttliche Sphäre rückgebunden wird. Vgl. den Eintrag zu fas
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Hatte Plinius zu Beginn seiner Ausführungen vor dem Senat noch Zustimmung erfahren und damit die moralische Integrität seines Ansinnens kollektiv rückgebunden, änderte sich dies schlagartig, als allen Anwesenden klar wurde, dass er auf die Anklage eines oder mehrerer Standesgenossen hinaus wollte, dessen oder deren namentliche Nennung er allerdings sorgfältig vermied.5 Ungefähr ein halbes Jahr nach der Ermordung Domitians drohte einmal mehr der Schatten der Vergangenheit die Senatoren einzuholen, da das zur Diskussion stehende senatorische Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Prozess von Helvidius Priscus dem Jüngeren im Jahre 93 stand, der letale Folgen für den Angeklagten hatte und auf den auch Tacitus in seinem Agricola zurückgriff.6 Schon zuvor war es in der Auseinandersetzung mit der domitianischen Vergangenheit zu Konkurrenzkämpfen gekommen, wobei – wie Plinius es ausdrückt – „jeder für sich seine persönlichen Feinde, jedoch nur die unbedeutenderen, mit unüberlegtem, stürmischem Geschrei zugleich angeklagt und beseitigt“ hatte.7 Die Unsicherheit der versammelten patres nun lag in der offenen Frage, wen genau Plinius anklagen wollte und welche Senatoren in Konsequenz davon ebenfalls betroffen sein würden. Dementsprechend heftig und ablehnend werden die verbalen Reaktionen geschildert, die Plinius entgegengeworfen wurden. Um den Grad der Unmittelbarkeit zu steigern und den prinzipiellen Widerstand gegen sein im öffentlichen Interesse vorgetragenes Anliegen zu belegen, zitiert er einige dieser Zwischenrufe wörtlich.8 Des Weiteren dramatisiert er die Situation durch die Anonymisierung der Proteste, die ihm von allen Seiten aus dem Auditorium entgegen geschleudert werden, und stilisiert sich gegenüber dem allgemeinen Widerstand als einzelner und unerschrockener Senator, der seine kollektiv
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von Georges, Karl Ernst, s. v. fas, in: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Hannover 81913 (Nachdruck Darmstadt 1998), Band 1, Sp. 2690–2691 oder von Eisenhut, Werner, s. v. fas, in: KlP 2, München 1979, Sp. 516. Vgl. zur plinianischen Motivation Beutel 2000, 188 f. sowie Lefèvre 2009, 68. Plin. epist. 9,13,7. Vgl. Tac. Agr. 45,1. Vgl. ebenfalls Suet. Dom. 10,4. Vgl. Jones 1992, 168. Plin. epist. 9,13,4: …pro se quisque inimicos suos, dumtaxat minores, incondito turbidoque clamore postulaverat simul et oppresserat. Die Auffassung Sherwin-White S 1966, 492, es habe sich dabei nur um Männer unterhalb des senatorischen Ranges gehandelt, die verfolgt worden seien, lässt sich aus der Äußerung Plinius’ nicht herauslesen und kann nicht überzeugen. Plinius geht es in diesem Fall darum, zu betonen, dass er im Gegensatz zu anderen nicht so sehr aus persönlichen Motiven (wenn diese auch vorhanden waren) und wohlüberlegt gehandelt habe; außerdem sei er gegen ein politisches ‚Schwergewicht‘ vorgegangen, das ihm hierarchisch übergeordnet war. In diesen Kontext gehört auch die Unabhängigkeit seiner Entscheidung, denn er hatte vor der betreffenden Senatssitzung bewusst darauf verzichtet, seinen konsularischen Freund und Mentor Corellius Rufus um Rat zu fragen (Plin. epist. 9,13,6). Vgl. Beutel 2000, 189; Lefèvre 2009, 69. Vgl. zur engen Verbindung des Corellius mit Plinius Hoffer 1999, 141–159, v. a. 146 f. u. 154 f. Plin. epist. 9,13,7: …undique mihi reclamari. alius: ‚sciamus, quis sit, de quo extra ordinem referas‘; alius: ‚quis est ante relationem reus?‘; alius: ‚salvi simus, qui supersumus‘ (… „von allen Seiten Zwischenrufe. ‚Wir wollen wissen‘, sagte einer, ‚wer es ist, über den du außer der Reihe berichtest.‘ Ein anderer rief: ‚Wer ist schuldig, bevor die Reihe an ihn kommt?‘ Wieder ein anderer: ‚Wir, die wir übriggeblieben sind, wollen in Sicherheit leben‘“). Vgl. Lefèvre 2009, 70.
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rückgebundene moralische Überzeugung gegen den unmoralischen Unwillen des Gros der Standesgenossen behauptet. Denn „so viel macht es für unser Selbstvertrauen oder unsere Furcht aus, ob die Menschen nur nicht wollen, was man tut, oder ob sie es missbilligen.“9 Wie die weitere Darstellung der Senatssitzung zeigt, herrschte prinzipiell Uneinigkeit darüber, ob überhaupt und wenn ja, wie das individuelle senatorische Verhalten unter Domitian bewertet und von einzelnen Senatoren in der Gegenwart zu Karrierezwecken instrumentalisiert werden dürfe. Die Gegenredner des Plinius und seiner beiden Mitstreiter10 werden in der plinianischen Narration der Ereignisse geschickt ausgewählt und entgegen der eigentlichen Rednerreihenfolge um den schon in früheren Briefen als domitianischem ‚Kollaborateur‘ diffamierten Konsular Fabricius Veiento gruppiert.11 Sie schreiben sich in ihren Stellungnahmen gegen Plinius die Rolle der Verteidiger zu und machen damit zugleich etwas, das Plinius bisher sorgfältig vermieden hatte: Sie benennen den Angeklagten, den kurz vor dem Konsulat stehenden Prätorier Publicius Certus. Da Plinius aber nicht nur auf dessen namentliche Nennung verzichtet, sondern auch über dessen Verbrechen nur vage gesprochen hatte, sind es letztendlich seine Verteidiger, die das Vergehen des Certus konkretisieren und ihn als Angeklagten isolieren. Indem sie dies aber tun, rechtfertigen sie auch das Ansinnen des Plinus.12 Nachdem also die Fürsprecher des im Übrigen abwesenden Certus diesen und sein Verhalten unter Domitian zum Ziel der plinianischen Anklage erklärt hatten und dies von Plinius in seiner abschließenden Rede aufgenommen worden war, wobei er sicherlich deutlich gemacht hatte, dass Plin. epist. 9,13,8: tantum susceptae rei honestas valet, tantumque ad fiduciam vel metum differt, nolint homines, quod facias, an non probent. Vgl. zur wenig reflektierten Stilisierung Plinius’ Beutel 2000, 197, der diesen als Senator beschreibt, „der allein aus Staatsinteresse an einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit interessiert“ gewesen sei, sowie seine Einsamkeit im Kampf für Recht und Ordnung ebd. 192. Vgl. ebenfalls Lefèvre 2009, 75. 10 Zumindest stehen sie vorsichtig und zurückhaltend auf seiner Seite, wenn es sich bei beiden im Gegensatz zu Plinius aber eher um persönliche Gründe handelt, wodurch die von Plinius gespielte Rolle natürlich aufgewertet wird. Siehe Plin. epist. 9,13,15. Es sind dies zum einen der eng mit Thrasea Paetus (vgl. zu dessen Prozess, Verurteilung und gezwungen Selbstmord unter Nero Tac. ann. 16,21–35) befreundete Konsular T. Avidius Quietus (vgl. A. Birley 2005, 102– 104) und zum anderen C. Iulius Cornutus Tertullus (vgl. Plin. epist. 5,14; ILS 1024; vgl. Sherwin-White 1966, 343 f.), der, von der erzählten Zeit her gesehen, spätere Kollege des Plinius im Amt des praefectus aerarii Saturni und anschließend im Konsulat. 11 Siehe bspw. Plin. epist. 4,22,4–6 oder Iuv. 4,123–129. Vgl. Jones 1992, 53 f. sowie Strobel 2010, 151 mit Anm. 32 über die Karriere des dreifachen Konsulars A. Didius Gallus Fabricius Veiento (das Konsulat bekleidete er wahrscheinlich unter allen drei Flaviern in den Jahren 74, 80 und 83 n. Chr.); vgl. ebenfalls Sherwin-White 1966, 495 f. Veiento zeigt sich auch am Schluss der Debatte im Senat als einziger verbliebener Kompagnon des Certus, den die Senatoren aber nicht mehr zu Wort kommen lassen und trotz seiner verzweifelten Versuche, sich Gehör zu verschaffen, mit einem für Certus negativen Ergebnis über seinen Fall abstimmen. Siehe Plin. epist. 9,13,19 f. 12 Plin. epist. 9,13,13. Sein Vorgehen in dieser Senatssitzung, den Publicius Certus nicht als den eigentlichen Angeklagten zu benennen, ahmt Plinius in der Schilderung der Ereignisse nach, indem er erst mit dessen Fürsprechern den Certus zum ersten Mal in seinem Brief namentlich nennt. 9
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keine weiteren Senatoren von seinem Vorstoß betroffen sein würden, folgte die große Mehrheit des Senats seinem Antrag – wie immer dieser auch genau ausgesehen haben mag.13 Dabei wurde Publicius Certus quasi zum Sündenbock, auf dessen Rücken sich eine Mehrheit konstituieren konnte. Der Fall wurde an Nerva verwiesen, der diesen aber nicht weiter verfolgen ließ, bis er sich durch den baldigen Tod des Angeklagten von selbst löste. Doch trotz dieses juristisch gesehen unbefriedigenden Endes des Falles versteht Plinius es, sich selbst als Rächer zu stilisieren, da, wie die von ihm berichtete Vision des Sterbens von Certus nahelegt, die ‚Veröffentlichung‘ seiner vor dem Senat für dessen Verurteilung gehaltenen Rede möglicherweise einen Beitrag zu dessen Hinscheiden geleistet habe.14 Für die an der prozessartigen Diskussion im Senat auf beiden Seiten Beteiligten ging Plinius’ Vorstoß glimpflich aus. Nicht nur die potentiellen Angeklagten hatten es geschafft, das über ihren Häuptern drohende Schwert auf den durch seine Abwesenheit sozial desintegrierten Publicius Certus zu richten und damit der Rache der Vergangenheit zu entgehen, sondern auch Plinius konnte mit der für ihn ebenfalls nicht ganz ungefährlichen Anklage einen Erfolg für sich verbuchen. Mit seinem mutigen Vorstoß, so suggeriert dieser Brief, habe er seine eigene senatorische Karriere, wenn nicht sogar mehr, aufs Spiel gesetzt. Seine konsularischen Freunde hatten ihm dementsprechend noch während der Senatssitzung abgeraten, sein Vorhaben weiter zu verfolgen, da er die Aufmerksamkeit zukünftiger Principes auf sich 13
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Für die Unklarheit, was genau beschlossen worden war und weshalb und in welcher Form Nerva um eine Entscheidung gebeten wurde, siehe Sherwin-White 1966, 497: „This must have been a proposal that the conduct of Certus should be subject to an investigation, provided that the Princeps concurred.“ Vgl. Talbert 1984, 232. Die Gründe für die Durchschlagskraft seiner eigenen Rede kann Plinius laut eigener Aussage selbst nicht benennen, was Beutel 2000, 192 f. dazu veranlasst, diesem Gesinnungswandel auf die Spur zu kommen und ihn in der constantia des Plinius zu sehen. Meiner Meinung nach ist der Gesinnungswandel, den Plinus’ Rede bewirkt, eher in seiner ungerichteten Anklage zu suchen, die es zulässt, dass die potentiell Angeklagten sich auf einen Sündenbock einigen und der anschließenden Konzentration auf diesen. Plin. epist. 9,13,22–25. Dort auch die suggerierte Rache in Form der veröffentlichten Rede, ebd. 9,13,24 f.: …quod editis libris Certus intra paucissimos dies implicitus morbo decessit. audivi referentes hanc imaginem menti eius, hanc oculis oberrasse, tamquam videret me sibi cum ferro imminere („…dass Certus ganz wenige Tage nach Veröffentlichung meiner Schrift erkrankte und starb. Ich habe die Leute erzählen hören, er habe ein Bild vor Augen gehabt: er meinte zu sehen, wie ich ihn mit dem Schwert bedrohte“). Das Aufschieben einer Entscheidung stand ganz unter dem Stern des unter der Regierung Nervas betriebenen Ausgleiches der senatorischen Interessen, da dieser nach Christ 1988, 285 „ein schwacher Mann und Lückenbüßer, der sich deshalb auch sogleich mit allen wesentlichen politischen Gruppen zu arrangieren versuchte,“ gewesen sei. Wie immer man zu diesem Statement Christs stehen möchte, es ist nicht zuletzt aus Cass. Dio 68,1,3 klar, dass Nerva nach anfänglichen senatorischen Grabenkämpfen um Distinktion gegen die senatorische Prozessflut vorging. Vgl. ebenfalls Griffin 2000, 87–89, Grainger 2003, 45 und Strobel 2010, 150 f. Dass der Begriff ‚Veröffentlichung‘ in Anführungszeichen gesetzt wurde, soll darauf hinweisen, dass die literarischen Werke der trajanischen Zeit in anderen Praktiken des Literaturbetriebs involviert waren, als das heute der Fall ist. So lässt sich eine ‚Veröffentlichung‘ eher als die nach der Fertigstellung eines Textes vom Autor erlaubte und geförderte Verbreitung seines Werkes bezeichnen, und nicht das Erscheinungsdatum in Buchläden. Vgl. unten, Kap. 2.2.
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ziehe, von denen ein möglicher Kandidat ein hochberühmtes Heer im Osten führe und mit dem von ihm angeklagten Certus befreundet sei, der selbst kein unbedeutender Senator, mit entsprechenden Netzwerken, hierarchisch über Plinius und kurz vor dem Konsulat stehe.15 Ihm sei die drohende Gefahr bewusst gewesen, entgegnet Plinius, sich selbst heroisierend in den Worten des Aeneas, bevor dieser sich in die Unterwelt begibt: omnia praecepi atque animo mecum ante peregi.16 Aber ein Princeps, der die unter Domitian begangenen Freveltaten und ihre Verursacher verteidige, müsse vergeblich auf die Akzeptanz eines aufrichtigen Senators wie Plinius hoffen. Die tatsächlichen Konsequenzen, die sich für Plinius aus seinem Vorgehen gegen Certus ergaben, deutet er am Ende seines Briefes gemäß seiner Behauptung, nur im Interesse des Gemeinwesens und nicht aus persönlichen Gründen gehandelt zu haben,17 nonchalant in der Konstatierung seines Erfolges an: „denn der Kollege des Certus bekam das Konsulat, Certus einen Nachfolger.“18 Damit sind aber, wie die meisten zeitgenössischen Leser sicher wussten, die beiden nächsten Karrierestufen des Plinius in umgekehrter Reihenfolge angesprochen. Plinius beerbte nämlich den Certus noch vor Jahresfrist in dessen vom Kaiser vergebenen Amt als Präfekt des aerarium Saturni und wurde direkt im Anschluss daran, noch bevor seine Amtszeit ganz abgelaufen war, im Jahre 100 Konsul.19 Wenn Plinius auch nur zu Beginn auf das Ziel, sich selbst einen Namen zu machen, hinweist und am Ende eher die Selbststilisierung als vorbildlicher Senator überwiegt,20 lässt sich gerade bezüglich seines Aufstiegs auf der Karriereleiter auf Kosten des Certus feststellen, dass Plinius die Bewertung senatorischen Verhaltens in der domitianisch geprägten Vergangenheit in diesem Fall erfolgreich zu DistinkPlin. epist. 9,13,10 f. Siehe für die Identifizierung des hochstehenden Senators mit dem Oberbefehl über ein bedeutendes Heer im Osten mit M. Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus Alföldy – Halfmann 1973, 331–373; Schwarte 1979, 146–149; Strobel 1985, 41–44 und Strobel 2010, 157–169 sowie Grainger 2003, 92–101 und Seelentag 2004, 44–47; eine ganz andere Hypothese in diesem Zusammenhang wird von Berryman – Todd 2001, 318–323 vertreten, die Nigrinus aufgrund seiner makelhaften Herkunft (aus dem Ritterstand) nicht für capax imperii halten. 16 Plin. epist. 9,13,12 („All das habe ich schon vorausgesehen und bereits erwogen“) mit dem entlehnten Zitat aus Verg. Aen. 6,105. Vgl. zu diesem Zitat, welches das Ethos des stoischen Philosophen bekunde, Bütler 1970, 61; Beutel 2000, 192 sowie darüber hinaus allgemein zur Funktion der Aeneis-Zitate in der plinianischen Briefsammlung Marchesi 2008, 36 f. 17 Vgl. zu dieser Selbststilisierung Plinius’ ausführlich Beutel 2000, 194–198 sowie Lefèvre 2009, 75 mit Anm. 114–118, der allerdings bei seiner fragwürdigen Differenzierung zwischen wohlmeinenden und übelmeinenden Interpreten der Rolle des Plinius in diesem Prozess Beutel dem falschen Lager zuweist. 18 Plin. epist. 9,13,23: nam collega Certi consulatum, successorem Certus accepit. Das Nichterreichen des Konsulats mag im Falle des Certus in dessen vorzeitigem Versterben begründet liegen, auch wenn Plinius dieses Karriereende eines unwürdigen Senators gerne sich zuschreiben würde. Vgl. Beutel 2000, 194. 19 Siehe Plin. paneg. 92,1 f. Vgl. zu diesem pikanten Detail Syme 1958, 78. Vgl. allgemein zu diesem Abschnitt der plinianischen Karriere Strobel 1983, 42–44. 20 Vgl. Sherwin-White 1966, 499 mit seiner Erklärung: „Pliny evidently preferred not to underline the success of his scheme for self-advancement in this context. There was always disrepute in favouring any periculum senatoris.“ Wesentlich unkritischer gegenüber der plinianischen Selbststilisierung: Beutel 2000, 188, 197; Lefèvre 2009, 67 f. 15
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tionszwecken nutzte. Dass es dabei um die domitianische Vergangenheit des Certus und nicht ein historisch relativ unkontextualisiertes senatorisches Fehlverhalten geht, diskursiviert Plinius in mehrfacher Hinsicht: Zum einen stellt er sein Vorgehen gegen Certus, wenn er es auch davon abhebt, in den Kontext einer konstatierten Prozessflut nach dem Tode Domitians.21 Die Tatsache, dass das begangene Verbrechen schon vier Jahre zurückliegt, impliziert, dass eine Anklage des Certus für sein Vergehen unter Domititan nicht möglich gewesen wäre, dieser also in einem besonderen Verhältnis zu dem Tyrannen stand, was sich auch in seiner „grausamen Schmeichelei“ widerspiegelt.22 Dementsprechend wird er auch von notorischen ‚Domitianern‘ wie Fabricius Veiento vehement und bis zum Schluss verteidigt.23 Plinius hingegen verficht als einzelner Senator im öffentlichen Interesse die Sache der Opfer Domitians und ihrer Verwandten, mit denen er darüber hinaus freundschaftlich verbunden ist.24 Der anfängliche Widerstand gegen sein Vorhaben spiegelt in der kollektiven Unsicherheit, wer denn nun für was angeklagt werden soll, den breiten Verfügungsrahmen der domitianischen Vergangenheit als Ressource im senatorischen Konkurrenzkampf wider. Zu Beginn, so scheint es den Zwischenrufern, steht die Karriere fast jeden Senators zur Disposition und der Protest gegen Plinius gipfelt schließlich im Wunsch nach kollektiver Amnestie: salvi simus, qui supersumus.25 Dabei wird der Optativ durch die zeitliche Ambiguität seiner Attribuierung – da nicht eindeutig ist, ob mit den übrig gebliebenen diejenigen, welche die Ära Domitian oder diejenigen, welche die erste Prozesswelle unter Nerva überstanden haben, gemeint sind und also beide in diesem „Wir“ mit eingeschlossen werden – zu einer kollektiven Forderung, die Vergangenheit nicht weiter für soziale Distinktion zu instrumentalisieren. Zu dieser Angst vor der potentiellen Gefährdung durch die jüngste Vergangenheit tritt, wie Plinius von seinen Freunden ermahnt wird, verschärfend noch die Unsicherheit der Zukunft hinzu. Es ist gefährlich, in einer Gegenwart ohne sichere
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Siehe oben, S. 33 mit Anm. 7. Plin. epist. 9,13,16 wirft Cornutus Tertullus dem Certus adulatio cruenta vor. Vgl. oben, Anm. 11. Wobei am Schluss der Debatte die ausgereifte Komposition des Briefes 9,13 zutage tritt, in welcher der Prätorier Plinius dem dreifachen Konsular Veiento gegenübergestellt wird und diesen Vergleich haushoch für sich entscheidet. Trotz des Widerstandes seiner Standesgenossen und des vorläufigen Wortentzugs durch den Konsul bleibt Plinius standhaft und setzt sich mit seinem Antrag am Ende schließlich durch. Demgegenüber hat Veiento scheinbar zuerst die Zustimmung der Senatoren auf seiner Seite und bleibt am Ende besiegt und resigniert auf dem rednerischen Schlachtfeld zurück, wobei er im mythologisch transzendierten Gegensatz zu dem Aeneas zitierenden Plinius auf Griechisch die Worte des Diomedes an Nestor ausspricht, bevor beide den Troern den Sieg an diesem Tage des Kampfes lassen müssen (Hom. Il. 8,102). Vgl. Lefèvre 2009, 73 f., der die Rolle des Veiento in diesem Kontrast nicht korrekt wiedergibt, da nicht er es ist, der als erster seine Meinung abgibt, und des Weiteren die mythologische Parallelisierung des Konflikts nicht erwähnt. Vgl. zur Beziehung des Plinius zu den Opfern Domitians Beutel 188, 197, der ihn sogar als „Vorkämpfer der ehemaligen Oppositionellen, im Interesse des Staates“ bezeichnet. Vgl. Lefèvre 2009, 68. Zur Problematik des Oppositionsbegriffes bzw. der Rede von einer „stoischen Senatsopposition“ vgl. Barghop 1994, 113–120; vgl. ebenfalls Timpe 1987, 65–83. Plin. epist. 9,13,7. Siehe oben, Anm. 8.
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Zukunft die Vergangenheit zu bewerten, so ihre Argumentation.26 Plinius gelingt es dann, auf dem Rücken eines durch seine Abwesenheit (und seiner möglicherweise zu diesem Zeitpunkt bereits als letal zu erkennenden Krankheit) sozial desintegrierten Sündenbocks einen Konsens zu seinen Gunsten zu erreichen und letztendlich trotz des von ihm riskant geschilderten Vorgehens als Sieger dazustehen. Plinius bricht mit diesem dreizehnten Brief seines neunten Buches mit dem ansonsten in der Sammlung vorherrschenden Narrativ der Zäsur und dem sofortigen umfassenden Wandel nach der Ermordung Domitians und etabliert eine Zeit der Transition,27 die von omnipräsenter Unsicherheit und angespannter Stagnation gekennzeichnet ist. Zentral war dabei die Frage nach der elitären Vergangenheitsbewältigung. Im Konkurrenzkampf um soziale Distinktion und politischen Einfluss herrschte grundlegender Dissens,28 wie die jüngste kollektive Vergangenheit zu bewerten war und ob Konsequenzen aus ihr gezogen werden sollten und, wenn ja, welche dies zu sein hatten. Wie waren die innersenatorisch begangenen Verbrechen – also der auf Leben und Tod geführte Konkurrenzkampf unter Domitian, in dessen Folge einige Senatoren verbannt oder sogar hingerichtet worden waren – aufzuarbeiten? Wie konnten Opfer und Täter des domitianischen Herrschaftssystems in die neue Prinzipatsordnung integriert werden? War es überhaupt möglich, Opfer und Täter eindeutig zu identifizieren bzw. eine klare Trennlinie zwischen ihnen zu ziehen? Reichte es schon aus, unter dem der damnatio memoriae verfallenen Tyrannen Karriere gemacht und damit dessen unterdrückendes Herrschaftssystem gestützt zu haben, um als Mitschuldiger bezeichnet zu werden? Welche Auswirkungen sollte das dann auf die soziale Stellung des Einzelnen und seine weitere senatorische Karriere haben und war es überhaupt funktional, die Opfer auf Kosten der Täter zu entschädigen und somit einfach ihre Rollen zu vertauschen? Wollte sich die senatorische Reichsaristokratie nicht in einem juristischen Bürgerkrieg selbst schröpfen, und als Grund hierfür nicht allein auf das kaiserliche Gebot bzw. ihren Gehorsam gegenüber dem Kaiser verweisen,29 musste auf der Basis eines eigenen Narrativs ein umfassender Konsens gefunden werden, wie die Bewältigung der Vergangenheit zu erfolgen hatte. Mit einem solchen Narrativ konnte dann nicht nur die Kontingenz und Instabilität der Gegenwart beherrscht werden, sondern es war zugleich ein Medium senatorischer Selbstpositionierung in der neuen Herrschaftsordnung.
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Plin. epist. 9,13,10: notabilem te futuris principibus fecisti („Du hast die Aufmerksamkeit zukünftiger Kaiser auf dich gelenkt“); ebd. 9,13,11: quid praesentibus confidis incertus futurorum? („Was vertraust du auf die Gegenwart, während du die Zukunft nicht kennst?“) Siehe oben, S. 35 f. mit Anm. 15. Vgl. als Kontrast bspw. die Darstellung der Zeit direkt nach Domitians Tod in Plin. epist. 1,5 (vgl. dazu Ludolph 1997, 142–166, v. a. 142 f. sowie Hoffer 1999, 9, 55–91, v. a. 55 f.) und ebd. 1,12 (vgl. Hoffer 1999, 141 f.); vgl. ebenfalls ebd. 2,1,3. Vgl. zum Konkurrenzkampf der Senatorenschaft in der Kaiserzeit Flaig 1992, 107–117 und in Bezug auf das spezifische Instrument der Anklage ebd. 114 f. So war es Nerva, der das Anliegen des Senats, gegen Certus vorgehen zu wollen, im Sande verlaufen ließ (oder es aufgrund von dessen Tod nicht mehr beantworten musste). Auch unternahm er alles Mögliche, um die Prozessflut einzudämmen: vgl. oben, Anm. 14.
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In diese Zeit der offenen Fragen, die das grundlegende Selbstverständnis der senatorischen Reichselite betrafen, fällt der Entstehungs- und Verbreitungszeitraum eines von ihren hochrangigen, konsularen Mitgliedern verfassten, literarischen Werkes: des Agricola des Tacitus.30 Bei der Analyse dieses Textes wird es um die Frage gehen, auf welche Weise der möglicherweise noch von Domitian designierte Suffektkonsul des Jahres 97 auf diese zeitgenössische Problematik einging,31 welche Lösungsansätze er dabei anbot, welche Intentionen er damit verfolgte und inwiefern diese Schrift zu seiner eigenen Distinktion im senatorischen Konkurrenzkampf beitragen konnte. 1.2 Der Agricola des Tacitus Die prekäre Zeit der Transition vom Tode Domitians bis zur vorerst gesicherten Herrschaft Trajans, als deren Marker der trajanische adventus in Rom gelten kann – also vom 18. September 96 bis zum Oktober 99 –, war für die Senatoren nicht nur durch den anfänglichen Unsicherheitsfaktor einer möglichen Anklage geprägt. Neben der bei Plinius genannten Prozessflut waren es vor allem die Prekarität der nervanischen Herrschaft sowie die ungeklärte Nachfolgefrage, die eine gewisse Labilität innerhalb der senatorischen Hierarchie hervorrief und die Bedrohlichkeit der Situation für die Senatoren noch verschärfte, da sie das Distinktionsmerkmal der senatorischen Elite schlechthin blockierten: die Kaisernähe.32 So fand denn auch entweder am Ende des Jahres 96 oder zu Beginn des Jahres 97 der vergebliche Putschversuch des Calpurnius Licinianus gegen Nerva statt.33 Und der weitere Verlauf des Jahres sollte die tiefgreifende Erschütterung des Gemeinwesens durch einen Prätorianeraufstand mit sich bringen, in dessen Verlauf, Nervas Machtlosigkeit so offensichtlich wurde, dass es später in den Epitome de Caesaribus heißt, die Soldaten hätten nicht nur gegen den Willen Nervas die Mörder Domitians auf grausame Art und Weise ermordet, sondern diesen sogar dazu gezwungen, ihnen öffentlich Dank abzustatten, „weil sie die schlechtesten und ruchlosesten aller Sterblichen vernichtet hätten.“34 Ob diese Revolte tatsächlich von einer Clique des Statt30 31
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Um die Differenzierung zwischen dem Protagonisten des gleichnamigen Werkes zu erleichtern, wird, wann immer von der Schrift die Rede sein wird, diese kursiv gesetzt. Vgl. A. Birley 2000, 238; Grainger 2003, 41–44 (u. seine Konsul-Liste der Jahre 96–100, ebd. xiii) sowie Strobel 2010, 102, 118 (Anm. 2) sowie dessen Rekonstruktion der KonsulListe für die Jahre 97–100, ebd. 174, wonach das Suffektkonsulat des Tacitus auf die Monate November und Dezember des Jahres 97 zu legen ist. Wenn keiner wusste, wer zukünftiger Kaiser sein würde, konnte auch keiner wissen, wer diesem nahe steht. Cass. Dio 68,3,2; Epit. de Caes. 12,6; vgl. Grainger 2003, 68–71; Strobel 2010, 156. Epit. de Caes. 12,6–8: Cumque interfectores Domitiani ad exitium poscerentur, tantum est consternatus, ut neque vomitum neque impetum ventris valuerit differre, et tamen vehementer obstitit dictitans aequius esse mori quam auctoritatem imperii foedare proditis potentiae sumendae auctoribus. Sed milites neglecto principe requisitos Petronium uno ictu, Parthenium vero demptis prius genitalibus et in os coniectis iugulavere redempto magnis sumptibus Casperio; qui scelere tam truci insolentior Nervam compulit referre apud populum gratias militibus, quia pessimos nefandosque omnium mortalium peremissent („Und als die Mörder Domitians für
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halters von Syrien, M. Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus, angezettelt wurde, gegen die sich letztendlich die Anhänger Trajans durchsetzen konnten, mag einmal dahingestellt bleiben.35 Doch weist die Darstellung der Adoption Trajans durch Nerva im Panegyrikus des Plinius auf alles andere als auf eine Position der Stärke hin, aus welcher heraus Nerva seinen Nachfolger bestimmte: Im Rahmen eines anderen Rituals, der Darbringung des Siegeskranzes aus Pannonien an Jupiter und die Annahme des Siegerbeinamens Germanicus, gab Nerva überraschend die Adoption Trajans bekannt.36 Ein Coup, durch den ein machtloser Princeps die Herrschaft, wie sich letztendlich herausstellen sollte, erfolgreich seinem Nachfolger übergab. Kurz nach diesen herrschaftssichernden Maßnahmen Nervas Anfang November erhielt der dreifache Konsular Verginius Rufus ein Staatsbegräbnis, bei welchem die laudatio funebris von dem durch Plinius als eloquent bezeichneten Konsul Cornelius Tacitus gehalten wurde.37 Wenig später, Ende Januar 98, drei Monate nachdem er Trajan durch die Adoption zum Mitregenten und Nachfolger gemacht hatte, verstarb Nerva und Trajan übernahm die alleinige Herrschaft über das Imperium. Doch bevor der neue Kaiser schließlich nach Rom kommen konnte, mussten nicht nur schnelle Notmaßnahmen für die sofortige Absetzung des syrischen Statt-
ihre Hinrichtung gefordert wurden, war er [Nerva] so erschrocken, dass er weder das Erbrechen noch den Drang des Darms aufzuschieben vermochte, und dennoch stellte er sich ihnen entschieden entgegen und sagte immer wieder, dass es günstiger sei, zu sterben, als die Herrschaftsgewalt zu schänden, indem die Urheber der [seiner] ‚Machtergreifung‘ verraten würden. Aber die Soldaten beachteten den Princeps nicht, sondern töteten die Gesuchten, den Petronius mit einem Streich, Parthenius aber erdrosselten sie, nachdem ihm die Genitalien abgeschnitten und in den Mund gestopft worden waren. Mit hohen Kosten war Casperius Aelianus [ihr Präfekt] erkauft worden. Dieser, noch dreister als das furchtbare Verbrechen, zwang Nerva, den Soldaten vor dem Volk Dank abzustatten, weil sie die schlechtesten und ruchlosesten aller Sterblichen vernichtet hätten;“ Übers. d. Verf.). Der lateinische Text stammt aus: Sexti Aurelii Victoris, Liber De caesaribus. Praecedunt Origo Gentis Romanae et Liber De Viris Illustribus Urbis Romae. Subsequitur Epitome de Caesaribus, recensuit Fr. Pichlmayr, editio stereotypa correctior editionis primae addenda et corrigenda collegit et adiecit R. Gruendel (Bibliotheca Teubneriana), Leipzig 1961. Vgl. zum Prätorianeraufstand auch ohne diese pikanten Details Plin. paneg. 6; Cass. Dio 68,3,3. Vgl. ebenfalls Schwarte 1979, 143–145; Strobel, 1985, 38 f.; Eck 2002, 16; Grainger 2003, 94–96. 35 Vgl. Alföldy – Halfmann 1973, 331–373; Schwarte 1979, 147–149; Strobel 1985, 41– 44 und Strobel 2010, 157–169; Seelentag 2004, 44–47. Sehr skeptisch dieser Hypothese gegenüber ist Grainger 2003, 92–101. Einen nicht ganz überzeugenden Gegenentwurf bieten Berryman – Todd 2001, 318–323, die Nigrinus aufgrund seiner niederen Herkunft (aus dem Ritterstand) nicht für capax imperii halten und die Vermutung unterbreiten, der Prätorianerpräfekt Casperius Aelianus sei ein Mann Trajans und der Aufstand mit dem Ergebnis der Adoption Trajans letztendlich erfolgreich gewesen. 36 Plin. paneg. 8,2 f. Vgl. Strobel 1985, 42 f. In diesem Punkt bleiben Berryman – Todd 2001, 326 f. die Antwort schuldig, weshalb Nerva die Adoption Trajans überraschend und im Rahmen eines anderen Rituals durchführen musste. 37 Plin. epist. 2,1,6.
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halters getroffen werden.38 Auch die Rhein- und Donaulegionen sowie deren senatorische Kommandeure bedurften besonderer Aufmerksamkeit, um die Machtposition Trajans zu stützen und einen erfolgreichen Krieg gegen die Daker vorzubereiten.39 Erst zwei Jahre nach der Designation zum Nachfolger und über eineinhalb Jahre nach seiner Herrschaftsübernahme betrat Trajan, im Oktober des Jahres 99, zum ersten Mal als der neue Princeps die Hauptstadt seines Imperiums: Rom. Die Ermordung Domitians, die prekäre Regierung Nervas, welche durch die Unsicherheit der Nachfolge und die Machtlosigkeit des Kaisers am Ende gekennzeichnet war,40 sowie die Abwesenheit Trajans stellten die senatorische Hierarchie vor ein gewaltiges Problem.41 Sie entzogen ihr die Stabilitätsgrundlage schlechthin: das für den senatorischen Status signifikante Distinktionsmerkmal der Kaisernähe.42 Die hieraus resultierende Labilität des hierarchischen Systems kann – wie es das Beispiel des Plinius gezeigt hat – im senatorischen Konkurrenzkampf genutzt werden, um auf Kosten von Gegnern Sozialprestige zu erringen. Diese aggressive Strategie in der von einer kontingenten Hierarchie gekennzeichneten Zeit der Transition birgt nicht nur ein großes Risiko für denjenigen, der sich im agonalen Feld senatorischen Sozialprestiges mittels Prozessen gegen standesgenössische Konkurrenten durchzusetzen versucht. Sie kann im Extremfall auch zum Zusammenbrechen der Ordnung führen – durch die juristische Selbstzerfleischung der Aristokratie oder aber durch die Urkrise des Prinzipats, den Bürgerkrieg.43 In dieser Zeit des Umbruchs, die aufgrund einer gewissen Unschärfe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als prekär für die senatorische Elite bezeichnet werden kann,44 verfasste der gerade erst in die Reihen der Konsulare einzuord38
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Siehe die bemerkenswerten senatorischen Karrieren des Aulus Larcius Priscus (cos suff. 110; PIR2 L 103; ILS 1055), des C. Iulius Proculus (M. filius, tribu Voltinia; cos suff. 109; PIR2 I 497; ILS 1040) und des Ignotus ILS 1020 (wobei die letztere Karriere, in welcher der Ignotus als Quästorier nach einer Legionslegatur in Kappadokien unter Nerva eine Legionslegatur in Syrien unter Trajan versehen hätte, nach dem überzeugenden Nachweis von Oelschig 2009, 257–259, als nicht-belegbar gelten muss. Denn bei dem linksseitigen Text handelt es sich um die Erfindung eines neuzeitlichen Kopisten, weshalb für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Inschrift nur deren materiell erhaltener rechter Teil Verwendung finden darf). Vgl. zu den in dieser Zeit der Transition merkwürdigen drei bzw. besser zwei Karrieren, die auf eine unruhige Situation in Syrien schließen lassen Alföldy – Halfmann 1973, 364 f.; Schwarte 1979, 153 f.; Strobel 2010, 168 f. und mit einer weniger plausiblen Hypothese Berryman – Todd 2001, 318–323. Vgl. Speidel 2002, 25–28; Strobel 2010, 185–193. Vgl. Strobel 1985, 32, der meint, diesen Mangel an Macht und Stabilität auch an der hektischen Typenvielfalt der Münzprägung unter Nerva ausmachen zu können. Vgl. Seelentag 2004, 48–50 sowie Strobel 182. Siehe Flaig 1992, 114 f. Siehe unten, Kap. 4.2.2. Vgl. bspw. die von Mucianus angeführten Begründungen für die gemeinsame Usurpation mit Vespasian: Tac. hist. 2,76 f., siehe unten, S. 266 Anm. 213. Vgl. Plin. paneg. 7,6; 8,5 f.; 9,2 für die zeitgenössische Darstellung, wie knapp man einem Bürgerkrieg entgangen sei; vgl. dazu Strobel 1985, 33 f., 49 oder auch Beck 1998, 85 f. Die unsichere Gegenwart wird dadurch hervorgerufen, dass der zukünftige Princeps noch nicht feststeht, womit der zeitgenössische Status des einzelnen Senators nicht eindeutig ist und von beiden Parametern die Bewertung des Handelns/Verhaltens unter Domitian und mögliche gegenwärtige und zukünftige Konsequenzen für den Einzelnen abhängt.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
nende Cornelius Tacitus eine dem ehrenden Andenken seines Schwiegervaters Gnaeus Iulius Agricola gewidmete Schrift und sorgte für deren Verbreitung. Der genaue Zeitpunkt der Fertigstellung und ‚Veröffentlichung‘ des Textes lässt sich leider nicht bestimmen, da die im Proömium entworfene erzählerische Gegenwart, welche in diesem speziellen Falle derjenigen des Autors im weitesten Sinne entspricht,45 keine klaren Datierungsparameter zur Verfügung stellt. Als terminus post quem lässt sich ohne Zweifel die Adoption Trajans konstatieren, der im Proöm und am Ende als Herrscher angegeben ist.46 Im Allgemeinen gilt in der Forschung die Annahme, dass es sich beim Agricola um das Erstlingswerk des Tacitus handelt, welches möglicherweise unter Nerva begonnen, aber erst kurz nach dessen Tod fertiggestellt wurde.47 Dass Nerva zum Zeitpunkt der ‚Veröffentlichung‘ des Agricola bereits verstorben sein muss, meint man daran zu erkennen, dass er bei der Beschreibung der neuen Zeit nach Domitian, die Agricola nicht mehr erleben durfte, am Ende des Werkes nicht mehr genannt wird.48 Ein sprachliches Indiz könnte auch die Zeitenfolge in Tac. Agr. 3,1 bieten, als Trajans Agieren im Konjunktiv Präsens und das seines Vorgängers im Konjunktiv Perfekt wiedergegeben wird.49 Der durch principatum ac libertatem gesperrte Chiasmus verstärkt diesen Eindruck noch, da die Mittelstellung der beiden unvereinbaren Größen Prinzipat und Freiheit zu beiden Herrschern zu gehören scheint und die chiastische Antithese also eher in der zeitlichen Differenz ihres Wirkens zu vermuten wäre: früher Nerva, jetzt Trajan. Hierin könnte man also einen weiteren Baustein für die Argumentation sehen, dass die Schrift nicht vor Februar 98 verbreitet wurde. Einen belastbaren Parameter für einen terminus ante quem gibt es im Grunde nicht, da der Hinweis, Nerva werde im Proöm nicht als divus bezeichnet und könne 45
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Ohne kausalen Bezug zur Funktion des Agricola und ohne die Gattungsproblematik vorwegzunehmen, hat man es beim Agricola sicherlich in einer grundlegenden Weise mit einer verspäteten, literarisch ausgeweiteten laudatio funebris zu tun (oder man konnte sie zumindest als eine solche verstehen; vgl. Plin. epist. 8,12,5; vgl. dazu Sailor 2008, 105 und A. Birley 2009, 49), welche durch ihre Rückbindung an eine reale Person und einen spezifischen realen Kontext, in dem sie in der Regel gehalten wird, zu den faktualen Texten zu zählen ist, für die nach Genette 1992, 88 der Erzähler mit dem Autor gleichzusetzen ist. Dass hier dennoch von der „erzählerischen Gegenwart“ gesprochen wird, liegt daran, dass für die Textanalyse die Ausblendung des Parameters Autor (da wir über ihn so gut wie nichts außerhalb seiner Texte erfahren) betont werden soll, da dieser erst in der historischen Kontextualisierung wieder an Bedeutung gewinnt. Siehe Tac. Agr. 3,1; 44,5. Vgl. Oiglivie – Richmond 1967, 10 f.; Schwarte 1979, 139; Strobel 2010, 102. Vgl. für ausführlichere bibliographische Angaben die Anmerkungen bei Beck 1998, 72–74, der Syme 1958, 19 allerdings zu Unrecht anführt, da dieser die Frage, ob Nerva noch am Leben war oder nicht, nicht beantwortet und als irrelevant betrachtet. Siehe Tac. Agr. 44,5. Vgl. Syme 1958,19. Tac. Agr. 3,1: et quamquam primo statim beatissimi saeculi ortu Nerva Caesar res olim dissociabiles miscuerit, principatum ac libertatem, augeatque cottidie felicitatem temporum Nerva Traianus („aber obwohl gleich mit Beginn des allerglücklichsten Zeitalters Kaiser Nerva die früher unvereinbaren Größen, Prinzipat und Freiheit, miteinander verbunden hat, obwohl Nerva Traianus das Glück unserer Zeit täglich mehrt“). Der Konjunktiv nach quamquam ist laut Heubner 1984, 11 bei Tacitus durchaus üblich.
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also noch nicht so lange verstorben sein, kein gutes Argument ist.50 Die relative Nähe der erzählerischen Gegenwart zu der Ära Domitians lässt lediglich darauf schließen, dass der Agricola sicherlich vor der Ankunft Trajans in Rom ‚veröffentlicht‘ wurde.51 Dies führte dazu, dass Jan-Wilhelm Beck ausführlich gegen eine Frühdatierung des Agricola argumentiert und in der Germania – entsprechend der Überlieferungstradition im Codex Hersfeldensis – das wirkliche Erstlingswerk des Tacitus identifizieren möchte.52 Den Hebel und Angelpunkt für diese These bildet Becks Versuch, die ursprüngliche und somit eigentliche Intention des Tacitus bei der Abfassung des Werkes von dessen möglicher politischer Wirkung zu trennen.53 Der Agricola des Tacitus sei in erster Linie eine Biographie zu Ehren des Schwiegervaters, in welcher gegen die Missachtung dessen militärischer Erfolge und gegen mögliche Kollaborationsvorwürfe angeschrieben werde und mit der Tacitus neben einer verwandtschaftlichen Pflicht auf einer ganz persönlichen Ebene erste Schritte der Vergangenheitsbewältigung unternehme. Lediglich die politisch-militärische Tätigkeit des Schwiegervaters habe die Schrift notwendigerweise politisch relevant gemacht, was Tacitus im Anfangs- und Schlussteil für sein zusätzliches Bekenntnis mit genutzt habe.54 Auf dieser sekundären Wirkungsebene sei sie auch als Apologie zu verstehen, mit der man sich als Zeitgenosse habe identifizieren können, aber wie die Widmungen belegten, stehe für den Verfasser in allererster Linie das Persönliche im Vordergrund.55 Becks Argumentation ist nicht überzeugend, da seine funktionale Trennung der textuellen Ebene auf eine produktionsintentionale und eine rezeptionsästhetische auf alleiniger Grundlage des Textes nicht funktionieren kann und immer eine gewisse Arbitrarität in sich trägt. Denn beispielsweise verabsolutiert er die Widmungen innerhalb des Textes als die eigentliche Aussageabsicht und reißt sie dabei aus ihrem kontextuellen Funktionszusammenhang, der (wie im Falle des Proöms noch zu sehen sein wird)56 wesentlich komplexer als die reine Bedeutung der Äußerung selbst ist. So dient die vordergründig persönliche Rechtfertigung des Autors auch als rhetorische Strategie eine affirmative Rezeption seiner Schrift zu begünstigen.57 Das letztliche Ziel von Beck, gegen eine allzu sorglose Frühdatierung des 50 51 52 53
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Vgl. zur Nennung des verstorbenen Nerva ohne den Zusatz divus: Plin. paneg. 8,2; 10,2; 35,4 oder Plin. epist. 4,9,2; 4,17,8; 4,22,4; Vgl. Beck 1998, 75 mit Anm. 128. Siehe Tac. Agr. 1–3. Dort stellt sich die erzählerische Gegenwart als die Zeit des Umbruchs von der domitianischen Tyrannei in die allerglücklichste Zeit dar. Mit der Ankunft Trajans in Rom, möchte man meinen, wäre dieser Umbruch vollzogen. Vgl. Beck 1998, 81 f. Beck 1998, 99 f. Beck 1998, 98: „Auch in Bezug auf die eigene Person hatte Tacitus also eine Apologie nicht nötig, und es bleibt wiederum, wie im Falle des Agricola, fraglich, ob er seine Biographie tatsächlich auch gezielt als eine solche konzipierte oder ob dies nicht lediglich als ein weiterer Aspekt mit hineinspielt. Von der ursprünglichen, eigentlichen Intention des Tacitus deutlich zu trennen ist vielmehr die Wirkung seines kleinen Buches.“ Siehe Beck 1998, 71. Siehe Beck 1998, 69 f., 71. Ähnlich schon bei Ogilvie – Richmond 1967, 16–20. Vgl. zu Tac. Agr. 3,3: hic interim liber… („In der Zwischenzeit wird dieses Buch…“) Beck 1998, 71 mit Sailor 2008, 67–71. Siehe unten, Kap. 1.3, S. 54 f. Vgl. Sailor 2008, 70.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Agricola zu argumentieren und dies mithilfe der Feststellung der primären Intention des Verfassers zu erreichen, verdeutlichen jedoch, wie eng die beiden Parameter in diesem senatorischen Werk der Transitionszeit zusammenhängen. Das von Beck immer wieder deutlich formulierte Unbehagen an der Überbewertung der politischen Funktionalisierung der Schrift wiederum58 führt deutlich vor Augen, dass die Frage nach der soziopolitischen Dimension derselben in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihr zu Recht im Vordergrund steht. Dies soll nicht bedeuten, dass dieser Text nicht auch persönliche Anliegen ihres Verfassers gegenüber seinem verstorbenen Schwiegervater in sich bergen mag. Aber abgesehen von den oben genannten Schwierigkeiten, diese zu eruieren, ist ihr Verfasser ein hochrangiger, aktiver politischer Funktionsträger, dessen Adressatenkreis aus seinen Standesgenossen besteht, womit sein literarisches Werk mit seiner Verbreitung automatisch zu einer Äußerung im soziopolitischen Raum wird.59 Wenn also in diesem Text zeitgenössische politische Diskurse verhandelt werden, was eindeutig der Fall ist, muss der Verfasser eine dementsprechende Rezeption zumindest mit intendiert haben, weshalb es sich bei seinem Agricola um einen diskursiven Beitrag im kommunikativen Netz des elitären Herrschafts- und Selbstverständnisses handelt. In Anbetracht dieses Umstandes ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur die ältere, bei Beck aufgeführte Literatur,60 sondern auch die jüngere Forschung der letzten 12 Jahre vornehmlich der soziopolitischen Bedeutung der Schrift Beachtung schenkt.61 Dabei lässt sich eine Konzentration der vorgeschlagenen zeitgenössischen Funktionalisierungen der Schrift auf zwei Thesen beobachten: zum einen die Vertreter der apologetischen Funktion62 der Schrift und zum anderen diejenigen, die dieses Werk des Tacitus als einen literarischen Beitrag zur Unterstützung der trajanischen Herrschaft verstehen,63 wobei beide Ansichten nicht immer klar voneinander getrennt werden können. Während erstere darauf verweisen, dass es für Tacitus gegenüber einer OpferFaktion oder für seine zukünftigen Karriereaussichten unter Trajan vonnöten gewesen sei, eine Selbstrechtfertigung für seine Karriere und die seines Schwiegervaters 58 59 60 61 62 63
Siehe Beck 1998, 69–71, 89–93, 95 (mit Anm. 169), 97–99. Vgl. zur Karriere des homo novus Tacitus A. Birley 2000. Zur Verbreitung von Literatur innerhalb der aristokratischen Netzwerke der Kaiserzeit siehe unten, Kap. 2.2, S. 98 f. Siehe Beck 1998, 69–72 mit den dazugehörigen Anmerkungen. Vgl. den Forschungsbericht bei Petersmann 1990, 1790 f.; vgl. zusätzlich Martin 1994, 48 oder Christ 1978, 454. Vgl. bspw. Tscherniak 2005, 86–113; Ash 2006, 19–30; Haynes 2006; Sailor 2008, 51– 118; A. Birley 2009, 47–58; Strobel 2010, 102 f. Diese wurde bereits von Hoffmann 1870, 271–273 formuliert; Syme 1958, 25 nimmt dies auf und so auch der Tenor der letzten Jahre bei Ash 2006, 22; A. Birley 2009, 49; Strobel 2010, 102 f. sowie Sailor 2012, 27. So vornehmlich bei Schwarte 1979, 170 f. „…dass die Biographie Agricolas der publizistischen Unterstützung Trajans bei der Abwehr aller auf die Kontinuität zur Herrschaft Domitians gründenden Gegenströmungen dienen sollte“ (ebd. 171); wobei er die apologetische Tendenz des Agricola nicht in Abrede stellt (ebd. 168). Positiv rezipiert und in seine Darstellung zu den zeitgeschichtlichen Aspekten im Panegyrikus des Plinius aufgenommen von Strobel 1985, 39 f.
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unter Domitian vorzulegen,64 wobei auch deren kollektive Funktion herausgestellt wird,65 argumentiert Karl-Heinz Schwarte (als vornehmlicher Verfechter der unterstützenden Aufgabe der Schrift), dass der Lebensweg des Agricola zu untypisch sei, um eine direkte Verteidigung all derjenigen zu sein, die unter Domitian Karriere gemacht hätten.66 Viel bedeutender sei die antidomitianische Tendenz des Agricola, mit der Tacitus „für seinen Teil und mit seinen Mitteln zur Abwehr domitianfreundlicher Kräfte und zur Festigung der Herrschaft Trajans beizutragen versucht[e].“67 Dagegen lassen sich jedoch zwei Einwände vorbringen. Zum einen mag ein antidomitianischer Diskurs während des Ringens um die Nachfolgefrage entsprechend der oben erwähnten, weit verbreiteten Hypothese über den Machtkampf zwischen senatorischen Gruppen um Trajan und Nigrinus noch eine klare pro-trajanische Funktion eingenommen haben. Doch stellt sich die Frage, welchen Beitrag ein solcher Diskurs in einer senatorischen Schrift nach erfolgter Adoption und Ausschalten des Nigrinus noch für eine herrschaftsstützende Rolle für Trajan hat spielen können. Zumal, zum anderen, Trajan selbst in seiner Herrschaftsdarstellung auf eine starke Repräsentation eines solchen Diskurses verzichtete und dieser wiederum stark auf die Eliten beschränkt blieb.68 Neben der also eigentlich nicht haltbaren herrschaftsstützenden Interpretation und der vornehmlich apologetischen Auffassung des Agricola sticht aus der Forschung der letzten Jahre allerdings äußerst bemerkenswert die Analyse dieser taciteischen Schrift im entsprechenden Kapitel von Dylan Sailors Monographie Writing and empire in Tacitus hervor.69 Es gelingt Sailor beispielsweise in seiner Darstellung, die überaus ambiguen Gattungsverschnitte, aus denen der Agricola zusammengesetzt ist, in einer überzeugenden und schlüssigen These zu integrieren. Denn eigentlich ist die Gattungszugehörigkeit des Agricola alles andere als geklärt und wahrscheinlich auch nicht zu klären, da sich das Werk aus den literarischen Gattungen der Biographie, der Historiographie, Ethnographie, Geographie sowie dem commentarius zusammensetzt und mit ihren Verweisen auf performative Praktiken wie die von Tacitus nicht gehaltene laudatio funebris, sich dadurch ergebende Anlehnungen an die exitus-Literatur, aber auch der nicht für Agricola abgehaltene Triumph insgesamt das Spektrum römischer Memorialpraktiken abruft.70 Ziel dieser Strategie 64
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Vgl. Syme 1958, 25, den selbstapologetischen Charakter betonend „attacking those who admired the martyrs unduly, Tacitus defends his father-in-law – and shields his own conduct under the tyranny of Domitian.“ Vgl. Ash 2006, 22, die in dem dafür grundlegenden Argument, dass es auch unter schlechten Kaisern große Männer geben könne (Tac. Agr. 42,4, siehe zu dieser Stelle unten, Kap. 1.4, S. 55 f., 63 f.) eine unterschwellige Kritik oder Zweifel an der Regierung Trajans herauszuhören meint (ebd. 28). Vgl. A. Birley 2009, 49 sowie Strobel 2010, 102 f. Schwarte 1979, 141. Schwarte 1979, 171. Siehe unten, Kap. 2.5, S. 138 f. Vgl. die Ergebnisse bei Fell 1992, 171–176, der in der Herrschaftsprogrammatik Trajans außer der literarischen und damit elitären Polemik gegen Domitian keine performativen Abgrenzungen Trajans von Domitian feststellt. Sailor 2008, 51–118. Zusätzlich erweitert werden diese in der Substitution monumentaler Memorialbauten durch die von Tacitus produzierte Schrift, da sie zur Erhaltung des Ruhmes seiner Taten beiträgt: siehe
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sei die umfassende Korrektur des Missverhältnisses zwischen Repräsentation und Realität, wie es unter dem schlechten Princeps vorherrschte, um selbst an der Konstituierung der neuen Zeit Teil zu haben, an ihrer Entstehung mitzuwirken.71 So überzeugend die Argumentation Sailors im Einzelnen ist, bleibt bei ihm die soziopolitische Funktion der Schrift ein wenig unterbelichtet, da er zum einen das gesellschaftliche Ansehen der Märtyrer unter Domitian stark überbewertet, wobei er in ihrer Darstellung die Differenzen zu Agricola übersieht, und zum anderen die breitere diskursive Einbettung des Textes vernachlässigt. Dadurch lässt er wichtige Fragen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen in Bezug auf die soziopolitischen Konsequenzen für den Autor und die Kontextualisierung der Schrift im zeitgenössischen Raum unberücksichtigt, die von signifikanter Bedeutung für die taciteische Selbstpositionierung im trajanischen Herrschaftssystem, für die Problematik der Vergangenheitsbewältigung allgemein und daraus folgender normativer Entwürfe für das Ausagieren senatorischer Konkurrenz sowie die Repräsentativität taciteischer, diskursiver Strategien sind und in der vorliegenden Analyse des Agricola Berücksichtigung finden sollen. Am Schluss steht für Sailor dann wieder die zweite Funktion der Korrektur des Missverhältnisses zwischen Repräsentation und Realität im Vordergrund, die in dem angemessenen Gedenken an die erbrachten Leistungen Agricolas zu finden ist.72 Der Agricola des Tacitus wird in der Interpretation Sailors letztendlich zu einem defizitären, weil nur literarisch erfolgendem, Triumph für die erfolgreichen Eroberungen Agricolas.73 In dem kommemorativen ‚Weiterleben‘ oder ‚Überleben‘ Agricolas am Schluss des Werkes wird aber auch auf die Motivation der pietas aus dem Proöm verwiesen, mit der der vorgeblich ‚persönliche‘ Charakter der Schrift betont wird, der allerdings nicht so wörtlich zu nehmen ist, wie dies von Beck getan wird, sondern Teil einer rhetorischen Strategie für eine uneingeschränkte Zustimmung zu seinem Agricola ist, die sich in den Mantel eines scheinbar defensiven Manövers gegenüber den Tugenden so feindlich gesinnter Zeiten kleidet.74 Tac. Agr. 46,3 f. und vgl. ebd. 1,1. Am besten beschreibt man dieses literarische Werk wohl als polymorphe Memorialschrift. Siehe Sailor 2008, 103. Vgl. bereits Dihle 1988, 45, der diesen Text an den Beginn der von ihm mit dem Begriff „historische Biographie“ beschriebene Gattung stellt, ebd. 47. Speziell zur laudatio funebris und der exitus-Literatur siehe Plin. epist. 8,12,5, vgl. Sailor 2008, 105 f. Vgl. allgemein zur Problematik das Werk hauptsächlich einer Gattung zuzurechnen Ogilvie – Richmond 1967,11–16, für die der Agricola jedoch eindeutig eine Biographie darstellt; Leeman 1973, 189–208 „a variation of the biographical genre.“ (207); Petersmann 1991, 1788 f.; aber auch die Probleme einer eindeutigen Gattungszuweisung bei Ash 2006, 20 f. oder A. Birley 2009, 49. Vgl. zum prinzipiellen Problem der Differenzierung von (Auto-)Biographie und Historiographie aber auch der Vielgestaltigkeit des Agricola Shuttleworth-Kraus 2009, 254. 71 Siehe Sailor 2008, 52 f., 70 („In other words, the Domitianic era does not come to a close until Tacitus begins to write“) und 103–106, 116. 72 Vgl. Sailor 2008, 106–110 sowie Sailor, 2012, 29. 73 Sailor 2008, 118: „At the same time as Agricola implies its equivalence to public celebration of successful conquest, it has also to insist that only a triumph is a triumph and therefore to suggest that writing, like ornamenta triumphalia, can only serve inadequately ‚in place of a triumph‘.“ 74 Vgl. Sailor 2008, 70.
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1.3 Der Schatten der Vergangenheit – Domitian in der erzählerischen Gegenwart des Proöms tam saeva et infesta virtutibus tempora.75 Diesem Satz, der das erste Kapitel des Agricola abschließt, fehlt nicht zufällig das finite Verb, das ihn eindeutig in die Zeitlogik der Erzählung einordnen würde. Er ist sowohl auf die Vergangenheit des Erzählten wie die Gegenwart des Erzählens zu beziehen. Die Konstatierung einer tugendfeindlichen Gegenwart gilt also sowohl für die Zeit des Autors, in der er doch nur über das Leben eines Verstorbenen erzählen möchte, als auch für die erlebte Zeit des Protagonisten und die anschließende kollektive Leidenszeit aller Senatoren unter Domitian.76 Auch seine Reichweite ist einer gewissen Mehrdeutigkeit unterworfen, da er im Proömium eine Gelenkstelle zwischen dem ersten und den beiden folgenden Kapiteln einnimmt, insofern er den Kontrast der erzählerischen Gegenwart mit einer weit in die Republik zurückreichenden Vorzeit mit der jüngsten Vergangenheit unter Domitian erzählerisch verbindet.77 Der erste Referenzpunkt zur erzählerischen Gegenwart, die noch unspezifiziert und lediglich als zeitlich unscharfer Kontrast im Verhältnis zu der tief in der Vergangenheit liegenden positiven Zeit dargestellt wird, ist zugleich der Beginn des Agricola: „Berühmter Männer Taten und Charakter der Nachwelt zu überliefern… “,78 der gleichermaßen die selbstreferentielle Funktionsbestimmung des Textes darstellt. Die memoria virtutis wurde dabei von den berühmtesten Männern 75 76
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Tac. Agr. 1,4: „So schrecklich und feindlich den Tugenden die Zeiten“ (so die nahezu wörtliche Übersetzung dieses Satzes). Um dies narratologisch präziser zu fassen, könnte man auch insofern von einer intra- und extradiegetischen Bedeutung dieses Satzes sprechen, vgl. Genette 147–150, als dieser Satz in einer auf die Vergangenheit bezogenen Interpretation die Zeit der Erzählung vom Leben des Agricola charakterisiert, während seine präsentische Deutung auf die defizitäre Zeit des Erzählers referiert. Vgl. zur zeitlichen Ambiguität auch Ogilvie – Richmond 1967, 131, die sich allerdings für eine auf die Vergangenheit bezogene Interpretation aussprechen, während Heubner 1984, 8 die Meinung vertritt, es handele sich um eine präsentische Bedeutung; vgl. Sailor 2008, 58 f. Vgl. Dészpa 2011, 3. Tac. Agr. 1,1: Clarorum virorum facta moresque posteris tradere… Vgl. Ogilvie – Richmond 1967, 126; Heubner 1984, 1; Sailor 2012, 38 sowie Heldmann 2011, 73 (ohne Anmerkung, was diesen Bezug quasi schon zum Allgemeinplatz werden lässt) für den weit verbreiteten, m. E. aber fragwürdigen Bezug zu den Origines Catos d. Älteren durch die in Cic. Brut. 75; Cic. Tusc. 4,3 u. Cic. Planc. 66 erhaltenen Fragmente. Während die beiden ersten Stellen den von Cato bei den Vorfahren angeführten Brauch erwähnen, bei bzw. nach dem epulum Loblieder auf berühmte Männer zu singen, verweist die in pro Plancio aufzufindende Stelle, die nach Cicero am Beginn des catonischen Werkes zu verorten ist, eindeutig nicht auf die Taten und Tugenden berühmter Männer respektive deren Tradierung, sondern auf die Notwendigkeit der Vorbildlichkeit sowohl im Bereich des negotium als auch dem des otium. Mögen die carmina der Vorfahren, da sie im Kontext der Tradierung stehen, noch durchaus als mögliche intertextuelle Referenz auf Catos Werk angesehen werden, kann ich einen Verweis auf den Beginn der Origines nicht nachvollziehen, zumal das a principio Ciceros (Cic. Planc. 66) nicht zwangsweise auf die ersten Worte des Catotextes beschränkt sein muss.
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ohne Hintergedanken (gratia, ambitio) tradiert – ganz im Gegensatz zu den in Kapitel zwei genannten Literaten.79 Ja sogar die selbstrechtfertigenden Schriften mit autobiographischen Zügen, wie sie von Rutilius und Scaurus verfasst worden waren, werden in den Rahmen adäquater aristokratischer memoria gestellt.80 Und letztendlich möchte sich auch der Agricola des Tacitus als Teil dieses Kontinuums aristokratisch angemessener memoria verstanden wissen. In diesen vergangenen Zeiten war es, so das vom Text entworfene Bild, nicht nur viel einfacher gewesen, große Taten zu vollbringen, sondern sie wurden auch ihrer Größe entsprechend gewürdigt. Sie der memoria der Nachwelt zu konservieren, war eine noble Tat. Die Konstatierung, dass dies frei von Vorteilsheischerei und Ehrgeiz erfolgt sei,81 impliziert, dass in der von den Bürgerkriegen zerrütteten Republik und vor allem im Prinzipat beim Handeln sowie beim Schreiben genau diese Motive der Schmeichelei und des Opportunismus vorherrschten bzw. vorherrschen, weshalb die guten und ehrlichen Taten und Werke nicht nur durch ihre Seltenheit Zeugnis von den verkommenen Sitten geben, sondern schließlich auch den Neid der Zeitgenossen auf sich ziehen. So sehr sind diese auf das eigene Wohl bedachten Verhaltensweisen in der Zeit verankert, dass sich der Verfasser sogar für die Darstellung des Lebens eines bereits verstorbenen Mannes, von dem er sich keine Vorteile mehr erhoffen kann, rechtfertigen und um Nachsicht bitten muss.82 Es stehen sich in diesem ersten Kapitel also zum einen eine ideale in der tieferen Vergangenheit der Republik liegende Vorzeit83 und der sich als negative Lebenswelt der erzählerischen Gegenwart formierende Prinzipat84 unversöhnlich gegenüber und präfigurieren eine präsentische Bedeutung für den letzten Satz dieses Abschnitts: tam saeva et infesta virtutibus tempora.85
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Tac. Agr. 1,2; zur Problematik der domitianischen Märtyrer siehe unten, Kap. 1.5. Vgl. zu den beiden genannten Autobiographen: P. Rutilius Rufus (HRR I2, 189 f.) und M. Aemilius Scaurus (HRR I2, 185). Vgl. ebenfalls Ogilvie – Richmond 1967, 128 f.; Heubner 1984, 7 sowie Candau 2011, 133–147. Vgl. zur Autobiographie im römischen Raum allgemein: Chassignet 2003, 65–78; Walter 2003, 36–43; Pausch 2004, 303–335; Baier 2005, 123–142. Tac. Agr. 1,2 f. Tac. Agr. 1,4. Vgl. Sailor 2008, 54–59, der die beiden kontrastierten Repräsentationssysteme in der Metapher der Ökonomie gegenüberstellt. In der früheren Zeit habe diesbezüglich ein goldenes Zeitalter bestanden, da es, je einfacher es war, große Taten zu vollbringen, diese umso mehr Anerkennung fanden; in der jetzigen Zeit sei auffallende Exzellenz hingegen wesentlich seltener als früher anzutreffen und besitze gleichzeitig einen wesentlich geringeren Marktwert, da ihre Repräsentation ständig unter den Verdacht der Fälschung aufgrund eines erhofften Nutzens seitens des Verfassers falle. Vgl. Sailor 2004, 144–146. Vgl. ebenfalls Leeman 1973, 200 f. Zur negativen Bewertung der späten Republik in den Historien siehe Joseph, 2013, 168–173. Tac. Agr. 1,2: sed apud priores… („Aber wie es bei unseren Vorfahren…“). Tac. Agr. 1,4: at nunc… („In unseren Tagen jedoch…“). Vgl. Leeman 1973, 201 f. Dieses Set an Polaritäten erkennt auch Ash 2006, 23, weiß es allerdings nicht anders einzuordnen als in einem prinzipiellen Skeptizismus Tacitus’ gegenüber dem Prinzipat (ebd. 28). Dementsprechend lautet die Übersetzung von Alfons Städele von Tac. Agr. 1,4 auch: „So schrecklich und großer Leistung feind sind die Zeiten.“ Vgl. Heubner 1984, 8.
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Die zeitliche Ambiguität dieses Satzes wird durch das erste Wort des zweiten Kapitels, legimus, fortgesetzt86 und somit im Akt der extradiegetischen Rezeption, wie es den Vorgängern des Erzählers und deren Werken erging, mit der jüngsten Vergangenheit unter der Herrschaft Domitians verknüpft, wobei im Wüten (saevitum) gegen die Autoren und ihre Werke das saeva des letzten Satzes aufgegriffen und für diesen Fall zeitlich konkretisiert wird.87 Mit diesem Übergang zur domitianischen Vergangenheit erhält der letzte Satz des ersten Kapitels also seine präteritale Denotation und es folgt die drastische Inszenierung dieser Zeit im weiteren Verlauf. Doch in diesem ersten Satz, in dem erst der Übergang zu dieser Vergangenheit stattfindet, stellt sich der Verfasser des Agricola durch die Ähnlichkeit seines Vorhabens mit dem von Arulenus Rusticus und Herennius Senecio begangenen todeswürdigen Verbrechen – nämlich eine lobende Biographie für einen bedeutenden, aber toten Mann zu verfassen und zu ‚veröffentlichen‘ –,88 zwar auf eine Ebene mit diesen. Aber zugleich distanziert er sich von ihnen durch die Verwendung der 2. Person Plural, mit der er sich zu den (noch lebenden) Lesenden hinzuzählt. Diese Differenz trifft auch für die jeweiligen Schicksale ihrer Werke zu – denn die Rezeption der taciteischen Schrift findet ja im Moment statt, wohingegen die Werke des Rusticus und des Senecio öffentlich verbrannt wurden. Die Adressaten und der sich mit ihnen identifizierende Erzähler sind in der aktiven Rezeption dann aus dieser Vergangenheit herausgehoben und stellen zugleich das einzige Agens89 in diesem
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Tac. Agr. 2,1: legimus… („Wir können lesen …“; eigentlich nicht ganz korrekt übersetzt, da es entweder lauten müsste: „Wir lesen“ oder „wir haben gelesen“) kann sowohl Indikativ Präsens wie auch Indikativ Perfekt sein und lässt sich auch durch den Kontext nicht eindeutig bestimmen. Vgl. Ogilvie – Richmond 1967, 131 f., die den Standpunkt, es handele sich hier um die Perfektform vertreten, während Heubner 1994, 8 sich gegen diese weit verbreitete Auffassung und für den Indikativ Präsens ausspricht. Vgl. ebenfalls Sailor 2004, 150 f. (mit Anm. 34). Tac. Agr. 2,1: legimus, cum Aruleno Rustico Paetus Thrasea, Herennio Senecioni Priscus Helvidius laudati essent, capitale fuisse neque in ipsos modo auctores, sed in libros quoque eorum saevitum, delegato triumviris ministerio, ut monumenta clarissimorum ingeniorum in comitio ac foro urerentur („Wir können lesen, es sei ein todeswürdiges Verbrechen gewesen, als durch Arulenus Rusticus Thrasea Paetus und durch Herennius Senecio Helvidius Priscus verherrlicht wurden. Nicht nur gegen die Verfasser, sondern auch gegen ihre Bücher habe man gewütet; den Triumvirn habe man nämlich die Aufgabe übertragen, die Denkmäler der erlauchtesten Geister auf dem Comitium und Forum zu verbrennen“). Vgl. Sailor 2008, 59. Siehe zu Q. Iunius Arulenus Rusticus PIR2 I 730 und zu seinem literarischen Gegenstand P. Clodius Thrasea Paetus PIR2 C 1187 (vgl. zu dessen Prozess, Verurteilung und erzwungenem Selbstmord unter Nero Tac. ann. 16,21–35); zu Herennius Senecio PIR2 H 128 und zu dem von ihm schriftlich verherrlichten C. Helvidius Priscus PIR2 H 59. Vgl. Ogilvie – Richmond 1967, 132–134 sowie Heubner 1984, 9. Vgl. einführend zum Konzept der thematischen Rolle und dem Agens als Verursachendem oder Agierendem unabhängig von dessen syntaktisch-grammatikalischer Realisierung Meibauer u. a. 2002, 150–152. So kann beispielsweise das Verb „sehen“ die semantische Bedeutung von „wahrnehmen“ oder „bezeugen“ einnehmen, womit das zugehörige Subjekt eher die Rolle des Experiencers als eines Agens erhält, während es aber auch die Bedeutung von „beobachten“ oder „entdecken“ haben kann, wodurch die Rolle des zugehörigen Subjekts dann eindeutig die eines Handelnden ist.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Kapitel dar, das auf diese Weise die unvorstellbare und erzwungene Passivität der dargestellten Vergangenheit sprachlich formal nachbildet.90 Diese Passivität wird im Verlauf des Kapitels zunehmend intensiviert. Scheinen die triumviri capitales bei der Verbrennung der Bücher noch zu agieren, so tun sie das nur aufgrund der an sie delegierten Aufgabe.91 In der Anonymisierung und Unfassbarkeit eines Akteurs im nächsten Satz fehlt die Benennung desjenigen, der die libertas beseitigen möchte und die Philosophen ausweist.92 Während diese von einem nicht zu nennenden Akteur ins Exil geschickt werden, müssen die Senatoren bleiben und ein inneres Exil durchleben. Beide, ausgewiesene Philosophen und zurückgebliebene Senatoren, sind Opfer, wobei die tatsächlich Exilierten sicher nichts Schlimmeres haben erdulden müssen als die sich im inneren Exil befindlichen Senatoren.93 Denn im nachfolgenden „Wir“ verbindet sich der Erzähler wieder mit seinen Adressaten und gestaltet so die jüngste Vergangenheit zu einem kollektiven Ereignis und statt zu handeln, beweisen sie alle durch ihre Passivität nur ihre eigene patientia.94 Um diese Duldsamkeit zu verdeutlichen und zu steigern, stehen sich im nächsten Satz die libertas der alten Zeit, von der der Erzähler und seine virtuellen Leser ausgenommen sind, und die Sklaverei der jüngsten kollektiven Vergangenheit diametral gegenüber. Selbst der einfachste und grundlegendste Akt der Interaktion, die Kommunikation, ist zum Erliegen gekommen.95 Die furchtbaren Zustände zu Beginn, in denen nur bestimmte Formen der Äußerung durch drastische Sanktionen geahndet werden – deren Urheber zwar immer präsent zu sein scheint, aber sprachlich verhüllt wird – und die sich unauslöschbar in die Erinnerung aller eingebrannt haben, gipfeln im Erliegen jeglicher sozialer Interaktion, im Schweigen.96 90 91 92
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Vgl. Sailor 2008, 60. Siehe oben, Anm. 87; zur Zuständigkeit der triumviri siehe Heubner 1984,10. Tac. Agr. 2,2: scilicet illo igne vocem populi Romani et libertatem senatus et conscientiam generis humani aboleri arbitrabantur, expulsis insuper sapientiae professoribus atque omni bona arte in exilium acta, ne quid usquam honestum occurreret. („Natürlich glaubte man, mit jenem Feuer die Stimme des römischen Volkes, die Freiheit des Senats und das sittliche Bewusstsein des Menschengeschlechts vernichten zu können; überdies vertrieb man die Philosophen und schickte alles edle Streben in die Verbannung, damit nirgend mehr Sittlichgutes begegne“). Den Hinweis auf die Prominenz des semantischen Feldes von innerem und äußerem Exil verdanke ich meinem Gutachter Ingo Gildenhard: Tac. Agr. 2,2 f.: expulsis … in exilium acta … patientia (als innerem Exil, Zusammen mit dem Verlust der Sprache und Interaktion), während ebd. 3,1 …redit animus. Tac. Agr. 2,3: dedimus profecto grande patientiae documentum („Wir haben in der Tat einen großen Beweis unserer Fügsamkeit geliefert“). Das „Wir“ ist nach den thematischen Rollen eher als Quelle für den Beweis zu sehen und nicht als handelndes Subjekt; was sich im Folgenden dann auch in der totalen Passivität der erduldenden Senatorenschaft, die sich im Erzähler, dem virtuellen Leser, den schriftstellerisch tätig gewordenen Opfern und deren literarischen Gegenständen manifestiert. Vgl. zum senatorischen Horizont dieser Schreckenszeit Leeman 1973, 202. Tac. Agr. 2,3: et sicut vetus aetas vidit, quid ultimum in libertate esset, ita nos, quid in servitute, adempto per inquisitiones etiam loquendi audiendique commercio („und wie die alte Zeit ein Höchstmaß an Freiheit sah, so wir an Knechtschaft, wobei uns durch Bespitzelung jede Art des Meinungsaustausches genommen war“). Tac. Agr. 2,3: memoriam quoque ipsam cum voce perdidissemus, si tam in nostra potestate esset oblivisci quam tacere („Ja, selbst die Erinnerung hätten wir zusammen mit der Sprache
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tam saeva et infesta virtutibus tempora. Der Erzähler hebt sich in diesem Kapitel mit seinen virtuellen Lesern aus der jüngsten Vergangenheit heraus. Durch sein Verschmelzen mit den Adressaten im nicht konkretisierten „Wir“ gestaltet er diese Vergangenheit zu einer kollektiv durchlebten.97 Dabei nimmt die Intensität der Passivität und des Leidens im Verlaufe des Kapitels zu: Zuerst gibt es nur zwei Opfer, deren Schriften verbrannt werden, während am Ende alle zu sklavischem Dasein gezwungen zum Schweigen verdammt sind. Der Verursacher oder die Quelle all dessen wird explizit nicht benannt, ist aber im Subtext eindeutig mit dem damnierten Tyrannen zu identifizieren: Domitian. Diese gemeinsame, jüngst durchlebte Vergangenheit ist, wie das dritte Kapitel darlegt, der Grund für den präsentischen Bezug der Feindseligkeit gegenüber den virtutes, denn auch wenn eine neue glücklichere Zeit begonnen hat, so wirken in dieser immer noch die Spuren und Narben der Vergangenheit nach. Der Schatten Domitians lastet auf der Gegenwart des Erzählers: Jetzt endlich kehrt der Lebensmut zurück, aber obwohl gleich mit Beginn des allerglücklichsten Zeitalters Kaiser Nerva die früher unvereinbaren Größen Prinzipat und Freiheit miteinander verbunden hat, obwohl Nerva Traianus das Glück unserer Zeit täglich mehrt und die öffentliche Sicherheit nicht nur Hoffnung und Wunschbild geblieben ist, sondern wir die feste Zuversicht auf die Erfüllung ebendieses Wunsches gewonnen haben, liegt es dennoch im Wesen menschlicher Schwachheit, dass die Heilmittel langsamer wirken als die Leiden. Und wie unsere Körper nur allmählich wachsen, aber schnell verfallen, so kann man geistiges Leben leichter unterdrücken als wiedererwecken. Ja, es schleicht sich das Behagen gerade an der Untätigkeit ein, und den zuerst verhassten Müßiggang lernt man schließlich schätzen.98
Diese Gegenwartsanalyse legt offen, dass nicht die neuen Principes, sondern die eigenen Zeitgenossen für die noch ungünstigen Zeitumstände verantwortlich zeichnen, da sie sich aus ihrer domitianischen „Schockstarre“ noch nicht befreit, ja ihre Verhaltensweisen unter Domitian internalisiert haben und sich diese erst mühsam wieder abgewöhnen müssen. Einen ersten Schritt leistet der Agricola, indem er das Schweigen, mit dem das vorhergehende Kapitel endete, bricht und so zur Konstituierung der neuen Zeit unter Nerva und Trajan beiträgt.99 Durch die Körper-/Krank-
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verloren, wenn es ebenso in unserer Macht stünde, zu vergessen wie zu schweigen“). Vgl. Leeman 1973, 203 zur Lethargiedarstellung sowie Sailor 2008, 60 zur Strategie der Evozierung Domitians bei gleichzeitigem Verzicht, diesen zu nennen. Besonderes Gewicht misst er dabei der Tatsache zu, dass das Ins-Schweigen-Fallen zugleich das Ende aller Repräsentationsakte beinhaltet (ebd. 63). Vgl. zur Kollektivität Sailor 2004, 159–161. Tac. Agr. 3,1: nunc demum redit animus; et quamquam primo statim beatissimi saeculi ortu Nerva Caesar res olim dissociabiles miscuerit, principatum ac libertatem, augeatque cottidie felicitatem temporum Nerva Traianus, nec spem modo ac votum securitas publica, sed ipsius voti fiduciam ac robur adsumpserit, natura tamen infirmitatis humanae tardiora sunt remedia quam mala; et ut corpora nostra lente augescunt, cito exstinguuntur, sic ingenia studiaque oppresseris facilius quam revocaveris; subit quippe etiam ipsius inertiae dulcedo, et invisa primo desidia postremo amatur. Vgl. Schwarte 173 f., der den Begriff der „Schockstarre“ verwendet und im Agricola eher eine Verteidigung der neuen Zeit als Beitrag zu deren Entstehung interpretieren möchte. Vgl. Sailor 2004, 153–155; Sailor 2008, 65–67.
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heitsmetaphorik kann man Tacitus in der Rolle des Erzählers dabei als Arzt und seinen Text als Medizin verstehen, wenngleich er auch nur eine assistierende Funktion einnimmt, da es die Principes waren, welche die Voraussetzungen für das beatissimum saeculum geschaffen haben.100 Im Unterschied zu einem gemeinen medicus, dessen Ansehen innerhalb der römischen Aristokratie nicht sonderlich hoch war,101 gelten die Sorge und Fürsorge des Tacitus jedoch nicht irgendeinem Patienten, sondern der res publica. Dem höchsten Ziel aristokratischen Leistungsstrebens, dem Wohl des Gemeinwesens soll seine Schrift zuträglich sein. Die Ursache für die noch anhaltenden Symptome (tam saeva et infesta virtutibus tempora) und die nur langsam voranschreitende Rekonvaleszenz des Gemeinwesens wird mit der Dauer einer unerträglichen Existenz in der im vorigen Kapitel drastisch dargestellten Sklaverei begründet.102 Dabei referiert das silentium auf das Ende des zweiten Kapitels (tacere), wird aber an dieser Stelle insofern noch einmal konkretisiert, als die durch Schweigen und Angst vor dem fatalen Wüten des Princeps überlebte Zeit nicht als Leben im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann;103 vielmehr wäre, wenn man im metaphorischen Feld der Krankheit bleiben möchte, vom Wach-Koma der römischen Reichselite zu sprechen. Die signifikante Differenz zum zweiten Kapitel ist aber, dass der Verursacher dieses Leids mit dem damaligen Princeps eindeutig identifiziert ist. Dem toten Tyrannen wird aber nicht die Ehre zuteil, mit Eigennamen genannt zu werden und im Grunde genommen stellt auch er kein Agens dar,104 da die Standesgenossen des Erzählers und seiner virtuellen Leser zumindest sprachlich nicht dem Princeps zum Opfer fallen, sondern von dessen saevitia dahingerafft werden. Denn in seiner Schlechtigkeit wird
100 Vgl. Leeman 1973, 203 f., der in diesem ersten Satz Vorbehalte Tacitus’ gegenüber den neuen Herrschenden und vielleicht sogar eine subversive Note unterstellt, dabei aber die klare Gegenüberstellung der beiden Principes im konzessiven Nebensatz, in dem das Problem der langsamen Genesung konstatiert wird, nicht genügend würdigt; die Erholung des Gemeinwesens geht nur allmählich vonstatten und deshalb sind die Zeiten noch feindlich gegenüber den Tugenden. Es liegt nicht an den Principes, sondern den von der Aristokratie unter dem Tyrannen internalisierten Verhaltensweisen (vgl. Sailor 2008, 66). Dagegen spricht auch die in dreifacher Abundanz äußerst emphatische Begrüßung der neuen Zeit (vgl. Heubner 1984, 10). Vgl. zur taciteischen Rolle des assistierenden Arztes Dészpa 2011, 4. 101 Siehe Gildenhard 2011, 129 f. 102 Tac. Agr. 3,2: quid, si per quindecim annos, grande mortalis aevi spatium, multi fortuitis casibus, promptissimus quisque saevitia principis interciderunt, pauci et, ut ita dixerim, non modo aliorum, sed etiam nostri superstites sumus, exemptis e media vita tot annis, quibus iuvenes ad senectutem, senes prope ad ipsos exactae aetatis terminos per silentium venimus? („Was soll man jedoch dazu sagen, dass fünfzehn Jahre hindurch, eine lange Spanne im menschlichen Leben, viele zufällig, die Tatkräftigsten aber durch das Wüten des Kaisers ums Leben gekommen sind? Dass nur wenige von uns übriggeblieben sind und wir sozusagen nicht nur die anderen, sondern auch uns selbst überlebt haben, da uns ja mitten aus unserem Leben so viele Jahre gestohlen wurden, in denen wir jungen Männer alt geworden sind und die alten beinahe ihr Lebensende erreicht haben, zum Schweigen gezwungen?“). 103 Vgl. Leeman 1973, 204. 104 Zum Begriff des Agens und zum Konzept der thematischen Rolle siehe oben, Anm. 89.
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der rasende Tyrann selbst von seinen animalischen Affekten105 getrieben und definiert dadurch die Charakterisierung der Zeit, da seine saevitia offensichtlich auf die saeva tempora des ersten Kapitels rekurriert. Der eigentliche Verantwortliche für die Schrecken der Vergangenheit und die Devianzen der erzählerischen Gegenwart wird also mit dem von seinen Affekten getriebenen Tyrannen identifiziert, der allerdings in einer damnatio memoriae mit sprachlichen Mitteln nicht benannt wird.106 Dennoch ist Domitian ständig präsent und die Thematik seiner Herrschaft und ihrer Nachwirkungen beherrscht im Grunde das Proöm. Aber die Nachwirkungen der domitianischen Tyrannis können überwunden werden: Das „Jetzt“ am Beginn des Kapitels besitzt nämlich einen stark selbstreferentiellen Charakter. Jetzt, mit dieser Schrift von Tacitus, wird nicht nur das Schweigen überwunden, sondern sie selbst trägt ihren Teil zur Konstituierung einer glücklichen Gegenwart bei, womit sie sich über den Status eines Epiphänomens des allerglücklichsten Zeitalters hinaushebt.107 Das unter Domitian todeswürdige Verbrechen wird nun zum Heilmittel, mit dem der Staatsmann Tacitus gegen die Symptome der nur langsam abklingenden Krankheit vorgeht. Dadurch kreiert er aber in seinem Text eine asymmetrische Beziehung zu seinen Standesgenossen.108 Denn während er gemeinsam mit ihnen ein Opfer der erzwungenen Passivität unter Domitian war,109 assistiert er Nerva und Trajan mit seiner Schrift, seine Zeitgenossen aus dem Schatten der Vergangenheit hervorzuholen. Doch die Reichweite dieses epochalen Anspruchs des Werkes greift über die Überwindung der jüngsten Vergangenheit hinaus. Über seinen selbstreferentiellen Bezug auf die Memorialpraktiken einer idealen republikanischen Vergangenheit im ersten Kapitel knüpft das allerglücklichste Zeitalter der Gegenwart an eben diese Vergangenheit an und überspringt damit nicht nur die gesamte Prinzipatszeit, in der noch niemals „die früher unvereinbaren Größen Prinzipat und Freiheit, miteinander verbunden“110 waren, sondern auch die von Bürgerkriegen zerrüttete und sich selbst auflösende Republik.
105 Vgl. zur Zugehörigkeit der saevitia zur Sprache über die Tierwelt den entsprechenden Eintrag bei Karl Ernst Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Hannover 81918 (Nachdruck Darmstadt 1998), Band 2, Sp. 2450. Vgl. ebenfalls Glare, P. G. W., s. v. saeuitia, in: Oxford Latin Dictionary. Bd. 2. M – Z, Oxford 22012, S. 1850. 106 Vgl. Sailor 2008, 62. Vgl. zur Übernahme des Tyrannen-Diskurses aus dem griechischen Raum und seiner Verwendung unter Cicero Gildenhard 2011, 85–98. 107 Vgl. Sailor 2008, 72. 108 Siehe Dészpa 2011, 4. 109 Siehe zum kollektiven „Wir“, das sowohl den Erzähler als auch dessen virtuelle Leser unter der Herrschaft Domitians umfasst: Tac. Agr. 2,2 (dedimus); 2,3 (nos; perdidissemus; nostra potestate); 3,2 (nostri superstites sumus; venimus). Von Leeman 1973, 208 wird dies als Fokus auf die taciteische Generation und ihrer Erfahrungen und weniger auf den Autor selbst verstanden. Siehe zur Gemeinschaftsbildung zwischen Erzähler und Lesern auch Tac. Agr. 1,1 (nostris quidem temporibus) und 2,1 (legimus). 110 Tac. Agr. 3,1. Siehe oben, Anm. 98. Wegen seines vergleichsweise großen Umfangs im Vergleich zum Rest des Agricola wird das Proöm von Heldmann ähnlich wie das des Sallust im Catilina als Grundsatzproömium bezeichnet, dass in gewisse Weise auch für alle seinen anderen historiographischen Werke Gültigkeit besitzt, siehe Heldmann 2011, 71, 75–77.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit Doch wird es keinen Widerwillen erregen, sogar mit kunstloser und plumper Sprache die Erinnerung an die frühere Sklaverei und das Zeugnis des gegenwärtigen Glücks abgefasst zu haben. Unterdessen mag dieses Buch, gewidmet zu Ehren Agricolas, meines Schwiegervaters, durch das Bekenntnis liebevollen Pflichtgefühls entweder gelobt oder entschuldigt werden.111
Damit scheint der epochale Anspruch der Schrift allerdings zurückgenommen und auf eine durch pietas motivierte Pflichterfüllung heruntergebrochen.112 Der Text wird aus dem zuvor ausführlich entwickelten gesamtgesellschaftlichen Kontext plötzlich herausgerissen, indem er behauptet, eben noch nicht die Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart klar darzustellen, sondern lediglich ein privates Anliegen zu haben, nur den Erfordernissen familiärer Verpflichtung nachzukommen. Ganz bescheiden gerieren sich in dieser Funktionszuweisung der Autor und seine Schrift. Und keiner der realen Rezipienten sollte sich dazu veranlasst fühlen, den Verfasser eines Werkes, das lediglich auf den privaten Raum limitiert ist, gerichtlich oder anderweitig zu belangen. Doch die zwei alternativen Rezeptions-Reaktionen des Lobens oder Entschuldigens verweisen wiederum auf eine wesentlich weiter reichende Motivation.113 Denn wer diese Schrift, mit der das lange Schweigen gebrochen wird, positiv rezipiert, der befolgt die von Nerva und Trajan gesetzten Maßstäbe der neuen Zeit und ist auf dem besten Wege, die Missgunst und Widrigkeiten der Vergangenheit zu überwinden; nicht länger werden Autoren von Biographien berühmter Männer hingerichtet und ihre Schriften verbrannt. Im Gegensatz dazu leben diejenigen der Zeitgenossen, die das Werk aufgrund seiner familiären Funktion allenfalls entschuldigend aufnehmen, zwar nicht mehr unter Domitian, aber von dessen Geiste konnten sie sich immer noch nicht ganz befreien, da sie weder die Größe des senatorischen Vorbilds Agricola noch die Bedeutung der Schrift oder gar die Leistung des Autors verstehen wollen, die nur Grund zu Lob geben kann, da sie das Schweigen bricht und so einen wichtigen Beitrag zur Überwindung des Schattens der domitianischen Vergangenheit darstellt.114 So wird aus dem scheinbar defensiven Manöver, den Anspruch der Schrift fundamental zurückzuschrauben, ein rezeptionsästhetischer Kniff, der dem 111 Tac. Agr. 3,3: non tamen pigebit vel incondita ac rudi voce memoriam prioris servitutis ac testimonium praesentium bonorum composuisse. hic interim liber honori Agricolae, soceri mei, destinatus, professione pietatis aut laudatus erit aut excusatus (Übersetzung d. Verf.). 112 Wörtlich genommen wird dies von Beck 1998, 71. Vgl. oben, Kap. 1.2, S. 42–44. Vgl. Leeman 1973, 205, der dem Proöm einen intertextuell prophetischen Charakter zuweist: „Apparently the prologue has a wider application than to the present opusculum: it introduces Tacitus the historian.“ Im Gegensatz dazu vgl. Sailor 2008, 68–71, der dies als rhetorisches Manöver durch Tacitus entlarvt und sehr ausführlich und überzeugend den auch hier vertretenden Standpunkt, dass der Anspruch der Schrift damit nur vorgeblich limitiert wird, argumentiert. 113 Dies sieht auch Leeman 1973, 206, wenn er die primäre Differenz zwischen der Zeit der Republik und derjenigen des Prinzipats sehen will. Tacitus stelle mit seinem Werk zweifelnd die Frage, ob die republikanische libertas wiederhergestellt sei und abhängig davon, ob sein Werk positiv rezipiert werde. 114 Vgl. Sailor 2008, 69 f., der allerdings die Parallelität mit den beiden Schriften über Thrasea und Helvidius ein wenig zu hoch hängt, da, wie oben gezeigt, eine deutliche Distanzierung des Erzählers mit den Autoren dieser Schrift über ihre Rezeption und die Zeit, in der sie schreiben, erfolgt.
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Leser eigentlich nur die Möglichkeit der Zustimmung lässt, da er sonst in einer defizitären Vergangenheit stecken geblieben und nicht auf der Höhe der Zeit wäre.115 Insofern wird auch die Behauptung, der Text habe nichts mit der Darstellung oder gar Funktionalisierung des Kontrasts zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu tun, nicht zuletzt deshalb in Frage gestellt, weil er bis zu diesem Punkt nahezu nichts anderes gemacht hat. Er dient also durchaus als Erinnerung an die Sklaverei der Vergangenheit und den Beweis des gegenwärtigen Glücks, wenn letzteres auch nur primär und abstrakt angedeutet aus der Differenz zu ersterem zu erschließen ist und unmittelbar mit der Genesung des Gemeinwesens, also dem den neuen Zeitumständen entsprechenden, adäquaten Verhalten der Standesgenossen, zusammenhängt. Der Anspruch des Werkes, einen Beitrag zur Überwindung des domitianischen Schattens als Ursache der Prekarität der erzählerischen Gegenwart im Proöm und zur Konstituierung der neuen Zeit zu leisten, soll also mit einer Schrift über das Leben Agricolas, des Schwiegervaters des Autors, geleistet werden. Damit wird dem das Proöm beherrschenden, ungenannten Tyrannen dessen Antagonist gegenübergestellt, der der eigentliche Protagonist des Werkes ist. Und während das dargestellte Leben des Agricola von dem domitianischen Schatten im Proöm und den Auseinandersetzungen mit dem schlechten Herrscher am Ende des Werkes eingerahmt ist, so werden mit diesem Werk nicht nur die domitianischen Nachwirkungen beseitigt, sondern auch der Protagonist überlebt am Ende der Schrift seinen der damnatio memoriae verfallenen Gegenspieler – wenn auch nicht physisch, so doch in transzendierter Form einer von seinem Schwiegersohn verschriftlichten positiven memoria.116 1.4 Die beiden Antagonisten Domitian und Agricola – der Konsular und sein Kaiser Der berühmte sciant-Satz in 42,4 stellt sozusagen am Schluss der eigentlichen Biographie, kurz vor der Todesepisode des Protagonisten, die Tugenden des bedeutenden Mannes noch einmal in konzentrierter Form dar: Wissen sollen die Leute, deren Art es ist, das Unerlaubte zu bewundern, dass es sogar unter schlechten Kaisern bedeutende Männer geben kann und dass Loyalität und Zurückhaltung, falls sie von Beharrlichkeit und Tatkraft begleitet werden, zu solchem Ruhm führen, wie ihn viele durch ihr unnachgiebiges, jedoch für das Gemeinwesen unnützes Verhalten und durch einen aufsehenerregenden Tod erworben haben.117 115 Siehe Sailor 2008, 69 f.: „In sum, then, you are either in step with the program of Agricola, or you are out of step with the new age, with the new regime, with virtue, with truth, with the martyrs, with the cause of freedom and elite dignity.“ Mit der Einschränkung der Märtyrer und der über sie verfassten Schriften kann man dem zustimmen; vgl. unten, Kap. 1.5, S. 69 f. 116 Vgl. die philologisch sehr anspruchsvolle Interpretation des Schlusses des Agricola von Harrison 2007, 310–319, der sprachlich minutiös die Metamorphose des Protagonisten zur Schrift selbst analysiert, aber der eingenommenen Perspektive gemäß auf der biographischen Ebene des Werkes und der ‚privaten‘ Intention des Verfassers stehen bleibt. 117 Tac. Agr. 42,4: sciant, quibus moris est inlicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros esse obsequiumque ac modestiam, si industria ac vigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta, sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt.
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Agricolas Schlüsselqualitäten also sind obsequium ac modestia, industria ac vigor, und sie werden ihm die ganze Erzählung hindurch – während seines cursus honorum, seiner Statthalterschaft in Britannia, aber auch danach, in der direkten Konfrontation mit dem malus Princeps – immer wieder mittel- und unmittelbar zugeschrieben. Dabei tritt aber insofern eine relative Zweiteilung zu Tage, als obsequium ac modestia vor allem in der Interaktion mit Domitian zu lebenserhaltenden Verhaltensweisen werden, während industria ac vigor vor allem bei Agricolas statthalterlicher Herrschaft in den Fokus rücken.118 Doch sind diese Eigenschaften nicht allein auf diesen Bereich beschränkt: Fleiß, Eifer, Tatkraft und Mut zeigt Agricola schon von Beginn seiner Karriere an; vor allem, aber nicht ausschließlich im militärischen Handlungsbereich. Schon sein Militärtribunat nutzt er dafür, möglichst viel zu lernen und Erfahrungen zu machen, um selbst nach Höherem in diesem Bereich zu streben, nachdem er den als unrömisch und für einen Senator unangemessenen Weg des philosophischen Ruhmes durch mütterliche Intervention und die eigene Vernunft verlassen hatte.119 Unbestechlich führt er die ihm nach den Bürgerkriegswirren übertragenen Truppenaushebungen durch, schafft es, die aufrührerische 20. Legion zu disziplinieren – eine Aufgabe, der sich so mancher Konsular nicht gewachsen zeigte – und erhält unter dem Statthalter Petilius Cerialis immer wieder den Oberbefehl über ganze Heeresteile.120 Vorbildlich versieht er auch die ihm übertragenen unmilitärischen Aufgaben wie die prätorische Statthalterschaft der Provinz Aquitanien, deren einwandfreie Ausführung ihm ebenfalls zum Ruhm und weiteren Aufstieg auf der Karriereleiter gereicht.121 Gleichsam das Biographische übersteigend, wird seine Statthalterschaft in Britannien, während der er fast die ganze Insel dem Imperium eingliedert, in historiographisch annalistischer Manier dargestellt.122 Er ist der ideale militärische Feldherr, der auch kritische Situationen meistert,123 seine Soldaten stets im Griff hat,124 immer den
118 Vgl. Schwarte 1979, 167 f.; Classen 1988 (v. a. 102 f.) sowie Sailor 2008, 98. 119 Tac. Agr. 4,3. Denn die zu intensive Beschäftigung mit der Philosophie erfolgt in dem Bestreben, Ruhm zu erlangen, wodurch aber impliziert wird, dass herausragender Ruhm in diesem Bereich nur mit einem Eifer zu erreichen sei, der ultra quam concessum Romano ac senatori („…als dies einem Römer und [zukünftigen] Senator ansteht“). Zum Militärtribunat: Tac. Agr. 5,1. Vgl. für beide und allgemein zum Karrierebeginn des Agricola und dessen Entscheidung gegen eine philosophische Karriere Sailor 2008, 73 f. 120 Tac. Agr. 7,3–8,3. Hier wird auch das obsequium erwähnt, das er seinen Vorgesetzten gegenüber an den Tag legt (ebd. 8,1). 121 Tac. Agr. 9,1–4. 122 Vgl. bspw. Petersmann 1991, 1804; Beck 1998, 66 f.; Evans 2003, 259–261. Vgl. zur tatsächlichen Expansion in Britannia in flavischer Zeit und besonders unter Agricola A. Birley 2009, 52–58. 123 Tac. Agr. 26,1 f. (umsichtig verhindert er den beinahe erfolgreichen Plan der Feinde, die 9. Legion auszulöschen); 37,4 (nur durch sein Eingreifen werden empfindliche Verluste der eigenen Soldaten bei der Verfolgung der ortskundigen Feinde nach deren Flucht vom Schlachtfeld vermieden). 124 Tac. Agr. 7,3 (er beruhigt die aufrührerische 20. Legion); 18,4 (er zieht die sich bereits ruhig auf das Winterlager vorbereitenden, weit verstreuten Soldaten zu einer Operation kurz nach seiner Ankunft als Statthalter im Spätherbst zusammen); 25,3–27,1 (er lässt sich in seinen strategischen Überlegungen nicht von seinen Soldaten leiten, sondern er führt diese); 37,4 (ihm
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Überblick behält125 und mit minimalem römischen Blutvergießen erfolgreich die propagatio imperii vorantreibt.126 Um die neuen Gebietsgewinne auch dauerhaft dem Imperium zu erhalten, folgt den Kriegstaten, die immer im Sommer stattfinden, eine Sequenz des Friedens im Winter, in der die Ordnung stabilisierende Maßnahmen durchgeführt werden.127 Auch hierbei zeigt Agricola in seinem eigenen Haus beginnend höchsten und integersten Einsatz. Er vertraut seinen Sklaven und Freigelassenen keine Amtsgeschäfte an, zieht nur die Besten, deren Leistungen er anerkennt und würdigt, in sein Vertrauen, lässt Gerechtigkeit gegenüber seinen Untergebenen und den Provinzialen walten, schafft Bereicherungsmöglichkeiten ab128 und weckt bei den Provinzialen durch seine Vorbildhaftigkeit Eifer statt Zwang, den roman way of life anzunehmen.129 Das annalistische Schema wird aber nicht nur durch die saisonale Ordnungsstruktur von Sommer und Winter durchbrochen, sondern auch dadurch, dass die Geschehnisse in Rom sowie sein eigentlicher Dienstherr, der Kaiser, zugunsten des autonom handelnden Statthalters ausgeblendet werden.130 Im Agricola fehlt allgemein die kleinste Andeutung der Abhängigkeit eines Statthalters vom Kaiser, was nicht nur für Agricola, sondern auch für dessen Vorgänger zutrifft.131 Gemeinsam mit Assoziationen an republikanische Zeiten, in denen Agricola beispielsweise allein durch seine Reputation und nicht durch den Kaiser die Statthalterschaft über Britannien erhält132 oder er die militärischen Erfolge in Britannien unter die günstigen Auspizien des römischen Imperiums und nicht die des Kaisers stellt,133 entsteht so der Eindruck einer republikanischen, souveränen Herrschaft des Statthalters über seine Provinz. Folglich ist er kein Nutznießer des domitiani-
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gelingt es, sie auch in ihrem Siegesrausch von selbstmörderischen Verfolgungsaktionen abzuhalten). Tac. Agr. 26,1 (gut unterrichtet durch seine Späher sorgt er für rechtzeitigen Entsatz der bedrängten 9. Legion); 35 f. (er behält den Überblick im Kampfgeschehen der Schlacht und weiß folglich immer zielführend strategisch zu agieren bzw. auf das Vorgehen der Feinde zu reagieren). Tac. Agr. 22,3 (durch die Kluge Anlage von Kastellen verläuft der Winter für die römischen Truppen entgegen der Gewohnheit ganz ohne Schrecken); 35,2 (das Haupttreffen mit den Feinden bei der Schlacht am Mons Graupius wird von den Hilfstruppen geführt); 37,6 (eine Bilanz der Gefallenen am Ende der Schlacht zeigt, dass die Feinde knapp das Dreißigfache an Toten zu beklagen hatten als die römischen Truppen unter dem Oberkommando Agricolas). Tac. Agr. 19,1 (er beschließt die Ursachen des Krieges zu beseitigen); 20,2 f. (durch die Schrecken des Krieges und die Segnungen des Friedens (ganz im Sinne eines vergilianischen parcere subiectis et debellare superbos [Verg. Aen. 6,853]) treten viele Stämme freiwillig unter die Herrschaft Roms), natürlich zählen auch die nachfolgenden Punkte zu diesen herrschaftssichernden Maßnahmen. Tac. Agr. 19. Tac. Agr. 21. Vgl. bspw. Evans 2003, 266–269. Vgl. Ash 2006, 21 f., die in der historiographischen Schilderung der Ereignisse in Britannien eine starke Anlehnung an das annalistische Schema bspw. bei Livius sieht, aber eben mit der entsprechenden fehlenden Komponente. Siehe Schwarte 1979, 162 f. Vgl. Sailor 2008,78 f. Tac. Agr. 9,5 f. Tac. Agr. 33,2. Vgl. Schwarte 1979, 163 f. mit weiteren Beispielen.
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schen Regimes, sondern hat seine Leistungen, an denen der Kaiser keinen Anteil hatte, im Dienst an der res publica vollbracht.134 Doch wird dadurch nicht ein dem Kaiser entzogener „Freiraum zur Betätigung altrömischer virtutes“ geschaffen,135 sondern der Kontrast zwischen dem Protagonisten und seinem Gegenspieler auf die Ebene der Herrschaftsausführung und herrscherlichen Qualitäten gehoben. Die annalistische Darstellungsweise der Statthalterschaft Agricolas und Eroberung Britanniens erzeugt eine inhaltliche Ellipse, die die Frage nach dem Geschehen in der Hauptstadt evoziert. So wird auf das Fehlen der Darstellung zeitgleicher Ereignisse in Rom aufmerksam gemacht, aber bewusst über sie geschwiegen.136 Darin entbirgt sich bereits der Gegensatz, der am Schluss der Erzählung drastisch in der Situation in Rom unter Domitian geschildert wird, wie Agricola sie nach der Transition vom selbstbestimmten Statthalter zum ergebenen und zur Untätigkeit gezwungenen Untertan erleben muss. Die gerechte Statthalterschaft Agricolas in Britannien und die Tyrannis in Rom verhalten sich diametral zueinander. Dieser darstellerische Spin und die Vorbildhaftigkeit Agricolas machen sein Agieren im Mikrokosmos seiner Provinz zum Ideal römischer Herrschaft, dem eigentlich im Großen gesehen die Herrschaft über das gesamte Imperium entsprechen sollte.137 Im Gegensatz zu dem schlechten Herrscher Domitian verkörpert er die senatorische Idealität, die jedem Princeps zu eigen sein sollte, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass Agricola erfolgreich die Grenzen des Imperiums bis an den Rand der bekannten Welt verschiebt, während Domitian nicht einmal dazu in der Lage ist, das Reich gegen äußere Feinde zu verteidigen.138 Diese militärischen Tugenden aber sind es, die, ironischerweise in den Gedanken Domitians ausgedrückt, Eigenschaften eines Imperators und damit auch eines Princeps sein sollten.139 Der Vorbildhaftigkeit Agricolas sind jedoch noch zwei weitere Tugenden zuzurechnen, auf die bisher kaum näher eingegangen wurde und die nur bedingt in einen republikanischen Kanon passen und eine spezifisch taciteische Semantik aufzuweisen scheinen, sondern auf die restringierten Bedingungen aristokratischen Seins in der Alleinherrschaft rekurrieren, bei ihrer Beachtung aber ein Höchstmaß an senatorischer Autonomie zulassen: sein obsequium und seine modestia.140 Häufig sind es 134 Siehe Schwarte 1979, 165. 135 Schwarte 1979, 165; vgl. A. Birley 2009, 50. 136 Vgl. Ash 2006, 22: „The overt nod to Livian historiography, but narrated with a twist, cleverly makes us think about Rome and what is happening there, precisely because it is not mentioned. Silence can sometimes be extraordinarily expressive.“ 137 Vgl. Kapust 2012, 523, wenn Agricola m. E. nach auch das einzige Beispiel eines guten Herrschers in den taciteischen Werken ist, sieht man von Kontrastfiguren bspw. von Tiberius ab, deren Vorbildhaftigkeit aber zumeist keine längeren Bestand hat. 138 Es ist unter diesen Vorzeichen also wenig verwunderlich, dass eine große Ähnlichkeit zwischen dem senatorischen Tugendkatalog des Agricola und demjenigen des optimus Princeps im Panegyrikus des Plinius festzustellen ist. Siehe unten, Kap. 2.3, S. 105–107. Zum militärischen Versagen Domitians siehe Tac. Agr. 41, das in seinen falschen Triumphen und seinem Neid gegenüber Agricola (ebd. 39) bereits angedeutet ist. 139 Tac. Agr. 39,2. Vgl. Lausberg 1980, 427. 140 Vgl. Vielberg 1987, 134–150 zur modestia und ihrer neuen Rolle in der Kaiserzeit, die möglicherweise schon in Hor. carm. 2,10 angelegt sein könnte, die aber vor Tacitus nicht als Kenn-
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diese beiden im Zusammenspiel, die sein Verhalten gegenüber dem übermächtigen Antagonisten Domitian in den Schlusskapiteln kennzeichnen.141 Bedeutet letztere – die modestia – eine wesenseigene Selbstbeherrschung und Leidenschaftslosigkeit, mit der er all das vom Princeps an ihm begangene Unrecht erträgt, so veranlasst ihn sein obsequium, sich je nach der Natur seines Vorgesetzten und situationsadäquat zu verhalten. Beispielsweise hält er sich aufgrund dieser Eigenschaft als Legionslegat unter einem milden und nachsichtigen Statthalter zurück, während er seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, unter einem tatkräftigen Statthalter beweist.142 Ebenfalls veranlasst ihn seine Klugheit, sich in den letzten Regierungsjahren Neros sowie Domitians entgegen der eigenen Natur der Untätigkeit hinzugeben.143 Die nicht genuin republikanischen Tugenden obsequium und modestia dienen Agricola also nicht nur bei seinem Aufstieg auf der senatorischen Karriereleiter, sondern zuallererst im Umgang mit dem ultimativen und permanenten Vorgesetzten, dem Princeps, und dabei vor allem mit den Tyrannen unter diesen. Es handelt sich dabei weniger um ein aktives zur Schau stellen dieser Tugenden als vielmehr um eine kluge (ein Höchstmaß an senatorischer Unabhängigkeit wahrende) Reaktion auf das feindselige Agieren der Tyrannen, und vor allem Domitians, ihm gegenüber. Beherrschen die Spuren der domitianischen Herrschaft, wie oben gesehen, das Proöm, so wird das charakterliche Bild Domitians und sein Handeln erst in der Gegenüberstellung mit dem Protagonisten in den Kapiteln 39,1 bis 45,3 vor Augen geführt.144 Ganz im Gegensatz zu Agricola sind es bei ihm die negativen emotionalen Affekte, an denen er sein Handeln orientiert, ja, die ihn sogar beherrschen.145 Er wird beispielsweise von Sorgen umhergetrieben, da er dem militärischen Erfolg des Agricola nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat.146 Nahezu umfassend und beispielhaft werden in diesem 39. Kapitel sein Charakter und seine Verhaltensweisen eingefangen. In einem für Domitian ganz typischen Akt der Verstellung, „mit
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zeichnung einer „gemäßigten Lebensform des Aristokraten“ (ebd. 142) belegt ist. Vgl. ebd. 128–134 zum obsequium als neutraler Kategorie in der Republik, die eher noch eine negative Einfärbung erhalten kann und in den Werken von Tacitus eine Bedeutungsverschiebung erfährt. Nicht zuletzt verweisen beide Begriffe, in ihrer neuen Bedeutung für den aristokratischen Lebensentwurf auch auf die zur Republik veränderte Situation für und Funktion der Elite. Vgl. ebenfalls Classen 1988, 102., 104, 116. Vgl. Schwarte 1979, 167. Zur Reaktion Agricolas auf die Ungerechtigkeiten durch Domitian vgl. Döpp 1985, 155–165. Agricola als Legionslegat unter Vettius Bolanus: Tac. Agr. 8,1 vs. unter Petilius Cerialis: ebd. 8,2 f. Für seine Lebensweise in Rom unter Nero: Tac. Agr. 6,3 f. und unter Domitian: ebd. 40,4. Vgl. Schwarte 1979, 170, der von einem taciteischen Bild Domitians spricht, „das selbst der Andeutung eines positiven Einzelzuges entbehrt und durch eine unerbittliche Konstanz des Negativen und Bösen geprägt ist. Siehe oben, Kap. 1.3, S. 52 f. mit Anm. 102 (Tac. Agr. 3,2). Siehe ebenfalls Tac. Agr. 39,3 (Domitian entschließt sich seinen Hass zurückzuhalten); ebd. 41,1 (Agricola schwebt aufgrund der Feindseligkeit des Princeps gegenüber den Tugenden in Gefahr); ebd. 42,3 (Der Hass Domitians auf Agricola); vgl. Döpp 1985, 163, der im Hass das zentrale Motiv der Domitiancharakteristik erkennt. Tac. Agr. 39,3: talibus curis exercitus…
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froher Miene, aber innerlich voller Angst“ nimmt er den Bericht über den Erfolg des Agricola auf,147 wobei durch den Parallelismus der Gegenüberstellung von Äußerem und Innerem der Kontrast zwischen beiden Sphären unter Berücksichtigung ihrer Gleichzeitigkeit noch einmal verschärft wird, da die Affekte sich semantisch diametral gegenüberstehen. Der Grund für die eigentliche, aber maskierte Angst des Princeps liegt in dessen Bewusstsein, dass vor den militärischen Taten eines Agricola seine eigenen, obendrein noch falschen Triumphe ihn der Lächerlichkeit preis geben müssen.148 Bei der nun folgenden Innenansicht des Tyrannen bis zum Ende des Kapitels treten dessen Neid, Angst und Hass, die ineinander übergehen und von seiner Brutalität, Verstellung und Einsamkeit flankiert werden, deutlich zu Tage.149 Da seine Angst noch überwiegt, beschließt er, seinen Hass vorerst zurückzuhalten, wodurch die im nächsten Kapitel beschlossenen Ehren für Agricola ebenfalls als ein Akt der Verstellung Domitians zu werten ist.150 Neid, Hass und Verstellung kennzeichnen auch die weitere Beziehung zwischen Domitian und Agricola, wie sich in den in extremer Raffung aufeinanderfolgenden Episoden zeigt. Domitian betrügt Agricola um die syrische Statthalterschaft,151 bereitet ihm einen entehrenden Empfang in Rom,152 entscheidet immer wieder in dessen Abwesenheit über dessen Leben und Tod,153 enthält ihm das Prokonsulat von Asien oder Afrika in einem demütigenden 147 Tac. Agr. 39,1: ut erat Domitiano moris, fronte laetus, pectore anxius excepit. Vgl. zu diesem Gegensatz zwischen dem Agieren nach außen und der inneren Einstellung Petersmann 1991, 1801. 148 Tac. Agr. 39,1: inerat conscientia derisui fuisse nuper falsum e Germania triumphum… („Denn er war sich dessen bewusst, dass sein erst kürzlich grundlos begangener Triumph über die Germanen damit lächerlich gemacht worden war…“). Vgl. Städele 1988, 222. 149 Tac. Agr. 39,3: talibus curis exercitus, quodque saevae cogitationis indicium erat, secreto suo satiatus, optimum in praesentia statuit reponere odium, donec impetus famae et favor exercitus languesceret („Von solchen Sorgen gequält und – das Anzeichen seiner grausamen Gedanken – ganz seiner Einsamkeit frönend, hielt er es im Augenblick für das beste, seinen Hass so lange zurückzustellen, bis die Wogen des Ruhms und die Zuneigung des Heeres sich gelegt hätten“). Nebenbei bemerkt, klingt in der saeva cogitatio wieder das tam saeva et infesta virtutibus tempora (Tac. Agr. 1,3) an, wobei hier die Verknüpfung mit dem Urheber dieser feindlichen Zeiten hergestellt ist. Der Neid tritt eher implizit in der sentenzhaften Forderung Domitians zutage, dass ein guter Feldherr zu sein, eine kaiserliche Tugend sei (Tac. Agr. 39,2: ducis boni imperatoriam virtutem esse). 150 Tac. Agr. 40,1. Vgl. zu der Darstellungslogik Tacitus’, dass die gewährten Ehren nur als Akt der Verstellung des hassenden Tyrannen gesehen werden können Döpp 1985, 160. Vgl. Sailor 2008, 95 f. zur sprachlichen Herabsetzung der Triumphinsignien durch ihren markierten Status als Ersatz für das, was Agricola eigentlich zustehen würde, nämlich ein Triumph (Tac. Agr. 40,1: quidquid pro triumpho datur…). 151 Tac. Agr. 40,1 f. Vgl. Schwarte 1979, 165. 152 Tac. Agr. 40,3. Vgl. Döpp 1985, 156–164 für die Episoden, in denen Domitian vergeblich versucht durch Demütigungen aller Art den Ruhm Agricolas zu mindern; ebd. 160 tritt für ihn die Eifersucht Domitians auf den militärischen Erfolg Agricolas in diesem nächtlichen Empfang zutage; vgl. dazu ebenfalls Sailor 2008, 104, der dies im Zusammenhang mit dem nicht gewährten Triumph für Agricola sieht. 153 Tac. Agr. 41,1.
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Schauspiel vor154 und freut sich – mal ganz abgesehen von der bewusst nicht eindeutigen Darstellung der Todesursache Agricolas in Kapitel 43 – am Ende sogar über dessen Ableben. Diese Freude wird ihm durch die Präsupposition für die Charakterisierung Domitians als eines Menschen, „der eher Freude als Furcht zu verbergen wusste,“ unterstellt, wodurch seine zur Schau getragene Trauer, so überzeugend sie auch nach außen gewirkt haben mag, in Misskredit fällt.155 Doch damit nicht genug: Der von Domitian, dem infensus virtutibus princeps – auch hier wieder eine Reminiszenz an den Schlusssatz des ersten Kapitels –, dem fähigen Feldherrn gegenüber gezeigte Neid und seine Missgunst werden sogar zur Bedrohung des Imperiums, in deren Folge die ständig aufeinanderfolgenden Niederlagen an den Nordgrenzen des Reiches, sich schließlich zu einem existentiellen Verteidigungskampf entwickeln.156 Den Anfeindungen des Princeps gegenüber reagiert Agricola mit äußerster Zurückhaltung und Gehorsam.157 Er gibt sich der tranquilitas und dem otium hin, wie er es schon einmal unter Nero getan hat, pflegt eine einfache Lebensweise und kommt dem Herrscher mit prudentia und moderatio entgegen.158 Dadurch behält er, obwohl er in Rom der direkten potestas des Princeps unterworfen ist, in allen Interaktionssituationen mit Domitian seine persönliche Integrität und Unabhängigkeit; weder benötigt er nach seinen allgemein anerkannten Ruhmestaten in Britannien dessen Zustimmung und Nähe, was sich in weiteren Aufgaben als konsularer Statthalter oder im verweigerten Prokonsulat manifestiert hätte, noch muss er den Tyrannen reizen, um sich mittels seiner Ermordung durch ihn, als Märtyrer zu stilisieren. Diese Episoden über den Hass des Kaisers auf seinen militärisch erfolgreichen Konsular stehen innerhalb des Textes in einem mehrfachen Funktionszusammenhang. Zum einen dienen sie der Diskreditierung Domitians, der in ihnen als von seinen negativen Affekten getriebener Tyrann, militärischer Versager und Meister der Verstellung dargestellt wird.159 Dadurch wird aber auch der elliptische Kontrast zwischen der idealen senatorischen (‚republikanischen‘), auf Meritokratie basierenden Herrschaft Agricolas in seiner Provinz und der aus Neid, Hass und Miss154 Tac. Agr. 42,1 f. 155 Tac. Agr. 43,3: qui facilius dissimularet gaudium quam metum. Vgl. zum pragmatischen Konzept der Präsupposition Levinson 2009, 167–225; ausführlicher dazu siehe unten, Kap. 2.3, Anm. 147 u. 157. 156 Tac. Agr. 41. Vgl. Döpp 1985, 157 f. Tacitus greift dabei auf ein von Sallust geprägtes antimonarchisches Diskurselement zurück und münzt es auf Domitian; siehe Sall. Cat. 7,2: nam regibus boni quam mali suspectiores sunt („Denn den Königen sind die Tüchtigen verdächtiger als die Schlechten“), vgl. dazu Vretska 1976, 169 f. 157 Tac. Agr. 40,3 (er verhält sich bei seinem Anti-Einzug in die Stadt, „wie es ihm vorgeschrieben worden war“; ita ut praeceptum erat); 42,3 („Doch Domitians dem Jähzorn verfallenes Wesen, das ihn umso unversöhnlicher machte, je verschlossener er sich gab, wurde gleichwohl durch die kluge Selbstbescheidung Agricolas besänftigt“; Domitiani vero natura praeceps in iram et quo obscurior, eo inrevocabilior moderatione tamen prudentiaque Agricolae leniebatur). 158 Tac. Agr. 40,4 wie unter Nero: ebd. 6,3. Vgl. Petersmann 1991, 1802 sowie Classen 1988 (v. a. 96–100). 159 Auf diesen Aspekt konzentriert sich dann auch Schwarte 1979, 165–171 zu sehr, wenn er die Funktion des Textes in einer publizistischen Unterstützung Trajans gegen domitianische Gegenströmungen sehen möchte. Vgl. Ash 2006, 21, allerdings mit anderer Funktionalisierung.
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gunst bestehenden Tyrannis des malus Princeps in Rom komplettiert. Zum zweiten, was die Differenz zwischen ihren beiden Herrschaftskonzepten zusätzlich verstärkt, generieren sie den Antagonismus zwischen dem Protagonisten des Werkes und seinem Gegenspieler.160 Damit wird Agricola die Rolle des Kontrahenten zugeschrieben, der zwar in physischer und punktueller Hinsicht dem Princeps unterliegt, aber in der memoria seines verdienten Ruhmes als Sieger vom Platz geht. Agricola, so wird in diesen Episoden gezeigt, war kein Protegé Domitians und schon gar nicht mit ihm befreundet, sondern überlebte einzig und allein wegen seiner klugen Verhaltensweisen unter einem tyrannischen Princeps. Deshalb wird sein Ruhm auch unabhängig von seinem Gegenspieler und dessen ihm verliehenen vorgeblichen Ehrungen dauerhaft ein Teil der memoria der römischen Gesellschaft und nicht zuletzt seiner aristokratischen Vertreter bleiben, während sein Antagonist seinen Platz in der römischen memoria verspielte.161 Der Konflikt zwischen dem Kaiser und seinem Konsular kulminiert in der widersprüchlichen Episode von Agricolas Sterben, in welcher die beiden unvereinbaren Narrative des oppositionellen Todes und der Unabhängigkeit des erfolgreichen Senators von seinem Princeps miteinander verknüpft werden.162 Schon die extreme Raffung der Geschehnisse in Rom konstruiert einen Zusammenhang zwischen den Siegen Agricolas in Britannien und dessen Tod, wobei erstere eigentlich schon über neun Jahre zurückliegen.163 Der vom Eintreffen der Siegesnachricht an existente Hass und Neid Domitians auf Agricola tritt in immer gesteigerter Form zutage, wobei es dem Konsular gelingt, ihn immer wieder zu besänftigen, und endet schließlich in der Freude über dessen Tod.164 Die Sache liegt klar auf der Hand: 160 Eine ‚Tatsache‘, die Tacitus seinem Publikum gegenüber erst einmal plausibilisieren muss, angesichts der Ehrungen Agricolas durch Domitian. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es einige Untersuchungen zu den außertextuellen Referenzen dieser darstellerischen Besonderheit gibt, die in der Regel die böswillige Verzerrung der Beziehung zwischen Agricola und Domitian durch den Autor konstatieren, siehe Döpp 1985, 152 mit Anm. 2 (ebd. 151); vgl. ebenfalls Dorey 1960, 66–70; Evans 1976, 79–84; Städele 1988, 222–230; Sailor 2008, 71. 161 Vgl. Harrison 2007, 310–319 sowie Sailor 2008, 111: „After Agricola the reality of imperial achievement, the integrity of its system of signification, and, in the resurrected Agricola, the person who stood for these things, remain; it is the princeps who is gone.“ Vgl. zur kulturellen Praxis der damnatio memoriae Hedrick 2000, 89–136, v. a. 113–115 und Flower 2006, preface ix f. Sowie bezüglich der Sanktionen für die Erinnerung Domitians ebd. 234–271; vgl. ebenfalls Krüpe 2011, 159–165 zur damnatio Domitians, sowie zur Praxis der damnatio memoriae allgemein ebd. 245–253. 162 Vgl. Sailor 2008, 112–116 (hier 114). Allerdings sieht er die Funktion dieser Episode in einer Gleichstellung Agricolas mit den Märtyrern, da die Hochschätzung einer derart bewiesenen Feindschaft zum Regime gesellschaftlich so weit verbreitet gewesen sei, dass Tacitus nur unter vielen Schwierigkeiten dagegen habe anschreiben können. Im Folgenden wird jedoch aus dem Text argumentiert, weshalb Sailor m. E. nach damit falsch liegt, weil er zu kurz greift. Wesentlich eindeutiger bezüglich der Höherbewertung von Agricolas Leistung ist er vier Jahre später in Sailor 2012, 25, 28 f. Ebenfalls eine Gleichrangigkeit der politischen Existenz Agricolas mit derjenigen der Märtyrer vertritt Schwarte 1979, 166 f. Narrativ meint hier wie an anderen Orten ein gegenüber der konkreten Darstellung abstraktes Erzählschema. 163 Vgl. Döpp 1985, 153 f. sowie Sailor 2008, 115. 164 Hier noch einmal übersichtlich zusammengestellt: Tac. Agr. 39: Neid und Hass Domitians auf den erfolgreichen Heerführer; ebd. 40: unaufrichtige Ehrungen, die vorenthaltene Statthalter-
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Agricolas Tod war eine Konsequenz seines Ruhmes für seine britannische propagatio imperii. Er starb als Märtyrer für die res publica. Und genau aus diesem Grund wählt Tacitus die aporetische Verknüpfung zweier unvereinbarer Narrative: Agricolas Tod wurde durch Domitian verschuldet und gleichzeitig starb er nicht durch dessen Hand.165 Einerseits stellt er ihn damit den im Proöm genannten stoischen Oppositionellen gleich, die ihre Autonomie vom Herrscher und ihre Authentizität durch ihr eigenes Blut bewiesen, andererseits tritt aber gerade durch die Ähnlichkeit zu deren letalen Konflikten mit dem Tyrannen seine Differenz zu diesen deutlich hervor. Denn im Gegensatz zu den Oppositionellen war Domitian Agricola gegenüber nicht aufgrund von dessen persönlichen Verhaltensweisen feindlich gesinnt, sondern wegen seines aus den Taten für die res publica resultierenden Ruhms.166 Während Agricola für die ruhmreiche Expansion des Imperiums verantwortlich zeichnet, steht die Provokation des unberechenbaren Herrschers durch die Veröffentlichung oppositioneller Schriften als Auslöser am Beginn einer sich bis zum Äußersten steigernden Knechtschaft unter der Tyrannis.167 Nicht nur brachten diese ambitiösen ‚Selbstmorde‘ der res publica keinen Nutzen, im Gegenteil, sie führten sie vollends an den Rand des Verderbens. Außerdem stand ihr Tod in einer wesentlich größeren Abhängigkeit vom Princeps,168 da sie diesen als Täter brauchten, um selbst die Rolle des Opfers einnehmen zu können. Agricola hingegen entzieht sich dank seiner Klugheit und seines obsequium der vom Princeps für ihn vorgesehenen Märtyrer-Rolle und behält dabei sowohl seine Integrität wie auch seine Unabhängigkeit vom Herrscher. Diese geht am Schluss sogar so weit, dass Agricola diesen quasi von Schuld frei spricht.169 Er ist
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schaft Syriens, der entehrende Empfang Agricolas in Rom und dessen Lebensweise unter dem Tyrannen; ebd. 41: Agricola ist wegen der Reichskrise an der Nordgrenze ohne sein Zutun in ständiger Lebensgefahr; ebd. 42: die heuchlerische Episode über das ihm versagte Prokonsulat und die Selbstbescheidung Agricolas, abgeschlossen mit dem sciant-Satz; ebd. 43: die widersprüchliche Todesepisode, wobei es sich im Falle Agricolas eindeutig um keine ambitiosa mors handelt. Vgl. Sailor 2008, 114–116, dem allerdings die so bedeutenden ‚kleinen Unterschiede‘ zwischen Agricola und den Märtyrern entgehen. Dieses antimonarchische Narrativ, nach dem der Alleinherrscher sich von tüchtigen Männern bedroht fühlt und deshalb zu deren Untergang beiträgt und das schon aus republikanischer Zeit stammt (Sall. Cat. 7,2; siehe oben, Anm. 156), erfreut sich häufiger Verwendung durch Tacitus und Plinius (vgl. bspw. Plin. paneg. 45,1; 90,5; Plin. epist. 4,24,4 f.; 7,27,12–14; 8,14,7; Tac. ann. 1,80,2; 11,19,3). Siehe oben, Kap. 1.3, S. 49–51. Diese Verklammerung von Proöm und dem Ende der vita des Agricola wurde bspw. auch schon von Schwarte 1979, 171 f. festgestellt. Damit einher geht aber auch die Distanzierung des Verfassers des Agricola von diesen Opfern in ihrer Rolle als Autoren. Diese manifestiert sich, wie oben beschrieben, nicht nur sprachlich, sondern auch in dem Umstand, dass er den Tod des Tyrannen abwartete, bis er sein Werk über seinen Schwiegervater ‚veröffentlichte‘; vgl. zu diesem letzten Punkt der taciteischen Selbstzensur Ash 2006, 27 f. Vgl. zum Gegensatz zwischen Tacitus und Agricola gegenüber den Märtyrern und ihren Gegenständen Whitmarsh 2006, 308 f., der im Folgenden diesen Gegensatz aber durch Ambiguitäten relativiert wissen möchte, ebd. 309 f. Korrekt erkannt von Sailor 2008, 116. Tac. Agr. 45,3: tamquam pro virili portione innocentiam principi donares („so als ob du für deine Person den Kaiser von Schuld freisprechen wolltest“).
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es, der dem Princeps Schuldlosigkeit gewähren kann, da er, dadurch dass er sich dessen Opferzuschreibung entzieht, seine Rolle selbst bestimmt und diesen in ethisch-moralischer sowie meritokratischer Hinsicht weit überragt. Mit anderen Worten: Er legt es nicht darauf an bzw. lässt sich nicht zum Opfer machen, was in seinem Falle und durch den Hass sowie Neid Domitians ein leichtes gewesen wäre. Aus diesem Grund und wegen seiner Leistungen für die res publica ist er nicht nur der Beweis, dass es unter schlechten Principes bedeutende Männer geben kann, sondern er verdient auch höheres Lob als die vielen, welche „durch einen für das Gemeinwesen nutzlosen ehrsüchtigen Tod berühmt wurden.“170 1.5 Die kollektive Mitschuld der Senatoren und die Vereinzelung des Tyrannen Die Vorbildhaftigkeit Agricolas ist, wie oben gezeigt, konzentriert in dem sciantSatz enthalten,171 wobei vor allem seine den Tyrann besänftigenden Tugenden des obsequium und der modestia dazu beitragen, dass er kein Opfer Domitians wird. Es ist aber darüber hinaus die Gunst seiner Todesstunde, die ihm seine Integrität und Unversehrtheit bewahrt. Tu vero felix, Agricola, wendet sich Tacitus in einer Apostrophe an seinen verstorbenen Schwiegervater: „Du aber bist glücklich, Agricola, nicht nur wegen deines ruhmvollen Lebens, sondern auch wegen deines rechtzeitigen Todes.“172 Damit aber wird nahe gelegt, dass selbst Agricola, das ideale Vorbild eines jeden Senators, die letzte Zeit unter Domitian, wie sie in den Kapiteln 2 und 45,1 f. geschildert wird, nicht unversehrt überstanden hätte, sondern dasselbe Schicksal hätte erleiden müssen wie der Erzähler und seine Standesgenossen.173 Dadurch 170 Tac. Agr. 42,4: sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. Da Agricola höheren Ruhm verdient als diese nach persönlicher gloria eifernden Oppositionellen ist dieser Satz in der Logik des Textes wahr und nicht wegen der seltsamen Darstellung der Todesumstände Agricolas, mit der Tacitus ihm den Märtyrer-Mantel anziehen wollte, wie Sailor 2008, 114 f. behauptet. Vgl. für eine ebenfalls auf der Ebene der Angleichung an die Opfer Domitians stehen bleibende Intention Tscherniak 2005, 109, während Dorey 1960, 71, bereits vorsichtig formuliert, Agricola „deserves to be enshrined alongside the Stoic ‚martyrs‘, or even to be ranked higher.“ Vgl. des Weiteren Petersmann 1991, 1803 und überraschend eindeutig Beck 1998, 95 f. mit Anm. 169. Darüber hinaus werden die Oppositionellen auch mit dem Stigma der contumacia belegt, die Agricola im Satz zuvor so klug und diplomatisch vermied (ebd. 42,3 … quia non contumacia neque inani iactatione libertatis famam fatumque provocabat. („…weil er nicht durch Starrsinn und leeres Zurschaustellen seines Freimuts den Ruhm und damit das Schicksal herausforderte“). Vgl. Dészpa 2011, 3. 171 Tac. Agr. 42,4 (siehe oben, Anm. 117 f.). 172 Tac. Agr. 45,3: tu vero felix, Agricola, non vitae tantum claritate, sed etiam opportunitate mortis. Vgl. für den Topos eines günstigen Todeszeitpunktes in Hinblick auf einen politischen Wandel von einem funktionierenden zu einem dysfunktionalen Gemeinwesen (von Republik zu Tyrannis) Cic. Brut. 4–9. 173 Verstärkt wird dies noch dadurch, dass die schlimmen Jahre unter Domitian von dem rechtzeitigen Tod Agricolas umrahmt werden. Zuerst bedauert Tacitus, dass es seinem Schwiegervater nicht vergönnt gewesen sei, das glücklichste Zeitalter unter Trajan zu erleben und tröstet damit, dass er dafür den schlimmsten Jahren unter Domitian entging (Tac. Agr. 44,5). Es folgt die
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wird natürlich das Identifikationspotential des Protagonisten deutlich gesteigert und einer im breiten Konsens erfolgenden Rezeption der Schrift die Bahn geebnet. Agricola konnte im Gegensatz zu seinen Hörern bzw. Lesern, aber auch zu seinem Autor, den letzten Schreckensjahren unter dem Tyrannen entgehen, die in den beiden der Apostrophe vorhergehenden Abschnitten plastisch dargestellt werden: Nicht erleben musste Agricola, wie die Kurie belagert, der Senat von Bewaffneten umringt und in ein und demselben Blutbad so viele ehemalige Konsuln ermordet, so viele Frauen vornehmster Abkunft in die Verbannung geschickt und des Landes verwiesen wurden. Damals wurde Mettius Carus erst nach einem einzigen Erfolg beurteilt, die Ansichten des Messalinus ertönten nur innerhalb der Albanerburg, Massa Baebius stand sogar vor Gericht. Dann aber führten unsere Hände den Helvidius in den Kerker, uns trafen die Blicke des Mauricus und Rusticus, uns bespritzte Senecio mit seinem unschuldigen Blut. Ein Nero wandte wenigstens seine Augen ab und befahl zwar Verbrechen, schaute ihnen aber nicht zu. Unter Domitian war es die schlimmste Qual, zusehen und sich von ihm betrachten lassen zu müssen, als unsere Seufzer aufgeschrieben wurden, als seine bekannte, grausame Miene und die gerötete Gesichtsfarbe, mit der er sich gegen Scham schützte, dazu ausreichten, das Erblassen so vieler Menschen zu verzeichnen.174
Es ist bemerkenswert, dass in diesem Abschnitt die einzigen drei namentlichen Nennungen dezidiert negativer Personen der domitianischen Herrschaft innerhalb des Agricola erfolgen, denen die Rolle von Anklägern oder Beratern des Tyrannen zugewiesen wird. Zwar ist unser heutiges Wissen über die erste angeführte Negativfigur, Carus Mettius, insofern problematisch, als wir ihm nur aufgrund der Scholien zu Iuvenal den sozialen Status eines Freigelassenen Neros zuweisen können und über seine Verortung im sozialen Netzwerk der flavischen Zeit nichts Genaues bekannt ist.175 Aber aus der plinianischen Briefsammlung erfährt man, was wohl jeder zeitgenössische Rezipient wusste, dass Carus Mettius nämlich als Ankläger eine nicht unwesentliche Rolle bei dem zum Tode führenden Prozess gegen Herennius Senecio einnahm; eines der beiden im Proöm genannten, in der Prinzipatszeit (unter dem Tyrannen) schreibenden ‚Vorgängern‘ des Autors des Agricola.176 Dies macht seine Darstellung dieser an Intensität zunehmenden Schreckenszeit (ebd. 45,1 f.), woraufhin die in der Erzählung nacherlebte Vergangenheit zu der oben zitierten Apostrophe an Agricola führt. Zur Bemerkung, dass nicht einmal Agricola der fatalen Viktimisierung unter Domitian hätte entgehen können vgl. Ash 2006, 28. Vgl. ebenfalls Haynes 2006, 167 f. 174 Tac. Agr. 45,1 f.: Non vidit Agricola obsessam curiam et clausum armis senatum et eadem strage tot consularium caedes, tot nobilissimarum feminarum exilia et fugas. Una adhuc victoria Carus Mettius censebatur, et intra Albanam arcem sententia Messalini strepebat, et Massa Baebius etiamtum reus erat. mox nostrae duxere Helvidium in carcerem manus, nos Maurici Rusticique visus ‹…›, nos innocenti sanguine Senecio perfudit. Nero tamen subtraxit oculos suos iussitque scelera, non spectavit; praecipua sub Domitiano miseriarum pars erat videre et aspici, cum suspiria nostra subscriberentur, cum denotandis tot hominum palloribus sufficeret saevus ille vultus et rubor, quo se contra pudorem muniebat. 175 Siehe Sch. Iuv. 1,35 p. 5. Siehe zu Mettius Carus allgemein: PIR2 M 562; ebenfalls: SherwinWhite 1966, 96; Ogilvie – Richmond 1967, 307; Heubner 1984, 131; A. Birley 2000a, 72. 176 Zur Parallelisierung und Distanzierung des Autors des Agricola in sprachlich textueller Hinsicht siehe oben, Kap. 1.3, S. 49–51, und in sozio-politischer Funktionalisierung siehe unten, Kap. 1.6, S. 80 f.
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Nennung an dieser Stelle so brisant und verlinkt sowohl die im Folgenden genannten Opfer mit ihren als bereitwillige Handlanger Domitians charakterisierten Tätern als auch diese Schlusspassage über die domitianische Schreckenszeit nach Agricolas Tod mit dem Proöm. Plinius schreibt Carus Mettius in seinen Briefen die Rolle des gefährlichen delator zu und nutzt dies dazu, sich als Oppositioneller unter Domitian zu stilisieren, der sich während der Herrschaft des Tyrannen unter Lebensgefahr befand.177 Auch andere zeitgenössische Literaten, namentlich Martial und Iuvenal, erwähnen Carus Mettius in dieser düsteren Funktion unter Domitian,178 sodass man wohl davon ausgehen kann, dass er, aus welchen Gründen auch immer, weder in den höchsten Zirkeln der Aristokratie noch in ihren Konkurrenzkämpfen noch beim kaiserlichen Hof unter Nerva und Trajan eine Rolle spielte. Die zweite Negativfigur, L. Valerius Catullus Messalinus, ist eine illustre Persönlichkeit, die immerhin das ordentliche Konsulat des Jahres 73 gemeinsam mit Domitian innehatte.179 Man weiß über ihn aber auch, dass er zum Zeitpunkt der ‚Veröffentlichung‘ des Agricola schon seit einiger Zeit nicht mehr unter den Lebenden weilte. Aber nicht nur diese Information kann man aus dem Brief 4,22 des Plinius ziehen, sondern dieser erhellt ebenfalls gewisse Regeln über den antidomitianischen Diskurs kurz nach dessen Tod: „Folgerichtig und mutig“, sagst du; warum nicht? Aber bei Mauricus ist das nichts Neues. Er sprach bei Kaiser Nerva ebenso mutig. Nerva speiste mit wenigen Leuten. Veiento saß in seiner Nähe, sogar ganz dicht bei ihm: ich habe alles gesagt, wenn ich den Menschen beim Namen nenne. Das Gespräch kam auf Catullus Messalinus, der sein Augenlicht verloren hatte und bei dem das Unglück der Blindheit den grausamen Charakter noch verschlimmert hatte; er kannte keine Scheu, kein Schamgefühl, kein Mitleid; um so häufiger wurde er von Domitian wie ein Geschoß, das blindlings und wahllos geworfen wird, gerade gegen die Besten geschleudert. Von seiner Schlechtigkeit und seinen blutrünstigen Urteilen sprachen alle ganz allgemein bei Tisch, als der Kaiser selbst fragte: „Was würde wohl mit ihm geschehen, wenn er noch lebte?“ Und Mauricus sagte: „Er würde mit uns speisen.“180
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Zur Rolle des Carus Mettius als an der Anklage des Senecio Beteiligter siehe Plin. epist. 1,5,3; 7,19,5. Plin. epist. 7,27,14 (hier stellt Plinius als Traumdeuter fest, dass er nur wegen des rechtzeitigen Todes von Domitian einer Anklage entgangen sei, da man in dessen Schrank eine Anklageschrift des Mettius Carus gegen ihn gefunden habe); vgl. bspw. Ludolph 1997, 149 oder Beutel 2000, 218, 223. Vgl. unten, Kap. 3.5. Mart. 12,25,5; Iuv. 1,35. Vgl. der Vollständigkeit halber hier nochmals angeführt: Plin. epist. 1,5,3; 7,19,5; 7,27,14 und natürlich Tac. Agr. 45,1. Dieses Bild hielt sich dann auch in späteren Zeiten: vgl. Sidon. epist. 5,7,3, wo er in einer Reihe mit anderen ‚professionellen‘ Anklägern genannt wird, die sich durch das Leid, das sie ehrbaren Leuten zufügten, bereicherten. Letztendlich führte dies auch zu dem entsprechenden Bild des Mettius Carus in der Forschung: vgl. bspw. Syme 1958, 82 mit Anm. 3 („a notorious ‚delator‘“) oder Ludolph 1997, 149 mit Anm. 157 („einer der bekanntesten Delatoren der Zeit Domitians“) oder Lefèvre 2009, 53 („einer der gefährlichsten Delatoren“). Siehe zu L. Valerius Catullus Messalinus: Plin. epist. 4,22,5 f.; Iuv. 4,113–122; Frontin. aqu. 102; Sch. Iuv. 4,113–122 p.125. Vgl. PIR V 41; vgl. ebenfalls: Sherwin-White 1966, 300 f.; Ogilvie – Richmond 1967, 307; A. Birley 2000a, 96 f. Plin. epist. 4,22,4–6: ‚Constanter‘, inquis, ‚et fortiter.‘ quidni? sed hoc a Mauricum novum non est. idem apud imperatorem Nervam non minus fortiter. cenabat Nerva cum paucis; Veiento proximus atque etiam in sinu recumbebat: dixi omnia, cum hominem nominavi. incidit sermo
1. Strategien retrospektiver Desintegration – der Agricola des Tacitus
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Die durch sein Ableben erfolgte totale Desintegration des Messalinus aus dem sozialen Horizont der „Nach-Domitian-Zeit“ macht ihn zur Repräsentation eines Codes, in dem man über die Regierung Domitians sprechen und allgemeinen Konsens herstellen kann. Auf diesen Fall zugespitzt könnte man formulieren: über die Toten nur Schlechtes! oder passender: Schlechtes, nur über die Toten! Alle sind sich einig, dass die Herrschaft Domitians schrecklich war und dass Catullus Messalinus eine grausame Rolle in ihr spielte, sozusagen zu den Schurken gehörte. Damit steht er im Gegensatz zu allen Anwesenden, die sich über diesen Punkt ja einig sind, wodurch er diskursiv desintegriert und sozusagen zum Sündenbock wird. So trägt er zum Konsens aller über die Vergangenheit bei, die durch ihre Affirmation zu verstehen geben, dass sie an den Verbrechen des domitianischen Regimes keinerlei Anteil hatten. Zugleich dient dieser Code der gegenseitigen Versicherung, dass die individuellen Verhaltensweisen der Anwesenden (besser noch: aller sich im sozialen Horizont der Zeit Befindlichen) in dieser spezifischen Vergangenheit nicht zur Generierung von Distinktion, die immer auf Kosten des Anderen erfolgt, verwendet werden – auch dadurch, dass die Einigung aller auf einen Sündenbock keine individuelle Profilierung zulässt. Allerdings legt Iunius Mauricus181 mit seiner Antwort auf des Kaisers Frage nicht nur die Regeln dieses Konsenses offen, sondern zieht auf diese Weise den konstruierten Charakter dieses Sprechens über die Vergangenheit in Zweifel und hebt als Konsequenz davon eben diesen Konsens auf. Wie der Schurke von damals mit ihnen speisen würde, wäre er noch am Leben, so gibt es auch jetzt Wölfe im Schafspelz unter den Senatoren. Damit zielt er – zumindest ist das von Plinius in diesem Brief so konstruiert – auf die Anwesenheit des Fabricius Veiento.182 Die Identifizierung der Komplizen des Tyrannen birgt aber wie eingangs gesehen die Möglichkeit, sich auf deren soziale Kosten selbst zu profilieren.183 Sie können, wenn auch immer mit einigem Risiko verbunden, angeklagt und aus der senatorischen Gemeinschaft entfernt oder, wie Mauricus das während des Essens tut, diskreditiert werden. Die kompromisslose Äußerung des Mauricus führte wahrscheinlich dazu, dass den anderen Mitspeisenden der Bissen im Halse stecken blieb. Während Fabricius Veiento aber nur in den Briefen von Plinius und darüber hinaus in der 4. Satire Iuvenals als enger Vertrauter Domitians bloßgestellt wird, taucht Catullus Messalinus nicht nur bei diesen beiden, sondern auch im Agricola in seiner sinisteren Rolle auf. Da Catullus Messalinus zur Zeit der ‚Veröffentlichung‘ des de Catullo Messalino, qui luminibus orbus ingenio saevo mala caecitatis addiderat: non verebatur, non erubescebat, non miserebatur; quo saepius a Domitiano non secus ac tela, quae et ipsa caeca et improvida feruntur, in optimum quemque contorquebatur. de huius nequitia sanguinariisque sententiis in commune omnes super cenam loquebantur, cum ipse imperator: ‚quid putamus passurum fuisse, si viveret?‘ et Mauricus: ‚nobiscum cenaret‘. 181 Zu diesem: Plin. epist. 1,5,10 u. 15 u. 16; 1,14; 2,18; 3,11,3; 6,14; Mart. 5,28; Tac. hist. 4,40,4. Siehe PIR2 I 771; vgl. Sherwin-White 1966, 98; Ogilvie – Richmond 1967, 308 f.; Heubner 1984, 132 f.; A. Birley 2000a, 67. 182 Vgl. Syme 1958, 6 sowie Coleman 2000, 27.; Strobel 2010, 151, dem der Brief allerdings lediglich dazu dient, die Kontinuität des Personals zwischen der Herrschaft Domitians und derjenigen Nervas festzustellen; vgl. dazu ebenfalls Gering 2012, 227–229. Zu Fabricius Veiento siehe oben, Kap. 1.1, S. 34 mit Anm. 11. 183 Vgl. oben, Kap. 1.1.
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Agricola aber bereits tot ist, liegt die Vermutung nahe, dass Fabricius Veiento, der bekanntermaßen im Jahre 97 noch Certus im Senat gegen Plinius verteidigte, am Ende seiner Lebenszeit die Gunst Trajans verlor und vermutlich zur Zeit der Verbreitung des vierten plinianischen Briefbuches (wahrscheinlich zwischen 105 und 107) verstorben oder soziopolitisch irrelevant war. Welche Rolle der dritte Ankläger im Bunde, Massa Baebius, in den letzten Jahren der Herrschaft Domitians spielte und ob er diesen überlebte, ist leider unbekannt.184 Wiederum durch die Briefe des Plinius ist jedoch rekonstruierbar, dass er im Jahre 93 in einem Repetundenprozess verurteilt wurde.185 Damit dürfte er spätestens nach Domitians Tod – denn die Stelle im Agricola impliziert, dass er nach 93 in verschiedene Anklagen und Machenschaften um Domitian verwickelt war, was auch die Verwendung des Massa als Code in den Plinius-Briefen und der ersten Satire Iuvenals nahelegt – sozial desintegriert und folglich nicht mehr wirklich satisfaktionsfähig gewesen sein. Tacitus greift also bei seiner Darstellung einer kollektiven traumatischen Vergangenheit bewusst auf die akzeptierte Codefunktion sozial Desintegrierter, die auch in den Briefen Plinius’ des Jüngeren mit derselben Rollenzuschreibung Verwendung finden,186 zurück, um den antidomitianischen Diskurs seiner Schrift zu stützen. Dabei nutzt er die Benennung von domitianischen Übeltätern – ähnlich der bei Plinius geschilderten Unterhaltung bei dem Mahl Nervas – als integrierenden Code für den Erzähler und seine Rezipienten, um in der Bewertung der Vergangenheit Konsens herzustellen, wobei diese gleichzeitig von jener Vergangenheit distanziert werden. Wie tief die Kanonisierung dieser domitianischen Übeltäter in das kollektive Gedächtnis bzw. den konsensualen Code in trajanischer Zeit eingedrungen war, führt ihre Existenz als Teil des Figurenensembles bei Iuvenal deutlich vor Augen.187 Da die Genannten im unmittelbaren sozialen Horizont der Senatoren unter Trajan keine Rolle mehr spielen, können sie eine konsensstiftende Funktion bei der kollektiven Konstruktion von Vergangenheit einnehmen. Ein signifikanter Unterschied zum Sündenbockritual188 besteht in ihrer im taciteischen Narrativ realisierten Diskursivierung darin, dass ihnen nicht die gesamte Verantwortung aufgeladen wird. Denn alle drei Negativfiguren werden vor ihrer blutigen Tätigkeit als Ankläger unter Domitian dargestellt, und genauso wenig lassen sie die Gemeinschaft befreit von Schuld und gereinigt zurück. 184 Zu Massa Baebius siehe Tac. hist. 4,50,2: iam tunc optimo cuique exitiosus et inter causas malorum, quae mox tulimus, saepius rediturus („der schon damals für alle Rechtschaffenen ein wahrer Fluch war und der uns als einer der Urheber des nachher über uns gekommenen Unglücks noch öfter begegnen wird“; Text und Übersetzung stammen, wenn nicht anders vermerkt, aus: P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Joseph Borst unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/ Zürich 62002.); Plin. epist. 3,4,4 u. 6; 6,29,8; 7,33,4–8; Iuv. 1,35; Sidon. epist. 5,7,3. Siehe ebenfalls PIR2 B 26; vgl. Sherwin-White 1966, 444–447; Ogilvie – Richmond 1967, 307 f.; Heubner 1984, 131; A. Birley 2000a, 41. 185 Plin. epist. 3,4,4 u. 6; 6,29,8; 7,33,4–8. Zu letzterem vgl. Henning 1978, 246–249. 186 Vgl. unten, Kap. 3.4, S. 182 mit Anm. 172. 187 Vgl. Iuv. 1 und 4. 188 Vgl. Girard 2007, 19–29.
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Diejenigen, die tatsächlich eine schuldbeladene Handlung begehen, gehören zu der vom Erzähler zwischen sich und seinen Rezipienten geschaffenen Gemeinschaft, sind nostrae manus: „dann aber führten unsere Hände den Helvidius in den Kerker“ und durch die folgende Anapher deutlich hervorgehoben: nos, nos.189 Der Autor nimmt sich nicht außen vor, sondern reiht sich unter seine Standesgenossen ein. Er konstatiert somit eine kollektive Mitschuld aller Senatoren an dem unter Domitian begangenen Unrecht und der so schrecklichen Zeit unter dessen tyrannischer Herrschaft.190 Ausgenommen hiervon sind lediglich die genannten Opfer: der jüngere Helvidius Priscus, Iunius Mauricus, eben jener aus dem oben besprochenen Brief Plinius’, dessen Bruder Arulenus Rusticus, sowie Herennius Senecio – wobei die beiden letzten wiederum auf das Proöm verweisen und so diese beiden das Leben Agricolas einrahmenden Passagen über die Lebensumstände unter Domitian miteinander verknüpfen.191 Doch der oben besprochene sciant-Satz und der Kontext, in dem dieser steht, legen es nahe, die von ihnen eingenommene und ihnen zugeschriebene Opferrolle als eigentlich nicht notwendig zu akzeptieren, sondern eher mit dem Etikett des ruhmsüchtigen Todes zu versehen.192 Denn im Gegensatz zu ihnen besänftigt Agricola nach erlittenem Unrecht den Princeps durch seine Selbstbescheidung und Klugheit.193 Auf einer Meta-Ebene weist die Gegenüberstellung der Autoren und ihrer Schriften im Proömium in die gleiche Richtung. Rusticus und Senecio zogen wegen ihrer lobenden Biographien den Zorn des Tyrannen auf sich und mussten ihr Leben lassen. Gleichzeitig stellt sie Tacitus an den Anfang einer zunehmend dunkler werdenden Zeit; sie sind sozusagen der Auslöser für die schlimmsten Ausartungen der Tyrannis. Das heißt, ihr durch leichtsinniges Eigeninteresse vergossenes Blut erkaufter Ruhm nützt der Gemeinschaft nicht nur nichts, sondern schadet ihr sogar.194 Der Verfasser des Agricola hingegen, der mit seiner einen bedeutenden Mann lobenden Schrift im Grunde genommen zwar genau dieselbe Tat begeht, wird jedoch nicht hingerichtet, sondern trägt mit seiner Schrift überdies zur Konstituierung der neuen, allerglücklichsten Zeit bei. Durch diese Kontrastierung argumentiert Tacitus nicht nur gegen die Idealisierung des Märtyrertodes, sondern führt auch vor Augen, dass es andere Mechanismen der Erzeugung ‚senatorischer Unabhängigkeit‘ und somit andere Wege zum wahren Ruhm gibt – nämlich ein Leben wie das des Agricola voller Leistungen für die res publica oder die ‚Veröffentlichung‘ von dessen Biographie und die Bewahrung der memoria an dessen Taten und Tugenden wie sein Schwiegersohn Tacitus dies mit seiner Schrift tut bzw. getan hat. Nicht nur Agricola nimmt hier eine übergeordnete Stellung gegenüber den durch persönliTac. Agr. 45,1 f.: mox nostrae duxere…; für die ganze Passage siehe oben, S. 65 mit Anm. 174. Vgl. Schwarte 1979, 172; Ash 2006, 28 sowie Pelling 2009, 151 f. Vgl. Schwarte 1979, 171 f.; Ash 2006, 20. Siehe oben, Kap. 1.4, die Diskussion über die Todesepisode Agricolas S. 62–64. Vgl. Pelling 2009, 151 f.; Oakley 2009, 192; Dészpa 2011, 3 f. 193 Tac. Agr. 42,3: …moderatione tamen prudentiaque Agricolae leniebatur („…wurde gleichwohl durch die kluge Selbstbescheidung Agricolas besänftigt“). 194 Vgl. oben, Kap. 1.4, S. 63 f. 189 190 191 192
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chen und ruhmsüchtigen Antrieb zu Opfern Gewordenen ein, sondern auch Tacitus, der eben die notwendige moderatio an den Tag legen konnte, um mit seiner Lobschrift auf einen bedeutenden Mann bis nach Domitians Tod zu warten.195 Damit beweisen Autor und Protagonist des Agricola zum einen in der Sphäre des negotium (der Statthalterschaft in Britannien) als auch des otium (der Lobschrift) die gleiche moderatio, während sowohl die ‚oppositionellen‘ Autoren als auch ihre Heldenfiguren die Begierde nach Ruhm durch einen aufsehenerregenden, aber nutzlosen Tod teilen. Für die Senecio & Co. zugeschriebenen Opferrollen im Agricola bedeutet das zumindest, dass man bezüglich ihrer Integrität und Vorbildhaftigkeit Abstriche machen muss, die man für Agricola nicht zu machen braucht.196 Die Opfer sind nach dieser Betrachtungsweise in eine relativierte, wenn auch nicht aufgehobene Kollektivschuld der nos eingebettet, ja, ihnen wird sogar eine größere Mitschuld angelastet, da ihr provozierendes Verhalten die äußersten Schrecken der Tyrannis erst zutage gefördert hatte. Bei der Darstellung des sich unter Domitian schuldig machenden kollektiven Hauptteils der Senatoren, von denen Agricola ein Teil gewesen wäre, wenn er nicht „rechtzeitig gestorben“ wäre, ist ein Wechsel der thematischen Rollen zu beobachten: Zu Beginn erhält nostrae manus, „dann aber führten unsere Hände den Helvidius in den Kerker“, also nur ein instrumental vollstreckender Körperteil, die Rolle des Agens.197 Dem darauffolgenden nos hingegen – „uns trafen die Blicke des Mauricus“198 – ist eher die Rolle des Experiencers zuzuschreiben und das agierende
195 Was natürlich wiederum mehrfach funktionalisiert ist: a) seine Schrift wäre unter Domitian ebenso verboten, verbrannt und ihr Autor getötet worden, wie das bei den „Märtyrern“ der Fall war; b) sowohl Agricola als auch Tacitus waren keine engen Protegés von Domitian, sondern konnten sich eben beherrschen; c) jetzt wo eine Verbreitung seines Agricola möglich ist, trägt Tacitus zur Konstituierung der neuen Zeit und der Befreiung seiner Standesgenossen aus der domitianischen Schockstarre bei und nutzt somit der res publica, während die Märtyrer dem Gemeinwesen schadeten, indem sie den Tyrannen reizten; d) ist die Möglichkeit der Verbreitung auch Beweis für die veränderten Zeitumstände; also für die Tyrannis unter Domitian wie auch für das allerglücklichste Zeitalter. Vgl. zu diesem letzten Punk Ash 2006, 27. 196 Zu vorsichtig argumentiert in diesem Kontext Sailor 2008, 112–117, da er das gesellschaftliche Standing der ‚stoischen Opposition‘ bzw. der philosophischen Märtyrer viel zu hoch bewertet. Tacitus habe Agricola angleichen müssen, da das Schlüsselmoment für Prestigezuweisung im sozialen Kontext der Jahrhundertwende in der Feindschaft zum Regime bestanden habe. Diese Position lässt sich aber bereits aufgrund der Beobachtung, dass es unter Nerva und Trajan keinen großen Austausch der obersten Funktionselite gab (Jones 1992, 163–165), ablehnen. Prestige besaßen die Leute in Kaisernähe und um diese zu erzeugen, war oppositionelles Verhalten nicht gerade das Mittel der Wahl. Vgl. Flaig 1992, 114 f. und Barghop 1994, 113–120. Wesentlich deutlicher wird die Kritik an den ichbezogenen Märtyrern bei Schmal 2005, 27 f. betont. 197 Tac. Agr. 45,1: mox nostrae duxere Helvidium in carcerem manus. Zum Konzept der thematischen Rolle siehe oben, Kap. 1.3, S. 49 f. mit Anm. 89. Durch das Hyperbaton wird der Kerker des Helvidius auch sprachlich nachgezeichnet. Vgl. zum inkludierenden Charakter des nostrae Ogilvie – Richmond 1966, 308. 198 Tac. Agr. 45,1: nos Maurici Rusticique visus ‹…›.
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Moment ist deutlich abgeschwächt.199 Diese Passivierung wird insofern noch weiter intensiviert, als das nun folgende nos unweigerlich zum Patiens der Handlung wird: „uns bespritzte Senecio mit seinem unschuldigen Blut.“200 Diese passive, erduldende, ertragende Haltung bleibt dann unter Domitian im zwar aktivischen, aber handlungsleeren Sehen und dem rein passiven BeobachtetWerden nicht nur erhalten, sondern selbst das sich im unartikulierten Seufzen Luft machende Leiden aller wird als gefährliche Tätigkeit dargestellt, weshalb das nos zu absoluter Passivität verdammt ist. Das Schweigen mit dem die Sklaverei unter Domitian im Proöm ihren Kulminationspunkt findet, wird hier noch dramatischer und intensiver inszeniert: Das Schweigen wird absolut. Bereits prä-artikulatorische Laute wie Seufzen können ins Verderben führen; die Passivität der Elite ist perfekt.201 Was Tacitus in dieser zunehmenden Passivierung der senatorischen Gemeinschaft vollführt, ist als ein desintegrierendes Herausschreiben aus der Herrschaft Domitians zu identifizieren, an deren Untaten man zwar in kollektiver Mitschuld beteiligt war, unter der aber jeder selbst in gewisser Hinsicht zum Opfer wurde.202 Dies wird ebenfalls durch den schonungslosen und absoluten, antidomitianischen Diskurs deutlich, der im Folgenden zum Abschluss gebracht wird: „als seine bekannt grausame Miene und die gerötete Gesichtsfarbe, mit der er sich gegen Scham schützte, dazu ausreichten das Erblassen so vieler Menschen zu verzeichnen.“203 Hier wird das Gesicht zum Spiegel des Inneren, welches von den Leidenschaften bestimmt wird, hier wird Domitian gleichsam demaskiert und ist der einzig Verantwortliche für all die vielen Erblassenden unter seiner Herrschaft,204 199 Dies ist unabhängig davon der Fall, ob man dieses syntaktisch als Subjekt oder Objekt rekonstruiert. Ob man von einem Blick getroffen wird (vertreten von Ogilvie – Richmond 1967, 309) oder den Blick auf jemanden richtet (Heubner 1984, 132 f.), in beiden Fällen bleibt man als eher passiv Wahrnehmender in das Geschehen eingebunden; denn aufgrund der immateriellen Natur von Blicken, muss ihre Wahrnehmung vorausgehen, um sich von ihnen getroffen zu fühlen; das ist der Unterschied zum Blut im nächsten Satz, wenn man wie Heubner 1984, 132 f. ein Zeugma und keine Lücke wie Ogilvie – Richmond 1967, 309 annehmen möchte. 200 Tac. Agr. 45,1: nos innocenti sanguine Senecio perfudit. 201 Das ist natürlich nicht ganz im literalen, sondern eher im metonymischen Sinne zu verstehen. Nicht die Sprache oder Äußerungen haben aufgehört zu existieren, sondern die sozialen Praktiken der Kommunikation und Repräsentation waren derart limitiert, dass kein selbständiges, unabhängiges Kommunizieren oder Interagieren mehr möglich war (vgl. Sailor 2008, 63). Den Tyrannen reizen, wie die sich selbst dazu machenden Opfer, ihn anstacheln, wie die Negativfiguren oder absolute Passivität. Das war die Welt unter Domitian, wie Tacitus sie repräsentiert. 202 Vgl. die vergleichsweise lakonische Bemerkung zu diesem hochaufgeladenen Ende des Textes Ash 2006, 28. 203 Tac. Agr. 45,2: cum denotandis tot hominum palloribus sufficeret saevus ille vultus et rubor, quo se contra pudorem muniebat. Vgl. Schwarte 1979, 170 f., der in dieser Eigenheit des Agricola den eigentlichen Zweck der Schrift erkennen möchte, da mit der Diskreditierung Domitians eine publizistische Unterstützung Trajans einhergehe. 204 Vgl. Döpp 1985, 167 zur taciteischen Darstellungslogik der Entbergung des wahren Charakters des Tyrannen. Vgl. ebenfalls Schwarte 1979, 157 mit Anm. 103. Zur Gesichtsfarbe Domitians und deren Deutung in der antiken Literatur vgl. Tac. hist. 4,40,1; Plin. paneg. 48,4; Suet.
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wobei das saevus als Attribut der Quelle (und im eigentlichen Sinne des Agens) des Verderbens wieder auf die saevitia principis im Proöm (3,2) verweist. Der Tyrann bleibt als einziger Agierender allein zurück. Die Darstellung der Passivität der Senatoren wird dabei von Domitian und seinen Helfern textuell umklammert (sozusagen eingeschlossen), wobei seine Schergen noch vor ihren ‚Erfolgen‘ gezeigt werden und von ihrem Herrn getrennt stehen, dessen von Affekten gezeichnetes Gesicht, die Passivität des senatorischen Kollektivs für einige seiner Mitglieder bis zur emotionalen Nicht-Existenz steigert. Die Fronten sind rasch gezogen: Alle Senatoren, mit den ganz wenigen Ausnahmen der im zeitlichen Horizont des Erzählers bereits desintegrierten Schurken, sind Opfer des Tyrannen und mitschuldig an dessen Verbrechen, da sie dessen Wüten nichts entgegenzusetzen hatten; keiner von ihnen, auch nicht die tatsächlich von ihren Standesgenossen Verurteilten, da sie quasi als Auslöser die Situation für alle nur verschlimmerten. Der einzige Verantwortliche, dem für all das schreckliche Geschehen die Hauptschuld zuzuschreiben ist, steht am Schluss isoliert: Domitian. Tu vero felix, Agricola, heißt es gleich im Anschluss,205 da er diese finale Demaskierung des Tyrannen nicht mehr miterleben, sich nicht zum Opfer machen oder die kollektive Schuld aller Überlebenden mittragen musste. Agricola stirbt, bewahrt seine Integrität – weder lässt er sich zum Opfer machen, noch hat er Anteil an der kollektiven Mitschuld der Senatorenschaft – und damit seinen im Dienst an der res publica verdienten Ruhm und überlebt in der Schrift seines Schwiegersohnes den Tyrannen. Ja, als darstellenswerter Gegenstand selbst unter der Herrschaft eines Domitian trägt die Erzählung seines Lebens und seiner Leistungen als exemplum für die an der res publica interessierten Senatoren zur damnatio memoriae des malus Princeps und zur Konstituierung des beatissimum saeculum bei.206 Bevor nun der Fokus auf die zeitgenössische Funktionalisierung der Schrift und ihrer diskursiven Elemente überschwenkt, sollen hier die Beobachtungen zur taciteischen Darstellung der domitianischen Schreckensherrschaft kurz zusammengefasst werden: 1.) Tacitus bedient sich bereits sozial Desintegrierter, um ihnen die Rolle der Schurken und Ankläger unter Domitian zuzuweisen, um den grundlegenden Konsens aufrechtzuerhalten, dass diese ihre gerechte Strafe bereits ereilt habe und keiner der Zeitgenossen zu den Komplizen Domitians zu zählen sei, während sich alle über die Schlechtigkeit der Vergangenheit unter dem Tyrannen einig seien. 2.) Er spricht den Opfern der Gewaltherrschaft ihre moralische Vorbildfunktion und damit ihre Evaluierungskompetenz senatorischen Verhaltens unter dem TyDom. 18,1; Philostr. Apoll. 7,28; vgl. auch Ogilvie – Richmond 1966, 310 sowie Heubner 1984, 134. 205 Tac. Agr. 45,3. 206 Vgl. Halfmann 2002a, 262, der Agricola als eine Reflektorfigur einer ganzen sozialen Schicht bezeichnet, deren Norm in der Pflichterfüllung an der Gemeinschaft und nicht dem Streben nach individueller Vollkommenheit liegt; vgl. zum Aspekt des Triumphes Agricolas über Domitian und zur selbstbewussten Positionsbestimmung der Schrift als Komplement der neuen Zeit Sailor 2008, 111 f. u. 117.
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rannen ab,207 da sie sich unnötig, nutzlos und aufgrund unlauterer Motive zu Opfern hätten machen lassen und auf diese Weise noch zur Verschlechterung der Situation für die senatorische Gemeinschaft beigetragen hätten. 3.) Er konstatiert die kollektive Mitschuld aller Senatoren an den unter Domitian vergangenen Verbrechen, wobei er sich mit einschließt und Agricola nur aufgrund seines frühzeitigen Todes außen vornimmt, stellt aber gleichzeitig bei zunehmender Passivität sich und seine Standesgenossen kollektiv als Opfer der tyrannischen Grausamkeit dar. Diese beiden Punkte gemeinsam betrachtet könnte man sagen: Die Täter sind ebenfalls Opfer, während den Opfern eine gewisse Mitschuld nicht abgesprochen werden kann. 4.) Mit diesem Narrativ der kollektiven Opferschaft schreibt er alle, sich eingeschlossen, mit blutbespritzten, aber nicht blutigen Händen aus der Herrschaft Domitians heraus, so dass der von seinen Leidenschaften getriebene Tyrann am Ende alleine und als einzig Verantwortlicher für seine Untaten zurück bleibt. 1.6 Der antidomitianische Diskurs als Plädoyer für eine kollektive Amnestie Der Diskurs der Transition, den Tacitus in seinem Agricola realisiert, besteht im Grunde genommen aus den zwei Komplementen eines Diskurses über die neue Zeit und eines Diskurses über die Vergangenheit.208 Der Diskurs über die neue Zeit projiziert ein Bild des beatissimum saeculum, in welches dank der Herrschaft Nervas und Trajans die res publica und die Senatoren als diejenigen, die ihren Dienst an der res publica versehen und diese dadurch konstituieren, nun übergehen können. Dabei wird diese Zeit als etwas fundamental Neues charakterisiert, da sie in Differenz zur gesamten bisherigen Prinzipatszeit tritt und an eine ideale republikanische Vergangenheit anschließt. Jedoch ist diese neue Zeit noch nicht gänzlich hergestellt, da die Entfaltung der senatorischen Teilhabe an der res publica noch von überholten Verhaltensweisen der Reichselite, die in der Vergangenheit internalisiert wurden, gehemmt ist. Deshalb ist für das gesamte Gemeinwesen noch ein längerer Heilungsprozess vonnöten, in dem die Senatoren ihre konditionierte Passivität erst noch abstreifen müssen.209 Den Hauptbestandteil des Diskurses über die Vergangenheit bildet der hart geführte antidomitianische Diskurs. Der auf Domitian konkretisierte antimonarchi207 Nach dem taciteischen Narrativ wäre das, was von Plinius als mutiges Verhalten des Mauricus gewertet wird (vgl. oben zu Plin. epist. 4,22,4–6) anmaßend und dreist. Denn Mauricus ist zwar als Verbannter ein Opfer Domitians und der senatorischen Gerichtsbarkeit geworden, aber sein Bruder war es auch, der den Tyrannen mit der Absicht eines ruhmvollen Todes provoziert und die Situation für die Allgemeinheit deutlich verschlechtert hat. 208 Zur Definition des verwendeten Diskursbegriffs, der Differenzierung zwischen Diskursen als soziale Praktiken und Diskursen als intratextuelle Abstraktionen, deren Repräsentationen von Welt sich aber in beiden Fällen in semantischen Relationen realisieren sowie zur Hierarchie von Diskursen siehe Fairclough 2003, 22–38. 209 Vgl. oben, Kap. 1.3, S. 51–55.
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sche Diskurs, bei dessen Realisierung in großem Maße auf etablierte Topoi der Erzählungen von Tyrannen zurückgegriffen wird – wie beispielsweise die Diskurselemente der Verstellung, der Demaskierung, des Getrieben-Seins von negativen Emotionen, der Einsamkeit etc.210 –, bildet die Basis für die Repräsentation der Senatoren als mitschuldige Opfer. Die Identifikationsfigur für senatorisches Verhalten unter der Tyrannis stellt dabei Agricola dar, der als unabhängiger Statthalter im Dienst für die res publica Großes vollbracht, sich durch den Hass und den Neid seines hierarchisch weit über ihm stehenden Gegenspielers ganz der Passivität hingegeben hat und sich der Zeit äußerster Knechtschaft und der kollektiven Mitschuld nur aufgrund seines „rechtzeitigen“ Todes entziehen konnte. Ausgelöst hat diese unerträgliche Zeit des Leidens und der Gefahr für die Senatoren die ruhmsüchtige Selbstinszenierung von den Tyrannen provozierenden Märtyrern, die der Gemeinschaft dadurch nicht nur keinen Nutzen einbrachten, sondern sogar Schaden zufügten. Deren Integrität wird also in Zweifel gezogen und ihre Opferrolle somit relativiert. Erschwert wurde das Überleben in Zeiten, die den Tugenden gegenüber so feindlich und schrecklich gesinnt sind (tam saeva et infesta virtutibus tempora), durch die Helfer des Tyrannen, die sich aber durch eine geringe Zahl (weniger als die Märtyrer) und ihre bereits erfolgte soziale Desintegration auszeichnen. Der Hauptschuldige, Domitian, steht am Schluss alleine da und darf im gegenwärtigen sozio-politischen Horizont der Senatoren keine Rolle mehr spielen. Dieser von Tacitus realisierte Diskurs der Transition trifft auf eine Zeit des Übergangs, in der die für die Stabilisierung der senatorischen Hierarchie so bedeutsame Kaisernähe wegen der Abwesenheit eines Princeps fehlte, der als solcher noch nie in Rom gewesen war, weshalb noch auf keine etablierten Beziehungen des Einzelnen zum Herrscher zurückgegriffen werden konnte.211 Das lange Fernbleiben Trajans führte für die Senatoren zu einer in zweifacher Hinsicht misslichen Lage: Zum einen waren äußerst wenige Senatoren, zu denen sicherlich die ‚Sachwalter‘ Trajans in Rom, Sex. Iulius Frontinus und L. Iulius Ursus,212 zählten, durch ihren direkten Kontakt zum Kaiser und dem damit verbundenen herrschaftlichen Wissen weit über den Rest ihrer Standesgenossen herausgehoben,213 während zum anderen die Binnendifferenzierung des Großteils der Aristokratie zunehmend unsicherer wurde.214 Denn die Nähe zum Kaiser war ausschlaggebend für das ihnen von die210 Vgl. Döpp 1985, 151–167, v. a. 154 u. 167, vgl. zur Tyrannentopik auch Dunkle 1967 sowie Gildenhard 2011, 85–98. 211 Vgl. bezüglich dieser für die Senatoren nicht ganz unkritischen Zeit Seelentag 2004, 48–52 sowie Strobel 182 f. 212 Vgl. zu Sex. Iulius Frontinus: PIR2 I 322 sowie Strobel 2010, 80 f., 157–163, 176 und zu L. Iulius Ursus: PIR2 I 630 sowie Strobel 2010, 47, 98; 157–165. Vgl. zu beiden Eck 2002, 16 f. 213 Vgl. für die von diesen beiden eingenommene Funktion in Rom und ihre Stellung gegenüber ihren Standesgenossen mit der Situation des Jahres 70 und der herausragenden Position Mucians: Tac. hist. 4,4,1 f. (wo er sich ganz in der Manier eines Princeps in einem Brief an die Senatoren [eigentlich ja seine peers] wendet); 4,11,1 (Mucians Eintreffen in Rom und sein princepsgleicher Habitus); 4,39,2 (aus der von ihm verordneten Einigkeit zwischen den Senatoren geht hervor, wer die eigentliche Macht im und über den Senat besitzt. Zu Mucian und seiner Teilhabe an der Herrschaftsübernahme Vespasians siehe unten, Kap. 4.2.2, S. 255–257 u. Kap. 4.2.3, S. 266 f. 214 Vgl. Seelentag 2004, 52 f.
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sem zufließende Sozialprestige sowie für ihre Potenz als Patrone.215 Vor diesem Hintergrund der stark limitierten Mittel aristokratischer Distinktionserzeugung verwundert es nicht, dass einzelne Senatoren wie Plinius versuchten, wenigstens durch brieflichen Kontakt mit dem Kaiser eine erste Beziehung zu diesem zu etablieren, um ihre zukünftigen Chancen auszuloten,216 und dass der adventus des Kaisers in Rom nicht nur voller Spannung erwartet, sondern vor allem für die Senatoren zu einem Politikum wurde.217 Ein probates, wenn auch riskantes Instrument für die in erster Linie vom Princeps erst einmal unabhängige Erzeugung von Sozialprestige stellte die Beseitigung von Konkurrenten mittels juristischer Attacken dar, wobei die individuelle Schuld des Einzelnen unter dem der damnatio memoriae verfallenen Vorgänger nahezu universelle Anwendung versprach. Dies legt nicht nur, wie eingangs gesehen, der Brief des Plinius über sein Vorgehen gegen Certus und der ihm entgegengehaltene, umfassende Widerspruch der Versammelten patres im tutti nahe, sondern auch die von Tacitus in seinen Historien geschilderte heiße Debatte der Senatoren, wie mit der individuellen Vergangenheit unter Nero und dessen senatorischen Freunden nach der Herrschaftsübernahme durch Vespasian verfahren werden sollte.218 Der im Jahre 70 im Senat entbrannte Streit über die Konsequenzen des Verhaltens einzelner Senatoren unter Nero für die aristokratische Hierarchiebildung unter der vespasianischen Herrschaft wurde von den Stellvertretern des Princeps, Mucian und Domitian, durch eine kollektive Amnestie dauerhaft unterbunden,219 215 Siehe zum Punkt der Maklerpatronage Saller 1982, 74–78 sowie zur Bedeutung von Kaisernähe ebd. 33, 43, 60. Vgl. dazu Flaig 1992, 104–107, 114. Zur hier verwendeten Metapher des Kaisers als Quelle für senatorische Handlungsmöglichkeiten (durch welche letzten Endes auch ein Großteil ihres Sozialprestiges konstituiert wird) vgl. Plin. epist. 3,20,12. 216 Vgl. Plin. epist. 10,1–10 (Briefe, die alle an Trajan vor dessen Rückkehr nach Rom geschickt wurden). Vgl. ausführlich dazu Seelentag 2004, 63–77; 93–113; 158–171; 183–196. 217 Vgl. dazu Plin. epist. 10,10 sowie dessen Besprechung bei Seelentag 2004, 196–211. Vgl. zum adventus als einem Ritual der sichtbaren Klärung von den Beziehungen des Princeps zur Plebs, den Rittern, den Senatoren und der daraus resultierenden Binnendifferenzierung letzterer Ronning 2007, 85–88; zur Darstellung des trajanischen adventus durch Plinius in seinem Panegyrikus siehe unten, Kap. 2.3, S. 100–104. 218 Vgl. zu Plinius Vorgehen gegen Certus und dem damit erhofften bzw. erreichten Zugewinn an Prestige oben, Kap. 1.1. Beispielhaft wird dies in der Auseinandersetzung zwischen Helvidius Priscus und Eprius Marcellus dargestellt. Denn auch in diesem Fall scheint die Intention des Anklägers, Priscus, durchaus fraglich und die Konsequenzen für die senatorische Hierarchie unabsehbar, siehe Tac. hist. 4,6,1: ea ultio, incertum maior an iustior, senatum in studia diduxerat: nam si caderet Marcellus, agmen reorum sternebatur („Dieser Versuch, Rache zu nehmen, bei dem es fraglich ist, ob es ihm mehr darauf ankam, eine große Sache daraus zu machen, oder ob es ihm mehr um die Gerechtigkeit zu tun war, spaltete den Senat in Parteien. Wenn nämlich Marcellus unterlag, so musste ein ganzer Schwarm von Schuldigen zur Strecke kommen“). Zur Auseinandersetzung zwischen diesen beiden s. Tac. hist. 4,7 f. u. 4,41–43. 219 Tac. hist. 4,44,1: proximo senatu inchoante Caesare [Domitian] de abolendo dolore iraque et priorum temporum necessitatibus, censuit Mucianus prolixe pro accusatoribus („Als der Cäsar die nächste Senatssitzung mit der Erklärung begann, man müsse allen Ärger und Grimm und die Erinnerung an die Nöte früherer Jahre aus der Welt schaffen, äußerte sich Mucian in einem für die Denunzianten günstigen Sinn“).
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d. h. die neronische Vergangenheit war als Distinktionsbasis im senatorischen Konkurrenzkampf durch kaiserliches Gebot unverfügbar geworden. Unter ähnlichen Vorzeichen standen sicherlich auch die Gebote Nervas, mit denen dieser nach anfänglichen juristischen Grabenkämpfen gegen die senatorische Prozessflut, wie Plinius sie in Brief 9,13 darstellt, vorging und weshalb er das Vorgehen gegen Certus im Sande verlaufen ließ.220 Dass sich dies unter Trajan ganz ähnlich verhielt und der neue Princeps zumindest über seine Sachwalter in Rom deutlich zu verstehen gegeben hat, dass auch ihm nicht an der senatorischen Selbstzerfleischung gelegen sei, ist nicht nur wegen der Linie seines Vorgängers und der historischen Parallele im frühen vespasianischen Prinzipat, sondern auch aus rein pragmatischen Gründen anzunehmen. Ein juristischer Bürgerkrieg hätte sicherlich zu schwindender Akzeptanz der Senatoren gegenüber seiner Herrschaft geführt, was – wenn die nötigen Verbindungen zu Standesgenossen mit entsprechenden Netzwerken und militärischem Potential vorhanden waren – äußerst gefährlich für den amtierenden Princeps hätte werden können.221 Außerdem hätten die Senatoren damit in sein herrscherliches Recht eingegriffen, die Funktionselite seines Prinzipats in eigener Regie zu bestimmen, da sie eine juristisch begründete Vorauswahl getroffen hätten, die der Princeps nur in Einzelfällen und mithilfe eines hohen kommunikativen Aufwands hätte rückgängig machen können.222 Eine der beiden grundlegenden Konsequenzen der von Tacitus in seinem Agricola angelegten Diskurse entspricht nun genau diesem kaiserlichen Bedürfnis nach hierarchischer Stabilität und Ruhe unter den Senatoren. Mit den oben genannten vier Bausteinen223 – sozial bereits Desintegrierter als Schurken, nicht ganz unschuldigen Opfern, der kollektiven Mitschuld aller und dem letztendlich hauptschuldigen Tyrannen – ebnet Tacitus die Vergangenheit für die Evaluierung senatorischen Einzelverhaltens und somit als Grundlage für gegenwärtige Distinktion ein. Den Optativ des salvi simus, der Plinius bei seinem zu Beginn noch unkonkreten Vorhaben gegen Certus entgegengeschleudert wird,224 transponiert das Narrativ der schuldlos schuldig Gewordenen in eine logische Konsequenz. Denn nach dieser kollektiven Schulderklärung befindet sich keiner mehr in der Position, aus Zwecken der Distinktion mittels der domitianischen Vergangenheit eines Konkurrenten Kapital schlagen zu können. Wenn alle Schuld haben, können nicht Einzelne angeklagt werden und Andere erfolgreich anklagen. Kurz gesagt, handelt es sich um das Plädoyer für eine kollektive Amnestie unter Beibehaltung des hierarchischen status quo ante. 220 Siehe Plin. epist. 9,13,4 und siehe zu Nervas Vorgehen Cass. Dio 68,1,3. Siehe ebenfalls oben, Kap. 1.1, S. 35 mit Anm. 14. 221 Vgl. Flaig 1992, 174–201; v. a. 177 f., 183 f. Zur Möglichkeit der Usurpation aus Gründen der senatorischen Unzufriedenheit mit einem zu stark gegen das hierarchische System der Senatorenschaft verstoßenden Kaiser, dem dadurch nicht nur Ungerechtigkeit zugeschrieben wird, sondern der auch eine Gefahr für die Elite des Reiches darstellt, vgl. die Rede Mucians in Tac. hist. 2,76 f. Vgl. unten, Kap. 4.2.2, S. 266. 222 Vgl. zur Möglichkeit des Akzeptanzverlusts des Princeps bei unangemessener Patronage Saller 1982, 45. 223 Siehe oben, Kap. 1.5, S. 72 f. 224 Plin. epist. 9,13,7; vgl. oben, Kap 1.1 S. 33 mit Anm. 8.
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Eines breiten Konsenses durfte sich die taciteische Schrift aufgrund dieser sozio-politischen Funktionalisierung gewiss sein, da alle Senatoren, wenn sie eine dem cursus honorum entsprechende Karriere vorzuweisen und diese – was vor allem für die hierarchisch höchststehenden und nicht zuletzt für den Princeps selbst zutraf – unter Domitian gemacht hatten.225 Im antidomitianischen Diskurs, wie er im Agricola seine Realisierung findet, wird die senatorische Schuld als eine kollektive relativiert und der Tyrann zum alleinigen Sündenbock gemacht. In diesen Diskurs konnte sich quasi jeder einbringen und seine senatorische Integrität beweisen, indem er sich vom alten Regime distanzierte und ein stützender Teil der neuen Herrschaft wurde. In der Zeit der Transition, zu der auch die Anfangszeit der trajanischen Herrschaft hinzuzurechnen ist, entsteht also ein Diskurs, der die Grundlage für die diskursive Integration aller Senatoren in das neue System auf Kosten einer verdrängten Vergangenheit bereitet wird: keine Aufarbeitung individueller Handlungen unter dem vorherigen Regime, dafür der Konsens über das kollektive Versagen des senatorischen Standes und über den einzig Schuldigen: Domitian. Bereits wenige Jahre später nutzt Plinius der Jüngere in seinem Panegyrikus ebenfalls eine spezifische Realisierung des antidomitianischen Diskurses, wobei sich seine Intention allerdings ein wenig von derjenigen des Tacitus unterscheidet.226 Aber auch im plinianischen Briefkorpus nimmt dieser Diskurs eine prominente Funktion ein;227 und während er in den taciteischen Historien aufgrund ihrer Fragmentarität nur angedeutet bleibt,228 greifen auch Martial und Iuvenal sowie Frontinus und Sueton auf ihn zurück und prägen damit nicht nur die Tradition der domitianischen Tyrannis, sondern bezeugen auch die weite Verbreitung des antidomitianischen Diskurses in der römischen Reichselite.229 Dies muss jedoch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es zwar durchaus einige Verwerfungen der Senatorenschaft unter Domitian gab und in den letzten Regierungsjahren die Spannungen zwischen deren Mitglieder und dem Herrscher anscheinend nur noch schwer erträglich waren, dessen Herrschaft aber bei weitem nicht so viele tote Senatoren 225 Vgl. Beck 1998, 69 f., 98, der darin allerdings lediglich eine rezeptionsästhetische Interpretationsmöglichkeit sieht, die er von der eigentlichen Intention des Verfassers, die rein persönlich sei, trennen möchte; eindeutig für die breite Konsensfähigkeit dieses Charakters der Schrift Ash 2006, 22; Sailor 2008, 70; A. Birley 2009, 49; Strobel 2010, 102 f. 226 Siehe unten, Kap. 2.5. 227 Siehe unten, Kap. 3.2. 228 Tac. hist. 3,59,3 (wo schon die Paranoia vor Anschlägen mitschwingt); 3,74,1 u. 3,86,3 (hier könnte das Thema der Feigheit für die spätere Ausarbeitung angelegt sein); 4,2,1 (zu seiner sittlichen Verkommenheit bereits in Jugendjahren); 4,39,2; 4,51,2 (zum präpotenten Auftreten des jungen Caesar); 4,40,1 (mit der Implikation seines wahren Charakters, der später offen zutage treten sollte); 4,68,1 (die Angst hervorrufenden hemmungslosen Begierden Domitians); 4,68,3 (sein jugendliches Ungestüm in Kriegsangelegenheiten); 4,86 (der schon in der Jugend ausgeprägte Machtwille, der sich aber nicht durchsetzen kann, woraufhin Domitian Verschlossenheit, Heuchelei und Verstellung seiner Eifersucht auf seinen Bruder entwickelt). 229 Siehe Ramage 1989, 640–664. Zu Iuvenal: Iuv. 4, vgl. Fögen 2009 (v. a. 189–191). Ob man bei Sueton in Anbetracht des radikalen Umschwungs von domitianischer Milde und Enthaltsamkeit zu Grausamkeit und Habsucht (schön unterteilt in Suet. Dom. 1–9 und Suet. Dom. 10–23.) von Ansätzen eines ‚unbefangenen‘ Domitianbilds in hadrianischer Zeit sprechen kann, wie Schwarte 1979, 161 das tut, mag bezweifelt werden.
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produziert hat wie die des Claudius und es eigentlich keine belastbare Grundlage gibt, von einer Gewaltherrschaft Domitians zu sprechen.230 Des Weiteren hat Trajan selbst es nie für notwendig erachtet, sich in besonderem Maße von Domitian zu distanzieren, wie dies beispielsweise Vespasian und Titus gegenüber Nero bereits vorexerziert hatten.231 All dies führt zu dem Schluss, dass der antidomitianische Diskurs des Agricola in der Zeit von dessen Verbreitung ein normativer Elitendiskurs war, der auf dem Rücken der kollektiven Vergangenheit ausgefochtene Konkurrenzkämpfe blockieren sollte. Diese Einebnung der Vergangenheit und die daraus resultierende Stabilität der senatorischen Hierarchie trotz Abwesenheit des Princeps entsprach, wie oben ausgeführt, natürlich dessen Bedürfnissen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch dessen durch seine Stellvertreter durchgesetzten Geboten. Im Unterschied zu den in den Historien dargestellten Senatoren allerdings, die nach dem Tod des Vitellius für einen kurzen Moment den Hauch der Freiheit spüren und die unter Nero begangenen Verbrechen ihrer Standesgenossen an deren peers rächen wollen, aber sofort in die Abhängigkeit der neuen Herren fallen,232 hat die trajanische Reichselite einen Tacitus. Denn der von diesem lancierte antidomitianische Diskurs erzeugt selbst einen Konsens, der die Vergangenheit als Distinktionsbasis ablehnt und unabhängig von den Geboten des Princeps ist. Allein die Logik der Vergangenheit, wie sie im Agricola dargestellt ist, erzwingt eine kollektive Desintegration aus der domitianischen Ära, welche eine universelle Integration in die trajanische Herrschaft zur Folge hat, wobei der hierarchische status quo ante beibehalten wird. Man gehorcht also nicht einfach dem Gebot des Princeps, sondern die eigene ratio entspricht dessen Bedürfnissen, da diese in der Logik der Vergangenheit und dem Nutzen für die
230 Vgl. zu der unguten und von Konkurrenz bestimmten Atmosphäre in den letzten Tagen unter Domitian Eck 2002, 13 und zur Überzeichnung der domitianischen Herrschaft durch Tacitus Dorey 1966, 66–71; Schwarte 1979, 170; Döpp 1985, 152 sowie 151 mit weiterer Literatur in Anm. 2; Städele 1988, 222–234. Auch ist zu konstatieren, dass zwar einige Leichen im Keller Domitians bekannt sind – um nur die prominentesten zu nennen, sei auf Tac. Agr. 45,1 verwiesen, während Suet. Dom. 10–12 eine ganze Reihe von ermordeten Senatoren benennt; insgesamt sind aber nicht mehr als 14 zum Tod verurteilte Senatoren in der gesamten Regierungszeit Domitans bekannt, vgl. Strobel 2010, 122. Unter Claudius hingegen kennt man 35 getötete Senatoren siehe Sen. apocol. 14,1 und Suet. Claud. 29,2, vgl. Jones 1992, 180–188 sowie Strobel 2010, 137 Anm. 4. Wesentlich kritischer gegenüber dem „neuen“ Domitianbild: Wilson 2003 sowie Haynes 2006, 157. Wahrscheinlich trug die ungeklärte Nachfolgefrage auch nicht gerade zur Entspannung des Verhältnissen zwischen Domitian einerseits sowie seiner näheren Umgebung und den Senatoren andererseits bei, vgl. Witschel 1997, 104–106. 231 Vgl. die lex de imperio Vespasiani [CIL VI 930], in welcher Vespasian durch den Anschluss an Claudius Nero explizit aus der Reihe legitimer Kaiser herausnimmt; vgl. Dészpa 2011, 9 f. Siehe ebenfalls die auf die Beseitigung baulicher Spuren Neros erfolgte Umgestaltung des Zentrums von Rom und die dabei vollzogene Zerstörung der domus aurea: Pfeiffer 2009, 29–32. 232 Tacitus stellt in Tac. hist. 4,44,1 bezüglich des senatorischen Vorhabens, die Vergangenheit unter Nero aufarbeiten zu wollen, lakonisch fest: patres coeptatam libertatem, postquam obviam itum, omisere („Der Senat gab, nachdem sich ein Widerstand bemerkbar machte, die freiheitlichere Haltung, zu der er bereits einen Anlauf genommen hatte, wieder auf“).
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res publica begründet ist, wodurch die dignitas und auctoritas des senatorischen Standes in dessen Souveränität der eigenen Vergangenheitsbewältigung zutage tritt. Die senatorische Unabhängigkeit vom Princeps manifestiert sich nicht nur in der selbstreferentiellen Behauptung der Schrift, einen eigenständigen Beitrag zur Konstituierung der neuen Zeit – als Heilmittel von einem Senator für Senatoren – zu leisten, sondern auch in der literalen Funktion des Textes, ein Werk für die memoria eines verdienten Senators zu sein; und eben keine Lobschrift auf die neue Zeit oder die Tugendhaftigkeit Trajans weder jetzt noch unter Domitian.233 Gemeinsam mit dem in ihr realisierten Diskurs über die neue Zeit fordert die Schrift zur senatorischen Beteiligung an der Konstituierung des beatissimum saeculum nach idealem, ‚republikanischem‘ Vorbild auf, und stellt die Behauptung, dass dies unter dem neuen Princeps auch erwünscht sei, in ihrem selbstreferentiellen Anspruch, ein Heilmittel für die unter Domitian erlittenen Gebrechen zu sein, performativ unter Beweis. Man lebt eben nicht mehr unter einem Tyrannen, der gegen senatorische Schriften und deren Autoren wütet, und im Gegensatz zu den in den Historien geschilderten Senatoren unter Vespasian begibt man sich auch nicht aus einer Abhängigkeit in eine andere, sondern Tacitus und die wohlwollenden Rezipienten des Agricola sind selbstbewusstes Konstituens des trajanischen Herrschaftssystems. Nach dieser Einbettung der im Agricola realisierten Diskurse in den sozio-politischen Horizont seiner Entstehungs- und Verbreitungszeit, bleibt nun noch nach der Dividende für den Verfasser dieser Schrift, mithin nach seinen Intentionen zu fragen. Natürlich lässt sich angesichts der Tatsache, dass Tacitus eine steile Karriere als homo novus unter Domitian, die ihm im Jahre 97 das Suffektkonsulat einbrachte,234 nicht von der Hand weisen, dass er an einer differenzierteren Beurteilung der Rolle einzelner Senatoren unter der Herrschaft Domitians möglicherweise nicht interessiert gewesen wäre, und er mit seinem Werk auch eine Apologie für sich selbst, für Agricola, im Grunde genommen aber für den Löwenanteil seiner Standesgenossen abgeliefert hat.235 Aber eine ausschließliche oder gar Hauptfunktion kann darin nicht mehr gesehen werden, da die Plausibilität, sich mit einer literarischen Verteidigungsschrift diskursiv gegen die soziale Praxis juristischer Prozesse wehren zu wollen, nicht gegeben und die ablehnende Haltung Trajans gegenüber senatorischen Grabenkämpfe in diesem Bereich überaus wahrscheinlich ist. Diese Entsprechung zwischen den Bedürfnissen Trajans und den logischen Konsequenzen der diskursiven Gestaltung der Transitionszeit in Tacitus’ Schrift legt den Schluss nahe, dass der Konsular mit seinem Erstlingswerk auch die Intention der Affirmation des neuen Herrschers verfolgte.236 Dies bestärken sowohl seine 233 Vgl. Sailor 2008, 72. In diesen Zusammenhang gehören natürlich auch die republikanischen Referenzen, welche im ersten Kapitel des Agricola gezogen werden, vgl. oben, Kap. 1.3. 234 Vgl. A. Birley 2000c, 230–247. 235 Vgl. Ash 2006, 22; Sailor 2008, 70; A. Birley 2009, 49; Strobel 2010, 102 f. 236 Dies erkennen, wenn sie der Schrift auch eine grundsätzlich andere Funktionen zuschreiben, Schwarte 1979, 170 f.; Sailor 2008, 105; A. Birley 2009, 49 und in gewisser Weise auch Sailor 2012, 29–35 durch seine überzeugende Analyse der Parallelisierung von Prinzipat und Imperium, wobei ersteres für die römische Aristokratie die beste Alternative darstellt. Leider
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Charakterisierung der neuen Zeit als auch deren dunkelster Kontrast, die Herrschaft Domitians. Der grundlegende Wandel der Zeiten wird mit seinem Agricola nicht nur bewiesen, sondern auch mit herbeigeführt und bestätigt damit die Behauptung, im nun eingetretenen allerglücklichsten Zeitalter seien zum ersten Mal die beiden unvereinbaren Dinge principatus ac libertas vereinigt worden. Gegen eine prinzipielle Ablehnung oder Infragestellung des Prinzipats spricht nicht nur dieser Verweis auf die neue Zeit unter Trajan, sondern auch die Diskreditierung der stoischrepublikanischen Märtyrer sowie die durch Agricola verkörperten Tugenden einer Aristokratie des Prinzipats (modestia und obsequium). Darüber hinaus verlöre eine implizite Opposition gegenüber dem politischen System seiner Zeit auch deshalb an Glaubwürdigkeit, weil die soziopolitische Karriere des Konsulars Tacitus innerhalb des gesetzten Rahmens sowohl vor als auch nach der Zeit der Transition steil nach oben verlief; was die Befürwortung der entsprechenden Principes natürlich voraussetzt.237 Tacitus bewahrt sich dabei allerdings seine senatorische Unabhängigkeit, da die Darstellung der senatorischen Vergangenheit im Agricola zu einem Plädoyer für die kollektive Amnestie der Aristokratie wird und diese Schrift in ihrem Selbstanspruch nicht dazu verfasst wurde, ein Gebot des Kaisers aus der Tyrannis Domitians zu deduzieren oder zu plausibilisieren. Des Weiteren gelingt es ihm, sich als Verfasser des Agricola als unabhängigen und selbstbewussten Systemträger zu inszenieren, was ihm einen immensen Anstieg seiner senatorischen dignitas und seiner konsularen auctoritas einbringt.238 Er besitzt das Wissen über die Vergangenheitsbewertung und -bewältigung und kann deshalb einen normativen Diskurs über das senatorische Verhalten anhand der Symbolfigur des Agricola führen, der nicht nur standesadäquates Agieren in der Vergangenheit evaluiert, sondern auch dessen zeitgenössische Formen definiert. Die Schrift fordert seine Standesgenossen dazu auf, endlich ihre aus Gründen des Selbstschutzes und des Schutzes ihrer Standesgenossen sowie der res publica internalisierte Passivität abzulegen und sich an der Schaffung einer neuen Zeit zu beteiligen, wie sie wenig später im Panegyrikus des Plinius als schon erreicht dargestellt wird.239 Dadurch, dass er dieses Wissen besitzt und sozusagen als Assisschwächt er dieses Argument wieder ab und stellt Tacitus zwischen Befürworter und Gegner des Prinzipats (ebd. 35–37). 237 Vgl. im Gegensatz dazu Sailor 2012, 35–37, der die Meinung vertritt, es sei eine Frage der Rezeptionsästhetik gewesen, ob man Tacitus’ auktoriale Stimme im Agricola konform oder subversiv habe verstehen wollen. Vgl. dagegen Lausberg 1980, die zeigt, dass die beiden unvereinbaren Größen principatus ac libertas über symbolische Anleihen bei Caesar- und Catobildern der Kaiserzeit auch in der Figur des Protagonisten selbst angelegt ist; siehe v. a. ebd. 427–430. 238 Siehe oben, Kap. 1.3, S. 51–55 zu Tac. Agr. 3; vgl. Dészpa 2011, 2. Zu Beginn der Verbreitung der Schrift mag das aber auch Risiken in sich geborgen haben: siehe Sailor 2004, 170 f. 239 Siehe Plin. paneg. 44,5 f.: an parva pronaque sunt ad aemulandum quod nemo incolumitatem turpitudine rependit, salva est omnibus vita et dignitas vitae, nec iam consideratus et sapiens, qui aetatem in tenebris agit? eadem quippe sub principe virtutibus praemia quae in libertate, nec bene factis tantum ex conscientia merces. amas constantiam civium, rectosque ac vividos animos non ut alii contundis ac deprimis, sed foves et attollis („Denn es ist gewiss keine unbedeutende und mühelos wiederholbare Errungenschaft, dass heute niemand seine Sicherheit
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tent der Principes beim Wiederaufbau des Gemeinwesens nicht nur anderen diesen Rat gibt, sondern ihn selbst bereits beherzigt hat, hebt er sich mit seinem Agricola zum einen über die ruhmsüchtigen Märtyrer und wird zum anderen zum exemplum für alle seine Standesgenossen. Wenn diese seinem Beispiel folgen, das domitianische Schweigen brechen, die konditionierte Passivität ablegen, dann wird das beatissimum saeculum unter Trajan zu voller Blüte gelangen. Eine Auffassung, nach der die Senatoren nicht nur Nutznießer dieser neuen Form der Herrschaft werden, sondern zu deren Realisierung einen fundamentalen Beitrag leisten. Dabei mag es durchaus paradox anmuten, dass Tacitus sich also im Reden über die Vergangenheit eine Distinktionsbasis schafft und gleichzeitig die Anerkennung dieser Vergangenheit als Grundlage für den senatorischen Konkurrenzkampf ablehnt. Der Gewinn an Sozialprestige auf der diskursiven Ebene ist für den Autor des Agricola in seiner Führungsrolle in der neuen Zeit, die er für seine senatorischen Standesgenossen übernimmt, also durchaus beträchtlich. Inwiefern die Schrift zu seiner tatsächlichen sozio-politischen Stellung im trajanischen System beigetragen hat, ist schlichtweg nicht zu beantworten. Allerdings mag es angesichts des taciteischen Aufstiegs in die allerhöchsten Weihen des kaiserzeitlichen Senatorenstandes240 und der Tatsache, dass er seine literarische Betätigung nicht aufgab, durchaus plausibel erscheinen, dass er in ihr ein wirkmächtiges Feld für die Erzeugung senatorischer Distinktion sah. Als frischgebackener Konsular zumindest – denn in Anbetracht obiger Agenda für seinen Agricola ergibt eine möglichst frühe Entstehungs- und Verbreitungszeit am meisten Sinn241 – nutzte er ein literarisches Werk, um die Erzählung über einen bedeutenden Mann zu etablieren, der an den äußersten Grenzen des Imperiums erfolgreich zu dessen Erweiterung beigetragen und der selbst unter dem Tyrannen Domitian seine Unversehrtheit und Integrität aufgrund seiner Selbstbescheidung und seiner Loyalität, aber auch seines glücklichen Todeszeitpunkts bewahrt hat. Mit den in ihr realisierten Diskursen der Transition schreibt er sich und seine Standesgenossen aus dem domitianischen Herrschaftssystem heraus, ohne seinen sozialen Status oder den seiner peers in Frage zu stellen, da er mit ihnen zu schuldlos schuldig gewordenen Opfern der Tyrannis wurde. „The core body of senators is – through these discourses of transition – only victims of bad principes, invidious delatores, and suicidal senators.“242 Tacitus ist also aktiv beteiligt an der Konstruktion eines retrospektiv desintegrativen Diskurses, der den Tyrannen am Schluss alleine dastedurch Schandtaten erkauft, dass allen das Leben und ein Leben in Würde garantiert ist, das nicht länger nur derjenige klug und besonnen handelt, der in stiller Zurückgezogenheit lebt! Denn heute werden die Tugenden unter einem Princeps ebenso belohnt wie im freien Staatswesen, und edle Taten finden ihren Lohn nicht nur im eigenen Gewissen. Du liebst Charakterfestigkeit bei deinen Untertanen, und aufrechte und kraftvolle Naturen werden von dir nicht, wie von anderen, gebeugt und niedergedrückt, sondern bestärkt und gefördert“). 240 Zum Prokonsulat Asiae siehe AE 1890, 110 = OGIS 487 = Smallwood 1966, Nr. 203. Vgl. A. Birley 2000c, 235 f. der die Ausführung dieses Amtes durch Tacitus in die Jahre 112/13 legt. 241 Vgl. oben, Kap. 1.2, zur Diskussion über die Datierung dieser Schrift. 242 Dészpa 2011, 3 f.
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hen lässt und somit seinen Beitrag zu den Heilmitteln leistet, die verlorene Vergangenheit zu überwinden. Tacitus plädiert in einer durch die Abwesenheit des neuen Princeps für das Gros der Senatoren prekären Zeit, in der das fehlende Distinktionsmerkmal der Kaisernähe zu einer Instabilität der senatorischen Hierarchie beitrug, für eine kollektive Amnestie und damit für eine Erhaltung des status quo ante. Er bemüht sich, unabhängig von kaiserlichen Wünschen, aus der Logik der dargestellten Vergangenheit in seiner konsensstiftenden Schrift selbst zur Stabilisierung senatorischer Hierarchie im neuen Prinzipat beizutragen, indem er die Interessen seiner Standesgenossen dadurch zu integrieren versucht, dass er sie und sich mit blutbespritzten, aber nicht blutigen Händen kollektiv aus dem domitianischen Herrschaftssystem herausschreibt. Mit diesem Unterfangen nimmt er aber nicht nur die scheinbare Rolle des Anwalts der domitianischen Funktionselite ein, sondern inszeniert sich als senatorisches Vorbild, da er die Zeit der Transition bereits verlassen und sich in das neue Zeitalter der trajanischen Herrschaft selbständig eingebracht hat. Tacitus legt mit seinem Agricola also Zeugnis ab für die selbstbewusste Einschreibung eines konsularen Senators als unabhängiger Systemträger in die Herrschaft unter dem neuen Monarchen, dem optimus Princeps, Trajan.
2. DER PANEGYRIKUS DES PLINIUS – DAS HINEINSCHREIBEN IN DEN OPTIMUS-PRINCEPS-DISKURS 2.1 Der optimus Princeps des Trajansbogens von Benevent Als Trajan im Jahre 114 n. Chr. an der östlichen Peripherie des Imperiums für Ordnung sorgte und in die armenischen Gebiete einmarschierte, besetzte er diese ohne einen Schwertstreich, enthob Parthamasiris seiner königlichen Pflichten und machte sich daran, eine römische Provinz einzurichten.1 Daraufhin „beschloss für ihn der Senat die üblichen Ehrungen in Fülle und verlieh ihm außerdem noch den Beinamen Optimus.“2 Im gleichen Jahr wurde im italischen Beneventum ein Ehrenbogen für Trajan fertiggestellt. Der Anlass für dessen Dedikation waren der Abschluss der Bauarbeiten und die feierliche Einweihung der Via Traiana im Jahre 109 n. Chr., die von Beneventum nach Brundisium führte und so zur Verbesserung des Verkehrs- und Warennetzes zwischen Rom und der südöstlichen Adria beitrug.3 Die an der Attika angebrachte Inschrift weist diesen Bogen aus als ein Auftragswerk von Senat und Volk von Rom für den Imperator Caesar, Sohn des vergöttlichten Nerva, Nerva Traianus Optimus Augustus Germanicus Dacicus, den Pontifex Maximus in dessen 18. Tribunicia Potestas, den 7-maligen Imperator, 6-maligen Konsul, den Vater des Vaterlandes, den tüchtigsten Princeps.4 Es handelt sich hierbei um eine der ersten Inschriften, in der Trajan mit dem noch vor Augustus stehenden Kognomen Opti-
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Cass. Dio 68,18–20. Cass. Dio 68,23,1. Die deutsche Übersetzung stammt, wenn nicht anders angegeben, aus: Cassius Dio, Römische Geschichte. Band V. Epitome der Bücher 61–80, übers. von Otto Veh, Düsseldorf 2007. Die Fertigstellung des Bogens im Jahr 114 n. Chr. geht aus der inschriftlichen Nennung der 18. tribunicia poetestas Trajans hervor; über die 7. Imperatorakklamation kann man dies noch auf die Zeit zwischen Juni und Dezember 114 n. Chr. eingrenzen; laut Strobel 2010, 329 erhielt Trajan seinen 8. Imperatorentitel bereits im September 114 n. Chr., womit dieser Monat bereits zum terminus ante quem würde. Kurz gefasst, der Bogen wurde im Sommer/Herbst 114 n. Chr. fertiggestellt, wohl zwischen Ende Juni und September, vgl. hierzu Hassel 1966, 1 sowie Molin 1994, 16. Zur Bedeutung der Via Traiana im weiteren Kontext der Straßenbauten und weiterer infrastruktureller Maßnahmen Trajans in Italien siehe Hesberg 2002, 85–88; Strobel 2010, 323–329. Die beiden genannten vertreten als Datum der Fertigstellung der Via Traiana das Jahr 112 n. Chr. aufgrund von Münzemissionen aus diesem Jahr, welche die Via Traiana auf dem Revers abbilden (siehe Strack 1931; Nr. 176, 426, 427, 461; vgl. Lummel 1991, 94). Im Gegensatz dazu präferieren Hassel 1966, 8, mit Anm. 47; Lummel 1991, 124 mit Anm. 751 und Hölscher 2002, 142 die auf den Meilensteinen entlang der Via Traiana (bspw. CIL IX 6003–5) gegebene Datierung der Fertigstellung im Jahr 109 n. Chr. CIL IX 1558.
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mus repräsentiert wird.5 Dass es sich damit um eine Art Kompensation oder Gegengewicht zu den militärischen Elementen der Titulatur handeln könnte – Trajan war schließlich der erste Kaiser, der mehr als einen Siegerbeinamen führte6 –, legt der Kontext der Verleihung nahe. Nicht mit einem neuen Siegerbeinamen (Armeniacus), sondern durch ein in keinem Aspekt zu übersteigerndes Kognomen wird der Princeps geehrt.7 Anders als bei der Annahme und Verleihung von Siegerbeinamen, bei denen der Senat mehr oder weniger auf die bereits und ohne sein Zutun vollbrachten militärischen Realitäten reagiert, hat die Annahme des Kognomens Optimus seitens Trajans zur Folge, dass auch der Senat an Prestige gewinnt. Denn ihm als der verleihenden Institution wird quasi das Recht zugesprochen, die Regierungsleistung des Princeps – ja, genau genommen sogar dessen Wesensart oder dessen Charakter – in allen Bereichen zu evaluieren, sie als die beste zu empfinden und das im Konsens mit dem Princeps in dessen Titulatur auszudrücken.8 Denn dass dieser sich nicht auf immer diesem ehrenden Kognomen entziehen würde, ließ sich schon an der Dedikationsformel SPQR OPTIMO PRINCIPI, die bereits seit dem Jahre 103 auf den Denaren und Aurei der Reichsprägungen aufzufinden war, ablesen.9 Im Grunde genommen gingen Senat und Trajan in Hinblick auf diesen Diskurs der trajanischen Herrschaftsdarstellung und ihrer senatorischen Rezeption den nächsten logischen Schritt. Hier lohnt vielleicht ein kurzer und allgemein gehaltener Blick auf das Bildprogramm des Bogens,10 auch wenn dieses einige Zeit vor der Verleihung des Opti5 6 7
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Noch früher als diese: CIL XVI 60, wo Trajan dieses Kognomen schon vor seiner siebten Imperatorakklamation beigegeben wird; vgl. Strobel 2010, 332 f. mit Anm. 53. Siehe Kneissl 1969, 84–86; Lummel 1991, 82; Fell 1992, 42–44,68; Seelentag 2004, 280. Die kompensatorische Intention dieser Ehrung hat auch dann Bestand, wenn Trajan, wie CIL XVI 60 nahelegt, das Kognomen Optimus schon vor den ersten großen Erfolgen im Osten verliehen bekam bzw. er diese Ehrung annahm. Diese „Frühdatierung“ profiliert die Unabhängigkeit der Evaluierungskompetenz und die Selbständigkeit des Senats sogar zusätzlich, nicht nur, da aufgrund der Abwesenheit Trajans seit Mitte des Jahres 113 (vgl. Strobel 2010, 361) diese Entscheidung des Senats als frei von Zwang oder Schmeichelei gelten konnte, sondern auch weil die Ehrung den militärischen Erfolgen vorausgeht und somit nicht als deren Konsequenz gesehen werden kann. Vgl. für eine gegenteilige Einschätzung Seelentag 2008, 235 mit Anm. 98, der hier wohl dem Bericht der Epitome des Xiphilinos zu sehr vertraut (Zitat siehe oben, S. 83 mit Anm. 2, Cass. Dio 68,23,1). Vgl. unten, Kap. 2.5, S. 128 Anm. 212, wo sich Plinius einer ähnlichen Figur der Aufwertung des Ehrenden gegenüber dem Geehrten bedient, indem er seine Situation als Lobredner zugleich mit einer paränetischen und herrschaftskritischen Funktion seiner Rede verbindet. Dass es sich bei der Reziprozität zwischen Ehrendem und Geehrtem bzw. der eigentlich übergeordnet behaupteten Position des Ehrenden um ein altbekanntes Argument handelt, findet sich bspw. auch bei Demosth. or. 18,120, wo bei der Stephanósis nicht der Geehrte, sondern die Polis in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt wird. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die reale Machtrelation zwischen Princeps und Senat prinzipiell eine andere ist als diejenige zwischen Polis und öffentlich Bekränztem. Vgl. Strack 1931, 40; Lummel 1991, 81 u. Seelentag 2004, 241 sowie Woytek 2010, 109–113. Siehe für ausführlichere Analysen des Bildprogramms des Bogens: Domaszewski 1899; Hassel 1966; Fittschen 1972; Lorenz 1973; Simon 1981; Lummel 1991, 124–135; Molin 1994; Speidel 2005/2006; Heitz 2005/2006.
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mus-Kognomens entworfen worden war.11 Auf den acht Pfeiler- und den zwei Durchgangsreliefs stehen die cura principis und die Beziehungen des Kaisers zu den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen des Reiches im Vordergrund, während die vier Attikareliefs Trajans enge Beziehung zu den Göttern zelebrieren.12 Der Princeps sorgt auf der Landseite durch Verträge mit den Barbaren an der Peripherie des Imperiums (links unten), die Inspektion der aus Auxiliaren bestehenden Grenztruppe (rechts unten), der Überwachung der Auswahl von Rekruten (links oben) sowie das ordnungsstiftende Moment der Stadtgründung für die Stabilität und Prosperität des Imperium Romanum (rechts oben).13 Auf der, dem Straßenverlauf entsprechend nach Rom weisenden Stadtseite hingegen sieht man den Kaiser auf den beiden unteren Reliefs bei seinem adventus in Rom, bei der ehrenvollen Entlassung von Veteranen (links oben) sowie bei der Sorge für Händler, Marktleute und die plebs urbana durch die Baumaßnahmen am Tiberhafen in Rom (rechts oben).14 Die Durchgangsreliefs haben hingegen mit ihrer Darstellung der Unterstützung der italischen und auch der beneventinischen Bevölkerung durch die institutio alimentaria sowie der Schilderung der mit Opfern begangenen Einweihung der Via Traiana, welche für sich genommen ebenfalls als infrastrukturelles beneficium für Süditalien wie Benevent zu lesen ist, eine starke lokale Referenz.15 Dies alles gipfelt in und begründet sich aus der in den Attikareliefs gezeigten Nahbeziehung Trajans zu den Göttern, mit deren unterschiedlichsten Vertretern er nicht nur im Einklang steht, sondern von Jupiter sogar als eine Art Stellvertreter für 11
Dies ist einfach auf die logische Chronologie zurückzuführen: Auf den Dedikationsbeschluss, die Bautätigkeiten und künstlerischen Arbeiten folgte 114 n. Chr. schließlich die Fertigstellung. Zur Bauzeit siehe Hassel 1966, 8 f. sowie Simon 1981, 3. 12 Vgl. für die nun folgende Ekphrasis die Tafeln bei Hassel 1966, Tafeln 1–23 und Simon 1981, Tafeln 1–19. Für die zentrale Bedeutung der cura sprechen sich auch Fittschen 1972, 785; Lummel 1991, 133; Fell 1992, 94; Hesberg 2002, 87 und Strobel 2010, 331 aus. 13 Vor allem das letzte Relief (rechts oben) sorgt aufgrund seiner abstrakt allegorischen Darstellung für bleibende Interpretationsschwierigkeiten. So gibt es auf der konkreten Ebene die Bestrebungen, dort die Alimentarstiftung und die Sorge für Italien (Hassel 1966, 14; Strobel 2010, 331) oder die Gründung von Kolonien (Domaszewski 1899, 189 f.; Simon 1981, 6 f.; Speidel 2005/2006, 202) oder Städten allgemein zu sehen, während man auf abstrakterer Ebene die von Trajan gewährte Fruchtbarkeit des Reiches (Fittschen 1972, 758 f.; Lummel 1991,129–131; Molin 1994, 720), die providentia des Princeps für die kommenden Generationen (Hölscher 2002, 143) oder den Herrschafts- und Zivilisierungsanspruch der Römer über den orbis terrarum (indem die weibliche Figur als Personifikation der Oecumene gelesen wird) erkennt (Heitz 2005/2006, 212–220). 14 Wenn die Benifizienten der trajanischen Baumaßnahme auch nicht klar identifiziert werden können (vgl. Lummel 1991, 126) scheint die Intention doch die benannte zu sein (so bspw.: Domaszewski 1899, 183; Hassel 1966, 16; Strobel 2010, 331). Die aus einer zu dominanten militärischen Perspektive erfolgende Interpretation in Speidel 2005/2006, 203, es handele sich um Trajans Organisation der Heeresversorgung, kann nicht überzeugen, da nicht nur auf dem Relief, sondern auch in der von Speidel zur Bestätigung angeführten Stelle aus dem Panegyrikus des Plinius (Plin. paneg. 29) jeder Hinweis auf das Heer fehlt. 15 Bei diesen Reliefs herrscht interpretatorische Einigkeit. Siehe zur cura Italiae Trajans Eck 1999 und vgl. zum beneficium der Straßenbauten Hesberg 2002, 86 f. und Strobel 2010, 326 f.
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das Wohl der Menschen ausgezeichnet wird, indem dieser ihm gleichsam über die Ehreninschrift hinweg sein Blitzbündel überreicht. Aus der in allen Bereichen waltenden Sorge des optimus Princeps entspringen mit der Zustimmung der Götter Wohlergehen und Prosperität für das Imperium Romanum und all seine Bewohner.16 Der militärische Bereich oder die Thematik der victoria Augusti allerdings ist in dem Bogen als Gesamtmonument alles andere als ausgeblendet. In diesem Kontext ist auf die folgenden Elemente zu verweisen: die drei großen Reliefplatten mit der Auswahl der Rekruten, der Inspektion der Grenztruppe und die ehrenvolle Entlassung der Veteranen. Ebenfalls Teil dieses Themenkomplexes sind der den Sieg über die Daker zelebrierende Triumphfries, der die Pfeilerreliefs mit denen der Attika kompositorisch verbindet, das kleine Relief am Scheitel der Durchgangswölbung, auf dem Trajan in Paludamentum und reliefiertem Panzer von einer Viktoria bekränzt wird, sowie die beiden Viktorien auf den Bogenzwickeln der Stadtseite. Nicht zuletzt muss man die Quadriga anführen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Bogen stand. Schließlich lag dessen primäre, architektonische Funktion darin, die Basis für die statuarische Ehrung des besten Kaisers darzustellen, den der Senat in diesem Bogen nicht zuletzt als äußerst tapferen/tüchtigen (fortissimus) Princeps glorifiziert sehen wollte.17 Vor diesem Hintergrund ist zwar zu konstatieren, dass auch der militärische Bereich im Bildprogramm des Bogens enthalten ist, aber noch deutlicher tritt seine marginale Bedeutung hervor; seine starke Abschwächung zugunsten der cura des Kaisers. Denn die Darstellung der Sieghaftigkeit des Imperators findet gegenüber derjenigen eines Princeps, der wie ein römischer Magistrat auftritt und agiert, keinen Raum. Ihren Ausdruck findet diese republikanisch verblendete, imperiale persona unter anderem darin, dass der Princeps auf den großen Reliefs in sieben von elf Szenen eine Toga und in den verbleibenden vier das Paludamentum über der Tunika trägt, nie jedoch den Brustpanzer. Im Übrigen befindet er sich stets in Begleitung von Liktoren.18 16
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Zur Auserwähltheit Trajans und seiner Rolle als Stellvertreter Jupiters auf Erden vgl. Plin. paneg. 80,4 f.; 88,8; 94,4. Ebenfalls zu dieser Thematik: Molin 1991, 722 und Strobel 2010, 330–333. Herrscht über die Attikareliefs der Stadtseite in ihrer Bedeutung relative Einigkeit, so sorgen die Interpretationsvorschläge für diejenigen der Landseite, vor allem für das rechte, doch eher für Diskussionsstof f. Wird die Identifizierung der knienden weiblichen Personifikation mit Mesopotamia – wie noch bei Domaszewski 1899, 185 f. oder Garger 1943 – aufgrund der Datierung des Bogens einhellig abgelehnt, so divergieren die Meinungen zwischen der Aufrichtung der Dacia durch Trajan (Hassel 1966, 18; Speidel 2005/2006, 199; Strobel 2010, 330), der Restitution von Italia (Simon 1981, 8 f.; Lummel 1991, 128) oder in assoziativer Verknüpfung mit dieser diejenige der gesamten bewohnten Welt (Hölscher 2002, 144). Ohne in diese Diskussion einsteigen zu wollen, hat man es auf einer allgemeineren semantischen Ebene mit einer Ordnung stiftenden, Stabilität und Prosperität gewährenden Handlung Trajans zu tun, bei der man sich an das ‚göttliche‘ Walten des Princeps in Kapitel 32 des Panegyrikus von Plinius erinnert fühlt, der, wann immer es nötig ist, Mittel des Gesamtreiches abschöpfen kann, um einzelne Regionen vor Katastrophen zu bewahren (wie in den beiden Kapiteln zuvor Ägypten). Vgl. Fell 1994, 94 sowie zu den figürlichen Elementen Hassel 1966, 20 f. Vgl. Hassel 1966, 22; Fell 1992, 93 f.; Molin 1994, 720; Hesberg 2002, 88; Strobel 2010, 331.
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Bemerkenswert ist darüber hinaus die Neuartigkeit des ikonographischen Programms. Neben den üblichen Darstellungen von Göttern, Personifikationen, dem Princeps sowie Senatoren und Rittern als Vertreter der obersten Gesellschaftsschichten in der römischen Skulptur, wird dezidiert die Interaktion des Kaisers mit Veteranen, Rekruten, Händlern, ärmeren Bürgern und den durch die Alimentarstiftung versorgten Kindern abgebildet. Die Sorge des Kaisers für Italien – repräsentiert durch die beiden zuletzt genannten Gruppen – wird dabei besonders betont.19 Ebenfalls in diesem Zusammenhang erwähnt werden sollte die zum Ausdruck gebrachte, hervorgehobene Stellung des Senats. Während Trajan die anderen Bevölkerungsgruppen aufsucht, um ihnen Anweisungen zu erteilen, Vergünstigungen oder Geschenke zukommen zu lassen, kommt dem Genius Senatus auf der linken unteren Stadtseite bei seinem Empfang in Rom insofern die Hauptrolle zu, als dieser in erster Reihe steht, als einzige Figur dem Kaiser zugewandt ist und diesem gegenüber einen begrüßenden Gestus vollzieht.20 Bestärkt wird diese Hervorhebung noch durch einen dreiteiligen Parallelismus, der hierarchisch gegliedert den Genius Senatus in eine Beziehung zum Princeps und dem obersten Gott stellt.21 Denn auf den drei großen Reliefplatten der linken Stadtseite sind diese drei die Protagonisten der übereinander angeordneten Darstellungen. Sie sind dabei nicht nur alle in der ersten Bildebene angesiedelt und überragen die anderen Figuren an Größe, sondern entsprechen sich darüber hinaus in ihrer Körperhaltung – sie nutzen alle das gleiche Stand- und Spielbein und blicken in dieselbe Richtung – und vollziehen einen ebenfalls zur selben Seite gerichteten überreichenden bzw. grüßenden Gestus.22 In seiner Bedeutung ist der Senat also zwar unter Jupiter und Trajan anzusiedeln, aber er nimmt direkt nach diesen die ranghöchste soziale Stellung ein. Der Senat, in Gestalt seiner Personifikation, ist in einer weiteren Szene des Bogens, im linken Durchgangsrelief von der Stadtseite her kommend, an prominenter Stelle anzutreffen. Er und der Kaiser dominieren das dargestellte Geschehen: Sie 19
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Zur Neuartigkeit des ikonographischen Programms siehe Molin 1994, 720; Hölscher 2002, 143. Vgl. für die Rolle Italiens: Lummel 1991, 126–128, 134. Dieser Befund – die Darstellung der Interaktion mit bzw. der Sorge für die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten – deckt sich auch mit einem Aspekt der trajanischen Herrschaftsrepräsentation auf Münzen. Siehe hierzu Lummel 1991, 92–95, 101, der feststellt, dass die Darstellung dieser Thematik unter Trajan eine neue Intensität erfuhr. Siehe für eine ausführlichere Beschreibung des Reliefs: Domaszewski 1899, 179 f.; Hassel 1966, 13 f.; Fittschen 1972, 770, 779 f.; Simon 1981, 6; Lummel, 1991, 125. Zur Bedeutung des Senats auf dem Bogen vgl. Lummel 1991, 124–126; Fell 1992, 94; Hölscher 2002, 143. Üblicherweise werden aufgrund ihrer augenfälligen Teilung eines Geschehens auf zwei Reliefplatten nur die beiden Attikareliefs und die untersten Reliefs der Stadtseite in Beziehung zueinander gesetzt – vgl. bspw. Fittschen 1972, 774, 778–781. Ob der Genius Senatus den Gruß des Princeps erwidert, wie Fell 1992, 94 das Relief interpretiert, oder ob er Trajan etwas überreicht, was durch die Parallelität mit den darüber liegenden Szenen wahrscheinlicher ist, wobei es sich um ein ehrendes Dekret oder eine den orbis terrarum symbolisierende Kugel handeln könnte (so Fittschen 1972, 770, 779 f.; Lummel 1991, 125), ist in der Argumentation um die Bedeutung des Senats im Bildprogramm des Bogens lediglich von sekundärer Bedeutung. Wäre der Genius Senatus tatsächlich dabei, dem Kaiser etwas zu überreichen, könnte man die beiden Attika- mit den beiden unteren Pfeilerreliefs der Stadtseite als Darstellung des consensus deorum hominumque zusammenfassen.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
stehen in der vordersten Bildebene, sind etwas größer als die anderen Figuren und einander zugewandt. Im Raum zwischen ihnen vollzieht der Kaiser das Opfer, in dem man die Einweihung der Via Traiana sehen kann, woraufhin der Senat dem Kaiser diesen Ehrenbogen wahrscheinlich dedizierte.23 Auch in diesem Relief wird also durch die hervorgehobene Partizipation des Genius Senatus am Opfer des Princeps die herausragende Stellung des Gremiums der patres in der sozialen Hierarchie betont. Die besondere Beziehung des Princeps zum Senat, seine Sorge für Rom, Italien, das Imperium und seine Bewohner sowie seine Soldaten sind Elemente eines konstant benennbaren Diskurses während der Regierungszeit Trajans: des Diskurses vom optimus Princeps. Innerhalb der Aushandlung seiner Repräsentationen fällt diesen Elementen die Aufgabe zu, einen Ausgleich oder ein Gegengewicht zu der sehr starken militärischen persona des Kaisers zu bilden. Entsprechend problemlos fügt sich auch das Kognomen Optimus der Inschrift in das Bildprogramm des Bogens ein, sodass die zeitliche Differenz zwischen der Entstehung des Bildprogramms und der neuen Titulatur Trajans für die meisten Interpreten nicht erwähnenswert ist. Letztendlich handelt es sich bei Trajans Annahme des Kognomens lediglich um eine neue Stufe der Realisierung eines bereits kurz nach seinem Regierungsantritt geführten Diskurses, der sich, wie bereits erwähnt, schon ab dem Jahr 103 in der Widmung SPQR OPTIMO PRINCIPI auf den Reversen von Denaren und Aurei der Reichsprägung niederschlug, und den sich Plinius der Jüngere in seinem Panegyrikus aneignete.24 2.2 Der Panegyrikus als plinianisches Produkt des senatorischen otium Der von Plinius dem Jüngeren verfasste Text, dessen Benennung als „Panegyrikus“ spätestens der ‚Herausgeber‘ der XII Panegyrici Latini dauerhaft geprägt hat, geht auf eine vor dem Senat und wahrscheinlich Trajan gehaltene Dankesrede zurück.25 23
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Siehe zum Relief: Hassel 1966, 10 f.; Fittschen 1972, 747 f.; Simon 1981, 4; Lummel 1991, 125 f.; mit Ausnahme von Fittschen, dem der Aufstellungsort des Bogens am Beginn der Via Traiana nicht deutlich genug ist und dem ein das Opfer konkretisierendes Element in der Bildgestaltung sowie die inschriftlich festgehaltene Motivation zur Errichtung des Bogens fehlen, identifizieren die Genannten das Opfer mit demjenigen zur Einweihung der Via Traiana und in derselben auch den Grund für die Dedikation des Bogens. Zur Bedeutung der Via Traiana siehe oben, Anm. 3. „Eine überraschend große Zahl von Berührungspunkten“ zwischen dem Bildprogramm des Bogens und dem Panegyrikus des Plinius stellt Fittschen 1972, 787 mit Anm. 193 fest. In Anbetracht des Umstandes, dass es sich bei beiden um die spezifische Realisierung eines dominanten Diskurses der trajanischen Zeit handelt, dürfte dieser Befund trotz der zeitlichen Differenz von ca. zehn Jahren nicht sonderlich verwundern. Siehe ausführlich über die aus dem späten vierten Jahrhundert stammende und in gallo-römischem Kontext entstandene Zusammenstellung lateinischer Lobrede auf den Kaiser Ronning 2007, 140–151, der 140 hinter dem ‚Herausgeber‘ den Rhetor Latin(i)us Pacatus Drepanius, den Verfasser der letzten Rede des Corpus, vermutet sowie einleitend Kühn 2008, 2 und Rees 2011, 175–188 zu dem schwierigen Verhältnis der plinianischen Lobrede mit den anderen Reden der Sammlung; vgl. ebenfalls Durry 1938, 6.
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Über die kaiserzeitliche gratiarum actio ist nicht viel bekannt – ohne den plinianischen Textzeugen wüsste man darüber nahezu gar nichts. Es handelte sich bei ihr um eine ritualisierte Kommunikationsform, in welcher der Konsul bei Amtsantritt dem Princeps in seinem und dem Namen des Senats den Dank für die Regierungspraxis des Herrschers und für seine Ernennung zum Konsul (und im Falle von Plinius auch für die seines Kollegen) aussprach. Sie hatte sich wahrscheinlich schon relativ früh im Herrschaftssystem des Prinzipats herausgebildet und ging wohl auf die in der Republik übliche Dankesrede des Konsuls an Senat und Volk von Rom zurück.26 Plinius hielt seine Rede im September des Jahres 100 und versuchte die Tatsache, dass er und sein Amtskollege das traditionell unbedeutendste Suffektkonsulat innehatten – da es in die Zeit der res prolatae, der Senatsferien, fiel, in der sich nur noch die wenigsten Senatoren in Rom aufhielten – rhetorisch mit dem Hinweis auf die Ermordung Domitians, die damit einhergehende Herrschaftsübernahme Nervas und den Geburtstag Trajans im September aufzuwerten.27 Für die anschließende Verschriftlichung und ‚Veröffentlichung‘ der Rede war eine mögliche Kompensation eines Zuhörermangels im Senat, wenn sie vielleicht auch eine Rolle gespielt haben mag, sicherlich nicht die einzige Motivation. Denn ein derartiges primäres Ziel hätte eine möglichst schnelle öffentliche Verbreitung der Rede erfordert, wohingegen Plinius sich die Zeit nahm, seine Rede einem mindestens zweistufigen Redaktionsprozesses zu unterwerfen, in dem er sie an einen Freund mit der Bitte um Korrektur verschickte und vor seinem in Brief 3,18 geschilderten großen Auftritt vor seinen Peers sicherlich schon in kleineren Kreisen mit der Bitte um Kritik So geht bspw. aus Plin. epist. 2,1,5, in dem beschrieben wird, wie sich Verginius Rufus bei der Vorbereitung seiner gratiarum actio die Hüfte bricht, hervor, dass nicht nur unter Nerva diese ritualisierte Kommunikationsform zwischen Konsul und Princeps vor dem Senat etabliert war, sondern auch, dass eine solche Rede ebenfalls von consules ordines erwartet wurde. Die Verweise des Plinius auf die diversitas temporum (Plin. paneg. 2,3), die sich auch in der öffentlichen Rede niederschlagen solle, impliziert die Etablierung der konsularischen Dankesrede nicht nur unter Domitian, sondern auch unter dessen Vorgängern. Gleiches gilt für Plin. epist. 3,18,1 u. 6; Plin. paneg. 4,1; 90,3; vgl. zur vorhergehenden Tradition Ov. Pont. 4,4,35–41; Laus Pisonis 68–71 sowie zur späteren: Fronto ad M. Caes. 2,2; 2,4; vgl. Durry 1938, 3–5; Sherwin-White 1966, 143, 251; Millar 1977, 307 f.; Talbert 1984; 227 f.; Seelentag 2004, 220–222; Ronning 2007, 32 f. (dort auch mehr zu den republikanischen Ursprüngen; siehe zu diesen Cic. leg. agr. 2,1) und Roche 2011a, 1–4, der auch andere kulturelle Kontexte (wie die laudatio funebris) sowie die griechische Tradition berücksichtigt sowie Innes 2011, 67–69. Für die Bedeutung Ciceros als rhetorisches Vorbild für Plinius auch auf diesem rhetorischen Feld vgl. Manuwald 2011, 85–103. Vgl. für das Lob und einen Überblick über seine Kontexte in der römischen Gesellschaft allgemein Gibson 2011, 104–106. 27 Siehe Plin. paneg. 92,4; siehe zu den res prolatae Talbert 1984, 209–212 und dem plinianischen Konsulat ebd. 228, der dort 211 auch die Briefe Plinius’ anführt, aus denen hervorgeht, dass September und Oktober die üblichen Monate für seinen Aufenthalt auf seinen Landgütern waren (Plin. epist. 1,7,4; 7,30; 8,1; 8,2; 9,37 und evt. 4,13; 5,14). Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der Brief 9,37, in dem sich Plinius bei seinem Freund Valerius Paulinus entschuldigt, dass er nicht zu dessen Amtsantritt als Suffektkonsul im September des Jahres 107 anwesend sein könne, da er sich um die Verpachtung seiner Güter kümmern müsse. Über die Aktivitäten Trajans im Herbst des Jahres 100 ist aufgrund der dürftigen Quellenlage so gut wie nichts bekannt, vgl. Hanslik 1965, 1054 f. oder Woytek 2008, 12. 26
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vortrug.28 Darüber hinaus leistete er mit ihrer Verschriftlichung mehr als ihre Permanenz, sondern er wurde dadurch zum kanonisch anerkannten creator einer literarischen Gattung, was sich in der Aufnahme seiner Schrift als einziger aus dem zweiten Jahrhundert in die Panegyrici Latini und ihrer exemplarischen Position, an erster Stelle in diesem Werk zu stehen, niederschlug.29 Über die Datierungsfrage der schriftlichen Fassung besteht in der Forschung ein grundlegender Konsens, von dem es nur die eine oder andere Abweichung gibt. Nach der communis opinio dürfte die Veröffentlichung in der tradierten Form unter Berücksichtigung der Überarbeitung relativ zeitnah an dem Vortrag, also im Jahre 101 möglicherweise aber auch erst 102 gelegen haben.30 Nur wenige Forscher gehen aufgrund der Triumphvision im 17. Kapitel des Panegyrikus davon aus, dass der terminus post quem für die endgültige Fassung der Schrift im ersten Dakertriumph Trajans zu sehen ist und ihre Fertigstellung somit im Jahre 103 anzusetzen wäre.31 Die beiden Extreme in der Datierungsfrage vertreten zum einen Gunnar Seelentag, der sich für das Erscheinen der schriftlichen Fassung noch im September des Jahres 100 ausspricht – also dem ersten der beiden Amtsmonate von Plinius als Konsul –, und zum anderen Erich Woytek, dem als besonders geeigneter historischer Moment zur Textveröffentlichung der Herbst des Jahres 107 – mithin die Zeit nach dem zweiten Dakertriumph Trajans, der Annexion Arabiae und den Decennalien des Kaisers – vorschwebt.32 Diese Spätdatierung wirft die Frage nach der Aktualität und Signifikanz des Panegyrikus auf – sieben Jahre, nachdem die Rede gehalten wurde. Denn weshalb man den optimus Princeps auf der Basis seiner ersten zweieinhalb Herrscherjahre und den nicht ganz reibungslosen Beginn derselben loben sollte, nachdem zwei Siege und anschließende Triumphe über die Daker auf dem Konto Trajans zu verbuchen waren, begründet Woytek nicht weiter. Neben der Problematik einer relativen Chronologie von Texten aufgrund intertextueller Priorität – wie Woytek sie aufzustellen versucht –, die lediglich auf sprachlicher Ebene
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Siehe zum mindestens zweistufigen Redaktionsprozess Plin. epist. 3,13 u. 3,18. Vgl. Woytek 2006, 115 f., der die skrupulöse Sorgfalt Plinius’ im Redaktionsprozess allerdings ein wenig überbetont. Vgl. ebenfalls Page 2014, 271–276 (Kap. VI.2 „Produktion und Vertrieb literarischer Werke). Vgl. zur Schöpfung einer Mischgattung aus verschriftlichter gratiarum actio und panegyris Fell 1992, 16–18; vgl. Fantham 1999, 229; siehe zur Bedeutung der plinianischen Schrift für die Sammlung der XII Panegyrici Latini Ronning 2007, 140–151 sowie Kühn 2008, 2. Diese Datierung geht zurück auf Mommsen 1869, 40. Vgl. folgende Auswahl: Durry 1938, 14; Schwarte 1979, 155; Strobel 1985, 9; Fell 1992, 13; Strobel 2003, 307; Ronning 2007, 40; Kühn, 2008, 1. Während Rudolf Hanslik im KlP noch von einer „bald nachher“ erfolgten Veröffentlichung spricht (Hanslik, R., s. v. Plinius 2., in: Der Kleine Pauly 4, München 1979, 937, 48 f.), hält sich Helmut Krasser bei der Datierungsfrage im DNP gänzlich zurück (Sallmann, Klaus S. (Mainz); Krasser, Helmut (Gießen). s. v. Plinius, in: Der Neue Pauly. Brill, 2010. Brill Online. Universitaetsbibliothek Konstanz. 20 December 2010 ). So vertreten von Carcopino 1924, 29; diese Datierung scheint für Sherwin-White 1966, 250 und Büchner 1955, 187 zumindest eine sekundäre Option zu sein. Siehe Seelentag 2004, 218 f. und Woytek 2006, 118 f., 155 f.
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argumentiert werden kann, ist auch die Spezifizierung der Triumphvision in Kapitel 16f. des Panegyrikus als vaticinium post eventum mehr als fraglich.33 Nicht weniger unproblematisch gestaltet sich die Frühdatierung Seelentags auf den September des Jahres 100, da seine Argumente hierfür nicht belastbar sind. Denn weder die Tatsache, dass innerhalb des die historische Grundsituation der Rede aufrechterhaltenden Panegyricus das vierte Konsulat Trajans als Desiderat genannt wird, noch die Verwendung des Wortes nuper in dem Begleitbrief 3,13 einer Erstversion des Panegyrikus an Voconius Romanus begründen dessen zeitnahe Verbreitung in verschriftlichter Form.34 Vielmehr erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass Plinius während seiner Amtszeit als Konsul die Muße zur Ausarbeitung seiner Rede gehabt haben soll, was ebenfalls für eine drei Abende währende Rezitation vor seinen Freunden gilt, von denen die meisten während der Senatsferien sowieso nicht in Rom gewesen sein dürften, wodurch die Wirksamkeit einer solchen Rezitation ausgesprochen limitiert geblieben wäre.35 Zwar lassen sich die Briefe 3,13 und 3,18 weder selbst datieren, noch sagen sie etwas Konkretes über die Entstehungszeit des Panegyrikus aus, aber ihre Funktion als intertextuelle Begleitschriften zur ‚veröffentlichten‘ Form der Rede könnte einen Hinweis auf einen möglichen terminus ante quem liefern. Denn die ‚Veröffentlichung‘ dieser Briefe mit ihren Verweisen auf eine schriftliche Fassung des Panegyrikus birgt nur einen Mehrwert in sich, wenn beide relativ zeitgleich in Umlauf gelangen, womit sowohl die Frühdatierung Seelentags als auch die Spätdatierung Woyteks eher unplausibel erscheinen.36 Da das dritte Briefbuch nicht vor 103 vorgelegen haben kann, aber möglicherweise in diesem Jahr veröffentlicht wurde, ist meines Erachtens die Fertigstellung und Verbreitung des Panegyrikus im Zeitraum zwischen 101
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Als ein solches spezifiziert in Woytek 2006, 118 f., vgl. ebd. 156. Vgl. zum präventiv apologetischen Charakters des 16. Kapitels (ein derart friedliebender Kaiser bricht keine Kriege aus Triumphbegierde vom Zaun; er führt nur bella iusta für die dignitas populi Romani) Strobel 1985, 15 f. Siehe zum topischen Charakter des Kapitels 17 Durry 1938, 14 sowie 111–113. Dem Hinweis von Woytek auf die spolia opima und die vom Kaiser selbst im Kampf durchbohrten und dem Triumphwagen vorangetragenen Schilde, die in einer solchen Triumphprophezeiung ohne Vorbild sind, kann man entgegnen, dass es a) bisher nur drei Römern gelungen war, die spolia opima zu erlangen (vgl. Durry 1938, 112) und Plinius Trajan diese nicht abspricht, sondern lediglich ihre Erlangung aufgrund des Heroentums Trajans unwahrscheinlich macht (kein Gegner wird sich trauen, sich ihm zu stellen); und dass b) genau diese Aussage zu den spolia opima zusammen mit den durchbohrten Schilden zur Heroisierung Trajans im Stile Alexanders des Großen beiträgt. Denn genauso heroisch wie Alexander, dessen Blick in dem bekannten Mosaik aus Pompeji Dareios vom Schlachtfeld verjagt und der selbst stets in vorderster Schlachtreihe unzählige Schilde seiner Feinde durchbohrt, ist bei Plinius Trajan dargestellt (Plin. paneg. 17,2 f.). Vgl. die ausführliche Argumentation bei Woytek 2006, 116 f. sowie Ronning 2007, 40 mit Anm. 73. Siehe zur Rezitation im erweiterten Freundeskreis Plin. epist. 3,18; siehe zu den Senatsferien oben, S. 89 Anm. 27. Siehe unten, Kap. 2.5, S. 129–133 zur engen Verknüpfung von Brief und Panegyrikus.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
und 103 bei gleichzeitig größtmöglicher Annäherung an die ‚Veröffentlichung‘ des dritten Briefbuchs am wahrscheinlichsten.37 Während sich bezüglich der Datierung innerhalb der Forschung bislang eine Präferenz auf das Jahr 101 konstatieren lässt, stehen die Zuschreibungen einer primären Funktion der Schrift in deutlich stärkerem Maße zueinander in Konkurrenz und werden mit unterschiedlicher Rigidität vertreten. Im Grunde kreisen sie um drei Pole: den Fürstenspiegel, den politischen Opportunismus und die Formulierung eines politischen Programmes.38 Die Vertreter des paränetischen Charakters der Schrift stützen sich bei ihrer Interpretation zum einen auf die selbstreferentielle Aussage des Redners, sein Vortrag nütze der Allgemeinheit, da „gute Principes zu hören bekommen, was sie wirklich leisten, schlechte dagegen, was sie eigentlich leisten müssten.“39 Zum anderen führen sie die intertextuelle Funktionsbehauptung des Briefeschreibers Plinius an, die sich nicht nur mit derjenigen innerhalb der Rede deckt, sondern sogar über sie hinausweist und sie insofern um einen zukunftsweisenden Aspekt erweitert, als die Schrift zugleich Leitfaden für den aktuellen wie für zukünftige Principes darstellen soll.40 Allerdings wird dabei gerne übersehen, dass Plinius die Absicht einer Paränese Trajans im nächsten Abschnitt des Briefes als anmaßend und überheblich seinerseits deutlich von sich weist und den lobenden 37
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Vgl. zum „bookdate“ des dritten Briefbuches und seiner möglichen und wahrscheinlichen Veröffentlichungsszenarien Sherwin-White 1966, 31 f., 41, 47, 53 f. Für eine relativ späte Datierung könnte auch die häufige Verwendung und große Bedeutung des Superlativs optimus in Verbindung mit Trajan innerhalb der Rede sprechen, da, auch wenn der Senat diesen Ehrennamen Trajan schon früher zugeschrieben hatte, dieser erst im Jahre 103 auf dessen Reichsprägungen in Erscheinung tritt (vgl. oben Kap. 2.1, S. 84 mit Anm. 9). Vgl. ebenfalls Roche 2011b, 55 f. starke Ähnlichkeit zwischen ILS 286 und dem trajanischen Bericht des Umbaus des Circus Maximus: Plin. paneg. 51,5. Vgl. für den Versuch alle drei Intentionen gleichgewichtig zu betrachten Vgl. Moreno Soldevila 2010, XLII–XLIV. Siehe Plin. paneg. 4,1: boni principes quae facerent recognoscerent, mali quae facere deberent. Text und Übersetzung stammen, wenn nicht anders angegeben, aus: Plinius der Jüngere, Panegyrikus. Lobrede auf den Kaiser Trajan, hrsg., eingeleitet und übers. von Werner Kühn (Texte zur Forschung 51; WBG), Darmstadt 22008. Plin. epist. 3,18,2 f. In Nuancen sowie sekundären Funktionen unterscheiden sich auch die Fürsprecher für die Funktion des Fürstenspiegels: vgl. Büchner 1955, 293, der davon ausgeht, dass Plinius seinen Ansichten über den Prinzipat – unter anderem diejenigen über die Adoption des Nachfolgers – eine größere vorbildliche Verbindlichkeit sichern wollte. Ganz ähnlich, jedoch mit einer stärkeren Betonung der Herrschaftskritik an Trajan vertritt dies Feurstein 1979, 112–122. Fell 1992, 17 f. hingegen sieht neben der Funktion als Fürstenspiegel, die der Panegyrikus bis zu einem gewissen Grad ausübe, die Aufgabe der Schrift auch darin, programmatische Aussagen zu verbreiten. Genau diese sind für Bartsch 1994, 148 f. wesentlich weniger interessant als die in der Rede angelegten Strategien der Glaubwürdigkeitserzeugung. Diesen Aspekt des ständigen Ringens des Lobredners um seine Glaubwürdigkeit greift auch Ronning 2007 auf, der versucht, den sprachlichen Ansatz von Bartsch um die performative Dimension zu erweitern, um die Ernsthaftigkeit des Redners zu retten, und in Konsequenz davon die Transformation der Lobrede zum Fürstenspiegel zum politischen Anliegen des Panegyrikus zu machen; ebd. 34–39. Ebenfalls für die Funktion als Fürstenspiegel: Fantham 1999, 231; Woytek 2006, 116 sowie Rutledge, 2009, 445; Roche 2011a, 5 f.; Radice 2012, 79 f., 83; Braund 2012, 98–100.
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Charakter seiner Schrift betont 41 – auch sei hier der Hinweis erlaubt, dass selbstreferentielle und intertextuelle Assertionen im Hinblick auf außertextuelle Funktionen prinzipiell mit Vorsicht zu genießen sind.42 Das von Plinius hier anzitierte und in seinem Panegyrikus breit ausgeführte Idealbild Trajans ist für den vehementesten Kritiker der Fürstenspiegelfunktion, Karl Strobel, auch der zentrale Ansatz seines Widerspruchs: Der durchdachte Aufbau der Argumentation, der Formeln und Bilder lasse an einer panegyrischen Absicht keinen Zweifel zu, wenn auch ein paränetisches Vorhaben möglicherweise mitverfolgt worden sein mag.43 Plinius stelle nämlich die Idealität Trajans ganz im Sinne von dessen offizieller Programmatik und Selbstdarstellung vor dem Beginn des ersten Dakerkrieges dar, er habe das vorgetragen, „von dem er erwarten konnte, dass man es von ihm erwartete und dass es bei Traian und den maßgebenden Männern seiner Umgebung Anerkennung und Gefallen finden würde.“44 Damit tritt nach der Auffassung Karl Strobels der Verfasser des Panegyrikus hinter seinem Text hervor und wird als Karrierist und Opportunist entlarvt, der danach strebte, „sich als loyaler, ja dienstbeflissener Repräsentant des jeweiligen Regimes darzustellen.“45 Dass Strobel mit seinem paränetischen Zweifel und der von ihm festgestellten panegyrischen Intention im Prinzip nicht ganz unrecht hat, liegt an der Nähe dieser Aussagen zu der gattungslogischen Funktion des Textes. Allerdings stellt sich nicht nur die Frage, ob Strobel die Bedeutung der plinianischen gratiarum actio für die trajanische Propaganda nicht ein wenig überbewertet hat46 bzw. ob der Begriff Propaganda mit all seinen modernen Implikationen und den Strobelschen Analogien in diesem Zusammenhang nicht verfehlt ist und zu einer unnötig stark limitierten Perspektivierung der Schrift führt.47 Plin. epist. 3,18,3: nam praecipere, qualis essse debeat princeps, pulchrum quidem, sed onerosum ac prope superbum est; laudare vero optimum principem ac per hoc posteris velut e specula lumen, quod sequantur, ostendere idem utilitatis habet, adrogantiae nihil („Denn zu lehren, wie ein Kaiser beschaffen sein muss, ist zwar schön, aber schwierig und beinahe anmaßend; aber den besten Kaiser zu loben und dadurch den Nachfolgern gleichsam von einer Warte aus ein Licht zu zeigen, dem sie folgen sollen, ist nützlich und keineswegs anmaßend“). 42 Ähnlich Noreña 2011, 41. Vgl. Innes 2011, 83, die in diesem Zusammenhang von einem Standardargument epideiktischer Rhetorik spricht. Bezüglich der selbstreferentiellen Äußerungen Plinius’ zu seiner Briefsammlung und deren offensichtlichen Fingiertheit vgl. Ludolph 1997, 56–59. Dass es sich bei dieser Vorsicht um ein wichtiges Grundelement literaturwissenschaftlicher Textanalyseverfahren handelt, kann man Fricke 2007, 41–54, v. a. 49 f. entnehmen. 43 Siehe Strobel 1985, 9 f. und Strobel 2003, 304–308. Mit dieser Auffassung zur Funktion des Panegyrikus steht er nicht alleine da, vgl. Schwarte 1979, 155–157 sowie Speidel 2002, 24 f. 44 Strobel 2003, 308, wie bspw. die voll aufgenommene offizielle Propaganda in Vorbereitung des 1. Dakerkrieges. In der Argumentation breiter ausgeführt bei Strobel 1985, 13–18. 45 Strobel 1985 304, 308. 46 Vgl. Fell 1992, 12. 47 Vgl. Seelentag 2004, 214 f. sowie Ronning 2007, 36 Anm. 55. Zum dem gerne von ihm verwendeten Vergleich des römischen Prinzipats mit modernen Diktaturen siehe Strobel 1985, 12 oder sehr deutlich Strobel 2003, 305 f., der bspw. die „…Befreiung der flavischdomitianischen Führungsschicht aus einer Atmosphäre des ‚Stalinismus‘…“ anführt, um die historisch-politische Legendenbildung vom optimus Princeps zu motivieren. Vgl. zur Problematik des Propaganda-Begriffs in der Antike Eich 2000, 366–372. 41
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Dieses Manko versucht Gunnar Seelentag – an der Schnittstelle zu den Vertretern einer im Panegyrikus verfolgten politischen Programmatik – durch die Interpretation der gratiarum actio als eines spezifisch senatorisch-kaiserlichen Konsensrituals zu umgehen. Dabei werde ein doppelter Konsens hergestellt, nämlich 1.) derjenige der Senatoren untereinander und 2.) derjenige zwischen Senat und Kaiser, wobei nicht nur beide Institutionen ihre jeweiligen Anforderungen aneinander formulierten, sondern die Senatoren über den Mechanismus des affirmativen Forderns ihre senatorischen Vorstellungen übermitteln und dadurch die trajanische Herrschaftsdarstellung und somit seine Herrschaft haben mitgestalten können.48 Doch seine Argumentation kann nicht überzeugen, da sie auf der Prämisse einer Einheit des Senats beruht, deren Mitglieder sich konsensuell auf bestimmte Forderungen gegenüber dem Kaiser hätten einigen können.49 Mag ein solcher Konsens in Bezug auf den Verzicht Trajans, das Amt der Zensur zu übernehmen, vielleicht noch vorstellbar sein, so scheint er bezüglich der von Seelentag aufgefundenen Forderung an Trajan, auf einen Krieg gegen die Daker zu verzichten, schon äußerst zweifelhaft:50 Denn für die an der militärischen Kampagne teilnehmenden senatorischen Amtsträger (Militärtribunen, Legionslegaten, Statthalter, comites Augusti etc.) versprach diese Unternehmung bedeutsames Distinktionspotential gegenüber den zu Hause Gebliebenen.51 Wird in diesem Argument schon auf die grundlegende Konkurrenz der Senatoren in ihrem Karrierestreben referiert,52 so sperrt sich gegen die These des affirmativen Forderns in einem senatorisch-kaiserlichen Konsensritual bereits die Grundkonstruktion des Sprechaktes der gratiarum actio: In diesem auf die eigene Person (und im Falle Plinius’ die seines Kollegen) zugeschnittenen Ritual steht der erfolgreiche Senator als höchster Magistrat der res publica vor seinen Standesgenossen und stattet herausgehoben aus der Masse seiner Peers dem Princeps seinen Dank ab. Dadurch wird in diesem Sprechakt aber viel mehr Hierarchie innerhalb der Senatorenschaft hergestellt als ein Kollektiv gegenüber dem Princeps erzeugt. Von diesem soziopolitischen Kontext des Sprechaktes aber auch der spezifischen historischen Situation losgelöst und somit abstrakter, deshalb aber nicht überzeugender, formuliert Frank Beutel die These, es handele sich beim plinianischen Panegyrikus um eine theoretisch umfassende Formulierung des politischen Pro48
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Siehe Seelentag 2004, 217–231, zweifache Konsensherstellung: 217; Formulierung jeweiliger Anforderungen aneinander: 228; Mechanismus des affirmativen Forderns: 231. Das Lob Trajans, die Zensur nicht übernommen zu haben (Plin. paneg. 45,4–6), wird im Zuge dieser sozialen Praktik zur Forderung seitens der Senatoren, dies auch in Zukunft nicht zu tun, uminterpretiert, ebd. 234. Seelentag 2004, 234 u. 277: „Die Aufgabe des senatorischen Redners war es, als Exponent des Gremiums und stellvertretend für seine Standesgenossen diese spezifische Version der Wirren während des Principats Nervas zu reflektieren und sie damit demonstrativ zu akzeptieren. Vergangenheit wurde konsensual zu einem Geschichtsbild gefügt.“ Seelentag 2004, 260–269, v. a. 268. Vgl. zum Fehlen einer konsensuellen Einheit des Senats Strobel 2003, 307 f. Vgl. zur prinzipiellen Konkurrenz der Senatoren untereinander (nicht zuletzt in Bezug auf die Nähe zum Kaiser) und die Unmöglichkeit eines wie von Seelentag vorgeschlagenen Konsenses Flaig 1992, 107–117.
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gramms der stoischen Opposition, das auf einer Aussöhnung zwischen Senat und Prinzipat ausgelegt sei – sozusagen um einen positiven Staatsentwurf auf Grundlage der Kritik der stoischen Opposition am Prinzipat.53 Dagegen ließe sich zum einen anführen, dass vor dem Hintergrund seiner steilen politischen Karriere als homo novus eine Zugehörigkeit oder große Nähe zu einer stoischen Opposition, deren Existenz als solche gewissermaßen ebenso zweifelhaft ist, 54 eher fragwürdig erscheint.55 Zum anderen spricht gegen die Funktionalisierung des plinianischen Werkes als einer politischen Programmschrift die angebliche Proklamierung eines Wahlkaisertums auf Grundlage der Adoption,56 da sich diese auf der Textgrundlage des Panegyrikus, in dem am Schluss die dynastische Nachfolgeregelung gegenüber der Adoption eindeutig präferiert wird, selbst widerlegen lässt.57 Ebenfalls wenig überzeugend ist die jüngste Interpretation durch Joy Conolly, die ein wenig zu assoziativ den Panegyrikus des Plinius „as an exercise in political theorizing“58 lesen möchte, in der sich Plinius mit der Frage auseinandersetze, wie man in einer Autokratie legal als freier Bürger leben könne. Dabei komme er den modernen Konzepten von Freiheit, genauer: einer negativen Freiheit als einer Freiheit von Einmischung im Hobbes’schen Sinne sehr nahe, sodass Plinius, wenn man auch keinen direkten Einfluss nachweisen kann, „anticipates Hobbes in theorizing what it means to live as legally free citizen under conditions of constraint.“59 Conolly dient der Panegyrikus weder Trajan zu loben, noch ihn zu kritisieren, sondern dazu, sich klar zu machen, was beschränkte Freiheit bedeuten kann. Neben dieser fragwürdigen Funktionszuschreibung und einer an manchen Stellen frappierend oberflächlichen Textlektüre60 schenkt sie der Frage nach den Adressaten dieser ‚po53 54 55 56
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Siehe Beutel 2000, 116–127. Vgl. Dahlheim 2003, 194 f. Vgl. zur Laufbahn des jüngeren Plinius Strobel 1983, 37–56. Siehe Beutel 2000, 119, 121, 123 – dort u. a.: Plinius ermögliche die Einbeziehung der Adoption in seinen Panegyrikus, „die Forderung der Senatoren nach der Wählbarkeit des obersten Staatsamtes zu artikulieren.“ Für den Versuch auf protreptische Art und Weise als Konsul ein politisches Programm unter einem Princeps durchsetzen zu wollen (ohne allerdings den Inhalt des politischen zu benennen) vgl. Manuwald 2011, 98–103. Plin. paneg. 94,5. Vgl. Büchner 1955, 296–303 sowie Fell 1992, 20–22. Conolly 2009, 260. Conolly 2009, 277. Nach ihrer Interpretation (Conolly 2009, 263) verkehre sich die Aussage von Plinius, Trajan habe die Angst aus Rom verbannt, in ihr Gegenteil, denn nicht nur gründe sich Trajans Herrschaft in Angst (Plin. paneg. 5,7–8), sondern er habe auch nicht die Angst aus Rom verbannt, sondern ihre Erweckung fortgeführt (Plin. paneg. 17,4 [sic!]). Doch dabei übersieht sie nicht nur, dass Trajan keineswegs die Quelle dieser Angst ist, sondern auch, dass eigentlich er es ist, der sie beendet. Des Weiteren wird im ebenfalls von ihr angeführten perhorrescat (übrigens, ebd. 17,3) nicht die Angst in Rom von Trajan aufrechterhalten, sondern sein Anblick löst beim militärischen Gegner, dem feindlichen König, auf dem Schlachtfeld Angst aus. Gegen ihr Verständnis von 36,2 f. (nam non delatores sed leges timentur) ebd. 265, die Herrschaft der Gesetze als die Erfüllung der Herrschaft durch Angst zu sehen, möchte ich argumentieren, dass in dieser knappen Antithese nicht nur der Gegensatz zwischen der domitianischen Vergangenheit und der trajanischen Gegenwart evoziert wird, sondern dass die Angst vor dem Gesetz nur den Gesetzesbrecher, aber niemals den unschuldigen Bürger erfassen kann. Denn
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litischen Stilübung‘ genauso wenig Beachtung wie derjenigen, nach dem historischen Kommunikationszusammenhang oder dem von Plinius vollzogenen Medienwechsel einer oralen Rede in einen ‚veröffentlichten‘ Text. Diese extratextuellen, für die Funktion des Textes aber signifikanten Parameter werden bei anderen modernen Analysen der Schrift jedoch ebenfalls zumeist vernachlässigt,61 wenn auch das ein oder andere Mal zumindest Trajan oder die Senatoren oder gar beide als Adressaten genannt werden.62 Die materielle Transformation der Rede in eine schriftliche Fassung aber wird dadurch, dass dieser Prozess der Verschriftlichung einfach übergangen wird, so gut wie immer entweder implizit oder sogar explizit als irrelevant eingestuft, da sie inhaltlich deckungsgleich mit der Rede oder diese zumindest von den Zeitgenossen in dieser Form rezipiert worden oder für den Untersuchungsgegenstand belanglos sei.63 Eine bemerkenswerte Ausnahme in diesem Punkt stellt die Analyse Christian Ronnings dar, für den die wiederholten Rezitationen der Rede vor Mitgliedern der Oberschicht und die anschließenden Überarbeitungen derselben dazu führen, dass „die oratio schließlich zu einem Gemeinschaftswerk der herrschenden Klasse Roms“64 werde. Er erkennt zwar zurecht: „Zudem kann sie nun – von den Beschränkungen, die Ort, Anlaß und die zur Verfügung stehende Zeit dem Redner auferlegten, befreit – in eine „angenehme“ Form gebracht und zu einem Monument der libertas, der dank Trajan neugewonnenen Redefreiheit, werden.“65 Doch weder expliziert er diesen Aspekt einer sozio-politischen Kontextualisierung deutlicher, noch verfolgt er diesen Ansatz konsequent wei-
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dieser lebt, seit – wie Plinius seinem Princeps gegenüber lobend hervorheben kann – Trajan dem Forum den Frieden zurückgebracht hat (34,2: …pacem foro reddidisti), in sorgloser Sicherheit vor den Delatoren (34,5). Ja, wenn man es genau nimmt, werden die antithetisch angeführten Delatoren in einer dem zweiten Teil der Antithese angehörenden Ellipse derjenigen Angst, die sie früher selbst ausgelöst haben, unterworfen, die aber nun vom Gesetz ausgeht und nur diejenigen heimsucht, die es verdient haben (35,1–3; vor allem: [delatores] … timeantque quantum timebantur). Es handelt sich bei diesen Stellen aber keineswegs um Nebenschauplätze, sondern Conollys eigenartige Leseweise derselben ist ein Kernelement ihrer Argumentation, Plinius habe durch die noble Lüge über die Autokratie Trajans die Grundlage für seine Neudefinition einer negativen Freiheit und damit erst das Leben eines freien Bürgers in der Autokratie ermöglicht. Weder auf den/die Adressaten noch die Kommunikationssituation, noch den Medienwechsel gehen ein: Büchner 1955; Schwarte 1979; Strobel 1985; Beutel 2000. Trajan wird von Rutledge 2009, 444 als Adressat ins Felde geführt und die Überreichung eines Prachtexemplars an Trajan von Ronning 2007, 35 Anm. 52 für möglich gehalten, in diesem Sinne, wenn auch nicht explizit formuliert, vertritt diese Ansicht auch Woytek 2006, 155 f. – denn eine Publikation im Jahre 107 aufgrund der vielen sich anbietenden historischen Ereignisse macht nur Sinn im Hinblick auf den Adressaten Trajan. Nur die „Senatoren und die Öffentlichkeit der Standesgenossen, die alle nach dem 18.09.96 ihre politische Wende vollzogen hatten“, nennt Strobel 2003, 308 als Adressaten, während Fell 1992, 14 und Bartsch 1994, 149 in diesem Kreis auch den Kaiser integriert sehen wollen und Seelentag 2004, 224 auch den obersten Staatsgott als Angesprochenen hinzufügt. Siehe Fell 1992, 14 sowie Bartsch 1994, 149: „I here treat the published Panegyricus as to all intents reproducing the concerns of the original rendition and including the emperor among its projected audience.“ Vgl. Seelentag 2004, 217 f. Ronning 2007, 44. Ronning 2007, 44.
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ter. Ja, mit der folgenden Konzentration auf die Binnenorientierung des Textes – die in einem Aufruf an die Führungselite des Reiches bestehe, ihre verlorengegangene Ehre auf der Grundlage der im Panegyrikus neu fundierten Rolle und Funktion des Senats gegenüber dem Princeps wiederzuerlangen,66 womit auf der anderen Seite die freiwillige Eingliederung Trajans in die von den Senatoren repräsentierte und getragene res publica gefeiert werde67 – verzichtet er darauf, die Funktionen des Textes als Element eines sozialen Ereignisses zu verstehen. Stattdessen bleibt er mit der von ihm genannten Intention des Plinius, mit seiner verschriftlichten Rede seine Begabung als Redner sowie seine senatorische Unabhängigkeit unter Beweis stellen zu wollen, an der Oberfläche der gesellschaftlichen Dimension des Textes.68 Eine wesentlich klarer auf den Autor und dessen gesellschaftliche Stellung konzentrierte Intention der Schrift identifiziert Carlos F. Noreña. Er legt dar, wie Plinius es in der Schrift verstehe, als Repräsentant nicht nur der senatorischen Aristokratie, sondern sogar der bedeutendsten Mitglieder des Machtzentrums aufzutreten, indem er sein „Insiderwissen“ zur Schau stelle. Plinius trete dabei nicht nur als Experte des finanziellen Sektors auf, der einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren des Imperiums beitrage, sondern demonstriere durch sein Wissen über den Charakter des Kaisers, die kaiserliche Familie, die Vorlieben Trajans und durch seine Nähe zum Kaiser, die sich in der Freundschaft mit diesem sowie seinem Konsulat manifestiere, sein herrschaftliches Wissen. Letztendlich komme in der von Plinius initiierten ‚Veröffentlichung‘ der Schrift auch sehr deutlich ihre Funktion, einen wichtigen Beitrag zur plinianischen Selbstdarstellung zu leisten, zum Ausdruck.69 Zwar kann als unbestritten gelte, dass Plinius als Konsul ein hochgestellter amicus im inneren Kreis des Kaisers war, aber wie sehr sich der Panegyrikus dazu eignete, Insiderwissen zur Schau zu stellen, bleibt angesichts seines sehr topischen Charakters genauso fragwürdig wie die mit der ‚Veröffentlichung‘ verfolgte Selbstdarstellung Plinius’ als Experte des finanziellen Sektors. An dieser Stelle ist es angebracht, noch einmal einen Schritt zurück zu machen, um grundsätzlich der Frage nachzugehen, was hinter dem bis hierher in diesem Kapitel, vor allem im Zusammenhang mit der Datierungsfrage, häufig bemühten Begriff der ‚Veröffentlichung‘ zur Zeit des Plinius steckt, wozu es notwendig ist, in einem kleinen Exkurs die Bedingungen des aristokratischen Literaturbetriebs der Kaiserzeit anhand von Plinius und seines Panegyrikus zu skizzieren.
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Ronning 2007, 128 f. Ronning 2007, 135. Zur Beweisführung der Begabung als Redner und dem damit einhergehenden politischen Anspruch Ronning 2007, 45 sowie zur Demonstration senatorischer Unabhängigkeit ebd. 126 f. Noreña 2011, 29–44. Plinius’ Insiderwissen: ebd. 30–33. Die unterschiedlichen Gruppen als deren Angehöriger er sich zeigt: ebd. 33–35. Zum Konsulat: ebd. 35–39. Veröffentlichung: ebd. 40–44.
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Exkurs: Netzwerke aristokratischer Literaturproduktion und -rezeption Bevor für Plinius an eine Verbreitung seiner Rede zu denken war, fand zuerst einmal ihre Verschriftlichung in einer umfangreicheren Form statt,70 die in einem mindestens zweistufigen Redaktionsprozess überarbeitet wurde. Dass dies typisch für die sich stetig verbreiternden konzentrischen Kreise der Buchzirkulation in der römischen Oberschicht war, hat Raymond Starr überzeugend aufgezeigt.71 In einem ersten Kreis war es üblich, dass sich der Autor nach Fertigstellung der Rohfassung an seine engsten Freunde wandte und ihnen eine Kopie seines Textes mit der Bitte um Anmerkungen, Kommentare und Korrekturen zukommen ließ.72 Nach einer erfolgten Überarbeitung der Schrift erweiterte der Autor in einem zweiten Schritt den Kreis der Kritiker um weitere Freunde, indem er auch diesen Kopien seines Werkes zusandte oder dieses in einer kleinen Runde rezitierte. Um das Gespräch über den Text effizient zu gestalten sowie ehrliche und konstruktive Kritik zu erhalten, wurde die Anzahl der Zuhörer bzw. Kopienempfänger in der Regel relativ stark limitiert.73 Diese beiden Kreise waren in sich geschlossen und konstituierten sich aus den sozialen Vernetzungen des Autors, dem nach wie vor die Kontrolle über seine Arbeit und die Entscheidung, diese einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zustand.74 Diese hier idealtypisch beschriebenen Kreise konnten, wie beispielsweise Plin. epist. 7,17,7 zeigt, beliebig oft durchlaufen werden, bis der Autor sich entschied, sein Werk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.75 Der erste Schritt Plin. epist. 3,18,1: eadem illa spatiosius et uberius volumine amplecti; vgl. die allgemein akzeptierte Feststellung, dass sich weder die originalen Kernbestandteile von sekundären Hinzufügungen differenzieren noch klare Aussagen darüber treffen lassen, ob man es bei dem schriftlichen Text mit dem zwei- oder fünffachen Umfang des ursprünglich Vorgetragenen zu tun hat Durry 1938, 8; Talbert 1984, 228; Fell 1992, 14; Beutel 2000, 24 f.; Seelentag 2004, 217; Ronning 2007, 40. 71 Siehe zum mindestens zweistufigen Redaktionsprozess Plin. epist. 3,13 und 3,18 und vgl. Woytek 2006, 115 f. Siehe zur Zirkulation von Texten in der römischen Oberschicht Starr 1987, auf den im Folgenden auch immer wieder verwiesen wird. 72 Die briefimmanente Funktion von Plin. epist. 3,13: adnota, quae putaveris corrigenda! ebd., 5. 73 Siehe für eine solche, kleine konstruktive Kritikerrunde Plin. epist. 5,12,1. Vgl. dazu auch Johnson 2010, 44–47. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass es im Einzelfall sehr schwer werden dürfte, die Briefe und die darin enthaltenen Redaktionsbitten klar einer der beiden Stufen zuzuordnen. Aber durch die ausführliche Darstellung des Redaktions- und Überarbeitungsprozesses seiner Reden in Plin. epist. 7,17,7 bleibt die prinzipielle Existenz dieser beiden Stufen gedeckt, wenn sie im Einzelfall auch schwer voneinander zu unterscheiden sind, was natürlich auch von Plinius in Plin. epist. 7,20 genutzt wird, um sein Nahverhältnis und seine Gleichrangigkeit mit Tacitus darzustellen. 74 Vgl. Starr 1987, 213 f. und Noreña 2011, 40. Das Nichtfunktionieren dieser impliziten Restriktion führt beim Autor dann auch konsequenterweise zu Verdruss: siehe Cic. Att. 13,21a, wo Cicero sich bei Atticus über dessen Indiskretion beschwert, da Balbus bereits eine Kopie des 5. Buches von de finibus habe, dasselbe aber noch nicht zur ‚Veröffentlichung‘ vorgesehen gewesen sei, da noch nicht einmal Brutus, dem dieses Buch gewidmet war, eine Kopie erhalten habe. Vgl. Starr 1987, 218. 75 Vgl. zur dabei angewandten Sorgfalt Vogt-Spira 2003, 58. 70
2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den Optimus-Princeps-Diskurs
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hierbei bestand im Verschenken von Kopien des Werkes ohne Restriktionen für seine weitere Verbreitung – ohne Aufforderung zu Korrekturen etc. –, zu allererst an denjenigen, dem es gewidmet war, und an diejenigen, die durch Kritik und Korrekturen an seiner Produktion maßgeblich mitgewirkt hatten, sowie gegebenenfalls einem erweiterten Freundeskreis. Diesen Freunden war es nun gestattet, wiederum ihren Freunden Kopien des Textes zukommen zu lassen, oder ihnen eine Möglichkeit der Abschrift desselben zu bieten. So vollzog sich die ‚Veröffentlichung‘ eines Textes in seiner Verbreitung in auf den Autor bezogenen Netzwerken, die durch den Faktor der sozialen Zugehörigkeit zur Oberschicht stark limitiert war.76 Flankiert und stimuliert wurde dieser sozial restringierte Abschreibeprozess durch Rezitationen vor größeren Kreisen,77 Hinterlegen einer Kopie bei den großen öffentlichen Bibliotheken sowie das Buchhändlerwesen. Die beiden letztgenannten Institutionen ermöglichten natürlich prinzipiell die Vergrößerung einer potentiellen Leserschaft, doch die wirklich adäquate Form der ‚Veröffentlichung‘ unter Standesgenossen blieb nach wie vor die Verbreitung von Texten über die Netze der amicitia und somit die direkte oder indirekte Bekanntschaft mit dem Autor.78 Die ‚Veröffentlichung‘ des Panegyrikus war also ein mehrstufiger Prozess, der aus der Verschriftlichung und Ausarbeitung der Rede sowie vielfältigen Korrekturen bestand und letztendlich in der bewussten Entscheidung des Autors realisiert wurde, auf eine direkte Kontrolle seines Werkes zu verzichten und seine Verbreitung nicht nur zuzulassen, sondern auch zu fördern, wodurch das Werk in einen neuen sozialen Kontext transponiert wurde. Der Panegyrikus des Plinius stellt allerdings mehr als nur eine Verschriftlichung einer spezifischen gratiarum actio dar, da er im Durchlau76 77 78
Siehe Starr 1987, 214–216, der selbst von „konzentrischen Kreisen“ spricht, womit er jedoch weiter von der sozialen Praxis der Textverbreitung entfernt sein dürfte als das hier gewählte Bild der Netzwerke. Möglicherweise könnte es sich bspw. in dem in Plin. epist. 6,17 geschilderten Ereignis um eine derartige Rezitation handeln. Auch wenn der Buchhandel während des 1. Jahrhunderts wichtiger und eine akzeptierte Methode für die Zirkulation von Literatur geworden zu sein scheint, halte ich die Behauptung von Sherwin-White 1966, 91, dass die gesamte Verbreitung der plinianischen Bücher in den Händen von Buchhändlern gewesen sei, für verfehlt. Denn erstens ist es unvorstellbar, dass Septicius Clarus, dem Plinius das erste Buch seiner Briefsammlung widmete, keine Kopie von Plinius erhielt, und zweitens stellt sich die Frage, weshalb Plinius in regem Kontakt mit vielen ‚Literaten‘ stand, diese auch zur Veröffentlichung ihrer Texte drängte, aber selbst nie von eigenen Besuchen beim Buchhändler spricht, womit er wahrscheinlich die Suggestion aufrechtzuerhalten strebte, dass ihm alle Texte, die er wollte, über seine Freunde zugänglich waren. Die Randstellung der Buchhändler in der ersten Veröffentlichungsphase führt auch Mart. 1,117 vor Augen, der Lupercus als Geizhals verspottet, da dieser sich weder in den Gabentausch zwischen Patron und Klient integrieren noch Geld bei einem Buchhändler für die Schriften Martials ausgeben möchte; vgl. Fitzgerald 2007, 101. Siehe allgemein zur Bedeutung der Buchhändler und ihrer Funktion in dieser Zeit Starr 1987, 220–223, der deren zunehmenden Stellenwert darin sieht, dass sie Außenstehenden den Zugang zu den elitären Kreisen der Buchzirkulation ermöglichten und damit einen Beitrag zur zunehmenden Schwächung der traditionellen Aristokratie leisteten, nicht aber als Ersatz für die etablierten Kanäle der Verbreitung in Freundeskreisen. Auf der anderen Seite ist es durchaus vorstellbar, dass die Buchhändler ein wachsendes Bedürfnis der in die Reichselite Aufstrebenden befriedigten, die ihrerseits sozusagen einen Integrationsdruck von unten entwickelten.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
fen des Veröffentlichungsprozesses eine ganz neue Gattung konstituierte, deren spezifische Mischung aus Elementen der konsularen Danksagung vor dem Kaiser und des epideiktischen Genos die konkrete literarische Form dieses plinianischen Werkes ausmacht.79 Doch nicht nur die Entstehung einer neuen Gattung ist Produkt der Transformation dieses ephemeren illokutiven Aktes80 in die Materialität der Schrift, sondern auch die Veränderung des Kommunikationsmodus81: Nicht mehr der Konsul Plinius hält eine Dankesrede vor dem Kaiser und dem Senat, sondern der Autor Plinius, der nun Konsular und mit dem Redner nur mehr in diachroner Hinsicht identisch ist, ‚veröffentlicht‘ einen Text. Dessen Grundlage ist zwar die gratiarum actio. Doch kreiert Plinius aus ihr ein neues literarisches Werk und erschließt dieses über die auf ihn als Autor ausgerichteten Netzwerke der Buchzirkulation seinem Freundeskreis und seinen Standesgenossen. Da diese Verbreitung, wie im Übrigen auch die Entstehung des Textes, im Bereich des senatorischen otium und der studia anzusiedeln ist, müssen auch die situativen Kontexte bei der Funktionsbewertung des Textes berücksichtigt werden, der nun keine politisch repräsentative, notwendige Rede eines Konsuls, sondern ein Produkt der sozusagen in der Freizeit erfolgten literarischen Betätigung eines Konsulars darstellt.82 Die verschriftlichte Rede rückt in die senatorische Lebenswelt des otium – in die Praktiken des aristokratischen Literaturbetriebs –, weshalb die Intention größtmöglicher Nähe zum Princeps aufgrund maximaler Affirmation nur noch als motivationaler Fluchtpunkt dieses sozialen 79
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Siehe Durry 1938, 5 f.; Fell 1992, 16–18; Woytek 2006, 116; Kühn 2008, 2 sowie Ronning 2007, 39 f., der in eindrücklicher Weise ebd. 24–32 den Bedeutungswandel des epideiktischen Genres von der späten Republik bis in die Anfänge des 2. Jahrhunderts darstellt. Vgl. zu rhetorischer Tradition und plinianischer Adaption sowie dem Aufbau der Rede auch Innes 2011, 67–84. Spannend für die Schnittstelle von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist der Umstand, dass Plinius für die Rede vor dem Senat sicherlich – ebenfalls wie Verginius Rufus (Plin. epist. 2,1,5) – ein Redemanuskript erstellt hat, welches für ihn die Grundlage sowohl des rednerischen Akts vor dem Senat als auch seiner späteren Ausarbeitung gewesen sein wird. Zwar ist nicht erschließbar, wie stark dieses Manuskript ausformuliert war (Quint. inst. 11,2,44 f., der diese Frage in Abhängigkeit von der persönlichen Gedächtnisleistung beantwortet, sich jedoch deutlich für ein ausführliches Manuskript und dessen wörtliches Auswendiglernen ausspricht; vgl. Quint. inst. 2,7) oder welcher Mnemotechniken sich Plinius bediente, um seine Rede auswendig vor dem Senat wiederzugeben (vgl. für die Menge an unterschiedlichen Möglichkeiten, der ihm hierzu zur Verfügung stand, Quint. inst. 11,2, der das abschnittweise Auswendiglernen präferiert, ebd. 11,2,27), aber die prinzipielle Rekonstruierbarkeit des mündlich Vorgetragenen auf der Grundlage einer Vorstufe, die sicher auch ihren Platz in der Ausformulierung der Rede eingenommen hat, stellt einen reizvollen Ansatzpunkt zur Untersuchung von oralen und literalen Praktiken der senatorischen Oberschicht dar. Allerdings ändert dies nichts an der Flüchtigkeit der vor dem Senat und Trajan selbst gehaltenen Rede (die das Zentralelement aller rhetorischen Beschäftigung und ihr Ziel ist, vgl. Quint. inst. 11,3), da diese situativ einmalig und bekanntermaßen für die heutige Forschung nicht rekonstruierbar bleibt; vgl. die Diskussion um die Länge der ursprünglichen Rede sowie den Umfang der Ausarbeitungen Durry 1938, 8; Talbert 1984, 228; Fell 1992, 14; Beutel 2000, 24 f.; Seelentag 2004, 217; Ronning 2007, 40. Mehr zur Bedeutung der Redefähigkeit des Redners vor dem Senat bei Talbert 1984, 268–270. Vgl. einführend zu diesem reduzierten Modell literarischer Kommunikation und ihrer Verschiedenheit von ihrem mündlichen Pendant Fricke 2007, 41–54. Siehe dazu Kap. 2,5 u. 3,1.
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Agierens des Konsulars stehen kann, da es Trajan aus kontextuellen Gründen nicht mehr möglich ist, der direkte Adressat des plinianischen Sprechaktes zu sein; höchstens als einer von vielen aristokratischen Rezipienten senatorischer Literatur.83 Der Text wird durch seine Loslösung von der gratiarum actio und der für sie spezifischen Kommunikationssituation zu einem eigenständigen plinianischen Produkt, das als solches wesentlich weiterreichendere soziale Bedeutung erhält als die bisher in der Forschung vorgeschlagenen Funktionen der Herrscherparänese, des politischen Opportunismus oder der Formulierung eines politischen Programmes. Es geht vielmehr um eine spezifische sozio-politische Funktionalisierung des literarischen otium im Medium des Optimus-Princeps-Diskurses. Wie Plinius diesen Diskurs realisiert hat, wird im Folgenden analysiert. 2.3 Der optimus Princeps des plinianischen Panegyrikus Die Darstellung des adventus von Trajan in Rom wird im Panegyrikus des Plinius ähnlich wie im Bildprogramm des Bogens genutzt, um die besondere Beziehung des Princeps zum Senat, seine Achtung vor der Ehre dieses Gremiums und seiner Mitglieder in Szene zu setzen.84 Im Text wie im Relief spielt der Senat eine hervorgehobene Rolle beim Empfang des Princeps. Während das Relief jedoch visuell über verschiedene Darstellungsebenen und Sichtachsen strukturiert ist, verwendet Plinius auf der sprachlichen Ebene der Narration mimetische Effekte, um eine möglichst plastische Schilderung dieses Ereignisses zu evozieren. Vor allem die Perspektivierung des Geschehens dient ihm dazu, die Mittelbarkeit des Erzählten zu reduzieren und somit die Intensität des Ereignisses auf Kosten der Anwesenheit des Erzählers respektive des Redners, im Gesagten zu steigern.85 Zuerst wird der Blick auf Trajan gerichtet, dessen Rolle als in die Stadt einziehender Akteur durch die Epipher ingressus es … ingressus es deutlich hervorgehoben ist.86 Aus dem nun folgenden Kontrast mit den früheren Principes geht Trajan 83
Vgl. zur Bedeutung des Kaisers, der seit der Etablierung des Prinzipats aus keinem standesrelevanten senatorischen Handeln mehr wegzudenken war Saller 1982, 43–45; 59–63 sowie Flaig 1992, 100–126. 84 Plin. paneg. 22 f. Vgl. zum adventus Trajans Seelentag 2004, 274, der in der adventus-Darstellung des Plinius’ vor allem die Rückgriffe auf Kategorien aus dem militärischen Triumph betont; ebenfalls Ronning 2007, 69–88, 131, der in seiner Beschreibung der adventus-Zeremonie als einem sozialen Disziplinierungsinstrument (ebd. 73) neben einer ausführlichen Behandlung der entsprechenden Kapitel des Panegyrikus in einem kurzen Exkurs die hierarchieherstellende/-stabilisierende Funktion dieses Rituals hervorhebt und dessen häufig anzutreffende Charakterisierung als Konsensritual für unzulänglich herausstellt (ebd. 81–88); sowie den Versuch, die plinianische Darstellung historisch zu lesen bei Strobel 2010, 196– 199. 85 Siehe zu den textuellen Faktoren der Mimesis bei der Erzählung von Ereignissen Genette 2010, 105–108. 86 Plin. paneg. 22,1: Ac primum qui dies ille, quo exspectatus desideratusque urbem tuam ingressus es! Iam hoc ipsum, quod ingressus es, quam mirum laetumque! („Doch zunächst, wie herrlich war der Tag, an dem du, sehnlichst erwartet, Einzug hieltest in deiner Stadt! Allein schon die Tatsache, dass du sie zu Fuß betratest, löste Staunen und Freude aus“).
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als nur noch leuchtenderes Beispiel hervor, was sich auch in seiner körperlichen Überlegenheit ausdrückt, die nicht nur auf dieses vergangene Ereignis, sondern auch auf die rednerische Gegenwart bezogen werden kann.87 Durch die nachfolgende Bewertung wird der einfache Einzug Trajans zu einem in der Prinzipatszeit einmaligen Triumph über den Hochmut der früheren Principes sublimiert.88 Zum ersten Mal, so suggeriert Plinius, bewegt sich ein Kaiser bei seinem Einzug in die Stadt auf der gleichen Ebene wie die ganze Bevölkerung und hebt sich gerade deshalb über alle anderen empor. Wie auf dem Bogen zieht Trajan bei Plinius zu Fuß in die Stadt, womit – abseits aller historischen Referenzen – sowohl im textuellen als auch im materiellen Monument die modestia und civilitas des optimus Princeps in seinem Handeln im Rahmen eines rituellen Aktes sinnbildlich vor Augen geführt werden.89 Nach der Konzentration auf den Princeps in diesem einleitenden Abschnitt folgt sozusagen in einer ‚Totalen‘ auf die ganze Stadt eine Nullfokalisierung, in welcher die erzählte Zeit angehalten und der Blick auf die anwesende Bevölkerung gerichtet wird.90 In der ‚Totalen‘ wird eine homogene Menschenmenge dargestellt, die sich weder bezüglich des Alters, noch des Gesundheitszustandes noch des Geschlechts – geschweige denn der sozialen Stellung – differenzieren lässt. Deren heterogene Bestandteile werden darauffolgend einzeln in den Blick genommen, um die Gesamtheit der teilnehmenden Bevölkerung demonstrativ vor Augen zu führen.91 Anschließend schwenkt der Fokus wieder in die ‚Totale‘ auf die schiere Masse der alle umfassenden Schar der Schaulustigen, die den Weg Trajans säumen und jede noch so kleine Stehmöglichkeit als Zuschauerplatz nutzen.92 Dieses Vor-Augen-Führen einer mannigfaltigen Zustimmung und der das Setting beherrschenden Menge ist die eindrückliche Inszenierung des consensus universorum. Gebannt von diesem Anblick, wechselt im nun folgenden letzten Satz des Kapitels die Perspektive zwischen der freudigen Menge und dem diese Freude auslösenden, einziehenden Princeps, wodurch auch eine Überleitung zum nächsten
Plin. paneg. 22,2: Tu sola corporis proceritate elatior aliis et excelsior, non de patientia nostra quendam triumphum, sed de superbia principum egisti („Allein durch deinen hohen Wuchs überragtest du alle anderen und feiertest einen Triumph nicht über unsere Schafsgeduld, sondern über die Anmaßung früherer Principes“). Zwar steht Tu sola corporis… klar im Zusammenhang mit dem vergangenen Ereignis, aber nicht nur das fehlende Verb dieses Teilsatzes, sondern vor allem die Apostrophe an den textimmanenten Adressaten der Rede, Trajan, eröffnet die Möglichkeit einer präsentischen Referenz in der Lobrede. 88 Vgl. Beutel 2000, 41 f. 89 Vgl. zum Trajansbogen von Benevent: Fittschen 1972, 767–770 sowie oben, Kap. 2.1, S. 83 f.; zum Panegyrikus: Seelentag 2004, 274 sowie Ronning 2007, 74 u. 131, wo er ebenfalls die Parallele zum Trajansbogen zieht. Plinius selbst greift in seiner Beschreibung Plin. paneg. 22 f. nicht auf die Begriffe der modestia oder der civilitas zurück, jedoch ist ersterer in Trajans Überwindung der superbia principum (ebd. 22,2) und zweiter in seinem Verhalten gegenüber allen Bürgerschichten bei seinem Einzug in die Stadt (ebd. 23,1–3) deutlich angelegt. 90 Plin. paneg. 22,2–5. 91 In Plin. paneg. 22,3 werden die Reaktionen der parvuli, iuvenes, senes, aegri und später folgend der feminas auf das Erscheinen Trajans beschrieben; vgl. Ronning 2007, 74 f., der das Augenmerk aber mehr auf diese Aspekte denn die textuelle Blickführung richtet. 92 Plin. paneg. 22,4. 87
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Kapitel geschaffen wird, in welchem wie zu Beginn der adventus-Schilderung der Fokus wieder ganz auf den Princeps gerichtet ist.93 Doch nimmt nun nicht mehr Trajan allein das Bild ein, sondern er wird in der Interaktion mit spezifischen und hierarchisch gegliederten Bevölkerungsschichten gezeigt. Seine erste Handlung innerhalb der Stadtmauern besteht in der herausgehobenen Würdigung des Senats, den er durch einen Kuss empfängt: gratum erat cunctis, quod senatum osculo exciperes, ut dimissus osculo fueras.94 Plinius greift hier bewusst auf den abstrakten Kollektivsingular senatus zurück, um zu verdeutlichen, dass Trajan nicht einzelne Senatoren mit dem Begrüßungskuss ehrt, sondern die Gesamtheit der Senatorenschaft. In diesem Kuss ist eine gewisse Gleichheit konnotiert, die der nachfolgenden Begrüßung der vornehmsten Personen des Ritterstandes fehlt. Zwar kann er diese ohne einen Nomenklator mit Namen ansprechen, was eine gewisse Vertrautheit suggeriert, doch erschöpft sich seine Interaktion mit dem zweiten Stand des Reiches eben genau darin.95 Darüber hinaus wird im Vergleich zu der im Kollektivsingular als Einheit repräsentierten Senatorenschaft der Ritterstand insofern differenziert, als Trajan sich nicht seiner Gesamtheit, sondern lediglich seinen vornehmsten Mitgliedern zuwendet.96 Die Gleichrangigkeit zwischen Princeps und Senat hingegen wird durch die augenscheinliche Parallelität des bei der Ankunft gewährten Kusses mit dem beim Abschied empfangenen sowie der doppelten Explikation des osculum bestärkt. Die zeitliche Differenz zwischen dem vom Senat empfangenen und dem von ihm gewährten Kuss sowie der abstrakte Kollektivsingular in Bezug auf die Einzelperson Trajan relativiert zwar die Gleichrangigkeit des Senats mit dem Princeps, hebt sie aber nicht auf. Princeps und Senat agieren also nicht auf gleicher Augenhöhe. Jedoch ist der Senat in seiner Gesamtheit die erste Instanz, an die sich der Kaiser in Rom wendet und der er seine Ehrerbietung zukommen lässt, womit seine hierarchische Stellung deutlich über den Angehörigen des Ritterstandes anzusiedeln ist. Auch die dritte hervorgehobene Gruppe trägt zur sozialen Distinktion und dem damit einhergehenden Prestige der beiden zuvor genannten Gruppen bei. Denn als seine Klienten stehen sie per definitionem in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Princeps, wobei sie aber eben nicht mit der gesamten Senatoren- oder Ritterschaft gleichzusetzen und hierarchisch klar hinter den beiden zuvor genannten angesiedelt sind.97 93 94 95 96
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Plin. paneg. 22,5. Plin. paneg. 23,1: „Allen gefiel es, dass du die Senatoren mit einem Kuss begrüßtest, so wie sie dich mit einem Kuss verabschiedet hatten.“ Plin. paneg. 23,1: gratum, quod equestris ordinis decora honore nominum sine monitore signares („man nahm es beifällig auf, dass du die führenden Männer des Ritterstandes ehrenvoll mit Namen anredetest, frei aus dem Gedächtnis“). Dieses Instrument der Differenzierung zwischen Senatoren- und Ritterschaft findet, auch wenn das Bezugswort für den Genitivus partitivus nun im Singular steht, zwei Abschnitte weiter erneut Verwendung, wenn es heißt: sed circumfusus undique nunc senatus, nunc equestris ordinis flore (Plin. paneg. 23,3). Plin. paneg. 23,1: gratum quod tantum ultro clientibus salutatis quasdam familiaritatis notas adderes („ebenso, dass du beinahe zuerst deine Klienten grüßtest und dann noch die herzliche Beziehung zu ihnen eigens erkennen ließest“). Saller 1982, 68 mit Anmerkung 162 weist darauf hin, dass die hier genannten Klienten mit denjenigen der Ulpier vor Trajans Herr-
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Doch dies ist nicht das Ende der Begrüßungszeremonie: Trajan schreitet langsam und freundlich, wie die zusammenströmende Menge es ihm erlaubt, weiter und ist dabei nicht von seinen Leibwächtern abgeschirmt, sondern für alle seine Standesgenossen aus Senatoren- und Ritterstand zugänglich, und selbst seine Soldaten verschmelzen mit der jubelnden Menge der Bevölkerung.98 Der nun folgende Gang zum Kapitol weckt die Erinnerung einerseits an die zu Beginn der Rede bereits geschilderten erstaunlichen Ereignisse rund um das Omen der bevorstehenden Herrschaft Trajans sowie andererseits an das göttlich gelenkte Ereignis der Adoption Trajans durch Nerva.99 In einer Angleichung an das Triumphritual, die bereits in 22,2 mit der Anspielung auf den triumphum […] de superbia principum angelegt ist, endet der Einzug Trajans ebenfalls auf dem Kapitol, von wo aus er sich erst einmal in aller Mäßigung in seinen Palast zurückzieht, als sei es ein ganz normales Privathaus.100 Kaum hat Trajan die Schwelle zu seinem Wohnsitz überschritten, überblendet Plinius die Szene mit einem Blick auf das Verhalten aller anderen, die ebenfalls nach Hause gehen, „weil jeder seiner ehrlichen Freude noch einmal dort Ausdruck verleihen wollte, wo niemand zur Freude gezwungen ist.“101 Nachdem sich also der Blick zu Beginn der Darstellung des triumphalen Einzugs von Trajan auf den Princeps heftet, von diesem auf die schaulustige und freudige Bevölkerung von Rom und wieder zurück auf diesen schwenkt, blendet Plinius, als Trajan am Ende quasi aus dem Bild verschwindet, mit einem Blick auf die Gesamtbevölkerung aus dem Großereignis aus. Die Inszenierung des trajanischen adventus nimmt in sinnfälliger Anlehnung an das Triumphritual im Aufbau der Rede die Eigenschaft des Wendepunktes ein, in dem der Bericht über die wenigen kriegerischen Taten des Princeps sein Ende findet und der umfangreichere Hauptteil des Panegyrikus über den civilis princeps eingeleitet wird, womit dieser Textpassage selbst die Funktion des Übergangs von militiae zu domi zukommt.102
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schaftsbeginn zu identifizieren sind, da sie innerhalb des Textes klar verschieden von der Masse der Zuschauer und somit der plebs urbana sind, welche in gängiger Ansicht als Klient des Kaisers gesehen wird. Dabei übersieht er aber einen wesentlicheren Punkt in diesem Abschnitt, der eben darin liegt, dass die Klienten des Kaisers, zu denen auch die zum Haushalt gehörenden Freigelassenen zu zählen sind, nach den beiden gesellschaftlichen Institutionen, der sozial etablierten Elite, der Senatoren und der vornehmsten Ritter genannt werden und diesen klar untergeordnet sind. Plin. paneg. 23,2 f. Plin. paneg. 23,4 f. Siehe zum Omen der bevorstehenden Herrschaft Trajans: ebd. 5,3–5; zur Adoption durch Nerva siehe ebd. 8,2 f. Plin. paneg. 23,6: inde tu in palatium quidem, sed eo vultu ea moderatione, ut si privatam domum peteres („Darauf begabst du dich zum kaiserlichen Palast, doch deine Miene wirkte so ungezwungen, als ob du nur ein Privathaus aufsuchtest“). Plin. paneg. 23,6: ceteri ad penates suos quisque, iteraturus gaudii fidem ubi nulla necessitas gaudendi est. Zur Problematik, dass die Aufrichtigkeit der Freude erst durch ihre Fortsetzung im privaten Bereich auch für die vorhergehenden öffentlichen Zurschaustellungen garantiert werden kann, siehe unten, Kap. 2.4, S. 120 f. Vgl. Ronning 2007, 72–74 u. 130, der diesen adventus Trajans von Plinius als doppelten Trennungsritus interpretiert, insofern er von Domitian abgehoben und vom militärischen Bereich abgesondert wird.
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Es folgen 66 Kapitel, zwei Drittel des Gesamtumfangs der Rede, in denen dem Konzept des civilis princeps eine signifikante Rolle in der umfassenden Ausarbeitung des Optimus-Princeps-Diskurses zukommt. Ihm werden alle Eigenschaften und Verhaltensweisen eines guten Bürgers respektive eines Mitglieds der Elite zugeschrieben, d. h. in der Quintessenz: senatorische Tugenden (wie benignitas, mansuetudo, humanitas, frugalitas, facilitas, simplicitas, magnanimitas, liberalitas etc.), die sich in seinen Handlungen in allen Bereichen der res publica superlativisch manifestieren und so das Wohlergehen des Imperium und seiner Bewohner garantieren.103 Seine liberalitas zeigt sich vor allem wieder in der cura für die plebs urbana, die italische Bevölkerung, aber nicht zuletzt für die Provinzen selbst. Der Plebs zahlt er nicht nur ein großzügiges congiarium aus, sondern sorgt auch für die Sicherstellung der Getreideversorgung. Für die italische Bevölkerung wird die Alimentarstiftung ins Feld geführt, und die cura für die Provinzen wird exemplarisch an der Rettung Ägyptens vor einer Hungersnot dargestellt.104 Durch die vigilantia und cura des Princeps ist nämlich nicht nur die Getreideversorgung Roms in keiner Weise von diesem Nahrungs-Ausfall betroffen, sondern die Ägypter werden vom Kaiser mit Getreide versorgt, da er es versteht, die in den Provinzen produzierten Nahrungsmittel bei Notlagen so zu verteilen, dass die Bedürftigen Hilfe von ihm bekommen, so als seien sie ein Teil des römischen Volkes.105 Es finden sich im Grunde genommen verblüffend ähnliche diskursive Elemente der cura principis für die römische, italische und provinziale Bevölkerung wie auf den Reliefs des Trajansbogens von Benevent.106 103 Zur benignitas: Plin. paneg. 3,4; 21,4; 25,3; 32,2; 32,3; 39,3; 50,7; 58,5; 60,7; zur mansuetudo: ebd. 2,6; 38,5; zur humanitas: ebd. 2,7; 3,4; 4,6; 24,2; 49,5; 71,5; zur frugalitas: ebd. 3,4; 41,1; 49,5; 88,6; zur facilitas: 2,7; 47,3; 86,6; zur simplicitas: ebd. 4,6; 54,5; 84,1; zur magnanimitas: ebd. 58,5; zur liberalitas: ebd. 3,4; 25,3; 25,5; 27,3; 28,4; 33,2; 34,3; 38,2; 38,4; 43,4; 51,4; 86,5. Vgl. zu den senatorischen Eigenschaften Fell 1992, 30–33, der diese allerdings als ‚bürgerlich‘ kategorisiert. Vgl. zur Programmatik der civilitas im Panegyrikus Ronning 2007, 54, 71, 93, 106, 112 (wo es bspw. heißt: „Deutlich ist es die Darstellung Trajans als princeps civilis, die den Grundton des Panegyricus angibt“), vgl. auch sehr summarisch Roche 2011a, 6–10; zu den senatorischen Tugenden Trajans auch Braund 2012, 91–95. 104 Zum congiarium und den alimenta: Plin. paneg. 25–28; zur Getreideversorgung: ebd. 29, dort übertrifft Trajans cura auch die des Pompeius bei weitem, der sich nicht zuletzt im Bereich der annonae bleibenden Ruhm verschafft hatte. Die Rettung Ägyptens vor einer Hungersnot: ebd. 30–32. 105 Plin. paneg. 32,1: Quam nunc iuvat provincias omnes in fidem nostram dicionemque venisse, postquam contigit princeps, qui terrarum fecunditatem nunc huc nunc illuc, ut tempus et necessitas posceret, transferret referretque, qui diremptam mari gentem ut partem aliquam populi plebisque Romanae aleret ac tueretur („Welch ein Glück jetzt für alle Provinzen, dass sie in unsere Obhut, unsern Machtbereich gekommen sind! Denn nun haben wir einen Princeps, der, je nach den Erfordernissen einer augenblicklichen Notlage, den Ertrag der Regionen bald hierhin, bald dorthin schaffen und auch wieder zurückholen lässt, der ein Volk jenseits des Meeres nährt und schützt, als wäre es ein Teil der Bevölkerung Roms“). Siehe zur vigilantia des Princeps, die von der Fortuna auf die Probe gestellt wird: ebd. 31,1 sowie zu seiner cura, die das Schlimmste verhindert: ebd. 31,5. 106 Siehe oben, Kap. 2.1, S. 85–87; gemeint sind vor allem: die Durchgangsreliefs mit den Themen der alimenta und der Weihung der Straße, das rechte obere Pfeilerrelief der Stadtseite mit dem Ausbau des Tiberhafens wegen der annonae, sowie das rechte obere Relief der Landseite, des-
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Im Panegyrikus des Plinius nehmen aber die Beziehung zwischen dem Princeps und den Senatoren sowie sein Verhalten gegenüber diesen und dem Senat den wesentlich umfangreicheren Abschnitt ein107 – im Vergleich zu den zwei Reliefs auf dem Bogen. Trajan schafft Erleichterungen in der Erbschaftssteuer, garantiert die Sicherheit der Testamente, fördert die Guten und Zuverlässigen, über die er sich seine Meinung selbst bildet, geht gegen das Delatorenwesen vor, ist für alle seine Standesgenossen einfach zugänglich, verbringt gerne auf einfache Art und Weise die Zeit mit ihnen, drückt seinen Willen unmissverständlich klar aus, wodurch Kontingenz vermieden und Handlungssicherheit für die Senatoren erreicht wird, und verweist immer wieder auf die Gleichheit zwischen ihm und ihnen.108 Ja, kein anderer hat mehr Respekt vor dem Senat als er, was sich in seinem idealen Verhalten als Konsul zeigt.109 Seine vorbildliche Lebensführung macht für ihn schließlich eine Zensur überflüssig, da alle Bürger und vornehmlich die Senatoren danach streben, ihn nachzuahmen.110 Vor allem seine modestia und moderatio sind die Grundlagen für seine vollkommene Herrschaft, welche securitas und libertas für alle Bürger,111 zusammen mit dignitas aber vor allem den Senatoren gewähren.112 Als
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sen genaue Interpretation mit Mars und der Göttin mit der Pflugschar sehr umstritten ist, sich aber klar in den Aspekt der cura principis einordnen lässt. Fast durchgängig werden senatorische Bedürfnisse und Belange in den Kapiteln Plin. paneg. 34–89 behandelt, womit sie mehr als die Hälfte des gesamten Textes (55 Kapitel) einnehmen. Vgl. Beutel 2000, 87–98; Seelentag 2004, 226 sowie Ronning 2007, 132. Vgl. ebenfalls Fantham 1999, 230, die die Darstellung des Konsulats Trajans und seines Verhalten gegenüber dem Senat sogar als ursprünglichen Kern der plinianischen gratiarum actio erkennen möchte. Erbschaftssteuer und Testamente: Plin. paneg. 36–40; 43; vgl. Fell 1992, 28 f.; Förderung der Guten: ebd. 44 f.; 69 f.; eigene Meinungsbildung: ebd. 19,4; 41,3; 44 f.; 62; Vorgehen gegen Delatorenwesen: ebd. 34 f.; seine facilitas vor allem im Umgang mit den Senatoren: ebd. 47–49 (vgl. Roche 2011b, 60–64); 85; klare Willensäußerung: ebd. 54,5; 66,3–5; Gesten der Gleichheit: ebd. 2,7 f.; 23,1; 60 f.; 63–65; 71; 77,4. Vgl. zum trajanischen Konsulat Noreña 2011, 36–39. Plin. paneg. 69,3: quis enim vel uno die reverentior senatus candidatus, quam tu cum omni vita tum illo ipso tempore quo iudicas de candidatis? („Denn welcher Kandidat zeigt nur an einem Tag mehr Respekt vor dem Senat als du während deines ganzen Lebens, vor allem aber in der Zeit, in der du über die Kandidatenliste entscheidest.“). Mehr zur reverentia Trajans gegenüber dem Senat: ebd. 69,4; 76,5. Trajan als Vorbild: ebd. 45,5 f.; 46,6–8; 76,1; 77,6–8; 83,2 f. Vgl. zur Wirksamkeit des kaiserlichen Vorbilds (hier die maßvolle Lebensführung Vespasians), das Zensur und Verbote bei weitem übersteigt: Tac. ann. 3,55,4. Vgl. Wirszubski 1967, 207–212 für die Bedeutung der libertas für die plinianische Schrift, wenn seine Deutungen m. E. auch weniger zutreffend sind. Zur zentralen Bedeutung der securitas, welche „dem Kreis der Zuhörer am wichtigsten ist,“ siehe Fell 1992, 25, 28–31, 37. Siehe zur modestia, die eine Eigenschaft, ein „so Sein“ umreißt, und zur moderatio, die mehr eine Fähigkeit bezeichnet, Fell 1992, 30–35 (v. a. 30, mit den Stellenbelegen in Anm. 158 u. 159). Vgl. ebenfalls Strobel 1985, 15 zu einer von ihm vermuteten präventiven Apologie Trajans bezüglich des ersten Dakerkrieges mittels seiner moderatio im militärischen Bereich sowie deren Bedeutung im Bereich der Herrschaftsergreifung: ebd. 29–31. Vgl. allgemein zur moderatio: Lassandro 2003, 248; Seelentag 2004, 231 f., 263 f., 273 f. Ronning 2007, 113 f., 127 f. Während Tacitus in seinem Agricola diese Eigenschaften seinem idealen Senator Agricola zuschreibt und diesen zum nachahmenswerten exemplum für alle Senatoren stilisiert, sind diese beiden die grundlegenden Tugenden des Princeps im Panegyrikus des Plinius. Auch hier ist der
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optimus ist er der wahre erste Bürger, der erste der Senatoren, und der Senat hat ihm dieses Kognomen hinzugefügt.113 Dies bezeugt wiederum die Ehrerbietung des Princeps vor dem Senat und somit, da dieser ja sozusagen evaluationsbefugt ist, dessen Bedeutung im trajanischen Herrschaftssystem114 – sieht man einmal davon ab, dass Trajan diese Zuschreibung erst gut 14 Jahre später als Kognomen annahm. Allerdings gehört dieser Respekt vor dem honorigen Gremium für die Senatoren in denselben Horizont wie die Angleichungsfigur des civilis princeps. Beide textuellen Strategien dienen der Bedeutungssteigerung jener Mitglieder des ersten ordo, die das vorbildliche Verhalten des Princeps nachahmen, was zur Konsequenz hat, dass je näher sie dem Ideal des Senators sind, sie dem Princeps umso ähnlicher werden.115 Diese Figur beinhaltet also nicht nur die Vereinnahmung des Princeps als primus inter pares für den senatorischen Stand, sondern dadurch ebenfalls eine deutliche soziale Distinktion desselben von allen anderen Bevölkerungsschichten des Reiches. Die durch die Gleichung: idealer Princeps = idealer Senator entstehende, scheinbare hierarchische Kontingenz und die Überinterpretation einiger Assertionen in der plinianischen Adoptionsdarstellung führten in der Forschung dann zu solchen Konstrukten, dass im Panegyrikus die Herrschaftsideologie des Adoptivkaisertums ihren Ausdruck finde, oder aber es sich bei dieser Rede um einen positiven Staatsentwurf auf Grundlage der Kritik der stoischen Opposition am Prinzipat handele.116 Folgte man dieser Spur, überginge man jedoch zwei deutliche Gegengewichte zu jeder möglichen Diskussion um die Stellung des Princeps: 1.) die Einzigartigund Unübertrefflichkeit Trajans, die in dem superlativischen optimus ihren Aus-
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Herrscher wiederum Vorbild für die Senatoren. Auf die Ähnlichkeit zwischen dem Tugendkatalog des Agricola und demjenigen Trajans wurde bereits hingewiesen: siehe oben, Kap. 1.4, S. 58 mit Anm. 138. Plin. paneg. 2,7: iam quid tam civile tam senatorium, quam illud additum a nobis Optimi cognomen („Welcher Beiname ist so rein auf einen Bürger und Senator gemünzt wie der, den wir ihm gegeben haben: Optimus, der Beste?“); siehe auch ebd. 88,4–6. Plin. paneg. 75,1–6, wo es um die Dankbarkeit des Senates geht, der diese auch bezeigen kann, wenn er das bis dato auch noch nie getan habe. Als dem Dankbarkeit zuerkennenden kommt ihm in diesem Fall wieder einmal eine erhöhte Position zu, da er demjenigen, dem er sie zuerkennt, seinen Verdienst bestätigt, also als evaluierende Instanz eigentlich sogar über ihm steht; vgl. oben, Kap. 2.1, S. 84 mit Anm. 8. Vgl. Ronning 2007, 105. Diese Figur lässt sich noch eine Spirale weiterdrehen: dadurch, dass der Princeps nämlich die guten (besten) Senatoren gezielt fördert, befinden die sich in einer noch größeren Nähe zu ihm als andere, aber das tun sie nur aufgrund ihrer Vorbildlichkeit und ihrer Verdienste (diese innersenatorische Distinktion wird bei den Briefen noch eine große Rolle spielen); man könnte hier auch von legitimen Formen der Distinktion sprechen, im Gegensatz zur Delation u. ä. Vgl. Ronning 2007, 109 f. der von einer „Leitfigur, die zur Identifikation einlädt“ spricht. M. E. geht die Kategorie der „Identifikation“ an dieser Stelle ein wenig zu weit, weshalb mir der Begriff „Angleichungsfigur“ als vorsichtigere Variante geeigneter erscheint. Siehe Nesselhauf 1955, 480; Timpe 1962, 126; Beutel 2000, 119, 121, 123; vgl. für eine deutlich abgeschwächte Position, die aber immer noch die „Wählbarkeit“ des Princeps als wichtiges Kriterium erkennen will, Ronning 2007, 134, der die Ansicht vertritt, Plinius propagiere eine Staatsform, „deren monarchische Spitze aus der senatorischen Leistungselite rekrutiert wird.“ Vgl. für die Gegenposition: Strobel 1985, 26 mit weiterer Literatur in Anm. 1; vgl. oben, Kap. 2.2, S. 92–97.
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druck findet und durch die bei aller Vorbildfunktion des Princeps eine unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und den Senatoren zementiert wird; 2.) die Gottähnlichkeit und göttliche Legitimation Trajans.117 Er ist nicht nur ein Schützling der Götter, die ihn vor dem Sturm des Tyrannen bewahrt und ihn zur Herrschaft geführt haben, sondern er steht in einem ganz besonderen Nahverhältnis zu Iupiter Optimus Maximus, dessen erstes Kognomen dann auch zu seinem wurde.118 Im Adoptionsvorgang nämlich erfährt sein Vorgänger Nerva eine deutliche Marginalisierung in zweierlei Hinsicht. Zum ersten in dem Paradox, dass Trajan als Adoptierter dem Adoptierenden gegenüber eine viel größere Leistung bzw. ein viel größeres beneficium erbracht hat.119 Zwar wurde Trajan von Nerva die Herrschaft übertragen, aber erst Trajan hat sie ihm wieder zurück gegeben. Klarer formuliert: Der nach dem Prätorianeraufstand stark angeschlagene Nerva, dem der „beglückendste Vorzug des Principats entrissen“ worden war,120 konnte einzig und allein aufgrund der auctoritas und des obsequium Trajans eine allgemein anerkannte Nachfolgeregelung vornehmen.121 Zum zweiten wird er in seiner aktiven Rolle als Adoptierender insofern noch weiter eingeschränkt, als er dabei lediglich als Werkzeug der Götter dient122 und darüber hinaus in der darauf folgenden Aussage hanc imperator Nerva in gremio Iovis collocarat, cum repente solito maior augustiorque advocata contione hominum deorumque te filium sibi, hoc est unicum auxilium fessis rebus adsumpsit123 syntaktisch in dem cum-Satz mit Jupiter verschmilzt und somit hinter 117 Diese Legitimation ist nicht zuletzt an den salus-Gedanken gekoppelt. Vgl. Strobel 1985, 11; Fell 1992, 22–26; Bartsch 1994, 162–164; Seelentag 2004, 242 f. sowie Ronning 2007, 112–114, der in der Spannung von civilitas und Gottähnlichkeit eine geschickte Verbindung des ‚rationalisierenden‘ Diskurses der römischen Oberschichten und der in der Münzprägung repräsentierten ‚charismatischen‘ Legitimation des Principats sieht. Vgl. ebenfalls Braund 2012, 91, 95 f. mit dem Hinweis, dass sich diese Göttlichkeit auch in der Struktur des Panegyrikus und dem Fehlen der Abstammung Trajans zeigt. 118 Plin. paneg. 88,8; Trajans Gottähnlichkeit bzw. seine Nähe zu den Göttern in Auswahl: ebd. 1,3 (dis simillimus princeps); 5,2 (von Göttern zum Kaiser erhoben); 8,1–3 (Wahl als Herrscher durch Jupiter); 32,2 (göttergleiche Macht u. übergöttliche benignitas); 52,1–7 (göttliche Leistungen Trajans, und dessen Selbstbescheidung); 68,1 (Zustimmung der Götter zu seiner Regierung); 80,4 f. (Stellvertreter Jupiters auf Erden) 94,3 (unter dem Schutz Jupiters). 119 Plin. paneg. 6,3: non tam accepisse te beneficium quam dedisse („dass du mit diesem Akt weniger eine Auszeichnung empfangen als einen Dienst erwiesen habest“); und ebd. 6,5: solus ergo ad hoc aevi pro munere tanto paria accipiendo fecisti, immo ultra dantem obligasti („Als einziger bis auf den heutigen Tag hast du ein derartiges Geschenk schon dadurch aufgewogen, dass du es annahmst“). 120 Plin. paneg. 6,1: ereptumque principi illud in principatu beatissimum, quod nihil cogitur. 121 Plin. paneg. 8,6 und 10,1. 122 Trajans Erhebung zur Herrschaft durch die Götter: Plin. paneg. 5,2: An fas erat nihil differre inter imperatorem quem homines et quem di fecissent? („Oder musste etwa kein Unterschied bestehen zwischen einem Kaiser, den Menschen, und einem, den die Götter erhoben hatten?“); Nerva als Gehilfe der Götter, ebd. 8,2: Sibi enim gloriam illam di vindicaverunt: horum opus, horum illud imperium. Nerva tantum minister fuit, utque adoptaret, tam paruit quam tu qui adoptabaris („Gewiss, den Lohn des Ruhmes haben die Götter sich selbst vorbehalten. Dies war ihr Werk, ihr Auftrag; Nerva war nur ihr Gehilfe wie du, der Adoptierte“). 123 Plin. paneg. 8,3. Diesen syntaktischen Kniff hat Werner Kühn in seiner Übersetzung sehr schön aufgegriffen: „Diesen Zweig hatte Nerva gerade in Jupiters Schoß gelegt – da schien er plötz-
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den obersten Gott zurücktritt.124 Trajans Wahl ist also eine göttliche, seine Herrschaft auf Erden eine von Jupiter und dem Konsens der Götter legitimierte. Darüber hinaus macht ihn seine Vorbildlichkeit gottähnlich und seine Machtfülle und die Art, wie er sie einsetzt, den Göttern gleich,125 ja, in seiner Liebe und Fürsorge für seine Untertanen kann er sogar als Vorbild für die Götter fungieren.126 Doch in all diesen Bereichen bleibt das Handeln des Princeps auf das Irdische, das römische Imperium, beschränkt und nicht die Göttlichkeit sondern die Gottähnlichkeit (dis simillimus princeps)127 Trajans wird zelebriert.128 Den Höhepunkt dieses Diskurses bildet die Parallelisierung Trajans mit dem obersten Staatsgott, insofern als der optimus Princeps als Stellvertreter für Iupiter Optimus Maximus auf Erden fungiert.129 Visuell eindrücklich umgesetzt findet man dieses Diskurs-Element auch in den ca. 10 Jahre später angefertigten Attikareliefs des Bogens in Benevent auf der Stadtseite, wo Jupiter Trajan über die zwischen ihnen befindliche Dedikationsinschrift hinweg das Blitzbündel reicht.130 Im Panegyrikus hat dieser Konnex zwischen Trajan und der göttlichen Sphäre natürlich die Funktion der hierarchischen Stabilisierung, denn ein derart legitimierter Herrscher kann von keinem der Senatoren, auch wenn er sich ihnen gegenüber als Standesgenosse präsentiert, ernstlich diskutiert oder gar zur Disposition gestellt werden. Die drohende hierarchische Kontingenz, die in der Angleichungsfigur des civilis princeps – des idealen Senators als Kaiser – steckt, wird also durch die Parallelisierung und Verankerung der trajanischen Herrschaft in der göttlichen Sphäre blockiert. Kein Senator und sei er noch so perfekt, kann mit diesem Kaiser konkurrieren, geschweige ihn in Frage stellen.131
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lich größer und erhabener anzusehen als sonst, und in feierlicher Hinwendung zu der Versammlung der Götter und Menschen erkor er dich zu seinem Sohn, will sagen: zum alleinigen Helfer in der Krise des Staates.“ Vgl. zur Rolle Nervas beim Adoptionsakt Büchner 1955, 305, wobei man m. E. weniger von religiöser Verklärung bezüglich Nervas sprechen, sondern das Paradox des reichlicher schenkendem Beschenkten (Trajan) und das Aufgehen Nervas im Bereich des Numinosen als eine deutliche Marginalisierung des Vorgängers Trajans auffassen sollte. Vgl. Strobel 1985, 28 f. sowie Seelentag 2004, 288. Siehe oben, Anm.118. Plin. paneg. 32,2 (Trajan in der Rettung Ägyptens gütiger als der Himmel); 74,4 f. (die Götter mögen die Liebe Trajans nachahmen). Vgl. Strobel 1985, 10. Plin. paneg. 1,3. Wie bedeutsam dieser Unterschied zu Domitian ist, zeigt die programmatische Stelle: Plin. paneg. 2,3: nusquam ut deo, nusquam ut numini blandiamur: non enim de tyranno sed de cive, non de domino sed de parente loquimur („Lasst uns an keiner Stelle ihm [Trajan] schmeicheln wie einem Gott, wie einem höheren Wesen – denn wir reden nicht von einem Tyrannen, sondern von einem Bürger, nicht von einem Herrn, sondern von unserem Vater.“). Siehe ebenfalls ebd. 57,2. Vgl. Bartsch 1994, 162–164, die die plinianischen Diskursivierungsstrategien allerdings nicht gelten lassen möchte und die Gottähnlichkeit Trajans auf der gleichen topischen Ebene verortet wie die Göttlichkeit Domitians. Vgl. ebenfalls Strobel 1985, 10; Ronning 2007, 112 sowie Hutchinson 2011, 129–132. Plin. paneg. 80,4 f.; 88,8; 94,4. Siehe oben, Kap. 2.1, S. 85 f. mit Anm. 16. Vgl. Strobel 1985, 22. Vgl. Fell 1992, 27 f.; Seelentag 2004, 242 f., der diesen Aspekt nur als Element des Optimus-Diskurses begreift, auf die komplementären Funktionen der senatorischen Angleichung und göttlichen Hervorhebung aber nicht eingeht; im Gegensatz dazu Ronning 2007, 112–114,
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Unterstützung erfährt dieser Komplex durch die Vorbildlichkeit Trajans in allen Bereichen sowie seine Einmaligkeit als optimus Princeps. Die in der Einmaligkeit begründete Ausschließlichkeit lässt für das optimus nur die Leseweise des unerreichbaren Superlativs zu und wird vornehmlich in der Differenz zu seinen Vorgängern repräsentiert.132 Die Kritik an diesen in direkten und indirekten Vergangenheitsbezügen ist universell und trifft somit auf alle Principes mit der Ausnahme Nervas zu. Nerva wird aber, wie gesehen, in der einzigen großen Tat seiner Herrschaft, auf die er reduziert wird, marginalisiert und im Anschluss daran von den Göttern schnell in den Himmel berufen, „um zu verhindern, dass er nach dieser übermenschlichen, göttlichen Tat noch etwas in nur menschlichem Maße tue.“133 Häufig findet man die Herabsetzung seiner Vorgänger in einem alle einschließenden generischen Plural wie priores principes, antea principes oder ante te principes.134 Doch in einigen Fällen werden einzelne Vorgänger durch ein bestimmtes Verhalten diskreditiert. So wird etwa im Kontext der Einmaligkeit der Adoption Trajans das Adoptionsverhalten von Augustus und Claudius, die zwar nicht namentlich genannt werden, aber eindeutig zu erschließen sind, kritisiert, da sie zum Gefallen der Gattin, quasi im Schlafgemach, dem Imperium einen Herrscher, sich einen Nachfolger auserwählt haben.135 Durch diese defizitäre Nachfolgeregelung werden mittelbar auch Tiberius und Nero und damit auch ihre Herrschaft negativ bewertet. Kein viel besseres Urteil kann man über Galba fällen, der sich zwar an einen besseren Wahlmodus hielt, dessen Entscheidung für den falschen Nachfolger aber katastrophale Folgen für die res publica hatte.136 Wesentlich seltener als diese spezifi-
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der mir allerdings ebd. 109 f., wie oben (Anm. 109) bereits erwähnt, mit dem Begriff der „Identifikation“ bezüglich der Senatorenhaftigkeit Trajans ein wenig zu weit geht. Es handelt sich also um einen qualitativen und nicht nur graduellen Unterschied zwischen dem Princeps und seinen ‚Standesgenossen‘, wie dies auch Fell 1992, 28 hervorhebt. Die Kontrastierung Trajans mit seinen Vorgängern verkürzt er allerdings unzulässig auf Domitian als alleiniger Negativfolie, ebd. 35. Ähnlich findet sich dies auch bei Strobel 1985, 39 f., der von „Entdomitianisierung“ (in Anlehnung an die „Entstalinisierung“) spricht oder etwas vorsichtiger bei Strobel 2003, 305. Vgl. auch Schwarte 1979, 155–160. Zu Recht weist Beutel 2000, 46–50 darauf hin, dass diese Interpretation zu kurz greift und alle Principes vor der Vorbildhaftigkeit Trajans verblassen; vgl. ebenfalls Moreno Soldevila 2010, LXIX. Plin. paneg. 10,4: quem di ideo caelo vindicaverunt, ne quid post illud divinum et immortale factum mortale faceret. Siehe ebenfalls ebd. 10,2. Vgl. zur Auserwähltheit Trajans durch die Götter sowie der damit einhergehenden Marginalisierung Nervas auch Strobel 1985, 29. Siehe zu priores principes: Plin. paneg. 2,7; 39,2; 50,2; 72,4. Zu antea principes: ebd. 28,3. Zu ante te principes: ebd. 24,5 bzw. omnes ante te ebd. 66,3. Vgl. für eine weitere Auflistung von Begriffen und Stellen Beutel 2000, 49. Für einen umfassenden Überblick und Vergleich der im Plural verkörperten Masse der Vorgänger mit Domitian siehe Appendix 2. Plin. paneg. 7,4: Itaque adoptatus es non ut prius alius atque alius in gratiam uxoris („Also hat dich nicht, wie das früher immer wieder geschah, ein Herrscher nur deswegen adoptiert, um seiner Gemahlin einen Gefallen zu tun“); ebd. 8,1: Itaque non in cubiculo sed in templo, nec ante genialem torum sed ante polvinar Iovis optimi maximi adoptio peracta est, qua tandem non servitus nostra sed libertas et salus et securitas fundabatur („Darum wurde die Adoption nicht in seinem Schlafgemacht vollzogen, sondern in einem Tempel, nicht vor seinem Ehebett, sondern vor dem Kultbett des Iuppiter Optimus Maximus. Dieser Schritt hat endlich einmal nicht unsere Knechtschaft begründet, vielmehr unsere Freiheit, Wohlfahrt und Sicherheit.“). Plin paneg. 8,5. Vgl. Fell 1992, 29.
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schen Anspielungen findet man die namentliche Nennung der weit von der Vorbildhaftigkeit Trajans entfernten Herrscher. Während dieser nämlich Nerva aus rein integeren Motiven divinisiert, dient Nero die Apotheose als Vehikel, sich über Claudius lustig zu machen137 – eine Pietätlosigkeit, die Ihresgleichen sucht, da sie nicht nur den Vorgänger, sondern zugleich auch die Götter beleidigt. Titus und Domitian ihrerseits nutzen die Möglichkeit, ihre jeweiligen Vorgänger zu Göttern erklären, um selbst als Sohn bzw. Bruder eines Gottes gelten zu können und mit dem Hintergedanken, ihre Bürger und vor allem die Senatoren in Schrecken zu versetzen.138 Die spezifischen und entzifferbaren Anspielungen auf Vorgänger, deren namentliche Nennungen sowie die häufig verwendeten generischen Plurale schematisieren die gesamte dem optimus Princeps vorausgehende Prinzipatszeit als eine, die von defizitären Kaisern beherrscht war. Vor diesem dunklen Hintergrund leuchten die Vorbildhaftigkeit Trajans, seine Herrschaft und die neue Zeit nur umso mehr.139 Die Erfüllung oder Personifikation aller pathologischen Entartungen des Prinzipats stellt allerdings nach wie vor Domitian dar, der als die negative Kontrastfolie schlechthin für den optimus Princeps nahezu omnipräsent ist. In jedem Themenbereich finden sich direkte und eindeutige Rückbezüge auf den pessimus Princeps, die per se negativ sind und die die Gegensätzlichkeit zwischen der domitianischen und der trajanischen Herrschaft in aller Schärfe sichtbar machen.140 Domitian selbst wird im gesamten Text nur zweimal namentlich genannt – einmal im Kontext einer sich selbst vergöttlichenden Dynastie, und ein weiteres Mal als die Antithese zum Princeps-Sein schlechthin.141 Es ist allerdings sicherlich kein Zufall, dass diese namentlichen Nennungen den militärischen Tatenbericht Trajans einrahmen, der sich über knapp neun Kapitel erstreckt.142 Denn im Unterschied zu Nerva stammte Tra137 Plin. paneg. 11,1 f.: Claudium Nero [dicavit caelo], sed ut irrideret („Nero [erhob] den Claudius [zum Gott] – um ihn zu verspotten.“). Vgl. für namentliche Nennungen von Kaisern: Durry 1938, 37 f. 138 Plin. paneg. 11,2: tu sideribus patrem intulisti non ad metum civium, non in contumeliam numinum, non in honorem tuum, sed quia deum credis. („Du [Trajan] aber hast deinen Vater zu den Sternen erhoben, nicht um die Bürger in Schrecken zu versetzen, nicht um die wahren Gottheiten zu verunglimpfen, nicht um deine eigene Ehre zu erhöhen, sondern weil du ihn wirklich als Gott siehst.“); Trajans Handlung (die consecratio Nervas) weist also ganz gegensätzliche Gründe zu seinen Vorgängern auf. 139 Vgl. Beutel 2000, 45 f. 52 f. 140 Vgl. Häfele 1958, 16–22; Schwarte 1979, 155–160; Strobel 1985, 39 f.; Beutel 2000, 46–50; Strobel 2003, 305; Vgl. Moreno Soldevila 2010, XLV–XLVIII. 141 Plin. paneg. 11,1: Vespasianum Titus, Domitianus Titum, sed ille ut dei filius, hic ut frater videretur („Titus [erhob zum Gott] den Vespasian, Domitian den Titus – um im einen Fall als Sohn, im andern als Bruder eines Gottes zu gelten.“); sowie ebd. 20,4: …illud iter Domitiani fuisse, non principis. („…dass dies der Marsch eines Domitian gewesen sei, nicht eines Princeps schlechthin“). Damit ist er häufiger namentlich genannt als Tiberius (ebd. 11,1), genauso häufig wie Nero (ebd. 11,1 u. 53,4) und zweimal weniger als Titus (ebd. 11,1 [2x] und 35,4 [2x]) oder gar Nerva, der 10 Mal namentliche Erwähnung findet (ebd. 7,4; 7,7; 8,2; 8,3; 8,5; 10,2; 35,4; 38,6; 89,1; 90,6). 142 Plin. paneg. 11,5–20,4. Als Vergleich: Die Darstellung des civilis principis umfasst ca. 66 Kapitel, also mehr als das Siebenfache und das Verhältnis zwischen ihm und dem Senat nimmt ca. 55 Kapitel, also mehr als das Sechsfache ein, siehe oben, S. 105.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
jan nicht aus altem Adel und hatte im Gegensatz zu diesem in seiner senatorischen Karriere durchaus Verbindungen zum Heer, was ihm die nötige Macht verlieh, seine monarchische Stellung zu verteidigen.143 Umso dringlicher war aber die Notwendigkeit ihn diskursiv von Domitian zu distanzieren, um sowohl bei ehemaligen Domitiangegnern als auch Opponenten von Nervas Regierung Akzeptanz für diesen mächtigen, aber von Domitian verschiedenen Princeps zu erzeugen. Dieser Teil des Panegyrikus über die militärische Befähigung und die unbestreitbare Sieghaftigkeit des optimus Princpes ist im Gegensatz zu dem wesentlich umfangreicheren Abschnitt über den civilis princeps nicht thematisch, sondern prinzipiell chronologisch angeordnet.144 Das hat zur Folge, dass die jüngste Vergangenheit unter Domitian strukturell bedeutsamer ist als die Herrschaft der übrigen Vorgänger, da er nicht nur eine normative, sondern auch situative Kontrastfolie bietet, auf der die wiedergewonnene Sicherheit und dignitas des Imperiums profiliert werden können.145 Denn die Barbaren haben nun endlich wieder Respekt vor der römischen Waffengewalt. Wie Trajan die Inversion der Hierarchie in der Beziehung zu den Bevölkerungsgruppen außerhalb des Imperiums wieder rückgängig macht, so stellt er durch die Stabilisierung der heeresinternen Hierarchie, sein Vertrauen in die hohen Offiziere und durch die richtige Mischung von Imperator- und commilito-Sein die Disziplin und Kampfkraft der Soldaten wieder her.146 Trajans Friedensliebe, die aufgrund seiner militärischen Potenz die Barbaren an der Peripherie des Imperiums zum Gehorsam bringt, und die Gier Domitians nach Trium143 Vgl. seinen Umgang mit den Protagonisten des Prätorianeraufstands unter Nerva bei Cass. Dio 68,5,4. Vgl. Strobel 2010, 64 f., 103 f., 154–164 der die kühl kalkulierte Machtübernahme Trajans mithilfe einer trajanischen Faktion, die sich sukzessive die Kontrolle über den Großteil des Heeres sicherte, herausarbeitet. 144 Doch dabei scheint es sich um eine Kategorienvermischung zu handeln, die so bei Quintilian nicht angelegt ist, da dieser entweder die chronologische oder die thematische Darstellung der Taten und Tugenden des zu Lobenden vorsieht. Vgl. Quint. inst. 3,7,15. Vgl. zu dieser Besonderheit des Textentwurfes Ronning 2007, 69, Anm. 201. Zur Schwierigkeit einer absoluten chronologischen Linearität in Texten siehe Genette 1992, 69 f. 145 Vgl. zur Aktualität der domitianischen Vergangenheit: Beutel 2000, 40 f. Vgl. Strobel 1985, 13–21, der in der Abwertung militärischer Meriten Domitians einen Zusammenhang zum Konkurrenzkampf Trajans mit dem Rivalen Nigrinus sehen möchte, was nicht auszuschließen ist, aber von ihm zu stark betont wird (siehe unten, Kap. 2.5, S. 138 f. mit Anm. 251), ähnlich schon vertreten von Schwarte 1978, 162. Vgl. ebenfalls Strobel 2003, 305 f. Weniger als Distanzierung zur domitianischen Vergangenheit und der Konkurrenz zu ‚domitianischen‘ Herrschaftskandidaten, sondern vielmehr als Funktion des Affirmativen Forderns fasst die militärische Imago Trajans Seelentag 2004, 259–269 auf. Der Senat habe mittels der Stimme von Plinius durch demonstrative und emphatische Akzeptanz der grundsätzlichen Sieghaftigkeit Trajans danach gestrebt, den Princeps von einer Konkretisierung seiner Sieghaftigkeit (dem ersten Dakerkrieg) abzusehen. 146 Respekt der Barbaren vor römischer Waffengewalt: Plin. paneg. 12,1 f.; 13,1; 16,2 f.; Stabilisierung heeresinterner Hierarchie und Vertrauen in die hohen Offiziere: ebd. 18 f.; Mischung von Imperator- und commilito-Sein: ebd. 13,1 f. Vgl. Ronning 2007, 65–69, der in Hinblick auf eine Heroisierung Trajans auch auf den Umstand verweist, dass in dessen Werdegang sowohl seine Herkunft als auch die Darstellung seiner frühen Jugend fehlen. In die gleiche Richtung weist Seelentag 2004, 262 f., 279, der auch auf eine kaiserliche Affinität zum Halbgott Hercules hinweist, ebd. 286 f.
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phen, die nach provozierten Kriegen und trotz erfolgter Niederlagen gefeiert worden sind, bilden prononciert den Gegensatz zwischen dem Heerführer alten Schlages und dem militärischen Versager.147 Mythologisch transzendiert wird dieser Kontrast in der Analepse über das Legionslegat Trajans und dessen Gewaltmarsch von Spanien nach Germanien, wobei er als Herakles dem Eurystheus gegenübergestellt wird, also der Göttersprössling in der Bewährungsphase dem illegitimen Tyrannen (der den rechtmäßigen Thronerben des Perseus um sein Erbe betrogen und diesem scheinbar unlösbare Aufgaben auferlegt hatte).148 Ihren Höhepunkt und zugleich den Abschluss dieses ersten Teils des Textes findet die Antithese des optimus und des pessimus im Vergleich ihrer so unterschiedlichen Rückreisen von den nördlichen Grenzen des Imperiums nach Rom, der zugleich metaphorisch für ihre Herrschaft sowie ihre Herrschaftstauglichkeit stehen kann.149 Der iter Traiani verläuft 147 Plin. paneg. 16. Vgl. ebd. 16,3: accipiet ergo aliquando Capitolium non mimicos currus nec falsae simulacra victoriae… („Also wird eines Tages auf dem Kapitol einziehen nicht ein Mummenschanz unechter Triumphwagen und vorgetäuschter Siegeszeichen…“). Ebenfalls ebd. 11,4. Man hat es hier in Bezug auf Domitian mit einer Präsupposition nach der Form einer definite description (siehe Levinson 2009, 181) im Futur zu tun, die besagt, dass es solche „falschen Triumphe“ in der Vergangenheit gab (Die Kategorisierung des pragmatisch Mitausgesagten als Präsupposition ergibt sich nach Levinson 2009, 178–191 u. a. aus den folgenden zwei Eigenschaften: Die Schlussfolgerung bleibt auch unter Negierung konstant: „Es wird nicht so sein, dass…“ und ist durch die nachgehängte Hinzufügung „und überhaupt ist sowas auch noch nie vorgekommen“ ohne inkonsequent oder redundant zu sein, löschbar). Vgl. Strobel 1985, 14–22, der in der Diffamierung Domitians auf militärischem Gebiet die Legitimierung der Außenpolitik und des geplanten Dakerkriegs des neuen Herrschers sieht; vgl. ebenfalls Lassandro 2003, 250 f. Vgl. zu der Strategie, einen nicht existierenden kriegerischen Erfolg durch seine militarisierte Diskursivierung aufzuwerten auch Havener 2013, Kap. VI zum „Parthersieg“ des Augustus. 148 Plin. paneg. 14,5. Zur Rolle des Eurystheus in der Heraklessage vgl. von Geisau, Hans, s. v. Eurystheus, Der Kleine Pauly 2 (1979), Sp. 457. Vgl. zum Herkulesbild Hanslik, 1965, 1055; Ronning 2007, 69 und Woytek 2008, 101 f. Missinterpretiert wird diese Stelle von Seelentag 2004, 285, wenn er in diesem Zusammenhang von einem Hercules-Paradigma spricht, das nicht nur für die Karriere Agricolas sondern für jede politische Laufbahn dieser Zeit eine hervorragende Erklärung biete. Dabei übersieht er, dass dieses Erklärungsmuster allein für Trajan (als dem eigentlich zur Herrschaft ausersehenen Göttersprössling in der heroischen Bewährungsphase unter dem illegitimen Tyrannen) Anwendung findet, und Plinius für sein Entrinnen und das seines Kollegen eher den Zufall als seine heroischen Qualitäten bemüht: Plin. paneg. 90,5. Der Hercules-Vergleich stellt also weniger ein Paradigma als einen Topos für die Heroenhaftigkeit Trajans und dessen Verbindungen zur göttlichen Sphäre dar. Siehe zum Begriff der Analepse: Genette 2010, 18–39; dort heißt es in einer Art Definition der Analepse (ebd. 21): „jede nachträgliche Erwähnung eines Ereignisses, das innerhalb der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat als dem, den die Erzählung bereits erreicht hat.“ Auf den Panegyrikus übertragen, soll dies verdeutlichen, dass in die Darstellung der Ereignisse während Trajans Aufenthalt an der Nordgrenze des Reiches in den Jahren 97–99 Plin. paneg. 12 f. und 18 f. ein Rückblick auf das Militärtribunat und das Legionslegat Trajans eingeschoben wird (ebd. 14 f.). 149 Plin. paneg. 20,1–4: iter Traiani: placidum ac modestum et plane…; castitas…; nullus… tumultus, nullum … fastidium; …magnum aliquem ducem ac te potissimum ad exercitus ire; dagegen der iter Domitiani: … populatio fuit; … abactus hospitium; … omniaque dextera
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
ruhig, sittsam, bescheiden wie der eines jeden anständigen senatorischen Imperiumsträgers, wohingegen der iter Domitiani eine katastrophale Spur der Verwüstung nach sich zieht, so als ob die Barbarenhorden, vor denen er floh, über das Land hereingebrochen wären. Man musste den Provinzen hinterher klar machen: illud iter Domitiani fuisse, non principis.150 Der Kern der Differenz zwischen Trajan und Domitian liegt also nicht so sehr in ihrer Beliebtheit beim Heer, sondern in der Außenwahrnehmung des militärischen Sektors. Dieser diskreditiert sich und seinen obersten Heerführer Domitian durch die Beschreibung als eine disziplinlose Soldateska, deren innere Hierarchielosigkeit bei den Feinden zu Dreistigkeit, bei der Zivil- und Provinzialbevölkerung zu wahrem Terror führt. Trajan hingegen versteht es mit dem entsprechenden Maß an Disziplin und vor allem seiner soldatischen Vorbildhaftigkeit eben diese Außenwirkung des Militärs wieder in die richtige Ordnung zu bringen. Das ist nach Plinius der wesentliche Unterschied zwischen einem optimus und einem pessimus Princeps. Während die Verkörperung des Anti-Princeps im militärischen Bereich nahezu ausschließlich das Gegenbild zu Trajans Tugendhaftigkeit darstellt,151 kann man für die anderen Themengebiete des Panegyrikus einen ausgeglichenen Wechsel zwischen dem Kontrast des Anti-Princeps Domitian und dem aller Vorgänger konstatieren.152 Aus diesem kann man entnehmen, dass Domitian zwar einerseits den Gegenpol schlechthin zur trajanischen Vorbildhaftigkeit darstellt,153 aber andererseits, dadurch dass er in den generischen Pluralen aller Principes mitschwingt, von diesen sozusagen aufgefangen wird bzw. in ihnen aufgeht, „als negatives Paradigma für alle priores principes“ fungiert.154 Die Oberfläche des Gegenbildes zum optimus
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laevaque perusta et attrita, ut si vis aliqua vel ipsi illi barbari quos fugiebat inciderunt. Vgl. Beutel 2000, 41, für den diese Gegenüberstellung in den Komplex der Darstellung menschlicher Defizite bei Domitian gehört. Vgl. Seelentag 2004, 273 sowie Ronning 2007, 71. Vgl. allgemein zu kaiserlichen Reisen und den Konsequenzen vor allem für die auf der Reiseroute sich befindlichen Orte Millar 1977, 35–40. Plin. paneg. 20,4. Das Vorherrschen der domitianischen Kontrastfolie im militärischen Bereich trägt natürlich stark zu der Überbetonung der Rolle Domitians bei Strobel 1985; 2003 sowie Schwarte 1979 bei. Der nahezu ausschließliche Blick auf die Adoption und den militärischen Bereich führt bei ihnen konsequent zur These der „Entdomitianisierungs“-Funktion des Textes. Dabei übersehen sie jedoch den deutlich größeren Teil des Textes und die Rückkopplung Domitians an all seine Vorgänger. Siehe hierzu Appendix 2; vgl. das Stichwort Domitien bei Durry 1938, 264. Vgl. für eindeutig auf Domitian zielende Diffamierungen Plin. paneg. 33,3 f. (Domitian identifiziert sich mit der seinen Gladiatoren entgegengebrachten Zustimmung und sammelt Material für maiestas-Prozesse in der Arena) oder ebd. 47,3–48,4 (Während das Haus Trajans allen offen steht, jedem zugänglich ist und im Innern Ruhe und Gelassenheit herrschen, war der gleiche Palast unter Domitian eine streng bewachte Burg, ein Hort der Angst, in dem sich der Tyrann durch tausend bewachte Türen abschirmte und wie ein wildes Raubtier in seiner Höhle hauste und nur herauskam, um zu morden; vgl. dazu Roche 2011b, 60–66). Für weitere Beispiele siehe Appendix 2. Beutel 2000, 47. Vgl. Soverini 1989, 539. Sehr deutlich wird diese Verknüpfung mit allen vorhergehenden Principes vor allem in Plin. paneg. 11,1 f., wo sich Domitian in die sich selbst
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Princeps und der goldenen Zeit unter diesem, also der illegitime, sich selbst vergöttlichende pessimus princeps und seine tyrannische Schreckensherrschaft,155 werden in historischer Dimension im Herrschaftssystem des Prinzipats verwurzelt. Damit erhält die Herrschaft Trajans eine grundsätzlich neue Qualität, da ihre historische Singularität durch den Vergleich mit allen vorhergehenden Principes konstituiert werden kann. Sie wird auf diese Weise zu etwas noch nie Dagewesenem.156 Die Negativfolie der Vorgänger ist dabei derart strukturiert, dass in der Regel vom sicheren Boden der Gegenwart ein fast schon voyeuristischer Blick auf die Schrecken der Vergangenheit gerichtet wird. Plinius nutzt dabei zum einen die Form der indirekten Vergangenheitsbezüge, in welchen bei der Assertion eines spezifischen Zustandes im Jetzt die Vorannahme eines anderen Früher enthalten ist.157 Diese Differenz zum Früher ist in den allermeisten Fällen als Antithese organisiert und entspricht damit dem Strukturprinzip einer zweiten Art und Weise, in die Vergangenheit zu blicken: den direkten Vergangenheitsbezügen.158 Beide Arten der Rückblende führen zu einer unüberbrückbaren Distanz zu einer antithetischen Vergangenheit und begründen so die auch in der Struktur der zeitlichen Dimensionie-
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vergöttlichenden Herrscher einordnet oder ebd. 58,4, wo er das vornehmlich schlechteste Beispiel all der Principes darstellt, die ständig das Konsulat innehaben wollten. Domitians Illegitimität als Herrscher klingt zumindest in Plin. paneg. 8,6 an, wo es bezüglich der Imperatorenwürde und der tribunicia potestas heißt: quae proxime parens verus tantum in alterum filium contulit („die vor nicht langer Zeit ein leiblicher Vater nur dem einen seiner beiden Söhne übertragen hat.“); gleiches gilt für die Parallelisierung Domitians mit Eurystheus ebd. 14,5 (siehe oben, Anm. 148). Die sich selbst vergöttlichende flavische Dynastie siehe ebd. 11,1. Domitian als pessimus princeps: ebd. 44,2; 92,4; 94,3; 95,4. Zu seiner Schreckensherrschaft: bspw. ebd. 33,4; 44,1; 48,3–5; 52,7; vgl. ebenfalls Appendix 2. Diese Trennung zwischen Vergangenheit und Gegenwart erkennt auch Bartsch 1994, 184 als obsessiv. Sie betrachtet diese Differenzierung an dieser Stelle ihres Textes aber unter der Funktion der Bedeutungsstabilisierung der Rede, während ich sie eher in ihrer Funktion der Hervorhebung der Einmaligkeit Trajans sehe. Diese indirekten Vergangenheitsbezüge werden häufig durch Präsuppositionen ausgelöst, wie bspw. in Plin. paneg. 78,3: haec nempe intentio tua ut libertatem revoces ac reducas („Deine Absicht ist es ja, die Freiheit zurückzuholen und neu aufzurichten“). Die beiden Iterative revocare und reducere lösen die Vorannahme aus, dass es einst libertas gab und dass diese dann aufgegeben oder abgeschafft wurde – dass Trajan sie zurückgeholt habe, ist wiederum semantischer Gehalt der Aussage. Die Präsupposition verweist jedoch auf eine negative Vergangenheit, ohne diese explizit zu machen. Vgl. zum pragmatischen Konzept der Präsupposition Levinson 2009, 167–225; eine Liste mit Präsuppositions-Auslösern befindet sich auf den Seiten 181–184 – dort auch die Iterative, 182. Weitere Bsp.: Plin. paneg. 28,7; 42,2 f.; 44,5. Ebenso häufig finden sich auch andere Formen der Schlussfolgerung, wie beispielsweise die Negierung negativen Verhaltens bei Trajan, wodurch die Möglichkeit dieser Verhaltensweise auf eine negative Vergangenheit verweist, siehe bspw. Plin. paneg. 28,2 (Trajans Spenden an die Bevölkerung sollen nicht von seinen Untaten ablenken, womit angedeutet wird, dass genau dies die Motivation früherer Principes war). Vgl. bspw. Plin. paneg. 2,2 (die Gegenüberstellung des Sprechens über den Princeps früher und heute); 2,6 (der differenzierte Jubel des Volkes) – vgl. zu dieser Stelle Ronning 2007, 61 f. der die Stelle überzeugend entgegen Seelentag 2004, 225 dahingehend interpretiert, dass hier die Differenzierungsfähigkeit des römischen Volkes und nicht die Wankelmütigkeit der Plebs dargestellt werden soll. Plin. paneg. 7,4 (keine Adoption zum Gefallen der Gattin); 11,1 f. (die Divinisierung Nervas aus integeren Motiven) etc.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
rung im Vergleich mit den Vorgängern begründete Einmaligkeit Trajans. Aufgefangen wird das Schweben des trajanischen Jetzt in den wenigen positiven Bezügen zu den tradierten exempla, die als vorbildliche militärische Führer und Konsuln der frühen und mittleren Republik einen Anknüpfungspunkt für das Ausnahmephänomen Trajan bieten, auch wenn er sogar diese in allen Bereichen übertrifft.159 Der ideelle Rückbezug auf die weit in die Vergangenheit weisenden Vorbilder vergrößert die Kluft der trajanischen Zeit sowohl zur vorangegangenen Epoche des Prinzipats als auch zu der sich aus dem Innern auflösenden späten Republik des 2. und 1. Jahrhunderts vor Christus. Makrohistorisch perspektiviert blendet die Herrschaft Trajans nicht nur das blutige, sittlich verkommene Prinzipat, sondern auch dessen Ätiologie als logische Konsequenz der Bürgerkriege aus.160 Mit dem trajanischen Prinzipat beginnt also ein weltgeschichtlich neuer Abschnitt der römischen Alleinherrschaft, da es im Gegensatz zu allen vorhergehenden römischen Herrschern seine Genese nicht in dem gesellschaftlich traumatischen Ereignis par excellence, dem Bürgerkrieg, findet, sondern in einer göttlich dimensionierten Adoption, in welcher der Beste zum Stellvertreter Jupiters auf Erden gemacht wird.161 Die trajanische Herrschaft ist sozusagen nicht länger auf der ‚Erbsünde‘ des Prinzipats fundiert. Gleichzeitig schließt sie nahtlos an eine ideale Zeit der Republik, die Erfolgsgeschichte Roms, an – von Plinius von der Vertreibung der Könige bis ca. 150 v. Chr. periodisiert162 –, die Trajan nun nicht nur wieder aufgreift, sondern fortführt und über159 Plin. paneg. 6,4 (Gleichsetzung Trajans mit den duces magni); 12,1 (erneut die Gleichsetzung Trajans mit den alten Heerführern); 13,4 f. (Trajan übertrifft in seiner Vorbildhaftigkeit als Feldherr einen Fabricius, einen Scipio, einen Camillus); 55,6 f. (auch ihm werden, wie dem älteren Brutus und Camillus Bronzestatuen [und keine Goldstatuen] errichtet, da er wie sie die Tyrannei aus Rom verjagte); 56,4 u. 6 (Trajan agierend wie ein Konsul von einst, der als siegreicher Feldherr über fremde Völker zu Gericht sitzt); 57,5 (Trajan hat mehr Gefühl für moderatio und ist als Konsul all den fünf- und sechsfachen Konsuln der Republik überlegen); 58,3 (Vergleich des Regierungsbeginns Trajans mit der Zeit nach der Vertreibung der Könige); 81,2 (Auch die trajanische Freizeitbeschäftigung, die Jagd, gleicht einer vergangenen Vorzeit). Vgl. Seelentag 2004, 244 f. Vgl. Hutchinson 2011, 135. 160 Zu den verkommenen Sitten des Prinzipats, die nun von Trajan überwunden werden: Plin. paneg. 53,1; das Ausblenden der unruhigen Zeiten ist einmal implizit in den gewählten Vergleichen enthalten und findet sich derart auch in ebd. 57,4, wo er explizit die fünf- oder sechsfachen Konsuln „der Endphase der Freiheit“ als Vergleichsgröße ablehnt. 161 Plin. paneg. 7 f., siehe oben, S. 107–109. Vgl. Seelentag 2004, 288. 162 So lässt sich m. E. nach erklären, dass Plinius bei der umfassenden und charakterlich ausgelegten Exegese des Optimus-Beinamens auf republikanische exempla der Zeit zwischen 150–80 v. Chr. zurückgreift, die für Trajan auf keinem ihrer Gebiete einen Vergleichsmaßstab bieten (siehe unten, Anm. 163), während die republikanischen exempla, die Trajan wesentlich ähnlicher sind (in dem Vergleich mit ihm viel mehr auf einer Stufe mit ihm stehen, als die eben genannten) eher in die Zeit zwischen dem späten 6. Jahrhundert (Vertreibung der Könige) und dem frühen 2. Jahrhundert v. Chr. (Bezugnahme auf Scipio) gehören (siehe oben, Anm. 159). Plinius greift dabei auf das altbekannte Narrativ zurück, welches den Beginn des Untergangs der Republik in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus verortet (vgl. Sall. Cat. 10; Vell. 2,1,1 f.) und dessen sich in gewisser Weise auch Tacitus zu Beginn seines Agricola bedient (vgl. oben, Kap. 1.3, S. 47 f.) Vgl. Beutel 2000, 61–63, der seine Diskussion über die republikanischen Verweise auf die libertas senatus konzentriert sowie bezüglich der Gleichstellung Trajans mit den republikanischen exempla auf dem militärischen Feld Ronning 2007, 68.
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trifft.163 Diese Zeit ist es, auf die referiert wird, wenn es heißt, es stehe den amtierenden Konsuln unter Trajan frei, ihr „Amt genauso auszuüben wie die Konsuln vor der Kaiserzeit.“164 Der zwischen idealer Vergangenheit und idealer Gegenwart entstandene Graben wird durch kaiserliche Negativbeispiele angefüllt, bei denen Domitian nach wie vor die herausragende Rolle zukommt und bei denen nicht einmal dem Prinzipatsbegründer eine positive Vorbildfunktion für den optimus Princeps zugesprochen wird.165 Die Abgrenzung von seinen Vorgängern geht aber über die Darstellung unterschiedlicher Verhaltensweisen und Handlungen hinaus und vollzieht sich vornehmlich auf der übergeordneten Ebene der inneren Haltung, der Gesinnung, der Motivation und Intention, der die trajanischen Taten entspringen.166 Auf sehr eindrückliche Art und Weise realisiert sich dieser Modus der Differenzierung in einer Kontrastierung zwischen Domitian und Trajan, in welcher beide die gleiche Handlung begehen, diese aber grundsätzlich anders bewertet wird. Die von beiden Principes vorgenommene Abschaffung der Pantomimen-Schauspiele dient aufgrund der verschiedenartigen Durchsetzungsmittel sowie der jeweiligen Wesensart des Urhebers nämlich dazu, einerseits den Tyrannen Domitian zu diffamieren, der als schlechter Princeps auf die Gesamtheit Zwang ausübt, und andererseits Trajans Idealität zu loben, der den Bitten aller nachkommt, denen er als guter Princeps auch ein sittliches Vorbild ist.167 Dass der optimus Princeps dadurch gegenüber möglichen 163 Zu Trajans Übertreffen republikanischer exempla: Plin. paneg. 88,5 f. Hier werden mögliche alternative Cognomina für Trajan außer Optimus verhandelt, wobei in Hinblick auf Sulla und Pompeius die beiden Beinamen Felix und Magnus wegen der ihnen mangelnden charakterlichen Bezugnahme auf ihre Träger instantan verworfen werden, um im Anschluss in Bezug auf andere republikanische Exempelfiguren festzustellen, dass Trajan sie in allen Bereichen übertrifft. Damit wird nicht nur Trajans vorbildhafte Überlegenheit herausgestellt, sondern seinem neuen Beinamen eine moralische, charakterliche Dimension verliehen, da ihm mehr frugalitas, mehr sapientia und mehr pietas zugeschrieben werden als den Pisonen, den Laeliern oder den Metellern; vgl. Moreno Soldevila 2010, LXI–LXIV. 164 Plin. paneg. 93,2: licet enim quantum ad principem, licet tales consules agere, quales ante principes erant. Gleiches gilt auch für ebd. 76,1 oder 61,1. Einen deutlichen Hinweis auf das Verschmelzen von idealer Vergangenheit und idealer Gegenwart bietet ebd. 76,9: ipsius quidem officium tam modicum tam temperatum, ut antiquus aliquis magnusque consul sub bono principe incedere videretur („Dessen eigene Begleitmannschaft verhielt sich so besonnen und beherrscht, dass der Eindruck entstand, hier ziehe ein großer Konsul vom alten Schlag einher, unter der Regierung eines guten Princeps“). 165 Vertreter der späten Republik bleiben bis auf Plin. paneg. 29,1 f. und 88,5 f. unerwähnt und stellen auch in diesen Fällen keinen wirklichen Vergleichsmaßstab für Trajan dar. Zu den negativen Vorgängern Trajans siehe oben, S. 110 f. mit Anm. 132–139. Vgl. Beutel 2000, 51–55. 166 Vgl. Häfele 1958, 28; Schwarte 1979, 156 f.; Beutel 2000, 49 f. sowie Ronning 2007, 48. 167 Plin. paneg. 46,1–5; und ganz deutlich formuliert, ebd. 46,3: in his enim, quae a malis bene fiunt, hic tenendus est modus, ut appareat auctorem displicuisse non factum („Denn in Fällen, wo eine gute Handlung von einem schlechten Urheber ausgeht, muss man so vorgehen, dass die Missbilligung deutlich dem Urheber gilt, nicht der Tat.“). Vgl. Bartsch 1994, 184. Wieder aufgegriffen wenn Plinius sagt: Plin. paneg. 56,1: propositum est enim mihi principem laudare, non principis facta. Nam laudabilia multa etiam mali faciunt, ipse laudari nisi optimus non potest („Es ist meine Absicht, den Princeps selbst zu loben, nicht seine einzelnen Taten. Denn auch Schlechte vollbringen ja viel Löbliches, aber nur der Beste hat Anspruch auf den Lobpreis seiner Person“); ebenfalls auf das Wesen des Princeps abhebend: ebd. 74,1. Vgl. Ronning 2007, 37.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Vorwürfen auf phänomenologischer Ebene, er tue doch in diesen und jenen Punkten das Gleiche wie sein damnierter Vorgänger, imprägniert wird, ist sicherlich kein unerwünschter Nebeneffekt. Was Trajan schließlich zum optimus macht, seine innere Einstellung, sein inneres Wesen, das macht Domitian zu dessen Antithese, zum pessimus, zum Anti-Princeps und das kann auch durch die eine oder andere ähnliche Regierungshandlung nicht angezweifelt oder gar aufgehoben werden. „Alles, Senatoren, was ich da über andere Principes sage oder schon gesagt habe, soll deutlich machen, wie die durch lange Gewohnheit schlimm entarteten Herrschaftsmethoden des Principats jetzt von unserem Vater erneuert und wieder zum Guten geführt werden. Und zu einem angemessenen Lob gehört nun einmal grundsätzlich der Vergleich.“168 Dies ist also die explizit von Plinius ausgesprochene Dividende der Gegenüberstellung Trajans mit seinen Vorgängern: das angemessene Lob des optimus Princeps. Direkt im Anschluss an diese selbstreflexive Aussage postuliert er die Prämisse, dass ein adäquates und ehrliches Lob des Princeps nur in seinem Kontrast mit den schlechten Vorgängern möglich sei, womit er den antidomitianischen Diskurs, der mit dem Vergleich zwischen Trajan und den anderen Principes verknüpft und somit historisch dimensioniert ist, zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Diskurses über den optimus Princeps macht.169 Aber der Vergleich mit den früheren Kaisern dient Plinius nicht nur als Prämisse für das adäquate Lob, sondern beweist nach seiner Aussage sogar die Wahrheit dessen, was er sagt; schlechthin seiner Rede über den optimus Princeps. Denn nur unter den guten Principes, so seine Begründung, sei es möglich die schlechten Vorgänger zu tadeln, da die schlechten sich im Tadel der Vorgänger selbst diffamiert sähen.170 Durch diesen rezeptionsästhetischen Kniff in Hinblick auf den textimmanenten Primäradressaten seiner Lobrede, den Princeps, implementiert Plinius in seinen Text eine Interpretationsregel, welche die Integrität seines Lobes sicherstellen soll: Da Trajan in der Diffamierung seiner schlechten Vorgänger keine versteckte Kritik an seiner Person oder seiner Herrschaft hineininterpretiert, kann diese Kritik, da sie in der Lobrede des Plinius vor Trajan stark enthalten ist und unter Domitian verboten war, in der Logik des Redners nur bedeu168 Plin. paneg. 53,1: omnia, patres conscripti, quae de aliis principibus a me aut dicuntur aut dicta sunt, eo pertinent ut ostendam, quam longa consuetudine corruptos depravatosque mores principatus parens noster reformet et corrigat. Alioqui nihil non parum grate sine comparatione laudatur. 169 Plin. paneg. 53,2: praeterea hoc primum erga optimum imperatorem piorum civium officium est, insequi dissimiles; neque enim satis amarit bonos principes, qui malos satis non oderit. („Zudem ist es die erste Pflicht eines treuen Untertanen gegenüber dem besten Kaiser, das Verhalten derer zu geißeln, die ganz anders waren; denn es dürfte der wohl kaum die guten Principes hinreichend loben, der die schlechten nicht hinreichend hasst“). Es geht also nicht allein darum, Trajan noch glänzender darstellen zu können, wie Beutel 2000, 38 diese Stelle paraphrasiert, sondern um die Einzigartigkeit Trajans, für welche seine Verschiedenartigkeit von allen Vorgängern eine Grundvoraussetzung ist. 170 Plin. paneg. 3–5. Siehe ebenfalls ebd. 53,6: nam cum malo principe posteri tacent, manifestum est eadem facere praesentem („Wenn nämlich umgekehrt die Späteren über einen schlechten Princeps keine Worte verlieren, so beweist dies klar, dass ihr eigener Princeps nicht besser ist“). Lediglich ein rhetorisches Mittel sieht darin Seelentag 2004, 493.
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ten, dass Trajan ein guter Kaiser, ja sogar der beste, die Rede selbst wahr und der Lobredner ernsthaft und authentisch ist.171 Mit seiner Behauptung, dass Kritik schlechter Vorgänger unter schlechten Kaisern nicht möglich sei, gerät er zwar an den Rand der Glaubwürdigkeit,172 aber mit seinem Verweis auf die erst vor Kurzem gemachten Erfahrungen unter Domitian kann er sie empirisch stützen und so seine Argumentation aufrechterhalten. Dabei greift er stabilisierend auf den antidomitianischen Diskurs zurück, der die Grundlage für den Kontrast des optimus Princeps mit der Vergangenheit und die Etablierung einer neuen, historisch einmaligen Zeit unter Trajan darstellt. 2.4 Das Problem der Ernsthaftigkeit des Lobredners Mit dem selbstreferentiellen Charakter des Kapitels 53 ist der Punkt erreicht, an dem die Rede von der Rede in der Rede ist. Oder anders gesagt: Es geht um das Problem der Ernsthaftigkeit des Lobredners und zuallererst um textimmanente selbstreflexive Strategien, um dieser Problematik zu begegnen – und um ihr Scheitern. Gleich zu Beginn des Panegyrikus weist Plinius in einer Charakterisierung seiner Rede darauf hin, wie diese zu interpretieren sei. Diese Regeln der Interpretation sollen zugleich die Wahrheit des Gesagten beweisen: Doch meine ich, nicht nur der Konsul, sondern alle Bürger müssen darauf achten, keine Äußerung über unseren Princeps zu tun, die so klingt, als hätte man sie genauso auch über jeden anderen Princeps sagen können. Daher seien jene Worte streng verbannt, die damals die Angst uns aufzwang! Reden wir anders als früher, da wir nicht mehr leiden wie früher, und gebrauchen wir in der Öffentlichkeit nicht dieselben Lobesworte für den Princeps wie ehedem, da wir auch unter uns anders von ihm sprechen als ehedem! Unsere Reden sollen deutlich erkennen lassen, wie die Zeiten sich geändert haben, und schon aus dem Ton unserer Danksagung soll man erkennen, wem sie gilt und wann sie gesprochen ist. Lasst uns an keiner Stelle ihm schmeicheln wie einem Gott, wie einem höheren Wesen, denn wir reden nicht von einem Tyrannen, sondern von einem Bürger, nicht von einem Herrn, sondern von unserem Vater.173
171 Vgl. Bartsch 1994, 159 f. 172 Vgl. Bartsch 1994, 159, 187 und vor allem 277 Anm. 23, wo sie ausführlich und mit Verweis auf weitere Literatur diskutiert, dass wenn es zu einem Thema die freie Meinungsäußerung unter einem Princeps gab, dies in aller Regel die Diffamierung der Vorgänger war; verhaltener Coleman 2000, 21 f. Auch gibt es genügend literarische Evidenz, dass Nero unter Domitian kritisiert wurde. Vgl. Mart. 4,63; 7,21; 7,34 oder Stat. silv. 2,7,100 u. 118 f. Vgl. Syme 1958, 12 sowie Waters 1969, 399. 173 Plin. paneg. 2,1–3: Equidem non consuli modo sed omnibus civibus enitendum reor, ne quid de principe nostro ita dicant, ut idem illud de alio dici potuisse videatur. Quare abeant ac recedant voces illae quas metus exprimebat. Nihil quale ante dicamus, nihil enim quale antea patimur; nec eadem de principe palam quae prius praedicemus, neque enim eadem secreto quae prius loquimur. Discernatur orationibus nostris diversitas temporum, et ex ipso genere gratiarum agendarum intellegatur, cui quando sint actae. Nusquam ut deo, nusquam ut numini blandiamur: non enim de tyranno sed de cive, non de domino sed de parente loquimur.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Der Sprechakt der gratiarum actio ist nicht neu,174 aber Plinius behauptet eine grundsätzliche Verschiedenheit aller früheren Dankesreden (wobei vornehmlich die unter Domitian gehaltenen gemeint sind) von den jetzt gehaltenen Lobreden auf Trajan und damit nicht zuletzt seiner eigenen. Diese Differenz entspringt in seinem Erklärungsmuster der Verknüpfung von Aussage und Referenz, insofern er das Gesagte an die außertextuellen Gegebenheiten rückbindet. In einem doppelten Parallelismus, der durch je eine Anapher verstärkt wird (nihil…nihil; nec… neque), werden das Sprechen (dicamus) und das Leiden (patimur) sowie die öffentliche Äußerung (palam praedicemus) und das geheime Reden (secreto loquimur) miteinander verknüpft.175 Im übergeordneten Parallelismus der beiden adhortativen Konjunktive (dicamus; praedicemus) wird zuerst die allgemeine Tätigkeit des Sprechens mit der spezifischeren Form des öffentlichen Lobens verbunden, während beide in den untergeordneten Parallelismen jeweils indikativisch begründet werden (patimur; loquimur). Dadurch wird die öffentliche Äußerung an die geheime Rede rückgebunden, wobei beide wiederum als spezifische Konkretisierungen des allgemeinen Sprechens in der veränderten Realität begründet liegen; das Leiden der Senatoren unter Domitian hat, wie alle Zuhörer aus eigener Erfahrung bestätigen können, mit der Herrschaft Trajans ihr Ende gefunden und dies muss, da es sich im geheimen Sprechen schon manifestiert hat, auch bei öffentlichen Reden berücksichtigt werden, d. h. aus den gratiarum actiones muss die diversitas temporum ableitbar sein.176 Wie sich also das geheime Reden über den Princeps verändert hat und nicht mehr nach den unter Domitian gültigen Regeln funktioniert, so muss sich auch das öffentliche Sprechen über den Princeps (bspw. in Lobreden) wandeln. Dieses wird nun nicht mehr durch Angst (metus) motiviert oder zur reinen Schmeichelei des Princeps depraviert (blandiamur), sondern wird frei von necessitas177 durch die Rückbindung an die außertextuelle Erfahrung des Endes der Leidenszeit zu dessen elliptischem Gegenteil: dem ehrlichen und authentischen Lob.178 Eine ähnliche Ellipse findet sich in der Aussparung einer Konkretisierung der gegenwärtigen geheimen Rede über den Princeps. Aus der Begründung für die Veränderung der öffentlichen Rede geht hervor, dass auch im Bereich des geheimen Sprechens über den Herrscher eine grundsätzliche Erneuerung stattgefunden haben
174 Siehe oben, Kap. 2.2, S. 89 mit Anm. 26. 175 Vgl. Bartsch 1994, 149–153, deren herausragendes Kapitel über die Ernsthaftigkeit des Plinius in seinem Panegyrikus äußerst inspirierend für den folgenden Abschnitt war. Im Gegensatz zu ihr verzichte ich aber auf die Einführung der Begrifflichkeiten des public transcript und des hidden transcript von Scott 1990, 2–5, da sie für meine Argumentation keinen heuristischen Mehrwert zu liefern vermögen. Vgl. ebenfalls eine verkürzte Darstellung bei Ronning 2007, 48 f. 176 Vgl. Ronning 2007, 48 f. 177 Diese Behauptung stellt Plinius zumindest zum Schluss seiner an Jupiter gerichteten Bitte in einem Vergleich am Ende des ersten Kapitels indikativisch auf: Plin. paneg. 1,6: tantumque a specie adulationis absit gratiarum actio mea quantum abest a necessitate („dass meine Danksagung ebenso weit entfernt sei vom Anschein der Schmeichelei, wie sie frei ist von irgendwelcher Nötigung“). 178 Vgl. Bartsch 1994, 153.
2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den Optimus-Princeps-Diskurs 121
muss.179 Da das heimliche Pendant der öffentlichen Schmeichelei in der Schmährede oder der Beschimpfung des öffentlich Gelobten zu suchen ist, liegt der Umkehrschluss nahe, dass sich der im Übergang von Domitian zu Trajan vollzogene Wandel des privaten Sprechens über den Princeps nun in dessen Lob auch im Bereich des Privaten manifestiert. Dies bestätigt sich im weiteren Verlauf der Rede, wenn Plinius im Hinblick auf die private Sphäre behauptet, „dass unsere Liebe zu guten Principes besonders ungestüm dort sich kundtut, wo sich der Hass [auf die schlechten] besonders freimütig äußert.“180 Dabei erhält das im privaten Bereich geäußerte Lob einen unumstößlichen Wahrheitsgehalt, da es frei von Zwang oder unlauteren Ambitionen, aufrichtig und rein ist.181 Die diversitas temporum findet also sowohl in der geheimen als auch in der öffentlichen Rede ihren Ausdruck im ehrlichen Lob des Princeps. Durch die inhaltliche Gleichsetzung der beiden unterschiedlichen Redeweisen folgt, dass „the Panegyricus is nothing but a public version of quae secreto loquimur.“182 Dies bedeutet, dass auch die Rede des Plinius nicht so zu lesen ist wie die früheren (also als Schmeichelei), dass sie nicht als Repetition der immer gleichen imperialen Herrschaftsdarstellungen interpretiert werden darf, die sich in der Regel durch eine deutliche Diskrepanz zwischen Repräsentierendem und Repräsentiertem auszeichnet, und dass sie nicht im Gegensatz zur privaten Rede steht. Dadurch ist sie nicht nur Zeugnis der neuen Realität unter Trajan, sondern ihr Wahrheitsgehalt ist ebenso unumstößlich wie derjenige der geheimen Rede.183 Plinius implementiert im Text seiner gratiarum actio also für sich als Redner die Rolle des Konsuls, der völlig zwanglos – sozusagen im Gebrauch der nun herrschenden libertas –, in Übereinstimmung mit dem privaten 179 Vgl. Bartsch 1994, 150, 152 f. 180 Plin. paneg. 68,7: quod ibi intemperantius amamus bonos principes, ubi liberius malos odimus. Vgl. aber den gesamten Abschnitt ebd. 68,6 f. sowie Bartsch 1994, 153. 181 Plin. paneg. 23,6. Dort heißt es im Hinblick auf den trajanischen adventus in Rom (siehe oben, Kap. 2.3, S. 99): ceteri ad penatos suos quisque, iteraturus gaudii fidem ubi nulla necessitas gaudendi est. („Die anderen entfernten sich nach Hause, weil jeder seiner ehrlichen Freude noch einmal dort Ausdruck verleihen wollte, wo niemand zur Freude gezwungen ist“). Und wie zu Hause der Freude über die Rückkehr des Princeps ohne jeden Zwang Ausdruck verliehen wird, so präsentiert Plinius seine öffentliche Lobrede frei von irgendeiner Nötigung: siehe ebd. 1,6 (siehe oben, Anm. 171). Die Freiheit von Zwang ist im plinianischen Sprachgebrauch darüber hinaus unzertrennlich mit dem großen Konzept der libertas verwoben, vgl. Conolly 2009, 268 f. 182 Plin. paneg. 53,6: Quo constantius, patres conscripti, et dolores nostros et gaudia proferamus; laetemur his quibus fruimur, ingemiscamus illis quae patiebamur; simul utrumque faciendum est sub bono principe. Hoc secreta nostra hoc sermones hoc ipsae gratiarum actiones agant, meminerintque sic maxime laudari incolumem imperatorem, si priores meriti reprehendantur („Umso entschiedener, Senatoren, wollen wir sowohl unserem Schmerz wie unserer Freude Ausdruck verleihen! Freuen wir uns an dem, was wir genießen dürfen, seufzen wir über das, was wir erdulden mussten! Beides ist gleichermaßen Pflicht unter einem guten Princeps. Dies sei das Thema unserer privaten Unterhaltungen, unserer öffentlichen Gespräche und gerade auch unserer Dankreden! Denken wir stets daran, dass ein regierender Kaiser dann am höchsten gelobt wird, wenn man seine Vorgänger für gegenteiliges Wirken tadelt“). Vgl. Bartsch 1994, 153. 183 Vgl. Bartsch 1994, 152. Vgl. zur Topik dieser Gleichsetzung Isokr. or. 2,30; 3,60 oder Sen. clem. 1,13,5. Vgl. Ronning 2007, 49.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Sprechen eine genuine öffentliche Lobrede über den Princeps vor dem Senat hält. Der Wahrheitsgehalt der Rede birgt dabei die Ernsthaftigkeit des Lobredners in sich, welche durch die auf seiner libertas beruhenden konsularischen auctoritas gestützt ist, womit zugleich seine senatorische dignitas gewahrt bleibt.184 Eine weitere Strategie, seine Ernsthaftigkeit als Lobredner zu beweisen, liegt in Plinius’ oben schon angesprochenem Versuch, alternative Interpretationsmöglichkeiten rezeptionsästhetisch zu blockieren, der sich nicht erst in Kapitel 53, sondern bereits am Anfang der Rede ausmachen lässt, kurz nach der Behauptung der Unterschiedlichkeit der Zeiten und der Reden über sie.185 Wie Trajan in Kapitel 53 in der Diffamierung seiner Vorgänger keine versteckte Kritik an sich sieht, ist es auch in diesem Fall das Vertrauen des primären Adressaten in die Aufrichtigkeit der Rede, die in Einklang mit der des Lobredners steht und somit jede Doppeldeutigkeit der Worte oder das Wirken eines Codes in ihrer Bedeutung verhindert. In dieser präventiven Interpretationsregel kann man eine Erweiterung der behaupteten Identität von öffentlicher und heimlicher Rede erkennen. Denn wenn eine Einheit zwischen diesen beiden Sprechweisen existiert, kann der Versuch einer auf dem doppeldeutigen Sinn der Rede beruhenden Interpretation nur ins Leere laufen bzw. muss eine rezeptionsideosynkratische Fehlleistung sein.186 Die behauptete Ernsthaftigkeit des Lobredners sowie die Prämisse der Akzeptanz von dessen Aufrichtigkeit durch den textimmanenten Primäradressaten der Rede schließen jeden rednerintentionalen divergierenden Subtext des Gesagten aus. Die Rede ist und bleibt, wie oben schon festgestellt, auf ihrer Oberfläche wahr.187 Verstärkt wird dies durch das Wissen des Rezipienten, dass hier dem Lasterkatalog Domitians Trajans Tugenden gegenüberstehen.188 Die in den asyndetisch or184 Es ging also nicht nur um seine rednerischer Glaubwürdigkeit, sondern auch um sein gesellschaftliches Ansehen, wie Ronning 2007, 46 korrekt feststellt. 185 Gerade einmal 11 Abschnitte später heißt es nämlich: Plin. paneg. 3,4: non enim periculum est ne, cum loquar de humanitate, exprobrari sibi superbiam credat; cum de frugalitate, luxuriam; cum de clementia, crudelitatem; cum de liberalitate, avaritiam; cum de benignitate, livorem; cum de continentia, libidinem; cum de labore, inertiam; cum de fortitudine, timorem („Es besteht nämlich keine Gefahr, dass er mein Lob seiner Menschlichkeit als Vorwurf gegen seine Überheblichkeit betrachtet, dass er glaubt, mit dem Sichtwort ‚Sparsamkeit‘ ziele ich in Wahrheit auf seine Verschwendungssucht, mit ‚Milde‘ auf seine Grausamkeit, mit ‚Großzügigkeit‘ auf seinen Geiz, mit ‚Güte‘ auf seine Gehässigkeit, mit ‚Selbstbeherrschung‘ auf seine Triebhaftigkeit, mit ‚Arbeitsamkeit‘ auf seine Trägheit, mit ‚Tapferkeit‘ auf seine Furchtsamkeit“). Siehe zu Plin. paneg. 53 oben, Kap. 2.3, S. 118 f. Vgl. Bartsch 1994, 155–157. 186 Die einander gegenübergestellten Antithesen kaiserlicher Tugenden und Laster sowie der Versuch, die Verschmelzung ihrer interpretativen Bedeutung zu vermeiden, zeigen, wie nahe Lob und Schmährede in der antiken Rezeptionsästhetik beieinander liegen konnten; siehe hierzu Aristot. rhet. 1367a 33–b 3; Rhet. Her. 3,3,6; Quint. inst. 3,7,25. Vgl. ausführlich Bartsch 1994, 169–175. 187 Diese an die Selbstwahrnehmung des Kaisers gebundene Rezeption leistet ebenfalls einen Beitrag zur Wesensbestimmung des Princeps, denn nur ein guter Princeps kann dem tatsächlich Geäußerten vertrauen, da er – im Gegensatz zu einem schlechten – weiß, dass die Aussagen zutreffen. So die Logik in Plin. paneg. 74,3. Vgl. Bartsch 1994, 160 f. 188 Zu Domitians superbia: Plin. paneg. 48,4; 49,1; luxuria: ebd. 49,6 (occultum luxum); crudelitas: ebd.49,2 (in direkter Gegenüberstellung des herrscherlichen Schutzes, den Trajan durch
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ganisierten Antithesen implizite und im Text omnipräsente Gegensätzlichkeit des optimus und des pessimus princeps dient natürlich ebenfalls der Beweisführung für die Verschiedenheit der Zeiten sowie auch für die Verschiedenheit der früheren heimlichen und öffentlichen Rede von ihren sich gegenwärtig entsprechenden Pendants. Somit beweist diese Gegensätzlichkeit auch den neuen, nicht schmeichlerischen, sondern wahrhaft lobenden Charakter der öffentlichen Rede, also der gratiarum actio des Plinius. Bei dem Versuch, eine klare Trennlinie zwischen seinem wahrhaften Lob und der früheren Schmeichelei zu ziehen, greift er neben dem Fehlen von Zwang auch auf das Merkmal der Spontaneität zurück, wobei er beide als Indiz für Authentizität betrachtet. Die ehrlichste und willkommenste Form der Danksagung sei es, spontane Zurufe nachzuahmen, was auch er in seiner Rede versuche und folglich nicht danach trachte, Schmeicheleien zu erfinden.189 Dies bekräftigt er durch den Vergleich seiner Rede mit dem Gebet am Ende des Kapitels und distanziert sie so von der Künstlichkeit und Gesuchtheit einer durchkomponierten Schmeichelrede.190 An verschiedenen Stellen der Rede dienen ihm aber auch Beschreibungen ritualisierter Interaktion zwischen dem Princeps und dem Senat als Narrative der Spontaneität mit außertextueller Referenz, die nicht nur sein Lob bestätigen, sondern ihre Richtigkeit für jeden Senator empirisch nachprüfbar machen.191 Denn schließlich waren alle Senatoren zugegen, als Trajan durch sein ideales senatorisches Verhalten bei der von ihm als Konsul geleiteten Senatssitzung amor erhält und Domitian durch crudelitas zu erlangen erhoffte); avaritia: ebd. 50,5; livor: ebd. 53,4; libido: ebd. (diesbezüglich gibt es keine direkte Zuschreibung an Domitian; man kann lediglich in der Betonung der trajanischen benignitas die implizite Gegensätzlichkeit der domitianischen Wesensart erschließen); inertia: ebd. 14,5 (iners ipse); timor: ebd. 14,5; 49,1. Die trajanischen Tugenden sind im gesamten Panegyrikus zu finden und zu einem großen Teil auch schon mit entsprechenden Stellenangaben genannt, siehe oben, Kap. 2.3, S. 105 f. mit Anm. 103. 189 Plin. paneg. 3,1: sciamusque nullum esse neque sincerius neque acceptius genus gratiarum, quam quod illas acclamationes aemulemur, quae fingendi non habent tempus („Halten wir uns vor Augen, dass die ehrlichste und willkommenste Form der Danksagung jene spontanen Zurufe zum Vorbild hat, die vorher auszudenken die Zeit gar nicht zulässt.“). Allerdings bleibt Plinius’ Rede in der Mimesis von Spontaneität stecken, wie Ronning 2007, 51 feststellt. 190 Plin. paneg. 3,5. Hier wird erst wirklich bekräftigt, dass Plinius dem in ebd. 3,1 dargestellten Vorbild der scheinbar spontanen Danksagung insofern nachstrebt, als er in beiden Fällen Abstand von der meditatio (in diesem Zusammenhang also der gründlich vorbereiteten und einstudierten Rede) nimmt. Zur Artifizialität der Schmeichelei im Kontrast zu spontanen Ausrufen und zur Möglichkeit, sie, selbst wenn sie das Gleiche sagen, anhand der Art und Weise, wie sie das tun, zu unterscheiden, siehe ebd. 72,5–7 v. a. 7, wo es heißt: habent sua verba miseri, sua verba felices, utque iam maxime eadem ab utrisque dicantur, aliter dicuntur („Die Unglücklichen haben ihre eigene Sprache, die Glücklichen ihre eigene, und mögen sie auch beide ganz dasselbe sagen: es klingt doch anders“; wobei die Übersetzung von aliter dicuntur m. E. nicht gerade glücklich gewählt ist). Vgl. zu diesem Punkt Bartsch 1994, 158 sowie Ronning 2007, 103. In der Parallelisierung seiner Rede mit einem Gebet finden die Götter in ihrer Anerkennung der Redlichkeit und Lauterkeit des Betenden ihre Entsprechung in dem Adressaten der Rede, in Trajan. Vgl. zu dem hier angesprochenen Komplex der Gottähnlichkeit Trajans oben, Kap. 2.3, S. 107–109. 191 Plin. paneg. 67,1; 71,6; 72 f.; 75,6. Zur Herstellung von Glaubwürdigkeit des Redners im römischen Kontext vor allem durch die Körpersprache, aber auch der höheren Verbindlichkeit der
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
zur Auswahl der Suffektkonsuln und sein abschließendes Gebet begeisterte Jubelstürme und Akklamationen bei den versammelten Mitgliedern auslöste.192 Gesteigert und zusätzlich bekräftigt wird dieser Authentizitätsnachweis durch die Darstellung des von Begeisterung und Zustimmung motivierten nonkonformen Verhaltens und Gesten der Senatoren und Trajans. Im Jubelrausch seien sie von ihren Sitzen aufgesprungen und keiner habe mehr auf seine dignitas geachtet, sodass keiner sein Gewand noch so geordnet getragen habe, wie er gekommen war. Trajan wiederum sei so gerührt und beschämt über die Intensität der senatorischen Zustimmung gewesen, dass alle es hätten sehen können: „Wir sahen Tränen in deine Augen treten, sahen dein Antlitz vor Freude gesenkt und deine Wangen so von Röte übergossen, wie dein Herz sich beschämt fühlte.“193 Wie pervertiert hingegen wird das Rollenverhalten der Senatoren unter Domitian beschrieben, für den sie im Senat, wider besseren Wissens, Wettkämpfe der Schmeichelei aufführten, sodass der lobrednerisch tätige Konsul eher einem Schauspieler, denn einem würdigen Vertreter seines Standes glich.194 Wie anders verhält es sich unter Trajan, unter dem der Senat wieder über bedeutende Fragen entscheidet, jeder Senator frei seine Meinung äußern kann und die Willensbekundungen des Princeps konsistent und vertrauenswürdig sind, da Trajan den unwürdigen Rollenspielen in allen Bereichen ein Ende bereitet hat.195 Als Konsequenz davon muss die gratiarum actio des Plinius also nicht nur als frei von jedem Zwang angesehen werden.196 Das Ende aller Theatralität im Senat bezeugt darüber hinaus erneut die Ernsthaftigkeit und Authentizität des Lobredners und seiner Rede.197 Durch die derart festgestellte und bewiesene Ernsthaftigkeit sowie durch die in der angeführten libertas liegende Zwanglosigkeit kann der Konsul voller Überzeugung seine senatorische Unabhängigkeit behaupten,198 sich zum selbstbewussten Systemträger gerieren. Dies bekräftigt er auch mit den Ausführungen zu seinem Amt. Denn Trajan lasse nicht nur die von ihm eingesetzten Amtsträger tatsächlich Konsuln sein, sondern unter seiner Herrschaft stehe es ihnen frei, ihr „Amt genauso auszuüben wie
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Ausdrucksmittel des Körpers vgl. Fantham 1999, 233; zum Begriff des vultus (ebd. 67,1 u. 73,4) Bettini 2000, 9–11 sowie Ronning 2007, 52 f. Plin. paneg. 73,1–5. Begeisterte Zurufe der Senatoren: ebd. 74,1: O te felicem („Du Glücklicher“); 74,2: crede nobis, crede tibi („baue auf uns, baue auf dich selbst“); 74,5: O nos felices („Wir Glücklichen“). Vgl. Fantham 1999, 234 f. sowie Ronning 2007, 103. Plin. paneg. 73,4: Vidimus humescentes oculos tuos demissumque gaudio vultum, tantumque sanguinis in ore quantum in animo pudoris. Vgl. für den Zusammenhang des Sitzens der Toga mit möglichen Rückschlüssen auf die Sorglosigkeit oder Eitelkeit des Redners bzw., im Fortlaufen der Rede, die Rückschlüsse auf dessen emotionalen Zustand: Quint. inst. 11,3,137–149. Vgl. für die Ausdruckskraft der Augen im Bereich der Mimik, da durch sie die Seele, das Innerste zum Vorschein komme, Quint. inst. 11,3,75. Vgl. Ronning 2007, 99–104. Plin. paneg. 54,1 f. Freie senatorische Meinungsäußerung: Plin. paneg. 76,2–5; das Ende der Rollenspiele: 54,3–6; vgl. Bartsch 1994, 154 f. sowie Ronning 2007, 57. Plin. paneg. 1,6; 54,4–6; 72,5–7. Vgl. Bartsch 1994, 155: „The Panegyricus’ version of the truth endows the Panegyricus itself with the validity of sincerity.“ Vgl. zur Bedeutung der Demonstration senatorischer Unabhängigkeit für Plinius auch Ronning 2007, 127.
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die Konsuln vor der Kaiserzeit“.199 Die Verantwortung für ihr Handeln liegt damit einzig und allein bei den Amtsinhabern und Plinius behauptet, sein Konsulat in absoluter Unabhängigkeit zu führen, wodurch er, wenn diese Behauptung für seine Amtszeit zutreffend ist, wiederum die Ernsthaftigkeit seiner Rede mit einer außertextuellen Referenz garantiert.200 All diese Strategien des Authentizitätsnachweises haben in ihrem Umfang, ihrer ständigen Wiederholung und des Ineinander-verknüpft-Seins einen beschwörenden Charakter, der allein durch seine Existenz den Wahrheitswert der Rede und die Ernsthaftigkeit des Lobredners herzustellen und zu garantieren scheinen soll, denn inhaltlich laufen alle diese Strategien ins Leere.201 Oder anders gesagt: Sie scheitern am Genre der Rede und der Stellung des Redners innerhalb des Genres und zu seinen Repräsentationen. Denn der Beweis der Identität von öffentlicher und heimlicher Rede in einer öffentlichen Rede kann weder mit dem Bericht über geheime Rede, noch mit dem Versuch über die Narration ritualisierter Kommunikationsformen und Gesten, noch mit dem Kontrast zur Vergangenheit belastbar geführt werden. Im ersten Fall ist die Aporie offensichtlich: Eine im Bericht zum Teil der öffentlichen Rede gewordene heimliche Rede kann nicht verifiziert werden und muss als das festgestellt werden, was sie ist: ein öffentliches Statement.202 Aber auch die ritualisierten Kommunikationsformen und Gesten sind nicht zwangsweise genuin, sondern unterliegen der Gefahr, einstudiert und vorbereitet zu sein. Dies lässt sich beispielsweise an der Freude der römischen Bevölkerung bei Trajans adventus in Rom erkennen, da die Aufrichtigkeit ihres Jubels eigentlich erst durch seine Fortsetzung im privaten Bereich gewährleistet wird – dort, „wo niemand zur Freude gezwungen ist.“203 199 Plin. paneg. 93,2: licet enim quantum ad principem, licet tales consules agere, quales ante principes erant. Zur Unabhängigkeit der Konsuln vom Princeps, siehe ebd. 91,1. Auch in diesem Falle reicht der Rückgriff auf eine Zeit vor den Principes genauso weit in die Vergangenheit zurück, wie die Verknüpfung des Optimus Princeps mit den republikanischen exempla. Es handelt sich also auch hierbei um die Restauration einer fernen und idealen Vergangenheit, die vor dem Ausgang der mittleren Republik anzusiedeln ist. 200 Wer hätte es denn auch wagen sollen, Plinius nach seinem Konsulat senatorische Selbständigkeit abzusprechen und ihm eine marionettenhafte Amtsführung vorzuwerfen – selbst, wenn dies den Tatsachen entsprochen hätte? Zumindest keiner, der sich selbst Hoffnung auf das Konsulat machte, da er gleichzeitig Trajan damit beleidigt hätte. 201 Vgl. Bartsch 1994, 161 f. 202 Vgl. Bartsch 1994, 161. 203 Plin. paneg. 23,6: iteraturus gaudii fidem, ubi nulla necessitas gaudendi est. Vgl. Ronning 2007, 78, der diese Problematik ebenfalls feststellt, sie dann aber in der Interaktion zwischen Kaiser und Senat durch die allgemeine plinianische Strategie des „als ob“ lösen möchte, siehe ebd. 106. Man vergleiche als Querverweise den Jubel des Volkes für Domitian oder Nero: Plin. paneg. 2,6: et populus quidem Romanus dilectum principum servat, quantoque paulo ante concentu formosum alium, hunc fortissimum personat, quibusque aliquando clamoribus gestum alterius et vocem, huius pietatem abstinentiam mansuetudinem laudat („Das römische Volk weiß freilich genau zu unterscheiden zwischen seinen Principes! So einstimmig, wie es vor kurzem noch einen anderen als ‚schönen‘ Princeps bejubelte, rühmt es diesen hier als den tapfersten, und so lautstark, wie es einst die Darstellungs- und Gesangskunst eines anderen pries, lobt es jetzt an
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Der behauptete Kontrast zur Vergangenheit wiederum verschwimmt durch die vom Herrscherlob schon lange kanonisierten Topoi, deren sich auch Plinius bedienen muss. So finden sich die Motive der recusatio als Ausdruck der modestia des Herrschers, dessen Gottähnlich-/oder Göttlichkeit sowie die Behauptung der Rückkehr zur Freiheit durchaus schon vor der plinianischen Lobrede.204 Aber auch sein Versuch, mittels einer textimmanenten kaiserlichen Rezeption alternative Interpretationsmöglichkeiten des Gesagten zu unterbinden, kann nicht funktionieren, da dieses Bemühen um das Vertrauen des Publikums selbst die Vertrautheit der Zuhörer mit dem Konzept der Doppeldeutigkeit und dem prinzipiellen Problem der Differenzierung zwischen Lob und Tadel bzw. zwischen Ernsthaftigkeit und Schmeichelei offenlegt. Diese prinzipielle Skepsis gegenüber der Aufrichtigkeit des Lobredners ist ein fester Bestandteil dieser sozialen Interaktionspraktik zwischen Herrscher und Lobredner.205 Nicht nur die performative Bestärkung der asymmetrischen Machtrelation, in der keine Differenzierung zwischen erzwungener und williger Zustimmung möglich ist, sondern auch die möglichen Intentionen des Lobredners diesem Princeps hier seine Frömmigkeit, seine Uneigennützigkeit und seine Milde“). Vgl. zur Übersetzungs- und Interpretationsproblematik dieser Stelle Ronning 2007, 61 f. der sie überzeugend entgegen Seelentag 2004, 225 dahingehend interpretiert, dass hier die Differenzierungsfähigkeit des römischen Volkes und nicht die Wankelmütigkeit der Plebs dargestellt sei. Zum adventus Trajans siehe oben, Kap. 2.3, S. 101–105. 204 Man vergleiche bspw. die Bewunderung des Plinius für die Zurückhaltung Trajans bezüglich des Konsulats, Plin. paneg. 56,3–60,7 mit dem gleichen Motiv bei Stat. silv. 4,1,33–35, dort allerdings auf Domitian gemünzt. Vgl. Bartsch 1994, 164. Vgl. zur angeblichen Übersteigerung des herrscherlichen Habitus’ der recusatio bis zur Unglaubwürdigkeit und Schauspielerei aufgrund unlauterer Motive den taciteischen Vorwurf an Tiberius, Tac. ann. 1,7,3–7 u. 11,1–13,6; vgl. zur recusatio des Tiberius Flaig 1992, 209–218. Vgl. für die schon unter Domitian angelegte Stellvertreterfigur Jupiters für den Princeps Stat. silv. 4,3,128 f.: en hic est deus, hunc iubet beatis / pro se Iuppiter imperare terris (zitiert aus: Statius, Publius Papinius, Silvae, ed. and transl. by D. R. Shakleton Bailey (The Loeb Classical Library), Cambridge, Mass. 2003) mit Plin. paneg. 80,4 f. Vgl. Bartsch 1994, 163 f. die allerdings insofern einen signifikanten Unterschied zwischen Statius und Plinius übergeht, als Domitian bei Statius eindeutig als Gott bezeichnet wird, während Plinius zwar Trajan mit den Göttern vergleicht (siehe oben, Kap. 2.3, S. 107–109), diesen aber in seinem Panegyrikus tatsächlich niemals als einen solchen bezeichnet oder apostrophiert. Es handelt sich dabei um den kleinen, aber bedeutsamen Unterschied zwischen der behaupteten Göttlichkeit Domitians und der Gottähnlichkeit Trajans; vgl. Moreno Soldevila 2010, LVI –LIX. Vgl. Mart. 5,19,6: sub quo libertas principe tanta fuit? („Unter welchem Fürsten herrschte so große Freiheit?“; Text u. Übersetzung aus: M. Valerius Martialis, Epigramme. Lateinisch/ Deutsch, ausgewählt, übers. u. hrsg. Niklas Holzberg (Reclam), Stuttgart 2008.) bspw. mit Plin. paneg. 57,3. Vgl. Bartsch 1994, 164 f., wo sie pointiert zusammenfasst: „In fact the problem Pliny encounters is that there is no new way to praise the emperor.“ Vgl. zu dieser Problematik ebenfalls Ronning 2007, 46–48; Vgl. Moreno Soldevila 2010, L; sowie den Überblick bei Gibson 2011, 116–124. Zur Kontinuität zwischen Trajan und Domitian und der damit einhergehenden konzeptionellen Problematik für Lobreden auf den Optimus Princeps vgl. Häfele 1958, 28 und Waters 1969, passim. 205 Vgl. Bartsch 1994, 170, die den problematischen Komplex der Differenzierung zwischen Lob und Schmähung bzw. Ernsthaftigkeit und Schmeichelei mit dem Begriff der „praise/blame axis“ bezeichnet. Vgl. Ronning 2007, 49 f., der die Enkomiastik mit dem Status eines ‚Sonderdiskurses‘ belegt.
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selbst – sich beim Herrscher auf Kosten Anderer beliebt zu machen, um damit seine Karriere mithilfe unlauterer Mittel zu beschleunigen – stellen seine Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit seiner Rede unter Generalverdacht. Darüber hinaus ist die prinzipielle Möglichkeit gegeben, dass die Lobrede für einen Herrscher im antiken Sinnhorizont nicht nur die Markierung, sondern über ihre Erzwungenheit und ihre Ausführlichkeit sogar ein Maßstab despotischer Macht darstellt.206 Vor diesem verschwommenen Hintergrund möglicher Intentionen und Motivationen kann auch der versuchte Beweis der Aufrichtigkeit des Redners keine Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen, da diese Beteuerung von Ernsthaftigkeit selbst ein wichtiges Derivat der Schmeichelei ist. Für Plutarch gilt diese scheinbare Aufrichtigkeit sogar als der skrupelloseste Kunstgriff des Schmeichlers schlechthin.207 Zu diesen sozial determinierten Verdikten über die Figur des Lobredners lassen sich für die persönliche Stellung des Plinius in dieser Rolle noch zwei weitere Handicaps anführen: Zum ersten seine erfolgreiche Karriere unter Domitian, und zum zweiten der Verdacht seiner Mitschuld oder sogar Komplizenschaft als Präfekt des aerarium militare an dem häufiger beklagten Umgang mit senatorischen Erbschaften und Legaten unter dem letzten Flavier.208 Dies lässt natürlich einige Zweifel an der Perhorreszierung des tyrannischen pessimus durch Plinius aufkommen und angesichts der auf allen Ebenen leerlaufenden Versuche des Ernsthaftigkeitsbeweises bleibt letztendlich nur das Scheitern des Lobredners zu konstatieren. Shadi Bartsch gibt sich in ihrem zum Komplex der Ernsthaftigkeit des Lobredners maßgeblichen Kapitel „The Art of Sincerity: Pliny’s Panegyricus“ in ihrem 1994 erschienenen Buch Actors in the Audience mit diesem Ergebnis nicht zufrieden und stellt fest, dass die Aufrichtigkeitsbeteuerungen im Panegyrikus gar nicht auf belastbare Beweiskraft angelegt seien.209 Dies bringt sie nach einer ausführlichen Betrachtung über den zunehmenden Verfall des politischen Diskurses der Prinzipatszeit und dessen Leitbegriffen, die durch Inhaltslosigkeit, Beliebigkeit und fehlende moralische Rückbindung gekennzeichnet seien, letztendlich zu dem Schluss, dass die Behauptung der Aufrichtigkeit selbst ausreichend für ihre Bestätigung zu sein scheine. Und so zeichnet sie das Bild einer schalen Welt der Oberflächlichkeit: „It is as if the saying itself is enough, as if meaning lies in the asser206 Vgl. Sen. Thy. 205–212, Epikt. diatr. 1,19,4 oder Lucan. 2,38–42. Vgl. Bartsch 1994, 176 f. 207 Vgl. Plut. mor. 51C–D oder 61C (beide in der Schrift: De adulatore et amico) oder Tac. ann. 1,8,4. Vgl. ebenfalls Plin. epist. 6,27,2 f., den auch Bartsch 1994, 179 f. interpretiert, die dabei zu dem überzeugenden Schluss kommt: „It seems that Pliny must remark on his abstention from flattery even as he abstains from it, lest such abstention be misunderstood as abstention rather than seen for the flattery it is.“ Allerdings muss hier klar gestellt werden, dass dieser Brief sich inhaltlich nicht mit der gratiarum actio befasst, sondern mit der Frage nach der geeigneten Ehrung, die der als Konsulat designierte Empfänger des Briefes für Trajan beantragen könnte. Vgl. Sherwin-White 1966, 387; Seelentag 2004, 257. 208 Siehe zur Karriere des Plinius unter Domitian Strobel 1983, 40–44, der ihn nicht nur als „opportunistischen Mitläufer“ charakterisiert (43), sondern in der schnellen Karriere des Plinius überzeugend auf das dafür nötige Wohlwollen Domitians hinweist (41); siehe zum Amt als Präfekt des aerarium militare des Plinius ebd. 41; vgl. dazu Plin. paneg. 95,3 f. wo Plinius die Ausübung dieses Amtes übergeht und damit quasi leugnet. Vgl. Bartsch 1994, 167–169. 209 Bartsch 1994, 161, 175, 184.
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tion rather than in the facts, as if a world in which values are only surface deep will suffice even – or especially – when all acknowledge that this is so.“210 Sie übersieht dabei aber, dass die Aufrichtigkeitsbeteuerungen, von denen die Glaubwürdigkeit der Rede und die Ernsthaftigkeit des Redners abhängen, nur innerhalb der Gattung des Herrscherlobes leerlaufen und Plinius einen Kunstgriff anwendet, den er in seine Argumentation innerhalb des Panegyrikus eingebaut hat, um den circulus vitiosus der Nicht-Nachweisbarkeit von Ernsthaftigkeit in der Lobrede aufzubrechen. Die grundlegende Problematik, weshalb die plinianischen Strategien der Aufrichtigkeitsbeweise innerhalb der Rede nicht glücken können, sollen hier mit den Analyseinstrumenten Norman Faircloughs (genres, discourse, style)211 noch einmal kurz skizziert werden: Das genre der gratiarum actio ist eine soziale Praktik, die der Reglementierung unterworfen ist, dass sie öffentlich, vor dem Senat, beim Antritt des Suffektkonsulats zu erfolgen hat und der Konsular in ihr dem Kaiser seinen und den Dank des Senats und aller Untertanen auszusprechen hat, um damit zur Stabilisierung der Hierarchie beizutragen.212 Dies beeinflusst vor allem den style der Rede, in welchem sich die Stellung des Redners zum sozialen Umfeld 210 Bartsch 1994, 181–187, (Zitat: ebd. 187). M. E. ist es allerdings äußerst problematisch, die Welt, in der Plinius lebte, als eine zu beschreiben, „in which the perspectives of a Tacitus and a Lucan are possible, where it is just conceivable that the familiar ethical terms and the words upon which rest a whole culture’s concept of political morality no longer have a fixed signifiersignified relation to the values they used to represent but now provide an empty nomenclature for ideas largely devoid of meaning.“ (185). Denn die behauptete Krise der Repräsentation setzt als Prämisse voraus, dass es irgendwann vor dem Prinzipat eine organisch strukturierte Welt gegeben habe, in der Zeichen, Bezeichnetes und ihre kulturelle Semantik deckungsgleich gewesen wären. Diese Utopie, die sich in der fast schon mythologischen Idealisierung der Vergangenheit realisiert, erinnert nicht nur sehr an die plinianischen Rückgriffe auf eine weit zurückliegende, vorbildhafte republikanische Zeit, sondern auch an die Modernisierungs-Narrative des 19. Jahrhunderts mit klassisch aufklärerisch-soziologischer Fortschrittsperspektive; vgl. dazu bspw. Reckwitz 2008, 226–231; Stöckmann 2009, 315–327. 211 Siehe Fairclough 2003, passim. Siehe im Glossar zu genre: ebd. 216; zu discourse: ebd. 214 f.; zu style: ebd. 225. Siehe für eine grundlegende Einführung dieser Begrifflichkeiten: ebd. 23–28. Um die methodische Anknüpfung an Fairclough sinnfälliger zu machen, wurde darauf verzichtet, discourse durch Diskurs zu ersetzen. 212 Siehe zum Begriff der sozialen Praktik, die als mittlere Ebene zwischen den sozialen Strukturen und den sozialen Ereignissen insofern vermittelt, als sie für die Kontrolle und Selektion bestimmter struktureller Möglichkeiten und der Exklusion anderer verantwortlich zeichnet Fairclough 2003, 23 f. Dort verweist Fairclough darauf, dass sprachliches Handeln in der Regel auch soziales Handeln bedeutet, weshalb auch die Sprache nach diesem Modell betrachtet wird. Dabei sind die Analyseinstrumente genre, discourse und style auf eben dieser mittleren und vermittelnden Ebene zwischen den sprachlichen Möglichkeiten und der konkreten Realisierung sprachlicher Äußerungen angesiedelt. Für die Verpflichtung des Konsuls zu einer Dankesrede durch einen Senatsbeschluss siehe Plin. paneg. 4,1 f. vgl. Plin. epist. 3,18,1–3. Vgl. Ronning 2007, 34 f., der zurecht hervorhebt, dass die plinianische Auslegung des senatus consultum spezifisch für die Aufwertung der Funktion des Dankredners ausgelegt ist: Verpflichtet zur Herrscherparänese bzw. -kritik kann er seine Funktion als Lobredner als eine indirekte Kontrolle der Herrschaftsausübung mit staatlichem Mandat deuten. Ronning akzeptiert allerdings diese Selbstfunktionalisierung und vernachlässigt dabei die Differenzierung zwischen der aufgewerteten Position des Lobredners, einer textimmanenten Größe, und der Intention des die Rede veröffentlichenden Konsulars Plinius.
2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den Optimus-Princeps-Diskurs 129
und zum discourse seiner Rede realisiert. Denn durch die Zwangslage und Öffentlichkeit sowie die asymmetrische Hierarchie in der gegebenen Situation als Lobredner steht seine Aufrichtigkeit unter Verdacht, womit nicht nur seine Ernsthaftigkeit gegenüber dem Adressaten der Rede und des weiteren Publikums fraglich wird, sondern auch seine Stellung zum discourse seiner Rede, den Aussagen zur Welt, die in ihr repräsentiert werden.213 Der plinianische Versuch, im discourse seiner Rede – u. a. in der Repräsentation der diversitas temporum – seine Ernsthaftigkeit als Konsul zu beweisen, scheitert also nicht nur am genre der gratiarum actio und dem style des Lobredners, sondern führt darüber hinaus auch zur Fragwürdigkeit der im Laufe der Rede erfolgten Repräsentation der Welt, mithin der spezifischen Darstellung der trajanischen Herrschaft. Es stehen also sowohl die dignitas des Konsulars Plinius auf dem Spiel, als auch seine Darstellung einer neuen Zeit unter Trajan und damit seine Rede vom optimus Princeps und die starke Betonung von dessen civilitas. Alle Aufrichtigkeitsbeteuerungen innerhalb der Rede können trotz des Versuches, ihre Beweisführung außertextuell rückzubinden, nicht überzeugen, da der Sprecher dem Vorzeichen des Genres unterworfen bleibt: der circulus vitiosus ist perfekt. 2.5 Plinius als Repräsentant einer neuen Elite Der Teufelskreis, in dem alle Ernsthaftigkeitsbeteuerungen des Lobredners ins Leere laufen, ist allerdings an das spezifische soziale Ereignis der gratiarum actio gebunden, das Plinius dadurch aufbricht, dass er seine Lobrede auf Trajan in ein anderes genre transponiert, wodurch der als Panegyrikus bekannte Text überhaupt überliefert wurde. Denn es handelt sich bei diesem mitnichten um die vor dem Kaiser gehaltene Dankesrede für das Konsulat, sondern um eine deutlich erweiterte und eine durch mehrere Stufen der Redaktion veränderte Version, mit der er letztendlich sogar eine neue Gattung begründete.214 Der Kunstgriff des Plinius nun besteht weniger darin, seine Rede überarbeitet zu haben – was durchaus üblich war –, sondern darin, die Rede durch die Thematisierung ihrer Bearbeitung in seinem dritten Briefbuch, das im gleichen Zeitraum veröffentlich wurde, zu einem Gegenstand seiner literarischen Studien im otium gemacht zu haben. In der brieflichen Kommunikation mit seinem Freund Voconius Romanus diskutiert und begründet er nicht nur die stilistische Gestaltung seiner bereits vor dem Senat gehaltenen Rede, sondern bittet den Empfänger auch um
Siehe unten, Kap. 2.5. Für Seelentag 2004, 231 liegt die Selbstfunktionalisierung der Rede in der Struktur des ‚affirmativen Forderns‘ begründet. 213 Siehe zu diesen drei Elementen der Diskursordnung und ihrer dialektischen Beziehung zueinander Fairclough 2003, 27–29, kurz gefasst: discourses werden innerhalb von genres wirkkräftig und durch styles verstärkt. Genau hierin liegt auch das von Bartsch 1994, 161 f. festgestellte Ernsthaftigkeitsproblem des plinianischen Panegyrikus begründet. 214 Siehe zur Frage der Gattung oben Kap. 2.2, S. 90 mit Anm. 29.
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dessen Korrekturen der schriftlichen Fassung.215 Damit wird nicht nur offensichtlich, dass Plinius weitere Bearbeitungsphasen seines Textes anstrebte, sondern auch, dass ihm letztendlich an dessen Verbreitung im Kreise seiner Standesgenossen und darüber hinaus gelegen war. Bevor es jedoch soweit kam, lud er eine unbestimmte Zeit später seine Freunde zu sich zur Rezitation seines bereits zu diesem Zeitpunkt stark erweiterten Werkes ein;216 wie er zu betonen Wert legt, geschah dies sehr informell („‚wenn es dir passt‘ und ‚wenn du Zeit hast‘“) und unter äußerst schlechten Witterungsbedingungen, womit ein sehr hoher Grad an Freiwilligkeit aller Anwesenden behauptet wird, da es schließlich eine Menge von plausiblen Entschuldigungsgründen gegeben hätte.217 Die plinianische Lesung seines Panegyrikus, der selbst ein Produkt seines senatorischen otium ist, atmet nach der Darstellung im Briefwerk des Plinius also ebenfalls die Luft senatorischer libertas. Gesteigert wird die Selbstbestimmtheit der Anwesenden und die Ungezwungenheit ihrer Zustimmung noch durch ihre Forderung, Plinius möge an den in seiner Bescheidenheit auf zwei Tage begrenzten Vortrag noch einen dritten anschließen:218 Aber welchem Thema haben sie eine solche Aufmerksamkeit geschenkt [und ihre so kostbare Freizeit freiwillig gewidmet]? Natürlich war es dasselbe, über das wir uns auch im Senat, wo wir aushalten mussten, doch vom ersten Augenblick zu grämen pflegten; und jetzt finden sich 215 Plin. epist. 3,13,5: adnota, quae putaveris corrigenda! („Schreibe auf, was nach Deiner Meinung verbessert werden soll.“). Vgl. Eich 2000, 220–231, 237–240 zur Bedeutung verschriftlichter Reden im Kontext rhetorischer Bildung und eines identitätsstiftenden Habitus der politischen Führungsschicht. Zur Rolle des Sublimen im plinianischen Stil vgl. Hutchinson, 2011, 125–141. 216 Plin. epist. 3,18,1: … eadem illa spatiosius et uberius volumine amplecti („… dasselbe Thema ausführlicher und reicher in einem Buch darzustellen.“). 217 Plin. epist. 3,18,4: cepi autem non mediocrem voluptatem, quod, hunc librum cum amicis recitare voluissem, non per codicillos, non per libellos, sed ‚si commodum‘ et ‚si valde vacaret‘ admoniti (numquam porro aut valde vacat Romae aut commodum est audire recitantem) foedissimis insuper tempestatibus per biduum convenerunt… („Es hat mir aber kein geringes Vergnügen gemacht, dass meine Freunde, als ich ihnen dieses Buch vortragen wollte, nicht durch schriftliche Einladungen, nicht durch Programme, sondern mit ‚wenn es Dir passt‘ und ‚wenn Du Zeit hast‘ aufgefordert waren; niemals aber hat man in Rom viel Zeit oder passt es, eine Vorlesung anzuhören. Dennoch kamen sie, dazu noch bei sehr schlechtem Wetter, an zwei Tagen zusammen…“). Vgl. zum blühenden Rezitationswesen am Ende des 1. Jahrhunderts: Fantham 1998, 199–209 sowie Fuhrmann 1999, 65 und speziell zu Plinius Johnson 2010, 42–56. Nicht verständlich ist mir die Position von Ronning 2007, 44, der die Rezitation dem Bereich des negotium zuordnet. Argumentativ meint er seine Meinung mit der Feststellung zu stützen, dass die Rezitation als officium für den Vortragenden wie den Zuhörer verstanden werde. Er zieht dabei jedoch den Fehlschluss, das bspw. in Plin. epist. 1,13,6 angeführte audiendi officium kategorisch dem negotium zuzuweisen, und lässt dabei außer Acht, dass auch im otium erwiesene beneficia eine Gegengabe erforderlich machen, d. h. dass die Reziprozität von Zuwendungen und ihre sozialen Konsequenzen (bspw. bei Gastmählern) im otium keineswegs ausgesetzt ist. Siehe zur Reziprozität im otium Gotter 2001, 265. 218 Plin. epist. 3,18,4: …cumque modestia mea finem recitationi facere voluisset, ut adicerem tertium diem exegerunt („…und als ich in meiner Bescheidenheit die Vorlesung schließen wollte, forderten sie, ich solle noch einen dritten Tag hinzufügen.“).
2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den Optimus-Princeps-Diskurs 131 Leute, die dasselbe Thema drei Tage lang vortragen und hören wollen, nicht weil es gewandter als früher, sondern freier und daher auch mit größerer Freude behandelt wird. Es wird also auch das noch den Ruhm unseres Kaisers vermehren, dass eine früher so verhasste und unaufrichtige Angelegenheit, jetzt ebenso wahr wie liebenswert geworden ist.219
Die Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart arbeitet Plinius dabei sprachlich penibel aus: Sorgfältig achtet er darauf, dass den beiden auf die Vergangenheit referierenden Verben im Indikativ Imperfekt (necesse erat und solebamus) zwei Verben im Indikativ Präsens (inveniuntur und scribitur) gegenübergestellt werden, auch wenn er dabei von der konkreten Situation seiner eigenen Rezitation auf den allgemeinen Zustand unter Trajan abstrahieren muss. Zugleich divergieren die beiden temporal verschiedenen Momente in zwei weiteren, modalen Oppositionen: Während die frühere Lobrede auf den Kaiser durch Zwang (necesse erat) und Passivität (perpeti, gravari)220 gekennzeichnet ist und dabei im öffentlichen Raum (in senatu) stattfindet, erfährt dasselbe Thema in der brieflichen Gegenwart seine freiwillige (velint) und aktive (recitare, audire)221 Behandlung, die sich darüber hinaus im privaten Raum, mithin der Sphäre der heimlichen Rede ereignet. Ihren Höhepunkt findet die Opposition zwischen Vergangenheit und Gegenwart in der am Schluss des Abschnitts asyndetisch positionierten, parallel organisierten Antithese von früher (antea) und jetzt (nunc), wobei die beiden Gegensatzpaare der früheren Falschheit und der jetzigen Aufrichtigkeit/Wahrheit einander chiastisch gegenübergestellt sind (tam invisa quam falsa … ut vera, ita amabilis). Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass die frühere öffentliche Lobrede auf den Princeps, die erzwungen war, erduldet werden musste und von Falschheit gekennzeichnet war, von der gegenwärtigen, im privaten Raum und freiwillig gehaltenen, gern gehörten und damit in ihrer Wahrheit bewiesenen abgegrenzt wird. Damit findet die hier diskursivierte Differenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit ihre Entsprechung in der repräsentierten Welt, wie sie im Panegyrikus dargestellt wird, wobei das Sprechen über den Princeps und dessen Herrschaft im Brief sich mit der im Panegyrikus behaupteten diversitas temporum zu einem Gesamtstück zusammenfügt.222 Im einen Fall wird die Opposition von Vergangenheit und Gegenwart in der Form der öffentlichen Rede, die mit der heimlichen/privaten Rede identisch zu sein behauptet, ihrer Ernsthaftigkeit, Wahrheit und Ungezwungenheit manifest, während im anderen Fall im von Freiwilligkeit gekennzeichneten, privaten Raum erwünscht ist, was früher im öffentlichen nur mühsam ertragen 219 Plin. epist. 3,18,6 f.: at cui materiae hanc sedulitatem praestiterunt? nempe quam in senatu quoque, ubi perpeti necesse erat, gravari tamen vel puncto temporis solebamus, eandem nunc et qui recitare et qui audire triduo velint, inveniuntur, non quia eloquentius quam prius, sed quia liberius ideoque etiam libentius scribitur. accedet ergo hoc quoque laudibus principis nostri, quod res antea tam invisa quam falsa nunc ut vera, ita amabilis facta est. 220 Zwar handelt es sich bei perpeti um einen eindeutigen Infinitiv passiv, während gravari eher dem Infinitiv eines transitiven Deponens entspricht, aber nicht nur seine passive Gestalt, sondern vor allem die klare Zuweisung der thematischen Rolle des Patiens an das von ihm regierte Subjekt (in diesem Fall: „wir“), verorten auch dieses Verb in diesem Zusammenhang in die Sphäre der Passivität. Zur thematischen Rolle siehe oben Kap. 1.3, S. 49 mit Anm. 89. 221 Hier ist ein deutlich aktives „Zuhören“ gemeint. Vgl. vorhergehende Anm. 222 Siehe hierzu die ausführliche Analyse von Plin. paneg. 2,2 oben, Kap. 2.4, S. 119–122.
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wurde. Quod erat demonstrandum: Die in der öffentlichen Rede behauptete Identität von öffentlichem und privatem/heimlichem Sprechen über den Princeps, welche die textimmanente Grundlage schlechthin für die Ernsthaftigkeitsbeteuerungen des Lobredners darstellt, ist also mit dem Bericht über den dreitätigen Vortrag des Panegyrikus im privaten Bereich des senatorischen otium bewiesen. Die Lobrede des Plinius wird dadurch allen oben angeführten Verdikten über das genre der gratiarum actio, ihres öffentlichen Charakters und all der damit einhergehenden Limitierungen223 entzogen und als ein literarisches Produkt mit künstlerischem Anspruch224 in den sozialen Kontext des senatorischen otium überführt.225 Den genre-Wechsel der ursprünglichen gratiarum actio dokumentiert Plinius in den Briefen, die in ihrer veröffentlichten Form von Briefbüchern selbst ein Produkt des senatorischen otium sind, in mehreren Stufen: Nach einer privaten Kommunikation über den Stil der verschriftlichten Rede und der Bitte um Korrekturen erweitert Plinius die Rede beträchtlich, um sie im Folgenden seinen Freunden in einer zweitägigen Lesung zu präsentieren, welche auf die Forderung der Zuhörer zu einer dreitägigen Rezitation anwächst und deren Gesamtergebnis er dann in weiter bearbeiteter Form226 wiederum zu einem Teil seiner privaten Korrespondenz macht. Möglicherweise ist mit der Versendung seines Panegyrikus an dieser Stelle bereits dessen endgültige Version erreicht, da er den Adressaten weder um Korrekturen bittet, noch die weitere Verbreitung seines Textes untersagt. Die quasi paratextuelle Informationen zu seinem Panegyrikus liefernden, intertextuell auf diesen referierenden Briefe verstärken die dem senatorischen otium zuzuordnende Charakterisierung der ausgestalteten Rede und damit deren Authen223 Dieses Ausbrechen aus den zeitlichen und örtlichen Beschränkungen der vor dem Senat gehaltenen gratiarum actio thematisiert Plinius selbst: siehe Plin. epist. 3,18,1: quod [gratias agere] ego in senatu cum ad rationem et loci et temporis ex more fecissem, bono civi convenientissimum credidi eadem illa spatiosius et uberius volumine amplecti („obwohl ich das [die Danksagung] unter Berücksichtigung des Ortes und der Zeit der Sitte gemäß im Senat getan hatte, glaubte ich, es sei für einen guten Bürger besonders passend, dasselbe Thema ausführlicher und reicher in einem Buch darzustellen.“). 224 Das legt nicht nur die Schaffung einer neuen Gattung dar, sondern auch Plinius’ Hoffnung, die Ehre der Forderung eines weiteren Rezitationstages käme nicht seiner Person, sondern seinen literarischen Studien zuteil: siehe Plin. epist. 3,18,5. In die gleiche Richtung verweist die Stildiskussion in Plin. epist. 3,13 und in 3,18,8–10. Vgl. dazu Seelentag 2004, 254–256 sowie Ronning 2007, 41–43. 225 Vgl. Seelentag 2004, 248–254, der zwar bemerkt, dass die Lesung ein sozialer Raum ist, in dem die senatorische Standeskontrolle greift und den der Autor nutzt, um seine besondere Loyalität gegenüber dem Kaiser zu demonstrieren, allerdings zum einen den Fehler begeht, diese Rezitation als privata gratiarum actio zu verstehen [was per definitionem nicht möglich ist, wenn derjenige, dem zu danken ist, nicht anwesend ist]. Des Weiteren entgeht ihm der plinianische Kunstgriff des genre-Wechsels, womit er auch bei den Konsequenzen der Rezitation im einfachen Loyalitätsbeweis des Autors stecken bleibt. Vgl. ebenfalls Ronning 2007, 44 f., der zwar erkennt, dass die Rede „in eine ‚angenehme‘ Form gebracht und zu einem Monument der libertas“ wird, aber wie oben (Anm. 217) erwähnt, die plinianische Rezitation unverständlicherweise dem Bereich des negotium zuweisen möchte und in ihrem Kontext nicht über die Feststellung hinauskommt, Plinius habe mit ihr „eine Reaktion auf seine Begabung als orator“ erhofft. 226 Plin. epist. 3,18,11: habes acta mea tridui („Hier hast Du meine Tätigkeit in den drei Tagen.“).
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tizität, da sie zum einen selbst dieser Sphäre angehören, zum anderen aber es eine Eigenschaft der literarischen Gattung Brief ist, die Illusion der Privatheit zu evozieren. Dies trifft für die plinianischen Briefe der ersten neun Briefbücher umso mehr zu, da ihr Verfasser sie als eine Sammlung von Gebrauchsbriefen stilisiert, womit der sekundäre Rezipient aus der primären, textimmanenten Kommunikationssituation zwischen Sender und Empfänger prinzipiell ausgeschlossen wird.227 Dadurch wird dem Leser die Rolle des ‚heimlichen‘ Mitwissers der privaten und authentischen Kommunikation des Plinius mit seinen Freunden zugeschrieben, wobei sich ihm die authentische, da im otium realisierende, senatorische persona des Plinius erschließt. Gleichzeitig bietet der Brief über den Vortrag des Panegyrikus die Möglichkeit, in die ‚eigentliche‘ Funktion der Kommunikation mit dem Empfänger – nämlich den Freund von der erfolgreichen Lesung seiner ausgestalteten Lobrede auf den Kaiser zu informieren und ihm das Endprodukt dieses Ereignisses zukommen zu lassen – eine ‚uneigentliche‘ Funktion zu implementieren.228 Diese besteht zum einen in der erzählerisch dargestellten Transponierung der Rede in ein neues genre, liefert zum anderen aber die intertextuelle Garantie für die im Panegyrikus behauptete Ernsthaftigkeit des Lobredners, da der Brief die Identität von heimlichem/privatem und öffentlichem Sprechen über den Princeps und damit dessen Authentizität beweist, was nicht nur durch die Betonung der freiwilligen Rezeption der Rede im Rahmen seines Vortrags gestärkt wird.229 Denn im Diskursfeld des otium hatte sich schon lange das Element einer ‚privaten‘ Gegenwelt gegenüber der den Senator mit Verpflichtungen überhäufenden res publica etabliert.230 Weit davon entfernt, ein entpolitisierter Raum eines individualistisch geprägten Eskapismus zu sein, konnte er dank seiner Semantik als Nicht-negotium als Ort standesadäquater, aristokratischer Selbstinszenierung fungieren, der weitaus weniger rigiden Limitierungen unterworfen war als sein normativer Gegenpart.231 Den otium-Diskurs dominierte das Bild des von allen gesellschaftlichen Zwängen befreiten absolut selbstbestimmten Aristokraten, dessen Aktivitäten und Interaktionen aufgrund dieser umfassenden libertas mit der Illusion totaler Unabhängigkeit bekleidet wurden.232 Man pflegte das imaginäre Konstrukt 227 Vgl. zur literaturtheoretischen Problematik von Briefen, v. a. aber zum Charakter der plinianischen Briefsammlung unten, Kap. 3.4, S. 179 mit Anm. 156; vgl. ebenfalls Ludolph 1997, 21–56. 228 Vgl. zu den Begrifflichkeiten der ‚eigentlichen‘ und ‚uneigentlichen‘ Verwendung von Briefen: Strobel 2007, 166–174, hier 168. Vgl. unten, Kap. 3.4, S. 179 mit Anm. 156. 229 Diese dichte Intertextualität zwischen dem Panegyrikus und den beiden Briefen im 3. Buch machen eine zeitnahe Verbreitung der beiden Texte m. E. nach sehr wahrscheinlich. Vgl. oben, Kap. 2.2, S. 91 f. 230 Vgl. Gotter 2001, 257 f. zur semantischen Entstehung des Gegensatzpaares otium-negotium. 231 Vgl. Gotter 2001, 259, wo er zu Recht darauf hinweist: „wenn jedoch das otium einen Raum für die Konkurrenz um Status bereitstellte, lässt sich das mit der Idee einer entpolitisierten Sphäre nur schwer vereinbaren.“ Diese Funktion vor allem der Villegiatur lässt sich aber nicht nur für die Zeit der Republik, sondern auch für die Kaiserzeit aufrechterhalten. Vgl. Rebenich 2008, 189 f. 232 Dieses Bild beansprucht seine Realisierung vor allem in der Sphäre der Villegiatur, wo auch der Raum literarischer Studien – mithin also die Entstehung des Panegyrikus – für Plinius anzusie-
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eines Raumes frei aller gesellschaftlicher Zwänge, in dem die aufrechterhaltenen sozialen Beziehungen im Spiegel ‚wahrer‘ amicitia standen und Tätigkeiten wie literarische oder philosophische Studien einem genuinen Interesse entsprangen, wodurch eventuell entstandene Produkte den Anstrich des unabhängig entstandenen und originären Kunstwerks erhielten.233 Diese imaginäre Unabhängigkeit des senatorischen otium – denn auch in diesem Bereich herrschten kollektive, normative Zwänge234 – macht sich Plinius bei seiner Transponierung der Lobrede auf Trajan aus dem genre der gratiarum actio in den Raum senatorischer Freiheit zunutze. Durch die Rekontextualisierung des ursprünglich öffentlichen sozialen Ereignisses wird die Rede als Text in der Sphäre anderer sozialer Praktiken235 – nämlich denjenigen des senatorischen otium – inkorporiert, wodurch sich folglich auch der style des Lobredners verändert: Den vom Kaiser abhängigen Senator, der diesem vor dem versammelten Senat für die Verleihung seines Konsulats und die gute Herrschaft des Princeps dankt, ersetzt der Senator, der diese Rede im Raum absoluter senatorischer Freiheit aus eigenem Interesse und ungezwungen zu seinem literarischen Gegenstand macht. In Konsequenz davon muss nun auch der discourse der Rede, also die repräsentierte Welt im Panegyrikus, als wahr und ernst gemeint verstanden werden. Dies gilt umso mehr, als die im discourse der Lobrede angelegte Identität von heimlicher/privater und öffentlicher Rede durch den genre-Wechsel performativ bewiesen ist und somit nicht nur deln ist, und kann nur bedingt auf die Hauptstadt übertragen werden, wo die plinianische Rezitation stattfindet; allerdings weist er gerade deshalb, wie oben ausgeführt, sehr deutlich und ausführlich auf die Freiwilligkeit und Ungezwungenheit seiner Lesung hin. Zur senatorischen Ungezwungenheit im otium vgl. bspw. Plin. epist. 7,3,2, wo er C. Bruttius Praesens auffordert, von seinem erholsamen Villenaufenthalt zu den Mühsalen der urbs zurückzukehren oder Plin. epist. 3,1, wo er das Alters-otium des Vestricius Spurinna idealisiert. Vgl. Schneider 1995, 25 f. Vgl. zu den literarischen Studien Plinius’ während seines otium bspw.: 4,14, wo er während seines otium entstandene Versspielereien an seinen Freund Plinius Paternus schickt; ebd. 5,18,2, wo Plinius seine Zeit in Etrurien mit Jagen und Schreiben verbringt; ebd. 7,9; wo in dem Rat an Cn. Pedanius Fuscus Salinator, sich im otium bestimmten literarischen Studien zu widmen, auch plinianische Ideale sichtbar werden; dass man sich auch in der urbs literarischen Studien im senatorischen otium widmen kann, zeigt ebd. 9,6. Vgl. unten Kap. 3.3, dort v. a. S. 175–177. 233 Siehe für grundlegendere Ausführungen zum senatorischen otium unten, Kap. 3.2. 234 Diese sind auch für die spezielle Situation der Rezitation implizit in dem Ärger von Plinius über das inadäquate Verhalten einiger Gäste bei einer Lesung enthalten, die den Gastgeber dadurch beleidigten, dass sie keinerlei Reaktion auf dessen Vortrag zeigten: Plin. epist. 6,17. Vgl. Seelentag 2004, 249 f. Vgl. allgemein zur Standeskontrolle und Konkurrenz im otium: Gotter 2001, 266 f. sowie Rebenich 2008, 188. 235 Siehe zur Rekontextualisierung sozialer Ereignisse in den Horizont anderer sozialer Praktiken Fairclough 2003, 32–34 (wo es um bestimmte Eigenschaften der Rekontextualiserung als Teil von genres of governance geht) 140 und 222 (Glossaries). Im Falle des Panegyrikus entfaltet sich die Rekontextualisierung insofern ungleich komplexer, als innerhalb der Repräsentation eines sozialen Ereignisses (der Rezitation des Panegyrikus im genre des veröffentlichten Briefes), also einer vollzogenen Rekontextualisierung, eine berichtete Rekontextualisierung (die Vereinnahmung der gratiarum actio für den Raum des senatorischen otium) implementiert ist.
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seine Stellung als aufrichtiger Lobredner, sondern auch die Wahrheit des von ihm Gesagten gewährleistet wird.236 In diesem plinianischen Kunstgriff ist auch der Grund zu suchen, weshalb er die Authentizität, Ungezwungenheit und Unabhängigkeit der privaten/heimlichen Rede so stark betont und ihre Identität mit der öffentlichen und vor allem der von ihm gehaltenen Lobrede als Hebel- und Angelpunkt für seine Strategie des Ernsthaftigkeitsbeweises einsetzt.237 Auf ganz andere, ebenfalls aber ausführliche und explizit reflektierte textuelle Techniken, seine Ernsthaftigkeit zu beweisen, um dem möglichen Vorwurf der Schmeichelei zu entgehen, greift Dion Chrysostomos in seiner III. Rede „Von der Herrschaft“ zurück. Neben dem biographischen Element und dem Topos, keine Motivation für irgendeine Schmeichelei Trajans zu besitzen, da er daraus keine Vorteile zu ziehen wüsste, entlarvt er selbst die Schmeichelei als höchste Torheit und schlimmste Verfehlung.238 Um aber jeglichem möglichen Vorwurf zu entgehen, spricht er in seiner Rede kein direktes Lob an Trajan aus, sondern behandelt das Thema, von welcher Art ein guter König sein müsse.239 Dass Trajan genau diesem Bild eines idealen Königs entspricht, ist dadurch dann nicht als direkte Schmeichelei, sondern als Nebeneffekt des Sprechaktes inszeniert. Auf die heimliche Rede über den König greift er aber nicht zurück. Zwar bedient sich Dion in seiner Definition des guten Königs in seiner I. Rede „Von der Herrschaft“ eines ähnlich strukturierten Arguments, das er jedoch sprechergebunden und diachron organisiert: „Ihn loben alle Guten ohne Scheu, zu seinen Lebzeiten und auch noch später.“240 Während es hier aber – wurzelnd in der evaluierenden Instanz (alle Gu236 Siehe zu den Begrifflichkeiten discourse, genre, style Fairclough 2003, 23–28; vgl. oben, Anm. 211. Vgl. ebenfalls oben Kap. I.2 Anm. 82. 237 Plinius könnte die Deckung von öffentlicher und privater Rede als Topos im Kontext einer Lobrede von Sen. clem. 1,13,5 oder Isokr. or. 2,30 u. 3,60 bekannt gewesen sein. Vgl. Ronning 2007, 49. Vgl. für die plinianische Obsession, seine Ernsthaftigkeit zu beweisen, in welcher die Identität von öffentlicher und heimlicher/privater Rede Hebel- und Angelpunkt sind Bartsch 149–161. 238 Siehe zum biographischen Argument: Dion. Chrys. 3,12 f. Zum Mangel an Motivation: ebd. 14 f. Und zur Torheit und Schlechtigkeit der Schmeichelei: ebd. 16–24. Vgl. Waters 1969, 399. Vgl. zum Datum, Trajan als möglichem Adressaten der Rede und Ähnlichkeiten mit dem Panegyrikus des Plinius Konstan 1997, 126; zur Argumentation Dions wider die Schmeichelei ebd. 135. Vgl. Ebenfalls Moles 1990, 353 f. Vgl. zu Überschneidungen zwischen den Königsreden und dem Panegyrikus Gibson 2011, 111–116. 239 Dion. Chrys. 3,25: Ἵνα δὲ μήτε ἐγὼ κολακείας αἰτίαν ἔχω τοῖς θέλουσι διαβάλλειν μήτε σὺ τοῦ κατ᾿ ὀφθαλμοὺς ἐθέλειν ἐπαινεῖσθαι, ποιήσομαι τοὺς λόγους ὑπὲρ τοῦ χρηστοῦ βασιλέως, ὁποῖον εἶναι δεῖ καὶ τίς ἡ διαφορὰ τοῦ προσποιουμένου μὲν ἄρχοντος εἶναι, πλεῖστον δὲ ἀπέχοντος ἀρχῆς καὶ βασιλείας („Damit ich mir aber nicht den Vorwurf der Schmeichelei zuziehe bei denen, die schnell mit ihrer Verleumdung zur Hand sind, noch du dir nachsagen lassen musst, nur allzu gern ließest du dich unverblümt loben, will ich jetzt über den guten König sprechen, welcher Art er sein muss und worin der Unterschied besteht zu dem, der zwar vorgibt ein Herrscher zu sein, in Wahrheit aber von Herrschaft und Königtum himmelweit entfernt ist).“ Text und Übersetzung soweit nicht anders angegeben aus: Dio Chrysostomus, Orationes. Sämtliche Reden, eingel., übers. u. erläutert von Winfried Elliger (Sammlung Tusculum), Zürich 1967. 240 Dion. Chrys. 1,33: ὅν οἱ ἀγαθοὶ ἄνδρες οὐκ αἰσχύνονται ἐπαινοῦντες οὔτε τὸν παρόντα χρόνον οὔτε τὸν ὕστερον.
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ten) – die Identität von jetziger und zukünftiger Rede ist, welche den Hauptindikator für einen guten König ausmacht, stellt bei Plinius die synchrone Identität von öffentlicher und heimlicher Rede den Grundstein für die Ernsthaftigkeit des Lobredners dar, welcher in die tatsächliche Rekontextualisierung der Rede im senatorischen otium gelegt wird. Bedingt durch den genre-Wechsel ändert sich aber nicht nur der style des Lobredners, sondern auch die Zusammensetzung der primären Adressaten der Rede, die nun nicht mehr im Princeps und den pflichtbewusst versammelten patres bestehen, sondern sich nun zunächst aus befreundeten Standesgenossen und im Zuge der Textverbreitung aus der zunehmend diffuser werdenden Masse der römischen Reichsaristokratie rekrutieren.241 Ihre Rezeptionssituation ist entsprechend der Produktion des Textes und der Transponierung der Rede ebenfalls durch das senatorische otium geprägt, also durch Freiwilligkeit und senatorisch-ritterliche libertas charakterisiert. Denn wie es allein von dem unabhängigen Interesse des in seiner otiösen Beschäftigung freien Senators abhängt, ob er als Herr über diese Zeit sie überhaupt mit literarischen studia (oder doch lieber mit Jagd, Essen, Bädern, Gymnastik, Besuchen, Spazieren, Gesprächen mit Freunden, Schauspielvorträgen etc.)242 zubringen möchte und wenn er dies tut, ob und welche Themen er in welcher Form der eigenen literarischen Produktion für angemessen erachtet, genauso ist es ihm freigestellt, welche Texte er eigentlich in seine Sammlung aufnimmt und welche er rezipiert. In Konsequenz davon, dass Produktion und Rezeption des Panegyrikus in diesem sozialen Horizont der Selbstbestimmtheit des Senators angesiedelt sind, kann jeder durch seine freiwillige und ernsthafte Rezeption der Lobrede auf Trajan an der Aufrichtigkeit des Lobredners partizipieren und mit der Verbreitung, Diskussion und wiederholten und häufig gemeinschaftlichen Rezeption des Textes243 seine Zustimmung zur trajanischen Herrschaft ausdrücken. Der Inhalt 241 Siehe zur Verbreitung und Veröffentlichung kaiserzeitlicher Literatur oben, Kap. 2.2, S. 98– 101. 242 Vgl. zu den vielen Gestaltungsmöglichkeiten des senatorischen otium: Plin. epist. 2,8 (Plinius befragt den Caninius Rufus nach dessen otiösen Beschäftigungen am Lariner See: studes an piscaris an venaris an simul omnia? „Studierst Du, fischst Du oder jagst Du oder tust Du alles zugleich?“), ebd. 3,1 (das abwechslungsreiche Alters-otium des Vestricius Spurinna); ebd. 4,23 (die Gestaltung des Alters-otium durch Pomponius Bassus); ebd. 5,18 (Plinius selbst widmet seine Zeit abwechselnd der Jagd und den literarischen studia); ebd. 7,3,2 (zur Selbstbestimmtheit des senatorischen Lebens im otium); ebd. 9,13 (über die unterschiedlichen Ausrichtungsvorlieben für Gastmähler, welche die einen lieber mit Spaßmachern, Balletttänzern und Narren, Plinius und sein Adressat aber lieber mit Vorlesern, Leierspielern und Komödianten verbringen); ebd. 9,36 (die plinianische Zeiteinteilung auf seinem etrurischen Landgut im Sommer: Neben all den anderen Dingen wie Schlafen, Essen, Schauspieler- oder Lyraspielervorträgen, gelehrten Gesprächen, Spaziergängen, Ausfahrten auf dem Wagen, Ausritten, Gymnastik, Bädern, Jagd, Besuchen von Freunden spielen bei Plinius natürlich die literarischen studia eine große Rolle). Vgl. Mielsch 1987, 128–134. 243 Vgl. für die häufig gemeinschaftlich erfolgende Rezeption verschiedener Literaturformen im otium: Plin. epist. 3,1,4 u. 8 f. (im otium Spurinnas wird gemeinsam Literatur rezipiert); ebd. 3,5,12 (Sein emsiger Onkel Plinius der Ältere rügt einen Freund ob der verschwendeten Zeit, da er einen Vorleser zwang, eine fehlerhaft rezitierte Stelle zu korrigieren, obwohl er ihn inhaltlich verstanden hatte); ebd. 5,3 (Die Diskussion über plinianische Versspielchen in dessen
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der Rede, ihre nachweisbare Ernsthaftigkeit und der soziale Horizont ihrer Entstehung und Verbreitung bieten somit eine Plattform der wahrhaftigen Affirmation des Princeps und seiner Herrschaft, auf die jeder, ohne in seiner auctoritas Abstriche machen zu müssen, da es in seinem eigenen Ermessen liegt, mit aufspringen kann. In dieser einfachen und universellen Möglichkeit der Partizipation an der Zustimmung zum trajanischen Herrschaftssystem liegt sicherlich ein Grundstein für den Erfolg des plinianischen Panegyrikus. Zwar gibt es keine zeitgenössischen Quellen über die Rezeption und Verbreitung dieses Textes, aber die Tatsache, dass dieses plinianische Werk über 200 Jahre später nicht nur eine gewisse Kanonizität beanspruchen darf, sondern ihrem Verfasser die Rolle des Gattungsschöpfer zugeschrieben wird,244 weist nach allem, was man über die Überlieferung von Texten in der Antike weiß,245 darauf hin, dass der Panegyrikus zu Lebzeiten des Plinius eine hohe Verbreitungsdichte aufwies und sozusagen ein Erfolg war. Dieser Erfolg lag sicherlich nicht zuletzt in der kollektiven Dimension der plinianischen Schrift begründet. Schließlich war der Panegyricus durch den aufwendigen Redaktionsprozess vielfach an seine Freunde rückgebunden, welche die Rede gelesen und korrigiert, gehört und kommentiert hatten. Sie alle bestätigten damit nicht nur die Beweisführung von der diversitas temporum, sondern fungierten darüber hinaus als Gewährsmänner für die stilistische Qualität und inhaltliche Korrektheit des Textes.246 Dieser entgeht somit der Gefahr, eine ideosynkratische, senatorische Realisierung des Optimus-Princeps-Diskurses zu verkörpern.247 Eine besondere konsensstiftende Funktion in Hinblick auf den Kreis der intendierten Adressaten, wodurch ebenfalls eine Basis für die positive Rezeption gelegt wurde, dürfte der stark an senatorischen Bedürfnissen ausgerichteten, in deren Sinnhorizont situierten Figur
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Abwesenheit bei Titius Aristo setzt, wenn nicht die gemeinsame Rezeption, so doch die allgemeine Bekanntheit derselben voraus und kann als Diskussion über die angemessene literarische Beschäftigung eines Senators während seines otium gelten); ebd. 5,12 (als ein Beispiel der häufiger bei Plinius stattfindenden Rezitationen literarischer Produkte vor seinen Freunden); ebd. 6,15 (als Beispiel für die Anwesenheit von Plinius bei Rezitation von Freunden; in diesem Fall den Versen des Ritters Passenus Paulus); ebd. 6,17 (hier spricht Plinius über normatives Verhalten bei Rezitationen anhand eines schlechten Beispiels, da er sich über die Teilnahmslosigkeit einiger Anwesenden ärgert, die er als Arroganz gegenüber dem Vortragenden interpretiert). Vgl. zum blühenden Rezitationswesen der Kaiserzeit allgemein: Fuhrmann 1999, 65. Siehe oben, Kap. 2.2, S. 90 mit Anm. 29. So bemerkt beispielsweise Cicero in Cic. Brut. 129, dass die von ihm in seiner Jugend viel gelesenen Reden des Gaius Fimbria gegenwärtig kaum noch aufzutreiben seien; vgl. Starr 1987, 218. Vgl. allgemein zur Überlieferung und den Nebeneffekten der Kanonisierung bestimmter Autoren und ihrer Texte bereits in der Antike: Rutherford 2005, 14 f. Vgl. Ronning 2007, 44, der damit, die Rede als „Gemeinschaftswerk der herrschenden Klasse Roms“ zu bezeichnen, m. E. nach zu weit geht, da an diesem Prozess eher der Freundeskreis des Plinius als die gesamte herrschende Klasse Roms beteiligt ist; vgl. Johnson 2010, 45–47. Selbst wenn die Annahme über die Verbreitung des Panegyrikus nicht zutreffen sollte, bewegt sich Plinius in seiner Realisierung der großen Diskurse – also der des Optimus-Princeps sowie dem antidomitianischen – nahe an anderen zeitgenössischen Repräsentationen: Für den einen Diskurs ist die Ähnlichkeit mit dem Benevent-Bogen augenscheinlich, bezüglich des anderen ließen sich viele Parallelen mit dem Agricola des Tacitus aufzeigen. Vgl. dazu oben, Kap. 1.3 f.
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des civilis princeps zugemessen werden.248 Nicht nur die Repräsentation der vorbildlichen Senatorenhaftigkeit des Princeps, sondern auch dessen respektvoller Umgang mit der Senatorenschaft, dem Senat und den Institutionen der res publica standen sicherlich im allgemeinen Interesses der plinianischen Standesgenossen. Mit der Verknüpfung des antidomitianischen Diskurses als unverzichtbarer und substantieller Konstituente des Bildes vom optimus Princeps machte Plinius seinem Panegyrikus ein weiteres Moment zu eigen,249 dessen breiter Zustimmung in senatorischen Kreisen er sich sicher sein konnte, und die seit der Adoption Trajans durch Nerva und spätestens seit der Ankunft des neuen Princeps bei der römischen Reichselite wenigstens ‚offiziell‘ uneingeschränkt vorgeherrscht haben wird. Trajan dürfte dieser Diskurs zu Beginn seiner Herrschaft zumindest in senatorischen Kreisen gelegen gekommen sein, da er bei einer möglichen sich im Zuge des Prätorianeraufstands ereignenden Rückgewinnung des Prestiges des letzten Flaviers sicherlich nicht der erste Kandidat für die Adoption durch Nerva gewesen wäre.250 Des Weiteren war die Diskreditierung der militärischen Erfolge Domitians fester Bestandteil dieses Diskurses und konnte somit nicht nur den Mangel eigener Taten in diesem Bereich kaschieren, sondern auch die Ansprüche möglicher Prätendenten zurückweisen, die für ihre militärischen Leistungen von Domitian hoch dekoriert worden waren; so vermuten ja beispielsweise G. Alföldy und H. Halfmann, sowie später auch K.-H. Schwarte und K. Strobel in Nigrinus, dem Statthalter Syriens in dieser Zeit, den Gegenspieler Trajans um die Herrschaft schlechthin.251 Der antidomitianische Diskurs wird Trajan auch in anderer Beziehung nicht ganz unwillkommen gewesen sein, da Plinius diesen Diskurs unter anderem als Vehikel für die Behauptung der Friedensliebe Trajans nutzt und quasi schon präventiv auf mögliche Vorwürfe der Kriegstreiberei vor dem Hintergrund der Vorbereitungen für bzw. (unter Berücksichtigung des Verbreitungszeitraums des Panegyrikus zwischen 101 und 103 n. Chr.) des bereits laufenden oder gar schon beendeten ersten Dakerkriegs reagiert – dieser Princeps konnte nur bella iusta führen, so die plinianische Aussage.252 Doch Trajan selbst hat in seiner Herrschaftsrepräsentation die Abgrenzung von Domitian nie stark gemacht und es ist schon bezeichnend, dass die einzigen Erwähnungen performativer Selbstkontrastierung mit dem letzten Flavier von Seiten Trajans im Panegyrikus tradiert sind: die im inschriftlich festgehaltenen Reiseaufwand 248 Siehe oben, Kap. 2.3, S. 105–107; vgl. zu dieser konsensuellen Ebene, die eben auch der kaiserlichen Selbstdarstellung anhaftete Weber – Zimmermann 2003, 32 f. 249 Diese Verknüpfung vollzieht Plinius über die Prämisse des Vergleichs als adäquater Grundlage für das wahre Lob des Optimus Princeps. Siehe Plin. paneg. 53, siehe oben, Kap. 2.3, S. 118 f. 250 Siehe Schwarte 1979, 147–155; Strobel 1985, 35–40; Eck 2002b, 16; Grainger 2003, 92–96; Strobel 2010, 157 f. 251 Siehe Alföldy – Halfmann 1973, 331–373; Schwarte 1979, 147–149; Strobel 1985, 41–44 und Strobel 2010, 157–169 sowie Seelentag 2004, 44–47; skeptisch Grainger 2003, 92–101; eine ganz andere Hypothese vertreten in diesem Zusammenhang Berryman – Todd 2001, 318–323, die Nigrinus aufgrund seiner makelhaften Herkunft (aus dem Ritterstand) nicht für capax imperii halten. 252 Vgl. zu dieser möglichen zeitgenössischen apologetischen Funktion des Bildes vom friedliebenden Kaiser: Strobel 1985, 14–16; Strobel 2010, 209.
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monumentalisierte Profilierung der trajanischen modestia und frugalitas gegenüber der luxuria Domitians253 sowie die öffentliche Demütigung der unter Domitian wirkenden Delatoren während der Spiele.254 Sieht man von diesen beiden plinianisch perspektivierten, sich von Domitian abgrenzenden performativen Handlungen Trajans und der weiteren Gültigkeit der auf Nerva zurückgehenden damnatio memoriae ab, ergibt sich, wie K. H. Waters eindrücklich in einem bereits 1969 erschienenen Aufsatz ausführt, das Bild der reibungslosen Kontinuität in der Herrschaftspraxis und ihrer Diskursivierung zwischen Trajan und seinem flavischen Vorgänger.255 Denn wie stark man einen Bruch zwischen sich und einem Vorgänger inszenieren kann, hat Vespasian in seiner Abgrenzung von Nero gezeigt.256 Für die trajanische Herrschaftspräsentation spielte der antidomitianische Diskurs also in keiner Weise eine derart zentrale Rolle wie er das im Panegyrikus des Plinius tut. Die genuine Funktion des antidomitianischen Diskurses im Panegyrikus muss also auf der Ebene der Primäradressaten verortet werden. Für seine senatorischen Standesgenossen war es fundamental, sich von Domitian zu distanzieren und sich aus dessen Herrschaftssystem zu desintegrieren, um sich in die res publica unter dem neuen Princeps zu integrieren und ihre Leistungsbereitschaft für dessen Herrschaft hervorzuheben. Das zur Vergangenheitsbewältigung verwendete Narrativ der kollektiven Sklaverei unter dem üblen Tyrannen und der Befreiung aller durch den optimus Princeps diente nicht nur der Selbstverortung senatorischer Identität im vergangenen und gegenwärtigen Prinzipat, sondern auch der Nivellierung senatorischer 253 Plin. paneg. 20,5 f., wo es bezogen auf die vorhergehende Gegenüberstellung des iter Traiani mit dem iter Domitiani heißt: itaque non tam pro tua gloria quam pro utilitate communi, edicto subiecisti, quid in utrumque vestrum esset impensum („Daher hast du – nicht um deines Ruhmes willen, sondern im Interesse des Gemeinwohls – die Aufwendungen, die für ihn und für dich gemacht wurden, im Anhang eines Ediktes veröffentlicht“). Nicht nur gibt es außer der Erwähnung bei Plinius keinen anderen Hinweis auf ein solches Edikt (vgl. Strobel 2010, 197 mit Anm. 47), sondern auch die genaue Umsetzung (edicto subiecisti) als eigenständiges Edikt oder als Subskript zu einem Edikt ansonsten unbekannten Inhalts ist nicht geklärt (vgl. Durry 1938, 117). Zu den beiden itinera vgl. oben, Kap. 2.3, S. 113 f. 254 Plin. paneg. 34 f. Möglicherweise könnte man hier als dritten, performativen Akt der Abgrenzung von Domitian den Aus- und Umbau des Circus Maximus anführen. Im plinianischen Diskurs Plin. paneg. 51 wird dies zumindest so gedeutet, wenn die diesbezüglich erhaltene Inschrift [ILS 286] auch nichts über die Intention des Bauherrn verrät. Vgl. Waters 1969, 403, der in diesem Akt Trajans eher eine Angleichung an oder Überbietung des letzten Flaviers erkennen möchte (in Hinsicht auf das Amphitheatrum Flavium) denn eine Abkehr von dessen in Bauwerken realisierter Herrschaftsrepräsentation. Denn auch in Hinblick auf andere Bauten, die entweder weiter durchgeführt oder aber, obwohl sie direkt mit Domitian assoziiert wurden (wie bspw. dessen palatinische Bauten), nicht zerstört wurden, fand keine klare Distanzierung von Domitian statt. Vgl. zum Circus in der Rede: Roche 2011b, 54–59. 255 Siehe Waters 1969. Vgl. zur Fortführung domitianischer Praktiken auch im Bereich der Personalpolitik Jones 1992, 163–165. 256 Bspw. die lex de imperio Vespasiani [CIL VI 930], in welcher Vespasian durch den Anschluss an Claudius Nero explizit aus der Reihe legitimer Kaiser herausnimmt. Siehe ebenfalls die auf die Beseitigung baulicher Spuren Neros erfolgte Umgestaltung der Zentrums von Rom und die dabei vollzogene Zerstörung der domus aurea: Levick 1999, 125–128; Packer, 2003, 168– 170; Pfeiffer 2009, 29–32.
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Existenz unter dem letzten Flavier. Dieses Narrativ blockierte die Differenzierung zwischen senatorischen Opfern und Tätern und ermöglichte somit die Integration beider in das neue System.257 Indem man dieses Narrativ akzeptierte und unterstütze, identifizierte man sich und seine Rolle unter Domitian mit der vielleicht nicht sichtbar hervortretenden, aber prinzipiell oppositionellen Haltung des potentiell nächsten Opfers, das in seiner Passivität und Machtlosigkeit gegenüber dem Tyrannen dem tatsächlichen Opfer gleichgestellt war. Es kam einer kollektiven Amnestie nach einer Zeit senatorischer Selbstzerfleischung unter Domitian gleich, wobei die historischen Gründe für die Grabenkämpfe der Reichselite unter dem letzten Flavier alles andere als klar und zumindest die Opfer letaler Gerichtsprozesse sehr überschaubar sind.258 Doch die Vereinzelung des Übeltäters259 sowie der Verzicht, eine kollektive Mitschuld der Senatoren an der Tyrannis zu konstatieren,260 geschweige denn einzelne Mitverantwortliche namentlich zu denunzieren,261 sichern der plinianischen Verknüpfung des antidomitianischen Diskurses mit seiner Realisierung des OptimusPrinceps-Diskurses einen breiten Konsens seiner Leserschaft, da sie der Nutzbarma257 Vgl. oben, Kap. 1.6, S. 76 f. zum antidomitianischen Diskurs im Agricola des Tacitus und dessen sozio-politischer Dimension. 258 So sind zwar einige Leichen im Keller Domitians bekannt – um nur die prominentesten zu nennen, sei auf Tac. Agr. 45,1 verwiesen, während Suet. Dom. 10–12 eine ganze Reihe von ermordeten Senatoren benennt; insgesamt sind aber nicht mehr als 14 zum Tode verurteilte Senatoren in der gesamten Regierungszeit Domitians bekannt (vgl. Strobel 2010, 122). Gleichfalls besitzt man Informationen über Verbannte oder überlebende Angehörige und deren Unzufriedenheit der unter Nerva nicht vollzogenen Vergeltung (bspw. durch Plin. epist. 4,22, 3–6; ebd. 9,13 (vgl. oben, Kap. 1.5, S. 65–68) –, aber eine schlüssige Begründung für die sogenannten Jahre der ‚Schreckensherrschaft‘ Domitians scheint es nicht zu geben. Zumindest kann es nicht überzeugen, wenn Strobel 2010, 120–124 das Gros der Prozesse und Verurteilten der 90er Jahre als Nachwehen des Saturninus-Aufstandes versteht, wenn er über diesen gleichzeitig selbst sagt: „Der Hintergrund der Rebellion ist weitgehend unklar; eine weit verzweigte Verschwörung ist nicht zu erkennen“ (ebd. 104 f.). Genauso wenig können natürlich die von Suet. Dom. 10,1 genannten Gründe der Grausamkeit und Habgier oder der ebd. 12,1 genannte chronische Geldmangel Domitians überzeugen. 259 In der Metapher des einsam in seiner Höhle hausenden Raubtieres verdichtet in Plin. paneg. 48,3. 260 Nicht teilen kann ich die Meinung von Fell 1992, 13, Plinius äußere sich kritisch zur Haltung der Senatoren unter Domitian. Zwar beschreibt Plinius, wenn man so will, auch senatorisches Fehlverhalten unter Domitian. Aber zum einen kritisiert er sein eigenes und das Verhalten seiner Standesgenossen niemals direkt, sondern macht diesen Umstand zu einem Merkmal der domitianischen Schreckensherrschaft. Zum anderen sind diese problematischen Handlungen nicht nur auf Senatoren beschränkt (so können die Bemerkungen Plin. paneg. ebd. 44,5 oder 85,1 nicht nur auf Senatoren, sondern auch auf Ritter zielen). Darüber hinaus betreibt Plinius die scharfe Differenzierung zwischen Senatoren und Delatoren ebd. 35,2 (cumque insulas omnes, quas modo senatorum, iam delatorum turba compleret; „und alle die Inseln, die einst Senatoren bewohnen mussten, waren jetzt voll von Delatoren.“); unterstützt wird dies durch ebd. 42,3 (nicht mehr die Sklaven, die Material für maiestas-Klagen gegen ihre Herren bereit stellen, sondern die Senatoren sind nun Freunde des Princeps). Nach Eck 1970, 76 ist auch kein Senator namentlich bekannt, der wegen seiner Tätigkeit als Delator nach dem Regierungswechsel irgendwelche Nachteile erfahren hätte. 261 Im Gegensatz zu Tac. Agr. 45,1, der drei allerdings bereits sozial desintegrierte Stützen der domitianischen Tyrannis nennt (siehe oben, Kap. 1.5, S. 65–68).
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chung der domitianischen Vergangenheit des Einzelnen im gegenwärtigen Konkurrenzkampf eine Absage erteilt.262 Des weiteren ist in diesem Diskurs die Unterschiedlichkeit Trajans gegenüber Domitian als auch gegenüber seinem Adoptivvater Nerva angelegt. Ungleich zu Nerva besitzt Trajan den Rückhalt des Militärs, im Unterschied zu Domitian weiß er aber für das Gemeinwesen gewinnbringend mit diesem Machtfaktor umzugehen. Seine Differenz zu Domitian besteht vor allem in seinen Tugenden, die denen des Tyrannen entgegengesetzt sind, was ihm zu dessen Gegenpol dem guten Princeps macht und für seine Akzeptanz bei allen guten Senatoren sorgen soll.263 Plinius nutzt auf diese Weise den rhetorischen Kontrast für seine Realisierung des Optimus-Princeps-Diskurses also auch in sozialer Hinsicht, da er sich der Zustimmung seiner Standesgenossen gewiss sein kann, wodurch er zu einer Kollektivierung seiner spezifischen Version beiträgt. Somit kann sich Plinius nicht nur als besonders loyaler Anhänger Trajans stilisieren, sondern auch als Musterbeispiel senatorischer Selbstverortung und -darstellung. Je mehr Standesgenossen auf den Panegyrikus-Express zum ernsthaften Lobpreis Trajans aufspringen, desto größer wird das repräsentative Kapital des Konsulars Plinius und umso größer sein soziales Prestige. Auf diese Weise gelingt es Plinius, die Tatsache, dass er mit seiner rasanten senatorischen Karriere zu den Nutznießern der domitianischen Herrschaft und somit zu den Mitgliedern der senatorischen Elite unter Domitian zu zählen war,264 die zum allergrößten Teil ohne Zäsur in das trajanische Herrschaftssystem integriert wurde,265 zu verdecken und für die Profilierung seiner eigenen konsularischen persona fruchtbar zu machen. Plinius begnügt sich aber nicht allein mit der Rolle des durch den allgemeinen Konsens hervorgehobenen senatorischen Repräsentanten, der vorbildlich den Herrschaftswechsel für sich und alle anderen vollzogen hat.266 Er legt auch diskursive 262 Es handelt sich sozusagen um eine spätere Bestätigung des taciteischen antidomitianischen Diskurses. Zu diesem siehe oben, Kap. 1.4 f. 263 Hierbei ist eine gewisse Ähnlichkeit in der Antithese zwischen dem Basileus und dem Tyrannen wie sie aus der langen Tradition der Peri-Basileias-Schriften stammt, zu bemerken. Vgl. Haake 2003, 90, 93–95. 264 Plinius legte, wie anhand der Inschrift CIL V 5262 und Plin. epist. 7,16,2 zu ersehen ist, eine rasante Karriere unter Domitian hin, war als homo novus nach seinem Militärtribunat quaestor Augusti und erhielt von Domitian das Privileg, ohne das normalerweise erforderliche einjährige Intervall, sich sogleich nach seinem Volkstribunat für die Prätur zu bewerben. In unmittelbarem Anschluss an seine Präfektur wurde er Präfekt des aerarium militare. Vgl. Strobel 1983, 40–43; Page 2014, 142 f. (Kap. III.3.b Der politische Aufstieg unter drei principes: Die Karriere von Plinius bis zum Konsulat). 265 Vgl. Waters 1969, 388–390. 266 Das gleiche Phänomen, allerdings ohne dessen diskursive Tiefenstruktur zu durchdringen, wird durch die ‚Entstalinisierungs‘-Brille bei Strobel zum Bild des Plinius als des rückgradlosen Karrieristen und Opportunisten (Strobel 2003, 304) bzw. zum „Paradebeispiel eines ‚Wendehalses‘“ (ebd. 312 u. Strobel 2010, 125). Dabei übersieht er allerdings, dass diese Deutung der Person des Plinius eine ‚Schreckensherrschaft‘ Domitians voraussetzt, die, vergleicht man die Zahlen hingerichteter Senatoren unter Domitian und Claudius (vgl. Strobel 2010, 122 mit Anm. 4), der divinisiert wurde, schwerlich aufrechtzuerhalten ist. Darüber hinaus verkennt er den Wert dieses Diskurses für die senatorische Bewältigung der Transition, in welcher diese
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Distinktionsmerkmale für sich, sein Konsulat und seine konsulare dignitas bereits im Text seiner Rede selbst an und stellvertretend damit natürlich auch für alle gewesenen (was nicht viele waren) und noch kommenden trajanischen Konsuln. Da es sich bei seiner Lobrede nämlich nachweislich um keine adulatio, keine Schmeichelei, handelt, bewahrt er nicht nur seine Stellung als ernstzunehmender orator im öffentlichen Raum, sondern auch seine dignitas als Senator und Konsular.267 Diese Feststellung hat insofern schon eine sozio-politische Reichweite, als nach plinianischer Argumentation kein Konsular, der bisher nur eine Dankrede unter Domitian gehalten hat, das von sich behaupten kann. Zur Schmeichelei gezwungen hielten gerade einmal vier Jahre vor Plinius’ Rede noch Konsuln vor dem Senat unaufrichtige Lobreden, womit die senatorische Würde des Plinius, der seine dignitas und Ernsthaftigkeit als Redner aufrechterhalten konnte, gegenüber den rein domitianischen Konsularen natürlich steigt.268 Er stilisiert sich ganz als Konsul Trajans und kann im Diskurs von dessen Vorbildhaftigkeit auch sein Konsulat mit dem Anstrich des Besonderen und Außergewöhnlichen versehen: „Denn soweit es vom Princips abhängt, steht es uns frei unser Amt genauso auszuüben wie die Konsuln vor der Kaiserzeit.“269 Da man unter Trajan ohne Gefahr, Angst oder Zwang Konsul sein kann, ist dieses Amt also auch für seine Träger prestigeträchtiger und ehrenvoller als sämtliche Konsulate vor der Herrschaft des optimus Princeps.270 Folglich steigt zum einen die Verantwortung des Konsuls sowie des Konsulars für die res publica,
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Konstruktion der Vergangenheit eine wichtige stabilisierende Wirkung für das Kollektiv der Senatorenschaft besitzt, da er von einer zentral dominierten in Propaganda umgesetzten Ideologie ausgeht. Vgl. Ronning 2007, 45 f., 128 f. Vgl. Innes 2011, 70: „Pliny clearly prided himself on his mastery of style and organization.“ Siehe Plin. paneg. 2,1–3. Denn in der diversitas temporum liegt nicht nur begründet, dass Plinius fordert, nun vom Princeps öffentlich anders zu sprechen als früher, sondern auch, dass er im Gegensatz zu früher auch in der Lage ist, das zu tun. Siehe ebenfalls ebd. 54,1–4 zur Parallelisierung des Senats mit der Bühne und der permanenten Schmeichelei der Senatoren im Senat unter Domitian, während ebd. 54,5–7 das Ende eben dieser Schauspielerei und Schmeichelei unter Trajan behauptet wird. Vgl. Bartsch 1994, 155 sowie Ronning 2007, 57. Plin. paneg. 93,2: licet enim quantum ad principem, licet tales consules agere, quales ante principes erant. Auch bezeichnet er sich und seinen Amtskollegen Cornutus als consules tuos (ebd. 93,3). Darüber hinaus hat Trajan sowohl den Vorsitz bei den Wahlkomitien für Plinius und seinen Kollegen geführt als auch beiden den Eid abgenommen (ebd. 92,3). Vgl. zur Bedeutung des Konsulats als Figur der Angleichung und in gewisser Weise sogar Übertreffung der kaiserlichen Stellung Noreña 2011, 36–39. Plin. paneg 93,1: quippe nullum periculum, nullus ex principe metus consulares animos debilitat et frangit, nihil invitis audiendum, nihil coactis decernendum erit. Manet manebitque honori veneratio sua nec securitatem auctoritate perdemus („Denn keine Gefahr droht vom Princeps, keine Furcht vor ihm schwächt und lähmt die Tatkraft der Konsuln; keine Verlautbarung müssen sie gegen ihren Willen anhören, keine Entscheidung unter Zwang treffen. Es herrscht für jetzt und immer der gebührende Respekt vor ihrem Amt; niemals wird entschlossenes Auftreten unsere persönliche Sicherheit aufs Spiel setzen.“). Die Verneinungen implizieren, dass dies alles vor Trajan noch nicht der Fall war und man als Konsul entweder seine securitas oder seine auctoritas unter dem Druck des Princeps opfern musste; ganz besonders unter Domitian: siehe ebd. 76,3 f., wo die Konsulare und designierten Konsuln sich gegen ihren Willen und den ihrer Standesgenossen im Sinne des Princeps äußern mussten.
2. Der Panegyrikus des Plinius – das Hineinschreiben in den Optimus-Princeps-Diskurs 143
begründet damit zum anderen aber auch die ihm vom Kaiser zugestandene auctoritas.271 Die Affinität zu ‚seinem‘ Princeps steigert Plinius aber darüber hinaus durch die ausführliche Schilderung der ehrenvollen und einmaligen Aufstellung und Wahl der Kandidaten272 sowie das dadurch erreichte und explizit erklärte Ziel, dem Princeps in seinen Spuren folgen zu wollen273, nicht zuletzt aber auch durch die Similarität der eigenen persona mit der des Princeps. Ähnlich – sozusagen nach dem gleichen Prinzip, aber auf einem wesentlich niedrigeren Niveau – wie Trajan den Schutz der Götter für sich als Princeps nur dann erfleht und erflehen lässt, wenn er den Staat zum Heil und Vorteil aller lenke,274 möchte Plinius am Ende seines Panegyrikus sich selbst nicht als Konsul oder Konsular, sondern immer nur als Anwärter auf dieses Amt verstehen und sieht in ihm eine fortwährende Verpflichtung für die res publica.275 Und ähnlich wie Trajan, der optimus, war auch Plinius, einer der Guten, unter Domitian in Lebensgefahr.276 Und wenn Plinius die Vorbildhaftigkeit des optimus Princeps auch nie wird erreichen können, so werden seine Bemühungen dennoch von Trajan erkannt, er selbst wird zu den Guten gezählt und folgerichtig zum Konsul gemacht;277 zu einem wirklichen Konsul, zu einem Konsul Trajans, und nicht zu einem furchtsamen Schatten eines Inhabers diesen ehrwürdi271 Plin. paneg. 93,3. 272 Denn nicht nur beschreibt Plin. paneg. 69–75 die ganz und gar senatorisch-konsularen Handlungen Trajans, sondern in diese Ereignisse um die Aufstellung und Wahl der Kandidaten fällt auch seine persönliche Designation zum Konsul. Explizit hebt er dies dann ebd. 92 hervor, wobei er betont, dass er von Trajan zum Konsul ausersehen wurde, noch bevor er sein zweites prätorisches Amt beendet hatte. Auch auf die besondere Ehre, in dem Jahr Konsul sein zu dürfen, das von Trajan als eponymem Konsul benannt wird und darüber hinaus in seinem Geburtsmonat, in dem er auch adoptiert und Domitian ermordet wurde, weist Plinius ausdrücklich hin – wobei dies in Hinsicht auf die res prolatae sicherlich ein zweischneidiges Schwert gewesen sein dürfte (siehe Talbert 1984, 209–212, 228; siehe oben, Kap. 2.2, S. 89 mit Anm. 27). 273 Plin. paneg. 45,5, wobei auf die Wertschätzung und Zustimmung des Princeps diejenigen, die ihm nicht gleichen, vergeblich hoffen; ergo gehört Plinius nicht zu diesen, sondern ähnelt seinem Princeps. 274 Plin. paneg. 67,4–8. Vgl. Ronning 2007, 91, der mit Anm. 293 auch Plin. paneg. 69,3 derart verstanden wissen will, aber die Parallele zur permanenten Kandidatur des Plinius als Konsul nicht zieht. 275 Plin. paneg. 95,5: ego reverentiae vestrae sic semper inserviam, non ut me consulem et mox consularem, sed ut candidatum consulatus putem („Ich werde euch meine Achtung und Ergebenheit stets dadurch beweisen, dass ich mich selbst nicht als Konsul und bald als gewesenen Konsul verstehe, sondern immer nur als Anwärter auf dieses Amt“), wobei hier die reverentia des Kandidaten, die von Trajan eben noch bei weitem übertroffen wird von ebd. 69,3 (siehe oben, Kap. 2.3, S. 106 mit Anm. 110) mitschwingt. Siehe für die fortwährende Verpflichtung des Plinius für die res publica ebd. 93,3. 276 Siehe zur Lebensgefahr für Plinius unter Domitian: Plin. paneg. 90,5; 95,3 f.; für Trajan: ebd. 94,3. Vgl. Schwarte 1979, 159. 277 Plin. paneg. 91,1–5, v. a. ebd. 91,3 das von Plinius geschickt eingeflochtene Urteil Trajans über seine beiden Suffektkonsuln-Konsuln im September des Jahres 100: Obstat verecundia quo minus percenseamus, quo utrumque nostrum testimonio ornaris, ut amore recti amore rei publicae priscis illis consulibus aequaveris („Die Bescheidenheit verbietet mir auszuführen, welch ehrenvolles Zeugnis du uns beiden gegeben hast, indem du uns, was die Liebe zum Recht und die Liebe zum Vaterland angeht, mit jenen Konsuln der alten Zeit verglichen hast.“).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
gen Amtes. So implementiert Plinius sehr vorsichtig in seine Dankesrede als Konsul ein textimmanentes Element, das zu seiner diskursiven Distinktion als trajanischer Konsular beiträgt.278 Dieser textuelle Nadelstich gegen die domitianischen Konsulare zugunsten des plinianischen Sozialprestiges ist aber nicht mehr als eine Nuance des OptimusPrinceps-Diskurses im Panegyrikus und verblasst vor der Strategie, mittels des Ernsthaftigkeitsbeweises seines Verfassers, diesen zum Vorbild für die senatorische Selbstverortung als unabhängige und selbstbewusste Systemträger der trajanischen Herrschaft zu stilisieren. Dieses Selbstbewusstsein möchte Carlos F. Noreña nicht zuletzt in der sich in der Veröffentlichung manifestierenden Konzentration des Konsulars auf seine Selbstdarstellung in der Rede sehen. Nach der Logik dieser Perspektive wäre der Optimus-Princeps-Diskurs sogar nur Mittel zum Zweck. Je besser es Plinius gelinge, Trajan als Kaiser darzustellen, desto prestigeträchtiger seien sowohl seine Nähe zu als auch sein Konsulat unter diesem.279 Ob eine derartig deutliche Funktionszuschreibung von Mittel und Zweck bei so komplex ineinander verwobenen rhetorischen Strategien der Selbstdarstellung sinnvoll ist, mag in diesem Fall bezweifelt werden. Denn das ausführliche Lob des besten Princeps trägt zwar dazu bei, den rasch unter ihm aufsteigenden Senator und Konsular ebenfalls in ein positives Licht zu rücken, aber der Optimus-PrincepsDiskurs im Panegyrikus des Plinius muss auch als Selbstzweck gesehen werden, da ohne ihn der auf der Identität von heimlichem und privatem Sprechen ruhende Ernsthaftigkeitsbeweis des Lobredners nicht geführt werden kann. Dieser Ernsthaftigkeitsbeweis ist für Plinius von so fundamentaler Bedeutung, weil zum einen der Kaiser als Mitglied der senatorischen Reichselite nicht aus dem Kreis der Rezipienten ausgeschlossen werden kann – im Grunde muss er bei jeglichem senatorischen Agieren mitgedacht werden –, er aber weder vor Trajan noch vor seinen Peers als unerträglicher Schmeichler dastehen will und kann. Dies glückt ihm dank der ausführlichen, in der Rede implementierten Ernsthaftigkeitsbeteuerungen und dem anschließenden genre-Wechsel von dem sozialen Ereignis der gratiarum actio zu einem literarischen Produkt des senatorischen otium, der sich in der Verschriftlichung, Ausgestaltung, Rezitation und Verbreitung der Rede vollzieht. Auf diese Weise bewahrt er nicht nur seine dignitas als orator und Senator, sondern garantiert, dass seine Lobrede auf den optimus Princeps unabhängig, ungezwungen, frei und genuin ist. Seine konkrete Realisierung des Optimus-Princeps-Diskurses mit all seinen antidomitianischen Konstituenten zielt auf einen breiten Konsens seiner Standesgenossen, denen im Raum des senatorischen otium ebenfalls die Möglichkeit geboten wird, an diesem spezifischen Loyalitätsbeweis eines Konsulars zu partizipieren. Mit der schriftlichen Verbreitung seines Panegyrikus über seine Freunde in den Netzwerken der römischen Reichselite kann Plinius sein literarisches Werk kollektiv rückbinden. Bei einem präsumptiven Erfolg seiner Schrift dürfen positive Auswirkungen auf seine dignitas und auctoritas 278 Nicht überzeugen kann an dieser Stelle Noreña 2011, 41 f., es sei für Plinius mit ansehnlichem Risiko behaftet gewesen, sich so radikal von Domitian loszusagen und sich so uneingeschränkt an Trajan zu binden – das höhere Risiko ging er sicherlich mit dem Vorwurf der Schmeichelei. 279 Noreña 2011, 39 f.
2. Senatorische Selbstdarstellung
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wohl gefolgert werden.280 Wie stark sich der Erfolg auf dem literarischen Feld soziopolitisch auf die Karriere des Plinius ausgewirkt hat, kann schlichtweg nicht beantwortet werden. Aber die Tatsache, dass er sich in diesem Feld mithilfe literarischer Mittel erfolgreich als genuiner, ernsthafter und loyaler Konsular Trajans sowie als Vorbild für andere Senatoren verortet hat, kann nur bedeuten, dass er sich von diesem Vorgehen einen effektiven Mehrwert für seine konsularische persona und senatorische dignitas versprochen hat. Mit anderen Worten: Es war seine Intention, ein Produkt seines literarischen otium sozio-politisch zu funktionalisieren. Und zumindest hat Plinius die Verbreitung seiner Lobrede auf Trajan, die durch ihre Umarbeitung und ihre Thematisierung in der Briefsammlung zu einem im Raum absoluter senatorischer Freiheit entstandenen, rhetorischen Kunstwerk geworden war, bei der Fortsetzung seiner sowieso schon steilen Karriere nicht geschadet. Plinius schreibt sich also mit seiner spezifischen Repräsentation des OptimusPrinceps-Diskurses affirmativ und selbstbewusst, sich von der domitianischen Vergangenheit distanzierend, in das trajanische Herrschaftssystem hinein, wobei er den gesellschaftlich weit verbreiteten und thematisch (wie beispielsweise am Bogen von Benevent zu erkennen) ein wenig breiter angelegten Optimus-Princeps-Diskurs als Medium senatorischer Selbstintegration adaptiert und es versteht, sich als vorbildlichen konsularischen Senator zu profilieren.
280 Zur späteren Kanonizität des Panegyrikus und einer damit wahrscheinlich einhergehenden Verbreitungsdichte zur Lebenszeit des Plinius siehe oben, S. 137 mit Anm. 245; vgl. ebenfalls oben, Kap. 2.2, S. 90 mit Anm. 29.
3. ZWISCHEN OPPOSITION, AFFIRMATION UND IMITATION – DIE UNABHÄNGIGKEIT DES BRIEFESCHREIBENDEN KONSULARS 3.1 Der Princeps von Comum Schlenderte man zu Beginn der Herrschaftszeit Hadrians müßig durch das beschauliche Landstädtchen Comum, gelegen am malerischen Lacus Larinus – dem heutigen Comer-See –, wurde man möglicherweise Zeuge einer in vielen Städten Italiens bekannten Szene: der Verteilung von alimenta durch einen jungen städtischen Magistraten an eine ausgewählte Gruppe von Jungen und Mädchen. Es ist vorstellbar, dass er vor dem administrativen Akt der Aushändigung der Gelder eine Libation durchführte und in einem Votum des Stifters dieser Einrichtung gedachte.1 Ein Freigelassener, der das Gentilnomen Plinius führte, mochte einem erklären, dass es sich nicht um die Verteilung kaiserlicher alimenta handelte; und wenn sich die begünstigten Kinder auch nicht pueri puellaeque Pliniani nannten,2 sie eine besondere Statusgruppe des municipium bildeten und ihrem verstorbenen Patron, einem hohen Senator und Freund des Kaisers, der von hier – also von Comum – gewesen sei, dankbar wären. Dies treffe für ihn umso mehr zu, da sein Herr in seinem Testament nicht nur seine Freilassung veranlasst, sondern auch, solange er lebe, mit einem ordentlichen, monatlich ausgezahlten Betrag testamentarisch für seinen Unterhalt gesorgt habe.3 Im Übrigen habe sein Herr auch die vor kurzem fertiggestellten Thermen und die Bibliothek für seine Heimatstadt gestiftet sowie noch einige weitere beneficia. Aber man solle doch bitte mitkommen und sich von der großartigen Freigebigkeit seines Herrn selbst ein Bild machen. Mit diesen Worten hätte er einen womöglich an ein Gebäude geführt, an dem eine ca. 3 Meter breite und 1,6 Meter hohe Inschriftentafel angebracht war, auf der man die Behauptungen des Freigelassenen hätte verifizieren können, deren Gestaltung aber heute noch Anlass zur Verwunderung gibt:4
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Leider ist der tatsächliche Ablauf der Gabenverteilung unbekannt, aber ähnlich wie Seelentag 2008, 217 die rituelle Rahmung der monatlichen Austeilung der kaiserlichen alimenta imaginiert, könnte man sich auch die Verteilung der Mittel aus privaten Stiftungen vorstellen. Zumindest ist für die Empfänger der plinianischen Stiftung eine derartige Selbstbezeichnung nicht erhalten, während die Begünstigten einer kaiserlichen Alimentarinstitution in Ameria in ihrer Bezeichnung als pueri puellaeque Ulpiani mit ihrem Wohltäter, dem Kaiser Trajan, verknüpft wurden; siehe CIL V 4351. Vgl. Woolf 1990, 206, 216. Für eine mögliche Höhe dieses Betrages von um die 70 bis 85 Sesterzen pro Monat siehe Duncan-Jones 1982, 29 f. CIL V 5262 nach der Transkription in Eck 2001a, 229 mit den Korrekturen von Alföldy 1999, 227–229, welche die genaue Amtsbezeichnung für die Sonderstatthalterschaft des Plinius in Pontus et Bithynia ausführlich diskutiert. Die ungefähren Größenangaben stammen von Eck 2001a, 228.
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation 01] 02] 03] 04] 05] 06] 07] 08] 09] 10] 11] 12] 13] 14] 15]
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C(aius) PLINIUS L(uci) F(ilius) OUF(entina) CAECILIUS [Secundus co(n)s(ul)] / AUGUR LEGAT(us) PRO PR(aetore) PROVINCIAE PON[ti et Bithyniae pro] / CONSULARI POTESTA[te] IN EAM PROVINCIAM E[x senatus consulto ab] / IMP(eratore) CAESAR(e) NERVA TRAIANO AUG(usto) GERMAN[ico Dacico p(atre) p(atriae) missus] / CURATOR ALVEI TI[b]ERIS ET RIPARUM ET [cloacarum urbis] / PRAEF(ectus) AERARI SATURNI PRAEF(ectus) AERARI MIL[itaris pr(aetor) trib(unus) plebis] / QUAESTOR IMP(eratoris) SEVIR EQUITUM [Romanor(um) turmae --] / TRIB(unus) MILIT(um) LEG(ionis) [III] GALLICA[e in Provincia Syria Xvir stli]/ TIB(us) IUDICAND(is) THERM[as ex HS ---] ADIECTIS IN / ORNATUM HS CCC (trecentis milibus nummum) [--- et eo amp]LIUS IN TUTELA[m] / HS CC(ducentis milibus nummum) T(estamento) F(ieri) I(ussit) [item in alimenta] LIBERTOR(um) SUORUM HOMIN(um) C / HS XVIII(centena) LXVI(milia) DCLXVI (decies octies centena milia et sexaginta sex milia cum sescentis sexaginta sex nummum) REI [p(ublicae) legavit quorum inc]REMENT(a) POSTEA AD EPULUM / [p]LEB(is) URBAN(ae) VOLUIT PERTIN[ere --- vivu?]S DEDIT IN ALIMENT(a) PUEROR(um) / ET PUELLAR(um) PLEB(is) URBAN(ae) HS [D(quinquaginta milia) item in bybliothecam HS --- et] IN TUTELAM BYBLIOTHE/ CAE HS C (centena milia)
Von dieser großen Inschrift, die wahrscheinlich mit anderen Baumaterialien von Comum nach Mailand transportiert wurde und deren Teile mehrfach in der dortigen Basilika Sant’Ambrogio verbaut wurden, ist heute nur noch ein Fragment der linken oberen Hälfte erhalten. Durch frühe Humanistenabschriften, dem 1939/40 bei Restaurierungsarbeiten wiederentdeckten und mit diesen Abschriften abgeglichenen Teil des Fragments D sowie Ergänzungen aus weiteren Inschriften und Angaben aus der Briefsammlung Plinius’ des Jüngeren kann der größte Teil des Textes, wie er oben zu lesen ist, rekonstruiert werden.5 Es muss an dieser Stelle betont werden, dass aufgrund der Fundumstände der Inschrift und trotz vieler Vermutungen6 kein konkreter Aufstellungskontext rekonstruiert werden kann. Aussagen, die über die Schlussfolgerungen hinausgehen, dass sie aufgrund ihrer Beschaffenheit als Inschriftentafel im Zusammenhang mit einem architektonischen Bau gestanden haben muss7 und dass sie wegen ihres Inhalts und den darin implizit werdenden Adressaten in Comum zu situieren ist, sind unzulässig. Und gerade die von
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Mehr zu diesen technischen Aspekten der Inschrift bei Strobel 1985, 38 f.; Alföldy 1999, 221–223, 227–229 mit ausführlicher Diskussion ihrer Lesung und Eck 2001a, 226–229. Eine Anbringung über den Thermen behauptet Woolf 1990, 209 und vermutet Gasser 1999, 186, Anm. 2a. Die Aufstellung an einem postumen Grabmonument vermutet Alföldy 1999, 221, während Eck 2001a, sich für ihre Anbringung an der von Plinius gestifteten Bibliothek ausspricht und in Eck 2009, 86 und Eck 2010a, 99 dies kommentarlos behauptet. A. Krieckhaus schwankt in Krieckhaus 2004, 310 noch zwischen den drei vermeintlichen Möglichkeiten, während er sich in Krieckhaus 2006, 44 f. nicht zwischen einem postumen Monument und der Bibliothek entscheiden mag. Alföldy 1999, 222; Eck 2001, 228.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Werner Eck so betonte Einmaligkeit der Inschrift8 verbietet den Versuch einer Konkretisierung ihres Aufstellungskontextes, da aufgrund ihrer Besonderheit keine endgültigen Schlüsse gezogen und für die eine wie für die andere Möglichkeit argumentiert werden kann. Die vorhin angeführte Verwunderung angesichts dieser Inschrift ist nicht von ungefähr, da sie in ihrer textuellen Verfasstheit voller Eigentümlichkeiten ist, die nicht zuletzt auch dazu beitragen, dass sie sich einer klaren Kategorisierung entzieht. Es kann sich bei diesem Dokument weder um eine Bau- noch um eine Stifterinschrift handeln, da sie sich nicht auf ein spezifisches Gebäude oder beneficium beziehen lässt. Eine Einordnung als Ehreninschrift ist jedoch genauso unmöglich, da Plinius erstens im Nominativ und nicht im Dativ repräsentiert wird, zweitens kein Dedikant und drittens kein konkreter Anlass für die Ehrung genannt ist.9 Die Verwendung des Nominativs, der seit langem nicht mehr benutzt wurde sowie die Auflistung euergetischer Akte zu Lebzeiten neben den testamentarischen Schenkungen mit der Angabe der aufgewendeten Summen machen nach der Meinung von Werner Eck einen sepulkralen Kontext äußerst unwahrscheinlich.10 Dieser Standpunkt scheint ein wenig resolut formuliert und voreilig getroffen, da die Inschrift durch ihre Besonderheiten keinem anderen Kommunikationskontext klar zuzuordnen ist, und der Rückgriff auf den Nominativ zum einen eine Referenz auf alte republikanische Grabinschriften sein könnte.11 Zum anderen aber stellt die Verwendung des Nominativs im sepulkralen Kontext dieser Zeit, wie von Plinius zu erfahren ist, keine Einmaligkeit dar, da er in seinen Briefen die von Verginius Rufus testamentarisch verfügte Inschrift für sein Grabmal – die selbst 10 Jahre nach dessen Tod immer noch nicht angefertigt wurde – zitiert: hic situs est Rufus, pulso qui Vindice quondam / imperium adseruit non sibi, sed patriae.12 Natürlich ist dieses Epigramm nicht mit der Pliniusinschrift zu vergleichen, aber ein sepulkraler Kontext scheint auch für letztere nicht gänzlich ausgeschlossen. Werner Ecks vorgeschlagene Alternative einer typologischen Ähnlichkeit der plinianischen Inschrift und den Res Gestae divi Augusti hingegen kann wenig überzeugen.13 Zu unterschiedlich gestaltet sind die beiden epigraphischen Dokumente in ihrer Materialität, ihrer Größe, ihrer Verbreitung, ihrer inhaltlichen Reichweite oder der Person des 8 9 10 11
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Siehe Eck 2001a, 231: „Die Inschrift ist offensichtlich absolut einmalig im munizipalen Kontext.“ Siehe Eck 2001a, 230; vgl. Alföldy 1999, 221. Siehe Eck 2001a, 233. Damit revidiert er auch seine Ansicht die Inschrift sei entweder Teil eines posthumen Monuments oder eines Grabes gewesen, siehe Eck 1997, 98 f. Vgl. bspw. die Grabinschriften für P. Fulvius Suto: AE 1982, 286 (um 106 v. Chr.); L. Otacilius Rufus: CIL I2 2980 (1. Hälfte 1. Jh. v. Chr.); T. Quinctius: CIL VI 1322 (zw. 123 u. 113 v. Chr.) oder auch einige Inschriften am Scipionengrab: CIL VI 1284, 1286, 1289, 1290, 1293; vgl. Schmidt 2011, 67 f. Plin. epist. 6,10,4: „Hier liegt Rufus, der einst den Vindex besiegte und die Herrschaft nicht sich selbst lieh, sondern dem Vaterland.“ Soweit nicht anders vermerkt, stammen Text und Übersetzung aus: C. Plinius Caecilius Secundus, Sämtliche Briefe. Lateinisch/Deutsch, übers und hrsg. von Heribert Philips und Marion Giebel, Nachwort von Wilhelm Kierdorf (Reclam), Stuttgart 2005. Eck 2001a, 232 f.
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation
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Sprechers.14 Noch deutlicher tritt der Unterschied dieser beiden Typen der Selbstdarstellung in ihren grundsätzlichen inhaltlichen Charakteristiken zu Tage: Während es sich bei dem posthumen augusteischen Monument nicht nur um die Darstellung der Herrschaft und der Wohltaten des ersten Princeps handelt, sondern in einer breit angelegten Erzählung die Notwendigkeit seines Agierens während des Bürgerkrieges und die übermächtige Stellung seiner Person hinterher plausibilisiert, legitimiert und Akzeptanz erzeugt werden soll,15 handelt es sich bei dem plinianischen Dokument um die Zusammenstellung verschiedener geläufiger Versatzstücke senatorischer Selbstdarstellung im munizipalen Kontext,16 die aufzählenden und keinen erzählenden Charakter besitzen. Dabei entsteht zwar in besonderer Art und Weise eine einmalige Inschrift. Aber mit den Res Gestae divi Augusti hat diese Form der Selbstdarstellung, abgesehen von der Verwendung des Nominativs, nur wenig gemein. Die Repräsentation im Nominativ legt allerdings nahe, dass der Verfasser des Inschriften-Textes selbst es ist, der sich hier, in welchem Kontext auch immer, in einer spezifischen Art und Weise posthum dargestellt und im öffentlichen Raum eines italischen municipium vor einem bestimmten Publikum präsentiert wissen möchte.17 Im ersten Teil der Inschrift, den Zeilen 1–9, präsentiert er seinen cursus honorum, mit all den Ämtern, die er im Dienst für die res publica Romana ausgefüllt hatte und aus denen klar zu erkennen ist, dass er sich ohne Scheu zur Spitze des römischen Reiches zählen und sich einer gewissen Kaisernähe rühmen konnte; denn auch wenn er im Modus einer gut funktionierenden res publica sein letztes 14
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Das eine Dokument ist aus Bronze, das andere aus Marmor gefertigt; der überaus deutliche Größenunterschied liegt nicht zuletzt in der Textmenge des augusteischen Tatenberichts begründet; dieser wurde auch reichsweit verbreitet, während die Pliniusinschrift aus Comum nicht zuletzt wegen ihrer inhaltlichen Beschränkung auf dieses municipium und auf ein Exemplar beschränkt ist; die Res Gestae zielen inhaltlich natürlich auf das gesamte Reich; und während die Sprecherinstanz der augusteischen Selbstdarstellung autodiegetisch (also in der 1. Pers. Sg., wobei die berichtende Instanz in ihrem Bericht nicht nur selbst vorkommt, sondern auch die Hauptrolle spielt) in Erscheinung tritt, tut sie das bei Plinius heterodiegetisch (in der. 3. Pers. Sg. wird die vita des Senators und Wohltäters Plinius schematisch dargestellt – vgl. zu den Begriffen autodiegetisch sowie heterodiegetisch Genette 2010, 159. Siehe Heuss 1975, 55–95, Witschel 2008, 242–246 sowie Cooley 2009, 30–42. Wie omnipräsent der cursus honorum in allen Formen von Inschriften war, siehe Eck 2009, bspw. 86, 87; vgl. Alföldy 1982, 44. Auch Stifter- (wie CIL X 6328) oder Ehreninschriften (wie AE 1987, 1072) sind weit verbreitet. Beim Grabmal des Euergeten Opramoas von Oinoanda in Lykien werden ebenfalls viele euergetische Akte in der Zusammenschau präsentiert, wenn dies auch in der Aufführung vieler einzelner Dokumente geschieht; siehe Kokkinia 2000; vgl. Eck 2001a, 230, dem vor allem die Differenz bedeutend erscheint. Eck 2001a, 232 sieht in dem Nominativ und der katalogartigen Auflistung euergetischer Akte und aufgewendeter Summen einen klaren Hinweis darauf, dass der Text auf Plinius selbst zurückgeht und testamentarisch verfügt war. Vgl. als zeitgenössische Quelle, für solche prämortalen Instruktionen an die Erben die plinianische Klage über das immer noch unvollendete Grabmal des Verginius Rufus, Plin. epist. 6,10,4. Die reichsweite Verbreitung der Res Gestae geht natürlich auf Tiberius zurück (siehe Cooley 2009, 6–22 sowie Ramage 1987, 13, der dies vorauszusetzen scheint), aber bereits die Aufstellungskontexte und auch die Anzahl der möglichen Rezipienten zwischen Rom und Comum unterscheiden sich signifikant.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Amt auf den Beschluss des Senates zurückführt, dessen Exekutivorgan der Kaiser in dieser spezifischen Darstellung lediglich darstellt, konnte jedermann dechiffrieren, dass er, der spezielle Vertraute des Kaisers von konsularem Status, als dessen Sondergesandter in diese problematische Provinz geschickt worden war.18 Die Repräsentation des plinianischen Karrierehöhepunkts als Sondergesandter für die Provinz Pontus et Bithynia mit ihrem Verweis auf die Autorität des Senatsbeschlusses rückt jedoch dieses Amt, wie auch die anderen von ihm bekleideten Ämter, in den Horizont des Dienstes, den ein Senator an der res publica leistete, und betont damit die Unabhängigkeit des Senators vom Kaiser; er ist eben nicht dessen Befehlsempfänger und seine Leistungen stehen im Kontext der res publica. Gleichzeitig wird aber auch die besondere Nähe zum Princeps hervorgehoben, da er es war, der Plinius in die Provinz schickte und ihn schon früh in seiner Karriere (als quaestor imperatoris) förderte.19 Dabei werden in dieser Repräsentation von Welt aber nicht nur funktionierende res publica und handelnder Kaiser einträchtig miteinander verknüpft. Auch die Beständigkeit des senatorischen Dienstes an der Gemeinschaft und die Kontinuität der generellen Nähe des Senators Plinius zum Princeps finden ihren Ausdruck. Denn der Kaiser, der Plinius in jungen Jahren förderte, war ein anderer als derjenige, der ihn zum praefectus aerarii Saturni machte, der wiederum ein anderer als derjenige war, unter dem Plinius das Konsulat und all seine konsularen Ämter versah.20 Der starke Bruch zwischen Domitian einerseits sowie Nerva und Trajan andererseits, der in den plinianischen Schriften eine so bedeutende Rolle spielt, spiegelt sich in dieser Form seiner Selbstdarstellung nicht wider. Dies zeigt zum einen, dass der antidomitianische Diskurs vor allem ein inneraristokratisches Phänomen darstellte – er hier seine Genese, Verwendung und Zielführung fand;21 und zum anderen, dass in der öffentlichen Kommunikationssitution vor einem breiten und heterogenen Publikum – in diesem Falle der Bewohner eines norditalischen municipium – die allgemeinen Leistungsmarker senatorischen Seins (Dienst für die res publica und Kaisernähe) auf ein Individuum verdichtet und schematisch zur Schau gestellt wurden.22
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Zu Datierung und Denomination dieser besonderen Statthalterschaft vgl. Sherwin-White 1966, 80–82, 526 f.; Strobel 1985, 45 f. sowie Alföldy 1999, 222–244, dort auch mit weiterführender Literatur. Vgl. zur hier getroffenen Einschätzung auch ausführlich Page 2014, 152– 157 (Kap. III.3.e., „… qui ad eosdem mei loco mittereris“ – die Statthalterschaft in Pontus et Bithynia als kaiserlicher Sonderauftrag). 19 Vgl. dagegen die allgemeinen Beobachtungen in Alföldy 1982, 45, der ordo senatorius habe sich „zu einem Adel im Dienst des Kaisers und erst dadurch im Dienst des Reiches“ entwickelt, weshalb die Beziehung des Einzelnen zum Kaiser besondere Betonung erfahre; etwas ausgewogener Eck 2005, 11. 20 Siehe zur Karriere Plinius’ Strobel 1983. 21 Vgl. oben, Kap. 1.6, S. 76–79 sowie Kap. 2.5, S. 138–141. 22 Vgl. Alföldy 1982, 41–48 sowie Eck 2005, 16, der zum cursus der Senatoren vermerkt: „Er war die wesentliche Quelle des öffentlichen Prestiges eines Senators – und auch das Zeichen für einen verpflichtenden Verhaltenskodex, ein Leistungsideal, dem sich niemand entziehen konnte und durfte. Der cursus honorum zeigte, dass der einzelne Senator sich diesem Leistungsideal unterworfen hatte.“
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Im zweiten Teil der Inschrift, den Zeilen 9–15, wird dieses spezifische Mitglied der senatorischen Reichselite in seiner Funktion für und Beziehung zu seiner Heimatstadt Comum dargestellt, indem alle größeren Zuwendungen aufgeführt und auf den Sesterz genau beziffert werden,23 die Plinius seiner Heimatstadt zukommen ließ. Dabei handelt es sich einmal um testamentarisch veranlasste Schenkungen24 (Z. 9–13): Thermen in Höhe eines unbekannten Betrags, deren Ausstattung in Höhe von 300.000 Sesterzen und zusätzlich 200.000 Sesterzen für ihre Instandhaltung;25 des Weiteren 1.866.666 Sesterzen für den Unterhalt für 100 (der Höchstzahl)26 seiner testamentarisch Freigelassenen,27 nach deren Ableben der fällige Zinsertrag aus dieser angelegten Summe der res publica (von Comum) zu Gute kommen soll, zum Zwecke eines Festmahls für die plebs urbana (von Comum). Darüber hinaus werden die größeren, seiner Heimatstadt bereits zu seinen Lebzeiten zugeeigneten Wohltaten benannt und beziffert (Z. 13–15): 500.000 Sesterzen stiftete er für eine
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Weitere nicht angeführte Zuwendungen Plinius’ an seine germana patria sind: – der Zuschuss zu einem Drittel der von den Vätern aufgebrachten Summe für die Anstellung eines praeceptor für die Ausbildung ihrer Kinder, beschrieben in Plin. epist. 4,13 (vgl. zur Sorgsamkeit, die Plinius seiner Stiftung zukommen lässt Manuwald 2003, 211–216); – die Stiftung einer korinthischen Bronzestatue für den Jupiter-Tempel in Comum, siehe Plin. epist. 3,6 (dass Plinius hierin mehr als nur ein Weihgeschenk sieht, sondern zugleich seine frugalitas wie seine liberalitas durchscheinen lassen möchte, erkennt man an dem Wunsch, dieses Kunstwerk nicht in seinem Haus behalten, sondern es in seiner Heimatstadt an einem öffentlichen Platz aufstellen zu wollen: Plin. epist. 3,6,4; zur Kunstkennerschaft, die Plinius in diesem Brief durchblicken lässt und zu einer möglichen Reminiszenz seines euergetischen Aktes an republikanische Kriegsbeute vgl. Hartmann 2012, 118–124.); – außerdem lässt er Comum ein Voraus-Legat über 400.000 Sesterzen behalten, obwohl diese Tat des Erblassers rechtlich gesehen ungültig ist und ihm, da er der Begünstigte ist, auch dieser Teil des Erbes zugestanden hätte, siehe Plin. epist. 5,7. In diesem Brief steht gegenüber seiner liberalitas der Stadt Comum (die er aus eigenen Aufwendungen mit 1,6 Mio. Sesterzen beziffert) seine pietas gegenüber dem Willen des Verstorbenen im Vordergrund. Vgl. zur nicht ganz einfachen Lesung dieses Briefes Duncan-Jones 1982, 25 f.; insgesamt zur plinianischen Freigebigkeit: Duncan-Jones 1982, 17–32; Gasser 1999, 201 f.; Krieckhaus 2005, 46–49; Seelentag 2008, 221. Vgl. zur Freigebigkeit Plinius’ gegenüber Comum Duncan-Jones 1982, 17–32; Gasser 1999, 186–216; Eck 2001a, 231, 235; Krieckhaus 2006, 40–50; Seelentag 2008, 221 f.; Page 2014, 314–330 (Kap. VII.2.a. Der Euergetismus des Plinius in seiner patria). Womit ihre Betriebskosten aber nicht abgedeckt scheinen. Zur Unterscheidung zwischen tutela und calefactio im euergetischen Bereich der Thermen siehe Duncan-Jones 1982, 30 mit Anm. 7. Wenn man davon ausgeht, dass es sich, wie es der Text der Inschrift nahelegt, dabei eben um die 100 seiner Sklaven handelte, die durch sein Testament freigelassen wurden. Um eine so hohe Zahl an Sklaven auf einmal freizulassen, musste man nach der Lex Fulvia Caninia aus dem Jahr 2 v. Chr. im Besitz von 500 oder mehr Sklaven sein, siehe Buckland 1966, 78 mit Anm. 2; vgl. Duncan-Jones 1982, 24; Eck 2001a, 229 mit Anm. 13. Vgl. Duncan-Jones 1982, 29 f. Er errechnet eine anscheinend sehr großzügige monatliche Unterstützung der Freigelassenen durch ihren verstorbenen Patron in Höhe von 70 bis 85 Sesterzen. Die für römische Testamente sehr ungewöhnliche ungerade Summe führt er darauf zurück, dass Plinius möglicherweise eine runde Summe pro Kopf für seine Freigelassenen vorschwebte.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Alimentarinstitution für die Jungen und Mädchen der plebs urbana (von Comum).28 Auf einen noch früheren Erweis seiner Munifizenz gegenüber der Heimatstadt geht die Stiftung einer Bibliothek in Höhe von wahrscheinlich ca. 1.000.000 Sesterzen zurück,29 für deren Instandhaltung er dann nochmals 100.000 Sesterzen zur Verfügung stellte. Setzt man für die Bäder eine wahrscheinliche Mindestsumme von 800.000 Sesterzen an, so lässt sich die senatorische Freigebigkeit in dieser Inschrift mit knapp 5 Mio. Sesterzen beziffern.30 Da für den ganzen Raum Italiens kein größerer öffentlicher Euerget (vom Kaiser und seiner Familie abgesehen) bezeugt ist – was sicherlich auch darin begründet liegt, dass für keine andere Person so dichte Quellen ihrer Munifizenz vorliegen und sich Beträge häufig nur sehr schwierig ermitteln lassen –,31 kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass Plinius mit großem Abstand der potenteste und freigiebigste Wohltäter in Comum war. Diese beispiellose Munifizenz verknüpft Plinius wie die Ämter in seinem cursus mit der Nähe zum Kaiser, indem er die in seiner senatorischen Selbstdarstellung repräsentierte Rolle vor einem munizipalen Publikum nach derjenigen des Princeps in dessen Herrschaftsdiskurs gestaltet. Mit dem Aufgreifen und der Inszenierung seiner alimenta für den Nachwuchs in Comum schreibt sich Plinius in den kaiserlichen Diskurs der cura Italiae ein.32 Bei diesem kaiserlichen Programm, das von 28
Über die Organisation seiner Stiftung berichtet Plinius ausführlich in seinen Briefen, Plin. epist. 7,18. Vgl. Duncan-Jones 1982, 27; Woolf 1990, 209; Gasser 1999, 203; Seelentag 2008, 221–223. 29 Diesen Betrag erhält man, wenn man von den von Plinius in einem Brief – Plin. epist. 5,7,3 – angegebenen 1,6 Mio. Sesterzen, die er der Stadt Comum bereits vermacht habe, die Summen für die Ausstattung der Bibliothek und für die Alimentarstiftung abzieht; siehe Mommsen 1965, 434 f. mit Anm. 6; vgl. Duncan-Jones 1982, 27; Gasser 1999, 201; Eck 2001a, 231 mit Anm. 18. 30 Siehe zu dieser geschätzten Summe Duncan-Jones 1982, 30 f., der von zwei Bädern in Altinum zu einer ähnlichen Zeit berichtet, deren Instandhaltungskosten wie im Falle des Plinius mit einer Stiftung in Höhe von 200.000 Sesterzen bestritten wurde und deren Restaurierungskosten sich auf 800.000 Sesterzen beliefen. 31 Siehe Duncan-Jones 1982, 31: „It emerges that Pliny was easily the largest public donor in Italy among those the value of whose gifts is known.“ Dabei muss aber eingeräumt werden, dass wir von sehr reichen Wohltätern in den Provinzen Stiftungen bezeugen können, welche diejenigen des Plinius bei Weitem übersteigen, siehe ebd. 31 f. Für weitere Literatur zu Plinius’ Freigebigkeit siehe oben, Anm. 24. 32 Hierbei ist es irrelevant, ob die Einrichtung der plinianischen alimenta den trajanischen zeitlich vorausgeht oder nicht, da es in diesem Fall um die Jahre später erfolgende Repräsentation derselben geht. Für die Problematik der zeitlichen Fixierung der Etablierung sowohl der kaiserlichen alimenta durch Nerva/Trajan sowie die plinianische Stiftung siehe Gasser 1999, 202 f. Anm. 80. Zurecht stellt sie, ebd., das Argument von Sherwin-White 1966, 103 zu Brief 1,8,2 in Frage, Plinius müsse aufgrund der Verwendung des Wortes desidiosus ohne Amt sein, da er seine vermeintliche Trägheit oft genug zur Schau stelle, akzeptiert aber das Argument, dass, da Plinius nichts Neues zu liefern habe, die Rede von der er in diesem Brief spricht (zum Anlass der Einweihung seiner Bibliothek und seinem Versprechen der Einrichtung von alimenta) vor der sogenannten de Helvidi ultione (von 97; siehe Plin. epist. 9,13) entstanden sein muss. Wenn aber das Argument der Amtslosigkeit wegfällt, gibt es auch keinen Grund mehr dafür, dass die Bibliotheksrede vor der Helvidiusrede entstanden sein muss. Der Satz non est tamen quod ab
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Nerva oder sehr früh unter Trajan eingerichtet worden war,33 handelte es sich nicht um die Reaktion auf eine agrarische Krise in Italien, ein Instrument der Armutsbekämpfung oder der Verhinderung des Bevölkerungsrückgangs, sondern um die patronal-fürsorgliche Kommunikation zwischen dem Kaiser und ausgewählten italischen Städten.34 Die alimenta waren kein flächendeckendes Programm, sondern ein beneficium des Princeps, das zu einer hierarchischen Ausdifferenzierung von Städten in Italien, vor allem aber auch innerhalb derselben führte – insofern als die Städte, in denen eine kaiserliche Alimentarstiftung eingerichtet wurde, der besonderen Fürsorge des Kaisers teilhaftig wurden und die Empfänger der Gelder innerhalb der Munizipien ebenfalls eine neue Statusgruppe konstituierten, die in einem besonderen Patronage-Verhältnis zum Kaiser stand.35 Ihre Zielsetzung bestand in einer verdichteten symbolischen Interaktion des Kaisers mit dieser neuen Statusgruppe, die mehr oder weniger die Ausweitung der städtischen frumentatio-Empfänger darstellte, um dadurch die cura Italiae des Princeps zu konkretisieren und seine Rolle als pater patriae auf die Bevölkerung Italiens auszudehnen bzw. die Bedeutung dieser Region im imperialen Gefüge hervorzuheben.36 Diese Intention findet sich auch in anderen Instrumenten der Herrschaftsvermittlung trajanischer Zeit wie dem Bau von Straßen, Aquädukten und Häfen in Italien wieder;37 zumindest gehen sie bei der Repräsentation von Herrschaft in unterschiedlichen Medien (Münzen, Reliefs, Inschriften) Hand in Hand und prononcieren den hervorragenden Stellenwert Italiens in der Darstellung der kaiserli-
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homine desidioso aliquid novi operis exspectes („Es gibt freilich keinen Grund, von einem trägen Menschen irgendein neues Werk zu erwarten“) ist nämlich zeitlich relativ und kann somit auch auf einen Zeitpunkt referieren, zu dem die Helvidiusrede bereits nichts Neues mehr darstellte. Zur Diskussion, ob die kaiserlichen alimenta auf Nerva zurückgehen oder erst von Trajan eingerichtet wurden siehe Sherwin-White 1966, 104; Duncan-Jones 1982, 291–293; Fell 1992, 156 mit Anm. 76.; vgl. allgemein zu den kaiserlichen alimenta: Duncan-Jones 1982, 288–318; Woolf 1990; Seelentag 2008. Siehe Woolf 1990, 197–220; vgl. Seelentag 2008, 209. Woolf 1990, 210 f., 215 f., der ebd. 216 auf CIL XI 4351 verweist, in der die begünstigten Jungen und Mädchen von Ameria die Bezeichnung pueri puellaeque Ulpiani erhalten, die sehr stark den Anschein eines Titels einer Statusgruppe in sich birgt. Seine Identifikation dieses Herrschaftsprogramms als Konstituente der paternalen persona Trajans, das eben kein flächendeckendes Programm darstellte, kulminiert in der stimmigen Assertion, ebd. 227: „Beneficia were valuable precisely because they were not entitlements but were marks of personal favour.“ Vgl. für die mittlerweile obsolete Position, es habe sich um eine Maßnahme für den Bevölkerungszuwachs gehandelt, der sich vornehmlich an arme Familien gewandt habe, DuncanJones 1982, 295–303. Vgl. Seelentag 2008, 209, wo er zwar klar das Ziel erkennt, mittels der alimenta ein Bild des fürsorgenden Princeps zu erzeugen, aber auch ebd. 230, wo er ihren Zweck in der Sicherstellung der Prosperität der italischen Gemeinden sowie der Fürsorge für zahlreiche Bauern sehen möchte. Dass gerade letzterer Punkt nicht relevant sein kann, argumentieren Duncan-Jones 1982, 297–300 sowie Woolf 1990, 199 f. Siehe Woolf 1990, 220–227 sowie Seelentag 2008, 220, 230. Zum Bauprogramm Trajans in Italien siehe Hesberg 2002. Vgl. zur Verbindung der alimenta mit diesen Maßnahmen und ihre Darstellung auf innovativen Münztypen Seelentag 2008, 213 f.
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chen cura, die einen Teil des Diskurses über den civilis Princeps bildet.38 Die Diskursivierung der alimenta setzt natürlich, wenn auch lokal beschränkt, mit den Inschriften vor Ort ein,39 findet ihren Abschluss und Höhepunkt im Bogen von Benevent40 (wo sie in den Kontext der cura des optimus Princeps eingebettet wird) und wird auf überregionaler Ebene erst ab 111 n. Chr. auf Münzen aller Metalle und in mehreren Typen betrieben.41 Trotz der unterschiedlichen Medien und ihrer divergenten Kommunikationsräume wird ein sehr kohärentes Kaiserbild vermittelt, das in den alimenta zum Ausdruck kommt: Es steht dabei die civilitas Trajans im Mittelpunkt, der in den bildlichen Darstellungen als Magistrat in Toga dargestellt ist,42 wobei gleichzeitig in inschriftlichen Zuschreibungen auf die providentia des Kaisers verwiesen wird, der sich durch seine Fürsorge für den Nachwuchs um die zukünftige Prosperität seiner Untertanen verdient macht, dies durch seine liberalitas, respektive munificentia gewährleistet und dabei seine indulgentia beweist;43 dieser letzte Begriff hat um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert eine Bedeutungserweiterung erfahren und verdichtet in sich nun das adäquate Gefühl von Eltern ihren Kindern gegenüber. Er ist somit stark mit dem Titel pater patriae verknüpft.44 Auch hierin zeigt sich die Ausdehnung dieses Konzepts auf ganz Italien. Es richtet sich gegen die drohende Bedeutungslosigkeit dieser Region unter einem Princeps, der aus den Provinzen kommt.45 Noch mehr aber stellt es die Vorbildhaftigkeit und Einzigartigkeit des optimus Princeps vor Augen, der im Gegensatz zu 38 39
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Siehe allgemein zum Programm der kaiserlichen cura Italiae oben, Kap. 2.1 sowie zu deren Einbettung im Optimus-Princeps-Diskurs Kap. 2.3, S. 105. Bspw. CIL XI 4351 (Trajan wird im Namen der Ulpischen Jungen und Mädchen vom Rat der Stadt Ameria geehrt); CIL XI 1147 (die berühmte Inschrift aus Veleia, in der sämtliche Regelungen die Einrichtung dieser Institution in der Stadt betreffend festgehalten sind und in der die indulgentia des Kaisers hervorgehoben wird [Z1]); CIL X 6310 (wo auf einer Basis für ein Dankesmonument der providentia Trajans gedacht wird); CIL VI 1492 (beschränkt auf den lokalen Kreis der Besucher des Titius Pomponius Bassus, wo es in den Zeilen 9–12 heißt: curam ab indulgentissimo Imp(eratore) Caesare Nerva Traiano Augusto Germanico, qua aeternitati Italiae suae prospexit secundum liberalitatem eius; womit zugleich die kaiserliche cura, indulgentia, providentia (mit dem Ziel der aeternitas) und liberalitas zum Ausdruck gebracht werden); vgl. Woolf 1990, 218, 222–224 sowie Seelentag 2008, 208, 217 f. Siehe oben, Kap. 2.1. Auf Strack 1931, 188–189 (Nr. 155, 404, 405) geht die Datierung dieser Münzen in den Zeitraum von 108–113 zurück, der ihr Einsetzen als Teil der Decennalien-Feier Trajans versteht, und dem bspw. Sherwin-White 1966, 422; Fell 1992, 58 sowie Seelentag 2008, 215 f. folgen. Aber Woytek 2010 kann aufgrund seiner neu erarbeiteten Porträttypologie auf Münzen der COS V-Periode, ebd. 55–63 und der von ihm festgestellten typologischen Kontinuität von Cos V zu Cos V Des VI-Prägungen das Einsetzen der ALIM(entatio) ITAL(iae)-Münztypen überzeugend auf das Jahr 111 n. Chr. datieren, ebd. 132–134; es handelt sich bei ihm um die Nr. 345, 352; 376, 395; 354–358, 382, 383, 444–447. Für die Münzen siehe Woytek 2010, die Reversabbildungen der Nr. 345, 352; 376; 357, 358, 447; für die Darstellungen am Bogen von Benevent vgl. oben, Kap. 2.1. Vgl. allgemein Woolf 1990, 223–225 sowie Seelentag 2008, 214 f. Siehe oben, Anm. 39; vgl. Woolf 1990, 222–225; Fell 1992, 157; Seelentag 2008, 214 f. Siehe Woolf 1990, 224 f. Woolf 1990, 226 f.
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allen seinen Vorgängern (Nerva eventuell ausgenommen), die Bedeutung Italiens erkannt hat, der Bevölkerung Italiens seine paternale Fürsorge zu Teil werden lässt, damit für das Wiederaufblühen der Apenninenhalbinsel sorgt und somit die Prosperität und Zukunft des Reiches gewährleistet. Plinius nun schreibt sich in dieses kaiserliche Programm und den damit verknüpften Herrschaftsdiskurs nicht einfach ein46 – er ist nicht nur einer von vielen, die in den kaiserlich organisierten alimenta zum Wohle des municipium gemeinsam aufgelistet werden –, sondern er stellt sich neben den Princeps. Er ist der einzige Wohltäter für Comum und dessen Nachwuchs, der gleichzeitig die dauerhafte Versorgung garantiert. Dabei vereinnahmt er für sich im Raum der Stadt Comum eben die Rolle, welche der Princeps für Italien einnimmt.47 Dies findet auch in der inschriftlichen Repräsentation seiner Munifizenz augenscheinlichen Niederschlag. Seine einzigartige liberalitas, welche in den aufgeführten Summen eindrucksvoll vor Augen geführt wird und mit der kein anderes Mitglied der munizipalen Elite mithalten kann, verschafft ihm eine ähnliche Ausnahmestellung wie die des Kaisers gegenüber den Senatoren im imperialen Kontext. Plinius greift dabei auf das symbolisch so wirkmächtige Medium der Gabe von Nahrungsmitteln zurück – wie sie die Bezeichnung alimenta impliziert – wodurch die Rolle des Patrons als Versorger seiner Klienten sinnbildlich zum Ausdruck gebracht wird.48 Zwar waren im Bereich der kaiserlichen alimenta die Nahrungsmittel wahrscheinlich schon von Beginn an durch Geld ersetzt worden, doch wurden sie von den Zeitgenossen im Zusammenhang mit der frumentatio oder auch tatsächlichen Nahrungsmittelgaben bei öffentlichen Festen gesehen.49 Doch in der plinianischen Repräsentation wird aus diesem patronalen Mittel zur Etablierung und Aufrechterhaltung von Statusdifferenzierungen (zwischen Geber und Empfänger sowie innerhalb derselben; einige, die mehr bekamen, standen denjenigen gegenüber, die weniger erhielten, welche sich wiederum von denjenigen abhoben, die leer ausgingen) ein Ausdruck paternaler Fürsorge. Diese cura patris lässt er zuerst seiner familia, seinen Freigelassenen, zukommen, woraufhin zu einem späteren Zeitpunkt die Investitionen für diese Fürsorge der plebs urbana in Form eines Festmahls zur Verfügung gestellt werden sollen, und somit die paternale Fürsorge vom eigenen Haushalt auf die patria ausgedehnt wird. Dieses Versprechen für die Zukunft, wenn seine Freigelassenen nicht mehr leben und deren Kinder freie Bürger von Comum geworden sind, hat sich in seiner Rolle als Fürsorgers für den Nachwuchs von Comum bereits in der Vergangenheit, der Einrichtung seiner alimenta, gezeigt.50 Plinius ist nicht einfach der Patron von Comum, sondern wie der Kaiser pater patriae, 46 47 48 49 50
Vgl. Sherwin-White 1966, 104 sowie Duncan-Jones 1982, 32; Gasser 1999, 214. Vgl. zu der bereits in den Briefen angelegten paternalen Rolle gegenüber seiner patria als wichtigem Element der plinianischen Selbstdarstellung Seelentag 2008, 222. Siehe zur Bedeutung der Gabe von Nahrungsmitteln in den patronalen Beziehungen der römischen Gesellschaft Woolf 1990, 212–216. Eine gewisse Vergleichbarkeit von alimenta und Nahrungsmittelgaben bei Festen scheint auch Plin. epist. 7,18 nahezulegen; vgl. hierzu auch Woolf 1990, 212–215, dort schreibt er, ebd. 215: „Both gifts expressed the donor’s patronage towards the recipient communities.“ Siehe oben, CIL VI 5262, Z. 11–14.
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wobei diese soziale Rolle bei ihm im Gegensatz zur imperialen Reichweite der kaiserlichen Selbstdarstellung auf das municipium Comum beschränkt bleibt.51 Das Aufgreifen des kaiserlichen style als väterlicher Fürsorger wird umso deutlicher, als Plinius für die Repräsentation seines Handlungsraums nicht nur die beiden Größen der res publica und der plebs urbana heranzieht, welche in ihrer imperialen Dimensionierung der cura des Princeps anvertraut sind, sondern er es darüber hinaus unterlässt, die beiden das Gemeinwesen spezifizierenden Begrifflichkeiten zu konkretisieren. Indem er die Repräsentation seiner sozialen Rolle sprachlich nicht auf das municipium Comum beschränkt, tritt seine Selbstzuschreibung als pater patriae äußerst prägnant hervor. Dadurch deutet er in dieser Realisierung der lokalen Selbstdarstellung über den munizipalen Raum hinaus und präsentiert sich in einer kaiserlichen Rolle, welche die Quelle für all seine Wohltaten für Comum darstellt. Plinius sorgt also quasi als pater patriae durch seine beispiellose liberalitas für das Wohlergehen der plebs urbana der res publica von Comum, wobei seine providentia, die durch den doppelt gesicherten Bevölkerungszuwachs mittels der alimenta für seine Freigelassenen wie für die freigeborenen Kinder – zu denen die Enkel seiner Freigelassenen einst ebenfalls zählen werden – zum Ausdruck kommt, auch die zukünftige Prosperität seiner Heimatstadt gewährleistet.52 Diesen zukünftigen Aspekt, in dem sozusagen die aeternitas anklingt, vermittelt der Anspruch der Dauerhaftigkeit seiner Wohltaten, der zum einen in den Beträgen für die Instandhaltung seiner Bauwerke repräsentiert wird, zum anderen aber auch in einer sorgfältigen Anlagepraxis zum Ausdruck kommt. Denn auch nach dem Tod des letzten seiner Freigelassenen sollen die gesamten Zinsansprüche53 aus der plinianischen Stiftung in einem jährlichen Fest für die Bürger (nicht die Einwohner) von Comum (zu denen im Übrigen dann auch die Kinder seiner Freigelassenen gehören) übergehen. Dabei wird im zunehmenden Verschmelzen seiner Freigelassenen mit den Bürgern von Comum auch das Nebeneinander von familiären und munizipalen alimenta verknüpft und Plinius’ Rolle als pater patriae konstituiert. Plinius nutzt die 51
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Insofern scheint es für die plinianische Selbstdarstellung in Comum nur von marginaler Bedeutung, dass Plinius zwar offizieller Patron der Stadt Tifernum Tiberinum (siehe Plin. epist. 4,1,4) aber nicht von Comum war, siehe Gasser 1999, 198 sowie Krieckhaus 2006, 42 f. mit Anm. 51. Bei dem Bevölkerungszuwachs, der die Wehrhaftigkeit und Stabilität der bäuerlichen Gesellschaft und somit deren Fortbestehen und ihre Prosperität sicherstelle, handelt es sich um einen diesbezüglich weit verbreiteten Topos. Das Ziel der kaiserlichen und auch der plinianischen alimenta kann er nicht gewesen sein. Im Falle des Plinius war dieser Topos ein Teil der Diskursivierung seiner euergetischen Rolle gegenüber Comum als pater patriae und somit als Princeps dieses municipiums. Im Falle des Kaisers stellte er einen Teil der cura Italiae dar, die ihrerseits wiederum Bestandteil der civilitas principis war, die ihrerseits im Optimus-Princeps-Diskurs aufging. Vgl. oben, Kap. 2.3, sowie zu den Zielen der alimenta Woolf 1990, 227. Vgl. zum Topos der Wehrhaftigkeit durch Bevölkerungszuwachs auch Plin. paneg. 29,4 f. Die hier begünstigten Kinder werden wie ihre italischen Pendants wohl nie zu einem signifikanten Teil des römischen Heeres geworden sein. Siehe oben, CIL VI 5262, Z. 12 incrementa; auch in diesem Begriff steckt das Wachstum als Zeichen von Prosperität – vgl. Karl Ernst Georges, s. v. incrementa, in: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Hannover 81918 (Nachdruck Darmstadt 1998), Band 2, Sp. 173.
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Repräsentationen des kaiserlichen Diskurses der civilitas principis für die epigraphische Inszenierung seiner eigenen Munifizenz, wobei er sich für die munizipale Aristokratie unerreichbar macht und im Rahmen seiner Selbstdarstellung für das Publikum seiner Heimatstadt Comum die Rolle des Princeps einnimmt. Ein langes Nachleben wird Plinius, dem Princeps von Comum, dank seiner herausragenden Munifizenz und sicher auch wegen seiner bemerkenswerten öffentlichen Selbstinszenierung im Raum seiner patria wohl gewiss gewesen sein. Doch dieser öffentlich munizipale Raum war nicht der einzige, in dem er sich in Comum bewegte oder den er für seine Selbstdarstellung nutzte. Denn neben seinem ausgedehnten Landbesitz innerhalb der Gemarkungen des municipium, für dessen Verwaltung und Verpachtung er aus persönlichem ökonomischen Interesse Sorge tragen musste,54 wollten auch die persönlichen Beziehungen zu seiner Familie, respektive derjenigen seiner dritten Frau Calpurnia, und zu seinen Freunden aus der lokalen Elite gepflegt werden.55 Dieser größere familiäre Rahmen erhielt auch zu den Bereichen limitierter Zugänglichkeit seiner drei Villen Zutritt, die Plinius in der Gegend des Comer Sees besaß und in denen er weitab gutsherrlicher oder patronaler Verpflichtungen sich auch gänzlich zurückziehen und seinen studia widmen konnte. Diese Villen ermöglichten ihm das Eintauchen in den kaiserzeitlichen Heterotopos des senatorischen otium, einer Raum-Zeit-Struktur, die so verschieden und zugleich so komplementär zu den senatorischen personae des negotium war; so verschieden also von derjenigen sozialen Rolle die ihren Platz in Rom, bei der Teilnahme an Senatssitzungen und dem Ausüben von Ämtern hatte, aber auch so verschieden von derjenigen, sozusagen paternalen persona, welche der erfolgreiche Senator seinem municipium gegenüber einnahm. Der Heterotopos des otium ist jedoch alles andere als losgelöst von diesen soziopolitischen Räumen, denn im otium war für Plinius der Ort der Genese einer Selbstdarstellung, die nahezu alle Bereiche senatorischen Seins jenseits des Inbegriffs der negotia – also dem Innehaben von Aufgaben im Dienst der res publica – abdeckte und die exklusiv innerhalb des Kommunikationsraumes der Reichselite ablief. Bevor aber der Fokus auf das otiöse Medium des Plinius, einer Sammlung literarischer Kunstbriefe, die nicht zuletzt der Darstellung seiner otiösen persona diente, gerichtet werden soll, folgt nun ein Exkurs über die Entstehung des Gegensatzpaares otium-negotium und die Differenz der Beziehungen dieser beiden Lebensbereiche zwischen der Republik und der Kaiserzeit. Auf dieser Basis sollen dann die Besonderheit der Darstellung des eigenen otium durch Plinius, deren Einbettung in den zeitgenössischen Herrschaftsdiskurs und die daraus folgenden Konsequenzen für die selbstzugeschriebene Funktion des briefeschreibenden Konsulars im trajanischen Herrschaftssystem herausgearbeitet werden.
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Zu Plinius’ Landbesitz vgl. Duncan-Jones 19 f.; Gasser 1999, 188 f.; Krieckhaus 2006, 36. Zu den familiären und freundschaftlichen Bindungen an diese Region vgl. Gasser 1999, 206– 209 sowie Krieckhaus 2006, 37.
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3.2 Von der Antinomie zur Heterotopie – negotium und otium zwischen Republik und Kaiserzeit Das Diktum Catos des Älteren zu Beginn seiner Origines, „dass berühmte und bedeutende Männer für ihr privates Leben nicht weniger als für ihr öffentliches Rechenschaft ablegen müssen,“ habe er selbst, so Cicero in seiner Rede für Plancius, „stets für großartig und vortrefflich gehalten.“56 In diesem catonischen Postulat und Ciceros Referenz darauf wird das Ringen um eine normative Basis für die Bewertung der beiden bereits ausdifferenzierten antinomischen Lebensräume des otium und des negotium, sowohl für die Nobilität der mittleren als auch der späten Republik, greifbar. Für die Darstellung, wie sich die Genese dieser beiden gegensätzlichen Lebenssphären gestaltete, welche Konsequenzen ihre Trennung und antinomische Konzeptualisierung hatte und welche Dysfunktionalitäten aus der Rückkopplung des otium an das negotium für den Konsens und den Zusammenhalt der Nobilität in der römischen Republik entstanden, wird im Folgenden vornehmlich auf die Habilitationsschrift von Ulrich Gotter zurückgegriffen.57 In einer ersten Annäherung an die Problematik dieser beiden lebensweltlichen Konzepte ist festzuhalten, dass der Begriff des otium sprachgeschichtlich gesehen seiner Negierung in dem Wort neg-otium klar vorgängig ist.58 Doch die Konzeptualisierung dieses – wie am Diktum Catos erkennbar – im 2. Jahrhundert vor Christus voll etablierten Gegensatzpaares legt die semantische Spezifizierung seiner beiden Komponenten in genau umgekehrter Reihenfolge nahe. Dies geht zumindest eindeutig aus der in der mittleren und späten Republik geführten Kontroverse hervor, in welcher das negotium die Tätigkeit für den Staat als angemessene und statuskonforme Betätigung der gesellschaftlichen Elite deklarierte, diesen Begriff damit stark normativ auflud und gegenüber dem otium eindeutig privilegierte.59 Historisch plausibilisiert werden kann diese Beobachtung mit der Hypothese, dass in der Folge der Ständekämpfe und der Herausbildung der römischen Nobilität das Kunstwort negotium geschaffen wurde, durch welches der Neukonzipierung des politischen Raumes und der normativen Orientierung der Elite auf die Ressourcenverteilung innerhalb dieses Raumes Rechnung getragen wurde.60 Diese auf die 56
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Cic. Planc. 66: Etenim M. Catonis illud quod in principio scripsit Originum suarum semper magnificum et praeclarum putavi, ‚clarorum virorum atque magnorum non minus oti quam negoti rationem exstare oportere.‘ Der lateinische Text stammt aus M. Tulli Cicerionis Orationes. Pro Tullio (et. al), recognovit brevique adnotatione critica instruxit Albertus Curtis Clark (Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis), London 1911. Die Übersetzung stammt von Gotter aus Gotter 2001, 263. Gotter 2001, 248–269. Siehe Walde, A. – Hoffman, J. B., s. v. otium und s. v. negotium, in: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. 2. Bd. Heidelberg 31954, 228 f. und 157 f. Vgl. Gotter 2001, 256. Vgl. Gotter 2001, 256 f.; vgl. Gehrke, Hans-Joachim – Heimgartner, Martin, s. v. Muße, in: Der Neue Pauly. Brill, 2012. Brill Online. Universitaetsbibliothek Konstanz. 09 April 2012 . Siehe Gotter 2001, 257; vgl. Hölkeskamp 1987, 204–211 zur statusrelevanten Ausrichtung dieser neu geschaffenen Funktionselite am Dienst für das Gemeinwesen, respektive der Bekleidung öffentlicher Ämter.
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Öffentlichkeit fixierte Semantisierung des negotium-Begriffes führte dann zu einer spezifischen Rekonzeptionalisierung des sprachgeschichtlich vorgängigen otium, in welchem dieses in erster Linie zum Nicht-neg-otium wurde.61 Die Antinomie beider Begriffe wurde durch die Differenz zweier aristokratischer Lebensräume generiert und bedingt, die sich einmal in der politischen Öffentlichkeit in Rom und zum anderen in der innerständischen Selbstinszenierung auf der Villa manifestierten und die sowohl in der räumlichen Distanz als auch der divergierenden Öffentlichkeit ihren Ausdruck fanden.62 Die ideale Verbindung von Raum und negotium-freier Muße, über welche der römische Aristokrat alleiniger Herr war, fand in der villa pseudurbana, dem einem hellenistischen Palast gleichenden luxuriösen Landsitz ihre Verwirklichung, der keinerlei agrarwirtschaftliche Funktion hatte.63 Hier konnte der römische Senator seine Toga abstreifen und die persona des hellenistisch gebildeten Aristokraten anlegen, konnte zu standesgemäßen Gelagen laden, ohne auf die politische Sanktionierung durch die römische Öffentlichkeit achten zu müssen, hier konnte er sich an griechischer Architektur erfreuen, sich dem ästhetischen Genuss griechischer Kunst und Literatur hingeben, aber auch die Philosophie für sich entdecken und sogar selbst Literatur produzieren, wobei er stets bedacht war, seine Kenner- und Könnerschaft unter Beweis zu stellen.64 Dieser Raum war nicht komplementär, sondern antinomisch zur Sphäre des negotium. Die eben beschriebenen Tätigkeiten des otium, die quasi kollektiv von der gesamten Aristokratie betrieben wurden, konnten vor der stadtrömischen Öffentlichkeit dazu genutzt werden, den politischen Gegner zu diskreditieren oder ihn gar auszuschalten, da die von ihm im otium betriebenen Praktiken als moralisch 61 62
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Vgl. Gotter 2001, 157 f. Die beiden Orte Rom und die Villa sind dabei mehr als symbolische Verdichtung der Antinomie dieses Gegensatzpaares zu verstehen, da deren Konzeption weniger auf einer festen Ortsgebundenheit als vielmehr einer Raum-Zeit-Struktur basierte (vgl. Fechner – Scholz 2002, 144; zur Villa als idealem Ort für das otium siehe Schneider 1995, 29). Diese definierte das otium als einen Raum limitierter Zugänglichkeit (in zunehmender Rigorosität: Standesgenossen, Freunde, Familie, einsame Zurückgezogenheit; vgl. Mayer 2005, 25 f.) und unabhängiger, selbstgewählter und in Bezug auf die res publica und die eigenen Statusverpflichtungen nicht direkt relevanter Tätigkeit. Vgl. Weeber, Karl-Wilhelm, s. v. Freizeitgestaltung, in: Der Neue Pauly. Brill, 2012. Brill Online. Universitaetsbibliothek Konstanz. 09 April 2012 . So konnte es vorkommen, dass man in Rom an convivia (oder in der Kaiserzeit auch Rezitationen) von Standesgenossen und Freunden teilnahm oder literarischen studia nachging (vgl. zu convivia: Plin. epist. 1,14; 2,6; 3,12; zu Rezitationen: Plin. epist. 1,13; 3,18; 4,27; 5,17; 6,14; 6,17; 6,21; 8,12; dem Nachgehen von studia: Plin. epist. 9,6; Mart. 10,20; vgl. Eck 2010b, 235 f.), aber auch, dass man auf der Villa von Klienten aus Rom oder der benachbarten Stadt belagert wurde (Plin. epist. 7,30; 8,21; 9,15; vgl. Mielsch 1987, 131–133; Förtsch 1993, 18). Zur villa pseudurbana als selbständigem Bautypus – einem mit städtischem Komfort ausgestatteten Domizil auf dem Land – siehe Vitr. 6,5,3; vgl. Mielsch 1987, 96 sowie Schneider 1995, 12–14. Vgl. Cic. Att. 1,13,6 für die Bedeutung der ästhetischen Qualitäten und des Werts der Wohnsitze für die dignitas des Senators. Vgl. dazu und allgemein zu den Distinktionsmöglichkeiten, welche die Villa den römischen Aristokraten bot, Gotter 2001, 265 f. Vgl. ebenfalls Schneider 1995, 20 und den Wettstreit der spätrepublikanischen Aristokraten um die villa maxima ac politissima (siehe Varro rust. 1,13,7); vgl. ebenfalls Zanker 2003, 35 f.; Rebenich 2008, 188.
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anrüchig oder gar gesetzeswidrig angesehen wurden.65 Das normative Auseinanderklaffen dieser beiden Räume aristokratischen Lebens war mithin ein wichtiger Bestandteil des politischen Diskurses der mittleren und späten Republik, auf dessen Boden die asoziales und antinomisches Verhalten geißelnden Diskurse des Luxus und der Dekadenz prächtig gedeihen konnten.66 Allein schon aufgrund seiner diskursiven Relevanz für den politischen Raum lassen sich sämtliche moderne Konzepte ablehnen, in welchen das otium und die dieses symbolisierende römische Villeggiatur als a) eine rein ästhetische Gegenwelt zur Politik, b) als Ausdruck einer zunehmenden Politikverdrossenheit der römischen Nobilität, c) als Ersatzbefriedigung zu politischer Betätigung, d) als Ausleben eines aristokratischen Luxusbedürfnisses oder gar einer Mischung aus diesen vier Komponenten angesehen werden.67 Denn über ihre politisch relevante Diskursivierung hinaus war die mit dem otium verbundene Villeggiatur alles andere als ein politikfreier Raum. Wie sich aus den Briefen Ciceros zeigen lässt, zog man gewissermaßen kollektiv aufs Land, um dort in einem exklusiv aristokratischen und der stadtrömischen Öffentlichkeit entzogenen Raum Politik in mehr oder weniger partikulären Netzwerken zu betreiben: Man schmiedete Allianzen, erörterte die Tagespolitik, bereitete Beschlüsse vor oder
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Gotter 2001, 250–256, der die Antinomie dieser beiden aristokratischen Lebenswelten anhand des römischen Kunstdiskurses prägnant herausarbeitet. Dabei kontrastiert Gotter die stadtöffentliche Kommunikationssituation der Reden Ciceros gegen Verres, dessen Kunstsammlung und Kunstkennerschaft zu diffamierenden Attacken genutzt wird (Cic. Verr. 2,4,1; 2,1,62; 2,4,33 f.; 2,2,87; 2,4,97 f.), mit der standesinternen Kommunikation mit dem vertrauten amicus Atticus, aus der hervorgeht, dass Cicero für die Ausstattung seiner Villen eine deutliche Kunstkennerschaft an den Tag legt, die in einem ausgefeilten Programm zum Ausdruck kommt, und er sich bewusst ist, wie bedeutsam diese Ausstattungsgegenstände für seine dignitas sind (als Auswahl: Cic. Att. 1,1,5; 1,5,7; 1,8,2; 1,9,2; 1,11,3). 66 Dies lässt sich schon in der Zeit Catos des Älteren erkennen, wenn er aus Gründen der Differenzdarstellung gegen den Ausstattungsluxus im Wohnkontext Stimmung macht (Cato orat. frg. 185 ORF = 159 SC = Fest 282,4) oder die eingangs zitierte Forderung an den Beginn seiner Origines stellt (siehe oben, S. 158 mit Anm. 56). Diese Diskurse lassen sich aber auch bei Cicero festhalten, wenn er kollektiv über die pejorativ zu verstehenden „Fischteichbesitzer“ herzieht (Cic. Att. 1,18,6; 1,19,6; 1,20,3; 2,1,7; 2,9,1; vgl. Schneider 1995, 21) und auch die Äußerungen des Cato Minor von Sallust sind in diesem Kontext zu sehen (Sall. Cat. 52). 67 Schneider 1995, 19–21 mit der Zusammenfassung: „Aus heutiger Sicht erweisen sich somit die dynamische Entfaltung der Villenkultur und die fortschreitende Desintegration der Oberschicht auf der politischen Ebene als wechselseitig miteinander verbundene und sich gegenseitig beflügelnde Momente desselben historischen Prozesses. Denn während die Landvillen offenbar zunächst nur von Einzelnen und allenfalls temporär als Orte für eine hellenisierende luxuria genutzt werden, erfüllen sie bald eine Art Kompensationsfunktion für weitere Kreise der politisch enttäuschten und zunehmend desinteressierten Oberschicht.“ Vgl. Meier 1995, 61–66, für den das otium in erster Linie eine Ersatzbefriedigung darstellte, in der die Kompensation des Machtdefizits der römischen Nobilität Ausdruck stattfand. Vgl. Fechner – Scholz 2002, 144, die vom privaten Raum der Villa sprechen, der zu einer ästhetischen Gegen- und Traumwelt werde; vgl. Mayer 2005, 30.
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versuchte für eine Initiative in der Hauptstadt Stimmung zu machen.68 Dabei war auch dieser Raum den für die römische Aristokratie so typischen Verhaltensweisen der Konkurrenz und Reziprozität unterworfen, welche durch ihre Status und Prestige erzeugende Wirkung die normative Kluft der beiden gegensätzlichen Lebenssphären überbrücken konnten. Konkret bedeutet das, dass man sich gegenseitig besuchte, sich die Annehmlichkeiten seiner Villen, den ästhetischen Genuss seiner Kunst- und Literatursammlungen zur Verfügung stellte, sich zu Gelagen einlud, sich Gastgeschenke machte etc. Und wer dabei langfristig nicht mithalten konnte, verlor unweigerlich an dignitas und politischem Einfluss.69 Während auf der anderen Seite die Aristokraten mit dem nötigen Rückhalt an Ressourcen durch ihre standesgemäßen Wohnanlagen, ihren distinguierten ästhetischen Geschmack oder ihre philosophische oder literarische Bildung sowie durch die Möglichkeit, sich ihre weniger potenten Standesgenossen verpflichten zu können, in einem anscheinend politikfreien Raum ungeniert dignitas und auctoritas akkumulieren konnten, die sich bei der Verfolgung eigener Interessen in der stadtrömischen Politik einsetzen ließen.70 Die Dekadenz- und Luxusdiskurse waren wie die Luxusgesetzgebung Versuche, diese dysfunktionale Rückkopplung des otium-Raumes an die römische Politik zu durchbrechen; sei es durch seine Reglementierung oder seine politische Irrelevanz aufgrund sozialer Ächtung.71 Aber diese Versuche waren aufgrund gegenläufiger Interessen bestimmter Kreise, die sich für eine Aufrechterhaltung eines inneraristokratischen Konkurrenzkampfes ohne Preisbindung einsetzten, zum Scheitern verurteilt. Dabei trug nicht zuletzt die Konzeption des negotium mit seiner folgenreichen Semantisierungsmöglichkeit des otium als eines politikfreien Raumes zu dessen Imprägnierung gegen jegliche politischen Versuche der Reglementierung bei. So führte die dauerhafte Etablierung dieser beiden Welten zur Konstituierung der Vorstellung einer wirklichen Privatsphäre.72
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Siehe bspw. Cic. Att. 2,18,2; 4,11; vgl. Mielsch 1987, 132 f.; vgl. Förtsch 1993, 16. Das dichtest belegte Beispiel für stadtrömisch relevante Politik auf der Villa ist das Geschehen des Jahres 44 v. Chr., siehe hierzu Gotter 1996, 53–105. Vgl. allgemein Gotter 2001, 261 f.; vgl. Rebenich 2008, 189. Siehe zur Kollektivität der Villeggiatur, die bereits in der gemeinsam erfolgenden Villenbesiedlung bestimmter Landstriche zu erkennen ist, Schneider 1995, 11 f.; vgl. ebd. 23–25. Ebd. 23 erkennt sie zwar, dass hier „das politische Leben Roms unter anderen Bedingungen fortgeführt“ wird, gelangt aber zuvor zu der Schlussfolgerung, die Villeggiatur sei ein Phänomen der sich zunehmend entpolitisierenden Oberschicht, ebd. 19–21, siehe oben, Anm. 67. Vgl. oben, Anm. 64 f. das Bestreben Ciceros genau dies zu vermeiden; allg. zu diesem Komplex Gotter 2001, 265; Rebenich 2008, 191. Siehe Gotter 2001, 268: „auch im otium konnte sich die asymmetrische Verfügbarkeit von Ressouren in Statusdifferenzen umsetzen, und zwar ungenierter und unreglementierter als in der Hauptstadt.“ Dass sich dies in auctoritas und somit auch politisches Kapital ummünzen ließ, ist selbsterklärend. Zu diesen Diskursen vgl. oben, Anm. 66; zur Luxusgesetzgebung und ihren Bezug auf und ihre Relevanz für das städtische convivium und senatorische otium auf der Villa siehe Gotter 2001, 264–266 mit Anm. 93. Siehe Gotter 2001, 269.
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Wenn die politische Bedeutung des otium in der Republik auch häufig verkannt und die unterschiedlichen Verhaltensweisen innerhalb der beiden Räume otium und negotium oft als römische „Doppelmoral“ abgetan werden, so sind sich die meisten modernen Forscher doch über die antinomische Differenz der beiden Lebenswelten einig.73 Nach der Monopolisierung des politischen Raumes durch den Sieger von Actium und der angeblich endgültigen Entmachtung der Senatsaristokratie scheint der Gegensatz zwischen den traditionellen Aufgaben eines römischen Senators, also der Verfolgung einer politischen Karriere, und seiner Mußezeit auf der Villa harmonisiert. In der modernen Forschung wird in Folge dieses einschneidenden Ereignisses häufig die Meinung vertreten, dass die Villeggiatur nun eine neue apolitische Funktion erhalte, indem sie zum idealen Ort aristokratischer Selbstverwirklichung umgedeutet werde. Villa und otium seien nun eine Ersatzbefriedigung für das unter dem Kaiser im öffentlichen Raum nicht mehr mögliche Streben nach gloria und dignitas geworden. Dieses Ausleben aristokratischer Bedürfnisse sei als Kompensation von Machtverlust zu verstehen.74 Werden bei der angeblichen Entmachtung der senatorischen Elite in der Kaiserzeit auch die Möglichkeiten der Machtentfaltung einzelner Aristokraten mit den Kompetenzen des Senats verwechselt,75 so scheint die antinomische Lebenswelt des otium tatsächlich zu einer dem politischen Raum komplementären Heterotopie geworden zu sein.76 Die Rückkopplung des lebensweltlichen Gegenparts auf den poli73 74
Schneider 1995, 108 f.; Mayer 2005, 27 f. Vgl. Förtsch 1993, 16 f., der im republikanischen otium noch ein gemeinsames Interesse an der res publica erkennt, während dieser Beschäftigung der Aristokratie in der Kaiserzeit der Boden entzogen sei. Schneider 1995, 21 f. sieht darin die konsequente Weiterentwicklung der politischen Desintegration der Oberschicht während der Spätphase der Republik, vgl. ebd. 26, ähnlich Meier 1995, 61–66; vgl. Fechner – Scholz 2002, 144, die eine kontinuierliche und konsequente Entwicklung der Villeggiatur von der späten Republik in die Kaiserzeit als ästhetischer Gegen- und Traumwelt zeichnen; vgl. Mayer 2005, 29 f., 211 sowie Lefèvre 2009, 223–272. 75 Vgl. Meier 1995, 61 sowie Mayer 2005, 29: „Der Dienst für das Gemeinwesen war für die Aristokraten zu riskant geworden und schränkte ihren Geltungswillen ein; man konnte sich nur noch ins Privatleben zurückziehen.“ Zu dieser Aussage stehen nicht nur die erfolgreichen Karrieren von Plinius und Tacitus im Widerspruch, sondern auch die Beobachtung, dass die römische Senatsaristokratie sich von einer erobernden Elite zu einer Elite der Eroberten wandelte, was nicht zuletzt auf dem Integrationswillen und -druck der Munizipalaristokratie beruhte (vgl. Hopkins 1983, 123 f.) und den Senatorenstand alles andere als politisch irrelevant werden ließ. Zur Unmöglichkeit der Postulierung einer Einheit des Senats in der Dimension des realen sozialen Raumes (im Gegensatz zu dieser in politischen Diskursen immer wieder zum Ausdruck kommenden rhetorischen Figur [bzw. der semantischen Relation einer Opposition zwischen Princeps und Senat]) vgl. die berechtigte Kritik von Strobel 2010, 456–458 an den von Seelentag 2004, 214–292, v. a. 217–247 und Fell 1992, 9–37 u. 107–111 vorgeschlagenen Funktionalisierungen des Panegyrikus, vgl. oben, Kap. 2.2, S. 94 mit Anm. 48–52); vgl. Page 2009, 44 Anm. 24. Siehe zur prinzipiell kompetitiven Zusammensetzung der Senatsmitglieder und deren unterschiedliche Interessen im Verhältnis mit dem Kaiser Flaig 1992, 107–117. 76 Zum Begriff der Heterotopie siehe Foucault 2005, 7–23. Heterotopien sind Gegenräume realer Ausdehnung, die in der (nicht ausschließlich lokal zu verstehenden) Peripherie angesiedelt sind, und „stellen alle anderen Räume in Frage“ (ebd. 19), indem sie, selbst von imaginärem
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tischen Raum scheint durch die Übermacht des Kaisers gebrochen. Die Heterotopie der Villa wirkt nun durch ihre zeitlichen, biologischen oder sozialen Beschränkungen als ein Raum liminaler Qualitäten, der die politische Lebenswelt der senatorischen Elite eher stabilisiert und kaum noch Dysfunktionalität aufweist.77 Dies spiegelt sich anscheinend in zwei Beobachtungen wider. Erstens erweckt es den Anschein, dass die Villeggiatur und die Ausfüllung des dortigen otium eigentlich kein Element aristokratischen Konkurrenzkampfes mehr sein kann, da man Vorwürfen bezüglich unrömischen Verhaltens o. ä. im politischen Raum eigentlich nicht mehr begegnet.78 Zum zweiten scheint bedeutsame Politik nun ausschließlich in unmittelbarer Nähe zum Kaiser stattzufinden, womit auch das in der Republik noch politisch bedeutsame otium ganz in dessen domus oder Villa übergegangen ist.79 Durch die angeblich zunehmende Entpolitisierung der Senatsaristokratie, meint ein nicht unwesentlicher Teil der modernen Forschung, werde der apolitische Raum des otium dann zum Selbstzweck aristokratischer Selbstverwirklichung erhoben,
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Charakter, die übrige Realität als Illusion entlarven, oder einen artifiziellen Raum vollkommener Ordnung schaffen (die senatorische Villa der Kaiserzeit bedient beide Aspekte: vgl. Plin. epist. 1,9, wo die negotia aus der Sicht des otiösen Senators ihren Sinn verlieren und in der Summe die Anstrengungen, die man für sie auf sich nimmt, nicht mehr aufwiegen (vgl. unten, Kap. 3.3, S. 164–167) und vgl. dazu die vollkommene Ordnung der Villa selbst in den Villenbriefen, Plin. epist. 2,17 u. 5,6). Sie besitzen in gewisser Weise eine kathartische Funktion (indem sie andere Orte auslöschen, ersetzen, neutralisieren oder reinigen) und wirken dank der zeitlichen Brüche, die häufig mit einer Heterochronie verbunden sind und die ihnen liminale Qualität zuweist, insgesamt systemstabilisierend. Genau dies unterscheidet sie von den antinomischen Lebenswelten, welche durch die dysfunktionale Rückkopplung zweifelsohne einen katalytischen Effekt auf die Zersetzung der politischen Ordnung in der späten Republik hatte. Vgl. Schneider 1995, 30–33, die eine weitgehende Harmonisierung der in der Republik als Gegensatz empfundenen Gegenwelten konstatiert. In diesem Sinne lässt sich auch die „kompensatorische Ersatzwelt“ von Meier 1995, 62 verstehen, oder auch die ästhetische Traum- und Gegenwelt nach Fechner – Scholz 2002, 144. Vgl. oben, Anm. 76. Die dem Heterotopos der Villa zugehörige Heterochronie wäre also das otium, welches an die zeitlichen Begrenzungen der res prolatae (siehe Talbert 1984, 209– 212) oder aber die biologisch begründete Krise des hohen Alters und dem daraus resultierenden Mangel an Leistungsfähigkeit für die res publica – das sogenannte Altersotium (vgl. bspw. Plin. epist. 3,1; 4,23) – gebunden ist. Schneider 1995, 30. Vgl. die Ablehnung von Tiberius, Gesetze gegen Luxus aufgrund senatorischen Profilierungswillens und Konkurrenzdenkens zu erlassen: Tac. ann. 3,52–54. So Lefèvre 2009, 235; vgl. Förtsch, 1993, 16. Eine voranschreitende Abnahme politischer Diskussion auf der Villa von Cato dem Älteren über Cicero zu Plinius, meint Mayer 2005, 29, wahrzunehmen. Vgl. die prinzipielle Gegenposition in Mielsch 1987, 132 f., nach der in den Villen von jeher lokale und römische Politik betrieben wurde. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass Plinius in der Beschreibung seiner tuscischen Villa betont (Plin. epist. 5,6,45), dort ein geruhsameres und sichereres otium als in seinen anderen Villen genießen zu können, woraus Mielsch den Schluss zieht, dass er in eben jenen anderen Rückzugsorten wesentlich häufiger dazu verpflichtet war, seine Toga anzulegen, da er örtliche Würdenträger oder Kollegen aus Rom zu empfangen hatte. Zu seinen euergetischen Akten gegenüber Comum, in deren Kontext er nicht nur öffentlich in Comum aufzutreten hatte, und mit denen er sicherlich auch Einfluss auf die lokale Politik nahm, siehe oben, Kap. 3.1.
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was dann sogar zu einer inversen Hierarchie führe, in welcher für den kaiserzeitlichen Senator das otium dem negotium übergeordnet sei.80 Als Gewährsmann hierfür gilt allgemein Plinius der Jüngere, dessen otium in seiner diskursiven Ausgestaltung in seiner Briefsammlung im Folgenden genauer in Augenschein genommen werden soll. 3.3 Das plinianische otium als Heterotopos wahrer libertas des Konsulars Im neunten Brief des ersten Buches seiner Briefsammlung beklagt Plinius gegenüber seinem jüngeren Standesgenossen Minicius Fundanus ausführlich die Nutzund Bedeutungslosigkeit der negotia in Rom, die ihm in seiner Abgeschiedenheit des otium in seiner stadtnahen Villa bei Laurentum nur umso deutlicher vor Augen trete.81 Hier, wo er seinen Lieblingsbeschäftigungen des Lesens und Schreibens nachgehen und seinen Körper und Geist pflegen könne, begehe er keine Handlungen, die er im Nachhinein bereuen müsse, sei ganz gelöst aus den Ketten der gesellschaftlichen Verpflichtungen und könne ein rechtes und reines Leben führen, in dem er sich ganz der Muße hingebe.82 o rectam sinceramque vitam, o dulce otium honestumque ac paene omni negotio pulchrius!83 Dieser Satz, so die häufige Meinung moderner Forscher, belege doch die neue Hierarchie, in der dem Raum des otium der höhere und bleibende Wert zugewiesen werde.84 Und selbst diese Apostrophe an das wahre und rechte Leben im ehrenvollen otium wird noch verstärkt durch die Aufforderung an den Standesgenossen, es ihm gleich zu tun und sich an die geistreiche Sentenz ihres gemeinsamen Freundes zu halten, nach der es besser sei, müßig zu sein, als nichts zu tun (satius est enim […] otiosum esse, quam nihil agere).85 Richtet man jedoch auf der Basis der Arbeit Stanley Hoffers einen genaueren Blick auf diesen Brief, stellt man fest, dass Plinius mit dieser Überbewertung der idealen Muße nur kokettiert, sie nicht wirklich dem negotium übergeordnet wissen Vgl. Schneider 1995, 30 mit Anm. 116 und Mayer 2005, 29, 223, die beide auf Plin. epist. 1,9,6 (von diesem Brief wird im Folgenden zu sprechen sein) zurückgreifen, um ihre Ansicht zu untermauern; vgl. ebenfalls Lefèvre 2009, dem dieses Grundprinzip schon im Titel eingeschrieben ist, bspw. ebd. 235. Siehe als Forschungsüberblick zu den Vertretern der Entpolitisierungsthese der Senatorenschicht in der Kaiserzeit Page 2009, 40–44; vgl. zum otium auch Page 2014, 173–179 (Kap. IV.2 „Prima vitae tempora et media patriae, extrema nobis impertire debemus“ – das angemessene Verhältnis von negotium und otium). 81 Plin. epist. 1,9,1–3. 82 Plin. epist. 1,9,4–6. 83 Plin. epist. 1,9,6: „Welch ein rechtes und reines Leben! Welch süße und ehrenvolle Muße, fast schöner als jede Tätigkeit!“ 84 Siehe oben, Kap. 3.2 Anm. 80; vgl. ebenfalls Ludolph 1997, 130 f. mit Anm. 110, ebenfalls ebd. 18, 39 (wo er sich auf die Arbeiten Lefèvres stützt); oder mit Bezug auf andere Briefe VogtSpira 2003, 63. Etwas ausgeglichener, wenn auch gemäß der plinianischen Strategie dem otium für Plinus immer noch eine zu hohe Bedeutung beimessend Halfmann 2002b, 233 f. Vgl. hingegen überzeugend Page 2014, 173–179 (Kap. IV.2 „Prima vitae tempora et media patriae, extrema nobis impertire debemus“ – das angemessene Verhältnis von negotium und otium). 85 Plin. epist. 1,9,7 f. 80
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will.86 Das anfängliche Paradox der Abschnitte 1–3, dass das Ganze weniger wert sei als seine einzelnen Teile, also die einzelnen Tage mehr wert seien als ihre Summe, wird im Modus des Scheinens dargestellt.87 Im ersten Satz „geht die Rechnung für die einzelnen Tage (so die bessere Übersetzung für ratio constet) auf“, also aufgewendete Zeit und Nutzen entsprechen sich. Erst danach wird diese positive Behauptung durch den Schein aufgelöst, während für die Summe der Tage die Ausgewogenheit von Kosten und Nutzen negiert wird.88 Der anschließend geschilderte Tagesablauf besitzt zwar eine klare Klimax, indem er von kleineren sozialen Verpflichtungen zu notarischen und juristischen Tätigkeiten überwechselt und mit dem abschließenden consilium sogar auf den eigentlichen Kern der negotia angespielt wird, die Tätigkeit im Dienst der res publica oder gar das consilium principis.89 Aber diese Klimax wird sprachlich durch die Monotonie der Parallelismen verdeckt, was zum Ende der Aufzählung hin durch die Anaphern und die immer kürzer werdenden Phrasen verstärkt wird. Darüber hinaus wird die eigentliche Hauptsache des senatorischen negotium, das Versehen von Magistraturen und öffentlichen Ämtern, überhaupt nicht genannt. Diese bewusste Untertreibung der Bedeutung der negotia befördert den Schein ihrer Wertlosigkeit, die einem umso größer vorkommt, je mehr Zeit dafür verwendet wird, über die man sich Rechenschaft ablegt. Und dieser Schein der Wertlosigkeit (inania videntur) wird durch die Reflexion in der Einsamkeit des otium (cum secesseris) noch vergrößert (multo magis) – wobei diese Adverbialphrase eindeutig auf das videntur zu beziehen ist. Der Schein bewahrheitet sich also nicht, er wird nur überzeugender. 86
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Siehe Hoffer 1999, 111–118. Wenn im Folgenden in etwas ausführlicherer Weise auf dessen Analyse und Ergebnisse rekurriert wird, so geschieht das aus dem Grund, dass seine in ihrer interpretatorischen Prägnanz herausragende Monographie zu den Pliniusbriefen mit dem Titel The Anxieties of Pliny the Younger im deutschsprachigen Raum leider nur selten rezipiert wird. Plin. epist. 1,9,1–3: Mirum est, quam singulis diebus in urbe ratio aut constet aut constare videatur, pluribus iunctisque non constet. nam, si quem interroges: ‚hodie quid egisti?‘, respondeat: ‚officio togae virilis interfui, sponsalia aut nuptias frequentavi, ille me ad signandum testamentum, ille in advocationem, ille in consilium rogavit.‘ Haec quo die feceris, necessaria, eadem, si cottidie fecisse te reputes, inania videntur, multo magis, cum secesseris. tunc enim subit recordatio: ‚quot dies quam frigidis rebus absumpsi!‘ („Es ist seltsam, wie ich an einem einzelnen Tag in der Stadt mit mir zufrieden bin oder zu sein scheine, nimmt man aber mehrere Tage zusammen, ich nicht zufrieden bin. Denn wenn Du jemanden fragst: ‚Was hast Du heute getan?‘, mag er wohl antworten: ‚Ich habe an einer offiziellen Feier teilgenommen, bei der die Männertoga übergeben wurde, ich habe eine Verlobungs- oder Hochzeitsfeier besucht; jener hat mich um die Unterzeichnung eines Testamentes, ein anderer hat mich um meinen Beistand vor Gericht, wieder ein anderer um ein Rechtsgutachten gebeten.‘ Dies alles erscheint an dem Tage, an dem man es getan hat, als notwendig, dasselbe aber, wenn man überlegt, dass man es täglich getan hat, als wertlos, um so mehr, wenn man sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Dann nämlich kommt einem der Gedanke: ‚Wie viele Tage habe ich mit so vielen unwichtigen Tätigkeiten verloren‘“). Siehe Hoffer 1999, 111–113 und vgl. oben, Anm. 86, den Hinweis auf den Stellenwert der Hoffer᾿schen Analyse für die Untersuchung zur plinianischen Briefsammlung. Vgl. Hoffer 1999, 113, der ebenfalls auf den an die Sprecherinstanz gebundenen Distanzwechsel (der in der deutschen Übersetzung von Philips leider nicht nachvollziehbar ist) von einer erst unpersönlichen Äußerung zu einem unbestimmten du und erst danach (Plin. epist. 1,9,4) zum ich eingeht.
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Der Grund dafür ist in dem idealen Leben auf dem Landgut zu sehen, das so angenehm und zwanglos verläuft.90 Aber seine Charakterisierung geschieht erst einmal nur aus der Negation des öffentlichen Raumes heraus und gibt sich dann erst als Leidenschaftslosigkeit und Selbstgenügsamkeit zu erkennen. Die qualitative Bestimmung, wovon das otium im Unterschied zu seinem Gegenstück frei ist, trägt aber weniger zu dessen Glanz bei, als es zu normativen Rückschlüssen für die Verhaltensweisen im negotium führt. Wie das otium sollte das negotium frei von ungebührlich ausgetragener Konkurrenz und Ehrgeiz sein, wie Plinius dies auch versucht umzusetzen und die negativen Verhaltensweisen im öffentlichen Raum denn auch mehr auf ihn einwirken als von ihm ausgehen.91 In der nun folgenden Apostrophe an das wahre Leben und die umgebenden Annehmlichkeiten der Natur wird dann gerne auch das kleine Wörtchen fast (paene) übersehen.92 Diese Einschränkung des schöneren und süßeren Lebens im otium birgt in sich nämlich die Feststellung, dass es Bereiche im negotium gibt, die dieser Idylle übergeordnet sind; die Vermutung liegt nahe, dass es sich dabei um die vorhin ausgesparten Ämter für die res publica handeln könnte. Andererseits trägt die betont positive, ja in der Apostrophe nahezu emphatische Bejahung der philosophischen Lebensweise im otium dazu bei, die von Plinius in so lapidarer Weise aufgezählten freudlosen gesellschaftlichen Verpflichtungen des negotium als von ihm erwiesene beneficia aufzuwerten,
Plin. epist. 1,9,4–8: Quod evenit mihi, postquam in Laurentino meo aut lego aliquid aut scribo aut etiam corpori vaco, cuius fulturis animus sustinetur. nihil audio, quod audisse, nihil dico, quod dixisse paeniteat; nemo apud me quemquam sinistris sermonibus carpit, neminem ipse reprehendo, nisi tamen me, cum parum commode scribo; nulla spe, nullo timore sollicitor, nullis rumoribus inquietor: mecum tantum et cum libellis loquor. o rectam sinceramque vitam, o dulce otium honestumque ac paene omni negotio pulchrius! o mare, o litus, verum secretumque μoυσεῖον, quam multa invenitis, quam multa dictatis! Proinde tu quoque strepitum istum inanemque discursum et multum ineptos labores, ut primum fuerit occasio, relinque teque studiis vel otio trade! satius est enim, ut Atilius noster eruditissime simul et facetissime dixit, otiosum esse quam nihil agere. vale. („So geht es mir, seit ich auf meinem Landgut bei Laurentum etwas lese, schreibe oder auch meinen Körper pflege, durch dessen Stärkung auch der Geist gefördert wird. Nicht höre ich, was gehört zu haben, nicht sage ich, was gesagt zu haben ich später bereuen könnte; niemand kritisiert in meiner Gegenwart jemanden mit abfälligen Bemerkungen; ich selbst tadle niemanden, außer mich selbst, wenn ich nicht angemessen genug schreibe; keine Hoffnung, keine Furcht regt mich auf, keine Gerüchte beunruhigen mich: ich spreche nur mit mir und meinen Büchern. Welch ein rechtes und reines Leben! Welch süße und ehrenvolle Muße, fast schöner als jede Tätigkeit! O du Meer, o du Küste, mein wahrer und abgeschiedener Musensitz, wie viel Worte lasst ihr mich finden, wie viel Gedanken gebt ihr mir ein! Daher lass auch Du diesen Lärm, diese nutzlose Geschäftigkeit und die albernen Strapazen hinter Dir, sobald sich eine Gelegenheit ergibt, und widme Dich Deinen Studien oder Deiner Muße! Es ist nämlich besser, wie unser Atilius sehr geistreich und auch sehr witzig sagt, müßig zu sein als nichts zu tun. Lebe wohl!“) Vgl. zur Darstellung dieser „fast philosophischen Autonomie“ Bütler 1970, 43. 91 Diese Suggestion entsteht dadurch, dass Plinius sich selbst zuerst als Experiencer (zum Begriff der semantischen Rolle siehe oben, Kap. 1.3, S. 46 mit Anm. 88) und danach als Akteur repräsentiert. Vgl. Hoffer 1999, 116 f. 92 Vgl. oben, Kap. 3.2, Anm. 80. 90
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da die Zeit, die er für sie aufwenden muss, dem kostbaren Gut seiner otiösen Lebensweise abgehen.93 Bezüglich einer zu hohen Bewertung des otium aufgrund der abschließenden Aufforderung an den Adressaten des Briefes, es dem sich in seiner Zurückgezogenheit den studia hingebenden Plinius gleich zu tun, ist jedoch wiederum Skepsis angebracht, da eben jener Aufruf durch die Berufung auf eine fragwürdige Autorität unterstützt wird, den unbedeutenden zeitgenössischen Munizipalaristokraten Atilius, der das politische Leben Roms gar nicht kannte.94 Humorvoll auf die Spitze getrieben wird die Diskrepanz zwischen sich äußernder Person und der ihr in öffentlichen Fragen aufgrund ihres Status nicht zukommenden auctoritas noch dadurch, dass die ihr („sehr geistreich und auch sehr witzig“) in den Mund gelegte Sentenz als Parodie auf ein Zitat eines der größten Staatsmänner und exempla der Republik schlechthin zu werten ist.95 Möglicherweise wird diese Parodie noch durch eine Verschmelzung mit einem Cicero-Zitat verstärkt,96 so dass ein unbedeutender Munizipalaristokrat seinen Spott sowohl mit P. Cornelius Scipio Africanus als auch mit M. Tullius Cicero über Angelegenheiten treibt (negotia im Dienste der res publica, das angemessene Maß des Philosophierens für römische Staatsmänner etc.), von denen er im Gegensatz zu dem bedeutenden Senator Plinius keine Ahnung hat. 93 94 95
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Vgl. Hoffer 1999, 114 f. Vgl. Hoffer 1999, 118. Cicero zitiert, um seinem Sohn Marcus ein exemplum vor Augen zu führen, dass man auch im otium immer den Dienst an der res publica im Auge haben müsse – ein Ausspruch, den Cato dem Älteren Scipio Africanus in den Mund gelegt hatte, Cic. of f. 3,1 numquam se minus otiosum esse, quam cum otiosus („er sei niemals weniger untätig gewesen als in Untätigkeit“) – Text und Übersetzung: Marcus Tullius Cicero, De Officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch-deutsch, hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel (Tusculum), Düsseldorf 2008; die parodistische Umformulierung Atilius’: otiosum esse quam nihil agere (Plin. epist. 1,9,8). Vgl. mit einer etwas anderen Deutung – nämlich, dass für den alten Römer die res publica, für Plinius und seine Zeitgenossen die res privata (die studia) der Mittelpunkt seines negotium im otium gewesen sei – Lefèvre 2009, 239. Bleibt in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass Cicero im von den politischen Umständen des Jahres 44 v. Chr. ‚erzwungenen‘ otium, während dem er fleißig Politik betrieb – und zur wichtigsten Integrationsfigur der Opposition gegen Antonius wurde, der im Herbst 44 aus Rom vertrieben werden konnte (vgl. Gotter 1996, 66–130) – auf die imitatio Scipionis verweist, während Plinius ein unbeschwertes und willkommenes otium in einer von dem Tyrannen Domitian befreiten res publica verbringt; siehe unten, S. 172–174; vgl. oben, Kap. 1.3 mit Anm. 98 zum Narrativ der Zäsur und dem sofortigen umfassenden Wandel nach der Ermordung Domitians und der libertas unter Trajan als Grundvoraussetzung für das senatorische otium, wenn in der Erzählzeit des Agricola auch noch nicht alle Senatoren dafür bereit sind. Vgl. Cic. Tusc. 2,1: Neoptolemus quidem apud Ennium philosophari sibi ait necesse esse, sed paucis; nam omnino haud placere: ego autem, Brute, necesse mihi quidem esse arbitror philosophari – nam quid possum, praesertim nihil agens, agere melius? („Neoptolemos sagt bei Ennius, für ihn sei es zwar notwendig zu philosophieren, aber nur in einem geringen Maß; denn umfassend gefalle es ihm nicht: ich aber, mein Brutus, glaube, dass es für mich zwar notwendig ist zu philosophieren – denn was kann ich Besseres tun, zumal da ich nicht tätig bin?“); Text und Übersetzung stammen aus: M. Tullius Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum. Lateinisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Ernst Alfred Kittel (Reclam), Stuttgart 22008. Vgl. zu diesem Proöm der Tusculanae Gildenhard 2007, 156–166.
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Wenn also schon in diesem Brief Risse in der idealen Welt des otium, wie Plinius sie darstellt, aufbrechen, so wird die Privilegierung des negotium gegenüber diesem aristokratischen Heterotopos mit dem nachfolgenden Brief 1,10, mit dem der soeben besprochene eine Einheit bildet, umso deutlicher hervorgehoben.97 Es ist bemerkenswert, dass es sich bei diesem um den einzigen von insgesamt 247 Briefen handelt, den Plinius schreibt, als er in Rom ein öffentliches Amt – nämlich das des praefectus aerarii Saturni – inne hat, und in dem er die mit diesem Posten verbundenen Tätigkeiten explizit aufführt. Die persona der Sprecherinstanz (also des Briefeschreibers) stellt gegenüber derjenigen des vorhergehenden Briefes also den größtmöglichen Gegensatz dar, und es spricht nun nicht mehr der sich dem otium hingebende Plinius, sondern der sein erstes prätorisches Amt unter Nerva und Trajan (also in der neuen Zeit), das ihn noch vor dessen Ablauf zum Konsulat führen sollte, versehende Senator.98 „Ich sitze zu Gericht, unterzeichne Bittschriften, schließe Rechnungsbücher ab und schreibe sehr viele, aber höchst unliterarische Briefe.“99 Diese Tätigkeiten im Zusammenhang mit seinem überaus wichtigen, ihm aber sehr unangehmen Amt als Präfekt des Staatsschatzes finden den Höhepunkt ihrer Lästigkeit in dem an die Figura etymologica angelehnten Oxymoron am Ende der Aufzählung inlitteratissimas litteras („überaus unbriefliche Briefe“) –, die dem seine rhetorischen Fähigkeiten in diesem Brief und seiner Briefsammlung allgemein zur Schau stellenden orator zutiefst zuwider sein müssen. Die negative Darstellung dieser Tätigkeit, für die sich Plinius bildlich aufreibt (distringor), und die Klage, seine Zeit nicht mit dem befreundeten und so vorbildlichen Philosophen verbringen zu können, um sich weiterzubilden und an seiner persönlichen Vervollkommnung zu arbeiten, verbinden sich zu einer Sehnsucht nach dem otium.100 Diese Sehnsucht wird aber durch die Erkenntnis des in dem Brief lange als persönliche Autorität für Plinius aufgebauten Philosophen gebrochen, dass das, was Plinius gerade mache, also ein öffentliches Amt versehen, die schönste Form der Philosophie sei: ihre Umsetzung in die Praxis. Seine Aufgabe nämlich sei es cognoscere, iudicare, promere et exercere iustitiam – also die Gerechtigkeit zu erkennen, zu beurteilen, hervorzubringen und auszuüben.101 Und plötzlich, durch die objek97 Vgl. sehr ausführlich zu diesem Brief Hoffer 1999, 119–140. Vgl. zur plinianischen Darstellung und Beurteilung von otium und negotium auch Bütler 1970, 41–56, für den diese Hierarchie klar feststeht, aber auch „überraschend“ (ebd. 55) ist; Leach 2003, 158; Page 2009, 52 f. und Page 2014, 173 –179 (Kap. IV.2 – das angemessene Verhältnis von otium und negotium). 98 Vgl. Plin. paneg. 91,1, dort als officio laboriosissimo et maximo bezeichnet; Siehe zu diesem Amt Sherwin-White 1966, 108, 767 f. sowie Strobel 1983, 44. 99 Plin. epist. 1,10,9: nam distringor officio ut maximo sic molestissimo: sedeo pro tribunali, subnoto libellos, conficio tabulas, scribo plurimas, sed inlitteratissimas litteras („Denn ein zwar sehr wichtiges, aber auch sehr lästiges öffentliches Amt beschäftigt mich ganz“). 100 Plin. epist. 1,10,11: mihi tamen hoc unum non persuadet, satius esse ista facere quam cum illo dies totos audiendo discendoque consumere („Mich jedoch überzeugt er nicht von dem einen, dass diese Tätigkeit besser sei, als mit ihm zusammen ganze Tage zuhörend und studierend zu verbringen“). 101 Plin. epist. 1,10,10: ille me consolatur, adfirmat etiam esse hanc philosophiae et quidem pulcherrimam partem, agere negotium publicum, cognoscere, iudicare, promere et exercere iustitiam, quaeque ipsi doceant, in usu habere („Er tröstet mich und behauptet, dies sei auch ein Teil
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tive Neuevaluierung der plinianischen Beschäftigung, die dem Euphrates in den Mund gelegt wird, erscheint dieselbe gar nicht mehr so lästig, wie Plinius selbst sie darstellt, sondern sie wird als Funktion der Herstellung von Gerechtigkeit sogar zum Kern der Philosophie sublimiert. Hier wird deutlich, dass die studia philosophischer Natur im otium, wie sie im vorhergehenden Brief anklingen, sowie die rhetorischen studia ihre Berechtigung sowie ihre Vervollkommnung erst im Dienst für die res publica erfahren.102 Der in diesem Brief sprechende Plinius lässt sich aber von dieser tröstenden Erkenntnis des Euphrates nicht überzeugen: Er möchte diesem viel lieber zuhören und von ihm lernen (Philosophie konsumieren) als den lästigen Verpflichtungen seines öffentlichen Amtes nachkommen (praktische Philosophie betreiben). Mit dieser Inszenierung gelingt es Plinius zum einen, die Bedeutung seines Amtes herauszustreichen, ohne ruhmbesessen oder ehrgeizig zu erscheinen. Zum anderen wird sein Dienst an der res publica zu einem Opfer, da der gebildete Aristokrat alles andere als erpicht auf seinen so verantwortungsvollen Posten ist und sein otium mit für ihn angenehmen und bedeutungsvollen Beschäftigungen zu füllen wüsste.103 Dieses Opfer wird umso tugendhafter, da Plinius es nicht auf sich nimmt, um ein bedeutungsloses otium, in dem er sich der Trägheit und dem Luxus hingeben könnte, aufzugeben, sondern weil er auf seine persönliche Vervollkommnung, seine philosophischen und literarischen Studien und den von ihnen versprochenen ewigen Ruhm (diese Bedeutung wird den studia in vielen anderen Briefen eindeutig zugewiesen)104 für das Gemeinwesen verzichtet. Diesen Bereich und dessen Wertschätzung hat er mit seinen Freunden gemeinsam, denen er die sich daraus ergebenden Möglichkeiten nicht neidet, auch wenn er sie selbst schmerzlich entbehren muss. Kein Ehrgeiz, kein Neid und wahre Freundschaft sind die Charakteristika dieses idealen aristokratischen Lebensraums.105 In der Sequenz dieser beiden Briefe, der zuerst erfolgenden scheinbaren Privilegierung des otium aus dem otium heraus und der anschließenden Sehnsucht und persönlichen Privilegierung des otium aus dem negotium heraus, stellt Plinius eindeutig klar, dass er nicht nur den konkurrenz- und neidlosen Raum des otium bevor-
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der Philosophie, und zwar ein sehr schöner: ein öffentliches Amt zu bekleiden, eine gerichtliche Untersuchung zu führen, Urteile zu fällen, die Gerechtigkeit ans Licht bringen und zu üben und in die Praxis umzusetzen, was die Philosophen lehren“). Vgl. Bütler 1970, 56; Leach 2003, 158; Pausch 2004a, 138 f. Zur Rolle der rhetorischen studia siehe unten, Anm. 104. Zur legitimierenden Funktion dieser Bewertung des plinianischen Tuns im negotium, die aus dem Mund eines mit kulturellem Kapital ausgestatteten Philosophen stammt und deshlab glaubwürdig ist, vgl. Flaig 2002, 130. Vgl. Hoffer 1999, 138 f. Zum Konnex literarischer Produkte der studia und daraus erhoffter Unsterblichkeit siehe Plin. epist. 2,10,4; 3,7,14 f.; 3,10,6; 3,21,6; 5,5,4; 9,14. Vgl. zu den studia Bütler 28–39, zur immortalitas ebd. 43; vgl. Hoffer 1999, 41; Pausch 2004a, 60–62. Whitton 2013, 147 f. Plin. epist. 1,10,12: neque enim ego, ut multi, invideo aliis bono, quo ipse careo, sed contra sensum quendam voluptatemque percipio, si ea, quae mihi denegantur, amicis video superesse („Denn ich beneide andere nicht, wie es viele tun, um ein Glück, das mir selbst fehlt, sondern ich empfinde im Gegenteil ein freudiges Gefühl, wenn ich sehe, dass das, was mir verweigert wird, bei den Freunden reichlich vorhanden ist“). Vgl. die Darstellung der Muße in 1,9,4–8.
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zugt, sondern sein Ausüben politischer Ämter willfährige Selbstaufopferung im öffentlichen Interesse darstellt und nichts, aber auch gar nichts mit selbstsüchtiger Ambition zu Geld, Macht und Ruhm gemein hat. Der ideale Senator Plinius wie der ideale Kaiser Trajan nehmen die Bürde der politischen Macht unwillentlich auf sich, wie ein persönliches Opfer für das Wohlergehen des Staates,106 womit sie in bemerkenswerter Art und Weise dem in Platons Politeia konstruierten idealen Staatsmann entsprechen.107 Diese Selbstinszenierung, die aus dem Nexus der übergeordneten, aber lästigen negotia und dem Ideal des zur Selbstvervollkommnung genutzten otium besteht, ist in den Briefen ein ständig präsentes Motiv.108 Erwähnenswert ist im konkreten Zusammenhang mit diesen beiden Briefen, dass ihre eigentliche Abfassungszeit in die Jahre 97 und 98 fällt, also eine Zeit der Transition nicht nur in der plinianischen Vita. Während Plinius im Jahre 97 noch einfacher Prätorier mit gerade hinter sich gebrachtem Dienst als Präfekt der Militärkasse unter Domitian war und momentan den Großteil des Jahres ohne öffentliche Aufgabe unter Nerva verbrachte, versah er im Jahre 98 unter dem Kaiser Trajan das Amt des Präfekten des Staatsschatzes, an das sich direkt das Konsulat anschloss.109 In seiner Zeit ohne Beschäftigung im Dienst der res publica, so berichtet er uns aber erst im 13. Brief des letzten Buches seiner Briefe, klagte er im Frühjahr 97 vor dem Senat den Publicius Certus an. Dies tat er nach eigener Aussage nur, um „nach der Ermordung Domitians […], die Schuldigen zu verfolgen, die Unglücklichen zu rächen und sich selbst einen Namen zu machen.“110 Er hatte Erfolg in seinem noblen Ansinnen und erreichte, dass Certus nicht das Konsulat und im Amt einen Nachfolger erhielt, nämlich ihn selbst.111 Das soeben praktizierte Herausreißen dieser beiden Briefe aus dem Kontext des ersten Briefbuches, das Jahre später als das intratextuelle Datum dieser beiden Briefe zusammengestellt wurde und Verbreitung fand,112 und ihre Einordnung in ihre außertextuelle, scheinbare Entstehungszeit soll den Modus senatorischer Selbstdarstellung etwas verdeutlichen, den Plinius anwendet. Die Erzählung von der heroischen Tat im Brief 9,13, die in einer unsicheren Zeit der Transition stattfand, durchbricht das bis dahin vorherrschende und im ersten Briefbuch bereits 106 Vgl. Plin. paneg. 5–9. bspw. 9,4: malebas quidem hoc esse quod fueras, sed non erat liberum („… wärest du viel lieber das geblieben, was du bisher warst. Doch die Freiheit der Wahl hattest du nicht mehr.“); 86,3; vgl. Hoffer 1999,115, 138 f. 107 Plat. rep. 519e–521b. Vgl. zu dieser Stelle Szlezák 2011, 171 f. 108 Bspw. Plin. epist. 2,8; 3,1,11; 4,23,4; 6,4; 7,15,1; 8,9; 9,35,1; vgl. Bütler 1970, 41 f.; Leach 2003, 149. Von dieser Zurschaustellung der Sehnsucht nach otium lassen sich oben genannte Historiker zu dem Fehlschluss verleiten, dass Plinius das otium dem negotium überordne, vgl. oben, Kap. 3.2, Anm. 80. Vgl. zu den beiden Briefen Plin. epist. 1,9 und 1,10 auch Gibson – Morello 2012, 172–179. 109 Siehe Strobel 1983, 42–44; vgl. oben, Kap. 1.1 sowie dort Anm. 19. 110 Plin. epist. 9,13,2; vgl. oben, Kap. 1.1. 111 Vgl. Syme 1958, 78. 112 Zum Briefdatum des ersten Buches, das einen terminus ante quem darstellt siehe SherwinWhite 1966, 27 f. Zur problematischen Frage der Veröffentlichung seiner Briefsammlung in Teilen, als ganzer und zu welchem Zeitpunkt vgl. ebd. 41–56, vgl. ebenfalls Hoffer 1999, 9 f. mit weiterer Literatur.
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etablierte Narrativ der Zäsur und des sofortigen Zeitenwandels mit dem Tod Domitians.113 Die Inkonsistenz zwischen dem Setting der Briefbücher, ihrem historischen Kontext und dem plinianischen Karriereweg legt offen, dass sich diese neue literarische Gattung weniger als Autobiographie,114 sondern vielmehr als literarisches Selbst-Porträt zu verstehen gibt.115 Abgesehen davon, dass der Begriff der Autobiographie für die antike Literatur anachronistisch anmutet,116 sind die personae (Anwalt, Villenbesitzer, pater familias etc.), in denen Plinius als Briefeschreiber in Erscheinung tritt, in sich äußerst konsistent und entwicklungslos.117 Zwar könnte man bezüglich einiger Briefe narrative Strukturen identifizieren, die sich als Episoden des plinianischen Lebens darstellen ließen,118 aber für eine grundlegende Voraussetzung der Autobiographie, sich zu einer Erzählung des Lebens des sich selbst darstellenden Protagonisten zusammenzufügen, reichen sie bei Weitem nicht aus. Zum einen bleiben viel zu viele Bereiche der plinianischen Lebenswelt im Dunkeln – Abstammung, Herkunft, Erziehung, Bildung, Entwicklung und Aufstieg als Senator, Bewährung in Ämtern.119 Zum anderen erfolgt keine Einbettung des Dargestellten in den aktuellen zeitgenössischen soziopolitischen Aktionsraum: Man erfährt kaum etwas über die frühen Jahre unter Domitian, die domitianische Wende, die Ermordung, die Zeit der Transition, den adventus Trajans, das plinianische Konsulat, Trajans Agieren mit den Senatoren in Rom, die Dakerkriege, den 113 Vgl. die Darstellung der Zeit direkt nach Domitians Tod in Plin. epist. 1,5 (vgl. dazu Ludolph 1997, 142–166, v. a. 142 f. sowie Hoffer 1999, 9, 55–91, v. a. 55 f. und Beutel 2000, 179) und ebd. 1,12 (vgl. Hoffer 1999, 141 f.); vgl. ebenfalls ebd. 2,1,3. Vgl. oben, Kap. 1.3, S. 51–54. 114 Vgl. bspw. Ludolph 1997, 37: „Ja, Plinius kann als der erste Verfasser einer Autobiographie im eigentlichen Sinne gelten.“ Vgl. die ausbalancierte Darstellung bei Gibson – Morello 2012, 10–19, dass es sich bei den Briefen sicherlich nicht um eine Autobiographie handelt, diese aber (bereits schon in der Antike) autobiographisch gelesen werden konnte. Vgl. ebenfalls den Forschungsüberblick bei Beutel 2000, 129–137, sowie die Erkenntnis, dass es sich beim Autobiographischen in den Briefen lediglich um einen Aspekt derselben handelt, ebd. 136 f., dort auch mit weiterer Literatur. Vgl. zur Nähe des literarischen zum plastischen Porträt Plin. epist. 3,10,6, vgl. dazu auch Radicke 1997, 463. Siehe allg. zur Autobiographie im römischen Raum: Chassignet 2003, 65–78; Walter 2003, 36–43; Pausch 2004b, 303–335; Baier 2005, 123–142; Reichel 2005 sowie Marasco 2011. 115 Vgl. Weische 1989, 381, der zwar den Begriff der Autobiographie nicht problematisiert, eigentlich gar nicht aufgreift, aber explizit äußert: „Plinius hat hier angestrebt, was die Sammlungen ciceronischer Briefe objektiv boten: ein Selbstbildnis.“ 116 Vgl. Fuhrmann, Manfred, s. v. Biographie, in: KlP (1979), Sp. 902–904. Vgl. ebenfalls Schweikle, Irmgard, s. v. Autobiographie, in: Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen (1990), 34 f. Vgl. zur Gattungsproblematik der antiken Biographie ebenfalls Pausch 2004a, 42–47. 117 Dies erkennt auch Ludolph 1997, 40, bleibt aber bei seiner Fehleinschätzung der Briefe als Autobiographie; vgl. Weische 1989, 381. Zu den personae, in denen Plinius in der Briefsammlung in Erscheinung tritt vgl. Page 2009, 39 f. 118 Wie beispielsweise die einmalige Darstellung der senatorischen Unsicherheit in der Transitionszeit in Plin. epist. 9,13, vgl. oben, Kap. 1.1. Oder der mehrere Briefe umfassende Fall des Prozesses gegen Varenus, Plin. epist. 5,20; 6,5; 6,13; 7,6; 7,10. 119 Weshalb es bei Strobel 1983, 38 auch heißen kann: „Das wichtigste Dokument für die Ämterlaufbahn des jüngeren Plinius sowie für seine gemeinnützigen Stiftungen in seiner Heimatstadt Comum, dem heutigen Como, stellt die Inschrift CIL V 5262 dar.“
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Umbau des Circus Maximus, das trajanische Bauprogramm etc. In die gleiche Richtung deutet der Umstand, dass häufig durch eine fehlende intratextuelle Datierungsmöglichkeit die Ungewissheit besteht, zu welchem Zeitpunkt ein Brief vorgibt, entstanden zu sein.120 Durch die programmatische Äußerung im ersten Brief der Sammlung, keiner chronologischen Ordnung zu folgen, wird deutlich, dass diese Gegebenheit, von Einzelfällen einmal abgesehen, innerhalb der Briefsammlung keine Rolle spielt.121 Auch der Entstehungsraum der Briefe – kleine literarische Kunstwerke, die in einem persönlichen Kontext an Freunde und Verwandte geschickt werden –, das otium, eignet sich weniger dazu, das Leben ihres Verfassers darzustellen (die plinianische Briefsammlung ist eben keine Autobiographie!), als im Raum absoluter (imaginärer) senatorischer Unabhängigkeit und Freiheit ein authentisches Selbstbild im Medium senatorischer Literatur zu entwerfen. Der Konnex zwischen otium und libertas kommt nicht allein in der mit dem aristokratischen Heterotopos verknüpften Zwanglosigkeit und Selbstbestimmtheit zum Ausdruck, weshalb die Villa und die dort verbrachte Zeit häufig als regnum des Senators bezeichnet werden.122 Er findet seine sinnfällige Verknüpfung auch mit der Herrschaft der neuen Principes Nerva und Trajan. Unter ihrem Vorgänger Domitian war kein otium möglich, da es keine Freiheit gab; nur im Geheimen konnte man seine wahren Ansichten über den Tyrannen äußern und sich selbst dabei nicht sicher sein, dass man ausspioniert wurde und seine Meinung mit dem Tode bezahlen musste – so zumindest die plinianische Darstellung in ihrer Übereinstimmung von Briefen und Panegyrikus.123 Bei Plinius ist die domitianische Herrschaft also durch die Nicht-Existenz des otium gekennzeichnet, ein Merkmal der Tyrannis, dass sich in etwas anderer Nuancierung auch in der Darstellung des taciteischen Agricola wiederfindet. Dort muss sich der militärisch erfolgreiche aus Britannien heimgekehrte Protagonist einem erzwungenen otium desidiosum hingeben, um dem Tyrannen nicht zum Opfer zu 120 Zur Problematik der intratextuellen Datierung der Briefe siehe Sherwin-White 1966, 20–41; ebd. 29 stellt er bezüglich der 20 Briefe des zweiten Buches fest, dass 4 oder 5 von ihnen in die Zeit vor Nervas Tod gehören, aber nur drei sicher trajanischen Datums sind, während 4–5 Briefe besser in die Zeit nach Nerva passten als früher. Dabei bleiben aber noch ca. 7 Briefe ungeklärten Datums aus der Zeit zwischen 96 und 100 übrig. Vgl. ebenfalls Hoffer 1999, 9 f. 121 Plin. epist. 1,1,1: collegi non servato temporis ordine (neque enim historiam componebam) („Ich habe sie gesammelt, ohne eine zeitliche Reihenfolge einzuhalten – denn ich schrieb ja kein Geschichtswerk“). Diese beiden Indizien (und noch einiges andere, vgl. unten, Kap. 3.4), die Beobachtung der häufigen Unmöglichkeit genauer Datierungen als auch die Selbstaussage, sprechen sehr deutlich dafür, dass es sich bei der Briefsammlung eben um keine historia in anderer Form handelt, wie Beutel 2000, 164–171 behauptet. 122 Siehe Plin. epist. 5,6,45 (kein Zwang für die Toga); 7,3,2 (im otium kann man sich wie ein hellenistischer König gebärden und machen, was man möchte); 9,15,1 (Ziel des otium ist, alles nach eigenem Willen zu tun); vgl. Bütler 1970, 44, 53; Schneider 1995, 25–28; Mayer 2005, 211. 123 Plin. epist. 1,12,7 (vgl. Hoffer 1999, 141 f.); 9,13,3 (wo der kaiserlich erzwungene Rückzug sogar freundschaftliche Bande behindert) sowie Plin. paneg. 42,3 u. 68,6 f. (zur Gefahr, im eigenen Haus ausspioniert zu werden). Vgl. zum Kontrast zwischen Trajan und seinem Vorgänger zum einen, was den Panegyrikus betrifft oben, Kap. 2.3, S. 111–115 sowie zum anderen bezüglich der Briefe unten, Kap. 3.5 und 3.6.
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fallen.124 Dieses otium steht in einem klaren Gegensatz zum otium honestum von Plinius unter Nerva und Trajan. Denn eine freie Betätigung im otium wie Arulenus Rusticus und Herennius Senecio sie ergreifen und Schriften über Thrasea Paetus und Helvidius Priscus verfassen, ist unter Domitian nicht möglich. Ihr Agieren im otium als sei dieses ein freies und von Senatoren selbstbestimmtes reizt den Tyrannen und führt in anhaltendem Schrecken, den Agricola selbst nicht mehr miterleben musste, und Schritt für Schritt in die senatorische Schockstarre wie Tacitus sie im Proömium zu dieser Schrift zeichnet: zuerst wird otiöse Tätigkeit bestraft, dann werden die für das otium honestum eines römischen Senators wie Plinius so wichtigen Philosophen ausgewiesen, ne quid usquam honestum occurreret, bis zum Schluss überhaupt kein aristokratisches Leben mehr möglich ist.125 Sowohl Tacitus als auch Plinius konzipieren die Tyrannis also als einen Zustand des Gemeinwesens, in dem das otium als Sphäre aristokratischer libertas nicht existiert. Unter entgegengesetztem Vorzeichen steht das otium bei Cicero, bei dem der erzwungene Rückzug aus dem Raum des negotium und die ihm auferlegte politische Untätigkeit das sicherste Zeichen für die Tyrannenherrschaft Caesars ist, wodurch seine philosophische Betätigung zu einem Akt intellektuellen Widerstands wird, die ihm dazu dient die Illegitimität des caesarianischen Regimes deutlich zu machen.126 Diesem bei Cicero allerdings allein subversiven otium setzten Tacitus und Plinius ein affirmatives Konzept entgegen, in dem die in ihm herrschende senatorische libertas bedeutungsvolle Betätigung abseits von Trägheit und Luxus zulässt und auf diesem Weg auch der res publica zugute kommt, was in ihrer Konzeption unter einem Tyrannen wie Domitian einfach undenkbar gewesen wäre. Unter diesem befindet sich das Gemeinwesen in einem Zustand der Pervertierung, was äußerst augenscheinlich in dem Paradoxon senatus […] ad summum otium zum Ausdruck gebracht wird, da das ursprüngliche, traditionelle Feld des Senats per definitionem die negotia umfasste.127 Das otium ist unter Domitian erzwungenermaßen nur dort vorhanden, wo es in einem römischen Staatswesen nichts zu suchen hat, während es für diejenigen, die es für ihre Selbstvervollkommnung in aristokratischer Lebensweise nutzen würden, aufgrund fehlender libertas und herrschenden Zwangs nicht nur in seiner ehrenvollen Form unerreichbar bleibt. Der Bruch zwischen der domitianischen und der trajanischen Herrschaft, zwischen Zwang und libertas, wobei letztere eben die Voraussetzung für ein ehrenvolles senatorisches otium ist, wird aber nicht allein durch den Inhalt der Briefe generiert. Die Tatsache, dass die frühesten der ‚veröffentlichten‘ Briefe vorgeben in der 124 Tac. Agr. 40,4. 125 Tac. Agr. 2; mit dem Zitat aus ebd. 2,2: „damit nirgends mehr Sittlichgutes begegne.“ Vgl. oben, Kap. 1.3, S.49–51 u. Kap. 1.4, S. 63 f. 126 Siehe Gildenhard 2007, bspw. 59–63, 69 („To sum up: if even a trace of the republic were left, Cicero would not have spent his days doing rhetorical and philosophical exercises […] That he does indicates beyond reasonable doubt: a tyrant reigns in Rome.“), 92 f. 127 Plin. epist. 8,14,8: …cum senatus aut ad otium summum aut ad summum nefas vocaretur, et modo ludibrio, modo dolori retentus numquam seria, tristia saepe censeret (… wenn der Senat entweder zur größten Untätigkeit oder zu schlimmsten Ungerechtigkeiten einberufen wurde und, bald zu seiner Verspottung, bald zu seiner Kränkung versammelt, niemals ernsthafte, oft aber betrübliche Beschlüsse fasste“).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Zeit, direkt nach der Ermordung Domitians geschrieben worden zu sein – die Briefsammlung quasi mit dem Tod des Tyrannen einsetzt – untermauert den Wandel der Zeiten nicht nur performativ, sondern unterstützt auch das Narrativ seines sofortigen Eintretens nach dem Tod des Tyrannen.128 Erst unter den neuen Kaisern ist nicht nur das senatorische otium als aristokratische Lebenssphäre wieder möglich, sondern ebenfalls freie und offene Kommunikation im otium, die im Falle von Plinius darüber hinaus sogar ‚veröffentlicht‘ werden kann. Wie sehr Trajan und die von ihm gewährte libertas mit der Möglichkeit des senatorischen otium verknüpft ist, wird dann sowohl im Panegyrikus als auch in den Briefen thematisiert.129 Diese libertas, die Trajan den Senatoren gewährt, ist die Grundvoraussetzung für das senatorische otium unter seiner Regierung, wie Plinius es repräsentiert, aber auch Tacitus in der Verbreitung seines Agricola bewiesen hat.130 Um also wieder zur inhaltlichen Ausgestaltung des otium durch Plinius zurückzukommen, so wurde bereits vermerkt, dass in den beiden Briefen 1,9 und 1,10 klar zu erkennen ist, dass das otium im plinianischen Lebensentwurf keineswegs als dem negotium hierarchisch übergeordnet betrachtet werden kann. In seiner Charakterisierung in diesen beiden Briefen klingen schon einige Grundkonstanten an, die im Folgenden auch über ihren Inhalt hinaus ausgeführt werden. Der plinianische otium-Diskurs repräsentiert dasselbe als einen idealen konkurrenzfreien Raum aristokratischer Selbstverwirklichung, die im Falle des Plinius in allererster Linie mit dem Begriff der studia einhergeht.131 Im otiösen Tagesablauf des Villenbesitzers begleiten ihn vom Aufstehen am Morgen bis zur cena am Abend die Tätigkeiten des Lesens, respektive Hörens sowie des Schreibens bzw. Diktierens, des Nach- und Überdenkens, des Neuformulierens und Verbesserns.132 Die idyllisch künstliche Naturlandschaft, die sich am einfachsten in dem Begriff der amoenitas verdichten 128 Siehe zu den Datierungen der Briefe des ersten Buches Sherwin-White 1966, 27 f. Vgl. zum sofortigen Wandel auch Whitton 2013, 7 sowie Gibson – Morello 2012, 23–30, dort auch mit der Durchbrechung dieses Narratives im neunten Briefbuch mit dem Brief 9,13. 129 Plin. paneg. 86,1–87,2 (Ein Freund Trajans verweigert sich dem Amt des Prätorianerpräfekten und der Princeps missgönnt diesem nicht den Rückzug in sein otium; als Bsp. für das gefahrlose otium für jeden unter Trajan) und Plin. epist. 3,7,6 f. (Silius Italicus hat sich aus Rom zurückgezogen und nutzt die von Trajan gewährte libertas, um nicht einmal zu dessen adventus nach Rom zu kommen); vgl. ebenfalls ebd. 3,18,6 f.; vgl. dazu Bütler 1970, 140. 130 Vgl. für die enge Verknüpfung von libertas und otium auch Plin. epist. 6,14,1: neque enim mare et litus, sed te, otium, libertatem sequor („Denn nicht Meer und Strand suche ich, sondern Dich und Muße und Unabhängigkeit“). Vgl. oben, Kap. 1.3 zur neuen Zeit unter Trajan und dem Beitrag von Tacitus. 131 Vgl. zum konkurrenzlosen Raum: Plin. epist. 1,9,4–8 u. 1,10,12; vgl. oben, Anm. 90 f. u. 104 f. Der enge Zusammenhang von otium und studia ist in den Briefen quasi omnipräsent; beispielhaft sollen hier die beiden Briefe zum idealen Tagesablauf auf der Villa angeführt werden Plin. epist. 9,36 u. 9,40, aber auch die normativen Anleitungen, in welcher Art und Weise man das senatorische otium am besten für die studia aufzuwenden hat, ebd. 7,9. Vgl. ebenfalls Bütler 1970, 28–41; Mielsch 1987 mit seinem Begriff der „Bildungslandschaft“, welche die Villa darstelle, ebd. 129; Ludolph 1997, 128–131 (zu Plin. epist. 1,3); Förtsch 1993, 16; Page 2009, 51. 132 Vgl. den Tagesablauf des beneidenswerten Alters-otium des Spurinna (Plin. epist. 3,1) mit seinem eigenen (Plin. epist. 9,36); vgl. dazu Leach 2003, 161 und Lefèvre 2009, 242–245; vgl.
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lässt, sowie die Einsamkeit gewährende Abgeschiedenheit im secessus bieten dabei Voraussetzung und Inspiration für eine literarische Produktion, die bei genügender Anstrengung und Sorgfalt den erhofften unsterblichen Nachruhm verspricht.133 Das otium studiosum, wie Plinius es als seine Lebensweise im aristokratischen Heterotopos beschreibt, verlangt dem gebildeten Senator dabei höchsten Einsatz ab, wobei dieser jedoch gleichzeitig Herr über seine Zeit und seine Villa bleibt, sozusagen als absolut unabhängiger Herr über Raum und Zeit der Villeggiatur verfügt bzw. sich als Herrscher in seinem regnum befindet und ganz nach Belieben schaltet und waltet.134 Dass Plinius in diesem Kontext für sich eine relativ rigide Tagesplanung voller Beschäftigungen, die den studia dienen, entwirft, soll die grundsätzliche Differenz und geistige Überlegenheit seines otium honestum gegenüber Entwürfen anderer Villenbesitzer betonen, die eher zu Trägheit und Luxus tendieren und keineswegs ehrenhaft sind. Diese unehrenhaften Villenbesitzer werden allerdings nicht konkretisiert, sondern generisch anonym repräsentiert.135 Es verwundert daher kaum, dass man in den beiden Villenbriefen des Plinius den Eindruck gewinnt, durch leere Räumlichkeiten zu wandeln, da er ihre Ausstattung und Ausschmückung mit keiner Silbe erwähnt. Denn, so legen diese Schilderungen nahe, ein Gebildeter, der sich wahrhaft den Studien gewidmet hat, benötigt solche Dinge nicht nur nicht, sondern er nimmt sie gar nicht erst wahr. Dies gilt auch für seine Beschreibungen von Villen anderer Standesgenossen und verleiht dem plinianischen Leben auf der Villa einen sehr frugalen Anstrich.136 Unterbrochen werden die Studien durch körperliche, die Gesundheit fördernde und geistig rekreative Beschäftigungen wie das Ballspiel, Gymnastikübungen, das Bad, Wagenfahren, Ausritte, Spaziergänge, Jagden und Mahlzeiten, aber auch durch Besuche von Freunden, mit denen man nach dem einfachen Mahl noch gelehrte Unterhaltungen pflegt und die den geselligen Charakter des otium ausmachen.137 All dies dient jedoch hauptsächlich dazu, dem Geist Erho-
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ebenfalls Plin. epist. 4,14,2; 4,23,1; 5,6,45; 9,15; 9,40; vgl. dazu Schneider 1995, 33; vgl. Bütler 1970, 51 f. Vgl. zur amoenitas und der von ihr bereitgestellten Inspiration Plin. epist. 1,9,6; 2,17; 5,6; vgl. Mayer 2005, 210–217 sowie Bütler 1970, 46 und zum unsterblichen Nachruhm ebd. 43; vgl. ebenfalls Ludolph 1997, 62. Vgl. oben, Anm. 122. Plin. epist. 5,5,4: nam, qui voluptatibus dediti quasi in diem vivunt, videndi causas cotidie finiunt („Denn wer sinnlichen Genüssen ergeben gleichsam in den Tag hineinlebt, beendet auch täglich den Zweck seines Lebens“); 9,3,2; vgl. Sherwin-White 1966, 54 f.; Schneider 1995, 33 sowie Leach 2003, 148, 151 f. Vgl. ebenfalls Plin. epist. 2,6 und seine Abgrenzung von Gastgebern, die beim Gastmahl luxuria und Geiz zugleich beweisen, indem sie selbst und erlesene Gäste die teuersten und besten Speisen vorgesetzt bekommen, während Geladene geringeren Status mit Schlechterem abgespeist werden. Eine Verhaltensweise, die zu Plinius’ ahierarchischer Konzeption (mehr dazu siehe unten) von Freundschaft gänzlich im Widerspruch steht. Vgl. im Gegensatz dazu seine alimenta für Comum (siehe oben, Kap. 4.1), die durch die Vergabe von Nahrungsmitteln eine hierarchische Differenzierung der Bevölkerung in seiner Heimatstadt etabliert. Vgl. zur anonymen Kritik auch Mommsen 1869, 32 sowie Bütler 1970, 96 mit Anm. 9. Vgl. Hoffer 1999, 35; Leach 2003, 155; Riggsby 2003, 175 f.; Whitton 2013, 219. Zu den vielfältigen Beschäftigungen vgl. Mielsch 1987, 130 f.; Schneider 1995, 32 f.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
lung zu gönnen, um nach diesen Unterbrechungen nur umso konzentrierter weiter studieren zu können, was zumeist auch für die Freunde gilt, da sie vor allem die gemeinsamen otiösen Interessen, namentlich die der studia, teilen.138 Die studia veredeln also das otium, grenzen es von nach wie vor suspekten Formen der Muße ab, und verbinden es darüber hinaus mit den negotia, da sie hauptsächlich an ihrem praktischen Nutzen ausgerichtet sind.139 In erster Linie ist es das erklärte Ziel, durch die intensive Beschäftigung mit Literatur seine eigene Sprachkompetenz auszubauen und sich als orator weiterzuentwickeln. Die dabei entwickelten Fähigkeiten stehen dann zu ihrer Nutzung im Bereich der negotia bereit, indem sie in Reden vor dem Senat, vor Gerichten oder vor dem Kaiser Anwendung finden. Für einen politisch erfolgreichen, voll ausgebildeten und allgemein anerkannten Redner wie Plinius kann die dabei erfolgende Weiterbildung nur ein Nebeneffekt sein, während der Hauptzweck der studia, „deren ständige Betonung fast zwanghaft wirkt,“140 in der eigenen literarischen Produktion liegt.141 Für Plinius bedeutet das vornehmlich die schriftliche Fixierung und Verbreitung seiner Reden, in welchen er seine rhetorische Versiertheit und sein rednerisches Können beispielhaft unter Beweis stellt; vergleichbar mit der vorbildhaften Darstellung seines otium in seinen Briefen. Dass das literarische Rohmaterial dabei aus dem so mühsamen negotium stammt und durch die erneute Beschäftigung im otium rhetorisch veredelt wird, um auf diesem Weg unter anderem den eigenen Fähigkeiten für das negotium sowie der im negotium wirkenden persona zuträglich zu sein, verdeutlicht noch einmal die das negotium stabilisierende und unterstützende Nebenrolle des otium. Der otiöse Zwischenschritt der literarischen Produktion ist allerdings ein sorgfältiger und arbeitsreicher. Die Reden werden überarbeitet und erweitert, teilweise sogar neu konzipiert, verbessert, Freunden zur Korrektur überlassen, vor Freunden rezitiert und ständig weiter entwickelt und korrigiert.142 Neben der dabei waltenden höchsten Sorgfalt, die man dem oratorischen Produkt angedeihen lässt, tritt an diesem Punkt auch der gesellige Charakter des otium in den Briefen immer wieder zutage.143 Es ist die Interaktion und Kommunikation mit Gleichgesinnten, die die literarische
138 Vgl. unten, Anm. 143 den regen Austausch von Manuskripten zur gegenseitigen Verbesserung. 139 Vgl. Hoffer 1999, 25 sowie Leach 2003, 162: „In sum, Pliny’s investment schedule for otium aims toward the procurement of further negotium with a single-mindedness that many persons would not consider to resemble leisure at all.“ Vgl. ebenfalls Johnson 2010, 52. 140 Mielsch 1987, 129. 141 Vgl. Bütler 1970, 28 f.; Mielsch 1987, 129 betont den überwiegend praktischen Nutzen der literarischen Betätigung im Falle des Plinius. Vgl. dazu ebenfalls Gauly 2008, 193 f. sowie Page 2009, 51. 142 Plin. epist. 7,17,7 u. 9,36,2; 9,40,2. Zum mehrstufigen Redaktionsprozess vor der Verbreitung literarischer Produkte siehe oben, Kap. 2.2. 143 Vgl. die Korrekturarbeit der Freunde an Plinius’ Produkten der studia in Plin. epist. 1,2; 1,8; 3,10; 3,13; 4,14; 5,12; 6,33; 7,2; 7,12; 7,20; 8,3; 8,15; 8,19; 9,4; 9,16; 9,18; 9,25; 9,26, sowie umgekehrt die Korrekturen oder Kommentar zu Bemerkungen der literarischen Werke in Plin. epist. 3,15; 4,20; 7,20; 8,7; 9,35; 9,38 oder auch die plinianischen Rezitationen in Plin. epist. 3,18; 5,3; 5,12; 7,17; 8,21; 9,34; vgl. dazu Bütler 1970, 37–39, 84; Förtsch 1993, 18.
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Produktion des Einzelnen ermöglicht und die bei Weitem nicht auf die Villa beschränkt bleibt; man denke nur an die vielen beschriebenen Rezitationen in der Stadt oder den villae suburbanae in Stadtnähe.144 Der gedankliche Austausch mit den Freunden setzt aber nicht notwendigerweise die Anwesenheit beider Kommunikationspartner voraus, sondern kann auch mithilfe des Mediums Brief erfolgen. 3.4 Ein zweifaches Produkt des otium – die Briefsammlung Die epistolarische Kommunikation mit abwesenden Freunden im otium145 hat Plinius, „soweit […] sie etwas sorgfältiger verfasst“ wurde,146 selbst in Büchern zusammengestellt und verbreitet. So hat man es bei der plinianischen Briefsammlung also mit einer verschriftlichten aristokratischen Kommunikation im otium zu tun, die durch ihre Auswahl, Zusammenstellung und rhetorische Vervollkommnung zu einem Produkt der studia des literarischen otium wurde und ihre Existenz folglich in zweifacher Hinsicht dem senatorischen otium verdankt.147 Am Anfang dieses zweifachen Produkts des plinianischen otium steht ein Brief, der in seiner Funktion als Widmungsbrief nicht nur der gesamten Sammlung vorangestellt ist, sondern zugleich einen Teil des Werkes selbst darstellt, ein Brief unter vielen (insgesamt sind es 247) ist. Dies bedeutet zum einen, dass der Brief nicht nur programmatischen, sondern auch repräsentativen Charakter hat, zum anderen aber auch, dass er in diesen Eigenschaften zwar auf den Rest des Werkes verweist, zugleich aber in interepistolarischer Beziehung zu den anderen Briefen steht, also durchaus noch nicht alles, was es über den Charakter der Briefsammlung zu sagen gibt, dem Rezipienten offenbart.148 144 Plin. epist. 1,13; 3,18; 4,7,2; 4,27; 5,3,7–11; 5,17; 5,21,1; 6,15; 6,17; 6,21; 7,4,7; 7,17; 8,12; 8,21; 9,27; 9,34; vgl. Leach 2003, 158 sowie Johnson 2010, 36. 145 Es gibt im plinianischen Werk keine öffentlichen oder geschäftlichen Briefe; es handelt sich schlicht um seine private Korrespondenz – vgl. Sherwin-White 1966, 41–45. Wenn in diesem Zusammenhang der ein oder andere Brief (Plin. epist. 1,21 oder 9,36) ‚geschäftlichen‘ Inhalts auftaucht, so nur dann, um von Plinius’ Seite aus zu zeigen, dass er auch mit seinen ‚Geschäftspartnern‘ freundschaftlich verbunden ist und auch in der Kommunikation mit diesen seine übliche facilitas an den Tag legt. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass für die Analyse des von Plinius intendierten und vermittelten Selbstbildes in seinen Briefen das zehnte Briefbuch keine Rolle spielt, da es in keinem erkennbaren Bezug zu den neun von Plinius selbst edierten Büchern steht und aller Wahrscheinlichkeit nach postum veröffentlicht wurde. Siehe die ausführliche Diskussion bei Ludolph 1997, 50–55; vgl. Sherwin-White 1966, 9–20. 146 Plin. epist. 1,1,1. 147 Für diese Feststellung ist die Frage, ob es sich bei diesen Briefen um tatsächliche, nachbearbeitete oder gar fiktionale Gebrauchsbriefe handelt (siehe ausführlich mit Forschungsüberblick Ludolph 1997, 13–18), irrelevant, da die außertextuelle Kontextualisierung an der intratextuell entworfenen Kommunikationssituation nichts ändert: Es handelt sich um die ‚halbe‘ (siehe unten) Kommunikation eines Senators mit Freunden im otium; vgl. mit erfreulicher Eindeutigkeit Moreno Soldevila 2012, XXIX. 148 Vgl. Hoffer 1999, 15 f. Auch bei der Analyse des Briefes 1,1 werden die Ergebnisse der Arbeit Hoffers eine maßgebliche Rolle spielen. Siehe zu diesem Brief: Hoffer 1999, 15–27.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit Oft hast Du mich aufgefordert, ich solle die Briefe, soweit ich sie etwas sorgfältiger verfasst hätte, sammeln und veröffentlichen. Ich habe sie gesammelt, ohne eine zeitliche Reihenfolge einzuhalten – denn ich schrieb ja kein Geschichtswerk –, sondern wie mir ein jeder gerade in die Hände kam. Es bleibt zu hoffen, dass Du nicht Reue empfindest über Deinen Rat und ich nicht über meine Nachgiebigkeit. Es wird nämlich so kommen, dass ich die Briefe, die noch unbeachtet daliegen, heraussuche und, wenn ich neue schreibe, sie nicht zurückhalte. Lebe wohl!149
Im ersten Abschnitt stellt Plinius gleich zwei Behauptungen zum einen über die Qualität der Briefe und zum anderen über ihre Auswahl auf, die beide relativ schnell als unzuverlässig oder in ihrem literalen Sinn, eben als nicht korrekt zu erkennen sind. Durch seine Behauptung, er habe für die ‚Veröffentlichung‘ seiner Briefsammlung lediglich „etwas sorgfältiger verfasste“ Briefe „zusammengesammelt“, suggeriert er, es handele sich bei diesen Briefen um einfache und unveränderte Gebrauchsbriefe.150 Damit ist aber die Authentizität der Briefe und diejenige der in ihnen zum Vorschein tretenden personae des Verfassers gewahrt, da es in der Antike keine Poetik für die Produktion einer Sammlung literarischer Kunstbriefe gab, sondern Briefe allgemein als „eine Hälfte eines Gesprächs“ angesehen wurden, das im ‚privaten‘ und freundschaftlich-familiären Kontext geführt wurde, weshalb man sie auch als „Spiegel der Seele“ verstand.151 Die plinianischen Briefe nun halten die Fiktion ihres Gebrauchsbriefcharakters dadurch aufrecht, dass sie sich selbst als Teil einer im otium (also im ‚Privaten‘) stattfindenden und damit authentischen, unabhängigen Kommunikation gerieren und deshalb ursprünglich an einen eigentlichen Adressaten und nicht an den Leser gerichtet sind; an den wenden sie sich in ihrer uneigentlichen Funktion als Sammlung. Die dadurch erzeugte Leserhaltung macht den Rezipienten zum heimlichen Zeugen der plinianischen Korrespondenz, der „dem Freund nur gleichsam über die Schulter“ schaut, was den Wahrheitsgehalt der Briefe sowie die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit all ihrer Inhalte verbürgt.152 Dies führt dann zur Identifikation der beiden divergierenden Instanzen des innerhalb der Texte sich äußernden Briefeschreibers Plinius mit dem für die Zusammenstellung der Sammlung verantwortlichen Autor Plinius, was wiederum die Selbstdarstellung in den Briefen zu einem authentischen Selbstbild der außertextuellen
149 Plin. epist. 1,1: Frequenter hortatus es, ut epistulas, si quas paulo curatius scripsissem, colligerem publicaremque. collegi non servato temporis ordine (neque enim historiam componebam), sed ut quaeque in manus venerat. superest, ut nec te consilii nec me paeniteat obsequii. ita enim fiet, ut eas, quae adhuc neglectae iacent, requiram et si quas addidero, non supprimam. vale. 150 Vgl. Sherwin-White 1966, 3–11; Ludolph 1997, 56; Hoffer 1999, 15. 151 Siehe zu Briefen als einer Hälfte eines Gesprächs: Demetrios de eloc. 223; Cic. fam. 12,30,1; 2,4,1; Sen. epist. 75,1. Zu Briefen als Spiegel der Seele: Demetrios de eloc. 227; Cic. fam. 16,16,2; Sen. epist. 40,1. Vgl. auch Demetrios de eloc. 231 f. zur Freundschaft als Grundsituation, die dem Briefaustausch zugrunde gelegt wird. Vgl. Ludolph 1997, 19, 24–28; Radicke 1997, 466–468; Pausch 2004a, 57–60. 152 Siehe Radicke 1997, 469. Vgl. zum Komplex der Ernsthaftigkeit und Wahrheitserzeugung über den Bezug zum privaten Raum und der dort herrschenden imaginären Freiheit von sozialen Zwängen oben, Kap. 2.4, S. 119–122 sowie Kap. 2.5, S. 130–136.
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Referenz, der historischen Person Plinius macht, wenn man dieser Produktionsästhetik folgen würde.153 Die Entsprechung des im Text vorstrukturierten virtuellen Lesers (grob gesagt: des uneigentlichen Adressaten), als eines gebildeten und vorbildlichen Mitglieds der römischen Reichselite (von munizipalem bis senatorischem Status) und wer sich hierzu zählen mag, mit den eigentlichen Adressaten leistet dieser Suggestion weiteren Vorschub. Denn die reale zeitgenössische Leserschaft wird dadurch selbst zu potentiellen Empfängern und Produzenten einer derartigen Korrespondenz,154 wobei Plinius darauf achtet, ein unabhängiges, authentisches senatorisches Selbstbild mit möglichst hohem Identifikationspotential zu entwerfen, welches im normativen Horizont aristokratischen Selbstverständnisses traditional verankert ist.155 Wenn in diesem Zusammenhang von den eigentlichen Adressaten und der eigentlichen Funktion eines Briefes die Rede ist, so wird darunter dessen Eigenschaft verstanden, Teil einer direkten, wenn auch zeitlich und örtlich aufgeschobenen, Kommunikation zwischen dem Sender und dem Empfänger zu sein; inklusive all der darin liegenden Mitteilungsinhalte des Briefes, wie Intention, Motivation und Narration. Eine uneigentliche Funktion erhält der Brief in dem Moment, wenn er als Teil eines literarischen Werkes ‚veröffentlicht‘ und der eigentliche Adressat um die uneigentliche virtuelle Leserschaft erweitert wird, mit der eine Art Kommunikation nun weniger durch den Brief und dessen Inhalt, sondern vielmehr über oder mithilfe dieser betrieben wird.156 Bemerkenswert an dem ersten Brief der Sammlung ist nun, dass er die große Ausnahme darstellt und sich bei ihm eigentliche und uneigentliche Funktion des Briefes entsprechen: Er stellt die Widmung an Septicius Clarus dar.157 Innerhalb des Briefes divergieren diese beiden Ebenen aber wieder, insofern als der Bericht an Clarus, wie Plinius die Briefe zufällig angeordnet habe, zu einer Behauptung gegenüber dem Leser wird; der zweiten nicht ganz richtigen in diesem Brief. Zwar stimmt es, dass die Briefe keiner strengen chronologischen Anordnung folgen, aber zum einen gehören die Epistel innerhalb eines Buches mehr oder weniger einer bestimmten Zeitspanne an und zum anderen lässt sich die Behauptung einer rein 153 Dass sich dieser Schritt in der wissenschaftlichen Rezeption nicht zuletzt im Rahmen einer diskursanalytischen, historischen Untersuchung verbietet, erklärt sich von selbst. Wichtig ist dies vor allem in der Einzelbriefanalyse und der Unterscheidung von ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Briefebene. Vgl. paradigmatisch zur Bedeutung der Differenzierung von briefeschreibendem Plinius und dem Autor Plinius Radicke 2003, 24 f.; vgl. ebenfalls Ludolph 1997, 30–32, 38–40. 154 Zum Modell des impliziten Lesers siehe ISER 1990, 60–66. Da in anderen Fällen aber auch auf die Terminologie Genettes zurückgegriffen wurde, wird auch im Weiteren vom virtuellen und nicht vom impliziten Leser die Rede sein. Vgl. bezogen auf die Briefe Plinius’ d. Jüngeren Radicke 2003, 32. 155 Vgl. Vogt-Spira 2003, 51; zu der traditionalen Verankerung des entworfenen Selbstbildes vgl. unten, Kap. 3.7, S. 213 f. Zur sozialen und kulturellen Bedeutung der Lesegemeinschaft für die Rezeption von Texten vgl. Johnson 2010, 11 f. 156 Vgl. Ludolph 1997, 26–33; Beutel 2000, 150–154; Radicke 20003, 24; Vgl. zu den Begrifflichkeiten der ‚eigentlichen‘ und ‚uneigentlichen‘ Verwendung von Briefen: Strobel 2007, 166–174, hier 168. 157 Vgl. Ludolph 1997, 99 f.
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zufälligen Reihenfolge anhand interepistolarischer Zusammenhänge (wie zwischen den oben besprochenen Briefen 1,9 und 1,10 zu beobachten) sowie dem Bemühen, eine möglichst abwechslungsreiche Bandbreite an Briefen in einem Buch zusammenzuführen, einfach und schnell von der Hand weisen.158 Die sorglose und zufällige Zusammenführung einzelner Briefe soll zum einen dem Bescheidenheitsgestus des Verfassers zuträglich sein und enthält zum anderen in der Begründung, seine Sammlung sei ja kein Geschichtswerk, zugleich eine programmatische Aussage auf uneigentlicher Ebene. Nicht wegen der in seinen Briefen geschilderten Ereignisse oder historischen Informationen, sondern aufgrund des ästhetischen Genusses, den sie bieten, sollen sie gelesen werden.159 An dieser Stelle konstatiert Plinius implizit einen ersten Unterschied zu den Briefen Ciceros, die, wenn man so will, eine Art Referenzwerk zu der neuen und einmaligen plinianischen literarischen Gattung der Briefsammlung darstellen;160 und weniger die Briefe des Seneca, die in ihrer moralphilosophischen Ausrichtung an einen intratextuellen Adressaten eher einer Hälfte eines philosophischen Dialoges gleichkommen.161 Die Differenz des Briefcorpus des Plinius gegenüber dem Ciceros wiederum liegt nicht allein darin begründet, dass die Briefe Ciceros post mortem ‚ediert‘, also nicht mehr von ihm selbst in ihrer endgültigen Form zusammengestellt wurden, sondern vor allem darin, dass insbesondere die Atticus-Briefe chronologisch geordnet sind und ihre nicht erst postume Rezeption mit einem gewissen Interesse an den historischen Ereignissen im Leben Ciceros und der untergehenden Republik begründet sein konnte.162 Von diesem potentiellen rezeptionsästhetischen Missbrauch grenzt Plinius seine Briefe mit der Bemerkung, „denn ich schrieb ja kein Geschichtswerk,“ sorgfältig ab.163 Darüber hinaus sind die Briefe im 158 Siehe Sherwin-White 1966, 20–22 und vgl. zu den aus den Briefinhalten gewonnenen intratextuellen Datierungen der einzelnen Briefbücher ebd. 27–41; vgl. Ludolph 1997, 57 sowie Hoffer 1999,15. 159 Vgl. auch Plin. epist. 5,8,4: orationi enim et carmini parva gratia, nisi eloquentia est summa: historia quoquo modo scripta delectat. sunt enim homines natura curiosi et quamlibet nuda rerum cognitione capiuntur, ut qui sermunculis etiam fabellisque ducantur („Gerichtsrede und Dichtung finden nur wenig Dank, wenn sie nicht höchste Ausdrucksfähigkeit besitzen. Geschichte aber erfreut, mag sie geschrieben sein, wie sie will. Die Menschen sind nämlich von Natur neugierig und lassen sich durch eine noch so einfache Darstellung der Ereignisse fesseln: ja, auch Klatschgeschichten und Märchen sprechen sie an“). Zu Gerichtsrede und Dichtung könnte man getrost noch die Briefe hinzufügen, bei denen bewusst auf eine chronologische Anordnung verzichtet wurde. Vgl. auch die stilistischen Bemerkungen zum Panegyrikus in Plin. epist. 3,13,2. Vgl. Ludolph 1997, 71–76, 101 f.; Hoffer 1999, 23. 160 Für die sich innerhalb des Spannungsfelds zwischen Nachahmung und Distanzierung konstituierende Bedeutung Ciceros innerhalb der Briefe Plinius’ des Jüngeren vgl. Weische 1989; Riggsby 1995; Riggsby 1998, 75; Vogt-Spira 2003, 59; Page 2009, 56 mit Anm. 86. 161 Siehe Ludolph 1997, 26 mit Anm. 18. 162 Siehe Cic. Att. 16,2,5, wo Cicero auf das wahrscheinlich rein historische Interesse des Cornelius Nepos an seinen Schriften und die daraus sich ergebende Vernachlässigung des aus seiner Sicht Wesentlichen seiner literarischen Produktion zu sprechen kommt; vgl. Hoffer 1999, 23. Ausführlich zum Unterschied der beiden Briefsammlungen von Cicero und Plinius siehe Ludolph 1997, 25–36. 163 Siehe oben, S. 178 mit Anm. 149.
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Gegensatz zu den ciceronischen Kompilationen weder nach Korrespondenten geordnet, noch sind Briefe von anderen in die Sammlung aufgenommen worden.164 Plinius’ Briefe sind rhetorisch anspruchsvolle Miniaturen, die in seiner Sammlung zu einem Gesamtkunstwerk zusammengefügt wurden.165 Dies spiegelt sich in dem wohlausgewogenen Inhalt der Briefe wider, die in aller Regel an einem Thema orientiert sind und dieses sozusagen abhandeln, sowie an deren abwechslungsreicher Zusammenstellung innerhalb des Corpus.166 Die größte plinianische Suggestion, die von der Behauptung ausgelöst wird, es seien zufällig einige sorgfältiger geschriebene Briefe ausgewählt worden, ist die, dass keiner seiner Briefe aus der Sammlung habe ausgelassen oder umgeschrieben werden müssen; mithin, dass seine Briefsammlung, wenn auch nicht in absoluter Anzahl so doch qualitativ, seine gesamte Korrespondenz umfasst.167 Anders gesagt: So schreibt Plinius seine privaten Briefe, immer, egal an wen. Er äußert somit keinerlei Bedenken über die von den Briefen offen gelegte eigene Privatsphäre oder die seiner Freunde, die also in keinem Punkt der Geheimhaltung unterliegt. Ein zweiter Punkt, der sein Werk von den ciceronischen Briefen deutlich unterscheidet, da dieser sich um die Geheimhaltung des Inhalts seiner Korrespondenz mit seinen Freunden immer wieder überaus besorgt zeigt.168 Diese Sorge Ciceros wiederum hängt mit der dritten Differenz der beiden Briefsammlungen zusammen, insofern als sich Plinius im Gegensatz zu Cicero nicht um die mögliche politische Brisanz seiner Briefe sorgen muss.169 Diese Tatsache hat natürlich zwei Gründe: Erstens thematisiert Plinius zum einen äußerst selten politische Ereignisse seiner Zeit und schweigt sich in der Regel (zur einzigen Ausnahme siehe oben zu Brief 1,10) über seine senatorische persona als Amtsinhaber aus. Zum anderen schreibt und kommuniziert er global gesehen mithilfe der persona des Senators im otium, diesem spezifischen aristokratischen Heterotopos, in dessen Kontext die Briefe selbst nicht nur entstehen, sondern auch rezipiert werden.170 Damit scheidet ein zeitpolitisches Interesse als Motivation, seine Briefe zu lesen, eher aus und wiederum ist es die 164 Vgl. Whitton 2013, 2 f. 165 In diesem Zusammenhang können auch seine Klagen über den Mangel an erzählenswerten politischen Ereignissen in seiner Zeit gesehen werden (Plin. epist. 3,20,10; 9,2,2–3). Denn wenn unter diesen Umständen seine 247 Briefe es dennoch wert sind gelesen zu werden, dann kann das nicht auf den in ihnen erzählten Ereignissen beruhen, sondern allein auf ihrer literarischen Qualität. Siehe Hoffer 1999, 23. 166 Vgl. Sherwin-White 1966, 3–11 zur rhetorischen Komposition der Briefe und ebd. 21 f., 50 zum Anordnungsprinzip der variatio; vgl. Ludolph 1997, 56–59; vgl. Radicke 1997, 464 f. 167 Siehe Ludolph 1997, 102; Hoffer 1999, 23; vgl. oben, Anm. 150. Vgl. Cic. fam. 15,21,4 und seine Differenzierung zwischen ‚privaten‘ und zur Veröffentlichung vorgesehenen Briefe; vgl. Ludolph 1997, 28. 168 Cic. Att. 10,11,1; 10,18,1 f.; 11,4a; siehe Hoffer 1999, 23 f. 169 Vgl. Hoffer 1999, 23 f.; zum Mangel an politischen Inhalten Lefèvre 2003, v. a. 194 sowie Lefèvre 2009, 97, woraus häufig der Mangel an politischen Betätigungsmöglichkeiten geschlossen wird, vgl. oben, Kap. 3.2, S. 162–164 mit Anm. 79 f. 170 So sind dienstliche Verpflichtungen und notwendige Beschäftigungen ein Hindernisgrund sowohl für die Produktion als auch die Rezeption von Briefen, wobei für letztere gewisse Räume wie das Militärlager überhaupt nicht zu taugen scheinen, siehe Plin. epist. 9,2.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
plinianische Redner-Fähigkeit, die in den Vordergrund rückt.171 Zweitens nutzt er für seine Kritik am senatorischen Verhalten seiner Zeit in der Regel entweder bereits sozial desintegrierte Akteure, mithin die gleichen Figuren wie Tacitus in seinem Agricola,172 oder anonymisiert die Vorwürfe, so dass sie keinem bestimmten Zeitgenossen zugeschrieben werden können;173 die große Ausnahme dabei stellt der Senator Regulus dar, auf den erst im Zusammenhang mit der plinianischen Oppositionsrolle näher eingegangen werden soll.174 Aus der Charakterisierung seiner Briefsammlung durch Plinius als eine Zusammenstellung rhetorisch-ästhetischer Miniaturen in Abgrenzung zu einem Geschichtswerk, die ein Nebenprodukt seiner Kommunikation im otium darstellt und deren Auswahl zufällig erfolgte und bedenkenlos ‚veröffentlicht‘ werden kann, da seine ‚private‘ Kommunikation weder politische Brisanz in sich birgt, noch charakterliche Schwächen seiner Person oder der seiner Freunde entbergen könnte, schließt Stanley Hoffer: „Pliny himself, however, presents his letters as the authentic record of an ideal person in an ideal time, in which neither agonizing decisions nor regrets ever arise. Pliny’s optimistic, regret-free persona implies praise of the new emperors, under whom this ideal life is possible.“175 Es ist vor diesem Hintergrund nicht als Zufall zu werten, dass die Briefe nach ihrem impliziten Datum mitten in der Zeit einsetzen, in der Plinius den Status des Prätoriers inne hat (also zwischen seinen beiden Präfekturen der Militärkasse und des Staatsschatzes) und so mit ihrem Beginn das Ende der Ära Domitians markieren.176 Wendet man sich von der Charakterisierung der Briefsammlung als solcher in diesem ersten (Widmungs-)Brief ab und fokussiert auf die Inszenierung der persona des Autors, fallen zunächst die Besonderheiten auf, mit denen der Verfasser den topischen und erwarteten Bescheidenheitsgestus konstruiert. In diesem kombiniert er nämlich geschickt die eigene, angebliche Unsicherheit über die literarische Qualität seiner Briefe mit der hohen Meinung seines literarischen Patrons, des Adressaten, der ihn zu ihrer ‚Veröffentlichung‘ aufgefordert habe, dessen Überzeugung sich gleich zu Beginn des Briefes in der „häufig“ (frequenter) erfolgenden Aufforderung manifestiert. Seine eigene Unsicherheit drückt er dann in einem Konditional aus, der mit einem durch paulo verstärkten als Diminutiv eingesetzten Komparativ curiatius dieses Lob aus der eigenen Perspektive abschwächt.177 171 Vgl. oben, Anm. 159–163. 172 Vgl. Tac. Agr. 45,1 mit Plin. epist. 7,33,4–8 (Beabius Massa); 1,5,3; 7,27,14 (Mettius Carus); 4,22,5 f. (Catullus Messalinus). Vgl. oben, Kap. 1.5, S. 65–68. 173 Siehe oben, Kap. 3.3, S. 175 mit Anm. 135. 174 Siehe unten, Kap. 3.5; vgl. Sherwin-White 1966, 54 f.; Ludolph 1997, 142–166 sowie Hoffer 1999, 55–91. 175 Hoffer 1999, 24. 176 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 172–174. 177 Vgl. Ludolph 1997, 100 zur Aufforderung des Verfassers zur Veröffentlichung durch andere als wesentlichem Bestandteil der Exordialtopik, sowie ebd. 105 f. zur übersteigerten Bescheidenheit des Plinius, in welcher er die literarische Qualität seiner Briefe anzweifelt und damit seinen schriftstellerischen Anspruch nur umso deutlicher formuliert. Vgl. ebenfalls Hoffer 1999, 20 f.
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation
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Gleichzeitig nutzt er aber diese Verknüpfung von Lob und Aufforderung sowie Bescheidenheit und Zweifel über die literarische Qualität seiner Briefe dazu, der virtuellen Leserschaft zu verdeutlichen, dass es sich bei dieser Briefsammlung um eine Zusammenstellung rhetorischer Kunstwerke en miniature handelt. Der anschließende Topos des widerstrebenden Gehorsams, welchen der Verfasser gegenüber dem Adressaten der Dedikation und dessen consilium an den Tag legt und der letztendlich für die Verbreitung des Werkes verantwortlich zeichnet, gehört ebenfalls dem Bescheidenheitsgestus des Autors an und ist in der Antike weit verbreitet.178 Neu und wohl einmalig, soweit man das überblicken kann, ist hingegen die Verwendung des Begriffes obsequium in diesem Zusammenhang.179 Die in dieser rhetorischen Figur in dem plinianischen Brief repräsentierte Disposition – der Gehorsam, gegenüber einer höheren Autorität eine bestimmte soziale Rolle mit der dazugehörigen Verantwortung (und dem entsprechenden Status und/oder Prestige) einzunehmen (in diesem Zusammenhang diejenige des Verfassers) – entspricht dem im Panegyrikus Trajan zugeschriebenen Habitus der recusatio.180 Wie Trajan durch die Notlage der res publica und sein dreifaches obsequium gegenüber Nerva („als Bürger gegenüber dem Princeps, als General gegenüber dem obersten Feldherrn, als Sohn gegenüber dem Vater“)181 zur ungewollten Aufgabe der Herrschaftsübernahme genötigt wurde, genauso ungern verzichtet Plinius auf sein otium zugunsten der Gemeinschaft und versieht also ebenso unwillig und gezwungenermaßen die höchsten Ämter der res publica für das Gemeinwohl.182 Die gleiche Zurückhaltung übt Plinius nun im Kernbereich des negotium, wenn er als Konsul vor Princeps und Senat die Funktion des Lobredners auf der Grundlage eines Senatsbeschlusses, dem er zu gehorchen hat,183 übernimmt, wie auch im Kontext des otium, da nur die häufigen Aufforderungen des Septicius Clarus ihn dazu bewegen können, seine rhetorischen Fähigkeiten, die in seinen glänzend verfassten Briefen zum Ausdruck kommen, durch die Zusammenstellung und Verbreitung derselben einem weiteren Kreis zugänglich zu machen. Mit dem Topos des widerstrebenden Gehorsams und der vorhergehenden Abschwächung des Lobes schiebt Plinius aber auch die Verantwortung für das Werk an den literarischen Patron ab, den er jedoch zugleich maßgeblich am Verdienst beteiligt, wenn seine Briefsammlung erfolgreich sein sollte.184 Dass dieser erhoffte oder vom Adressaten erwartete Erfolg ausbleiben könnte, findet in der Möglichkeit des Bereuens seinen Ausdruck. Doch wird diese Angst sogleich mit der optimistisch angekündigten weiteren Briefveröffentlichung im Futur des nächsten Satzes verworfen. Keiner von beiden, weder der Auffordernde noch 178 179 180 181
Vgl. Janson 1964, 18–22 sowie White 1993, 64–78. Vgl. Hoffer 1999, 20 mit Anm. 15; Vgl. Janson 1964, 119. Vgl. Hoffer 1999, 20 Anm. 14. Plin. paneg. 9,4: obsequereris principi civis, legatus imperatori, filius patri. vgl. ebd. 9,3 paruisti enim, Caesar, et ad principatum obsequio pervenisti („Wahrlich, Caesar, du warst ein folgsamer Soldat, und durch Gehorsam bist du zum Principat gekommen“). 182 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 169 f. und die vorhergehende Analyse der Briefe Plin. epist. 1,9 u. 1,10. 183 Plin. paneg. 4,1: sed parendum est senatus consulto („Nun verlangt aber ein Beschluss des Senats meinen Gehorsam“). 184 Vgl. Ludolph 1997, 100–103; Hoffer 1999, 21 f.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
der Gehorchende, werden etwas zu bereuen haben, weder in Bezug auf dieses literarische Experiment, noch wegen des Inhalts der Briefe. Denn beide haben sich in ihrer Eigenschaft als vorbildliche und ideale Vertreter ihres Standes keine ihrer Handlungen vorzuwerfen. Der im Futur ausgedrückte Optimismus muss aber nicht ausschließlich als Lob auf den Kaiser und Zuversicht in dessen gute Herrschaft gelesen werden, sondern lässt sich ebenfalls als Garant für die Permanenz der plinianischen Vorbildhaftigkeit verstehen: insofern als auch seine zukünftige Kommunikation im senatorischen otium unabhängig davon, unter welchem Kaiser sie erfolgt, solange dieser die für ein angemessenes otium notwendige libertas gewährt, Zeugnis von seinen rhetorischen Fähigkeiten und seinem vorbildlichen senatorischen Verhalten ablegen wird und deshalb auch in Zukunft seine Briefe ‚unzensiert‘ wird ‚veröffentlichen‘ können.185 Ist damit das Ende des Briefes erreicht, blieb bis hierher noch eines der bedeutendsten Elemente von Briefen, das normalerweise zu Beginn eines jeden solchen steht, ohne Beachtung: der Adressat. Derjenige, dem Plinius sein erstes Briefbuch widmet – und dadurch, dass die anderen Briefbücher keinen Widmungsbrief besitzen, indirekt auch seine gesamte Sammlung –, findet seine außertextuelle Referenz in dem römischen Ritter Septicius Clarus, dessen Karriere zum größten Teil im Dunkeln liegt. Bekannt ist aber, dass er in der Zeit von 119 bis 122 n. Chr. Prätorianerpräfekt Hadrians war und dass ein anderer Verfasser ihm ebenfalls ein Werk gewidmet hat; nämlich Sueton seine Kaiserviten.186 Die Wahl eines Ritters, der aufgrund seiner Standeszugehörigkeit, aber zu diesem Zeitpunkt auch sicherlich aufgrund seiner geringeren Kaisernähe, dem erfolgreichen Konsular Plinius hierarchisch untergeordnet war, ist mehr als nur die Vermeidungsstrategie, andere Senatoren mit der Bevorzugung eines ihrer Standesgenossen zu beleidigen.187 Plinius belegt mit dieser Wahl eindrücklich, dass er an der Spitze der römischen Gesellschaft steht und es nicht nötig hat, nach oben zu schmeicheln.188 Gleichzeitig nutzt er diesen Umstand für die Zurschaustellung der idealen Freundschaft, die beide verbindet. Ohne Rücksicht auf den untergeordneten Status des Empfängers widmet er ihm nicht nur seine Briefsammlung, sondern dreht die Hierarchie zwischen ihnen im Brief selbst sogar um, indem Clarus zum literarischen Patron des Plinus wird.189 Damit wird auch die hierarchisch unsegmentierte, auf Gleichheit basierende Reziprozität der Freundschaft der beiden verdeutlicht, da Clarus es ist, der Plinius Zuspruch gibt, an die literarische Ästhetik seiner Briefe 185 Vgl. Hoffer 1999, 26 f. 186 Zu Septicius Clarus vgl. PIR2 S 411; Syme 1958, 779; Sherwin-White 1966, 85; Hoffer 1999, 17. 187 So der Vorschlag von Sherwin-White 1966, 85. 188 Siehe Hoffer 1999, 17–19, der allerdings die spätere hohe Stellung des Clarus unter Hadrian und die seiner Verwandten in der Spätzeit Trajans zu sehr betont. Denn wenn der mögliche Vorteil einer Widmung an Clarus offensichtlich gewesen wäre, würde dies der wesentlich plausibleren rhetorischen Strategie, seine eigene hohe Stellung in Szene zu setzen, zuwiderlaufen. 189 Vgl. Hoffer 1999, 15 f., 20.
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation
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glaubt und ihn zur ‚Veröffentlichung‘ derselben animiert. Die große Intimität zwischen diesen beiden, die sich ja auch darin zeigt, dass Clarus ein wohl nicht unbeträchtlicher Teil der plinianischen Korrespondenz bekannt ist, wird dann erst 14 Briefe später vollends entfaltet, wenn Plinius ihn kolloquial mit heus tu (also: „He, Du da!“) anspricht und ihm in gespielter Verärgerung einen Rechtsstreit androht, weil er Plinius bei dessen frugalem Abendessen hat sitzenlassen.190 In diesem Brief, der bei Weitem den informellsten und intimsten des ersten Buches darstellt, wird weniger das Verhalten des Clarus kritisiert, als dessen grundsätzliche Übereinstimmung mit den plinianischen Vorstellungen eines standesgemäßen Abendessens gelobt. Ein solches besteht nämlich aus: Salat, drei Weinbergschnecken für jeden, zwei Eiern, Speltgraupen mit Honigwein und Eis, Oliven, Mangoldwurzeln, Gurken, Zwiebeln und tausend anderen Köstlichkeiten sowie sich anschließender gebildeter Unterhaltung.191 Dabei wird neben der von beiden geteilten frugalitas, ihrem Interesse an gemeinsamer Geselligkeit und gebildeter Unterhaltung, vor allem die Intimität ihrer Freundschaft dargestellt, indem Clarus es sich gegenüber Plinus erlauben kann, diesen zu verärgern und Plinius wiederum von Clarus erwarten darf, dass er es ihm nicht übel nimmt, wenn ihm diese Verärgerung in einem ‚veröffentlichten‘ Brief vorgehalten und er in gespielter Empörung zu einer Aufwandsentschädigung aufgefordert wird.192 Diese ideale Freundschaft mit Clarus steht repräsentativ für alle Freundschaften dieser Briefsammlung, in der jeder Brief an einen Freund gerichtet und die damit sozusagen ein Buch der idealen Freundschaften ist.193 Die Idealität besteht in ihren Grundkomponenten aus den gemeinschaftlich geteilten Werten und Interessen ohne hierarchische Differenzierung, die gleichrangige Kommunikation im Austausch von Briefen, aber auch der gegenseitigen Förderung und dem Erweisen freundschaftlicher Gefälligkeiten.194 Dabei spielt nicht zuletzt das Feld der studia eine große Rolle. Denn man motiviert sich gegenseitig zur Beschäftigung mit diesen, berichtet einander, woran man gerade arbeitet, fordert sich gegenseitig zur literarischen Produktion auf oder ermuntert zur ‚Veröffentlichung‘ vollendeter Werke und lässt sich gegenseitig Schriften zur Korrektur und Einsichtnahme zukommen.195 Die freundschaftlich epistolarische Korrespondenz als solche, in der per definitonem die Rollen von Adressat und Empfänger wechseln und man im wörtlichen Sinne den Austausch von Briefen betreibt, ist eigentlich die perfekte Verdichtung 190 Plin. epist. 1,15. Vgl. Hoffer 1999, 26; wie oben angemerkt, ermöglicht der Status des Widmungsbriefes als Bestandteil der Briefsammlung (und nicht als Paratext; vgl. zu diesem Begriff Genette 1993, 11–13; vgl. Schweikle, Irmgard, s. v. Paratext, in: Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen (1990), 342) auf gleicher Ebene zusätzliche Informationen zu dem engen freundschaftlichen Verhältnis von Verfasser und Widmungsempfänger nachzureichen. 191 Plin. epist. 1,15,2–4. 192 Vgl. Hoffer 1999, 19 f., 26. 193 Vgl. Hoffer 1999, 10: „Pliny’s letters are above all an ideal record of friendship.“ Vgl. Sherwin-White 1966, 69; Bütler 1970, 94; Radicke 1997, 468; Lefèvre 2009, 302. 194 Vgl. Bütler 1970, 37, 39, 84, 94–106; vgl. Hoffer 1999,11. 195 Siehe oben, Kap. 3.3, Anm. 131 sowie Anm. 143.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
eines derartigen Zirkels der idealen Freundschaft. Aber die Briefsammlung des Plinius ist nur eine halbe, sozusagen eine abgebrochene Kommunikation, da nur Plinius selbst direkt zu Wort kommt, nur die von ihm an die Adressaten verfassten Briefe Aufnahme finden.196 Die Figur des Plinius also ist es, auf die der Fokus dieser Sammlung gerichtet ist, Clarus und all die anderen Adressaten sind mehr oder weniger auf ihre Funktion als Reflektorfiguren für die plinianische Selbstdarstellung reduziert, d. h. sie haben innerhalb der Sammlung weniger einen Eigenwert als Adressaten, als dass sie in ihrer Charakterisierung, ihrer sozialen Stellung, ihren Vorlieben, ihren Tugenden etc. eher ein Licht auf den mit ihnen freundschaftlich verbundenen Briefeschreiber werfen.197 Insofern ist es auch kaum verwunderlich, dass in der otiösen und damit durch Freiwilligkeit und Unabhängigkeit gekennzeichneten Korrespondenz des vorbildlichen Senators die wahrhaft vorbildlichen Vertreter der römischen Reichselite versammelt sind.198 Man mag sich zuweilen wundern, wie sehr sich doch der gesamte Freundeszirkel des Plinius durch seine Vorbildhaftigkeit auszeichnet, kann daraus aber schließen, dass nicht nur diese Freunde, sondern auch Plinius selbst ein vorbildlicher Senator ist, der sich ähnlich wie ein idealer Princeps nur mit idealen Ratgebern und Freunden umgibt.199 Dabei ist der virtuelle Leser aus diesem Kreis mustergültiger Vertreter der römischen Reichselite nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Gegenteil: Dadurch, dass die eigentlichen Adressaten vorwiegend als Reflektorfiguren und Stellvertreter dienen, kann er sich durch die Identifizierung mit diesen, mit ihren Interessen und Werten 196 Vgl. Hoffer 1999, 22. Zur Freundschaft als grundlegender Situation für den Austausch von Briefen vgl. Demetrios de eloc. 231 f.; vgl. Radicke 1997, 468 f. 197 Vgl. Hoffer 1999, 44; Whitton 2013, 4; vgl. ebenfalls Ludolph 1997, 40; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Strategie des BIRGing, des „Basking in Reflected Glory“ (nach Mummendey 1990, 158), als Teil der Selbstdarstellung, nach dem man den Erfolg, die Beliebtheit, die Prominenz oder eben auch die Vorbildlichkeit einer Person dazu nutzt, an eben diesen Eigenschaften teilzuhaben, siehe Ludolph 1997, 157 mit Anm. 182. Dies entspricht Plinius’ Assertion, dass, wer gute Charaktereigenschaften eines anderen zu erkennen und zu würdigen weiß, ebenfalls einen guten Charakter besitzen muss. Siehe dazu Plin. epist. 1,17,3 scias ipsum plurimis virtutibus abundare, qui alienas sic amat („Du weißt wohl auch, dass, wer fremde Tugenden so schätzt, selbst zahlreiche Vorzüge besitzt“). Vgl. zu dieser Strategie der Selbstdarstellung über das Lob anderer Plut. mor. 539A–547F sowie Quint. inst. 11,1,15–38; vgl. Radicke 2003, 27 f. zu Plin. epist. 4,28 sowie Gauly 2008, 191. 198 Vgl. Bütler 1970, 96, 98; vgl. ebenfalls ebd. 147: „Es muss nämlich erstaunen, wie viele vorzügliche und verschwenderisch mit lobenden Epitheta belegte Männer und Frauen in Plinius’ Briefen am Leser vorüberziehen, während andererseits die licentia temporum beklagt und die vitia der anonymen Masse gegeißelt werden.“ Vgl. Hoffer 1999, 16 f. 199 Siehe Plin. paneg 45,3: tu amicos ex optimis , et hercule aequum est esse eos carissimos bono principi, qui invisissimi malo fuerint („Du aber nimmst dir deine Freunde aus dem Kreis der Besten, und es ist wahrlich nur gerecht, dass einem guten Princeps diejenigen Männer die liebsten sind, die einem schlechten die verhasstesten waren“). Ja, unter einem schlechten Princeps gibt es so etwas wie Freundschaft zwischen Kaiser und Senatoren gar nicht, ebd. 42,3 f. Freundschaft mit dem Princeps beruht auf Gut-Sein und bringt Ämter und Ehren ein, ebd. 44,7 und die Sorge des Princeps für seine Freunde und die Achtung vor ihren Entscheidungen führen auch dazu, dass man als Freund des Princeps auch ein von diesem angetragenes Amt ausschlagen kann, ebd. 86. Vgl. Hoffer 1999, 7 „the good name for patronage is ‚friendship‘; the bad name is ‚factionalism‘ or ‚favoritism‘.“
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation
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als eigentlichen Teil dieser plinianischen Welt verstehen.200 Der reale Rezipient kann sich in der Selbstzuschreibung der Rolle des virtuellen Lesers sozusagen zum epistolarischen Freund des Plinius im Geiste machen201 und gehört, durch seine Affirmation der vorgelebten und zugeschriebenen Rollen, selbst dem Kreis vorbildlicher Reichsaristokraten an. Zum Identifikationspotential der Reflektorfiguren trägt auch der Umstand bei, dass es sich bei den eigentlichen Adressaten der plinianischen Korrespondenz zum größten Teil um relativ unbekannte Senatoren, Ritter oder Mitglieder der munizipalen Elite aus Norditalien handelt.202 Dies hat zur Konsequenz, dass es meistens Plinius ist, der in der freundschaftlichen Kommunikation auf seine sozial übergeordnete Stellung verzichtet und somit seine facilitas und benignitas im Umgang mit sozial Tieferstehenden unter Beweis stellt; wie schon in der Wahl eines Ritters als Widmungsempfänger wird damit dem Rezipienten der hohe soziale Status des mustergültigen Briefeschreibers vor Augen geführt.203 In diesen Kreis relativ unbekannter Adressaten werden aber immer wieder Briefe an äußerst illustre Persönlichkeiten eingestreut, die in allernächster Kaisernähe stehen,204 denen Plinius allerdings mit demselben Gestus der Gleichrangigkeit begegnet, durch den auch seine Kommunikation mit den gesellschaftlich unter ihm Stehenden gekennzeichnet ist. Auf diese Weise kann er nonchalant seine Intimität mit den Spitzen des Reiches präsentieren und über seine Vertrautheit mit ihnen einen nahezu gleichrangigen Status für sich beanspruchen.205 Dies wirkt umso plausibler und überzeugender, als diese hochrangigen Adressaten nur einen Bruchteil der gesammelten Korrespondenz ausmachen und die spärlich eingestreuten Briefe an sie einen natürlichen, ungezwungenen und (wie bei allen anderen Briefen auch) freundschaftlichen Kontakt suggerieren.
200 Vgl. zum Aspekt der Rezeptionsästhetik auch Radicke 2003, 32 f. 201 Eine Technik der Rezeptionsästhetik, welche zuweilen leider auch von modernen Forschern betrieben wird, die sich zu sehr mit ihrem Gegenstand identifizieren und sich selbst der Person des Plinius gegenüber als ‚wohlgesonnen‘ bezeichnen; bspw. Lefèvre 2009, passim z. B. 18 f. mit der ihn selbst bezeichnenden Zuschreibung als „Plinius-Freund“ oder ebd. 75, die Unterscheidung zwischen „wohl-„ und „übelmeinenden“ Interpreten des Briefes 9,13, für dessen „gerechte Würdigung“ er appelliert. 202 Siehe Sherwin-White 1966, 65–69, für den diese Zusammensetzung der Korrespondenten den genuinen Zirkel von Plinius’ Freunden umreißt, ebd. 69; siehe ebenfalls Syme 1979, 696 sowie Syme 1988, 460, dem es gelingt, anhand der mutmaßlichen Herkunft der eigentlichen Adressaten ein in Norditalien gelegenes „Pliny country“ auszumachen; vgl. ebenfalls Gasser 1999, 187 sowie Krieckhaus 2006, 37. 203 Vgl. oben, S. 184 f. 204 Siehe bspw. die Briefe an L. Iulius Ursus Servianus (Plin. epist. 3,17; 6,26), an T. Vestricius Spurinna (ebd. 3,10; 5,17) sowie an eine der Führungsgestalten der trajanischen Herrschaft schlechthin, L. Licinius Sura (ebd. 4,30), aber auch der ab epistulis Cn. Titinius Capito (ebd. 5,8) sowie der juristische Berater Titius Aristo (ebd. 5,3; 8,14); vgl. Sherwin-White 1966, 66 f. sowie Page 2009, 49. 205 Vgl. Hoffer 1999, 17 mit Anm. 5. Die gleiche Strategie im literarischen Feld verwendet Plinius in der Darstellung seiner Beziehung zu Tacitus, siehe Ludolph 1997, 80–82; vgl. Bütler 1970, 35.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Während die Funktion dieser Reflektorfiguren also vorrangig darin zu sehen ist, den sozialen Status des homme de lettres zu verdeutlichen, leistet eine andere Gruppe die generationenübergreifende Konzeption des Werkes. Diese besteht aus jungen Senatoren, die Plinius zumindest nach seinem Selbstbild in den Briefen protegiert, für die er ein nachahmenswertes Vorbild darstellt, und die sogar zu den zukünftigen Größen der ausgehenden trajanischen und beginnenden hadrianischen Herrschaft zu zählen sind – ein Umstand, den Plinius selbst aber nicht mehr erleben durfte. Wie sehr sich in diesen aufstrebenden Jungsenatoren die patronale Potenz Plinius’ oder seine providentia für zukünftig erfolgreiche Senatoren und die Gunst des Kaisers widerspiegelt, mag dahingestellt bleiben.206 Festzuhalten ist, dass diese junge Riege den Entwurf des virtuellen Lesers um die nachfolgende Generation erweitert und zur Etablierung des plinianischen Selbstbildes als dauerhaftes senatorisches exemplum beiträgt – wodurch auch die zukünftige Rezeption des Werkes sichergestellt werden soll.207 Die Berücksichtigung weiterer Mitglieder des plinianischen Freundeskreises leitet nun über zum nächsten Kapitel dieser Arbeit, in dem es um die Repräsentation zeitgenössischer politischer Diskurse im Briefkorpus gehen soll, da sie zu den Oppositionellen oder besser zu den Opfern der domitianischen Herrschaft gehören oder überlebende Verwandte derselben sind.208 Zwar wäre es für die aristokratische Selbstdarstellung ebenfalls aufschlussreich zu beobachten, wie Plinius sich in den zeitgenössischen Diskurs der studia einschreibt, welche philosophischen Diskurse er aufgreift oder entlang welcher aristokratischer Netzwerke er agiert, aber wesentlich signifikanter bezüglich der Beziehung von senatorischer Literatur und Politik sowie der aristokratischen Selbstverortung im politischen System der trajanischen Zeit ist die Frage nach den plinianischen Strategien der Adaption aktueller soziopolitischer Diskurse. Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werden im Folgenden die Aspekte des Widerstandes gegen Domitian, die Affirmation des trajanischen Prinzipats sowie die stark an der senatorischen persona Trajans ausgerichtete Konzeption des plinianischen Selbstbildes innerhalb der Briefsammlung analysiert.
206 Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im ersten Briefbuch viele zukünftige Führungspersönlichkeiten präsent sind, konstatiert Hoffer 1999, 17 f. sicherlich zu Recht, dass dies eher als ein Zeichen urteilsfähigen Edierens in späteren Jahren denn als bewundernswerte Voraussicht seitens Plinius zu bewerten sei. 207 Vgl. Bütler 1970, 95. Vgl. ebenfalls den Reflex Plinius’ auf die Funktion seiner Schriften als Lehrstoff für angehende Senatoren und Redner, Plin. epist. 8,13. Dabei projiziert er die Rolle des exemplum ganz im Sinne seiner modestia jedoch auf den Vater des Briefempfängers, wobei natürlich aber auch seine eigene Vorbildfunktion als Gegenstand der studia zum Tragen kommt. 208 Allerdings gehört von diesen lediglich Iunius Mauricus (Plin. epist. 1,14; 2,18; 6,14) zu den direkten Adressaten, während bspw. Plinius’ Freundschaft zu den Hinterbliebenen des Helvidius Priscus sehr deutlich ebd. 4,21 oder in seiner engen Verbundenheit zu dessen Frau Anteia, die Plinius sogar in dessen Trauerzeit besuchen kann ebd. 9,13,3–5, zum Ausdruck kommt (zu diesem Brief vgl. oben, Kap. 1.1). Vgl. hierzu in aller Ausführlichkeit Beutel 2000, 220–237. Vgl. ebenfalls Vielberg 1988, 176 sowie Ludolph 1997, 44–48, dem die Diskrepanz zwischen der plinianischen Darstellung seiner Rolle unter Domitian und seiner tatsächlichen Karriere als Bestätigung für die Literarizität der Briefsammlung gilt.
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3.5 Plinius im inneren Widerstand gegen den Tyrannen Die Gegenüberstellung von domitianischer Vergangenheit und trajanischer Gegenwart kontrastiert die Konstanz des plinianischen Senator-Seins mit der soziopolitischen Dynamik der Herrscherwechsel. Während Plinius’ Vorbildhaftigkeit als Charaktereigenschaft präsentiert wird, die permanent auch in domitianischer Zeit vorhanden war und aufgrund der er dem Tyrannen verhasst und beinahe selbst zu dessen Opfer geworden wäre,209 stehen mit dem Anbruch der neuen Zeit unter Nerva und Trajan die Grundvoraussetzungen senatorischen Seins diametral zur jüngsten Vergangenheit, insofern nun Freiheit statt Unterdrückung herrscht und die Guten nun gefördert werden und nicht mehr ständig Angst um ihr Leben haben müssen.210 Zum einen nutzt Plinius, um die Kontinuität seiner Haltung zu konstituieren, aktuelle (also in der Gegenwart seiner Briefe existierende) persönliche Beziehungen wie den Antagonismus mit Regulus sowie seine enge freundschaftliche Verbundenheit mit den Opfern der domitianischen Willkürherrschaft und deren Familien, die durch ihre dargestellte Selbstverständlichkeit und in den Briefen erzählte Episoden in die Vergangenheit zurückreichen. Zum anderen manifestiert sich seine Vorbildlichkeit in der Differenz zu dem Tyrannen, von dem er sich mithilfe des antidomitianischen Diskurses deutlich distanziert. So vollzieht sich die plinianische Desintegration (die mit dem aus der Anklageschrift drohenden Tod beinahe total geworden wäre)211 aus der domitianischen Herrschaft und seine Integration in das neue System anhand der Konstanz seines Charakters und seiner vorbildlichen senatorischen persona.212 Im Folgenden soll nun nicht die Problematik der Divergenz des plinianischen Selbstbildes mit den Informationen, welche der historischen Forschung über die Karriere und die daraus zu erschließende Beziehung von Plinius zu Domitian zur Verfügung stehen, erörtert werden.213 Der Fokus richtet sich vielmehr auf die Kon-
209 Plin. epist. 7,27,12–14. 210 Vgl. hierzu exemplarisch Plin. epist. 1,5 (die vertauschten Rollen von Plinius und Regulus in der Gegenwart des Briefes und der in ihm erzählten domitianischen Vergangenheit), ebd. 3,7,6 oder 3,18,6 (für die unter Trajan herrschende libertas), ebd. 8,14,7–9 (für die schlimme Zeit unter Domitian), ebd. 5,14,6 (für die Förderung der Guten, die nun nicht mehr in Gefahren geraten, sondern zu Ehren kommen). Vgl. allgemein zur Darstellung der domitianischen Vergangenheit durch Plinius in seinen Briefen Beutel 2000, 185–237 sowie Gauly 2008, v. a. 196–200. 211 Plin. epist. 7,27,14 u. 3,11,3. 212 Damit bewegt sich Plinius in der Logik antiker Charakterdarstellung. Denn so wie Plinius immer ein vorbildlicher Senator ist, so war er auch schon immer ein solcher und wird es immer sein. Umgekehrt gilt dies auch für Domitian, der schon immer ein schlechter Mensch war, was man aber erst nach seiner Demaskierung erkennen konnte. Vgl. Plin. paneg. 95,3 f. sowie oben, Kap. 1.5, S. 59–62 und S. 71 f. mit Anm. 204. Vgl. Gauly 2008, 198 sowie Gildenhard 2011, 62 f. mit Anm. 38, (dort auch mit weiterer Literatur), der zurecht darauf hinweist, dass eher das Konzept einer gewissen Prädisposition oder Stabilität des Charakters verbreitet war, während die Unveränderlichkeit des Charakters eher ein rhetorisches Konzept darstellte. 213 Hierzu sei verwiesen auf Ludolph 1997, 45–48; und vor allem im Zusammenhang mit dem Panegyrikus auf Strobel 2003 sowie Strobel 2010, 124 f.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
struktion der Beziehung zu den ‚Oppositionellen‘, den Antagonismus mit Regulus und die Distanzierung von Domitian, so wie sie in den Briefen dargestellt werden. Der ideale Freundeskreis des Plinius setzt sich nicht nur aus den eigentlichen Adressaten der Briefe zusammen. Auch innerhalb der Briefe an seine Freunde berichtet Plinius von seinen Taten, Sorgen und seiner Verbundenheit zu anderen Freunden, zu denen ebenfalls die Opfer der domitianischen Schreckensherrschaft gehören; es sind dies vor allem die relegierten Familienmitglieder der unter Domitian ermordeten sogenannten Oppositionellen.214 Plinius zeigt sich besorgt um ihre familiäre und gesundheitliche Situation, betrauert die Todesfälle in ihren Reihen,215 hält das Andenken der Ermordeten in Ehren,216 unterstützt sie bei der aristokratischen Netzwerkbildung,217 kümmert sich um die Bildung ihres Nachwuchses,218 befolgt ihre Ratschläge bezüglich der gerichtlichen Verfolgung von Kontrahenten219 und macht sich sogar zum Rächer der ersten Stunde für die ihnen durch ihre Standesgenossen zugefügten Ungerechtigkeiten.220 Indem er ein enges freundschaftliches Verhältnis zwischen sich und den ‚Oppositionellen‘ inszeniert, erhalten die Exilierten und ihre Familienangehörigen für das plinianische Selbstbild einen symbolischen Wert, da sie seinen „inneren“ Widerstand gegen das domitianische Regime und den Antagonismus zu dessen Vertretern beweisen.221 Die plinianische, dem Tyrannen und seinen Helfern gegenüber opponierende Haltung des guten Senators wird aber auch in der Narration über diese Zeit innerhalb der Briefe manifest. So lässt sich Plinius zwar nicht zur offenen Opposition hinreißen, die in seiner Darstellung seinen sicheren Tod bedeutet hätte, und den Versuchen, ihn diesbezüglich zu provozieren oder ihn als einen Heuchler dastehen zu lassen, trotzt er ebenfalls rhetorisch gewandt.222 Damit entgeht er nicht nur selbst 214 Vgl. zur Problematik des Oppositionsbegriffes bzw. der Rede von einer „stoischen Senatsopposition“ Barghop 1994, 113–120. 215 Plin. epist. 4,21 (Trauer um den Tod der beiden Schwestern Helvidia, Töchter des jüngeren Helvidius Priscus, der 93 n. Chr. unter Domitian zum Tode verurteilt worden war); 7,19 (Sorge um die erkrankte Fannia, die Frau des älteren Helvidius Priscus). 216 Plin. epist. 4,21,3; 9,13,2 (an den jüngeren Helvidius Priscus); 7,19,9 (an die jüngere Arria, Frau des Thrasea Paetus). 217 Plin. epist. 1,14 (entspricht der Bitte des Iunius Mauricus, einen geeigneten Ehemann für seine Nichte, die Tochter von Arulenus Rusticus, zu finden). 218 Plin. epist. 2,18 (sucht sorgfältig nach einem geeigneten Lehrer für die Kinder des Arulenus Rusticus, die in der Obhut ihres Onkels Iunius Mauricus stehen). Vgl. Whitton 2013, 255 f. 219 Plin. epist. 1,5,10 u. 16 (wartet den Rat des Iunius Mauricus ab, ob er gegen Regulus vorgehen soll). 220 Plin. epist. 9,13,5. Vgl. zu diesem Brief oben, Kap. 1.1. 221 Vgl. Ludolph 1997, 157, der in diesem Zusammenhang den Begriff des BIRGing einführt (des „Basking in Reflected Glory“; siehe dazu oben, Kap. 3.4, S. 186 Anm. 197; Hoffer 1999, 8; Beutel 222–234, für den das in den Briefen zum Ausdruck kommende freundschaftliche Verhältnis von Plinius zu den ‚Oppositionellen‘ als Beweis dafür zu werten ist, dass Plinius unter Domitian zwar die Rolle eines Mitläufers einnahm, der „innerlich jedoch den Gedanken der stoischen Opposition nahestand“, ebd. 233. Vgl. ebenfalls Gauly 2008, 196 f.; Shelton 2013, 10–12. 222 Plin. epist. 1,5,5–7 (Plinius kann es trotz des Insistierens von Regulus umgehen, seine Meinung zur Kaisertreue des exilierten Modestus kundtun zu müssen).
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einer möglichen Anklage, sondern durch sein mutiges Auftreten bei einer anderen Gelegenheit, bei der er sich selbst der Gefahr einer kapitalen Anklage aussetzte, gelingt es ihm sogar mittels seiner rednerischen Fähigkeiten, einen Freund, der wenige Zeit später doch noch zu einem Opfer Domitians werden sollte, erfolgreich gegen einen berüchtigten Delator zu verteidigen.223 Trotz seiner Vorsicht, aber aufgrund seines aufrechten Verhaltens224 finden sich nach dem Tod Domitians in dessen Schublade sogar schon eingereichte Anklageschriften gegen ihn, so dass es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, bis auch er ein Opfer des Tyrannen geworden wäre.225 Plinius knüpft mit der Darstellung seines Verhaltens unter Domitian an das im Panegyrikus entworfene Narrativ an, dass er als vorbildlicher Senator, solange es unter dem letzten Flavier gefahrlos möglich gewesen sei, seinen Dienst an der res publica versehen und in der logischen Konsequenz seine senatorische Karriere gemacht habe. Sobald aber Domitians Schreckensherrschaft und sein Hass auf alle Guten zu Tage getreten sei, habe seine Karriere Stillstand erlitten und er selbst sei – wie die Briefe verdeutlichen – durch sein aufrechtes Verhalten sogar in Lebensgefahr geraten, von der er nur durch den Tod Domitians befreit worden sei.226 Das zweite Element, an dem die antidomitianische Haltung von Plinius deutlich zum Vorschein kommt und das ebenfalls aus der gegenwärtigen Situation der Briefe in die Vergangenheit unter Domitian extrapoliert werden kann, ist sein unerbittlicher Antagonismus zu Regulus.227 Diesen Gegenspieler markiert Plinius insofern demonstrativ, als er in den Briefen ansonsten zumeist anonyme und nur sehr selten namentliche Kritik übt,228 wobei er selbst in letzterem Fall nie so scharf und eindeutig den Betreffenden diskreditiert und diffamiert, wie er das bei Regulus tut. Da Plinius in der Regel darauf achtet, eher Verstorbene als Lebende zu kritisieren, Regulus aber eine solche Ausnahmefigur darstellt, da sich gleich mehrere Briefe mit ihm befassen, gibt es in der Diskussion, ob Regulus bei ‚Veröffentlichung‘ der Briefsammlung nicht vielleicht
223 Plin. epist. 7,33,4–9 (Durch sein Einschreiten verhindert er, dass Herennius Senecio durch Baebius Massa angeklagt wird). Eine Tat, die Plinius der Verewigung im Geschichtswerk seines Freundes Tacitus als würdig erachtet, denn sein beispielhaftes Verhalten hat ihm sogar Nerva in einem Brief schriftlich bezeugt. Zu Baebius Massa vgl. oben, Kap. 1.5, S. 69 mit Anm. 184. 224 Das sich bspw. in Plin. epist. 3,11,2 f. darin widerspiegelt, dass er einem befreundeten Philosophen Geld lieh, obwohl Domitian den gesamten Philosophenstand kurz zuvor aus der Stadt verwiesen hatte und Plinius zu diesem Zeitpunkt Prätor war – er also der Aufmerksamkeit des Tyrannen schlecht entgehen konnte. Plinius engagiert sich also auch in einer Zeit, in der kein otium honestum möglich ist, für die studia; vgl. oben, Kap. 3.3, S. 174 f. 225 Plin. epist. 7,27,14. 226 Plin. paneg. 95,3 f. Dort taucht ebenfalls die Thematik der Gefährdung unter Domitian auf, ebd. 90,6. 227 Vgl. zur Darstellung des Regulus vor allem die ausführlichen Interpretationen des Briefes Plin. epist. 1,5 von Ludolph 1997, 142–166 und Hoffer 1999, 55–91; vgl. ebenfalls Beutel 2000, 201–207 und für wenig mehr als eine kommentierte Inhaltsangabe Lefèvre 2009, 50–60. 228 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 175 mit Anm. 135; vgl. Mommsen 1869, 32 sowie Sherwin-White 1966, 54 f.
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noch lebte, keine Einigkeit.229 Ohne an dieser Stelle in die Debatte der Datierung der Briefsammlung einzugreifen,230 bleibt zu konstatieren, dass Regulus zum Zeitpunkt der ‚veröffentlichten‘ Angriffe gegen ihn aller Wahrscheinlichkeit nach (in welcher Form auch immer) sozial desintegriert oder zumindest politisch vergleichsweise unbedeutend war.231 Allerdings ist eher unwahrscheinlich, dass es sich bei Regulus um eine reine Kunstfigur handelt, da eine solche als Gegensatz zur plinianischen Vorbildlichkeit eher dysfunktional gewesen wäre – wenn man für die Darstellung seiner eigenen Beispielhaftigkeit einen fiktiven Gegenspieler erfinden muss, kann es mit dieser nicht weit her sein. Regulus muss im Gedächtnis der Rezipienten noch eine gewisse Präsenz gehabt haben, damit seine Evokation als Gegenspieler Rückwirkungen auf das präsentierte Selbstbild des Plinius haben konnte. Regulus wird jedenfalls von Plinius zur Darstellung seines genauen Gegenpols genutzt, indem er in seiner Charakterisierung und seinem Verhalten diametral zu Plinius steht, von dem er als schlechter Mensch, schlechter Redner, als Anti-Senator stilisiert wird, kurz: als Anti-Plinius.232 229 Bei den Briefen über Regulus handelt es sich um: Plin. epist. 1,5; 2,20; 4,2; 4,7; 6,2; aber auch in 2,11,22 taucht er am Schluss der Verhandlungen als unzuverlässiger Ratgeber auf. Vgl. zur Uneinigkeit über die Vitalfunktionen des Regulus bei Veröffentlichung der ersten Briefbücher: Syme 1958, 663 (der von einer postumen Verunglimpfung ausgeht); SherwinWhite 1966, 54 f. (der sich eher für die Möglichkeit ausspricht, dass Regulus noch am Leben war); Hoffer 1999, 55 (der dies eher als unwahrscheinlich betrachtet) sowie Beutel 2000, 206 (der davon ausgeht, dass dieser und die entsprechenden Briefe zu Lebzeiten des Regulus veröffentlicht wurden). 230 In diesem Zusammenhang stellt sich nicht nur die Frage, ob die Briefbücher einzeln oder gemeinsam verbreitet wurden (vgl. Sherwin-White 1966, 27–56), wobei die Beobachtungen von Hoffer 1999, 9 f. (dass bspw. der Brief 4,2 über den Tod von Regulus’ Sohn dem Brief 2,20 mit großer Wahrscheinlichkeit vorausgeht) und Leach 2003, 162 (dass die Sammlung von zwei Briefen, die das senatorische otium thematisieren, gerahmt wird) sowie Marchesi 2008, 36 f. (die aufeinander Bezug nehmenden Vergil-Zitate in den Büchern eins und neun) dafür sprechen (wenn auch nicht zwingend), dass es sich bei der vorliegenden Briefsammlung um ein geschlossenes Ganzes handelt. Außerdem ist fraglich, ob es möglicherweise eine buchweise Veröffentlichung gab, die im Abschluss zu einem Gesamtwerk redigiert wurde, wobei sich dann natürlich wieder die Frage stellt, ob dabei nicht einige Briefe hinzugefügt und andere weggelassen wurden. Zu Fragen der ‚Veröffentlichung‘ und Verbreitung senatorischer Literatur vgl. oben, Kap. 2.2, S. 98–101. 231 Diese Hypothese fügt sich nicht nur in die plinianische Strategie, eigentlich keine namentliche Kritik an lebenden Senatoren zu üben (vgl. oben, Kap. 3.3 Anm. 134 sowie oben Anm. 228), sondern auch in den Umstand, dass die Briefsammlung als ganze keinerlei politische Brisanz enthält (vgl. oben, Kap. 3.4, S. 181 mit Anm. 169). Diese Beobachtung ließe sich nicht mehr aufrechterhalten, wenn man feststellen müsste, dass Regulus zur Zeit der Veröffentlichung der Briefe ein bedeutender Spieler auf dem politischen Feld war. Die Figur des Regulus würde also gleich gegen zwei sehr grundlegende Gestaltungsprinzipien der Sammlung verstoßen. 232 Zugespitzt in der Pervertierung eines catonischen Ausspruchs über den Redner, die auf Regulus gemünzt ist, Plin. epist. 4,7,5: itaque Herennius Senecio mirifice Catonis illud de oratore in hunc e contrario vertit: ‚orator est vir malus dicendi imperitus.‘ non mehercule Cato ipse tam bene verum oratorem quam hic Regulum expressit („Deshalb hat Herennius Senecio sehr nett den bekannten Ausspruch Catos über den Redner, nur umgekehrt, auf ihn angewandt: ‚Ein Redner ist ein schlechter Mensch, der nicht reden kann.‘ Wahrlich, Cato selbst hat den wahren
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Er nimmt dabei für das Selbstbild Plinius’ die gleiche Funktion ein, wie Domitian für die Charakterisierung Trajans und ist darüber hinaus mit dem pessimus princeps auch insofern verknüpft, als er laut Plinius unter der Herrschaft von Nero und Domitian durch seine Schlechtigkeit und Dreistigkeit auf moralisch unhaltbarem Wege zu Reichtum und Ehren gelangt sei.233 Doch selbst nachdem er auf Kosten seiner Opfer seinen eigenen Status erhöht und sein Vermögen vermehrt hatte, beweist er seine impietas dadurch, dass er sie nach ihrer Verurteilung in Schriften verunglimpfte oder ihre Strafen, wenn sie beispielsweise nur relegiert worden waren, noch verschlimmern wollte.234 Sogar Mettius Carus, dem Ankläger unter Domitian schlechthin (zumindest in den antidomitianischen Diskursen von Plinius und Tacitus), geht Regulus in seiner Boshaftigkeit und Schlechtigkeit, die zudem noch mit Feigheit gepaart ist, zu weit.235 Doch im Gegensatz zu Mettius Carus übersteht Regulus die Zeit der Transition nahezu unbeschadet, est enim locuples, factiosus, curatur a multis, timetur a pluribus.236 Das bedeutet, er hat ein soziales Netzwerk um sich aufgebaut, das ihn zwar (zumindest im Moment noch) schützt, aber in allen Elementen seiner Konzeption dem idealen Freundeskreis des Plinius entgegengesetzt ist.237 Seine Prinzipien bestehen in materieller Potenz und der Pflege von hierarchisch strukturierten Beziehungen, die er für die Durchsetzung seiner Interessen zu nutzen weiß und die in ihrer Zusammensetzung stark an das Gesellschaftssystem unter dem Tyrannen erinnern. Reichtum, der darüber hinaus unrechtmäßig erworben wurde,238 Schmeichelei und Furcht anstelle von echter Zuneigung, auf der wahrhafte Freundschaft zwischen Gleichen und Gutgesinnten beruht, stellen den in der neuen Zeit bröckelnden Mörtel seines gesellschaftlichen Status dar.239 Zwar versteht er es, insofern sich auf seinem Podest zu halten, als er juristisch für seine Untaten unter Domitian und Nero nicht belangt wird, und treibt auch weiterhin sein Unwesen, das sich in der neuen Zeit allerdings auf diejenigen beschränkt, die sich von ihm betrügen oder unter Druck setzen lassen240 – wirkliche Furcht kann Regu-
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Redner nicht so gut geschildert wie Senecio den Regulus“). Vgl. Ludolph 1997, 144, der 195 Regulus als Beispiel für die Selbstdarstellungsstrategie des „Blasting“ („Verdammen bzw. Abwerten von Ereignissen, Personen oder Gruppen, mit denen man selbst nichts zu tun hat oder zu tun haben möchte“; nach Mummendey 1990, 159) anführt; vgl. ebenfalls Hoffer 1999, 55–61. Neben der suggerierten Delatorentätigkeit in Plin. epist. 1,5 hat sich Regulus vor allem der Erbschleicherei schuldig gemacht, ebd. 2,20 und das nicht nur in fremden Familien, sondern auch in der eigenen, ebd. 4,2,2. Vgl. zur Verknüpfung von Regulus mit Domitian vs. Plinius (u. die anderen vorbildlichen Senatoren) mit Trajan Hoffer 1999, 61–67. Plin. epist. 1,5,2 f. Plin. epist. 1,5,1–4. Zu Mettius Carus siehe oben, Kap. 1.5, S. 65 f. mit Anm. 176 f. Plin. epist. 1,5,15: „denn er ist vermögend, hat einen großen Anhang, viele machen ihm den Hof, noch mehr fürchten ihn.“ Zum idealen Freundeskreis des Plinius, wie er in den Briefen zutage tritt, siehe oben, Kap. 3.4, S. 185–187. Siehe oben, Anm. 233. Vgl. Hoffer 1999, 88 f. Plin. epist. 2,20.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
lus nun aber nicht mehr verbreiten.241 Seine Zeit als Ankläger ist unter den neuen Principes abgelaufen, seine politische Karriere kommt zum Stillstand und steht diametral zum Lebensweg seines Antagonisten Plinius, dessen Karriere unter dem pessimus princeps der Stagnation unterworfen war, und der im Gegensatz zu Regulus nun die wohlverdiente Fortsetzung seines gesellschaftlichen Aufstieg erfährt. So ist auch der gesellschaftliche Aufstieg, bei dem Regulus sozusagen über Leichen geht, unweigerlich mit der Herrschaft Domitians verbunden, deren direkte Diskreditierung ebenfalls in den Briefen enthalten ist. Die Grausamkeit, Willkür und Verstellungskunst des Tyrannen werden drastisch und exemplarisch an der Verurteilung der Vestalin Cornelia vor Augen geführt, wobei Plinius in diesem Zusammenhang sehr deutlich auf die Sittenlosigkeit und Ungerechtigkeit Domitians hinweist. Denn das angebliche Verbrechen der Vestalin, das mit ihrem grausamen Tod bestraft wird, hat der ruchlose Tyrann im Inzest mit seiner Nichte selbst begangen.242 In einem anderen Brief werden dann die Undankbarkeit und Unzuverlässigkeit des schlechten Princeps auf die Spitze getrieben, der seine eigenen Freunde in die Verbannung schickt.243 Domitian ist in der plinianischen Darstellung einfach der pessimus, unter dem die schlechten Menschen Karriere machen,244 und seine Herrschaft ist als eine unerträgliche Situation für alle guten Menschen gekennzeichnet. Nach der plinianischen Repräsentation der domitianischen Herrschaft befand sich die Reichselite in einem Zustand der Sklaverei, vorbildliches Verhalten an den Tag zu legen und virtutes zu beweisen, war verdächtig, das Militär war durch Disziplin- und Respektlosigkeit verdorben, der Senat zu Untätigkeit verdammt, ständigen Demütigungen und Spott ausgeliefert und jedes seiner integeren Mitglieder schwebte in Angst und ständiger Gefahr.245 Die traditionelle Form der Erzie241 So schreibt Plinius nach dem Tod des Regulus über ihn, Plin. epist. 6,2,4: nunc enim sane poterat sine malo publico vivere sub eo principe, sub quo nocere non poterat („Denn jetzt konnte er freilich ohne Schaden für den Staat unter einem Kaiser leben, unter dem er keinen Schaden anrichten konnte“). Vgl. auch die vertauschten Rollen ebd. 1,5: Nach dem Tod Domitians hat Regulus vor dem Zorn des Plinius Angst, während Plinius sich unter Domitian noch vor den Nachstellungen des Regulus in Acht nehmen musste. 242 Plin. epist. 4,11,4–14. Dort liest man von seiner immanitas (ebd. 6) und seiner licentia (ebd. 6) sowie seiner crudelitas (ebd. 11) und seiner iniquitas (ebd. 11); seine Verstellung ist implizit in: gratum hoc Domitiano adeo quidem, ut gaudio proderetur (ebd. 13: „Das war Domitian so angenehm, dass er sich in seiner Freude verriet“); sowie zum Inzestvorwurf (ebd. 6). 243 Plin. epist. 4,9,2. 244 Wie das Beispiel des Regulus zeigt, siehe oben. 245 Plin. epist. 8,14,2–9. Sklaverei: priorum temporum servitus (ebd. 2); vorbildliches Verhalten: cum suspecta virtus, inertia in pretio (ebd. 7: „als Tüchtigkeit verdächtig war, Trägheit jedoch hoch im Kurs stand“); Zustand bei den Soldaten: cum ducibus auctoritas nulla, nulla militibus verecundia, nusquam imperium, nusquam obsequium (ebd. 7: „die Führer keine Autorität, die Soldaten, keine Achtung hatten, man nirgends einen Befehl erteilte, nirgends gehorchte“); schlimme Lage des Senats: cum senatus aut ad otium summum aut ad summum nefas vocaretur et modo ludibrio, modo dolori retentus numquam seria, tristia saepe censeret (ebd. 8: „wenn der Senat entweder zur größten Untätigkeit oder zu schlimmsten Ungerechtigkeiten einberufen wurde und, bald zu seiner Verspottung, bald zu seiner Kränkung versammelt, niemals ernsthafte, oft aber betrübliche Beschlüsse fasste“); Angst der Mitglieder (die sich im Kollektivsingular äußert): sed curiam trepidam et elinguem (ebd. 8: „freilich in eine verängstigte und sprachlose Kurie“).
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hung und damit einhergehend die auf die Zukunft ausgerichtete Erneuerung des Senatorenstandes wurde verhindert, da es keine Möglichkeit gab, sich selbst am exemplarischen Verhalten älterer Senatoren zu einem guten Vertreter der Elite auszubilden.246 Selbst ein einfacher Erbschaftsfall konnte vor dem Gericht schnell zu einer kapitalen Anklage führen.247 In einem Wort, das Gemeinwesen befand sich in einem Zustand der Pervertierung248 und auch das private Leben des einzelnen Senators war nicht vor den Augen und Ohren des Herrschers sicher.249 Hauptcharakteristika dieser Zeit waren nach der plinianischen Darstellung in den Briefen metus und servitus.250 Damit entspricht sie der Charakterisierung der domitianischen Ära im Panegyrikus. Diese Feststellung führt nun in einen Bereich, der in Ermangelung eines besseren Begriffes mit dem Label der ‚diskursiven Transtextualität‘ versehen werden soll.251 Dies liegt zum einen daran, dass der Terminus Intertextualität sich aufgrund des schwer eindeutig bestimmbaren Abhängigkeitsverhältnisses zwischen den 246 Plin. epist. 8,14,4–10, wo es zur Unmöglichkeit der Selbstausbildung an Beispielen heißt: quid tunc disci potuit, quid didicisse iuvit (ebd. 8: „was konnte man damals daraus lernen? Oder was nützte es, etwas gelernt zu haben?“). 247 Plin. epist. 5,1,7. 248 Vgl. das Paradoxon des senatus […] ad summum otium (Plin. epist. 8,14,8), vgl. oben, Kap. 3.3, S. 173. Ähnlich verhält es sich im militärischen Bereich, in dem alles in contrarium versa („in sein Gegenteil verwandelt“) ist (ebd. 8,14,7). 249 Dies zeigt sich nicht nur darin, dass die plinianische Briefsammlung erst nach dem Tod Domitians einsetzt, sondern auch in Plinius’ Krankenbesuch bei seinem Mentor Corellius, aus dessen Schlafgemach sich wie gewöhnlich, wenn ein vertrauter Freund eintrat, die Sklaven zurückzogen (Plin. epist. 1,12,6 f. – was impliziert, dass man nicht sicher sein konnte, dass Domitian nicht vielleicht doch bezahlte Ohren in seinem Haus unterhielt; vgl. Hoffer 1999, 152 f.), aber auch in der von Freiheit und Freiwilligkeit gekennzeichneten Kommunikationssituation bei der Rezitation seines Panegyrikus (Plin. epist. 3,18,4–7; vgl. oben, Kap. 2.5, S. 130 f.); zu Corellius als wichtigem aber begrenzten Vorbild für Plinius vgl. Gibson – Morello 2012, 126–135. 250 Vgl. allgemein zum metus temporum unter Domitian Bütler 1970, 140; Ludolph 1997, 155 f.; Beutel 2000, 178–183. 251 Siehe zum Begriff der Transtextualität Genette 1993, 9. Dort definiert er die Transtextualität oder textuelle Transzendenz des Textes grob als alles das, „was ihn in eine manifeste oder geheime Beziehung zu anderen Texten bringt.“ Es handelt sich dabei um einen übergeordneten Begriff, den er in fünf Typen textueller Beziehungen differenziert (ebd. 10–18): die Intertextualität (relativ restriktiv als die „Kopräsenz zweier oder mehrerer Texte“ definiert, was in den meisten Fällen die „effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text“ bedeutet; bspw. in Form des Zitats, des Plagiats oder der Anspielung), die Paratextualität („zusätzliche[…], auto- oder allographe[…] Signale, die den Text mit einer (variablen) Umgebung ausstatten“; Paradebsp.: Titel, Unter- und Zwischentitel, Vor- und Nachworte, Klappentexte etc.), die Metatextualität („die üblicherweise als ‚Kommentar‘ apostrophierte Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt, ohne ihn unbedingt zu zitieren (anzuführen) oder auch nur zu erwähnen“), die Architextualität („eine unausgesprochene Beziehung, die bestenfalls in einem paratextuellen Hinweis auf die taxonomische Zugehörigkeit des Textes zum Ausdruck kommt“; die Zugehörigkeit zu Diskurstypen, Äußerungsmodi, literarischen Gattungen usw.) sowie die Hypertextualität („jede Beziehung zwischen einem Text B (den ich als Hypertext bezeichne) und einem Text A (den ich, wie zu erwarten als Hypotext bezeichne), wobei Text B Text A auf eine Art und Weise überlagert, die nicht die des Kommentars ist“; bspw. die Aeneis und der Ulysses als Hypertexte der Odyssee).
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Briefen und dem Panegyrikus verbietet,252 die beiden Werke desselben Autors zum anderen aber dennoch im gleichen diskursiven Raum operieren. D. h. die Briefsammlung wie der Panegyrikus nutzen für die Darstellung der domitianischen Herrschaft dieselben Repräsentationen, die ein fester intratextueller Bestandteil des antidomitianischen Diskurses beider Werke sind. Dabei bleibt trotz des Gattungswechsels derselbe, durch Unabhängigkeit, Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit gekennzeichnete style des Autors erhalten (zumindest innerhalb dieses Diskurses).253 Natürlich ist per definitionem als soziale Praktik jeder Diskurs transtextuell, aber an dieser Stelle soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die innerhalb der Texte der beiden literarischen Werke desselben Autors entworfenen Diskurse – die also noch nicht Teil der sozialen Praxis sind, sondern eine Synthese der im Text realisierten Repräsentationen von Welt darstellen – im gleichen diskursiven Universum operieren.254 Das bedeutet, dass die beiden antidomitianischen Diskurse in der Briefsammlung und dem Panegyrikus gleiche Repräsentationen der domitianischen Herrschaft nutzen und transtextuell (also in wechselseitiger aber unbestimmbarer Abhängigkeit) miteinander verknüpft sind. Man hat es in diesem Fall mit einem transtextuellen Raum zu tun, der zwischen der Realisierung eines intratextuellen Diskurses und dem Diskurs als sozialer Praktik steht. Anders gesagt, die antidomitianischen Diskurse der beiden Texte entsprechen einander, verstärken und ergänzen sich und bringen letztendlich einen transtextuellen an den Autor Plinius gebundenen antidomitianischen Diskurs hervor.255 Diese spezifische Verknüpfung der beiden Schriften des Plinius, die kurzerhand als ‚diskursive Transtextualität‘ bezeichnet wurde, ist auch für den nächsten Punkt zu konstatieren, der natürlich bereits im antidomitianischen Diskurs angelegt bzw.
252 Ein Umstand, der den unterschiedlichen transtextuellen Bezügen der Briefe auf den Panegyrikus – die vor allem in den Briefen Plin. epist. 3,13 u. 3,18 mehr als in intertextueller, sondern auch in paratextueller und metatextueller Beziehung zu der plinianischen Lobrede stehen –, ein Stück weit aber auch der unklaren Chronologie dieser beiden Texte geschuldet ist; wurden die ersten Briefbücher vor dem Panegyrikus herausgegeben? Oder erst die gesamte Briefsammlung nach demselben? Wenn Letzteres zuträfe, gäbe es dann nicht doch vielleicht Briefe, zu denen der Panegyrikus in einem Abhängigkeitsverhältnis steht? Kurz in der unlösbaren Frage: Welcher Text spielt auf welchen an? Im Horizont der Kopräsenz wäre dieser Umstand natürlich irrelevant für die Bestimmung von Intertextualität, aber vor dem Hintergrund, dass beide Texte von ein und demselben Autor verfasst wurden, soll mit diesem Begriff die unbefriedigende Situation eines ungeklärten Abhängigkeitsverhältnisses beider Texte, weshalb die Bestimmung spezifischer transtextueller Beziehungen in manchen Fällen unmöglich wird (da sowohl die Paratextualität als auch die Metatextualität klare Chronologien aufweisen), mit zum Ausdruck gebracht werden (Hypertextualität und Architextualität sind m. E. nach als transtextuelle Beziehungen zwischen den Briefen und dem Panegyrikus nicht möglich); vgl. zu diesen Überlegungen Genette 1993, 9–18. 253 Zu diesem spezifischen style vgl. oben, Kap. 2.5, S. 132–135 die Ausführungen zum genreWechsel des Panegyrikus. 254 Zu diesen beiden unterschiedlichen Diskursbegriffen, die auf verschiedenen Ebenen operieren siehe Fairclough 2003, 37 f. 255 Man vergleiche hierzu die komplementäre Verknüpfung von Plin. epist. 3,18,6 f. mit der im Panegyrikus dargestellten diversitas temporum; siehe oben, Kap. 2.5, S. 130–132.
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diesem übergeordnet ist: dem in den Briefen lancierten Optimus-Princeps-Diskurs als Teil der plinianischen Affirmation zur trajanischen Herrschaft. 3.6 Die Affirmation des optimus Princeps durch den briefeschreibenden Konsular Der Optimus-Princeps-Diskurs und die in ihm enthaltene vorbildliche Herrschaft Trajans, in der libertas und securitas der Mitglieder der Reichsaristokratie garantiert sind, bilden nicht nur den Gegensatz zum antidomitianischen Diskurs und der durch metus und servitus charakterisierten Herrschaft des letzten Flaviers, sondern dieser Kontrast dient der Profilierung der neuen glücklichen Zeiten.256 Mit anderen Worten, in der für Plinius spezifischen Realisierung des antidomitianischen Diskurses lässt sich derselbe ohne den hierarchisch übergeordneten Optimus-PrincepsDiskurs nicht denken.257 Im Gegensatz zur unwürdigen Situation und dem beschämenden Verhalten des Senats in domitianischer Zeit finden unter Trajan, der selbst als Konsul und nicht als Princeps dem Senat vorsitzt, nun endlich wieder würdige Senatssitzungen statt, wie die über die Verurteilung des Marius Priscus, in der nach einer langen Argumentation das Beste für die res publica erörtert und in gemeinsamer Abstimmung festgestellt wurde.258 Die transtextuelle Darstellung dieser Senatssitzung erschöpft sich nicht in der sich gegenseitig ergänzenden Intertextualität, in der die entsprechende Sitzung als pulchrum, antiquum und consulare bezeichnet und im Panegyrikus der Kontrast zu Domitian, in den Briefen hingegen die Sitzung selbst ausführlich beschrieben wird.259 Die Charakterisierung des trajanischen Auftretens im Panegyri256 Vgl. zur Hierarchie dieser beiden Diskurse und ihrer Verknüpfung im Panegyrikus oben, Kap. 2.3, S. 111–119. Vgl. ebenfalls Plin. paneg. 53. 257 Vgl. dazu beispielsweise die Darstellung der Zeit unter Domitian in Plin. epist. 8,14,2 u. 7–9 mit der ebd. 8,14,10 folgenden Beschreibung der glücklichen Zeiten unter Trajan. Vgl. ebenfalls die Darstellung des Senats unter Domitian ebd. 8,14,8 f. mit der in ebd. 2,11 beschriebenen Senatssitzung, bei der Trajan sogar den Vorsitz führt. Vgl. desgleichen die ideale traditionelle römische Erziehung von Senatoren ebd. 8,14,4–6 mit der Unmöglichkeit dieser Art der Bildung unter Domitian ebd. 8,14,7–9 sowie der nun unter Trajan nach genau dem traditionellen Muster beschriebenen Erziehung des Genialis im Brief davor ebd. 8,13. Vgl. zum Lernen durch Imitation als einem wesentlichen Bestandteil der römischen Erziehung bspw. Gildenhard 2007, 29 f. Vgl. ebenfalls die Ungerechtigkeit Domitians und seine Verstellung in ebd. 4,11,5–13 mit der vorbildlichen Gerechtigkeit und Umgänglichkeit Trajans in ebd. 6,31. – Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen. Dass aber auch in den Briefen nicht allein Domitian, sondern auch Nero einen negativen Kontrast zu Trajan darstellt, lässt sich an den beiden Briefen über das Grabmal des Pallas ablesen: ebd. 7,29 u. 8,6. 258 Plin. epist. 2,11. 259 Plin. epist. 2,11,18: iam hoc ipsum pulchrum et antiquum, senatum nocte dirimi, triduo vocari, triduo contineri („Gerade das war schön und altrömisch, dass der Senat erst durch die Nacht unterbrochen, drei Tage hintereinander einberufen wurde und drei Tage hintereinander zusammenblieb“). Plin. paneg. 76,1: iam quam antiquum quam consulare, quod triduum totum senatus sub exemplo patientiae tuae sedit, cum interea nihil praeter consulem ageres! („Wie sehr
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
kus („während du in dieser Zeit ganz nur als Konsul auftratst!“)260 kann darüber hinaus als metatextuelle Erläuterung der Darstellung der trajanischen Rolle in Brief 2,11 verstanden werden.261 Dort beschreibt Plinius nämlich, wie der Princeps ausschließlich zu Beginn aktiv an der Senatssitzung – nämlich als vorsitzender Magistrat (princeps praesidebat [erat enim consul])262 – beteiligt ist, während im Folgenden nur noch zweimal auf seine Anwesenheit hingewiesen wird263 und der Kaiser weder in die Verhandlungen oder die Anträge eingreift noch bei der Abstimmung in Erscheinung tritt; er geht ganz im Kollektiv des Gremiums auf, das am Ende in selbständig erarbeitetem Konsens ein Urteil über den Angeklagten fällt.264 Nach der Feststellung seiner Anwesenheit verschwindet Trajan in der Narration dieser Verhandlung wieder, wird zu einem nicht gesondert differenzierbaren Teil dieses Gremiums, obwohl er als amtierender Konsul die Sitzung gemeinsam mit seinem Kollegen leitet. Es wird nicht einmal erwähnt, an welcher Stelle er sich für welchen Antrag ausgesprochen oder gar für welchen er gestimmt hat; er trat „während […] dieser Zeit ganz nur als Konsul“ auf und agiert somit als Senator unter seinen Standesgenossen.265 In seinem consilium, wo er nun ganz als Princeps in Erscheinung tritt, beweist Trajan bei den Rechtsfällen, die vor ihm verhandelt werden, höchsten Sinn für Gerechtigkeit und legt bei der Urteilsfindung große Sorgfalt an den Tag. Im anschließenden otium umgibt er sich mit seinen senatorischen Freunden, nimmt mit diesen ein einfaches Mahl ein und zeichnet sich durch Menschenfreundlichkeit, Ungezwungenheit und Liebenswürdigkeit im Umgang mit seiner Elite aus, zu der natürlich nur die besten und vorbildlichsten Männer gehören – nicht zuletzt Plinius
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entsprach es altrömischer Sitte und konsularischer Würde, dass der Senat drei Tage lang eine Sitzung abhielt, deine Ausdauer als Beispiel vor Augen, während du in dieser Zeit ganz nur als Konsul auftratst!“). Es folgt dann in Plin. paneg. 76,3–5 der Kontrast zu vorhergegangenen Principes im Allgemeinen und Domitian im Besonderen, während der Brief 2,11,10–24 sehr ausführlich auf die einzelnen Reden, Anträge und Abstimmungen im Senat eingeht. Plin. paneg. 76,1: cum interea nihil praeter consulem ageres. Wenn Plinius nun auch seine Rede in Marium Priscum verschriftlicht und verbreitet hat und wenn diese heute noch erhalten wäre, so stünden die beiden besprochenen literarischen Zeugnisse in Bezug auf die Darstellung dieser Senatssitzung in einem paratextuellen Verhältnis zu dieser. Plin. epist. 2,11,10: „Der Kaiser führte den Vorsitz – er war nämlich Konsul.“ Vgl. Whitton 2013, 155 f., 170 zum Auftreten Trajans in perfektem senatorischen Gewand. Plin. epist. 2,11,11: praesente Caesare („in Gegenwart des Kaisers“), wo Plinius über sein Lampenfieber vor seiner Rede berichtet. Und in ebd. 2,11,15, wo sich das Nahverhältnis zwischen dem zukünftigen Konsul Plinius (der acht Monate später dieses Amt versehen sollte) und seinem Princeps darin manifestiert, dass Trajan sich besorgt um dessen Gesundheit zeigt. Während Plin. epist. 2,11,2–9 die Vorgeschichte der berichteten Senatsverhandlung umreißt, wird diese dreitägige Sitzung in den Abschnitten 10–24 beschrieben, wobei der Princeps nur in Abschnitt 10 mit Relevanz für das gesamte Gremium und in den Abschnitten 11 und 15 in Bezug auf Plinius in Erscheinung tritt. Hätte Plinius nicht darauf hingewiesen, hätte man meinen können, die Senatssitzung hätte ohne den Princeps stattgefunden. Ein anderer Fall, in dem Trajan die Autonomie des Senats und dessen Entscheidungen respektiert, ist Plin. epist. 6,13,2.
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selbst.266 Und auch in der plinianischen Lebenssituation spiegelt sich die diversitas temporum wider,267 insofern Plinius nun keiner von einem tyrannischen Kaiser drohenden Lebensgefahr mehr ausgesetzt ist, sondern in der direkten Umgebung des Princeps agiert; er also zu den Freunden des Princeps gezählt werden kann, Trajan sich sogar besorgt um sein Wohlergehen zeigt.268 Seine Karriere steht nicht mehr still, sondern vollzieht eine rasante Entwicklung nach oben (vom Präfekt der Staatskasse vorzeitig zum Konsulat aufgestiegen, erhielt er ein Augurat, wurde konsularischer Kurator und Berater des Kaisers).269 Zu seinem Freundeskreis zählen auch vorbildliche Männer, die nun, wie er selbst, in allernächster Kaisernähe stehen, wodurch sie die gute Beziehung zwischen Trajan und Plinius noch verstärken.270 Ihre Idealität ist in zweifacher Weise abgesichert: Zum einen sind sie Freunde des vorbildlichen Senators Plinius und zum anderen befinden sie sich als beste Freunde und Berater unter einem idealen Kaiser in dessen unmittelbarer Nähe. Trajan fördert – wie von einem idealen Kaiser nicht anders zu erwarten und wie man an Plinius und einigen seiner Freunde sehen kann – die Guten,271 während er die Schlechten unschädlich macht, aber nicht beseitigt, was am Beispiel des Regulus klar zu erkennen ist; ihm wird ein weiterer gesellschaftliche Aufstieg verwehrt, und er kann Plinius nicht mehr gefährlich werden.272 Stattdessen werden die Verdienste guter Männer anerkannt und Plinius freut sich über diese Ehren und das Vorankommen dieser Männer, da er als guter Senator mit diesen natürlich freundschaftlich verbunden ist und somit ihre Leistung neidlos anerkennt; Konkurrenz scheint nun nicht mehr auf Status bezogen und das Interesse am Wohl der res publica steht wieder im Mittelpunkt der Bemühungen aller.273 Kurz gesagt: Der optimus Princeps ist mit all seinen Kräften um das Wohl der res publica besorgt und opfert sich im Dienst am Staat auf.274 Zwar ist er es, der 266 Plin. epist. 6,31; für das consilium: ebd. 2–12; für das otium: ebd. 13 f. 267 Vgl. zu diesem Begriff aus dem Panegyrikus, der in den Briefen als solcher nicht vorkommt, Plin. epist. 5,14,6: quod tandem homines non ad pericula, ut prius, verum ad honores virtute perveniunt („weil endlich einmal Männer durch ihre Tüchtigkeit nicht in Gefahren kommen, wie früher, sondern zu Ehren“). Vgl. Plin. paneg. 44 f. Zur diversitas temporum vgl. oben, Kap. 2.4. 268 Plin. epist. 2,11,15; vgl. oben, Anm. 263. 269 Siehe zu Plinius’ Karriere unter Trajan Strobel 1983, 44 f. 270 Plin. epist. 4,24,5: profuerunt nobis bonorum amicitiae, bonorum obfuerunt iterumque prosunt („Die Freundschaft mit guten hat mir Nutzen gebracht, hat mir auch geschadet und nützt mir jetzt wieder“). Vgl. zum möglichen Nutzen dieser Freunde und der plinianischen Verbindung zu ihnen oben, Kap. 3.4, S. 187. Man vergleiche auch die Freude über den Aufstieg seines vorbildlichen Freundes und ehemaligen Konsulatskollegen Cornutus Tertullus ebd. 5,14. und vergleiche dazu Plin. paneg. 90 f. 271 Plin. epist. 5,14,6; siehe oben, Anm. 267. Vgl. Hoffer 1999, 8. 272 Vgl. Plin. epist. 1,5; zu Regulus siehe oben, Kap. 3.5, S. 191–195. 273 Beispielhaft zu erkennen an Plin. epist. 5,14. Insofern wird an dieser Stelle sogar das Prinzip des ambitio-freien Raumes vom otium auf das negotium übertragen; ein Indiz für das Zutreffen oben geäußerter Vermutung, dass es bei der Darstellung des idealen senatorischen otium in ebd. 1,9 darum geht, Normen, die für den Bereich der negotia wünschenswert sind, als selbstgewählten plinianischen Habitus zu etablieren. Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 166 f. sowie Hoffer 1999, 116 f. 274 Plin. epist. 4,25,5.
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letztendlich alle Entscheidungen trifft, aber er gewährt dabei den Senatoren nicht nur vollen Entfaltungsspielraum, indem er sie an der Konstituierung des Gemeinwesens teilhaben lässt,275 sondern bietet ihnen ideale Lebensumstände. Diese manifestieren sich in erster Instanz in der allen Mitgliedern der senatorischen Reichsaristokratie garantierten libertas und securitas, ohne die senatorisches otium, wie es aus der Korrespondenz Plinius’ hervorgeht, nicht möglich wäre,276 und wofür die ‚Veröffentlichung‘ seiner Briefsammlung einen eindrucksvollen Beweis darstellt. Diese im Zeichen der senatorischen Autonomie stehende otium ist das Gegenbild zu einem vom Tyrann erzwungenen otium, das von Agricola unter Domitian oder Cicero unter Caesar erleben müssen und das zu Untätigkeit oder Konspiration führt und damit suspekt und gefährlich ist.277 Nur dort, wo ein senatorisches otium honestum unter einem idealen Kaiser wieder realisierbar ist, kann eine Briefsammlung ‚veröffentlicht‘ werden, die gleich in zweifacher Weise – als im otium geführte freundschaftliche Korrespondenz sowie als im Feld der studia erfolgte Auswahl, Bearbeitung und Zusammenstellung der Briefe – ein Produkt desselben ist. Die Briefsammlung des Plinius belegt also durch ihre Verbreitung die vollkommene libertas und securitas in einem Bereich, in dem man früher für vertrauliche Gespräche mit Freunden sogar seine Sklaven aus dem Zimmer schicken musste, wollte man nicht Gefahr laufen, selbst dem Tyrannen zum Opfer zu fallen.278 Man konnte unter Domitian sogar wegen eines literarischen Produkts seines otium hingerichtet werden, das im direkten Bezug auf die eigene Person weniger inkriminierend und beispielsweise ein Werk über bereits verstorbene Senatoren war.279 Da nun aber libertas und securitas nicht nur in diesem Bereich herrschen, kann die Darstellung, wie stark Freiheit und Sicherheit und die Restauration des senatorischen otium bei der Lebensgestaltung eines hochrangigen Konsulars genutzt werden, sogar ohne Gefährdung der Karriere oder gar des eigenen Lebens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.280 Das bedeutet, dass die Briefe selbst ein eigenständiges Lob auf die glücklichen Zeiten und den Garanten für diese, den optimus Princeps, sind. So leistet die Briefsammlung also wesentlich mehr beim Lob der diversitas temporum, als dass die beiden Briefe 3,11 und 3,18 die Ernsthaftigkeit der Lobrede vor dem Kaiser durch deren Implementierung 275 Plin. epist. 3,20,12. Aber neben dieser metaphorischen Umschreibung des Princeps als freigebiger Quelle für die politische Betätigung der Senatoren steht auch das Aufgehen des Princeps im Kollektiv der Senatoren in dem politisch sehr bedeutenden Prozess um Marius Priscus in Plin. epist. 2,11, vgl. oben, S. 198 f. 276 Siehe oben, Kap. 3.3, S. 172–174. 277 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 172 f. 278 Plin. epist. 1,12,7. Vgl. oben, Kap. 3.5, Anm. 249. 279 Siehe die Bücher des Herennius Senecio über das Leben des Helvidius Priscus des Älteren, das ihm den Tod (Plin. epist. 1,5,3) und Fannia, der Witwe des Helvidius, die Verbannung einbrachte, Plin. epist. 7,19,4–6. Vgl. dazu Tac. Agr. 2,1; siehe dazu oben, Kap. 1.3, S. 49–51, Kap. 1.4, S. 63 sowie Kap. 1.5, S. 69 f. Für die Rolle des Herennius Senecio in den Briefen Plinius’ vgl. Beutel 2000, 225 f. 280 Vgl. Hoffer 1999, 5, 17–27. Dort heißt es auch, ebd. 3: „The anxiety-free pose which Pliny maintains throughout the letters offers continuous implicit praise not only of the ideal statesman (Pliny) but also of his counterpart, the ideal emperor who makes his upper-class life possible.“
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im Kontext des otium performativ unter Beweis stellen:281 Die Sammlung selbst würdigt durch ihre eigene Existenz diese glückliche Zeit in der privaten Korrespondenz eines vorbildlichen Konsulars, der selbst zu Recht zu einem führenden Vertreter des neuen Herrschaftssystems geworden ist. Die in der Briefsammlung zum Ausdruck kommende Affirmation des optimus Princeps ist umso eindringlicher, als Plinius sich in puncto Zeitkritik nicht gerade zurückhält, die alltägliche Gegenwart sich also doch nicht ganz so ideal gestaltet, wie man das gerne hätte.282 Er beklagt den Niedergang des Gerichtswesens und der damit einhergehenden Minderwertigkeit der Rednertätigkeit, aber zugleich den Niedergang der Redekunst selbst.283 Er geißelt standesinadäquates Verhalten von Senatoren und anderen Mitgliedern der Reichsaristokratie: beispielsweise die mangelnde Ernsthaftigkeit mancher Senatoren bei den geheimen Magistratswahlen im Senat284 oder die gleichzeitige Zurschaustellung von Luxus und Geiz, indem beim gemeinsamen Mahl den geladenen Gästen je nach Status andere Speisen serviert werden285 oder die Unsitte vermögender Personen, die sich von Erbschleichern umschmeicheln lassen.286 Diese moralische Verkommenheit der Zeitgenossen liegt zum einen in deren verdorbenem Charakter und zum anderen in den fehlenden exempla der vorhergehenden Zeit begründet und stellt keine versteckte Schuldzuweisung an den optimus Princeps oder Kritik am Prinzipat allgemein dar – wie das in der Forschung so häufig unter Ausblendung des in den Briefen klar greifbaren Optimus-Princeps- sowie des antidomitianischen Diskurses behauptet wird.287 Des Weiteren wird dabei übersehen, dass Plinius und seine Freunde („Pliny and Friends“) die geeigneten Gegenbeispiele zu der sittlichen und moralischen Verdorbenheit ihrer Mitbürger darstellen und damit natürlich auch der virtuelle Leser.288 Ebenfalls können die viel beschworenen angusti termini, welche die Gesellschaftsordnung des Prinzipats dem Aristokraten für seine Selbstverwirklichung las281 Zur transtextuellen Verknüpfung der Briefe 3,13 und 3,18 mit dem Panegyrikus vgl. oben, Kap. 2.5, S. 129–133. 282 Vgl. den Überblick über die Zeitkritik bei Bütler 1970, 142–145. 283 Niedergang des Gerichtswesens: Plin. epist. 6,2; Minderwertigkeit der Rednertätigkeit: ebd. 2,14; Unzufriedenheit mit der zeitgenössischen Redekunst: ebd. 1,5,11–13. Vgl. Lefèvre 2009, 102–109; Whitton 2013, 201 f. 284 Plin. epist. 4,25. Vgl. Lefèvre 2009, 93–102, wobei man dem hier attestierten Niedergang des Senats die überaus würdevolle Sitzung unter dem Vorsitz des Princeps entgegenhalten kann, ebd. 2,11, aber auch andere bedeutende Verhandlungen vor dem honorigen Gremium wie der Fall des Classicus in ebd. 3,9, die erste Stufe des Varenus-Prozesses in 5,20, Plinius’ Durchsetzungsfähigkeit im Falle der Anklage der Freigelassenen des Konsuls Afranius Dexter ebd. 8,14 (v. a. 8,14,10), ebenso den Ausgang der Anklage Plinius’ gegen Certus ebd. 9,13, aber auch im Gegensatz zum neronischen Senat, der die Ehren für Pallas beschloss ebd. 7,29 u. 8,6. 285 Plin. epist. 2,6. 286 Plin. epist. 8,18; 7,24; aber auch die Erbschleicherei, mit der Regulus sich seinen Reichtum verschaffte und nach wie vor verschaffen kann, ebd. 2,20, sowie all diejenigen, die an der Trauerfeier seines Sohnes teilnahmen, Regulus darin nachzuahmen versuchen, ebd. 4,2,4. Vgl. Bütler 1970, 143; vgl. zur Erbschleicherei des Regulus auch Hoffer 1999, 55–58. 287 Siehe Ludolph 1997, 55, 88; Beutel 2000, bspw. 252 f.; Lefèvre 2003, 193 f.; Rutledge 2009, 443 f.; Lefèvre 2009, bspw. 273–277. Vgl. im Gegensatz dazu Whitton 2013, 8 f. 288 Vgl. oben, Kap. 3.4, S. 184–188.
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sen, nicht als gutes Argument für die plinianische Kritik an diesem Herrschaftssystem angesehen werden.289 Denn erstens beziehen sich die angusti termini, über die Plinius klagt, nicht zwingend ausschließlich auf die Fülle von Gegenständen, auf die Cicero beim Verfassen seiner Briefe zurückgreifen konnte, sondern auch auf das beschränkte Talent des Plinius im Vergleich zu diesem großen Vorbild, womit es sich gleichermaßen um einen Bescheidenheitstopos handelt. Zweitens verweist die Verschiedenheit zwischen den Briefen Ciceros und seinen darauf, dass die plinianische Briefsammlung kein Gegenstand ist, den man aus historischem Interesse liest, sondern ein rhetorisches Kunstwerk darstellt, seine Briefe keine politische Brisanz beinhalten, nicht geheim gehalten werden müssen und von ihm selbst zu Lebzeiten ‚veröffentlicht‘ werden können.290 Das gilt auch für den vorliegenden Brief. Im Übrigen verwundert angesichts der ständigen Klagen über den Mangel an Zeit für sein literarisch geprägtes otium291 ein verabsolutierter Vorwurf über die nicht zufriedenstellende Beteiligung der Senatsaristokratie an der Beherrschung des Reiches.292 Und drittens kann tatsächliche und scheinbare Zeitkritik in seinen Briefen enthalten sein, da unter Trajan das senatorische otium und daraus entstandene literarische Produkte unter dem Schutz der absoluten libertas und securitas stehen. Dies gilt wiederum auch für die gesamte Sammlung, denn der Princeps lässt den vorbildlichen Senator dessen zeitkritische Anmerkungen nicht nur ungehindert ‚veröffentlichen‘, sondern fördert sogar dessen weitere Karriere.293 Dass Trajan selbst in den Briefen allerdings nicht namentlich genannt wird und nur äußerst selten als Princeps – wie beispielsweise in dem von ihm abgehaltenen consilium in seiner Villa bei Centumcellae – auftaucht, findet seine Begründung darin, dass die Briefe in ihrer eigentlichen Funktion überhaupt nicht dafür gedacht sind, diesem zu schmeicheln oder ihn gar zu loben;294 welchen Nutzen sollte Plinius auch davon haben, in seiner privaten Korrespondenz durch hypertrophes Lob Trajans dysfunktional auf sein ideales Selbstbild zu wirken? Anders gefragt, weshalb sollte ihm 289 So aber bei Radicke 1997, 464; Ludolph 1997, 161 mit Anm. 194 oder Lefèvre 2009, 76– 79. 290 Siehe Hoffer 1999, 23. Vgl. zu der bewusst dargestellten Differenz der eigenen Briefsammlung und den postum veröffentlichten ciceronischen Briefen und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen oben, Kap. 3.4, S. 181 f. 291 Vgl. Bütler 1970, 41 f.; Leach 2003, 149. Für die Funktionalisierung der Sehnsucht nach dem otium vgl. oben, Kap. 3.3, S. 169 f. 292 Im Gegensatz dazu vergleiche man die angusti termini, in denen Cicero spätestens seit 49 v. Chr. bis zu seinem Tod noch Politik betreiben konnte; einer Zeit, in der viele seiner später veröffentlichten Briefe entstanden; siehe Gotter 1996, 119–126; vgl. Hoffer 1999, 23 f. Vgl. Gildenhard 2007 und Gildenhard 2011. 293 Plin. epist. 4,24,4: studiis processimus, studiis periclitati sumus, rursusque processimus („Durch meine studia bin ich vorangekommen, durch meine studia bin ich in Gefahr geraten und wiederum bin ich durch sie vorangekommen“, Übers. d. Verf.). Plinius meint hier sicherlich nicht ausschließlich die literarischen Produkte seines otium, sondern eher sein im otium erfolgendes sorgfältiges rhetorisches Training und seine persönliche Verbesserung und Weiterbildung zu einem wahren orator, aber die Veröffentlichung seiner Schriften hat ihm unter Trajan auch keine Nachteile eingebracht. Zur Bedeutung der studia im plinianischen otium vgl. oben, Kap. 3.3, S. 174–177. Vgl. ebenfalls Bütler 1970, 28–40. 294 Zum Begriff der eigentlichen Funktion der Briefe siehe oben, Kap. 3.4, S. 179.
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daran gelegen sein, vor seinen Freunden als Schmeichler und Heuchler dazustehen? Dadurch, dass die Briefe in ihrer Form kein direktes intentionales Lob für den Kaiser darstellen können, dass sie sich auch bezüglich ihrer virtuellen Leserschaft nicht an den Princeps, sondern alle Mitglieder der Reichsaristokratie wenden – nicht umsonst finden die an den Kaiser gerichteten Briefe, die in dieser Zeit entstanden sind, obwohl sie ebenfalls als kleine stilistische Kunstwerke betrachtet werden können, keine Aufnahme in die Sammlung295 –, verleiht den plinianischen Ansichten über den optimus Princeps und die von ihm garantierten idealen Lebensumstände einen unumstößlichen Wahrheitsgehalt und distanziert sein indirektes Lob so weit wie möglich von jedem Anschein der Schmeichelei – also von jeder möglichen Funktionalisierung und intendierter Konsequenz. Im Grunde nutzt Plinius, wenn in den Briefen quasi auch nur implizit, dieselbe Strategie der Ernsthaftigkeitsbehauptung wie in seinem Panegyrikus: Im privaten Raum senatorischer Freiheit und Unabhängigkeit beweist er in ungezwungener und absichtsloser, authentischer Rede (in diesem Fall, seiner privaten Korrespondenz) seine Affirmation zum trajanischen Herrschaftssystem. Dass diese beiden Schriften in dieser Wahrhaftigkeitsherstellung miteinander äußerst eng verknüpft sind, wurde am Beispiel des Panegyrikus schon umfassend erarbeitet.296 Diese besondere Erzeugung der Glaubwürdigkeit bezüglich der Affirmation gegenüber dem optimus Princeps in den Briefen wird durch die folgende Strategie der plinianischen Adaption zeitgenössischer Diskurse, die Imitation, noch verstärkt. 3.7 Das trajanische Vorbild und der selbstbewusste Systemträger Die direkte Affirmation der trajanischen Herrschaft, wie sie in der Repräsentation von Welt in der Sprachregelung des Optimus-Princeps-Diskurses zum Ausdruck kommt, stellt nur ein Element von vielen in der plinianischen Briefsammlung dar. Dieser Umstand findet seine Begründung nicht nur darin, dass Plinius unter allen Umständen versucht, sowohl seine Glaubhaftigkeit zu bewahren als auch jede Form direkter Schmeichelei gegenüber dem Princeps zu vermeiden, sondern gleichfalls in der trivialen Feststellung, dass es eben Plinius selbst ist, der für sein literarisches Selbstbild zentral ist – eine Erkenntnis, die schon in der Funktionalisierung der Adressaten als Reflektorfiguren deutlich zu Tage trat.297 Dies hat zur Folge, dass Plinius mit Ausnahme des Magistraten und Amtsinhabers in fast allen Facetten des Senator-Seins298 in Erscheinung tritt und in seinen Briefen nahezu alle entsprechenden Belange – Literatur, Politik, Freundschaft, Geld, Freizeit, Villen, Bankette, Pa295 Vgl. zur Kunstfertigkeit einiger plinianischer Schreiben an den neuen Princeps Seelentag 2004, 64–77 (zu Plin. epist. 10,1); 93–101 (ebd. 10,2); 108–112 (ebd. 10,3); 158–179 (ebd. 10,4); 183–196 (ebd. 10,8); 198–211 (ebd. 10,10). 296 Siehe oben, Kap. 3.5. 297 Siehe oben, Kap. 3.4, S. 185–188. 298 Vgl. Radicke 1997, 461 der Plinius in den Rollen „als Senator und Politiker, als Anwalt und Patron, als Förderer und Freund, als dominus und Großgrundbesitzer, schließlich auch und besonders als Literat“ in seinen Briefen vertreten sieht.
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tronage, Munifizenz, Kaiser und Senatoren, Verwandte, geringere Freunde, Sklaven, Senat und Gericht, Rom, Italien und die Provinzen299 – diskutiert. Sein Auftreten in den ausgefüllten, situationsspezifischen und gesellschaftlich normierten, sozialen Rollen (personae) sowie die Gestaltung der in seinen Briefen sprechenden Instanz modelliert er dabei in einem weniger direkten affirmatorischen Akt gegenüber Trajan, indem er nämlich auf die im Optimus-Princeps-Diskurs zur Verfügung gestellten senatorischen styles zurückgreift und sich diese zu eigen macht.300 In einem ersten Zusammenhang soll diesbezüglich von Imitation gesprochen werden, wenn diese Bezeichnung, wie noch zu zeigen sein wird, an dieser Stelle auch zu kurz greift, da sie den eigenständigen, kreativen Faktor des unabhängigen Senators außer Acht lässt, durch den eine gewisse Differenz zwischen dem Selbstbild des vorbildlichen Senators Plinius und dem Ideal des optimus Princeps mit seiner unerreichbaren civilitas generiert wird. Doch bevor diese Unterschiede analysiert werden, steht zuerst die mit dem Schlagwort der Imitation versehbare Darstellung der charakterlichen Ähnlichkeiten zwischen Plinius und Trajan im Mittelpunkt. Denn die senatorische persona des von Plinius in seinen Briefen konstruierten Selbstbildes hat viele Tugenden vorzuweisen, die sie mit dem optimus Princeps gemein hat:301 Plinius beweist seine benignitas und facilitas besonders im Umgang mit seinen Freunden, mit denen er, wie nicht zuletzt die gesammelten Briefe eindrücklich unter Beweis stellen, in wahrer amicitia verbunden ist, da sie nicht nur die gleichen Interessen mit ihm teilen, sondern ebenfalls vorbildliche Mitglieder der Reichsaristokratie sind.302 Mit seiner Ehefrau verbindet ihn ihre concordia und gegenseitige Zuneigung,303 wobei er es gegenüber ihrem Vormund und ihrer Familie allgemein nicht an reverentia fehlen lässt,304 während er im eigenen Haushalt einen durch moderatio, mansuetudo und humanitas gegenüber seinen Sklaven und Freigelasse299 Hoffer 1999, 3. 300 Zum Begriff des style siehe Fairclough 2003, 23–38, 159–163. 301 Zu den vielen Facetten der kaiserlichen civilitas und den in ihr sich offenbarenden Tugenden Trajans, die denen des Plinius so ähnlich sind, siehe oben, Kap. 2.3, S. 101–107. 302 Vgl. Bütler 1970, 94–106, zur benignitas ebd. 96, sowie Hoffer 1999, 10, 16; denn auch der Aspekt der facitlitas ist im Umgang des Plinius mit den Mitgliedern seines idealen Freundeskreises festzustellen. Auf seine eigene facilitas als Kreditgeber weist er in Plin. epist. 2,4,2 hin; wieder im geschäftlichen Bereich ebd. 8,2,8; im literarischen Bereich, diejenige des Rusticus ebd. 9,29,2. 303 Plin. epist. 6,4 u. 6,7 (seine Korrespondenz mit ihr); ebd. 8,10 (die Darstellung seiner Ehe mit ihr gegenüber seinem Schwiegervater Fabatus) oder aber ebd. 4,19 (der Dank an die Tante Calpurnias für die Heiratsvermittlung; ebd. 4,19,5 his ex causis in spem certissimam adducor perpetuam nobis maioremque in dies futuram esse concordiam („Aus diesen Gründen hoffe ich ganz zuversichtlich, dass unsere Eintracht beständig ist und von Tag zu Tag zunehmen wird“); vgl. Lefèvre 20009, 204–212 sowie Shelton 2013, 97–104, 111–116. 304 Plin. epist. 4,1 (wo er verspricht die Sehnsucht seines Schwiegervaters zu erfüllen und möglichst schnell mit seiner Gattin zu ihm zu eilen); 5,11 (voll Bewunderung für des Fabatus Freigebigkeit); 6,12 (wo Fabatus Plinius gegenüber quasi die Rolle des pater familias zugeschrieben wird); 7,23 (hier wird diese Rollenzuschreibung von Plinius sogar explizit gemacht, ebd. 7,23,2: quem ego parentis loco observo [„den ich wie einen Vater verehre“]). Vgl. Bütler 1970, 132 f.
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nen sich auszeichnenden pater familias gibt,305 der allen Unbilden des Lebens mit temperantia und lenitas begegnet.306 Seine liberalitas ist beispielhaft und beschränkt sich nicht auf seine bedürftigen Freunde, sondern schließt auch in großem Maße seine patria und Munizipien in der Nachbarschaft seiner Villen ein.307 Die cura für seine Protegés erschöpft sich nicht allein im Beistand ihrer politischen Karriere, sondern auch in seinem consilium in allen Lebenslagen, wie auch der richtigen Ausbildung, aber auch darin, dass er, wenn nötig, mit höchstem Einsatz für ihre quies und securitas einsteht.308 Seine modestia wiederum tritt äußerst häufig zu Tage, wenn er das Lob über sich, das immer von anderen zum Ausdruck gebracht wird, in aller Bescheidenheit deutlich abzuschwächen versteht, wie sich bereits im Widmungsbrief gegenüber der hohen Meinung des Clarus über die literarische Qualität seiner Briefe gezeigt hat.309 Dennoch beugt er sich gerne den consilia seiner Freunde und schätzt ihre auctoritas nicht allein in Bereichen der studia hoch ein.310 Im geselligen Beisammensein kommt dann auch immer wieder die von allen geteilte frugalitas zum Vorschein, wie zum Beispiel in dem gespielt verärgerten Brief 1,15 an Clarus; man denke nur an die beeindruckende Liste der Köstlichkei305 Plin. epist. 8,16 (Klage über Krankheiten und Todesfälle unter seinen Sklaven); 9,21 (als Vermittler zwischen einem Freund und dessen Freigelassenem), ja schon gleich zu Beginn der Sammlung ebd. 1,4 stellt er fest, dass er seinen Sklaven gegenüber viel zu milde sei. Vgl. Ludolph 1997, 133–141 (in Bezug auf den Brief 1,5) sowie 11 f. mit Anm. 4.; vgl. ebenfalls über das Bedeutungsspektrum des Begriffes der humanitas und der Verwendung aller verwandten Begriffe bei Plinus Bütler 1970 107–118; vgl. ebenfalls Lefèvre 2009, 169–221. 306 Plin. epist. 7,1 (seine Ratschläge an Rosianus Geminus seiner Krankheit mit Gleichmut zu begegnen), ebd. 8,22 (sein Ratschlage an Rosianus Geminus, den Fehlern anderer mit größerer Gelassenheit zu begegnen). Vgl. Bütler 107 f., 112. 307 Plin. epist. 1,19,2; 2,4,2; 3,11,2; 3,21,2; 6,3; 6,25,3; 6,32,2; 7,11,1; 7,14,1 (an einzelne); 4,1 (Tempel für Tifernum Tiberinum); 1,8; 4,13,5; 5,7; 7,18,2 (Wohltaten für Comum). Vgl. zur plinianischen Freigebigkeit Bütler 1970, 123–128; Ludolph 1997, 179–193 (in Bezug auf Brief 1,8); Manuwald 2003 (in Bezug auf Brief 4,13) sowie Gauly 2008, 189, 191–193; vgl. für die über die Briefe hinausgehende Bewertung plinianischer Freigebigkeit Duncan-Jones 1982, 17–32; Gasser 1999, 201 f.; Eck 2001a, 231, 235; Krieckhaus 2005, 46–49; Krieckhaus 2006, 40–50; Seelentag 2008, 221. 308 Plin. epist. 1,19; 1,24; 2,9; 2,13; 3,8; 4,15; 4,17; 6,6; 6,8; 6,23; 6,27; 6,29 (ebd. 6,8,2: et ego prae me fero, quantae sit mihi curae modestia, quies, securitas eius [„und auch ich zeige es deutlich, wie sehr mir seine Bescheidenheit, Ruhe und Sicherheit am Herzen liegen“] quasi als Grundsatz der plinianischen Patronage). Hoffer 1999, 177–193. 309 Zur plinianischen Bescheidenheit gegenüber Clarus’ Urteil zur Literarizität seiner Briefe vgl. oben, Kap. 3.4, S. 182 mit Anm. 177; weiterhin zur plinianischen modestia: Plin. epist. 1,8 und Ludolph 1997, 68, 179–193 sowie Radicke 1997, 461 f. Von der eigenen modestia spricht Plinius auch in Plin. epist. 3,4,4; 3,18,4; 5,3,7; 9,13,4; des Weiteren ebd. 1,19,3 (fordert dies von seinen Protegés); 3,1,6 (in plinianischem Lob Spurinnas enthaltene virtus); 6,8,2 (liegt ihm die modestia des Atilius Crescens am Herzen); 7,22,3 (im Lob des Cornelius Minicianus); 8,23,5 (im Lob des Avitus). 310 Rat erteilend: Plin. epist. 1,18 (Rat an Sueton, einen Prozess trotz schlechten Traumes zu führen); 1,23 (Plinius rät Pompeius Falco von der Betätigung als Anwalt während seines Tribunats ab) 2,18; 4,15,11; 6,27; 6,29; 7,18; 9,24; Rat empfangend: ebd. 1,8; 1,20; 5,12 (beugt sich consilium bezüglich Redeveröffentlichung); 1,21 (beim Sklavenkauf); 2,19; 3,19. Vgl. Bütler 1970, 86–88. Vgl. Hoffer 1999, 15, 20 f. zur Aufforderung des Clarus und dem Gehorsam des Plinius in Plin. epist. 1,1; vgl. oben, Kap. 3.4, S. 182–184.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
ten zum Abendmahle.311 Ebenfalls beispielhaft ist sein Sinn für iustitia, da Plinius sich immer für das Recht der Schwächeren einsetzt und stets nach den Prinzipien der Gerechtigkeit handelt.312 Und ohne in dieser Liste eine Vollständigkeit behaupten zu wollen, muss auch seine pietas gewürdigt werden, die er nicht zuletzt gegenüber den Verstorbenen an den Tag legt, da es ihm nicht so sehr darum geht, die Testamente auf ihre juristische Belastbarkeit zu prüfen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen den Willen des Verstorbenen umzusetzen.313 Dieser letzte Punkt stellt einen der deutlichsten Kontraste zwischen Plinius und dem Erbschleicher Regulus dar – wobei die beiden Antagonisten sich auch in jedem anderen Bereich ganz und gar ungleich sind.314 So wie der Anti-Senator Regulus und seine Karriere, sein sozialer Aufstieg und sein zunehmender Reichtum untrennbar mit der Herrschaft Neros und Domitians verknüpft sind, so ist Plinius als idealer Senator mit dem optimus Princeps verbunden, nämlich als optimus civis, also als vorbildlicher Bürger bzw. vorbildlicher Senator.315 Sowohl Plinius wie auch Trajan stehen ihrer jeweiligen hohen gesellschaftlichen Stellung in einer recusatio-Haltung gegenüber. Beide erhielten den ihnen zukommenden Rang nicht durch ihren Ehrgeiz, da für beide die Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft im negotium eher einer Selbstaufopferung gleichkommt. Doch die ihnen eigene Disziplin veranlasst sie dazu, sich im Gehorsam (obsequium) gegenüber den an sie gestellten Anforderungen für das Wohl der res publica zu üben.316 Darüber hinaus dienen beide in ihrer Vorbildlichkeit, die nicht nur in ihrer Ehrgeizlosigkeit, sondern auch den geteilten Werten (facilitas, moderatio, liberalitas, pietas etc.) zum Ausdruck kommt, in ihren jeweiligen Bereichen, 311 Plin. epist. 1,15 (vgl. oben, Kap. 3.4, S. 185), dazu auch Hoffer 1999, 26); 2,4,3; 2,6; 3,12; 6,28; 6,31,13. Vgl. Bütler 1970, 119–122. 312 Welche immense Bedeutung Plinius der iustitia beimisst, erkennt man daran, dass er in ihr nicht nur das höchste Ziel der Philosophie, sondern auch den Kern der negotia sieht: Plin. epist. 1,10,1; 1,10,9 f., aber auch sein Einsatz für die Mitglieder der Opposition spricht für sein Gerechtigkeitsempfinden: ebd. 1,5 (u. darin natürlich auch sein Antagonismus zu Regulus; siehe oben, Kap. 3.5, S. 191–195); 7,33,4–9; 9,13,2–5. Ebenso bezeugen seine Berichte über Prozesse vor dem Senat oder anderen gerichtlichen Instanzen seinen Sinn für iustitia: ebd. 2,11; 3,9; 4,9; 5,20; 6,2; 6,5; 6,13; 6,31 (wenn dort auch eher Zeuge der iustitia des Princeps); 7,6; 7,10; 8,14; aber auch in der Betonung charakterlicher Vorzüge von Freunden: 3,2,2; 3,8,2. Vgl. zu ebd. 1,10 auch Ludolph 1997, 203. 313 Plin. epist. 2,16; 4,10; 4,17; 5,7; pietas in anderen Situationen: ebd. 6,25,5; 8,12,5; 8,18,7; 9,9,2. 314 Vgl. Plin. epist. 2,20; 4,2 (wo Regulus sogar innerhalb seiner Familie zu juristischen Kniffen greift, um sich zu bereichern; vgl. dazu Hoffer 1999, 56–58) mit dem Verhalten Plinius’ gegenüber dem letzten Willen Verstorbener, ebd. 2,16; 4,10; 4,17; 5,7. Vgl. zum Antagonismus zwischen Plinius und Regulus oben, Kap. 3.5, S. 191–195. 315 Zur plinianischen Selbstdarstellung als idealer Senator vgl. Radicke 1997, 461 f.; Hoffer 1999, 8 („the ideal Roman imperial statesman“); Gauly 2008, 200 (senator perfectus). Zur trajanischen Rolle als optimus civis siehe oben, Kap. 2.3, S. 101–107. 316 Siehe oben, Kap. 3.3, S. 169 f. mit Anm. 104–108. Vgl. dazu Plin. epist. 5,14, wo nicht nur seine Neid- und Konkurrenzlosigkeit gegenüber dem neuen Amt seines ehemaligen Konsulatskollegen Cornutus Tertullus zum Ausdruck kommt, sondern Plinius von seinem vorbildlichen Freund auch schreibt, er sei ab omni ambitione longe remotus („von jedem Ehrgeiz weit entfernt“), ebd. 5,14,2.
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also Trajan als Princeps und Plinius als Senator, als exempla für ihre Mit- und Nachwelt. Während diese Funktion in der expliziten Motivation für die ‚Veröffentlichung‘ des Panegyrikus in Bezug auf die Person Trajans konstatiert wird,317 ergibt sie sich im Falle des Plinius nicht nur in seiner Idealität als Senator, sondern auch in der am Ende seiner Sammlung einsetzenden, von ihm wahrgenommenen Rezeption seiner Briefe zu Erziehungszwecken318 sowie seinem Vorbild in den studia für die nachfolgende Senatorengeneration, die auf dem Weg zu ihrem zukünftigen Erfolg als Redner und Senatoren seinem Beispiel nacheifern319 oder den Rat des erfahrenen Senators erbitten.320 Diese Ähnlichkeit zwischen Plinius und Trajan in ihren charakterlichen Eigenschaften – man mag sich bemüßigt fühlen den oben abgehandelten Katalog plinianischer Vorbildhaftigkeit mit den virtutes des optimus Princeps des Panegyrikus zu vergleichen –, in ihrer Ehrgeizlosigkeit und ihrem Nicht-Streben nach Macht (sondern der unwilligen Übernahme hoher gesellschaftlicher Stellungen) sowie in ihrer Funktion als exempla für ihre Mit- und Nachwelt ist eigentlich nicht verwunderlich. Denn der Princeps bedient sich in seiner Herrschaftsdarstellung – vor allem in der Kommunikationssituation mit der Senatorenschaft – immer diskursiver Elemente aus der aristokratischen Normenwelt. Ebenso offensichtlich wie trivial ist die Feststellung, dass ein Senator bei dem Entwurf eines Selbstbildnisses auf die styles zurückgreift, die ihm der vom Princeps lancierte Herrschafts-Diskurs zur Verfügung stellt;321 in diesem Fall, dass Plinius in seiner Adaption des Optimus-PrincepsDiskurses das Element der civilitas nutzbar macht und sich in der Imitation des Princeps (und dessen Kommunikation mit den Senatoren) den style des optimus civis zuschreibt.322 Wesentlich signifikanter ist die Beobachtung, auf welche Art 317 Plin. epist. 3,18,3. Die nachahmenswerte Vorbildlichkeit Trajans wird aber auch immer wieder im Panegyrikus angeführt: Plin. paneg. 6,2; 20,6; 45,4–6 (mit der zentralen Aussage, ebd. 45,5: eoque obsequii continuatione pervenimus, ut prope omnes homines unius moribus vivamus [„Und so sind wir, indem wir ihm unablässig folgen, dahin gekommen, dass wir, also nahezu die gesamte Menschheit, nach dem sittlichen Beispiel eines einzigen Mannes leben.“]); 53,5; 63,1; 69,2 f.; 75,4; 76,1. 318 Plin. epist. 8,13. In diesem Brief wird gezeigt, wie in der neuen Zeit unter Trajan die traditionelle Erziehung am Vorbild (am besten des Vaters) wieder möglich geworden ist – und das auch noch anhand der durch Vater und Sohn erfolgenden gemeinsamen Rezeption plinianischer Schriften – im Gegensatz zu der pervertierten beispiellosen Zeit unter Domitian, die im folgenden Brief, ebd. 8,14,7–9 dargestellt wird. Der auf die Erziehung bezogene Wandel der Zeiten wird auch in Plin. paneg. 62,7 dargelegt. 319 Plin. epist. 6,6,5 f.; 6,11; 8,23,2–4. Vgl. zur Bedeutung des exemplum und der damit verbundenen auctoritas für Plinius Bütler 1970, 85–93. 320 Plin. epist. 1,23; 6,27. 321 Vgl. Hoffer 1999, 6. Vgl. ebenfalls die schon in der Zeit des Augustus einsetzende Tendenz der Imitation kaiserlicher Porträtplastik (Zanker 1983, 264–266 sowie Zanker 2003, 292 f.) bei der auch die trajanische Zeit alles andere als eine Ausnahme bildete und die sich nicht allein auf die senatorische Reichsaristokratie beschränkte (Zanker 1980, 196–205; ebd. 201 „Wohl kein anderes Kaiserbild hat so stark auf die Porträts der Zeitgenossen gewirkt wie das Trajans“). 322 Der optimus civis ist der gemeinsam mit der Repräsentation der trajanischen civilitas als Element des Optimus-Princeps-Diskurses generierte style. Zum Begriff des style siehe Fairclough 2003, 23–38, 159–163.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
und Weise Plinius auf den Optimus-Princeps-Diskurs zurückgreift und seine eigene Rolle des optimus civis konstruiert, welche Differenzen zum trajanischen Modell (und allen anderen Senatoren, die dieses Vorbild imitieren) er dabei etabliert, in welchem Modus er sein Selbstbild entwirft und welche Konsequenzen dies nach sich zieht. Der erste und offensichtliche Unterschied zwischen der Selbstdarstellung des Princeps (auch in der plinianischen Adaption) und derjenigen seines Konsulars liegt eigentlich noch außerhalb des diskursiven Vorbilds trajanischer civilitas und konstituiert sich im Bereich des Militärischen, der für Trajan eine immense Bedeutung spielte und auch im Panegyrikus nicht fehlen durfte, wenn er in diesem auch nur eine relativ kleine Rolle einnimmt.323 In den Briefen und vor allem in Bezug auf die Person des Plinius ist dieses Feld gänzlich ausgeklammert. Das Fehlen dieser Thematik in der plinianischen Selbstdarstellung kann nicht einfach damit begründet werden, dass in diesem Bereich nur noch der Princeps dauerhaften Ruhm erwerben könne,324 und kann ebenfalls nicht ausschließlich damit erklärt werden, dass Plinius bis zur ‚Veröffentlichung‘ seiner Briefe nur einmal zu Beginn seiner Karriere als Militärtribun mit der Armee in Berührung kam,325 sondern hat auch eine strukturelle Ursache. Denn neben der Ausnahme des Briefes 1,10 verzichtet Plinius in seiner Briefsammlung gänzlich darauf, sich bei der Ausübung von Aufgaben im Kernbereich der negotia, seien es Magistraturen oder Ämtern in kaiserlichem Dienst, in Szene zu setzen.326 Er markiert mit dieser bedeutsamen Auslassung seiner persona als Magistrat sehr deutlich den Charakter seiner Briefsammlung als Produkt des senatorischen otium, welches in seiner Konzeption nicht nur den Modus der Konstruktion des plinianischen Selbstbildes darstellt, sondern auch den Bereich umfasst, in dem Unterschiede zur Vergangenheit aber auch signifikante Differenzen zwischen der Selbstdarstellung Plinius’ und Trajans zu tragen kommen. So spielt bei Plinius in der Ausgestaltung seines otium ganz im Gegensatz zu seinem Princeps die Jagd keine große Rolle, und das Wenige an Zeit, das er bisweilen mit dieser Betätigung 323 Siehe oben, Kap. 2.3, S. 111–115. Für die immense Bedeutung der militärischen persona in der trajanischen Herrschaftsdarstellung vgl. bspw. Fell 1992, 78–20, 87–93; Speidel 2002, 28; Seelentag 2004, 113–129; Strobel 2010, 207–212. 324 Sehr deutlich von den Vertretern der Entpolitisierungsthese behauptet, siehe oben, Kap. 3.2, S. 162–164; vgl. Ludolph 1997, 60. Dagegen spricht zum einen der viermal erfolgende Hinweis Plinius’ in seinem Panegyrikus, dass der leibliche Vater Trajans die ornamenta triumphalia erhalten hatte, Plin. paneg. 9,2; 16,1; 58,3; 89,3. Aber auch die Darstellung des Agricola durch Tacitus deutet darauf hin, dass innersenatorische Distinktion sehr wohl durch militärische Meriten erfolgen konnte – wenn auch nicht unter einem so schlechten Kaiser wie Domitian. Vgl. für die Bedeutung ‚militärischer‘ Karrieren oben, Kap. I.1; vgl. ebenfalls Page 2009, 55. 325 Siehe Strobel 1983, 38–45. 326 Dies bedeutet nicht, dass er nicht auch auf die Bedeutung und Last seiner Aufgaben im Dienst des Kaisers hinweist wie bspw. in Plin. epist. 5,14,9 oder ebd. 3,4,3, wo er als Präfekt der Staatskasse im Dienst des Kaisers steht, allerdings vom Kaiser auf seinen Wunsch hin (ebd. 10,9; vgl. für den Zusammenhang dieser beiden Briefe Sherwin-White 1966, 213 f.) beurlaubt wurde, aber dass er tatsächlich inhaltlich die Tätigkeiten seines Amtes ausführt, ist nur in ebd. 1,10 der Fall; zu diesem Brief siehe oben, Kap. 3.3, S. 168 f.
3. Zwischen Opposition, Affirmation und Imitation
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verbringt, dient eher dazu, diese Differenz noch zu unterstreichen.327 Während von Plinius die zweite Liebhaberei Trajans in dessen otium, seine körperliche Tüchtigkeit auch bei der Seefahrt unter Beweis zu stellen,328 überhaupt nicht aufgegriffen wird, kultiviert er in seinem Entwurf des senatorischen otium in ganz besonderem Maße seine im secessus betriebenen studia, was wiederum von Trajan in keinem Medium überliefert ist. Diese Differenzen zum optimus Princeps haben nun zum einen den Vorteil, dass er in keinem dieser Bereiche jemals zu Trajan in Konkurrenz treten kann. Zum zweiten erhöhen sie die Glaubwürdigkeit seiner Selbstdarstellung als optimus civis. Denn durch die Divergenz zum optimus Princeps in der Ausgestaltung des otium, dem er ansonsten in so vielen Bereichen gleicht, tritt gleichzeitig seine Unabhängigkeit zutage; dabei ist der Umstand, dass er seine otiösen Tätigkeiten denen des Kaiser wahrscheinlich tatsächlich vorzog, nicht weiter von Belang. Was zählt ist die Tatsache, dass er sie als wesentliche Elemente seiner Selbstdarstellung auswählte. Die Funktion der Darstellung von Differenz zwischen Kaiser und Senator in ihrer Ausgestaltung des otium kann als die der Glaubwürdigkeit und senatorischen Unabhängigkeit gewertet werden. Dies wird dadurch unterstützt, dass Plinius das senatorische otium in seinen Briefen als Heterotopos diskursiviert, in dem der unabhängige Senator ganz sein eigener Herr ist und in totaler libertas über sein regnum herrscht. Dort kann Plinius seinen Vorlieben, die sich so deutlich von denjenigen des Kaiser unterscheiden, ungestört nachgehen, da seine libertas und securitas in diesem Bereich durch den idealen Herrscher garantiert werden – wie die ‚Veröffentlichung‘ seiner Briefe deutlich beweist.329 Das heißt, er ist geschützt vor jedem kaiserlichen Eingriff; seine Unabhängigkeit als Senator in diesem von ihm apolitisch deklarierten Raum steht über jedem Zweifel. Dieser style totaler Unabhängigkeit und absoluter Authentizität bestimmt nun den Modus der Konstruktion des plinianischen Selbstbildes als frei, wahr, ernsthaft, unabhängig und rein senatorisch. Die Selbstzuschreibung des optimus civis in diesem Modus totaler senatorischer Unabhängigkeit kann ihrer eigenen Logik nach nicht aus dem Kalkül erfolgen, dem Kaiser zu gefallen, der nicht einmal Teil der virtuellen Leserschaft ist. Die plinianische Vorbildhaftigkeit, sein sozialer Status unter dem optimus Princeps und die idealen Zeitumstände sind vielmehr Koinzidenz. Das aber bedeutet für seine Karriere und seine Kaisernähe, dass sie nicht als unrechtmäßige Bevorzugung durch Trajan verstanden werden können und genau so wenig ein Produkt seines Ehrgeizes oder seines Konkurrenzverhaltens gegenüber Mitsenatoren darstellen,
327 Siehe für die Bedeutung der Jagd in der plinianischen Konzeption des trajanischen otium Plin. paneg. 81,1–3. Nach Mielsch 1987, 131 f. hat es sogar den Anschein, dass die zuvor zwar schon erwähnte Jagd als aristokratische Freizeitbeschäftigung erst unter Trajan zu einer selbstverständlichen Betätigung im otium wird. Plinius selbst ist aber kein großer Jäger, was sich nicht nur an seinem größtenteils mit studia verbrachten otium zeigt, sondern sich auch in dessen Jagdbeschreibungen niederschlägt, Plin. epist. 1,6 oder 5,18. 328 Plin. paneg. 81,4. 329 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 172–174 sowie oben, Kap. 3.6, Anm. 280.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
sondern einzig und allein die logische Konsequenz seiner eigenen Leistungen und seiner Verdienste als optimus civis sind.330 Die voneinander unabhängige Übereinstimmung zwischen dem optimus Princeps und Plinius in Fragen sittlich einwandfreien Verhaltens von Senatoren tritt exemplarisch in Brief 5,13 zutage. Dort jubiliert Plinius über ein Gebot des Kaisers, welches der von ihm aus moralischen Gründen schon lange betriebenen Praxis entspricht: Trajan verbietet Senatoren jegliche Forderung oder Annahme einer Aufwandsentschädigung für gerichtlichen Beistand.331 Sowohl Trajan mit seinem Edikt als auch Plinius mit seiner Praxis verorten sich dabei im Raum traditioneller Jurisdiktion durch den Senat.332 Darüber hinaus erweisen sich beide nicht nur als nachahmenswerte Vorbilder, sondern auch ihren Vorgängern an Integrität überlegen. Denn wie Trajan durch sein Edikt seinen hohen moralischen Anspruch unter Beweis stellt und nicht nur Defizite der domitianischen Herrschaft beseitigt, sondern durch seine anständige Haltung die Gesetzgebung des Kaisers Claudius übertrifft,333 so offenbart sich die moralische Überlegenheit des Plinius gegenüber seinen zeitgenössischen Standesgenossen, die den Auslöser für das Einschreiten des Kaisers darstellten, sowie den führenden Senatoren unter Claudius in seiner Integrität und deren Konstanz;334 niemals hat er Geld für seinen Beistand vor Gericht angenommen, auch unter Domitian nicht. Aber auch in anderen Bereichen geht die plinianische Vorbildlichkeit, die sich in seinen Handlungen und Haltungen ausdrückt, zumindest in der von ihm gewählten Form der Darstellung den kaiserlichen Initiativen oder Äußerungen voraus, so 330 Vgl. zu dieser bedeutenden Unterscheidung einer verdienten Karriere von einer unrechtmäßigen, erschlichenen Hoffer 1999, 7 sowie die Unterschiede zwischen Plinius und Regulus, ebd. 55–92. Vgl. oben, Kap. 3.5, S. 191–195. 331 Plin. epist. 5,13,8–10. ebd. 8: pauci dies, et liber principis severus et tamen moderatus: leges ipsum; est in publicis actis. quam me iuvat, quod in causis agendis non modo pactione, dono, munere, verum etiam xeniis semper abstinui („Nur wenige Tage vergingen, und es erschien eine strenge und doch gemäßigte Verordnung des Kaisers. Du wirst sie selbst lesen; sie steht im Amtsblatt. Wie freut es mich, dass ich bei meiner Prozessführung immer nicht nur jede Abmachung, jedes Geschenk, jede Spende, sondern auch alle kleinen Gefälligkeiten zurückgewiesen habe!“). Das Thema des Briefes, die Käuflichkeit von Anwaltstätigkeit, sowie die Vorbildlichkeit Plinius’ in diesem Bereich, der aus moralischen Gründen quasi schon nach dem Willen des Princeps gehandelt hat, bevor dieser per Gesetz kundig wird, wird sorgfältig in den Briefen 5,4 und 5,9 vorbereitet. 332 Plin. epist. 5,13,7: recitavit capita legum, admonuit senatus consultorum; in fine dixit petendum ab optimo principe, ut, quia leges, quia senatus consulta contemnerentur, ipse tantis vitiis, mederetur („Er las die Hauptabschnitte der Gesetze vor, er erinnerte an die Senatsbeschlüsse; am Schluss sagte er, weil die Gesetze, weil die Senatsbeschlüsse missachtet würden, müsse man den besten Kaiser bitten, persönlich solchen Übeln abzuhelfen“). Ebenfalls sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es nicht Plinius ist, der die Initiative ergreift, um beim Kaiser Punkte zu machen, sondern er für sich bereits nach traditionellem Grundsatz gehandelt hat. 333 Vgl. Tac. ann. 11,5–7, wo Claudius eine Höchstgrenze von 10.000 Sesterzen als Vergütung für Anwaltsdienste festsetzt. 334 Vgl. Tac. ann. 11,5–7. Zur grundsätzlichen Verkommenheit des Senats und der Senatoren unter Claudius vgl. die Klagen über das schändliche Verhalten des illustren Gremiums gegenüber dem kaiserlichen Freigelassenen Pallas Plin. epist. 7,29 sowie 8,6.
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dass seine senatorische Unabhängigkeit auch außerhalb des Heterotopos des otium zum Vorschein kommt. Dies suggeriert er einmal durch die zeitlich früh determinierte Erwähnung seiner geplanten Alimentarinstitution für Comum – die innerhalb der Forschung sogar zu der Diskussion führte, ob diese besondere Form der cura Italiae nicht schon von Domitian eingeführt worden sei.335 Zum anderen scheint seine recusatio-Haltung gegenüber politischer Betätigung auch der trajanischen Herrschaftsübernahme vorauszugehen, womit er in beiden Fällen quasi die Vorbildfunktion umdreht.336 Natürlich soll damit nicht unterstellt werden, Plinius beanspruche für sich einen exemplarischen Charakter für den optimus Princeps, das ginge deutlich zu weit. Doch die Unabhängigkeit und Koinzidenz plinianischer und trajanischer Vorbildlichkeit sollten damit klar geworden sein. Neben der Behauptung seiner Unabhängigkeit verfolgt Plinius das Ziel, sich mit seiner Art der Selbstdarstellung ebenfalls deutlich vom Modus der einfachen Imitation des Princeps zu distanzieren. Ein der trajanischen Herrschaftsübernahme in jedem Fall vorgängiger Nachweis plinianischer Vorbildhaftigkeit und Unabhängigkeit des Senators Plinius zeigt sich in dessen oppositioneller Haltung gegenüber und prinzipieller Lebensgefahr unter Domitian.337 Aber auch in diesem Punkt spiegeln sich seine Ähnlichkeit und Differenz zu Trajan. Denn zwar waren beide Gegner des Tyrannen, aber während Plinius einfach Glück hatte, nicht von einem der domitianischen Blitze getroffen zu werden,338 waren es im Falle Trajans die Götter, welche ihre schützende Hand über den zukünftigen optimus Princeps hielten.339 Des Weiteren gilt es zu beachten, dass der von Plinius genutzte Modus des otium selbst ein Differenzmarker zwischen den beiden Principes darstellt, insofern als die Prämisse der Existenz dieses senatorischen Heterotopos (libertas und secu335 Plin. epist. 1,8,10. Sherwin-White 1966, 102–106 zieht es (ebd. 105 f.) sogar in Betracht, dass die Rede, in der Plinius die Einrichtung seiner alimenta verspricht, domitianischen Datums sei. Vgl. dazu im Gegensatz die wesentlich überzeugendere Argumentation in Hoffer 1999, 9, dass die implizit konstruierten Frühdatierungen Teil einer bewussten rhetorischen Strategie Plinius’ sind, um ein möglichst gutes Selbstbild von sich zu evozieren, was er im Falle von Brief 1,12 klar beweisen kann. Mit einberechnet werden muss auch die in jedem Falle später erfolgende Publikation der Briefe. Zur Datierung der Einrichtung der imperialen alimenta und deren mögliche Vorbildfunkton für die plinianische Stiftung siehe oben, Kap. 3.1, S. 152–156. 336 Plin. epist. 1,9. Vgl. oben, Kap. 3.3 für Plinius’ selbstgenügsame Glückseligkeit im otium, die in diesem Brief inszeniert wird (S. 164–167), sowie die Sehnsucht nach dem otium (S. 168– 170). Zur Datierung: Der Brief selbst ist außer dem Umstand, dass Plinius zur Zeit seiner Abfassung kein Amt inne zu haben scheint und er somit anscheinend vor sein Amt als Präfekt des Staatsschatzes gehört, nicht datierbar, siehe Sherwin-White 1966, 106. Nach impliziter Datierung der Briefbücher (Sherwin-White 1966, 27) auf die Zeit zwischen 96–98 n. Chr. suggeriert dieser Brief durch seine frühe Position in der Sammlung, seiner Stellung vor dem folgenden Brief, in dem Plinius ein Amt inne hat, dass er vor der Herrschaftsübernahme Trajans, gar vor dessen Adoption verfasst wurde. 337 Siehe oben, Kap. 3.5. 338 Plin. paneg. 90,5; Plin. epist. 3,11,3. 339 Plin. paneg. 94,3.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
ritas) eine starke Affirmation des trajanischen Herrschaftssystems auf Kosten der Diffamierung Domitians darstellt – unter dem in den Reihen der Oberschicht nur Angst und Sklaverei herrschten.340 Doch genau an dieser Stelle wird die Konzeption des plinianischen otium hybride, da außer der Affirmation des optimus Princeps durch den antidomitianischen Diskurs, durch die bewiesenen Bejahung der neuen Zeiten sowie die Ähnlichkeit zwischen vorbildlichem Senator und idealem Herrscher auch die Unterschiedlichkeit des Konsulars gegenüber seinem Kaiser durch das otium hervorgebracht wird. Diese Differenz zwischen den beiden vorbildlichen Akteuren Trajan und Plinius beweist nicht nur die Unabhängigkeit des letzteren, sondern konstituiert dadurch erst die Glaubwürdigkeit von dessen Selbstdarstellung. In konsequenter Weiterführung dieser Argumentationskette folgt daraus, dass in dem im Modus des otium erfolgenden Selbstbild der wahre Charakter des Plinius zum Vorschein kommt. Diese Schlussfolgerung versucht Plinius beim Rezipienten auch dadurch auszulösen, dass er sein Werk als die ungefilterte und zufällige Zusammenstellung von Gebrauchsbriefen stilisiert341 – womit er nicht nur künstlerische Bescheidenheit ob der rhetorischen Kunstwerke, die seine Sammlung umfasst, inszeniert, sondern mithilfe dieser Suggestion die Assoziation fördert, dass jeder einzelne Brief als Teil seiner privaten Kommunikation einen Spiegel seiner Seele darstellt.342 Dadurch soll der Eindruck vermittelt werden, dass er das in den Briefen zum Selbstbild des Senators werdende auktoriale Ich seiner tatsächlichen epistolarischen Kommunikation habe ungeschönt übernehmen können, was einen hohen Grad an Authentizität für seine Selbstdarstellung suggeriert. Des Weiteren nutzt er für die Beschreibung der Vorbildlichkeit von hochstehenden Senatoren, denen man in der Gestaltung des eigenen Lebens nacheifern soll, ebenfalls deren otium, das diese exempla durch die ideale Ausgestaltung desselben veredeln.343 Neben diesen metatextuellen Implikationen äußert Plinius auch explizit in seinem Panegyrikus bezüglich der Freizeitbeschäftigungen und der daraus ableitbaren Ernsthafthaftigkeit, moralischen Integrität und Selbstzucht Trajans die Ansicht, dass der wahre Charakter eines Menschen letztendlich in dessen Gestaltung des
340 Vgl. oben, Kap. 3.5 u. 3.6. Zur Verknüpfung von otium mit libertas und securitas siehe oben, Kap. 3.3, S. 172–174. 341 Siehe oben, Kap. 3.4, S. 177–179 zu Brief 1,1. 342 Demetrios de eloc. 227: πλεῖστον δὲ ἐχέτω τὸ ἠθικὸν ἡ ἐπιστολή, ὥσπερ καὶ ό διάλογος. σχεδὸν γὰρ εἰκόνα ἕκαστος τῆς ἑαυτοῦ ψυχῆς γράφει τὴν ἐπιστολήν. καὶ ἔστι μὲν καὶ ἐξ ἄλλου λόγου παντὸς ἰδεῖν τὸ ἦθος τοῦ γράφοντος, ἐξ οὐδενὸς δὲ ὅυτως, ὡς ἐπιστολῆς. („Like the dialogue, the letter should be strong in characterisation. Everyone writes a letter in the virtual image of his own soul. In every other form of speech it is possible to see the writer’s character, but in none so clearly as in the letter“). Text und Übersetzung stammen aus: Demetrius, On Style, translated by Doreen C. Innes, based on W. Rhys Roberts (The Loeb Classical Library 199), Ann Arbor, Michigan 1995. Siehe ebenfalls: Cic. fam. 16,16,2; Sen. epist. 40,1. Vgl. oben, Kap. 3.4, S. 178 f. 343 Plin. epist. 3,1 (Altersotium von Spurinna), 4,23 (Altersotium des Pomponius Bassus), vgl. Bütler 1970, 51 f.; Leach 2003, 161; Lefèvre 2009, 45 f.
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otium offen zu Tage trete.344 Genau dieser Punkt – wie man die Mußezeit verbringt – gilt nämlich als die Kategorie, welche die wahrhaft Tugendhaften von denjenigen, die sich in öffentlichen Belangen nur den Anschein der Tugendhaftigkeit verleihen, unterscheiden. In der zugespitzten Weiterführung gegensätzlichen Verhaltens im negotium und otium, insofern man im negotium wenigstens bemüht ist, den Anschein zu wahren, wird dieser Nexus transtextuell in der entrüsteten Frage aufgegriffen, zu welchen Untaten ein Senator, der bei einer so heiklen und wichtigen Angelegenheit wie den Magistratswahlen im Senat seine Possen reiße, wohl zu Hause im Stande sein möge.345 Die Vorbildlichkeit von Trajan und Plinius im ‚privaten‘ Bereich steht natürlich außer Frage. Aber Plinius beschränkt sich nicht auf die Differenzierung seines geistigen otium von den eher körperlich geprägten Freizeitbeschäftigungen Trajans, sondern betreibt für seine Mußezeit eine weiterführende Spezifizierung, bei der er auf eine andere traditionelle Form des Staatsmanns zurückgreift. Dies drückt sich nicht nur in seiner an den rhetorischen studia orientierten Ausgestaltung seines otium, sondern auch in seinem großen Vorbild Cicero aus: Er schreibt sich in seinem Selbstbild die persona des orator zu;346 nicht zuletzt deshalb ist ein Mangel an allem Militärischem in der Briefsammlung zu konstatieren. Dabei gilt es zu beachten, dass die Gleichsetzung von orator und Senator nicht nur traditionell in der römischen Oberschicht verankert ist, sondern auch in den Briefen selbst zum Aus-
344 Plin. paneg. 82,8 f.: voluptates sunt enim voluptates, quibus optime de cuiusque gravitate sanctitate temperantia creditur. nam quis adeo dissolutus, cuius non occupationibus aliqua species severitatis insideat? Otio prodimur. („Denn gerade die Vergnügungen sind es, die am besten Aufschluss geben über die Ernsthaftigkeit, die moralische Integrität und die Selbstzucht eines Menschen. Denn wer ist so zügellos, dass er nicht bei beruflichen Geschäften einen gewissen Anschein von strenger Sitte wahrt? Was uns verrät, ist die Gestaltung der Mußezeit“). 345 Plin. epist. 4,25,3: quid hunc putamus domi facere, qui in tanta re tam serio tempore tam scurriliter ludat, qui denique omnino in senatu dicax et urbanus et bellus est? („Was mag wohl so einer erst zu Hause tun, der bei einer so wichtigen Sache, bei einem so ernsten Zeitpunkt solche Possen treibt, ja der überhaupt im Senat als Spötter, Witzbold und Spaßvogel auftritt?“). Vgl. die korrekte Bemerkung Lefèvre 2003, 197: „Für Plinius fängt der musterhafte Staatsbürger in der Familie an.“ Vgl. ebenfalls Lefèvre 2009, 99. Nach meinem Verständnis ist die plinianische Zeitkritik allerdings eher als Kontrast zu seiner eigenen Vorbildlichkeit und der seiner Freunde zu werten – und weniger als Resignation gegenüber dem festgestellten Niedergang der Würde des Senats; vgl. Bütler 1970, 147, wobei die von ihm als mehr oder weniger geschlossene Gruppe nicht nur auf die eigentlichen Adressaten der Briefe zutrifft, sondern m. E. auch den virtuellen Leser und über dessen rezeptionsästhetische Wirkung die Plinius zustimmende Reichsaristokratie umfasst. Im Gegensatz dazu vgl. Beutel 2000, 241–251; zu Brief 4,25 ebd. 245. Die Bedeutung eines einwandfreien Rufes auch im ‚Privatleben‘ eines Senators kommt sehr sinnfällig auch in der Entgegnung des M. Livius Drusus gegenüber seinem Architekten zum Ausdruck, er möge ihm ein Haus bauen, in dem alles was er tue von jedermann beobachtet werden könne, siehe Vell. 2,14,3. 346 Vgl. Bütler 1970, 29–35; Weische 1989, 375–383; Riggsby 1995, 123–133; Ludolph 1997, 107–120; Lefèvre 2009, 111–116; vgl. ebenfalls Ronning 2007, 45, der als Ziel für die Veröffentlichung des Panegyrikus die Anerkennung der plinianischen Fähigkeiten als orator ausmachen möchte.
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druck kommt.347 Die Identifikation mit dem Bild des orator erstreckt sich über die gesamte Briefsammlung, wenn er im öffentlichen Leben als Anwalt und Senator in Erscheinung tritt und im ‚privaten‘ Bereich die rhetorischen studia pflegt. Sie zeigt sich auch in seinen ‚veröffentlichten‘ Schriften, die sich im Grunde nur aus rednerischem Material zusammensetzten,348 und nicht zuletzt in der aus rhetorischen Miniaturen bestehenden Briefsammlung selbst. Dabei nutzt Plinius auch die Strategie der indirekten Selbstzuschreibung, um die Figur des orator aus dem historischen Kontext der ciceronischen Zeit zu lösen und in einer idealen republikanischen Zeit zu verorten, die mit der Blütezeit der römischen Expansion, also der ausgehenden mittleren Republik, zusammenfällt – die gleiche Zeit, an welche er im Panegyrikus durch die von Trajan übertroffenen Vorbilder anschließt und die auch Tacitus im Proöm seines Agricola evoziert.349 Indem die durch ihre bewiesene Opposition zu Domitian moralisch integere Instanz Herennius Senecio den von Plinius als sein absolutes Gegenbild aufgebauten Anti-Senator Regulus, der von vielen Leuten für einen Redner gehalten wird, in Inversion eines catonischen Diktums als vir malus dicendi imperitus charakterisiert,350 gilt für Plinius logischerweise der Umkehrschluss. Für den vorbildlichen Senator, der zwar rhetorisch hoch gebildet und äußerst erfolgreich, aber viel wichtiger, wie die Ausgestaltung seines otium beweist, vorbildlich und gut ist, trifft also die korrekte Version der Definition des orator nach Cato dem Älteren zu: Er ist ein vir bonus dicendi peritus, also „ein guter Mann, der erfahren ist im Reden.“351 Diese Sentenz Catos wird in den institutiones Quintilians, zu dessen Schülern auch Plinius gezählt wird, überliefert. Dort geht es um die Grundvoraussetzungen, die ein guter Redner mit sich bringen muss, wobei die erste und fundamentalste eben darin besteht, dass, wer ein guter Redner werden will, ein guter Mann sein muss.352 Im Weiteren folgt dann die Mahnung Quintilians, dass man nicht zu viel 347 Plin. epist. 4,11,2: nunc eo decidit, ut exsul de senatore, rhetor de oratore fieret („nun ist er so heruntergekommen, dass er vom Senator zum Verbannten, vom Redner zum Redelehrer wurde.“). Die Gleichsetzung zwischen orator und senator wird durch den Parallelismus auch sprachlich zum Ausdruck gebracht. 348 Vgl. Bütler 1970, 28–31; Mielsch 1987, 129; Hoffer 1999, 30 f.; Gauly 2008, 193 f. Nicht nur nach Eigenaussage versteht er seine Versspielereien als Zeitvertreib (Plin. epist. 7,4,3 u. 8), als geistigen Ausgleich (ebd. 7,4,4), als Entspannung gewährleistenden und traditionellen Teil der Rednerausbildung (ebd. 7,9,9–14), als Mittel für geistige Ausgeglichenheit, bei der es auf die richtige Mischung ankommt (ebd. 8,21,1 f.); vgl. Riggsby 1998, 75. 349 Zur Darstellung der Republik im Panegyrikus siehe oben, Kap. 2.3, S. 115–117, für ihre Rolle im Agricola siehe oben, Kap. 1.3, S. 47 f. 350 Plin. epist. 4,7,5. Siehe oben, Kap. 3.5 Anm. 232. 351 Quint. inst. 12,1,1 = Sen. contr. 1 pr.9. 352 Quint. inst. 12,1,3: neque enim tantum id dico, eum, qui sit orator, virum bonum esse oportere, sed ne futurum quidem oratorem nisi virum bonum („Ich sage nämlich nicht nur, dass, wer ein Redner ist, ein Ehrenmann sein muss, sondern dass auch nur ein Ehrenmann überhaupt Redner werden kann“). Text und Übersetzung stammen aus: Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Bde. 1 u. 2, hrsg. u. übers. von Helmut Rahn (Texte zur Forschung 2 u. 3; WBG), Darmstadt 21988. Vgl. die ethischen Voraussetzungen für das Rednertum Quint. inst. 1,1,9–20. Vgl. Riggsby 1998, 76 f.
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seiner Zeit für die Gutswirtschaft, den Familienbesitz, die Jagdleidenschaft oder die Hingabe an Festveranstaltungen verschwenden solle, da diese Zeit den studia, die notwendig für die Heranbildung eines wahren Redners sind,353 verloren gehe. Hierbei fühlt man sich unwillkürlich an die Gestaltungsprinzipien des plinianischen otium erinnert, der all diesen Vergnügungen im Vergleich zu seinen studia nur einen Bruchteil seines otium einräumt.354 Daraus ist klar zu erkennen, dass Plinius ein spezifisches Bild des optimus civis vor Augen hat, das er sich zuschreiben möchte, und zwar das des orator, das über die Vermittlung Quintilians und das Vorbild Ciceros355 auf das republikanische exemplum des sich als römischer orator durchsetzenden homo novus schlechthin zurückgreift, auf Cato. Ähnlich wie Tacitus als Überlieferer der Taten und Tugenden Agricolas sich in eine republikanische Tradition stellt, schüttet auch Plinius hier das dunkle Jammertal der vorangegangenen Prinzipate und der späten Republik zu und knüpft an eine ideale Blütezeit Roms an, als deren Fortsetzer er sich geriert. Doch trotz aller Bemühungen von Plinius sind die Normenwelt des Prinzipats und der von ihm ideal verklärten Vorzeit nicht vollständig zur Deckung zu bringen. Denn zum einen gehörte auch für Cato die militärische Bewährung zu dem zentralen Element aristokratischer Verdienste für die res publica, die durch die Konzentration der plinianischen Selbstdarstellung auf das otium wegfallen. Zum anderen ist genau diese Fixierung auf das otium problematisch, da es zwar schön ist, wenn man ein guter Mann ist, dies aber irrelevant wird, solange man als Aristokrat dieses Gut-Sein nicht in den Dienst der res publica stellen kann. Nun kann Plinius gegen diesen Vorwurf auf seine Ämterlaufbahn und den Brief 1,10 verweisen und bezüglich seiner studia, die in catonischen Augen fast schon suspekt genannt werden könnten, da die Rednergabe des römischen Aristokraten eine natürliche und nicht durch griechische Bildung anerzogene sein sollte, in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass er aufgrund seines beschränkten ingenium den alten Vorbildern nur nacheifern könne, wenn er seinen studia mit der gebotenen Sorgfalt nachgehe. Ein weiteres Postulat Catos, dass „berühmte und bedeutende Männer für ihr privates Leben nicht weniger als für ihr öffentliches Rechenschaft ablegen 353 Quint. inst. 12,1,6. 354 Für die Bedeutung der studia im Hinblick auf die Konzeption des otium durch Plinius siehe oben, Kap. 3.3, S. 174–177. Nicht nur in der dauerhaften Beschäftigung mit den studia kommt zum Vorschein, dass die Ausbildung des orator quasi einen ständigen Lernprozess darstellt, der nie abgeschlossen ist (vgl. für die ständige Selbstverbesserung Plinius’ in seinem otium Leach 2003, 161 f.; vgl. zu den Mühen und Anstrengungen, denen sich Plinius dabei unterziehen muss Bütler 1970, 31 f.), sondern er betont dies auch explizit in Plin. epist. 5,8,8: unodevicensimo aetatis anno dicere in foro coepi et nunc demum, quid praestare debeat orator, adhuc tamen per caliginem video („In meinem neunzehnten Lebensjahr begann ich, auf dem Forum als Redner aufzutreten; und jetzt erst sehe ich, und auch jetzt noch wie durch einen Nebel, was ein Redner leisten muss“). Es ist dann auch erst in den folgenden Büchern der Fall, dass Plinius häufiger als Vorbild für die Jugend oder gar deren Lehrer in Erscheinung tritt. Vgl. für die im marginalisierten Raum des plinianischen otium erkennbaren Spuren einer Umsetzung der Lehren Quintilians Riggsby 1998, 84–86 sowie Vogt-Spira 2003, 53. 355 Vgl. Weische 1989, 375–378.
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müssen,“356 wird ebenfalls von der plinianischen Selbstdarstellung erfüllt, insofern als diese im Medium (den Briefen) und Modus (der Unabhängigkeit) des otium stattfindet und im Umkehrschluss der plinianischen Prämisse, dass die persona im otium den wahrhaften Charakter eines Menschen zum Vorschein bringe, auf die Gesamtheit senatorischen Seins ausgeweitet werden kann.357 Plinius legt also mit seinen Briefen Rechenschaft über sein Leben als privatus ab,358 wobei er sich nicht nur als vorbildlicher Senator, nämlich als orator, entpuppt, sondern genau diese Idealität auch auf sein Führen von Ämtern im Dienst der res publica (und des Kaisers) zu übertragen ist, was der Senat in seinen Beurteilungen bezeugen kann.359 Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass für den Begriff des otium in der plinianischen Repräsentation von Welt eine hybride Multifunktionalität festzustellen ist, da dem otium sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der metatextuellen Ebene bedeutsame Funktionen für die Konzeption der Briefsammlung, der Adaption zeitgenössischer Diskurse und des hervorgebrachten Selbstbildes zukommen, es aber auch bei der Konstruktion des styles der Sprecherinstanz eine signifikante Rolle spielt. Das senatorische otium wird intratextuell als ein Raum unabhängiger aristokratischer Selbstentfaltung gestaltet, der für den vorbildlichen Senator einen so hohen Stellenwert einnimmt, dass von ihm aus eine Neudefinition des Lebensbereichs des negotium vorgenommen wird. Dieses ist zwar nach wie vor Ziel und Kern des senatorischen Seins, aber es steht dabei nicht nur dem Ideal der freien Selbstentfaltung im Wege, sondern wird auch als mühselige Last diskursiviert, die dem an den studia interessierten Senator mehr abverlangt als einbringt und ihn in die Ketten sozialer Verpflichtungen schlägt. Dadurch zeigt sich die Betätigung im negotium als Selbstaufopferung im Dienst für das Gemeinwohl, welche auf der Disziplin des Einzelnen und seinem Verantwortungsbewusstsein gegenüber der res publica basiert. Der dabei zum Vorschein kommende Verzicht auf das für den guten Senator bedeutungsvolle otium stellt für seine Tätigkeit im öffentlichen Bereich den Gegensatz zu jeglicher ambitio, zu übermäßigem Ehrgeiz sowie zu Ruhmsucht im Bereich der res publica dar.360 Diese Selbstbescheidenheit konstituiert das Gegen-
356 Cic. Planc. 66: Etenim M. Catonis illud quod in principio scripsit Originum suarum semper magnificum et praeclarum putavi, clarorum virorum atque magnorum non minus oti quam negoti rationem exstare oportere. Vgl. oben, Kap. 3.2, S. 158 mit Anm. 56. 357 Vgl. ohne diesen signifikanten Zwischenschritt Hoffer 1999, 23: „Pliny’s entire private and political life, which the letters symbolize and reveal, can also be displayed in public.“ Dabei übergeht er den Umstand, dass Plinius mit Ausnahme von Brief 1,10 keine seiner Tätigkeiten als Magistrat oder als Beamter in kaiserlichen Diensten schildert. 358 In diesem terminus technicus ist schlicht und ergreifend der Gegensatz zwischen magistratus und privatus (also einem Aristokraten, der momentan kein Amt inne hat) beschrieben. Er ist im Leben des römischen Senators also viel weitreichender als das ‚private‘ Leben im otium. 359 Plin. paneg. 95,1. Die bedeutendere Rolle bei der Evaluierung der Amtsführung spielt aber auch im Panegyrikus der Princeps, Plin. paneg. 91,3–5 und 92,1. Die unüberseh- und unübergehbare Rolle des Princeps bei der Ämtervergabe war sicherlich auch ein Punkt, weshalb sich Plinius in seinen Briefen über diesen Themenbereich ausschweigt. 360 Plin. epist. 1,9 f.; siehe oben, Kap. 3.3.
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bild zum schlechten Senator, der als Delator und Erbschleicher versucht, auf Kosten von anderen seinen sozialen Status zu verbessern.361 Die sinnfälligste Hybridität des otium wird in der strukturell verschlungenen Affirmation des optimus Princeps durch die Distinktion von dessen Vorgänger deutlich, deren Glaubhaftigkeit ein Derivat der Existenz des senatorischen Heterotopos darstellt und schließlich selbst der Hervorbringung von Differenz zwischen Princeps und Senator dient. Anders ausgedrückt: Das otium selbst ist Distinktionsmerkmal zwischen Domitian und Trajan, wobei seine Existenz unter letzterem stark affirmatorischen Charakter aufweist, da es mit seinen Voraussetzungen der libertas und securitas den Optimus-Princeps-Diskurs aufgreift und bestätigt.362 Des Weiteren bildet seine Existenz zum einen die Voraussetzung für die Glaubhaftigkeit der plinianischen Zustimmung zum trajanischen Herrschaftssystem, während sie zum anderen erst den Ausgangspunkt für die im Selbstbild des Plinius zum Ausdruck kommende Differenz zu der von Trajan entworfenen persona im diskursiven Element der civilitas hervorbringt.363 D. h. Plinius nutzt die durch den Herrschaftsdiskurs zur Verfügung gestellte persona des optimus civis, überblendet sie mit der sozialen Rolle des orator und kreiert dabei ein im Modus der unabhängigen Selbstentfaltung entstandenes Selbstbild.364 Bei dem Entwurf dieses Selbstbildes handelt es sich also nicht um einen Akt einfacher Imitation des Optimus-Princeps-Diskurses, sondern um ein aktives Hineinschreiben in das trajanische Herrschaftssystem durch die kreative Übernahme von im Herrschaftsdiskurs zur Verfügung gestellten styles, bei der eine eigene persona des briefeschreibenden Konsulars entsteht. Damit positioniert Plinius sich selbst als selbständiges systemtragendes Element des trajanischen Prinzipats und versucht mittels dieser Konzeption im konsularen Konkurrenzkampf seine Unabhängigkeit vom Kaiser und die durch seine Vorbildlichkeit begründete Rechtmäßigkeit seiner soziopolitischen Stellung zu behaupten und damit Punkte zu machen.365 Dabei nutzt er die persona des orator, wobei er auf ein altrepublikanisches exemplum mit großem Identifikationspotential für jeden homo novus verweist: Cato. Gleiches ließe sich mit Abstrichen ebenfalls für sein direktes Vorbild Cicero konstatieren. Aber auch mit diesem chronologischen Rückgriff bleibt er im zeitgenössischen senatorischen Diskurs, nach dem die trajanische Herrschaft eben nicht nur – wie unter den Vorgängern – als Prinzipat zu charakterisieren, sondern qualitativ als eine neue Zeit zu bewerten ist, die als direkter Anschluss und Weiterführung der Blütezeit Roms in der Mittleren Republik, vor dem Verfall durch die Bürgerkriege ange361 362 363 364
Vgl. oben, Kap. 3.5, S. 191–195 zu Plinius’ Antagonisten Regulus. Siehe oben, Kap. 3.6, S. 199–201. Siehe oben, S. 208–211. Wollte man ein Analogon dieses Selbstbildnisses als trajanischer orator in der Porträtplastik imaginieren, so sähe man sich wohl einem klassisch republikanisch senatorischem Bildnis gegenüber, das mit deutlich idealisierenden Zügen der trajanischen Zeit versehen ist. Zur kaiserzeitlichen Porträtplastik vgl. oben, Anm. 321. 365 Vgl. für die notwendige Konzeption der Distinktion als Differenz, um mit ihrer Hilfe Prestige zu erlangen, Riggsby 1998, 94, wobei gerade diese Form der Distinktionserzeugung im ständigen innersenatorischen Konkurrenzkampf eine grundlegende Rolle spielt.
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sehen werden muss.366 Wie sein in den Briefen entworfenes Selbstbild aber zeigt, besitzt er nicht nur das Wissen über diese neue Zeit und propagiert dieses, sondern kann mit ihrer Sprachregelung in senatorischer Unabhängigkeit umgehen und untermauert damit und mit seiner Vorbildlichkeit seinen Führungsanspruch unter den Senatoren.367 Seine Briefsammlung legt darüber ein authentisches (so die Suggestion) Zeugnis ab, dass er den Spielraum der neuen Zeit vorbildlich gestaltet und sein Leben, das er als dasjenige eines vir bonus, also eines orator inszeniert, im otium wie im negotium am selbstlosen Nutzen für die res publica orientiert.368 Plinius schreibt sich demzufolge mit der im otium entworfenen, von der trajanischen persona divergenten diskursiven Formation des orator als vorbildlicher und unabhängiger Senator, der sowohl ein guter Mensch als auch ein guter Politiker ist, die Rolle des optimus civis zu und positioniert sich somit als selbstbewusster Systemträger der res publica in der trajanischen Herrschaft. Für die Inszenierung und Verbreitung dieser persona nutzt er das von ihm in neuer Art als literarisches Kunstwerk zusammengestellte Medium des otium, das seine Unabhängigkeit verbürgt, und verbreitet so über seine Briefsammlung im aristokratischen Heterotopos, seine Selbstdarstellung als optimus civis. Bei der Selbstzuschreibung dieses styles distanziert er sich vom Modus der Imitation und nutzt wiederum das otium, um die Koinzidenz seiner Vorbildlichkeit mit derjenigen Trajans sowie die Unterschiedlichkeit ihrer personae zu konstituieren, um so im Modus unabhängiger Affirmation sein nachahmenswertes Selbstbild als orator zu entwerfen. Wirft man einen Blick auf die ihre Wirkung im munizipalen Kommunikationsraum entfaltende Inschrift zurück,369 so ergeben sich zwischen ihr und der Briefsammlung sowohl in der von ihr evozierten Selbstdarstellung Plinius’ als auch in der Art und Weise der Hervorbringung derselben signifikante Unterschiede. Plinius wird in dem epigraphischen Dokument als potenter pater patriae repräsentiert, der nicht nur durch Bauwerke in das Stadtbild, sondern zum Wohle des municipium durch seine Munifizenz auch in dessen Bevölkerungszusammensetzung sowie deren Hierarchie eingegriffen hat. Dabei nutzt Plinius offensichtlich im Modus der Imitation des trajanischen Herrschaftsdiskurses Elemente, um sich die Rolle des Princeps von Comum zuzuschreiben. Sowohl das dem Herrschaftsdiskurs entsprechende epigraphische Selbstbild als auch der Modus seiner Konstruktion stehen in klarem Gegensatz zu der plinianischen Briefsammlung. Doch ist diese Differenz öffentlicher Selbstdarstellung nicht verwunderlich, da sie in verschiedenen Kommunikationsräumen mittels unterschiedlicher Medien stattfindet und sich an Rezipienten wendet, wie sie unähnlicher nicht sein könnten. Während für die Repräsentation als Princeps der Kommunikationsraum des municipium mit dessen Bevölkerung als Adressat sowie dem steinernen Medium der Inschriftentafel relativ klar 366 Vgl. oben, Kap. 2.3, S. 115–117 sowie oben, Kap. 1.3, S. 47 f. 367 Mit dieser Propagierung eines eigenen Selbstbildes auf der Basis seines Wissens über die trajanische Herrschaft kann er einen Schritt weiter gehen als Tacitus mit seinem Agricola, dessen Verbreitung noch in die spannungsgeladene Zeit der Transition fällt, vgl. oben, Kap. 1.6, S. 80 f. 368 Vgl. zu einer ähnlichen Konzeption bei Cicero Gildenhard 2011, 74–80. 369 Siehe oben, Kap. 3.1, die ausführlich besprochene große Plinius-Inschrift aus Comum.
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umrissen werden kann, die eindeutig im medialen Zusammenhang der Inszenierung der öffentlichen persona des Senators steht – also dem Bereich des negotium zuzuordnen ist –, gestaltet sich dieser Sachverhalt in Bezug auf die Briefe ein wenig komplexer. Die Briefsammlung als ein doppeltes Produkt des senatorischen otium, das seine Distribution über aristokratische Netzwerke findet, die durch Buchhändler unterstützt werden, wendet sich in ihrer virtuellen Leserschaft ausschließlich an die Reichsaristokratie, wobei deren Rezeptionsakt sich im gleichen Raum vollzieht, in welchem durch das Medium unabhängiger aristokratischer schriftlicher Kommunikation (durch Briefe) das plinianische Selbstbild entworfen wird, im Heterotopos des otium.370 In dem literarischen Monument des otium, das seine Briefsammlung darstellt, betreibt der homo novus Plinius seine beeindruckende Selbstdarstellung als orator und optimus civis und steigert mit dieser Demonstration aristokratischer Distinktion seine dignitas und auctoritas als Senator. Dies kann zwar im politischen Raum der Kaiserzeit nicht mehr so häufig direkt nutzbar gemacht werden wie in der Republik, aber die kaiserliche Anerkennung des einzelnen Senators steigt auch bei starkem Rückhalt und selbsterarbeitetem Status innerhalb der Reichsaristokratie;371 ganz abgesehen von dem ausgeprägten Lobpreis Trajans und dessen Herrschaft durch die Briefsammlung. Damit reimportiert Plinius das otium aber wieder als potentiellen Raum aristokratischer Distinktion und als Möglichkeit der Produktion von Sozialprestige für Senatoren. Mit anderen Worten: Er verleiht durch seine Selbstdarstellung im otium diesem Raum im Kontext des Herrschaftssystems der Kaiserzeit soziopolitische Relevanz. Wenn allerdings das otium für die aristokratische Selbstdarstellung auch im Prinzipat ein Raum für Distinktion darstellen konnte, bedeutet dies, dass es, wenn auch die Intensität direkt vorangetriebener politischer Agenden – es sei denn, man verbrachte das otium mit dem Kaiser – im Vergleich zur Republik beinahe in Richtung Null ging, nie ein gänzlich apolitischer Raum wurde; zumindest nicht für die im Dienst der res publica tätig werdende römische Reichselite.
370 Dies trifft bereits auf erster Ebene zu: Briefe als private Korrespondenz im otium. Aber auch als Produkt der studia ist der Ort ihrer Rezeption das otium. Vgl. Bütler 1970, 37, der die vielen Korrekturen und Rezitationen literarischer Produkte des otium benennt; vgl. ebenfalls Hoffer 1999, 44. Vgl. für die Bedeutung der Lesegemeinschaft, die nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Komponenten beinhaltet und stark mit der Identität des Lesers verknüpft ist, für das Lesen, Verstehen und Dekodieren von Texten Johnson 2010, 11 f. Zu der in den Briefen entworfenen hochgebildeten, aristokratischen und exklusiven Lesegemeinschaft ebd. 31–62. 371 Zumindest stellt Plinius so den Idealfall der Übereinstimmung von Senat und gutem Kaiser dar, siehe Plin. paneg. 62; dieses Ideal kommt in den Briefen bspw. implizit in dem Aufgehen Trajans im Senatskollektiv in Plin. epist. 2,11, dem Prozess des Marius Priscus, zum Ausdruck. Vgl. Saller 1982, 45 für die Gefahr des Akzeptanzverlusts des Princeps bei unangemessener Patronage, sowie Flaig 1992, 174–201; v. a.177 f., 183 f. zu den sich daraus ergebenden Gefahren der Usurpation. Vgl. zur Problematik zu starker Eingriffe in die senatorische Hierarchie durch den Kaiser und deren Potential im Extremfall Bürgerkriege auszulösen, die Rede Mucians in Tac. hist. 2,76 f. und Kap. 4.2.2, 266 f.
4. SELBSTBEWUSSTE KAISERMACHER? – DIE FUNKTIONSELITE IN DEN HISTORIEN DES TACITUS Nach der Analyse dreier senatorischer Texte, die sehr unterschiedliche literarische Charakteristika aufweisen und sich aufgrund ihrer spezifischen Funktionalität nur sehr schwer bestimmten Gattungen zuordnen lassen,1 werden in den nächsten beiden Kapiteln die Überreste der beiden großen historiographischen Schriften des Tacitus in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken. Die Analysen dieser beiden Werke stehen dabei sowohl in einem methodischen als auch inhaltlichem Ergänzungsverhältnis zueinander. Während im nächsten Kapitel zu den Annalen sowohl die Analyse von Diskursen als auch die extradiegetische Ebene der Vermittlung zwischen Autor und Leser im Fokus der Untersuchung stehen werden, konzentriert sich die Arbeit mit den Historien auf das intratextuell entworfene Bild des Prinzipats in der Krise; also ganz auf die erzählte Welt. Komplementär verhalten sich auch die inhaltlichen Schwerpunkte zueinander, wird in den Annalen der Blick zunächst auf den Princeps als konstitutives Element der dargestellten Realität der Vergangenheit und im Anschluss auf die in der Schrift entwickelte persona des Erzählers gelenkt. Bei der Analyse der Historien hingegen liegt der Fokus auf der senatorischen Funktionselite der erzählten Welt und ihrem Agieren im militärischen Bereich, ihr Verhalten gegenüber ihren Standesgenossen und gegenüber dem Princeps.2 Diese spezifische Perspektive birgt primär die Fragen in sich, welches Bild von der Elite der Reichsaristokratie, ihrem Handeln und ihrer Motivation in den Historien entworfen und wie ihre Funktion und ihre Konstituierung in der Repräsentation von Welt in Form der Rekonstruktion von Vergangenheit realisiert wird. Dieses um 109 n. Chr. fertiggestellte Werk, von dem die ersten vier Bücher vollständig und der Beginn des fünften überliefert sind, eignet sich für eine Untersuchung des Agierens der senatorischen Funktionselite aus mehreren Gründen.3 Zunächst handelt es sich bei diesem historiographischen Werk um eine äußerst ausführliche Darstellung des Vierkaiserjahres: eineinhalb Jahre Ereignisgeschichte 1
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So stellt sich der Agricola des Tacitus als ein Text heraus, der unterschiedlichste römische Memorialpraktiken in sich zu vereinigen sucht, während sich der Panegyrikus des Plinius als Transponierung einer öffentlichen Rede in den rhetorischen Raum des otium entpuppt, wozu die enge Verzahnung mit der Briefsammlung beiträgt, welche selbst ein innovatives Genre darstellt und als literarisches Selbstporträt eines Senators im otium gelesen werden kann. Zur besonderen Eignung des Stoffs der Historien für die hier vorgenommene Schwerpunktsetzung vgl. Halfmann 2002b, 231. Siehe zur Problematik der Datierung der historiographischen Schriften des Tacitus unten, Kap. 5, S. 288–290 und allgemein zur Thematik der Verbreitung senatorischer Literatur oben, Kap. 2.2 S. 98 f. Siehe zur allgemein anerkannten Feststellung, dass die Historien um 109 n. Chr. fertiggestellt waren: Borzsák 1968, 390; A. Birley 2000c, 241, sowie mit der Angabe weiterer Literatur und der ungelösten Problematik der Rekonstruktion des vollen Umfangs der Historien Schmal 2005, 50 u. 59–61.
4. Selbstbewusste Kaisermacher? – Die Funktionselite in den Historien des Tacitus
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(1. Januar 69–Herbst 70) werden in mehr als vier Büchern abgehandelt.4 Dabei stehen neben den Kaisern und Usurpatoren vor allem die Angehörigen der senatorischen Funktionselite im Mittelpunkt der historiographischen Erzählung und treten vor allem auf dem Feld militärischer Handlungen gegenüber ihren obersten Dienstherren deutlich in den Vordergrund.5 Dass dieses historiographische Werk von einem Vertreter der Reichselite selbst verfasst wurde,6 muss nicht eigens erwähnt werden. Doch erscheint in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass der Zeitraum der erzählten Welt und derjenige der Abfassung des Textes in den Maßstäben der Antike nicht weit auseinander liegen (ca. 40 Jahre, wobei Tacitus die turbulente Zeit anno 68–70 n. Chr. allerdings als Jugendlicher selbst miterlebte), nicht ganz unwichtig. Es handelt sich bei den Historien sozusagen um Zeitgeschichte, was insofern von Bedeutung ist, als das institutionelle Setting der sozio-politischen Gegebenheiten der intratextuellen Welt demjenigen außerhalb des Textes recht ähnlich ist – die römische Monarchie und die Stellung der senatorischen Funktionselite in ihr sind systemische Grundkonstanten.7 Der große Unterschied zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit manifestiert sich in letzterer im Moment der politischen Krise, der sich nicht nur gut dazu eignet, „die Struktur der Akzeptanz, der Loyalität, die Bedingungen des Funktionierens der römischen Monarchie zu erhellen,“8 sondern auch die Handlungsmöglichkeiten und -dispositionen der Repräsentanten der senatorischen Funktionselite zu analysieren. Die erzählte Katastrophe für das Gemeinwesen in Form des Bürgerkriegs wird dadurch zwar zu einer Gefahr für die Elite, birgt aber auch Chancen des schnellen gesellschaftlichen Aufstiegs für die Protagonisten der Narration in sich. Darüber hinaus ermöglicht sie auf der Metaebene einen Einblick in die Darstellung aristokratischer Handlungsprinzipien, indem sie als Auslöser für produktive Fragen an das Verhalten der Funktionselite fungiert. Wie handeln die einzelnen Mitglieder der Senatsaristokratie zum Zeitpunkt der Krise? Welche Handlungsmöglichkeiten stehen ihnen offen? Woran richten sie ihr Handeln aus? Welche Bedeutung hat ihr Verhältnis zum Kaiser/Usurpator? Welche Bedeutung spielen ihre Beziehungen zu ihren Standesgenossen? Und letztendlich: Wodurch wird die Krise generiert? 4
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Hätte Tacitus in diesem Erzähltempo weitergeschrieben, hätten seine Historien, welche wohl den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 69 und dem Tod Domitians abdeckten, 72 Bücher umfasst. Zum fragmentarischen Charakter der überlieferten Texte von Tacitus siehe Ash 2009, 86 mit Anm. 6; zur ausufernden Beschreibung des Bürgerkriegsjahres ebd. 88; vgl. zur Ausführlichkeit der Darstellung auch Master 2012, 85. Es ist in der Forschung an den Historien ein deutliches Interessenübergewicht bezüglich Kaiserdarstellungen und/oder historischer Schlachtenrekonstruktion zu konstatieren. Siehe bspw. Heubner 1963; 1968; 1972; 1976; 1982 (dort auch die Auseinandersetzung mit der entsprechenden früheren Literatur); Morgan 1992; 1993; 1996a; 2005; 2006; Manolaraki 2005; Damon 2006. Selten einmal stehen einzelne Vertreter der senantorischen Funktionselite so deutlich im Fokus wie bei Morgan 1994; 1996b; 1997; Geiser 2007. Zu Laufbahn und Lebensdaten siehe Syme 1958, 59–74; A. Birley 1968, 376–399; A. Birley 2000c, 230–247. Schon für die Zeit 68/69 gilt, „dass es im Grunde um nichts anderes als die sachgemäße Fortführung des Kaisertums ging“, Heuss 2001, 336. Flaig 1992, 11.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Um eine möglichst valide Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen zu gewährleisten, sind die Akteure der senatorischen Funktionselite in der erzählten Welt qualitativ komplett erfasst worden. Qualitativ musste die Analyse der vollständigen Aufnahme aller senatorischen Handlungsträger in amtsführender Funktion durchgeführt werden, da die Literarizität des historiographischen Werkes von Tacitus eindeutigen (und vor allem vorschnellen) Zuschreibungen der Protagonisten zu bestimmten Gruppen oder Aussagen über die ihren Handlungen zugrunde liegenden Intentionen und Motivationen zuwider läuft. Sicherlich würde niemand bezweifeln wollen, dass es sich bei den Historien vornehmlich um eine literarische und kein fachwissenschaftliche Schrift handelt.9 Nicht nur, dass man sich allgemein in der Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts immer wieder uneins über den historischen Wert der taciteischen Darstellung war.10 Vielmehr finden sich auch innerhalb des Textes vielfach sogenannte ‚Fiktionalitätsmarker‘, welche die Primäranalyse und Gesamterfassung des Textes als die eines literarischen Produkts plausibilisieren.11 Hierzu zählen beispielsweise nicht explizierte Ellipsen und Raf-
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So kann Syme 1958, 193 behaupten: „Narrative is the essence of history“ und Tacitus eine Seite weiter (194) „as a painter of historical scenes“ bezeichnen; Dudley 1968, 54 charakterisiert ihn als einen großen Maler; Christ 1978, 450 spricht davon, „dass der stark rhetorisierte Stil im Einklang mit den historisch-politischen Wertungen steht“; Murison 1991, 1711 betont, dass man es in Tacitus vornehmlich „with a supreme literary artist“ zu tun habe, bei dem der Stil über den Inhalt dominiere. Zu den literarisch sehr ausgefeilten commissurae vgl. Morgan 1993. Gehrke 2006, 385 sieht in der römischen Geschichtsschreibung ganz allgemein die einzige literarische Tätigkeit für Senatoren, ohne ihr Ansehen zu beschädigen, 394 räumt er Tacitus die Fähigkeit ein, historiographische Bilder von hoher Kohärenz und enormer Suggestivkraft zu entwerfen. Für eine ereignisgeschichtliche Abhandlung des Vierkaiserjahres siehe Morgan 2006. Vgl. ebenfalls die von Woodman in Bezug auf die Annalen getroffen Äußerung: „Classical historiography functions as a genre like poetry (see above, pp. 98–100), having its own conventions and generating its own expectations,“ Woodman 1988, 185 und ebd. 98– 100 sowie Heldmann 2011, 21–26. Murison 1991, 1709 hält den taciteischen Bericht des Bataveraufstands prinzipiell für glaubwürdig, möchte aber keine allgemeine und klare Entscheidung über Tacitus’ Qualitäten als Historiker treffen (1712); Schmal 2005, 118 kommt zu dem Schluss, Tacitus sei zwar in seiner Terminologie häufig unpräzise und darüber hinaus parteiisch, aber im Grunde ein guter Historiker gewesen; überblickshaft: 104–119; ebd. 60 f. gelangt er zu der Beurteilung, Tacitus gebe dem Inhalt Vorrang und arrangiere die Formalien um diesen herum. Dabei gehe er mit seiner Stoffanordnung freier um als Livius. Siehe allgemein zur Problematik der narratologischen Differenzierung zwischen fiktionalen und faktualen Texten Genette 1992, 65–94; dort heißt es beispielsweise (92): „Dieser wechselseitige Austausch [der Hamburger’schen Fiktionalitätsindices zwischen fiktionalen und faktualen Texten] führt uns also zu einer erheblichen Abschwächung der Hypothese einer beim narrativen Verfahren a priori geltenden Differenz zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion.“ Dennoch können die angeführten Elemente m. E. dazu dienen, die Literarizität eines Textes zu erfassen. Vgl. zur literarischen Qualität und Sprache der Historien Master 2012, 86–88.
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fungen12, ausgeschmückte Emphasen13, die allgegenwärtige Ironie14 sowie der direkte Zugang zur Subjektivität der Personen.15 Eine Sonderform der taciteischen Ironie macht dabei die eindeutige Attribuierung von Handlungsträgern insofern schwierig, als zwischen dem Dargestellten und dem vom Erzähler Berichteten bzw. seinen scheinbaren oder tatsächlichen Wertungen eine Spannung erzeugt wird, die sich nicht immer eindeutig auflösen lässt, also eine gewisse Ambivalenz erzeugt. Diese Beobachtung soll im Folgenden kurz am Beispiel des Petilius Cerialis und seiner Rolle bei der erfolgreichen Verteidigung des Lagers bei Trier gegen die aufständischen Bataver und ihre Verbündeten illustriert werden. Petilius Cerialis hatte die Nacht außerhalb des Lagers zugebracht und wurde am frühen Morgen über einen überraschenden Angriff der Aufständischen auf das Lager informiert: Cerialis war trotz der stürmischen Lage unverzagt, hielt die Fliehenden, ohne Rüstung klar sichtbar mitten im Geschosshagel, eigenhändig zurück, gewann durch seine glückliche Unbesonnenheit und das schnelle Eingreifen seiner tapfersten Soldaten die Brücke zurück und sicherte sie durch eine ausgewählte Schar.16
Cerialis kehrt dann in das fast schon eroberte Lager zurück und hält eine Rede an die Soldaten:
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Bspw. die Raffung beim Brand des Kapitols (Tac. hist. 3,69), siehe dazu. Flaig 1992, 393 Anm. 123, oder das durch eine Leerstelle im Text verursachte Problem der Lokalisierung der zerstörten Brücke (Tac. hist. 3,16), siehe dazu Morgan 2005, 198–202. Besonders plastisch und emphatisch wird der genuine Frevel des Bürgerkriegs in der Schilderung des Vatermords (Tac. hist. 3,25,2 f.) geschildert. Bspw. Tac. hist. 4,86,1: nam Cerialis salubri temperamento elusit ut vana pueriliter cupientem. Besteht doch insofern eine gewisse Spannung zwischen der Handlung des Cerialis und der drastischen Charakterisierung Domitians, als einerseits berichtet wird, „Cerialis habe mit vorteilhafter Zurückhaltung (das Vorhaben Domitians das Oberkommando übernehmen zu wollen) abgewehrt…“, dem aber andererseits die Charakterisierung Domitians quasi in oratio obliqua gegenübersteht, „…wie einen knabenhaft Eitelkeiten Wünschenden“ (Übers. d. Verf.). Die vorteilhafte Zurückhaltung des Cerialis wird also mit einer sehr deutlichen Bewertung von Domitian und dessen Wünschen kontrastiert. Vgl. bei Heubner 1976, 209 f., dem allerdings diese inhaltliche Spannung entgeht. Vgl. ganz allgemein zur Ironie: Syme 1958, 206 f., der die Ironie in den Historien als allgegenwärtig charakterisiert, im Detail, im Kommentar sowie auch im Setting ganzer Szenen. Text und Übersetzung der Historien stammen im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, aus: P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Joseph Borst unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 62002. Siehe die Motivation des Valens, gegen Galba zu intrigieren (Tac. hist. 1,52,3), den Beschluss und die Motivation Caecinas zu aufrührerischen Tätigkeiten (ebd. 3,53,2) oder den ‚wahren‘ Hintergedanken des Antonius Primus, seine Leute Vorräte im cremonensischen Gebiet akquirieren zu lassen (ebd. 3,15,2); siehe hierzu den Abschnitt über den Modus bei Genette 1992, 75–79; v. a. 75 f., wo er das spezifische Merkmal des direkten Zugangs zur Subjektivität als ‚Fiktionalitätsmarker‘ diskutiert. Tac. hist. 4,77,2: Cerialis turbidis rebus intrepidus et fugientes manu retrahens, intecto corpore promptus inter tela, felici temeritate et fortissimi cuiusque adcursu reciperatum pontem electa manu firmavit (Übers. d. Verf.).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit Zornentbrannt schrie er: „nicht einen Flaccus oder einen Vocula lasst ihr im Stich“…17
Nachdem der Angriff abgewehrt und der Feind zurückgeworfen wurde, wird das Dargestellte folgendermaßen bewertet: Wie Cerialis die Sache durch Sorglosigkeit fast niederwarf, so stellte er sie durch Standhaftigkeit wieder auf.18
In dieser Passage ist eine Differenz zwischen dem Berichteten und dem Dargestellten festzustellen. Die abschließend berichtete constantia erhält vor dem Hintergrund des dargestellten Geschehens einen herben Beigeschmack und weckt die Vermutung einer ironischen Bewertung. Zwar ließe sich das intecto corpore promptus inter tela, welches die Rücksichtslosigkeit auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers darstellt, mit der sich Cerialis in den Kampf stürzt, auch als die Tat eines unerschrockenen und mutigen Feldherrn lesen, doch diese Lesart verbietet eigentlich der ablativus modi: felici temeritate,19 der dieses Verhalten als Unbesonnenheit auszeichnet. Es gibt schließlich durchdachtere Beteiligung am Kampfgeschehen als sich ungeschützten Körpers in den Geschosshagel der Feinde zu werfen. Auch die aus Motivationsgründen erfolgende Scheltrede, die Cerialis an die Soldaten im Lager richtet, erfolgt nicht in standhaftem, sondern in aufgewühltem, stark emotionalisiertem Zustand (incensus ira). Dass die prekäre Situation letztendlich ein positives Ergebnis zeitigt, liegt aber nicht so sehr am Eingreifen des Cerialis, als eher an dem taktisch klugen Verhalten der 21. Legion, den Kohorten der Hilfstruppen, göttlichem Eingreifen und den Fehlern der Feinde.20 Darüber hinaus werden Anfang und Ende der Episode einander dadurch ironisch gegenüber gestellt, dass die constantia des Cerialis eben die missliche Situation wieder unter Kontrolle gebracht haben soll, die er durch sein nächtliches Verweilen außerhalb des Lagers hervorgerufen hatte und über die er in cubiculo ac lectulo21 („in Bett und Schlafgemach“) unterrichtet wurde. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber man denkt wohl richtig. Denn wenig später, wiederum in einer kritischen Situation, befindet sich Cerialis nicht in seinem Quartier, ob stuprum Claudiae Sacratae mulieris Ubiae.22 Wiederum steht er prope intectus („beinahe ungeschützt“) in der Gefahrenzone und wiederum ist es ein Irrtum (also ein Fehler) der Feinde bzw. sein durch ehrloses Verhalten hervorgerufenes Glück, das ihn vor Gefangenschaft oder gar seinem Tod bewahrt.23 Die Ebene des Erzählerberichts bzw. dessen Kommentar zum Geschehen spricht also von der constantia des Cerialis, während die ebenfalls vom Erzäh17 18 19
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Tac. hist. 4,77,3: incensus ira ‚non Flaccum‘ inquit, non Voculam deseritis (Übers. d. Verf.). Tac. hist. 4,78,2: Cerialis ut incuria prope rem adflixit, ita constantia restituit (Übers. d. Verf.). Zum Begriff der temeritas in den Historien des Tacitus siehe Riedl 2002, 82–84; v. a. 84: „Während audacia ambivalenten Charakter besitzt, ist temeritas ein Merkmal, das sich grundsätzlich negativ für die Akteure auswirkt, die damit das Geschehen bestimmen.“ Im obigen Fall wird die temeritas zwar von dem Adjektiv felix dominiert und führt zu einem positiven Resultat, widerspricht aber dennoch der berichteten constantia. Siehe Tac. hist. 4,78. Zu den Fehlern der Feinde vgl. Heubner 1976, 171 f. Tac. hist. 4,77,1 Tac. hist. 5,22,3: „wegen eines Verhältnisses zu der verheirateten Ubierin Claudia Sacrata.“ (Übers. d. Verf.) Tac. hist. 5,22.
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ler arrangierte Darstellung eben dieser Charakterisierung widerspricht, die direkt geäußerte Bewertung also ironisch bricht. Dieses Beispiel führt vor Augen, wie unerlässlich die Kontextualisierung von Wertungen auf der Berichtebene ist, um verfehlten Konstruktionen der erzählten Welt oder falschen Bewertungen ihrer Protagonisten zu entgehen. Man würde sich nach obigen Ausführungen doch nur mehr sehr ungern auf die constantia des Petilius Cerialis berufen wollen, wenn auch immerhin er es ist, der dem Bataveraufstand ein Ende bereitet.24 In dieses Feld der Uneindeutigkeit und der Widersprüchlichkeit müssen auch die vom Erzähler angeführten Gerüchte oder alternativen Wertungen einfließen. Diese dienen teilweise nur der scheinbaren Ambivalenz, um eine emphatische Eindeutigkeit in der Bewertung von Ereignissen oder Personen zu erzielen, teilweise sollen sie aber auch tatsächlich Mehrdeutigkeiten produzieren. Alternative Deutungsangebote müssen immer literarisch funktionalisiert werden, da sie eben nicht die Anführung mehrerer Quellen seitens des Autors widerspiegeln, sondern vielmehr einen signifikanten Teil der Darstellungsstrategie und inszenierter Interpretationsmöglichkeit des Textes an der jeweiligen Stelle ausmachen. Bericht und Form, Inhalt und Darstellung bilden eine Einheit: Wenn der Text an einigen Stellen beispielsweise über Gerüchte alternative Deutungsangebote produziert, sind diese als Teil des textproduzierenden Kalküls zu verstehen und müssen folglich eine intratextuelle Funktion aufweisen. In den Historien dienen sie nicht der Erzeugung von Glaubwürdigkeit, sondern einer teilweise subtileren, teilweise suggestiveren und in wenigen Fällen auch mehrdeutigeren Bewertung von Ereignissen und Personen.25 Bevor aber in einer ausführlichen Analyse die Protagonisten der senatorischen Funktionselite in der erzählten Welt der Historien des Tacitus in den Fokus rücken, wird im nächsten Kapitel der Untersuchungsgegenstand innerhalb des Textes konkretisiert. Nach einem Gesamtbefund aller zu berücksichtigenden Akteure sowie dem Entwurf produktiver Kategorisierungen und Schematisierungen von Handlungen und Handlungsfeldern der senatorischen Elite, gilt es das geschichtsphilosophische Setting der Krise und dem prinzipiell negativen Vorzeichen der dargestellten Welt aus dem Proöm herauszuarbeiten, um es für die Handlungsanalyse der senatorischen Protagonisten berücksichtigen zu können. 4.1 Die Darstellung der Krise 4.1.1 Die Funktionselite der erzählten Welt Eines der Hauptanliegen imperialer annalistischer Historiographie ist sicherlich in der Beschreibung der Beziehung zwischen Kaiser und Senatoren zu suchen, in welcher die Darstellung interner wie externer Kriege eine besondere Rolle einnimmt. Vor allem während interner Krisen wurde dieses prinzipiell prekäre Verhältnis stark 24 25
Vgl. die kurze Gesamteinschätzung des Cerialis in Riedl 2002, 170. Vgl. zum Merkmal der militärischen Devianz auch dieses erflogreichen Feldherrn Master 2012, 89. Vgl. Luce 1986, 150; Schmal 2005, 116 f.; Gehrke 2006, 395 und Geiser 2007, 24–28.
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auf die Probe gestellt, da der Kaiser stark auf die Loyalität und militärische Leistungsfähigkeit seiner Konsularlegaten angewiesen war.26 Da der erhaltene Teil der taciteischen Historien die Urkrise des Prinzipats schlechthin, den Bürgerkrieg, beschreibt, wird im Folgenden die senatorische Funktionselite der erzählten Welt einer qualitativen Komplettanalyse unterworfen. Im Gegensatz zu den vorherigen Analysen senatorischer Literatur werde ich dabei nicht diskursanalytisch vorgehen, sondern die im Text entworfenen Handlungsmuster, -dispositionen und -möglichkeiten der aristokratischen Protagonisten untersuchen. Es handelt sich sozusagen um eine praxeologische Untersuchung auf Basis der taciteischen Erzählung von den Ereignissen der Jahre 69/70 n. Chr. Dabei sollen dann auch weniger diskursive Anknüpfungen an die zeitgenössische Herrschaftsdarstellung oder die bisher erarbeiteten elitären Diskurse der trajanischen Zeit im Mittelpunkt stehen als viel mehr das beim Autor und seinen intendierten Rezipienten verankerte Wissen bzw. ihre Vorstellung über ihre sozio-politische Rolle im monarchischen Herrschaftssystem des Prinzipats. Die Erzählung wird dabei sozusagen als Spiegel für den senatorischen Blick auf das Prinzipat und die Stellung der senatorischen Funktionselite in diesem genutzt. Unter dem Begriff des senatorischen Funktionselite sind dabei prinzipiell alle Senatoren zu verstehen, die ein für den Herrschaftserwerb bzw. -erhalt ihres Kaisers relevantes Amt in dessen Diensten ab dem prätorischen Rang versehen. Bei einer globalen Analyse der senatorischen Funktionselite innerhalb der eineinhalb Jahre umfassenden Erzählung lässt sich die nicht unbeträchtliche Summe von 61 namentlichen Nennungen konstatieren.27 Für einen besseren Überblick lassen sich diese 61 Senatoren in drei Gruppen kategorisieren, wobei die ihnen zugeschriebenen Funktionen, nach denen die Einteilung in die Gruppen vollzogen wird, sich auf das Jahr 69 bzw. ihre ersten Aktivitäten innerhalb des Bürgerkrieges beziehen: Von den ersten 26 Senatoren der Tabelle befinden sich 24 in einem prätorischen Dienstverhältnis zum Kaiser. Dabei handelt es sich um 21 Legionslegaten und drei Statthalter kaiserlich-prätorischer Provinzen.28 Die beiden verbliebenen Senatoren 26
Vgl. Syme 1958, 211 u. Syme 1970, 120 zur imperialen annalistischen Historiographie; sowie Flaig 1992, 11–13 zum heuristischen Wert der Krise in Bezug auf sein römisches Akzeptanzmodell. Zur prekären Beziehung zwischen dem Kaiser und seinen senatorischen Kommandeuren vgl. oben Kap. I.1. 27 Siehe Appendix 3 „Senatorentabelle“. Es ist natürlich klar, dass die expliziten namentlichen Nennungen sich nicht hundertprozentig mit der tatsächlichen Anzahl der Handlungen decken, für welche die jeweilige Person verantwortlich zeichnet. Doch die Häufigkeit der Nennung spiegelt die relative Bedeutung, die der jeweiligen Figur vom Erzähler zugewiesen wird, dennoch deutlich wider. Des Weiteren kann eine Diskrepanz zwischen der Anzahl der namentlichen Nennungen eines Senators und derjenigen seiner Identifikation als Akteur erst ab einer gewissen Häufigkeit seines Auftretens gegeben sein, da er ansonsten nicht als Handlungsträger identifizierbar wäre. Diese Feststellung trifft also nur im Hinblick auf die wenigen Protagonisten eine Rolle, die im Folgenden sowieso im Mittelpunkt der Ausführungen stehen. 28 Da die Legionslegaten im Text selten bestimmten Legionen zugewiesen werden, wird in der Tabelle nur ihr Amt vermerkt und durch die aus der Erzählung ableitbare Spalte „Ort“ ergänzt, die Auskunft darüber gibt, in welcher Provinz sie stationiert sind. Bei den Statthaltern handelt es sich um Calpurnius Asprenas (Galatia-Pamphylia; 6), Iunius Blaesus (Lugdunensis; 15)
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befinden sich erst auf der Schwelle zu dieser hierarchischen Stufe und bekleiden das Amt der Prätur. Sie wurden bei der Zusammenstellung der Tabelle berücksichtigt, da für Iulius Frontinus (14)29 als praetor urbanus30 sowie für Arulenus Rusticus (3) als einem der Gesandten an die kurz vor Rom lagernden Flavianer durch die Bekleidung ihres jeweiligen Amtes eine prinzipielle Opposition zu den Kaisern (Galba/Otho/Vitellius) sehr unwahrscheinlich gewesen wäre. Die folgenden 26 Senatoren konsularen Ranges zeichnet in denen von ihnen besetzten Ämtern eine wesentlich größere Diversität aus. Die nominell in sich geschlossenste Gruppe stellen die acht Statthalter der kaiserlich-konsularen Provinzen dar, welche gleichzeitig Oberbefehlshaber über ein (Hispania) bis vier (Syria) Legionen sind.31 Mehr Prestige als sie haben nur die in der Erzählung angeführten drei Prokonsuln von Asien und Afrika32 sowie die beiden praefectus urbi33, die sich quasi am glanzvollen Schlusspunkt einer erfolgreichen senatorischen Laufbahn in kaiserlichen Diensten befinden. Ganz unterschiedliche Positionen in der Hierarchie der senatorischen Funktionselite nehmen die elf Konsuln des Jahres 69 ein,34 die zwar theoretisch kein Amt im Dienst des Kaisers, sondern die höchste Magistratur des cursus honorum versehen, deren Amtsausübung der amtierende Kaiser aber gewogen sein muss, wie der Karriereknick der beiden ebenfalls aufgenommenen designierten Konsuln Martius Macer (36), Pedanius Costa (38) und Valerius Marinus (49) beweist, die von Vitellius bei der Vergabe des Konsulats nicht weiter berücksichtigt werden.35 Die Spannweite im Status, den diese Konsuln einnehmen, reicht vom Konsul für einen Tag bis zum zweiten Konsulat eines verdienten Statthalters eines wichtigen Militärbezirks.36
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sowie Valerius Asiaticus (Belgica; 24); zum Status dieser Provinzen zur Zeit der Regierungsübernahme durch Vespasian siehe Eck 1970, 1 f. Die Ziffern in Klammern bezeichnen hier und im Folgenden die Nummer, unter welcher der Senator in der Senatorentabelle (Appendix 3) erfasst ist. Zu Iulius Frontinus siehe Tac. hist. 4,39,1 f.; zu Arulenus Rusticus ebd. 3,80,2. Zwar handelt es sich bei Germania superior und inferior nominell um Militärbezirke. Da diese jedoch beide selbständig waren, dürften sie sich faktisch nicht von den anderen konsularen Statthalterschaften unterschieden haben, siehe Eck 1970, 1–6 (auch Anm. 2 und 23), und werden hier und im Folgenden auch als solche verstanden. Der Wechsel im Prokonsulat über Afrika des in Tac hist. 1,76,3 genannten Vipstanus Apronianus (53) und des im Auftrag von Valerius Festus (25) ermordeten Lucius Piso (39) muss irgendwann im Jahre 69 stattgefunden haben – wobei Festus diesbezüglich nur erfolgreicher als der von Mucian zum Auftragsmord abgeschickte Zenturio Papirius war (ebd. 4,48–50). Gemeint sind Ducenius Geminus (32; Tac. hist. 1,14,1), der dieses Amt unter Galba bekleidet, jedoch unter Otho von Sabinus Flavius (44), dem älteren Bruder Vespasians, der dieses Amt schon zuvor versehen hatte, wieder abgelöst wird (ebd. 1,46,2). Ausgenommen sind die von den Kaisern (Galba und Otho) geführten Konsulate. Für das Jahr 70 werden in dem erhaltenen Teil der Historien nur Vespasian und Titus als Konsuln genannt (Tac. hist. 4,38,1); vgl. Townend 1962, 113–124. Tac. hist. 2,71,2; wobei Valerius Marinus nach der Aussage des Erzählers nur vertröstet, Martius Macer und Pedanius Costa jedoch übergangen werden; vgl. zu den Veränderungen des Vitellius bei den Konsulaten für das Jahr 69 Townend 1962, v. a. 152 f. Also eine hierarchische Spanne von Rosius Regulus (43), der sich magno cum inrisu den letzten freien Amtstag des übergelaufenen Caecina erschmeichelt (Tac. hist. 3,37,3) bis Verginius Rufus (50; ebd. 1,77,2).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Die verbliebenen acht Senatoren setzen sich aus je vier Prätoriern und vier Konsularen zusammen, denen die jeweiligen Kaiser im Zuge der Krise entstehende Sonderfunktionen übertragen oder die in Eigenregie die Initiative für ihren Kandidaten ergreifen. Bemerkenswert ist an dieser Stelle das rasante Avancement des Petilius Cerialis (57), der als funktionsloser Prätorier auf die den Apennin überquerenden flavianischen Truppen stößt, mit einer Führungsposition betraut und später von Mucian, wohl als konsularer Legat, damit beauftragt wird, den Bataveraufstand niederzuschlagen.37 Dem Senat als Körperschaft, aus dem sich die 61 tabellarisch aufgelisteten Funktionsträger ja rekrutieren, wird bei den Ereignissen der erzählten Welt keine große Bedeutung bei-gemessen.38 Der Erzähler stellt ihn sogar eher negativ dar: So beschreibt er die Zustimmung der Senatoren auf die Adoption und die Rede des Piso Licinianus umso übertriebener, je größer bei ihnen die Abneigung seiner Wahl im Vorfeld gewesen sei.39 Von einem ganz ähnlichen Sinneswandel werden die Senatoren nach dem erfolgreichen Putsch des Otho ergriffen, wobei sie in dieser Situation durch einen Parallelismus auch noch mit dem Volk, das bei Tacitus deutlich negativ konnotiert ist, auf eine Stufe gestellt werden.40 Ebenso untergraben die geschilderte Furcht vor und Ohnmacht gegenüber den einfachen Soldaten die Würde und das Ansehen eines großen Teils des Senats, der Otho bis in die Nähe des Schlachtfeldes begleitet hat.41 Und auch die beiden größeren Abschnitte in Buch vier, in denen die versuchte Vergangenheitsbewältigung geschildert wird, tragen nicht gerade zur Reputation des honorigen Gremiums bei.42 Denn einerseits mischt sich persönliche Ruhmbegierde einzelner Vertreter in die Debatte einer gerechten 37
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Apenninüberquerung: Tac. hist. 3,59,2; zum Auftrag Mucians siehe ebd. 4,68,1 u. 5,19,1, woraus hervorgeht, dass Cerialis wohl die Statthalterschaft von Germania inferioris und Annius Gallus (54) die von Germania superioris übertragen bekamen. Zur Problematik des Konsulats des Cerialis siehe PIR2 P 260 sowie Eck 1985, 135. Das deutet sich schon im dritten Teil des Proöms an (Tac. hist. 1,4–11), wo nur in einem Satz in Kapitel 4 die Freude der Senatoren (patres) über Neros Tod bei der Momentaufnahme der Stimmung in Rom, die sich über die Kapitel 4–7 erstreckt, genannt wird, während den Truppen in Rom ein ganzes Kapitel (ebd. 1,6) gewidmet ist. Zur allgemeinen Bedeutung des Senats vgl. bspw. Syme 1958, 208 f. oder Riedl 2002, 47 f. Diese abschätzige Bewertung findet sich auch in den taciteischen Annalen, siehe O’Gorman 2011, 294. Tac. hist. 1,18,1. Tac. hist. 1,45,1: Alium crederes senatum, alium populum. Vgl. Dudley 1968, 126–128, der sich (128) auch die Frage stellt, ob Tacitus unter den Flaviern wohl ebenfalls „the picture of a time-serving Senate“ gezeichnet hätte. Tac. hist. 2,52–54. Tac. hist. 4,3–10 sowie 4,39–45 u. 47; diese Abschnitte bedürften natürlich einer genaueren Untersuchung, wofür in dieser Arbeit aber nicht der Ort ist, da die senatorischen Akteure zum Zeitpunkt der Ereignisse nicht zur amtierenden, wenn auch potentiellen Funktionselite des Imperiums gehören. Vgl. Syme 1958, 209 f.; Heubner 1976, 105 f. sowie allgemein zu Senatsopposition und zum Begriff der contumacia: Vielberg 1987, 168–177 und Schmal 2005, 156– 160. Zu den Strategien senatorischer Vergangenheitsbewältigung nach einer krisenhaft diskursivierten Herrschaft vgl. die Anklage des Plinius, oben Kap. 1.1 sowie die Funktion des Agricola, oben, Kap. 1.3 und 1.6.
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Sanktionierung delatorischer Aktivitäten unter Nero und Vitellius,43 andererseits beugen sich die Senatoren dem Willen Mucians recht widerspruchslos, der eine mit beträchtlichem Konfliktpotential verbundene Untersuchung vermeiden will. Den unbefriedigenden Höhepunkt und für den Erzähler logischen Abschluss dieses Konfliktes bildet das von Mucian inszenierte ‚Sündenbockritual‘: Zwei unbedeutende Senatoren werden dazu gezwungen, ihren Verbannungsort erneut aufzusuchen, wonach sich die Einigkeit der Senatoren in der Wiederherstellung der ihnen gebührenden auctoritas und dignitas in der Kolonie Sena und in der Verurteilung eines senatorischen Prokonsuls nach dem Repetundengesetz manifestiert.44 Doch trotz der relativen Bedeutungslosigkeit des Senats als Körperschaft, was eo ipso eigentlich in einer kontradiktorischen Relation zur Tradition der annalisitischen Historiographie steht, nutzt Tacitus für seine Darstellung nicht das Genre sequenzieller imperialer Biographien.45 Im Mittelpunkt steht neben den Kaisern, in Situationen der gewaltsamen Konfliktbereinigung sogar noch vor diesen, die senatorische Funktionselite, da es ihre Vertreter sind, welche die geschilderten militärischen Aktionen durchführen, während die Kaiser diese Geschehnisse zwar verursachen, aber selbst nicht eingreifen.46 Doch nicht alle ihrem Kaiser dienenden Repräsentanten erfahren in der Narration die gleiche Gewichtung. Von den 61 Senatoren der Tabelle werden knapp 80 Prozent (49 von 61) weniger als elf Mal namentlich genannt. Noch drastischer, da die auswertbaren Informationen über die Akteure überproportional abnehmen, ist die Feststellung, dass knapp die Hälfte (30 von 61) der Senatoren nur ein- bis zweimal explizit erwähnt sind. Diese Beobachtung korreliert mit einer überproportionalen namentlichen Nennung von nur fünf Akteuren, welche in hohem Maße in die Geschehnisse der Erzählung involviert sind. Die genaue Anzahl der Situationen, in denen jene die logischen Subjekte der Handlung sind, lassen sich nur äußerst schwer bestimmen, doch überragen sie die anderen Senatoren an Bedeutung für den Verlauf der Geschehnisse in einem solchen Maße, dass eine absolute Bezifferung nicht notwendig erscheint. Diese Handlungsträger lassen sich in der Senatorentabelle in Appendix 3 leicht durch den für sie verwendeten Fettdruck identifizieren. Es sind dies: Caecina Alienus (Caecina; 5) und Fabius Valens (Valens; 12), die beiden vitellianischen Feldherren; Antonius Primus (Primus; 2), der stark eigenmächtig agierende flavianische Feldherr; Licinius Mucianus (Mucian; 37), der Statthalter Syriens und Stellvertreter Vespasians; sowie zuletzt der im Beispiel des vorigen Kapitels angeführte Petilius Cerialis (Cerialis; 57), dessen moralisch bedenkliche doch durch Glück gesegnete Sorglosigkeit die Geschehnisse bei der Niederschlagung des Bataveraufstands prägen. Eine von diesen beiden Extremen eingerahmte Zwischenstellung nehmen die verbliebenen sieben Akteure ein, die zwischen zwölf und 18 Mal explizit erwähnt werden.47 Tac. hist. 4,6,1. Tac. hist. 4,44 f. Zum Sündenbockritual vgl. Girard 2007, 19–29. Vgl. Syme 1970, 4 ohne allerdings dessen abschätzige Bewertung dieses Genres übernehmen zu wollen. 46 Vgl. Riedl 2002, 72–78,116–120. 47 Hierbei handelt es sich um ganz unterschiedliche Figuren: Verginius Rufus (50; der immer bemüht ist, seinen Kopf unten zu halten bspw. Tac. hist. 2,51), Suetonius Paulinus (59; ein
43 44 45
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Die weiteren Spalten der Tabelle, d. h. ob die erwähnten Repräsentanten der Funktionselite während des Bürgerkrieges eher aktiv oder inaktiv dargestellt werden, wie sie sich den einzelnen Kaisern/Usurpatoren gegenüber verhalten und schließlich ob sich daraus spezifische Konsequenzen für ihren Status während oder nach der Krise ergeben, führen vor Augen, dass es unmöglich ist, ein allgemeines Muster herauszuarbeiten. Mit anderen Worten, es bleibt kontingent, welche Konsequenzen die Handlungen des Einzelnen haben.48 Natürlich hängt dies auch unmittelbar mit der hohen Anzahl nur selten genannter Senatoren zusammen. Bei dieser Gruppe ist es häufig nur sehr schwer möglich, ihre Handlungen gegenüber einem Kaiser/Usurpator eindeutig zu bewerten – beispielsweise das weitere Verhalten des Cornelius Aquinus (7), der mit Valens zusammen den Mord an Fonteius Capito ins Werk setzte,49 gegenüber Galba, Otho, Vitellius oder gar Vespasian –, geschweige denn eine valide Aussage über deren Karriereentwicklung zu treffen; was natürlich auch mit dem Abbrechen des Textes im Herbst des Jahres 70 zu tun hat. Abgesehen von der Feststellung, dass bei den häufig in Erscheinung tretenden Protagonisten, auf deren Agieren in der erzählten Welt in der vorliegenden Arbeit der Fokus liegt, das Sample nicht mehr aussagefähig wäre, lassen sich die Merkmale ihrer Verhaltensweisen ebenfalls nicht allgemeingültig mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen verknüpfen. Während sich nämlich sowohl bei Caecina (5) als auch bei Flaccus (34) die Gesinnung und die aus dieser resultierenden Handlungen gegenüber den einzelnen Kaisern eher abwechslungsreich gestalten, erlebt der äußerst aktiv geschilderte Caecina im Verlaufe der Krise einen unglaublichen Aufstieg, wohingegen sich die letzte Konsequenz für den als Muster der Passivität dargestellten Flaccus eher negativ gestaltet – ein unrühmlicher nächtlicher Tod, der in einem lapidaren Satz geschildert wird.50 Doch auch der gleichermaßen aktive Einsatz für einen Kandidaten kann für den Einen bedeuten, dessen Stellvertreter zu werden, während der Andere damit das Ende seiner politischen Karriere besiegelt; in diesem Falle ist von Mucian (37) einerseits
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weiser und militärisch berühmter Konsular, der erfolglos als Feldherr Othos tätig wird, da man seinen Rat nicht beachtet, ebd. 2,32 f.), Dillius Vocula (9; der einem Verräter während des Bataveraufstands zum Opfer fällt, ebd. 4,59,1), Marius Celsus (35; der integere Konsul, der seinen Kaisern doch eher mit bescheidenem Erfolg treu zur Seite steht, ebd. 1,71,2), Titus Vinius (52; dessen Präsenz in der Erzählung eher von kurzer Dauer ist, ebd. 1,42), Hordeonius Flaccus (34; dieses Cognomen ist bei dem Statthalter Obergermaniens, der zeitweise die Verantwortung für beide Germanien übernehmen muss und den Dynamiken des Bataveraufstands nicht gewachsen ist, Programm, ebd. 1,9,1), sowie Sabinus Flavius (44; dem älteren Bruder von Vespasian, dessen Tod die ansonsten vorprogrammierte problematische Konkurrenz zwischen dem älteren Bruder des Imperators und dessen Stellvertreter Mucian verhindert, ebd. 3,75,2). Bspw. trägt Christ 1978, 486 diesem Umstand mit der Bemerkung Rechnung, dass Tacitus die Lebenswirklichkeit v. a. der politischen Realität durch viele Brechungen und Perspektiven zeichne. Tac. hist. 1,7,1. Tac. hist. 4,36,2. Caecina hingegen, der im Jahr zuvor noch Quästor unter Galba in Spanien war und von diesem zum Legionslegaten ernannt wurde (ebd. 1,53,1), erhielt von Vitellius noch im gleichen Jahr das Konsulat (ebd. 2,71,2) und stand (wie implizit ebd. 4,86,3 angedeutet) auch bei Vespasian in hohem Ansehen. Zum Konsulat des Caecina vgl. Townend 1962, 113–124.
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und Primus (2) andererseits die Rede, die beide zu Vespasians erfolgreicher Usurpation beitragen, aber im Anschluss ganz unterschiedliche Veränderungen in ihren Status erfahren.51 Diese Erkenntnisse führen zu der Notwendigkeit, die Aktivitäten der senatorischen Funktionselite qualitativ und situationsgebunden zu untersuchen. Trotz aller Diversität lässt sich nämlich eine fast universelle Tendenz in der Darstellung der Akteure ausmachen. Je höher nämlich ihre erfolgreiche Beteiligung an geschehensrelevanten Ereignissen ist, desto valider lässt sich eine negative Bewertung der meisten Protagonisten durch den Text ausmachen, wobei es sich allerdings nicht um eine reine Schwarzweißmalerei handelt.52 Da die Figuren der erzählten Welt allerdings nicht nur durch direkte Charakterisierungen, sondern auch indirekt durch ihre dargestellten Handlungen dem Urteil des Erzählers unterworfen sind,53 ist es ratsam, die Bedingungen der prinzipiell negativen Darstellung der erzählten Welt herauszuarbeiten. Denn durch die Analyse ihres erzählerischen Ursprungs und ihrer Funktion kann sie zur Klärung der Relation zwischen Handlung und Akteur beitragen. Der programmatische Ort schlechthin, an dem Thema und Darstellungsweise sowie ihre Begründung verdichtet Eingang in den Text finden, ist das Proöm, das im nächsten Abschnitt in Hinblick auf den Inhalt der taciteischen Schrift in exemplarischer Weise an den Kapiteln 1,2 und 1,3 untersucht werden soll. 4.1.2 Die ultio als Perspektive – Das Proömium 1,2 f. Das Proömium der Historien erstreckt sich in dreiteiliger Gliederung über die Kapitel eins bis elf des ersten Buches. Es wird von der in annalistischer Tradition stehenden Datierung eingerahmt, nach der die Erzählung mit dem Konsulatsjahr des Servius Galba (zum zweiten Mal) und des Titus Vinius beginnt.54 Im ersten Teil, der das erste Kapitel umfasst, begründet Tacitus seine Erzählung, indem er an die gesamte vor ihm liegende römische Historiographie anknüpft, die imperiale Geschichtsschreibung problematisiert und seine Interessenlosigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den in seiner Erzählung thematisierten Kaisern versichert, wobei er sich von der cura posteritatis („Sorge für die / vor der Nachwelt“)55 leiten lasse.
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Zu Mucians Machtbefugnissen siehe Tac. hist. 3,75,2; 4,11; 4,39,2; 4,44; 4,68; zum sehr sicheren Scheitern des Primus bei Vespasian siehe ebd. 4,80. Vgl. zu einer prinzipiell negativen Darstellungsweise: Damon 2003, 5 f.; Schmal 2005, 119; zu einer in dieser negativen Tendenz uneinheitlichen Darstellung der Akteure: Syme 1958, 210; Gehrke 2006, 397; Geiser 2007, 23. Wie bedeutsam diese indirekten Charakterisierungen durch die Darstellung einer spezifischen Handlung oder Handlungsreihe sein kann, führt wiederum das Beispiel des Petilius Cerialis im obigen Abschnitt vor Augen. Unter direkter Charakterisierung sind zu verstehen: Kommentare, wertende Bemerkungen und auch Beschreibungen auf der Berichtebene. Indirekte Urteile über Akteure erfolgen auf der Darstellungsebene über Handlung und Rede der Figuren selbst; indirekt sind auch die Wertungen durch andere Personen der erzählten Welt. Ähnlich bei Geiser 2007, 23–27. Tac. hist. 1,1,1 u. 1,11,3. Vgl. Fuhrmann 1960, 251–261. Tac. hist. 1,1,1.
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Inwiefern er sich hierbei an Sallust anlehnt,56 die Instruktionen Quintilians zur Abfassung eines Proömiums berücksichtigt,57 eine chronologische und qualitative Kontinuität zur republikanischen Historiographie herstellen58 oder seine fehlende zeitliche Distanz zu den thematisierten Kaisern mithilfe einer relativ komplexen Objektivitätsversicherung kompensieren möchte,59 soll hier nicht weiter erörtert werden.60 Dass sich der Autor deutlich in die Tradition des Genres annalistischer Historiographie stellt und damit auf seine republikanischen Vorgänger rekurriert, kann programmatischer nicht ausgedrückt werden als mit dem erstem Satz, mit dem er seine Geschichte beginnen lässt: Initium mihi operis Servius Galba iterum Titus Vinius consules erunt.61 Der dritte Teil des Proöms (1,4–11) beschreibt aus der ‚Vogelperspektive‘ die Situation im Imperium mittels dynamischer Fokalisierung vom Zentrum auf die künftigen Krisenherde der Peripherie und von dort am Ende des elften Kapitels wieder zurück auf Rom.62 Während dieser Abschnitt den Einstieg in die Ereignisse des Jahres 69 vorbereitet, präfigurieren Kapitel zwei und drei, also der noch verbliebene zweite Teil des Proömiums, den Inhalt der gesamten Erzählung, da sie durch eine Reihe typischer Ereignisse die gesamte flavische Epoche charakterisieren. Leeman nennt sie „an extensive and gloomy characterization of the subject.“63 Wohin man auch blickt, ob Krieg oder Frieden, überall drohen Schrecken und Vernichtung. Die Quantifizierung der ultimativen Krisen, der Kaisermorde und der internen Kriege, verbindet sich mit dem unbestimmten Plural der äußeren Kriege. Die folgende Antithese der Zustände im Reich zwischen dem Osten und dem Westen wird durch die unruhige Blickführung aufgehoben, die vom Illyricum über Gallien nach Britannien wieder zurück zu den Sarmaten, von dort noch einmal donauaufwärts zu den Sueben führt, um sich dann doch den Bedrohungen des Ostens in Form der Daker und der Parther zuzuwenden. Unterstützt wird diese formal strukturierte Nervosität durch ein sprachlich unruhiges ‚Flackern‘, welches sich in der unterschiedlichen syntaktischen Stellung der Partizipien manifestiert.64 Im sich direkt anschließenden zweiten Abschnitt rücken Italien und Rom in den Fokus. Die prodigienhaften Naturkatastrophen, die Italien heimsuchen, gipfeln im Brand des Kapitols, in welchem sich 56 57 58 59 60 61 62 63
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Siehe Syme 1958, 146; Heubner 1963, 9; Marincola 1999, 396. Siehe Leeman 1973, 170 f. Siehe Martin 1994, 68 sowie ausführlich Marincola 1999, 402–404. Siehe Kierdorf 1978, 28–35. Zur Frage der Unabhängigkeit und Interessenlosigkeit des Historiographen vgl. unten, Kap. 5.2, zum Annalenproöm S. 330–332. Tac. hist. 1,1,1: „Beginnen möchte ich mein Werk mit dem Konsulatsjahr des Servius Galba (er war es damals zum zweiten Mal) und dem des Titus Vinius.“ Eine ausführliche Analyse bei Fuhrmann 1960, 250–261, der hier die Logik, welche diesen Teil des Proömiums strukturiert und ihre Entsprechung in der Darstellung der Ereignisse des Jahres 69 findet, überzeugend herausarbeitet. Vgl. Damon 2003, 98–100. Leeman 1973, 174; vgl. Heubner 1976, 19–21; Woodman 1988, 167; Damon 2003, 82 f. Zum dabei verarbeiteten urbs capta-Motiv vgl. Keitel 2010, 344 f. Zur Durchdringung des Proöms mit Anspielungen auf und Verknüpfungen zur Gattung des Epos vgl. Joseph 2012a, 30–53. Vgl. Heubner 1963, 19.
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gleichzeitig der Perspektivwechsel auf menschliche Freveltaten vollzieht, um im dritten Abschnitt die in Rom lauernden Gefahren und Übel zu konkretisieren und darüber hinaus durch ihre anonymisierte Darstellung in Passiv und Plural ihre Omnipräsenz zu suggerieren. In jedem Satz dieses Kapitels sieht man dem drohenden Untergang ins Auge. Aber auch dieses Zeitalter, so beginnt das dritte Kapitel, brachte bona exempla hervor. Doch diese Beispiele sind, wie es das Verb prodere nahelegt, nur Ergebnisse, Reaktionen auf die im vorigen Kapitel geschilderten Schrecken. Sie sind sowohl sprachlich-formal als auch inhaltlich stark nach innen, quasi ins ‚Private‘, ins ‚Persönliche‘ gewendet, wobei auch sie alle anonym bleiben. Zuerst zum Sprachlichen: Die syntaktischen Konstruktionen von comitatae bis necessitates bestehen aus Verbindungen von Partizipien/(partizipial gebrauchten) Adjektiven und Substantiven, welche als Hyperbata ihre syntaktischen wie semantischen Bezugspunkte umschließen und gleichzeitig die jeweilige Konstruktion nach außen hin abschließen. Doch auch der genannte Abschnitt ist symmetrisch zu einer in sich geschlossenen Einheit verbunden: comitatae profugos liberos matres, secutae maritos in exilia coniuges; propinqui audentes, constantes generi, contumax etiam adversus tormenta servorum fides; supremae clarorum virorum necessitates, ipsa necessitas fortiter tolerata et laudatis antiquorum mortibus pares exitus.65
Auf die parallel organisierten ersten zwei Hyperbata, die durch Partizipien eingeleitet werden, folgt der von Substantiven eingerahmte Chiasmus propinqui audentes, constantes generi, auf den wiederum zwei von Adjektiven (eines davon partizipial gebraucht) eingeleitete Hyperbata bis necessitates folgen. Dieses letzte Hyperbaton der necessitas wird durch deren Wiederaufgreifen und den einzigen möglichen Ausweg aus diesen syntaktisch sich selbst umschließenden und beengenden Strukturen aufgelöst: den exitus.66 Inhaltlich bedeutet dies, dass sich der Widerstand gegen die Schrecknisse im privaten, familiären Bereich manifestiert. Die Subjekte der Handlungen sind die politisch nicht auftretenden, historisch kaum wirksam werdenden Gruppen und Personen, die Mütter, Ehefrauen, Verwandten und Schwiegersöhne sowie Sklaven, die denjenigen beistehen, die den am Ende des zweiten Kapi-
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Tac. hist. 1,3,1: „Mütter, die ihre Kinder auf der Flucht aus der Heimat begleiteten, Ehefrauen, die ihren Männern in die Verbannung folgten, beherzte Verwandte, charaktervolle Schwiegersöhne, sogar den Foltern Trotz bietende treue Sklaven; hervorragende Männer, zum letzten Schritt gezwungen, sah man selbst diesen Zwang tapfer ertragen, im Hinscheiden dem gepriesenen Tod von Männern der guten alten Zeit vergleichbar.“ Hervorhebungen und Zeilenumbrüche im Text durch den Verfasser. Nicht überzeugend Heubner 1963, 20, der in der häufig wechselnden Stellung der Partizipien und Adjektive auch hier „erregende Unruhe“ feststellen möchte. Doch geht es hier m. E. eher um die separierende Aneinanderreihung geschlossener syntaktischer Konstruktionen, die durch eine symmetrische Anordnung zu einem geschlossenen Bereich zusammengeführt werden, in dem allein sich virtus selbst in dieser unruhigen und gefährlichen Zeit manifestieren kann.
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tels drohenden Gefahren der Hauptstadt zum Opfer fielen.67 Der Ausweg für die clari viri liegt dann im tapferen Erdulden der letzten und äußersten Notwendigkeit, im Tod, in dessen Angesicht dem Dahinscheiden der ‚Alten‘ lobend gedacht wird, um selbst in diesem finalen Akt die eigene Kontinuität zu den mores maiorum zu behaupten. Diese bona exempla implizieren jedoch die reine Unmöglichkeit, politisch, also im öffentlichen Raum, auf Dauer erfolgreich und moralisch integer (im Sinne des mos maiorum) tätig zu sein. Mit anderen Worten: Erfolgreiche Handlungen im politischen Feld und virtus, die sich in bona exempla manifestiert, werden hier als Antonyme konstruiert. Im zweiten Abschnitt des Kapitels wendet sich die Perspektive dem göttlichen Bereich zu, dessen Relation zum menschlichen Raum sich in casus („Wechselfällen“) und praesagia („vorhersagenden Vorzeichen“) konkretisiert und somit deutbar wird. Es sei bewiesen, meint die Erzählerstimme, da es sich in all den schrecklichen Schicksalsschlägen für das römische Volk zeige, und wie es auf sprachlicher Ebene in der parallel konstruierten, sich von der Negation zur Proposition steigernden Antithese, auf welche das Kapitel zuläuft und in welcher es schließlich endet, kulminiert: non esse curae deis securitatem nostram, esse ultionem.68 Die Götter haben den consensus aufgekündigt. Wie für den clarus vir scheint es für den populus Romanus nur einen Ausweg zu geben: den durch das Strafgericht der Götter heraufbeschworenen Untergang. Die auf die ultio der Götter bezogenen Elemente durchziehen die Erzählung; sie spiegeln sich in den Beschreibungen der Schlachten und Kämpfe wider, in den mit diesen verbundenen Gemetzeln und den in und nach ihnen begangenen Freveln.69 Sie strukturieren die für das Gemeinwesen ultimative Katastrophe: den Bürgerkrieg.70 Gar so eindeutig gestaltet sich die Lesbarkeit der erzählten Welt allerdings nicht. Denn auch wenn den meisten führenden Akteuren des Bürgerkrieges das Anrüchige eines Delinquenten anhaftet,71 so gestalten sich ihre Schicksale doch zu 67 68 69
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Vgl. Riedl 2002, 30 sowie Heubner 1963, 20: „Blutiges Wüten insbesondere hat die Zeit so umdüstert, dass sich auch virtus einzig noch im moralischen Widerstand gegen das Schreckensregiment, ja letztlich nur im tapferen Sterben zu manifestieren vermag.“ Tac. hist. 1,3,2: „dass den Göttern an unserem sorgenfreien Dasein nichts gelegen ist, wohl aber an einem Strafgericht.“ Vgl. zur diesbezüglich thematischen Nähe zum Epos Chilver 1979, 44 f.; Henry 1991, 2995; Joseph 2012a, 67– 73; Joseph 2012b, 376 f. Eine kleine Auswahl: Tac. hist. 1,47,1 (die bei der Regierungsübernahme Othos begangenen Greuel); 2,44,1 (das Gemetzel bei der ersten Schlacht bei Bedriacum beim Rückzug der Othonianer); 2,45,3 (die Leichen, die nach der Schlacht einfach liegen gelassen werden); 3,25,2 f. (der Parricida; Bürgerkrieg als institutionalisierte Version des Verwandtenmordes); 3,33 (der Untergang von Cremona); 3,51 (die allgemeine Gleichgültigkeit der Sieger gegenüber göttlichem Recht); 3,72–75 (der Brand des Kapitols); 3,83,2 (die Gräueltaten in den Straßen Roms); 4,1 (die Zügellosigkeit der Sieger in Rom). Vgl. Gehrke 2006, 388. Der unter Nero wegen Fälschung rechtmäßig verurteilte und aus dem ordo senatorius ausgestoßene Antonius Primus (Tac. hist. 2,86,1); Caecina Alienus, der öffentliche Gelder unterschlagen hat (ebd. 1,53,1); der Mörder Fabius Valens (ebd. 1,7,1); die ambigue Gestalt des Mucian (ebd. 1,10,1 f.), in einer Reihe genannt mit Schergen und Freigelassenen von Galba und Vitellius (ebd. 2,95,3), der bei seinem Einzug in Rom durch die Ermordung des Calpurnius Galerianus terror verursacht (ebd. 4,11,2); auch Petilius Cerialis wird Schuld am Kapitolbrand zuge-
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divergent, um vom prinzipiellen Erfolg des Verbrechens und dem Untergang der Moral sprechen zu können.72 Der Erzähler gestaltet also kein reines göttliches Strafgericht, sondern bedient sich des im Proömium entworfenen Repertoires, um seiner Darstellung dramatische Tiefe, Düsternis, Sinn- und Ausweglosigkeit zu verleihen. Doch diese Elemente werden immer wieder durch ihre Einbettung in den Kontext, ihre Bindung an die Akteure, ihre Konsequenzen oder ihre Darstellung gebrochen. Das kann zu der schon oben erwähnten allgegenwärtigen Ironie, zu Zynismus, zu Ambiguitäten oder Widersprüchlichkeiten führen.73 Aber selbst diese künstlerische Technik, Erzähltes zu brechen und die aus ihr entstehenden Implikationen sind schon im Proömium vorgezeichnet. Dies lässt sich vor allem in der Rahmung der inhaltlich wie sprachlich hochartifiziellen ultio nachvollziehen. Denn die scheinbare Dauerhaftigkeit der Krise und der endgültige Untergang, in der sie scheinbar münden müsste, werden dem primär positiven Gegenwartsbezug am Ende des ersten Kapitels entgegengesetzt.74 Unabhängig davon, ob rara temporum felicitate, ubi sentire quae velis et quae sentias dicere licet75 ernsthaft oder ironisch gemeint ist: Das reine Vorhandensein einer Existenzmöglichkeit im Jetzt des Erzählers wertet die in Kapitel zwei und drei geschilderte ultio in eine lange und katastrophale, aber letztendlich vorübergehende Krise um. Gleichzeitig rekurriert die Seltenheit dieser glücklichen Zeiten natürlich auf ihre eigene Vergänglichkeit und die ständige Bedrohung des Gemeinwesens. Glückliche Gegen-
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wiesen (ebd. 3,78,3), seine mangelnde sittliche Integrität wurde bereits angesprochen (siehe oben, Kap. 4, S. 223–225 sowie ebd. 5,22,3). Bspw. werden auch Primus positive Handlungen zugeschrieben, wenn es ihm im Gegensatz zu Cerialis dank seiner auctoritas gelingt, vitellianische Gesandte vor dem Unmut der Soldaten zu schützen (Tac. hist. 3,80,2). Vor allem aber ist für ihn das Ergebnis seiner Handlungen das Absinken in der Gunst Vespasians (ebd. 4,80); auch Valens hat nur kurz die Möglichkeit, seinen Lastern zu frönen, bis er mittels des unrühmlichen Todes durch Enthauptung sein Ende findet (ebd. 3,62). Zwei Verbrecher also, die keinen Erfolg haben, im Gegensatz zu Caecina (ebd. 4,80,3) oder Mucian (siehe oben, Anm. 51). Der bei seinem ersten Auftreten nec ipse ingloriosus militiae („persönlich ansehnlichen Kriegsruhm besitzend“) apostrophierte Petilius Cerialis (Tac. hist. 3,59,2), zieht sich in seiner ersten militärischen Aktion eine schmähliche Niederlage zu (ebd. 3,79). Auch seine militärischen Erfolge in Germanien werden immer wieder diskreditiert: beispielsweise durch moralisch untragbares Verhalten (siehe oben, Kap. 4, S. 223–225) oder den durch befehlswidriges Handeln eines Teiles der Reiterei herbeigeführten Sieg gegen Valentinus (ebd. 4,71,5); Zynismus auch in den gegenseitigen Beschimpfungen von Otho und Vitellius, neuter falso (ebd. 1,74,1: „keiner [beschimpfte und beleidigte den anderen] zu Unrecht“) oder der schon oben genannte Sarkasmus gegenüber Domitian (ebd. 4,86,1; siehe oben, Kap. 4.1, Anm. 14). Man bedenke aber auch die schon in der Beschreibung Mucians selbst angelegte Ambiguität (ebd. 1,10,1 f.; bspw. in dem Satz: luxuria industria, comitate adrogantia, malis bonisque artibus mixtus [„Er stellte eine Mischung dar von Verschwendungssucht und Tatkraft, Leutseligkeit und Anmaßung, von schlechten und guten Eigenschaften“]). Vgl. Leeman, 1973, 184 sowie Woodman 1998, 111. Tac. hist. 1,1,4: „Sie sind ja so selten, die glücklichen Zeiten, wo es möglich ist zu denken, was man will, und zu sagen, was man denkt.“ Sehr unzufrieden mit einer „naiven“ (literalen) Leseweise zeigt sich bspw. Clarke 2002, 100, vgl. im Gegensatz dazu Marincola 1997, 166 f.
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wart und krisenhafte Vergangenheit stehen in einem prekären Gleichgewicht, das seine Vorzeichen anscheinend jederzeit ändern kann.76 Allerdings muss man ein repräsentatives Missverhältnis zwischen diesen beiden Polen konstatieren. Denn obwohl die positiv beschriebene Jetztzeit des Autors den teleologischen Schlusspunkt der Erzählung darstellt, wird sie lediglich als prekär beschrieben und einzig durch die Phrase ubi sentire quae velis et quae sentias dicere licet konkretisiert. Dem gegenüber steht die perfekte Inszenierung der göttlichen ultio in den zwei folgenden Kapiteln, welche Zentrum und Peripherie, Menschliches und Göttliches gleichermaßen als Konstituenten der Krise definiert. Aber nicht nur die zwei folgenden Kapitel, sondern die gesamte Erzählung, in welcher Ursachen und Gründe, Phänomene und Symptome der Krise konkretisiert werden, bieten deren Gestaltung Raum. Ein quantitatives Übergewicht der Katastrophe wird generiert, das durch den Schlusssatz des ersten Kapitels nicht kompensiert werden kann. Dieses Übergewicht in der Narration präjudiziert allerdings die Darstellung der Ereignisse, Geschehensabläufe und Akteure nicht in fatalistischer oder resignativer Art und Weise. Vielmehr wird bereits der im Proömium geschilderte heillose Untergang selbst ironisch gebrochen. Der oben angeführten Kulmination der Katastrophe in der ultio, dem logischen Schlusspunkt, dem absoluten Ende, muss der Beginn des nächsten Kapitels gegenübergestellt werden: ceterum.77 Der gerade beschriebene Untergang wird äußerst abrupt und unvermittelt beiseitegeschoben. Ja, man könnte von einer Brechung der zuvor geschilderten ultio an dieser Stelle sprechen. Auch wenn man in Frage stellen kann, wie viel Ironie in diesem ceterum steckt, so bleibt dennoch der plötzliche gedankliche Bruch von der Darstellung des göttlichen Strafgerichts zur Schilderung der Situation der erzählten Welt zu Beginn der Narration, in der zwar die Metapher des kranken Organismus in der Beschreibung der res publica gewählt wird, aber nicht von deren endgültigem Untergang die Rede ist. Betrachtet man also die Rahmung des zweiten und dritten Kapitels des Proömiums, bleibt zu konstatieren, dass auch die Inszenierung der ultio alles andere als eindeutig ist. Auch hier gibt es künstlerische Brechung und angedeutete Ironie, zwei Verfahren, die sich durch die gesamte Darstellung der erzählten Ereignisse ziehen. Die Perspektive des Proömiums präfiguriert jedoch eine prinzipiell negative Tendenz, die selbst durch Brechungen, Ambiguitäten und Ironie zu einer wesentlich komplexeren Gestaltung der erzählten Welt beiträgt, als die Darstellung des göttlichen Strafgerichts in Kapitel zwei und drei vermuten lässt. Dieser Befund erklärt die bei der Charakterisierung der Akteure zugrundeliegende, primär negative Sicht,
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Vgl. Tac. hist. 4,47, wo es anlässlich der von Domitian initiierten Aberkennung der vitellianischen Konsulatsdesignationen und dem Beschluss eines funus censorium für Sabinus Flavius heißt: magna documenta instabilis fortunae summaque et ima miscentis („beides ein rechter Beweis für die Unbeständigkeit des Glücks, das wahllos bald in die Höhe, bald in die Tiefe führt“). Tac. hist. 1,4,1: „im Übrigen/übrigens…“ Vgl. Morgan 1993, 279 f.; Damon 2003, 100, die den folgenden Gegensatz zum Vorherigen als „bland relief“ bezeichnet.
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die in ihrer Einheitlichkeit aber durch Ambiguität und Ironie gebrochen wird.78 Darüber hinaus führt diese artifizielle Technik der Mehrdeutigkeit mit negativem Vorzeichen zu komplexen Gestaltungsmöglichkeiten der reziproken Relation zwischen Akteur und Handlung. Die zur indirekten Charakterisierung einer Figur genutzte Darstellung von deren Handlungen kann zu deren direkten Bewertung im Widerspruch stehen, sie verstärken, ironisch brechen und zu Mehrdeutigkeiten führen oder sogar ihre direkte Beschreibung in Frage stellen.79 Dieses Verhältnis gilt auch umgekehrt: Die direkte Charakterisierung eines Akteurs kann Handlungen in einem anderen Licht erscheinen lassen, als dies aus ihrer Beschreibung und/oder Darstellung hervorginge. Dies bedeutet, dass die Einheit zwischen Akteur und Handlung zwar nicht aufgelöst, aber in ihrer Lesbarkeit dem Gestaltungswillen des Erzählers unterworfen ist, der durch artifizielle Brechungen dieser Verbindung Ambiguität und Ironie erzeugen kann. Daraus erklärt sich einerseits die grundsätzliche Unmöglichkeit, aus der erzählten Welt typische Vertreter oder Charaktermodelle der senatorischen Funktionselite herauszuschälen. Andererseits ergibt sich daraus die Notwendigkeit, weniger die Akteure als eher die Handlungen in das Zentrum der Betrachtungen zu rücken. Natürlich kann man sie nicht von ihren Initiatoren abtrennen, da die Relation zwischen ihnen generell bestehen bleibt, allerdings ist es möglich, sich auf sie zu konzentrieren. Um diese Fokussierung jedoch durchführbar zu gestalten, ist es unumgänglich, Kategorien und Handlungsfelder zu bestimmen, innerhalb derer die Intentionen und die in Kauf genommenen Konsequenzen einer Handlung sowie die ihr zugrunde liegende konstante oder variable Motivation analysierbar und deutbar gemacht werden.80 4.1.3 Der senatorische Sektor und seine Funktionselite Die prinzipielle Intentionalität einer Handlung zieht bei deren situativen und kontextbezogenen Untersuchung unweigerlich die Frage nach den Interaktionspartnern und der Strukturierung des sozialen Raumes, in dem sie vollzogen wird, nach sich. Da Tacitus immer wieder deutlich macht, dass sein Augenmerk auf der Geschichte der res publica liegt,81 bietet sich auch für die Untersuchung der erzählten Welt ein 78 79 80
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Vgl. Gehrke 2006, 396, der Tacitus als „Meister des Uneindeutigen“ bezeichnet, der auf den aufmerksamen Leser setze. Hier sei noch einmal auf das Beispiel des Cerialis in Kap. 4 hingewiesen S. 223–225. Zum einfacheren Verständnis sei hier verdeutlicht, dass mit Motivation eher der Auslöser oder Antrieb für eine Handlung gemeint ist, während die Intention am Ergebnis der Handlungsweise orientiert ist und sich auch als das verfolgte Ziel beschreiben ließe. Beide Begriffe sind nicht immer trennscharf voneinander verwendbar, da bspw. auch das erstrebte Ziel einer Handlung der Auslöser für dieselbe sein kann – allerdings nicht sein muss. Tac. hist. 1,11,3: rei publicae prope supremum („dem Staat beinahe das Äußerste [sollte das Konsulat d. Galba und des Titus Vinius bringen]“. Als Synonym ohne moderne Implikationen soll auch der Begriff des römischen ‚Staates‘ verwendet werden. Vgl. darüber hinaus ebd. 1,2, wo in einer Reihe die Kaiser, Provinzen, Italien und Rom abgehandelt werden, ebd. 1,3,2, wo von populi Romani cladibus („den Unglücksfällen des römischen Volkes“) die Rede ist oder ebd. 1,4–11, wo es um qualis status urbis, quae mens exercituum, quis habitus provinciarum, quid in toto terrarum orbe validum, quid aegrum fuerit (ebd. 1,4,1: „wie seinerzeit der Zustand
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
soziologisch geprägtes Modell der römischen Gesellschaft im Prinzipat als Folie an, in dem neben dem Princeps die drei maßgeblichen Sektoren: der Senat, das Heer und die plebs urbana für die konkrete Ausgestaltung der Herrschaftsstruktur entscheidend sind.82 Dieses Modell trägt zum einen dem Umstand Rechnung, dass sich Herrschaftsbefugnisse in Rom, da sie nominell so umfassend waren, nur schlecht differenzieren, eingrenzen und beschreiben lassen.83 Zum anderen rekurriert es darauf, dass es keine Instanz oder Institution gab, die der Herrschaft eines Kaisers Legitimität im juridischen Sinne hätte zusprechen können.84 Ausschlaggebend für deren Rechtmäßigkeit war die Akzeptanz der maßgeblichen Sektoren: Senat, Heer und plebs urbana. Der soziale Konsens dieser Gruppen bestimmte die Stabilität der Herrschaft.85 Die ‚Legitimität‘ der Herrschaft eines Kaisers, im soziologischen Sinne, ruhte also auf der Zustimmung der einzelnen Sektoren, der sich der Kaiser immer wieder durch intensive Kommunikation und Interaktion in Ritualen versichern musste. Dabei trat er den unterschiedlichen Einforderungen eines bestimmten Herrscherverhaltens der einzelnen Gruppen in divergenten Rollen entgegen: dem Senat als primus inter pares, der plebs urbana als zugänglicher Monarch und dem Heer als Imperator. Bei der Konturierung ihres Platzes innerhalb des politischen Systems konkurrierten die Gruppen um eine spezifische Nähe zum Kaiser.86 Der „wichtigste maßgebliche Sektor“ für die Beherrschung des Reiches war der Senat, denn „der Kaiser konnte nur mittels der Senatsaristokratie herrschen, und diese konnte nur vermittelst eines Kaisers im Imperium Romanum ihre Herrschaft ausüben.“87 Um im Folgenden für die Analyse der Funktionselite der erzählten Welt angewandt werden zu können, bedarf das Modell jedoch noch einiger Modifikationen. Zunächst sollte man den Fokus vom Kaiser auf den „wichtigsten Sektor“ lenken, der in den Historien sicherlich auch mit der plebs urbana in einem latenten Konkurrenzverhältnis steht,88 mit dieser aber nie wirklich in direkte Kommunikation oder
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in der Hauptstadt, der Geist im Heer, wie die Stimmung in den Provinzen gewesen sind, was auf dem ganzen Erdkreis gesund und faul war“) geht. Wie schon der annalistische Beginn nahelegt, sollen nicht die Kaiser, sondern die Geschichte der res publica im Vordergrund stehen. Siehe Flaig 1992, 174–201; für eine kompaktere und dichtere Darstellung siehe Flaig 1991. Man vergleiche die diesbezüglich sehr pikante und aussagekräftige Stelle aus den Res Gestae Divi Augusti 34: Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt („Seit dieser Zeit überragte ich zwar alle an Einfluss und Ansehen, Macht aber besaß ich hinfort nicht mehr als diejenigen, die auch ich als Kollegen im Amt gehabt habe“). Text und Übersetzung stammen aus: Augustus, Res Gestae Divi Augusti. Meine Taten, übers. u. hrsg. von Ekkehard Weber (Tusculum Studienausgabe), Düsseldorf/Zürich 2004. Ein Euphemismus, der die tatsächlichen Machtverhältnisse, wenn überhaupt, höchstens notdürftig verschleiert. Die informelle, an keine bestimmten Befugnisse gebundene auctoritas principis überragte die formalen Amtsbefugnisse (potestates) des Kaisers und wusste sich auch sehr wohl gegen diejenigen seiner Amtskollegen durchzusetzen. Vgl. dazu die überzeugenden Ausführungen von Börm – Havener 2012. Flaig 1991, 378 f. Flaig 1992, 175. Flaig 1992, 176–184. Flaig 1991, 374. Vgl. Tac. hist. 1,45,1 (der Wettlauf zum Prätorianerlager, um Otho Reverenz zu erweisen).
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direkten Kontakt tritt. Wie oben allerdings schon angemerkt, erfährt auch die Bedeutung des Senats in der Narration eine eher geringschätzige Bewertung, und im Mittelpunkt stehen einige wenige Vertreter der senatorischen Funktionselite. Deren Handlungsfeld liegt aber ohne Zweifel mehr im militärischen Bereich, weshalb die Momente der Berührung und der Konkurrenz mit der plebs urbana nahezu keine Rolle spielen und im Weiteren auch nicht berücksichtigt werden sollen. Ganz im Gegensatz hierzu nimmt die Interaktion mit den Soldaten natürlich eine prominente Stellung ein, da sie in einem direkten Zusammenhang mit den Handlungsmöglichkeiten der senatorischen Kommandeure steht. Jedoch ist sie nicht ausschlaggebend für alle militärischen Aktionen und auch der direkte Konkurrenzkampf zwischen Senatoren und Soldaten um Kaisernähe findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Denn die Soldaten konnten letztlich nur als Kollektiv dem kommandierenden Senator den Gehorsam aufkündigen, wenn dessen Befehle als kontraproduktiv für die Intentionen des obersten Dienstherrn angesehen wurden; dennoch waren sie der Funktionselite in puncto Nähe und direkter Kommunikation mit dem Kaiser nie ebenbürtig. Und auf genau dieser Ebene entstand für den einzelnen Senator die größte Konkurrenz: die anderen Senatoren. Die hierarchischen Strukturen der Reichselite orientierten sich am Prestige des Einzelnen – das eng mit seinem Status verbunden war und mit diesem zusammen seine soziale Macht bestimmte – und liefen dabei auf den Punkt zu, in dem sich alle Ressourcen des Reiches vereinigten und der ein Anwachsen desselben gewährleisten oder verhindern konnte: den Kaiser.89 Dieser bestimmte die Modalitäten des Machtkampfs der Funktionselite, welcher auf dem Spielfeld des gesamten Imperiums ausgetragen wurde, und dessen Ziel in der größtmöglichen Kaisernähe lag. Da in Zeiten der Krise der militärische Bereich eine bedeutende Stellung in der Interaktion mit den senatorischen Konkurrenten und dem Kaiser einnahm, führen die angestellten Betrachtungen zu der Konstitution von drei Handlungsfeldern, welche strukturierend für die Analyse senatorischen Handelns genutzt werden: 1. das militärische Agieren (eingeschlossen sind hier sowohl die Interaktion mit den Soldaten, als auch militärisch-strategisches Planen sowie der eigene Einsatz im Kampf); 2. die Interaktion mit den Standesgenossen (dieser Bereich wird Handlungen des militärischen, politischen und persönlichen Bereiches umfassen); 3. die Interaktion mit dem Kaiser/Usurpator selbst. In diesem Kontext wird auch die Lokalisierung von Handlungen eine Rolle spielen, insofern als nicht nur die Frage, ob diese in Rom, in Italien oder den Provinzen durchgeführt werden, sondern auch derjenigen nach der physischen Nähe bzw. Distanz zum Kaiser/Usurpator eine gewisse Bedeutung zukommt. Ebenfalls werden die affirmativen Bindungen zum Kaiser und Begriffe wie Loyalität, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Fähigkeiten und Kompetenzen immer wieder themati89
Vgl. Saller 1982, 43–45; 59–63; und 141, wo er die Differenz zwischen Republik und Prinzipat prägnant in zwei Sätzen beschreibt: „During the Republic, a senator’s political effectiveness was related to the strength of his clientèle and the power of his amici. With the emergence of a single Princeps this changed, and proximity to the emperor became the most important single determinant.“
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siert, wobei sich natürlich die Frage stellt, durch welche Handlungen solche Zuschreibungen erzeugt werden. Aber auch den Modalitäten der Verwirklichung von Aktionen auf den einzelnen Feldern, den Auswirkungen, die sie auf den Status des Akteurs haben können, auf welche Weise sie die soziale Interaktion mit anderen prägen und welchen Gesetzmäßigkeiten sie unterworfen sind, muss hierbei nachgegangen werden. Natürlich sind diese Interaktionsfelder ein künstliches Produkt oben angestellter Überlegungen und bei Weitem nicht so trennscharf, wie dies wünschenswert wäre, da sie, wie noch zu sehen sein wird, ständig ineinander übergreifen und sich gegenseitig bedingen. So stellen die Kategorisierungen von Handlung zwar eine Reduktion der Komplexität der erzählten Welt dar, durch sie lassen sich aber Handlungen nach ihrem primären Bezugsbereich einteilen und miteinander vergleichen. Auf diese Weise können ihnen zugrunde liegende situative, intentionale und motivationale Strukturen herausgearbeitet, verfolgte Ziele verallgemeinert und mögliche Konsequenzen auch auf ihre Auswirkungen in anderen Bereiche hin untersucht werden. Im Anschluss daran sollen die gewonnenen Ergebnisse zu einem Bild verdichtet und ihre Verortung im Horizont taciteischer Realisierungen zeitgenössischer Diskurse angeschnitten werden. 4.2 Die Funktionselite in Aktion Auch wenn die Relation zwischen Akteur und Handlung nicht immer eindeutig und ungebrochen ist, so verlangt eine situationsgebundene Analyse von Handlungen dennoch deren Rückbindung an den Ausführenden. Da sich die Anzahl der herausragenden Protagonisten der senatorischen Funktionselite in den Historien überschaubar gestaltet (fünf), soll deren Agieren auf den einzelnen Feldern der Reihe nach beschrieben und untersucht werden. Wo es sich als notwendig erweist, wird ihnen das Verhalten ihrer Standesgenossen kontrastierend oder bestätigend gegenübergestellt. Um eventuelle Zusammenhänge zwischen Handlungsdispositionen und Status innerhalb der senatorischen Hierarchie ziehen zu können, werden zuerst die Aktionen der Repräsentanten prätorischen Ranges untersucht und verglichen, um mögliche regelmäßige Differenzen zu den Handlungen der Vertreter konsularen Ranges feststellen zu können. Im Fokus stehen also im Weiteren zuerst Valens (12) und Caecina (5), dann Primus (2) und zuletzt Cerialis (57). Im Folgenden werden dann dem Konsular Mucian (37) zu Vergleichszwecken Hordeonius Flaccus (Flaccus; 34) sowie Marius Celsus (35) und Suetonius Paulinus (Paulinus; 59) an die Seite gestellt und ihre jeweiligen Handlungen reflektiert, da sie ebenfalls eine prominente Rolle in der Krise spielen. Der im nächsten Abschnitt folgenden Analyse des Agierens der genannten Akteure auf dem militärischen Feld wird jeweils ein Kurzportrait vorangestellt, welches ihre Funktion und eine grobe, auf der Beschreibungsebene der Narration liegende Charakterisierung enthält.
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4.2.1 Das Feld militärischen Handelns Es ist nicht ganz unbedeutend, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Akteure zumindest nicht primär oder offiziell in eigener Sache militärisch aktiv werden, sondern dass diese Aktionen im Kontext des Bürgerkrieges oder des Bataveraufstandes verortet sind und für einen Kaiser/Usurpator ausgeführt werden, in dessen Diensten sie stehen oder dessen Interessen sie zu vertreten glauben. Die Rollenzuschreibung für die einzelnen Kandidaten auf die Herrschaft hängt dabei sehr stark von der Perspektive des Handelnden ab: Er agiert für seinen Kaiser und gegen einen Usurpator, wozu er des Öfteren seinen früheren Dienstherrn durch einen neuen ersetzt.90 Diese Perspektive ist für die Analyse motivationaler und intentionaler Aspekte, aber auch die Konsequenzen und deren Dauerhaftigkeit von großer Bedeutung, weshalb sie im Folgenden immer an derjenigen des Akteurs ausgerichtet werden soll. A) Fabius Valens Fabius Valens wird, vom Proömium abgesehen, narratologisch betrachtet in einer Analepse externer Reichweite und kompletten Umfangs eingeführt,91 welche die Funktion hat, die Adoption Pisos als Auslöser für die Geschehnisse des Jahres 69 erscheinen zu lassen. Valens ist noch von Nero eingesetzter Legionslegat in Niedergermanien, der an der Ermordung des Konsularlegaten Fonteius Capito beteiligt ist und sich nicht nur sehr früh auf die Seite des Vitellius und dessen Herrschaftsanspruch stellt, sondern diesen sogar zur Usurpation überredet. Er übernimmt den größeren von zwei Heereszügen des Vitellius nach Italien, schlägt zusammen mit Caecina, mit dem er in ständiger Konkurrenz steht, die Truppen Othos bei Cremona, erhält das Konsulat und findet ein unrühmliches Ende im Konflikt mit den Flavianern.92 Sein Charakter-
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Vgl. Flaig 1992, 205–207. Er sieht in der Usurpation ein Symptom des römischen AkzeptanzSystems, denn nur in einem solchen sei die Herausforderung eines lebenden Kaisers durch einen Gegenkaiser möglich. „In einer Monarchie, in welcher die Herrschaftsbefugnis als unverlierbar gilt, ist es ausgeschlossen, den Herrscher herauszufordern.“ Diese Differenzierung der römischen Alleinherrschaft von Monarchien anderer Ausformung führt ihn dann auch zu der trennscharfen Unterscheidung zwischen Verschwörung und Usurpation, da bei der Verschwörung, im Unterschied zur Herausforderung des lebenden Kaisers, der Herrscher zuerst getötet wird, bevor ein neuer Prätendent auftritt. Tac. hist. 1,52,3 f.; vgl. seinen Nachruf ebd. 3,62,2. Siehe Genette 21998, 32–45; die Anachronie gegenüber der Basiserzählung zu der dieser über den Beginn der Erzählung hinausgehende Rückblick (externe Reichweite) auf Valens’ Vorgeschichte und Motivation steht, schließt sich der Chronologie der Basiserzählung wieder an (komplett); nebenbei bemerkt stellt diese an besagter Stelle selbst eine ebensolche Analepse dar, denn durch die Kapitel Tac. hist. 1,52–55 wird die Meuterei der obergermanischen Legionen am 1. Januar 69 vorbereitet; genau genommen handelt es sich bei der Einführung des Valens um eine Analepse innerhalb einer Analepse, die sich bezüglich ihrer qualitativen Kategorisierung ihres Umfanges und ihrer Reichweite entsprechen. Vgl. Damon 2003, 111. Nach obiger Reihenfolge siehe Tac. hist. 1,7,1; 1,57,1; 1,52,3 f.; 1,61,1 f.; 2,41–45; 2,71,2; 3,43,2 u. 3,62,1.
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bild wird hierbei immer wieder von den beiden Motiven der cupido und der lascivia dominiert.93 Valens’ Aktionen auf dem militärischen Handlungsfeld gliedern sich in drei Abschnitte: den Marsch nach Italien, die Zeit seiner Kooperation mit Caecina und jene nach der Erlangung des Konsulats. Während des Marsches durch Gallien und über die Cottischen Alpen ist es vor allem die Interaktion mit den Soldaten, die besonders hervorgehoben wird. Die einzige militärische Herausforderung, die Landung von Othos Flotte in der Narbonensis, wird an einen Reiteroffizier delegiert. Doch die Interaktion mit den Soldaten gestaltet sich während des Marsches immer problematischer, kulminiert in der Katastrophe, die beinahe existentielle Folgen für Valens gehabt hätte, um schließlich damit zu enden, dass ihn seine Soldaten schlichtweg ignorieren. Schon zu Beginn des Marsches deutet sich sein Mangel an auctoritas an. Nur durch sein Bitten kann er die von einer unbekannten Raserei gepackten Truppen von der Zerstörung Divodurums abhalten. Das gelingt ihm allerdings erst nachdem bereits 4000 Menschen ihr Leben ließen – was literal verstanden ungefähr der Hälfte der Stadtbevölkerung entsprochen haben dürfte.94 Im folgenden Kapitel kann er nur durch Anwendung von Strafmaßnahmen die Disziplin unter seinen Soldaten aufrecht erhalten.95 Im Falle Viennas muss er sich den Gehorsam seiner Soldaten schon erkaufen,96 und als er versucht, sie zu überlisten und dem sich regenden Widerstand mit Gewalt zu begegnen, hat dies zur Folge, dass er von seinen Soldaten tätlich angegriffen wird und fliehen muss. Er kann entkommen und sich in Sklavenkleidern verkleidet verstecken, aber er schafft es nicht, die Lage zu beruhigen und die Ausgangssituation wiederherzustellen.97 Die rettende Idee dafür stammt nämlich von dem Lagerkommandanten Alfenus Varus, der die Soldaten in die kontingente Lage der Befehls- und Routinelosigkeit versetzt und dadurch wieder zu Vernunft und Gehorsam, ja sogar zur Reue bringt. Es folgt die entstellende Epiphanie eines in Sklaventracht steckenden und weinenden Feldherrn:98 ein Feldherr, der seine Lektion, wie es scheint, gelernt hat und der sich utili moderatione mit seinen Truppen aussöhnt, denn „er wusste ja, dass sich in Bürgerkriegen die gemeinen Soldaten mehr erlauben dürfen als die Feldherren;“ 93
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Siehe Tac. hist. 1,66,2 f.; 2,29,1; 2,56; 2,92,2; 3,40 f.; auch in seiner Kurzvita 3,62,2. Vgl. die ausführliche Beschreibung bei Dudley 1968, 69 f. Vgl. Syme 1958, 169, der Bürgerkrieg sei eine Situation für Leute wie Valens und Caecina. Zu Intention und Motivation für Valens vgl. Morgan 1994, 122. Tac. hist. 1,63. Vgl. zur sprachlichen Nähe der wütenden Raserei der Soldaten zu Lucan Joseph 2012b, 379 f. Tac. hist. 1,64,2. Bei den Batavern, heißt es dort, war seine Befehlsgewalt schon vergessen: … oblitos iam Batavos imperii admonuisset („… die Bataver an seine schon in Vergessenheit geratene Befehlsgewalt erinnert hätte“). Zum Vergleich der beiden Märsche des Valens und des Caecina vgl. Morgan 1994b, 104–108, wo sie m. E. die Differenz zwischen beiden zu stark macht. Tac. hist. 1,66,1. Vgl. Morgan 1994b, 109. Tac. hist. 2,28 f. Vgl. Ash 2007, 150. Tac. hist. 2,29,3: ut vero deformis et flens et praeter spem incolumis Valens processit, gaudium miseratio favor („Wie dann aber Valens in entstellendem Aufzug und weinend, wider Erwarten jedoch unversehrt zum Vorschein kam, da erhoben sich Rufe des Frohlockens, des Bedauerns des Beifalls“).
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die Inversion der Hierarchie, das totale Versagen des Kommandierenden.99 Dies setzt sich auch im nächsten Abschnitt fort, in dem geschildert wird, wie die Soldaten ihn einfach ignorieren und ohne auf ihn zu warten zu ihren eben besiegten Kameraden nach Cremona stürmen, wobei sie ihm noch Vorwürfe machen: „da man sich sagte, nur die Tücke und das ewige Zögern des Valens habe die Teilnahme an dem Gefecht verhindert.“100 Das Vertrauen ist endgültig zerstört. Ihr Verhalten scheint verglichen mit der unmittelbar vorausgehenden Situation aber nur möglich, da eine neue Führungspersönlichkeit ganz in der Nähe ist: Caecina. Die folgenden militärischen Aktionen erfahren ihre Umsetzung unter dem Doppelkommando der beiden konkurrierenden, aber aufgrund der Bindung an ein gemeinsames Interesse gemeinsam operierenden Feldherren Valens und Caecina. Dabei ist es unmöglich, die beiden Akteure in ihren Handlungen zu separieren, weshalb die Analyse dieses Abschnitts (2,30,2–2,71) erst nach der Besprechung Caecinas nachgereicht wird. Der übergeordnete fokale Zweck des gesamten militärischen Agierens des Valens und die Konsequenz seines letztendlichen Erfolges bei der Schlacht von Cremona liegen in der Erlangung größtmöglicher Kaisernähe, die sich in der schnellen Verleihung des Konsulats manifestiert.101 Das hat zur Folge, dass Valens in der Folge als agierender Konsular zu betrachten ist. Doch auch wenn er in dieser Stellung mit der Intention, Kaisernähe zu bewahren, militärische Dienste übernimmt, kommt es nicht zu Kampfhandlungen unter seiner Regie. Ja, nicht einmal mehr die Interaktion mit den Soldaten wird geschildert: „Fabius Valens jedoch verbrachte in unnützem Zaudern die Zeit, die zum Handeln günstig gewesen wäre.“ Es fehlt ihm auch an Mut und Voraussicht.102 Stattdessen lebt er zum letzten Mal seine inlicitas voluptates („unerlaubten Genüsse“) aus,103 drückt sich vor der Konfrontation mit dem Feind und flieht vielmehr ratlos als planvoll, ohne einen Ort des Rückzugs zu entdecken, bis er letztendlich von den Truppen eines Prokurators, der sich auf die Seite Vespasians geschlagen hat, auf den stöchadischen Inseln, einem eher unbedeutendem Schauplatz des Bürgerkrieges, gefangen genommen wird.104 Wenig später findet er, noch vor seinem Kaiser, der ihm kurz darauf in diesem Schick99 Tac. hist. 2,29,2 f.: gnarus civilibus bellis plus militibus quam ducibus licere. 100 Tac. hist. 2,30,1: tamquam fraude et cunctationibus Valentis proelio defuissent. Vgl. Morgan 1996b, 360. 101 Tac. hist. 2,59,3, wo sie in einem performativen Akt in Lugdunum von Vitellius gelobt werden und an seiner Seite Platz nehmen, quasi neben dem Kaiser thronen, ebd. 2,71,2, wo die Schaffung freier Amtsmonate für Caecina und Valens beschrieben wird. 102 Tac. hist. 3,40,2: ipse inutili cunctatione agendi tempora consultando consumpsit; dort heißt es auch: nec ausus est satis nec providit („…bei dem er genügenden Mut und genügende Vorsicht vermissen ließ“). Den Vorwurf der cunctatio machen Valens in 2,30,1 auch schon seine Soldaten, ohne dass sie in der Erzählung ihre Spuren hinterließe; aber in diesem Fall decken sich die Ebenen der Darstellung und der Beschreibung. 103 Tac. hist. 3,41,1, die sich in adulteriisque stupris („Hurerei und Ehebruch“) ausdrücken, denn: aderant vis et pecunia et ruentis fortunae novissima libido („Es fehlte ihm ja nicht an Macht und an Geld und an Lust sich auszuleben, die sich mit dem Sinken des Glücks zum Schluss einstellt“). 104 Tac. hist. 3,41–43.
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sal nachfolgt, ein unrühmliches Ende. Von den Flavianern hingerichtet und enthauptet – eventuell in ein und demselben Akt – dient sein abgeschlagenes Haupt zur Einschüchterung der in Narnia verbliebenen vitellianischen Truppen, womit er seine letzte Funktion erfüllt: „Der Anblick des Hingerichteten brachte die Vitellianer zur Verzweiflung.“105 Nach dieser Zusammenfassung seiner militärischen Handlungen mutet es eher ironisch an, wenn der Erzähler Antonius Primus vor der zweiten Schlacht von Cremona den Rat zur Eile in den Mund legt, um dem Eintreffen des Valens zuvorzukommen, der nicht unbedarft in der Kriegführung sei.106 Valens übernimmt zwar Aufgaben seines Kaisers im militärischen Bereich, welche ihm seine Kaisernähe einbringen, aber seine Aktionen beschränken sich auf misslungene Interaktionssituationen mit seinen Soldaten und die erfolglose Umsetzung eines Alternativplans, statt mit den wenigen ihm nach dem Verrat des Caecina zur Verfügung stehenden Soldaten das nordöstliche Italien zu sichern, sich nach Gallien zu begeben und von dort neue Truppen für die Verteidigung des Vitellius heranzuführen.107 B) Alienus Caecina Alienus Caecina erfährt während der Krise 68/69 ein rasantes Avancement: In eineinhalb Jahren steigt er auf der Karriereleiter von der Quästur über die Legionslegatur108 und das Konsulat zu wahrscheinlich dauerhafter Kaisernähe auf.109 Caecina steht jedesmal auf der Seite des Siegers; d. h. auf der Seite von Galba gegen Nero,110 jener von Vitellius gegen Galba/Otho,111 jener von Vespasian gegen Vitellius. Er schlägt gemeinsam mit Valens, zu dem er in ständiger Konkurrenz steht, die 105 Tac. hist. 3,62,1: visa caede in desperationem versi. Aus dieser Praktik und ihrem Erfolg ist einerseits abzuleiten, welche bedeutende Rolle eine militärische Führungspersönlichkeit für die Soldaten einnimmt, andererseits, welche Auswirkungen Gerüchte haben können. 106 Tac. hist. 3,15,1: Fabius nec militiae ignarus („Valens […] verstand auch etwas von der Kriegsführung“). Was nicht das Argument Primus’, zwei unvereinigte und ‚führerlose‘ Truppen einfacher schlagen zu können, in Frage stellen soll. Zu diesem Punkt findet sich mehr bei Morgan 2005, 190 f. 107 Tac. hist. 3,40 f. 108 Tac. hist. 1,53,1. Bei seiner Einführung in die Narration handelt es sich wie bei Valens um eine externe, komplette Analepse (vgl. Anm. 91). Vgl. zu Caecina Damon 2003, 208 f. sowie Perkins 2010, vor allem zur Spiegelung (positiven wie negativen) seiner Charaktereigenschaften und Motivationen zu der seiner Soldaten. 109 Tac. hist. 4,80,3. Das könnte erklären, warum Caecina von Primus bei dessen Versuch, sich in Vespasians Nähe durchzusetzen, beschimpft wird. Ebenfalls ein Indiz hierfür ist der Vorwurf des Erzählers an die offiziöse flavianische Geschichtsschreibung, dass sie im Urteile Caecinas „eine zum Zweck der Schmeichelei vorgenommene Fälschung“ (corruptas in adulationem causas) gewesen sei (ebd. 2,101) und deswegen seine Motive für den Verrat an Vitellius verfälscht habe. Gegensätzliches mag für die Rolle des Antonius bei der Plünderung Cremonas angenommen werden vgl. Morgan 1996a, 389–403. 110 Siehe oben, die Anm. 108 genannte Analepse Tac. hist. 1,53,1. 111 Denn die Usurpation des Vitellius ereignete sich einige Tage früher als der Putsch Othos und auch der Unmut der obergermanischen Soldaten richtete sich gegen Galba; vgl. Tac. hist. 1,55; ausführlich zur Problematik der sich überkreuzenden Usurpationen: Flaig 1992, 293–351, v. a. 305 f. Zum Begriff des Putsches siehe unten, Anm. 175.
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Truppen Othos bei Cremona für Vitellius und erhält das Konsulat. Am gleichen Ort und wenig später verrät er diesen, läuft über zu den Flavianern und scheint nicht ganz unbeteiligt an deren schnellem Erfolg.112 Sein Charakterbild ist dem entsprechend auf der einen Seite durch cupido/ambitio/aviditas, welche mit seiner superbia einhergehen und seine perfidia motivieren, auf der anderen Seite durch temeritas geprägt.113 Diese beiden letztgenannten Eigenschaften motivieren seine Handlungen bis zur Schlacht von Cremona grundlegend. Streitigkeiten mit den Helvetiern, die seine Soldaten begonnen haben, nutzt er belli avidus („kriegslüstern“), um es zu einem Kampf kommen zu lassen, bei dem die Helvetier chancenlos niedergemetzelt werden. Er ist ihnen strategisch wie zahlenmäßig vollkommen überlegen und macht bei seiner Strafaktion davon bewussten Gebrauch.114 Schnell reagiert er auch auf die Botschaft vom Überlaufen der im transpadanischen Gebiet stationierten silianischen Reiterei und zieht mit seinen Truppen über die noch winterlichen Alpen. Zu dieser Entscheidung motivieren ihn die Vermehrung seiner gloria sowie die praemia des Entscheidungskampfes.115 Prinzipiell ein korrekter Gedanke treibt ihn zur Belagerung von Placentia: „wusste er doch, dass je nachdem die Ereignisse zu Kriegsbeginn ausfallen, sich im Weiteren die öffentliche Meinung gestaltet.“116 Doch es gelingt ihm nicht, sich dieses Wissen nutzbar zu machen, da es bei dessen militärischer Umsetzung am kunstgerechten Einsatz der Truppen mangelt und Caecina nach zwei missglückten Versuchen, die Stadt zu stürmen,117 sein „unüberleg112 Vgl. Tac. hist. 2,41–45; 2,71,2; 3,9,4 f.; 3,13 f. 113 Siehe cupido/ambitio/aviditas: Tac. hist. 1,52,3; 2,99,2; 2,24,1; superbia: 2,20,1; 3,31,4; perfidia: 3,9,2: quod si adfuisset fides („Hätte er [Caecina] nun redliche Absichten gehabt…“); 3,31,2 (proditor); 3,31,4; 3,37; temeritas: 1,67,2; 2,22,3. Vgl. eine ausführlichere Deskripiton bei Dudley 1968, 67–69. Vgl. Damon 2003, 208 f. und zu Caecinas Hast ebd. 210 f. sowie Perkins 2010, 369–373. Zu seinen Intentionen und Motivationen vgl. Morgan 1994b, 122. 114 Tac. hist. 1,67 f.: Plus praedae ac sanguinis Caecina hausit („Mehr Beute und Menschenleben kostete Caecinas Marsch“), auf seinem Weg nach Italien im Vergleich zu Valens. Auch wenn von der praeda im Folgenden nicht mehr die Rede ist und hier die Darstellung einmal mehr dem Beschriebenen widerspricht, so wird damit die saevitia betont, mit welcher Caecina und dessen Aktionen im Vergleich zu Valens (vgl. Morgan 1994b, 104–108.) und dessen Handlungen versehen werden. ceteros veniae vel saevitiae Vitellii reliquit (ebd. 1,68,2; „Die übrigen überließ er der Milde oder Grausamkeit des Vitellius“), was impliziert, dass zuvor bei ihm die saevitia zur Geltung kam. Gestützt wird diese Interpretation durch ebd. 2,20,1: At Caecina, velut relicta post Alpes saevitia ac licentia („Caecina aber rückte, als hätte er Grausamkeit und Zügellosigkeit jenseits der Alpen gelassen, mit guter Marschdisziplin in Italien vorwärts“). Zu ausgewogen wird sein Verhalten vor der Alpenüberquerung von Morgan 1994b, 109 f., 116 f. bewertet. Vgl. Perkins 2010, 373–375. 115 Tac. hist. 1,70. Denn seine Entscheidung nicht in das ‚feindliche‘, othonianische Noricum abzuschwenken, liegt weniger in einer strategischen Überlegung begründet als eher in seinem Trachten nach der certa victoriae praemia („dem weiteren Siegespreis“) des Entscheidungskampfes (ebd. 1,70,3). Zu seinen Operationen in Norditalien siehe Morgan 1997, 357. 116 Tac. hist. 2,20,2: gnarus, ut initia belli provenissent, famam in cetera fore. Mehr zu den strategischen und persönlichen Intentionen hinter diesem Angriff, den Gründen seines Scheiterns und der Misrepräsentation der Ereignisse durch Tacitus bei Morgan 1997. 117 Tac. hist. 2,21,1: sed primus dies impetu magis quam veterani exercitus artibus transactus („Der erste Tag verlief mehr nach Draufgängerart als mit dem kunstgemäßen Einsatz eines
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tes“ Vorhaben abbrechen und sich „voll Scham“ zurückziehen muss.118 Es folgen im Weiteren kleinere Gefechte, bei denen Caecinas Truppen jeweils das Nachsehen haben.119 Auch die nächste Aktion Caecinas, durch die er seinen Ruhm wiederherstellen möchte und in der ebenfalls die ständige Konkurrenz zu Valens zum Ausdruck kommt, ist durch aviditas und feldherrliche Fehlleistung geprägt und endet beinahe in der Katastrophe, die nur ein taktischer Fehler auf der Seite des Feindes verhindert.120 Die Konsequenz der Niederlage allerdings ist positiv, da sie bei den Vitellianern modestia hervorruft, jedoch anscheinend nicht bei Caecina, „der die Schuld an dem Misserfolg auf die Soldaten schieben wollte.“121 Und auch wenn Caecinas Verhältnis zu seinen Soldaten während der Schlacht einen Dämpfer erhält, so ist seine Interaktion mit den Soldaten erfolgreicher als die des Valens.122 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Vergleich zu Valens, bei dem die zunehmend misslingende Interaktion mit den Soldaten im Vordergrund steht, Caecinas Charakterisierung dessen militärisch nicht genügend sorgfältig ausgeführten und erfolglosen Aktionen entspringt, die ihm im Kampf mit ein paar Helvetiern noch den Sieg, in der Auseinandersetzung mit Truppen Othos allerdings nur Niederlagen eingebracht haben. Die Schlacht von Cremona und ihre unmittelbaren Folgen (2,30–2,71) werden, wie oben bereits erwähnt, in einem separaten Abschnitt dargestellt. Eine spezifische
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Veteranenheeres“). Vgl. zur bewusst oder unbewusst verfälschten Darstellung dieser Ereignisse durch Tacitus Morgan 1997, 341–351. Tac. hist. 2,21 f.: et Caecina pudore coeptae temere obpugnationis, ne inrisus ac vanus isdem castris adsideret, traiecto rursus Pado Cremonam petere intendit (ebd. 2,22,3; „Caecina, der sich schämte, die Belagerung unüberlegt begonnen zu haben, und der nicht zwecklos und als Zielscheibe des Spottes in dem gleichen Lager verbleiben wollte, setzte über den Po und beschloss, nach Cremona zu marschieren“). Dass Cremona zu diesem Zeitpunkt bereits der vitellianischen Zeit zugeneigt gewesen sein muss, zeigt Morgan 1996a, 385–389. Vgl. allgemein Perkins 2010, 375–378. Tac. hist. 2,23,3–5; 2,24,1. Tac. hist. 2,24–26. Konkurrenz und unüberlegtes Handeln: [Caecina] propinquante Fabio Valente, ne omne belli decus illuc concederet, reciperare gloriam avidius quam consultius properabat (ebd. 2,24,1; „beeilte er [Caecina] sich beim jetzigen Herannahmen des Fabius Valens sehr, seinen Ruhm zurückzugewinnen, um nicht all seine Kriegslorbeeren an diesen abtreten zu müssen; dabei ging er mit größerer Hast als Überlegung vor“). Seine Fehlleistung: nam Caecina non simul cohortes, sed singulas acciverat, quae res in proelio trepidationem auxit (ebd. 2,26,1; „Caecina hatte nämlich seine Kohorten nicht auf einmal, sondern nur vereinzelt herangeholt, was die Verwirrung im Kampf noch vermehrte“). Die durch den Fehler des Feindes abgewendete Katastrophe: ut deleri cum universo exercitu Caecinam potuisse, ni Suetonius Paulinus receptui cecinisset (ebd. 2,26,2; „Caecina hätte mit seinem ganzen Heer vernichtet werden können, wenn nicht Suetonius Paulinus zum Rückzug hätte blasen lassen“). Vgl. zur historischen Rekonstruktion der Ereignisse (die im Zusammenhang der vorliegenden Analyse allerdings weniger von Interesse ist) Heubner 1968, 99–104 sowie Ash 2007, 143, dort auch mit weiterer Literatur. Tac. hist. 2,27,1: qui culpam in militem conferebat. Tac. hist. 1,53,1 (Caecinas Bemühugen ein gutes Verhältnis zu den Soldaten aufzubauen – allerdings mit dem Ziel, dies für seine Zwecke zu nutzen – vgl. Perkins 2010. 366–368); 2,26,1 (die durch den taktischen Fehler Caecinas hervorgerufene seditio); ebd. 2,30,2 (die größere Sympathie der Soldaten auf Seiten Caecinas). Vgl. Morgan 1996b, 360–363.
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Konsequenz für Caecina aus seinem erfolgreichen Engagement im Bürgerkrieg jedoch besteht darin, dass er von Vitellius das Konsulat verliehen erhält, weshalb er, wie auch Valens, in der Folge als Konsular zu betrachten ist. Da Caecina zwar offiziell als Feldherr des Vitellius seinem Kaiser militärische Dienste leistet und für diesen ins Feld gegen die Flavianer zieht, im Geheimen jedoch schon den Treuebruch geplant und vorbereitet hat, sind seine folgenden Handlungen durch die Interaktion mit Untergebenen und Soldaten gekennzeichnet.123 Es gelingt ihm auch gleich zu Beginn mit dem Vorteil der Präsenz gegenüber Valens, der noch krank in Rom weilt, das gesamte Heer zu täuschen, an sich zu binden und an den zukünftigen Kriegsschauplatz zu führen. Ein konspiratives Treffen mit dem Flottenkommandanten von Ravenna verläuft ebenfalls positiv. Beide handeln nach Einschätzung des Erzählers gleich perfide und mit der Motivation, sich an Vitellius zu rächen, der ihnen ihrer Meinung nach nicht genügend Gegenleistungen für ihre Dienste erbracht hat.124 Die ersten Indizien des Verrats auf der Handlungsebene der erzählten Welt manifestieren sich in der militärischen Passivität Caecinas, der ein strategisch günstiges Lager anlegen lässt, aber die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Truppen bewusst nicht ausnutzt, was er im Falle der Helvetier noch erfolgreich getan hat.125 Auf die Nachricht der Desertion der Flottenmannschaft von Ravenna hin versucht Caecina, seinen von langer Hand geplanten Verrat zu verwirklichen, scheitert dabei aber und wird gefangen genommen. Welch große Bedeutung eine Führerpersönlichkeit für die Moral der Soldaten hat, zeigt sich in deren Reaktion auf seinen Verrat. Sie brechen das Lager ab und vereinigen sich mit anderen Truppen in Cremona.126 Sein letzter direkter Auftritt in dem erhaltenen Teil der Erzählung wird in der Darstellung stark in Szene gesetzt: Caecina läuft nach der Kapitulation von Cremona auf die Seite der Flavianer über, allerdings in konsularischem Gewand und Begleitung von Liktoren. Trotz zwischenzeitlicher Gefangenschaft bleibt er Nutznießer der Krise.127
123 Tac. hist. 2,99–2,101. 124 Tac. hist. 2,100 f. Der Erzähler räumt auch mit der offiziösen flavianischen Geschichtsschreibung auf, corruptas in adulationem causas (ebd. 2,101,1; „eine zum Zweck der Schmeichelei vorgenommene Fälschung“). Die Gründe des Caecina waren aemulatio und invidia, ne ab aliis apud Vitellium anteirentur (ebd.; „um sich nicht von anderen den Rang bei Vitellius ablaufen zu lassen“). Damit aber werden die früheren Historiographen unter den Flaviern und Caecina auf eine Stufe gestellt. Vgl. Heubner 1968, 298 sowie ausführlich auch zu den Zusammenhängen mit dem Proöm Sailor 2008, 165–171. In gewisser Weise reißt der Erzähler mit der Motivation Caecinas auch diejenige Mucians und Vespasians zur Usurpation an und lässt diese dadurch ambigue erscheinen (vgl. Tac. hist. 2,77,1). 125 Tac. hist. 3,9,1 f. Auch in der Korrespondenz mit und der Rhetorik gegenüber den feindlichen Feldherren spiegelt sich Caecinas Haltung wider. 126 Tac. hist. 3,13 f.; die langfristige Vorbereitung Caecinas zeigt sich schon in ebd. 2,100,2, womit ein weiteres Mal dargestellt werden soll, was auch hier beschrieben wird: dass nämlich Caecina seinen Verrat an Vitellius schon lange geplant hat. Vgl. Heubner 1968, 322. Dies rückt alle bis zu diesem Zeitpunkt ausgeführten Aktionen in den Bereich der Täuschung; so bspw. die Umarmung, mit der er sich von Vitellius verabschiedet (ebd. 2,100,1). 127 Tac. hist. 3,31,4.
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C) Valens und Caecina – das Doppelkommando und die erste Schlacht von Cremona In Cremona schließen sich also die beiden Feldherren prätorischen Ranges, von denen der eine von seinen Soldaten ignoriert wird und der andere bislang nur Niederlagen gegen die Othonianer vorzuweisen hat, zu einem Zweckbündnis zusammen. Vereint beginnen sie strategisch zu planen und versuchen, die Feinde durch ein Scheinmanöver, das für sie erfolgreich verläuft, zu Fehlern zu zwingen.128 Beinahe vom Beginn der Entscheidungsschlacht überrascht, endet diese in einem Sieg für die Vitellianer, doch der Anteil der Feldherren an diesem hält sich stark in Grenzen. Zwar lässt der sich im Lager befindliche Valens das Zeichen zum Angriff geben, aber die Schlachtaufstellung, das Vorpreschen der Reiter und das Eingreifen der Italischen Legion, scheinen völlig an diesem vorbei zu laufen.129 Auch in den folgenden Kampfhandlungen spielen die Feldherren, übrigens auf beiden Seiten, anscheinend nicht die geringste Rolle. So besteht das einzige explizite Eingreifen von Caecina und Valens im funktionslosen Heranführen von Verstärkung, während die othonianischen Führer schon geflohen sind, die Schlacht also eigentlich schon entschieden scheint. Die unmittelbaren Folgen ergeben sich im Durchbrechen des othonianischen Mitteltreffens und dem Niedermetzeln der Fliehenden. Der Befehl, das othonianische Lager nicht am selben Tag anzugreifen und die Kapitulation der feindlichen Truppen entgegenzunehmen, wird gleichsam depersonalisiert den vitellianischen duces zugeschrieben.130 Diese Depersonalisierung, das eigentliche Nicht-Handeln, die vielen Toten, vor allem aber die längerfristigen Folgen – die Nichtbestattung der Gefallenen sowie die in Italien begangenen und zugelassenen Frevel und Untaten – werten den Erfolg der Feldherren ab.131 Den fokalen Zweck ihres militärischen Agierens, auch wenn sie an dessen Erfolg letztendlich kaum beteiligt sind, haben sie erreicht,132 aber das bedingt zu Wollende ihrer Handlungen,
128 Tac. hist. 2,30,3–2,36. Zu den beiden Schlachten von Bedriacum und ihrer ähnlichen Darstellung durch Tacitus in landschaftlichen und taktischen Details siehe Manolaraki 2005, 246 – 249. Zur Überwindung ihrer Differnzen für einen gemeinsamen Zweck vgl. Morgan 1996b, 364. 129 Tac hist. 2,41,2. 130 Das Kampfgeschehen erstreckt sich über Tac. hist. 2,41,2–2,44,1; die einzige Nennung von Caecina und Valens ebd. 2,43,2; die zu vielen Gefallenen führende Verfolgung ebd. 2,44,1. 131 Die Nichtbestattung der Toten, die den Status von Bürgern haben: Tac. hist. 2,45,3; 2,70,3 f. Diese Stelle dient natürlich auch der Diskreditierung des Vitellius: at non Vitellius flexit oculos nec tot milia insepultorum civium exhorruit („Vitellius jedoch wandte sein Auge nicht ab, und es schauderte ihn nicht beim Anblick von so viel Tausenden unbestatteter Mitbürger“; vgl. Manolaraki 2005, 258–260 wo auch die intertextuellen Anklänge an Lucans Caesar (Lucan. 7,787–795) und die Unterschiede von Vitellius zu diesem angeführt werden, vgl. ebenfalls Ash 2007, 275); zu den in Italien begangenen Untaten und Freveln: ebd. 2,56: dispersi per municipia et colonias Vitelliani spoliare rapere, vi et stupris polluere; in omne fas nefasque avidi aut venales non sacro, non profano abstinebant („Die in den verschiedenen Land- und Pflanzstädten liegenden Vitellianer raubten und plünderten, verübten Gewalttätigkeiten und Unzucht. Ohne nach gottgesetztem Recht oder Unrecht zu fragen, folgten sie ihrer Gier oder ließen sich dingen, um dann die Hände weder von heiligem noch menschlichem Besitz zurückzuhalten“). 132 Damit sind natürlich die Kaisernähe (Tac. hist. 2,59,3) und das Konsulat (ebd. 2,71,2) gemeint.
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die Nebenfolgen, werden vom Erzähler genutzt, sowohl ihr Ziel als auch die Art und Weise, wie sie es erreichten, zu diskreditieren. D) Antonius Primus Antonius Primus, ebenfalls mit einer externen kompletten Analepse eingeführt, wurde unter Nero wegen Fälschung verurteilt, er „hatte […] den Senatorenrang wieder erhalten: während des Kriegs gab es unter anderem auch solche Missstände.“ Galba machte ihn zum Legionslegaten der siebten Legion in Pannonien. Ignoriert von Otho schließt er sich Vespasian an und setzt sich sehr für diesen ein. Auf der Beschreibungsebene wird er als ein „wackerer Haudegen, ein gewandter Redner, ein Meister in der Kunst, zum Schaden anderer den Samen der Missgunst auszusähen“ sowie „eine bei jeder Zwietracht und Meuterei einflussreiche, auf Räuberei und Verschwendung sich verstehende, im Frieden äußerst gefährliche, im Krieg freilich durchaus nicht verächtliche Persönlichkeit“ relativ eindeutig charakterisiert, was sich auch in der Darstellung bestätigt.133 Antonius siegt für Vespasian bei der zweiten Schlacht von Cremona gegen die Vitellianer und nimmt Rom ein. Doch auf dem politischen Feld unterliegt er Mucian und gerät trotz der Dienste für seinen Kaiser in zunehmende Distanz zu diesem.134 Die bedeutendste Differenz zwischen Antonius Primus und Valens/Caecina besteht in der jeweiligen Legitimation ihrer Handlungen. Während sich die vitellianischen Feldherren auf den Auftrag ihres Kaisers berufen können, drängt Primus Vespasian seine militärischen Dienstleistungen förmlich auf, ja er handelt sogar gegen dessen Befehle.135 Die motivationalen und intentionalen Grundlagen ihrer Handlungen einen sie jedoch wieder, da der Motivator ambitio und der fokale Zweck der Kaisernähe auch Antonius’ Agieren präfigurieren.136 Auf der Darstellungsebene setzt der Erzähler Antonius wiederum in ein deutlich anderes Licht als die beiden Feldherren des Vitellius. Denn auch wenn die Interaktion des Antonius mit den Soldaten nicht immer unproblematisch verläuft, so kann er sich doch auf ihre Zu133 Tac. hist. 2,86,1 f.: inter alia belli mala senatorium ordinem reciperaverat […] strenuus manu, sermone promptus, serendae in alios invidiae artifex, discordiis et seditionibus potens, raptor largitor, pace pessimus, bello non spernendus. Vgl. die von der Beurteilung durch den Erzähler und der weiteren Darstellung abweichenden Meinungen zu Antonius Primus: Shotter 1977, 23–27 ist der Meinung, dass Tacitus Antonius sehr ausgewogen beurteilt – also auch durchaus positiv in anderen Aspekten; ein deutlich zweischneidigeres Bild, in dem ein Übergewicht der negativen Seiten des Antonius nach der Schlacht bei Cremona festgestellt wird, vertreten Treu 1948, 241–261, besonders 242; vgl ebenfalls Heubner 1972, 120; Dorey 1958, 244; Ash 1999, 147–165, besonders 149 u. 164. 134 Tac. hist. 3,31 (Sieg bei Cremona); 3,82–4,1 (Einnahme Roms); 4,80 (direkter Kontakt mit Vespasian). Vgl. Wellesley 1972, 3–5. Zu den Ähnlichkeiten zwischen beiden Schlachten, ihren Verknüpfungen und epischen Elemente vgl. Joseph 2012a, 113–152. 135 Tac. hist. 3,8,2. Seine militärischen Dienste versuchte Primus schon Otho anzutragen (ebd. 2,86,2). Vgl. die Beschreibung des Primus in Dudley, 1968, 70 f. Vgl. ebenfalls Heubner 1972, 24 f. 136 Tac. hist. 4,80 – vor allem durch seinen Ärger, dass er diese gewünschte Kaisernähe nicht erhält, deutlich zu erkennen. Der Begriff ambitio wird zwar nicht direkt verwendet, aber die Motivationszuschreibung in ebd. 3,2,4 u. 3,11,4 liegt offensichtlich im Kriegsruhm und dem Verdienst des Sieges für seinen Kaiser begründet.
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stimmung stützen, da sie ihn immerhin zum alleinigen Feldherrn des illyrisch flavianischen Heeres machen, weshalb er letztendlich alleine für dessen gesamte Handlungen und ihre Folgen von Poetovio bis Rom verantwortlich zeichnet.137 Im Gegensatz zu den Vitellianern versteht es Antonius, die moralische Verfassung seiner Soldaten durch eindeutige Stellungnahmen, direkte Kommunikation, selbst während des Kampfes, aktive Beteiligung an der Schlacht, Plünderung und Plünderungsversprechen sowie Privilegien zu beeinflussen und auf diese Weise auch in einigen kritischen Situationen seine auctoritas zu behaupten.138 Als Feldherr agiert er schnell, mit strategischer Umsicht und vor allem erfolgreich, zeigt Präsenz an den Brennpunkten und taktischen Überblick über das Kampfgeschehen, ja selbst im Kampfgetümmel bewahrt er kühlen Kopf: „Antonius versäumte in diesem Wirrwarr nichts, was ein unerschrockener Führer oder wackerer Soldat zu tun hat.“139 So wird die Situation eingeleitet, in der Antonius mit einer vorgerückten Reiterabteilung gezwungen ist, vitellianischen Truppen standzuhalten. Auch der davon abhängige AcI scheint das zu bestätigen, wenn auch die unverbundene Reihung consilio manu voce („er mit Rat und Tat und Zuruf eingriff“) eine hohe Handlungsintensität des Antonius formal widerspiegelt. Und tatsächlich lässt sich der dux constans von der Hitze des Gefechts hinreißen: „In seinem Feuereifer ging er schließlich so weit, dass er einen fliehenden Fahnenträger mit der Lanze durchbohrte.“140 Dieses Bild wird noch durch den Kontrast des leidenschaftlich kämpfenden Antonius mit seinen gleichzeitig Beute machenden Soldaten gesteigert, wodurch die constantia des Antonius berserkerhafte Züge erhält.141 Zu dieser häufig zu beobachtenden Brechung zwischen Darstellung und Beschreibung kommt noch der Umstand hinzu, dass letztendlich gar nicht Antonius’ Einsatz dafür verantwortlich ist, dass die Seinen dem Angriff der Vitellianer standhalten: „So halfen die Not oder auch
137 Problematisch: Tac. hist. 3,20 f.; 3,32; 3,82. Zustimmung: ebd. 3,2 f.; 3,11,4 (was ihn auch zum obersten Befehlshaber macht); 4,36,4 (dieser Rückhalt bei den Soldaten ist es, was Mucian an ihm fürchtet). 138 Tac hist. 3,3: aperte descendisse in causam videbatur, eoque gravior militibus erat culpae vel gloriae socius („man sah, dass er offen Partei ergriff, wodurch er auf die Soldaten, mit denen er Schuld und Ruhm teilte, um so stärker wirkte“; seine offene Stellungnahme für Vespasian); ebd. 3,9,5; 3,24 (individuell spornt er all seine Einheiten zum Kampf an); ebd. 3,17; 3,23,1; 3,25,1; 3,29,1 (Primus’ aktive Beteiligung am Kampf); ebd. 3,15,2; 3,27,3 f. (Plünderung und implizites Plünderungsversprechen); ebd. 3,49,2 (Privileg der Zenturionenwahl); ebd. 3,80,2; 3,20,1 (zur auctoritas des Primus) und, wenn auch nicht explizit, so dennoch 3,31,4; 3,60,2 f. 139 Tac. hist. 3,17,1: nullum in illa trepidatione Antonius constantis ducis aut fortis militis officium omisit. Schnell und strategisch umsichtig: ebd. 3,6,1 f.; 3,8,1; 3,16; 3,21,2; taktischer Überblick und Präsenz an den Brennpunkten: ebd. 3,17; 3,23,1; 3,25,1; 3,29,1; Erfolg: ebd. 3,6; 3,17; 3,25,2; 3,29,2; 3,31,3; 3,84,3. 140 Tac. hist. 3,17,1: eo postremo ardoris provectus est, ut vexillarium fugientem hasta transverberaret. 141 Tac. hist. 3,17,2: Antonius instare perculsis, sternere obvios; simul ceteri, ut cuique ingenium, spoliare capere, arma equosque abripere („Antonius aber setzte den bestürzten Leuten kräftig zu, streckte nieder, was ihm in den Weg kam, während gleichzeitig das übrige Kriegsvolk, je nach der Sinnesart der einzelnen plünderte, Gefangene machte, Waffen und Pferde erbeutete“).
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das Glück der schon sinkenden Sache der Partei wieder auf die Beine.“142 Die Notwendigkeit oder das Glück, welches die Flavianer wieder aufrichtet, bezieht sich auf die lokalen Umstände – eine zerstörte Brücke über einen Bach, dessen Ufer steil und dessen Flussbett unsicher ist –, die eine weitere Flucht verhindern und die Flavianer zwingen, sich zu reorganisieren und den Vitellianern zu stellen. Die constantia des Antonius wird also in der Darstellung einerseits durch dessen Leidenschaftlichkeit im Kampf andererseits durch die zufälligen örtlichen Gegebenheiten vom Erzähler diskreditiert. Die Strategie der präfigurierenden, inszenierenden und konsequentiellen Diskreditierung findet sich auf Darstellungs- und Beschreibungsebene und rückt den scheinbar positiven und erfolgreichen Feldherrn Antonius Primus wieder in das ‚rechte‘, dem Proömium entsprechende Licht. Nicht nur seine Charakterisierung, sondern auch die seines Vorhabens als eines Raubzugs durch Italien präfigurieren die negative Bewertung seiner Handlungen.143 Die positiven Aktionen des Antonius werden in der Regel dadurch diskreditiert, dass sie entweder keine Konsequenzen zeitigen oder dass seine Erfolge als Feldherr in der Katastrophe für das Gemeinwesen enden.144 Auch seine relativ erfolgreiche Interaktion mit den Soldaten entspringt im Grunde eher zweifelhaften Methoden.145 Letztendlich 142 Tac. hist. 3,17,2: ea necessitas seu fortuna lapsas iam partes restituit. Die zerstörte Brücke, der Bach, die steilen Ufer, das unsichere Bachbett finden sich noch in ebd. 3,17,1. 143 Zur Charakterisierung siehe oben, Tac. hist 2,86,1 f. Noch vor seinen ersten Aktionen in Italien wird sein Vorhaben als Raubzug präfiguriert, ebd. 3,6,1: Antonio vexillarios e cohortibus et partem equitum ad invadendam Italiam rapienti („Den Antonius, der aus den Auxiliarkohorten abgezweigte Abteilungen und einen Teil der Reiterei in Eile heranführte, um damit über Italien herzufallen“). Dieses Motiv setzt sich in der als Nahrungsbeschaffungsmaßnahme getarnten Plünderungsaktion in der Umgebung von Cremona fort (ebd. 3,15,2), ebenso im Plünderungsversprechen (ebd. 3,27,3) und dem folgenden Untergang von Cremona selbst (ebd. 3,33 f.) sowie in dem Verhalten des Antonius nach seinem Sieg bei Cremona (ebd. 3,49,1: ut captam Italiam persultare; „er durchstreifte Italien, als sei es von ihm erobert“) und nach der Einnahme Roms (ebd. 4,2,1: is pecuniam familiamque e principis domo quasi Cremonensem praedam rapere; „dieser holte sich Geld und Bedienung aus dem Haus des Fürsten, als gehörte das alles zur Beute von Cremona“). Zum Eroberungs- und Plünderungsmotiv und den entsprechenden Reminiszenzen an den Fall von Troja vgl. Keitel 2010, 347–351. 144 Siehe Tac. hist. 3,17,2: necessitas seu fortuna („die Not oder auch das Glück“), nicht seine Handlungen verhindern Schlimmeres; ebd. 3,23: seine Maßnahme, die Schlachtreihe durch Prätorianer verstärken zu lassen, zeitigt nur kurzfristigen Erfolg, wesentlich bedeutender ist das Opfer der zwei anonymen Soldaten und das Glück, das sich in der Form des aufgehenden Mondes auf die Seite der Flavianer stellt; ebd. 3,24 f.: seine daraufhin erfolgreichen Maßnahmen als Feldherr führen zu einem Blutbad, das durch die Inszenierung des Parricidas dem scelus gleichgestellt wird und die republikanischen Bürgerkriege in seiner moralischen Devianz noch übertrifft (vgl. Ash 2010, 126–128; Joseph 2012a, 116–118; Joseph 2013, 164); und auch das folgende Verhalten der flavianischen Sieger diskreditiert ihren Erfolg: ebd. 3,51,1: victoribus adversus fas nefasque inreverentiam fuisse („dass bei den Siegern die Gleichgültigkeit gegen göttliche Gebote und Verbote sehr groß war“), darüber hinaus stellt es sie mit dem Verhalten der siegreichen Vitellianer (ebd. 2,56) auf eine Stufe. Vgl. zur Ähnlichkeit der beiden Schlachten bei Cremona auch Joseph 2013, 166 f. 145 Tac. hist. 3,3 (wird zum socius der Soldaten); 3,15,2 (weckt Plünderungsgier der Soldaten); 3,27,3 f. (Plünderungsversprechen von Cremona als Motivation); 3,49,2 (Zenturionenwahl durch Soldaten).
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werden all seine Leistungen, die quasi auf illegitimer Eigeninitiative beruhen und über das fokale Ziel der Kaisernähe insofern hinausgehen, als Antonius sich den Kaiser durch seine Taten gleichsam verpflichten möchte,146 durch drei katastrophale Konsequenzen negiert: Der Untergang von Cremona, der Brand des Kapitols, für den Antonius mitverantwortlich gemacht wird und die militärische Einnahme der Stadt Rom, in deren Straßen sich der Bürgerkrieg fortsetzt, sind intolerable Nebenfolgen seiner Handlungen.147 Doch kann er die auf militärischem Feld errungenen Erfolge nicht in soziales Prestige und politische Macht ummünzen. E) Petilius Cerialis Im Vergleich zu den anderen Funktionsträgern hat Petilius Cerialis kein Amt inne, das ihm Kompetenzen im Rahmen kaiserlicher Dienste verleiht, also auch keine im militärischen Bereich. Nachdem er jedoch aufgrund verwandtschaftlicher Verbindungen zu Vespasian selbst die Initiative ergreift und seinen vitellianischen Bewachern entkommt, wird er in den Führungsstab der den Apennin überschreitenden flavianischen Truppen integriert. Im Bürgerkrieg spielt er nur eine marginale Rolle. Im Anschluss an diesen betraut ihn Mucian allerdings mit der Niederschlagung des Bataveraufstands, was er auch erfolgreich in die Tat umsetzt. Er wird als geschickter Redner aber hastiger und unvorsichtiger Feldherr charakterisiert, dem trotz moralischer Verfehlungen immer wieder das Glück zur Seite steht.148 Bei seiner Einführung in die Erzählung, während der seine aktive Flucht zur Kontrastierung der passiven Haltung von Vespasians Bruder Sabinus Flavius und von seinem Sohn Domitian dient, wird neben seiner Verwandtschaft mit dem angehenden Kaiser darauf hingewiesen: nec ipse ingloriosus militiae.149 Doch die Darstellung scheint dem insofern zu widersprechen, als seine einzige militärische Handlung während des Bürgerkrieges eher weniger erfolgreich verläuft, da er zu unvorsichtig und zu siegesgewiss agiert.150 Ein anderes Problem ergibt sich in der Interaktion mit den Soldaten; er ist nämlich im Gegensatz zu Antonius Primus nicht in der 146 Dies zeigt sich darin, dass er dem Kaiser seine Dienste aufdrängt (Tac. hist. 2,86,2), sich den Befehlen von Vorgesetzten widersetzt (ebd. 3,8,3), aber auch in der Darstellung und Rechtfertigung seiner Taten vor Vespasian (ebd. 3,53 u. 4,80,2 f.). 147 Tac. hist. 3,33 f. (Cremona; zur Frage von Antonius’s Schuld vgl. Morgan 1996a, 389–403, die seinen Anteil an der Katastrophs als von Tacitus relativ ausgeglichen bewertet, dabei aber übersieht, dass Antonius als oberster Feldherr für das Verhalten seiner Soldaten verantwortlich ist und im Vorfeld eben dazu beitrug, deren Plünderungsgier zu wecken bzw. zu verstärken); ebd. 3,78,3 (Mitschuld am Kapitolbrand); ebd. 3,83–4,2 (der Bürgerkrieg in Rom). 148 Eigeninitiative: Tac. hist. 3,59,2; aktive Teilnahme am Bürgerkrieg: ebd. 3,78,3–3,80,2; Auftrag Mucians: ebd. 4,68,1; letztendlicher Erfolg: ebd. 5,24,1; geschickter Redner: ebd. 4,71; 4,73 f.; 4,77,3; 5,16; hastiger oder unvorsichtiger Feldherr: ebd. 3,79; 4,78,2; 5,20,1; 5,21; moralische Verfehlungen: ebd. 4,77,1 u. 5,22,3. Vgl. Dudley 1968, 57 f. Zum Verwandtschaftsverhältnis zu Vespasian vgl. Townend 1961, 58 f. 149 Tac. hist. 3,59,2: „Cerialis […] besaß auch persönlich einen ansehnlichen Kriegsruhm.“ Vgl. Wellesley 1972, 157, der diese Bezeichnung sehr wörtlich versteht, im Folgenden aber auf die ambuige Bewertung der militärischen Aktionen im Bataveraufstand verweist. 150 Tac. hist. 3,79,1 f.: namque incautum et tamquam ad victos ruentem („wie er nämlich unvorsichtig, als sei sein Sieg gewiss, auf die Feinde losstürmte“), was dann letztendlich zur foeda fuga führt.
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Lage, die Gesandten des Vitellius vor dem Unmut der Soldaten zu beschützen, da er weniger auctoritas als jener besitzt.151 Seinem Agieren während des Bürgerkrieges liegt die Intention zugrunde, seinem Kaiser, dem er verwandtschaftlich verbunden ist, zur Herrschaft zu verhelfen. Zwar mangelt es Cerialis bei diesen Handlungen an Erfolg, doch hat Mucian, der Stellvertreter Vespasians, so viel Vertrauen in ihn, dass er ihn mit der Niederschlagung des Bataveraufstands betraut. Die Konsequenz seines auf Eigeninitiative beruhenden Einsatzes für seinen Kaiser in der Krise lässt ihn hierarchisch aufsteigen. Der fokale Zweck seines nun folgenden Engagements liegt nicht mehr in der Erlangung von Kaisernähe, sondern in der Sicherung derselben durch loyales und erfolgreiches Agieren. Im Gegensatz zu seinen Aktionen im Bürgerkrieg gelingt ihm dies auch.152 Während sich die Interaktion mit den Soldaten tatsächlich unproblematischer gestaltet, sind die militärischen Aktionen des Cerialis weiterhin deviant, worin sie sich allerdings im glücklichen und erfolgreichen Ergebnis deutlich von dem Reitergefecht mit den Vitellianern vor Rom unterscheiden. Programmatisch werden die Leistungen des Cerialis im militärischen Bereich vom Erzähler wie folgt zusammengefasst: „Das Glück blieb ihm treu, wenn es auch mit seiner Kriegskunst nicht weit her war.“153 Und das bedeutet im Grunde genommen bei all seinen Aktionen: Der erste militärische Sieg erfolgt nicht wegen, sondern trotz seiner Befehle. Seine strategische Fehleinschätzung führt zur unnötigen Verlängerung des Krieges, den er dann aber doch für sich entscheiden kann. In Trier sind es die 21. Legion, das göttliche Eingreifen und die Fehler der Feinde, die Schlimmeres verhindern. Bei Vetera kann er den Feind mithilfe eines Überläufers sogar umgehen und im Rücken angreifen, wobei er es versäumt, den Erfolg richtig auszunutzen.154 Andererseits versteht er es, die Soldaten zu motivieren, desertierte Heeresteile wieder einzugliedern, den Bedürfnissen der Provinzialen entgegenzukommen und durch geschickte Diplomatie für Unfrieden unter den Feinden zu sorgen;155 ein im Grunde genommen überaus positives Engagement für seinen Kaiser, dessen Konsequenzen für den Akteur leider nicht mehr Teil der erhaltenen Erzählung sind. Getrübt wird der Erfolg des Cerialis jedoch durch seine Sorglosigkeit und seine moralische Devianz, welche ihn auch der „Schande“ preisgibt.156 151 Tac. hist. 3,80,2. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwiefern es erstrebenswert ist, eine auf den zweifelhaften Methoden des Antonius beruhende auctoritas zu besitzen, zumal Cerialis an anderer Stelle Durchsetzungsvermögen gegenüber den Soldaten besitzt, die posito civium bello ad externa modestiores waren (ebd. 4,72,2; „seitdem nämlich der Bürgerkrieg beigelegt war, zeigten sie sich, soweit es um auswärtige Angelegenheiten ging, fügsamer“). 152 Zu seinem Auftrag und seiner erfolgreiche Ausführung vgl. oben, Anm. 148. 153 Tac. hist. 5,21,3: aderat fortuna, etiam ubi artes defuissent. 154 In der Reihenfolge: Tac. hist. 4,71,4 f.; 4,75,2; 4,78; 5,18,2. Zu den Ereignissen bei Trier vgl. oben, Kap. 4, S. 223 f. 155 Motivation: Tac. hist. 4,71,1; 4,77,3; 5,16; Eingliederung: ebd. 4,72,2–4; Bedürfnisse der Provinzialen: ebd. 4,71,2; 4,73 f. Diplomatie: ebd. 5,23–25. 156 Tac. hist. 5,21,3: et paucos post dies, quamquam periculum captivitatis evasisset, infamiam non vitavit („So geschah es auch, dass er sehr wenige Tage später zwar einer ihm drohenden Gefangennahme entging, aber nicht ohne Schande davonkam“) und tatsächlich, als die Germanen das Lager bei Nacht überfallen (ebd. 5,22,3): dux semisomnus ac prope intectus errore hostium servatur („Den Feldherrn der noch halbverschlafen und beinahe unbekleidet war, rettete ein
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
F) Die Handlungen der Standesgenossen Bei den prätorischen Standesgenossen der eben behandelten Protagonisten fällt es schwer, nimmt man einmal die in den Bataveraufstand verwickelten vier Legionslegaten aus, von Handlungen im militärischen Feld zu sprechen. Keiner von ihnen wird häufiger als vier Mal genannt, die meisten sogar nur ein bis zwei Mal.157 Die wenigen, dem militärischen Bereich zuzuordnenden Aktionen der Legaten beschränken sich auf das Heranführen von Truppen in den Aufmarschbereich oder in das rebellierende Gebiet, gescheiterte Interaktion mit den Soldaten oder die Erwähnung eines in der Schlacht Gefallenen; also dessen aktive Beteiligung an derselben.158 Aus diesen Handlungen geht wenn auch nicht immer, so doch häufig hervor, dass die jeweiligen Akteure für oder gegen einen bestimmten Kaiser/Usurpator agieren, also einen ähnlichen fokalen Zweck verfolgen wie die oben behandelten Protagonisten. Allerdings lassen sich keine genaueren Schlussfolgerungen über ihre Motivation oder die spezifische Umsetzung ihrer Handlungen ziehen. Die vier während des Bataveraufstands umkommenden Legionslegaten zahlen den Preis truppeninterner Spannungen, die durch die unterschiedlichen Kaiserwünsche von Soldaten und Kommandierenden hervorgerufen wurden.159 Aber auch das strategisch zweifelhafte Vorgehen des Primus und des Flaccus, die Bataver zu einem Aufstand anzustacheln, um damit die germanischen Truppen an den Rhein zu binden und Vitellius dadurch von potentieller Verstärkung abzuschneiden, trägt zu dieser Krise bei.160 Zweifelhaft ist ihr Vorgehen, da auf diese Weise nicht-römische Kräfte in eine inner-römische Angelegenheit hineingezogen werden, was diese
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Irrtum der Feinde.“), denn er hatte die Nacht anderswo zugebracht, ob stuprum Claudiae Sacratae mulieris Ubiae („hatte er nämlich ein Verhältnis zu einer verheirateten Ubierin, namens Claudia Sacrata“). Reminiszenzen an die – ohne dass die Erzählung dies begründen würde – außerhalb des Lagers verbrachte Nacht in Trier werden aufgrund der Ähnlichkeiten geweckt. Man weiß zwar, dass Cerialis den Aufstand erfolgreich niederschlug (das klingt schon in Tac. hist. 5,24,1 an, vgl. Cass. Dio. 65,3,3 u. Ios. bell. Iud. 7,83) und auch dass er relativ direkt danach Statthalter von Britannien wurde und dort militärisch erfolgreich gegen die Briganten operierte (siehe Tac. Agr. 8,2 u. 17,1 f.; Ios. bell. Iud. 7,82; vgl. PIR2 P 260 und Eck 1970, 112–119). Aber danach verliert sich nicht nur jede Spur von ihm, auch das Wissen um diesen weiteren Karriereverlauf lässt so gut wie keine Rückschlüsse auf die Beziehung zwischen ihm und Vespasian und deren weiterer Gestaltung durch den Erzähler zu. Vgl. Appendix 3, Nr. 1–26 und 55 f. mit Ausnahme der Vielgenannten und den in den Bataveraufstand verwickelten Legionslegaten (9; 13; 17; 19). Siehe zum Heranführen von Truppen: Tac. hist. 3,50,2 (1); 3,10,1 (8); 3,10,1 (18); 3,7,1 (26) sowie 4,79,3 (11). Gescheiterte Interaktion: ebd. 3,11,3 (8); 2,44,1 (26). Der Schlachtentod von Orfidius Benignus (20): ebd. 2,43,1. Tac. hist. 4,27,3: haud dubie gregarius miles Vitellio fidus, splendidissimus quisque in Vespasianum proni: inde scelerum ac suppliciorum vices et mixtus obsequio furor, ut contineri non possent qui puniri poterant („Zweifellos war der gemeine Mann dem Vitellius treu, die höheren Dienstgrade neigten zu Vespasian. Die Folge war ein reger Wechsel von Freveltaten und ihrer Bestrafung, ein enges Nebeneinander von Unterordnung und Wutausbrüchen, so dass man Leute, die sich sonst ruhig bestrafen ließen, nicht in Zaum halten konnte“). Tac. hist. 4,13,2 f.; 4,32,1; 5,26,3.
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dann auch ausnutzen.161 Darüber hinaus tragen die militärischen Fehlleistungen der vier namentlich genannten Legionslegaten nicht gerade zu einer Verbesserung der Situation bei.162 Des Weiteren sind ihr Anteil am Bürgerkrieg sowie ihre den einzelnen Handlungen zugrunde liegenden Intentionen und Motivationen häufig schwer nachvollziehbar und dienen primär der Darstellung der Krise in Germanien, weshalb sie hier auch nicht weiter erörtert werden sollen. G) Licinius Mucianus Zwei Drittel des zehnten Kapitels im ersten Buch der Historien, also noch innerhalb des dritten Teils des Proömiums, sind der Einführung dieses Protagonisten gewidmet, während Vespasian und Titus gemeinsam das letzte Drittel zugestanden wird. Höhen und Tiefen, schlechte und gute Charaktereigenschaften antithetisch in sich vereinend, scheint Mucian der Faktor zu sein, welcher die ruhige Lage im Osten im Laufe der Narration zum Kippen bringen wird.163 Und tatsächlich ist er nicht nur der Vertreter der flavianischen Partei, der mit seiner Rede dazu beiträgt, dass Vespasian die Herrschaft ergreift, sondern hinter seinen Handlungen tritt der spätere Kaiser während der Krise fast nicht in Erscheinung. Mucian übernimmt nicht nur die militärische Kampagne von Syrien nach Rom, wobei ihm allerdings Antonius Primus zuvorkommt, sondern sorgt in Rom und innerhalb des Senats für Ruhe und Ordnung, beseitigt potentielle Konkurrenten und delegiert die Niederschlagung des Bataveraufstands an Petilius Cerialis.164 Er versteht sich selbst als consors imperii, als welchen ihn auch seine Standesgenossen betrachten;165 andererseits erfährt er
161 Tac. hist. 4,13,2–4,14,4; 4,33. 162 Tac. hist. 4,18,1; 4,20,1; 4,27,1 (erfolgloses militärisches Agieren); 4,22,1; 4,33,1 (Mangel an strategisch umsichtigem Handeln); 4,34,1 u. 5 (Teilerfolg nicht ausgenutzt); 4,27,2; 4,36,2 (katastrophale Interaktion mit Soldaten) – dies beinhaltet die Handlungen von Nummer 9, 13, 17, und 19 nach Appendix 3. 163 Tac. hist. 1,10,1 f.: Diese Antithesen spiegeln sich auch in der sprachlichen Ausgestaltung in Form zweier Chiasmen wider: 1. Dem inhaltlichen Chiasmus luxuria industria, comitate adrogantia malis bonisque artibus mixtus („Er stellte eine Mischung dar von Verschwendungssucht und Tatkraft, Leutseligkeit und Anmaßung“), wobei die beiden eher positiv besetzten Eigenschaften von den beiden negativen eingerahmt werden. 2. Dem syntaktischen Chiasmus nimiae voluptates, cum vacaret; quotiens expedierat, magnae virtutes („er war übermäßig vergnügungssüchtig, wenn er dazu Zeit hatte; wenn er ins Feld zog; ein ganz trefflicher Mann“). ebd. 2,84 wird er als ungerechter und ausbeuterischer Feldherr im Bürgerkrieg, als Kriegsgewinnler und Lehrer der avaritia Vespasians dargestellt. Vgl. diesbezüglich Morgan 1994a, 171–174. Vgl. allgemein Damon 2003, 120–122. 164 Zur Rede Mucians und ihren Folgen: Tac hist. 2,76–78. Übernahme der militärischen Kampagne durch Mucian: ebd. 2,82,3. Ruhe und Ordnung in Rom: ebd. 4,11; 4,44. Beseitigung potentieller Konkurrenten: 4,11,2; 4,49,2. Maßnahmen gegen Bataveraufstand: 4,68. 165 Siehe Tac. hist. 2,83,1 (So wird sein Agieren auf der Beschreibungsebene gedeutet: socium magis imperii quam ministrum agens; „der mehr den Bundesgenossen als den Gehilfen des Herrschers spielte“); 3,75,2 (…consortem imperii cogitaret; er selbst sich „als Mitregent betrachtete“); 3,66,3 (specimen partium Mucianus; „ der Hauptrepräsentant der Partei, Mucian“; von den Vertrauten des Vitellius); 4,4,1 f. (auch die Senatoren im Senat diskutieren seine hervorgehobene Stellung, die sie letztendlich anerkennen). Vgl. Ash 2007, 284.
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vom Erzähler neben der ambivalenten Einführung keine sehr schmeichelhafte Beurteilung.166 Diese sich deckende Selbst- und Fremdbeschreibung stellt zugleich auch den fokalen Zweck seines Handelns dar, dessen Gestalt sich in einem außerordentlichen Status insofern ausdrückt, als seine Kaisernähe durch seine Funktion als consors imperii quasi institutionelle Permanenz gewinnt. Hierarchisch gesehen steht er auf einer Stufe mit dem Kaiser, was ihn gleichzeitig über seine Standesgenossen erhebt. Seine militärischen Handlungen auf dem Weg vom konsularen Statthalter zum Mitregenten sind dank des Agierens des Antonius Primus eher unspektakulär, was Mucian selbst in Sorge um seinen Kriegsruhm und das Erreichen seines fokalen Zweckes versetzt, denn nach der Planung hätte er es sein sollen, der mit einem Teil seiner Truppen Vitellius besiegt.167 Als Folge hiervon beschränken sich seine Aktionen auf dem militärischen Feld auf die problemlose Vereidigung seiner Truppen auf Vespasian nach nicht ganz ehrlicher, aber erfolgreicher Überzeugungsarbeit, seinen Heereszug durch Kleinasien in Richtung Rom, der sich als lukrativer Raubzug durch die Provinzen zur Akquirierung von Ressourcen für den Bürgerkrieg ausnimmt, und seine erfolgreiche Verteidigung Mösiens gegen die Daker, da er sich zufälligerweise zur rechten Zeit am rechten Ort befindet.168 Dennoch zeigt sich die Bedeutung seiner aktiven militärischen Beteiligung am Bürgerkrieg gleich an mehreren Stellen: in dem erfolgreichen und die Flavianer bei der Schlacht von Cremona ermutigenden Gerücht, Mucian sei mit seinen Truppen eingetroffen, in seiner Rollenzuschreibung durch die Vitellianer, in der Verleihung der ornamenta triumphalia durch den Senat und natürlich in seinem außerordentlichen Status nach dem Bürgerkrieg.169 Als kaiserlicher Mitregent verhindert er durch geschicktes und vorsichtiges Vorgehen einen Aufruhr unter den Truppen und delegiert letztendlich erfolgreich die Niederschlagung des Bataveraufstands.170 Den Kampf gegen seinen auf dem militärischen Feld größten Konkurrenten Antonius Primus ficht er auf politischer Ebene aus, weshalb dieser erst im nächsten Kapitel (4.2.2) betrachtet werden 166 Siehe Tac. hist. 2,84,2: Mucian als „Kriegsaktionär“ (propriis quoque opibus Mucianus bellum iuvit, largus privatim, quod avidius de re publica sumeret; „Mucian half auch mit seinem eigenen Vermögen im Krieg aus, spendete reichlich aus seiner Privatkasse, um es sich dann um so gieriger beim Staat wieder zu holen“); 2,95,3 wird er neben Vinius und Fabius auf eine Stufe mit Freigelassenen von Galba und Vitellius gestellt: inter Vinios Fabios, Icelos Asiaticos varia et pudenda sorte agebat, donec successere Mucianus et Marcellus et magis alii homines quam alii mores („Rom […] unter dem Wirken von Männern wie Vinius, Fabius, Icelus und Asiaticus ein wechselreiches, schändliches Los beschieden, bis Mucian und Marcellus ihre Nachfolge antraten: eine Änderung mehr in den Personen als in den Sitten“). Vgl. Syme 1958, 196. 167 Sorge Mucians: Tac. hist. 3,52,2: namque Mucianus tam celeri victoria anxius, et ni praesens urbe potiretur, expertem se belli gloriaeque ratus („Dieser [Mucian] war nämlich über den dermaßen schnellen Sieg beunruhigt und glaubte, er werde, wenn er sich nicht persönlich der Hauptstadt bemächtige, künftig von der Kriegführung ausgeschlossen sein und um allen Kriegsruhm kommen“). Kriegsplanung: ebd. 2,82 f. Vgl. Heubner 1968, 259 f. sowie Wellesley 1972, 3–5. 168 Tac. hist. 2,84 (Zug durch Kleinasien; vgl. Morgan 1994a, 171–174); ebd. 3,46,2 f. (Abwehr der Daker). 169 In dieser Reihenfolge: Tac. hist. 3,25,1; 3,66,3; 4,4,2. 170 Tac. hist. 4,46; 4,68,1.
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soll. Festzuhalten bleibt, dass Mucians Erfolg und Kaisernähe eigentlich aus keiner militärisch bedeutsamen Handlung im Bürgerkrieg resultiert. Doch dies wird durch seine prinzipiellen Handlungsmöglichkeiten seiner Funktion als syrischer Statthalter und consors imperii aufgewogen. H) Hordeonius Flaccus Letztlich auf seine Funktion als Statthalter Obergermaniens reduziert wird Hordeonius Flaccus – man könnte fast sagen, sein Name ist Programm –, der selbst bei seiner Einführung syntaktisch und semantisch gesehen Patiens gegenüber der ihm von den Soldaten entgegen-gebrachten Ablehnung bleibt, „da es ihm infolge seines hohen Alters und seiner Gicht an Kraft mangelte; man vermisste auch Festigkeit und Ansehen bei ihm. Er konnte nicht einmal friedfertige Leute in Zaum halten; da mussten erst recht Leute, die leicht in Wut kamen, sich bei seinen schwächlichen Versuchen, sie zu zügeln, nur noch mehr erhitzen.“171 Kurz gesagt: der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort. Seine Passivität gegenüber den Ereignissen, mit denen er sich konfrontiert sieht, präfigurieren seine Handlungen, ebenso wie seine von Beginn an negative Beziehung zu den Soldaten seine Interaktion mit ihnen zunehmend prekärer gestaltet, bis sie schließlich in der Katastrophe endet. In dieser findet Flaccus, auf narrativer Ebene in nächtlicher Nebensächlichkeit, durch stark emotionalisierte Irrationalität seiner eigenen Soldaten einen gewaltsamen Tod.172 Doch trotz seiner Untätigkeit auf dem militärischen Feld erhält er durch seine Funktion eine bedeutende Stellung im Kampf um die Vorherrschaft, die er politisch auch durchaus zu nutzen scheint, denn er wird von Vitellius mit der Sicherung des linken Rheinufers beauftragt, was quasi die Statthalterschaft über beide Germanien und die darin stationierten Truppen bedeutet. Durch die Übernahme dieser militärischen Dienstleistung ermöglicht er zwar kurzfristig Vitellius die Herrschaft, aber er erfüllt die Pflichten seines Postens nicht in dessen Sinne. Als er nämlich gebeten wird, Truppen zur Verstärkung gegen die Flavianer nach Italien zu schicken, bleibt er nicht nur seiner Verpflichtung gegenüber zögerlich, sondern stif171 Tac. hist. 1,9,1: senecta ac debilitate pedum invalidum, sine constantia, sine auctoritate; ne quieto quidem milite regimen: adeo furentes infirmitate retinentis ultro accendebantur. Vgl. Heubner 1963, 123 f.; Damon 2003, 5f, 118 f.; Perkins 2010, 370, 371 f. sowie Master 2012, 90 f. 172 Seine Passivität zeigt sich bei der Meuterei der obergermanischen Legionen: Tac. hist. 1,56,1; dem Delegieren militärischer Aufgaben an seine Untergebenen während des Bataveraufstands: ebd. 4,18,1; 4,24,1; seinem halbherzigen Auftreten bei dem Aufruhr gegen ihn im Lager von Bonn: ebd. 4,24,3; bis er letztendlich sein militärisches Oberkommando auf Vocula überträgt: ebd. 4,25,4; aber auch in seiner Entschlusslosigkeit gegenüber den desertierenden Batavern: ebd. 4,19,2. Den ‚grundlosen‘ Tod durch seine Soldaten findet er, kurz nachdem er ihnen ein Geldgeschenk im Namen Vespasians aushändigte, das noch von Vitellius stammte: ebd. 4,36,2: effusi in luxum et epulas et nocturnos coetus veterem in Hordeonium iram renovant, nec ullo legatorum tribunorumve obsistere auso (quippe omnem pudorem nox ademerat) protractum e cubili interficiunt („Während sich die Leute Ausschweifungen und Gelagen und nächtlichen Zusammenrottungen zügellos hingaben, frischten sie den alten Groll gegen Hordeonius wieder auf, zerrten ihn, ohne dass einer der Legaten oder Tribunen Einhalt zu tun wagte (die Nacht hatte ja jedes Ehrgefühl ersticken lassen) von seiner Lagerstätte und brachten ihn um“).
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tet den Civilis zu einem Aufstand an, da er „zu Vespasian hinneigte und von Sorge um unseren Staat erfüllt war.173 Doch führt seine hierin gründende ‚Arglist‘ und ‚Verstellung‘, die von den Soldaten durchschaut wird, nicht nur zu seinem Tod, sondern auch zu einem langen und blutigen Aufstand der Bataver und ihrer Verbündeten.174 Wenn eine so positive Intention wie die Sorge um das Gemeinwesen als fokaler Zweck der Handlungen des Flaccus bei der sonst eher negativen Haltung des Erzählers, vor allem aber vor dem Hintergrund der bedingt mitgewollten Folgen, also dem Bataveraufstand, in Frage gestellt werden kann, so bleibt dennoch das erfolgreich erreichte Ziel, Vespasian mit zur Herrschaft verholfen zu haben. Dies impliziert ein gewisses Verlangen nach Nähe zu diesem Kaiser, aus dem er aber kein Kapital schlagen kann, da er in der nicht vorgesehenen Meuterei seiner Soldaten den Tod findet. I) Marius Celsus Marius Celsus ist designierter Konsul für die Zeit von Juli bis September des Jahres 69 und gehört zum engsten Kreis des Kaiser Galba, für den er sich beim Putsch Othos – allerdings erfolglos – einzusetzen versucht.175 Er bleibt Galba bis zu dessen Untergang treu, gerät bei Othos Putsch selbst in Lebensgefahr, wird aber nur inhaftiert und später in den Kreis von Othos Freunden aufgenommen. „Celsus andererseits wahrte, als hätte das Schicksal es so gewollt, auch dem Otho gegenüber unwandelbare Treue, freilich nicht zu seinem eigenen Glück.“176 Die integere Loyalität des Celsus nützt Otho letztendlich genauso wenig, wie sie Galba vor dessen Sturz bewahrt. Celsus hingegen wird sein Konsulat auch unter Vitellius bewilligt. Seine Loyalität beweist er schließlich auch in der militärischen Beratung Othos und der Übernahme der Truppenführung zusammen mit Suetonius Paulinus und Annius Gallus gegen die Invasion des Vitellius.177 Seine einzige militärische Aktion führt Celsus zusammen mit Paulinus durch, wobei beide Feldherrn um Caecinas Hinterhalt wissend diesem mit einer ähnlichen List begegnen und die vitellianischen Kohorten einschließen. Dass der Erfolg des Agierens von Celsus kein durch173 Tac. hist. 4,13,3: inclinato in Vespasianum animo et rei publica cura. Dort auch die Aufforderung an Civilis; sein Zögern gegenüber Vitellius: ebd. 2,97,1. 174 Verstellung: Tac. hist. 4,18,1: at Flaccus Hordeonius primos Civilis conatus per dissimulationem aluit („Flaccus Hordeonius aber, der so tat, als merke er von all dem nichts, förderte gerade dadurch die ersten Schritte des Civilis“); Arglist und Verdacht der Soldaten (ebd. 4,19,3); sogar der Vorwurf des Verrats (ebd. 4,25,1). 175 Der Terminus Putsch wird auch von Flaig 1992, 300–305 verwendet. Er soll hier widerspiegeln, dass es sich im Falle Othos nicht um eine militärisch ausgetragene Herausforderung des Kaisers handelt, sondern um den geglückten Versuch der Übernahme der kaiserlichen Machtstütze in Rom, der Garde. 176 Tac. hist. 1,71,2: mansitque Celso velut fataliter etiam pro Othone fides integra et infelix. Celsus’ Nähe zu Galba zeigt sich in seiner Anwesenheit bei Galbas Adoptionsentscheidung (ebd. 1,14,1); sein Einsatz für Galba (ebd. 1,31,1); Treue gegenüber Galba über dessen Tod hinaus (ebd. 1,45,2; 1,71,2); Aufnahme in den Freundeskreis Othos (ebd. 1,71,2). Vgl. zu letzterem Heubner 1963, 150 f. Vgl. allgemein Damon 2003, 134. 177 Tac. hist. 1,87,2 und 1,90,2. Vgl. Syme 1958, 160, der der Auffassung ist, dass einfach zu viele Generäle auf othonianischer Seite in den Kampf ziehen.
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schlagender wird, ist dem Zögern des Paulinus geschuldet.178 Celsus gerät in zunehmende Distanz zu Otho, so dass er bei der Schlacht von Cremona ohne faktische Befehlsgewalt anwesend ist und als Geschlagener bei Nacht ins othonianische Lager zurückkehrt.179 J) Suetonius Paulinus Auch dem ältesten und mit dem größten Kriegsruhm ausgestatteten Konsular seiner Zeit, Suetonius Paulinus, erteilt Otho eine außerordentliche Funktion, in der er dessen militärische Dienste in Anspruch nimmt.180 Doch mit den militärischen Leistungen des Paulinus ist es nicht zum Besten bestellt. Zwar kann er mit Celsus zusammen zu Beginn ein erfolgreiches Oberkommando gegen Caecina für sich beanspruchen, aber sein eigenes Handeln als Feldherr ist bei Weitem nicht so erfolgreich, wie es hätte sein können. Zu spät lässt er die Fußtruppen gegen den Feind vorrücken und ist dadurch für empfindliche Verluste bei der Reiterei verantwortlich. Übervorsichtig lässt er das Signal zum Rückzug geben, statt dem Heer Caecinas eine endgültige Niederlage beizubringen.181 Wieder einmal stehen Beschreibung, Selbstwahrnehmung des Akteurs – denn vor Erteilung seines Kriegsrats an Otho ist es Paulinus selbst, der danach trachtet, seinem Ruf als kriegserfahrenster Feldherr seiner Zeit gerecht zu werden – und Darstellung der Handlung in Widerspruch zueinander. Dies umso mehr, als Paulinus’ letzte militärische Aktion ihre Umsetzung in der Flucht vom Schlachtfeld bei Cremona findet. Geschuldet scheint dies der zunehmenden Distanz zwischen dem Feldherrn und seinem Kaiser, die dazu geführt hat, dass Otho nicht mehr zugänglich für dessen rationale Ratschläge gewesen ist und weder ihn noch Celsus faktisch an der weiteren Kriegsführung beteiligt hat. Doch auch für Paulinus sind die unmittelbaren Konsequenzen nicht existentieller Natur, denn „tatsächlich glaubte Vitellius an ihre [die des Paulinus und des Proculus] Treulosigkeit und verzieh ihnen ihre frühere Treue.“182 K) Die anderen Konsulare Die konsularen Statthalter der Donauprovinzen (27; 40; 46) spielen verglichen mit dem militärischen Potential ihrer Funktion eine eher unbedeutende Rolle. Über178 Tac. hist. 2,24,3–26,2. 179 Tac. hist. 2,60,2. Zunehmende Distanz zu Otho spiegelt sich in ebd. 2,33 und 2,39,1 wider. Seine Rückkehr in das Lager nach der Niederlage: ebd. 2,44,2. 180 Siehe Tac. hist. 1,87,2; 1,90,2; 2,32,1: fama sua […], qua nemo illa tempestate militaris rei callidior habebatur („seinem Ruf, demzufolge er als der schlaueste Kriegsmann seiner Zeit galt“); ebd. 2,37,1: vetustissimus consularium et militia clarus gloriam nomenque Britannicis expeditionibus meruisset („als ältester der gewesenen Konsuln und wegen des ruhmvollen Namens, den er durch glänzende Kriegstaten während der britannischen Feldzüge erworben habe“). Vgl. Damon 2003, 283 f. 181 Tac. hist. 2,24–26. Vgl. sehr auf die Rekonstruktion des realen Schlachtverlaufs konzentriert Heubner 1968, 99–104; Ash 2007, 143. 182 Tac. hist. 2,60,1: Vitellius credidit de perfidia et fidem absolvit. Für Proculus und Paulinus bedeutet das, dass sie ihr Handeln für Otho vor dem Sieger verteidigen müssen, der ihnen, wie aus dem Zitat hervorgeht, glaubt und sie freispricht vom Verbrechen der Treue; was natürlich sehr stark auf die Charakterisierung des Vitellius angelegt ist.
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rascht von den Aufständen ihrer Legionen werden Aponius Saturninus (Mösien; 27) und Tampius Flavianus (Pannonien; 46) von den Ereignissen eher mitgerissen, als dass sie selbst, wie beispielsweise Antonius Primus, gestalterisch oder planerisch tätig würden.183 Ihre militärischen Aktionen beschränken sich im Folgenden auch auf die Führung der Truppen nach Italien und die katastrophal scheiternde Interaktion mit den Soldaten, was dazu führt, dass sie von der Truppe getrennt werden müssen und Antonius Primus den alleinigen Oberbefehl über das flavianische Heer erhält.184 Während es von Flavianus heißt, er sei noch unterwegs von Briefen Vespasians aus seiner misslichen Lage befreit worden, wird Aponius Saturninus, der sich nach Patavium gerettet hatte, von dem nach Italien ziehenden Mucian durch Fonteius Agrippa (33) als Statthalter Mösiens ersetzt.185 Die Statthalter Britanniens (48 u. 51) sind weder in die militärische Konfliktbeseitigung zwischen Otho und Vitellius, noch in jene zwischen Vitellius und Vespasian involviert. Trebellius Maximus (48) wird von seinen Soldaten aus der Provinz gejagt, woraufhin Vitellius den Vettius Bolanus (51) an dessen Stelle einsetzt. Dieser jedoch zögert, der Aufforderung seines Kaisers, ihm militärische Verstärkung zu schicken, nachzukommen.186 Ähnlich irrelevant für das Geschehen ist Cluvius Rufus (31), Statthalter der Tarraconensis, der sich darauf beschränkt, die ihm unterstehende Legion an der Afrika zugewandten Küste zu positionieren, um einer eventuellen Invasion durch den mauretanischen Prokurator zuvorzukommen.187 Die konsularen Kollegen von Mucian und Flaccus scheinen einer aktiven Realisierung ihres Potentials eher ablehnend gegenüberzustehen: Statuswahrung statt unnötigen Risikos lautet die mentale Dispostition, welche ihre Handlungen präfiguriert und von Verginius Rufus (50) auf noch signifikantere Art und Weise praktiziert wird: Nach der Ablehnung des Wunsches seiner Soldaten, ihn zum Kaiser zu machen, vermeidet er, wo es nur geht, die direkte Kommunikation mit diesen;188 ein Hinweis darauf, dass die Soldaten in der Formulierung ihres Willens sehr stark auf die Person eines senatorischen Kommandeurs angewiesen sind. Die Konsequenzen für die in irgendeiner Weise am Bürgerkrieg beteiligten Konsulare reichen von der hierarchischen Ausnahmestellung der Mitregentschaft Mucians über den Verlust eines prestigeträchtigen Postens,189 der Ausdruck kaiserlicher Nähe ist, bis zu dem seinen eigenen Intrigen 183 Überrascht von der Meuterei seiner Truppen erstattet Aponius Saturninus dem Vitellius Bericht, siehe Tac. hist. 2,96,1. Ähnlich verhält es sich mit Tampius Flavianus und Pompeius Silvanus, siehe ebd. 2,86,3, die sich am Anschluss der Truppen an Vespasian nicht aktiv beteiligen; signifikant auch die erste Reaktion des Flavianus auf den Ausbruch der Meuterei, ebd. 3,4, der erst aus seiner Provinz flieht, sich dann aber doch für Vespasian entscheidet und zu seinen Truppen zurückkehrt. 184 Vgl. Tac. hist. 3,9,3; 3,50,2 (Heranführen von Truppen); ebd. 3,10 f. (scheiternde Interaktion mit Soldaten). 185 Siehe Tac. hist. 3,10,4 u. 3,46,3. 186 Siehe Tac. hist. 1,60; 2,65,2; 2,97,1. Dies sind zugleich alle Stellen, an denen Trebellius Maximus und Vettius Bolanus explizit genannt werden. 187 Tac. hist. 1,58,2. 188 Tac. hist. 1,8,2; 2,49,1 und 2,51, wo er sich sogar furtim („wie ein Dieb“) aus dem Hinterhaus schleicht, um der Interaktion mit den Soldaten zu entgehen. Vgl. Ash 2007, 210 f. und 216 f. 189 Siehe Mucian (37); Aponius Saturninus (27) u. Trebellius Maximus (48); Flaccus (34).
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zum Opfer fallenden Flaccus. Die schwindenden Aufstiegschancen – wer auf der Karriereleiter schon ganz oben ist, kann eigentlich nur noch fallen – scheinen in einem direkten Zusammenhang mit dem Einsatz der Akteure auf dem militärischen Handlungsfeld zu stehen. 4.2.2 Hierarchie und Konkurrenz – die Interaktion mit den Standesgenossen In diesem wie im folgenden Kapitel 4.2.3 soll die Interaktion der Funktionselite mit den Standesgenossen sowie mit dem Kaiser nicht nur in ihrer direkten, sondern auch in ihrer indirekten Ausformung analysiert werden. Das bedeutet, dass zwar zum einen die Handlungen, welche sich unmittelbar auf den jeweiligen Beteiligten beziehen, im Fokus der Betrachtungen stehen, zum anderen aber auch jene, welche sich an einem der direkten Interaktion unbeteiligten Dritten ausrichten und dazu dienen, bestimmte Auswirkungen in der Relation zu diesem zu realisieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine erfolgreiche Interaktion mit den Soldaten genutzt wird, um die Position eines Akteurs gegenüber dessen Standesgenossen zu verbessern oder wenn ein Handlungsträger versucht, einen Standesgenossen durch manipulative Kommunikation mit dem Kaiser vor diesem zu diskreditieren und als Konkurrenten auszuschalten. Eine indirekte Interaktion liegt beispielsweise auch dann vor, wenn man direkt an der Usurpation eines Standesgenossen beteiligt ist und mit diesem als dem ‚legitimen‘ Kaiser interagiert, womit gleichzeitig dem bisherigen Kaiser indirekt die Rolle des Usurpators zugewiesen wird. A) Fabius Valens Der Versuch des Valens, ein Nahverhältnis zum neuen Kaiser aufzubauen, indem er einen übergeordneten Standesgenossen ermordet, der dem Kaiser hätte gefährlich werden können, schlägt fehl. Doch er erreicht auf anderem Wege sein Ziel, indem er einen Konsular, zu dem er insofern schon in einem Nahverhältnis steht, zur Usurpation überredet, als dieser auf seine militärischen Dienste angewiesen ist, sich ihm anschließt und ihn sich damit quasi verpflichtet. Aber kaum ist ‚sein‘ neuer Kaiser an die Öffentlichkeit getreten, beginnt schon der Konkurrenzkampf um dessen Gunst und Zuneigung. Kann der erste explizite Kontrahent noch sehr simpel und durch einfache Verleumdung beim Kaiser ausgeschaltet werden, so konzentrieren sich in der Folge die Handlungen stark auf die Rivalität mit einem auf der gleichen hierarchischen Stufe stehenden Standesgenossen: mit Alienus Caecina.190 Diese durch persönliche Abneigung verstärkte Konkurrenz tritt bei der Vereinigung ihrer Truppen bei Cremona deutlich zu Tage: „Sie suchten einander lächerlich zu machen, Caecina den Valens als einen ekelhaften, gebrandmarkten Menschen, Valens den Caecina als aufgeblasenen Windhund. Sie unterdrückten jedoch ihre
190 Mord wegen Kaisernähe als fokalem Zweck: Tac. hist. 1,7,1; Überredung zur Usurpation: ebd. 1,52,3 f.; 1,57,1; Verleumdung des Manlius Valens (16): ebd. 1,64,3; Beginn der Konkurrenz zu Caecina: ebd. 1,61,2 (Valens erhält für seinen Marsch mehr Truppen). Vgl. zu Konkurrenz und Unterschiedlichkeit der beiden vitellianischen Feldherrn auch Ash 2003, 157 f.
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Gehässigkeit und arbeiteten für das gleiche Interesse.“191 Gemeint ist damit die Durchsetzung des Vitellius als Kaiser; ein reines Zweckbündnis also, dass jedoch von Erfolg gekrönt ist. Nachdem ihr gemeinsames Ziel aber erreicht ist, bricht die Konkurrenz um die Kaisernähe nur umso schärfer wieder hervor, da ihre Handlungsmöglichkeiten proportional zur Verbesserung ihrer Status angewachsen sind.192 Ihr Antagonismus präfiguriert nicht nur ihre Interaktion mit ‚ihrem‘ Kaiser Vitellius, indem sie versuchen, in ihren Gunstbezeugungen immer miteinander gleichzuziehen oder sich zu überbieten, sondern er strukturiert ihr Agieren auch im Wettkampf um Sozialprestige, indem sie sich in Bezug auf die Größe ihrer Gefolgschaft, die Anzahl ihrer salutantes, aber auch ihrer Wirksamkeit als Patrone messen. Zwar gelingt es beiden, einen ihrer Protegés als Prätorianerpräfekten zu installieren, doch übervorteilt Valens den Caecina bei der Aushebung der städtischen Kohorten und nutzt dabei erfolgreich das Argument von Caecinas militärischen Misserfolgen während des Bürgerkrieges bis zu seinem Eintreffen. Damit scheint sich Valens ihm gegenüber in eine bessere Position im Kampf um Kaisernähe gebracht zu haben, denn von diesem Zeitpunkt an sei, wie die Erzählung zu berichten weiß, die Treue von Caecina ins Wanken geraten.193 Doch letztendlich kann Valens seinen Status weder ausbauen noch auf Dauer behaupten, da er zusammen mit ‚seinem‘ Kaiser, dem er bis zum Ende treu bleibt, den Tod findet. Seine herausragende Stellung ist also von sehr eingeschränkter Dauer und stellt für die konsularen Statthalter der wichtigen Provinzen ein Ärgernis dar; was unter anderem auch zur Usurpation Vespasians beiträgt.194 B) Alienus Caecina Caecina schließt sich immer sehr frühzeitig den Usurpationen seiner hierarchisch übergeordneten Standesgenossen an, die damit zu ‚seinen‘ Kaisern werden. Schon zu Beginn der vitellianischen Unternehmungen spiegelt sich das die Handlungen Caecinas prägende Konkurrenzverhältnis zwischen ihm und Valens in der Anzahl 191 Tac. hist. 2,30,3: Caecina ut foedum ac maculosum, ille ut tumidum ac vanum inridebant. sed condito odio eandem utilitatem fovere. 192 Nicht allein das Konsulat, d. h. direkte Kaisernähe, die sich zum einen in ihren Gunstbezeugungen gegenüber Vitellius widerspiegelt, aber auch die vom Kaiser verliehenen Kompetenzen wie die Übernahme der Regierungsgeschäfte, definieren ihren Status: siehe Tac. hist. 2,59,3 (Kaiserempfang bei Lugdunum: Beide nehmen neben Vitellius Platz); 2,70,3 (Sie zeigen Vitellius den Platz der Entscheidungsschlacht); 2,71,1 (Fechtspiel des Valens bei Bononia); 2,71,2 (Konsulat für beide); 2,92,1 (Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Valens und Caecina); 2,95,1 (Geburtstagsfeierlichkeiten des Vitellius). 193 Tac. hist. 2,93,2: unde primum creditur Caecinae fides fluitasse („Von da an, so glaubte man, kam die Treue Caecinas ins Wanken“). Der Konkurrenzkampf der beiden in Rom und ihr rücksichtsloses Vorgehen dabei ist sehr dicht geschildert in ebd. 2,92 f. Vgl. Heubner 1968, 297. 194 Tac. hist. 2,77,1 führt Mucian in seiner Aufforderungsrede an Vespasian das Argument an: nobis nihil ultra adrogabo, quam ne post Valentem et Caecinam numeremur („Für mich selber möchte ich nichts weiter beanspruchen, als dass man mich nicht geringer als Valens und Caecina einschätzt“). Mir will sich allerdings der Sinn der Verwendung des Singulars statt des Plurals in der Übersetzung nicht recht erschließen, da Mucian an dieser Stelle auf die Gemeinsamkeit ihrer Situation (der seinigen und derjenigen Vespasians) hinweist, während er im weiteren Verlauf seiner Rede ihre zukünftigen Rollen bei der Usurpation und danach differenziert.
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der ihnen zur Verfügung gestellten Truppen wider. Die Rivalität zwischen den beiden präfiguriert sogar das militärische Agieren Caecinas, als dieser noch ohne Valens in Italien operiert.195 Seine bisherigen Misserfolge zwingen ihn zu einer erfolgreichen Unternehmung, bevor sich sein Heer und das von Valens vereinigen, da er befürchtet, dass sonst dieser den ganzen Kriegsruhm und die daraus resultierende Nähe zum Kaiser für sich beanspruchen könne. Dies verleitet ihn zu überstürztem Handeln, das beinahe im Desaster endet.196 Eine Inferiorität gegenüber Valens kann Caecina jedoch durch dessen gescheiterte und seine eigene positive Beziehung zu den Soldaten vermeiden, weshalb sich beide zu einem erfolgreichen Zweckbündnis zusammenschließen. Der sich an den Erfolg anschließende Konkurrenzkampf zwischen ihnen, während dessen Caecina seine bessere Position bei den Soldaten an Valens einbüßt, wurde schon im vorigen Abschnitt geschildert. Caecina zieht die Konsequenz aus seiner Niederlage gegen Valens, die nun sogar Auswirkungen auf seine Loyalität gegenüber ‚seinem‘ Kaiser hat, und läuft zu Vespasian über. Die Intention seines Verrats ist eine Kaisernähe, die größer ist als jene von Valens. Dabei wird er von odio, invidia und aemulatio motiviert.197 Die Konkurrenz präfiguriert sein Handeln auf allen Ebenen. Doch kann die Missachtung seitens seiner Standesgenossen, die sich in der Verurteilung seines Verrats widerspiegelt, welche mehr aus eigener Erbitterung als aus Parteinahme für Vitellius erfolgt, Caecina relativ wenig anhaben. Dieser wird nämlich von Antonius Primus im Konsulatsornat empfangen, zu Vespasian geschickt198 und es gelingt ihm, auch zu diesem Kaiser ein Nahverhältnis aufzubauen. Die sozialen Status generierende Nähe zu Vespasian scheint sich bei der Ankunft des Primus schon gefestigt zu haben.199Außerdem hat Caecina dadurch, dass er Valens überlebt, den Konkurrenzkampf mit diesem letztendlich doch für sich entscheiden können. C) Antonius Primus Die positive Beziehung zu den Soldaten, die auctoritas, die sie ihm zusprechen, und seine Erfolge im militärischen Bereich stellen immer wieder ein Moment des 195 Vgl. Morgan 1996b, 363 f.; Morgan 1997, der es allerdings darauf ankommt, die strategische Sinnhaftigkeit von Caecinas Sturmversuch hinter dem taciteischen Narrativ deutlich zu machen. 196 Vgl. oben, Kap. 4.2.1 Anm. 120. 197 Siehe Tac. hist. 2,99,2 (die Parteigänger Vespasians in Rom appellieren an die Abneigung Caecinas gegenüber Valens) u. 2,101,1 (der Erzähler bezieht sich natürlich vornehmlich auf Caecina, aber rekurriert auch auf die 2,77,1 geäußerten Worte Mucians; vgl. oben, Anm. 190). Vgl. Perkins 2010, 380–382. 198 Tac. hist. 3,37,1: dein ceteri composita indignatione [über Caecinas Verrat], quod consul rem publicam, dux imperatorem, tantis opibus tot honoribus cumulatus amicum prodidisset, velut pro Vitellio conquerentes, suum dolorem proferebant („dann beklagten sich die übrigen mit erkünstelter Entrüstung darüber, dass er als Konsul den Staat, als Feldherr den Imperator und trotz der Überhäufung mit einem solchen Maß von Reichtümern und Ehren den Freund verraten habe; sie taten es gleichsam im Namen des Vitellius, tatsächlich gaben sie ihrem persönlichen Unmut Ausdruck“); ebd. 3,31,4: Im Konsulatsornat tritt er Antonius Primus gegenüber, der ihn vor dem Unmut der Soldaten schützen muss und ihn zu Vespasian schickt. Eine deutliche Geste Caecinas an Primus, dass er hierarchisch über diesem stehe. 199 Siehe oben, Kap. 4.2.1, Anm. 106.
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statussichernden Rückhalts für Antonius Primus in der Interaktion mit den Standesgenossen dar. Hierauf deutet schon die Art und Weise seines Diskutierens über die strategische Vorgehensweise mit seinen Standesgenossen, die darauf ausgelegt ist, Eindruck beim volgus zu machen und dessen Meinung und Stimmung zum Druckmittel für eine Entscheidung in seinem Sinne zu instrumentalisieren.200 Noch deutlicher tritt die Instrumentalisierung seines Prestiges bei den Soldaten in der Konsequenz der beiden Aufstände innerhalb des flavianischen Heeres bei Verona zu Tage. Zum einen führt nicht zuletzt die Zuneigung der Soldaten (obversis militum studiis) dazu, dass Antonius nach der Entfernung der Konsulare „die volle Gewalt über die beiden Heere“ erhält.201 Zum anderen thematisiert auch das Gerücht, er habe die Aufstände absichtlich provoziert, um das Verdienst der Kriegsführung allein für sich beanspruchen zu können, die manipulativen Fähigkeiten des Primus im Bereich der Interaktion mit den Soldaten.202 Diese Darstellung des Versuchs einfacher Transposition militärischer potestas und auctoritas in politische, steigert der Erzähler noch in der Beschreibung des Verhaltens von Primus nach der siegreichen Schlacht bei Cremona, indem er diesem die Intention zuschreibt, sich mit militärischen Mitteln den Weg zur Herrschaft bereiten zu wollen.203 Auch wenn diese Zuschreibung vielleicht ein wenig überspitzt sein mag, so trifft sie doch sehr genau die naive Annahme des Primus, seine militärische Leistungsfähigkeit auf direktem Weg in soziales Prestige und politischen Status umsetzen zu wollen. Er übersieht hierbei die beiden maßgeblichen Register der politischen Klaviatur, die über Definition, Legitimation und Anerkennung seines militärischen Erfolges entscheiden: seine Standesgenossen und in letzter Instanz den Kaiser. Die Missachtung der senatorischen Determinante manifestiert sich zum einen in der Devianz aufweisenden Interaktion mit den ihn umgebenden Standesgenossen, was zu Animositäten und Klagen gegenüber dem Kaiser führt,204 zum anderen aber auch in seiner Niederlage im politischen Konkurrenzkampf mit Mucian, während dem er simplicius (naiv) agiert, sich von diesem täuschen und sich seiner Machtbasis berauben lässt.205 Immer wie200 Siehe Tac. hist. 3,2 f. Vgl. für eine ausführliche Interpretation dieser Rede: Ash 1999, 152–156; vgl. außerdem Riedl 2002, 172 f. 201 Tac. hist. 3,11,4: vis ac potestas in utrumque exercitum. Der Ablauf der beiden Aufstände geht dem unmittelbar voraus (ebd. 3,10 f.). Vgl. Heubner 1972, 25–28. 202 Hier sei noch einmal ein Teil der Primus einführenden Charakterisierung in Erinnerung gerufen: serendae in alios invidiae artifex, discordiis et seditionibus potens (Tac. hist. 2,86,2; „… ein Meister in der Kunst, zum Schaden anderer den Samen der Missgunst auszusäen, eine bei jeder Zwietracht und Meuterei einflussreiche […] Persönlichkeit“). 203 Tac. hist. 3,49. Besonders 3,49,1: ut captam Italiam persultare, ut suas legiones colere, omnibus dictis factisque viam sibi ad potentiam struere („Er durchstreifte Italien, als sei es von ihm erobert, schmeichelte den Legionen, als ob sie ganz ihm gehörten, sprach und tat alles, was ihm den Weg zur Macht bahnen sollte“). 204 Siehe Tac. hist. 3,52,3 (ungünstige Äußerungen seiner Standesgenossen über seine Hast, die von Mucian an Vespasian weitergeleitet werden; vgl. Heubner 1972, 120–122); 4,2,1 (ceteri modestia vel ignobilitate ut in bello obscuri, ita praemiorum expertes; „…während die übrigen jetzt ebenso um ihren Lohn kamen, wie sie, bei ihrer Bescheidenheit und gewöhnlichen Herkunft, im Krieg unbemerkt geblieben waren“); ähnlich: 3,32,3. 205 Tac. hist. 3,53,3: inde graves simultates, quas Antonius simplicius, Mucianus callide eoque implacabilius nutriebat („daraus ergab sich ein schwerer Groll, den Antonius ziemlich unum-
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der versucht Primus in der Rivalität zwischen ihm und Mucian, den Kaiser auf seine Seite zu ziehen. Doch da ihm dies nicht gelingt, zieht das trotz seiner militärischen Erfolge die Konsequenz der politischen Bedeutungslosigkeit nach sich.206 D) Das Agieren der Standesgenossen Die Logik des höheren militärischen Kommandos sieht vor, dass jeder Legionslegat prätorischen Ranges der Befehlsgewalt eines konsularischen Statthalters unterstellt ist. Gelingt es Caecina und Valens, diese Stufe zwischen sich und dem Kaiser zu beseitigen, indem sie einen Konsular ihrer nächsten Umgebung zu ihrem Kaiser machen, greift Antonius Primus zu der Taktik, den Aufgabenbereich der Konsulare mithilfe seiner soldatischen auctoritas zu usurpieren. Bei den in den Bataveraufstand verwickelten senatorischen Offizieren des germanischen Heeres scheint es eine solche Pervertierung der Befehlskette oder extreme Rivalität wie zwischen Valens und Caecina nicht zu geben. Sie gehorchen Hordeonius Flaccus, akzeptieren die hierarchische Sonderstellung des Dillius Vocula (9) und zeigen auch während des gemeinsamen militärischen Agierens keine gegenseitigen Animositäten.207 Ebenfalls ein Kontrast, wenn auch nur ein unbedeutender, kommt im Handeln des Legionslegaten Annius Bassus (1) zum Ausdruck, der zwar die faktische Befehlsgewalt besitzt, diese aber nur unter der formellen Aufrechterhaltung des Gehorsams gegenüber seinem Vorgesetzten ausübt.208 Doch Valens, Caecina und Primus sind bezüglich Insubordination und Rivalität keine Ausnahmen. Mord, Beeinflussung bzw. Instrumentalisierung der Soldaten und Diskreditierung von Leistungen vor dem Kaiser sind starke Argumente in der Interaktion mit den Standesgenossen während der Krise.209 Diese Handlungsoptionen strukturieren den hierarchischen Konkurrenzkampf um sozialen Status und implizieren den fokalen Zweck größtmöglicher Kaisernähe bei gleichzeitiger Beseitigung von Konkurrenten.
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wunden zeigte, während Mucian ihn mit schlauer Berechnung und daher um so unversöhnlicher hegte“). Genaueres über seine sukzessive politische Entmachtung siehe unten, Abschn. E zu Mucian, mit Anm. 216. Vgl. Heubner 1972, 121 f. sowie Wellesley 1972, 3–5. Tac. hist. 4,80. Mehr über seine Interaktion mit dem Kaiser und deren Scheitern siehe unten, Kap. 4.2.3 Abschn. C. Gehorsam gegenüber Höhergestellten (betrifft im Appendix 3 die Senatoren 9; 13; 17 u. 19): Tac. hist. 4,18,1; 4,24,1; 4,26,3. Gemeinsames Agieren: ebd. 4,22,1; 4,26,3. In ebd. 4,19 f. kann man eigentlich nicht von Befehlsmissachtung seitens des Herennius Gallus (13) sprechen, da man nicht weiß, welche Befehle des Flaccus bei ihm ankamen und welche nicht; ebd. 4,27,2 ist es die Todesdrohung seitens der Soldaten, welche Herennius Gallus den Vorwurf entringt, Flaccus habe die Legionäre und Vitellius an die Bataver verraten. Tac. hist. 3,50,2. Vgl. Tac. hist. 1,7,1 (Beteiligung des Cornelius Aquinus [7] an der Ermordung des Fonteius Capito); 4,49 f. (Ermordung des Lucius Piso [39] durch Valerius Festus [25]); 1,60 (Roscius Caelius [22] kann die Soldaten in seinem Konkurrenzkampf mit Trebellius Maximus [48] auf seine Seite ziehen und diesen mit ihrer Hilfe aus dessen Provinz verjagen); 3,52,3 (Plotius Grypus [21] diskreditiert die Leistungen des Antonius Primus – wenn auch nur indirekt – vor dem Kaiser); in Reaktion auf mögliche Diskreditierung zeigen Primus wie Cerialis Besorgnis ob ihrer fama: Tac. hist. 3,60,2 f.; 4,72,2.
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E) Licinius Mucianus In einer externen, kompletten Analepse wird das von prava certamina, discordia und invidia geprägte, rivalisierende Verhältnis der beiden Statthalter Mucian und Vespasian bis zum Tode Neros beschrieben. In der Folge auf dieses Kontingenz erzeugende Ereignis überwinden sie ihr Konkurrenzverhältnis durch gemeinsame Interessen (communi utilitate),210 stimmen ihre Reaktionen auf die Geschehnisse in Rom und Italien aufeinander ab, treten in direkten Kontakt zueinander und planen gemeinsam die Usurpation.211 Auch ihre Umgebung, was hierarchisch unter ihnen stehende senatorische Standesgenossen miteinschließt, ist diesem Unternehmen gegenüber positiv eingestellt, wobei sich die Motivationen der einzelnen Beteiligten sehr unterschiedlich gestalten.212 Als der Kairos zur Usurpation aufgrund der Besorgtheit Vespasians vorüberzufließen droht, drängt ihn unter anderem auch Mucian in einer vom Erzähler in direkter Rede wiedergegebenen begründeten Aufforderung, zuzugreifen und die Herrschaft zu übernehmen. Neben den persönlichen und strategischen Vorteilen Vespasians und dessen Anhängern führt Mucian auch die Vespasian (und natürlich ebenso ihm selbst) drohende Ungerechtigkeit und existentielle Unsicherheit durch Vitellius an, die nur auf einem Weg abzuwenden ist: „jetzt muss der Thron deine Zuflucht sein.“213 Durch diese Rede, in der er klarstellt, dass er dazu bereit ist, sich Vespasian unterzuordnen, der nachfolgenden Akklamation Vespasians in Alexandria und der Vereidigung seiner Truppen auf Vespasian, erfährt die Beziehung zwischen den beiden konsularen Statthaltern eine grundlegende Veränderung. Die Erhebung Vespasians zum Kaiser führt natürlich auch für Mucian zu einer übergeordneten hierarchischen Stellung innerhalb der Funktionselite (als consors imperii), aber die Kommunikation zwischen beiden ist nun einer formalen Asymmetrie unterworfen. Sein durch unmittelbare Kaisernähe evozierter herausge210 Auf wen bzw. welchen Kaiser hätte sich das Konkurrenzverhältnis denn auch beziehen sollen, da beide durch große Distanz von diesem getrennt sind und keine Möglichkeit hatten, durch direkte Interaktion mit dem (jeweiligen/neuen) Kaiser ein affirmatives Nahverhältnis herzustellen, das diese Distanz hätte überbrücken können. Vgl. zu einer gewissen Ähnlichkeit mit der Zusammenarbeit von Valens und Caecina Ash 2007, 160. 211 Tac. hist. 2,4–7; zu Qualität und Beilegung der Rivalität zwischen Mucian und Vespasian siehe ebd. 2,5. 212 Tac. hist. 2,6 f.; ebd. 2,7,2: optimus quisque amore rei publicae, multos dulcedo praedarum stimulabat, alios ambiguae domi res: ita boni malique causis diversis, studio pari, bellum omnes cupiebant („die Gutgesinnten unter ihnen aus Liebe zum Vaterland; nicht wenige reizte das Verlangen nach Beute, andere wieder ihre persönliche missliche Lage zum Krieg. So waren eigentlich alle, Gut- wie Übelgesinnte, zwar aus verschiedenen Gründen, doch mit gleichem Eifer für den Kampf“). 213 Tac. hist. 2,76,3: confugiendum est ad imperium. Interessant ist die rationale Begründung der Notwendigkeit; es bleibt kein anderer Ausweg: Sie sind zu diesem Schritt gezwungen. In der Rede ebd. 2,76 f. hält er Vespasian zum einen das Schicksal Corbulos vor Augen, zum anderen die auf ihre Kosten erfolgende Überbewertung von Valens und Caecina – also eine Unsicherheit existentieller sowie sozialer Art. Dass Mucian in gleichem Maße Leidtragender hiervon ist, geht daraus hervor, dass der von ihm zum Vergleich angeführte Corbulo wie er Statthalter Syriens war und bezüglich der zu befürchtenden bzw. schon eingetretenen Herabsetzung gegenüber Valens und Caecina die zweite Person Plural wählt, sich also mit einschließt. Vgl. zu dieser Rede Heubner 1968, 249–253 sowie Ash 2007, 283 f.
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hobener Status ist darüber hinaus nicht unangreifbar und sein größter Konkurrent übertrumpft ihn auf dem Feld militärischer Leistungen für den neuen Kaiser; ja genau genommen sind es dessen militärische Erfolge, welche die Rollenzuschreibung Vespasians als konkurrenzlosen Kaiser für alle verpflichtend machen. Dementsprechend bedeutsam gestaltet sich der Konkurrenzkampf zwischen Mucian und Antonius Primus.214 Zwar gelingt es ihm nicht, Antonius Primus an militärischem Prestige zu übertreffen und er fürchtet ihn als Gegner in diesem Bereich sogar, doch durch geschicktes Agieren auf dem politischen Feld schafft er es, sich dieses Rivalen zu entledigen.215 Nachdem Mucian ihn in Sicherheit gewiegt hat, entzieht er ihm erst seine Machtbasis, indem er ‚dessen‘ Soldaten aus der Hauptstadt entfernt, worauf er Antonius’ patronale Leistungen gegenüber dessen amici untergräbt, um ihm schließlich auch noch die Möglichkeit zu nehmen, weitere Leistungen im militärischen Handlungsbereich zu vollbringen. Zu guter Letzt sind es die Diskreditierungsstrategien Mucians, wobei er auch seine Verbindungen zu und die Mitarbeit von anderen Standesgenossen nutzt, und das eigene Fehlverhalten des Antonius, die zu dessen Distanz zum Kaiser und zur politischen Bedeutungslosigkeit führen.216 Sein Agieren gegenüber dem Senat als Körperschaft, der sich ja aus seinen Standesgenossen zusammensetzt, aber auch gegenüber einzelnen Standesgenossen, selbst solchen aus der Funktionselite, ist von der Intention präfiguriert, ein deutlich asymmetrisches Verhältnis zu generieren. Um hierbei erfolgreich zu sein, legt Mucian nicht nur kaiserliches Verhalten an den Tag, sondern instrumentalisiert auch den politischen Mord und den daraus resultierenden terror, um sich Respekt zu verschaffen, welcher sich beispielsweise in der Beilegung des Delatorenstreits im Senat durch ihn deutlich zeigt.217
214 Aus diesem Grund ist Mucian so besorgt um seinen Anteil am Kriegsruhm (Tac. hist. 3,52,2), versucht immer wieder die erfolgreiche Kriegsführung des Primus manipulativ zu verlangsamen (ebd. 3,52,2 f.; 3,78) und trachtet trotz größerer Distanz danach, die Verhandlungen mit Vitellius (hier auch in Konkurrenz zu Flavius Sabinus) zu einem erfolgreichen Ende zu bringen (ebd. 3,63,2). Vgl. Heubner 1972, 121. 215 Tac. hist. 4,39,3 sed praecipuus Muciano metus e Primo Antonio Varoque Arrio, quos recentes clarosque rerum fama ac militum studiis etiam populus fovebat („Am meisten fürchtete Mucian freilich den Primus Antonius und den Varus Arrius, die wegen des guten Rufes ihrer Leistungen und wegen der Anhänglichkeit der Soldaten in frischem Ruhmesglanz standen und daher auch die Gunst des Volkes besaßen“). Die deutlich größere Furcht vor Primus zeigt sich darin, dass Mucian dem Varus bei seinem Aufbruch zwar die Prätorianerpräfektur entzieht, ihm dafür aber als Entschädigung die praefectura annonae überträgt, während er gegen Primus wesentlich vorsichtiger und auf breiter Ebene vorgeht, was auch im Folgenden beschrieben wird. Vgl. Shotter 1977, 26. 216 Tac. hist. 4,39,4 (Versprechungen gegenüber Antonius und Vergünstigungen für dessen amici, sowie Entzug von Antonius’ militärischer Machtbasis); 4,68,1 (der Auftrag an Cerialis und Gallus Annius zur Niederschlagung des Bataveraufstands); 4,80,1 (Mucian verhindert die Aufnahme des Antonius unter die comites Domitians); 4,80,2 (Wirksamkeit der Briefe Mucians und anderer über Antonius; vgl. 3,52,3). Vgl. Ash 1999, 163. 217 Asymmetrie gegenüber Standesgenossen: Tac. hist. 4,4,1 f.; 4,11,1. Politischer Mord: ebd. 4,11,2f; 4,49,2; 4,80,1. Beilegung des Delatorenstreits im Senat: ebd. 4,44.
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F) Die Interaktionen der anderen Konsulare In diesem Abschnitt sollen nicht nur die Handlungen der in Kapitel 4.2.1 vorgestellten Akteure, sondern zugleich auch die ihrer Standesgenossen untersucht werden, da ihr Interagieren untereinander sehr ähnlich und in einigen Fällen auch stark eingeschränkt beschrieben ist. Die Interaktion des Hordeonius Flaccus mit seinen Standesgenossen beschränkt sich in nuce auf die funktionierende Ausführung seiner Befehlsgewalt, auch wenn er das militärische Oberkommando in der Krise sehr früh dem Dillius Vocula (9) überträgt.218 Ebenfalls unproblematisch gestaltet sich die militärische Hierarchie in der Zusammenarbeit zwischen Annius Gallus (54) und Vestricius Spurinna (60) sowie jener zwischen Pompeius Silvanus (40) und Annius Bassus (1).219 Marius Celsus und Suetonius Paulinus interagieren zwar ebenfalls auf einer militärischen Ebene, allerdings handelt es sich eher um eine kollegiale Zusammenarbeit, die trotz des militärischen Erfolgs nicht dazu führt, dass sie sich gegenüber Proculus und Titianus (47) bei Kaiser Otho durchsetzen können.220 Diese Kollegialität untereinander wird auf der anderen Seite durch Morde, Mordversuche, Mordvorwürfe, Intrigen, Denunziation sowie Insubordination mithilfe soldatischer Zustimmung komplettiert. Opfer von Insubordination sind logischerweise und häufig aufgrund karrierezweckdienlicher Intentionen die Konsulare, während diese allerdings nicht davor zurückschrecken, aus persönlichen Motiven oder Rivalitäten ebenfalls zu Mitteln wie Mord oder Denunziation zu greifen.221 Neben das öffentliche Aufbegehren gegen den Kaiser wie es Vitellius mit der Unterstützung von Caecina und Valens oder Vespasian in Zusammenarbeit mit Mucian vollführen, tritt noch die gemeinsam gegen den Kaiser gerichtete intrigante Interaktion von Standesgenossen wie jene zwischen Sabinus Flavius und Alienus Caecina, welche von Rubrius Gallus übermittelt wird.222 Darüber hinaus können Mitglieder der Funktionselite durch ihr Verhalten auch Gelächter oder Kontingenz bei ihren Standesgenossen erzeugen.223 Für letzteren Fall sorgt zunächst die 218 Siehe oben, Anm. 208. Im Grunde handelt es sich hier lediglich um die Veränderung der Perspektive. Ganz ungetrübt scheint das Verhältnis wohl dennoch nicht zu sein, da die Legaten des Flaccus ihm nicht gegen die ihn ermordenden Soldaten beistehen (Tac. hist. 4,36,2). 219 Gallus (54) und Spurinna (60): Tac. hist. 2,11,2 und 2,23,2. Silvanus (40) und Bassus (1) ebd. 3,50,2. 220 Tac. hist. 2,24–26. Wobei hier natürlich dem Paulinus auch der Vorwurf gemacht wird, er hätte erfolgreicher sein können. Mangelndes Durchsetzungsvermögen bei Otho: ebd. 2,32 f. Vgl. Heubner 1968, 119–124. 221 Opfer von Insubordination: Aponius Saturninus (27) und Tampius Flavianus (46) werden quasi von Antonius Primus ausgeschaltet (Tac. hist. 3,10 f.); Trebellius Maximus (48) von Roscius Caelius (22) aus der Provinz gejagt (ebd. 1,60) und Lucius Piso (39) von Valerius Festus (25) ermordet (ebd. 4,49 f.). Aponius Saturninus (27) versucht seinerseits Tettius Iulianus (23) ermorden zu lassen (ebd. 2,85,2), und Caecilius Simplex (29) wird nachgesagt, er habe versucht, Marius Celsus (35) zu beseitigen (ebd. 2,60,2). Um einen Fall äußerst wirksamer Denunziation handelt es sich im Falle des Lucius Vitellius (61), dem Bruder des Kaisers, der den Iunius Blaesus (15) anklagt, es auf die Herrschaft abgesehen zu haben, woraufhin dieser von Kaiser Vitellius ermordet wird (ebd. 3,38 f.). 222 Tac. hist. 2,99,2 (Sabinus Flavius [44] und Rubrius Gallus [58]). 223 Für Gelächter sorgte Rosius Regulus (43), der Konsul für einen Tag (Tac. hist. 3,37,2). Das Verhalten des Verginius Rufus (50) ist insofern schwer interpretierbar, als er sich nicht sofort
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ambigue Haltung des Verginius Rufus gegenüber Galba. Doch durch dessen weiteres Verhalten gegenüber den Kaisern des Jahres 69 konnte zumindest in dem Punkt Sicherheit hergestellt werden, dass er nicht auf die Alleinherrschaft aus war. 4.2.3 Die Logik der Hierarchie – Die Interaktion mit dem Kaiser A) Fabius Valens Die Ermordung eines hierarchisch übergeordneten Standesgenossen ist auf den fokalen Zweck einer direkten Interaktion mit dem neuen Kaiser ausgerichtet, doch Galba zeigt keine Reaktion. Feindselig gegenüber dieser als Undank ausgelegten Passivität versucht Valens Vitellius zur Usurpation zu überreden und damit ein neues Interaktionsverhältnis zum Kaiser zu schaffen, indem er einen statushöheren Standesgenossen zu ‚seinem‘ Kaiser macht. Die tatsächliche Investitur ‚seines‘ neuen Kaisers findet ihren performativen Vollzug in dem Einmarsch des Valens in Köln an der Spitze von Reitertruppen und der darauf folgenden consalutatio des Vitellius als Imperator, wobei Valens die gestörte Interaktion Galbas mit dem germanischen Heer ausnutzt. Zusammen mit Caecina erhält Valens von ‚seinem‘ Kaiser die Aufgabe übertragen, dessen Herrschaftsanspruch militärisch durchzusetzen, womit beiden ein großer Anteil am Erfolg der Usurpation zukommt; gleichzeitig drückt sich dadurch ein Nahverhältnis aus, welches die direkte Interaktion mit dem Kaiser impliziert. Die Konsequenz ihres Erfolges liegt in der Herrschaftsübernahme des Vitellius einerseits und in der Realisierung von unmittelbarer Kaisernähe für sie selbst andererseits, wodurch sich ihre Handlungsmöglichkeiten enorm vergrößern.224 Wie bereits erwähnt führt dies im Anschluss zu einer Intensivierung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Valens und Caecina, welches auch ihre direkte Interaktion mit dem Kaiser beeinflusst, da beide ja um direktere Kaisernähe rivalisieren. Aber nicht nur in der direkten Interaktion achten sie darauf, jeweils mit dem anderen gleichzuziehen, indem sie beispielsweise beide Gladiatorenspiele zu Ehren des Vitellius ausrichten, ihn beide über das Schlachtfeld führen, beide mit bis zu diesem Zeitpunkt unerreichten Investitionen seine Geburtstagsfeierlichkeiten ausrichten, kurz: seine voluptates und libidines befriedigen.225 Die Konkurrenz um für Galba erklärt, sich aber auch der Forderung seiner Soldaten gegenüber verwehrt, die Herrschaft zu ergreifen (ebd. 1,8,2). Zu seinen weiteren Beziehungen zu den Kaisern siehe unten, Kap. 4.2.3, Anm. 259. 224 Mord: Tac. hist. 1,7,1; Überredung zur Usurpation: ebd. 1,52,3 f. (dort auch Ungerechtigkeit Galbas); consalutatio: ebd. 1,57,1; Heereszug für Vitellius: ebd. 1,61–2,56; der neue Kaiser und die Kaisernähe von Valens und Caecina: ebd. 2,59,3 u. 2,71,2 (Erhalten des Konsulats). 225 Gladiatorenspiele: Tac. hist. 2,70,1 (Caecina) und 2,71,1 (Valens); Führung über das Schlachtfeld: ebd. 2,70 (vgl. zur Differenz ihrer Erzählung gegenüber der von Tacitus Manolaraki 2005, 249 f.; Geburtstagsfeierlichkeiten: ebd. 2,95,1; zur voluptas des Vitellius, die in diesem Kontext in direktem Zusammenhang mit den von Valens und Caecina geplanten Gladiatorenspielen steht: ebd. 2,67,2 (numquam ita ad curas intento Vitellio, ut voluptatum oblivisceretur; „war doch Vitellius nie so auf Regierungsgeschäfte versessen, dass er darüber Vergnügungen vergessen hätte“); zu dessen libidines: ebd. 2,95,2. Dass Vitellius auf diese Art von seinen beiden Vertrauten in falscher Sicherheit gewiegt und von seinen eigentlichen Aufgaben als Kaiser abgelenkt wird, versucht Manolaraki 2005, 261 f. zu erläutern, wodurch nochmals die
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direktere Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kaiser überträgt sich auch auf andere Ebenen, bis es Valens schließlich gelingt, sich gegenüber Caecina im militärischen Bereich durchzusetzen, was in diesem Falle die Konsequenz der größeren Kaisernähe und des größeren Prestiges für Valens mit sich bringt.226 Auf der anderen Seite verpflichtet er sich damit, auf die militärische Herausforderung durch die flavianische Partei zu reagieren und erneut für seinen Kaiser eine militärische Aufgabe zu übernehmen. Dieses Mal besteht das Ziel allerdings nicht in der Erlangung, sondern in der Behauptung der Herrschaft seines Kaisers. Valens bleibt Vitellius gegenüber zwar loyal, ist aber erfolglos, was dazu führt, dass er seinen sozialen Status und sein Leben verliert – genauso wie sein Kaiser.227 „Galba verriet er, dem Vitellius aber blieb er treu, kam sogar durch die Treulosigkeit anderer in ein gutes Licht,“228 schließt der Erzähler die Kurzvita des Valens, wobei er auf die Handlung strukturierende Interaktionssituation fehlender und sehr intensiver Kaisernähe rekurriert. B) Alienus Caecina Als einer der eben genannten alii gelten für Caecina zwar prinzipiell die gleichen Intentionen, Interaktionsmuster und fokalen Zwecke in seinem Agieren für und mit Vitellius wie bei Valens, doch letztendlich hat er im Konkurrenzkampf mit Valens das Nachsehen, „von da an, glaubte man, kam die Treue Caecinas ins Wanken.“229 Und obwohl Caecina von Vitellius bei seinem Aufbruch in den Kampf vielfach geehrt wird und er durch die Umarmung des Vitellius performativ und affirmativ seine Loyalität und Verbundenheit demonstriert, erfolgen diese Interaktionen schon unter dem Vorzeichen des bereits vollzogenen Verrats. Die dem Valens kurzfristigen Erfolg bringende Strategie, einer unbefriedigenden Interaktionssituation mit dem Kaiser dadurch zu entgehen, dass ein neuer Prätendent gesucht und unterstützt wird – was den Verrat an dem Kaiser impliziert, in dessen Diensten man steht –, wendet Caecina gleich dreimal und mit dauerhaftem Erfolg an.230 Bleiben die motivationalen Ursachen des ersten Verrats vom Erzähler unerwähnt – sieht man von der sicherlich auch intendierten Konsequenz ab, dass Caecina von Galba zum Legionslegaten ernannt wurde und dadurch einen schnellen Aufstieg auf der Karriereleiter erfuhr –, zielen sie beim zweiten Mal darauf ab, einer vom Kaiser veranlassten strafrechtlichen Sanktion und der daraus resultierenden Distanz zu diesem zu entgehen. Natürlich zählt auch in diesem Fall die erneute Kaisernähe und Statuserhöhung zu den
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aktive Rolle der senatorischen Feldherrn und die eher passive des Princeps, für den sie kämpften, deutlich wird. Siehe oben, Kap. 4.2.2, S. 262 mit Anm. 193. Übernahme des militärischen Dienstes: Tac. hist. 2,99,1; 3,36,1; Konsequenz seiner Loyalität: ebd. 3,62,1; Konsequenz für Vitellius: ebd. 3,85. Tac. hist. 3,62,2: Galbae proditor, Vitellio fidus et aliorum perfidia inlustratus. Tac. hist. 2,93,2: unde primum creditur Caecinae fides fluitasse. Die Vorzeichen des bereits vollzogenen Verrats: Tac. hist. 2,93,2; 2,99,2; 2,100,3; 2,101; 3,9. Die performative Affirmation: ebd. 2,100,1. Caecinas Verrat an Nero: ebd. 1,53,1; sein Verrat an Galba: ebd. 1,53,2; 1,61; sein Verrat an Vitellius: ebd. 3,13 und sein dauerhafter Erfolg: ebd. 3,31,4; 4,80,3; 2,101.
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dabei verfolgten fokalen Zwecken.231 Dem dritten Verrat liegt die Niederlage im Konkurrenzkampf mit einem Standesgenossen um unmittelbare Kaisernähe zugrunde. In diesem Fall sind es die scheiternde Interaktion mit einem anderen Repräsentanten und die eher emotionalen Motivationen odio, invidia und aemulatio, welche die Interaktion mit dem Kaiser präfigurieren.232 Durchaus fraglich bleibt, ob im Falle dieses Verrats von einer hierarchischen Rationalität gesprochen werden kann. Denn auch wenn Caecina ein gewisses Nahverhältnis zu Vespasian herstellen konnte, dürfte es sich für ihn schwer gestaltet haben, noch einmal einer der drei führenden Männer des Imperiums geworden zu sein, wie er es mit Valens zusammen bereits unter Vitellius war. Dennoch war sein Erfolg längerfristiger als der des Valens. C) Antonius Primus Antonius Primus versucht, seine militärische Leistungsfähigkeit ‚seinen‘ Kaisern zu Diensten zu stellen. Während Otho auf das die hierarchische Rollenverteilung invertierende Angebot der militärischen Hilfeleistung nicht reagiert – wenn er ihrer bedurft hätte, wäre es an ihm als Dienstherrn des Primus gelegen militärische Unterstützung einzufordern –, gelingt es Primus, Vespasian seine militärischen Erfolge quasi aufzudrängen. Hierbei interferieren seine Aktionen zwar immer mit den Intentionen und Vorstellungen des usurpierenden konsularen Statthalters von Iudaea, letztendlich ist es aber der militärische Erfolg des Primus, der Vespasian faktisch zum Kaiser macht. Dieser Tatsache ist sich Vespasian durchaus bewusst. Aufgebrochen zu Vespasian wurde Antonius zwar nicht seiner Erwartung entsprechend empfangen, doch auch nicht mit abgeneigter Gesinnung des Imperators. Vespasian war hin und hergerissen, zwischen den Verdiensten des Antonius auf der einen Seite, durch dessen militärische Führung der Krieg zweifelsohne vollendet worden war, und den Briefen des Mucian auf der anderen. Gleichzeitig tadelten ihn andere als gefährlich und aufgeblasen, wohin die Vergehen seines früheren Lebens noch hinzutraten. Und er selbst ließ es nicht fehlen, mit Hochmut Kränkungen zu äußern; ebenfalls erinnerte er übermäßig daran, welche Verdienste er vollbracht habe. Die anderen verhöhnte er als militärisch Unfähige, den Caecina als einen Gefangenen und auf Gnade und Ungnade Unterworfenen. Deshalb hielt man ihn allmählich für immer unbedeutender und verächtlicher, wobei man dennoch den Anschein der Freundschaft aufrecht erhielt.233
231 Siehe Tac. hist. 1,53,1; 1,53,2 (vgl. Perkins 2010, 367) und die daraus resultierenden Konsequenzen: ebd. 2,59,3; 2,71,2; 2,92,1 (munia imperii Caecina ac Valens obibant; „die Regierungsgeschäfte erledigten die beiden“). 232 Siehe oben, Kap. 4.2.2, Anm. 197. 233 Tac. hist. 4,80,2 f.: profectus ad Vespasianum Antonius ut non pro spe sua excipitur, ita neque averso imperatoris animo. trahebatur in diversa, hinc meritis Antonii cuius ductu confectum haud dubie bellum erat, inde Muciani epistulis; simul ceteri ut infestum tumidumque insectabantur, adiunctis prioris vitae criminibus. neque ipse deerat adrogantia vocare offensas, nimius commemorandis quae meruisset: alios ut imbelles, Caecinam ut captivom ac dediticium increpat. unde paulatim levior viliorque haberi, manente tamen in speciem amicitia. Bei captivom handelt es sich mit Sicherheit um einen Druckfehler und gemeint ist der Akkusativ Singular captivum, denn die kritische Edition der Bibliotheca Teubneriana gibt keine captivom lautende alternative Lesung dieser Stelle an. Der lateinische Text stammt aus: P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae (lateinisch-deutsch), Joseph Borst unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst, Düsseldorf/ Zürich 62002 (Sammlung Tusculum); Übers. d. Verf. Vgl. Wellesley 1972, 5.
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Der Kaiser erkennt also die militärischen Verdienste des Antonius Primus zwar grundsätzlich an, aber schon die Meinungen von Mucian und anderen Standesgenossen führen dazu, dass er nicht genau weiß, wie er sich Primus gegenüber verhalten soll. Die Anschuldigungen und Verweise auf dessen Straffälligkeit unter Nero234 wiegen zwar schwer, aber auf der anderen Seite bleiben die für seinen Kaiser erreichten militärischen Erfolge. Doch letztendlich ist er es selbst, respektive sein eigenes Fehlverhalten, das ihn ins politische Abseits manövriert. Nicht sein anmaßendes und beleidigendes Auftreten vor dem Kaiser allein führt dazu, sondern vor allem seine sprachlich mit dem Gerundiv hervorgehobene Aufdringlichkeit, seine Meriten immer wieder herauszustreichen. Indem Antonius auch in diesem Falle versucht, seine militärischen Verdienste direkt in den politischen Bereich zu transponieren, generiert er eine Inversion der hierarchisch logischen Interaktionssituation, woran er letztlich scheitert. Was sich durch das Aufdrängen seiner militärischen Leistungen andeutet und durch den „zu prahlerischen“ Brief an seinen Kaiser fortsetzt,235 erfährt hier in seiner direkten Interaktion mit Vespasian eine noch deutlichere Artikulation: Er will sich den Kaiser verpflichten. Ständig verweist er auf die von ihm vollbrachten Verdienste, deren Früchte man zwar dankend entgegen nimmt, die aber eigentlich keiner von ihm gefordert hatte.236 Darüber hinaus rekurriert er indirekt auf den Status und die Privilegien der anderen, die doch viel weniger geleistet hätten als er. Letztendlich stellt er somit Forderungen, und das ist für Vespasian inakzeptabel. Die Taten von Caecina und Valens hingegen sind durch den Auftrag ihres Kaisers legitimiert, und sie bestätigen auch immer wieder performativ durch Ehrungen und Aufwendungen ihre Loyalität und das hierarchische Verhältnis zu Vitellius; damit agieren die beiden Legaten nach der Logik der politischen Ordnung. Doch das Erfüllen der Forderungen des Primus würde für Vespasian bedeuten, sich diesem nicht nur zu verpflichten, sondern darüber hinaus seine Herrschaft von einem ihm hierarchisch deutlich Untergeordneten, bereits straffällig gewordenen und bei seinen Standesgenossen nicht respektierten Legaten abhängig zu machen; eine Unmöglichkeit, die zwangsweise den politischen Sturz des Primus nach sich ziehen muss. So zeigt sich in dieser Passage auf deutliche Art und Weise, dass Antonius die Spielregeln der politischen Ordnung nicht versteht. Nicht nur sein Hass auf Mucian, sein gesamtes Agieren in diesem Bereich bleibt simplicius.237 234 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Anm. 133. 235 Zum Hilfsangebot für Otho siehe oben, Kap. 4.2.1, Abschn. D sowie Anm. 135. Sein Brief an Vespasian: Tac. hist. 3,53 (litteras ad Vespasianum composuit iactantius quam ad principem. „Er verfasste ein Schreiben an Vespasian, ruhmrediger, als man es an einen Fürsten richten darf,“ ebd. 3,53,1). 236 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. D sowie Anm. 135; siehe Tac. hist. 3,8,2 f. (Vespasian hatte eigentlich befohlen, die Kriegshandlungen einzustellen und in Aquileia auf Mucian zu warten; auch wenn Primus diese Befehle zu spät, also nach den Ereignissen erreichen und er sich nicht direkt den Befehlen seines Kaisers widersetzt, so bedeutete das für seine militärischen Handlungen doch, dass er sie auf Eigeninitiative und ohne kaiserliche Legitimation durchgeführt hat). Vgl. die Beschreibung des Primus in Dudley, 1968, 70 f. Vgl. ebenfalls Heubner 1972, 24 f.; Wellesley 1972, 3–5. Aus der anderen Perspektive betrachtet, wollte Vespasian auch die Kontrolle über diesen ehrgeizigen Senator; vgl. dazu Damon 2006, 271–273. 237 Siehe oben, Anm. 205.
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D) Die prätorischen Standesgenossen Auch in diesem Abschnitt ist ein eigener Unterpunkt für Petilius Cerialis nicht angebracht, da er eigentlich kein einziges Mal in direkter Interaktion mit dem Kaiser, weder mit Vitellius, noch mit Vespasian dargestellt wird. Indirekt richtet er seine Loyalität an seinem Kaiser Vespasian aus, zu dem er ja auch in einem nicht näher spezifizierten, aber eben nennenswerten Verwandtschaftsverhältnis steht, und beweist sie auch während des Bataveraufstandes gegenüber dem Caesar Domitian. Diesen weist er dann in Bezug auf seine Forderung, ihm, dem Caesar, das Oberkommando über das Heer zu überlassen, salubri temperamento in seine Schranken, wobei es schwer fällt, diese in gewisser Weise auch verwandtschaftliche Kommunikation einzuordnen.238 Doch er ist nicht der einzige Repräsentant der Funktionselite prätorischen Ranges, der – von den oben angeführten Protagonisten einmal abgesehen – kaum in Interaktion mit dem Kaiser dargestellt wird. Zum größten Teil handelt es sich dabei um indirektes, auf den Kaiser ausgerichtetes Handeln, dem ein interaktives Moment zugeschrieben werden kann. In den meisten Fällen sind dies militärische Dienste im Bürgerkrieg für einen Kaiser und gegen einen anderen Kandidaten. Nur in zwei Ausnahmefällen manifestiert sich dieses auf den Kaiser gerichtete interaktive Moment in dem Mord an einem hierarchisch übergeordneten Standesgenossen, wobei die gewünschte Reaktion des Princeps im Falle des Cornelius Aquinus (7), der mit Valens zusammen den Fonteius Capito ermordete, ausbleibt, und die im Falle des Valerius Festus (25), der den Lucius Piso (39) beseitigte, nicht mehr berichtet ist. Auf der anderen Seite wird von nur einem Legionslegaten erzählt, der vor einem Mordanschlag eines konsularen Statthalters aus persönlichen Motiven zu Vespasian flieht und insofern sein Handeln auf seinen Kaiser ausrichtet.239 Dieser Legionslegat ist zugleich einer der wenigen seiner hierarchisch gleichgestellten Standesgenossen, der an einer Stelle auch in direktem Kontakt mit Kaiser Otho steht. Doch die performative Interaktion beschränkt sich auf die reine Beschreibung, dass er und zwei seiner Kollegen für ihren Einsatz gegen einfallende Rhoxolanen die ornamenta consularia sowie sein Vorgesetzter eine statua triumphalis erhalten haben.240 Bei den beiden anderen in direkte Interaktion mit dem Kaiser tretenden Mitgliedern der senatorischen Funktionselite prätorischen Ranges handelt es sich um zwei Statthalter kaiserlicher Provinzen: Valerius Asiaticus (24), Statthalter von Belgien, 238 Zum Verwandtschaftsverhältnis vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. E, S. 252 mit Anm. 148. Beweis seiner Loyalität: Tac. hist. 3,59,2; 4,75,1. Zurechtweisung Domitians: ebd. 4,86,1. 239 Militärische Dienste im Bürgerkrieg: Annius Bassus (1): Tac. hist. 3,50,2; Dillius Aponianus (8): ebd. 3,10,1; Fabius Fabullus (10): ebd. 3,14; Manlius Valens (16): ebd. 1,64,4; Numisius Lupus (18): ebd. 3,10,1; Orfidius Benignus (20): ebd. 2,43,1. Morde: Cornelius Aquinus (7): ebd. 1,7,1 f.; Valerius Festus (25): ebd. 4,50; Flucht des Tettius Iulianus (23): ebd. 2,85,2. In den Bereich der militärischen Pflichterfüllung in Bezug auf ihr Dienstverhältnis zum Kaiser gehören natürlich auch die im Bataveraufstand agierenden Legionslegaten (9; 11; 13; 17; 19) sowie der prätorische Statthalter der Provinz Galatien und Pamphylien Calpurnius Asprenas (6). 240 Bezeichnend ist der Umstand, dass weder er noch seine Kollegen oder gar ihr Vorgesetzter in das Zurückschlagen der Rhoxolanen involviert sind; das erledigt die dritte Legion; siehe Tac. hist. 1,79. Bei den geehrten Legionslegaten handelt es sich um Tettius Iulianus (23), Aurelius Fulvus (4) und Numisius Lupus (18).
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der sich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Usurpation des Vitellius diesem anschließt und in der Folge zu dessen Schwiegersohn avanciert; und Iunius Blaesus (15), den Statthalter der Lugdunensis, dessen Verhältnis zu Vitellius sich eher tragisch gestaltet.241 Auch er tritt der vitellianischen Erhebung sehr früh bei und begleitet den neuen Kaiser auf dessen Reise nach Rom. Dabei ist er äußerst freigebig und sorgt dafür, dass die Reise für Vitellius äußerst angenehm und bequem verläuft, doch auch dieser Versuch der Verpflichtung des Kaisers durch materielle Güter und Komfort misslingt. Denn ob des Anscheins, Vitellius lasse sich von diesem aushalten, fällt er in Ungnade. Der zweite Fehler mit existentiellen Folgen für Blaesus besteht zum einen in seiner Konkurrenz zu Lucius Vitellius (61), dem Bruder des Kaisers, und zum anderen in seiner Teilnahme an einem Festmahl als Ehrengast zu einem Zeitpunkt, als der Kaiser selbst erkrankt ist. Er wird beim Kaiser von dessen Bruder denunziert und des Strebens nach der Herrschaft beschuldigt, woraufhin er von Vitellius vergiftet wird.242 Dies zeigt, dass in Rom bei der Interaktion mit den Standesgenossen der Kaiser immer mitgedacht werden muss und eine valide Denunziation – immerhin wird sie in diesem Fall vom Bruder des Kaiser geäußert – und der Anschein einer möglichen Konkurrenz um die Herrschaft letale Folgen haben können. E) Licinius Mucianus Die Beziehungen des Licinius Mucianus zum Kaiser konzentrieren sich sehr stark auf sein Verhältnis zu und Agieren für Vespasian, während die indirekte Interaktion mit Galba und Otho sich jeweils in der Anerkennung und Vereidigung der Truppen sowie gegenüber dem Vitellius in dessen kurzfristiger Bestätigung durch ihn realisiert.243 Mittelbar durchdringt die prekäre Beziehung des syrischen und judäischen konsularen Statthalters zu ihrem Kaiser (also Vitellius) auch die Usurpationsaufforderung Mucians, da sie sich beide von diesem nicht nur übergangen, sondern darüber hinaus sozial und existentiell gefährdet wähnen. Im Laufe dieser Rede und der kurz darauf folgenden Vereidigung seiner Truppen auf Vespasian vollzieht Mucian seinen Bruch mit Vitellius und agiert für seinen neuen Kaiser Vespasian, wobei er seinen anderen Standesgenossen gegenüber eine Sonderstellung einnimmt.244 Die Interaktion zwischen beiden erfolgt vor dem militärischen Engagement Mucians in zuerst über Titus und andere als Unterhändler vermittelten Absprachen und dann direkten Unterredungen, über ihr gemeinsames Vorgehen in dieser politisch instabilen Zeit.245 Während des Kriegsgeschehens, wie übrigens fast generell in dem erhaltenen Teil der Erzählung, tritt Vespasian kaum aktiv in Erscheinung. An einer Stelle be241 Tac. hist. 1,59,2. 242 Iunius Blaesus (15): Tac. hist. 1,59,2 (Anschluss an Vitellius); 2,59,2 (Begleitung auf der Reise nach Rom); 3,38 f. (epulum mit Standesgenossen, Denunziation und daraus resultierender Tod). Nicht behandelt werden soll hier, welche Bedeutung dieser Episode in der Charakterisierung des Vitellius und dessen Vertrauten zukommt, dazu sei verwiesen auf Fuhrmann 1960, 271 f. und Miller – Jones 1978, 73 f. 243 Tac. hist. 1,10,1 (oriens adhuc immotus; „Im Osten ging es bis dahin ruhig zu“; implizit bedeutet dies die Anerkennung Galbas); 1,76,2; 2,73. 244 Vgl. oben, Kap. 4.2.2, Abschn. E mit Anm. 213 und 217 sowie Kap. 4.2.1, Anm. 164. 245 Tac. hist. 2,5,2; 2,7,2; 2,76–79; 2,81 f.
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stätigt er jedoch in einem Schreiben an die illyrischen Feldherren, in dem Befehl, bei Aquileia auf Mucian zu warten, sein Vertrauen in diesen. Bezeichnenderweise erreicht diese Aufforderung erst nach den Ereignissen bei Cremona seine Adressaten und generiert dadurch die intensive Konkurrenz zwischen Mucian und Antonius Primus.246 Dessen Leistungen versteht Mucian in doppelter Hinsicht indirekt beim Kaiser zu diskreditieren; durch eine Mittelbarkeit nämlich, welche die Vorwürfe gegenüber Primus stärker wirken lässt: Zum einen ist es nicht er selbst, der sich beim Kaiser über dessen Hast beschwert, unter deren Vorzeichen sich ja auch dessen Insubordination gegenüber noch nicht eingetroffenen kaiserlichen Befehlen ereignet hat; zum anderen leitet er die von Standesgenossen im Stab des Primus an ihn und nicht an Vespasian gerichteten Klagen an den Kaiser weiter. Der dadurch entstehende negative Eindruck von den militärischen Leistungen des Antonius Primus gewinnt deshalb eine so große Bedeutung, da er nicht von persönlichen Animositäten und Rivalitäten hervorgerufen zu sein scheint. Mucian inszeniert für Vespasian ein Szenario der objektiven Bewertung der Taten des Primus. Er versucht, seinen Kaiser durch Manipulationen gegen Primus einzunehmen. Doch so einfach gelingt ihm das nicht. Vespasian hat zwar die Beschwerden zur Kenntnis genommen und ist sich auch über das adäquate Verhalten dem Primus gegenüber unsicher, aber er bewertet diesen und dessen Leistungen erst nach dessen Fehlverhalten ihm gegenüber abschätzig.247 Die verbleibende Bezugnahme Mucians in seinen Handlungen zu seinem Kaiser ist der indirekten Sphäre zuzurechnen und lässt sich unter der Feststellung subsumieren, dass sein Handeln in Rom und seine Interaktion mit den Standesgenossen von dem Umstand präfiguriert werden, dass er für seinen Kaiser als consors imperii agiert; also ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen und geringer Rechenschaftspflicht.248 F) Hordeonius Flaccus Die Passivität des Flaccus gestaltet eine durchaus komplexe indirekte Interaktion mit den Kaisern des Jahres 69. Seine Passivität beim scheiternden Jahreseid der obergermanischen Legionen führt auch zu seinem Abfall von Galba respektive Otho. Ebenso Patiens der Handlung ist er gegenüber den Unternehmungen des Vitellius, in die er lediglich passivisch involviert ist: „Die Obsorge über das linke Rheinufer erhielt Hordeonius Flaccus übertragen.“249 Im Kontrast zu der regen Kommunikation zwischen Mucian und Vespasian findet Ähnliches zwischen Vitellius und Flaccus nicht statt; ganz wie Valens es Vitellius vorhersagt, stellt Flaccus 246 Tac. hist. 3,8,2 f.; zum daraus entstehenden Konkurrenzkampf vgl. oben, Kap. 4.2.2, die Abschn. C und E und die Anm. 205 und 214. 247 Zur indirekten Interaktion Mucians mit Vespasian: Tac. hist. 3,52,3. Die direkte übermäßige Reaktion des Primus auf diese Vorwürfe führt zu deren zunehmender Validität und zu einem sich intensivierenden Antagonismus zu Mucian, siehe ebd. 3,53. Zu Vespasians Urteilsbildung über Antonius Primus siehe ebd. 4,80,2 f.; vgl. oben, Abschn. C. 248 Vgl. oben, Kap. 4.2.2, Abschn. E sowie Anm. 217. Vgl. zu Mucians Rolle auch Damon 2006, 273–275. 249 Tac. hist. 2,57,1: cura ripae Hordeonio Flacco permissa. Vgl. den missglückten Jahreseid: ebd. 1,56,1.
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für dessen Usurpation kein Hindernis dar.250 Die sich weiter fortsetzende passive Grundhaltung des Flaccus führt im weiteren Verlauf der Ereignisse des Jahres 69 n. Chr. auch zu dessen Zögern, Vitellius Hilfstruppen im Kampf gegen Vespasian zukommen zu lassen. Mehr oder weniger aktiv wird Flaccus erst in seiner Sympathie gegenüber Vespasian. Er unterstützt – wen sollte es überraschen – durch Passivität, wenn hier auch deutlich bewusst, die Entstehung und Fortdauer des Bataveraufstands, welcher die germanischen Truppen bindet und die zu Vitellius geschickten Bataverkohorten ihren Gehorsam aufkündigen lässt. Letztendlich kann er jedoch seine Truppen auf den neuen Kaiser vereidigen.251 Der von ihm zuletzt begangene Fehler, Geld von Vitellius als Donativ des Vespasian verteilen zu lassen, zeitigt für ihn jedoch letale Folgen,252 wie auch der von ihm und Primus losgetretene Bataveraufstand katastrophale Konsequenzen nach sich zieht. G) Marius Celsus Die wechselnden Kaiser des Jahres 69 ändern an der Grundeinstellung des Celsus, dem jeweiligen Kaiser treu zu sein, und auch an seinem Status und seiner Funktion als designiertem und dann wohl auch amtierendem Konsul nichts. Sein Nahverhältnis zu Galba zeigt sich in seiner Anwesenheit während dessen Adoptionsbekanntgabe; während er Otho gegenüber sogar erst ablehnend und widerspenstig reagiert, entgeht er jedoch dessen Versöhnungswillen nicht, durch den dieser seine clementia inszenieren möchte, und wird schließlich in dessen Freundeskreis aufgenommen. Er ist dann auch an der Kriegsführung Othos gegen Vitellius beteiligt und tritt noch einmal in direkte Interaktion mit diesem, wobei seine Zustimmung zum Rat des Suetonius Paulinus allerdings nur erwähnt, seine bereits gewachsene Distanz zu Otho sich also auch sprachlich widerspiegelt.253 H) Suetonius Paulinus Suetonius Paulinus tritt hauptsächlich mit dem Kaiser Otho während der Krise des Jahres 69 in Kontakt. Er hat keinen regulären Posten inne, aber erfüllt für Otho die Sonderfunktion des Kriegsberaters und Feldherrn. Die einzige direkte Interaktion zwischen ihm und seinem Kaiser erfolgt während dessen rational und gut begründeten Kriegsrats, die Entscheidung im Kampf gegen Vitellius respektive Valens und Caecina hinauszuzögern, um die strategisch günstigere Ausgansposition Othos besser ausspielen zu können.254 Die bereits während des Bürgerkrieges entstandene Distanz durch mangelndes Vertrauen seitens Othos zeigt sich auf formaler Ebene 250 Tac. hist. 1,52,3. 251 Zögern gegenüber dem Gesuch des Vitellius: Tac. hist. 2,97,1. Sympathie für Vespasian sowie Aufforderung des Civilis zu einem Scheinaufstand: ebd. 4,13,3. Fördern des Aufstands durch Passivität: ebd. 4,18,1; 4,19,2 f. Vereidigung auf den neuen Kaiser Vespasian: 4,31,2. Vgl. allgemein Ash 2007, 232 f. 252 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. H, v. a. mit Anm. 172. 253 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. I. Siehe zu seinem unveränderten Status: Tac. hist. 1,77,2; seiner Anwesenheit bei der Adoptionsbekanntgabe: ebd. 1,14,1; die von Otho instrumentalisierte Versöhnung mit Celsus: ebd. 1,71; seine Zustimmung zu Paulinus’ Kriegsrat: ebd. 2,33,1. 254 Vgl. zum paulinischen Kriegsrat bei Bedriacum Heubner 1968, 119–124.
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dadurch, dass die Darlegungen des Paulinus von Tacitus nur indirekt geschildert werden. Othos einzige Reaktion besteht in der unbegründeten Ablehnung dieses Vorschlags. Das Vertrauen Othos in seinen Feldherrn scheint erschüttert, was auch der Schritt verdeutlicht, seinen Bruder und den Prätorianerpräfekten Proculus zu den Oberbefehlshabern seiner Truppen zu bestimmen. Diese setzen sich auch in der Folge gegen die Ratschläge von Celsus und Paulinus durch und tragen die eigentliche Verantwortung an der Niederlage Othos. Ein zweites Mal wird Paulinus in direkter Interaktion mit dem Kaiser gezeigt, der diesmal allerdings Vitellius heißt. Der Ungnade dieses Kaisers, gegen den er ja militärisch operiert hat, kann er sich entziehen, da er den Verdacht der Treue gegenüber Otho von sich abwenden kann und daher von Vitellius freigesprochen wird.255 I) Die konsularen Standesgenossen Die amtierenden und designierten Konsuln des Jahres 69 werden selten in direkter und dargestellter Interaktion mit dem jeweiligen Kaiser gezeigt. Entweder wird ihnen das vom Vorgänger zugestandene Konsulat gewährt, was außer für Marius Celsus noch für drei andere designierte Konsuln zutrifft, oder sie werden bei der Amtsvergabe nicht weiter berücksichtigt – wie die drei von Vitellius degradierten Senatoren.256 Eine dritte Möglichkeit besteht in der zusätzlichen Ernennung von Konsuln, wovon nicht nur Caecina und Valens profitieren, sondern auch Verginius Rufus (50) und dessen Freund Pompeius Vopiscus (41) unter Otho sowie Caecilius Simplex (29) und der Konsul für einen Tag Rosius Regulus (43) unter Vitellius.257 Vier Konsuln dieses Krisenjahres treten allerdings mit den jeweiligen Kaisern in direkte Interaktion. Titus Vinius (52), Vertrauter von Galba, dessen unmittelbare Kaisernähe sich in der gleichzeitigen Bekleidung des ordentlichen Konsulats mit dem Kaiser zeigt und der sich mit Laco und Icelus die Regierungsgewalt teilt, ist nicht nur bei der Adoptionsentscheidung Galbas anwesend, sondern steht diesem auch während des Putsches von Otho zur Seite. Vinius erteilt Galba den aus der Retrospektive betrachtet besseren Rat, im Palast zu bleiben, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und erst einmal abzuwarten, wie sich die Dinge gestalten. Er kann sich mit seinem Rat jedoch nicht gegen seine Konkurrenten Laco und Icelus beim Kaiser durchsetzen und stirbt noch am selben Tag wie dieser.258 Die Beliebtheit des Verginius Rufus (50) bei den Soldaten, seine militärische auctoritas, stellt für Galba, Otho wie auch Vitellius eine latente Gefahr dar, der sie durch eine ‚Umar255 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. J. Kriegsberater und Feldherr Othos: Tac. hist. 1,87,2; 1,90,2; 2,24–26. Direkte Interaktion mit Otho und deren Scheitern: ebd. 2,32 f. Neue Oberbefehlshaber bereits: ebd. 2,23,4 f. Durchsetzung von Titianus (47) und Proculus: ebd. 2,33; 2,40. Vor Vitellius: ebd. 2,60,1. Vgl. Damon 2006, 263 f. 256 Weiterhin gewährte Konsulate: Arrius Antonius (28), Caelius Sabinus (30) und Flavius Sabinus (45): Tac. hist. 1,77,2. Abgelehnte Konsuln: Pedanius Costa (38), Valerius Marinus (49 – auch wenn er nur vertröstet wird), Martius Macer (36): ebd. 2,71,2. 257 Siehe Tac. hist. 1,77,2 (Verginius Rufus [50] und Pompeius Vopiscus [41]); ebd. 2,60,2 (Caecilius Simplex [29]); ebd. 3,37,2 (Rosius Regulus [43]); zu letzterem vgl. Heubner 1972, 94. 258 Ordentliches Konsulat mit Galba: Tac. hist. 1,1,1 u. 1,11,3; Teil der Regierungsgewalt bei ihm: ebd. 1,13,1 f.; anwesend bei Adoptionsbekanntgabe: ebd. 1,14,1; sein Rat, abzuwarten: ebd. 1,32 f.; Tod: ebd. 1,42.
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mungsstrategie‘ entkommen, wozu auch Verginius selbst immer wieder durch absolute Ablehnung des soldatischen Wunsches, die Herrschaft zu übernehmen, beiträgt. Diese ‚Umarmungsstrategie‘ zeigt sich in dem von den Kaisern zur Schau gestellten Nahverhältnis zu Verginius. Von Galba wird er per simulationem amicitiae von seiner konsularen Statthalterschaft Obergermaniens abberufen, von Otho nicht nur zum Konsul ernannt, sondern wie viele Magistrate und hohe Konsulare zu dessen Begleitung während des Feldzugs gegen Vitellius gemacht. Bei diesem wiederum ist er dann gleich nach dessen Eintreffen in Italien zum Gastmahl in Ticinum eingeladen, also noch bevor dieser das Schlachtfeld von Cremona in Augenschein genommen hat.259 Ebenfalls in direkte Interaktion mit Vitellius treten Caecilius Simplex (29) und Quintius Atticus (42). Caecilius Simplex lässt das vom Erzähler als Rücktritt geschilderte Ritual des Vitellius scheitern, indem er die Annahme des Dolches als Zeichen der Macht über Leben und Tod der Mitbürger verweigert. Quintius Atticus hingegen legt vor dem Kaiser ein falsches Schuldbekenntnis bezüglich des Kapitolbrands ab, woraufhin Vitellius ihm freundlich gestimmt das Leben schenkt.260 Das Konsulat zeigt sich zwar nach wie vor als ein Indikator für kaiserliche Nähe, aber die direkten Interaktionen mit dem Kaiser, die eine solche Nähe auf der Erzählebene darstellen, sind rar. Jene konsularen Statthalter, welche nicht zum Kaiser erhoben werden und auch nicht zum consors imperii aufsteigen halten sich während der Krise des Jahres 69 sowohl militärisch als auch in der Interaktion mit den Kaisern sehr zurück. Die Motivation ihres Handelns in der Krise wird also entweder von der Frage, weshalb ausgerechnet dieser eine ihrer Standesgenossen mehr als sie selbst dazu geeignet sein sollte, sich als Princeps hierarchisch über alle anderen zu stellen, oder von der Angst vor der möglichen Fallhöhe als verdiente konsulare Statthalter bestimmt. Von Vettius Bolanus (51) erfährt man nur, dass er sich in der unmittelbaren Umgebung des Vitellius aufgehalten habe und von diesem als Ersatz für den Trebellius Maximus (48) nach Britannien geschickt wurde. Die illyrischen Statthalter interagieren natürlich durch ihre Haltung gegenüber den Kaisern indirekt mit diesen, doch werden sie von ihren Legionslegaten und Legionen eher in die Ereignisse hineingerissen als selbst aktiv zu agieren. Darüber hinaus beschränkt sich ihre direkte Kommunikation auf das Medium des Briefs.261 Cluvius Rufus (31) begibt sich allerdings auf direktem Wege zu dem sich noch bei Lugdunum befindlichen, neuen Kaiser Vitellius, 259 Zur Interaktion zwischen Verginius und den Soldaten siehe oben, Kap. 4.2.1, Abschn. K mit Anm. 188. Zu seinen Beziehungen mit den Kaisern siehe seine Abberufung durch Galba: Tac. hist. 1,8,2; sein Konsulat, von Otho erhalten: ebd. 1,77,2; Verginius als einer von vielen ranghohen Begleitern Othos: ebd. 1,88,1; 2,49,1; 2,51; das Gastmahl bei Vitellius: ebd. 2,68. 260 Caecilius Simplex: Tac. hist. 3,68,2 (Die Intention der Handlung bestand zweifelsfrei darin, den Rücktritt des Vitellius zu verhindern, welche Motivation ihr aber zugrunde lag, lässt sich leider nicht direkt aus dem Text ableiten; vgl. zum Abdankungsversuch des Vitellius Heubner 1972, 147–149); Quintius Atticus: ebd. 3,75,3 (Leider wird nicht mehr erzählt, was danach mit ihm geschieht). 261 Britannische Statthalter: Tac. hist. 2,65,2. Illyrische Statthalter: Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. K mit Anm. 184 und 186; briefliche Kommunikation: ebd. 2,96,1 (Aponius Saturninus [27] zu Vitellius); 3,10,2 (Tampius Flavianus [46] wird durch einen Brief Vespasians aus seiner misslichen Lage gerettet).
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um sich gegen Anschuldigungen eines Freigelassenen zu rechtfertigen. Vitellius spricht ihn daraufhin nicht nur von diesen frei, sondern erteilt ihm die Ehre, seine Statthalterschaft der Tarraconensis in absentia zu führen. Das Vertrauen, das ihm Vitellius entgegenbringt, illustriert auch der Umstand, dass er einer von zwei Zeugen bei den Abdankungsverhandlungen des Vitellius mit Sabinus Flavius ist.262 Eine besondere Rolle in der Interaktion mit den Kaisern nehmen deren eigene Brüder ein, da sie als nächste Verwandte natürlich in einem besonderen Nahverhältnis zu diesen stehen. Dies drückt sich vor allem in dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen in der Krise insofern aus, als Titianus (47) zwar zuerst damit beauftragt wird, seinen Bruder Otho in Rom zu vertreten, dann aber wegen des schwindenden Vertrauens Othos in seine Heerführer den Oberbefehl über die gegen Valens und Caecina kämpfenden Truppen übertragen bekommt und seinen Bruder in dessen Beschluss, die Entscheidungsschlacht mit den Vitellianern zu suchen, unterstützt.263 Lucius Vitellius (61) wird ein schlechter Einfluss auf seinen Bruder zugeschrieben. Mit seinem Erscheinen wird der frischgebackene Kaiser hochmütiger und schrecklicher (superbior et atrocior), und als Lucius in das Schlafgemach seines kranken Bruders stürzt und ihm in dramatischer Inszenierung die Gefahr eines Putsches in Rom durch Iunius Blaesus (15) vorführt, liegt der fokale Zweck dieses Schauspiels in der Beseitigung eines senatorischen Rivalen. Seine Bemühungen sind von Erfolg gekrönt, denn Vitellius vergiftet Blaesus hinterhältig und weidet sich an dessen Tod. Lucius revanchiert sich bei seinem Bruder, indem er eine militärische Expedition nach Tarracina übernimmt und zu einem erfolgreichen Ende bringt. Es handelt sich dabei jedoch um einen eher nebensächlichen Kriegsschauplatz, und letztendlich muss auch Lucius sich den Flavianern ergeben und das Schicksal seines Bruders teilen.264 Eine Sonderrolle nimmt Flavius Sabinus (44) ein, da er als praefectus urbi und Bruder von Vespasian zwar in direkten Kontakt mit Vitellius aber nicht zu seinem Bruder tritt. Aufgrund des militärischen Erfolges der Feldherren seines Bruders tritt Sabinus nicht nur in Rücktrittsverhandlungen mit Vitellius, sondern agiert in Rom selbst offen gegen den Kaiser, was den Brand des Kapitols und seinen grausamen Tod zur Folge hat. Eine Konsequenz, die Mucian, vergleicht man das enge Verhältnis der anderen Kaiser mit ihren Brüdern, nicht unrecht sein kann.265 4.3 Im Dienste des Kaisers? In der nun folgenden Synthese zu den Handlungen der senatorischen Funktionselite während der Krise, steht die Frage im Mittelpunkt, wer auf welche Weise auf welchem Feld agiert und welche Motivationen und Intentionen dem jeweiligen Tun 262 Treffen bei Lugdunum: Tac. hist. 1,65,1 f.; Zeuge: ebd. 3,65,2. 263 Tac. hist. 1,90,3; 2,23,5; 2,33,1 f. 264 Einfluss auf seinen Bruder: Tac. hist. 2,63,1. Episode um Iunius Blaesus: ebd. 3,37 f. Sein militärischer Einsatz und Tod: ebd. 3,58,1; 3,76 f.; 4,2,2 f. 265 praefectus urbi wird er wieder unter Otho: Tac. hist. 1,46,1. Rücktrittsverhandlungen mit Vitellius: ebd. 3,64 f. Sein erfolgloser Putsch: ebd. 3,68–74. Freude Mucians: ebd. 3,75,2. Vgl. Heubner 1972, 149–155.
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zugrunde liegen. Dabei wird auf der Basis der im vorigen Kapitel erarbeiteten Handlungsschemata das Bild der Funktionselite herausgearbeitet, das im Prozess des Erzählens entsteht. Man könnte die spezifische Rolle, in der die Funktionselite in den Ereignissen im Jahre 69 n. Chr. in den Historien dargestellt wird, auch als Kernnarrativ der Krise bezeichnen, welches das Sprechen über die Genese und das Wesen des herrschenden politischen Systems beeinflusst.266 Wie im Proöm angekündigt, erfahren die Handlungsträger der Erzählung eine eher negative Charakterisierung.267 Schließlich sind sie es, die nicht nur auf die Krise reagieren, sondern sie durch ihre Aktionen mitgestalten und produzieren. Nicht die Soldaten, sondern die senatorische Funktionselite ist es, die dabei den Kaiser macht und bestätigt.268 Darüber hinaus rekrutiert dieser sich auch aus ihren Reihen, denn ein anderer als ein senatorischer Kaiser, der mindestens konsularen Status innehat und wenn möglich auch einer berühmten Familie entstammt,269 ist weder in der erzählten Zeit noch in der Erzählzeit der Historien vorstellbar. Die Soldaten sind im Fluss der Ereignisse eher Instrument der Funktionselite als eigenständiges Movens des Geschehens. Sie benötigen die Kanalisierung ihrer kol266 Mit dem Begriff Kernnarrativ ist ein grundlegendes, Ereignisse ordnendes abstraktes Erzählschema gemeint, welches das Erzählmaterial sowie die eigentliche Darstellung zwar präfiguriert, aber nicht determiniert. Salopp formuliert: es ist der Kern einer Geschichte, die in vielen verschiedenen Versionen erzählt werden kann. Vgl. dazu Stöckmann 2009, 65 mit Anm. 86. 267 Marius Celsus (35) ist eigentlich der einzige von jenen Handlungsträgern, die häufiger genannt werden, bei dem so etwas wie eine positive Bewertung angenommen werden könnte. Allerdings weist seine unbedingte, aber ständig wechselnde Loyalität sowohl den Mangel der Erfolglosigkeit auf als auch die Devianz einer personalen Affinität zum Kaiser – die Loyalität scheint eher an das Amt als an die Person gebunden –, was zur Folge hat, dass er unter jedem Kaiser dieses Jahres Konsul bleibt, d. h. deren Amtsausübung zustimmt, weshalb man ihm Opportunismus vorwerfen könnte. Bei der einzigen auf der Erzählebene unzweifelhaft positiv beschriebenen Figur, die aktiv am Bürgerkriegsgeschehen beteiligt ist, handelt es sich um den auf flavischer Seite kämpfenden Tribun Vipstanus Messalla (Tac. hist. 3,9,3: legioni tribunus Vipstanus Messalla praeerat, claris maioribus, egregius ipse et qui solus ad id bellum artes bonas attulisset; „Es befehligte sie der Tribun Vipstanus Messalla, ein Sprössling berühmter Ahnen und selber ein trefflicher Mann, überdies der einzige, der mit ehrlichen Absichten in diesen Krieg zog“). Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass dies ironisch gemeint sein könnte und auf den Geschehensbericht des Messalla, der Tacitus wohl vorlag, rekurriert (vgl. ebd. 3,25,2; 3,28). Um dies allerdings nachweisen zu können, bedürfte es einer Überlieferung des Messalla-Textes, wobei es für den Verdacht der Ironie durchaus einen Hinweis gibt: ebd. 4,42,1: nec depellendi periculi sed in spem potentiae videbatur („er tat es nicht, um eine Gefahr von sich abzulenken, sondern in der Hoffnung, Macht und Einfluss zu gewinnen“), verteidigt Messalla seinen Bruder vor Delatorenvorwürfen im Senat, obwohl er noch nicht einmal im Senatorenalter stand. Beim Eintreten für seinen Bruder ist sein Verhalten also gar nicht so integer, wie es erscheint: Der fokale Zweck seines Handelns besteht in der Mehrung seines Ruhmes und in der Hoffnung auf künftigen Einfluss, die Verteidigung seines Bruders ist somit nur bedingt gewollt. Ähnliches könnte also möglicherweise auch für sein Agieren im Bürgerkrieg geschlossen werden. 268 Vgl. Dudley 1969, 124. 269 Siehe Tac. hist. 1,52,4: die Begründung des Valens, warum es für Verginius Rufus sicherer war, die Herrschaft abzulehnen, und weshalb Vitellius verpflichtet sei, nicht dasselbe zu tun. Siehe ebenfalls die langen Ausführungen Mucians zur Abstammung: ebd. 2,76,2 f. Vgl. Flaig 1992, 191 zu diesem Befund als allgemeinem Phänomen der Kaiserzeit der ersten beiden Jahrhunderte.
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lektiven Bedürfnisse durch den senatorischen Kommandanten, der ihr Handeln lenkt und auf ein Ziel ausrichtet. Dieser Führung gegenüber haben sie prinzipiell nur die binäre Entscheidungsmöglichkeit zwischen kollektiver Zustimmung oder kollektiver Ablehnung, wobei die Soldaten in der Erzählung häufig als Spiegel ihrer Kommandeure (mit negativem oder positivem Abbild) und deren moralischen Eigenschaften (und Motivationen) fungieren.270 Eigenständige Handlungspläne zu entwerfen und zu verfolgen, scheint für die Soldaten der taciteischen Erzählung keine Option zu sein. Wenn sich das Verhalten der Soldaten auch immer wieder an Kampf, Beutegier, Zerstörung und Gewalt orientiert und sie sich in diesen Situationen sehr oft ebenfalls gegen ihre Kommandeure richten,271 so sind sie dennoch nicht in der Lage, ihr Handeln vom Bezug zur senatorischen Führungsperson zu lösen. Dies zeigt sich besonders deutlich in ihrer Reaktion auf die für sie kontingente Situation der Hierarchieund Routinelosigkeit, in die sie durch Anweisung des Lagerkommandanten nach ihrem Aufruhr gegen Valens versetzt werden und auf die sie mit Erstaunen, Beunruhigung und Verzweiflung reagieren. Erst als eine andere Führungsperson in Reichweite ist, sind sie dazu fähig, ihren Kommandeur zu verlassen.272 Eine ähnliche Unfähigkeit, eigenständige Ziele zu verfolgen, zeigt sich auch in einer anderen Situation im germanischen Heer: Der senatorische Kommandeur der obergermanischen Truppen, Verginius Rufus, hatte die ihm von den Soldaten angetragene Herrschaft zurückgewiesen und war abberufen, der Statthalter Niedergermaniens Fonteius Capito war ermordet worden. Es fehlte also an einem Führer (dux deerat), mit dessen Hilfe der Ärger der Soldaten über Galba hätte ein produktives Ziel finden können.273 Bezeichnend ist in diesem Kontext, dass sich die Meuterei während des Jahreseides auf die Ablehnung Galbas beschränkt und es das Agieren des Valens und der anderen Legionslegaten ist, durch welches Vitellius zum Kaiserkandidaten erhoben wird.274 Auch die Usurpation des Vespasian ist schon lange vorbereitet und mit Mucian abgesprochen, bevor sie durch die scheinbar ‚spontane‘, dann jedoch schnell inszenierte Willensbekundung der Soldaten, Vespasian als Imperator anzuerkennen, in Alexandria ausgelöst wird.275 Und selbst Othos Herrschaft, die ihm durch die Unternehmung zweier Manipelangehöriger und die Zustimmung der Prätorianer zufällt, wird erst durch die Akzeptanz eines bedeuten-
270 Dies hat Perkins 2010 sehr eindrücklich am Beispiel des Caecina gezeigt. Wobei es wahrscheinlich adäquater wäre davon zu sprechen, dass ihre Motivation zwar die gleiche bleibt, während sich ihr Zweck divergent gestaltet; vgl. ebd. 378: „He [Tacitus] specifies fama as an overwhelming concern for Caecina and his army,“ und während sich Caecina für den Wechsel auf Vespasians Seite entscheidet, reagieren seine Soldaten mit Empörung (Tac. hist. 3,13 f.). Für die Übertragbarkeit auf andere Kommandeure und ihre Armeen siehe ebd. 382. 271 Siehe Tac, hist. 1,55 f.; 2,18, f.; 2,28–30; 2,26,1; 2,36; 2,44; 3,10 f.; 3,13 f.; 3,19–21; 3,82; 4,25; 4,27; 4,36; 4,59,1 f.; vgl. Riedl 2002, 174. 272 Siehe Tac. hist. 2,28–30; vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. A. 273 Tac. hist. 1,8,2. 274 Tac. hist. 1,55–57. 275 Tac. hist. 2,79 f.; die Absprache mit Mucian, ebd. 2,76–78. Vgl. Aubrion 1985, 384–390; Ash 2007, 283 f. dort auch mit weitere Literatur.
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den Teils der Funktionselite zu einem durchsetzbaren Herrschaftsanspruch.276 Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass Aussagen wie „it was the army alone which determined the rulers“277 abzulehnen sind. Das Machtpotential der Truppen wird im Kampf um die Herrschaft zweifelsohne eingesetzt, aber zumindest im taciteischen Entwurf der Vergangenheit von den Vertretern der Funktionselite, die aber in erster Linie Aristokraten und keine professionalisierten Generäle sind, zu ihren Zwecken instrumentalisiert.278 Mit anderen Worten: Natürlich benötigte ein Thronanwärter den Rückhalt der Truppen für seine Herrschaftsansprüche, doch zunächst musste er sich mit denjenigen seiner Peers einigen, die über die entsprechenden Machtmittel und Ressourcen verfügten, um die angestrebte Führungsrolle nicht nur zu erreichen, sondern auch dauerhaft zu halten. Es sind also die Angehörigen der Funktionselite und in der kontingenten Situation des Bürgerkrieges nur deren Vertreter mit einer funktionalen Position in der Beherrschung des Reiches, die zu einer Stellungnahme und zu daraus folgenden Aktionen für den einen oder anderen Herrschaftskandidaten aufgefordert sind. Denn letztendlich befinden nur sie sich in einer Position, in der sie die Herrschaftsansprüche ihres Kaisers militärisch unterstützen können. Doch sowohl ihre Entscheidung für den einen oder anderen Kandidaten als auch ihr tatsächlicher Einsatz bei dessen Machtergreifung entspringen nicht nur unterschiedlichsten Motivationen, sondern sind auch an ihre Stellung innerhalb der senatorischen Hierarchie gebunden. Wie bereits festgestellt,279 ist der Wille zu aktiver Beteiligung bei den konsularen Statthaltern weit geringer als bei den Legionslegaten, was sicherlich damit zusammenhängt, dass erstere einen bereits wesentlich höheren Status besitzen und folglich mehr zu verlieren haben. Auch ist ihre persönliche Beziehung zum aktuellen Kaiser sicherlich enger ausgeprägt als bei ihren Kollegen prätorischen Ranges. Des Weiteren stehen die konsularen Statthalter vor der Machtergreifung eines ihrer Standesgenossen mit diesem auf ein und derselben hierarchischen Stufe und sehen sich deshalb auch vor die Frage gestellt, weshalb sie die Ansprüche ihres Peers unterstützen sollten anstatt selbst nach der Herrschaft zu greifen. Darüber hinaus differieren die Motivationen, sich für ein aktives Eingreifen in den Bürgerkrieg zu entscheiden, sehr stark: So spielen persönlicher Antrieb und Machtgier eine Rolle, welche Valens und Caecina bewegen, Vitellius zur Machtübernahme zu überreden. Ebenfalls kann die Hoffnung, eine unerträgliche Konkurrenzsituation für sich zu entscheiden, ein Antrieb für die aktive Beteiligung am 276 Tac. hist. 1,25,1: suscepere duo manipulares imperium populi Romani transferendum et transtulerunt („So waren es zwei einfache Manipelangehörige, die es auf sich nahmen, die Herrschaft über das römische Volk in andere Hände zu bringen, und es auch wirklich fertigbrachten“). Othos Putsch: ebd. 1,27,2–1,50,3. Die Spaltung der Funktionselite: ebd. 1,76. 277 Siehe Mellor 1993, 93, der dies aus den unterschiedlichen Lokalitäten der Kaiserproklamationen schließt und als Teil des von Tacitus enthüllten Geheimnisses interpretiert, dass Kaiser auch außerhalb Roms erhoben werden können. Sicherlich hat er mit seiner Feststellung recht, dass weder Volk noch Senat bei der Proklamation eines neuen Kaisers ausschlaggebend waren, aber er übersieht, dass es Senatoren waren, welche die Armee lenkten und die an ihre senatorische Peergroup rückgebunden waren. 278 Vgl. Morgan 2005, 191. 279 Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. K.
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Bürgerkrieg sein, wie im Falle von Caecinas Verrat an Vitellius oder auch der Entscheidung von Mucian und Vespasian zur Usurpation, die damit ihrem ehemaligen Standesgenossen Vitellius auch die Herrschaftstauglichkeit im Vergleich zu sich selbst absprechen. Persönliche Sympathien werden ebenfalls angeführt, die beispielsweise Flaccus gegenüber Vespasian bei gleichzeitiger Sorge um die res publica unterstellt werden. Aber auch bereits zuvor geschaffene Tatsachen, welche die Handlungsoptionen eines Mitglieds der Funktionselite auf die Beteiligung für die Herrschaftsansprüche eines bestimmten Kandidaten oder Flucht beschränken, wie im Falle des Tampius Flavianus, dürfen nicht vernachlässigt werden.280 Während sich die Motivationen also durchaus variabel und situationsabhängig gestalten, so kann dennoch festgestellt werden, dass alle Funktionsträger ein sehr ähnliches Ziel verfolgen. Die primären Motivationen der Verbesserung oder Sicherung des eigenen Status im Konkurrenzkampf mit den Standesgenossen implizieren dabei die Intention, durch geschicktes Agieren größtmögliche Kaisernähe für sich zu produzieren. In letzter Instanz ist es dann nämlich der Kaiser und die persönliche Nähe zu diesem, der über den Status des Einzelnen innerhalb der Senatsaristokratie befindet. In Folge davon wird die Konkurrenz der senatorischen Funktionselite in der Krise vor allem auf dem Feld der militärischen Betätigung für den Kaiser/Usurpator ausgetragen, wobei die Leistungen für die jeweiligen Kandidaten entweder in der Mithilfe senatorischer Funktionsträger bei deren Herrschaftsübernahme oder deren Herrschaftsverteidigung bestehen. Außerhalb der innenpolitischen Krise lassen sich auch auf anderen Feldern bedeutende Dienste für den Kaiser erbringen, die einen entsprechenden Niederschlag in der senatorischen Karriere finden. Dabei kann es sich beispielsweise um die Jurisdiktion, die Verwaltung der Provinzen oder diejenige der Finanzen handeln, aber auch im Bereich diplomatischer Kompetenzen oder demjenigen der Ressourcenmobilisierung können die Senatoren ihre erworbenen Fähigkeiten gewinnbringend für ihre Beziehung zum Kaiser einsetzen etc. Doch auch in nicht-krisenhaften Zeiten erhalten die Leistungen auf dem militärischen Feld eine besondere Signifikanz, wenngleich sie natürlich dennoch eine besondere Prekarität in sich bergen. Die Kombination von ehrgeizigen Aristokraten und dem Oberbefehl über kampfeslustige Soldaten war für die Principes seit jeher eine heikle Angelegenheit.281 Allerdings gilt es zu beachten, dass die Beurteilung von erfolgreichem Handeln letztendlich dem Kaiser überlassen bleibt,282 wobei die Bewertung anderer Standesgenossen diesen in seiner Interpretation natürlich beeinflussen kann, wie sich das 280 Caecina und Valens: Tac. hist. 1,52 f.; Konkurrenz mit Valens: ebd. 2,99–101; Rede Mucians: ebd. 2,76 f.; Motivation des Flaccus: ebd. 4,13,3; der Sinneswandel des Tampius Flavianus (46): ebd. 3,4. 281 Vgl. oben, Kap. I.1, S. 9–11 sowie die pointierte Zusammenfassung bei Campbell 1984, 318: „The ideal was to find commanders who combined loyalty and ability.“ 282 Das kann bisweilen auch sehr extreme Formen annehmen: Wenn etwa eine erfolgreiche propagatio eines Statthalters, in diesem Falle die des Corbulo, auf Befehl des Kaisers abgebrochen und rückgängig gemacht wird, so dass dieser die Welt nicht mehr versteht; siehe dazu Tac. ann. 11,19 f. Vgl. die Plausibilisierung des Befehls von Claudius als dem Konzept der Inszenierung seiner persona geschuldet Dészpa 2012, (in Vorbereitung).
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vor allem im Falle von Antonius Primus gezeigt hat. Der Kaiser stellt für die Bewertung und Konsequenz einer Handlung immer die letzte und ausschlaggebende Bezugsgröße dar und ist eine Konstante, die bei jeder Handlung mit bedacht werden muss.283 Der Fall des Primus steht auch für die prinzipielle Möglichkeit, Rivalitäten von einem Betätigungsfeld, wie dem militärischen, auf andere, wie jenes der Interaktion mit dem Kaiser, zu transponieren und hierbei mit anderen Standesgenossen zusammenzuarbeiten. Die Interaktion mit den Standesgenossen erschöpft sich keineswegs in gegenseitiger Konkurrenz, sie erstreckt sich von Absprachen über gemeinsames Vorgehen, über offene und verdeckte Konflikte, bis hin zu Intrigen und Mordkomplotten.284 Bedeutsame Argumente auf diesem Feld sind immer die funktionierende Interaktion mit den Soldaten oder die Nähe zum Kaiser.285 Doch wenn letztere durch Resultate des Bürgerkrieges in Frage gestellt wird, kann das Übereinkommen zwischen zwei Konsularlegaten auch über die Herrschaft des Imperium Romanum entscheiden. Das zu Beginn festgestellte Konkurrenzverhältnis zwischen Mucian und Vespasian verliert durch den Tod Neros seinen Referenzrahmen; sie beginnen sich in ihren Reaktionen auf das Geschehen miteinander abzusprechen, und als sie ihren Status gegenüber Caecina und Valens in Gefahr sehen, entscheiden sie gemeinsam, dass es für sie besser ist, wenn Vespasian die Herrschaft ergreift.286 Die militärische Hauptarbeit leistet Primus – ein Beispiel dafür, wie groß der Handlungsspielraum der senatorischen Funktionselite bei hoher affektiver Bindung an einen Kaiser und gleichzeitig dessen großer physischer Distanz sein kann –, dem dann aufgrund eigenen Fehlverhaltens die erhoffte Statuserhöhung allerdings versagt bleibt. Aber nicht nur die Zusammenarbeit von Vespasian und Mucian, sondern auch der Verrat Caecinas an Vitellius stellt die möglichen Auswirkungen übergroßer senatorischer Konkurrenz für das Scheitern einer Herrschaft dar. Man erkennt nicht zuletzt an diesem Fall, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Kaiser und konsularen Statthaltern und mit Sonderfunktionen ausgestatteten Senatoren von neuralgischer Qualität ist. Im Mittelpunkt stehen hierbei die personalen Beziehungen. So ist es der Kaiser, in diesem Fall also Vitellius, der aufgrund der erfolgreichen Behauptung seines Herrschaftsanspruches mittels der militärischen Leistungen von Caecina und Valens diese beiden zu Konsuln erhöht. Der persönliche Status ist direkt von der Patronage des Kaisers abhängig; eine Konstante, die als roter Faden mit wechselnden Kaisern beispielsweise die Karriere Cae-
283 Vgl. oben, Kap. 4.2.2, Abschn. C und E, sowie Kap. 4.2.3, Abschn. C und E, besonders 4.2.3, Abschn. C und die Ausführungen zu Tac. hist. 4,80,2 f. siehe oben, Kap. 4.2.3, S. 271 f. mit Anm. 233. 284 Beispiele hierfür finden sich oben in Kapitel 4.2.2. 285 Man denke an die gelungene Interaktion des Primus mit den Soldaten, die jener gegen seine Standesgenossen einzusetzen weiß (vgl. oben, Kap. 4.2.2, Abschn. C) oder aber das Argument der Befehlsgewalt als Ausdruck größerer Kaisernähe von Titianus und Proculus: Tac. hist. 2,40 (vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. J (Kriegsberater Othos) sowie Kap. 4.2.3, Anm. 255. 286 Siehe Tac. hist. 2,76–82. Vgl. oben, Kap. 4.2.2, Abschn. E.
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cinas durchzieht.287 Die persönlichen Bindungen zwischen Kaiser und Funktionselite können für diesen mit die sichersten sein, da sie wie im Falle des Valens Loyalität bis in den Tod zeitigen können. Andere Mittel, sich des Gehorsams der Statthalter zu versichern, sind die Rivalität zwischen diesen und die Postenvergabe an militärisch Unfähige. Der letztgenannte Fall rekurriert auf die Statthalterschaft des Hordeonius Flaccus. Während die Konkurrenz zwischen Statthaltern unter Nero ein Mittel war, sich die Loyalität der Heerführer im Osten zu bewahren, wurde eben diese Rivalität zweier Statthalter unter Vitellius aufgrund untragbarer Konkurrenz beider Kontrahenten zu den neuen Protegés des Kaisers untergraben, weshalb sich Vespasian und Mucian auf eine gemeinsame Linie verständigen konnten. Die Konsequenzen waren die Usurpation durch Vespasian und der Tod des Vitellius. Reduziert man diese vielfältigen Relationen zwischen Kaiser und Funktionselite, so schält sich aus der Erzählung ein Kernnarrativ heraus, dass eben dieses reziproke Verhältnis auf einen einfachen und überraschend deutlichen Nenner bringt: Die senatorische Funktionselite bestimmt den Kaiser, der aus ihren Reihen kommt, während der Kaiser wiederum seine Elite konstituiert. Gibt es in dieser reziproken Interdependenz Friktionen, scheint in Krisenzeiten die Usurpation vorprogrammiert. Doch nur während einer solchen inneren Krise offenbart sich das Ausmaß der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Kaiser und Elite, welche die entscheidende Instanz bei der Akzeptanz eines neuen Kaisers darstellt. Gelingt es dem neuen Kaiser nicht, die bereits bestehende Elite schnell zu ersetzen und/oder an sich zu binden und gelingt es Vertretern dieser Elite, sich auf ein gemeinsames Ziel zu verständigen, entscheiden die militärischen Aktionen, die persönlichen Fähigkeiten sowie die Leistungen der Mitstreiter über die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Herrschaftsanspruchs. Das vom Erzähler entworfene Bild ist das einer Zeit der Senatorenkaiser: Kaiser, die von Senatoren gemacht und gestützt werden, diese zu ihrer Funktionselite machen und selbst aus diesem Kreis stammen – streng zu unterscheiden von dem senatorische Ideale verkörpernden civilis Princeps, vor allem aber von einem Senatskaiser. Der Senat besitzt nur insofern Relevanz, als er den Rekrutierungspool der potentiellen und neuen Funktionselite darstellt und Gestaltungsraum für hierarchische Rivalitäten bietet. Die Akzeptanz der wichtigen Senatoren, der Funktionselite, macht den Kaiser und bestätigt ihn. Hinter diese Funktionselite treten die restlichen Senatoren, aber auch die Soldaten zurück, während die Plebs im Grunde genommen überhaupt keine Rolle spielt. Die Funktionselite konstituiert sich aus der personalen Nähe ihrer einzelnen Mitglieder zum Kaiser, was sich darin manifestiert, dass sie von ihrem Kaiser mit den verantwortungsvollsten Ämtern im Reich betraut werden, die dadurch nicht nur Dienst für den Kaiser, sondern Statusmarker der persönlichen Stellung innerhalb der Senatsaristokratie darstellen. Die Tatsache, dass die senatorische Funktionselite den 287 Zu Caecinas Karriere vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. B. So wird das in Saller 1982 geschilderte Patronagesystem, welches die Karrieren der Senatoren und anderer Personen in kaiserlichen Diensten über personale Beziehungen statt über Institutionen beschreibt, durch die vom Autor konstruierte erzählte Welt in seiner Basis gestützt. Vgl. Flaig 1992, 98 f.; Gehrke 2006, 386. Zu Patronage auch auf anderen Ebenen siehe Tac. hist. 2,92,1 (ein Protegé Caecinas wird zum Prätorianerpräfekten) und 3,36,2 (mit dem Verrat des Patrons fällt auch dessen Schützling).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Kaiser machen kann bzw. macht, kann in der direkten Interaktionssituation mit ihm allerdings nicht artikuliert werden, da dies die hierarchische Ausnahmestellung des Kaisers in Frage stellen würde. Eben diesen Fehler begeht Antonius Primus, der versucht, sich den Kaiser zu verpflichten. Er begeht damit die Inversion der hierarchisch logischen Interaktionssituation, die bei nicht erfolgender Sanktionierung durch Vespasian die Kontingenz der hierarchischen Logik als Konsequenz hätte. Die Camouflage der willkürlich scheinenden Hierarchie betreibt Mucian auf rhetorischer Ebene mit umso größerem Aufwand, während Caecina und Valens Spiele und Vergnügungen zu Ehren ihres Kaisers ausrichten und dadurch die hierarchischen Gegebenheiten performativ bestätigen.288 Dennoch weiß Vitellius natürlich, wem er die Herrschaft zu verdanken hat, und verhält sich auch entsprechend, indem er an beide Legaten einen Platz an seiner Seite sowie das Konsulat vergibt. Die reziproke Relation ist einfach auf den Punkt gebracht: Sie verhelfen ihm zur Durchsetzung seiner Herrschaft, während er sie zu den herausragenden Vertretern seiner Funktionselite macht. Das sich in der Konzentration auf die senatorische Funktionselite innerhalb der erzählten Welt des taciteischen Textes sich entbergende Bild des Senatorenkaisers mit all seinen Implikationen – der starken Interdependenz zwischen Kaiser und Elite, der Machtfülle der Funktionselite, den personalen Strukturen, der hohen Signifikanz des militärischen Aktionsfelds, der innersenatorischen auf den Kaiser ausgerichteten Konkurrenz, der Kontingenz der Hierarchie – lässt sich als das Statement einer selbstbewussten Elite lesen, die sich ihrer Funktion und ihrer Bedeutung innerhalb des Herrschaftssystems bewusst ist. Das Narrativ der Interdependenz zwischen dem Kaiser und seiner Funktionselite lässt sich nicht einfach direkt in den Optimus-Princeps-Diskurs einfügen. Doch durch den Kontrast der eigenen Zeit zu den negativen Vorzeichen der erzählten Welt, kann man auch für diese Diskursivierung der Vergangenheit eine affirmative Tendenz gegenüber dem Prinzipat Trajans ausmachen.289 Die Differenz der düsteren Vergangenheit zur bejahend angenommenen und glücklich dargestellten Erzählzeit geht aber über die reine Behauptungsebene hinaus und manifestiert sich in einer antithetischen, elliptischen Parallele sogar inhaltlich. Nach dem Tod Domitians gab es im Gegensatz zu den Ereignissen im Jahr 69 keinen Bürgerkrieg, wozu vor allem Nervas Wahl des richtigen Nachfolgers beigetragen hat. So zumindest muss der Schluss lauten, den man aus dem Scheitern der Adoption Pisos durch Galba zu ziehen hat, welches in der taciteischen Erzählung nicht nur den Beginn,
288 Vgl. zum Fehlverhalten des Antonius Kap. 4.2.3 Abschn. C. Zur rhetorischen Strategie des Mucian: Tac. hist. 2,76 f. Dort bspw. 2,77,1: me Vitellio antepono, te mihi („Ich stelle mich über Vitellius, dich über meine Person“) sowie 2,77,2: si vincimus, honorem, quem dederis, habebo („wenn wir nämlich siegen, so werde ich an Ehren nur das besitzen, was du mir zubilligst“) sind deutliche rhetorische Demutsgesten, während er sich gegenüber seinen senatorischen Standesgenossen als consors imperii bezeichnet (3,75,2) und sich bei seiner Ankunft in Rom auch entsprechend verhält (4,4,1 f.). Vgl. oben, Kap. 4.2.1, Abschn. G, v. a. Anm. 165. Zu Valens und Caecina siehe oben, Kap. 4.2.3, Abschn. A und B. 289 Vgl. sehr vorsichtig in Richtung der Paränese argumentierend Heubner 1963, 14 f.
4. Selbstbewusste Kaisermacher? – Die Funktionselite in den Historien des Tacitus
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sondern auch den Auslöser für die nachfolgende Katastrophe darstellt.290 Doch entsprechend der Logik der Historien kann nicht allein der Adoption Trajans die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit für alle zugeschrieben werden, sondern auch die Funktionselite leistet im Konsens für den auserwählten Nachfolger ihren Beitrag dazu. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern, die aufgrund übermäßiger Konkurrenz, ihrer Gier nach Macht sowie der Möglichkeit, persönliche Feinde zu beseitigen oder ihre Verbrechen zu vertuschen, das Gemeinwesen ins Verderben stürzten, suchten Tacitus und seine Peers den Konsens, richteten sich in ihrem Handeln am Besten für die res publica aus und bewiesen dadurch ihre moralische Überlegenheit gegenüber den Protagonisten des letzten Bürgerkriegs. Zwar ist es die Herrschaft Trajans, welche die glücklichen Zeiten ermöglicht, die gleich zu Beginn vom Erzähler gefeiert werden, aber durch die Interdependenz des Princeps mit seiner Funktionselite tragen auch Tacitus und seine Standesgenossen zum Wohlergehen und Prosperieren des Gemeinwesens bei. Wie Trajan auf einem bisher unbekannten Weg zur Herrschaft kommt und diese dementsprechend ausübt, so kann er das nur aufgrund des consensus universorum und vor allem der senatorischen Funktionselite, denn wie knapp man in der Transitionszeit nach Domitians Tod einem Bürgerkrieg entkommen war, muss den taciteischen und plinianischen Zeitgenossen sehr stark bewusst gewesen sein.291 Die Angleichungsfigur zwischen dem besten Princeps und der besten Funktionselite, die aufgrund der ihnen gemeinsamen Werte und ihrer moralischen Integrität das Beste für die res publica erreichen und die sich auf einen konsularischen Vertreter persönlich gemünzt sowohl im Panegyrikus als auch in einer auf seine Freunde erweiterten Form in der plinianischen Briefsammlung findet, wird unter anderen Vorzeichen ebenfalls im folgenden Kapitel über die Annalen eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
290 Vgl. für die Parallele zwischen den dargestellten Ereignissen der Jahre 69/70 n. Chr. mit denen der Zeit der Transition (96–98 n. Chr.), welche mittlerweile zu Handbuchwissen geworden ist, Ash 2009, 89 f. 291 Vgl. Plin. paneg. 8,5. Vgl. ebenfalls Eck 2002b, 15 f.; Grainger 2003, 104; Strobel 2010, 157–168 sowie Sailor 2012, 24.
5. DER TYRANN ALS GEGENBILD – DER OPTIMUS-PRINCEPS-DISKURS IN DEN ANNALEN? Der Zeitpunkt der Fertigstellung für die beiden großen Werke des Tacitus ist alles andere als sicher, da es in ihnen keine außertextuellen Referenzen auf zeitgenössische Ereignisse gibt, die sich klar datieren ließen.1 Das mag im Falle der Historien insofern weniger gelten, als sich aufgrund intertextueller Bezüge der plinianischen Briefsammlung zu diesem historiographischen Werk eruieren lässt, dass Tacitus aller Wahrscheinlichkeit nach 106–108 n. Chr. mit seiner Abfassung beschäftigt war.2 Diese Feststellung lässt sich zwar nicht mit letzter Sicherheit beweisen, da keiner der Briefe des Plinius an seinen Freund Tacitus eindeutig datierbar ist, aber ihre Verteilung auf die Bücher sechs und sieben legen diese Vermutung doch sehr nahe.3 Folglich herrscht in der Forschung zwar kein Konsens über das genaue Datum der Fertigstellung der Historien – die Angaben variieren zwischen 108 und 110/111 n. Chr. –,4 aber ihre Zugehörigkeit zur trajanischen Herrschaftszeit ist zweifellos anerkannt. Aus diesem Grund ist eine genaue Datierung der Fertigstellung der Historien eher von sekundärem Interesse. Die Diskussion über den Endpunkt der Abfassung der Historien, wenn sie denn geführt wird, hat somit auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Verständnis dieses Werkes, dessen Früh- bzw. Spätdatierung in aller Regel als Prämisse für die Entstehungszeit der Annalen dient. Die Frage, wann die Abfassung des zweiten großen historiographischen Werkes von Tacitus beendet war/wurde,5 kann in ihrer Virulenz für die so1
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Eine Aussage, die sich im Grunde mit Ausnahme des Agricola auf alle Werke von Tacitus übertragen lässt. Vgl. Martin 2009, 241 („The dates at which each of Tacitus’ works was published is not known for certain, but it is generally accepted that they were written and published in a period of roughly twenty years, beginning in 98“). Implizit schwingt in obiger Aussage die Feststellung mit, dass auch die Diskussion über die Annalenstelle 2,61,2 kein Ergebnis zu Tage fördern konnte: vgl. die unterschiedlichen Stellungnahmen von Syme 1958, 471–473, 768– 770; Koestermann 1963, 21; Goodyear 1981, 387–393; Sage 1990, 955–958; Potter 1991, 287–289; Rutledge 1998, 141 f.; A. Birley 2000c, 244. Siehe Plin. epist. 6,16; 6,20 sowie 7,33; sehr unsicher ist der Bezug zu den Historien in den Briefen 7,20 und 8,7. Siehe Sherwin-White 1966, 36–41, zu den book-dates der Bücher 6–9; vgl. Sage 1990, 859 f. Siehe Sherwin-White 1966, 371. Für das früheste Datum sprechen sich bspw. Bowersock 1993, 3–10 oder auch Mellor 2011, 20 aus, am häufigsten wird 110 n. Chr. als ungefähres Datum für die Fertigstellung angegeben wie bspw. bei Sage 1990, 860 oder Schmal 2005, 18. Eine andere Variante schlägt Wellesley 1972, 5 f. vor, indem er die Möglichkeit anfürht, die Historien seien Stückweise zwischen 105 und 108 n. Chr. verbreitet worden. Dieser Schrägstrich soll die unterschiedlichen Möglichkeiten verdeutlichen, dass das abrupte Ende der Annalen in Buch 16 intentional, durch die Tradierung des Werkes oder durch den plötzlichen Tod des Autors verursacht worden sein könnte; vgl. Sailor 2008, 316, der auch noch die nicht ganz ernst gemeinte Version anführt, Tacitus sei von Hadrian zum Schweigen gebracht worden.
5. Der Tyrann als Gegenbild – der Optimus-Princeps-Diskurs in den Annalen?
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zio-politische Dimension der Schrift im zeitgenössischen Kontext und damit aber auch für ihr Verständnis im Allgemeinen nicht überschätzt werden, da sie in der Argumentation mündet, ob man es bei den Annalen mit einem mehr bzw. ausschließlich trajanischen oder aber mit einem überwiegend hadrianischen Werk zu tun hat. In dieser Diskussion scheint es, aus Plausibilitätsgründen durchaus nachvollziehbar, allgemein anerkannt, dass die Abfassung der Historien habe beendet sein müssen, bevor Tacitus sich an die Produktion der Annalen habe machen können. Dementsprechend wird der Beginn der Arbeit an seinem zweiten großen Werk entweder auf das Jahr 109 n. Chr. oder auf die Zeit seiner Rückkehr nach dem Prokonsulat über Asien 113 n. Chr. oder aber, wie von Ronald Syme, sogar auf das Jahr 115, möglicherweise sogar 117 n. Chr. datiert.6 Ist im ersten Fall eine Fertigstellung der Annalen unter trajanischer Herrschaft durchaus noch im Bereich des Möglichen, so mutet sie für den zweiten Fall nahezu ausgeschlossen an, da man davon ausgeht, dass ein literarisches Werk solch inhaltlicher und stilistischer Komplexität, wenn man von der taciteischen Schreibgeschwindigkeit bei den Historien auf die Annalen schließt, wohl ein knappes Jahrzehnt an Entstehungszeit bedurfte.7 Nun lässt sich aus den plinianischen Briefen (aufgrund oben genannter Datierungsschwierigkeiten) aber weder eine klare Schreibgeschwindigkeit des Tacitus bei der Abfassung der Historien ableiten, noch wäre eine solche aussagekräftig für die Entstehungsdauer der Annalen. Denn die literarische Produktivität eines Senators in den 14/15 Jahren nach seinem Konsulat (der Zeit also, in der er von seinem Kaiser mit konsularen Ämtern betraut wurde, wenn diesbezüglich auch leider nichts über die Karriere des Tacitus bekannt ist) mit derjenigen nach dem Höhepunkt seiner politischen Karriere, dem Prokonsulat Asiae, die zugleich sicherlich auch das Ende seines politischen Engagements bedeutete, vergleichen zu wollen, ist nicht sehr stichhaltig und geht nicht über unbeweisbare Spekulationen hinaus.8 Es 6
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Siehe Syme 1958, 465, 473. In der Folge geht Syme davon aus, dass Tacitus bis weit in die 20er Jahre des zweiten Jahrhunderts hinein an seinen Annalen geschrieben habe, weshalb es bei ihm dann ebd. 770 auch heißen kann: „It follows that almost all the books of the Annales are Hadrianic.“ Vgl. ebenfalls zu einem späten Beginn an der Verschriftlichung der Annalen Rutledge 1998, 142 f. sowie A. Birley 2000c, 242. Vgl. Sage 1990, 959; Potter 1991, 289 f., wo das Verdikt über den Autor lautet: „Tacitus was clearly not a fast worker…“ Vgl. aber vor allem Rutledge 1998, 143, der den Punkt der Schreibgeschwindigkeit des Tacitus in seiner Argumentation sehr stark macht. Vgl. ebenfalls Schmal 2005, 21, wo es lapidar heißt: „Er [Tacitus] wird nach seiner Statthalterschaft von Asia noch einige Jahre an den Annalen geschrieben haben, selbst wenn er mit diesen schon 110 begonnen hat. Er mag dafür acht Jahre, vielleicht aber auch 15 Jahre gebraucht haben.“ Zum Prokonsulat Asiae oder Africae als Karriereende derjenigen Senatoren, die daraufhin nicht ein zweites oder drittes Konsulat oder aber die Stadtpräfektur erhielten, siehe Eck 1974, 220– 222. Dass Senatoren in entsprechendem Alter sich häufig auf ihre Landsitze zu einer Art Altersotium zurückzogen, geht aus den Briefen des Plinius hervor: Plin. epist. 3,1 und 4,23; vgl. zum ‚Rentenalter‘ der Senatoren Talbert 1984, 152–154. Das otium aber war genau der Chronotopos, in dem ein Senator literarisch produktiv wurde, vgl. oben, Kap. 3.3 f. Natürlich kann durch diese allgemeinen Parameter keine höhere Schreibgeschwindigkeit für die Annalen abgeleitet werden als für die Historien, aber es dürfte offensichtlich geworden sein, dass Gegenteiliges – also eine Mindestentstehungszeit der Annalen von 10 Jahren zu konstatieren – ebenso unzulässig ist.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
bleibt also festzuhalten, dass die Zugehörigkeit der taciteischen Annalen zur Herrschaftszeit Trajans oder der Hadrians bis auf Weiteres ungeklärt bleiben muss, wenn auch die im Folgenden herausgearbeiteten und sozio-politisch verorteten Diskurse sehr dafür sprechen, dass die Abfassung zumindest der tiberianischen Hexade noch in die Zeit des trajanischen Principats fällt, wofür nicht nur die diskreditierende Darstellung des Tiberius, sondern auch die Selbstdarstellung des Erzählers sowie das Bild seiner virtuellen Leserschaft sprechen. 5.1 Der Fluchtpunkt senatorischen Agierens – Tiberius und die maiestas-Prozesse Die maiestas-Prozesse sind wie die Sichtbarwerdung des tiberianischen Charakters in den taciteischen Annalen einer graduellen Entwicklung unterworfen.9 Dabei sind sie als Kennzeichen der tiberianischen Herrschaft mit der schrittweisen Entbergung des Tyrannen verknüpft, indem sie als Gradmesser für den Verfall der res publica und die zunehmend an den Tag tretende charakterliche Verdorbenheit des zweiten Princeps fungieren. Proportional zur Lasterhaftigkeit und Grausamkeit in den letzten Regierungsjahren des Tiberius, denen der Tyrann nun freien Lauf lässt,10 stehen die unzähligen, fast schon lapidar aufgezählten Todesurteile und die einer Verurteilung zuvorkommenden Selbstmorde von Mitgliedern der Reichsaristokratie, wobei die Trivialität der Anlässe in keinem Verhältnis zur fatalen Endgültigkeit der Konsequenzen steht.11 In den Prozessverläufen, ihren Anlässen, den ihnen zugrunde liegenden Motivationen und Konsequenzen sowie dem Verhalten des Tiberius gegenüber dieser juristischen Form der aristokratischen Selbstzerfleischung zeigen sich seine mora-
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Vgl. zur Diskussion, ob es sich beim charakterlichen Wandel des Tiberius in der Darstellung des Tacitus um die Entbergung seines unveränderlichen Charakters handelt oder tatsächlich von einer charakterlichen Entwicklung auszugehen ist, Mellor 2011, 111, der die erstere Ansicht vertritt vs. Woodman 1998, 155–167. Vgl. zur Enthüllung Tiberius’ auch Syme 1958, 314, mit Anm. 5; Baar 1990, 211; Griffin 1995, 42 mit Anm. 16; Ihrig 2007, 141 dort in Anm. 39 mit weiterer Literatur sowie Hausmann 2009, 36–43. Vgl. allgemein zum tyrannischen Tiberiusbild in der nachtiberianischen Historiographie Flach 1973, 138–160. Zur Verknüpfung der Darstellung der tiberianischen Herrschaft mit den maiestas-Klagen als Symbol der Tyrannnis O’Gorman 2000, 84 f. Tac. ann. 6,51,3; vgl. ebd. 6,24,3. Vgl. zur Überzeichnung der tiberianischen Grausamkeit v. a. in seinen letzten Regierungsjahren Mellor 2011, 106 mit der Beurteilung der taciteischen Darstellung „…he has created an exaggerated vision of random murder.“ Vgl. allgemein Tac. ann. 6; siehe im Besonderen Tac. ann. 6,7,5, wo er auf die immense Menge der Prozesse und Verurteilungen hinweist, die er in seinen Annalen aufgenommen hat und die viele andere Geschichtsschreiber weggelassen hatten; siehe ebd. 6,38,4–40,2. Allein hier wird die Reichsaristokratie um acht ihrer Mitglieder vermindert. Dabei wird Paconianus allein aufgrund von Spottversen auf den Kaiser im Kerker erdrosselt und die beiden Blaesi wählen den Freitod, weil sie beim Kaiser in Ungnade gefallen waren und die von ihm in Aussicht gestellten Priesterämter nicht erhielten.
5. Der Tyrann als Gegenbild – der Optimus-Princeps-Diskurs in den Annalen?
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lischen Devianzen. Die von ihm gerne zur Schau gestellte civilitas,12 die ihm so sehr am Herzen lag, dass er unbedingt als civilis princeps in die Überlieferung für die Nachwelt eingehen wollte,13 wird von diesen Verfehlungen ironisch gebrochen; sie offenbaren seine durch Heuchelei und Verstellung verdeckte Grausamkeit. Mit dem kausalen Konnex, dass es unmöglich sei, civilitas zu zeigen und gleichzeitig maiestas-Klagen zuzulassen, begründet Tacitus das Misstrauen der tiberianischen Zeitgenossen angesichts der vom Princeps wiederholten Ablehnung des pater patriae-Titels und der damit verbundenen Inszenierung seiner senatorischen persona: „Doch erweckte er dadurch nicht das Zutrauen zu seiner bürgerlichen Gesinnung; denn er hatte das Majestätsgesetz wieder in Gebrauch genommen.“14 I. Die Anfänge (Tac. ann. 1,72–74) Diese logische Verknüpfung der Unmöglichkeit von civilitas mit der gleichzeitigen Zulassung von maiestas-Klagen stellt Tacitus an den Beginn seiner Darstellung der bedeutenden Rolle dieser besonderen Form senatorischer Gerichtsbarkeit unter der 12 13
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Zum Konzept der civilitas, verstanden als „Senatorenhaftigkeit“, vgl. oben, Kap. 2.3, S. 105– 107. Tac. ann. 4,37 f., Tiberius’ Rede anlässlich seiner Ablehnung göttlicher Ehren auch in den Provinzen, die von Sailor 2008, 304 damit begründet wird: „his heart’s wish to be remembered as a civilis princeps.“ Zwar taucht an dieser Stelle die Wortwurzel civil- selbst nicht auf, aber der programmatische Entwurf, wie Tiberius von der Nachwelt erinnert werden möchte, beinhaltet deutlich das Bild des civilis princeps; vgl. Sailor 2008, 302–305; siehe ebd. 303, wo er darauf hinweist, dass Tacitus zur Bekräftigung der öffentlichen Aussagen des Tiberius die Wiederholung derselben im nicht-öffentlichen Raum anführt. Auch hier besitzt das im ‚privaten‘ Bereich Gesagte einen besonderen Wahrheitswert; vgl. dazu oben, Kap. 2.4; v. a. S. 119–121. Tac. ann. 1,72,2: non tamen ideo faciebat fidem civilis animi; nam legem maiestatis reduxerat. Text und Übersetzung stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus: Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Erich Heller. Mit einer Einführung von Manfred Fuhrmann (Sammlung Tusculum), Düsseldorf 52005. Vgl. Rutledge 1998, 147, der diese Stelle aus dem Kontext reißt und sie als indirekte Kritik an Trajan verstehen möchte, da dieser den pater patriae-Titel sehr früh in seiner Regierung angenommen hat, während Tiberius seine gesamte Herrschaftszeit auf ihn verzichtete. Die Ablehnung des Tiberius, so argumentiert er, habe Tacitus’ Zustimmung gefunden und werde nur durch die Einführung der maiestas-Gesetze unterminiert. Damit verkennt er aber die logische Hierarchie der beiden narrativen Elemente im Text. Vielmehr ist die Einführung der maiestas-Gesetze der entscheidende Faktor, der Tiberius’ positives Handeln (seine modestia/civilitas) als Schein entlarvt. Dabei ist es marginal, ob das nun seine Ablehnung des pater patriae-Titels oder seine Abneigung, als dominus (Tac. ann. 2,87) angeredet zu werden, betrifft – dasselbe ist nämlich für die scheinbare Zuneigung des Tiberius zu Germanicus zu konstatieren: Zwar zeigt sich Tiberius als dessen Amtsgenosse im Konsulat und macht dem Volk in dessen Namen Geschenke, versucht ihn aber dennoch schnellstmöglich wieder aus der Hauptstadt zu entfernen (Tac. ann. 2,42,1). Vgl. Koestermann 1963, 236; vgl. ebenfalls Hausmann 2009, 47, der diese Stelle unglücklicherweise unter dem Punkt „relativierende Nachträge“ anführt, wodurch die Gefahr besteht, die Chronologie der Darstellung mit der erzählerischen Hierarchie zu verwechseln; die maiestas-Klagen sind kein Nachtrag, der die civilitas des Tiberius relativiert, sondern die Begründung der Unaufrichtigkeit seiner Bürgerlichkeit. Vgl. Baar 1990, 99–101; Sinclair 1995, 99 und als Beispiel einer historischen Analyse zur Ehrenrettung des Tiberius Rutledge 2001, 89–103.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Herrschaft des Tiberius. Und so fährt der Autor mit einer allgemeinen Darstellung dieses Gesetzes und seiner Geschichte fort: Dieses hatte zwar bei den Vorfahren die gleiche Bezeichnung, doch kamen damals andere Verfehlungen vor Gericht: falls nämlich einer etwa durch Verrat das Heer, oder die Plebs durch aufhetzende Tätigkeit schließlich durch verwerfliche Staatsführung die Hoheit des römischen Volkes beeinträchtigt hatte: aber nur Taten kamen unter Anklage, Worte blieben ungestraft. Als erster ließ Augustus eine Untersuchung über Schmähschriften unter dem Deckmantel dieses Gesetzes anstellen, verärgert durch die Frechheit des Cassius Severus, mit der dieser hochgestellte Männer und Frauen durch Spottschriften in üblen Ruf gebracht hatte. Später gab Tiberius auf die Anfrage des Prätors Pompeius Macer, ob gerichtliche Verhandlungen über Majestätsverbrechen zugelassen werden sollten, zur Antwort, Gesetze müsse man anwenden. Auch ihn erbitterten die von unbekannten Verfassern verbreiteten Spottgedichte auf seine Grausamkeit, seinen Hochmut und seine Unfähigkeit, sich mit seiner Mutter zu vertragen.15
Es ist eine Geschichte des rechtlichen Niedergangs dieses Gesetzes, das sich nahtlos an die dichte Darstellung der historischen Geschicke der res publica des Proöms fügt.16 Hatte dieses Gesetz in der Republik noch einen juristisch vertretbaren Inhalt, nach dem es die maiestas des römischen Volkes schützen sollte und nur tatsächlich begangene Taten bestraft wurden, findet mit Augustus bereits eine personale Verengung auf sich und seine Funktionselite statt, wobei nun auch rein schriftliche Äußerungen bestraft werden. Diese Entwicklung kulminiert in der Herrschaft des Tiberius, der in seiner Entscheidung, dieses Gesetz in Anwendung zu bringen, von carmina vulgata gereizt wird, die in ihrer auktorialen Unbestimmtheit quasi in aller Munde sind und allein ihn betreffen. Damit aber erreicht das Gesetz mit seiner inhaltlichen Reduktion allein auf die Person des Kaisers – unter Augustus bezog es immerhin auch noch die Mitglieder der Senatsaristokratie mit ein – eine neue Stufe, welche die vom Tiberius inszenierte civilitas aushöhlt. Denn deutlicher als mithilfe einer sozialen juristischen Praxis, die allein die eigene Person zum Gegenstand hat, kann man die Differenz zwischen sich und seinen Untertanen, vom Freigelassenen bis zum Konsular, nicht ziehen. Darüber hinaus tritt an die ursprüngliche Stelle schwerer Vergehen gegen die res publica nun die reine Äußerung spöttischer Verse auf den Herrscher als strafbare Handlung.17 Durch das Verhalten des Tiberius, diese Form der Anklage zuzulassen, bestätigt dieser nach der Logik des Autors geradezu den Inhalt dieser Spottverse, die ihm seine Grausamkeit, seinen Hochmut und die
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Tac. ann. 1,72,2–4: cui nomen apud veteres idem, sed alia in iudicium veniebant: si quis proditione exercitum aut plebem seditionibus, denique male gesta re publica maiestatem populi Romani minuisset: facta arguebantur, dicta inpune erant. primus Augustus cognitionem de famosis libellis specie legis eius tractavit, commotus Cassii Severi libidine, qua viros feminasque inlustres procacibus scriptis diffamaverat. mox Tiberius consultante Pompeio Macro praetore, an iudicia maiestatis redderentur, exercendas leges esse respondit. hunc quoque asperavere carmina incertis auctoribus vulgata in saevitiam superbiamque eius et discordem cum matre animum. Siehe unten, Kap. 5.2, S. 326–334. Vgl. Syme 1958, 432; O’Gorman 2000, 85; Rutledge 2001, 87 f. Vgl. zur deutlich problematischeren rechtshistorischen Diskussion über die maiestas-Gesetzgebung im Gegensatz zur taciteischen Darstellung mit weiterführender Literatur Goodyear 1981, 141–150.
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Uneinigkeit mit seiner Mutter zur Last legen.18 In dieser von persönlicher Eitelkeit gekennzeichneten Motivation wird zugleich die von ihm in seiner Antwort an den Prätor vorgeschobene Orientierung an den Gesetzen und das Hochhalten der iustitia (exercendas leges esse) ebenfalls als bloßer Schein und Heuchelei entlarvt,19 was sich im weiteren Verhalten des Tiberius den Gesetzen der res publica gegenüber und seinem Agieren in den maiestas-Prozessen bewahrheiten wird. Wichtig ist die Beobachtung, dass die Initiative für die Gesetzesanwendung nicht von Tiberius, sondern von einem Senator prätorischen Ranges ausgeht; also von jemandem, dessen Status es mit sich bringt, dass das weitere Vorankommen auf der Karriereleiter einem enormen Konkurrenzdruck unterworfen ist, weshalb – wie in der Repräsentation von Welt in den Historien zu sehen war – auf allen Feldern mithilfe legitimer und illegitimer Mittel im Kampf um Kaisernähe versucht wird, die Mitbewerber zu übertreffen oder auszuschalten.20 Der Fehler des Tiberius besteht darin, diese Form des Konkurrenzkampfes innerhalb der Aristokratie zuzulassen und zu befördern. An diese allgemeinen Betrachtungen über die historische Pervertierung der maiestas-Gesetze, über ihre Existenz als Beweis für die nur scheinbar vorhandene civilitas des Tiberius, über dessen persönliche Motivation aus verletzter Eitelkeit auf dieses Instrument zurückzugreifen sowie die Initiative eines Prätors, schließt Tacitus die Darstellung der ersten beiden Fälle eines schändlichen Verhaltens an, das schließlich alle Bereiche ergreifen sollte: Es wird ganz natürlich sein zu berichten, wie bei Faianius und Rubrius, einfachen römischen Rittern, erste Versuche mit solchen Beschuldigungen gemacht wurden, damit man erkennt, aus welchen Anfängen und durch welch arglistiges Verhalten des Tiberius sich schwerstes Unheil eingeschlichen hat, dann zurückgedrängt wurde, schließlich wieder aufflammte und alle Bereiche ergriff. Dem Faianius warf der Ankläger vor…21
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Dies lässt sich zum einen am Analogieschluss des böswilligen Rezipienten erkennen, siehe Tac. ann. 4,33,4; wird aber kurz darauf auch überaus deutlich von Cremutius Cordus in seiner Verteidigungsrede ausgesprochen, ebd. 4,34,5: namque spreta exolescunt: si irascare, adgnita videntur („Denn Dinge, die man nicht beachtet, verlieren ihre Bedeutung: wenn man aber in Zorn gerät, sieht es aus, als erkenne man ihnen Berechtigung zu“). Tiberius ist an dieser Stelle der Erzählung noch nicht so weit, ebenfalls diesen Analogieschluss zu begehen, aber sein Verhalten anonymen Äußerungen gegenüber entspricht einer ähnlichen Logik. Vgl. zu erstgenannter Stelle und dem Konzept der „hostile readers“ Sailor 2008, 268–75; vgl. ebenfalls ebd. 310; zu Tacitus’ Entwurf einer virtuellen Leserschaft siehe unten, Kap. 5.2, S. 326–334. Vgl. die ganz ähnlich funktionierende Begründung bei Plin. paneg. 53, dass man nun bedenkenlos frühere Principes diffamieren könne, da Trajan keine versteckte Kritik seiner Person in diese Äußerungen hineininterpretieren würde; wenn sie also nicht explizit formuliert ist, wird sie erst durch den Rezipienten zur Kritik, der sie als eine solche decodiert – wobei seine Decodierungsleistung zugleich seinen Charakter enthüllt. Vgl. oben, Kap. 2.3, S. 118 f. und S. 122 f. 19 Dieser Ansatz der scheinbaren Rechtlichkeit wird schon für die Anwendung dieses Gesetzes unter Augustus konstatiert, der specie legis eius Untersuchungen gegen die Schriften des Cassius Severus anstellen lässt. Vgl. Koestermann 1963, 238. Vgl. O’Gorman 2000, 85 „The trials as they appear in the Annals seem an exercise in injustice…“ Vgl. zur mögichen Intention Tiberus’ dieses Gesetz anzuwenden Koestermann 1955, 76–81. 20 Siehe oben, Kap. 4.2.2. 21 Tac. ann. 1,73,1 f.: Haud pigebit referre in Faianio et Rubrio, modicis equitibus Romanis, praetemptata crimina, ut quibus initiis, quanta Tiberii arte gravissimum exitium inrepserit,
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Quelle und Ursprung des schweren Unheils sind die diabolischen Künste des Tiberius, welche schließlich für das Aufflammen und die Allgegenwärtigkeit dieses Übels den nährenden Boden bereit stellen, während der erste Fall gegen zwei einfache Ritter in einer relativ harmlosen Episode geschildert wird. Die Vergehen der beiden Angeklagten sind, wenn man sie als solche begreifen möchte, eher gegen Augustus gerichtet und bleiben auf den Brief des Tiberius hin ohne Konsequenz. Aber auch der ungenannte accusator kommt ungestraft davon und stellt in seiner Anonymität einen klaren Kontrast zur ars Tiberii dar. Nur aufgrund der Haltung des Tiberius wird das Aktionsfeld der maiestas-Prozesse erschlossen. Wer der erste Ankläger ist, ist mithin von marginalem Interesse, da der Princeps die Grundlage für eine Verhaltensweise legt, die über kurz oder lang von sehr vielen angenommen wird, und die letztendlich alle betrifft; wenn nicht auf der Seite des Anklägers, so auf der des Angeklagten oder als dessen Freund oder Familienangehöriger. Die Tatsache, dass die beiden ersten Angeklagten als einfache römische Ritter bezeichnet werden, sowie die Trivialität der Vorwürfe dienen zum einen dazu, den Versuchscharakter dieser ersten Anklage darzustellen.22 Sie sollen zum anderen aber auch verdeutlichen, dass prinzipiell die gesamte Reichsaristokratie Opfer dieser perfiden Vorgehensweise werden kann, bei der ihre Mitglieder ihren Standesgenossen ein Verbrechen gegen die maiestas des Kaisers vorwerfen. Nach dem Beginn der erneuten Anwendung des Gesetzes und seiner Beschränkung auf Tiberius gibt es in der taciteischen Darstellung also nur noch Täter: einerseits die unschuldigen, wegen eines maiestas-Vergehens nach der pervertierten Leseweise dieses Gesetzes Angeklagten, sowie andererseits nach dem Narrativ der Erzählung die Ankläger, welche die Gunst des Kaisers erringen wollen und dafür zu Übeltätern an der Reichsaristokratie werden; wobei es nach republikanischer Intention des Gesetzes eigentlich ihr Agieren sein sollte, das es zu bestrafen gelte. Die Anonymität des ersten Anklägers wird dadurch umso prägnanter hervorgehoben, dass im direkt anschließenden zweiten Fall die einzelnen Akteure klar benannt werden: Nicht lange danach klagte den Prätor von Bithynien, Granius Marcellus, sein eigener Quästor Caepio Crispinus des Majestätsverbrechens an, wobei Romanius Hispo als Mitkläger auftrat. Jener machte den Anfang mit einem Lebensberuf, den später die elenden Zeiten und die Fälle menschlicher Vermessenheit so häufig gemacht haben; denn indem er, arm, von niederer Herkunft und voller Unruhe, mit geheimen Anklageschriften der Grausamkeit des Kaisers zu Hilfe gekrochen kam, dann gerade die angesehensten Männer in Gefahr brachte, gewann er Einfluss bei dem einen, erntete Hass bei allen und gab so ein Beispiel: die sich danach richteten, wurden aus armen Leuten reiche, aus verachteten Menschen solche, die man fürchten musste, und brachten andere ins Verderben und schließlich sich selbst. Nun, den Marcellus bezichtigte er, abfällige Äußerungen über Tiberius getan zu haben, eine Anschuldigung, der man nicht entrinnen konnte, da unter den Eigenschaften des Kaisers der Ankläger gerade die abscheulichsten auswählte und dem Beklagten als Klagepunkt vorhielt; denn weil sie wahr waren, glaubte man auch daran, dass die Äußerungen gefallen seien. Dazu fügte noch Hispo, ein Standbild des Marcellus sei höher als die der Cäsaren gestellt und einer anderen Statue sei der Kopf des
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dein repressum sit, postremo arserit cunctaque corripuerit, noscatur. Faianio obiciebat accusator… Vgl. Koestermann 1963, 239.
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Augustus abgenommen und ein Bildnis des Tiberius aufgesetzt worden. Darauf geriet dieser derart in Erregung, dass er sein Schweigen brach und ausrief, auch er wolle in dieser Angelegenheit seine Stimme abgeben, und zwar offen und unter Eid; damit sollte für die übrigen das gleiche als Zwang gelten. Es hielten sich auch jetzt noch Spuren der sterbenden Freiheit. Also fragte Cn. Piso „An welcher Stelle willst du stimmen, Caesar? Wenn als erster, weiß ich, welcher Meinung ich folgen muss; wenn nach allen anderen, dann fürchte ich, ich könnte aus Unwissenheit anderer Meinung sein.“ Betroffen durch diesen Einwurf und je unvorsichtiger er aufgebraust war, so jetzt aus Reue nachgiebig, nahm er es hin, dass der Angeklagte von den Vorwürfen der Majestätsbeleidigung freigesprochen werde. – Die Schadenersatzklage wurde an die Entschädigungsrichter überwiesen.23
In dieser Weise wird also der erste Fall auf innersenatorischer Ebene geschildert, bei dem, um die Asozialität des Verhaltens zu betonen, ein Statthalter von mindestens prätorischem Rang von seinem eigenen Quästor, der mit ihm in der Provinz Bithynien war, wegen maiestas-Verbrechen angeklagt wird.24 Ohne Respekt für die hierarchisch übergeordnete Stellung des Granius Marcellus, unter dessen Statthalterschaft er seinem Amt als Quästor nachkommen durfte, das ihm überhaupt erst den Zugang zum Senat ermöglichte, versucht Caepio Crispinus sich beim Kaiser auf Kosten seines Standesgenossen einzuschmeicheln, erhält sofortige Hilfe von einem Mitkläger und etabliert damit eine Lebensgestaltung (formam vitae), die exemplarischen Charakter für sich beanspruchen darf und sich auf alle Ränge innerhalb der Nobilität auszuweiten beginnt – der ersten Initiative eines Prätors folgten Versuche eines anonymen accusator, während nun ein Quästor bestrebt ist, das 23 Tac. ann. 1,74: Nec multo post Granium Marcellum praetorem Bithyniae quaestor ipsius Caepio Crispinus maiestatis postulavit subscribente Romano Hispone; qui formam vitae iniit, quam postea celebrem miseriae temporum et audaciae hominum fecerunt. nam egens ignotus inquies, dum occultis libellis saevitiae principis adrepit, mox clarissimo cuique periculum facessit, potentiam apud unum, odium apud omnis adeptus dedit exemplum, quod secuti ex pauperibus divites, ex contemptis metuendi perniciem aliis ac postremum sibi invenere. sed Marcellum insimulabat sinistros de Tiberio sermones habuisse, inevitabile crimen, cum ex moribus principis foedissima quaeque deligeret accusator obiectaretque reo; nam quia vera erant, etiam dicta credebantur. addidit Hispo statuam Marcelli altius quam Caesarum sitam, et alia in statua amputato capite Augusti effigiem Tiberii inditam. ad quod exarsit adeo, ut rupta taciturnitate proclamaret se quoque in ea causa laturum sententiam, palam et iuratum, quo ceteris eadem necessitas fieret. manebant etiam tum vestigia morientis libertatis. igitur Cn. Piso „quo“ inquit „loco censebis, Caesar? si primus, habebo quod sequar; si post omnes, vereor ne imprudens dissentiam“ permotus his, quantoque incautius efferverat, paenitentia patiens tulit absolvi reum criminibus maiestatis. de pecuniis repetundis ad reciperatores itum est. 24 Vgl. zur Pietätlosigkeit des Vorgehens, dass ein Quästor seinen Prätor anklagt, Cic. div. in Caec. 61 f.; als schändliches Verhalten wird dies auch in Plin. epist. 6,22 charakterisiert; vgl. Koestermann 1955, 83–87; Koestermann 1963, 241 sowie Goodyear 1981, 157, wobei das von Goodyear angeführte Beispiel Plin. epist. 4,15,9 wenig geeignet ist, die enge Verbindung zwischen Statthalter und Quästor zu belegen, die einander in der Regel per Los zugewiesen werden, da es sich hier um die Beziehung zwischen dem eponymen Konsul und seinem selbstgewählten Quästor geht. Zur taciteischen Terminologie, den Marcellus in republikanischer Tradition als praetor zu bezeichnen, anstatt die offizielle Titulatur des Prokonsuls zu verwenden, siehe Syme 1958, 343 f.; Koestermann 1963, 241; Goodyear 1981, 157.
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Gesetz für seine Zwecke zu nutzen.25 Der mit relativem qui angeschlossene schändliche Lebensentwurf, auf den die für diesen Fall konkreten Parameter der gesellschaftlichen Stellung (egens ignotus), des Wesens des Anklägers (inquies), der geheimen Vorgehensweise (occultis libellis), des primären Ziels (clarissimo cuique periculum facessit) und der Motivation folgen, die man auch als erwünschte Konsequenz des primären Ziels beschreiben könnte (potentiam apud unum), lässt sich an dieser Stelle nicht eindeutig einem der beiden Ankläger zuordnen; es könnte hier die Rede von Caepio Crispinus oder Romanius Hispo sein, da sich der Relativsatz auf beide beziehen lässt. So ist das exemplum, das in einem konkreten Fall geschildert wird, im ersten Moment zwar uneindeutig, doch die Analyse der schändlichen Vorgehensweise lässt sich auf beide genannten Ankläger übertragen, so dass quasi beide Schurken in ihrer moralischen Devianz dem clarissimus vir gegenüber gestellt werden, bevor die allgemeine Intention der Praxis aller Nachfolger beschrieben wird: reich zu werden und gefürchtet zu sein. Und auch bei der Rückkehr zu den konkreten Anschuldigungen, aus deren Netzen sich Marcellus nur schwerlich befreien kann, wird nicht klar, von welchem der beiden Kläger sie formuliert werden. Schließlich muss durch den Anschluss addidit Hispo der ganze vorhergehende Abschnitt kontraintuitiv Caepio Crispinus zugeordnet werden.26 Gerade diese spät erfolgende, klare Zuweisung entgegen der wahrscheinlicheren Leseweise des quiAbschnitts – diesen auf Romanius Hispo zu beziehen – aber hebt dessen ambivalente Referenz auf die eine oder andere Person der Ankläger und damit seine prinzipielle Gültigkeit für beide hervor. Die Darstellung des Vorgehens des Crispinus verweist mit dessen konkreten Handlungen auf Tiberius als Fluchtpunkt seiner Bemühungen. Dabei präfiguriert die saevitia des Princeps nicht nur sein kriecherisches Verhalten, sondern auch mit den occultis libellis hält er sich an die vom Kaiser gern zelebrierte Geheimniskrämerei.27 Als Ziel dieser Praktik wird die potentia bei dem Einen genannt, wobei der Hass aller anderen billigend in Kauf genommen werden kann. Denn schließlich hat der Eine die potentia über alle. Es ist kein Zufall, dass Tacitus bei der Beschreibung des Ziels auf einen Terminus illegitimer politischer Macht zurückgreift, der auf den Bereich negativ zu bewertender persönlicher Alleinherrschaft referiert; in dieser Bedeutung verwendet er ihn beispielsweise auch im Proöm für das Übergehen der illegitim angeeigneten politischen Herrschaft des ersten Triumvirats auf 25 26 27
Vgl. zur Exemplarität Koestermann 1963, 24; Goodyear 1981, 160 und zur Figur des Delators Rutledge 2001, 9–19 und in diesem Kontext ebd. 90 f. Vgl. zu den Zuordnungsschwierigkeiten Syme 1958, 693 f. sowie Koestermann 1963, 241; Goodyear 1981, 159 f. Hierzu kann man beispielsweise die Unterstellung von secretas libidines in der ersten Charakterisierung des Tiberius rechnen (Tac. ann. 1,4,4) sowie seine Undurchschaubarkeit bei der Vorspiegelung von Tugenden oder das Verheimlichen seiner Ausschweifungen, bevor seine Grausamkeit zur Gänze ausbricht (in seiner Schlusscharakterisierung: ebd. 6,51,3); oder die Implikation (ebd. 1,11,2), dass es viele Dinge gab, die er geheim halten wollte, wie auch sein Verhalten gegenüber Libo, nachdem dieser bei ihm angeschwärzt worden war (ebd. 2,28,2, siehe unten) oder das Kaschieren von Niederlagen gegen äußere Gegner (ebd. 4,74,1), aber auch allgemein die Unzugänglichkeit und Einsamkeit des Tyrannen (ebd. 3,37,2, siehe unten). Vgl. zur tiberianischen saevitia bei Tacitus auch Baar 1990, 90–92,103.
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Caesar.28 Auch in diesem Punkt ähnelt der junge Quästor seinem Princeps. Er strebt nach dem, was dieser besitzt: nach illegitimer politischer Macht. Tiberius andererseits akzeptiert dieses Verhalten nicht nur, sondern belohnt, wie in der allgemeinen Beschreibung deutlich wird, die moralisch Devianten und gesellschaftlich wenig Angesehenen (egens ignotus), die mit Anklagen gegen Mitglieder der Reichsaristokratie, vorzugsweise die angesehensten, an ihn herantreten, mit Reichtum und Einfluss. Dabei ist er in seiner Gunst nicht gerade konsistent, weshalb letztlich schlicht und ergreifend allen das mögliche Verderben droht.29 Darüber hinaus schafft er in den Kreisen der Senatoren mit dem Instrument der maiestas-Klage Uneinigkeit (discordia), die eine Konsequenz des Hasses auf alle einflussreichen Ankläger ist.30 Im konkreten Fall folgt dann auch noch die Diskreditierung des Tiberius; allerdings nicht nur durch die vom Erzähler en passant explizit unterstellten äußerst abscheulichen Eigenschaften (ex moribus principis foedissima), sondern auch implizit durch das Verhalten des Princeps selbst, der in sprachlich drastischer Form vor Wut entbrannt (exarsit) quasi die Verurteilung des Marcellus fordert. Auslöser hierfür ist zwar die Hinzufügung des Hispo über den anmaßenden und pietätlosen Umgang des Marcellus mit kaiserlichen Statuen, worin sich die Kontingenz der kaiserlichen Reaktion auf Anklagen widerspiegelt, da eine Verunglimpfung des Augustus im Falle der römischen Ritter im vorherigen Kapitel nicht bestrafungswürdig erschienen ist.31 Tiberius fordert in diesem Falle jedoch die Verurteilung des Angeklagten, wobei aber auch die dicta eine gewisse 28
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Tac. ann. 1,1,1: et Pompei Crassique potentia cito in Caesarem („und des Pompeius und Crassus politische Macht ging schnell auf Caesar […] über“). Vgl. die selbstverständliche Gegenüberstellung von potentia und auctoritas bei Syme 1967, 3; vgl. ebenfalls Meier, C., s. v. Macht, Gewalt: Terminologie und Begrifflichkeit in der Antike, in: Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, Sp. 834 f. sowie Gotter 2008, 199. Tac. ann. 1,74,2: …perniciem aliis ac postremum sibi invenere („…brachten andere ins Verderben und schließlich sich selbst“); wie bspw. Firmius Catus, der gegen Libo als Ankläger, sogar als dessen Anstifter zu Vergehen, auftritt (ebd. 2,27–32; siehe unten) und einige Zeit später für erfundene Vorwürfe gegen seine Schwester bestraft wird (ebd. 4,31,4; siehe unten, Kap. 5.2), oder aber dem in einer Prolepse angedeuteten schlimmen Ende der Ankläger des Titius Sabinus (ebd. 4,71,1); zu dessen Prozess siehe unten. Denn der paradigmatische Ankläger, der Hass bei allen und Einfluss bei dem Einen erntet, dient als Beispiel für andere. Je mehr Anklagen geführt werden, desto mehr Hass, Furcht und Uneinigkeit herrschen also in der Nobilität. Zu den Vergehen der ersten Angeklagten nach dem maiestas-Gesetz unter Tiberius siehe Tac. ann. 1,73,2 f. Die ausführlichen Diskussionen, worüber und weshalb sich Tiberius so aufregte und welchen Vergehens sich Marcellus konkret schuldig gemacht hatte (vgl. Koestermann 1963, 242 sowie Goodyear 1981 161–164), zeigen eigentlich genau die Irrationalität Tiberius’ sowie die Unvorhersagbarkeit seines Verhaltens, welche in diesen beiden Episoden (ebd. 1,73 u. 1,74) dargestellt werden. Im einen Fall wird ein Grundstück mitsamt einer Statue des Augustus verkauft und im anderen bei einer Statue der Kopf des Augustus mit demjenigen des Tiberius ersetzt, doch im einen Falle lehnt er eine Anklage ab, während er sie im anderen selbst vehement fordert. Sollten tatsächlich juristische Unterschiede zwischen den beiden Fällen bestanden haben, so legte Tacitus in seiner Darstellung eher Wert auf die Vergleichbarkeit der beiden Fälle, die unmittelbar nacheinander angeführt werden, und die Unterschiedlichkeit der Reaktion des Tiberius.
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Rolle zu spielen scheinen.32 Die metaphorische Wortwahl für den emotionalen Ausbruch des Tiberius, der dem Marcellus beinahe das Verderben bringt: exarsit, referiert durch die Nutzung der gleichen und sehr ausdruckstarken Metaphorik33 auf das gravissimum exitium aus 1,73,1 (also wenige Sätze vorher), für welches Tiberius semantisch gesehen lediglich die Quelle darstellt und welches „schließlich wieder aufflammte (arserit) und alle Bereich ergriff.“ Aus der semantischen Funktion der Quelle ist in dieser Darstellung das Agens geworden,34 dessen verheerendes Verhalten unter hohen Kosten gerade noch abgelenkt werden kann, indem Cn. Piso auf das unausweichliche servitium der Senatoren hinweist, sollte Tiberius an der Abstimmung über die Anklage teilnehmen. Es ist bezeichnend für die taciteische Charakterisierung des tiberianischen Prinzipats, dass die letzten Anzeichen einer sterbenden libertas sich gerade darin zeigen, dass Piso den Princeps darauf hinweist, dass es diese libertas nicht mehr gebe, und ihm die Verantwortung für das Urteil über den Angeklagten zuweist.35 Als Tiberius so die Möglichkeit genommen ist, eine Verurteilung aufgrund eines kollektiven Konsenses zu erreichen, der eigentlich keiner ist,36 bereut er sein Aufbrausen und spricht Marcellus von den Anschuldigungen bezüglich der maiestasKlage frei. Es ist vielsagend, dass Tiberius, als er zum ersten Mal bei einem maiestas-Prozess im Senat zugegen ist, wegen Nichtigkeiten in Zorn (ira) ausbricht. Tacitus stellt damit nicht nur seinen latenten Zorn dar, der unberechenbar ist und den Tiberius nur schwer bezähmen kann – vor allem, wenn er sich persönlich angegriffen fühlt –, sondern er verbindet die aufbrausende Reaktion des Kaisers auch mit der den Anklägern eigentümlichen Unruhe (inquies). Doch noch lässt Tiberius seiner Grausamkeit (saevitia) nicht vor aller Augen freien Lauf und noch schreckt er davor zurück, seine Macht über die Mitglieder der Senatsaristokratie offen vor den Betroffenen auszuspielen; aber, so diese Episode: Er stand bereits zu einem so frühen Zeitpunkt in seiner Herrschaft kurz davor, genau das zu tun.37 Damit wird die saevitia des Tiberius quasi performatorisch (also im Agieren des Princeps selbst) demonstriert, wodurch sie als eigentliche Ursache für die Wiedereinführung der maiestas-Prozesse sowie als Fluchtpunkt für das moralisch fragwürdige Verhalten Vgl. zur Problematik der Reichweite des ad quod auf den Statuenzusatz oder die verunglimpfenden angeblich von Marcellus geäußerten dicta Koestermann 1963, 242 f. und Goodyear 1981, 163. Vgl. zum Zusammenhang von Literatur und maiestas-Klagen, die sich keineswegs auf diese Konzentrieren und auch in ihren Sanktionen modernen Formen der Zensur gänzlich unähnlich sind Eich 2000, 294–312. 33 Vgl. zur Metaphorik in diesem Abschnitt Koestermann 1963, 238. 34 Zum dem aus der Semantik stammenden Konzept der thematischen Rolle siehe oben, Kap. 1.3, Anm. 89. 35 Vgl. O’Gorman 2000, 42. 36 Vgl. Koestermann 1963, 243, der feststellt, dass eine andere Stimmabgabe als die des Princeps, sollte dieser zuletzt stimmen, eigentlich nur ein Problem darstellen konnte, wenn dieser sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern für eine Verurteilung bzw. eine schwerere Strafe aussprach; im anderen Falle hätte einfach die clementia principis gegriffen. 37 Vgl. Koestermann 1963, 243 „…in dem paenitentia patiens liegt, dass der Prinzeps sich Gewalt antat und anders entschied, als er zunächst beabsichtigt hatte.“ Vgl. dazu ebenfalls Goodyear 1981, 165, der bei seiner Interpretation ein wenig unentschiedener ist. 32
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des Quästors, sie auf Kosten eines übergeordneten und vorzüglichen Standesgenossen zu seinem Vorteil nutzen zu wollen, bewiesen ist und sich somit der Inhalt der carmina vulgata (1,72,4) bewahrheitet. Ebenfalls kommt in diesem Komplex der enge Zusammenhang zwischen maiestas-Klagen und tiberianischer saevitia zum Ausdruck. In einer kurzen Zusammenfassung liest sich die Charakterisierung Tiberius’ und seines Prinzipats in dieser Episode folgendermaßen: Die saevitia des Tiberius, die durch die Nutzung der maiestas-Gesetze als Instrument, um Hass, Uneinigkeit und Verderben in die Reichsaristokratie zu streuen, zum Ausdruck kommt, steht im Widerspruch zu der von ihm zur Schau gestellten civilitas, welcher also nicht getraut werden kann. Unter dem Deckmantel der Rechtlichkeit (iustitia – also der Befolgung von Gesetzen), worin schon die dissimulatio (also die Verstellung/Täuschung) des Tiberius anklingt, wird der Princeps im doppelten Sinne Auslöser für maiestas-Prozesse: Zum einen wird er aus verletzter Eitelkeit Gegenstand des widerrechtlichen Vergehens, wobei zunehmend bloße Worte ausreichend sind, um schuldig gesprochen zu werden; und zum anderen nutzt er dieses Instrument zur Beherrschung der Senatorenschaft, da er Klagen gerade gegen die Besten von ihnen zulässt und schlechte, ehrgeizige Emporkömmlinge für ihr illegitimes Verhalten belohnt, wodurch er eine forma vitae (eine Lebensgestaltung) modelliert, die senatorisches Agieren präfiguriert. Auf diese Weise arbeitet Tiberius in der taciteischen Darstellung auf das Verderben der gesamten Reichsaristokratie hin, deren letzter Rest von libertas, den sie zu diesem Zeitpunkt noch hat, darin besteht, mit den Worten Cn. Pisos zu konstatieren, dass sie eigentlich keine mehr hat. Die vollständige Auflösung der libertas wird in der Erzählung über die weitere Herrschaft von Tiberius so deutlich, dass diese Voraussetzung standesadäquaten senatorischen Seins nur noch in der Behauptung ihrer scheinbaren Existenz zu Zwecken der Schmeichelei missbraucht werden kann, um darüber hinaus auch noch den eigenen Standesgenossen zu schaden.38 II. Der Fall des M. Scribonius Libo Drusus (Tac. ann. 2,27–32) Nach diesen noch harmlosen – da ohne Konsequenz für Beschuldigte oder Ankläger – Anfängen der maiestas-Prozesse, beendet Tacitus seine Darstellung des Jahres 15 n. Chr. mit einigen summarisch aneinandergereihten Ereignissen in Rom, also in einem relativ hohen Erzähltempo. Zu Beginn des zweiten Buches lenkt er mit ebenfalls großer Distanz den Blick auf den Osten und die Vorgeschichte der sich dort bald unruhig gestaltenden Lage, um im Anschluss detaillierter vom dritten Germanienfeldzug des Germanicus zu berichten.39 Als er dann wieder zu den Ereignissen 38
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Tac. ann. 3,70, wobei Tiberius in diesem Fall diese extreme Form der Schmeichelei nicht nur als solche erkennt, sondern auch zurückweist und somit verhindert, dass drei Mitglieder der Reichsaristokratie in die Liste der Angeklagten nach dem maiestas-Gesetz aufgenommen werden. Schilderung der Ereignisse in Rom: Tac. ann. 1,75–81 (Oberaufsicht des Tiberius über Gerichte; Geldgeschenke an Senatoren; Tiberhochwasser, Vorsitz des Drusus bei Spielen; Theaterausschreitungen; Beschlüsse gegen Höhe der Schauspielerbesoldung; Tiberius’ Entschei-
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in Rom im Jahre 16 n. Chr. zurückkehrt, eröffnet er seinen Bericht mit der Darstellung eines paradigmatischen Falles: „dieses Prozesses Anfang, Verlauf und Abschluss will ich genauer darstellen, weil damals zuerst die Machenschaften aufkamen die so viele Jahre hindurch den Staat zersetzten.“40 Der junge, kurz vor der Prätur stehende und ein wenig einfältige Senator M. Scribonius Libo Drusus, der eine vorzügliche familiäre Herkunft aufweisen kann, da er unter anderem der Urenkel des Pompeius Magnus ist, wird von seinem vorgeblichen senatorischen Freund Firmius Catus angesichts seiner berühmten Vorfahren dazu verleitet, auf die Chaldäer, Magier und Traumdeuter zu hören, sich dem Luxus hinzugeben und in Schulden zu stürzen; Verhaltensweisen, die nach außen hin seine angebliche Hoffnung auf die Stellung des Princeps enthüllen.41 Kurz darauf findet sich Libo, von seinen Verwandten aus Furcht vor den drohenden Gefahren alleine gelassen, vor dem Senatsgericht einer Schar von Anklägern gegenüber, die ihn des Umsturzversuches bezichtigen. Da die Beweise der Anklage mit Ausnahme eines einzigen Zeugnisses, das der Angeklagte jedoch abstreitet, unzureichend sind,42 werden auf Veranlassung des Tiberius die Sklaven Libos freigekauft, um gegen ihn aussagen zu können. Jeder Hoffnung beraubt, begeht Libo Selbstmord, woraufhin der Prozess dennoch zu Ende geführt, die Ankläger belohnt und Libo postum diffamiert wird, während gerade die einflussreichsten Senatoren sich in Schmeicheleien gegenüber Tiberius überschlagen.43 Im Folgenden werden nun zum einen die Verhaltensweisen der Senatoren in ihren Beziehungen zueinander und anschließend die Rolle des Tiberius in dieser Episode analysiert. Der erste Kritikpunkt zielt auf das hinterhältige und unehrenhafte Vorgehen des Firmius Catus, der Libo unter Vorspiegelung der vertrautesten Freundschaft (intima amicitia) zu Dummheiten anstiftet und an diesen sogar teil-
dungen: Spaniern Tempel gestatten, Abschaffung der Warenumsatzsteuer abgelehnt, Soldatenentlassung erst im 20. Dienstjahr; Tiberhoch-wasserpräventionspläne diskutiert, abgelehnt; kaiserliche Provinzvergabe; erstmalige Konsulwahlen unter Tiberius); arsakidische und armenische Thronwirren und ihre historischen Hintergründe: ebd. 2,1–4; dritter Germanienfeldzug des Germanicus: ebd. 2,5–26. Die Dynamik der Erzähltempi begründet sich dabei vor allem auf einen Wechsel von szenischem zu summarischem Erzählen; vgl. dazu Genette 2010, 58–71. 40 Tac. ann. 2,27,1: eius negotii initium ordinem finem curatius disseram, quia tum primum reperta sunt quae per tot annos rem publicam exedere. Wenn es sich bei diesem Prozess technisch gesehen auch nicht um eine maiestas-Klage handeln mag (siehe Rutledge 2001, 159), so verknüpft Tacitus durch den zitierten Satz das von ihm als zweifelhaft dargestellte juristische Geschehen, aber auch die zwielichtige Rolle des Tiberius mit oben besprochener Stelle Tac. ann. 1,72–74 und rückt auch dieses Ereignis in den Dunstkreis der maiestas-Klagen, weshalb er zurecht in Zäch 1971, 29–37 aufgenommen ist. Vgl. zu diesem Prozess auch Koestermann 1955, 87–91. 41 Tac. ann. 2,27,2. Zum Ausschluss des Catus aus dem Senat, 10 Jahre später, wegen erfundener Vorwürfe, seine Schwester habe gegen das maiestas-Gesetz verstoßen, siehe ebd. 4,31,4; vgl. unten, Kap. 5.2. 42 Tac. ann. 2,30,2 dort werden sie als stolida vana […] miseranda („albernes, sinnloses […] jämmerliches Zeug“) bezeichnet. 43 Tac. ann. 2,27–32.
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nimmt, um zugleich selbst Zeuge gegen den Angeklagten zu sein.44 Hinter dem Rücken seines Freundes versucht er dann mit seiner Anklage an den Kaiser heranzutreten und legt mit seinen Anstiftungen zugleich die Grundlage einer öffentlichen Anzeige vor dem Senat durch Fulcinius Trio, einen vom Erzähler nach obigem Muster (1,74,2) stark negativ gezeichneten notorischen Ankläger, den in den letzten Regierungsjahren des Tiberius sein Schicksal ereilt, da er sich aus Furcht vor Anklägern selbst entleibt.45 Keiner der Verwandten, geschweige denn Standesgenossen ist dazu bereit, Libo zu verteidigen.46 Stattdessen verdoppelt sich die Anzahl der Ankläger von zwei auf vier, wobei deren egoistische Motivation durch ihre Uneinigkeit, wer der Hauptankläger sein (und damit die meisten Lorbeeren bei einer Verurteilung einheimsen) dürfe, deutlich hervorgehoben wird.47 Ihre Belohnung und damit auch das Motiv für ihre Anklage und die Hinterlistigkeit des Catus besteht dann aus dem Vermögen des Libo, das unter ihnen aufgeteilt wird, und einer Vergünstigung in ihrer senatorischen Karriere, die ihre Nähe zum Kaiser unterstreicht.48 Und selbst jetzt, nachdem Libo aufgrund von Dummheiten, zu denen er sich verleiten ließ, seinen Tod gefunden hat, er verurteilt und sein Vermögen eingezogen worden war, lassen ihn die vornehmsten der Senatoren nicht in Ruhe, indem sie quasi seine damnatio memoriae beschließen und Festtage für seinen Todestag sowie Dankfeste für die Rettung des Princeps beantragen.49 quorum auctoritates
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Tac. ann. 2,27. Vgl. Sinclair 1995, 137 f. Tac. ann. 2,28,3. Dort heißt es auch: celebre inter accusatores Trionis ingenium erat avidumque famae malae („Berühmt unter den Anklägern war Trios Begabung, und sein Wesen gierte nach schlechtem Ruf“). Siehe ebd. 6,38 zum schrecklichen Ende des Trio in Furcht; dem des Libo vergleichbar, an dem er maßgeblich beteiligt war. Vgl. Koestermann 1963, 301. Tac. ann. 2,29,1. Tac. ann. 2,30,1: accesserant praeter Trionem et Catum accusatores Fonteius Agrippa et C. Vibius, certabantque cui ius perorandi in reum daretur, donec Vibius, quia nec ipsi inter se concederent… („Hinzugekommen waren außer Trio und Catus als Ankläger noch Fonteius Agrippa und C. Vibius und sie stritten sich darum, wer das Recht der Hauptrede gegen den Angeklagten erhalten solle, bis Vibius erklärte […], weil sie untereinander nicht einig werden könnten, …“). Vgl. als Gegensatz dazu die bei Plinius im gemeinsamen Vorgehen zum Ausdruck kommende Eintracht von ihm und Tacitus in ihrer gemeinsamen Aufgabe als Ankläger des Marius Priscus für die Provinz Baetica (Plin. epist. 2,11,2), ihre Gewissenhaftigkeit, welche vom Senat lobend anerkannt wird (ebd. 2,11,19) und die altehrwürdige, fast schon republikanische, dreitägige Verhandlung vor dem Senat (ebd. 2,11,18). Vgl. ebenfalls die von Plinius stark betonte Einigkeit zwischen ihm und Lucceius Albinus als Vertreter der Anklage der Provinz Baetica gegen Caecilius Classicus, ebd. 3,9,8: …nobis tamen nullum certamen, nulla contentio, cum uterque pari iugo non pro se, sed pro causa niteretur („…doch zwischen uns gab es keinen Streit und keine Eifersucht, da wir beide mit vereinten Kräften nicht jeder für sich, sondern für die Sache kämpften“). Tac. ann. 2,32,1: bona inter accusatores dividuntur, et praeturae extra ordinem datae iis qui senatorii ordinis erant („Sein Vermögen wurde unter die Ankläger verteilt und die Prätur außer der Reihe denen verliehen, die dem Senatorenstand angehörten“). Tac. ann. 2,32,1 f. Vgl. Koestermann 1963, 307 sowie Goodyear 1981, 281.
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adulationesque rettuli, ut sciretur vetus id in re publica malum.50 Dabei spielt Tacitus mit der Bedeutung von auctoritates, da dieses Wort mit den adulationes sowohl als Hendiadyoin, aber auch als Zusammenfassung der im Vorfeld namentlich genannten hohen Senatoren verstanden werden kann,51 wobei er gleichzeitig ihre Rolle nach dem Prozess sarkastisch ironisiert, denn solche exempla senatorischen Verhaltens können – so die Suggestion – gewiss keine auctoritas gegenüber dem Autor der Annalen in Anspruch nehmen;52 und es wäre besser gewesen, wenn sie das in tiberianischer Zeit auch nicht gekonnt hätten. Während also die Senatoren vor-prätorischen Status’ aus der egoistischen Motivation nach mehr Geld und Macht auf Kosten eines Standesgenossen die Anklage gegen diesen vertreten, übernehmen es die einflussreichsten Senatoren nach Abschluss des Verfahrens mit unerträglichen Schmeicheleien, ihrer Zustimmung zum Ausgang des Prozesses sowie dem Verhalten sowohl der Ankläger als auch des Princeps Ausdruck zu verleihen. Keiner der Beteiligten hat dabei das Wohl der res publica im Sinne, um deren maiestas zu wahren einst jenes Gesetz erlassen wurde, das nun für egoistische Ambitionen und persönliche Empfindlichkeiten missbraucht wird. Wie Tiberius auf diese traurigen, senatorischen Nachträge zum Prozess des Libo reagiert, wird von Tacitus nicht dargestellt. Aber ähnlich angestrengt wie die ranghöchsten Mitglieder der Funktionselite bei dem Versuch, ihren Konsens mit der Verurteilung des Angeklagten und der Herrschaft des Princeps performativ zum Ausdruck zu bringen, wirkt Tiberius in seinem Bemühen, in dieser Angelegenheit gerecht und gemäß den Gesetzen zu verfahren sowie gleichzeitig milde und nachsichtig zu scheinen. Einerseits ist es zwar unnötig darauf hinzuweisen, dass der zweite Princeps in der taciteischen Darstellung bei diesem Versuch kläglich versagt; andererseits ist es aber nicht ganz unbedeutend, wie der Erzähler den Schleier seiner Camouflage lüftet, und was er dabei entbirgt. Noch bevor die Verfehlungen des Libo zur Verhandlungssache vor dem Senat werden, wird Tiberius als Akteur in diese Episode eingeführt. Er weist die Anzeige, die ihn durch einen Mittelsmann erreicht, nicht ab, aber anstatt Schritte einzuleiten, die weitere Vergehen des Libo verhindert hätten, verhält er sich diesem gegenüber umgänglich und zuvorkommend, um ihn auszuspionieren. Tiberius (selbst ein lasterhafter Mensch) wird von seiner tyrannischen Neugier getrieben, so dass es ihm nicht nur gelingt, seinen Zorn 50
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Tac. ann. 2,32,2 „dieser Männer gewichtige Namen und kriecherisches Verhalten habe ich erwähnt, damit man erkenne, dass dies ein altes Übel in unserem Staat ist“ – vielleicht besser: „…, dass dies ein altes Übel für die res publica ist“; das „unserem“ kann dem lateinischen Text nicht entnommen werden. Im ersteren Sinne ist dies also so zu verstehen, dass Tacitus die „förmlichen Anträge und Schmeicheleien“, also die „förmlich beantragten Schmeicheleien“ bzw. die „schmeichlerischen Anträge“ an den Pranger stellt, während Erich Heller sich in seiner Übersetzung für die zweite Variante entscheidet. Vgl. Koestermann 1963, 307 f., der auch den Status der hochstehenden, in diesem Abschnitt namentlich genannten Persönlichkeiten erläutert, dem aber die Intention entgeht, dass es Tacitus nicht nur darauf ankam, die führenden Männer als Mitbeteiligte an diesem schändlichen Verhalten darzustellen, sondern ihnen aufgrund dieser Handlungen auch die ihrer Stellung eigentlich innewohnende senatorische auctoritas abzusprechen. Goodyear 1981, 283 spricht sich für das Hendiadyoin aus. Vgl. zur Überlegenheit des Erzählers und seiner virtuellen Leser unten, Kap. 5.2.
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zu verbergen, sondern es ihm auch lieber ist, alles über die Worte und Taten des Libo zu wissen, als diesen von seinem Verderben abzuhalten.53 Ähnlich wie Catus in seiner Rolle des Anstifters wird Tiberius in dieser Erzählung zum Mitschuldigen der Vergehen des späteren Angeklagten, da er diese hätte verhindern können, es aber nicht getan hat.54 Dass Libo vom Kaiser bei der Verlesung der Anklageschrift vor dem Senat in gleicher unbewegter Haltung empfangen wird, mit welcher der Princeps trotz des Wissens um Libos Verfehlungen mit diesem kurz zuvor noch interagierte,55 impliziert den unter der Oberfläche verborgenen Zorn des Tiberius und damit auch den bereits gefällten Urteilsspruch – das gesamte Verfahren ist diskreditiert. Auf diese Art und Weise unterläuft der Erzähler aber auch die seiner Version nach vom Kaiser vor dem Senat inszenierte moderatio, und der Schein, dass der Princeps die Anklageschrift zurückhaltend und unparteiisch zu Gehör bringt, wird als trügerisch entlarvt.56 Während des Verfahrens zeigt der Erzähler die vergeblichen Bemühungen des Tiberius, seine civilitas und seine iustitia unter Beweis zu stellen. Denn zum einen hält er sich zwar an ein altes senatus consultum, das es untersagt, Sklaven einem peinlichen Verhör über ihren Herrn zu unterziehen, wenn es um dessen Leben geht, zum anderen hebelt er als ‚verschlagener Erfinder neuer Rechtsnormen‘ genau dieses Gesetz aus, indem er dem Staatsagenten befiehlt, die zu befragenden Sklaven freizukaufen. Dadurch aber macht er dieses alte senatus consultum unwirksam und überflüssig, begeht Unrecht, ohne das Gesetz direkt zu brechen.57 Damit untergräbt Tiberius aber seinen eigenen Anspruch, sich im Sinne der civilitas an das Senatsgesetz zu halten, genauso wie sein vorgebliches Bemühen um iustitia und Unparteilichkeit, da er mit eigentlich unrechtmäßigen Mitteln die Schuld des Libo beweisen möchte, die auf gerechte Art und Weise nicht feststellbar gewesen wäre.58 Auch die in der vorgeblichen reverentia dem Senat gegenüber vor Augen ge53
Vgl. zur hier dargestellten Täuschung des Libo durch Tiberius mittels seines Gesichts und seiner Worte O’Gorman 2000, 84; vgl. ebenfalls Zäch, 1971, 34. 54 Tac. ann. 2,28,1 f. 55 Vgl. Tac. ann. 2,28,2: non vultu alienatus, non verbis commotior – adeo iram condiderat („ohne im Gesichtsausdruck eine Abneigung, ohne in den Worten eine stärkere Erregung zu zeigen: so tief hatte er seinen Zorn im Innern verborgen“) mit ebd. 2,29,2: immoto eius vultu excipitur. mox libellos et auctores recitat Caesar, ita moderans, ne lenire neve asperare crimina videretur („wird er [Libo] von diesem [Tiberius] mit unbewegter Miene empfangen. Dann liest der Kaiser die Anklageschriften und die Namen ihrer Verfasser vor, in so zurückhaltendem Ton, dass er die Beschuldigungen weder abzuschwächen noch zu verschärfen schien“). 56 Vgl. Koestermann 1955, 91, der diesen Umstand sogar positiv bewertet. 57 Tac. ann. 2,30,3: et quia vetere senatus consulto quaestio in caput domini prohibebatur, callidus et novi iuris repertor Tiberius mancipari singulos actori publico iubet, scilicet ut in Libonem ex servis salvo senatus consulto quaereretur („und weil durch einen alten Senatsbeschluss ein peinliches Verhör gegen das Leben des Herrn verboten war, ließ der verschlagene und in neuer Rechtsauslegung erfinderische Tiberius sie einzeln durch den Staatsagenten freikaufen, natürlich um die Sklaven gegen Libo unbeschadet des Senatsbeschlusses verhören zu können“). Vgl. zur sprachlich dabei zum Ausdruck kommenden Abscheu des Erzählers gegenüber diesem Vorgehen Koestermann 1963, 304 f.; Zäch 1971, 32 sowie Goodyear 1981, 278. 58 Dass der Vorwurf des Tacitus an das Verhalten des Tiberius historisch und juristisch nicht ganz einwandfrei ist (siehe Rutledge 2001, 159 mit Anm. 10 sowie 33–35), da nach Cass. Dio
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führte civilitas, die er dadurch an den Tag legt, dass er das Bittgesuch des Libo nicht annimmt, sondern ihn damit an das honorige Gremium verweist, steht in deutlicher Diskrepanz zu den um das Haus des Angeklagten postierten Soldaten.59 Dem Tiberius der taciteischen Darstellung geht es also nicht darum, die Bedeutung des Senatsgerichts hervorzuheben und den Senat zu ehren, sondern er bleibt in seinem Zorn (ira) unerbittlich und provoziert mit der soldatischen Bewachung letztendlich den Freitod des Libo.60 Damit wird aber auch die von Tiberius beschworene clementia und misericordia, er hätte für Libos Leben gebeten, wenn dieser nicht voreilig Selbstmord begangen hätte, als Schein entlarvt,61 was sich dadurch noch verstärkt, dass dieser postum verurteilt wird und seine Ankläger belohnt werden.62 Tiberius hat hier also eine Doppelrolle: Er geht aus dieser Episode eindeutig sowohl als Mörder an Libo, als auch als Ursache und Ursprung für dessen Tod hervor. Er orientiert sich in seiner Außenwirkung bei diesem Prozess zwar an den positiven Tugenden der moderatio, der iustitia, der civilitas und schließlich der clementia und misericordia, aber der Erzähler entlarvt ihn als eigentlichen Täter.63 Dabei werden die saevitia, ira und dissimulatio des Tiberius offenbart, mit denen er die Uneinigkeit und Konkurrenz der Senatoren für seine Ziele und das Verderben der Aristokratie nutzt, und mit denen er schließlich ein Verhalten etabliert, durch das per tot annos rem publicam exedere.64 III. Kontrast und Wendepunkt (Tac. ann. 3,36–38 u. 3,49–51) Tacitus versteht es, Tiberius in seiner Erzählung von dessen Herrschaft immer wieder als den Hauptschuldigen an den von Mitgliedern der Nobilität an ihren Standesgenossen unter dem Deckmantel der maiestas-Gesetzgebung begangenen Übeltaten zu inszenieren. Bis zur Mitte des dritten Buches jedoch lässt er Tiberius eher passiv im Hintergrund der Geschehnisse und lediglich verdeckt agieren – mit der Ausnahme seines Ausbruchs gegen Marcellus, als er von Piso besänftigt werden muss. Diese Passivität, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Tiberius auf der Ereignis-Ebene der Prozesse nicht als unmittelbar beteiligter Akteur in Erscheinung tritt, stellt einen Umstand dar, der sich im Anschluss an die für ihn wenig schmeichelhafte Gegenüberstellung mit seinem Sohn Drusus signifikant ändert.65
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55,5,4 schon Augustus zu diesem Kniff gegriffen habe, es aber schon in der Republik Ausnahmen zu diesem Gesetz gab (vgl. Goodyear 1981, 277), beruht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf einem Irrtum von Tacitus (siehe Rutledge 2001, 159), sondern auf dessen Absicht der diffamierenden Darstellung von Tiberius. Tac. ann. 2,31,1 f. Dies ist auch daran zu erkennen, dass die Soldaten nach Libos Selbstmord abziehen, Tac. ann. 2,31,2 et caede visa miles abstitit („und nach Feststellung seines Todes zogen die Soldaten ab“). Vgl. Koestermann 1963, 307; Goodyear 1981, 263, 278. Tac. ann. 2,31,2. Tac. ann. 2,32,1, siehe oben, Anm. 48. Vgl. Zäch 1971, 32, 36 sowie Baar 1990, 99. Tac. ann. 2,27,1. Tac. ann. 3,36,1–38,2. Vgl. zur Figur des Drusus in diesem Abschnitt als reine Kontrastfigur zu Tiberius Koestermann 1963, 490 f.
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Nach den Vorfällen in Syrien, dem Tod des Germanicus und dem Prozess gegen Piso zieht sich Tiberius zurück und überlässt seinem Sohn die Regierungsgeschäfte. Dieser geht gegen den üblen Brauch vor, das Kaiserbildnis als Schutzschild bei unrechtmäßigem Verhalten zu nutzen und also mit einer Anklage wegen eines maiestas-Verbrechens zu drohen, indem er an Annia Rufilla ein Exempel statuiert.66 Diese hatte C. Cestius, der ihre Verurteilung wegen Betrugs durchsetzte, in aller Öffentlichkeit mit Schimpfreden und Drohungen belästigt, ohne dass er es wagen konnte, sie zu belangen, da sie ihm ein Kaiserbild entgegen hielt. Drusus ließ sie ins Gefängnis werfen. Außerdem setzte er die Bestrafung zweier römischer Ritter durch, die einen Prätor wegen erfundener Vergehen gegen das maiestas-Gesetz belangt hatten.67 Eigentlich geschah diese Verurteilung „auf Veranlassung des Kaisers und durch Beschluss des Senats“ (auctore principis ac decreto senatus), aber man rechnete sie Drusus als Verdienst an. Dieser übernimmt hier die Funktion der Kontrastfigur zu Tiberius, da er sich für Gerechtigkeit gegenüber den Senatoren einsetzt.68 Während sein Vater auf die erfundenen Vorwürfe gegenüber dem Prätor Granius Marcellus mit einem Wutausbruch reagiert und Libo, dem nur auf ungerechte Art und Weise eine Verfehlung nachgewiesen werden kann, in den Selbstmord treibt, bestraft Drusus die Ankläger und Übeltäter, die ihren Kontrahenten mit maiestas-Klagen wegen erfundener Vergehen drohen. Er agiert hier so, wie Tiberius es hätte machen sollen, hätte er nicht nur als civilis princeps wirken, sondern auch tatsächlich einer sein wollen. Zwar muss man Drusus voluptates und luxus vorwerfen – in Bezug auf Bauprojekte und Gelage –, aber sein offener und freier Umgang mit den Senatoren unterstreicht seine civilitas und steht vollkommen im Gegensatz zum Verhalten seines Vaters. Dieser lebt das einsame und von Sorgen und Ängsten gequälte Leben eines Tyrannen, der die Nächte durchwacht und dabei genauso wenig müde wird wie die Ankläger und dessen Charakterisierung die Erinnerung an den Tyrannen des Agricola wachruft.69 66 67 68
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Tac. ann. 3,36. Vgl. Koestermann 1963, 489. Tac. ann. 3,37,1. Vgl. zur Kontrastfunktion und der in den Annalen nicht konsistenten Charakterisierung des Drusus Koestermann 1963, 490 f. Die hier von Drusus ausgefüllte Rolle des positiven Gegenbildes zu Tiberius entspricht derjenigen des in den früheren Büchern (vgl. dazu Ginsburg 1982, 70 f.; Bronwyn 1990, 4–9), wobei Tiberius, wie Shuttleworth-Kraus 2009, 105 (ebd. 107–111 zur Gegenüberstellung von Germanicus und Tiberius) feststellt, ständig im Modus des Vergleichs und der Gegenüberstellung mit anderen Männern beschrieben wird. Tiberius sei in der Darstellung seiner Herrschaft „confronted always either with rivals or with partners (including even Augustus, with whom he shared tribunicia potestas), never alone until the very end (6,51).“ Vgl. zur positiven Stilisierung des Germanicus Flach 1973, 140 f. Tac. ann. 3,37,2: neque luxus in iuvene adeo displicebat: huc potius intenderet diem aedificationibus, noctem conviviis trahere, quam solus et nullis voluptatibus avocatus maestam vigilantiam et malas curas exerceret („Auch der aufwendige Lebensstil missfiel bei dem jungen Mann nicht so sehr: darauf solle er lieber seinen Sinn richten, den Tag mit Bauplänen, die Nacht mit Gelagen zu verbringen, als allein und durch keinerlei Vergnügungen abgelenkt finsterer Wachsamkeit und schlimmen Sorgen nachzuhängen“). Zu der sehr ähnlichen Charakterisierung Domitians im taciteischen Agricola vgl. Tac. Agr. 39,3 talibus curis exercitus, quodque saevae cogitationis indicium erat, secreto suo satiatus, opti-
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Non enim Tiberius, non accusatores fatiscebant.70 Wie in seiner Charakterisierung zuvor steht Tiberius hier allein, aber der Parallelismus und das Zeugma, durch das er sich mit den Anklägern das Verb teilt, machen ihn sprachlich zum Vorbild, zum Anführer, zum ersten aller Ankläger. Und so folgt auf diese vielsagende Verknüpfung der beiden Entitäten, die der römischen Aristokratie und ihren besten Vertretern im Besonderen das Verderben bringen, zum einen der Hinweis und der Beweis, dass in dieser Zeit die Beschuldigung eines maiestas-Verbrechens jede Anklage komplementiert, wofür der Kaiser selbst das Beispiel gibt: „Der Kaiser holte Antistius Vetus, einen Mann aus dem makedonischen Adel, der in einem Prozess wegen Ehebruchs freigesprochen worden war, unter heftigem Tadel für die Richter erneut vor Gericht, damit er sich wegen eines Majestätsvergehens verantworte.“71 Daraufhin wurde jener auf eine Insel verbannt.72 Streng genommen handelt es sich beim Vorgehen des Tiberius zwar um eine Aktion des Princeps im Reich, bei dem auch kein Mitglied der senatorischen Führungsschicht beseitigt wird, doch verknüpft Tacitus diese maiestas-Klage darstellerisch mit einer innerhalb der Nobilität. Auf die Verknüpfung des Tiberius mit den Anklägern mittels eines Parallelismus im ersten Satz, folgt quasi chiastisch die Anklage eines der gerade genannten accusatores, der einen Prokonsul wegen eines Repetunden- und eines maiestas-Vergehens belangt.73 Den personalen Chiasmus komplettierend wird nun der Princeps gezeigt, wie er das entsprechende Vorbild abgab, indem Antistius Vetus zuerst wegen Ehebruchs (mit zwischenzeitlichem Freispruch) und dann wegen eines maiestas-Vergehens angeklagt wird. Der einsame Tyrann wird so zum aktiven Vorbild für die zu ihrem persönlichen Vorteil agierenden Ankläger. Gleichzeitig impliziert die Verknüpfung der beiden Anklagen, dass entweder das Repetunden-Vergehen nicht zu einer Verurteilung ausgemum in praesentia statuit reponere odium… („Von solchen Sorgen gequält und – das Anzeichen seiner grausamen Gedanken – ganz seiner Einsamkeit frönend, hielt er es im Augenblick für das beste, seinen Hass so lange zurückzustellen…“); aber auch das Verbergen von Hass und die Verstellung, um diesen geheim zu halten, kennt man (an anderen Stellen) von Tiberius. Einen weiteren intertextuellen Bezug zur zeitgenössischen Literatur findet die Darstellung des Tiberius durch Tacitus in der Repräsentation Domitians im Panegyrikus des jüngeren Plinius: auch dieser pflegt seine Einsamkeit und seine Angst vor Anschlägen, die sich in seiner ständigen Wachsamkeit ausdrückt etc. Vgl. Plin. paneg. 48,3–49,1. 70 Tac. ann. 3,38,1: „Denn nicht Tiberius, nicht die Ankläger wurden müde.“ 71 Tac. ann. 3,38,1 f.: non enim Tiberius, non accusatores fatiscebant. et Ancharius Priscus Caesium Cordum pro consule Cretae postulaverat repetundis, addito maiestatis crimine, quod tum omnium accusationum complementum erat. Caesar Antistium Veterem e primoribus Macedoniae, absolutum adulterii, increpitis iudicibus ad dicendam maiestatis causam retraxit („Denn nicht Tiberius, nicht die Ankläger wurden müde. So hatte Ancharius Priscus den Prokonsul von Kreta, Caesius Cordus, wegen Erpressung belangt und noch die Beschuldigung eines Majestätsverbrechens angehängt, was damals allen Anklagen eine Abrundung gab. Der Kaiser holte Antistius Vetus, einen Mann aus dem makedonischen Adel, der in einem Prozess wegen Ehebruchs freigesprochen worden war, unter heftigem Tadel für die Richter erneut vor Gericht, damit er sich wegen eines Majestätsvergehens verantworte“). 72 Tac. ann. 3,38,2. Vgl. Koestermann 1955, 99. 73 Von diesem wird dann wesentlich später und in einem beiläufigen Satz berichtet, dass er wegen Erpressung verurteilt wurde, Tac. ann. 3,70,1.
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reicht hätte oder man sich bei der tiberianischen Rechtsprechung nicht sicher sein konnte, ob die Vergehen der Funktionselite entsprechend bestraft würden. Dass der Ankläger zusätzlich eine maiestas-Klage anführt, weckt aber den Verdacht, dass der Angeklagte wahrscheinlich in beiden Bereichen unschuldig war und von einem typischen accusator, der sich ganz an das Beispiel des Princeps hält, aus Karrierezwecken beseitigt wird.74 Nach einer kurzen Digression zur Lage des Reiches findet in Rom im gleichen Jahr noch der Prozess gegen den Ritter Clutorius Priscus statt, der wegen eines Gedichtes verurteilt und hingerichtet wird.75 Er hatte auf den Tod des Germanicus eine Elegie verfasst und dafür eine Belohnung vom Kaiser erhalten. Nun, da Drusus erkrankt war, habe er ein weiteres Gedicht in der Hoffnung auf eine noch größere Belohnung angefertigt, falls dieser sterben sollte und damit vor einer Gesellschaft vieler vornehmer Frauen geprahlt. So lautet zumindest der Vorwurf eines anonymen Delators, der es versteht, seine Zeuginnen derart in Angst und Schrecken zu versetzen, dass sie seine Aussage bestätigen; mit Ausnahme der Gastgeberin, der von den Senatoren aber kein Glauben geschenkt wird.76 Die Anonymität des Anklägers kann hier wiederum so gelesen werden, dass diese Verhaltensweise so verbreitet war, dass sie prinzipiell jeder annehmen konnte. Mit anderen Worten: Die Ankläger waren allgegenwärtig und, was sie noch viel gefährlicher machte: nicht identifizierbar. Die Angst der Frauen und ihre bereitwillige Aussage beim Auftritt des Delators implizieren, dass auch sie als mögliche Angeklagte in diesen Fall hätten mit hineingezogen werden können und nur Priscus zu opfern hatten, um ungeschoren davon zu kommen.77 Dies suggeriert aber wiederum, dass es sich auch in 74
Erst in den abschließenden Kapiteln über das darauffolgende Jahr, 22 n. Chr., erfährt man in einem kurzen Satz, dass Caesius Cordus aufgrund der Repetunden-Vergehen verurteilt wurde (Tac. ann. 3,70,1). Diese Randnotiz schließt sich an den Repetunden-Prozess gegen C. Silanus (ebd. 3,66–69) an, in welchem der Angeklagte in einem unfairen Prozess durch ebenfalls eingebrachte maiestas-Anzeigen isoliert (ebd. 3,67,3) und schließlich verbannt wurde. Die Einführung des Falles gegen Cordus in die Erzählung, bei welcher sein Ankläger mit dem tyrannischen Verhalten des Tiberius verknüpft wird, und der Anschluss an den Fall des Silanus legen nahe, dass Cordus in der taciteischen Welt eines der vielen unschuldigen senatorischen Opfer der Unruhe und des Machtstrebens der Ankläger unter einem schlechten Princeps wurde. 75 Tac. ann. 3,49–51. Auch wenn dieser Prozess möglicherweise unter den Rahmenbedingungen der Gesetze gegen schwarze Magie oder gegen Mörder und Giftmischer gefallen sein mag (vgl. Rutledge 2001, 92 f.), ist dies hier von marginalem Interesse, da Tacitus den Prozess in seiner Darstellung als einen maiestas-Prozess verstanden wisse möchte. Nur die Äußerung von Worten, ein Gedicht, führt zur Hinrichtung, die durch den Kaiser als dem Beleidigten hätte verhindert werden können. Vgl. die Aufnahme dieses Prozesses unter die maiestas-Klagen schon bei Koestermann 1955, 99–101. 76 Tac. ann. 3,49. 77 Tac. ann. 3,49,2: ut delator extitit, ceteris ad dicendum testimonium exterritis, sola Vitellia nihil se audivisse adseveravit. sed arguentibus ad perniciem plus fidei fuit, sententiaque Haterii Agrippae consulis designati indictum reo ultimum supplicium („Als der Angeber auftrat, ließen sich alle übrigen einschüchtern, ihre Zeugenaussage zu machen, allein Vitellia versicherte nichts gehört zu haben. Aber den Anschuldigungen, die zu seinem Verderben führen mussten, wurde mehr Glauben geschenkt, und auf den Antrag des designierten Konsuls Haterius Agrippa wurde über den Angeklagten die Todesstrafe verhängt“).
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diesem Falle wahrscheinlich um eine leere, zwar plausible (sonst wäre die Angst der Frauen unerklärlich), aber erfundene (sonst würde die mutige Aussage der Vitellia keinen Sinn ergeben) Anklage handelte. Die Wahrheit der Anschuldigungen vorausgesetzt, bezogen diese sich dennoch nur auf bloße Worte, wie M. Lepidus in seinem Plädoyer gegen die Todesstrafe argumentiert, und nicht auf Taten, die man Clutorius Priscus hätte vorwerfen können. In seiner Rede verweist Lepidus auch auf die moderatio und die misericordia des Princeps.78 Doch wussten, so unterstellt Tacitus, die Senatoren ganz genau, was sie taten, als sie nicht auf diese angeblichen Tugenden des Princeps vertrauten, die sowieso immer erst im Nachhinein, als es für den Betreffenden schon zu spät war, zum Vorschein kamen;79 die also nie ernst gemeint waren und auf die man unter keinen Umständen vertrauen durfte.80 So ließen die Senatoren den Angeklagten nach seiner Verurteilung sofort ins Gefängnis bringen und dort hinrichten. Tiberius blieb in seinem Statement gegenüber dem Senat bezüglich dieses Falles zwar gewohnt zweideutig, indem er die Senatoren für ihre pietas lobte, ihnen aber vorwarf, bloße Worte übereilt bestraft zu haben, wie er auch Lepidus für sein Plädoyer lobte, den Antragsteller für die Todesstrafe aber nicht tadelte.81 Doch der Erzähler lässt keinen Zweifel an der wahren Haltung des Tiberius. Er berichtet von einem konsekutiven senatus consultum, dass Todesurteile frühestens 10 Tage nach ihrem Beschluss vollstreckt werden sollten. „Doch erhielt der Senat nicht die Freiheit, eine Entscheidung zu berichtigen, noch ließ sich Tiberius durch diesen Aufschub zur Milde bestimmen.“82 Tiberius’ Tadel des Senats und sein Lob des Lepidus sind also nur Verstellung, die Verurteilung und Hinrichtung des Clutorius Priscus waren ganz in seinem Sinne. Wieder einmal versteht es Tiberius nach ausgelebter Grausamkeit umso offenherziger seine moderatio, misericordia und clementia83 vor dem Senat zur Schau stellen (vgl. Libo). Nur gelingt es 78
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Tac. ann. 3,50,2 f. Vgl. zur intertextuellen Anspielung auf Caesars Rede in Sallusts Catilina Ginsburg 1986, 528–530. Eine Anspielung deren Hintergrund (der versuchte Putsch der Catilinarier) den Vorwurf gegen Priscus und die eigentliche Harmlosigkeit seines Tuns deutlich hervorhebt. Sehr zum Amüsement des Lesers äußert dies Lepidus in seiner Rede für die misericordia des Princeps und gegen das Todesurteil, Tac. ann. 3,50,2: saepe audivi principem nostrum conquerentem, si quis sumpta morte misericordiam eius praevenisset („Oft habe ich gehört, wie unser Princeps es bedauerte, wenn jemand durch freiwilligen Tod seiner Gnade zuvorgekommen war“). Interessant wäre die Frage, ob Lepidus in dieser Episode als charakterstark, als äußerst berechnend (also das Abstimmungsverhalten seiner Standesgenossen und das Todesurteil für Priscus mit einbeziehend das Lob des Princeps für sich einkalkuliert) oder einfältig dargestellt werden soll. Vgl. allg. zu seinem Auftreten in den Annalen Koestermann 1963, 110. Wie beispielsweise das Gnadengesuch Libos an Tiberius zeigt (siehe Tac. ann 2,30,4–31,1, siehe oben) oder die Bittschrift des C. Silanus (ebd. 3,67,4). Insgesamt wirft dieser vorauseilende Gehorsam natürlich auch kein gutes Bild auf den Senat und die Führungsschicht unter Tiberius, vgl. Ginsburg 1986, 531–533. Tac. ann. 3,51,1. Tac. ann. 3,51,2: sed non senatui libertas ad paenitendum erat, neque Tiberius interiectu temporis mitigabatur. Letztere kommt in der scheinbaren und nachträglichen Befürwortung des Antrags des Lepidus zum Ausdruck, der an das richtige Maß von Milde und Strenge der Senatoren bei der Urteilsfindung appelliert; Tac. ann. 3,50,2: … est locus sententiae, per quam neque huic delictum
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ihm damit nicht einmal mehr die Senatoren, geschweige denn den Erzähler zu täuschen. IV. Fortschreitende Eskalation und die Auflösung des Gemeinwesens (Tac. ann. 4,68–70 und Buch 6) Nach dem Tod des Drusus kippt die Darstellung der tiberianischen Herrschaft in den Annalen. Und wenn der prinzipiell schlechte Charakter des Tiberius zuvor mehr durch die Geschehens-Analyse sowie die Introspektion in das Figureninnere des Protagonisten, dessen emotionale und ‚wirkliche‘ Motivationen, zu erschließen war, tritt nun immer mehr die Fratze des Tyrannen zum Vorschein.84 Dies wird auch an der zunehmenden Anzahl von berichteten Prozessen deutlich, die in ihren Auswirkungen für die Aristokratenschicht und die res publica immer verheerender werden, wobei ebenfalls die spezielle Form der maiestas-Klage, wenn auch nicht immer nominell, so doch häufig durch Anspielungen unterstellt, eine immer bedeutendere Rolle spielt. In der Folge dieser Entwicklung klagt Tacitus über die Monotonie und Tristesse seines Gegenstandes: „Ich muss grausame Befehle, unaufhörliche Anklagen, trügerische Freundschaften, das Verderben Unschuldiger und die immer gleichen Gründe ihres Unterganges aneinanderreihen, wobei sich die Ähnlichkeit der Fälle bis zum Überdruss aufdrängt.“85 Diese selbstreferentielle Klage findet sich innerhalb einer poetologischen Digression, in welcher der Autor sich Gedanken über die Form und den Inhalt seines Geschichtswerkes macht, es mit seinen Vorgängern vergleicht, eine Veränderung des Genres und die Problematik zeitgenössischer Rezeption konstatiert.86 Diese zwei programmatischen Abschnitte stehen am Übergang einer Reihe von Anklagen87 und des diese Verhandlungsreihe
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impune sit et nos clementiae simul ac severitatis non paeniteat („ …dann ist der Ort für einen Antrag, nach dem einerseits diesem Mann hier sein Vergehen nicht straflos bleibt und wir andererseits unsere mit Strenge verbundene Milde nicht zu bereuen brauchen“). Der Tod des Drusus als Wendepunkt im tiberianischen Prinzipat: Tac. ann. 4,6,1; 4,7,1; vgl. ebd. 6,51,3, wo er gemeinsam mit Germanicus und Livia als eine der Schranken gegen das Ausbrechen des wahren Charakters des Tiberius benannt wird; vgl. Schmal 2005, 71 f. Zur Diskussion, ob es sich bei der Veränderung des Tiberius in der Darstellung um eine Charakterentwicklung oder Entbergung handelt, siehe oben, Anm. 9. Die Analyse der maiestasKlagen sollte bis zu diesem Punkt jedoch deutlich gemacht haben, dass Tiberius von Beginn an einen schlechten Princeps verkörpert, zu erkennen an seiner Motivation, maiestas-Klagen zuzulassen; vgl. oben, zu Tac. ann. 1,72–74. Tac. ann. 4,33,3: nos saeva iussa, continuas accusationes, fallaces amicitias, perniciem innocentium et easdem exitii causas coniungimus, obvia rerum similitudine et satietate. Tac. ann. 4,32 f. Tac. ann. 4,18–31. ebd. 4,18 f.: Prozess gegen C. Silius, dessen Freitod und die Verbannung seiner Gattin Sosia Galla; ebd. 4,21: die Verhandlung über Calpurnius Piso, bei der es zu keinem Prozess kommt, weil dieser rechtzeitig stirbt; es folgt eine Digression über die Ereignisse in Africa und einen fast erfolgten Sklavenaufstand in Italien (ebd. 4,23–27); ebd. 4,28–30: Prozess des Vibius Serenus gegen seinen Vater gleichen Namens (aufs neue verbannt) und den Prätor Caecilius Cornutus (Selbstmord); ebd. 4,31,1: Ein römischer Ritter, angeklagt wegen seiner Schmähgedichte, wird auf Gesuch seines senatorischen Bruders begnadigt (wobei es bezeichnend ist, dass dies eine besondere und berichtenswerte Ausnahme darstellt); ebd.
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abschließenden Schau-Prozesses mit der anschließenden Selbstentleibung des Historikers Cremutius Cordus. Sie werden im folgenden Kapitel noch ausführlicher besprochen.88 Im Anschluss berichtet Tacitus von ununterbrochenen Vorladungen von Beschuldigten in diesem Jahr und belegt dies mit einer in den Tagen des Latinerfestes eingereichten Anklage.89 Darauf folgt die Darstellung unterschiedlicher Ereignisse der Jahre 25, 26 und 27 n. Chr.90, bis als erstes Ereignis des Jahres 28 der Prozess und die Hinrichtung des Ritters Titius Sabinus berichtet wird.91 Diese Episode findet sich mitten in der Geschichte vom Aufstieg des Sejanus und dem Fall der Agrippina, zu einer Zeit, als Livia noch lebt, aber Tiberius schon dauerhaft nicht mehr in Rom weilt. Sie entspricht in vielen Einzelheiten der Erzählung vom Prozess gegen Libo, insofern als sich auch Sabinus unter der Vorspiegelung einer intimen Freundschaft92 zu einer Unvorsichtigkeit hinreißen lässt, die ihn schließlich das Leben kostet. Auch in seinem Fall sind die frevelhaften Ankläger auf ihr Vorankommen im cursus honorum aus, wenn es bei ihnen auch nicht um die Prätur, sondern das Konsulat geht.93 Selbst das höchste Amt im Staat, so verdeutlicht diese Episode, wird nun zum Preis für Verbrechen. Doch gibt es auch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Fällen: Nicht um direkt in der Gunst des nun abwesenden Tiberius, sondern um in derjenigen des Sejanus, der nun als einziger Zugang zum Konsulat bezeichnet wird, zu steigen, wird das schändliche Unternehmen gestartet, das zum letalen Ende eines dem Prätorianerpräfekten verhassten Standesgenossen führt und dessen eigentliches Verbrechen in seiner wahren und unerschütterlichen Freundschaft zu Germanicus und dessen Familie besteht.94 Auch lässt sich Sabinus nicht zu verwerflichem Tun ver-
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4,31,3 f.: Verbannung des Suilius wegen Erpressung und der Ausschluss des Catus Firmius (desselben, der eine unrühmliche Rolle im Prozess gegen Libo gespielt hatte; vgl. oben, zu ebd. 2,27–32) aus dem Senat wegen falscher Beschuldigungen, seine Schwester habe gegen maiestas-Gesetze verstoßen (für die Verurteilung Libos und die anschließende Belohnung des Catus reichten dessen auf schändliche Art und Weise erzwungene Beschuldigungen noch aus). Tac. ann. 4,34 f. Tac. ann. 4,36,1. Tac. ann. 4,36–67. Tac. ann. 4,68–70. Auch in diesem Fall wird die Absicht des Tacitus, Tiberius in möglichst schlechtem Licht darzustellen, darin sehr deutlich, dass der wahre Verurteilungsgrund des Sabinus vorenthalten wird, siehe Rutledge 2001, 144–146. Tac. ann. 4,68,4: speciem artae amicitiae („den Anschein einer engen Freundschaft“). Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Auflösung von Freundschaft und den Bedingungen bürgerkriegsartig ausgefochtener Konkurrenz Keitel 1984, 324 f. Tac. ann. 4,68,2: hunc Lucanius Latiaris, Porcius Cato, Petilius Rufus, M. Opsius praetura functi adgrediuntur, cupidine consulatus, ad quem non nisi per Seianum aditus; neque Seiani voluntas nisi scelere quaerebatur („Auf ihn [Titius Sabinus] gingen Lucanius Latiaris, Porcius Cato, Petilius Rufus und M. Opsius los, alles ehemalige Prätoren, in ihrem Streben nach dem Konsulat, zu dem es nur über Seianus einen Zugang gab; und des Seianus guter Wille ließ sich nur durch ein Verbrechen gewinnen.“). Vgl. Suerbaum 2012, 243 f. Tac. ann. 4,68,1: ob amicitiam Germanici („wegen seiner Freundschaft zu Germanicus“). Vgl. zur Schändlichkeit des Vorgehens wider jeglichen Sinn von pietas und fides Koestermann 1963, 204. Vgl. zur Intertextualität zwischen dem taciteischen Sejan und dem Catilina von
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anlassen, sondern breitet seine Kümmernisse und Klagen über die Herrschaft des Tiberius im privatesten Raum eines vermeintlichen Freundes aus; reine dicta im Bereich maximal limitierter Öffentlichkeit werden bestraft.95 Ebenfalls wird das hinterhältige Vorgehen der Ankläger, die sich als heimliche Zeugen des im Schlafzimmer stattfindenden Gespräches zwischen Zimmerdecke und Dach verstecken, im Falle des Sabinus wesentlich detaillierter beschrieben, wodurch sich die Distanz zwischen Erzählung und Gegenstand vermindert – der Leser nimmt direkter am Geschehen teil als in einem reinen Bericht der Ereignisse.96 Dieses erzählerische Verfahren stärkerer imaginärer Wirkkraft soll zum Verständnis der anschließenden Verunsicherung innerhalb der Bürgerschaft beim Rezipienten beitragen. Denn die Heimtücke der Ankläger hat die Auflösung jeglichen sozialen Lebens zur Folge, da die Bürger von Angst und Schrecken gelähmt sind, Zusammenkünfte und Gespräche sogar mit den nächsten Freunden und Verwandten meiden und ihr Leben bestimmt ist vom Misstrauen gegenüber allem und jedem – sogar gegenüber den unbelebten Dingen, da sie unbekannte Zuhörer verbergen können.97 Dieser allgegenwärtige Zustand der Angst und Lähmung spiegelt sich sprachlich in der äußerst verbarmen Beschreibung der Befindlichkeit der Bürgerschaft wider und weckt die Assoziation an den Zustand totaler Lähmung unter Domitian, wie er im Proöm des Agricola beschrieben ist.98 Für das einzige finite Verb (circumspectabantur) wählt der Autor dann auch ein unpersönliches Passiv im Indikativ Imperfekt – eine kollektive, ständig beachtete Vorsicht und tiefes Misstrauen. Dies ist die innerliche Auflösung der civitas; ein gemeinschaftliches soziales Leben der Bürgerschaft existiert damit nicht mehr. „Und in einem Brief an den Kaiser berichteten sie den Ablauf ihres hinterhältigen Vorgehens und ihre eigene Schande.“99 Der Kaiser, so wird unterstellt, ist sich also bewusst, welche Auswirkungen es auf den Zustand der civitas haben würde, wenn er diese Klage annehmen würde; dies wird ihm auch von dem zur Vollstreckung des Urteils abgeführten Sabinus vorgeworfen, mit voller Absicht habe Tiberius den Hass für diese Untat auf sich gezogen.100 Denn Tiberius beschuldigt im
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Sallust sowie zur sprachlichen Ausgesaltung dieser juristischen Affäre, die sie zu einem Teil unter der Herrschaft des Tiberius herrschenden Bürgerkriegs macht Keitel 1984, 321 f. Tac. ann. 4,69,2. Tac. ann. 4,68,2–69,2. Zur Distanz siehe Genette 2010, 104 f. Tac. ann. 4,69,3: non alias magis anxia et pavens civitas, tegens adversum proximos; congressus conloquia, notae ignotaeque aures vitari; etiam muta atque inanima, tectum et parietes circumspectabantur („Zu keinem anderen Zeitpunkt lebte die Bürgerschaft mehr in Angst und Schrecken; man suchte sich gegen die nächsten Freunde zu decken, mied Zusammenkünfte und Gespräche, hütete sich vor bekannten und unbekannten Ohrenzeugen; sogar nach stummen und leblosen Dingen, Zimmerdecken und Wänden sah man sich ängstlich um“). Vgl. Suerbaum 2012, 244–246. Tac. Agr. 2,3: …adempto per inquisitiones etiam loquendi audiendique commercio („…wobei uns durch Bespitzelung jede Art des Meinungsaustausches genommen war“). Vgl. Koestermann 1963, 205. Tac. ann. 4,69,3: missisque ad Caesarem litteris ordinem fraudis suumque ipsi dedecus narravere. Tac. ann. 4,70,3.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
selben Brief vom 1. Januar, der auch die feierlichen Wünsche für den Jahresanfang enthielt, Sabinus der Verschwörung gegen ihn und fordert offen dessen Bestrafung.101 Indessen nutzt Tacitus die Abführung des Verurteilten, um die Grausamkeit und Frevelhaftigkeit des Herrschers und des Sejanus durch den Mund des Verurteilten anzuprangern102 und die unheimliche Steigerung absoluter Angst in ihrer Allgegenwart darzustellen: dass man nämlich sogar Angst davor hatte, Angst zu haben – id ipsum paventes, quod timuissent.103 Auch dies gehört zum Kalkül des Tiberius, der sich in einem anschließenden Brief für die Bestrafung eines Staatsfeindes bedankt und fast schon sarkastisch von seiner eigenen Angst um sein Leben und derjenigen vor Anschlägen seiner Feinde berichtet,104 obwohl er doch fern von Rom weilt, wo die Angst tatsächlich voll um sich gegriffen und sich jeder Gemeinschaftssinn der Bürgerschaft aufgelöst hat. Die verheerende Konsequenz dieser allumfassenden Angst besteht dann in der alleinigen Konzentration auf den Kaiser, dem man durch Schmeichelei versucht, den Schrecken zu nehmen, dabei das Imperium aber gänzlich vernachlässigt.105 Paradoxerweise bewirken die maiestas-Gesetze, die ursprünglich erlassen wurden, um die Hoheit des römischen Volkes zu schützen,106 eine innere Panikstarre, die dazu führt, dass man den Entehrungen des Reiches an seinen äußeren Grenzen gleichgültig gegenüber steht. Der Grund dafür liegt in der Aushöhlung dieser Gesetze und ihrer Anwendung auf und unter einem schlechten Princeps. Die Grausamkeit des Tiberius führt also nicht nur zur Vernichtung der Aristokratie, sondern auch zum Verderben der res publica und des Imperiums. Doch die unerträglichen Zustände in Rom werden nach dem Fall des Sejanus noch schlimmer. Tacitus zeichnet die verbleibenden sechs Jahre der tiberianischen Herrschaft als ein einziges Blutbad.107 Das Unheil droht den Nobiles von allen Seiten (ob von Fremden, Freunden 101 Tac. ann. 4,70,1. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die Signifikanz der Verurteilungsforderung nicht allein als erste Amtshandlung des Princeps im neuen Jahr, sondern darüber hinaus wurde sie sogar mit den feierlichen Wünschen zu Jahresbeginn verknüpft. 102 Tac. ann. 4,70,1–3. Dies zeigt sich daran, dass statt der Opfer für die Götter zu Jahresbeginn er, der Verurteilte, dem Verbrecher Sejanus als Opfer dargebracht wird, zu einer Zeit, in der man sich sogar unheiliger Worte enthalte. 103 Tac. ann. 4,70,2 „eben deswegen zitternd, weil sie Angst gehabt hatten.“ Auch hier zeigt sich wieder eine Distanz zum Ereignis abbauende, dramatische Erzählhaltung, in welcher das telling zugunsten des showing zurückgedrängt wird. Vgl. zu diesen narratologischen Begriffen Genette 2010, 104–108. 104 Tac. ann. 4,70,4. 105 Tac. ann. 4,74,1. So schreibt Tacitus nach dem Aufstand der Friesen: clarum inde inter Germanos Frisium nomen, dissimulante Tiberio damna, ne cui bellum permitteret. neque senatus in eo cura, an imperii extrema dehonestarentur: pavor internus occupaverat animos, cui remedium adulatione quaerebatur („Berühmt war von da an unter den Germanen der Name Friesen, während Tiberius die Verluste verheimlichte, um niemandem die Führung eines Krieges überlassen zu müssen. Auch der Senat machte sich darüber keine Sorge, ob etwa das Reich an seiner äußersten Grenze entehrt werde: der Schrecken im Innern hatte alle Herzen erfasst, und das Heilmittel dagegen suchte man in der Schmeichelei“). 106 Tac. ann. 1,72,3; vgl. oben, S. 291–293. 107 Tac. ann. 6,29,1: At Romae caede continua („In Rom dagegen dauerte das Morden fort“); vgl. Schmal 2005, 73.
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oder Verwandten) und in allen Räumen des sozialen Lebens (auf dem Forum wie bei Gastmählern); jeder versucht dem anderen mit einer Klage zuvorzukommen.108 Nun werden sogar Frauen ermordet, und das allein aufgrund ihrer Tränen über ihre verurteilten Söhne.109 Keine Differenz besteht mehr in der Grausamkeit und den schlimmen Urteilen zwischen dem Senat und Tiberius.110 Nichts schützt mehr vor dem eigenen Untergang, nicht einmal die Nähe zum Kaiser.111 Diesen besänftigen auch die inzwischen seit dem Verrat des Sejanus vergangenen Jahre nicht,112 und kleinste Zeichen der Missgunst reichen aus, um Vertreter der Aristokratie in den Freitod zu treiben.113 Doch selbst die Krankheit und auch der Tod des Tiberius setzen den inneraristokratischen Bluttaten keinen Schlusspunkt, da der Erzähler in einer proleptischen Bemerkung eine über Tiberius hinausreichende Kontinuität des Blutvergießens aufgrund von maiestas-Klagen in Aussicht stellt.114 Daraufhin endet die Herrschaft des Tiberius, wie sie begonnen hat: mit einem Mord – nur diesmal an ihm selbst. Damit beginnt ebenfalls der Prinzipat des Caligula wie der des Tiberius mit einer Bluttat.115 Anscheinend führen nur Untaten einen schlechten Princeps auf den Thron und mithilfe von Verbrechen versucht dieser, sich dort zu halten. V. Tiberius, der Anti-Trajan Eine besonders für die Nobilität verheerende Untat des Tiberius besteht in der Etablierung der maiestas-Prozesse als einem perfiden Modell sozialer Interaktion. Als doppelter Auslöser dieser Verhaltensweise, indem sowohl die Hoheit seiner Person und in taciteischer Terminologie seine verletzte Eitelkeit den Gegenstand des Gesetzes darstellt, als auch die Anwendung des Gesetzes durch Ankläger und der Institution des Senats von ihm gebilligt und unterstützt wird, präfiguriert er damit das 108 Tac. ann. 6,7,3. Dieses Verhalten hat so stark um sich gegriffen, das ihm jegliche Rationalität fehlt und von Tacitus nur noch mit der Metapher der ansteckenden Krankheit beschrieben werden kann. Das Bild der Krankheit der Bürgerschaft ist ebenfalls im Proömium des Agricola prominent; vgl. oben, Kap. 1.3. 109 Tac. ann. 6,10,1. 110 So heißt es nach dem Todesurteil an der Mutter des Fufius Geminus wegen ihrer Tränen über den Tod ihres Sohnes in Tac. ann. 6,10,2: Haec apud senatum; nec secus apud principem („Diese Entscheidungen traf der Senat; und nicht anders endeten die Verfahren vor dem Princeps“). 111 Tac. ann. 6,10,2. Die Hinrichtung der ältesten Vertrauten Vescularius Flaccus und des Iulius Marinus, die Tiberius selbst nach Rhodos begleiteten und auch auf Capri seine Gefährten waren. In die gleiche Richtung weist der Freitod des Cocceius Nerva, ebd. 6,26,1. 112 Tac. ann. 6,38,1. 113 Tac. ann. 6,40,2. Vgl. oben, Anm. 11. 114 Tac. ann. 6,47,1: interim Romae futuris etiam post Tiberium caedibus semina iaciebantur („Inzwischen wurde in Rom für das auch nach dem Tod des Tiberius zu erwartende Blutvergießen der Same ausgestreut“). Zu dem narratologischen Begriff der Prolepse siehe Genette 2010, 39–47. 115 Tac. ann. 6,50,4 f. vgl. ebd. 1,6,1 f. Tiberius wird dabei von seiner Mutter Livia unterstützt, während Macro für Caligula die Schmutzarbeit erledigt, die Tacitus übrigens nicht einmal als Verbrechen bezeichnet.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Agieren seiner Elite, da er ihr auf diese Weise eine von ihm akzeptierte soziale Praxis als Handlungsmodell zur Verfügung stellt. Der juristische Handlungsrahmen (genre)116 legt dabei die sozialen Rollen der Akteure als Ankläger oder Angeklagte fest und den Senat bzw. im Fluchtpunkt dessen Handlungen den Princeps als vermittelnde/urteilende Institution. Der Klagegegenstand der maiestas (discourse) bringt dabei eine Repräsentation von Welt hervor, in welcher die persona des Anklägers (style) als ein Mitglied der Elite beschreibbar ist, welches sich um die maiestas der res publica und an dessen Spitze der des Princeps sorgt und für Gerechtigkeit eintritt.117 Dem Angeklagten hingegen wird die soziale Rolle des asozialen Subjekts zugeschrieben, das sich Verbrechen an der Allgemeinheit, umtriebiger verräterischer Aktionen und egoistischer Ambitionen auf Kosten der Gemeinschaft hat zu Schulden kommen lassen.118 Die Handlungskategorie der maiestas-Klage erscheint also in das Kleid von Recht und Gerechtigkeit gewandet. Doch diesen Mantel der iustitia lüftet Tacitus in seiner Repräsentation der tiberianischen Herrschaft und entlarvt die behauptete Gerechtigkeit als verdrehten Schein.119 Nicht das Wohl der res publica, sondern die Eitelkeit und Grausamkeit des Princeps als Fluchtpunkt bestimmen, wer für was angeklagt wird, so dass Rechtlichkeit zu Willkür wird und bereits einfache Worte, 116 Siehe für die in diesem Abschnitt in Klammer angeführten Begriffen Fairclough 2003, 21– 38; vgl. oben, Kap. I.2, Anm. 82. 117 Vgl. bspw. die Entgegnung des Tiberius auf die Bitte des prospektiven Angeklagten, man möge den Prozess verschieben, bis der Ankläger nicht mehr das Amt des Konsuls inne habe, Tac. ann. 4,19,2: nec infringendum consuli ius, cuius vigiliis niteretur, ne quod res publica detrimentum caperet („man dürfe das Recht des Konsuls nicht brechen, von dessen Wachsamkeit es abhänge, dass der Staat keinerlei Schaden leide“). 118 Die hier in Klammern referierten Begrifflichkeiten haben den Zweck, die starke Verknüpfung zwischen sozialer Praxis und discourse bzw. den aus kontextuell geregelten sprachlichen Realisierungen bestehenden discourse als Bestandteil einer sozialen Praxis nach dem Modell Norman Faircloughs aufzuzeigen. Dabei soll die Abstraktion des sozialen Ereignisses (des einzelnen maiestas-Prozesses) als eines in der Regierungszeit des Tiberius legitimen Handlungsmodells dazu dienen, die Logik dieser sozialen Praxis, deren Diskursivierung Teil des tiberianischen Herrschaftsverständnisses (sowohl von Seiten des Kaisers als auch der Senatoren) war, herauszuarbeiten. Zentral für die Einbettung dieses Handlungsmodells in den Horizont der zeitgenössischen sozialen Praktiken war der maiestas-Diskurs, der wie in diesem Abschnitt beschrieben, im juristischen Handlungsrahmen Gegenstand und Identifizierung der Beteiligten bestimmte respektive von diesen bestimmt wurde. Zum methodischen Konzept siehe oben, Kap. I.2, Anm. 82. Für eine ähnlich starke Verknüpfung von discourse und sozialer Praxis, die im Unterschied zum hiesigen Fall keiner diskursivierten Vermittlung unterliegt (also kein in einem Text mithilfe von beschriebenen Einzelereignissen dargestelltes Handlungsmodell ist), vgl. oben, Kap. 2.4, S. 125–127 und Kap. 2.5, S. 129–136 die Problematik der Ernsthaftigkeitsbeteuerungen des jüngeren Plinius in seinem Panegyrikus sowie seinen Kunstgriff, einer spezifischen sozialen Rollenfestlegung zu entgehen. 119 So bspw. durch den Erzählerkommentar zur Rechtfertigung des Tiberius, dass ein amtsführender Konsul nicht daran gehindert werden dürfe, die Verfehlungen eines Standesgenossen vor Gericht zu bringen, da er sich um das Wohl des Staates sorge, Tac. ann. 4,19,2: proprium id Tiberio fuit, scelera nuper reperta priscis verbis obtegere („Dies war eine Eigenart des Tiberius, neu erfundene Ungesetzlichkeiten mit altertümlichen Redewendungen zu verbrämen“).
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die als behauptete Äußerungen immer den potentiellen Charakter des Erfundenen in sich tragen, mit übermäßig harten Strafen belegt werden. Die Ankläger nutzen diese soziale Praxis im juristischen Handlungsfeld aus egoistischer, ambitiöser Motivation und mit dem Ziel illegitimer Macht.120 Sie betreiben mit diesem Instrument ihr Vorankommen in der aristokratischen Hierarchie auf Kosten Unschuldiger, indem ihre Konkurrenten zum einen nach erfolgreicher Anklage beseitigt werden oder es ihre Standesgenossen zum anderen nicht wagen ihnen entgegenzutreten, weil sie Angst haben, ebenfalls erfolgreich von ihnen verklagt zu werden.121 In ihrem Erfolg als Ankläger – der Bestrafung der Angeklagten, ihrem Zugewinn an Reichtum und Ehrenstellen – zeigt sich ihre Kaisernähe, die sie sich als erwünschte Konsequenz ihres Handelns durch Schmeichelei der kaiserlichen Eitelkeit und Dienstbereitschaft für dessen Grausamkeit erworben haben. Das Ziel ihres Handelns ist in einem Wort: potentia – Macht über andere mittels Kaisernähe sowie Schrecken und Ressourcenreichtum als Druckmittel gegenüber ihren Standesgenossen, womit sie auf selbsterworbene senatorische dignitas und die daraus resultierende auctoritas verzichten. Damit eifern sie nicht nur ihrem Princeps nach, sondern tragen auch selbst wesentlich zum Untergang der libertas bei. Denn in ihrer Rolle als Ankläger potenzieren sie durch ihre Dienstbereitschaft, die dazu führt, dass sie für Tiberius die Funktion von Marionetten übernehmen,122 die potentia des Tyrannen. Die maiestas-Prozesse werden aber nicht nur durch ihre Funktionalisie120 Tacitus greift also die soziale Praxis der maiestas-Klage bei seiner Repräsentation der Vergangenheit auf und diskreditiert sie, indem er den ihr zugrunde liegenden discourse auf die Charakterschwächen des Princeps (Eitelkeit und Grausamkeit) zurückführt und sehr häufig die styles der Beteiligten miteinander vertauscht (machthungrige Übeltäter verklagen erfolgreich unschuldige Senatoren). Komplettiert wird diese taciteische diskursive Umformulierung durch ihre Einbettung in die Darstellung der Tyrannis des Tiberius, die von Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Angst gekennzeichnet ist. Diese Dämonisierung der tiberianischen Herrschaft ist auf einer höheren Ebene Teil der taciteischen Praxis, im genre des Schreibens und Verbreitens von Historiographie im style des Konsulars seine Repräsentation von Welt (discourse 1) bzw. von Vergangenheit sowie die dabei zum Vorschein tretenden Deutungsmuster und Wissensordnungen unter Rückgriff zeitgenössischer (also trajanischer) Repräsentationsmuster (discourse 2) hervorzubringen und damit gleichzeitig auf diese einzuwirken; discourse 1: die Repräsentation von Welt des Textes; discourse 2: die soziale Praxis, Welt zu repräsentieren, welche als abstrakte Entität über ihren Einzelrealisierungen angesiedelt ist; siehe Fairclough 2003, 37 f. Vgl. oben, Kap. I.2, Anm. 82. Zur taciteischen Verwendung der Sprache der Stasis, um den durch Anklagen verursachten Aufruhr in der Bürgerschaft zu verdeutlichen, vgl. Keitel 1984, 317 f., 321–323. 121 Zumindest nicht so lange es sich um anständige Senatoren handelt, da diese nicht zum Instrument der maiestas-Klage greifen würden, dieselbe aber die einzige Möglichkeit darstellt, diesen Anklägern beizukommen. 122 Siehe bspw. Tac. ann. 4,71,1, wo es über die Ankläger des Titius Sabinus heißt, sie seien für Tiberius scelerum ministros („Helfer seiner Verbrechen“), die er aber auch habe fallen lasse, wenn er ihrer überdrüssig wurde und sich ihm neue Leute zum Dienst anboten. Dabei ist das Paradoxe dieser Darstellung, dass maiestas-Prozesse eigentlich ein inneraristokratisches Distinktionselement darstellen und keineswegs dem Kaiser zu dessen Machtsicherung dienen, siehe Flaig 2003, 26–29. Zur sprachlichen Darstellung des Tacitus, in welcher Tiberius auch mit den Mitteln der maiestas-Prozesse Krieg gegen seine eigenen Untertanen führt und der Hauptverantwortliche für die Unruhen in der Stadt ist, vgl. Keitel 1984, 307, 323.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
rung durch Tiberius als Machtinstrument über die Aristokratie ein integraler Bestandteil der tiberianischen Tyrannis, sondern auch die in ihnen zum Vorschein kommende Diskrepanz von Schein und Sein spielt eine paradigmatische Rolle für die taciteische Darstellung dieser spezifischen Vergangenheit.123 Eine wesentlich detailliertere Analyse aller maiestas-Prozesse vor dem Hintergrund der tiberianischen Rechtsprechung allgemein könnte eine Grammatik dieses spezifischen sozialen Ereignisses in der taciteischen Repräsentation von Welt sichtbar machen. Dies würde sicherlich dazu beitragen, ein noch tieferes Verständnis für die Darstellung der tiberianischen Regierung und der damit verknüpften aristokratischen Selbstwahrnehmung zu Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus zu erzeugen. Doch vorerst muss die vorliegende Analyse genügen, auf deren Grundlage die diskursive Funktionalisierung der maiestas-Prozesse als delegitimierendes und die Tyrannis entlarvendes Modell sozialer Handlung herausgearbeitet wurde. Um die Prägnanz der Erkenntnisse aber deutlicher zu machen, werden sie im folgenden Abschnitt mit dem Optimus-Princeps-Diskurs des plinianischen Panegyrikus kontrastiert und von einigen zusätzlichen diffamierenden Diskursivierungen der tiberianischen Herrschaft durch Tacitus vervollständigt. Die maiestas-Prozesse werden nicht zuletzt durch die Grausamkeit (saevitia) des Tiberius ausgelöst, die damit die zur Schau gestellte civilitas, welche im Optimus-Princeps-Diskurs eine der trajanischen Kerntugenden ist, als Schein entlarvt.124 Sie fördern stattdessen eben diese Grausamkeit (saevitia), den Zorn (ira) und Hass (odium) des Tiberius sowie die innerfamiliären Zwistigkeiten des Kaiserhauses (discordia) zutage, die unter anderem auf seiner Furcht (metus) vor den Besten (optimis) basiert, denen er deshalb keine verantwortungsvollen Posten anvertraut und die er nicht zuletzt durch maiestas-Prozesse gerne dem Verderben ausliefert.125 Dazu stehen nicht nur die trajanischen Veranlagungen der Menschlichkeit 123 Vgl. für die Inszenierung scheinbarer Tugenden von Tiberius wie der moderatio, der modestia, der civilitas, der clementia, der misericordia sowie der iustitia die obigen Analysen der maiestas-Prozesse. Vgl. für den Schein als wesentliches Merkmal des tiberianischen Prinzipats bspw. Tac. ann. 1,7,3 (tamquam); 1,7,7 (videretur); 1,77,3; 1,18,2; 2,64,4; 3,60,1. Dieser Schein wird dann auch bewusst von Senatoren produziert (ebd. 3,35,3) oder vom ganzen Volk aufgegriffen (ebd. 4,12,1). 124 Vgl. oben zu Tiberius und vgl. oben, Kap. 2.1 und 2.3 zum Panegyrikus für die zentrale Rolle der civilitas im Optimus-Princeps-Diskurs; vgl. bspw. die Begründung für die Verleihung des Beinamen Optimus durch die Senatoren in Plin. paneg. 2,7 iam quid tam civile tam senatorium, quam illud additum a nobis Optimi cognomen? („Welcher Beiname ist so rein auf einen Bürger und Senator gemünzt wie der, den wir ihm gegeben haben: Optimus, der Beste?“). Dabei wird die adjektivische Attribuierung des Cognomen als Hendiadyoin verstanden, bei dem senatorium in gewisser Weise noch eine Steigerung des civile beinhaltet, beides zusammen aber so viel wie „standesadäquate Senatorenhaftigkeit“ bedeutet. Sie dienen aber nicht nur dazu, Tiberius als Tyrannen darzustellen, sondern die Legitimationsgrundlage des Prinzipats, die Bürgerkriege beendet zu haben, als Trugbild zu enttarnen, da in der taciteischen Darstellung das julisch-claudische Prinzipat die Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln bedeutet – siehe dazu Keitel 1984. Zu den realpolitischen Implikationen in der Zurückhaltung von Äußerungen seinen Willen betreffend, vgl. Winterling 2004, 30 f. 125 Siehe oben zu den maiestas-Prozessen. Vgl. zusätzlich zur Angst des Tiberius vor den Besten Tac. ann. 1,80,2: ex optimis periculum sibi, a pessimis dedecus publicum metuebat („Von den
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(humanitas) und der Mäßigung (moderatio) sowie die vorbildliche Harmonie und Einigkeit (concordia) im innerfamiliären Bereich in fundamentaler Opposition, sondern auch sein Regierungshandeln, nach dem gerade die Besten unter ihm gefördert werden.126 Tiberius hingegen fördert zwar des Öfteren Delatoren, indem er ihnen Ehrenstellen und Reichtum verschafft, ist dabei aber keineswegs konsistent; sein Verhalten kann häufiger sogar als kontingent bezeichnet werden, was nicht zuletzt durch seine Verstellung (dissimulatio) gefördert wird, so dass viele seiner inszenierten Herrschertugenden (nach taciteischer Auffassung zurecht) kein Vertrauen (fides) bei den Senatoren finden und deshalb all diese Inszenierungen guten Regierungshandelns im Bereich des Scheins (species u. a.) zu verorten sind.127 Die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit Trajans (simplicitas und veritas) hingegen wird von seinen Senatoren in vollstem Vertrauen (fides) aufgenommen und immer wissen sie, woran sie mit ihm sind; mit anderen Worten: Trajan vermeidet es, die Senatoren Situationen der Kontingenz auszuliefern.128 Auch sein Umgang mit den Delatoren unterscheidet ihn von Tiberius. Denn er lässt keine maiestas-Anklagen zu und verbannt notorische Ankläger aus seinem Staatswesen, wobei seine clementia hervorgehoben wird, dass er sie nicht der gerechten Strafe (dem Tod) anheim führt.129 Mithilfe der Delatoren aber gelingt es Tiberius, seine potentia über alle aufrechtzuerhalten, da er libertas keineswegs wünscht.130 Demgegenüber verspricht Trajan
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Besten fürchtete Gefahr für sich, von den Schlechtesten Schande für den Staat“). Dies ist die Erklärung, die der Erzähler dafür gibt, warum es unter Tiberius in der Regel nur mittelmäßige Statthalter gegeben hat und wahrscheinlich auch der Grund, weshalb Tiberius Kriegen gegenüber in der Regel abgeneigt ist und deshalb sogar militärische Erfolge der Friesen zu vertuschen sucht (ebd. 4,74,1). Sie ist wahrscheinlich auch der Grund für die extrem lange 24 Jahre dauernde Statthalterschaft des Poppaeus Sabinus, ebd. 6,39,3. Vgl. zur discordia mit seiner Mutter neben ebd. 1,72,4 auch ebd. 3,64,1. Das Element der im Rahmen von maiestas-Prozessen unschuldig Angeklagten sowie die gesellschaftzersetzende Wirkung der Zulassung solcher Klagen findet sich auch bei Plin. paneg. 42. Dies sind alles Bestandteile der Kriegsführung des Tiberius gegen die res publica, siehe Keitel 1984, 307. Siehe oben, Kap. 2.3 zur humanitas: S. 103 Anm. 103, zur moderatio: S. 106 f. Anm. 112; zur concordia in der domus Traiani vgl. Plin. paneg. 83 f., wo die Eintracht mit der Gattin auf einer von dieser durch Nachahmung Trajans beinahe hergestellten Gleichheit des Charakters beruht, während die beiden Frauen keinerlei Konkurrenzkampf (contentio) an den Tag legen. Zur Förderung der Besten vgl. oben, Kap. 2.3, S. 106, Anm. 108 und S. 141–144 mit Anm. 177. Siehe oben. Zur Kontingenz vgl. ebenfalls Tac. ann. 2,87; 3,22,2. Vgl. Griffin 1995, 54 f. Zur tiberianischen dissimulatio: ebd. 3,2,3; 3,64,3; 4,74,1; 6,45,3; 6,50,1 sehr prägnant ebd. 4,71,3: nullam aeque Tiberius, ut rebatur, ex virtutibus suis quam dissimulationem diligebat („Keine seiner vermeintlichen Vorzüge liebte Tiberius so sehr wie die Verstellungskunst“); vgl. Baar 1990, 147. Kein Vertrauen gegenüber den von Tiberius zur Schau gestellten Herrschertugenden ebd. 1,11,1; 1,72,1; 2,42,1; 4,9,1. Zum Schein des tiberianischen Prinzipats: ebd. 1,7,3; 1,7,7; 1,77,3; 1,81,2; 2,64,4; 3,60,1; 4,19. Siehe oben, Kap. 2.3, S. 106 Anm. 108. Siehe oben, Kap. 2.3, S. 106 Anm. 108. Siehe besonders Plin. paneg. 35,1. Neben den letzten Spuren der libertas im ersten Fall eines maiestas-Prozesses in Anwesenheit des Tiberius (siehe oben zur Anklage des Granius Marcellus) ist auch Tac. ann. 2,87 äußerst prägnant: unde angusta et lubrica oratio sub principe, qui libertatem metuebat, adulationem
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
den Senatoren nicht nur libertas, sondern fordert sie auch dazu auf, von ihr Gebrauch zu machen, was sich in würdigen Senatssitzungen, aber auch der Veröffentlichung des Agricola oder dem Inhalt und der Verbreitung der plinianischen Briefsammlung widerspiegelt.131 Die libertas wird in der tiberianischen Herrschaft durch Schmeichelei (adulatio) und Kollaboration (servitium) ersetzt, die auch die Form der Anklage nutzen und so durch Zwietracht (discordia) und ubiquitäre Angst (metus/terror) die römische Nobilität zersetzen, welche im Gegensatz zur unter Trajan herrschenden Eintracht (communitas/consensus) der Senatoren und einer umfassenden Sicherheit (securitas) für alle stehen.132 Darüber hinaus stellt Trajan in allen Bereichen das nachahmungswürdige Ideal für die Senatoren dar und versteht es dadurch, ihre Leistungsfähigkeit und ihren Einsatz für die res publica zu optimieren, so dass in seinem Umfeld, angetrieben durch seine Vorbildhaftigkeit, die bestmögliche Funktionselite für das Reich entsteht.133 Tiberius hingegen ist ein schlechtes Beispiel für angemessenes aristokratisches Verhalten und die effiziente Beherrschung des Imperium, insofern als er nicht nur von seinen Leidenschaften beherrscht wird, sondern mit dem Erhalt seiner Herrschaft und der Macht über die Senatorenschaft illegitime Ambitionen verfolgt und dabei Untaten begeht oder begehen lässt. Kurz und prägnant: „The emperor became the model of deception, and Senators, equestrians and freedmen followed his example in a world of flattery and deceit.“134 Hieran schließt sich die Beobachtung, dass Tiberius illegitime Ambitionen und schändliches Verhalten, um diese umzusetzen, durch Belohnungen sowie die Initiierung der juristischen Selbstzerfleischung der Elite regelrecht fördert, womit er unter seiner Herrschaft auf den Untergang der Reichsaristokratie und den Tod der libertas hinarbei-
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oderat („So bewegte man sich beim Reden auf einem schmalen und schlüpfrigen Weg unter einem Fürsten, der den Freisinn fürchtete und die Schmeichelei hasste“). Vgl. für den direkten Zusammenhang zwischen dem Schein der libertas und dem sich daraus ergebenden umso drückenderen servitium ebd. 1,81,2; vgl. dazu die Senatsdebatte ebd. 1,12–14 und deren Beurteilung bei Classen 1986, 13 als „Scheingefecht vor einem Herrscher“. Zur libertas unter Trajan siehe: Plin. paneg. 8,1; 27,1; 36,4; 44,6; 55,2; 58,3; 67,2; 76,1 f.; 78,3. Die Aufforderung sie zu gebrauchen: ebd. 66,2 (und im Gegensatz zu seinen Vorgängern vertrauen die Senatoren Trajan: ebd. 66,3). Zur libertas unter Trajan, wie sie in den Briefen des Plinius dargestellt ist und welch fundamentale Rolle sie für dieselben spielt, vgl. oben, Kap. 3.3, siehe dort besonders S. 174 mit Anm. 129 sowie oben, Kap. 3.6. Zur von Plinius beschriebenen Senatssitzung unter dem Vorsitz des Princeps, der ganz als Konsul agiert, vgl. Plin. paneg. 76,1 f. sowie Plin. epist. 3,11. Siehe dazu ebenfalls oben, Kap. 3.6, S. 197 f. Vgl. zur neuen Zeit, in deren Geist der Agricola entsteht oben, Kap. 1.3, siehe dazu Tac. Agr. 3,1. Vgl. ebenfalls die verklausulierte Formel für libertas in Tac. hist. 1,1,4. Vgl. zur communitas Plin. paneg. 66,2; 72,2; zum consensus 10,2; 58,2; sowie allgemein zur Einigkeit und Geschlossenheit des Senats untereinander sowie mit Trajan ebd. 62–76. Vgl. zur securitas oben, Kap. 2.3, S. 106 mit Anm. 111. Vgl. zur Vorbildlichkeit Trajans oben, Kap. 2.3, S. 105–107 mit Anm. 103. Zur daraus folgenden Konsequenz einer vorbildlichen Funktionselite siehe ganz konkret Plin. paneg. 44,7; vgl. zur plinianischen Selbstdarstellung als legitimes, da selbst vorbildliches, integeres und bedeutendes Mitglied eben dieser Elite oben, Kap. 2.5, S. 141–144 sowie Kap. 3.7, S. 218. Mellor 2011, 109. Vgl. ebenfalls Tac. ann. 3,35,3; 4,12,1. Vgl. oben, Anm. 123, den Schein, der dann auch von den Senatoren aufgegriffen wird.
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tet.135 Dies führt zu allgegenwärtiger Angst in der elitären Gesellschaft und der Ausbreitung einer verdammenswerten Verhaltensweise (seine Standesgenossen wegen maiestas-Vergehen zu verklagen) wie einer Seuche.136 Die hieraus resultierende Konzentration der Funktionselite auf sich selbst und das Verhältnis ihrer einzelnen Mitglieder zum Princeps zieht dann schließlich auch den Zustand des Imperiums in Mitleidenschaft.137 Tiberius ist also nicht nur persönlich der Anti-Trajan, sondern in seiner Funktion als Princeps trägt er auch die Verantwortung dafür, dass der Zustand des gesamten Senatorenstandes, ja des ganzen Reiches in fundamentaler Opposition zu den glücklichen Zeiten des trajanischen Prinzipats steht.138 Dieser aufeinander bezogene Gegensatz der beiden Principes lässt sich aber über den Gegenstand der maiestas-Prozesse hinaus auf alle Bereiche übertragen und nicht zuletzt auf den Beginn und die Charakterisierung ihrer Herrschaften. Tiberius ist die letzte übrig gebliebene Stütze des imperialen dynastischen Systems des Augustus und dennoch muss er gleich bei Herrschaftsantritt Agrippa Postumus ermorden lassen, um seine Herrschaft zu sichern.139 Auf diesen ersten Mord der tiberianischen Herrschaft folgen viele weitere Untaten (facinora) und Verbrechen (scelera).140 So steht sein Prinzipat im Zeichen der illegitimen Herrschaft, welche er sich durch 135 Siehe oben, vor allem zu Tac. ann. 1,72–74. Vgl. zur aktiven senatorischen Beteiligung an einer so schlechten Herrschaft eines Princeps auch Heldmann 1991, 225–227; Mellor 1993, 88– 91 sowie Gehrke 2006, 392, 397 f. 136 Siehe oben zur allgegenwärtigen Angst, den Fall des Titius Sabinus (Tac. ann. 4,68–71) sowie zur Krankheitsmetaphorik, mit der die unerträglichen Zustände des Gemeinwesens dargestellt werden, Tac. ann 6,7,3; vgl. oben, Anm. 108. 137 Vgl. bspw. Tac. ann. 4,74,1, siehe oben, Anm. 105. 138 Zu eben diesen Zeiten siehe Tac. Agr. 3, denen eine vergleichbar dunkle Zeit der Tyrannis unter Domitian vorausgeht (ebd. 2), wie die Herrschaft des Tiberius in den Annalen gezeichnet wird. Siehe ebenfalls Tac. hist. 1,1,4 und vgl. desgleichen die von Plinius gefeierte Zeit glücklichen Wohlergehens aller unter dem optimus Princeps Kap. 2.3, sowie für die diversitas temporum Plin. paneg. 2,3, vgl. oben, Kap. 2.4, S. 120 f. 139 Wie Tiberius als letzte Stütze der augusteischen Herrschaft mehr oder weniger übrig blieb: Tac. ann. 1,3. Vgl. Shuttleworth-Kraus 2009, 102 f., die in diesem Narrativ eine Wiederholung der ersten Kontraktion der Welt in die Macht des Augustus sieht; vgl. ebenfalls O’Gorman 1995, 106 f., wo sie auch auf die Implikation von Niedergang und Belastung in dem Bild illa cuncta vergere (Tac. ann. 1,3,3) zu sprechen kommt. Zur Ermordung des Agrippa Postumus: Tac. ann. 1,6,1. Siehe dazu Woodman 1998, 24–39. 140 Selten genug explizit als facinora benannt, tragen die von Tiberius begangenen oder veranlassten Untaten zu der platonisch (Plat. Gorg. 524E) inspirierten Zerrissenheit seines Inneren bei, die belegt, dass der Tyrann um seine Verfehlungen weiß, diese bewusst begangen und die schlimmen Konsequenzen für sich und die anderen billigend in Kauf genommen hat, sie aufgrund seiner charakterlichen Verdorbenheit bzw. der Herrschaft seiner lasterhaften Leidenschaften über ihn, aber nicht verhindern konnte; Tac. ann. 6,6. Zu den tiberianischen scelera: ebd. 4,19,2; 4,71,1; 6,1,1; 6,24,3; 6,51,3. Vgl. zur sehr freien Referenz auf Platon Schmal 2005, 74. Vgl. ebenfalls Schmidt 1982, 276–278 zur platonischen Herkunft der typischen Tyrannenfurcht; allerdings begeht Schmidt im Folgenden ebd. 281–287 den Fehler, die abnehmende Furcht des Tiberius im Laufe seiner Herrschaft, seinen wahren Charakter zu zeigen (=zunehmende Hemmungslosigkeit öffentlicher Grausamkeit) mit einem Fehlen tyrannischer Angst zu verwechseln, weshalb er zu dem Schluss kommt, dass Tiberius von Tacitus keineswegs als Tyrann dargestellt worden sei, sondern für ihn ist das taciteische Tiberiusbild „von erstaunlicher historischer Objektivität“ (ebd. 287).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
diese Untaten zu sichern versucht und die sich in all den ihm zuzuschreibenden Verbrechen ebenso als Tyrannis entpuppt wie Tiberius sich als Tyrann.141 Trajan hingegen hat keine Ambitionen auf die Herrschaft, was in seinem Fall gegenüber der recusatio des Tiberius aufgrund seiner Ehrlichkeit und Offenheit als wahr zu gelten hat (zumindest nach den Grundlagen des Optimus-Princeps-Diskurses). Er lässt sich nur in einer Notlage des Staates, um diesen vor dem Untergang zu bewahren und vor dem Hintergrund des consensus universorum, der den optimus zur Rettung herbeiruft, von einem ihm nicht verwandten Vorgänger und in aller Öffentlichkeit adoptieren.142 Auf dieser Grundlage etabliert er einen Prinzipat, der auf Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit für alle beruht, und zeichnet so für ein überaus glückliches Zeitalter verantwortlich.143 Trajan sorgt sich dementsprechend nicht nur vorbildlich um seine Funktionselite, sondern seine cura für Italien, die Provinzen, das ganze Reich nimmt göttliche Dimensionen an. Nicht nur die militärische Disziplin und Sicherheit des Reiches an den Grenzen, sondern auch die propagatio liegen ihm am Herzen.144 All diese Tugenden lässt Tiberius vermissen, der eher durch sein Zaudern, seine Untätigkeit und seinen Neid gegenüber dem Kriegsruhm anderer in den Vordergrund tritt.145 Seine Erlangung der Herrschaft fand alles andere als im consensus universo141 Tac. ann. 6,6. Die zunehmende Einsamkeit des Tyrannen (ebd. 3,37,2) greift in Buch 6 auch auf sein nächstes Umfeld über, indem er die Verurteilung und Hinrichtung langer Weggenossen anordnet (ebd. 6,10,2), oder aber einer seiner engsten Freunde den Freitod sucht, weil er das Unglück und die unerträglichen Zustände der res publica nicht länger ertragen kann (ebd. 6,26). Vgl. Walker 1960, 204–214 sowie Keitel 1984, 309. Vgl. im Gegensatz Griffin 1995, die in der taciteischen Diskreditierung des Tiberius meint die eigentliche Absicht von Tacitus zu entdecken, die Mechanismen des Prinziapts darzustellen (v. a. ebd. 55). 142 Siehe Plin. paneg. 5–10. Trajan zeigt keinerlei Ambitionen zur Macht: ebd. 5,5; 7,1; 9,1; 9,3 f.; 10,3 f. Nur wegen Bedrohung des Staates lässt er sich zum Nachfolger erklären: ebd. 5,6 f.; 6,1 f., um den Staat zu retten: ebd. 5,6 f.; 6,2 f.; 8,5 f. Seine Adoption ist in ihrer Öffentlichkeit und der göttlichen Zustimmung ein einzigartiges Ereignis: 7,4 f.; 8,1; 8,3 (vgl. dazu oben, Kap. 2.3, S. 107–109, dem natürlich auch der consensus universorum nicht abgesprochen werden kann: ebd. 8,1; 10,2. Unverständlich ist mir vor diesem Hintergrund die Behauptung von Rutledge 1998, 146 f., die Nachfolgeregelungen von Augustus und Nerva sowie die Regierungsübernahmen von Tiberius und Trajan würden sich stark entsprechen. Zu belegen versucht er das mit einer scheinbaren Ähnlichkeit der recusatio des Tiberius (Tac. ann. 1,7–13) mit einer angeblichen des Trajan (Plin. paneg. 5,5–7). Dies kann keinen Bestand haben, da die verweigerte Anerkennung eines Omens, das Trajan die Herrschaft vorhersagt, zu einem Zeitpunkt, als er in der Funktion eines seinem Princeps gehorsamen Statthalters ohne Ambitionen auf die Herrschaft in seine Provinz aufbricht und erst durch eine tatsächliche Notlage der res publica zur Regierungsübernahme bewegt werden kann, nicht im Entferntesten dem von Tacitus als Schmierentheater dargestellten Verhalten des Tiberius vor dem Senat entspricht. 143 Vgl. oben, Kap. 2.3. 144 Vgl. oben, Kap. 2.1 und 2.3. Für die propagatio als wichtigem Produkt trajanischer Sieghaftigkeit vgl. Strobel 2010, 290–300. Zur Eingliederung der Provinz Dacia vgl. die Münztypen mit der Darstellung der prosperierenden Provinz Dacia: MIR 14, 467–469. 145 Bereits zu Beginn der Erzählung wird der Grundzustand des Prinzipats, wie er von Augustus auf Tiberius übergeht, als wenig kriegerisch und ohne expansive Zielsetzung gekennzeichnet: Tac. ann. 1,3,6. Zögern beim Aufstand: ebd. 1,46; Unterstellung der Tatenlosigkeit in außenpolitischen Krisensituation: ebd. 3,44; sehr deutlich ebd. 4,32,2, wo Tacitus über seinen ruhmlosen Gegenstand klagt: immota quippe aut modice lacessita pax, maestae urbis res, et princeps proferendi imperi incuriosus erat („es herrschte ja stetiger oder nur wenig gestörter Friede,
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rum oder besonderem Wohlwollen der Götter statt, sondern wird vom Erzähler dadurch diffamiert, dass die Leistung des Tiberius darin bestand, als letzte so vieler Stützen der Dynastie übrig zu bleiben,146 um sich schließlich dennoch nur „mit Hilfe von Weiberränken und eines Greises Adoption“ gegen einen ungebildeten und dümmlichen Konkurrenten durchzusetzen,147 dessen Ermordung zur ersten Untat seines Prinzipats wurde.148 Der implizite Kontrast zwischen dem schlechten Princeps Tiberius und dem optimus Princeps basiert auf der Gegensätzlichkeit Trajans sowie darin, sehr viele seiner Eigenschaften aus dem Optimus-Princeps-Diskurs negativ gewendet für die Diffamierung des Tiberius zu nutzen. Entsprechend der plinianischen Erklärung, dass der Vergleich Trajans mit seinen Vorgängern und die daraus resultierende negative Kontrastierung als Hintergrund für das Bild des optimus Princeps, vor dem dieser nur umso heller leuchtet, die doppelte Funktion erfüllt, einerseits die Vorbildlichkeit Trajans zu behaupten sowie sie zu beweisen,149 wird Tiberius hier nicht nur als schlechter Princeps, sondern als Gegenteil des optimus Princeps diskursiviert; differenzierende Nuancen in seiner Schlechtigkeit und derjenigen Domitians oder Neros, die hier nicht weiter von Belang sind, eingeräumt.150 Denn nach der Logik des Diskurses müssen alle Vorgänger Trajans schlechter gewesen sein als er, und Tiberius war, wenn auch nicht der pessimus, so doch ein sehr schlechter. Dass Tacitus hier möglicherweise tatsächlich auf den Optimus-Princeps-Diskurs zurückgreift – und ihm auch bewusst ist, dass er das tut – wird dadurch bestärkt, dass Tiberius perfiderweise ja genau weiß, wie ein guter Princeps zu sein und sich zu verhalten hätte, indem er immer wieder Inszenierungen genau derjenigen Tugenden durch-
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traurig waren die Zustände in Rom, und der Princeps war nicht auf eine Erweiterung des Reiches bedacht“); genauso deutlich in der Beurteilung des Rückzugs des Tiberius auf Capri: ebd. 4,67,3: …tanto occultiores in luxus et malum otium resolutus („…so zugänglich für Ausschweifungen mehr im geheimen und üblen Müßiggang zeigte er sich nun“). Seine invidia gegenüber dem (möglichen) Kriegsruhm anderer: ebd. 2,26,5; 4,74,1; vgl. Syme 1958, 490, der diese Kritik allerdings auch auf Hadrian übertragen sehen möchte – vgl. dazu oben, Anm. 6. Tac. ann. 1,3; vgl. zum Übrigbleiben des Tiberius und der Bürde des Regierens für diesen (cuncta illuc vergere) O’Gorman 1995, 106 f. Tac. ann. 1,7,7: …per uxorium ambitum et senili adoptione. Tatsächlich ist es auch Livia, die den Zugang zum sterbenden Augustus kontrolliert und durch geschicktes Agieren die Kontinuität der Herrschaft konstituiert, indem der Tod des alten Princeps und die Machtübernahme des neuen in ihrer Repräsentation von Welt zusammenfallen, was vom Erzähler bezweifelt wird; siehe ebd. 1,5,3 f. Vgl. Classen 1986, 10; O’Gorman 1995, 103 f. sowie ShuttleworthKraus 2009, 114. Tac. ann. 1,6,1. Zu dieser Logik des adäquaten Lobes des optimus Princeps durch die Diffamierung seiner Vorgänger sowie dem sich daraus ergebenden Beweis der Vorbildlichkeit Trajans und der unter ihm herrschenden libertas vgl. Plin. paneg. 53; siehe dazu oben, Kap. 2.3, S. 117–119. Vgl. ebenfalls Ramage 1989, 642–646. Vgl. ebenfalls Zimmermann 1999, 27–39. Vgl. die auf den Beschränkungen der Gattung stehen bleibende grundsätzliche Kritik bei Wilson 2003, 526– 534, die allerdings der Differenzierung zwischen Genre und Diskurs keine Rechnung trägt und bezüglich der intentionalen Kommunikationsmöglchkeiten eines Textes zur kurz greift. Zu den sprachlichen und inhaltlichen Parallelen zwischen dem Domitian des plinianischen Panegyrikus und dem Tiberius der taciteischen Annalen siehe Durry 1938, 63–65; Bruére 1954, 173–176.
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führt, die zum Kern trajanischer Herrschaftsdarstellung gezählt werden können: civilitas, moderatio, clementia, nicht zu vergessen die Verhaltensweise der recusatio, die bei Tiberius in der taciteischen Narration so bitterlich scheitert; ja schließlich in seinem Herzenswunsch der memoria als civilis princeps.151 Der Umstand, dass das von Tacitus gezeichnete Bild von Tiberius in ‚diskursiver Transtextualität‘ eine sehr hohe Ähnlichkeit mit Domitian, dem pessimus princeps und Tyrannen schlechthin (in der Erzählung des Agricola), aufweist – dem direkten und expliziten Kontrast zu Trajan, der von Tacitus selbst in seinem Agricola verwendet wird –, lässt eine intentionale Verwendung des Optimus-Princeps-Diskurses in den Annalen des Tacitus wahrscheinlich erscheinen.152 Der Rückgriff auf den Optimus-Princeps-Diskurs als Grundlage für die gegenteilige Konzeption der Figur des Tiberius und dessen Herrschaft, der Tiberius unterstellte und vergebliche Wunsch, wie der optimus Princeps sein zu wollen, und die unverkennbaren Ähnlichkeiten mit dem Anti-Princeps schlechthin, Domitian, machen es sehr wahrscheinlich, dass die Annalen des Tacitus selbst ein Beitrag zu diesem zeitgenössischen Herrschaftsdiskurs sind. Tacitus greift also anscheinend in seiner Repräsentation von Vergangenheit auf einen zeitgenössischen politischen Diskurs zurück, in dem das Narrativ der Minderwertigkeit aller Trajan vorgängigen Principes etabliert ist, zu dem Zweck, Tiberius und sein Prinzipat zu diffamieren und als das Gegenteil der trajanischen Herrschaft darzustellen, ohne explizit auf die Welt zu referieren, in der er als sozialer Akteur seine Annalen produziert. Es drängt 151 civilitas und moderatio waren seine Ziele bei der Ablehnung des pater-patriae-Titels Tac. ann. 1,72,1 f. (siehe oben, S. 289–297); ebd. 2,87,2 sowie der Ablehnung göttlicher Ehren 4,37 f. (siehe oben, S. 291 mit Anm. 13), wo es ebenfalls um den Herzenswunsch des Tiberius geht, als civilis princeps in die memoria des römischen Volkes einzugehen. Für seine clementia vgl. oben die Prozesse gegen Libo und gegen Clutorius Priscus. Das grandiose Scheitern seiner recusatio wird in Tac. ann. 1,7 und 11–13 erzählt (vgl. Classen 1986, 11, 13 f.), wobei als Grund das Begehren genannt, wird dass „er eher den Anschein erwecken wollte, dass er vom Staat gerufen und auserwählt sei…“ (Tac. ann. 1,7,7: ut vocatus electusque potius a re publica videretur…); was wiederum dem Idealbild der Herrschaftsübernahme des optimus Princeps sehr nahe kommt. Vgl. zu modestia/moderatio als Schlüsseltugenden, die mit dem guten Kaiser verbunden sind, Tiberius aber immer wieder abgesprochen werden Bronwyn 1990, 5; und dies vor allem in Zusammenhang mit seiner missglückten recusatio: O’Gorman 1995, 111. 152 Siehe die Gegenüberstellung von Tiberius mit Drusus in Tac. ann. 3,37 (vgl. oben, Anm. 68), aus der dieser als ein der Einsamkeit frönender, von seinen Sorgen beherrschter Tyrann hervorgeht, sowie der explizite Verweis auf den Tyrannisdiskurs in Tac. ann. 6,6, der mit der Charakterisierung Domitians in Tac. Agr. 39 korrespondiert. Vgl. ebenfalls die saevitia als charakteristisches Kennzeichen der beiden Tyrannen: für Tiberius siehe oben; für Domitian siehe oben, Kap. 1.3, S. 51 f. sowie Kap. 3.5, S. 194 f. Darüber hinaus gleichen sie sich bis in sprachliche Einzelheiten in ihrem Neid auf die militärischen Erfolge anderer (Tiberius: Tac. ann. 2,26,5; 4,74,1; Domitian: Tac. Agr. 39; 41,4), ihrer Verstellungskunst (Tiberius: vgl. oben, Anm. 127; Domitian: Tac. Agr. 39,1; 42,1 f. (vgl. oben, Kap. 1.4, S. 60 f.), ihrer Angst vor den Tüchtigen (Tiberius: Tac. ann. 1,80,2; Domitians Angst vor Agricola: Tac. Agr. 39,1; 39,3–40,1), ihrem Blutdurst in den letzten Herrschaftsjahren (Tiberius: Tac. ann. 6; Domitian: Tac. Agr. 45,1 f.) und die Knechtschaft, in die sie ihre Untertanen durch Angst zwangen sowie die daraus entstandenen unerträglichen Zustände fern aller libertas oder gar securitas, die einer Krankheit des Gemeinwesens gleichkommen (Tiberius: vgl. oben; Domitian: Tac. Agr. 2 f.; vgl. oben, Kap. 1.3).
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sich der Verdacht auf, dass die elliptische diskursive Formation, wie sie die Annalen darstellen, durch ihren impliziten Kontrast als affirmativ trajanisch zu lesen sind oder zumindest so gelesen werden können.153 Dies wäre dann als eine sehr subtile, weil uneindeutige Affirmation der zeitgenössischen sozio-politischen Ordnung und dem aktuellen Herrschaftssystem zu verstehen, aufgrund der man Tacitus zumindest nicht den Vorwurf der Schmeichelei machen könnte und innerhalb der er also auch seine senatorische Unabhängigkeit und somit seine dignitas bewahren könnte. Doch gerade die Tatsache, dass es auf dieser inhaltlichen Ebene der maiestasProzesse und der Darstellung der tiberianischen Herrschaft keinen expliziten Anhaltspunkt für diese Leseweise gibt, womit die Ellipse nicht determiniert werden kann, also uneindeutig bleiben muss, führt zur Unmöglichkeit der Beweisführung dieser positiven Leseweise der sonst so düster gemalten Annalen, bei denen man auch den gegenteiligen Eindruck der grundsätzlichen Verkommenheit der politischen Ordnung unter dem Prinzipat gewinnen könnte.154 Um an diesem Punkt aber vielleicht ein Stückchen weiter zu kommen, soll im Folgenden der style, den Tacitus als Erzähler der Annalen annimmt (sozusagen seine Selbstdarstellung als Historiograph im Text) sowie der Entwurf seiner virtuellen Leserschaft untersucht werden.
153 Zumindest ausschließen möchte auch Sailor 2008, 256 f. diese Möglichkeit nicht, wenn er im Folgenden (ebd. 257–312) auch sehr ausführlich anhand der selbstreferentiellen Äußerung und des anschließenden Cremutius-Prozesse (Tac. ann. 4,32–38) dafür argumentiert, dass es Tacitus überaus wichtig gewesen sei, seine Historiographie als relevant und gefährlich erscheinen zu lassen. Sehr eindeutig für ein affirmatives Verständnis der Annalen spricht sich Ramage 1989, 656 f. aus, da er diese im zeitgenössischen Kontext der allgemeinen Strategie der Diffamierung vorhergehender Principes als integralen Bestandteil angebrachten Lobpreises für die aktuellen Herrscher verortet (ebd. 651–664), die nur wenig direkt und beschränkt auf konkrete Herrschertugenden gelobt werden (im Gegensatz zu bspw. der domitianischen Göttlichkeit). Diese spezifische Lobes-Rhetorik beschränkt sich seiner Meinung aber nicht allein auf die Herrschaft Trajans, sondern funktioniert von Nerva bis Hadrian nach demselben Muster, wobei sie über die Texte von Plinus und Tacitus hinausgeht und auch die Schriften von Martial, Iuvenal, Florus, Sueton und sogar Frontinus umfasst, ebd. 640–707. Die Plausibilität dieser Argumentation von Ramage wird von Marincola 1999, 400 anerkannt. Vgl. ganz allgemein und sehr vorsichtig in diese Richtung argumentierend auch Shuttleworth-Kraus 2005, 250. Vgl. für eine vehement gegenteilige Argumentation Wilson 2003, der allerdings gegen eine propagandistische Funktion dieser Literatur protestiert; die einfache Affirmation eines Systems ist aber von Propaganda noch weit entfernt. 154 Vgl. bspw. Syme 1958, 499 „No emperor could approve a work like the Annales of Cornelius Tacitus. An evil past had come to life again.“ Vgl. Rutledge 1998, 152 f., der die interpretatorische Instabilität des Textes betont, welche die politische Unsicherheit der taciteischen Zeit widerspiegele. Die angebliche Parallelisierungsmanie der Zeitgenossen (144) führe dazu, dass ein auf Aktuelles referierender Subtext in seiner Geschichtsschreibung entstehe, bei dem ein Vergleich zwischen Tiberius und Trajan nicht immer zugunsten des letzteren ausgelöst werde (145–152). Vgl. ebenfalls O’Gorman 1995, 102 f., die Symes Hypothese der Parallelisierung von Augustus mit Trajan und Tiberius mit Hadrian aufgreift (Syme 1958, 484) oder die Verdüsterungsthese bei Koestermann 1963, 31, ähnlich bei Leeman 1973, 197 und in gewisser Weise auch bei Halfmann 2002b, 231 f.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
5.2 Der Erzähler der Annalen und sein Publikum Da es sich beim Genre der Historiographie per definitionem um ein faktuales handelt, wird der Erzähler der Annalen in der primären Rezeption mit dem Autor identifiziert.155 Tacitus nimmt also selbst die Sprecherrolle in der literarischen Kommunikationssituation mit seinem virtuellen Leser ein, dessen Funktion durch seine Standesgenossen ausgefüllt wird.156 Allerdings gilt es zu beachten, dass damit keinem Rezipienten, weder dem zeitgenössischen noch dem modernen, die historische Person des Tacitus zur Verfügung steht, sondern nur ein kleiner Teil dieser komplexen Identität wie sie in einer spezifischen sozialen Praxis, dem zeitgenössischen aristokratischen Literaturbetrieb, zum Ausdruck kommt. Tacitus tritt als Konsular und ehemaliger Prokonsul der Provinz Asia, der schon mehrere literarische Werke verfasst hat,157 in den konkreten Ereignissen der literarischen Produktion und Verbreitung als Interaktionspartner mit seinen Standesgenossen und dem Kaiser in Erscheinung. Die von ihm ausgefüllte persona des Historiographen gehört dabei in den Bereich des senatorischen otium, das er unter anderem mit historischen studia verbringt, wobei er auch seine Freunde bittet, ihn mit Informationen zu versorgen oder seine Schriften Korrektur zu lesen.158 Bei der Verbreitung seiner Annalen fungiert er dann als Rezitator oder Urheber des Rezitierten oder als derjenige, der einem Freund eine Kopie seines Werkes schenkt oder diesem das Endprodukt zur weiteren Vervielfältigung zur Verfügung stellt.159 Die soziale Rolle des Historiogra155 Siehe zur narratologischen Entsprechung von Erzähler und Autor in faktualen Texten Genette 1992, 79–88. Deswegen werden im Folgenden die Begriffe Erzähler, Autor und der Eigenname Tacitus synonym verwendet. Allerdings gilt es, wie im Weiteren ausgeführt wird, zu beachten, dass man es nicht mit dem realen Tacitus zu tun hat, sondern mit einer spezifischen textuellen Repräsentation einer taciteischen persona. Die Gleichsetzung des Erzählers mit dem Begriff der narrativen Instanz soll verdeutlichen, dass der Erzähler (Autor/Tacitus) der Annalen als Funktion des Erzählaktes verstanden wird, der zum einen die Erzählung hervorbringt, zum anderen textuell in dieser fixiert ist; vgl. Genette 2010, 137–39. Vgl. die ähnlichen Gedanken von Sailor 2008, 7 über die von zeitgenössischen Lesern bei der Rezeption von Geschichtsschreibung akzeptierte Identität von erzählender Stimme und derjenigen des Autors. 156 Der virtuelle Leser ist wie der Erzähler eines der Elemente der Erzählsituation und also sprachlich dem Text eingeschrieben; der reale Adressat kann sich dann mit diesem identifizieren oder aber auch nicht. Siehe Genette 2010, 169 f., 255–257. 157 Für die Karriere des Tacitus siehe A. Birley 2000c, 230–247. 158 Zum Heterotopos des senatorischen otium siehe oben, Kap. 3.2 f. Dass die studia und mit ihnen die historiographische Beschäftigung auch für Tacitus (zumindest nach dem Bild, das Plinius in seinen Briefen von ihm entwirft) eine Rolle spielen, kann man Plin. epist. 9,14; 9,23 entnehmen. Informationen von Plinius zu historischen Ereignissen: ebd. 6,16 (Vesuvausbruch und Tod Plinius des Älteren) u. 6,20 (Vesuvausbruch und Ängste Plinius’ des Jüngeren); auf plinianische Eigeninitiative geht der Brief ebd. 7,33 zurück (Plinius’ Mut im Prozess gegen Baebius Massa). Zu Anfragen des Tacitus wegen Korrekturlesens als Auslöser für plinianische Briefe: ebd. 7,20; 8,7. Vgl. zu den plinianischen Briefen an Tacitus Gibson – Morello 2012, 161– 168. 159 Vgl. zu diesen unterschiedlichen Funktionsrollen eines Autors die Darstellungen in den Briefen des Plinius, siehe oben, Kap. 3.3, S. 174–177; sowie allgemein zum zeitgenössischen Literaturbetrieb Kap. 2.2, S. 98 f.
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phen wird dabei in vielschichtigen hierarchischen Beziehungen ausagiert, indem seine Rezipienten sich aus untergeordneten, gleichgestellten und höhergestellten Mitgliedern der Reichsaristokratie, in letzter Instanz aber auch dem Kaiser selbst zusammensetzen.160 Doch neben seine literarische persona treten selbst innerhalb des otium noch weitere soziale Rollen, in denen Tacitus als Gastgeber oder Gast, als Villenbesitzer und als Jäger in Erscheinung tritt.161 Von größerer Bedeutung, da sie die Voraussetzung für relevante Geschichtsschreibung gewährleisten, sind die von ihm ausgefüllten sozialen Rollen im Bereich des negotium als Gutsbesitzer, Anwalt, Patron, Senator, Magistrat oder Beamter des Kaisers.162 Das taciteische Selbstbild in den Annalen, das in der Konzeption der Erzählerfigur zum Ausdruck kommt, ist also nur ein Teil eines Entwurfs einer spezifischen persona, die sich in einem äußerst limitierten Bereich sozialer Praxis konstituiert. D. h. nicht, dass es in dem entworfenen Selbstbild als Autor der Annalen nicht auch Überlappungen mit den verkörperten sozialen Rollen in anderen Interaktionsräumen gegeben haben mag oder dass solche Überblendungen nicht erwünscht gewesen wären. Doch man muss den spezifischen Äußerungskontext berücksichtigen, der im Zeichen des unabhängigen senatorischen regnum stand und zumindest keine direkte Geltung im Bereich des negotium beanspruchen durfte.163 Kurz gesagt: Man darf den Tacitus der Annalen und seine Äußerungen nicht unmittelbar mit der Rekonstruktion eines historischen Akteurs und seinen Meinungen gleichsetzen, ohne die spezifische Situation, in der diese realisiert wurden, zu berücksichtigen.164 160 Dieser Kreis dürfte wohl eine ähnliche Zusammensetzung wie der des Plinius aufweisen (siehe oben, Kap. 3.4, S. 185–188); vgl. bspw. Plin. epist. 4,15; 5,9, wo es um die Förderung gemeinsamer Freunde/Protegés geht oder ebd. 4,13, wo Plinius bittet, Tacitus möge doch einen geeigneten Lehrerkandidaten an seine Heimatgemeinde vermitteln, wobei er einen Freundeskreis vieler Gelehrter unterschiedlichen sozialen Status‘ voraussetzt (ebd. 4,13,10). 161 Eine Vorliebe für die Jagd, die größer ist als seine eigene, unterstellt Plinius dem Tacitus in Plin. epist. 9,10,1, aber auch in 1,6. Der Besitz von Land und mehreren Villen als Aufenthaltsort für Mitglieder der obersten Funktionselite versteht sich wie ein dort stattfindendes Sozialleben von selbst; zur Villegiatur siehe oben, Kap. 3.2. 162 Für seine Rolle als Gutsbesitzer gibt es keine konkreten Hinweise, doch kann sie vorausgesetzt werden (vgl. vorhergehende Anm.). In unterschiedlichen Medien tritt er auf als: Anwalt (Plin. epist. 2,11,2 u. 17), Patron (Plin. epist. 4,15; 5,9), implizit in diesen Rollen als Senator, als Magistrat (Plin. epist. 2,1,6 als Konsul; Tac. ann. 11,11,1 als Prätor), und sowohl als Magistrat als auch Beamter des Kaisers in seinem cursus honorum (Tac. hist. 1,1,3; möglicherweise CIL VI 41106 den Beginn sowie AE 1890, 110 = OGIS 487 = Smallwood 1966, Nr. 203 den Höhepunkt seiner Karriere; vgl. A. Birley 2000c, 230–236). 163 Vgl. oben, Kap. 3.3, S. 172 mit Anm. 122. Natürlich konnte die Historiographie und vor allem die Zeitgeschichtsschreibung Anstoß bei Standesgenossen erregen oder gar deren Reputation schädigen (vgl. Plin. epist. 5,8,12 f.; 9,27), aber sie war kein Element einer sozialen Praktik im Bereich der negotia. Weder konnte man durch sie sicherstellen, dass die eigenen Protegés Ämter oder Privilegien erhielten, noch war sie dazu geeignet, die Klientel von Konkurrenten abspenstig zu machen, noch Gegner in einer Senatsdebatte zu besiegen oder diese gar anzuklagen, noch konnte sie als Ersatz für Magistraturen, juristische oder gar militärische Leistungen dienen. 164 Vgl. zur komplexen Dialektik zwischen sozialer Identität und Persönlichkeit, deren Analyse in Texten durch das Fehlen physischer Interaktionsmodi (Körpersprache, -haltung, Augenkontakt, Mimik etc.) nur fragmentarischen Charakter erhalten kann, Fairclough 2003, 159–163. Es
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Der Erzähler und somit die historiographische persona des Tacitus tritt in den Annalen stark hervor, indem er Ereignisse erklärt und kommentiert – bspw. die Tatsache, dass man Tiberius’ Inszenierung von civilitas nicht trauen könne, weil er die maiestas-Klagen wieder in Gebrauch genommen habe – oder ein bestimmtes Verhalten oder eine Handlung emotional begründet – bspw. die verletzte Eitelkeit und die Grausamkeit des Tiberius, die zur Einführung der maiestas-Klagen geführt habe.165 In wesentlich deutlicherer und konzentrierterer Form tritt Tacitus als Historiograph aber in selbstreferentiellen extradiegetischen Passagen hervor; wenn er sich also an seinen virtuellen Leser wendet und diesem seine Intention beim Verfassen der Annalen darlegt, den Inhalt seines Werkes begründet und erläutert oder Befürchtungen über die mögliche Rezeption seiner Schrift ausführt und dadurch versucht, eine enge Gemeinschaft zwischen sich und seinem Publikum zu konstruieren.166 Der klassische Ort für solche auktorialen Bekenntnisse wäre das Proöm, in dem Tacitus einen umso stärkeren Eindruck hinterlässt, da er äußerst untypisch agiert und als Autor nicht direkt in Erscheinung tritt, ja demonstrativ fehlt.167 Ebenso ungewöhnlich werden die gleichfalls für ein Proöm konstitutiven Elemente der Nennung der Vorbilder und der Begründung für das Werk sowie das verfolgte Ziel eingeführt, da sie nur indirekt in einer bereits zum geplanten Werk gehörenden Erzählung evoziert werden.168 Da mit dem zweiten Kapitel der Annalen schon die Darstellung der pauca de Augusto beginnt, wobei in hochartifizieller und verschlungener Form dessen illegitime Machtergreifung und deren Sicherung durch die anrüchigen volksverführerischen Mittel diskreditiert werden, und man sich also schon in der Erzählung der Annalen befindet,169 soll der Fokus im Folgenden auf dem Kapitel 1,1 liegen:
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soll hier auch nicht um die subjektive Meinung des Tacitus gehen, wie bspw. bei Halfmann 2002b, sondern um seine mithilfe zeitgenössischer Diskurse modellierte literarische Selbstdarstellung. Siehe oben, Kap 5.1 zu Tac. ann. 1,72. Vgl. zur Erzählerpersönlichkeit und ihrem souveränen Umgang mit dem Stoff auch Classen 1986, 14 f. Zur Ebene einer Erzählung und dem narrativen Akt, der diese hervorbringt siehe Genette 2010, 147–149; extradiegetisch: die narrative Instanz, welche die Erzählung hervorbringt, befindet sich selbst nicht in einer Erzählung und wendet sich an einen Adressaten, der ebenfalls kein Element der erzählten Welt ist; Sender und Empfänger der Erzählung stehen außerhalb derselben. Zum virtuellen Leser vgl. oben, Anm. 156. Zur Konzipierung einer Gemeinschaft zwischen dem Autor und seinem Publikum siehe unten. Siehe Tac. ann. 1,1 Die einzigen Marker für die Anwesenheit einer narrativen Instanz befinden sich am Schluss des ersten Kapitels und beschränken sich auf das Personalpronomen mihi sowie die Verwendung der ersten Person im Verb habeo – zwei sprachliche Akte, die selbst nichts über die Person des Autors preisgeben. Man kann der auktorialen persona des Tacitus im ersten Kapitel quasi das bescheinigen, was dieser später über Cassius und Brutus beim Begräbnis der Iunia äußert (ebd. 3,76,2): sed praefulgebant Cassius atque Brutus, eo ipso quod effigies eorum non visebantur („Aber über allen strahlten Cassius und Brutus gerade deshalb, weil ihre Bildnisse nicht zu sehen waren“). Vgl. Woodman 1988, 167 f., der das Pröom als „enigmatic in his brevity“ bezeichnet, „notable for what it omits rather than for what it says“ (ebd. 168). Vgl. Syme 1958, 304; Leeman 1973, 187; Classen 1986, 6; Marincola 1999, 401 f. Siehe Leeman 1973, 186–189 zu dem hybriden Beginn der Annalen, der sich eher in einer Transition denn in einer Zäsur von einleitendem zu erzählendem Charakter in den Kapiteln
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Urbem Romam a principio reges habuere; libertatem et consulatum L. Brutus instituit. dictaturae ad tempus sumebantur; neque decemviralis potestas ultra biennium neque tribunorum militum consulare ius diu valuit. non Cinnae, non Sullae longa dominatio; et Pompei Crassique potentia cito in Caesarem, Lepidi atque Antonii arma in Augustum cessere, qui cuncta discordiis civilibus fessa nomine principis sub imperium accepit. Sed veteris populi Romani prospera vel adversa claris scriptoribus memorata sunt, temporibusque Augusti dicendis non defuere decora ingenia, donec gliscente adulatione deterrerentur: Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae, postquam occiderant recentibus odiis compositae sunt. inde consilium mihi pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine ira et studio, quorum causas procul habeo.170
Das erste Kapitel der Annalen bildet eine komplexe Einheit, die in drei inhaltliche, aber stark miteinander verknüpfte Teile differenziert werden kann. Liefert Tacitus im ersten Abschnitt einen Schnelldurchgang durch die Geschichte Roms von ihren Anfängen in der Königszeit über die Republik bis hin zur Machtergreifung des Augustus, so bildet das zweite Element die Geschichte der Geschichtsschreibung, die allerdings erst mit der Republik beginnt, dafür aber bis in die Gegenwart des Autors reicht. Mit der dritten Komponente begründet Tacitus im Anschluss an die bisherige Historiographie der Prinzipatszeit sein eigenes historiographisches Werk, benennt dessen Gegenstand in neun Wörtern (pauca de Augusto et extrema … Tiberii principatum et cetera) und definiert seinen Darstellungsmodus (sine ira et studio).171 2–15 realisiert. Wirklich eigenständig steht nur das erste Kapitel, das jedoch auch vielfältig mit dem Folgenden verbunden ist und eine Erzählung eigener Art darstellt. Zum engen Zusammenhang von Kapitel 1 und 2 siehe ebd. 191 sowie Shuttleworth-Kraus 2009, 101. Ebenfalls eine in sich geschlossene Einheit der Kapitel 2–15 sieht Koestermann 1963, 62. Die Ansicht, dass die ersten 4 Kapitel eine Einleitungseinheit bilden, wird hingegen von Goodyear 1972, 88, vertreten. Vgl. zu dem hochartifiziellen ersten Satz des 2. Kapitels Syme 1958, 347; Koestermann 1963, 62–66; Goodyear 1972, 101–107; Leeman 1973, 189–191 sowie Glaesser 2000, 153–159. 170 Tac. ann. 1,1: „Die Stadt Rom haben ursprünglich Könige beherrscht; die Freiheit der Republik und das Konsulat begründete L. Brutus. Zur Diktatur griff man nur gelegentlich bei Bedarf; weder reichte der Dezemvirn Amtsbefugnis über zwei Jahre hinaus, noch blieb der Militärtribunen konsularische Vollmacht lange in Kraft. Nicht Cinnas, nicht Sullas Gewaltherrschaft war von Dauer, und des Pompeius und Crassus politische Macht ging schnell auf Caesar, des Lepidus und des Antonius militärische Gewalt auf Augustus über, der das ganze, durch die Bürgerkriege erschöpfte Staatswesen unter dem Namen Princeps in seine herrschende Hand nahm. Nun ist des frühen Römervolkes Glück oder Unglück von berühmten Geschichtsschreibern dargestellt worden; auch mit der Schilderung der Zeit des Augustus haben sich glänzende Talente gerne befasst, bis sie die überhandnehmende Kriecherei davon abbrachte: des Tiberius und Gaius wie des Claudius und Nero Taten sind zu ihren Lebzeiten aus Furcht verfälscht, nach ihrem Tod mit frischem Hass niedergeschrieben worden. Deshalb beabsichtige ich, nur Weniges über Augustus, und zwar das Ende seiner Regierung, zu berichten, dann den Prinzipat des Tiberius und die Folgezeit darzustellen, ohne Abneigung und Vorliebe, wofür mir jeglicher Anlass fehlt.“ Die Textgliederung und Hervorhebungen wurden vom Verf. vorgenommen. 171 Vgl. Syme 1958, 304, der allerdings von einer Zweiteilung des Proöms spricht, ebenso wie Koestermann 1963, 55; Goodyear 1972, 88 f., während Leeman 1973, 196 die Einheit des
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Tacitus steigt unvermittelt und ohne wie noch in den Historien (Initium mihi operis) auf sich als erzählende Instanz zu verweisen, mit dem Gegenstand seines Werkes ein, der Stadt Rom (und ihrer Geschichte). Dabei ist das Objekt seiner darstellenden Tätigkeit zugleich Objekt des ersten Satzes, in dem mit einer Zustandsbeschreibung in sechs Wörtern die gesamte Königszeit abgehandelt wird.172 Dieser von namentlich nicht einzeln genannten (aber jedem Römer bekannten) Alleinherrschern geprägten Zeit stehen in asyndetischer Antithese die libertas und der consulatus gegenüber, die wie die Stadt Rom als Objekte an den Satzanfang gestellt sind, aber im Gegensatz zu dieser in keinem Besitzverhältnis zu jemandem stehen, sondern Endprodukte eines Prozesses darstellen, in dem L. Brutus als Begründer der Freiheit und des Konsulats in Antithese zu Augustus am Ende des Abschnitts steht. libertas et consulatus bilden den Kern, auf den die Republik konzentriert werden kann, und die in der weiteren Entwicklung nur selten und bei dringendem Bedarf nach gesetzlichen Regeln (potestas; ius) außer Kraft gesetzt werden.173 Erst mit Cinna und Sulla schleichen sich in das Gemeinwesen illegitime Alleinherrschaften (dominatio) ein, die sich allerdings nicht lange halten können.174 Doch sie sind die Vorboten einer Entwicklung illegitimer Machtbestrebungen (potentia; arma), die nach zwei parallelen Namensreihen, in welchen die beiden Triumvirate und die beiden Bürgerkriege am Ende der Republik enthalten sind, schließlich in Augustus ihren Endpunkt finden, der alles unter dem Namen Princeps (nomine principis) seiner Macht unterwirft.175 Die in diesem Zusammenhang singuläre Wendung sub imperium accepit, mit der in der Regel eher die Unterwerfung oder Eingliederung
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ersten Kapitels betont, das von der Idee der Geschichte als Gegenstand der Historiographie dominiert und zusammengehalten werde. Wenn auch die Begründung für den gewählten Erzählgegenstand kausal mit der Geschichte der Historiographie verknüpft ist, handelt es sich funktional gesehen um einen eigenen Teil, weshalb die folgende Analyse eine Dreiteilung des Proöms vollzieht. Tac. hist. 1,1,1. Im Historienproöm referieren im Gegensatz zu den Annalen auch zwei ganze Abschnitte auf die Person des Autors (ebd. 1,1,3 f.). Vgl. zur betonten Voranstellung des Erzählgegenstands urbem Romam Koestermann 1963, 56 sowie Goodyear 1972, 89. Vgl. zur Idee der libertas bei Tacitus auch Shotter 1991, 3267–3285 (und spzifisch zum tiberianischen Schein von libertas, mit einer relativ positiven Bewertung von Tiberius, die m. E. die taciteische Darstellung gegen ihre Intention liest, ebd. 3308–3313); vgl. ebenfalls Heldmann 1991, 211–230. Zu dieser Binnendifferenzierung in den Ausnahmefällen der Alleinherrschaft während der Republik, die einmal durch Rechtlichkeit (potestas; ius) gekennzeichnet sind, während in den mit Eigennamen markierten Fällen die Illegitimität der Machtposition hervorgehoben wird (dominatio; potentia; arma), vgl. Koestermann 1963, 57; Goodyear 1972, 93; Leeman 1973, 192 f. Vgl. Leeman 1972, 193; O’Gorman 1995, 97; Shuttleworth-Kraus 209, 100 f. Zu der Frage, weshlab Tacitus die eigentliche Erzählung seiner Annalen vor diesem Hintergrund dennoch erst mit Tiberius und nicht mit Augustus beginnen lässt, die m. E. in der Emphase der julisch-claudischen Nachfolgeregelung ein wichtiges Begründungselement, aber auch im von Schein geprägtem, missglücktem Regierungsbeginn des Tiberius, dessen dissimulatio auch für das gesamte julisch-claudische Prinzipat eine passende Metapher findet (Griffin 1995, 35– 37), vgl. Syme 1958, 369–374; Kornemann, 1980, 220 f. Shotter 1991, 3275 f. und 3285– 3287; O’Gorman 1995, 103–106; Clarke 2002, 85 f.; Mellor 2011, 93–98.
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auswärtiger Feinde beschrieben wird,176 aber auch die allgemeine Entwicklung von der dominatio zur potentia zu den arma, die zur augusteischen Herrschaft führt, lassen keinen Zweifel daran, dass libertas und consulatus damit wieder abgeschafft sind, und in Rom erneut eine Monarchie herrscht.177 Auch die euphemistische Bezeichnung ‚Prinzipat‘ kann diesen Umstand nicht verschleiern. Vielmehr verweist das nomine prinipis auf das a principio des ersten Satzes, womit die gesellschaftlichen Spielregeln der Königszeit also wieder hergestellt wären.178 In dieser Form der Darstellung ist der augusteische Prinzipat eher ein Rückschritt, der auf Kosten der Errungenschaften der libertas und des consulatus einem Einzigen alles unterstellt, weil dieser sich in den Bürgerkriegen mit Waffengewalt durchsetzte und so die alleinige und gesetzlich nicht legitimierte Macht über alle erlangte. Damit stellt Augustus intratextuell die Antithese zu L. Brutus dar und steht intertextuell in signifikantem Gegensatz zum Trajan des plinianischen Panegyrikus.179 Und so schließt sich der Kreis des kurzen Abrisses der römischen Geschichte von der Königszeit bis Augustus. Die Qualität der Historiographie, die über diese Zeit berichtet, ist jedoch von ihren Autoren und dem Kontext ihrer Entstehung abhängig. Da die Geschichtsschreibung aber für ihren Gegenstand immer auf die vor ihr liegende Zeit zurückgreifen muss, beginnt ihre eigene Geschichte erst in der Zeit der Republik. Nur in einem Gemeinwesen, in dem libertas et consulatus herrschen, kann dieses literarisch-politische Genre entstehen und sich unter der Schaffenskraft berühmter Autoren (clares scriptores) zu voller Blüte entfalten. Bezüglich der Geschichtsschreibung unter und über Augustus, der in Rom die Alleinherrschaft wieder etablierte und damit nicht nur das Ende von libertas et consulatus, sondern auch der Glanzzeit der Historiographie herbeiführte, müssen schon deutliche Abstriche in ihrer Qualität, d. h. ihrer Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, deren Voraussetzung die Freiheit ist, gemacht werden, während danach keine unabhängige senatorische Literatur mehr existieren konnte. Wie der libertas im weiteren Verlauf des Narrativs der Annalen machten Tiberius, Caligula, Claudius und Nero auch einer vertrauenswürdigen Re176 Siehe Classen 1986, 4–15. 177 Zur Grundlegung der Leitmotive schon in der Machtergreifung des von Tacitus damit ebenfalls diskreditierten Augustus wie der dominatio, dem servitium der Bürger, dem Princeps als Schauspieler sowie der Schmeichelei der Untertanen mit dem Ziel, Vorteile oder Schutz zu erhalten, siehe Tac. ann. 1,2,1 und siehe dazu Glaesser 2000, 153–159 sowie o’gorman 2011, 300 f.; vgl. die Beobachtung Bronwyn 1990, 4, dass Augustus das Zeichen der Freiheit, den Konsulat, absorbiert und dieser in Zukunft nur noch als Gabe von ihm zu erhalten ist; vgl. ebenfalls O’Gorman 1995, 113, die Augustus als das Programm für die ihm nachfolgenden Kaiser bezeichnet. 178 Vgl. Leeman 1972, 194; Schmal 2005, 63 sowie Shuttleworth-Kraus 2009, 103. Zur Innovativität dieser dreiteiligen Epocheneinteilung von Alleinherrschaft zu Republik zurück zur Alleinherrschaft vgl. Heldmann 2011, 84–86. 179 Plin. paneg. 5,1: Talem esse oportuit quem non bella civilia, nec armis oppressa res publica, sed pax et adoptio et tandem exorata terris numina dedissent („Ja, so musste der Mann sein, der die Herrschaft auf Erden übernahm, nicht durch Bürgerkriege und bewaffnete Unterdrückung des Staates, sondern im Frieden, durch Adoption und dank himmlischer Mächte, die endlich sich umstimmen ließen“).
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
präsentation von römischer Geschichte den Gar aus, da diese nun durch Schmeichelei (adulatio), Angst (metus) oder Hass (odium) verzerrt wurde. Die Beseitigung der libertas als Endpunkt der historischen Entwicklung im ersten Abschnitt wird im zweiten Abschnitt des Proöms von der Auflösung vertrauenswürdiger Historiographie fortgesetzt.180 Genau aus diesem Grund (inde), erläutert Tacitus, wird er „wenige Dinge von Augustus und die letzten überliefern, dann das Prinzipat des Tiberius und alle übrigen Dinge“.181 Tacitus wird aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern der Prinzipatszeit, die über diesen Gegenstand geschrieben haben, keinen verzerrten oder gar falschen Bericht vorlegen, sondern sine ira et studio schreiben. Dies impliziert, dass nicht nur die bisherige Geschichtsschreibung aus der Zeit der julisch-claudischen Dynastie wahrheitswidrig verfälscht wurde, sondern auch die später über diese Zeit verfasste; also beispielsweise auch die Geschichtsschreibung unter den Flaviern über Nero. Damit wird die Geschichte Roms und ihrer Geschichtsschreibung aber bis an die Gegenwart des Autors herangeführt. Sein erstes Kapitel besteht aus einem extrem konzentrierten Narrativ der römischen Geschichte von der Königszeit bis jetzt (die Erzählzeit des Tacitus). Im Unterschied zu seinen kaiserzeitlichen Vorgängern bietet er seinen Lesern aber eine Darstellung unzweifelhafter Aufrichtigkeit und Wahrheit, da sie interessenlos und unabhängig erfolgt. Genau dies bedeutet nämlich sine ira et studio: keine persönlichen Hassgefühle und erst recht keine Schmeichelei oder Furcht zwingen ihn zu einer verzerrten Repräsentation der Ereignisse.182 Dieser starke Kontrast zu seinen Vorgängern und die Diskreditierung 180 Vgl. Koestermann 1963, 59 f.; Goodyear 1972, 95–97, der dabei (ebd. 95) auch die deutlich heruntergestufte Beurteilung der decora ingenia in Bezug zu den clares scriptores anführt. Vgl. ebenfalls Leeman 1973, 195; Classen 1986, 7; Shuttleworth-Kraus 2009, 103. Allerdings muss in diesem Kontext beachtet werden, dass es sich bei dieser im Vergleich zu den Historien veränderten Beurteilung der kaiserzeitlichen Historiographie (dort scheint akzeptable Geschichtsschreibung noch bis zum Tode Neros existiert zu haben) nicht um eine unparteiische Evaluation der Vorgänger handelt, sondern um eine rhetorische Strategie der Präsentation und Begründung des eigenen Werkes, siehe Marincola 1999, 396–399. Vgl. zu der eingeschränkten Freiheit der Historiographen und einem Vergleich zu der bekannten Cassius Dio Stelle über die Produktionsbedingungen von Geschichtsschreibung im Prinzipat (Cass. Dio 53,19) Clarke 2002, 94–96. 181 Dies ist eine eigene, sehr wörtliche Übersetzung von Tac. ann. 1,1,3. Denn das et ist m. E. nach nicht explikativ (wie von Erich Heller übersetzt), sondern additiv zu verstehen (siehe Leeman 1973, 188 f.; Woodman 1998, 23 f.). Denn, wenn auch stark konzentriert, so berichtet Tacitus im Folgenden zuerst von der Machtergreifung des Augustus (1,2), dann seiner Herrschaftssicherung durch Dynastiebildung (1,3) und erst im Anschluss daran von seinem Ende (1,4 f.), woraufhin ein wenig später eine nicht gerade schmeichelhafte indirekte Charakterisierung seiner Herrschaft das Thema Augustus vorerst beendet (1,9 f.); allerdings taucht er in der Herrschaft des Tiberius immer wieder als derjenige auf, der bestimmte Weichen für den Untergang des Staates bereits gestellt hatte (bspw. 1,72,3). 182 Ganz im Gegensatz zu der Äußerung in Syme 1958, 420 „Tacitus professes to relate the truth about the Caesars, with no personal feeling for or against any of them.“ Aber darum geht es eben gerade nicht, sondern um seine Unparteilichkeit – vgl. Goodman 1972, 100 f.; Leeman 1973, 196; Sage 1990, 972, mit weiterer Literatur in Anm. 615; Heldmann 1991, 208 f.; Sinclair 1995, 58; Heldmann 2011, 11–15; Benario 2012, 105 f. – im Sinne unabhängiger und interessenloser Geschichtsschreibung. Er schreibt nicht, um die Gunst eines Standesgenossen
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ihrer Geschichtsschreibung dienen nicht nur der rhetorischen Strategie der Begründung für seine Annalen, sondern verbinden ihn zugleich mit der republikanischen Tradition der Historiographie und tragen somit zu seiner eigenen Positionierung als Historiograph bei. In den Worten John Marincolas: „Tacitus suggests that his own work will now treat events of the Empire in a way consonant with those magna ingenia [oder clares scriptores] of old.“183 Seine Vorbilder, an die er anschließen möchte, denen er nacheifert, sind also ungenannt die großen Historiker der republikanischen Ära: der ältere Cato sowie Sallust, aber auch Asinius Pollio und Livius können mit Abstrichen dazu gezählt werden.184 Die vieldiskutierte Stelle Tac. ann. 3,24,3, in der er in einem extradiegetischen Kommentar seine Absicht erklärt, auch über die Ära des Augustus schreiben zu wollen, sollte ihm die Zeit nach Fertigstellung seiner Annalen reichen, dient auch eher dazu, diese Verbindung zu seinen Leitfiguren zu komplettieren und offensichtlich zu machen, und weniger dazu, einer beim Verfassen der Annalen neu gewonnenen Einsicht über das augusteische Prinzipat Rechnung zu tragen.185 Tacitus erklärt also seine Absicht, dahin zurückkehren zu wollen, wo die großen, republikanischen Geschichtsschreiber aufgehört hatten und in seinem selbstbewussten Vergleich zu seinen kaiserzeitlichen Vorgänoder gar des Princeps zu erlangen oder aus Furcht vor diesen, und auch nicht, um sich an einem Konkurrenten oder dem Princeps (dem jetzigen oder vorhergehenden) zu rächen, sondern in absoluter Unabhängigkeit und daraus folgender Ernsthaftigkeit und Wahrheit; vgl. dazu oben, Kap. 2.4 f. die dem Genre geschuldete ungleich aufwendigere rhetorische Strategie des Plinius angesichts seines Panegyrikus seine Ernsthaftigkeitsbeteuerungen mittels des Beweises der Unabhängigkeit und Interessenlosigkeit zu untermauern. Vgl. zu den Historien Sailor 2008, 174–176 sowie zur Unparteilichkeit in der Historiographie allgemein Marincola 1997, 158– 174. 183 Marincola 1999, 403. ‚Gefühlt‘ wird diese Verbindung auch bei Leeman 1972, 198. Vgl. im Gegensatz dazu Clarke 2002, 98–101, die der wenig überzeugenden, paradoxen Auffassung ist, Tacitus schreibe eine Geschichte über die Unmöglichkeit der Geschichtsschreibung im Prinzipat; vgl. bereits sehr ähnlich Ginsburg 1981, 96–100. 184 Vgl. Marincola 1999, 402 f. Zu Sallust und Livius als Vorbilder für Tacitus gerade am Beginn der Annalen vgl. O’Gorman 1995, 93–100; vgl. ebenfalls Shuttleworth-Kraus 2009, 104. Vgl. für die häufigen Referenzen auf diese beiden Historiker die entsprechende Passage bei Koestermann 1963 sowie Goodyear 1972. 185 Vgl. die von Syme 1958, 369–374 angestoßene Diskussion, dass Tacitus während des Verfassens der ersten Annalenhexade sich der Problematik des Anfangsdatums seiner Geschichte bewusst geworden sei, da er habe erkennen müssen, dass für die Zeit des ersten Princeps ebenfalls keine adäquate Darstellung vorhanden sei, weshalb er die Zwischenstufe unter Augustus zwischen republikanischer und kaiserzeitlich verdorbener Historiographie ab Tiberius, wie im Proömium expliziert, habe revidieren müssen, und so den Entschluss gefasst habe, nach Abschluss des aktuellen Projekts auch die Zeit des Augustus behandeln zu wollen; vgl. ähnlich Koestermann 1963, 61; Goodyear 1972, 99 f. Für O’Gorman 1995, 102 f. dient diese Stelle einer Verknüpfung von Augustus mit Trajan, während der Beginn der Annalen für sie die Unmöglichkeit des eigenen Projekts problematisiert (ebd. 94–96). Vgl. dagegen die überzeugendere Argumentation bei Marincola 1999, dass es sich bei dem schrittweisen Verfall der Geschichtsschreibung um eine sekundäre (zuerst war die Idee des Gegenstandes da und dann die Form seiner Präsentation) rhetorische Strategie für die Positionierung des eigenen Werkes handelt (ebd. 391–399) und Tac. ann. 3,24,3 kein Widerspruch bedeutet, sondern die Kontinuität des taciteischen Werkes mit dem der republikanischen Historiker komplettieren und offensichtlich machen soll (400–404, besonders 402).
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gern, behauptet er, das auch tun zu können.186 Durch seine starke Verknüpfung der politischen und historiographischen Geschichte heißt das aber auch, dass die zeitlichen Gegebenheiten, in denen Tacitus schreibt, denjenigen seiner Vorbilder entsprechen oder zumindest sehr ähnlich sein müssen. Denn die Grundvoraussetzungen für wahre, ehrliche Geschichtsschreibung, so die Implikatur dieses Kapitels, sind libertas und Unabhängigkeit – quasi als Hendiadyoin. Mit der Behauptung seiner Unabhängigkeit und Interessenlosigkeit, kurz seiner libertas, die derjenigen der republikanischen Schriftsteller entspricht, greift er auf den Optimus-PrincepsDiskurs zurück, in welchem der Funktionselite eben diese libertas nicht nur zugestanden wird, sondern die Senatoren dazu aufgefordert werden, diese aktiv zu nutzen.187 Tacitus hat schon früher, in seinem Agricola, unter Beweis gestellt, dass er weiß, wie man sich der ungewohnten, weil durch die drückenden Alleinherrschaften aller vorherigen Principes entwöhnten libertas bedient,188 und greift auch mit seinen Annalen wieder auf den style des unabhängigen, selbstbewussten Konsulars zurück, der nun aber souverän damit umzugehen versteht. Mit seinem Rückbezug auf die alten und berühmten Schriftsteller schließt Tacitus also den zweiten Kreis seines Proöms und durchbricht gleichzeitig den ersten. Wird die libertas im ersten Kreis der Darstellung der Geschichte Roms von seinen Anfängen in der Königszeit bis zu Augustus von Alleinherrschaften eingeschlossen und schließlich verdrängt, so greift der zweite Kreis der Geschichtsschreibung genau in die Zeit der libertas hinein und führt über Augustus und die dunkle Zeit seiner Nachfolger zu Tacitus, der seinerseits auf die republikanische libertas zurückgreifen kann. Nicht mehr die Könige der alten Zeit oder die ihnen so gleichenden Erneuerer der Alleinherrschafft unter dem Namen ‚Prinzipat‘, sondern die republikanischen Historiographen und in ihrer Nachfolge Tacitus haben die Verfügungsgewalt über die Stadt Rom und deren Geschichte. Diese Verfügungsgewalt spiegelt sich in der Souveränität wider, mit der er die Geschichte Roms von ihren Anfängen bis in seine Zeit darstellt und sie dabei mit ihrem Medium und dessen kontextuellen Entstehungsgegebenheiten verknüpft. Daraus lässt sich schließen, dass es über die Prinzipatszeit von Tiberius bis Nero noch keine unverzerrte und wahrheitsgemäße Darstellung gibt, seine Annalen aber dieser Missrepräsentation der römischen adversa nun ein Ende setzen.189 Daraus, dass 186 Vgl. die pointiert formulierte Synthese bei Marincola 1999, 403 f. „In this way, we can see that the prefaces are not about decline: they are about continuity.“ 187 Plin. paneg. 66,2; 67,2. 188 Vgl. oben, Kap. I.2 Anm. 82 sowie Kap. 1.6 für die Nutzung der nun unter Trajan vorhandenen libertas durch Tacitus. Vgl. zu dieser persönlich aktiven Seite der Medaille der libertas bei Tacitus auch Wirszubski 1967, 20 f. 189 Diese Souveränität spiegelt sich zum einen in der mühelos scheinenden Zusammenfassung der beinahe untragbaren Bürde des Livius wider, indem Tacitus dessen ca. 130 Bücher von der Königszeit bis Augustus in einem Abschnitt wiedergibt. Zum anderen ist aber genau diese Souveränitätsbehauptung ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der sine ira et studio-Formel, da sie impliziert, dass Tacitus in keiner Weise von den Julio-Claudiern kontrolliert wird, sondern seinen Erzählgegenstand selbst kontrolliert. Zu dieser Kontrolle über das Erzählte gehört dann zum einen, dass man weder versteckte Interessen verfolgt, noch sich von Leidenschaften beherrschen lässt – im Gegensatz zu einem Tyrannen. Vgl. O’Gorman 1995, 98–101. Zu den im
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Tacitus die unzuverlässige Geschichtsschreibung nur bis Nero gehen lässt, folgt übrigens, dass es für die flavische Dynastie schon unabhängige und interessenlose und damit wahre Historiographie gibt: seine Historien. Mit dieser Implikatur schließt er seine Annalen also an sein bisheriges historiographisches Werk an, wenn sie ihm thematisch auch zeitlich vorgeordnet sein mögen – ein selbstbewusstes Statement zu den Leistungen seiner literarischen persona. Seine Souveränität gegenüber seinem Gegenstand in den Annalen zeigt sich aber nicht nur in seiner dichten Darstellung der römischen Geschichte, sondern auch in seiner wenig ehrfürchtigen, lapidaren Art und Weise, den Protagonisten seines Werkes gegenüber: Tiberii principatum et cetera.190 Ebenfalls für seine Überlegenheit gegenüber den von ihm dargestellten Principes sprechen seine Äußerungen, dass es die unabhängige und interessenlose, also mitunter oder ganz besonders seine Historiographie ist, welche die memoria der einzelnen historisch relevanten Persönlichkeiten bei der Nachwelt bestimmt, auch wenn die aktuellen Tyrannen versuchen, durch drastische Maßnahmen auf diese Einfluss zu nehmen und es dem Proöm zufolge unter ihnen nicht möglich ist, zuverlässige Geschichtsschreibung zu produzieren – und dies zu überleben.191 Seine Geschichte der julisch-claudischen Dynastie entsteht also nicht nur in voller libertas, sondern seine Repräsentation von Vergangenheit kann aufgrund ihrer Wahrhaftigkeit auch die größte auctoritas für sich beanspruchen. Diese größere Wahrhaftigkeit gegenüber den Vorgängern entsteht nicht durch deren Unvollständigkeit, deren Ungenauigkeit oder durch neue Fakten, sondern durch deren Abhängigkeit (entweder von den Machthabern oder von ihren eigenen Leidenschaften), weshalb eine adäquate Reinterpretation der Ereignisse notwendig ist, die Tacitus zum ersten Mal in der Geschichte des Prinziptas und seiner Geschichtsschreibung aufgrund struktureller (das herrschende Herrschaftssystem) und natürlich auch persönlicher Voraussetzungen zu leisten im Stande ist.192 Er nimmt dabei den style des freien und unabhängigen Senatoren entsprechend dem Optimus-Princeps-Diskurs an und überträgt die Elemente des Anknüpfens an die goldene Zeit der Republik und die Superiorität gegenüber allen kaiserzeitlichen Vorgängern auf seine persona.193 So wie Trajan als optimus Princeps alle vorherigen Kaiser überragt – so könnte
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Proöm angeführten adversa als dem eigentlichen Erzählgegenstand des Tacitus siehe die ausformulierte Version in Tac. ann. 4,32,2 sowie 16,16. Vgl. Leeman 1972, 196 sowie Classen 1986, 7. Siehe Tac. ann. 4,34 f., den Fall des Cremutius Cordus, den Tacitus nach dem freiwilligen Hungertod und der Verbrennung der Bücher mit Spott gegenüber den Machthabern kommentiert, die der Meinung sind, sie könnten die Erinnerung bei der Nachwelt kontrollieren, wenn sie die historiographischen Talente unterdrückten, womit sie lediglich das Gegenteil erreichen: ihre eigene Reputation schädigen und den Unterdrückten auctoritas verleihen. Männer wie Tacitus tragen dazu bei, dass die Menschen so erinnert werden, wie sie es verdienen: Cremutius als Held der libertas, Tiberius als Tyrann; vgl. Sailor 2008, 298–305. Für die Überlegenheit des Historiographen gegenüber dem Princeps als Evaluierungsinstanz für würdige memoria vgl. ebenfalls Tac. ann. 3,75; 4,26,1. Vgl. ebenfalls Luce 1991, 2917–2922 und Grethlein 2013, 176 f. Vgl. Marincola 1999, 395 f.; vgl. ebenfalls O’Gorman 1995, 101. Siehe Marincola 1999, 400; vgl. Ramage 1989, 655 f.
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eine implizite Parallele expliziert werden –, übertrifft auch Tacitus alle senatorischen Geschichtsschreiber der Prinzipatszeit. Dabei vermeidet er der rhetorischen Strategie des Optimus-Princeps-Diskurses entsprechend, sich selbst zu loben oder den Princeps mit hypertrophem Lob ob der unter ihm herrschenden libertas zu schmeicheln, sondern erhöht die eigene Person und die des Princeps nur indirekt durch den Anschluss an die Republik und das Übertreffen aller kaiserzeitlichen Vorgänger. Indem er die politische Geschichte Roms mit derjenigen der Historiographie und deren Abhängigkeit von der libertas verknüpft, um die auctoritas der Wahrhaftigkeit für sich in Anspruch nehmen zu können, stellt Tacitus auch seine Annalen als sehr subtiles Zeugnis – ein explizites Lob Trajans sucht man in dieser Schrift vergebens – für die libertas der eigenen Zeit und die Herrschaft des optimus Princeps dar.194 Die kaiserlichen Schurken, die seine Annalen bevölkern, sind also auch in ihrer Serialität kein Teil eines anti-monarchischen Diskurses mit grundsätzlich republikanischer Zielführung, sondern bilden den impliziten Kontrast zur eigenen Zeit, die so deutlich macht, wie bedeutend es ist, dass ein guter Princeps an der Spitze der res publica steht – ein wirklicher civilis princeps – und welch Segnung es für die eigene Leistungsfähigkeit im Dienste der res publica und die literarische Entfaltung darstellt, wenn dies der beste Princeps ist. Zumindest scheint dies das beste noch mögliche Herrschaftssystem in Bezug auf die in ihm herrschende libertas und daraus folgend die in ihm produzierte Historiographie zu sein.195 Unter diesen Voraussetzungen kann sogar ein Werk entstehen, das aufgrund seiner tristen Materie zwar nur mit großer Mühe zu produzieren sowie anstrengend zu rezipieren ist, das aber nicht nur an seine republikanischen Vorbilder anschließt, sondern diese sogar übertrifft.196 Tacitus verteidigt in Buch 4, Kapitel 32 seine skrupulöse Darstellung auch auf den ersten Blick unwichtig erscheinender Ereignisse zuerst damit, dass er nicht über das gleiche fesselnde Material wie seine republikanischen Vorgänger verfügen kann (über gewaltige Kriege, Eroberungen von Städten, geschlagene oder gefangengenommene Könige, Streit zwischen Konsuln und Tribunen, den Ackergesetzen oder den Wettstreit zwischen Plebs und Optimaten),197 sondern eine einengende und unrühmliche Arbeit auf sich nehmen muss. Denn sein Gegenstand weist im Grunde keinerlei Dynamik auf und kann in einer verbarmen Zustandsbeschreibung vermittelt werden: immota quippe aut modice lacessita pax. maestae urbis res, et princeps proferendi imperi incuriosus erat.198 Diese Umstände lassen sich nun als die Zusammenfassung des tiberianischen Prinzipats verstehen 194 Vgl. Ramage 1989, 651–664 und Marincola 1999, 400 und diese Möglichkeit zumindest in Erwägung ziehend Sailor 2008, 256. Vgl. im Gegensatz zu den die Proömien biographisch lesenden Vertretern der Verdüsterungsthese Koestermann 1963, 31; Leeman 1972, 197 f. 195 Zu der Frage, ob und wie „Die trajanische Gegenwart als beste aller (noch) möglichen Welten?“ von Tacitus konzipiert wurde vgl. Biesinger 2014, das gleichnamige Kapitel. 196 Tac. ann. 4,32; vgl. Marincola 1999, 403. 197 Tac. ann. 4,32,1: ingentia illi bella, expugnationes urbium, fusos captosque reges aut, si quando ad interna praeverterent, discordias consulum adversum tribunos, agrarias frumentariasque leges, plebis et optimatium certamina… 198 Tac. ann. 4,32,2: „es herrschte ja stetiger oder nur wenig gestörter Friede, traurig waren die Zustände in Rom, und der Princeps war nicht auf eine Erweiterung des Reiches bedacht.“ Vgl. zur Proömienhaftigkeit dieses Abschnitts Woodman 1988, 181–184.
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oder aber auch auf alle in den Annalen dargestellten Alleinherrschaften übertragen; keinesfalls jedoch auf Trajan und die Zeit des Tacitus. Schließlich schreibt letzterer im Umfeld herrschender libertas, und für Trajan gilt es zu konstatieren, dass in Bezug auf seine Herrschaft von großen Kriegen, bedeutenden Erfolgen der römischen Militärmacht und von großen Gebietszugewinnen für das Imperium, aber auch würdigen Senatssitzungen berichtet werden könnte.199 Doch Tacitus belässt es nicht bei dem Hinweis auf die Unzulässigkeit des Vergleichs seiner anscheinend unbedeutenden Berichte mit den Darstellungen der republikanischen Historiker, sondern weist auch darauf hin, dass sich aus unwichtig scheinenden Begebenheiten oft bedeutende Vorgänge entwickeln.200 Die scheinbare Belanglosigkeit seines Stoffes wird also wieder zurückgenommen, womit sogar eine gewisse Superiorität gegenüber seinen republikanischen Vorgängern suggeriert wird, denn selbst so unrühmlichem Material, wie es das Prinzipat des Tiberius (und seiner julisch-claudischen Nachfolger) zur Verfügung stellt, kann ein Historiograph wie Tacitus Bedeutung abringen,201 indem er quasi eine Ätiologie bedeutsamer Ereignisse zur Verfügung stellt; wie bspw. die Darstellung des ersten maiestas-Prozesses gegen zwei einfache und unbekannte Ritter, bei dem letztendlich niemand zu Schaden kam, der aber den Anfang vom Ende der Aristokratie bedeutete.202 Gleichzeitig inszeniert sich Tacitus aber als den bescheidenen, pflichtbewussten Historiographen, der auf seine Arbeit mit dem Begriff der labor referiert und diese als ingloriosus bezeichnet;203 so ist das Übertreffen der Vorgänger eingebettet in einen Bescheiden199 Vgl. Plin. epist. 8,4, wo Plinius Caninius Rufus in seinem Vorhaben bestärkt, ein Daker-Epos zu verfassen und den dazu würdigen Stoff als überaus geeignet rühmt. Vgl. ebenfalls Plin. epist. 2,11 zu der drei Tage dauernden würdigen Senatsverhandlung unter Vorsitz des Kaisers in seiner Rolle als Konsul über den Amtsmissbrauch des Marius Priscus und die in diesem Zusammenhang von Tacitus gehaltene Rede (ebd. 2,11,18). Vgl. den steinernen Triumph, den das Trajansforum mit Säule und Reiterstatue in Rom darstellt bei Fell 1992, 87–93 sowie Seelentag 2004. Vgl. zur Stilisierung trajanischer Sieghaftigkeit und der Annexion der Provinz Dacia Strobel 2010, 282–303. 200 Tac. ann. 4,32,2: non tamen sine usu fuerit introspicere illa primo aspectu levia, ex quis magnarum saepe rerum motus oriuntur („Trotzdem wird es wohl nicht ohne Nutzen sein, jene auf den ersten Blick belanglosen Ereignisse genauer zu betrachten, weil sich aus ihnen oft Anstöße zu bedeutenden Vorgängen entwickeln“). 201 Siehe Marincola 1999, 403 „Tacitus, in fact, challenges his predecessors by producing a work of history worthy to be considered along with those of the masters, even though he lacks the great material that they themselves had.“ Vgl. Joseph 2012, 374 f. Diese implizite Superioritätsbehauptung eingebettet in einen Bescheidenheitstopos entgeht Sailor 2008, 262, weshalb er die Bedeutung und suggerierte Gefährlichkeit der Annalen überbetont (ebd. 262–268). Vgl. die ähnliche Strategie der Bezugnahme auf Cicero und die gleichzeitig implizite Behauptung der rhetorischen Überlegenheit seiner Briefe, da diese nicht aus historischem Interesse, sondern aufgrund ihrer oratorischen Qualitäten gelesen würden, bei Plinius oben, Kap. 3.4, S. 180 f. mit Anm. 160–162. 202 Tac. ann. 1,73. Vgl. oben, Kap. 5.1. 203 Tac. ann. 4,32,2: nobis in arto et inglorius labor („meine Aufgabe ist eng begrenzt und bringt keinen Ruhm“). Auch in diesem Fall ist eine gewisse Ähnlichkeit zum rhetorischen Bescheidenheitsgestus bei Plinius zu konstatieren. Dieser stellt seine implizit Cicero rhetorisch überlegene Briefsammlung im Widmungsbrief als Sammlung reiner Gebrauchsbriefe in zufälliger Reihenfolge dar und beklagt an anderer Stelle die inhaltliche Bedeutungslosigkeit seiner
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heitstopos, nach dem der Geschichtsschreiber Tacitus seine Pflicht erfüllt, dafür aber keinen Ruhm erwartet; mit anderen Worten: Das Streben nach Ruhm ist in seiner Selbstdarstellung weder die Motivation, die ihn zum Verfassen der Annalen treibt, noch deren Intention. Tacitus’ Intention erhält im nachfolgenden Kapitel eine praktisch-didaktische Dimension: So ist es jetzt, da sich die Staatsform gewandelt hat und es einen anderen römischen Staat als unter der Herrschaft eines Mannes nicht gibt, wohl sinnvoll, diese Vorgänge zu sammeln und zu überliefern, weil nur wenige aus eigener Einsicht das Gute (honesta) vom Schlechteren, das Nützliche (utilia) vom Schädlichen unterscheiden können und die Mehrzahl sich durch die Erfahrungen anderer belehren lässt.204
Tacitus möchte anhand der von ihm überlieferten Beispiele also dazu beitragen, dass spätere Generationen der Reichselite in der Lage sind, die honesta und utilia selbständig zu erkennen und sich in ihrem Handeln danach zu richten. Der Autor der Annalen beansprucht demnach für sich die Evaluierungskompetenz von falschem und richtigem senatorischen Verhalten, womit er sich selbst ebenfalls als Vorbild versteht, wie man als unabhängiger Senator zwischen seiner eigenen dignitas (und der damit einhergehenden und diese gewährleistenden Unabhängigkeit) und der Gefährdung durch den Princeps und durch die Standesgenossen ausgleichend agiert.205 Wenn hier die Differenz zwischen dem tiberianischen und trajanischen Prinzipat nahezu aufgehoben scheint, da die Herrschaftsform der Monarchie auch als die für die Gegenwart des Erzählers aktuelle dargestellt wird,206 so muss dies nicht zwangsweise zu einer anti-monarchischen Leseweise der Annalen führen;207 kann die politische Ordnung unter Trajan immer noch die beste, die realisierbar ist, sein. Der Satz steht auch vielmehr im Zusammenhang mit der Selbstän-
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Briefe; vgl. oben, Kap. 3.4, S 181 Anm. 165. Vgl. zur traditionell gegenteiligten Strategie im Genre der Historiographie die Bedeutung des Gegenstands zu betonen Marincola 1997, 34– 43. Tac. ann. 4,33,2: sic converso statu neque alia re Romana quam si unus imperitet, haec conquiri tradique in rem fuerit, quia pauci prudentia honesta ab deterioribus, utilia ab noxiis discernunt, plures aliorum eventis docentur. Vgl. zum Habitus des Nachahmens oder Vermeidens der Vergangenheit Shuttleworth-Kraus 2009, 106. Vgl. ebenfalls zur taciteischen Konzeption seiner Historiographie über das julisch-claudische Prinzipat und damit verbundene Darstellungsprobleme McCulloch 1991, 2931–2933; Luce 1991, 2907–2916; Zimmermann 1999, 20–25; Sailor 2008, 261 f. Vgl. für den Gemeinplatz und die bereits schon im griechischen Raum bestehende Tradition, dass die Historiographie als beispielgebendes Medium die Tugenden der Leserschaft wecken soll Wiseman 1979, 36–40; vgl. zu diesem didaktischen Moment auch Heldmann 2011, 111–113. Vgl. für die ‚republikanische‘ Form der Erziehung durch exempla Plin. epist. 8,14, sowie Plinius selbst und seine Schriften als Vorbild für die Ausbildung für künftige Generationen guter und integrer Senatoren ebd. 8,13; vgl. oben, Kap. 3.6., S. 197 f. mit Anm. 259 sowie Kap. 3.7, S. 206 f. mit Anm. 318. Vgl. Sailor 2008, 274. Vgl. Wirszubski 1967, 201, der es für wahrscheinlicher hält, dass „Tacitus in seiner Äußerung über die gemischte Regierungsform Ciceros (ann. 4,33) Auffassung von der republikanischen Verfassung kritisierte.“
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digkeit und Unabhängigkeit senatorischer Handlungsweisen im Prinzipat, ob unter einem guten oder einem schlechten Princeps; worauf auch die kontextuelle Einordnung dieser beiden programmatischen Kapitel um den Jahreswechsel (24/25 n. Chr.) nach den Decennalia des Tiberius hindeutet. Ein schlechter Princeps wie Tiberius fördert die Falschen und verhält sich selbst unmoralisch, wodurch er direkt und indirekt ein schlechtes Beispiel liefert, das zum Verderben der Aristokratie führt, weil deren Mitglieder sich aus übermäßigem Ehrgeiz und Machtwillen an den vom Kaiser präfigurierten Handlungsmodellen orientieren. Die Annalen sind voller solcher unrühmlicher Negativ-Beispiele.208 In dem Abschnitt vor dem selbstreferentiellen Einschub berichtet Tacitus beispielsweise von zwei Senatoren, die alles andere als vorbildlich in ihrem Handeln und die als Angeklagte in zwei unterschiedliche Prozesse verstickt sind.209 Diese Verfahren und ihre Ausgänge sind es auf den ersten Blick betrachtet nicht wert berichtet zu werden, da sie bedeutungslos scheinen. P. Suilius wird aufgrund seiner Bestechlichkeit als Richter verurteilt und auf das Insistieren des Kaisers hin auf eine Insel verbannt, während Catus Firmius trotz der ungerechtfertigten Anklage gegen seine Schwester, der er erfundene Vergehen gegen das maiestas-Gesetz vorwirft, nur aus dem Senat ausgeschlossen und nicht verbannt wird, da er in der Gunst des Tiberius steht. Diese wenig spektakulären Fälle stechen auf der Ereignisebene nicht gerade aus der Masse der Prozesse hervor, stellen aber in ihrer Verknüpfung mit anderen Vorfällen zwei exempla für den abstrakt formulierten Lebensentwurf des Delatoren nach dem Muster von Romanius Hispo und Caepio Crispinus dar, da an dieser Stelle die Karriere des einen Anklägers beginnt, während sich die des anderen vollendet.210 So gibt der Autor im Falle des P. Suilius in einer Prolepse zu erkennen, dass dieser nach der tiberianischen Regierung aus seiner Verbannung zurückgeholt und als enger Freund unter Claudius sein Unwesen als Ankläger treiben wird. Er wird zu einem späteren Zeitpunkt der Erzählung als Verbündeter der Messalina eine wichtige Rolle bei der Verurteilung des Valerius Asiaticus und dem Selbstmord von Poppaea Sabina der Älteren, einigen anderen prominenten Senatoren und Scharen von Rittern spielen, wobei er einiges an Reichtum gewinnt, den er durch die Käuflichkeit seiner Anwaltsdienste noch steigert.211 Doch schließlich wird ihn das gleiche Schicksal ereilen wie Catus Firmius, was nicht zuletzt in der 208 Die natürlich auch mit der negativen Geschichtsdarstellung der vortrajanischen Vergangenheit eng verknüpft sind. Vgl. Koestermann 1973, 804; McCulloch 1991, 2948; Marincola 1999, 393–395; 209 Tac. ann. 4,31,3 f. 210 Tac. ann. 1,74,2: …dedit exemplum, quod secuti ex pauperibus divites, ex contemptis metuendi perniciem aliis ac postremum sibi invenere („…und gab so ein Beispiel [Hispo oder Crispinus]: die sich danach richteten, wurden aus armen Leuten reiche, aus verachteten Menschen solche, die man fürchten musste, und brachten andere ins Verderben uns schließlich sich selbst“). Vgl. oben, Kap. 5.1, S. 294–299. 211 Tac. ann. 11,1–7; 13,43,2. Vgl. gegenüber der Käuflichkeit des Suilius als Anwalt und dem unter Claudius festgesetzten Kompromiss von maximal 10.000 Sesterzen Vergütung für Anwaltsdienste die Vorbildlichkeit des Plinius und die ehrenvolle Einstellung Trajans zu dieser Thematik in Plin. epist. 5,13; vgl. oben, Kap. 3.7, S. 210, Anm. 330–334; vgl. ebenfalls die Konzeption des plinianischen Antagonisten Regulus oben, Kap. 3.5, S. 191–195.
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Verschränkung dieser beiden Lebensgestaltungen angelegt ist, die beide dem Ankläger-Modell folgen.212 Denn während Tacitus mit der Figur des P. Suilius einen nicht sonderlich ermutigenden Blick in die Zukunft seiner Geschichte richtet, erinnert er mit einer Analepse zu Catus Firmius an den ersten paradigmatischen Fall, bei dem ein Senator einen Standesgenossen unter der Vorspiegelung von Freundschaft in einen Hinterhalt gelockt und mithilfe einer erfolgreichen maiestas-Klage sowohl seine Karriere vorangetrieben als auch seine Besitzverhältnisse aufgebessert hat.213 So bewahrheitet sich in kontinuierlicher Fortsetzung an zwei ineinander verschränkten konkreten Fällen die abstrakte Äußerung über den Lebensverlauf von Anklägern, die „andere ins Verderben brachten und schließlich sich selbst“ – und letztendlich die gesamte Nobilität.214 Mit ihrem Verhalten, mit dem sie den Untergang anderer bewirken, verursachen sie auch den eigenen. Der kurzfristig erworbene Reichtum und die steile Karriere zahlen sich langfristig nicht aus, gehören also nur zu den scheinbaren utilia und zeigen so die Verknüpfung zu den honesta (ehrenvollen Verhaltensweisen) auf, indem nützliche Dinge (Zuwachs an gesellschaftlichem Prestige und Reichtum) nur dann Bestand haben, wenn sie ehrenhaft erworben wurden. Andernfalls können sie in ihr Gegenteil umschlagen und ihren Akteur dem gleichen Schicksal anheimstellen, welches dieser über die Opfer seines unehrenhaften Verhaltens brachte. Auf diese Weise mögen diese Negativ-Beispiele dem didaktischen Nutzen (in rem esse) der taciteischen Annalen zuträglich sein, da sie die beiden anscheinend unverbunden nebeneinanderstehenden Begriffe zu einer Einheit verbinden: Nur honesta sind in der Lage, echte und dauerhafte utilia hervorzubringen, wobei diese nie das Ziel und höchstens ein Nebenprodukt derselben sein können. Diese beiden zeitlich verschränkten Ankläger-Karrieren, die am Ende einer längeren, von einem kurzen Blick auf das Kriegsende in Nordafrika unterbrochenen Prozessreihe stehen,215 bereiten die programmatische Äußerung des Autors vor, auf die im Anschluss ein positives Beispiel folgt. Der Historiograph Cremutius Cordus steht zu der in seinen Annalen an den Tag gelegten libertas und scheut sich nicht, die Konsequenzen auf sich zu nehmen.216 Er hält in einem Scheinprozess eine Verteidigungsrede vor dem Senat und sucht danach den Freitod.217 Die anschließende Verbrennung seiner Bücher kommentiert der Erzähler dann als ein Unterfangen, das 212 Tac. ann. 13,42 f. Die Gegnerschaft zu Seneca besiegelt unter Nero das Schicksal desjenigen, der „…sich den Hass vieler verdientermaßen zugezogen hatte“ (multorum odia meritus; ebd. 13,42,1), und er wird bis zu seinem Lebensende auf die Balearen verbannt. Vgl. zu diesem odium ebd. 1,74,2: …potentiam apud unum, odium apud omnis („…gewann er Einfluss bei dem Einen, erntete Hass bei allen“). 213 Siehe oben, Kap. 5.1, der Fall des M. Scribonius Libo Drusus, Tac. ann. 2,27–32. 214 Tac. ann. 1,74,2: perniciem aliis ac postremum sibi invenere. 215 Tac. ann. 4,18–22 (Prozesse); 23–26 (Dolabellas Sieg gegen Tacfarinas in Nordafrika und die Ablehnung der Triumphinsignien durch Tiberius); 27 (zufällig im Keim erstickter Sklavenaufstand); 28–31 (Prozesse); zu den Prozessen vgl. oben, Kap. 5.1, S. 309 Anm. 87. 216 Tac. ann. 4,34 f. Vgl. McHugh 2004, 394–404. 217 Dass das Urteil für Cremutius schon feststand, bevor dieser seine Verteidigungsrede gehalten hatte, wird sowohl darin deutlich, dass er bereits vor seinem Auftritt vor dem Senat und dem Princeps entschlossen war, sich das Leben zu nehmen, als auch darin, dass Tiberius die Rede
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für die gegenwärtigen Machthaber ins Gegenteil umschlägt.218 Statt diese Form der memoria zu vernichten, sorgen sie nur für eine größere auctoritas des Historiographen, da dieser offensichtlich nicht in Abhängigkeit zum Princeps steht bzw. sein Werk nicht mit dessen Einverständnis (sozusagen frei und unabhängig) entstanden ist und sein Inhalt für so gefährlich wahr gehalten wird, dass man sowohl gegen den Verfasser als auch dessen Schrift vorgehen muss. Der Erzähler greift dabei auf ein Argumentationselement des Cremutius in seiner Rede zurück,219 und liefert für dieses nicht nur den historischen Beweis, sondern stellt den zu seiner libertas stehenden Historiographen als ein positives Beispiel dar, das letztendlich in der memoria über seine Peiniger triumphiert. Dylan Sailor argumentiert in seinem ansonsten sehr überzeugenden und detaillierten Kapitel zu diesem Prozess, dass Tacitus sich in dieser Episode mit Cremutius Cordus identifiziere, um damit indirekt seine eigene Gefährdung, die gefährliche Wahrheit, welche in seinen Annalen stecke, und damit seine Unabhängigkeit vom Regime wie seine Bedeutung als Historiograph zu behaupten.220 Doch er übersieht dabei drei Punkte: 1.) Trajan ist nicht Tiberius, sondern jener eine Kontrastfigur zum optimus Princeps. 2.) Die taciteische Unabhängigkeit als Senator, der es versteht, die ihm vom Kaiser gewährte libertas zu nutzen, steht außer Frage und muss nicht in einer Identifikation mit Cremutius Cordus bewiesen werden.221 3.) Der Fall des Fabricius Veiento unter Nero zeigt, dass restriktive Maßnahmen des Regimes allein nicht ausreichen, um den literarischen Produkten eines Senators wirklichen und dauerhaften Wert zu verleihen.222
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mit finsterer Miene anhörte; vgl. Sailor 2008, 307. Vgl. zur Cremutius-Rede auch Suerbaum 1971 sowie Moles 1998. Tac. ann. 4,35,5: quo magis socordiam eorum inridere libet, qui praesenti potentia credunt exstingui posse etiam sequentis aevi memoriam. nam contra punitis ingeniis gliscit auctoritas, neque aliud externi reges, aut qui eadem saevitia usi sunt, nisi dedecus sibi atque illis gloriam peperere („Um so mehr darf man über die Beschränktheit derer spotten, die angesichts ihrer gegenwärtigen Machtstellung glauben, auch die Erinnerung bei der Nachwelt tilgen zu können. Im Gegenteil: bestraften Geisteshelden wächst Ansehen zu, und nichts anderes haben ausländische Könige, oder wer sonst die gleiche grausame Haltung bewiesen hat, geerntet als Schande für sich und Ruhm für jene“). Vgl. Grethlein 2013, 176 f., wo auch die Unterschieldichkeit der intendierten und erhaltenen memoria zwischen Tiberius und Cremutius präzise herausgearbeitet ist. Vgl. oben, Tac. ann. 4,35,5 mit Tac. ann. 4,34,5: namque spreta exolescunt: si irascare, adgnita videntur („Denn Dinge, die man nicht beachtet, verlieren ihre Bedeutung: wenn man aber in Zorn gerät, sieht es aus als erkenne man ihnen Berechtigung zu“). Dies ist mit der durch die Annalen eingetretenen Prophezeiung zu verknüpfen: ebd. 4,35,3: nec deerunt, si damnatio ingruit, qui non modo Cassii et Bruti, sed etiam mei meminerint („und es wird nicht an Leuten fehlen, die sich, wenn mich der Urteilsspruch trifft, nicht nur des Cassius und Brutus, sondern auch meiner erinnern werden“). Sailor 2008, 250–313. Vgl. McCulloch 1991, 2932 f.; O’Gorman 2000, 100 f.; Clarke 2002, 96 f. Vgl. oben zum Proöm. Tac. ann. 14,50. Fabricius wurde angeklagt, in seinen Schriften viel Ehrenrühriges gegen Senatoren und Priester ausgesagt und Handel mit Gnadenerweisen des Princeps betrieben zu haben. quae causa Neroni fuit suscipiendi iudicii, convictumque Veientonem Italia depulit et libros exuri iussit, conquisitos lectitatosque, donec cum periculo parabantur: mox licentia habendi oblivionem attulit (ebd. 14,50,2; „Dies war für Nero der Grund, den Vorsitz bei der Verhand-
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Sailors damit in Verbindung stehende These, Tacitus habe mit dieser Episode und seiner Identifikation mit Cremutius nicht nur die Bedeutung seiner Historiographie behaupten, sondern auch seine spektakulären rhetorischen Fähigkeiten als die Grundlage für sein eigenes Überleben und das seiner Werke unter einer Alleinherrschaft inszenieren wollen, vermag ebenso wenig zu überzeugen.223 Denn aufgrund der Entsprechung der Argumentationen von Tacitus und Cremutius gegen eine böswillige Rezeption ihrer Schriften und gegen die Wirksamkeit von Maßnahmen gegen ihre im Sinne der libertas verfassten Historiographien kann es eben nicht die rhetorische Überlegenheit des Tacitus sein, die ihn und seine Werke der Gefahr entziehen. Der Zweck einer Identifikation mit Cremutius, der seine libertas und auctoritas mit dem äußersten Mittel bekräftigt – seinem Tod –, ist selbsterklärend und stellt Tacitus auf eine Stufe mit ihm. Allerdings unterscheidet die Reaktion Trajans (oder die spätere Hadrians)224 auf das taciteische Werk, diesen von Tiberius; von einer Verurteilung oder einem erzwungenen Selbstmord Tacitus’ ist nichts bekannt und von sonstigen Repressionen eines Princeps gegenüber dem Autor ebenfalls nicht. Doch unter einem Tyrannen wie Tiberius, so gibt der Autor zu verstehen, hätte ihn das gleiche Schicksal ereilt wie Cremutius. Dies adelt natürlich nicht nur seine im gleichen Sinne geschriebenen Annalen als bedeutungsvolle und unabhängig verfasste senatorische Historiographie, sondern diskreditiert nur umso mehr den Tyrannen Tiberius und dessen unverhältnismäßige Reaktion, die so sehr derjenigen des Domitian im Proömium des Agricola gleicht.225 lung zu übernehmen, und da Veiento überführt war, verwies er ihn aus Italien und ließ seine Bücher verbrennen, die gesucht und eifrig gelesen wurden, solange man sie sich nur unter Gefahr beschaffen konnte: später ließ die Erlaubnis, sie zu besitzen, sie in Vergessenheit geraten“). Nicht die Angst davor, bei indifferenter Haltung der Machthaber gegenüber dem eigenen Werk in die Bedeutungslosigkeit herabzusinken (vgl. Sailor 2008, 257 f.), findet hier ihren Ausdruck, sondern die Nutzlosigkeit einer Schrift, die das ihr entgegen gebrachte Interesse nur im Widerstand gegen den Princeps erzeugen kann und keinen eigenen Wert in sich birgt, die nicht unabhängig von den Herrschenden durch wahrhafte Berichterstattung und Evaluation echte exempla liefert, an denen sich die Leser in ihrem Verhalten orientieren könnten – im Gegensatz zu den Werken des Tacitus und des Cremutius. Vgl. zur Unterschiedlichkeit von Tacitus und Cremutius auch Grethlein 2013, 172–177. 223 Sailor 2008, 260–274, Tacitus versichert seinen Lesern, „that the book survives not because it is inconsequential, or appealing to the regime, but because the author has ably taken measures to persuade potentially hostile readers, including the princeps, of the futility of taking action against books“ (274); ebd. 306 f. „From the point of view of Ann. 4.32–8, Annals exists not because Tacitus has compromised his books in order to protect his life or to win favor from the regime, nor because the regime could afford to ignore him. Rather, it came into being in the first place because Tacitus, like Cremutius, had written his book, consequences be damned; or, to put it in the terms of ‚Cicero’s choice‘ Tacitus had chosen his books over his life. It was only his spectacular rhetorical skill – his execution of ‚figured speech‘, his successful deflection of hostile readers, and his warning that there will be future Tacituses to proscribe his proscribers – that has permitted him to have both his life and his books.“ 224 Dieses Argument ist unabhängig von einer trajanischen oder hadrianischen Datierung der Tiberius-Hexade bzw. der Annalen, und würde sogar für den hypothetischen Fall greifen, dass Tacitus seine Annalen noch unter Trajan fertig gestellt hatte, aber noch einige Zeit unter Hadrians Herrschaft lebte. 225 Vgl. oben, Kap. 1.3.
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Darüber hinaus muss der konsequente Historiograph Cremutius, der in den Annalen lediglich bei diesem einen Prozess in Erscheinung tritt, im Gegensatz zu den beiden vor dem selbstreferentiellen Abschnitt genannten Senatoren als positives Beispiel für ehrenvolles Verhalten angesehen werden, das unter Tiberius eben in der Regel zum Verderben führt. Dass er für das in seinen Annalen enthaltende Lob von Cassius und Brutus sterben muss,226 also wiederum für bloße Worte, die nicht einmal direkt auf Augustus oder gar Tiberius bezogen sind, verdeutlicht die perfide Rezeptionsweise des Tyrannen, der sich im Lob anderer diffamiert sieht. Aber erst seine tatsächliche Reaktion auf die scheinbare Diffamierung durch Cordus lässt diese zu einer tatsächlichen werden, was die moralische Devianz des zweiten Princeps belegt, da diese die Grundlage einer böswilligen Interpretation von Historiographie darstellt, die nicht direkt auf einen selbst gemünzt ist.227 Die negativen (P. Suilius und Firmius Catus) und das positive Beispiel (Cremutius Cordus), in welche Tacitus den ‚poetologischen‘ Kommentar zu seinen eigenen Annalen einbettet, sollen also wie alle anderen dazu beitragen, dass ein Senator die honesta und utilia erkennt und sich mit diesem Wissen dem pervertierten Normenkatalog eines schlechten Princeps entziehen kann. Doch ein guter Princeps animiert ebenfalls zur Nachahmung seiner eigenen Tugenden oder der Verhaltensweisen von denjenigen, die er fördert.228 Aber auch in diesem Fall benötigt man selbst erst das Wissen um die honesta und utilia als Voraussetzung, selbständig zu moralischen Urteilen über Verhaltensweisen im Stande sein, um zu erkennen, ob man einem guten oder einem schlechten Princeps nacheifert. Der selbständige und kritische Senator, der unabhängig agiert, muss also auch in Zeiten der libertas zu moralischer Evaluation befähigt sein – und lernen kann er das mithilfe der Annalen des Tacitus,
226 Tac. ann. 4,34,1. Dabei gilt es zu beachten, dass Tacitus ihn in seinen Annalen zu einem Märtyrer der Historiographie, zu einem exemplum rein textueller libertas macht und dabei historische Informationen über das sozio-politische Leben dieses Senators und die auch von ihm betriebene Konkurrenz zu Sejanus ausblendet; siehe dazu Sailor 2008, 276–282 und 295–297; vgl. zum historischen Kontext der Anklage des Cremutius Cordus Rutledge 2001, 95 f. sowie Meier 2004, 123–127. Tacitus äußert sich übrigens nicht nur über die dem Cremutius in den Mund gelegte Aussage über Brutus und Cassius positiv über diese beiden Helden der Republik, sondern tut dies auch anlässlich des Begräbnisses der Iunia (Tac. ann. 3,76,2) und noch wesentlich prominenter im zweiten Kapitel der Annalen: postquam Bruto et Cassio caesis nulla iam publica arma… (ebd. 1,2,1; „Als es nach dem Tod des Brutus und Cassius keine republikanische Heeresmacht mehr gab…“). 227 Siehe unten zu Tac. ann. 4,33,4. 228 Vgl. Plin. paneg. 44 f. bspw.: Prodest bonos esse, cum sit satis abundeque, si non nocet; his honores his sacerdotia, his provincias offers, hi amicitia tua hi iudicio florent. Acuuntur isto integritatis et industriae pretio similes, dissimiles adliciuntur; nam praemia bonorum malorumque bonos ac malos faciunt. (ebd. 44,7: „Nun bringt Gutsein den Leuten Vorteil, wo es doch schon mehr als genug ist, wenn es nicht schadet. Solchen guten Männern trägst du Ämter, Priestertümer und Provinzen an, sie stehen hoch in deiner Freundschaft und deinem Urteil. Leute von ähnlicher Gesinnung werden angespornt durch diese Anerkennung, die man der Lauterkeit und Einsatzfreude zollt; auf Leute von anderer Art übt sie werbende Kraft. Denn je nach der Belohnung für Gutsein oder Schlechtsein werden Menschen gut oder schlecht“).
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in denen dieser vor allem anhand von Negativ-Beispielen die Ätiologie bedeutender Ereignisse darstellt.229 Tacitus wendet sich mit seinen Annalen an ein reichsaristokratisches Publikum, das bestrebt ist, nach altem Muster, also anhand der dargestellten exempla aus julisch-claudischer Zeit, aber auch anhand des von ihm selbst als einem unabhängigen und selbstbewussten Geschichtsschreiber dargestellten Vorbildes und nicht etwa philosophischen Abhandlungen, zu lernen, wie ein autonomes und selbständiges Mitglied der Funktionselite sich seinen Standesgenossen und dem Princeps gegenüber verhalten sollte.230 Das Ziel besteht dabei nicht allein darin, in den Annalen späterer Historiographen nicht verurteilt anstatt gewürdigt zu werden, sondern auch darin, seinen selbständigen und nützlichen Beitrag für die res publica zu leisten. Deshalb, so fährt Tacitus fort, sei es nützlich und empfehlenswert, seine Annalen zu studieren, wenn das aufgrund ihrer Monotonie auch alles andere als angenehm sein möge.231 Aber diese Unerfreulichkeit der dargestellten Ereignisse teilt der Autor mit seinen Lesern;232 für ihn ist die Abfassung der Annalen eine eng begrenzte Arbeit, die keinen Ruhm einbringt, und seinen Lesern bieten sie wenig Unterhaltung – oder zumindest geringe die Konzentration und Freude erhaltende Abwechslung. Denn diese Argumentation gehört zu seinem Bescheidenheitsgestus, mit dem er implizit auf seine darstellerischen und evaluierenden Fähigkeiten hinweist, trotz des Gegenstands ein Werk wie die Annalen schreiben zu können.233 Sein Publikum teilt jedoch nicht nur diese Mühen mit ihm, sondern es partizipiert auch an der vom Autor inszenierten Distanz zur Selbstdarstellung der Principes, deren äußeren Anschein Tacitus durchdringt und die darunter liegende Wahrheit (wie z. B. den Tyrann Tiberius) zum Vorschein bringt. Mit seiner Diffamierung der Welt des julischclaudischen Prinzipats konstruiert er eine virtuelle Leserschaft, die aus der Ablehnung dieser repräsentierten Welt entsteht.234 Dadurch, dass er die tyrannischen Principes durchschaut und ihren verheerenden Effekt auf die Senatorenschicht und 229 Vgl. Luce 1991, 2911–2916. 230 Vgl. dazu die Vorbildfunktion des Plinius und das Lernen bzw. das Erkennen vorbildlichen Verhaltens anhand von exempla oben, Kap. 3.7, S. 206 f. mit Anm. 317–320). Vgl. hingegen O’Gorman 2000, 98–100, die darin eher ein Abwendung von der politischen zu einer ethischen Ebene erkennen möchte; vgl. ebenfalls O’Gorman 2011, 299. 231 Tac. ann. 4,33,3: ceterum, ut profutura, ita minimum oblectationis adferunt. („Indes, so nützlich solche Berichte sein mögen, so wenig Unterhaltung bringen sie“); bezogen auf die rezeptionsästhetische Seite. Vgl. damit die produktionsästhetische (ebd. 4,32,2): nobis in arto et inglorius labor… („meine Aufgabe ist eng begrenzt und bringt keinen Ruhm…“); vgl. Clarke 2002, 92 f. 232 Sowohl produktions- als auch rezeptionsästhetisch zu lesen: Tac. ann. 4,33,3: …obvia rerum similitudine et satietate („…wobei sich die Ähnlichkeit der Fälle bis zum Überdruss aufdrängt“). Vgl. Sailor 2008, 262. 233 Es handelt sich nicht um einen neuen Modus des Lesens und der Historiographie, wie von Sailor 2008, 261–263 behauptet, sondern dieses Argument gehört ebenfalls in den Rahmen der taciteischen Superioritätsbehauptung als Teil seines Bescheidenheitsgestus’ an dieser Stelle, vgl. Marincola 1999, 403 und gehört in den Kontext republikanisch traditioneller Bildung durch exempla. 234 Vgl. Sailor 2008, 318–321, allerdings ohne dessen anti-monarchische Leseweise zu berücksichtigen, denn wie gesehen lassen sich ‚Republikanismus‘ und Optimus-Princeps-Diskurs
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das Imperium aufzeigt, stellt er nicht nur sich selbst wie im Proöm, sondern auch sein imaginäres Publikum, das sich mit ihm in Konsens befindet, als außerhalb dieser drückenden Herrschaftsbeziehungen dar.235 Nicht nur Tacitus als Autor zeigt somit, dass er es versteht, seine libertas zu nutzen, sondern auch der ihm zustimmende Adressat. Um diesen Konsens zwischen Autor und virtuellem Leser noch stärker zu knüpfen, führt der Erzähler die Figur des böswilligen Rezipienten ein. Dieser könnte in der historiographischen Darstellung seine unter Tiberius lebenden Vorfahren und damit seine familiäre Identität diskreditiert oder aber aufgrund selbstbezogener Leseweise durch Parallelisierung und Kontrastierung mit dem Erzählten sich selbst angegriffen oder diffamiert sehen.236 Egal ob schlechtes Verhalten und Bösewichte getadelt oder gute Handlungen und vorbildliche Senatoren gelobt werden (was letztendlich das gesamte Werk der Annalen ausmacht und die vornehmliche Intention der taciteischen Geschichtsschreibung darstellt),237 dieser virtuelle Anti-Leser findet immer eine Möglichkeit, sich durch seine Ähnlichkeit mit den Schurken oder seine Unzulänglichkeit im Vergleich mit den Helden von der Geschichte verunglimpft zu fühlen, anstatt von ihr zu lernen.238 Die Prämisse für diesen destruktiven Rezeptionsmodus liegt also unabhängig vom Gegenstand des Textes in der moralischen Devianz des Lesers begründet, der diesen anwendet und sich deshalb im Dissens mit dem taciteischen Werk sieht. Diese Figur des böswilligen Rezipienten kennt seine moralischen Schwächen, weiß um seine Übeltaten – er hat sozusagen ein ähnlich vernarbtes Herz wie der Tyrann239 – und liest dieses eigene Fehlverhalten in die Erzählung von der Vergangenheit und die aus ihr hervortretenden positiven wie negativen exempla hinein, wodurch er seinen eigenen Charakter offenbart. Er unterliegt damit genau denselben Rezeptionssünden, die im darauffolgenden Kapitel von Tiberius begangen wer-
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miteinander verbinden, ja gehören in gewisser Weise sogar zusammen; vgl. oben, v. a. Kap. 2.3. Vgl. Sailor 2008, 320 f. Tac. ann. 4,33,4: at multorum, qui Tiberio regente poenam vel infamias subiere, posteri manent, utque familiae ipsae iam exstinctae sint, reperies, qui ob similitudinem morum aliena malefacta sibi obiectari putent. etiam gloria ac virtus infensos habet, ut nimis ex propinquo diversa arguens („aber von vielen Männern, die unter der Regierung des Tiberius Strafe oder Entehrungen erlitten haben, leben noch die Nachkommen, und falls die Familien selbst schon ausgestorben sein sollten, wird man immer Leute finden, die wegen der Ähnlichkeit des Charakters glauben, fremde Übeltaten würden ihnen vorgeworfen. Auch der Ruhm der Leistungen hat in ihnen erbitterte Gegner, da er bei der Betrachtung aus der Nähe die Gegenseite allzu deutlich zeigt“); vgl. für eine sehr literale Leseweise dieser Stelle Sinclair 1995, 168 für eine überzeugende Darstellung der Gemeinschaft zwischen Tacitus und seinen Lesern ebd. 58–62.; vgl. ebenfalls Sailor 2008, 310; Grethlein 2013, 168. Tac. ann. 3,65,1: …quod praecipuum munus annalium reor, ne virtutes sileantur utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sit („… weil ich es für die vornehmliche Aufgabe der Geschichtsschreibung halte, dafür zu sorgen, dass tüchtige Leistungen nicht verschwiegen werden und andererseits Bosheit in Wort und Tat sich vor der Schande bei der Nachwelt fürchten muss“); vgl. zu diesem moralischen Zweck der Annalen auch Bronwyn 1990, 3. Beim Anlegen dieser Messlatte kann im Grunde jede Äußerung beleidigenden Charakter erhalten; vgl. O’Gorman 2000, 101–103; Sailor 2008, 272. Vgl. oben, Kap. 5.1, zu Tac. ann. 6,6 Anm. 140 f., 152.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
den, der die Verteidigungsrede des Cremutius Cordus mit finsterer Miene anhört und damit zu dessen Verderben beiträgt.240 In ‚diskursiver Transtextualität‘ werden der böswillige Rezipient und Tiberius mit dem in der tyrannischen Vergangenheit stecken gebliebenen Leser, der den Agricola nicht affirmativ rezipiert,241 und dem pessimus princeps Domitian in Beziehung gesetzt, der sich in seiner perfiden Rezeptionsweise im Lob anderer (des Thrasea Paetus und des Helvidius Priscus) diffamiert sieht und in gleicher Weise wie Tiberius mit überzogenen Reaktionen versucht, die memoria zu beherrschen, indem die Autoren und ihre Schriften vernichtet werden.242 Nur ein moralisch devianter Rezipient kann sich durch wahrhafte und unabhängige Historiographie diffamiert sehen, was ihn mit den Negativfiguren der Annalen (und dem Agricola) auf eine Stufe stellt, weshalb der virtuelle Leser und der Autor der Annalen im konsensuellen Gegensatz zu diesem selbstverräterischen Rezeptionsmodus stehen und so durch die Figur des böswilligen Rezipienten die Gemeinschaft zwischen diesen beiden gestärkt wird.243 Über die Stärkung der Beziehung zwischen Autor und virtuellem Leser hinaus führt die gemeinschaftliche Ablehnung dieser schlechten Lesegewohnheit dazu, dass die moralische Integrität beider bewiesen wird: die des Autors darin, dass es nicht in seiner Intention liegt, jemanden zu verunglimpfen, um damit auf illegitime Art und Weise sein Sozialprestige auf Kosten von Standesgenossen zu erhöhen, sondern seine Geschichtsschreibung ohne Eigeninteresse und im Zeichen der Unabhängigkeit der Wahrheit des Dargestellten verpflichtet ist und jegliche negative Rezeption in der charakterlichen Unzulänglichkeit des Rezipienten begründet liegt. Der virtuelle Leser hingegen beweist seine moralische Vorbildlichkeit im Dissens zu diesem irregeleiteten Rezeptionsmodus und in seiner Übereinstimmung mit dem Autor und dessen Werk. Im Panegyrikus des Plinius bestätigt der optimus Princeps seine Vorbildlichkeit auch, indem er sich gegen diese böswillige Rezeptionsweise gefeit zeigt und damit dem Redner und dessen Ehrlichkeit Vertrauen entgegen bringt;244 ähnlich wie im Agricola Nerva und Trajan die taciteische Schrift nur begrüßen können,245 während Domitian nur wenige Jahre zuvor die Autoren ähnlicher Werke hinrichten und ihre Bücher verbrennen ließ.246 In einer intertextuellen Verknüpfung der beiden Schriften könnte also konstatiert werden, dass Trajan, Tacitus und der virtuelle Leser (der 240 Tac. ann. 4,34,2: id perniciabile reo et Caesar truci vultu defensionem accipiens („Dies musste dem Angeklagten Verderben bringen, dazu der Umstand, dass der Kaiser mit finsterer Miene die Verteidigungsrede anhörte“). 241 Zum Begriff der „diskursiven Transtextualität“ vgl. oben, Kap. 3.5, S. 195 f. Zu dem rezeptionsästhetischen Kniff im Agricola, dieser Schrift im Gestus der Bescheidenheit lediglich die Funktion eines privaten Anliegens zuzuweisen (Tac. Agr. 3,3), um Zustimmung beim Leser zu erzeugen, vgl. oben, Kap. 1.3, S. 54 f. 242 Tac. Agr. 2,1 f. Siehe oben, Kap. 1.3, S. 49–51 mit Anm. 87 u. 92. 243 Vgl. Sailor 2008, 270 f. Vgl. im Gegensatz, Tacitus habe an dieser Stelle die Unmöglichkeit der Rezeptionskontrolle durch den Autor darstellen wollen Rutledge 1998, 142, 144, 152 sowie O’Gorman 2000, 102. 244 Plin. paneg. 3,4. Vgl. oben, Kap. 2.4, S. 122 f. mit Anm. 185–188. 245 Siehe oben, Kap. 1.3, S. 54 f. 246 Tac. Agr. 2,1.
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Annalen sowie des Agricola) in Opposition stehen zu der unheiligen Allianz der Tyrannen und der böswilligen Rezipienten. Obwohl Tacitus als Historiograph die doppelte Rolle des Außenstehenden in chronologischer sowie sozialer Hinsicht einnimmt (insofern er weder Zeitgeschichte betreibt noch seine Historiographie im soziopolitischen Horizont seiner Zeit funktionalisieren möchte),247 der die perfiden Funktionsweisen des Prinzipats verstanden hat und im Vergleich zu seinen Vorgängern auch darstellen kann, inszeniert er sich nicht als der exzeptionelle, solipsistisch veranlagte Außenseiter.248 Stattdessen holt er seine virtuelle Leserschaft, alle moralisch einwandfreien, wissbegierigen, unabhängigen und selbständigen Reichsaristokraten, ab und bindet sie in den Konsens der Diffamierung und Diskreditierung der julisch-claudischen Dynastie sowie der unter dieser tätigen Funktionselite (zumindest zum allergrößten Teil) wie auch aller zeitgenössischen böswilligen Rezipienten ein. Dadurch beweisen die mit dem Autor im Konsens verbundenen Leser nicht nur ihre Anerkennung des optimus Princeps und dessen Herrschaft in ihrer eigenen Gegenwart, der all den in den Annalen geschilderten vorhergehenden Alleinherrschern überlegen ist, und bezeugen die Superiorität des Historiographen Tacitus gegenüber seinen kaiserzeitlichen Vorgängern. Sie bekunden darüber hinaus auch ihre eigene senatorische Unabhängigkeit und dignitas, die sie in ihrer Gemeinsamkeit zur besten Reichsaristokratie macht, die das Imperium seit dem Beginn der spätrepublikanischen Bürgerkriege und der daraus folgenden Etablierung der Monarchie gesehen hat. Nicht nur Kaiser und Autor, auch die Rezipienten, welche die Annalen im Konsens rezipieren und zu didaktischen Zwecken nutzen, schließen damit an die goldene Zeit der Republik an und beherrschen das Reich allein durch ihre moralisch einwandfreien Leistungen. Der Optimus-Princeps-Diskurs bietet so die Möglichkeit einer selbstintegrierenden Affirmation des politischen Systems. Mit dem Blick des faszinierenden Schauderns in die Vergangenheit und der Offenlegung ehrenhaften und nützlichen Verhaltens der senatorischen Elite unter dem Alleinherrscher legitimiert der Autor der Annalen – als ehemaliger Prokonsul von Asia – auch seinen eigenen sozialen Status und den seiner Leser. Der implizite Kontrast zu dieser Vergangenheit unter den vorherigen Principes verdeutlicht, dass die soziopolitische Position der gegenwärtige Führungsschicht nicht auf egoistischen Machtambitionen, sondern auf ihrer Leistungsfähigkeit für die res publica und ihrer Unabhängigkeit als Senatoren beruht; zumindest in Bezug auf die positiven Rezipienten der Annalen. Der spezifische Modus der taciteischen Einschreibung in das trajanische Prinzipat basiert dabei auf dem Umstand, dass er jeglichen Verweis auf eigene Leistungen oder diejenigen des optimus Princeps verschweigt und allein auf Grundlage der Diffamierung der julisch-claudischen Vorgänger den impliziten Kontrast des Jetzt 247 Zur taciteischen Unabhängigkeit und Interessenlosigkeit vgl. oben, S. 330–332. 248 Vgl. zu diesem weitverbreiteten Phänomen unter modernen Interpreten Sailor 2008, 319 f., der die intensive Beziehung zwischen Ronald Syme und Tacitus als Ausgangspunkt für seine scharfen Beobachtungen nimmt, die sich beispielsweise im Vorwort zu Symes epochalem Werk Tacitus zeigt. Syme 1958, VI „It is good fortune and a privilege if one can consort for so many years with an historian who knew the worst, discovered few reasons for ease or hope or confidence, and none the less believed in human dignity and freedom of speech.“
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impliziert. Das Fehlen der positiven Seite des Optimus-Princeps-Diskurses, das auch in einer Indifferenz oder gar kritischen Haltung gegenüber Trajan und dessen Herrschaft begründet sein könnte, dient dabei der Etablierung von Unabhängigkeit, die der Autor nicht nur im Proöm für sich beanspruchen, sondern in seiner Selbstdarstellung als ‚republikanischer‘ Autor in seiner Repräsentation von Vergangenheit und deren Evaluation beweisen kann.249 Die Selbst-Integration in das Herrschaftssystem der eigenen Zeit wird dabei durch Differenz erzeugt: einmal durch Differenz zur Vergangenheit und zum zweiten durch die Differenz, welche in der totalen Unabhängigkeit (aber nicht notwendigerweise im Gegensatz) des Autors vom aktuellen Machthaber zum Ausdruck kommt. Doch die Offenheit der Ellipse und dadurch, dass die dunkle Vergangenheit in ihrer Sequenzialität nicht explizit in dem Gegenentwurf einer positiven Gegenwart aufgefangen wird, machen die Interpretation der Annalen alles andere als eindeutig. Tacitus bewahrt sich durch seine Unbestimmtheit bezüglich seines zeitgenössischen Kontextes nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern birgt zugleich eine fundamentale Ambivalenz in sich. Ob die Annalen positiv in Hinblick auf die Gegenwart ihrer Entstehungszeit zu lesen und die Offenheit als kontrastive Ellipse zu schließen ist oder ob das Schweigen über die Gegenwart doch eher als lineare Fortsetzung der Vergangenheit interpretiert werden muss, wird somit vornehmlich zu einer rezeptionsästhetischen Frage.250 Die Tatsache, dass diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist, verdeutlicht, dass das zentrale Anliegen nicht in einem trajanischen Lobpreis liegt (oder dessen Gegenteil), sondern in der Unabhängigkeit des Historiographen und der seiner affirmativen Leser. Da seine Leser aber seine vorangegangenen Schriften kennen und den Optimus-Princeps-Diskurs der trajanischen Zeit, wie er auch im plinianischen Panegyrikus seinen Ausdruck findet, internalisiert haben, scheint es mir nicht unwahrscheinlich zu sein, dass sie in Tiberius und seinen Nachfolgern (so wie im Domitian des Agricola) die diskursiven Antagonisten zu Trajan sehen. Zumindest scheint mir eine gewisse Andersartigkeit der taciteischen Zeitumstände gegeben zu sein, wobei es allerdings wohl unmöglich ist, zu entscheiden, ob die notwendige Freiheiten gewährende Herrschaft des optimus Princeps und dessen Idealität eine Rolle für diese spielt, ob die nachahmenswerten Leser (auch in ihrer Funktion als Mitglieder der Reichsaristokratie) dazu beitragen oder ob dies allein an der Vorbildlichkeit des Historiographen Tacitus liegt, der ja die gesamte Geschichtsschreibung der Kaiserzeit übertrumpft. Wenn es also auch auf dieser Ebene unmöglich ist, die Meinung des Tacitus über das Prinzipat im Allgemeinen und das trajanische im Besonderen aus seinen Schriften zu eruieren, lassen sich aus ihnen die soziopolitischen Diskurse seines zeitgenössischen Horizonts entbergen, mit deren Hilfe er sein Selbstbild als historiographisch tätiger Konsular generiert. Tacitus schreibt in totaler libertas, unabhängig von der von ihm dargestellten Vergangenheit und unabhängig von seinen eigenen Zeitumständen, auf die er nicht 249 Vgl. Sailor 2008, 250 „The historian strove to show that his work owed nothing to the regime’s authority and influence…“ 250 Vgl. Biesinger 2014, Kapitel „Tacitus im Kontext“.
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einmal Bezug nehmen muss. Er schreibt niemandem zum Gefallen und niemandem zum Lob – zumindest nicht direkt – und erhofft sich keine Vorteile, d. h. er verfolgt keine heimlichen und illegitimen Ambitionen. Seine Intention besteht allein darin, die verzerrte memoria über eine dunkle Zeit der Geschichte des römischen Volkes wiederherzustellen, schlechte Taten zu tadeln und gute zu loben, und seine dabei bewiesene unabhängige Evaluierungskompetenz und moralische Integrität an seine Leser im republikanischen Modus des exemplum weiterzugeben. Was ihn antreibt, ist die Sorge um die res publica, deren Intakt-Sein maßgeblich von der Unversehrtheit und Vorbildlichkeit der senatorischen Reichsaristokratie abhängt, die aber durch schlechte Principes, welche senatorisches Verhalten präfigurieren, und schändliche Senatoren, welche sich der zur Verfügung stehenden unrechtmäßigen Handlungsmodelle zum Zwecke des Konkurrenzkampfes bedienen, bis zu ihrer Auslöschung gefährdet ist. Das unbedingte Ausleben der Gier nach illegitimer Macht (potentia) in der Form von Bürgerkrieg oder juristischer Selbstzerfleischung, welche die Hierarchie der Nobilität destabilisiert und pervertiert, bedingt den Untergang der libertas und die tyrannische Herrschaft eines Einzelnen. Die unabhängige Wahrhaftigkeit der taciteischen Darstellung als Grundlage moralischer Bildung beweist auch im Falle der Annalen seine cura posteritatis.251 Der moralisch integere Rezipient wiederum anerkennt die auktoriale Vorbildhaftigkeit des Tacitus und beweist durch seinen Konsens mit dem Autor seine eigene Ehrenhaftigkeit. In der engen Beziehung zum Autor, geknüpft durch die gemeinsame Ablehnung der Schurken und Anerkennung der Guten, wird der affirmative Leser selbst zum vorbildlichen Senator und bestätigt durch seine Identifikation mit diesem virtuellen Leser die Selbstdarstellung des Autors, welche er für sich selbst ebenfalls in Anspruch nimmt. Tacitus und sein zeitgenössischer Leser verschmelzen dabei zu selbstbewussten und selbstverantwortlichen Systemträgern, deren Status auf ihren eigenen Leistungen für die res publica beruht – und nicht auf der Nähe zum Princeps oder gar der Anwendung illegitimer Mittel, Macht zu erlangen. Ihre sozio-politische Stellung liegt also allein in ihrer eigenen Vorbildlichkeit begründet. 251 Tac. hist. 1,1,1: ita neutris cura posteritatis inter infensos vel obnoxios („So ist es der Fall, dass bei keinem von beiden, weder den Feindseligen noch den knechtisch Ergebenen, Sorge für die Nachwelt vorhanden war/ist“ – Übers. d. Verf.; im Gegensatz dazu die Übersetzung von Joseph Borst, Helmut Hross und Helmut Borst: „So kam es, dass sich in der feindlichen oder knechtisch ergebenen Gesinnung weder die einen noch die anderen um den Eindruck bei der Nachwelt kümmerten“). In beiden Fällen wird der Genitiv als objektivus wiedergegeben, jedoch unterscheidet sich die Interpretation der thematischen Rolle (zu dieser siehe oben, Kap. 1.3, S. 49 f. mit Anm. 89), welche der „Nachwelt“ zugewiesen wird. Während Borst/Hross u. Borst die Nachwelt als Quelle verstehen, von der die cura ausgeht (also „die Sorge vor der Nachwelt“), und die den bisherigen Historiographen gleichgültig ist, diesen also ihre fama bei der Nachwelt unwichtig ist, wird in der alternativen Übersetzung die Nachwelt als Ziel gedeutet. Die Intention des Historiographen, einen weder durch Hass noch durch Schmeichelei verzerrten, der Wahrheit verpflichteten und unabhängigen Bericht der Vergangenheit zu leisten, liegt nach dieser Interpretation nicht in seinem zukünftigen Ruhm, sondern er will damit der Nachwelt dienen; er möchte für sie Sorge tragen. Dies impliziert, dass er keine gegenwärtigen Interessen besitzt, die seinen Bericht beeinflussen könnten, und beweist die Integrität seiner Intention, die es, wie hier zu sehen, eben auch für sein früheres Werk, die Historien, zu konstatieren gilt. Vgl. Heubner 1976, 18; Damon 2003, 5 f.
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II. Literarische Selbstdarstellung von Senatoren der trajanischen Zeit
Dabei scheint ihre Selbstdarstellung eine Identifikationsfigur abzugeben, mit deren Hilfe man sich auch durch eine sehr negative Darstellung des Herrschaftssystems (in der Vergangenheit) und eine sehr republikanische Selbstinszenierung wie in den Annalen, die bewusst darauf verzichtet, die eigene Nähe zum Kaiser zum Ausdruck zu bringen, in das Herrschaftssystem seiner eigenen Zeit hineinschreiben konnte. Unabhängig, souverän, systemrelevant und evaluierungskompetent: Die wahren Helden der Annalen sind ihr Autor und sein Publikum.
III. SENATORISCHE SELBSTDARSTELLUNG UND HIERARCHISCHE DISTINKTION – EINE SYNTHESE Tacitus es an Plinius? So lautete nach einer gelehrten Unterhaltung bei den Zirkusspielen die Frage eines römischen Ritters an seinen Nebensitzer.1 Ursprünglich hatte der namentlich nicht genannte Vertreter des Ritterstandes von seinem Gesprächspartner eigentlich nur wissen wollen, ob er aus der Provinz komme oder ein Italiker sei, doch auf dessen Entgegnung: „Du kennst mich, und zwar aus meinen literarischen Werken,“ wurde ihm plötzlich klar, dass er neben einer berühmten Persönlichkeit saß, wobei er sich aber offensichtlich nicht sicher war, ob es sich dabei um Tacitus oder Plinius handelte.2 Diese Begebenheit, schreibt Plinius seinem epistolarischen Kommunikationspartner Maximus, habe ihm Tacitus selbst berichtet. Im weiteren Verlauf des Briefes bekennt Plinius sowohl sein Wohlgefallen an der Verknüpfung seines Namens mit den studia als auch seine Freude über den großen Bekanntheitsgrad, der ihm daraus bereits erwachsen sei und der nicht zuletzt durch dieses Geschehnis bestätigt werde, da der anonyme Ritter sowohl ihn als auch Tacitus durch ihre Schriften aber keinen von beiden persönlich kenne.3 Der Verzicht auf die namentliche Nennung des Ritters verweist dabei auf dessen relative Bedeutungslosigkeit – hätte er zu den obersten Stützen der res publica in Kaisernähe gehört, würde er zumindest einen der beiden Konsulare kennen – und illustriert damit eine Rezeptionsbreite der Schriften von Tacitus und Plinius, die weit über personal zentrierte Netzwerke hinausreicht. Valide quantitative Aussagen über den tatsächlichen Verbreitungsgrad der literarischen Werke der beiden hochrangigen Senatoren lassen sich aufgrund dieses Befundes innerhalb der plinianischen Selbstdarstellung natürlich nicht treffen. Doch scheinen die von Plinius in seinem Brief dargestellte breite Rezeption seiner Schriften sowie die Bestsellerqualitäten, die er Tacitus zuspricht,4 recht plausibel zu sein. Denn neben der Tatsache, dass Plinius selten dazu neigt, sich explizit selbst zu loben oder zu prahlen, und er sich bei seinem Publikum unglaubhaft machen würde, wenn er mit dem Bekanntheitsgrad seiner Schriften und denjenigen des Ta1 2 3
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Plin. epist. 9,23,2: „Bist du Tacitus oder Plinius?“ Plin. epist. 9,23,2: ‚nosti me, et quidem ex studiis.‘ Plin. epist. 9,23,3. Gleichzeitig dient Plinius diese Anekdote dazu, sich gegenüber Tacitus hervorzuheben, da Plinius im Anschluss von einer Begebenheit erzählt, in der er im Gegensatz zu Tacitus eindeutig identifiziert wird, siehe ebd. 9,23,4. Darüber hinaus ereignet sich die Begegnung zwischen Tacitus und dem anonymen Ritter bei den Zirkusspielen – einem Vergnügen, dem Plinius, wie der Rezipient nur wenige Briefe zuvor eindrücklich vor Augen geführt bekommt, nur wenig abgewinnen kann, da er die dafür aufzuwendende Zeit lieber in seine studia investiert, siehe ebd. 9,6. Vgl. Gibson – Morello 2012, 165–167. Zur Bedeutung des literarischen Feldes für die plinianische Selbstdarstellung vgl. Johnson 2010, 31–62, für den die literarische Betätigung aber eher Kompensation für verwehrte Ehren im politischen Bereich darstellt (ebd. 61 f.). Plin. epist. 7,33,1.
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III. Senatorische Selbstdarstellung und hierarchische Distinktion – eine Synthese
citus maßlos übertreiben würde, spricht für eine weite Verbreitung seiner Texte auch, dass er noch Jahrhunderte später als zweifaches Gattungsvorbild (derjenigen des Panegyrikus sowie derjenigen der gepflegten Kunstbriefsammlung) bekannt war und seine Schriften wichtige intertextuelle Bezugspunkte darstellten.5 Darüber hinaus sind seine privaten Briefe nicht nur nahezu komplett erhalten. Auch seine aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen ‚dienstlichen‘ Briefe an Trajan wurden post mortem zusammengestellt und verbreitet; eigentlich keine Aufgabe, der man sich unterzieht, wenn man nicht mit einem bestehenden Interessentenkreis rechnet.6 Die antike Rezeption der Werke von Tacitus ist ungleich schwerer zu greifen, was sicherlich nicht zuletzt mit dem nachlassenden Interesse an der Gattung der Historiographie in lateinischer Sprache zusammenhängt.7 Der Umstand, dass Plinius sehr darauf bedacht ist, nicht nur seiner Freundschaft, sondern vor allem auch seiner literarischen Gleichrangigkeit mit Tacitus in der Selbstdarstellung in seiner Briefsammlung einigen Raum zu gewähren, spricht jedoch für eine gewisse zeitgenössische Bekanntheit desselben sowie einem vorhandenen Interesse an seinen Schriften.8 Eine nicht unbedeutende Verbreitung der Werke dieser beiden Autoren zu ihren Lebzeiten scheint also mehr als plausibel. Ergänzt werden diese Plausibilitäten in Bezug auf den sozialen Horizont der beiden literaturschaffenden Senatoren durch textuelle Merkmale, die in dieselbe Richtung deuten. Denn ihre Schriften sind zum einen äußerst konsensorientiert und damit aus sich heraus intentional auf eine weite Verbreitung innerhalb der römischen Reichsaristokratie angelegt, was nicht zuletzt in ihren Konzeptionen des virtuellen Lesers als affirmative Identifikationsfigur zum Ausdruck kommt. Zum anderen stehen ihre Werke mit ihren deutlichen Rückgriffen auf den Optimus-PrincepsDiskurs – am offensichtlichsten und umfassendsten im Vergleich zwischen dem Panegyrikus des Plinius und dem Bildprogramm des Trajansbogens von Benevent zu greifen – klar in der zeitgenössischen Diskursordnung und entbergen ihre Autoren als Kinder und Repräsentanten ihrer Zeit. Die Schriften von Tacitus und Plinius bringen eine trotz all ihrer Unterschiede sehr ähnliche Repräsentation von Welt hervor, wobei der antidomitianische Diskurs sowie das im Optimus-Princeps-Diskurs durch den Superlativ implizierte Diskurselement einer defizitären monarchischen Vergangenheit das deutlichste Relief zeichnen. Die relative Stabilität und die Dauerhaftigkeit dieser Diskurse bedingen die intertextuellen und transtextuellen Verknüpfungen der Werke dieser beiden Senatoren. Ihre Selbstdarstellung in und durch ihre Texte ist in vielfältigen Relationen mit der trajanischen Herrschaftsdarstellung verknüpft, bringt diese mit hervor, reagiert auf sie, adaptiert sie und offenbart damit einen bedeutenden Teil elitärer Strategien 5
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Zu seiner Bedeutung für die spätantike Panegyrik vgl. oben, Kap. 2.2, S. 88–90. Für die mögliche Vorbildfunktion seiner Briefsammlung für die Anordnung derjenigen des Symmachus vgl. Sogno 2006, 60 f. Vgl. für den Vergleich von Symmachus mit Plinius Matthews 1974, 65 f., der auch zeitgenössische Belege dafür anführt: Macr. Sat. 5,1,7 sowie Sidon. epist. 1,1,1. Dafür spricht auch die von Sherwin-White 1966, 535 f. postulierte, angestrebte Vollständigkeit der Briefe in Buch 10. Vgl. Koestermann 1963, 48 oder Mellor 2011, 196. Vgl. Ludolph 1997, 80–82.
III. Senatorische Selbstdarstellung und hierarchische Distinktion – eine Synthese
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der Autointegration in ein monarchisches System. Der Optimus-Princeps-Diskurs präfiguriert dabei nicht nur seine konkreten Realisierungen im Medium der senatorischen Literatur, sondern seine Adaption für die Repräsentation von Welt durch Vertreter der Funktionselite führt zu deren spezifischer Selbstdarstellung und Selbstpositionierung im sozio-politischen Umfeld einer neuen (bzw. besseren alten) Zeit, in der die neuen senatorischen Schlüsseltugenden obsequium und modestia auch dem vorbildlichen Princeps zugeschrieben werden.9 Sowohl Tacitus als auch Plinius diskursivieren dieses beatissimum saeculum, welches durch Freiheit und Sicherheit, durch den Kontrast zur sklavischen Vergangenheit unter der Herrschaft früherer Principes sowie durch den Anschluss an eine goldene ideale republikanische Zeit gekennzeichnet ist, und realisieren somit ein und dasselbe Diskurselement der trajanischen Herrschaftsdarstellung. Diese Realisierung vollzieht sich jedoch nicht nur in unterschiedlicher Intensität, sondern auch durch divergierende genres und styles, die nicht zuletzt mit den von ihnen zur Selbstdarstellung gewählten Gattungen in Zusammenhang stehen. Während für Tacitus mit dem Prinzipat Trajans das Schweigen endet und er infolgedessen als Historiograph an die Öffentlichkeit treten kann, beginnt für Plinius das otium, welches ihm die Voraussetzung für die Konzeption seiner persona als orator im Medium der Literatur bietet. So greifen zwar beide in ihrer literarischen Selbstdarstellung auf die politischen Diskurse der trajanischen Zeit zurück, aber da sie dies auf ganz unterschiedliche Art und Weise tun, erzeugen sie auch unterschiedliche Selbstbilder, die sich in den selbst zugeschriebenen sozialen Rollen ihrer literarischen Produkte realisieren. Dabei treiben beide die Entstehung einer relativ konstanten persona voran: derjenigen des im Bereich des otium und selbstverständlich auch im negotium vorbildlichen und nachahmenswerten orator sowie derjenigen des unabhängigen, interessenlosen Historiographen mit seiner vorbildhaften Evaluierungskompetenz. In gewisser Weise einen Sonderfall stellt in dieser Hinsicht der Agricola des Tacitus dar, da die Rolle des über allen Parteien schwebenden Historiographen hier nur latent mitschwingt und die persönliche pietas gegenüber dem verstorbenen Schwiegervater einen wichtigen Teil in der offenen Konstitution der persona des Autors gegenüber seinem Publikum einnimmt. Ebenfalls als Spezifikum dieser taciteischen Schrift zu verstehen ist die Tatsache, dass es sich bei ihr um ein Produkt der Zeit der Transition handelt, in welcher die sozio-politische Ordnung noch in der Schwebe stand, was sich deutlich in der inhaltlichen Ausgestaltung des Werks niederschlägt – durch diese charakteristische außertextuelle Referenz ist die Entstehung und Verbreitung dieses Textes wesentlich präziser zu datieren als bei allen anderen behandelten Werken von Tacitus und Plinius. Tacitus bedient sich in dieser Schrift des antidomitianischen Diskurses, um die kollektive Amnestie und die Erhaltung des status quo ante als den geeigneten Modus der Vergangenheitsbewältigung darzustellen, wobei er sich als in das Wissen und die Ordnung der neuen Zeit Eingeweihter inszeniert. Damit gibt er selbst ein Beispiel dafür ab, wie die neugewonnene Freiheit zu nutzen sei, indem er statt der potentiellen juristischen Selbstzerfleischung seiner Standesgenossen das aktive Vergessen des Tyrannen im Sinne 9
Vgl. zu dem in dieser Arbeit verwendeten Diskursbegriff oben, Kap. I.2, Anm. 82.
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III. Senatorische Selbstdarstellung und hierarchische Distinktion – eine Synthese
der damnatio memoriae betreibt, um die memoria eines sich um das Wohl der res publica verdient gemacht habenden Mitglieds der Senatsaristokratie zu präsentieren. Seine Schrift steht dabei an der Schwelle der Genese eines Diskurses, den die Elite zur Selbstdarstellung ihrer Souveränität bezüglich ihrer eigenen Vergangenheitsbewältigung sowie ihrer Integration in ein neues Herrschaftssystem aufgrund selbstständiger ratio lanciert und der im weiteren Verlauf des trajanischen Prinzipats zu einem für die Funktionselite wichtigen Bestandteil des Optimus-PrincepsDiskurses wird. Doch nicht allein seine historische Einbettung unterscheidet den Agricola des Tacitus von seinen anderen Werken, sondern auch die Unmöglichkeit einer klaren Gattungszuweisung: Der Text stellt sich schließlich als Verknüpfung aller möglichen römischen Memorialpraktiken zum Andenken Agricolas dar, womit der Autor im spezifischen style des pietätsvollen Schwiegersohns hervortritt, welcher der memoria des Schwiegervaters endlich die wohlverdiente Ehre erweisen kann. Der Text und seine Funktion werden vom Autor also eher als eine ‚persönliche‘, ‚private‘ Handlung inszeniert, wobei er durch seine Affirmation und Adaption zeitgenössischer Diskurse versucht, starken Einfluss auf die Konzeption von Vergangenheit und die daraus folgenden Konsequenzen für die Gegenwart zu nehmen. Diese spezielle Praktik der Deutung und Nutzbarmachung von Vergangenheit als Grundlage für bewusstes und integres Verhalten in der Gegenwart wird in den beiden großen Werken des Tacitus dann zum primären Zweck und tritt im Unterschied zum Agricola deutlich vor die (persönliche und kollektive) Frage der Vergangenheitsbewältigung. Dabei stellt sich seine historiographische persona als style eines sich um die Unversehrtheit, Unabhängigkeit und Vorbildhaftigkeit der Nobilität sorgenden Konsulars heraus, der die nötige politische Erfahrung für kompetente Evaluierungen des sozio-politischen Verhaltens der Elite und ihres Princeps vorweisen kann. Im Gegensatz zu dieser auf die Deutung von Vergangenheit ausgerichteten Selbstdarstellung inszeniert sich Plinius, ganz in der trajanischen Jetzt-Zeit verankert, als perfekter Staatsmann im ‚privaten‘ wie im öffentlichen Bereich in der Rolle des orator, wobei seine eigene Vorbildlichkeit in der Ausfüllung dieser idealen senatorischen persona selbst zum Gegenstand der Repräsentation von Welt wird. Um diese stark auf die eigene Person konzentrierte Selbstdarstellung, vor allem in den Briefen, auszugleichen – sozusagen erträglich zu machen –, greift er auf den Heterotopos des senatorischen otium zurück, den er aus Gründen der Marginalisierung als apolitischen Raum konzipiert. Diese grundlegende Differenz in der Ausgestaltung der jeweiligen auktorialen persona von Plinius und Tacitus (orator vs. Historiograph) und die unterschiedlichen Handlungen, mit denen sie verknüpft sind – Belehren anhand der eigenen Vorbildlichkeit vs. anhand der Vergangenheit –, ziehen divergierende Merkmale in der weiteren Ausdifferenzierung der senatorischen Selbstdarstellung nach sich. Tacitus bedient sich mit der Historiographie einer traditionell verankerten Gattung und wählt die Repräsentation und Evaluation von Vergangenheit als Dreh- und Angelpunkt seiner Selbstdarstellung. Er nutzt die etablierte Vorbildfunktion der Geschichte, um die Mitglieder der Nobilität durch die Beispiele der entscheidenden Handlungsträger früherer Zeiten darüber zu unterrichten, wie sich ein vorbildlicher
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Vertreter der Reichsaristokratie zu verhalten habe.10 Er richtet dabei seinen evaluierenden und analytischen Blick auf die Interaktionen, hierarchischen Relationen und Interdependenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern der Funktionselite sowie auf die besondere Rolle, die dem Princeps zum einen als Alleinherrscher, zum anderen als Mitglied eben jener Aristokratie in diesen Aushandlungsprozessen zukommt. In der Analyse des erhaltenen Teils der Historien lag der Fokus der vorliegenden Untersuchung entsprechend dieser binären Handlungsdispositionen und unter Berücksichtigung des Gegenstandes auf den Handlungsmöglichkeiten der Funktionselite in der Krise, den personalen Strukturen zwischen ihren Mitgliedern sowie der Signifikanz des militärischen Aktionsfeldes. In der Analyse der Annalen hingegen stand ergänzend vor allem das Agieren des Princeps im Vordergrund, welches senatorisches Verhalten präfiguriert, wodurch der Kaiser in letzter Instanz der eigentlich Verantwortliche für den Zustand seiner Funktionselite und des Imperiums ist. Von besonderer Relevanz erwiesen sich dabei die höfischen Beziehungen, die über standesgemäße aristokratische Verbindungen hinausgehen (indem bspw. Freigelassene oder Frauen eine größere Rolle spielen, als ihnen im traditionellen Verständnis der Elite zusteht), die personalen Nahbeziehungen zum Kaiser und die Intrigen, mittels derer man in dessen Nähe gelangen kann. In diesem kurzen Rückblick auf den Inhalt der Annalen klingt schon insofern die Besonderheit taciteischer Historiographie an, als in ihr die Vorbildfunktion der kaiserzeitlichen Vergangenheit einen negativen Wert erhält, einen Kontrast zu idealem Verhalten darstellt und die repräsentierte Welt nahezu ausschließlich von negativen exempla bevölkert ist. Den Fluchtpunkt dieser düsteren Vergangenheitsdarstellung nimmt die glückliche Gegenwart ein, in der es „möglich ist zu denken, was man will, und zu sagen, was man denkt.“11 Während diese intentionale Zielführung der taciteischen Historiographie jedoch nur in den Historien explizit benannt wird, kann man aus dem Inhalt der Annalen nur auf sie schließen. Doch für beide Schriften gilt es zu konstatieren, dass Tacitus die unrühmlichen Verhaltensweisen der früheren Funktionselite aufdeckt und damit ein indirektes diskursives Distinktionsmerkmal für sich und seine Zeitgenossen erzeugt, die nun gemeinsam die schlechten Handlungen ihrer Vorgänger evaluieren und vermeiden können. Indem er – mit Ausnahme der oben genannten Referenz auf die glückliche Gegenwart in den Historien – die positive Herrschaftsdarstellung weder aufgreift noch auf sie eingeht, bewahrt Tacitus seine Unabhängigkeit als Historiograph und versteht es, seine im Bescheidenheitsgestus der unrühmlichen Arbeit (ingloriosus labor)12 erfolgende Repräsentation von Vergangenheit als ambitionslos darzustellen. Die Konsequenz, die sich aus der Verweigerung eines expliziten, positiven Gegenentwurfs ergibt, liegt in der Ambivalenz der historiographischen Schriften des Tacitus (vor allem der Annalen) gegenüber dem trajanischen Prinzipat. Diese Un10
11 12
Zur Funktion der Lebensorientierung der memoria und deren Aneignung durch die Geschichtsschreibung, welche darüber hinaus die Deutung der Vergangenheit und daraus zu ziehender Lehren und also eine ‚erzieherische‘ Rolle für sich beansprucht, vgl. Timpe 1996, 277–299, v. a. 279, 282, 291. Tac. hist. 1,1,4: …ubi sentire quae velis et quae sentias dicere licet. Tac. ann. 4,32,2.
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eindeutigkeit kann nur vom Rezipienten entsprechend aufgelöst werden, wobei den taciteischen Zeitgenossen der Optimus-Princeps-Diskurs nicht nur bestens vertraut war, sondern möglicherweise auch den angemessenen Hintergrund für eine adäquate Interpretation der Schriften bot. Tacitus verkörpert in dem durch seine literarischen Schriften hervorgerufenen Selbstbild den idealen Historiographen, dessen Ziel fern von schnödem Eigeninteresse oder persönlichem Prestige darin liegt, seinen Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen Handlungsorientierung auf Basis der Vergangenheit zu bieten und damit dem Wohlergehen der res publica zu dienen. Diesem taciteischen Selbstbild des idealen Historiographen nun steht die zeitgleiche Selbstdarstellung des Plinius als die Verkörperung des idealen orator gegenüber. Dieser Divergenz des literarischen Selbstbildes zweier trajanischer Konsulare entsprechend tritt in den plinianischen Texten die Darstellung der Vergangenheit in den Hintergrund, während der Heterotopos des senatorischen otium eine profilbildende Funktion für die persona des Autors erhält. Sinnfällig wird die zentrale Signifikanz dieses Raumes absoluter senatorischer Selbstbestimmung in der Transponierung einer im öffentlichen Kommunikationsraum situierten gratiarum actio in die von Plinius in seinen Briefen apolitisch konzipierte Sphäre des otium. Dadurch verändert Plinius genre und style der Rede derart, dass ihm die direkte Affirmation des aktuellen Herrschaftssystems und seines obersten Funktionsträgers bei gleichzeitiger Bewahrung seiner Unabhängigkeit und Ernsthaftigkeit ermöglicht wird. Ganz nebenbei etabliert er durch diesen diskursiven Kunstgriff die Gattung des Panegyrikus, als deren Schöpfer er 200 Jahre später angesehen wird. In den Briefen bedient er sich des marginalisierten Raums des otium als Prämisse, Gegenstand und Argument, wobei ihm dessen abschwächende Funktion in Hinblick auf eine relativ direkte Selbstdarstellung nicht ungelegen scheint. Die Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit in diesem imaginären senatorischen Heterotopos sind Voraussetzungen für die offene Kommunikation mit Standesgenossen in Form von Briefen und damit auch der Sammlung und Verbreitung derselben. Diese Briefe als Produkt der rhetorischen Fähigkeiten haben dabei häufig genug die oratorische Selbsterziehung des Plinius in der oft erwähnten Beschäftigung mit den studia zum Inhalt und offenbaren damit eine stark selbstreferentielle Komponente. Darüber hinaus dienen sie aber nicht nur argumentativ als Affirmation der neuen Zeit unter Trajan, sondern begründen die Vorbildhaftigkeit ihres Verfassers, die über den Raum des otium hinaus auf alle Lebensbereiche des römischen Aristokraten extrapolierbar sind. Wenn er auch immer wieder mit der Anknüpfung an sein Vorbild Cicero kokettiert, grenzt er sein literarisches Produkt von dessen Briefsammlung doch deutlich ab und schafft eine ganz neue Kategorie epistolarischer Literatur.13 Sowohl mit seinen Briefen als auch mit seinem Panegyrikus bewegt sich Plinius also im Grenzbereich akzeptierter literarischer Genres und tritt spätestens in der Rezeption nach seinem Tod als Gattungsschöpfer hervor, wobei er darauf be13
Vgl. zu der besonderen Konzeption des plinianischen Korpus’ Marchesi 2008, 241 sowie zur Ambiguität seiner Beziehung zu Cicero ebd. 247 f.
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dacht ist, seine Werke in das Gewand etablierter sozialer (literarischer) Praktiken zu hüllen, um nicht zuletzt dadurch, sondern auch mit seinen rednerischen Kunstwerken allgemein, seine rhetorischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Dabei präsentiert er sich als den idealen orator. Seine in den Schriften evozierte Vorbildhaftigkeit und die des optimus Princeps werden dabei als Koinzidenz konzeptualisiert, weshalb die von Plinius repräsentierten Distinktionsmerkmale für seine senatorische Existenz und seinen Status allein durch seine Leistungen für die res publica begründet sind. Um diese Leistung für die Gemeinschaft in ihrer Bedeutung noch zu steigern und sich gleichzeitig von übermäßigem Ehrgeiz und illegitimen Ambitionen zu distanzieren, stellt Plinius sie als widerwillig erbrachtes Opfer dar, da diese Verpflichtungen im Raum des negotium eine Last für ihn darstellen und seiner Selbsterfüllung im otium im Wege stehen. Während Plinius sich bei der Darstellung seiner Ambitionslosigkeit und seines höheren Respekts den Interessen der Gemeinschaft gegenüber an die Strategie der recusatio als Element des trajanischen Herrschaftsdiskurses anlehnt, verweist Tacitus auf die Unrühmlichkeit seines Gegenstandes, dessen Monotonie und Unerfreulichkeit die Intention, einen ähnlichen Ruhm wie seine republikanische Vorgänger zu erstreben, unmöglich mache. Wenn Tacitus und Plinius auch unterschiedliche Strategien wählen, ihre Ambitionslosigkeit darzustellen, so verfolgen sie dennoch beide den Zweck, sich und ihre vielfältigen sozialen Rollen, die sie einnehmen, dem Verdacht auf übermäßigen Ehrgeiz oder asoziales Eigeninteresse zu entziehen. Diese von den Autoren eingenommenen selbstlosen styles stellen die Bedeutung der Bedürfnisse der res publica also weit über jeden eigenen Vorteil. Diese starke Ausrichtung auf das Gemeinwohl kommt nicht zuletzt in der von beiden präsentierten Intention zum Ausdruck, sich mit und in ihren Schriften um das Wohl der Nachwelt zu kümmern, da sie deren Heranwachsen zu vorbildlichen und integren Mitgliedern der Reichselite durch exempla sicherstellen wollen. Die zur Nachahmung animierende Beispielhaftigkeit ihrer literarischen Werke findet ihre Realisierung dabei sowohl auf einer inhaltlichen Ebene, indem in ihren Repräsentationen von Welt vorbildliches oder zu vermeidendes senatorisches Verhalten/Agieren sowie dessen Bewertung vor Augen geführt wird, als auch auf der Ebene der darstellenden Instanz, auf der sowohl Tacitus als auch Plinius in ihrer auktorialen persona ihre eigene senatorische Vorbildlichkeit präsentieren. Um diese Idealität in ihrem literarischen Handeln und den dabei von ihnen eingenommenen sozialen Rollen hervorzubringen, greifen Tacitus und Plinius bei ihren Realisierungen von Welt auf ganz ähnliche und teilweise dieselben Vermittlungsstrategien zurück. So nutzen beide den Kontrast – den zwischen Gegenwart und Vergangenheit oder den zwischen dem vorbildlichen Senator und dem schändlichen Standesgenossen (Regulus) – als Mittel der indirekten Hervorhebung der eigenen persona, der ihnen neben seiner Anschlussfähigkeit an den OptimusPrinceps-Diskurs auch zum indirekten Selbstlob dient. Tacitus verwendet in diesem Zusammenhang zumindest in den Annalen auch die Form der gedanklichen Ellipse, da die negative Vergangenheitsdarstellung keinen expliziten Referenzpunkt in der Gegenwart erhält. Diese Form der Auslassung kennzeichnet auch die Übertragung der plinianischen Vorbildlichkeit, die nur im marginalisierten sozialen Raum des
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otium repräsentiert wird, auf alle Bereiche senatorischen Seins, da ein guter Mann und guter orator auch nur ein guter Senator sein kann. Während die Ellipse bei Tacitus allerdings offen bleibt und damit uneindeutig ist – wenn sie m. E. auch eher auf einen impliziten Kontrast zur dargestellten Vergangenheit denn eine lineare Fortführung derselben hinweist –, nutzt Plinius sie für einen Analogieschluss. Doch stimmen die Strategien beider Autoren wieder in der Konzeption des virtuellen Lesers überein, da er in beiden Fällen als affirmative Identifikationsfigur, welche die gleiche Vorbildlichkeit wie der Verfasser aufweist und dies durch seine Zustimmung zu dessen Repräsentation von Welt unter Beweis stellt, einen größtmöglichen Konsens bei der Leserschaft ermöglichen soll. Dabei nehmen weder Plinius noch Tacitus in ihren Realisierungen der sozio-politischen Diskurse extreme Randpositionen ein, sondern bewegen sich im Konsens ihrer Zeitgenossen, wodurch es ihnen gelingt, sich eine große Leserschaft zu sichern – weshalb ein namenloser Ritter im Zirkus letztendlich berechtigt die Frage stellen kann: Tacitus es an Plinius? Die Grundlage für die Möglichkeit der kongruenten außertextuellen Identifizierung der auktorialen mit der realen senatorischen persona – also die Identifizierung des Historiographen Tacitus mit dem Zirkusbesucher Tacitus – besteht bei beiden Autoren in der Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit ihrer schriftlichen Repräsentationen von Welt. Diese wiederum liegt in ihrer totalen Unabhängigkeit und Integrität als konsularische Senatoren begründet, denen beide immer wieder einen enorm hohen Stellenwert beimessen. Voraussetzung für das große Maß an senatorischer Freiheit, der sich Tacitus und Plinius ostentativ bedienen, sind dabei die in den senatorischen Repräsentationen der neuen Zeit unter Trajan stark betonten Elemente der libertas und securitas. Diese beiden Schlagwörter fungieren aber nicht nur als zusätzliche Beglaubigung einer im kaiserlichen Herrschaftsdiskurs vermittelten Absicherung der von Tacitus und Plinius genutzten senatorischen Unabhängigkeit, sondern stellen zum anderen auch Elemente eines zum Herrschaftssystem affirmativen elitären Diskurses dar. Denn die Behauptung, von der unter Trajan endlich wieder vorhandenen persönlichen Freiheit und Sicherheit furchtlos und offen sowie ohne jedes Eigeninteresse Gebrauch zu machen, dient gleichzeitig als Beweis für die Wahrhaftigkeit der trajanischen Herrschaftsdarstellung und somit für die außertextuelle Realität des beatissimum saeculum. Doch die beiden Konsulare machen sich durch diese Form des indirekten Lobes des trajanischen Herrschaftssystems nicht der Schmeichelei schuldig und ihre Schriften dienen auch nicht als „organs of semi-official government communication,“14 sondern sie nutzen die rezenten sozio-politischen Diskurse, adaptieren, variieren und nuancieren sie, um in ihnen ihre Selbstdarstellung zu implementieren, wodurch sie die ihren Standesgenossen präsentierten personae in gewisser Weise immunisieren. Als wichtige Stützen des trajanischen Herrschaftssystems wäre es ihrer Glaubwürdigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit auch abträglich, gleichzeitig zur Elite des Princeps zu gehören und im halböffentlichen Raum des senatorischen otium diese Regierungsform grundsätzlich zu verdammen. 14
Wilson 2003, 530. Aber Affirmation ist eben keine Propaganda und kann prinzipiell auch Kritik in sich bergen, die dann jedoch nicht mehr fundamental sein kann. Vgl. im Gegensatz dazu ebd. 526–532 die grundlegende, aber wenig überzeugende Kritik Wilsons an Ramage 1989.
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Die Berufung auf zwei wesentliche Säulen des Optimus-Princeps-Diskurses sowie weitere bestätigende Rückbezüge – der Extremfall Panegyrikus besteht im Grunde genommen nur aus solchen – auf diesen bergen aber immer die Gefahr des Vorwurfs in sich, gegenüber dem Princeps Schmeichelei und Vorteilsheischerei auf Kosten der Standesgenossen zu betreiben, weshalb sie durch einen immer wieder zum Vorschein tretenden Republikanismus – oder im Falle des Panegyrikus durch die kunstvolle Transponierung der Rede in eine neue Kommunikationssituation – ausbalanciert werden. Dieser Republikanismus dient vor allem dazu, die Unabhängigkeit der beiden senatorischen Autoren vom Kaiser und ihre selbstständige Evaluierungskompetenz hervorzuheben. Er realisiert sich bei Plinius vornehmlich in seinen zeitkritischen, bei Tacitus hingegen in seinen anscheinend systemkritischen Äußerungen. Im Grunde genommen ist aber auch der Rückbezug auf die Republik ein Merkmal des Optimus-Princeps-Diskurses, da in dessen Repräsentation von Welt die nächstbessere Zeit vor der Herrschaft Trajans in den goldenen Jahren der Republik zu verorten ist, weshalb sowohl Tacitus als auch Plinius auf weitere Strategien zurückgreifen, um ihre Unabhängigkeit zu beweisen. Tacitus verzichtet bis auf wenige Ausnahmen und in den Annalen (zumindest in den erhaltenen Teilen) gänzlich auf das Aufgreifen positiver Elemente des zeitgenössischen Herrschaftsdiskurses, indem er sich auf die Darstellung der defizitären Vergangenheit konzentriert. Plinius hingegen, bei dem seine Ähnlichkeit als vorbildlicher Aristokrat mit dem optimus Princeps einen wichtigen Bestandteil der Selbstdarstellung ausmacht, betont durch die von ihm vor allem im otium entworfene persona des orators, mit deren Hilfe er seine Unterschiedlichkeit zum Kaiser hervorhebt, sowie durch den Verzicht auf jegliche namentliche Nennung Trajans in den Briefen seine Unabhängigkeit von demselben. Die taciteische Ellipse, die plinianische Differenz sowie der Republikanismus beider dienen der Repräsentation ihrer Unabhängigkeit vom Princeps und der Behauptung ihrer totalen Selbstständigkeit als Konsulare. Diese literarisch konstruierte Unabhängigkeit beweist die Integrität ihrer auktorialen personae und kommt im Idealfall ihrer dignitas und in Folge davon auch ihrer auctoritas zugute. Die Intention, dass das daraus entstehende Sozialprestige über das eng limitierte Feld des aristokratischen Literaturbetriebs hinausgeht und auch ihren öffentlichen personae förderlich ist, lässt sich in konzentrierter Form in der Freude des Plinius über die oben in seinem Brief zitierte und mittlerweile bekannte Frage eines unbekannten Ritters illustrieren: Tacitus es an Plinius? In dieser im Kontext einer realen Kommunikationssituation bei den Zirkusspielen gestellten Frage wird der spezifische soziale Raum der literarischen Selbstdarstellung im senatorischen otium überschritten und die auktorialen personae beginnen im öffentlichen Raum an Kontur zu gewinnen.15 Die Repräsentation der eige15
Man mag einwenden, dass auch der Besuch von Zirkusspielen der Sphäre des otium zuzurechnen ist, muss dabei aber bedenken, dass die Kommunikationspartner und Adressaten des senatorischen Handelns und Kommunizierens bei den Spielen – wie übrigens auch beim Besuch öffentlicher Bäder – in ihrer gesellschaftlichen Stellung wesentlich breiter gestreut sind und es sich somit um einen öffentlichen Raum handelt, während das der Produktion oder Rezeption von Literatur eingeräumte otium den Adressatenkreis auf die Standesgenossen beschränkt und häufig in sehr privaten Räumlichkeiten stattfindet.
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nen senatorischen persona in dem der Elite vorbehaltenen Medium der Literatur und die durch die Rezeption ihrer Schriften entstehende Distinktion gegenüber den Standesgenossen kann erfolgreich an das Sozialprestige, also folglich auch an den Raum des negotium rückgebunden werden. Denn ein größerer Bekanntheitsgrad aufgrund hervorragender Leistungen – seien sie militärischer, juristischer oder literarischer Natur, wobei kulturell bedingt im römischen Kontext erstere bei Weitem die höchste Reputation einbringen – hat auf einer Stufe von hierarchisch prinzipiell Gleichgestellten für denjenigen, der ihn aufweisen kann, ein höheres Gewicht seiner Stimme zur Folge; seine politische persona gewinnt an dignitas und in Folge davon auch an auctoritas. Literarische Produkte scheinen ihren Urhebern also ebenfalls dignitas und auctoritas einbringen zu können, die nicht allein auf den Gegenstand selbst beschränkt bleiben, sondern auch auf die sozio-politischen Sphäre einzuwirken vermögen. Literatur und ihr Entstehungsort, das otium, können also zur hierarchischen Distinktion beitragen und sind somit auch in der Kaiserzeit keine apolitischen Entitäten oder Rückzugsgebiete für politisch Resignierte; zumindest nicht im Kreis der Reichselite, die zugleich als Produzent und Rezipient der literarischen Erzeugnisse fungiert. Der elitäre Rezeptionsrahmen der literarischen Selbstdarstellung ist auch die Ursache für die so ähnliche und zugleich divergierende Repräsentation der senatorischen persona des Plinius in den Briefen im Gegensatz zu seiner inschriftlichen Inszenierung als Princeps von Comum.16 Doch die Vertreter der Funktionselite und die, die es werden wollen, verlangt es nicht nach einem Patron, der ihnen eine Bibliothek spendet, sondern sie bedürfen identifikatorischer Selbstbilder, die sich in überzeugender Weise der zeitgenössischen sozio-politischen Diskurse bedienen und in denen sie sich als selbstbewusste Systemträger verstehen können; Systemträger, die hinsichtlich ihrer Karriere nicht von der Gnade und den Launen des Princeps abhängig sind, sondern die es ihren Leistungen für die res publica verdanken, dass sie auf der Stufe der Gesellschaft und auf der hierarchischen Position innerhalb der Elite stehen, wo sie sich befinden. Es ist das Bedürfnis nach einem Selbstverständnis als meritokratisch strukturierte Funktionselite ohne übermäßigen Ehrgeiz, ohne illegitime Machtbestrebungen, die unabhängig vom Kaiser mitverantwortlich für den Erhalt und das Wohlergehen des Reiches zeichnet. Diese Diskurse sind die Ursache für den Republikanismus der zeitgenössischen Schriften. Dabei geht es aber nicht um ein Zurücksehnen in die Zeit der Republik oder die Hoffnung auf eine Oligarchie, die eines Tages den Princeps beerben wird, weshalb man diesen Republikanismus auch nicht als subversiv oder anti-monarchisch verstehen kann,17 sondern um die Behauptung der eigenen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.18 Unter diesen Vorzeichen soll die elitäre Leistung für die res publica 16 17 18
Vgl. oben, Kap. II.3.1. Vgl. bspw. Wirszubski 1967, 198 f. Diese Äußerung wendet sich nicht gegen die Tatsache, dass sich Tacitus bei seiner Repräsentation von Vergangenheit durchaus anti-monarchischer Diskurse bedient, sondern gegen die Interpretation, dass seine Schriften allein aus dem Grund, dass er dies tut, ohne Rücksicht auf ihre Einbettung in die zeitgenössische Diskursordnung, auch selbst prinzipiell anti-monarchisch seien.
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gesehen werden, für eine res publica, die unter der Herrschaft eines Princeps steht, der aufgrund seiner Eigenschaft als bester Bürger diese vorherrschaftliche Stellung innehat, der sogar der optimus Princeps ist und seine Funktionselite Teil haben lässt an der Herrschaft über das Imperium und ihre Mitglieder nach ihren Verdiensten für die res publica fördert. Insofern ist also auch die starke Betonung der Unabhängigkeit vom Princeps nicht subversiv, sondern systemstützend und affirmativ.19 Die starke Bezugnahme auf die Republik weist allerdings insofern eine gewisse Prekarität auf, als es sich um einen inneraristokratischen Diskurs handelt, dem eine gewisse Doppelbödigkeit eigen ist.20 Denn die Autoren der Sprechakte, in denen sich dieser Diskurs realisiert, konstruieren ihre virtuelle Leserschaft dergestalt, dass der Princeps nur einer und dabei auch kein besonders herausgehobener (geschweige denn direkt adressierter) Rezipient ihrer Schriften darstellt. Die Eigenart dieses Diskurses besteht also darin, dass er so tut, als spräche er im Herrschaftssystem der Monarchie über die Rolle der Aristokratie ohne dem aktuellen Monarchen große Beachtung zu schenken. Tatsächlich müssen der Princeps, seine Stellung und sein Wille von hochstehenden Senatoren bei ihren Äußerungen (und das gilt vor allem für solche, denen durch ihre Verschriftlichung eine gewisse Dauerhaftigkeit innewohnt) immer mitgedacht bzw. mitberücksichtigt werden. Die sozio-politische Stellung des einzelnen Mitglieds der Aristokratie – die sowohl das Kapital der literarischen persona als auch das Ziel der gesellschaftlichen darstellt – ist nach wie vor abhängig vom Princeps, der im Falle von Tacitus und Plinius deren literarische Produkte nicht als opponierende Äußerungen versteht, sondern die beiden literarisch tätigen Konsulare in ihrer weiteren Karriere sogar noch fördert. Die infolge dieser Abhängigkeit prekäre Selbstständigkeit der Senatoren kann jedoch mithilfe des Optimus-Princeps-Diskurses gestützt werden bzw. wird damit versucht die Doppelbödigkeit zu überbrücken und so die Sprechweisen in der Monarchie (und gegenüber dem Monarchen) und über die Monarchie (als Aristokraten im republikanischen Diskurs) zusammenzuführen. Denn im Grunde genommen besteht eine Kongruenz zwischen dem Princeps und seiner Funktionselite sowie dem Wohlergehen des Imperiums – der optimus Princeps als der vorbildlichste der optimi cives interagiert mit diesen unabhängigen Systemträgern zum Optimum des Reiches. Dabei handelt es sich nicht um ein Abhängigkeitsverhältnis einer bürokratisch organisierten und einem spezialisierenden Avancement unterliegenden Reichselite von einem Kaiser oder der Institution des Prinzipats, sondern um ein Interdependenzverhältnis einer meritokratisch strukturierten und selbstbewussten Nobilität und ihrem Princeps. 19 20
Vgl. im Gegensatz dazu Sailor 2008, 177 f., für den der Republikanismus klar systemkritisch ist. Vgl. zur doppelbödigen Kommunikation als Proprium des Prinzipats Winterling 2004, 19, 27 f. 93–101 (wo vor allem im Niederreißen der Fassade von Caligula nach der senatorischen Verschwörung im Jahre 39 [ebd. 89–93] die zuvor aufrechterhaltene Doppelbödigkeit deutlich zum Vorschein kommt). Doch nicht nur die Kommunikation zwischen Princeps und Senat/Senatoren weist diese Doppelbödigkeit auf, sondern auch die in der intraaristokratischen Kommunikation sich konstituierende Selbstdarstellung ist ihr gegenüber anfällig. Vgl. für eine dichtere Darstellung der doppelbödigen Kommunikation Winterling 2011b, 26–28.
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Die senatorische Selbstdarstellung, wie sie von zwei ihrer hohen Repräsentanten betrieben wird, findet zu Beginn des 2. Jahrhunderts also ihren Platz zwischen Princeps und res publica. Die trajanische Elite versteht es, das Funktionieren und Wohlergehen der res publica zu ihrem zentralen Handlungsziel zu erklären, welches in Interdependenz zur Konstituierung und Zusammensetzung der Elite selbst steht. Dieses bringt sie mithilfe des Optimus-Princeps-Diskurses, zu dem auch die neuen Werte des obsequium und der modestia sowie ein neues Zeitregime, das in der historischen Entwicklung der Gegenwart nicht mehr dem Dekadenznarrativ verpflichtet ist,21 sondern der Idee eines am Alten anknüpfenden Neuen vertritt, mit der Monarchie in Einklang. Diese neue Elite präsentiert sich in ihrer Selbstdarstellung also nach wie vor in habitueller Hinsicht als dem Erbe der republikanischen Elite verpflichtet und versteht sich gleichzeitig als Teil des Prinzipats, das in seiner Ausgestaltung eindeutig eine Monarchie ist. Hätte man ein Mitglied dieser Führungsschicht gefragt, ob er im Dienste des Kaisers stünde, hätte der angesprochene Senator wohl geantwortet: Nein, da ich mich für die res publica einsetze und ja, da unter dem besten Kaiser das Wohl der res publica und die Dienste für den Princeps identisch sind und unter einem schlechten Kaiser obsequium und modestia als aristokratische Schlüsseltugenden das Handeln des Einzelnen bestimmen müssen. Das Ziel eines hochstehenden Senators war es also, dem Princeps zu dienen und dennoch einen eigenen, unabhängigen Beitrag zum Wohlergehen der res publica zu leisten, der ihn gegenüber seinen Standesgenossen hervorhob. Auf diese Weise gelang es (zumindest diskursiv), die in der Monarchie errungene sozio-politische Stellung durch eine meritokratische Dimension zu stabilisieren.22 Es steht also nicht nur der diskursiv beste Kaiser, sondern auch eine der Monarchie versöhnlich gestimmte Elite, die durch eine selbstintegrierende Diskursivierung ihrer soziopolitischen Stellung als unabhängige Systemträger selbst zu einer Harmonisierung von Monarchie und Meritokratie beigetragen hat, am Beginn des glücklichsten Zeitalters der Menschheit.23 Die starke Abhängigkeit dieser Selbstdarstellung vom Optimus-Princeps-Diskurs und der damit verknüpften Diskursordnung, die auch stark mit der Adoption Trajans, seiner militärischen Leistungsfähigkeit und der innerhalb der Aristokratie unblutig gemeisterten Krise verknüpft war, stellte für die Nachfolger Trajans eine schwere Hypothek dar, der allerdings eine eigene Arbeit zu widmen wäre. Die elitäre Diskursivierung des trajanischen Herrschaftssystems wurde im Zuge der vorliegenden Untersuchung anhand ihrer Realisierung in der literarischen Selbstdarstellung der beiden selbstbewussten Systemträger Tacitus und Plinius, die wiederum auf das zeitgenössische senatorische Selbstverständnis rückwirkten und 21 22
23
Vgl. Biesinger 2014, das Kapitel zu Tacitus. Vgl. die sozusagen aus der anderen (weil derjenigen des ersten Princeps) Perspektive formulierten Grundsätze der paradoxen augusteischen Rollengestaltung in der aristokratischen Kommunikation bei Winterling 2004, 19: „Herrscher zu sein, ohne zu befehlen, Machthaber zu sein, ohne als solcher in Erscheinung zu treten.“ Für die trajanische Elite ließe sich das auch so formulieren: Diener zu sein, ohne die eigene Unabhängigkeit zu verlieren. Untertanen zu sein, ohne die selbstständige Bedeutung für das Funktionieren der res publica aufzugeben. Gibbon 2004, 125 f.
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zugleich ihr Bestreben nach hierarchischer Distinktion befriedigten, aufgezeigt. Indem ihre literarischen Werke als Sprechakte im sozio-politischen Horizont ihrer Entstehungszeit aufgefasst und in ihrer Verknüpfung mit der trajanischen Herrschaftsdarstellung diskursanalytisch untersucht wurden, konnte die senatorische Selbstdarstellung zu Beginn des 2. Jahrhunderts herausgearbeitet werden. Gleichzeitig wurde damit das Problem umgangen, ihren spezifischen Darstellungen des Prinzipats oder einzelner Kaiser folgen zu müssen bzw. mehr oder weniger arbiträre Umwertungen ihrer Aussagen vornehmen zu müssen.24 Der Diskurs (im Sinne seiner Definition bei Norman Fairclough) kann dabei nicht nur die Verknüpfung unterschiedlicher Gattungen leisten, sondern stellt die ihn realisierenden Schriften in die Diskursordnung ihrer Entstehungszeit, womit die Werke des Tacitus und des Plinius als Quellen für die trajanische Zeit, über die selbst so wenige historiographische Informationen vorhanden sind, und die Selbstdarstellung einer selbstbewussten senatorischen Elite fruchtbar gemacht werden können.25 In Anlehnung an die diskursive Realisierung ihres Selbstbildes könnte man formulieren: Eine neue und selbstständige Funktionselite formiert sich aufgrund ihrer eigenen Leistungen und Vorbildlichkeit um einen neuen Kaiser, der seine Herrschaft im consensus universorum erhalten hat. An vorderster Front heben sich zwei homines novi ab, die als vorbildliche Repräsentanten ihrer Standesgenossen die Funktion der Elite im Herrschaftssystem kennen und respektvoll und demütig die schwere Aufgabe der Führung übernehmen. Dieses Bild vermitteln sie in ihren literarischen Werken, die eine breite Rezeption erfahren, wobei keiner von beiden versucht, sich auf Kosten anderer beim Princeps einzuschmeicheln, sondern beide ihre senatorische Unabhängigkeit bewahren und dennoch beide den Optimus-Princeps-Diskurs in ihrer Selbstdarstellung adaptieren. Tacitus es an Plinius?
24 25
Vgl. zu diesem Problem der kaiserzeitlichen Quellen Winterling 2011a, 3. Zur Diskursanalyse nach Fairclough 2003 vgl. v. a. Kap. I.2, Anm. 82. Mit der Zielführung, mehr über die Selbstdarstellung der senatorischen Elite zu Beginn des 2. Jahrhunderts in Erfahrung zu bringen, ist die Diskursanalyse im Übrigen dem Paradigma der Propaganda überlegen, da auf ihrer Grundlage klar zwischen affirmativer Verwendung von Herrschaftsdiskursen und „semi-official government communication“ (Wilson 2003, 530) differenziert werden kann. Im Übrigen gelingt es ihr auch Gattungsgrenzen zu überwinden. Vgl. zu den spärlichen historiographischen Informationen zur trajanischen Zeit auch Moreno Soldevila 2010, LXXIV.
IV. APPENDICES APPENDIX 1: KAISERLICHE KONSULARE STATTHALTER UND IHRE PRÄTORISCHE LAUFBAHN 70–235 N. CHR. Die folgende Liste ist nicht dafür gedacht, auf der Grundlage des prosopographischen Materials für oder gegen die viri militares zu argumentieren, sondern soll dazu dienen, die Argumentationen von Brian Campbell (Campbell 1975) und Anthony R. Birley (A. Birley 1992) nachvollziehbar darzustellen. Deshalb kann auf eine Aktualisierung der Liste verzichtet werden. Sie setzt sich aus der von Anthony R. Birley verbesserten Liste Brian Campbells (Campbell 1975, 28–31) und der von ihm hinzugefügten Liste von 20 konsularen Statthaltern zusammen, deren prätorische Laufbahnen vollständig bekannt sind und die Campbell übersehen hatte (A. Birley 1992, 31–40). Der einfacheren Lesbarkeit halber wurden diese beiden Listen zusammengefügt und alphabetisch geordnet. Darüber hinaus wurden die Einträge der von A. Birley (ebd. 39) sicher als viri militares identifizierten Senatoren um deren konsulare Ämter, soweit bekannt, erweitert und bei Bedarf aktualisiert. Legende zur Tabelle: – fettgedruckte Namen: von A. Birley 1992 sicher als vir militaris identifiziert – ~Nr.: von A. Birley 1992 als möglicher vir militaris identifiziert – Nr. im Fettdruck: konsularer Statthalter, der von A. Birley 1992 der Liste von Campbell 1975 hinzugefügt wurde – grau hinterlegte Nr.: Senatoren deren Konsulat 100–170 n. Chr. lag – Provinznamen ohne kursiven Zusatz bezeichnen die Statthalterschaft in der entsprechenden kaiserlichen Provinz – die versehenen Ämter werden in ihren gängigen Abkürzungen aufgeführt Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
militärische, konsulare Ämter
1.
P. Aelius Hadrianus (108) [PIR2 A 108]
leg. leg.; Pann. inf.
–
leg. expeditionis Parthicae; Syria
~2.
L. Aemilius Carus (114?)
leg. leg.; Arabia
cur. viae
~3.
M. Aemilius Papus (135?)
leg. leg.
cur. viae, praef. aer. Sat.
4.
L. Annius Honoratus (c. 220)
leg. leg.
cur. viae.; iurid.; praef. aer. mil.; cur. civ.
Appendix 1: Kaiserliche konsulare Statthalter und ihre prätorische Laufbahn
363
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
militärische, konsulare Ämter
5.
Q. Antistius Adventus (167?)1 [PIR2 A 754]
leg. leg. (2); Arabia
–
leg. Aug. pr. pr. at praetenturam Italiae et Alpium; Germania inf.; Britannia
6.
L. Antistius Rufus (90)
leg. leg.
7.
Q. Aradius Rufinus (228?)
leg. leg.; Syria Phoenice
8.
C. Arrius Antonius (173?)
-
9.
C. Avidius Cassius (166?) [PIR2 A 1402]
leg. leg.
cur. viae; procos. Baeticae; praef. aer. Sat. praef. aer. mil.; praef. aer. Sat.; Galatia iurid.; praef. aer. Sat.; cur. civ. –
~10. C. Bruttius Praesens (118?)
leg. leg.
Cilicia; cur. viae
11.
L. Burbuleius Opatus (135?)
leg. leg.
12.
T. Caesernius … Statianus (141?) [PIR2 C 183] C. Caesonius Macer (c. 197/8)
missus ad dilectum; leg. leg.; leg. III Aug. leg. leg.
cur. viae; cur. civ. (3); logistes; procos. Siciliae; praef. aer. Sat. –
Germania sup.;
14.
L. Catilius Severus (110)
leg. leg.
15.
Ti. Claudius Candidus (c. 195/6) Ti. Claudius Claudianus (199) [PIR2 C 834] M. Claudius Fronto (165?) [PIR2 C 874]
-
leg. Asiae; cur. civ. (3); procos. Achaiae; Lusitania leg. Asiae; praef. frum. dand.; cur. viae; praef. aer. mil.; praef. aer. Sat. cur. civ.; leg. Asiae; logistes –
Pann. sup.
13.
16.
17.
leg. leg. (2); praep. vex.; Pann. inf. leg. leg. (2); leg. Augg. pr. pr.; missus ad dilectum
–
Syria; Sonderkommando über Asien2 Cappadocia, Moesia inf.; Syria
missus ad iuventut. per Ital. leg.; comes Veri Aug; Moesia sup.; Moesia sup. + Dacia Apul.; Dacia; Dacia + Moesia sup.3
364
IV. Appendices
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
18.
Claudius Gallus (203/4?)
leg. leg. + praep. vex.; leg. III Aug.
cur. civ.
19.
Claudius Maximus (142?)
leg. leg.; Pann. inf.
cur. viae; iurid.
20.
P. Cluvius Maximus (143?)
leg. leg
praef. frum. dand.; leg. Asiae; leg. Africae?; procos. Siciliae; cur. viae
21.
P. Cornelius Anullinus (c. 174)
leg. leg.; Raetia
leg. procos.; procos. Baetica
~22. M. Cornelius Nigrinus (83)
leg. leg.
prae[ ]libus emend.; Aquitania
23.
leg. leg.; Dacia sup.
praef. frum. dand.; cur. viae; procos.
~24. L. Dasumius Tullius Tuscus (152)
-
praef. aer. Sat.
25.
M. Didius Iulianus (175)
leg. leg.
leg. procos (2); Belgica
26.
L. Fabius Cilo (193)
leg. leg.
procos. Narb.; praef. aer. mil.; Galatia; cur. civ.
27.
T. Flavius Longinus (149?) [PIR2 F 305]
leg. leg.
Lugdunensis
~28. Q. Fuficius Cornutus (147)
leg. leg.; Pann. inf.
iurid.
29.
C. (?) Fulvius Maximus (unter Severus Alexander)
-
leg. Siciliae; iurid. (2); cur. civ. (2)
30.
L. Funisulanus Vettonianus (78)
leg. leg.
cur. viae; cur. aqu.; praef. aer. Sat.
leg. leg.
iurid.; Belgica
leg. leg.
–
C. Curtius Iustus (150)
~31. Q. Glitius Agricola (97) 32.
P. Helvius Pertinax (175) [PIR2 H 73]
militärische, konsulare Ämter
Moesia (inf.); Syria
Moesia inf.;
comes Aug.; Moesia inf.; Moesia sup.; Dacia; Syria; Britannia
Appendix 1: Kaiserliche konsulare Statthalter und ihre prätorische Laufbahn
365
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
militärische, konsulare Ämter
33.
(Iasdius) (vor 205/211?) [PIR2 I 574]
leg. leg.
cur. civ.; praef. alim. + cur. viae; kaiserl. Prov.
leg. Aug. pr. pr. (2)
leg. leg.; leg. III Aug.
iurid.
~34. L. Iavolenus Priscus (86) 35.
Cn. Iulius Agricola (77?) [PIR2 I 126]
missus ad dilectum; leg. leg.
elect. ad bona temp.; Aquitania
Britannia
36.
C. Iulius Avitus Alexianus (um 205) [PIR2 I 192]
leg. leg.; Raetia
–
comes Aug. (2)4; Dalmatia
37.
C. Iulius Quadratus Bassus (105) [PIR2 I 508]
leg. leg.; Iudaea
–
comes et leg. Aug. pr. pr. bello Dacico;5 Cappadocia; Syria; Dacia
38.
C. Iulius Castinus (212/213)
leg. leg. + dux vex.; Pann. inf.
cur. civ.; cur. civ.; cur. viae; iurid.; procos. Cretae
39.
C. Antius A. Iulius Quadratus (94)
-
leg. Bithyn.; leg. Asiae (2); iurid.; procos. Cretae; Lycia-Pamph.
40.
C. Iulius Severus (138?)
leg. leg.
leg. Asiae; procos. Achaiae; Bithynia; praef. aer. Sat.
41.
C. Iulius Severus (155) [PIR2 I 574]
leg. leg.
cur. viae
Syria Palestina; leg. Aug. pr. pr. vel comes Veri6
42.
Sex. Iulius Severus (127) [PIR2 I 576]
leg. leg.; Dacia sup.7
–
Moesia inf.; Britannia; Iudaea; Syria
43.
Cn Iulius Verus (151?) [PIR2 I 618]
leg. leg.
praef. aer. Sat.
Germania inf.; Britannia; Syria; missus ad dilectum
44.
C. Iunius Faustinus (c. 204/5)
leg. leg.
iurid.; Lusitania; Belgica
45.
Q. Lollius Urbicus (c. 135) [PIR2 L 327]
leg. leg.; leg. imp. Hadriani in expeditione Iudaica
–
(adlectus)
cur. civ.
~46. M. Macrinius Avitus (175?)
Germania inf.; Britannia
366
IV. Appendices
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
47.
L. Marius Maximus (198/9)
leg. leg. + dux
cur. viae; cur. civ.; Belgica
48.
L. Marius Perpetuus (203?) [PIR2 M 311]
leg. leg.; Arabia
cur. civ. (2)8
Moesia sup.; Dacia
49.
P. Martius Verus (166) [PIR2 M 348]
leg. leg.
–
Cappadocia; Syria
50.
C. Memmius Fidus (191/2?)
leg. leg.; Noricum
iurid.; procos. Baeticae; praef. Minic.; cur. viae
51.
P. Metilius Secundus (c. 123) [PIR2 M 549]
leg. leg.; leg. III Aug.
–
52.
L. Minicius Natalis (139)
leg. leg.
praef. alim. + cur. viae
leg. leg.; leg. III Aug.
leg. Africae
~53. L. Minicius Natalis (106)
militärische, konsulare Ämter
leg. Aug. pr. pr.
54.
P. Mummius Sisenna Rutilianus (146) [PIR2 M 711]
leg. leg.
praef. aer. Sat.
Moesia sup.
55.
M. Nonius Macrinus (154) [PIR2 N 140]
leg. leg.; Pann. inf.
–
Pann. sup.; comes Aug.
56.
Cn. Papirius Aelianus (133)9 [PIR2 P 108]
leg. leg.; Dacia sup.
–
Britannia
~57. A. Platorius Nepos (119)
leg. leg.
cur. viae; Thracia
58.
leg. leg.; Iudaea
Lycia-Pamph.
Q. Pompeius Falco (108)
~59. Q. Pomponius Rufus (95)
leg. leg.
iurid.; Dalmatia
~60. M. Pontius Laelianus (144)
leg. leg.; Pann. inf.
cur. civ.
~61. C. Popilius Carus Pedo (147)
leg. leg.
cur. viae; praef. aer. Sat.
62.
T. Priferinus Paetus (146) [PIR2 P 939]
leg. leg.
Aquitania
63.
P. Salvius Iulianus (148)
-
praef. aer. mil.; praef. aer. Sat.
~64. M. Sedatius Severianus (153)
leg. leg.; Dacia sup.
cur. viae
65.
leg. leg.
procos. Siciliae; Lusitania; cur. civ.
P. Septimius Geta (191?)
Dalmatia
Appendix 1: Kaiserliche konsulare Statthalter und ihre prätorische Laufbahn
367
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
~66. C. Septimius Severus (160?)
leg. leg.
cur. viae; Lycia-Pamph.
67.
L. Septimius Severus (190)
leg. leg.
iurid.; Lugdunensis; procos. Siciliae
68.
M. Servilius Fabianus (158)
leg. leg.
leg. Asiae; cur. viae; praef. aer. Sat.
69.
T. Statilius Barbarus (198/9?) [PIR2 S 819]
leg. leg.
Thracia
Germania sup.
70.
M. Statius Priscus (159) [PIR2 S 880]
leg. leg.; Dacia sup.
–
Moesia sup.; Britannia; Cappadocia; Dux Veri bello Parthico10
71.
C. Suetrius Sabinus (214)
leg. leg.; comes; praep. vex.; Raetia
leg. Africae; cur. civ.; cur. viae; iurid.
~72. P. Tullius Varro (127)
leg. leg. (2)
procos. Baeticae; praef. aer. Sat.
73.
C. Valerius Festus (71)
leg. III Aug.
–
74.
L. Valerius Propinquus (126) [CIL II 6084]
leg. leg.
A[quitania]
~75. Q. Venidius Rufus (197/8)
leg. leg.; Syria Phoen.
Cilicia
76.
C. Vettius Sabinianus (175?)
leg. leg.; Pann. inf.; praep. vex.
leg. Asiae; leg. ad ord. … Cycladum; iurid.; leg. rat. put.; praef. aer. Sat.
77.
Sex. Vettulenus Cerialis (73?) [RE Suppl. 14, 842f.]
leg. leg.; Iudaea
–
Moesia11
78.
Ignotus D. 1022 Lucius Licinius Sura (93?) eher aber: Q. Sosius Senecio (99) [PIR2 S 777]
leg. leg.
Belgica
leg. pr. pr. bello Dacico primo; Moesia sup.; comes Aug. Dacico bello secundo;12
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, konsulare Ämter
Pann. sup.
Germania inf.
368
IV. Appendices
Nr.
Name (Konsulatsjahr)
militärische, prätorische Ämter
zivile, prätorische Ämter
79.
Ignotus AE 1957, 161
-
cur. civ.; cur. viae (2); iurid. (2)
80.
Ignotus CIL VI 1546
leg. leg.
kaiserl. Provinz
leg. Aug. pr. pr. (2x)13
81.
Ignotus CIL XII 3169 möglicherweise: D. Terentius Scaurianus (102/4) [PIR2 T 88]
leg. leg.
kaiserl. Provinz
comes vel leg. Aug in expeditione Dacica; Dacia14
1 2 3
4
5 6
7 8 9
militärische, konsulare Ämter
Vgl. für ein mögliches alternatives Datum des Konsulats (anno 165) Augusta-Boularot – Seigne 2004, 511 f. Siehe Cass. Dio 71,3,1. Siehe zum Datum des Konsulats und der Karriere des Avidius Cassius allgemein Syme 1988, 689–701. Vgl. A. Birley 2000b, 112; es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass er all diese konsularen Ämter maximal fünf Jahre versehen hat, da er 170 n. Chr. im Kampf gegen Germanen und Jazygen an der Donau fiel. Vgl. zu seinen konsularen Ämtern Petolescu 1987, 124–129 sowie Alföldy 1977, 179, 223, 235. Weshalb ihn A. Birley 2000b, 111–113 nicht bei seinen „senators who held more than two consular military commands“ auflistet, liegt sicherlich in den beiden unsicheren Bezeichnungen als comes Aug. begründet: so lautet die Lesung der Inschrift AE 1963, 42 in PIR2 I 192 wie folgt: […co]mes imp[eratorum certe Severi et Anto]nini in B[ritannia] [praef(ectus)] aliment[orum, comes Imp(eratoris)] Antonini [Aug. in Germania vel in Mesopotamia]… Vgl. Viroulet 2004, 349f., die auch ein mögliches Konsulatsdatum von ca. 200 n. Chr. auf ca. 205 n. Chr. verschoben wissen möchte, da sie seine proc. ad ann. auf die Zeit von 198–200 datiert und von einer anschließenden Erhebung in den Senatorenstand ausgeht. Darüber hinaus scheint es logisch, dass er als comes in Britannien konsularen Rang bekleidete und somit vor 208 n. Chr. eben dieses Amt versah. Siehe A. Birley 2000b, 112 vor allem Anm. 47. Siehe hierzu PIR2 I 574, mit dem Hinweis auf die Grabinschrift eines miles (IGR III 7505 = ILS 2311; wohl eines beneficiarius consularis), aus der hervorgeht, dass der Verstorbene während der orientalischen Expedition des Verus unter Statius Priscus, Iulius Severus und Martius Verus gedient hat. Diese Statthalterschaft versieht er 120–126/7 n. Chr., siehe Eck 1970, 188–200, v. a. Anm. 316. Vgl. A. Birley 2000b, 111f.; wobei natürlich die Frage offen bleibt, ob man bei 8–9 Jahren zwischen Prätur und Konsulat noch von einer beschleunigten Laufbahn sprechen kann. A. Birley 1992, 35 vertritt die Ansicht, dass er seine beiden curae erst nach dem Konsulat inne hatte. Vgl. hierzu Kennedy 1982, 286. Siehe zur Datierung des Konsulats Eck 2003, 235. Zwischen seinem Konsulat (Okt.–Dez. 133 n. Chr.) und der 146 n. Chr. bezeugten Statthalterschaft in Britannien (siehe Alföldy 1977, 218) werden andere konsularische Ämter, vor allem eine zweite Statthalterschaft in mindestens einer weiteren kaiserlich-konsularen Provinz vermutet; dies mag zwar durchaus wahrscheinlich erscheinen, lässt sich aber nicht beweisen, denn unter Antoninus Pius gab es ja auch noch andere „sonderbare“ Karrieren (siehe oben Kap. I.1 Anm. 36f.: L. Dasumius Tullius Tuscus [ILS 1081] und Salvius Iulianus [ILS 8973]); vgl. PIR2 P 108 sowie A. Birley 2005, 143f., der noch von einem alternativen Konsulatsdatum 135 n. Chr. ausgeht.
Appendix 1: Kaiserliche konsulare Statthalter und ihre prätorische Laufbahn 10
11 12 13
14
369
Zu seinem letzten Amt siehe SHA Aur. 9,1 sowie Ael. 7,1; trotz der hohen Anzahl seiner konsularen Ämter bleibt zu bedenken, dass er sie insgesamt höchstens für vier bis fünf Jahre versehen haben kann (siehe PIR2 S 880) und wahrscheinlich um die 50 Jahre alt war, als er das Konsulat erreichte, siehe A. Birley 2005, 153. Immerhin lässt sich aus AE 2006, 1861 erschließen, dass er für über fünf Jahre (73–78 n. Chr.) diese Statthalterschaft versah. Anhand der Inschrift lässt sich zwar nur eine Teilnahme am zweiten dakischen Krieg Traians in konsularem Rang zeigen, aber diese wurde äußerst hoch dekoriert. Die anderen konsularen Ämter folgen den Angaben PIR2 S 777. Seine konsularen Ämter sind alles andere als unumstritten: vgl. Eck 1985, 237; anderer Ansicht über die Ergänzung der Inschrift: Alföldy 1977, 361–365, der von keiner konsularen Statthalterschaft ausgeht, sondern der Ansicht ist, der betreffende Senator sei lediglich zweimal comes Aug.(g.) gewesen, einmal im parthischen Krieg des Verus und einmal im Kampf gegen die Germanen. Wie im Falle von Nr. 78 lässt auch diese Inschrift bei der Benennung konsularischer Ämter nur auf eine Beteiligung am zweiten dakischen Krieg Trajans schließen. Die weiteren, aufgeführten konsularen Ämter folgen PIR2 T 88.
370
IV. Appendices
APPENDIX 2: VERGANGENHEITSBEZÜGE IM PANEGYRIKUS DES PLINIUS – EIN VERGLEICH ZWISCHEN DOMITIAN UND DEN ANDEREN PRINCIPES Die folgende tabellarische Auflistung bietet ein rudimentäres Gerüst für einen relativ umfassenden Überblick über die Häufigkeit von textuellen Referenzen auf Domitian im Vergleich zu denen auf frühere Principes. Die durch Fettdruck hervorgehobenen Stellen, die sich auf Domitian beziehen sind eindeutig, die normal gedruckten bedürfen der Interpretation insofern, dass im Text kein direkter oder ausschließlicher Bezug zu Domitian hergestellt ist. Allerdings kontrastiert Plinius in diesen sehr häufig die schlimme unmittelbare Vergangenheit, die sich ja nur auf Domitian beziehen kann, mit der glücklichen Gegenwart unter Trajan. Im Allgemeinen dient fast jeder Vergleich mehr oder weniger direkt dazu, die gute neue Zeit von einer bis dato insgesamt unrühmlichen Geschichte des Prinzipats abzuheben. Kann eine Vergleichsstelle weder Domition noch den priores principes eindeutig zugeordnet werden, wird sie in beiden Spalten aufgeführt. Plin. paneg.
Domitian
2,2 f.
nusquam […] loquimur (in der Gegenüberstellung mit dem, was Trajan darstellt (civis und parens), ist Domitian impliziert (tyranno, domine), der sich wie ein Gott habe umschmeicheln lassen)
2,6
paulo ante […] formosum alium (mit dieser vor Kurzem bejubelten Schönheit kann nur auf Domitian angespielt sein)1
3,3–5
priores principes Plin. paneg. 2,1
de alio dici, (man soll nicht so über Trajan sprechen, wie über jeden anderen)
2,6
aliquando […] gestum alterius et vocem Anspielung auf Nero
2,7
adrogantia priorum principum
4,4–7
saepe […] ostentant (es gab bis zu Trajan noch keine rundum guten Principes, er ist der erste wahre Princeps)
5,1 f.
talem […] fecissent (frühere Principes kamen im Unterschied zu Trajan nicht friedlich und/oder durch das Eingreifen der Götter zur Macht)
magna […] dixero (das, wovor Plin. mit seiner Dankesrede für Trajan keine Angst zu haben braucht, sind alles Verhaltensweisen Domitians)
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
8,6
… quae proxime parens verus tantum in alterum filium contulit (das heißt: nicht einmal von seinem leiblichen Vater war Domitian für die Herrschaft vorgesehen)
11,1 f.
hic ut frater videretur (Teil des Kalküls Domitians bei der Apotheose von Titus)
371
priores principes Plin. paneg. 5,3
nam ceteros principes […] nuntiavit (dieser Unterschied zeigt sich auch in den göttlichen Vorzeichen für ihre Herrschaft)
7,4
adoptatus es non ut prius […] in gratiam uxoris (im Vergleich zu den nicht explizit genannten Adoptionen bei Claudius und Augustus)
7,7
quam quem male elegit (Anspielung auf Galba, der einfach den Falschen adoptierte)
8,1
non in cubiculo … (vgl. 7,4)
8,5
ut nuper post adoptionem non desierit seditio sed coeperit (vgl. 7,7)
11,1 f.
non imitatus illos […] non ad metum civium… (Die pietätlosen Hintergedanken der früheren Principes bei der Apotheose ihrer Vorgänger; neben Domitian werden hier Tiberius, Nero und Titus genannt)
11,3
minus hoc est, cum fit ab iis qui et 11,3 sese deos putant (mit Bezug auf 2,2 f. scheint Domitian trotz der Verwendung des Plurals hervorgehoben)
minus hoc est, cum fit ab iis qui et sese deos putant (Der Plural verweist aber auf mehrere Principes und nicht nur auf Domitian)
11,4
hos proximos divinitate parentum desides ac superbos (mit Bezug auf 11,1 bezieht sich dies trotz des Plurals vornehmlich auf die Intention von Domitian und Titus)
hos proximos divinitate parentum desides ac superbos (die substantivierten Adjektive schließen aber auch die anderen Principes mit ein)
11,4
372
IV. Appendices priores principes Plin. paneg.
Plin. paneg.
Domitian
11,4 f.
quam imperator cuius pulsi fagatique […] si triumpharet (eindeutige Anspielung auf die „falschen“ Triumphe des militärischen Versagers Domitians)
11,5
Ergo sustulerant … (die folgende Respektlosigkeit der Feinde könnte eine Anspielung auf die Verhandlungen Domitians mit Decebalus darstellen)2
12,2
accipimus obsides ergo non emimus… (Domitians „Erfolge“ waren nur erkauft)
14,5
nec dubito quin ille […] indefessusque referebat (mythologische Allegorie: Domitian als Eurystheus, Trajan als Herkules)
16,3
… nec falsae simulacra victoriae (wiederum ein Verweis auf die falschen Triumphe unter Domitian)
17,1
non spoliis provinciarum … (erneut die falschen Triumphe)
17,4
non ideo vicisse videaris ut triumphares (im Gegensatz zu Domitian)
18,1
quam speciosum est… 18,1 (Das ganze Kapitel oszilliert zwischen inhaltlichen Vorwürfen gegenüber Domitian3 bei gleichzeitiger Verwendung des Plurals und somit einer Ausweitung dieser Vorwürfe auf mehrere der früheren Principes; hier geht es um die Wiederherstellung von Disziplin durch Trajan)
quam speciosum est […] ferrumque metuebant (Das ganze Kapitel oszilliert zwischen inhaltlichen Vorwürfen gegenüber Domitian bei gleichzeitiger Verwendung des Plurals und somit einer Ausweitung dieser Vorwürfe auf mehrere der früheren Principes; hier geht es um die Wiederherstellung von Disziplin durch Trajan)
18,2 f.
tutum est reverentiam […] manus ferrumque metuebant (Grundlage für 18,1: die senatorischen Generäle müssen nicht Missgunst und Verdacht durch den Princeps fürchten)
tutum est reverentiam […] manus ferrumque metuebant (Grundlage für 18,1: die senatorischen Generäle müssen nicht Missgunst und Verdacht durch den Princeps fürchten)
18,2 f.
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
20,4
… iter Domitiani fuisse, non principis (und dieser gleicht einer Naturkatastrophe)
20,5 f.
quid in utrumque vestrum esset impensum (trajanische Sparsamkeit wird domitianischer Verschwendung vergleichend gegenübergestellt)
24,2
non tu civium amplexus ad pedes tuos deprimis… (sondern Trajan behandelt sie von gleich zu gleich; wobei natürlich in erster Linie an Domitian, Nero u. Caligula zu denken ist)4
26,1 f.
… inritis precibus surdas principis aures adstrepebant… (frühere Verteilungen von congiaria gleichen gegenüber Trajans Freigebigkeit Bettelszenen)5
27,1
inter insanabiles morbos principis ira (hier klingt der verderbende Zorn des Tyrannen Domitian an)6
373
priores principes Plin. paneg. 19,1 f.
imperatoris adventu legatorum dignitas inumbratur (dies steht im Vergleich mit einem Naturgesetz, deswegen ist Trajan der allererste, bei dem das nicht der Fall ist)
21,2
… quod alii primo statim principatus die (modestia Trajans; im Vergleich zu den Früheren, nimmt er Ehrentitel nicht sofort an)
22,1 f.
nam priores invehi et importari solebant (Triumph über den Hochmut der früheren Principes bei adventus)
24,1
talis denique quales alii principes futuros se tantum pollicentur
24,2
non tu civium amplexus ad pedes tuos deprimis… (sondern Trajan behandelt sie von gleich zu gleich; wobei natürlich in erster Linie an Domitian, Nero u. Caligula zu denken ist)
24,5
ante te principes fastidio nostri… (Trajan hingegen lässt sich nicht von seinen Sklaven tragen)
26,1 f.
… inritis precibus surdas principis aures adstrepebant… (frühere Verteilungen von congiaria gleichen gegenüber Trajans Freigebigkeit Bettelszenen)
374
IV. Appendices
Plin. paneg.
Domitian
27,3
neque a te liberi civium ut ferarum catuli sanguine et caedibus nutriuntur (ein Verweis auf das Raubtier Domitian)7
priores principes Plin. paneg.
28,1–3 antea principes ad odium sui leniendum… (während Trajan nur die Liebe zu seinen Untertanen zu einer Geldspende bewegt)
33,4
demens ille verique honoris ignarus… (Domitians Grausamkeit, seine Hybris und seine Missgunst in der Arena)
34,1–5
… ut ante castris, ita postea pacem foro reddidisti… (Trajan geht gegen die Delatoren Domitians vor)
35,2
quantum diversitas temporum posset… (jetzt wird von Trajan die gerechte Ordnung wiederhergestellt; die Unschuldigen sind sicher, die Verbrecher werden verbannt)
36,1
nunc templum […] non spoliarum civium cruentarumque praedarum saevum receptaculum (sondern der Saturntempel ist endlich wieder Sitz des Gottes)
32,1
… nunc iuvat provincias omnes […] postquam contigit princeps (das temporale Adverb und die temporale Konjunktion präsupponieren, dass die Provinzen sich früher nicht so glücklich schätzen konnten wie jetzt unter Trajan)
33,3
nemini impietas ut solebat obiecta… (weshalb die Zuschauer die Spiele Trajans unbesorgt genießen konnten)
35,4
… sed quanto tu quandoque dignior caelo (weil er die Gesetzgebung gegen die Delatoren, die von Titus und Nerva erst begonnen worden war, zu ihrer Vollendung führte)
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
40,4
Quo ingenio, si natura pateretur, quam libenter tot spoliatis tot trucidatis bona et sanguinem refudisses! (Klarer Verweis auf die Opfer der domitianischen Unrechtsherrschaft)
40,5
alius ut contumacibus irasceretur (beim Nichteintreiben auch ungerechter Schulden)
41,2 f.
aliis […]cum omnia raperent […] principes ipsi sua sponte avidi et rapaces… (die frugalitas Trajans reicht aus für seine Freigiebigkeit; er muss dafür nicht andere berauben wie frühere Principes; und nicht zuletzt Domitian)8
42,3 f.
… principem illum in capita dominorum servos subornantem (jetzt sind die Senatoren wieder die Freunde des Princeps und die Hierarchie zwischen Herren und Sklaven ist wieder hergestellt)
43,1
nec unus omnium […] heres (Die Testamente sind vor Trajan sicher)9
44,1 f.
periclitatus es […] pessimo princeps (Trajan kennt das Leben unter dem schlechtesten Princeps und ist soviel besser als Domitian)
375
priores principes Plin. paneg. 39,2
quae priores principes a singulis rogari gestiebant (diese natürlichen Rechte hat ihnen Trajan alle auf einmal gewährt)
40,3
idem effecisti ne malos principes habuissemus (durch seine gerechte Erbrechtsgesetzgebung und den Verzicht auf noch nicht entrichtete Schulden)
41,2 f.
aliis […]cum omnia raperent […] principes ipsi sua sponte avidi et rapaces… (die frugalitas Trajans reicht aus für seine Freigiebigkeit; er muss dafür nicht andere berauben wie frühere Principes; und nicht zuletzt Domitian)
42,1
magnitudine qua nulli magis caruerunt quam qui sibi maiestatem vindicabant (keine maiestas-Prozesse unter Trajan)
43,1
nec unus omnium […] heres (Die Testamente sind vor Trajan sicher)
43,5
Sed quis ante te laudem istam pecuniae praetulit? (allein Trajan ist mehr an Ruhm als an Geldgewinn interessiert)
376
IV. Appendices
Plin. paneg.
Domitian
priores principes Plin. paneg.
44,5 f.
nec iam consideratus… (Tugendhaftigkeit, Freiheit und Sicherheit gelten jetzt unter Trajan und werden von ihm gefördert)10
44,5 f.
nec iam consideratus… (Tugendhaftigkeit, Freiheit und Sicherheit gelten jetzt unter Trajan und werden von ihm gefördert)
45,1
priores quidem principes […] vitiis potius civium quam virtutibus laetabantur (im Gegensatz zu Trajan)
46,4
scaenici imperatoris spectator (klare Anspielung auf Nero; nach Vorbild Trajan verschmäht das Volk aber jetzt sogar die Pantomimen)
45,3
tu amicos ex optimis […] qui invisissimi malo fuerint (Freunde Trajans stammen aus dem Kreis der Besten, die unter schlechtem Princeps verhasst waren)
45,4
non censuram … (Trajan wirkt als Vorbild, benötigt dafür im Vergleich zu Domitian kein Zensorenamt)11
46,1–3
… rogatus es tu quod cogebat alius (Abschaffung der PantomimenSchauspiele unter Domitian und die unter Trajan)
47,1
sibi vitiorum omnium conscius princeps… (deshalb hatte Domitian die Gelehrten der Stadt verwiesen, die nun unter Trajan wieder eine wichtige Rolle spielen)12
47,4 f.
ante vos principes arcem… (Burg Domitians war früher schwer und unter Demütigungen zugänglich, so die Suggestion)
48,3–5
domo, quam nuper illa immanissima belua plurimo terrore munierat… (unter Domitian war der Palast eine Höhle des Grauens und die salutationes voll verängstigter Teilnehmer)
49,1
secessus, in quos timore et superbia et odio hominum agebatur (aber vor dem Gott der Freveltaten rächt, war Domitian aber dennoch nicht sicher)
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
49,6–8
non enim ante medium diem distentus solitaria cena (keine Ungerechtigkeiten, kein Luxus an der Tafel Trajans, ganz im Gegenteil zum vorherigen Princeps)
50,5 f.
… detestanda avaritia illius… (Besitzgier Domitians)
51,3–5
… aequatus plebis ac principis locus… (während sich Domitian in seiner Loge versteckte und sehr viel Platz allein für sich in Anspruch nahm)
52,3
cum incesti principis statuis permixta deorum simulacra sorderent (Trajan hingegen ist mit seiner Selbstpräsentation im Bereich der Götter äußerst zurückhaltend)
52,5
… ut ex illo terrore… (Bedürfnis nach Rache an Domitian überträgt sich auch auf seine Bildnisse)
52,7
…saevissimi domini atrocissima effigies tanto victimarum cruore coleretur… (die fehlende Ehrfurcht vor den Göttern verleitete Domitian dazu, für diese bestimmte Opfertiere seinem Abbild opfern zu lassen)
53,4
377
priores principes Plin. paneg.
50,2
… priores principes occupabant… (kein Neid Trajans gegenüber Besitzenden; er muss nicht alles besitzen)
53,1
… depravatosque mores principatus… (verkommene Herrschaftsmethoden des Principats werden jetzt zum Guten geführt)
54,1
et quis iam locus miserae adulationis manebat ignarus… (früher gab es überall die gleichen Schmeichelreden auf den Princeps)
… nec ut in se dicta interpretaretur… (Domitian hätte die Verunglimpfung schlechter Principes nie zugelassen, weil er ihnen so glich)13
378
IV. Appendices
Plin. paneg.
Domitian
priores principes Plin. paneg.
54,3 f.
nihil ante tam vulgare tam parvum in senatu agebatur, ut non laudibus principum immorarentur… (Schmeichelei im Senat war früher Alltag)14
54,3 f.
nihil ante tam vulgare tam parvum in senatu agebatur, ut non laudibus principum immorarentur… (Schmeichelei im Senat war früher Alltag)
54,6
… nemo ante… (hat Ehren glaubhafter ausgeschlagen als Trajan)
57,1 f.
… consulatum recusasti, quem novi imperatores destinatum aliis in se transferebant… (Trajan ist nicht so konsulatsfixiert und demütigt die Amtsinhaber im Vergleich zu anderen Principes nicht)
58,4
…ut semper principes […] livor et malignitas videri potest… (das Konsulatsverlangen früherer Principes.)
quotus quisque principum […] alii sane pervigiles et insomnes… (mangelnder Respekt vieler Vorgänger Trajans vor Konsulat)
58,1
non te ad exemplar eius voco… (Domitian hat ständig die Konsulate für sich beansprucht)
58,3
sic exactis regibus coepit liber annus… (Gleichsetzung von Domitians Herrschaftsende und -beginn Trajans mit dem Ende der Königszeit und dem Beginn der Republik)
58,4
…ut semper principes […] livor et malignitas videri potest… (das Konsulatsverlangen früherer Principes.)15
62,3
… illa principis cogitatio… (unter Domitian waren Princeps und Senat jeweils andere Leute beliebt bzw. verhasst)
62,7
adebant requentent securas tandem ac patentes domos (nun gibt es endlich auch wieder Vorbilder für die Jungen, die diese gefahrlos aufsuchen können)
63,3 f.
quotus quisque principum […] alii sane pervigiles et insomnes… (mangelnder Respekt vieler Vorgänger Trajans vor Konsulat)16
63,3
63, 6–8
haec persuasio superbissimis dominis erat … (Hochmut und Furcht der schlechten Principes verhinderten gleiches Verhalten wie Trajan)17
63,6–8 haec persuasio superbissimis dominis erat … (Hochmut und Furcht der schlechten Principes verhinderten gleiches Verhalten wie Trajan)
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
66,4 f.
neque enim adhuc ignavia… (Senatoren bedürfen nach Schrecken der domitianischen Ära der deutlichen Aufforderung Trajans, nach der neuen Freiheit zu greifen.)18
67,3
…meminit sub malo principe aliter vixisse (deshalb soll man unter Trajan getrost zur neuen Freiheit greifen)
379
priores principes Plin. paneg. 64,1
verba principibus ignota, nisi cum iurare cogerent alios… (Eide wurden von Principes bisher nur abgenommen, Trajan leistet Konsulatseid selbst)
65,1
nunc primo disco; non est princeps super leges… (ein Umstand, der zuvor nie so gegeben war)
65,3
… inascensus illum superbiae principum locum… (aber Trajan betritt die rostra)
66,3
omnes ante te eadem ista dixerunt (aber zurecht glaubt man nur Trajan, wenn er von Freiheit spricht)
67,3–6 …pro aeternitate imperii et pro salute principum… (aber die vota für Trajan sind an die Bedingung seiner guten Regierung geknüpft)
69,5
tandem ergo nobilitas non obscuratur… (Trajan erhöht die Ehre des Adels)19
68,2 f.
…dies [..], qui principes alios cura et metu distinebat.. (Trajan hingegen kann furchtlos die Meldung der Eide im Reich erwarten)
68,6 f.
… in secreta nostra non inquirant principes nisi quos odimus… (sonst würde Trajan in allen Häusern auf die Bewunderung seiner Person treffen)
69,3 f.
…quod imitari non magis quisquam candidatorum quam principum possit (die beispiellose reverentia Trajans vor dem Senat)
69,5
tandem ergo nobilitas non obscuratur… (Trajan erhöht die Ehre des Adels)
380 Plin. paneg.
IV. Appendices Domitian
priores principes Plin. paneg. 70,5–8 … ita eadem illa seu neglegentia seu malignitas principum… (unter Trajan stimmt die Relation zwischen Verhalten im Amt und anschließender Konsequenz wieder; die Guten werden gefördert und dazu angehalten viel zu leisten)
72,2
fuit tempus, ac nimium diu fuit, quo alia adversa alia secunda principies et nobis… (unter Trajan sind Heil für den Staat, die Senatoren und den Princeps ein und dasselbe)20
72,6
nosti necessitatem servitutis… (und deswegen kennt Trajan auch das aufgrund von Verstellung nicht überzeugend klingende Lob)
76,3 f.
71,2
… an improbem illos qui effecerunt ut istud magnum videretur… (Dass im Gegensatz zu ihnen Trajan den Senat und seine Mitglieder wie Gleiche behandelt)
73,6
… viderintne umquam principis lacrimas… (unerreichte Authentizität Trajans in und gegenüber dem Senat)
74,3
…quod apud malos detrahebat (Verhalten der Senatoren verdient Glaubwürdigkeit bei Trajan, die schlechten Principes konnten ihnen nie vertrauen)
75,2
ante orationes principum… (nicht die Beifallsrufe des Senats wurden auf Bronzetafeln verewigt)
76,5
fortasse imperator in senatu ad reverentiam eius componebatur… (aber keiner war ein so würdiger und authentischer Konsul (und Senator) wie Trajan)
at quis antea loqui, quis hiscere audebat… (keiner wagte früher in der Kurie zu sprechen und alle stimmten trotz gegenteiliger Überzeugung zu)21
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius
Plin. paneg.
Domitian
78,3
haec nempe intentio tua ut libertatem revoces ac reducas… (das heißt aber, dass die Freiheit zuvor abhanden gekommen sein muss)22
79,6
tandemque principis fores exclusa legationum turba non obsidet… (jetzt ist der Zugang zum Princeps einfach und Trajan bearbeitet alle Anfragen sofort)23
82,1–4
85,1 f.
381
priores principes Plin. paneg.
81,3
usurpabant gloriam istam illi quoque principes qui obire non poterant… (im Gegensatz zur ruhmvollen Freizeitbeschäftigung Trajans, der echten Jagd)
82,9
…plerique principes […] in aleam stupra luxum conferebant… (im Gegensatz zu dem vorbildlichen otium Trajans)
85,1 f.
etenim in principum domo nomen tantum amicitiae… (ein leerer Begriff, der erst jetzt unter Trajan wieder Geltung erfahren hat)
quantum dissimilis illi… (Domitians Furcht vor der Ruhe des otium aber auch sein feiges Verhalten auf dem Wasser im Vergleich zu dem zuvor von Trajan geschilderten)
etenim in principum domo nomen tantum amicitiae… (ein leerer Begriff, der erst jetzt unter Trajan wieder Geltung erfahren hat)24
88,1–3 plerique principes, cum essent civium domini, libertorum erant servi… (bei Trajan hingegen kennen die Freigelassenen ihren Platz ganz genau) 90,5 f.
…ille optimi cuiusque spoliator et carnifex… (beide Konsuln (Plinius u. Cornutus) unter Domitian gefährdet und durch das Hinmorden ihrer Freunde gepeinigt; nun gemeinsame Freude) 91,2
tatnum inter te et illos principes interest… (Trajan sogt bei verdienten Senatoren für eine schnelle Karriere)
382
IV. Appendices
Plin. paneg.
Domitian
92,4
diem […], qui principem abstulit pessimum, dedit optimum, meliorem optimo genuit. (die Entwicklung der letzten Jahre kurz zusammengefasst)
94,1
audisti, quae malo principi precabamur… (entgegen der Segenswünsche für den neuen)
94,3
… cum praedonis avidissimi faucibus eripuisti… (Jupiter hat Trajan ja schon in der Vergangenheit vor Domitian bewahrt, sonst hätte er als einer der Guten diesem Raubtier nicht entgehen können)
95,3 f.
…provectus ab illo insidiosissimo principe, ante quam profiteretur odium bonorum… (danach trat dann Plinius als guter Senator unter dem schlechten Princeps auf der Stelle)
69
(50 eindeutige Bezüge)
priores principes Plin. paneg.
93,2
…licet tales consules agere, quales ante principes erant (die neue Freiheit ist auch in der neuen Verantwortung des Konsulats zu erkennen)
65
(50 ohne eindeutige Bezüge auf Domitian, sondern auf viele oder alle Vorgänger)
In den ersten 11 Kapiteln überwiegen die Bezüge auf die priores principes, im Anschluss allerdings steht dann vor allem das militärische Versagen Domitians bis zum Vergleich der Rückreise der beiden Principes aus dem Kriegsgebiet nach Rom im Mittelpunkt. In den folgenden 70 Kapiteln lässt sich dann kein dauerhafter Schwerpunkt ausmachen, bis am Schluss in der persönlichen Danksagung an Trajan und dem Gebet für dessen Regierung auch die Abrechnung des Plinius mit dem Tyrannen erfolgt (Kap. 90–95). Die Ausgewogenheit der Bezüge auf Domitian einerseits sowie die früheren Principes andererseits lässt sich auch daran erkennen, dass beide in der gleichen Anzahl an Kapiteln (48) auftauchen. Dass der Vergleich mit der Vergangenheit wiederum ein fundamentaler Bestandteil des Panegyrikus ist, erkennt man daran, dass es in dieser Schrift gerade einmal 25 Kapitel (von 95) gibt, in denen kein impliziter oder expliziter Vergleich mit Domitian oder den anderen Vorgängern Trajans gezogen wird. Aus der anderen Perspektive formuliert heißt das, dass in über 2/3 des Werkes immer wieder Vergleiche zugunsten Trajans mit den Regierungen seiner Vorgänger angestellt werden.
Appendix 2: Vergangenheitsbezüge im Panegyrikus des Plinius 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
383
Vgl. Suet. Dom. 18,1; vgl. Durry 1938, 87. Durch die Gegenüberstellung mit den beim Volk bejubelten trajanischen Eigenschaften wird auch die Diskreditierung Domitians und Neros deutlich. Vgl. Durry 1938, 103. Vgl. Durry 1938, 113 f.; vgl. Plin. paneg. 19,3 (die wegen Nachstellungen der Kaiser um ihr Leben fürchtenden Generäle) mit Tac. Agr. 39–43. Vgl. Durry 1938, 122. Vgl. zu Domitian Suet. Dom. 12,3. Die Verwendung des Singular an dieser Stelle und zu Beginn des Kapitels scheint zwar auf Domitian hinzuweisen, ist aber nicht notwendigerweise auf ihn allein beschränkt, da die Stelle insgesamt sehr allgemein gehalten ist. Vgl. Plin. paneg. 48,4 wo ira in oculis ein fester Bestandteil bei der Beschreibung Domitians ist und, da die Augen ja der Spiegel der Seele sind, auch ein Kernelement des domitianischen Charakters darstellt. Vgl. Plin. paneg. 48,3. Vgl. Plin. paneg. 20,4 (für die Verschwendungssucht Domitians) und 36,1 (für seine räuberische Habgier). Vgl. Plin. paneg. 40,5. Mit dem Beginn des Kapitels ist in diesem Kontrast der trajanischen Regierung mit der Vergangenheit wohl am ehesten an Domitian zu denken, allerdings lässt sich diese Beobachtung rein sprachlich gesehen auch auf das gesamte Prinzipat bis dato ausweiten. Vgl. zur Zensur Domitians Cass. Dio, 67,4,3; vgl. ebenfalls Jones 1973; Strobel 2010, 133. Vgl. Tac. Agr. 2,2, siehe oben, Kap. II.1.3. Denn schließlich hatte Domitian i. J. 95 noch Epaphroditos hinrichten lassen, den Freigelassenen Neros, der diesem beim Selbstmord behilflich gewesen war. Vgl. Suet. Dom. 14,4 u. Cass. Dio 67,14,4. Es steht zwar jedes Mal der Plural (laudibus principum; nomini Caesarum). Durch die Verwendung der 1. Person Plural (consulebamur; dicabamus) wird jedoch in erster Linie auf Domitian und erst in einem weiteren Sinne auch auf die anderen Principes rekurriert. Der Plural verweist auf alle oder viele der vorhergehenden Principes; die Charaktereigenschaften und die Nähe zu 58,1 vor allem auf Domitian. Neben den vielen Principes spielt Plinius mit den schlaflosen anderen deutlich auf Caligula und Domitian an. Vgl. Suet. Cal. 50; Suet. Dom. 21; vgl. Durry 1938, 182. Es steht zwar immer der Plural, aber der Inhalt verweist auf bereits über Domitian Gesagtes (incestarus à incesti, 52,3). Vgl. Tac. Agr. 3. Das Adverb tandem kann sowohl mit Bezug auf die domitianische Ära als auch das gesamte Prinzipat gelesen und an dieser Stelle nicht eindeutig zugeordnet werden. Die Attribuierung der Zeit als eine allzu lang dauernde und der Bezug zu den nos lassen hier nur den Rückschluss auf die Regierung Domitians zu. Der Verweis auf Domitian ist implizit über die Ähnlichkeit anderer Beschreibungen des Verhaltens im Senat unter dem schlechten Princeps zu erschließen: Vgl. Tac. Agr. 3 u. 45,1 f. sowie Plin. ep. 8,14,8; vgl. ebenfalls Durry 1938, 199. Und auch der nachfolgende Vergleich mit dem Beginn der Republik verweist über 58,3 und 58,1 auf Domitian. Klarer Verweis auf den Kontrast zur Herrschaft Domitians, vgl. 47–49. Der Plural verweist wiederum auf mehrere Principes, während die Rückführung der Freundschaft durch Trajan natürlich auf die unmittelbare Zeit zuvor hinweist, in der die Freunde des Princeps eher die Sklaven der Senatoren waren als diese selbst, vgl. 42,3 f.
Fabius Valens
Herennius Gallus
Iulius Frontinus
Iunius Blaesus
Manlius Valens
Munius Lupercus
12.
13.
14.
15.
16.
17.
Orfidius Benignus
Fabius Priscus
11.
20.
Fabius Fabullus
10.
Numisius Lupus
Dillius Vocula
9.
Numisius Rufus
Dillius Aponianus
8.
18.
l.l.
Cornelius Aquinus
7.
19.
l.l.
Calpurnius Asprenas
6.
l.l.
l.l.
l.l.
l.l.
l.l.
l.A.
p.u.
l.l.
l.l.
l.l.
l.l.
l.l.
l.A
l.l.
Caecina Alienus
5.
p.
l.l.
Arulenus Rusticus
Aurelius Fulvus
3.
l.l.
Antonius Primus
2.
4.
l.l.
Annius Bassus
1.
Amt
Name
Nr. Dalmatien Rom Mösien
Britannien
Germ/Rom
Germanien
Pannonien
Germanien
Kleinasien
2x
4x
2x
3x
1x
4x
1x
7x
Italien/Rom
Germanien
Mösien
Germanien
Lugdunum
Lugdunensis
Rom
Germanien
x-mal Germanien
1x
1x
15x
2x
1x
1x
x-mal Germanien
1x
1x
x-mal Pannonien
1x
Nen.2 Ort
+
~
+
+
+++
~
~
+++
+++
~
ag.3
~
~
+
~
~
~
+
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o
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Ot
-
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o
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+/-
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-
-
Vit
+
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--
+
?
+
?
+
++
+
?
+
+
Ves
+ (tot Ka)
+ (tot BA)
+ (tot BA)
+ (tot Vit)
+ (tot BA)
+ (tot Ves)
+ (tot BA)
~ Ves
neg.
~
~
~
~
~
~
~
~
~
~
+ Vit
+ alle
+ Ga
gl. pos.
APPENDIX 3: SENATORENTABELLE ZU DEN HISTORIEN DES TACITUS1 Bemerkung
Schlachtentod
belagert in Vetera
Leg. nach Verona
belagert in Vetera
hintergangen v. 12
Opfer v. Tyrann Vit
beruft Senat ein
Nachfolger v. Valens
Feldherr Vit
Verstärkung vs. BA
Ersatz 5, nach Verrat
Oberbefehl in BA; 34
führt Leg. nach Verona
Capito-Mord
erledigt Ps-Nero
Fahnenwechsel
Ehrenzeichen Rox
Gesandter Vit; 57
Feldherr Ves
führt Dalmatier; 39
384 IV. Appendices
Prc
l.A.
cos
cd
l.A.
Ducenius Geminus
Fonteius Agrippa
Hordeonius Flaccus
Marius Celsus
Martius Macer
Licinius Mucianus
Pedanius Costa
Lucius Piso
Pompeius Silvanus
Pompeius Vopiscus
Quintius Atticus
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
cos
cos
cos
l.A.
Prc
cd
pr.u.
l.A.
Caelius Sabinus
cos
Cluvius Rufus
Caecilius Simplex
29.
cos
l.A.
30.
Arrius Antonius
28.
l.l.
l.l.
l.A.
l.l.
l.l.
l.l.
Amt
31.
Aponius Saturninus
27.
Valerius Asiaticus
24.
Valerius Festus
Tettius Iulianus
23.
Vedius Aquila
Roscius Caelius
22.
25.
Plotius Grypus
21.
26.
Name
Nr.
Rom
Rom
Germanien
Asia
Rom
Spanien
Rom
Rom
Rom
Mösien
Pannonien
Afrika
Belgien
Mösien
Britannien
Pannonien
3x
1x
3x
4x
1x
Rom
Rom
Dalmatien
Afrika
Rom
x-mal Syrien
4x
16x
17x
1x
1x
7x
1x
2x
1x
8x
2x
3x
2x
4x
1x
3x
Nen.2 Ort
+
++
+
++
~
~
~
~
+
~
ag.3
+
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+/-
-
+/-
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Vit
+
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o
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+++
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+
+
?
?
?
?
?
+
+
+
?
+
?
+
Ves
+ (tot Ves)
+ (Vit)
+ (Vit)
+ (tot BA)
+ (Ot)
~ (Muc)
+ abgelöst
neg. ~
~
~
+
~
~
+
+
~
~
+
+ Ot
+ Ves
+ Vit
+ Vit
+ Ves
gl. pos.
Kapitolbrand
cos mit 49
„reicher Greis“
Mordopfer von 25
Entzug von cos
consors imperii
führt Gladiatoren
Erfolglose Loyalität
Name ist Programm
Ersatz für 27
nur unter Ga
in absentia (Zeuge)
behält cos
Scheitern Rücktritt
behält cos
Mordversuch: l.l. 23
2 mal bei Cremona
Mörder v. 38
Schwiegersohn Vit
fast Opfer von 27
Antagonist 47
adlectio durch Ves
Bemerkung
Appendix 3: Senatorentabelle zu den Historien des Tacitus
385
1x
2x
7x
1x
17x
2x
12x
1x
2x
9x
5x
3x
18x
1x
Rom
b. Misenum
Rom
Afrika
Rom
Rom/Brit
Rom
Rom
Britannien
Rom
Pannonien
Rom
Rom
Rom
Nen.2 Ort
c
p
Suetonius Paulinus
Vestricius Spurinna6
Lucius Vitellius
59.
60.
61.
c
c
Rubrius Gallus
58.
10x
5x
13x
2x
Rom
Rom
Rom
Rom
p/c/l.A x-mal Rom/Germ
Petilius
57.
Cerialis5
p
p
c/l.A.
cos
l.A.
cos
Arrecinus Clemens4
Vettius Bolanus
51.
Apinius Tiro
Verginius Rufus
50.
cd
56.
Valerius Marinus
49.
l.A.
cos
55.
Trebellius Maximus
48.
Annius Gallus
Otho Titianus
47.
l.A.
cos
54.
Tampius Flavianus
46.
Titus Vinius
Flavius Sabinus
45.
pr.u.
Vipstanus Apronianus Prc
Sabinus Flavius
44.
cos
52.
Rosius Regulus
43.
Amt
53.
Name
Nr.
+
+
++
~
+
+
+
++
+
+
ag.3
+
+
~
~
+
+
+
~
+
reag.
o
o
o
o
o
o
o
o
o
+
o
o
o
-
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o
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Ga
o
+
+
+
o
o
o
+
o
o
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-
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+
o
o
Ot
++
-
-
-
--
o
-
-
-
o
o
o
+
-
o/-
+
+/-
o
Vit
--
?
?
+
++
+
+
+ (BA)
?
?
o
?
?
?
+
?
o
?
Ves
+ (tot Ves)
~ (Vit)
+ (tot Ot)
+ (Vit)
~ (Vit)
+ (tot Vit)
neg.
~
~
~
~
~
~
~
~
~
~
+ Ves
~ Ves
+ Vit
+ Vit
gl. pos.
Bruder v. Vitellius
Erfolg, Placentia
kriegserfahrenster Konsular
Bote zw. 43 u. 5
Niederschlagung BA
Freund Domitians
Flottenaufruhr
Sturz von Pferd
Provinziale schneller
Vertrauter Galbas
Ersatz für 47
blockt Soldaten ab
vertröstet bez. cos
aus Provinz verjagt
Bruder Othos
flieht erst, dann Ves
für 56 (Gladiatoren)
Bruder Vespasians
cos für einen Tag
Bemerkung
386 IV. Appendices
Appendix 3: Senatorentabelle zu den Historien des Tacitus
387
Zeichenerklärung und Abkürzungen: ag. BA BK c cd cos Ga Germ gl. Ka l. A. Leg. l. l. Muc Nen. neg. Nr. 1 2
3 4
5
6
agierend Bataveraufstand Bürgerkrieg konsularischer Status designierter Konsul Konsul Galba Germanien gleich Kampf/Schlacht legatus Augusti Legion legatus legionis Licinius Mucianus Nennung negativ Nummer
Ot p p. pos. Prc pr. u. Ps-Nero p. u. reag. Rox. Ves Vit vs. x-mal + ~ o
Otho prätorischer Status praetor positiv Proconsul praefectus urbi Pseudonero praetor urbanus reagierend Roxolanen Vespasian Vitellius versus über 20 explizite Nennungen trifft zu trifft eher zu trifft nicht zu neutral/unentschieden
Auf Senatoren in dieser Tabelle wird in der Arbeit verwiesen, indem im Text hinter dem Namen in Klammern die Nummer des Senators angegeben wird, unter der dieser in der Tabelle erfasst wurde. Natürlich ist mir bewusst, dass die expliziten namentlichen Nennungen sich nicht absolut sicher mit der tatsächlichen Anzahl der Handlungen, für welche die jeweilige Person verantwortlich zeichnet, decken. Doch die Häufigkeit der Nennung spiegelt die relative Bedeutung, die der jeweiligen Figur vom Autor zugewiesen wird, dennoch deutlich wider. Des Weiteren stehen explizite Namensnennungen in eindeutiger Relation zu den Figuren, die Handlungen durchführen oder von ihnen betroffen sind, während ohne namentliche Nennung die Zuweisung von Handlung an ein agierendes Subjekt nicht immer eindeutig sein muss. Agierend: militärische Führung eines Heeres im Bürgerkrieg; Teilnahme an politischen Verschwörungen/Aktionen etc.; bedeutet nicht: militärische Aktionen gegen Feinde außerhalb bzw. Aufständische; kurz: handelt aktiv im Bürgerkrieg für den Princeps. Aus PIR2 A 1072 (v. a. CIL VI 2016) geht hervor, dass er wahrscheinlich im Jahr 73 Suffektkonsul war, weshalb er also im Jahre 70 die Prätorianerpräfektur in prätorischem Rang übernommen haben muss; m. E. macht es auch keinen Sinn, einen niedereren Rang als den eines prätorischen Senators anzunehmen, da in der Mitte des 1. Jahrhunderts nur in sehr seltenen Fällen Senatoren, die noch keine Prätur innehatten, zu Truppenkommandeuren ernannt wurden. Die kurzfristige Entwicklung der Karriere des Cerialis nach den Ereignissen im Dezember des Jahres 69 ist wohl nicht eindeutig zu klären. Die unlösbare Frage betrifft den Zeitpunkt seines ersten Konsulats und somit seinen Statuswechsel von prätorischem zu konsularem Rang; vgl. PIR2 P 260 sowie Eck 1985, 135. Als Befehlshaber über drei prätorianische Kohorten und ein etwas über 1000 Mann starkes Detachement (2,18,1) einerseits, als wahrscheinlich Untergebener des Annius Gallus (2,23,1; denn dieser selbst führte eine ganze Legion) andererseits, macht seine Taxierung in den prätorischen Rang wohl den meisten Sinn.
V. LITERATURVERZEICHNIS Für Antike Autoren, Korpora und Quellensammlungen gelten die Abkürzungen gemäß des Abkürzungsverzeichnisses in: Der Neue Pauly 3, Stuttgart – Weimar 1997, VIII–XLIV. Für Zeitschriften gelten die Abkürzungen gemäß L’Année Philologique. Alle Hervorhebungen in Quellenzitaten (auch Übersetzungen) wurden in dieser Arbeit, wenn nicht anders vermerkt, vom Verfasser vorgenommen. 1. VERWENDETE QUELLENAUSGABEN UND ÜBERSETZUNGEN Augustus, Res Gestae Divi Augusti. Meine Taten, übers. u. hrsg. von Ekkehard Weber (Tusculum Studienausgabe), Düsseldorf/Zürich 2004. Sexti Aurelii Victoris, Liber De caesaribus. Praecedunt Origo Gentis Romanae et Liber De Viris Illustribus Urbis Romae. Subsequitur Epitome de Caesaribus, recensuit Fr. Pichlmayr, editio stereotypa correctior editionis primae addenda et corrigenda collegit et adiecit R. Gruendel (Bibliotheca Teubneriana), Leipzig 1961. Dio Cassius, Roman History. Books LXI–LXX. With an English Translation by Earnest Cary, on the Basis of the Version of Herbert Baldwin Foster (The Loeb Classical Library 176), Cambridge, Massachusetts/London 82005. Cassius Dio, Römische Geschichte. Band V. Epitome der Bücher 61–80, übers. von Otto Veh, Düsseldorf 2007. Dio Chrysostomus, Orationes. Sämtliche Reden, eingel., übers. u. erläutert von Winfried Elliger (Sammlung Tusculum), Zürich 1967. Cornelius Tacitus, Agricola – Germania. Lateinisch und deutsch, hrsg., übers. u. erläutert von Alfons Städele (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 22001. P. Cornelius Tacitus, Historien. Historiae. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Joseph Borst unter Mitarbeit von Helmut Hross und Helmut Borst (Sammlung Tusculum), Düsseldorf/Zürich 62002. P. Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch-deutsch, hrsg. von Erich Heller mit einer Einführung von Manfred Fuhrmann (Sammlung Tusculum), Düsseldorf 52005. Cornelii Taciti Libri Qui Supersunt, Tomus II, Pars I, Historiarum Libri, herausgegeben von Kenneth Wellesley (Bibliotheca Scriptorum Graecarum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1989. Demetrius, On Style, translated by Doreen C. Innes, based on W. Rhys Roberts (The Loeb Classical Library 199), Ann Arbor, Michigan 1995. Flavius Iosephus, The Jewish War, Vol. III, Bücher IV-VII, with an English Translation by H. St. J. Thackeray (The Loeb Classical Library 210), London, Cambridge, Mass. 31961. Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Bde. 1 u. 2, hrsg. u. übers. von Helmut Rahn (Texte zur Forschung 2 u. 3; WBG), Darmstadt 21988. Statius, Publius Papinius, Silvae, ed. and transl. by D. R. Shakleton Bailey (The Loeb Classical Library 206N), Cambridge, Mass. 2003. The Scriptores Historiae Augustae, Vol. 1, Hadrian – Lucius Verus, with an English Translation by David Magie (The Loeb Classical Library 139), London, Cambridge, Massachusets 51967. Historia Augusta. Römische Herrschergestalten, Bd. 1, Von Hadrianus bis Alexander Severus, eingeleitet und übersetzt von Ernst Hohl (Die Bibliothek der Alten Welt), München 1976. M. Valerius Martialis, Epigramme. Lateinisch/Deutsch, ausgewählt, übers. u. hrsg. Niklas Holzberg (Reclam), Stuttgart 2008.
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3. Literatur und Kommentare
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VI. REGISTER 1. PERSONENREGISTER Bei einigen besonders häufig erwähnten Personen wie Domitian oder Trajan beschränkt sich die Liste auf relevante Stellen. Auf Einträge für Plinius und Tacitus wurde verzichtet. Kaiser, Mitglieder des Kaiserhauses und ausgewählte antike Autoren sind nach ihren gängigen Benennungen aufgenommen, alle anderen sind nach ihrem Gentilnomen geordnet. Agrippina die Ältere: 310 Agrippina die Jüngere: 110 L. Aelius Seianus: 310, 312, 313, 341 A. 226 L. Aemilius Carus: 362 M. Aemilius Lepidus (Triumvir): 327 M. Aemilius Lepidus: 308 M. Aemilius Papus: 362 M. Aemilius Scaurus: 48 Cn. Afranius Dexter: 201 A. 284 Agricola [s. Iulius] Agrippa [s. Vipsanius] Alexander Severus (Kaiser): 364 P. Alfenus Varus: 242 Ancharius Priscus: 306 A. 71 Annia Rufilla: 305 L. Annius Bassus: 265, 268, 273 A. 239, 384 App. Annius Gallus: 228 A. 37, 258, 267 A. 216, 268, 386, 387 A. 6 L. Annius Honoratus 362 Anteia (Frau des jüngeren Helvidius Priscus): 188 A. 208 Q. Antistius Adventus: 363 L. Antistius Rufus: 363 Antistius Vetus: 306 Antoninus Pius (Kaiser): 15 f., 19, 20, 368 A. 9 Marcus Antonius: 167 A. 95, 327 f. M. Antonius Primus: 223 A. 5, 229, 231, 234 A. 71, 235 A. 72, 244 A. 106 u. 109, 249–252, 254, 255, 256, 260, 263–265, 267, 268 A. 221, 271 f., 275, 276, 284, 286, 384 L. Antonius Saturninus: 9 A. 3, 140 A. 258 Apinius Tiro: 386 M. Aponius Saturninus: 260, 268 A. 221, 278 A. 261, 385
M. Aquilius Regulus: 182, 189, 190, 191–194, 199, 201 A. 286, 206, 210 A. 330, 214, 337 A. 211, 355 Q. Aradius Rufinus: 363 M. Arrecinus Clemens: 386 Arria (Frau des Thrasea): 190 A. 216 Arrius Antonius: 277 A. 256, 385 C. Arrius Antonius (cos. 173?): 363 Arrius Varus: 267 A. 215 M. Arruntius Claudianus: 21 A. 60 Arulenus Rusticus [s. Iunius] Asiaticus (Freigelassener des Vitellius): 256 A. 166 C. Asinius Pollio: 331 Atilius Crescens: 166 f., 205 A. 309 Atticus [s. Pomponius] Augustus (Kaiser): 9, 110, 113 A. 147, 117, 207 A. 321, 238 A. 83, 292, 293 A. 19, 294, 295, 297, 305 A. 68, 319, 320 A. 142 u. 145, 321 A. 147, 323 A. 154, 327–332, 371 T. Aurelius Fulvus: 273 A. 240, 384 C. Avidius Cassius: 18, 19, 363, 368 A. 2 T. Avidius Quietus: 34 A. 10 Baebius Massa: 65, 68, 182 A. 172, 191 A. 223, 324 A. 158 C. Bruttius Praesens: 134 A. 232, 363 Brutus [s. Iunius] L. Burbuleius Opatus: 363 C. Caecilius Classicus: 201 A. 284, 301 A. 47 M. Caecilius Cornutus: 309 A. 87 Cn. Caecilius Simplex: 268 A. 221, 277, 278, 385 A. Caecina Alienus: 23 A. 72, 223 A. 15, 229, 230, 234 A. 71, 240, 241, 243, 244–249, 258, 261, 262 f., 265, 266 A. 213, 268, 269,
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VI. Register
270 f., 272, 277, 281 A. 270, 282 f., 284, 286, 384 Cn. Arulenus Caelius Sabinus: 277 A. 256, 385 A. Caepio Crispinus: 294–297, 337 T. Caesernius … Statianus: 363 C. Caesonius Macer: 363 Caligula (Kaiser): 313, 327, 329 f., 359 A. 20, 373, 383 A. 16 Calpurnia (dritte Frau von Plinius): 157, 204 f. Calpurnia Hispulla (Tante Calpurnias): 204 A. 303 Calpurnius Asprenas [s. Nonius] L. Calpurnius Fabatus (Schwiegervater von Plinius): 204 A. 303 u. 304 Calpurnius Galerianus: 234 A. 71 Cn. Calpurnius Piso: 295, 298, 299, 305 L. Calpurnius Piso (Augur; Bruder des Cn.): 309 A. 87 L. Calpurnius Piso (Enkel des Cn., Procos Africae): 227 A. 32, 265 A. 209, 268 A. 221, 273, 385 C. Calpurnius Piso Frugi Licinianus (Putschversuch gegen Nerva): 39 L. Calpurnius Piso Frugi Licinianus (Adoptivsohn Galbas): 228, 241, 286 f. Caninius Rufus: 136 A. 242, 335 A. 195 Capito [s. Fonteius] Casperius Aelianus: 40 A. 34 u. 35 Caesius Cordus: 306 A. 71, 307 A. 74 G. Cassius Longinus (Caesarmörder): 326 A. 167, 339 A. 19, 341 Cassius Severus: 292, 293 A. 19 Catilina [s. Sergius] L. Catilius Severus: 363 Cato [s. Porcius] Catullus Messalinus [s. Valerius] C. Cestius Gallus: 305 Cicero: 158, 160 f., 167, 173, 180 f., 200, 202, 213 f., 215, 218 A. 368, 336 A. 207, 340 A. 223, 354 C. Cilnius Maecenas: 9 f. Cinna [s. Cornelius] Civilis [s. Iulius] Classicus [s. Caecilius] Claudia Sacrata: 224, 254 A. 156 Claudius (Kaiser): 78, 110, 111, 139 A. 256, 141 A. 266, 210, 283 A. 282, 327, 329 f., 337, 371 Ti. Claudius Aggripinus: 21 A. 60 Ti. Claudius Candidus: 363 Ti. Claudius Claudianus: 363
Ti. Claudius Dryantianus Antoninus: 21 A. 60 Ti. Claudius Flavianus Titianus: 21 A. 60 M. Claudius Fronto: 18 A. 47, 19, 363 Claudius Gallus: 364 Ti. Claudius Livianus: 19 Claudius Maximus: 364 T. Clodius Eprius Marcellus: 75 A. 218, 256 A. 166 P. Clodius Thrasea Paetus: 34 A. 10, 49 A. 87 u. 88, 54 A. 114, 173, 344 Clutorius Priscus: 307 f., 322 A. 151 P. Cluvius Maximus: 364 Cluvius Rufus: 260, 278, 385 M. Cocceius Nerva (Großvater Nervas): 313 A. 111 Corbulo [s. Domitius] Q. Corellius Rufus: 33 A. 7, 195 A. 249 Cornelia (Vestalin): 194 P. Cornelius Anullinus: 364 Cornelius Aquinus: 230, 265 A. 209, 273, 384 L. Cornelius Balbus: 98 A. 74 L. Cornelius Cinna: 327, 328 P. Cornelius Dolabella: 338 A. 215 Cornelius Laco: 277 C. Cornelius Minicianus: 205 A. 309 Cornelius Nepos: 180 A. 162 M. Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus: 36 A. 15, 40, 45, 112 A. 145, 138, 364 A. Cornelius Palma Frontonianus: 19 P. Cornelius Scipio Africanus: 116 A. 159 u. 162, 167 L. Cornelius Sulla (Felix): 117 A. 163, 327, 328 Cornutus Tertullus [s. Iulius] Crassus [s. Licinius] A. Cremutius Cordus: 293 A. 18, 310, 323 A. 153, 333 A. 191, 338–341, 344 C. Curtius Iustus: 364 L. Dasumius Tullius Tuscus: 15, 364, 368 A. 9 Decebalus: 19, 372 A. Didius Gallus Fabricius Veiento: 34, 37, 66, 67 f., 339 f. M. Didius Iulianus: 364 C. Dillius Aponianus: 273 A. 239, 384 C. Dillius Vocula: 224, 230 A. 47, 257 A. 172, 265, 268, 384 Dion Chrysostomos: 135 Domitian (Kaiser): – Ähnlichkeit mit Tiberius: 305 f. A. 69, 319 A. 138, 321 f., 340 – Anti-Princeps: 61 f., 111, 114 f., 118, 141, 197, 370–383
1. Personenregister – Distinktionsargument: 36, 78–82, 143–144, 150, 322 f., 350 f. – Göttlichkeit: 109 A. 128, 111, 115, 126 A. 204 – militärische Unfähigkeit: 58, 112 f., 138, 223 A. 14 – prekäre Zeit nach D.: 32 f., 39–41, 52 f., 54 f., 287 – Trajans Umgang mit D.: 78, 138 f. – Tyrann: 9, 49–51, 52 f., 59–62, 64 f., 71–73, 113, 117, 172–174, 189–191, 194 f., 344 – Vergangenheitsbewältigung: 24, 34–39, 44 f., 76–78, 120–122, 127, 139 – Verstellung: 59 f., 61, 74, 77, 194, 197, 322, 380 Cn. Domitius Corbulo: 15, 266 A. 213, 283 A. 282 Drusus (Sohn des Tiberius): 299 A. 39, 304 f., 307, 309, 322 A. 152 A. Ducenius Geminus: 227 A. 33, 385 Eprius Marcellus [s. Clodius] Euphrates: 168 f. L. Fabius Cilo: 364 Fabius Fabullus: 273 A. 239, 384 Fabius Priscus: 384 Fabius Valens: 23 A. 72, 223 A. 15, 229, 234 A. 71, 235 A. 72, 240, 241–244, 245 A. 114, 246, 247, 248 f., 256 A. 166, 261 f., 263, 265, 266 A. 210 u. 213, 268, 269 f., 271, 272, 275, 277, 280 A. 269, 281, 282, 283 A. 280, 284 f., 286, 384 C. Fabricius Luscinus: 116 A. 159 Fabricius Veiento [s. Didius] Fannia (Frau des älteren Helvidius Priscus): 190 A. 215, 200 A. 279 Faianius: 293 f. Firmius Catus: 297 A. 29, 300 f., 303, 310 A. 87, 337 f., 341 C. Flavius Fimbria: 137 A. 245 T. Flavius Longinus: 364 T. Flavius Sabinus (Bruder Vespasians): 227 A. 32, 230 A. 47, 236 A. 76, 252, 267 A. 214, 268, 279, 386 T. Flavius Sabinus: 277 A. 256, 386 Fonteius Agrippa (Vater des Nachfolgenden): 301 A. 47 C. Fonteius Agrippa: 260, 385 C. Fonteius Capito: 230, 241, 265 A. 209, 273, 281 Frontinus [s. Iulius]
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Q. Fuficius Cornutus: 364 C. Fufius Geminus: 313 A. 110 L. Fulcinius Trio: 301 C. Fulvius Maximus: 364 P. Fulvius Suto: 148 A. 11 L. Funisulanus Vettonianus: 364 M. Furius Camillus: 116 A. 159 Galba (Kaiser): 110, 223 A. 15, 230, 231, 232, 234 A. 71, 244, 249, 258, 269, 270, 274, 275, 276, 277, 278, 281, 286 f., 371, 384–387 Genialis: 197 A. 257 Germanicus: 291 A. 14, 299, 305, 307, 309 A. 84, 310 Q. Glitius Agricola: 364 M. Granius Marcellus: 294–298, 305 Hadrian: 15, 17 A. 42, 19, 184, 288 A. 5, 189, 290, 321 A. 145, 323 A. 154, 340, 362 D. Haterius Agrippa: 307 A. 77, 308 Helvidia (Tochter des jüngeren Helvidius Priscus): 190 A. 215 C. Helvidius Priscus: 49 A. 87 u. 88, 54 A. 114, 75 A. 218, 173, 190 A. 215, 200 A. 279, 344 C. Helvidius Priscus (Sohn des Vorhergehenden): 32 A. 2, 33, 65, 69, 70, 152 A. 32, 188 A. 208, 190 P. Helvius Pertinax: 364 Herennius Gallus: 265 A. 207, 384 Herennius Senecio: 49, 65, 69 f., 173, 191 A. 223, 192 A. 232, 201 A. 279, 214 Horaz: 25 A. 75 M. Hordeonius Flaccus: 224, 230, 240, 254, 257 f., 260 f., 265, 268, 275 f., 283, 285, 385 Iasdius: 365 L. Iavolenus Priscus: 365 Icelus (Freigelassner Galbas): 256 A. 166, 277 Cn. Iulius Agricola: 9, 16, 18, 42, 45 f., 47 A. 76, 54 f., 55–65, 69 f., 72, 73, 74, 79, 80, 106 f. A. 112, 113 A. 148, 173, 200, 208 A. 324, 215, 322 A. 152, 352, 365 C. Iulius Avitus Alexianus: 365 C. Iulius Caesar: 80 A. 237, 173, 200, 248 A. 131, 296 f., 308 A. 78, 327 C. Iulius Castinus: 365 C. Iulius Civilis: 258, 276 A. 251 C. Iulius Cornutus Tertullus: 34 A. 10, 37 A. 22, 142 A. 269, 199 A. 270, 206 A. 316, 381
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VI. Register
C. Iulius Diophantus: 21 A. 60 Sex. Iulius Frontinus: 74, 77, 227, 323 A. 153, 384 Iulius Marinus: 313 A. 111 C. Iulius Maximianus Diophantus: 21 A. 60 C. Antius A. Iulius Quadratus: 365 C. Iulius Proculus: 41 A. 38 C. Iulius Quadratus Bassus: 365 C. Iulius Severus (cos 138?): 365 C. Iulius Severus (cos 155): 365, 368 A. 6 Sex. Iulius Severus: 12, 15, 16, 17 A. 42, 19, 365 L. Iulius Ursus Servianus: 74, 187 A. 204 Iulius Valentinus: 235 A. 73 Cn. Iulius Verus: 365 Iunia (Witwe des Cassius Longinus): 326 A. 167, 341 A. 226 Iunius Avitus: 205 A. 309 Q. Iunius Arulenus Rusticus: 49, 65, 69 f., 173, 188 A. 208, 190 A. 217 u. 218 u. 219, 227, 384 Q. Iunius Blaesus (Selbstmord unter Tiberius): 290 A. 11 Iunius Blaesus (Bruder des Q., Selbstmord unter Tiberius): 290 A. 11 Iunius Blaesus (Statthalter d. Gallia Lugdunensis): 226 A. 28, 268 A. 221, 274, 279, 384 M. Iunius Brutus (Caesarmörder): 98 A. 74, 167 A. 96, 326 A. 167, 339 A. 219, 341 L. Iunius Brutus (erster Konsul der Republik): 116 A. 159, 327, 328, 329 C. Iunius Faustinus: 365 Iunius Mauricus: 65, 66 f., 69, 70, 73 A. 207, 188 A. 208, 190 A. 217 u. 218 u. 219 C. Iunius Silanus: 307 A. 74, 308 A. 80 Iuvenal: 66, 68, 77, 323 A. 153 A. Larcius Priscus: 41 A. 38 Libo [s. Scribonius] M. Licinius Crassus: 297 A. 28, 327 C. Licinius Mucianus: 23 A. 72, 41 A. 43, 74 A. 213, 75 f., 219 A. 371, 227 A. 32, 228, 229, 230 f., 234 A. 71, 235 A. 72 u. 73, 240, 247 A. 124, 249, 250 A. 137, 252, 253, 255–257, 260, 262 A. 194, 263 A. 197, 264 f., 266 f., 268, 271 f., 274 f., 279, 280 A. 269, 281, 283, 284, 285, 286, 385, 387 Licinius Proculus: 259, 268, 277, 284 A. 285 L. Licinius Sura: 19, 187 A. 204, 367 Livia (Gattin des Augustus): 110, 309 A. 84, 310, 313 A. 115, 321 A. 147 Livius: 57 A. 130, 222 A. 10, 331, 332 A. 189
M. Livius Drusus: 213 A. 345 Q. Lollius Urbicus: 19, 365 L. Lucanius Latiaris: 310 A. 93 Cn. Lucceius Albinus: 301 A. 47 Lucius Verus (Kaiser): 16 A. 36, 368 A. 6, 369 A. 13 Lupercus (fiktive Figur bei Martial): 99 A. 78 Lusius Quietus: 19 M. Macrinius Avitus: 365 Macro [s. Naevius] Maecenas [s. Cilnius] Messalina (dritte Frau des Claudius): 337 C. Manlius Valens: 261 A. 190, 273 A. 239, 384 Q. Marcius Turbo: 19 A. Marius Celsus: 230 A. 47, 240, 258 f., 268, 276, 277, 280 A. 267, 385 L. Marius Maximus: 366 L. Marius Perpetuus: 366 Marius Priscus: 26, 197, 200 A. 275, 219 A. 371, 301 A. 47, 335 A. 199 Mark Aurel (Kaiser): 16 A. 36, 19, 20 Martial: 66, 77, 99 A. 78, 323 A. 153 L. Martius Macer: 227, 277 A. 256, 385 P. Martius Verus: 366, 368 A. 6 Maximus Novius (?; der ältere Maximus in Plin. epist.): 349 C. Memmius Fidus: 366 Messalinus [s. Valerius] P. Metilius Secundus: 366 Mettius Carus: 65 f., 182 A. 172, 193 Mettius Modestus: 190 A. 222 C. Minicius Fundanus: 164 L. Minicius Natalis (cos 139): 366 L. Minicius Natalis (cos 106): 366 Mucian [s. Licinius] P. Mummius Sisenna Rutilianus: 366 Munius Lupercus: 384 Q. Naevius Sutorius Macro: 313 A. 115 Nero (Kaiser): 17 A. 43, 34 A. 10, 59, 61, 65, 75, 78, 110, 111, 119 A. 172, 125 A. 203, 139, 193, 197 A. 257, 201 A. 284, 206, 228 A. 38, 229, 241, 244, 270 A. 230, 284, 285, 321, 327, 329 f., 332 f., 339 f., 370, 371, 373, 376, 383 A. 1 Nerva (Kaiser): 23 A. 72, 24, 28, 35, 38 A. 29, 39–42, 43 A. 50, 51, 54, 66–68, 70 A. 196, 73, 76, 89, 104, 108 f., 110, 111 f., 138, 139, 140 A. 258, 141, 150, 152 f., 170, 172 f., 183, 189, 191 A. 223, 286, 320 A. 142, 344, 374
1. Personenregister Nigrinus [s. Cornelius] L. Nonius Calpurnius Asprenas: 226 A. 28, 273 A. 239, 384 M. Nonius Macrinus: 366 Numisius Lupus: 273 A. 239 u. 240, 384 Numisius Rufus: 384 Opramoas von Oinoanda: 149 A. 16 M. Opsius: 310 A. 93 C. Orfidius Benignus: 254 A. 158, 273 A. 239, 384 L. Otacilius Rufus: 148 A. 11 Otho (Kaiser): 227, 228, 234 A. 69, 235 A. 73, 244, 249, 258 f., 268, 271, 273, 274, 275, 276 f., 278, 279, 281 f., 383–387 Pallas (Freigelassener unter Claudius und Nero): 197 A. 257, 201 A. 284, 210 A. 334 Palma [s. Cornelius] P. Papinius Statius: 126 A. 204 Cn. Papirius Aelianus: 366 Papirius (Zenturio): 227 A. 32 Parthamasiris: 83 Parthenius: 39 f. A. 34 C. Passenus Paulus: 137 A. 243 Pedanius Costa: 227, 277 A. 56, 385 Cn. Pedanius Fuscus Salinator: 134 A. 232 Pertinax [s. Helvius] Petilius Rufus: 310 A. 93 Q. Petilius Cerialis Caesius Rufus (Sohn des Vorigen): 17 A. 43, 56, 223–225, 228, 229, 231 A. 53, 234 A. 71, 235 A. 72 u. 73, 240, 252 f., 255, 265 A. 209, 267 A. 216, 273, 386, 387 A. 5 T. Petronius Secundus: 39 f. A. 34 Piso [s. Calpurnius] A. Platorius Nepos: 366 C. Plinius Caecilius Secundus der Ältere: 136 A. 243, 148, 324 A. 158 L. Plinius Paternus: 134 A. 232 D. Plotius Grypus: 265 A. 209, 385 Plutarch: 127 Pompeia Plotina (Frau Trajans): 317 A. 126 Q. Pompeius Falco: 205 A. 310, 366 Q. Pompeius Macer: 292 Cn. Pompeius Magnus: 105 A. 104, 117 A. 163, 297 A. 28, 300, 327 M. Pompeius Silvanus Staberius Flavinus: 260 A. 183, 268, 385 L. Pompeius Vopiscus: 277, 385 T. Pomponius Atticus: 98 A. 74, 160 A. 65, 180
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Ti. Pomponius Bassus: 136 A. 242, 154 A. 39, 212 A. 343 Q. Pomponius Rufus: 366 M. Pontius Laelianus: 366 C. Popilius Carus Pedo: 366 Poppaea Sabina die Ältere: 337 C. Poppaeus Sabinus: 317 A. 125 M. Porcius Cato (Censorius; der Ältere): 47 A. 78, 158, 160 A. 66, 167 A. 95, 192 A. 232, 214–216, 217, 331 M. Porcius Cato (Uticensis; der Jüngere): 160 A. 66 M. Porcius Cato: 310 A. 93 T. Priferinus Paetus: 366 T. Priferinus Paetus Rosianus Geminus Laecan[ius Bassus (?)]: 205 A. 306 Publicius Certus: 32, 34–38, 68, 75, 76, 170 C. Quintius Atticus: 278, 385 T. Quinctius: 148 A. 11 Regulus [s. Aquilius] Romanius Hispo: 294–297, 337 M. Roscius Caelius/Coelius: 265 A. 209, 268 A. 221, 385 Rosianus Geminus [s. Priferinus] Rosius Regulus: 227 A. 36, 268 A. 223, 277, 386 Rubrius: 293 Rubrius Gallus: 268, 386 P. Rutilius Rufus: 48 Sallust: 53 A. 110, 232, 331 P. Salvius Iulianus: 16, 366, 368 A. 9 L. Salvius Otho Titianus (Bruder Othos): 268, 277 A. 255, 279, 284 A. 285, 386 Saturninus [s. Antonius] Scaurus [s. Aemilius] M. Scribonius Libo Drusus: 296 A. 27, 297 A. 29, 299–304, 305, 308, 310, 322 A. 151, 338 A. 213 M. Sedatius Severianus: 366 Sejanus [s. Aelius] Seneca: 22, 180, 338 A. 212 C. Septicius Clarus: 99 A. 78, 179, 183–186, 205 P. Septimius Geta (Bruder des Septimius Severus): 366 C. Septimius Severus: 367 L. Septimius Severus (Kaiser): 367 L. Sergius Catilina: 53 A. 110, 310 A. 94 M. Servilius Fabianus: 367
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VI. Register
Sextius Paconianus: 290 A. 11 C. Silius: 309 A. 87 Silius Italicus: 174 A. 129 Sosia Galla: 309 A. 87 Q. Sosius Senecio: 367 Spurinna [s. Vestricius] T. Statilius Barbarus: 367 M. Statius Priscus: 18 A. 47, 19, 367, 368 A. 6 C. Suetonius Paulinus: 229 A. 47, 240, 246 A. 120, 258, 259, 268, 276, 386 Sueton: 184, 205 A. 310 C. Suetrius Sabinus: 367 P. Suilius (Rufus): 310 A. 87, 337, 338, 341 Sulla [s. Cornelius] Tacfarinas: 338 A. 215 L. Tampius Flavianus: 260, 268 A. 221, 278 A. 271, 283, 386 D. Terentius Scaurianus: 368 L. Tettius Iulianus: 268 A. 221, 273 A. 239 u. 240, 385 Thrasea Paetus [s. Clodius] Tiberius: – Ähnlichkeit zu Dom.: 311 – Anti-Trajan: 313–322 – civilitas (unechte): 291, 292, 299, 303 f. – discordia: 23 A. 72, 292 f. 297, 316, 317, 318 – Einsamkeit: 305 – Eitelkeit: 293, 313, 314 – Herrschaft (u. Allgemeines): 9 A. 3, 110, 163 A. 78, 299 – ira: 297 f., 302 f., 304, 316 – Neugier: 302 f. – odium: 316 – saevitia: 298 f., 304, 312, 316 – Tyrann: 290 f., 292 f., 299, 304, 312 f., 315 f., 319 f., 340 f., 343 f. – Ungerechtigkeit (falsche iustitia): 303, 304, 314 f. – Verstellung (dissimulatio): 126 A. 204, 302–304, 317, 322, 328 – Vorbild (für die Schlechten): 296 f., 306, 318, 337 – Zweideutigkeit: 294, 308, 317 Titianus [s. Salvius] Cn. Titinius Capito: 187 A. 204 Titius Aristo: 137 A. 243, 187 A. 204 Titius Sabinus: 297 A. 29, 310–312, 315 A. 122, 319 A. 36 Titus (Kaiser): 78, 111, 227 A. 34, 255, 274, 371, 374
Trajan (Kaiser) (s. a. adventus, civilis princeps, cura principis, neue Zeit, Adoption, Prätorianeraufstand, Trajansbogen, Optimus-Princeps-Diskurs, libertas, modestia etc.): – Abgrenzung von Domitian: 78, 138 f. – Abwesenheit von Rom: 41, 74 f. – Beziehung zu Göttern: 85, 104, 108 f., 211 – Beziehung zu Senat: 87, 103, 106 A. 110, 107, 123–125, 197 f. – Bezug zur Republik: 116 f., 357 – Einzigartigkeit (Unübertrefflichkeit): 107 f., 114–116, 333f. – Förderung der Guten: 23 A. 72, 143, 199 – Gottähnlichkeit: 108, 109 – Herrschaft (und Allgemeines): 24, 45, 53 f., 68, 76, 79, 82, 83, 95 A. 60, 121, 138, 144, 197, 202, 286 f., 335, 356 – iustitia: 106, 198 f., 210 – Kognomen Optimus: 83 f., 88 – Konsulat: 91, 106, 123 f., 143 – Kontrast zu Domitian: 111, 113 f., 114–116, 117 f., 122 f., 124, 126 A. 204, 141, 172–174, 217, 370–383 – Kontrast zu früheren Principes: 102, 110 f., 114–116, 118 f., 329, 370–383 – Kontrast zu Tiberius: 316–323, 339, 340, 346 – otium: 208 f., 212 f., 217 – Sieghaftigkeit (milit. persona): 86, 90, 91 A. 33, 112–114, 141, 208, 360 – Stellvertreter Jupiters: 85 f., 109 – Vorbildlichkeit: 93, 106, 110, 116, 117 f., 135, 143, 170, 183, 203–207 – Wohltäter: 85, 87, 108 f., 146 A. 2, 152–154 – wohlwollender Rezipient: 122, 344 f. M. Trebellius Maximus: 260, 265 A. 209, 268 A. 221, 278, 386 P. Tullius Varro: 367 Ulpia Marciana (Schwester Trajans): 317 A. 126 M. Ulpius Traianus (Vater Trajans): 208 A. 324 D. Valerius Asiaticus: 337 D. Valerius Asiaticus (Sohn des Vorigen): 227 A. 28, 273 f., 385 L. Valerius Catullus Messalinus: 65–67, 182 A. 172 C. Valerius Festus: 227 A. 32, 265 A. 209, 268 A. 221, 273, 367, 385
2. Sach- und Ortsregister P. Valerius Marinus: 227, 277 A. 256, 386 C. Valerius Paulinus (cos suff 197): 89 A. 27 L. Valerius Propinquus: 367 Varenus Rufus: 171 A. 118, 201 A. 284 Vedius Aquila: 385 Q. Venidius Rufus: 367 L. Verginius Rufus: 26, 40, 89 A. 26, 100 A. 80, 148 f., 227 A. 36, 229 A. 47, 260, 268 f., 277 f., 280 A. 269, 281, 386 Vescularius Flaccus: 313 A. 111 Vespasian (Kaiser): 14 f., 23 A. 72, 75 f., 78, 106 A. 110, 139, 230, 244 A. 109, 247 A. 124, 249, 254 A. 159, 255, 258, 260, 262, 263, 266, 271 f., 274 f., 281, 282 f., 284 f., 286, 384–387 T. Vestricius Spurinna: 16 A. 38, 134 A. 232, 136 A. 242 u. 243, 174 A. 132, 187 A. 204, 205 A. 309, 212 A. 343, 268, 386 M. Vettius Bolanus: 59 A. 142, 260, 278, 386 C. Vettius Sabinianus: 367 Sex. Vettulenus Cerialis: 367
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C. Vibius Serenus: 301 A. 47 Vibius Serenus (Sohn des Vorherigen): 309 A. 87 Q. Vilius Titianus ...Quadratus: 21 A. 60 Titus Vinius: 230 A. 47, 231, 232, 256 A. 166, 277, 386 M. Vipsanius Agrippa: 9 f. M. Vipsanius Agrippa Postumus: 319 C. Vipstanus Apronianus: 227 A. 32, 386 L. Vipstanus Messalla: 280 A. 267 Vitellia: 307 A. 77, 308 Vitellius (Kaiser): 23 A. 72, 227, 230, 235 A. 73, 241, 243 A. 101, 244 A. 111, 247, 248 A. 131, 254 A. 159, 257 f., 259, 260, 262, 266, 268 A. 221, 269 f., 270, 271, 272, 274, 275 f., 277, 278 f., 280 A. 269, 284 f., 286, 384–387 Lucius Vitellius (Bruder des Vitellius): 268 A. 221, 274, 279, 386 C. Licinius Marinus Voconius Romanus: 91, 129 f.
2. SACH- UND ORTSREGISTER Adoption [s. a. Nachfolge]: 40, 95, 104, 108 f., 110, 116, 138, 228, 241, 277, 286 f., 320 f., 360, 371 Adoptivkaisertum [s. a. Herrschaftssystem, Prinzipat]: 13, 14, 96, 107, 360 Adressat(en) [s. a. Rezeption]: 44, 49, 51, 54, 95, 101, 118, 136, 144, 179, 218 f., 326, 342 f., 345 adulatio [s. Schmeichelei] adventus: 75, 85, 101–104 Aeneas: 36, 37 A. 23 aequitas: 103, 106, 107, 184 f., 238 Affekte [s. Leidenschaften] Affirmation: 79, 136 f., 173, 200 f., 203, 217, 286 f., 321–323, 345, 356 affirmatives Fordern: 94, 112, 129 Africa [s. Prokonsulat] Ägypten: 19, 105 Akklamation: 124, 266, 281 Akteur: 24, 26, 28, 29, 225–228, 231, 237, 239–241, 254, 302, 314, 322 f. Akzeptanz: 23, 76, 112, 149, 238, 281 f., 285 Akzeptanzsystem: 238, 241 Alexandria: 266, 281 alimenta [s. a. institutio alimentaria]: 146, 151 f., 155, 156, 211
Alleinherrschaft [s. Monarchie] ambitio: 63 f., 169 f., 209 f., 249, 302, 314 f., 346 f., 355 amicitia: 22, 37, 98 f., 184–187, 190, 193, 199, 204, 267, 276, 277 f. Amnestie: 37, 75 f., 140, 351 amoenitas: 166, 174 f. Angst: – des Tyrannen: 9, 60, 305, 312, 316 – der Bürger / Senatoren: 37 f., 50 f., 71 f., 120, 173, 194, 307, 311, 312, 318 f., 330 Annalen / Annalistik: 56, 57, 58, 229, 231 f. antimonarchisch: 61, 73 f., 323, 334, 336 Anwalt: 171, 203, 205, 210, 214, 325, 337 Apologie: 43, 79, 338 f. Apotheose: 111, 115 Aquileia: 275 Arabia: 90 arma: 327, 328, 329 Armenia: 19, 83 Asia [s. Prokonsulat] Atticus-Briefe: 180 auctoritas: 15, 79, 80, 108, 121 f., 143, 161, 219, 263 f., 301 f., 315, 333 f., 339, 357 f. Authentizität: 63, 123 f., 133 f., 178 f., 181, 212
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VI. Register
Autobiographie: 48, 171 f. Autor: 23–31, 42, 54, 69 f., 98–100, 178 f., 196, 226, 324–326, 329 f., 338–340, 342 f., 344, 348, 355 f., 359 Autorintention: 24, 25, 27, 28, 29 f., 43 f., 79–82, 92–100, 144 f., 179, 217–219, 322, 336 f., 343, 344, 347, 350, 357 Avancement [s. Beförderungssystem] Baetica [s. Hispania] Barbaren: 85, 112 Bataver / Bataveraufstand [s. a. Germania]: 223 f., 252, 253, 254 f., 257 f., 265, 276 Bauinschrift: 148 Bedriacum [s. Cremona] Beförderungssystem [s. a. Spezialisierung, cursus honorum]: 10, 12 f.,14, 15, 18 f. beneficium/a: 85, 105, 108, 151–157, 166 f. Beneventum [s. Trajansbogen] benignitas: 105, 187, 204 Bescheidenheitsgestus/-topos: 54 f., 92 f., 180, 182 f., 202, 205, 212, 335 f., 342 Bestechung [s. a. Repetundenprozess]: 22, 310 f. Bibliothek: 99, 152 Bildung [s. Erziehung] Biographie: 43, 45 f., 49, 54, 69, 229 Bithynien [s. a. Pontus et Bithynia]: 294, 295 Βουκόλοι: 19 Britannien / Briten: 9, 18, 56 f., 58, 61, 232, 260, 278 Brundisium: 83 Buchhändler: 99, 219 Bürgerkrieg: 14, 41, 48, 53, 56, 110, 116, 149, 221, 229 f., 232–236, 241–287, 328, 329 Camolodunum: 17 Capri: 313, 321 Centumcellae: 202 Circus Maximus: 92, 139, 172 civilis princeps 105–107, 109, 137 f., 154, 285, 291, 305, 322, 334 civilitas: 102, 104, 154, 157, 204, 207, 217, 291, 293, 303, 304, 305, 316, 322 clementia: 122, 276, 304, 308, 317, 321 f. Codex Hersfeldensis: 43 comes Augusti: 18, 94, 363–368 commentarius: 45 Comum: 146–148, 151 f., 155–157, 205, 211, 218 concordia: 204, 229, 317, 318 congiarium: 105, 373 consensus universorum: 102, 287, 320 f., 361
consilium principis: 165, 198 f., 202 consors imperii: 255, 256, 257, 266, 275 constantia: 35, 224 f., 250 f. convivium [s. Gastmahl] Cremona: 243, 244, 245, 247, 248 f., 252, 256, 259, 264 cura: – posteritatis: 47, 48, 251, 347, 355 – principis: 85, 86, 88, 105, 109, 152–155, 320 – Italiae: 87, 88, 105, 152–155, 211, 320 cursus honorum [s. a. Beförderungssystem, Spezialisierung]: 10, 12 f., 17, 35 f., 56, 146 f., 230 f., 260 f., 293, 301, 310, 338 – Plinius: 24, 36, 95, 127, 141, 149 f., 152, 191, 199, 208 – Tacitus: 24, 44 f., 79 f., 289, 324, 345 cursus-Inschriften: 17 f., 23, 25, 149 Dacia: 19, 320, 335 Daker: 41, 86, 232, 256, 335 Dakerkrieg: 93 f., 138 Daktertriumph: 86, 90 f. damnatio memoriae: 52 f., 55, 62, 72, 139, 301, 351 f. Danksagung [s. gratiarum actio] Decennalien: 90, 337 Dekadenz: 47 f., 160, 161, 201, 292 f., 298 f., 309, 311, 315, 334 f., 360 Delator / Delatorenwesen / Delation [s. a. Gericht, Prozess, Kollaboration]: 65–68, 106, 139, 191, 216 f., 267, 274, 279, 294, 295–299, 301, 305, 306 f., 311, 314, 315, 317, 337 f. Desertion: 245, 247, 253 dignitas: 79, 80, 106, 112, 121 f., 124, 129, 141 f., 145, 161, 219, 315, 336, 345, 357 f. Diomedes: 37 A. 23 discordia: 34, 266, 297, 299, 301, 316, 318 Diskurs / Diskursanalyse / Diskursordnung: 28–30, 44, 73 f., 118, 127 f., 128 f., 134f., 160, 195 f., 314 f., 346, 350 f., 351 f., 361 Diskurs, antidomitianischer: 45, 51, 53, 61 f., 66, 67, 71 f., 73 f., 77 f., 111–114, 117 f., 138–141, 173, 194 f., 350 diskursive Transtextualität: 195 f., 197 f., 213, 322, 344 Distinktion [s. Konkurrenz] Disziplin / disciplina: 56, 112, 114, 206, 242, 320, 372 Disziplinlosigkeit [s. a. Meuterei, Insubordination]: 114, 194, 242 f.
2. Sach- und Ortsregister diversitas temporum [s. a. neue Zeit, Kaiserwechsel]: 53, 79, 119–121, 123, 124, 130–132, 137, 170 f., 173 f., 189, 199, 200 f., 319, 340, 345, 374 Divodurum: 242 dominatio [s. a. Tyrannis / Monarchie]: 127, 327–329 Doppelbödigkeit: 359 Dynastie: 95, 110, 111, 320 f. Ehrenbogen [s. Trajansbogen] Ehreninschrift: 86, 148 Ehrgeiz [s. ambitio]: Einsamkeit: – des Tyrannen: 60, 74, 140, 305, 306 – im otium: 165, 175 Elitenkonstituierung [s. a. Beförderungssystem, Patronage]: 10–20, 21–23, 107, 142–144, 199, 220, 282–287, 318, 360 Entbergung / Demaskierung: 71 f., 290, 309 epulum [s. Gastmahl] equites: 87, 103 f., 184, 187, 293 f., 305, 307, 310, 337, 349 Ernsthaftigkeit [s. Authentizität] Erzähler: 25, 42, 49, 50 f., 69, 101, 225, 231, 237, 324–326, 343 Erziehung / Didaktik: 56, 151, 190, 194 f., 197, 205, 207, 214 f., 336, 338, 342 Ethnographie: 45 Euergetismus [s. beneficium/a] Eurystheus: 113, 115 A. 155, 372 exemplum: – bonum: 72, 81, 116, 167, 188, 201, 206 f., 212, 215, 217, 233 f., 338 f., 342, 347, 355 – malum (s. a. Negativfigur): 295 f., 302, 318, 337 f., 342, 353 Exil: 38, 50, 190, 194, 229, 306, 317, 337 exitus-Literatur: 45, 49 f., 69 f. Expansion / Eroberung [s. a. propagatio imperii]: 19, 56 f., 58, 63, 81, 320, 335 facilitas: 104, 105, 106, 187, 204, 206 facinus: 248, 313, 318, 319, 321 familia: 54, 155, 156, 157, 189, 190, 204 f., 233 f. familia principis: 97, 152, 310, 316, 317 Feldherr [s. a. Kommandeur, Oberbefehl, Imperator]: 19, 56 f., 60, 61, 116, 224, 241–261, 275, 277 Fiktionalitätsmarker: 222 f. Fiktionalitätspakt: 25 f. Finanzexperte: 10, 97, 283
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Flavier / flavische Dynastie [s. a. Vespasian, Titus, Domitian]: 23, 25, 78, 111, 330, 333 Freigelassene/r: 57, 65 f., 146, 151, 155, 156, 204 f., 292, 353, 381 Freunde, falsche: 300 f., 309 f., 338 Freundeskreis [s. a. amicitia]: 99, 100, 188, 190, 199 Friesen [s. a. Germanen]: 312, 317 frugalitas: 105, 122, 139, 175, 185, 205, 375 frumentatio: 153, 155 Funktionselite [s. a. Senatoren, Nobilität]: 9, 19 f., 21, 76, 97, 220 f., 225–231, 239, 279–287, 319 Fürstenspiegel: 92 f., 101 Gastmahl / cena: – kaiserliches: 66 f., 198 f., 278, 305 – senatorisches: 47, 159, 161, 174, 175, 185, 201, 274 Gattung, literarische (Genre): 25, 45 f., 89 f., 100, 125, 128 f., 132 f., 133f., 171 f., 180, 196, 220, 232, 350, 351, 352, 354 f., 361 Gebrauchsbrief: 26, 133, 178–181, 212, 335 Geheimniskrämerei / geheime Machenschaften: 60, 294, 296 Genius Senatus: 87 f. Geographie: 45 Gericht [s. a. Delator, Prozess]: 65, 116, 165, 168 f., 195, 201, 204, 210, 292, 300, 304, 306 Germania / Germanen [s. a. Bataver, Friesen]: – allg.: 30, 60, 113, 230, 235, 253, 255, 299, 312 – inferior: 16, 227, 228, 241, 257 f., 281 – superior: 16, 227, 228, 230, 241, 244, 257 f., 275, 278, 281 Gerücht: 35, 166, 225, 244, 256, 264 Geschichtsschreibung [s. Historiographie] Gesetzgebung [s. a. ius, iustitia]: 95 f., 106, 161, 163, 210, 291–293, 294, 304, 312, 374 Getreideversorgung (annona / frumentatio): 105, 153, 155, 267 Glaubwürdigkeit / Ernsthaftigkeit [s. a. Authentizität, Unabhängigkeit]: 80, 118–125, 127, 131 f., 135 f., 178, 202 f., 209, 211 f., 217, 317, 329, 330, 332–334, 339, 356 Gleichheit [s. aequitas] gloria: 9, 47 f., 56, 62–64, 69 f., 72, 131, 162, 169 f., 175, 208, 228f., 245, 246, 256, 263, 329, 336, 342, 349, 355 Gottähnlichkeit [s. Trajan]
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VI. Register
Göttlichkeit [s. Domitian] Grabinschrift: 148, 368 gratiarum actio: 89, 94, 99 f., 101, 119–124, 128 f., 132, 134, 144 Handlung [s. Akteur] Hass [s. a. Leidenschaften]: 9, 59, 60, 61, 62, 74, 121, 191, 272, 294, 296, 297, 311, 316, 327, 330 Heer / Armee / Soldaten: 9–20, 36, 56, 85, 112, 114, 238 f., 241–261, 280–282, 284, 383–387 Helvetier: 245, 246, 247 Herakles: 113, 372 Herrschaftsdarstellung / -diskurs: 17, 20, 23, 28, 29, 30, 45, 84–88, 93 f., 121, 152–155, 207, 322 f., 350 f. Herrschaftssystem [s. a. Monarchie, Prinzipat, res publica]: 9 f., 18, 19 f., 21, 23, 30, 89, 95 f.,114 f., 139, 141, 201 f., 219, 226, 286, 323, 333 f., 346, 352, 359 Heterotopie: 157, 162 f., 168, 172, 174 f., 209, 211, 217, 218, 219, 352, 354 Hispania (Baetica / Tarraconensis): 16, 113, 227, 230, 260, 279, 300, 301, 385 Historiographie / Historiograph [s. a. Annalistik, Gattung]: 25 f., 31, 45, 180, 220 f., 222, 231 f., 322 f., 324–326, 327, 329–334, 334–337, 338–345, 346, 351, 352–354 homo novus: 24, 44, 79, 95, 141, 215, 217, 219, 361 honesta: 336, 338, 342 humanitas: 105, 122, 204, 205, 316 f. Idealität, senatorische [s. a. Trajan –Vorbildlichkeit]: 56 f., 70, 170, 184 f., 186, 189, 199, 206 f., 216 f., 336, 347, 355 Idylle [s. amoenitas] imitatio (Nachahmung): 143, 197, 204–208, 211, 217, 218, 317, 318, 341 Imperator [s. a. Princeps, Oberbefehl, Feldherr]: 58, 83 f., 86, 112, 238, 269, 281 Imperium Romanum: 10, 19f., 21, 27, 56 f., 58, 61, 85 f., 88, 97, 105, 112 f., 232, 238, 239, 284, 312, 318 f., 335, 359 indulgentia: 154 industria: 55–57, 235, 255, 341 institutio alimentaria (Alimentarstiftung) [s. a. alimenta]: 85, 105, 152–155 Insubordination [s. a. Meuterei, Disziplinlosigkeit, Usurpation]: 191, 265, 268, 275
Integration / Desintegration: 21, 30, 38, 68, 77 f., 82, 99, 139 f., 141, 145, 162, 189, 217, 345 f., 348, 351, 352, 360 Integrität: 61, 63 f., 70, 72, 74, 77, 81, 210, 287, 344, 347, 356, 357 Intertextualität [s. a. diskursive Transtextualität, Paratextualität]: 36, 37, 47, 90, 92 f., 132 f., 195 f., 197 f., 248, 288, 308, 310, 316–323, 329 ira [s. a. Leidenschaften]: 61, 69, 224, 297 f., 302 f., 304, 316, 373, 383 Ironie: 223–225, 235–237, 280, 291, 302 Italia: 83, 85–88, 105, 152–155, 156, 187, 211, 232 f., 241 f., 244, 248, 251, 260, 263, 264, 320 iter: – Domitiani: 111, 113 f., 139, 373 – Traiani: 113 f., 138 f. – Vitellii: 274 Iudaea: 15, 19 Iupiter Optimus Maximus: 40, 85, 108 f., 110, 120, 382 ius / lex / Gesetz [s. a. Gesetzgebung]: 95 f., 210, 292 f., 294 f., 297, 302, 303, 327 f. iustitia / Gerechtigkeit [s. a. Gesetzgebung]: 57, 106, 168f., 198, 206, 210, 293, 303 f., 305, 312–316, 292 f., 314 Jagd: 116, 134, 136, 175, 208 f., 215, 325, 381 Julier-Claudier / julisch-claudische Dynastie [s. a. Tiberius]: 316, 328, 330, 333, 335, 336, 342, 345 Kaiserbildnis / -porträt: 116, 154, 207, 294 f., 297, 305, 377 Kaiserbrüder [s. Salvius Otho Titianus, L. Vitellius, Flavius Sabinus]: 279 Kaisernähe: 39, 41, 74 f., 85, 97, 149 f., 184, 187, 199, 209, 230 f., 239, 243, 244, 249, 253, 256 f., 262, 263, 269, 270, 271, 277 f., 283, 284, 293, 315 Kaiserwechsel [s. a. diversitas temporum, Nachfolge, Transition, Nachfolge, Putsch, Usurpation]: 17, 24, 141, 150, 189, 276, 284 f. Kapitol: 104, 113 Kapitolbrand: 223, 232 f., 252, 278, 279 Karriere [s. cursus] Klienten [s. a. Protegé, Patron, Patronagesystem]: 99, 103 f., 155, 159, 325 Kollaboration / Kollaborateur / Handlanger [s. a. Delator]: 34, 37, 43, 45, 62, 64–68, 93, 293, 295–297, 300 f., 308, 315, 318
2. Sach- und Ortsregister kollektive Mitschuld: 68–77, 140 f. Köln: 269 Kommandeur [s. a. Feldherr]: 19 f., 41, 239, 260, 281 Kommunikation: 24 f., 26, 27, 28, 44, 133, 150, 176 f., 271 f., 324 f. Kommunikation, epistolarische: 132, 178 f., 186–188, 349 Kommunikationszusammenhang: 24, 25, 96, 100, 218 f., 325 Königszeit: 116, 328, 329, 330, 332, 378 Konkurrenz / Distinktion: 32 f., 36 f., 38, 41, 67, 74 f., 80–82, 94, 127, 141–144, 161, 163, 219, 260, 261–269, 282 f., 284, 293, 357 f. Konsensritual: 94, 101 Konsulat / Konsul: 13, 36, 66, 89, 90, 94, 106, 116, 117, 121f., 124 f., 142–144, 227, 242, 247, 258, 276, 277, 310, 328 Kontinuität: 24, 126, 139, 141, 150, 189, 231 f., 234, 313 Korruption [s. Bestechung] Krankheitsmetapher: 51–53, 236, 319, 322 Lacus Larinus / Comer See: 136, 146, 157 laudatio funebris: 40, 42, 45, 46, 89 Laufbahn [s. cursus] Laurentum: 164, 166 Legionskommando / Legionslegat: 13, 16, 59, 94, 113, 226, 241, 249, 254 f., 265, 273, 278, 281, 282 Legitimation / Legitimität: 108 f., 149, 209 f., 238, 249, 264, 285, 316, 345 Leidenschaften / Affekte: 52 f., 61, 71 f., 73, 74, 302, 318, 319, 332, 333 lenitas: 205 lex de imperio: 78, 139 liberalitas: 105, 151–156, 204, 205, 206, 373 libertas: 50, 95 f., 106, 121 f., 130 f., 136, 172–174, 200, 202, 298, 317 f., 328, 329 f., 332, 334, 339 f., 356 Literaturbetrieb: 35, 97–101, 324 f., 357 luxuria / luxus: 122, 139, 159–161, 169, 175, 201, 255, 257, 300, 305, 321, 377, 381 Luxusgesetze: 161, 163 magnanimitas: 105 maiestas-Klage / -Prozess: 114, 140, 290–323, 326, 335, 337 f., 375 Mailand: 147 mansuetudo: 105, 204 f. Märtyrer [s. a. Opposition, Widerstand]: 46, 55, 61, 62, 63 f., 69 f., 74, 80, 81, 188, 341
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Mauretania: 19, 260 memoria: 45, 46, 47 f., 53, 55, 62, 69, 79, 322, 333, 339, 344, 347, 352, 353 Meritokratie: 61 f., 64, 106, 142–144, 209 f., 215, 345, 355, 358 f., 360 metus [s. Angst] Meuterei: [s. a. Disziplinlosigkeit, Insubordination] 56, 241, 242 f., 249, 256, 257, 260, 264, 281 militärische Fähigkeiten: 15, 17, 19, 56 f., 104, 112–114, 241–261, 263 f., 271, 283, 360 Militärtribunat / tribunus militum: 15, 56 f., 94, 113, 141, 208, 280 Mimesis: 101, 123 misericordia: 304, 308, 316 moderatio: 61, 70, 106, 116, 204, 206, 242, 303, 304, 308, 316, 317, 322 modestia: 55 f., 58 f., 64, 80, 102, 106, 126, 130, 139, 205, 246, 264, 291, 316, 322, 351, 360, 373 Moesia: 17, 256, 260 Monarchie / Alleinherrschaft [s. a. Herrschaftssystem, dominatio, Prinzipat, Tyrannis]: 10, 20, 30, 116, 221, 226, 241, 296, 328 f., 332, 336, 350 f., 359, 360 Mord: 39 f., 61, 65, 140, 190, 227, 230, 261, 265, 267, 268, 273, 284, 304, 312 f., 319, 384, 385 mos maiorum / Tradition: 47, 48, 173, 179, 194, 197, 207, 210, 213 f., 215, 217, 231, 232, 234, 292, 331, 352 f. municipium: 146, 149, 150, 155, 156, 157, 205, 218 munificentia: 154 Munizipalaristokratie / regionale Elite: 21, 155 f., 157, 162, 167, 179, 187 Nachfolge(r) [s. a. Adoption, Kaiserwechsel, Usurpation, Putsch]: 39, 40, 41, 45, 78, 92, 95, 108, 110, 286, 320, 335, 346, 360 Narnia: 244 Negativfigur [s. a. exemplum malum, Domitian, Tiberius]: 65–68, 71, 111, 114 f., 117, 228, 230, 231, 236 f., 251, 280, 294–296, 301, 337 f., 341 f., 343, 344, 353 negotium: 47, 70, 133, 157, 158 f., 161, 162, 164–170, 173, 174–176, 183, 206, 208, 213, 216, 218, 325 Neid / invidia: 9, 48, 60, 61, 62, 169, 247, 263, 266, 271, 320 f., 322, 377 Nestor: 37 A. 23
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VI. Register
Netzwerke: 36, 65, 76, 98–100, 144 f., 160, 188, 190, 193 f., 219 neue Zeit / beatissimum saeculum / principatus et libertas / goldenes Zeitalter [s. a. diversitas temporum]: 42, 51 f., 72, 73, 79 f., 81, 116 f., 200 f., 217 f., 235 f., 286 f., 320, 332, 351, 356 Niedergang [s. Dekadenz] Nobilität / Reichselite / -aristokratie [s. a. Funktionselite, Senatoren]: 9 f., 19, 21, 30, 41, 144 f., 158 f., 163 f., 239, 294, 312 f., 337 f., 342, 345, 347, 359–361 Oberbefehl / Oberkommando [s. a. Imperator, Feldherr]: 9 f., 13, 16, 18, 19, 36, 41, 56 f., 223, 227, 257, 259, 260, 268, 273, 276 f., 279, 283 obsequium: 55 f., 58 f., 61, 63, 64, 80, 108, 183, 206, 285, 351, 360 odium [s. Hass] omen: 104, 371 Opposition / Oppositionelle (stoische) [s. a. Widerstand, Märtyrer]: 62 f., 64, 70, 80, 94 f., 107, 140, 167, 173, 188, 190 f., 206, 211 Optimus (Cognomen): 83 f., 85, 88, 106 f., 108, 116 f., 316 optimus civis: 206, 207–210, 215, 217, 218, 219, 359 Optimus-Princeps-Diskurs [s. a. Trajan, Diskurs]: 31, 53, 82, 101–119, 140, 197–203, 203–208, 316–323, 333 f., 345, 346, 350, 357, 360 orator / rhetorische Fähigkeit: 97, 142, 144, 168, 176, 181 f., 192 f., 213–215, 216, 217, 218, 219, 351, 352, 354, 355 f. ornamenta triumphalia: 9, 46, 208, 256 otium: 26, 61, 70, 100 f., 133–135, 136, 158–177, 200 f., 208 f., 211 f., 212–219, 324 f., 354 f., 357 f., 381 – desidiosum: 173 – honestum: 173, 175, 200 Palast: 104, 114, 277, 376 Panegyrik: 79, 88, 90, 92 f., 100, 118 f., 122, 125–127, 128 f., 130–132, 134 f., 350 Panegyrikus [s. gratiarum actio] Pannonien: 16, 40, 249, 260 Paränese [s. Fürstenspiegel] Paratextualität [s. a. diskursive Transtextualität, Intertextualität]: 132 f., 195, 198
Parther: 113, 232 pater familias: 155, 171, 204 f. pater patriae: 83, 119, 153 f., 155 f., 218, 291, 322 patria: 151, 155–157, 205 Patron [s. a. Klienten, Protegé]: 9, 21–23, 74 f., 99, 155 f., 182 f., 184, 188, 205, 219, 262, 267, 284 f. Patronage: 153, 176, 205, 284 f., 325 Patronagesystem: 21–23, 285 Perseus: 113 persona / soziale Rolle: 26, 28, 31, 86, 88, 141, 143, 157, 159, 169, 171, 178, 181, 203, 204, 208, 213, 216–218, 291, 314, 324–326, 351 f., 355–359 Personifikation: 85, 86, 87, 111 Petra: 19 Philosophie / Philosophen: 50, 56, 134, 159, 166, 168 f., 173, 191 pietas: 46, 54, 117, 125 f., 206, 308, 351 Placentia: 245 f. plebs urbana: 85, 102, 105, 151, 152, 155 f., 238 f., 285, 292, 334 Po (Padus): 246 Pontus et Bithynia [s. a. Bithynien]: 16, 146, 147, 150 Porträtplastik: 24 f., 171, 207 potentia: 264, 280, 295, 296 f., 315, 317, 327, 328 f., 331, 347 potestas: 61, 83, 147, 238, 327, 328 praefectus aerarii militaris: 127, 141, 147, 170, 182 praefectus aerarii Saturni: 15, 34, 36, 147, 150, 168, 170, 182, 211 praefectus urbi: 227, 279, 289 praetor: 191, 227, 292, 293, 294, 295, 305, 309, 325 Prätorianer: 238, 281 Prätorianeraufstand: 39 f., 108, 112, 138 Prätorianerpräfekt: 39 f., 174, 184, 262, 267, 277, 285, 310, 387 Prätorier: 24, 32, 34, 143, 168, 170, 182, 226 f., 228, 241–255, 265, 269–274, 293, 294 f., 302, 310, 362–369, 384–386 Prestige [s. Sozialprestige] primus inter pares: 107, 238 Princeps / Kaiser [s. a. Imperator]: 10, 21 f., 23 f., 26, 36, 40 f., 58, 63, 87 f., 94, 103 f., 106 f., 123f., 197 f., 229, 238, 241, 269–279, 285–287, 294, 297 f., 299, 302, 306, 312, 313, 314 f., 319, 327, 328, 334, 337, 341 f., 353, 358–360
2. Sach- und Ortsregister Prinzipat [s. a. Herrschaftssystem, Monarchie, res publica]: 9 f., 21–23, 30, 45 f., 57 f., 76, 78, 82, 94 f., 97, 103, 111, 116 f., 162 f., 201 f., 238 f., 272, 281 f., 285–287, 322 f., 328 f., 332, 334 f., 359–361 Prokonsulat: – Africae: 26, 60, 227 – Asiae: 26, 60, 81, 227, 289, 324, 345 Proöm: 42, 47–55, 65 f., 69, 231–237, 326–334 Propaganda: 93, 141 f., 323, 356, 361 propagatio imperii [s. a. Expansion]: 57, 63, 283, 320 Prosopographie: 11, 12–14, 17, 26, 27, 187, 190, 362 Protegé [s. a. Klienten, Patron]: 23, 188, 205, 262, 285, 325 providentia: 85, 154, 156, 188 Prozess [s. a. Delator, Gericht, Gesetzgebung]: 32–35, 37, 41, 65 f., 68, 76, 140, 171, 197 f., 200, 205, 206, 210, 219, 290 f., 291–323, 337–341, 375 Prozessflut: 33, 35, 37, 38, 39, 76 Putsch [s. a. Kaiserwechsel, Nachfolge, Usurpation]: 39, 228, 244, 258, 277, 279, 282, 308 quaestor: 41, 230, 141, 147, 150, 294 f., 297, 299 Ravenna: 247 Rechtsprechung [s. a. Gericht, Gesetzgebung, Prozess]: 17, 210, 283, 307, 316 recusatio: 126, 169 f., 183, 206, 211, 320, 322, 355 Redaktion(sprozess): 28, 89 f., 98 f., 129, 132, 137, 176 f., 185, 324 Reflektorfigur: 72, 186 f., 188, 203 Reich, römisches [s. Imperium] Reichsbevölkerung / Provinzbevölkerung: 85, 105, 114 Reichsprägung: 41, 83, 84, 87, 88, 92, 108, 153 f., 320 Rekreation [s. a. otium]: 134, 136, 164–167, 174–176 Repetundenprozess: 68, 229, 295, 306 f. republikanische Vergangenheit: 47 f., 53, 73, 79, 116 f., 125, 128, 214, 215, 217, 327–333, 345 f., 351, 357, 378 Republikanismus: 342, 357–359 Res Gestae divi Augusti: 148 f., 238 res prolatae / Senatsferien: 89, 91, 143, 161
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res publica [s. a. Herrschaftssystem, Prinzipat]: 52, 57 f., 63, 78 f., 94, 142 f., 146 f., 149 f., 151, 155 f., 169, 183, 199, 206, 215, 287, 292 f., 312, 318, 328, 334, 342, 345, 347, 355, 358–360 reverentia senatus: 103, 106 f., 143, 303 f., 379, 380 Rezeption [s. a. Adressat]: 25 f., 43, 54 f., 64 f., 118, 122, 133, 136, 137, 178 f., 186 f., 343 f., 346, 349 f., 358, 359 Rezeption, böswillige: 122, 292 f., 341, 343–345 Rezipient [s. Adressat] Reziprozität: 84, 130, 161, 184 f. Rezitation: 91, 96, 98, 99, 130–132, 134, 137, 144, 159, 176, 177 Rhoxolanen: 273 Ritter [s. equites] Rom: 9, 40 f., 57 f., 60, 61, 62, 74 f., 83, 85, 89, 91, 101–104, 113 f., 130, 157, 159, 164, 227, 228, 232 f., 252, 255 f., 275, 279, 310, 312 f., 327–332 Romanisierung: 57 Rücktritt: 278, 279 Ruhm [s. gloria] saevitia / Grausamkeit: 52 f., 60, 72 f., 194, 245, 291, 292, 295 f., 298 f., 304, 316, 322, 339 salutatio: 163, 262, 376 Schmeichelei / adulatio: 37, 48, 93, 120, 123–127, 135, 142, 193, 202 f., 244, 247, 299, 301 f., 312, 317 f., 327, 330, 356 f., 378 Schreibgeschwindigkeit: 289 securitas: 51, 106, 112, 142, 200, 202, 205, 209, 217, 318, 320, 351, 354, 356, 376 Selbstdarstellung / -porträt / -bild: 23, 24, 26, 27, 28, 30, 31, 35, 36, 44, 80–82, 97, 141, 149, 157, 171 f., 182, 192 f., 203, 208, 211 f., 216–219, 325, 345–348, 349–361 Selbstmord / Suizid: 34, 63, 290, 300, 304, 305, 337, 340 Selbstreferentialität: 47 f., 53, 79, 92 f., 119 f., 309, 323, 326, 334–337, 354 Selbstreflexivität: 118, 178, 179, 181 Sena: 229 Senat: 32 f., 35, 65, 75 f., 84, 86, 87 f., 89, 94, 100 f., 103, 106 f., 123 f., 130 f., 132, 142, 173, 194, 197 f., 201, 213, 228 f., 238 f., 267, 285, 298 f., 301–304, 308, 313, 314, 378, 379, 380
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VI. Register
Senator/en [s. a. Funktionselite, Nobilität]: 12 f., 16, 17, 23, 33 f., 36 f., 41 f., 51, 69–72, 74–82, 94, 103, 107, 109, 123 f., 134, 139–142, 149 f., 159–161, 162 f., 173 f., 197 f., 203–208, 209, 210, 213–219, 285, 293, 295 f., 297 f., 308, 336, 338, 339, 341 f., 347, 355 f., 359–361 Senatorenkaiser [s. a. civilis principis]: 285, 286 servitium / servitus / Sklaverei (metaphorisch): 50–52, 54 f., 71, 110, 139, 194 f., 197, 212, 298, 318, 329 Sieghaftigkeit / Sieg: 40, 62, 86, 88, 112–114, 320, 335 Siegerbeiname: 40, 83 f. simplicitas: 105, 317 sine ira et studio: 327, 330 f., 332 Sklaven: 57, 140, 151, 195, 200, 204, 205, 233, 300, 303, 373, 375, 383 Soldaten [s. Heer] soziale Praxis / Praktik: 25, 27 f., 45, 73, 79, 94, 100, 126, 128, 134, 196, 296 f., 313–315, 325, 352, 355 Sozialprestige [s. a. Konkurrenz, Kaisernähe]: 18, 22, 41, 70, 73 f., 75, 81, 84, 141 f., 144, 161, 183, 219, 227, 239, 262, 264, 270, 338, 344, 354, 357 f. Spezialisierung / Professionalität [s. a. Beförderungssystem, cursus honorum]: 10 f., 15–17, 20, 282 spolia opima: 91 SPQR: 83 f., 88 f. Statthalter / Statthalterschaft: 9, 12 f., 16f., 18, 56–58, 94, 226 f., 266, 274, 278 f., 295, 316 f., 362–369 statua triumphalis: 9, 273 Stoizismus [s. Oppositionelle, Märtyrer] studia: 100, 136, 157, 167, 169, 174, 175–177, 185, 200, 202, 207, 209, 213 f., 215, 324 f., 349, 354 Sukzession [s. Nachfolge] Sündenbock: 35, 38, 67, 68, 77, 229 superbia / Hochmut: 102, 104, 122, 245, 279, 292, 376, 378, 379 Syrien: 18, 19, 39–41, 60, 138, 147, 227, 229, 255, 257, 266, 274, 305 Systemträger: 31, 80 f., 82, 124 f., 144, 218, 347, 358–360 Tarraconensis [s. Hispania] temperantia: 205, 213
terror [s. a. Angst, Tyrannis]: 49–51, 52 f., 65, 71 f., 111, 114 f., 173, 191, 232–234, 267, 307, 311 f., 315, 318, 376, 379 Testamente: 106, 146–151, 206, 375 thematische (semantische) Rolle (Agens / Patiens / Experiencer / Quelle): 49, 50, 51, 52, 70 f., 72, 131, 166, 257, 275, 298, 347 Thermen / Bäder: 146 f., 151, 152, 357 Todesstrafe/-urteil / Hinrichtung: 39 f., 69–71, 140, 194, 290, 297 f., 307 f., 310, 311 f., 313, 320, 337, 344 Tradition [s. mos maiorum] Trajansbogen: 79–88, 102, 105, 109, 145, 154, 350 Transformation / Transponierung: 76, 92, 96, 99–101, 129, 133 f., 136, 272, 284, 354, 357 Transition [Kaiserwechsel]: 30f., 38, 39–41, 73–77, 81 f., 170, 193, 287, 351 Trier: 223–235, 253 f. Triumph: 45, 46, 60, 86, 90 f., 101 f., 104, 112 f., 335, 372, 373 Triumvirat: 296 f., 327 f. triumviri capitales: 49 f. Tyrann / Tyrannis [s. a. Angst, dominatio, Monarchie, Domitian, Tiberius]: 23, 49–51, 52 f., 59–63, 69, 71 f., 74, 173, 194 f., 290 f., 292, 296 f., 299, 312 f., 347 ultio: 31, 35, 75, 234 f., 236 Unabhängigkeit / Autonomie / Selbständigkeit: 57–59, 61, 62, 69 f., 78 f., 133 f., 150, 209, 330, 332, 333 f., 340, 341, 345–347, 352–361 Usurpation [s. a. Insubordination, Kaiserwechsel, Nachfolge, Putsch]: 9, 20, 76, 231, 241, 261, 262, 266, 269, 274, 281, 285 Usurpator: 221, 230, 241, 254, 261, 283 utilia: 336, 338, 341 Utopie [s. Heterotopie] Vatermord / Parricid: 223, 234, 251 Verbannung [s. Exil]: Verbreitung, literarische / ‚Veröffentlichung’: 42, 78, 89, 98–100, 132, 136 f., 144 f., 176, 183, 200, 219, 317 f., 324 f., 350 Vergangenheitsbewältigung: 33–35, 37 f., 43, 51, 55, 67, 68, 78 f., 80, 139 f., 228 f., 351 f. Vergangenheitsbezüge: 31, 51–55, 57 f., 67 f., 73–75, 77 f., 110, 112–117, 131 f., 189–191, 235 f., 286 f., 322 f., 345 f., 348, 350 f., 352, 353, 355 f., 370–383
2. Sach- und Ortsregister Vergleich mit Vorgängern: 69 f., 110–119, 172, 210, 217, 287, 321–323, 330 f., 333 f., 335, 345, 370–383 Verona: 264 Verrat: 230, 244 f., 247, 257 f., 263, 270 f., 283, 284, 292, 313 f. Verschriftlichung: 55, 89–91, 96–98, 99 f., 132, 144, 177, 198, 359 Verstellung [s. Domitian / Tiberius] Vetera: 253 Via Traiana: 83, 85, 88 victoria Augusti [s. Sieghaftigkeit] Vienna: 242 vigor: 55 f., 59 villa: 25, 157, 159–163, 164, 172, 174, 175, 202, 203, 205, 325 – pseudurbana: 159, 160, 161, 164, 172, 174 – suburbana: 177 Villegiatur: 133 f., 160 f., 162 f., 175, 325 Villenbesitzer: 25, 171, 174, 175, 325
419
viri militares: 10–20, 21, 22, 25, 259, 362 virtueller Leser: 28, 30, 31, 50, 51, 52, 53, 179, 186 f., 188, 201, 203, 209, 219, 324, 326, 342–345, 347, 350, 356, 359 virtus: 47 f., 51 f., 55 f., 58, 59, 60, 61, 80 f., 105–107, 114, 122 f., 141, 186, 194, 199, 204, 207, 213, 233 f., 296, 304, 308, 316 f., 320–323, 341, 343, 351, 360, 376 Wahrheit [s. Glaubwürdigkeit] Widerstand [s. a. Opposition, Märtyrer]: 173, 190, 233 f., 340 Widmungsbrief: 177–185, 205, 335 Wohnkultur [s. a. villa]: 25, 159, 161, 166, 174 f. Zeitkritik: 45, 95, 107, 118 f., 182, 201 f., 213, 291, 321, 356 Zensur: 94, 106, 376
420
VI. Register
3. QUELLENREGISTER Seiten im Haupttext, auf denen eine Quellenstelle ausführlicher besprochen wird, sind durch Fettdruck hervorgehoben. Aristot. rhet. 1367a33–b3: 122 Cassius Dio 52,8: 10 52,8,4–9: 10 52,14,3: 10 53,19: 330 55,5,4: 303 f. 65,33: 254 67,4,3: 383 67,14,4: 383 68,1,3: 35, 76 68,3,2: 39 68,3,3: 40 68,5,4: 112 68,9,2: 19 68,14,5: 19 68,18–20: 83 68,23,1: 83, 84 68,34: 19 69,9,2: 19 69,13,2: 15 69,14,4: 16 71,3,1: 368 74,4,2: 19 Cicero Att. 1,1,5: 160 1,5,7: 160 1,8,2: 160 1,9,2: 160 1,11,3: 160 1,13,6: 159 1,18,6: 160 1,19,6: 160 1,20,3: 160 2,1,7: 160 2,9,1: 160 2,18,2: 161 4,11: 161 10,11,1: 181 10,18,1 f.: 181 11,4a: 181 16,2,5: 180
Brut. 4–9: 64 75: 47 129: 137 div. in Caec. 61 f.: 295 fam. 12,30,1: 178 15,21,4: 181 16,16,2: 178, 212 leg. agr. 2,1: 89 off. 3,1: 167
Epiktet diatr. 1,19,4: 127 Epit. de Caes. 12,6: 39 12,6–8: 39 f. Frontinus aqu. 102: 66 Fronto ad M. Caes. 2,2: 89 2,4: 89
Planc. 66: 47, 158, 215 f.
Flavius Iosephus bell. Iud. 7,82: 254 7,83: 254
Tusc. 2,1: 167 4,3: 47
Homer Il. 8,102: 37
Verr. 2,1,62: 160 2,4,1: 160 2,4,33 f.: 160 2,2,87: 160 2,4,97 f.: 160
Hor. carm. 2,10: 58
Demetrios de eloc. 223: 178 227: 178, 212 231 f.: 178, 186 Demosth. or. 18,120: 84 Dion Chrysostomos 1,33: 135 f. 3,12 f.: 135 3,14 f.: 135 3,16–24: 135 3,25: 135
Isokrates or. 2,30: 121, 136 3,60: 121, 136 Iuvenal 1: 68 1,35: 66, 68 4: 68, 77 4,113–122: 66 4,123–129: 34 Sch. Iuv. 1,35 p. 5: 65 4,113–122 p. 125: 66 Laus Pisonis 68–71: 89
3. Quellenregister Lukan 2,38–42: 127 7,787–795: 248 Martial 1,117: 99 4,63: 119 5,19,6: 126 5,28: 67 7,21: 119 7,34: 119 10,20: 159 12,25: 66 Ovid Pont. 4,4,35–41: 89 Philostratos Apoll. 7,28: 72 Platon Gorg. 524E: 319 rep. 519e–521b: 170 Plinius epist. 1,1: 177–185, 205 1,1,1: 172, 177 1,2: 176 1,5: 38, 171, 189, 190, 192, 193, 194, 199, 205, 206 1,5,1–4: 193 1,5,2 f.: 193 1,5,3: 65 f., 182, 200 1,5,5–7: 190 1,5,10: 67, 190 1,5,11–13: 201 1,5,15: 67, 193 1,5,16: 67, 190 1,6: 209, 325 1,7,4: 89 1,8: 176, 205 1,8,10: 211 1,9: 163, 164–167, 170, 183, 211 1,9 f.: 216 1,9,1–3: 164, 165 1,9,4: 165 1,9,4–6: 164 1,9,4–8: 166 f., 169, 174
1,9,6: 164, 175 1,9,7 f.: 164 1,9,8: 167 1,10: 170, 183, 203, 206, 208 1,10,1: 206 1,10,9: 168 1,10,9 f.: 206 1,10,9–12: 167–170 1,10,10: 168 1,10,11: 168 1,10,12: 169, 174 1,12: 38, 171 1,12,6 f.: 195 1,12,7: 172, 200 1,13: 159, 177 1,13,6: 130 1,14: 67, 159, 188, 190 1,15: 185, 206 1,15,2–4: 183 1,17,3: 186 1,18: 205 1,19: 205 1,19,2: 205 1,19,3: 205 1,20: 205 1,21: 177, 205 1,23: 205, 207 1,24: 205 2,1,3: 38, 170 2,1,5: 89, 100 2,1,6: 40 2,1,6: 325 2,4,2: 204, 205 2,4,3: 206 2,6: 159, 175, 201, 206 2,8: 136, 170 2,9: 205 2,10,4: 169 2,11: 197 f., 206, 219, 335 2,11,2: 301 2,11,2: 325 2,11,10: 198 2,11,10–24: 197 f. 2,11,11: 198 2,11,15: 198, 199 2,11,17: 325 2,11,18: 197 f., 301, 335 2,11,19: 301 2,11,22: 192 2,13: 205 2,14: 201 2,16: 206
421 2,17: 163, 175 2,18: 67, 188, 190, 205 2,19: 205 2,20: 192, 193, 201, 206 3,1: 134, 136, 163, 174, 212, 289 3,1,4: 136 3,1,6: 205 3,1,8: 136 3,1,11: 170 3,1,12: 16 3,2,2: 206 3,4,3: 208 3,4,4: 68, 205 3,4,6: 68 3,5,12: 136 3,6: 151 3,6,4: 151 3,7,14 f.: 169 3,7,6: 189 3,7,6 f.: 174 3,8: 205 3,8,2: 206 3,9: 201, 206 3,9,8: 301 3,10: 176, 187 3,10,6: 169, 171 3,11: 318 3,11,2: 205 3,11,2 f.: 191 3,11,3: 67, 189, 211 3,12: 159, 200, 206 3,13: 98, 132, 176, 196 3,13,2: 180 3,13,5: 98, 130 3,15: 176 3,17: 187 3,18: 91, 98, 130–136, 159, 176, 177, 196 3,18,1: 89, 98, 130, 132 3,18,1–3: 128 3,18,2 f.: 92 3,18,3: 92 f. , 207 3,18,4: 130, 205 3,18,4–7: 130–132, 195 3,18,5: 132 3,18,6: 89, 189 3,18,6 f.: 130 f., 196 3,18,8–10: 132 3,18,11: 132 3,19: 205 3,20,10: 181
422 3,20,12: 75, 200 3,21,2: 205 3,21,6: 169 4,1: 204, 205 4,1,4: 156 4,2: 192, 206 4,2,2: 193 4,2,4: 201 4,3: 187 4,7: 192 4,7,2: 177 4,7,5: 192 f., 214 4,9: 206 4,9,2: 43, 193 4,10: 206 4,11,2: 214 4,11,4–14: 194 4,11,5–13: 197 4,13: 89, 151 4,13,10: 325 4,13,8: 205 4,14: 134, 176 4,14,2: 175 4,15: 205, 325 4,15,11: 205 4,15,9: 295 4,17: 205, 206 4,17,8: 43 4,19: 204 4,19,5: 204 4,20: 176 4,21: 188, 190 4,21,3: 190 4,22,3–6: 140 4,22,4: 43 4,22,4–6: 34, 66–68, 73 4,22,5 f.: 66, 182 4,23: 136, 163, 212, 289 4,23,1: 175 4,23,4: 170 4,24,4: 202 4,24,4 f.: 63 4,24,5: 199 4,25: 201 4,25,3: 213 4,27: 159, 177 4,28: 186 5,1,7: 195 5,3: 136, 176, 187 5,3,7: 205 5,3,7–11: 177 5,4: 210
VI. Register 5,5,4: 169, 175 5,6: 163, 175 5,6,45: 163, 172, 175 5,7: 151, 205, 206 5,7,3: 152 5,8: 187 5,8,4: 180, 215 5,8,12 f.: 325 5,9: 210, 325 5,11: 204 5,12: 137, 176, 205 5,12,1: 98 5,13: 210, 337 5,13,7: 210 5,13,8: 210 5,13,8–10: 210 5,14: 34, 89, 199, 206 5,14,2: 206 5,14,6: 189, 199 5,14,9: 208 5,17: 159, 177, 187 5,18: 136, 209 5,18,2: 132 5,20: 201, 206 5,21,1: 177 6,2: 192, 201, 206 6,2,4: 193f. 6,3: 205 6,4: 170, 204 6,5: 171, 206 6,6: 205 6,6,5 f.: 207 6,7: 204 6,8: 205 6,8,2: 205 6,10,4: 148, 149 6,11: 207 6,12: 204 6,13: 171, 205 6,13,2: 198 6,14: 67, 159, 188 6,14,1: 174 6,15: 137, 177 6,16: 288, 324 6,17: 99, 132, 137, 159 6,20: 288, 324 6,21: 159, 177 6,22: 295 6,23: 205 6,25,3: 205 6,25,5: 206 6,26: 187
6,27: 205, 207 6,27,2: 127 6,28: 206 6,29: 205 6,29,8: 68 6,31: 197, 199, 206 6,31,2–12: 199 6,31,13: 206 6,31,13 f.: 199 6,32,2: 205 6,33: 176 7,1: 205 7,3: 89 7,3,2: 134, 136, 172 7,4,3: 214 7,4,4: 214 7,4,7: 177 7,4,8: 214 7,6: 171, 206 7,9: 132, 174 7,9,9–14: 214 7,10: 171, 206 7,11,1: 205 7,12: 176 7,14,1: 205 7,15,1: 170 7,16,2: 141 7,17: 176, 177 7,17,7: 98 f., 176 7,18: 152, 155, 205 7,18,2: 205 7,19: 190 7,19,4–6: 200 7,19,5: 65 f. 7,19,9: 190 7,20: 98, 176, 288, 324 7,22,3: 205 7,23: 204 7,23,2: 204 7,27,12–14: 63, 189 7,27,14: 66, 182, 189, 191 7,29: 197, 201, 210 7,30: 159 7,33: 288, 324 7,33,1: 349 7,33,4–8: 68, 182 7,33,4–9: 191, 206 8,1: 89 8,2: 89 8,2,8: 204 8,3: 176 8,4: 335
3. Quellenregister 8,6: 197, 201, 210 8,7: 176, 288, 324 8,9: 170 8,10: 204 8,12: 159, 177 8,12,5: 42, 46, 206 8,13: 188, 197, 207, 336 8,14: 187, 201, 206, 336 8,14,2: 197 8,14,2–10: 194 f. 8,14,4–6: 197 8,14,7: 63, 194 f. 8,14,7–9: 189, 197, 207 8,14,8: 173, 194 f. 8,14,10: 197, 201 8,15: 176 8,16: 205 8,18: 201 8,18,7: 206 8,19: 176 8,21: 159, 176 8,21,1 f.: 214 8,22: 205 8,23,2–4: 207 8,23,5: 205 9,2: 181 9,2,2–3: 181 9,4: 176 9,6: 132, 159 9,9,2: 206 9,10,1: 325 9,13: 32–38, 136, 140, 151, 171, 187, 201 9,13,2: 32, 170, 190 9,13,2–5: 206 9,13,3: 32, 172 9,13,3–5: 188 9,13,4: 33, 76, 205 9,13,6: 33 9,13,7: 33, 37, 76 9,13,8: 34 9,13,10: 38 9,13,10 f.: 36 9,13,11: 38 9,13,12: 36 9,13,13: 34 9,13,15: 34 9,13,16: 37 9,13,19 f.: 34 9,13,22–25: 35 9,13,23: 36 9,13,24 f.: 35
9,14: 169, 324 9,15: 159, 175 9,15,1: 172 9,16: 176 9,18: 176 9,21: 205 9,23: 324, 349 f. 9,23,2: 349 9,23,3: 349 9,23,4: 349 9,24: 205 9,25: 176 9,26: 176 9,27: 177, 325 9,29,2: 204 9,34: 176, 177 9,35: 176 9,35,1: 170 9,36: 136, 174, 177 9,36,2: 176 9,37: 89 9,38: 176 9,40: 174, 175 9,40,2: 176 10,1: 203 10,2: 203 10,3: 203 10,4: 203 10,8: 203 10,9: 208 10,10: 75 paneg. (die in Appendix 2 in tabellarischer Form angeführten Stellen wurden nicht in das Register übernommen) 1,3: 108, 109 1,6: 120, 121, 124 1,7,3–7: 126 2,1–3: 119 f., 142 2,2: 114 f., 131 2,3: 89, 109, 319 2,6: 105, 115, 125 f. 2,7: 105, 110, 316 2,7 f.: 106 3–5: 118 3,1: 123 3,4: 105, 344 3,4: 122 f. 3,5: 123 4,1: 89, 92, 183
423 4,1 f.: 128 4,6: 105 5,1: 329 5,2: 108 5,3–5: 104 5,5: 320 5,5–7: 320 5,6 f.: 320 5,7–8: 95 6: 40 6,1: 108 6,1 f.: 320 6,2: 207 6,2 f.: 320 6,3: 108 6,4: 116 6,5: 108 7 f.: 116 7,1: 320 7,4: 110, 111, 115 7,4 f.: 320 7,6: 41 8,1: 110, 318, 320 8,1–3: 108 8,2: 43, 108, 111 8,2 f.: 104 8,3: 108 f., 111, 320 8,5: 110, 111, 287 8,5 f.: 41, 320 8,6: 108, 115 9,1: 320 9,2: 41, 208 9,3: 183 9,3 f.: 320 9,4: 170, 183 10,1: 108 10,2: 43, 110, 111, 318, 320 10,3 f.: 320 10,4: 110 11,1: 111, 115 11,1 f.: 111, 114, 115 11,2: 111 11,4: 113 12 f.: 113 12,1: 116 12,1 f.: 112 13,1: 112 13,4 f.: 116 14 f.: 113 14,5: 113, 115, 123 16: 113 16,1: 208
424 16,2 f.: 112 16,3: 113 17,2 f.: 91 17,3: 95 18 f.: 112, 113 19,4: 106 20,1–4: 113 f. 20,4: 111, 114 20,5 f.: 139 20,6: 207 21,4: 105 22 f.: 101–104 22,1: 101 f. 22,2–5: 102 22,2: 102 22,3: 102 22,4: 102 22,5: 103 23,1: 103, 106 23,2 f.: 104 23,3: 103 23,4 f.: 104 23,6: 104, 121, 125 24,2: 105 24,5: 110 25–28: 105 25,3: 105 27,1: 318 27,3: 105 28,2: 115 28,3: 110 28,4: 105 28,7: 115 29: 85, 105 29,1 f.: 117 29,4 f.: 156 30–32: 105 31,1: 105 31,5: 105 32,1: 105 32,2: 105, 108 32,2: 109 32,3: 105 33,2: 105 33,3 f.: 114 33,4: 115 34 f.: 106, 139 34,2: 96 34,3: 105 34,5: 96 35,1: 317 35,1–3: 96
VI. Register 35,2: 140 35,4: 43, 111 36–40: 106 36,2 f.: 95 36,4: 318 38,2: 105 38,4: 105 38,5: 105 38,6: 111 39,2: 110 39,3: 105 41,1: 105 41,3: 106 42: 317 42,2 f.: 115 42,3: 172, 140 42,3 f.: 186 43: 106 43,4: 105 44 f.: 23, 106, 199, 341 44,1: 115 44,2: 115 44,5: 115, 140 44,5 f.: 80 f. 44,6: 318 44,7: 186, 318, 341 45,1: 63 45,2: 23 45,3: 186 45,4–6: 94, 207 45,5: 143, 207 45,5 f.: 106 45,6–8: 106 46,1–5: 117 46,3: 117 47–49: 106 47,3: 105 48,3: 140 48,3–5: 115 48,3–49,1: 306 48,4: 71, 122 49,1: 122, 123 49,2: 122 49,5: 105 50,2: 110 50,5: 123 51,4: 105 51,5: 92 52,1–7: 108 52,7: 115, 123 53: 118 f., 138, 197, 293, 321 53,1: 116, 118
53,2: 118 f. 53,4: 111, 123 53,5: 207 53,6: 118, 121 f. 54,1 f.: 124 54,3–6: 124 54,4–6: 124 54,5: 105 54,5: 106 55,2: 318 55,6 f.: 116 56,1: 117 56,3–60,7: 126 56,4: 116 56,6: 116 57,3: 126 57,4: 116 57,5: 116 58,2: 318 58,3: 116, 208, 318 58,4: 115 58,5: 105 60 f.: 106 60,7: 105 61,1: 117 62: 106, 219 62,7: 207 63–65: 106 63,1: 207 66,2: 318, 332 66,3: 110, 318 66, 3–5: 106 67,1: 123, 124 67,2: 318, 332 67,4–8: 143 68,1: 108 68,6 f.: 172 68,7: 121 69 f.: 106 69,2 f.: 207 69,3: 106, 143 69,4: 106 71: 106 71,5: 105 71,6: 123 72 f.: 123 72,2: 318 72,4: 110 72,4 f.: 109 72,5–7: 123, 124 73,1–5: 124 73,4: 124
425
3. Quellenregister 74,1: 117, 124 74, 2: 124 74,3: 122 75,4: 207 75,6: 123 76,1: 106, 117, 197 f., 207 76,1 f.: 318 76,2–5: 124 76,3 f.: 142 76,3–5: 198 76,5: 106 76,9: 117 77,4: 106 77,6–8: 106 78,3: 115, 318 80,4 f.: 86, 108, 109, 126 81,1–3: 209 81,2: 116 81,4: 209 82,8 f.: 213 83 f.: 317 83,2 f.: 106 84,1: 105 85,1: 140 86,1–87,2: 174 86,3: 170 86,5: 105 86,6: 105 88,5 f.: 117 88,6: 105 88,8: 86, 108, 109 89,1: 111 89,3: 208 90 f.: 199 90,3: 89 90,5: 63, 113, 143, 211 90,6: 111, 191 91,1–5: 143 91,1: 125, 168 91,3: 143 91,3–5: 216 92: 143 92,1: 216 92,1 f.: 36 92,2: 142 92,4: 89, 115 93,1: 142 93,2: 117, 125, 142 93,3: 142, 143 94,3: 108, 115, 143, 211 94,4: 86, 109 94,5: 95
95,1: 216 95,3 f.: 127, 143, 189, 191 95,4: 115 95,5: 143 Plutarch mor. 51C–D: 127 61C: 127 539A–547F: 186 Quintilian inst. 1,1,9–20: 214 2,7: 100 3,7,15: 112 3,7,25: 122 11,1,15–38: 186 11,2: 100 11,2,27: 100 11,2,44 f.: 100 11,3,75: 124 11,3,137–149: 124 12,1,1: 214 12,1,3: 214 12,1,6: 215 Res gestae divi Augusti 34: 238 Rhetorica ad Herennium 3,3,6: 122 Sallust Cat. 7,2: 61, 63 10: 116 52: 160 Scriptores Historiae Augustae Hadr. 5,8: 19 Pius 5,4: 19 Aur. 9,1: 19, 369 Aur. 21,1: 19 Ael. 7,1: 369 Seneca apocol. 14,1: 78 clem. 1,13,5: 135 epist. 40,1: 178, 212
75,1: 178 Thy. 205–212: 127 Statius silv. 2,7,100: 119 2,7,118 f.: 119 4,1,33–35: 126 4,3,128 f.: 126 Suet. Cal. 21: 383 Claud. 29,2: 79 Dom. 1–9: 77 Dom. 10–12: 78, 140 Dom. 10–23: 77 Dom. 10,1: 140 Dom. 10,4: 33 Dom. 12,1: 140 Dom. 12,3: 383 Dom. 18,1: 71 f., 383 Dom. 21: 383 Tacitus Agr. 1: 47 f. 1,1: 46, 47 f., 53 1,2: 48 1,2 f.: 48 1,3: 60 1,4: 47 f. 1–3: 43 2: 49–51, 173 2,1: 49, 53, 200, 344 2,1 f.: 344 2,2: 50, 53, 173, 383 2,3: 50, 53, 311 2 f.: 322 3: 51–55, 383 3,1: 42, 50, 51 f., 53, 318 3,2: 52 f., 59 3,3: 43, 54 f., 344 4,3: 56 5,1: 56 6,3 f.: 59 7,3–8,3: 56 8,1: 56, 59 8,2: 254 9,1–4: 56 9,2: 16 9,5 f.: 57 17,1 f.: 254
426 18,4: 56 19: 16, 57 19,1: 57 21: 57 20,2 f.: 57 22,3: 57 25,3–27,1: 56 26,1: 57 26,1 f.: 56 33,2: 57 35,2: 57 35 f.: 57 37,4: 56 f. 37,6: 57 39: 58, 59 f., 62, 322 39 f.: 9, 19 39,1: 60, 322 39,2: 9, 58, 60 39,3: 59, 60, 305 39,3–40,1: 322 39–43: 383 40: 62 40,1: 9, 60 40,3: 60, 61 40,4: 59, 61, 173 41: 23, 58, 61, 63 41,1: 59, 60 41,4: 322 42: 23, 63 42,1 f.: 61, 322 42,3: 59, 64, 69 42,4: 45, 55 f., 63 f., 64 43: 63 43,3: 61 44,5: 42, 64 45,1: 33, 65, 66, 70 f., 78, 140, 182 45,1 f.: 64–72, 322, 383 45,2: 71 f. 45,3: 63, 64, 72 46,3 f.: 46 ann. 1,1: 326–334 1,1,1: 297, 328 f. 1,1,2: 329 f. 1,1,3: 330–332 1,2,1: 329, 341 1,3: 319, 321 1,3,3: 319 1,3,6: 320 1,4,4: 296
VI. Register 1,5,3 f.: 321 1,6,1: 319, 321 1,7: 322 1,7–13: 320 1,7,3: 316, 317 1,7,3–7: 126 1,7,7: 316, 317, 321, 322 1,8,4: 127 1,11–13: 322 1,11,1: 317, 325 1,11,1–13,6: 126 1,11,2: 296 1,18,2: 316 1,46: 320 1,71,1 f.: 293f. 1,72: 326 1,72–74: 291–299, 300, 309, 319 1,72,1: 317, 322 1,72,2: 291 1,72,2–4: 292 f. 1,72,3: 312 1,72,4: 317 1,73: 335 1,73,1 f.: 293 f. 1,73,2 f.: 297 1,74: 294–299 1,74,2: 297, 337, 338 1,75–81: 299f. 1,77,3: 316, 317 1,80,2: 63, 316 f., 322 1,81,2: 317, 318 2,1–4: 300 2,26,5: 321, 322 2,27: 300 f. 2,27–32: 297, 299–304, 309, 338 2,27,1: 300, 304 2,27,2: 300 2,28,1f.: 302 f. 2,28,2: 296, 303 2,28,3: 301 2,29,1: 301 2,29,2: 303 2,30,1: 301 2,30,2: 300 2,30,3: 303 2,30,4–31,1: 308 2,31,1 f.: 304 2,31,2: 304 2,32,1: 301, 304 2,32,1 f.: 301
2,32,2: 302 2,42,1: 291, 317 2,64,4: 316, 317 2,87: 291, 317 f. 2,87,2: 322 3,2,3: 317 3,7: 299 3,22,2: 317 3,24,3: 331 3,35,3: 316, 318 3,36: 305 3,36–38: 304–307 3,37: 322 3,37,1: 305 3,37,2: 296, 305, 320 3,38,1: 306 3,38,1 f.: 306 f. 3,38,2: 306 3,44: 320 3,49: 307 3,49–51: 307–309 3,49,2: 307 3,50,2: 308 3,50,2 f.: 308 3,51,1: 308 3,51,2: 308 3,55,4: 106 3,60,1: 316, 317 3,64,1: 317 3,64,3: 317 3,65,1: 343 3,65,2 f.: 25 3,66–69: 307 3,67,3: 307 3,67,4: 308 3,70,1: 306 f. 3,75: 333 3,76,2: 326, 341 4,6,1: 309 4,7,1: 309 4,9,1: 317 4,12,1: 316, 318 4,18 f.: 309 4,19: 317 4,19,2: 314, 319 4,21: 309 4,23–27: 309 4,26,1: 333 4,28–30: 309 4,31,1: 309 4,31,3 f.: 310, 337 f. 4,31,4: 297
3. Quellenregister 4,32: 334–336 4,32–38: 323 4,32 f.: 309, 334–337 4,32,1: 334 4,32,2: 320 f., 333, 334 f., 342, 344, 353 4,33,2: 336 f. 4,33,2–4: 341–345 4,33,3: 309, 342 4,33,4: 293, 341, 343–345 4,34 f.: 310, 333, 338–341 4,34,1: 341 4,34,5: 293, 339 4,35,3: 335 4,35,5: 339 4,36,1: 310 4,37 f.: 291, 322 4,67,3: 321 4,68–70: 309–312 4,68–71: 319 4,68,1: 310 4,68,2: 310 4,68,2–4,69,2: 311 4,68,4: 310 4,69,2: 311 4,69,3: 311 4,70,1: 312 4,70,1–3: 312 4,70,2: 312 4,70,3: 311 4,70,4: 312 4,71,1: 297, 315, 319 4,71,3: 317 4,74,1: 296, 312, 317, 319, 321, 322 6: 290, 322 6,1,1: 319 6,6: 319, 320, 322, 343 6,7,3: 313, 319 6,7,5: 290 6,10,1: 313 6,10,2: 313, 320 6,24,2: 290 6,24,3: 319 6,26: 320 6,26,1: 313 6,29,1: 312 6,30,2–4: 9 6,38,1: 313 6,38,4–40,2: 290 6,39,3: 317 6,40,2: 313
6,45,3: 317 6,47,1: 313 6,50,1: 317 6,50,4 f.: 313 6,51,3: 296, 309, 319 6,53,1: 290 11,1–7: 337 11,19 f.: 283 11,19,3: 63 11,5–7: 210 13,42 f.: 338 13,42,1: 338 13,43,2: 337 14,5: 339 f. 14,32,3: 17 14,50,2: 339 f. 15,26,3: 15 16,16: 333 16,21–35: 34, 49 hist. 1,1–3: 231–236 1,1,1: 231, 232, 277, 328 1,1,3: 325 1,1,3 f.: 328 1,1,4: 235, 318, 319, 253 1,2: 232 f., 237 1,3: 233 f. 1,3,1: 233 1,3,2: 234, 237 1,4–11: 228, 237 1,4,1: 236, 237 f. 1,6: 228 1,7: 245 1,7,1: 230, 234, 241, 261, 265, 269 1,7,1 f.: 273 1,8,2: 260, 269, 278, 281 1,9,1: 257 1,10,1: 274 1,10,1 f.: 234, 235, 255 1,11,3: 231, 237, 277 1,13,1 f.: 277 1,14,1: 227, 276, 277 1,14,1: 258 1,18,1: 228 1,25,1: 282 1,31,1: 258 1,32 f.: 277 1,42: 277 1,45,1: 228, 238 1,45,2: 258
427 1,46,1: 279 1,46,2: 227 1,47,1: 234 1,52–55: 241 1,52 f.: 283 1,52,3: 223, 245, 276 1,52,3 f.: 241, 261, 269 1,52,4: 280 1,53,1: 230, 234, 244, 246, 270, 271 1,53,2: 271 1,55: 244 1,55–57: 281 1,55 f.: 281 1,56,1: 257, 275 1,57,1: 241, 261, 269 1,58,2: 260 1,59,2: 274 1,60: 260, 268 1,61: 270 1,61,1 f.: 241 1,61,2: 261 1,63: 242 1,64,2: 242 1,64,3: 261 1,64,4: 273 1,65,1 f.: 279 1,66,1: 242 1,66,2 f.: 242 1,67 f.: 245 1,67,2: 245 1,71: 276 1,71,2: 258, 277 1,72,2: 258, 278 1,74,1: 235 1,76: 282 1,76,2: 274 1,76,3: 227 1,77,2: 276, 277, 278 1,79: 273 1,87,2: 258, 259, 277 1,88,1: 278 1,90,2: 258, 259, 277 1,90,3: 279 2,4: 277 2,4–7: 266 2,5,2: 274 2,6 f.: 266 2,7,2: 266, 274 2,11,2: 268 2,18 f.: 281 2,20,1: 245
428 2,20,2: 245 2,21 f.: 246 2,21,1: 245 f. 2,22,3: 245, 246 2,23,2: 268 2,23,3–5: 246 2,23,4 f.: 277 2,23,5: 279 2,24–26: 246, 259, 268, 277 2,24,1: 245, 246 2,24,3–26,2: 259 2,26,1: 246, 281 2,26,2: 246 2,27,1: 246 2,27,3 f.: 250 2,28–30: 281 2,28 f.: 242 2,29,1: 242 2,29,2 f.: 242 f. 2,29,3: 242 2,30,1: 243 2,30,2: 246, 262 2,30,3–2,36: 248 f. 2,32 f.: 268, 277 2,32,1: 259 2,33: 259, 277 2,33,1: 276 2,33,1 f.: 279 2,36: 281 2,37,1: 259, 263 2,39,1: 259 2,40: 284 2,41–45: 241, 245 2,41,2–2,44,1: 248 2,43,1: 254, 273 2,43,2: 248 2,44: 281 2,44,1: 234, 248, 254 2,44,2: 259 2,45,3: 234, 248 2,49,1: 260, 278 2,51: 229, 260, 278 2,52–54: 228 2,56: 242, 248, 251 2,57,1: 275 2,59,2: 274 2,59,3: 243, 248, 262, 269, 271 2,60,1: 259, 277 2,60,2: 259, 268, 277 2,63,1: 279 2,65,2: 260, 278
VI. Register 2,67,2: 269 2,68: 278 2,70: 269 2,70,1: 269 2,70,3: 262 2,70,3 f.: 248 2,71,1: 262, 269 2,71,2: 227, 262, 269 2,71,2: 230, 241, 245, 248, 271 2,73: 274 2,75,1: 14 f. 2,76–78: 255, 281 2,76–79: 274 2,76–82: 284 2,76 f.: 41, 76, 219, 266 f., 283, 286 2,76,2 f.: 280 2,76,3: 266 2,77,1: 23, 247, 262, 263, 286 2,77,2: 286 2,79 f.: 281 2,81 f.: 274 2,82 f.: 256 2,82,3: 255 2,83,1: 255 2,84: 255, 256 2,84,2: 256 2,85,2: 268, 273 2,86,1: 234 2,86,1 f.: 249, 251 2,86,2: 252, 264 2,86,3: 260 2,92 f.: 262 2,92,1: 262, 271, 285 2,92,2: 242 2,93,2: 270 2,95,1: 262, 269 2,95,2: 269 2,95,3: 234, 256 2,96,1: 260, 278 2,97,1: 258, 260, 276 2,99–101: 283 2,99–2,101: 247 2,99,1: 270 2,99,2: 245, 263, 268, 270 2,100,1: 247, 263, 270 2,100,2: 247 2,100,3: 270 2,101: 244, 270 2,101,1: 247
3,2 f.: 250, 264 3,2,4: 249 3,3: 250, 251 3,4: 260 3,6: 250 3,6,1: 251 3,6,1 f.: 250 3,7,1: 254 3,8,1: 250, 252 3,8,2: 249 3,8,2 f.: 272, 275 3,9: 270 3,9,1 f.: 247 3,9,2: 245 3,9,3: 260, 280 3,9,4 f.: 245 3,9,5: 250 3,10 f.: 260, 268, 281 3,10,1: 254, 273 3,10,2: 278 3,10,4: 260 3,11,3: 254 3,11,4: 249, 250, 264 3,13: 270 3,13 f.: 245, 247, 281 3,14: 273 3,15,1: 344 3,15,2: 250, 251 3,16: 223, 250 3,17: 250 3,17,1: 250, 251 3,17,2: 250 f., 251 3,19–21: 281 3,20 f.: 250 3,20,1: 250 3,21,2: 250 3,23: 251 3,23,1: 250 3,24: 250 3,24 f.: 251 3,25,1: 250, 256 3,25,2: 250, 280 3,25,2 f.: 223, 234 3,27,3: 251 3,27,3 f.: 251 3,28: 280 3,29,1: 250 3,29,2: 250 3,31: 249 3,31,2: 245 3,31,3: 250
3. Quellenregister 3,31,4: 245, 247, 250, 263, 270 3,32: 250 3,32,3: 264 3,33: 234 3,33 f.: 251, 252 3,36,1: 270 3,36,2: 285 3,37: 245 3,37 f.: 279 3,37,2: 268, 277 3,37,3: 227 3,38 f.: 268, 274 3,40 f.: 242, 244 3,40,2: 243 3,41–43: 243 3,41,1: 243 3,43,2: 241 3,46,2 f.: 256 3,46,3: 260 3,49: 264 3,49,1: 251, 264 3,49,2: 250, 251 3,50,2: 254, 260, 265, 268, 273 3,51: 234 3,51,1: 251 3,52,2: 256, 267 3,52,2 f.: 267 3,52,3: 264, 265, 267, 275 3,53: 252, 272, 275 3,53,1: 272 3,53,2: 223 3,53,3: 264 f. 3,58,1: 279 3,59,2: 17, 228, 235, 252, 273 3,59,3: 77 3,60,2 f.: 250, 265 3,62: 235 3,62,1: 241, 244, 270 3,62,2: 241, 242, 270 3,63,2: 267 3,64 f.: 279 3,65,2: 279 3,66,3: 255, 256 3,68–74: 279 3,68,3: 278 3,69: 223 3,72–75: 234 3,74,1: 77 3,75,2: 231, 255, 279, 286
3,75,3: 278 3,76 f.: 279 3,78: 267 3,78,3: 235, 252 3,78,3–3,80,2: 252 3,79: 235, 252 3,79,1f.: 252 3,80,2: 235, 250, 253 3,82: 250, 281 3,82–4,1: 249 3,83–4,2: 252 3,83,2: 234 3,84,3: 250 3,85: 270 3,86,3: 77 4,1: 234 4,2,1: 77, 251, 264 4,2,2 f.: 279 4,3–10: 228 4,4,1 f.: 74, 255, 267, 286 4,4,2: 256 4,6,1: 75, 229 4,7 f.: 75 4,11: 231, 235 4,11,1: 74, 267 4,11,2: 234, 255 4,11,2 f.: 267 4,13,2–4,14,4: 255 4,13,2 f.: 254 4,13,3: 258, 276, 283 4,18,1: 255, 257, 258, 265, 276 4,19 f.: 265 4,19,2: 257 4,19,2 f.: 276 4,19,3: 258 4,20,1: 255 4,22,1: 255, 265 4,24,1: 257, 265 4,24,3: 257 4,25: 281 4,25,1: 258 4,25,4: 257 4,26,3: 265 4,27: 281 4,27,1: 255 4,27,2: 255, 265 4,27,3: 254 4,32,1: 254 4,33: 255 4,33,1: 255 4,34,1: 255
429 4,34,5: 255 4,36: 281 4,36,2: 255, 257, 268 4,36,3: 230 4,36,4: 250 4,38,1: 227 4,39–45: 228 4,39,1 f.: 227 4,39,2: 74, 77, 231 4,39,3: 267 4,40,1: 72 4,40,4: 67 4,41–43: 75 4,42,1: 280 4,44: 231, 255. 267 4,44 f.: 229 4,44,1: 75 f., 78 4,46: 256 4,47: 228, 236 4,48–50: 227 4,49 f.: 265, 268 4,49,2: 255, 267 4,49,4: 267 4,50: 273 4,50,2: 68 4,51,2: 77 4,59,1 f.: 281 4,68: 231, 255 4,68,1: 77, 228, 252, 256, 267 4,68,3: 77 4,71: 252 4,71,1: 253 4,71,2: 253 4,71,4 f.: 253 4,71,5: 235 4,72,2: 253, 265 4,72,2–4: 253 4,73 f.: 252, 253 4,75,1: 273 4,75,2: 253 4,77 f.: 223–225 4,77,1: 224, 252 4,77,2: 223 4,77,3: 224, 252, 253 4,78: 224, 253 4,78,2: 224, 252 4,79,3: 254 4,80: 231, 235, 249, 265 4,80,1: 267 4,80,2: 267
430 4,80,2 f.: 252, 271 f., 275, 284 4,80,3: 235, 244, 270 4,86: 77 4,86,1: 223, 235, 273 4,86,3: 230 5,16: 252, 253 5,18,2: 253 5,19,1: 228 5,20,1: 252 5,21: 252 5,21,3: 253 f. 5,22: 224 5,22,3: 224, 235, 252, 253 5,23–25: 253 5,24,1: 252, 254 5,26,3: 254 Varro rust. 1,13,7: 159 Velleius Paterculus 2,1,1 f.: 116 2,14,3: 213 Vergil Aen. 6,105: 36 6,853: 57 Vitruv 6,5,3: 159
VI. Register Inschriften AE 1890, 110 (= OGIS 487): 81, 325 AE 1957, 161: 368 AE 1963, 42: 368 AE 1982, 286: 148 AE 1987, 1072: 149 AE 2006, 1861: 369 CIL I2 2980: 148 CIL II 6084: 367 CIL V 4351: 146 CIL V 5262: 141, 146–157, 171 CIL VI 930: 78, 139 CIL VI 1284: 148 CIL VI 1286: 148 CIL VI 1289: 148 CIL VI 1290: 148 CIL VI 1293: 148 CIL VI 1322: 148 CIL VI 1492: 149
CIL VI 1546: 368 CIL VI 2016: 387 CIL VI 41106: 325 CIL IX 1558: 83 f. CIL IX 6003–5: 83 CIL X 6310: 149 CIL X 6328: 149 CIL XI 1147: 149 CIL XI 3365 (= ILS 1081): 15, 368 CIL XI 4351: 153, 154 CIL XII 3169: 368 CIL XVI 60: 84 ILS 286: 92, 139 ILS 1020: 41 ILS 1024: 34 ILS 1040: 41 ILS 2311 (= IGR III 7505): 368 ILS 8973: 16, 368
Nino Luraghi (ed.)
The Splendors and Miseries of Ruling Alone Encounters with Monarchy from Archaic Greece to the Hellenistic Mediterranean Studies in Ancient Monarchies – Volume 1
Nino Luraghi (ed.) The Splendors and Miseries of Ruling Alone Encounters with Monarchy from Archaic Greece to the Hellenistic Mediterranean 2013. 284 pages with 2 photos. Hardback. & 978-3-515-10259-9 @ 978-3-515-10504-0
Monarchy, that is, a political order characterized by a single ruler, is an understudied aspect of Greek politics and culture. The contributors to this book provide a unified scholarly framework in which to interpret the sociological as well as the ideological side of monarchic regimes from archaic Greek tyranny to Hellenistic monarchy in Greece and the Eastern Mediterranean. Taking their cue from Hans-Joachim Gehrke’s essay on the victorious king, published here in an updated English translation, the contributors bring to the surface common trends and features that make it possible to sketch an integrated history of monarchic rule in ancient Greece from the Archaic to the Hellenistic age. Topics of contributions include the image of the archaic tyrant as legitimate and illegitimate ruler, the rhetoric of Hellenistic monarchy outlined in philosophical treatises on monarchy, the impact of the rise of Hellenistic monarchy on pre-existing political orders such as tyranny in Sicily and dual monarchy in Sparta, and the influence of this ideological model on political traditions in Anatolia and Palestine in the Late Hellenistic period. .............................................................................
Contents n. luraghi: Ruling alone: Monarchy in Greek Politics and Thought | c. mann: Hieron of Syracuse in the Epinicia of Pindar and Bacchylides | n. luraghi: To Die like a Tyrant | h.-j. gehrke: The Victorious King | m. haake: Agathocles and Hiero II: Two Sole Rulers in the Hellenistic Age and the Question of Succession | d. a. walthall: Becoming Kings: Spartan Basileia in the Hellenistic Period | m. haake: The Communicative Function of Treatises On Kingship in the Hellenistic Period | u. gotter: The Castrated King, or: The Everyday Monstrosity of Late Hellenistic Kingship | k. trampedach: Between Hellenistic Monarchy and Jewish Theocracy: The Contested Legitimacy of Hasmonean Rule
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Matthias Gelzer
Cicero Ein biographischer Versuch Mit einer forschungsgeschichtlichen Einleitung und einer Ergänzungsbibliographie herausgegeben von Werner Riess
Matthias Gelzer Cicero 2., erweiterte Auflage 2014. XXVII, 407 Seiten mit 2 Karten. Kartoniert. & 978-3-515-09903-5 @ 978-3-515-10834-8
Matthias Gelzer hat mit seinen großen Biographien über Caesar, Pompeius und Cicero Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Nach der Neuauflage der Caesar- und Pompeius-Biographien liegt nun auch der „Cicero“ in einer Neuauflage vor, welche die Gelzersche Trilogie der drei großen Römer der späten römischen Republik abschließt. Der Band enthält eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung, die Gelzers Oeuvre im Kontext der Forschung situiert und ihre Haupttendenzen seit der Erstauflage von 1969 sowie Perspektiven für die weitere Forschung skizziert. Zusätzlich wurde der Band mit einem Verzeichnis der von Gelzer zitierten Literatur, einer Ergänzungsbibliographie und einer Zeittafel ausgestattet. Personen- und Ortsregister wurden neu besorgt. Eines der Hauptwerke Matthias Gelzers, der sich mit seinem „Cicero“ teilweise vom übermächtigen Verdikt Mommsens gegen Cicero zu lösen vermochte und auch im internationalen Vergleich die quellen- und detailreichste Studie zu dem großen Konsular aus Arpinum geschrieben hat, ist somit wieder für die Öffentlichkeit verfügbar und wird weiterhin als Meilenstein der deutschen Historiographie des 20. Jahrhunderts zu Forschungen inspirieren. .............................................................................
Aus dem Inhalt Lehrjahre p Die ersten Jahre öffentlicher Wirksamkeit p Die Quaestur und der Beginn der senatorischen Laufbahn p Die Anklage des C. Verres p Von der Aedilität bis zur Praetur p Der Kampf um das Consulat p Das Exil und die Rückkehr p „me status hic rei publicae non delectat“ p Das Proconsulat p Im Bürgerkrieg p Unter Caesars Dictatur p Nach den Iden des März 44 p Im letzten Kampf für die Res Publica
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Nach der Schlacht von Actium entwickelte sich im Imperium Romanum der Prinzipat als neues Herrschaftssystem, das bis zur Regierung Trajans (98–117 n. Chr.) voll ausgebildet war und die Mitglieder der senatorischen Elite vor enorme Herausforderungen stellte. Denn während der permanente Konkurrenzkampf um Macht und Einfluss unter den höchsten aristokratischen Funktionsträgern des Imperiums keineswegs geringer geworden war, musste nun in allen Bereichen der Princeps als die systembeherrschende Größe stets mitberücksichtigt werden. Insbesondere die Analyse der literarischen Selbstdarstellung der beiden Senatoren Tacitus und
Plinius gibt dabei Aufschluss über mögliche Strategien, wie durch die Affirmation der trajanischen Herrschaftsdarstellung und die gleichzeitige Distanzierung die Unabhängigkeit der Senatoren weiterhin behauptet sowie die Authentizität ihrer Schriften gewahrt werden konnte. So entstehen zwischen Princeps und Res Publica zwei eindrückliche senatorische Selbstbildnisse, deren Autoren sich als selbstbewusste Systemträger zu inszenieren wissen. Literatur erscheint in diesem Kontext nicht zuletzt als ein Instrument im Konkurrenzkampf einer hochkompetitiven imperialen Elite.
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ISBN 978-3-515-10843-0